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German Pages 807 [808] Year 2010
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 147
Christian Alexander
Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeitsund Kartellrecht Privatrechtliche Sanktionsinstrumente zum Schutz individueller und überindividueller Interessen im Wettbewerb
Mohr Siebeck
Christian Alexander, geboren 1975; 1993–98 Studium der Rechtswissenschaften in Greifswald; 1999–2001 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Greifswald; 2001–2003 Juristischer Vorbereitungsdienst in Berlin; 2003–2009 Wissenschaftlicher Assistent an der Universität München; 2009 Habilitation; Wintersemester 2009/2010 und Sommersemester 2010 Lehrstuhlvertretung an der Universität Jena.
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT. e-ISBN PDF 978-3-16-151224-7 ISBN 978-3-16-150130-2 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2010 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Textservice Zink in Schwarzach aus der Garamond-Antiqua gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Im Sommersemester 2009 hat die Juristische Fakultät der Ludwig-MaximiliansUniversität München die vorliegende Arbeit als Habilitationsschrift angenommen. Rechtsprechung, Literatur und Gesetzgebung sind bis einschließlich August 2009 berücksichtigt. Entstanden ist die Untersuchung während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Internationales Recht – Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht in München. Mein Dank gilt vor allem Professor Dr. Helmut Köhler für seine herausragende fachliche und persönliche Unterstützung, seinen Rat und zugleich für die wissenschaftliche Freiheit, die er mir jederzeit gelassen hat. Enorm profitieren konnte ich von den hervorragenden Arbeitsbedingungen am Lehrstuhl. Danken möchte ich Professor Dr. Michael Lehmann, der das Zweitgutachten rasch und unkompliziert erstellt hat. Neugier und Interesse an der wissenschaftlichen Arbeit hat maßgeblich Professor Dr. Axel Beater bei mir geweckt. Aus mehreren Gesprächen mit ihm konnte ich zudem wertvolle Anregungen für diese Studie schöpfen. Dank schulde ich dem Verlag Mohr Siebeck und Herrn Dr. Franz-Peter Gillig für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Jus Privatum sowie die kompetente Betreuung und Beratung. Der Druck wurde unterstützt durch einen großzügigen Zuschuss des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT. Freunde und Kollegen haben mich während der Entstehung der Habilitationsschrift begleitet, motiviert, aufgemuntert und tatkräftig unterstützt. Sehr herzlich bedanke ich mich hierfür bei Professor Dr. Benedikt Buchner, Dr. Julian Burmeister, Dr. Christian Eichholz, Clemens Hüber und Verena Nosch. Die persönlichen Höhen und Tiefen hat mit bewundernswerter und nie versiegender Geduld René Voige mit mir geteilt. München, im Sommer 2009
Christian Alexander
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der zitierten Sekundärrechtsakte
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. V . IX . XXXIII . XXXVII
Erster Teil § 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2. Ausgangsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 47
Zweiter Teil § 3. Grundstrukturen und Grundprobleme wettbewerbsdeliktischer Schadensersatzhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4. Schadensersatz im Lauterkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 5. Schadensersatz im Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115 176 294
Dritter Teil § 6. Grundstrukturen und Grundprobleme der Abschöpfungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . § 8. Vorteilsabschöpfung im Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . .
437 501 578
Vierter Teil § 9. Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 10. Einwendungen und Durchsetzbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .
607 680
Fünfter Teil § 11. Wesentliche Ergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . .
721
Anhang Anhang I – Sanktions- und Verfahrensvorschriften der Richtlinie 2005/29/EG und der Richtlinie 2006/114/EG . . . . . . . . . . . . . . .
734
VIII
Inhaltsübersicht
Anhang II – Übersicht auf Abschöpfung gerichteter Sanktionsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anhang III – Gegenüberstellung der wichtigsten Merkmale der Abschöpfungsansprüche aus § 10 UWG und § 34a GWB . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis
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Bekanntmachungen, Leitlinien, Mitteilungen und weitere Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis Vorwort
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V
Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXIII Verzeichnis der zitierten Sekundärrechtsakte . . . . . . . . . . . . . . XXXVII A. Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXVII B. Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXVII
Erster Teil § 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
A. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche als privatrechtliche Sanktionen im Wettbewerbsgeschehen . . . . . . . II. Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schadensersatz und Abschöpfung als privatrechtliche Sanktionsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wandlungen und Reformen im Lauterkeitsund Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Austauschprozesse zwischen allgemeinem und besonderem Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Innovationskraft des Kartell- und Lauterkeitsrechts . . . . 5. Individuelle und überindividuelle Interessen im Privatrecht III. Zielsetzungen und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . IV. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sanktion und Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutzebene und Sanktionsebene . . . . . . . . . . . . . . . V. Thematische Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Entwicklungslinien . I. Lauterkeitsrecht 1. UWG 1896 . 2. UWG 1909 .
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X
Inhaltsverzeichnis
a) Lauterkeitsrecht und überindividuelle Interessen im Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirtschaftskrise und Nationalsozialismus . . . . c) Kontinuität und Wandel in der Nachkriegszeit . 3. Liberalisierung und Europäisierung . . . . . . . . . a) UWG-Reform 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . b) UWG-Novelle 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . II. Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herausbildung des Kartellrechts . . . . . . . . . . . a) Das Kartellproblem . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Kartellverordnung von 1923 . . . . . . . . . c) Wirtschaftskrise und Nationalsozialismus . . . . d) Alliiertes Dekartellierungsrecht . . . . . . . . . . e) Der schwierige Weg zum GWB . . . . . . . . . 2. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen . . . . . 3. Gemeinschaftsrechtlicher Einfluss . . . . . . . . . .
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C. Privatrechtliche Sanktionen und Rechtsmentalität . . . . . . . . . . .
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I. Rechtsmentalität und Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsmentalität und Lauterkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . III. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 2. Ausgangsfragen
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A. Rechtliche Steuerung im Wettbewerbsgeschehen mit Instrumenten des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Lauterkeitsrecht und Kartellrecht als Kernelemente wettbewerbsbezogenen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mehrdimensionalität als Charakteristikum des Lauterkeitsund Kartellrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Notwendigkeit einer sanktionsbezogenen Abgrenzung zwischen Lauterkeits- und Kartellrecht . . . . . . . . . . . . II. Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche als Handlungsinstrumente des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . 1. Komplexes Spannungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche als subjektive Rechte des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff des subjektiven Rechts und funktionsbezogene Differenzierung: Subjektive Rechte als Ordnungsinstrumente und Handlungsinstrumente . . . . . . . . . . b) Rolle des Privatrechts beim Schutz wettbewerbsbezogener Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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XI
Inhaltsverzeichnis
aa) Schutz wettbewerbsbezogener Interessen statt Schutz eines subjektiven Rechts . . . . . . . . . . . . bb) Wettbewerblicher Interessenschutz und Sanktionsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Funktionelle Offenheit des Privatrechts . . . . . . . c) Schutz der »Institution Wettbewerb«? . . . . . . . . . . 3. Funktionalisierung und Instrumentalisierung des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche als Sanktionsinstrumente im Wettbewerbsgeschehen . . . . . . . . . . . . . 1. Grundanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eignung zur Verhaltensbeeinflussung . . . . . . . . . . . b) Wahrscheinlichkeit der Sanktionsanwendung . . . . . . 2. Abstimmung zwischen Schutznormen und Sanktionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wechselwirkungen zwischen materiellrechtlicher Ebene und Sanktionsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) »Spiegelbildprinzip« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kennzeichen einer unzureichenden Abstimmung . . . . aa) Sanktionsdefizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sanktionshypertrophie . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aspekte des gemeinschaftsrechtlichen Einflusses . . . 1. Regelungskompetenzen der Gemeinschaft . . . . . . 2. Art des gemeinschaftsrechtlichen Einflusses . . . . . 3. Mindest- oder Vollharmonisierung . . . . . . . . . . 4. Wirkungen der Rechtsangleichung . . . . . . . . . . II. Art. 10 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick und rechtliche Einordnung . . . . . . . . 2. Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz . . . . . . . a) Grundanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Insbesondere: Wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen . . . . . . . . . . . . . c) Funktionelle Äquivalenz von Sanktionen . . . . . III. Begrenzender Einfluss der Grundfreiheiten . . . . . . IV. Überblick über den gemeinschaftsrechtlichen Einfluss hinsichtlich der einzelnen Ansprüche . . . . . . . . . .
77 77 79 83 84 86 86 88 89
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C. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Ausgangsüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundgesetz und Wirtschaftsordnung . . . . . 2. Weiter Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers II. Freiheitsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . .
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XII
Inhaltsverzeichnis
III. Verfassungsrechtliches Übermaßverbot . . . . . . . . . . . 1. Abschöpfungsansprüche und Verhältnismäßigkeit . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Insbesondere: Abschöpfungsansprüche als unverhältnismäßige punitive damages? . . . . . . . . . aa) Rechtsprechung des BGH zu punitive damages . bb) Keine Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf Abschöpfungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . 2. Schadensersatzansprüche und Verhältnismäßigkeit . . . . IV. Weitere verfassungsrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . 1. Unzulässige »Privatisierung« des Strafens durch privatrechtliche Haftung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbot der Doppelbestrafung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bestimmtheit und Systemgerechtigkeit . . . . . . . . . .
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§ 3. Grundstrukturen und Grundprobleme wettbewerbsdeliktischer Schadensersatzhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Überblick
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Zweiter Teil
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I. Terminologie und dogmatische Einordnung . . . . . . . . . II. Haftungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verschuldenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weitere Haftungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gefährdungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Billigkeitshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufopferungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verletzung wettbewerblicher Verhaltenspflichten . . . . . . IV. Problembereiche wettbewerbsdeliktischer Schadensersatzhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fehlendes Konzept deliktischer Unternehmenshaftung . 2. Schadensersatz und überindividuelle Interessen . . . . . 3. Massenschäden, insbesondere Streu- und Bagatellschäden 4. Wettbewerb als Prozess stetiger Veränderung . . . . . . B. Haftungszwecke
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115 117 118 119 120 121 121 123
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I. Ausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Funktionspluralität des Haftungsrechts 1. Ausgangsüberlegungen . . . . . . . . 2. Prävention . . . . . . . . . . . . . . . a) Problematik . . . . . . . . . . . . . b) Präventionsbegünstigende Faktoren
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Inhaltsverzeichnis
aa) Kostenerwägungen als entscheidungserhebliches Motiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Planbarkeit künftiger Handlungen . . . . . . . . . . . cc) Kollektive Entscheidungsträger . . . . . . . . . . . . . dd) Wirtschaftliche »Spürbarkeit« und Schadenstragungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Durchsetzbarkeit und Haftungserwartung . . . . . . . c) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dogma der funktionellen Trennung von Strafrecht und Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) »Strafe« im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anreiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verhältnis und Gewichtung der verschiedenen Funktionen . . C. Art und Inhalt des Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schadensrechtliche Grundsätze und schadensrechtliches Ausgleichsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangsüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundprinzipien: Vorrang der Naturalherstellung, Totalreparation, »Bereicherungsverbot« . . . . . . . . . . . . II. Restitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eigentliche Naturalherstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geldersatz gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . III. Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschützte Interessen im Wettbewerb und kompensationsfähige Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Marktchancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besondere Marktchancen in Form privilegierter Wettbewerbspositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ermittlungsdilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verstärkte Berücksichtigung wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erfahrungssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schadenspauschalierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schadensrechtliche Sonderwege und Pragmatik der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Geldentschädigung für Nichtvermögensschäden . . . . . . . . . 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzliche Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geldentschädigung bei Persönlichkeitsverletzungen als ungeschriebene Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Voraussetzungen der Geldentschädigung . . . . . . .
XIII 142 143 143 144 144 144 145 146 149 152 154 156 157 157 158 159 160 161 163 163 163 165 166 167 168 169 170 171 171 171 171 173 173
XIV
Inhaltsverzeichnis
bb) Geldentschädigung als Ausdruck einer »Instrumentalisierung« des Privatrechts in überindividuellem Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4. Schadensersatz im Lauterkeitsrecht A. Grundlagen
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I. Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Stellung und Bedeutung des Schadensersatzanspruchs im lauterkeitsrechtlichen Sanktionssystem . . . . . . . 1. Rechtlicher und tatsächlicher Stellenwert der privatrechtlichen Sanktionen im Lauterkeitsrecht . . . . 2. Funktionalisierung des lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einfluss des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . 1. Art. 10 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sekundärrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . a) Richtlinien 2005/29/EG und 2006/114/EG . . . aa) Sanktions- und Verfahrensvorschriften . . . bb) Individuelle Schadensersatzansprüche für Verbraucher? . . . . . . . . . . . . . . . . b) »Enforcement«-Richtlinie 2004/48/EG . . . . . . IV. Seitenblick nach Österreich . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Struktur des Haftungstatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Grundanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschäftliche Handlung . . . . . . . . . . . . . 2. Unlauterkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine subjektiven Elemente der Unlauterkeit b) Fachliche Sorgfalt . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Spürbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Funktion der Spürbarkeitsklauseln . . . . . . b) Verschulden als Kriterium der Spürbarkeit? . C. Anspruchsberechtigung
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I. Abgrenzung zu anderen Marktakteuren und Verbänden 1. Einrichtungen, Verbände und Kammern . . . . . . . 2. Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer . . . . . . II. Begriff des Mitbewerbers . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangsüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Definition in § 2 Abs. 1 Nr. 6 UWG . . . . . . . . b) Unternehmer als Unternehmensinhaber . . . . . .
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200 200 201 203 203 205 205 207
XV
Inhaltsverzeichnis
3. Konkretes Wettbewerbsverhältnis . . . . . . . . . . . . . a) Funktion des konkreten Wettbewerbsverhältnisses . . aa) Frühere Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Heutige Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Konkretes Wettbewerbsverhältnis als konkurrenztypische Gefährdungslage . . . . . . . . . . . . . . bb) Inhaltliche Präzisierungen . . . . . . . . . . . . . .
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207 208 208 210 211 214
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214 216
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mitbewerbereigenschaft und Förderung eines fremden Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schutzzweck der verletzten Norm . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestimmungen ohne primär individualschützenden Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestimmungen mit primär individualschützendem Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Problemfälle: Nachahmungsschutz und Schutz vor Verwechslungsgefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ergänzender Leistungsschutz . . . . . . . . . . . . . . bb) Verwechslungsschutz und verwandte Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
216 220 220 221 224
(1) Wettbewerblicher Interessenkonflikt zwischen Unternehmen als Beurteilungsmaßstab . . . . . (2) Problemfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) »Rufausbeutung« . . . . . . . . . . . . . . (b) Unterschiedliche Waren und Dienstleistungen (c) Mittelbare und potenzielle Konkurrenz . . .
D. Anspruchsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Naturalherstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. (Geschäfts-)Ehrverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abwerben von Mitarbeitern und Kunden . . . . . . . . . . a) Abwerben von Mitarbeitern . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abwerben von Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verweigern von Geschäftsbeziehungen . . . . . . . . . . . 4. Sonstige Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schadensersatz in Geld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wettbewerbsunspezifische Schäden . . . . . . . . . . . . b) Wettbewerbsspezifische Schäden . . . . . . . . . . . . . 2. Schutzzweck der verletzten Norm und lauterkeitsrechtlich geschützte Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Materielle und immaterielle Schäden . . . . . . . . . . . b) Weitere schutzzweckbezogene Aspekte . . . . . . . . . .
225 226 227 228 229 229 232
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233 234 235 236 236 238 239 240 241 241 241 242
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242 243 245
XVI
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3. Ausgebliebene Vermögensmehrung . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Feststellung des Unrechtsgewinns . . . . . . . . . . . bb) Unrechtsgewinne bei Abhängigkeit von behördlichen Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wechselseitige »Neutralisierung« von Unrechtsgewinnen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Dreifache Schadensberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich und sachliche Legitimation . . . . . b) Dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Entwicklung und Stand der Rechtsprechung . . . . . . . aa) Herausbildung und Entwicklung der dreifachen Schadensberechnung im Immaterialgüterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rezeption der dreifachen Schadensberechnung in das Lauterkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Grundlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Lizenzanalogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Wertungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Berechnungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . (c) »Verletzerzuschlag« . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Verletzerkette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verletzergewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Wertungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Berechnungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . (c) Anteilige Gewinnherausgabe . . . . . . . . . . . . (d) Verletzerkette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Alternativität und Wahlrecht des Geschädigten . . . . d) Auswirkungen der RL 2004/48/EG . . . . . . . . . . . . aa) Von der dreifachen zur zweifachen Schadensberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Art und Weise der Schadensberechnung . . . . . . . cc) Folgen für den Anwendungsbereich der dreifachen Schadensberechnung im Lauterkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Überindividuelle Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Informationsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) »Marktverwirrungsschäden« . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entwirrung der »Marktverwirrung« . . . . . . . . . . . . aa) Fehlvorstellungen des Verkehrs . . . . . . . . . . . . bb) Ansehensminderung und Aufwendungen im überindividuellen Interesse . . . . . . . . . . . . . . .
247 247 248 248 249 252 253 254 255 257
258 260 263 263 263 263 264 265 265 265 266 267 268 269 270 271 273
273 275 275 275 277 278 279
XVII
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c) Folgefragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schadensrechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . bb) Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit von Kosten für Aufklärungsmaßnahmen . . . . . . . . cc) Parallelität medienrechtlicher und lauterkeitsrechtlicher Wertungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsverfolgungsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausgangspunkt: Aufwendungen zur Abmahnung . . bb) Vergebliche Abmahnkosten als ersatzfähiger Schaden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
283 283 285 288 289 290 291
§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
294
A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Stellung und Bedeutung des Schadensersatzanspruchs im kartellrechtlichen Sanktionssystem . . . . . . . . . . . . . 1. Dichotome Sanktionsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vor- und Nachteile des doppelspurigen Sanktionssystems im Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vor- und Nachteile privatrechtlicher und kartellbehördlicher Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtlicher und tatsächlicher Stellenwert der privatrechtlichen Sanktionen im Kartellrecht . . . . . . . . . . . 3. Funktionalisierung des kartellrechtlichen Schadensersatzes III. Einfluss des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Judikatur des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gemeinschaftsrechtliche Ausgangspunkte . . . . . . . . b) Urteil vom 13.4.1994, Rs. C-128/92 – Banks . . . . . . . c) Urteil vom 28.2.1991, Rs. C-234/89 – Delimitis und Urteil vom 14.12.2000, Rs. C-344/98 – Masterfoods und HB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Urteil vom 1.6.1999, Rs. C-126/97 – Eco Swiss . . . . . e) Urteil vom 20.9.2001, Rs. C-453/99 – Courage und Crehan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Urteil vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04 – Manfredi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung der EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . a) Dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkrete Vorgaben für die Ausgestaltung der kartelldeliktischen Schadensersatzhaftung bei Verstößen gegen das Gemeinschaftskartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anspruchsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Haftungsauslösendes Verhalten und Verschulden . .
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294 294
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cc) Anspruchsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . dd) Art und Umfang des ersatzfähigen Schadens . . . ee) Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zielvorstellungen und Handlungsprogramm der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundkonzeption und inhaltliche Leitlinien . . . . . . b) Anvisierte Maßnahmen der Kommission im Überblick aa) Anspruchsberechtigung und gebündelte Anspruchsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . bb) Informationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . cc) Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Schadensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Anspruchsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . gg) Schadensersatz und Kronzeugenprogramm . . . . c) Sekundärrechtliche Umsetzung . . . . . . . . . . . . . IV. Seitenblick nach Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Struktur des Haftungstatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tatbestandliche Einbeziehung von Verstößen gegen Gemeinschaftskartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Beschränkung auf Verletzungen von Schutzgesetzen oder Schutzverfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abkehr vom Erfordernis eines Schutzgesetzes oder einer Schutzverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Segen und Fluch des Schutzprinzips in § 33 GWB a.F. . . a) Funktionsunterschiede zwischen § 823 Abs. 2 BGB und § 33 GWB a.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Problematische Suche nach dem Schutzgesetzcharakter einer Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fehlende gemeinschaftsautonome Kriterien . . . . . . . 2. Verstoß gegen die Verfügung einer Kartellbehörde . . . . a) Entscheidungen der Kommission . . . . . . . . . . . . . b) Bestandskraft der Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . III. Funktionelle Abstimmung von privatrechtlichen und kartellbehördlichen Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verletzung von Ordnungsvorschriften . . . . . . . . . . . 2. Spezielle Sanktionsmechanismen und sonstige Befugnisse der Kartellbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gemeinschaftskartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Deutsches Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Anspruchsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Grundanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kartellrechtsautonomes Begriffsverständnis . . . . . . . . . . 3. »Jedermann« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bedeutung von Schutzzweckerwägungen . . . . . . . . . . . 5. Einzelne Betroffene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mitbewerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Marktgegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonstige Betroffene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Normspezifische Wertungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . 1. Marktbezug und individuelle Betroffenheit . . . . . . . . . . a) Beeinträchtigung individueller Interessen . . . . . . . . . . b) Betroffenheit als Marktakteur . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorrang individueller Entscheidungsbefugnisse . . . . . . . . 3. Wettbewerbs- und wirtschaftspolitische Zwecksetzungen . . 4. Beteiligung an der wettbewerbsbeschränkenden Praktik . . . 5. Zielrichtung der Wettbewerbsbeschränkung . . . . . . . . . a) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Höchstrichterliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . bb) Instanzgerichtliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . (1) Vitaminkartell-Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . (2) Weitere Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritische Würdigung und Bedeutung der Zielgerichtetheit nach neuem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Marktvermittelte Fernwirkungen von Wettbewerbsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangsüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Übergreifende Wirkungen von Wettbewerbsbeschränkungen und daraus resultierende Rechtsprobleme . . bb) Legitimation eines eingeschränkten Vermögensschutzes mittelbar Geschädigter im Deliktsrecht . . . cc) Strukturelle Unterschiede zwischen Deliktsrecht und Kartelldeliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mittelbar Betroffene als sonstige Marktbeteiligte . . . . . aa) Keine gesetzliche Notwendigkeit zur Differenzierung zwischen unmittelbar und mittelbar Betroffenen . . . bb) Keine Indizwirkung von § 33 Abs. 3 S. 2 GWB . . . . cc) Bedenken des Schrifttums gegen eine Einbeziehung mittelbar Betroffener und Stellungnahme . . . . . . .
351 352 354 356 357 359 359 360 361 361 361 361 362 364 365 367 370 370 370 371 371 373
(1) Praktikabilität der Rechtsdurchsetzung bei Massenschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kein fehlender Zurechnungszusammenhang . . . . . .
375 376 377 377 378 380 381 382 383 384 384 386
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c) Sonstige Fernwirkungen von Wettbewerbsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Keine Subsidiarität kartelldeliktischer Ansprüche . . . . . . III. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Anspruchsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Naturalherstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schadensersatz in Geld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätze der Schadensermittlung . . . . . . . . . . . . aa) Umfang des Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . bb) Differenzhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schadenspauschalierung und Schätzung . . . . . . . . b) Zeitpunkt des Schadenseintritts . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schadensrechtliche Sonderregelungen . . . . . . . . . . . . . a) Überhöhte Preise und Schadensabwälzung (§ 33 Abs. 3 S. 2 GWB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berücksichtigung des anteiligen Verletzergewinns (§ 33 Abs. 3 S. 3 GWB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anteiliger Verletzergewinn als zusätzliche Bemessungsgröße im Rahmen der Schadensermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Berechnung des Verletzergewinns und Reichweite der Schätzungsbefugnis des Gerichts . . . . . . . . . c) Zinsen (§ 33 Abs. 3 S. 4 und 5 GWB) . . . . . . . . . . . III. Überindividuelle Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abwälzung von kartellbedingten Preiserhöhungen auf andere Marktakteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Defensive Abwälzungsproblematik . . . . . . . . . . . . . aa) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . bb) Schadensrechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . (1) Vorteilsausgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bereicherungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Gebot der Schadensminderung . . . . . . . . . . . . . cc) Potenzierung der Schadensersatzhaftung? . . . . . . . dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) De lege lata: Unbeachtlichkeit des Abwälzungseinwands zur Verwirklichung der Anreizfunktion der Schadensersatzhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) De lege ferenda: Innenausgleich zwischen den Geschädigten unterschiedlicher Absatzstufen sowie Konzentration von Schadensersatzklagen . . . . . . .
b) Offensive Abwälzungsproblematik . . . . . . . . . . . . .
387 389 389 390 390 393 393 393 393 394 395 396 396 396 400
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2. Schadenskorrektive im überindividuellen Interesse . . . . . . a) Haftungsverschärfung durch mehrfachen Schadensersatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftungsprivileg für Kronzeugen? . . . . . . . . . . . . . aa) Konfliktfelder zwischen Kronzeugenprogrammen und privatrechtlichen Sanktionen . . . . . . . . . . . . bb) Umgang mit Informationen des Kronzeugen . . . . . cc) Haftungsrechtliche Folgen der Kronzeugeneigenschaft (1) Haftungsbeschränkung des Kronzeugen im Außenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Haftungsbeschränkung nach Marktanteil; Haftungshöchstgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . (3) Haftungsbeschränkung im Innenverhältnis . . . . . . .
E. Bindungswirkung kartellbehördlicher Entscheidungen
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I. Gemeinschaftsrechtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . II. Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Umfang der Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . a) Bindung an den Inhalt der Entscheidung . . . . . . b) Keine negative Bindungswirkung . . . . . . . . . . 2. Bindende Entscheidungen der Kommission und der Kartellbehörden und Kartellgerichte . . . . . . . . 3. Bindungswirkung und berechtigtes Interesse an der Feststellung beendeter Zuwiderhandlungen . . . . a) Tätigwerden der Behörde aufgrund der Beschwerde eines (potenziell) Geschädigten . . . . . . . . . . . b) Tätigwerden der Behörde ohne Beschwerde eines (potenziell) Geschädigten . . . . . . . . . . . . . . III. Ambivalenz der Bindungswirkung . . . . . . . . . . . .
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416 416 418 419 420 420 420 422 422 424
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme der Abschöpfungshaftung . .
437
A. Legitimation der Abschöpfung von Unrechtsvorteilen
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437
B. Instrumente zur Abschöpfung von Unrechtsvorteilen . . . . . . . . .
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Dritter Teil
I. Abschöpfung im Privatrecht . . . . . . . . . . . 1. Abschöpfung durch »Rückverschiebung« von Vermögensmehrungen . . . . . . . . . . . . . a) Abschöpfung bei Geschäftsanmaßung . . b) Abschöpfung durch Eingriffskondiktion . 2. Abschöpfung bei unerlaubten Handlungen .
. . . . . . . . . unberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
439 439 439 441 443
XXII
Inhaltsverzeichnis
II. Abschöpfung im Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht . . . . 1. Abschöpfung durch Geldbußen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abschöpfung als Bemessungskriterium . . . . . . . . . . c) Geldbußen gegen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . 2. Abschöpfung durch Anordnung von Verfall . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfall im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfall und Ansprüche von Verletzten . . . . . . . . c) Verfall im Ordnungswidrigkeitenrecht . . . . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfall und Ansprüche von Verletzten . . . . . . . . 3. Abführung und Rückerstattung des Mehrerlöses . . . . . . . 4. Sicherung von Abschöpfungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . III. Abschöpfung im Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abschöpfung durch Geldbußen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gemeinschaftskartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nationales Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abschöpfung durch Verfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorteilsabschöpfung durch Kartellbehörden . . . . . . . . . a) Abschöpfung gemäß § 34 GWB . . . . . . . . . . . . . . aa) Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellung und Bedeutung der behördlichen Vorteilsabschöpfung im kartellrechtlichen Sanktionssystem . . cc) Überblick über den Inhalt der Regelung . . . . . . . (1) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Wirtschaftlicher Vorteil . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abschöpfung gemäß § 32 Abs. 2 GWB? . . . . . . . . . . IV. Abschöpfung im Recht der regulierten Märkte . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abschöpfung im Telekommunikationsrecht . . . . . . . . . a) Abschöpfung durch Geldbußen oder Verfall . . . . . . . b) Vorteilsabschöpfung gemäß § 43 TKG . . . . . . . . . . . 3. Abschöpfung im Energiewirtschaftsrecht . . . . . . . . . . . a) Abschöpfung durch Geldbußen oder Verfall . . . . . . . b) Vorteilsabschöpfung gemäß § 33 EnWG . . . . . . . . . . V. Abschöpfung im Lauterkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abschöpfung als Kernaufgabe der Rechtsordnung . . . . . . 2. Funktionelle Unterscheidung der Abschöpfungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
444 444 444 445 447 447 447 448 448 449 451 451 452 453 453 455 455 455 457 460 460 460 460 463 463 463 465 465 465 468 468 469 469 470 471 471 471 472 472 472 473
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C. Dogmatische Einordnung der Abschöpfungsansprüche . . . I. Strukturgebende Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . 1. Privatrechtlicher Charakter . . . . . . . . . . . . . . 2. Kollektivrechtlicher Charakter . . . . . . . . . . . . 3. Vermögensentzug durch Abschöpfung . . . . . . . . 4. Verschuldensabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . II. Sanktionszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bisherige Erklärungsversuche . . . . . . . . . . . . . a) Beseitigung eines Sanktionsdefizits bei Streu- und Bagatellschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) »Strafcharakter« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Doppelfunktionalität der Abschöpfungsansprüche . 3. Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen der Abschöpfungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangsüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besonderheiten auf Gläubigerseite . . . . . . . . . . a) Forderungsabtretung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einziehungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Einschränkungen und Besonderheiten . aa) Erlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sonstige Änderungen des Schuldverhältnisses cc) Einwilligung gemäß § 185 BGB . . . . . . . . 3. Besonderheiten auf Schuldnerseite . . . . . . . . . . a) Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Hinterlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Leistung erfüllungshalber . . . . . . . . . . . . . 4. Abschöpfungsansprüche und Auslandsbezug . . . . a) Internationales Verfahrensrecht . . . . . . . . . . b) Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
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474 474 475 478 480 481 483 483
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A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorarbeiten und Entwürfe . . . . . . . . . . . . . . . 2. »Zankapfel«, »Papiertiger« und »Schreckgespenst« – der Gewinnabschöpfungsanspruch als Zielscheibe der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Stellung und Bedeutung der Gewinnabschöpfung im lauterkeitsrechtlichen Sanktionssystem . . . . . . . . . . 1. Rechtsprechung zu § 10 UWG . . . . . . . . . . . . . a) Lauterkeitsrechtliche und zivilverfahrensrechtliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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b) Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) LG Bonn, Urteil vom 12.5.2005 . . . . . . . . . . . bb) OLG Stuttgart, Urteil vom 2.11.2006 und LG Heilbronn, Urteil vom 23.2.2006 . . . . . . . . cc) OLG Hamm, Urteil vom 14.2.2008 und LG Essen, Urteil vom 20.7.2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) LG Berlin, Urteil vom 25.9.2007 . . . . . . . . . . . ee) LG München I, Urteil vom 22.7.2008 . . . . . . . . ff) LG Hanau, Urteile vom 1.9.2008 und 17.9.2009 . . gg) OLG Frankfurt, Urteile vom 4.12.2008 . . . . . . . 2. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einfluss des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gemeinschaftsrechtliche Anforderungen de lege lata . . . 2. Gewinnabschöpfung als gemeinschaftsrechtliches Rechtsinstrument de lege ferenda? . . . . . . . . . . . . . . IV. Seitenblick nach Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Struktur des Haftungstatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschäftliche Handlung, Unlauterkeit und Spürbarkeit . . 2. Absatzbezogenes Vertikalverhältnis . . . . . . . . . . . . . a) Abnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abnehmer als Nachfrager nachfolgender Absatzstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausschluss der Gewinnerzielung zu Lasten von Mitbewerbern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausschluss der Gewinnerzielung zu Lasten von Anbietern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Breitenwirksamkeit der unlauteren Handlung . . . . . . . . . 1. Meinungsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. »Vielzahl von Abnehmern« als qualitatives Erfordernis . . a) Massencharakter der unlauteren Handlung . . . . . . . b) Problemfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zu Lasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangsüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Meinungsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Amtliche Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Konzeptionelle Wechsel während der Gesetzgebungsarbeiten: Vom Schaden zur wirtschaftlichen Schlechterstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kriterien der wirtschaftlichen Schlechterstellung . . b) Rechtsprechung und Schrifttum . . . . . . . . . . . . . aa) Schaden der Abnehmer . . . . . . . . . . . . . . . .
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bb) Individuell-konkreter Vermögensnachteil der Abnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vermögensnachteil der Abnehmer bei typisierender Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verzicht auf das Erfordernis eines Vermögensnachteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kein Vermögensnachteil erforderlich . . . . . . . . . . . b) Keine unmittelbare Vermögensverschiebung erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beeinträchtigung von lauterkeitsrechtlich geschützten Abnehmerinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wirtschaftlicher Vorteil . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mehrerlös . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berechnungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zusammenhang zwischen Zuwiderhandlung und Gewinnerzielung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kausalität und Zurechenbarkeit . . . . . . . . . . . . . . b) Anteiliger Unrechtsgewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mehrere geschäftliche Handlungen . . . . . . . . . . bb) Geschäftliche Handlung als Bewertungseinheit . . . (1) Seitenblick auf das Schadensrecht . . . . . . . . . . . (2) Problemlage bei der Gewinnabschöpfung . . . . . . . c) Rechtmäßiges Alternativverhalten . . . . . . . . . . . . . 3. Anrechenbare Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Individualansprüche von Verletzten . . . . . . . . . bb) Zahlungen an den Staat . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Insbesondere: Gewinnabschöpfung und Verfall . . . 4. Sonstige Abzugsposten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Anspruchsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verbände, Einrichtungen Kammern . . . . . . . . . . . . . . . II. Mehrere Berechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfehlte Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abweichende Interessenlage zwischen Gesamtgläubigerschaft und einer Gewinnabschöpfung durch mehrere Berechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 428 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
c) § 430 BGB d) § 429 BGB
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D. Anspruchsinhalt und prozedurale Aspekte . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Drittbegünstigung des Bundeshaushalts . . . . . . . . . . . . 1. Dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtspolitische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsverhältnis zwischen Abschöpfungsgläubiger und Bundeshaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auskunftspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ersatz von Aufwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verbleibende wirtschaftliche Risiken für die Anspruchsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 8. Vorteilsabschöpfung im Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Grundlagen
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I. Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Stellung und Bedeutung der Vorteilsabschöpfung im kartellrechtlichen Sanktionssystem . . . . . . . . 1. Legitimation einer privatrechtlichen Abschöpfung im Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnis zu anderen Sanktionen . . . . . . . . . a) Privatrechtliche Sanktionen . . . . . . . . . . . b) Kartellbehördliche Sanktionen . . . . . . . . . III. Einfluss des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . IV. Seitenblick nach Österreich . . . . . . . . . . . . . .
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B. Struktur des Haftungstatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Parallele zum Tatbestand der kartellbehördlichen Vorteilsabschöpfung gemäß § 34 Abs. 1 GWB . . . . a) Zuwiderhandlung im Sinne des § 34 Abs. 1 GWB b) Verstoß gegen die Verfügung einer Kartellbehörde aa) Entscheidungen der Kommission . . . . . . . bb) Bestandskraft der Verfügung . . . . . . . . . . 2. Absatz- oder bezugsbezogenes Vertikalverhältnis . . a) Abnehmer und Anbieter . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausschluss der Vorteilserzielung zu Lasten von Mitbewerbern . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Breitenwirksamkeit der kartellrechtswidrigen Handlung III. Zu Lasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Wirtschaftlicher Vorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mehrerlös . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berechnungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schätzungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zusammenhang zwischen Zuwiderhandlung und wirtschaftlichem Vorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anrechenbare Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zahlungen des Verletzers aufgrund privatrechtlicher Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kartellbehördliche Abschöpfungsmaßnahmen . . . . c) Sonstige Zahlungen des Verletzers, insbesondere Geldstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Anspruchsinhalt und prozedurale Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . I. Drittbegünstigung des Bundeshaushalts . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsverhältnis zwischen Abschöpfungsgläubiger und Bundeskartellamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E. Bindungswirkung kartellbehördlicher Entscheidungen
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§ 9. Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Anspruchsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verletzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Haftung des Störers auf Schadensersatz und Abschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Täterschaft durch Verkehrspflichtverletzung . . . . . . . . . a) Verkehrspflichten im Lauterkeitsrecht . . . . . . . . . . . b) Reichweite der Haftung für Verkehrspflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Haftung für Rechtsverletzungen Dritter aufgrund eigener Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Anspruchsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beschränkung auf Unternehmensverbände . . . . . . . . . 1. Problematik der gesetzlichen Neufassung des § 33 Abs. 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nichtberücksichtigung von qualifizierten Einrichtungen II. Mehrere Berechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vierter Teil
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XXVIII
Inhaltsverzeichnis
II. Mehrere Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Besonderheiten der Abschöpfungsansprüche . . . . . . . . . .
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B. Vorsatz und Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einfluss des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herrschende Doktrin vom Erfordernis des Unrechtsbewusstseins bei privatrechtlicher Vorsatzhaftung . . . . . . 2. Anerkannte Ausnahmen vom Erfordernis eines Unrechtsbewusstseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgerungen für das Lauterkeits- und Kartellrecht . . . . . . a) Zusammentreffen lauterkeits- und kartellrechtlicher Haftung mit Ansprüchen aus §§ 823 Abs. 2 S. 1 und 826 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstige Haftungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Korrektiv des erheblichen (unvermeidbaren) Verbotsirrtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sorgfaltsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung zur fachlichen Sorgfalt gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Insbesondere: Fahrlässigkeit bei Verkennung der Rechtslage durch den Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangsüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entwicklung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . aa) Tendenz zur Verschärfung der Sorgfaltsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gegenläufige Tendenz bei Schutzrechtsverwarnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Verantwortlichkeit für Dritte
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Bürgerlichrechtliche Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . 1. Seitenblick auf das Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftung gemäß §§ 31, 81, 89 BGB (analog) . . . . . . . . . a) Organ- und Repräsentantenhaftung . . . . . . . . . . . b) »Fiktionshaftung« für mangelhafte Organisation . . . . 3. Geschäftsherrnhaftung gemäß § 831 BGB . . . . . . . . . a) Dogmatische Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen der Haftung für Verrichtungsgehilfen aa) Begriff des Verrichtungsgehilfen . . . . . . . . . . . bb) Schädigung bei Ausführung der Verrichtung . . . . cc) Entlastungsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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XXIX
Inhaltsverzeichnis
c) Anwendbarkeit bei Schadensersatzansprüchen . . . . . . . d) Keine Anwendbarkeit bei Abschöpfungsansprüchen . . . 4. Ergänzende Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) »Flucht« in die vertragliche und quasi-vertragliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unternehmerische Organisationspflichten . . . . . . . . . II. § 8 Abs. 2 UWG als lauterkeitsrechtlicher Zurechnungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Einordnung und Normzweck . . . . . . . . . . 3. Anwendungsbereich und Analogiefähigkeit der Norm . . . . a) Seitenblick auf das Markenrecht . . . . . . . . . . . . . . . b) De lege lata: Analoge Anwendung von § 8 Abs. 2 UWG auf alle privatrechtlichen Ansprüche des UWG . . . . . . c) De lege ferenda: Schaffung eines einheitlichen Zurechnungstatbestands im Lauterkeitsrecht nach markenrechtlichem Vorbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Medienspezifische Besonderheiten der Verantwortlichkeit I. Ausgangsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Lauterkeitsrechtliches »Presseprivileg« . . . . . . . . 1. Entstehung und Schutzzweck . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Privilegierte Medien . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Druckschriften . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Andere Medien . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Periodizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teleologische Reduktion des »Presseprivilegs« 3. Privilegierter Personenkreis . . . . . . . . . . . . . III. Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für fremde Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausschluss der Verantwortlichkeit . . . . . . . . .
652 654 656 656 657 658 658 660 663 663 665
667
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668 668 669 669 671 672 672 672 674 675 676
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676 676 677 678
§ 10. Einwendungen und Durchsetzbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .
680
A. Rechtswidrigkeit . . . . . . I. Ausgangsfragen . . . II. Einzelfragen . . . . . 1. Abwehrhandlungen 2. Einwilligung . . .
680 680 683 683 684
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XXX
Inhaltsverzeichnis
B. Rechtsmissbrauch und Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Seitenblick auf § 8 Abs. 4 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dogmatische Einordnung und Normzweck . . . . . . . . c) Fehlende Analogiefähigkeit der Norm . . . . . . . . . . . 3. Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) »Unclean hands« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Provozierter Wettbewerbsverstoß . . . . . . . . . . . . . c) Beteiligung am Wettbewerbsverstoß . . . . . . . . . . . . d) Wechsel der Rechtsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . e) Prozessfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten der Verwirkung bei wettbewerbsbezogenen Ansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertrauen und Vertrauensinvestition . . . . . . . . . . . . b) Überindividuelle Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Seitenblick auf Unterlassungsansprüche . . . . . . . . bb) Übertragbarkeit auf Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . C. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verjährungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kurze Verjährung bei lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entstehung und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtspolitische Fragwürdigkeit der kurzen Verjährung bei lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzansprüchen . . c) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelmäßige Verjährung bei Abschöpfungsansprüchen und kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen . . . . . a) Gewinnabschöpfungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . b) Kartellrechtliche Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schadenersatzanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Geltende Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht . . . . . (a) Vorgaben der EuGH-Rechtsprechung . . . . . . (b) Künftiger Änderungsbedarf . . . . . . . . . . . . bb) Vorteilsabschöpfungsanspruch . . . . . . . . . . . . II. Hemmung der Verjährung im Kartellrecht . . . . . . . . . . 1. Normzweck und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . .
686 687 687 689 689 690 691 693 693 694 696 697 698 698 699 701 702 702 704 704 705
. .
706 707
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707 707
. .
708 710
. . . . . . . . . . .
711 711 712 712 712 712 713 713 714 715 716
XXXI
Inhaltsverzeichnis
2. Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beginn der Verjährungshemmung . . . b) Ende der Verjährungshemmung . . . . c) Unanwendbarkeit von § 203 S. 2 BGB
. . . .
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716 716 717 717
§ 11.Wesentliche Ergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . .
721
Fünfter Teil
I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII. XIII. XIV.
Mehrdimensionalität des Lauterkeits- und Kartellrechts Funktionalisierung privatrechtlicher Ansprüche . . . . . Grundanforderungen an privatrechtlichen Sanktionen . Lauterkeitsrechtlicher Schadensersatz . . . . . . . . . . . Kartellrechtlicher Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . Dogmatik der Abschöpfungsansprüche . . . . . . . . . . Lauterkeitsrechtliche Gewinnabschöpfung . . . . . . . . Kartellrechtliche Vorteilsabschöpfung . . . . . . . . . . Vorsatz und Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . Verantwortlichkeit für Dritte . . . . . . . . . . . . . . . »Presseprivileg« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtswidrigkeit und Rechtsmissbrauch . . . . . . . . . Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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721 722 723 723 725 727 728 729 729 730 731 731 732 732
Anhang I – Sanktions- und Verfahrensvorschriften der Richtlinie 2005/29/EG und der Richtlinie 2006/114/EG . . . . . . . . . . . . .
734
Anhang II – Übersicht auf Abschöpfung gerichteter Sanktionsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
736
A.
Abschöpfung als Primärzweck im überindividuellen Interesse
. . .
737
B.
Abschöpfung als Bemessungskriterium im individuellen oder überinividuellen Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
738
Abschöpfung zum Zwecke eines primär individuellen Interessenausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
738
Anhang
C.
Anhang III – Gegenüberstellung der wichtigsten Merkmale der Abschöpfungsansprüche aus § 10 UWG und § 34a GWB
. . . .
740
XXXII Literaturverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
739
Bekanntmachungen, Leitlinien, Mitteilungen und weitere Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
763
A. Europäische Kommission
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
763
B. Bundeskartellamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
764
C. Sonstige Materialien
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
764
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
765
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.F. a.a.O. A.C. ABGB Abl. Abs. AcP AfP AG Alt. AMG Anm. Art. Az. BB Bd. BeckRS Begr. BGB BGB-InfoV
anderer Ansicht alte Fassung am angegebenen Ort The Law Reports, Appeal Cases Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften bzw. der Europäischen Union Absatz Archiv für die civilistische Praxis Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht (vormals: Archiv für Presserecht) Amtsgericht; Die Aktiengesellschaft Alternative Arzneimittelgesetz Anmerkung Artikel Aktenzeichen
BGBl. BGH BGHSt BGHZ BKartA BR BT Buchst. BVerfG BVerfGE bzw.
Betriebsberater Band Beck-Rechtsprechung Begründung Bürgerliches Gesetzbuch Verordnung über Informations- und Nachweispflichten nach bürgerlichem Recht Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundeskartellamt Bundesrat Bundestag Buchstabe Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise
CML Rev.
Common Market Law Review
DB ders., dies. Drucks.
Der Betrieb derselbe, dieselbe Drucksache
E.C.L.R. EBOR
European Competition Law Review European Business Organization Law Review
XXXIV EG
Abkürzungsverzeichnis
EuR Eur. Rev. Priv. L. EWG EWS
Europäische Gemeinschaft; in Verbindung mit einem Artikel: EG-Vertrag Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl; in Verbindung mit einem Artikel: Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl = Montanunionsvertrag Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Gesetz zur Vereinheitlichung von Vorschriften über bestimmte elektronische Informations- und Kommunikationsdienste Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Energiewirtschaftsgesetz Erwägungsgrund/-gründe Europäische Union Europäisches Gericht erster Instanz Europäischer Gerichtshof Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 Europarecht European Revue of Private Law Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht
f., ff.
folgende Seite(n)
GebrMG GeschmMG GG GRUR GRUR Ausl. GRUR Int. GWB
Gebrauchsmustergesetz Geschmacksmustergesetz Grundgesetz Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GRUR, Ausländischer Teil GRUR, Internationaler Teil Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz)
h.L. h.M. HalbLSchG Hrsg. HwO
herrschende Lehre herrschende Meinung Halbleiterschutzgesetz Herausgeber Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung)
i.V.m. IFG IHKG IIC
in Verbindung mit Informationsfreiheitsgesetz Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern International Review of Industrial Property and Copyright Law
jurisPK jurisPR JZ
juris PraxisKommentar juris PraxisReport Juristenzeitung
K&R KartG KG KSchG
Kommunikation und Recht Kartellgesetz 2005 (Österreich) Kammergericht; Kartellgericht (Österreich) Konsumentenschutzgesetz (Österreich)
LG LPresseG
Landgericht Landespressegesetz
EGKS
EGMR ElGVG EMRK EnWG Erw. EU EuG EuGH EuGVÜ
Abkürzungsverzeichnis
XXXV
Ls. LuftVG LUG
Leitsatz Luftverkehrsgesetz Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst (aufgehoben durch das UrhG)
m.w.Nachw. MarkenG MDStV MedienG
mit weiteren Nachweisen Markengesetz Mediendienste-Staatsvertrag (aufgehoben durch Art. 5 ElGVG) Mediengesetz (Österreich)
N&R NJOZ Nr. NStZ
Netzwirtschaften & Recht Neue Juristische Online-Zeitschrift Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht
ÖBl OGH Ordo östPatG östUWG östZPO OWiG OZK aktuell
Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Oberster Gerichtshof (Österreich) Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Patentgesetz (Österreich) Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (Österreich) Zivilprozessordnung (Österreich) Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Zeitschrift für Kartell- und Wettbewerbsrecht
PAngV PatG PharmR ProdHaftG
Preisangabenverordnung Patentgesetz Pharma Recht Produkthaftungsgesetz
RdE RG RGBl. RGSt RGZ RL Rn. Rs. Rspr. RStV RVG
Recht der Energiewirtschaft Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Richtlinie Randnummer Rechtssache Rechtsprechung Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien Rechtsanwaltsvergütungsgesetz
S. schweizKartG
Satz, Seite Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (Schweiz) Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (Schweiz) Sammlung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz Sortenschutzgesetz ständig(e) Strafgesetzbuch streitig Straßenverkehrsgesetz Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivilund Justizverwaltungssachen
schweizUWG Slg. SortSchG st. StGB str. StVG SZ
XXXVI
Abkürzungsverzeichnis
TDG TKG TMG TRIPs Tz.
Teledienstegesetz (aufgehoben durch Art. 5 ElGVG) Telekommunikationsgesetz Telemediengesetz Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights Textziffer
UFITA UKlaG Unterabs. UrhG UWG
Archiv für Urheber- und Medienrecht (vormals: Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht) Gesetz über Unterlassungsklagen Unterabsatz Urhebergesetz Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
VO VSchDG VwVfG VZBV
Verordnung EG-Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetz Verwaltungsverfahrensgesetz Verbraucherzentrale Bundesverband
WBl WettbG wistra WiStrG wobl WRP
Wirtschaftsrechtliche Blätter Wettbewerbsgesetz (Österreich) Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wirtschaftsstrafgesetz 1954 Wohnrechtliche Blätter Wettbewerb in Recht und Praxis
z.B. ZEuP ZHR ZIP ZPO ZRP ZUM ZZP
zum Beispiel Zeitschrift für das Europäische Privatrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zeitschrift für Zivilprozess
Verzeichnis der zitierten Sekundärrechtsakte A. Richtlinien RL 2009/22/EG RL 2006/114/EG RL 2005/29/EG
RL 2004/48/EG RL 2003/33/EG
RL 2002/65/EG
RL 2002/58/EG
RL 2001/29/EG
RL 2000/31/EG
RL 98/27/EG
RL 89/552/EWG
RL 84/450/EWG
= Richtlinie 2009/22/EG über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen vom 23.4.2009, Abl. Nr. L 110/30 = Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung vom 12.12.2006, Abl. Nr. L 376/21. = Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) vom 11.5.2005, Abl. Nr. L 149/22. = Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums vom 29.4.2004, Abl. Nr. L 195/16. = Richtlinie 2003/33/EG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen vom 26.5.2003, Abl. Nr. L 152/16 = Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/ EG und 98/27/EG vom 23.2.2002, Abl. Nr. L 271/16 = Richtlinie 2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) vom 12.7.2002, Abl. Nr. L 201/37 = Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vom 22.5.2001, Abl. Nr. L 167/10. = Richtlinie 2000/31/EG über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (»Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr«) vom 8.6.2000, Abl. Nr. L 178/1. = Richtlinie 98/27/EG über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen vom 19. Mai 1998, Abl. Nr. L/51 (wird ersetzt durch RL 2009/22/EG) = Richtlinie 89/552/EWG (in der Fassung der Richtlinie 2007/65/EG vom 11.12.2007, Abl. EU Nr. L332/27) zur Koordinierung bestimmter Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) vom 3.10.1989, Abl. Nr. L 298/23. = Richtlinie 84/450/EWG (in der Fassung der Richtlinie 97/55/EG vom 6.10.1997, Abl. Nr. L 290/18) über irreführende und vergleichende Werbung vom 10.9.1984, Abl. Nr. L 250/17 (ersetzt durch die Richtlinie 2006/ 114/EG).
XXXVIII
Verzeichnis der zitierten Sekundärrechtsakte
B. Verordnungen VO 861/2007 VO 864/2007
VO 2006/2004
VO 139/2004 VO 1383/2003
VO 1/2003
VO 1049/2001
VO 44/2001
VO 2790/1999
VO 1103/97
VO 2200/96 VO 2092/91
= Verordnung (EG) Nr. 861/2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen vom 11.7.2007, Abl. Nr. L 199/1 = Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (»Rom II«) vom 11.7.2007, Abl. Nr. L 199/40 = Verordnung (EG) über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden (Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz) vom 27.10.2004, Abl. Nr. L 364/1 = Verordnung (EG) Nr. 139/2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen vom 20.1.2004, Abl. Nr. L 24/1 = Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 über das Vorgehen der Zollbehörden gegen Waren, die unter dem Verdacht stehen, bestimmte Rechte geistigen Eigentums zu verletzen, und die Maßnahmen gegenüber Waren, die erkanntermaßen derartige Rechte verletzen vom 22.7.2003, Abl. Nr. L 196/7. = Verordnung (EG) Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln vom 16.12.2002, Abl. Nr. L 1/1 = Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vom 30.5.2001, Abl. Nr. L 145/43 = Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) vom 22.12.2000, Abl. Nr. L 12/1 = Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 der Kommission über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen vom 22. Dezember 1999, Abl. Nr. L 336/21 = Verordnung (EG) Nr. 1103/97 über bestimmte Vorschriften im Zusammenhang mit der Einführung des Euro vom 17.6.1997, Abl. Nr. L 162/1. = Verordnung (EG) Nr. 2200/96 über die gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse vom 21.11.1996, Abl. Nr. L 297/1. = Verordnung (EWG) Nr. 2092/91 über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel vom 24.6.1991, Abl. Nr. L 198/1
Erster Teil
§ 1. Einleitung A. Untersuchungsgegenstand I. Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche als privatrechtliche Sanktionen im Wettbewerbsgeschehen Sanktionen1 sind Kernelemente des Rechts. Wenn die Rechtsordnung eine Verhaltensregel aufstellt, etwa das Verbot, eine fremde Sache zu stehlen, muss sie zugleich eine Aussage darüber treffen, was geschieht, wenn diese Verhaltensregel missachtet wird. Der Diebstahl einer fremden Sache zieht beispielsweise strafrechtliche und zivilrechtliche Konsequenzen nach sich. Erst aus dem Zusammenspiel von Regelungen und Sanktionen erwächst Recht. Auch im Wettbewerbsgeschehen – gemeint ist im Folgenden allein der wirtschaftliche Wettbewerb – sind Regelungen und Sanktionen als wechselseitig aufeinander bezogene Strukturelemente des Rechts unverzichtbar2. Die Rechtsordnung legt nicht nur fest, welche marktbezogenen und geschäftlichen Verhaltensweisen zulässig und unzulässig sind. Zugleich regelt sie, welche Folgen eine rechtswidrige Handlung auslöst. Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche gehören, neben anderen Mechanismen3, zu den Sanktionsinstrumenten des Lauterkeits- und Kartellrechts. Beide Sanktionen beruhen auf elementaren Erwartungen der von einem Rechtsverstoß Betroffenen. Es entspricht allgemeiner Überzeugung, dass ein Unternehmer einen durch sein wettbewerbswidriges Verhalten verursachten Schaden zu übernehmen hat. Gleichermaßen dürfte Konsens darüber bestehen, dass sich rechtswidriges Verhalten im Wettbewerb nicht bezahlt machen darf und rechtswidrig erlangte Vorteile nicht beim Verletzer verbleiben dürfen. Jenseits solcher allgemeinen Grundüberzeugungen wirft die sachgerechte Ausgestaltung der Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche jedoch vielschichtige und komplexe Fragen auf. Die Diskussion über die vielfältigen Grundsatz- und Detailfragen ist dabei längst nicht abgeschlossen, sondern
1
Zum Begriff der Sanktion sogleich unter IV. 1., S. 13 ff. »Wirtschaftlicher Wettbewerb ist von dem Bestehen rechtlicher Regeln und ihrer wirksamen Durchsetzung abhängig«, Meessen, JZ 2009, 697, 698. 3 Praktisch besonders wichtige zivilrechtliche Sanktionen sind die Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gemäß § 8 Abs. 1 UWG und § 33 Abs. 1 GWB. Zu weiteren Sanktionen gehören beispielsweise Bußgelder gemäß § 20 UWG, § 81 GWB und Art. 23 VO 1/2003. 2
4
§ 1. Einleitung
steht vielfach erst am Anfang. Die private Rechtsdurchsetzung wird Wissenschaft und Praxis noch lange beschäftigen und fordern4. Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche des UWG und GWB nehmen aus mehreren Gründen eine besondere Stellung innerhalb der Rechtsordnung ein. Als spezielle außervertragliche Haftungsansprüche wegen unerlaubter Handlungen sind sie im Privatrecht verwurzelt und unterliegen dessen Strukturen, Wertungen und Prinzipien. Zugleich müssen Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche aber in ihrer spezifischen Funktion innerhalb der rechtlichen Kontrolle und Steuerung des Wettbewerbs gesehen werden. Wettbewerb unterliegt eigendynamischen Prozessen, deren Kontrolle und Beeinflussung durch das Recht gewissermaßen eine stetige Gratwanderung erfordern. Einerseits muss die Rechtsordnung ein Zuviel an korrektiver Einflussnahme verhindern, um die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs nicht zu gefährden. Ein Übermaß an rechtlicher Einflussnahme könnte beispielsweise Innovationen be- oder verhindern und damit wichtige und erwünschte Wettbewerbsfunktionen beeinträchtigen oder schlimmstenfalls völlig außer Kraft setzen. Andererseits müssen Rechtsverstöße – auch und insbesondere im Wettbewerbsgeschehen – konsequent und wirksam verfolgt werden. Ein Zuwenig an rechtlicher Einflussnahme kann dazu führen, dass die rechtlichen Anforderungen an ein wettbewerbskonformes Verhalten von den Rechtsadressaten nicht genügend befolgt werden. Infolgedessen könnten wettbewerbliche Prozesse außer Kontrolle geraten, was sich zum Nachteil einzelner oder auch vieler Marktakteure auswirken kann. Die Rechtsordnung muss also gewährleisten, dass Wettbewerb wirksamer Kontrolle unterliegt, dabei aber zugleich funktionsfähig bleibt, sodass die wettbewerbsimmanenten Prozesse, das freie Spiel von Angebot und Nachfrage, möglichst unverfälscht zur Entfaltung gelangen können. Diese schwierige Aufgabe erhält zusätzliche Komplexität, weil im Wettbewerbsgeschehen individuelle und überindividuelle Interessen aufeinandertreffen und unterschiedlichen rechtlichen Schutzes bedürfen. Die rechtliche Steuerung verlangt daher stets eine mehrdimensionale Betrachtung. Mit diesen ersten Überlegungen sind bereits die Grundkoordinaten und gedanklichen Ausgangspunkte dieser Untersuchung umrissen. Das ursprüngliche Ziel der Arbeit war darauf gerichtet, auf der Grundlage der neuen gesetzlichen Ausgangslage nach der UWG-Reform 2004 und der siebenten GWB-Novelle 2005 die Schadensersatzansprüche und Abschöpfungsansprüche des Lauterkeits- und Kartellrechts als verschiedenartige Sanktionsinstrumente gegenüberzustellen und dabei insbesondere nach strukturgebenden Elementen und Prinzipien, nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu suchen. Beide Anspruchsarten gehören unterschiedlichen dogmatischen Kategorien an, weisen aber vielfältige Überschneidungsbereiche auf. Bei § 9 S. 1 UWG und § 33 Abs. 3 GWB handelt es sich um sonderdeliktische Schadensersatzansprüche, deren Wurzeln im bürgerlichen Deliktsrecht liegen und die herkömmlich als In-
4
Augenhofer, in: Die Europäisierung des Kartell- und Lauterkeitsrechts, S. 39, 60.
A. Untersuchungsgegenstand
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strument privatrechtlichen Individualschutzes angesehen werden. Die Abschöpfungsansprüche sind dagegen schon aufgrund ihrer Neuheit bislang nur unzureichend erforscht. Im weiteren Verlauf verschob sich das Ziel der Untersuchung. Schnell zeigte sich die Notwendigkeit, vermeintlich gesichertes rechtliches Terrain an vielen Stellen neu zu vermessen. Manche wettbewerbsbezogene Sonderentwicklung galt es auf ihre Überzeugungskraft zu überprüfen, manche Grundannahme wurde in ihrer Tragfähigkeit erschüttert. Beispielsweise werden § 10 UWG und § 34a GWB – unter Bezugnahme auf die amtlichen Materialien5 – nahezu einhellig mit der Behebung eines Sanktionsdefizits bei Streu- und Bagatellschäden in Verbindung gebracht6. Allerdings zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass Abschöpfungsansprüche zur Behebung des Sanktionsdefizits bei Streu- und Bagatellschäden wenig beitragen. Die Fragen nach dem Zweck dieser Sanktionen und, darauf aufbauend, nach der dogmatischen Einordnung der Abschöpfungsansprüche mussten deswegen neu gestellt werden. Auch die Schadensersatzansprüche des UWG und GWB bedurften in mancher Hinsicht einer Neubetrachtung. Die Schadensersatzhaftung bei unerlaubten Handlungen dient nach traditionellem Verständnis dem Individualausgleich zwischen Schädiger und Geschädigtem. Diese Sichtweise ist zwar im Grundsatz richtig, aber möglicherweise zu eng. Viele Entwicklungen lassen sich allein aus der Perspektive eines (sonder-)deliktischen Individualschutzes nicht überzeugend erklären. Beispielsweise ist im Lauterkeitsrecht (aber auch darüber hinaus) der Ersatz von so genannten »Marktverwirrungsschäden«7 anerkannt. Es handelt sich dabei um Aufwendungen, die dazu dienen, Fehlvorstellungen, die im Verkehr infolge einer rechtswidrigen Handlung entstanden sind, durch richtigstellende Informationen zu korrigieren. Aus individualschützender Blickrichtung müsste es nun einem betroffenen Unternehmer »an sich« völlig freigestellt sein, wie er reagiert, wenn etwa – wie im Streitfall der Pressehaftung I-Entscheidung des BGH8 – zu Unrecht über ihn verbreitet wird, er habe sich im Wettbewerb rechtswidrig verhalten. Würde der lauterkeitsrechtliche Schadensersatz allein dem Individualinteresse des Betroffenen dienen, dann müssten die Kosten einer allgemeinen Imagekampagne, mit deren Hilfe der gute Ruf des geschmähten Unternehmers wieder hergestellt wird, ohne Weiteres ersetzt werden, solange nur die Kampagne geeignet ist, die eingetretene Rufschädigung zu beseitigen und die dafür anfallenden Kosten nicht unverhältnismäßig hoch sind. Indessen verfährt die Praxis – mit Recht – anders. Ein betroffener Unternehmer kann unter bestimmten Voraussetzungen durch eine »Gegenanzeige« über den wahren Sachverhalt aufklären und die dafür entstandenen Kosten ersetzt verlangen9. Aus der Sicht lauterkeitsrechtlichen Individualschutzes lassen sich die speziellen Anforderungen, die von der Rechtsprechung an den Ersatz von »Marktverwirrungsschäden« gestellt werden, nicht ohne Weiteres erklären. Einen überzeugenderen Ansatz liefert jedoch die Überlegung, dass Aufwendungen zur »Markt-
5 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 23 (zu § 10 UWG); Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 36 (zu § 34a GWB). 6 Dazu näher unten § 6. C. II., S. 483 ff. 7 Dazu näher unten § 4. D. III. 1., S. 275 ff. 8 BGH vom 26.4.1990, GRUR 1990, 1012 ff. – Pressehaftung I. 9 BGH vom 26.4.1990, GRUR 1990, 1012, 1015 – Pressehaftung I.
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entwirrung« nicht nur dem Betroffenen nützen, sondern auch den fehlinformierten Adressaten. Ersatzfähig sind nicht die Aufwendungen, die allein im individuellen Interesse des Geschädigten liegen. Vielmehr anerkennt die Rechtsprechung Kosten als ersatzfähig, wenn sie für Maßnahmen aufgewendet wurden, die dem Verkehr zugutekommen, also einem überindividuellen Interesse dienen. Eine solche Deutung führt zugleich zu einer inhaltlichen Abstimmung zwischen dem materiellrechtlichen Verbotszweck und den Sanktionen. Wenn ein lauterkeitsrechtliches Verbot neben dem Individualinteresse eines Unternehmers zugleich ein überindividuelles Interesse schützt, etwa das Interesse der Verbraucher an der Richtigkeit von Informationen10, dann ist es nur konsequent, wenn dieses überindividuelle Interesse auch auf Sanktionsebene, und zwar nicht nur im Zusammenhang mit den Abwehransprüchen, Berücksichtigung findet.
II. Erkenntnisinteresse Im Vorwort zur ersten Auflage seines Kommentars zum Wettbewerbsrecht schreibt Baumbach: »Man sagt, jede Vorrede sei eine Entschuldigung. Stimmt das, dann ist diese Vorrede nötig. Denn der bedarf gewiß der Entschuldigung, der unser ungeheures juristisches Schrifttum vermehrt, und gar das umfangreiche Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes«11.
Seit diesen Worten ist schon der Bestand der lauterkeitsrechtlichen und der kartellrechtlichen Literatur (von den Veröffentlichungen im gewerblichen Rechtsschutz ganz zu schweigen) in beeindruckendem Maße angewachsen. Heute steht selbst der Spezialist vor der schwierigen Herausforderung, die Masse des Materials zu überblicken und zu bewältigen. Um nur einen Bereich dieser Untersuchung exemplarisch herauszugreifen: In jüngerer Zeit nimmt die Zahl der Veröffentlichungen zur privaten Rechtsdurchsetzung im Kartellrecht geradezu explosionsartig zu. Damit stellt sich in noch viel stärkerem Maße als zu Zeiten Baumbachs die Notwendigkeit, das Erkenntnisinteresse für jede weitere Veröffentlichung nachzuweisen. Wenngleich die vorliegende Untersuchung den Umfang der Literatur weiter vermehrt, sieht sie hierfür dennoch Lücke und Bedarf. Bislang wurden Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche des Lauterkeitsund Kartellrechts überwiegend isoliert untersucht12. An Darstellungen zu Einzelfragen besteht kein Mangel. Indessen fehlte es an einer übergreifenden monografischen Untersuchung dieser Ansprüche, wie sie hier angestrebt wird. Gerade eine solche Herangehensweise erscheint aus mehreren Gründen reizvoll und gewinnversprechend:
10 Zum Schutz der Entscheidungsgrundlage als lauterkeitsrechtlich geschütztes Interesse der Verbraucher Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 13 Rn. 49 und § 15 Rn. 1 ff. sowie ders., Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht, S. 139 ff. 11 Baumbach, Kommentar zum UWG, 1929. 12 Für die Abschöpfung mit übergreifendem Ansatz aber Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, 2009.
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1. Schadensersatz und Abschöpfung als privatrechtliche Sanktionsinstrumente Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche ermöglichen eine Verhaltenssteuerung13 durch Zugriff auf das Verletzervermögen. Ein solcher Vermögenszugriff kann für Unternehmen, die Rechtsadressaten des Lauterkeits- und Kartellrechts, eine schmerzliche Sanktion darstellen. Denn die erfolgreiche Durchsetzung von Schadensersatz- oder Abschöpfungsansprüchen kann den wirtschaftlichen Erfolg wettbewerblichen Handelns aufzehren oder – im Falle der Schadensersatzansprüche – dem Verletzer sogar zusätzliche Nachteile bereiten. Da unternehmerisches Handeln im Wettbewerb zwangsläufig vom Streben nach Gewinn bestimmt wird, bilden Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche gleichsam ein rechtliches Korrektiv, dessen Wirkungen jedoch genau dosiert werden müssen. Es ist wenig überraschend, wenn gerade im Zusammenhang mit Rechtsverstößen im Wettbewerb besonders intensiv darüber diskutiert wird, ob und in welchem Maße privatrechtliche Ansprüche präventive Ziele berücksichtigen dürfen und inwieweit private Ansprüche in öffentlichem Interesse mobilisiert werden können. Im Wettbewerbsgeschehen treffen individuelle und überindividuelle Interessen stetig aufeinander und zugleich werden Entscheidungen kostenorientiert getroffen. Trotz verbreiteter Zurückhaltung und mitunter schweren Angriffen14 gewinnen diese Fragen stetig an Bedeutung. Die Mobilisierung von Individualinteressen und die mögliche Instrumentalisierung des Privatrechts berührt darüber hinaus das Selbstverständnis des Privatrechts. Denn Privatrecht ist nicht »wertneutral«, sondern steht in ständiger Wechselwirkung mit den jeweils herrschenden politischen, wirtschaftlichen sozialen, gesellschaftlichen und weltanschaulichen Vorstellungen und Werten. Eine rechtliche Steuerung wettbewerbsbezogenen Verhaltens mit privatrechtlichen Mitteln wirft schwierige Probleme auf. Wettbewerbliche Prozesse verlaufen vielschichtig und komplex. Ergebnisse und Abläufe im Wettbewerbsgeschehen lassen sich deswegen in aller Regel nicht vorhersagen und selbst im Nachhinein sind eindeutige Aussagen über Ursachen und Wirkungen kaum möglich. Die daraus resultierenden Schwierigkeiten treten gerade bei Schadensersatzund Abschöpfungsansprüchen deutlich zutage. Die deliktische Schadensersatzhaftung nach dem Grundmodell der §§ 823 ff. und §§ 249 ff. BGB ist konzeptionell darauf ausgerichtet, dass schädigende Ereignisse als solche exakt benannt werden können, dass Kausalzusammenhänge naturwissenschaftlich nachvollziehbar und eingetretene wirtschaftliche Nachteile genau bezifferbar sind. Auf Rechtsverstöße im Wettbewerbsgeschehen passen diese Annahmen nur bedingt. Nur selten kann man z.B. feststellen, wie sich die Nachfrage entwickelt hätte, wenn ein Unternehmer nicht von einer unlauteren Handlung oder einer wettbe-
13 Steuerung bedeutet dabei den Einsatz des Rechts zur Erhaltung der selbststeuernden Kräfte der Wirtschaft. Zur mehrfachen Bedeutung des Ausdruck »Wirtschaftssteuerung« siehe Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. I, § 1 I 10 (S. 8 f.). 14 Honsell ZIP 2008, 621, 626 f.; ders., in: Festschrift für H.P. Westermann, S. 315, 316 ff.
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werbsbeschränkenden Praktik betroffen gewesen wäre. Auch sind Aussagen über Schadenszustände, Kausalzusammenhänge und Schadenshöhen im Wettbewerb in aller Regel nur näherungsweise möglich und mit vielen Unsicherheiten behaftet. 2. Wandlungen und Reformen im Lauterkeits- und Kartellrecht Die Ausgestaltung der Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche gehört zu den wichtigsten gesetzgeberischer Aktivitäten in jüngerer Zeit im wettbewerbsbezogenen Bereich und es steht zu erwarten, dass diese Entwicklung längst nicht abgeschlossen ist. Mit der UWG-Reform 2004 wurde die lauterkeitsrechtliche Schadensersatzhaftung in § 9 UWG vereinheitlicht und der Anspruch auf Gewinnabschöpfung wurde in § 10 UWG neu im Gesetz aufgenommen. Die siebente GWB-Novelle 2005 brachte eine grundlegende Umgestaltung der privatrechtlichen Sanktionen, insbesondere der kartelldeliktischen Schadensersatzhaftung, und etablierte mit § 34a GWB einen weiteren Abschöpfungsanspruch. Die Pläne der Kommission15 lassen erwarten, dass in näherer Zukunft vom Gemeinschaftsrecht entscheidende Impulse für eine gemeinschaftsweit einheitlich ausgestaltete Schadensersatzhaftung bei Verstößen gegen das EG-Kartellrecht ausgehen werden, die das nationale Kartellrecht (und womöglich auch andere Bereiche) entscheidend prägen. Diese Entwicklungen verlangen nach einer übergreifenden wissenschaftlichen Aufarbeitung und Begleitung. 3. Austauschprozesse zwischen allgemeinem und besonderem Privatrecht In Sonderbereichen des Privatrechts ist eine gewisse Tendenz zur Herausbildung von rechtlichen Enklaven beobachten. Häufig fehlt es an einem Wertungstransfer zwischen allgemeinen Regeln des Privatrechts und Sonderbereichen, aber auch zwischen verschiedenen Spezialgebieten16. Dieser Befund gilt nicht nur, aber auch für das Lauterkeits- und Kartellrecht. Im Interesse einzelner Problemlösungen und zur Erhaltung einer leistungsfähigen und in sich stimmigen Privatrechtsordnung ist es jedoch geboten, das Sonderprivatrecht genau zu beobachten. Möglicherweise sind Entwicklungen in Spezialgebieten verallgemeinerbar oder in andere Rechtsbereiche übertragbar. Umgekehrt müssen Abweichungen von allgemeinen Grundsätzen stets hinterfragt werden: »Das Privatrecht muß, um seine Aufgabe in der Gesamtrechtsordnung zu erfüllen und der Gefahr eines Zerfalles zu entgehen, neue Ideen in sich aufnehmen und ausgegliederte Bereiche in seinen Rahmen zurückholen. Vor allem muß es aber seinen eigenen Aufbau überprüfen und aus inneren Kräften vervollkommnen«17.
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Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen; Kommission, Grünbuch Schadensersatzkla-
gen. 16 17
Mertens, AcP 178 (1978), 227, 242. Wilburg, AcP 162 (1964), 346.
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An diesen Gedanken anknüpfend, liegen Schwerpunkte dieser Untersuchung in der Suche und dem Herausarbeiten von allgemeinen und speziellen Strukturen, Prinzipien, Wertungen, Gedanken und Lösungsansätzen. Es geht um die Abstimmung von Lauterkeitsrecht und Kartellrecht und zugleich um Parallelen und Abweichungen zum bürgerlichen Recht. Trotz der Unterschiedlichkeit der Regelungsbereiche und der historischen Entwicklungen sind die bürgerlichrechtlichen Wurzeln der privatrechtlichen Sanktionen des Lauterkeits- und Kartellrechts unverkennbar. Im Laufe der Zeit haben sich beide Rechtsgebiete allerdings in vielen Bereichen verselbstständigt. Sonderentwicklungen müssen im Interesse einer transparenten Rechtsanwendung herausgearbeitet, offen benannt und bewertet werden. Statt auf allgemeinen Grundsätzen zu beharren und diese bei Bedarf mit Ausnahmen zu »durchlöchern«, kann die Herausbildung von abgesicherten rechtlichen Sonderbereichen sinnvoll sein, wenn diese zweckmäßig sind und sachgerechte Lösungen ermöglichen. Je mehr Ausnahmen von einem zum Grundsatz erhobenen Rechtsgedanken zugelassen werden, desto eher besteht Anlass darüber nachzudenken, ob es sich wirklich nur um Ausnahmen handelt. Möglicherweise sind in Wahrheit bereits selbstständige Rechtsbereiche entstanden, die eigenen Leitgedanken folgen. Umgekehrt kann die Rückbesinnung auf das bürgerliche Recht ein Verständnis für scheinbare Spezialfragen schaffen. Auch solche Zusammenhänge gilt es offen zu legen und klar zu benennen, weil dadurch möglicherweise das Beschreiten wenig überzeugender Sonderwege vermieden werden kann. Lauterkeitsrecht und Kartellrecht bilden eigenständige Bereiche, die von eigenen Prinzipien und Wertungen durchzogen sind und viele Übereinstimmungen mit dem »Kerndeliktsrecht«, aber auch bedeutsame Abweichungen aufweisen. Das bedeutet für die Rechtsanwendung, dass eine Übernahme deliktischer Normen und Wertungen nicht unreflektiert und gleichsam automatisch unter bloßem Hinweis auf den sonderdeliktischen Charakter beider Rechtsmaterien erfolgen darf, sondern in jedem Fall eine besondere Prüfung und Begründung verlangt18. Daher ist jeweils zu fragen, ob der Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften sachgerecht ist oder ob nicht nach spezielleren Regelungen Ausschau gehalten werden muss, die den spezifischen Erfordernissen besser gerecht werden. Der deliktische Charakter der Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche eröffnet beispielsweise einen direkten Zugriff auf die Vorschriften des BGB, etwa §§ 830, 831, 840 BGB. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass diese Normen zwingend angewendet werden müssen19. Wie bedeutsam die Interdependenz von deliktischen und sonderdeliktischen Entwicklungen sein kann, zeigt sich geradezu mustergültig im Verhältnis von § 33 Abs. 1 und Abs. 3 18 I.E. ebenso, allerdings eine deliktische Einordnung des Lauterkeitsrechts ablehnend, Schünemann, in: Großkommentar, UWG, Einl. E Rn. 65. 19 Anders Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, Einl. Rn. 7.2; Piper, in: Piper/ Ohly, UWG, Einf. D Rn. 57, wonach die Normen des allgemeinen Deliktsrechts immer dann ergänzend anzuwenden sind, wenn das UWG keine Sonderregelung vorsieht.
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GWB und § 823 Abs. 2 S. 1 BGB20. Die kartelldeliktische Schadensersatzhaftung war ursprünglich an dem bürgerlichrechtlichen Vorbild des § 823 Abs. 2 S. 1 BGB ausgerichtet. Beide Vorschriften knüpften die Schadensersatzhaftung an die Verletzung eines Schutzgesetzes. Dieser tatbestandlichen Verwandtschaft entsprach das Bemühen, die Rechtsanwendung gleichen Maßstäben zu unterwerfen. Mit der siebenten GWB-Novelle 2005 wurde jedoch die kartelldeliktische Schadensersatzhaftung umgestaltet. Insbesondere wurde das Erfordernis eines Schutzgesetzes bzw. einer kartellbehördlichen Schutzverfügung fallen gelassen. Mit Recht fragt K. Schmidt, ob sich hier eine sonderprivatrechtliche Regelung vom Deliktsrecht des BGB emanzipiert habe oder ob die neue Bestimmung Rückschlüsse auf § 823 Abs. 2 S. 1 BGB (sei es auf seine Bewährung, sei es auf sein Versagen) zulasse21. Mit Blick auf das Gemeinschaftsrecht stellt sich zudem die Frage, inwieweit die Entwicklungen im Gemeinschaftskartellrecht möglicherweise auf andere Bereiche, insbesondere das Deliktsrecht und das Zivilverfahrensrecht, ausstrahlen22.
4. Innovationskraft des Kartell- und Lauterkeitsrechts Der Blick auf die Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche im Lauterkeitsund Kartellrecht ist weiterhin von besonderem Interesse, weil beide Rechtsgebiete einen fruchtbaren Nährboden für die Fortentwicklung des Privatrechts bilden. Beide Rechtsgebiete fungieren als »Schrittmacher der Rechtsentwicklung«23. Diese Innovationskraft resultiert aus den Eigenheiten beider Rechtsgebiete, insbesondere aus der wettbewerbsimmanenten Dynamik und dem stetigen Prozess von Innovation und Weiterentwicklung im Wettbewerbsgeschehen. Wegen der Vielzahl der Betroffenen und der damit einhergehenden Breitenwirksamkeit24 treten die Gefahren bestimmter Verhaltensweisen und – damit korrespondierend – die Notwendigkeit rechtlicher Steuerung im Wettbewerbsgeschehen klarer und schärfer zutage als im allgemeinen Rechtsverkehr. Zugleich werden die spezifischen Stärken und Schwächen gesetzlicher Regelungen im Wettbewerb schneller deutlich. Die Rechtsordnung muss infolgedessen ständig auf neue Herausforderungen reagieren. Der Anpassungsdruck führt oft zu neuen und flexiblen Ansätzen. Bewähren sich diese Lösungen, dann können sie möglicherweise auch außerhalb des Wettbewerbsgeschehens Anwendung finden. Den Befund, dass Kartell- und Lauterkeitsrecht einen Nährboden für die künftige Rechtsentwicklung bilden, belegen Erfahrungen aus der Vergangenheit eindrucksvoll. Geradezu ein Musterbeispiel ist die Verbandsklage. Sie ist aus dem modernen Lauterkeits-,
20 Dazu K. Schmidt, in: Festschrift für Canaris, Bd. I, S. 1175 ff. sowie unten im Text § 5. B. II., S. 341 ff. 21 K. Schmidt, in: Festschrift für Canaris, Bd. I, S. 1175, 1177. 22 Dazu näher Marcos/Graells, Eur. Rev. Priv. L. 2008, 469 ff. 23 Ähnliches gilt für das Handelsrecht im Vergleich zum bürgerlichen Recht, Canaris, Handelsrecht, § 1 Rn. 20. Die Parallele zwischen Wettbewerbsrecht und Handelsrecht wird beispielsweise auch von Heck, Grundriß des Schuldrechts, § 145 I 9, S. 439, gezogen, der das UWG gleichsam als ein »großes Deliktsgesetz des Handelsrechts« betrachtet. 24 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 596 ff. spricht gleichbedeutend vom »Multiplikatoreffekt«.
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Kartell- und Verbraucherschutzrecht – nicht zuletzt aufgrund gemeinschaftsrechtlichen Einflusses durch die RL 98/27/EG25 – nicht mehr wegzudenken. Ihre rechtliche Wurzel liegt im ersten Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb von 1896. Ein weiteres Beispiel für die rechtliche Innovationskraft des Wettbewerbs bildet die außergerichtliche und gerichtliche Rechtsdurchsetzung in Wettbewerbsstreitigkeiten. Einige richterrechtliche Entwicklungen haben mittlerweile Eingang in das Gesetz gefunden. So hat der Gesetzgeber sowohl die Abmahnung als solche in § 12 Abs. 1 S. 1 UWG aufgenommen als auch den Aufwendungsersatz für die Kosten einer berechtigten Abmahnung (§ 12 Abs. 1 S. 2 UWG)26.
5. Individuelle und überindividuelle Interessen im Privatrecht Schließlich manifestiert sich im Lauterkeits- und Kartellrecht ein zunehmender Funktionswandel des Privatrechts27. Lauterkeits- und Kartellrecht belegen eindrucksvoll, dass der Schutz überindividueller Interessen keineswegs staatlichen Einrichtungen vorbehalten ist, sondern auch vom Privatrecht geleistet werden kann. Schon weit fortgeschritten ist diese Entwicklung im Kartellrecht. Gefördert durch die Rechtsprechung des EuGH28 und Maßnahmen der Kommission29 steht heute nicht mehr in Zweifel, dass der kartelldeliktische Schadensersatz nicht allein aus der isolierten Perspektive des Individualschutzes gesehen werden kann. Vielmehr besteht an der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen bei Kartellrechtsverletzungen ein öffentliches Interesse. Der Individualschutz des Einzelnen ist zugleich ein Instrument zur Verwirklichung öffentlicher Aufgaben. Im Lauterkeitsrecht werden solche grundlegenden Ansätze im Zusammenhang mit Schadensersatzansprüchen bislang noch kaum problematisiert. Immerhin wird zuweilen von einer »Wettbewerbssicherungsfunktion« des Schadensersatzes gesprochen30, was auf eine über den Individualschutz hinausgehende Zielrichtung deutet. Wenn der lauterkeitsrechtliche Schadensersatz sowohl bei der Verletzung von Individualinteressen als auch bei der Verletzung von überindividuellen Interessen ausgelöst werden kann31, dann liegt die Vermutung nahe, dass die Mehrdimensionalität des lauterkeitsrechtlichen Schutzes auch auf Sanktionsebene Bedeutung erlangt. Zusätzliche Nahrung erhalten solche Überlegungen durch die Beobachtung, dass die lauterkeitsrechtliche Schadensersatzhaftung verschiedene Besonderheiten aufweist, die darauf schließen lassen, dass diese Sanktion nicht auf das Verhältnis Schädiger-Geschädigter isoliert werden kann, 25
Diese Richtlinie wird ersetzt durch die RL 2009/22/EG, die am 29.12.2009 in Kraft tritt. Eine weitere gesetzliche Regelung hierzu findet sich neuerdings in § 97a UrhG. 27 Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 430; Mertens, ZHR 139 (1975), 438, 442 ff. 28 EuGH vom 13.7.2006, Rs. 295 bis 298/04, Slg. I-6619 – Manfredi und EuGH vom 20.9.2001, Rs. 453/99, Slg. I-6297 – Courage und Crehan; zu weiteren wichtigen EuGH-Entscheidungen siehe unten § 5. A. III. 1., S. 317 ff. 29 Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen; Kommission, Grünbuch Schadensersatzklagen. 30 Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 9 Rn. 5. 31 Siehe nur Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 17 Rn. 9 f. und § 30 Rn. 61. 26
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sondern vielfach weitere Aspekte berücksichtigt. Eine sorgfältige Analyse dieser und ähnlicher Entwicklungen kann Auskunft darüber geben, welche Chancen und Risiken mit einem solchen Funktionswandel verbunden sind.
III. Zielsetzungen und Gang der Untersuchung Für die weitere Untersuchung kristallisierten sich fünf ineinandergreifende Ziele heraus: Erstens ist den wettbewerbsspezifischen Besonderheiten der Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche nachzugehen. Da sie als Sanktionen für wettbewerbswidriges Verhalten konzipiert sind, stellt sich die Frage, wie den rechtlichen und tatsächlichen Besonderheiten des Wettbewerbsgeschehens Rechnung getragen wird. Zweitens ist dabei zu berücksichtigten, ob und inwieweit diese Besonderheiten Abweichungen von den allgemeinen Grundsätzen des außervertraglichen Haftungs- und Schadensrechts legitimieren oder umgekehrt gerade eine Rückbesinnung auf diese allgemeinen Grundsätze als sinnvoll erscheinen lassen. Darauf aufbauend soll drittens der Versuch unternommen werden, allgemeine Strukturen und Prinzipien für die Schadensersatz- und Abschöpfungshaftung im Wettbewerb herauszuarbeiten. Speziell mit Blick auf die Schadensersatzansprüche ist viertens danach zu fragen, ob und inwieweit die Anwendung dieser Sanktionen durch die Wahrnehmung überindividueller Interessen im Wettbewerb beeinflusst wird. Schließlich will die Untersuchung fünftens dazu beitragen, die Abschöpfungsansprüche in das privatrechtliche Anspruchssystem einzuordnen. Aus diesen Zielsetzungen ergibt sich das weitere Vorgehen. In § 2 des ersten Teils werden zunächst privatrechtsdogmatische, gemeinschaftsrechtliche und verfassungsrechtliche Ausgangsfragen behandelt. Der zweite Teil der Untersuchung ist der wettbewerbsdeliktischen Schadensersatzhaftung gewidmet. In § 3 werden zunächst Grundstrukturen und Grundprobleme dargestellt. Sodann ist der Blick im Einzelnen auf die lauterkeitsrechtliche (§ 4) und die kartellrechtliche (§ 5) Schadensersatzhaftung zu richten. Den Gegenstand des dritten Teils der Untersuchung bilden die Abschöpfungsansprüche. In § 6 werden vorab wiederum Grundstrukturen und Grundprobleme erörtert. Insbesondere soll dabei der Versuch unternommen werden, gemeinsame dogmatische Strukturen der Abschöpfungsansprüche herauszuarbeiten. Anschließend werden der lauterkeitsrechtliche Anspruch auf Gewinnabschöpfung (§ 7) und der kartellrechtliche Anspruch auf Vorteilsabschöpfung (§ 8) näher untersucht. Der vierte Teil gilt schließlich sanktionsübergreifenden Aspekten, nämlich der Verantwortlichkeit (§ 9) und sonstigen Fragen im Zusammenhang mit Einwendungen und Durchsetzbarkeit der Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche (§ 10).
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IV. Terminologie 1. Sanktion und Strafe Den Gegenstand dieser Untersuchung bilden Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche als privatrechtliche Sanktionen. Der Begriff der Sanktion bedarf dabei einer kurzen Erläuterung. Zwar wird im Lauterkeits- und Kartellrecht verbreitet von Sanktionen gesprochen32, doch verbinden sich mit diesem Begriff unterschiedliche Bedeutungen. Beispielsweise heißt es in der GemeinkostenanteilEntscheidung des BGH: »Die Abschöpfung des Verletzergewinns dient dabei auch der Sanktionierung des schädigenden Verhaltens (…) und auf diese Weise auch der Prävention gegen eine Verletzung der besonders schutzbedürftigen Immaterialgüterrechte«33.
Der BGH stellt die »Sanktionierung« eines rechtswidrigen Verhaltens einer (davon zu unterscheidenden) präventiven Wirkung gegenüber. Der Begriff der Sanktion wird also zweckbezogen verwendet, nämlich im Sinne einer »Bestrafung« des Verletzers. Doch ist damit keine begriffliche Klarheit gewonnen, sondern umgekehrt eher die Basis für terminologische Verwirrung gelegt. Der Begriff der Strafe kann nämlich seinerseits in unterschiedlichen Zusammenhängen und mit ganz unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht werden. Im strafrechtlichen Sinne bezeichnet die »Strafe« eine spezielle Reaktion auf einen Rechtsverstoß; es wird dabei differenziert zwischen den Strafen34 und den Maßregeln der Besserung und Sicherung35. Davon zu unterscheiden sind die verfassungsrechtlichen Begriffe der (allgemeinen) Strafgesetze und der Bestrafung in Art. 103 Abs. 3 GG. Im alltäglichen Sprachgebrauch bezeichnet Strafe im weiteren Sinne die Zufügung eines Nachteils als Reaktion auf ein bestimmtes normwidriges Verhalten, unabhängig davon, ob es sich etwa um rechtliche oder gesellschaftliche Normen und Reaktionen handelt. Der Begriff der Strafe kann schließlich zweckbezogen verstanden werden. Ein solches Verständnis wird im Allgemeinen zugrunde gelegt, wenn über den »Strafcharakter« von Abschöpfungsansprüchen, über einen »Strafschadensersatz« oder einen »Strafzweck« des Schadensersatzes gesprochen wird. Hierbei wird der Begriff der Strafe zumeist im Sinne von »Buße« oder »Vergeltung« verstanden. Doch wäre ein solches Verständnis wiederum zu eng, da Vergeltung nur ein möglicher Strafzweck ist36. 32 Misslich ist, dass der Gesetzgeber selbst keine begriffliche Konsequenz an den Tag legt. So ist der sechste Abschnitt des GWB mit »Befugnisse der Kartellbehörden, Sanktionen« überschrieben. Da die Sanktionen damit offensichtlich den kartellbehördlichen Befugnissen gegenüber gestellt werden, lässt dies sprachlich allein den Schluss zu, dass als Sanktionen (nur) die privatrechtlichen Ansprüche angesehen werden. Demgegenüber ist das Kapitel 2 des UWG, das vergleichbare Regelungen für unlautere Handlungen enthält, mit »Rechtsfolgen« überschrieben. 33 BGH vom 2.11.2000, BGHZ 145, 366, 372 – Gemeinkostenanteil; ebenso jüngst BGH vom 14.5.2009, WRP 2009, 1129 Tz. 76 – Tripp-Trapp-Stuhl. 34 §§ 38 ff. StGB. 35 §§ 61 ff. StGB. 36 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. I, § 3 Rn. 1 ff.
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Im Interesse unmissverständlicher Terminologie wird der Begriff der Sanktion im Folgenden nicht in einem zweckbezogenen Sinne verstanden, sondern als rechtlich angeordnete Reaktion auf eine Zuwiderhandlung. Die Rechtsnatur des Sanktionsinstruments ist dabei gleichgültig. Es kann sich bei einer Sanktion beispielsweise um eine Strafe (im strafrechtlichen Sinne) handeln, aber auch um Bußgelder oder privatrechtliche Ansprüche. Eine zweckbezogene Vorprägung des Begriffs der Sanktion muss strikt vermieden werden, weil Sanktionen unterschiedliche Zwecke verfolgen können. Ob dabei ein spezieller Zweck im Vordergrund steht oder ob mehrere Sanktionszwecke zusammentreffen, bedarf der Klärung im Einzelfall und ist auf begrifflicher Ebene bedeutungslos. Zugleich zwingt ein solches Vorgehen zur exakten Benennung von Sachproblemen. Wer etwa über den »Strafcharakter« von Schadensersatz- oder Abschöpfungsansprüchen spricht, muss genau sagen, welcher Sanktionszweck oder welche Sanktionszwecke damit gemeint sind. Die Sachdiskussion gewinnt durch eine solche begriffliche Entzerrung an Transparenz und verliert an ideologischer Vernebelung. Es macht beispielsweise einen erheblichen Unterschied, ob man über Vergeltung oder Prävention als Zwecke privatrechtlicher Haftung spricht37. 2. Schutzebene und Sanktionsebene Im Folgenden wird zwischen der materiellrechtlichen Schutzebene und den daran geknüpften Sanktionen, der Sanktionsebene, differenziert. Nicht zu verwechseln ist diese Unterscheidung mit der normlogischen Struktur eines vollständigen Rechtssatzes, der jeweils aus Tatbestand und Rechtsfolge besteht38. Diese Differenzierung ist angelehnt an die Unterscheidung Hecks39 zwischen Schutznormen und Sanktionsnormen40. Die Schutzebene betrifft die Statuierung von Verhaltensgeboten und -verboten, während auf Sanktionsebene darüber entschieden wird, unter welchen Voraussetzungen welche rechtliche Folge an eine Rechtsverletzung geknüpft wird. Die Trennung zwischen Schutzebene und Sanktionsebene ist vor allem aus inhaltlichen Gründen im Hinblick auf die konsequente und in sich stimmige Verwirklichung des jeweiligen Regelungsziels einer Norm von Bedeutung. Schutzebene und Sanktionsebene stehen in enger Wechselwirkung. Der materiellrechtlich intendierte Schutz einer Norm wird nur dann vollständig und wirksam gewährleistet, wenn die Missachtung des jeweiligen Gebotes oder Verbotes rechtliche Konsequenzen hat. Welche Konsequenzen dies aber sind (und sein 37
Dazu näher unten § 3. B. II. 2. und 3., S. 139 ff. Siehe nur Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 71 ff. 39 Heck, Grundriß des Schuldrechts, § 145 I 6 a, S. 438 f. Dabei können beide Normgattungen rechtstechnisch in einer Vorschrift zusammenfallen, wie etwa in § 823 BGB, siehe Heck a.a.O., S. 439. 40 Abweichend von Heck werden im Folgenden nicht bestimmte Normen unterschieden, sondern lediglich normimmanente gedankliche Regelungsebenen. Denn nicht selten fallen Schutzebene und Sanktionsebene in einer Norm zusammen (z.B. in § 823 Abs. 1 BGB). 38
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müssen), ergibt sich wiederum nur unter Bezugnahme auf den materiellrechtlich gewährleisteten Schutz. Will das Recht beispielsweise einen umfassenden Schutz des Eigentums gewährleisten, dann muss es dem Eigentümer die entsprechenden Gestaltungsmittel in Form von Ansprüchen in die Hand geben, damit dieser sämtliche Beeinträchtigungen des Eigentums abzuwehren vermag. Umgekehrt kann das Vorhandensein oder Fehlen von bestimmten rechtlichen Folgen Aufschluss über die Reichweite des materiellrechtlichen Schutzes geben. Dieses wechselseitige Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Ebenen ist nicht unabänderlich und a priori vorgegeben, sondern als ein stetiger wechselseitiger Abstimmungsprozess zu betrachten, sodass der Prüfung bedarf, inwieweit der materiellrechtlich zu gewährleistende Schutz auf Sanktionsebene tatsächlich verwirklicht wird41.
V. Thematische Eingrenzung Der Fokus der Untersuchung ist auf die Schadensersatzansprüche aus § 9 S. 1 UWG und § 33 Abs. 3 GWB sowie auf die Abschöpfungsansprüche aus § 10 Abs. 1 UWG und § 34a Abs. 1 GWB gerichtet. Vertragliche Haftungsansprüche wegen unlauterer oder kartellrechtswidriger Handlungen, insbesondere bei Verwirkung einer vereinbarten Vertragsstrafe, bleiben ebenso außen vor wie Schadensersatzansprüche aus §§ 717 Abs. 2 und 945 ZPO. Die Vertragsstrafe ist aus der vorliegenden Untersuchung auszuklammern, weil sie keinen Bestandteil des gesetzlichen Sanktionssystems im Kartell- und Lauterkeitsrecht bildet, sondern ihre Grundlage in der privatautonomen Vereinbarung der Beteiligten findet. Bei den zivilverfahrensrechtlichen Schadensersatzansprüchen aus §§ 717 Abs. 2 und 945 ZPO handelt es sich nicht um Sanktionen für rechtswidriges Verhalten, sondern diese Ansprüche dienen einer angemessenen Risikoverteilung zwischen den Parteien bei Vollstreckungen. Das Ziel der Untersuchung besteht darin, die Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche des UWG und GWB in ihrer Einbettung innerhalb des Privatrechts und unter Berücksichtigung ihrer wettbewerbsspezifischen Besonderheiten und Abweichungen darzustellen. Mit dieser inhaltlichen Ausrichtung geht eine Konzentration auf das Gemeinschaftsrecht und das deutsche Recht einher. Rechtsvergleichende Erkenntnisse werden partiell, jedoch ohne Anspruch auf Vollständigkeit einbezogen. Häufigere Seitenblicke auf die Rechtslage in Österreich42 belegen, dass trotz ähnlicher Rechtskulturen und Kodifikationen im Lauterkeits- und Kartellrecht im Detail viele bemerkenswerte Abweichungen bestehen. Zweifellos wäre eine umfassende rechtsvergleichende Studie reizvoll gewe41 Eingehend zu diesem Abstimmungsprozess zwischen materiellrechtlicher Ebene und Sanktionsebene im Text unter § 2. A. III. 2., S. 70 ff. 42 Insbesondere in § 4. A. IV., S. 188 ff., § 5. A. IV., S. 336 ff., § 7. A. IV., S. 516 ff. und § 8. A. IV., S. 584 ff.
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sen. Eine Selbstbeschränkung war jedoch – aus Zeit- und Raumgründen – unentbehrlich. Zudem klafft insoweit keine gravierende Forschungslücke, denn viele Arbeiten zur Abschöpfung43 und zum Kartelldeliktsrecht44 beziehen rechtsvergleichende Aspekte umfassend ein. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich des Weiteren auf genuin rechtliche Fragen der Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche in ihrer Funktion als privatrechtliche Sanktionen. Damit soll die Bedeutung eines interdisziplinären »Blicks über den Tellerrand« keineswegs infrage gestellt werden. Vor allem die Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften fließen in jüngerer Zeit verstärkt in die rechtliche Diskussion ein45. Im Kartellrecht verbindet sich die verstärkte Berücksichtigung ökonomischer Zusammenhänge mit dem Stichwort des »more economic approach«46. Gleichwohl strebt diese Untersuchung keine fachübergreifende Ausrichtung an und verzichtet dementsprechend auf einen entsprechenden Grundlagenteil (selbstverständlich aber nicht auf die Einbeziehung ökonomischer Überlegungen im Einzelnen). Dies beruht auf der Überzeugung, dass die Berücksichtigung solcher Erkenntnisse erst dann vollen Ertrag verspricht, wenn der Jurist auf der Basis eines soliden rechtlichen Fundaments
43 Umfangreichere rechtsvergleichende Untersuchungen zum lauterkeitsrechtlichen Abschöpfungsanspruch finden sich etwa bei Gärtner, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 16 ff. (dort speziell zum US-amerikanischen Recht), Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 88 ff., Neuberger, Der wettbewerbsrechtliche Gewinnabschöpfungsanspruch im europäischen Rechtsvergleich, S. 140 ff. (dort zu europäischen Rechtsordnungen) sowie in den Kommentierungen von Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 13 ff. und von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 38 ff. 44 Das Kartelldeliktsrecht war bereits in der Vergangenheit Gegenstand rechtsvergleichender Untersuchungen. Im Jahre 1966 wurde im Auftrag der Kommission die Studie »Schadensersatzansprüche bei einer Verletzung der Artikel 85 und 86 des Vertrags zur Gründung der EWG« zu den Rechtsordnungen der damaligen Mitgliedstaaten vorgelegt; speziell mit dem US-amerikanischen Recht befassen sich im älteren Schrifttum etwa Linder, Privatklage und Schadensersatz im Kartellrecht, S. 69 ff. und Mailänder, Privatrechtliche Folgen unerlaubter Kartellpraxis, S. 17 ff. Aus neuerer Zeit sind insbesondere hervorzuheben Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 35 ff., 143 ff., 169 ff. (zum US-amerikanischen, englischen und französischen Recht); Endter, Schadensersatz nach Kartellverstoß, S. 233 ff. (zum englischen Recht); Hempel, Privater Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 173 ff. (zum US-amerikanischem Recht) sowie die umfangreiche Studie von Möllers/Heinemann, The Enforcement of Competition Law in Europe, S. 387 ff. Des Weiteren sind zu erwähnen die im Auftrag der Kommission erstellten und 2004 vorgelegten Ashurst-Studien sowie die Berichte von Buxbaum, Idot und Castronovo zur privaten Rechtsdurchsetzung in den Vereinigten Staaten, in Frankreich und in Italien, in: Basedow, Private Enforcement of EC Competition Law, S. 41 ff., 85 ff und 107 ff. 45 Sehr eingehend mit Blick auf das Lauterkeits- und Vertragsrecht etwa Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, S. 11 ff.; mit Blick auf den Verbraucherschutz Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 89 ff. 46 Siehe dazu nur Basedow, EuZW 2006, 97; Böge, WuW 2004, 726 ff.; Hildebrand, WuW 2005, 513 ff.; Rittner, in: Liber Amicorum Alexander Riesenkampff, S. 125, 133 ff.; I. Schmidt, in: Festschrift für Bechtold, S. 409 ff.; ders. WuW 2005, 877; Schmidtchen, German Working Papers in Law and Economics, 2005, Paper 6; ders., German Working Papers in Law and Economics, 2005, Paper 3. Zur Bedeutung des »more economic approach« in angrenzenden Bereichen des Lauterkeitsrechts Podszun, WRP 2009, 509 ff.
A. Untersuchungsgegenstand
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präzise benennen kann, in welchem Zusammenhang die Erkenntnisse anderer Fachdisziplinen für ihn nützlich werden. Bezogen auf den Ruf nach der Berücksichtigung volkswirtschaftlichen Erkenntnissen im Kartellrecht hat Hoppmann mit Recht darauf hingewiesen, dass es stets von der konkreten rechtlichen Sachproblematik abhänge, welche volkswirtschaftlichen Erkenntnisse relevant werden und welchen Beitrag diese Erkenntnisse zur Lösung von Sachproblemen leisten47. Erst nach Beantwortung dieser Vorfrage könne die Volkswirtschaftslehre möglicherweise hilfreiche Erkenntnisse und Begriffe liefern48. Diese Aussage trifft gleichermaßen auf alle anderen Fachdisziplinen zu. Erkenntnisse aus anderen Bereichen können und dürfen Rechtsentscheidungen nicht ersetzen49. Keinesfalls darf man der Versuchung erliegen, schwierige Rechtsfragen gleichsam in Nachbardisziplinen »auszulagern« und sich aufschlussreiche Antworten zu erhoffen, wenn es an präzisen Fragen fehlt. Beispielsweise kann nur der Jurist darüber entscheiden, ob und welcher Schaden im Falle einer Zuwiderhandlung ersetzt oder welcher Vorteil abgeschöpft wird. Wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse können bei der Berechnung der konkreten Höhe des Schadens oder des Vorteils helfen oder beispielsweise Ursachenzusammenhänge verdeutlichen. Inwieweit die unterschiedlichen Ansätze, Modelle und Konzepte hierbei zu sachgerechten Ergebnissen beitragen, bedarf eigenständiger Untersuchungen50, die über den hier gesteckten Rahmen hinausgreifen. Schließlich beschränkt sich die Untersuchung auf die Ausgestaltung der gesetzlich vorgesehenen Sanktionsinstrumente sowie auf spezielle verfahrensrechtliche Regelungen, insbesondere zur Bindungswirkung kartellbehördlicher Entscheidungen51. An vielen Stellen werden auch Bezüge zu den facettenreichen Problemen des kollektiven Rechtsschutzes hergestellt52. Eine umfassende Untersuchung der verfahrensrechtlichen Aspekte der (individuellen und kollektiven)
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Hoppmann, in: Wettbewerb als Aufgabe – Nach zehn Jahren Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, S. 61, 67. 48 Hoppmann, in: Wettbewerb als Aufgabe – Nach zehn Jahren Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, S. 61, 67. 49 Rittner/Kulka, Wettbewerbsrecht und Kartellrecht, § 5 Rn. 37. 50 Umfassend der Schadensberechnung gewidmet ist etwa die Untersuchung von Huber, Fragen der Schadensberechnung, 1993; zu den verschiedenen Aspekten der Schadensberechnung bei Kartellrechtsverstößen siehe etwa die Ashurst-Studie, Calculation of damages und Haucap/ Stühmeier, WuW 2008, 413 ff. 51 Zu den Einzelheiten siehe § 5. E., S. 424 ff. 52 Aus dem umfangreichen Schrifttum zu den Rechtsfragen des kollektiven Rechtsschutzes siehe nur Basedow/Hopt/Kötz/Baetge, Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß, 1999; Brönnecke, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht, 2001; Halfmeier Popularklagen im Privatrecht, 2006; Homburger/Kötz, Klagen Privater im öffentlichen Interesse, 1975; Micklitz/ Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, 2003; Säcker, Die Einordnung der Verbandsklage in das System des Privatrechts, 2006; Stadler, Bündelung von Interessen im Zivilprozess, 2004; Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht – Kommerzialisierung, Strafschadensersatz, Kollektivschaden – Gutachten A für den 66. Deutschen Juristentag, 2006, S. A 106 ff.
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§ 1. Einleitung
Rechtsdurchsetzung wurde indessen nicht angestrebt. Denn dabei wäre im Einzelnen ganz unterschiedlichen Fragen nachzugehen, die vielfach weit über den Untersuchungsgegenstand hinausgehen53.
B. Entwicklungslinien Nach rechtsgeschichtlichen Maßstäben sind Lauterkeitsrecht und Kartellrecht sehr junge Rechtsgebiete. Obgleich sich beide Materien vielfach überschneiden und komplexen Wechselwirkungen unterliegen, weisen beide Rechtsgebiete unterschiedliche rechtliche Wurzeln und eine durchaus wechselhafte Entstehungsgeschichte auf. Im Folgenden sollen wesentliche Fixpunkte und Leitlinien in der Entwicklung dargestellt werden. Eine umfassende rechtshistorische Darstellung beider Rechtsgebiete ist dagegen der einschlägigen Literatur vorbehalten54. Die Herausbildung der einzelnen Sanktionen wird im jeweiligen Sachzusammenhang gesondert dargestellt55.
I. Lauterkeitsrecht Ein Lauterkeitsrecht im modernen Sinne setzt Gewerbe- und Wettbewerbsfreiheit sowie Wirtschaftsstrukturen voraus, die auf Massenproduktion ausgerichtet sind56. Das Bedürfnis nach einem speziellen Lauterkeitsrecht folgte erst aus diesem wettbewerblichen Kontext57. Der historischen Entwicklung in Deutschland 53 Für das Kartell-Zivilprozessrecht siehe etwa K. Schmidt, ZWeR 2007, 394 ff. sowie eingehend Bumiller, in: Handbuch des Kartellrechts, §§ 59 ff.; zur Bedeutung des kollektiven Rechtsschutzes im Kartellrecht Stadler, in: Private Enforcement of EC Competition Law, S. 195 ff. Zu den gemeinschaftsrechtlichen Perspektiven im kollektiven Rechtsschutz Alexander, WRP 2009, 683 ff. 54 Zur rechtshistorischen Herausbildung und Entwicklung des Lauterkeitsrechts eingehend Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 1 ff.; Kohler, Der unlautere Wettbewerb, S. 1 ff. und 33 ff. sowie in knapper Form Schmoeckel, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, Rn. 191 ff.; zu einzelnen Aspekten Ahrens, WRP 1980, 129 ff. und Wadle, JuS 1996, 1064 ff. Zur rechtshistorischen Herausbildung und Entwicklung des Kartellrechts in Deutschland siehe nur Baums, Kartellrecht in Preußen, 1990; Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, S. 163 ff.; Großfeld, ZHR 141 (1977), 442 ff.; Nörr, Die Leiden des Privatrechts, 1994; Richter, Die Wirkungsgeschichte des deutschen Kartellrechts vor 1914, 2007; Schmoeckel, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, Rn. 370 ff.; Strauß, in: Festschrift für Franz Böhm, S. 603 ff.; Vogel, JZ 1958, 111 ff. sowie die einzelnen Beiträge bei Pohl, Kartelle und Kartellgesetzgebung in Praxis und Rechtsprechung vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 1985. Speziell zur Entstehung des GWB: von Götz, WRP 2007, 741 ff.; Günter, WuW 1951, 17 ff.; Mestmäcker, WuW 2008, 6 ff.; Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, 2004. Speziell zur Entwicklung des Kartellrechts in Österreich Resch, in: Kartelle in Österreich, S. 17 ff. und 45 ff. sowie Tüchler, in: Kartelle in Österreich, S. 121 ff. 55 Zur lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzhaftung: § 4. A. I., S. 176 ff.; zur kartellrechtlichen Schadensersatzhaftung: § 5. A. I., S. 294 ff.; zur lauterkeitsrechtlichen Abschöpfungshaftung: § 7. A. I., S. 501 ff.; zur kartellrechtlichen Abschöpfungshaftung: § 8. A. I., S. 579 ff. 56 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 1. 57 Wadle, JuS 1996, 1064, 1065.
B. Entwicklungslinien
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war eine vergleichsweise späte Herausbildung von freien Markt- und Wettbewerbsstrukturen in der Wirtschaft geschuldet. Über lange Zeit dominierten Zünfte die Organisation und Überwachung von Produktion und Handel58. Selbst nach Überwindung des Zunftwesens blieb der gedankliche Schatten eines in geordneten Bahnen verlaufenden Handel- und Gewerbetreibens – das Reichsgericht sprach vom »ehrlichen und friedlichen Wettbewerb«59 – als Leitmotiv erhalten. Auch heute ist die Vorstellung des ehrlichen und ehrbaren Kaufmanns als Leit- oder Wunschbild keineswegs verschwunden, sondern es erlebt im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise sogar eine Renaissance. Das freie Wirken des Wettbewerbs stieß nicht selten auf Unbehagen, ja auf Skepsis, was einerseits recht schnell ein sehr fein verästeltes Lauterkeitsrecht entstehen ließ, während andererseits die von wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen ausgehenden Gefahren lange Zeit nicht entschieden genug bekämpft wurden. 1. UWG 1896 Schon vor dem Inkrafttreten des ersten UWG gab es verschiedene Ansätze, unlauteren Geschäftspraktiken mit rechtlichen Mitteln zu begegnen60. Doch handelte es sich dabei nicht um wettbewerbsspezifische Regelungen61. Schädliche Geschäftspraktiken wurden zum Teil mit Hilfe von Spezialgesetzen, zum Teil mit Hilfe von allgemeinen privatrechtlichen Vorschriften bekämpft und verfolgt. Die bestehenden Regelungen erwiesen sich jedoch als unzureichend und lückenhaft. Das erste UWG aus dem Jahre 1896 brachte nach der Einschätzung Josef Kohlers »dem deutschen Verkehr die Segnungen einer strengen, die Ehrlichkeit garantirenden, jede Unehrlichkeit bannenden Jurisprudenz«62. Mit dem UWG 1896 etablierte der Gesetzgeber zugleich ein Sanktionssystem, das in seinen wesentlichen Strukturen bis heute Bestand hat. Die herausragende Bedeutung privatrechtlicher Ansprüche bei Bekämpfung unlauterer Praktiken war bereits klar erkannt. In erster Linie, so heißt es in der Begründung des Regierungsentwurfes zum ersten UWG, sei »dem unlauteren Wettbewerbe dadurch entgegenzuwirken, dass dem Geschädigten ein in den Formen des bürgerlichen Rechtsstreits geltend zu machender Anspruch auf Schadensersatz und auf Unterlassung künftiger Benachtheiligungen gewährt wird«63. Schadensersatzansprüche der Mitbe-
58 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 3 ff.; speziell zum »Wettbewerbsrecht« der Zünfte a.a.O. Rn. 13 ff. 59 RG vom 10.1.1902, RGZ 50, 107, 108 – Künstliches Mineralwasser. 60 Ahrens, WRP 1980, 129, 130 f.; Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 57 ff.: zersplittertes Sammelsurium unterschiedlicher Normen. 61 Wadle, JuS 1996, 1064 f. 62 Kohler, AcP 88 (1898), 251. 63 Begr. des Regierungsentwurfs vom 3.12.1895, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, IV. Session 1895/97, IX. Legislaturperiode, I. Anlagenband, Aktenstück Nr. 35, S. 101.
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werber gehörten von Beginn an zu den Sanktionsinstrumenten des Lauterkeitsrechts: »Daß derjenige, welcher dem Konkurrenten einen Schaden durch unlauteren Wettbewerb zugefügt hat, zum Schaden verpflichtet sei, ist selbstverständlich, sobald man erkannt hat, dass in dem unlautern Wettbewerb eine rechtsverletzende Handlung enthalten sei. Es bedürfte also eigentlich einer derartigen besonderen Bestimmung gar nicht erst, da die Verpflichtung zum Schadenersatz sich schon aus den allgemeinen geltenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts herleiten läßt«64.
Man war sich allerdings der Schwierigkeiten bewusst, die mit einer lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzhaftung verbunden waren. Es bedurfte keiner besonderen Fantasie, um zu erkennen, dass der Nachweis von Schädigungen durch unlautere Handlungen einen Betroffenen vor große praktische Schwierigkeiten stellen würde. Lobe hielt es deswegen für wünschenswert, dass eine gesetzliche Regelung geschaffen würde, wonach bei einem schuldhaft unlauteren Verhalten das Entstehen eines Schadens widerleglich vermutet wird65. Der Gesetzgeber schuf indessen eigenständige lauterkeitsrechtliche Anspruchsgrundlagen ohne eine solche Vermutungsregel. Was die Bewältigung der praktischen Schwierigkeiten beim Nachweis des Schadens betraf, vertraute der Gesetzgeber der Leistungsfähigkeit der Gerichte und sah deshalb davon ab, besondere Vorgaben zur Schadensermittlung in das Gesetz aufzunehmen: »Ueber die Frage, ob ein Schaden entstanden ist, und wie hoch sich derselbe beläuft, ist im Streitfalle vom Gericht nach Maßgabe des § 260 Civilprozeßordnung zu entscheiden. Daß das Gericht bei der ihm obliegenden freien Würdigung aller Umstände auch die Verhältnisse des Verkehrslebens in Betracht zu ziehen hat, ist selbstverständlich und braucht nicht besonders ausgesprochen zu werden. Auch erscheint es nicht angängig, das nach den Prozessordnungen den Gerichten zustehende freie Ermessen in der Zuziehung und Auswahl von Sachverständigen für den Bereich des Entwurfs durch bindende Vorschriften einzuschränken«66.
Eine zweite, heute mehr denn je unentbehrliche Säule der privatrechtlichen Sanktionen bildet die Möglichkeit der Verbandsklage67. Sie war zunächst auf gewerbliche Verbände beschränkt68 und ursprünglich allein für den Unterlassungsanspruch vorgesehen. Ihre Einführung bildete rechtspolitisch wie rechtsdogmatisch ein Novum, war aber offenbar – diesen Eindruck vermitteln jedenfalls die 64
Lobe, in: Verhandlungen des Dreiundzwanzigsten Deutschen Juristentages, S. 59, 73. Lobe, in: Verhandlungen des Dreiundzwanzigsten Deutschen Juristentages, S. 59, 74 mit Gesetzvorschlag auf S. 75. 66 Begr. zum Dritten Regierungsentwurf, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, IV. Session 1895/97, IX. Legislaturperiode, I. Anlagenband, Aktenstück Nr. 35, S. 98, 104. 67 »Die Verbandsklage trägt die Aura des Progressiven, Modernen, und es gerät deshalb leicht in Vergessenheit, daß sie gemeinsam mit dem UWG bereits ihren 100. Geburtstag hinter sich hat«, Greger, ZZP 113 (2000), 399, 401. 68 § 1 UWG 1896. 65
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amtlichen Materialien – kein wesentlicher Problempunkt des Gesetzgebungsverfahrens69. Der Einräumung der Verbandsklagebefugnis lag die eher pragmatische Erwägung zugrunde, die Unterdrückung unlauterer Reklame dürfe nicht völlig vom Entschlusse des einzelnen Mitbewerbers abhängig gemacht werden70. Dass der Gesetzgeber die Verfolgung von unlauteren Handlungen in die Hände der Marktteilnehmer und der Verbände legte, nicht aber behördlicher Kontrolle unterwarf71, erscheint aus heutiger Sicht als fortschrittliche und zukunftsweisende Tat. Seinerzeit dürfte die Einführung der Verbandsklage indessen eher als eine rückwärtsgewandte Reminiszenz an die noch stark präsente Tradition der Zünfte zu bewerten sein, in deren Händen jahrhundertelang die Überwachung jeder gewerblichen Betätigung lag72. Die Kontrolle von Handel und Gewerbe durch Zünfte fand gewissermaßen ihre moderne Fortsetzung in der Kontrolle des Geschäftslebens durch Wirtschaftsverbände73. Die Aufnahme von strafrechtlichen Vorschriften und Sanktionen in das UWG 1896 war umstritten und wurde damit gerechtfertigt, dass unlauterer Wettbewerb »vom sittlichen Standpunkte kaum milder zu beurtheilen ist als Betrug, strafbarer Eigennutz oder Untreue. Das öffentliche Interesse erfordert, wie für diese Vergehen, so auch für schwere Ausschreitungen im geschäftlichen Wettbewerbe eine strafrechtliche Sühne.«74 Hinzu kam, dass gerade in der Frühzeit des Lauterkeitsrechts nicht sicher war, ob privatrechtliche oder strafrechtliche Sanktionen eine effektive Bekämpfung sicherstellen. Das Lauterkeitsrecht musste sich in der Praxis erst bewähren. Gesetzgeber und Rechtspraxis erkannten die Chancen und die Flexibilität des privatrechtlich ausgerichteten Sanktionssystems erst allmählich75.
69 Bereits der Gesetzentwurf des Reichsamts des Innern und der Justiz aus dem Jahr 1894 sah in § 1 UWG eine Befugnis zur Verbandsklage vor; die späteren Entwürfe unterscheiden sich lediglich in den Formulierungen, siehe dazu die Synopse der Entwürfe bei Lobe, Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. III, S. 434 ff. 70 Begr. des Regierungsentwurfs vom 3.12.1895, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, IV. Session 1895/97, IX. Legislaturperiode, I. Anlagenband, Aktenstück Nr. 35, S. 104. 71 Die Möglichkeit einer behördlichen Kontrolle wurde im Gesetzgebungsverfahren im Zusammenhang mit dem Schutz des Privatmanns, nach heutigem Verständnis des Verbrauchers, vereinzelt ins Spiel gebracht, fand aber keinen Widerhall, Ahrens, WRP 1980, 129, 132. Der Gedanke einer behördlichen Kontrolle ist freilich später immer wieder aufgegriffen worden (z.B. durch von Hippel, ZRP 1973, 177 ff.) und erlebt in jüngster Zeit durch die VO 2006/2004 und das VSchDG wieder eine Renaissance. 72 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 72. 73 Hadding, JZ 1970, 305, 310; aufschlussreich dazu auch RG vom 25.6.1890, RGZ 28, 238, 250 f. – Börsenverein. 74 Begr. des Regierungsentwurfs, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, IV. Session 1895/97, IX. Legislaturperiode, I. Anlagenband, Aktenstück Nr. 35, S. 101. 75 Ahrens, WRP 1980, 129, 130.
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2. UWG 1909 Das UWG 1896 erwies sich aufgrund seines auf enumerativen Fallgruppen beruhenden Regelungsansatzes schnell als lückenhaft. Die Erwartungen, die mit dem UWG 1896 verbunden waren, erfüllten sich nicht in jeder Hinsicht. Zwar hatte das UWG dazu beigetragen, »den Grundsätzen von Treu und Glauben im Geschäftsleben mehr und mehr Geltung zu verschaffen«, doch blieb der Schutz vor unlauteren Praktiken aus verschiedenen Gründen lückenhaft und unzureichend: »Man hat diese Entwicklung damit erklären wollen, daß die durch den unlauteren Wettbewerb betroffenen Kreise es vielfach an der erforderlichen Rührigkeit der Abwehr haben fehlen lassen und von den durch das Gesetz gewährten Rechtsbehelfen nicht überall den richtigen Gebrauch gemacht haben. Ein solcher Einwand erscheint nicht ganz unbegründet. Die mangelnde Initiative der Beteiligten kann aber nicht allein für die Sachlage verantwortlich gemacht werden. Vielmehr hat ersichtlich das Gesetz selbst in einzelnen seiner Bestimmungen der Auslegung und Anwendung Schwierigkeiten bereitet. Mehrfach sind, namentlich in der ersten Zeit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes, namentlich gerichtliche Entscheidungen fehlgegangen, andere Entscheidungen sind von den beteiligten Kreisen mißverstanden oder zu Unrecht verallgemeinert worden. Hierdurch ist in einzelnen Fragen eine gewisse Rechtsunsicherheit erzeugt worden, aus welcher wiederum der unlautere Wettbewerb seine Zwecke Nutzen gezogen hat«76.
Bereits 1909 wurde das UWG 1896 durch ein neues Gesetz abgelöst, das dann im Kern bis 2004 galt. Die entscheidende Neuerung des UWG 1909 bestand materiellrechtlich in der Einführung einer Generalklausel in § 1 UWG a.F. Erst sie ermöglichte die unentbehrliche Flexibilität des Rechts in einem sich stetig wandelnden Wettbewerbsgeschehen. Es setzte sich damit die Erkenntnis durch, dass der Vielgestaltigkeit des Wettbewerbs und dem damit verbundenen Facettenreichtum unlauterer Handlungen auf Dauer nur mit einer Generalklausel wirksam zu begegnen war. Das UWG 1909 brachte hingegen keine strukturellen Veränderungen des Sanktionssystems. Neu aufgenommen wurde eine Zurechnungsnorm, wonach der Inhaber eines Betriebes für das unlautere Verhalten seiner Angestellten und Beauftragten auf Unterlassung in Anspruch genommen werden konnte77. Festgehalten wurde an der Zweispurigkeit von privatrechtlichen und strafrechtlichen Sanktionen, wenngleich Überlegungen aufkamen, vor allem den strafrechtlichen Schutz auszuweiten. Dies beruhte auf der Kritik, die Möglichkeiten privaten Rechtsschutzes würden in der Praxis nur unzureichend genutzt78. Doch auch die strafrechtlichen Sanktionen blieben nicht frei von Beanstandungen. Aus Kreisen der Kleingewerbe waren »mit besonderer Lebhaftigkeit« Beschwerden laut geworden, dass sich die »die strafrechtliche Geltendmachung der 76 Erläuterungen zum vorläufigen Entwurf eines Gesetzes betreffend die Abänderung des Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27. Mai 1896, MuW 1908, 49, 54. 77 Dazu eingehend unten, § 9. C. II. 1., S. 658 ff. 78 Ahrens, WRP 1980, 129, 132.
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durch das Gesetz gewährten Rechtsbehelfe in der Praxis meist äußerst beschwerlich und langwierig gestaltet habe«. Außerdem wurde bemängelt, dass »die Staatsanwaltschaften es vielfach an einer energischen Handhabung der Vorschriften haben fehlen lassen«79. a) Lauterkeitsrecht und überindividuelle Interessen im Wettbewerb Dass unlautere Handlungen nicht nur Individualinteressen beeinträchtigen, sondern »einen gemeingefährlichen Charakter«80 haben, ist eine alte Erkenntnis. »Wie der Handel in seinem individualistischen Betrieb zugleich eine soziale Seite hat, so hat der unlautere Wettbewerb«, schreibt Kohler, »zugleich eine antisoziale Natur«81. Aufwertung und Anerkennung überindividueller Interessen als selbstständige Aspekte lauterkeitsrechtlichen Schutzes vollzogen sich über die Verbandsklage. Das Reichsgericht stellte die selbstständige Bedeutung des öffentlichen Interesses an der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs in der Markenverband-Entscheidung besonders heraus. Das Gericht ließ die Unterlassungsklage eines Verbandes zu, obgleich zuvor bereits ein verletzter Mitbewerber Klage auf Unterlassung erhoben hatte. Damit kam zum Ausdruck, dass der Schutz vor unlauterem Wettbewerb nicht nur auf die Bewahrung individueller Rechtspositionen einzelner Marktakteure zielt, sondern darüber hinaus auch in öffentlichem Interesse liegt82. Dogmatisch war damit ein wichtiger Meilenstein gesetzt, denn das Lauterkeitsrecht konnte nicht mehr nur als ein spezielles Konkurrentendeliktsrecht verstanden werden. Daraus ergaben sich wichtige Folgerungen. Erstens wurde damit klar ausgesprochen, dass die Verbandsklage nicht einen bloßen »Notbehelf« für den Fall fehlender Initiative von Mitbewerbern bei der Bekämpfung unlauterer Verhaltensweisen bildet. Diese eigenständige Bedeutung beschränkte sich zweitens nicht allein die Sanktionsebene. Vielmehr korrespondierte die kollektivrechtliche Sanktion mit einem materiellrechtlichen Schutz überindividueller Interessen. Daraus folgte drittens ein entscheidendes und »wesensprägendes« Charakteristikum des Lauterkeitsrechts, die Mehrdimensionalität geschützter Interessen. Allerdings wurzelt in der damit anerkannten Mehrdimensionalität des lauterkeitsrechtlichen Schutzes eine elementare Problematik. Die verschiedenen Interessen verlaufen keineswegs parallel, sondern das Lauterkeitsrecht steht vor der schwierigen Aufgabe, diese unterschiedlichen Interessen jeweils gewichten und miteinander in Ausgleich bringen zu müssen.
79 Vorläufiger Entwurf eines Gesetzes betreffend die Abänderung des Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27. Mai 1896, MuW 1908, 49, 63. 80 Kohler, Der unlautere Wettbewerb, S. 25. 81 Kohler, Der unlautere Wettbewerb, S. 25. 82 RG vom 14.1.1928, RGZ 120, 47, 49 – Markenverband; ähnlich RG vom 29.4.1930, RGZ 128, 330, 343 – Rundfunknachricht.
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b) Wirtschaftskrise und Nationalsozialismus Staatskrisen führen häufig zu einer Ausweitung von Verboten, zu einer Verschärfung von Sanktionen, zu Einschränkungen des Wettbewerbs oder gar zu dessen vollständiger Ausschaltung. Die prekäre wirtschaftliche und politische Situation zum Ende der Weimarer Republik fand unter anderem in einer gemäß Art. 48 der Weimarer Reichsverfassung erlassenen Notverordnung Ausdruck83, die ein Verbot des Zugabewesens, eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Strafvorschriften beinhaltete und im Übrigen noch einmal die privatrechtlichen Ansprüche des UWG wiederholte. Treffend und geradezu prophetisch kritisierte Baumbach im Vorwort seines Kommentars zur Verordnung zum Schutze der Wirtschaft mit Blick auf diese Neuregelung, es sei verfehlt, »jeden angeblichen oder wirklichen Übelstand durch eine starre Gesetzgebung zu bekämpfen, statt auf die Schmiegsamkeit einer gerade auf diesem Gebiet stets fortschreitenden Rechtslehre und Rechtspraxis zu vertrauen«84. Nur kurze Zeit später wurde in Ergänzung der ZugabeVO das RabattG erlassen. Weil den Unternehmen die Zugabe als Reklamemittel nahezu vollständig entzogen wurde, griffen sie offenbar verstärkt zum Rabatt. Es galt – so heißt es in der amtlichen Begründung85 – Missstände und Ausartungen zu beseitigen, die hauptsächlich darin gesehen wurden, dass Nachlässe in einer Höhe gewährt wurden, die mit einer normalen kaufmännischen Betriebsrechnung nicht mehr in Einklang stehen. Das RabattG enthielt zivilrechtliche Sanktionen86 und Ordnungswidrigkeitentatbestände87. Brachten ZugabeVO und RabattG keine grundlegenden Änderungen, sondern lediglich partielle Verschärfungen, vollzog das Gesetz über Wirtschaftswesen vom 12. September 193388 einen deutlichen Richtungswechsel hin zu einer staatlich gelenkten und kontrollierten Wirtschaft. Das Gesetz unterstellte öffentliche und private Werbung, Anzeigen, Ausstellungen, Messen und Reklame der Aufsicht des Reichs. Die Kontrolle wurde durch den Werberat der deutschen Wirt83 Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze der Wirtschaft vom 9.3.1932, RGBl. I 1932 (Nr. 15), S. 121 ff. Offenbar fehlte dem parlamentarischen Gesetzgeber die Kraft zum Erlass eines formellen Gesetzes, wie die verschiedenen Anläufe zur Schaffung eines speziellen Gesetzes zum Zugabewesen bzw. zu einer Änderung des UWG belegen: Siehe dazu den Entwurf der Reichsregierung für ein Gesetz über die Gewährung von Zugabe zu Waren oder Leistungen, GRUR 1932, S. 58 ff.; Antrag der Abgeordneten Drewitz, Lauterbach, Borrmann und anderen vom 15.12.1930, Bd. 449, Nr. 590 betreffend die Schaffung eines besonderen Gesetzes über die Gewährung von Zugaben. Vgl. ferner die Anträge zur Abänderung des UWG: Antrag der Abgeordneten Döbrich, Dr. Wendhausen und anderen vom 6.12.1930, Verhandlungen des Reichstages, V. Wahlperiode 1930, Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Bd. 449, Nr. 457; Antrag der Abgeordneten Dr. Dessauer, Dr. Perlitius und anderen vom 26.2.1931, Bd. 450, Nr. 846; Antrag der Abgeordneten Wollath und anderen vom 16.10.1931, Bd. 451, Nr. 1216. 84 Baumbach, Vorwort im Kommentar zur Verordnung zum Schutze der Wirtschaft vom 9.3.1932. 85 Amtliche Begr. zum Gesetz über Preisnachlässe, Deutscher Reichs- und Preußischer Staatsanzeiger Nr. 284 vom 5.12.1933, S. 4 f. 86 § 12 RabattG. 87 § 11 RabattG. 88 RGBl. I, S. 625.
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schaft – dessen Besetzung und Beaufsichtigung dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda oblagen – ausgeübt. Jegliche Wirtschaftswerbung bedurfte nunmehr einer vorherigen Genehmigung89. Zur Ausführung und Gestaltung von Werbung erstellte der Werberat überdies detaillierte Richtlinien, die von der Praxis offenbar weithin als verbindlich akzeptiert wurden90. c) Kontinuität und Wandel in der Nachkriegszeit Nach Überwindung der nationalsozialistischen Herrschaft begann im Lauterkeitsrecht eine Rückanknüpfung an den Zustand vor 193391. Zugleich verfeinerte sich das Netz lauterkeitsrechtlicher Verbote. Im Bereich der Sanktionen gab es bis zur UWG-Reform 2004 nur wenige bedeutsame Einschnitte. Hervorzuheben ist als wichtigster Schritt des Gesetzgebers die Ausweitung der Verbandsklagebefugnis auf Verbraucherverbände im Jahre 196592. Damit sollte zum Ausdruck kommen, dass durch unlauteres Verhalten nicht nur die Interessen der Mitbewerber, sondern auch der Verbraucher berührt werden und die Lauterkeit im Wettbewerb nicht nur unter individual-, sondern auch unter kollektivrechtlichem Aspekt zu schützen sei93. Zu einer Ausweitung der individuellen Klagemöglichkeiten zugunsten der Marktgegenseite, insbesondere der Verbraucher, kam es dagegen nicht. Der BGH verneinte in der Prüfzeichen-Entscheidung einen Individualanspruch bei Wettbewerbsverstößen aufgrund des UWG94. Obgleich die Entscheidung nicht private Endverbraucher, sondern gewerbliche Abnehmer betraf, ist der darin aufgestellte Rechtssatz bis heute in Rechtspraxis und Rechtslehre herrschend, wenn auch nicht unumstritten geblieben. Nach intensiven Diskussionen über das Für und Wider von Individualansprüchen und mehreren Anläufen schuf der Gesetzgeber im Jahre 198695 ein Rücktrittsrecht für Abnehmer bei unwahrer Werbung und öffnete damit die Tür einen Spaltbreit für einen lauterkeitsrechtlichen Individualschutz der Marktgegenseite. In seiner Wirkung kam das Rücktrittsrecht für Abnehmer indessen nicht mehr als einem rechtspolitischen »Trostpflaster« gleich. Es konnte sich in der Praxis nicht durchsetzen96 und wurde anlässlich der
89 Zu den ideologischen Auswirkungen des NS-Zeit auf das Lauterkeitsrecht Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 96 ff. 90 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 93 f. 91 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 112, konstatiert eine Abkehr von den innovativen Ansätzen des Reichsgerichtes zugunsten der konservativen Dogmatik, weil diese während der NSZeit unverdächtig geblieben sei. 92 BGBl. I, S. 625. 93 Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, Bd. I (10. Aufl. 1971), § 13 Rn. 18. 94 BGH vom 14.5.1974, GRUR 1975, 150 – Prüfzeichen. 95 Gesetz zur Änderung wirtschafts- und verbraucher-, arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften vom 25.7.1986, BGBl. I, S. 1196; in Kraft getreten am 1.1.1987. 96 Die Gründe sind vielfältig, dazu im Einzelnen Alexander, Vertrag und unlauterer Wettbewerb, S. 65 ff.
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UWG-Reform 2004 ersatzlos gestrichen97. Zugleich stellte der Gesetzgeber in den amtlichen Materialien zum UWG 2004 klar, dass die Vorschriften des UWG mit Ausnahme der §§ 16 ff. UWG keine Schutzvorschriften im Sinne des § 823 Abs. 2 S. 1 BGB sind98. Damit sollte ein dogmatisch denkbarer (Um-)Weg versperrt werden, die im UWG nicht vorgesehenen Individualansprüche der Marktgegenseite über das BGB zu konstruieren. In der Praxis setzte sich der Siegeszug der privatrechtlichen Sanktionen fort, während die Strafvorschriften mehr und mehr in den Hintergrund traten. Die privatrechtlichen Ansprüche blieben als solche im Wesentlichen unverändert. Zu deren Geltendmachung entwickelte die Rechtspraxis im Laufe der Zeit ein detailliertes und flexibles Durchsetzungssystem. Eine wichtige und für die effektive Verfolgung von lauterkeitsrechtlichen Verstößen auf privatrechtlichem Wege entscheidende Weichenstellung nahm der BGH in der Fotowettbewerb-Entscheidung vor99: Darin billigte das Gericht einem Verein zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs einen Kostenerstattungsanspruch für die notwendigen Aufwendungen einer vorprozessualen Abmahnung zu100. Das Gericht verwirft in der Entscheidung den Ansatz, die Kostenerstattung auf einen Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB zu stützen101, und zieht stattdessen § 683 BGB heran. Die vorprozessuale Abmahnung liege jedenfalls auch im Interesse des Verletzers, weil dieser die Gelegenheit erhalte, einen kostspieligen Rechtsstreit zu vermeiden102. Diese (rechtlich zweifelhafte) Konstruktion verdeckte den rechtspolitisch richtigen Kerngedanken des Erstattungsanspruchs, wonach das Recht, wenn es die Sanktionierung überwiegend oder ausschließlich in die Hände von Privatsubjekten legt, Anreize zur Rechtsdurchsetzung setzen kann. Dies gilt speziell in Konstellationen, in denen die Rechtsverfolgung nicht darauf beruht, dass eigene Rechtspositionen unmittelbar beeinträchtigt werden, wie dies bei Verbänden der Fall ist, die regelmäßig durch unlautere Handlungen keinen Nachteil erleiden.
Gerade diese Rechtsprechung ist immer wieder verdächtigt worden, das viel beklagte »Abmahnunwesen« begünstigt, wenn nicht sogar hervorgerufen zu haben103. Kennzeichnend für diese bis heute in Variationen wiederkehrende Problematik ist die Bildung von »Abmahnvereinen«, deren Existenzzweck im Grunde allein darin besteht, unlautere Handlungen aufzuspüren und abzumahnen. Dar-
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Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 14. Diese Stellungnahme hat im Schrifttum Kritik heraufbeschworen; so spricht etwa Fezer, in: Fezer, UWG, Einl. E Rn. 102 Fn. 95 von einem »Beitrag der Ministerialbürokratie«, der nicht »für bare Münze« genommen werden sollte. 99 BGH vom 15.10.1969, BGHZ 52, 393 ff. – Fotowettbewerb. 100 BGH vom 15.10.1969, BGHZ 52, 393, 399 – Fotowettbewerb. 101 BGH vom 15.10.1969, BGHZ 52, 393, 397 f. – Fotowettbewerb. 102 BGH vom 15.10.1969, BGHZ 52, 393, 399 – Fotowettbewerb. 103 So etwa Pastor, GRUR 1982, 330, 335: Die Ursache für den um sich greifenden Missbrauch von Verwarnungen sei »von der Rechtsprechung durch die Zubilligung des Erstattungsanspruchs aus dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag gesetzt worden«; ähnlich Schricker, GRUR Int. 1996, 473, 478. 98
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aus entwickelte sich in bestimmten Wirtschaftsbereichen und namentlich für kleine und mittlere Unternehmen eine bedeutende Belästigung und Belastung104. Diese Entwicklung ist vielfach beklagt worden und hat zu verfehlten gesetzgeberischen Reaktionen geführt105. Die Ursachen der nicht zu bestreitenden Missstände lagen indessen tiefer und hatten vor allem mit dem oft gelobten hohen Schutzstandard des deutschen Lauterkeitsrechts zu tun106. Die »erdrückende Fülle der wettbewerbsrechtlichen Verbotstatbestände«107, gepaart mit einer gewissen Verbotsfreude der Gerichte brachten es mit sich, dass Verstöße gegen das UWG leicht zu finden waren, während das Risiko erfolgloser Abmahnungen gering blieb. Noch dazu scheuten viele Abgemahnte den risikoreichen Gang zum Gericht und zahlten stattdessen lieber die Abmahnkosten, selbst wenn sich eine Abmahnung im Nachhinein vielleicht als unberechtigt herausgestellt hätte. Vor Belastungen suchte der Gesetzgeber die Unternehmen mit Einschränkungen der Klagebefugnis der Verbände zu schützen,108 was zu der eigentümlichen Konsequenz führte, dass die Sanktionierung von lauterkeitsrechtlichen Verstößen geschwächt wurde und damit lediglich das Symptom behandelt, nicht aber die eigentliche Ursache bekämpft wurde. Obgleich sich die privatrechtlichen Ansprüche bewährten und ihre Funktionsfähigkeit und Wirksamkeit eindrucksvoll unter Beweis stellten, gab es weitere Unzulänglichkeiten. Hierzu gehörte vor allem die Unübersichtlichkeit der Sanktionsvorschriften innerhalb des Gesetzes. Geradezu chaotisch mutete die Regelung des Schadensersatzes an. § 1 UWG a.F. enthielt für Verstöße gegen die Generalklausel einen eigenständigen Schadensersatzanspruch, der nach allgemeiner Ansicht verschuldensabhängig war, obgleich dies im Gesetz nicht zum Ausdruck kam. § 13 Abs. 6 UWG a.F. erstreckte den Schadensersatzanspruch auf weitere Rechtsverstöße; das Gesetz sah insoweit ausdrücklich das Verschulden als Anspruchsvoraussetzung vor. § 14 UWG a.F. enthielt hingegen für den Fall der Anschwärzung einen eigenständigen und verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch. § 19 UWG a.F. statuierte für Verstöße gegen bestimmte Strafvorschriften einen separaten Schadensersatzanspruch, der an die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Straftatbestandes anknüpfte. Nur wenig übersichtlicher geriet die Ausgestaltung des lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruches, der ebenfalls an verschiedenen Stellen im Gesetz Erwähnung fand109. Nicht im Gesetz enthalten war der – allerdings allgemein anerkannte110 – Beseitigungsanspruch.
104
Zu weiteren Erscheinungsformen Pastor, GRUR 1982, 330, 333 ff.; siehe dort auch zu der Unterscheidung von »Gebührenvereinen« und »Verwarnungsvereinen«. 105 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 118. 106 Dies übersieht Pastor, GRUR 1982, 330, 334 f. in seiner Ursachenanalyse. 107 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 119. 108 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 12/7345, S. 10 f. 109 Siehe §§ 1, 3, 7, 8, 13 Abs. 1, 2 UWG a.F. 110 Vgl. nur BGH vom 26.11.1997, GRUR 1998, 415, 416 – Wirtschaftsregister.
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3. Liberalisierung und Europäisierung Schricker beschrieb das Lauterkeitsrecht als »ein in wenigen Gesetzesvorschriften wurzelnder, zu imposanter Höhe emporgewachsener, reich verzweigter und in feinste Verästelungen ausblühender Baum, aus dem ständig weitere Triebe hervorwachsen«111. Er mahnte, bei »dem Bemühen, zwischen Bindung und Freiheit die rechte Mitte zu finden, ist das Schiff der Wettbewerbspraxis den hemmenden Untiefen einer Überregulierung gefährlich nahe gekommen; das Steuer sollte herumgeworfen und Kurs auf freieres Fahrwasser genommen werden«112. Ein spürbarer Kurswechsel setzte in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre durch Wandlungen in der Rechtsprechung ein113. Impulsgeber war das Gemeinschaftsrecht. Gesetzgeberische Akte der Liberalisierung bestanden in der Streichung von lauterkeitsrechtlichen Sondertatbeständen innerhalb des UWG und in der ersatzlosen Abschaffung von RabattG und ZugabeVO. a) UWG-Reform 2004 Nur einen vorläufigen Schlusspunkt bildete die UWG-Reform im Jahre 2004. Das UWG wurde dabei gleichsam runderneuert. Die Generalklausel blieb erhalten, wurde aber redaktionell »modernisiert«. Konkretisierende Beispielstatbestände griffen die bisherige Rechtsentwicklung auf und gossen diese in Gesetzesform. Auf Sanktionsebene wurden die bislang zerklüfteten Sanktionsvorschriften im zweiten Kapitel des Gesetzes vereinheitlicht, sprachlich überarbeitet und inhaltlich konkreter ausgestaltet114. Die bislang über das Gesetz verstreuten Schadensersatzregelungen wurden in § 9 S. 1 UWG gebündelt. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch bei Anschwärzungen verschwand. Das Presseprivileg aus § 13 Abs. 6 Nr. 1 UWG a.F. wurde sachlich erweitert. Es gilt gemäß § 9 S. 2 UWG für sämtliche unlauteren Handlungen, nicht mehr allein für irreführende Werbung. Zudem hielten bislang ungeschriebene, aber anerkannte Tatbestandsmerkmale ebenso Einzug in das Gesetz115 wie richterrechtlich entwickelte Rechtsinstitute116. Als wohl spektakulärste Neuerung darf der Gewinnabschöpfungsanspruch in § 10 UWG gelten. Im Übrigen wurde an dem bewährten Sanktionssystem festgehalten. Einige Änderungen der zivilverfahrensrechtlichen Regelungen passten das Gesetz an die Rechtspraxis an. Gestrichen wurde etwa die Regelung der Streitwertbegünstigung in § 23b UWG a.F., die wegen des Vorrangs von § 12 Abs. 4 UWG117 keinen nennenswerten Anwendungsbereich hatte und im Grunde 111
Schricker, GRUR Int. 1975, 33, 36. Schricker, GRUR Int. 1996, 473, 479. 113 Beater, JZ 2000, 973 ff. 114 In diesem Sinne bereits die Forderung von Schricker, GRUR Int. 1996, 473, 479. 115 Zu nennen sind die Wiederholungsgefahr für den Unterlassungsanspruch und die Erstbegehungsgefahr beim vorbeugenden Unterlassungsanspruch in § 8 Abs. 1 UWG. 116 Zu nennen ist etwa die Abmahnung als gesollte vorgerichtliche Maßnahme (§ 12 Abs. 1 S. 1 UWG) und der Erstattungsanspruch gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 UWG. 117 23a UWG a.F. 112
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überflüssig war118. § 13 UWG begründet nunmehr eine ausschließliche sachliche Zuständigkeit der Landgerichte. Die Auswirkungen dieser Neuerung sind allerdings marginal. Denn es entsprach bereits unter Geltung des alten Rechts gängiger Praxis, die ganz überwiegende Zahl von Wettbewerbsstreitigkeiten in erster Instanz vor den Landgerichten zu führen. b) UWG-Novelle 2008 Nur wenige Jahre nach der UWG-Reform 2004 veränderte das UWG erneut merklich seine Gestalt. Die materiellrechtlichen Einschnitte gehen dabei vermutlich viel tiefer als die Änderungen im Zuge der UWG-Reform 2004 und sind im Einzelnen noch kaum abzuschätzen. Den gemeinschaftsrechtlichen Anlass zur Novellierung des UWG gab die RL 2005/29/EG. Diese Richtlinie hätte bereits bis zum 12. Juni 2007 umgesetzt werden müssen119 und spätestens ab 12. Dezember 2007 hätten die zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen Rechtsvorschriften angewendet werden müssen120. Der deutsche Gesetzgeber tat sich jedoch mit der Umsetzung schwer. Möglicherweise war es ein Fehler, die UWG-Reform 2004 zu verabschieden, obgleich sich auf europäischer Ebene bereits die Richtlinie abzeichnete. Denn es war zu diesem Zeitpunkt schon absehbar, dass nach Inkrafttreten des UWG 2004 umfangreiche neue Arbeiten am Gesetz notwendig sein würden. Erst im Mai 2008 – nachdem die meisten Mitgliedstaaten die Richtlinie längst in nationales Recht umgesetzt hatten – wurde ein Regierungsentwurf vorlegt121. Dieser wurde, mit nur wenigen redaktionellen Änderungen durch den Rechtsausschuss122, am 27. November 2007 vom Bundestag in dritter Lesung beschlossen und ist am 30. Dezember 2008 in Kraft getreten. Im Vergleich zur konzeptionell gelungenen UWG-Reform 2004 ist die Umsetzung der RL 2005/29/EG kein Meisterstück. Der Gesetzgeber schwankte zwischen einer schlanken (das noch junge Gesetz möglichst wenig verändernden) und zugleich richtlinientreuen Umsetzung. Dieser Versuch der Quadratur des Kreises führte zu einer Anhäufung von Regelungen, deren Verhältnis zueinander unklar ist123 und zu Regelungen, die ohne Zuhilfenahme der Richtlinie schlicht unverständlich sind124. Das Sanktionsregime ist unverändert geblieben. Lediglich in redaktioneller Hinsicht wurde in den §§ 8 bis 10 UWG die Klarstellung aufgenommen, dass die Sanktionen bei einer Zuwiderhandlung gegen § 3 oder § 7 118 Zur Abgrenzung beider Vorschriften nach altem Recht Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, UWG (22. Aufl. 2001), § 23a Rn. 14. 119 Art. 19 Abs. 1 RL 2005/29/EG. 120 Art. 19 Abs. 2 RL 2005/29/EG. 121 BT-Drucks. 16/10145; dazu Hoeren, BB 2008, 1182 ff.; Kulka, DB 2008, 1548 ff.; Sosnitza, WRP 2008, 1014 ff. 122 BT-Drucks. 16/11070. 123 Z.B. die zahlreichen Vorschriften zum Schutz vor Verwechslungsgefahren und Täuschungen über die betriebliche Herkunft. 124 § 5a Abs. 2 UWG muss beispielsweise immer im Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 1 bis 3 RL 2005/29/EG gelesen werden, weil sich der Sinn dieser Vorschrift (gerade im Verhältnis zu Absatz 1) ansonsten nicht erschließt.
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UWG ausgelöst werden können. Das war erforderlich, weil der Gesetzgeber die unzumutbare Belästigung in § 7 UWG systematisch von der Generalklausel des § 3 UWG abgekoppelt hat125. c) Weitere Rechtsentwicklung Nach Umsetzung der RL 2005/29/EG kommt das UWG nicht zur Ruhe. Die letzte Änderung beruht auf dem Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung und zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei besonderen Vertriebsformen vom 29. Juli 2009126. Anliegen dieses Gesetzes ist es, dem um sich greifenden Telefonterror zu Werbe- und (angeblichen) Marktforschungszwecken entgegenzuwirken. Zu diesem Zweck wird unter anderem127 § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG verschärft128. Außerdem wird der lauterkeitsrechtliche Sanktionskatalog um einen Bußgeldtatbestand ergänzt. Gemäß § 20 Abs. 1 UWG kann nunmehr bei Zuwiderhandlungen gegen § 7 Abs. 1 in Verbindung Abs. 2 Nr. 2 UWG ein Bußgeld von bis zu fünfzigtausend Euro verhängt werden129. Zugleich werden damit indirekt die Möglichkeiten zur Gewinnabschöpfung verbessert, weil bei Bemessung der Geldbuße § 17 Abs. 4 OWiG zu beachten ist, der eine Abschöpfung von wirtschaftlichen Vorteilen erlaubt. Außerdem ist die Anordnung von Verfall gemäß § 29a OWiG möglich130. Zuständige Behörde ist die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen131. Das Lauterkeitsrecht wird damit für behördliche Sanktionen geöffnet132. Es ist für den Gesetzgeber künftig ein Leichtes, in § 20 Abs. 1 UWG weitere Bußgeldtatbestände »aufzusatteln«. Auf längere Sicht wird die Frage einer behördlichen Kontrolle im Lauterkeitsrecht ohnehin auf der Agenda stehen. Denn das Gemeinschaftsrecht scheint zum Schutz der Verbraucher vor unlauteren Handlungen behördlichen Sanktionen zuzuneigen133. 125
Mit Recht kritisch dazu Sosnitza, WRP 2008, 1014, 1019. BGBl. I, S. 2413; in Kraft getreten am 4.8.2009. 127 Das Gesetz verschärft außerdem bestimme fernabsatzrechtliche und telekommunikationsrechtliche Bestimmungen. 128 Statt wie bisher einer »Einwilligung« der Verbraucher bedarf es nach neuem Recht einer »vorherigen ausdrücklichen Einwilligung«. 129 § 20 Abs. 1 und Abs. 2 UWG. 130 Dazu näher unten, § 6. B. II. 1. und 2. c), S. 444 ff. und S. 451 ff. 131 § 20 Abs. 3 UWG. 132 Bemerkenswert aktuell die Stellungnahme des Abgeordneten Vielhaben in der achten Sitzung am 14.12.1895 in Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, IV. Session 1895/97, IX. Legislaturperiode, I. Band, S. 133: »Das Publikum wird hauptsächlich und direkt geschädigt; deshalb müßte die Verfolgung dieser Uebelstände nicht bloß den Erwerbsgenossen überlassen bleiben, sondern jeder aus dem Volk müßte dazu berechtigt sein. Da das aber erhebliche Bedenken hätte, so wäre es Sache des Staats oder richtiger der Verwaltungsbehörden gegen die Mißstände einzuschreiten.« 133 Siehe etwa die VO 2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz, die von der Existenz nationaler Verbraucherschutzbehörden ausgeht. Überlegungen zu einem Ausbau von behördlichen Strukturen zum Schutz der Verbraucher vor unlauteren Praktiken finden sich auch im Grünbuch Kollektive Rechtsdurchsetzung der Kommission. 126
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II. Kartellrecht Die Wurzel des Kartellrechts liegt in der privatautonomen Regelungsbefugnis des Einzelnen zur Gestaltung seiner Rechtsverhältnisse, die zwangsläufig die Freiheit einschließt, wettbewerbliche Handlungsmöglichkeiten und damit die Wettbewerbsfreiheit insgesamt zu beschränken134. Kartellrechtliche oder kartellrechtsähnliche Vorschriften bestanden schon in früheren Zeiten, insbesondere während der Blüte des Zunftwesens135. Doch dienten diese Regelungen nicht der Gewährleistung eines freien und funktionsfähigen Wettbewerbs im heutigen Sinne, sondern dem Erhalt bestehender Machtstrukturen und zielten damit in eine dem heutigen Kartellrecht entgegengesetzte Richtung136. 1. Herausbildung des Kartellrechts a) Das Kartellproblem Kartellrecht setzt Gewerbefreiheit voraus137. Erst aus der Freiheit wirtschaftlicher Betätigung erwächst die Gefahr, dass Wettbewerb beschränkt wird. Wettbewerbsbeschränkende Praktiken waren nach Schaffung von Gewerbefreiheit bald weit verbreitet. Begünstigt wurde die Neigung zur Kartellbildung durch die wirtschaftliche Situation, die im letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts von einer anhaltenden Krise gekennzeichnet war138. Den zunehmenden Wettbewerbsbeschränkungen traten Rechtsprechung139 und politische Kräfte140 nicht entschlossen entgegen. Paradigmatisch für die Weichenstellung der Rechtsprechung ist die berühmte und viel kritisierte Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1897 zum Sächsischen Holzstoff-Fabrikanten-Verband141.
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Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rn. 10; Rittner, Wirtschaftsrecht, § 13
Rn. 5. 135
Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rn. 12 ff.; Vogel, JZ 1958, 111 mit Beispielen. 136 Vogel, JZ 1958, 111, 112. 137 Böhm, Ordo 1 (1948), 197, 199; Großfeld, ZHR 141 (1977), 442, 443; Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rn. 19 ff.; Rittner, Wirtschaftsrecht, § 13 Rn. 6. Zur Herausbildung der Gewerbefreiheit und dem Verhältnis zur Vertragsfreiheit Strauß, in: Festschrift Böhm, S. 603, 604 ff. 138 Baums, Kartelle in Preußen, S. 32 f.; Lehnich, Die Wettbewerbsbeschränkung, S. 227; Rittner, in: Liber Amicorum Alexander Riesenkampff, S. 125, 126; eingehende Analyse bei Schröder, Entwicklung, S. 21 ff. 139 Zu Kartellrechtentscheidungen vor 1897 siehe Schröder, Die Entwicklung des Kartellrechts und des kollektiven Arbeitsrechts durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts vor 1914, S. 9 ff., 63 ff., speziell in Preußen Baums, Kartellrecht in Preußen, S.10 ff. 140 Lehnich, Die Wettbewerbsbeschränkung, S. 227, 250 ff.; Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rn. 22. 141 RG vom 4.2.1897, RGZ 38, 155 – Sächsischer Holzstoff-Fabrikanten-Verband; dazu Böhm ORDO 1 (1948), 197 ff; zu den Einflüssen ökonomischer Erkenntnisse damaliger Zeit auf die Entscheidung des Reichsgerichts Rittner, in: Liber Amicorum Alexander Riesenkampff, S. 125, 126 f.
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Kläger war der genannte Verband, dem mehrere sächsische Holzstoff-Hersteller als Mitglieder angehörten und der zu dem Zweck gegründet wurde, »in Zukunft einen verderblichen Wettbewerb der Fabrikanten untereinander zu verhindern und für ihr Fabrikat ausschließlich einen angemessenen Preis zu erzielen«. Die Kartellmitglieder verpflichteten sich, unter dem Versprechen einer Vertragsstrafe im Falle der Zuwiderhandlung, ihr Fabrikat ausschließlich über eine gemeinsame Verkaufsstelle zu veräußern. Nachdem ein Verbandsmitglied mehrfach unter Umgehung dieser Vereinbarung direkt an Abnehmer verkauft hatte, klagte der Verband auf Zahlung der verwirkten Vertragsstrafe. Das Gericht anerkannte die Wirksamkeit der privaten Kartellabsprache, gab der Klage statt und ebnete damit den Weg zur Vermachtung von zahlreichen Wirtschaftsbereichen.
Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, dass dem Reichsgericht in der Entscheidung weder mangelnde juristische Schärfe vorzuwerfen ist142 noch mangelndes Bewusstsein bezüglich der Tragweite der Entscheidung143. Die Entscheidung war maßgeblich von wirtschafts- und rechtspolitischen Überlegungen getragen,144 deren Beurteilung die Umstände der Zeit nicht unberücksichtigt lassen kann.145 Die Nachteile von Kartellen wurden gegenüber den ihren Vorteilen als hinnehmbar angesehen,146 ja ein allzu vehementes Einschreiten wäre geradezu als ein Hemmnis der wirtschaftlichen Entwicklung empfunden worden: »Die Kartelle sind ja nichts willkürlich von den Unternehmern Geschaffenes, sondern sie und ihre Weiterbildungen sind notwendige Ergebnisse unserer ganzen wirtschaftlichen Entwicklung; wir können sie auch gar nicht entbehren, und ihre Unterdrückung, wenn überhaupt möglich, wäre ein Verzicht auf den wirtschaftlichen Fortschritt, der, wie wir sahen, durch sie gefördert wird. Es kann sich also nur darum handeln, ihre nachteiligen Wirkungen möglichst zu beseitigen. Aber auch hier haben wir gesehen, dass sie ungünstig hauptsächlich auf veraltete Betriebsformen und unökonomische Wirtschaftsorganisationen wirken, indem sie diese aus der Welt zu schaffen bestrebt sind.«147
Die Schaffung und Stärkung von Machtpositionen im Wettbewerb durch Kartelle wurde nicht als wirtschaftliches oder gesellschaftliches Problem angesehen, sondern als positive Mobilisierung und Bündelung von Kräften im Interesse des Fortkommens und – nicht zuletzt – im Streben nach wirtschaftlicher Stärke gegenüber dem Ausland148. Kartelle fanden damit als zwar nicht unproblematische, aber im Wesentlichen akzeptable Form der wirtschaftlichen Selbstorganisation Anerkennung. Sie standen nicht in der »Schmuddelecke des Wirtschaftslebens«, 142 »Weder vorher noch nachher hat ein deutsches Gericht die entscheidende juristische Frage so klar gesehen und herausgearbeitet«, Böhm, Ordo 1 (1948), 197, 204. 143 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, § 31, 2. g, S. 318 f. 144 Böhm, Ordo 1 (1948), S. 197, 205 ff. 145 In diesem Sinne etwa E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, § 31, 2. g, S. 319, der das Urteil und die darin vorgenommenen Abwägung wirtschaftspolitischer Belange für gerechtfertigt hält. 146 Ähnlich die Deutung der Sächsischer Holzstoff-Fabrikanten-Verband-Entscheidung bei Brüggemeier, in: Assmann/Brüggemeier/Hart/Joerges, Wirtschaftsrecht als Kritik des Privatrechts, S. 63. 147 Liefmann, Kartelle und Trusts, S. 258. 148 Großfeld, ZHR 141 (1977), 442, 456.
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sondern sie verfügten über feste gesellschaftsrechtliche Strukturen und nahmen offiziell an den wirtschaftspolitischen Diskussionen der Zeit teil149. Man kann die damals überwiegende Haltung zu Kartellen wohl dahingehend charakterisieren, dass die Unternehmen ihre knappen Ressourcen nicht im Wettstreit miteinander aufreiben und damit gleichsam »verschwenden« sollten, sondern besser daran taten, gemeinsame Anstrengungen in einem übergeordneten gesamtgesellschaftlichen Interesse, der allgemeinen Wohlfahrt, zu unternehmen150. Daher fanden sich in Kartellvereinbarungen etwa Formulierungen, es solle »ungesunder« oder »verderblicher« Wettbewerb verhindert werden. Nach Einschätzung Böhms wurde nicht der Wettbewerb gegen die Machenschaften von Privatpersonen geschützt, sondern die Machenschaften von Privatpersonen gegen den Wettbewerb und gegen den Staat151. Freilich fehlte es nicht an kritischen Stellungnahmen. Rechtsproblemen der Kartelle waren beispielsweise Gegenstand des 26., 27. und 35. Deutschen Juristentags, anlässlich derer durchaus deutlich auf durch Kartellbildung verursachte Missstände aufmerksam gemacht wurde152. Doch fanden diese mahnenden Stimmen insgesamt nur wenig Gehör. b) Die Kartellverordnung von 1923 Die Kartellverordnung aus dem Jahr 1923153 beinhaltete erstmals umfassende Vorschriften zur Regelung wirtschaftlicher Machtstellungen in Deutschland. Den Anlass für die Kartellverordnung gab weniger die Einsicht in die Notwendigkeit einer planmäßigen Kartellgesetzgebung als vielmehr das dringende Bedürfnis, auf die zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den zwanziger Jahren reagieren zu müssen154. Einerseits erstrebte die Reichsregierung mit der Kartellverordnung eine stärkere Marktfreiheit, andererseits schreckte sie vor einer völligen »Zertrümmerung« der Kartelle zurück. Lediglich die »schädlichen Auswüchse« sollten bekämpft werden155. Die Kartellverordnung erschwerte die Begründung privatautonomer Vereinbarungen mit wettbewerbsbeschränkendem Ziel, indem sie Schriftform verlangte und bestimmte Inhalte für nichtig erklärte. Zugleich erleichterte die Kartellverordnung eine Lösung von der Kartellvereinbarung für die beteiligten Vertragspartner. Der Reichswirtschaftsminister erhielt die Befugnis, Verträge oder Beschlüsse, »die Gesamtwirtschaft oder Gemein149
Basedow, WuW 2008, 270. Siehe dazu beispielhaft etwa die von Großfeld, ZHR 141 (1977), 442, 449 wiedergegebene Argumentation der Vertreter der deutschen Kohlen- und Eisenkartelle auf der Kartellenquête 1902–1905. 151 Böhm, Ordo 1 (1948), 197, 200. 152 Großfeld, ZHR 141 (1977), 442, 450 ff.; Lehnich, Die Wettbewerbsbeschränkung, S. 225; Schröder, Entwicklung, S. 175 ff. 153 Verordnung gegen Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen vom 2.11.1923, RGBl. S. 1067 ff. 154 Lehnich, Die Wettbewerbsbeschränkung, S. 337 f.; Rittner, Wirtschaftsrecht, § 13 Rn. 11; Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 62. 155 Lehnich, Die Wettbewerbsbeschränkung, S. 336. 150
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wohl« gefährden, für nichtig zu erklären und die Durchführung solcher Vereinbarungen zu untersagen. Unternehmen, die durch das Wirken eines Kartells Nachteile erlitten, standen nach der Kartellverordnung keine individuellen Ansprüche zu. Allenfalls hätten die Betroffenen sich darauf berufen können, dass es sich – etwa im Falle einer Sperre – bei § 9 Abs. 1 Kartellverordnung um ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 S. 1 BGB handeln könnte156. c) Wirtschaftskrise und Nationalsozialismus Die Wirkung der Kartellverordnung blieb gering, sodass bald Forderungen nach einer Reform laut wurden157. Bestehende Wettbewerbsbeschränkungen existierten weiter und neue wurden geschaffen. In der Folge war die deutsche Wirtschaft bis 1930 von horizontalen und vertikalen Bindungen stark durchsetzt158. Die Kartellnotverordnung von 1930159 ist als Reaktion auf die Zuspitzung der Wirtschaftskrise und verstärkte Preismissbräuche zu verstehen. In einer Presseerklärung der Reichsregierung heißt es: »Die Anpassung der gebundenen Preise an die veränderte Wirtschaftslage und die gesunkene Kaufkraft breiter Massen sowie die Notlage der im freien Wettbewerb stehenden Wirtschaftskreise setzt sich nach allgemeiner Ansicht zu langsam und ihrem Ausmaß nach unzulänglich durch. Infolgedessen ist u.a. das Verhältnis der Preise von Waren und Leistungen zueinander vielfach in einer volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigten Weise verschoben worden. Die mangelhafte Anpassung der gebundenen Preise in einer Zeit, in der die gesamte deutsche Wirtschaft unter dem Druck einer schweren Depression steht, erschwert und verzögert die Überwindung der wirtschaftlichen Not für Zwecke brachliegender menschlicher Arbeitskräfte und technischer Anlagen weit über das unmittelbar durch eine Krise an sich bedingte Maß hinaus und hat Spannungen hervorgerufen, die einer ausgeglichenen Zusammenarbeit aller wirtschaftlich Tätigen im Wege stehen«160.
Die Kartellnotverordnung erweiterte die Befugnisse aus der Kartellverordnung. Die Reichsregierung konnte unmittelbar zum Zweck der Preisherabsetzung eingreifen und Preiskartelle für nichtig erklären. Durchschlagende Erfolge waren allerdings nicht zu verzeichnen161. Mit der Ausführungsverordnung über Aufhebung und Untersagung von Preisbindungen vom 30. August 1930 wurden Verträge, die nach § 1 Kartellnotverordnung von der Reichsregierung für nichtig erklärt werden konnten, unter bestimmten Voraussetzungen der Nichtigkeit unterworfen, ohne dass es noch einer zusätzlichen Maßnahme bedurfte162. Weitere 156
Lehnich, Die Wettbewerbsbeschränkung, S. 370. Lehnich, Die Wettbewerbsbeschränkung, S. 403 ff. 158 Lehnich, Die Wettbewerbsbeschränkung, S. 439: Ausmaß, wie es aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg unbekannt war. 159 Fünfter Abschnitt der Verordnung des Reichspräsidenten zur Behebung finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Notstände vom 26.7.1930, RGBl. S. 311. 160 Zitiert nach Lehnich, Die Wettbewerbsbeschränkung, S. 440. 161 Lehnich, Die Wettbewerbsbeschränkung, S. 441. 162 Lehnich, Die Wettbewerbsbeschränkung, S. 441. 157
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spezielle Notverordnungen folgten, insbesondere die Verordnung über Preisbindungen für Markenwaren vom 16. Januar 1931, die Notverordnung zum Schutze gegen Überteuerung vom 8. Dezember 1931 und die Verordnung über die Befugnisse des Reichskommissars für Preisüberwachung vom 8. Dezember 1931163. Die praktischen Auswirkungen der Regelungen hinsichtlich der vorhandenen Vermachtungstendenzen in der Wirtschaft blieben nur wenig spürbar. Vorhandene Lücken im Kartellrechtsschutz suchten die Gerichte mithilfe privatrechtlicher Generalklauseln, insbesondere mit § 1 UWG a.F. und § 826 BGB, zu füllen164. Die Schwierigkeiten im Umgang mit wettbewerbsbeschränkenden Praktiken illustriert der Benrather Tankstellen-Fall des Reichsgerichts,165 der nicht aufgrund der Kartellverordnung, sondern aufgrund von § 1 UWG a.F. entschieden wurde: Große Mineralölunternehmen hatten sich zu einem Preisabkommen zusammengeschlossen und wollten den Kläger, einen unabhängigen Tankstellenbesitzer, durch eine ruinöse Preisschlacht dazu zwingen, entweder dem Kartell beizutreten oder sein Geschäft aufzugeben. Wenngleich das Reichsgericht das Preisunterbieten untersagte, offenbart die Begründung des Gerichts die Schwierigkeiten im Umgang mit Kartellphänomen. Die Richter hielten das Verhalten der Mineralölunternehmen für einen Fall unzulässigen Behinderungswettbewerbs. Die Beklagten hätten nicht beabsichtigt, »in einen echten Wettbewerb zu treten, indem sie dem Publikum ernstgemeinte Vorteile boten und es auf diese Weise durch die Preiswürdigkeit ihrer Leistung als Kunden gewinnen wollten«166. Vielmehr sei ihr Bestreben darauf gerichtet gewesen, durch ein künstliches und möglichst rasch durchgeführtes Manöver dem Kläger die Beteiligung am Wettbewerb unter allen Umständen unmöglich zu machen, indem sie das Publikum durch Unterbieten »koste es, was es wolle« von ihm abzogen, um hinterher, nach Beseitigung des Klägers, sofort zu ihren alten oder zu noch höheren Preisen zurückzukehren167. Die Begründung zeigt, dass nicht die Ursache bekämpft wurde (das Kartell), sondern lediglich die dadurch verursachten Symptome (die Individualbehinderung eines Mitbewerbers).
Noch im Jahr 1933 wurde das Zwangskartellgesetz verabschiedet, auf dessen Grundlage der Beitritt von Unternehmen zu einem Kartell erzwungen werden konnte168. Zwangskartelle waren kein neues Phänomen. Sie dienten schon während des ersten Weltkriegs als Instrument der Wirtschaftssteuerung, um die Versorgung des Heeres und der Zivilbevölkerung bei Verknappung von Rohstoffen sicherzustellen169. Faktisch bestand damit ein Instrument zur staatlichen Lenkung und Leitung der Wirtschaft. In der amtlichen Begründung heißt es demge163
Lehnich, Die Wettbewerbsbeschränkung, S. 442 ff. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rn. 24. 165 RG vom 18.12.1931, RGZ 134, 342 – Benrather Tankstelle. 166 RG vom 18.121931, RGZ 134, 342, 353 – Benrather Tankstelle unter Bezugnahme auf das zum Streitfall erstellte Privatgutachten von Nipperdey. 167 RG vom 18.121931, RGZ 134, 342, 354 – Benrather Tankstelle. 168 Aufschlussreiche Einblicke in die rechtliche Ausgestaltung und Organisation von Zwangskartellen in Deutschland und in der Schweiz gibt Brunner, Zwangskartelle, S. 86 ff. 169 Brunner, Zwangskartelle, S. 28 ff.; Lehnich, Die Wettbewerbsbeschränkung, S. 302 ff. 164
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genüber verharmlosend, der Staat solle die Möglichkeit erhalten, zugunsten des Gemeinwohls ordnend einzugreifen, nicht aber sei bezweckt »die bestehende Wirtschaftsordnung, die auf Initiative und dem Verantwortungsgefühl des einzelnen Unternehmers beruht, von Grund auf zu ändern und einer staatlichen Planwirtschaft den Boden zu bereiten.«170 d) Alliiertes Dekartellierungsrecht Angesichts der engen Verknüpfung von wirtschaftlichen und politischen Machtstrukturen wurde die Kartellpolitik zu einem wesentlichen Bestandteil der alliierten Besatzungspolitik nach dem zweiten Weltkrieg171. Im Potsdamer Abkommen heißt es: »At the earliest practicable date, the German economy shall be decartelized for the purpose of eliminating the present excessive concentration of economic powers as exemplified in particular by cartels, syndicates, trusts and other monopolistic arrangements«.
Nach der Überwindung der nationalsozialistischen Herrschaft galt zunächst alliiertes Dekartellierungsrecht172: Gesetz Nr. 56 für die amerikanische und Nr. 78 für die britische Zone, weniger Bedeutung hatte dagegen die Verordnung Nr. 96 für die französische Zone. Die bis dahin geltenden deutschen kartellrechtlichen Gesetze und Verordnungen wurden aufgehoben. Das Ziel der Dekartellierungsvorschriften bestand darin, die vorhandenen Kartellstrukturen in der deutschen Wirtschaft wirksam und dauerhaft zu zerschlagen und der Herausbildung neuer Vermachtungstendenzen von Anfang an effektiv Einhalt zu gebieten. Erlangte die alliierte Kartellbehörde von einem kartellrechtswidrigen Vorgang Kenntnis, dann konnte sie ein Verwaltungsverfahren einleiten. Zu den wichtigsten Sanktionsinstrumenten gehörte die Unterlassungsanordnung, gegebenenfalls verbunden mit weiteren Anweisungen173. Zuwiderhandlungen gegen das Dekartellierungsrecht oder gegen Anordnungen der Kartellbehörde waren des Weiteren mit strafrechtlichen Sanktionen bewehrt174. Die Grundlage für privatrechtliche Ansprüche auf Unterlassung und Schadensersatz bei Verstößen gegen das Dekartellierungsrecht bildeten das Lauterkeitsrecht und das bürgerliche Recht, dort speziell § 823 Abs. 2 S. 1 BGB. In der Warenkredit-Entscheidung nahm der BGH zur privatrechtlichen Verfolgung von Verstößen gegen alliiertes Dekartellierungsrecht grundlegend Stellung. Das Gericht lehnte es ab, in jedem Verstoß gegen die Dekartellierungsbe170
Müllensiefen/Dörinkel, Kartellrecht, XII, 11. Basedow, WuW 2008, 270, 271; Lehnich, Die Wettbewerbsbeschränkung, S. 465; MurachBrand, Antitrust auf deutsch, S. 26 ff. 172 Umfassende Darstellung bei E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I, §§ 32–35 sowie zu Gesetz Nr. 56 bei Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 71 ff.; zum Wortlaut des Gesetzes a.a.O. Anhang, S. 230 ff. 173 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I, § 35 III 1, S. 382 f. mit Beispielen. 174 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I, § 35 III 2, S. 384 f. mit Beispielen. 171
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stimmungen automatisch eine unlautere Handlung zu sehen und begründete dies mit den unterschiedlichen Zielsetzungen des UWG und des Dekartellierungsrechts: »Bei der Prüfung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein bestimmtes Verhalten nicht nur als unlauterer Wettbewerb, sondern auch als Verstoß gegen die Dekartellierungsgesetze angesehen werden kann, ist zu beachten, daß das Wettbewerbsrecht innerhalb der in der Marktwirtschaft bestehenden Wettbewerbsfreiheit die Anwendung unlauterer Wettbewerbsmethoden bekämpft, während das Kartellrecht den Schutz des Wettbewerbs als Institution der bestehenden Marktwirtschaft bezweckt. Hieraus folgt, daß nicht jede nach Kartellrecht unzulässige Beeinträchtigung des Wettbewerbs als Institution auch eine Maßnahme unlauteren Wettbewerbs ist; umgekehrt stellt nicht jede Verletzung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb einen rechtswidrigen Angriff gegen die Wettbewerbsfreiheit dar. Während das Wesen des Kartellrechts darin besteht, den freien Wettbewerb als solchen zu schützen, enthält das Wettbewerbsrecht einen Individualschutz der Mitbewerber gegen unlautere wettbewerbliche Kampfesmethoden (…). Diese nach der verschiedenen Blickrichtung und Aufgabenstellung kartellrechtlicher und wettbewerbsrechtlicher Vorschriften zu treffende begriffliche Scheidung schließt jedoch nicht aus, daß eine kartellrechtswidrige Maßnahme zugleich ein gegen einen Mitbewerber gerichtetes unlauteres Kampfesmittel sein kann, und daß ein solches Verhalten alsdann sowohl nach Kartellrecht als auch nach Wettbewerbsrecht rechtswidrig sein kann. Das gilt z.B. für den Boykott, der als Kampfesmethode unzulässig ist, weil er sich mit den Erfordernissen des Leistungswettbewerbs nicht verträgt, und der gegen die Dekartellierungsbestimmungen verstößt, weil und sofern er den Zugang zum Markt erschwert«175.
Nach überwiegender Ansicht konnte eine Verletzung des Dekartellierungsrechts als Verletzung eines Schutzgesetzes Ansprüche gemäß § 823 Abs. 2 S. 1 BGB auslösen176. Die höchstrichterliche Rechtsprechung ging jedenfalls hinsichtlich des Verbots von Ausschließlichkeitsbindungen von einem Schutzgesetzcharakter aus: »Angesichts der mit den Dekartellierungsgesetzen verfolgten gesamtwirtschaftlichen Zielsetzung kann jedoch zweifelhaft sein, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Verstoß gegen die Dekartellierungsgesetze zur Geltendmachung zivilrechtlicher Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche vor den deutschen ordentlichen Gerichten berechtigt (…). Die Frage ist jedenfalls insoweit zu bejahen, als die in den Dekartellierungsgesetzen enthaltenen Verbote mindestens auch den Schutz einzelner oder eines bestimmten Personenkreises bezwecken und damit als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen sind. Das ist bei Ausschließlichkeitsvereinbarungen der Fall, durch die zwangsläufig einzelne oder bestimmte Gruppen von Wettbewerbern betroffen und geschädigt werden können. Soweit die Dekartellierungsgesetze derartige Vereinbarungen verbieten, sollen mit dem Verbot zugleich auch diejenigen Personen geschützt werden, gegen die sich die betreffenden Ausschließlichkeitsklauseln richten. In diesen Fällen wird mit dem Verbot nicht nur allgemein der Schutz des Wettbewerbs als solcher, sondern zugleich auch der Schutz der betreffenden Gruppe von Mitbewerbern bezweckt. Deshalb muß zumin175
BGH vom 16.3.1954, BGHZ 13, 33, 36 f. – Warenkredit. LG München-Gladbach vom 20.11.1947, NJW 1948, 525, 526; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I, § 35 III 3, S. 386; Möhring, GRUR 1949, 271, 273 f. 176
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dest für den vorliegenden Sachverhalt das aus den Dekartellierungsgesetzen sich ergebende Verbot der Ausschließlichkeitsklausel als Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB) zugunsten der durch diese Ausschließlichkeitsklausel betroffenen Gruppe von Mitbewerbern, zu denen auch die Bekl. gehört, behandelt werden. Hieraus folgt, daß die Bekl., die durch die wettbewerbsbeschränkende Ausschließlichkeitsklausel betroffen wird, ohne Rücksicht darauf, ob das Verhalten der Kl. als unlauter im Sinne des § 1 UWG zu werten ist, einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch gegen die Kl. vor den deutschen ordentlichen Gerichten auch allein wegen des Verstoßes gegen die Dekartellierungsgesetze geltend machen kann«177.
e) Der schwierige Weg zum GWB Das GWB geht zurück auf die Anstrengungen der Alliierten nach Kriegsende, die über Jahrzehnte gewachsenen Kartelle und sonstigen Vereinbarungen in der deutschen Wirtschaft aufzulösen und die Idee des freien Wettbewerbs durchzusetzen178, sowie auf Vorarbeiten von deutscher Seite, die auf eine Neukonzeption des Kartellrechts zielten179. Im März 1949 wurde die Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes aufgefordert, ein Gesetz gegen Handelsmissbräuche zu entwerfen180. Im Juli 1949 folgten Grundsätze für den Entwurf eines Gesetzes gegen wettbewerbsbeschränkende Wirtschaftsmaßnahmen, die neben den grundsätzlichen Regelungen auch die Sanktionen betrafen181. Gefordert wurden eine Staatsaufsicht sowie Strafen, Nichtigkeit und privatrechtliche Klagemöglichkeiten. Der Weg zu einem Kartellgesetz gestaltete sich hürdenreich, weil sehr unterschiedliche Vorstellungen von Wettbewerbs- und Kartellpolitik aufeinanderprallten. Dies galt für das Verhältnis der Alliierten untereinander182 und auch im Verhältnis zu den an der Mitarbeit in der Wirtschaftsverwaltung beteiligten Deutschen. Besonders deutlich zeigt sich dies am Beispiel der US-amerikanischen Besatzungspolitik in Kartellfragen. Der im US-amerikanischen Rechtsverständnis tief verwurzelte Anspruch auf Chancengleichheit und Freiheit betraf nicht nur das Verhältnis zum Staat sondern aufgrund der zunehmenden Industrialisierung und Konzentration auch die Problematik wirtschaftlichen Machtstrukturen, die von privater Hand geschaffen wurden183. Zum Ausdruck kam dies in den Gesetzgebungsarbeiten beispielsweise in der Forderung nach einem Kartellverbot, während auf deutscher Seite lange Zeit eine Missbrauchsaufsicht, wie sie der Kartellverordnung von 1923 zugrunde gelegen hatte, favorisiert wurde184. Neben den Fragen, wie ein Kartellgesetz im Einzelnen auszugestalten 177
BGH vom 16.3.1954, BGHZ 13, 33, 41 f. – Warenkredit. Rittner, Wirtschaftsrecht, § 13 Rn. 15 ff.; speziell zum Einfluss des amerikanischen Antitrustrechts auf das GWB vgl. Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, 2004. 179 Zu den zahlreichen Vorarbeiten und Entwürfen vgl. die Nachweise in Fn. 188. 180 Günther, WuW 1951, 19, 29. 181 Abgedruckt bei Günther, WuW 1951, 19, 36 als Anlage 2. 182 Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 51 ff. 183 Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 14; I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 253. 184 Rittner, Wirtschaftsrecht, § 13 Rn. 20. 178
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sei, war auch ein prinzipielles Umdenken hinsichtlich des Umgangs mit Wettbewerbsbeschränkungen erforderlich. Im Jahre 1945 konnte der Gedanke der Marktorganisation durch Kartelle und kartellähnliche Gebilde auf eine langjährige Tradition zurückblicken. Daraus ergab sich das Erfordernis, Tendenzen zu neuen Wettbewerbsbeschränkungen (etwa im Hinblick auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Nachkriegszeit) von Anfang an entschlossen entgegenzutreten185. Eine wirksame Bekämpfung von Wettbewerbsbeschränkungen erforderte außerdem einen viel stärkeren Einsatz des bis dahin ungenutzten Potenzials anderer Marktteilnehmer, insbesondere von Abnehmern und Konsumenten, deren Mitteilungen zum einen einer Kartellbehörde wertvolle Erkenntnisse liefern würden und die zum anderen auf Grundlage einer geeigneten gesetzlichen Regelung eigeninitiativ gegen wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen vorgehen könnten. Dazu war es erforderlich, das Kartellproblem in das öffentliche Bewusstsein zu rücken186. Es müsse, schreibt Lehnich, darauf ankommen, dass die Regierung bewusst »alle Abwehrorganisationen fördert, um der Verschiebung der Kräfteverhältnisse auf dem Markt entgegenzuwirken.«187 Der Geschichte der zahlreichen und von unterschiedlichen Vorstellungen und Konzeptionen geprägten Entwürfe zu einem Kartellgesetz in der Nachkriegszeit kann hier nicht im Einzelnen nachgegangen werden188. Daher sollen lediglich einige Details herausgegriffen werden, insbesondere der einflussreiche Josten-Entwurf189. Benannt ist dieser Gesetzentwurf nach Paul Josten, der den Vorsitz in dem Ausschuss von Sachverständigen und Regierungsbeamten führte, in dem der Entwurf erarbeitet wurde. Dieser Entwurf wurde am 5. Juli 1949 dem Direktor der Verwaltung für Wirtschaft, Ludwig Erhard, vorgelegt190. Josten verfügte, ebenso wie die anderen am Gesetzentwurf Beteiligten, über umfangreiche Erfahrungen im Kartellwesen, unter anderem aufgrund seiner früheren Tätigkeit im Reichswirtschaftsministerium. Der Gesetzentwurf orientierte sich an den Leitbildern des Leistungswettbewerbs und des ehrlichen Kaufkraftwettbewerbs. § 1 des Entwurfs lautete: »(1) Leistungswettbewerbs im Sinne des Gesetzes liegt vor, wenn im Wettbewerb mit anderen Anbietern bei der Umwerbung von Kunden als Mittel nur angewendet werden: wahrheitsgemäße Hinweise auf die eigene gewerbliche Leistungskraft oder auf Eigen-
185 Lehnich, Die Wettbewerbsbeschränkung, S. 490, konstatiert, dass »Deutschland bei der gesetzlichen Regelung der Wettbewerbsbeschränkungen vor einem der schwersten wirtschaftlichen Probleme steht, das nur durch ein wirtschaftliches Grundgesetz gelöst werden kann«; Hervorhebungen im Original. 186 Lehnich, Die Wettbewerbsbeschränkung, S. 500 f. 187 Lehnich, Die Wettbewerbsbeschränkung, S. 501; Hervorhebung im Original. 188 Näher dazu Günther, WuW 1951, S. 19, 23 ff.; Murach-Brand, Antitrust auf deutsch, S. 140 ff. sowie Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 122 ff. 189 Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt; eingehend zu Entstehung und Inhalt des Entwurfs Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 163 ff. 190 Basedow, WuW 2008, 270, 272.
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schaften der eigenen oder angebotenen Güter und Leistungen sowie Angebote, deren vertragsgemäße Erfüllung ernstlich beabsichtigt und unter Beobachtung der Gesetze und der guten Sitten möglich ist. (2) Dem Leistungswettbewerb steht der ehrliche Kaufkraftwettbewerb gleich. Ehrlicher Kaufkraftwettbewerb liegt vor, wenn im Wettbewerb zwischen Nachfragenden bei der Umwerbung von Anbietern als Mittel nur angewendet werden: wahrheitsgemäßer Hinweis auf die eigene Kaufkraft oder auf die Eigenschaften der zu bewirkenden Gegenleistungen sowie das Versprechen von Preisen und Entgelten, deren vertragsgemäße Bewirkung ernstlich beabsichtigt und unter Beobachtung der Gesetze und der guten Sitten möglich ist«.
Im Einzelnen enthielt der Josten-Entwurf Regelungen zur Beseitigung191 und Verhütung wirtschaftlicher Machtbildungen192 sowie zur Regelung der Rechtsstellung wirtschaftlicher Machtgebilde193. Besonders bemerkenswert ist die Schärfe der im Entwurf vorgesehenen Sanktionen bei Rechtsverstößen. Der Entwurf sah neben den Befugnissen einer Kartellbehörde Strafvorschriften und privatrechtliche Ansprüche auf Unterlassung und Schadensersatz vor. Der in § 26 des Entwurfs vorgesehene Schadensersatzanspruch verdient besondere Aufmerksamkeit. Es war ein Regelschadensersatz in fünffacher (!) Höhe des Schadens vorgesehen. Weiterhin sollten Geschädigte Schadensersatz für immaterielle Schäden beanspruchen können: »(1) Wer als Inhaber wirtschaftlicher Macht einen Marktbeteiligten durch Maßnahmen des Behinderungswettbewerbs sowie des Störungs- oder Schädigungskampfes (§ 5 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 2) in seinem Geschäftserfolg benachteiligt, kann auf Unterlassung und Schadloshaltung in Anspruch genommen werden. (2) Darüber, ob ein Schaden entstanden ist und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse beläuft, entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. (3) Der Anspruch auf Schadloshaltung geht auf den fünffachen Betrag des nachgewiesenen oder des vom Gericht nach freier Überzeugung angenommenen Schadens. Der Geschädigte kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen. (4) Für Ersatz des entstandenen Schadens haftet neben dem Unternehmen, das die Schädigungshandlung vorgenommen hat, als Gesamtschuldner jeder, der an den schädigenden Maßnahmen mitgewirkt hat«.
Zur Begründung heißt es kapp, im Hinblick auf die schweren Schäden, die ein Behinderungswettbewerb starker Machtgebilde zur Folge haben könne, und die ganz außergewöhnliche Schwierigkeit, solche Maßnahmen einwandfrei aufzudecken und Schäden nachzuweisen, seien die angedrohten Rechtsfolgen gerechtfertigt194. Die strengen Sanktionen waren als ein klares wirtschaftspolitisches Signal für einen neuen Umgang mit dem Kartellproblem zu verstehen. 191 192 193 194
§§ 7 bis 20 Josten-Entwurf. §§ 35 bis 47 Josten-Entwurf. §§ 21 bis 34 Josten-Entwurf. Begr. zum Josten-Entwurf, S. 50.
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2. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Der Regierungsentwurf von 1952195 knüpfte in einigen Punkten an den JostenEntwurf an. Bis zur Verabschiedung des GWB dauerte es indessen noch weitere fünf Jahre, weil das Gesetz zunächst scheiterte196. Erst mit der »Wiedereinbringung« des Regierungsentwurfes in der zweiten Legislaturperiode war dem mühsamen politischen Ringen Erfolg beschieden197. Das GWB wurde am 27. Juli 1957 erlassen und trat am 1. Januar 1958 in Kraft. Das zweispurige kartellrechtliche Sanktionssystem aus kartellbehördlichen Befugnissen und privatrechtlichen Sanktionen ist bis heute erhalten geblieben. Hinsichtlich der Entwicklung der Sanktionen bildeten die vierte GWB-Novelle von 1980198, die sechste GWBNovelle von 1998199 und die siebte GWB-Novelle von 2005200 wichtige Einzeletappen. Der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch folgte bis zur siebenten GWBNovelle 2005 – trotz einiger Wandlungen im Laufe der Zeit – konzeptionell dem »Schutz(gesetz)prinzip«. Das Gesetz knüpfte dabei an § 823 Abs. 2 S. 1 BGB an. Rechtspraxis und Rechtswissenschaft waren bemüht, § 823 Abs. 2 S. 1 BGB und die kartelldeliktische Schadensersatzhaftung einheitlichen dogmatischen Kriterien zu unterwerfen. In der Sache konzentrierte sich die Diskussion auf die Einordnung der einzelnen Kartellbestimmungen als Schutzgesetze oder Nichtschutzgesetze. Besondere Schwierigkeiten bereitete insbesondere die Einordnung von § 1 GWB a.F. Parallel zu Veränderungen bei der Schadensersatzhaftung entwickelte sich als besondere Sanktion das Instrument der kartellbehördlichen Mehrerlösabschöpfung201, das zugleich den Grundstein für den späteren Anspruch auf Vorteilsabschöpfung bildete. 3. Gemeinschaftsrechtlicher Einfluss Auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts entwickelte sich frühzeitig ein eigenständiges Kartellrecht, das im Primärrecht seine Verankerung findet202. Diese prominente Stellung hängt einerseits unmittelbar mit den historischen Erfahrungen eines unzureichenden Schutzes vor Wettbewerbsbeschränkungen in Europa zusammen. Andererseits steht das Gemeinschaftskartellrecht in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem Binnenmarktziel der Gemeinschaft. Ohne einen wirksamen Schutz vor wettbewerbsbeschränkenden Praktiken und dadurch be195
BT-Drucks. 1/3462 vom 13. Juni 1952; auch abgedruckt in WuW 1952, S. 432 ff. Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 186 ff. 197 Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik, S. 244 ff., 272 ff. 198 BGBl. I, 458; die Änderungen traten (mit Ausnahme der Bestimmungen zur Fusionskontrolle) am 1.5.1980 in Kraft. 199 BGBl. I, 2486; die Änderungen traten am 1.1.1999 in Kraft. 200 BGBl. I, 1954; Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes BGBl. I, 2114; die Änderungen traten (rückwirkend) zu 1.7.2005 in Kraft. 201 Näher zur Entstehungsgeschichte unten § 6. B. III. 3. a) aa), S. 460 ff. 202 Zu den gemeinschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen siehe unter § 2. B., S. 76 ff. 196
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dingte Verfälschungen des Wettbewerbs ist ein funktionsfähiger Binnenmarkt nicht zu verwirklichen. Der prägende Einfluss des Gemeinschaftsrechts nimmt stetig zu203. Die Kraft dieses Einflusses wird am Beispiel der privatrechtlichen Sanktionierung von Verstößen gegen das Gemeinschaftskartellrecht deutlich. Ursprünglich übte die Rechtsprechung Zurückhaltung bei der Annahme der Schutzgesetzeigenschaft gemeinschaftsrechtlicher Kartellbestimmungen. Zu Art. 4 Buchst. b und Art. 60 § 1 EGKS – es handelte sich um Verbote bestimmter diskriminierender und behindernder Praktiken –, entschied der BGH, dass diese Vorschriften keine privatrechtlichen Wirkungen entfalten und damit weder als Verbotsgesetz gemäß § 134 BGB noch als Schutzgesetz gemäß § 823 Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen seien204. Der BGH begründete seine Ansicht unter anderen damit, dass nach dem Vertrag »das Schwergewicht der Marktvereinheitlichung und der wettbewerblichen Durchbildung des Marktverkehrs der obrigkeitlichen Leistung und Aufsicht der Gemeinschaftsorgane zufallen soll«205. Für Art. 81 und 82 EG war unstreitig, dass es sich dem Grunde nach um Schutzgesetze handeln konnte. Entsprechend der Diskussion über die Verbotstatbestände im deutschen Kartellrecht bestand jedoch Unklarheit darüber, wie weit dieser Schutz im Einzelnen reichte. Insbesondere das Kartellverbot aus Art. 81 EG bereitete dabei Schwierigkeiten. Die Rechtsprechung orientierte sich an den zum deutschen Recht entwickelten Grundsätzen und versuchte damit, im Hinblick auf die privatrechtliche Sanktionierung einen »Gleichlauf« zwischen deutschen und gemeinschaftsrechtlichen Kartellvorschriften herzustellen206. Die Kehrtwende begann mit der Entscheidung Courage und Crehan des EuGH207. Diese Entscheidung zwang zu einer Neuorientierung, weil das Gemeinschaftsrecht eine privatrechtliche Sanktionierung in sehr viel weiterem Umfang verlangte, als dies bislang dem nationalen Rechtsverständnis entsprach. Der Gesetzgeber griff diese Entwicklung auf und orientierte sich anlässlich der Erarbeitung der siebten GWB-Novelle 2005 maßgeblich an den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts. In der Folge hat das Gemeinschaftsrecht gleichsam die Führungsrolle übernommen. Zwar bestehen das nationale Kartellrecht und das Gemeinschaftskartellrecht formal als eigenständige Rechtsgebiete nebeneinander. Doch führt mittlerweile kein Weg mehr daran vorbei, dass die Ausgestaltung des nationalen Kartellrechts entscheidend durch das Gemeinschaftskartellrecht bestimmt wird.
C. Privatrechtliche Sanktionen und Rechtsmentalität Entwicklung und Stellenwert des Lauterkeits- und Kartellrechts stehen in einem engen Zusammenhang mit verschiedenen Aspekten der Rechtsmentalität von Menschen. Es liegt auf der Hand, dass die private Initiative zur Bekämpfung von unlauteren und kartellrechtswidrigen Handlungen sehr stark davon abhängig ist, 203
Eingehend unter § 5. A. III., S. 316 ff. BGH vom 18.4.1951, BGHZ 30, 74, 81 ff. 205 BGH vom 18.4.1951, BGHZ 30, 74, 83. 206 Siehe nur BGH vom 23.10.1979, WuW/E BGH 1643m 1645 – BMW-Importe; BGH vom 12.5.1998, GRUR 1999, 276, 277 – Depotkosmetik. 207 EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 ff. – Courage und Crehan. 204
C. Privatrechtliche Sanktionen und Rechtsmentalität
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mit welcher Einstellung Menschen Wettbewerb, Beschränkungen des Wettbewerbs und Unfairness im Wettbewerb begegnen. Hinzu kommen unterschiedlich ausgeprägte Kulturen der Rechtsdurchsetzung208 und – nicht zuletzt – Unterschiede des richterlichen Selbstverständnisses209.
I. Rechtsmentalität und Kartellrecht In einer Wirtschaftsordnung, in der Akteure staatlichen oder privaten »Vermachtungstendenzen« misstrauisch gegenüberstehen, wird die Bereitschaft zu einem privaten Vorgehen gegen wettbewerbsbeschränkende Praktiken tendenziell stärker ausgeprägt sein als in einer Wirtschaftsordnung, in der ein solches Misstrauen nicht besteht. Die Bedeutung solcher Mentalitätsfragen wird bei Vergleichen zwischen dem deutschen und europäischen Kartelldeliktsrecht und dem USamerikanischen Antitrust-Recht augenscheinlich210. Deutschland und Europa einerseits und die Vereinigten Staaten andererseits blicken auf ganz unterschiedliche Traditionen im Umgang mit wirtschaftlichen Vermachtungstendenzen zurück. Das US-amerikanische Antitrust-Recht wurzelt in einem über Jahrhunderte gewachsenen und tief verankerten Freiheitsbewusstsein211. Dieses Bewusstsein, verbunden mit einer (möglicherweise kaum weniger tief verwurzelten) Skepsis gegenüber der Leistungsfähigkeit staatlicher Bürokratie212, begünstigte die Entstehung eines Kartellrechts, dessen Durchsetzung im Wesentlichen in privater Hand liegt: »Es wäre verlockend, würde aber viel zu weit führen, den soziologischen und geschichtlichen Ursachen des amerikanischen Antitrust nachzugehen, vielleicht entsprungen einer Mischung aus Quäkererbe und Pioniergeist, auf jeden Fall getragen von einem nationalen Bekenntnis zu Tugend und Kraft des Wettbewerbs, wie es das müde Europa nicht mehr zu kennen scheint«213.
Aufgrund des stark ausgeprägten privaten Engagements verfügt das US-amerikanische Antitrust-Recht über einen reichhaltigen praktischen Erfahrungsschatz in der Rechtsanwendung, die wiederum begleitet wird von einer langjährigen und eingehenden wissenschaftlichen Aufarbeitung214. Auf ganz andere Traditio208
Dazu etwa H. Buxbaum, in: Globaler Wettbewerb und nationale Wettbewerbsordnungen, S. 39 ff.; R. Buxbaum, Die private Klage als Mittel zur Durchsetzung wirtschaftspolitischer Rechtsnormen, S. 26 ff.; Hodges, CML Rev. 43 (2006), 1381, 1394 ff.; McCarthy/Maltas/Bay/ Ruiz-Calzado, The Antitrust Review of the Americas 2007, S. 38 ff. 209 Buxbaum, Die private Klage als Mittel zur Durchsetzung wirtschaftspolitischer Rechtsnormen, S. 26; siehe auch Kötz, Undogmatisches, S. 1, 11 f. 210 Instruktiver Überblick zu den Unterschieden zwischen dem US-amerikanischen und dem europäischen Kartellrecht bei Möschel, ZWeR 2007, 261 ff. 211 Zur Stellung des US-amerikanischen Antitrust-Rechts siehe auch Schnell, E.C.L.R. 2007, 617 f. 212 Wagner, in: Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, S. 605, 607. 213 Merz, in: Festschrift für Böhm, S. 227, 254. 214 Möschel, ZWeR 2007, 261.
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§ 1. Einleitung
nen blicken das deutsche Recht und das Gemeinschaftsrecht zurück. Das Kartellrecht in Deutschland dürfte, gerade in der Frühzeit des GWB, vielfach eher als Freiheitsbeschränkung, denn als Freiheitsgarant empfunden worden sein. Ein »Kartellrecht im Land der Kartelle«215, das in seiner Gestalt maßgeblich durch das alliierte Besatzungsrecht geprägt wurde, stößt nicht automatisch auf Gegenliebe und allgemeine Akzeptanz in den betroffenen Verkehrskreisen. Das deutsche Kartellrecht ist, anders als das Lauterkeitsrecht, nicht einer gewachsenen Rechtsüberzeugung entsprungen, sondern das Nachkriegskartellrecht führte ganz im Gegenteil zu einem radikalen Bruch mit der eher beschränkungsfreundlichen Vergangenheit. Es verlangte von der Wirtschaft ein völliges Umdenken. Das seinerzeit noch weitgehend fehlende Bewusstsein der Schädlichkeit wettbewerbsbeschränkender Praktiken kommt in der Begründung zum Regierungsentwurf des GWB deutlich zum Ausdruck. Zum Verzicht auf Kriminalstrafen heißt es dort: »Weder in der deutschen Öffentlichkeit noch in den beteiligten Wirtschaftskreisen ist bisher ein lebendiges Gefühl dafür verbreitet, daß wettbewerbsbeschränkende Verträge und Geschäftspraktiken unerlaubt und ethisch verwerflich sind«216.
Fehlt es an dem Bewusstsein der Schädlichkeit wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen, dann fehlt zugleich die entscheidende Motivation, gegen entsprechende Praktiken vorzugehen. Wer es als Widerspruch zum Unternehmergeist empfindet, »sich mit Hilfe des ungeliebten Kartellgesetzes gegenseitig zu bekämpfen«217, wird eine private Klage nicht erheben. Allenfalls wird der Betroffene auf das Eingreifen einer Behörde hoffen. Mancher Unternehmer oder sonstige Marktakteur in Deutschland scheut die Risiken einer privaten Rechtsverfolgung, weil es nach seiner Überzeugung beim Schutz des funktionsfähigen Wettbewerbs um die Wahrnehmung allgemeiner Belange geht, die als öffentliche Aufgabe dem Staat obliegen. Anderes gilt nur bei individuell und unmittelbar »fühlbaren« Beeinträchtigungen durch Diskriminierungen oder Behinderungen. Kartellrecht wurde (und wird bisweilen noch heute) als hoheitliches Wettbewerbspolizeirecht betrachtet. In dieser Überzeugung dürfte auch die Wurzel des letztlich wenig fruchtbringenden – aber die Schutzzweckdiskussion mitprägenden218 – Disputs um den Individual- oder Institutionsschutz des GWB und einzelner Bestimmungen liegen. Wer private Klagen fördern will, muss bei den Betroffenen das Bewusstsein wecken, dass die Freiheit und Unbeschränktheit des Wettbewerbs schutzwürdig und schutzbedürftig sind und dass es nicht genügt, den Schutz allein als eine Auf215
Basedow, WuW 2008, 270. Begr. zum Regierungsentwurf, WuW 1952, 432, 471. 217 Benisch, Festschrift für Hartmann, S. 37; siehe auch Möschel, WuW 2007, 483, 489, wonach in Europa früher eine Art »esprit de corps« gab: Man zerrte ein anderes Unternehmen nicht vor eine Kartellbehörde oder ein Gericht. In abgeschwächter Form sei dieser Gedanke nach wie vor lebendig. Zweifelnd dagegen Weber, IIC 2003, 920, 921. 218 Keßler, WRP 2006, 1061, 1062. 216
C. Privatrechtliche Sanktionen und Rechtsmentalität
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gabe des Staates zu begreifen. Fehlt es an diesem Bewusstsein, dann müssen Anstrengungen unternommen werden, um einen Mentalitätswechsel herbeizuführen219. Gerade diese Zielrichtung bildet ein zentrales Anliegen der Entwicklung der gemeinschaftsrechtlich anvisierten »Kultur des Wettbewerbs«220. Dabei kann es wohlgemerkt nicht darum gehen, US-amerikanische Verhältnisse »eins zu eins« zu übernehmen. Denn dabei würden nicht nur die völlig unterschiedlichen rechtlichen und tatsächlichen Ausgangsbedingungen ignoriert, sondern es würden die wichtigen Mentalitätsunterschiede ausgeblendet. Vielmehr muss das Ziel darin bestehen, unter Berücksichtigung der spezifischen Mentalität in der Gemeinschaft und speziell in Deutschland – unter Berücksichtigung rechtsvergleichender Erkenntnisse221 – einen eigenständigen und leistungsstarken Wettbewerbsschutz aufzubauen.
II. Rechtsmentalität und Lauterkeitsrecht In der Rechtsmentalität dürfte eine wichtige Ursache dafür zu suchen sein, dass die privatrechtlichen Sanktionen im Lauterkeitsrecht – ganz anders als im Kartellrecht – im Laufe der Zeit eine dominierende Stellung eingenommen haben. Für Unternehmer konnte es in der Vergangenheit durchaus attraktiv sein, sich mithilfe des UWG und des über Jahre gewachsenen, fein verästelten und tendenziell verbotsfreudigen Richterrechts der Konkurrenz zu erwehren. Ein Verstoß gegen das UWG ließ sich oft mit wenig Mühe finden, während es schwieriger war, einen Konkurrenten mit wettbewerbseigenen Mitteln aus dem Felde zu schlagen. Treffend beschreibt dies Schricker: »Man hat manchmal den Eindruck, daß Konkurrenten versuchen, unter Einsatz der Gerichte Behinderungswettbewerb zu treiben: Wirtschaftsgiganten liefern sich vor Gericht aufwendige Materialschlachten um winzige Nuancen von Werbebehauptungen, bei denen zweifelhaft bleibt, ob sie auf das Publikum irgendeinen Eindruck machen«222.
Die private Initiative gegen eine unlautere Handlung erwächst zudem aus dem elementaren Motiv der Gleichbehandlung: »Was ich nicht darf, das sollst du auch nicht dürfen, um dir nicht einen Vorsprung im Wettbewerb zu sichern«223. Demgegenüber setzt ein privates Vorgehen gegen einen Kartellrechtsverstoß die Überzeugung voraus, dass die Existenz funktionsfähigen Wettbewerbs im Endeffekt »besser« als eine Wettbewerbsbeschränkung ist. Eine solche Überzeugung muss sich erst allmählich herausbilden und sie fällt am ehesten auf fruchtbaren Boden, wenn eigene Handlungsspielräume durch andere Marktakteure beein219
Van Gerven, in: Basedow, Private Enforcement of EC Competition Law, S. 19, 38. Basedow, ZWeR 2006, 294, 304 f. 221 Zum Einfluss des US-amerikanischen Kartellrechts auf das europäische Kartellrecht Fleischer, in: Konvergenz der Wettbewerbsrechte, S. 85 ff. 222 Schricker, GRUR Int. 1973, 694, 697. 223 Ulmer, Sinnzusammenhänge im modernen Wettbewerbsrecht, S. 22. 220
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§ 1. Einleitung
trächtigt werden. Es nimmt deswegen nicht Wunder, dass privatrechtliche Sanktionen im Kartellrecht im Wesentlichen Konstellationen mit individuell diskriminierendem und behinderndem Charakter betreffen.
III. Folgerungen Obgleich die privatrechtliche Verfolgung von unlauteren Handlungen und von Kartellrechtsverstößen in rechtlicher Hinsicht ähnliche Rechtsfragen tangiert224, bestehen fundamentale Unterschiede hinsichtlich der zugrunde liegenden wettbewerblichen Grundüberzeugungen. Beide Arten von Rechtsverstößen sind von abweichenden Vorstellungen über Wettbewerb, Wettbewerbsbeschränkungen und Unfairness geprägt. Daher würde es zu kurz greifen, eine Intensivierung privater Initiative bei der Bekämpfung von Kartellrechtsverstößen allein durch eine verstärkte Anwendung des UWG zu erhoffen225. Diese Möglichkeit bestand bis zur siebten GWB-Novelle, doch spielte sie in der Praxis keine besonders große Rolle226. Nunmehr ist durch die Probeabonnement-Entscheidung des BGH eine Verfolgung von Kartellrechtsverstößen als Rechtsbruch gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 11 UWG ohnehin verwehrt227.
224 Etwas zu holzschnittartig ist die Einschätzung Möschels, WuW 2007, 483, 490, wonach die Schwierigkeit im Kartellrecht in der Feststellung der Sachverhalte liege, im Lauterkeitsrecht dagegen der Sachverhalt offen zu Tage liege und »nur« die rechtliche Bewertung zweifelhaft sei. Das mag zwar in vielen Fällen stimmen, spricht aber – entgegen Möschel – nicht grundsätzlich gegen eine rechtliche Vergleichbarkeit der privaten Rechtsdurchsetzung im Lauterkeits- und Kartellrecht. 225 In diese Richtung aber Weber, IIC 2003, 920, 921 ff. 226 BGH vom 6.10.1992, GRUR 1993, 137, 139 ff. – Zinssubvention; BGH vom 21.2.1978, GRUR 1978, 445, 446 – 4 zum Preis von 3; BGH vom 8.10.1958, BGHZ 28, 208, 223 – 4711. 227 BGH vom 7.2.2006, BGHZ 166, 154 Tz. 13 ff. – Probeabonnement; dazu näher unter § 2. A. I. 2., S. 50 ff.
§ 2. Ausgangsfragen A. Rechtliche Steuerung im Wettbewerbsgeschehen mit Instrumenten des Privatrechts Wirtschaftlicher Wettbewerb existiert nicht im rechtsfreien Raum. Es gibt keinen außerrechtlich vorgegebenen, gleichsam natürlichen Sachverhalt Wettbewerb. In den Worten Raisers handelt es sich beim Wettbewerb um eine vom Recht hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und ihrer Schranken geordnete Veranstaltung1. Im Unterschied zu bestimmten Prädispositionen oder Verhaltensmustern, die jedem Menschen eigen sind und die vom Recht als gegeben hingenommen werden müssen, ist Wettbewerb als Inbegriff verschiedener Vorgänge und Sachverhalte2 ein vom Recht auf vielfältige Weise gestaltetes Phänomen. Ohne rechtliche Rahmen- und Funktionsbedingungen wäre Wettbewerb weder existenz- noch funktionsfähig.
I. Lauterkeitsrecht und Kartellrecht als Kernelemente wettbewerbsbezogenen Rechts Insgesamt gibt es eine schier unüberschaubare Vielzahl von Bestimmungen, die das Wettbewerbsgeschehen mehr oder weniger direkt beeinflussen. Die Kernelemente wettbewerbsbezogener Rechtsvorschriften bilden das Lauterkeits- und Kartellrecht. Beide Rechtsmaterien bilden gleichsam das rechtliche Fundament für die Existenz und für das Funktionieren von Wettbewerb. Die Aufgabe des Rechts im Wettbewerbsgeschehen hat Baumbach mit der ihm eigenen Lebendigkeit und Zuspitzung treffend wie folgt beschrieben: »Wo Freiheit waltet, ist Ordnung nur bei wechselseitiger Rücksicht möglich. Sie wird, wo es sich um den eigenen Vorteil dreht, ungern ohne Zwang genommen. Träte dem Streben nach Gewinn im Wirtschaftskampf nichts hemmend entgegen, so würden dem Sumpf der menschlichen Natur Miasmen entsteigen, die das Wirtschaftsleben unheilbar vergiften müßten, zumal in einer Zeit des harten, schonungslosen Kampfs ums Brot. Die Rechtsnormen, die alle Übergriffe verhindern und den lauteren Wettbewerb sichern sollen, bilden das Wettbewerbsrecht«3.
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Raiser, in: summum ius summa iniuria, S. 145, 157. Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 9. Baumbach, Kommentar zum Wettbewerbsrecht, S. 117 f.
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§ 2. Ausgangsfragen
Diese Worte sind zwar auf das Lauterkeitsrecht gemünzt, treffen aber gleichermaßen auf das Kartellrecht zu. Beide Rechtsgebiete werden nach deutschem und gemeinschaftsrechtlichem Verständnis traditionell strikt voneinander unterschieden und haben sich aus verschiedenen Wurzeln entwickelt. Sie bilden aber im Kern eine einheitliche Sachmaterie4 und stehen in engen und komplexen Wechselwirkungen5. Beide Rechtsmaterien regeln im Einzelnen unterschiedliche wettbewerbsbezogene Rechtsfragen und blicken jeweils aus einer anderen Perspektive und mit einer anderen Zielsetzung auf Wettbewerbssachverhalte6. Das Marktgeschehen wird dabei gleichsam durch verschiedene Brillen betrachtet. Welche Rechtsfragen dem Lauterkeitsrecht oder dem Kartellrecht zugeordnet sind, folgt nicht selten eher historischen Zufälligkeiten als zwingenden Sachgründen und ist deshalb vielfach geradezu beliebig7. Beispielsweise wird der Verkauf unter Einstandspreis in Deutschland und in Österreich vom Gesetzgeber als ein kartellrechtliches Problem angesehen. In Deutschland ist die Problematik in § 20 Abs. 4 S. 2 bis 4 GWB geregelt, in Österreich in § 5 Abs. 1 Nr. 5 KartG. Dagegen hat der Verkauf unter Einstandspreis in der Schweiz eine lauterkeitsrechtliche Regelung gefunden. Die entsprechende Bestimmung ist in Art. 3 Buchst. f des schweizUWG enthalten. Trotz dieser gesetzgeberischen Zuordnungen kann es aber möglich sein, entsprechende Praktiken nötigenfalls auch anhand anderer Maßstäbe zu beurteilen. § 20 Abs. 4 S. 2 bis 4 GWB schließt es beispielsweise nicht aus, einen Verkauf unter Einstandspreis (auch) daraufhin zu untersuchen, ob eine gezielte Behinderung von Mitbewerbern gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 10 UWG vorliegt oder eine Unlauterkeit unter dem Aspekt der allgemeinen Marktbehinderung gegeben ist8.
1. Mehrdimensionalität als Charakteristikum des Lauterkeitsund Kartellrechts Der Schutz der im Wettbewerb handelnden Akteure gehört zu den zentralen Zielen des Lauterkeitsrechts und des Kartellrechts. § 1 S. 1 UWG spricht diese Zielsetzung deutlich aus. Danach dient das Gesetz »dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucherinnen und der Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen«9. Das Kartellrecht kennt eine solche ausdrückliche Zielbestimmung zwar nicht, lässt aber im Gesetzestext des GWB erkennen, dass es ebenfalls einen umfassenden Schutz der Marktakteure bezweckt. Besonders deutlich kommt die umfassende Schutzkonzeption in § 33 Abs. 1 S. 3 GWB zum Ausdruck. Danach können Mitbewerber und sonstige 4 Ott, in: Festschrift für Raiser, S. 403, 419; Koenigs, NJW 1961, 1041, 1048; Willemer, WRP 1976, 16, 21. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. II, § 22 I 6 b cc, S. 155 betont insbesondere das »Leistungsprinzip« als gemeinsames Strukturelement beider Rechtsgebiete. 5 Koenigs, NJW 1961, 1041 ff.; von Gamm, NJW 1980, 2489 ff.; Willemer, WRP 1976, 16 ff. 6 Von Gamm, NJW 1980, 2489. 7 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 1 Rn. 71. 8 BGH vom 2.10.2008, WRP 2009, 432 Tz. 13 f. und 25 – Küchentiefstpreis-Garantie; zu den Einzelheiten Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 4 Rn. 10.184 ff. 9 § 1 S. 1 UWG.
A. Rechtliche Steuerung im Wettbewerbsgeschehen mit Instrumenten des Privatrechts
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Marktbeteiligte von einem Kartellrechtsverstoß betroffen und damit anspruchsberechtigt sein. Lauterkeits- und Kartellrecht beschränken sich jedoch nicht auf einen eindimensionalen Schutz der Individualinteressen der verschiedenen Marktakteure. Ihre besondere Charakteristik gewinnen beide Rechtsgebiete erst aus dem Zusammentreffen von individuellen und überindividuellen Interessen. Bei individuellen Interessen handelt es sich um die einem Rechtssubjekt individuell zugewiesenen und rechtlich geschützten Rechte, Rechtsgüter und Rechtspositionen. Überindividuelle Interessen sind dagegen rechtlich geschützte Interessen jenseits dieses Individualschutzes und Interessen, die nicht lediglich die Summe der gebündelten Einzelinteressen bilden10. Dazu gehören zum einen kollektive Interessen, also Interessen, die einer Gruppe von Personen, etwa den Verbrauchern, gemeinsam sind11. Zum anderen zählen zu den überindividuellen Interessen Allgemeininteressen oder (gleichbedeutend) öffentliche Interessen. Träger dieser Interessen ist die Allgemeinheit schlechthin, nicht eine nach bestimmten Kriterien spezifizierbare Gruppe12. Ein Beispiel für ein solches Allgemeininteresse bildet das in § 1 S. 2 UWG erwähnte Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb. Überindividuelle Interessen in diesem Sinne sind nicht gleichbedeutend mit öffentlichen Interessen, sondern nur eine spezielle Erscheinungsform von diesen. Der selbstständige rechtliche Schutz überindividueller Interessen ist im Lauterkeitsrecht bereits lange anerkannt. Schon das Reichsgericht hat in einer viel zitierten Passage ausgesprochen, die Berechtigung zur Klage aus § 13 Abs. 1 UWG a.F. beruhe auf dem Gedanken, »daß die Unterlassungsklage, die an sich nur den Konkurrenten schützen soll, in Wahrheit doch – wie das ganze Wettbewerbsgesetz – den Auswüchsen des Wettbewerbs auch im öffentlichen Interesse entgegenzutreten und daher die Verfolgung der betreffenden Rechtsverletzungen nicht dem Belieben des unmittelbar Verletzten allein überlassen will«13.
Noch deutlicher trat der über die Regelung individueller Interessenkonflikte hinausgehende Charakter von Beginn an im Kartellrecht zutage. Dort konzentrierte sich die Diskussion lange Zeit sogar auf die Frage, ob und inwieweit Kartellrechtsbestimmungen überhaupt Individualschutz gewährleisten. Die Berücksichtigung individueller und überindividueller Interessen im Wettbewerbsgeschehen hat zur Folge, dass unlautere und kartellrechtswidrige Handlungen in der Regel nicht aus einer einzigen rechtlichen Perspektive, etwa nur un10 Zur Abgrenzung Drücke, Kollektivinteressen und Wettbewerbsrecht, S. 22 f.; siehe auch Koch, ZZP 113 (2000), 413, 419. 11 Drücke, Kollektivinteressen und Wettbewerbsrecht, S. 23. In Erw. 3 der RL 98/27/EG heißt es zu den Kollektivinteressen von Verbrauchern: »Unter Kollektivinteressen sind die Interessen zu verstehen, bei denen es sich nicht um eine Kumulierung von Interessen durch einen Verstoß geschädigter Personen handelt«. Nach Koch, ZZP 113 (2000), 413, 419 handelt es sich bei den Kollektivinteressen bestimmter Gruppen um Fraktionierungen des Allgemeininteresses, die zeigen, dass die Berechtigten aus unterschiedlicher subjektiver Perspektive das Rechts durchsetzen. 12 Drücke, Kollektivinteressen und Wettbewerbsrecht, S. 22. 13 RG vom 24.1.1928, RGZ 120, 47, 49 – Markenverband.
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§ 2. Ausgangsfragen
ter dem Gesichtspunkt des Schutzes von Mitbewerbern, beurteilt werden können. Vielmehr erfordern diese Handlungen typischerweise eine mehrdimensionale Betrachtungsweise. Die Mehrdimensionalität wird bereits am einfachen Beispiel der irreführenden Werbung deutlich. Das Verbot irreführender Werbung schützt auf Abnehmerseite die Richtigkeit der Entscheidungsgrundlage14. Zugleich schützt das Irreführungsverbot das Interesse von Unternehmen, nicht durch Täuschungen Kunden zu verlieren15. Die Berücksichtigung dieser verschiedenen Interessen gewinnt an Komplexität, weil diese Interessen unterschiedliche Beurteilungsmaßstäbe erfordern können und daher in ihrer Bedeutung zu gewichten und gegeneinander abzuwägen sind16. Die charakteristische Mehrdimensionalität ist nicht auf die Schutzebene beschränkt, also die Frage, ob eine bestimmte Verhaltensweise als unlauter oder kartellrechtswidrig zu qualifizieren ist. Die Mehrdimensionalität ist gleichermaßen auf der Sanktionsebene von Bedeutung. Allgemein anerkannt ist beispielsweise, dass die Anspruchsberechtigung der Verbände gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 UWG und § 33 Abs. 2 GWB gerade auf die Wahrnehmung von Kollektivinteressen zurückzuführen ist. Die Anspruchsberechtigung dieser Institutionen setzt voraus, dass durch einen Rechtsverstoß gerade überindividuelle Interessen beeinträchtigt wurden. Umgekehrt ist die Anspruchsberechtigung dieser Institutionen ausgeschlossen, wenn eine rechtswidrige Handlung ausschließlich Individualinteressen berührt17. 2. Notwendigkeit einer sanktionsbezogenen Abgrenzung zwischen Lauterkeits- und Kartellrecht Wenngleich Lauterkeitsrecht und Kartellrecht in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen, müssen die Anwendungsbereiche beider Rechtsgebiete voneinander und gegeneinander abgegrenzt werden. Die Notwendigkeit einer solchen Abgrenzung folgt aus den unterschiedlichen Sanktionssystemen und Sanktionsinstrumenten. Das Kartellrecht enthält zur Bekämpfung kartellrechtswidriger Praktiken ein in sich geschlossenes, zweispuriges Sanktionssystem, das es ausschließt, Kartellrechtsverstöße zugleich mithilfe des Lauterkeitsrechts zu verfolgen18. Die
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Siehe nur Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 15 Rn. 81: »Wenn der Verbraucher seine Entscheidung nicht auf zutreffende Fakten stützen kann, ist er manipulierbar. Er ist dem Anbieter letztlich ausgeliefert und kann auch seiner Schiedsrichterfunktion im Wettbewerb nicht mehr gerecht werden«. 15 In historischer Rückschau bildete dieses Interesse lange Zeit das lauterkeitsrechtlich maßgebliche Interesse für einen Schutz vor irreführender Werbung, siehe Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 15 Rn. 85 f. 16 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 15 Rn. 91 ff. 17 BGH vom 8.10.2008, WRP 2009, 432 Tz. 22 f. – Küchentiefstpreis-Garantie (zu § 4 Nr. 9 und Nr. 10 UWG). 18 BGH vom 7.2.2006, BGHZ 166, 154 ff. – Probeabonnement; siehe auch BGH vom 7.2.2006, KZR 27/05, BeckRS 2006 09132; BGH vom 7.2.3006, KZR 39/03, BeckRS 2006 09133; zu diesen Entscheidungen Alexander, ZWeR 2007, 239 ff.
A. Rechtliche Steuerung im Wettbewerbsgeschehen mit Instrumenten des Privatrechts
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spezielle Ausrichtung des kartellrechtlichen Sanktionsregimes ergibt sich zum einen aus der speziellen Abstimmung von behördlichen und privatrechtlichen Sanktionen innerhalb des Kartellrechts, zum anderen aus der unterschiedlichen Ausgestaltung der privatrechtlichen Sanktionen im Vergleich zum Lauterkeitsrecht. Im dichotomen Sanktionssystem des Kartellrechts stehen kartellbehördliche und privatrechtliche Sanktionen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern unterliegen besonderen Abhängigkeiten. § 33 Abs. 4 GWB sieht etwa eine spezielle Bindungswirkung für kartellbehördliche Entscheidungen in nachfolgenden Schadensersatzverfahren vor. § 33 Abs. 5 GWB bewirkt die Hemmung der Verjährung eines kartelldeliktischen Schadensersatzanspruchs, sobald eine Kartellbehörde ein Verfahren hinsichtlich des Rechtsverstoßes einleitet, der auch dem Schadensersatzanspruch zugrunde liegt. Diese inhaltliche Abstimmung bildet jedoch nur eine Facette der Abhängigkeit privatrechtlicher und behördlicher Sanktionen. Daneben ist es möglich, dass die kartellrechtlichen Sanktionen in einem bestimmten Rangverhältnis stehen. Privatrechtliche Ansprüche wegen eines Kartellrechtsverstoßes können ausgeschlossen sein, solange nicht die Kartellbehörde ein bestimmtes Verhalten als kartellrechtswidrig angesehen hat. Schadensersatz wegen der missbräuchlichen Handhabung einer Preisbindung im Sinne von § 30 Abs. 3 GWB kommt beispielsweise nur in Betracht, wenn die Kartellbehörde gegen den Preisbinder vorgegangen ist. Solange dagegen eine kartellbehördliche Entscheidung nicht vorliegt, können Schadensersatzansprüche nicht auf eine Verletzung von § 30 Abs. 3 GWB gestützt werden. Die privatrechtlichen Sanktionen im Lauterkeitsrecht und im Kartellrecht sind zwar auf den ersten Blick recht ähnlich ausgestaltet, weisen aber im Detail wichtige Unterschiede auf. Während der Schadensersatzanspruch aus § 9 S. 1 UWG der kurzen Verjährung von sechs Monaten unterliegt19, gilt für den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch aus § 33 Abs. 3 GWB die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren20. Das UWG kennt des Weiteren nur eine Anspruchsberechtigung von Mitbewerbern nach § 9 S. 1 UWG, während gemäß § 33 Abs. 3 GWB Mitbewerber und sonstige Marktbeteiligte anspruchsberechtigt sein können. Auch für die Abschöpfungsansprüche ist die abweichende Regelung der Anspruchsberechtigung relevant. Während nach dem UWG auch qualifizierte Einrichtungen anspruchsberechtigt sein können21, kennt das GWB eine entsprechende Regelung nicht. Dort wurden die qualifizierten Einrichtungen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wieder gestrichen, sodass nur die Unternehmensverbände im Sinne des § 33 Abs. 2 GWB anspruchsberechtigt sind. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat die strikte Trennung von Lauterkeitsrecht und Kartellrecht im Hinblick auf das unterschiedliche Sanktionsregime nach der UWG-Reform 2004 und der siebenten GWB-Novelle 2005 besonders 19 20 21
§ 11 Abs. 1 UWG. § 195 BGB. § 10 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG.
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§ 2. Ausgangsfragen
herausgestellt. Zugleich ist der BGH von früheren Entscheidungen abgerückt, in denen lauterkeitsrechtliche und kartellrechtliche Sanktionen miteinander vermengt wurden. In der 4711-Entscheidung hielt der BGH einen Verstoß gegen das (seinerzeit geltende) kartellrechtliche Verbot nicht angemeldeter Preisbindungen zugleich für einen Verstoß gegen die guten Sitten gemäß § 1 UWG a.F., weil sich die Beklagte durch ihre nicht angemeldeten Preisempfehlungen mit tatsächlich bindender Wirkung einen Vorsprung im Wettbewerb gegenüber ihren gesetzestreuen Mitbewerbern verschafft habe22. Am deutlichsten widmet sich der Problematik die 4 zum Preis von 3-Entscheidung. In diesem Streitfall nahm das Gericht an, ein Verstoß gegen § 15 GWB a.F. (in Verbindung mit § 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB a.F.) stelle zugleich die Verletzung einer unmittelbar wettbewerbsbezogenen Norm dar23. Dies war nach damaligem Verständnis als sittenwidrig gemäß § 1 UWG a.F. anzusehen. In der späteren Zinssubvention-Entscheidung hält das Gericht an seiner Auffassung dem Obersatz nach fest. Doch mussten sich die Richter mit der eigentlichen Rechtsfrage zum Vorsprung durch Rechtsbruch bei der Verletzung einer Kartellrechtsbestimmung in diesem Urteil nicht näher befassen24. Die Kehrtwende brachte die Probeabonnement-Entscheidung25. Darin lehnt der BGH eine generelle Verfolgung von kartellrechtswidrigen Praktiken unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 11 UWG ab26 und distanziert sich von seiner früheren Rechtsprechung27. Es sei davon auszugehen – so die Begründung des Gerichts –, dass mit der siebten GWB-Novelle eine in sich abgeschlossene Regelung der kartelldeliktischen Sanktionen geschaffen wurde, die zwar den lauterkeitsrechtlichen Sanktionen ähnele, aber eben doch nicht identisch ausgestaltet sei. Der Gesetzgeber habe eine Regelung getroffen, die bewusst von dem lauterkeitsrechtlichen Modell abweiche und er habe damit deutlich gemacht, dass es sich um eine abschließende Regelung für die private Durchsetzung kartellrechtlicher Bestimmungen handele28.
II. Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche als Handlungsinstrumente des Privatrechts 1. Komplexes Spannungsverhältnis Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche befinden sich in mehrfacher Hinsicht in einem komplexen Spannungsverhältnis. Als privatrechtliche Ansprüche sind sie fest im Privatrecht verwurzelt. Dessen Strukturen und Prinzipien sind jedoch auf den Schutz individueller Rechte, Rechtsgüter und Rechtspositionen im Verhältnis von Privatpersonen untereinander ausgerichtet. Demgegenüber ist heute anerkannt, dass Lauterkeitsrecht und Kartellrecht auf materiellrechtlicher 22
BGH vom 8.10.1958, BGHZ 28, 208, 223 – 4711. BGH vom 21.2.1978, GRUR 1978, 445, 446 – 4 zum Preis von 3. 24 BGH vom 6.10.1992, GRUR 1993, 137, 139 – Zinssubvention. 25 BGH vom 7.2.2006, BGHZ 166, 154 – Probeabonnement; siehe auch BGH vom 7.2.2006, KZR 27/05, BeckRS 2006 09132; BGH vom 7.2.3006, KZR 39/03, BeckRS 2006 09133. 26 BGH vom 7.2.2006, BGHZ 166, 154 Tz. 13 ff. – Probeabonnement. 27 BGH vom 7.2.2006, BGHZ 166, 154 Tz. 13 – Probeabonnement. 28 BGH vom 7.2.2006, BGHZ 166, 165 Tz. 14 – Probeabonnement. 23
A. Rechtliche Steuerung im Wettbewerbsgeschehen mit Instrumenten des Privatrechts
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Ebene über den reinen Individualschutz hinausgreifen. Weder das Lauterkeitsrecht noch das Kartellrecht lassen sich allein aus der Perspektive eines Individualschutzes von Mitbewerbern oder sonstigen Marktbeteiligten begreifen. Wenn nun aus materiellrechtlicher Sicht neben Individualinteressen einzelner Betroffener auch überindividuelle Interessen zu berücksichtigen sein können, dann kann dies auf der Sanktionsebene nicht ohne Einfluss bleiben. Ein mehrdimensionaler materiellrechtlicher Schutz individueller und überindividueller Interessen verlangt korrespondierende Sanktionsmechanismen. Die Rechtsordnung muss also Strukturen vorsehen, um den materiellrechtlich gewährleisteten Schutz durch geeignete Sanktionen sicherzustellen. Zusätzliche Komplexität resultiert aus den tatsächlichen Besonderheiten des Wettbewerbsgeschehens. Wettbewerb lässt sich aufgrund seiner charakteristischen Vielschichtigkeit und Komplexität nur schwer in rechtliche Kategorien einordnen. Einerseits sind Markt und Wettbewerb ohne rechtliche Vorgaben nicht funktionsfähig, andererseits muss die Rechtsordnung zugleich die Eigengesetzlichkeiten des Wettbewerbs respektieren. Insbesondere verlangt die stetige Veränderlichkeit des Wettbewerbsgeschehens einen sich stets anpassenden, flexiblen und breit gefächerten Schutz wettbewerblicher Interessen. Zugleich muss dabei sichergestellt sein, dass rechtliche Sanktionen bei wettbewerbsbezogenen Rechtsverstößen praktische Wirksamkeit entfalten. Alle diese Aspekte bilden keine statischen Punkte in einem feststehenden Koordinatensystem, sondern sie stehen notwendigerweise in einem Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit und permanenter Veränderung. 2. Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche als subjektive Rechte des Privatrechts Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche sind vom Gesetz als subjektive Rechte ausgestaltet29. Subjektive Rechte sind Grundbausteine des Privatrechts. Die Frage nach der Funktion des subjektiven Rechts innerhalb des Privatrechts öffnet zugleich den Blick für die dogmatische Verankerung des Lauterkeits- und Kartellrechts und der Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche im Privatrecht. a) Begriff des subjektiven Rechts und funktionsbezogene Differenzierung: Subjektive Rechte als Ordnungsinstrumente und Handlungsinstrumente Der Begriff des subjektiven Rechts ist höchst abstrakt und inhaltlich mehrdeutig. Nahezu jede Rechtsmaterie kennt eigene subjektive Rechte30. Subjektive Rechte können darüber hinaus in rechts- und kulturvergleichenden Zusammenhängen eine Rolle spielen31. Selbst wenn man den Blick nur auf das Privatrecht richtet, er29 Zum privatrechtlichen Charakter der Abschöpfungsansprüche eingehend unter § 6. C. I. 1., S. 475 ff. 30 Neben dem subjektiven Recht im Privatrecht sind nur beispielhaft zu nennen die subjektivöffentlichen Rechte. 31 Dazu etwa Fikentscher, Modes of Thought, S. 340.
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§ 2. Ausgangsfragen
weist sich das subjektive Recht als ein schillernder und nur schwer fassbarer Rechtsbegriff. Verbreitet wird das subjektive Recht dahingehend beschrieben, dem Einzelnen werde durch die Rechtsordnung die Rechtsmacht verliehen, bestimmte Interessen zu verwirklichen32. Eine grundlegende Auseinandersetzung mit Begriff, Inhalt und Aufgabe des subjektiven Rechts in der Privatrechtsordnung ist an dieser Stelle nicht notwendig33. Vielmehr genügt die Feststellung, dass der Rechtsinhaber aufgrund eines subjektiven Rechts in der Lage ist, in bestimmter Weise seine Rechtsverhältnisse zu gestalten, seine Rechtssphären abzugrenzen und gegenüber anderen Rechtssubjekten zu schützen34. Die Existenz von subjektiven Rechten bringt zugleich fundamentale Leitgedanken der Privatrechtsordnung zum Ausdruck. Coing hat die gedankliche Verbindung zwischen der Existenz subjektiver Rechte und einer auf der Grundlage von Anerkennung und Schutz individueller Handlungsfreiheit basierenden Privatrechtsordnung wie folgt auf den Punkt gebracht: »Der Gedanke des subjektiven Rechts hält die Auffassung lebendig, daß das Privatrecht und der Rechtsschutz den es begründet, letztlich der Aufrechterhaltung der Freiheit des einzelnen in der Gesellschaft dient, daß die individuelle Freiheit eine der grundlegenden Ideen ist, um deretwillen das Privatrecht existiert. Denn im Gedanken des subjektiven Rechts kommt zum Ausdruck, daß das Privatrecht das Recht der voneinander unabhängigen, nach ihren eigenen Entschlüssen handelnden Rechtsgenossen ist«35.
Erscheinungsformen und Charakter subjektiver Rechte im Privatrecht sind äußerst vielgestaltig. Üblicherweise werden subjektive Rechte nach verschiedenen Gesichtspunkten klassifiziert36. Im Rahmen dieser Untersuchung richtet sich das Interesse indessen auf die Funktionen des subjektiven Rechts im Privatrecht. Zwei Funktionen sind dabei zu unterscheiden. Auf materiellrechtlicher Ebene geben subjektive Rechte über den Gegenstand rechtlichen Schutzes Auskunft. Ein subjektives Recht steht einem bestimmten Rechtsinhaber zu und es ist bezogen auf einen bestimmten Schutzgegenstand, beispielsweise einen körperlichen Gegenstand oder ein Immaterialgut. In dieser Funktion definiert das subjektive Recht Inhalt und Reichweite einer geschützten Rechtsposition. Davon zu unterscheiden ist das subjektive Recht als privatrechtliches Handlungsinstrument, als Mittel zur Gestaltung der Rechtswirklichkeit. Beide Komponenten stehen in einem engen Zusammenhang, müssen aber gedanklich auseinandergehalten werden. 32 Zu dieser Formel Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S. 1. Das neuere Schrifttum hat an dieser Beschreibung vielfach festgehalten, siehe nur Köhler, BGB Allgemeiner Teil, § 17 Rn. 5; Pawlowski, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 107; Rüthers/Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, § 4 Rn. 1; anders Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Rn. 280 ff. m.w.Nachw. 33 Dazu Fezer, Teilhabe und Verantwortung, 1986; siehe auch Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 231 ff. 34 Biedenkopf, in: Festschrift für Böhm, S. 113, 115. 35 Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 23. 36 Siehe nur Köhler, BGB Allgemeiner Teil, § 17 Rn. 6 ff. und Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 62 ff.
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Diese funktionsbezogene Unterscheidung beruht auf der – von Raiser herausgearbeiteten – Differenzierung zwischen primären und sekundären subjektiven Rechten37. Primäre subjektive Rechte bilden danach gleichsam Basis und Struktur der Privatrechtsordnung. Zu den primären subjektiven Rechten gehören die einer Person zugewiesenen, mit Rechtsschutz versehenen Rechtsstellungen sowie vertragliche und vertragsähnliche Rechtsverhältnisse, die zwei oder mehrere Personen in eine besondere Verbindung zueinander bringen38. Demgegenüber weisen sekundäre subjektive Rechte wie Ansprüche und Gestaltungsrechte lediglich einen Hilfscharakter auf. Sie ermöglichen die rechtstechnische Umsetzung und Verwirklichung und sind daher die eigentlichen Handlungsinstrumente des Privatrechts39. Zwischen primären und sekundären subjektiven Rechten bestehen enge Zusammenhänge. Insbesondere dienen die sekundären subjektiven Rechte in weitem Umfang den primären subjektiven Rechten, indem sie dem Inhaber eines solchen Rechts ein dichtes Netz von Ansprüchen zum Schutze der primären Rechtsposition zur Verfügung stellen. Das Verhältnis von primären und sekundären subjektiven Rechten lässt sich anhand des Eigentums verdeutlichen40: Der Eigentümer einer Sache hat gemäß § 903 S. 1 BGB das Recht, soweit nicht gesetzliche Bestimmungen oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit seiner Sache nach Belieben zu verfahren und andere von jeder Einwirkung auszuschließen. Damit wird auf materiellrechtlicher Ebene der Schutzumfang festgelegt. Dieser Schutz wird jedoch erst dann »lebendig«, wenn der Eigentümer dieses Recht auch verwirklichen kann, ihm also Handlungsinstrumente zur Verfügung stehen. Das primäre subjektive Recht wird durch sekundäre subjektive Rechte »wehrhaft«. Der Eigentümer kann etwa, wenn ihm der Besitz entzogen oder vorenthalten wird, gemäß § 985 BGB von dem Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen. Wird der Eigentümer in anderer Weise gestört, dann stehen ihm aus § 1004 Abs. 1 BGB Abwehransprüche zu. Des Weiteren gewährt § 823 Abs. 1 BGB Schadensersatz im Falle der Verletzung des Eigentums und schließlich kann derjenige, der auf Kosten des Eigentümers etwas erlangt, gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB auf Herausgabe des Erlangten in Anspruch genommen werden.
Ein primäres subjektives Recht ganz ohne begleitende, dienende Rechte ist schwer vorstellbar. Erhebt man die »Wehrhaftigkeit« zu einem notwendigen Wesensmerkmal des primären subjektiven Rechts, könnte von einem solchen Recht ohne sichernde und schützende sekundäre subjektive Rechte überhaupt nicht die Rede sein. Umgekehrt muss jedoch nicht jedem sekundären subjektiven Recht notwendigerweise ein primäres subjektives Recht zugrunde liegen41. Anders formuliert: Nicht überall dort, wo privatrechtliche Ansprüche bestehen, dienen diese Ansprüche auch der Sicherung eines primären subjektiven Rechts. Wenn
37 Raiser, JZ 1961, 465, 466; daran anknüpfend K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht – Kartellverwaltungsrecht – Bürgerliches Recht, S. 314 ff.; ähnlich auch E. Schmidt, ZIP 1991, 629, 631. 38 Raiser, JZ 1961, 465, 466. 39 Raiser, JZ 1961, 465, 466. 40 Raiser, JZ 1961, 465, 467. 41 Raiser, JZ 1961, 465, 467.
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§ 2. Ausgangsfragen
die Rechtsordnung privatrechtliche Ansprüche vorsieht, dann bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass diesen Ansprüchen primäre subjektive Rechte zugrunde liegen müssen. Gleichwohl war und ist die Tendenz zu beobachten, privaten Rechtsschutz auf primäre subjektive Rechte zurückzuführen. Ein prominentes Beispiel für dieses Bemühen ist das Recht am Unternehmen (oder nach traditionellem Sprachgebrauch: das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb). Ganz überwiegend wird das Recht am Unternehmen als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB angesehen. Dieses Recht wurde geschaffen, um dem praktischen Bedürfnis nach einem privatrechtlichen Schutz des Unternehmens gegen bestimmte Angriffe Rechnung zu tragen42. Jedoch ist es bislang nicht gelungen, dieses subjektive Recht wirklich praktikabel auszugestalten und ihm materiellrechtliche Gestalt zu verleihen. In Wahrheit handelt es sich bei dem Recht am Unternehmen um ein Bündel höchst unterschiedlicher ungeschriebener Verhaltenspflichten, »die dem Unternehmer das nötige Maß an fairer und korrekter Behandlung sichern«43.
Die Ursache der zu beobachtenden Tendenz einer »Versubjektivierung« liegt in der verbreiteten Vorstellung, Rechtsschutz im Privatrecht müsse notwendig Individualschutz sein. Deswegen wird vielfach versucht, überall dort, wo ein Bedürfnis für den Schutz institutionell anerkannter Interessen auftritt und durch Abwehr- oder Schadensersatzansprüche befriedigt werden soll, ein primäres subjektives Recht zugunsten des Betroffenen zu begründen, um sodann auf privatrechtliche Ansprüche zum Schutze dieses Rechts zurückgreifen zu können44. Nicht die Erhaltung einer objektiven Ordnung, sondern die Zuweisung von Befugnissen an die Rechtssubjekte wird vielfach als der herrschende Systemgedanke des deutschen Privatrechts angesehen45. Eindringlich hat von Caemmerer als Folge solcher Entwicklungen vor einer »unnötigen Hypertrophie der subjektiven Rechte«46 gewarnt. Umgekehrt besteht allerdings kein Anlass, das subjektive Recht als dogmatischen Ansatzpunkt gänzlich zu verwerfen, wenn das Privatrecht über den individuellen Güterschutz hinausgreift47, solange man nur berücksichtigt und offen legt, in welchem funktionalen Zusammenhang von einem subjektiven Recht gesprochen wird.
42
Eingehende Kritik bei Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, II/2, § 81 II, S. 544 ff. Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 431; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, II/2, § 81 II 2, S. 545. 44 Raiser, in: summum ius summum iniuria, S. 145, 153 f.; siehe auch Loewenheim, ZHR 135 (1971), 97, 129. 45 Biedenkopf, in: Festschrift für Böhm, S. 113, 115. 46 Von Caemmerer, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 49, 55. 47 Demgegenüber will Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 243 ff. jedenfalls Popularund Verbandsklagen gänzlich vom subjektiven Recht abkoppeln. Nach seiner Ansicht verdeckt ein über den individuellen Güterschutz hinausgehender Begriff des subjektiven Rechts notwendige Differenzierungen zwischen Individualschutz und objektiver Rechtskontrolle. 43
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b) Rolle des Privatrechts beim Schutz wettbewerbsbezogener Interessen aa) Schutz wettbewerbsbezogener Interessen statt Schutz eines subjektiven Rechts Das Bemühen, Rechtsschutz auf ein subjektives Recht zurückzuführen, wird nicht nur im bürgerlichen Recht deutlich, sondern hat auch die Entwicklung des Lauterkeitsrechts48 maßgeblich geprägt: »Ziviles Unrecht wurde notwendig als die Verletzung eines subjektiven Rechts gedacht. Der rechtstheoretische Ausgangspunkt machte der Lehre zur Aufgabe, das Schutzobjekt im Wettbewerbsrecht zu finden. Denn erst der Eingriff eines Wettbewerbers in das rechtlich geschützte Rechtsgut eines Mitbewerbers konstituierte das wettbewerbsrechtliche Unrecht«49.
Demgegenüber hatte das Reichsgericht bereits früh anerkannt, dass die lauterkeitsrechtlichen Ansprüche in der Regel nicht einem Individualrecht, also einem subjektiven Recht, entstammen, sondern in dem lauterkeitsrechtlichen Schutz bestimmter Interessen wurzeln50. Der womöglich letzte große Versuch, Lauterkeitsrecht und Kartellrecht dogmatisch auf ein subjektives Recht zurückzuführen, wurde von Fikentscher unternommen. Seinem Vorschlag, das Recht am Unternehmen und das allgemeine Persönlichkeitsrecht gleichsam zu einem Wirtschaftspersönlichkeitsrecht zu verschmelzen51, war indessen kein Erfolg beschieden. Die Suche nach einem subjektiven Recht im Wettbewerb führte zu keinem überzeugenden Ergebnis und man wird bezweifeln müssen, ob eine solche Suche überhaupt jemals erfolgreich sein kann. Wie weit können wir – fragt Tilmann zu Recht – den Wirtschaftskreislauf durch die Nägel verbindlicher Individualpositionen in einzelnen Punkten seines Weges fixieren, ohne sein freies Spiel, seine Kompromissfähigkeit und Opportunitätsoffenheit in funktionswidriger Weise zu behindern?52 Das komplexe und vielschichtige Geschehen des Wettbewerbs sowie die vielfältigen, miteinander in Konflikt stehenden Interessen der Marktakteure lassen sich schlechterdings nicht in einem subjektiven Recht des Einzelnen bündeln und zusammenfassen, ohne dass ein solches Recht äußerst vage bliebe und damit letztlich keinen Anwendungsvorteil verspricht. Mit einem solchen Recht wäre nichts mehr gewonnen als ein subjektiver Rechtsbegriff ohne eigene Aussagekraft53. Letztlich zielte die Suche nach einem zugrunde liegenden subjektiven Recht im Wettbewerb auf das Bemühen zur Schaffung einer dogmatischen Konstruktion, obgleich es einer solchen gar nicht bedurfte54: 48 Anderes gilt für das Kartellrecht, das nicht auf eine vergleichbare individualistische Vorprägung wie das Lauterkeitsrechts zurückblickt, vgl. Tilmann, GRUR 1979, 825, 826. 49 Fezer, WRP 1993, 565, 569. 50 RG vom 21.4.1931, RGZ 132, 311, 316 f. 51 Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, S. 207 ff.; ders. Wirtschaftsrecht, Bd. II, § 22 I 2 b), S. 132 ff. 52 Tilmann, ZHR 141 (1977), 32, 33. 53 Mailänder, Privatrechtliche Folgen unerlaubter Kartellpraxis, S. 180. 54 Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht (6. Aufl. 1999), § 1 Rn. 21.
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§ 2. Ausgangsfragen
»Sicherlich ist ein auf der Verletzung eines Individualrechts der Mitbewerber aufgebautes Wettbewerbsrecht möglich. Aber schwerlich wird man damit allen Erscheinungsformen des unlauteren Wettbewerbs, die sich ständig wandeln und in neuer Gestalt zeigen, begegnen können. Es gibt zahllose Fälle unlauteren Verhaltens im Wettbewerb, die sich nicht auf den Nenner eines Eingriffs in ein subjektives Recht oder Rechtsgut bringen lassen«55.
Die Diskussion über subjektive Rechte als Ordnungsinstrumente im Lauterkeitsrecht ist mittlerweile in den Hintergrund getreten. In neuerer Zeit wird eher darüber nachgedacht, ob einzelne Bereiche des Lauterkeitsrechts auf subjektive Rechte zurückzuführen sind. Fezer will dies für den ergänzenden Leistungsschutz annehmen56. Die damit verbundene Problematik kann hier nicht im Detail vertieft werden, weil dies eine eingehende Analyse der immaterialgüterrechtlichen Dogmatik und der vielfältigen Konstellationen des ergänzenden Leistungsschutzes erforderlich machen würde. Es sollen daher einige Andeutungen genügen. Richtig ist, dass ein unlauteres Nachahmen ähnliche Rechtsfragen aufwerfen kann wie der Schutz von Immaterialgüterrechten. Jedoch sind angesichts der vielfältigen Erscheinungsformen des ergänzenden Leistungsschutzes Zweifel angebracht, ob sich all diese Fälle sachgerecht in einem einheitlichen subjektiven Recht zusammenfassen lassen. Zudem muss man angesichts der zunehmenden Erosion des ergänzenden Leistungsschutzes eher die Frage stellen, wie berechtigt der ergänzende Leistungsschutz im Lauterkeitsrecht heute noch ist. Aber selbst wenn der ergänzende Leistungsschutz, wie der Schutz des geistigen Eigentums, dogmatisch auf ein subjektives Recht zurückzuführen sein sollte, dann bestünde die konsequente Schlussfolgerung nicht darin, das Lauterkeitsrecht partiell zu »versubjektivieren«, sondern diesen Bereich aus dem Lauterkeitsrecht auszulagern und eine dogmatische Trennung zu vollziehen. De lege ferenda wäre der ergänzende Leistungsschutz besser im Allgemeinen Teil einer übergreifenden Kodifikation der Immaterialgüterrechte aufgehoben57. Noch weniger als im Lauterkeitsrecht lassen sich privatrechtliche Ansprüche im Kartellrecht auf ein subjektives Recht eines Marktakteurs stützen58. Die Steuerung wettbewerbsbezogenen Verhaltens durch Lauterkeitsrecht und Kartellrecht verträgt sich generell nicht mit der statischen Ausgrenzung von Rechtszonen, wie sie durch absolute Rechte und Rechtsgüter vorgenommen werden59.
55 Hefermehl, in: Festschrift für Nipperdey, S. 283, 285 f.; dazu auch ders., in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht (7. Aufl. 1956) Allg. Rn. 56 und zuletzt ders., in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht (22. Aufl. 2001), Einl. UWG Rn. 49. Ebenso Burmann, WRP 1967, 240; Willemer, WRP 1976, 16, 18 f. 56 Fezer, WRP 1993, 565, 568 ff.; ders. WRP 1993, 63, 64 ff. 57 Ahrens, GRUR 2006, 617, 621. 58 Siehe Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht (22. Aufl. 2001), Allg. Rn. 88 und Einl. Rn. 52; Willemer, WRP 1976, 16, 19 f. Biedenkopf, in: Festschrift für Böhm, S. 113, 116 ff. hat zudem darauf hingewiesen, dass dem subjektiven Recht und einer daran ausgerichteten Rechtsordnung eine tendenziell machtfördernde Wirkung innewohnt. 59 Vgl. Joerges, in: Alternativkommentar, BGB, Vor §§ 823 ff. Rn. 47.
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bb) Wettbewerblicher Interessenschutz und Sanktionsinstrumente Festzuhalten ist damit, dass eine wettbewerbsbezogene Betrachtung nicht das subjektive Recht als Ordnungsinstrument in den Vordergrund rücken muss, sondern das subjektive Recht als Handlungsinstrument. In dieser Funktion stehen die privatrechtlichen Ansprüche als subjektive Rechte notwendigerweise in einem untrennbaren Zusammenhang mit den jeweils geschützten Interessen60. Dieser Zusammenhang bildete auch die Basis für die Anerkennung des Schutzes überindividueller Interessen im Wettbewerb. Rechtlicher Schutz im Wettbewerb wird nicht allein zugunsten einzelner Marktakteure gewährt. Vielmehr erstreckt sich der Schutz des Lauterkeitsrechts und des Kartellrechts auf individuelle und überindividuelle Interessen. Beide Rechtsgebiete bilden demgemäß Anwendungsbeispiele für die von Raiser aufgezeigte Möglichkeit eines privatrechtlichen Schutzes von Interessen jenseits der Individualinteressen einzelner Privatrechtssubjekte61. Die Kernaufgabe der Rechtsanwendung im Lauterkeits- und Kartellrecht besteht darin, die jeweils geschützten Interessen herauszuarbeiten und zu gewichten62. Der Schutz von individuellen und überindividuellen Interessen mit privatrechtlichen Mitteln wird zumeist in den Zusammenhang mit der Verbandsklagebefugnis von Unternehmensverbänden, qualifizierten Einrichtungen und Kammern gestellt. Der Blick ist damit in erster Linie auf die Durchsetzung von Abwehransprüchen gerichtet. Nach Hefermehl besteht die Besonderheit dieser Sanktionen darin, dass der rechtliche Schutz nicht durch das Medium eines individuellen Rechts oder Rechtsguts, sondern dadurch verwirklicht wird, dass dem Verstoß eines Wettbewerbers gegen objektive Verhaltensnormen den Mitbewerbern und Verbänden zur Förderung gewerblicher Interessen und zur Wahrnehmung von Verbraucherinteressen Abwehransprüche zustehen. Ein solcher Interessenschutz lässt sich durch privatrechtliche Schutzansprüche begründen, ohne dass es hierfür der vorherigen Feststellung subjektiver Rechte oder Rechtsgüter bedarf63. Daran anknüpfend stellt sich nun die Frage, ob der Schutz individueller und überindividueller Interessen auch durch Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche verwirklicht werden kann. Für beide Ansprüche kann dies im Grundsatz bejaht werden.
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Zum Begriff des Interesses siehe etwa Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 203 f. Raiser, in: summum ius summum iniuria, S. 145, 156; zustimmend Kellmann, Grundsätze der Gewinnhaftung, S. 149; Loewenheim, ZHR 135 (1971), 97, 124 ff. 62 Zum UWG siehe etwa den Überblick bei Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 13 Rn. 48 ff. (zu den geschützten Interessen der Verbraucher) und § 17 Rn. 13 ff. (zu den geschützten Interessen der Konkurrenten); Schünemann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 1 Rn. 56 ff. Im Kartellrecht standen bislang weniger die geschützten Interessen der Marktakteure im Mittelpunkt des Interesses als die Frage nach dem von einer Norm bezweckten Individualschutz oder Institutionsschutz. 63 Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht (22. Aufl. 2001), Einl. UWG Rn. 50. 61
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Bei Abschöpfungsansprüchen tritt der Schutz einzelner Betroffener völlig in den Hintergrund. Abschöpfungsansprüche bilden einen im Privatrecht neuartigen Anwendungsfall für einen Anspruch mit überindividueller Schutzrichtung64. Eine wesentliche Eigenart der Abschöpfungsansprüche besteht darin, dass eine Vielzahl von Marktakteuren von einem Rechtsverstoß betroffen sein muss. Die Abschöpfung knüpft an Handlungen mit Breitenwirkung an65 und Praktiken, die typischerweise überindividuelle Interessen tangieren. Abschöpfungsansprüche können des Weiteren nicht von einzelnen Marktakteuren geltend gemacht werden, sondern nur von Institutionen, die überindividuelle Interessen wahrnehmen. Außerdem setzen Abschöpfungsansprüche keine Verletzung einer einzelnen Rechtsposition oder eines einzelnen Interesses voraus. Der abzuschöpfende Gewinn fließt zudem nicht einzelnen Marktakteuren zu, sondern ist an den Bundeshaushalt auszukehren. Nicht ganz so eindeutig liegen die Dinge bei Schadensersatzansprüchen, die eher den paradigmatischen Anwendungsfall für ein privatrechtliches Instrument des Individualrechtsschutzes bilden. Die Schadensersatzhaftung setzt, neben den weiteren Voraussetzungen, vor allem das Bestehen eines Schadens voraus, der seinerseits nicht von der Person des Geschädigten getrennt werden kann. Schadensersatz, der nur im überindividuellen Interesse gewährt wird, ist dem deutschen Recht fremd. Gleichwohl schließt dies nicht von vornherein aus, dass Schadensersatz zumindest auch dem Schutz von überindividuellen Interessen dienen kann. Wenn beispielsweise im Lauterkeitsrecht die Kosten einer »Marktentwirrung« als ersatzfähig angesehen werden, dann beruht dies nicht allein auf Gründen des Ausgleichs eines individuellen Schadens des beeinträchtigten Mitbewerbers. Vielmehr liegt es häufig zugleich im Interesse der sonstigen, durch den »marktverwirrenden« Akt beeinträchtigten Marktakteure, wenn durch Maßnahmen zur »Marktentwirrung« Fehlvorstellungen des Verkehrs beseitigt werden. Besteht beispielsweise aufgrund einer verwechslungsfähigen Bezeichnung von Arzneimitteln die Gefahr, dass der Verkehr falsche Vorstellungen entwickelt und möglicherweise über die Schädlichkeit von Medikamenten getäuscht wird66, dann liegt eine Marktaufklärung nicht nur im Interesse des Inhabers der geschützten Bezeichnung, sondern vor allem im Interesse der Öffentlichkeit. Auf dieser Linie liegt auch die Anerkennung von Kosten für die Verfolgung von Rechtsverstößen als ersatzfähige Schäden, zu denen sich ein Unternehmer »herausgefordert« fühlen durfte, selbst wenn sich das Vorgehen als erfolglos erweist67. Im Kartellrecht ist der Schadensersatzanspruch durch den Gesetzgeber selbst im Sinne einer Wahrnehmung öffentlicher Interessen aufgewertet worden68. Zu Recht weisen
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Eingehend zur dogmatischen Einordnung unten, § 6. C., S. 474 ff. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 24. 66 So im Falle von BGH vom 10.5.1974, GRUR 1974, 735 – Pharmamedan. 67 So im Falle von BGH vom 23.11.2006, GRUR 2007, 631 – Abmahnaktion. 68 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 35; dazu näher unten, § 5. A. II. 3., S. 312 ff. 65
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Oppermann/Müller darauf hin, dass Schadensersatzansprüche ebenso wie die Abwehransprüche im Wettbewerb nicht auf den Schutz absoluter subjektiver Rechte ausgerichtet sind, sondern gleichermaßen auf der Grundidee beruhen, dass durch Herausbildung objektiver Verhaltensnormen unlautere Verhaltensweisen bekämpft werden sollen69. cc) Funktionelle Offenheit des Privatrechts Diese Überlegungen zeigen, dass es zu eng wäre, das Privatrecht – und damit auch Ansprüche als privatrechtliche Handlungsinstrumente – ausschließlich einer individualisierenden Betrachtung zu unterwerfen. Der Gedanke, dass privatrechtlich ausgestalteter Rechtsschutz dem Schutz individueller Rechte, Rechtsgüter oder Rechtspositionen (also primärer subjektiver Rechte) dient, ist oftmals naheliegend, vielfach selbstverständlich, aber keineswegs in jedem Fall zwingend. Der Gedanke des »reinen« Individualschutzes bildet jedenfalls kein elementares und unverzichtbares Strukturelement des Privatrechts. Der Schutz übergeordneter Interessen und der Schutz von rechtlichen Institutionen bleiben als eigenständige Regelungsaufgaben des Privatrechts oftmals im Schatten. Sie werden als eigenständige und legitime Ziele vielfach nicht erkannt. Diese Sichtweise ist jedoch eindimensional und damit unzureichend70. Privatrechtlicher Schutz kann nicht nur der Gewährleistung selbstständiger Rechtsstellungen und vor allem dem Schutz (primärer) subjektiver Rechte dienen, sondern kann zugleich auch in einem überindividuellen (kollektiven oder öffentlichen) Interesse gewährleistet werden. Daher besteht weder Anlass, privaten Rechtsschutz auf die Wahrnehmung subjektiver Rechte zu reduzieren, noch ist der Gedanke einer Verwirklichung überindividueller Interessen dem Privatrecht grundsätzlich fremd. Eine solche Rolle des Privatrechts hat Raiser in seiner Auseinandersetzung mit Fikentschers Konzeption eines Wettbewerbsrechts beschrieben, das auf ein wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht zurückzuführen ist71. Die Rechtsordnung trifft danach nicht nur die Aufgabe des Schutzes des vorhandenen Güterbestandes, sondern auch des Schutzes der Erwerbsmöglichkeiten. Doch geschieht dies nicht »durch Zuerkennung von leeren Freiheitsrechten, sondern durch die Errichtung einer Wettbewerbsordnung, in der die Wirtschaftssubjekte, ohne Befehlen unterworfen zu sein, durch den Markt koordiniert, in ihrer selbstverantwortlichen Tätigkeit geschützt und zugleich durch das Ausdehnungsstreben aller anderen begrenzt sind«72. Die Grundlage eines solchen Schutzes bildet nicht die Zuerkennung (primärer) subjektiver Rechte. Indem die Rechtsordnung Verhaltensregeln 69
Oppermann/Müller, GRUR 2005, 280, 282. Die »Preisgabe einer einseitigen privatrechtlichen Besinnungsweise, die Einflechtung öffentlich-rechtlicher Momente in das Deliktssystem und spezifisch die Betrachtung der jeweiligen Schutznorm unter dem besonderen Aspekt der Institutionenhilfe [dürfte] von großem Nutzen sein«, Buxbaum, Die private Klage als Mittel zur Durchsetzung wirtschaftspolitischer Rechtsnormen, S. 60. 71 Oben, Fn. 51. 72 Raiser, JZ 1961, 465, 472. 70
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für die Beteiligten – im Wettbewerb also für die Marktakteure – aufstellt, schützt sie sowohl die Wettbewerbsordnung in ihrer Gesamtheit in einem institutionellen Sinne als auch den Einzelnen als Element dieser Ordnung73. Ein so verstandener institutioneller Gehalt privatrechtlicher Normen zwingt nicht dazu, privatrechtliche Handlungsinstrumente auf ihre gesellschaftliche oder individualschützende Funktion zu reduzieren. Die Ausübung von Individualrechten, die davon ausgehenden gesellschaftlichen Wirkungen und die anhand dieser Wirkungen normativ zu bestimmenden gesellschaftlichen Funktionen müssen in die Rechtsund Wirtschaftsordnung integriert werden74. Lauterkeitsrecht und Kartellrecht setzen die wirtschaftspolitische und gesellschaftliche Entscheidung für eine auf Marktwirtschaft und Wettbewerb basierende Ordnung voraus und sie gewährleisten zugleich deren Schutz75. Dieser Schutz wird jedoch nicht durch einen isolierten Individualschutz Einzelner oder durch einen abstrakten Institutionsschutz verwirklicht, sondern durch einen komplementären Schutz individueller und überindividueller Interessen der im Wettbewerb horizontal und vertikal miteinander in Beziehung stehenden Marktakteure. Daraus folgt: Es wäre zu eng, privatrechtliche Sanktionen allein unter dem Gesichtspunkt der individuellen Aufarbeitung eines bestimmten Geschehens zwischen Verletzer und Verletztem zu betrachten. Vielmehr muss die rechtliche Perspektive erweitert werden. Indem einzelne Berechtigte bei Rechtsverletzungen tätig werden, agieren sie zugleich als »Funktionär in der Gesamtrechtsordnung«76. Privatrechtliche Ansprüche werden damit in gewisser Weise »instrumentalisiert«77. c) Schutz der »Institution Wettbewerb«? Anerkennt man, dass ein funktionell offenes Privatrecht im Wettbewerbsgeschehen den Schutz individueller und überindividueller Interessen verwirklichen kann, dann bedarf es abschließend noch eines Blickes auf den häufig problematisierten Schutz der »Institution Wettbewerb«. Vor allem im Kartellrecht wurde lange Zeit versucht, einen Gegensatz zwischen Individualschutz und Institutionsschutz herzustellen oder aber einen solchen Gegensatz aufzulösen78. Dass diese Frage bisweilen geradezu zum Kernproblem des Kartellrechts erhoben wurde, hängt maßgeblich mit der Entwicklung des Kartellrechts zusammen. Das
73
Raiser, JZ 1961, 465, 472. Mestmäcker, AcP 168 (1968), 235, 242. 75 Raiser, GRUR Int. 1973, 443, 445. 76 Biedenkopf, in: Festschrift für Böhm, S. 113, 133. 77 Sogleich im Text unter 3., S. 65 ff. 78 Dazu Benisch, WuW 1961, 764 ff.; Koenigs, NJW 1961, 1041 ff.; Merz, in: Festschrift für Böhm, S. 227 ff.; Tilmann, GRUR 1979, 825 ff.; Würdinger, WuW 1953, 721 ff.; zu den volkswirtschaftlichen Aspekten dieser Diskussion Hoppmann, in: Wettbewerb als Aufgabe, S. 61 ff. Aus heutiger Sicht kritisch zu dieser Debatte K. Schmidt, in: Festschrift für Canaris, S. 1175, 1180 m.w.Nachw. 74
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Rechtsgebiet hat sich nicht über einen längeren Zeitraum herausbilden können, sondern entstand – nach rechtshistorischen Maßstäben – in relativ kurzer Zeit. Es traf noch dazu auf ein wenig entwickeltes Unrechts- und Problembewusstsein in den maßgeblichen Rechtskreisen79. Unter solchen Umständen wurde das neuartige Recht von den Betroffenen nicht vordergründig als Instrument des Individualschutzes verstanden, sondern eher als eine hoheitliche Beschränkung der individuellen wirtschaftlichen Handlungsfreiheit in Gestalt eines speziellen »Wettbewerbspolizeirechts«. Geradezu entgegengesetzt stellt sich demgegenüber die Situation im Lauterkeitsrecht dar. Dieses hat sich allmählich aus dem Deliktsrecht heraus entwickeln können und traf insgesamt auf eine große Akzeptanz bei den Rechtsadressaten. Die (auch) individualschützende Ausrichtung des UWG stand und steht nicht in Zweifel. Doch kann sich hier umgekehrt die Frage stellen, inwieweit das Lauterkeitsrecht im Hinblick auf den Wettbewerb einen institutionsschützenden Charakter aufweist. Der Schutz der »Institution Wettbewerb« erweist sich bei näherer Betrachtung als inhaltsleere Hülle. Spricht man von der »Institution Wettbewerb«, dann geht es in Wahrheit um eine Gesamtheit von Vorgängen und Prozessen, für die das Recht Rahmenbedingungen vorgibt, die innerhalb dieser Rahmenbedingungen nach eigenen Gesetzmäßigkeiten ablaufen und deren Ablauf – aus sehr verschiedenen Gründen, über die keineswegs Einigkeit besteht – als wünschenswert angesehen wird80. Jedoch kann man Wettbewerb nicht als ein tatsächliches oder rechtliches Institut erfassen81. Es gibt keine geeignete juristische Kategorie, der sich ein »Institut Wettbewerb« zuordnen ließe82. Zudem widerspricht es der Vorstellung eines dynamisch ablaufenden Wettbewerbsgeschehens, einen das »Institut Wettbewerb« kennzeichnenden festen und dauerhaften Kern anzunehmen83. Wettbewerb ist nicht den natürlichen Ressourcen vergleichbar, die man etwa nach dem Vorbild der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG unter rechtlichen Schutz stellen könnte. Weder lässt sich Wettbewerb staatlich erzwingen, noch lässt sich die Existenz von Wettbewerb staatlich garantieren. Allenfalls kann der Staat wettbewerbsbegünstigende Rahmenbedingungen schaffen und wettbewerbliche Strukturen fördern. Von einem Schutz der »Institution Wettbewerb« kann daher überhaupt nur in dem Sinne gesprochen werden, dass die im Wettbewerb ablaufenden Koordinationsprozesse zwischen den Marktakteuren sowohl im Einzelnen als auch in der Gesamtheit als schutzwürdig und schutzbedürftig anerkannt werden. Letztlich geht es also um die Gewährleistung einer Wettbewerbsordnung und die Gewährleistung der Funktionsfähig79
Siehe oben § 1. C. I., S. 42 ff. Raiser, in: summum ius summa iniuria, S. 145, 157. 81 Eingehend Schliesky, Öffentliches Wettbewerbsrecht, S. 189 ff. 82 Schliesky, Öffentliches Wettbewerbsrecht, S. 190. 83 »Denn wo Wettbewerb überhaupt besteht, sind die wesentlichen Umstände nicht bekannt, die das Handeln der Wettbewerbsteilnehmer bestimmen, ebenso wenig das konkrete Ergebnis. Würden Ergebnis und ›Sieger‹ bereits feststehen, wäre es sinnlos, einen Wettbewerb überhaupt erst zu veranstalten«, Schliesky, Öffentliches Wettbewerbsrecht, S. 191. 80
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keit des Wettbewerbs. Beide Aspekte stehen in einem unauflösbaren Zusammenhang84. Eine Wettbewerbsordnung ist grundlegende Voraussetzung für die Existenz von Wettbewerb und verlangt rechtliche Rahmenbedingungen, die Wettbewerb prinzipiell zulassen. Zugleich muss die Rechtsordnung dann aber auch einen zweiten Schritt gehen. Wer Wettbewerb zulässt und als wünschenswert ansieht, muss zugleich Sorge für den Erhalt dessen Funktionsfähigkeit tragen. Denn ohne solche Sicherungsmechanismen wäre das Ziel einer Wettbewerbsordnung letztlich nur ein inhaltsleerer programmatischer Satz. Ein so verstandener Schutz der »Institution Wettbewerb« lässt sich von den im Wettbewerb geschützten individuellen und überindividuellen Interessen nicht ablösen, ja nicht einmal als eigenständige Zielrichtung verselbstständigen. Wettbewerb ist ohne die Handlungsfreiheiten der Marktakteure nicht denkbar. Umgekehrt werden diese Handlungsmöglichkeiten gerade nicht zweckfrei gewährleistet. Sie bilden die Grundlage für das Entstehen und Bestehen von Wettbewerb und ihr Schutz liegt sowohl im individuellen Interesse des Einzelnen als auch im überindividuellen Interesse85. Durch die rechtlichen Absicherungen der Handlungsfreiräume der Marktakteure mit dem Schutz ihrer individuellen und überindividuellen Interessen gewinnt der Schutz einen übergeordneten und damit »institutionellen« Charakter86: »Wie der Wettbewerb durch Betätigung individueller Freiheit einen Sprung auf die gesellschaftlich-überindividuelle Ebene vollzieht, indem er dort für ›praktische Konkordanz‹ zwischen den privatautonom handelnden Wirtschaftssubjekten sorgt, letztlich also durch den am Markt geschlossenen Kontrakt zum Gleichgewichtspreis, so führt die rechtliche Absicherung jener individuell verfügbaren Freiräume (in letzter Konsequenz über die Grundrechte) dazu, dass sich die Summe der rechtlichen Einzelabsicherungen dialektisch zum Institutionenschutz für Markt und Wettbewerb wandelt«87.
Individueller und überindividueller Interessenschutz sowie der Schutz der »Institution Wettbewerb« bilden demzufolge eine unauflösbare Einheit88. Jedoch gibt es weder einen isolierten, von den individuellen und überindividuellen Interessen getrennten Institutionsschutz an sich, noch lässt sich umgekehrt der Schutz der Marktakteure vom übergeordneten Gedanken des Wettbewerbs trennen. Die Frage nach einem eigenständigen Schutz der »Institution Wettbewerb« geht damit ins Leere und hat keinen eigenständigen Erkenntniswert.
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Schluep, GRUR Int. 1973, 446, 447 f. Vgl. Raiser, in: summum ius summa iniuria, S. 145, 156 f. 86 Mit genau entgegengesetzter Akzentuierung Raiser, in: summum ius summa iniuria, S. 145, 156, wonach die Wettbewerbsordnung selbst als Gegenstand des Unlauterkeitsrechts anzusehen sei. Der Schutz dieses Rechtsinstituts schließe den Schutz der Interessen der verschiedenen an dem betreffenden Markt beteiligten Wirtschaftssubjekte ein. 87 Schünemann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 3 Rn. 262. 88 Schünemann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 3 Rn. 263: »zwei Seiten ein und derselben Medaille«; siehe auch Loewenheim, ZHR 135 (1971), 97, 126 f.; Schluep, GRUR Int. 1973, 446, 447 f. 85
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3. Funktionalisierung und Instrumentalisierung des Privatrechts Die auf das Lauterkeitsrecht und Kartellrecht zielenden Überlegungen bilden ihrerseits nur einen Ausschnitt einer komplexen und grundsätzlichen Problematik. Im Kern geht es darum, ob und in welchem Maße das Privatrecht ordnungspolitische Aufgaben wahrnehmen kann und wahrnehmen sollte89. Es greift – wie bereits oben dargelegt – zu kurz, Privatrecht auf die Regelung individueller Interessenkonflikte zwischen gleichgeordneten Individuen zu beschränken. Bezogen auf die Einbettung des Privatrechts in die Wirtschaftsordnung verdient Schluep Zustimmung, wenn er ausführt: »Auch heute noch lehren wir an unseren Fakultäten, Privatrecht sei das Recht des Seins, des Tuns und des Habens der Person, so daß man sich systematisch eine unter Gesichtspunkten der Gerechtigkeit vorgenommene Aufteilung der verschiedenen Herrschaftsund Betätigungsräume vorstellt. Ein solcher Systemansatz vermochte und vermag nicht die Funktion des Privatrechts bei der Konstitution oder beim Vollzug einer auf das Gemeinwohl ausgerichteten Wirtschaftsordnung zu sehen«90.
Privatrecht lässt sich nicht losgelöst von den gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen begreifen, sondern Privatrecht bildet einen elementaren Bestandteil jeweils bestehender Ordnungen. Mithilfe des Privatrechts werden die jeweils herrschenden Anschauungen in der Gesellschaft verwirklicht. Diese gestaltende Funktion ist nicht auf die Ausfüllung von Generalklauseln (»gute Sitten«, »Treu und Glauben«) beschränkt, sondern tritt dabei nur besonders augenscheinlich hervor. Die besondere Rolle des Privatrechts in der Gesellschaft und die Rückkopplung der gesellschaftlichen Verhältnisse auf das Privatrecht kommen insbesondere in der Lehre Böhms von der Privatrechtsgesellschaft91 zum Ausdruck: »Die Privatrechtsordnung stellt nicht nur Regeln auf, denen die Gesellschaftsmitglieder unterworfen sind, wenn sie miteinander Verträge schließen, voneinander Güter und Rechte erwerben, auf Grund von Verträgen miteinander kooperieren oder Leistungen austauschen, oder außerhalb aller Vertragsbeziehungen handeln, planen oder untätig sind, sondern sie teilt darüber hinaus allen Personen, die sich in ihrem Geltungsbereich bewegen, eine ungemein breit bemessene Bewegungsfreiheit, eine Planungs- und Daseinszuständigkeit im Verhältnis zu ihren Mitmenschen zu, einen Status innerhalb der Privatrechtsgesellschaft, der keineswegs etwa ein Geschenk der Natur, eine Mitgift kreatürlicher Anlagen und Willenspotenzen ist, sondern ein gesellschaftliches Bürgerrecht. Nicht ein naturales Können, sondern ein soziales Dürfen«92.
Privatrecht kann auf vielfältige Weise funktionalisiert und instrumentalisiert werden. Ob solche Prozesse Beifall oder Ablehnung verdienen, lässt sich angesichts der Komplexität der damit zusammenhängenden Fragen nicht generalisie89 90 91 92
Siehe nur Zöllner, JuS 1988, 329 ff. Schluep, GRUR Int. 1973, 446, 450. Böhm, Ordo XVII (1966), 75 ff. Böhm, Ordo XVII (1966), 75, 85.
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rend beantworten, sondern erfordert in jedem Fall eine eingehende Auseinandersetzung. Jedenfalls ist es unabdingbar, solche Entwicklungen offen zu legen und zu diskutieren. Das Wirtschaftsrecht bildet nur eine besonders markante Spitze einer allgemeinen Entwicklung93. Speziell im Lauterkeits- und Kartellrecht wird besonders schnell klar, dass die Rolle des Einzelnen über die Wahrnehmung individueller Rechte im Verhältnis zu anderen hinausgreifen muss. Diese Vorreiterrolle hängt nicht zuletzt mit einer starken gemeinschaftsrechtlichen Prägung beider Rechtsgebiete zusammen. Das Gemeinschaftsrecht steht einer Funktionalisierung und Instrumentalisierung des Privatrechts offen gegenüber. Insbesondere bilden Privatrecht und privatrechtlicher Befugnisse des Einzelnen in den Augen des Gemeinschaftsrechts wirksame und effektive Mittel zur Verwirklichung gemeinschaftsrechtlicher Ziele. Das Kartellrecht bildet hierbei einen besonders eindrucksvollen, aber keineswegs einen singulären Anwendungsfall. Ein weiteres und viel diskutiertes Beispiel für die gestaltende Rolle des Privatrechts bildet das Verbraucherschutzrecht94. Es ist zutiefst geprägt von politischen Zielvorstellungen. Die ganze Dimension des Verbraucherschutzrechts lässt sich nur begreifen, wenn man sich bewusst macht, dass verbraucherschützende Bestimmungen nicht allein dem individuellen Schutz eines Unterlegenen in einer bestimmten Situation dienen. Aus gemeinschaftsrechtlicher Perspektive besteht eine zentrale Funktion verbraucherschützender Bestimmungen darin, zur Rechtsvereinheitlichung im Binnenmarkt beizutragen. Aufgrund dieser Multifunktionalität des Verbraucherschutzes ist allein schon der Begriff des Verbrauchers von einer überbordenden Komplexität gekennzeichnet95.
Die Indienstnahme des Privatrechts zur Verwirklichung überindividueller Interessen stößt vielfach auf Skepsis. In jüngerer Zeit ist die Einbeziehung der Interessen Dritter – sowohl von Einzelinteressen als auch von überindividuellen Interessen – in das Privatrecht etwa von Westermann kritisch analysiert worden96. Es handele sich in der Tendenz um mehr als bloße Ausnahmen vom Prinzip der inter-partes-Wirkung von Schuldverhältnissen. Damit das Privatrecht andere Interessen als die Belange der am Rechtsverhältnis Beteiligten berücksichtigen könne, bedürfe es einer Begründung im Parteiwillen, einer drittbezogenen Ausrichtung des Rechtsverhältnisses oder einer gesetzlichen Ermächtigung, die eine Einbeziehung von Drittwirkungen gebiete. Markt- und Kollektivinteressen seien nur in sehr begrenztem Maße als Wertungsfaktoren heranzuziehen. Insbesondere sei einer Tendenz entgegenzuwirken, private Interessenverfolgung durch die Verbindung mit Drittinteressen aufzuwerten97. Der Kritik ist insoweit beizupflichten, als eine Instrumentalisierung und Funktionalisierung des Privatrechts nicht dazu 93 Dazu bereits Steindorff, in: Festschrift für Larenz, 1973, S. 217 ff.; zur Rolle des Kartell- und Lauterkeitsrechts in der Privatrechtsgesellschaft Roth, in: Privatrechtsgesellschaft, S. 167 ff. 94 Dazu statt vieler: Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung der Verbraucher, 1998. 95 Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht, S. 75. 96 Westermann, AcP 208 (2008), 141 ff.; speziell mit Blick auf das Wirtschaftsrecht a.a.O., 173 ff. 97 Westermann, AcP 208 (2008), 141, 180 f.
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führen darf, dass grundlegende Strukturen einfach beiseitegeschoben und durch Beliebigkeitserwägungen ersetzt werden. Umgekehrt besteht freilich die Gefahr, dass ein zu sehr auf das Individualverhältnis verengter Blick des Privatrechts wichtige Wertungen ausblenden oder auf Scheinbegründungen ausweichen muss. Beispielsweise wird im Zusammenhang mit Rechtsgeschäften der Wille der Parteien bisweilen mit fiktiven und spekulativen Erwägungen überfrachtet, nur um Wertungen gleichsam individuell einkleiden zu können. Richtigerweise sollte die Frage nach dem Einfluss und der Wertigkeit von Drittinteressen, seien es nun die Interessen einzelner Personen, eines Kollektivs oder der Allgemeinheit schlechthin, im Privatrecht generell zugelassen werden. Zugleich muss man sich bewusst machen, dass damit noch keine Entscheidung darüber getroffen ist, ob und in welchem Maße solche Interessen im Einzelfall tatsächlich berücksichtigungsfähig und berücksichtigungswürdig sind. Diese Entscheidung bedarf vielmehr der sorgfältigen Prüfung und Begründung im Einzelfall. Der Einfluss solcher Interessen kann nämlich sehr unterschiedlich sein und im Rahmen einer privatautonomen Vereinbarung völlig anders zu gewichten sein als bei der Beurteilung gesetzlicher Rechtsverhältnisse, die aufgrund einer unerlaubten Handlung zustande gekommen sind. Mit Blick auf die außervertragliche Haftung verdient die Einschätzung Brüggemeiers Zustimmung, wonach modernes Haftungsrecht eher mit Fragen kontextueller Gerechtigkeit konfrontiert ist, »ob und inwieweit es ›fair, just and reasonable‹ ist, unter den jeweiligen Bedingungen jemanden mit der Haftung zu belegen. Dabei ist der Einfluss von Politik (Verfassung, staatliche Regulierung), Wirtschaft und Gesellschaft zu berücksichtigen«98.
III. Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche als Sanktionsinstrumente im Wettbewerbsgeschehen Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, dass privatrechtliche Haftung nicht nur auf die individuelle Aufarbeitung von Rechtsverletzungen gerichtet ist, sondern im jeweiligen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Kontext gesehen werden muss. Demzufolge müssen auch die privatrechtlichen Sanktionen in diesem komplexen Zusammenhang gesehen werden. Das Regelungsziel der privatrechtlichen Sanktionen besteht nicht allein in der rechtlichen Bewältigung der nachteiligen Folgen von Wettbewerbsverstößen innerhalb eines Individualverhältnisses zwischen Verletzer und Verletztem, sondern die privatrechtlichen Ansprüche stehen in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem durch Kartellrecht und Lauterkeitsrecht gewährleisteten mehrdimensionalen Schutz. Ebenso wenig wie die materiellrechtliche Ebene auf den Schutz von Individualinteressen im Wettbewerb reduziert werden kann, dürfen privatrechtliche Sanktionen in einem eindimensionalen Sinne wahrgenommen werden. Hieraus ergeben sich für privatrechtliche Sanktionen im Wettbewerbsgeschehen spezielle Anforderungen. 98
Brüggemeier, Haftungsrecht, § 1, 1, S. 9.
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Zum einen müssen Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche bestimmte Grundanforderungen erfüllen, um überhaupt Sanktionswirkungen entfalten zu können. Darüber hinaus bedarf es aber auch einer zielgenauen Abstimmung zwischen dem materiellrechtlichen Schutz und den Sanktionen. Die an einen Rechtsverstoß geknüpften Sanktionen müssen insbesondere mit dem materiellrechtlich gewährten Schutz kompatibel sein. Weder dürfen sie über den Schutzstandard hinausgehen, noch dahinter zurückbleiben. Diese notwendige Abstimmung zwischen Schutzebene und Sanktionsebene ist kein einmaliger Vorgang, sondern ein stetig und wechselseitig verlaufender Prozess. 1. Grundanforderungen a) Eignung zur Verhaltensbeeinflussung Gewissermaßen die rechtliche Mindestanforderung an eine Sanktion besteht darin, dass sie geeignet sein muss, den Rechtsadressaten zu dem rechtlich gewünschten Verhalten zu veranlassen oder ihn von dem rechtlich unerwünschten Verhalten abzuhalten. Etwas vereinfacht könnte man sagen, eine Sanktion muss geeignet sein, den Rechtsadressaten zur Befolgung der Normen zu »motivieren«. Was einfach klingt, betrifft in Wahrheit eine äußerst komplexe Fragestellung, die weit über die Grenzen der Rechtswissenschaft hinaus greift. Denn das Verhalten von Menschen wird durch vielfältige Faktoren beeinflusst. Wer in eine bestimmte Richtung lenken oder bestimmte Verhaltensweisen verhindern will, muss häufig soziologische, ökonomische, verhaltensbiologische und sonstige Aspekte berücksichtigen. Die vom Recht intendierte Verhaltenssteuerung kann im Prinzip auf zweierlei Weise herbeigeführt werden. Entweder wird der Rechtsadressat im Falle eines Rechtsverstoßes durch eine negative Reaktion – im untechnischen Sinne – »bestraft« oder die Befolgung von Rechtsnormen wird durch eine positive Reaktion honoriert. Negative Reaktionen bilden dabei die Regel, wenn und weil die rechtliche Missbilligung bestimmter Handlungsalternativen damit klar zum Ausdruck gebracht wird. Hierher gehören auch die im Rahmen dieser Untersuchung interessierenden Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche, weil diese für den Verletzer einen wirtschaftlichen Nachteil begründen. Positive Reaktionen in Form von Belohnungen werden vor allem dann in Betracht kommen, wenn eine Abweichung von einem bisherigen Verhalten bewirkt werden soll, ohne zugleich eine bislang zulässige Handlungsalternative rechtlich zu missbilligen. Belohnungen können aber auch als Anreiz gesetzt werden, beispielsweise um Personen zu ermuntern, gegen Rechtsverstöße vorzugehen. Private werden in der Regel Rechtsverstöße nur dann verfolgen, wenn es um die Abwendung eigener Nachteile geht oder wenn sie sich von der Rechtsverfolgung einen Vorteil versprechen. Häufig ist es vor allem eine betriebswirtschaftliche Überlegung, ob ein Rechtsverstoß hingenommen oder bekämpft wird. Die Rechtsordnung kann die Rechtsverfolgung wirtschaftlich attraktiv machen und damit einen Anreiz zur
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privaten Rechtsverfolgung setzen99. In diesen Zusammenhang gehören etwa der Kostenersatz für Abmahnungen im Lauterkeitsrecht, aber auch die Regelung in § 33 Abs. 3 S. 2 GWB oder die Frage der Zulässigkeit von Erfolgshonoraren von Anwälten. Damit ist selbstverständlich nicht gesagt, dass Anreize generell und in jeder Hinsicht zu befürworten wären. Es wäre umgekehrt jedoch verfehlt, solche Überlegungen von vornherein in Bausch und Bogen zu verwerfen. Vielmehr bedarf es behutsamer Überprüfung, ob und in welchem Maße der Gedanke eines Anreizes tragfähig sein kann. Dabei muss berücksichtigt werden, dass das deutsche Recht gegenüber materiellen »Belohnungen« sehr zurückhaltend ist. Auch im Zusammenhang mit Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüchen wird der Gedanke des Anreizes häufig tunlichst vermieden. Ein überkompensatorischer Schadensersatz wird beispielsweise nur in sehr seltenen Ausnahmekonstellationen akzeptiert und dann auch nicht mit einer Anreizfunktion, sondern mit anderen Gründen gerechtfertigt. Bei den Abschöpfungsansprüchen hat der Gesetzgeber sich darum bemüht, keinen finanziellen Anreiz in Form eines Selbstbehalts des erfolgreich abgeschöpften Vermögens zu schaffen, vielmehr muss der abgeschöpfte Gewinn bzw. Vorteil vollständig an den Bundeshaushalt ausgekehrt werden. Der erfolgreiche Kläger kann lediglich die Erstattung der zur Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen verlangen100. Welche Steuerungseffekte im Einzelnen sachgerecht und sinnvoll sind, hängt von dem konkret geregelten Lebensbereich ab und kann sehr unterschiedlich zu beurteilen sein. Menschliches Verhalten ist komplex, schwer durchschaubar und noch schwerer steuerbar. Man darf beispielsweise nicht einfach unterstellen, dass sich jeder Mensch ökonomisch rational verhält101. Noch dazu können in demselben Lebensbereich, etwa der Betätigung auf dem Markt, erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtsadressaten bestehen. Ein Unternehmer wird betriebswirtschaftlichen Erwägungen tendenziell sehr viel zugänglicher sein als ein privater Verbraucher. Soweit es also um die Steuerung und Lenkung von Marktverhalten durch das Lauterkeits- und Kartellrecht geht, sind deswegen Sanktionen, die einen Vermögensbezug aufweisen, zur Steuerung unternehmerischer Aktivitäten besonders geeignet102. Denn jede unternehmerische Betätigung auf dem Markt setzt voraus, dass ein Unternehmer auf mittlere und längere Sicht profitabel wirtschaftet, also Gewinn erzielt. Ermöglicht die Rechtsordnung aufgrund eines vorangegangenen Rechtsverstoßes einen Zugriff auf das Vermögen des Unternehmers, sei es durch drohenden Schadensersatz, sei es durch drohende 99
Dazu näher unten, § 3. B. II. 4., S. 152 ff. § 34a Abs. 4 S. 2 GWB und § 10 Abs. 4 S. 1 UWG. 101 Siehe dazu etwa die aufschlussreichen empirischen Untersuchungen zur Schwarzfahrt bei Diekmann, Die Befolgung von Gesetzen, S. 72 ff., der die Frage aufwirft, warum die Zahl der Schwarzfahrten so niedrig ist, obgleich ein rational denkender homo oeconomicus, der das Risiko des »Erwischtwerdens« und des dann anfallenden erhöhten Fahrgeldes gegenüber dem normalerweise zu entrichtenden Fahrpreis ins Verhältnis setzt, eigentlich schwarz fahren müsste (a.a.O., S. 73). 102 Dazu näher § 3. B. II. 2. b), S. 141 ff. 100
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Abschöpfung, muss dieser die Sanktion in seine betriebswirtschaftlichen Überlegungen einbeziehen. b) Wahrscheinlichkeit der Sanktionsanwendung Sanktionen müssen nicht nur prinzipiell zur Verhaltenssteuerung geeignet sein, sondern es spielt auch eine erhebliche Rolle, wie wahrscheinlich die tatsächliche Anwendung der Sanktion ist. Der Steuerungseffekt von Sanktionen folgt nicht daraus, dass jeder Rechtsverstoß tatsächlich verfolgt wird. Entscheidend ist vielmehr, dass die Rechtsverfolgung von den Adressaten als hinreichend wahrscheinlich empfunden wird. Anders gewendet: Die schärfste Sanktion nützt wenig, wenn ihre Anwendung ganz unwahrscheinlich ist; jedoch kann bei einer schwerwiegenden Sanktion schon eine geringe Wahrscheinlichkeit der Anwendung genügen, um die rechtlich erwünschte Verhaltenssteuerung zu bewirken. Es spricht deswegen beispielsweise nicht prinzipiell gegen Abschöpfungsansprüche, wenn sie nur selten geltend gemacht werden, sofern sie jedenfalls dann, wenn sie durchgesetzt werden, spürbare Wirkung entfalten. Bei privatrechtlichen Ansprüchen ist demgemäß danach zu fragen, ob der privatrechtliche Anspruch nur auf dem Papier steht oder ob der Anspruch tatsächlich zur Anwendung kommen und erfolgreich durchgesetzt werden kann. Dieser Aspekt schließt neben einer praktikablen tatbestandlichen Ausgestaltung der Vorschrift vor allem ihre verfahrensrechtliche Handhabbarkeit ein: Kann der Kläger die notwendigen Informationen darbringen und stehen ihm rechtliche Mittel zur Verfügung, um sich gegebenenfalls notwendige Informationen verschaffen zu können? Wie hoch sind die Anforderungen an Darlegung und Beweis von Kausalität und Schadensumfang? Eine lediglich gut gemeinte Rechtsvorschrift nützt wenig. 2. Abstimmung zwischen Schutznormen und Sanktionsnormen Jeder rechtlichen Regelung liegt ein bestimmter Zweck, eine Regelungsidee zugrunde. Dies gilt nicht nur für die von der Rechtsordnung aufgestellten Gebote und Verbote, sondern auch für die korrespondierenden Sanktionen. Denn spezifische Rechtsfolgen werden nicht nach Beliebigkeit angeordnet, sondern ihnen liegt jeweils eine bestimmte Zwecksetzung zugrunde. Die Rechtsfolgen dürfen nicht über den gewährleisteten Schutz hinausgehen oder dahinter zurückbleiben. Schutznormen und Sanktionsnormen bedürfen einer exakten inhaltlichen Abstimmung. Welche Rechtsfolge in welchem Umfang als Reaktion auf eine Rechtsverletzung »angemessen« ist, bestimmen Sinn und Zweck der zugrunde liegenden Norm103. Eine Abstimmung zwischen materieller Ebene und Sanktionsebene setzt ein Offenlegen der gesetzlichen Regelungsziele voraus.
103
Bötticher, AcP 158 (1959), 385, 387 ff.
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a) Wechselwirkungen zwischen materiellrechtlicher Ebene und Sanktionsebene Erst wenn klar ist, wen, was und wovor das Gesetz schützen will, lässt sich sinnvoll die Frage beantworten, mithilfe welcher Sanktionen dies am besten sichergestellt werden kann. Wenn beispielsweise das Lauterkeitsrecht (auch) dem Schutz von Verbraucherinteressen dient, muss das UWG auf Sanktionsebene gewährleisten, dass die Verletzung solcher Interessen wirksam verfolgt werden kann. Das macht entsprechend ausgerichtete Sanktionsmechanismen erforderlich. Wären etwa nur Mitbewerber und gewerbliche Verbände anspruchsberechtigt, dann hinge es mehr oder weniger vom Zufall ab, ob Verbraucherinteressen tatsächlich geschützt werden. Solche Interessen finden nämlich im Rahmen der privatrechtlichen Sanktionierung durch Mitbewerber oder gewerbliche Verbände nur insoweit Berücksichtigung, als sie zugleich mit Unternehmerinteressen konform laufen, jedenfalls zu deren Verwirklichung beitragen. Um jedoch einen umfassenden Verbraucherschutz zu gewährleisten, muss das Sanktionssystem so ausgerichtet sein, dass Verbraucherinteressen gerade unabhängig davon durchgesetzt werden können, ob zugleich sonstige Interessen betroffen sind. Für das Kartellrecht stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber, nachdem er eine Anspruchsberechtigung für qualifizierte Einrichtungen für Abwehr- und Abschöpfungsansprüche anlässlich der siebenten GWB-Novelle nicht in das Gesetz aufgenommen hat, damit einen Verbraucherschutz generell verneint hat oder die Wahrnehmung von solchen Interessen allein den Kartellbehörden überantwortet hat. Auf Sanktionsebene ist des Weiteren danach zu fragen, ob die Verfolgung von Rechtsverstößen durch staatliche Einrichtungen oder durch Private erfolgen soll und welche speziellen Sanktionsinstrumente die Rechtsordnung dafür zur Verfügung stellen muss. Hier besteht ein großer Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Oftmals können bestimmte Schutzzwecke mit unterschiedlichen Sanktionssystemen und mit unterschiedlichen Sanktionsinstrumenten verwirklicht werden. Um nochmals das Beispiel des Verbraucherschutzes im Lauterkeitsrecht aufzugreifen: Die Feststellung, dass der Schutz von Verbraucherinteressen beabsichtigt ist, zwingt keineswegs zu der Annahme, es bedürfe deswegen eines privatrechtlichen Sanktionssystems oder gar individueller Ansprüche der Verbraucher. Verbraucherschutz könnte im Prinzip auch durch eine Verbraucherschutzbehörde verwirklicht werden. Umgekehrt müssen kollektive und öffentliche Interessen nicht automatisch durch staatliche Einrichtungen wahrgenommen werden. Die Abstimmung zwischen materiellem Schutz und Sanktionsebene setzt daher neben der Offenlegung der Schutzzwecke des Weiteren Klarheit über die Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen der unterschiedlichen Sanktionssysteme und der Sanktionsinstrumente voraus. Rückwirkungen von der Sanktionsebene auf die materiellrechtliche Ebene sind prinzipiell möglich, doch sind solche Zusammenhänge schwer zu beobachten und wissenschaftlich kaum erforscht104. Sie wären nämlich am besten dann 104 Siehe Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 1 Rn. 24: Es sei schwer zu sagen, ob solche Zusammenhänge bestehen.
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zu erkennen, wenn ein grundlegender Kurswechsel auf Sanktionsebene vorgenommen würde. Solche grundlegenden Änderungen kommen jedoch selten vor und sind jedenfalls in Deutschland bislang ausgeblieben. Zwar hat es sowohl im Kartellrecht als auch im Lauterkeitsrecht immer wieder Korrekturen gegeben, jedoch nie eine grundlegende Veränderung im Sanktionssystem insgesamt. Immerhin lässt sich sagen, dass die jeweiligen Sanktionssysteme gewisse Eigenheiten aufweisen, die eine Rückwirkung auf die materiellrechtliche Ebene nahe legen. Beispielsweise sind wirtschafts-, wettbewerbs- oder gesellschaftspolitische Belange prinzipiell besser durch eine Behörde zu verwirklichen als mit privatrechtlichen Sanktionen, die im Zivilverfahren durchgesetzt werden. Umgekehrt ist eine »flächendeckende« Sanktionierung von Rechtsverstößen kaum allein durch eine Behörde zu erreichen. Denn Behörden verfügen typischerweise nur über begrenzte finanzielle und personelle Mittel. Außerdem nehmen sie Vorgänge im Wettbewerb anders wahr als die unmittelbar im Wettbewerb agierenden Personen. Die Abstimmung von materieller Ebene und Sanktionsebene ist kein einmaliger Vorgang, sondern ein stetiger Prozess. Denn die beschriebenen Abhängigkeiten sind keine statischen, sondern vielmehr besteht eine stetige Wechselwirkung zwischen beiden Ebenen. Veränderungen und Verschiebungen auf der materiellen Ebene können sich auf der Sanktionsebene auswirken und umgekehrt. Zudem unterliegen beide Ebenen ihrerseits weiteren Beeinflussungen durch rechtliche oder tatsächliche Entwicklungen. Bisweilen reagiert oder agiert der Gesetzgeber, etwa durch die Neu- oder Umgestaltung eines vorhandenen Sanktionssystems oder durch dessen Ergänzung. Zuweilen behilft sich die Praxis auch mit eigenständigen Entwicklungen, insbesondere wenn die Notwendigkeit besteht, von der Rechtsordnung nicht vorgesehene Rechtsfolgen als Sanktionen vorzusehen105. b) »Spiegelbildprinzip« Dass die Sanktionen gewissermaßen »spiegelbildlich« auf den materiellrechtlich gewährleisteten Schutz abgestimmt sein müssen, erscheint auf den ersten Blick ganz selbstverständlich, kann aber gerade bei verschiedenen Schutzrichtungen und einer sich daraus ergebenden Mehrdimensionalität rechtlichen Schutzes Schwierigkeiten bereiten. Welche Probleme eine exakte Abstimmung zwischen Schutzebene und Sanktionsebene aufwerfen kann, zeigt das Beispiel der Diskussion über Verbraucherindividualrechte im Lauterkeitsrecht. Diese bereits in den 1970er Jahren geführte Diskussion106 ist im Zuge der UWG-Reform 2004 wieder aufgeflammt107. Der Streit um das Für und Wider solcher Individualrechte setzt 105 Das Paradebeispiel hierfür bildet die richterrechtlich entwickelte und später gesetzlich anerkannte dreifache Schadensberechnung; dazu näher unter § 4. D. II. 4., S. 253 ff. 106 Siehe nur Schricker, ZHR 139 (1975), 208 ff.; Tilmann, ZHR 141 (1977), 32 ff. 107 Siehe nur Fezer, WRP 2003, 127 ff.; Köhler, GRUR 2003, 265 ff.; Weiler, WRP 2003, 423 ff.
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zunächst einmal Klarheit über die Reichweite des materiellrechtlichen Schutzes voraus. Nur auf dieser Basis lässt sich die Frage beantworten, ob es individueller Ansprüche oder Rechte der Verbraucher bedarf. Geht man davon aus, dass das UWG (auch) Individualinteressen der Verbraucher schützt, ist es nur folgerichtig, Individualrechte von Verbrauchern im UWG zu fordern108. Aus dieser Sicht wäre also nach geltendem Recht ein Sanktionsdefizit zu beklagen, weil den einzelnen Verbrauchern aus dem UWG keine Ansprüche oder sonstigen Individualrechte erwachsen109. Befürwortet man dagegen eine strikte Trennung von Individual- und Kollektivinteressen der Verbraucher und sieht nur Kollektivinteressen der Verbraucher als vom UWG geschützt an, dann erscheint der Verzicht auf Verbraucherindividualrechte ebenso konsequent. Ein Gesetz, das nicht den Schutz von Individualinteressen bezweckt, muss zu deren Durchsetzung auch keine Sanktionsinstrumente bereithalten. Die »spiegelbildliche« Abstimmung betrifft nicht nur die Frage nach einem individualrechtlichen oder kollektivrechtlichen Schutz, sondern darüber hinaus auch inhaltliche Aspekte. Diese Problematik illustriert ein Seitenblick auf die neuere Diskussion um (zusätzliche) Sanktionen für unlautere Telefonwerbung. Hierzu ist vorgeschlagen worden, ergänzend eine Nichtigkeit von unlauter angebahnten »Folgeverträgen«110 vorzusehen111. Abgesehen von den bürgerlichrechtlichen Einwänden gegen eine solche Lösung wäre eine solche Sanktion bei unlauteren Handlungen schon deswegen verfehlt, weil es an der notwendigen Abstimmung zwischen materiellrechtlicher Ebene und Sanktionsebene fehlt. Die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften ist als scharfe, aber unflexible privatrechtliche Sanktion nur dann geboten, wenn der materiellrechtliche Schutz vorrangig darauf abzielt, das Zustandekommen von Verträgen zu verhindern. Mit anderen Worten muss sich die rechtliche Missbilligung gerade gegen das Rechtsgeschäft als solches richten. Das ist aber im Falle der unlauteren Telefonwerbung nicht der Fall. Der Verbraucher soll durch das Verbot unerbetener Telefonwerbung nicht davor geschützt werden, einen Vertrag abzuschließen, sondern es geht allein um den Schutz vor einem Eindringen in seine Privatsphäre zu geschäftlichen Zwecken. c) Kennzeichen einer unzureichenden Abstimmung Bisweilen misslingt der Abstimmungsprozess zwischen materiellrechtlicher Ebene und Sanktionsebene. Eine solche unzureichende Abstimmung kann in zwei Erscheinungsformen auftreten.
108
Fezer, in: Fezer, UWG, Einleitung E Rn. 99 ff. Fezer, in: Fezer, UWG, Einleitung E Rn. 103. 110 Zum Begriff des Folgevertrages Alexander, Vertrag und unlauterer Wettbewerb, S. 26 ff. 111 Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg vom 14.5.2008, BR-Drucks. 326/08; Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 16/10734, S. 18 und 20. 109
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aa) Sanktionsdefizit Ein Sanktionsdefizit liegt vor, wenn aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen Rechtsverstöße nicht oder nur unzureichend sanktioniert werden. Gemeint sind Konstellationen, in denen die Erwartung einer Sanktion besteht, aber diese Erwartung von Rechts wegen nicht erfüllt wird. Das kann darauf zurückzuführen sein, dass für einen bestimmten Rechtsverstoß überhaupt keine Sanktion vorgesehen ist oder zwar »an sich« eine Sanktion besteht, diese aber, aus welchen Gründen auch immer, nicht durchgesetzt werden kann. Im Lauterkeits- und Kartellrecht bilden die sogenannten Streu- und Bagatellschäden ein anschauliches Beispiel für ein solches Sanktionsdefizit, genauer für ein Durchsetzungsdefizit. In diesen Fällen bestehen zwar auf dem Papier Ansprüche (oder sonstige Rechte) der Geschädigten, aber diese werden aufgrund der geringen Schadenshöhe bzw. des geringen Streitwerts kaum geltend gemacht. Es besteht ein rationales Desinteresse an der Verfolgung von entsprechenden Rechtsverstößen, weil für Geschädigte Aufwand und Nutzen der Rechtsverfolgung außer Verhältnis stehen. bb) Sanktionshypertrophie Das gedankliche Gegenstück zum Sanktionsdefizit bildet die Sanktionshypertrophie. Damit ist ein »Zuviel« an Sanktionen oder ein »over-enforcement« gemeint112. Ein solcher Sanktionsüberschuss wird oft und gern beklagt und erfreut sich vor allem als Einwand gegen neue Sanktionsinstrumente großer Beliebtheit. Die Diskussionen um die Abschöpfungsansprüche und die »richtige« Handhabung des Kartelldeliktsrechts illustrieren dies höchst anschaulich. In Wahrheit handelt es sich indessen oftmals um ein leicht durchschaubares Scheinargument. Für das Kartelldeliktsrecht hat Glöckner dies klar ausgesprochen: »Von der Durchsetzung des ökonomisch ›richtigen‹ Kartellrechts kann es nicht genug geben. Im Gegenteil verlangt der Wettbewerb selbst nach möglichst umfassender Durchsetzung, denn durch eine wie auch immer geartet ungleichmäßige Durchsetzung würde das Kartellrecht selbst zum wettbewerbsverzerrenden Faktor, weil es die Wettbewerbschancen ungleich verteilte«113.
Diese Aussage verdient nicht nur für das Kartellrecht uneingeschränkten Beifall, sondern gilt ohne Abstriche für das Lauterkeitsrecht und im Übrigen generell für alle Rechtsbereiche. Eine lückenlose und effektiv funktionierende Sanktionierung von Rechtsverletzungen ist kein rechtliches oder tatsächliches Hemmnis unternehmerischer Betätigung, sondern im Gegenteil wünschenswert und geboten. Insbesondere ist kein Grund ersichtlich, Unternehmen davor zu schützen, dass rechtliche Gebote oder Verbote durchgesetzt und Rechtsverletzungen verfolgt werden. Belastungen, die mit einer legitimen Rechtsverfolgung einherge-
112 113
Formulierung von Glöckner, WRP 2007, 490, 494. Glöckner, WRP 2007, 490, 494.
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hen, müssen von den Betroffenen grundsätzlich hingenommen werden. Niemand hat einen Anspruch darauf, nicht in Rechtsstreitigkeiten verwickelt zu werden. Eine ganz andere Frage ist es dagegen, wie unnötige Belastungen vermieden und wie Missbräuche verhindert werden können. Grundsätzlich steht dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Sanktionen ein weiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung. Dies gilt sowohl für die Frage, welches Sanktionssystem gewählt wird als auch hinsichtlich der jeweiligen konkreten Ausgestaltung der Sanktionsinstrumente. Eine Sanktionshypertrophie kann deshalb nur dann vorliegen, wenn selbst die äußersten Grenzen dieses Spielraums überschritten werden. In einem solchen Fall misslingt freilich nicht nur die Abstimmung zwischen materiellrechtlicher Ebene und Sanktionsebene. Zugleich dürfte regelmäßig ein Verstoß gegen das verfassungsrechtlich verankerte Verhältnismäßigkeitsprinzip vorliegen. Fehlentwicklungen, die zu einer (scheinbaren) Sanktionshypertrophie führen, haben ihre Ursache oft bereits auf materiellrechtlicher Ebene. Solche Zusammenhänge werden allerdings nicht immer erkannt, was dazu führt, dass Symptome bekämpft werden, obgleich es eigentlich einer Ursachenbehandlung bedarf. Geradezu das Musterbeispiel hierfür bildet das oft beklagte »Abmahnunwesen«. Dieses Phänomen tritt insbesondere im Lauterkeitsrecht auf, hat aber auch auf andere Bereiche »übergegriffen«. Im Lauterkeitsrecht lassen sich die Ursachen, Symptome und Reaktionen besonders gut beobachten und analysieren. Im Laufe der Zeit hatten Gesetzgeber und Rechtspraxis eine hochwirksame lauterkeitsrechtliche Sanktionierung entwickelt, sodass es möglich war, auch kleinste Rechtsverstöße zu ahnden. Schricker bescheinigte dem deutschen Lauterkeitsrecht nicht zuletzt aus diesem Grund eine Sonderstellung, wobei die international einmalige Prozessfrequenz dabei gegenüber der verbreiteten Abmahnjustiz nur die Spitze des Eisberges bilde und insgesamt eine Kontrolldichte erreicht werde, die im Ausland kein Gegenstück habe114. Das führte unter anderem zu den häufig beklagten »Auswüchsen« in Form von »Abmahnvereinen«, die sich darauf spezialisierten, schon geringste unlautere Handlungen abzumahnen und damit Geld zu verdienen115. Das Problem dieser Abmahnvereine lag indessen nicht darin, dass sie überhaupt existierten und zu einer nahezu perfekten Sanktionierung führten, sondern in der Neigung der Gerichte, Praktiken viel zu schnell als unlauter zu brandmarken. Abmahner mussten also kaum Bedenken haben, im Streitfalle zu unterliegen. Zumeist war es für die Abgemahnten günstiger, eine Unterlassungserklärung abzugeben und die Abmahnkosten zu bezahlen, als überhaupt einen Rechtsstreit zu riskieren. Geriet der Rechtsstreit dennoch vor Gericht, siegte häufig genug die »Verbotsfreude« der Richter. Im Laufe der Zeit hatte sich eine Verbotsspirale entwickelt, die erst durch Wandlungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung und durch
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Schricker, in: Großkommentar, UWG, Einl. F 9. Siehe nur die Begr. zum Regierungsentwurf vom 21.4.1994, BT-Drucks. 12/7345, S. 4: »Dieses unter dem Stichwort ›Abmahn- und Gebührenvereine‹ bekanntgewordene Phänomen bringt die Gefahr eine Diskreditierung des gesamten Rechtsgebiets mit sich, weil das massenhafte Abmahnen und auch die massenhafte klageweise Verfolgung von häufig nur marginalen Wettbewerbsverstößen (›Bagatellverstöße‹) in Kreisen der Wirtschaft zunehmend zu einem Unverständnis über die deutsche Praxis geführt hat«. 115
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gesetzgeberische Maßnahmen aufgehalten werden konnte. Zuvor unternahm der Gesetzgeber durch Verschärfungen der Klageberechtigung den Versuch, das Problem in den Griff zu bekommen. Dabei wurde indessen lediglich an den Symptomen gearbeitet, während die Ursachen zwar erkannt116, aber nicht entschieden bekämpft wurden. An die Stelle einer wünschenswerten Deregulierung trat eine sachlich verfehlte Desanktionierung117. Diese Tendenz besteht bis in jüngste Zeit fort. Aktuelles Beispiel ist der Versuch, die ausufernde Abmahnung von kleinsten Urheberrechtsverletzungen durch Einführung einer Kostendeckelung einzudämmen118. Für das Lauterkeitsrecht werden ähnliche Pläne diskutiert.
B. Gemeinschaftsrecht Ein Kernziel der Gemeinschaft besteht in der Errichtung eines Marktes, auf dem eine freie wirtschaftliche Tätigkeit unter den Bedingungen eines nicht verfälschten Wettbewerbs gewährleistet wird119. Verwirklicht wird dieses Ziel durch die Errichtung des gemeinsamen Marktes und durch die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten120. Der unverfälschte Wettbewerb bildet dabei die Leitidee des Gemeinschaftsrechts und der gemeinschaftsrechtlich anvisierten Wettbewerbsordnung121. Die Bedeutung des Gemeinschaftsrechts wächst kontinuierlich. In seiner Bedeutung für die Rechtsentwicklung in den Mitgliedstaaten kann das Gemeinschaftsrecht kaum noch überschätzt werden. Das gilt auch für die Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche im Lauterkeits- und Kartellrecht. Aus der zunehmenden Vernetzung nationaler Märkte und der wachsenden grenzüberschreitenden Markttätigkeit von Unternehmen und Verbrauchern ergibt sich ein Bedürfnis nach gemeinschaftsweit einheitlichen Rechtsverhältnissen122.
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Bemerkenswert deutlich etwa die Begr. des Regierungsentwurfs vom 21.4.1994, BT-Drucks. 12/7345, S. 4: Die kontinuierliche Entwicklung des Lauterkeitsrecht habe dazu geführt, dass »heute ein engmaschiges Netz von teils geschriebenen, teils ungeschriebenen Verbotstatbeständen besteht, in dem sich die Unternehmer immer wieder verfangen. Es ist zumindest fraglich geworden, ob dieses Netz von Verbotstatbeständen wirklich den heutigen Bedürfnissen unserer Wirtschaft in allen Fällen noch gerecht wird«. 117 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 3 Rn. 118. 118 § 97a Abs. 2 S. 2 UrhG. Dazu mit Recht kritisch Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 97a Rn. 2, der mit Recht darauf hinweist, dass die Problematik der hohen Abmahnkosten im Urheberrecht vor allem auf – von den Gerichten gebilligte – überzogene Gegenstandswerte zurückzuführen sind. Kleinste Urheberrechtsverletzungen mutieren dadurch zu großen und finanziell lukrativen Streitfällen. 119 EuGH vom 24.1.1991, Rs. C-339/89, Slg. 1991, I-107 Rn. 10 – Alsthom Atlantique m.w.Nachw. aus der früheren Rspr.; Bedenken aber bei Steindorff, ZHR 164 (2000), 223, 241 ff. 120 EuGH vom 24.1.1991, Rs. C-339/89, Slg. 1991, I-107 Rn. 8 – Alsthom Atlantique m.w.Nachw. aus der früheren Rspr. 121 Grundmann, JZ 2000, 1133, 1136 f. 122 Siehe bereits Ulmer, GRUR Ausl. 1962, 273, 282.
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I. Aspekte des gemeinschaftsrechtlichen Einflusses Die gemeinschaftsrechtliche Durchdringung einzelner Rechtsbereiche erfolgt mit unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen, was sich im Lauterkeits- und Kartellrecht besonders deutlich widerspiegelt. Obgleich beide Materien sachlich eng beieinanderstehen und für die Verwirklichung des Binnenmarktes gleichermaßen von grundlegender Bedeutung sind, werden beide Rechtsgebiete vom Gemeinschaftsrecht auf sehr unterschiedliche Weise beeinflusst123. Im Bereich des Kartellrechts hat sich auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene, gestützt auf Art. 81 und 82 EG und deren Vorgängervorschriften, eine eigenständige Rechtsmaterie herausgebildet. Das Gemeinschaftskartellrecht steht selbstständig neben den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Ein vergleichbares Gemeinschaftslauterkeitsrecht gibt es hingegen nicht. Der gemeinschaftsrechtliche Einfluss auf das Lauterkeitsrecht vollzieht sich auf andere Weise124. Die Ursachen dafür, dass Lauterkeits- und Kartellrecht trotz ihrer sachlichen Nähe unterschiedliche Entwicklungen in der Gemeinschaft genommen haben und in unterschiedlicher Weise durch das Gemeinschaftsrecht beeinflusst werden, liegen weniger in Sachgründen als in der rechtshistorischen Entwicklung. Das Gemeinschaftskartellrecht gehörte von Anfang an zu den Kernelementen des Gemeinschaftsrechts. Nutzen und Notwendigkeit freiheitssichernder Regelungen für das Entstehen eines wettbewerbsorientierten Binnenmarktes sind geradezu mit Händen zu greifen. Demgegenüber wächst das Bedürfnis nach einem Ausbau von »Fairness«-Regeln in der Gemeinschaft, wie sie durch das Lauterkeitsrecht gewährleistet werden, erst mit dem Funktionieren des Binnenmarktes. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn das Lauterkeitsrecht erst in jüngerer Zeit vom Gemeinschaftsrecht beeinflusst wird. 1. Regelungskompetenzen der Gemeinschaft Ob und welche Regelungen die Gemeinschaft treffen darf, richtet sich nach den einschlägigen Kompetenzregeln. Das europäische Recht sieht eine Reihe unterschiedlicher Bestimmungen vor, die sich sowohl in ihren Voraussetzungen als auch hinsichtlich der Verfahrensanforderungen unterscheiden. Grundsätzlich gilt, dass die Gemeinschaft nur innerhalb der Grenzen der ihr durch Verträge zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig wird125. Dabei dürfen die Maßnahmen der Gemeinschaft nicht über das für die Erreichung der Ziele des EGVertrages erforderliche Maß hinausgehen126. Sofern der Gemeinschaft die Kompetenz für bestimmte Regelungen zusteht, muss es in diesem Zusammenhang 123
Bornkamm, in: Festschrift 50 Jahre BGH, S. 373. Zu den gemeinschaftsrechtlichen »Bausteinen« eines europäischen Lauterkeitsrechts Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht, S. 15 ff., 81 ff., 147 ff., 204 ff. und 285 ff. 125 Art. 5 Abs. 1 EG. 126 Art. 5 Abs. 3 EG. 124
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möglich sein, Fragen der Sanktionierung und des Rechtsschutzes zu regeln. Wie weit die Befugnis im Einzelfall reicht, lässt sich nur mit Blick auf den konkreten Regelungsbereich beantworten. Den primärrechtlichen Anknüpfungspunkt im Kartellrecht bilden die Art. 81 und 82 EG. Diese Vorschriften enthalten die Kernbestimmungen des Gemeinschaftskartellrechts und bilden dessen primärrechtliches Fundament. Die Bedeutung dieser Artikel erstreckt sich über die materiellrechtlichen Anforderungen hinaus auch auf die Ausgestaltung privatrechtlicher Sanktionen. Zwar sieht Art. 81 Abs. 2 EG ausdrücklich nur die Nichtigkeit von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen und Beschlüssen vor. Damit werden die Rechtsfolgen kartellrechtswidrigen Verhaltens jedoch nicht abschließend bestimmt. Im Gegenteil verlangen die kartellrechtlichen Vorschriften nach wirksamen und funktionsfähigen Durchsetzungsmechanismen127. Über die ausdrücklich angeordnete Nichtigkeit und die Verhängung von Geldbußen oder Zwangsgeldern hinaus128, können zur Rechtsdurchsetzung gerade auch privatrechtliche Ansprüche beitragen. Solche privatrechtlichen Sanktionen im nationalen Recht sind als Ausfluss der unmittelbar wirkenden Gemeinschaftsverbote anzusehen129. Nach Auffassung des EuGH und der Kommission kommt Schadensersatzklagen bei der Durchsetzung der kartellrechtlichen Bestimmungen eine zentrale Rolle zu. Insbesondere verlangt das Gemeinschaftsrecht das Vorhandensein eines Schadensersatzanspruchs für jedermann, der infolge eines Kartellrechtsverstoßes beeinträchtigt wurde130. Die nähere Ausgestaltung der Schadensersatzhaftung obliegt mangels gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Die nationalen Regelungen müssen dabei grundlegenden gemeinschaftsrechtlichen Prinzipien – insbesondere dem Äquivalenzgrundsatz und Effektivitätsgrundsatz – entsprechen131. Derzeit nicht abschließend geklärt ist, auf welcher Grundlage der Gemeinschaft die Kompetenz zusteht, privatrechtliche Sanktionen bei Verstößen gegen das EG-Kartellrecht in einem Sekundärrechtsakt – geplant ist die Schaffung einer Richtlinie – zu regeln132. Sachlich am nächsten liegt die Anwendung von Art. 83 EG, wonach zweckdienliche Verordnungen oder Richtlinien zur Verwirklichung der in Art. 81 und 82 niedergelegten Grundsätze erlassen werden dürfen. Privatrechtliche Sanktionen, insbesondere Schadensersatzklagen, werden in Art. 83 EG jedoch nicht ausdrücklich erwähnt. Art. 83 Abs. 2 Buchst. a EG betrifft zwar Sanktionen, spricht aber nur von »Geldbußen und Zwangsgeldern«, mithin von hoheitlichen Maßnahmen. Auf diese Vorschrift lassen sich gemeinschaftsrechtli127
Jung, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 83 Rn. 19; Ritter, in: Immenga/Mestmäcker, EGV, Art. 83 Rn. 12. 128 Art. 83 Abs. 2 Buchst. a EG sowie Art. 23 und 24 VO 1/2003. 129 Ritter, in: Immenga/Mestmäcker, EGV, Art. 83 Rn. 1. 130 EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 26 – Courage und Crehan. 131 Dazu sogleich II. 2., S. 88 ff. 132 Zu den denkbaren Kompetenzgrundlagen siehe nur Eilmansberger, in: Festschrift für Koppensteiner, S. 115, 118 ff.
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che Vorschriften über die private Rechtsdurchsetzung nicht stützen133. Indessen ist die Aufzählung in Absatz 2 nicht abschließend134. Zudem steht die privatrechtliche Rechtsdurchsetzung in einem engen sachlichen Zusammenhang mit Art. 83 Abs. 2 Buchst. a und b EG135. Es spricht daher einiges für die Annahme, dass die Kompetenz zur Regelung der privaten Rechtsdurchsetzung aus Art. 83 EG folgt136. Solche Vorschriften sind als zweckdienlich im Sinne von Art. 83 Abs. 1 EG anzusehen, weil damit die Durchsetzung der materiellen Grundsätze der Art. 81 und 82 EG gefördert würde137. Für das Lauterkeitsrecht fehlt es an einer vergleichbaren Kompetenz. Zwar umfasst die Tätigkeit der Gemeinschaft unter anderem ein System, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt138 und einen Beitrag zur Verbesserung des Verbraucherschutzes leistet139, doch handelt es sich insoweit eher um punktuelle Ansatzpunkte. Die zentralen lauterkeitsrechtlichen Sekundärrechtsakte – die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im Binnenmarkt und die Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung – beruhen auf Art. 95 EG. Es handelt sich dabei um Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarktes. Die in den Richtlinien enthaltenen Sanktions- und Verfahrensvorschriften haben lediglich fragmentarische Natur und beziehen sich auf spezifisch lauterkeitsrechtliche Maßnahmen und Rechtsschutzmechanismen, die von der gemeinschaftsrechtlichen Kompetenznorm gedeckt sind. 2. Art des gemeinschaftsrechtlichen Einflusses Das Gemeinschaftsrecht beeinflusst die nationalen Rechtsordnungen auf unterschiedliche Weise. Es kann zum einen dazu beitragen, Hemmnisse der nationalen Rechtsordnungen abzubauen, die der Verwirklichung der Gemeinschaftsziele entgegenstehen. Dadurch werden dem nationalen Recht gleichsam die »Spitzen abgeschliffen«140. Das Gemeinschaftsrecht wirkt auf diese Weise allerdings eher begrenzend und weniger rechtsgestaltend. Im Zentrum dieser Begrenzungsfunktion stehen die Grundfreiheiten, die speziell im Lauterkeitsrecht große Bedeu133 Jung, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 83 Rn. 22; Stadler, in: Langen/Bunte, EGV, Art. 83 Rn. 22. 134 Vgl. den Wortlaut: »insbesondere«. 135 Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 352. 136 Basedow, ZWeR 2006, 294, 297 f.; Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 351 f.; Eilmannsberger, in: Festschrift für Koppensteiner, S. 115, 119; ders., CML Rev. 44 (2007), 431, 441; Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 83 Rn. 18; Pernice, in: Grabitz/ Hilf, EUV/EGV (11. EL 1997), Art. 87 Rn. 16; Zimmer/Logemann, ZEuP 2009, 489, 498. Offengelassen von Stadler, in: Langen/Bunte, EGV, Art. 83 Rn. 22. 137 Zur Zweckdienlichkeit siehe Jung, in Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 83 Rn. 12; Stadler, in: Langen/Bunte, EGV, Art. 83 Rn. 9. 138 Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG. 139 Art. 3 Abs. 1 Buchst. t EG; vgl. dazu und zur damit korrespondierenden Vorschrift des Art. 153 EG (Ex-Art. 129a EGV) Heiss, ZEuP 1996, 625 ff. 140 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 5 Rn. 19.
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tung gewonnen haben141. Zum anderen kann das Gemeinschaftsrecht die rechtlichen Rahmenbedingungen auch aktiv gestalten und auf diese Weise zu einer Rechtsharmonisierung beitragen. Eine solche Rechtsharmonisierung kann wiederum auf verschiedenen Wegen erzielt werden. Zum Schutz vor Wettbewerbsbeschränkungen hat sich mit dem Gemeinschaftskartellrecht ein eigenständiges Rechtsgebiet entwickelt, das neben die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten getreten ist. Dieses Rechtsgebiet besteht zwar formal unabhängig von den Regelungen der Mitgliedstaaten. Gleichwohl gehen von dem Gemeinschaftskartellrecht entscheidende Impulse aus, die im Laufe der Zeit zu einer schrittweisen Annäherung der nationalen Rechtsordnungen an die Maßstäbe des Gemeinschaftsrechts führen. Dieser Angleichungsprozess ist im deutschen Kartellrecht gut zu beobachten und mit der siebenten GWB-Novelle 2005 nochmals einen entscheidenden Schritt vorangekommen142. Die Gemeinschaft verfolgt im Lauterkeitsrecht das Ziel einer Rechtsangleichung durch eine Harmonisierung der einzelnen nationalen Rechtsordnungen143. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den sekundärrechtlichen Maßnahmen in Form von Richtlinien zu144 und der – konkretisierenden und ergänzenden – Rechtsprechung des EuGH. Der Einfluss des Gemeinschaftsrechts geht dabei vielfach »lautlos« vor sich145, doch waren bisweilen durchaus auch spektakuläre Kurswechsel zu beobachten146. Im Unterschied zum Kartellrecht verfolgt das Gemeinschaftsrecht bislang kein einheitliches lauterkeitsrechtliches Konzept und kennt kein dem deutschen Recht vergleichbares Lauterkeitsrecht. Zwar gibt es eine Reihe gemeinschaftsrechtlicher Regelungen, die – nach deutscher Denkart – lauterkeitsrechtliche Aspekte betreffen. Jedoch sind diese Regelungen häufig an anderen Kategorien ausgerichtet, etwa vorrangig am Verbraucherschutz (z.B. die RL 2005/29/EG) oder am Schutz der Mitbewerber (z.B. die RL 2006/114/EG). Das Gemeinschaftsrecht trennt im Hinblick auf den Schutz vor unlauteren Handlungen zwischen verschiedenen Schutzrichtungen und Marktakteuren, wäh141 Siehe nur Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 7 Rn. 1 ff.; Bornkamm, in: Festschrift 50 Jahre BGH, S. 343, 344 ff.; Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrecht, S. 139 ff.; Fezer, JZ 1994, 317 ff.; Glöckner Europäisches Lauterkeitsrecht, S. 81 ff.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 564 ff. Speziell zum Einfluss der Warenverkehrsfreiheit auf das Lauterkeitsrecht Heermann, Warenverkehrsfreiheit und deutsches Unlauterkeitsrecht, 2004. 142 Das zentrale Ziel der Novelle bestand darin, das nationale Kartellrecht weitgehend den Maßstäben des Gemeinschaftskartellrechts anzupassen, Begr. zum Regierungsentwurf, BTDrucks. 15/3640, S. 21 f. 143 Zu den Anfängen siehe nur Ulmer, GRUR Ausl. 1962, 273 ff.; zum aktuellen Bestand und zu Entwicklungsperspektiven siehe nur Leistner, ZEuP 2009, 56 ff. 144 Der Versuch zur Schaffung einer lauterkeitsrechtlichen Verordnung über Verkaufsförderungsmaßnahmen im Binnenmarkt verlief ergebnislos im Sande. Die Kommission teilte mit, dass der entsprechende Vorschlag zurückgezogen wird, siehe Mitteilung der Kommission KOM (2005) 462 endgültig vom 27.9.2005. 145 Ullmann, JZ 1994, 928, 931. 146 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 5 Rn. 38 ff.; Bornkamm, in: Festschrift 50 Jahre BGH, S. 343, 359 ff.; Piper, WRP 1992, 685, 689 f. jeweils mit Beispielen.
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rend das deutsche Recht gerade darauf ausgerichtet ist, diese verschiedenen Aspekte unter dem Dach des UWG zusammenzuführen. Wenn also auf nationaler Ebene und auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene von unlauteren Handlungen gesprochen wird, muss damit keineswegs dasselbe gemeint sein. Diese Abweichungen beruhen darauf, dass das Lauterkeitsrecht in den Mitgliedstaaten unterschiedlich stark entwickelt und aus sehr unterschiedlichen Traditionen gewachsen ist, verschiedene Wurzeln und Ausprägungen aufweist und demzufolge ganz unterschiedlich in die jeweiligen Rechtssysteme eingebunden ist147. Trotz dieser Unterschiede können beide Arten des gemeinschaftsrechtlichen Einflusses – Herausbildung eines verselbstständigten Rechtsgebietes auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts und Harmonisierung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten – zu sehr ähnlichen Ergebnissen führen. Jedoch sind die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für die Sanktionen bei Verstößen gegen lauterkeitsrechtliche und kartellrechtliche Vorschriften unterschiedlich. Es liegt auf der Hand, dass ein originäres Gemeinschaftskartellrecht nach einheitlichen Sanktionen und nach einheitlichen Möglichkeiten des Rechtsschutzes verlangt. Raum für nationale Eigenheiten bleibt dabei nur in sehr begrenztem Maße. Es ist deswegen nicht überraschend, wenn der EuGH zwar die Bedeutung der nationalen Rechtsordnungen bei der Durchsetzung des EG-Kartellrechts betont, zugleich aber keine Scheu zeigt, im Hinblick auf die Ausgestaltung der einzelnen Sanktionen, namentlich der kartelldeliktischen Schadensersatzhaftung, sehr ins Detail zu gehen148. Ganz auf der Linie detaillierter Vorgaben liegen auch die Pläne der Kommission für die künftige Ausgestaltung der Schadensersatzhaftung149. Vollzieht sich dagegen, wie im Lauterkeitsrecht, eine allmähliche Angleichung der nationalen Rechtsordnungen, dann ist das Bedürfnis nach einer Vereinheitlichung von Sanktionen zunächst weniger stark ausgeprägt als bei der Existenz einer originären gemeinschaftsrechtlichen Materie. Je stärker aber die Rechtsangleichung auf materiellem Gebiet voranschreitet, desto stärker wächst in der Folge auch das Bedürfnis nach einheitlichen Mechanismen zur Rechtsdurchsetzung. Dementsprechend sieht beispielsweise das Grünbuch der Kommission zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union hinsichtlich eines Ausbaus und einer Effektivierung der Rechtsdurchsetzung grundsätzlich Handlungsbedarf, weil auf materieller Ebene bereits ein gewisser Harmonisierungsstand erreicht wurde und es nunmehr funktionierender Durchsetzungsmechanismen bedarf: »Regulierende Maßnahmen müssen mit angemessenen Durchsetzungsstrukturen verknüpft sein, damit ihre einheitliche Anwendung gewährleistet ist. Die Märkte brauchen nicht nur klare und verlässliche Regeln, sondern sind auch darauf angewiesen, dass diese effektiv durchgesetzt werden. Voraussetzung für das Vertrauen der Verbraucher und für einen wettbewerbsfähigen Binnenmarkt ist die einheit-
147 Möllers/Heinemann, The Enforcement of Competition Law in Europa, S. 16 ff. sowie mit aufschlussreichen Fallstudien S. 89 ff. 148 Unten § 5. A. III. 1., S. 317 ff. 149 Unten § 5. A. III. 3., S. 330 ff.
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liche Anwendung und Durchsetzung des Rechts unabhängig davon, wo sich der Verbraucher bzw. das Unternehmen befindet. Ob nun als Regelungsinstrument eine spezifische oder eine Rahmenrichtlinie als Ansatz gewählt wird – in jedem Fall muss er mit Durchsetzungsverfahren verknüpft werden, damit die Mitgliedstaaten in der Lage sind, in Fällen der grenzüberschreitenden Durchsetzung schnell, wirksam und effektiv zu handeln und zusammenzuarbeiten«150.
Solange einheitliche materiellrechtliche Regelungen fehlen oder nur fragmentarischen Charakter aufweisen, bedarf es allenfalls partieller Regelungen zu Sanktions- und Verfahrensvorschriften. Ein anschauliches Beispiel für die Abhängigkeit von materiellrechtlicher Rechtsangleichung und einem damit einhergehenden wachsenden Bedürfnis nach einheitlichen Mechanismen der Rechtsdurchsetzung bildet der Schutz des geistigen Eigentums. Die Rechtsangleichung in diesem Bereich ist auf materieller Ebene bereits weit fortgeschritten151, sodass mit der Richtlinie 2004/48/EG eine umfassende Vereinheitlichung der Rechtsfolgen und der Rechtsdurchsetzung in Angriff genommen werden konnte152. Demgegenüber weist das gemeinschaftsrechtlich gestaltete Lauterkeitsrecht noch keine vergleichbare Regelungsdichte auf. Zugleich sind die Differenzen zwischen den Durchsetzungssystemen in den Mitgliedstaaten so gravierend, dass eine über punktuelle Vorgaben hinausgehende Vereinheitlichung der Rechtsdurchsetzung derzeit nicht aktuell ist153. Hinzu kommt, dass eine Harmonisierung im Bereich der Rechtsfolgen und Rechtsdurchsetzung besondere Schwierigkeiten aufwirft. Denn die Mitgliedstaaten verfügen über ganz unterschiedliche Sanktionsmechanismen und Rechtsschutzsysteme154, die ihrerseits nicht isoliert, sondern im Kontext der jeweiligen nationalen Rechtsordnungen gesehen werden müssen. Eine vorschnelle Vereinheitlichung von Sanktionssystemen und Durchsetzungsverfahren kann unter Umständen zu erheblichen Spannungen in den nationalen Rechtsordnungen führen. In der Konsequenz dieser Entwicklung liegt es, wenn die Rechtsangleichung im Bereich der Sanktionen des Lauterkeitsrechts bislang eher einem Flickenteppich gleicht.
150 Grünbuch der Kommission zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union, KOM (2001) 531 endgültig, S. 19. 151 Leistner, in: Festschrift für Schricker, S. 87, 97 spricht von einem unvergleichbar hohen Harmonisierungsstand im Bereich des geistigen Eigentums. 152 »Ohne wirksame Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums werden jedoch Innovation und kreatives Schaffen gebremst und Investitionen verhindert. Daher ist darauf zu achten, dass das materielle Recht auf dem Gebiet des geistigen Eigentums, das heute weitgehend Teil des gemeinschaftlichen Besitzstands ist, in der Gemeinschaft wirksam angewandt wird. Daher sind die Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums von zentraler Bedeutung für den Erfolg des Binnenmarktes«; Erw. 3 der RL 2004/48/EG; siehe auch Knaak, GRUR Int. 2004, 745, 746. 153 »Zu groß sind die konzeptionellen, zivilrechtlichen und insbesondere auch zivilprozessualen und auf das Gerichtssystem bezogenen Unterschiede in den Mitgliedstaaten, um ein solches Projekt derzeit erfolgversprechend erscheinen zu lassen«, Leistner, ZEuP 2009, 56, 79. 154 Siehe nur Möllers/Heinemann, The Enforcement of Competition Law in Europe, S. 89 ff.
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3. Mindest- oder Vollharmonisierung Verfolgt das Gemeinschaftsrecht, wie im Lauterkeitsrecht, das Ziel einer Rechtsangleichung durch Richtlinien, dann ist der gestaltende Einfluss des Gemeinschaftsrechts davon abhängig, welches Konzept der Rechtsangleichung von der Richtlinie verfolgt wird. Richtlinien können auf eine Vollharmonisierung oder auf eine Mindestharmonisierung gerichtet sein. Oftmals beruht die Entscheidung für eine Voll- oder Mindestharmonisierung nicht auf sachbezogenen Erwägungen, sondern auf politischem Kalkül. Eine Mindestharmonisierung kann etwa der »Beschwichtigung« von Mitgliedstaaten durch das Aufrechterhalten eines Restbestands nationaler Regelungssouveränität dienen155. Eine Vollharmonisierung erfordert eine exakte Orientierung am Schutzstandard der Richtlinie. Abweichungen »nach oben«, also strengere Regelungen als in der Richtlinie vorgesehen, sind ebenso unzulässig wie Abweichungen »nach unten«, also mildere Regelungen156. Demgegenüber verlangt die Mindestharmonisierung nur, dass der von der Richtlinie aufgestellte Schutzstandard nicht unterschritten wird. Sie bildet gleichsam einen »Sockel« hinsichtlich des unabdingbaren gemeinschaftsrechtlichen Grundbestands157. Obgleich beide Regelungskonzepte theoretisch klar zu unterscheiden sind, fällt die Zuordnung und Differenzierung zwischen Mindest- und Vollharmonisierung mitunter nicht leicht158. Zusätzlich können Zweifel über die sachliche Reichweite der Harmonisierung bestehen. Solche Unsicherheiten werden beispielsweise genährt, wenn eine Richtlinie eine Generalklausel (wie z.B. Art. 5 RL 2005/29/EG) oder unbestimmte Ausnahmeregelungen (wie z.B. Art. 3 Abs. 3 RL 2005/29/EG) enthält. Letztverbindliche Sicherheit, wie weit der sachliche Anwendungsbereich der umzusetzenden Richtlinie gezogen ist, kann nur der EuGH geben. Zusätzliche Unsicherheit kann entstehen, wenn nebeneinander an mehreren Sekundärrechtsakten gearbeitet wird, aber letztlich nicht alle Sekundärrechtsakte verabschiedet werden. Beispielsweise war von der Kommission neben der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken auch die Schaffung einer Verordnung über Verkaufsförderungsmaßnahmen159 vorgesehen. Diese Verordnung wurde aber nie erlassen160. Daraus ergibt sich nun die Frage, ob Maßnahmen, die in der Verordnung geregelt werden sollten, z.B. Zugaben oder Gewinnspiele, nicht von der RL 2005/29/EG erfasst werden oder ob der Anwendungsbereich der Richtlinie auf solche Praktiken zu erstrecken ist161. 155
Micklitz/Keßler, GRUR Int. 2002, 885, 888. Sosnitza, WRP 2006, 1, 2. 157 Micklitz/Keßler, GRUR Int. 2002, 885, 888. 158 Micklitz/Keßler, GRUR Int. 2002, 885, 888 mit Beispielen. 159 Siehe zuletzt den geänderten Vorschlag der Kommission über eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt vom 25.10.2002, KOM (2002) 585 endgültig. 160 Kommission, Mitteilung KOM (2005) 462 endgültig, S. 10. 161 Dazu eingehend die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak, Rs. C-261 und 299/07 (VTB-VAB NV) vom 21.10.2008 Rn. 90 ff. 156
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Die Mitgliedstaaten sind grundsätzlich verpflichtet, den verfügenden Inhalt162 einer Richtlinie vollständig in das nationale Recht umzusetzen. Ihnen ist jedoch gemäß Art. 249 Abs. 3 EG »die Wahl der Form und der Mittel« überlassen. Der sich daraus ergebende Gestaltungsspielraum für die nationalen Gesetzgeber ist unter anderem von dem beabsichtigten Harmonisierungsgrad der umzusetzenden Richtlinie abhängig. Der Gestaltungsspielraum der nationalen Gesetzgeber bei der Umsetzung von Richtlinien, die das Ziel der Vollharmonisierung verfolgen, ist tendenziell geringer als bei der Umsetzung von Richtlinien, die auf eine Mindestharmonisierung gerichtet sind. Zwar sind Abweichungen vom Wortlaut der Richtlinie bei der Umsetzung in das nationale Recht auch bei Vollharmonisierungen prinzipiell zulässig, doch geben solche Abweichungen oft Anlass zu Auslegungszweifeln. Da die zur Umsetzung erlassenen Rechtsvorschriften richtlinienkonform auszulegen sind, sprechen pragmatische Gründe oft dafür, im nationalen Recht schlicht den Wortlaut der Richtlinie zu übernehmen163. Viele Mitgliedstaaten haben daher beispielsweise die lauterkeitsrechtlichen Richtlinien mehr oder weniger »eins zu eins« in das nationale Recht übernommen. Ein größerer Gestaltungsspielraum verbleibt für nationale Gesetzgeber, wenn eine Richtlinie lediglich auf eine Mindestharmonisierung zielt. Unter Umständen kann eine Umsetzung sogar ganz entbehrlich sein, wenn der nationale Schutzstandard den Mindesterfordernissen einer Richtlinie bereits entspricht. Das kann allerdings dazu führen, dass der gemeinschaftsrechtliche Einfluss praktisch kaum zu spüren ist. Beispielsweise hatten die Vorgaben der RL 84/450/EWG (jetzt: RL 2006/114/EG) über irreführende Werbung zunächst keine nennenswerten Auswirkungen auf den »hohen Schutzstandard« des deutschen Lauterkeitsrechts164. Demgegenüber zwang die gemeinschaftsrechtliche Regelung der vergleichenden Werbung durch die RL 97/55/EG, die auf eine Vollharmonisierung gerichtet war, zu einer deutlichen Kurskorrektur im deutschen Recht. Noch vor der Umsetzung der Richtlinie durch den Gesetzgeber übernahm der BGH die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in das nationale Lauterkeitsrecht und beendete das jahrzehntelang geltende Dogma des Verbots vergleichender Werbung in Deutschland165.
4. Wirkungen der Rechtsangleichung Das Gemeinschaftsrecht kann durch Maßnahmen zur Rechtsangleichung Verkrustungen des nationalen Rechts aufbrechen und damit zu sinnvollen Entwicklungen beitragen, die eine nationale Rechtsordnung aus eigener Kraft möglicher-
162 Nicht dazu gehören beispielsweise die regelmäßig vorangestellten Erwägungsgründe, die Auskunft über die der Richtlinie zugrunde liegenden Zielsetzungen und Motive geben. 163 Freilich genügt die bloß formale Übernahme des Wortlauts einer Richtlinie nicht; vielmehr müssen die Rechtsvorschriften auch angewendet werden; EuGH vom 11.7.2002, Rs. C-62/00, Slg. 2002, I-6325, Rn. 26 ff. Marks & Spencer. 164 Albrecht, WRP 1997, 926; Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 8 Rn. 77. 165 BGH vom 5.2.1998, BGHZ 138, 55 ff. – Testpreis-Angebot.
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weise nur verspätet oder aber gar nicht in Angriff genommen hätte. Ein entscheidender Vorzug des Gemeinschaftsrechts liegt darin, dass es auf gewachsene Rechtstraditionen und nationale Befindlichkeiten weniger Rücksicht nehmen muss als die jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnungen. Wenn zuweilen die Forderung nach einer stärken Respektierung nationaler Rechtstraditionen erhoben wird166, dann beruht dies auf der Furcht, der frische Wind des Gemeinschaftsrecht könnte manche im nationalen Recht liebevoll kultivierte Eigenheit schnell fortwehen. Rechtsvereinheitlichung ist allerdings kein Wert an sich167. Unterschiedliche nationale Regelungen können zu einem aufschlussreichen Wettbewerb der Rechtsordnungen beitragen168. Rechtliche Vielfalt kann neue Regelungsansätze zutage fördern und es ermöglichen, wechselseitig voneinander zu lernen169. Anschaulich spricht Basedow von einem rechtsvergleichenden Laboratorium der nationalen Gesetzgebung170. Wenn beispielsweise Schadensersatzklagen wegen Kartellrechtsverstößen vorzugsweise in bestimmten Staaten und vor bestimmten Gerichten erhoben werden, dann geben solche Entwicklungen Anlass, den Ursachen nachzugehen und daraus für die weitere Rechtsentwicklung Konsequenzen zu ziehen. Weiterhin birgt Rechtsvereinheitlichung, speziell mit Blick auf eine Harmonisierung von Sanktionen und Rechtsschutz, die Gefahr in sich, dass funktionsfähige Mechanismen zur Verfolgung von Rechtsverstößen vorschnell und unwiederbringlich zerstört werden. Nationale Sanktionssysteme haben sich möglicherweise über Jahrzehnte aus guten Gründen entwickelt und sind in der Praxis bewährt. Es ist keineswegs gesagt, dass gemeinschaftsweit vereinheitlichte Sanktionen automatisch zu einer qualitativen Verbesserung des Rechtsschutzes führen. Was in einem Mitgliedstaat gut funktioniert, kann sich in einem anderen Mitgliedstaat aufgrund anderer Ausgangsbedingungen vielleicht als völlig wirkungslos erweisen. Es kann deswegen durchaus sinnvoll sein, an verschiedenen nationalen Sanktionssystemen der Mitgliedstaaten festzuhalten und lediglich punktuelle Rechtsvereinheitlichungen bei Sanktions- und Verfahrensvorschriften vorzunehmen, wenn Änderungen zu schwerwiegenden Verwerfungen in den Rechtsordnungen führen, die stärker ins Gewicht fallen als die positiven Effekte einer Rechtsangleichung. Entscheidend ist dementsprechend nicht die formale Gleichstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern – entsprechend der gemeinschaftsrechtlichen Terminologie – die praktische Wirksamkeit solcher Maßnahmen.
166
Piper, WRP 1992, 685, 691. Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 5 Rn. 18; ähnlich Piper, WRP 1992, 685, 686: »Harmonisierung ja, aber nicht um jeden Preis«. 168 Kerber, in: Grundmann, Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 67, 80 f.; Meessen, in: Festschrift für Loewenheim, S. 505, 511. 169 Kerber, in: Grundmann, Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, S. 67, 68. 170 Basedow, ZWeR 2006, 294, 298. 167
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§ 2. Ausgangsfragen
II. Art. 10 EG Bei der Ausgestaltung von Sanktions- und Verfahrensvorschriften kommt Art. 10 EG zentrale Bedeutung zu. Auf Grundlage dieser Bestimmung sind in der Rechtsprechung des EuGH grundlegende Maßstäbe und Kriterien herausgearbeitet worden, denen nationale Regelungen zum Rechtsschutz und zur Rechtsdurchsetzung entsprechen müssen. 1. Überblick und rechtliche Einordnung Art. 10 EG begründet ein komplexes System der wechselseitigen Loyalität und Rücksichtnahme zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft171, der Mitgliedstaaten untereinander172 und der Organe der Gemeinschaft untereinander173. Reichweite und inhaltliche Einzelheiten des Art. 10 EG sind noch nicht in jeder Hinsicht geklärt174. Unbestimmtheit und Unschärfe des Art. 10 EG sind keine Defizite der Vorschrift, sondern funktionsnotwendig. Denn Art. 10 EG bildet gleichsam ein Universalinstrument des Gemeinschaftsrechts, um nationalen Hemmnissen bei der Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft entgegenzutreten. Da diese Hindernisse höchst unterschiedlicher Natur sind und deswegen nicht von vornherein abschließend bestimmt werden können, entziehen sich Inhalt und Anwendungsbereich des Art. 10 EG notwendigerweise einer von vornherein abschließenden Festlegung. Diese Flexibilität ist vergleichbar dem privatrechtlichen Grundsatz von Treu und Glauben175. Zugleich bildet sie eine dogmatische Hauptangriffsfläche176. Art. 10 Abs. 1 S. 1 EG verlangt von den Mitgliedstaaten, alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen zu treffen, die sich aus dem EG-Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Seiner Struktur nach handelt es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen gegen-
171 Diese Loyalitätspflicht gilt im wechselseitigen Verhältnis zwischen Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft: siehe nur EuGH vom 9.12.1997, Rs. C-295/95, Slg. 1997, I-6959 Rn. 30 ff. – Kommission/Frankreich (Loyalitätspflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der Gemeinschaft) und EuGH vom 13.7.1990, Rs. C-2/88, Slg. 1990, I-3365 Rn. 17 ff. – Zwartveld (Loyalitätspflicht der Gemeinschaft gegenüber Mitgliedstaaten). 172 EuGH vom 11.6.1991, Rs. C-251/89, Slg. 1991, I-2797 Rn. 57 – Athanasopoulos. 173 EuGH vom 30.3.1995, Rs. C-65/93, Slg. 1995, I-643 Rn. 23 – APS II. 174 Zur Vorgängerbestimmung Art. 5 EGV siehe nur Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 303 ff. 175 Ähnlich Kahl, in: Callies/Ruffert, EGV, Art. 10 Rn. 8: Art. 10 bilde »quasi die Geschäftsgrundlage« der Gemeinschaft. Der EuGH betont, dass Verstöße gegen Art. 10 EG die Rechtsordnung der Gemeinschaft »bis in ihre Grundfesten« beeinträchtigen (EuGH vom 7.2.1973, Rs. 39/72, Slg. 1973, 101 Rn. 25 – Kommission/Italien) und »die wesentlichen Grundlagen der Gemeinschaftsrechtsordnung« gefährden könne (EuGH vom 19.1.1993, Rs. C-101/91, Slg. 1993, I-191 Rn. 23 – Kommission/Italien). 176 Siehe nur Kahl, in: Callies/Ruffert, EGV, Art. 10 Rn. 82 ff.
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seitige Pflichten zu einer loyalen Zusammenarbeit auferlegt177. Anerkannt ist, dass den Rechtspflichten aus Art. 10 EG besondere Bedeutung bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts auf nationaler Ebene zukommt178, weil das Gemeinschaftsrecht auf den indirekten Vollzug durch die Mitgliedstaaten angewiesen ist179. Aus Art. 10 EG erwachsende Verpflichtungen der Mitgliedstaaten betreffen in rechtlicher Hinsicht nicht nur die Schaffung gemeinschaftsrechtskonformer Gebote und Verbote, sondern auch die Einrichtung eines funktionsfähigen und wirksamen Sanktionssystems. Dies gilt insbesondere dann, wenn die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben selbst keine näheren Bestimmungen zu Sanktionsregelungen enthalten. Enthält beispielsweise eine gemeinschaftsrechtliche Richtlinie keine besondere Sanktion für den Fall eines Rechtsverstoßes oder verweist sie insoweit auf die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, dann sind die Mitgliedsstaaten nach Art. 10 EG verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten180. Diese Verpflichtung erstreckt sich nicht nur auf die Sanktionierung und Durchsetzung im Straf- und Verwaltungsverfahren, sondern sie gilt für alle Rechtsbereiche und schließt Instrumente verwaltungs-, steuer- oder privatrechtlicher Art ein181. Aus Art. 10 EG kann für Mitgliedstaaten die Pflicht erwachsen, neue Sanktionsinstrumente zu schaffen, wenn die im nationalen Recht vorhandenen Regelungen nicht ausreichen. Fehlt es etwa an privaten Klagemöglichkeiten, dann kann es im Interesse einer Stärkung der Durchsetzungskraft des Gemeinschaftsrechts geboten sein, eine Rechtsverfolgung durch Private zuzulassen. Die Muñoz und Superior Fruiticola-Entscheidung des EuGH sieht beispielsweise eine solche Notwendigkeit des Ausbaus privatrechtlicher Ansprüche als Sanktionen bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht. In der Entscheidung hatte sich der EuGH auf Vorlage des Court of Appeal (England und Wales), Civil Division mit der Rechtsfrage zu befassen, ob ein Einzelner berechtigt sein kann, vor Zivilgerichten die Einhaltung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften – konkret ging es um eine Verletzung der VO 2200/96, die bestimmte Qualitätsanforderungen für Obst und Gemüse enthält – zu erzwingen. Der EuGH hielt dies im Hinblick auf den Schutzzweck der verletzten Vorschriften des Gemeinschaftsrechts grundsätzlich für möglich. Die volle Wirksamkeit der Regelung der Qualitätsnormen und insbesondere die praktische Wirksamkeit der Verpflichtungen aus der Verordnung verlangen, dass deren Beachtung im Wege eines Zivilprozesses durchge177 EuGH vom 6.5.1982, Rs. C-54/81, Slg. 1982, 1449 Rn. 5 – Fromme; EuGH vom 10.2.1983, Rs. C-230/81, Slg. 1983, 255 Rn. 37 – Luxemburg/Parlament; EuGH vom 22.9.1988, Rs. C-358/85, Slg. 1988, 4821 Rn. 34 – Frankreich/Parlament; EuGH vom 14.11.1989, Rs. C-14/88, Slg. 1989, 3677 Rn. 20 – Italien/Kommission. 178 Von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 10 EGV, Rn. 34 ff.; Steindorff, WRP 1993, 139, 140. 179 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 10 Rn. 23. 180 EuGH vom 2.3.1994, Rs. C-382/92 Slg. 1994, I-2435 Rn. 55 – Kommission/Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland; EuGH vom 8.6.1994, Rs. C-383/92, Slg. 1994, I-2479 Rn. 40 – Kommission/Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland. 181 EuGH vom 14.7.1994, Rs. 352/92, Slg. 1994, I-3385 Rn. 23 – Milchwerke Köln.
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setzt werden könne, den ein Wirtschaftsteilnehmer gegen einen Konkurrenten anstrengt182. Wörtlich heißt es in der Begründung des EuGH weiter: »Eine solche Klagebefugnis verstärkt nämlich die Durchsetzungskraft der gemeinschaftsrechtlichen Regelung der Qualitätsnormen. Sie ergänzt die Tätigkeit der Stellen, die in den Mitgliedsstaaten für die Durchführung der in dieser Regelung vorgesehenen Kontrollen zuständig sind, und trägt damit dazu bei, oft nur schwer aufzudeckenden Praktiken zu unterbinden, die den Wettbewerb verfälschen könnten. So gesehen sind Klagen von Konkurrenten vor nationalen Gerichten besonders geeignet, wesentlich zur Sicherung eines lauteren Handels und der Markttransparenz in der Gemeinschaft beizutragen«183.
Art. 10 EG gebietet schließlich, »Kollisionsfälle« zwischen der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsdurchsetzung und der Rechtsdurchsetzung durch die Mitgliedstaaten zu vermeiden. Denn solche Konflikte führen zu Reibungsverlusten und können zu Rechtsunsicherheit beitragen. Auf Art. 10 EG stützte der EuGH beispielsweise die – nunmehr in Art. 16 VO 1/2003 enthaltene – Verpflichtung der nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten, keine Entscheidungen zu erlassen, die einer Kommissionsentscheidung zuwiderlaufen184 und Kommissionsentscheidungen zu beachten, die erst beabsichtigt sind185, wenn sie über Verstöße gegen Gemeinschaftskartellrecht befinden, die Gegenstand eines laufenden oder abgeschlossenen Verfahrens der Kommission sind. 2. Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz Soweit der Vollzug des Gemeinschaftsrechts den Mitgliedstaaten überantwortet ist, haben diese, selbst wenn das Gemeinschaftsrecht dies nicht nochmals ausdrücklich hervorhebt, bei der Ausgestaltung der Sanktionen und des Rechtsschutzes nicht freie Hand, sondern unterliegen dem bestimmenden Einfluss des Gemeinschaftsrechts. Anderenfalls wäre es möglich, dass die gemeinschaftsrechtlich intendierten Ziele sozusagen über den Umweg der Sanktionen und des Rechtsschutzes unterwandert werden. Eine materiellrechtliche Regelung würde möglicherweise entwertet, wenn es an funktionsfähigen Instrumenten fehlt, die ihre Beachtung gewährleisten und ihre Befolgung sichern. Enthalten die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts keine näheren Vorgaben zu Sanktionen oder verweist das Gemeinschaftsrecht insoweit auf die Regelungen der nationalen Rechtsordnungen, dann verpflichtet Art. 10 EG die Mitgliedstaaten, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen186. 182
EuGH vom 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 30 – Muñoz und Superior Fruiti-
cola. 183
EuGH vom 17.9.2002, Rs. C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 31 – Muñoz und Superior Fruiti-
cola. 184
EuGH vom 14.12.2000, Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369 Rn. 52 – Masterfoods und HB. EuGH vom 14.12.2000, Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369 Rn. 52 – Masterfoods und HB; EuGH vom 28.2.1991, Rs. 234/89, Slg. 1991, I-935 Rn. 47 – Delimitis. 186 Für Verordnungen siehe nur EuGH vom 21.9.1989, Rs. C-68/88, Slg. 1989, 2965 Rn. 23 – Kommission/Griechenland; EuGH vom 2.10.1991, Rs. C-7/90, Slg. 1991, I-4371 Rn. 11 – Vande185
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a) Grundanforderungen Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen die Mitgliedstaaten darauf achten, dass Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach vergleichbaren sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht, wobei die Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen187. Außerdem müssen die nationalen Stellen gegenüber Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht mit derselben Sorgfalt vorgehen, die sie bei der Anwendung der entsprechenden nationalen Rechtsvorschriften walten lassen188. Damit sind die Kernelemente des Art. 10 EG beschrieben: Äquivalenzgrundsatz und Effektivitätsgrundsatz. Beide Grundsätze werden vom EuGH unmittelbar aus Art. 10 EG abgeleitet und stehen in einem engen sachlichen Zusammenhang189. Die Sanktionen und Modalitäten des nach nationalem Recht vorgesehenen Rechtsschutzes bei der Verletzung von Rechten, die aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsen, dürfen nach dem Äquivalenzgrundsatz nicht weniger günstig ausgestaltet sein als bei der Verletzung von vergleichbarem innerstaatlichem Recht. Der Effektivitätsgrundsatz verlangt, dass die Ausübung der durch die Gemeinschaftsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden darf190. Eine ausdrückliche primärrechtliche Regelung beider Grundsätze gibt es nicht. Allerdings finden sich Formulierungen im EG-Vertrag, die auf eine primärrechtliche Verankerung dieser Grundsätze deuten. Etwas versteckt wird in Art. 280 Abs. 4 EG von der »Gewährleistung eines effektiven und gleichwertigen Schutzes in den Mitgliedstaaten« gesprochen. Der EuGH anerkennt beide Grundsätze in ständiger Rechtsprechung, allerdings zum Teil mit wechselnden Formulierungen191. Ebenfalls schwankend ist die Terminologie in der Literatur. Steindorff unterscheidet etwa das Prinzip des nationalen Mindeststandards und das Gewährleistungsprinzip192. Zum Teil wird mit Blick auf den Äquivalenzgrundsatz auch vom »Diskriminierungsverbot« gesprochen193. 187 venne: für Richtlinien siehe nur EuGH vom 8.6.1994, Rs. C-382/92, Slg. 1994, I-2435 Rn. 55 – Kommission/Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland; EuGH vom 8.6.1994, Rs. 383/92, Slg. 1994, I-2483 Rn. 40 – Kommission/Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland. 187 EuGH vom 21.9.1989, Rs. C-68/88, Slg. 1989, 2965, Rn. 24 – Kommission/Griechenland. 188 EuGH vom 21.9.1989, Rs. C-68/88, Slg. 1989, 2965, Rn. 25 – Kommission/Griechenland. 189 Zu einseitig ist daher die Hervorhebung des Effektivitätsgrundsatzes bei der Ausgestaltung der kartelldeliktischen Haftung bei Lettl, ZHR 167 (2003), 473, 477. 190 EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6621 Rn. 62 – Manfredi; EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 29 – Courage und Crehan; EuGH vom 10.7.1997, Rs. C-261/95, Slg. 1997, I-4025 Rn. 27 – Palmisani. 191 EuGH vom 28.11.2000, Rs. C-88/99, Slg. 2000, I-10465 Rn. 21 – Roquette frères spricht beispielsweise nicht vom Äquivalenzgrundsatz, sondern vom Grundsatz der Gleichwertigkeit. 192 Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 304 193 Gundel, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten Rn. 42 mit Fn. 115; Mäsch, EuR 2003, 825, 836. Die Bezeichnung »Diskriminierungsverbot« ist freilich missverständlich und sollte vermieden werden, um Verwechslungen mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 12 EG und speziellen Diskriminierungsverboten des Gemeinschaftsrechts vorzubeugen.
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§ 2. Ausgangsfragen
Mit dem Äquivalenzgrundsatz wird sichergestellt, dass die Verfolgung von Rechtsverstößen nach einheitlichen Maßstäben und Modalitäten erfolgt, unabhängig davon, ob eine Verletzung nationalen Rechts vorliegt oder eine Verletzung von Bestimmungen, die ihre Grundlage im Gemeinschaftsrecht finden. Auf diese Weise wird verhindert, dass das Gemeinschaftsrecht aufgrund wenig »schlagkräftiger« Sanktionen und schlechterer Rechtsschutzmöglichkeiten gegenüber den nationalen Rechtsordnungen entwertet wird. Es handelt sich bei diesem Prinzip um ein Verbot unterschiedlicher Behandlung, das allerdings nicht an der Herkunft eines Betroffenen anknüpft, sondern an der rechtlichen Herkunft einer bestimmten Regelung. Aus dem Äquivalenzgrundsatz folgt das Gebot gleicher Sanktionen und gleicher Rechtsschutzmöglichkeiten. Insbesondere müssen Rechtsfolgen, die bei einem Verstoß gegen nationales Recht vorgesehen sind, auch bei gleichartigen Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften gelten, die im Gemeinschaftsrecht wurzeln. Nach dem Äquivalenzgrundsatz muss beispielsweise ein besonderer Schadensersatz (etwa Strafschadensersatz) im Rahmen einer auf das Gemeinschaftskartellrecht gestützten Klage gewährt werden, wenn ein solcher Schadensersatz bei vergleichbaren, auf das innerstaatliche Recht gegründeten Klagen zugesprochen werden kann194. Der Äquivalenzgrundsatz erstreckt sich nicht nur auf das Vorhandensein von Sanktionen, sondern auch auf ihre Durchsetzung und die dafür notwendigen Erfordernisse. Anhand des Äquivalenzgrundsatzes ist etwa zu prüfen, ob unterschiedliche nationale Zuständigkeitsregeln die Geltendmachung von Rechtsverstößen erschweren195. Schwieriger gestaltet sich die exakte Erfassung des Effektivitätsgrundsatzes, der eine notwendige Ergänzung zum Äquivalenzgrundsatz darstellt. Der Inhalt des Effektivitätsgrundsatzes erschließt sich am besten durch einen Vergleich mit dem Äquivalenzgrundsatz. Der Maßstab des Äquivalenzgrundsatzes ist am nationalen Recht ausgerichtet. Das Gemeinschaftsrecht verlangt bei Rechtsverstößen eine Gleichbehandlung. Dieser Grundsatz hilft jedoch nicht, wenn der nationale Rechtsschutz unzureichend entwickelt ist und deswegen Verstöße gegen Vorschriften mit gemeinschaftsrechtlichem Hintergrund nur unzureichend verfolgt werden können. In einem solchen Fall bewirkt das Äquivalenzprinzip lediglich, dass die mangelhaften Sanktionen und Rechtsschutzmöglichkeiten bei innerstaatlichen Rechtsverstößen auch bei Zuwiderhandlungen gegen gemeinschaftsrechtlich verankerte Rechtsvorschriften Anwendung finden. Genau diese Situation bestand im deutschen Kartelldeliktsrecht vor der siebenten GWBNovelle. Für Verstöße gegen nationale Kartellrechtsbestimmungen und für Verstöße gegen das Gemeinschaftskartellrecht galten die gleichen restriktiven Maßstäbe196. Somit waren die deutschen Regelungen zu Schadensersatzklagen bei Verstößen gegen das Ge194
EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 93 – Manfredi. EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 73 ff. – Manfredi. 196 Drexl, in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, S. 223, 256; Lübbig, WRP 2004, 1254, 1256; eingehend dazu unten § 5. A. I. und B. II., S. 294 ff. und S. 341 ff. 195
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meinschaftskartellrecht mit dem Äquivalenzprinzip vereinbar. Der Äquivalenzgrundsatz gewährleistet eben nur vergleichbare Sanktionen und Rechtsschutzmöglichkeiten, gegebenenfalls also auch nur vergleichbar defizitäre. Aufgabe des Effektivitätsprinzips ist es dagegen, eine angemessene »Schlagkraft« von Sanktionen zu gewährleisten. Den rechtlichen Maßstab bildet dabei nicht das nationale Recht, sondern die Effektivität der Rechtsdurchsetzung. Diese ist ausschließlich anhand einer gemeinschaftsautonomen Betrachtung zu beurteilen. Mit dem Effektivitätsgrundsatz dürfte die restriktive Handhabung des Kartelldeliktsrechts nach altem Recht kaum vereinbar gewesen sein197.
Obgleich der Effektivitätsgrundsatz ein anerkanntes und unverzichtbares Element des Gemeinschaftsrechts bildet, weist dieser Grundsatz kaum präzise Strukturen auf. Die inhaltlichen Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes sind umfangreicher und komplexer als beim Äquivalenzgrundsatz. Der Hinweis auf das Effektivitätsprinzip gerät deswegen leicht in die Gefahr einer inhaltsleeren Schlagwortargumentation. Zwar ist es einerseits oftmals nur mithilfe eines solchen flexiblen Grundsatzes möglich, dem Gemeinschaftsrecht zu Wirksamkeit zu verhelfen und bestehende Hemmnisse der Rechtsdurchsetzung in den nationalen Rechtsordnungen zu überwinden. Jedoch ist es andererseits bislang nur unzureichend gelungen, dem Effektivitätsgrundsatz greifbare Gestalt zu geben, seinen Anwendungsbereich genau zu definieren und seine Grenzen abzustecken. Dem Effektivitätsgrundsatz können qualitative Vorgaben für den nationalen Rechtsschutz zu entnehmen sein. Auf dem Effektivitätsgrundsatz beruht beispielsweise die zentrale Aussage des EuGH in der Courage und Crehan-Entscheidung, wonach die volle Wirksamkeit des Art. 81 EG und insbesondere die praktische Wirksamkeit des in Art. 81 Abs. 1 EG ausgesprochenen Verbots beeinträchtigt wären, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist198. Die qualitativen Vorgaben des Effektivitätsgrundsatzes können unter Umständen äußerst weit reichende Wirkungen entfalten und sogar rechtliche »Neuschöpfungen« zur Folge haben. Ein Beispiel bildet die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung bei Verstößen der Mitgliedstaaten gegen gemeinschaftsrechtliche Verpflichtungen199. b) Insbesondere: Wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen Der Effektivitätsgrundsatz verlangt insbesondere, dass die bei Rechtsverstößen gegen gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen vorgesehenen Sanktionen wirk197 Anders Lübbig, WRP 2004, 1254, 1256. Meessen, in: Festschrift für Loewenheim, S. 505, 508 f. will den Effektivitätsgrundsatz auf die zivilrechtliche Schadensersatzhaftung bei Verstößen gegen Gemeinschaftskartellrecht nicht anwenden, weil es insoweit an der Gemeinschaftskompetenz fehle. 198 EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 26 – Courage und Crehan. 199 EuGH vom 5.3.1996, Rs. C-46 und 48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 20 – Brasserie du Pêcheur/ Factortame; EuGH vom 19.11.1991, Rs. C-6 und 9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 33 – Francovich.
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§ 2. Ausgangsfragen
sam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen200. Diese Formulierung ist mittlerweile auch in vielen sekundärrechtlichen Rechtsakten zu finden201. Das Gebot der Wirksamkeit verbietet es den Mitgliedsstaaten, Sanktionsinstrumente bereitzustellen, die lediglich auf dem Papier Rechte Betroffener begründen und deren Verwirklichung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht in Betracht kommt. Ein solcher Fall wäre beispielsweise anzunehmen, wenn nationale Haftungstatbestände eine Schadensersatzhaftung von dem Nachweis bestimmter Voraussetzungen abhängig machen, die unter zumutbaren Umständen von einem Kläger nicht erbracht werden können. Generell können Sanktionen als wirksam angesehen werden, wenn sie nicht nur theoretisch, sondern praktisch sicherstellen, dass die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts tatsächlich beachtet werden. Das Gebot der Wirksamkeit verlangt dagegen nicht den Einsatz der zweckmäßigsten Sanktion. Die Verhältnismäßigkeit bildet hierzu ein Korrektiv und verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Schaffung von Sanktionen, die der Art und Schwere eines Rechtsverstoßes angemessen sind. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip bildet seinerseits ein grundlegendes Prinzip des Gemeinschaftsrechts. Es ist unter anderem ausdrücklich in Art. 5 Abs. 3 EG und in weiteren primär- und sekundärrechtlichen Vorschriften verankert und hat im Übrigen als gemeinschaftsrechtlicher Grundsatz Anerkennung gefunden202. Nach der Rechtsprechung des EuGH verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die durch die Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane auferlegten Maßnahmen zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sind und nicht die Grenzen des dazu Erforderlichen überschreiten203. Eine Regelung muss in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. Verfügt ein Mitgliedstaat über weniger einschneidende Mittel zur Erreichung desselben Zwecks, so muss er diese einsetzen204. Bei der geforderten Abschreckungswirkung handelt es sich schließlich um einen speziellen Sanktionszweck, nämlich Prävention205. Sie kann durch unterschiedliche Sanktionsinstrumente verwirklicht werden. Vereinzelt wurde im 200 Siehe nur EuGH vom 21.9.1989, Rs. C-68/88, Slg. 1989, 2965 Rn. 24 – Kommission/Griechenland; EuGH vom 18.10.2001, Rs. C-354/99, Slg. 2001, I-7657 Rn. 46 – Kommission/Irland; EuGH vom 7.12.2000, Rs. C-213/99, Slg. 2000, I-11083 Rn. 19 – de Andrade; EuGH vom 8.7.1999, Rs. C-186/98, Slg. 1999, I-4883 Rn. 14 – Nunes; EuGH vom 8.6.1994, Rs. C-382/92, Slg. 1994, I2435 Rn. 55 – Kommission/Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland; EuGH vom 8.6.1994, Rs. C-383/92, Slg. 1994, I-2483 Rn. 40 – Kommission/Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland; EuGH vom 10.7.1990, Rs. C-326/88, Slg. 1990, I-2911 Rn. 17 – Hansen. 201 Z.B. Art. 13 RL 2005/29/EG; Art. 3 Abs. 2 RL 2004/48/EG; Art. 11 Abs. 3 RL 2002/65/EG; Art. Abs. 1 S. 2 RL 2001/29/EG; Art. 18 VO 1383/2003. 202 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 241 ff. m.w.Nachw. 203 EuGH vom 13.12.1979, Rs. C-44/79, Slg. 1979, I-3727 Rn. 23 – Hauer; EuGH vom 18.9.1986, Rs. C-116/82, Slg. 1986, 2519, Rn. 21 – Qualitätswein; EuGH vom 14.7.1988, Rs. C407/85, Slg. 1988, 4233 Rn. 10 – 3 Glocken; EuGH vom 11.7.1989, Rs. C-265/87, Slg. 1989, I-2237 Rn. 21 – Schräder. 204 EuGH vom 14.7.1988, Rs. C-407/85, Slg. 1988, 4233 Rn. 10 – 3 Glocken; EuGH vom 16.5.1989, Rs. C-382/87, Slg. 1989, I-1235 Rn. 11 – Buet. 205 Lehmann, GRUR Int. 2004, 762, 763.
B. Gemeinschaftsrecht
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Schrifttum bezweifelt, dass dieses Gebot für privatrechtliche Sanktionen bei Kartellrechtsverstößen überhaupt Geltung beanspruchen könne206. Allerdings lag diese Einschätzung vor den EuGH-Entscheidungen Courage und Crehan und Manfredi. In diesen Entscheidungen betont der Gerichtshof gerade den abschreckenden Charakter von Schadensersatzansprüchen und damit von einer privatrechtlichen Sanktion207. Es kann hiernach nicht zweifelhaft sein, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die abschreckende Wirkung nicht von der Art des Sanktionsinstruments abhängig ist, sondern vielmehr als ein generelles Gebot des Gemeinschaftsrechts angesehen werden muss. Soweit es um privatrechtliche Ansprüche als Sanktionen geht, steckt in der Forderung nach einer abschreckenden Wirkung durchaus eine gewisse Sprengkraft, deren Bedeutung für das deutsche Recht bislang nur unzureichend erforscht ist. Denn das Gemeinschaftsrecht hebt damit auf einen Sanktionszweck ab, der bei Schadensersatzansprüchen nur mit Zurückhaltung und Skepsis akzeptiert wird208. Da das Gemeinschaftsrecht aber keine prinzipielle Trennung zwischen einzelnen Sanktionsinstrumenten vorsieht und in Schadensersatzansprüchen vielfach sogar ein besonders probates Mittel zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts und zur Gewährleistung dessen praktischer Wirksamkeit sieht, wird man die abschreckende Wirkung auch im Privatrecht nicht mehr als bloßen Nebenzweck oder erwünschte Reflexwirkung abtun können, sondern als wesentliches Leitmotiv zu berücksichtigen haben. c) Funktionelle Äquivalenz von Sanktionen Sofern das Gemeinschaftsrecht keine spezielle Art von Sanktionen vorgibt, geht es von einer funktionellen Äquivalenz von Sanktionsinstrumenten des Verwaltungs-, Straf- und Zivilrechts aus209. Das bedeutet, dass die verschiedenartigen Sanktionen grundsätzlich als gleichwertig und gleichrangig zu betrachten sind. Hoheitlichen Maßnahmen kommt deswegen beispielsweise kein prinzipieller Vorrang gegenüber privatrechtlichen Ansprüchen zu. Der Grundsatz funktioneller Äquivalenz schließt selbstverständlich nicht aus, dass verschiedene Sanktionsinstrumente aufeinander abgestimmt werden und innerhalb einer solchen Abstimmung Rangverhältnisse festgelegt werden können. Aus dem Grundsatz der funktionellen Äquivalenz folgt, dass sämtliche Sanktionen, unabhängig von ihrer Art und Rechtsnatur, den Anforderungen des Art. 10 EG genügen müssen. Die funktionelle Äquivalenz darf jedoch nicht als »Gleichmacherei« (miss-)verstanden werden. Privatrechtliche und hoheitliche Sanktionen können unterschiedliche Vorzüge und Nachteile aufweisen, sie können unterschiedlich wirken und sie können unterschiedliche Funktionen verfol206
Weyer, ZEuP 1999, 424, 453 f. EuGH vom 21.9.2001, Rs. 453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 27 – Courage und Crehan; EuGH vom 13.7.2006, Rs. 295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 89 – Manfredi. 208 Dazu näher unten, § 3. B. II. 2., S. 139 ff. 209 EuGH vom 14.7.1994, Rs. C-352/92, Slg. 1994, I-3385 Rn. 23 – Milchwerke Köln; Wagner, AcP 206 (2006), 352, 413. 207
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§ 2. Ausgangsfragen
gen210. Das Gemeinschaftsrecht verlangt nicht, dass die jeweiligen Eigenarten der Sanktionen gleichsam »eingeebnet« werden. Vielmehr gebietet Art. 10 EG zu prüfen, welche Sanktionen am besten dazu geeignet sind, die Ziele der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen zu verwirklichen.
III. Begrenzender Einfluss der Grundfreiheiten Die Grundfreiheiten des EG-Vertrages bilden gleichsam die Stützpfeiler der gemeinschaftsrechtlichen Wirtschaftsverfassung211. Sie gewährleisten den Schutz des innergemeinschaftlichen Wirtschaftsverkehrs, indem sie Praktiken verbieten, mit denen nationale Märkte abgeschottet und grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeiten erschwert oder verhindert werden. Obgleich den Grundfreiheiten bei der Verwirklichung des Binnenmarktes erhebliches Gewicht zukommt und die Grundfreiheiten insbesondere Einfluss auf die Ausgestaltung des Lauterkeitsrechts haben können212, sind die Grundfreiheiten für die vorliegende Untersuchung nur von untergeordneter Bedeutung. Sie sollen daher im Folgenden nur kurz angesprochen werden213. Sanktionen der Mitgliedstaaten können an den Grundfreiheiten zu messen sein, wenn ihre Anwendung zu unmittelbaren Beeinträchtigungen des geschützten Bereichs der betroffenen Grundfreiheit führt. Allerdings sind solche Fälle selten, weil Sanktionen und Rechtsschutzmöglichkeiten stets im Zusammenhang mit den jeweils zugrunde liegenden materiellrechtlichen Regelungen gesehen werden müssen. Das bedeutet, dass ein möglicher Verstoß gegen die Grundfreiheiten typischerweise hinsichtlich der zugrunde liegenden materiellrechtlichen Vorschrift des nationalen Rechts zu prüfen ist. Die nach nationalem Recht verhängte Sanktion – etwa ein Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruch – wird zwar in der Regel den rechtlichen oder tatsächlichen Auslöser einer gemeinschaftsrechtlichen Prüfung darstellen, bildet aber eben nicht den eigentlichen Prüfungsgegenstand. Eigenständige Bedeutung hätte die Prüfung von Sanktionen und Rechtsschutzmöglichkeiten nur dann, wenn gerade diese Bestimmungen, und nicht schon die zugrunde liegende materiellrechtliche Vorschrift, als gemeinschaftswidrig anzusehen wären. Deswegen muss sehr genau geprüft werden, ob von den Sanktionen eine unmittelbare Behinderung ausgeht oder ob die beeinträchtigende Wirkung lediglich indirekt und als bloße Folge eintritt. Der EuGH hat diese Problematik in der Entscheidung CMC Motorradcenter gestreift. Diese Entscheidung betraf vorvertragliche Schadensersatzansprüche bei der Verletzung 210
Eingehend am Beispiel des »zweispurigen« Sanktionssystems im Kartellrecht unten § 5. A. II. 1., S. 299 ff. 211 Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 7 Rn. 1. 212 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 7 Rn. 1 ff.; Steindorff, WRP 1993, 139, 141 ff. 213 Eingehend zu den Grundfreiheiten und deren Auswirkungen auf das Privatrecht: Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004; speziell zum Einfluss der EuGH-Rspr. zur Warenverkehrsfreiheit auf das deutsche Lauterkeitsrecht Heermann, Warenverkehrsfreiheit und deutsches Unlauterkeitsrecht, 2004.
B. Gemeinschaftsrecht
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von Aufklärungspflichten und ihre Vereinbarkeit mit Art. 28 EG. In dem zugrunde liegenden Streitfall hatte die Klägerin ein Motorrad von einem deutschen Importeur erworben, der es wiederum bei einem französischen Vertragshändler gekauft hatte. Bei diesem Kauf hatte der deutsche Importeur die Zusage erhalten, dass die Käufer ihre Gewährleistungsansprüche bei jedem Vertragshändler des Herstellers des Motorrades geltend machen können. Die Klägerin verkaufte eines dieser Motorräder an die Beklagte. Die für den Kaufvertrag geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen sahen vor, dass der Käufer seine Gewährleistungsansprüche beim Verkäufer oder bei vom Hersteller oder vom Importeur anerkannten Betrieben geltend machen kann. Obwohl der Klägerin bekannt war, dass sich die deutschen Vertragshändler ungeachtet dieser Geschäftsbedingungen im Allgemeinen weigern, Gewährleistungsreparaturen an parallel importierten Motorrädern durchzuführen, klärte sie die Beklagte nicht über diesen Umstand auf. Nach Ansicht der deutschen Vertragshändler schafft diese Einfuhrart nämlich einen unberechtigten Wettbewerbsvorteil, da die Nettopreise in Frankreich niedriger als in Deutschland sind. Dem EuGH wurde vom Landgericht Augsburg die Frage vorgelegt, ob die an die Verletzung der Aufklärungspflicht geknüpfte Schadensersatzhaftung aus vorvertraglichem Verschulden214 eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung darstellt. Der EuGH stellte bei seiner Prüfung nicht auf die an eine Verletzung der Aufklärungspflicht geknüpften Schadensersatzansprüche ab, sondern schon auf die materiellrechtliche Pflicht zur Aufklärung über bestimmte vertragsrelevante Umstände. Das Gericht lehnte es allerdings ab, das nationale Recht insoweit an Art. 28 EG zu messen, weil die Wirkungen »zu ungewiss und zu mittelbar« sind215. Bislang ist es freilich nicht gelungen, diesen Kriterien eine handhabbare Gestalt zu geben. Zudem ergingen beide Entscheidungen vor dem Keck und Mithouard-Urteil des EuGH216, das zu einer teilweisen Neuorientierung im Bereich der Warenverkehrsfreiheit geführt hat217.
IV. Überblick über den gemeinschaftsrechtlichen Einfluss hinsichtlich der einzelnen Ansprüche Im Folgenden soll zunächst nur ein erster, kurzer Überblick über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für die einzelnen Ansprüche gegeben werden. Die Einzelheiten werden sodann im jeweiligen Sachzusammenhang eingehender dargestellt218. 214
Nach damaliger Rechtslage ergab sich die Schadensersatzhaftung aus den gesetzlich nicht kodifizierten Grundsätzen der Haftung aus culpa in contrahendo; nach jetziger Rechtslage wäre ein Schadensersatzanspruch auf §§ 280 Abs. 1 S. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB zu stützen. 215 EuGH vom 13.10.1993, Rs. C-93/92, Slg. 1993, I-5009 Rn. 12 – CMC Motorradcenter; ähnlich bereits EuGH vom 7.3.1990, Rs. C-69/88, Slg. 1990, I-583 Rn. 11 – Krantz. 216 EuGH vom 24.11.1993, Rs. C-267 und 268/91, Slg. 1993, I-6097 – Keck und Mithouard. 217 Eingehend zur Keck und Mithouard-Entscheidung des EuGH und zu den Auswirkungen dieser Rspr. Heermann, Warenverkehrsfreiheit und deutsches Unlauterkeitsrecht, Rn. 114 ff., 247 ff. 218 Für den lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzanspruch: § 4. A. III., S. 180 ff.; für den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch: § 5. A. III., S. 316 ff.; für den lauterkeitsrechtlichen Abschöpfungsanspruch: § 7. A. III., S. 515 f.; für den kartellrechtlichen Abschöpfungsanspruch: § 8. A. III., S. 583 f.
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§ 2. Ausgangsfragen
Stärkster Einfluss kommt dem Gemeinschaftsrecht im Hinblick auf die tatbestandliche Ausgestaltung der kartelldeliktischen Schadensersatzhaftung zu. In den Augen der europäischen Richter wäre die Durchsetzung der Verbote aus Art. 81 und 82 EG unzureichend gewährleistet, wenn Schadensersatzklagen Privater nicht möglich wären. Trotz bislang nur weniger Entscheidungen zur privaten Rechtsdurchsetzung bei Verstößen gegen EG-Kartellvorschriften hat die gemeinschaftsrechtlich geformte Schadensersatzhaftung bereits deutliche Konturen gewonnen. Eine vergleichbar konturierte Schadensersatzhaftung bei Verstößen gegen das Lauterkeitsrecht kennt das Gemeinschaftsrecht nicht. Es gibt bislang auch keine in diese Richtung weisenden Harmonisierungsbemühungen. Die Richtlinien 2006/114/EG und 2005/29/EG enthalten im Wesentlichen übereinstimmende Sanktions- und Verfahrensbestimmungen219, aber keine Vorgaben zu Fragen des Schadensersatzes. In bestimmten Fällen kann allerdings die Richtlinie 2004/48/ EG über die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums zu beachten sein. Diese Richtlinie zielt auf den Schutz von Immaterialgüterrechten, doch sind Überschneidungen mit dem Lauterkeitsrecht möglich. Wichtige Neuerungen ergeben sich aus dieser Richtlinie für die – im Lauterkeitsrecht partiell anerkannte – dreifache Schadensberechnung. Keine speziellen Vorgaben enthält das Gemeinschaftsrecht zu Abschöpfungsansprüchen. Jüngste Überlegungen zu Abschöpfungsmechanismen im Grünbuch über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher220 lassen aber den Schluss zu, dass das Gemeinschaftsrecht solchen Sanktionen nicht ablehnend gegenübersteht.
C. Verfassungsrecht Als einfachgesetzliche Sanktionen müssen Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche mit dem Verfassungsrecht in Einklang stehen.
I. Ausgangsüberlegungen 1. Grundgesetz und Wirtschaftsordnung Die Verfassung kann sich gegenüber der nach eigenen »Gesetzen« funktionierenden Wirtschaft unterschiedlich positionieren221. Anerkanntermaßen räumt das Grundgesetz dem Gesetzgeber einen großen Ermessens- und Gestaltungsspielraum bei der rechtlichen und politischen Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung
219 220 221
Siehe dazu auch die tabellarische Übersicht in Anhang I. Kommission, Grünbuch Kollektive Rechtsdurchsetzung, Tz. 45. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. II, § 20 III, S. 37 ff.
C. Verfassungsrecht
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ein222. Das Grundgesetz garantiert keine »wirtschaftspolitische Neutralität« der Regierungs- und Gesetzgebungsgewalt oder eine nur mit marktkonformen Mitteln zu steuernde soziale Marktwirtschaft. Die »wirtschaftspolitische Neutralität« des Grundgesetzes besteht lediglich darin, dass kein bestimmtes Wirtschaftssystem vorgeschrieben ist. Dies ermöglicht dem Gesetzgeber, die ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik zu verfolgen, sofern er dabei das Grundgesetz beachtet223. Dabei muss der Gesetzgeber nicht zwingend nach marktkonformen Lösungen zu suchen. Man kann aber festhalten, dass eine auf Wettbewerb basierende Wirtschaftsordnung der freiheitlich-demokratischen Konzeption des Grundgesetzes besonders nahesteht. Das BVerfG hat in mehreren Entscheidungen betont, dass die bestehende Wirtschaftsverfassung den grundsätzlich freien Wettbewerb der als Anbieter und Nachfrager am Markt auftretenden Unternehmer als eines ihrer Grundprinzipien enthält224. Nimmt man den grundgesetzlich verankerten Freiheitsgrundsatz ernst und anerkennt diesen für die wirtschaftliche Betätigung, dann wird man dem Grundgesetz zumindest die Gewährleistung eines auf freies Wirtschaften gerichteten Systems entnehmen können, das sich selbst erhält und dessen Mängel durch staatliche Eingriffe ausgeglichen werden225, die ihrerseits den »Primat der freiheitlicheren Lösung« beachten müssen226. 2. Weiter Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers Der vom Grundgesetz gewährte weite Gestaltungsspielraum ermöglicht es dem Gesetzgeber, unterschiedliche Sanktionen vorzusehen. Das schließt privatrechtliche Schadensersatzansprüche ebenso ein wie – privatrechtliche oder hoheitliche – Sanktionsinstrumente, die auf eine Abschöpfung von Unrechtsvermögen zielen: »Der Gesetzgeber kann weitgehend frei darüber entscheiden, ob und auf welche Weise er rechtswidrig erlangte wirtschaftliche Vorteile entziehen will. So kann er die Vorteilsentziehung selbstständig neben der Festsetzung einer – entsprechend dem Schuldgrundsatz – nur am Verschulden des Täters orientierten pönalen Sanktion vorsehen oder, in Fällen, in denen eine solche Sanktion nicht verhängt werden kann, auch als Inhalt einer in einem objektiven Verfahren ergehenden gesonderten Anordnung. Ebenso steht es ihm offen, eine strafende Sanktion so zu bemessen, dass mit ihr zugleich die Abschöpfung des Gewinns sichergestellt wird (…). Es liegt mithin in der Entscheidung des Gesetzgebers, ob er mit einer gewinnabschöpfenden Maßnahme zugleich Strafzwecke verfolgen will oder nicht«227. 222
Rittner, Wirtschaftsrecht, § 2 Rn. 27 ff. BVerfG vom 20.7.1954, BVerfGE 4, 7, 17 – Investitionshilfe. 224 BVerfG vom 8.2.1972, BVerfGE 32, 311, 317; BVerfG vom 13.7.1992, GRUR 1993, 751; BVerfG vom 13.7.1992, GRUR 1993, 754. 225 Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. II, § 20 V 3, 4, S. 58 ff. 226 So die treffende Formulierung von Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. II, § 20 V 4 d), S. 62. 227 BVerfG vom 14.1.2004, BVerfGE 110, 1, 15 zu § 73d StGB. 223
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§ 2. Ausgangsfragen
II. Freiheitsgrundrechte Gebote und Verbote im Wettbewerb, deren Befolgung mit Hilfe von Sanktionen sichergestellt wird, sind an den Freiheitsgrundrechten zu messen. Wettbewerbliche Verhaltensweisen können die Schutzbereiche verschiedener Grundrechte berühren, insbesondere das Grundrecht der Meinungsfreiheit228, der Berufsfreiheit229, der Gewährleistung des Eigentums230 und der allgemeinen Handlungsfreiheit231. Die Grundrechte schützen nicht nur die Freiheitssphäre des Einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt232, sondern sie formen zugleich eine objektive Wertordnung, die für alle Bereiche des Rechts zu beachten ist233. Diese »Ausstrahlungswirkung« der Grundrechte ist bei der Beurteilung privatrechtlicher Ansprüche durch die Gerichte zu berücksichtigen234. In der Rechtsprechung des BVerfG ist anerkannt, dass eine Anordnung privatrechtlicher Zahlungspflichten235 oder eine Verurteilung zur Unterlassung236 den Schutzbereich von Grundrechten berühren kann. Den einfachgesetzlichen Anknüpfungspunkt für eine verfassungsrechtliche Kontrolle bilden zumeist jedoch die materiellen Regelungen, deren Beachtung mithilfe der Sanktionen gesichert werden soll. Diese Bestimmungen enthalten in der Regel den grundrechtsrelevanten Eingriff237. Wenn beispielsweise das einfache Recht bestimmte Tätigkeiten im Wettbewerb einschränkt oder verbietet238, dann bilden schon diese Verbote den Anknüpfungspunkt für die grundgesetzliche Prüfung. Eine eigenständige Prüfung von einfachgesetzlichen Sanktionen anhand der Grundrechte wird nur dann in Betracht kommen, wenn gerade die Ausgestaltung der Sanktionen einen eigenständigen Eingriff in einen grundgesetzlich geschützten Bereich enthält. Beispielsweise kann die Auferlegung einer Schadensersatzpflicht durch die Rechtsordnung einen Eingriff in die Grundrechte des Schädigers – zumindest in seine Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG – darstellen239. Denn ins228
Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Art. 12 Abs. 1 GG. 230 Art. 14 Abs. 1 GG. 231 Art. 2 Abs. 1 GG. 232 BVerfG vom 15.1.1958, BVerfGE 7, 198, 204 – Lüth; BVerfG vom 1.3.1979, BVerfGE 50, 290, 337. 233 Grundlegend dazu BVerfG vom 15.1.1958, BVerfGE 7, 198, 205 – Lüth; kritisch zu dieser Konzeption Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 27 ff. 234 St. Rspr., siehe nur BVerfG vom 11.6.1991, BVerfGE 84, 192, 195; BVerfG vom 19.10.1993, BVerfGE 89, 214, 229 f. 235 BVerfG vom 14.7.1981, BVerfGE 57, 361, 378; BVerfG vom 27.1.1983, BVerfGE 63, 88, 109. 236 BVerfG vom 13.7.1992, GRUR 1993, 751; BVerfG vom 13.7.1992, GRUR 1993, 754, jeweils m.w.Nachw. 237 Zu den Arten möglicher grundrechtsrelevanter Beeinträchtigungen siehe nur Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 26 ff. 238 Z.B.: BVerfG vom 22.5.1996, GRUR 1996, 899 ff.; BVerfG vom 24.7.1997, GRUR 1998, 71 ff.; BGH vom 3.12.1998, GRUR 1999, 748 ff. – Steuerberaterwerbung auf Fachmessen; BGH vom 26.11.1998, GRUR 1999, 504 ff. – Implantatbehandlungen. 239 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 51. 229
C. Verfassungsrecht
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besondere mit exorbitanten und ruinösen Ersatzpflichten können schwere Belastungen für den Anspruchsverpflichteten einhergehen, die verfassungsrechtlich geschützte Bereiche, etwa die Handlungsfreiheit oder das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigen240.
III. Verfassungsrechtliches Übermaßverbot Ein Kernbestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips241 ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit242 staatlichen Handelns243. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt von der staatlichen Gewalt die Beachtung einer vernünftigen Relation zwischen den Zielen und den dazu eingesetzten Mitteln. Die Prüfung erfolgt üblicherweise in einem dreistufigen Verfahren, wobei zwischen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit bzw. der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu unterscheiden ist244. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist bei der gesetzlichen Ausgestaltung eines Sanktionssystems und bei der konkreten Rechtsanwendung zu wahren. Insbesondere dürfen von den Sanktionen keine übermäßigen oder unzumutbaren Risiken ausgehen245. Die konkreten Ausprägungen und Einwirkungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind äußerst vielgestaltig. Zu beachten ist die Verhältnismäßigkeit bei der Ausgestaltung einfachgesetzlicher Regelungen durch den Gesetzgeber und bei der konkreten Anwendung von Rechtsnormen durch die staatlichen Gerichte. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bildet ein bewegliches Wertungskriterium und darf nicht verabsolutiert werden. Geht es um die Risiken privatrechtlicher Haftung, wird beispielsweise häufig zu Unrecht der Schutz des Verletzers in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Die verfassungsrechtlich nicht weniger schutzwürdigen Interessen der Verletzten geraten dann leicht aus dem Blick. Wenn aber Lauterkeits- und Kartellrecht einen umfassenden Schutz aller Marktteilnehmer bezwecken, dann darf der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Verletzers nicht überbewertet werden246. Vielmehr müssen die widerstreitenden 240
Vgl. Canaris, JZ 1987, 993, 995. Gegen die Ableitung des Verhältnismäßigkeitsprinzips aus dem Rechtsstaatsprinzip Medicus, AcP 192 (1992), 35, 53 f. m.w.Nachw. Medicus will nicht dem Verhältnismäßigkeitsprinzip als solchem Verfassungsrang zubilligen, sondern nur dem durch Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gewonnenem Ergebnis. 242 Übermaßverbot und Verhältnismäßigkeit (im weiteren Sinne) sind im Folgenden als Synonyme zu verstehen; zur Entwicklung der Terminologie Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 20 Abs. 3 Rn. 312 f. 243 Siehe nur BVerfG vom 19.10.1982, BVerfGE 61, 126, 134; BVerfG vom 30.9.1987, BVerfGE 76, 256, 359; BVerfG vom 1.6.1989, BVerfGE 80, 109, 120. 244 Statt vieler: Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 84 ff.; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 3, Rn. 314. 245 Vgl. Vollmer, DB 1979, 2213, 2214. 246 Vollmer, DB 1979, 2213, 2214. 241
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§ 2. Ausgangsfragen
Interessen aller Betroffenen in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden, wobei es ein »Übermaß« rechtlicher Belastung ebenso zu verhindern gilt wie ein »Untermaß« rechtlichen Schutzes247. Ob eine übermäßige Belastung des Verletzers vorliegt, ist nicht allein aus seiner Perspektive zu entscheiden, sondern unter Berücksichtigung der Interessen, deren Verletzung die Haftung des Verletzers überhaupt ausgelöst hat. Erhebliche, selbst ruinöse Belastungen, die mit einer privatrechtlichen Haftung verbunden sind, sind verfassungsrechtlich akzeptabel, wenn dies zum Schutz anderer Interessen geboten ist. Zudem darf der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht als Instrument einer allgemeinen Zweckmäßigkeitskontrolle gebraucht werden. Verfassungsrechtlicher und verfassungsgerichtlicher Kontrolle obliegt allein die Einhaltung der von der Verfassung selbst gesetzten Grenzen. 1. Abschöpfungsansprüche und Verhältnismäßigkeit a) Überblick Im Vorfeld der UWG-Novelle 2004 hat vor allem der lauterkeitsrechtliche Abschöpfungsanspruch viel Kritik auf sich gezogen. Die Liste von Einwänden und Bedenken ist lang. Wimmer-Leonhardt bemüht ein ganzes Bündel unterschiedlichster verfassungsrechtlicher Erwägungen gegen Abschöpfungsansprüche248, ohne freilich die Überzeugungskraft dieser Einwände im Einzelnen näher zu überprüfen; dies bleibe der Verfassungsrechtswissenschaft überlassen249. Sack meint, die Gewinnabschöpfung sei »mit elementaren Rechtsgrundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar«250. Es drängt sich indessen der Verdacht auf, dass vor allem mit starken Worten Front gegen die Abschöpfungsansprüche gemacht werden sollte. Bei Lichte betrachtet stellt sich aus verfassungsrechtlicher Sicht vor allem251 die Frage, ob der Gesetzgeber mit der Einführung der Abschöpfungsansprüche gegen das Übermaßverbot verstoßen hat. Das ist eindeutig zu verneinen. Die Abschöpfungsansprüche sind mit dem Grundgesetz vereinbar252. Weder gibt die Art der Haftung Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip, noch folgt eine Verletzung dieses Grundsatzes aus den mit der Durchsetzung verbundenen Belastungen. Eine übermäßige Haftung des Abschöpfungsschuldners ist schon deswegen ausgeschlossen, weil die Rechtsordnung einen Zugriff nur auf das zu Unrecht erlangte Vermögen gestattet. Soweit der Verletzer durch die unlautere oder kartellrechtswidrige Handlung nicht (mehr) bereichert ist, geht ein Abschöpfungsan247 Zur Unterscheidung zwischen grundrechtlichen Eingriffsverboten und Schutzgeboten Canaris, AcP 184 (1984), 201, 210 ff., 225 ff.; ders., Grundrechte und Privatrecht, S. 37 ff. 248 Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12, 16 ff. 249 Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12, 18. 250 Sack, WRP 2003, 546, 558. 251 Zu weiteren verfassungsrechtlichen Aspekten siehe sogleich unter IV., S. 106 ff. 252 Von Braunmühl, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 69 ff.
C. Verfassungsrecht
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spruch ins Leere. Wer gleichwohl verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Abschöpfungshaftung erhebt, muss die drängende Frage beantworten, warum es verfassungsrechtlich richtig sein soll, einem Rechtsverletzer »Unrechtsvorteile« zu belassen, also Vorteile, die unter Verstoß gegen im Übrigen verfassungskonformes materielles Recht erzielt worden sind. Der Entzug von Vorteilen, die einer Person von Rechts wegen nicht gebühren, noch dazu, wenn die Person sich diese Vorteile rechtswidrig und vorsätzlich verschafft hat, kann per se nicht als unverhältnismäßige Belastung angesehen werden, weil es insoweit an jeglicher Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Abschöpfungsschuldners fehlt. Man kann eine Unverhältnismäßigkeit des Weiteren nicht damit begründen, ein Verletzer werde durch die Rechtsdurchsetzung übermäßig belastet. Denn die privatrechtliche Ausgestaltung der Abschöpfungshaftung und die damit notwendige Geltendmachung dieser Ansprüche im Zivilverfahren sind nicht mit besonderen Härten für den Verletzer verbunden, sondern schützen ihn im Gegenteil vor Belastungen. Man wird sogar sagen müssen, dass die privatrechtliche Abschöpfungshaftung das schonendste Mittel darstellt253. Zwar ist richtig, dass die umfassenden Verfahrensgarantien des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts einen besonderen Schutz desjenigen gewährleisten, der sich dem Vorwurf strafbaren Verhaltens ausgesetzt sieht und gegen den sich strafrechtliche und strafprozessuale Maßnahmen richten. Doch muss man bedenken, dass diese Verfahrensgarantien ein notwendiges Gegengewicht zu den im Ermittlungs- und Strafverfahren zulässigen Eingriffen bilden254. Bereits ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren kann zu erheblichen Beeinträchtigungen der persönlichen Freiheit der betroffenen Personen führen und Unternehmen massiv beeinträchtigen. Vergleichbar schwerwiegende Eingriffe drohen bei Zivilklagen nicht. Zudem ermöglicht das Zivilverfahren den beteiligten Parteien eine große Flexibilität hinsichtlich der Ausgestaltung und Beendigung eines laufenden Verfahrens. Eine solche Flexibilität ist im Ermittlungs- und Strafverfahren gerade wegen der ausgeprägten Verfahrensgarantien nicht möglich. Während beispielsweise Absprachen im Strafverfahren nur unter engen Voraussetzungen zulässig sind255, kann ein Zivilverfahren jederzeit durch einen gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich zum beiderseitigen Vorteil beendet werden256.
253
I.E. ebenso von Braunmühl in Fezer, UWG, § 10 Rn. 139. Dies übersieht Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12, 18 f. 255 Zur Problematik der so genannten »deals« im Strafverfahren siehe nur Meyer-Goßner, StPO, Einl. Rdn. 119 ff. m.w.Nachw. Speziell für den Bereich der Wirtschaftskriminalität Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Einführung und Allgemeiner Teil, Rdn. 90 ff. 256 Beispielhaft ist auf die erstmalig erfolgreiche Durchsetzung des Gewinnabschöpfungsanspruchs gegen Lidl durch den VZBV hinzuweisen, die durch einen Vergleich zustande kam; siehe dazu die Pressemitteilung des VZBV, im Internet unter: http://www.vzbv.de/go/presse/1109/5/24/ index.html. 254
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§ 2. Ausgangsfragen
b) Insbesondere: Abschöpfungsansprüche als unverhältnismäßige punitive damages? Einige Autoren sehen Abschöpfungsansprüche als Erscheinungsform von punitive damages. Weil die Rechtsprechung punitive damages für unvereinbar mit dem materiellen orde public halte, müsse dies gleichermaßen für Sanktionsinstrumente gelten, die in der Sache das gleiche Ziel verfolgen257. aa) Rechtsprechung des BGH zu punitive damages Um diese Überlegungen auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen, ist es notwendig, die Problematik der Vereinbarkeit von punitive damages und ordre public kurz zu skizzieren. Entzündet hat sich die Frage an einer Entscheidung des BGH zur Vollstreckbarkeit eines ausländischen Urteils in Deutschland258. In dem zugrunde liegenden Streitfall begehrte der Kläger die Vollstreckbarkeitserklärung eines US-amerikanischen Schadensersatzanspruches in der Bundesrepublik Deutschland. Das US-amerikanische Gericht hatte dem Kläger einen Anspruch in Höhe von rund 750 000 US-Dollar wegen sexueller Verfehlungen des Beklagten zugesprochen. Unter anderem beinhaltete diese Schadensersatzsumme in einem erheblichen Umfang (ca. 400 000 US-Dollar) auch Strafschadensersatz. Der BGH lehnte die Vollstreckbarkeitserklärung dieses ausländischen Urteils auf Strafschadensersatz von nicht unerheblicher Höhe, der über den Ausgleich erlittener materieller und immaterieller Schäden hinaus pauschal zuerkannt wird, ab.
Punitive damages zielen auf die Bestrafung des Verletzers mit privatrechtlichen Mitteln. Darüber hinaus soll der Verletzer von künftig von gleichartigen Verhaltensweisen abgeschreckt werden259. Der BGH charakterisiert die punitive damages wie folgt: »›Punitive or exemplary damages‹ werden nach dem Recht der meisten Einzelstaaten der USA – einschließlich Kaliforniens – als weiterer Geldbetrag zum rein ausgleichenden Schadensersatz zuerkannt, wenn dem Täter als erschwerender Umstand zu einem allgemeinen Haftungstatbestand ein absichtliches, bösartiges oder rücksichtsloses Fehlverhal-
257 Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12, 17 f.; Sack, WRP 2003, 549 ff.; ders. BB 2003, 1073, 1080 f.; ähnlich Scheffler, WRP 2007, 163, 167. 258 BGH vom 4.6.1992, BGHZ 118, 312 ff. 259 Restatements (Second) of Torts, § 908 (1979): »(1) Punitive damages are damages, other than compensatory or nominal damages, awarded against a person to punish him for his outrageous conduct and to deter him and others like him from similar conduct in the future. (2) Punitive damages may be awarded for conduct that is outrageous, because of the defendant’s evil motive or his reckless indifference to the rights of others. In assessing punitive damages, the trier of fact can properly consider the character of the defendant’s act, the nature and extent of the harm to the plaintiff that the defendant caused or intended to cause and the wealth of the defendant«. Zu den Voraussetzungen und Anwendungsfällen von punitive damages siehe nur Hay, USamerikanisches Recht, Rn. 421 ff.; Müller, Punitive Damages und deutsches Schadensersatzrecht, S. 7 ff.; Stiefel/Stürner, VersR 1987, 829, 835 ff.; Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, Tz. 47, S. 60 ff.
C. Verfassungsrecht
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ten zur Last fällt (…). Mit ihr werden bis zu vier Hauptzwecke verfolgt (…): Der Täter soll für sein rohes Verhalten bestraft werden, auch damit mögliche Racheakte des Opfers selbst überflüssig werden. Täter und Allgemeinheit sollen präventiv von künftigem sozialschädlichem Verhalten abgeschreckt werden, soweit das bloße Risiko der Kompensationspflicht keine ausreichende Verhaltenssteuerung gewährleistet. Der Geschädigte soll für die auf seinem Einsatz beruhende Rechtsdurchsetzung – zur Stärkung der Rechtsordnung im allgemeinen – belohnt werden. Schließlich soll das Opfer eine Ergänzung zu einer als unzureichend empfundenen Schadensbeseitigung erhalten, wobei sich unter anderem eine fehlende soziale Absicherung auswirken kann«260.
In der genannten Entscheidung erhebt der BGH schwere Bedenken gegen punitive damages und stützt sich dabei auf folgende Erwägungen261: Zu den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts gehöre der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der auch in der Zivilrechtsordnung Geltung beanspruche. Ihm trage im Zivilrecht unter anderem durch den Kompensationsgedanken beim Schadensersatz Rechnung. Regelmäßig sei allein der Ausgleich der durch den rechtswidrigen Eingriff gestörten Vermögensverhältnisse der unmittelbar Beteiligten das angemessene Ziel des über den Eingriff geführten Zivilprozesses. Hingegen fallen Sanktionen, die der Bestrafung und Abschreckung und damit dem Schutz der Rechtsordnung im Allgemeinen dienen, nach deutscher Auffassung grundsätzlich unter das Strafmonopol des Staates. Der Staat übe dieses Strafmonopol im öffentlichen Interesse in einer besonderen Verfahrensart aus, in dem einerseits die Amtsermittlung eine höhere Gewähr für die Richtigkeit der Sachentscheidung bieten solle und andererseits die Rechte des Beschuldigten stärker geschützt seien. Hiernach erscheine es unerträglich, in einem Zivilurteil eine erhebliche Geldzahlung aufzuerlegen, die nicht dem Schadensausgleich diene, sondern wesentlich nach dem Interesse der Allgemeinheit bemessen werde und möglicherweise neben eine Kriminalstrafe für dasselbe Vergehen treten könne. Der verhängte Strafschadensersatz sei höher als die Summe aller zugesprochenen Ausgleichsbeträge. Sogar das hierauf anfallende Anwaltshonorar zusammen könne nur gut ein Drittel der punitive damages ausmachen. Für einen sonstigen auszugleichenden Schaden sei nichts ersichtlich. Aus deutscher Sicht seien die zivilrechtsfremden Beweggründe sowie das Fehlen hinreichend bestimmter und zuverlässiger Begrenzungen im Falle der Anerkennung derartiger Urteile geeignet, die gesamten inländischen Haftungsmaßstäbe zu sprengen. Ausländische Gläubiger könnten aufgrund eines solchen Titels in vielfach weiterem Ausmaße auf inländisches Schuldnervermögen zugreifen als inländische Gläubiger, die unter Umständen wesentlich größere Beeinträchtigungen erlitten haben. Eine solche Besserstellung von Gläubigern allein aus den wenigen Staaten in der Welt, die Strafschadensersatz verhängen, gegenüber allen anderen sei nicht durch Gründe gerechtfertigt, die
260 261
BGH vom 4.6.1992, BGHZ 118, 312, 334 f. BGH vom 4.6.1992, BGHZ 118, 312, 343 ff.
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nach der deutschen Rechtsordnung Schutz verdienen. Deshalb wäre schon allein die Vollstreckung eines Anspruchs auf pauschalen Strafschadensersatz – über den Ersatz vollen materiellen wie immateriellen Schadens hinaus – in Deutschland ein untragbares Ergebnis. bb) Keine Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf Abschöpfungsansprüche Die Begründung des BGH ist an vielen Stellen angreifbar262. Auch das BVerfG lässt eine deutliche Distanz zur Argumentation des BGH erkennen, wenn es festhält, dass der Strafschadensersatz auch Zielen diene, die mit der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland vereinbar sind und jedenfalls keine unverzichtbaren Grundsätze des freiheitlichen Rechtsstaates durch die Möglichkeit zur Verhängung von Strafschadensersatz verletzt werden263. Selbst wenn man den Ausgangspunkt der Rechtsprechung zugrunde legt, lassen sich aus der Entscheidung des BGH keine greifbare Einwände gegen die konkrete Ausgestaltung der Abschöpfungshaftung im Wettbewerb ableiten. Denn das Gericht relativiert seine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber punitive damages und ähnlichen Rechtsinstituten in zwei sehr wichtigen Punkten. Erstens gelten die Einwände nicht, wenn die privatrechtliche Haftung darauf gerichtet ist, »restliche, nicht durch besonders abgegoltene oder schlecht nachweisbare wirtschaftliche Nachteile pauschal« auszugleichen. Unbedenklich ist eine Haftung zweitens, wenn damit »vom Schädiger durch die unerlaubte Handlung erzielte Gewinne abgeschöpft werden sollen«264. Schon aus diesen Einschränkungen folgt, dass eine Entziehung von »Unrechtsvorteilen«, die vom Verletzer erwirtschaftet wurden, keineswegs als unvereinbar mit deutschen Rechtsvorstellungen angesehen werden kann. Eine genaue Urteilslektüre spricht eindeutig dagegen, die Begründung des BGH – unabhängig von ihrer sachlichen Überzeugungskraft – auf Abschöpfungsansprüche zu übertragen. Darüber hinaus bestehen zwischen Abschöpfungsansprüchen und punitive damages so gravierende Unterschiede, dass eine Übertragung von Wertungen auf das jeweils andere Rechtsinstitut nicht in Betracht kommt: Erstens profitiert vom abgeschöpften Vermögensvorteil bei Abschöpfungsansprüchen, anders als bei punitive damages, nicht der Kläger, sondern der Bundeshaushalt. Zweitens ist eine Geltendmachung der Abschöpfung durch einzelne Geschädigte einer rechtswidrigen Handlung grundsätzlich ausgeschlossen, da nur bestimmte Einrichtungen und Verbände anspruchsberechtigt sind265, während punitive damages gerade von dem Opfer einer deliktischen Handlung geltend gemacht werden. Drittens – und darin liegt der wichtigste Unterschied – zielt die Abschöpfung al262 Müller, Punitive Damages und deutsches Schadensersatzrecht, S. 26 ff.; Rosengarten NJW 1996, 1935, 1937 ff.; Wagner, AcP 206 (2006), 352, 471 ff. 263 BVerfG vom 7.12.1994, BVerfGE 91, 335, 334. 264 BGH vom 4.6.1992, BGHZ 118, 312, 340. 265 § 10 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 UWG und § 34a Abs. 1 i.V.m. § 33 Abs. 2 GWB.
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lein darauf ab, dem Verletzer unrechtmäßig erlangte Vorteile zu entziehen. Darüber hinaus wird sein vorhandenes Vermögen durch Abschöpfungsansprüche nicht angetastet, während das Ziel der punitive damages gerade darin besteht, eine »spürbare« Vermögenseinbuße bei dem Schädiger zu bewirken. Angesichts dieser fundamentalen Unterschiede mutet es geradezu überraschend an, wenn zwischen Abschöpfungsansprüchen und punitive damages überhaupt Parallelen gezogen werden. Jedenfalls lassen sich angesichts dieser grundlegenden Abweichungen zwischen beiden Rechtsinstituten aus der Rechtsprechung des BGH keine entscheidenden Gesichtspunkte entnehmen. 2. Schadensersatzansprüche und Verhältnismäßigkeit Anders gelagert ist die Frage, ob eine privatrechtliche Haftung unter dem Aspekt des Übermaßverbots Einschränkungen unterliegen kann, wenn sie den Schädiger in ganz außergewöhnlichem Maße belastet, weil der Schaden eine exorbitante Höhe erreicht und der Ersatz dieses Schadens zum Ruin des Schädigers führen würde. Canaris schlägt vor, im Rahmen der Schadensersatzhaftung solche Aspekte zu berücksichtigen und für Extremfälle eine Art Reduktionsklausel vorzusehen. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebiete eine Abwägung zwischen den Auswirkungen für den Schädiger einerseits und den Bedürfnissen des Geschädigten sowie dem Präventionsgedanken andererseits266. Diese Problematik kann sich nur für Schadensersatzansprüche stellen, weil Abschöpfungsansprüche allein einen Zugriff auf das zu Unrecht erlangte Vermögen gestatten, also gerade keinen Eingriff in den beim Verletzer vorhandenen Vermögensbestand ermöglichen. Im Übrigen ist der Abschöpfungshaftung bereits eine Reduktionsklausel immanent. Abgeschöpft wird nämlich nur der auf den Rechtsverstoß entfallende Gewinnanteil. Eine Belastung mit hohen Schadensersatzverpflichtungen ist vor allem bei Kartellrechtsverstößen vorstellbar, weil diese unter Umständen immense Schäden verursachen und noch dazu eine Vielzahl von Marktakteuren betreffen können. Außerdem werden neben Schadensersatzklagen oft empfindliche Geldbußen verhängt, sodass ein Kartelltäter durch mehrere Sanktionen finanziell erheblich in Anspruch genommen wird. Das Kartellrecht sieht sogar Bestimmungen vor, die eine solche »Verbundwirkung« mehrerer Sanktionen besonders fördern267. Gegen eine Korrektur der Schadensersatzhaftung, selbst wenn sie nur in Ausnahmefällen greift, sind gewichtige Einwände vorgebracht worden268. Unabhängig von diesen Einwänden ist eine Korrektur der Schadensersatzhaftung jedenfalls abzulehnen, wenn Unternehmen wegen wettbewerbsschädigender Verhaltensweisen auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Rechtsverstöße 266 267 268
Canaris, JZ 1987, 993, 1001 ff.; ders., Grundrechte und Privatrecht, S. 51 ff. § 33 Abs. 4 und 5 GWB. Medicus, AcP 192 (1992), 35, 65 ff.
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durch Unternehmen können nur durch vermögensbezogene Sanktionen wirksam bekämpft werden können, indem Rechtsverletzungen auf Dauer unrentabel gemacht werden. Dieses Ziel würde konterkariert, wenn die Rechtsordnung unter Hinweis auf die übermäßige Belastung durch Schadensersatzzahlungen Rechtsverstöße von Unternehmen hinnehmen müsste. Es wäre verfehlt, wenn beispielsweise ein Unternehmen, das betriebswirtschaftlich schlecht geführt wird und sich ohnehin am Rande der Insolvenz bewegt, gefahrlos Rechtsverstöße begehen könnte, weil es gegen eine Inanspruchnahme einwenden könnte, Schadensersatzzahlungen würden unweigerlich zum Ruin und damit zur Vernichtung des Unternehmens führen. Schlimmstenfalls müssen solche Folgen eben hingenommen werden269. Ein Unternehmen, das nur noch bestehen kann, indem es die Grenzen des rechtlich Zulässigen überschreitet, verdient keinen Schutz durch die Rechtsordnung. Gleiches gilt, wenn ein Unternehmen durch eine Vielzahl von Geschädigten in Anspruch genommen wird. Dass ein Rechtsverstoß Breitenwirksamkeit entfaltet und damit eine Vielzahl von Geschädigten hinterlässt, ist ein vom Verletzer selbst geschaffenes Risiko, das er selbst tragen muss. Wenn beispielsweise ein Unternehmen an der Spitze einer längeren Lieferkette steht und den Wettbewerb auf nachfolgenden Absatzstufen verfälscht, dann muss das Unternehmen für die nachteiligen Folgen einstehen, selbst wenn die Folgen in der Summe gravierend sind. Es besteht keine Veranlassung, den Verletzer von einem selbst geschaffen Risiko der »Massenhaftung« zu entlasten270.
IV. Weitere verfassungsrechtliche Aspekte Im Folgenden ist auf weitere verfassungsrechtliche Aspekte einzugehen, die gelegentlich in der Diskussion über Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche ins Feld geführt werden. Ein Teil des Schrifttums hegt Bedenken, privatrechtliche Abschöpfungsansprüche seien mit dem »staatlichen Bestrafungsmonopol« nicht vereinbar und verletzten das Verbot der Doppelbestrafung271. Auch wird die Frage nach der verfassungsrechtlichen Bestimmtheit und Systemgerechtigkeit ge-
269 Auch Canaris, JZ 1987, 993, 1002 betont, dass die Insolvenz einer juristischen Person oder Gesellschaft als Folge exorbitanter Schadensersatzzahlungen in der Regel in Kauf genommen werden müsse. 270 Eingehend dazu unter § 5. C. II. 6. b), S. 381 ff. 271 Mönch, ZIP 2004, 2032 ff.; Rittner/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, § 4 Rn. 53; Sack, BB, 2003, 1073, 1081; ders., WRP 2003, 546, 558; Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12, 16 ff. Zurückhaltend kritisch auch Schaub, GRUR 2005, 918, 923 f., die zu bedenken gibt, das im Falle der Abschöpfungsansprüche die Grenze zwischen privatrechtlichen Ansprüchen und staatlichen Strafen zerfließe. Ähnlich Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, § 23 Rn. 31, der die Gewinnabschöpfung als »eine eigenartige Form privater Strafverfolgung« qualifiziert und Engels/Salomon, WRP 2004, 32, 42 f., die von einer rechtlich bedenklichen »Privatisierung strafrechtlicher Ansprüche« ausgehen.
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stellt. Sämtliche dieser Einwände erweisen sich aber hinsichtlich der Abschöpfungsansprüche272 und darüber hinaus als nicht überzeugend273. 1. Unzulässige »Privatisierung« des Strafens durch privatrechtliche Haftung? Bereits lange vor der Diskussion über den Anspruch aus § 10 UWG wurde eine Abschöpfung im Lauterkeitsrecht mit der Überlegung verworfen, eine solche Sanktion sei dem strafrechtlichen Denken verhaftet und mit dem privatrechtlich ausgerichteten Schutz der Marktteilnehmer nicht zu vereinbaren. Unlauter Handelnde würden damit auf eine Ebene mit Wirtschaftskriminellen gestellt274. In eine ähnliche Richtung weisen die Überlegungen des BGH in der bereits erwähnten Entscheidung zur Vollstreckbarkeit von Urteilen, in denen punitive damages zugesprochen werden. Darin führt der BGH aus, ein Auftreten des Einzelnen als »privater Staatsanwalt« sei nach der deutschen Rechtsauffassung mit dem »Bestrafungsmonopol des Staates« und den dafür eingeführten besonderen Verfahrensgarantien nicht vereinbar275. Diese Bedenken des BGH gegen punitive damages wurden im Schrifttum aufgegriffen. Die grundlegenden Einwände des BGH gegen punitive damages seien in gleichem Maße gegen Abschöpfungsansprüche zu erheben, da diese ebenfalls Strafcharakter aufwiesen276. Mönch sieht mit dem Gewinnabschöpfungsanspruch die Trennung von Zivilrecht und Strafrecht aufgelöst277. Ein Verstoß gegen das »Bestrafungsmonopol des Staates« wird darüber hinaus auch im Zusammenhang mit Schadensersatzansprüchen in Betracht gezogen, soweit über zusätzliche Zwecke der Schadensersatzhaftung – insbesondere Prävention – diskutiert wird278. Solche Einwände beruhen auf der Überlegung, dass durch ein »privates Strafen« möglicherweise strafrechtliche und verfassungsrechtliche Verfahrensgarantien umgangen werden. Betrachtet man diesen verfassungsrechtlichen Einwand näher, dann wird recht schnell deutlich, dass ein »Bestrafungsmonopol des Staates« Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüchen nicht entgegensteht. Mit Recht stellt Wagner fest, dass schon die Prämisse in die Irre führt. Denn nicht jede Sanktionie272 Bauer, Der Gewinnabschöpfungsanspruch der Verbände nach § 10 UWG, S. 88 ff.; Gärtner, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 162 ff.; ders., GRUR Int. 2008, 817, 821; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 17 f.; Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 69 ff.; Neuberger, Der wettbewerbsrechtliche Gewinnabschöpfungsanspruch im europäischen Rechtsvergleich, S. 65 ff.; Schmauß, Der Gewinnabschöpfungsanspruch von Verbänden in der Neufassung des § 10 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), S. 72 ff.; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 125 ff. 273 Wagner, AcP 206 (2006), 352, 431 ff. 274 Grauel/Luhrenberg, WRP 1980, 521, 522. 275 BGH vom 4.6.1992, BGHZ 118, 312, 338 f. 276 Mönch, ZIP 2004, 2032, 2037; Sack, WRP 2003, 549, 552; Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12, 16 f. 277 Mönch, ZIP 2004, 2032, 2038. 278 Für die kartelldeliktische Schadensersatzhaftung Biermann, ZWeR 2007, 1, 24; Reich, WuW 2008, 1046, 1051 f.
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rung unerwünschten Verhaltens ist als Strafe zu qualifizieren und den dafür geltenden Bestimmungen des Grundgesetzes zu unterwerfen279. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist nicht jede Maßnahme als Strafe oder strafähnliche Maßnahme anzusehen, wenn diese Maßnahme mit einer Einbuße an Freiheit oder Vermögen verbunden ist und damit faktisch die Wirkung eines Übels entfaltet280. Davon abgesehen ist bemerkenswert, dass das »Bestrafungsmonopol des Staates« zumeist nur als schlagwortartiger Hinweis verwendet wird, ohne dieses aus Verfassung abgeleitete Prinzip mit näheren Konturen zu versehen. Weder in der Entscheidung des BGH noch im Schrifttum wird der Versuch unternommen, Reichweite und Inhalt des »Bestrafungsmonopols des Staates« genauer zu definieren. Wenig geklärt ist zudem, welche Folgerungen aus der Existenz des »Bestrafungsmonopols des Staates« für privatrechtliche Ansprüche zu ziehen sein sollen281. Zumeist wird lediglich pauschal darauf hingewiesen, dass privatrechtlichen Sanktionen ein Strafcharakter fremd sei282. Das ist freilich sachlich ungenau283 und lässt sich obendrein aus der Verfassung nicht ableiten. Es drängt sich insgesamt der Verdacht auf, dass verfassungsrechtliche Einwände vor allem mit dem Ziel erhoben werden, allein durch den Hinweis auf mehr oder weniger vage bezeichnete Verfassungsgrundsätze eine gewisse Immunisierung der Argumentation zu erzielen. Doch ist nicht alles, was aus der Verfassung herausgelesen wird, bei Lichte betrachtet auch tatsächlich in der Verfassung enthalten. Das BVerfG hat ausdrücklich offen gelassen, ob den Erwägungen des BGH zu punitive damages und zum »Bestrafungsmonopol des Staates« aus verfassungsrechtlicher Sicht zu folgen ist284. Die Richter des BVerfG betonen aber, dass unverzichtbare Grundsätze des freiheitlichen Rechtsstaates durch die Möglichkeit der Verhängung von Strafschadensersatz nicht verletzt werden. Darin liegt zumindest eine deutliche Relativierung der Bedenken des BGH. Es dürfe zudem nicht unberücksichtigt bleiben, so das BVerfG, dass mit punitive damages auch immaterielle Schäden ausgeglichen werden. Diese Funktion sei dem deutschen Schadensersatzrecht nicht fremd. Auch ein Ausgleich der Verfahrenskosten durch Schadensersatz verstoße nicht ohne Weiteres gegen den deutschen ordre public285. Soweit man das »Bestrafungsmonopol« als Teil des staatlichen Gewaltmonopols oder gar als Synonym hierfür verstehen wollte, wird man die inhaltliche
279 280 281
Wagner, AcP 206 (2006), 352, 433. BVerfG vom 14.1.2004, BVerfGE 110, 1, 14. Siehe dazu etwa mit Blick auf § 10 UWG von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 132–
135. 282 Sack, WRP 2003, 549, 552; Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12, 17 f.; ähnlich Schaub, GRUR 2005, 918, 923 f. 283 Zu Prävention und »Strafe« im Privatrecht unten § 3. B. II. 2. und 3., S. 139 ff. und S. 145 ff. 284 BVerfG vom 7.12.1994, BVerfGE 91, 335, 344. 285 BVerfG vom 7.12.1994, BVerfGE 91, 335, 344.
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Aussagekraft dieser Begriffe mit Zurückhaltung zu beurteilen haben286. Der entscheidende verfassungsrechtliche Kontext liegt in der Zuweisung der rechtsprechenden Gewalt an die Richter als dritte Staatsgewalt. Diese Zuweisung wird durch die Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche ersichtlich nicht tangiert. Art. 92 GG vertraut die rechtsprechende Gewalt den Richtern an. Das BVerfG knüpft bei seiner – materiell orientierten – Begriffsbestimmung der rechtsprechenden Gewalt287 an die traditionellen Kernbereiche richterlicher Tätigkeit an, nämlich die Entscheidung von Streitigkeiten sowie die Verhängung strafrechtlicher Sanktionen288. Zum Kernbereich der Strafgerichtsbarkeit gehört die Verhängung von Kriminalstrafen, einschließlich Geldstrafen, weil damit schwerwiegende Eingriffe in die Rechtsstellung des Staatsbürgers verbunden sind und deren Verhängung einen ethischen Schuldvorwurf enthält289. Ein »Bestrafungsmonopol des Staates« kann daher nur in Bezug auf diese Kriminalstrafen zugrunde gelegt werden. Eine »Privatisierung« dieser Tätigkeit läge nur vor, wenn die Verhängung strafrechtlicher Sanktionen Privaten überantwortet würde und wenn Private hierzu mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet wären. Davon kann aber bei der Geltendmachung von Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüchen überhaupt keine Rede sein. Überdies sollte man im Auge behalten, dass das geltende Strafverfahrensrecht – wenngleich in beschränktem Umfang – eine Strafverfolgung durch Private im Wege der Privatklage zulässt290. Der Hinweis auf eine Verletzung des »Bestrafungsmonopols des Staates« durch Abschöpfungsansprüche beruht in der Sache auf der verfehlten Annahme, die Verfolgung von Aufgaben, die im öffentlichen Interesse liegen, sei eine ausschließliche Angelegenheit des Staates. Das läuft jedoch auf ein anachronistisches Staats- und Gesellschaftsverständnis voraus und steht mit der Rechtsrealität nicht in Einklang. Die Wahrnehmung überindividueller Interessen im Wettbewerbsgeschehen durch Private entspricht gewachsener Rechtstradition und bewährter Rechtspraxis und gab nie Anlass zu ernsthaften verfassungsrechtlichen Bedenken. Es genügt hierbei der Hinweis auf die gesetzlichen Regelungen zur Verbandsklage in § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 UWG und § 33 Abs. 2 GWB. Aber auch die Anspruchsberechtigung des einzelnen Mitbewerbers kann anerkanntermaßen dem Allgemeininteresse dienen291. Es widerspricht keineswegs dem Verfassungsrecht, wenn Maßnahmen mit ordnungspolitischem Charakter auf wirtschaftlichem Gebiet mit Mitteln des Privatrechts erfolgen292. Eine »Funktionalisierung« von Schadensersatz und Abschöpfung steht nicht systemfremd in dieser 286
Eingehend Kämmerer, Privatisierung, S. 166 ff. Zu weiteren Ansätzen vgl. Classen in von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 92 Rdn. 5 ff. 288 BVerfG vom 6.6.1967, BVerfGE 22, 49, 73 ff. 289 BVerfG vom 6.6.1967, BVerfGE 22, 49, 79; BVerfG vom 16.7.1969, BVerfGE 27, 18, 28 f.; BVerfG vom 21.6.1977, BVerfGE 45, 272, 288 f. 290 §§ 374 ff. StPO. 291 BGH vom 24.2.2005, BGHZ 162, 246, 251 – Vitamin-Zell-Komplex. 292 Oppermann/Müller, GRUR 2005, 280, 284; Vollmer, DB 1979, 2213, 2215; Wagner, AcP 206 (2006), 352, 432. 287
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Entwicklung, sondern fügt sich ganz im Gegenteil bruchlos in die privatrechtliche Ausrichtung lauterkeitsrechtlicher und kartellrechtlicher Sanktionen ein. 2. Verbot der Doppelbestrafung Erst recht keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen gegen Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Verbots der Doppelbestrafung. Nach Art. 103 Abs. 3 GG darf niemand wegen derselben Tat aufgrund allgemeiner Strafgesetze mehrfach bestraft werden. Über den Wortlaut hinaus ist anerkannt, dass Art. 103 Abs. 3 GG nicht nur vor der Bestrafung selbst, sondern bereits vor den Belastungen eines erneuten Ermittlungsverfahrens schützt293. Art. 103 Abs. 3 GG verbietet aber nicht etwa die Durchführung von mehreren Verfahren wegen eines Rechtsverstoßes, sondern nur die mehrfache Sanktionierung »aufgrund der allgemeinen Strafgesetze«294. Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche sind indessen keine allgemeinen Strafgesetze und unterliegen damit von vornherein nicht Art. 103 Abs. 3 GG. Formal handelt es sich bei diesen Ansprüchen schon deswegen nicht um Strafvorschriften, weil keine strafrechtliche Sanktion verhängt, sondern eine privatrechtliche Haftung begründet wird295. Selbst wenn man einen materiellen Prüfungsmaßstab anlegt und dabei insbesondere Sinn und Zweck der verfassungsrechtlichen Norm berücksichtigt, ergibt sich kein anderes Bild. Das BVerfG hat für die immaterielle Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen mit bemerkenswerter Deutlichkeit ausgesprochen, dass es sich bei diesen Ansprüchen im verfassungsrechtlichen Sinne nicht um Strafgesetze und bei der Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz nicht um eine Bestrafung handelt: »Der Ausspruch des Zivilrichters, daß im konkreten Fall für immateriellen Schaden Ersatz zu leisten sei, ist – mögen ihm auch ›pönale Elemente‹ nicht ganz fremd sein – keine Strafe im Sinne dieser Verfassungsbestimmung«296.
Da der Geldentschädigung hinsichtlich der »Funktionalisierung« des Deliktsrechts gleichsam eine Leitbildfunktion zukommt297, kann die verfassungsrechtliche Beurteilung für Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche nicht abweichend ausfallen. 293
Nolte in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 103 Rdn. 173, 215. BVerfG vom 26.5.1970, BVerfGE 28, 264, 278; Nolte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 103 Rdn. 211. 295 Siehe dazu auch die Erwägungen des BGH (vom 16.10.2003, NJW 2003, 3620, 3621) zur verfassungsrechtliche Bewertung von § 661a BGB: »§ 661a BGB ordnet nicht eine Strafe an, das heißt eine Kriminalstrafe oder eine andere staatliche Maßnahme, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten enthält und ein ›Übel‹ wegen eines rechtswidrigen Verhaltens verhängt (…). Die Vorschrift kann auch nicht zivilprozessualen Maßnahmen mit pönalem Charakter wie der Verhängung von Ordnungsgeld zur Erzwingung von Unterlassungen und Duldungen (§ 890 I ZPO) gleichgesetzt werden (…). § 661a BGB handelt von Ansprüchen zwischen Privaten«. 296 BVerfG vom 14.2.1973, BVerfG 34, 269, 293 – Soraya. 297 Unten § 3. C. IV. 2. b), S. 173 ff. 294
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Es ist auch nicht ersichtlich, dass Art. 103 Abs. 3 GG in einem anderen Sinne und erweiternd ausgelegt werden müsste, denn der Schutzzweck dieser Verfassungsnorm wird durch Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche nicht tangiert. Art. 103 Abs. 3 GG dient der Gewährleistung von Rechtssicherheit und enthält ein grundrechtsgleiches Recht, durch das das Spannungsverhältnis zwischen materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit zugunsten der Rechtssicherheit gelöst wird298. Die Durchführung eines Strafverfahrens geht mit erheblichen Belastungen einher. Denn eine Person wird damit einer öffentlichen Prüfung unterworfen, ob ihr Verhalten einen persönlichen Unrechtsvorwurf begründet und damit strafrechtliche Eingriffe rechtfertigt299. Jeder soll darauf vertrauen dürfen, dass solche Eingriffe auf das Notwendige und Zumutbare beschränkt werden und zugleich mit der erforderlichen Gründlichkeit durchgeführt werden300. Dieser verfassungsrechtlich gewährleistete Vertrauensschutz zielt allein auf hoheitliche Maßnahmen gegenüber einem Verletzer, nicht dagegen auf die Regelung privatrechtlicher Interessenkonflikte. Ein solcher Vertrauensschutz ist nicht gerechtfertigt, wenn mit den Instrumenten des Privatrechts die Interessen Dritter geschützt werden und wenn es umgekehrt an einer verfassungsrechtlich schützenswerten Vertrauensbasis in der Person des Verletzers fehlt. Wer sich mit einer Verletzungshandlung gegen die Rechtsordnung auflehnt, wird durch Art. 103 Abs. 3 GG nicht davon geschützt, durch (mehrere) Geschädigte privatrechtlich in Anspruch genommen zu werden oder – wie im Falle der Abschöpfung – einer privatrechtlichen Sanktion ausgesetzt zu sein, die auf die Korrektur eines unrechtmäßigen Vorteilszuflusses abzielt301. 3. Bestimmtheit und Systemgerechtigkeit Verfassungsrechtliche Bedenken wurden schließlich gegen die Berücksichtigung des Verletzergewinns im Rahmen der kartelldeliktischen Schadensersatzhaftung erhoben. Die entsprechende Regelung in § 33 Abs. 3 S. 3 GWB gebe unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit und der Systemgerechtigkeit zu Bedenken Anlass302. Allerdings schießt diese Kritik über das Ziel hinaus. Gewiss gehört ein hinreichendes Maß an Bestimmtheit zu den grundlegenden Anforderungen an eine verfassungsgemäße Gesetzgebung. Die Anforderungen sind indessen nicht statisch und können deswegen nach Sachmaterien abgestuft sein. Strafrechtsvorschriften müssen beispielsweise schon wegen Art. 103 Abs. 2 GG ein größeres Maß an Bestimmtheit aufweisen als Normen des Privatrechts. Generalklauselar-
298
Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 103 Rn. 56. Nolte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 103 Rn. 178. 300 Nolte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 103, Rn. 178. 301 Vgl. Tilmann, ZHR 141 (1977), 32, 61, der von einem ganz pragmatischen Gedanken spricht, dass ein zuwiderhandelndes Unternehmen kein berechtigtes Vermögenserhaltungsinteresse daran haben könne, von privatrechtlichen Ansprüchen verschont zu bleiben, durch die ihm ein unrechtmäßiger Erlös entzogen werde. 302 Meessen, WuW 2004, 733, 738 f., bezogen auf § 33 Abs. 3 S. 2 des Regierungsentwurfs. 299
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tige Tatbestände können im Privatrecht hinzunehmen sein, während vergleichbar weite Tatbestände im Strafrecht verfassungsrechtliche Bedenken wecken303. Warum es § 33 Abs. 3 S. 3 GWB aus verfassungsrechtlicher Sicht an Bestimmtheit fehlen soll, ist schwer nachvollziehbar, handelt es sich doch um eine Konkretisierung der sehr allgemein gehaltenen schadensrechtlichen Bestimmungen der §§ 249 ff. BGB. Eine mangelnde Bestimmtheit lässt sich auch nicht darin sehen, dass der Gesetzgeber die Prävention zu einem tragenden Leitmotiv der kartelldeliktischen Schadensersatzhaftung erhebt304. Abgesehen davon, dass dieser Gedanke weder im Kartelldeliktsrecht noch generell im Deliktsrecht völlig neu ist und man schwerlich von einem Systembruch sprechen kann, hat das BVerfG die verstärkte Berücksichtigung präventiver Wirkungen von Schadensersatz mehrfach ausdrücklich anerkannt305. Was die Systemgerechtigkeit angeht, wird man die Frage aufwerfen müssen, inwieweit es sich überhaupt um einen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt handelt, dem hinsichtlich des § 33 Abs. 3 S. 3 GWB inhaltliche Aussagekraft entnommen werden kann. § 33 Abs. 3 S. 3 GWB gestattet keinen Schadensersatz nach Belieben306. Vielmehr gibt das Gesetz eine präzise Vorgabe, die noch dazu eine Parallele in der – verfassungsrechtlich unbedenklichen – Berechnung des Verletzergewinns im Rahmen der dreifachen Schadensberechnung findet.
303
Das BVerfG verfährt allerdings großzügig und hat beispielsweise den »groben Unfug« als Merkmal eines Straftatbestandes noch als hinreichend bestimmt angesehen, BVerfG vom 14.5.1969, BVerfGE 26, 41 ff. 304 So aber Meessen, WuW 2004, 733, 739. 305 BVerfG vom 14.2.1973, BVerfG 34, 269, 293 – Soraya; BVerfG vom 8.3.2000, NJW 2000, 2187, 2188 f. 306 Kritisch Meessen, WuW 2004, 733, 738: Mit § 33 Abs. 3 S. 3 GWB in Verbindung mit § 287 ZPO werde die Grenze zur Entscheidung des Richters nach reiner Billigkeit überschritten.
Zweiter Teil
§ 3. Grundstrukturen und Grundprobleme wettbewerbsdeliktischer Schadensersatzhaftung A. Überblick I. Terminologie und dogmatische Einordnung § 9 S. 1 UWG und § 33 Abs. 3 GWB beinhalten außervertragliche Haftungstatbestände für unerlaubtes Verhalten im Rahmen wirtschaftlicher Betätigung. Systematisch sind diese Ansprüche dem Deliktsrecht zuzuordnen1. In Abgrenzung zum allgemeinen Deliktsrecht werden die Schadensersatzansprüche des UWG und GWB zumeist als Sonderdeliktsrecht qualifiziert2. Die Einordnung als Sonderdeliktsrecht ist allerdings etwas unglücklich, weil unter dieser Sammelbezeichnung auch andere deliktsrechtliche Spezialmaterien3 erfasst werden. Der Begriff ist damit wenig aussagekräftig und suggeriert zudem eine gewisse inhaltliche Abkopplung vom Kerndeliktsrecht des BGB. Ob und inwieweit eine solche Abkopplung tatsächlich notwendig ist, bedarf einer Einzelbetrachtung. Im Folgenden werden die Schadensersatzansprüche des UWG und GWB unter dem neutraleren Begriff des Wettbewerbsdeliktsrechts zusammengefasst. Damit soll lediglich zum Ausdruck kommen, dass die Ansprüche in der Regel4 durch wettbewerbsbezogenes Verhalten ausgelöst werden. Nicht verbunden ist mit dem Begriff eine Aussage darüber, ob und in welchem Maße das Wettbewerbsdeliktsrecht den Grundsätzen des allgemeinen Deliktsrechts folgt oder inwieweit es sich um eine selbstständige Materie handelt. Die systematische Zuordnung der Schadensersatzansprüche aus UWG und GWB hat nicht bloß akademischen Charakter, sondern wichtige praktische Kon-
1 BGH vom 11.3.1982, GRUR 1982, 495, 497 – Domgarten-Brand; Ahrens, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, Einl. F Rn. 120; Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 1 Rn. 52; Henning-Bodewig, in: Festgabe für Beier, S. 521, 523; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, Einf. Rn. 7.2; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 434 f.; Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, S. 229 ff.; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, Einf. D Rn. 56; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 4 Rn. 11; Willemer, WRP 1976, 16, 20 f.; ferner Heck, Grundriß des Schuldrechts, § 145 I 9, S. 439; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, § 69 I 2 f, S. 176. Anders Schünemann, in: Großkommentar, UWG, Einl. E Rn. 64 f. 2 Statt vieler: Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, Einf. Rn. 7.2. 3 Beispielsweise ist zu denken an die deliktische Arzt-, Produkt- oder Umwelthaftung. 4 Zum erweiterten Anwendungsbereich des lauterkeitsrechtlichen Haftungstatbestands auf Handlungen bei und nach Vertragsschluss siehe unten § 4. B. II. 1., S. 192 ff.
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§ 3. Grundstrukturen und Grundprobleme
sequenzen. UWG und GWB sehen kein lückenloses Haftungssystem vor, sondern enthalten bruchstückhafte Regelungen, die vielfach einer Ergänzung bedürfen. Auf welche Vorschriften dabei zurückzugreifen ist, richtet sich maßgeblich danach, welchem übergeordneten Regelungssystem die Schadensersatzansprüche aus UWG und GWB zugehören. Beispielsweise kennen Lauterkeitsrecht und Kartellrecht keine speziellen Regelungen zur Haftung von Mittätern und Teilnehmern. Hierfür bietet aber das allgemeine Deliktsrecht mit § 830 BGB eine passende Grundlage. Auch spezielle Regelungen für die Berücksichtigung von Mitverschulden finden sich im UWG und GWB nicht, sodass auf die Grundsätze des § 254 BGB zurückgegriffen werden kann. Eine Rückbesinnung auf solche allgemeinen Grundsätze fördert die Einheitlichkeit der Rechtsordnung und damit die Transparenz und Überzeugungskraft von Begründungen. In der Vergangenheit hatte die systematische Einordnung auch kollisionsrechtliche Bedeutung. Da im Lauterkeitsrecht spezielle Regelungen fehlten, wurde – mit Modifikationen – auf die allgemeinen Bestimmungen über unerlaubte Handlungen zurückgegriffen5. Diese Problematik ist nunmehr entschärft durch die VO 864/2007 (»Rom II«). Diese Verordnung sieht für außervertragliche Haftungsansprüche, die aus unlauterem und den freien Wettbewerb einschränkenden Verhalten folgen, in Art. 6 speziellere Regelungen vor6. Anzuwenden ist diese Regelung seit 11. Januar 20097. Innerhalb der Privatrechtsordnung8 nehmen die Schadensersatzansprüche des UWG und GWB eine besondere Stellung ein. Diese Sonderstellung gründet sich weniger auf die (formale) Existenz der speziellen Haftungstatbestände, sondern auf die speziellen Strukturen und Prinzipien, denen Lauterkeitsrecht und Kartellrecht unterliegen. Bydlinski charakterisiert das Lauterkeitsrecht9 und das Kartellrecht10 als spezifisches Deliktsrecht für das geschäftliche Außenverhalten von Unternehmen. Beide Rechtsgebiete gewinnen ihre Charakteristik aus drei Elementen, die zugleich die systematische Stellung im Gefüge des Privatrechts beschreiben: Es geht um die geschäftlichen Außenbeziehungen von Unternehmen, die privatrechtlicher Natur sind und durch unternehmensspezifische deliktische 5 BGH vom 30.6.1961, BGHZ 35, 329, 333 – Kindersaugflaschen; BGH vom 24.2.1994, GRUR 1994, 447, 448 – Sistierung von Aufträgen; BGH vom 26.11.1997, GRUR 1998, 419, 420 – Gewinnspiel im Ausland; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, Einl. Rn. 5.4; Ohly, in: Piper/ Ohly, UWG, Einf. B Rn. 14; differenzierend Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 31 Rn. 11. 6 Zu den Einzelheiten siehe nur Buchner, GRUR Int. 2005, 1004, 1008 ff.; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, Einl. Rn. 5.3; Sack, WRP 2008, 845 ff.; von Hein, ZEuP 2009, 6 ff. 7 Art. 32 VO 864/2007. 8 Die Zuordnung des Lauterkeitsrechts und Kartellrechts zum Privatrecht gilt dabei nicht absolut, sondern nur soweit diese Rechtsgebiete spezifisch privatrechtliche Regelungen enthalten. Eindeutig nicht dem Privatrecht zuzuordnen sind beispielsweise die kartellrechtlichen Bestimmungen über die Befugnisse der Kartellbehörden. 9 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 608 ff.; zur systematischen Einordnung eingehend Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 1 Rn. 3 ff. 10 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 612 ff.
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Verhaltensnormen geprägt werden11. Gegenüber dem allgemeinen Deliktsrecht sind Lauterkeitsrecht und Kartellrecht stärker funktional ausgerichtet und geprägt. Dies beruht auf den sozialschädlichen Wirkungen unlauterer und wettbewerbsbeschränkender Handlungen: »Während sich im individualistischen Streitverhältnis etwa Käufer und Verkäufer, Verletzer und Verletzter, unverbunden einander gegenüberstehen und sich dort das Recht der unerlaubten Handlungen als ein solches ausschließlich durch die Verwirkung eines bestimmten Sachverhalts darstellt, ist im Wettbewerbsrecht der einzelne der Gesamtheit seiner Mitbewerber, seiner Gewerbsgenossen gegenübergestellt, und sein Verhalten wirkt, wenn es gegen die Grundsätze eines lauteren Wettbewerbs verstößt, weit über die Grenzen des Verhältnisses einzelner Personen hinaus«12.
Beide Rechtsgebiete verwirklichen einen mehrdimensionalen Schutz individueller und überindividueller Interessen. Diese wesensprägende Mehrdimensionalität widerspricht keineswegs grundsätzlich der systematischen Zuordnung zum Sonderdeliktsrecht13. Zwar steht im allgemeinen Deliktsrecht der Schutz von Individualinteressen und geschützten individuellen Rechtspositionen im Vordergrund. Daraus ergeben sich klare »Funktionsunterschiede«14 zwischen dem allgemeinen Deliktsrecht und dem Lauterkeits- und Kartellrecht. Indessen bilden diese Funktionsunterschiede keine trennscharfe Grenze, sondern eine Grauzone, deren Verlauf im Einzelnen bislang noch wenig geklärt ist. Außerhalb des Wettbewerbsdeliktsrechts gewinnt die Erkenntnis Boden, dass dem Privatrecht, insbesondere der außervertraglichen Haftung, eine mehr oder weniger stark ausgeprägte gesellschaftliche Steuerungswirkung zukommt, die über die Regelung individueller Interessen und Interessenkonflikte hinausgeht. Man kann vielleicht noch einen Schritt weiter gehen: Die mehrdimensionale Dimension des Wettbewerbsdeliktsrechts ist womöglich gar keine wesensmäßige Besonderheit dieser Rechtsgebiete, sondern in anderen Bereichen – auch im »Kerndeliktsrecht« des BGB – nur noch nicht genügend erkannt.
II. Haftungsprinzipien Schadensersatzhaftung ist stets eine rechtliche Ausnahme. Sie bedarf jeweils einer Legitimation. Fehlt es an einem Grund zur Schadenstragung, muss der Geschädigte einen erlittenen Schaden selbst übernehmen15. Während dieser Grundsatz 11
Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 615 f. Callmann, Der unlautere Wettbewerb, S. 87. 13 Demgegenüber sieht Schünemann, in: Großkommentar, UWG, Einl. E Rn. 65 die »sozialrechtliche« Dimension des Lauterkeitsrechts als so prägend an, dass eine systematische Zugehörigkeit zum Deliktsrecht nicht mehr begründet werden könne. 14 So BGH vom 14.1.1999, GRUR 1999, 751, 753 – Güllepumpen zum Verhältnis von § 1 UWG a.F. und § 826 BGB. 15 Statt vieler: Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn 1 f.; Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, Rn. 1; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 5; Koziol, in: Festschrift für Canaris, S. 631, 654. 12
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im deutschen Recht zwar anerkannt, aber nicht niedergelegt ist, spricht § 1311 S. 1 ABGB dieses Prinzip im österreichischen Recht deutlich aus: »Der bloße Zufall trifft denjenigen, in dessen Vermögen oder Person er sich ereignet«. Dieser trivial anmutende Grundgedanke beinhaltet den elementaren Gerechtigkeitsgedanken, dass »jedermann sein ›allgemeines Lebensrisiko‹ selbst zu tragen hat und es nicht einfach auf andere Privatrechtssubjekte abwälzen kann«16. 1. Verschuldenshaftung Die Verpflichtung zum Schadensersatz setzt im Wettbewerbsdeliktsrecht erstens ein rechtswidriges, also unlauteres oder kartellrechtswidriges Verhalten voraus. Zweitens muss der Verletzer vorsätzlich oder fahrlässig, mithin schuldhaft, gehandelt haben. Damit folgen § 9 S. 1 UWG und § 33 Abs. 3 GWB dem für unerlaubte Handlungen geltenden Grundsatz einer Haftung für verschuldetes Unrecht (Verschuldensprinzip). Nach diesem Haftungsprinzip ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer Unrecht verwirklicht und dabei vorsätzlich oder fahrlässig, also schuldhaft, handelt. Erst wenn diese beiden Voraussetzungen gegeben sind, wird eine Haftung ausgelöst. Demgegenüber genügt es zur Haftungsbegründung beispielsweise nicht, wenn jemand wissentlich und willentlich einem anderen einen Nachteil zufügt, ohne dabei Unrecht zu verwirklichen. Ein Unternehmer, der im Wettbewerb seinem Konkurrenten zuvorkommt und Kunden abwirbt, fügt dem Konkurrenten zweifelsohne einen wirtschaftlichen Nachteil zu. Dies geschieht häufig sogar absichtlich. Gleichwohl ist evident, dass dieses Verhalten allein nicht zum Schadensersatz verpflichten kann, weil es wettbewerbskonform und damit rechtmäßig ist17. Wettbewerb ist denknotwendig mit der Zufügung von wirtschaftlichen Nachteilen verbunden18. Es handelt sich um elementare Wirkungsvoraussetzungen funktionsfähigen Wettbewerbs19, denn das Erleiden und Vermeiden von wirtschaftlichen Nachteilen bildet eine maßgebliche und unverzichtbare Steuerungskraft im Wettbewerb. Solche Nachteile sind aufgrund ihrer Wettbewerbsimmanenz keine Rechtsverletzungen. Die daraus resultierenden Einbußen sind keine ersatzfähigen Schäden. Erst wenn ein Unternehmer unlauter oder kartellrechtswidrig handelt und ihm Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last fällt, kann er dem Geschädigten zum Schadensersatz verpflichtet sein. Dem Erfordernis vorsätzlichen bzw. fahrlässigen Verhaltens kommt im deliktischen Haftungstatbestand haftungsbegründende und haftungsbegrenzende 16 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, § 75 I 2 a, S. 351; Canaris, VersR 2005, 577, 578. 17 Brüggemeier, Haftungsrecht, § 5 D, § 5 D, S. 349; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, § 75 I 2 c, S. 351. 18 »Der Eingriff in Gewinnerwartungen und Gewinnchancen anderer ist wettbewerbsgerecht: niemand hat Anspruch auf Wahrung seiner Marktstellung, seines Kundenstamms und seiner Investitionen. Wäre es anders, so würden die ›Antriebskräfte der Wirtschaft‹ blockiert und zum Erliegen kommen«, Ott, in: Festschrift für Raiser, S. 403, 421. 19 BGH vom 22.10.1957, BGHZ 25, 369, 372 – Whipp.
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Funktion zu20. Die Haftung basiert auf der Idee der Selbstbestimmung und des eigenverantwortlich handelnden Individuums, das sein Schicksal gleichsam in die eigenen Hände nimmt und sein Umfeld nach eigenen Kräften gestaltet21. Diese gedankliche Basis der Haftung für verschuldetes Unrecht weist tief gehende Wurzeln auf22. Der Einzelne verfügt über individuellen Bewegungsspielraum, um seine Ziele zu verwirklichen, selbst wenn hierdurch die Interessen anderer beeinträchtigt werden. Betroffene müssen danach Schädigungen ihrer Interessen, die innerhalb des zulässigen Handlungsspielraums durch andere verursacht werden, entschädigungslos hinnehmen23. Wer die für ihn geltende Sorgfalt beachtet, muss keine darüber hinaus gehenden Anstrengungen unternehmen, um Schädigungen anderer zu vermeiden. Das gilt insbesondere bei der wirtschaftlichen Betätigung im Wettbewerb. Ohne die Gewährleistung individueller Handlungsfreiräume wäre die Funktionsfähigkeit von Wettbewerb empfindlich beeinträchtigt, weil über jeder Aktivität gleichsam das rechtliche Damoklesschwert der Schadensersatzhaftung schwebte. Von Unternehmern soll aber, sofern nicht ausnahmsweise Gründe für eine Gefährdungshaftung sprechen, nicht mehr verlangt werden als die Beachtung der zur Schadensverhütung gebotenen Sorgfalt24. Alles andere wäre »eine Überspannung der Pflicht zu lauterem Wettbewerbshandeln und ein unzulässiger Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit«25. Das Prinzip einer Haftung für verschuldetes Unrecht kann damit als ein elementarer Grundbaustein wettbewerbsbezogener Haftung angesehen werden26. 2. Weitere Haftungsgründe Neben der Haftung für rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten gibt es weitere denkbare Haftungsgründe, namentlich die Gefährdungs-, Billigkeits- und Aufopferungshaftung. Diesen Haftungsgründen kommt jedoch im Rahmen wettbewerbsbezogener Aktivitäten nur am Rande Bedeutung zu. Gleichwohl sollen diese Haftungsgründe im Folgenden – in gebotener Kürze – skizziert werden, weil es zum einen Grenzbereiche zur Verschuldenshaftung gibt und zum anderen
20 Von Caemmerer, RabelsZ 42 (1978), 5, 6 f. spricht von der positiven und negativen Seite des Verschuldensprinzips. 21 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, § 75 I 2 b, S. 351; Canaris, VersR 2005, 577, 578; Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, Rn. 6; Kötz, AcP 170 (1970), 1, 3; von Caemmerer, RabelsZ 42 (1978), 5, 8 f. 22 »Die römischrechtlichen Wurzeln des neuzeitlichen Privatrechts, die vermeintliche Nähe des Deliktsrechts zum Strafrecht, die Einflüsse von Vernunftrecht, philosophischem Idealismus (I. Kant) und ökonomischem Liberalismus auf die Privatrechtsentwicklung im 19. Jahrhundert – sie alle mögen mit dafür gesorgt haben, dass – international – das Leitbild der vernunftbegabten, schuldfähigen Privatperson dem Deliktsrecht das Gepräge gab«, Brüggemeier, Haftungsrecht, § 3, S. 117. 23 Kötz, AcP 170 (1970), 1, 5. 24 Von Caemmerer, RabelsZ 42 (1978), 5, 8. 25 BGH vom 11.10.2001, GRUR 2002, 269, 270 – Sportwetten-Genehmigung. 26 Siehe auch von Caemmerer, RabelsZ 42 (1978), 5, 24.
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anhand dieser abweichenden Modelle deutlich wird, warum allein eine Haftung für verschuldetes Unrecht ein tragfähiges Haftungskonzept im Lauterkeits- und Kartellrecht bilden kann. a) Gefährdungshaftung Im Gegensatz zur Haftung für rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten knüpft die Gefährdungshaftung allein an Gefahren und »gefahrgeneigte« Vorgänge oder Zustände an. Griffig, aber in der Sache etwas verkürzt27, bringt den Unterschied zwischen Gefährdungs- und Verschuldenshaftung die von Esser entwickelte Abgrenzung zum Ausdruck. Danach dient die Gefährdungshaftung dem Ausgleich von »Unglücksschäden«, die Haftung wegen rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens dagegen dem Ausgleich »Unrechtsschäden«28. Zumeist beschränkt sich die Gefährdungshaftung zudem auf den Schutz von Leben, Gesundheit und Eigentum, während ein allgemeiner Vermögensschutz nur ganz selten gewährt wird29. Die Gefährdungshaftung beruht auf dem Gedanken, dass in bestimmten Lebensbereichen selbst bei Beachtung der äußersten Sorgfalt Schäden nicht zu vermeiden sind. Da es aber vielfach nicht sinnvoll ist, die gefährliche Handlung ganz zu verbieten oder die eingetretenen Schäden nicht auszugleichen, wird durch die Gefährdungshaftung ein Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen ermöglicht30. Im Wettbewerb wäre das Konzept einer Gefährdungshaftung offensichtlich verfehlt. Wettbewerb ist kein per se gefährlicher Zustand, von dem unbeherrschbare Gefahren ausgehen, sondern ein Verteilungsmechanismus, der das Risiko von Schädigungen der Marktakteure funktionsnotwendig in sich trägt. Eine Gefährdungshaftung würde den unabdingbar notwendigen Handlungsspielraum des Einzelnen viel zu eng begrenzen und damit die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs infrage stellen. Eine generelle Haftung für Vermögensschäden ohne das haftungsbegrenzende Korrektiv des Verschuldens würde in der Folge zu einer Übermaßhaftung und zu übermäßiger Abschreckung führen31. Trotz der theoretisch klaren Trennung können in der praktischen Rechtsanwendung »Grauzonen« zwischen Gefährdungs- und Verschuldenshaftung auftreten. Beispielsweise neigt die Rechtsprechung in wirtschaftsrechtlichen Sachverhalten (aber auch in anderen Fällen32) dazu, sehr hohe Anforderungen an die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu stellen, etwa bei der Beurteilung von Rechtsirrtümern. Zur Begründung stützen sich die Gerichte auf Risikoerwägun-
27
Zur Kritik Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 499 f. Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, S. 75 ff. sowie ders./Weyers, Schuldrecht II/2, § 63 I, S. 266. 29 Canaris, VersR 2005, 577, 579; Deutsch, JZ 1971, 244, 248. 30 Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, Rn. 355; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 564; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 498 f. 31 Vgl. Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 296. 32 Canaris, VersR 2005, 577, 579 f.; Deutsch, JZ 1971, 244, 247 mit Beispiel aus der Rspr. 28
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gen33. Das kann zur Folge haben, dass den hohen Sorgfaltsanforderungen praktisch nur sehr schwer Rechnung getragen werden kann und damit die Schwelle zur Fahrlässigkeit schnell überschritten ist. Es besteht die Gefahr, dass auf diese Weise die Verschuldenshaftung der Sache nach in eine Gefährdungshaftung umgewandelt wird. Besonders strenge Maßstäbe will auch die Kommission bei Schadensersatzklagen wegen der Verletzung von Gemeinschaftskartellrecht anlegen. In ihrem Weißbuch schlägt sie vor, ein fehlendes Verschulden nur ausnahmsweise als Grund für einen Haftungsausschluss anzuerkennen. Dazu heißt es, die Kommission sehe keine Gründe, weshalb Rechtsverletzer mangels Verschulden aus der Haftung entlassen werden sollte, es sei denn, der Verstoß gegen Art. 81 und 82 EG sei auf einen entschuldbaren Irrtum zurückzuführen34. Gerade solche »Grauzonen« geben Anlass, die zugrunde liegenden Wertungen und Prinzipien exakt zu benennen, um zu verhindern, dass sich unter gleichen Obersätzen in Wahrheit Paradigmenwechsel vollziehen. b) Billigkeitshaftung Eine außervertragliche Haftung kann auf Erwägungen der Billigkeit35 beruhen. Eine Billigkeitsentschädigung gemäß § 829 BGB wäre im Wettbewerbsgeschehen prinzipiell denkbar36. Denn dieser Haftungstatbestand erfasst diejenigen Fälle, die mangels vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhaltens durch das Raster des Verschuldensprinzips fallen, bei denen aber eine Nicht-Haftung unbillig wäre. Allerdings dürften Anwendungsfälle bestenfalls »Lehrbuchcharakter« haben. Denn die Tatbestandsvoraussetzungen von §§ 827 oder 828 BGB sind bei wettbewerbsbezogenen Handlungen nur selten erfüllt. Soweit ersichtlich, hat eine wettbewerbliche Billigkeitshaftung die Gerichte bislang nicht beschäftigt. c) Aufopferungshaftung Schließlich kann die Aufopferung einen Haftungsgrund bilden37. Dieses Haftungsprinzip greift in Fällen eines unabwendbar eintretenden Verlustes, wenn eine geschützte Rechtsposition zugunsten eines höherrangigen Interesses »geopfert« wird. Beispielsweise kann sich die Frage stellen, ob zur Eindämmung einer schlimmen Epidemie ein Patent trotz bestehenden Patentschutzes genutzt werden darf, um eine massenhafte Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbaren
33 BGH vom 6.5.1999, BGHZ 141, 329, 345 – Tele-Info-CD; BGH vom 10.10.1989, GRUR 1990, 474, 476 – Neugeborenentransporte; BGH vom 16.12.1986, GRUR 1987, 564, 565 – Taxi-Genossenschaft; dazu auch unten § 9. B. III. 2. b) aa), S. 637 ff. 34 Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 7 f. Ein entschuldbarer Rechtsirrtum soll danach vorliegen, »wenn eine vernünftige Person, die ein hohes Maß an Sorgfalt walten lässt, nicht hätte wissen können, dass ihr Verhalten den Wettbewerb beeinträchtigt« (a.a.O., S. 8). 35 Siehe § 829 BGB. 36 Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 9 Rn. 11. 37 Im bürgerlichen Recht z.B. §§ 904 S. 2 und 906 Abs. 2 S. 2 BGB.
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Arzneimitteln zu gewährleisten. Derartige Konstellationen liegen indessen außerhalb des Gegenstandes der vorliegenden Untersuchung. Denn es geht in solchen Haftungsfällen gerade nicht um den Schutz der Funktionsfähigkeit von Wettbewerb durch privatrechtliche Sanktionen, sondern um das genau entgegengesetzte Ziel. Die Aufopferungshaftung beruht auf der Ausschaltung wettbewerblicher Mechanismen in einem übergeordneten Interesse. Demgegenüber sind wirtschaftliche Einbußen, die auf funktionsgerechtem Wettbewerb beruhen, grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen, mögen die Verluste für den Betroffenen auch schmerzlich sein: »In der freien Marktwirtschaft ergeben sich naturgemäß aus den erlaubten Handlungen der um einen gesteigerten Absatz ringenden Unternehmen fortlaufend tatsächliche Beeinträchtigungen der Mitbewerber. Solche Beeinträchtigungen gehören geradezu zum Wesen des freien Wettbewerbskampfes und lösen, wenn sie nicht durch unlautere Mittel hervorgerufen worden sind, in der Regel keinerlei Ersatzansprüche aus«38.
Immerhin hat sich der BGH in der Whipp-Entscheidung, aus deren Begründung die zitierte Passage entnommen ist, sehr eingehend mit der Frage einer möglichen Aufopferungshaftung im Wettbewerb befasst39: In der Entscheidung ging es um die nach damaliger Rechtslage rechtmäßige Nutzung eines ähnlichen Warenzeichens für unähnliche Waren40. Der BGH hielt es für möglich und wahrscheinlich, dass durch die Nutzung des einen Warenzeichens der Werbewert des anderen Kennzeichens nicht nur empfindlich beeinträchtigt, sondern unter Umständen vollständig zerstört werde. (Die kollidierenden Warenzeichen wurden einerseits für Reinigungsmittel, andererseits für Feinkostwaren verwendet.) Trotz der tatsächlichen Beeinträchtigung des geschützten Kennzeichens mussten die damit verbundenen Nachteile hingenommen werden, weil die Handlung rechtmäßig war. Bemerkenswert ist, dass es der BGH nicht für ausgeschlossen hält, dass ein an sich zulässiger Gebrauch eines Warenzeichens in besonders gelagerten Ausnahmefällen gleichwohl missbilligt werden könne, wenn er zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen führe und die »gebotene und zumutbare Rücksichtnahme auf die Rechte anderer Zeicheninhaber vermissen« lasse. Dann seien die Rechtsgrundsätze heranzuziehen, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung für das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis von Grundstückseigentümern anerkannt seien41. In dieser vom Gericht gezogenen Parallele zwischen Grundstücksnachbarschaft und wirtschaftlicher Konkurrenz offenbart sich allerdings ein geradezu idyllisches Verständnis von Wettbewerb. Diese Überlegung dürfte der seinerzeitigen unvollständigen Rechtslage im Warenzeichenrecht geschuldet sein. Verallgemeinerungsfähig ist der Gedanke einer guten Nachbarschaft im Wettbewerb sicher nicht.
38
BGH vom 22.10.1957, BGHZ 25, 369, 372 – Whipp. BGH vom 22.10.1957, BGHZ 25, 369 ff. – Whipp. 40 Mit Inkrafttreten des MarkenG hat dieser Fall in § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG eine Regelung gefunden. 41 BGH vom 22.10.1957, BGHZ 25, 369, 375 f. – Whipp. 39
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III. Verletzung wettbewerblicher Verhaltenspflichten § 9 S. 1 UWG und § 33 Abs. 3 GWB beinhalten jeweils eine kleine deliktische Generalklausel für die Schadensersatzhaftung und gewährleisten einen deliktischen Vermögensschutz im Wettbewerb. Darin liegt eine folgerichtige Fortführung des deliktsrechtlichen Regelungskonzepts des BGB. Das bürgerliche Recht schützt jenseits von Verletzungen der Rechte und Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB »reine« Vermögensinteressen nur, wenn ein vermögensschützendes Schutzgesetz verletzt wurde (§ 823 Abs. 2 BGB) oder wenn ein massiver Eingriff (§§ 824, 826 BGB) stattgefunden hat. Der eingeschränkte Schutz »reiner« Vermögensinteressen beruht auf dem Gedanken, dass diese Interessen nicht in über Zuweisungsgehalt und Ausschlussfunktion wie die Rechte und Rechtsgüter aus § 823 Abs. 1 BGB verfügen. Zugleich fehlt die sozialtypische Offenkundigkeit42. Beides ist unabdingbar für einen optimalen Deliktsschutz. Die in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtspositionen kennzeichnen persönliche Sphären, die in tendenziell weitem Umfang einer Einwirkung Dritter entzogen sein sollen43. Demgegenüber sind im Wettbewerbsgeschehen Beeinträchtigungen des Vermögens in weitem Umfang zulässig, da funktionsnotwendig. Weil Vermögensinteressen als solche nicht in eine rechtlich fassbare Form gegossen und haftungswürdige Verletzungen schwer identifiziert werden können, muss das Deliktsrecht, wenn es Vermögensinteressen schützen will, an die Art und Weise der Verletzung anknüpfen44. Wenn eine Haftung aus der Art und Weise der Verletzung folgt, dann korrespondiert damit notwendigerweise die Anerkennung und Ausformung rechtlicher Verhaltenspflichten45. Der Inhalt dieser Verhaltenspflichten ergibt sich wiederum aus dem rechtlichen Schutzauftrag hinsichtlich der von der Rechtsordnung geschützten Interessen oder der »sozialen Schutzpositionen«46. Rechtsquelle der Verhaltenspflichten sind entweder spezialgesetzliche Vorgaben oder – soweit solche nicht vorhanden sind – die richterrechtliche Ausformung von Verhaltenspflichten auf der Basis von Generalklauseln. Beide Wege sind im BGB angelegt. Im Rahmen des § 823 Abs. 2 S. 1 BGB bilden spezialgesetzliche Verhaltenspflichten die Grundlage einer deliktischen Haftung. Demgegenüber enthält § 826 BGB als Generalklausel die Grundlage für die richterrechtliche Anerkennung von speziellen Verhaltenspflichten in bestimmten Lebensbereichen. Diese Zweispurigkeit in der Begründung deliktischer Verhaltenspflichten und der daran anknüpfenden Haftung findet sich im Wettbewerbsdeliktsrecht wieder47. Wettbewerbliche Verhaltenspflichten werden zum einen durch spezielle 42
Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, § 76 I 1 b, S. 374 f. Reinhardt, JZ 1961, 713, 716. 44 Brüggemeier, Haftungsrecht, § 5 D, S. 349; Reinhardt, JZ 1961, 713, 716 f. 45 Damit nicht zu verwechseln sind die in der Rspr. anerkannten wettbewerbsrechtliche Verkehrspflichten, dazu unter § 9. A. I. 2., S. 610 ff. 46 Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 448. 47 Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 427. 43
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Regelungen statuiert, nämlich durch die zahlreichen Einzeltatbestände unlauterer und kartellrechtswidriger Praktiken. Zum anderen enthalten UWG und GWB Generalklauseln und viele Einzelvorschriften beinhalten zudem ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe, die eine richterrechtliche Präzisierung von Verhaltenspflichten und eine Rechtsfortbildung ermöglichen. Den gemeinsamen Bezugspunkt und rechtlichen Beurteilungsmaßstab für die Verhaltenspflichten bilden die im Wettbewerb geschützten individuellen und überindividuellen Interessen. Ihrer Struktur nach handelt es sich bei wettbewerbsdeliktischen Verhaltenspflichten um erfolgsbezogene Verhaltenspflichten. Die Haftung eines Verletzers knüpft einerseits nicht schon an einer Handlung oder Unterlassung »an sich« an, verlangt aber andererseits nicht den Eintritt eines bestimmten Verletzungserfolges. Vielmehr genügt es, wenn das konkrete Verhalten eine bestimmte Erfolgstendenz aufweist. Sehr deutlich kommt diese Erfolgstendenz in der Richtlinie 2005/29/EG zum Ausdruck. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. b RL 2005/29/EG ist eine Geschäftspraxis unlauter, wenn sie das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers »wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen«. Ähnlich verlangen Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 und Abs. 8 RL 2005/29/EG, dass eine Geschäftspraxis den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder hierzu geeignet ist, die er ansonsten nicht getroffen hätte. Strukturell Gleiches gilt bei Handlungen im B2B-Verhältnis: Eine gezielte Behinderung gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 10 UWG liegt bereits dann vor, wenn eine Handlung geeignet ist, den Mitbewerber in seinen wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten einzuschränken. Ob tatsächlich ein Behinderungserfolg eintritt, ist für die Frage der Unlauterkeit nicht von Bedeutung. Auch im Kartellrecht genügt regelmäßig die Verletzung einer erfolgsbezogenen Verhaltenspflicht. Beispielsweise reicht es für einen Verstoß gegen § 1 GWB und Art. 81 EG aus, dass eine Vereinbarung eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt. Gleichermaßen setzen Behinderungen oder Diskriminierungen im Sinne von § 20 GWB oder Missbräuche im Sinne des Art. 82 EG nicht zwingend den Eintritt eines bestimmten Erfolges voraus. Die Ausrichtung der wettbewerbsdeliktischen Schadensersatzhaftung an der Verletzung von erfolgsbezogenen Verhaltenspflichten hat Konsequenzen für die Struktur der Haftungstatbestände. In erster Linie beschreiben die Verhaltenspflichten das haftungsauslösende Moment. Ihre spezifische Funktion besteht darin, die Trennlinie zwischen rechtlich zulässiger und rechtlich missbilligter Aktivität zu ziehen. Wer eine wettbewerbliche Verhaltenspflicht verletzt, überschreitet den rechtlich zulässigen Handlungsspielraum im Wettbewerbsgeschehen. Wird eine wettbewerbliche Verhaltenspflicht verletzt, dann ist damit zugleich die Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens indiziert. Es bedarf deswegen in aller Regel keiner gesonderten Feststellung mehr darüber, ob das konkrete Verhalten rechtswidrig ist. Zumeist ist das Heranziehen von Rechtfertigungsgründen eher ein Anhaltspunkt für eine fehlerhaft »zugeschnittene« und damit inhaltlich korrek-
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turbedürftige Verhaltenspflicht48. Wettbewerbliche Verhaltenspflichten sind ferner für die Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabes von Bedeutung. Sie bilden das zentrale Kriterium der Bestimmung des angemessenen und sachgemäßen Verhaltens in der konkreten Situation. Sie definieren den Sorgfaltsmaßstab. Frühe Entscheidungen des BGH gehen sogar noch einen Schritt weiter und sehen mit der Feststellung der Verletzung einer wettbewerblichen Verhaltenspflicht zugleich ein sorgfaltswidriges und damit fahrlässiges Verhalten als indiziert an. Es sei im Allgemeinen davon auszugehen, so der BGH zu § 1 UWG a.F., dass denjenigen, der in Kenntnis alle Tatbestände objektiv sittenwidrig handele, auch ein Verschulden treffe49. Die Überlegungen der Kommission zu Schadensersatzklagen bei Verstößen gegen Gemeinschaftskartellrecht50 zielen in eine ähnliche Richtung.
IV. Problembereiche wettbewerbsdeliktischer Schadensersatzhaftung Die enge Verbindung zwischen Wettbewerbsdeliktsrecht und allgemeinem Deliktsrecht ermöglicht es, vorhandene Lücken der spezielleren Haftungstatbestände durch Rückgriff auf allgemeine Vorschriften zu schließen. Zugleich bilden die Strukturen und Prinzipien des bürgerlichen Rechts ein Leitbild für das dogmatische Verständnis und die konkrete Ausgestaltung der wettbewerbsdeliktische Schadensersatzhaftung. Dadurch können überflüssige und womöglich schädliche Sonderentwicklungen vermieden werden. Umgekehrt kann der Blick auf das Wettbewerbsdeliktsrecht wertvolle Erkenntnisse über die Leistungsfähigkeit und die Leistungsgrenzen des Deliktsrechts liefern. Konzeptionelle Schwächen der deliktischen Haftung treten nämlich im Wettbewerbsgeschehen schneller und deutlicher hervor als im allgemeinen Deliktsrecht51. 1. Fehlendes Konzept deliktischer Unternehmenshaftung Das bürgerliche Deliktsrecht basiert, wie bereits eingangs erwähnt, auf dem Konzept individueller Handlungsfreiheit. Eine deliktische Unternehmenshaftung ist dagegen als solche nicht vorgesehen. Ebenso wenig wie sich ein Unternehmen strafbar machen kann52, kann es deliktisch handeln. Das Deliktsrecht ist auf Unternehmen als organisatorische Einheiten, die einen elementaren Bestandteil der Wirtschaftsrealität bilden und von denen spezielle Risiken ausgehen, nicht zugeschnitten. Insbesondere passt das Prinzip einer Haftung für verschuldetes Un48
Unten § 10. A. I., S. 680 ff. BGH vom 9.10.1959, GRUR 1960, 144, 146 – Bambi; BGH vom 27.1.1959, GRUR 27.1.1959, GRUR 1960, 200, 202 – Abitz II; BGH vom 22.4.1958, BGHZ 27, 264, 273 – Boxprogrammheft. 50 Unten § 5. A. III. 3., S. 330 ff. 51 Zur daraus resultierenden Innovationskraft des Lauterkeits- und Kartellrechts siehe bereits oben § 1. A. II. 4., S. 10 ff. 52 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Einführung und Allgemeiner Teil, Rn. 242. 49
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recht für Unternehmen schon dem Grunde nach nicht53. Unternehmen können zwar Normadressaten sein und sie können, etwa als juristische Person oder Personenhandelsgesellschaft, Schuldner eines auf unerlaubter Handlung beruhenden Haftungsanspruchs sein. Indessen fehlt es an einem genuinen Haftungskonzept für Rechtsverletzungen, die von Unternehmen aus gehen. Das Deliktsrecht des BGB folgt der »Sozialromantik einer vorkapitalistischen Handwerker- und Kaufmannsgesellschaft«54. Das fehlende Konzept einer deliktischen Unternehmenshaftung ist nicht nur in wettbewerbsbezogenen Konstellationen sichtbar, sondern tritt beispielsweise auch bei der Produkt-, Umwelt- oder Konzernhaftung zutage55. Im Wettbewerb zeigen sich die Folgen der konzeptionellen Lücke aber besonders deutlich. Unlautere oder kartellrechtswidrige Handlungen werden in der Regel – in den Augen der betroffenen Marktakteure – als rechtswidrige Handlungen eines Unternehmens wahrgenommen, nicht dagegen als individuelles Fehlverhalten etwa eines Organs oder eines Mitarbeiters dieses Unternehmens. Oftmals weiß ein Betroffener gar nicht, wer innerhalb des Unternehmens im Einzelnen für einen Rechtsverstoß verantwortlich ist. Nicht selten ist einem Betroffenen nicht einmal genau bekannt, welches Unternehmen tätig wird. Denn Marktkommunikation findet vielfach ausschließlich über Marken ab56. Eine irreführende Aussage über das unter einer bestimmten Marke vertriebene Produkt wird von den Werbeadressaten häufig in erster Linie der Marke zugeordnet, ohne dass sie genau sagen können, welches Unternehmen dahintersteht. Diese Diskrepanz zwischen Rechtsrealität und dogmatisch notwendiger Rechtskonstruktion ist im Wettbewerbsgeschehen bemerkenswert, weil Unternehmen von der Rechtsordnung zum Teil explizit als Rechtsadressaten wettbewerbsbezogener Vorschriften anerkannt sind. Das Kartellrecht spricht beispielsweise durchgehend von Unternehmen und verwendet nur im Zusammenhang mit den privatrechtlichen Ansprüchen den Ausdruck Mitbewerber. Es folgt also einem unternehmensbezogenen Regelungsmodell, während es auf Sanktionsebene zum personalisierten Haftungsmodell des bürgerlichen Deliktsrechts zurückkehrt. 2. Schadensersatz und überindividuelle Interessen Deliktischer Schadensersatz basiert nicht nur auf dem Konzept des Einstehenmüssens für individuelles Fehlverhalten, sondern das bürgerliche Delikts- und Schadensrecht ist nach seiner Grundkonzeption ganz auf eine individuelle Aufarbeitung von schädigenden Ereignissen im Verhältnis zwischen Schädiger und
53
Von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. II, § 2 Rn. 189. Brüggemeier, Haftungsrecht, § 3, S. 117. 55 Vgl. Broichmann/Burmeister, NZG 2006, 687, 689 ff. 56 Zur Kommunikationsfunktion der Marke siehe nur Fezer, MarkenG, Einl. D Rn. 10 f. m.w.Nachw. 54
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Geschädigtem gerichtet. Dieser eindimensionalen Grundkonzeption steht der mehrdimensionale Schutz im Wettbewerb gegenüber. Neben den Individualinteressen einzelner Marktakteure schützen Lauterkeitsrecht und Kartellrecht anerkanntermaßen auch überindividuelle Belange. Die Berücksichtigung überindividueller Interessen kann jedoch im Rahmen einer deliktischen Schadensersatzhaftung Schwierigkeiten bereiten. Schadensersatz setzt insbesondere voraus, dass der eingetretene Schaden einer bestimmten Person zugeordnet und damit individualisiert werden kann. Der Ersatz von Schäden, die nicht bei einer bestimmten Person eingetreten sind, sondern eine bestimmte Gruppe (ein Kollektiv) oder die Allgemeinheit betreffen, ist im deutschen Recht nicht vorgesehen57. Der volkswirtschaftliche Schaden durch unlautere und kartellrechtswidrige Praktiken mag erheblich sein, doch können diese Nachteile nur unzureichend oder gar nicht in bürgerlichrechtlichen Kategorien eingeordnet werden. Das Deliktsrecht weicht damit freilich der wichtigen Frage aus, warum in der Konsequenz ein Kollektiv oder die Allgemeinheit ausgleichslos wirtschaftliche Nachteile tragen sollen, die durch rechtswidrige, insbesondere wettbewerbsverfälschende Praktiken hervorgerufen werden: »Die Vernachlässigung der Kollektivinteressen durch das Haftungsrecht ist schwer damit zu vereinbaren, daß es auch zu den Aufgaben des Privatrechts gehört, den Zusammenschluß von Personen zur Wahrnehmung überindividueller Interessen zu ermöglichen und die vereinigten Interessen von Personen zu schützen. Es sind deshalb Überlegungen berechtigt, ob und in welcher Weise das Haftungsrecht auch Institute zum unmittelbaren Schutz von Kollektivinteressen hervorzubringen vermag; es befriedigt nicht, deren Schutz ausschließlich dem öffentlichen Recht zu überlassen«58.
Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der Abschöpfungsansprüche immerhin einen ersten Versuch unternommen, dieses rechtspolitische Problem anzupacken. Eine deliktische Schadensersatzhaftung lässt sich allein auf eine Beeinträchtigung von überindividuellen Interessen nicht stützen. Das bedeutet indessen nicht, dass überindividuelle Interessen damit völlig bedeutungslos wären. Zwar gewähren UWG und GWB keinen Ersatz für Kollektiv- oder Allgemeinschäden, doch können überindividuelle Interessen als Wertungskriterium zu berücksichtigen sein und damit indirekt in die Deliktshaftung einfließen. Die Ansatzpunkte für derartige Einflüsse sind vielfältig. Sie liegen insbesondere der Diskussion über die Zwecke der Schadensersatzhaftung zugrunde. Wer beispielsweise über den Präventionszweck von Schadensersatz nachdenkt, impliziert damit einen Zweck, der über den individuellen Ausgleich zwischen Schädiger und Geschädigtem hinausgeht59. Überindividuelle Interessen können des Weiteren im Rahmen der konkreten Haftungsbegründung und Haftungsausfüllung relevant werden, etwa bei der Ermittlung des Schadensumfangs. Beispielsweise sind bestimmte Auf-
57 58 59
Zu solchen und vergleichbaren Schäden Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 781, 833 f. Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, Tz. 118, S. 133 f. Dazu sogleich im Text unter B., S. 132 ff.
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wendungen ersatzfähig, wenn und weil die Vornahme dieser Aufwendungen im überindividuellen Interesse liegt, da sie zur Korrektur von Fehlinformationen beitragen60. 3. Massenschäden, insbesondere Streu- und Bagatellschäden Unternehmerische Handlungen im Wettbewerb sind gekennzeichnet durch ihre Breitenwirksamkeit61. In einer von industrieller Massenproduktion und Massenvertrieb geprägten Wirtschaft erfolgen marktbezogene Handlungen typischerweise in einer Vielzahl von Fällen und sie betreffen regelmäßig eine Vielzahl von Marktakteuren. Eine spezielle und problematische Erscheinungsform von Massenschäden im Zusammenhang mit unlauteren und kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen sind die so genannten Streu- und Bagatellschäden. Beide Schäden treffen typischerweise zusammen, charakterisieren aber unterschiedliche schadensrechtliche Probleme. Streuschäden kennzeichnen eine Situation, in der durch eine rechtswidrige Praktik oder durch eine Vielzahl gleichgelagerter Handlungen, die »serienmäßig« durchgeführt werden, bei einer Vielzahl von Geschädigten gleichartige Schäden hervorgerufen werden. Bagatellschäden sind Schäden von geringer Höhe62. Solche Schäden sind von den einzelnen Geschädigten zumeist leicht zu verschmerzen. Die fatale Wirkung von Bagatellschäden zeigt sich erst, wenn diese massenhaft hervorgerufen werden und die Vielzahl von Kleinstschäden in der Summe betrachtet wird. Angenommen, ein Unternehmer verkauft Milch in Tetra-Packs. Laut Verpackungsaufdruck soll die Verpackung einen Liter Milch enthalten. In Wirklichkeit werden aber die Behältnisse mit geringfügig weniger Milch befüllt, nämlich nur mit 0,95 Litern. In einem solchen Fall ist die rechtliche Ausgangslage jedenfalls im Verhältnis zwischen Verkäufer und Käufer eindeutig63. Die Kunden haben einen Schaden erlitten, da sie nicht die vertraglich vereinbarte Leistung, sondern weniger erhalten hat. Eine solche Mankolieferung steht gemäß § 434 Abs. 3 BGB einem Sachmangel gleich und löst damit die Mängelrechte des Käufers nach § 437 BGB aus. Wenngleich die rechtliche Position der Kunden zumeist klar ist, machen Käufer ihre Rechte zumeist nicht geltend. Eine Nacherfüllung scheitert regelmäßig schon an mangelnder Praktikabilität. Minderung und Schadensersatz wären zwar problemlos durchführbar, doch ist der Schaden des Käufers im Einzelfall eben nur sehr ge-
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Dazu unten im Text § 4. D. III., S. 275 ff. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 609 spricht vom »Multiplikatoreffekt« unternehmerischer Wettbewerbshandlungen. 62 Wann ein Schaden noch »gering« ist, lässt sich kaum exakt beziffern. Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 34 sehen die Grenze der geringen Schadenshöhe zwischen 25 und 75 Euro. Einen sehr viel großzügigeren Maßstab legt dagegen das Gemeinschaftsrecht an. Gemäß Art. 2 Abs. 1 VO 861/2007 wird eine Forderung noch als geringfügig angesehen, wenn der Streitwert ohne Zinsen, Kosten und Auslagen 2000 Euro nicht überschreitet. 63 Schwieriger liegt es im Verhältnis Käufer und Hersteller, wenn kein Direktvertrieb vorliegt. Denn deliktische Schadensersatzansprüche, wenn sie überhaupt bestehen, schützen nicht das Erfüllungsinteresse der Verbraucher, sondern nur das negative Interesse. 61
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ring. Ein zweckrational denkender Mensch wird kaum bereit sein, wegen des erlittenen Kleinstschadens vor Gericht zu ziehen. Durch eine systematische Minderbefüllung kann ein Unternehmen nicht nur »auf breiter Front« Schäden bei den Kunden verursachen, sondern auch erhebliche Unrechtsgewinne erwirtschaften, ohne dass nennenswerte rechtliche und wirtschaftliche Risiken zu befürchten wären. Die Arbeitsgemeinschaft Mess- und Eichwesen (AGME) verweist etwa auf folgendes Rechenbeispiel64: Ein Hersteller von Schokoladentafeln hat eine tägliche Produktion von 2,5 Mio. Einheiten. Produziert er an rund 200 Arbeitstagen im Jahr und weisen seine Schokoladentafeln eine Unterfüllung von angenommen nur einem Gramm auf, so haben die Verbraucher bei einem Ladenpreis von 0,55 Euro pro Tafel insgesamt 2,77 Millionen Euro zu viel bezahlt65. Weitere Anwendungsbeispiele für Streu- und Bagatellschäden führt die Kommission im Grünbuch über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher auf: Danach wurden einer Vielzahl von Verbrauchern durch britische Banken überhöhte Zinsen für Überziehungskredite berechnet. Ferner bildet der Markt für Klingeltöne für Mobiltelefone offenbar gemeinschaftsweit einen besonders fruchtbaren Boden für betrügerische Praktiken66.
Aufgrund der im Einzelfall geringen Schadenshöhe besteht ein rationales Desinteresse der Geschädigten, eine erlittene Einbuße als Schaden geltend zu machen. Meinungsumfragen haben ergeben, dass jeder fünfte Verbraucher bei Schadensbeträgen von bis zu eintausend Euro darauf verzichtet, vor Gericht zu gehen und jeder zweite Verbraucher bei Beträgen von unter zweihundert Euro keine Rechtsbehelfe ergreift67. Das kann zu dem Ergebnis führen, dass für den Schädiger gerade wegen der geringen Schadenshöhen im Einzelfall ein geringeres Risiko besteht, in Anspruch genommen zu werden. Doch selbst wenn aus einer Vielzahl von Betroffenen zumindest einige Geschädigte doch gegen den Schädiger vorgehen, kann es gleichwohl sein, dass die Belastung für den Schädiger »aufs Ganze gesehen« gering bleibt. Denn es wird häufig vorkommen, dass die vom Schädiger in der Masse erzielten Vorteile die Kosten einzelner Schadensersatzklagen deutlich überwiegen. Die Ursachen für das rationale Desinteresse der Geschädigten sind vielschichtig68. Zumeist steht die Höhe des Schadens schlicht in keinem angemessenen Verhältnis zu dem Aufwand, der vom Geschädigten betrieben werden müsste, um seinen Schaden nötigenfalls gerichtlich geltend zu machen. Es können aber noch 64 Faltblatt »Verbraucherschutz durch Fertigpackungskontrollen«, AG ME – FB 4, 2/2006; im Internet erhältlich unter der Adresse: http://www.dam-germany.de/Fachinformation/FERTIGPACKUNGEN.pdf. 65 Dieses Rechenbeispiel stimmt freilich nur für den Fall des Direktvertriebs der Schokolade, also bei Bestehen von Vertragsbeziehungen zwischen dem Schokoladenhersteller und den Schokoladenkäufern. 66 Kommission, Grünbuch Kollektive Rechtsdurchsetzung, Tz. 6, S. 3 f. 67 Diese Zahlen stammen aus der 2004 veröffentlichten Feldstudie »Die Bürger der Europäischen Union und der Zugang zur Justiz«; im Internet veröffentlicht unter http://ec.europa.eu/consumers/redress/reports_studies/execsum_11-04_de.pdf. 68 Kommission, Grünbuch Kollektive Rechtsdurchsetzung, Tz. 6 ff., S. 3 ff.
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weitere Umstände hinzutreten. Nicht selten wird der Nachweis der haftungsbegründenden Merkmale Schwierigkeiten bereiten. Denn je breiter und diffuser die Auswirkungen eines schädigenden Ereignisses sind, desto schwerer wird es, Ursachenzusammenhänge aufzuzeigen und im Streitfall vor Gericht zu beweisen. Entsprechende Probleme kann der Nachweis der Schadenshöhe oder des Verschuldens bereiten. Selbst wenn diese rechtlichen Probleme durch verschiedene materiellrechtliche und prozessuale Hilfen bewältigt werden können, schreckt viele Geschädigte womöglich allein schon der Gedanke, einem übermächtigen Gegner gegenüberzustehen. Überdies werden einzelne Geschädigte regelmäßig nicht über das Know-How sowie die rechtlichen und finanziellen Ressourcen verfügen, um einen Rechtsstreit mit einem Unternehmen (unter Umständen durch mehrere Instanzen69) durchzufechten. Massenschäden, und insbesondere die Streu- und Bagatellschäden, werfen eine Reihe spezieller Probleme auf, die bis tief in das Verfahrensrecht reichen70. Die rechtliche Bewältigung solcher Schadensereignisse führt ein auf Individualschutz zugeschnittenes Delikts- und Verfahrensrecht naturgemäß an Leistungsgrenzen71. Sachgerechte Lösungen können hier nur rechtsgebietsübergreifend gefunden werden. Die Kommission hat im November 2008 ein Grünbuch vorgelegt, das der Problematik der kollektiven Rechtsdurchsetzung gerade im Hinblick auf Streu- und Bagatellschäden bei unlauteren Handlungen gewidmet ist. Nach Auffassung der Kommission handelt es sich bei den Sektoren, in denen Verbraucher die wirksame Durchsetzung von Schäden am schwierigsten ist um die Bereiche Finanzdienstleistungen, Telekommunikation, Transport und Verkehr sowie Pauschalreisen und Tourismus72. Seit dem 1. Januar 2009 gilt zudem auf Grundlage der VO 861/2007 gemeinschaftsweit ein europäisches Verfahren für geringfügige Forderungen73. Dieses Verfahren ist zwar nicht speziell auf die Bewältigung von Massenschäden ausgerichtet, soll aber in grenzüberschreitenden Fällen einzelnen Betroffenen die Durchsetzung von geringfügigen Forderungen74 durch ein standardisiertes und vereinfachtes Verfahren erleichtern. Ob dies gelingt, bleibt freilich abzuwarten. Im Lauterkeits- und Kartellrecht hat der Gesetzgeber versucht, die Problematik der Massen- und Bagatellschäden aus der Schadensersatzhaftung auszulagern und mithilfe der Abschöpfungsansprüche einer Lösung zuzuführen75. Im Kar69 Bei Bagatellstreitigkeiten ist zu beachten, dass der Instanzenzug eingeschränkt ist. Gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist etwa die Berufung nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt. 70 Aus dem Schrifttum siehe nur Braun, NJW 1998, 2318 ff.; Coester-Waltjen, in: Festschrift für Fikentscher, S. 249 ff.; Koch, JZ 1998, 801 ff.; Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht – Kommerzialisierung, Strafschadensersatz, Kollektivschaden, S. A 119 ff. 71 Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, Tz. 102 ff., S. 116 ff. 72 Kommission, Grünbuch Kollektive Rechtsdurchsetzung, Tz. 8, S. 4. 73 Ergänzend gelten die durch Gesetz vom 30.10.2008 (BGBl. I, 2122) neu geschaffenen §§ 1097 ff. ZPO. 74 Zum Begriff der Geringfügigkeit im Sinne der Verordnung siehe oben, Fn. 62. 75 Dazu unten § 6. C. II., S. 483 ff.
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tellrecht hat die Kommission die Bewältigung von Massenschäden im Kartellrecht ebenfalls als Problem erkannt und schlägt im Weißbuch zu Schadensersatzklagen verschiedene Optionen vor, auf die an späterer Stelle noch einzugehen sein wird76. 4. Wettbewerb als Prozess stetiger Veränderung Wettbewerb ist kein statischer Zustand. Die verschiedenen wettbewerbstheoretischen Modelle und Konzeptionen sollen im Folgenden nicht dargestellt werden77. Es genügt für die Zwecke dieser Untersuchung festzuhalten, dass Wettbewerb durch eine ständige Veränderung, Anpassung, Dynamik und Entwicklung gekennzeichnet ist78. Schon anhand dieser – sehr groben – Charakterisierung wird die rechtliche Problematik deutlich. Das bürgerliche Deliktsund Schadensrechts basiert auf der Vorstellung, dass durch eine Verletzungshandlung ein bestimmter Schädigungszustand hervorgerufen wird, der exakt benannt werden kann. Durch eine rechtswidrige Einwirkung wird beispielsweise eine Sache beschädigt oder zerstört, der Körper einer Person wird verletzt usw. Gleichermaßen geht das Gesetz davon aus, dass die Zusammenhänge zwischen Verletzungshandlung, Verletzung eines rechtlich geschützten Interesses und daraus resultierendem Schaden genau bestimmt werden können. In den gesetzlichen Modellfällen der Verletzung absoluter Rechte und Rechtsgüter im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB treffen diese Annahmen zumeist unproblematisch zu. Für Rechtsverletzungen im Wettbewerb sind diese Grundannahmen indessen nur bedingt brauchbar. Regelwidrige Verhaltensweisen im Wettbewerb bewirken keine deliktsrechtlich fassbaren Zustandsänderungen, sondern oft diffuse Veränderungen wettbewerblicher Abläufe. Typischerweise lassen sich sichere Aussagen über wettbewerbliche Verhältnisse nicht mit der gleichen Verlässlichkeit treffen wie über naturwissenschaftlich erfassbare Vorgänge der Umwelt. Der Versuch einer Vorhersage der Ergebnisse marktwirtschaftlicher Ergebnisse läuft nach von Hayek sogar auf eine Anmaßung von Wissen hinaus79. Diese – dem 76
Dazu unten § 5. A. III. 3., S. 330 ff. Mittlerweile gibt es eine Reihe rechtswissenschaftlicher Arbeiten, gerade im Bereich des Wettbewerbs- und Verbraucherschutzrechts, in denen wettbewerbstheoretische Erkenntnisse eingehend dargestellt und in ihrer Aussagekraft gewürdigt werden; hinzuweisen ist insbesondere auf Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 2 Rn. 1 ff.; Schünemann, in: Großkommentar, Einl. A Rn. 6 ff.; ders. in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 1 Rn. 19 ff.; speziell mit Blick auf das Verhältnis von Vertragsrecht und Lauterkeitsrecht Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, S. 16 ff.; mit Blick auf den Verbraucherschutz Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung der Verbraucher, S. 91 ff. 78 Berg, in: Festschrift für Benisch, S. 27 ff.; Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 9; Meessen, JZ 2009, 697 ff. 79 Von Hayek, Ordo 26 (1975), 12, 14 ff. Kritisch zum häufigen Hinweis auf die Anmaßung von Wissen aber Rehberg, in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2007, 49, 56 ff. Diese Kritik ist insoweit berechtigt, als der Hinweis auf die Wissensanmaßung nicht dazu verleiten darf, der Su77
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Wettbewerb wesensimmanente – Unsicherheit steht in einem Spannungsverhältnis zu den Erfordernissen des materiellen Rechts und des Verfahrensrechts. Um Haftungslücken zu vermeiden, müssen die materiellrechtlichen und prozessualen Anforderungen an den Nachweis der haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Elemente an die Realitäten des Wettbewerbs angepasst werden. Es wäre beispielsweise schlicht lebensfremd, als Kausalitätsnachweis in wettbewerblichen Schadensfällen eine naturwissenschaftliche Gewissheit zu verlangen. Durch solchermaßen überhöhte Anforderungen würde die Rechtsdurchsetzung faktisch unmöglich gemacht. Dieses Spannungsverhältnis ist eine Folge der historischen Entwicklung. Die heutigen Strukturen des Delikts- und Schadensrechts, auch des Zivilverfahrensrechts, haben sich zu einer Zeit entwickelt, in der industrielle Massenproduktion und Wettbewerb als spezifische Rechtsprobleme noch nicht oder bestenfalls in Ansätzen bekannt waren. Deswegen stützt sich das privatrechtliche Ordnungsgefüge maßgeblich auf Begriffe wie Privatautonomie, subjektives Recht, Rechtsgeschäft und Willenserklärung, während das Phänomen der Steuerung und Vermittlung durch den Markt als Rechtsproblem nicht vorkommt80.
B. Haftungszwecke Schutznormen und Sanktionsnormen stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bedürfen einer genauen inhaltlichen Abstimmung. Hierfür ist es notwendig, die jeweiligen Zwecke81 der Vorschriften exakt zu benennen. Dabei ist es unumgänglich, Haftungsbegründung und Haftungsausfüllung einheitlich zu betrachten. Denn über Art und Inhalt des zu leistenden Schadensersatzes lässt sich nur sachgerecht entscheiden, wenn feststeht, aus welchen Gründen ein Verletzer zum Schadensersatz verpflichtet ist82. Aus der Vielzahl möglicher Haftungsziele kommen nur diejenigen als legitime Zwecke in Betracht, deren Umsetzung mit den vorhandenen materiellrechtlichen und prozessualen Mitteln des Rechts tatsächlich gelingen kann. Beispielsweise kennt das deutsche Schadensrecht, im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen83, keinen nominellen Schadensersatz. Ziel einer wettbewerbsdeliktischen Schache80nach inhaltlichen Maßstäben auszuweichen. Darum geht es jedoch im Rahmen dieser Untersuchung nicht. Vielmehr soll der Hinweis auf die Anmaßung von Wissen hier lediglich zum Ausdruck bringen, dass konkrete, deliktsrechtlich verwertbare Aussagen, z.B. über Kausalität und Schadenshöhe, im Wettbewerb nur eingeschränkt möglich sind. 80 Kübler, in: Festschrift für Raiser, S. 697, 705. 81 Zur Unterscheidung zwischen Zweck, Funktion und Wirkung Dreier, Kompensation und Prävention, S. 122 ff. 82 Wagner, AcP 206 (2006), 352, 457. 83 Dazu näher Brüggemeier, Haftungsrecht, § 9 II 3, S. 571; speziell zum Schadensersatz durch einen »symbolischen Franc« oder »symbolischen Euro« im französischen Lauterkeitsrecht Drücke, Kollektivinteressen und Wettbewerbsrecht, S. 217 f.
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densersatzhaftung kann deswegen nicht Zuerkennung einer symbolischen Ausgleichszahlung sein. Der Zweck des nominellen Schadensersatzes, die Feststellung der Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verhaltens, wird im deutschen Recht durch andere Instrumente ermöglicht84. Es dürfen nicht einfach neue materiellrechtliche oder verfahrensrechtliche Rechtsschutzmöglichkeiten »erfunden« werden. Denn »die funktionellen Beziehungen und Abhängigkeiten der prozessualen Rechtsbehelfe (Leistungs-, Feststellungs- und Gestaltungsklagen) zum materiellen Recht gehen nicht so weit, daß für die Frage, wie Rechte verfahrensrechtlich geschützt werden können, die materielle Rechtsordnung Vorrang vor dem Verfahrensrecht hätte«85.
I. Ausgleich Jede deliktische Schadensersatzhaftung zielt auf den Ausgleich der durch ein schädigendes Ereignis eingetretenen Nachteile86. Die Schadensersatzhaftung bildet damit eine Erscheinungsform der ausgleichenden Gerechtigkeit87. Das bedarf allerdings einer wichtigen Präzisierung: Nicht der Ausgleich »an sich« ist das Ziel des Delikts- und Schadensrechts88. Denn geregelt wird nicht die bloße Umverteilung von wirtschaftlichen Nachteilen zwischen Rechtssubjekten anlässlich eines Schadensereignisses. Vielmehr legt die Rechtsordnung fest, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang der Schädiger die dem Geschädigten entstandenen Verluste zu ersetzen hat. Die Funktion des Deliktsund Schadensrechts besteht darin, »aus der unübersehbaren Masse der Schadensereignisse diejenigen Fälle herauszuheben, in denen der Benachteiligte berechtigt ist, den ihm entstandenen Schaden auf einen anderen abzuwälzen«89. Die so verstandene Ausgleichsfunktion – richtiger: Schadensabnahmefunktion90 – bildet ein wesensbestimmendes Charakteristikum der deliktischen Schadensersatzhaftung und kennzeichnet zugleich deren konzeptionelle Ausrichtung auf die individuelle Perspektive, also auf Schädiger und Geschädigten. Aus dieser konzeptionellen Grundausrichtung ergeben sich auch die maßgeblichen Prinzipien des Schadensausgleichs, insbesondere der Grundsatz der Totalreparation und das »Bereicherungsverbot«. Die Ausgleichsfunktion der Schadensersatzhaftung ist keineswegs »inhaltsleer«, weil sie ein entscheidendes funktionelles Abgrenzungskriterium gegenüber den Abschöpfungsansprüchen bildet. Wenngleich Schadensersatz und Abschöp84 Zu denken ist beispielsweise an eine Urteilsveröffentlichung gemäß § 12 Abs. 3 UWG oder eine Schadensersatzfeststellungsklage. 85 BGH vom 3.5.1977, BGHZ 68, 331, 334. 86 Siehe nur Deutsch, JZ 1971, 244, 245; Koziol, in: Festschrift für Canaris, S. 631, 654; Lange/ Schiemann, Schadensersatz, Einl. III 2. a), S. 9 ff. 87 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, § 75 I 2 i, S. 354. 88 »Ebensowenig, wie das Ziel des Ehescheidungsrechts in der Scheidung von Ehen liegt, liegt der Zweck des Schadensersatzrechts in der Ausgleichung von Schäden«, Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 57; kritisch auch Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Rechts, S. 126. 89 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, § 40 I, S. 598. 90 Deutsch, JZ 1971, 244, 245; Mertens, AcP 178 (1978), 227, 239.
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fung von Unrechtsvorteilen im praktischen Ergebnis durchaus Überschneidungen aufweisen können, besteht zwischen Schadensersatzansprüchen und Abschöpfungsansprüchen ein grundlegender funktioneller Unterschied. Schadensersatzansprüche sind – auch wenn überindividuelle Interessen berücksichtigt werden können – auf die individuelle Aufarbeitung von Schadensereignissen gerichtet. Die rechtliche Legitimation eines Schadensersatzanspruches wegen einer unerlaubten Handlung beruht auf der Verletzung einer individuellen Schutzposition. Die Verbindung zwischen einem schuldhaft rechtswidrigen Verhalten und der Beeinträchtigung einer rechtlich geschützten Individualposition des Opfers bildet die rechtliche Basis für den Ausgleich. Demgegenüber sind Abschöpfungsansprüche von der Beeinträchtigung individueller Interessen oder Rechtspositionen völlig abgekoppelt. Das funktionelle Zusammenspiel zwischen dem schuldhaft rechtswidrigen Verhalten und der Beeinträchtigung individueller Interessen bei Schadensersatzansprüchen begründet zugleich die beiderseitige Rechtfertigung deliktischer Schadensersatzansprüche. Das grundlegende privatrechtliche Strukturprinzip einer beiderseitigen Begründung von Rechtsfolgen ist von Bydlinski herausgearbeitet worden91. Danach bedürfen rechtliche Regelungen innerhalb des Privatrechts zwischen Rechtssubjekten stets einer beiderseitigen Begründung und Legitimation. Es ist »nicht nur zu begründen, warum einem Normadressaten an sich eine günstige, einem anderen aber eine nachteilige Rechtsfolge zugeordnet wird, sondern auch, warum dies gerade im Verhältnis dieser beiden zueinander erfolgt«92. Die fundamentale Bedeutung dieses Strukturprinzips wird anhand von Schadensersatzansprüchen wegen unerlaubten Handlungen sofort deutlich. Es genügt zur Begründung einer Schadensersatzhaftung nicht, dass ein Opfer evident schutzwürdig erscheint, etwa weil es plötzlich einen wirtschaftlichen Nachteil in ruinöser Höhe erlitten hat. Damit der Geschädigte seinen Nachteil als Schaden von einem anderen Subjekt verlangen kann, muss zugleich begründet werden, wer den Nachteil statt des Opfers tragen soll (der Schädiger) und warum eine Schadensabnahme gerade durch den Schädiger gerechtfertigt ist (aufgrund seines rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens und der dadurch hervorgerufenen Beeinträchtigung einer geschützten Individualposition des Geschädigten). Wenn von der Ausgleichsfunktion der Schadensersatzhaftung gesprochen wird, dann verbirgt sich dahinter gerade diese notwendige beiderseitige Begründung einer Schadensersatzhaftung. Recht verstanden bringt die Ausgleichsfunktion die elementare Rechtfertigung einer Schadensersatzhaftung wegen unerlaubten Verhaltens zum Ausdruck. Diese spezielle Charakteristik wird in ihrer Tragweite besonders deutlich, wenn man gleichsam als »Gegenprobe« die Abschöpfungsansprüche betrachtet. Als privatrechtliche Handlungsinstrumente unterlie91 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 92 ff.; ders. AcP 204 (2004), 309, 341 ff. Nach Riesenhuber, in: Privatrechtsgesellschaft, S. 9 f. gehört dieses Prinzip zu den Merkmalen der Privatrechtsgesellschaft. 92 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 93.
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gen auch diese Ansprüche dem Strukturprinzip einer beiderseitigen Rechtfertigung. Die Abschöpfung von Gewinnen bzw. Vorteilen hat jedoch mit einem Ausgleich von individuell erlittenen Nachteilen nichts zu tun. § 10 Abs. 1 UWG und § 34a Abs. 1 GWB setzen nicht voraus, dass bestimmte Rechtssubjekte einen Schaden erlitten haben und es ist auch nicht erforderlich, dass in individuell geschützte Positionen eingegriffen wurde. Die Abschöpfungsansprüche folgen dementsprechend nicht dem Gedanken der Übernahme individuell erlittener Verluste und zielen damit nicht auf einen Schadensausgleich, sondern beruhen auf völlig anderen Überlegungen.
II. Funktionspluralität des Haftungsrechts 1. Ausgangsüberlegungen Der Ausgleichszweck bzw. die Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes bildet gleichsam die Mikroperspektive der wettbewerbsdeliktischen Haftung. Darüber hinaus stellt sich allerdings die Frage, ob die Schadensersatzhaftung im Lauterkeits- und Kartellrecht weitere Zwecke verfolgt. Die Fokussierung auf das Individualverhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem ist zwar unentbehrlich, greift aber in der Sache möglicherweise zu kurz. Sie läuft insbesondere Gefahr, die mehrdimensionale Ausrichtung des lauterkeitsrechtlichen und kartellrechtlichen Schutzes auf der Rechtsfolgenseite auszublenden. Ein individualrechtlich gefärbter Blick auf ein deliktisches Geschehen wird notwendigerweise Schwierigkeiten haben, Interessen und Wertungen angemessen zu berücksichtigen, die außerhalb des konkreten Schädigungsverhältnisses stehen. Das deutsche Rechtsverständnis geht traditionell von einer prägenden Dominanz des Ausgleichsprinzips aus. Stoll führt dies auf die verbreitete Neigung zurück, »Schadensersatz auf ›Heller und Pfenning‹ festzulegen und ihn zu versagen, wo eine exakte Berechnung – wie sie ein rechnerisch verstandenes Kompensationsprinzip nahelegt – nicht möglich ist«93. Das BGB scheint nach seiner Grundausrichtung einer Berücksichtigung überindividueller Interessen und Wertungen durch Schadensersatzhaftung entgegenzustehen. Ausdrücklich heißt es in den Motiven zu § 217 des Entwurfes: »Die Heranziehung moralisierender oder strafrechtlicher Gesichtspunkte … muß bei der Bestimmung der civilrechtlichen Folgen unerlaubten, widerrechtlichen Verhaltens durchaus fern gehalten werden«94.
Aus dem inhaltlichen Kontext folgt jedoch, dass die Motive zum Ausdruck bringen wollten, dass keine Abstufung des Umfangs der Schadensersatzpflicht nach der Art oder nach dem Grad des Verschuldens des Schädigers beabsichtigt war. 93
Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, Tz. 129, S. 148. Motive zum Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd. II, S. 17 f. 94
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Mit dem richterlichen Ausspruch über die Schadensersatzpflicht sollte kein Urteil über die individuelle »Schuld« des Schädigers verbunden sein. Daraus ist jedoch nicht die Schlussfolgerung zu ziehen, der Gesetzgeber habe einer Funktionspluralität der Schadensersatzhaftung prinzipiell ablehnend gegenübergestanden. Im Gegenteil bringen die Motive klar zum Ausdruck, dass die Schadensersatzhaftung in speziellen Haftungsfällen Modifikationen unterworfen sein kann95. Mehreren Funktionen der Schadensersatzhaftung steht das privatrechtliche Strukturprinzip der beiderseitigen Begründung von Rechtsfolgen nicht entgegen. Zwar verlangt dieses Prinzip, dass Rechte und Pflichten von Subjekten im konkreten Verhältnis zueinander rechtlich begründet werden. Eine solche beiderseitige Absicherung von Rechtsfolgen ist unverzichtbar. Jedoch fungiert das Prinzip als eine Leitmaxime, nicht als ein Ausschlussprinzip, das andere Wertungen von vornherein ausschließt. Bydlinski spricht in diesem Zusammenhang von einer »schwachen Fassung« des Prinzips96. Sachlich gleichbedeutend könnte man das Prinzip als eine Art Mindeststandard rechtlicher Legitimation ansehen97, die jedenfalls erfüllt muss, ohne dass jedoch weiter gehende Begründungen und Wertungen innerhalb von Privatrechtsverhältnissen, insbesondere auch die Berücksichtigung von Allgemein- oder Drittinteressen98, ausgeschlossen wären. Anders gewendet: Eine Schadensersatzhaftung wegen einer unerlaubten Handlung muss sowohl aufseiten des Geschädigten als auch aufseiten des Schädigers plausibel begründet sein. Sofern diese Mindestanforderungen erfüllt sind, stehen einer Berücksichtigung sonstiger Wertungen und Funktionen keine Hindernisse entgegen. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsordnung mit der Zuerkennung privatrechtlicher Ansprüche zwischen Privatrechtssubjekten stets gesellschaftsrelevante Wertentscheidungen trifft. Indem die Privatrechtsordnung beispielsweise eine deliktische Schadensersatzhaftung im Falle der Verletzung bestimmter Rechte, Rechtsgüter oder Interessen vorsieht, bringt sie zum Ausdruck, welche Werte in der Gesellschaft als schutzwürdig und schutzbedürftig angesehen werden99. Die Schadensersatzhaftung beinhaltet – neben der Gewährleistung des Individualschutzes100 – zugleich eine allgemeine Aussage über die soziale Wertigkeit geschützter Positionen. Dementsprechend ist es unzureichend, wenn 95
Motive zum Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd. II,
S. 18. 96
Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 95 ff.; ders. AcP 204 (2004), 309, 343. In diesem Sinne auch Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 343: »wenigstens noch ein Minimum an relativer Rechtfertigungsfähigkeit« im Verhältnis der Beteiligten. 98 So ausdrücklich Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 343. 99 »Die Lebensbedeutung des privaten Deliktsrechts ist auch in der Gegenwart eine sehr große. Seine Aufgabe ist im Endziel die gleiche, die dem öffentlichen Strafrecht obliegt, nämlich die Sicherung der allgemeinen Lebensordnung und der durch sie abgegrenzten Interessen«, Heck, Grundriß des Schuldrechts, § 145 I 3, S. 437. 100 Zur rechtsverfolgenden Funktion deliktischer Ansprüche siehe bereits Neuner, AcP 133 (1931), 277, 303 ff. 97
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die rechtliche Perspektive auf das jeweilige Individualverhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem beschränkt wird. Erforderlich ist vielmehr eine ganzheitliche Betrachtung101. Die grundsätzliche Frage nach der Berücksichtigung überindividueller Aspekte ist keineswegs auf rechtswidriges Verhalten im Wettbewerb beschränkt102, sie stellt sich hier aber mit besonderer Dringlichkeit. Dabei ist es unabdingbar, Funktionserweiterungen offen als solche zu benennen, um diese Entwicklungen kritisch und gestaltend zu begleiten103. Überindividuelle Interessen können auf unterschiedliche Weise im Rahmen deliktischer Haftung zu berücksichtigen sein. Gewissermaßen das Haupteinfallstor für die Berücksichtigung solcher Interessen bildet die Anerkennung von weiteren Haftungszielen und hierbei vor allem die Anerkennung des Haftungsziels der Prävention. Sie zielt auf eine Verhaltenssteuerung über den konkreten Schadensfall hinaus und ist entweder als Spezialprävention auf die Verhinderung ähnlicher Schadensfälle im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem oder als Generalprävention auf die Verhinderung derartiger Schadensfälle auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gerichtet. Gerade in jüngerer Zeit wird wieder verstärkt darüber nachgedacht, ob die Schadensersatzhaftung neben dem individuellen Schadensausgleich weiteren Zwecken dienen darf. Neben einer Prävention durch Schadensersatz wird auch über eine strafende Funktion des Schadensersatzes – häufig unter dem Schlagwort des »Strafschadensersatzes« – diskutiert104. Darin erschöpft sich die Problematik jedoch nicht. Es kann auch darüber nachzudenken sein, ob das Recht beispielsweise Anreize zur privaten Rechtsverfolgung setzen darf. Solche Überlegungen geraten allerdings leicht zwischen die Fronten bisweilen schon ideologisch anmutender Grabenkämpfe. Schon der Gedanke an Zwecke jenseits eines »reinen« Ausgleichs wird mitunter als Rückfall in finstere Zeiten 101 Brüggemeier, Haftungsrecht, § 1, 1, S. 9; dazu auch ders., AcP 182 (1982), 385, 446 ff.; ähnlich Kübler, in: Festschrift für Raiser, S. 697, 721 und Mertens, ZHR 139 (1975), 438, 451; eingehend Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, Tz. 85 ff., S. 100 ff. 102 Kübler, in: Festschrift für Raiser, S. 697, 721; Mertens, AcP 178 (1978), 227, 242 ff.; Steindorff, in: Festschrift für Raiser, S. 621 ff. 103 »Es kann … nicht die Aufgabe des Zivilrechtlers sein, die öffentliche Dimension des Privatrechts zugunsten von Kartell-, Gewerbe-, Versicherungs- und vielleicht demnächst Verbraucherund Anlegerschutzaufsicht abzubauen. Vielmehr haben wir allen Anlaß, uns diese Dimension auch im Deliktsrecht bewußt zu machen und die richterlichen Möglichkeiten zu ihrer Durchsetzung zu erweitern«, Mertens, AcP 178 (1978), 227, 261; ferner Steindorff, in: Festschrift für Raiser, S. 621, 622. 104 Aus der umfangreichen Literatur siehe etwa das Gutachten für den 66. Deutschen Juristentag von Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht – Kommerzialisierung, Strafschadensersatz, Kollektivschaden, 2006 (dazu Medicus, JZ 2006, 805 ff.); Schäfer, AcP 202 (2002), 397 ff.; ferner Körner, NJW 2000, 241 ff. und Rosengarten, NJW 1996, 1935 ff. Speziell mit dem Strafgedanken im Privatrecht befassen sich die Habilitationsschrift von Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, 2004 und die Arbeit von Müller, Punitive Damages und deutsches Schadensersatzrecht, 2000. Zur Prävention im Privatrecht: Schlobach, Das Präventionsprinzip im Recht des Schadensersatzes, 2004; Wagner, AcP 206 (2006), 352 ff; mit Blick auf den Schadensersatz im Immaterialgüterrecht und Lauterkeitsrecht Dreier, Kompensation und Prävention, S. 413 ff.; für das Schuldrecht und Wettbewerbsrecht Koch, JZ 1999, 922 ff.
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empfunden. Beispielhaft anzuführen ist etwa die besonders scharfe und kompromisslose Ablehnung solcher Überlegungen durch Honsell: »Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts galt die Überwindung des Strafgedankens im Zivilrecht als kultureller Fortschritt. Es war communis opinio, dass pönale Erwägungen im Privatrecht keinen Platz haben, weil sie ungerecht sind und in einem Recht unter Gleichen systemfremd, weil sie die Funktionsteilung zum Strafrecht nicht beachten und vor allem zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Geschädigten führen. Die Renaissance von Strafe oder Prävention im Privatrecht ist kein Zeichen von Rechtskultur, denn sie hat etwas Willkürliches, ja Irrationales, verletzt die Privatautonomie, insbesondere den Ausgleichsgedanken und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der ein elementares Prinzip unserer Rechtsordnung ist«105.
Jenseits einer solchen Pauschalkritik verlangt die Problematik indessen eine unaufgeregte und differenzierte Betrachtung106. Den Ausgangspunkt bildet dabei die Überlegung, dass Schadensersatzhaftung nicht nur eine schadensbedingte Umverteilung von Nachteilen bewirkt, sondern – in gewissen Maßen und in bestimmten Fällen – Steuerungswirkung entfalten kann, indem der Rechtsadressat sein Verhalten daran ausrichtet, eine Haftung zu vermeiden oder Verletzte dazu motiviert werden, gegen Rechtsverletzungen konsequent vorzugehen. Angesichts der ungeheuren Vielfalt außervertraglicher Haftungsereignisse wäre es überraschend, wenn sich das Deliktsrecht auf eine einzige – gleichsam universelle – Funktion reduzieren ließe. Der individuelle Schadensausgleich zwischen Schädiger und Geschädigtem bildet zwar die unverzichtbare Basis der privatrechtlichen Schadensersatzhaftung, doch folgt daraus nicht zwingend, dass weitere Funktionen per se ausgeschlossen wären. Vielmehr liegt es umgekehrt sogar nahe, dass in den vielfältigen Haftungsfällen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen unterschiedliche Funktionen der Schadensersatzhaftung betont werden. Verbreitet wird der Ausgleichsgedanke zum zentralen Ziel der Schadensersatzhaftung erhoben; weitere Funktionen daneben werden als begründungsbedürftig angesehen. Indessen ist diese Begründungslast keineswegs selbstverständlich. Wenn Schadensersatzhaftung bestimmte Wirkungen erzielen kann107, dann sollte umgekehrt danach gefragt werden, ob es triftige Gründe gibt, die dagegen sprechen, dass die Rechtsordnung diese Wirkungen nicht als eigenständige Ziele verfolgen darf. Eine solche Betrachtungsweise zwingt erstens zu einer stärkeren Folgenorientierung und zweitens zu einer differenzierten Beurteilung der Funktion der Schadensersatzhaftung im konkreten Haftungsfall. Denn man muss fragen, welche Wirkungen erzeugt werden können und ob die Rechtsordnung sich diese Wirkungen gezielt zunutze machen kann. 105 Honsell, ZIP 2008, 621, 626; ähnlich Coing/Honsell, in: Staudinger, Einleitung zum BGB, Rn. 113; eingehend zum Strafgedanken im Zivilrecht Honsell, in: Festschrift für H.P. Westermann, S. 315, 316 ff. m.w.Nachw. 106 Diederichsen, AcP 181 (1981), 101, 112: Es sei an der Zeit, über Prävention und Erzwingung sozialgerechten Verhaltens durch Schadensersatz »generell und unvoreingenommen nachzudenken«. 107 Aufschlussreich dazu etwa der Bericht von Kötz/Schäfer, AcP 189 (1989), 501, 505 ff.
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Es ist keineswegs selbstverständlich, dass eine drohende Schadensersatzhaftung den Rechtsadressaten stets von dem rechtlich missbilligten Verhalten abhält. Vielmehr wird eine abschreckende Wirkung und damit Prävention nur erreicht, wenn die Entscheidung für oder gegen einen Rechtsverstoß unter präventionsbegünstigenden Faktoren fällt108. Aufgrund der Vielzahl von Handlungsmotiven ist es nicht zweckmäßig, die Frage nach den Funktionen außervertraglicher Schadensersatzhaftung ganz allgemein zu stellen. Ob Schadensersatz präventiv wirken kann und – als selbstständig anzustrebendes Ziel der Rechtsordnung – präventiv wirken soll, kann angesichts der unüberschaubaren Vielzahl möglicher Haftungsfälle unterschiedlich zu beurteilen sein. Man kann in der Betonung der verschiedenen Funktionen der Schadensersatzhaftung unterschiedliche deliktsrechtliche Konzeptionen erblicken109. Möglicherweise ist eine Offenheit der deliktischen Schadensersatzhaftung für mehrere Funktionen aber auch nur ein Ausdruck ihrer besonderen Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Zustimmung verdient jedenfalls die Feststellung, dem geltenden Recht wäre kein gutes Zeugnis auszustellen, »wenn nicht eine Versöhnung der unterschiedlichen Ansätze, eine befriedende Synthese aus den so unterschiedlichen Ansätzen möglich wäre«110. 2. Prävention a) Problematik Präventive111 Maßnahmen sind darauf ausgerichtet, rechtlich missbilligte Verhaltensweisen oder Erfolge nach Möglichkeit zu verhindern. Dies geschieht zumeist durch Maßnahmen, die auf eine Abschreckung zielen. Die Motivation zu einer Verhaltensänderung folgt aus den drohenden Nachteilen für den Rechtsadressaten112. Abschreckung funktioniert aber nur, wenn die zu erwartenden Nachteile die zu erwartenden Vorteile überwiegen. Prävention basiert also auf einer Prognoseentscheidung über die Folgen des eigenen Verhaltens und einer darauf beruhenden Abwägung von mehreren in Betracht kommenden Verhaltensalternativen. Aufgrund dieser Ausgangslage ist es wenig verwunderlich, wenn der Gedanke der Prävention vor allem durch die ökonomische Analyse des Rechts aufgegriffen wird, die sich mit Folgenerwägungen und ökonomischen Aspekten von Entscheidungen intensiv befasst113.
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Dazu sogleich unter 2. b), S. 141 ff. K. Schmidt, in: Festschrift für Canaris, Bd. I, S. 1175, 1177 ff. 110 K. Schmidt, in: Festschrift für Canaris, Bd. I, S. 1175, 1179. 111 Vom lateinischen praevenire = zuvorkommen, verhüten. 112 Näher zum individuellen und überindividuellen Präventionsbedürfnis Dreier, Kompensation und Prävention, S. 413 ff. 113 Lehmann, Bürgerliches Recht und Handelsrecht – eine juristische und ökonomische Analyse, S. 133 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 125 ff.; Wagner, AcP 206 (2006), 352, 424 ff. 109
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Prävention kann auf unterschiedliche Weise erzielt werden. Allgemein anerkannt ist, dass vor allem Unterlassungsansprüche das Ziel der Prävention verfolgen. Durch einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch114 kann dabei bereits der erstmaligen Begehung einer Rechtsverletzung entgegengetreten werden, während der Verletzungsunterlassungsanspruch115 darauf ausgerichtet ist, die Wiederholung einer bereits begangenen Rechtsverletzung zu verhindern. Die Abschreckungswirkung dieser Ansprüche kann bereits erheblich sein. Denn unter Umständen ist ein Rechtsverletzer aufgrund eines erfolgreich gegen ihn geltend gemachten Unterlassungsanspruchs dazu gezwungen, seine geschäftliche Tätigkeit neu auszurichten116. Gleichwohl können gravierende »Präventionslücken« verbleiben. Denn Unterlassungsansprüche sind zukunftsgerichtet. Selbst wenn ein geschäftliches Verhalten durch einen Unterlassungsanspruch für die Zukunft untersagt wird, bleibt der Rechtsverstoß möglicherweise wirtschaftlich attraktiv. Denn es ist nicht sicher, ob überhaupt jemand einen Unterlassungsanspruch geltend macht. Außerdem ist die Geltendmachung eines vorbeugenden Unterlassungsanspruchs praktisch oft schwierig, weil der Anspruchsberechtigte die Erstbegehungsgefahr darlegen und beweisen muss117. Häufig kommt daher erst ein Verletzungsunterlassungsanspruch in Betracht. Vorteile, die bis zur Geltendmachung dieses Verletzungsunterlassungsanspruchs erwirtschaftet werden, können aber die Kosten einer außergerichtlichen oder gerichtlichen Rechtsdurchsetzung übersteigen. Trotz eines Verbots bleibt der Rechtsverstoß dann für den Verletzer profitabel. Diese Überlegungen zeigen, dass eine echte Abschreckung nicht allein durch Unterlassungsansprüche erzielt werden kann, sondern zusätzliche Maßnahmen erforderlich macht. Beseitigungsansprüche118 helfen dabei nur bedingt weiter, weil sie nicht das Ziel der Prävention verfolgen, sondern auf eine Beseitigung fortdauernder Störzustände gerichtet sind, die von der Zuwiderhandlung ausgehen119. Es wäre auch nicht überzeugend, eine über Unterlassungsansprüche hinausgehende Prävention ausschließlich als eine hoheitliche Aufgabe zu begreifen. Geldstrafen oder Geldbußen können zwar der Prävention dienen. Solche hoheitlichen Sanktionen setzen aber eine behördliche »Logistik« voraus und unterliegen prinzipiell anderen Funktions- und Wirkungsmechanismen als privatrechtliche Sanktionen120. Eine leistungsfähigste Alternative bildet demgegenüber die deliktische Schadensersatzhaftung. Überlegungen, wonach die deliktische Schadensersatzhaftung präventiv ausgerichtet sein kann, haben ungeachtet grundsätzlicher Beden114
§ 8 Abs. 1 S. 2 UWG und § 33 Abs. 1 S. 2 GWB. § 8 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. UWG und § 33 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. GWB. 116 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 30 Rn. 14. 117 Siehe nur Bornkamm, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 8 Rn. 1.17. 118 § 8 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. UWG und § 33 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. GWB. 119 Beispielhaft ist zu denken an das Entfernen von irreführenden Werbeplakaten, den Widerruf unwahrer Tatsachenbehauptungen und ähnliches; eingehend dazu Walchner, Der Beseitigungsanspruch im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, S. 203 ff. 120 Unten § 5. A. II. 1., S. 299 ff. 115
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ken121 weite Verbreitung gefunden. Die ganz überwiegende Meinung tendiert heute dazu, die Prävention als eigenständiges Ziel deliktischer Haftung dem Grunde nach anzuerkennen122. Allerdings besteht über den konkreten Stellenwert des Präventionsgedankens Uneinigkeit. Prävention wird zum Teil als ein erwünschtes Nebenprodukt der Schadensersatzpflicht angesehen123, zum Teil auch als unselbstständige124 oder nachgeordnete125 Funktion. Die Rechtsprechung zieht den Gedanken der Prävention in neuerer Zeit ausdrücklich als eigenständiges Wertungskriterium in verschiedenen Konstellationen heran126 und bedient sich des Präventionsgedankens mit bemerkenswerter Offenheit. Die Gerichte haben damit »Fenster und Türen der Schadensersatzweiterentwicklung … zumindest schon einen spaltbreit geöffnet; es kann daher bereits jetzt und heute frische Luft in die reichlich verstaubten Räume der Schadensersatz-Kompensationsdogmatik eindringen«127. b) Präventionsbegünstigende Faktoren Es ist unabdingbar, die Frage nach Prävention durch Schadensersatz differenzierend zu beantworten128. Denn menschliches Verhalten ist komplex und wird durch eine ungeheure Vielzahl von inneren und äußeren Faktoren beeinflusst. Ob Prävention durch Schadensersatz ein sinnvolles Ziel darstellen kann, hängt davon ab, ob der Rechtsadressat durch ökonomische Anreize »ansprechbar« ist. Es ist keineswegs gesagt, dass Kostenanreize durch eine Schadensersatzhaftung 121 Zur Kritik siehe bereits die Nachweise in Fn. 105. Angesichts dieser Kritik dürfte die Feststellung von Medicus, JZ 2006, 805, 809, die Prävention als Ziel des Zivilrechts sei wohl unbestritten, nicht ganz zutreffen. 122 Siehe nur Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 18; ders. JZ 1971, 244, 246; Hager, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 823 ff Rn. 10; Kötz, in: Festschrift für Steindorff, S. 643, 646 ff.; Kötz/Schäfer, AcP 189 (1989), 501, 502 ff.; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 59 ff.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, Einl. III. 2. b), S. 11 f.; Lehmann, in: Festschrift für Canaris, S. 729, 735; ders., Bürgerliches Recht und Handelsrecht – Eine juristische und ökonomische Analyse, S. 133 ff.; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 0.7; Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, Vorbem § 823 Rn. 40 f. Zweifelnd Reich, WuW 2008, 1046, 1048 f. 123 Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, § 27 I, S. 423; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, § 75 I 2 i), S. 354 gestehen dem Gedanken der Prävention »eine wesentliche und legitime Rolle im Recht der unerlaubten Handlungen« zu, sehen diesen aber mit »weit geringerem Gewicht« gegenüber der Ausgleichsfunktion. 124 Canaris, in: Festschrift für Deutsch, S. 85, 105. 125 Deutsch, JZ 1971, 244, 146. 126 Insbesondere BGH vom 2.11.2000, BGHZ 145, 366, 372 – Gemeinkostenanteil (zur Abschöpfung des Verletzergewinns) und BGH vom 15.11.1994, BGHZ 128, 1, 16 – Caroline von Monaco (zur Berücksichtigung von Verletzergewinnen bei der Bemessung der Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Medien). 127 Lehmann, GRUR Int. 2004, 762, 765. 128 Linder, Privatklage und Schadensersatz im Kartellrecht, S. 46. Nicht zu Unrecht warnen Esser/Weyers, Schuldrecht, Besonderer Teil, Bd. II, § 53, 4, S. 527 f. vor einem festen, undifferenzierten Glauben an eine allgemeine selbstständige präventive Wirkung des Deliktsrechts. Weyers, Unfallschäden, S. 452 konstatiert in der Diskussion über Prävention eine »bemerkenswerte Undifferenziertheit«.
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dazu führen, dass sich die Rechtsadressaten im gewünschten Sinne verhalten werden129. Prävention durch Schadensersatz kommt nur dann als eigenständiger Haftungszweck in Betracht, wenn präventionsbegünstigende Bedingungen bestehen130. Dass in vielen Schadensfällen Prävention nicht erreicht werden kann und deswegen als Haftungsziel nicht in Betracht kommt, bedeutet nicht, dass Prävention damit als Zwecksetzung von vornherein für alle Konstellationen abzulehnen wäre. aa) Kostenerwägungen als entscheidungserhebliches Motiv Grundlegende Voraussetzung einer Prävention durch deliktische Schadensersatzansprüche ist die »pekuniäre Motivierbarkeit« des Haftenden. Prävention ist sinnvoll, wenn Rechtsadressaten kostenorientierte Entscheidungen treffen. Das Ziel einer Abschreckung durch Schadensersatzhaftung wird erreicht, wenn die durch Schadensersatzansprüche entstehenden Kosten als kalkulatorische Größe berücksichtigt werden. Die Schadensersatzhaftung muss danach so ausgerichtet sein, dass für ein ökonomisch denkendes Wirtschaftssubjekt jeglicher Anreiz entfällt, einen rechtsverletzenden Eingriff in Erwägung zu ziehen131. Im Einzelnen spielen freilich mehrere Gesichtspunkte zusammen132. So ist von Bedeutung, ob der Verletzer infolge seiner Verletzungshandlung Gewinn erzielt und ob ein etwaiger als Schadensersatz zu leistender Betrag diesen Gewinn übersteigt. Wenn dies nicht der Fall ist, also trotz Schadensersatz ein (wenn auch geminderter) Gewinn übrig bleibt, dann »lohnt« sich die Rechtsverletzung. Die Prävention geht ins Leere. Weiterhin spielen die Gewinnchancen bei den jeweils zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen eine Rolle: Einfachstenfalls muss also gefragt werden, welcher Gewinn bei einem rechtsverletzenden Verhalten und welcher Gewinn bei einem rechtskonformen Verhalten zu erzielen ist. Des Weiteren kann von Bedeutung sein, wie wahrscheinlich die Entdeckung der Verletzung, die Erkennbarkeit des Verletzers und die Durchsetzung eines Schadensersatzanspruches sind. Ein Verletzer wird selbst hohe Schadensersatzbeträge eher in Kauf nehmen, wenn er das Risiko entdeckt zu werden als sehr gering einschätzt. Ferner ist zu berücksichtigen, ob es sich um einmalige oder mehrere Rechtsverstöße handelt. Die Gewinne von massenhaften Rechtsverstößen können die Kosten einer Schadensabwicklung im Einzelfall übersteigen, sodass es trotz drohenden Schadensersatzes lohnenswert erscheinen kann, einen Verstoß zu riskieren.
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Zu diesem Einwand auch Kötz/Schäfer, AcP 189 (1989), 501, 503 ff. Allgemeiner Überblick hierzu bei Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 75 ff.; speziell mit Blick auf das Kartellrecht Linder, Privatklage und Schadensersatz im Kartellrecht, S. 46 ff. 131 Lehmann, Bürgerliches Recht und Handelsrecht – Eine juristische und ökonomische Analyse, S. 148. 132 Dreier, Kompensation und Prävention, S. 132 ff.; Linder, Privatklage und Schadensersatz im Kartellrecht, S. 47 ff.; Weyers, Unfallschäden, S. 458 ff. 130
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bb) Planbarkeit künftiger Handlungen Prävention setzt weiterhin voraus, dass die eigene Handlung und deren Folgen einigermaßen absehbar und planbar sein sind133. Kostenerwägungen verlangen eine Prognose über die rechtlichen und tatsächlichen Folgen von Handlungsalternativen. Prognoseentscheidungen werden begünstigt, je genauer sich Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung benennen lassen. Es kann dabei schon genügen, dass zumindest annähernde Aussagen über rechtliche und wirtschaftliche Risiken von Handlungen möglich sind. Vielfach lässt sich zwar im Wettbewerbsgeschehen nicht genau vorhersagen, ob eine bestimmte Vorgehensweise wirtschaftlichen Erfolg verspricht. Wohl aber lassen sich durch eine Analyse der Marktbedingungen und der rechtlichen Rahmenbedingungen Chancen und Risiken etwa von neuen Marketinginstrumenten, Änderungen von Vertriebsstrategien oder Preispolitik usw. bestimmen. Dem Entscheider muss zudem eine Abwägung zwischen Handlungsalternativen und Handlungsfolgen möglich sein. Er muss also Zeit haben, um Informationen zu beschaffen und Handlungsalternativen und Folgen zu gewichten. Prävention wird deswegen eher bei mittel- und langfristigen Entscheidungen Erfolg versprechen, weil dann bessere Rahmenbedingungen für den Abwägungsprozess bestehen. cc) Kollektive Entscheidungsträger Kollektive Entscheidungsstrukturen wirken typischerweise als Filter gegen höchstpersönliche und irrationale Motive. Sie begünstigen Entscheidungen nach Kostengesichtspunkten. Eine einzelne Person kann durch ganz unterschiedliche äußere Faktoren in ihrer Entscheidung beeinflusst werden. Demgegenüber treten persönliche Motive Einzelner und die Zweckrationalität beeinflussende Störfaktoren in ihrem Einfluss zurück, wenn Entscheidungen in einem organisierten System fallen134. Eine »Entindividualisierung« von Entscheidungsprozessen drängt die Bedeutung von individuellen und damit von Mensch zu Mensch sehr verschiedenen subjektiven Motiven oder Absichten zurück. Werden Entscheidungen kollektiv getroffen oder von einem Gremium kontrolliert, dann müssen unterschiedliche Personen davon überzeugt werden, dass eine bestimmte Handlung in der konkreten Situation angemessen und richtig ist. Schwarz auf weiß vorliegenden Zahlen wird schon wegen ihrer (tatsächlichen oder scheinbaren) Objektivität eine überragende Überzeugungskraft zukommen. Während sich ein Einzelunternehmer, vielleicht aufgrund emotionaler Aufgewühltheit, spontan zu einer irrationalen Handlung aus Rache hinreißen lässt, dürfte es im Allgemeinen viel schwieriger sein, ein kollektives Entscheidungsgremium davon zu überzeugen, dass eine solche Reaktion angemessen und vernünftig ist. Freilich werden Kollektiventscheidungen keineswegs nur nach zweckrationalen Gesichtspunk133 134
Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 76; Weyers, Unfallschäden, S. 466 ff. Weyers, Unfallschäden, S. 467.
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ten getroffen, sondern können ihrerseits verschiedenartigen sonstigen (etwa gruppendynamischen) Einflüssen unterliegen. dd) Wirtschaftliche »Spürbarkeit« und Schadenstragungssysteme Für die Prävention durch Schadensersatz sind weiterhin die Bedingungen der Schadensabwicklung von zentraler Bedeutung. Hier gilt es zu berücksichtigen, ob sich Schäden direkt beim Verletzer niederschlagen oder durch Schadenstragungssysteme, insbesondere Versicherungen, aufgefangen werden135. Da der Schädiger im ersten Fall den wirtschaftlichen Nachteil ohne Abwälzungsmöglichkeit in vollem Umfang selbst tragen muss, bestehen bessere Chancen zur Prävention als im zweiten Fall. Wenn Versicherungen – wie etwa die Haftpflichtversicherungen in den Schadensfällen des täglichen Lebens – in einem Schadensfall die Schadensabwicklung übernehmen, dann ist der von einer Schadensersatzverpflichtung ausgehende wirtschaftliche Nachteil für den Schädiger häufig kaum noch spürbar. Prävention wird in diesen Fällen allenfalls noch durch indirekte Mechanismen erzielt, etwa durch Bonus/Malus-Regelungen, wie sie insbesondere bei der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung zu finden sind. ee) Durchsetzbarkeit und Haftungserwartung Nochmals einen eigenständigen Faktor bildet die Haftungserwartung136. Das Ziel der Prävention durch Schadensersatzansprüche lässt sich nur verwirklichen, wenn diese Ansprüche tatsächlich durchgesetzt werden können, der Handelnde also tatsächlich das Risiko einer Schadensersatzhaftung erwarten muss. Je unwahrscheinlicher eine Sanktionsanwendung ist, desto weniger Abschreckungspotenzial geht von einem entsprechenden Sanktionsinstrument aus. Die Anerkennung von Prävention als Ziel wettbewerbsdeliktischer Haftung verlangt ein funktionierendes System der Rechtsdurchsetzung. Ist die Verfolgung von Rechtsverletzungen dagegen schwierig, aufwendig und deswegen kaum zu erwarten, steht dies dem Ziel der Prävention eher entgegen. c) Folgerungen Die soeben aufgeführten Kriterien zeigen, dass die rechtlichen und tatsächlichen Ausgangsbedingungen für Prävention durch Schadensersatz im Wettbewerbsgeschehen sehr günstig sind137. Selbst wenn man berücksichtigt, dass es unterschiedliche »Tätertypen«138 gibt, kann man doch mit großer Wahrscheinlichkeit 135
Vgl. Steindorff, ZHR 138 (1974), 504, 527. Weyers, Unfallschäden, S. 464 ff. 137 Anders aber Reich, WuW 2008, 1046, 1048 f., der den Präventionszweck der kartellrechtlichen Schadensersatzhaftung grundsätzlich in Frage stellt. 138 Borck, Die anwaltliche Praxis in Wettbewerbssachen, Rn. 38 unterscheidet im Wesentlichen vier »Typen« von Tätern, die unlautere Handlungen begehen: »Wirtschaftsverbrecher« (die ganz bewusst und aus Eigennutz einen Rechtsverstoß begehen), »Überzeugungstäter« (die subjektiv davon überzeugt sind, richtig gehandelt zu haben), »Unfäller« (denen gleichsam versehentlich eine 136
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davon ausgehen, dass Unternehmensentscheidungen zu den am besten durch Prävention steuerbaren Verhaltensweisen gehören. Unternehmen sind im geschäftlichen Verkehr letztlich immer zu einer strengen Orientierung an Kosten gezwungen. Kein Unternehmen kann dauerhaft am Markt existieren, wenn es ökonomische Erwägungen außer Acht lässt und mittel- und langfristig keinen Gewinn erwirtschaftet. Unternehmensverhalten im Wettbewerb ist typischerweise gut planbar. Dies kommt schon zum Ausdruck, wenn etwa von Absatzstrategien, Marketing- oder Preispolitik usw. die Rede ist, also von Plänen für ein künftiges Verhalten im Wettbewerb. Nicht die plötzliche und unvorhersehbare Entscheidungssituation bildet die Regel im Wettbewerb, sondern die auf planender Überlegung beruhende Entscheidung des Unternehmers. Des Weiteren fallen Entscheidungen in Unternehmen zumeist innerhalb kollektiver Entscheidungsstrukturen. Denn in der Praxis dominiert nicht der Einzelkaufmann, sondern das Unternehmen als organisatorische Einheit. Mit zunehmender Größe von Unternehmen werden dabei Entscheidungen abgestuft, dezentral und kollektiv getroffen und zumeist auch durch Kontrollgremien nochmals überprüft. Darüber hinaus müssen Schadensersatzkosten aufgrund unlauterer oder kartellrechtswidriger Verhaltensweisen von den Unternehmen selbst getragen werden und können zumeist nicht über Schadenstragungssysteme aufgefangen werden. Schließlich begünstigt ein gut ausgebautes Rechtsschutzsystem die Durchsetzung von Schadensersatzklagen. 3. Strafe Die Diskussion über Prävention als Haftungszweck steht häufig im Zusammenhang mit der Frage nach pönalen Elementen der Schadensersatzhaftung. Rechtsvergleichend dienen punitive damages oder exemplary damages vielfach als abschreckendes Beispiel für eine Strafe durch zivilrechtliche Haftung139. Der Gedanke, Schadensersatz könne eine Bestrafung des Schädigers bezwecken, trifft im deutschen Recht zumeist auf scharfe Ablehnung: »Die ganze rechtskulturelle Ausdifferenzierung von Strafe und Schadensersatz wird ohne rationale Rechtfertigung durch einen Rückfall in archaische Rechtsepochen rückgängig gemacht; und dies zugleich unter Preisgabe aller wohlbegründeten rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen an die Straftatbestände und die Strafandrohungen. Mit dem schon in sich widersprüchlichen Begriff des ›Strafschadens‹ entzieht man sich eben zugleich allen sachgerechten Beschränkungen des Schadensersatz- wie des Strafrechtes in Richtung auf freieste Beliebigkeit«140. 139 Unaufmerksamkeit unterlaufen ist) und »Mäzene« (die sich um die Rechtsfortbildung verdient machen wollen). 139 Siehe etwa Honsell, in: Festschrift für H.P. Westermann, S. 315, 324 ff. Zu punitive damages bereits oben § 2. C. III. 1. b) aa), S. 102; zu weiteren Erscheinungsformen von »Strafschadensersatz« aus rechtsvergleichender Sicht von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. I, § 6 Rn. 608 ff.; Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, Tz. 48, S. 63. 140 Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 345; eingehend Honsell, in: Festschrift für H.P. Westermann, S. 315, 316 ff.
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a) Dogma der funktionellen Trennung von Strafrecht und Privatrecht Die Zurückhaltung gegenüber strafenden Elementen mit den Mitteln des Privatrechts hat deutlichen Ausdruck in einer (bereits oben vorgestellten141) Entscheidung des BGH zu punitive damages gefunden. Das Gericht hatte dabei über die Vollstreckbarkeitserklärung eines US-amerikanischen Urteils, das einem Geschädigten punitive damages zugesprochen hatte, zu entscheiden. Der BGH hält in dieser Entscheidung punitive damages für unvereinbar mit grundlegenden Prinzipien des deutschen Privat- und Verfassungsrechts: »Sanktionen, die der Bestrafung und Abschreckung – also dem Schutz der Rechtsordnung im allgemeinen – dienen, [fallen] nach deutscher Auffassung grundsätzlich unter das Strafmonopol des Staates. Er übt es im öffentlichen Interesse in einer besonderen Verfahrensart aus, in dem einerseits die Amtsermittlung eine höhere Gewähr für die Richtigkeit der Sachentscheidung bieten soll und andererseits die Rechte des Beschuldigten stärker geschützt sind. Aus hiesiger Sicht erscheint es unerträglich, in einem Zivilurteil eine erhebliche Geldzahlung aufzuerlegen, die nicht dem Schadensausgleich dient, sondern wesentlich nach dem Interesse der Allgemeinheit bemessen wird und möglicherweise neben eine Kriminalstrafe für dasselbe Vergehen treten kann«142.
Die bemerkenswerte Vehemenz, mit der die Richter jeglicher Tendenz in Richtung einer pönalen Funktion des Schadensersatzes entgegentreten, wirft die Frage nach den zugrunde liegenden Motiven auf. Es wirkt geradezu verdächtig, mit welchem Begründungsaufwand schon jeder Anschein von »Strafe« durch das Privatrecht vermieden werden soll. Der Anerkennung einer Straffunktion des Schadensersatzes wird vielfach entgegengehalten, dies führe zu einem Wiederaufleben der »Privatstrafe«, stelle die Trennung von Zivilrecht und Strafrecht143 infrage und damit drohe ein Rückfall in eine »prähistorische« Zeit144. Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang das Bild Hecks von den Privatdelikten als Sauriern der Rechtsgeschichte145. Indessen ist mit solchen Vergleichen oder dem Hinweis auf die rechtskulturelle Errungenschaft der Trennung zwischen Privatrecht und Strafrecht146 dem Problem nicht beizukommen. Modernes Strafrecht und Privatrecht sehen zwar unterschiedliche Folgen als Reaktion auf einen Rechtsverstoß vor, doch bedeutet dies nicht, dass Strafrecht und Privatrecht deswegen funktionell streng voneinan141
§ 2. C. III. 1. b) aa), S. 102. BGH vom 4.6.1999, BGHZ 118, 312, 344. 143 Zur historischen Entwicklung dieser Trennung Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 14 ff. 144 Honsell, in: Festschrift für H.P. Westermann, S. 315, 316 ff.; die Einwände zusammenfassend Dreier, Kompensation und Prävention, S. 515 ff. 145 Heck, Grundriß des Schuldrechts, § 145 I 2, S. 437. Freilich sollte man den Vergleich Hecks bis zum Ende lesen, denn er stellt zugleich fest, »der Vergleich würde hinken. Denn die Bedeutung der Privatdelikte für unser heutiges Rechtsleben ist noch immer eine weit höhere als sie den Nachkommen der Saurier in der heutigen Lebewelt zukommt«. 146 Honsell, ZIP 2008, 621, 626; ders., in: Festschrift für H.P. Westermann, S. 315, 317; Coing/ Honsell, in: Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, Einleitung, S. 23. 142
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der getrennt werden müssten. Die Rechtswirklichkeit zeigt im Gegenteil, dass Strafrecht und Privatrecht keineswegs trennscharf nebeneinander bestehen, sondern mannigfaltige Schnittbereiche aufweisen147. Solche Überschneidungen bilden keineswegs einen Fremdkörper im Rechtssystem, sondern sind schlicht Ausdruck von Funktionsüberlappungen. Koziol148 verweist auf das von Bydlinski herausgearbeitete privatrechtliche Strukturprinzip der beiderseitigen Rechtfertigung der Rechtsfolgen149. Nach diesem Strukturprinzip ist nicht nur zu begründen, warum einem Normadressaten eine günstige, einem anderen aber nachteilige Rechtsfolge angeordnet werde, sondern auch, warum dies gerade im Verhältnis dieser beiden zueinander erfolge; warum ein bestimmtes Subjekt also gerade gegenüber einem bestimmten anderen Subjekt Rechte bzw. Pflichten, Chancen oder Risiken erhalten solle. Hieraus schließt Koziol für eine »Strafe« durch das Privatrecht: »Mögen auch noch so starke Argumente für eine Sanktion gegen den Täter sprechen, so kann dies dennoch in keiner Weise rechtfertigen, einem anderen privaten Rechtssubjekt einen Vorteil zuzusprechen, obwohl weder ein Schaden noch eine ungerechtfertigte Bereicherung auszugleichen ist. Dieselben Argumente sprechen aber auch dagegen, aus Präventionsgründen derartige Ansprüche anzuerkennen«150.
Richtig ist, dass in der Person des Anspruchsinhabers ein individueller Anknüpfungspunkt für eine Schadensersatzhaftung bestehen muss. Löst man sich allerdings aus der verengten Fokussierung der deliktischen Schadensersatzhaftung auf Individualinteressen und anerkennt als Aufgabe des Privatrechts (auch) den Schutz überindividueller Interessen151, dann kann dies nicht ohne deliktsrechtliche Konsequenzen bleiben. Wenn dem Einzelnen im Wettbewerb privatrechtliche Ansprüche nicht nur zum Schutz eigener Interessen zustehen, sondern einem Geschädigten gestattet ist, zugleich in einem überindividuellen Interesse tätig zu werden, dann fehlt es nicht mehr an der spezifischen Legitimation des Berechtigten gegenüber dem Schädiger. Es geht gerade nicht um eine einseitige »unerklärbare« Belastung des Geschädigten, sondern um den Schutz von Interessen, die durch das Handeln des Schädigers beeinträchtigt wurden. Die Legitimation folgt also aus der privatrechtlichen »Instrumentalisierung« des Geschädigten und der ihm zustehenden Ansprüche. Die vielfach beschworene Furcht vor dem Wiederaufleben archaischer Selbstjustizmechanismen durch »Privatstrafe« wirkt insgesamt übertrieben. Treffend spricht Gotthardt von »ideologischer, letztlich argumentloser Ablehnung«152. Bedenklich ist vor allem, dass die Ablehnung von pönalen Elementen private In147 148 149
Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, Tz. 47, S. 60. Koziol, in: Festschrift für Canaris, S. 631 ff. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 92 ff.; ders., AcP 204, (2004), 309,
341 ff. 150 151 152
Koziol, in: Festschrift für Canaris, S. 631, 660. Oben § 2. A. II., S. 52 ff. Gotthardt, UFITA 71 (1974), 77, 88.
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§ 3. Grundstrukturen und Grundprobleme
itiative vorschnell unter einen unberechtigten Generalverdacht des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens stellt und eine problemorientierte Sachdiskussion erschwert. Niemand wird heute ernsthaft die Errungenschaften eines modernen Straf- und Strafverfahrensrechts bestreiten und diese gegen eine unkontrollierte »Privatrache« urtümlicher Art eintauschen wollen. Allerdings müssen umgekehrt Zweifel erlaubt sein, ob es wirklich richtig ist, wenn das Privatrecht mit aller Macht von Elementen eigenverantwortlicher Selbstkontrolle freigehalten werden soll, sobald der rechtliche Schutz über das einzelne Rechtssubjekt hinausgreifen kann. Stattdessen ertönt der Ruf nach dem Staat und nach strafrechtlichen Mitteln. Hierin liegt durchaus kein rechtskultureller Fortschritt, sondern in Wahrheit eine Verarmung und Geringschätzung des insoweit leistungsfähigen Privatrechts153. Gegen eine einseitig verstandene Funktionstrennung zwischen Zivil- und Strafrecht sind deswegen durchgreifende Bedenken zu erheben. Weil Strafrecht die härtesten aller staatlichen Eingriffe ermöglicht, sollte es eine streng subsidiäre Rolle spielen und nur dort eingesetzt werden, wo andere, mildere Mittel zum Schutz von individuellen und überindividuellen Interessen keinen hinreichenden Erfolg versprechen154. Die »reinliche Scheidung« von Strafrecht und Deliktsrecht nach ihrem Hauptzweck hat – wie Deutsch mit Recht anmerkt – »etwas Künstliches«155. Strafrecht und Privatrecht nähern sich auf vielfältige Weise funktionell an. Diese Annäherungen sind nicht zufälliger oder gar systemwidriger Natur, sondern belegen im Gegenteil, dass eine funktionsbezogene trennscharfe Unterscheidung zwischen Privatrecht und Strafrecht nicht mehr als eine Illusion ist. Annäherungsprozesse gehen dabei wechselseitig vom Strafrecht und Privatrecht aus. Man steht also nicht nur vor der Frage, ob mit Mitteln des Privatrechts gesellschaftliche Ordnungsaufgaben wahrgenommen werden können, sondern auch umgekehrt öffnet sich das Strafrecht einer Mitwirkung Privater156. Beispielsweise ist im Strafrecht und Strafverfahrensrecht eine zunehmende Tendenz zur Einbindung privater Initiative zu beobachten. So ist in jüngerer Zeit der Täter-OpferAusgleich gestärkt worden157. Des Weiteren können bestimmte Delikte ohne Einschaltung der Staatsanwaltschaft im Wege der Privatklage verfolgt werden158, ferner können Opfer mit eigenen Mitwirkungsrechten im Strafverfahren als Nebenkläger auftreten159 und schließlich können sie auch die Einleitung einer öffentlichen Klage erzwingen160. Die Beispiele zeigen, dass im Strafrecht und Strafverfahrensrecht die Mitwirkung des Opfers als kriminalpolitisch sinnvoll angese153
Wagner, AcP 206 (2006), 352, 423 f. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. I, § 2 Rn. 39. 155 Deutsch, JZ 1971, 244, 247. 156 Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, Tz. 52 ff., S. 67 ff. 157 Siehe dazu insbesondere die Regelungen in § 46a StGB sowie §§ 155a/b und 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 5 StPO. 158 §§ 374 ff. StPO. 159 §§ 395 ff. StPO. 160 § 172 StPO. 154
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hen wird161. Es zeigt sich darin eine Entwicklung weg von der rein hoheitlichen Ausrichtung und Ausübung der Strafgewalt hin zu einem Ausgleich unter Einbindung des Verletzten162. Denn Wiedergutmachung und Versöhnung sind die besten Grundlagen für Gerechtigkeit und Rechtsfrieden163. Angesichts dessen muss es geradezu anachronistisch anmuten, wenn das Privatrecht in einem überkommenen Funktionsverständnis verharrt und die ihm innewohnenden Kräfte zur Lösung von Konflikten, die über die Individualinteressen hinausgehen, verleugnen würde. Die daraus resultierende Konsequenz einer Wiederannäherung des Straf- und Privatrechts wird im strafrechtlichen Schrifttum klar gesehen164. Daher sollte man sich von dem (ohnehin nie konsequent eingehaltenen) Dogma einer strikten Funktionstrennung von Strafrecht und Privatrecht verabschieden und viel stärker darüber nachdenken, in welchen Konstellationen das Privatrecht zu einer Entlastung des Strafrechts beitragen kann. Mit Gotthardt kann man nochmals das oben erwähnte Bild Hecks aufgreifen und sagen, dass Saurier oder ihre Nachkommen unter Umständen zurückkehren, wenn die Umstände wiederkehren, unter denen sie leben können165. b) »Strafe« im Privatrecht Wenn man anerkennt, dass Strafrecht und Privatrecht sich vielfach annähern, so ist damit noch keine verbindliche Aussage darüber getroffen, ob ein Verletzer mit privatrechtlichen Mitteln »bestraft« werden darf. Stellt man diese Frage, dann stößt man auf eine bemerkenswerte begriffliche und sachliche Unsicherheit. Denn bislang wird im Privatrecht kaum näher diskutiert, was mit »Strafe« eigentlich gemeint ist166. Nach wie vor verbindet sich mit dem Begriff der Strafe in den Augen vieler Privatrechtler eher die hergebrachte Vorstellung einer Repressionsmaßnahme, mit der demjenigen, der Unrecht begeht, vergeltend ein Nachteil zugefügt wird167. Strafe dient nach diesem Verständnis der Vergeltung eines begangenen Rechtsverstoßes und der Genugtuung des Opfers168. Eine solche Sicht der Dinge ist rechtshistorisch gewachsen169, aus heutiger Sicht aber zu holzschnittartig. Die Notwendigkeit einer differenzierten Betrach161 Dazu statt vieler Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. I, § 3 Rn. 72 ff.; ders., in: Festschrift für W. Lorenz, S. 51 ff.; Schöch, NStZ 1984, 385 ff. 162 Kritisch zu diesen Entwicklungen aber Hassemer, ZRP 1992, 378, 380 ff. Hassemers Kritik richtet sich dagegen, dass das Strafrecht in neuerer Zeit mit vielen Funktionen befrachtet werde, die in anderen Bereichen, namentlich auch im Zivilrecht, besser aufgehoben wären (a.a.O., 383). 163 Schöch, NStZ 1984, 385, 391. 164 Deutlich etwa Roxin, in: Festschrift für W. Lorenz, S. 51, 61: Die strikte Trennung von Strafrecht und Zivilrecht habe sich als ein »Irrweg« erwiesen. 165 Gotthardt, UFITA 71 (1974), 77, 88. 166 Differenzierend jedoch – mit unterschiedlichen Akzentuierungen – Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 399 ff.; Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, Vorbem § 823 Rn. 42 ff.; ders., AcP 206 (2006), 352, 360 ff.; Weller, ZWeR 2008, 170, 174 f. 167 Deutlich etwa bei Honsell, in: Festschrift für H.P. Westermann, S. 317 f. 168 Wagner, AcP 206 (2006), 352, 452 f. 169 Siehe nur Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 13 ff.; Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, Tz. 43 ff., S. 55 ff.
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tung zeigt sich, wenn man auf die Diskussion über den Zweck von Strafe im »sachnäheren« Strafrecht blickt170. Strafe ist danach kein Zweck an sich und Strafe darf nicht kurzerhand mit dem Ziel der Vergeltung gleichgesetzt werden. Vielmehr ist die Diskussion über den Zweck von Strafe durch verschiedene Grundauffassungen und zahlreiche modifizierende Strömungen gekennzeichnet171. Vergeltung ist dabei – wie auch das BVerfG hervorhebt – nur ein möglicher Zweck der Strafe: »Das BVerfG hat sich wiederholt mit Sinn und Zweck des staatlichen Strafens befaßt, ohne zu den in der Wissenschaft vertretenen Straftheorien grundsätzlich Stellung zu nehmen. (…) Das geltende Strafrecht und die Rechtsprechung der deutschen Gerichte folgen weitgehend der sogenannten Vereinigungstheorie, die – allerdings mit verschieden gesetzten Schwerpunkten – versucht, sämtliche Strafzwecke in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen. Dies hält sich im Rahmen der dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen zukommenden Gestaltungsfreiheit, einzelne Strafzwecke anzuerkennen, sie gegeneinander abzuwägen und miteinander abzustimmen. Demgemäß hat das BVerfG in seiner Rechtsprechung nicht nur den Schuldgrundsatz betont, sondern auch die anderen Strafzwecke anerkannt. Es hat als allgemeine Aufgabe des Strafrechts bezeichnet, die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen. Schuldausgleich, Prävention, Resozialisierung des Täters, Sühne und Vergeltung für begangenes Unrecht werden als Aspekte einer angemessenen Strafsanktion bezeichnet«172.
In einer neueren Entscheidung des BVerfG heißt es: »Strafe ist die Auferlegung eines Rechtsnachteils wegen einer schuldhaft begangenen rechtswidrigen Tat. Sie ist – neben ihrer Aufgabe, abzuschrecken und zu resozialisieren – eine angemessene Antwort auf strafrechtlich verbotenes Verhalten (…). Mit der Strafe wird ein rechtswidriges sozialethisches Fehlverhalten vergolten. Das dem Täter auferlegte Strafübel soll den schuldhaften Normverstoß ausgleichen; es ist Ausdruck vergeltender Gerechtigkeit (…)«173.
Während die Rechtsprechung das Nebeneinander mehrerer Strafzwecke betont (und damit jedenfalls nicht die Vergeltung als alleinigen und isolierten Strafzweck ansieht), rückt in der wissenschaftlichen Diskussion der Gedanke der Prävention in Gestalt der Spezial- und Generalprävention mehr und mehr in den Vordergrund174. Angesichts der differenzierten Beurteilung der Strafzwecke im Strafrecht sollte sich auch das Privatrecht einer Diskussion darüber nicht verschließen, was sich in Wahrheit hinter einer Straffunktion verbirgt175. Die historisch ge-
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Gotthardt, Wandlungen schadensrechtlicher Wiedergutmachung, S. 18 ff. Zu den Einzelheiten Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. I, § 3 Rn. 1 ff. 172 BVerfG vom 21.6.1977, BVerfGE 45, 187, 253 f. 173 BVerfG vom 14.1.2004, BVerfGE 110, 1, 13. 174 »Der Ausgangspunkt jeder heute vertretbaren Straftheorie muss in der Einsicht liegen, dass der Zweck der Strafe nur präventiver Art sein kann«, Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. I, § 3 Rn. 37. 175 Gotthardt, Wandlungen schadensrechtlicher Wiedergutmachung, S. 18 ff. 171
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wachsene Fokussierung auf Buße, Sühne, Vergeltung oder Repression ist zu eng. Sie erschwert eine Sachdiskussion und sollte überwunden werden. Berücksichtigt man die im Strafrecht vordringende Auffassung, wonach Vergeltung als eigenständiger Strafzweck nicht mehr anzuerkennen ist176, sondern Strafe ausschließlich der Verwirklichung präventiver Zielsetzung dient177, dann muss folgerichtig im Privatrecht gefragt werden, ob es sinnvoll ist, zwischen Präventions- und Strafzweck zu unterscheiden178. Denn mit dem Strafcharakter von Schadensersatz wäre dann nichts anderes als das Ziel der Prävention gemeint. Für ein solches Verständnis spricht, dass eine rein repressive Ausrichtung privatrechtlicher Haftung nicht überzeugen kann179. Insofern verdient eine Ablehnung privatrechtlicher Repressivmaßnahmen zum Zwecke der Vergeltung durchaus Zustimmung. Die Idee der Vergeltung würde auch dann eine Bestrafung des Rechtsverletzers verlangen, wenn sie aus Gründen des Rechtsgüterschutzes nicht notwendig ist180. Eine Nachteilszufügung ohne individuelle oder überindividuelle Ordnungsfunktion wäre privatrechtlich aber nicht begründbar. Das Ziel der repressiven Einwirkung sagt zudem nichts darüber aus, ob das Opfer, ein Dritter oder eine staatliche Institution zum Vorgehen gegen den Verletzer berechtigt sein soll. Es fehlt damit an einem »rechtlichen Band« zwischen Täter und Opfer, das einen privatrechtlichen Anspruch begründen könnte. Im Übrigen passt der Gedanke eines Schuldausgleichs, einer Sühne und Vergeltung schlicht nicht, wenn es um die Haftung von Unternehmen geht181. Ebenso wenig wie ein Unternehmen deliktisch handeln kann, ist es möglich, dass es durch eine Sühne der Tat inneren Abstand zur rechtswidrigen Tat gewinnt. Denn eine solche Sühne kann nur von natürlichen Personen erlebt und durchlebt werden. Es handelt sich dabei um einen autonomen und höchstpersönlichen Akt, der durch die Rechtsordnung nicht erzwungen werden kann182. Damit bleibt festzuhalten, dass der Begriff der Strafe im privatrechtlichen Sinne mehrdeutig sein kann. Soweit die Schadensersatzhaftung in Wahrheit spezial- oder generalpräventive Ziele verfolgt, bestehen gegen solche Zwecke dem Grunde nach keine grundsätzlichen Einwände183. Es ist dann lediglich eine terminologische Frage, ob man von Strafe oder von Prävention spricht. Dagegen ist das Ziel einer rein repressiven Nachteilszufügung privatrechtlich nicht begründbar.
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Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. I, § 3 Rn. 44 ff. In diesem Sinne wohl auch Weller, ZWeR 2008, 170, 175. 178 Körner, NJW 2000, 241, 242 hält pönale Elemente und Prävention für zwei Seiten derselben Medaille. Schäfer, AcP 202 (2002), 397, 405 sieht in der zivilrechtlichen Strafe »eine Sanktion, deren Verwirkung Verschulden voraussetzt und die spezial- sowie generalpräventiven Zwecken dient«. 179 Ebenfalls ablehnend Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, Vorbem § 823 Rn. 44; ders., AcP 206 (2006), 352, 362 f. 180 Vgl. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. I, § 3 Rn. 8. 181 Wagner, AcP 206 (2006), 352, 362; dort auch zu weiteren Einwänden. 182 Vgl. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. I, § 3 Rn. 10. 183 Siehe oben, unter 2., S. 139 ff. 177
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4. Anreiz Bislang kaum diskutiert wird, ob das Privatrecht Anreize zur Rechtsdurchsetzung geben darf bzw. die private Rechtsdurchsetzung belohnen darf184. Die Frage nach der Zulässigkeit einer Honorierung privater Initiative stellt sich jedoch unausweichlich, wenn man anerkennt, dass privatrechtliche Ansprüche dem Schutz überindividueller Interessen dienen können. Solange man den Blick auf das Individualverhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem verengt, spielen Anreiz und Belohnung nur eine untergeordnete Rolle. Denn eines besonderen Anreizes zur Rechtsverfolgung bedarf es im Allgemeinen nicht, weil schon die Verletzung der Individualinteressen Anlass genug ist, etwa den daraus entstehenden Schaden geltend zu machen. Anders liegt es hingegen, wenn man den Einzelnen als berechtigt ansieht, auch im überindividuellen Interesse aktiv zu werden. Die Verfolgung von Rechtsverstößen durch privatrechtliche Ansprüche dient in diesen Fällen nicht allein dem privaten Interesse eines Einzelnen. Doch es ist keineswegs sicher, ob ein Geschädigter die Risiken einer im überindividuellen Interesse liegenden Rechtsverfolgung auf sich nimmt. Indem die Rechtsordnung Anreize setzt oder privates Engagement belohnt, kann ein Geschädigter zum Vorgehen gegen Rechtsverletzungen motiviert werden. Das stärkt die Bedeutung der privaten Rechtsdurchsetzung. Im Lauterkeitsrecht ist beispielsweise mit Recht die Frage aufgeworfen worden, warum ein Privater, der durch seine Klage gegen unlautere Handlungen vorgeht, nicht finanziell »entlohnt« werden soll185. Wer allerdings schon dem Gedanken der Prävention skeptisch gegenübersteht, wird Überlegungen in Richtung Anreiz und Belohnung erst recht mit großen Vorbehalten begegnen. Insgesamt darf man derzeit wohl von einer großen Skepsis gegenüber dem Gedanken materieller Anreize zur privaten Rechtsverfolgung ausgehen. Deutlich wird die Zurückhaltung gegenüber solchen Erwägungen beispielsweise in der Diskussion über die rechtliche Beurteilung von Erfolgshonoraren von Anwälten186. Diese Problematik betrifft zwar nicht unmittelbar die Haftungsausfüllung, sondern allein Kostenfragen der Rechtsdurchsetzung. Sie zielt aber im Kern auf die gleiche Fragestellung: Ist es zulässig, wenn jemand von der Durchsetzung des Rechts profitiert? Nach wie vor werden Erfolgshonorare in Deutschland mit Argusaugen betrachtet187. Demgegenüber hat das
184 Siehe aber von Hippel, RabelsZ 37 (1973), 268, 270 unter Hinweis auf das US-amerikanische Recht, das einem Verbraucher bei der Geltendmachung von Verstößen gegen Verbraucherschutzvorschriften in bestimmten Fällen eine Art Mindestschaden garantiert. 185 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 30 Rn. 63. 186 Gemäß § 49b Abs. 2 S. 1 BRAO sind Vereinbarungen, durch die eine Vergütung oder ihre Höhe vom Ausgang der Sache oder vom Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängig gemacht wird oder nach denen der Rechtsanwalt einen Teil des erstrittenen Betrages als Honorar erhält, unzulässig, soweit das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz nichts anderes bestimmt. Gemäß § 4a RVG kann aber die Vereinbarung eines Erfolgshonorars wirksam vorgenommen werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden; dazu näher Kilian NJW 2008, 1905 ff. 187 Zu den unterschiedlichen Begründungen, mit denen das grundsätzliche Verbot gerechtfertigt wird siehe nur Kilian, ZRP 2003, 90, 91 ff. Die st. Rspr. hielt Erfolgshonorare für unwirksam:
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BVerfG das generelle Verbot von Erfolgshonoraren für verfassungswidrig erklärt188. Ausdrücklich verweist das Gericht in der Begründung seiner Entscheidung auf die positiven Wirkungen eines materiellen Anreizes zur Rechtsverfolgung und auf einen dadurch vielleicht sogar erst ermöglichten Zugang zum Rechtsschutz: »Nicht wenige Betroffene werden das Kostenrisiko auf Grund verständiger Erwägungen scheuen und daher von der Verfolgung ihrer Rechte absehen. Für diese Rechtsuchenden ist das Bedürfnis anzuerkennen, das geschilderte Risiko durch Vereinbarung einer erfolgsbasierten Vergütung zumindest teilweise auf den vertretenden Rechtsanwalt zu verlagern. Anders als der einzelne Rechtsuchende ist er auf Grund der Vielzahl der Mandate zur Diversifikation der Kostenrisiken in der Lage und kann nicht zuletzt deshalb diese besser tragen«189. Weiter führt das Gericht aus: »Vor diesem Hintergrund erweist sich das Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare als Hindernis für den Zugang zum Recht, wenn ein Rechtsuchender auf Grund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse das Risiko, im Misserfolgsfall mit den Kosten qualifizierter anwaltlicher Unterstützung belastet zu bleiben, nicht oder zumindest nicht vollständig zu tragen vermag, und ihn dies davon abhält, seine Rechte zu verfolgen. Der Gesetzgeber verfehlt hier nicht nur sein Ziel, durch das Verbot des Erfolgshonorars insbesondere die anwaltliche Unabhängigkeit sowie das Vertrauensverhältnis zum Anwalt zu sichern und auf diese Weise auch im Interesse der Rechtsuchenden einen Beitrag zur Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zu leisten. Das Verbot bewirkt vielmehr den gegenteiligen Effekt, indem es den Einzelnen daran hindert, die ihm garantierte Vertragsfreiheit wahrzunehmen und eine Vereinbarung abzuschließen, die ihm bei verständiger Einschätzung der Kostenrisiken die Inanspruchnahme von Rechtsschutz erst eröffnet. Die Unzulässigkeit anwaltlicher Erfolgshonorare fördert hier nicht die Rechtsschutzgewährung, sondern erschwert den Weg zu ihr«190. Die Ausführungen des BVerfG zeigen, dass die Honorierung privater Rechtsdurchsetzung ambivalent zu bewerten ist. Richtig ist, dass von ökonomischen Anreizen zur Rechtsdurchsetzung Gefahren des Missbrauchs ausgehen können. Indessen würde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, wenn aufgrund dieser Gefahren Anreizeffekte generell als illegitime Ziele verworfen würden. Die Diskussion darüber, in welchem Maße die Rechtsordnung solche Anreize setzen darf, steht erst am Anfang.
Dass der Gesetzgeber privatrechtlichen Anreizeffekten zurückhaltend gegenübersteht, zeigt das Beispiel der Abschöpfungsansprüche. Die Gesetzesverfasser haben sich alle Mühe gegeben, § 10 UWG und § 34a GWB finanziell so unattraktiv wie möglich zu gestalten. Die Anspruchsberechtigten handeln bei der Geltendmachung auf eigene wirtschaftliche Gefahr und können selbst von der erfolgreichen Durchsetzung des Anspruchs letztlich nicht profitieren. Im Falle des Misserfolgs bleiben sie ohnehin auf den entstandenen Kosten sitzen. Sind die Verbände erfolgreich, dann müssen sie den abgeschöpften Gewinn an den Bundeshaushalt auskehren und erhalten lediglich Aufwendungsersatz. Die geringe wirtschaftliche Attraktivität solcher Aussichten liegt auf der Hand. Die Realität 188 BGH vom 28.2.1963, BGHZ 39, 142; BGH vom 5.4.1976, MDR 1976, 1001; BGH vom 15.12.1980, NJW 1981, 998; BGH vom 4.12.1986, NJW 1987, 3203; BGH vom 23.2.1987, NJW 1987, 2451; BGH vom 13.6.1996, BGHZ 133, 90. 188 BVerfG vom 12.12.2006, BVerfGE 117, 163 ff. 189 BVerfG vom 12.12.2006, BVerfGE 117, 163 Rn. 100. 190 BVerfG vom 12.12.2006, BVerfGE 117, 163 Rn. 102.
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hat die idealistischen Vorstellungen des Gesetzgebers freilich längst eingeholt. Um Abschöpfungsansprüche geltend zu machen, bedienen sich die Kläger vereinzelt der Hilfe gewerblicher Prozessfinanzierer191, die ihrerseits zu einer Prozessfinanzierung nur bereit sind, wenn sie am abgeschöpften Gewinn beteiligt werden. Der Gewinn fließt auf diese Weise zumindest teilweise in die Taschen Privater. Trotz der Zurückhaltung ist der Gedanke einer Honorierung privaten Einsatzes im Wettbewerb keineswegs als exotisch abzutun. Im Gegenteil haben entsprechende Ansätze im UWG ihren festen Platz gefunden. In § 12 Abs. 1 S. 2 UWG sieht das Gesetz einen Anspruch auf Kostenersatz vor, der von einem Abmahner gegenüber dem Abgemahnten geltend gemacht werden kann. Dieser Anspruch wurde vor der UWG-Reform 2004 von der Rechtsprechung auf die Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag gestützt192. Diese rechtliche Konstruktion wirkte indessen eigentümlich. Gleichwohl ist der Gedanke der Fremdgeschäftsführung in der Sache durchaus richtig. Nur führt der Abmahner weniger ein Geschäft des Abgemahnten, sondern sein Einsatz liegt im Interesse aller Marktakteure bzw. einer speziell geschützten Gruppe von Marktakteuren (etwa im Interesse der Verbraucher). Indem ein Privater gegen eine unlautere Handlung vorgeht, handelt er zugleich im Interesse dieser Marktakteure. Ihm steht aber kein Anspruch auf Anwendungsersatz gegen die Allgemeinheit oder gegen die speziell geschützte Gruppe zu, sondern nach der Wertung des Gesetzes muss der Verletzer für diese Aufwendungen aufkommen. Wenn nun die Rechtsordnung die für eine Abmahnung notwendigen Kosten für ersatzfähig erklärt, dann honoriert sie diesen privaten Einsatz. Dieser Gedanke findet seine Fortsetzung in der ausnahmsweisen Ersatzfähigkeit vergeblicher Aufwendungen, die von § 12 Abs. 1 S. 2 UWG nicht erfasst werden193. Auch im Kartellrecht kehrt der Gedanke des Anreizes zur Rechtsverfolgung wieder194.
III. Verhältnis und Gewichtung der verschiedenen Funktionen Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, dass die wettbewerbsdeliktische Schadensersatzhaftung nicht notwendig auf eine einzige Funktion beschränkt ist, sondern mehrere Zwecke verfolgen kann. Das wirft allerdings die Frage nach dem Verhältnis verschiedener Zwecke zueinander auf. Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass der Schadensausgleich im Individualverhältnis gleichsam das Fundament der wettbewerbsdeliktischen Haftung bildet. Schadensersatz unter völligem Verzicht auf die Ausgleichsfunktion ist ausgeschlossen. Es genügt nicht, dass die Belastung des Verletzers mit einer privat191 Z.B. im Fall LG München I vom 22.7.2008, 33 O 17282/07; zu dieser Entscheidung unten § 7. A. II. 1. b) ee), S. 512 f. 192 BGH vom 15.10.1969, BGHZ 52, 393, 399 – Fotowettbewerb. 193 Unten § 4. D. III. 2., S. 289 ff. 194 Unten § 5. D. III. 1. a) dd), S. 410 ff.
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rechtlichen Haftung wünschenswert erscheint, sondern es muss ein rechtfertigender Grund dafür bestehen, dass gerade der Verletzte gegen den Verletzer vorgehen und ihn in Anspruch nehmen darf195. Eine Schadensersatzhaftung kann sich deswegen nicht ausschließlich auf den Gedanken der Prävention stützen. Denn eine solche Haftung müsste sich nur an der beabsichtigten Abschreckungswirkung orientieren. Maßgeblicher Bezugspunkt wäre nicht mehr die Person eines Geschädigten, sondern ausschließlich die Person des Verletzers. Prävention kann aber neben der Ausgleichsfunktion die Schadensersatzhaftung maßgeblich prägen196. Das ist beispielsweise bei der Herausgabe des Verletzergewinns im Rahmen der dreifachen Schadensberechnung der Fall197. Es kann sogar der Fall eintreten, dass der Geschädigte infolge der unbefugten Verwertung seiner beeinträchtigten Schutzposition einen höheren Gewinn erhält, als er ohne die Rechtsverletzungen erzielt hätte198. Dem Gedanken der Prävention kommt hier eine den Schadensausgleich wesentlich gestaltende Funktion zu. Umgekehrt kann der Präventionsgedanke völlig in den Hintergrund treten, wenn es im konkreten Verletzungsfall an präventionsbegünstigenden Faktoren fehlt. In solchen Fällen ist dem Präventionsgedanken kein oder nur sehr geringes Gewicht beizumessen. Diese Überlegungen am Beispiel der Prävention zeigen, dass Ausgleich und weitere Funktionen nicht in einem strengen Abhängigkeits- oder Subordinationsverhältnis stehen. Vielmehr können die verschiedenen Funktionen – in Abhängigkeit vom konkreten Schadensfall – unterschiedlich zu gewichten sein. Mehrere Haftungszwecke bilden kein starres Korsett, sondern ein bewegliches System. Eine solche flexible Betrachtungsweise vermeidet Pauschalaussagen zugunsten einer wertungsbezogenen Berücksichtigung bei der Lösung konkreter Sachprobleme199. Die Elemente sind jedoch nicht beliebig gegeneinander verschiebbar, sondern es lassen sich gewisse Grundaussagen treffen: Erstens können Präventions- und Anreizfunktion, sofern es sich nicht ohnehin um zwei Seiten derselben Medaille handelt, die Ausgleichsfunktion der Schadensersatzhaftung nicht vollständig überlagern oder ersetzen. Eine privatrechtliche Haftung ohne Ausgleichszweck und ohne den Bezug auf verletzte Individualinteressen eines Geschädigten ist zwar vorstellbar, verlangt aber einen vom Schadensersatz abweichenden dogmatischen Ansatz, nämlich eine kollektivrechtlich ausgerichtete Abschöpfungshaftung. Die Ausgleichsfunktion kann aber durch Prävention und Anreiz modifiziert werden. Zweitens werden Prävention und Anreiz als Wer195
Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, Tz. 69, S. 83. Ähnlich Deutsch, JZ 1971, 244, 246. 197 BGH vom 8.10.1971, BGHZ 57, 116, 118 – Wandsteckdose II; BGH vom 2.11.2000, BGHZ 145, 366, 372 – Gemeinkostenanteil. Ebenfalls maßgeblich auf den Gedanken der Prävention stellt die Rechtsprechung bei der Zumessung der Geldentschädigung bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts ab, siehe BGH vom 15.11.1994, BGHZ 128, 1, 15 und 2. Ls. – Caroline von Monaco; dazu auch im Text unter C. IV. 198 BGH vom 14.5.2009, WRP 2009, 1129 Tz. 75 – Tripp-Trapp-Stuhl. 199 Ähnlich Lange/Schiemann, Schadensersatz, Einl. III. 2. b), S. 11 f. mit Beispielen. 196
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tungskriterien bedeutsamer, wenn die Schadensersatzhaftung auch dem Schutz überindividueller Interessen dient. In solchen Fällen kann etwa das Ziel der Abschreckung als bestimmende Funktion in den Vordergrund treten200. Denn im Wege des individuellen Ausgleichs zwischen Schädiger und Geschädigtem können solche Interessen nur schwer berücksichtigt werden, weil sie gerade außerhalb des konkreten Schadensverhältnisses liegen. Die Ausgleichsfunktion legt das rechtlich gebotene Untermaß der Schadensersatzhaftung fest, das nicht unterschritten werden darf. Prävention und Anreiz können sodann eine Öffnung der durch die Ausgleichsfunktion gleichsam »gedeckelten« Schadensersatzhaftung ermöglichen.
C. Art und Inhalt des Schadensersatzes Art und Umfang des ersatzfähigen Schadens bei Rechtsverletzungen im Wettbewerb richten sich, soweit keine besonderen Bestimmungen eingreifen, nach den §§ 249 ff. BGB. Das Lauterkeitsrecht sieht zur Haftungsausfüllung keine Sonderregelungen vor. Im Kartellrecht enthalten die § 33 Abs. 3 S. 2 bis 5 GWB lediglich einige Spezialvorschriften zur Ermittlung des Schadensumfangs und zu den vom Schädiger zu zahlenden Zinsen. Einen wettbewerbsspezifischen Begriff des Schadens gibt es nicht. Es hilft auch kaum weiter, nach einem universalen Schadensbegriff zu suchen. Im bürgerlichen Schadensrecht wurde lange Zeit viel Mühe auf die Entwicklung eines einheitlichen Schadensbegriffes verwendet201, ohne dass eine allseits überzeugende Lösung gefunden werden konnte. Heute hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Suche nach einem umfassenden Schadensbegriff zur Lösung von Sachfragen kaum zielführend ist. Es gehöre – so die Einschätzung Schiemanns – inzwischen fast zum Standard der neueren Literatur, den Versuch einer überkommenen Dogmatik, die §§ 249 ff. BGB mithilfe eines Schadensbegriffes durchdringen zu wollen, als »Jugendsünde« zu erkennen202. Ebenso berechtigt ist allerdings der Hinweis, dass auf die Ermittlung grundlegender Prinzipien nicht verzichtet werden darf, weil nur auf diese Weise das unerlässliche Mindestmaß an Rationalität und Rechtssicherheit gewahrt werden kann203.
200 In diese Richtung auch Lehmann, GRUR Int. 2004, 762, 765: Schadensersatzansprüche seien schon dann zu eröffnen, wenn dies primär aus Überlegungen der Prävention gerechtfertigt erscheine. 201 Zu den verschiedenen Schadensbegriffen siehe nur Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 1, S. 26 ff. 202 Schiemann, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 249 ff., Rn. 42. 203 Schiemann, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 249 ff., Rn. 42.
C. Art und Inhalt des Schadensersatzes
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I. Schadensrechtliche Grundsätze und schadensrechtliches Ausgleichsprogramm 1. Ausgangsüberlegungen Mit den §§ 249 ff. BGB, also sehr wenigen gesetzlichen Vorgaben, muss eine ungeheure Vielfalt höchst unterschiedlicher Schadenskonstellationen bewältigt werden. Aufgrund der Mannigfaltigkeit möglicher Schadensfälle, der Vielzahl von Lebensbereichen, in denen Schadensersatz geschuldet sein kann und nicht zuletzt aufgrund einer Mentalitätsänderung im Laufe der Zeit204, hat sich das Schadensrecht zu einer äußerst komplexen Materie entwickelt205. Die gesetzlichen Vorgaben sind notwendigerweise von hohem Abstraktionsgrad und in ihrer Grundkonzeption an manchen Stellen durchaus angreifbar206. Erst durch eine kaum noch überschaubare Vielzahl von gerichtlichen Entscheidungen haben die §§ 249 ff. BGB Konturen gewonnen. Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung sind keineswegs immer bruchlos und in sich stimmig verlaufen. Vielmehr ist das Schadensrecht von verschiedenen Wertungen und Kriterien durchzogen, die bisweilen auch widersprüchlich sind. Insgesamt zeigt sich ein facettenreiches Bild. Es wäre jedoch verfehlt, deswegen eine Krise des Schadensrechts zu beklagen207. Vielmehr haben sich §§ 249 ff. BGB als äußerst fruchtbarer Boden für verschiedene Entwicklungen erwiesen. Die entscheidende Herausforderung des Schadensrechts besteht heute darin, in dem gewachsenen bunten Garten zwischen erwünschten Kulturen und unerwünschtem Wildwuchs zu unterscheiden. Die haftungsausfüllenden Bestimmungen der §§ 249 ff. BGB haben gegenüber den haftungsbegründenden Normen dienende Funktion208. Das bedeutet, dass der Inhalt eines Schadensersatzanspruches nicht aus autonomen schadensrechtlichen Wertungen folgt, sondern entscheidend vom Sinn und Zweck der zugrunde liegenden Haftungsnorm abhängt209. Konzeptionell sind die §§ 249 ff. BGB auf einen Ausgleich individueller Nachteile des Geschädigten zugeschnitten. Aber 204 »Sie hat die Grenze zwischen Unglück und Unrecht in dem Sinn verschoben, daß Schäden immer seltener als Unglück hingenommen werden. Vielmehr erscheint ein Schaden regelmäßig als ausgleichsbedürftig, und ein Mittel dazu ist die Annahme eines ersatzpflichtigen Unrechts«, Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 620. 205 »Hypertrophie des Schadensausgleichsrechts«, Diederichsen, AcP 182 (1982), 101, 102. 206 Dazu die eingehende Analyse von Wagner in seinem Gutachten zum 66. Deutschen Juristentag, Neue Perspektiven im Schadensrecht – Kommerzialisierung, Strafschadensersatz, Kollektivschaden, 2006; zu den Kernproblemen des Schadensrechts siehe bereits Esser, AcP 148 (1943), 121: Die »Tatbestände sind gekennzeichnet durch ihre Enge, die Angst vor richterlicher Gestaltung, den Aufbau auf den verletzten subjektiven Rechten, die Beschränkung auf die dogmatische Alternative ›Vertrag‹ oder ›Delikt‹ und allgemein auf die Zurechnungsgrundlage des Verschuldensgrundsatzes«. 207 So aber Stoll, Begriff und Grenzen des Vermögensschadens, S. 5. 208 In der Sache ebenso Schiemann, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 249 ff. Rn. 4, der von »Hilfsnormen« spricht. 209 Siehe nur Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 639 f.; Schiemann, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 249 ff. Rn. 4.
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§ 3. Grundstrukturen und Grundprobleme
daraus folgt keineswegs, dass eine Verwirklichung weiterer Zielsetzungen prinzipiell verwehrt wäre. Vielmehr können verschiedene Kriterien und Funktionen in eine wertende Schadensermittlung einfließen. 2. Grundprinzipien: Vorrang der Naturalherstellung, Totalreparation, »Bereicherungsverbot« Die den §§ 249 ff. BGB zugrunde liegenden Prinzipien finden auch im Rahmen des wettbewerbsdeliktischen Schadensausgleichs Anwendung, werden aber aufgrund der Besonderheiten des Wettbewerbs relativiert und modifiziert. Dies beginnt schon bei dem Grundsatz des Vorrangs der Naturalrestitution. In der Realität des Wettbewerbs kommt der Naturalherstellung nur eine sehr eingeschränkte Bedeutung zu. Man kann daher rechtspolitische Zweifel daran hegen, ob das uneingeschränkte Postulat vom Vorrang der Naturalrestitution im Wettbewerbsdeliktsrecht überzeugend ist. Soweit Schadensersatz in Geld zu leisten ist, gilt als weiterer Grundsatz das Prinzip der Totalreparation. Dem Schadensrecht ist eine Abstufung des Anspruchsinhalts nach Art der Intensität der Rechtsverletzung oder nach Art und Schwere des Verschuldens – im Gegensatz etwa zum österreichischen Recht210 – fremd. Allerdings wird dieses Prinzip nicht ausnahmslos durchgehalten. Eine wichtige Durchbrechung findet sich beispielsweise im Rahmen der dreifachen Schadensberechnung und zwar speziell bei der Herausgabe des Verletzergewinns. Dort ist anerkannt, dass bei bestimmten Rechtsverletzungen nur eine anteilige Herausgabe des Verletzergewinns gefordert werden kann, wobei der Gewinnanteil in wertender Betrachtung zu ermitteln ist211. Verbreitet wird ein weiteres Grundprinzip des Schadensrechts in dem »Bereicherungsverbot« gesehen212. Danach soll der Geschädigte keinen Vorteil aus dem Schadensereignis ziehen dürfen. Der Erklärungswert dieses »Bereicherungsverbots« oder der »Tendenz der Gewinnabwehr«213 ist allerdings begrenzt. Insbesondere können diesem Prinzip keine konkreten Lösungsansätze entnommen werden214. In seiner Grundaussage ist das »Bereicherungsverbot« schlicht ein selbstverständliches Element des Grundsatzes der Totalreparation: Der Geschädigte erhält nicht mehr, aber auch nicht weniger als den entstanden Schaden. Das »Bereicherungsverbot« besagt nur, dass es eine kritische Grenze zwischen recht210 § 1324 S. 1 ABGB: »In dem Falle eines aus böser Absicht, oder aus einer auffallenden Sorglosigkeit verursachten Schadens ist der Beschädigte volle Genugtuung; in den übrigen Fällen aber nur die eigentliche Schadloshaltung zu fordern berechtigt.« 211 BGH vom 21.9.2006, GRUR 2007, 431 Tz. 37 – Steckverbindergehäuse; BGH vom 17.6.1992, BGHZ 119, 20, 29 – Tchibo/Rolex II. Ebenso für das Markenrecht: BGH vom 6.10.2005, GRUR 2006, 419 Tz. 15 – Noblesse; OLG Frankfurt a.M. vom 13.3.2003, GRUR-RR 2003, 274, 278 – Vier-Streifen-Kennzeichnung; für das Geschmacksmusterrecht: BGH vom 2.11.2000, BGHZ 145, 366, 375 – Gemeinkostenanteil. 212 Schiemann, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 249 ff., Rn. 2. 213 Heck, Grundriß des Schuldrechts, § 11, 8, S. 41 und § 15, 4, S. 50. 214 Thiele, AcP 167 (1967), 193, 197.
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lich gebotener Kompensation und rechtlich unzulässiger Überkompensation gibt. Wo diese Grenze verläuft und wann sie überschritten wird, darüber gibt das »Bereicherungsverbot« keine Auskunft. Das »Bereicherungsverbot« verlangt eine wertende Betrachtung, sagt aber nichts darüber aus, welche Wertungen im konkreten Schadensfall maßgeblich sind. Eine Berufung auf das »Bereicherungsverbot« läuft stets Gefahr, die wertende Betrachtung durch eine bloße Leerformel zu ersetzen215. Das »Bereicherungsverbot« gibt deswegen allenfalls eine grobe Orientierung216 und bildet eher ein Kontrollinstrument, gewissermaßen die Gegenprobe zur Schadensberechnung. Es ist jedenfalls verfehlt, das »Bereicherungsverbot« als schadensrechtliche Schablone anzuwenden. Denn nicht jede Besserstellung des Geschädigten stellt einen Verstoß gegen das »Bereicherungsverbot« dar. Ein Verstoß liegt erst dann vor, wenn der Geschädigte aus dem Schadensereignis Vorteile zieht, die vom Sinn und Zweck der konkreten Schadensersatzhaftung nicht mehr gedeckt sind. Insofern ist es sachlich richtiger (wenngleich nach deutscher Terminologie missverständlich), wenn der EuGH von einer »ungerechtfertigten Bereicherung« des Anspruchsberechtigten spricht, die ihm Rahmen kartelldeliktischer Schadensersatzhaftung nach dem jeweiligen nationalem Schadensrecht verhindert werden kann217. Nicht die Bereicherung des Geschädigten gilt es schadensrechtlich zu vermeiden, sondern die Bereicherung ohne sachlich gerechtfertigten Grund.
II. Restitution Der zum Schadensersatz Verpflichtete schuldet vorrangig Naturalrestitution, also die Herstellung des Zustandes, »der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre«, wie es § 249 Abs. 1 BGB formuliert. Wenn oftmals von der Wiederherstellung gesprochen wird, ist dies ungenau218. Es geht bei der Naturalrestitution gerade nicht darum, einen früheren Zustand herzustellen. Dies wäre in der Regel eine Folgenbeseitigung mittels eines Umkehraktes. Vielmehr gebietet § 249 Abs. 1 BGB die Herstellung eines hypothetisch schadensfreien Zustandes. Freilich lassen sich Folgenbeseitigung und Naturalherstellung im konkreten Schadensfall oftmals nicht trennscharf voneinander unterscheiden, sodass die Übergänge fließend sind. Das Gesetz begreift die Naturalherstellung als vorrangiges Ziel des Schadensausgleichs219. Erst an zweiter Stelle, nämlich wenn die Naturalrestitution nicht 215
Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, Tz. 158, S. 182. Schiemann, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 249 ff., Rn. 2 charakterisiert das Bereicherungsverbot als »Leitlinie, die jeweils bis zur überzeugenden Begründung einer abweichenden Wertung maßgeblich ist«. 217 EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 94 – Manfredi. 218 Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 249 Rn. 182. 219 »Das die Verpflichtung zur Naturalrestitution in erster Linie in sich schließende Prinzip der Wiederherstellungspflicht hat die Natur der Sache für sich und entspricht der Rechtslogik«, Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd. II, S. 20. 216
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§ 3. Grundstrukturen und Grundprobleme
möglich oder nicht genügend ist, sieht das Gesetz die Kompensation, das heißt den Ausgleich von Vermögensschäden in Geld vor. Zwischen diesen beiden schadensrechtlichen Polen liegt § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Obgleich danach ein Schadenausgleich in Geld zu leisten ist, gehört die Bestimmung dogmatisch nicht zur Kompensation, sondern bildet eine spezielle Erscheinungsform der Restitution220. Die Vorschrift bildet gewissermaßen ein Scharnier zwischen den beiden maßgeblichen Ausgleichsmechanismen des Schadensrechts und eröffnet für Substanzschäden am Körper oder an einer Sache statt der Wiederherstellung in Natur die Möglichkeit eines Ersatzes des zur Herstellung erforderlichen Geldbetrages. Der Geschädigte erhält damit ein Wahlrecht221 zwischen der Naturalherstellung und dem Ersatz eines zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrages. 1. Eigentliche Naturalherstellung Obgleich die Naturalrestitution nach dem BGB als Regelfall vorgesehen ist, kommt ihr im Vergleich zum restitutiven und kompensatorischen Geldersatz nur geringe Bedeutung zu. Dieser Befund gilt nochmals in besonderem Maße für Schadensfälle im Wettbewerbsgeschehen. Die Herstellung in Natur setzt voraus, dass ein hypothetisch schadensfreier Zustand bestimmt werden kann. Das bereitet bei »klassischen« Verletzungen und Schädigungen von Rechten und Rechtsgütern, wie beispielsweise Eigentum, Körper und Gesundheit, zumeist keine entscheidenden Probleme: Eine beschädigte Sache muss repariert werden, eine zugefügte Verletzung muss behandelt und geheilt werden. Ganz anders liegen die Dinge im Wettbewerbsgeschehen. Wettbewerb ist gekennzeichnet durch ein komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Prozesse und unterliegt wesensgemäß einer stetigen Entwicklung und Veränderung. Wettbewerbswidrige Handlungen bewirken typischerweise keine punktuellen und in sich abgeschlossenen Veränderungen im Hinblick auf einen bestimmten Unternehmer, sondern sie können den Ablauf von Wettbewerbsprozessen diffus verändern und einzelne oder viele Marktakteure auf ganz unterschiedliche Weise betreffen. Bereitet schon die Feststellung Schwierigkeiten, welche Faktoren sich im konkreten, beobachtbaren Wettbewerbsgeschehen wie auswirken, fällt es umso schwerer Aussagen darüber zu treffen, wie sich Wettbewerb hypothetisch entwickelt hätte, wenn ein Rechtsverstoß nicht stattgefunden hätte. Allenfalls können solche Vorgänge näherungsweise bestimmt werden. Neben diesen tatsächlichen Erkenntnisproblemen gibt es einen weiteren Grund, der Naturalrestitution im Wettbewerb mit großer Zurückhaltung zu begegnen. Innerhalb des Wettbewerbsgeschehens lassen sich schadensrechtlich relevante Zustände nicht nur schwer bestimmen, sondern es wäre oftmals kontraproduktiv, wenn die Rechtsordnung auf Veränderungen im Marktgeschehen, die 220 BGH vom 8.2.1952, BGHZ 5, 105, 109; Esser/Schmidt, Schuldrecht, Bd. I, Allg. Teil, Teilbd. 2, § 32 I 2 a, S. 202; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 5 I 2, S. 213. 221 BGH vom 8.2.1952, BGHZ 5, 105, 109 zu § 249 S. 2 BGB a.F. Dem Geschädigten wird damit eine Ersetzungsbefugnis eingeräumt, Oetker, in: Münchener Kommentar, BGB, § 249 Rn. 340.
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durch rechtswidrige Praktiken hervorgerufen werden, mit marktexternen Korrekturen reagiert. Jeder Eingriff in wettbewerbliche Prozesse verändert die Funktionsbedingungen des Wettbewerbs aufs Neue und begründet damit die Gefahr von weiteren Verfälschungen der Marktabläufe. Wettbewerb als stetiger Prozess kann gerade nicht beliebig rückgängig gemacht oder korrigiert werden, ohne dessen Funktionsfähigkeit (erneut) zu beeinträchtigen. Neben den Störungen, die infolge der Verletzungshandlung bereits eingetreten sind, führen korrektive Eingriffe durch die Rechtsordnung möglicherweise zu einer weiteren Verfälschung des Wettbewerbs. Beispielsweise können Liefer- oder Beschäftigungsverbote, die von der Rechtsprechung bisweilen als Reaktion auf unlautere Verhaltensweisen ausgesprochen wurden222, Marktakteure und Marktstrukturen empfindlich stören. Wenn die Rechtsordnung den Schutz der Dynamik des Wettbewerbs bezweckt, sollte die Kernaufgabe darin bestehen, gerade die Eigenfunktionsfähigkeit des Wettbewerbs zu stärken und im Gegenzug direkte externe Eingriffe in den Wettbewerb auf ein Minimum zu reduzieren. Die Sicherung und Wiederherstellung des Wettbewerbs muss »bei allen wettbewerbsrechtlichen Maßnahmen die erste Priorität« haben223. Diese Überlegungen werden bestätigt, wenn man die Fälle, in denen die Naturalrestitution noch angedacht wird, näher betrachtet. Dort geht es typischerweise nicht um komplexe Geschehnisse, sondern um gezielte Maßnahmen zwischen bestimmten Marktakteuren ohne diffuse Auswirkungen, wie etwa das Behaupten unwahrer Tatsachen oder die rechtswidrige Nichtaufnahme oder den rechtswidrigen Abbruch von Geschäftsbeziehungen. Zumeist helfen in diesen Fällen ohnehin Beseitigungsansprüche, sodass für naturalrestitutive Maßnahmen weder Raum noch Bedürfnis besteht. 2. Geldersatz gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB Der Geschädigte erhält nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB bei Körperverletzungen und Sachbeschädigungen die Möglichkeit, nach seiner Wahl anstelle der Wiederherstellung gemäß § 249 Abs. 1 BGB Ersatz des zur Herstellung erforderlichen Geldbetrages zu verlangen224. Die Vorschrift beruht auf dem naheliegenden Gedanken, dass es für den Geschädigten vielfach weder sinnvoll noch zumutbar ist, wenn der Schädiger selbst den Schadensausgleich vornimmt225. Der Geschädigte kann sich zwischen Naturalrestitution und Geldersatz entscheiden; ihm wird durch § 249 Abs. 2 S. 1 BGB eine Ersetzungsbefugnis eingeräumt226. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB sieht keine unbegrenzte Haftung des Schädigers vor, sondern das Gesetz begrenzt die Haftung auf den zur Herstellung »erforderlichen Geldbetrag«. Maßgebliches Kriterium bei der Ermittlung des Schadens ist 222
Dazu näher unten § 4. D. I. 2., S. 236 ff. Tilmann, GRUR 1979, 825, 834. 224 BGH vom 8.2.1952, BGHZ 5, 105, 109. 225 Siehe nur Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 628. 226 Oetker in Münchener Kommentar, BGB, § 249 Rn. 340; Mertens in Soergel, BGB, § 249 Rn. 19 (zu § 249 S. 2 BGB a.F.), jeweils m.w.Nachw. 223
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§ 3. Grundstrukturen und Grundprobleme
danach die Erforderlichkeit. Nach der Rechtsprechung ist ein Geldbetrag erforderlich, wenn ein wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten diesen für zweckmäßig und notwendig halten darf. Dem Geschädigten sind dementsprechend durch den Schädiger diejenigen Aufwendungen abzunehmen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen227. Für den Geschädigten folgt daraus zugleich ein Wirtschaftlichkeitspostulat, wonach er unter mehreren ihm zur Verfügung stehenden Varianten des Schadensausgleichs diejenige zu wählen hat, die den geringsten Aufwand erfordert228. Weil sich § 249 Abs. 2 S. 1 BGB seinem Wortlaut nach nur auf Substanzschäden erstreckt, ist der Anwendungsbereich im Wettbewerb eher gering und betrifft die praktisch eher seltenen Fälle des »Brachialwettbewerbs«229, in denen es beispielsweise zu Beschädigungen von Einrichtungen oder Werbematerialien eines Mitbewerbers kommt oder sogar zu tätlichen Übergriffen auf den Konkurrenten. Indessen greifen in solchen Fällen typischerweise andere Haftungsnormen, die für den Geschädigten vorteilhafter sind als die spezialgesetzlichen Regelungen im UWG und GWB230. Auf andere Schäden als Substanzschäden kann § 249 Abs. 2 BGB analog anzuwenden sein. Denn der Gedanke, dass eine Naturherstellung durch den Schädiger für den Geschädigten nach den konkreten Umständen des Schadensfalles nicht sinnvoll oder nicht zumutbar erscheint, ist keineswegs nur Substanzschäden am Körper oder an Sachen vorbehalten. § 251 BGB bietet insoweit keine Hilfe und steht der Annahme einer gesetzlichen Regelungslücke nicht entgegen, weil diese Vorschrift nicht das Integritätsinteresse, sondern allein das Vermögensinteresse schützt und damit die durch die Rechtsverletzung und Schädigung eingetretene Wertminderung den maßgeblichen schadensrechtlichen Beurteilungsmaßstab bildet231. Es kann zudem sinnvoll sein, dass der Geschädigte selbst beim »Schadensmanagement« tätig wird und anschließend die hierfür entstandenen Aufwendungen als Schaden ersetzt verlangt. Gegen eine solche Vorgehensweise bestehen jedenfalls dann keine durchgreifenden Bedenken, wenn es an einem schutzwürdigen Interesse des Schädigers fehlt, den eingetretenen Schaden selbst auszugleichen. Anwendungsbeispiele bilden Konstellationen, in denen der Geschädigte tätig wird, weil ein weiteres Zuwarten die Effektivität des Schadensausgleichs beeinträchtigen könnte, etwa bei der schnellen Korrektur von Fehlvorstellungen des Verkehrs. 227 BGH vom 26.5.1970, BGHZ 54, 82, 85; BGH vom 6.11.1973, BGHZ 61, 346, 349 f.; BGH vom 29.10.1974, BGHZ 63, 182, 188; BGH vom 20.6.1989, VersR 1989, 1056 f.; BGH vom 15.10.1991, BGHZ 115, 364, 369 jeweils m.w.Nachw. 228 Oetker, in: Münchener Kommentar, BGB, § 249 Rn. 362 m.w.Nachw. 229 Schünemann, in: Großkommentar, UWG, Einl. Rn. E 74. 230 Zu denken ist beispielsweise an die kurze Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche im Lauterkeitsrecht (§ 11 Abs. 1 UWG: sechs Monate), während für Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB die regelmäßige Verjährung von drei Jahren gilt (§ 195 BGB). 231 Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 249 Rn. 210.
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III. Kompensation Während § 249 BGB auf die Herstellung des konkreten Bestandes geschützter Positionen des Geschädigten gerichtet ist, zielt die Kompensation gemäß §§ 251, 252 BGB auf einen wertmäßigen Ausgleich eingetretener Vermögensschäden. Der Schadensersatzanspruch richtet sich demzufolge auf das Wertinteresse des Geschädigten232. Ob und in welcher Höhe der Geschädigte einen ersatzfähigen Vermögensschaden erlitten hat, bestimmt sich nach der herrschenden Differenzhypothese233. Grundsätzlich sind sämtliche verletzungsbedingten Veränderungen in der Sphäre des Geschädigten in die schadensrechtliche Betrachtung mit einzubeziehen, die adäquat-kausal auf die Verletzungshandlung zurückzuführen sind, unabhängig davon, ob es sich um Nachteile oder Vorteile handelt234. Bei Schadensfällen im Wettbewerb steht die Kompensation eindeutig im Vordergrund. Zumeist wird es im Interesse des Geschädigten liegen, Ausgleich in Geld zu erhalten. Das praktische Kernproblem der Kompensation in wettbewerblichen Schadensfällen besteht darin, dass Aussagen über den tatsächlich eingetretenen Vermögensschaden regelmäßig schwierig sind. Ob beispielsweise ein Geschädigter ohne rechtswidrige Handlung mehr Einheiten verkauft oder Waren zu einem günstigeren Preis eingekauft oder mehr Gewinn erwirtschaftet hätte, kann man oft nicht mit Gewissheit sagen. Die daraus resultierenden Ermittlungsprobleme sind typisch für wettbewerbsbezogene Schadensfälle. Allerdings sind die im Tatsächlichen liegenden Ermittlungsprobleme nur ein Symptom einer tiefer liegenden rechtlichen Problematik. 1. Geschützte Interessen im Wettbewerb und kompensationsfähige Nachteile Bezugspunkt der Kompensation ist das Wertinteresse des Geschädigten. Um das Wertinteresse zu ermitteln, bedarf es des Referenzsystems des Marktes235. Den rechtlichen Bezugspunkt der Schadensermittlung im Rahmen der Kompensation bildet der Marktpreis für die durch das schädigende Ereignis verletzten Interessen und Güter. Der Markt gibt Auskunft über die Bewertung von Gütern und anhand dieser Bewertung lässt sich dann eine Aussage über das Wertinteresse des Geschädigten treffen236. a) Allgemeine Marktchancen Kompensationsfähig sind diejenigen Einbußen, die einem Betroffenen infolge der unlauteren oder kartellrechtswidrigen Praktik entstehen. Nicht ersatzfähig ist dagegen der Wert der durch die rechtswidrige Handlung geminderten oder 232
Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 251 Rn. 1. Dazu statt vieler: Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 6 I, S. 248 ff. 234 Motive zum Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Bd. II, S. 19. 235 Gotthardt, Wandlungen schadensrechtlicher Wiedergutmachung, S. 7 ff. 236 Zur Problematik der Verletzung von Interessen, für es keine Bewertung durch den Markt gibt, siehe unter IV., S. 171 ff. 233
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vereitelten Marktchance des Geschädigten. Jeder Marktakteur hat zwar die Chance, Geschäfte zu tätigen und – möglichst vorteilhaft – seine Bedürfnisse zu befriedigen. Doch ist diese allgemeine Marktchance lediglich Ausdruck der individuellen Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen, nicht aber eine geschützte Rechtsposition. Deutlich wird dies am Beispiel der fehlerhaften Ausschreibung von Aufträgen. In diesen Fällen findet Wettbewerb gleichsam in einer besonders formalisierten Form statt. Wenn der Teilnehmer an einer Ausschreibung rechtswidrig von der Auftragsvergabe ausgeschlossen wird, dann verliert er die Chance, den Zuschlag zu erhalten. Der Wert dieser entgangenen Chance wird indessen nicht ersetzt237; vielmehr findet die Rechtsprechung eine differenzierende Lösung. Das Erfüllungsinteresse einschließlich entgangenen Gewinns ist nur dann ersatzfähig, wenn der Geschädigte nachweisen kann, dass er den Zuschlag und damit den Auftrag tatsächlich erhalten hätte238. In einem solchen Fall hat sich die allgemeine Marktchance gleichsam zu einem Vermögenswert verdichtet. Liegt eine solche Verdichtung dagegen nicht vor, dann ist nur das negative Interesse ersatzfähig, mithin der Schaden, der durch das Vertrauen in die (durch den Rechtsverstoß vereitelte oder verschlechterte) Chance entstanden ist239. Dieser Schaden wiederum ist begrenzt durch die Höhe des Erfüllungsinteresses240. Denn die vergeblichen Aufwendungen zur Vorbereitung eines Angebots »können sich unter Schadensersatzgesichtspunkten nicht als rentabler darstellen als bei fehlerfreier Abwicklung des Wettbewerbs«241. Die Unterscheidung zwischen der (als solchen nicht geschützten) Chance und der rechtlich relevanten Beeinträchtigung der Nutzung dieser Chance findet sich bereits deutlich ausgesprochen in der ersten Börsenverein-Entscheidung des Reichsgerichts. Der Streitfall betraf geschäftsschädigende Äußerungen des Börsenvereins der deutschen Buchhändler zu Leipzig über Unternehmer, die diesem Kartell nicht angehörten und sich dessen Bedingungen nicht unterwarfen. Das Reichsgericht hatte sich mit der Frage zu befassen, ob durch solche Maßnahmen ersatzfähige Vermögensschäden verursacht werden. Das Gericht differenziert dabei zwischen den Erwartungen von Gewerbetreibenden und der Beeinträchtigung dieser Erwartungen. Es führt dazu aus: »In Veranstaltungen, mit welchen darauf abgezielt wird, einem Gewerbetreibenden die Möglichkeit seiner Versorgung mit den Erzeugnissen, die er für seinen Gewerbebetrieb nicht entbehren kann, zu verschließen, liegt eine rechtswidrige Vermögensbeschädigung. Freilich sind die den natürlichen Verhältnissen entsprechenden Erwartungen keine erworbenen Vermögensstücke. Aber die Erhaltung und Nutzbarmachung eines Gewerbevermögens beruht zu einem wesentlichen Teil darauf, daß natürliche Beziehungen des gewerblichen Lebens die natürlichen Wirkungen, die sich für alle gleichmäßig zu vollziehen pflegen, äußern. Wenn nun 237
Auch nach § 126 GWB ist nur das negative Interesse ersatzfähig. BGH vom 1.8.2006, VergabeR 2007, 73; BGH vom 8.9.1998, BGHZ 139, 259, 261; BGH vom 25.11.1992, BGHZ 120, 281, 284. 239 BGH vom 8.9.1998, BGHZ 139, 259, 261; BGH vom 8.9.1998, BGHZ 139, 273, 275. 240 Vgl. dazu BGH vom 23.9.1982, NJW 1983, 442 ff. 241 BGH vom 23.9.1982, NJW 1983, 442, 444. 238
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jemand diese Wirkungen geflissentlich in anderer Weise als durch Betätigung eines Konkurrenzbetriebes zum Nachteil eines bestimmten Gewerbetreibenden in der Absicht, dessen Gewerbebetrieb zu untergraben, verhindert und dadurch dessen Gewerbevermögen eine Beeinträchtigung erfährt, so liegt eine vorsätzliche rechtswidrige Vermögensbeschädigung vor«242.
Allgemeine Marktchancen können zwar marktfähig sein und einen (unter Umständen sogar erheblichen) Marktwert haben. Jedoch sollen diese allgemeinen Marktchancen gerade nicht am Markt entgeltfähig sein. Das Referenzsystem des Marktes kann zwar eine Aussage über den Wert einer beeinträchtigten oder vereitelten Chance geben, doch wird dieser materielle Wert schadensrechtlich nicht als Bezugsgröße anerkannt. Die zugrunde liegende Wertung wird deutlich, wenn man nach dem bereicherungsrechtlichen Zuweisungsgehalt von Marktchancen fragt243. Aus Art. 81 EG und § 1 GWB folgt, dass das geltende Recht Verträge grundsätzlich missbilligt, in denen Wettbewerb zum Vertragsgegenstand gemacht und dadurch beschränkt wird244. Marktchancen sollen als solche nicht zum Gegenstand im Wettbewerb werden, also zum gehandelten Gut. Diese Wertung gilt unabhängig davon, ob im konkreten Einzelfall tatsächlich ein Verstoß gegen Art. 81 EG oder § 1 GWB vorliegt. Legt man diese Erwägungen zugrunde, dann ist es nur folgerichtig, nicht den Wert der beeinträchtigten Marktchance als schadensrechtliche Bemessungsgrundlage zugrunde zu legen. Wenn es die Rechtsordnung im Grundsatz für unzulässig hält, allgemeine Marktchancen wirtschaftlich zu verwerten, dann darf ihr tatsächlicher Wert nicht zum schadensrechtlichen Maßstab erhoben werden. Rechtlich geschützt ist zwar die Möglichkeit zur Wahrnehmung und Realisierung der Chance im Wettbewerb, nicht aber der ihr innewohnende Marktwert. Kompensationsfähig ist somit allein das Interesse an der Wahrung oder Wiederherstellung der durch das schädigende Ereignis beeinträchtigten Marktchance des Betroffenen. b) Besondere Marktchancen in Form privilegierter Wettbewerbspositionen Schadensrechtlich anders sind Beeinträchtigungen zu beurteilen, in denen die marktbezogene Nutzung und Verwertung einen integralen Bestandteil der geschützten Rechtsposition bildet. Dies ist beispielsweise bei gewerblichen Schutzrechten und vergleichbaren Schutzpositionen245 der Fall. Der Inhaber ist zur marktbezogenen Verwertung dieser Positionen berechtigt und hat dadurch »er242
RG vom 25.6.1890, RGZ 28, 238, 247 – Börsenverein. Dazu Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 30 Rn. 83 ff. und Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, § 69 I 2 e, f, S. 175 f. jeweils m.w.Nachw. Für das Lauterkeitsrecht offen gelassen wurde die Problematik in den Entscheidungen BGH vom 23.5.1991, WRP 1993, 91, 94 – Kastanienmuster betreffend den Schutz von Modeschöpfungen im Wege des ergänzenden Leistungsschutzes und BGH vom 17.5.1960, GRUR 1960, 554, 557 – Handstrickverfahren für einen Fall der so genannten Vorlagenfreibeuterei. 244 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, § 69 I 2 f, S. 176. 245 Z.B. den kommerziellen Bestandteilen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. 243
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höhte Marktchancen«246. Ihm steht eine ausschließliche Benutzungsbefugnis zu, die ihm durch die Rechtsordnung zugewiesen ist247. Der entscheidende Unterschied zur allgemeinen Marktchance liegt darin, dass das Schadensrecht im Falle der Beeinträchtigung einer privilegierten Wettbewerbsposition an deren spezifischen Vermarktungsmöglichkeiten anknüpft. Es wäre allerdings ungenau, den rechtlich geschützten Inhalt der Schutzrechtsstellung allein auf die Marktchance zu reduzieren248. Richtig ist zwar, dass die dem Inhaber zustehende Benutzungsbefugnis dem Berechtigten eine Vermarktung ermöglicht, die beim Eingriff vom Verletzer erlangt und gewissermaßen konsumiert wird, indem er unter Verwertung des Schutzobjekts unberechtigt Nachfrage befriedigt249. Doch müssen zwei Aspekte berücksichtigt werden: Erstens können die geschützten Güter auch Nutzungen ohne Marktbezug erfassen. Zweitens ist die Marktchance eines Unternehmers ein komplexer wirtschaftlicher Begriff, dessen Inhalt und Umfang sich nicht allein von der Schutzrechtsstellung, sondern von weiteren wirtschaftlichen Faktoren ableiten250. Dies hindert indessen nicht eine schadensrechtliche Orientierung am Marktwert, weil es dabei allein um die tatsächliche Bewertung der rechtlich geschützten Position geht. Die entscheidenden Kriterien hierfür liefert das Referenzsystem des Marktes. Den Hauptanwendungsfall für die schadensrechtliche Beurteilung von privilegierten Wettbewerbspositionen bildet die dreifache Schadensberechnung251. Der schadensrechtliche Sonderweg der dreifachen Schadensberechnung beruht – kurz gesagt – darauf, dass die (potenziellen) wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeiten der geschützten Position zum Anknüpfungspunkt der Schadensberechnung werden. 2. Ermittlungsdilemma Die Ermittlung des ersatzfähigen Schadens im Wettbewerb, einschließlich des Nachweises der Kausalität, stellt einen Geschädigten oft vor immense Schwierigkeiten. Naturwissenschaftlich klare Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung lassen sich im Wettbewerb typischerweise ebenso wenig genau darlegen wie die dadurch entstandenen Einbußen. Zwar liegt oft greifbar auf der Hand, dass der Geschädigte durch ein bestimmtes Verhalten Nachteile erlitten haben muss, nur besteht die entscheidende rechtliche Hürde darin, diese Vorgänge sozusagen »gerichtsfest« darzulegen. Einen »Königsweg« zur Überwindung dieses Ermittlungsdilemmas gibt es nicht. Man kann diesen Schwierigkeiten auf verschiedenen Wegen begegnen, die ihrerseits jeweils Vorzüge und Nachteile aufweisen. 246 247 248 249 250 251
Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, Tz. 33, S. 43. BGH vom 24.11.1981, BGHZ 82, 299, 306 – Kunststoffhohlprofil II. In diesem Sinne etwa Kraßer, GRUR Int. 1980, 259, 268. Kraßer, GRUR Int. 1980, 259, 268. BGH vom 24.11.1981, BGHZ 82, 299, 307 – Kunststoffhohlprofil II. Dazu eingehend § 4. D. II. 4., S. 253 ff.
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a) Verstärkte Berücksichtigung wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse Eine Möglichkeit zur Bewältigung des Ermittlungsdilemmas besteht darin, im Schadensrecht stärker auf die Erkenntnisse wirtschaftswissenschaftlicher Nachbardisziplinen zurückzugreifen252. Durch den Einfluss der ökonomischen Analyse des Rechts ist der Blick für rechtliche und ökonomische Zusammenhänge in vielen Bereichen, auch im Delikts- und Schadensrecht, geschärft worden. In Vorbereitung des Grün- und Weißbuchs der Kommission zu Schadensersatzklagen bei Verstößen gegen das Gemeinschaftskartellrecht wurde eine umfassende Studie zu den Möglichkeiten der Schadensberechnung vorgelegt253. Solche Erkenntnisse können vielfach wichtige Hilfestellungen geben und dabei zugleich die Transparenz und die Überzeugungskraft rechtlicher Begründungen stärken. Mögliche Anwendungsbereiche sind neben der Schadensberechnung254 beispielsweise Kausalitätsfragen, die ein Wissen über Wirkungszusammenhänge im Wettbewerb erfordern. Bei der Berechnung von Wettbewerbspreisen können Marktsimulationsmodelle wichtige Anhaltspunkte liefern255. Des Weiteren können betriebswirtschaftliche Ansätze bei der Berechnung des Wertes von Schutzrechten heranzuziehen sein256. Bei aller Offenheit gegenüber solchen Ansätzen darf man aber die damit verbundenen Gefahren nicht aus den Augen verlieren257. Wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse helfen nur dann, wenn der Jurist exakt sagen kann, in welchem Zusammenhang diese Erkenntnisse für ihn von Bedeutung sind. Der Blick auf fachfremde Disziplinen darf nicht dazu verleiten, rechtliche Fragen in Nachbardisziplinen auszulagern. Es bleibt immer die Aufgabe des Richters, darüber zu entscheiden, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe ein ersatzfähiger Schaden entstanden ist. Wirtschaftswissenschaftler können diese Frage nicht beantworten, sondern allenfalls dem Juristen bei der Beantwortung sachkundige Hilfestellungen geben. Der fachliche Austausch zwischen Rechtswissenschaft und Nachbardisziplinen kann zudem durch terminologische Unschärfen erschwert werden. Nicht selten werden gleiche Begriffe in verschiedenen Fachgebieten mit unterschiedlichem Inhalt verwendet. Ein Beispiel hierfür bildet der Gewinn: Während der Jurist beispielsweise beim Verletzergewinn im Rahmen der dreifachen Schadensberechnung, beim Gewinn im Sinne von § 10 Abs. 1 UWG und beim Gewinn im Sinne des § 33 Abs. 3 S. 3 GWB von einem übereinstimmenden Begriffsinhalt
252
Dazu eingehend Huber, Fragen der Schadensberechnung, S. 28 ff., 137 ff. Zur Leistungsfähigkeit der einzelnen Disziplinen a.a.O., S. 35 ff. 253 Ashurst-Studie, Calculation of damages; siehe dazu Hildebrand, WuW 2005, 513, 518 f. 254 Eingehend zu den wirtschaftstheoretischen Aspekten bei der Ermittlung von Schäden im Kartellrecht Haucap/Stühmeier, WuW 2008, 413 ff. 255 Hildebrand, WuW 2005, 513, 519. 256 Menninger/Nägele, WRP 2007, 912, 915 ff. 257 Huber, Fragen der Schadensberechnung, S. 30 ff.
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§ 3. Grundstrukturen und Grundprobleme
ausgeht, ist der Gewinn im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne vom jeweiligen Kontext und den relevanten Bezugsgrößen abhängig258. Weiterhin ist zu bedenken, dass wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse auf Modellen beruhen, also auf einer bewussten Abstrahierung von der Wirklichkeit. Die dadurch gewonnenen Ergebnisse sind abhängig von den im Ausgangspunkt getroffenen Annahmen und variieren mit diesen. Der Jurist hat es dagegen in einem Schadensfall mit der äußerst komplexen und vielschichtigen Lebenswirklichkeit zu tun, die sich mit Modellen oft nur annähernd und unvollständig erfassen lässt. Auf Modellen beruhende Aussagen können daher nicht einfach verallgemeinert und auf die Lebenswirklichkeit übertragen werden, sondern stehen in einer Wechselbeziehung mit den jeweiligen Ausgangsbedingungen259. Nicht unterschätzt werden sollte schließlich die Gefahr einer möglichen Erschwerung der Rechtsdurchsetzung. Die Berücksichtigung fachfremder Erkenntnisse kann im Rechtsstreit zusätzliche Angriffsflächen bieten und damit eine Streitbeilegung unter Umständen mehr behindern als erleichtern. Eine immer feiner ausdifferenzierte Schadensberechnung unter Beachtung wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse kann, muss aber nicht zwingend zu rechtlich überzeugenderen Ergebnissen führen. Eine Berücksichtigung möglichst vieler unterschiedlicher Faktoren im Rahmen der Schadensberechnung führt nicht automatisch zu gerechteren Entscheidungen. Vielfach wird lediglich eine zweifelhafte Scheingenauigkeit erreicht, die mit einem Mangel an Praktikabilität teuer erkauft wird. b) Erfahrungssätze Der entgegengesetzte Ansatz zielt auf eine Stärkung der Praktikabilität der Schadensberechnung unter Inkaufnahme möglicherweise ungenauerer Ergebnisse. Vielfach arbeitet die Rechtsprechung beispielsweise mit großzügigen Erfahrungssätzen und Beweiserleichterungen, die dazu dienen, dem Geschädigten im Zivilverfahren die substantiierte Darlegung der zur Haftungsausfüllung maßgeblichen Umstände zu ermöglichen. So ist es nach Ansicht der Rechtsprechung nicht notwendig, dass der Geschädigte zur Begründung seines Schadensersatzbegehrens konkret darlegt, ob und welcher Kunde von ihm zum Schädiger gewechselt ist, sondern es genügt, wenn der Verletzte zur Ursache eines erlittenen Umsatzrückgangs und zur Höhe der Verlagerung des Umsatzes auf den Schädiger vorträgt260. Bei Erfahrungssätzen handelt es sich um typisierende Annahmen über Geschehensabläufe oder Wirkungszusammenhänge, die nach bestimmten Erkenntnissen zu erwarten sind, also einer gewissen Wahrscheinlichkeit unterliegen. Sie 258
Huber, Fragen der Schadensberechnung, S. 45. »Juristen … nehmen allzu oft ökonomische Aussagen für bare Münze, selbst wenn offengelegt wurde, daß die Gültigkeit bestimmter Sätze nur unter den angenommenen Modellbedingungen behauptet wurde«, Huber, Fragen der Schadensberechnung, S. 32. 260 BGH vom 26.4.1990, GRUR 1990, 687, 689 – Anzeigenpreis II. 259
C. Art und Inhalt des Schadensersatzes
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betreffen Regeln der allgemeinen Lebenserfahrung und Bildung oder besondere Sach- und Fachkunde und können auf der Beobachtung des alltäglichen Lebens ebenso beruhen wie auf wissenschaftlicher Forschung oder gewerblicher oder künstlerischer Betätigung261. Derartige Erfahrungssätze liegen in zivilverfahrensrechtlicher Sicht dem Beweis des ersten Anscheins zugrunde262. Es handelt sich bei dem Beweis des ersten Anscheins nicht um ein besonderes Beweismittel, sondern um eine Möglichkeit zur Beweiserleichterung. Wenn konkrete Indizien für einen bestimmten Wirkungszusammenhang fehlen oder Informationsdefizite bestehen, können diese »Lücken« durch Erfahrungssätze geschlossen werden. Gibt der Erfahrungssatz Auskunft über einen bestimmten typischen Geschehensablauf, dann kann der erste Anschein dafür sprechen, dass auch im konkreten Fall ein solcher Geschehensablauf vorlag. Es ist dann Sache des Schädigers, einen anderen Geschehensablauf nachzuweisen oder den Erfahrungssatz zu erschüttern. Illustrativ für diese Funktionsweise von Erfahrungssätzen ist die Filialleiterfehler-Entscheidung des BGH, die mit einem zweistufigen Erfahrungssatz arbeitet263: Die Parteien betrieben konkurrierende Verbrauchermärkte für Unterhaltungselektronik. Die Beklagte hatte in Werbeanzeigen für bestimmte Geräte beworben, die jedoch im Geschäft nicht vorrätig waren. Wird über die Bevorratung mit Waren getäuscht, weil die beworbenen Waren tatsächlich nicht im Geschäft des Werbenden vorhanden sind und mitgenommen werden, dann liegt es nach Auffassung des BGH nahe, dass ein Konkurrent einen Schaden erleidet. Denn die Fehlvorstellung über Möglichkeit zur sofortigen Mitnahme sei geeignet, die angesprochenen Interessenten zu veranlassen, überhaupt das Geschäft des Werbenden aufzusuchen264. Diese Annahme bildet die erste Stufe. Im Geschäft des Werbenden eröffne sich dann – auf zweiter Stufe – die Möglichkeit einer gezielten Einflussnahme, etwa durch eine persönliche Ansprache in einem Maß, das ohne die Täuschung nicht bestanden hätte265. Weil das Sortiment beider Verbrauchermärkte aus Sicht der Kunden jedenfalls teilweise austauschbar sei, liege es nahe, dass die irreführenden Werbemaßnahmen zu einer Umlenkung von Kunden zur Beklagten geführt haben266.
c) Schadenspauschalierung Neben der Anwendung von Erfahrungssätzen können praktische Ermittlungsprobleme durch Schadenspauschalierungen gemildert werden. Hierzu können Schätzungen der Schadenshöhe zugelassen und vereinfachte Berechnungsmethoden zur Anwendung gebracht werden267. Zustimmung verdient die Einschätzung 261
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 10 Rn. 11. Eingehend zu Rechtsnatur und Voraussetzungen des Anscheinsbeweises Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 112 Rn. 16 ff. 263 BGH vom 29.6.2000, GRUR 2000, 907 ff. – Filialleiterfehler. 264 BGH vom 29.6.2000, GRUR 2000, 907, 911 – Filialleiterfehler. 265 BGH vom 29.6.2000, GRUR 2000, 907, 911 – Filialleiterfehler. 266 BGH vom 29.6.2000, GRUR 2000, 907, 911 – Filialleiterfehler. 267 Zu allgemeinen Tendenzen einer Pauschalierung des Schadensrechts siehe nur Lange/Schiemann, Schadensersatz, Einl. V, S. 18 ff. 262
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§ 3. Grundstrukturen und Grundprobleme
Wagners, wonach es für die Rechtsanwendung im Grunde uninteressant ist, ob und wie sich der Schaden mit letzter Exaktheit berechnen lässt. Es bedarf vielmehr pragmatischer Entscheidungsregeln, die relativ einfach zu handhaben sind und eine möglichst optimale Annäherung an den »wahren Schaden« erlauben. Optimal ist die Annäherung dann, wenn weitere Gewinne an Präzision nur unter Inkaufnahme von Kosten zu haben wären, die größer als der Zusatznutzen der Präzision sind268. Ganz ähnlich schlägt die Kommission in ihrem Weißbuch zu Schadensersatzklagen bei Verstößen gegen das Gemeinschaftskartellrecht die Ausarbeitung eines pragmatischen und unverbindlichen Orientierungsrahmens für die Berechnung des Schadensersatzes bei Wettbewerbsverstößen vor, der beispielsweise approximative Methoden zur Berechnung oder vereinfachte Regeln zur Schätzung von erlittenen Verlusten enthalten könnte269. Derartige Pauschalierungen stehen wesensnotwendig in einem Spannungsverhältnis mit den dogmatischen Vorgaben des Schadensrechts. Bei einer pauschalen Berechnung des Schadensersatzes besteht stets die Gefahr einer Über- oder Unterkompensation und damit eines Verstoßes gegen Grundprinzipien des Schadensrechts. Ein solcher Weg ist indessen gangbar, sofern die Schadenspauschalierung vom Zweck der zugrunde liegenden Haftungsnorm gedeckt ist270. Das ist vor allem dann der Fall, wenn neben Individualinteressen auch überindividuelle Interessen zu berücksichtigen sind. Zur wirksamen Sicherung von funktionsfähigen Markt- und Wettbewerbsstrukturen können und müssen marktkonforme Anreizverhältnisse durch Schadenspauschalierungen hergestellt werden271, sofern andere Berechnungsvarianten nicht praktikabel sind. § 287 Abs. 1 ZPO eröffnet den Gerichten hierzu einen weiten Handlungsspielraum. Danach kann der Richter »unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung« über das Entstehen und die Höhe eines Schadens zu entscheiden. Die Vorschrift ermöglicht und erleichtert dem Richter die Entscheidungsfindung in Fällen, in denen eine stringente Beweisführung nicht möglich ist272. d) Schadensrechtliche Sonderwege und Pragmatik der Rechtsprechung Schließlich hat das Schadensrecht zuweilen Sonderwege eingeschlagen, um den besonderen Anforderungen in bestimmten Schadensfällen gerecht zu werden. Das Paradebeispiel für einen solchen Sonderweg bildet die dreifache Schadensberechnung273. Sie ist zugleich ein Beleg dafür, dass die Bedürfnisse der Praxis dogmatische Bedenken überwinden können.
268
Wagner, in: Eger/Schäfer, Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, S. 605, 626; siehe auch ders., AcP 206 (2006), 352, 460. 269 Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 8. 270 In diese Richtung bereits Assmann, BB 1985, 15, 22. 271 Assmann, BB 1985, 15, 22, der auf Grundlage dieser Überlegungen auch Vervielfachungen des ersatzfähigen Schadens zulassen will. 272 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 113 Rn. 2. 273 Dazu eingehend § 4. D. II. 4., S. 253 ff.
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IV. Geldentschädigung für Nichtvermögensschäden 1. Grundsatz Das deutsche Recht steht einer Geldentschädigung bei immateriellen Schäden misstrauisch gegenüber. Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann gemäß § 253 Abs. 1 BGB eine Entschädigung in Geld nur verlangt werden, wenn das Gesetz dies bestimmt. Diese Zurückhaltung dürfte auf mehrere Gründe zurückzuführen sein274. Für immaterielle Güter gibt der Markt keine Auskunft über die monetäre Bewertung. Fehlt es aber an einem aussagekräftigen Referenzsystem, dann bedürfte es eines weiten Ermessensspielraums des erkennenden Richters, um den individuellen Wert des verletzten Interesses festzustellen. Einen solchen richterlichen Freiraum hat der BGB-Gesetzgeber – wie die Materialien belegen275 – ausschließen wollen276. Des Weiteren wurde und wird es zum Teil als unpassend angesehen, »sich für die Verletzung ideeller Güter z.B. der Ehre in Geld abfinden zu lassen«277. Ob diese Gründe heute noch uneingeschränkt gültig sind und ob diese Erwägungen rechtspolitisch überzeugen können, ist fraglich278. Für den Umgang mit Nichtvermögensschäden waren und sind diese Leitgedanken jedoch prägend. 2. Ausnahmen a) Gesetzliche Ausnahmen Der Grundsatz der Nichtersatzfähigkeit von immateriellen Schäden gilt nicht für die in § 253 Abs. 2 BGB aufgeführten Beeinträchtigungen. Die dort genannten Ausnahmen – Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung – haben bei Rechtsverletzungen im Wettbewerb jedoch keine Bedeutung. Weitere gesetzliche Ausnahmen vom Grundsatz der Nichtersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden finden sich im Zusammenhang mit wettbewerbsbezogenen Zuwiderhandlungen nicht (mehr). Das Kartellrecht hatte ursprünglich noch im Falle der Verweigerung der Aufnahme in einen Verband eine billige Entschädigung in Geld vorgesehen279, doch wurde diese Regelung in der Praxis nie angewendet und deswegen gestrichen. Mit Recht wird deswegen kritisiert, der Gesetzgeber habe subjektiv wirtschaftliche Schäden stark vernach274
Gotthardt, Wandlungen schadensrechtlicher Wiedergutmachung, S. 3 f. »Durch allgemeine Anerkennung eines Entschädigungsanspruches wegen Verletzung eines nicht vermögensrechtlichen Interesses würde dem Richter jene dem deutschen Rechte fremde Souveränität seiner Stellung gegenüber dem Streitverhältnisse beigelegt, welche erst bei der Berathung der C.P.O. nach reiflicher Prüfung als bedenklich erfunden und deshalb verworfen wurde«, Motive zum Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Bd. II, S. 22. 276 Stoll, Begriff und Grenzen des Vermögensschadens, S. 18. Dagegen hält Neuner, AcP 133 (1931), 277, 290 Fn. 50 diese Überlegung für »abgetan«. 277 Neuner, AcP 133 (1931), 277, 290; Stürner, in: Festschrift für Großfeld, S. 1201, 1210. 278 Siehe dazu das Gutachten von Wagner zum 66. Deutschen Juristentag: Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht – Kommerzialisierung, Strafschadensersatz, Kollektivschaden, 2006. 279 § 35 Abs. 1 GWB a.F. 275
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§ 3. Grundstrukturen und Grundprobleme
lässigt, weil er nicht vorausgesehen habe, welche Bedeutung dem Schutz der Persönlichkeit, und zwar gerade auch der wirtschaftlichen und sozialen Bewegungsfreiheit der Person, unter fortgeschrittenen sozialen Verhältnissen zukomme280. Das österreichische Lauterkeitsrecht kennt dagegen eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung über den Ersatz von immateriellen Schäden bei unlauteren Handlungen. Gemäß § 16 Abs. 2 östUWG »kann das Gericht einen angemessenen Geldbetrag als Vergütung für erlittene Kränkungen oder andere persönliche Nachteile zusprechen, wenn dies in den besonderen Umständen des Falles begründet ist«. Ein solcher Schadensersatz setzt eine Beeinträchtigung des seelischen oder körperlichen Wohlbefindens voraus, die über den bloßen Ärger über die unlautere Handlung hinausgehen muss281. In jüngerer Zeit wurde ein Anspruch aus § 16 Abs. 2 östUWG von der Rechtsprechung beispielsweise im Falle der Behauptung über eine konkurrierende Tageszeitung bejaht, diese »betreibe Leserverblödung und ihre Ansichten seien schwachsinnig«282. Möglicherweise einen neuen Anwendungsbereich für immateriellen Schadensersatz im Wettbewerb eröffnet die RL 2004/48/EG. Diese Richtlinie betrifft zwar die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, kann aber – in bestimmten Fällen – auch auf unlautere Handlungen anzuwenden sein283. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie berücksichtigen die Gerichte bei Rechtsverletzungen neben den wirtschaftlichen Auswirkungen »in geeigneten Fällen auch andere als die rein wirtschaftlichen Faktoren, wie den immateriellen Schaden für den Rechtsinhaber«. Da die Richtlinie diese Rechtsfolge nicht an die Verletzung bestimmter geistiger Eigentumsrechte knüpft, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass ein immaterieller Schadensersatz grundsätzlich bei allen Verletzungen der von der Richtlinie erfassten Rechte in Betracht kommt. Der deutsche Gesetzgeber glaubt indessen, diese Vorgabe des Gemeinschaftsrechts nicht umsetzen zu müssen, obgleich nur das Urheberrecht einen ausdrücklichen Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden vorsieht284. Zur Begründung wird darauf verwiesen, eine Geldentschädigung könne nach der Rechtsprechung gewährt werden, wenn mit der Verletzung des geistigen Eigentumsrechts eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts einhergehe285. Dass damit der Richtlinie entsprochen wird, ist zweifelhaft. Denn die Richtlinie knüpft den immateriellen Schadensersatz gerade an die Verletzung des geistigen Eigentumsrechts, während das deutsche Recht die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und das Vorliegen besonderer Umstände verlangt. Es koppelt also den immateriellen Schadensersatz gerade vom geistigen Eigentumsrecht ab. Zudem ist die Zuerkennung einer Geldentschädigung nach der Rechtsprechung von besonderen Vorausset-
280 281 282 283 284 285
Stoll, Begriff und Grenzen des Vermögensschadens, S. 23. Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht, § 34 Rn. 52. OGH vom 10.10.1995, 4 Ob 49/95, ÖBl 1996, 134. Dazu unten § 4. A. III. 2. b), S. 186 ff. § 97 Abs. 2 S. 4 UrhG. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 16/5048, S. 33.
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zungen abhängig, die von Art. 13 Abs. 1, Unterabs. 1 der Richtlinie nicht gedeckt sind. Ein denkbares Anwendungsbeispiel für immateriellen Schadensersatz aufgrund der Richtlinie könnte etwa der Fall der Verleugnung der geistigen »Urheberschaft« eines nur nach UWG geschützten Erzeugnisses durch einen Konkurrenten bilden. b) Geldentschädigung bei Persönlichkeitsverletzungen als ungeschriebene Ausnahme Im deutschen Recht ist als ungeschriebene, richterrechtlich entwickelte und mittlerweile gewohnheitsrechtlich verfestigte286 Ausnahme von § 253 Abs. 1 BGB die Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen anerkannt287. Der Hauptanwendungsbereich dieser Geldentschädigung liegt allerdings im Medienrecht288 und betrifft dort Verletzungen des Persönlichkeitsrechts durch Massenmedien (insbesondere durch die Presse). Ein Beispiel bildet die Veröffentlichung erfundener Interviews mit Prominenten in bunten Blättern289. Die ungeschriebene Ausnahme vom Grundsatz der Nichtersatzfähigkeit immaterieller Schäden hat für die hier interessierenden Fälle unlauterer oder kartellrechtswidriger Handlungen unmittelbar kaum Bedeutung. Konstellationen, in denen eine solche Geldentschädigung in Betracht zu ziehen sein könnte, sind wohl hauptsächlich bei der Herabsetzung oder Verunglimpfung von Mitbewerbern290, bei der Anschwärzung von Mitbewerbern291 und im Zusammenhang mit Boykottaufrufen292 denkbar. Im Falle einer Beeinträchtigung der Person des Mitbewerbers greift allerdings der konkurrierende deliktische Schutz der §§ 823 ff. BGB. Deswegen wird für eine Heranziehung lauterkeitsrechtlicher oder kartellrechtlicher Anspruchsgrundlagen regelmäßig kein Bedürfnis bestehen. aa) Voraussetzungen der Geldentschädigung Voraussetzung für den ungeschriebenen Anspruch auf Geldentschädigung ist, dass sich die rechtswidrige Handlung gegen eine natürliche Person richtet. Verbänden, Organisationen, sonstigen Personenmehrheiten und damit auch Unternehmen als wirtschaftlichen Einheiten steht ein Anspruch auf Geldentschädigung nicht zu293. Darüber hinaus macht die Rechtsprechung die Zuerkennung 286 Beater, in: Soergel, BGB, § 823 Anh IV Rn. 243; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 7 VI, S. 452. 287 Seit BGH vom 14.2.1958, BGHZ 26, 349, 352 ff. – Herrenreiter. 288 Beater, Medienrecht, Rn. 1985 ff. 289 Insbesondere BGH vom 15.11.1994, BGHZ 128, 1 ff. – Caroline von Monaco; dazu Canaris, in: Festschrift für Deutsch, S. 85 ff.; Wagner, ZEuP 2000, 200 ff. 290 §§ 3, 4 Nr. 7, 6 Abs. 2 Nr. 5 UWG. 291 §§ 3, 4 Nr. 8 UWG. 292 § 21 Abs. 1 GWB; §§ 3, 4 Nr. 10 UWG. 293 BGH vom 8.7.1980, BGHZ 78, 24, 27 f. Ob § 16 Abs. 2 östUWG neben natürlichen Personen auch auf juristische Personen Anwendung findet, ist lebhaft umstritten; zum Streitstand siehe nur Duursma-Kepplinger, in: Gumpoldsberger/Baumann, UWG, § 16 Rn. 95 ff.
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der Geldentschädigung von weiteren Erfordernissen abhängig, über die in einer Gesamtabwägung zu entscheiden ist. Erstens muss eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts vorliegen294. Die Rechtsverletzung muss also besonderes Gewicht haben. Das ist im Einzelfall festzustellen und kann sich insbesondere aus der Art der Rechtsverletzung, aber auch aus den sonstigen Umständen ergeben. Zweitens muss ein schweres Verschulden des Verletzers vorliegen295. Das ist jedenfalls anzunehmen bei einem vorsätzlichen Handeln, doch kann bereits ein grob fahrlässiges Verhalten als schweres Verschulden zu werten sein. Drittens darf keine andere zumutbare und angemessene Ausgleichsmöglichkeit bestehen296. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob dem Schutzbedürfnis des Verletzten auf andere Weise Rechnung getragen werden kann. Im Lauterkeitsrecht wäre beispielsweise danach zu fragen, ob dem Schutzbedürfnis eines Opfers durch eine Urteilsveröffentlichung gemäß § 12 Abs. 3 UWG gedient ist. bb) Geldentschädigung als Ausdruck einer »Instrumentalisierung« des Privatrechts in überindividuellem Interesse Während der direkte Anwendungsbereich der Rechtsprechung zur Geldentschädigung bei Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts in lauterkeitsrechtlichen und kartellrechtlichen Sachverhalten kaum ins Gewicht fällt, sind die zugrunde liegenden Wertungen für das Wettbewerbsdeliktsrecht von großem Interesse. Der BGH hebt nämlich in der Caroline von Monaco-Entscheidung ausdrücklich den präventiven Charakter der Geldentschädigung hervor und misst diesem Wertungskriterium maßgebliche Bedeutung bei der Schadensbemessung zu: »Eine Verurteilung zur Geldentschädigung ist aber nur dann geeignet, den aus dem Persönlichkeitsrecht heraus gebotenen Präventionszweck zu erreichen, wenn die Entschädigung der Höhe nach ein Gegenstück auch dazu bildet, daß hier die Persönlichkeitsrechte zur Gewinnerzielung verletzt worden sind. Das heißt zwar nicht, daß in solchen Fällen rücksichtsloser Kommerzialisierung der Persönlichkeit eine ›Gewinnabschöpfung‹ vorzunehmen ist, wohl aber, daß die Erzielung von Gewinnen aus der Rechtsverletzung als Bemessungsfaktor in die Entscheidung über die Höhe der Geldentschädigung einzubeziehen ist. Von der Höhe der Geldentschädigung muß deshalb ein echter Hemmungseffekt auch für solche Vermarktung der Persönlichkeit ausgehen«297.
Die Betonung der Prävention und die Bezugnahme auf den vom Medienunternehmen durch die Rechtsverletzung erzielten Gewinn haben dieser Rechtspre294
BGH vom 19.9.1961, BGHZ 35, 363, 368 f. – Ginseng-Wurzeln; BGH vom 5.3.1963, BGHZ 39, 124, 133 – Fernsehansagerin; BGH vom 26.1.1971, NJW 1971, 698, 699; BGH vom 30.1.1979, NJW 1979, 1041; BGH vom 15.11.1994, BGHZ 128, 1, 12; BGH vom 30.1.1996, BGHZ 132, 13, 27. 295 BGH vom 26.1.1971, NJW 1970, 698, 699; BGH vom 30.1.1996, BGHZ 132, 13, 27. 296 BGH vom 19.9.1961, BGHZ 35, 363, 369 – Ginseng-Wurzeln; BGH vom 5.3.1963, BGHZ 39, 124, 133 – Fernsehansagerin. 297 BGH vom 15.11.1994, BGHZ 128, 1, 16 – Caroline von Monaco.
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chung – zu Unrecht – erhebliche Kritik eingebracht298. Es handelt sich um einen Anwendungsfall der Berücksichtigung überindividueller Interessen im Rahmen der Schadensersatzhaftung. Auf diese überindividuelle Funktion der Geldentschädigung hat überzeugend Beater hingewiesen299. Der Kläger nimmt durch seine private Klage gegen ein Medienunternehmen eine öffentliche bzw. medien(ordnungs)rechtliche Aufgabe wahr, für die es ansonsten keine gleichwertige Kontrollinstanz gibt. Zugleich erhält der Kläger durch die Geldentschädigung einen pekuniären Anreiz für sein Vorgehen300. Es laufen somit mehrere Funktionen deliktischer Schadensersatzhaftung zusammen: Der Geschädigte ist Initiator, der gegen einen Rechtsverstoß vorgeht. Er verfolgt damit zweifellos ein individuelles Interesse. Darüber hinaus nimmt er eine öffentliche Aufgabe wahr, indem er Medienäußerungen einer rechtlichen Kontrolle unterzieht. Da es eine andere Kontrollinstanz für Medien nicht gibt (etwa eine staatliche Zensurbehörde), wird mit der Geldentschädigung der private Einsatz im öffentlichen Interesse »vergütet«. Zugleich dient die Berücksichtigung des Verletzergewinns der Abschreckung des Unternehmens vor weiteren Rechtsverletzungen. Dabei handelt es sich um ein präventives Ziel. Es treffen mithin Ausgleichs-, Präventions- und Anreizfunktion deliktischer Schadensersatzhaftung komplementär zusammen. Diese Multifunktionalität erklärt zwanglos, warum die Geldentschädigung oft deutlich höher ausfällt als viele Schmerzensgelder, die in den Fällen des § 253 Abs. 2 BGB zugesprochen werden. Geldentschädigung und Schmerzensgeld verfolgen unterschiedliche Zwecke, sodass die Höhe des vom Schuldner zu zahlenden Betrages jeweils einem anderen Beurteilungsmaßstab unterliegt. Es ist daher nicht überzeugend, ohne Berücksichtigung dieser funktionellen Unterschiede anhand einer Gegenüberstellung von absoluten Summen die Kluft zwischen Geldentschädigungen und Schmerzensgeldern zu beklagen301. Fehl geht deswegen die Kritik, die Geldentschädigung im Medienrecht überschreite im Vergleich zu Schmerzensgeldsummen die »Grenze des sozial Erträglichen«302. Wenn man schon absolute Summen ins Verhältnis setzt, drängt sich eher die Frage auf, ob nicht das Problem bei den in der Praxis zuerkannten Schmerzensgeldsummen liegt, die zum Teil skandalös niedrig sind.
298 Siehe etwa Canaris, in: Festschrift für Deutsch, S. 85, 99 ff.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 7 VI, S. 453. Petersen, Medienrecht, § 4 Rn. 29 sieht die Rechtsprechung auf dem Weg zu punitive damages. 299 Beater, JZ 2004, 889, 892 f.; ders., Medienrecht, Rn. 1992 ff. 300 Beater, JZ 2004, 889, 893; ders., Medienrecht, Rn. 1749, 1993 ff. 301 So aber Ehmann, in: Erman, BGB, Anh § 12 Rn. 383; Petersen, Medienrecht, § 4 Rn. 31. 302 Ehmann, in: Erman, BGB, Anh § 12 Rn. 383.
§ 4. Schadensersatz im Lauterkeitsrecht A. Grundlagen I. Entwicklung Die Schadensersatzhaftung gehört zu den ersten und ältesten Sanktionen des Lauterkeitsrechts1. UWG 1896 und UWG 1909 konnten keinen einheitlichen Haftungstatbestand, sondern viele Einzelregelungen. Das UWG 1896 enthielt Schadensersatzansprüche in §§ 1, 6, 8 und 9. Demgegenüber zeichnete sich das UWG 1909 durch eine insgesamt sehr unübersichtliche Regelung der Sanktionen aus, die nicht zu Unrecht als »Irrgarten« bezeichnet wurde2. Schadensersatzansprüche konnten sich aus § 1, § 13 Abs. 6 Nr. 1 in Verbindung mit § 3, § 13 Abs. 6 Nr. 2 in Verbindung mit §§ 6 bis 6c, 7 und 8 sowie aus § 14 und § 19 in Verbindung mit §§ 17 und 18 UWG 1909 ergeben3. Doch nicht nur die Vielzahl von Einzeltatbeständen erschwerte die Rechtsanwendung. Es kam hinzu, dass die Haftungstatbestände zum Teil unvollständig ausgestaltet waren. Beispielsweise enthielt § 1 UWG a.F. keinen Hinweis auf das Erfordernis schuldhaften Handelns. Daraus resultierte lange Zeit Unsicherheit4 darüber, ob bei einem Verstoß gegen § 1 UWG a.F. der Schadensersatzanspruch vom Verschulden abhängig war. Auch § 19 UWG 1909 erwähnte ein Verschulden nicht, doch ergab sich das Verschuldenserfordernis hier aus dem subjektiven Tatbestand der §§ 17 und 18 UWG 1909. Die Anspruchsverpflichtung war nur zum Teil, die Anspruchsberechtigung war gesetzlich gar nicht geregelt5.
Die zerklüfteten Regelungen waren ein Spiegelbild der deliktsrechtlichen Konzeption des BGB. Der Schadensersatzanspruch aus § 1 UWG 1909 entsprach einer erweiterten Haftung nach dem Vorbild des § 826 BGB. Die Schadensersatzansprüche aus § 13 Abs. 6 und § 19 UWG 1909 nahmen Bezug auf die Verletzung bestimmter Schutznormen und fanden ihre bürgerlichrechtliche Entsprechung in
1
Schricker, RabelsZ 40 (1976), 535, 558 f. Henning-Bodewig, in: Festgabe für Beier, S. 521. 3 Anders aber Borck, WRP 1986, 1, 2, der den lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzanspruch auf § 823 Abs. 2 S. 1 BGB i.V.m. § 1 UWG a.F. stützen wollte. 4 Rspr. und ganz h.M. hielten bei § 1 UWG a.F. Verschulden für erforderlich, siehe nur BGH vom 26.4.1990, GRUR 1990, 1012, 1014 – Pressehaftung. Eingehend zum früheren Streitstand und zur Unklarheit in der Rspr. des RG Reimer, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, Kap. 74 Rn. 8. 5 Henning-Bodewig, in: Festgabe für Beier, S. 521, 528 ff. 2
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§ 823 Abs. 2 BGB. Der Schadensersatzanspruch aus § 14 Abs. 1 UWG 1909 bildete eine verschärfte Form der Haftung für unternehmensschädigende Äußerungen nach dem Vorbild der Haftung gemäß § 824 BGB. Dagegen fand § 823 Abs. 1 BGB keine direkte Entsprechung im UWG, weil das UWG im Unterschied zu § 823 Abs. 1 BGB keinen Schutz absoluter Rechte und Rechtsgüter verwirklicht, sondern die lauterkeitsrechtliche Haftung auf der Verletzung von unternehmensspezifischen deliktischen Verhaltenspflichten beruht. Die UWG-Reform 2004 brachte eine Neuordnung und »Entschlackung« der lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzhaftung. Der Gesetzgeber schuf mit § 9 S. 1 UWG einen einheitlichen Schadensersatzanspruch. Die verschärfte Haftung aus § 14 Abs. 1 UWG a.F. wurde gestrichen und die »Anschwärzung« im Katalog der Beispielstatbestände in § 4 Nr. 8 UWG aufgenommen, sodass die Schadensersatzhaftung bei »Anschwärzungen« nunmehr aus § 9 S. 1 UWG folgt. Geändert wurde das in § 9 S. 2 UWG enthaltene so genannte »Presseprivileg«. Es gilt nunmehr für sämtliche unlauteren Handlungen. Dass diese Neuregelungen nicht als Bruch mit der bisherigen Rechtslage wahrgenommen werden, sondern als kontinuierliche Fortentwicklung, hängt damit zusammen, dass die lauterkeitsrechtliche Schadensersatzhaftung bereits nach altem Recht trotz der verschiedenen Rechtsgrundlagen gedanklich zu einem einheitlichen Haftungstatbestand zusammengefasst wurde6. Zudem war der Gesetzgeber bei der UWG-Reform 2004 darum bemüht, an der bisherigen Rechtslage anzuknüpfen und diese fortzuschreiben7. Die UWG-Novelle 2008 brachte lediglich eine redaktionelle Änderung. Infolge der Abkopplung der unzumutbaren Belästigungen gemäß § 7 UWG von der Generalklausel des § 3 UWG wurde es notwendig, § 7 UWG in den Haftungstatbestand des § 9 S. 1 UWG aufzunehmen. Die materielle Rechtslage blieb unverändert.
II. Stellung und Bedeutung des Schadensersatzanspruchs im lauterkeitsrechtlichen Sanktionssystem 1. Rechtlicher und tatsächlicher Stellenwert der privatrechtlichen Sanktionen im Lauterkeitsrecht Vergleicht man die praktische Bedeutung von Schadensersatz- und Abwehransprüchen bei unlauteren Handlungen, dann ist eine eindeutige Gewichtung zu erkennen. Schadensersatzansprüche werden im Vergleich zu Unterlassungsansprüchen erheblich seltener geltend gemacht. Die Mehrzahl von Schadensersatz6 Aus diesem Grund wurde der Schadensersatzanspruch zumeist auch einheitlich kommentiert: siehe nur Köhler, in: Großkommentar, UWG, Vor § 13 Rn. 243 ff.; ders., in: Köhler/Piper, UWG, Vor § 13 Rn. 87 ff.; Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl (22. Aufl. 2001), Einl. UWG Rn. 339 ff. 7 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 23.
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klagen ist zudem auf eine Feststellung der Schadensersatzpflicht gerichtet, während über konkrete Summen nochmals seltener prozessiert wird. Indessen wäre es vorschnell, dem Schadensersatzanspruch allein aufgrund einer rein quantitativen Betrachtung Bedeutungslosigkeit bei der Bekämpfung von unlauteren Handlungen zu attestieren. Denn oft wird der gesetzliche Schadensersatzanspruch schon deswegen in den Hintergrund gedrängt, weil die Beteiligten außergerichtlich einen Unterwerfungsvertrag abschließen, zu dessen Inhalt das Versprechen einer Vertragsstrafe für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung gehört. In diesen Fällen der schnellen Streitbeilegung durch privatautonome Vereinbarung wird durch das Vertragsstrafeversprechen ein neben den gesetzlichen Schadensersatzanspruch tretendes zusätzliches Sanktionsinstrument geschaffen, das Vorzüge gegenüber der gesetzlichen Sanktion aufweist8. Weiterhin ist zu bedenken, dass die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs vom Kläger einen größeren Aufwand an Zeit und Kosten im Vergleich zur Geltendmachung eines Unterlassungsanspruches verlangt. Unterlassungsansprüche sind prädestiniert für die schnelle Lösung eines entstandenen Konflikts und schon deswegen bei Rechtsverstößen gleichsam das Sanktionsinstrument »erster Wahl«. Überwiegend werden Unterlassungsansprüche, wenn sie überhaupt vor Gericht kommen, im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes durchgesetzt. Die Praxis fördert eine schnelle Streitbeilegung, indem sie dem Kläger bei Unterlassungsansprüchen nicht nur mit Beweiserleichterungen hilft9, sondern mit der Abschlusserklärung auch einen Weg gefunden hat, eine nur vorläufige gerichtliche Entscheidung mit endgültiger Befriedungswirkung zu versehen. Bei Schadensersatzklagen stehen dem Kläger vergleichbare Erleichterungen nicht zur Hand. Der Kläger muss ein Hauptsacheverfahren anstreben und häufig bedarf es dabei einer Stufenklage. Dieser aufwendigere Weg ist freilich legitim und notwendig, weil Schadensersatzansprüche schwer abschätzbare wirtschaftliche Risiken in sich bergen und schlimmstenfalls ruinöse Folgen für einen Schädiger haben können. Während bei der Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen eine schnelle Entscheidung, verbunden mit einer »gröberen rechtlichen Sichtung« vielfach dem Interesse der Parteien entspricht, wird über Schadensersatzansprüche oft erbittert gestritten und die Parteien ringen im wahrsten Sinne um jeden Cent. Weil jeder Unternehmer gezwungen ist, gewinnbringend zu arbeiten, sind Schadensersatzansprüche eine besonders empfindliche Sanktion. Nicht zuletzt deswegen ist schon die Drohung mit einem Schadensersatzanspruch ein wirksames Druckmittel zur »kaufmännisch vernünftigen Beilegung von Wettbewerbsstreitigkeiten«10 angesehen werden. Die wenig erfreuliche Aus8 Z.B. entfällt die schwierige Ermittlung und Bezifferung des Schadens, weil die Höhe der Vertragsstrafe bereits im Vorfeld fest vereinbart ist. Außerdem ist die Regelung der Vertragsstrafe privatautonomer Gestaltung zugänglich. Die Parteien können also eine »maßgeschneiderte« Vereinbarung treffen. 9 Z.B. Vermutung der Wiederholungsgefahr, wenn es bereits zu einem Rechtsverstoß gekommen ist und der Beklagte keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat. 10 Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 28 Rn. 1.
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sicht, in ein langwieriges und teures Verfahren mit ungewissem Ausgang verwickelt zu werden, wird einer außergerichtliche Einigung oft förderlich sein. Hilft dies nicht, dann trägt womöglich eine erhobene Feststellungsklage zur Steigerung der Vergleichsbereitschaft bei11. Gleichwohl wäre eine weitere Stärkung der Stellung des Schadensersatzes im Lauterkeitsrecht durchaus wünschenswert. Es sind dabei keineswegs allein Rechtsgründe, die dem entgegenstehen. Vielmehr wäre eine »Vitalisierung« des Schadensersatzes – nach der Einschätzung Teplitzkys – »bei mehr gutem Willen der Beteiligten, und zwar nicht nur der Gerichte, sondern auch der in der in diesem Bereich manchmal allzu frühzeitig entmutigt oder gar lustlos wirkenden Parteien und Parteivertreter« möglich12. Denn Rechtsprechung und Rechtsanwaltschaft haben es, gerade im Lauterkeitsrecht, sonst nie an Mut und Einfallsreichtum fehlen lassen, wenn es galt, den Rechtsschutz wirksamer auszugestalten13. Zurückhaltung ist geboten, soweit bisweilen von einem Zurücktreten des Kompensationsinteresses im Lauterkeitsrecht gesprochen wird14. Richtig ist, dass gerade der vorbeugende Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 S. 2 UWG bereits wirksam die Verletzung lauterkeitsrechtlich geschützter Interessen verhindern kann, sodass idealerweise Schäden gar nicht erst zur Entstehung gelangen und damit folgerichtig auch kein Kompensationsbedürfnis besteht. Verbreitet liegt es dagegen nicht am fehlenden Bedürfnis, sondern am fehlenden Willen der Beteiligten oder an rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten, dass Schadensersatzklagen nicht erhoben werden. Auch darf man nicht übersehen, dass das Lauterkeitsrecht einige Schadenskonstellationen, z.B. Schäden der Marktgegenseite, gar nicht erfasst. Diese Fälle sind nach Vertrags- und Deliktsrecht zu beurteilen. 2. Funktionalisierung des lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzes Der lauterkeitsrechtliche Schadensersatz wurzelt in dem Schutz der Individualinteressen des Mitbewerbers. Andere Marktakteure, insbesondere Verbraucher, können dagegen unmittelbar aus dem UWG keine Schadensersatzansprüche ableiten. Im Unterschied zu den Abwehransprüchen aus § 8 Abs. 1 UWG und zum Anspruch auf Gewinnabschöpfung gemäß § 10 Abs. 1 UWG sieht das UWG keinen kollektivrechtlichen Mechanismus der Schadensersatzhaftung vor. Über eine Funktionalisierung der Schadensersatzhaftung im überindividuellen Interesse wird im Lauterkeitsrecht bislang wenig nachgedacht. Zumindest Ansätze in diese Richtung sind erkennbar, wenn der Schadensersatzhaftung im Hinblick auf die Allgemeinheit eine »Wettbewerbssicherungsfunktion« zugebilligt wird15. Während aber im Kartellrecht die Schadensersatzhaftung als elementarer Bestandteil einer die Individualinteressen übergreifenden »Kultur des Wettbe11 12 13 14 15
Borck, WRP 1986, 1, 3; ders., Die anwaltliche Praxis in Wettbewerbssachen, Rn. 196. Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 28 Rn. 2. Teplitzky, GRUR 1987, 215. Dreier, Kompensation und Prävention, S. 488 f. Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 9 Rn. 5.
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werbs« erkannt ist16, dominiert im Lauterkeitsrecht noch die Mikroperspektive einer auf Individualschutz ausgerichteten Schadensersatzhaftung. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass der lauterkeitsrechtliche Schadensersatz vielfach mit Wertungen durchzogen ist, die darauf schließen lassen, dass auch überindividuelle Interessen berücksichtigungsfähig sind.
III. Einfluss des Gemeinschaftsrechts 1. Art. 10 EG Aus dem Loyalitätsgrundsatz des Art. 10 EG ergeben sich allgemeine Anforderungen an die Ausgestaltung von Sanktionen bei Verstößen gegen Rechtsvorschriften mit gemeinschaftsrechtlichem Bezug. Insbesondere müssen die Sanktionen dem Äquivalenzgrundsatz und dem Effektivitätsgrundsatz entsprechen. Der Äquivalenzgrundsatz verlangt, dass bei Verstößen gegen Bestimmungen, die auf dem Gemeinschaftsrecht beruhen, grundsätzlich die gleichen Sanktionen und Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen müssen, wie bei Verstößen gegen vergleichbare Vorschriften des nationalen Rechts. Diesen Anforderungen wird das UWG gerecht, weil die Schadensersatzhaftung der Mitbewerber nicht davon abhängig ist, ob ein Verstoß gegen nationale Unlauterkeitstatbestände vorliegt oder gegen Vorschriften, die der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht dienen. Nach dem Effektivitätsgrundsatz müssen die Sanktionen der Mitgliedstaaten die praktische Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen sicherstellen und insbesondere wirksam, abschreckend und verhältnismäßig sein. In diesem Zusammenhang kann man die Frage aufwerfen, ob eine wirksame Sanktionierung von unlauteren Handlungen möglicherweise eine Ausweitung der Anspruchsberechtigung über die Mitbewerber hinaus erfordert. Einen möglichen Anknüpfungspunkt bildet die Rechtsprechung des EuGH, der bei Verstößen gegen Gemeinschaftskartellrecht davon ausgeht, dass jedermann Ersatz des ihm durch einen Rechtsverstoß entstandenen Schadens verlangen können müsse17. Zudem hält der EuGH Schadensersatzansprüche prinzipiell für geeignete Mittel, um die Durchsetzungskraft marktbezogener Regelungen des Gemeinschaftsrechts zu erhöhen18. Die zum Kartellrecht ergangene Rechtsprechung des EuGH ist jedoch nicht auf das Lauterkeitsrecht übertragbar19. Das Lauterkeitsrecht ist 16
Dazu unten, § 5. A. II. 3., S. 312 ff. EuGH vom 21.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I- 6297 Rn. 26 – Courage und Crehan; EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 61 – Manfredi; eingehend unten § 5. A. III., S. 316 ff. 18 EuGH vom 17.9.2002, Rs. 253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 30 f. – Muñoz und Superior Fruiticola zur VO 2200/96. 19 Anders Keßler/Micklitz, VuR 2009, 88, 95: Angesichts des funktionalen Zusammenhangs, der durch Art. 81 und 82 EG konstatierten Verhaltensordnung mit den normativen Verhaltensvorgaben der Lauterkeitsrichtlinie, könne deren Anwendungsbereich kaum dem Postulat der Courage-Doktrin entzogen werden. 17
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im Gemeinschaftsrecht anders verankert als das Kartellrecht. Zudem sind Schadensersatzansprüche sonstiger Marktteilnehmer, die von einer unlauteren Handlung betroffen sind, nicht generell ausgeschlossen. Solche Ansprüche können sich aus den allgemeinen Vorschriften des Vertrags- und Deliktsrechts ergeben. Eine spezifisch lauterkeitsrechtliche Anspruchsgrundlage ist gemeinschaftsrechtlich nicht geboten. Denn die praktische Wirksamkeit der Schadensersatzhaftung hängt nicht von der systematischen Verortung einer Anspruchsgrundlage ab. 2. Sekundärrechtliche Vorgaben Das Lauterkeitsrecht wird vor allem durch Richtlinien geprägt20. Das Projekt einer Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt21 blieb dagegen erfolglos22. Die VO 2006/2004 betrifft vor allem organisatorische Fragen, beinhaltet aber keine Sanktions- und Verfahrensvorschriften. Grundlegende Bedeutung haben die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG) und die Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung (RL 2006/114/EG). Obgleich auf den Schutz des geistigen Eigentums ausgerichtet, kann auch die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (RL 2004/48/ EG) Rückwirkungen auf das Lauterkeitsrecht entfalten. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Richtlinien, die auf die Regelung bestimmter Lebensund Geschäftsbereiche zielen und lauterkeitsrechtliche Aspekte mitregeln23, z.B. die Richtlinien 89/552/EWG, 2000/31/EG, 2002/58/EG und 2003/33/EG. Ferner existiert eine Reihe von Bestimmungen, die besondere Informationspflichten und Irreführungsverbote enthalten. Schließlich sind aus allen möglichen anderen Lebensbereichen Richtlinien im Lauterkeitsrecht zu berücksichtigen24. Diese Regelungen bleiben im Folgenden jedoch unberücksichtigt.
a) Richtlinien 2005/29/EG und 2006/114/EG Mit den Richtlinien 2005/29/EG und 2006/114/EG sind wichtige Teilbereiche des Lauterkeitsrechts gemeinschaftsrechtlich geprägt. Dies umfasst neben den materiellrechtlichen Anforderungen auch bestimmte Fragen von Sanktionen und Verfahren. Wenngleich beide Richtlinien keine Bestimmungen zur Schadensersatzhaftung vorsehen, darf daraus nicht abgeleitet werden, dass die Richtlinien insoweit unbeachtlich wären. Denn aufgrund der engen Verbindung zwischen Schutzebene und Sanktionsebene können die materiellrechtlichen Vorgaben mög20
Albrecht, WRP 1997, 926 f.; Micklitz/Keßler, GRUR Int. 2002, 886, 887. Siehe zuletzt den geänderten Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt 2001/0227/COD. 22 Kommission, Mitteilung KOM (2005) 462, S. 10. 23 Micklitz/Keßler, GRUR Int. 2002, 886, 887 sprechen insoweit von einer »vertikalen Harmonisierung« durch die die nationalen Rechtsvorschriften lediglich im Lichte bestimmter Gesichtspunkte also punktuell angeglichen werden. 24 »Es gehört zum täglichen Brot des Wettbewerbsrichters, sich mit EG-Richtlinien oder Verordnungen mit sogenanntem wettbewerbsneutralem Inhalt, beispielsweise technischer Art zu befassen«, Ullmann, JZ 1994, 928, 931. 21
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licherweise Anpassungen der Sanktions- und Verfahrensvorschriften erforderlich machen. Bei der Heranziehung der Richtlinien 2005/29/EG und 2006/114/EG muss beachtet werden, dass beide Richtlinien unterschiedliche Harmonisierungsansätze verfolgen. Die Bestimmungen über irreführende Werbung gegenüber Gewerbetreibenden in der RL 2006/114/EG beinhalten lediglich einen Mindeststandard. Die Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten demzufolge nicht daran, Vorschriften aufrechtzuerhalten oder zu erlassen, die bei irreführender Werbung einen weiterreichenden Schutz vorsehen25. Demgegenüber sind die Bestimmungen zur vergleichenden Werbung abschließend26. Die RL 2005/29/EG bezweckt insgesamt eine Vollharmonisierung27. Dies ergibt sich neben den Erwägungsgründen28 vor allem aus Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie29. Probleme bereitet bei der RL 2005/29/EG die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereiches. Klar ist, dass die Richtlinie nur auf unlautere Geschäftspraktiken zwischen Unternehmern und Verbrauchern zielt. Da die Richtlinie eine Vollharmonisierung anstrebt, zugleich aber einige »offene Flanken« aufweist, wird vielfach erst der EuGH Klarheit schaffen können30. aa) Sanktions- und Verfahrensvorschriften Beide Richtlinien enthalten eine Reihe von Bestimmungen zu Sanktionen und Verfahren bei unlauteren Handlungen. Art. 11 bis 13 der RL 2005/29/EG und Art. 5 und 7 der RL 2006/114/EG sehen einen nahezu identischen Katalog von bestimmten Regelungen vor31, der jedoch insgesamt nicht abschließend ist. Selbst soweit die Richtlinien eine Vollharmonisierung anstreben, hindern sie die Mitgliedstaaten nicht daran, andere als die in den Richtlinien vorgesehenen Sanktions- und Verfahrensregelungen vorzusehen. Insbesondere können die Mitgliedstaaten bei unlauteren Handlungen Schadensersatzansprüche von Mitbewerbern vorzusehen, obgleich die Richtlinien hierzu keine näheren Bestimmungen enthalten. Die punktuellen Regelungen der Richtlinien sind nur insoweit (positiv) abschließend, als darin spezielle Anforderungen für die Ausgestaltung der Sank25
Art. 8 Abs. 1, Unterabs. 1 RL 2006/114/EG. Art. 8 Abs. 1, Unterabs. 2 RL 2006/114/EG. 27 EuGH vom 23.4.2009, Rs. C-261 und 299, WRP 2009, 722 Rn. 51 – VTA-VAB NV; siehe dazu auch die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 21.10.2008, Rn. 74 ff.; Fezer, WRP 2006, 781, 782; Henning-Bodewig, in: Festschrift für Schricker, S. 705, 709; Hoeren, BB 2008, 1182; Keßler, WRP 2007, 714, 716; Köhler, NJW 2008, 3032; ders., in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, Einl. Rn. 3.56. 28 Vgl. Erw. 13. 29 Hoeren, BB 2008, 1182. 30 Siehe dazu EuGH vom 23.4.2009, Rs. C-261 und 299/07 Rn. 65 – VTB-VAB NV. Weitere Vorabentscheidungsersuchen wurden vom BGH (5.6.2008, GRUR 2008, 807 – Millionen-Chance, Rs. C-304/08) und vom OGH (18.11.2008, 4 Ob 154/08p, ÖBl 2009, 77 – Fußballer des Jahres II, Rs. C-540/08.) an den EuGH gerichtet. 31 Siehe dazu die Übersicht in Anhang I. 26
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tionen und des Verfahrens gestellt werden. Die RL 2005/29/EG bringt diesen speziellen Charakter an mehreren Stellen zum Ausdruck. Art. 11 verpflichtet die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass geeignete und wirksame Mittel zur Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken vorhanden sind. Welche Mittel dabei insbesondere in Betracht kommen, wird durch die Vorschrift im Weiteren konkretisiert. Aus Art. 13 folgt in Ergänzung hierzu, dass die Mitgliedstaaten über die Vorgaben der Art. 11 und 12 hinaus weitere Sanktionen vorsehen können, um die Einhaltung der nationalen Vorschriften zu gewährleisten, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie umgesetzt worden sind. Eine solche Regelung wäre ersichtlich überflüssig und sinnlos, wenn eine abschließende Regelung der Sanktions- und Verfahrensvorschriften beabsichtigt gewesen wäre. In Erwägungsgrund 9 wird schließlich klargestellt, dass die Richtlinie individuelle Klagen von Personen, die durch eine unlautere Geschäftspraxis geschädigt wurden, unberührt lässt. Für die RL 2006/114/EG gilt, dass die Sanktions- und Verfahrensvorschriften lediglich einen Mindeststandard abstecken, der nicht unterschritten werden darf. Denn die Regelungen zu den Sanktionen waren bereits in der ursprünglichen Fassung der Richtlinie zur Regelung der irreführenden Werbung enthalten, die eine Mindestharmonisierung bezweckte. Durch die spätere Aufnahme der (materiellrechtlichen) Bestimmungen zur vergleichenden Werbung und die Neukodifikation der Richtlinie hat sich dieser rechtliche Kontext nicht verändert. Die Sanktions- und Verfahrensvorschriften der RL 2006/114/EG und 2005/ 29/EG beschränken sich im Wesentlichen auf unmittelbare Maßnahmen, mit denen es möglich ist, gegen die unlautere Handlung als solche vorzugehen32 und Maßnahmen zur Einstellung der beanstandeten Praktik zu verlangen33 oder eine bevorstehende unlautere Handlung zu verhindern34. Ferner sind flankierende Maßnahmen vorgesehen, z.B. die Veröffentlichung von Entscheidungen35 oder von berichtigenden Erklärungen36. Beide Richtlinien verlangen übereinstimmend, dass die Mitgliedstaaten »geeignete und wirksame Mittel« zur Bekämpfung unlauterer Praktiken vorsehen37. Art. 13 der Richtlinie 2005/29/EG legt darüber hinaus fest, dass die Mitgliedstaaten zur Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken Sanktionen vorsehen, die bei Verstößen gegen die nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie anzuwenden sind, und dass die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen treffen, um die Durchsetzung dieser 32
Art. 5 Abs. 1, Unterabs. 2 RL 2006/114/EG = Art. 11 Abs. 1, Unterabs. 2 RL 2005/29/EG. Art. 5 Abs. 3, Unterabs. 1, Buchst. a RL 2006/114/EG = Art. 11 Abs. 2, Unterabs. 1, Buchst. a RL 2005/29/EG. 34 Art. 5 Abs. 3, Unterabs. 1, Buchst. b RL 2006/114/EG = Art. 11 Abs. 2, Unterabs. 1 Buchst. b RL 2005/29/EG. 35 Art. 5 Abs. 4, Buchst. a RL 2006/114/EG = Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 3, Buchst. a RL 2005/ 29/EG. 36 Art. 5 Abs. 4, Buchst. b RL 2006/114/EG = Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 3, Buchst. b RL 2005/ 29/EG. 37 Art. 5 Abs. 1, Unterabs. 1 RL 2006/114/EG und Art. 11 Abs. 1, Unterabs. 1 RL 2005/29/EG. 33
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Rechtsvorschriften sicherzustellen. Die hierzu vorgesehenen Sanktionen »müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein«. Hiermit sind die Maßstäbe angesprochen, die gemäß Art. 10 EG an die Mitgliedstaaten zu stellen sind38. bb) Individuelle Schadensersatzansprüche für Verbraucher? Vereinzelt ist nach dem Inkrafttreten der Richtlinie 2005/29/EG die Ansicht vertreten worden, der von der Richtlinie bezweckte Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher mache die Einführung von Verbraucherindividualrechten erforderlich39. Fezer betont, ein verbraucherschützendes Sanktionenrecht sei die zwingende Folge eines originären Verbraucherschutzes im materiellen Lauterkeitsrecht. Im Interesse einer »Effektuierung der materiellen Verbraucherrechte im Lauterkeitsrecht« sei es erforderlich, »einen Kanon an verbraucherschützenden Sanktionen im Lauterkeitsrecht zu normieren, der eine Gleichgewichtslage zum Sanktionenrecht des Wettbewerberschutzes gewährleistet«. Rechtstheoretisch stützt Fezer seine Forderung nach individualrechtlichen Sanktionen auf das Prinzip einer funktionellen Subjektivierung des Richtlinienrechts im Interesse eines effektiven Richtlinienvollzugs40. Indessen verlangt eine an dem materiellrechtlichen Schutz orientierte Ausgestaltung des Sanktionssystems keineswegs eine Subjektivierung im Sinne einer Individualisierung des Rechtsschutzes. Eine wirksame und effektive Rechtsdurchsetzung muss nicht notwendigerweise Individualrechte oder Individualansprüche einzelner Marktakteure zur Folge haben, die aus dem Lauterkeitsrecht erwachsen müssen. Eine solche Ausgestaltung wäre nur dann zwingend, wenn die materiellrechtlichen Vorschriften ihrerseits gerade eine individualschützende Konzeption verfolgen. Indessen lässt sich eine solche Vorgabe aus der Richtlinie weder direkt noch indirekt ableiten. Nach Art. 11 Abs. 1, Unterabs. 1 RL 2005/29/EG stellen die Mitgliedstaaten im Interesse der Verbraucher sicher, dass geeignete und wirksame Mittel zur Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken vorhanden sind, um die Einhaltung der Richtlinie durchzusetzen. Diese Mittel umfassen Rechtsvorschriften, die es Personen oder Organisationen, die nach dem nationalen Recht »ein berechtigtes Interesse« an der Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken haben, gestatten, gegen unlautere Geschäftspraktiken im Sinne der Richtlinie vorzugehen. Die RL 2006/114/EG enthält eine entsprechende Formulierung in Art. 5 Unterabs. 1; ihre Vorgängerrichtlinie 84/450/EWG enthielt eine entsprechende Bestimmung in Art. 4 Abs. 1 S. 2. Obgleich die RL 84/450/EWG in ihrer alten Fassung ausweislich der Erwägungsgründe ausdrücklich dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher diente, ist die Richtlinie nicht dahingehend verstanden worden, der einzelne Verbraucher müsse zum Schutz vor irreführender Werbung über lauterkeitsrechtliche Individualrechte verfügen. Die RL 2005/29/EG ersetzt 38 39 40
Dazu oben § 2. B. II., S. 86 ff. Berlit, RIW 5/2005, »Die erste Seite«; Fezer, WRP 2006, 781, 788. Fezer, WRP 2006, 781, 788 m.w.Nachw.
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die bisherigen Vorgaben durch eine abschließende Regelung in Bezug auf den Verbraucherschutz, doch ergeben sich daraus keine weiter gehenden Anforderungen hinsichtlich der Anspruchsberechtigung von Verbrauchern. Einen weiteren wichtigen Anhaltspunkt gegen eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zur Schaffung von Individualansprüchen auf Grundlage der RL 2005/29/EG bieten die Erwägungsgründe. Danach werden individuelle Klagen von Personen, die durch eine unlautere Handlung geschädigt wurden, durch die Richtlinie nicht berührt41. Das lässt den Schluss zu, dass die Richtlinie keine inhaltlichen Vorgaben für etwaige Individualansprüche geben will – unabhängig davon, ob es sich um geschädigte Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer handelt. Denn in den Erwägungsgründen ist allgemein von Personen, nicht dagegen von bestimmten Marktteilnehmern die Rede. Schließlich muss berücksichtigt werden, dass auf Sanktionsebene nur dann Verbraucherindividualrechte vorgesehen werden müssen, wenn auf materiellrechtlicher Ebene gerade Individualinteressen von Verbrauchern geschützt werden. Einen solchen individualschützenden Ansatz verfolgt die Richtlinie jedoch nicht. Denn es kommt nicht darauf an, ob ein einzelner Verbraucher tatsächlich getäuscht, genötigt, bedroht oder auf sonstige unlautere Weise im Wettbewerb benachteiligt wird. Vielmehr zielt die Richtlinie allein auf den Schutz kollektiver Interessen von Verbrauchern, also von Interessen, die allen Verbrauchern oder den Angehörigen einer »identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern« gemeinsam sind. Den Beurteilungsmaßstab bildet folgerichtig nicht der einzelne Verbraucher in der konkreten Situation, sondern der normative Maßstab eines Durchschnittsverbrauchers42. Aus alledem folgt, dass die Richtlinie 2005/29/EG die Frage individueller Ansprüche, gleichgültig welchen Inhalts, des von einer unlauteren Geschäftspraktik betroffenen Verbrauchers nicht regeln will, sondern hierfür auf die bereits bestehenden zahlreichen gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzvorschriften verweist und die Einführung von Individualrechten im Übrigen ganz den Mitgliedstaaten überlässt43. Hätte die Richtlinie Individualrechte für Verbraucher, insbesondere Schadensersatzansprüche, vorsehen wollen, dann hätte dies im Wortlaut der Richtlinie eindeutig zum Ausdruck kommen müssen. Dieser Weg ist gemeinschaftsrechtlich jedoch nicht beschritten worden. Zudem sieht die Richtlinie behördliche und privatrechtliche Sanktionen als funktionell äquivalent an, was den Schluss zulässt, dass privatrechtliche Ansprüche von Verbrauchern gemeinschaftsrechtlich nicht zwingend geboten sind. Es steht daher nicht im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht, wenn beispielsweise das deutsche und das österreichische Lauterkeitsrecht die Frage nach der Existenz von Individualansprüchen der Verbraucher bei unlauteren Handlungen unterschiedlich beantwor41
Erw. 9. Die Ausrichtung der Richtlinie am normativen Leitbild des Durchschnittsverbrauchers beruht wiederum auf der integrationspolitischen Sicht des Gemeinschaftsrechts, Leistner, ZEuP 2009, 56, 59. 43 Vgl. Art. 11 Abs. 1, Unterabs. 2; Erw. 21 RL 2005/29/EG. 42
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ten44. Dass Verbraucher aus dem UWG keinen Individualrechte und -ansprüche ableiten können, bedeutet weder eine Schwächung der Durchsetzungskraft des Gemeinschaftsrechts, noch eine Beeinträchtigung des von der Richtlinie verfolgten Zieles des Verbraucherschutzes. Denn die Verbraucher stehen bei unlauteren Handlungen keineswegs rechtlos, sondern können im Gegenteil auf vielfältige Rechtsbehelfe des Vertrags- und Deliktsrechts zurückgreifen, die den verschiedenartigen Interessen der Betroffenen typischerweise sogar besser gerecht werden, als ein lauterkeitsrechtlicher Schadensersatzanspruch45. b) »Enforcement«-Richtlinie 2004/48/EG Die RL 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums zielt nicht unmittelbar auf das Lauterkeitsrecht, sondern sie beinhaltet Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die erforderlich sind, um die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sicherzustellen46. Der Anwendungsbereich der Richtlinie umfasst den Schutz der Rechte des geistigen Eigentums, insbesondere die gewerblichen Schutzrechte47. Zwar betrifft die Richtlinie damit nicht das »Kernlauterkeitsrecht«, jedoch liegen bestimmte unlautere Handlungen – namentlich der ergänzende Leistungsschutz gemäß § 4 Nr. 9 UWG und der Schutz von Unternehmensgeheimnissen gemäß §§ 17 bis 19 UWG – gewissermaßen im Grenzbereich zum Schutz des geistigen Eigentums, sodass der Richtlinie insoweit Einfluss zukommen kann. Ob die Richtlinie Konstellationen dieser Art erfassen will, lässt sich aus den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen nicht klar entnehmen. Hinzu kommt, dass der ergänzende Leistungsschutz und der Schutz von Unternehmensgeheimnissen Sondermaterien betreffen, deren dogmatische Einordnung im nationalen Recht und im Gemeinschaftsrecht Schwierigkeiten bereitet. Die Richtlinie geht davon aus, dass ihr Anwendungsbereich »so breit wie möglich« gewählt werden muss48. Die Mitgliedstaaten sind zudem nicht daran gehindert, »die Bestimmungen bei Bedarf zu innerstaatlichen Zwecken auf Handlungen auszuweiten, die den unlauteren Wettbewerb einschließlich der Produktpiraterie oder vergleichbare Tätigkeiten« betreffen49. Diese Erwägungen lassen den Schluss zu, dass die Richtlinie einem weiten Verständnis der Rechte des geistigen Eigentums unter Einbeziehung bestimmter unlauterer Handlungen nicht entgegensteht. Gegen eine Einbeziehung dieser Konstellationen in den Anwendungsbereich der Richt44 Für das deutsche Recht Individualansprüche von Abnehmer ablehnend: BGH vom 14.5.1974, GRUR 1975, 150 – Prüfzeichen; für das österreichische Recht Individualansprüche von Verbrauchern bejahend: OGH vom 24.2.21998, GRUR Int. 1999, 181 – 1. Hauptpreis; näher zu dieser Entscheidung unter IV., S. 188 ff. 45 Zu einer interessenbezogenen Unterscheidung vertragsrechtlicher Rechte und Ansprüche Alexander, Vertrag und unlauterer Wettbewerb, S. 62 ff., 165 ff., 245 ff. 46 Art. 1 S. 1 RL 2004/48/EG. 47 Art. 1 S. 2 RL 2004/48/EG. 48 Erw. 13. 49 Erw. 13.
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linie lässt sich auch nicht einwenden, dass der ergänzende Leistungsschutz und der Schutz von Unternehmensgeheimnissen nach deutschem Rechtsverständnis gerade nicht dem geistigen Eigentum, sondern dem Lauterkeitsrecht zugeordnet sind. Denn diese Einordnung ist keineswegs sachlich zwingend50, sondern ein Ergebnis der Rechtsentwicklung in Deutschland. Ohnehin ist die deutsche Systematik für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts nicht verbindlich. Vielmehr sind der Begriff des geistigen Eigentums und der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie nach gemeinschaftsrechtlichen Maßstäben zu beurteilen. Für eine Einbeziehung der Konstellationen des ergänzenden Leistungsschutzes und des Geheimnisschutzes spricht, dass die Richtlinie das Ziel verfolgt, den Anforderungen des TRIPs-Übereinkommens zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums51 gerecht zu werden. Es liegt daher nahe, den Anwendungsbereich der Richtlinie unter Rückgriff auf das Verständnis des TRIPs-Abkommens zu bestimmen. Eine ausdrückliche Definition des geistigen Eigentums enthält allerdings auch das TRIPs-Abkommen nicht. Gemäß Art. 1 Abs. 2 des TRIPs-Übereinkommens werden als »geistiges Eigentum« im Sinne des Übereinkommens alle Formen angesehen, die Gegenstand der Abschnitte 1 bis 7 des Teils II sind. Dazu gehören das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte52, Marken53, geografische Angaben54, gewerbliche Muster und Modelle55, Patente56, Layout-Designs (Topographien) integrierter Schaltkreise57 sowie der Schutz nicht offenbarter Informationen58. Nach Auffassung des EuGH kann der lauterkeitsrechtliche Schutz vor Nachahmungen als »Recht des geistigen Eigentums« im Sinne von Art. 50 Abs. 1 des TRIPs-Übereinkommens angesehen werden59. Aus den Bestimmungen des TRIPs-Abkommens ergibt sich nach Ansicht des Gerichts, dass das Übereinkommen es den Vertragsparteien im Rahmen ihres eigenen Rechtssystems, insbesondere des Privatrechtssystems, überlässt, die nach dem TRIPs-Abkommen als Rechte des geistigen Eigentums zu schützenden Interessen und die Methode ihres Schutzes im Einzelnen festzulegen, sofern dieser Schutz, insbesondere zur Verhinderung des Handels mit gefälschten Waren, wirksam ist und nicht zu Verzerrungen und Behinderungen des internationalen Handels führt60. 50 Ahrens, GRUR 2006, 617, 621 hält beispielsweise den ergänzenden Leistungsschutz und den Schutz von Unternehmensgeheimnissen im Lauterkeitsrecht für »rechtssystematisch falsch verankert« und plädiert dafür, diese Regelungen in eine immaterialgüterrechtliche Kodifikation einzubringen. 51 Art. 41 ff.; dazu Dreier, GRUR Int. 1996, 205, 210 ff. 52 Art. 9 ff. TRIPS-Übereinkommen. 53 Art. 15 ff. TRIPs-Übereinkommen. 54 Art. 22 ff. TRIPs-Übereinkommen. 55 Art. 25 f. TRIPs-Übereinkommen. 56 Art. 27 ff. TRIPs-Übereinkommen. 57 Art. 35 ff. TRIPs-Übereinkommen. 58 Art. 30 TRIPs-Übereinkommen. 59 EuGH vom 14.12.2000, Rs. C-300 und 392/98, Slg. 2000, I-11307 Rn. 62 – Dior. 60 EuGH vom 14.12.2000, Rs. C-300 und 392/98, Slg. 2000, I-11307 Rn. 60 – Dior.
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§ 4. Schadensersatz im Lauterkeitsrecht
Der BGH hat für das deutsche Recht darauf hingewiesen, dass im Lauterkeitsrecht eine dem immaterialgüterrechtlichen61 Schutz ähnliche Interessen- und Gefahrenlage eintreten kann, wenn die Nachahmung eines fremden Leistungsergebnisses nicht nur einem bestimmten Wettbewerber wegen persönlicher Unlauterkeit, sondern – wegen des besonderen Schutzwerts des nachgebildeten Erzeugnisses – jedem anderen untersagt ist62. Diese Wertungsparallele legt es nahe, die systematische Aussagekraft der gesetzlichen Regelungen zurückhaltend zu bewerten. Es ist nicht prinzipiell ausgeschlossen, dass bestimmte Sachfragen trotz einer Regelung im UWG dem Schutz des geistigen Eigentums zuzuordnen sind. Jedoch wäre es verfehlt, den Schutz des geistigen Eigentums kurzerhand auf das gesamte Lauterkeitsrecht zu erstrecken. Von daher verbietet sich eine pauschale rechtliche Einordnung. Stattdessen sollten die strengen Regeln zum Schutz des geistigen Eigentums nur auf solche Fallkonstellationen erstreckt werden, die nach Art und Umfang der geschützten Interessen Immaterialgüterrechten wertungsmäßig vergleichbar sind. Das kann keineswegs automatisch für sämtliche Fälle des ergänzenden Leistungsschutzes63 oder des Geheimnisschutzes bejaht werden. Daher ist eine »automatische« Anwendbarkeit der RL 2004/48/EG auf lauterkeitsrechtliche Sachverhalte abzulehnen. Jedoch kann die Richtlinie bei der Rechtsanwendung zu berücksichtigen sein, wenn aufgrund einer vergleichbaren Interessenlage auf immaterialgüterrechtliche Regelungen Bezug genommen wird. Dies betrifft insbesondere die Grundsätze der dreifachen Schadensberechnung. Nach der Rechtsprechung sind diese Grundsätze bei unlauteren Handlungen im Rahmen des ergänzenden Leistungsschutzes und bei der Verletzung von Unternehmensgeheimnissen anzuwenden64. Die RL 2004/48/EG hat mit Art. 13 spezielle Regelungen zum Schadensersatz getroffen, die im deutschen Recht spezialgesetzlich umgesetzt wurden. Wie die Richtlinie und die in Umsetzung erlassenen Rechtsvorschriften die dreifache Schadensberechnung auch im Lauterkeitsrecht beeinflussen, wird an späterer Stelle der Untersuchung eingehend zu erörtern sein65.
IV. Seitenblick nach Österreich Das östUWG sieht – der Rechtslage vor der UWG-Reform 2004 in Deutschland vergleichbar – eine Vielzahl unterschiedlicher Bestimmungen zum Schadensersatz vor. Schadensersatzansprüche enthalten §§ 1 Abs. 1, 2a Abs. 3, 7, 9 Abs. 2, 9a 61 Zu den Begriffen Immaterialgüterrecht und geistiges Eigentum siehe nur Götting, Gewerblicher Rechtsschutz, § 1 Rn. 1 ff. und Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, Rn. 23. 62 BGH vom 8.10.1971, BGHZ 57, 116, 120 ff. – Wandsteckdose II; darauf bezieht sich jüngst auch BGH vom 21.9.2006, GRUR 2007, 431 Tz. 27 – Steckverbindergehäuse. 63 Anders Beyerlein, WRP 2005, 1354, 1357 f. 64 Unten D. II. 4., S. 253 ff. 65 Unten D. II. 4. d), S. 270 ff.
A. Grundlagen
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Abs. 1, 13 und 34 Abs. 3 östUWG. Streitig ist, ob sich Schadensersatzansprüche bei unlauteren Handlungen neben dem Lauterkeitsrecht aus den allgemeinen Bestimmungen des ABGB in Verbindung mit den jeweiligen Vorschriften des östUWG ergeben können66. In Betracht kommen dabei insbesondere Ansprüche gemäß § 1311 S. 2, 2. Fall ABGB67 (Haftung bei Verletzung eines Schutzgesetzes) oder eine Haftung nach § 1295 Abs. 1 oder Abs. 2 ABGB68. Art und Umfang des lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzes werden durch § 16 östUWG näher bestimmt. Gemäß § 16 Abs. 1 östUWG umfasst der Schadensersatzanspruch den entgangenen Gewinn des Geschädigten. § 16 Abs. 2 östUWG sieht in bestimmten Fällen Geldentschädigung für immaterielle Schädigungen vor69. Die Frage der Anspruchsberechtigung wird im östUWG nicht näher geregelt. Einigkeit besteht darüber, dass jedenfalls der durch eine unlautere Handlung unmittelbar geschädigte Mitbewerber Schadensersatz verlangen kann. Nicht anspruchsberechtigt ist dagegen ein Mitbewerber, der seine Klageberechtigung nur aus § 14 Abs. 1 östUWG ableitet und in einem abstrakten Wettbewerbsverhältnis mit dem Verletzer steht70. Ob darüber hinaus auch andere Marktakteure, insbesondere Verbraucher, anspruchsberechtigt sind, ist bislang nicht abschließend geklärt71 und wird im Schrifttum unterschiedlich beurteilt72. Der OGH hat einem Verbraucher, der Opfer einer unlauteren Handlung geworden war, in der 1. Hauptpreis-Entscheidung einen Schadensersatzanspruch zugebilligt73: Im Streitfall war gegenüber der Geschädigten der unzutreffende Eindruck erweckt worden, sie habe bei einem Gewinnspiel den ersten Hauptpreis gewonnen. Die angebliche Gewinnerin forderte vergeblich den Hauptpreis. Als die Beklagte die Gewinnherausgabe ab-
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Dazu Duursma-Kepplinger, in: Gumpoldsberger/Baumann, UWG, § 16 Rn. 3 und 10. § 1311 ABGB lautet: »Der bloße Zufall trifft denjenigen, in dessen Vermögen oder Person er sich ereignet. Hat aber jemand den Zufall durch ein Verschulden veranlaßt; hat er ein Gesetz, das den zufälligen Beschädigungen vorzubeugen sucht, übertreten; oder, sich ohne Not in fremde Geschäfte gemengt; so haftet er für allen Nachteil, welcher außer dem nicht erfolgt wäre«. 68 § 1295 ABGB lautet: »(1) Jedermann ist berechtigt, von dem Beschädiger den Ersatz des Schadens, welchen dieser ihm aus Verschulden zugefügt hat, zu fordern; der Schade mag durch Übertretung einer Vertragspflicht oder ohne Beziehung auf einen Vertrag verursacht worden sein. (2) Auch wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise absichtlich Schaden zufügt, ist dafür verantwortlich, jedoch falls dies in Ausübung eines Rechtes geschah, nur dann, wenn die Ausübung des Rechtes offenbar den Zweck hatte, den anderen zu schädigen.« 69 Dazu bereits oben § 3. C. IV. 2. a), S. 171 f. 70 OGH vom 22.6.1938, 1 Ob 231/232/38, SZ 20/153; Duursma-Kepplinger, in: Gumpoldsberger/Baumann, UWG, § 16 Rn. 6; Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht, § 34 Rn. 56. 71 Siehe dazu die sehr eingehende Auseinandersetzung bei Duursma-Kepplinger, in: Gumpoldsberger/Baumann, UWG, § 16 Rn. 7 ff. 72 Für eine Anspruchsberechtigung der Verbraucher etwa Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht, § 34 Rn. 56; Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, S. 298; ablehnend dagegen Duursma-Kepplinger, in: Gumpoldsberger/Baumann, UWG, § 16 Rn. 14 ff., jeweils m.w.Nachw. 73 OGH vom 24.2.1998, 4 Ob 53/98, GRUR Int. 1999, 181 – 1. Hauptpreis. 67
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§ 4. Schadensersatz im Lauterkeitsrecht
lehnte, nahm die Geschädigte anwaltliche Hilfe in Anspruch. Der OGH verweist in seiner Entscheidung auf Stimmen im Schrifttum, die für die Stärkung des Verbraucherschutzes im Lauterkeitsrecht eintreten und daraus eine individuelle Anspruchsberechtigung von Verbrauchern ableiten wollen. Dieser Auffassung schließt sich der OGH kurzerhand an: »Der erkennende Senat hält die dargestellten Argumente der Lehre für überzeugend, daß auch ein Verbraucher, der das Opfer unlauteren Wettbewerbs geworden ist, Schadenersatzansprüche nach dem UWG gegen den unlauteren Wettbewerber besitzt. Auf die Frage, ob die Normen des UWG allenfalls Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB sind (…), muß deshalb nicht eingegangen werden. Somit erweisen sich jene Auslagen, die die Zedentin im Vertrauen auf den vermeintlich gewonnenen Hauptpreis aufgewendet hat, um anwaltlichen Rat zur Aufklärung über ihre Ansprüche einzuholen, als adäquater Vertrauensschaden, den die Bekl. durch ihr wettbewerbswidriges Handeln verursacht und deshalb zu ersetzen hat«74.
Die Entscheidung des OGH zur Anspruchsberechtigung von Verbrauchern in Bezug auf Schadensersatzansprüche blieb – soweit ersichtlich – bislang vereinzelt75. Hinsichtlich der entschiedenen Konstellation ist zu berücksichtigen, dass die Entscheidung vor dem Inkrafttreten des § 5j KSchG getroffen wurde76. Diese Vorschrift sieht nunmehr, § 661a BGB vergleichbar, einen gesetzlichen Anspruch auf Herausgabe von versprochenen Gewinnen vor. Aufgrund des singulären Charakters der Entscheidung und aufgrund der veränderten Rechtslage wird man die Aussagekraft des Urteils für das geltende Lauterkeitsrecht nicht überbewerten dürfen.
B. Struktur des Haftungstatbestands I. Grundanforderungen § 9 S. 1 UWG setzt eine unlautere geschäftliche Handlung voraus. Erforderlich ist eine nach § 3 oder § 7 UWG unzulässige geschäftliche Handlung. Diese Zweiteilung ist auf die Abkopplung des § 7 UWG von der Generalklausel des § 3 UWG zurückzuführen77. Tatbestandlich erfasst werden von § 9 S. 1 UWG sämtliche unlauteren geschäftlichen Handlungen. Es wird also weder nach der Art der unlauteren Handlung noch nach der Art der verletzten Interessen unterschieden. Die vereinzelt vorgetragene gegenteilige Gegenansicht, die in der Rechtsprechung78 Gefolgschaft gefunden hatte, war schon nach altem Recht unzutreffend. Danach sollte ein Unternehmer nicht als unmittelbar Verletzter anspruchsberechtigt sein bei Verstößen gegen Normen, die nicht dem Schutz bestimmter 74
OGH vom 24.2.1998, 4 Ob 53/98, GRUR Int. 1999, 181, 182 – 1. Hauptpreis. Augenhofer, Gewährleistung und Werbung, S. 127 ff.; Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, S. 298. 76 Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, S. 298. 77 Begr. zum Regierungsentwurf, BR-Drucks. 345/08, S. 56. 78 OLG Bremen vom 7.9.1995, WRP 1996, 19, 21 ff. 75
B. Struktur des Haftungstatbestands
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Unternehmer dienen, also beispielsweise verbraucherschützende Normen oder Ordnungsnormen79. Nur derjenige sei als unmittelbar klagebefugt anzuerkennen, der in persönlicher Hinsicht von dem Schutzbereich der verletzten Norm erfasst werde, während das Interesse von Unternehmern an der Einhaltung der Wettbewerbsregeln durch die Konkurrenten lediglich als Schutzreflex zu begreifen sei80. Unter Bezugnahme auf diese Ansicht verneinte das OLG Bremen in einer Entscheidung die Anspruchsberechtigung eines Mitbewerbers im Falle einer irreführenden Werbung mit der Begründung, § 3 UWG a.F. ziele in erster Linie darauf ab, die angesprochenen Kundenkreise vor irreführenden Angaben zu schützen und sei damit als eine primär verbraucherschützende Vorschrift anzusehen, deren Verletzung dem Wettbewerber keine unmittelbare Klagebefugnis verschaffe81.
Eine solche Sicht der Dinge verkennt indessen ganz grundlegend den Funktionsmechanismus des lauterkeitsrechtsrechtlichen Schutzes. Irreführende Werbung ist geradezu ein Musterbeispiel für das komplexe Zusammenspiel unterschiedlicher Interessen der Marktakteure82 und das Verbot irreführender Werbung kann nicht auf einen einzigen Schutzaspekt zurückgeführt werden. Dass eine irreführende Werbung vor allem aus Gründen des Verbraucherschutzes verboten sein kann, schließt nicht aus, dass zugleich die Interessen anderer Marktakteure beeinträchtigt sein können. Es ist demzufolge unerheblich, aus welchen Gründen eine bestimmte Verhaltensweise als unlauter qualifiziert wird. Daher kommt es nicht darauf an, welche Marktakteure durch das Verbot, gegen das verstoßen wurde, geschützt werden. Der Schadensersatzanspruch ist damit nicht auf unlautere Handlungen beschränkt, die nur Mitbewerberinteressen beeinträchtigen. Der lauterkeitsrechtliche Schadensersatzanspruch erstreckt sich auch auf Verstöße im Verhältnis Unternehmer-Verbraucher (»B2C«). Zwar zielt vor allem das Gemeinschaftsrecht mit der RL 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im Binnenmarkt primär auf den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher83. Doch hat der europäische Gesetzgeber erkannt und in den Erwägungsgründen der Richtlinie ausdrücklich festgehalten, dass Verbraucherschutz im Wettbewerb keine isolierte Angelegenheit ist, sondern die auf einen unmittelbaren Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher gerichteten Regelungen zugleich einen mittelbaren Schutz der wirtschaftlichen Interessen rechtmäßig handelnder Mitbewerber einschließen. Eine umfassende Anspruchsberechtigung des Mitbewerbers ist folgerichtig, weil kaum unlautere Handlungen vorstellbar sind, die Interessen der Mitbewerber nicht zumindest auch mittelbar tangieren. Selbst wenn eine unlautere Handlung aus Gründen des Verbraucherschutzes verboten ist, 79 80 81 82 83
Dieselhorst, WRP 1995, 1, 7 f. Dieselhorst, WRP 1995, 1, 7. OLG Bremen vom 7.9.1995, WRP 1996, 19, 21. Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 15 Rn. 81 ff. Art. 1 RL 2005/29/EG.
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sind Interessen der Mitbewerber doch in der Regel zumindest mittelbar betroffen, weil ihnen auf unzulässige Weise Kunden abspenstig gemacht werden. Auf materiellrechtlicher Ebene bildet in einem solchen Fall der Verbraucherschutz das überzeugende Argument, um die Unlauterkeit der Handlung zu begründen. Es muss aber zwischen der Begründung der Unlauterkeit und der Begründung der Anspruchsberechtigung der Mitbewerber streng unterschieden werden. Die lauterkeitsrechtliche Sanktion des Schadensersatzes knüpft an die Verletzung von erfolgsbezogenen Verhaltenspflichten an. Bereits die Verletzung einer solchen Verhaltenspflicht verwirklicht den Haftungstatbestand. Ob ein bestimmter Verletzungserfolg eingetreten ist, wird erst auf der Rechtsfolgenseite relevant. Beispielsweise verbietet § 4 Nr. 10 UWG nicht erst die gezielte Behinderung als Ergebnis eines darauf ausgerichteten Handelns, sondern schon den Vorgang des Behinderns, also genau genommen eine »behinderungsgeeignete« Handlung. Gleiches gilt etwa für Herabsetzungen und Verunglimpfungen gemäß § 4 Nr. 7 und § 6 Abs. 2 Nr. 5 UWG84. Die Beeinträchtigung der »Wertschätzung« eines Unternehmens erfordert keine irgendwie messbare Verminderung des Ansehens oder eine tatsächliche Verletzung der »Geschäftsehre«, sondern es genügt, wenn die fragliche Handlung dazu geeignet ist, die Wertschätzung in den Augen der Adressaten der Äußerung zu vermindern85. Tritt aber infolge der Zuwiderhandlung ein Verletzungserfolg ein, dann spricht dies für den Eintritt eines Schadens bzw. für das Vorhandensein eines Störungszustandes.
Weil es mithin im Rahmen der Haftungsbegründung nur auf die Verletzungshandlung, nicht aber auf einen Verletzungserfolg ankommt, spielt die haftungsbegründende Kausalität im Lauterkeitsrecht praktisch keine Rolle. Vielfach wird sie deshalb nicht einmal gesondert erwähnt86.
II. Einzelfragen 1. Geschäftliche Handlung Das UWG ist nur auf geschäftliche Handlungen anzuwenden. Fehlt es an einer geschäftlichen Handlung, wird ein Schadensersatzanspruch gemäß § 9 S. 1 UWG nicht ausgelöst. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG ist eine geschäftliche Handlung jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, während oder nach einem Geschäftsabschluss, das objektiv mit der Förderung des Absatzes oder des Bezuges von Waren oder Dienstleistungen oder 84 Eichholz, Herabsetzung durch vergleichende Werbung, S. 115; a.A. Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 9 Rn. 15. 85 Ohly, in: Ohly/Piper, UWG, § 4 Rn. 7/12; dazu näher Eichholz, Herabsetzung durch vergleichende Werbung, S. 33 ff. 86 Ausdrücklich angesprochen wird die haftungsbegründende Kausalität von Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 9 Rn. 15 und Köhler, in: Großkommentar, UWG, Vor § 13 B Rn. 269.
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mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrages über Waren oder Dienstleistungen zusammenhängt87. Der Begriff der geschäftlichen Handlung wurde im Zuge der Umsetzung der RL 2005/29/EG neu in das UWG aufgenommen und setzt sich zusammen aus Elementen der bisherigen Wettbewerbshandlung und dem Begriff der Geschäftspraktiken gemäß Art. 2 Buchst. d der Richtlinie88. Ob eine geschäftliche Handlung vorliegt, bestimmt sich allein nach objektiven Kriterien. Es genügt eine objektive Markt- bzw. Geschäftsbezogenheit des Verhaltens. Eine Wettbewerbsabsicht ist dagegen nicht erforderlich89. Das Kriterium der Wettbewerbsabsicht diente nach altem Recht dazu, Handlungen aus dem Anwendungsbereich des Lauterkeitsrechts herauszufiltern, die vor allem aufgrund verfassungsrechtlicher Wertungen90, nicht der Beurteilung durch das UWG unterliegen sollten. Insbesondere galt dies für redaktionelle Berichterstattung durch Medien91, für Handlungen, die religiösen und weltanschaulichen Zwecken dienen92, und für Tätigkeiten der öffentlichen Hand93. Als subjektives Kriterium war eine »echte« Wettbewerbsabsicht so gut wie nie nachweisbar. Indessen war dieses Kriterium auch nie als eine in jedem Fall nachzuweisende Tatbestandsvoraussetzung gedacht, sondern als Ausschlusskriterium für Fälle, in denen das UWG aus den genannten Gründen nicht zur Anwendung kommen sollte. Die Rechtsprechung arbeitete mit einem verästelten System von Vermutungstatbeständen94, was in der praktischen Handhabung dazu führte, dass regelmäßig entweder eine Vermutung eingriff, die dann praktisch nicht widerlegt werden konnte, oder keine Vermutung eingriff und ein positiver Nachweis der Wettbewerbsabsicht praktisch nicht gelang. In der Sache handelte es sich also bei der Wettbewerbsabsicht um eine Scheinvoraussetzung95. Im Zuge der UWG-Reform 2004 blieb streitig, ob eine Wettbewerbshandlung das Vorliegen einer Wettbewerbsabsicht voraussetzt. Die gesetzliche Vorgabe war mehrdeutig. Die Wendung »mit dem Ziel« in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG a.F. konnte sowohl subjektiv als auch objektiv gedeutet werden. Zudem blieb das Bedürfnis, bestimmte Handlungen nicht den strengen Maßstäben des UWG zu unterwerfen und dies mit einem »Filterkriterium« zu gewährleisten.
Weil der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG ausdrücklich einen objektiven Zusammenhang verlangt, kann das Kriterium Wettbewerbsabsicht endgültig als 87 Die Anlehnung der Legaldefinition an den Formulierungsvorschlag von Köhler, WRP 2007, 1393, 1397 ist unverkennbar. 88 Köhler, WRP 2009, 109, 110. 89 Köhler, WRP 2009, 109, 111. 90 Von Bedeutung sind hier insbesondere die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. GG), die Medienfreiheiten (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) und die Religionsfreiheit (Art. 4 GG). 91 Siehe nur BGH vom 9.2.2006, GRUR 2006, 875 Tz. 23 ff. – Rechtsanwalts-Ranglisten m.w.Nachw. 92 Siehe nur BGH vom 26.10.1951, BGHZ 3, 270, 277 f. – Constanze I; BGH vom 21.6.1966, BGHZ 45, 296, 302 – Höllenfeuer. 93 Siehe nur BGH vom 21.9.1989, GRUR 1990, 463, 464 – Firmenrufnummer; BGH vom 2.7.1987, GRUR 1988, 38, 39 – Leichenaufbewahrung. 94 Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, § 4 Rn. 15; zu den Einzelheiten siehe nur die Übersicht bei Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 2 Rn. 24 ff. 95 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 11 Rn. 50.
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§ 4. Schadensersatz im Lauterkeitsrecht
überwunden angesehen werden96. Allerdings müssen nunmehr all jene Fälle, die bislang aufgrund fehlender Wettbewerbsabsicht vom Anwendungsbereich des UWG nicht erfasst wurden, nunmehr anhand anderer Kriterien herausgefiltert werden. Den tatbestandlichen Anknüpfungspunkt hierfür bildet das Erfordernis des objektiven Zusammenhangs des Verhaltens einer Person mit dem Absatz oder dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen97. Eine weitere, in ihren konkreten Auswirkungen noch schwer abschätzbare Neuerung stellt die Einbeziehung von Verhaltensweisen bei und nach Vertragsschluss dar98. Gemäß Art. 3 Abs. 1 RL 2005/29/EG erstreckt sich die Richtlinie auf sämtliche unlauteren Geschäftspraktiken »vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts«. Der deutsche Gesetzgeber bezieht – ohne in der Legaldefinition zwischen »B2C«- und »B2B«-Verhältnis zu differenzieren – nunmehr jedes Verhalten »vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss« in den Anwendungsbereich des Lauterkeitsrechts mit ein. Dies stellt gegenüber der bisherigen Sichtweise des deutschen Lauterkeitsrechts ein Novum dar, bildete doch der Vertragsschluss eine sachliche Zäsur bei der rechtlichen Bewertung99. Diese Zäsur markierte zwar keinen absoluten Übergang zwischen Vertragsrecht und Lauterkeitsrecht, bildete aber sozusagen einen »kritischen Punkt« der rechtlichen Beurteilung des geschäftlichen Geschehens. Diese unterschiedlichen rechtlichen Perspektiven des Vertrags- und Lauterkeitsrechts bestehen auch nach neuem Recht, jedoch wird der Schutz des Lauterkeitsrechts auf den gesamten Bereich des Vertragsschlusses und der Vertragsdurchführung erstreckt. Das ist einerseits konsequent, weil einem Mitbewerber durch das unlautere Verhalten seines Konkurrenten auch dann noch Schäden entstehen können, wenn Kunden mit dem Konkurrenten bereits einen Vertrag geschlossen haben. Denn es ist beispielsweise möglich, dass der Konkurrent seine Vertragspartner über etwaige Widerrufs- oder Rücktrittsrechte täuscht und dadurch einen Wechsel zum Mitbewerber verhindert100. Damit ist andererseits aber eine Wandlung des rechtlichen Charakters des Lauterkeitsrechts verbunden. Der Schutz vor unlauteren Handlungen im Wettbewerb bildet nur noch eine Facette des Lauterkeitsrechts. Das UWG zielt nunmehr weiter gehend auf einen umfassenden Schutz von Marktteilnehmern im geschäftlichen Verkehr101.
96 Keller, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 2 Rn. 53; Köhler, in: Hefermehl/ Köhler/Bornkamm, UWG, § 2 Rn. 46. 97 Köhler, WRP 2009, 109, 111. 98 Dazu eingehend Köhler, WRP 2009, 898 ff. 99 Alexander, Vertrag und unlauterer Wettbewerb, S. 57 ff. Kritisch dazu Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, S. 244 f., dessen Kritik sich jedoch allein gegen eine ausschließlich zeitlich verstandene Zäsurwirkung des Vertragsschlusses richtet. 100 Weitere Beispiele bei Köhler, WRP 2009, 898, 904 ff. 101 Das UWG 2008 knüpft damit in gewisser Weise an das Merkmal des Handelns in geschäftlichen Verkehr in § 1 UWG 1909 an.
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2. Unlauterkeit Die Unlauterkeit einer geschäftlichen Handlung folgt entweder aus § 3 oder aus § 7 UWG. Die systematische Verselbstständigung der unzumutbaren Belästigungen in § 7 UWG durch die Abkopplung von der Generalklausel sollte nicht überbewertet werden. Der Gesetzgeber wollte damit lediglich eine doppelte Bagatellprüfung verhindern, weil in den Fällen der unzumutbaren Belästigung eine nachgeschaltete Prüfung gemäß der allgemeinen Erheblichkeitsschwelle nicht sinnvoll sei102. Dabei wurde jedoch übersehen, dass die Rechtsprechung schon vor der Umsetzung der RL 2005/29/EG entschieden hatte, dass eine separate Prüfung der Erheblichkeit nicht veranlasst ist, wenn eine unzumutbare Belästigung im Sinne des § 7 UWG vorliegt103. a) Keine subjektiven Elemente der Unlauterkeit Eine Unlauterkeit setzt ein nach objektiven und wettbewerbsfunktionalen Maßstäben rechtswidriges Verhalten voraus104. Auf die Motive, Absichten oder Gesinnung des Handelnden kommt es nicht105. Eine an sich zulässige Beeinträchtigung wird nicht unlauter, wenn sie in Kenntnis ihrer Wirkungen herbeigeführt wird106. Bedeutung kommt solchen subjektiven Elementen erst bei der Prüfung des Verschuldens zu. Entscheidendes Kriterium der Unlauterkeit ist, ob eine Handlung die Interessen der Marktteilnehmer und den Wettbewerb funktionswidrig beeinträchtigt. Hat eine Handlung bei objektiver Betrachtung nachteilige Auswirkungen auf die lauterkeitsrechtlich geschützten Interessen der Mitbewerber oder sonstigen Marktteilnehmer, dann genügt dies zur Begründung der Unlauterkeit107. Ebenfalls unerheblich ist nach allgemeiner Ansicht ein etwaiges Bewusstsein der Unlauterkeit108. Der Verletzer muss den unlauterkeitsbegründenden Verletzungstatbestand nicht gekannt und die rechtliche Bewertung seines Handelns als unlauter nicht nachvollzogen haben. Die Frage einer möglichen Rechts(un)kenntnis betrifft allein die Verantwortlichkeit des Handelnden und ist insbesondere 102
Begr. zum Regierungsentwurf, BR-Drucks. 345/08, S. 56. BGH vom 16.11.2006, GRUR 2007, 607 Tz. 23 – Telefonwerbung für »Individualverträge«. 104 BGH vom 23.6.2005, BGHZ 163, 265 Tz. 20 – Atemtest; BGH vom 11.1.2007, BGHZ 171, 73 Tz. 21 – Außendienstmitarbeiter; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 3 Rn. 41; Schünemann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 3 Rn. 228 ff.; für eine Berücksichtigung subjektiver Unlauterkeitselemente Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 3 Rn. 71. 105 Anders die frühere Rspr., die beispielsweise das Vorliegen einer individuellen Behinderung (jetzt: § 4 Nr. 10 UWG) von dem Vorliegen einer Behinderungs- oder Verdrängungsabsicht abhängig machte, siehe etwa BGH vom 17.5.2001, BGHZ 148, 1, 5 – Mitwohnzentrale.de. 106 BGH vom 11.2.2007, BGHZ 171, 73 Tz. 21 – Außendienstmitarbeiter. 107 BGH vom 11.1.2007, BGHZ 171, 73 Tz. 21 – Außendienstmitarbeiter. 108 Siehe nur BGH vom 30.1.1953, BGHZ 8, 387, 393 – Fernsprechnummer; BGH vom 22.1.1954, GRUR 1954, 274, 275 f. – Goldwell; BGH vom 15.3.1967, GRUR 1967, 596, 597 – Kuppelmuffenverbindung; Schünemann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 3 Rn. 228. 103
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von Bedeutung, wenn darüber zu entscheiden ist, ob der Verletzer vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat109. b) Fachliche Sorgfalt Problematisch ist das Kriterium der fachlichen Sorgfalt in § 3 Abs. 2 S. 1 UWG. Es geht zurück auf die RL 2005/29/EG und könnte zu der Annahme verleiten, dass in bestimmten Fällen die Unlauterkeit mit Verschuldenselementen zusammentrifft. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. a gilt eine Geschäftspraxis als unlauter, wenn sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspricht. Nach Art. 2 Buchst. h umfasst die berufliche Sorgfalt den Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, bei denen billigerweise davon ausgegangen werden kann, dass der Gewerbetreibende sie gegenüber dem Verbraucher gemäß den anständigen Marktgepflogenheiten und/oder dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben in seinem Tätigkeitsbereich anwendet. In Umsetzung dieser Vorgaben bestimmt § 3 Abs. 2 S. 1 UWG, geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern sind jedenfalls dann unzulässig, wenn sie nicht der für den Unternehmer geltenden fachlichen Sorgfalt entsprechen. Mit § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG wird die Beschreibung der fachlichen Sorgfalt gemäß Art. 2 Buchst. h der Richtlinie im Wesentlichen übernommen110. Als fachliche Sorgfalt ist danach der Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt anzusehen, von dem billigerweise angenommen werden kann, dass ein Unternehmer ihn in seinem Tätigkeitsbereich gegenüber Verbrauchern nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Marktgepflogenheiten einhält. Ob diese Regelung praktische Bedeutung erlangen wird, ist schon aufgrund ihrer Weite und Unschärfe zweifelhaft111. Schwierigkeiten bereitet sie, weil der Begriff der Sorgfalt im deutschen Recht und nach hiesiger Rechtsterminologie mit der Fahrlässigkeitshaftung verbunden ist. Denn fahrlässig handelt gemäß § 276 Abs. 2 BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Es stellt sich damit die Frage nach dem Verhältnis der fachlichen Sorgfalt als Kriterium der Unlauterkeit zur im Verkehr erforderlichen Sorgfalt als Kriterium der Fahrlässigkeit. Richtigerweise bedarf es einer klaren Unterscheidung zwischen der beruflichen bzw. fachlichen Sorgfalt und dem haftungsrechtlichen Begriff der Sorgfalt. Dabei ist davon auszugehen, dass der Begriff der Sorgfalt in § 3 Abs. 2 S. 1 UWG entscheidend durch das Gemeinschaftsrecht geprägt ist, sodass kein deutsches Begriffsverständnis zugrunde gelegt werden darf. Die berufliche bzw. fachliche Sorgfalt beschreibt danach einen objektiven Verhaltensstandard, den je-
109
Zu den Einzelheiten unten § 9. B. II. und III., S. 624 ff. und S. 634 ff. Ob die Begriffe »fachliche« und »berufliche« Sorgfalt tatsächlich sprachlich gleichbedeutend sind, wie der deutsche Gesetzgeber annimmt (BR-Drucks. 345/08, S. 41), erscheint allerdings zweifelhaft. 111 Nach Auffassung Köhlers, WRP 2009, 109, 112 spielt die fachliche Sorgfalt nur im Rahmen des § 3 Abs. 2 S. 1 UWG eine Rolle. 110
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der Unternehmer im Wettbewerb gegenüber Verbrauchern einzuhalten hat112. Ein Verstoß gegen diesen Verhaltensstandard begründet die objektive Unlauterkeit einer Handlung. Das bedeutet jedoch nicht, dass damit zugleich festgestellt wäre, dass der Unternehmer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht eingehalten und mithin fahrlässig gehandelt hat. Es ist beispielsweise vorstellbar, dass ein Unternehmer die fachliche Sorgfalt im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG nicht beachtet und deswegen gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 UWG unlauter handelt, ihm aber nicht der Vorwurf fahrlässigen Verhaltens gemacht werden kann, weil er unverschuldet einem Irrtum über die Rechtslage unterlag. Trotz dieser unterschiedlichen Ausgangspunkte werden beide Sorgfaltsmaßstäbe in der praktischen Handhabung vielfach Überschneidungen aufweisen. Denn die fachliche Sorgfalt im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG und die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gemäß § 276 Abs. 2 BGB werden typischerweise nach ähnlichen Kriterien zu ermitteln sein. 3. Spürbarkeit a) Funktion der Spürbarkeitsklauseln Das UWG verbietet nicht schlechthin unlautere Verhaltensweisen, sondern nur solche, die eine gewisse Erheblichkeit aufweisen. Gemäß § 3 UWG a.F. war eine unlautere Wettbewerbshandlung nur dann unzulässig, wenn sie geeignet war, »den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen«. Diese sprachlich und sachlich verunglückte Formulierung113 wurde im Zuge der UWGNovelle 2008 gestrichen. Nunmehr verfügt § 3 UWG über drei Erheblichkeitsschwellen. Gemäß § 3 Abs. 3 UWG sind die im Anhang des Gesetzes genannten Praktiken stets unzulässig. Hier findet eine separate Erheblichkeitsprüfung nicht statt, sondern es ist davon auszugehen, dass diese Handlungen nach ihrer Art so gefährlich und erheblich sind, dass die Annahme eines Bagatellfalls ausgeschlossen ist. Nach § 3 Abs. 2 S. 1 UWG sind geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern unzulässig, wenn sie »dazu geeignet sind, die Fähigkeit des Verbrauchers, sich aufgrund von Informationen zu entscheiden, spürbar beeinträchtigen und ihn damit zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte«. Etwas kürzer heißt es schließlich in § 3 Abs. 1 UWG, dass geschäftliche Handlungen nur dann unzulässig sind, »wenn sie geeignet sind, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen«. Die Bagatellklauseln sollen zum Ausdruck bringen, dass der unlauteren geschäftlichen Handlung ein gewisses Gewicht zukommen muss und die Verfolgung von unerheblichen Rechtsverstößen ausgeschlossen ist114. Über die Prüfung 112 113 114
Ebenso Kulka, DB 2008, 1548, 1553. Zur Kritik siehe nur Köhler, WRP 2008, 10, 11. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 17.
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eines Unlauterkeitstatbestands hinaus muss der Rechtsanwender in jedem Fall danach fragen, ob die geschäftliche Handlung lauterkeitsrechtlich geschützte Interessen der Marktteilnehmer in rechtserheblicher Weise tangiert. Auf die Auswirkungen einer geschäftlichen Handlung auf das Wettbewerbsgeschehen kommt es hingegen nicht an. Den Bagatellklauseln kommt eine selbstständige Bedeutung allerdings nur dann zu, wenn nicht schon der zugrunde liegende Unlauterkeitstatbestand eine »vertypte« Spürbarkeitsschwelle enthält115. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Richtlinie 2005/29/ EG ihrerseits bestimmte Spürbarkeitsschwellen enthält, die bei richtlinienkonformer Auslegung des nationalen Rechts zu berücksichtigen sind116. Neben Art. 5 Abs. 2 Buchst. b enthalten Regelungen zur Spürbarkeit Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Art. 8 RL 2005/29/EG. Eigenständige Bedeutung hat die Spürbarkeitsschwelle wohl nur noch in den Fällen des § 4 Nr. 4 bis Nr. 6 und Nr. 11 UWG. Die Spürbarkeitsschwellen finden ihr nationales Vorbild in den Bagatellregelungen in § 13 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 UWG a.F.117 Die Spürbarkeit bildet eine materiellrechtliche Voraussetzung des Haftungstatbestandes. Fehlt es an der Spürbarkeit einer unlauteren Handlung, dann ist ein Anspruch nicht begründet und eine Klage wäre dementsprechend abzuweisen. Jeder Anspruchsberechtigte muss demzufolge das Vorliegen einer spürbaren Unlauterkeit darlegen und beweisen118. Dies entspricht der Rechtslage zur früheren Erheblichkeitsschwelle. Die Rechtsprechung zu § 3 UWG a.F. widmete der Erheblichkeitsschwelle allerdings nur wenig Aufmerksamkeit und es steht nicht zu erwarten, dass die Bedeutung der Spürbarkeitsschwellen künftig wachsen wird. Fälle, in denen die Erheblichkeit überhaupt ausdrücklich angesprochen und geprüft wurde, waren selten119 und noch viel seltener wurde die Erheblichkeit einmal verneint120. Diese Handhabung der Bagatellklausel dürfte 115 Köhler, GRUR 2005, 1 ff.; ders., in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 3 Rn. 68 ff.; ähnlich Schünemann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 3 Rn. 422 ff. Für § 7 UWG a.F. BGH vom 16.11.2006, GRUR 2007, 607 Tz. 23 – Telefonwerbung für »Individualverträge«. 116 Köhler, WRP 2008, 10, 12 ff. 117 Vgl. § 13 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UWG a.F.: »Wettbewerb auf diesem Markt wesentlich zu beeinträchtigen«; § 13 Abs. 2 Nr. 3 UWG a.F.: »wesentliche Belange der Verbraucher«. 118 Heermann, GRUR 2004, 94; Helm, in: Festschrift für Bechtold, S. 155; Köhler, GRUR 2005, 1, 5 f.; ders., in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 3 Rn. 50. 119 Siehe etwa BGH vom 30.9.2004, GRUR 2005, 433, 436 – Telekanzlei: »Auch im Streitfall bestehen weder an der Relevanz der Irreführung noch an der Eignung Zweifel, den Wettbewerb nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen.«; ferner BGH vom 27.1.2005, GRUR 2005, 689, 690 – Sammelmitgliedschaft III; BGH vom 20.1.2005, GRUR 2005, 442, 443 – Direkt ab Werk. Bisweilen treten an die Stelle von inhaltlichen Auseinandersetzungen auch bloße Scheinargumente, wie der Hinweis auf ein »erhebliches Allgemeininteresse« im Falle der Entscheidung des OLG Frankfurt vom 21.7.2005, NJW-RR 2005, 1400, 1401 oder bloße Behauptungen. So bejaht OLG Köln vom 15.7.2005, GRUR 2005, 780, 782 die Erheblichkeit bei einem Verstoß gegen die §§ 97, 98 Nr. 1, 101 Abs. 1, 5 GWB, »ohne dass dies einer Begründung bedürfte«. 120 OLG Stuttgart vom 10.2.2005, GRUR 2005, 608, 609 verneinte die Erheblichkeit bei einem Verstoß gegen die PAngV. Die Entscheidung betraf eine Preiswerbung für Gleitsichtgläser, wobei der Endpreis entgegen § 1 PAngV nicht angegeben war, jedoch durch Addition leicht ermittelt werden konnte.
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maßgeblich von dem Bemühen getragen sein, keine neuen und in ihrer künftigen Entwicklung schwer abzuschätzenden Hürden für die Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche zu errichten, zumal es kaum gelungen ist, die Anwendung der Bagatellklausel näher zu strukturieren. Im Gegenteil wurde oft unter Rückgriff auf die Rechtsprechung zu § 13 UWG a.F.121 ein ganzes Sammelsurium von Kriterien zur Begründung der Erheblichkeit angeboten, nicht selten verbunden mit dem Hinweis auf eine Gesamtschau der Umstände122.
b) Verschulden als Kriterium der Spürbarkeit? Verbreitet wurde zur Erheblichkeitsschwelle des § 3 UWG a.F. die Auffassung vertreten, der Grad des Verschuldens des Verletzers könne als Kriterium für die Erheblichkeit zu berücksichtigen sein123. Begründet wurde dies mit der Überlegung, der Grad des Verschuldens müsse berücksichtigt werden, um vereinzelte »Ausreißer« aus dem Anwendungsbereich des UWG herauszufiltern124. Das stößt jedoch auf Bedenken. Ebenso wie ein vereinzelt gebliebener Verstoß vorsätzlich erfolgen kann, ist umgekehrt eine schuldlos begangene unlautere Handlung mit großer Breitenwirkung möglich. Wäre die Annahme richtig, der Grad des Verschuldens sei für die Frage der Spürbarkeit von Belang, dann müsste eine im Übrigen »artgleiche« schuldlos begangene Verletzungshandlung als weniger »schädlich« anzusehen sein als eine grob fahrlässig oder vorsätzlich begangene Rechtsverletzung im Wettbewerb. Indessen sagt die innere Einstellung des Täters zum Rechtsverstoß nichts darüber aus, ob und in welchem Maße die Handlung die lauterkeitsrechtlich geschützten Interessen der Marktteilnehmer beeinträchtigt. Wenn die Unlauterkeit grundsätzlich von subjektiven Momenten abgekoppelt wird, dann muss dies konsequenterweise auch für die Frage der Spürbarkeit gelten. Zwar unterscheidet das Gesetz in § 3 UWG zwischen der Unlauterkeit und der Spürbarkeit einer geschäftlichen Handlung, jedoch müssen beide Anforderungen nach streng wettbewerbsfunktionalen Kriterien beurteilt werden. Bezogen auf Schadensersatzansprüche – für Abschöpfungsansprüche gilt dies gleichermaßen – wäre zudem problematisch, wenn das Verschulden des Handeln121 Siehe etwa BGH vom 29.9.1994, GRUR 1995, 122, 124 – Laienwerbung für Augenoptiker: »Der vom Gesetzgeber gewählte Begriff der Eignung zur wesentlichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs enthält objektive und subjektive Momente, an denen die Art und Schwere des Verstoßes zu messen ist. Bei der Festlegung der Spürbarkeitsgrenze sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, zu denen auch ein besonderes Interesse der Allgemeinheit einschließlich der Verbraucher, eine besondere Anreizwirkung der Werbung für den Umworbenen, die Größe des erzielten Wettbewerbsvorsprungs, bei Nebengesetzen insbesondere das geschützte Rechtsgut (z.B. Gesundheit), der Grad der Nachahmungsgefahr für Mitbewerber u.a. gehören können«. 122 Heermann, GRUR 2004, 94, 95 ff.; Helm, in: Festschrift für Bechtold, S. 155, 159 ff. 123 Heermann, GRUR 2004, 94, 96; Helm, in: Festschrift für Bechtold, S. 155, 162; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 3 Rn. 85 unter (allerdings unergiebigem) Hinweis auf BGH vom 5.7.2001, GRUR 2001, 1166, 1169 – Fernflugpreise. Zurückhaltend Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 3 Rn. 60: Ob der Verschuldensgrad eine Rolle spielen könne, sei zweifelhaft, dies bedürfe jedenfalls einer besonderen Begründung. 124 Helm, in: Festschrift für Bechtold, S. 155, 162.
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den doppelt zur Haftungsbegründung herangezogen werden könnte, nämlich zum einen zur Begründung der Spürbarkeit und zum anderen zur Begründung des Verschuldens. Dass ein Verletzer schuldhaft handelt, sagt nichts darüber aus, welche Auswirkungen eine unlautere Handlung auf das Wettbewerbsgeschehen hat. Die »Störung«, also die lauterkeitsrechtlich relevante Beeinträchtigung der geschützten Interessen, ist vielmehr unabhängig von der inneren Einstellung des Handelnden125. Es gibt auch keinen Erfahrungssatz etwa des Inhalts, eine vorsätzliche unlautere Handlung sei stets spürbarer als ein fahrlässiger oder gar schuldlos begangener Rechtsverstoß.
C. Anspruchsberechtigung Der lauterkeitsrechtliche Schadensersatzanspruch steht allein Mitbewerbern zu. Die Anspruchsberechtigung der Mitbewerber ist die Konsequenz eines auch auf den Schutz von Mitbewerbern ausgerichteten Lauterkeitsrechts und Erbe eines aus dem Konkurrentenschutz gewachsenen Lauterkeitsrechts. Nach heutigem Verständnis dient die Anspruchsberechtigung des Mitbewerbers nicht allein der Wahrnehmung individueller Interessen, sondern wird auch im überindividuellen Interesse gewährt126. Die Anspruchsberechtigung des Mitbewerbers bildet nach wie vor ein zentrales Problem des Lauterkeitsrechts, weil der Begriff des Mitbewerbers funktionsbezogene Ein- und Abgrenzungen erforderlich macht. Wie eng oder wie weit diese Grenzen gezogen werden, hängt maßgeblich davon ab, welchen Stellenwert dem Mitbewerberschutz im Lauterkeitsrecht beigemessen wird, welche rechtlichen Funktionen der Mitbewerberbegriff erfüllen soll und aus welcher Perspektive über den Begriff des Mitbewerbers gesprochen wird. Mit dem Begriff des Mitbewerbers verbinden sich damit vielfältige Probleme. Deren Lösung wird durch eine wenig geglückte Legaldefinition in § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG erschwert. Hinzu kommt, dass die Legaldefinition überwiegend mit Inhalten ausgefüllt wird, die »unbesehen« aus dem alten Recht übernommen werden. Insbesondere das für den Mitbewerberbegriff zentrale Kriterium des konkreten Wettbewerbsverhältnisses gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG wird auf diese Weise mit unnötigem Ballast überfrachtet.
I. Abgrenzung zu anderen Marktakteuren und Verbänden 1. Einrichtungen, Verbände und Kammern Keine Mitbewerber und demzufolge nicht nach § 9 S. 1 UWG anspruchsberechtigt sind die nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis Nr. 4 UWG berechtigten Verbände und 125 126
Schünemann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 3 Rn. 345 ff. BGH vom 24.2.2005, BGHZ 162, 246, 251 f. – Vitamin-Zell-Komplex.
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Einrichtungen127. Dass die nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis Nr. 4 UWG berechtigten Einrichtungen und Verbände zugleich aufgrund eigener unternehmerischer Tätigkeit Mitbewerber im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG sind und als solche anspruchsberechtigt sind128, ist bei Gewerbeverbänden gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG zwar vorstellbar, dürfte allerdings kaum vorkommen. Für qualifizierte Einrichtungen ist schon nach § 4 Abs. 2 S. 1 UKlaG ausgeschlossen, dass sie gewerbsmäßig und damit als Mitbewerber tätig werden. Umgekehrt ist freilich denkbar, dass ein gewerblicher Verband lauterkeitsrechtlich auf Schadensersatz haftet, wenn er zur Förderung seiner Mitglieder tätig wird und dabei eine unlautere Handlung begeht129. 2. Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer Die fehlende Anspruchsberechtigung von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern ist schon vor der UWG-Reform 2004 beklagt worden130. Im Zuge der UWG-Reform ist die Diskussion wieder aufgeflammt131. Der Gesetzgeber hat sich ausdrücklich gegen Individualansprüche von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern ausgesprochen. Zugleich findet sich in den amtlichen Materialien der Hinweis, dass die UWG-Vorschriften, mit Ausnahme der §§ 16 bis 19 UWG, keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 S. 1 BGB sind132. Dies liegt ganz auf der Linie der herrschenden Lehre und der Rechtsprechung des BGH, der bereits in der Prüfzeichen-Entscheidung133, Individualansprüche von Akteuren der Marktgegenseite aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 3 UWG a.F. ablehnte. Diese ablehnende Haltung des Gesetzgebers erscheint auf den ersten Blick widersprüchlich, bestand doch ein wichtiges Ziel der UWG-Reform 2004 darin, gerade den Verbraucherschutz zu stärken. Es erscheint zudem nicht einleuchtend, warum beispielsweise im Falle einer unlauteren Telefonwerbung zwar ein Mitbewerber die unlautere Handlung auf Grundlage des UWG bekämpfen kann, nicht aber der Angerufene selbst. Der Betroffene ist vielmehr darauf angewiesen, die mit dem Telefonanruf verbundene Belästigung als Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder – wenn 127 Verfehlt daher Plaß in Heidelberger Kommentar, UWG, § 9 Rn. 11. Dass gemäß § 9 S. 1 UWG nur Mitbewerber anspruchsberechtigt sind, schließt andere deliktische oder vertragliche Schadensersatzansprüche sonstiger Marktteilnehmer oder Verbände selbstverständlich nicht aus. Beispielsweise können sich aus dem Abmahnverhältnis Schadensersatzansprüche ergeben, siehe nur BGH vom 5.5.1988, NJW-RR 1988, 1066 = GRUR 1988, 716 – Aufklärungspflicht gegenüber Verbänden. 128 Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 9 Rn. 48; Koos, in: Fezer, UWG, § 9 Rn. 7. 129 Z.B.: Irreführende Warnung der Verbraucher durch einen Interessenverband vor Angeboten nicht dem Verband angehörender Unternehmen; siehe aber OLG Brandburg vom 25.9.2007, GRUR 2008, 356 – Rundschreiben: Keine Wettbewerbshandlung bei Rundschreiben an Mitglieder. 130 Schricker, RabelsZ 40 (1976), 535, 560 f. 131 Zusammenfassend und sehr kritisch Fezer, in: Fezer, UWG, Einl. E Rn. 99 ff. 132 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 22. 133 BGH vom 14.5.1974, GRUR 1975, 150 – Prüfzeichen.
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der Angerufene Unternehmer ist – als Verletzung seines Rechts am Unternehmen geltend zu machen. Er kann sich dabei aber gerade nicht unmittelbar auf die verletzte Norm stützen. Allenfalls kann die Wertung des § 7 UWG herangezogen werden. Das UWG verfolgt ein Konzept selektiver Sanktionsbefugnisse. Es sollen gerade nicht sämtliche Marktakteure berechtigt sein, privatrechtliche Ansprüche geltend zu machen, sondern das UWG legt die Verfolgung unlauterer Praktiken bewusst in die Hände bestimmter Marktakteure und bestimmter Organisationen. Diese Entscheidung ist sachlich keineswegs zwingend und wird vielfach mit guten Gründen infrage gestellt134. Sie beruht auf der historischen Entwicklung des Lauterkeitsrechts und hat sich – freilich nicht zuletzt dank einer großzügigen Handhabung durch die Praxis – bewährt. Dass trotz der ausdrücklichen Anerkennung lauterkeitsrechtlicher Schutzinteressen der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer nur Mitbewerber anspruchsberechtigt sind, ist kein »Konstruktionsfehler« des Gesetzes135. Die privatrechtlichen Ansprüche des Lauterkeitsrechts wurzeln nicht in (primären) subjektiven Rechten, sondern dienen dazu, objektive Verhaltensregeln durchzusetzen136. Dass das Lauterkeitsrecht nur Mitbewerber mit individuellen Ansprüchen ausstattet, lässt sich damit erklären, dass zwischen Mitbewerbern ein besonderes wettbewerbliches Spannungsverhältnis besteht. Aufgrund dieses Spannungsverhältnisses besteht eine besonders große Wahrscheinlichkeit, dass Rechtsverstöße im Wettbewerb erkannt, aufgedeckt und bekämpft werden137. Die Konzentration des Lauterkeitsrechts auf Individualansprüche der Mitbewerber gewährleistet eine Fokussierung auf den Schutz wettbewerbsbezogener Interessen. Im Idealfall ist jeder Mitbewerber zugleich Akteur und »Wächter« im Wettbewerbsgeschehen. Im Unterschied zu sonstigen Marktakteuren besteht bei ihnen eine vergleichsweise geringere Gefahr, dass die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen durch andere Interessenkonflikte überlagert wird. Demgegenüber sind die Interessenkonflikte zwischen Unternehmen und Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern diffuser und rechtlich schwerer fassbar. Zudem wird der wettbewerbsbezogene Widerstreit der Interessen vielfach durch vertragsrechtliche und deliktsrechtliche Einflüsse überlagert. Auf die Bewältigung dieser spezifischen Interessenkonflikte sind die Wertungen des Vertrags- und Deliktsrechts ausgerichtet. Diese Wertungen können, müssen aber nicht mit denen des Lauterkeitsrechts deckungsgleich sein. Dass im Kartellrecht Verbraucher und sonstige Marktbeteiligte anspruchsberechtigt sind, stellt ebenfalls keinen gewichtigen Einwand dar. Denn im Gegensatz zu unlauteren Handlungen ist bei Kartellrechtsverstößen eine vergleichbare Streubreite unterschied134
Kritisch im Hinblick auf sonstige Marktteilnehmer Beater, WRP 2009, 768, 779. Anders Beater, WRP 2009, 768, 779, der eine Anspruchsberechtigung sonstiger Marktteilnehmer anerkennen will, wenn sie unmittelbar Verletzte sind. 136 Oppermann/Müller, GRUR 2005, 280, 285; oben § 2. A. II. 2., S. 53 ff. 137 Oppermann/Müller, GRUR 2005, 280, 287. 135
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licher Interessen und Wertungen zumeist nicht gegeben. Wenngleich das UWG Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern keinen Schadensersatzanspruch zugesteht, bedeutet dies nicht, dass sie sich nicht gegen unlautere Praktiken zur Wehr setzen könnten. Ihnen stehen die Rechtsschutzmöglichkeiten des Vertragsund Deliktsrechts zur Verfügung, die auf ganz unterschiedliche Interessenlagen speziell zugeschnitten sind und insgesamt eine flexible Reaktion auf die unterschiedlichen Erscheinungsformen unlauterer Handlungen ermöglichen. Vertragsrecht und Deliktsrecht gewährleisten durch die verschiedenartigen Regelungen eine Feinabstimmung auf die jeweilige Interessenlage, die vom Lauterkeitsrecht, das auf eine breitenwirksame Bekämpfung unlauterer Praktiken zugeschnitten ist, naturgemäß nicht geleistet werden kann. Dabei ist es freilich geboten, den Individualschutz des Vertrags- und Deliktsrechts sowie den lauterkeitsrechtlichen Schutz möglichst eng aufeinander abzustimmen. Hierfür bedarf es aber keiner »Gleichschaltung« der Ansprüche, sondern vor allem einer Harmonisierung der zugrunde liegenden Wertungen.
II. Begriff des Mitbewerbers 1. Ausgangsüberlegungen Der Mitbewerber gehört zu den zentralen Begriffen des Lauterkeitsrechts und ist vom Gesetzgeber im Zuge der UWG-Reform 2004 in den Katalog der Legaldefinitionen in § 2 Abs. 1 UWG aufgenommen worden. Der Begriff des Mitbewerbers ist zum Teil gemeinschaftsrechtlich geprägt, allerdings fehlt es an einer gemeinschaftsrechtlichen Definition138. Erwähnt wird der Mitbewerber in der RL 2006/114/EG in Art. 2 Buchst. b und c, Art. 4 Buchst. d, f und h sowie in 5 Abs. 1 und 8 Abs. 1, ferner in den Erwägungsgründen139. Die RL 2005/29/EG spricht vom Mitbewerber in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a und 11 Abs. 1, Unterabs. 1 und nennt Mitbewerber mehrfach als mittelbar geschützte Personen in den Erwägungsgründen140. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG handelt es sich bei einem Mitbewerber um jeden Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht. Mitbewerber ist, grob gesagt, wer sich als Unternehmer mit anderen Unternehmen um Akteure der Marktgegenseite »mitbewirbt« und damit in Konkurrenz zu anderen Unternehmen (Wettbewerbern) tritt. Prägend für die Eigenschaft als Mitbewerber ist die Konkurrenzsituation im Horizontalverhältnis. Konkurrenz ist gekennzeichnet durch die gleich gerichteten Interessen der Konkurrenten in Bezug auf den Absatz oder den Erwerb von Waren oder Dienstleistungen. Zugleich besteht zwischen den Konkurrenten im Kampf um 138 139 140
Zum kartellrechtlichen Begriff des Wettbewerbers siehe Art. 1 Buchst. a VO 2790/1999. Vgl. Erw. 9, 14 und 15. Vgl. Erw. 6 und 8.
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die knappen Ressourcen das typische rivalisierende Gegeneinander, das die allgemeine Vorstellung von Wettbewerb maßgeblich prägt141. Der Begriff des Mitbewerbers ist im Lauterkeitsrecht auf materiellrechtlicher Ebene und auf Sanktionsebene von Bedeutung142. Auf materiellrechtlicher Ebene wird anhand des Mitbewerberbegriffs deutlich, dass Unternehmen durch Wettbewerbsverstöße unterschiedlich betroffen sein können und zwischen Konkurrenten andere regelungsbedürftige Interessenkonflikte bestehen als zwischen Unternehmen im Vertikalverhältnis oder zwischen Unternehmen und Verbrauchern. Das Gesetz unterscheidet klar zwischen unlauteren Praktiken im Verhältnis miteinander konkurrierender Unternehmen und zwischen Praktiken zwischen Unternehmen, die etwa innerhalb einer Absatzkette in geschäftlichen Beziehungen stehen. Im ersten Fall sind die Unternehmen Mitbewerber, im zweiten Fall nicht. Die Unterscheidung erscheint lapidar, ist aber von grundlegender Bedeutung, weil die lauterkeitsrechtlich geschützten Interessen in beiden Fällen völlig verschieden sind und daher nach differenzierenden Schutzanforderungen verlangen. Das Lauterkeitsrecht verbietet beispielsweise nur das »Schlechtmachen« von Mitbewerbern143, nicht dagegen von sonstigen Marktteilnehmern. Dagegen schützt das UWG vor unsachlichen Einflussnahmen nur Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer144, nicht aber Mitbewerber. Der Mitbewerberschutz unterscheidet sich sachlich vom Schutz der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer – er ist kein »Mehr« oder »Weniger«, sondern schlicht etwas anderes. Auf Sanktionsebene bestimmt der Mitbewerberbegriff, welche Unternehmen gegen Wettbewerbsverstöße anderer Unternehmen rechtlich vorgehen können145. Materiellrechtliche Ebene und Sanktionsebene müssen zwingend aufeinander abgestimmt werden. Das kann jedoch Probleme bereiten, da in beiden Fällen andere »Fliehkräfte« wirken, die jeweils die Tendenz zu einem engeren bzw. weiteren Verständnis des Mitbewerbers begründen. Weil das UWG seit der UWG-Reform 2004 sämtliche Marktakteure grundsätzlich gleichrangig schützen will (§ 1 UWG), besteht auf materiellrechtlicher Ebene kein Bedürfnis, den Begriff des Mitbewerbers besonders weit zu fassen. Im Gegenteil treten die lauterkeitsrechtlich geschützten Interessen in »scharfen« Konkurrenzverhältnissen eher deutlicher hervor und lassen sich daher leichter dem Konkurrentenschutz zuordnen. Lauterkeitsrechtlicher Schutz muss also – im Gegensatz zur alten Rechtslage, da § 1 UWG a.F. ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs verlangte – nicht be141 Auf diesem »Gegeneinander« beruht auch die laienhafte Gleichsetzung von wirtschaftlichem Wettbewerb und sportlichem Wettkampf. Dazu kritisch Schünemann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 1 Rn. 22. 142 Beater, WRP 2009, 768, 770 ff.; Köhler, WRP 2009, 499, 500 unterscheidet aufgrund dieser verschiedenen Ebenen zwischen mitbewerberbezogenen Verhaltensnormen und mitbewerberbezogenen Sanktionsnormen. 143 §§ 4 Nr. 7 und 8, 6 Abs. 2 Nr. 4, 5 UWG. 144 § 4 Nr. 1 UWG. 145 §§ 8 Abs. 3 Nr. 1, 9 S. 1 UWG.
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gründet werden, indem Konkurrenzverhältnisse »herbeikonstruiert« werden. Anders liegt es auf Sanktionsebene. Wird der Kreis der Mitbewerber weit gezogen, dann wächst die Wahrscheinlichkeit, dass eine unlautere Handlung verfolgt wird. Ein enger Mitbewerberbegriff auf Sanktionsebene läuft dagegen Gefahr, in bestimmten Fällen Sanktionslücken zu hinterlassen. 2. Unternehmer Mitbewerber im Sinne des Lauterkeitsrechts sind nur Unternehmer. Bemerkenswert ist dabei die personalisierte Ausdrucksweise des Gesetzes. Das Gesetz spricht überwiegend von Unternehmer und Mitbewerber, seltener dagegen – wie im Kartellrecht – vom Unternehmen146. Anhand des Begriffes »Unternehmen« wäre deutlicher zum Ausdruck gekommen, dass das Lauterkeitsrecht einen markt- und wettbewerbsorientierten Regelungsansatz verfolgt. Ganz nebenbei hätte sich das Gesetz damit auch der Realität angenähert, denn in der Wirklichkeit des Wirtschaftslebens steht nun einmal das Unternehmen als funktionale Einheit im Mittelpunkt des Geschehens. Indem das UWG am Unternehmer festhält, wird eine sprachliche Brücke zum personalistischen Deliktsrecht geschlagen, das nur am persönlichen Fehlverhalten einer Person anknüpft und keine Unternehmensverantwortlichkeit kennt. a) Definition in § 2 Abs. 1 Nr. 6 UWG Der Begriff des Unternehmers ist gemeinschaftsrechtlich vorgeprägt, wenngleich die lauterkeitsrechtlichen Richtlinien nicht vom Unternehmer, sondern vom Gewerbetreibenden sprechen147. Für den Begriff des Unternehmers verwies § 2 Abs. 2 UWG a.F. weiter in das BGB. Nach der Definition in § 14 Abs. 1 BGB handelt es sich bei einem Unternehmer um eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige, das heißt mit der Fähigkeit, Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen148, ausgestattete Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt149. Diese Definition führte verschiedene gemeinschaftsrechtliche Begriffe zusammen150, war aber sachlich verfehlt. Die Definition des BGB zielt auf Vertragsverhältnisse und passte daher für viele geschäftliche Handlungen nicht. Diese missliche Rechtslage wurde im Zuge der Umsetzung der RL 2005/29/EG durch die UWG-Novelle 2008 korrigiert. § 2 Abs. 1 Nr. 6 UWG enthält nunmehr eine eigenständige Definition des Unternehmers, die sich an den Begriff des Gewerbetreibenden in Art. 2 Buchst. b RL 2005/ 146 Das Unternehmen ist gesetzlich erwähnt in §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 4 Nr. 8, 8 Abs. 2, 17 Abs. 1 und Abs. 2 UWG. 147 Art. 2 Buchst. d RL 2006/114/EG und Art. 2 Buchst. b RL 2005/29/EG. 148 § 14 Abs. 2 BGB. 149 § 14 Abs. 1 BGB. 150 Micklitz, in: Münchener Kommentar, BGB, Vorbem zu §§ 13, 14 Rn. 102 ff.
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29/EG und Art. 2 Buchst. d RL 2006/114/EG anlehnt151. Unternehmer ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 6 UWG jede natürliche oder juristische Person, die geschäftliche Handlungen im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit vornimmt, und jede Person, die im Namen oder Auftrag einer solchen Person handelt. Gegenüber dem bisherigen, an § 14 BGB orientierten Unternehmerbegriff ergeben sich aus der Neuregelung einige begriffliche Abweichungen: Die rechtsfähige Personengesellschaft wird nicht gesondert genannt, die handwerkliche Tätigkeit wird ausdrücklich erwähnt, bei beruflichen Tätigkeiten wird nicht zwischen selbstständigen und unselbstständigen Tätigkeiten unterschieden und schließlich werden Personen einbezogen, die im Namen oder im Auftrag des Unternehmers handeln152. Trotz dieser Abweichungen ergeben sich aber keine sachlichen Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage153. Obgleich § 2 Abs. 1 Nr. 6 UWG Personengesellschaften nicht ausdrücklich nennt, können solche Gesellschaften Unternehmer im lauterkeitsrechtlichen Sinne sein. Der Begriff der juristischen Person muss in einem weiten Sinne verstanden werden, weil keine vernünftigen Gründe ersichtlich sind, warum es von der Art der Unternehmensstruktur abhängen soll, ob eine im Wettbewerb tätige Korporation den Anforderungen des Lauterkeitsrechts unterliegt. Dass die Vorgabe des Gemeinschaftsrechts dem (engeren) deutschen Verständnis der juristischen Person nicht vollständig entspricht, mag zwar den um Klarheit bemühten Dogmatiker ärgern, gehört aber zu den Auswirkungen des Gemeinschaftsrechts, das einer eigenständigen Terminologie folgen darf. Die ausdrückliche Erwähnung der handwerklichen Tätigkeit in § 2 Abs. 1 Nr. 6 UWG ist schlicht überflüssig und hat bestenfalls klarstellenden Charakter154. Dass das Gesetz nicht zwischen selbstständiger und unselbstständiger beruflicher Tätigkeit trennt, ist eine Folge der Einbeziehung von Handlungen von Personen, die im Namen oder im Auftrag des Unternehmers handeln. Denn diese Personen sind typischerweise vom Unternehmer angestellt und damit unselbstständig beruflich Tätige. Überschneidungen mit dem Verbraucherbegriff sind dennoch ausgeschlossen155, weil eine geschäftliche Tätigkeit nicht abstrakt, sondern konkret verhaltensbezogen zu beurteilen ist. Handelt ein Angestellter im Namen oder im Auftrag des Unternehmers, dann ist er im lauterkeitsrechtlichen Sinne als Unternehmer zu betrachten. 151 Gemäß Art. 2 Buchst. RL 2005/29/EG ist Gewerbetreibender »jede natürliche oder juristische Person, die im Geschäftsverkehr im Sinne dieser Richtlinie im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, und jede Person, die im Namen oder Auftrag des Gewerbetreibenden handelt«. Mit Ausnahme der Wendung »im Geschäftsverkehr im Sinne dieser Richtlinie« stimmt der Wortlaut mit der Definition des Gewerbetreibenden in Art. 2 Buchst. d RL 2006/114/EG überein. 152 Kulka, DB 2008, 1548, 1552. 153 Zweifelnd Kulka, DB 2008, 1548, 1552 f. 154 Kulka, DB 2008, 1548, 1553. 155 Anders Kulka, DB 2008, 1548, 1553.
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Problematisch ist damit allein der zweite Halbsatz der Definition. Danach gelten Vertreter eines Unternehmers oder Beauftragte eines Unternehmers eigenständig als Unternehmer im Sinne des Gesetzes. Diese Regelung enthält keine Aussage zur privatrechtlichen Verantwortlichkeit des Unternehmensinhabers für die Handlungen von Vertretern und Beauftragten156, denn solche Rechtsfragen werden von der Richtlinie 2005/29/EG nicht erfasst. Die Funktion des zweiten Halbsatzes erschöpft sich in der Klarstellung, dass ein »B2C«-Verhältnis nicht deswegen ausgeschlossen ist, weil der Unternehmensinhaber sich im Wettbewerb Vertretungs- und Hilfspersonen bedient. b) Unternehmer als Unternehmensinhaber Unternehmer ist der Inhaber bzw. Träger des Unternehmens. Zwischen dem Unternehmen, dem Unternehmer als Unternehmensträger und den jeweils handelnden Organen muss klar unterschieden werden. Wenn sich eine unlautere Handlung, beispielsweise eine ehrverletzende Äußerung, gegen das Unternehmen, den Unternehmer und gegen dessen Geschäftsführer richtet157, dann liegt nicht etwa eine Verletzung mehrerer Mitbewerber158, sondern nur eines Mitbewerbers vor. Anspruchsberechtigt nach § 9 S. 1 UWG ist der Unternehmer; der Geschäftsführer kann daneben eigene Ansprüche aus den §§ 823 ff. BGB, nicht aber aus § 9 S. 1 UWG haben. 3. Konkretes Wettbewerbsverhältnis Den neuralgischen Punkt des Mitbewerberbegriffes bildet das nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG erforderliche konkrete Wettbewerbsverhältnis. Der Begriff des konkreten Wettbewerbsverhältnisses setzt sich aus drei schwer fassbaren Elementen zusammen – konkret, Wettbewerb und Verhältnis – und suggeriert eine besonders intensive Wettbewerbssituation, die tatsächlich gerade nicht verlangt wird159. Der Regierungsentwurf hatte auf das konkrete Wettbewerbsverhältnis noch verzichtet und ließ es genügen, wenn ein Unternehmer mit einem oder mehreren anderen Unternehmern »in Wettbewerb steht«160. In der amtlichen Begründung wurde allerdings hervorgehoben, zwischen dem Zuwiderhandelnden oder einem Dritten und dem benachteiligten Unternehmen müsse ein konkretes Wettbewerbsverhältnis bestehen161. Der Bundesrat forderte in seiner Stellungnahme eine 156 Kulka, DB 2008, 1548, 1553; anders Keller, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 2 Rn. 191. 157 Siehe den Wortlaut von § 4 Nr. 8 UWG, der ausdrücklich Äußerungen über den »Unternehmer oder ein Mitglied der Unternehmensleitung« erfasst. 158 Anders Plaß, in: Heidelberger Kommentar, UWG, § 9 Rn. 11 unter – in der Sache nicht weiter führendem – Hinweis auf OLG Hamburg vom 9.3.1995, NJW 1996, 1002 f. 159 Keller, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 2 Rn. 121. 160 BT-Drucks. 15/1487, S. 5. 161 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 16.
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Präzisierung des Gesetzestextes, wonach die Mitbewerbereigenschaft anzunehmen sei, wenn ein Unternehmen in »einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht und durch die Wettbewerbshandlung unmittelbar verletzt ist«162. Es sei nicht eindeutig zu erkennen, ob nur der unmittelbar Verletzte oder auch der abstrakt betroffene Mitbewerber im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG a.F. gemeint sei163. In der Gegenäußerung der Bundesregierung wurde der Vorschlag des Bundesrates aufgegriffen, aber im Interesse einer »schlanken und verständlichen Definition« hielt man lediglich die Aufnahme des konkreten Wettbewerbsverhältnisses für geboten164. a) Funktion des konkreten Wettbewerbsverhältnisses Aus den Erläuterungen in den amtlichen Materialien folgt, dass das konkrete Wettbewerbsverhältnis in seiner jetzigen Gestalt als unmittelbarer Einfluss des alten Rechts verstanden werden muss. Es ist daher unabdingbar, Funktion und Inhalt des konkreten Wettbewerbsverhältnisses im alten Recht etwas näher zu betrachten. Erst auf dieser Basis lässt sich sachgerecht beurteilen, ob an dem herkömmlichen Verständnis des konkreten Wettbewerbsverhältnisses – und den daraus gewonnenen Ergebnissen – festgehalten werden kann. aa) Frühere Rechtslage UWG 1896 und UWG 1909 kannten den Begriff des konkreten Wettbewerbsverhältnisses als gesetzliches Tatbestandsmerkmal nicht. Das konkrete Wettbewerbsverhältnis als lauterkeitsrechtliches Kriterium ist richterrechtlich entstanden und kennzeichnet die Konkurrenzsituation zwischen Unternehmen. Das Reichsgericht führt dazu aus: »Aus diesem Begriffe des Wettbewerbs (geschäftlicher Konkurrenz) folgt auch von selbst, daß die von dem Thäter eines Vergehens aus § 10 des Gesetzes und den von ihm bekämpften Geschäftsinhabern bei ihren geschäftlichen Betrieben verfolgten Ziele die gleichen sein müssen, daß also auf beiden Seiten der geschäftliche Betrieb darauf gerichtet sein muß, vollständig gleichen oder doch wenigstens im wesentlichen übereinstimmenden wirtschaftlichen Bedürfnissen Dritter durch Zuführung geeigneter Befriedigungsmittel zur Hülfe zu kommen und hierdurch den eigenen Geschäftsbetrieb vorteilhafter zu gestalten. Von einem Wettkampfe kann unmöglich gesprochen werden, wenn die von den betreffenden Personen verfolgten Ziele auf ganz verschiedenen Gebieten liegen, wenn also z.B., wie hier, der Eine einen immer größer werdenden Absatz für seine Waren durch Vermehrung der Kauflustigen oder sonstigen Nehmer, der Andere nur eine billige Befriedigung seines Privatgebrauchs sucht. Diese beiden Bestrebungen sind ganz heterogener Natur«165.
162
Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 15/1487, S. 29. Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 15/1487, S. 29. 164 Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/1487, S. 40; siehe auch Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss), BT-Drucks. 15/2795, S. 21. 165 RG vom 16.2.1899, RGSt 32, 27, 28 zu § 10 UWG 1896. Diese Vorschrift entspricht in etwa der heutigen Regelung in § 19 UWG. 163
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Das (konkrete) Wettbewerbsverhältnis war im alten Recht ein doppelfunktionales Kriterium. Es spielte in unterschiedlichen Zusammenhängen eine Rolle, doch wurden die verschiedenen Funktionen nicht immer klar voneinander getrennt166. Erstens diente das Wettbewerbsverhältnis zur Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereiches des UWG. Rechtsprechung und herrschende Meinung bedienten sich des konkreten Wettbewerbsverhältnisses zur Auslegung des Merkmals des Handelns zu Zwecken des Wettbewerbs in § 1 UWG a.F. und in anderen Vorschriften. In objektiver Hinsicht sollte danach ein Wettbewerbsverhältnis erforderlich sein, in subjektiver Hinsicht Wettbewerbsabsicht. Der Sache nach wird der Inhalt des objektiven Wettbewerbsverhältnisses in der oben zitierten Entscheidung des Reichsgerichtes bereits treffend beschrieben. Bis zur UWGReform 2004 wurde ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs von der herrschenden Meinung angenommen bei jedem Verhalten, das äußerlich geeignet war, den Absatz oder den Bezug einer Person zum Nachteil einer anderen Person zu fördern167. Zwischen dem geförderten und dem benachteiligten Unternehmen musste ein konkretes Wettbewerbsverhältnis bestehen. Ein solches wurde angenommen, wenn zwischen den Vorteilen, die jemand durch eine Maßnahme für sein Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die ein anderer dadurch erleidet, eine Wechselbeziehung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden konnte168. Zweitens wurde das konkrete Wettbewerbsverhältnis bei der Klageberechtigung relevant, wobei wiederum zwei Sachfragen zu unterscheiden waren. Auf das konkrete Wettbewerbsverhältnis kam es bei der Klageberechtigung des unmittelbar Verletzten an. Unmittelbar Verletzter war nach der Rechtsprechung, wer mit dem Verletzer in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis stand169. Die Anspruchsberechtigung dieses unmittelbar Verletzten folgte nach überwiegender Ansicht direkt aus den jeweiligen Verbotsvorschriften170, nicht aus § 13 UWG a.F. In Abgrenzung zum konkreten Wettbewerbsverhältnis des unmittelbar Verletzten waren gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG a.F. auch Unternehmen zum Geltendmachen von Unterlassungsansprüchen berechtigt, die in einem abstrakten Wettbewerbsverhältnis zum Verletzer standen. Sie waren gerade nicht unmittelbar von der unlauteren Handlung betroffen171, konnten aber – vor allem im öf-
166
Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 11 Rn. 28; ders., WRP 2009, 768, 769 f. Siehe nur Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl (22. Aufl. 2001), UWG, Einl. Rn. 215 m.w.Nachw. 168 Siehe nur Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl (22. Aufl. 2001), UWG, Einl. Rn. 216 m.w.Nachw. 169 BGH vom 24.5.2000, GRUR 2001, 78 – Falsche Herstellerpreisempfehlung m.w.Nachw.; in der Sache ähnlich Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, § 13 Rn. 4 ff., Bornkamm, GRUR 1996, 527, 528 ff. 170 BGH vom 23.4.1998, GRUR 69, 70 – Preisvergleichsliste II; Bornkamm, GRUR 1996, 527, 528 f.; Köhler, in: Köhler/Piper, UWG, Vor § 13 Rn. 84, jeweils m.w.Nachw. 171 BGH vom 23.3.1966, GRUR 1966, 445, 446 – Glutamal. 167
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fentlichen Interesse172 – neben Verbänden und sonstigen Einrichtungen Abwehransprüche gegen den Verletzer geltend machen. Es bedurfte daher der oftmals schwierigen Abgrenzung zum konkreten Wettbewerbsverhältnis und zum unmittelbar Verletzten. Nochmals erschwerend kam schließlich hinzu, dass die Rechtsprechung bisweilen ein abstraktes Wettbewerbsverhältnis mit Argumenten begründete, die auch für die Annahme eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses genügt hätten173. bb) Heutige Rechtslage Diese gesetzlichen Anknüpfungspunkte für das konkrete Wettbewerbsverhältnis sind mit der UWG-Reform 2004 entfallen. Anstelle des Handelns zu Zwecken des Wettbewerbs verlangt das Gesetz, bis auf wenige Ausnahmen174, allein eine geschäftliche Handlung. Diese erfordert jedoch kein Wettbewerbsverhältnis, sondern es genügt eine Handlung, die in einem objektiven Zusammenhang mit dem Absatz oder dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen steht. Im Gegensatz zum alten Recht bedarf es des konkreten Wettbewerbsverhältnisses nicht mehr, um den Anwendungsbereich des UWG zu eröffnen. Obsolet geworden ist weiterhin die Abgrenzung zwischen dem konkreten und dem abstrakten Wettbewerbsverhältnis, weil der Gesetzgeber die Anspruchsberechtigung des von einer unlauteren Handlung nur abstrakt betroffenen Unternehmens bewusst aus dem UWG gestrichen hat175. Das konkrete Wettbewerbsverhältnis ist als Tatbestandsmerkmal erhalten geblieben und diesem Merkmal kommt auch nach neuem Recht eine doppelte Funktion zu176, doch ist diese Doppelfunktion mit dem alten Recht nicht identisch. Mithilfe dieses Merkmals wird zum einen materiellrechtlich bestimmt, wer im Sinne der einzelnen Beispielstatbestände, die auf den Mitbewerber Bezug nehmen, als Mitbewerber anzusehen ist. Das Merkmal bestimmt also die Reichweite des materiellrechtlichen Schutzes und legt damit zugleich fest, welche Interessen von Unternehmen im Wettbewerb als Mitbewerberinteressen besonderen lauterkeitsrechtlichen Schutz genießen. Zum anderen ist das konkrete Wettbewerbsverhältnis von Bedeutung bei der Frage der Anspruchsberechtigung von Mitbewerbern gemäß §§ 8 Abs. 3 Nr. 1 und 9 S. 1 UWG. Das Merkmal dient dort der Abgrenzung der Sanktionsbefugnis gegenüber sonstigen Marktakteuren, denen lauterkeitsrechtliche Ansprüche nicht zustehen. 172 Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl (22. Aufl. 2001), UWG, § 13 Rn. 17; Köhler, in: Köhler/Piper, UWG, § 13 Rn. 10. 173 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 2 Rn. 61. 174 Ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs wird im geltenden UWG noch verlangt in §§ 17 Abs. 1 und Abs. 2, 18 Abs. 1 sowie 19 Abs. 1 und Abs. 2. 175 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 22 mit bemerkenswerter Argumentation: Es fehle am schutzwürdigen Eigeninteresse der abstrakt betroffenen Mitbewerber, weil ihnen die Möglichkeit offen stehe, einen anspruchsberechtigten Wirtschafts- und Verbraucherverband zur Bekämpfung des Wettbewerbsverstoßes einzuschalten. 176 Beater, WRP 2009, 768, 770 ff.; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 2 Rn. 57.
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Diese Abweichungen von der alten Rechtslage mahnen zur Vorsicht gegenüber einer schlichten »Fortschreibung« der bisherigen Rechtslage und einem unkritischen Festhalten an alten Obersätzen. Eine Übernahme der herkömmlichen Grundsätze läuft Gefahr, die abweichende Ausgangslage des neuen Rechts zu verkennen. War es nach altem Recht notwendig, das konkrete Wettbewerbsverhältnis weit zu fassen, um überhaupt zur Anwendbarkeit des UWG zu gelangen, so besteht ein solches Bedürfnis nach neuem Recht nicht mehr. Vielmehr liegt die Hauptfunktion des konkreten Wettbewerbsverhältnisses in der Abgrenzung von Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern. b) Gemeinschaftsrecht Dem lauterkeitsrechtlichen Sekundärrecht ist der Begriff des (konkreten) Wettbewerbsverhältnisses fremd. Mehrfach findet aber der Begriff des Mitbewerbers Verwendung und zu dessen Auslegung bedient sich der EuGH des Kriteriums des Wettbewerbsverhältnisses177. Da das Gemeinschaftsrecht die eigentümliche Unterscheidung zwischen einem konkreten und abstrakten Wettbewerbsverhältnis nicht kennt, ist dort allein vom Wettbewerbsverhältnis die Rede. Im lauterkeitsrechtlichen Zusammenhang musste sich der EuGH in der De Landtsheer-Entscheidung mit den Voraussetzungen einer zulässigen vergleichenden Werbung und mit den Kriterien für das Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses befassen. Den Gegenstand dieser Entscheidung bildete die Vermarktung eines »Champagnerbieres«. Ein belgischer Bierhersteller brachte neues Bier unter der Bezeichnung »Malheur Brut Réserve« auf den Markt, dessen Braumethode sich an der Herstellungsweise von Schaumweinen orientierte. Auf der Flasche, dem Flaschenetikett und der Kartonverpackung befanden sich unter anderem die Angaben »BRUT RÉSERVE« und ähnliche Bezeichnungen. Außerdem verwendete der Hersteller bei der Vorstellung des Erzeugnisses den Ausdruck »Champagnebier«, um darauf hinzuweisen, dass es sich um ein Bier handele, das nach der »Méthode champenoise« erzeugt worden sei. Schließlich bewarb der Hersteller sein Produkt durch Bezugnahme auf die Eigenschaften von Schaumwein, insbesondere Champagner. Hiergegen richtete sich die Klage des Comité Interprofessionnel du Vin de Champagne und des französischen Unternehmens Veuve Clicquot Ponsardin SA. Zur Begründung wurde unter anderem angeführt, es liege eine unzulässige vergleichende Werbung vor. Da es in dem Rechtsstreit maßgeblich auf die Vorgaben aus Art. 2 Nr. 2a und 3a RL 84/450/EWG (jetzt: RL 2006/114/EG) ankam, richtete das vorlegende belgische Gericht an den EuGH mehrere Fragen zur Auslegung des Begriffes des Mitbewerbers und speziell zur Frage des Bestehens eines Wettbewerbsverhältnisses. Denn es kam für die Entscheidung maßgeblich darauf an, ob Bierproduzent und Champagner-Hersteller als Mitbewerber anzusehen waren.
Der EuGH geht bei Auslegung des Mitbewerberbegriffes nicht vom Wettbewerbsverhältnis aus, sondern orientiert sich an der Substituierbarkeit der Waren 177
EuGH vom 19.4.2007, Rs. C-381/05, Slg. 2007, I-3115 – De Landtsheer.
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§ 4. Schadensersatz im Lauterkeitsrecht
oder Dienstleistungen, die von Unternehmen auf dem Markt angeboten werden178. Dabei unterscheidet das Gericht zwischen einem »gewissen Grad der Substitution«, der zur Annahme der Mitbewerbereigenschaft im Sinne von Art. 2 Buchst. c RL 2006/114/EG179 genügt, und Waren oder Dienstleistungen für den gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung im Sinne von Art. 4 Buchst. b RL 2006/114/EG180, auf die sich ein zulässiger Werbevergleich beziehen muss181. Obgleich beide Bestimmungen der Richtlinie »offenkundig nahe beieinander« stehen182, sind diese Regelungen inhaltlich nicht deckungsgleich. Vielmehr ist Art. 2 Buchst. c RL 2006/114/EG inhaltlich weiter zu fassen als die Bestimmung in Art. 4 Buchst. b RL 2006/114/EG. Der Gerichtshof unterscheidet sachlich nicht zwischen dem gewissen Grad der Substituierbarkeit, der für Art. 2 Buchst. c RL 2006/114/EG genügt, und einem Wettbewerbsverhältnis, sondern verwendet beide Begriffe synonym: Das Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses setze voraus, dass die von den Unternehmen angebotenen Waren in gewissem Grad substituierbar seien183. Die Beurteilung des Substitutionsgrades obliege den nationalen Gerichten, wobei zu prüfen sei, ob hinsichtlich der angebotenen Produktpalette ein Wettbewerbsverhältnis bestehe184. Entscheidend ist nun die Frage, welche Kriterien für die Beurteilung eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses – und damit zugleich des gewissen Grades der Substituierbarkeit – aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht relevant sind. Hier gibt der Gerichtshof den nationalen Gerichten eine ganze Reihe von Kriterien an die Hand, die tendenziell auf einen großzügigen Maßstab hinauslaufen und sich in ähnlicher Form durchaus im deutschen Recht wiederfinden. Allerdings liegt das entscheidende Augenmerk des Gerichtshofs auf dem gemeinschaftsrechtlichen Ziel der Verwirklichung eines einheitlichen Binnenmarktes und einer Stärkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten. Den Ausgangspunkt der Ermittlung bildet die Feststellung, ob die angebotenen Waren »in gewisser Weise gleichen Bedürfnissen dienen können«185. Die Beurteilung darf dabei nach Auffassung der Richter nicht auf die gegenwärtige Marktlage beschränkt werden, sondern die nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten haben Rücksicht zu nehmen »auf die im Rahmen des freien Warenverkehrs auf Gemeinschaftsebene gegebenen Entwicklungsmöglichkeiten und auf neue Anreize zur Substitution von Erzeugnissen, die sich aus einem verstärkten Handel ergeben können«186. Ein Wettbewerbsverhältnis kann damit auch zwischen Waren bestehen, die zwar nach der augenblicklichen Lage nicht als substituierbar 178 179 180 181 182 183 184 185 186
EuGH vom 19.4.2007, Rs. C-381/05, Slg. 2007, I-3115 Rn. 28 – De Landtsheer. Entspricht Art. 2 Nr. 2a RL 84/450/EWG. Entspricht Art. 3a Abs. 1 Buchst. b RL 84/450/EWG. EuGH vom 19.4.2007, Rs. C-381/05, Slg. 2007, I-3115 Rn. 43 ff. – De Landtsheer. EuGH vom 19.4.2007, Rs. C-381/05, Slg. 2007, I-3115 Rn. 46 – De Landtsheer. EuGH vom 19.4.2007, Rs. C-381/05, Slg. 2007, I-3115 Rn. 32 – De Landtsheer. EuGH vom 19.4.2007, Rs. C-381/05, Slg. 2007, I-3115 Rn. 33 – De Landtsheer. EuGH vom 19.4.2007, Rs. C-381/05, Slg. 2007, I-3115 Rn. 30 – De Landtsheer. EuGH vom 19.4.2007, Rs. C-381/05, Slg. 2007, I-3115 Rn. 36 – De Landtsheer.
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angesehen werden, jedoch künftig durch einen möglicherweise zunehmenden grenzüberschreitenden Handel als austauschbar angesehen werden könnten. In der Konsequenz dieser Auffassung liegt es, dass die Bestimmung des Substitutionsgrades, und damit des Wettbewerbsverhältnisses, nicht allein von den Gebrauchsgewohnheiten in einem einzelnen Mitgliedstaat abhängig ist. Diese Gewohnheiten können nach Zeit und Ort sehr unterschiedlich sein. Sie dürfen jedoch – wiederum mit Blick auf den verstärkten Handel zwischen den Mitgliedstaaten – nicht als unveränderlich angesehen werden187. Einerseits kann deswegen die Substituierbarkeit von Produkten in einzelnen Mitgliedstaaten durchaus unterschiedlich zu beurteilen sein: Im Hinblick auf die britischen Trinkgewohnheiten hatte der Gerichtshof beispielsweise Bedenken, Bier und Wein als austauschbar anzusehen188. Demgegenüber nahm das Gericht für Belgien eine Substituierbarkeit beider Produkte hinsichtlich der »dem allgemeinen Publikum am ehesten zugänglichen Weine« an, »bei denen es sich im Regelfall um die leichtesten und billigsten Weine handelt«189.
Andererseits können Verbrauchsgewohnheiten die Grenzen der Mitgliedstaaten überschreiten und mit zunehmendem Ausbau des Binnenmarktes zu Veränderungen der Verbrauchsgewohnheiten in anderen Mitgliedstaaten führen. Solche Veränderungen müssen dann wiederum berücksichtigt werden190. Daneben wendet sich der Gerichtshof gegen eine abstrakte, nur an Warengattungen orientierte Betrachtung und fordert die Berücksichtigung der konkreten Merkmale der beworbenen Produkte191 einschließlich des Images, das einer Ware verschafft werden soll192. Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass der Europäische Gerichtshof die Anforderungen an das Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses für den gemeinschaftsrechtlichen Regelungsbereich der vergleichenden Werbung eher großzügig bemessen hat. Insgesamt sollte die Aussagekraft der Entscheidung nicht überbewertet werden193, weil sie gerade in Bezug auf eine Konstellation der vergleichenden Werbung getroffen wurde, also einen sehr speziellen Fall einer unlauteren Handlung betrifft. Zugleich muss man allerdings bedenken, dass der EuGH dazu neigt, an einmal getroffenen Grundaussagen festzuhalten und diese auf andere Konstellationen zu übertragen. Daher kommt der Entscheidung jedenfalls eine Indizfunktion zu. 187
EuGH vom 19.4.2007, Rs. C-381/05, Slg. 2007, I-3115 Rn. 37 f. – De Landtsheer. EuGH vom 27.2.1980, Rs. 170/78, Slg. 1980, 417 Rn. 14 ff., 24 – Kommission/Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland. 189 EuGH vom 9.7.1987, Rs. 356/85, Slg. 1987, 3299 Rn. 10 f. – Kommission/Königreich Belgien. 190 EuGH vom 19.4.2007, Rs. C-381/05, Slg. 2007, I-3115 Rn. 39 – De Landtsheer. 191 EuGH vom 19.4.2007, Rs. C-381/05, Slg. 2007, I-3115 Rn. 40 – De Landtsheer. 192 EuGH vom 19.4.2007, Rs. C-381/05, Slg. 2007, I-3115 Rn. 41 – De Landtsheer. 193 Noch zurückhaltender Beater, WRP 2009, 768, 772: Die Entscheidung habe »nur geringe wettbewerbsrechtliche Bedeutung« und dürfe »auf keinen Fall auf einen allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Mitbewerberbegriff hochgerechnet und als solcher dem deutschen Recht übergestülpt werden«. 188
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c) Anforderungen aa) Konkretes Wettbewerbsverhältnis als konkurrenztypische Gefährdungslage Das konkrete Wettbewerbsverhältnis kennzeichnet das wettbewerbliche Spannungsverhältnis zwischen Konkurrenten, vereinfacht gesagt den »Konkurrenzkampf«. Während dieser gedankliche Ausgangspunkt klar ist, wird die Feststellung, ob im konkreten Fall ein solches Spannungsverhältnis zwischen Unternehmen vorliegt, oftmals Schwierigkeiten bereiten. Unproblematisch besteht ein konkretes Wettbewerbsverhältnis im wettbewerblichen Parallelprozess mehrerer miteinander in Konkurrenz stehender Unternehmen, wenn die Unternehmen gleiche oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen anbieten oder nachfragen und sich dabei an die gleichen Akteure der Marktgegenseite wenden. Solche »scharfen« Konkurrenzverhältnisse verlangen zumeist keinen größeren Begründungsaufwand, weil die konkurrenztypische Konfliktlage gewissermaßen mit Händen zu greifen ist und sich schon aus einer lebensnahen Betrachtung der Umstände ergibt. Es handelt sich dann um paradigmatische Fälle eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses. Umgekehrt darf man allerdings nicht einfach annehmen, dass ein konkretes Wettbewerbsverhältnis stets ausgeschlossen wäre, wenn Unternehmen unterschiedliche Waren oder Dienstleistungen anbieten. Es ist nämlich durchaus denkbar, dass gleichwohl zwischen diesen Unternehmen ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht. Die amtlichen Materialien knüpfen an die zum alten Recht gebräuchliche Formulierung an. Danach liegt ein konkretes Wettbewerbsverhältnis vor, wenn zwischen den Vorteilen, die jemand durch eine Maßnahme für sein Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht und den Nachteilen, die ein anderer dadurch erleidet, eine Wechselbeziehung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann194. Im Absatzwettbewerb wird von einem konkreten Wettbewerbsverhältnis zwischen Unternehmen ausgegangen, wenn Unternehmen gleiche oder gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Abnehmerkreises abzusetzen versuchen mit der Folge, dass die beanstandete Wettbewerbshandlung das andere Unternehmen (Mitbewerber) beeinträchtigen, das heißt in seinem Absatz behindern oder stören kann195. Bei Handlungen im Nachfragewettbewerb ist ein konkretes Wettbewerbsverhältnis anzunehmen, wenn Unternehmen bei denselben Anbietern gleiche oder gleichartige Waren oder Dienstleistungen nachfragen196. Häufig wird auch das Kriterium des relevanten Marktes herangezogen. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis ist danach anzunehmen, wenn sich die beteiligten Unternehmen auf demselben sachlich,
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Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 16. BGH vom 29.3.2007, GRUR 2007, 1079 Tz. 18 und 22 – Bundesdruckerei; BGH vom 27.1.2005, GRUR 2005, 520, 521 – Optimale Interessenvertretung; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/ Bornkamm, UWG, § 2 Rn. 59; ähnlich Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 2 Rn. 57. 196 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 2 Rn. 73. 195
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räumlich und zeitlich relevanten Markt betätigen197. Die Rechtsprechung betont, dass im Interesse eines wirksamen lauterkeitsrechtlichen Schutzes an das Bestehen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses keine allzu hohen Anforderungen zu stellen seien; insbesondere sei keine Branchengleichheit der Unternehmen erforderlich198. Die Leistungsfähigkeit und Aussagekraft dieser »Faustformeln« sollte nicht überschätzt werden. Je weniger scharf sich nämlich ein Konkurrenzverhältnis zwischen Unternehmen abzeichnet, desto schwieriger wird die Anwendung der Formeln der herrschenden Meinung. Insbesondere das Kriterium des relevanten Marktes ist für sich genommen wenig aussagekräftig. Denn der relevante Markt ist kein ökonomisch feststehender Sachverhalt, der gleichsam in das Recht transformiert werden könnte. Vielmehr lässt sich der relevante Markt nur unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden rechtlichen Fragestellung und in Bezug auf die konkrete Marktsituation bestimmen199. Hinzu kommt, dass zur Ermittlung des relevanten Marktes unterschiedliche Ansätze existieren, die jeweils zu abweichenden Ergebnissen führen können200. Nach dem relevanten Markt kann man sinnvoll nur fragen, wenn man den zugrunde rechtlichen Zusammenhang offenlegt. Beispielsweise verlangt die Abgrenzung des relevanten Marktes im Rahmen vergleichender Werbung nach ganz anderen Maßstäben als etwa die Bestimmung des relevanten Marktes im Rahmen einer kartellrechtlichen Zusammenschlusskontrolle. Denn Kartellrecht und Lauterkeitsrecht verfolgen unterschiedliche Regelungs- und Schutzkonzepte201. Es ist zudem möglich, dass der relevante Markt innerhalb des Lauterkeits- und Kartellrechts in Abhängigkeit von der konkreten Rechtsfrage nochmals nach unterschiedlichen Kriterien zu bestimmen ist. Nach Auffassung der Kommission kann beispielsweise der Umfang des räumlich relevanten Marktes bei der – im Wesentlichen zukunftsbezogenen – Untersuchung eines Zusammenschlusses nach anderen Maßstäben zu ermitteln sein, als bei der Beurteilung eines zeitlich zurückliegenden Verhaltens. Durch den jeweils unterschiedlichen Zeithorizont kann für das gleiche Produkt ein unterschiedlicher räumlicher Markt bestimmt werden, je nachdem, ob sich die Kommission mit einer Änderung in der Angebotsstruktur befasst, wie bei einem Zusammenschluss oder einem kooperativen Gemeinschaftsunternehmen, oder mit Fragen, die sich auf vergangenes Verhalten beziehen202. Dass solche Zusammenhänge auch
197 Vgl. BGH vom 29.3.2007, GRUR 2007, 1079 Tz. 18 – Bundesdruckerei; BGH vom 24.5.2000, GRUR 2001, 78 – Falsche Herstellerpreisempfehlung. 198 BGH vom 29.11.1984, BGHZ 93, 96, 97 – DIMPLE; BGH vom 24.6.2004, GRUR 2004, 877, 878 – Werbeblocker; BGH vom 13.7.2006, BGHZ 168, 315 Tz. 16 – Kontaktanzeigen. 199 Burmann, WRP 1967, 240, 244. Mit Blick auf das Kartellrecht ebenso Kommission, Bekanntmachung 1997/C 372/5, Tz. 10: »Der Begriff des relevanten Marktes ist eng mit den Zielen verbunden, die die Gemeinschaft mit ihrer Wettbewerbspolitik verfolgt«. 200 Zu den verschiedenen Ansätzen siehe nur I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 49 ff. 201 Dazu näher unten § 5. C. I. 2., S. 354 ff. 202 Kommission, Bekanntmachung 1997/C 372/5, Tz. 12.
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§ 4. Schadensersatz im Lauterkeitsrecht
im Lauterkeitsrecht existieren, liegt nahe. Jedoch fehlen hierzu bislang umfassende Untersuchungen203.
Ob ein konkretes Wettbewerbsverhältnis vorliegt, kann nur in Abhängigkeit vom konkreten, materiellrechtlich gewährleisteten Schutz beantwortet werden. Maßgeblich kommt es darauf an, ob das UWG auf materiellrechtlicher Ebene ein Unternehmen gerade als Mitbewerber schützt. Das ist beispielsweise nicht der Fall, wenn ein Gewerbetreibender das Opfer einer unerlaubten Telefonwerbung wird. In einem solchen Fall ist der Unternehmer als sonstiger Marktteilnehmer, nicht aber als Mitbewerber betroffen und kann daher gegen die unlautere Handlung selbst nicht vorgehen. Es wäre unzulässig, ein konkretes Wettbewerbsverhältnis nur deshalb zu bejahen, wenn und weil auf diese Weise die Sanktionierung einer unlauteren Handlung sicher gestellt werden könnte. Die Wertungen auf materiellrechtlicher Ebene dürfen nicht zugunsten einer umfassenderen Sanktionierung ausgehebelt werden. Das herrschende Verständnis droht jedoch bisweilen auf eine solche Position hinauszulaufen. Insbesondere ist die Rechtsprechung mit der Annahme eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses oft (zu) schnell bei der Hand204. Sicher ist es rechtspolitisch wünschenswert, wenn das Lauterkeitsrecht eine umfassende Sanktionierung von unlauteren Praktiken ermöglicht. Doch darf die vom Gesetzgeber bewusst getroffene und in der UWG-Reform 2004 beibehaltene Differenzierung zwischen dem Mitbewerberschutz und dem Schutz sonstiger Marktteilnehmer nicht unterlaufen werden. Die Anspruchsberechtigung des Mitbewerbers ist eine Folge des jeweils gewährten materiellrechtlichen Schutzes. Nicht aber darf allein aus einem Sanktionsbedürfnis heraus ein konkretes Wettbewerbsverhältnis konstruiert werden. Anders gewendet: Nicht jeder Unternehmer, der gegen eine unlautere Handlung vorgehen will, ist deswegen schon ein Mitbewerber und zwar selbst dann nicht, wenn ein Vorgehen gegen die unlautere Handlung wünschenswert und nützlich erscheint. bb) Inhaltliche Präzisierungen (1) Wettbewerblicher Interessenkonflikt zwischen Unternehmen als Beurteilungsmaßstab. Den rechtlichen Ansatzpunkt für die Beurteilung des konkreten Wettbewerbsverhältnisses bildet die Frage, ob zwischen Unternehmen eine konkurrentenspezifische Interessen- und Gefährdungslage besteht, die gerade spezielle Schutzmechanismen erforderlich macht. Die konkurrenzspezifische Gefährdungslage unterscheidet den Mitbewerberschutz materiellrechtlich von dem Schutz von Unternehmen als sonstigen Marktteilnehmern. Ob ein solcher Interessenkonflikt vorliegt, lässt sich nicht aufgrund einer abstrakten Betrachtungsweise feststellen, sondern nur bezogen auf den jeweiligen Einzelfall und unter 203
Überlegungen in diese Richtung finden sich etwa bei Keller, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 2 Rn. 120. 204 Dazu sogleich die Beispiele aus der Rechtsprechung unter bb) (2), S. 220 ff.
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Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Verbotsbestimmung. Die konkurrentenspezifische Gefährdungslage betrifft das wettbewerbliche Horizontalverhältnis von Unternehmen. Davon ist das Vertikalverhältnis zu Lieferanten oder Abnehmern auf einer jeweils anderen Marktstufe zu unterscheiden. Maßgeblich ist allerdings auch hier keine abstrakte Betrachtungsweise, sondern eine konkrethandlungsbezogene Beurteilung des Sachverhalts. Wenden sich beispielsweise ein Hersteller im Direktvertrieb und ein Einzelhändler mit den gleichen Produkten an die gleichen Kunden, dann besteht zwischen Hersteller und Händler, obschon beide »an sich« auf unterschiedlichen Marktstufen tätig werden, eine konkurrenztypische Gefährdungslage und damit ein Interessenkonflikt im Horizontalverhältnis. Die konkurrenztypische Gefährdungslage, die ein konkretes Wettbewerbsverhältnis begründet, zeichnet sich durch drei miteinander korrespondierende Elemente aus. Erstens müssen die Unternehmen im Verhältnis zueinander gegenläufige Interessen verfolgen. Die spezielle Gefährdungslage, die dem lauterkeitsrechtlichen Mitbewerberschutz zugrunde liegt, besteht nur dann, wenn die Aktivitäten eines Unternehmens darauf abzielen, den Konkurrenten gleichsam aus dem Felde zu schlagen. Ein Unternehmer agiert als Mitbewerber, wenn sein Handeln darauf gerichtet ist, eine vorteilhafte Position im Wettbewerb gerade gegenüber bestimmten anderen Unternehmen zu erlangen, also diesem Konkurrenten zuvorzukommen, ihn zu überflügeln. Zweitens verfolgen Mitbewerber im Verhältnis zur Marktgegenseite gerade gleichgerichtete Interessen. Konkurrieren Unternehmen als Anbieter miteinander, dann sind die Handlungen darauf gerichtet, ein bestimmtes Bedürfnis der Marktgegenseite zu befriedigen. Der konkurrenztypische Interessenkonflikt muss dabei keineswegs auf die angebotenen Waren oder Dienstleistungen beschränkt sein, sondern kann auch in Bezug auf Kaufmotive oder einen »Zusatznutzen« bestehen. Drittens kommt es darauf an, ob die Tätigkeit des einen Unternehmens sich notwendigerweise nachteilig auf das andere Unternehmen auswirken kann. Nur wenn eine solche Beeinflussung unternehmerischer Handlungen zu befürchten ist, kann ein regelungsbedürftiger Interessenkonflikt im Wettbewerb entstehen. Dabei genügt es jedoch, wenn durch die Aktivitäten des einen Unternehmens die Marktchancen des anderen Unternehmens im Wettbewerb tatsächlich oder potenziell beeinträchtigt werden. Die genannten Kriterien decken sich im Wesentlichen mit den Anforderungen des herkömmlichen Verständnisses, gewährleisten aber gerade in Problemkonstellationen eine exaktere Herausarbeitung des konkreten Wettbewerbsverhältnisses. Illustrieren lässt sich das Zusammenspiel dieser Elemente anhand der bekannten Tchibo/Rolex-Konstellation205: Darin wendete sich Klägerin, die Herstellerin von Rolex-Uhren, gegen den Verkauf von nachgeahmten Uhren durch die beklagte Kaffeerösterei Tchibo. Bei den Originaluhren
205 BGH vom 8.11.1984, GRUR 1985, 876 ff. – Tchibo/Rolex; BGH vom 17.6.1992, GRUR 1993, 55 ff. – Tchibo/Rolex II.
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§ 4. Schadensersatz im Lauterkeitsrecht
handelte es sich um bekannte und sehr kostspielige »Prestigeprodukte«. Die unverbindliche Preisempfehlung lag bei beiden Modellen deutlich über 1500,– Euro. Die nachgeahmten Uhren der Beklagten wurden zu einem Preis von ca. 20,– Euro verkauft. Auf den ersten Blick scheint zwischen den Parteien unproblematisch ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zu bestehen, weil beide Unternehmen gleiche Produkte, nämlich Armbanduhren, verkaufen. Eine solche Annahme entspricht indessen nicht der wirtschaftlichen Realität. Denn in Wahrheit handelte es sich bei den von Rolex und von Tchibo angebotenen Uhren keineswegs um substituierbare Produkte, sondern – trotz der Zugehörigkeit zur Warengattung Armbanduhr – um völlig unterschiedliche Erzeugnisse. Schon aufgrund des Preises wendeten sich beide Angebote an ganz verschiedene Kundenkreise. Vermutlich würde kein Käufer einer Rolex-Uhr auf die Idee verfallen, die Tchibo-Uhr ernsthaft als Kaufalternative in Betracht zu ziehen, weil es ihm gerade auf die Exklusivität des Originals ankommt. Umgekehrt will der Käufer einer Tchibo-Uhr gerade nicht das teure Original erwerben, sondern mit geringen Mitteln nur den Anschein des Prestiges erwecken, der von dem Original ausgeht. Gleichwohl ist es im Ergebnis richtig, ein Konkurrenzverhältnis zwischen Tchibo und Rolex anzunehmen. Beide Unternehmen konkurrieren jedoch nicht in Bezug auf das Produkt Armbanduhr, sondern sie stehen in Konkurrenz um das mit den Uhren verbundene Prestige. Während Rolex dieses Prestige aufgebaut hat, nutzt Tchibo eben dieses Prestige für den Absatz seiner Nachahmungen aus und zwar im Zweifelsfall solange, bis der Prestigewert des Originals aufgrund der Nachahmungen zerstört ist. Der Verkauf der Nachahmungen wirkt damit zum Nachteil der Originaluhren. Denn je erfolgreicher die Nachahmungen vertrieben werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der »Prestigewert« des Originals sinkt. Das Beispiel zeigt, dass nicht Warengleichheit oder überschneidende Kundenkreise für das konkrete Wettbewerbsverhältnis ausschlaggebend sind, sondern die Interessenlage zwischen den Unternehmen. Rolex und Tchibo verfolgen im Verhältnis zueinander entgegengesetzte Interessen. Tchibo bedient durch seine Nachahmungen Kunden, denen aufgrund der Hochpreisstrategie von Rolex ein Zugang zum Prestigewert der Armbanduhren verschlossen war. Beide Anbieter befriedigen übereinstimmend das Bedürfnis ihrer Kunden, die mit dem Produkt verbundene »Aura der Exklusivität« zu erwerben.
Der charakteristische Interessenkonflikt zwischen Unternehmen, der für das konkrete Wettbewerbsverhältnis wesensbestimmend ist, beruht allein auf den tatsächlichen Umständen. Es kommt nicht darauf an, ob die Konkurrenztätigkeit erlaubt oder verboten ist. Dies hat die Rechtsprechung in der Vitamin-Zell-Komplex-Entscheidung klargestellt206: Im zugrunde liegenden Sachverhalt hatte die Klägerin im Inland ein aus Vitaminen und Nahrungsergänzungsmitteln hergestelltes Präparat vertrieben und wendete sich gegen den Vertrieb eines nachgeahmten Präparates durch die Beklagte. Diese verteidigte sich mit dem Hinweis, bei dem von der Klägerin hergestellten Präparat handele es sich um ein zulassungsbedürftiges Arzneimittel, das mangels Zulassung im Inland gar nicht hätte vertrieben werden dürfen. Das OLG Celle als Berufungsgericht verneinte schon ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin, weil niemand die Gerichte als Teil der Staatsgewalt unnütz oder gar unlauter bemühen dürfe oder ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren zur
206
BGH vom 24.2.2005, BGHZ 162, 246 ff. – Vitamin-Zell-Komplex.
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Verfolgung zweckwidriger und insoweit nicht schutzwürdiger Ziele ausnutzen dürfe207. Im Gegensatz zum Berufungsgericht, das die Klage aus den genannten Gründen schon für unzulässig hielt, konnten nach Auffassung des BGH der Klägerin selbst dann lauterkeitsrechtliche Abwehr- und Schadensersatzansprüche zustehen, wenn der Vertrieb ihrer Präparate mangels Zulassung unerlaubt sei. Für die Eigenschaft als Mitbewerber gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG komme es nicht darauf an, ob die eigene Tätigkeit des Anspruchstellers gesetzwidrig oder unlauter sei208. Ein Mitbewerber, der sich im geschäftlichen Verkehr so verhalte, verliere grundsätzlich nicht den Schutz gegen unlauteren Wettbewerb, weil das UWG auch dem Schutz der Allgemeinheit diene209. Der BGH hob hervor, dass bei Verstößen gegen § 4 Nr. 9 Buchst. a und b UWG, also vermeidbaren Herkunftstäuschungen und der unangemessenen Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung fremder Waren oder Dienstleistungen, zugleich auf die angesprochenen Verkehrskreise, mithin die Marktgegenseite, eingewirkt werde210. Die Unlauterkeit dieses Verhaltens sei unabhängig davon, ob der Vertrieb des nachgeahmten Erzeugnisses durch den betroffenen Mitbewerber unter bestimmten Umständen gegen gesetzliche Bestimmungen verstoße211. Der Mitbewerber müsse ein solches Verhalten »auch im Interesse der mitbetroffenen Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb nicht hinnehmen«212.
Kritisch wurde zu der Entscheidung angemerkt, es sei für die Eigenschaft als Mitbewerber nicht maßgeblich, dass das Lauterkeitsrecht auch dem Schutz des Interesses der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb diene, vielmehr sei dieser Aspekt allein bei der Frage zu berücksichtigen, ob eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung von lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen vorliege213. Der Kritik ist zuzugeben, dass die Verletzung von Allgemeininteressen durch einen Unternehmer sicher nicht dazu führen kann, dass von der unlauteren Handlung betroffene Unternehmer zu Mitbewerbern werden. Hier stand jedoch außer Frage, dass die Beklagte durch den Vertrieb ihrer Präparate die wettbewerblichen Handlungsmöglichkeiten der Klägerin einzuschränken suchte. In tatsächlicher Hinsicht war eine konkurrentenspezifische Gefährdungslage zwischen Originalhersteller und Nachahmer nicht zweifelhaft. Betrachtet man nun den lauterkeitsrechtlichen Schutz des Mitbewerbers allein unter dem Blickwinkel des Schutzes von Individualinteressen, dann hätte ein konkretes Wettbewerbsverhältnis in der Tat verneint werden müssen. Denn ein schützenswertes Individualinteresse an einem Verkauf nicht zugelassener Arzneimittel durch den Originalhersteller ist nicht anzuerkennen. Indessen bezieht der BGH zu Recht die Überlegung mit ein, dass Mitbewerber nicht nur zur Wahrnehmung ihrer eigenen Interessen anspruchsberechtigt sind, sondern ihre Anspruchsberechtigung 207
Siehe die in BGHZ 162, 247, 248 – Vitamin-Zell-Komplex wiedergegebenen Begründung des OLG Celle. 208 BGH vom 24.2.2005, BGHZ 162, 246, 251 – Vitamin-Zell-Komplex. 209 BGH vom 24.2.2005, BGHZ 162, 246, 251 – Vitamin-Zell-Komplex. 210 BGH vom 24.2.2005, BGHZ 162, 246, 253 – Vitamin-Zell-Komplex. 211 BGH vom 24.2.2005, BGHZ 162, 246, 253 – Vitamin-Zell-Komplex. 212 BGH vom 24.2.2005, BGHZ 162, 246, 253 – Vitamin-Zell-Komplex. 213 Köhler, LMK 2005, 159117.
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auch im überindividuellen Interesse gewährt wird. Dies gilt nicht nur für Abwehransprüche aus § 8 Abs. 1 UWG, sondern auch für Schadensersatzansprüche gemäß § 9 S. 1 UWG. Mit der Durchsetzung seine Ansprüche nimmt ein Mitbewerber gerade nicht nur seine Individualinteressen wahr, sondern zugleich wird der anspruchsberechtigte Mitbewerber gleichsam als Funktionär zum Schutz überindividueller Interessen anderer Marktakteure tätig. Das konkrete Wettbewerbsverhältnis wird hier also nicht aus einem Sanktionsbedürfnis heraus begründet (was unzulässig wäre). Vielmehr wird lediglich eine Einengung des (tatsächlich vorliegenden) konkreten Wettbewerbsverhältnisses vermieden, weil der Mitbewerber nicht nur im Eigeninteresse tätig wird, sondern zugleich im öffentlichen Interesse. Diese Doppelstellung des Mitbewerbers wird am Beispiel der Vitamin-ZellKomplex-Entscheidung besonders deutlich. Dass möglicherweise unlauter nachgeahmte und nicht als Arzneimittel zugelassene und nachgeahmte Präparate vom Markt verschwinden, liegt zwar auch im Interesse des Herstellers der Originale. Vor allem aber liegt es im Interesse der Kunden, dass solche Präparate nicht weiter ohne die erforderliche Prüfung vertrieben werden. Denn es ist nicht auszuschließen, dass von solchen Präparaten ernste Gesundheitsgefahren für die Konsumenten ausgehen. Es wäre aber ein bedenkliches Ergebnis, wenn solche Präparate nur deswegen weiter vertrieben werden könnten, weil der Originalhersteller ebenfalls rechtswidrig gehandelt hat. Man kann hiergegen nicht einwenden, dass neben dem Mitbewerber noch andere Anspruchsberechtigte existieren, die zumindest Abwehransprüche geltend machen können. Denn niemand kann wissen, ob andere Anspruchsberechtigte wegen des Verstoßes Klage erheben werden, zumal bei Nachahmungen der Originalhersteller typischerweise über entscheidende Informationen verfügt, die anderen Anspruchsberechtigten gerade nicht zur Verfügung stehen. Davon zu unterscheiden ist sodann die Frage, wie weit der lauterkeitsrechtliche Schutz des Originalherstellers reicht. Insbesondere ist hinsichtlich seines Schadensersatzverlangens zu berücksichtigen, ob er etwaige Gewinne nur auf unrechtmäßige Weise hätte erzielen können214. (2) Problemfälle. Es kann nicht Aufgabe dieser Untersuchung sein, das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses in allen problematischen Konstellationen eingehend zu untersuchen. Im Folgenden sollen deshalb lediglich exemplarisch einige besonders markante Fälle herausgegriffen werden, in denen das konkrete Wettbewerbsverhältnis Schwierigkeiten bereitet. (a) »Rufausbeutung«. Ein erstes Problemfeld betrifft die Fälle der »Rufausbeutung«. Dabei handelt es sich um unlautere geschäftliche Handlungen gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 9 Buchst. b und 6 Abs. 2 Nr. 4 UWG. Von der bereits erwähnten Tchibo/Rolex-Konstellation unterscheiden sich diese Fälle, weil der gute Ruf eines Produktes auf das Erzeugnis einer völlig anderen Gattung übertragen wird: 214
Dazu sogleich unter D. II. 3., S. 247 ff.
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Beispiele bilden etwa die Abbildung eines exklusiven Automobils in der Werbung für einen (eher weniger exklusiven) Whisky215, die Benutzung der Whisky-Bezeichnung »DIMPLE« für eine Herrenkosmetik-Serie216 oder die Verwendung der Bezeichnung »Salomon« von Skisportartikeln für Tabakwaren217. In diesen und ähnlichen Fällen ließ es die Rechtsprechung für ein konkretes Wettbewerbsverhältnis ausreichen, dass »die Parteien – obgleich unterschiedlichen Branchen angehörig – bei der wirtschaftlichen Verwertung einer Kennzeichnung in Wettbewerb treten, was auch in der Weise geschehen könne, dass der Verletzer durch den Gebrauch einer fremden Kennzeichnung deren wirtschaftlich verwertbaren besonderen Ruf für sich auszunutzen sucht«218. Nach den oben entwickelten Kriterien kann in diesen Konstellationen ein konkretes Wettbewerbsverhältnis bejaht werden. Denn die Unternehmen stehen zwar nicht im Wettbewerb um die konkrete Ware oder Dienstleistung, wohl aber stehen sie im Wettbewerb um den guten Ruf, der mit einem ursprünglichen Erzeugnis verbunden ist und auf das andere Erzeugnis übertragen werden soll. Die Ausnutzung des guten Rufes zielt darauf ab, gerade diejenigen Interessenten anzusprechen, die mit dem ursprünglichen Erzeugnis einen guten Ruf verbinden und aufgrund dessen das andere Erzeugnis, auf das der gute Ruf übertragen werden soll, nunmehr ebenfalls zu erwerben. Die konkurrententypische Gefährdungslage erwächst aus der Konkurrenz um den guten Ruf als Qualitätsmerkmal, Kaufmotiv und Zusatznutzen für den Käufer.
Die praktische Bedeutung dieser Fälle hat angesichts des mittlerweile stark ausgebauten markenrechtlichen Schutzes stark abgenommen. Die nach UWG ergangenen Entscheidungen stammen noch aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Markengesetzes. Heute gewährleistet insbesondere § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG einen Schutz vor der Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft oder Wertschätzung einer bekannten Marke bei unähnlichen Waren oder Dienstleistungen. (b) Unterschiedliche Waren und Dienstleistungen. Eine konkurrententypische Gefährdungslage kann auch dann bestehen, wenn die Unternehmen unterschiedliche Bedürfnisse befriedigen, aber die Tätigkeit des einen Unternehmens ein anderes Unternehmen beeinträchtigt. Solche Konstellationen tauchen in unterschiedlichen Varianten immer wieder auf und bedürfen einer besonders vorsichtigen und zurückhaltenden Bewertung, weil in diesen Fällen leicht die Gefahr besteht, dass das konkrete Wettbewerbsverhältnis in Konturenlosigkeit überdehnt wird. Die Rechtsprechung lässt es für ein konkretes Wettbewerbsverhältnis genügen, wenn erst durch das konkrete Verhalten eine Substituierbarkeit von Waren hergestellt wird. Das
215
BGH vom 9.12.1982, BGHZ 86, 90 ff. – Rolls-Royce. BGH vom 29.11.1984, BGHZ 93, 96 ff. – DIMPLE. 217 BGH vom 29.11.1990, BGHZ 113, 82 ff. – Salomon. 218 BGH vom 29.11.1990, BGHZ 113, 82, 84 – Salomon; ähnliche Formulierungen bei BGH vom 9.6.1994, BGHZ 126, 208, 209 f. – McLaren; BGH vom 29.11.1984, BGHZ 93, 96, 97 f. – DIMPLE, BGH vom 9.12.1982, BGHZ 86, 90, 96 – Rolls-Royce; siehe bereits BGH vom 9.10.1959, GRUR 1960, 144, 146 – Bambi. 216
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§ 4. Schadensersatz im Lauterkeitsrecht
wohl bekannteste Beispiel hierfür bildet die Statt Blumen ONKO-Kaffee-Entscheidung, die ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen Blumenhändlern und einem Kaffeeröster bejaht, weil durch die beanstandete Werbung die jeweils vertriebenen Produkte als substituierbar dargestellt wurden219. Diese Entscheidung verdient Zustimmung, weil durch die angegriffene Werbeaussage – »ONKO-Kaffee könnten sie getrost statt Blumen verschenken« – eine partielle Parallelität der Nachfrage hergestellt wurde (Erwerb eines passenden Geschenks), sodass sich die Tätigkeit des einen Unternehmens zum Nachteil des anderen Unternehmens auswirken konnte. Das Gegenbeispiel hierzu bildet die Lottoschein-Entscheidung des BGH. In diesem Urteil verneinte das Gericht das Bestehen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses zwischen der Gesellschafterin des Deutschen Lotto- und Totoblocks und einem Verlagsunternehmen, das unter anderem die Zeitschrift »Wirtschaftswoche« herausgibt. In einer Anzeige hatte das beklagte Verlagsunternehmen für die »Wirtschaftswoche« mit einer Werbeanzeige geworben, in der ein Lottoschein abgebildet war, unter dem sich der Satz befand: »Um Geld zu vermehren, empfehlen wir ein anderes Papier«. Die Parteien boten damit völlig unterschiedliche Produkte an (Gewinnspiel einerseits und Zeitschrift andererseits). Die angegriffene Werbung forderte auch nicht direkt zu einer Substitution der einen gewerblichen Leistung durch die konkurrierende andere auf oder legte einen Austausch nahe. Es fehlte schließlich jegliche Funktionsidentität in Bezug auf die sich gegenüberstehenden Leistungen220. Entgegen der noch von der Vorinstanz vertretenen Auffassung reicht es nicht aus, dass die Klägerin durch die angegriffene Werbemaßnahme in ihrem eigenen Marktstreben »irgendwie betroffen« ist und dass ihre geschäftliche Tätigkeit in der beanstandeten Werbeanzeige durch den abgebildeten Lottoschein nebst Unterzeile verbal und gedanklich zu der »Wirtschaftswoche« in Beziehung gesetzt wird, indem diese als »anderes Papier« empfohlen wird. Denn insoweit wird allenfalls entfernt und nur mittelbar eine Substitutionsmöglichkeit angedeutet, die vom Betrachter der Anzeige – darin liegt der entscheidende Unterschied zu Statt Blumen ONKO-Kaffee – nicht ernsthaft in Betracht gezogen wird221. Abzulehnen ist die 10 000 Matratzen zum 1/2 Preis-Entscheidung des Kammergerichts222. Dieses Urteil überdehnt das konkrete Wettbewerbsverhältnis. Aufmerksamkeit verdient jedoch die Begründung, die der Entscheidung einen Spitzenplatz auf der Liste skurriler lauterkeitsrechtlicher Urteile sichert. Das Kammergericht meinte in diesem Streitfall, Matratzenhändler und Teppichhändler in Berlin als Mitbewerber ansehen zu müssen, weil es sich bei Matratzen und Teppichen um substituierbare Güter handele. Denn wie Matratzen könnten auch Teppiche als Schlafunterlagen verwendet werden. Das sei im Orient weithin üblich und angesichts der Tatsache, dass in Berlin viele Türken, Araber und Iraner leben, auch für den Berliner Markt beachtlich223. Das Gericht spekuliert über die Schlafgewohnheiten von Menschen in anderen Kulturkreisen und konstruiert mit geradezu kurios anmutenden Erwägungen – eine Urteilsanmerkung spricht von »Märchen aus tausendundeiner Nacht«224 – ein konkretes Wettbewerbsverhältnis herbei. Die Ent-
219 220 221 222 223 224
BGH vom 12.1.1972, GRUR 1972, 553 – Statt Blumen ONKO-Kaffee. BGH vom 17.1.2002, GRUR 2002, 828, 829 – Lottoschein. BGH vom 17.1.2002, GRUR 2002, 828, 830 – Lottoschein. KG vom 6.6.2000, WRP 2000, 48 ff. – 10 000 Matratzen zum 1/2 Preis. KG vom 6.6.2000, WRP 2001, 48, 50 – 10 000 Matratzen zum 1/2 Preis. Koblitz, WRP 2001, 51.
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scheidung ist allein von dem Bemühen getragen, die Sanktionierung einer unlauteren Handlung zu ermöglichen. Das Interesse an der Bekämpfung rechtswidriger Praktiken im Wettbewerb vermag indessen ein konkretes Wettbewerbsverhältnis nicht zu begründen. Im Ergebnis (nicht aber in der Begründung) Zustimmung verdient die Kontaktanzeigen-Entscheidung des BGH: Das Gericht bejahte ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen Prostituierten und dem Betreiber einer Bar, in der Prostituierten und deren Kunden sexuelle Kontakte ermöglicht werden225. Die Richter hielten es für ausreichend, dass die Dienstleistungen der Prostituierten vielfach auch das Zurverfügungstellen von Räumlichkeiten zur Durchführung der sexuellen Kontakte umfassen und insoweit derjenigen des Barbetreibers gleichartig sind226. Die Begründung der Entscheidung wirkt recht bemüht und trifft zudem nicht den entscheidenden Punkt. Denn es führt kein Weg daran vorbei, dass die Prostituierten, die Kontaktanzeigen schalten, und der Betreiber einer Bar, in der Kontakte zu Prostituierten hergestellt werden können – im wahrsten Sinne des Wortes – unterschiedliche Bedürfnisse der Kunden befriedigen. Entscheidend ist aber, dass die Anbahnung von sexuellen Kontakten über Anzeigen notwendigerweise auch Auswirkungen auf den Barbetreiber hatte. Denn Kunden, die sexuelle Kontakte über die Anzeigen suchen und herstellen, werden eben nicht mehr die Bar des Klägers aufsuchen. Daraus resultiert eine konkurrententypische Gefährdungslage, die nach den Kriterien des Mitbewerberschutzes zu beurteilen ist. Überdehnt wurde das konkrete Wettbewerbsverhältnis in der Werbeblocker-Entscheidung: Darin wurde ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen einem privat finanzierten Fernsehsender und dem Anbieter eines Gerätes bejaht, das Werbeblöcke aus dem Programm filtern konnte227. Der Anbieter des Gerätes wende sich, wenn auch mit umgekehrter Zielrichtung, ebenfalls an die Fernsehkonsumenten228. Hier kann von einer Substituierbarkeit von Waren oder Dienstleistungen nicht die Rede sein. Im Gegenteil ergänzen sich die angebotenen Produkte. Denn der Einsatz des Werbeblockers ist für Zuschauer nur dann sinnvoll, wenn sie Privatfernsehen nutzen und wenn es im Programm eingebettete Werbeblöcke gibt. Die angebotenen Produkte waren also weder ganz noch teilweise austauschbar, sondern es bestand umgekehrt eine Abhängigkeit. Zwar konnte sich die Tätigkeit des Anbieters des Werbeblockers zum Nachteil der privaten Fernsehsender auswirken, doch genügt dies allein zur Annahme eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses eben nicht. Zwischen beiden Unternehmen besteht keine konkurrententypische Gefährdungslage. Der durch den Vertrieb des Werbeblockers entstehende Nachteil tritt zudem nicht auf dem Markt ein, auf dem sich beide Unternehmen betätigen, nämlich auf dem Nachfragemarkt der Konsumenten privater TVProgramme, sondern auf dem – davon zu unterscheidenden – Markt für Fernsehwerbung. Dort aber sind allein die Anbieter der privaten Fernsehprogramme präsent. Wie verfehlt die Argumentation in der Werbeblocker-Entscheidung ist, zeigt sich deutlich, wenn man den darin ausgesprochenen Rechtsgedanken auf die Konstellationen des oben erwähnten Lottoschein-Streitfalles überträgt. Dort hätte man ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen den Lotto-Veranstaltern und der Wirtschaftswoche mit der Überlegung begründen können, dass sich beide Angebote an die gleichen Kunden 225 226 227 228
BGH vom 13.7.2006, BGHZ 168, 315 Tz. 16 – Kontaktanzeigen. BGH vom 13.7.2006, BGHZ 168, 315 Tz. 16 – Kontaktanzeigen. BGH vom 24.6.2004, GRUR 2004, 877, 879 – Werbeblocker. BGH vom 24.6.2004, GRUR 2004, 877, 879 – Werbeblocker.
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wenden, wenn Käufer Lotterielose und Zeitschriften jeweils am gleichen Kiosk erwerben. Es liegt auf der Hand, dass auf diese Weise das konkrete Wettbewerbsverhältnis letztlich ins Uferlose überdehnt werden könnte. Richtig ist hingegen die Annahme, dass zwischen dem Hersteller von Software, die ein Herausfiltern von »Spamseiten« im Internet ermöglicht und dem Betreiber eines Internetportals ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht229. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm ergibt sich das konkrete Wettbewerbsverhältnis daraus, dass sich der Softwareanbieter und der Betreiber des Internetportals, wenn auch mit »abweichender, letztlich konträrer Zielrichtung«, an die Internet-Nutzer wenden230. Das Gericht zog zur Begründung eine Parallele zur Werbeblocker-Konstellation, doch liegt dieser Fall anders. Hier wirkt sich die Handlung des Anbieters der Spam-Software notwendigerweise direkt zum Nachteil derjenigen Anbieter aus, deren Seiten durch die Software herausgefiltert und damit den Internet-Nutzern unzugänglich gemacht wird – den Kunden wird dadurch der Zugang zum Angebot versperrt.
(c) Mittelbare und potenzielle Konkurrenz. Andere Probleme stellen sich in Fällen der mittelbaren Konkurrenz, bei denen zwischen verschiedenen Absatzstufen ein Interessenkonflikt entsteht. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis wurde von der Rechtsprechung beispielsweise angenommen zwischen Unternehmen auf verschiedenen Wirtschaftsstufen, wie etwa einem Hersteller von Likör und einem Gastwirt, der diesen Likör an seine Gäste verkauft. Der Umstand, dass der Hersteller nur an Großhändler liefere, durch die Speise- und Getränkekarten des Gastwirtes dagegen der Letztabnehmer von Spirituosen angesprochen werde, stehe der Annahme eines Wettbewerbsverhältnisses nicht entgegen. Auch zwischen Gewerbetreibenden verschiedener Wirtschaftsstufen könne ein Wettbewerbsverhältnis bestehen. Die Kunden eines Gastwirts seien mittelbar auch Abnehmer der Hersteller von Spirituosen und der Absatz der Spirituosenfabrikanten könne durch wettbewerbswidrige Handlungen des Gastwirts beeinträchtigt werden.231 Der Entscheidung ist beizupflichten, weil sich die rechtswidrige Handlung des Herstellers – unter anderem ging es dabei um eine irreführende Werbung – auch zum Nachteil des Gastwirts auswirken konnte. Die Entscheidung zeigt, dass es nicht darauf ankommen kann, auf welcher Marktstufe letztlich der Leistungsaustausch vorgenommen wird, sondern auf welchem Markt die verschiedenen Tätigkeiten der Unternehmen aufeinandertreffen und damit der lauterkeitsrechtliche Interessenkonflikt hervorbricht. Da die Werbung hier das Flaschenetikett betraf, waren von der irreführenden Werbung diejenigen betroffen, die das Etikett wahrnehmen können. Dazu gehören auch die Letztabnehmer, und zwar unabhängig davon, ob diese in direktem geschäftlichem Kontakt mit dem Hersteller, einem Großhändler, Einzelhändler usw. stehen.
Das konkrete Wettbewerbsverhältnis muss schließlich nicht aktuell bestehen, sondern es genügt auch eine potenzielle Konkurrenzsituation. Eine konkurrententypische Gefährdungslage besteht aber nur dann, wenn ein Markteintritt des 229 230 231
OLG Hamm vom 1.3.2007, GRUR-RR 2007, 282, 283 – Google-Spamfilter. OLG Hamm vom 1.3.2007, GRUR-RR 2007, 282, 283 – Google-Spamfilter. BGH vom 30.10.1956, GRUR 1957, 342, 347 – Underberg.
C. Anspruchsberechtigung
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potenziellen Konkurrenten aufgrund tatsächlicher Umstände hinreichend wahrscheinlich ist. Anderenfalls könnte das konkrete Wettbewerbsverhältnis bereits durch mehr oder weniger spekulative Annahmen über das künftige unternehmerische Verhalten begründet werden. Ein Beispiel für eine Überdehnung des konkreten Wettbewerbsverhältnisses bildet die Cupresa-Seide-Entscheidung des BGH232: In dieser Entscheidung ist ein Wettbewerbsverhältnis zwischen einem Hersteller von Nähfäden und zum Nähen nicht geeigneten Kunstseidefäden angenommen worden. Nach dem Verlauf der technischen Entwicklung sei davon auszugehen, dass die Kunstseidenfaser über kurz oder lang eine weitere Vervollkommnung erfahre und dann auch als Nähfaden in unmittelbaren Wettbewerb zu dem Erzeugnis der Klägerin treten könne. Denn schon im Kriege und in der ersten Nachkriegszeit seien auch kunstseidene Produkte als Nähfaden angeboten worden und es sei damit zu rechnen, dass die Kunstseidenfaser als Nähfaden in unmittelbaren Wettbewerb zu dem Erzeugnis der Klägerin treten könne233. Die Entscheidung ist abzulehnen, weil die Beklagte nach ihrem Vortrag gar nicht die Absicht hatte, einen Cupresa-Kunstseidenfaden zu entwickeln, der auch als Nähfaden voll verwendbar wäre. Es ist nicht die Aufgabe des Richters darüber zu spekulieren, wie die technische Entwicklung fortschreitet und welche Unternehmensaktivitäten mehr oder weniger wahrscheinlich sind. Es müssen konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass eine konkurrententypische Gefährdungslage eintreten kann, die insbesondere dann entstehen wird, wenn eine unlautere Handlung einem Konkurrenten etwa Zutritt zum Markt verwehrt.
d) Mitbewerbereigenschaft und Förderung eines fremden Unternehmens Eine geschäftliche Handlung kann gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG nicht nur vorliegen, wenn das eigene Unternehmen im Wettbewerb gefördert wird, sondern erfasst wird auch der Fall der Förderung eines fremden Unternehmens. Beispielhaft zu denken ist etwa an die vergaberechtswidrige Bevorzugung eines Bieters im Rahmen einer Auftragsvergabe durch die öffentliche Hand. Im regulären Fall der Ausschreibung liegt lediglich eine Bedarfsdeckung durch den Auftraggeber und damit keine geschäftliche Handlung vor. Wenn aber ein Bieter zu Unrecht aus dem Vergabeverfahren ausgeschlossen wird, damit ein anderer Bieter den Zuschlag erhalten kann, oder wenn die öffentliche Hand einen Auftrag ganz ohne die notwendige Ausschreibung vergibt, dann fördert sie das Unternehmen des rechtswidrig bevorzugten Auftragnehmers. Es liegt jeweils eine geschäftliche Handlung vor234.
Auf die daraus resultierende Dreieckskonstellation zwischen dem Verletzer, dem benachteiligten Unternehmen und dem geförderten Unternehmen ist das konkrete Wettbewerbsverhältnis aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG nicht zugeschnitten: Zwischen dem Verletzer (der öffentlichen Hand) und dem benachteiligten Un232
BGH vom 11.5.1954, BGHZ 13, 244 ff. – Cupresa-Seide. BGH vom 11.5.1954, BGHZ 13, 244, 249 – Cupresa-Seide. 234 BGH vom 3.7.2008, BGHZ 177, 150 – Kommunalversicherer; Alexander, WRP 2004, 700, 705 m.w.Nachw. 233
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§ 4. Schadensersatz im Lauterkeitsrecht
ternehmen besteht im Beispielsfall kein konkretes Wettbewerbsverhältnis. Demgegenüber besteht zwischen dem begünstigten Unternehmen und dem benachteiligten Unternehmen zwar ein konkretes Wettbewerbsverhältnis, jedoch kann das begünstigte Unternehmen zumeist nicht als Täter oder Teilnehmer in Anspruch genommen werden – es ist lediglich Nutznießer des unrechtmäßigen Verhaltens des Auftraggebers. Auch in diesen Fällen hilft aber der Blick auf die konkurrenztypische Gefährdungslage. Eine solche besteht nämlich allein zwischen dem geförderten und dem benachteiligten Unternehmen. Im oben genannten Beispielsfall des unzulässigen Ausschlusses eines Bieters aus einem Vergabeverfahren wird diese Interessenlage besonders deutlich. Beide Bieter bewerben sich um den ausgeschriebenen Auftrag und stehen damit in einem – sogar besonders »scharfen« – Konkurrenzverhältnis zueinander. Durch die rechtswidrige Handlung bewirkt der Auftraggeber, dass der ausgeschlossene Bieter den Zuschlag nicht erhält. Wenn damit die Förderungshandlung des Dritten ein anderes Unternehmen nachteilig betrifft, dann kann dieser Fall rechtlich nicht anders zu beurteilen sein, als der einer eigenen rechtswidrigen Handlung des geförderten Unternehmens. Dementsprechend kommt es darauf an, ob das geförderte und das benachteiligte Unternehmen im Verhältnis zueinander als Mitbewerber anzusehen sind235. Ein Verletzer haftet damit gemäß § 9 S. 1 UWG auf Schadensersatz, wenn er zwar im Verhältnis zum Geschädigten nicht als Mitbewerber anzusehen ist, aber das durch seine Handlung geförderte Unternehmen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis zum Geschädigten steht. 4. Schutzzweck der verletzten Norm Anhand des konkreten Wettbewerbsverhältnisses lässt sich eine Aussage darüber treffen, welche Unternehmer prinzipiell als Mitbewerber geschützt sein können. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass alle in Betracht kommenden Unternehmer bei einem Rechtsverstoß auch berechtigt sind, Schadensersatz zu verlangen. Ob ein Unternehmer als lauterkeitsrechtlich geschützter und damit zugleich nach § 9 S. 1 UWG anspruchsberechtigter Mitbewerber anzusehen ist, bestimmt sich maßgeblich nach dem Schutzzweck der verletzten Norm236. Das Lauterkeitsrecht folgt insoweit – jedenfalls im Grundsatz – den allgemeinen Strukturen deliktischer Haftung, wonach stets zu fragen ist, ob ein Verletzter vom Schutzbereich der verletzten Norm umfasst wird237. Die zugrunde liegende Schutzzwecklehre gründet dabei auf der Annahme, dass Rechtsnormen stets ein bestimmter Zweck 235 BGH vom 20.2.1997, GRUR 1997, 907, 908 – Emil-Grünbär-Klub; BGH vom 10.4.1997, GRUR 1997, 909, 910 – Branchenbuch-Nomenklatur; Fezer, in: Fezer, UWG, § 2 Rn. 109; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 2 Rn. 72. 236 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 30 Rn. 106; Bornkamm, GRUR 1996, 527, 529; Dieselhorst, WRP 1995, 1, 4; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 9 Rn. 1.9. 237 Siehe nur Brüggemeier, Haftungsrecht, § 7 I 2 a, S. 537 ff.; Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, Rn. 106 ff.
C. Anspruchsberechtigung
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zugrunde liegt. Dieser Zweck ist zu ermitteln und bei der Rechtsanwendung zu verwirklichen. Allerdings wirkt sich die Mehrdimensionalität des lauterkeitsrechtlichen Schutzes nochmals besonders aus. Es muss berücksichtigt werden, dass Mitbewerber grundsätzlich auch dann anspruchsberechtigt sind, wenn eine bestimmte Verhaltensweise nicht (oder jedenfalls nicht primär) aus Gründen des Individualschutzes verboten wird. Insoweit werden sie als »Funktionäre« im überindividuellen Interesse tätig. Die Anspruchsberechtigung eines Mitbewerbers kann also nicht mit der Begründung verneint werden, die verletzte Vorschrift bezwecke keinen Individualschutz238. Es bildet gerade eine wesensbestimmende Eigenart des Lauterkeitsrechts, dass Mitbewerber generell gegen unlautere Handlungen vorgehen können. Es genügt in diesen Fällen zur Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs, wenn der Mitbewerber tatsächliche wirtschaftliche Nachteile durch die unlautere Handlung erleiden kann239. Umgekehrt kann jedoch die Anspruchsberechtigung von Mitbewerbern Beschränkungen unterworfen sein, wenn die verletzte Vorschrift dem Individualschutz dient. Dann bedarf der Prüfung, welche Unternehmer zu den vom Normzweck umfassten Personen gehören. Unternehmer, die zwar in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis zum Verletzer stehen, aber nicht vom Schutzzweck der Norm erfasst werden, sind in einem solchen Fall von der Geltendmachung des Schadensersatzanspruches ausgeschlossen. a) Bestimmungen ohne primär individualschützenden Charakter Eine wenig problematische Gruppe bilden Vorschriften, die nicht oder nicht primär individualschützenden Charakter aufweisen und damit keine schutzzweckbedingten Einschränkungen erforderlich machen. Hierzu gehören all jene Vorschriften, die eine Verhaltensweise im Wettbewerb aus Gründen des Verbraucherschutzes bzw. des Schutzes sonstiger Marktteilnehmer verbieten, also insbesondere §§ 4 Nr. 1 bis 6, 5, 5a, 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 3, 7 und 16 UWG. Fraglich ist allein, ob Mitbewerber Schadensersatzansprüche auch dann geltend machen können, wenn die unlautere Handlung in einem Rechtsbruch gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 11 UWG besteht und die verletzte Marktverhaltensregelung nicht dem Schutz von Mitbewerbern dient. Das Problem kann sich beispielsweise stellen bei der Verletzung von Vorschriften, die (nur) dem Verbraucherschutz dienen. Obgleich es auf den ersten Blick naheliegend erscheint, den Mitbewerbern in diesen Fällen Schadensersatzansprüche zu verwehren, weil sie von der verletzten Marktverhaltensregelung gerade nicht geschützt werden, sind solche Ansprüche richtigerweise nicht ausgeschlossen. Wenn die Verletzung einer Marktverhaltensvorschrift lauterkeitsrechtlicher Kontrolle gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 11 UWG unterliegt, dann greifen auch die lauterkeitsrechtlichen Sanktionen in vollem Um238 239
A.A. Dieselhorst, WRP 1995, 1, 5 f. Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 30 Rn. 114.
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§ 4. Schadensersatz im Lauterkeitsrecht
fang. Das schließt Ansprüche der Mitbewerber prinzipiell ein. Ergibt die Auslegung der Marktverhaltensregelung hingegen, dass eine Sanktionierung durch Mitbewerber ausgeschlossen sein soll, dann hindert dies bereits die Anwendbarkeit von §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 11 UWG. Denn als ungeschriebenes Erfordernis ist im Rahmen des § 4 Nr. 11 UWG stets zu prüfen, ob das spezialgesetzliche Sanktionssystem abschließend ist oder aber konkurrierende Sanktionen des Lauterkeitsrechts zulässt240. b) Bestimmungen mit primär individualschützendem Charakter Zu den primär individualschützenden Bestimmungen gehören diejenigen lauterkeitsrechtlichen Vorschriften, die einen Individualschutz von bestimmten Unternehmern als Mitbewerber bezwecken. Hierzu zählen Verbotstatbestände, die Mitbewerber vor bestimmten unlauteren Praktiken schützen, insbesondere die Beispielstatbestände des § 4 Nr. 7 bis 10 und § 6 Abs. 2 Nr. 3 bis 6 sowie die Strafvorschriften zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen in §§ 17 bis 19 UWG. Die individualschützende Ausrichtung kann unter Umständen sogar soweit gehen, dass überhaupt nur die jeweils geschützten Mitbewerber privatrechtliche Sanktionen durchsetzen können241. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass nur der Berechtigte darüber entscheiden können soll, ob er die Verletzung seiner rechtlich geschützten Interessen geltend macht. In solchen Fällen sind typischerweise keine überindividuellen Interessen tangiert oder diese Interessen fallen neben den Individualinteressen des geschützten Mitbewerbers nicht wesentlich ins Gewicht. Beispielsweise ist es allein Sache des berechtigten Unternehmensinhabers, ob er privatrechtlich gegen die Verletzung eines Geschäftsgeheimnisses durch einen früheren Mitarbeiter vorgehen will. Selbst wenn an einer Verfolgung der Rechtsverletzung ein öffentliches Interesse bestehen sollte, muss dem Berechtigten (und nur ihm) die Entscheidungsbefugnis darüber zustehen, ob der Rechtsverstoß privatrechtlich sanktioniert wird242. Dieser Ausschlusswirkung kommt im Hinblick auf die Anspruchsberechtigten gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis Nr. 4 UWG Bedeutung zu243. Zugleich gilt die Ausschlusswirkung auch gegenüber Mitbewerbern und im Hinblick auf Abwehr- und Schadensersatzansprüche, die nicht als Geheimnisinhaber geschützt sind, aber durch den Geheimnisverrat einen Nachteil erleiden. Wenn beispielsweise ein Unternehmer ein unrechtmäßig erlangtes Betriebsgeheimnis zu seinem Vorteil ausnutzt und nunmehr besonders 240 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 4 Rn. 11.7 ff. mit Beispielen zu abschließenden (a.a.O. Rn. 11.10 ff.) und nicht abschließenden Regelungen (a.a.O. Rn. 11.15 ff.). 241 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 30 Rn. 116 ff. 242 Im Grundsatz gilt dies auch für die strafrechtliche Verfolgung, die gemäß §§ 17 Abs. 5, 18 Abs. 3 und 19 Abs. 4 UWG nur auf Antrag erfolgt. Allerdings kann die Strafverfolgungsbehörde bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses auch von Amts wegen tätig werden. 243 Die rechtlichen Folgen sind str.: Ohly, in: Piper/Ohly, UWG, § 17 Rn. 46 hält eine Geltendmachung von Ansprüchen der nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 UWG Berechtigten für ausgeschlossen. Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 17 Rn. 52 hält dagegen ein Vorgehen von Verbänden für möglich, verlangt aber die Zustimmung des Geheimnisträgers.
C. Anspruchsberechtigung
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günstig Produkte auf dem Markt anbieten kann, wodurch andere Anbieter vom Markt verdrängt werden, dann sind diese Unternehmen nicht berechtigt, Schadensersatz zu verlangen.
c) Problemfälle: Nachahmungsschutz und Schutz vor Verwechslungsgefahren Schwierigkeiten bereitet die Bestimmung des persönlichen Schutzbereiches bei den Vorschriften, die vor unlauteren Nachahmungen und Verwechslungsgefahren schützen. In diesen Fällen überschneiden sich die Individualinteressen des Mitbewerbers und das überindividuelle Interesse eines Schutzes vor Täuschungen. Zusätzlich erschwert wird die rechtliche Beurteilung, weil der Gesetzgeber im Zuge der Umsetzung der RL 2005/29/EG eine Reihe von Vorschriften geschaffen hat, die sehr ähnliche Schutzrichtungen aufweisen, sich vielfach überschneiden, deren Verhältnis zueinander aber ungeklärt ist: Im Einzelnen schützt § 4 Nr. 9 Buchst. a UWG vor vermeidbaren Herkunftstäuschungen bei der Nachahmung von Erzeugnissen. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG schützt vor Täuschungen über die betriebliche Herkunft von Waren oder Dienstleistungen und § 5 Abs. 2 UWG beinhaltet einen eigenständigen Schutz vor Verwechslungsgefahren. § 6 Abs. 2 Nr. 3 UWG ist auf Verwechslungen im Rahmen vergleichender Werbung ausgerichtet und schließlich enthält Nr. 13 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG nochmals einen eigenständigen Schutz vor einer absichtlichen Täuschung der Verbraucher über die betriebliche Herkunft von Waren oder Dienstleistungen.
aa) Ergänzender Leistungsschutz In den Konstellationen des ergänzenden Leistungsschutzes zieht die Rechtsprechung den Kreis der geschützten Unternehmer traditionell sehr eng. Dies ist eine Konsequenz der immaterialgüterrechtlichen Ausrichtung des ergänzenden Leistungsschutzes. Unter dem Begriff des ergänzenden Leistungsschutzes werden Konstellationen zusammengefasst, die Rechtsfragen des Nachahmens von Erzeugnissen im Wettbewerb betreffen. Insbesondere geht es dabei um Täuschungen über die betriebliche Herkunft244, Rufausnutzungen oder Rufbeeinträchtigungen245, Nachahmungen infolge des verwerflichen Erlangens von Kenntnissen246 sowie um sonstige Erscheinungsformen eines Schutzes vor Nachahmungen247. Der ergänzende Leistungsschutz hat sich parallel neben dem Sonderrechtsschutz des Immaterialgüterrechts herausgebildet und weiterentwickelt248. Mit Hilfe von § 1 UWG a.F. wurden durch die Rechtsprechung Lücken gefüllt, wenn und soweit ein Bedürfnis für den Schutz vor Nachahmungen bestand und dieses Bedürfnis mit Hilfe von besonderen Schutzrechten nicht befriedigt werden konnte. Die Er244 245 246 247 248
§ 4 Nr. 9 Buchst. a UWG. § 4 Nr. 9 Buchst. b UWG. § 4 Nr. 9 Buchst. c UWG. § 3 Abs. 1 UWG. Eingehend zur Entwicklung Beater, Nachahmen im Wettbewerb, S. 93 ff.
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§ 4. Schadensersatz im Lauterkeitsrecht
gänzungsfunktion des UWG wurde dabei bereits vom Reichsgericht hervorgehoben249. Die Nähe und die Verschränkung mit dem Sonderrechtsschutz kennzeichnen nicht nur den rechtlichen Charakter des ergänzenden Leistungsschutzes, sondern stellen zugleich die entscheidende und bis heute nachwirkende Prägung dar. Die Rechtsprechung hat die Dominanz des Individualschutzes klar zum Ausdruck gebracht: »Beim wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz geht es primär – trotz seiner Grundlage in § 1 UWG – nicht um den Schutz von Allgemeininteressen, sondern regelmäßig um den der Individualinteressen desjenigen, dessen Leistung wettbewerbswidrig nachgeahmt wird (…). Dies folgt aus den Besonderheiten des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes in seiner Relation zu den gewerblichen Schutzrechten und in seiner Funktion als diese Schutzrechte bei Vorliegen besonderer wettbewerbsrechtlicher Umstände ergänzende Rechtsgrundlage«250.
Auf dieser Grundlage billigen die Gerichte lauterkeitsrechtliche Ansprüche nur dem »Schöpfer« des nachgeahmten Erzeugnisses oder dem Alleinvertriebsberechtigten zu. Der ergänzende wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz diene – ungeachtet seiner Entwicklung durch die Rechtsprechung auf der Grundlage des § 1 UWG a.F. – nicht dem Schutz des allgemeinen Wettbewerbs, sondern – ähnlich wie die Vorschriften der §§ 14 bis 18 UWG a.F. – dem Schutz von Individualinteressen. Stehe bei der Verfolgung einer Leistungsnachahmung ausschließlich oder ganz vorherrschend das individuelle wirtschaftliche Interesse desjenigen infrage, dessen Leistung nachgeahmt werde, dann sei die Verfolgbarkeit eines solchen Anspruchs entsprechend der §§ 14 ff. UWG a.F. zu regeln251. Ausdrücklich weist der BGH mit Blick auf Verstöße gegen §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 9 UWG darauf hin, dass der dadurch gewährleistete Schutz nur zur Disposition des beeinträchtigten Mitbewerbers steht252. Ob im Einzelfall eine Anspruchsberechtigung aufgrund einer Beeinträchtigung von Individualinteressen vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab: Für einen Alleinvertriebsberechtigten bejahte der BGH in der Vespa-Roller-Entscheidung beispielsweise eine Anspruchsberechtigung253. Es ging um den Vertrieb von Motorrollern in Deutschland, die eine Nachahmung des von Piaggio hergestellten Originalmodells darstellten, für das die Klägerin ein Alleinvertriebsrecht innehatte. Lapidar heißt es zur Begründung: »Als Alleinvertriebsberechtigte der von Piaggio hergestellten VespaRoller in der Bundesrepublik Deutschland wird die Kl. nämlich durch den infrage stehenden Vertrieb der diesen Rollern nachgeahmten Bajaj-Erzeugnisse selbst unmittelbar verletzt«254. 249 250 251 252 253 254
RG vom 31.1.1928, RGZ 120, 94, 97 – Huthaken. BGH vom 18.10.1990, GRUR 1991, 223, 225 – Finnischer Schmuck. BGH vom 14.4.1988, GRUR 1988, 620, 621 – Vespa-Roller. BGH vom 2.10.2008, WRP 2009, 432 Tz. 23 – Küchentiefstpreis-Garantie. BGH vom 14.4.1988, GRUR 1988, 620, 621 – Vespa-Roller. BGH vom 14.4.1988, GRUR 1988, 620, 621 – Vespa-Roller.
C. Anspruchsberechtigung
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Dagegen verneinte die Finnischer Schmuck-Entscheidung eine Anspruchsberechtigung eines Schmuckhändlers, dem ein Alleinvertriebsrecht zustand255. Der Händler verkaufte in der Bundesrepublik Schmuckstücke, die von finnischen Künstlern entworfen und in Finnland hergestellt waren. Im Streitfall hatte der Händler vorgetragen, die Beklagte habe Schmuckstücke verkauft, die mit diesen Schmuckstücken nahezu identisch seien. Bei der Übernahme einer fremden Leistung – so die Begründung des BGH – sei nur derjenige unmittelbar verletzt und damit anspruchsberechtigt, dessen Leistung nachgeahmt werde, also der Hersteller, nicht aber der Händler256. Dies folge aus dem Wesen und der Funktion des Leistungsschutzes nach Lauterkeitsrecht, den Sonderrechtsschutz im Hinblick auf das Wettbewerbsverhalten zu ergänzen; den Schutzgegenstand des ergänzenden Leistungsschutzes bilde nicht ein bestimmtes Individualgut als solches, sondern die Art und Weise, wie die fremde Leistung zu Wettbewerbszwecken benutzt und verwertet werde257. Allerdings gesteht der BGH einem Händler einen Anspruch zu, wenn es um den Schutz seiner eigenen Leistung gehe, falls dieser durch Auswahl, Zusammenstellung usw. der Kollektion eine besondere schutzwürdige Leistung erbracht habe, deren (nahezu) identische Übernahme wegen der besonderen Eigenart der Gesamtkollektion und ihrer Zusammenstellung sowie der Umstände der Übernahme als wettbewerbswidrig anzusehen wäre«258. Indessen unterscheidet der BGH nicht deutlich genug zwischen der Schutzwürdigkeit als solcher und der Täuschung über die Herkunft aus dem Sortiment des Händlers259. Den letztgenannten Aspekt hebt die Cartier-Armreif-Entscheidung260 hervor. Danach können einem alleinvertriebsberechtigten Händler als unmittelbar Verletztem lauterkeitsrechtliche Ansprüche zustehen, »wenn durch den Vertrieb eines (nahezu) identisch nachgeahmten Erzeugnisses über die Herkunft aus dem Betrieb eines bestimmten Herstellers und damit auch über die Herkunft aus dem Betrieb des ausschließlich Vertriebsberechtigten getäuscht wird«261. Das bloße Nutzungsrecht an dem nachgeahmten Original genügt dagegen nach Ansicht der Rechtsprechung nicht als Grundlage für Ansprüche unter dem Aspekt des ergänzenden Leistungsschutzes262.
Diese – tendenziell zurückhaltende – Linie der Rechtsprechung ist darauf zurückzuführen, dass der ergänzende Leistungsschutz in der Sache als »kleines« Immaterialgüterrecht ausgestaltet wurde. Zwar bestehen im dogmatischen Ausgangspunkt zwischen dem verhaltensbezogenen Schutz des UWG und der Anerkennung subjektiver Rechte durch das Immaterialgüterrecht klare Unterschiede. In der praktischen Rechtsanwendung wurden diese Unterschiede jedoch weitgehend eingeebnet. Vor allem im Hinblick auf die Rechtsfolgen von Verletzungshandlungen lassen sich kaum noch wesentliche Unterschiede zwischen dem rechtlichen Schutz von Immaterialgüterrechten einerseits und dem ergänzenden 255
BGH vom 18.10.1990, GRUR 1991, 223, 224 – Finnischer Schmuck. BGH vom 18.10.1990, GRUR 1991, 223, 224 – Finnischer Schmuck. 257 BGH vom 18.10.1990, GRUR 1991, 223, 224 – Finnischer Schmuck. 258 BGH vom 18.10.1990, GRUR 1991, 223, 224 – Finnischer Schmuck. 259 Sambuc, Der UWG-Nachahmungsschutz, Rn. 782. 260 BGH vom 24.3.1994, BGHZ 125, 322 ff. = GRUR 1994, 630 ff. – Cartier-Armreif. 261 BGH vom 24.3.1994, GRUR 1994, 630, 634 – Cartier-Armreif (insoweit nicht in BGHZ 125, 322 ff. abgedruckt). 262 BGH vom 26.6.2003, GRUR 2003, 876, 878 – Sendeformat. 256
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§ 4. Schadensersatz im Lauterkeitsrecht
Leistungsschutz andererseits ausmachen. Insbesondere sieht die Rechtsprechung in allen Fällen des ergänzenden Leistungsschutzes die dreifache Schadensberechnung als zulässig an. Fezer hat deswegen durchaus konsequent den Schluss gezogen, es gehe im ergänzenden Leistungsschutz in Wahrheit um den Schutz subjektiver Rechte von Unternehmern263. Aus dieser Perspektive ist es nur folgerichtig, wenn privatrechtliche Ansprüche nur dem Rechteinhaber zugestanden werden, also dem »Schöpfer« des Originals bzw. demjenigen, der für den Vertrieb sozusagen die Fäden der Vermarktung in den Händen hält, also dem Alleinvertriebsberechtigten. Diese verfügen typischerweise über die Verwertungs- und Nutzungsrechte, deren Beeinträchtigung schadensrechtlich im Wege der Lizenzanalogie bzw. der Herausgabe des Verletzergewinns ausgeglichen werden kann. Händler werden dagegen nicht geschützt, sofern sie nicht selbst eine schutzwürdige Leistung erbringen und damit wieder selbst als »Schöpfer« Rechtsinhaber sind. Dieses enge Verständnis steht und fällt allerdings mit der materiellrechtlichen Einordnung des ergänzenden Leistungsschutzes. Anerkennt man, dass die Erscheinungsformen des ergänzenden Leistungsschutzes nicht auf einen einheitlichen Grundgedanken reduziert werden können, sondern vielmehr unterschiedliche Interessenlagen widerspiegeln, verliert die Linie der Rechtsprechung an innerer Konsequenz und Überzeugungskraft264. bb) Verwechslungsschutz und verwandte Konstellationen Der eng gezogene persönliche Schutzbereich beim ergänzenden Leistungsschutz kann auf die sonstigen Fälle des Schutzes vor Verwechslungsgefahren265 im Wettbewerb durch das UWG nicht erstreckt werden. Denn insoweit ist schon keine Nachahmung eines Erzeugnisses notwendig, sondern es kommt allein auf das geschützte Interesse von Unternehmen an der richtigen Zuordnung der betrieblichen Herkunft einer Ware oder Dienstleistung an. Ein solches Interesse kann aber unabhängig davon bestehen, auf welcher Marktstufe der Unternehmer tätig ist. Zudem betrifft der Schutz vor Verwechslungen typischerweise das überindividuelle Interesse eines Schutzes vor Fehlvorstellungen. Ein zu eng gezogener Schutz könnte dazu führen, dass die Verfolgung dieses überindividuellen Interesses erschwert wird. Nochmals einen Sonderfall bildet § 6 Abs. 2 Nr. 6 UWG, der Unternehmen davor schützt, dass Waren oder Dienstleistungen im Rahmen vergleichender Werbung als Nachahmung dargestellt werden. Im Hinblick auf diese Vorschrift stellt sich die Frage, ob die restriktive Linie der Rechtsprechung zum ergänzenden Leistungsschutz zu übertragen ist, sodass ebenfalls nur der Hersteller bzw. der Alleinvertriebsberechtigte des nachgeahmten Erzeugnisses Schutz genießt. 263 264 265
Fezer, WRP 1993, 63, 64 ff. Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 30 Rn. 113. Z.B. §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 2; Nr. 13 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG.
D. Anspruchsinhalt
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Der BGH hat die Problematik in der Imitationswerbung-Entscheidung gestreift, aber letztlich offen gelassen. In diesem Streitfall hatte eine der Beklagten billige Duftwässer vertrieben und diese mit Produktbezeichnungen versehen, die Assoziationen mit den erheblich teureren Markendüften der Klägerin wecken konnten. Das Gericht verneinte eine unzulässige vergleichende Werbung im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 6 UWG266 und ließ deswegen dahingestellt, ob die Anspruchsberechtigung auf den Hersteller bzw. den Alleinvertriebsberechtigten des nachgeahmten Produkts zu beschränken ist267. Richtigerweise sollte die zurückhaltende Rechtsprechung nicht auf § 6 Abs. 2 Nr. 6 UWG übertragen werden. Das Verbot in § 6 Abs. 2 Nr. 6 UWG beinhaltet kein immaterialgüterrechtliches Recht, sondern es schützt davor, dass das Original durch einen Werbevergleich zu Werbezwecken für das nachgeahmte Erzeugnis eingespannt wird. Denn eine »offene Nachahmung« im Sinne dieser Vorschrift wird nur dann in Betracht kommen, wenn der Werbende sich eine Teilhabe am Image des Originals erhofft268.
D. Anspruchsinhalt Nach § 9 S. 1 UWG ersatzfähig ist der gesamte Schaden, der adäquat kausal durch die unlautere Handlung verursacht wurde. Weil das Lauterkeitsrecht spezielle Regelungen zu Art und Inhalt des Schadensersatzes nicht vorsieht, bedarf es der Heranziehung der §§ 249 ff. BGB. Der Gesetzgeber hat dies in den amtlichen Materialien ausdrücklich festgehalten269. Die §§ 249 ff. BGB müssen dabei im Lichte der haftungsbegründenden Vorschrift angewendet werden. Nimmt man zu der Mehrdimensionalität noch die wettbewerbstypischen Schwierigkeiten bei der Schadensermittlung hinzu, dann liegt auf der Hand, dass der einzelne Geschädigte im Streitfall vor erheblichen Herausforderungen steht. Dies wurde schon zum Zeitpunkt der Arbeiten am ersten UWG klar gesehen. Lobe kritisiert in seiner Stellungnahme zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs auf dem 23. Deutschen Juristentag: »Wer die Schwierigkeit kennt, die es schon in gewöhnlichen Prozessen macht, die Verursachung des Schadens und die Höhe des verursachten Schadens klar und zweifellos nachzuweisen, sodaß sich darauf eine Verurtheilung des Verletzers stützen lässt, wird zugeben, daß es mit beinahe unüberwindlichen Schwierigkeiten verknüpft ist, den Nachweis zu führen, daß eine betrügerische Reklame, eine widerrechtliche Aneignung einer Firma, ein Schlechtmachen der Waare die Ursache eines Schadens für den Wettbewerber sei. Und nun irgendwelchen Anhalt für die Höhe des Schadens zu geben, ist vollends unmöglich«270. 266
BGH vom 6.12.2007, GRUR 2008, 628 Tz. 17 ff. – Imitationswerbung. BGH vom 6.12.2007, GRUR 2008, 628 Tz. 12 – Imitationswerbung. 268 Vgl. Menke, in: Münchener Kommentar, UWG, § 6 Rn. 225. 269 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 23. 270 Lobe, in: Verhandlungen des Dreiundzwanzigsten Deutschen Juristentages, 1895, Band I, S. 59, 73 f. 267
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§ 4. Schadensersatz im Lauterkeitsrecht
Da sich der Inhalt des lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzanspruches nach den §§ 249 ff. BGB richtet, gilt im Ausgangspunkt das dort vorgesehene schadensrechtliche »Ausgleichsprogramm«. Auszugehen ist daher auch im Lauterkeitsrecht vom Vorrang der Naturalrestitution gemäß § 249 BGB. Erst wenn diese nicht möglich oder nicht genügend ist, wird gemäß § 251 BGB Schadensersatz in Geld geschuldet. Entgangener Gewinn ist gemäß § 252 BGB ersatzfähig. Teils in Präzisierung der §§ 249 ff. BGB, teils in Abweichung von diesen Vorgaben hat sich allerdings partiell ein lauterkeitsrechtliches Sonderschadensrecht entwickelt. Diese Sonderentwicklungen betreffen insbesondere Marktverwirrungsschäden271 und die dreifache Schadensberechnung272. Soll der Schadensersatzanspruch als privatrechtliche Sanktion im Wettbewerb tatsächliche Wirksamkeit entfalten, dann muss die Rechtsordnung gewährleisten, dass der Schädiger tatsächlich in Höhe des von ihm verursachten Schadens in Anspruch genommen wird, sodass durch den zu leistenden Schadensersatz die vom Gesetzgeber intendierte Steuerungswirkung erzielt wird. Wer nicht damit rechnen muss, bei Rechtsverletzungen in Höhe des verursachten Schadens einstehen zu müssen, wird sich kaum von der Begehung unlauterer Handlungen abhalten lassen. Zugleich darf Schadensersatz nicht in einer Weise bemessen sein, dass hiervon ein Übermaß an Abschreckung ausgeht. Dies könnte sich kontraproduktiv auf unternehmerische Entscheidungen auswirken und damit keine Sicherung, sondern womöglich eine Behinderung, schlimmstenfalls sogar eine Lähmung des Wettbewerbsgeschehens zur Folge haben. Damit sind die Grundkoordinaten des Schadensausgleichs im Lauterkeitsrecht benannt.
I. Naturalherstellung Naturalrestitution als Schadensersatz kann verlangt werden, wenn noch die tatsächliche Möglichkeit besteht, die durch das Schadensereignis verlorene Integrität zurückzugewinnen273. Dann, aber auch nur dann, verdient der Schutz des Integritätsinteresses Vorrang vor dem Kompensationsinteresse des Geschädigten. Voraussetzung ist, dass der schadensrechtlich anvisierte Zustand erstens überhaupt feststellbar ist, zweitens tatsächlich hergestellt werden kann und drittens eine solche Herstellung sinnvoll ist. Mit welchen Schwierigkeiten die Naturalrestitution im Wettbewerbsgeschehen verbunden ist, wird anhand des spärlichen Fallmaterials deutlich. Eine Naturalrestitution wird in Betracht kommen, je weniger komplex die von einer unlauteren Handlung ausgehenden Wirkungen im Wettbewerbsgeschehen sind. Es ist nicht überraschend, dass ein naturalrestitutiver Schadensausgleich im Grunde nur in sehr wenigen Konstellationen eine praktische Rolle spielt, nämlich bei Geschäftsehrverletzungen, der Abwerbung von 271 272 273
Unter III. 1., S. 275 ff. Unter II. 4., S. 253 ff. BGH vom 10.7.1984, BGHZ 92, 85, 90.
D. Anspruchsinhalt
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Mitarbeitern oder Kunden und bei dem Verweigern von Geschäftsbeziehungen. Bei genauerer Betrachtung dürften selbst diese Fälle keine echten Anwendungsbeispiele für eine Naturalherstellung bilden. Der schadensrechtliche Grundsatz des Vorrangs der Naturalherstellung ist damit im Lauterkeitsrecht ein »totes« Rechtsprinzip. 1. (Geschäfts-)Ehrverletzungen Das Bedürfnis nach einem Anspruch auf Widerruf (oder Berichtigung oder Ergänzung274) einer Aussage kann bestehen, wenn die rechtswidrige Handlung in einer (geschäfts-)ehrverletzenden Äußerung in Form einer unwahren Tatsachenbehauptung besteht. Die Existenz eines solchen Anspruchs ist mittlerweile allgemein anerkannt275. Anwendungsbeispiele im Lauterkeitsrecht bilden die »Anschwärzung«276, die Herabsetzung oder Verunglimpfung von Mitbewerbern277 oder auch Boykottaufrufe278, wenn diese auf unwahre Tatsachen gestützt werden. Die Rechtsprechung weicht vielfach der dogmatischen Frage nach der »richtigen« Anspruchsgrundlage aus und verfährt eher pragmatisch. Beispielsweise wird der Widerrufsanspruch in der Blindenseife-Entscheidung des BGH auf ein ganzes Sammelsurium von lauterkeitsrechtlichen und deliktischen Anspruchsgrundlagen gestützt279. Mittlerweile besteht Konsens darüber, dass der Widerrufsanspruch als eine besondere Ausprägung des Beseitigungsanspruchs anzusehen ist280. Das hat vor allem den praktischen Vorteil der Entbehrlichkeit des (oft schwierigen) Verschuldensnachweises. Mit der Aufnahme spezialgesetzlicher Regelungen des Beseitigungsanspruchs in § 8 Abs. 1 S. 1 UWG und § 33 Abs. 1 S. 1 GWB wurde eine völlige Abkopplung von § 1004 BGB vollzogen281. Dementsprechend bestehen keine Bedenken, den Widerrufsanspruch bei (Geschäft-)Ehrverletzungen im 274 Es handelt sich insoweit lediglich um Modifikationen des Anspruchsinhalts, wenn die Aussage teilweise unwahr ist (dann Berichtigung bzw. Richtigstellung) oder wenn die Aussage unvollständig ist (dann Ergänzung). 275 Ablehnend noch RG vom 9.1.1905, RGZ 60, 12, 17, weil der Widerruf für den Widerrufenden, gerade wenn diese mit dem Eingeständnis der Lüge verbunden sei und öffentlich zu erfolgen habe, »das Gefühl großer Demütigung und Beschämung« hervorrufe und damit Strafcharakter aufweise. 276 § 4 Nr. 8 UWG. 277 §§ 4 Nr. 7, 6 Abs. 2 Nr. 5 UWG. 278 § 21 Abs. 1 GWB; § 4 Nr. 10 UWG. 279 BGH vom 14.11.1958, GRUR 1959, 143, 144 – Blindenseife. 280 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 30 Rn. 58 ff.; Bornkamm, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 8 Rn. 1.95; Büscher, in: Fezer, UWG, § 8 Rn. 22; Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 8 Rn. 199; Loewenheim, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozeß, § 73 Rn. 6; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 8 Rn. 86; Seichter, in: jurisPK-UWG, § 8 Rn. 97; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 26 Rn. 3 ff.; Walchner, Der Beseitigungsanspruch im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, S. 235 ff. 281 Siehe bereits BGH vom 28.9.1971, GRUR 1974, 99, 100 – Brünova zum alten Recht: »Die Anlehnung an § 1004 BGB und verwandte Vorschriften des bürgerlichen Rechts dient nur der Ergänzung und näheren Ausgestaltung des Rechtsschutzes«.
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Wettbewerb auf diese spezialgesetzlichen Beseitigungsansprüche zu stützen. Eher würde es umgekehrt recht bemüht und konstruiert wirken, in einem Widerruf die Wiederherstellung des Zustands zu sehen, der ohne das schädigende Ereignis bestünde. Denn die Nachwirkungen von Äußerungen, die sich erst einmal in den Köpfen vieler Adressaten »festgesetzt« haben, werden durch eine Gegenäußerung nicht einfach aus der Welt geschafft. Ein Widerruf verstopft nur die Störungsquelle, ist also auf eine in die Zukunft gerichtete Störungsbeseitigung gerichtet. 2. Abwerben von Mitarbeitern und Kunden Naturalrestitutive Maßnahmen werden des Weiteren diskutiert im Zusammenhang mit dem Abwerben von Mitarbeitern und Kunden. a) Abwerben von Mitarbeitern Die Rechtsprechung bejahte vereinzelt als naturalrestitutive Maßnahme ein Beschäftigungsverbot für unlauter abgeworbene Mitarbeiter. In der Spritzgußmaschinen-Entscheidung282 hatten die Parteien beispielsweise Vertragsverhandlungen mit dem Ziel geführt, bei der Fertigung von Spritzgussmaschinen zusammenzuarbeiten. Die gemeinsame Tätigkeit sollte in Form einer Gesellschaft vorgenommen werden. An den Vertragsverhandlungen nahmen unter anderem zwei Ingenieure der Klägerin teil. Die Beklagte warb diese Ingenieure im Verlaufe der Besprechungen ab und teilte der Klägerin mit, sie habe an einer weiteren Zusammenarbeit kein Interesse. Der BGH hielt die Abwerbung für unlauter, weil die Beklagte das im Hinblick auf die künftige Zusammenarbeit entstandene Vertrauensverhältnis ausgenutzt hatte283. Bereits die erste Instanz hatte der Beklagten verboten, einen der abgeworbenen Ingenieure innerhalb einer bestimmten Frist zu beschäftigen, was sowohl vom Berufungsgericht als auch BGH gebilligt wurde. Die Klägerin müsse so gestellt werden, als wenn die Abwerbung nicht geschehen wäre. Die Beklagte müsse daran gehindert werden, durch eigene Inanspruchnahme der Mitarbeit des Abgeworbenen einen wettbewerblichen Vorsprung vor der Klägerin zu gewinnen, bevor die in der Entwicklung zurückgeworfene Klägerin den Ausfall des Abgeworbenen durch eigene Anstrengungen wieder eingeholt habe284. Diese Rechtsprechung wird in anderen Entscheidungen aufgegriffen285, allerdings deutet sich bereits eine vorsichtige Relativierung des Ausgangspunktes an. Im TextilspitzenUrteil weist der BGH darauf hin, die Frage, ob und in welchem Umfang ein befristetes Beschäftigungsverbot schlechthin oder für bestimmte Arbeiten im Wege der Naturalrestitution ausgesprochen werden könne, sei unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen286. In der Baumaschinen-Entscheidung lehnt der BGH ein Beschäfti282
BGH vom 17.3.1961, GRUR 1961, 482 – Spritzgußmaschine. BGH vom 17.3.1961, GRUR 1961, 482, 483 – Spritzgußmaschine. 284 So die bei BGH vom 17.3.1961, GRUR 1961, 482 – Spritzgußmaschine wiedergegebene Begründung des Berufungsgerichts. 285 BGH vom 23.5.1975, GRUR 1976, 306, 307 – Baumaschinen; BGH vom 19.2.1971, GRUR 1971, 358, 359 f. – Textilspitzen; BGH vom 21.12.1966, GRUR 1967, 428, 429 – Anwaltsberatung I. 286 BGH vom 19.2.1971, GRUR 1971, 358, 360 – Textilspitzen. 283
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gungsverbot aufgrund veränderter Umstände bei der Klägerin und den Beklagten nach der Abwerbung ab287.
Geht man davon aus, dass die maßgebliche Zielsetzung des Lauterkeitsrechts in der Sicherung und (Wieder-)Herstellung funktionsgerechten Wettbewerbs besteht, dann erscheinen Beschäftigungsverbote auf den ersten Blick als angebrachtes und zweckdienliches Sanktionsmittel. Weil der abgeworbene Mitarbeiter von dem Abwerber nicht beschäftigt werden darf, besteht die Möglichkeit einer Rückkehr zu seinem früheren Vertragspartner. Damit scheint dem Ziel der Naturalrestitution, der Herstellung des Zustandes, der ohne das schädigende Ereignis bestünde, genüge getan. Allerdings stößt eine solche Lösung aus mehreren Gründen auf durchgreifende Bedenken. Angenommen, es handelt sich bei dem abgeworbenen Mitarbeiter um eine spezialisierte Fachkraft und gibt es nur zwei konkurrierende Unternehmen, bei denen der Mitarbeiter seine Arbeitskraft den eigenen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechend einsetzen kann. Ein Beschäftigungsverbot würde diesen Mitarbeiter faktisch in das alte Vertragsverhältnis zurückzwingen, weil dem Abwerber eine Beschäftigung des Abgeworbenen lauterkeitsrechtlich verboten wäre und für den Mitarbeiter keine sonstigen gleichwertigen Beschäftigungsalternativen zur Verfügung stehen. Darin liegt ein erheblicher Eingriff in die Handlungsfreiheit des Abgeworbenen, der selbst nicht einmal unlauter, sondern allenfalls vertragswidrig gehandelt hat288. Gegen ein lauterkeitsrechtliches Beschäftigungsverbot ist weiterhin einzuwenden, dass auf diese Weise lauterkeitsrechtliche Schutzmechanismen und vertraglicher Schutz auf unzulässige Weise miteinander vermengt werden. Wenn nämlich über das Lauterkeitsrecht ein Beschäftigungsverbot konstruiert wird, bedeutet dies nichts anderes als eine Quasi-Verdinglichung des ursprünglichen Vertragsverhältnisses – und zwar sogar noch nach dessen wirksamer Beendigung – gegenüber einem Dritten. Das muss erst recht auf Bedenken stoßen, wenn es die Parteien unterlassen haben, ein vertragliches Wettbewerbsverbot zu vereinbaren, das den Mitarbeiter daran hindert, eine Konkurrenztätigkeit aufzunehmen. In diesem Fall würde das Lauterkeitsrecht gewissermaßen als Ersatz-Vertragsrecht instrumentalisiert. Haben die Parteien eine privatautonome Regelung (bewusst oder unbewusst) unterlassen, dann müssen sie die daraus resultierenden Risiken selbst tragen. Demgegenüber ist es nicht Aufgabe der gesetzlichen Schadensersatzhaftung, Lücken privatautonomer Vereinbarungen zu schließen. Diese grundsätzlichen Einwände können auch nicht durch eine Befristung des Beschäftigungsverbots ausgeräumt werden. Auf Grundlage der neueren Rechtsprechung dürfte für die Annahme eines Beschäftigungsverbotes bei der Abwerbung von Mitarbeitern kaum noch Raum bleiben. Die jüngere Judikatur beurteilt das Abwerben von Mitarbeitern großzü287
BGH vom 23.4.1975, GRUR 1976, 306, 307 – Baumaschinen. Die arbeitsrechtliche Problematik wird immerhin angesprochen in BGH vom 19.2.1971, GRUR 1971, 358, 359 f. – Textilspitzen. 288
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giger als in der Vergangenheit. Die Rechtsprechung betont, dass das Abwerben von Mitarbeitern als Bestandteil des freien Wettbewerbs um Arbeitskräfte grundsätzlich erlaubt und nur dann als unlauter zu bewerten ist, wenn unlautere Begleitumstände eingesetzt oder unlautere Zwecke verfolgt werden289. Insbesondere genügt das bloße Ausnutzen eines Vertragsbruchs des abgeworbenen Mitarbeiters nicht zur Begründung der Unlauterkeit, weil anderenfalls die schuldrechtliche Bindung zu einer »Verdinglichung der schuldrechtlichen Verpflichtungen« zwischen dem Mitarbeiter und dem Konkurrenzunternehmen führen würde290. Anknüpfend an diese überzeugende Trennung zwischen dem Vertragsverhältnis mit dem Mitarbeiter und dem »Unlauterkeitsverhältnis« zwischen den Unternehmen wird man ein naturalrestitutives Beschäftigungsverbot für einen abgeworbenen Mitarbeiter konsequenterweise selbst dann ablehnen müssen, wenn ausnahmsweise doch ein Fall unlauterer Abwerbung vorliegen sollte291. b) Abwerben von Kunden Auch bei der unlauteren Abwerbung von Kunden hat die Rechtsprechung vereinzelt als naturalrestitutiven Schadensersatz Unterlassungsgebote anerkannt, um dem Verletzten durch die unlautere Handlung entzogene Wettbewerbschancen einzuräumen292. Das Abwerben von Mitarbeitern und Kunden wurde in Rechtsprechung und Schrifttum verbreitet als ein einheitliches Problem angesehen293, sodass es nicht Wunder nimmt, wenn in beiden Konstellationen ähnliche Rechtsfolgen gelten sollen. In der Bierfahrer-Entscheidung des BGH hatte der Beklagte aufgrund unterschiedlich ausgestalteter Verträge für den Kläger als Auslieferer von Bier einer bestimmten Brauerei gearbeitet.294 Die Zusammenarbeit der Parteien endete, nachdem der Beklagte und die Brauerei zu dem Ergebnis gekommen waren, dass der Vertrag zwischen Kläger und Beklagten sittenwidrig sei. Der Beklagte wurde nunmehr von der Brauerei unter Ausschluss des Klägers mit Bier beliefert und er belieferte seine Kunden weiter mit deren Bier. Der BGH hielt dies für unlauter, weil der Beklagte durch die Art seines Vorgehens den Kläger außerstande gesetzt habe, im entscheidenden Augenblick am Wettbewerb in Bezug auf diese Kunden teilzunehmen295. Der Beklagte wurde verurteilt, die Belieferung derjenigen Kunden, die er bislang im Auftrag des Klägers beliefert hatte für die Dauer von zwei Jahren zu unterlassen. Sieht man, wie es der BGH in der Entscheidung zum Ausdruck bringt,
289 BGH vom 11.1.2007, GRUR 2007, 800 Tz. 14 – Außendienstmitarbeiter; BGH vom 4.3.2004, BGHZ 158, 174, 178 f. – Direktansprache am Arbeitsplatz I m.w.Nachw. 290 BGH vom 11.1.2007, GRUR 2007, 800 Tz. 15 – Außendienstmitarbeiter. 291 Für eine Einschränkung eines naturalrestitutiven Beschäftigungsverbots unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit Köhler, in: Festschrift für Buchner, S. 452, 459 f. 292 BGH vom 3.12.1969, GRUR 1970, 182 ff. – Bierfahrer; BGH vom 6.11.1963, GRUR 1964, 215 ff. – Milchfahrer. 293 Siehe etwa Piper, GRUR 1990, 643 ff. und Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht (22. Aufl. 2001), § 1 UWG Rn. 582 ff. als Fallgruppe »Ausspannen«. 294 BGH vom 3.12.1969, GRUR 1970, 182 – Bierfahrer. 295 BGH vom 3.12.1969, GRUR 1970, 182, 183 – Bierfahrer.
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den maßgeblichen Grund der Unlauterkeit darin, dass der Kläger aufgrund der Umstände der Vertragsbeendigung keine Gelegenheit hatte, in einen Wettbewerb um den Erhalt seiner bisherigen Kunden einzutreten, dann erhält der Kläger durch die Anordnung der Belieferungssperre die Chance, seinen Kundenstamm durch eigene Bemühungen doch noch zu erhalten bzw. bereits verlorene Kunden zurückzugewinnen. Aufgrund der plötzlichen Vertragsbeendigung und der Kundennähe des Beklagten war es diesem möglich, praktisch sofort die Kunden des Klägers zu übernehmen.
Unabhängig von der Frage, ob eine materiellrechtliche »Gleichschaltung« des Abwerbens von Mitarbeitern und Kunden überzeugend ist, bestehen jedenfalls auf Sanktionsebene gegen Belieferungsverbote vergleichbare Bedenken wie gegen Beschäftigungsverbot für abgeworbene Mitarbeiter. Das Abwerben von Kunden bildet ein Lebenselixier von Wettbewerb und es stellt einen besonders schwerwiegenden Eingriff in die unternehmerische Handlungsfreiheit und in die Privatautonomie der abgeworbenen Kunden dar, wenn der Unternehmer mit bestimmten Kunden nicht mehr in geschäftlichen Kontakt treten darf. Das gilt selbst dann, wenn das Belieferungsverbot zeitlich befristet oder sonst eingeschränkt wird. Denn in einer schnelllebigen Zeit kann selbst ein kurzes Belieferungsverbot dazu führen, dass Kunden für einen Unternehmer endgültig verloren sind. Man muss zudem berücksichtigen, dass Unternehmen nicht beliebig auf andere Nachfrager ausweichen können und daher ein Belieferungsverbot, insbesondere in spezialisierten Marktsegmenten, unter Umständen auf ein faktisches Geschäftsverbot hinausläuft. Wiederum bedarf es einer klaren Trennung zwischen den Vertragsverhältnissen mit Kunden und dem »Unlauterkeitsverhältnis« zwischen den Unternehmen. Es ist Sache eines jeden Unternehmers, sich durch seine Absatzpolitik und Vertragsgestaltung (etwa durch die Vereinbarung von Vertragslaufzeiten und Kündigungsfristen) seinen Kundenstamm zu sichern. Darüber hinaus darf aber das Lauterkeitsrecht nicht dazu eingesetzt werden, die vertraglichen Beziehungen zu Kunden mit Drittwirkung zu versehen: »wohl ist der Grundsatz des pacta sunt servanda ein hohes Gut. Das Gesetz sieht aber bei Vertragsverletzungen nur Ansprüche gegen den Vertragspartner, nicht aber gegen Dritte vor«296. Ein lauterkeitsrechtliches Belieferungsverbot läuft demgegenüber auf eine Bevormundung der Kunden hinaus. Diese müssen frei darüber entscheiden können, ob sie die Geschäftsbeziehungen trotz unlauterer Abwerbung mit dem neuen Unternehmen fortsetzen wollen oder nicht. 3. Verweigern von Geschäftsbeziehungen Gewissermaßen die Umkehrung der Abwerbefälle bilden Konstellationen, in denen ein Unternehmer die Aufnahme oder die Fortsetzung von Geschäftsbeziehungen rechtswidrig verweigert. Hier wird zum Teil die Ansicht vertreten, dass der Geschädigte als naturalrestitutive Maßnahme gemäß § 249 Abs. 1 BGB vom 296
Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 4 Rn. 10.36a.
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Verletzer die (Wieder-)Aufnahme von Vertragsbeziehungen verlangen könne297. In Betracht kommt dabei ein Kontrahierungszwang oder zumindest ein Anspruch auf diskriminierungsfreie Entscheidung. Allerdings dürften solche Fälle angesichts der speziellen Regelungen im Kartellrecht298 nur noch selten nach Lauterkeitsrecht zu beurteilen sein299. Im Übrigen ist zweifelhaft, ob Kontrahierungszwang oder ähnliche Maßnahmen auf den Schadensersatzanspruch gestützt werden sollten. Näher liegt es, als Rechtsgrundlage den Beseitigungsanspruch heranzuziehen. Auf die Einzelheiten ist an späterer Stelle, im Zusammenhang mit der kartelldeliktischen Schadensersatzhaftung einzugehen300. 4. Sonstige Fälle Weitere Anwendungsbeispiele für eine Naturalherstellung im Wettbewerbsgeschehen sind sehr selten und liegen dann regelmäßig im Grenzbereich zum Beseitigungsanspruch, wie im Fall der Leuchtröhrenanlage-Entscheidung des OLG Köln. Im Streitfall hatte der beklagte Inhaber eines Ladengeschäfts den ihm anvertrauten Entwurf für eine Neon-Reklame an einen Konkurrenten des Planers weitergegeben und dem Konkurrenten schließlich den Auftrag zur Umsetzung des fremden Entwurfs erteilt. Das OLG Köln sah in der Weitergabe des Entwurfes die Mitteilung eines Geschäftsgeheimnisses an einen Dritten und hielt den Geschäftsinhaber zu Recht für verpflichtet, die inzwischen bereits angefertigte und montierte Leuchtreklame wieder vom Ladengeschäft zu entfernen. Das Gericht ließ offen, ob diese Verpflichtung aus dem Beseitigungsanspruch abzuleiten war oder einen Fall der Naturalrestitution darstellte301. Für eine Naturalherstellung kann man anführen, dass die maßgebliche unlautere Handlung des Geschäftsinhabers darin bestand, dem Konkurrenten des Planers den Entwurf mitzuteilen, also zugänglich zu machen. Der Beseitigungsanspruch zielt auf den »actus contrarius« der unlauteren Handlung, die in der Mitteilung des Geheimnisses bestand, nicht aber in der Herstellung der Leuchtreklame. Vielmehr handelte es sich bei der Umsetzung der Pläne durch Fertigung und Montage der geplanten Leuchtreklame um eine Folge der unlauteren Handlung, die allerdings vom Schutzzweck des § 18 Abs. 1 UWG noch mit umfasst wird. Die Herstellung des Zustandes, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 Abs. 1 BGB), besteht dann konsequenterweise in dem Abbau der Leuchtreklame. Das Geheimnis als solches kann nicht wieder »geheim gemacht« werden, doch können zumindest die tatsächlichen Folgen der Geheimnisverletzung abgestellt und somit zumindest ein annähernd schadensfreier Zustand hergestellt werden.
297 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 9 Rn. 1.27; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 33 Rn. 14. 298 Insbesondere §§ 20, 21 GWB und Art. 82 EG. 299 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 4 Rn. 1.29. In Betracht kommen wohl nur Verstöße gegen §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 1 UWG. 300 Unten § 5. D. I., S. 390 ff. 301 OLG Köln vom 13.7.1956, GRUR 1958, 300, 301 – Leuchtröhrenanlage.
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II. Schadensersatz in Geld 1. Ausgangsfragen Mit der Vielfalt möglicher unlauterer Handlungen korrespondiert notwendigerweise eine ebenso große Vielfalt möglicher lauterkeitsrechtlicher Schadenskonstellationen. Versucht man die Vielzahl denkbarer Schäden zu überblicken und systematisch zu erfassen, die durch unlautere Handlungen verursacht werden können, lassen sich verschiedene typische Erscheinungsformen von Schäden unterscheiden. Im Hinblick auf die Anwendung der §§ 249–254 BGB ist es vor allem sachgerecht, danach zu fragen, ob die Schädigung einen spezifischen Marktund Wettbewerbsbezug aufweist. Durch unlautere Handlungen können Schäden eintreten, die keinen besonderen Markt- und Wettbewerbsbezug aufweisen und prinzipiell gleichartig außerhalb des Wettbewerbs entstehen könnten. Verkürzt kann man insoweit von wettbewerbsunspezifischen Schäden sprechen. Demgegenüber betreffen wettbewerbsspezifische Schäden Ereignisse, deren Kennzeichen gerade der besondere Bezug zu Markt und Wettbewerb bildet. Diese Kategorien sind keineswegs in jeder Hinsicht trennscharf und unumstößlich, sondern als erste grobe Orientierung zu verstehen. Die Unterscheidung ist von Bedeutung, weil die Besonderheiten des Schadensrechts bei unlauteren Handlungen allein die wettbewerbsspezifischen Schäden betreffen. Wettbewerbsunspezifische Schäden werden dagegen nach den allgemeinen Grundsätzen beurteilt und daher im Folgenden nur kurz dargestellt. a) Wettbewerbsunspezifische Schäden Zu den wettbewerbsunspezifischen Schäden gehören Konstellationen, in denen es durch eine unlautere Handlung zur Schädigung eines Unternehmers kommt und dabei Rechtsgüter verletzt und geschädigt werden, die keinen speziellen Markt- und Wettbewerbsbezug aufweisen. Kennzeichnend ist, dass der eingetretene Schaden in vergleichbarer Form auch außerhalb des Wettbewerbs hätte eintreten können. Es macht dann für die schadensrechtliche Beurteilung keinen rechtserheblichen Unterschied, ob Interessenverletzung und Schaden im Wettbewerb oder außerhalb des Wettbewerbs verursacht wurden. Als Anwendungsbeispiele lassen sich etwa Praktiken im »Brachialwettbewerb«302 denken, etwa wenn ein Unternehmer physisch verletzt wird, sein Eigentum substanziell beschädigt wird, der Unternehmer durch herabsetzende Äußerungen in seiner persönlichen Ehre beeinträchtigt wird usw. Dass in diesen Beispielsfällen Interessenverletzung und Schädigung durch eine wettbewerbsbezogene Handlung vorgenommen werden, führt auf der Ebene der Haftungsausfüllung zu keinen rechtlichen Besonderheiten. Solche Fälle treten freilich nicht häufig auf und sind überdies aus rechtlicher Sicht weithin unproblematisch. 302
Schünemann, in: Großkommentar, UWG, Einl. Rn. E 74.
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Wenn es zu einer solchen Schädigung kommt, bedarf es zumeist nicht einmal der Anwendung des Lauterkeitsrechts, weil in solchen Konstellationen bürgerlichrechtliche Ansprüche vom UWG nicht verdrängt werden und diese Ansprüche vor allem wegen der deutlich längeren Verjährungsfrist für den Verletzten sogar günstiger als die lauterkeitsrechtlichen Ansprüche sein können. b) Wettbewerbsspezifische Schäden Wettbewerbsspezifische Schäden bilden den eigentlichen Problembereich der Haftungsausfüllung beim lauterkeitsrechtlichen Schadensersatz. Solche Schäden resultieren aus der Beeinträchtigung lauterkeitsrechtlich geschützter wettbewerblicher Interessen und Schutzpositionen. Hinzu kommt, dass wettbewerbsspezifische Schäden in strukturell unterschiedlichen Erscheinungsformen auftreten können. Ein Unternehmer kann zum einen über eine privilegierte Position im Wettbewerb verfügen, etwa weil ihm ein gewerbliches Schutzrecht oder eine vergleichbare Rechtsposition zusteht, durch die ihm eine Monopolstellung auf Zeit verschafft wird. Wird durch eine unlautere Handlung in eine solche Rechtsposition eingegriffen, werden damit schadensrechtlich andere Rechtsfragen aufgeworfen als bei unlauteren Handlungen, durch die allgemeine Marktchancen im Wettbewerb beeinträchtigt werden. Den maßgeblichen Anknüpfungspunkt bildet in diesen Fällen die rechtlich geschützte Möglichkeit, im Rahmen des freien Spiels der Kräfte im Wettbewerb die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Einen weiteren, schadensrechtlich oft ausgeblendeten Aspekt betreffen schließlich durch unlautere Handlungen beeinträchtigte überindividuelle Interessen. Dabei stellt sich vor allem die Frage, ob und wie solche Interessen im Rahmen eines individualistischen Schadenskonzepts Berücksichtigung finden können. Die Ermittlung des ersatzfähigen Schadens ist keine bloße Rechenoperation, sondern stets eine normative Angelegenheit. Maßgeblich kommt es auf die Wertungen an, die der rechtlichen Bewertung einer Situation als Schaden zugrunde liegen. Diese Wertungen können ebenso vielfältig wie die Gründe sein, die zu einer Schadensersatzhaftung führen. Im Folgenden ist auf einige Gesichtspunkte einzugehen, die für die Bestimmung des ersatzfähigen Schadens im Rahmen des Schadensersatzes gemäß § 9 S. 1 UWG eine besondere Rolle spielen. 2. Schutzzweck der verletzten Norm und lauterkeitsrechtlich geschützte Interessen Das Lauterkeitsrecht dient dem Schutz bestimmter Interessen der Marktakteure im Wettbewerb. Die Benennung und Gewichtung der jeweiligen Interessen ist nicht nur mit Blick auf das jeweilige lauterkeitsrechtliche Gebot oder Verbot und damit für die Haftungsbegründung von grundlegender Bedeutung. Auch im Rahmen der Haftungsausfüllung müssen die lauterkeitsrechtlich geschützten Interessen berücksichtigt werden. Art, Inhalt und Umfang eines konkret ersatzfähigen Schadens richten sich maßgeblich nach den jeweils geschützten und durch
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die unlautere Handlung verletzten Interessen. Schadensersatz wird mit anderen Worten nur innerhalb der Reichweite des gewährleisteten Schutzes gewährt. Hier bedarf es der genauen Analyse des Schutzzwecks der Norm. a) Materielle und immaterielle Schäden Bedeutung kommt dem Schutzzweck der Norm etwa bei der Frage zu, ob der Schadensersatzanspruch gemäß § 9 S. 1 UWG neben materiellen Schäden auch immaterielle Schäden umfasst. Zwar werden durch unlautere Handlungen in der Regel Schäden entstehen, die in Geld messbar sind, jedoch können in Fällen der persönlichen Herabsetzung von Mitbewerbern303 oder im Falle der »Anschwärzung«304 auch immaterielle Schäden eintreten. Das österreichische Recht sieht für vergleichbare Konstellationen ausdrücklich die Möglichkeit eine Entschädigung in Geld vor305. Für das deutsche Recht gilt § 253 Abs. 1 BGB, wonach der Geldersatz wegen eines Nicht-Vermögensschadens nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden kann. Abweichend von § 253 BGB anerkennt die ständige Rechtsprechung bei bestimmten Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf Entschädigung in Geld306. Ob diese Grundsätze auf Verletzungen der persönlichen Ehre im Wettbewerb übertragbar sind, hängt maßgeblich davon ab, ob zu den lauterkeitsrechtlich geschützten Interessen gerade auch der Schutz der persönlichen Ehre eines Unternehmers gehört. Denn eine »Durchbrechung« von § 253 BGB rechtfertigt sich nach der Rechtsprechung aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Persönlichkeit und dem damit korrespondierenden Schutzauftrag der Rechtsordnung307. Zwar hat die Rechtsprechung Geldentschädigung in Fällen in Betracht gezogen, in denen das Persönlichkeitsrecht durch Werbemaßnahmen beeinträchtigt wurde308, jedoch betrafen diese Konstellationen keine unlauteren Handlungen im Wettbewerb, sondern die Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch eine unzulässige Vereinnahmung des Rechtsträgers zu Werbezwecken. Trotz der anders gelagerten Ausgangslage bestehen jedoch keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken, die Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen auch dann zu gewähren, wenn die maßgebliche Verletzung in einer unlauteren Handlung besteht. Zwar dient das UWG nicht vordringlich dem Schutz der persönlichen Ehre von Unternehmern, jedoch lässt sich die Reichweite des lauterkeitsrechtlichen Schutzes, gerade im Hinblick auf die Herabsetzungen und Verunglimpfungen gemäß §§ 4 Nr. 7, 6 Abs. 2 Nr. 5 UWG, nicht auf unternehmensbezogene 303
§§ 4 Nr. 7, 6 Abs. 2 Nr. 5 UWG. § 4 Nr. 8 UWG. 305 § 16 Abs. 2 östUWG; siehe bereits oben § 3. IV. 2 a), S. 171 f. 306 Oben § 3. IV. 2 b), S. 173 ff. 307 BGH vom 19.9.1961, BGHZ 35, 363, 367 f. – Ginseng-Wurzeln. 308 BGH vom 19.9.1961, BGHZ 35, 363, 366 ff. – Ginseng-Wurzeln; BGH vom 18.3.1959, BGHZ 30, 7, 17 f. – Catarina Valente; BGH vom 14.2.1958, BGHZ 26, 349, 352 ff. – Herrenreiter. 304
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Verletzungen reduzieren. Insofern ist es zumindest missverständlich, wenn bisweilen der Schutz der »Geschäftsehre« in den Vordergrund gerückt wird309. Dadurch kann leicht der unzutreffende Eindruck entstehen, das UWG schütze vor persönlichkeitsrechtsverletzenden Angriffen gar nicht. Das ist jedoch nicht der Fall. Wenn beispielsweise ein Unternehmer persönlich diskreditiert wird, indem ihm strafbare Handlungen unterstellt oder intime Details aus seinem Privatleben zu Wettbewerbszwecken ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden310, dann schließt das Lauterkeitsrecht einen Schutz vor solchen persönlichkeitsverletzenden Praktiken ein. Insoweit ist ein lauterkeitsrechtlicher Schutz notwendig und gerechtfertigt, weil durch einen personenbezogenen Angriff gerade der Bereich des marktbezogenen Handelns verlassen und die Person des Mitbewerbers ohne dessen Zustimmung311 zum Gegenstand der wettbewerblichen Auseinandersetzung, also gleichsam »instrumentalisiert« wird. In dieser Situation ist der betroffene Mitbewerber in gleichem Maße schutzwürdig und schutzbedürftig wie eine Person, die ohne ihre Einwilligung als Werbeträger eingesetzt wird. Es handelt sich um einen geradezu paradigmatischen Fall des nicht wettbewerbskonformen Handelns. Dass die maßgeblichen Verbotstatbestände des UWG über den Schutz der Person hinaus auch anderen Zwecken dienen können (etwa dem Schutz einer informierten Entscheidung der Abnehmer), steht dem nicht entgegen; eine solche Mehrdimensionalität von geschützten Interessen ist vielmehr gerade typisch für das Lauterkeitsrecht. Freilich kommt dem immateriellen Schadensersatz bei Persönlichkeitsverletzungen im Lauterkeitsrecht aus anderen Gründen wenig Bedeutung zu: Soweit eine unlautere Handlung zugleich das Persönlichkeitsrecht eines Mitbewerbers verletzt, greift neben den lauterkeitsrechtlichen Sanktionen der Deliktsschutz des bürgerlichen Rechts ein, der vor allem wegen der anderen Verjährungsregelungen für den Betroffenen vorteilhafter ist. Darüber hinaus sind Anwendungsfälle für immaterielle Schäden durch unlautere Handlungen sehr selten. Zu beachten ist aber, dass Art. 13 Abs. 1, Unterabs. 1 Buchst. a RL 2004/48/EG bei Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums – unabhängig von der Art des verletzten Rechts – auch einen immateriellen Schadensersatz vorsieht. Soweit der Anwendungsbereich der RL 2004/48/EG auf unlautere Handlungen zu erstrecken ist312, muss diese Vorgabe Beachtung finden.
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So für § 4 Nr. 7 UWG etwa Ohly, in: Piper/Ohly, UWG, § 4 Rn. 7/1. Als Beispiel ist denkbar, dass in einem wertkonservativ geprägten Umfeld von Konkurrenten darauf hingewiesen wird, ein Mitbewerber sei aus der Kirche ausgetreten, verhalte sich »ehebrüchig« oder sei homosexuell und für anständige Kunden schicke es sich nicht, bei solchen Leuten einzukaufen. 311 Anders liegt der Fall, wenn der Mitbewerber selbst seine persönlichen Verhältnisse als Werbemittel einsetzt. Dann muss es der Betreffende hinnehmen, wenn Mitbewerber solche Informationen aufgreifen. 312 Oben A. III. 2. b), S. 186 ff. 310
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b) Weitere schutzzweckbezogene Aspekte Erstreckt sich der lauterkeitsrechtliche Schutz nur auf bestimmte »Angriffsformen«, dann kann Schadensersatz nur insoweit verlangt werden, als ein wirtschaftlicher Nachteil gerade auf einer solchen unlauteren »Angriffsform« beruht. So erfassen etwa §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 9 UWG allein das Anbieten von unlauter nachgeahmten Waren oder Dienstleistungen, nicht aber schon das Herstellen von Nachahmungen. Dementsprechend kann beispielsweise die Vernichtung von hergestellten Nachahmungen oder Vorlagen zur Herstellung weder Gegenstand eines Beseitigungsanspruchs313 noch Ziel der Naturalrestitution eines Schadensersatzanspruches sein. Ebenfalls nicht geschützt wird ein Unternehmer vor Schäden, die durch das bloße Bekanntwerden der Tatsache der Nachahmung entstehen, etwa wenn sich Käufer wegen der Befürchtung mangelnder Exklusivität der Originalprodukte von diesen abwenden, noch bevor die Nachahmungen überhaupt auf den Markt gelangen. Umgekehrt kann sich der lauterkeitsrechtliche Schutz auf dem eigentlichen Rechtsverstoß nachfolgende Handlungen erstrecken, was bei der Haftungsausfüllung zu berücksichtigen ist. Das Verbot der Mitteilung und Verwertung von im geschäftlichen Verkehr anvertrauten Vorlagen gemäß § 18 Abs. 1 UWG schützt beispielsweise auch davor, dass das Geschäftsgeheimnis, etwa eine Planung oder ein Entwurf, ausgeführt und umgesetzt wird314. Auf eine genaue Analyse der lauterkeitsrechtlich geschützten Interessenlage kommt es auch bei Schadensersatzansprüchen an, die sich auf unlautere Angriffe auf die Vertriebsstrukturen von Unternehmern gründen. Hier hat die Rechtsprechung insbesondere das Entfernen von Kontrollnummern beschäftigt315, die einem Hersteller ermöglichen, den Verbleib seiner Produkte auf dem Markt nachzuvollziehen und die Einhaltung von Vertriebsbindungen zu kontrollieren. Vertreibt ein Hersteller seine Waren über ein rechtmäßiges selektives Vertriebssystem, dann wird ihm daran gelegen sein, dieses Vertriebssystem zu überwachen und insbesondere gegen »Außenseiter«, also etwa Händler, die dem Vertriebssystem nicht angehören und über die im Vertriebssystem vertriebenen Güter »an sich« nicht verfügen sollen, zu verteidigen, wenn diese gleichwohl die Produkte vertreiben. Werden zu diesem Zweck nun Kontrollnummern beseitigt, dann wird damit dem Initiator des Vertriebssystems eine Kontrolle erschwert oder gar völlig unmöglich gemacht und er läuft Gefahr, dass seine Pro313 BGH vom 6.5.1999 BGHZ 141, 329, 346 – Tele-Info-CD; BGH vom 14.4.1988, GRUR 1988, 690, 693 – Kristallfiguren. 314 OLG Köln vom 13.7.1956, GRUR 1958, 300 ff. – Leuchtröhrenanlage. 315 Aus der umfangreichen Rechtsprechung hierzu siehe nur BGH vom 21.2.2002, GRUR 2002, 709 ff. – Entfernung der Herstellungsnummer III; BGH vom 17.5.2001, BGHZ 148, 26 ff. – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH vom 15.7.1999, BGHZ 142, 192 ff. – Entfernung der Herstellungsnummer I; BGH vom 5.10.2000, GRUR 2001, 448 ff. – Kontrollnummernbeseitigung II; BGH vom 15.7.1999, GRUR 1999, 1017 ff. – Kontrollnummernbeseitigung I. Zur Problematik der Beseitigung von Kontrollnummern siehe den Überblick bei Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 4 Rn. 10.64 ff. m.w.Nachw.
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dukte mit allen damit verbundenen Risiken316 außerhalb des beabsichtigten Absatzweges vertrieben werden. Die Entfernung solcher Kontrollnummern kann unter bestimmten Voraussetzungen eine unlautere Handlung darstellen317. Ein Schadensersatzanspruch, der auf die unlautere Entfernung von Kontrollnummern gestützt wird, umfasst nach der Rechtsprechung jedoch nicht die Aufwendungen des Herstellers für die Einrichtung des Kontrollnummernsystems. Denn es handele sich um der Schadensminderung dienende Aufwendungen vor dem Schadensfall318. Diese Aufwendungen entstünden unabhängig von dem einzelnen Schadensfall seien durch diesen nicht veranlasst und daher grundsätzlich nicht erstattungsfähig; eine Ausnahme komme nicht in Betracht319. Das verdient zwar im Ergebnis Zustimmung, nicht aber in der Begründung. Die Problematik der Ersatzfähigkeit von Aufwendungen zur Schadensminderung stellt sich nur für solche Aufwendungen, die Schäden verhindern oder vermindern, die durch die spezielle Verletzungshandlung verursacht werden. Aufwendungen eines Herstellers für sein Kontrollnummernsystem können zwar der Geringhaltung von Schäden dienen, nur handelt es sich dabei um Schäden aufgrund anderer Risiken320. Daher ist der Vergleich des Kontrollnummernsystems mit einem »Zaun«, der Diebe abhalten soll, schief321. Die unlautere Handlung in Form einer Behinderung des Herstellers im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 10 UWG besteht in der Überwindung des Kontrollsystems selbst, also, um das Bild des Zauns zu bemühen, in dem Überklettern des Zauns. Hiervor schützt aber das Kontrollsystem gerade nicht. Nochmals bildlich gesprochen: Ein Zaun schützt nicht vor dem Überklettern seiner selbst. Daher ist es unzutreffend, wenn gesagt wird, die Errichtung eines Kontrollsystems diene der Minderung von Schäden, die durch Entfernung von Kontrollnummern entstehen. Der Verletzer muss für Schäden einstehen, die daraus resultieren, dass er Kontrollnummern entfernt hat. Die Kosten für die Errichtung eines Kontrollsystems haben mit dessen Überwindung jedoch nichts zu tun und dienen auch nicht der Verhinderung einer solchen unlauteren Handlung. Ein Ersatz der entsprechenden Kosten wird daher von den durch §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 10 UWG geschützten Interessen nicht erfasst und liegt damit außerhalb des Schutzzwecks der Norm322. 316 Zu den Gefahren der Durchbrechung von zulässigen selektiven Vertriebssystemen Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 23 Rn. 34. 317 BGH vom 1.9.1999, BGHZ 143, 232, 243 ff. – Außenseiteranspruch II. 318 BGH vom 17.5.2001, BGHZ 148, 26, 38 – Entfernung der Herstellungsnummer II. 319 BGH vom 17.5.2001, BGHZ 148, 26, 38 – Entfernung der Herstellungsnummer II. 320 Zu denken ist dabei z.B. an Schäden die entstehen, weil die selektiv vertriebenen Waren wegen fehlender Kontrollnummern nur mit Mühe identifiziert werden können, etwa wenn ein Rückruf von Waren notwendig ist. Aus diesem Grund sieht beispielsweise § 4 Abs. 1 der Kosmetikverordnung vor, dass kosmetische Mittel nur in Verkehr gebracht werden dürfen, wenn auf ihren Behältnissen und Verpackungen die Nummer des Herstellungspostens oder eines sonstigen Kennzeichen angegeben ist, das eine Identifizierung der Herstellung ermöglicht. 321 Dieses Bild verwendet Schaffert, in: Festschrift für Erdmann, S. 719, 724 f. 322 I.E. ebenso Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 9 Rn. 1.15; Schaffert, in: Festschrift für Erdmann, S. 719, 726.
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3. Ausgebliebene Vermögensmehrung Typischerweise wird im Falle einer unlauteren Handlung vom Verletzten entgangener Gewinn als Schaden geltend gemacht. Als ausgebliebener Vermögenszuwachs gehört der entgangene Gewinn gemäß § 252 BGB grundsätzlich zu den ersatzfähigen Einbußen. Dem liegt die schadensrechtliche Entscheidung zugrunde, dass zum hypothetisch schadensfreien Zustand auch Werte gehören, die der Geschädigte vor dem schädigenden Ereignis zwar nicht gehabt hat, die ihm aber ohne dieses Ereignis nach Lage der Dinge mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zugeflossen wären323. a) Grundsatz Nicht als Schaden ersatzfähig sind Gewinne, die nur unter Verstoß gegen die Rechtsordnung vom Geschädigten hätten erzielt werden können. In den Motiven heißt es dazu knapp, es erscheine als selbstverständlich, dass als ersatzfähiger Schaden »nur ein solcher Gewinn in Betracht kommt, welcher ohne Unehrenhaftigkeit hätte gezogen werden können«324. Bei der Nichtersatzfähigkeit von unrechtmäßigen Gewinnen handelt es sich um einen fundamentalen Grundsatz, der nicht nur im deutschen Recht, sondern auch in anderen Rechtsordnungen fest verankert ist, obgleich es kaum ausdrückliche gesetzliche Festschreibungen gibt325. Dem Prinzip liegt der Gedanke der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung zugrunde. Es wäre ein massiver Wertungswiderspruch in der Rechtsordnung und damit eine Gerechtigkeits- und Gleichheitswidrigkeit, wenn das Schadensersatzrecht Vorteile zusprechen und damit schützen würde, die nach anderen Normen und Instituten der Rechtsordnung verboten und daher nicht schutzwürdig sind326. Ein Vorteil, dessen Erlangung das Gesetz verbietet, darf nicht auf dem Umwege des Schadensersatzanspruchs zu einem von der Rechtsordnung gebilligten und schutzwürdigen Ertrag werden327. Diesem Grundgedanken entsprechend umfasst der lauterkeitsrechtliche Schadensersatz zwar den infolge einer unlauteren Handlung entgangenen Gewinn, nicht aber solche Gewinne, die ein Unternehmer nur unter Verstoß gegen die Rechtsordnung hätte erzielen können. Die Problematik ist im Lauterkeitsrecht vor allem deswegen von Bedeutung, weil von einer unlauteren Handlung betroffene Unternehmer grundsätzlich auch dann zum Geltendmachen privatrechtlicher Sanktionen befugt sind, wenn sie sich ihrerseits nicht wettbewerbskonform verhalten. Denn die Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche dient nicht allein den Individualinteressen des anspruchsberechtigten Mitbewerbers, sondern sie liegt zugleich im öffentlichen Interesse328. Ein etwaiger eigener Rechtsverstoß des 323 324 325 326 327 328
Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 252 Rn. 1. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Bd. II, S. 18. Bydlinski, in: Festschrift für Deutsch, S. 63, 70. Bydlinski, in: Festschrift für Deutsch, S. 63, 78. RG vom 5.6.1917, RGZ 90, 305, 306. BGH vom 24.2.2005, BGHZ 162, 246, 251 f. – Vitamin-Zell-Komplex.
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Unternehmers steht daher seiner Anspruchsberechtigung, und zwar auch im Hinblick auf Schadensersatzansprüche, nicht prinzipiell entgegen. Mithilfe der privatrechtlichen Sanktionen dürfen jedoch nur Ziele verwirklicht werden, die ihrerseits wettbewerbs- und rechtskonform sind. Für lauterkeitsrechtliche Schadensersatzansprüche folgt daraus, dass entgangener Gewinn nicht ersatzfähig ist, wenn der Geschädigte den Gewinn nur mit rechtswidrigen Mitteln, insbesondere auf unlautere Weise, hätte erzielen können329. In der Vitamin-Zell-Komplex-Entscheidung330 wendete sich die Klägerin gegen den Vertrieb von Präparaten durch die Beklagte, bei denen es sich um eine Nachahmung von Produkten der Klägerin handelte. Die von der Klägerin und der Beklagten vertriebenen Präparate waren Arzneimittel, die einer Zulassung bedurft hätten, die aber nicht zugelassen waren331. Der Vertrieb von nicht zugelassenen Arzneimitteln ist gemäß § 96 Nr. 5 in Verbindung mit § 21 Abs. 1 AMG verboten und mit Strafe bewehrt. Dieses Verbot stand einem Geltendmachen der lauterkeitsrechtlichen Sanktionen durch die Klägerin jedoch nicht entgegen332. Allerdings ist die Klägerin daran gehindert, gemäß § 252 BGB entgangenen Gewinn als Schaden geltend zu machen, den sie nur durch einen verbotswidrigen Vertrieb ihrer Originalpräparate hätte erwirtschaften können333.
Diese Wertung gilt nicht nur für Gewinne, die unter Verstoß gegen das Lauterkeitsrecht erzielt worden wären, sondern auch für Verstöße gegen Normen, die keinen Wettbewerbsbezug aufweisen und deren Verletzung lauterkeitsrechtlich nicht sanktioniert werden kann334. Eine Sanktionierung von unlauteren Handlungen darf nicht um den Preis geschehen, dass der Geschädigte in eine wirtschaftliche Lage versetzt wird, in die er ohne die unlautere Handlung nur unter Missachtung der Rechtsordnung hätte gelangen können. Insoweit ist der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung zu wahren. Man kann einem Geschädigten nicht mit der einen Hand geben, was ihm von Rechts wegen mit der anderen Hand genommen werden müsste. b) Einzelfragen aa) Feststellung des Unrechtsgewinns Schwierigkeiten kann die Frage bereiten, wann ein Gewinn als unrechtmäßig zu qualifizieren und damit nicht als Schaden ersatzfähig ist. Bei der Beantwortung dieser Frage müssen sowohl der Schutzzweck des Verbotsgesetzes als auch der Schutzzweck der Norm Berücksichtigung finden, deren Verletzung den Scha329
BGH vom 24.2.2005, BGHZ 162, 246, 253 – Vitamin-Zell-Komplex; BGH vom 21.2.1964, GRUR 1964, 392, 396 – Weizenkeimöl. 330 BGH vom 24.2.2005, BGHZ 162, 246 ff. – Vitamin-Zell-Komplex. 331 Vgl. §§ 21 ff. AMG. 332 BGH vom 24.2.2005, BGHZ 162, 246, 251 f. – Vitamin-Zell-Komplex. 333 BGH vom 24.2.2005, BGHZ 162, 246, 253 – Vitamin-Zell-Komplex. 334 So wohl auch BGH vom 24.2.2005, BGHZ 162, 246, 253 – Vitamin-Zell-Komplex, wo allgemein von der Verletzung eines gesetzlichen Verbots oder rechtswidrigen Mitteln gesprochen wird.
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densersatzanspruch auslöst. Die Problematik darf deswegen nicht nur einseitig unter dem Aspekt betrachtet werden, ob der Geschädigte vom Schädiger als Schadensersatz etwas verlangt, was ihm zu erlangen »an sich« versagt war335, sondern es ist auch zu bedenken, ob nicht im Ergebnis der Schädiger unverdient davon profitiert, wenn der Geschädigte sich – womöglich, ohne dass ihm dies vorzuwerfen wäre – zuvor rechtswidrig verhalten hat. Voraussetzung für die Annahme eines nicht ersatzfähigen Unrechtsgewinns ist, dass die Rechtsordnung die Vornahme des gewinnbringenden Geschäfts dem Inhalt nach missbilligt336, dass mit anderen Worten also die Gewinnerzielung selbst den Gegenstand des rechtlichen Verbots bildet. Es wäre allerdings zu kurz gegriffen, hierfür allein auf die §§ 134, 138 BGB zu verweisen. Ob ein Geschäft nach §§ 134, 138 BGB nichtig ist, hängt vielfach zwar von Wertungen ab, die eine Schnittmenge mit der Problematik der Ersatzfähigkeit von »Unrechtsgewinnen« nach § 252 BGB aufweisen, aber keineswegs sind beide Fragestellungen völlig deckungsgleich. Das folgt schon daraus, dass es in beiden Fällen um unterschiedliche rechtliche Gesichtspunkte geht und zugleich unterschiedliche rechtliche Kriterien zu berücksichtigen sind. §§ 134, 138 BGB begrenzen die privatautonome Handlungsfreiheit des Einzelnen bei der Gestaltung seiner Rechtsverhältnisse, während die Nicht-Ersatzfähigkeit von »Unrechtsgewinnen« im Rahmen des § 252 BGB eine jedem Schadensersatzanspruch immanente inhaltliche Grenze bildet. Bei der Nichtigkeit nach §§ 134, 138 BGB müssen Aspekte der Austauschgerechtigkeit berücksichtigt werden, also z.B. die Folgen der Rückabwicklung unwirksamer Rechtsgeschäfte, während diese Kriterien im Hinblick auf den hypothetischen Gewinn keine Rolle spielen337. bb) Unrechtsgewinne bei Abhängigkeit von behördlichen Entscheidungen Besondere Probleme werfen Konstellationen auf, in denen die Zulässigkeit der gewinnbringenden Tätigkeit von einer behördlichen Genehmigung abhängt. Hätte im Vitamin-Zell-Komplex-Fall die Klägerin eine Zulassung ihres Originalpräparats als Arzneimittel bei der zuständigen Stelle beantragt und war die Zulassung nur noch nicht erteilt, hätte sie aber nach Lage der Dinge erteilt werden müssen, dann wäre der entgangene Gewinn als Schaden ersatzfähig, obgleich ein vor der Zulassung erwirtschafteter Gewinn rechtswidrig erlangt worden wäre. Ein Gewinn ist nach der Rechtsprechung nicht schon deswegen ein rechtlich missbilligter, weil der Geschädigte zur Ausführung des beabsichtigten gewinnbringenden Geschäfts einer behördlichen Genehmigung bedurfte, die im Zeitpunkt des Schadenseintritts noch nicht beantragt war338. Denn die Gewinnerzie335 Allein diesen Aspekt betonend Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 6 X 7, S. 351. Ebenfalls nur an das gesetzliche Verbot anknüpfend Stürner, VersR 1976, 1012 ff. 336 Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 6 X 7 S. 350 f.; mit Differenzierungen Stürner, VersR 1976, 1012 ff. 337 Stürner, VersR 1976, 1012, 1013 f. 338 BGH vom 7.5.1974, NJW 1974, 1374, 1376; BGH vom 16.6.1955, NJW 1955, 1313, 1314.
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lung ist dem Geschädigten in einem solchen Fall nicht schlechthin verboten, sondern gleichsam »legalisierbar«339. Es bestand also für den Geschädigten die Möglichkeit, durch seine Tätigkeit auf rechtmäßige Weise einen Gewinn zu erwirtschaften. Aus welchem Grund das Genehmigungserfordernis von der Rechtsordnung vorgesehen ist, spielt schadensrechtlich ebenso wenig eine Rolle wie die rechtstechnische Ausgestaltung des Genehmigungsvorbehalts. Daher kommt es nicht darauf an, ob es sich um ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt oder um ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt handelt340. Erst recht liegt kein Unrechtsgewinn vor, wenn die Genehmigung zwar beantragt, aber noch nicht erteilt worden ist, weil der Umfang des Schadensersatzes nicht von dem Verhalten eines Dritten abhängen darf. Es wäre ein unverdientes Zufallsgeschenk für den Schädiger, wenn ihm nur deswegen ein geringerer Schadensersatz drohte, weil ein behördliches Genehmigungsverfahren schleppend verläuft. Umgekehrt stünde der Geschädigte bei Nicht-Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns sogar doppelt schlecht: Nicht nur hätte er einen Schaden erlitten, sondern er erhielte weniger Schadensersatz, nur weil die Behörde als Dritter die Tätigkeit des Geschädigten nicht rechtzeitig genehmigt hat. Die fehlende behördliche Genehmigung ist jedoch nur dann unbeachtlich, wenn ein Anspruch auf Genehmigung bestand oder wenn eine Erteilung der Genehmigung jedenfalls im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde stand. Dagegen ist der Ersatz von entgangenem Gewinn ausgeschlossen, wenn für die gewinnbringende Tätigkeit des Geschädigten eine Genehmigung unter keinen Umständen in Betracht kam. Ein von Rechts wegen schützenswertes Vertrauen des Geschädigten in die Vornahme der rechtswidrigen Handlung kann in einem solchen Fall nicht entstehen und dementsprechend ist auch das schadensrechtlich maßgebliche Interesse des Geschädigten entsprechend begrenzt341. Hätte also im Vitamin-Zell-Komplex-Fall das Präparat der Klägerin als Arzneimittel nicht zugelassen werden dürfen, wäre ein etwaiger entgangener Gewinn nicht ersatzfähig. Das gilt auch dann, wenn in ständiger Verwaltungspraxis anders, nämlich rechtswidrig, verfahren worden wäre342. Selbst wenn man ein Vertrauen des Geschädigten in die Fortdauer dieser konkreten Verwaltungspraxis bejahen wollte, verdient ein entsprechendes Vertrauen des Geschädigten schadensrechtlich keinen Schutz, weil der Geschädigte bei rechtswidrigem Handeln einer Genehmigungsbehörde stets mit einer Änderung der Verwaltungspraxis rechnen muss343. Dass ein Be339
BGH vom 16.6.1955, NJW 1955, 1313, 1314. Stürner, VersR 1976, 1012, 1014. 341 Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 252 Rn. 13. 342 Anders für einen Fall der rechtswidrigen Gewerbesteuerbefreiung, BGH vom 15.1.1981, BGHZ 79, 223, 229 f. 343 Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 252 Rn. 13; i.E. auch Oetker, in: Münchener Kommentar, BGB, § 252 Rn. 8, der die Parallele zu hypothetischen Gerichtsentscheidungen zieht. Für diese sei nicht darauf abzustellen, wie tatsächlich entschieden worden wäre, sondern wie richtigerweise hätte entschieden werden müssen. Entsprechendes habe aufgrund der vergleichbaren Interessenlage auch für Verwaltungsentscheidungen gelten. 340
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günstigter nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften einen rechtswidrig erlangten Vorteil unter bestimmten Voraussetzungen möglicherweise nicht herausgeben muss344, ist schadensrechtlich nicht von Bedeutung345. Anders als bei der Rückforderung rechtswidrig gewährter Begünstigungen geht es bei der Ersatzfähigkeit entgangenen Gewinns gerade nicht um Vorteile, die dem Geschädigten bereits zugeflossen sind, sondern um Vorteile, die dem Geschädigten künftig zugeflossen wären. Insoweit bleibt es aber bei der Wertung, dass die Hoffnung, einen rechtswidrigen Gewinn zu erwirtschaften, kein schutzwürdiges schadensrechtliches Interesse darstellt. Unerheblich ist des Weiteren, ob der Geschädigte überhaupt den Willen hatte, die erforderliche behördliche Genehmigung einzuholen346. Entgangener Gewinn ist nach der Rechtsprechung jedenfalls dann ersatzfähig, wenn der Geschädigte es schuldlos oder leicht fahrlässig versäumt, sich um eine Genehmigung zu bemühen347. Auf Grundlage dieser Rechtsprechung könnte also die Klägerin im Vitamin-Zell-Komplex-Fall entgangenen Gewinn beanspruchen, wenn sie etwa infolge leichter Fahrlässigkeit irrtümlich davon ausgegangen wäre, gar keiner Genehmigung für die Zulassung ihres Präparats als Arzneimittel zu bedürfen. Entgangener Gewinn soll nach der Rechtsprechung jedoch zu versagen sein, wenn der Geschädigte die Einholung der Genehmigung bewusst unterlassen hat348. In einem solchen Fall erstrebe der Geschädigte den Ersatz entgangenen Gewinns, den er unter wissentlichem Verstoß gegen die gesetzliche Ordnung erzielen wolle; ein solches Verlangen verdiene keinen Schutz durch die Rechtsordnung349. Das aber ist nicht nur aufgrund der schwierigen Abgrenzung zwischen den verschiedenen Graden des Verschuldens350 beim Geschädigten zweifelhaft351. Nach Ansicht Stürners rechtfertigt sich die Schadensliquidation allein aus dem Grundgedanken der Handlungsfreiheit, welche die Behörde mit ihrem Zulassungsakt nicht erst herstelle, sondern nur bestätige352: Der Private mache von einer dem Grunde nach bestehenden Handlungsfreiheit Gebrauch, die nur aus Gründen der Kontrolle zunächst formal beseitigt sei. Die »formale Rechtswidrigkeit« eines Tuns könne jedoch für die Rechtmäßigkeit des gezogenen Gewinns nicht ausschlaggebend sein. Maßgeblich sei allein die »materielle Rechtswidrig344
Vgl. § 48 Abs. 2–4 VwVfG zur Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungs-
akte. 345 Anders unter Hinweis auf den verwaltungsrechtlichen Vertrauensschutz BGH vom 15.1.1981, BGHZ 79, 223, 229 f. 346 Vgl. BGH vom 7.5.1974, NJW 1974, 1374, 1376. 347 BGH vom 7.5.1974, NJW 1974, 1374, 1376. Ausdrücklich offen gelassen wurde in der Entscheidung, ob dies auch für grob fahrlässiges und bedingt vorsätzliches Verhalten des Geschädigten gilt. 348 BGH vom 7.5.1974, NJW 1974, 1374, 1376. 349 BGH vom 7.5.1974, NJW 1974, 1374, 1376. 350 Im strengen Sinne liegt kein Verschulden vor, weil der Geschädigte dem Schädiger gegenüber nicht zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet ist. 351 Ebenfalls ablehnend Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 252 Rn. 14. 352 Stürner, VersR 1976, 1012, 1014.
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keit« des Handelns, die im Falle einer nicht erteilbaren Genehmigung vorliege. Deswegen könne es auch nicht darauf ankommen, ob die »formale Rechtswidrigkeit« der gewinnbringenden Tätigkeit wissentlich hingenommen oder nur fahrlässig übersehen worden sei. Die »formale Rechtswidrigkeit« sei überhaupt nicht ausschlaggebend, wolle man nicht den Gedanken einer Bestrafung vorsätzlichen Verwaltungsunrechts ins Schadensersatzrecht hineintragen. Vor allem dieser letztgenannte Aspekt verdient Hervorhebung. Der Schadensersatzanspruch des Geschädigten knüpft allein an ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Schädigers an, dient aber nicht der Sanktionierung eines etwaigen Fehlverhaltens des Geschädigten353. Hierfür sind allein die jeweiligen Spezialvorschriften einschließlich der spezifischen Sanktionen heranzuziehen. cc) Wechselseitige »Neutralisierung« von Unrechtsgewinnen? Der BGH hat in zwei Entscheidungen die Auffassung vertreten, dass wechselseitig begangene unlautere Handlungen, die im Wesentlichen gleichzeitig, in gleicher Weise und in gleichem Umfang gegen Vorschriften des Lauterkeitsrechts verstoßen, sich gewissermaßen in ihren Wirkungen neutralisieren können354, was dann ggf. zu einem Ausschluss des Schadensersatzes führen kann. In der Beiderseitiger Rabattverstoß-Entscheidung klagte ein Möbelhaus gegen einen Konkurrenten wegen der Gewährung unzulässiger Rabatte. Seinerzeit galt das RabattG, das ein Gewähren von Rabatten in Höhe von mehr als drei Prozent verbot. Das beklagte Möbelhaus hatte aber seinen Kunden im Durchschnitt unzulässige Rabatte in Höhe von fünf bis zehn Prozent eingeräumt. Das klagende Unternehmen machte Schadensersatz geltend, hatte aber seinerseits den Kunden unter formaler Umgehung des Rabattverbots niedrigere »SB-Preise« eingeräumt. Das Gericht lehnte einen Schadensersatzanspruch ab, weil sich das klagende Unternehmen einen unzulässigen Vorsprung vor seinen Mitbewerbern verschafft habe und es sich deswegen nicht zum Nachteil auswirke, wenn das beklagte Unternehmen gegen das Rabattgesetz verstoße355. Es erscheine zumindest unwahrscheinlich, dass der Anspruchsteller einen Schaden erlitten habe356. Kurze Zeit später bestätigte der BGH seine Rechtsprechung in der Kopplung im Kaffeehandel-Entscheidung für einen Fall der unzulässigen Zugabegewährung nach der damals geltenden ZugabeVO. Allerdings sah das Gericht im konkreten Fall die Voraussetzungen für eine »Neutralisierung« der wechselseitig begangenen Rechtsverstöße nicht als gegeben an357. Der BGH vermeidet in beiden Entscheidungen eine eindeutige Stellungnahme, ob er den Aspekt der wechselseitig begangenen Rechtsverstöße als Zurechnungs- oder Schadensproblem verstanden wissen will. Im Schrifttum werden die Entscheidungen bisweilen dem »unclean hands«-Abwehreinwand zugeordnet358, doch handelt es sich in Wahrheit um eine 353
Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 252 Rn. 14. BGH vom 2.7.1971, GRUR 1971, 582, 584 – Kopplung im Kaffeehandel; BGH vom 24.4.1970, GRUR 1970, 563, 564 – Beiderseitiger Rabattverstoß. 355 BGH vom 24.4.1970, GRUR 1970, 563, 564 – Beiderseitiger Rabattverstoß. 356 BGH vom 24.4.1970, GRUR 1970, 563, 564 – Beiderseitiger Rabattverstoß. 357 BGH vom 2.7.1971, GRUR 1971, 582, 584 – Kopplung im Kaffeehandel. 358 Storch in der Anmerkung zu BGH – Kopplung im Kaffeehandel, GRUR 1971, 585; siehe unten § 10. B. I. 3. a), S. 693 f. 354
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genuin schadensrechtliche Fragestellung359. Die schadensrechtliche Dimension wird deutlich an der Behauptung des klagenden Unternehmens, es sei »ein nicht unbeträchtlicher Schaden entstanden, weil ein erheblicher Teil der Kunden bevorzugt dort kaufe, wo ihm höhere als die gesetzlich zulässigen Rabatte gewährt würden«360. Die Richtigkeit dieser Behauptung unterstellt, konnte ein Schaden nur entstanden sein, weil das klagende Unternehmen selbst rechtswidrige Rabatte gewährte. Also beruhte der Schaden (zumindest zum Teil) auf einem unerlaubten Verhalten und war damit nach den oben dargestellten Grundsätzen nicht ersatzfähig. Die entscheidende Abweichung zu den sonstigen Fällen nicht ersatzfähiger Unrechtsgewinne dürfte allein darin bestehen, dass nicht exakt gesagt werden konnte, in welcher Höhe die erlittenen Umsatzeinbußen und entgangenen Gewinne tatsächlich als rechtswidrig einzustufen waren. Denn es ist kaum anzunehmen, dass Kunden überhaupt nur wegen der verbotenen Rabattgewährung zum klagenden Möbelhaus kamen bzw. sodann zum Konkurrenten abwanderten. Vermutlich deswegen und wegen der tatsächlichen Unaufklärbarkeit dieser Schadenslage ist der BGH auf den eigenartigen Neutralisierungsgedanken ausgewichen und hat damit unnötige Verwirrung gestiftet. Die Entscheidungen des BGH sind in ihrer Aussage zu Recht vereinzelt geblieben. Mit der Aufhebung von RabattG und ZugabeVO sind die gesetzlichen Anknüpfungspunkte entfallen, sodass zu hoffen ist, dass es bei dem Ausnahmecharakter dieser Entscheidungen sein Bewenden hat.
4. Dreifache Schadensberechnung Eine schadensrechtliche Besonderheit bei bestimmten Rechtsverletzungen bildet die Möglichkeit, statt des – häufig nicht oder nur sehr schwer nachweisbaren – konkreten Schadens den Verletzergewinn abzuschöpfen oder alternativ als Schaden eine fiktive angemessene Lizenzgebühr (Lizenzanalogie) zu verlangen. Häufig wird in diesem Zusammenhang von der objektiven361 oder dreifachen362 Schadensberechnung gesprochen. Verletzergewinn und Lizenzanalogie haben sich als besondere Varianten der Schadensberechnung aus tatsächlichen Sachzwängen entwickelt. Bemerkenswert ist, dass das österreichische Recht diesen Sonderformen der Schadensberechnung sehr zurückhaltend gegenübersteht. Für den Missbrauch von Kennzeichen enthält § 9 Abs. 4 östUWG eine spezielle Regelung, wonach ein Anspruch auf ein angemessenes Entgelt und auf Herausgabe des Gewinns besteht363. Diese Regelung wird aber für weitere unlautere Handlungen als nicht 359
Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 29 Rn. 27. BGH vom 24.4.1970, GRUR 1970, 563 – Beiderseitiger Rabattverstoß. 361 BGH vom 18.2.1977, GRUR 1977, 539, 542 – Prozeßrechner; BGH vom 27.11.1964, GRUR 1965, 313, 314 – Umsatzauskunft; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 9 Rn. 114 ff.; Loewenheim, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozeß, Kap. 69 Rn. 3; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 34 Rn. 17 f. 362 Z.B. Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, § 23 Rn. 15 ff.; Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 9 Rn. 91 ff.; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 9 Rn. 1.36 ff.; Koos, in: Fezer, UWG, § 9 Rn. 28 ff.; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 9 Rn. 14 ff. 363 § 9 Abs. 4 östUWG enthält insoweit eine Verweisung auf § 150 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b des östPatG. 360
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verallgemeinerbar angesehen364. Der Versuch des OGH, die dreifache Schadensberechnung im österreichischen Lauterkeitsrecht zu institutionalisieren365, blieb bislang erfolglos366. a) Anwendungsbereich und sachliche Legitimation Die Schadensberechnung in der Form des Verletzergewinns oder nach Maßgabe einer angemessenen Lizenzgebühr ist anerkannt bei Verletzungen bestimmter Immaterialgüter und Individualinteressen, die einen immaterialgüterrechtsähnlichen Charakter aufweisen. Die Verletzung bloß relativer Rechte, insbesondere vertraglicher Abreden, genügt hingegen nicht367. Verletzergewinn und Lizenzgebühr als Sonderformen der Schadensberechnung sind zum Teil gesetzlich verankert, zum Teil darüber hinaus von der Rechtsprechung anerkannt. Gesetzliche Regelungen finden sich – seit dem Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums vom 7. Juli 2008368 in übereinstimmenden Formulierungen – im Patentrecht (§ 139 Abs. 2 PatG), Gebrauchsmusterrecht (§ 24 Abs. 2 GebrMG), Markenrecht (§ 14 Abs. 6 MarkenG), Urheberrecht (§ 97 Abs. 2 UrhG), Geschmacksmusterrecht (§ 42 Abs. 2 GeschmMG) und Sortenschutzrecht (§ 37 Abs. 2 SortG). Bei Rechtsverletzungen im Sinne von § 9 HalbLSchG findet hinsichtlich der Schadensberechnung § 24 Abs. 2 GebrMG entsprechende Anwendung. Diese Normen enthalten überstimmend die Regelung, dass bei der Bemessung des Schadensersatzes auch der Gewinn, den der Verletzer durch die Verletzung des Rechts erzielt hat, berücksichtigt werden kann. Zudem kann der Schadensersatzanspruch auch auf der Grundlage des Betrages berechnet werden, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Benutzung der geschützten Rechtsposition eingeholt hätte. Neben diesen gesetzlichen Regelungen sind Verletzergewinn und Lizenzanalogie als Sonderformen der Schadensberechnung anerkannt bei der Verletzung kommerzieller Interessen des Persönlichkeitsrechts369 und bei bestimmten unlauteren Handlungen, nämlich bei Eingriffen in die unternehmerische Geheimnissphäre und im Rahmen des ergänzenden Leistungsschutzes370. Die Rechtsprechung sieht den Grund für die Anerkennung der besonderen Berechnungsformen in der besonderen Verletzlichkeit dieser Rechte und des sich daraus ergebenden besonderen Schutzbedürfnisses des Verletzten. Der Rechtsin-
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Duursma-Kepplinger, in: Gumpoldsberger/Baumann, UWG, § 16 Rn. 74. OGH vom 13.7.1953, 3 Ob 417/53, ÖBl 1953, 52. 366 Duursma-Kepplinger, in: Gumpoldsberger/Baumann, UWG, § 16 Rn. 74; Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht, § 34 Rn. 52. 367 BGH vom 6.6.2002, GRUR 2002, 795, 797 – Titelexklusivität. 368 BGBl. I, S. 1191. 369 BGH vom 8.5.1956, BGHZ 20, 345 ff. – Paul Dahlke; BGH 143, 214 ff. – Marlene Dietrich; zu den Einzelheiten Beater, Medienrecht, Rn. 1975 ff. 370 Dazu sogleich im Text unter c) bb), S. 260 ff. 365
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haber könne keine Vorkehrungen gegen Verletzungen treffen, Verletzungen nur schwer feststellen und den ihm entgangenen Gewinn nur schwer nachweisen, da sich die hypothetischen Abläufe (ohne den Eingriff des Verletzers) nicht ohne Weiteres rekonstruieren lassen371. Zudem betont die Rechtsprechung den präventiven Charakter des Schadensausgleichs, insbesondere hinsichtlich der Abschöpfung des Verletzergewinns372. Prägnant zusammengefasst werden diese Aspekte von Fischer: »Das Immaterialgut ist zwar unzweifelhaft ein Vermögensobjekt, seinen Wert zu bestimmen, ist indessen schwierig. Noch schwerer fällt es, die Folgen einer Verletzung zu erfassen. Zu viele Faktoren sind unbestimmt und unmeßbar und nur einer reinen Schätzung zugänglich. Aus diesem Grunde besteht die große Gefahr, daß der Berechtigte nur ungenügend gegen die Auswirkungen einer Verletzung geschützt wird. Das führt zu Unsicherheit und leicht zu einer Geringschätzung und Herabwertung des immateriellen Rechtsgutes«373.
b) Dogmatische Einordnung Obgleich die Abschöpfung des Verletzergewinns und die Lizenzanalogie in der Praxis allgemeine Anerkennung und weite Verbreitung gefunden haben, bereitet die dogmatische Einbindung dieser Sonderformen der Schadensberechnung in die Strukturen des Delikts- und Schadensrechts erhebliche Schwierigkeiten374. Es werden verschiedene dogmatische Ansätze diskutiert375. Neben einer »rein« schadensrechtlichen Einordnung wird das Verlangen der Lizenzgebühr von einigen Stimmen dem Bereicherungsrecht zugeordnet376, die Herausgabe des Verletzergewinns dagegen der Geschäftsführung ohne Auftrag377. Nach anderer Ansicht ist die (entgangene) Lizenz als objektiver Wert der Nutzung der verletzten Schutzposition als Schaden anzusehen378, während der Verletzergewinn unter dem Aspekt eines Eingriffserwerbs herauszugeben sei379. Zum Teil wird die gesamte Problematik als »wirtschaftsrechtlich verstandene 371
BGH vom 8.10.1971, BGHZ 57, 116, 118 – Wandsteckdose II; BGH vom 18.2.1977, GRUR 1977, 539, 541 – Prozeßrechner. 372 BGH vom 2.11.2000, BGHZ 145, 366, 372 – Gemeinkostenanteil; dort allerdings mit missverständlicher Differenzierung zwischen Sanktionierung und Prävention. 373 Fischer, Schadensberechnung im gewerblichen Rechtsschutz, Urheberrecht und unlauteren Wettbewerb, S. 1. 374 »Man befindet sich … in einer Kette von Billigkeitserwägungen, die das Ergebnis zwar tragen, dogmatisch aber mit Schadensersatz im Sinne der §§ 249 ff. BGB nicht mehr viel zu tun haben«, Peifer, WRP 2008, 48, 49. 375 Dazu eingehend Dreier, Kompensation und Prävention, S. 256 ff. 376 Siehe nur Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 6 XII 5 c, S. 362. 377 Siehe nur Fischer, Schadensberechnung im gewerblichen Rechtsschutz, Urheberrecht und unlauteren Wettbewerb«, S. 15 ff.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 6 XII 5 c, S. 362; kritisch Beuthien/Wasmann, GRUR 1997, 255, 258 ff. 378 Noch anders Fischer, Schadensberechnung im gewerblichen Rechtsschutz, Urheberrecht und unlauteren Wettbewerb, S. 14, der die Lizenzgebühr »als eine in Geld umgewertete Naturalrestitution« ansehen will. 379 Neuner, AcP 133 (1931), 277, 308 f.
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Eingriffsbereicherung« verstanden380. Andere Stimmen sprechen sich schließlich für eine entsprechende Anwendung bestimmter spezialgesetzlicher Schadensvorschriften aus381. Die Rechtsprechung ist nicht selten auf verschiedene Begründungsansätze ausgewichen, ohne sich jedoch endgültig festzulegen. Bisweilen verweisen die Richter etwa auf die »gewohnheitsrechtliche Anerkennung«382. Die Herausgabe des Verletzergewinns wird in einigen Entscheidungen mit »rechtsähnlicher Anwendung der §§ 687 Abs. 2, 667 BGB« begründet383 und bei der Lizenzanalogie wird eine Parallele zum Bereicherungsrecht hergestellt384. Zumeist halten sich die Gerichte allerdings mit dogmatischen Aussagen zurück und betonen den pragmatischen Charakter dieser »Berechnungsvarianten«, die einem billigen und angemessenen Interessenausgleich dienen385. Der Anspruch auf Herausgabe des Verletzergewinns beruhe auf dem Gedanken, dass ein Gewinn aufseiten des Verletzers nach der Lebenserfahrung im Regelfall den Schluss zulasse, dass dem Verletzten durch den Eingriff entsprechende eigene Geschäfte entgangen seien386. Die Lizenzanalogie knüpft dagegen an den Vermögenswert der geschützten Rechtsposition an. Stehe fest, dass dem ohne Vergütung genutzten Leistungsergebnis ein Vermögenswert zukomme und dass der Berechtigte die Nutzung nicht ohne Gegenleistung gestattet haben würde, dann indiziere dies eine Vermögenseinbuße des Verletzten aufgrund der nicht geleisteten Vergütung387. Der Hauptgrund für die dogmatischen Ungereimtheiten liegt darin, dass die dreifache Schadensberechnung Rechtsgedanken der deliktischen Haftung, der bereicherungsrechtlichen Eingriffshaftung und der Haftung für eine angemaßte Fremdgeschäftsführung miteinander vermengt, also Bereiche zusammenfasst, die das bürgerliche Recht ansonsten in den §§ 823 ff. (in Verbindung mit den §§ 249 ff. BGB), §§ 812, 818 und § 687 Abs. 2 BGB strikt voneinander trennt. Die Ursache hierfür liegt in der rechtshistorischen Entwicklung. Die dreifache Schadensberechnung hat sich zu einer Zeit herausgebildet, in der die Dogmatik noch nicht in den heutigen Strukturen entwickelt war und beispielsweise die Voraussetzungen der Eingriffskondiktion schlicht anders definiert wurden als heute388. Eine in jeder Hinsicht befriedigende Auflösung der Diskrepanz zwi380
Joerges, Bereicherungsrecht als Wirtschaftsrecht, S. 69 ff., 75. Die Herausgabe des Verletzergewinns wollen Beuthien/Wasmann, GRUR 1997, 255, 260 f. auf § 97 Abs. 1 S. 2 UrhG a.F. und § 14a Abs. 1 S. 2 GeschmMG a.F. stützen. 382 BGH vom 8.10.1971, BGHZ 57, 116, 117 – Wandsteckdose II. 383 BGH vom 24.2.1961, BGHZ 34, 320, 323 – Vitasulfal. 384 Sehr deutlich etwa BGH vom 23.6.2005, GRUR 2006, 143, 145 – Catwalk: Es handele sich bei der Lizenzanalogie der Sache nach um einen dem Bereicherungsanspruch nach §§ 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt, 818 Abs. 2 BGB entsprechenden Anspruch. 385 BGH vom 2.2.1995, GRUR 1995, 349, 352 – Objektive Schadensberechnung; BGH vom 2.11.2000, BGHZ 145, 366, 371 – Gemeinkostenanteil; BGH vom 21.9.2006, GRUR 2007, 431 Tz. 21 – Steckverbindergehäuse. 386 BGH vom 2.2.1995, GRUR 1995, 349, 351 – Objektive Schadensberechnung. 387 BGH vom 2.2.1995, GRUR 1995, 349, 351 – Objektive Schadensberechnung. 388 Beater, Medienrecht, Rn. 1981. 381
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schen praxisgerechten Ergebnissen und einer systemkonformen dogmatischen Einbindung der dreifachen Schadensberechnung ist bis heute nicht gelungen. Möglicherweise geben aber die RL 2004/48/EG und die zur Umsetzung der Richtlinie geschaffenen Bestimmungen eine eigenständige und tragfähige gesetzliche Grundlage. Unabhängig davon, welchen dogmatischen Ansatzpunkt man wählt, basieren die verschiedenen Rechtsfolgen auf dem Grundgedanken eines Schutzes der wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeiten der geschützten Position des Rechteinhabers389. Für diesen verbindet sich mit dem Schutzgut eine Marktchance390, sein geschütztes Gut auf unterschiedliche Weise wirtschaftlich zu nutzen. Im Falle einer Verletzung muss dem Berechtigten ein Ausgleich dafür geboten werden, dass ihm durch den rechtswidrigen Eingriff Verwertungsmöglichkeiten entzogen werden. Die verschiedenen »Berechnungsvarianten« spiegeln dabei die unterschiedlichen Verwertungsmöglichkeiten wider. Man muss demzufolge danach fragen, auf welche Weise der Berechtigte das Gut hätte nutzen können. Den Maßstab hierfür liefert das Referenzsystem des Marktes. Zu fragen ist dann danach, wie der Berechtigte das geschützte Gut wirtschaftlich hätte verwerten können. Dabei kommen dem Grunde nach nur zwei Varianten in Betracht, die spiegelbildlich den besonderen Berechnungsformen entsprechen. Entweder nutzt der Verletzer das geschützte Gut selbst und erzielt dadurch Gewinn. In einem solchen Fall entspricht es dem Schutz der wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeit, dass der Verletzte die Herausgabe dieses Gewinns fordern kann. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass der Berechtigte ohne die Rechtsverletzung auf dem Markt selbst Gewinn hätte erwirtschaften können. Die andere Möglichkeit der Verletzung besteht in der Nutzung des geschützten Gutes ohne Zustimmung des Geschädigten. In einem solchen Fall vereitelt der Verletzer die wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit des Verletzten, der die Nutzung nur gegen Entgelt gestattet hätte. Dann bildet das entgangene Entgelt den schadensrechtlichen Ansatzpunkt. c) Entwicklung und Stand der Rechtsprechung Im Folgenden sollen lediglich die wichtigsten Eckpunkte der Entwicklung und die inhaltlichen Grundlinien der dreifachen Schadensberechnung nach derzeitigem Rechtsstand skizziert werden391. Eine umfassende Analyse und Auseinandersetzung mit sämtlichen Detailfragen würde eine Einbeziehung ihres Haupt389
Kraßer, GRUR Int. 1980, 259; Lehmann, BB 1988, 1680, 1683. Körner, in: Festschrift für Steindorff, S. 877, 878 ff. spricht von einer »Erwerbschance« des Inhabers. 391 Zu Einzelheiten siehe etwa Assmann, BB 1985, 15 ff.; Delahaye, GRUR 1986, 217 ff; Dreier, Kompensation und Prävention, S. 256 ff.; Körner, in: Festschrift für Steindorff, S. 877 ff.; Kraßer, GRUR Int. 1980, 259 ff.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 6 XII, S. 356 ff.; Lehmann, BB 1988, 1680 ff.; ders., GRUR Int. 2004, 762 ff.; Loewenheim, ZHR 135 (1971), 97 ff.; Meier-Beck, GRUR 2005, 617 ff.; Menninger/Nägele, WRP 2007, 912 ff. 390
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anwendungsbereiches verlangen, den Schutz des geistigen Eigentums. Dies liegt indessen außerhalb des Gegenstandes dieser Untersuchung. Jedoch soll der nachfolgende Überblick gewährleisten, dass vor allem die Einflüsse der RL 2004/48/ EG richtig eingeordnet werden können. Denn die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben dieser Richtlinie machen in einigen Punkten möglicherweise ein Umdenken gegenüber der bisherigen Rechtspraxis erforderlich392. aa) Herausbildung und Entwicklung der dreifachen Schadensberechnung im Immaterialgüterrecht Die verschiedenen Varianten der dreifachen Schadensberechnung und die wesentlichen Grundsätze wurden bereits vom Reichsgericht anerkannt. Grundlegend ist die AristonEntscheidung, der ein urheberrechtlicher Sachverhalt zugrunde lag393. Der Streitfall betraf den ungenehmigten Nachdruck geschützter Notenblätter für mechanische Musikwerke. Das Reichsgericht ging in dieser Entscheidung nicht von verschiedenen Methoden der Schadensberechnung aus, sondern von verschiedenen, voneinander abgrenzbaren Verletzungshandlungen, aus denen dann jeweils ein unterschiedlicher Schaden resultieren könne. Für die Frage nach dem ersatzfähigen Schaden komme es entscheidend darauf an, was der Berechtigte als das schädigende Ereignis ansehe394: »Dieses kann in der Verwendung der Notenblätter bestehen. Des Weiteren kann die maßgebliche Verletzungshandlung in der Verwendung der Notenblätter ohne Genehmigung des Berechtigten, und damit auch ohne Zahlung einer Lizenzgebühr, liegen. Schließlich kann der Berechtigte auch den vom Verletzer erzielten Umsatz seines geistigen Produktes (…) für sich reklamieren«395. Wenig später erstreckte das Gericht seine Rechtsprechung auf das Patentrecht396. Es hielt an der Dreiteilung der Verletzungshandlungen und den daraus jeweils spezifisch resultierenden Schäden fest: »Was aber das beschädigende Ereignis sei, läßt sich von verschiedenen Standpunkten aus beantworten: es kann als solches die Thatsache der Benutzung eines fremden Patentes schlechthin, oder die Benutzung ohne Genehmigung des Berechtigten, oder die Aneignung des aus der Benutzung zu erzielenden Gewinnes angesehen werden«397. Fordere der Berechtigte als Schadensersatz den vom Verletzer erzielten Gewinn, dann sei der Geschädigte nicht auf den Gewinn beschränkt, den er selbst hätte ziehen können398. Auszugehen sei von dem Grundsatz, dass dem Patentberechtigten entzogen worden sei, was der Nicht-Patentberechtigte durch die unberechtigte Anwendung der Erfindung gewerbsmäßig produziert und abgesetzt habe. Dieser Grundsatz sei auch dann anwendbar, wenn zwischen dem Berechtigten und dem Verletzer kein Konkurrenzverhältnis bestehe399. Die maßgebliche Legitimation sah das Reichsgericht in der unzulässigen Bereicherung aus fremdem Vermögen. Eine solche beschränke sich nicht auf den Gewinn, den auch der Berechtigte selbst hätte ziehen können. Es stehe daher »nichts im Wege, den angeblich von dem Beklagten erzielten Nutzen als einen Gewinn zu betrachten, 392 393 394 395 396 397 398 399
Sogleich unter d), S. 270 ff. RG vom 8.6.1895, RGZ 35, 63 – Ariston. RG vom 8.6.1895, RGZ 35, 63, 67 ff. – Ariston. RG vom 8.6.1895, RGZ 53, 63, 70 – Ariston. RG vom 31.12.1898, RGZ 43, 56 – Vergärung von Maische. RG vom 31.12.1898, RGZ 43, 56, 58 f. – Vergärung von Maische. RG vom 31.12.1898, RGZ 43, 56, 59 – Vergärung von Maische. RG vom 31.12.1898, RGZ 43, 56, 59 – Vergärung von Maische.
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der aus dem Vermögen des Klägers gemacht wird«400. Des Weiteren sprach das Gericht zwei bis heute geltende Grundsätze der dreifachen Schadensberechnung aus: Der erste Grundsatz betrifft die Alternativität der verschiedenen Schadenarten. Der Geschädigte hat danach die Wahl zwischen den verschiedenen Schadensarten, kann aber nicht mehrere Berechnungsvarianten – beispielsweise Lizenzgebühr und entgangenen Gewinn – nebeneinander verlangen401. Dieses Kumulierungsverbot ergab sich zwangsläufig auf Basis des reichsgerichtlichen Modells verschiedener Verletzungshandlungen. Wenn einer spezifischen Verletzungshandlung ein spezifischer Anspruchsinhalt zugeordnet wird, ist eine Vermengung denknotwendig ausgeschlossen. Allerdings – und darin liegt der zweite Grundsatz – kann der Geschädigte noch im Verfahren zwischen den verschiedenen Arten wechseln. Dass der Kläger im Verlauf des Verfahrens nur Herausgabe von Gewinn gefordert habe, schließe nicht aus, »daß der Kläger, ohne dem Einwand der Klagänderung ausgesetzt zu sein, statt dessen die Lizenzgebühr fordern könnte, da dies die Verfolgung desselben Anspruches, nur unter anderer rechtlicher Begründung sein würde«402. Mit der Übernahme in das Gebrauchsmusterrecht403 bestätigt das Reichsgericht seine bisherige Rechtsprechung. Allerdings stellt das Gericht nicht mehr auf die verschiedenen Verletzungshandlungen ab, sondern geht von einem unberechtigten Eingriff in das Vermögen des Berechtigten und Schadensalternativen aus: »Die unbefugte Nachbildung eines geschützten Modells ist stets ein Eingriff in das Vermögen des Berechtigten und hat die Folge, daß der letztere nach seiner Wahl entweder Ersatz des Schadens fordern kann, den er durch die Benutzung seines Modells unmittelbar erleidet, oder eine Lizenzgebühr, oder endlich den von dem Gegner selbst erzielten Gewinn«404. Während damit die dreifache Schadensberechnung für das Urheberrecht, Patentrecht und Geschmacksmusterrecht anerkannt war, lehnte das Reichsgericht bei Verletzungen von Warenzeichen eine Übernahme dieser Rechtsprechung ab. Anders als bei den Rechten des Patentinhabers und des Urhebers handelt es sich nach Ansicht des Reichsgerichts bei dem Warenzeichenschutz nach § 15 Warenzeichengesetz405 nicht um ein Ausschließlichkeitsrecht und damit nicht um ein subjektives Recht des Berechtigten: »Der § 15 des Gesetzes zum Schutz der Warenbezeichnungen enthält nach seinem Wortlaute lediglich eine Verbotsbestimmung und droht für deren Verletzung Strafe und Entschädigung, aber auch nur diese. Die Absicht, demjenigen, der für seine Ware eine bestimmte Ausstattung gebraucht und dessen Ausstattung in beteiligten Verkehrskreisen zum Kennzeichen seiner Ware geworden ist, ein absolutes und ausschließliches Recht zu deren Benutzung für Waren dieser Art einzuräumen, ist in dem § 15 nicht zum Ausdruck gekommen. Derselbe schafft nicht ein selbständiges Ausstattungsrecht als besonderes Genußgut, dessen sich ein
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RG vom 31.12.1898, RGZ 43, 56, 60 – Vergärung von Maische. RG vom 31.12.1898, RGZ 43, 56, 61 – Vergärung von Maische. 402 RG vom 31.12.1898, RGZ 43, 56, 61 – Vergärung von Maische. 403 RG vom 11.1.1902, RGZ 50, 111 ff. – Regenrohrsiphon. 404 RG vom 11.1.1902, RGZ 50, 111, 115 – Regenrohrsiphon. 405 Die Vorschrift lautete (Auszug): »Wer zum Zweck der Täuschung in Handel und Verkehr Waren oder deren Verpackung oder Umhüllung, oder Ankündigungen, Preislisten, Geschäftsbriefe, Empfehlungen, Rechnungen oder dergleichen mit einer Ausstattung, welche innerhalb beteiligter Verkehrskreise als Kennzeichen gleichartiger Waren eines anderen gilt, ohne dessen Genehmigung versieht, oder, wer zu dem gleichen Zweck derartig gekennzeichnete waren in Verkehr bringt oder feilhält, ist dem Verletzten zur Entschädigung verpflichtet und wird mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft«. 401
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Anderer unbefugt bedienen könnte. Es soll vielmehr durch jene Verbotsbestimmung nur der redliche Geschäftsbetrieb geschützt und vor dem unlauteren Konkurrenzbetrieb, der in dem Gebrauche jener Ausstattung zum Zwecke der Täuschung in Handel und Verkehr liegt, entgegengetreten werden im Interesse der Allgemeinheit«406. In einer späteren Entscheidung zu § 14 Warenzeichengesetz407 verschiebt sich die Akzentsetzung und das RG spricht vom Warenzeichen als einem »Vermögensrecht absoluten Charakters«. Es befasste sich mit der Frage, ob der vom Verletzer eines Warenzeichens erzielte Gewinn eine relevante Größe für den Schaden des Berechtigten bilden kann. Das Gericht schließt dies nicht grundsätzlich aus408. Es lehnt aber die Heranziehung des Gedankens einer Geschäftsführung ohne Auftrag bei einer Warenzeichenverletzung – anders als bei der rechtswidrigen Verwertung eines Patents – ab, weil der Verletzer durch die unberechtigte Nutzung des Warenzeichens kein Geschäft des Berechtigten führe, sondern sich lediglich durch die Täuschung Vorteile aneigne409. Der BGH knüpfte an die reichsgerichtliche Rechtsprechung an, erweiterte aber den Anwendungsbereich der dreifachen Schadensberechnung mit der Zeit erheblich, indem er diese auf Verletzungen weiterer Immaterialgüterrechte und vergleichbarer Schutzpositionen erstreckte. Anerkannt ist die dreifache Schadensberechnung nach heutigem Rechtsstand im Patentrecht, Gebrauchsmusterrecht, Geschmacksmusterrecht, Urheberrecht, Sortenschutzrecht, Markenrecht sowie in bestimmten Fällen des Lauterkeitsrechts410, ferner bei einem Eingriff in Persönlichkeitsrechte, die eine wirtschaftliche Vermarktung der Popularität und eines damit verbundenen Images einer Person ermöglichen411.
bb) Rezeption der dreifachen Schadensberechnung in das Lauterkeitsrecht Am Beginn der Erstreckung der dreifachen Schadensberechnung auf das Lauterkeitsrecht stand zunächst deren Ausweitung auf die Verletzung von Warenzeichen. Im Unterschied zu Patent-, Gebrauchsmuster- und Urheberrechten beruht der Schutz von Warenzeichen nicht in erster Linie auf einer besonderen geistigen Leistung des Kennzeicheninhabers, sondern auf der Schaffung einer Vorzugsposition im Wettbewerb durch den Schutzrechtsinhaber412. Hatte das Reichsgericht bei Warenzeichenverletzungen eine dreifache Schadensberechnung noch für unzulässig gehalten, eröffnete die Vitasulfal-Entscheidung des BGH413 die Möglichkeit, die Herausgabe des durch eine Warenzeichenverletzung erzielten
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RG vom 30.11.1900, RGZ 47, 100, 101 f. Die Vorschrift lautete (Auszug): »Wer wissentlich oder aus grober Fahrlässigkeit Waren oder deren Verpackung oder Umhüllung, oder Ankündigungen, Preislisten, Geschäftsbriefe, Empfehlungen, Rechnungen oder dergleichen mit dem Namen oder der Firma eines anderen oder mit einem nach Maßgabe dieses Gesetzes geschützten Warenzeichen widerrechtlich versieht oder dergleichen widerrechtlich gekennzeichnete Waren in Verkehr bringt oder feilhält, ist dem Verletzten zur Entschädigung verpflichtet«. 408 RG vom 24.6.1904, RGZ 58, 321, 324 f. 409 RG vom 24.6.1904, RGZ 58, 321, 325. 410 Statt vieler Köhler, in: Großkommentar, UWG, Vor § 13 Rn. 322; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 34 Rn. 19, jeweils m.w.Nachw. 411 BGH vom 1.12.1999, BGHZ 143, 214, 228 – Marlene Dietrich; BGH vom 14.2.1958, BGHZ 26, 349, 352 f. – Herrenreiter; BGH vom 8.5.1956, BGHZ 20, 345, 352 ff. – Paul Dahlke. 412 Vgl. BGH vom 16.2.1973, GRUR 1973, 375, 377 – Miss Petite; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 6 XII 2, S. 357. 413 BGH vom 24.2.1961, BGHZ 34, 320 ff. – Vitasulfal. 407
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Verletzergewinns zu verlangen. Im Vergleich zu der Verletzung von Patent-, Gebrauchsmuster- oder Urheberrechten bestehe kein wesensmäßiger Unterschied, der dem Anspruch auf Gewinnherausgabe entgegenstehe. In beiden Fällen liege die Ausbeutung eines fremden Rechts vor, was als Führen eines zum ausschließlichen Rechtskreis des Schutzrechtsinhabers gehörenden (und damit fremden) Geschäfts anzusehen sei414. Die Meßmer-Tee II-Entscheidung415 brachte dann die vollständige Anerkennung der dreifachen Schadensberechnung im Kennzeichenrecht, indem sie eine Berechnung des Schadens auch nach den Kriterien der Lizenzanalogie zuließ. Das Gericht setzte sich in dieser Entscheidung auch mit dem Einwand des Schädigers auseinander, der Geschädigte sei zur Erteilung einer Lizenz weder bereit noch in der Lage gewesen. Die hierzu angestellten Erwägungen des Gerichts geben zugleich Aufschluss über die der Schadensberechnung zugrunde liegenden Wertungen und über den mit der Schadensberechnung verfolgten Sanktionszweck. Klar formuliert wurde insbesondere die ökonomische Erwägung, wonach der Schädiger von der Rechtsverletzung nicht profitieren dürfe. Eine Schadensberechnung nach Maßgabe einer (fiktiven) Lizenzgebühr beruht danach auf der Fiktion eines Lizenzvertrages. Der schuldhaft handelnde Verletzer eines Immaterialgüterrechts solle nicht besser stehen als derjenige, der das fremde Recht achte416. Daher könne es auch nicht darauf ankommen, ob ein Lizenzvertrag mit dem fingierten Inhalt dem Verletzer hätte erteilt werden dürfen417. Die Übernahme der dreifachen Schadensberechnung in das Lauterkeitsrecht durch die höchstrichterliche Rechtsprechung erfolgte nicht mit einem Mal, sondern sozusagen in einem schleichenden Prozess. Die Handstrickverfahren-Entscheidung streift die Problematik der Herausgabe des Verletzergewinns in einem Fall der Verletzung des unternehmerischen Geheimnisschutzes. Die Entscheidung betraf einen Fall der so genannten Vorlagenfreibeuterei. Im Zuge von Vertragsverhandlungen waren einer Beklagten Einzelheiten zu einem von dem Kläger angewendeten Verfahren zum maßgerechten Stricken von Maschenware auf Handstrickapparaten bekannt geworden, die sodann durch die Beklagten verwertet wurden. Die Richter verneinten einen Anspruch auf Herausgabe des von den Beklagten durch eine widerrechtliche Benutzung der Vorlagen erzielten Gewinns als Erscheinungsform des Schadensersatzes. Bei der Vorlagenfreibeuterei handele es sich nämlich nicht um Eingriffe in ein Ausschließlichkeitsrecht oder ein Rechtsgut, das von der Rechtsordnung mit ausschließender Wirkung einer bestimmten Person zugewiesen sei; der Unrechtsgehalt der Vorlagenfreibeuterei fuße vielmehr überwiegend auf der Art und Weise des Erwerbsvorgangs418. Dagegen bejahte der BGH im Prozeßrechner-Streitfall eine Schadensberechnung im Wege der Lizenzanalogie. Die Entscheidung betraf die Neuentwicklung eines komplizierten Prozessrechners, wobei diese Entwicklung durch einen Geheimnisverrat ermöglicht wurde. Die Neuentwicklung war in den Augen der Richter als eine dem Immaterialgüterrechtsschutz vergleichbare Leistungsposition anzusehen, die einen dem Immaterialgüterrecht vergleichbaren Rechtsschutz verlange419. 414
BGH vom 24.2.1961, BGHZ 34, 320, 323 – Vitasulfal. BGH vom 12.1.1966, BGHZ 44, 372, 374 ff. – Meßmer Tee II. 416 BGH vom 12.1.1966, BGHZ 44, 372, 379 – Meßmer Tee II. 417 BGH vom 12.1.1966, BGHZ 44, 372, 379 f. – Meßmer Tee II im Hinblick auf einen etwaigen Verstoß eines fiktiv lizenzierten Warenzeichengebrauchs gegen das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot. 418 BGH vom 17.5.1960, GRUR 1960, 554, 557 – Handstrickverfahren. 419 BGH vom 18.2.1977, GRUR 1977, 539, 541 – Prozeßrechner. 415
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Neben dem Schutz von Unternehmensgeheimnissen bildete der ergänzende Leistungsschutz einen weiteren fruchtbaren Boden für die dreifache Schadensberechnung im Lauterkeitsrecht420. In der Wandsteckdose II-Entscheidung421 hielt der BGH in einem Fall der »sklavischen Nachahmung« eine Schadensberechnung unter Zugrundelegung einer fiktiven Lizenzgebühr für zulässig. Die Übernahme der dreifachen Schadensberechnung in das Lauterkeitsrecht stellt im Grunde eine konsequente Fortentwicklung der Rechtsprechung des BGH dar. Das Gericht wies darauf hin, dass eine unlautere Handlung im Allgemeinen »keine unmittelbare, mit dem Eingriff in den Bestand eines fremden Rechts ähnliche Lage« darstelle, sondern die Rechtsverletzung darin bestehe, dass in zu missbilligender Weise in die Wettbewerbsposition des Verletzten eingegriffen werde422. Damit war es nicht der Ausschließlichkeitsgehalt der lauterkeitsrechtlichen Schutzposition, der die dreifache Schadensberechnung maßgeblich rechtfertigte, sondern das Bedürfnis nach einer wirksamen Sanktion, die sich bei dem Schutz von Immaterialgüterrechten mit ähnlicher wettbewerblicher Funktion bereits lange bewährt hatte. Die Interessenlage des Geschädigten sei bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten und Vorzugspositionen auf Grundlage des UWG eine vergleichbare: Aufgrund der leichten Verletzlichkeit bestehe ein besonderes Schutzbedürfnis des Verletzten, zudem könne er nur schwer Vorkehrungen gegen Rechtsverletzungen treffen und schließlich sei der Nachweis entgangenen Gewinns oft schwer zu führen423. Einen Anspruch auf Herausgabe des Verletzergewinns sprach der BGH in einer dem ergänzenden Leistungsschutz zugehörigen Konstellation im Streitfall der ModeneuheitEntscheidung zu424. Dort ging es um den Schutz von neuen Modenerzeugnissen vor Nachahmungen. Das Gericht berief sich auf die vorgenannten Entscheidungen und führte seine Rechtsprechung fort. Die Herausgabe des Verletzergewinns beruhe auf der Fiktion, dass der Geschädigte ohne die Rechtsverletzung den gleichen Gewinn erzielt hätte wie der Schädiger425. Erst die Kollektion Holiday-Entscheidung426 sprach jedoch den Grundsatz aus, dass die dreifache Schadensberechnung in allen Konstellationen des ergänzenden Leistungsschutzes eingreifen kann: »Die dreifache Schadensberechnung ist bei den Tatbeständen wettbewerbswidriger Nachahmung unabhängig davon zu gewähren, ob dem Verletzten aufgrund der besonderen wettbewerblichen Eigenart seines Produkts eine Rechtsposition erwachsen ist, die ihm einen beispielsweise dem Musterrecht entsprechenden Rechtsschutz gegen Nachahmungshandlungen Dritter verleiht, oder ob vornehmlich die in dem Verhalten des Verletzers zum Ausdruck kommenden besonderen verwerflichen Umstände bei der Nachahmung des Produkts (…) den wettbewerblichen Verbotsanspruch des Verletzten auslösen«427. Zur Begründung hob das Gericht darauf ab, dass der ergänzende Leistungsschutz die Individualinteressen desjenigen schützt, dessen Erzeugnisse auf unlautere Weise nachgeahmt werden. Die Anwendung der Grundsätze der dreifachen Schadensberechnung für alle Fälle der wettbewerbswidrigen Leistungsübernahme findet nach Ansicht des BGH ihre Rechtfertigung darin, dass die verletzte lauterkeits420 421 422 423 424 425 426 427
Dazu auch Fezer, WRP 1993, 565, 566 ff. BGH vom 8.10.1971, BGHZ 57, 116 ff. – Wandsteckdose II. BGH vom 8.10.1971, BGHZ 57, 116, 120 – Wandsteckdose II. BGH vom 8.10.1971, BGHZ 57, 116, 118 – Wandsteckdose II. BGH vom 19.1.1973, BGHZ 60, 168 ff. – Modeneuheit. BGH vom 19.1.1973, BGHZ 60, 168, 173 – Modeneuheit. BGH vom 22.4.1993, BGHZ 122, 262 ff – Kollektion Holiday. BGH vom 22.4.1993, BGHZ 122, 262, 267 – Kollektion Holiday.
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rechtliche Verhaltensnorm in solchen Fällen dazu diene, die Interessen eines bestimmten Wettbewerbers gegen eine sittenwidrige Ausnutzung seiner Leistung zu schützen. Da in einem solchen Fall es allein in der Rechtsmacht desjenigen liege, dessen Leistung nachgeahmt wird, das Verhalten des Dritten zu unterbinden oder zu dulden, sei es sachgerecht, dass der Verletzte den ihm durch die wettbewerbswidrige Leistungsübernahme entstandenen Schaden auch in Form der Herausgabe des Verletzergewinns oder der Berechnung nach Maßgabe einer fiktiven Lizenzgebühr liquidieren könne428. Die Rechtsprechung zur Verletzung von Warenzeichen wurde auch auf die Verletzung von geschäftlichen Bezeichnungen im Sinne des § 16 UWG a.F. ausgedehnt429. Diese Fälle wurden jedoch mit Inkrafttreten des Markengesetzes dem Anwendungsbereich des UWG wieder entzogen430.
cc) Grundlinien Die inhaltlichen Grundlinien der dreifachen Schadensberechnung wurden von der Rechtsprechung im Laufe der Zeit entwickelt. Diese Grundsätze stehen keineswegs unveränderlich fest, sondern die Gerichte haben immer wieder Veränderungen und Anpassungen vorgenommen. Im Folgenden sollen kurz431 die wesentlichen Besonderheiten der Schadensberechnung im Wege der Lizenzanalogie und bei Herausgabe des Verletzergewinns dargestellt werden. Daran wird zugleich deutlich, warum diese Berechnungsformen als Alternativen zur konkretem Schadensberechnung entstanden sind. (1) Lizenzanalogie. (a) Wertungsgrundlage. Zu den rechtlich geschützten Marktchancen eines Berechtigten gehört es, sein geschütztes Gut im Wege der Erteilung von Lizenzen wirtschaftlich nutzen können. Der Berechtigte gestattet dabei die Nutzung durch Dritte gegen ein Entgelt, die Lizenzgebühr. Die Lizenzanalogie beruht auf der Wertung, dass der Verletzer grundsätzlich nicht anders stehen soll als ein vertraglicher Lizenznehmer, der um Lizenzierung nachgesucht und eine Lizenzgebühr entrichtet hätte432. Die gedankliche Nähe zur Eingriffskondiktion liegt auf der Hand. Der Verletzer nimmt durch die Verletzungshandlung eine ausschließliche Befugnis des Rechtsinhabers in Anspruch, für deren Ausübung üblicherweise ein Entgelt hätte entrichtet werden müssen. Durch diesen Eingriff ist der Verletzer um die ersparten Lizenzgebühren bereichert, während der Verletzte zugleich um diesen Betrag entreichert wird433. (b) Berechnungsgrundsätze. Die Lizenzanalogie ist eine hypothetisch-rechnerische Betrachtung der Vermögenslage des Verletzten. Wählt dieser die Lizenzana428
BGH vom 22.4.1993, BGHZ 122, 262, 267 – Kollektion Holiday. BGH vom 16.2.1973, BGHZ 60, 206, 208 ff. – Miss Petite. 430 Art. 25 Nr. 2 Markenrechtsreformgesetz vom 25.10.1994, BGBl. I, S. 3082. 431 Eingehend Dreier, Kompensation und Prävention, S. 257 ff. (zur Lizenzanalogie) und S. 274 ff. (zum Verletzergewinn). 432 BGH vom 8.10.1971, BGHZ 57, 116, 119 – Wandsteckdose II. 433 BGH vom 18.2.1977, GRUR 1977, 539, 541 – Prozeßrechner. 429
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logie als Berechnungsvariante, dann kommt dadurch kein Lizenzvertrag mit dem Verletzer zustande. Angesichts der normativen Zielsetzung der Lizenzanalogie ist es nach der Rechtsprechung unerheblich, ob es bei korrektem Verhalten des Verletzers im konkreten Fall tatsächlich zu einer entsprechenden Lizenzerteilung gekommen wäre434. Es soll allein darauf ankommen, dass der Verletzte die Nutzung nicht ohne Gegenleistung gestattet hätte435. Zulässig ist die Schadensberechnung auf der Grundlage einer angemessenen Lizenzgebühr überall dort, wo die Überlassung von Ausschließlichkeitsrechten zur Benutzung durch Dritte gegen Entgelt rechtlich möglich und verkehrsüblich ist. Die Rechtsprechung stellt dabei nicht auf die Verhältnisse gerade in der konkreten Branche ab, in der die Beteiligten tätig sind, sondern fragt danach, ob bei einem Ausschließlichkeitsrecht dieser Art ganz allgemein die Erteilung von Lizenzen im Verkehr üblich ist436. Die Höhe einer (fiktiven) angemessenen Lizenzgebühr bestimmt sich – in einer ex post Betrachtung – danach, was bei vertraglicher Einräumung ein vernünftiger Lizenzgeber gefordert und ein vernünftiger Lizenznehmer gewährt hätte, wenn beide die im Zeitpunkt der Entscheidung gegebene Sachlage gekannt hätten437. Dabei legt die Rechtsprechung die Wertung zugrunde, dass der Verletzer grundsätzlich nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt werden soll als ein vertraglicher Lizenznehmer. Einen Anhaltspunkt für die Berechnung der angemessenen Lizenzgebühr können frühere Vereinbarungen der Parteien geben. Allerdings setzt dies voraus, dass die vereinbarte Lizenzgebühr dem objektiven Wert der Nutzungsberechtigung entsprochen hat438. (c) »Verletzerzuschlag«. Einen wichtigen und bislang nicht befriedigend gelösten Einwand gegen die Lizenzanalogie bildet die Überlegung, dass der Verletzer im Haftungsfall nur riskiert, die übliche Vergütung an den Berechtigten zahlen zu müssen439. Das Abschreckungspotenzial einer solchen Rechtsfolge ist begrenzt, weil der Verletzer auf diese Weise keinen Anreiz hat, auf rechtmäßige Weise eine Lizenz zu erwerben. Vielmehr bleibt der Rechtsverstoß attraktiv, weil ja für den Schädiger immerhin die Chance besteht, ganz ohne Lizenzvergütung davonzukommen, zumindest aber die Lizenzgebühren nur mit Verzögerung an den Verletzten auskehren zu müssen. Die konsequente Lösung dieses Dilemmas bestünde darin, im Interesse wirksamer Abschreckung einen »Verletzerzuschlag« zuzulassen, also als rechtlichen Maßstab nicht die (fiktive) angemessene 434
BGH vom 17.6.1992, BGHZ 119, 20, 26 – Tchibo/Rolex II. BGH vom 2.2.1995, GRUR 1995, 349, 351 – Objektive Schadensberechnung. 436 BGH vom 16.2.1973, BGHZ 60, 206, 211 – Miss Petite. 437 BGH vom 16.2.1973, BGHZ 60, 206, 210 – Miss Petite; zur gängigen Lizenzpraxis siehe etwa Grüger, GRUR 2006, 536, 540. Bei der Berechnung können auch spezielle Lizenzmodelle zugrunde gelegt werden, wenn vernünftige Vertragsparteien sich daran orientiert hätten, BGH vom 26.3.2009, GRUR 2009, 660 Tz. 32 – Resellervertrag (zum Urheberrecht). 438 BGH vom 2.10.2008, WRP 2009, 319 Tz. 22 ff. – Whistling for a train (zu § 97 UrhG). 439 Assmann, BB 1985, 15, 18 ff. 435
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Lizenz zu wählen, sondern eine verletzungsbedingt höhere Lizenz440. Diesen Weg hat die Rechtsprechung jedoch nicht beschritten. Eine Parallele zur Verdopplung der Lizenzgebühr in Fällen der Verletzung musikalischer Aufführungsrechte441 lehnt der BGH mit der recht knappen Begründung ab, die Verdoppelung der Lizenzgebühr trage den Besonderheiten der dort in Rede stehenden Rechtsverletzungen Rechnung und diese Besonderheiten seien in Fällen von Verletzungen gewerblicher Schutzrechte nicht gegeben442. Allerdings lässt die Rechtsprechung anstelle eines pauschalen Zuschlags an den Umständen des Einzelfalls ausgerichtete Korrektive zu. Beispielsweise kann lizenzerhöhend berücksichtigt werden, dass eine Nachahmung den Prestigewert eines Produkts mindert443. Zudem ist es – jedenfalls bei der Verletzung eines Geschmacksmusters – zulässig, wenn bereits die Abbildung einer unzulässigen Nachahmung (und nicht erst deren Vertrieb) als Anknüpfungspunkt für eine Lizenzanalogie gewählt wird444. In der Sache sind diese Korrektive letztlich doch Erscheinungsformen »versteckter« Verletzerzuschläge. (d) Verletzerkette. Innerhalb einer Verletzerkette sind Schadensersatzleistungen, die der Verletzer seinen Abnehmern wegen deren Inanspruchnahme durch den Verletzten erbringt, nicht abzuziehen. Diese Leistungen können den Gewinn des Verletzers schmälern und daher bei der Berechnung des herauszugebenden Verletzergewinns zu berücksichtigen sein445. Für die Höhe einer angemessenen und üblichen Lizenzgebühr ist es dagegen nicht von Bedeutung, inwieweit der Verletzer seinen Vertragspartnern wegen deren Inanspruchnahme durch den Verletzten Schadensersatz leistet446. (2) Verletzergewinn. Da die Lizenzanalogie in etwa 95 Prozent aller Schadensfälle zur Anwendung gelangte, in denen diese Berechnungsart in Betracht kam447, spielte die Herausgabe des Verletzergewinns lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle. (a) Wertungsgrundlage. Diese Berechnungsmethode beruht auf der Fiktion, dass der Berechtigte ohne die Rechtsverletzung in gleicher Weise wie der Verletzer Gewinn hätte erzielen können448. Ökonomisch lässt sich die Abschöpfung 440
Assmann, BB 1985, 15, 20; Delahaye, GRUR 1986, 217, 219 f. BGH vom 24.6.1955, BGHZ 17, 376, 383 – GEMA; BGH vom 10.3.1973, BGHZ 59, 286, 291 ff. – Doppelte Tarifgebühr. 442 BGH vom 6.3.1980, GRUR 1980, 841, 844 – Tolbutamid (zum Patentrecht). 443 BGH vom 17.6.1992, BGHZ 119, 20, 26 – Tchibo/Rolex II; BGH vom 23.6.2005, GRUR 2006, 143, 146 – Catwalk (zum Geschmacksmusterrecht). 444 BGH vom 23.6.2005, GRUR 2006, 143, 145 – Catwalk; zu weiteren korrektiven Möglichkeiten Delahaye, GRUR 1986, 217, 220 f. 445 Dazu sogleich unter (2) (d), S. 268 f. 446 BGH vom 23.6.2009, GRUR 2009, 660 Tz. 39 – Resellervertrag. 447 Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 34 Rn. 33. 448 BGH vom 19.1.1973, BGHZ 60, 168, 173 – Modeneuheit; BGH vom 21.9.2006, GRUR 2007, 431 Tz. 21 – Steckverbindergehäuse. 441
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des Verletzergewinns mit dem Gedanken rechtfertigen, dass eine Belohnung des Falschen verhindert wird449. Denn das Anreiz- und Belohnungssystem der gewerblichen Schutzrechte soll gewährleisten, dass der Berechtigte die Ergebnisse seiner Leistungen auf dem Markt wirtschaftlich verwerten kann und damit für seine Entwicklung belohnt wird. Dieser Mechanismus wird gestört, wenn statt des Berechtigten der Verletzer ungehindert die fremde Leistung zu eigenem Vorteil ausnutzen könnte450. Diese Überlegungen machen zugleich deutlich, worin der Unterschied zur Gewinn- bzw. Vorteilsabschöpfung liegt. Während der Verletzergewinn dem Berechtigten zufließt, sodass damit das Anreiz- und Belohnungssystem der gewerblichen Schutzrechte durch den Schadensausgleich wiederhergestellt wird, zielen § 10 UWG und § 34a GWB allein auf den Entzug des unrechtmäßig erlangten Vorteils und damit darauf ab, eine »Belohnung« rechtswidrigen Verhaltens durch den Markt zu verhindern. (b) Berechnungsgrundsätze. Stellenwert und praktische Bedeutung des Verletzergewinns als »Berechnungsmethode« hängen entscheidend davon ab, nach welchen Kriterien der Verletzergewinn berechnet wird und insbesondere welche Kosten von den erzielten Umsätzen abgezogen werden können451. Neue Impulse werden von der Gemeinkostenanteil-Entscheidung des BGH452 erwartet, deren Grundsätze auch im Lauterkeitsrecht Anwendung finden453. Ob diese Neuorientierung dem Verletzergewinn einen größeren Anwendungsbereich in der Rechtspraxis verschafft, wird erst die Entwicklung der Rechtsprechung in den nächsten Jahren zeigen454. Die entscheidende Neuerung der Gemeinkostenanteil-Entscheidung besteht darin, dass der BGH bei der Ermittlung des Verletzergewinns die Abzugsfähigkeit verschiedener Kosten – in Abweichung von seiner früheren Rechtsprechung455 – differenzierend handhabt. Der BGH folgt dabei der eingehenden Analyse von Lehmann zur Berechnung des Verletzergewinns. Nach dem Sinn und Zweck des Anspruchs auf Herausgabe des Verletzergewinns sei es gerechtfertigt, bei der Ermittlung des Verletzergewinns von den erzielten Erlösen nur die variablen Kosten, das heißt die vom Beschäftigungsgrad abhängigen Kosten für die 449
Lehmann, BB 1988, 1680, 1683; ders., in: Festschrift für Canaris, S. 729, 735. Lehmann, BB 1988, 1680, 1683. 451 Dazu im Einzelnen Lehmann, BB 1988, 1680, 1683 ff. 452 BGH vom 2.11.2000, BGHZ 145, 366, 372 – Gemeinkostenanteil; dazu Tilmann, GRUR 2003, 647 ff. 453 BGH vom 21.9.2006, GRUR 2007, 431, 433 – Steckverbindergehäuse; dazu Loschelder, NJW 2007, 1503 f. 454 Zu ersten Auswirkungen der Gemeinkosten-Entscheidung in der instanzgerichtlichen Praxis Rojahn, GRUR 2005, 623, 627 ff. 455 »Die Verletzer konnten und haben … alle denkbaren Kostenpositionen von den erzielten Umsätzen abgezogen, so dass regelmäßig kein abzuschöpfender Gewinn mehr verblieb, sondern ganz überraschend mit schutzrechtsverletzenden Produkten oder Handlungen stets nur Verluste erzielt wurden«, Menninger/Nägele, WRP 2007, 912, 914; zur Berechnung vor der Gemeinkostenanteil-Entscheidung Tilmann, GRUR 2003, 647, 648 ff. 450
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Herstellung und den Vertrieb der schutzrechtsverletzenden Gegenstände abzuziehen, nicht aber Fixkosten, also solche Kosten, die von der jeweiligen Beschäftigung unabhängig sind (wie Mieten und zeitabhängige Abschreibungen für Anlagevermögen). Wenn es dem Verletzer uneingeschränkt möglich wäre, von seinen Erlösen einen Gemeinkostenanteil abzusetzen, würde im Allgemeinen der aus der Rechtsverletzung stammende Gewinn nicht vollständig abgeschöpft. Dem Verletzer verbliebe ein Deckungsbeitrag zu seinen Fixkosten, was in Widerspruch zu Sinn und Zweck des Schadensausgleichs in der Form der Herausgabe des Verletzergewinns und insbesondere zu dem Gedanken stünde, dass der Verletzte durch die Herausgabe des Verletzergewinns so zu stellen ist, als hätte er ohne die Rechtsverletzung den gleichen Gewinn wie der Rechtsverletzer erzielt. Denn in diesem Fall hätte der Verletzte bei einem Einsatz des eigenen Unternehmens für die Herstellung und den Vertrieb einen Deckungsbeitrag zu seinen eigenen Gemeinkosten erwirtschaften können456. Mit der Entscheidung Steckverbindergehäuse erstreckt der BGH diese Grundsätze auf Nachahmungskonstellationen, die §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 9 UWG unterfallen457. In dieser Entscheidung setzt sich der BGH zudem mit kritischen Stellungnahmen im Schrifttum auseinander458 und präzisiert seine Aussagen zu den bei der Gewinnermittlung anrechnungsfähigen und nicht anrechnungsfähigen Kosten459. (c) Anteilige Gewinnherausgabe. Der Gewinn des Verletzers ist in der Regel nur anteilig herauszugeben, nämlich nur insoweit, als er gerade auf der Rechtsverletzung beruht460. Denn ob und in welchem Maße es dem Verletzer gelingt, Gewinn zu erwirtschaften, hängt von ganz verschiedenen Umständen ab. Auch entscheiden sich die Erwerber von nachgeahmten Erzeugnissen womöglich aus ganz unterschiedlichen Gründen für das nachgeahmte Erzeugnis461. Es wäre deswegen nicht sachgerecht, dem Verletzten auch einen Gewinnanteil zuzusprechen, der nicht auf der Rechtsverletzung beruht. Die Rechtsprechung nimmt dabei – dem Vorgehen bei § 254 BGB vergleichbar – eine wertende Betrachtung vor462. Das zivilverfahrensrechtliche Instrument bildet die Schätzungsbefugnis gemäß § 287 ZPO463. 456
BGH vom 2.11.2000, BGHZ 145, 366, 372 f. – Gemeinkostenanteil. BGH vom 21.9.2006, GRUR 2007, 431 Tz. 25 ff. – Steckverbindergehäuse. 458 Siehe etwa Meier-Beck, GRUR 2005, 617, 619 ff. 459 BGH vom 21.9.2006, GRUR 2007, 431 Tz. 31 f. – Steckverbindergehäuse. 460 BGH vom 14.5.2009, WRP 2009, 1129 Tz. 41 – Tripp-Trapp-Stuhl; BGH vom 21.9.2006, GRUR 2007, 431 Tz. 37 – Steckverbindergehäuse; BGH vom 17.6.1992, BGHZ 119, 20, 29 – Tchibo/Rolex II. Ebenso für das Markenrecht: BGH vom 6.10.2005, GRUR 2006, 419 Tz. 15 – Noblesse; OLG Frankfurt a.M. vom 13.3.2003, GRUR-RR 2003, 274, 278 – Vier-Streifen-Kennzeichnung; für das Geschmacksmusterrecht: BGH vom 2.11.2000, BGHZ 145, 366, 375 – Gemeinkostenanteil. 461 BGH vom 19.3.2008, WRP 2008, 938 Tz. 8 – »entwendete Datensätze mit Konstruktionszeichnungen«. 462 BGH vom 21.9.2006, GRUR 2007, 431 Tz. 37 – Steckverbindergehäuse; für das Markenrecht: OLG Frankfurt a.M. vom 13.3.2003, GRUR-RR 2003, 274, 278 – Vier-Streifen-Kennzeichnung. 463 BGH vom 14.5.2009, WRP 2009, 1129 Tz. 41 – Tripp-Trapp-Stuhl. 457
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Die damit gewonnene Flexibilität des Schadensausgleichs liegt zweifelsohne im Interesse der praktischen Handhabung, ist es damit doch möglich, unbillige Ergebnisse beim Schadensausgleich durch eine wertende Korrektur zu vermeiden. Es werden beispielsweise »Zufallsgeschenke« vermieden, etwa wenn ein vollkommen geschäftsuntüchtiger Geschädigter einen besonders hohen Verletzergewinn erhält, der nur in geringem Maße auf der Rechtsverletzung, sondern vor allem auf der besonderen Geschäftsgewandtheit des Schädigers beruht. Allerdings muss man sich bewusst machen, dass mit dieser Flexibilisierung faktisch ein Übergang zum Proportionalitätsprinzip, also einer abgestuften Schadensersatzhaftung464, verbunden ist. Denn der Schädiger soll gerade nicht im Sinne einer Totalreparation den gesamten Unrechtsgewinn herausgeben, sondern der herauszugebende Gewinn wird im Hinblick auf den konkreten Verletzungsfall »tatangemessen« bestimmt. Dass es sich hierbei um eine schadensrechtliche Anomalie handelt, wird deutlich, wenn man auf die Parallelfälle der Verletzung von Unternehmensgeheimnissen blickt. Dort wird eine entsprechende Abstufung des herauszugebenden Gewinns nicht vorgenommen. Stattdessen ist der gesamte Gewinn vom Verletzer herauszugeben, der unter Verwendung der auf strafbare Weise erlangten Kenntnisse erzielt wurde. In der Rechtsprechung heißt es zu Begründung, die erlangten Kenntnisse seien mit dem »Makel der Wettbewerbswidrigkeit« behaftet465. Sämtliche Folgeentwicklungen, die unter Ausnutzung dieser Kenntnisse vorgenommen werden, sind also gleichsam mit diesem »Makel« infiziert und ein daraus erzielter Verletzergewinn unterliegt der vollständigen Abschöpfung durch den Verletzten466. (d) Verletzerkette. Innerhalb einer Verletzerkette kann der Geschädigte grundsätzlich von allen Verletzern die Herausgabe ihres jeweiligen Verletzergewinns verlangen. Das hat der BGH kürzlich für die Verletzung urheberrechtlicher Nutzungsrechte entschieden467. Der Gedanke ist über das Urheberrecht hinaus auf alle anderen Verletzungsfälle übertragbar, bei denen die Herausgabe von Verletzergewinn in Betracht kommt. Nimmt der Berechtigte wegen der Verletzung seines geschützten Rechts mehrere Schädiger aus einer Verletzerkette in Anspruch, dann kann der Fall eintreten, dass der Geschädigte infolge der unbefugten Verwertung seines Schutzrechts insgesamt einen höheren Gewinn erzielt, als er ohne diese Rechtsverletzungen erzielt hätte. Der BGH hält dies – mit überzeugenden Gründen – für zulässig. Es stünde im Widerspruch zum Sanktionszweck der Herausgabe des Verletzerge-
464 Zur Abgrenzung von Proportionalitätsprinzip und Grundsatz der Totalreparation siehe nur Brüggemeier, Haftungsrecht, § 8 III, S. 555 f.; Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 220, 225 ff.; 465 BGH vom 19.12.1984, GRUR 1984, 294, 296 – Füllanlage; BGH vom 19.3.2008, WRP 2008, 938 Tz. 9 – »entwendete Datensätze mit Konstruktionszeichnungen«. 466 Dazu auch unten im Text § 7. B. IV. 2. b) bb) (1), S. 551 ff. 467 BGH vom 14.5.2009, WRP 2009, 1129 Tz. 73 ff. – Tripp-Trapp-Stuhl.
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winns, wenn einzelne Verletzer innerhalb einer Verletzerkette ihren durch widerrechtliche und schuldhafte Verletzung eines Schutzrechts erzielten Gewinn behalten dürften, soweit der Verletzte bereits von anderen Verletzern deren Verletzergewinn verlangt hat. Denn der Verletzer eines Schutzrechts hat keinen schützenswerten Anspruch auf Erzielung oder Einbehalt eines Gewinns aus einer schutzrechtsverletzenden Handlung. Jeder Verletzer muss daher seinen gesamten Gewinn auskehren, unabhängig davon, ob der Verletzte den von den Verletzern erzielten Gewinn selbst hätte erzielen können468. Eine Ausnahme gilt aber dann, wenn der Hersteller seinen Abnehmern wegen deren Inanspruchnahme durch den Rechtsinhaber Schadensersatz leistet. Nehmen die Abnehmer den Hersteller mit Erfolg in Regress, lässt sich eine Berechtigung des Verletzten, den vollen Verletzergewinn sowohl der Abnehmer als auch des Herstellers zu verlangen und zu behalten, nicht mit der Erwägung rechtfertigen, dass es unbillig wäre, dem Verletzer einen Gewinn zu lassen, der auf der unbefugten Nutzung eines Schutzrechts beruht. Denn der auf der unbefugten Nutzung des Schutzrechts beruhende Gewinn des Herstellers wird aufgezehrt, soweit er seinen Abnehmern wegen deren Inanspruchnahme durch den Verletzten Schadensersatz leistet. Die Haftung des Herstellers wird daher – wenn der Schaden nach dem Verletzergewinn berechnet wird – durch den von ihm erwirtschafteten Gewinn nicht nur begründet, sondern auch begrenzt469. Diese Überlegung beruht auf dem gleichen Rechtsgedanken wie die Regelungen in § 10 Abs. 2 S. 1 UWG und § 34a Abs. 2 S. 1 GWB. Die zugrunde liegende Wertung besagt, dass eine Abschöpfung nur zulässig ist, solange noch Unrechtsvermögen beim Verletzer vorhanden ist. Wird der Unrechtsgewinn durch Zahlungen an Dritte aufgezehrt, zu denen der Verletzer infolge des unrechtmäßigen und gewinnbegründenden Verhaltens verpflichtet ist, dann müssen diese Zahlungen auf den herauszugebenden Gewinn angerechnet werden. (3) Alternativität und Wahlrecht des Geschädigten. Zwischen den verschiedenen Berechnungsarten kann der Geschädigte nach der Rechtsprechung frei wählen470. Mit diesem Wahlrecht korrespondiert allerdings das Verbot der Vermischung der verschiedenen Berechnungsarten. Die verschiedenen Schäden dürfen danach nicht kombiniert und zusammengerechnet werden, sondern können nur jeweils einzeln geltend gemacht werden471. Das Verbot erstreckt sich jedoch nur auf die Alternativität zwischen den drei Berechnungsarten, gilt also nur für konkreten Schaden, Verletzergewinn und Lizenzgebühr. Andere Schadensposten,
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BGH vom 14.5.2009, WRP 2009, 1129 Tz. 77 – Tripp-Trapp-Stuhl. BGH vom 14.5.2009, WRP 2009, 1129 Tz. 78 – Tripp-Trapp-Stuhl. 470 BGH vom 17.6.1992, BGHZ 119, 20, 23 ff. – Tchibo/Rolex II; BGH vom 22.4.1993, BGHZ 122, 262, 264 – Kollektion Holiday; zu den Einzelheiten des Wahlrechts Stjerna, MarkenR 2006, 104 ff. 471 BGH vom 17.6.1992, BGHZ 119, 20, 25 – Tchibo/Rolex II; BGH vom 22.4.1993, BGHZ 122, 262, 265 – Kollektion Holiday. 469
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etwa die Kosten der Rechtsverfolgung oder »Marktverwirrungsschäden«, können, unabhängig von der vom Geschädigten gewählten Berechnungsvariante, daneben geltend gemacht werden472. d) Auswirkungen der RL 2004/48/EG Die RL 2004/48/EG hat die Problematik der Schadensberechnung bei Verletzungen des geistigen Eigentums neu geregelt und damit auf ein eigenständiges Fundament gestellt. Die maßgebliche Regelung in Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie lautet: »Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag der geschädigten Partei anordnen, dass der Verletzer, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm, dem Rechtsinhaber zum Ausgleich des von diesem wegen der Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz zu leisten hat. Bei der Festsetzung verfahren die Gerichte wie folgt: a) Sie berücksichtigen alle in Frage kommenden Aspekte, wie die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei und der zu Unrecht erzielten Gewinne des Verletzers, sowie in geeigneten Fällen auch andere als die rein wirtschaftlichen Faktoren, wie den immateriellen Schaden für den Rechtsinhaber, oder b) sie können stattdessen in geeigneten Fällen den Schadensersatz als Pauschalbetrag festsetzen, und zwar auf der Grundlage von Faktoren wie mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums eingeholt hätte«.
Diese gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben geben in mehrfacher Hinsicht Anlass, die bisherige rechtliche Einordnung und Handhabung der dreifachen Schadensberechnung zu überdenken. Festzuhalten ist zunächst, dass die Richtlinie nicht von verschiedenen Ansprüchen ausgeht, sondern von einem einheitlichen Anspruch auf Schadensersatz, der als Rechtsfolge unterschiedliche Berechnungsmodalitäten des zu ersetzenden Schadens zulässt. Denn die Richtlinie definiert den Verletzungstatbestand in § 13 Abs. 1 einheitlich, während daran lediglich unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft werden. Wenngleich die Richtlinie den nationalen Rechtsordnungen keine zwingenden dogmatischen Vorgaben machen kann, sondern den Mitgliedstaaten »die Wahl der Form und der Mittel«473 überlässt, ist die Regelung der Richtlinie doch insoweit bindend, als die Mitgliedstaaten nicht Haftungstatbestände schaffen dürfen, die je nach Rechtsfolge abweichende Voraussetzungen verlangen. Das Gemeinschaftsrecht steht damit jenen Lösungsansätzen entgegen, die in Abhängigkeit von der Rechtsfolge unterschiedliche gesetz472 BGH vom 16.2.1973, GRUR 1973, 375, 378 – Miss Petite; Leisse/Traub, GRUR 1980, 1, 2 f.; Stjerna, MarkenR 2006, 104, 106; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 34 Rn. 22. Anders jedoch BGH vom 18.2.1977, GRUR 1977, 539, 542 f. – Prozeßrechner. 473 Art. 249 Abs. 3 EG.
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liche Anknüpfungspunkte für den Haftungstatbestand wählen wollen. Insoweit steht die bisherige Rechtspraxis mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang. aa) Von der dreifachen zur zweifachen Schadensberechnung Die Richtlinie unterscheidet aber auf Rechtsfolgenseite – und hierin liegt ein wichtiger Unterschied zu den bisherigen Grundsätzen der dreifachen Schadensberechnung – nur zwei Grundkonstellationen: Zum einen sind bei der Schadensberechnung alle infrage wirtschaftlichen Nachteile zu berücksichtigen, einschließlich des entgangenen Gewinns des Verletzten. Hier ebenfalls einzubeziehen sind nach der Richtlinie aber auch die zu Unrecht erzielten Gewinne des Verletzers. Der Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 Buchst. a ist dahingehend zu verstehen, dass der Verletzergewinn den wirtschaftlichen Nachteilen des Verletzten zugeordnet wird474. Zum anderen und alternativ gestattet die Richtlinie einen Schadensersatz in Form eines Pauschalbetrages, der sich mindestens an dem Betrag der Vergütung oder Gebühr orientiert, den der Verletzer für eine Erlaubnis zur Nutzung des geschützten Rechts hätte aufwenden müssen. Während also nach bisherigem Verständnis streng zwischen einem konkreten Schaden und der Herausgabe des Verletzergewinns zu unterscheiden war, verliert diese Differenzierung nunmehr an Bedeutung. Zwar ist bei der Schadensberechnung nach wie vor zwischen den erlittenen Einbußen des Verletzten und dem zu Unrecht erzielten Gewinn des Verletzers zu unterscheiden, doch können diese beiden Schadensposten nunmehr zum Teil miteinander verbunden werden475. Der Verletzergewinn wird nach der Richtlinie mit den vom Verletzten erlittenen wirtschaftlichen Einbußen des Geschädigten zusammengefasst. Alternativ hierzu kann der Geschädigte seinen Schadensersatz pauschal berechnen und dabei einen Betrag verlangen, dessen Höhe sich danach bemisst, was der Verletzer für die Nutzung des Rechts hätte bezahlen müssen. Folglich ist es nicht gemeinschaftskonform, den Verletzergewinn als Alternative zum konkreten Schaden anzusehen und den Geschädigten insoweit zwingend vor die Wahl zu stellen. Zwar verlangt die Richtlinie keine Vermengung aller Schadensposten476 und es bleibt dem Geschädigten auch weiterhin unbenommen, sich zwischen seinen konkreten Einbußen und der Herausgabe des Verletzergewinns zu entscheiden. Aber im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage muss er dies im Hinblick auf Verletzergewinn und konkreten Schaden nicht mehr tun. Vielmehr kann er diese beiden Schadensposten kumulieren. Die Gegenansicht verweist darauf, dass der Richtlinie bereits durch ein Wahlrecht des Geschädigten genügt werde. Zudem sehe die Richtlinie einen Strafschadensersatz aus-
474
Peukert/Kur, GRUR Int. 2006, 292, 293. Anders Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 97 Rn. 58 und 68; von Ungern-Sternberg, in: Festschrift für Loewenheim, S. 351, 363; von Wolff, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, § 97 Rn. 60 f., die von einem unveränderten Fortbestand des Vermengungsverbots ausgehen. 476 Insoweit ist von Ungern-Sternberg, in: Festschrift für Loewenheim, S. 351, 363 und von Wolff, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, § 97 Rn. 61 zuzustimmen. 475
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drücklich nicht vor477, obgleich die Kommission in ihrem Entwurf entsprechende Pläne verfolgt hatte478. Dabei wird jedoch übersehen, dass zwar die von der Kommission vorgeschlagene pauschale Verdopplung der Lizenzgebühr fallen gelassen wurde, nicht aber die bereits im Entwurf vorgesehene Zusammenführung von kompensatorischem Schadensersatz und Herausgabe des Verletzergewinns479. Gegenüber dem Kommissionsvorschlag wurde die spätere Fassung in der Richtlinie lediglich sprachlich modifiziert, im Kern aber nicht inhaltlich geändert. Angesichts des Wortlauts von Art. 13 Abs. 1 RL 2004/48/EG und der darin getroffenen Unterscheidung zwischen zwei Berechnungsvarianten kann man auch nicht davon ausgehen, dass für das Verhältnis von konkretem Schaden und Verletzergewinn das Gleiche gelten müsse wie für das Verhältnis von konkretem Schaden und Lizenzanalogie480. Nur im letzteren Fall ergibt sich aus dem Wortlaut ein klares Alternativverhältnis. Der Geschädigte hat also ein Wahlrecht zwischen der Berechnung seines Schadens nach seinen wirtschaftlichen Einbußen einschließlich des Verletzergewinns und dem Ansatz eines Pauschalbetrages in Höhe der üblichen Vergütung für eine Lizenz. Die dreifache Schadensberechnung nach bisherigem Verständnis wird damit in der Sache durch eine zweifache Schadensberechnung ersetzt. Zu unterscheiden sind demzufolge die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Rechtsverletzung einschließlich des Verletzergewinns (wirtschaftlicher Schaden) und der als Schaden anzusetzende Pauschalbetrag in Höhe einer angemessenen fiktiven Lizenz (pauschaler Schaden). Der Gesetzgeber sieht die Vorgaben der Richtlinie hinsichtlich des Vermengungsverbots als »nicht eindeutig« an481. Die Formulierungen zur Umsetzung der Richtlinie in § 139 Abs. 2 PatG, § 24 Abs. 2 GebrMG, § 14 Abs. 6 MarkenG, § 97 Abs. 2 UrhG, § 42 Abs. 2 GeschmMG und § 37 Abs. 2 SortG lassen das Verhältnis der Berechnungsvarianten zueinander nicht zweifelsfrei erkennen, schließen aber die hier vertretene Position nicht aus. Denn gemäß diesen Vorschriften kann jeweils »auch« der Gewinn berücksichtigt werden (Satz 2) bzw. »auch« der Schadensersatz auf Grundlage einer angemessenen Vergütung berechnet werden (Satz 3). Aufgrund der inhaltlich übereinstimmenden Umsetzung der Richtlinie in den genannten Bestimmungen des Immaterialgüterrechts dürfte nunmehr der Weg 477
Erw. 26: »Bezweckt wird dabei nicht die Einführung einer Verpflichtung zu einem als Strafe angelegten Schadensersatz …«. 478 Art. 17 Abs. 1, Unterabs. 1, Buchst. a des Vorschlags der Kommission vom 30.1.2003, KOM (2003) 46 endg. 479 Gemäß Art. 17 Abs. 2 des Kommissionsvorschlages (siehe vorherige Fn.) sollten die Mitgliedstaaten Falle von Absatz 1 Buchstabe b) – kompensatorischer Schadensersatz einschließlich des entgangenen Gewinns – vorsehen, »dass dem Rechteinhaber alle Gewinne zufallen, die der Verletzer aus der betreffenden Rechtsverletzung erzielt hat und die bei der Festsetzung des kompensatorischen Schadensersatzes unberücksichtigt bleiben«. Die Kommission begründete dies mit dem Ziel der Abschreckung, die z.B. vorsätzliche, in kommerziellem Maßstab begangene Rechtsbrüche verhindern soll. 480 Entgegen von Ungern-Sternberg, in: Festschrift für Loewenheim, S. 351, 363. 481 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 16/5048, S. 33.
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frei sein, diese Normen schlicht als Sonderschadensrecht zu qualifizieren, mit denen die §§ 249 ff. BGB in den Fällen der Verletzung von geistigen Eigentumsrechten modifiziert werden. Während die bisherige zersplitterte Rechtslage der Annahme eines insoweit einheitlichen Sonderschadensrechts noch entgegen stand, schafft die Umsetzung der RL 2004/48/EG nunmehr einheitliche Strukturen. Eine solche Einheitlichkeit bietet zugleich auch eine sichere Basis, um diejenigen Bereiche einzubeziehen, in denen die Sonderformen der Schadensberechnung auch ohne spezialgesetzliche Regelung von der Rechtsprechung anerkannt worden sind, namentlich bei Verletzungen kommerzieller Interessen des Persönlichkeitsrechts und – im Rahmen dieser Untersuchung von entscheidendem Interesse – bei bestimmten unlauteren Handlungen. Angesichts der vorhandenen spezialgesetzlichen Regelungen ist es möglich, die Rechtsanwendung insoweit auf eine Rechts- bzw. Gesamtanalogie zu stützen, also auf die analoge Anwendung mehrerer gleichartiger Vorschriften, denen eine typische, einheitliche Interessenlage zugrunde liegt. Das Gemeinschaftsrecht steht solchen Erweiterungen nicht entgegen, sondern verlangt im Gegenteil den Anwendungsbereich der Richtlinie möglichst weit zu fassen482. bb) Art und Weise der Schadensberechnung Keine näheren Hinweise enthält die Richtlinie zur Art und Weise der Schadensberechnung, namentlich zu den Kriterien, die heranzuziehen sind, um den Verletzergewinn bzw. die Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, zu ermitteln. Der Vorschlag der Kommission hatte dagegen in Art. 17 Abs. 2, Unterabs. 2 noch eine sehr weit reichende Regelung zugunsten des Berechtigten vorgesehen, wonach der Rechteinhaber zur Ermittlung der Gewinne des Verletzers »nur Nachweise für die Bruttoeinnahmen des Verletzers zu erbringen« haben sollte. Demgegenüber sollte der Verletzer »seine abzugsfähigen Kosten belegen, ferner etwaige Gewinne, die nicht aus dem geschützten Gegenstand erzielt wurden«483. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die bisherige Rechtsprechung zur dreifachen Schadensberechnung unverändert fortgesetzt werden kann484. cc) Folgen für den Anwendungsbereich der dreifachen Schadensberechnung im Lauterkeitsrecht Während die RL 2004/48/EG die bislang anerkannten Grundsätze der dreifachen Schadensberechnung in mancher Hinsicht verändert, bleibt der sachliche Anwendungsbereich der dreifachen Schadensberechnung im Lauterkeitsrecht durch die Richtlinie unbeeinflusst. Die Vorgaben der RL 2004/48/EG sind im Rahmen der lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzhaftung zu beachten, soweit im konkreten Verletzungsfall eine immaterialgüterrechtsähnliche Interessenlage 482
Erw. 13. Vorschlag der Kommission vom 30.1.2003, KOM (2003) 46 endgültig. 484 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 16/5048, S. 33; ebenso Loschelder, NJW 2007, 1503, 1504. 483
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besteht. Eine solche Interessenlage ist gegeben, wenn der lauterkeitsrechtliche Schutz maßgeblich an den Individualinteressen eines Berechtigten ausgerichtet ist. Zusätzlich ist erforderlich, dass der Berechtigte eine Schutzposition innehat, die für ihn wie ein Immaterialgüterrecht verwertbar ist, also beispielsweise übertragen werden kann oder Gegenstand von Lizenzverträgen sein kann. Das Zusammenspiel dieser Kriterien wird an folgenden Beispielen deutlich: Das Verbot der »Anschwärzung« von Mitbewerbern aus § 4 Nr. 8 UWG ist zwar Ausdruck eines lauterkeitsrechtlichen Individualschutzes des Betroffenen vor einem Ansehensverlust im Wettbewerb. Jedoch ist das geschützte Ansehen des Mitbewerbers nicht ohne Weiteres wie ein Immaterialgüterrecht verwertbar. Dagegen werden die genannten Kriterien bei Unternehmensgeheimnissen regelmäßig erfüllt sein. Der Schutz von Unternehmensgeheimnissen bildet einen geradezu paradigmatischen Anwendungsfall für einen primär an Individualinteressen des Geheimnisträgers ausgerichteten Schutz durch das UWG. Das wird insbesondere daran deutlich, dass die Aktivlegitimation bei Abwehransprüchen bei Verletzungen der §§ 17 bis 19 UWG beschränkt ist, denn solche Rechtsverletzungen dürfen nicht gegen den Willen des Berechtigten geltend gemacht werden485. Zudem können Unternehmensgeheimnisse wie Immaterialgüterrechte verwertet werden486. Die Anwendbarkeit der dreifachen Schadensberechnung im Lauterkeitsrecht hängt demzufolge davon ab, welche lauterkeitsrechtlichen Interessen durch die jeweiligen Vorschriften geschützt werden. Dies entscheidet sich auf materiellrechtlicher Ebene, nicht auf Sanktionsebene. Auf der Grundlage des derzeitigen Rechtsverständnisses bleibt es daher dabei, dass die dreifache Schadensberechnung auf die Verletzung von Unternehmensgeheimnissen und auf Konstellationen des ergänzenden Leistungsschutzes gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 9 UWG beschränkt ist. Eine Ausweitung der dreifachen Schadensberechnung auf andere Vorschriften ist dagegen nicht sachgerecht, selbst wenn andere Beispielstatbestände oder Tatbestände des Anhangs parallel anzuwenden sind. Soweit z.B. das UWG neben §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 9 UWG vor Verwechslungsgefahren (§ 5 Abs. 2 UWG) oder absichtlichen Herkunftstäuschungen schützt (Nr. 13 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG), stehen insoweit Schutzinteressen der Verbraucher im Vordergrund. Mit dieser materiellrechtlichen Ausrichtung ist eine schadensrechtliche Orientierung an den Vermarktungsmöglichkeiten privilegierter Wettbewerbspositionen nicht kompatibel. Folglich findet die dreifache Schadensberechnung bei unlauteren Handlungen nach § 5 Abs. 2 und Nr. 13 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG keine Anwendung. Entsprechendes gilt im Verhältnis von § 4 Nr. 9 Buchst. b und § 6 Abs. 2 Nr. 4 UWG oder in sonstigen Fällen. 485 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 17 Rn. 52 hält daher bei Ansprüchen der Verbände, Einrichtungen und Kammern eine Zustimmung des Berechtigten für erforderlich. Ohly, in: Piper/Ohly, UWG, § 17 Rn. 44 hält Ansprüche der nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 UWG Berechtigten für ganz ausgeschlossen; so wohl auch Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 30 Rn. 117 zu § 13 Abs. 2 UWG a.F. 486 Ohly, in: Piper/Ohly, UWG, Vor §§ 17–19, Rn. 5.
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III. Überindividuelle Interessen Bereits während der Arbeiten am ersten UWG wurde darauf hingewiesen, dass unlautere Handlungen keineswegs nur individuelle Beeinträchtigungen und entsprechende Schäden hervorrufen, sondern auch zu »Gemeinschäden« führen können, die mithilfe der seinerzeit bestehenden und geplanten Vorschriften und Sanktionen nur schwer in den Griff zu bekommen waren487. In der Denkschrift zum ersten Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs wird festgehalten, »daß der durch unlautere Geschäftspraktiken entstehende Schaden meistens über den Interessenkreis einzelner Gewerbetreibenden weit hinausgreift. Es sind Fälle zur Sprache gebracht, in denen die Veranstalter von Ausverkäufen durch schwindelhafte Vorspiegelungen für minderwerthige Waaren einen Absatz erzielt haben, der den Bedarf eines Ortes oder eines ganzen Bezirks auf Jahre hinaus deckte und für den entsprechenden Zeitraum die Thätigkeit aller übrigen in demselben Geschäftszweige arbeitenden Gewerbetreibenden nahezu lahm legte. Missbräuche dieser Art sind als gemeinschädlich zu bezeichnen«488.
Zwar ist der Ersatz von Kollektivschäden oder Gemeinschäden im Lauterkeitsrecht und generell im deutschen Recht nicht vorgesehen. Die Verletzung überindividueller Interessen kann aber als Wertungskriterium bei der Ermittlung des Anspruchsinhalts einfließen, ohne dass einerseits das dogmatische Fundament des Schadensrechts verlassen wird und andererseits die Interessen Dritter ausgeblendet werden. Ein solcher Mittelweg wird beschritten, indem die Wahrnehmung von überindividuellen Interessen durch den Geschädigten als Wertungskriterium bei der Schadensermittlung berücksichtigt wird. Hiernach können insbesondere Aufwendungen des Geschädigten als ersatzfähig angesehen werden, wenn sie den Interessen anderer Marktakteure dienen und diese Interessen durch das Lauterkeitsrecht geschützt werden. 1. Informationsinteressen Das Lauterkeitsrecht kann im Rahmen der Schadensermittlung Aufwendungen des Geschädigten berücksichtigen, die dazu beitragen, dass Fehlinformationen, die durch eine unlautere Handlung in Umlauf gelangt sind, durch aufklärende Maßnahmen im Interesse der betroffenen Marktakteure korrigiert werden. a) »Marktverwirrungsschäden« Dass Aufwendungen zur Korrektur von Fehlvorstellungen des Verkehrs als Schaden ersatzfähig sein können, ist in Rechtsprechung und Schrifttum weithin anerkannt. Die dahinter stehende Problematik wird überwiegend mit den eher 487 Alexander-Katz, in: Verhandlungen des Dreiundzwanzigsten Deutschen Juristentages, 1895, Band I, S. 127, 148. 488 Abgedruckt in: Verhandlungen des Dreiundzwanzigsten Deutschen Juristentages, 1895, S. 158, 165. Hervorhebung im Original.
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schillernden Schlagworten »Marktverwirrung« und »Marktverwirrungsschaden« gekennzeichnet489. Zum Teil ist auch – oft ohne begriffliche und inhaltliche Abgrenzung490 – von Ansehens- oder Diskreditierungsschäden die Rede. Teplitzky meint, die Rechtsprechung habe es sich mit der Konstruktion des »Marktverwirrungsschadens« in dogmatischer Hinsicht leicht gemacht und der Literatur seien die Bedenklichkeiten dieses ganz beiläufig und ohne nähere Begründung entwickelten Schadensbegriffs nur wenig aufgefallen491. Ähnlich konstatiert Ohly mit Blick auf Ruf- und Verwässerungsschäden, die dem Problemkreis der »Marktverwirrung« eng verwandt sind und häufig im gleichen Atemzug mit diesem genannt werden, der Ersatz dieser Art von Schäden habe bisher in der Literatur wenig Aufmerksamkeit gefunden und sei »von erheblicher Unklarheit umgeben«492. Die Rechtsprechung hat vielfach genauere Festlegungen vermieden und – zumal häufig allein auf Feststellung geklagt wurde – nur ausgesprochen, dass »Marktverwirrungsschäden« als ersatzfähige Schäden nach den konkreten Umständen des Einzelfalls in Betracht zu ziehen493 oder eher abzulehnen sind494. »Marktverwirrungsschäden« sind des Weiteren nur bei wettbewerbsbezogenen Rechtsverstößen ersatzfähig. Schadensersatz wegen einer »Marktverwirrung« ist demgegenüber im Urheberrecht ausgeschlossen495. In jüngeren Entscheidungen unterscheidet der BGH, im Anschluss an Teplitzky496, zwischen der »Marktverwirrung« als Störungszustand, dem mit Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen zu begegnen sei, und einer auf der »Marktverwirrung« beruhenden individuellen Schädigung des betroffenen Unternehmers497. Aus dem Zustand der »Marktverwirrung« könne sich ein individueller Schaden entwickeln, zu dessen Feststellung es des Vortrages der Vermögenseinbußen bedürfe, die auf die Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise zurückzuführen seien. Ein solcher Schaden könne auch in der Beeinträchtigung des Ansehens und damit des Absatzes der eigenen Ware zu sehen sein498. Der »Markverwirrungsschaden« hänge 489
Siehe nur: Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 9 Rn. 76 ff.; Koos, in: Fezer, UWG, § 9 Rn. 25; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 9 Rn. 112 f.; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 9 Rn. 1.30 ff.; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 9 Rn. 12; Schramm, GRUR 1974, 617 ff.; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 34 Rn. 5 ff. 490 Um Abgrenzung bemüht: Ohly, GRUR 2007, 926, 930. 491 Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 34 Rn. 10. 492 Ohly, GRUR 2007, 926. 493 BGH vom 24.4.1985, GRUR 1986, 93, 94 – Berufungssumme; BGH vom 10.5.1974, GRUR 1974, 735, 736 f. – Pharmamedan; BGH vom 21.2.1964, GRUR 1964, 392, 396 – Weizenkeimöl; BGH vom 25.6.1954, GRUR 1954, 457, 459 – Irus-Urus. 494 BGH vom 26.5.1988, GRUR 1988, 776, 779 – PPC; BGH vom 31.5.1957, GRUR 1957, 561, 564 – REI-Chemie. 495 BGH vom 22.9.1999, GRUR 2000, 226, 227 – Planungsmappe. 496 Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 34 Rn. 7. 497 BGH vom 17.5.2001, BGHZ 148, 26, 39 – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH vom 6.6.1991, GRUR 1991, 921, 923 – Sahnesiphon. 498 BGH vom 6.6.1991, GRUR 1991, 921, 923 – Sahnesiphon.
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maßgeblich von der Wirkung der Werbung auf die angesprochenen Verkehrskreise ab, wobei diese Wirkung ihrerseits unmittelbar durch Art und Inhalt der Werbung, durch ihren Zeitpunkt bzw. ihre Dauer bestimmt werde499. Dagegen seien die Kosten der Werbung des Verletzers kein geeignetes Kriterium zur Bemessung des »Marktverwirrungsschadens«500. Bei der Feststellung der Schadensersatzverpflichtung sei der Eintritt einer »Marktverwirrung« im Allgemeinen auch ohne Darlegung zu vermuten, wenn das unlautere Verhalten »einige Zeit lang öffentlich begangen worden ist«501. Nach Köhler ist als »Marktverwirrung« ein Zustand zu verstehen, »der objektiv geeignet ist, die geschäftlichen Entschlüsse von Marktpartnern (Abnehmer, Lieferanten, Banken usw.) zugunsten des Verletzers und zuungunsten seiner Mitbewerber zu beeinflussen. Hand in Hand damit geht eine Ansehensminderung von Mitbewerbern, soweit durch die unlautere Wettbewerbsmaßnahme deren wettbewerbliches Erscheinungsbild, wie es durch Firma, Warenzeichen, Marktanteil und andere Faktoren bestimmt wird, in ein falsches Bild gerückt wird«502. Ohly weist darauf hin, dass zwischen der Beeinträchtigung von Ruf und Kennzeichnungskraft und einem »Marktverwirrungsschaden« unterschieden werden müsse503. Soweit es allein um die Folgen der Beeinträchtigung des Rufs oder Kennzeichnungskraft gehe, sei der Begriff des »Marktverwirrungsschadens« aufzugeben504. Schramm versteht unter einem Marktverwirrungsschaden »alle unlauteren Wettbewerbstatbestände, durch welche der Markt, d.h. die Abnehmer, irregeführt werden«505. Dabei unterscheidet er weiter zwischen selbstständigen Marktverwirrungsschäden und unselbstständigen Marktverwirrungsschäden. Während die selbstständigen Marktverwirrungsschäden gewissermaßen direkt aus der rechtswidrigen Handlung resultieren, soll ein unselbstständiger Marktverwirrungsschaden bei Schäden vorliegen, die in Abhängigkeit von einer rechtswidrigen Haupthandlung eintreten506. b) Entwirrung der »Marktverwirrung« Nähere Auskunft über Ziel und Funktion der »Marktverwirrungsschäden« geben die genannten Definitionen kaum. Schadensrechtlich handelt es sich bei der »Marktverwirrung« offenbar um einen schwer erfassbaren und eher den Rechtsanwender verwirrenden Zustand.
499
BGH vom 12.2.1987, GRUR 1987, 364, 365 – Vier-Streifen-Schuh. BGH vom 12.2.1987, GRUR 1987, 364, 365 – Vier-Streifen-Schuh. 501 BGH vom 4.12.1968, GRUR 1969, 283, 286 – Schornsteinauskleidung; ähnlich großzügig für eine »Marktverwirrung« bei Markenverletzungen BGH vom 29.10.1998, GRUR 1999, 587, 590 – Cefallone. 502 Köhler, in: Großkommentar, UWG, Vor § 13 Rn. 313. 503 Ohly, GRUR 2007, 926, 930. 504 Ohly, GRUR 2007, 926, 931. 505 Schramm, GRUR 1974, 617, 618. 506 Schramm, GRUR 1974, 617, 618 mit Beispielen. 500
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aa) Fehlvorstellungen des Verkehrs Kritik verdient zunächst die nebulöse Terminologie. Die Begriffe »Marktverwirrung« und »Marktverwirrungsschaden« sind zwar anschaulich, führen jedoch in die Irre und sollten konsequent aufgegeben werden. Dass diese Vokabeln in Praxis und Lehre weithin Verbreitung und Anerkennung gefunden haben, dürfte mit ihrer vordergründigen Griffigkeit zu tun haben, die sich bei näherer Betrachtung freilich eher als hinderlich bei der Lösung der dahinter stehenden Sachfragen erweist. »Marktverwirrung« und »Marktverwirrungsschaden« sind suggestive Begriffe. Sie gaukeln Inhalte vor, die in Wahrheit nicht vorhanden sind und können – worin eine beträchtliche Gefahr liegt – ohne Offenlegung der zugrunde liegenden Wertungsmaßstäbe und Kriterien mit beliebigen Inhalten ausgefüllt werden. Sprachlich sind die Begriffe schon deswegen missglückt, weil der Markt als solcher weder verwirrt sein kann noch entwirrbar ist. Allenfalls können durch eine rechtswidrige Handlung Fehlvorstellungen507 bei den Marktakteuren, also den auf dem Markt und im Wettbewerb agierenden Subjekten, hervorgerufen werden. Bei der Problematik der »Marktverwirrung« geht es um solche, aus den Fehlvorstellungen des Verkehrs resultierende Schäden. Freilich wäre nichts gewonnen, wenn man einfach den Begriff »Marktverwirrungsschaden« gegen den sachlich zwar richtigeren, sprachlich aber gewiss nicht überzeugenderen Begriff »Fehlvorstellungsschaden« austauscht. Nur wenig weiter hilft es auch, wenn die durch die unlautere Handlung hervorgerufene Fehlvorstellung als Störungszustand gekennzeichnet wird, aus dem ein individueller Schaden erwachsen könne. Denn ob und welche aus dem Störungszustand der »Marktverwirrung« resultierenden Schäden sodann ersatzfähig sind und um welche Sachprobleme es geht, erschließt sich daraus gerade nicht. Entscheidend ist dagegen die Erkenntnis, dass die durch eine unlautere Handlung begründeten Fehlvorstellungen den maßgeblichen Anknüpfungspunkt für die schadensrechtliche Bewertung bilden. Diese Fehlvorstellungen beruhen auf unlauteren Handlungen, bei denen (auch) die Informations- und Entscheidungsgrundlage der angesprochenen Adressaten beeinträchtigt wird, etwa durch irreführende Werbung, durch unwahre, herabsetzende oder unsachliche Informationen oder durch das Hervorrufen von Täuschungen, Verwechslungen oder dergleichen. Die schadensrechtliche Problematik kann damit über das Lauterkeitsrecht hinaus beispielsweise auch im Markenrecht auftreten, etwa in den Fällen von §§ 14 Abs. 2 Nr. 3; 15 Abs. 2 und Abs. 3 MarkenG508. Die Besonderheit dieser Schäden und die zentrale Schwierigkeit ihrer rechtlichen Erfassbarkeit bestehen darin, dass der Schaden nicht unmittelbar aus der Verletzung der geschützten Rechtsposition resultiert. In einem solchen Fall könnte anhand einer Bewertung der Rechtsposition, des Wertes ihrer Nutzung,
507
Koos, in: Fezer, UWG, § 9 Rn. 25; ähnlich Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 9 Rn. 112: »diffuse Desinformation der Marktteilnehmer«. 508 Eingehend dazu Ohly, GRUR 2007, 926 ff.
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anhand der Kosten ihrer Wiederherstellung usw. die Schadenshöhe genau ermittelt und beziffert werden. Schwieriger liegt es bei den hier interessierenden Schäden, die infolge hervorgerufener Fehlvorstellungen eintreten. Behauptet ein Unternehmer über seinen Konkurrenten fälschlich, dieser sei nicht mehr kreditwürdig oder verkaufe unsichere Produkte, dann entsteht im Hinblick auf die jeweilige Behauptung eine Fehlvorstellung bei den Adressaten. Aufgrund deren (Fehl-)Einschätzung der Sachlage entsteht bei dem Opfer der Behauptungen ein Schaden, indem sein Ansehen, sein »guter Ruf«, beeinträchtigt wird. bb) Ansehensminderung und Aufwendungen im überindividuellen Interesse Schadensrechtlich müssen zwei Sachfragen klar auseinandergehalten werden. Soweit es um Schäden geht, die in einer Ansehensminderung, der Beeinträchtigung oder Verwässerung des »guten Rufes« bestehen, stehen allein Individualinteressen des betroffenen Unternehmers im Raum. Eine differenzierte Betrachtung erfordern dagegen Maßnahmen, die auf eine Korrektur der Fehlvorstellungen des Verkehrs zielen. Zwar geht es auch bei diesen Kosten um Aufwendungen des Geschädigten und damit um individuelle Einbußen. Jedoch setzt die Anerkennung solcher Kosten als Schäden voraus, dass deren Ersatz vom Sanktionszweck des lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzes gedeckt ist. Die schadensrechtliche Beurteilung darf daher nicht erst bei den Kosten ansetzen, sondern die Aufmerksamkeit muss den Maßnahmen gelten, aufgrund derer die Kosten entstehen. Bemüht sich der Geschädigte um Aufklärung von Fehlinformationen, dann zielen diese Maßnahmen auf die Behebung der Fehlvorstellung selbst; sie packen also gleichsam das lauterkeitsrechtliche Übel an der Wurzel. Die Aufklärung betrifft naturgemäß nicht direkt den Geschädigten, sondern sie zielt auf die Adressaten der Fehlinformation und befriedigt damit ein überindividuelles Informationsinteresse509. Idealerweise entsteht dabei für den Geschädigten wieder eine Rückwirkung. Durch die Korrektur der Fehlvorstellung des Verkehrs entfällt die gedankliche Grundlage für die Diskreditierung. Dann ist – bezogen auf den einzelnen Unternehmer – noch zu fragen, ob trotz der Aufklärung eine Art »merkantiler Minderwert« verbleibt510, der als Schaden ersatzfähig wäre. Dass die Beseitigung von Fehlvorstellungen des Verkehrs keineswegs nur im Interesse des geschädigten Unternehmers liegt, sondern ein überindividuelles Informationsinteresse betrifft, wird von der Rechtsprechung seit langem anerkannt. Beispielsweise weist der BGH in der Alkoholtest-Entscheidung ausdrücklich darauf hin, es entspreche der Verbrauchererwartung, dass der Hersteller über seine Ware durch Werbeanzeigen informiere. 509 In die gleiche Richtung zielen die Überlegungen von Mertens, ZHR 139 (1975), 438, 452 hinsichtlich einer direkten Verpflichtung zur Aufklärung durch »corrective advertising«. 510 Die rechtliche Parallele zwischen der verbleibenden Ansehensminderung und dem »merkantilen Minderwert« geht zurück auf Köhler, in: Großkommentar, UWG, Vor § 13 Rn. 318; dem zustimmend Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 34 Rn. 10 und Ohly, GRUR 2007, 926, 931 Fn. 84.
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Die Alkoholtest-Entscheidung betraf eine medienrechtliche Konstellation der Pressehaftung für eine unzutreffende Berichterstattung über Waren. In der BILD-Zeitung wurde ein Artikel mit einem Bericht veröffentlicht, wonach bei Anwendung der alkoholhaltigen Zahnpasta der Klägerin für Nutzer die Gefahr bestehe, bei einem »Puste-Test« der Polizei als Alkoholsünder angesehen zu werden und dadurch womöglich den Führerschein zu verlieren. In Anknüpfung an seine Rechtsprechung bei der Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Medien511 übernahm der BGH die dort geltenden Grundsätze für die im Fall vorliegende »geschäftsehrverletzende« Berichterstattung durch Medien512. Im Weiteren bestätigte der BGH diese Grundsätze513 und übernahm diese für das Lauterkeitsrecht514. Die Erwartung der Verbraucher rechtfertigt es nach Ansicht des BGH, dem Hersteller bei Verbreitung unzutreffender Informationen über seine Ware auch die Möglichkeit einzuräumen, eine berichtigende Darstellung in publikumswirksame Aufmachung zu gestatten und entsprechende Kosten ersetzt zu verlangen515. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass geschäftliche Tätigkeit eine stetige Kommunikation und Interaktion zwischen den Marktakteuren voraussetzt, die nicht nur die »Erstversorgung« mit Informationen umfasst, sondern auch die Bereitstellung von weiteren (insbesondere korrigierenden) Informationen516. Wenn das Lauterkeitsrecht das Interesse an sachlich zutreffenden und nützlichen Informationen schützt, dann ist dieses Informationsinteresse nicht weniger, sondern sogar noch mehr schützenswert, wenn Fehlinformationen bereits verbreitet wurden und die Entscheidungsgrundlage gefährdet ist.
Gegen die Unterscheidung verschiedener schadensrechtlicher Aspekte könnte man einwenden, dass es sich letztlich nur um zwei Seiten derselben Medaille handelt, die Aufklärung von Fehlvorstellungen des Verkehrs also nicht (oder allenfalls reflexhaft) überindividuellen Interessen dient, sondern letztlich allein dem Geschädigten. Dagegen ist jedoch zu sagen, dass es ungereimt wäre, wenn zur Haftungsbegründung überindividuellen Informationsinteressen entscheidendes Gewicht beigemessen würde, während diesen Interessen bei der Haftungsausfüllung keine Bedeutung zukäme. Dieser Einwand hätte gleichwohl kein Gewicht, wenn das Interesse an einer Korrektur von Fehlvorstellungen inhaltlich stets deckungsgleich mit dem Interesse des Geschädigten an der Wiederherstellung seiner vor Schädigung bestehenden Reputation wäre. Dass eine solche Deckungsgleichheit aber nicht zwingend bestehen muss, wird anhand der PharmamedanEntscheidung517 deutlich. Die Entscheidung erging zu § 16 UWG a.F., der dem Schutz von geschäftlichen Bezeichnungen diente. Nach heutiger Rechtslage wäre 511
BGH vom 6.4.1976, BGHZ 66, 182, 191 ff. – PANORAMA/Der Fall Bittenbinder. BGH vom 15.11.1977, BGHZ 70, 39, 43 – Alkoholtest. 513 BGH vom 3.12.1985, GRUR 1986, 330, 332 – Warentest III; BGH vom 6.4.1979, GRUR 1979, 804, 805 f. – Falschmeldung. 514 BGH vom 26.4.1990, GRUR 1990, 1012, 1015 – Pressehaftung I; BGH vom 4.3.1982, GRUR 1982, 489, 490 – Korrekturflüssigkeit. 515 BGH vom 15.11.1977, BGHZ 70, 39, 43 – Alkoholtest. 516 Eine vergleichbare Wertung liegt auch § 434 Abs. 1 S. 3 BGB zugrunde, wonach ein Verkäufer für öffentliche Äußerungen nicht haftet, wenn diese im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in gleichwertiger Weise berichtigt waren. 517 BGH vom 10.5.1974, GRUR 1974, 735 ff. – Pharmamedan. 512
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der Fall nach Markenrecht zu lösen, doch ändert dies an der schadensrechtlichen Fragestellung nichts: Die Klägerin war Inhaberin des eingetragenen Warenzeichens »Pharmamedan« und sie verwendete diese Bezeichnung auch in ihrer Firma. Die Beklagte trat im geschäftlichen Verkehr unter der verwechslungsfähigen Firma »Pharmamed« auf. In einem Fachzeitschriftenartikel wurde vor bestimmten Medikamenten gewarnt. Dabei wurde die Beklagte namentlich genannt. Die Klägerin machte unter anderem auch Schadensersatz – geklagt wurde insoweit jedoch nur auf Feststellung der Schadensersatzpflicht – geltend, weil durch die verwechslungsfähige Firma der Beklagten der Eindruck entstehen konnte, es werde vor den Medikamenten der Klägerin gewarnt. Der BGH hielt die Entstehung einer »Marktverwirrung« und eines daraus resultierenden Schadens für wahrscheinlich518. Die Annahme einer Marktverwirrung liege nahe, wenn Firmen, die gleiche Waren (Arzneimittel) vertreiben, verwechselt werden könnten. Daher sei ein Schaden wahrscheinlich. Die Wahrscheinlichkeit eines Schadens werde im konkreten Fall noch erhöht, weil öffentlich Kritik an den von der Beklagten vertriebenen Arzneimitteln unter Nennung des Namens der Beklagten geübt wurde. Wenn Kritik an dem Vertrieb und dem vertreibenden Unternehmen geäußert werde, dann entspreche es allgemeiner Erfahrung, dass von den vertriebenen Waren auch auf die Zuverlässigkeit des vertreibenden Unternehmens geschlossen werde. Das wiederum habe Einfluss auf das Vertrauen oder Misstrauen in die von einem solchen Unternehmen künftig angebotenen Waren. Den schadensrechtlich ersten Anknüpfungspunkt bildet der »gute Ruf« der Klägerin. Infolge der verwechslungsfähigen Firma der Beklagten bestand die Gefahr, dass insbesondere durch die kritische Berichterstattung in den Medien das Ansehen der Klägerin nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen wird. Kommt es infolge der durch die unlautere Handlung hervorgerufenen Fehlvorstellungen im Verkehr, dann kann dies eine Beeinträchtigung des Ansehens des Unternehmens zur Folge haben. Den zweiten schadensrechtlichen Aspekt bilden nun diejenigen Maßnahmen, die darauf abzielen, die eingetretene Fehlvorstellung des Verkehrs zu beseitigen. Die besondere Gefährlichkeit von Fehlinformationen besteht gerade darin, dass sich einmal in Umlauf gebrachte Informationen sozusagen in den Köpfen der Informationsrezipienten festsetzen und dann – bewusst oder unbewusst – künftige Entscheidungen beeinflussen. Selbst wenn die fehlerhafte Information nicht weiter verbreitet und sogar korrigiert wird, bleibt es möglich, dass die ursprüngliche Information fortwirkt, weil Informationen, die der Empfänger in zeitlich gestufter Abfolge aufnimmt, unterschiedlich verarbeitet und berücksichtigt werden. Die Nachfrager der Medikamente konnten im Pharmamedan-Fall nicht nur einer Fehlvorstellung über die Unternehmen und die jeweils vertriebenen Produkte unterliegen, sondern vor allem stand ein Interesse im Raum, darüber informiert zu werden, von welchen Arzneimitteln möglicherweise gesundheitliche Gefahren ausgehen. Gerade durch die kritische Berichterstattung konnte bei den Nachfragern der Medikamente Ungewissheit darüber entstehen, ob unwirksame, unsichere und möglicherweise gesundheitsschädliche Arzneimittel durch die Klägerin verbreitet werden. Es lag daher im Interesse der angesprochenen Werbeadressaten, dass sie durch Gegenwerbung oder durch andere geeignete Aufklärungsmaßnahmen darüber aufgeklärt werden, welchen Arzneimitteln sie aus ärztlicher Sicht vertrauen dürfen. 518
BGH vom 10.5.1974, GRUR 1974, 735, 736 – Pharmamedan.
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Man kann gegen eine Unterscheidung zwischen dem Schaden durch Ansehensminderung den Kosten für Korrekturmaßnahmen nicht einwenden, dass die Aufwendungen zur Korrektur der Fehlvorstellung des Verkehrs letztlich nur die Höhe der Diskreditierung zum Ausdruck. Bei einer solchen Gleichsetzung würde übersehen, dass die Kosten für die Bereitstellung von Informationen, gleichgültig, ob es sich um neue oder korrigierende Informationen handelt, keineswegs identisch mit dem Nutzen dieser Informationen sind, mithin über deren tatsächliche Wirkung nichts aussagen. Die Rechtsprechung hat deswegen zu Recht die Anwendung eines Erfahrungssatzes abgelehnt, wonach die Höhe der von einem Unternehmer aufgewendeten Kosten einen Anhaltspunkt für seine eigene Einschätzung der Werbewirkung gebe, da nach der Lebenserfahrung anzunehmen sei, dass der Unternehmer mindestens die für die Werbung aufgewendeten Kosten wieder einbringen wolle, und dass dies im Regelfall auch gelinge519. Ebenso wenig darf dann aber einfach unterstellt werden, dass die Kosten, die für eine Korrektur von Fehlinformationen erforderlich sind, genau der Wertminderung des Unternehmens, seiner Firma, seiner Kennzeichen usw. entsprechen. Ob das Ansehen durch eine Korrektur der unlauteren Fehlinformationen wiederhergestellt wird, hängt nicht allein von den Kosten der Informationsbereitstellung ab, sondern darüber hinaus von vielen weiteren ungewissen Faktoren, etwa der Frage, wie diese Informationen von den Empfängern wahrgenommen und verarbeitet werden. Diese Problematik ist letztlich nichts anderes als eine Abwandlung der »Gretchenfrage des Marketings«, nämlich der Frage nach der Wirksamkeit und Effektivität von Werbung überhaupt520. Eine Kostengleichsetzung liefe jedenfalls auf eine realitätsfremde Schadensfiktion hinaus. Damit ist festzuhalten, dass Maßnahmen zur Richtigstellung von irreführenden Informationen nicht nur dem Individualinteresse des betroffenen Unternehmens dienen, sondern auch anderen Marktakteuren zugutekommen können. Indem die für aufklärende Maßnahmen aufzuwendenden Kosten als ersatzfähige Schäden anerkannt werden, wird in Übereinstimmung mit den materiellrechtlichen Schutzzwecken des Lauterkeitsrechts bei der Haftungsausfüllung anerkannt, dass der vom Verletzer zu leistende Schadensersatz auch der Verwirklichung des Schutzes der Entscheidungsgrundlage der Marktakteure und damit einem durch das UWG geschützten überindividuellen Interesse dienen kann. Dieser Schutz ist nicht als bloßer Reflex zu begreifen, sondern ein eigenständiges Ziel des Ersatzes von Aufwendungen zur Korrektur von Fehlinformationen, um die entstandene Fehlvorstellung des Verkehrs wirksam zu beseitigen. Das Individualinteresse des Geschädigten und das überindividuelle Informationsinteresse stehen dabei als prinzipiell gleichrangige Aspekte nebeneinander. Wie die Berücksichtigung schadensrechtlich umzusetzen ist, ist eine davon zu trennende und im Folgenden näher zu untersuchende Frage.
519 520
BGH vom 12.2.1987, GRUR 1988, 364, 365 – Vier-Streifen-Schuh. Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 2 Rn. 76.
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c) Folgefragen aa) Schadensrechtliche Einordnung Der BGH sieht in den Kosten zur Beseitigung von Fehlvorstellungen separate Schadensposten, die der Schadensverhütung oder Schadensminderung im Sinne von § 254 Abs. 2 BGB dienen521. Dabei wird ausdrücklich Bezug auf die Rechtsprechung zur Ersatzfähigkeit von Vorsorgekosten genommen, zu denen etwa die Kosten für die Bereithaltung von Reservefahrzeugen gehören, die im Schadensfalle eingesetzt werden können und dem Schädiger höhere Kosten für die Heranschaffung und Benutzung von Mietfahrzeugen ersparen522. Der Obliegenheit des Geschädigten zur Schadensminderung bzw. Schadensabwendung stehe die Pflicht des Schädigers gegenüber, dem Geschädigten den Aufwand für die entsprechenden Maßnahmen zu ersetzen523. Aufmerksamkeit verdient dabei, dass in diesem Zusammenhang der Bogen zur GEMA-Rechtsprechung geschlagen wird524. Verbreitet wird eine analoge Anwendung von § 249 Abs. 2 BGB erwogen525. Eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke besteht, weil § 251 BGB nicht eingreift. Denn § 251 und § 249 BGB beruhen jeweils auf unterschiedlichen schadensrechtlichen Anknüpfungspunkten und dienen dem Schutz unterschiedlicher Interessen. § 249 BGB schützt das Herstellungsinteresse (Integritätsinteresse), während § 251 BGB auf den Schutz der Vermögensintegrität, also das Wert- oder Summeninteresse gerichtet ist526. Auf Maßnahmen, die (auch) einem überindividuellen Informationsinteresse dienen, sind beide schadensrechtliche Kategorien nicht zugeschnitten. Doch steht das Informationsinteresse dem von § 249 BGB geschützten Integritätsinteresses des Geschädigten sehr nahe, sodass die Lösung der damit verbundenen schadensrechtlichen Fragen über diese Vorschrift, nicht dagegen über § 251 BGB zu suchen ist. Für eine Analogie spricht des Weiteren die Ähnlichkeit der Interessenlage mit den gesetzlich geregelten Fällen. § 249 Abs. 2 BGB will eine dem Geschädigten unzumutbare »Wiederherstellung« durch den Schädiger ersparen527. Eine solche Unzumutbarkeit ist auch dann anzunehmen, wenn es um die Diskreditierung 521 BGH vom 15.11.1977, BGHZ 70, 39, 42 ff. – Alkoholtest; offen gelassen wurde diese Frage dagegen von BGH vom 6.4.1976, BGHZ 66, 182, 192 – PANORAMA/Der Fall Bittenbinder und BGH vom 6.4.1979, GRUR 1979, 804, 805 – Falschmeldung. 522 BGH vom 15.11.1977, BGHZ 70, 39, 44 – Alkoholtest mit Hinweis auf BGH vom 10.5.1960, BGHZ 32, 280, 284 ff. 523 BGH vom 10.5.1960, BGHZ 32, 280, 285. 524 BGH vom 10.5.1960, BGHZ 32, 280, 286 mit Hinweis auf den »ähnlichen Rechtsgedanken« aus BGH vom 24.6.1955, BGHZ 17, 376, 383 – GEMA. 525 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 9 Rn. 1.28; ders. in: Großkommentar, UWG, Vor § 13 Rn. 298 für § 249 S. 2 BGB a.F.; Ohly, GRUR 2007, 926, 931. Zurückhaltend Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 9 Rn. 67: Für eine Analogie bestehe nur »begrenzt Anlass«. 526 Zum Verhältnis von § 249 und § 251 BGB eingehend Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 249 Rn. 210 ff. 527 Siehe nur Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 5 IV 2, S. 226.
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des Unternehmers – sei es persönlich, sei es geschäftlich – geht528. Entscheidend ist allerdings nicht, dass die Vorstellung, wonach der Geschädigte den Verletzer zur eigenverantwortlichen Durchführung etwa einer korrigierenden Werbekampagne auffordere und damit den Bock zum Gärtner mache, ans Absurde grenze529. Denn ganz so absurd ist der Gedanke nicht. Wenn ein Schädiger in der Öffentlichkeit beispielsweise eine Falschaussage einräumen und seine frühere Behauptung revidieren muss, kann dies unter Umständen eine wirkungsvolle Aufklärung darstellen530 und zugleich für den Verletzer eine sehr schmerzhafte (da dem Ansehen nicht gerade förderliche) Erfahrung sein531. Zielführender ist aber die Überlegung, dass es demjenigen, über den auf unlautere Weise Fehlinformationen verbreitet wurden, möglich sein muss, sich in eigener Sache und im Interesse der fehlinformierten Adressaten zeitnah und öffentlich »zu Wort zu melden«. Dies entspricht nicht nur dem Eigeninteresse des Geschädigten, sondern vor allem der Verkehrserwartung532. Unzumutbar ist daher nicht in jedem Fall die Richtigstellung von Fehlinformationen durch den Schädiger, sondern die infolge langwieriger Prozesse drohende zeitliche Verzögerung533. Aufklärungsmaßnahmen sind sinnvoll, wenn und solange die »Fehlinformation« noch im Gedächtnis der Empfänger präsent ist. Je mehr Zeit zwischen der schädigenden Handlung und der Korrektur verstreicht, desto größer ist die Gefahr, dass die Aufklärungsmaßnahmen wirkungslos verpuffen. Umgekehrt ist, abgesehen von einem Schutz vor unverhältnismäßigen Schadenskosten, kein schützenswertes Interesse des Schädigers ersichtlich, Aufklärungsmaßnahmen im Wettbewerb selbst vorzunehmen. Grundsätzlich darf der Geschädigte keine unverhältnismäßigen Kosten zur Beseitigung von Fehlvorstellungen aufwenden. Denn generell richtet sich die Grenze für Geldersatz – unabhängig davon, ob dieser nun in direkter oder analoger Anwendung auf § 249 Abs. 2 BGB, auf §§ 251 oder 254 BGB gestützt wird – danach, ob es sich um Maßnahmen handelt, die ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Mensch nach den Umständen des Falles zur Beseitigung der Störung oder zur Schadensverhütung nicht nur als zweckmäßig, sondern als erforderlich ergriffen haben würde. Dabei ist auf den Zeitpunkt, zu dem die Maßnahme zu treffen war, abzustellen, insbesondere auf das zu diesem Zeitpunkt Mögliche und Zumutbare534. In § 249 Abs. 2 BGB ist mit der Erforderlichkeit und in § 251 528 Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 5 IV 1, S. 225; Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 249 Rn. 271. 529 So aber Ohly, GRUR 2007, 926, 930. 530 Allerdings ist durchaus möglich, dass der Schädiger infolge seiner früheren Behauptungen massiv an Glaubwürdigkeit verloren hat, eine korrigierte Information von ihm eher skeptisch aufgenommen wird und deswegen der erhoffte Aufklärungseffekt ausbleibt; schon der Volksmund weiß: »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht …«. 531 Mertens, ZHR 139 (1975), 438, 452 f. 532 Vgl. BGH vom 15.11.1977, BGHZ 70, 39, 42 – Alkoholtest. 533 Diesen Aspekt betont BGH vom 3.12.1985, GRUR 1986, 330, 332 – Warentest III. 534 St. Rspr. siehe nur BGH vom 6.4.1979, GRUR 1979, 804, 805 – Falschmeldung; BGH vom 6.4.1976, BGHZ 66, 182, 192 – PANORAMA/Der Fall Bittenbinder m.w.Nachw.
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Abs. 2 BGB ist mit der Verhältnismäßigkeit eine allgemeine Obergrenze der Erstattungspflicht gesetzlich angesprochen. Überdies gilt der allgemeine – im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnde – Grundsatz, dass die Kosten von schadensmindernden und schadensverhindernden Maßnahmen im Verhältnis zu den Nachteilen, die ausgeräumt oder denen vorgebeugt werden sollen, nicht unverhältnismäßig hoch sein dürfen535. bb) Umfang und Grenzen der Ersatzfähigkeit von Kosten für Aufklärungsmaßnahmen Bilden die überindividuellen Informationsinteressen ein eigenständiges schadensrechtliches Wertungskriterium, so ergeben sich daraus für die Rechtsanwendung wichtige Konsequenzen. Insbesondere können als Schaden nur Aufwendungen für Maßnahmen ersatzfähig sein, die den Marktakteuren realiter zugutekommen, mit denen also das lauterkeitsrechtlich geschützte Informationsinteresse befriedigt wird. Der Geschädigte kann daher nur Kosten ersetzt verlangen, die er tatsächlich zur Aufklärung des Verkehrs verwendet hat. Daher sind fiktive Kosten zur Korrektur von Fehlinformationen als Schaden grundsätzlich nicht ersatzfähig536. Das liegt im Ergebnis ganz auf die Linie der Rechtsprechung. Der BGH argumentiert mit der »dogmatischen Bedenklichkeit« einer Schadensberechnung auf der Grundlage fiktiver Kosten und begründet die Nichtersatzfähigkeit solcher Kosten mit dem Grundsatz, dass der eingetretene Schaden konkret zu berechnen sei und demzufolge eine gemäß § 287 ZPO vorzunehmende Schadensschätzung auf konkrete, nicht aber auf nur fiktive Schäden abzustellen habe537. Der Verweis auf § 287 ZPO ist allerdings nicht recht überzeugend, weil diese Vorschrift über die Art der ersatzfähigen Schäden nichts aussagt, sondern allein die Schadensschätzung durch den Richter betrifft. Ob fiktive Kosten ersatzfähig sind, kann sich allein aus den §§ 249 ff. BGB zugrunde liegenden Maßstäben ergeben und dort ist ein Ersatz fiktiver Kosten keineswegs ausgeschlossen538. Fiktive Aufklärungskosten sind gleichwohl nicht ersatzfähig539. Denn dem Informationsinteresse der Marktakteure ist mit der bloßen Möglichkeit zur Aufklärung nicht gedient. Ginge es, wie bei den fiktiven Reparaturkosten für eine beschädigte Sache, allein um Individualinteressen des Geschädigten, wäre es durchaus folgerichtig,
535 BGH vom 6.4.1976, BGHZ 66, 182, 193 – PANORAMA/Der Fall Bittenbinder m.w.Nachw. 536 Im Ergebnis ebenso Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 9 Rn. 83; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 9 Rn. 1.33; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 34 Rn. 11; differenzierend noch Köhler, in: Großkommentar, UWG, Vor § 13 Rn. 317. Anders Leisse/Traub, GRUR 1980, 1, 8 f. und Leisse, GRUR 1988, 88, 90 f. 537 BGH vom 4.3.1982, GRUR 1982, 489, 491 – Korrekturflüssigkeit. 538 Darauf wird von Leisse/Traub, GRUR 1980, 1, 8 und Leisse, GRUR 1988, 88, 91 völlig zu Recht hin gewiesen. Z.B. sind fiktive Reparaturkosten ersatzfähig, siehe nur BGH vom 15.2.2005, NJW 2005, 1108, 1109 m.w.Nachw. und den Überblick bei Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 249 Rn. 225 ff. m.w.Nachw. 539 Anders Leisse/Traub, GRUR 1980, 1, 8 f.; Leisse, GRUR 1988, 88, 90 f.
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fiktive Aufklärungskosten für ersatzfähig zu halten540. Es läge allein in der geschützten Dispositionsfreiheit des Geschädigten, ob er Maßnahmen zur Aufklärung betreibt oder nicht, ebenso wie er frei darüber entscheiden kann, ob er eine beschädigte Sache repariert oder nicht. Anerkennt man dagegen die Aufklärung als Maßnahme, die (zumindest auch) im überindividuellen Informationsinteresse liegt, dann muss neben der Dispositionsfreiheit des Geschädigten konsequenterweise berücksichtigt werden, ob die Fehlvorstellungen des Verkehrs bekämpft werden. Der Geschädigte kann frei darüber entscheiden, ob er durch eigenen Einsatz im überindividuellen Informationsinteresse tätig wird und Aufklärungsmaßnahmen ergreift. Er muss dies nicht wollen und braucht sich dessen nicht einmal bewusst zu sein. Es genügt, wenn er die Maßnahmen tatsächlich ergreift. Da es aber bei den Kosten für die Aufklärung nicht allein um einen individuellen Schutz der Interessen des Geschädigten, sondern darüber hinaus um die Berücksichtigung der Interessen Dritter geht, ist die Dispositionsfreiheit des Geschädigten nur insoweit relevant, als es um dessen Entscheidung geht, ob er auch im überindividuellen Interesse tätig wird und Aufklärungsmaßnahmen ergreift. Ebenso wenig wie ein Unternehmer dazu verpflichtet ist, überhaupt gegen die unlautere Handlung eines anderen Unternehmens vorzugehen, besteht eine Pflicht, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen. Das gilt selbst dann, wenn – wie im Pharmamedan-Beispiel – aufgrund möglicherweise drohender Gesundheitsrisiken ein besonders starkes Informationsinteresse der Nachfrager besteht. Nur wenn sich der Geschädigte dafür entscheidet, tatsächlich Aufklärungsmaßnahmen zu ergreifen, vermag dieses Vorgehen eine schadensrechtliche Anerkennung der entstehenden Kosten zu begründen. Dagegen bilden weder der »gute Wille« noch die latent vorhandene Möglichkeit zur Vornahme von Aufklärungshandlungen für sich genommen tragfähige Gründe für die Anerkennung eines ersatzfähigen Schadens. Vereinzelt wird die Ersatzfähigkeit fiktiver Kosten zur Aufklärung als Mindestbetrag des entgangenen Gewinns bejaht541. Der entgangene Gewinn könne in einem mathematischen Sinne als Funktion der tatsächlich aufgewandten Marktentwirrungskosten angesehen werden. Er sei die abhängige Variable der Marktentwirrungsbemühungen, ihres sich in Kosten ausdrückenden erforderlichen Umfangs und ihres Zeitpunktes um so größer, je geringer sie gegenüber dem erforderlichen Maße waren und je später sie einsetzten, gleich null, wenn sie sofort und in dem Maße vorgenommen wurden, das zur Beseitigung des Störungszustandes erforderlich war542. Hiergegen spricht allerdings schon, dass auf diese Weise völlig verschiedene Schadensposten gewissermaßen in einen Topf geworfen werden und zudem der nicht existente Erfahrungssatz zugrunde gelegt wird, 540 Deswegen konsequent Leisse/Traub, GRUR 1980, 1, 8 f.; Leisse, GRUR 1988, 88, 90 f., die allein auf das Individualinteresse des Geschädigten abstellen. 541 Leisse/Traub, GRUR 1980, 1, 8 f. 542 Leisse/Traub, GRUR 1980, 1, 8.
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dass die Kosten für Informationen durch einen Unternehmer stets als Gewinn »hereingeholt« werden543. Ebenso wenig wie man einen solchen Erfahrungssatz anwenden kann, darf man umgekehrt davon ausgehen, dass dem Geschädigten jedenfalls Gewinn in der Höhe der Kosten entgangen ist, die er (fiktiv) zur Aufklärung der Fehlvorstellungen aufgebracht hätte. Die konkret ersatzfähigen Kosten richten sich danach, welche Maßnahmen nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zur Aufklärung des Verkehrs erforderlich sind, insbesondere nach der Schwere des Verstoßes, seinen Auswirkungen544 und unter Berücksichtigung der Interessen des Schädigers und des Geschädigten545. Auszugehen ist dabei von dem schadensrechtlichen Wirtschaftlichkeitspostulat. Dieses erfordert beispielsweise, dass der Geschädigte zunächst versucht, die Aufklärung in Form einer Gegendarstellung vorzunehmen546. Im Lauterkeitsrecht ist zu berücksichtigen, ob Aufklärung durch eine Urteilsveröffentlichung nach § 12 Abs. 3 UWG in Betracht kommt547. Sofern diese Wege nicht beschritten werden können oder zur Aufklärung nicht genügend sind, dürfen vom Geschädigten weitere Maßnahmen – etwa in Form von »Gegenanzeigen« oder »Gegenwerbung«548 – ergriffen werden, deren Kosten er vom Schädiger ersetzt verlangen kann. Die Rechtsprechung bemüht sich um eine sehr ausdifferenzierte Vorgehensweise. Der Geschädigte dürfe »selbstverständlich« nicht schon den Umstand, dass seine Ware ins Gerede gebracht worden sei, zum Anlass nehmen, einen Teil seines Werbeetats, sozusagen als Mindestschaden, einfach auf den Schädiger abzuwälzen549. Anderes könne aber dann gelten, wenn das Produkt als Folge der öffentlichen Behauptung ein »negatives Image« erhalten habe, das auf der Ebene rationaler Argumente erfahrungsgemäß nicht mehr zu berichtigen sei, sodass der Geschädigte eine »positive« Werbung für erforderlich halten dürfe550. Des Weiteren betont die Rechtsprechung, dass die Aufklärungsmaßnahmen einen Bezug zur unlauteren Handlung aufweisen müssen. Aufwendungen für Werbemaßnahmen allgemeiner Natur seien demgegenüber nicht, nicht einmal anteilig ersatzfähig, selbst wenn sie geeignet erscheinen, die schädlichen Wirkungen der Verletzungshandlung auszugleichen551. Lediglich ausnahmsweise könne auf diesen Be543
Vgl. BGH vom 12.2.1987, GRUR 1988, 364, 365 – Vier-Streifen-Schuh. BGH vom 26.4.1990, GRUR 1990, 1012, 1015 – Pressehaftung I; BGH vom 3.12.1985, GRUR 1986, 330, 332 – Warentest III. 545 BGH vom 15.11.1977, BGHZ 70, 39, 43 – Alkoholtest. 546 BGH vom 6.4.1979, GRUR 1979, 804, 805 – Falschmeldung; BGH vom 3.12.1985, GRUR 1986, 330, 332 – Warentest III; BGH vom 15.11.1977, BGHZ 70, 39, 42 – Alkoholtest. 547 Vgl. BGH vom 31.5.1957, GRUR 1957, 561, 564 – REI-Chemie. Zu beachten ist dabei, dass eine Urteilsveröffentlichung, im Gegensatz zur Gegendarstellung, nur beantragt, nicht aber beansprucht werden kann. 548 BGH vom 26.4.1990, GRUR 1990, 1012, 1015 – Pressehaftung I; BGH vom 3.12.1985, GRUR 1986, 330, 332 – Warentest III. 549 BGH vom 15.11.1977, BGHZ 70, 39, 45 – Alkoholtest. 550 BGH vom 15.11.1977, BGHZ 70, 39, 45 – Alkoholtest. 551 BGH vom 4.3.1982, GRUR 1982, 489, 490 – Korrekturflüssigkeit. 544
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zug verzichtet werden, wenn eine Richtigstellung schädigender Äußerungen auf der Ebene rationaler Argumente nicht mehr möglich sei552. cc) Parallelität medienrechtlicher und lauterkeitsrechtlicher Wertungen? Wie die Bezugnahme auf die Entscheidungen Alkoholtest und Falschmeldung in dem Korrekturflüssigkeit-Urteil verdeutlicht553, übernimmt der BGH für das Lauterkeitsrecht ohne wesentliche Modifikationen die schadensrechtlichen Maßstäbe, die anhand medienrechtlicher Sachverhalte entwickelt wurden. In diesem Zusammenhang ist in Erinnerung zu rufen, dass das Alkoholtest-Urteil seinerseits auf Grundsätzen aufbaut, die in einem Fall der Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch Medien entwickelt wurden554. Im Schrifttum wird die Parallelität der Wertungen und Vorgehensweisen zumeist nicht besonders hervorgehoben, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt. Die zu § 824 BGB ergangenen Entscheidungen werden für § 9 S. 1 UWG herangezogen555. Indessen ist keineswegs selbstverständlich, dass die unzutreffende Berichterstattung durch Medien dem Hervorrufen von Fehlvorstellungen durch unlautere Handlungen ohne Weiteres in jeder Hinsicht gleichzustellen und auf Sanktionsebene gleich zu behandeln ist. Dafür spricht zwar, dass in beiden Fällen bei den Adressaten Fehlvorstellungen geweckt werden. Man darf aber nicht außer Acht lassen, dass das Lauterkeitsrecht vielfach bewusst strengere Maßstäbe an die Beurteilung von Handlungen anlegt als das Medienrecht556. Diese besonderen Maßstäbe folgen aus der besonderen Stellung von Medien, die in Art. 5 Abs. 1 GG und – soweit es um gemeinschaftsrechtliche Einflüsse geht – Art. 10 EMRK557 ihre Grundlage findet. Unternehmer unterliegen im Rahmen werbender Tätigkeit bekanntlich auch dem Schutz der Meinungsfreiheit558, jedoch erfüllen sie nicht in vergleichbarer Weise öffentliche Aufgaben wie die Medien559. Deswegen ist es keineswegs zwingend, die medienrechtlichen Maßstäbe sozusagen »eins zu eins« in das Lauterkeitsrecht zu übernehmen. Dies gilt nicht nur für die materiellrechtliche Beurtei552
BGH vom 4.3.1982, GRUR 1982, 489, 490 – Korrekturflüssigkeit. BGH vom 4.3.1982, GRUR 1982, 489, 490 – Korrekturflüssigkeit. 554 BGH vom 6.4.1976, BGHZ 66, 182 ff. – PANORAMA/Der Fall Bittenbinder. 555 Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 9 Rn. 82; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/ Bornkamm, UWG, § 9 Rn. 1.32; Koos, in: Fezer, UWG, § 9 Rn. 26; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 34 Rn. 9. 556 Dies zeigt sich beispielsweise bei der Gegenüberstellung von § 4 Nr. 8 UWG und § 824 BGB; allgemein dazu Beater, Medienrecht, Rn. 736 ff. 557 Obgleich Art. 10 Abs. 1 EMRK seinem Wortlaut nach »nur« die Meinungs- und Informationsfreiheit gewährleistet, wird die Freiheit der Medien von dieser Vorschrift ebenfalls umfasst, siehe nur EGMR vom 6.5.2003, NJW 2004, 2653, 2655 – Perna/Italien m.w.Nachw. und statt vieler Marauhn, in: Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 4 Rn. 17 ff. 558 BVerfG vom 11.3.2003, BVerfGE 107, 275 ff. – Schockwerbung; BVerfG vom 12.12.2000, BVerfGE 102, 347 ff. – Benetton-Werbung. 559 Zur »öffentlichen Aufgabe« von Medien als prägendem Aspekt des Medienrechts Beater, Medienrecht, Rn. 16 ff. 553
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lung von Handlungen, sondern auch für die an Rechtsverstöße geknüpften Folgen. Vielmehr sollten die medienrechtlichen Maßstäbe als schadensrechtliche Mindestvorgabe angesehen werden, von der jedoch in begründeten Fällen abgewichen werden kann. Insbesondere können dabei unter bestimmten Voraussetzungen Verschärfungen der Haftung des Schädigers zulässig sein. Wiederum kann dabei das überindividuelle Informationsinteresse einen entscheidenden Anhaltspunkt bieten. Die Rechtsprechung lässt einen höheren Werbeaufwand zu, wenn eine Richtigstellung »auf der Ebene rationaler Argumente nicht mehr möglich sei«560. Mit anderen Worten geht es um Erscheinungsformen massiver Fehlinformationen, deren schädliche Wirkung durch eine bloße Korrektur und Berichtigung nicht aus der Welt zu schaffen ist. Ein Beispiel hierfür bildet die Pressehaftung I-Entscheidung561, in der es um die massive Herabsetzung infolge eines besonders schwerwiegenden Vorwurfes ging. Hinzu kam, dass die schädigende Äußerung besondere »Breitenwirksamkeit« erlangt hatte. Es bleibt zu erwägen, ob intensivere Maßnahmen zur Aufklärung nicht auch dann als zulässig anzusehen sind, wenn dem überindividuellen Informationsinteresse ein besonderes Gewicht zukommt, etwa weil die Fehlinformationen besonders sensible Lebensbereiche betreffen. Als Anwendungsbeispiel ist an den Pharmamedan-Fall zu denken562, bei dem über den genauen Schadensumfang nicht entschieden werden musste. Dabei ging es nicht allein um die Schädigung des Ansehens der Klägerin und die Verursachung von »bloßen« Verwechslungsgefahren. Vielmehr bestand vor allem die Gefahr einer Irreführung des Verkehrs über Medikamente, deren medizinische Wirkung zweifelhaft war und von denen möglicherweise Gefahren für die Gesundheit der Patienten ausgehen konnten. Hier drohte also die Erschütterung des Vertrauens der Nachfrager in dem besonders sensiblen Gesundheitsbereich. Durch eine großzügigere Anerkennung von Aufklärungs- und Werbekosten könnte ein Anreiz für das Bereitstellen und Verbreiten von wichtigen Informationen gesetzt werden, womit nicht nur die Korrektur der Fehlvorstellung, sondern auch die Wiederherstellung des erschütterten Verbrauchervertrauens gefördert würde. 2. Rechtsverfolgungsinteressen Informationsinteressen bilden einen besonders wichtigen, aber keineswegs den einzigen Anwendungsfall für die schadensrechtliche Anerkennung von überindividuellen Interessen im Lauterkeitsrecht. Einen weiteren Anwendungsfall bildet das Allgemeininteresse an der Verfolgung von Zuwiderhandlungen im Wettbewerbsgeschehen. Dies ergibt sich schon aus § 1 S. 2 UWG, wonach neben den Interessen der Marktakteure »zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb« geschützt wird. Ein solcher Schutz bliebe ohne die private Initiative Einzelner gegen unlautere Handlungen ein bloßes Wunschden560 561 562
BGH vom 4.3.1982, GRUR 1982, 489, 490 – Korrekturflüssigkeit. BGH vom 26.4.1990, GRUR 1990, 1012, 1015 – Pressehaftung I. BGH vom 10.5.1974, GRUR 1974, 735 ff. – Pharmamedan.
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ken. Daher kann es sinnvoll sein, wenn das Lauterkeitsrecht Mechanismen vorsieht, die eine private Verfolgung von Verstößen honorieren. Obgleich dem Gedanken einer Honorierung privaten Einsatzes durch das Privatrecht oftmals mit Skepsis, wenn nicht sogar mit Ablehnung begegnet wird, haben sich solche Ansätze in der Praxis entwickelt und behauptet563. aa) Ausgangspunkt: Aufwendungen zur Abmahnung Außerhalb des lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzes bildet der Aufwendungsersatz für Abmahnkosten nach § 12 Abs. 1 S. 2 UWG geradezu das Paradebeispiel für eine Honorierung privaten Einsatzes zum Schutze des Wettbewerbs. Danach kann der Abmahner von dem Abgemahnten Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen, wenn die Abmahnung berechtigt ist. Auf diese Weise werden gleich mehrere Ziele erreicht. Durch die »Vorschaltung« der Abmahnung werden viele Verstöße gegen das UWG schnell und mit vergleichsweise geringem Aufwand außergerichtlich verfolgt. Indem die Abmahnkosten vom Abgemahnten zu tragen sind, geht schon von der Abmahnung selbst, unabhängig von einer strafbewehrten Unterlassungserklärung des Verletzers, eine gewisse Sanktionswirkung aus. Schließlich aber wird durch den Kostenersatz der Aufwand des Abmahners honoriert. Dass diese positiven Wirkungen zugleich Schattenseiten haben können, die als »Abmahnunwesen« immer wieder angeprangert werden, spricht nicht grundsätzlich gegen diesen Regelungsmechanismus, sondern ist ein Indiz für andere Schwachpunkte. § 12 Abs. 1 S. 2 UWG knüpft sachlich an die bisherige Rechtsprechung an564, die einen Aufwendungsersatz auf andere Anspruchsgrundlagen stützen musste565. Das besondere überindividuelle Interesse an der Verfolgung unlauterer Handlungen als schadensrechtliches Wertungskriterium wird jedoch erst erkennbar in Fällen, in denen die außergerichtliche Verfolgung fehlschlägt und damit eine Abweichung vom Normalfall vorliegt. Denn in einem solchen Fall greift § 12 Abs. 1 S. 2 UWG nicht ein. Da auch der Weg über §§ 683, 670 BGB versperrt ist, bleibt dem Abmahner, wenn er Mitbewerber ist, nur die Möglichkeit, die Kosten als Schaden nach § 9 S. 1 UWG ersetzt zu verlangen. Als Vorfrage ist dabei zunächst zu klären, ob Abmahnkosten prinzipiell als ersatzfähige Schäden in Betracht kommen. Ganz überwiegend wird dies bejaht. Neben § 12 Abs. 1 S. 2 UWG können danach die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung auch nach § 9 S. 1 UWG als Schäden ersatzfähig sein566. Vereinzelt wird dies unter Hinweis auf den Schutzzweck der Norm kritisiert, weil 563
Siehe oben § 3. B. II. 4., S. 152 ff. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 25. 565 BGH vom 15.10.1969, BGHZ 52, 393, 399 f. – Fotowettbewerb. 566 BGH vom 17.1.2002, BGHZ 149, 371, 374 f. – Missbräuchliche Mehrfachabmahnung; BGH vom 26.4.1990, GRUR 1990, 1012, 1014 f. – Pressehaftung I; BGH vom 4.3.1982, GRUR 1982, 489 – Korrekturflüssigkeit. Zustimmend Büscher, in: Fezer, UWG, § 12 Rn. 45; Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 9 Rn. 74; Koos, in: Fezer, UWG, § 9 Rn. 24; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 9 Rn. 11; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 41 Rn. 82. 564
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mit der Abmahnung nicht eine bereits geschehene Rechtsverletzung verfolgt werde, sondern die Abmahnung vielmehr gegen Gefahren gerichtet sei, die aus zukünftigen Handlungen des Abgemahnten drohen567. In eine ähnliche Richtung zielt der Vorschlag, zwischen Einzel- und Dauerhandlungen zu differenzieren568. Bei einer Einzelhandlung könne nur eine Wiederholung des Verstoßes verhindert werden, nicht aber eine Vergrößerung des Schadens. Demgegenüber bezwecke die Abmahnung bei einer Dauerhandlung mindestens konkludent auch die Aufforderung an den Verletzer, den Verstoß nicht fortzusetzen. Da mit der Fortdauer neue Schäden entstehen könnten, diene die Abmahnung jedenfalls auch dem Zweck, das Entstehen solcher künftiger Schäden zu verhindern. Diese Einwände vermögen jedoch nicht zu überzeugen, weil damit der rechtsbefriedenden Funktion der Abmahnung im Vorfeld gerichtlicher Auseinandersetzungen zu wenig Gewicht beigemessen wird. Zwar ist richtig, dass bei einem abgeschlossenen Verstoß die Abmahnung in der Regel zur Schadensminderung nichts beiträgt. Nur folgt daraus im Umkehrschluss nicht, dass die Abmahnung damit funktionslos und überflüssig wäre. Vielmehr ist es im Interesse aller Marktakteure geboten, auch dann gegen unlautere Handlungen vorzugehen, wenn von diesen (noch) keine akuten Beeinträchtigungen ausgehen. Wären Abmahnkosten nicht oder nur eingeschränkt als Schaden ersatzfähig, könnte dies Berechtigte davon abhalten, gegen unlautere Handlungen einzuschreiten. Das wäre ein Fehlanreiz der Rechtsordnung. bb) Vergebliche Abmahnkosten als ersatzfähiger Schaden? Dass das überindividuelle Rechtsverfolgungsinteresse im Hinblick auf die Ersatzfähigkeit von Abmahnkosten schadensrechtlich relevant ist, wird deutlich bei Kosten für vergebliche Abmahnungen. Hier kommt es zum Schwur, weil bei einer nur auf das Zweipersonenverhältnis Schädiger-Geschädigter konzentrierten Betrachtung ein Kostenersatz abgelehnt werden müsste. Wird die falsche Person abgemahnt, dann müsste an sich der Abmahner das damit verbundene Kostenrisiko tragen. In der Abmahnkosten-Entscheidung hatte der Beklagte im Internet für Steuerberatungsleistungen geworben, die nicht von Steuerberatern und zu den üblichen Gebührensätzen erbracht wurden. Dabei wurde eine Liste von Personen veröffentlicht, mit denen sich interessierte Nachfrager solcher Dienstleistungen in Verbindung setzen könnten. Der Kläger ließ die aufgeführten Personen anwaltlich abmahnen. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Abgemahnten weder mit dem Beklagten zu tun hatten, noch über von ihm betriebene Internetseite oder sonst mit diesem in Kontakt standen. Mangels Bestehen eines Unterlassungsanspruches waren die aufgewendeten Abmahnkosten nicht als erforderliche Aufwendungen im Sinne von § 12 Abs. 1 S. 2 UWG ersatzfähig. Unabhängig davon, ob man nun die Abmahnkosten überhaupt als ersatzfähigen Schaden anerkennt, hätte ein solcher schon 567
Scharen, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, Kap. 11 Rn. 12. Köhler, in: Festschrift für Erdmann, S. 845, 846; ders., in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 9 Rn. 1.29. 568
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deswegen abgelehnt werden müssen, weil es nicht um die Kosten der Abmahnung des Verletzers ging, sondern um vergeblich aufgewendete Kosten für die Abmahnung Dritter. Gleichwohl hielt der BGH einen Schadensersatzanspruch für möglich. Das Gericht verweist zur Begründung auf die Grundsätze bei der schadensrechtlichen Beurteilung von Herausforderungsfällen, wonach der Geschädigte denjenigen Schaden, der ihm durch eine Handlung entstanden ist, die auf einer von ihm selbst getroffenen Willensentscheidung beruht, dann ersetzt verlangen könne, wenn die Handlung durch ein rechtswidriges Verhalten eines anderen herausgefordert worden sei und eine nicht ungewöhnliche Reaktion auf dieses Verhalten darstelle569. Diese Grundsätze seien auf das Lauterkeitsrecht übertragbar. Bei der Herbeiführung der Gefahr der falschen Inanspruchnahme handele es sich um einen eigenständigen Rechtsverstoß. Der Beklagte habe den Anschein erzeugt, es lägen Angebote von zur geschäftsmäßigen Beratung und Hilfe in Steuersachen nicht befugten Personen vor, die als Irreführung im Sinne von § 5 UWG570 anzusehen sein könnten.571
Die vom BGH gezogene Parallele zu den Herausforderungsfällen verdient besondere Aufmerksamkeit, weil in diesen Fallkonstellationen danach zu fragen ist, ob sich der Geschädigte zu seinem schadensverursachenden Verhalten herausgefordert fühlen durfte. Bei der Beantwortung dieser Wertungsfrage können überindividuelle Interessen zu berücksichtigen sein. Insbesondere kann es für die Ersatzfähigkeit von Aufwendungen sprechen, wenn deren Vornahme nicht nur im Individualinteresse des Geschädigten liegt, sondern wenn die Aufwendungen auch im öffentlichen Interesse liegen. Vor diesem Hintergrund reiht sich die Abmahnkosten-Entscheidung bruchlos in die Herausforderungsfälle ein. Als schadensrechtliches Wertungskriterium ist zu berücksichtigen, ob das herausgeforderte Verhalten – konkret die Abmahnung der auf der Internetseite veröffentlichten Personen – einem überindividuellen Interesse entsprach, selbst wenn sich die Abmahnung im Ergebnis als erfolglos erwiesen hat. Der Fall ist wertungsmäßig der Verfolgung eines Flüchtenden vergleichbar, dessen Ergreifung im öffentlichen Interesse liegt, aber misslingt und bei der sich der Verfolger verletzt. Die Ersatzfähigkeit auch von vergeblichen Abmahnkosten kann daher zu bejahen sein, weil es grundsätzlich im Interesse aller Marktakteure liegt, dass unlauteren Handlungen im Wettbewerb nachgegangen wird. Das gilt nicht nur, wenn der Rechtsverstoß bereits sicher feststeht und ein beherztes Vorgehen dagegen vergleichsweise wenige Risiken in sich birgt, sondern gerade auch wenn die Rechtslage nicht völlig klar ist und damit ein Vorgehen risikoreicher ist. Daraus ergibt sich jedoch die Frage, wer die Gefahr der rechtlichen oder tatsächlichen Fehleinschätzung tragen muss: der Verletzer oder derjenige, der gegen den Rechtsverstoß vorgeht? Überzeugend lehnt es der BGH im Ergebnis ab, dieses Risiko per se demjenigen aufzuerlegen, der gegen einen Rechtsverstoß vorgeht. Anderenfalls würde die Rechtsordnung einen bedenklichen Fehlanreiz setzen, weil Private dann nur gegen solche Verstöße vorgehen würden, deren Unzulässigkeit of569 570 571
BGH vom 23.11.2006, GRUR 2007, 631 Tz. 23 – Abmahnaktion m.w.Nachw. § 3 UWG a.F. BGH vom 23.11.2006, GRUR 2007, 631 Tz. 24 – Abmahnaktion.
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fenkundig ist, während in Zweifelsfällen gerade nicht oder nur zögerlich vorgegangen werden würde. Da es jedoch, von wenigen Strafvorschriften abgesehen, keine behördliche Alternative zur privaten Rechtsverfolgung im Lauterkeitsrecht gibt, droht als Folge ein Sanktionsdefizit. Freilich darf diese Risikoverteilung nicht als Freibrief für Abmahnungen gegen jedermann missverstanden werden. Abmahnkosten kommen nur insoweit als ersatzfähiger Schaden in Betracht, als sie gerade spezifische Folge der konkreten unlauteren Handlung sind. Mit anderen Worten muss sich in der vergeblichen Abmahnung gerade das der unlauteren Handlung innewohnende Risiko verwirklicht haben. Diese wichtige Einschränkung wird deutlich anhand der Auto F. GmbH-Entscheidung572. Dort existierten unterschiedliche Unternehmen, nämlich die beklagte »Auto F. GmbH« und eine weitere »F. GmbH«. Beide Gesellschaften boten ähnliche Dienstleistungen des Kraftfahrzeuggewerbes an, hatten die gleiche Geschäftsadresse und die gleiche Geschäftsführerin. In einer Anzeige wurde nun unter der Bezeichnung »Auto F.« irreführend über die Eigenschaft als autorisierte Werkstätte geworben. Die Klägerin ging außergerichtlich und gerichtlich gegen die »F. GmbH« vor. Später stellte sich heraus, dass die Werbeanzeige von der »Auto F. GmbH« herrührte. Die Klägerin verlangte nun von der Beklagten Schadensersatz für die Aufwendungen, die ihr durch das vergebliche gerichtliche und außergerichtliche Vorgehen gegen die »F. GmbH« entstanden waren. Das Berufungsgericht bejahte einen Schadensersatz für die Kosten des Verfügungsverfahrens, das fälschlich gegen die »F. GmbH« geführt worden war mit dem Hinweis, dieser Schaden stehe in einem adäquaten Zusammenhang mit dem Wettbewerbsverstoß. Demgegenüber lehnte der BGH einen solchen Schadensersatzanspruch ab. Vom Schutzzweck des lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbots würden nicht die Kosten erfasst, die durch Inanspruchnahme einer falschen Person entstanden seien. Dies gelte selbst dann nicht, wenn der Verletzer die Möglichkeit der Verwechslung mit einer anderen Firma geschaffen habe573. Das Ergebnis, nicht aber die Begründung, verdient Beifall. Die maßgebliche unlautere Handlung bestand nämlich nicht in der Herbeiführung einer Verwechslungsgefahr zwischen dem fälschlich abgemahnten Unternehmen und dem eigentlichen Verletzer, sondern in dem Erwecken des unzutreffenden Eindrucks, es handele sich bei dem werbenden Unternehmen um eine autorisierte Werkstätte. Diese Irreführung gab lediglich den Anlass zu einer Verwechslung zwischen den beiden Unternehmen, ohne dass die Ähnlichkeit der Geschäftsbezeichnungen als solche lauterkeitsrechtlich zu beanstanden war. Dass sich anlässlich eines Vorgehens gegen ein Unternehmen ein latentes Verwechslungsrisiko realisiert, liegt außerhalb der durch die unlautere Handlung begründeten Gefahr. Man kann hier auch von der Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos sprechen, das sich zum Nachteil der Klägerin ausgewirkt hat. Mit dem Schutzzweck des Irreführungsverbots hat dies jedoch nichts zu tun, weil die verwechslungsauslösende Bezeichnung schon gar nicht gegen das Irreführungsverbot verstieß. Anders wäre nur dann zu entscheiden gewesen, wenn die ähnliche Firmierung der beiden GmbHs gerade dem Zweck gedient hätte, Verwechslungen herbeizuführen, um damit beispielsweise die Verfolgung von Rechtsverstößen zu erschweren.
572 573
BGH vom 5.11.1987, GRUR 1988, 313 ff. – Auto F. GmbH. BGH vom 5.11.1987, GRUR 1988, 313, 314 – Auto F. GmbH.
§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht A. Grundlagen Die kartelldeliktische Schadensersatzhaftung hat eine bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen. Lange Zeit lagen Fragen des Schadensersatzes eher im Schatten des allgemeinen Interesses. In jüngerer Zeit erfreut sich das Kartelldeliktsrecht dagegen größter Aufmerksamkeit. Diese Aufwertung der Schadensersatzhaftung ist zurückzuführen auf die Rechtsprechung des EuGH1, auf Initiativen der Kommission2 und – hieran anknüpfend – auf die gesetzlichen Änderungen im Zuge der siebenten GWB-Novelle 2005. Zugleich ist der kartellrechtliche Schadensersatz zu einem wichtigen Motor des allgemeinen Haftungs- und Schadensrechts und für den Gedanken des »private enforcement« geworden.
I. Entwicklung Bis zur siebenten GWB-Novelle 2005 existierte ein duales Anspruchssystem im Kartelldeliktsrecht. Die Anspruchsgrundlage richtete sich nach der verletzten Kartellrechtsbestimmung. Bei Verstößen gegen Vorschriften des GWB galt eine spezielle kartellrechtliche Anspruchsgrundlage. Bei Verstößen gegen Gemeinschaftskartellrecht musste dagegen auf § 823 Abs. 2 S. 1 BGB zurückgegriffen werden3. Trotz dieser unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen war die dogmatische Struktur der Schadensersatzhaftung weit gehend identisch, denn der kartelldeliktische Schadensersatzanspruch war am Vorbild des § 823 Abs. 2 S. 1 BGB ausgerichtet und verlangte die Verletzung einer Schutznorm oder einer Schutzverfügung. Schon der Regierungsentwurf von 19524 enthielt eine entsprechende Bestimmung:
1
Unten III. 1., S. 317 ff. Unten III. 3., S. 330 ff. 3 Siehe nur BGH vom 23.10.1979, WuW/E BGH 1643, 1645 – BMW-Importe; BGH vom 12.5.1998, GRUR 1999, 276, 277 – Depotkosmetik; Baur, EuR 1988, 257, 260 f.; Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 22 Rn. 24 ff. Darüber hinaus wären nach alter Rechtslage auch Ansprüche aus § 1 UWG a.F. i.V.m. Art. 81 und 82 EG unter dem Aspekt des »Vorsprungs durch Rechtsbruchs« denkbar gewesen (dazu Baur, EuR 1988, 257, 265), doch kamen solche Ansprüche schon wegen der kurzen Verjährung und des eingeschränkten Kreises möglicher Anspruchsberechtigter praktisch kaum in Betracht. 4 Abgedruckt in WuW 1952, 432 ff. 2
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»Wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift dieses Gesetzes oder gegen eine auf Grund dieses Gesetzes von der Kartellbehörde oder dem Beschwerdegericht erlassene Verfügung verstößt, ist, sofern die Vorschrift oder die Verfügung den Schutz eines anderen bezweckt, diesem zum Ersatz des aus dem Verstoß entstandenen Schadens verpflichtet. Richtet sich der Verstoß gegen eine auf Grund des § 26 erlassene Verfügung, so kann der Geschädigte auch für den Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen«.
Die gesetzliche »Urfassung« des kartelldeliktischen Schadensersatzanspruches war in § 35 GWB a.F. enthalten. Ergänzend legte § 37 GWB a.F. fest, dass die Mitglieder eines Kartells, das nicht rechtsfähig ist, als Gesamtschuldner für den Schaden verantwortlich sind, den ein Beauftragter des Kartells durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, aufgrund dieses Gesetzes zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt. Bemerkenswert ist, dass § 35 GWB a.F. die Möglichkeit des Ersatzes von immateriellen Schäden vorsah. Dies zielte auf die Fälle, in denen einem Unternehmen die Aufnahme in einen Wirtschafts- oder Berufsverband zu Unrecht verweigert wurde. Eine Ergänzung des Haftungstatbestandes brachte die vierte GWBNovelle durch Einfügung eines neuen Absatzes 2. Der Haftungstatbestand des § 35 GWB a.F. hatte damit folgende Fassung: »(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift dieses Gesetzes oder gegen eine auf Grund dieses Gesetzes von der Kartellbehörde oder dem Beschwerdegericht erlassende Verfügung verstößt, ist, sofern die Vorschrift oder die Verfügung den Schutz eines anderen bezweckt, diesem zum Ersatz des aus dem Verstoß entstandenen Schadens verpflichtet. Richtet sich der Verstoß gegen eine auf Grund des § 27 erlassene Verfügung, so kann der Geschädigte auch für den Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen. (2) Wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine von der Kartellbehörde oder dem Beschwerdegericht erlassene Verfügung im Sinne des Absatzes 1 verstößt, hat, sofern die Verfügung oder die Feststellung nach § 70 Abs. 3 unanfechtbar wird, auch den Schaden zu ersetzen, der vor der Zustellung der Verfügung an entstanden ist. (3) In den Fällen des Absatzes 1 kann ein Anspruch auf Unterlassung auch von Verbänden zur Förderung gewerblicher Interessen geltend gemacht werden, soweit die Verbände als solche in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten klagen können«.
Die etwas eigenartige Ergänzung des Haftungstatbestandes in § 35 Abs. 2 GWB a.F. sollte gewährleisten, dass auch derjenige Schaden ersetzt wird, der zwischen der Bekanntgabe der Verfügung und dem Eintritt der Unanfechtbarkeit eintritt5. Damit sollte eine Sanktionslücke geschlossen werden, wenn ein Unternehmen zwischen der Bekanntgabe der kartellbehördlichen Verfügung und dem Eintritt der Bestandskraft das beanstandete Verhalten fortsetzte, aber für die in diesem Zeitraum eintretenden Schäden nicht haftete6. Die Vorschrift – so heißt es in den 5
Ob für diese Einfügung überhaupt eine rechtliche Notwendigkeit bestand, war zweifelhaft, siehe dazu K. Schmidt, DB 1980, 817, 818. 6 Stahl, WuW 1980, 451 ff.
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§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht
amtlichen Materialien – trage damit dem Interesse des Geschädigten an einem möglichst vollständigen Ausgleich des ihnen durch ein kartellrechtswidriges Verhalten entstandenen Schadens Rechnung7. Der Gesetzgeber deutete dabei bereits an, dass er eine Stärkung der privaten Schadensersatzhaftung erhofft. Denn die von den Kartellbehörden erlassenen Missbrauchsverfügungen, mit denen Behinderungen von Wettbewerbern oder »Ausbeutungen« von Abnehmern untersagt werden, sollten »generell« als Schutzverfügungen und damit als taugliche Anknüpfungspunkte für die Schadensersatzhaftung angesehen werden8. Eine Art Generalüberholung der Schadensersatzhaftung erfolgte mit der sechsten GWB-Novelle. Die privatrechtlichen Sanktionen wurden in § 33 GWB a.F. zusammengefasst. Diese Vorschrift hatte folgenden Wortlaut: »Wer gegen eine Vorschrift dieses Gesetzes oder eine Verfügung der Kartellbehörde verstößt, ist, sofern die Vorschrift oder die Verfügung den Schutz eines anderen bezweckt, diesem zur Unterlassung verpflichtet; fällt ihm Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last, ist er auch zum Ersatz des aus dem Verstoß entstandenen Schadens verpflichtet. Der Anspruch auf Unterlassung kann auch von rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher Interessen geltend gemacht werden«.
Der Haftungstatbestand wurde damit nicht nur redaktionell verschlankt. Ganz gestrichen wurde der Ersatz immaterieller Schäden, weil diese Bestimmung keine praktische Bedeutung erlangt hatte9. Ebenfalls gestrichen wurde die in § 35 Abs. 2 GWB a.F. enthaltene Bestimmung, weil auf materiellrechtlicher Ebene der Missbrauchstatbestand § 22 GWB a.F. zu einer Verbotsnorm umgestaltet wurde und damit Schadensersatz bereits ab Verstoß gegen die gesetzliche Bestimmung verlangt werden konnte10. Ebenfalls aufgehoben wurde § 37 GWB a.F., weil sich die darin angeordnete gesamtschuldnerische Haftung der Kartellmitglieder bereits aus den allgemeinen Vorschriften des BGB ergebe11. Grundlegend umgestaltet wurden die privatrechtlichen Sanktionen, und gerade auch die Schadensersatzhaftung, mit der siebenten GWB-Novelle12. Das Gesetzgebungsverfahren erwies sich dabei gewissermaßen als ein Wechselbad zwischen mutiger Neuorientierung und einer Angst des Gesetzgebers vor der eigenen Courage. Der Referentenentwurf sah eine weitgehende Neugestaltung des Kartelldeliktsrechts vor:
7
Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 8/2136, S. 25. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 8/2136, S. 25. 9 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 13/9720, S. 55 = Baron, Das neue Kartellgesetz, S. 145. 10 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 13/9720, S. 55 = Baron, Das neue Kartellgesetz, S. 145. 11 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 13/9720, S. 42 = Baron, Das neue Kartellgesetz, S. 132. 12 Zu den aus der Neufassung resultierenden intertemporalen Fragen siehe Reher, in: Liber Amicorum für Riesenkampff, 113 ff.; Scheffler, WRP 2007, 163 ff. und Zimmer/Logemann, WuW 2006, 982 ff. 8
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»(1) Wer gegen eine Vorschrift dieses Gesetzes, gegen die Artikel 81 oder 82 des EG-Vertrages oder eine Verfügung der Kartellbehörde verstößt, ist dem Betroffenen zur Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr zur Unterlassung verpflichtet. Der Anspruch auf Unterlassung besteht bereits dann, wenn eine Zuwiderhandlung droht. Betroffen ist, wer als Mitbewerber oder sonstiger Marktteilnehmer durch den Verstoß beeinträchtigt ist. (2) Die Ansprüche aus Absatz 1 können auch geltend gemacht werden von: 1. rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmen angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, soweit sie insbesondere nach ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande sind, ihre satzungsmäßigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen tatsächlich wahrzunehmen und soweit die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührt; 2. qualifizierte Einrichtungen, die nachweisen, dass sie in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes oder in dem Verzeichnis der Kommission der Europäischen Gemeinschaft nach Artikel 4 der Richtlinie 98/27/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (Abl. EG Nr. L 166 S. 51) eingetragen sind. (3) Wer einen Verstoß nach Absatz 1 vorsätzlich oder fahrlässig begeht, ist dem Betroffenen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Besteht der Schaden darin, dass der Betroffene eine Ware oder Dienstleistung zu einem überteuerten Preis bezogen hat, wird der Schaden durch die Weiterveräußerung der Ware oder Dienstleistung nicht gemindert. Der Betroffene kann an Stelle des Schadensersatzes den anteiligen Gewinn, den das Unternehmen durch den Verstoß erlangt hat, und Rechnungslegung über diesen Gewinn verlangen. Geldschulden nach Satz 1 oder 3 hat das Unternehmen ab Eintritt des Schadens zu verzinsen. Die §§ 288 und 289 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs finden entsprechende Anwendung. (4) Wird wegen eines Verstoßes gegen eine Vorschrift dieses Gesetzes oder Artikel 81 oder 82 des EG-Vertrages Schadensersatz begehrt, ist das Gericht an eine bestandskräftige Entscheidung der Kartellbehörde, der Kommission der Europäischen Gemeinschaft, der Wettbewerbsbehörde oder des als solche handelnden Gerichts in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft, durch die das Vorliegen dieses Verstoßes festgestellt wird, gebunden. Das gleiche gilt für rechtskräftige Gerichtsentscheidungen, die in Folge der Anfechtung von Entscheidungen nach Satz 1 ergangen sind. (5) Die Verjährung eines Schadensersatzanspruchs nach Absatz 2 wird gehemmt, wenn die Kartellbehörde wegen eines Verstoßes im Sinne des Absatzes 1 oder die Kommission der Europäischen Gemeinschaft oder die Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaft wegen eines Verstoßes gegen Artikel 81 oder 82 des EG-Vertrages ein Verfahren einleitet. § 204 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzesbuchs gilt entsprechend«.
Demgegenüber tendierte der Regierungsentwurf in einigen Punkten wieder in Richtung der alten Rechtslage und beschränkte sich auf punktuelle Korrekturen: »(1) Wer gegen eine Vorschrift dieses Gesetzes, gegen die Artikel 81 oder 82 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft oder eine Verfügung der Kartellbehörde verstößt, ist, sofern die Vorschrift oder die Verfügung den Schutz eines anderen bezweckt, diesem zur Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr zur Unterlassung verpflichtet. Der
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Anspruch auf Unterlassung besteht bereits dann, wenn eine Zuwiderhandlung droht. Die Artikel 81 und 82 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft sowie die Vorschriften des Ersten und Zweiten Abschnitts dienen auch dann dem Schutz anderer Marktbeteiligter, wenn sich der Verstoß nicht gezielt gegen diese richtet. Ein Anspruch ist nicht deswegen ausgeschlossen, weil der andere Marktbeteiligte an dem Verstoß mitgewirkt hat. (2) Die Ansprüche aus Absatz 1 können auch geltend gemacht werden von: 1. rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmen angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, soweit sie insbesondere nach ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande sind, ihre satzungsmäßigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen tatsächlich wahrzunehmen und soweit die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührt; 2. qualifizierten Einrichtungen, die nachweisen, dass sie in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes oder in dem Verzeichnis der Kommission der Europäischen Gemeinschaft nach Artikel 4 der Richtlinie 98/27/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. EG Nr. L 166 S. 51), zuletzt geändert durch Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 (ABl. EG Nr. L 271 S. 16), eingetragen sind. (3) Wer einen Verstoß nach Absatz 1 vorsätzlich oder fahrlässig begeht, ist zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Bei der Entscheidung über den Umfang des Schadens nach § 287 der Zivilprozessordnung kann insbesondere der anteilige Gewinn, den das Unternehmen durch den Verstoß erlangt hat, berücksichtigt werden. Geldschulden nach Satz 1 hat das Unternehmen ab Eintritt des Schadens zu verzinsen. Die §§ 288 und 289 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs finden entsprechende Anwendung. (4) Wird wegen eines Verstoßes gegen eine Vorschrift dieses Gesetzes oder Artikel 81 oder 82 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Schadensersatz begehrt, ist das Gericht insoweit an die Feststellung des Verstoßes gebunden, wie sie in einer bestandskräftigen Entscheidung der Kartellbehörde, der Kommission der Europäischen Gemeinschaft oder der Wettbewerbsbehörde oder des als solche handelnden Gerichts in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft getroffen wurde. Das Gleiche gilt für entsprechende Feststellungen in rechtskräftigen Gerichtsentscheidungen, die infolge der Anfechtung von Entscheidungen nach Satz 1 ergangen sind. Entsprechend Artikel 16 Abs. 1 Satz 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 gilt diese Verpflichtung unbeschadet der Rechte und Pflichten nach Artikel 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. (5) Die Verjährung eines Schadensersatzanspruchs nach Absatz 2 wird gehemmt, wenn die Kartellbehörde wegen eines Verstoßes im Sinne des Absatzes 1 oder die Kommission der Europäischen Gemeinschaft oder die Wettbewerbsbehörde eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaft wegen eines Verstoßes gegen Artikel 81 oder 82 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ein Verfahren einleitet. § 204 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt entsprechend«.
Der Regierungsentwurf beschränkte sich darauf, punktuell die Rechtsprechung zu korrigieren, hielt aber an dem Erfordernis einer Schutzgesetzverletzung fest. Der Schutzcharakter sollte jedoch nicht daran scheitern, dass ein Verstoß nicht ge-
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zielt gegen bestimmte Marktakteure gerichtet war oder der Geschädigte an dem Kartellrechtsverstoß mitgewirkt hatte. Die Problematik der »Weiterwälzung« des Schadens wurde nicht geregelt. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde der Regierungsentwurf nochmals in wesentlichen Punkten verändert13. Eine entscheidende Rolle dürfte die Ungewissheit darüber gespielt haben, ob die restriktive Ausgestaltung des Haftungstatbestandes den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben des EuGH entsprochen hätte. Das Schutzprinzip wurde in den weiteren Beratungen fallen gelassen. Wieder in das Gesetz aufgenommen wurde eine Regelung zur »Weiterwälzung« des Schadens. Insgesamt fällt ins Auge, dass bei der Neukonzeption der privatrechtlichen Sanktionen die Schadensersatzhaftung ganz im Mittelpunkt der gesetzgeberischen Erwägungen stand14. Die Neuregelung der privatrechtlichen Sanktionen mit der siebenten GWBNovelle markiert einen inhaltlichen Neuanfang. Die bisweilen vertretene Ansicht, mit der Novelle habe sich die Rechtslage sachlich nicht geändert, sondern der Gesetzgeber habe lediglich einige Klarstellungen vorgenommen15, übersieht, dass die Gesetzgebungsarbeiten durchgehend von dem Willen getragen sind, das Kartelldeliktsrecht grundlegend zu überarbeiten. Der Gesetzgeber stand nicht vor der Frage, ob das bisherige Kartelldeliktsrecht umzugestalten war, sondern wie weit diese Änderungen im Einzelnen gehen sollten. Die jetzt geltende Fassung des § 33 GWB schließt selbstverständlich nicht aus, dass etwa bisherige Rechtsprechung wertend herangezogen werden kann. Doch dürfen die überkommenen Grundsätze nicht unkritisch auf die neue Rechtslage übertragen werden, sondern sie müssen jeweils auf ihre Vereinbarkeit mit dem neuen Recht überprüft werden.
II. Stellung und Bedeutung des Schadensersatzanspruchs im kartellrechtlichen Sanktionssystem 1. Dichotome Sanktionsstruktur Das Kartellrecht verfügt über ein doppelspuriges Sanktionssystem. Verstöße können in der Regel sowohl privatrechtliche16 als auch kartellbehördliche17 Sank13 Siehe Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss), BT-Drucks. 15/5049, S. 16 f. mit Begründung S. 48 f. Zusammenfassend Herrlinger, WRP 2005, 1136 ff. 14 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 9. 15 Reher, in: Liber Amicorum für Alexander Riesenkampff, 113, 119. Diese Ansicht gründet sich auf das Bemühen, das neue Kartelldeliktsrecht auf »Altfälle« anzuwenden. Auch Zimmer/Logemann, WuW 2006, 982, 983 deuten das Fehlen von Übergangsregelungen für Schadensersatzfälle dahin, der Gesetzgeber habe in den Neuregelungen vornehmlich eine Klarstellung der alten Rechtslage gesehen. 16 Im weiteren Sinne zählt Möschel, in: Festschrift für Bechtold, S. 329 auch Handlungsmöglichkeiten Dritter innerhalb von Verwaltungsverfahren der Kartellbehörden zu privatrechtlichen Sanktionen. Die damit verbundenen Fragen werden jedoch im Rahmen dieser Untersuchung ausgeblendet. 17 Hierzu werden im Folgenden sowohl Sanktionen mit verwaltungsrechtlichem Charakter (z.B. Untersagungsverfügungen) als auch ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionen gerechnet.
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tionen auslösen18. Der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch aus § 33 Abs. 3 S. 1 GWB gehört zusammen mit den Abwehransprüchen aus § 33 Abs. 1 und Abs. 2 GWB und dem Anspruch auf Vorteilsabschöpfung gemäß § 34a Abs. 1 GWB zur privatrechtlichen Säule des zweispurigen kartellrechtlichen Sanktionssystems. Ebenfalls den privatrechtlichen Sanktionen zuzuordnen ist die Nichtigkeit von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen19, die allerdings eine grundsätzlich andere Struktur und Wirkungsweise als die privatrechtlichen Ansprüche aufweist. Die Nichtigkeit tritt kraft Gesetzes und damit ohne das Zutun eines Betroffenen ein. Die Sanktionswirkung der Nichtigkeit besteht in einer Rechtsschutzverweigerung, indem die Rechtsordnung die privatautonom geschlossene Vereinbarung der Parteien nicht als rechtsverbindlich anerkennt, sodass aus der Vereinbarung keinerlei Rechte abgeleitet werden können. Die Nichtigkeit kann auf diese Weise möglicherweise »interne Fliehkräfte« innerhalb der kartellbeteiligten Kreise freisetzen und befördern20. Zugleich liegt aber auf der Hand, dass die Nichtigkeit darauf beschränkt ist, einen Einwand gegen eine Inanspruchnahme aus einer kartellrechtswidrigen Vereinbarung zu bilden. Die Sanktion der Nichtigkeit ist bei der Bekämpfung von »Hard-core«-Kartellen bedeutungslos21. Trotz der unterschiedlichen Wirkungsweise von Nichtigkeit und Schadensersatzhaftung bestehen enge Verbindungen zwischen beiden Sanktionsmechanismen. Für das Gemeinschaftsrecht zieht der EuGH eine Parallele zwischen der in Art. 81 Abs. 2 EG angeordneten Nichtigkeit von Art. 81 Abs. 1 EG widersprechenden Vereinbarungen, die von jedem geltend gemacht werden kann, und dem Anspruch auf Schadensersatz, der bei Verstößen gegen Art. 81 Abs. 1 EG von »jedermann« erhoben werden kann22.
Neben den privatrechtlichen Sanktionen bilden die kartellbehördlichen Sanktionen, in Form von Verfügungen23 oder der Verhängung von Bußgeldern24, die zweite, »hoheitliche« Sanktionsschiene. Die Zweispurigkeit der kartellrechtlichen Sanktionen ist eine Folge der inhaltlichen Besonderheiten des Kartellrechts und das Ergebnis der historischen Entwicklung dieses Rechtsgebiets. Ein zweigleisiges Sanktionssystem weist besondere Vorzüge auf, kann allerdings zugleich spezielle rechtliche Probleme mit sich bringen.
18 Strafrechtliche Sanktionen kommen nur in Einzelfällen in Betracht, z.B. im Falle des § 298 StGB, und gehören nicht zum »Standardinstrumentarium« bei Kartellrechtsverstößen. Für eine generelle Stärkung der Kriminalstrafen bei der Bekämpfung von wettbewerbsbeschränkenden Praktiken spricht sich Biermann, ZWeR 2007, 1 ff. aus. 19 Art. 81 Abs. 2 EG; § 1 GWB i.V.m. § 134 BGB. Rittner/Dreher, Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, § 23 Rn. 149 sehen in der Nichtigkeit dagegen »keine eigentliche Sanktion«. 20 Möschel, in: Festschrift für Bechtold, S. 329, 330. 21 Eilmannsberger, CML Rev. 44 (2007), 431, 433. 22 EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. I-6297, 6322 f. Rn. 22 ff. – Courage und Crehan; EuGH vom 13.7.2006, Rs. 295 bis 298/04, Slg. I-6619, 6660 f. Rn. 57 ff. – Manfredi. 23 § 32 GWB. 24 § 81 GWB.
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a) Vor- und Nachteile des doppelspurigen Sanktionssystems im Kartellrecht Ein unbestreitbarer Vorzug des zweigleisigen Sanktionssystems im Kartellrecht liegt darin, dass für die Bekämpfung von Kartellrechtsverstößen eine Vielzahl unterschiedlicher Sanktionsinstrumente zur Verfügung steht. Damit gewährleistet die Rechtsordnung, dass in den ganz unterschiedlichen Fällen kartellrechtswidriger Praktiken eine jeweils »passende« Sanktion zur Verfügung steht. Denn nicht jede Sanktion ist zur Bekämpfung eines jeden Kartellrechtsverstoßes gleichermaßen geeignet. Vielmehr weisen die einzelnen privatrechtlichen und kartellbehördlichen Sanktionen spezifische Stärken und Schwächen auf25. Durch die Zweigleisigkeit des Sanktionssystems und durch das mögliche Zusammenspiel mehrerer Sanktionen kann die Rechtsordnung zielgenau und flexibel auf die unterschiedlichsten Kartellverstöße reagieren, was zu einer optimalen Verwirklichung des jeweiligen materiellrechtlichen Schutzzwecks der verletzten Kartellvorschrift beiträgt26. Zugleich kann das Nebeneinander von privatrechtlichen und kartellbehördlichen Sanktionen zu einer »Verbundwirkung« führen und damit die Wirksamkeit der Sanktionen erheblich stärken. Im Interesse einer wirksamen Bekämpfung wettbewerbsbeschränkender Praktiken ist es daher sinnvoll, nicht danach zu fragen, ob private oder behördliche Sanktionen zur Anwendung kommen sollen, sondern beide Sanktionsschienen aufeinander abzustimmen27. Das Vorhandensein kartellbehördlicher Sanktionen steht der Rechtsverfolgung durch Private keineswegs prinzipiell entgegen. Bereits kurz nach Inkrafttreten des GWB sprach der BGH dies unmissverständlich aus. Es entspricht danach nicht dem Grundgedanken des Kartellrechts, »die Privatinitiative des betroffenen Unternehmens bei der Geltendmachung von Ansprüchen einzuschränken und die Kartellbehörde gewissermaßen monopolistisch mit Aufgaben zu betrauen, die der Einzelne zur Wahrung seines eigenen Interesses auch selbst wahrnehmen kann. Das würde die Kartellbehörde im Ergebnis in einer Weise belasten, die ihr die Wahrnehmung ihrer übergeordneten volkswirtschaftlichen Aufgaben sachwidrig erschweren könnte«28.
Statt einer vereinzelten rechtlichen Reaktion droht dem Verletzer schlimmstenfalls ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Wenn ein Unternehmen wegen eines Kartellrechtsverstoßes nicht nur mit kartellbehördlichen Maßnahmen (etwa der Verhängung eines empfindlichen Bußgeldes) rechnen muss, sondern auch mit Schadensersatzklagen Betroffener, dann wird von einer solchen Bündelung von Sanktionen ein größerer Abschreckungseffekt ausgehen als von einer einzigen Sanktion. Nicht zuletzt dient die Doppelspurigkeit der Sanktionen der Sicherung einer funktionsfähigen Sanktionierung von Kartellverstößen, weil verhindert 25
Dazu sogleich im Text unter b), S. 303 ff. Mertens AcP 178 (1978), 227, 259 hält das Nebeneinander und die »Konkurrenz« von privatrechtlichen und kartellbehördlichen Sanktionen »rechtsstaatlich für höchst wünschenswert«. 27 Siehe auch Segal/Whinston, E.C.L.R. 2007, 306, 308. 28 BGH vom 25.2.1959, BGHZ 29, 344, 349 – Sanifa; siehe auch Mestmäcker, AcP 168 (1968), 235, 243. 26
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wird, dass Kartelltäter »ungeschoren« davon kommen. Übt beispielsweise die Kartellbehörde in einem Verletzungsfall das ihr zustehende Ermessen aus und geht gegen einen weniger bedeutenden Kartellrechtsverstoß nicht vor, dann ist der Verletzer keineswegs auf der sicheren Seite, denn der Verstoß kann, sofern nicht eine Ausnahme greift, davon unabhängig im Wege privatrechtlicher Sanktionen verfolgt werden29. Das Nebeneinander von privatrechtlichen und kartellbehördlichen Sanktionen kann in wechselseitiger Beeinflussung die Rechtsdurchsetzung erleichtern. Vor allem können private Kläger von den Erkenntnissen der Behörde profitieren. Diese Verzahnung wird besonders deutlich anhand der Art. 16 VO 1/2003 und § 33 Abs. 4 GWB, die – mit Unterschieden im Einzelnen – eine Bindung der Gerichte an Erkenntnisse der Kartellbehörden vorsehen30. Keineswegs weniger von Bedeutung sind Einsichtsrechte von Betroffenen in die Verfahrensakten der Kartellbehörden. Solche Einsichtsrechte können sich auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene aus den Bestimmungen der VO 1049/2001 ergeben, auf nationaler Ebene aus § 72 GWB und § 46 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 406e StPO31. Umgekehrt können die Behörden von dem Wissen Privater profitieren. So führen oftmals erst die Hinweise von Betroffenen dazu, dass Ermittlungen durch die Behörde aufgenommen werden. Die Kehrseite der Medaille besteht darin, dass die privatrechtlichen und kartellbehördlichen Sanktionen im Kartellrecht vielfach rechtlich und tatsächlich aufeinander abgestimmt werden müssen. Dies ist notwendig, um Reibungsverluste und Konflikte zu vermeiden und die Funktionsfähigkeit der jeweiligen Sanktionen zu gewährleisten32. Wer eine Stärkung privatrechtlicher Sanktionen befürwortet, muss sich bewusst machen, dass damit die Problematik der Abstimmung kartellbehördlicher und privatrechtlicher Sanktionen enorm an Bedeutung gewinnt. Damit sind komplexe rechtliche Fragen verbunden. Spezielle gesetzliche Abstimmungsregelungen finden sich für Schadensersatzansprüche etwa in §§ 33 Abs. 1, Abs. 3 S. 4, Abs. 4 und Abs. 5, 34 Abs. 2 S. 1 GWB. Über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus müssen bei der Abstimmung von kartellbehördlichen und privatrechtlichen Sanktionen weitere Aspekte berücksichtigt werden. Es ist von Bedeutung, ob das Gesetz einen Vorrang kartellbehördlicher Sanktionen vorsieht, der dann mit privatrechtlichen Sanktionen nicht umgangen werden darf33. Des Weiteren ist zu bedenken, inwieweit sanktionsspezifische Regelungen faktische Rückwirkungen auf andere Sanktionen erzeugen. Diese Problematik stellt sich vor allem im Hinblick auf Kronzeugenprogramme34. 29
Tilmann, GRUR 1979, 825, 828. Zu den Einzelheiten unter E., S. 424 ff. 31 Lampert/Weidenbach, WRP 2007, 152 ff.; zur Bedeutung des IFG beim Zugang zu Akten der Kartellbehörden Burholt, BB 2006, 2201 ff. 32 Böge/Ost, E.C.L.R. 2006, 197, 198. 33 Dazu näher unter B. III., S. 348 ff. 34 Dazu näher unter D. III. 2. b), S. 418 ff. 30
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b) Vor- und Nachteile privatrechtlicher und kartellbehördlicher Sanktionen Privatrechtliche und kartellbehördliche Sanktionen sind nicht beliebig gegeneinander austauschbar35, sondern weisen jeweils eine ganz eigene Charakteristik auf. Zumindest missverständlich ist es deswegen, wenn der Gesetzgeber »zum Ausgleich« einer verminderten behördlichen Kontrolldichte die privatrechtlichen Sanktionen stärken will36. Damit wird der unzutreffende Eindruck erweckt, es sei letztlich gleichgültig, welche Sanktionen das Gesetz an Rechtsverstöße knüpft. Kartellbehördliche und privatrechtliche Sanktionen unterliegen indessen unterschiedlichen Funktionsmechanismen37. Beide Arten von Sanktionen verursachen auch – im Einzelnen und in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung – unterschiedlich hohe Kosten38. Außerdem beruht die private Rechtsdurchsetzung auf anderen Motiven als die behördliche Sanktionierung. Insbesondere darf man nicht der Vorstellung erliegen, dass ein privater Kläger wie eine Behörde als »neutrale Instanz« tätig wird39. Privatrechtliche und behördliche Sanktionen bestehen »nebeneinander und unabhängig voneinander«. Sie dienen »verschiedenen Zwecken, können einander aber doch ergänzen«40. Dagegen kann man nicht ohne Weiteres sagen, dass »eine planmäßige, effektive, öffentliche Wettbewerbsaufsicht der zivilgerichtlichen Anspruchsdurchsetzung im Einzelfall immer überlegen sein wird«41. Vielmehr verfügen privatrechtliche und behördliche Sanktionen über unterschiedliche Schwächen und Stärken, die man sich bewusst machen muss, um die Leistungsfähigkeit, aber auch die Leistungsgrenzen der jeweiligen Sanktionen richtig einzuschätzen42. Die Sanktionen stehen im Verhältnis funktionaler Äqui-
35
Böge/Ost, E.C.L.R. 2006, 197, 198. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 35. 37 Speziell mit Blick auf ökonomische Aspekte Segal/Whinston, E.C.L.R. 2007, 306 ff. 38 Genaue Aussagen über die Kosten lassen sich jedoch nur schwer treffen. Diemer, E.C.L.R. 2006, 309, 313 geht davon aus, dass private Rechtsdurchsetzung generell höhere Kosten als die behördliche Rechtsdurchsetzung verursacht. Im Hinblick auf die Beschaffung von den zur Rechtsdurchsetzung notwendigen Informationen argumentieren Segal/Whinston, E.C.L.R. 2007, 306, 309, dass die Kosten für die behördliche Informationsbeschaffung höher sind als bei der privaten Rechtsdurchsetzung. 39 »The true nature of ›private enforcement‹ must be understood: it is essentially simply profitdriven private litigation. It is not some neutral endeavour undertaken by disinterested enforcers for the public good. The activity is carried out by intermediaries whose involvement is motivated by their own commercial interests, namely in maximization of the litigation market volume and size of individual cases«, Hodges, CML Rev. 43 (2006), 1381, 1395; siehe auch Diemer, E.C.L.R. 2006, 309, 312 f. und Segal/Whinston, E.C.L.R. 2007, 306, 311 f. 40 Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed, Rs. C-295 bis 298/04 (Manfredi) vom 26.1.2006, Slg. 2006, I-6619 Rn. 64; siehe auch Kominos, CML Rev. 44 (2007), 1387, 1422 ff., der von einem Prinzip der Unabhängigkeit privatrechtlicher und behördlicher Sanktionen spricht: »The independence of the two models means that in principle there is no hierarchical relationship between the former and the latter, or between the public authority an the ›private attorneygeneral‹«. 41 So aber – für das österreichische Recht – Thyri, ecolex 2006, 800, 804. 42 Möschel, WuW 2007, 483, 487 ff. 36
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valenz43. Es ist deswegen kein genereller Vorrang für kartellbehördliche Sanktionen anzuerkennen; vielmehr kann sich ein solcher Vorrang nur aus normspezifischen Erwägungen ergeben44. Privatrechtliche Sanktionen stellen eine effektive Kontrolle wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen sicher, wenn es um den Schutz von individuellen Interessen im Wettbewerb geht. Der individuell Betroffene hat ein vitales Eigeninteresse daran, gegen die rechtswidrige Handlung vorzugehen45. Zudem ist kaum jemand besser in der Lage, eine Verletzung von Individualinteressen zu erkennen und geltend zu machen als der Verletzte selbst. Demgegenüber kann eine Behörde keinen gleichwertigen Individualschutz von einzelnen Marktakteuren gewährleisten. Eine Behörde kann schon aus Kapazitätsgründen nur punktuell tätig werden. Sie muss bei der Verfolgung von Rechtsverstößen Prioritäten setzen, kann nicht jeder Beschwerde nachgehen, wird vielfach von Ihrem Ermessen Gebrauch machen und muss sich auf die Bekämpfung bestimmter Kartellrechtsverstöße beschränken46. Privatrechtliche Sanktionen ermöglichen eine breitenwirksame Bekämpfung von Wettbewerbsbeschränken und legen die Rechtsdurchsetzung in die Hände derjenigen, die Wettbewerbsbeschränkungen am besten erkennen können. Marktakteure und vor allem Mitbewerber sind die besten Wächter über das geschäftliche Verhalten der Konkurrenz47. Da Wettbewerbsbeschränkungen im Allgemeinen das Licht der Öffentlichkeit scheuen, sind sie im Regelfall für Außenstehende nur schwer erkennbar und werden noch am ehesten von den betroffenen Marktakteuren wahrgenommen, wenn sie mit den negativen Folgen solcher Verhaltensweisen in Berührung kommen, beispielsweise in Form von Preisveränderungen. Während eine den Wettbewerb überwachende Behörde immer nur als externer Dritter fungieren kann und deswegen häufig auf Hinweise Dritter angewiesen ist, um überhaupt von einem Kartellrechtsverstoß zu erfahren, sind die auf dem Markt agierenden Unternehmen am besten in der Lage, die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse einzuschätzen und auf wettbewerbsbeschränkendem Verhalten beruhende Veränderungen zu erkennen48. Die betroffenen Marktakteure sind näher am Marktgeschehen als eine Behörde und verfügen im Regelfall
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Wagner, in: Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, S. 605, 609 f.; ders. AcP 206 (2006), 352, 405; siehe auch oben im Text § 2. B. II. 2. c), S. 93 f. 44 Dazu unter B. III., S. 348 ff. 45 Diemer, E.C.L.R. 2006, 309, 312; Glöckner, WRP 2007, 490, 494; Wagner, AcP 206 (2006), 352, 446; Möschel, WuW 2007, 483, 489 sieht in dem Eigeninteresse Privater dagegen »die zentrale Schwäche« der privaten Rechtsdurchsetzung. 46 Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed, Rs. C-295 bis 298/04 (Manfredi) vom 26.1.2006, Slg. 2006, I-6619 Rn. 30. 47 Schricker, ZHR 139 (1975), 208, 233, mit Blick auf das Lauterkeitsrecht, doch gilt dies gleichermaßen für das Kartellrecht. 48 »Privatrechtliche Instrumente heben den Informationsschatz, der in der Gesellschaft vorhanden und dem Kenntnisstand selbst der besten Behörde weit überlegen ist«, Wagner, AcP 206 (2006), 352, 446.
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über die unmittelbaren Informationen49. Viele Unternehmer haben im Laufe ihrer Geschäftstätigkeit ein äußerst sensibles Gespür dafür entwickelt, ob bestimmte Praktiken auf funktionsfähigem Wettbewerb beruhen oder auf ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten zurückzuführen sind. Der Einsatz von Behörden ist demgegenüber sinnvoll, wenn ein Kartellrechtsverstoß Individualinteressen von Marktakteuren nur am Rande oder gar nicht berührt. Eine Domäne behördlicher Sanktionen bilden Rechtsverletzungen, die überindividuelle Interessen beeinträchtigen50. Das schließt selbstverständlich nicht aus, dass Behörden (auch) im Interesse einzelner Dritter aktiv werden können. Kartellbehördliche Sanktionen sind vorteilhaft, weil sie eine Verfolgung kartellrechtswidriger Handlungen unabhängig von der Motivation Privater zur Rechtsdurchsetzung ermöglichen. Privatrechtliche Sanktionen setzen nicht nur eine individuelle Betroffenheit Einzelner voraus, sondern noch dazu die Bereitschaft zur Übernahme der nicht geringen Risiken einer privaten Rechtsverfolgung. Wenn diese Risiken dem Einzelnen zu groß sind oder wenn er sich aus sonstigen Gründen scheut, gegen einen Kartellrechtsverstoß vorzugehen, dann drohen in einem privatrechtlich ausgerichteten Sanktionssystem Durchsetzungsdefizite. Behörden steht grundsätzlich auch ein Entscheidungsspielraum zu, ob und inwieweit sie gegen wettbewerbsbeschränkende Praktiken vorgehen. Selbst wenn Dritte ein Eingreifen der Behörde beantragen, trifft die Behörde keine Pflicht, solchen Anträgen stattzugeben51. Wesensimmanenter Bestandteil einer behördlichen Verwaltungstätigkeit ist die Befugnis eines Trägers öffentlicher Aufgaben, im Rahmen der Gesetze alle zur Erfüllung der ihm übertragenen Aufgabe erforderlichen organisatorischen Maßnahmen einschließlich der Festlegung von Prioritäten zu treffen, falls diese nicht vom Gesetzgeber festgelegt worden sind. Dies gilt insbesondere, wenn eine Behörde mit einer so weiten und allgemeinen Überwachungs- und Kontrollaufgabe bedacht worden ist, wie beispielsweise die Kommission bei der Kontrolle und Bekämpfung wettbewerbsbeschränkender Praktiken52. Behörden können deswegen wirtschafts- und wettbewerbspolitische Ziele besser durchsetzen als private Kläger53. Die Berücksichtigung solcher Ge-
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Glöckner, WRP 2007, 490, 494; Möschel, WuW 2077, 483, 488; Wagner, AcP 206 (2006), 352,
446. 50
Böge/Ost, E.C.L.R. 2006, 197, 198. Die deutsche Rechtsprechung bejaht einen Anspruch auf eine ermessenfehlerfreie Entscheidung (BGH vom 11.3.1997, WuW/E BGH 3113, 3114 – Rechtsschutz gegen Berufsordnung), nicht aber einen Anspruch auf ein konkretes Tätigwerden der Kartellbehörden (BGH vom 14.11.1968, BGHZ 51, 61, 67 f. – Taxiflug; BGH vom 25.10.1983, WuW/E BGH 2058, 2059 f. – Internord; BGH vom 19.12.1995, WuW/E BGH 3035, 3036 – Nichtzulassungsbeschwerde; BGH a.a.O. – Rechtsschutz gegen Berufsordnung). Zu möglichen Ansprüchen gegen die Kommission Steindorff, ZHR 150 (1986), 222 ff. 52 EuG vom 18.9.1992, T-24/90, Slg. 1992, II-2223 Rn. 77 – Automatec II. 53 Ob dies im Kartellrecht immer wünschenswert ist, steht auf einem anderen Blatt. Zum Verhältnis von Kartellrecht und Politik siehe auch Baur, in: Festschrift für Großfeld, S. 73 ff. 51
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sichtspunkte verlangt einen weiten Einschätzungs-, Handlungs- und Gestaltungsspielraum, über den ein Richter im Zivilverfahren nicht verfügt, weil er auf Grundlage des von den Parteien mitgeteilten und durch Beweisaufnahme ermittelten Sachstandes entscheidet und an die Anträge der Parteien gebunden ist54. Zudem ist es nicht Aufgabe der Gerichte, anhand außerrechtlicher Zweckmäßigkeitserwägungen Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik zu betreiben. Vielmehr handelt sich hierbei um einen geradezu paradigmatischen Wirkungskreis für die Einrichtungen der Exekutive55. Des Weiteren verfügen Behörden über bessere Aufklärungs- und Informationsmöglichkeiten als Privatpersonen. Dies erklärt sich aus der öffentlichen Stellung und Funktion der Behörde und daraus, dass sie – anders als ein privater Kläger – nicht vorrangig im Eigeninteresse handelt. Eine Behörde wird als eine neutrale Instanz tätig und unterliegt als Teil der öffentlichen Gewalt besonderen rechtlichen Bindungen und Gewährleistungen. Während ein Geschädigter sich die zur Anspruchsdurchsetzung relevanten Informationen nötigenfalls im Wege der Klage beschaffen muss (was allerdings ein wichtiges Korrektiv gegenüber vorschnellen und möglicherweise wenig aussichtsreichen Klagen darstellt), verfügen die Kartellbehörden über die Befugnis, »alle Ermittlungen zu führen und alle Beweise zu erheben, die erforderlich sind«56. Das schließt beispielsweise das Recht zur Beschlagnahme von Gegenständen57 und ein umfassendes Recht auf Auskunft58 ein. Schon diese Befugnisse im Vorfeld einer zu erlassenden Maßnahme können auf Unternehmen entscheidenden Druck ausüben und eine sanktionsähnliche Wirkung erzeugen. Behördliche Sanktionen verfügen über eine große Rechtsfolgenflexibilität, während das Privatrecht seiner Grundstruktur nach Tatbestand und Rechtsfolge in einem relativ starren Korsett miteinander verbindet59. Der Zivilrichter kann nur die gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen aussprechen (etwa die Verpflichtung des Verletzers zur Zahlung von Schadensersatz), sofern die Rechtsfolge nicht ohnehin schon durch das Gesetz selbst ausgesprochen wird und dem Richterspruch nicht einmal rechtsgestaltende Wirkung zukommt, wie im Falle der Nichtigkeit von Kartellvereinbarungen. Demgegenüber stehen einer Kartellbehörde weite Spielräume zu, mit welchen Maßnahmen sie gegen wettbewerbsbeschränkende Praktiken vorgeht. Die Kartellbehörde kann insbesondere gemäß § 32 Abs. 2 GWB Unternehmen und Unternehmensvereinigungen »alle Maßnahmen aufgeben, die für eine wirksame Abstellung der Zuwider-
54
§ 308 Abs. 1 ZPO. Mertens, AcP 178 (1978), 227, 257. Baur, in: Festschrift für Großfeld, S. 73, 75 spricht im Hinblick auf die Verwirklichung politischer Zielvorstellungen durch das GWB von einem »Konzept der Konkretisierung und der Hierarchisierung«. 56 § 57 Abs. 1 GWB. 57 § 58 GWB. 58 § 59 GWB. 59 Mestmäcker, AcP 168 (1968), 235, 243. 55
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handlung erforderlich und gegenüber dem festgestellten Verstoß verhältnismäßig ist«60. Schließlich ist von Bedeutung, dass Behörden die vielfach befürwortete Ökonomisierung des Kartellrechts besser umsetzen können als Private61. Eine Ökonomisierung des Kartellrechts begünstigt eine Tendenz zur fachbehördlichen Rechtsdurchsetzung. Denn in behördliche Verfahren lassen sich ökonomische Maßstäbe sehr viel besser einbinden als in Zivilklagen. Zudem ist es Behörden möglich, ökonomischen Sachverstand etwa durch die Beschäftigung von Sachkundigen gleichsam zu bündeln und damit eine einheitliche Verwaltungspraxis zu begründen, während die Berücksichtigung ökonomischer Gesichtspunkte in Zivilverfahren notwendigerweise nur punktuell erfolgen kann. Eine »Überforderung des Richters«62 droht zwar bei der zunehmenden Berücksichtigung ökonomischer Erwägungen nicht, denn es gehört zu den täglichen Aufgaben eines Richters, sich mit fremden Materien vertraut zu machen. Es droht aber für die Parteien eine Verlängerung der Verfahrensdauer von Schadensersatzklagen, eine Verteuerung von Verfahren (insbesondere wenn aufwendige Sachverständigengutachten erforderlich werden) und insgesamt eine Belastung der Verfahren mit zusätzlichem Konfliktpotenzial. Eine Ökonomisierung des Kartellrechts erschwert die Prozessführung durch private Kläger und streut privater Rechtsdurchsetzung Sand ins Getriebe63. 2. Rechtlicher und tatsächlicher Stellenwert der privatrechtlichen Sanktionen im Kartellrecht Die Materialien zum ersten GWB lassen darauf schließen, dass der deutsche Gesetzgeber den privatrechtlichen Sanktionen von Anfang an wesentliche Bedeutung beigemessen hat und diese als eigenständige und gleichberechtigte Sanktionsebene neben der behördlichen Kartellaufsicht etablieren wollte64. Die kartellrechtliche Praxis hat sich freilich nicht im Sinne eines völligen Gleichklangs von kartellbehördlichen und privatrechtlichen Sanktionen entwickelt. Nach Ansicht Möschels im Jahre 1983 bleibe angesichts der bisherigen Praxis zweifelhaft, ob die Problematik des privatrechtlichen Kartellschutzes ohne flankierende Maßnahmen des Gesetzgebers einen nachhaltigen Beitrag zur Eindämmung von Kartell-
60 Im Gemeinschaftsrecht findet sich die entsprechende Regelung in Art. 7 Abs. 2 S. 2 VO 1/ 2003, wonach die Kommission den Rechtsadressaten »alle erforderlichen Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art vorschreiben [kann], die gegenüber der festgestellten Zuwiderhandlung verhältnismäßig und für eine wirksame Abstellung der Zuwiderhandlung erforderlich sind«. 61 Zum Verhältnis von privater Rechtsdurchsetzung und »more economic approach« siehe etwa Böge/Ost, E.C.L.R. 2006, 197, 203 ff. 62 So die Befürchtung Ballerstedts, JZ 1956, 267, 271, der damit generell die Praktikabilität von zivilrechtlichen Sanktionen im Kartellrecht in Frage stellte. 63 Zimmer/Paul, JZ 2008, 611, 615. 64 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. II/1158, S. 44.
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verstößen beitragen könne65. Das wissenschaftliche Interesse galt auf Grundlage der alten Fassungen der Schadensersatzansprüche überwiegend der Frage, welche Kartellvorschriften Schutzcharakter aufweisen und damit eine private Klage ermöglichen. Im Besonderen stand dabei das Kartellverbot aus § 1 GWB a.F. im Mittelpunkt der Diskussion66. K. Schmidt bezeichnete den Streit um den Schutzcharakter des Kartellverbots als eines der »großen Themen«, die zur Besinnung auf Grundfragen des Rechts zwingen67. Denkbare Ansätze für eine Stärkung der privatrechtlichen Sanktionen wurden im Schrifttum früh diskutiert; einige dieser Vorschläge finden sich, in mehr oder weniger veränderter Form, nunmehr im Gesetzestext wieder68. Nicht selten wird das Verhältnis von privatrechtlichen und kartellbehördlichen Sanktionen in Deutschland und Europa mit der US-amerikanischen Situation verglichen69. In den Vereinigten Staaten wird die ganz überwiegende Zahl von Kartellverfahren von privaten Parteien eingeleitet70. Derartige Vergleiche vermitteln indessen leicht ein verzerrtes und damit wenig aussagekräftiges Bild71. Abgesehen von der unterschiedlichen rechtlichen Ausgangslage diesseits und jenseits des Atlantiks72 darf man nicht übersehen, dass die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den Vereinigten Staaten wesentlich von den deutschen und europäischen Verhältnissen abweichen73. Auch das Selbstverständnis von Unternehmen und Unternehmern, ihr Verhältnis zum Wettbewerb und zu wirtschaftlicher Freiheit sowie die Mentalität der Menschen in Europa
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Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rn. 233. Die Diskussion entzündete sich nicht erst am GWB, sondern wurde bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes auf der Grundlage des alliierten Dekartellierungsrechts und der Gesetzesentwürfe geführt; siehe dazu Fikentscher, BB 1956, 793, 795 f.; Flume, WuW 1956, 457, 465 ff. (einen Schutzgesetzcharakter bejahend) und Würdinger, WuW 1953, 721 ff.; Ballerstedt, JZ 1956, 267, 271; Strickrodt, WuW 1957, 75, 81 ff. (einen Schutzgesetzcharakter verneinend). Zum Stellenwert der damaligen Diskussion im Hinblick auf die Schutzgesetzproblematik K. Schmidt, in: Festschrift für Benisch, S. 293 ff. sowie ders., Aufgaben und Leistungsgrenzen der Gesetzgebung im Kartelldeliktsrecht, S. 17 ff. 67 K. Schmidt, in: Festschrift für Benisch, S. 293. 68 Beispielsweise sprach sich Steindorff, ZHR 138 (1974), 504, 517 ff. sowie ders., in: Festschrift für Larenz, S. 217, 241 für eine allgemeine Stärkung der Schadensersatzansprüche und einen »hohen Beweiswert« von Verwaltungsentscheidungen bei Schadensersatzklagen aus. 69 Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed, Rs. C-295 bis 298/04 (Manfredi) vom 26.1.2006, Slg. 2006, I-6619 Rn. 29; siehe dazu auch Bellamy, in: Globaler Wettbewerb und nationale Wettbewerbsordnungen, S. 47, 48 ff.; Berrisch/Burianski, WuW 2005, 878; Glöckner, WRP 2007, 490, 494; Keßler, WRP 2006, 1061; Wissenbach, Schadensersatzklagen gegen Kartellmitglieder, S. 18. 70 Möschel, WuW 2007, 483, 486 kritisiert, dass die oft genannte Rate der privaten Verfolgung von Kartellrechtsverstößen in den USA (ca. 90 Prozent) irreführend sei, weil sie nicht erkennen lasse, welchen Anteil daran Folgeklagen haben. 71 Möschel, WuW 2006, 115. 72 Dazu näher Bellamy, in: Globaler Wettbewerb und nationale Wettbewerbsordnungen, S. 47, 48; Möschel, WuW 2006, 115; ders. WuW 2007, 483, 486 f.; Steindorff, ZHR 138 (1974), 504, 509 ff. 73 McCarthy/Maltas/Bay/Ruiz-Calzado, in: The Antitrust Review of the Americas 2007, S. 38 ff. 66
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(und speziell in Deutschland) einerseits und in den Vereinigten Staaten andererseits sind ganz unterschiedlich ausgeprägt74. Diese fundamentalen Unterschiede zwischen Rechtsordnungen und Rechtskulturen mahnen zur Vorsicht gegenüber vorschnellen Schlüssen. Was den Erfolg oder Misserfolg der privatrechtlichen Rechtsdurchsetzung im Kartellrecht anbelangt, trifft man auf eine bemerkenswerte Bandbreite unterschiedlicher Einschätzungen. Aussagekräftige empirische Untersuchungen über einen längeren Zeitraum fehlen bislang75; die quantitativen Aussagen müssen sich daher vor allem auf die veröffentlichten Entscheidungen und Datenbankrecherchen stützen. In seiner Untersuchung gelangt Hempel zu folgenden Ergebnissen76: In der Entscheidungspraxis überwiegen Ansprüche wegen missbräuchlicher oder diskriminierender Verhaltensweisen nach § 20 GWB, wobei Ansprüche auf Belieferung im Vordergrund stehen. Daneben spielen Durchleitungsansprüche gemäß § 19 Abs. 4 Nr. 4 oder § 20 Abs. 1 und Abs. 2 GWB eine Rolle. In deutlich geringerem Maße haben die Gerichte über die Geltendmachung von Ansprüchen gegen Mitglieder eines Kartells zu entscheiden. Sonstige Kartellrechtsverletzungen wurden nur sehr selten mithilfe privatrechtlicher Ansprüche verfolgt. Wenn über die Bedeutung von privatrechtlichen Sanktionen gesprochen wird, muss man berücksichtigen, vor welchem Hintergrund die jeweilige Einschätzung getroffen wird. Wer die Reformbedürftigkeit von privatrechtlichen Sanktionen im Kartellrecht begründen will oder – wie die Kommission – diesen Bereich als neues Handlungsfeld erschließt, wird dem geltenden Recht schwerlich attestieren, in jeder Hinsicht voll funktionsfähig zu sein und allen Anforderungen der Praxis zu genügen. Es ist daher beispielsweise wenig verwunderlich, wenn in der von der Kommission in Auftrag gegebenen Ashurst-Studie den kartellrechtlichen Schadensersatzregelungen in den Mitgliedstaaten, auch dem deutschen Kartelldeliktsrecht, kurzerhand bescheinigt wird, es handele sich um eine »völlig unterentwickelte« Materie77. Ohne die nicht geringen Schwierigkeiten der privaten Rechtsdurchsetzung leugnen zu wollen, entpuppt sich dieses Bild bei genauerer 74
Dazu sogleich im Text unter 3. und oben § 1. C. I., S. 312 ff. und S. 43 ff. Für das Jahr 2004 hat das BKartA die private Kartellrechtsdurchsetzung näher untersucht und die Ergebnisse im Diskussionspapier »Private Kartellrechtsdurchsetzung« (S. 4 f.) vorgestellt; siehe auch Böge/Ost, E.C.L.R. 2006, 197: Danach wurden 240 zivilgerichtliche Entscheidungen erfasst, in deren Verfahrensverlauf die Verletzung kartellrechtlicher Normen geltend gemacht wurde. 68 Verfahren betrafen die Geltendmachung eines kartellrechtlichen Anspruchs. 56 Verfahren wurden nach deutschem Recht entschieden, wobei 20 gewonnen und 36 verloren wurden. Die übrigen zwölf Verfahren wurden nach europäischem Recht entschieden, wobei drei gewonnen und neun verloren wurden. 38 Fälle betrafen (auch) pekuniären Schadensersatz, wobei die Kläger in 19 Fällen obsiegten. Für die Jahre 2006 und 2007 geben Weidenbach/Saller, BB 2008, 1020, 1021 die Zahl der Schadensersatzklagen in Deutschland mit ca. 100 und ca. 120 an. 76 Hempel, Privater Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 80 f.; ders. WuW 2004, 362, 365. 77 »The picture that emerges from the present study on damages for breach of competition law in the enlarged EU is one of astonishing diversity and total underdevelopment«, Ashurst-Studie, Comparative report, S. 1. 75
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Betrachtung als einseitig und wird der Rechtswirklichkeit nicht gerecht78. Der Stellenwert der privaten Rechtsdurchsetzung ist jedenfalls in Deutschland stark von den jeweiligen Erscheinungsformen kartellrechtswidriger Praktiken und von den geltend gemachten Ansprüchen abhängig79. Von einer generellen Unterentwicklung der privaten Rechtsdurchsetzung kann deswegen – zumindest bezogen auf die Rechtslage in Deutschland – nicht die Rede sein. Ausgewogener und treffender ist die differenzierende Beurteilung Bornkamms: »Wollte man eine Erfolgsgeschichte des GWB schreiben, müsste man der zivilrechtlichen Sanktion kartellrechtlicher Verstöße – genauer gesagt: bestimmter kartellrechtlicher Verstöße – ein besonderes Kapitel widmen. (…) Bestehen zivilrechtliche Ansprüche, treten die anderen Sanktionsmöglichkeiten – Abstellungsverfügung und Bußgeld – in ihrer Bedeutung häufig zurück. Auch ohne die Verheißung von ›punitive damages‹ und ›contingency fees‹, ohne die Möglichkeiten einer ›pre-trial discovery‹ und einer ›class action‹ nach amerikanischem Vorbild (…) trägt in Deutschland die Mobilisierung Dritter, die von einer Wettbewerbsbeschränkung betroffen sind, jedenfalls in Teilbereichen entscheidend zur Effizienz kartellrechtlicher Verbote bei«80.
Eine ähnlich positive Einschätzung findet sich bei Karsten Schmidt zur privaten Rechtsdurchsetzung in den Fällen rechtswidriger Diskriminierungen und Behinderungen: Es handele sich hierbei um »gelebtes Recht, und zwar weit über die schon erkleckliche Zahl an höchstrichterlich entschiedenen Prozessen hinaus. Wer heute selektive Vertriebssysteme aufbaut – das gilt für fast alle Markenhersteller und -importeure – kann dies nur im Einklang mit den Regeln des europäischen und nationalen Kartellrechts tun. Der Beratungsbedarf ist groß, die unsichtbare Hand des Kartellrechts allgegenwärtig, die Zahl der Grundsatzentscheidungen bemerkenswert«81. In jüngerer Zeit ist eine verstärkte Tendenz zur privaten Kartelldurchsetzung im Wege von Schadensersatzklagen zu beobachten, wie jüngere Entscheidungen belegen82. Durch die Neuerungen im Rahmen der siebten GWB-Novelle und die beabsichtigten Maßnahmen der Kommission83 kann das Kartelldeliktsrecht künftig möglicherweise weiter an Bedeutung gewinnen. Die siebente GWBNovelle markiert jedenfalls einen entscheidenden Einschnitt in der Entwicklung des Kartelldeliktsrechts. Ob und inwieweit die mit dieser Novellierung des Ge78
Ebenso Lübbig/le Bell, WRP 2006, 1209, 1215; Ritter, WuW 2008, 762, 764 f. Sehr kritisch zur Ashurst-Studie BKartA, Diskussionspapier »Private Kartellrechtsdurchsetzung«, S. 5: Die empirischen Aussagen der Ashurst-Studie seien aus methodischer Sicht »kaum haltbar« und in ihren Ergebnissen für Deutschland »schlicht falsch«. 79 Zu Recht kritisiert Eilmannsberger, CML Rev. 44 (2007), 431, 437 f., dass der Blick des Gemeinschaftsrechts zu sehr auf Schadensersatzklagen verengt ist. 80 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 2. 81 K. Schmidt, AcP 206 (2006), 169, 190. 82 OLG Karlsruhe vom 28.1.2004, GRUR 2004, 883 – Vitaminkartell; LG Mannheim vom 11.7.2003, GRUR 2004, 182 – Vitaminkartell; LG Mainz vom 15.1.2004, WuW DE-R 1349 – Vitaminpreise Mainz; LG Dortmund vom 1.4.2004, WuW DE-R 1352 – Vitaminpreise Dortmund. Vgl. ferner auch LG Berlin vom 23.5.2003, WuW DE-R 1325 – Berliner Transportbeton II. 83 Dazu sogleich unter III. 3., S. 330 ff.
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setzes vorgenommenen Änderungen bei den privatrechtlichen Sanktionen künftig sichtbare Verschiebungen des Gewichts der privaten Rechtsdurchsetzung zur Folge haben, wird man jedoch erst in einigen Jahren verlässlich beurteilen können. Die Aussichten für den privaten Rechtsschutz im Kartellrecht sind, nicht zuletzt aufgrund der Triebkraft der Entwicklungen auf europäischer Ebene, keineswegs ungünstig. Die Verfolgung von Kartellrechtsverstößen mit Hilfe von Schadensersatzklagen bildet mittlerweile sogar ein eigenständiges Geschäftsmodell. 2002 wurde die CDC84 Holding SA, eine Aktiengesellschaft belgischen Rechts gegründet, die nach eigenem Bekunden »Keimzelle, Motor und Plattform der Durchsetzung privater Schadensersatzansprüche aus nationalen und internationalen Kartellverstößen« sein will. CDC versteht dabei »die mit Kartelldelikten verbundenen Schadensersatzansprüche als eigenständiges, marktfähiges Wirtschaftsgut«85. Das Geschäftsziel dieses Unternehmens besteht in der Verfolgung von Kartellrechtsverstößen, indem Forderungen von verschiedenen Geschädigten eines Kartellverstoßes gebündelt werden und das zur Rechtsdurchsetzung erforderliche Know-How konzentriert wird86. Gegenwärtig betreibt CDC in Deutschland – soweit ersichtlich – das einzig nennenswerte Schadensersatzverfahren wegen eines Kartellrechtsverstoßes in größerem Umfang87. Anlass dieses Verfahrens ist ein Kartell von mehreren Zementherstellern. CDC ließ sich die Ansprüche von Zementabnehmern abtreten und geht nun gegen Beteiligte des Zementkartells vor. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage hatten keinen Erfolg88. Zudem entschied das OLG Düsseldorf, dass das Verfahren nicht wegen § 33 Abs. 4 GWB bis zum rechtskräftigen Abschluss des Bußgeldverfahrens ausgesetzt werden muss89. Ob sich hier ein gangbarer Weg abzeichnet, der es womöglich lukrativ erscheinen lässt, Kartellrechtsverstöße nachhaltig zu verfolgen, bleibt abzuwarten. Der Gedanke, dass eine Verfolgung von Rechtsverstößen zum Geschäftsmodell erhoben wird, stößt in Deutschland nach wie vor leicht auf Misstrauen90, doch sind diese Entwicklungen auch auf positive Resonanz gestoßen91.
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CDC = Cartel Damages Claims. Selbstbeschreibung im Unternehmensprofil unter http://www.carteldamageclaims.com/profil.html. 86 Zum Arbeitsfeld von CDC siehe http://www.carteldamageclaims.com/Taetigkeitsbereiche.htm. 87 Zu diesem Verfahren näher Hölzel, Kartellrechtlicher Individualschutz im Umbruch – Neue Impulse durch Grünbuch und Zementkartell, S. 32 ff. 88 Siehe dazu BGH vom 7.4.2009, KZR 42/08 (Zurückweisung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das OLG Düsseldorf); OLG Düsseldorf vom 14.5.2008, WuW/DE-R 2311 ff. – Belgisches Kartellklageunternehmen; LG Düsseldorf vom 21.2.2007, WuW/E DE-R 1948 ff. 89 OLG Düsseldorf vom 3.5.2006, WuW/E DE-R 1755. 90 Schnelle, in: Festschrift für Mailänder, S. 195, 213: »Kommerzialisierung von Schadensersatzansprüchen durch gewerbliche Unternehmen.«; generell sieht Möschel, WuW 2006, 115 und ebenso ders., in Festschrift für Bechtold, S. 329, 336 ein »erhebliches Missbrauchspotenzial« in privater Rechtsdurchsetzung. 91 BKartA, Diskussionspapier »Private Kartellrechtsdurchsetzung«, S. 5 zur Tätigkeit von CDC: »Sollte dieses Beispiel Schule machen, so könnten künftig auch im Bereich der Zivilklagen gegen Mitglieder von Hardcore-Kartellen steigende Fallzahlen zu verzeichnen sein«. 85
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3. Funktionalisierung des kartellrechtlichen Schadensersatzes Kartelldeliktsrecht lässt sich nur unzureichend mit einem Blick durch die Brille deliktischen Individualschutzes begreifen. Das Kartelldeliktsrecht und speziell der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch werden von überindividuellen Schutzinteressen und entsprechenden Wertungen besonders stark beeinflusst92. Dieser besonderen Bedeutung wird nur unzureichend Rechnung getragen, wenn versucht wird, den Schutz der »Institution Wettbewerb« und den Individualschutz der Marktteilnehmer auseinanderzudividieren und beide Aspekte voneinander zu trennen93. Der Wortlaut der alten Fassungen des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruches begünstigte allerdings ein solches Bemühen. Denn den »Dreh- und Angelpunkt« bildete das gesetzlich verankerte »Schutzprinzip« nach dem Vorbild von § 823 Abs. 2 S. 1 BGB. Freilich ist es weniger das Prinzip selbst gewesen, das sich als »Hemmschuh« erwies. Vielmehr lag das Problem in dem Bemühen, § 823 Abs. 2 S. 1 BGB und § 33 GWB a.F. weithin in gleichem Sinne auszulegen und anzuwenden. Einen anderen Weg hat das Gemeinschaftsrecht eingeschlagen. Es hat sich mit privatrechtlichen Sanktionen lange Zeit eher am Rande beschäftigt, ist aber in jüngerer Zeit zum entscheidenden Impulsgeber geworden. Dabei laufen drei Entwicklungen zusammen, die sich wechselseitig beeinflussen und verstärken: Erstens ist die privatrechtliche Rechtsdurchsetzung mit der Neugestaltung des Kartellverfahrens mit der VO 1/2003 und dem damit verbundenen Übergang zum System der Legalausnahme94 verstärkt in den Blickpunkt gerückt. In den Erwägungsgründen der Verordnung wird dazu ausgeführt: »Die einzelstaatlichen Gerichte erfüllen eine wesentliche Aufgabe bei der Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln. In Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatpersonen schützen sie die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden subjektiven Rechte, indem sie unter anderem den durch die Zuwiderhandlung Geschädigten Schadenersatz zuerkennen. Sie ergänzen in dieser Hinsicht die Aufgaben der einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörden. Ihnen sollte daher gestattet werden, die Artikel 81 und 82 des Vertrags in vollem Umfang anzuwenden«95.
Zweitens sind der Rechtsprechung des EuGH – insbesondere in den Rechtssachen Courage und Crehan und Manfredi – wichtige Vorgaben zur privaten Rechtsdurchsetzung bei Kartellrechtsverstößen zu entnehmen96. Drittens hat die 92 »Privatklagen dienen nicht nur der Durchsetzung von Individualinteressen, sondern ergänzen die wettbewerbsschützende Tätigkeit der Kartellbehörden und weisen zugleich einen überindividuellen, öffentlichen Bezug auf«, Fuchs, WRP 2005, 1384, 1392 Fn. 103; siehe auch Linder, Privatklage und Schadensersatz im Kartellrecht, S. 21 ff.; Steindorff, in: Festschrift für Raiser, S. 621, 639; ders., in: Festschrift für Larenz, S. 217, 240 f. 93 Siehe oben § 2. A. II. 2. c), S. 62 ff. 94 Zu dem Hemmnissen der früheren Verfahrensweise für die privatrechtliche Rechtsverfolgung Bechtold ZHR 160 (1996), 660 ff. 95 Erw. 7. 96 Dazu sogleich im Text unter III. 1. und 2., S. 317 ff. und S. 325 ff.
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Kommission die private Rechtsdurchsetzung als neues Handlungsfeld erschlossen und sie hat bereits detaillierte Handlungspläne vorgestellt97. Diesen gemeinschaftsrechtlichen Einflüssen liegt die Überzeugung zugrunde, dass die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen vor den einzelstaatlichen Gerichten einen bedeutenden Beitrag zur Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft leistet, weil sie geeignet ist, Unternehmen von Vereinbarungen und Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen98. Zugleich geht von der Zuerkennung privatrechtlicher Ansprüche bei Wettbewerbsbeschränkungen eine entscheidende wettbewerbspolitische Signalwirkung aus. Die Rechtsordnung bringt dadurch zum Ausdruck, dass die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit von Wettbewerb nicht allein aus Gründen eines abstrakten Allgemeinwohls geschieht, sondern der Erhalt der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs im Interesse der einzelnen Marktakteure liegt und deren Individualinteresse auch im Interesse der Allgemeinheit mobilisiert werden sollte99. Zivilklagen können insgesamt »zur Entwicklung einer Wettbewerbskultur unter den Marktteilnehmern beitragen«100. Deutlich zum Ausdruck kommt dieser institutionelle Gedanke der Verantwortung eines jeden Marktakteurs für den Erhalt des funktionsfähigen Wettbewerbs in einer viel zitierten Passage des EuGH: »Die volle Wirksamkeit des Art. 85 EGV und insbesondere die praktische Wirksamkeit des in Art. 85 I EGV ausgesprochenen Verbots wären beeinträchtigt, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist. Ein solcher Schadensersatzanspruch erhöht nämlich die Durchsetzungskraft der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln und ist geeignet, von – oft verschleierten – Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können. Aus dieser Sicht können Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beitragen«101.
In Deutschland wird diese Passage zumeist als dogmatische Aussage des EuGH zum Kreis der Anspruchsberechtigten verstanden. Das ist sicher nicht unzutreffend, greift aber in der Sache etwas zu kurz. Denn der EuGH hebt in der Entscheidung die fundamentale Bedeutung von privatrechtlichen Sanktionen bei der Bekämpfung von Wettbewerbsbeschränkungen hervor. Wenn »jedermann« Er97
Dazu sogleich unter III. 3., S. 330 ff. Bekanntmachung der Kommission 2004/C 101/65 Nr. 13. 99 Emmerich, ZHR 139 (1975), 501, 517; Fuchs, WRP 2005, 1384, 1392; ders., in: Enforcement – Die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts, S. 183, 191 f.; Wagner, in: Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, S. 605, 607. 100 Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed, Rs. C-295 bis 298/04 (Manfredi) vom 26.1.2006, Slg. 2006, I-6619 Rn. 30. 101 EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 26 f. – Courage und Crehan; nahezu identisch EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298, Slg. 2001, I-6619 Rn. 87 f. – Manfredi. 98
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satz eines Schadens verlangen kann, der durch ein kartellrechtswidriges Verhalten entstanden ist, dann kommt darin das Leitmotiv einer Wettbewerbsordnung zum Ausdruck, wonach jeder einzelne Marktakteur Verantwortung für den Erhalt der Funktionsfähigkeit dieser Wettbewerbsordnung Verantwortung trägt102. Diese Philosophie des Gemeinschaftsrechts ist keineswegs völlig neu, sondern findet sich ganz ähnlich auch in deutschen Entscheidungen. Zu § 1 GWB a.F. führt der BGH aus: »Angesichts der Bedeutung, die dem Kartellverbot nach dem Gesetz in der Wirtschaftsordnung, insbesondere der machteinschränkenden Kontrolle eines gemeinsam vereinbarten Verhaltens auf dem Markt zukommt, genügt in einem Fall dieser Art die Rechtsschutzverweigerung allein, wie sie im § 1 GWB zum Ausdruck kommt, und die Bußgeldandrohung wegen einer Ordnungswidrigkeit (§ 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB) nicht. Mangels eines außerkartellrechtlichen Deliktsschutzes in diesem Interessenbereich, etwa aus dem Gesichtspunkt des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, und mangels eines hinreichenden kartellrechtlichen Deliktsschutzes im vorliegenden Fall, ist auch aus deliktsrechtlicher Sicht ein solcher Schutz derjenigen gesetzestreuen Wettbewerber geboten, auf deren Kosten die Abschnürung des Marktzutritts durch die Bekl. vollzogen wird. Daß beim Schadensersatzanspruch die Feststellung des Ausmaßes des Schadens unter Umständen gewisse Schwierigkeiten bereiten kann, ist kein durchgreifender Gesichtspunkt gegen diese Auslegung, weil Schwierigkeiten dieser Art im Wettbewerbsrecht auch sonst auftreten können. Schließlich braucht sich ein Unternehmen bei der drohenden Gefährdung seiner Interessen am freien Wettbewerb auf einem bestimmten Markt nicht allein auf das Eingreifen der zuständigen Kartellbehörde verweisen zu lassen«103.
Hält man diese Passage des BGH und die Ausführungen des EuGH in der Courage und Crehan-Entscheidungen nebeneinander, dann ist unschwer zu erkennen, dass die Bedeutung privatrechtlicher Rechtsdurchsetzung bei der Bekämpfung von Wettbewerbsbeschränkungen in der deutschen Rechtsprechung klar erkannt war und auch der Gedanke der Eigenverantwortung der Unternehmen im Wettbewerb für den Wettbewerb deutlich ausgesprochen wird. Die Richter verschafften – wie es Hefermehl in seiner Anmerkung zur Entscheidung formulierte – »dem Kartellverbot die nötige Evidenz im zivilrechtlichen Bereich, ohne die Schwierigkeiten zu übersehen, die sich für einen Schadensersatzanspruch bei der Bemessung des Schadens ergeben können«104. Offenbar bedurfte es aber erst des gemeinschaftsrechtlichen Anstoßes, um diese Überlegungen wieder in das Bewusstsein zu rücken und daraus die entsprechenden Konsequenzen für die Rechtsanwendung zu ziehen. 102
»Erfolgreiche Zivilklagen liefern einen Beitrag zur Durchsetzung des Rechts und können den Marktteilnehmern und damit auch den Verbrauchern von Augen führen, dass Wettbewerbsregeln einzuhalten sind und Verstöße auf eigene Initiative abgestellt werden können«, BKartA, Diskussionspapier »Private Kartellrechtsdurchsetzung«, S. 4. 103 BGH vom 4.4.1975, BGHZ 232, 238 – Krankenhaus-Zusatzversicherung. 104 Hefermehl, GRUR 1976, 156, 157; Tilmann, ZHR 141 (1977), 32, 40 f. interpretiert diese Entscheidung dahingehend, der BGH habe »eine Rechtsentwicklung vorsichtig einleiten, die Tür zu einer richterlichen Rechtsfortbildung öffnen wollen«.
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Wettbewerb ist nach dieser Lesart keine staatliche Wohltat für Marktakteure und keine hoheitlich gesetzte »Institution«, von der die Marktakteure als bloße Nutznießer profitieren. Wettbewerb ist vielmehr ein staatlich geschützter Bereich zur Wahrnehmung individueller Handlungsfreiheit, der von jedem, der im Rahmen dieses Freiheitsbereiches zu eigenem Nutzen tätig wird, gegen staatliche oder private Funktionsbeschränkungen verteidigt werden muss. Dieses Verständnis des EuGH ist in der Manfredi-Entscheidung bestätigt worden105. Ebenfalls in diese Richtung zielen die Arbeiten der Kommission zur Vereinheitlichung des Rechtsrahmens für die Schadensersatzklagen Kartellgeschädigter. Zwar betont die Kommission im Weißbuch das Ziel, allen Opfern von Verstößen gegen das EG-Kartellrecht Zugang zu wirksamen Rechtschutzinstrumenten zu verschaffen, damit sie Schäden in vollem Umfang ersetzt erhalten106. Doch erschöpft sich das Regelungsziel eben nicht allein in der Etablierung wirksamen Individualschutzes für Kartellgeschädigte. Nach Auffassung der Kommission ist der Schutz eines funktionierenden Wettbewerbs »ein integraler Bestandteil des Binnenmarktes und von maßgeblicher Bedeutung für die Umsetzung der Strategie von Lissabon«. Das Leitmotiv des Gemeinschaftsrechts bildet die Schaffung einer »Kultur des Wettbewerbs«, die »zu einer besseren Ressourcenverteilung, zu mehr wirtschaftlicher Effizienz und Innovation und zu niedrigen Preisen« beiträgt107. Das Gemeinschaftsrecht kann solche Überlegungen unbefangener aufnehmen und integrieren als die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Das deutsche Kartelldeliktsrecht hat sich beispielsweise aus deliktsrechtlichen Strukturen entwickelt, die auf dem Konzept des Individualschutzes absoluter Rechtspositionen beruhen. Einer solchen Rechtsordnung fällt es naturgemäß schwer, den Schutz überindividueller Interessen in die Haftungsdogmatik zu integrieren. Die intensiv geführten Diskussionen über Individualschutz und Institutionsschutz durch das Kartellrecht belegen diesen Befund. Der Gesetzgeber verfolgte mit der siebenten GWB-Novelle das Ziel, das nationale Kartellrecht weitgehend an das Gemeinschaftskartellrecht anzupassen. Damit wurde das deutsche Kartellrecht für europäische Einflüsse noch weiter geöffnet. Diese Öffnung erleichtert die Integration von individuellen und überindividuellen Interessen innerhalb der Schadensersatzhaftung. Die Zuerkennung eines individuellen Anspruchs beruht allerdings nicht allein auf einer institutionellen Vereinnahmung des Privatrechts. Der individuelle Anspruch ist kein Vehikel zur ausschließlichen Durchsetzung überindividueller Zwecke und der Geschädigte wird auch nicht zum ordnungspolitischen »Die-
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EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298, Slg. 2006, I-6619 Rn. 60 f. – Manfredi. »Alle Bürger und Unternehmen, die aufgrund einer Zuwiderhandlung gegen die EG-Wettbewerbsvorschriften der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag einen Schaden erleiden, müssen vom Rechtsverletzer Schadensersatz fordern können«, Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 3. 107 Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 3. 106
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ner« degradiert108. Vielmehr wird ein realiter bestehendes Individualinteresse im überindividuellen Interesse mobilisiert. Eine Stärkung der gesetzlichen Ausgangsbedingungen einer privaten Rechtsdurchsetzung kann dazu beitragen, dass das Bewusstsein einer Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Wettbewerbs in allen Kreisen wächst, was auf längere Sicht möglicherweise zu einem Mentalitätswandel und zu einer größeren Bereitschaft zur privaten Rechtsdurchsetzung führen kann109. Uneingeschränkte Zustimmung verdient die Einschätzung Basedows zur »erzieherischen Wirkung«, die von einem Ausbau der privaten Rechtsdurchsetzung im Kartellrecht für alle betroffenen Kreise ausgehen kann: »Für die Verbreitung des wettbewerblichen Denkens in der Bevölkerung insgesamt und der Juristenschaft im Besonderen wird sich der Ausbau des Kartelldeliktsrechts als heilsam erweisen … Wenn die von Wettbewerbsbeschränkungen betroffenen Lieferanten, Wettbewerber und Kunden im Verlaufe der kommenden Jahre stärker als bisher Ersatz der ihnen entstandenen Schäden verlangen, wird sich dies auch in einer Veränderung des wettbewerblichen Denkens in der Anwaltschaft niederschlagen. Es steht zu hoffen, dass in der Folge auch die weitreichenden Defizite wettbewerblicher Überzeugungen in der Bevölkerung verringert werden und dass das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Wettbewerbs als Ordnungsmodell wieder ein breiteres Fundament erlangt«110.
III. Einfluss des Gemeinschaftsrechts Mittlerweile kann von einer nachhaltigen und tief gehenden Prägung des nationalen Kartellrechts durch das Gemeinschaftskartellrecht gesprochen werden111. Die Dynamik dieses Einflusses nimmt stetig zu112. Damit haben sich die kartellrechtlichen Prioritäten in rechtshistorischer Betrachtung umgekehrt. Während im »Schlachtenlärm« des Kampfes um das GWB der Beginn der europäischen Wettbewerbspolitik kaum wahrgenommen wurde113, ist heute das Gemeinschaftskar-
108 In diese Richtung scheinen aber die Überlegungen K. Schmidt, AcP 206 (2006), 170, 188 zu gehen. Ähnlich Brinker/Balssen, in: Festschrift für Bechtold, S. 69, 75: Der Schadensersatzanspruch des Einzelnen sei ein »bloßes strategisches Werkzeug der Rechtsdurchsetzung«. 109 Zum Einfluss der »Rechtsmentalität« im Zusammenhang mit privaten Klagen im Wettbewerb oben § 1. C., S. 42 ff.; siehe auch van Gerven, in: Basedow, Private Enforcement of EC Competition Law, S. 19, 38: »even when all legal and institutional hurdles will have been overcome, the most important factor will be to change the mentality which in Europe is not propitious for a litigation culture«. 110 Basedow, ZWeR 2006, 294, 304 f. 111 Zur Vorbildfunktion des Gemeinschaftskartellrechts für die Ausgestaltung der nationalen Kartellordnungen Dannecker, in: Festschrift für Immenga, S. 61. 112 Noch im Jahre 1996 konstatierte Rittner, JZ 1996, 377, die zivilrechtlichen Nichtigkeitsfolgen und Schadensersatzansprüche bei der Verletzung des Gemeinschaftsrechts seien für viele Vertragspartner, aber auch für manche Gerichte und Anwälte selbst nach vierzig Jahren Geltung noch mit einem »gewissen Überraschungseffekt« verbunden. 113 Mestmäcker, WuW 2008, 6, 11.
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tellrecht für alle Bereiche zum entscheidenden Motor der Kartellrechtsentwicklung geworden114. 1. Judikatur des EuGH Der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch bei Verstößen gegen Vorschriften des Gemeinschaftskartellrechts hat durch mehrere Entscheidungen des EuGH maßgebliche Konturen gewonnen. a) Gemeinschaftsrechtliche Ausgangspunkte Gleichsam als gedanklicher Ausgangspunkt und als Basis ist festzuhalten, dass die Anwendung des Gemeinschaftsrechts nicht allein den Organen der Gemeinschaft in alleiniger Kompetenz überlassen ist, sondern dass der Vertrag unmittelbare Wirkungen erzeugen und individuelle Rechte begründen kann, die von den staatlichen Gerichten zu beachten sind115. Speziell gewendet auf die Kartellbestimmungen des Vertrages hat der EuGH ausgesprochen, dass Art. 81 und 82 EG – vormals Art. 85 und 86 EGV – in den Beziehungen zwischen Einzelnen unmittelbare Wirkungen erzeugen und unmittelbar in deren Person Rechte entstehen lassen, die die Gerichte der Mitgliedstaaten zu wahren haben116. Allerdings ergab sich daraus noch nicht mit letzter Sicherheit, welcher Art diese Rechte waren und welche Rechtsfolgen im Falle einer Verletzung dieser Rechte ausgelöst werden. Die grundlegende Bedeutung dieser EuGH-Rechtsprechung für die weitere Entwicklung des Kartelldeliktsrechts war jedoch bereits erkannt117. Diese Grundlagen muten heute völlig selbstverständlich an, doch mussten sich diese Einsichten, gerade auch in der deutschen Rechtsprechung, erst allmählich durchsetzen118. Selbst in jüngerer Zeit werden die Bedeutung des Gemeinschaftsrechts und die Tragweite von konkretisierenden Entscheidungen des EuGH von Instanzgerichten vereinzelt in geradezu erstaunlicher Weise verkannt. Das Landgericht Mannheim sprach beispielsweise im Jahre 2003 der Courage und CrehanEntscheidung des EuGH kurzerhand jegliche Bedeutung für eine auf § 823
114 »Wir können die fortschreitende Europäisierung des Wettbewerbsrechts nur richtig einordnen, wenn wir darin keinen Gegensatz zur nationalen Wettbewerbsordnung, sondern ihre Verwirklichung in einem neuen Rahmen sehen. Der tief greifende Wandel erfasst außer den wettbewerbsrechtlichen Normen auch die Rolle der Staaten, ihrer Behörden und Gerichte«, Mestmäcker, WuW 2008, 6, 22. 115 EuGH vom 5.2.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 Rn. 12 ff. – van Gend & Loos. 116 EuGH vom 30.1.1974, Rs. 127/73, Slg. 1974, 51 Rn. 16 – BRT I; EuGH vom 30.4.1974, Rs. C-155/73, Slg. 1974, 409 Rn. 18 – Sacchi; zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 85 EGV a.F. »im Grundsatz« siehe bereits EuGH vom 6.4.1962, Rs. C-13/61, WuW/E EWG/MUV 48, 50 f. – Bosch. 117 Nach Einschätzung Tilmanns, ZHR 141 (1977), 32, 55 ist keine andere Einschätzung möglich als die, »daß der EuGH bereit ist, deliktsrechtliche Folgen aus dem Vertrag selbst herzuleiten« und weiter: »Ich möchte daher … nur den Beginn eines deliktsrechtlichen Rechtsschutzes aus dem Vertrag in Verbindung mit dem nationalen Recht sehen«. 118 Baur, EuR 1988, 257 f.; Rittner, JZ 1996, 377, 379.
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Abs. 2 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 81 EG gestützte kartelldeliktische Schadensersatzhaftung ab119. b) Urteil vom 13.4.1994, Rs. C-128/92 – Banks Vor Courage und Crehan und Manfredi streifte die Banks-Entscheidung120 bereits die Problematik privatrechtlicher Schadensersatzansprüche bei der Verletzung des Gemeinschaftskartellrechts. Bemerkenswert ist insbesondere die eingehende Stellungnahme zur kartelldeliktischen Schadensersatzhaftung bei Verstößen gegen EG-Kartellvorschriften in den Schlussanträgen des Generalanwalts van Gerven121. Der EuGH hatte sich in diesem Streitfall jedoch nicht näher mit den tatbestandlichen Anforderungen eines Schadensersatzanspruchs bei Verstößen gegen EG-Kartellvorschriften zu befassen, sondern letztlich allein mit der sachlich vorgelagerten, aber nicht minder wichtigen Frage des Verhältnisses der kartellbehördlichen und privatrechtlichen Sanktionen zueinander. Die Entscheidung betraf einen Streit über die kartellrechtliche Zulässigkeit von Lizenzen für den Rohkohleabbau und die damit verbundenen Gebühren und Zahlungsbedingungen mit Art. 65 und 66 EGKS. Diese Vorschriften enthielten die ersten europäischen Kartellbestimmungen122. Unter anderem wurde dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vorgelegt, ob ein nationales Gericht befugt oder verpflichtet ist, bei Verstößen gegen die EGKS-Vorschriften Ersatz für die aufgrund der Verstöße entstandenen Schäden zuzusprechen. Gemäß Art. 65 § 4 Abs. 2 EGKS123 war die Kommission ausschließlich dafür zuständig, darüber zu entscheiden, ob die Vereinbarungen gegen Art. 65 EGKS verstoßen. Ebenso enthielt Art. 66 § 7 EGKS124 nach Auffassung des EuGH die Zuweisung einer ausschließlichen Zuständigkeit für die Kommission125. Der EuGH folgerte daraus, dass diese Vorschriften dem Einzelnen keine Rechte vermitteln, deren Verletzung vor nationalen Ge-
119 LG Mannheim vom 11.7.2003, GRUR 2004, 182, 183 – Vitaminkartell. Zu dieser auch sonst höchst kritikwürdigen Entscheidung näher unten im Text C. II. 5. a) bb), S. 371 ff. 120 EuGH vom 13.4.1994, Rs. C-128/92, Slg. I-1209 – Banks. 121 Schlussanträge des Generalanwalts van Gerven, Rs. C-128/92 (Banks) vom 27.10.1993, Slg. I-1209, 1243 ff. 122 Dazu näher Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 2 Rn. 11 ff. 123 Die Vorschrift lautete: »Vorbehaltlich der bei dem Gerichtshof zu erhebenden Klagen ist die Kommission ausschließlich zuständig, darüber zu entscheiden, ob die genannten Vereinbarungen oder Beschlüsse mit den Bestimmungen dieses Artikels in Einklang stehen«. 124 Die Vorschrift lautete: »Stellt die Kommission fest, daß öffentliche oder private Unternehmen, die rechtlich oder tatsächlich auf dem Markt eines ihrer Zuständigkeit unterstehenden Erzeugnisses eine beherrschende Stellung einnehmen oder erwerben, durch die sie einem tatsächlichen Wettbewerb in einem beträchtlichen Teil des gemeinsamen Marktes entzogen werden, diese Stellung zu mit diesem Vertrag im Widerspruch stehenden Zwecken verwenden, so richtet sie an diese Unternehmen alle geeigneten Empfehlungen, um zu verhindern, daß sie ihre Stellung für diese Zwecke ausnutzen. Werden die Empfehlungen nicht innerhalb einer angemessenen Frist in befriedigender Weise ausgeführt, so setzt die Kommission durch Entscheidungen, die nach Anhörung der beteiligten Regierung erlassen werden und bezüglich deren die in Artikel 58, 59 und 64 vorgesehenen Sanktionen anwendbar sind, für das betreffende Unternehmen Preise und Verkaufsbedingungen sowie Fabrikations- oder Lieferprogramme fest«. 125 EuGH vom 13.4.1994, Rs. C-128/92, Slg. 1994, I-1209, Rn. 18 – Banks.
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richten geltend gemacht werden kann126. Hieraus ergibt sich nach Ansicht des Gerichtshofes weiter, dass die nationalen Gerichte wegen der ausschließlichen Zuständigkeit der Kommission für die Feststellung von Verstößen gegen die Artikel 65 und 66 § 7 EGKS nicht mit einer Klage auf Schadensersatz befasst werden können, wenn die Kommission im Rahmen dieser Zuständigkeit keine Entscheidung getroffen hat127. Der EuGH stellte die (fehlende) unmittelbare Wirkung der einschlägigen Kartellvorschriften zugunsten einzelner Geschädigter in den Vordergrund, doch zielt die Argumentation in der Sache auf eine funktionelle Abstimmung von privatrechtlichen und kartellbehördlichen Sanktionen. Privatrechtliche Sanktionen dürfen nicht dazu führen, dass spezielle Sanktionsmechanismen ausgehebelt oder umgangen werden. Wenn also im Falle eines Rechtsverstoßes eine ausschließliche kartellbehördliche Zuständigkeit gesetzlich bestimmt ist, dann darf dieser gesetzlich verankerte Sanktionsmechanismus nicht unterlaufen werden, indem unabhängig von kartellbehördlichen Maßnahmen privatrechtliche Ansprüche zugesprochen werden.
c) Urteil vom 28.2.1991, Rs. C-234/89 – Delimitis und Urteil vom 14.12.2000, Rs. C-344/98 – Masterfoods und HB Einen weiteren Meilenstein bei der Ausgestaltung der privatrechtlichen Sanktionen bilden die Entscheidungen Delimitis128 und Masterfoods und HB129. Diese Entscheidungen enthalten grundsätzliche Aussagen zum Verhältnis von kartellbehördlichen Maßnahmen und den Entscheidungen nationaler Gerichte. Auf die Masterfoods und HB-Entscheidung ist Art. 16 VO 1/2003 zurückzuführen. Diese Vorschrift wiederum stand Pate für § 33 Abs. 4 GWB. In der Delimitis-Entscheidung hatte der EuGH vor der Gefahr gewarnt, dass die nationalen Gerichte Entscheidungen erlassen, die im Widerspruch zu denjenigen stehen, die die Kommission zur Anwendung der Art. 81 und 82 EG bereits getroffen hat oder zu treffen beabsichtigt. Solche gegensätzlichen Entscheidungen stünden im Widerspruch zu dem allgemeinen Grundsatz der Rechtssicherheit. Sie müssen daher vermieden werden, wenn die nationalen Gerichte über Vereinbarungen Praktiken befinden, zu denen noch eine Entscheidung der Kommission ergehen kann130. Den Gegenstand der Masterfoods und HB-Entscheidung bildete ein Streit über die kartellrechtliche Zulässigkeit einer Ausschließlichkeitsklausel, in der eine irische Speiseeisherstellerin den Wiederverkäufern des von ihr vertriebenen Eises vorschrieb, dass diese die ihnen zur Verfügung gestellten Kühltruhen nicht mit »Fremdeis« befüllen durften. Wegen dieser Maßnahme kam es zu Klagen und Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz vor irischen Gerichten und zur Einleitung eines Verfahrens durch die Kommission sowie zu einem anschließenden Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Kommissionsentscheidung. Der EuGH hatte sich infolge eines Vorabentscheidungsersuchens des Supreme Court von Irland mit der Frage zu befassen, in welchem Verhältnis parallel laufende Verfahren der 126
EuGH vom 13.4.1994, Rs. C-128/92, Slg. 1994, I-1209, Rn. 19 – Banks. EuGH vom 13.4.1994, Rs. C-128/92, Slg. 1994, I-1209 Rn. 21 – Banks. 128 EuGH vom 28.2.1991, Rs. C-234/89, Slg. I-935 – Delimitis. 129 EuGH vom 14.12.2000, Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369 – Masterfoods und HB; dazu Bornkamm/Becker, ZWeR 2005, 213, 218 f. 130 EuGH vom 28.2.1991, Rs. C-234/89, Slg. I-935 Rn. 47 – Delimitis. 127
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Kommission (einschließlich der gerichtlichen Überprüfung) und Verfahren vor den nationalen Gerichten der Mitgliedstaaten stehen. Der EuGH wies zunächst auf die Zuständigkeitsverteilung zwischen der Kommission und den nationalen Gerichten bei der Anwendung des Gemeinschaftskartellrechts hin131 und nahm Bezug auf seine frühere Rechtsprechung in der Rechtssache Delimitis. Ungeachtet dieser Zuständigkeitsverteilung stellt der EuGH zunächst klar, dass die Entscheidungen der nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten für die Kommission nicht verbindlich sind. Die Kommission ist berechtigt, jederzeit Einzelentscheidungen zur Anwendung der Art. 81 und 82 EG zu treffen, auch wenn eine Vereinbarung oder Verhaltensweise bereits Gegenstand einer Entscheidung eines nationalen Gerichts ist und die von der Kommission ins Auge gefasste Entscheidung zu dieser in Widerspruch steht132. Des Weiteren verweist das Gericht auf Art. 10 EG, wonach die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen treffen, die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Diese Verpflichtung bindet nach ständiger Rechtsprechung des Gerichts »alle Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, also im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch die Gerichte«133. Die Masterfoods und HB-Entscheidung enthält eine grundlegende Weichenstellung für das Verhältnis von kartellbehördlicher und privatrechtlicher Rechtsdurchsetzung. Wenngleich die Ausgangsentscheidung einen Streit über die Wirksamkeit einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung betraf, sind die Aussagen des EuGH gleichermaßen bedeutsam für alle sonstigen Streitigkeiten vor nationalen Gerichten, einschließlich der Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche. Im Verhältnis des nationalen Rechtsschutzes zum Gemeinschaftsrechtsschutz gilt der Grundsatz der »loyalen Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und der Kommission bzw. den Gemeinschaftsgerichten«134. Dieser Loyalitätsgrundsatz soll verhindern, dass die gemeinschaftsrechtlich gebotene einheitliche Rechtsanwendung durch divergierende Entscheidungen nationaler Gerichte torpediert wird.
d) Urteil vom 1.6.1999, Rs. C-126/97 – Eco Swiss Die Eco Swiss-Entscheidung betrifft auf den ersten Blick vor allem Rechtsfragen im Zusammenhang mit Schiedsverfahren. Gleichwohl verdient die Entscheidung darüber hinaus Aufmerksamkeit, weil sie grundlegende Aussagen zum Stellenwert von Art. 81 EG in der Rechtsordnung enthält und damit einen Rückschluss darauf zulässt, warum der EuGH eine Stärkung der privaten Rechtsdurchsetzung bei Zuwiderhandlungen für besonders sinnvoll und geboten erachtet. Der zugrunde liegende Rechtsstreit betraf ein Verfahren in den Niederlanden, das die Benetton International NV eingeleitet hatte, um die Aussetzung der Vollstreckung eines Schiedsspruchs zu erreichen, durch den sie verurteilt worden war, an die Eco Swiss China Time Ltd Schadensersatz wegen Nichterfüllung eines mit dieser abgeschlossenen Lizenzvertrags zu zahlen. Zur Begründung trug Benetton vor, der genannte Schiedsspruch wi131
EuGH vom 14.12.2000, Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369 Rn. 45 ff. – Masterfoods und HB. EuGH vom 14.12.2000, Rs. C-344/98, Slg. 2000, I-11369 Rn. 47 – Masterfoods und HB. 133 EuGH vom 14.12.2000, Rs. C.344/98, Slg. I-11369 Rn. 49 – Masterfoods und HB unter Hinweis auf EuGH vom 17.12.1998, Rs. 2/97, Slg. 1998, I-8597 Rn. 26 – IP. 134 EuGH vom 14.12.2000, Rs. C-344/98, Slg. I-11369 Rn. 56 – Masterfoods und HB. 132
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derspreche der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 1065 Abs. 1 Buchstabe e Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering, weil der Lizenzvertrag gemäß Art. 81 EG nichtig sei. Gemäß der niederländischen Bestimmung kann ein Schiedsspruch insbesondere dann aufgehoben werden, wenn der Schiedsspruch oder die Art und Weise, in der er zustande gekommen ist, der öffentlichen Ordnung oder den guten Sitten widerspricht. Der mit dem Rechtsstreit befasste Hoge Rad der Niederlande legte dem EuGH unter anderem die Frage vor, ob ein nationales Gericht, das mit einer Klage auf Aufhebung eines Schiedsspruchs befasst ist, dieser Klage stattgeben muss, wenn es der Auffassung ist, dass der Schiedsspruch tatsächlich Art. 81 EG widerspricht, obwohl das Gericht nach seinem nationalen Verfahrensrecht einer solchen Klage nur bei Vorliegen bestimmter, zahlenmäßig beschränkter Gründe stattgeben darf, zu denen der Widerspruch gegen die öffentliche Ordnung zählt, wobei allerdings der Umstand allein, dass aufgrund des Inhalts oder der Vollstreckung des Schiedsspruchs eine Verbotsbestimmung des nationalen Wettbewerbsrechts unangewendet bliebe, nach nationalem Recht grundsätzlich nicht als Widerspruch gegen die öffentlichen Ordnung anzusehen ist. Der EuGH bejahte die an ihn gerichtete Frage. Nach Ansicht des Gerichts stellt Art. 81 EG eine grundlegende Bestimmung dar, die für die Erfüllung der Aufgaben der Gemeinschaft und insbesondere für das Funktionieren des Binnenmarktes unerlässlich ist. Zur Begründung stützt sich das Gericht auf Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG, wonach die Tätigkeit der Gemeinschaft darauf gerichtet ist ein System zu schaffen, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt. Die Bedeutung dieser Bestimmung habe die Verfasser des Vertrages dazu veranlasst, in Art. 81 Abs. 2 EG ausdrücklich anzuordnen, dass die nach diesem Art. verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse nichtig sind135. Hieraus ergibt sich nach Auffassung der Richter zugleich, dass es sich bei Art. 81 EG um eine Vorschrift handelt, mit deren Verletzung zugleich die öffentliche Ordnung beeinträchtigt wird136. Daraus ist zu schlussfolgern, dass Verstöße gegen Art. 81 EG in den Augen der Richter nicht »nur« einfache Zuwiderhandlungen gegen gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen darstellen, sondern als Angriff auf die Grundfesten der öffentlichen Ordnung besonders schwer wiegen und daher mit wirksamen Sanktionen bekämpft werden müssen.
e) Urteil vom 20.9.2001, Rs. C-453/99 – Courage und Crehan Die Courage und Crehan-Entscheidung betraf einen Verstoß gegen das gemeinschaftsrechtliche Kartellverbot aus Art. 81 EG durch eine vertikale Ausschließlichkeitsbindung im Rahmen einer Bezugsverpflichtung von Bier137. Die Klägerin betrieb eine Brauerei und war an einer Gesellschaft beteiligt, die Schankwirtschaften (»Pubs«) verpachtete. Unter anderem gehörte auch der Beklagte zu den Pächtern. In der zugrunde liegende Pachtvereinbarung war u.a. eine Alleinbezugsverpflichtung von Bier zugunsten der Klägerin vorgesehen. Wegen offener Zahlungen erhob die Klägerin Klage. Der Beklagte wendete gegen die Inanspruchnahme ein, die Alleinbezugsverpflichtung verstoße gegen Art. 81 EG und er verlangte seinerseits Schadensersatz 135
EuGH vom 1.6.1999, Rs. C-126/97, Slg. 1999, I-3055 Rn. 36 – Eco Swiss. EuGH vom 1.6.1999, Rs. C-126/97, Slg. 1999, I-3055 Rn. 39 – Eco Swiss (in Bezug auf Art. V Abs. 2 Buchst. b des New Yorker Übereinkommens vom 10.6.1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche). 137 EuGH vom 20.9.2001, Rs. 453/99, Slg. 2001, I-6297 – Courage und Crehan. 136
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von der Klägerin. Der erkennende Court of Appeal (England und Wales) Civil Division legte dem EuGH zur Vorabentscheidung unter anderem die Fragen vor, ob eine Partei einer gegen Art. 81 EG verstoßenden Alleinbezugsvereinbarung Rechtsschutz gegen die andere Partei begehren kann, ob der Rechtsschutz Schadensersatzansprüche einschließt und ob ein Grundsatz des nationalen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, wonach eine Partei nicht Schadensersatz verlangen kann, wenn der Schaden auf einer Beteiligung des Geschädigten an der rechtswidrigen Vereinbarung beruht. Den Hintergrund dieser Vorlagefrage bildete die Rechtsprechung des Court of Appeal, wonach eine Partei einer rechtswidrigen Vereinbarung nicht von der anderen Partei Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihr dadurch entstanden ist, dass sie an der rechtswidrigen Vereinbarung beteiligt ist. Zunächst stellte der EuGH klar, dass ein Einzelner auch dann berechtigt ist, sich auf einen Verstoß gegen Art. 81 EG zu berufen, wenn er Partei eines Vertrags ist, der den Wettbewerb im Sinne dieser Vorschrift beschränken oder verfälschen kann138. Die privatrechtliche Verfolgung eines Kartellverstoßes scheitert demzufolge nicht schon an der Beteiligung des Anspruchsberechtigten an dem kartellrechtswidrigen Verhalten. Bezüglich eines Anspruchs auf Ersatz des Schadens, der durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder ein entsprechendes Verhalten verursacht worden ist, müssen die nationalen Gerichte nach Auffassung des EuGH die volle Wirkung der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts gewährleisten und die Rechte schützen, die es dem Einzelnen verleiht139. Der EuGH hob dabei insbesondere auf die privatrechtliche Sanktionierung durch Schadensersatzansprüche ab. Er wies darauf hin, dass die volle Wirksamkeit des Art. 81 EG und insbesondere die praktische Wirksamkeit des darin ausgesprochenen Kartellverbots beeinträchtigt wären, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist140. Ein Schadensersatzanspruch erhöhe die Durchsetzungskraft der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln und sei geeignet, von wettbewerbsbeschränkenden oder -verfälschenden Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, sodass Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beitragen könnten141. Daher dürfe nicht die Möglichkeit der Klage einer Partei eines gegen die Wettbewerbsregeln verstoßenden Vertrags nicht von vornherein ausgeschlossen werden142. Die Ausgestaltung der privatrechtlichen Durchsetzung von Kartellverstößen obliegt der Verantwortung der einzelnen Mitgliedsstaaten; der EuGH stellt jedoch gewisse Mindestanforderungen. Es sei Sache der innerstaatlichen Rechte, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sofern diese Modalitäten nicht weniger günstig ausgestaltet sind, als die Modalitäten entsprechender innerstaatlicher Klagen (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch un-
138 139 140 141 142
EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297, Rn. 24 – Courage und Crehan. EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297, Rn. 25 – Courage und Crehan. EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2000, I-6297, Rn. 26 – Courage und Crehan. EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2000, I-6297, Rn. 27 – Courage und Crehan. EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2000, I-6297, Rn. 28 – Courage und Crehan.
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möglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz)143. Das Gemeinschaftsrecht hindere die innerstaatlichen Gerichte nicht daran, dafür Sorge tragen, dass der Schutz der gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führe144. Ebenso wenig verbiete es das Gemeinschaftsrecht, wenn die Grundsätze von Äquivalenz und der Effektivität beachtet werden, dass das innerstaatliche Recht einer Partei, die eine erhebliche Verantwortung für die Wettbewerbsverzerrung trägt, das Recht verwehrt, von ihrem Vertragspartner Schadensersatz zu verlangen. Nach einem in den meisten Rechtssystemen der Mitgliedstaaten anerkannten Grundsatz, den der EuGH in einer früheren Entscheidung selbst angewendet habe, dürfe ein Einzelner nämlich nicht aus seinem eigenen rechtswidrigen Verhalten Nutzen ziehen145.
f) Urteil vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04 – Manfredi Die Manfredi-Entscheidung des EuGH betraf Schadensersatzansprüche eines Versicherungsnehmers gegen einen Kfz-Haftpflichtversicher wegen kartellbedingt überhöhter Versicherungsprämien146. Sie bildet einen – sicher nur vorläufigen – Schlusspunkt in der bisherigen Entwicklung der Rechtsprechung, knüpft an die bisherigen Entscheidungen an und führt diese fort. Den Hintergrund dieses Schadensersatzbegehrens bildete ein Verfahren der italienischen Kartellbehörde, der Autorità Garante della Concurrenza e del Mercato (AGCM), gegen verschiedene Versicherungsgesellschaften, die eine verbotene Kartellvereinbarung geschlossen hatten. In ihrer Untersuchung stellt die AGCM fest, dass aufgrund des Kartells die Versicherungsprämien im Durchschnitt um 20 Prozent über den Prämien lagen, die ohne das wettbewerbsbeschränkende Verhalten verlangt worden wären. Das vorlegende Gericht, der Giudice di Pace di Bitonto, richtete an den EuGH mehrere Fragen. Die speziell die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs gerichteten Fragen147 betrafen die gemeinschaftsrechtskonforme Ausgestaltung der nationalen Regelungen zur Gerichtszuständigkeit, die Aktivlegitimation bei Schadensersatzklagen, die Frage der Verjährung von kartelldeliktischen Schadensersatzansprüchen sowie die Möglichkeit eines abschreckenden Strafschadensersatzes. Zur Frage der Gerichtszuständigkeit für Schadensersatzklagen148 wegen des Verstoßes gegen Vorschriften des Gemeinschaftskartellrechts wies der EuGH darauf hin, dass es mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der Mitgliedstaaten ist, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahren auszugestalten. Dabei dürfen jedoch die betreffenden Vorschriften nicht weniger günstig ausge143
EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2000, I-6297, Rn. 29 – Courage und Crehan. EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2000, I-6297, Rn. 30 – Courage und Crehan. 145 EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2000, I-6297, Rn. 31 – Courage und Crehan. 146 EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 – Manfredi. Zu den zugrundeliegenden Konstellationen und mit näherer Darstellung des einschlägigen italienischen Rechts Bulst, ZEuP 2008, 178 ff.; siehe auch Afferni/Bulst, ZEuP 2005, 143 ff. 147 Ausgeklammert wird im Folgenden die erste Vorlagefrage, die allein die Anwendbarkeit von Art. 81 EG im konkreten Fall betrifft und damit eine zwar praktisch wichtige, aber für diese Untersuchung nicht relevante Vorfrage für den Schadensersatzanspruch bildet. 148 Zum Hintergrund der Vorlagefrage und den Zuständigkeitsregelungen im italienischen Recht Bulst, ZEuP 2008, 178, 181 f. 144
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staltet sein, als die Vorschriften für Schadensersatzklagen wegen Verstoßes gegen nationale Wettbewerbsvorschriften. Zudem dürfen diese Vorschriften die Geltendmachung des Anspruchs auf Ersatz des durch ein nach Art. 81 EG verbotenes Kartell oder Verhalten entstandenen Schadens nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren149. Hinsichtlich der Aktivlegitimation knüpft der EuGH an seine bisherige Rechtsprechung an, wonach sich jeder vor Gericht auf einen Verstoß gegen Art. 81 EG berufen und die Nichtigkeit eines nach dieser Bestimmung verbotenen Kartells oder Verhaltens geltend machen kann150. Bezüglich der Möglichkeit, wegen einer kartellrechtswidrigen Vereinbarung Schadensersatz zu verlangen, wiederholt der EuGH den bereits in der Courage und Crehan-Entscheidung ausgesprochenen Grundsatz, wonach die volle Wirksamkeit des Art. 81 EG und insbesondere die praktische Wirksamkeit des Verbots des Art. 81 Abs. 1 EG beeinträchtigt wären, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen solchen Vertrag oder durch ein solches Verhalten entstanden ist151. Daher könne jedermann Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen, wenn zwischen dem Schaden und einem nach Art. 81 EG verbotenen Kartell oder Verhalten ein ursächlicher Zusammenhang bestehe152. Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen richtet sich mangels gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften nach dem jeweiligen nationalen Recht, wobei der Äquivalenzund der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind153. Allerdings kann nach Auffassung des EuGH eine nationale Vorschrift, nach der die Verjährungsfrist bei einer Schadensersatzklage an dem Tag zu laufen beginnt, an dem das Kartell oder abgestimmte Verhalten verwirklicht wird, die Geltendmachung des Anspruchs auf Ersatz des durch dieses verbotene Kartell oder Verhalten entstandenen Schadens praktisch unmöglich machen, insbesondere wenn diese innerstaatliche Vorschrift außerdem eine kurze Verjährungsfrist vorsieht, die nicht unterbrochen werden kann154. Denn unter solchen Umständen ist bei fortgesetzten oder wiederholten Zuwiderhandlungen nicht ausgeschlossen, dass die Verjährungsfrist sogar vor Beendigung der Zuwiderhandlung abgelaufen ist, sodass ein nach Ablauf dieser Frist Geschädigter keine Klage mehr erheben könnte155. Die Zuerkennung von Schadensersatz und die eventuelle Gewährung von Strafschadensersatz richten sich in Ermangelung einschlägiger Gemeinschaftsvorschriften ebenfalls nach dem innerstaatlichen Recht des einzelnen Mitgliedstaats, wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind156. Es besteht nach Auffassung des EuGH keine Verpflichtung zur Schaffung von exemplarischem Schadensersatz oder Strafschadensersatz, jedoch muss nach dem Äquivalenzgrundsatz ein solcher Schadensersatz bei Verstößen gegen das Gemeinschaftskartellrecht gewährt werden, wenn er im Rahmen vergleichbarer, auf das innerstaatliche Recht gegründeter Klagen zugesprochen werden kann157. Das Gemeinschaftsrecht hindert die innerstaatlichen Gerichte nicht daran, dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht 149 150 151 152 153 154 155 156 157
EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 70 ff. – Manfredi. EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 59 – Manfredi. EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 60 – Manfredi. EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 61 – Manfredi. EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 77 – Manfredi. EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 78 – Manfredi. EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 79 – Manfredi. EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 92 – Manfredi. EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 93 – Manfredi.
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zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt158. Aus dem Effektivitätsgrundsatz und dem Recht einer jeden Person auf Ersatz des Schadens, der ihr durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder ein entsprechendes Verhalten entstanden ist, folgt aber, dass ein Geschädigter nicht nur Ersatz des Vermögensschadens (damnum emergens), sondern auch des entgangenen Gewinns (lucrum cessans) sowie die Zahlung von Zinsen verlangen können muss159. Der entgangene Gewinn dürfe bei einem Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht nicht vollständig vom ersatzfähigen Schaden ausgeschlossen werden, da andernfalls insbesondere bei Rechtsstreitigkeiten wirtschaftlicher oder kommerzieller Natur ein Ersatz des Schadens tatsächlich unmöglich sein könnte160. Die Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen sieht der EuGH unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung als unerlässlichen Bestandteil einer Entschädigung an161.
2. Bedeutung der EuGH-Rechtsprechung a) Dogmatische Einordnung Die Entscheidungen des EuGH sind als wichtige Koordinaten für den gemeinschaftsrechtlichen Schadensersatz bei Verstößen gegen die EG-Kartellvorschriften zu verstehen. Trotz verbliebener Unklarheiten lassen die Entscheidungen keinen Zweifel daran, dass der EuGH der privaten Rechtsdurchsetzung im Kartellrecht große Bedeutung beimisst und bestrebt ist, an der Entwicklung gemeinschaftsweit einheitlicher Mindestmaßstäbe mitzuwirken162. Dabei billigt der EuGH den Mitgliedstaaten – in den Grenzen des Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes – einen weiten Gestaltungsspielraum zu. Über die derzeitige Rechtslage in den Mitgliedstaaten hinaus sind die Entscheidungen als wichtige Leitlinien für die künftige Rechtsentwicklung zu sehen. Die Kommission hat im Grünbuch und Weißbuch zu erkennen gegeben, dass sie sich in vielen Bereichen an den Maßstäben des Gerichtshofes orientieren will163. Die dogmatische Bedeutung der Entscheidungen dürfte über das Kartellrecht hinausgehen. Denn die Entscheidungen können zur Herausbildung eines einheitlichen Haftungsregimes bei Verstößen gegen Gemeinschaftsrecht beitragen164. Obgleich bislang noch vergleichsweise wenig Entscheidungsmaterial vorliegt, lassen sich bereits deutliche Strukturen ausmachen, die auch vom Gerichtshof selbst durch Verweise auf einschlägige Entscheidungen betont werden165. Die Entscheidungen müssen in einem Zusammenhang mit der vom EuGH entwickelten Haftung für Verstöße der Mitgliedstaaten gegen primäres Gemeinschafts-
158 159 160 161 162 163 164 165
EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 94 – Manfredi. EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 95 – Manfredi. EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 96 – Manfredi. EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 97 – Manfredi. Bulst, ZEuP 2008, 178, 194. Sogleich im Text unter 3., S. 330 ff. Bulst, ZEuP 2008, 178, 189 f. Dazu näher und m.w.Nachw. Bulst, ZEuP 2008, 178, 190 ff.
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recht166 gesehen werden167. Zwar betrifft die Haftung der Mitgliedstaaten staatliches Unrecht, während die kartelldeliktische Schadensersatzhaftung durch die Rechtsverletzungen Privater ausgelöst wird. Zudem handelt sich bei der Haftung der Mitgliedstaaten um eine eigenständige, im Gemeinschaftsrecht verwurzelte Haftung168, während die kartelldeliktische Schadensersatzhaftung dem Recht der Mitgliedstaaten unterliegt. Gleichwohl liegt eine Parallele nahe, weil in beiden Fällen der Verstoß gegen Primärrecht den maßgeblichen Auslöser für die Schadensersatzhaftung bildet169. Die bislang vorliegenden Entscheidungen markieren jedenfalls »den Beginn eines noch langen Weges des europäischen Kartellrechts in die materiell- und verfahrensrechtliche Moderne«170. b) Konkrete Vorgaben für die Ausgestaltung der kartelldeliktischen Schadensersatzhaftung bei Verstößen gegen das Gemeinschaftskartellrecht Vor allem die Entscheidungen Courage und Crehan und Manfredi geben verbindliche Fixpunkte für die Ausgestaltung des nationalen Kartelldeliktsrechts, soweit Schadensersatzansprüche auf die Verletzung von Vorschriften des Gemeinschaftskartellrechts gestützt werden. Darüber hinaus sind die Vorgaben des EuGH, wenn auch nicht rechtsverbindlich, so doch maßgeblich zu beachten, soweit es um die Ausgestaltung der kartelldeliktischen Haftung bei Verstößen gegen das innerstaatliche Kartellrecht geht. Es geht hierbei sozusagen um die umgekehrte Richtung des Äquivalenzprinzips, indem die jeweiligen nationalen Regelungen anhand der Vorgaben des EuGH »gemeinschaftskompatibel« ausgestaltet werden, sofern das nationale Recht nicht dem Standard des Gemeinschaftsrechts entspricht. Demgegenüber wäre die Herausbildung eines zweigeteilten Kartelldeliktsrechts, das in Abhängigkeit von den einschlägigen verletzten Vorschriften möglicherweise unterschiedlichen Maßstäben folgt, in jeder Hinsicht schädlich und kontraproduktiv. Die Aufgabe des EuGH besteht nicht darin, ein dogmatisches Gesamtkonzept für die kartelldeliktische Schadensersatzhaftung herauszuarbeiten. Trotz detaillierter Aussagen sind die Vorgaben des Gerichtshofes nicht immer eindeutig und eröffnen Interpretationsspielräume. Auch verbleiben Lücken. Beispielsweise lassen die Äußerungen des EuGH zur Frage der Aktivlegitimation in einigen Punkten mehrere Verständnismöglichkeiten zu. Andere Fragen, z.B. Kausalität oder 166 Siehe dazu insbesondere EuGH vom 19.11.1991, Rs. C-6/90, Slg. 1991, I-5357 – Francovich; EuGH vom 5.3.1996, Rs. C-46 und 48/93, Slg. 1996, I-1029 – Brasserie du Pêcheur/Factortame und EuGH vom 26.3.1996, Rs. C-392/93, Slg. 1996, I-1631 – British Telecommunications; EuGH vom 8.10.1996, Rs. C-178, 179, 188, 189 und 190/94, Slg. 1996, I-4845 – Dillenkofer. 167 Keßler, WRP 2006, 1061, 1063; Komninos, CML Rev. 39 (2002), 447, 454 ff.; Mäsch, EuR 2003, 825, 838 ff.; Stillfried/Stockenhuber, WBl 1995, 345, 346; Weyer, ZEuP 1999, 424, 449. 168 Die Haftung folgt »aus dem Wesen der mit dem EWG-Vertrag geschaffenen Rechtsordnung«, EuGH vom 19.11.1991, Rs. C-6/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 35 – Francovich. 169 Diese Parallelen werden eingehend gewürdigt in den Schlussanträgen des Generalanwalts van Gerven, Rs. C-128/92 (Banks) vom 27.10.1993, Slg. 1994, I-1209 Rn. 36 ff. 170 Mäsch, EuR 2003, 825, 846.
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Verschulden, wurden bislang vom Gerichtshof nicht angesprochen oder allenfalls angedeutet171, sodass eine gemeinschaftsrechtliche Klärung noch aussteht. Daher sind die Entscheidungen als eine Art »Mindestharmonisierung« zu verstehen172, sodass den Mitgliedstaaten weiterhin ein Gestaltungsspielraum verbleibt. Im Einzelnen lassen sich anhand der Vorgaben des EuGH jedoch die folgenden Fixpunkte festhalten: aa) Anspruchsgrundlage Das Gemeinschaftsrecht verlangt, dass die von einem wettbewerbsbeschränkenden Verhalten Betroffenen Schadensersatz verlangen können173. Es verfügt aber über keine eigene Anspruchsgrundlage. Die nach der Courage und Crehan-Entscheidung vorgetragene Ansicht, ein kartelldeliktischer Schadensersatzanspruch ergebe sich unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht174, lässt sich demgegenüber nicht aufrecht erhalten175. Auch zwingende rechtsdogmatische Gründe sprechen nicht dafür, den kartelldeliktischen Schadensersatzanspruch im Gemeinschaftsrecht zu verorten176. Ein Nachteil nationaler Anspruchsgrundlagen besteht in der damit verbundenen Rechtszersplitterung. Ein entscheidender Vorteil liegt aber darin, dass sich die nationalen Gerichte bei Anwendung des nationalen Rechts auf vertrautem Gebiet bewegen können. Auf dieser Grundlage fällt es leichter, die Schadensersatzhaftung im Einzelnen »gemeinschaftskompatibel« auszugestalten. Trotz formal unterschiedlicher Anknüpfungspunkte in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten können auf diese Weise einheitliche Haftungsstrukturen entwickelt werden. Dass auf mittel- und langfristige Sicht eine einheitliche gemeinschaftsrechtliche Haftungsgrundlage wünschenswert erscheint, steht auf einem 171 Dies betrifft insbesondere das Erfordernis des Verschuldens, das vom EuGH als Haftungsvoraussetzung nicht erwähnt wird, vgl. EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. I-6619 Rn. 61 ff. – Manfredi. 172 Bulst, ZEuP 2008, 178, 194. 173 Becker, in: Die Europäisierung des Kartell- und Lauterkeitsrechts, S. 15, 17 spricht von einer gemeinschaftsrechtlichen Garantie des Rechts auf Schadensersatz. 174 Mäsch, EuR 2003, 825, 842 ff.; Nowak, EuZW 2001, 717, 718. Karollus, ecolex 2006, 797, 799 hält auch nach der Manfredi-Entscheidung die Frage der Anspruchsgrundlage für ungeklärt und plädiert für eine Haftungsgrundlage im Gemeinschaftsrecht. Bereits vor der Courage und CrehanEntscheidung hat Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 325, 327 hat in Erwägung gezogen, dass Art. 10 EG (früher: Art. 5 EGV) die Grundlage für einen gemeinschaftsrechtlichen Schadensersatzanspruch bilden könnte. 175 Afferni/Bulst, ZEuP 2005, 143, 156 f.; Brinker/Balssen, in: Festschrift für Bechtold, S. 69, 72; Lettl, ZHR 167 (2003), 472, 476 f.; Wissenbach, Schadensersatzklagen gegen Kartellmitglieder, S. 14 ff. (17). Siehe auch Komninos, CML Rev. 39, 447, 470 ff., der darauf hinweist, dass trotz bestehender Parallelen die Formulierungen in der Courage und Crehan-Entscheidung wichtige Abweichungen gegenüber der Francovich-Entscheidung des EuGH aufweisen, in der das Gericht eine gemeinschaftseigene Staatshaftung begründet hat. 176 Anders Keßler, WRP 2006, 1061, 1065, der den Schadensersatzanspruch »dem Grunde nach« dem Gemeinschaftsrecht zuordnen will; ähnlich Basedow, in: Die Europäisierung des Kartell- und Lauterkeitsrechts, S. 1, 6: Der Sache nach habe der EuGH in Courage und Crehan »eine gemeinschaftsrechtliche Grundlage für Schadensersatzansprüche anerkannt«.
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anderen Blatt, sollte aber nicht Anlass sein, das Gemeinschaftsrecht zu überfrachten. Der Streit um die »richtige« Anspruchsgrundlage sollte in seiner Bedeutung ohnehin nicht überbewertet werden177. Denn entscheidend ist die inhaltliche Prägung der Schadensersatzhaftung; ob der gesetzliche Anknüpfungspunkt sodann im Gemeinschaftsrecht oder in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gesucht wird, ist demgegenüber eine nachrangige Frage178. bb) Haftungsauslösendes Verhalten und Verschulden Die Entscheidungen Courage und Crehan und Manfredi betrafen unterschiedliche Arten von Wettbewerbsbeschränkungen innerhalb des Anwendungsbereiches von Art. 81 EG. Der EuGH wendet ohne Differenzierung auf die vertikalen und horizontalen Wettbewerbsbeschränkungen die gleichen Grundsätze an. Es ist deswegen davon ausgehen, dass alle unter Art. 81 EG fallenden Vereinbarungen und sonstigen Verhaltensweisen nach den Maßstäben der Courage und Crehan und Manfredi-Rechtsprechung zu beurteilen sind. Obgleich hierzu bislang noch keine Entscheidung vorliegt, dürfte darüber hinaus davon auszugehen sein, dass die für Art. 81 EG geltenden Grundsätze auf Art. 82 EG übertragen werden können. Aufmerksamkeit verdient, dass der EuGH in seinen bisherigen Entscheidungen auf das Erfordernis von Verschulden als Voraussetzung einer Schadensersatzhaftung nicht eingeht. Zwar hatte der EuGH aufgrund der an ihn gerichteten Vorlagefragen über die Frage des Verschuldens nicht explizit zu entscheiden und ein Verschulden dürfte in den zugrunde liegenden Konstellationen kaum problematisch gewesen sein. Gleichwohl ist bemerkenswert, dass Verschulden nicht als Haftungsvoraussetzung erwähnt wird. Vielmehr spricht der EuGH aus, dass Schadensersatz verlangt werden kann, wenn zwischen dem Schaden und einem nach Art. 81 EG verbotenen Kartell oder Verhalten ein ursächlicher Zusammenhang vorliegt179. cc) Anspruchsberechtigung Einen besonderen Streitpunkt des kartelldeliktischen Schadensersatzes bildet die Problematik der Aktivlegitimation. Nach Auffassung des EuGH muss »jedermann« Schadensersatz verlangen können180. Ob damit jeder beliebige Marktakteur gemeint ist oder ob Einschränkungen des Kreises der Anspruchsberechtigten möglich sind, gehört zu den Kernfragen des Kartelldeliktsrechts. Die Problematik betrifft namentlich die mittelbar Betroffenen, also Marktakteure, die nicht in einem unmittelbaren geschäftlichen Kontakt zum Kartelltäter stehen. In den 177
Ebenso Becker, in: Die Europäisierung des Kartell- und Lauterkeitsrechts, S. 15, 17 Fn. 10. Wagner, in: Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, S. 605, 614. 179 EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I- 6619 Rn. 61 – Manfredi. 180 EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 26 – Courage und Crehan; EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I- 6619 Rn. 60 – Manfredi. 178
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Entscheidungen Courage und Crehan und Manfredi wurden jeweils Schadensersatzansprüche von unmittelbar Betroffenen geltend gemacht, nämlich von Vertragspartnern. Daher geben diese Entscheidungen zur Frage der Anspruchsberechtigung mittelbar Betroffener keine verbindliche Auskunft181. Gleichwohl sind die entsprechenden Passagen der Urteile sehr allgemein gehalten, was jedenfalls die Auffassung nahe legt, dass die »jedermann«-Formulierung tatsächlich in einem umfassenden Sinne gemeint ist182. In diese Richtung deutet auch die Aussage in der Manfredi-Entscheidung, jedermann müsse Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen können, »wenn zwischen dem Schaden und einem nach Artikel 81 EG verbotenen Kartell oder Verhalten ein ursächlicher Zusammenhang besteht«183. Diese Formulierung lässt kaum Spielraum für eine Differenzierung nach unmittelbar oder mittelbar Betroffenen. Mit Gewissheit lässt sich jedoch erstens sagen, dass die Marktgegenseite von Ansprüchen wegen der Verletzung von Kartellvorschriften nicht ausgeschlossen werden darf. Klargestellt ist zweitens, dass die Anspruchsberechtigung nicht davon abhängig sein kann, ob Marktakteure als Unternehmer oder als Verbraucher von einem Kartellrechtsverstoß betroffen sind. Drittens steht die Beteiligung an einer kartellrechtswidrigen Vereinbarung nicht prinzipiell der Möglichkeit entgegen, wegen dieser Vereinbarung Schadensersatz zu verlangen. Allerdings sind insoweit vom EuGH selbst gesetzte Einschränkungen zu beachten. dd) Art und Umfang des ersatzfähigen Schadens Aus dem Effektivitätsgrundsatz und dem Recht einer jeden Person auf Ersatz des durch einen Verstoß gegen Art. 81 eingetretenen Schadens leitet der EuGH ab, dass ein Geschädigter für Ersatz für alle erlittenen Vermögenseinbußen erlangen kann. Das schließt Ersatz des entgangenen Gewinns und die Zahlung von Zinsen ein184. Im Interesse einer wirksamen Abschreckung ist die Einführung eines Strafschadensersatzes gemeinschaftsrechtlich nicht geboten. Wenn das nationale Recht einen solchen Schadensersatz aber vorsieht, dann muss dieser auch bei Verstößen gegen Gemeinschaftskartellrecht zugesprochen werden können. Anderenfalls ist das Äquivalenzprinzip verletzt185. Eine wertende Schadensberechnung darf zudem als Wertungskriterium darauf abstellen, ob die Durchsetzung des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs aufseiten des Anspruchsberechtigten zu einer ungerechtfertigten Bereicherung führt186. Solchen Wertungen kommt im Zusammenhang mit der »Schadensabwälzung« maßgebliche Bedeutung zu. 181 Deutlich etwa Roth, in: Festschrift für Huber, S. 1133, 1149, wonach die »personale Reichweite des kraft Gemeinschaftsrechts geforderten Schadensersatzanspruchs bis heute alles andere als geklärt« ist. 182 Bulst, ZEuP 2008, 178, 187; Karollus, ecolex 2006, 797, 799. 183 EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 61 – Manfredi. 184 EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 95 ff. – Manfredi. 185 EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 93 – Manfredi. 186 EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 30 – Courage und Crehan; EuGH vom 17.4.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 94 – Manfredi m.w.Nachw.
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ee) Verjährung Die Ausgestaltung der Anspruchsdurchsetzung liegt ebenso wie die Regelung der Verjährung in der Verantwortung der Mitgliedstaaten. Allerdings enthält die Manfredi-Entscheidung einen wichtigen Hinweis zur Ausgestaltung der Verjährungsregeln des nationalen Rechts. Der EuGH äußerte Bedenken an einer Verjährungsvorschrift, nach der die Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche an dem Tag zu laufen beginnt, an dem das Kartell oder abgestimmte Verhalten verwirklicht wird, wenn außerdem eine kurze Verjährungsfrist gilt, die noch dazu nicht unterbrochen werden kann187. Denn eine solche Vorschrift kann nach Auffassung des Gerichts die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs gerade bei fortgesetzten und wiederholten Verstößen praktisch unmöglich machen188. 3. Zielvorstellungen und Handlungsprogramm der Kommission Die private Rechtsdurchsetzung bei EG-Kartellverstößen bildet gerade in jüngerer Zeit ein zentrales Tätigkeitsfeld der Kommission. Neu ist das Interesse der Kommission am »private enforcement« bei Verstößen gegen das Gemeinschaftskartellrecht indessen nicht. Bereits 1966 wurde eine im Auftrag der Kommission erstellte rechtsvergleichende Studie vorgelegt, die unter dem Titel »Schadensersatzansprüche bei einer Verletzung der Artikel 86 und 86 des Vertrages zur Gründung der EWG« veröffentlicht wurde. Die Studie gelangte zu dem Ergebnis, dass bei einer Verletzung der im EWG-Vertrag festgelegten Kartellbestimmungen den Betroffenen nach dem innerstaatlichen Recht der (damaligen) Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu privatrechtlichen Sanktionen offensteht189. Unmittelbare gesetzgeberische Auswirkungen hatte diese Studie indessen nicht. Womöglich sollte erst abgewartet werden, wie sich das noch junge Gemeinschaftskartellrecht entwickelt. Es ist nicht zuletzt auf die Rechtsprechung des EuGH zurückzuführen, dass die private Rechtsdurchsetzung fast vier Jahrzehnte später wieder in das Blickfeld der Kommission geraten ist190. Bislang erhalten – so die aktuelle Einschätzung der Kommission – die Opfer von Kartellrechtsverstößen nur selten Ersatz für erlittene Schäden, was auf ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit und auf die derzeitige Ineffektivität von kartellrechtlichen Schadensersatzklagen zurückzuführen ist. Die Kommission schätzt den nicht geltend gemachten Schadensersatz auf eine Größenordnung von mehreren Milliarden Euro pro Jahr191. Daher veröffentlichte die Kommis-
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EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 78 – Manfredi. EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 79 – Manfredi. Kommission, Studie 1966, S. 5. Eilmansberger, in: Festschrift für Koppensteiner, S. 115, 116 f. Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 2.
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sion, gestützt auf vorbereitende Gutachten192 Ende 2005 ein Grünbuch193. Dieses enthielt einen Problemkatalog mit unterschiedlichen Lösungsoptionen194. Im Frühjahr 2008 wurde dann das Weißbuch »Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts« veröffentlicht195. a) Grundkonzeption und inhaltliche Leitlinien Das erklärte Ziel der Kommission besteht darin, die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit »alle Opfer von Verstößen gegen das EG-Wettbewerbsrecht Zugang zu wirksamen Rechtsschutzinstrumenten haben, damit sie Schäden in vollem Umfang ersetzt erhalten«. Die Kommission schlägt hierzu eine Reihe von Maßnahmen vor, »die sich auf die europäische Rechtskultur und -tradition stützen«196. Zugleich betont die Kommission, dass die privatrechtliche Verfolgung von Kartellrechtsverstößen nicht kartellbehördliche Sanktionen beeinträchtigen darf. Private Schadensersatzklagen sollen vielmehr ergänzend neben kartellbehördliche Maßnahmen treten, nicht aber diese ersetzen oder gefährden197. Die von der Kommission im Einzelnen herausgearbeiteten Problemfelder und anvisierten Maßnahmen erstrecken sich nicht nur auf den gesamten Bereich der privatrechtlichen Rechtsdurchsetzung im Rahmen des Gemeinschaftskartellrechts, sondern greifen zum Teil weit darüber hinaus. b) Anvisierte Maßnahmen der Kommission im Überblick aa) Anspruchsberechtigung und gebündelte Anspruchsdurchsetzung Die Kommission folgt der Rechtsprechung des EuGH, wonach grundsätzlich »jedermann«, dem infolge eines Kartellrechtsverstoßes ein Schaden entstanden sein kann, ein entsprechender Schadensersatzanspruch zustehen muss. Anspruchsberechtigt sollen danach auch Abnehmer sein, die nicht im direkten Kontakt mit dem Rechtsverletzer stehen198. Die Kommission unterstreicht damit das 192
Ashurst-Studien, Comparative Report und Calculation of Damages, 2004. Die amtliche deutsche Fassung des Grünbuchs der Kommission enthält einen bemerkenswerten Übersetzungsfehler, denn der Titel lautet: »Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts«. Indessen gibt es ein »EU-Wettbewerbsrecht« als solches gar nicht. 194 Dazu etwa Bulst, EBOR 2006, 725 ff.; Diemer, E.C.L.R. 2006, 309 ff.; Drexl/Conde Gallego/Enchelmaier/Mackenrodt/Endter, IIC 2006, 70 ff.; Eilmansberger, in: Festschrift für Koppensteiner, S. 115 ff.; Hölzel, Kartellrechtlicher Individualrechtsschutz im Umbruch – Neue Impulse durch Grünbuch und Zementkartell, S. 21 ff. Die eingegangenen Stellungnahmen sind veröffentlicht unter http://ec.europa.eu/comm/competition/antitrust/actionsdamages/green_paper_comments.html. 195 Dazu Drexl/Conde Gallego/Enchelmaier/Mackenrodt/Podszun, IIC 2008, 799 ff.; Ritter, WuW 2008, 762 ff.; Weidenbach/Saller, BB 2008, 1020 ff.; Zimmer/Logemann, ZEuP 2009, 489 ff. Die eingegangenen Stellungnahmen sind veröffentlicht unter http://ec.europa.eu/comm/competition/antitrust/actionsdamages/white_paper_comments.html. 196 Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 3. 197 Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 4. 198 Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 4. 193
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Leitbild der eigenverantwortlichen Marktakteure, die nicht nur vor wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen geschützt werden müssen, sondern aktiv an dem Schutz der Wettbewerbsordnung mitwirken. Um die Bereitschaft von Betroffenen zur Durchsetzung auch kleinerer Schäden zu fördern, setzt die Kommission des Weiteren auf Maßnahmen zur Stärkung des kollektiven Rechtsschutzes199. Hierbei schlägt die Kommission zwei einander ergänzende Ansätze vor: Zum einen sollen Verbandsklagen ermöglicht werden. Dabei handelt es sich um Klagen, »die von qualifizierten Einrichtungen (z.B. Verbraucherverbände, staatliche Institutionen oder etwa berufsständische Organisationen) für eine Gruppe bezeichneter oder, in eher begrenzten Fällen, identifizierbarer Einzelpersonen erhoben werden. Diese Einrichtungen werden entweder im Vorhinein offiziell von einem Mitgliedstaat benannt oder von einem Mitgliedstaat ad hoc für einen bestimmten Wettbewerbsverstoß ermächtigt, im Namen einiger oder aller ihrer Mitglieder Verbandsklage einzureichen«. Zum anderen will die Kommission Opt-in-Gruppenklagen zulassen, »zu denen sich einzelne Opfer ausdrücklich zusammenschließen, um ihre jeweiligen Schadensersatzansprüche in einer einzigen Klage zusammenzufassen«200. bb) Informationsbeschaffung Private Ansprüche können von einem Kläger nur dann erfolgreich vor Gericht durchgesetzt werden, wenn er über die dafür maßgeblichen Informationen verfügt und diese vor Gericht substantiiert darlegt und beweist. Verstöße gegen das Kartellrecht sind indessen oft nur schwer nachzuweisen. Während die Kartellbehörden in der Regel über umfangreiche Ermittlungsbefugnisse verfügen, bereitet der Nachweis eines kartellrechtswidrigen Verhaltens einem Anspruchsberechtigten oftmals große Schwierigkeiten. Denn die relevanten Informationen sind ihm typischerweise nicht zugänglich, da sie sich in der Sphäre des Täters befinden. Eine vergleichbare Problematik stellt sich in vielen Fällen der Verletzung geistiger Eigentumsrechte. Zur Überwindung dieser strukturellen Informationsasymmetrie schlägt die Kommission in Anlehnung und Fortführung der Regelungen der RL 2004/48/EG bestimmte Erleichterungen des Zugangs zu Beweismitteln vor201. Die einzelstaatlichen Gerichte sollten unter bestimmten Voraussetzungen befugt sein, die Prozessparteien oder Dritte anzuweisen, genau bezeichnete Kategorien von relevanten Beweismitteln offenzulegen. Dabei sollte ein solcher Offenlegungsbeschluss unter anderem voraussetzen, dass der Kläger alle Tatsachen und Beweismittel, die ihm vernünftigerweise zugänglich sind, dargelegt hat. Zudem müssen plausible Gründe für die Annahme bestehen, dass er durch einen Wettbewerbsverstoß des Beklagten Schaden erlitten hat. Weiterhin muss der Kläger zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen haben, dass es ihm unter ver199 200 201
Dazu näher Alexander, WRP 2009, 683, 687 ff. Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 4 f. Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 5 f.
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nünftigerweise zumutbaren Anstrengungen nicht möglich ist, die für eine Begründetheit der Klage weiterhin erforderlichen Beweise anderweitig beizubringen. Schließlich muss der Kläger die verschiedenen Beweismittel, für die er eine Offenlegung beantragt, genau genug bezeichnen und das Gericht davon überzeugen, dass die beantragte Offenlegung sowohl für die Klage erheblich als auch erforderlich und verhältnismäßig ist. Ebenfalls zur Behebung des Nachweisproblems kann nach Ansicht der Kommission eine umfassende Bindungswirkung für Entscheidungen der nationalen Kartellbehörde beitragen202, wie sie für das Gemeinschaftsrecht in Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 und im deutschen Recht in § 33 Abs. 4 GWB vorgesehen ist. cc) Verschulden Die Kommission plädiert im Weißbuch nicht für eine völlige Abkopplung der Schadensersatzhaftung vom Verschulden203. Jedoch soll das Verschulden nur als Korrektiv im Ausnahmefall von Bedeutung sein204. Ausdrücklich sympathisiert die Kommission mit einer Vermutungsregelung, wonach bei einem nachgewiesenen (objektiven) Verstoß gegen die Bestimmungen des Gemeinschaftskartellrechts das Vorliegen schuldhaften Verhaltens vermutet wird. Die Kommission sieht »keine Gründe, weshalb Rechtsverletzer wegen Fehlens eines Verschuldens aus der Haftung entlassen werden sollten«205. Ein Schadensersatzanspruch soll danach bereits begründet sein, wenn ein Opfer einen Verstoß gegen Artikel 81 oder 82 EG-Vertrag nachgewiesen hat. Anderes solle nur gelten, wenn der Verletzer nachweise, dass sein Verstoß auf einem »genuin entschuldbaren Irrtum« beruht. Ein entschuldbarer Irrtum in diesem Sinne liege vor, wenn eine vernünftige Person, die ein hohes Maß an Sorgfalt walten lässt, nicht hätte wissen können, dass ihr Verhalten den Wettbewerb beeinträchtigt. Ausdrücklich nimmt die Kommission hierbei Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH zur Ausgestaltung der Staatshaftung der Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen primäres Gemeinschaftsrecht206. Der Gerichtshof sprach in der Entscheidung Brasserie du Pêcheur/Factortame aus, dass im Falle einer hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung der Ersatz der der dem Einzelnen entstandenen Schäden nicht von Verschulden abhängig gemacht werden dürfe, wenn damit ein eigenständiges Kriterium geschaffen wird, das über das Erfordernis des hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht hinausgeht207. Dass der EuGH in der Manfredi-Entscheidung auf ein Verschuldenserfordernis mit
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tame.
Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 6. Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 7. Kommission, Working Paper, Rn. 171. Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 7 f. Kommission, Working Paper, Rn. 168. EuGH vom 5.3.1996, Rs. C-46/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 79 – Brasserie du Pêcheur/Factor-
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keinem Wort einging, deutet die Kommission gewissermaßen als ein »beredtes Schweigen« des Gerichtshofes208. dd) Schadensfragen Die exakte Berechnung des Schadens bereitet bei Kartellrechtsverstößen typischerweise erhebliche Schwierigkeiten. Ersatzfähig muss nach Ansicht der Kommission der gesamte, durch einen Kartellrechtsverstoß eingetretene Schaden sein. Die Kommission orientiert sich an der Rechtsprechung des EuGH, wonach ein Geschädigter den vollständigen Ersatz des realen Werts der erlittenen Verluste verlangen kann. Das schließt Verluste aufgrund wettbewerbswidriger Preisaufschläge ebenso ein wie entgangene Gewinne und einen Anspruch auf Zinsen. Zur Erleichterung der Schadensberechnung beabsichtigt die Kommission »die Ausarbeitung eines pragmatischen und unverbindlichen Orientierungsrahmens für die Berechnung des Schadenersatzes bei Wettbewerbsverstößen, der z.B. approximative Methoden zur Berechnung oder vereinfachte Regeln zur Schätzung von erlittenen Verlusten enthalten könnte«209. Praktische Schwierigkeiten bereitet des Weiteren die schadensrechtliche Beurteilung der »Weiterwälzung« kartellrechtswidriger Preisaufschläge auf nachfolgende Absatzstufen. Hierbei unterscheidet die Kommission zwei Problemkreise. Zum einen geht es um die grundsätzliche Zulässigkeit des Abwälzungseinwands durch den Schädiger. Die beklagte Partei soll das Recht haben, im Falle einer Schadenersatzklage wegen Preisaufschlägen gegenüber dem Anspruchsinhaber den Einwand der Schadensabwälzung geltend zu machen. Die Beweisanforderung für diesen Einwand soll nicht niedriger sein als das dem Kläger hinsichtlich des Schadens obliegende Beweismaß210. Zum anderen steht ein indirekter Abnehmer vor dem Problem des Nachweises des Schadens, der durch die Abwälzung von Preisaufschlägen entsteht. Nach Ansicht der Kommission sollten sich indirekte Abnehmer auf die widerlegliche Vermutung berufen können, dass der rechtswidrige Preisaufschlag in vollem Umfang auf sie abgewälzt wurde211. ee) Verjährung Hinsichtlich der Verjährung sieht die Kommission eine zentrale Schwierigkeit in der exakten Ermittlung der Verjährungsfrist. Der Lauf der Verjährung sollte daher nicht beginnen, »bevor eine dauernde oder fortgesetzte Zuwiderhandlung eingestellt wurde, und bevor von dem Geschädigten vernünftigerweise Kenntnis der Zuwiderhandlung und des ihm dadurch verursachten Schadens erwartet werden kann«212. Des Weiteren gelte es zu verhindern, dass Verjährung während eines laufenden kartellbehördlichen Verfahrens eintritt. Die Kommission favori208 209 210 211 212
Kommission, Working Paper, Rn. 170. Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 8. Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 9. Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 9. Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 10.
A. Grundlagen
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siert dabei einen Beginn der Verjährung nach bestandskräftigem Abschluss eines Verfahrens durch eine kartellbehördliche Entscheidung, auf die sich eine Partei im Rahmen einer Folgeklage beruft. Die Verjährungsfrist soll dabei mindestens zwei Jahre betragen213. ff) Anspruchsdurchsetzung Grundsätzlich ist die Kommission bestrebt, Kostenanreize zu setzen, damit die privaten Sanktionen bei Verstößen gegen das EG-Kartellrecht nicht nur auf dem Papier stehen, sondern tatsächlich durchgesetzt werden. Die Kommission will daher die Mitgliedstaaten ermutigen, Verfahrensregeln zu gestalten, die Vergleiche als Mittel der Kostensenkung begünstigen. Zudem sollen sie die Höhe der Gerichtskosten auf einem angemessenen Niveau festzusetzen, das im Falle von Schadenersatzansprüchen aufgrund von Wettbewerbsverstößen nicht unverhältnismäßig ist. Auch sollen die Mitgliedstaaten nationalen Gerichten in bestimmten begründeten Fällen die Möglichkeit zu eröffnen, möglichst früh im Verfahren Kostenentscheidungen zu erlassen, die von den üblichen Vorschriften dahingehend abweichen, dass die klagende Partei, selbst wenn sie im Prozess unterliegt, nicht sämtliche Kosten der Gegenpartei tragen muss214. gg) Schadensersatz und Kronzeugenprogramm Ein schwieriges Problemfeld bildet das Verhältnis von privaten Schadensersatzklagen und Kronzeugenprogrammen. Die Kommission möchte dieses Verhältnis so ausgestalten, dass nach Möglichkeit kein Wirkungskonflikt entsteht. Daher will die Kommission sicherstellen, dass für Unternehmenserklärungen, die im Rahmen von Kronzeugenprogrammen abgegeben werden, ein angemessener Schutz vor Offenlegung sichergestellt wird. Dieser Schutz soll für Erklärungen von allen Unternehmen gelten, die eine Kronzeugenbehandlung (Erlass oder Ermäßigung von Geldbußen) für einen Verstoß gegen Artikel 81 EG-Vertrag beantragt haben (auch wenn parallel nationales Kartellrecht Anwendung findet). Der Schutz soll unabhängig davon gelten, ob dem Antrag auf Kronzeugenbehandlung (Erlass oder Ermäßigung von Geldbußen) stattgegeben wird oder der Antrag abgewiesen wird oder die Wettbewerbsbehörde gar nicht über den Antrag entscheidet215. c) Sekundärrechtliche Umsetzung Die Pläne der Kommission sollen – nach derzeitigem Erkenntnisstand – nicht in Form einer Verordnung, sondern durch eine Richtlinie umgesetzt werden. Aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Ausgangsbedingungen in den Mitgliedstaaten und der zu erwartenden Einschnitte in die zivil- und zivilverfahrens213 214 215
Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 10. Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 11. Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 12.
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§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht
rechtlichen Strukturen der nationalen Rechtsordnungen ist die Richtlinie besser geeignet als die Verordnung. Sie lässt den Mitgliedstaaten Raum für eine systemgerechte Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Wann die Richtlinie verabschiedet oder zumindest ein offizieller Entwurf vorgelegt wird, ist derzeit schwer abzuschätzen. Denn die private Rechtsdurchsetzung ist mittlerweile zum Politikum avanciert. Aus taktischen Gründen vor dem Hintergrund der Wahl des Präsidenten der Kommission wurde der erarbeitete Richtlinienvorschlag zurückgehalten216.
IV. Seitenblick nach Österreich Das österreichische KartG enthält keine speziellen Bestimmungen zu privatrechtlichen Sanktionen bei Kartellrechtsverstößen. Im KartG geregelt ist ausschließlich die öffentliche Rechtsdurchsetzung. Im Unterschied zum deutschen Recht treffen die Bundeswettbewerbsbehörde217 und der Bundeskartellanwalt218 dabei keine bindenden Entscheidungen. Die Bundeswettbewerbsbehörde ist als Ermittlungsbehörde tätig und verfügt hierfür über eine Reihe von Befugnissen219. Die Aufgabe des Bundeskartellanwalts besteht in der Vertretung der öffentlichen Interessen in Angelegenheiten des Wettbewerbsrechts beim Oberlandesgericht Wien220. Über die Verhängung von öffentlichrechtlichen Sanktionen, insbesondere Abstellungsmaßnahmen221 und Geldbußen222, entscheidet das Kartellgericht im Verfahren nach §§ 38 ff. KartG223. Gleichwohl kennt das österreichische Recht – dem deutschen und europäischen Kartellrecht vergleichbar – eine dichotome Sanktionsstruktur. Ein Kartellrechtsverstoß kann auch zivilrechtliche Sanktionen auslösen224. Die private Rechtsdurchsetzung erfolgt auf Grundlage des östUWG und des ABGB in Verbindung mit den jeweils verletzten Kartellrechtsbestimmungen. Verstöße gegen die Vorschriften des KartG oder gegen die Normen des Gemeinschaftskartellrechts sind unter bestimmten Voraussetzungen als unlautere Handlungen anzusehen225. Nach ständiger Rechtsprechung des OGH ist eine Zuwiderhandlung gegen Kartellrechtsbestimmungen als ein Verstoß gegen § 1 216 »EU verschiebt Plan für Sammelklagen«, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.7.2009, Nr. 160, S. 13. 217 Siehe dazu das WettbG. 218 §§ 75 ff. KartG. 219 § 2 Abs. 1 WettbG. 220 § 75 Abs. 1 KartG. 221 § 26 KartG. 222 §§ 29 ff. KartG. 223 Das Kartellgericht ist dabei im Sinne von Art. 35 VO 1/2003 nationale Wettbewerbsbehörde; Thyri, Kartellrechtsvollzug in Österreich, Rn. 126. 224 Thyri, ecolex 2006, 800 ff.; ders., Kartellrechtsvollzug in Österreich, Rn. 1 ff. 225 Eilmannsberger, in: Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht. Teil 6/1, S. 199 ff.; Hoffer, KartG, § 26, 1.5.2., S. 234; Reidlinger/Zellhofer, ecolex 2004, 114, 115 ff.; Thyri, ecolex 2006, 800, 803; Vartian, in: Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG, § 5 Rn. 102.
A. Grundlagen
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Abs. 1 östUWG unlauter, wenn sich der Unternehmer schuldhaft über eine Vorschrift des Kartellgesetzes hinwegsetzt, um im Wettbewerb einen Vorsprung vor gesetzestreuen Mitbewerbern zu erzielen226. Liegt hiernach eine unlautere Handlung vor, greifen die privatrechtlichen Sanktionen des östUWG. Mitbewerber und bestimmte Verbände können gemäß § 14 Abs. 1 östUWG Unterlassungsansprüche und gemäß § 15 östUWG Beseitigungsansprüche geltend machen. Darüber hinaus sind Schadensersatzansprüche möglich227. Durch einen Kartellrechtsverstoß Geschädigte können Schadensersatzansprüche nach überwiegender Ansicht auf die allgemeinen deliktischen Schadensersatzvorschriften228, insbesondere auf § 1311 S. 2, 2. Fall ABGB stützten. Erforderlich ist, dass die verletzte österreichische oder gemeinschaftsrechtliche Kartellbestimmung als Schutzgesetz im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist. Die Schutzgesetzeigenschaft der Bestimmungen des Kartellgesetzes und der Art. 81 und 82 EG wird im Schrifttum bejaht229. Zum Zwecke der Rechtsdurchsetzung ist eine Zusammenfassung mehrerer privater Schadensersatzklagen zu einer »Sammelklage österreichischer Prägung« möglich230. In der Rechtsprechung spielt die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen bislang nur eine sehr geringe Rolle. Soweit ersichtlich, ist es kartellgeschädigten Opfern bislang erst in einem Fall gelungen, Schadensersatzansprüche vor Gericht erfolgreich geltend zu machen. Dieser Fall einer Preisabsprache zwischen Grazer Fahrschulen bildet allerdings einen geradezu mustergültigen Anwendungsfall für eine kartelldeliktische Schadensersatzhaftung: Im Mai 2004 kam es infolge eines starken Preiswettbewerbs zwischen den Grazer Fahrschulunternehmen zu einer Preisabsprache für die Dauer von zwei Monaten. Für die besonders nachgefragte »Führerscheinausbildung B/Phase I« wurde von allen Fahrschulen ein einheitlicher Preis von 1.140 Euro verlangt. Wegen verbotener Preisabsprache wurde gegen fünf Fahrschulen eine Geldbuße von insgesamt 75 000 Euro verhängt231. Im An226 Für Verstöße gegen nationale Kartellvorschriften siehe nur OGH vom 9.9.1997, 4 Ob 214/ 97t, SZ 70/173; OGH vom 30.6.1998, 4 Ob 165/98p; OGH vom 21.3.2000, 4 Ob 19/00y; für Verstöße gegen Gemeinschaftskartellrecht siehe OGH vom 5.10.2002, 4 Ob 201/02s; zu den Einzelheiten Duursma, in: Gumpoldsberger/Baumann, UWG, § 1 Rn. 205 ff.; kritisch zur Rspr. des OGH Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht, § 12 Rn. 55. 227 Siehe oben, § 4. A. IV., S. 188 ff.; siehe dort auch zur problematischen Frage der Anspruchsberechtigung. 228 Thyri, ecolex 2006, 800, 803; Vartian, in: Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG, § 5 Rn. 103. 229 Gehmacher/Hauck/Madl, ecolex 2002, 564, 566; Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht, § 17 Rn. 148 und § 18 Rn. 22; Hoffer, KartG, § 26, 1.5.1., S. 229; ders./ Barbist, Das neue Kartellrecht, S. 50; Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, S. 266; Stillfried/Stockenhuber, WBl 1995, 301, 303; Stockenhuber/Wittmann, wobl 2007, 330, 334. Sehr eingehend speziell zum Gemeinschaftskartellrecht Eilmannsberger, in: Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht, Teil 6/1, S. 130 ff. 230 Dazu näher Augenhofer, in: Die Europäisierung des Kartell- und Lauterkeitsrechts, S. 39, 58 sowie Lurger/Augenhofer, Konsumentenschutzrecht, S. 258 ff. 231 OLG Wien als KG vom 28.10.2005, 25 Kt 34, 253, 36, 42, 249, 250, 30, 32, 29, 35, 251, 252/05.
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§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht
schluss an dieses Verfahren wurden Schadensersatzansprüche geltend gemacht, weil Fahrschüler während des Zeitraums der Preisabsprache eine entsprechende Fahrschulausbildung nur zu einem höheren Preis als dem hypothetischen Marktpreis buchen konnten. Das LG für Zivilrechtsachen Graz sprach einem Geschädigten Schadensersatz wegen der infolge der Preisabsprache überhöhten Preise der Fahrschulausbildung zu232. Das Gericht bejahte Schadensersatz wegen der Verletzung eines Schutzgesetzes gemäß § 1311 S. 2, 2. Fall ABGB. Zweck der einschlägigen Verbotsnormen des Kartellgesetzes sei die Ahndung von Wettbewerbsverstößen und damit zusammenhängenden Wettbewerbsverzerrungen, die letztlich zu Nachteilen für die Verbraucher führen233. Die Beteiligten haften gemäß § 1301 ABGB solidarisch auf Schadensersatz. Die Höhe des Schadens beurteilte das Gericht gemäß § 273 Abs. 2 östZPO234 nach freier Überzeugung. Das Gericht ging davon aus, dass dem Fahrschüler für die gewünschte Ausbildung ohne die Preisabsprache höchstens ein Preis von 922 Euro in Rechnung gestellt worden wäre235. Die Differenz zum tatsächlich gezahlten Preis in Höhe von 1140 Euro sprach das Gericht als ersatzfähigen Schaden zu.
Mit dieser Entscheidung hat das Gericht Neuland betreten236. Die Umstände des Kartellrechtsverstoßes begünstigten eine private Klage. Insbesondere war die Preisentwicklung auf dem relevanten Markt für Fahrschulausbildungen vor, während und nach der Preisabsprache durch Marktbeobachtungen sehr gut dokumentiert. Damit wurde der Nachweis der haftungsrelevanten Umstände erheblich erleichtert. Des Weiteren wurde der Schaden von einem unmittelbar Betroffenen geltend gemacht, nämlich einem Fahrschüler. Die schwierige Frage einer Anspruchsberechtigung mittelbar Betroffener237 stellte sich damit ebenso wenig wie die Problematik einer »Weiterwälzung« überhöhter Preis auf nachfolgende Vertriebsstufen238. Ob nach dieser Entscheidung weitere private Schadensersatzklagen wegen Kartellrechtsverstößen erhoben werden, bleibt abzuwarten. Anwendungsfälle aus der Praxis sind denkbar239, doch sind die Hürden für die erfolgreiche Durch232
LG für ZRS Graz vom 17.8.2007, 17 R 91/07, OZK aktuell 2008, 110 ff. mit Anm. Ginner. LG für ZRS Graz vom 17.8.2007, 17 R 91/07, OZK aktuell 2008, 110, 111 f. 234 § 273 östZPO lautet: »(1) Wenn feststeht, dass einer Partei der Ersatz eines Schadens oder des Interesses gebürt oder dass sie sonst eine Forderung zu stellen hat, der Beweis über den streitigen Betrag des zu ersetzenden Schadens oder Interesses oder der Forderung aber gar nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten zu erbringen ist, so kann das Gericht auf Antrag oder von amtswegen selbst mit Übergehung eines von der Partei angebotenen Beweises diesen Betrag nach freier Überzeugung festsetzen. Der Festsetzung des Betrages kann auch die eidliche Vernehmung einer der Parteien über die für die Bestimmung des Betrages maßgebenden Umstände vorausgehen. (2) Sind von mehreren in derselben Klage geltend gemachten Ansprüchen einzelne, im Verhältnis zum Gesamtbetrag unbedeutende streitig und ist die vollständige Aufklärung aller für sie maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden, die zur Bedeutung der streitigen Ansprüche in keinem Verhältnisse stehen, so kann das Gericht darüber in der gleichen Weise (Absatz 1) nach freier Überzeugung entscheiden. Gleiches gilt auch für einzelne Ansprüche, wenn der begehrte Betrag jeweils 1000 Euro nicht übersteigt.« 235 LG für ZRS Graz vom 17.8.2007, 17 R 91/07, OZK aktuell 2008, 110, 112. 236 Ginner, OZK aktuell 2008, 113. 237 Dazu unten C. II. 6., S. 376 ff. 238 Dazu unten D. III. 1., S. 403 ff. 239 Siehe etwa die Überlegungen von Stockenhuber/Wittmann, wobl 2007, 330 ff. 233
B. Struktur des Haftungstatbestands
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setzung von Schadensersatzansprüchen hoch240. Neben den generellen Schwierigkeiten kommt hinzu, dass das österreichische Recht eine § 33 Abs. 4 GWB vergleichbare, spezielle Bindungswirkung für Entscheidungen im Kartellverfahren nicht kennt241. Der OGH hat es des Weiteren abgelehnt, die Vorbereitung einer Schadensersatzklage als berechtigtes Interesse für eine Feststellungsentscheidung nach § 28 Abs. 1 KartG anzuerkennen242. Für Kartellgeschädigte bedeutet dies, dass sie die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruches in vollem Umfang darlegen und beweisen müssen.
B. Struktur des Haftungstatbestands I. Grundanforderungen Nach § 33 Abs. 3 GWB kann auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, wer vorsätzlich oder fahrlässig einen Verstoß im Sinne von § 33 Abs. 1 GWB begeht, also eine kartellrechtliche Vorschrift oder eine kartellbehördliche Verfügung im Sinne von § 33 Abs. 1 GWB verletzt. Obgleich § 33 Abs. 1 GWB von Vorschriften »dieses Gesetzes« spricht und sich nach dem Wortlaut auf das gesamte GWB erstreckt, werden von § 33 GWB nicht die im vierten Teil des GWB enthaltenen Vorschriften über die öffentliche Auftragsvergabe erfasst. Diese Bestimmungen unterliegen einem ganz eigenen Sanktionssystem243. 1. Tatbestandliche Einbeziehung von Verstößen gegen Gemeinschaftskartellrecht § 33 Abs. 1 GWB unterscheidet nicht mehr zwischen Verstößen gegen nationales Kartellrecht und Gemeinschaftskartellrecht. Die tatbestandliche Einbeziehung von Verstößen gegen EG-Kartellrecht macht das nach altem Recht erforderliche Ausweichen auf § 823 Abs. 2 S. 1 BGB bei Zuwiderhandlungen gegen Art. 81, 82 EG überflüssig. Diese Regelung fördert die Rechtstransparenz. Gegenüber § 823 Abs. 2 S. 1 BGB bildet der kartelldeliktische Schadensersatzanspruch nunmehr die speziellere Anspruchsgrundlage244. 2. Keine Beschränkung auf Verletzungen von Schutzgesetzen oder Schutzverfügungen Die Schadensersatzhaftung ist nicht auf die Verletzung von kartellrechtlichen Schutzgesetzen oder Schutzverfügungen beschränkt. Darin liegt die entschei240
Hoffer, in: Die Europäisierung des Kartell- und Lauterkeitsrechts, S. 63, 67 ff. Thyri, Kartellrechtsvollzug in Österreich, Rn. 545; Wollmann, in: Festschrift für Bechtold, S. 661, 673 f. Zu sonstigen Fällen einer Bindungswirkung Hoffer, KartG, § 26, 1.5., S. 228. 242 OGH vom 8.10.2008, 16 Ok 8/08; näher zu dieser Entscheidung unter E. II. 3. 243 Siehe §§ 107 ff., 125 f. GWB. 244 Siehe nur Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 124; Emmerich, in: Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 113. 241
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§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht
dende Neuerung gegenüber dem kartelldeliktischen Schadensersatz nach § 33 GWB a.F. Das Gesetz folgt mit der Erweiterung des Haftungstatbestands dem gemeinschaftsrechtlichen Ansatz eines umfassenden Schutzes aller Marktakteure vor Wettbewerbsbeschränkungen. Hierzu betont der EuGH, dass die Art. 81 Abs. 1 und 82 EG in den Beziehungen zwischen Einzelnen unmittelbare Wirkungen erzeugen und unmittelbar in deren Person Rechte entstehen lassen, die von den Gerichten der Mitgliedstaaten zu wahren sind245. Ebenso, wie die in Art. 81 Abs. 2 EG angeordnete Nichtigkeit von Vereinbarungen und Beschlüssen absolut wirkt und von jedermann geltend gemacht werden kann246, unterliegt auch die privatrechtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen im Grundsatz keinen normspezifischen Beschränkungen. Es kommt deswegen nicht darauf an, ob die verletzte Kartellvorschrift den Geschädigten explizit schützen will247. Vielmehr wird der durch einen Kartellrechtsverstoß Geschädigte geschützt, weil er durch eine wettbewerbsbeschränkende Maßnahme geschädigt wurde. Die Anspruchsberechtigung ist jedoch nicht beliebig weit gezogen248. Einschränkungen sind jedoch Ausnahmen und die rechtliche Begründungslast wird – darin liegt die entscheidende Abweichung zum Schutzprinzip des alten Rechts, das eine positive Feststellung bestehenden rechtlichen Schutzes zugunsten des Kartellopfers verlangte – nunmehr umgekehrt249. Wenn man mit dem EuGH davon ausgeht, dass jeder Marktakteur durch die gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Kartellvorschriften vor Wettbewerbsbeschränkungen geschützt wird, dann ist im Grundsatz davon auszugehen, dass »jedermann«, also jeder Marktakteur, zur Geltendmachung eines Schadens berechtigt ist. Dass umgekehrt bestimmte Personen in bestimmten Konstellationen von der Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche ausgeschlossen sein sollen, ist zwar nicht ausgeschlossen, bedarf aber einer besonderen Begründung250. Nicht mehr das Bestehen kartellrechtlichen Schutzes zugunsten des von einer Wettbewerbsbeschränkung betroffenen Akteurs muss damit rechtlich legitimiert werden, indem der Schutzgesetzcharakter der verletzten Vorschrift positiv festgestellt wird. Vielmehr ist danach zu fragen, ob es ausnahmsweise rechtliche Gründe gibt, die einer privatrechtlichen Sanktionierung der begangenen Rechtsverletzung durch diesen Marktakteur im konkreten Fall entgegenstehen.
245 EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 23 – Courage und Crehan m.w.Nachw. 246 EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 22 – Courage und Crehan; EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 57 – Manfredi. 247 Eilmannsberger, ecolex 2002, 28, 29. 248 Reich, CML Rev. 42 (2005), 35, 41 ff. 249 In der Sache ähnlich spricht K. Schmidt, in: Festschrift für Canaris, Bd. I, S. 1175, 188 von einer »inversiven Rechtsanwendungsmethode«. 250 »Bestimmte Wirkungen ausschließende Auslegungen sind als Ausnahmen zu einem grundsätzlich als umfassend verstandenen Schutzbereich der kartellrechtlichen Normen besonders begründungsbedürftig«, A. Fritzsche, WRP 2006, 42, 46.
B. Struktur des Haftungstatbestands
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Eine solche Vorgehensweise weist zwei entscheidende Vorteile im Vergleich zum alten Recht auf. Erstens wird dadurch konsequent der Gedanke verwirklicht, dass das Kartellrecht den Wettbewerb gerade nicht nur im Interesse einzelner, sondern im Interesse aller Marktakteure schützt. Zweitens erhöht ein solches Vorgehen die Transparenz der Rechtsanwendung. Denn es macht genauere Begründungen erforderlich, was der Überzeugungskraft rechtlicher Argumentation zugutekommt. Nach altem Recht musste eine Anspruchsberechtigung positiv aus gesetzlichen Verboten abgeleitet werden. Klare Aussagen zum persönlichen Schutzbereich einer Norm, speziell im Falle des Kartellverbots nach § 1 GWB a.F., waren jedoch wegen der Vielgestaltigkeit denkbarer und praktizierter Wettbewerbsbeschränkungen schwierig und dem Gesetz ließen sich Anhaltspunkte oft nicht entnehmen. Deswegen wurde eine Anspruchsberechtigung oft verneint. Bei der umgekehrten Herangehensweise ist der Rechtsanwender dagegen gezwungen, klare Wertungen und Kriterien zu benennen, warum die private Rechtsdurchsetzung versagt werden soll. Schutzzwecküberlegungen sind dabei nicht obsolet geworden, jedoch ist Vorsicht geboten, wenn alte Diskussionen und Ergebnisse mehr oder weniger unbesehen in das neue Recht übertragen werden. K. Schmidt sieht die (im Grunde schon nach altem Recht bestehende) Aufgabe in der Frage, »wie nah dran« ein Betroffener sein müsse, um aus der Verletzung einer Kartellvorschrift Ansprüche herleiten zu können251. Das verdient Zustimmung, wenn man diese »Nähe« als Ausdruck normspezifischer rechtlicher Wertungen versteht.
II. Abkehr vom Erfordernis eines Schutzgesetzes oder einer Schutzverfügung 1. Segen und Fluch des Schutzprinzips in § 33 GWB a.F. Das Schutzprinzip in § 33 GWB a.F. fand sein tatbestandlich-konstruktives Vorbild in § 823 Abs. 2 S. 1 BGB. Auslegung und Anwendung von § 33 GWB a.F. orientierten sich ebenfalls an § 823 Abs. 2 S. 1 BGB252. Die Rechtsprechung war außerdem bemüht, die Frage, ob eine Vorschrift des Gemeinschaftskartellrechts als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen ist, nach den gleichen Kriterien zu beurteilen wie im nationalen Kartellrecht im Hinblick auf § 33 GWB a.F.253. Die einheitliche Auslegung und Anwendung von § 33 GWB a.F. und § 823 Abs. 2 S. 1 BGB entsprach dem Bedürfnis nach gemeinsamen Strukturen und systematischer Einheit254. 251
K. Schmidt, in: Festschrift für Canaris, S. 1175, 1188 f. Siehe nur Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB § 33 Rn. 19 ff. 253 Sehr deutlich BGH vom 12.5.1998, GRUR 1999, 276, 277 – Depotkosmetik; ferner BGH vom 10.11.1987, WuW/E BGH 2451, 2456 f. – Cartier-Uhren; BGH vom 23.10.1979, WuW/E BGH 1643, 1645 – BMW-Importe. 254 »Als dem § 823 Abs. 2 BGB nachgeformte Bestimmung stellt § 35 GWB dieselben Fragen wie jene sehr offen formulierte Vorschrift des überkommenen Rechts der unerlaubten Handlungen«, Schmiedel, Deliktsobligationen nach deutschem Kartellrecht, S. 4. 252
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§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht
Das Schutzprinzip des alten Rechts war Segen und Fluch zugleich. Sein unbestreitbarer Wert lag in der gesetzlichen Klarstellung, dass Kartellvorschriften dem Individualschutz von Marktakteuren dienen können. Diese Klarstellung war gerade in der Frühzeit des GWB wichtig. Allerdings legte das Schutzprinzip die Fortentwicklung des privaten Rechtsschutzes im Kartellrecht in selbst geschaffene Fesseln. Der praktizierte »Gleichlauf« von § 33 GWB a.F. und § 823 Abs. 2 S. 1 BGB verdeckte wichtige Funktionsunterschiede zwischen diesen Vorschriften. Die nachteiligen Auswirkungen waren bereits vor der Courage und Crehan-Entscheidung des EuGH sichtbar. Diese Rechtsprechung verschärfte aber die Problematik und zwang zum Nachdenken, ob die Anwendung und Auslegung von § 33 GWB a.F. und § 823 Abs. 2 S. 1 BGB mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar war255. a) Funktionsunterschiede zwischen § 823 Abs. 2 BGB und § 33 GWB a.F. Funktionen, Stellung und Leistungsfähigkeit von § 823 Abs. 2 BGB werfen nach wie vor eine Reihe von Fragen auf256. Die Vorschrift bildet nach überwiegendem Verständnis einen der drei Grundtatbestände des Deliktsrechts257. § 823 Abs. 2 BGB öffnet das Haftungsrecht für Interessen, die nicht von § 823 Abs. 1 BGB erfasst werden und deren Verletzungen in ihrer Intensität nicht die Schwelle des § 826 BGB erreichen258. Sofern diese Interessen außerdeliktsrechtlich durch besondere Gebote und Verbote geschützt werden, kann § 823 Abs. 2 BGB diesen Schutz in das Deliktsrecht transformieren259. Weiterhin konkretisieren spezialgesetzliche Verhaltensnormen, die dem Schutz von Rechten oder Rechtsgütern anderer dienen, Pflichtenprogramme und geben damit Maßstäbe und Orientierungspunkte für die deliktische Haftung260. Schließlich ermöglicht § 823 Abs. 2 BGB eine permanente Weiterentwicklung des Deliktsrechts. § 823 Abs. 2 BGB stellt einen Bezug zu außerdeliktischen Entwicklungen her und integriert die gewonnenen Erkenntnisse in das deliktische Haftungssystem des BGB261. Die Transformation spezialgesetzlicher Gebote und Verbote in das zivile Haftungsrecht über § 823 Abs. 2 BGB erfordert einen leistungsfähigen Selektionsmechanismus, der es ermöglicht, aus der Vielzahl potenzieller Schutzvorschriften diejenigen mit haftungsrechtlicher Relevanz herauszufiltern. In dieser Selektion liegt die Kernaufgabe im Umgang mit § 823 Abs. 2 BGB. Rechtsprechung und Lehre haben hierfür verschiedene Maßstäbe und abgestufte Kriterien entwickelt262. Die dogmatische Grundannahme besteht dabei darin, dass die Rechts255 256 257 258 259 260 261 262
Afferni/Bulst, ZEuP 2005, 143, 159. Eingehend Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 49 ff. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 77 I 2 a, S. 432. Canaris, Festschrift für Larenz, S. 27, 49. Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 60 f. Canaris, Festschrift für Larenz, S. 27, 48. Deutsch, JZ 1963, 385, 388; Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 72 f. Eingehend Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 75 ff.
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ordnung in ihrer Gesamtheit Normen mit ganz unterschiedlicher Schutzrichtung bereithält. Für eine deliktische Haftung kommen jedoch nur Vorschriften in Betracht, die zumindest auch einen Individualschutz des Geschädigten gewährleisten. Überträgt man diesen Gedanken in das Kartellrecht, dann musste sich folgerichtig die Aufgabe stellen, zwischen kartellrechtlichen Schutzvorschriften und Nicht-Schutzvorschriften zu differenzieren. Deshalb ist leicht verständlich, warum vor allem die Regelungen zum Schutz vor missbräuchlichen Verhaltensweisen als Schutzgesetze anerkannt waren. Dagegen bereiteten Kartellverstöße mit diffusen Auswirkungen auf die Marktbeteiligten und das Wettbewerbsgeschehen erheblich mehr Schwierigkeiten und ließen sich mit den für § 823 Abs. 2 BGB geltenden Kriterien kaum erfassen. Schließlich passt der Selektionsmechanismus des § 823 Abs. 2 BGB bei Kartellvorschriften nicht, weil Individualschutz und Institutionsschutz im Kartellrecht keine Gegensätze bilden, sondern in Wahrheit zwei Seiten derselben Medaille sind. b) Problematische Suche nach dem Schutzgesetzcharakter einer Norm Die Bestimmung des Schutzcharakters von Kartellvorschriften blieb dementsprechend schwierig. Rechtsprechung und Literatur haben einen Schutzcharakter bisweilen angenommen und bisweilen abgelehnt, ohne dass die entscheidenden Kriterien und Wertungen immer in der notwendigen Transparenz zum Ausdruck gekommen wären. Der Hinweis auf den Schutzzweck des Gesetzes gerät in solchen Fällen in die Gefahr, die relevanten Aspekte eher zu verschleiern und möglicherweise nur schwer angreifbare Scheinbegründungen zu liefern. Ein Beispiel für die mangelnde Überzeugungskraft von Schutzzweckerwägungen im alten Recht ist die Abwehrblatt II-Entscheidung. Der Streitfall betraf, vereinfacht, die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens zur Herausgabe eines Anzeigenblattes durch Zeitungsverleger, mit dem diese auf die Einführung eines entsprechenden Anzeigenblattes durch die Klägerin reagierten. Der BGH sah in der Gründung eines solchen Unternehmens durch die Beklagten und in dessen Geschäftsaufnahme keine unbillige Behinderung und lehnte auch eine Anwendung von § 1 GWB a.F. ab, weil sich die Schutzfunktion im Hinblick auf die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens nicht zugunsten der Klägerin auswirken würde, da es bei einer etwaigen Anwendung des § 1 GWB a.F. auf die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens allein um die Erhaltung des Wettbewerbs zwischen den örtlichen Tageszeitungen der Beklagten gehe263. Diese Argumentation ist wenig überzeugend, weil die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens dem Zweck diente, der Klägerin im Bereich der wöchentlichen Anzeigenblätter Konkurrenz zu machen, sodass sogar ein zielgerichtetes Handeln vorlag. Warum dieses vom Schutzzweck des § 1 GWB a.F. nicht erfasst sein sollte, leuchtet nicht ein. In Wahrheit ist das Gericht mit dem Hinweis auf die »Schutzfunktion« der entscheidenden Frage ausgewichen, ob die Klägerin durch die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens in kartellrechtlich geschützten Interessen beeinträchtigt wurde. 263
BGH vom 10.12.1985, BGHZ 96, 337, 351 – Abwehrblatt II.
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§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht
Diese Problematik hat Knöpfle in seiner Kritik am herrschenden Verständnis von § 823 Abs. 2 S. 1 BGB deutlich herausgearbeitet264. Seine Ausführungen sind auf § 823 Abs. 2 S. 1 BGB gemünzt, treffen aber gleichermaßen auf die kartellrechtliche Zwillingsvorschrift des § 33 GWB a.F. zu. Zutreffend weist Knöpfle darauf hin, dass einer verletzten Norm typischerweise nicht mit letzter Sicherheit zu entnehmen ist, welchen Schutzzweck sie verfolgt und welche Personen geschützt werden. Wenig Aufschluss verspricht zumeist der Blick auf die Entstehungsgeschichte. Zwar lässt sich häufig sagen, was den Anlass für ein Gesetz gegeben habe und welches »Grundanliegen« der Gesetzgebers verfolgt habe, doch bleibe vielfach offen, ob eine Nebenwirkung, die für einzelne Beteiligte oder einen bestimmten Kreis von Beteiligten günstig ist, von der Motivation des Gesetzgebers mit umfasst war265. Zu ergänzen ist, dass der Gesetzgeber manche Verhaltensweisen zum Zeitpunkt der Gesetzgebungsarbeiten nicht kennen konnte. Oftmals ist es dem Gesetzgeber gar nicht möglich, die Vielzahl verbotswidriger Verhaltensweisen und ihre Folgen zu überblicken. Kartellvereinbarungen weisen z.B. jeweils ganz unterschiedliche Eigenheiten und Wirkungen auf, sodass die Annahme, der Gesetzgeber habe nur annähernd einen abschließenden Normzweck etwa des Kartellverbots bestimmen wollen und bestimmen können, eine lebensfremde Fiktion ist. Andere Auslegungsmethoden bieten ebenfalls keine Gewähr für eindeutige Ergebnisse. Oft kann man zwar feststellen, wem eine gesetzliche Regelung zugute kommt, wessen Schutz sie also objektiv bewirkt. Doch bietet der Inhalt des Gesetzes vielfach keinen Anhalt für die Frage, ob dieser Schutz auch gewollt ist266. Knöpfle entlarvt die Frage, ob eine Norm den Schutz eines Einzelnen oder der Allgemeinheit bezweckt, als eine wenig leistungsfähige Leerformel. Oft hänge es nur »von der Wahl des Standorts vor derselben realen Gegebenheit oder Motivation ab, ob als Ziel des Gesetzes ein Schutz des Einzelnen oder der Allgemeinheit angenommen wird«267. Im Kartellrecht ist überdies schon die Fragestellung schief, weil sie auf einer Unterscheidung von Individualschutz der Marktakteure und institutionellem Schutz des Wettbewerbs beruht, die in dieser Form verfehlt ist. Ob eine kartellrechtliche Vorschrift Schutzgesetz zugunsten einer Person war oder eine kartellbehördliche Verfügung eine Schutzverfügung im Sinne des § 33 GWB a.F. war, musste letztlich das erkennende Gericht im Einzelfall entscheiden. Der Gesetzgeber gab aber dem Richter keine weiteren greifbaren Anhaltspunkte zur Ermittlung des Schutzcharakters an die Hand. Insbesondere hat es der Gesetzgeber vermieden, einen Katalog von Schutzvorschriften oder möglichen Schutzverfügun264
Knöpfle, NJW 1967, 697 ff. Knöpfle, NJW 1967, 697; zu Recht weist Buxbaum, Die private Klage als Mittel zur Durchsetzung wirtschaftspolitischer Rechtsnormen, S. 44, zudem darauf hin, dass es selten der Wille und eigentlich auch nicht die Aufgabe des Gesetzgebers ist, von vornherein die zivilrechtlichen Konsequenzen öffentlichrechtlicher Gesetze zu überdenken. 266 Knöpfle, NJW 1967, 697. 267 Knöpfle, NJW 1967, 697, 699. 265
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gen aufzustellen. Damit war aber die drängende Frage nach den Kriterien aufgeworfen, nach denen die Einordnung vorzunehmen ist. Im kartellrechtlichen Schrifttum überwog die Einzelfallanalyse, wobei über die Qualifikation der einzelnen Normen in der Mehrzahl der Fälle Einigkeit erzielt worden war, während verallgemeinerungsfähige Aussagen zu Maßstäben und Kriterien nur mit Zurückhaltung gewagt wurden. Erschwerend kam hinzu, dass die wenigen höchstrichterlichen Aussagen bisweilen fehlinterpretiert wurden; dies betrifft vor allem die Problematik der Zielgerichtetheit einer wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweise268. c) Fehlende gemeinschaftsautonome Kriterien Bemerkenswert ist, dass es in der Vergangenheit kaum auf Bedenken stieß, wenn der Schutzcharakter von Bestimmungen des nationalen Kartellrechts und des Gemeinschaftskartellrechts nach den gleichen Kriterien beurteilt wurde. Nur vereinzelt gab es Bestrebungen, die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts nach eigenen Maßstäben zu beurteilen269. Die Schutzgesetzeigenschaft gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen wurde überwiegend durch die Brille deutscher Deliktsrechtsdogmatik vorgenommen. In der BMW-Importe-Entscheidung zieht der BGH beispielsweise kurzerhand und ohne nähere Begründung eine Parallele zwischen § 1 GWB und Art. 81 EG hinsichtlich der Beurteilung des Schutzgesetzcharakters im Sinne von § 823 Abs. 2 S. 1 BGB270. Gleichermaßen nimmt die Depotkosmetik-Entscheidung mit Blick auf Art. 81 EG ohne weitere Diskussion auf die Grundsätze der Rechtsprechung zu § 1 GWB Bezug271.
Die Gleichförmigkeit der Rechtsanwendung entsprach sicher dem Interesse an Rechtstransparenz. Doch aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht ist es höchst problematisch, wenn Maßstäbe des nationalen Rechts ohne Weiteres auf das Gemeinschaftsrecht übertragen werden. Das Gemeinschaftsrecht unterliegt als »eigene Rechtsordnung« autonomen Maßstäben und Wertungen und kann daher nicht nach jeweiligem nationalem Vorverständnis ausgelegt werden272. Daher war es alles andere als selbstverständlich, dass der Schutzcharakter gemeinschaftsrechtlicher Kartellrechtsvorschriften nach Kriterien beurteilt werden durfte, die für nationale Kartellrechtsvorschriften entwickelt worden waren. Denn damit wurde das Gemeinschaftskartellrecht in deutsche Deliktsrechtskategorien gezwängt273. Die neue gesetzliche Basis des GWB ist vor diesem Hintergrund nicht nur ein willkommener, sondern ein dringend notwendiger Befreiungsschlag.
268
Scheffler, EuZW, 2005, 673; zur Problematik näher unter C. II. 5., S. 370 ff. Dazu etwa Baur, EuR 1988, 257, 264 ff. m.w.Nachw. 270 BGH vom 23.10.1979, WuW/E BGH 1643, 1645 – BMW-Importe. 271 BGH vom 12.5.1998, GRUR 1999, 276, 277 – Depotkosmetik. 272 EuGH vom 15.7.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1141 Rn. 8 f. – Costa/ENEL. 273 Mäsch, EuR 2003, 825, 836 f. sieht in der Rspr. des BGH zu Schadensersatzansprüchen bei Verstößen gegen Art. 81, 82 EG eine Verletzung des Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes. 269
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2. Verstoß gegen die Verfügung einer Kartellbehörde Neben einem Verstoß gegen die Vorschriften des Kartellrechts enthält § 33 Abs. 1 GWB als eigenständigen Tatbestand den Verstoß gegen die Verfügung einer Kartellbehörde. Der Verstoß gegen eine solche Verfügung hat in Fällen Bedeutung, in denen kein per-se-Verbot existiert und in denen es zunächst einer konstitutiven Entscheidung der Kartellbehörde bedarf. Nach der Neufassung der materiellrechtlichen Bestimmungen betrifft dies im deutschen Recht nur noch die missbräuchliche Handhabung einer Preisbindung gemäß § 30 Abs. 3 GWB und die Untersagungsverfügung gemäß § 36 Abs. 1 GWB274. Ebenfalls erfasst sind Verfügungen der Kartellbehörde, die nur deklaratorischen Charakter haben275. Dies schließt Untersagungsverfügungen nach § 32 GWB ein276. In einem solchen Fall liegen im Sinne des § 33 GWB zwei haftungsbegründende Anknüpfungspunkte vor, nämlich der Verstoß gegen die kartellrechtliche Vorschrift und der Verstoß gegen die kartellbehördliche Verfügung. Es handelt sich dabei nicht um eine überflüssige Doppelregelung, sondern um eine konsequente Vernetzung von kartellbehördlichen und privatrechtlichen Sanktionen. Das Gesetz bringt damit zum Ausdruck, dass die Durchsetzung kartellbehördlicher Verfügungen nicht allein Sache der Kartellbehörde ist, sondern gleichermaßen in der Verantwortung der Marktakteure liegt. Zudem kann die Anknüpfung an die kartellbehördliche Verfügung im Streitfall möglicherweise leichter zu beweisen sein als der Verstoß gegen eine Kartellvorschrift. a) Entscheidungen der Kommission Problematisch an dem gesetzlichen Haftungstatbestand ist, dass lediglich Verfügungen einer Kartellbehörde erfasst werden, womit nach dem Sprachgebrauch des GWB lediglich die nationalen Kartellbehörden gemeint sind, nämlich das Bundeskartellamt, das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und die nach Landesrecht zuständigen obersten Landesbehörden277. Vom Gesetzeswortlaut nicht erfasst sind Entscheidungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaft278. Die gesetzliche Regelung in § 33 Abs. 4 und Abs. 5 GWB zeigt, dass der Begriff der Kartellbehörde in § 33 GWB die Kommission nicht umfasst, denn in diesen Absätzen wird ausdrücklich zwischen Entscheidungen von Kartellbehörden und Entscheidungen der Kommission unterschieden. Indessen wäre es gemeinschaftswidrig, wenn die Verfügungen der Kommission nicht in 274 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 64; für § 36 GWB a.A. Emmerich, in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 38. 275 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 65; Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff, GWB, § 33 Rn. 27. 276 Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GWB, § 33 Rn. 27. Anders Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 38. 277 § 48 Abs. 1 GWB. 278 Ein entsprechendes Problem stellt sich im Rahmen der Vorteilsabschöpfung durch den Verweis von 34a Abs. 1 GWB auf § 34 Abs. 1 GWB.
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den Haftungstatbestand des § 33 Abs. 1 und Abs. 3 einbezogen würden279. Der im Gemeinschaftsrecht verankerte Äquivalenzgrundsatz verlangt, dass die Sanktionen und Modalitäten des nach nationalem Recht vorgesehenen Rechtsschutzes bei der Verletzung von aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechten nicht weniger günstig ausgestaltet sein dürfen als bei der Verletzung von innerstaatlichem Recht. Wenn also das nationale Recht Verstöße gegen Verfügungen der nationalen Kartellbehörden als eigenständigen tatbestandlichen Anknüpfungspunkt vorsieht, dann dürfen für Verstöße gegen Verfügungen der Kommission keine abweichenden Maßstäbe gelten. K. Schmidt will das Problem unter Zuhilfenahme des Art. 16 VO 1/2003 lösen. Weil nach dieser Bestimmung die nationalen Zivilgerichte an die Entscheidung der Kommission gebunden seien, liege im Rechtssinne nicht ein Verstoß gegen die Entscheidung der Kommission, sondern ein Verstoß gegen Art. 81 oder 82 EG vor. Gleiches gelte für den Entzug des Rechtsvorteils einer Gruppenfreistellung nach Art. 29 VO 1/2003280. Allerdings entzieht diese Lösung im Ergebnis dem Kläger eben doch die Möglichkeit eines direkten Bezugs auf die Kommissionsentscheidung. Anknüpfungspunkt bildet nicht die Entscheidung der Kommission, sondern der Rechtsverstoß als solcher. Wenn jedoch der Verstoß gegen die Verfügung nach den Umständen einfacher zu beweisen ist als der Verstoß gegen die zugrunde liegende gemeinschaftskartellrechtliche Vorschrift, würde nach dieser Lesart die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts im Vergleich zu Verstößen gegen das nationale Kartellrecht erschwert. Mag ein solcher Fall auch selten vorkommen, sollten die Entscheidungen der Kommission den Entscheidungen der Kartellbehörden im Sinne des § 48 Abs. 1 GWB generell gleichgestellt werden281. Der methodisch richtige Weg liegt in einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des Begriffs Kartellbehörde282, der in § 33 Abs. 1 GWB, abweichend vom sonstigen Sprachgebrauch des Gesetzes, im weiteren Sinne zu verstehen ist. Die daraus resultierende Inkonsistenz des Sprachgebrauchs innerhalb des Gesetzes ist zwar unschön, aber zu verschmerzen. b) Bestandskraft der Verfügung Ein Schadensersatzanspruch kann nur auf eine bestandskräftige Verfügung gestützt werden. Die formelle Bestandskraft tritt im Kartellrecht, in Übereinstimmung mit den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen, ein, wenn die Rechtsmittelfristen abgelaufen sind, wenn der Betroffene auf die Einlegung von Rechtsmitteln verzichtet, wenn Rechtsmittel überhaupt nicht oder wegen Erschöpfung des Rechtsweges nicht mehr eingelegt werden können283. Erst mit der 279
Roth, in: Festschrift für Huber, S. 1133, 1139 f. K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, VO 1/2003 Anh. 2 Rn. 17. 281 Ähnlich Bechtold, GWB, § 33 Rn. 6: Die Verfügungen der Kommission müssen »im praktischen Ergebnis« den Verfügungen deutscher Kartellbehörden gleichstehen. 282 Roth, in: Festschrift für Huber, S. 1133, 1140. 283 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB § 32 Rn. 24. 280
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Bestandskraft erhält die durch den Verwaltungsakt konkretisierte Verhaltensanforderung für den Adressaten Rechtsbeständigkeit und er weiß definitiv, dass diese rechtlichen Vorgaben für ihn verbindlich geworden sind. Das Gesetz verlangt zwar nicht ausdrücklich, dass die Verfügung der Kartellbehörde bestandskräftig geworden ist. Gleichwohl ist für Schadensersatzansprüche284 Bestandskraft zu fordern285, weil es vor dem Eintritt der Bestandskraft an einer verbindlichen Aussage über die rechtliche Bewertung der konkreten Unternehmenspraktik fehlt. Ließe man Schadensersatzansprüche bereits vor Eintritt der Bestandskraft einer kartellbehördlichen Entscheidung zu, dann könnte der Fall eintreten, dass mit Aufhebung der Entscheidung zugleich die Rechtsgrundlage für den Schadensersatzanspruch entfällt. Das wiederum kann unnötige Folgestreitigkeiten provozieren. Die Frage ist letztlich aber nur theoretischer Natur, da es wegen § 33 Abs. 4 GWB stets sinnvoll ist, die Bestandskraft einer kartellbehördlichen Entscheidung abzuwarten.
III. Funktionelle Abstimmung von privatrechtlichen und kartellbehördlichen Sanktionen Im Grundsatz stehen privatrechtliche und kartellbehördliche Sanktionen gleichrangig nebeneinander. In zwei Konstellationen ist der funktionelle Gleichrang dieser Sanktionen jedoch durchbrochen: Erstens sind privatrechtliche Sanktionen bei der Verletzung von kartellrechtlichen Ordnungsvorschriften generell ausgeschlossen. Zweitens sind privatrechtliche Sanktionen bei einigen Kartellrechtsverstößen von einer vorherigen Entscheidung der Kartellbehörde abhängig. 1. Verletzung von Ordnungsvorschriften Nicht der privatrechtlichen Sanktionierung unterliegen Verletzungen von kartellrechtlichen Ordnungsvorschriften, also von Bestimmungen, die Rechtsverhältnisse zwischen Unternehmen und der Kartellbehörde regeln. Solche Vorschriften betreffen nicht die »externen« Beziehungen zu anderen Marktakteuren im Wettbewerb, sondern allein das »Innenverhältnis« zur zuständigen Behörde. Es fehlt damit jede individuelle oder institutionelle Verbindung zwischen der Verletzungshandlung und der im Wettbewerb agierenden Personen286. Dies galt bereits nach alter Rechtslage, sodass derartige Vorschriften keine Schutzgesetze waren287. 284 Anderes gilt für Unterlassungsansprüche, weil ein berechtigtes Interesse bestehen kann, mithilfe des Unterlassungsanspruches eine für sofort vollziehbar erklärte Entscheidung schon vor Eintritt der Bestandskraft durchsetzen, um den Eintritt schwerwiegender Nachteile zu verhindern. 285 Ebenso Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 70; differenzierend Bechtold, GWB, § 33 Rn. 7. 286 Ähnlich Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 62. 287 Scholz, in: Müller/Gießler/Scholz, Wirtschaftskommentar, GWB, § 35 Rn. 35a.
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Ein Beispiel für solche Ordnungsvorschriften bilden die Anmelde- und Informationspflichten aus § 39 GWB288. Diese Normen gewährleisten, dass die Kartellbehörde ihren gesetzlichen Aufgaben nachgehen kann. Sie weisen aber keinen spezifischen Bezug zu anderen Marktakteuren im Wettbewerb auf. Ihre Missachtung kann daher nur durch die Kartellbehörde sanktioniert werden. Eine Verletzung von § 39 GWB kann daher nur als Ordnungswidrigkeit gemäß § 81 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b, Nr. 3 und Nr. 4 GWB geahndet werden.
2. Spezielle Sanktionsmechanismen und sonstige Befugnisse der Kartellbehörde Einschränkungen für privatrechtliche Sanktionen gelten weiterhin dann, wenn und weil eine verletzte Kartellvorschrift kartellbehördlichen Verfügungen den Vorrang einräumt. In diesen Fällen ist eine privatrechtliche Sanktionierung zwar nicht generell ausgeschlossen, doch bedarf es zuvor eines kartellbehördlichen Vorgehens. In Betracht kommt dies jedoch nur, soweit das Gesetz eine konstitutive Verfügung der Kartellbehörde verlangt. Fehlt es an einer konstitutiven Verfügung, weil die Behörde nicht tätig geworden ist oder weil die Behörde bewusst nicht tätig werden will, dann bewirkt dies eine »Sperre« für privatrechtliche Sanktionen. Der (angebliche oder tatsächliche) Kartellrechtsverstoß kann nicht im Wege einer Schadensersatzklage verfolgt werden. a) Gemeinschaftskartellrecht Im Gemeinschaftsrecht stellte sich die Problematik eines Vorrangs behördlichen Sanktionen im Rahmen der bereits vorgestellten Banks-Entscheidung des EuGH zu den früheren kartellrechtlichen Bestimmungen der Art. 65 und 66 EGKS. Diese Vorschriften sahen, im Unterschied zu Art. 81 und 82 EG, eine ausschließliche Zuständigkeit der Kommission vor. Wegen dieser ausschließlichen Zuständigkeit der Kommission für die Feststellung von Verstößen gegen Art. 65 und 66 EGKS konnten die nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten nicht mit einer Klage auf Schadensersatz befasst sein, wenn die Kommission im Rahmen dieser Zuständigkeit keine Entscheidung getroffen hatte289. Nach heutiger Rechtslage gehört die Fusionskontrolle nach der VO 139/2004 zu den kartellrechtlichen Kontrollgegenständen, in denen eine »vorgeschaltete« behördliche Tätigkeit notwendig ist290. Entscheidungen über Unternehmenszusammenschlüsse erfordern umfassende Marktanalysen und Prognosen, die von einer Behörde besser geleistet werden können als in einem Zivilverfahren. Privatrechtliche Sanktionen greifen deswegen nur ergänzend ein, z.B. bei einem Verstoß gegen das Vollzugsverbot aus Art. 7 Abs. 1 VO 139/2004291.
288 Zum fehlenden Schutzgesetzcharakter nach altem Recht siehe nur Benisch, in: Gemeinschaftskommentar, GWB, § 35 Rn. 15; Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 83. 289 EuGH vom 13.4.1994, Rs. C-128/92, Slg. 1994, I-1209 Rn. 21 – Banks. 290 K. Schmidt, ZWeR 2007, 394, 411. 291 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 69.
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b) Deutsches Kartellrecht Für das deutsche Recht bildet § 30 Abs. 3 GWB den geradezu paradigmatischen Anwendungsfall für eine Kartellvorschrift, deren Verletzung nur dann mit privatrechtlichen Ansprüchen verfolgt werden kann, wenn eine konstitutive Verfügung der Kartellbehörde vorliegt. Danach kann das Bundeskartellamt von Amts wegen oder auf Antrag eines gebundenen Abnehmers eine Preisbindung im Sinne von § 30 Abs. 1 GWB für unwirksam erklären und die Anwendung einer neuen gleichartigen Preisbindung verbieten. Schadensersatz wegen der missbräuchlichen Handhabung einer solchen Preisbindung kann ein gebundener Abnehmer nur verlangen, wenn die Kartellbehörde zuvor tätig geworden ist und die Preisbindung für unwirksam erklärt hat. Im Streitfall der Probeabonnement-Entscheidung des BGH292 wendete sich ein preisgebundener Abnehmer gegen die seiner Ansicht nach missbräuchliche Gewährung von vorteilhaften Probeabonnements für Wochenzeitschriften durch den Preisbinder, einen Zeitschriftenverlag. Die Kartellbehörde war nicht tätig geworden, eine Verfügung gemäß § 30 Abs. 3 GWB lag nicht vor. Gleichwohl wendete sich der gebundene Abnehmer privatrechtlich gegen die von ihm beanstandeten Maßnahmen des Verlags, allerdings ohne Erfolg. Nach der gesetzlichen Konzeption muss zwischen kartellrechtlichen Verboten, die nach § 33 Abs. 1 GWB ohne weitere Voraussetzungen zivilrechtlich durchgesetzt werden können, und Tatbeständen, die ein Eingreifen der Kartellbehörde ermöglichen, unterschieden werden293. Der gesetzlich vorgesehene Entscheidungsspielraum der Behörde darf nicht durch privatrechtliche Sanktionen umgangen werden. Solange die Behörde nicht tätig geworden ist und die Preisbindung für unwirksam erklärt hat, stehen dem gebundenen Abnehmer keine privatrechtlichen Sanktionen zur Hand. Ein weiterer Aspekt tritt noch hinzu294. § 30 Abs. 3 GWB gestattet kein direktes Vorgehen gegen eine missbräuchliche Handhabung der Preisbindung. Die Kartellbehörde ist lediglich dazu befugt, die Preisbindung als solche ganz oder teilweise für unwirksam zu erklären und die Anwendung einer neuen gleichartigen Preisbindung zu verbieten. Dem missbräuchlich handelnden Preisbinder droht damit nicht das Verbot des konkreten Missbrauchs, sondern der Verlust seiner Preisbindung. Dagegen kann Inhalt einer Verfügung gemäß § 30 Abs. 3 GWB nicht das Verbot des Verhaltens sein, das den Vorwurf der Missbräuchlichkeit begründet295. Allenfalls steht der Kartellbehörde die Befugnis zu, bis zur endgültigen Entscheidung einen als missbräuchlich erachteten Zustand einstweilig abzustellen296. Dieser spezielle Sanktionsmechanismus darf nicht durch privatrechtliche Ansprüche umgangen werden297. Zwar schützt die Norm preisgebundene Unternehmen vor einem missbräuchlichen Verhalten des Preisbinders, doch sie gewährleistet diesen Schutz eben nur in Bezug auf die Preisbin-
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BGH vom 7.2.2006, BGHZ 166, 154 – Probeabonnement. BGH vom 7.2.2006, BGHZ 166, 154 Tz. 16 – Probeabonnement. 294 Siehe bereits Alexander, ZWeR 2007, 239, 243 f. 295 BKartA vom 24.10.1963, WuW/E BKartA 725, 730 – Grobwaschmittel zu § 17 GWB a.F.; Bechtold, GWB, § 30 Rn. 26; Jestaedt, in: Langen/Bunte, GWB, § 30 Rn. 176; Körner, WRP 2003, 1149, 1158; J.B. Nordemann, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GWB, § 30 Rn. 62. 296 KG vom 30.1.1968, WuW/E OLG 877, 879 f. – Zigaretten-Einzelhandel zu § 17 GWB a.F. 297 So bereits für § 33 GWB a.F. Körner, WRP 2003, 1149, 1158. 293
C. Anspruchsberechtigung
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dung als solche. Würde man bei der Geltendmachung eines kartelldeliktischen Anspruches von diesem Inhalt abweichen, erhielte die Vorschrift einen andersartigen Sanktionsmechanismus.
Die »Vorschaltung« der Kartellbehörde in den Fällen des § 30 Abs. 3 GWB erklärt sich aus der stark kultur- und medienpolitisch gefärbten Zielsetzung der Norm. Sinn und Zweck dieser Ausnahmeregelung bestehen in der Privilegierung bestimmter Medien im Wettbewerb298. Die in § 30 Abs. 3 GWB vorgesehene Missbrauchsaufsicht des Bundeskartellamtes soll sicherstellen, dass von der Ausnahme des § 30 Abs. 1 GWB nur entsprechend ihrem Sinn und Zweck Gebrauch gemacht wird299. Es ist sachgerecht, die Entscheidung, ob eine Preisbindung im konkreten Fall dem gesetzlichen Zweck entsprechend oder zweckwidrig gehandhabt wird, einer Behörde zu überantworten, weil eine solche Entscheidung einen Grenzbereich zwischen Recht, Medien- und Wettbewerbspolitik betrifft und daher von einer Behörde tendenziell besser beurteilt werden kann als von Zivilgerichten. Ein weiteres Beispiel für eine unentbehrliche Vorschaltung der Behörde bildet – wie schon im Gemeinschaftsrecht – die Fusionskontrolle. Privatrechtliche Sanktionen sind in solchen Fällen nicht ausgeschlossen, aber abhängig von einer vorausgehenden kartellbehördlichen Beurteilung des Unternehmenszusammenschlusses. Dass eine Fusionskontrolle auch im Interesse von einzelnen Unternehmen liegen kann, die unmittelbar in ihren wettbewerblichen Möglichkeiten eingeschränkt werden, hatte die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits vor der siebenten GWB-Novelle anerkannt300. Nunmehr ist davon auszugehen, dass in diesen Fällen jedenfalls eine Betroffenheit im Sinne von § 33 Abs. 1 S. 3 GWB vorliegt, die zur Geltendmachung privater Ansprüche legitimiert. Dritte, die im Falle der Freigabe eine materielle Beschwer erlitten hätten, können deswegen im Falle des Vollzugs eines untersagten Zusammenschlusses Abwehr- und Schadensersatzansprüche geltend machen301.
C. Anspruchsberechtigung I. Grundanforderungen Die Anspruchsberechtigung bei kartelldeliktischen Schadensersatzansprüchen ist gesetzlich nicht eindeutig geregelt. Demgegenüber spricht § 33 Abs. 1 GWB für Abwehransprüche aus, dass diese »dem Betroffenen« zustehen. Betroffen ist gemäß § 33 Abs. 1 S. 3 GWB, wer als Mitbewerber oder sonstiger Marktbeteiligter durch den Verstoß beeinträchtigt ist. Das Kriterium der Betroffenheit schlägt 298 299 300 301
Dazu näher Alexander, ZWeR 2007, 239, 253 ff. Jestaedt, in: Langen/Bunte, GWB, § 30 Rn. 136. BGH vom 24.6.2003, BGHZ 155, 214, 217 ff. – HABET/Lekkerland. Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 69.
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§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht
gleichsam den Bogen zwischen der Zuwiderhandlung und der privaten Initiative zur Rechtsdurchsetzung. Individuelle Betroffenheit legitimiert private Rechtsdurchsetzung. 1. Betroffenheit Der Referentenentwurf hatte noch formuliert, dass der Verletzer »dem Betroffenen« zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet ist. Der Regierungsentwurf orientierte sich demgegenüber wieder am Schutzprinzip und verlangte den Verstoß gegen ein Schutzgesetz bzw. eine Schutzverfügung. Obgleich eine entsprechende Wendung in § 33 Abs. 3 S. 1 des Regierungsentwurfes nicht aufgenommen wurde, sollte die Verletzung eines Schutzgesetzes oder einer Schutzverfügung auch Voraussetzung des Schadensersatzanspruches bilden302. Referentenentwurf und Regierungsentwurf gingen damit – insoweit der Konzeption des § 33 GWB a.F. folgend, der einen tatbestandlichen »Gleichlauf« der Anspruchsberechtigung bei Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen vorsah – von einer Parallelität der Anspruchsberechtigung bei Abwehr- und Schadensersatzansprüchen aus. In den Beschlüssen des neunten Ausschusses kehrte man dann wieder partiell zur Konzeption des Referentenentwurfes zurück, beließ es jedoch beim Schadensersatzanspruch in der Fassung des Regierungsentwurfes303. Bulst meint, das Kriterium der Betroffenheit sei für Schadensersatzansprüche ohne Belang304. Der Gesetzgeber habe im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens den Zusatz »dem Betroffenen« beim Schadensersatzanspruch gestrichen, was darauf schließen lasse, dass der Kreis der Anspruchsberechtigten weiter zu ziehen sei305. Das durch die Courage und Crehan-Entscheidung des EuGH vorgegebene und vom Gesetzgeber aufgegriffene Ziel eines Schadensersatzanspruches für jedermann könne nur so verstanden werden, dass jedem durch einen Kartellverstoß Geschädigten ein Schadensersatzanspruch zustehe306. Zudem diene die Betroffenheit in § 33 Abs. 1 GWB lediglich einer sachgerechten Begrenzung des Abwehranspruchs, um die Gefahr eine Popularklage auszuschließen307. Ob es sich wirklich um gesetzgeberisches Kalkül oder einfach um redaktionelle Unaufmerksamkeit handelte, lässt sich anhand der amtlichen Materialien nicht sicher rekonstruieren. Der Hinweis des Gesetzgebers auf die Courage und Crehan-Entscheidung erfolgt in den amtlichen Materialien bereits in Bezug auf die tatbestandliche Ausgestaltung von Absatz 1308, sodass auch ein anderer als der von Bulst gezogene Schluss möglich erscheint, nämlich dass der Gesetzgeber eine 302
Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 53. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss), BT-Drucks. 15/5049, S. 16 f. 304 Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 113. 305 Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 113. 306 Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 113. 307 Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 113. 308 BT-Drucks. 15/5049, S. 48. 303
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einheitliche Regelung der Anspruchsberechtigung – und zwar den EuGH-Vorgaben entsprechend – anstrebte. Man kann daher den Verweis in § 33 Abs. 3 S. 1 GWB auf Absatz 1 auch so verstehen, dass den dort genannten Betroffenen nicht nur Abwehransprüche zustehen sollten, sondern grundsätzlich auch Schadensersatzansprüche309. Die Norm wäre demnach so zu lesen, als stünde dort: Wer einen Verstoß nach Absatz 1 vorsätzlich oder fahrlässig begeht, ist dem Betroffenen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Mehr Klarheit als die wechselvolle Gesetzgebungsgeschichte verspricht der Blick auf die dogmatische Funktion des Merkmals der Betroffenheit. Die privatrechtlichen Sanktionen im Kartellrecht verknüpfen Individualschutz und institutionellen Schutz, wobei letzterer jedoch im Rahmen individueller Betroffenheit gewährleistet wird. Ohne individuelle Betroffenheit und damit jenseits »wehrfähiger« individueller Interessen sind einzelne Marktakteure nicht berechtigt, privatrechtliche Ansprüche wegen eines Kartellrechtsverstoßes geltend zu machen. Die Betroffenheit bildet ein wichtiges Korrektiv, um Popularklagen wegen Kartellrechtsverstößen zu verhindern. Wer in seinen individuellen Interessen durch eine wettbewerbsbeschränkende Praktik nicht tangiert wird, ist zur privatrechtlichen Sanktionierung nicht befugt, selbst wenn ein solches Vorgehen dem Schutz überindividueller Interessen dienlich sein könnte. Insoweit steht eine Sanktionsbefugnis allein den nach § 33 Abs. 2 GWB anspruchsberechtigten Verbänden zu und beschränkt sich zudem auf Abwehransprüche und auf die Vorteilsabschöpfung gemäß § 34a Abs. 1 GWB. Eine Beeinträchtigung, die eine Betroffenheit im Sinne des § 33 Abs. 1 S. 3 GWB begründet, ist anzunehmen, wenn sich die kartellrechtswidrige Praktik auf das von der verletzten Norm geschützte Rechtsgut bzw. rechtlich geschützte Interesse nachteilig auswirkt310. Für den kartelldeliktischen Schadensersatzanspruch ist das so verstandene Kriterium der Beeinträchtigung nur von geringer Bedeutung, weil eine Beeinträchtigung im Rechtssinne jedenfalls dann vorliegen muss, wenn ein Marktakteur infolge eines Kartellrechtsverstoßes und einer Verletzung kartellrechtlich geschützter Interessen einen Schaden erlitten hat311. Dass jemand zwar einen Schaden erlitten hat, im kartellrechtlichen Sinne aber nicht als Betroffener angesehen wird, ist damit ausgeschlossen. Die Schädigung bildet also den geradezu paradigmatischen Anwendungsfall der Beeinträchtigung und legitimiert, sofern keine Ausschlussgründe vorhanden sind, ein privatrechtliches Vorgehen gegen den Verletzer. Das bedeutet aber umgekehrt nicht, dass eine Be309 Alexander, JuS 2007, 109, 110; Roth, in: Festschrift für Huber, S. 1133, 1141 und 1154; K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Anh. 2 VO 1/2003 Rn. 18. 310 A. Fritzsche, WRP 2006, 42, 48; zum alten Recht siehe bereits Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 174: Es müsse »eine relevante Beeinträchtigung der rechtlich geschützten Interessen des Anspruchstellers ernsthaft zu besorgen« sein. 311 So i.E. auch Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 112. Nach Görner, Die Anspruchsberechtigung der Marktbeteiligten nach § 33 GWB, S. 191 und Rittner/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, § 14 Rn. 135 ist eine Betroffenheit nur bei einem drohenden Schaden anzunehmen.
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einträchtigung nur bei einer Schädigung angenommen werden könnte. Vielmehr greift der Abwehranspruch weiter und kann auch andere Beeinträchtigungen kartellrechtlich geschützter Interessen erfassen. § 33 Abs. 1 S. 3 GWB bringt damit für Schadensersatzansprüche nur geringe tatbestandliche Präzisierungen. 2. Kartellrechtsautonomes Begriffsverständnis § 33 Abs. 1 S. 3 GWB verwendet Begriffe, die sich an der Terminologie des Lauterkeitsrechts orientieren. Dort wird in § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG der »Mitbewerber« definiert als Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG spricht zwar nicht vom Marktbeteiligten, in großer Ähnlichkeit aber vom »Marktteilnehmer« und will damit neben Mitbewerbern und Verbrauchern alle Personen erfassen, die als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig sind. Auf den ersten Blick scheinen die lauterkeitsrechtlichen Legaldefinitionen und die damit gewonnenen Ergebnisse auch für das Kartellrecht passend312. Gegen eine Übernahme der lauterkeitsrechtlichen Definitionen und Maßstäbe bestehen indessen Bedenken. Denn beide Rechtsgebiete weisen Funktionsunterschiede auf, die bei Bestimmung der Anspruchsberechtigten zu beachten sind. Diese Funktionsunterschiede zwischen dem Lauterkeitsrecht und dem Kartellrecht werden am Beispiel des Mitbewerberbegriffs besonders deutlich. Der Schutz des Mitbewerbers, also des Konkurrenten, bildet die Wurzel des Lauterkeitsrechts und zugleich ein zentrales Schutzanliegen des Gesetzes313. Der Mitbewerberschutz verlangt jedoch eigene materiellrechtliche Maßstäbe und ist vom Schutz der Verbraucher und der sonstigen Marktteilnehmer strikt zu unterscheiden314. Aus verschiedenen Gründen wurde und wird der Begriff des Mitbewerbers im Lauterkeitsrecht sehr großzügig ausgelegt315. Diese weite Auslegung, die in vielen Konstellationen ohnehin auf Bedenken stößt316, kann auf kartellrechtliche Sachverhalte nicht übertragen werden. Erstens folgt das Kartellrecht keiner vergleichbar scharfen Trennung zwischen dem Schutz von Mitbewerbern und sonstigen Marktakteuren vor wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen. Der kartellrechtliche Schutz wird vielmehr umfassend gewährleistet, was nicht zuletzt darin Bestätigung findet, dass die gesetzliche Unterscheidung zwischen horizontalen und vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen in § 1 GWB beseitigt wurde. Zweitens ist es aus Sanktionsgründen nicht 312
Für eine Parallelität der lauterkeitsrechtlichen und kartellrechtlichen Begriffe: A. Fritzsche, WRP 2006, 42, 46; Emmerich, Kartellrecht, § 40 Rn. 10 f.; Lange, in: Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Rn. 753; Lettl, Kartellrecht, § 11 Rn. 34 ff.; wertend herangezogen wird die Definition von Becker/Hossenfelder, Einführung in das neue Kartellrecht, Rn. 44. 313 § 1 S. 1 UWG. 314 Beater, WRP 2009, 768. 315 Oben, § 4. C. II. 3., S. 207 ff. 316 Oben, § 4. C. II. 3. c) bb) (2), S. 220 ff. mit Beispielen.
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erforderlich, den Begriff des Mitbewerbers im weiten Sinne zu verstehen, weil das Kartellrecht nicht nur Mitbewerber, sondern daneben auch sonstige Marktbeteiligte als anspruchsberechtigt ansieht. Ein Bedürfnis, mögliche Sanktionslücken durch ein weites Verständnis des Mitbewerbers zu schließen oder gar nicht erst entstehen zu lassen, besteht daher im Kartellrecht nicht. Schließlich muss man sich drittens bewusst machen, dass Kartellrecht und Lauterkeitsrecht im Einzelnen schlicht unterschiedliche Ziele verfolgen, was notwendigerweise unterschiedliche Wertungskriterien zur Folge hat. Beide Rechtsgebiete legen, entsprechend ihrer unterschiedlichen Schutzrichtungen und Schutzkonzeptionen, bei der Beurteilung der Mitbewerbereigenschaft unterschiedliche Wertungen zugrunde. Deswegen kann zwar jeweils nach dem relevanten Markt zu fragen sein, auf dem Unternehmen tätig sind, jedoch darf die (scheinbar) übereinstimmende Ausgangsfrage nicht zu der Annahme verleiten, dass zwangsläufig gleiche Maßstäbe gelten. Dies ist in den Schlussanträgen des Generalanwalts Mengozzi in der De LandtsheerEntscheidung des EuGH für das Verhältnis vergleichender Werbung und Gemeinschaftskartellrecht sehr klar herausgearbeitet worden: »66. Hauptzweck der Definition des relevanten Marktes im Rahmen der Anwendung der Wettbewerbsregeln ist es bekanntlich, die Wettbewerbskräfte zu ermitteln, denen sich die beteiligten Unternehmen zu stellen haben, und die Möglichkeit zu geben, die Marktmacht jedes dieser Unternehmen zu beurteilen. Im Rahmen dieser Beurteilung hat in erster Linie die Substituierbarkeit von Produkten auf der Nachfrageseite Bedeutung, also der Vorgang, bei dem die Produkte von den Abnehmern als austauschbar angesehen werden. Diese Substituierbarkeit hängt naturgemäß davon ab, dass die Produkte geeignet sind, dasselbe Bedürfnis des Abnehmers zu befriedigen. 67. Da jedoch das Ziel der Abgrenzung des relevanten Marktes im Rahmen des Wettbewerbsrechts in der Ermittlung der Unternehmen besteht, die für die beteiligten Unternehmen eine wirksame Wettbewerbsbindung bedeuten, die also in der Lage sind, dem Verhalten dieser Unternehmen, insbesondere aber ihren Preisentscheidungen Schranken zu setzen, konzentriert sich die Untersuchung in diesem Zusammenhang, vor allem mit Hilfe der Einschätzung der Preiskreuzelastizitäten der Nachfrage nach den untersuchten Produkten, auf die Ermittlung eines erheblichen Grades von Substituierbarkeit zwischen den genannten Produkten. Wie in der Bekanntmachung über den relevanten Markt dargelegt, steht aus verfahrensmäßigen und praktischen Erwägungen bei der Abgrenzung des relevanten Marktes die Nachfragesubstitution aufgrund kleiner, dauerhafter Änderungen bei den relativen Preisen im Mittelpunkt. Insbesondere wird davon ausgegangen, dass das Produkt eines anderen Unternehmens das Preisgebaren des betreffenden Unternehmens kurzfristig beschränkt, wenn bei einer angenommenen kleinen, bleibenden Erhöhung der Preise für die betreffenden Produkte und Gebiete die Substitution zwischen den beiden Produkten so groß wäre, dass eine Erhöhung des angenommenen Preises nicht mehr einträglich wäre. 68. Die Anwendung dieser Kriterien bei der Prüfung, ob ein Wettbewerbsverhältnis im Sinne des Artikels 2 Nummer 2a der Richtlinie 84/450 vorliegt, erscheint mir unangemessen. Die Perspektive, die in diesem Zusammenhang zu gelten hat, ist eine ganz andere. 69. Hauptziel der Werbung ist es, die Kaufentscheidungen der Verbraucher zu beeinflussen, um die Nachfrage nach dem beworbenen Produkt zu erhöhen; Hauptziel der ver-
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gleichenden Werbung dagegen ist es meist, die Nachfrage nach dem Erzeugnis eines anderen Unternehmens auf das Erzeugnis des Werbenden zu verlagern. Der Gemeinschaftsgesetzgeber steht der vergleichenden Werbung wohlwollend gegenüber, da sie unter bestimmten Voraussetzungen die Verbraucher unterrichten und den Wettbewerb zwischen den Anbietern von Waren und Dienstleistungen im Interesse der Verbraucher fördern kann. Er hat die vergleichende Werbung jedoch einer Reihe von Bedingungen unterworfen, die verhindern sollen, dass sie den Wettbewerb verzerrt, die Mitbewerber schädigt und die Entscheidung der Verbraucher negativ beeinflusst. 70. Daraus folgt, dass das nach Artikel 2 Nummer 2a der Richtlinie 84/450 erforderliche Wettbewerbsverhältnis nicht dasjenige ist, das eine wirksame Wettbewerbsbindung für das unabhängige Geschäftsverhalten des betroffenen Unternehmens darstellt, sondern dasjenige, dass einen Zuwachs an Kaufentscheidungen der Verbraucher einerseits und ein Interesse an wettbewerbswidrigen Werbepraktiken (und somit die Gefahr ihrer Anwendung) andererseits fördern kann«317.
Die Gemeinsamkeit zwischen dem Mitbewerber im lauterkeitsrechtlichen und im kartellrechtlichen Sinne besteht letztlich also allein darin, dass in beiden Fällen das Horizontalverhältnis im Wettbewerb gekennzeichnet wird, in welchem zwischen Unternehmen ein konkurrentenspezifischer Interessenkonflikt besteht. Ob Unternehmen im Rechtssinne als Mitbewerber anzusehen sind, entscheidet sich aber nach jeweils spezifischen Kriterien im konkreten Einzelfall. Angesichts der Funktionsunterschiede zwischen Lauterkeitsrecht und Kartellrecht erscheint es nicht ratsam, auch nur formal an den Definitionen des UWG festzuhalten, weil dies eine Einheitlichkeit der Rechtsanwendung suggerieren würde, die in Wahrheit nicht gegeben ist. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass Kartellrecht und Lauterkeitsrecht in bestimmten Fällen zu übereinstimmenden Ergebnissen gelangen und eine Mitbewerbereigenschaft bejahen. Doch darf man aus solchen Parallelen in den Ergebnissen keine voreiligen rechtlichen Schlüsse ziehen. 3. »Jedermann« Der EuGH geht davon, dass »jedermann« ein Schadensersatzanspruch wegen eines Verstoßes gegen EG-Kartellrecht zustehen muss318. Wie weit diese Maßgabe des EuGH inhaltlich reicht, lässt sich derzeit nur bedingt sicher abschätzen. Einerseits dürfen die Aussagen des EuGH nicht von den jeweiligen Vorabentscheidungsersuchen und den zugrunde liegenden Streitfällen getrennt werden. Andererseits sind die Aussagen des EuGH sehr allgemein gehalten, sodass sie durchaus als Leitlinie über die konkreten Fälle hinaus verstanden werden müssen und daher nicht nur »on the facts« gelesen werden dürfen319. Der EuGH sieht in dem Schadensersatzanspruch ein Instrument zur Erhöhung der »Durchsetzungskraft der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsre317 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, Rs. C-381/05 (De Landtsheer) vom 30.11.2006, Slg. 2007, I-3115. 318 EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 26 f. – Courage und Crehan; EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298, Slg. 2001, I-6619 Rn. 87 f. – Manfredi. 319 Bulst, ZEuP 2008, 178, 187.
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geln«. Zugleich ist ein solcher Anspruch nach Auffassung des Gerichts »geeignet, von – oft verschleierten – Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können«320. Die Anspruchsberechtigung von »jedermann« muss also im Kontext einer umfassenden Sanktionierung von kartellrechtswidrigen Praktiken gesehen werden. Daraus folgt, dass »jedermann« im gemeinschaftsrechtlichen Sinne sämtliche Marktakteure einschließt, die infolge wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens einen Schaden erlitten haben. 4. Bedeutung von Schutzzweckerwägungen Ob ein Marktakteur als Mitbewerber oder sonstiger Marktbeteiligter kartellrechtlichen Schutz genießt und zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen berechtigt ist, bestimmt sich kartellrechtsautonom nach eigenständigen Kriterien. Nach der jetzigen Konzeption des Gesetzes ist davon auszugehen, dass das deutsche und europäische Kartellrecht grundsätzlich jedem Betroffenen Schutz gewähren kann. Statt einer positiven Begründung der Schutznormqualität einzelner Vorschriften bedarf der Überprüfung, ob und warum das privatrechtliche Vorgehen eines Kartellopfers gegen einen Kartelltäter ausgeschlossen sein könnte. Wenngleich das Gesetz nicht mehr verlangt, dass ein Schutzgesetz oder eine Schutzverfügung verletzt worden sein muss, darf dies nicht zu der Annahme verleiten, der Schutzzweck der verletzten Kartellvorschrift sei nunmehr völlig unerheblich321. Mit der Abkehr vom Schutzprinzip in § 33 GWB und seiner Ersetzung durch das Erfordernis der Betroffenheit wird deutlich, dass das deutsche Kartellrecht dem gemeinschaftsrechtlichen Leitgedanken eines kartellrechtlichen Schutzes sämtlicher Marktakteure folgt, die von einer wettbewerbsbeschränkenden Praktik betroffen sind322. Ob ein Mitbewerber oder sonstiger Marktbeteiligter als Anspruchsberechtigter im Sinne von § 33 Abs. 3 S. 1 GWB in Betracht kommt, lässt sich nicht anhand eines einzigen Kriteriums für alle Kartellvorschriften sicher bestimmen, sondern richtet sich nach mehreren normspezifischen Wertungskriterien323. Diese Kriterien können positiv die Anspruchsberechtigung begründen oder negativ eine Anspruchsberechtigung ausschließen. Normspezifisch sind diese Wertungskriterien, weil sie zwar im Grundsatz als Maßstab für sämtliche Wettbewerbsbeschränkungen in Betracht kommen, allerdings in jedem Einzelfall unterschiedliche Bedeutung haben. Welche Personen im Falle des Verstoßes gegen eine Kartellvorschrift einen Schadensersatzanspruch geltend machen kön320
EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 27 – Courage und Crehan. Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 21; Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff, GWB, § 33 Rn. 10; Reich, CML Rev. 42 (2005), 35, 54 ff.; K. Schmidt, in: Festschrift für Canaris, S. 1175, 1183. 322 Skeptisch aber Keßler, BB 2005, 1125, 1128: »Im Ergebnis dürfte die Absage an den Schutznormcharakter der GWB-Bestimmungen eher von marginaler Bedeutung sein«. 323 Alexander, JuS 2007, 109, 111 f. 321
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nen, richtet sich nach dem Schutzzweck der jeweiligen Norm. Dabei gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass nur wenige Kartellvorschriften eindeutige Aussagen hinsichtlich der Reichweite des Schutzes zulassen, sodass eine umfassende Wertung geboten ist. Vorsicht ist deswegen geboten, wenn mit Hilfe von Schutzzweckerwägungen bestimmte Marktakteure per se aus dem Schutzbereich einer Vorschrift ausgegrenzt werden sollen. Solche Einschränkungen sind möglich, bedürfen aber einer besonders sorgfältigen Begründung. Glöckner schlägt vor, nach der Funktion der kartellrechtlichen Verhaltensnormen zu unterscheiden324. Danach sei eine Trennlinie zu ziehen zwischen Marktakteuren, die unmittelbar in ihrer wettbewerbsbezogenen Handlungsfreiheit betroffen sind und zwischen Marktakteuren, denen individuelle Ansprüche vom Gesetz zugesprochen werden, um den Schutz des Wettbewerbs als Institution zu ermöglichen. Im ersten Fall gewähre das Kartelldeliktsrecht einen originären Individualschutz, der einer Disposition aus Gründen überindividueller Interessen weitgehend entzogen sei325. Im zweiten Fall sei die Bemessung der Reichweite privatrechtliche Ansprüche – insbesondere im Hinblick auf die Anspruchsberechtigung, die Zulassung einer Vorteilsausgleichung usw. – dagegen eher eine Frage der gesetzgeberischen Zweckmäßigkeit326. Gegen eine solche Unterscheidung ist einzuwenden, dass sie den gescheiterten Versuch, Individualschutz und Institutionsschutz im Kartellrecht voneinander zu trennen, unter einem anderen Vorzeichen wiederbelebt. Zudem betreffen die problematischen Fälle des Kartelldeliktsrechts gerade den Bereich des Individualschutzes im Dienste des Institutionsschutzes, weil ein originärer Individualschutz im Kartellrecht einen recht seltenen Ausnahmefall bildet. In diesen Fällen ist die Bedeutung des Kartelldeliktsrechts angesichts der deliktsrechtlichen Absicherung – Glöckner verweist auf Verletzungen des Persönlichkeitsrechts, des Rechts am Unternehmen oder die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung327 – ohnehin gering. Letztlich bleibt es dann bei der Erkenntnis, dass der Staat über die im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative wirksamste Art der Kartellrechtsdurchsetzung entscheiden kann328. Bei der Lösung der eigentlichen Sachfragen hilft dies jedoch nur bedingt weiter. Faktische Wirkung einer Wettbewerbsbeschränkung und Schutzzweck der Norm dürfen nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Das Kartellrecht zielt auf die Regelung eines permanenter Veränderung unterliegenden Prozesses. Daher ist die Annahme illusorisch, der kartellrechtliche Schutz sei in jeder Hinsicht von vornherein abschließend und absolut für jeden nur denkbaren Marktakteur definiert. Es stellt vielmehr die besondere Herausforderung für das Kartellrecht dar, auf die unterschiedlichsten Erscheinungsformen wettbewerbsbeschränken324 325 326 327 328
Glöckner, WRP 2007, 490, 497 ff. Glöckner, WRP 2007, 490, 498 f. Glöckner, WRP 2007, 490, 499 f. Glöckner, WRP 2007, 490, 498 f. Glöckner, WRP 2007, 490, 500.
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der Praktiken immer wieder aufs Neue zu reagieren. Dies gilt für den Zuschnitt der materiellrechtlichen Gebote und Verbote in gleicher Weise für die Sanktionsmechanismen. Es wäre deswegen vorschnell, den Schutzzweck des Gesetzes abschließend definieren zu wollen. Kartellrechtsgemäß ist die umgekehrte Herangehensweise. Wenn eine Wettbewerbsbeschränkung nachteilige Wirkungen für den Wettbewerb und für bestimmte Marktakteure hervorruft, dann ist danach zu fragen, wer nötigenfalls mithilfe privatrechtlicher Ansprüche dagegen vorgehen kann329. 5. Einzelne Betroffene Als kartellrechtlich Anspruchsberechtigte kommen im Grundsatz alle Marktakteure in Betracht, die durch ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten geschädigt werden. Bemerkenswert ist allerdings, dass die Begriffe »Mitbewerber« und »sonstiger Marktbeteiligter« im Kartellrecht eher ungebräuchlich sind. Das Horizontalverhältnis wird im GWB regelmäßig durch die Wendung »miteinander im Wettbewerb stehender Unternehmen«330 beschrieben oder es ist einfach von Wettbewerbern die Rede331. Sofern das Vertikalverhältnis gemeint ist, spricht das Gesetz in der Regel von Anbietern und Nachfragern332 oder Abnehmern333. In der Diskussion über die Anspruchsberechtigung von Marktakteuren können drei Gruppen möglicher Betroffener unterschieden werden: Mitbewerber, Marktgegenseite und sonstige Betroffene. § 33 Abs. 1 S. 3 GWB zwingt zu einer solchen Differenzierung nicht, gleichwohl ist es sinnvoll, diese drei Fallgruppen zu unterscheiden, weil die Anspruchsberechtigung bei jeder Gruppe spezielle Probleme aufwirft. a) Mitbewerber Ein Unternehmen ist Mitbewerber des Verletzers, wenn beide Unternehmen auf demselben relevanten Markt tätig werden und sich dort um dieselben Abnehmer oder Lieferanten auf der Marktgegenseite bemühen334. Der Begriff des Mitbewerbers ist deckungsgleich mit dem gemeinschaftsrechtlichen Terminus »Wettbewerber«. Gemäß Art. 1 Buchst. a VO 2790/1999 sind Wettbewerber »tatsächliche oder potentielle Anbieter im selben Produktmarkt«. Dabei umfasst der Produktmarkt »Waren oder Dienstleistungen, die vom Käufer aufgrund ihrer Eigenschaften, ihrer Preislage und ihres Verwendungszwecks als mit den Vertragswaren oder -dienstleistungen austauschbar oder durch diese substituierbar angesehen werden«. Ob ein Unternehmen Mitbewerber oder Wettbewerber ist, bestimmt 329 Ähnlich K. Schmidt, in: Festschrift für Canaris, S. 1175, 1183 f., 1189, der genau darin die Vorreiterrolle des Kartelldeliktsrechts erblickt. 330 §§ 3 Abs. 1, 20 Abs. 1 GWB; ebenso § 1 GWB a.F. 331 §§ 19 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2, 20 Abs. 4 S. 1 GWB. 332 §§ 19 Abs. 2 S. 1, Abs. 4, 20 Abs. 2 S. 1 GWB. 333 §§ 30 Abs. 1 und Abs. 3, 34a Abs. 1 GWB. 334 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 20.
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sich nach dem relevanten Markt, auf dem es tätig wird. Wie der relevante Markt zu bestimmen ist und welche Kriterien dabei zugrunde zu legen sind335, richtet sich nach der jeweiligen Kartellvorschrift und betrifft damit die materiellrechtliche Ebene. Ebenso wie im Lauterkeitsrecht ist daher die Mitbewerbereigenschaft auf Sanktionsebene vorgegeben. b) Marktgegenseite Zur Marktgegenseite gehören die Unternehmen, die auf dem relevanten Markt den Kreis tatsächlicher oder potenzieller Abnehmer oder Lieferanten bilden. Zur Marktgegenseite gehören die jeweiligen Geschäftspartner des Verletzers, aber z.B. auch Unternehmen, die nicht beliefert werden, jedoch beliefert werden könnten. Bisweilen kann die Bestimmung der Marktgegenseite Schwierigkeiten bereiten, wenn keine »klassische« Austauschsituation, sondern eine Verflechtung verschiedener Vertrags- und Leistungsbeziehungen auftritt. Die kartellrechtliche Beurteilung folgt dann nicht einer formalen Betrachtungsweise, sondern muss unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten vorgenommen werden. Ein Anwendungsbeispiel bildet die Carpartner II-Entscheidung des OLG Stuttgart336. Der Streitfall betraf ein Gemeinschaftsunternehmen von Versicherern, das auf dem Markt für Kraftfahrzeugvermietungen im Unfallersatzgeschäft tätig werden sollte. Die Klägerin, eine Autovermietung, begehrte Schadensersatz von der Beklagten, einem der an Carpartner beteiligten Versicherungen. Diese Versicherung regulierte Schäden nur noch auf der Grundlage der vom Gemeinschaftsunternehmen verlangten Referenzpreise. Das OLG Stuttgart sah die Klägerin als kartellrechtlich geschützte Marktgegenseite an337, verneinte aber im Ergebnis einen ersatzfähigen Schaden338. Die spezielle Problematik lag hier darin, dass es sich formal betrachtet bei den Autovermietern nicht um die Marktgegenseite der Versicherungsunternehmen handelte. Vielmehr treten nach einem Unfall die Geschädigten an die Autovermieter heran und schließen mit den Vermietern jeweils Mietverträge über Unfallersatzwagen. Die Schadensabwicklung müsste dann zwischen Geschädigtem und Schädiger bzw. dessen Versicherung erfolgen. Die Autovermieter sind danach Leistungserbringer im Verhältnis zum Geschädigten, die daraus resultierende Forderung bildet lediglich einen unselbstständigen Schadensposten. Gleichwohl ging das OLG Stuttgart davon aus, dass die Autovermieter als Marktgegenseite kartellrechtlichen Schutz genießen. Denn die Abwicklung des Schadens, soweit zu diesem die Kosten für einen Unfallersatzwagen gehören, wird häufig von den Autovermietern übernommen339 und diese wiederum setzen sich in der Regel nicht mit dem Geschädigten auseinander, sondern mit dessen Versicherer. Es kommt dementsprechend zu einer »Verlagerung der Regulierungsverhältnisse 335
Zu den unterschiedlichen Ansätzen zur Abgrenzung des relevanten Marktes siehe nur I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 49 ff. 336 OLG Stuttgart vom 22.5.1998, WuW/DE-R 161 ff. – Carpartner II. 337 OLG Stuttgart vom 22.5.1998, WuW/DE-R 161, 163 – Carpartner II. 338 OLG Stuttgart vom 22.5.1998, WuW/DE-R 161, 165 – Carpartner II. 339 Zum Inhalt einer solchen Vereinbarung und zur Abwicklung siehe nur BGH vom 20.9.2005, NJW 2005, 3570. Das Gericht hatte gegen diese Vorgehensweise keine Bedenken und darin insbesondere keinen Verstoß gegen Art. 1 § 1 RBerG.
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in andere Erstattungs- und auch Leistungserbringungsebenen«340. Obgleich also Versicherer und Autovermieter (vertrags-)rechtlich betrachtet nicht in Geschäftskontakt gehen, können sie im kartellrechtlichen Sinne jeweils als Marktgegenseite angesehen werden.
c) Sonstige Betroffene Sonstige Marktbeteiligte im Sinne des § 33 Abs. 1 S. 3 GWB können neben der Marktgegenseite diejenigen Marktakteure sein, die nicht in Konkurrenz zum Verletzer stehen und nicht in direkten Geschäftsbeziehungen stehen. Die Anspruchsberechtigung dieser mittelbar Betroffenen bildet derzeit einen Hauptstreitpunkt im Kartelldeliktsrecht341.
II. Normspezifische Wertungskriterien Ob ein Marktakteur berechtigt ist, einen kartelldeliktischen Schadensersatzanspruch geltend zu machen, ist letztlich eine Frage des Einzelfalls und hängt von normspezifischen Wertungskriterien ab. Die maßgeblichen Kriterien lassen sich aus der bisherigen Diskussion und Rechtspraxis gewinnen, sind aber nicht abschließend und können in der weiteren Rechtsentwicklung ergänzt und modifiziert werden. 1. Marktbezug und individuelle Betroffenheit a) Beeinträchtigung individueller Interessen Eine individuelle Betroffenheit legitimiert das kartelldeliktische Vorgehen eines Marktakteurs gegen wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen. Die Betroffenheit verknüpft damit die individuellen und institutionellen Aspekte des kartelldeliktischen Schutzes, belegt aber zugleich, dass das Kartelldeliktsrecht nicht auf den institutionellen Schutzcharakter beschränkt werden kann. Der private Kläger darf zwar im überindividuellen Interesse tätig werden, indessen genügt ein ausschließliches Tätigwerden im öffentlichen Interesse nicht. Betroffenheit fehlt, wenn eine wettbewerbsbeschränkende Maßnahme einen Marktakteur rechtlich oder tatsächlich nicht beeinträchtigt. Im Streitfall der Heilpraktikerverband-Entscheidung des OLG Stuttgart hatten sich Heilpraktiker zu einem Verein zusammengeschlossen, dessen Zweck darin bestehen sollte, die Interessen des Berufsstandes der Heilpraktiker zu wahren und für sie ein einheitliches Berufsbild und eine einheitliche Berufsordnung zu schaffen. Die daraufhin geschaffene Berufsordnung sah bestimmte Werbeverbote für Heilpraktiker vor. Hiergegen wendete sich der Kläger, der selbst nicht Mitglied des Verbandes war und für den folgerichtig die Werbeverbote nicht galten. Das OLG Stuttgart verneinte einen kartelldeliktischen Anspruch des Klägers. Selbst wenn man unterstelle, dass die Werbeverbote unzu340 341
OLG Stuttgart vom 22.5.1998, WuW/DE-R 161, 163 – Carpartner II. Unten II. 6., S. 376 ff.
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lässig seien und daher eine gegen § 1 GWB a.F. verstoßende wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung vorliege, könne der Kläger keine Ansprüche geltend machen, weil das Kartellverbot nur diejenigen Konkurrenten schütze, die durch das Kartell vom Marktzutritt ausgeschlossen werden342. Diese Begründung ist unzutreffend, weil damit der Schutzbereich des Kartellverbots zu eng gesteckt wird. Gleichwohl ist die Entscheidung im Ergebnis richtig und verdient auch nach neuem Recht Zustimmung. Die Bedenken des Gerichts gegen einen kartelldeliktischen Anspruch des Klägers waren berechtigt, weil er mangels Mitgliedschaft in dem Verband, der die Werbeverbote aufgestellt hatte, nicht in seiner wettbewerblichen Tätigkeit beeinträchtigt war. Im Sinne des § 33 Abs. 1 S. 3 GWB wäre der Kläger damit nicht als Betroffener anzusehen, weil die Vereinbarung, ihre Kartellrechtswidrigkeit unterstellt, den Kläger nicht beeinträchtigt. Es genügt nicht, wenn der Kläger gegen die Werbeverbote einschreiten will, um zu verhindern, dass die in der Berufsordnung enthaltenen Regeln im Laufe der Zeit »zu einer gefestigten und einheitlichen Standesauffassung erstarken« (so die Argumentation des Klägers). Er würde hiernach ohne individuelle Betroffenheit ausschließlich im überindividuellen Interesse tätig werden. Eine solche Motivation mag zwar ehrenhaft sein, liegt aber außerhalb privatrechtlicher Strukturen.
b) Betroffenheit als Marktakteur Mitbewerber und sonstige Marktbeteiligte werden durch das Kartellrecht als Marktakteure geschützt. Auf die Rolle des Betroffenen als Unternehmer oder Verbraucher kommt es nicht an. Anspruchsberechtigt können demzufolge neben Unternehmen z.B. die öffentliche Hand oder Endverbraucher sein343. Das Gesetz unterscheidet zwischen Mitbewerbern und sonstigen Marktbeteiligten, knüpft daran aber keine qualitativ abweichenden Rechtsfolgen. In der Vergangenheit wurde vereinzelt ein kartellrechtlicher Schutz der Marktgegenseite abgelehnt. Solche Entscheidungen verdienten schon nach altem Recht Kritik und sind nach neuem Recht endgültig überholt. Beispielsweise hatte der vierte Zivilsenat des BGH einen Schutz der Marktgegenseite durch das Kartellrecht abgelehnt. Im Streitfall verlangte der privat krankenversicherte Kläger von der beklagten privaten Krankenversicherung die Auszahlung von Alterungsrückstellungen. Unter anderem wurde dieses Zahlungsverlangen auf § 823 Abs. 2 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 81 Abs. 1 EG (damals Art. 85 Abs. 1 EGV) gestützt. Das Urteil gibt leider keinen näheren Aufschluss zu den Umständen, die zur Annahme eines (möglichen oder unterstellten) Verstoßes gegen Art. 81 Abs. 1 EG führen konnten. Ganz bemerkenswert ist allerdings eine Passage in der Urteilsbegründung; dort heißt es: »Es fehlt bereits daran, daß die Beklagte gegen den Kläger eine seine Wettbewerbsfreiheit be-
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OLG Stuttgart vom 4.11.1988, WuW/E OLG 4326, 4327 f. – Heilpraktikerverband. Hempel, WuW 2004, 362, 368 f.; Keßler, WRP 2006, 1061, 1069; Lange, in: Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Rn. 752; Lettl, WM 2005, 1585, 1591. Zweifel aber bei Kahlenberg/Haellmigk, BB 2004, 389, 394: Eine eigene Anspruchsberechtigung für Endverbraucher könne »nicht ernstlich gewollt sein«. Vgl. zu § 33 GWB a.F. bereits Afferni/Bulst ZEuP 2005, 143, 153; für eine Einbeziehung der Verbraucher bereits nach altem Recht auch Lettl, ZHR 167 (2003), 473, 481. 343
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einträchtigende Handlung gerichtet hat. Art. 85 EGV schützt zwar nicht nur den Wettbewerb als Institution, sondern auch die einzelnen Marktteilnehmer (…). Der Kläger nimmt als Versicherungsnehmer aber nicht am Wettbewerb im Markt der Versicherer teil«344. Die Richter verengen den Schutz des Gemeinschaftskartellrechts damit auf Mitbewerber und übersehen, dass funktionierender Wettbewerb zwischen den Anbietern privater Krankenversicherer gerade im Interesse der Versicherten, also der Marktgegenseite liegt. Diese sind nicht bloße Nutznießer des Wettbewerbs der Versicherungsunternehmen, sondern eigenständige Akteure im Wettbewerbsgeschehen, die selbstverständlich kartellrechtlichen Schutzes bedürfen. Wird nun durch eine gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßende Verhaltensweise die Auswahlfreiheit der Marktgegenseite beeinträchtigt, dann wird damit ein kartellrechtlich eigenständiges Interesse der Versicherungsnehmer tangiert. Hiergegen müssen sich die Betroffenen privatrechtlich zur Wehr setzen können. Die Entscheidung hat singulären Charakter. Man wird der Bewertung Roths zustimmen müssen, dass der erkennende Senat schlichtweg Grundfragen der privaten Durchsetzung europäischen Kartellrechts verkannt hat345. Schon nach damaligem Rechtsstand war die Entscheidung in ihrer Begründung unhaltbar und sie ist es heute erst recht. Zudem steht die Entscheidung evident im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht346.
Keine Mitbewerber oder Marktbeteiligten sind Personen, die von den Nachteilen eines Kartellrechtsverstoßes zwar »marktvermittelt« beeinträchtigt werden, aber gerade nicht in ihrer Eigenschaft als Marktakteur betroffen sind. Keine Marktbeteiligten im Sinne des § 33 Abs. 1 S. 3 GWB sind beispielsweise die Arbeitnehmer oder Gesellschafter eines geschädigten Unternehmens347 oder Familienangehörige des Unternehmensinhabers. Diese Personen können zwar mit den wirtschaftlichen Auswirkungen eines Kartellverstoßes in Berührung kommen. Sie werden jedoch nicht als Marktakteure beeinträchtigt, sondern sie bilden aus Marktperspektive entweder einen Teil des Unternehmens (Arbeitnehmer, Gesellschafter) oder es fehlt am Marktbezug (Familienangehörige). Eine marktspezifische Betroffenheit liegt selbst dann nicht vor, wenn infolge eines Kartellrechtsverstoßes der Wert eines Gesellschafteranteils an einem Unternehmen sinkt. Denn nicht der Gesellschafter, sondern das Unternehmen, an dem der Gesellschafter einen Anteil hält, agiert im Wettbewerb. Der Ausschluss kartelldeliktischer Ansprüche muss selbst dann gelten, wenn der Gesellschafter seinen Anteil zu veräußern gedenkt. Im Kartelldeliktsrecht lassen sich die genannten Beispiele klar aussondern, wenn man formal auf die Eigenschaft als Marktakteur abstellt; nur diese werden kartellrechtlich geschützt und nur ihnen sollen kartellrechtliche Ansprüche zustehen.
344
BGH vom 21.4.1999, BGHZ 141, 214, 224; dazu Roth, NJW 2000, 1313 ff. Roth, NJW 2000, 1313, 1314. Anders Lettl, ZHR 167 (2003), 473, 480. 346 Afferni/Bulst, ZEuP 2005, 143, 160. Demgegenüber sah der BGH »keine Veranlassung, der Anregung des Klägers zu folgen, die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Klärung irgendwelcher Rechtsfragen vorzulegen« (BGH vom 21.4.1999, BGHZ 141, 214, 224 a.E.). 347 Roth, Festschrift für Ulrich Huber, S. 1133, 1141. 345
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§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht
2. Vorrang individueller Entscheidungsbefugnisse Die Anspruchsberechtigung verengt sich auf bestimmte Marktakteure, wenn die verletzte Kartellrechtsbestimmung individuelle Entscheidungsbefugnisse von bestimmten Marktakteuren schützt. In diesen Fällen darf die individuelle Entscheidungsbefugnis eines benachteiligten Marktakteurs nicht im überindividuellen Interesse einer Bekämpfung von Kartellrechtsverstößen übergangen werden. Anwendungsbeispiele bilden insbesondere Diskriminierungsfälle. Es ist nicht die Aufgabe anderer Marktakteure, gegen kartellrechtswidrige Diskriminierungen Dritter vorzugehen, selbst wenn ein solches Vorgehen im öffentlichen Interesse wünschenswert erscheint. Die spezielle Interessenlage lässt sich exemplarisch an § 20 Abs. 6 GWB verdeutlichen. Danach ist es Wirtschafts- und Berufsvereinigungen sowie Gütezeichengemeinschaften verboten, die Aufnahme eines Unternehmens abzulehnen, wenn die Ablehnung eine sachlich nicht gerechtfertigte ungleiche Behandlung darstellen und zu einer unbilligen Benachteiligung des Unternehmens im Wettbewerb führen würde. Die Vorschrift unterscheidet sich von den §§ 1 bis 20 Abs. 5 GWB, weil sie kein spezifisch unternehmerisches Verhalten im Wettbewerb betrifft, sondern Unternehmen den Zugang zu berufspolitischen Interessenvertretungen ermöglicht und dadurch zugleich einheitliche Wettbewerbsvoraussetzungen gewährleistet348. Grundsätzlich entscheidet allein das diskriminierte Unternehmen darüber, ob es in eine Wirtschafts- oder Berufsvereinigung oder in eine Gütezeichengemeinschaft aufgenommen werden will. Nur dieses Unternehmen kann die Aufnahme in den Verband erzwingen und gegebenenfalls Schäden ersetzt verlangen, die infolge der Nichtaufnahme entstehen. Andere Marktakteure können demgegenüber nicht gegen eine Vereinigung oder eine Gemeinschaft vorgehen, die einem Unternehmen die Aufnahme verweigern. Dies gilt selbst dann, wenn Dritte an der Aufnahme des diskriminierten Unternehmens ein wirtschaftliches Interesse haben. Beispielsweise könnten Händler daran interessiert sein, dass ein Hersteller, dessen Waren sie beziehen und weiterverkaufen, Mitglied in einer Gütezeichengemeinschaft wird, weil die Ware durch ein solches Gütezeichen aufgewertet würde und damit die Verkaufschancen wachsen. Selbst wenn die Händler an der Aufnahme des Herstellers ein erhebliches wirtschaftliches Interesse haben und wegen der Nicht-Aufnahme des Herstellers wirtschaftliche Nachteile erleiden, muss es allein dem Hersteller überlassen bleiben, ob er der Gütezeichengemeinschaft angehören will oder nicht. Die praktische Bedeutung dieser Einschränkung der Anspruchsberechtigung ist bei Schadensersatzansprüchen gering und eher bei Abwehransprüchen relevant. Denn durch eine gezielte Diskriminierung werden Dritte regelmäßig keinen Schaden erleiden, sodass schon deswegen Schadensersatzansprüche nicht in Betracht kommen. 348 Bechtold, GWB, § 20 Rn. 87; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 20 Rn. 328; Dorß, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GWB, § 20 Rn. 167.
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3. Wettbewerbs- und wirtschaftspolitische Zwecksetzungen Ein besonderer »Zuschnitt« der Anspruchsberechtigung kann geboten sein, wenn Kartellvorschriften vorrangig wettbewerbs- und wirtschaftspolitischen Zielen dienen. Solche Zielsetzungen eignen sich nur bedingt zur privaten Rechtsdurchsetzung. Wettbewerbs- und wirtschaftspolitische Zielsetzungen können von Behörden tendenziell besser umgesetzt werden, weil sie über größere Entscheidungsspielräume verfügt als private Kläger und Zivilgerichte. Gewissermaßen das Paradebeispiel für die Anwendungsprobleme, die mit einer wirtschaftspolitisch gefärbten Kartellvorschrift verbunden sind, bildet der Verkauf unter Einstandspreis gemäß § 20 Abs. 4 S. 2 bis 4 GWB. Geschützt werden kleine und mittlere Unternehmen vor aggressiven Preiskämpfen. Solche Praktiken gehen typischerweise von finanzkräftigen Unternehmen aus und sind darauf gerichtet, finanzschwächere Konkurrenten vom Markt zu verdrängen. Die Vorschrift wurde jüngst nochmals verschärft, was vom Gesetzgeber mit der hohen Konzentration von Nachfragemacht im Lebensmitteleinzelhandel begründet wurde, die zu einem erheblichen Preisdruck und zu einem »ruinösen Preiskampf« führe349. Kleine und mittlere Unternehmen seien Niedrigpreisstrategien nicht gewachsen und dadurch könne »auf Dauer die breite Versorgung vor allem im ländlichen Raum« beeinträchtigt sein350. In der Sache geht es beim Verbot des Untereinstandspreisverkaufes um einen partiellen Schutz vor lebhaftem Wettbewerb, der Untereinstandspreisverkäufe als Mittel unternehmerischer Preispolitik an sich grundsätzlich zulässt351. Wer im Preiswettbewerb nicht mithalten kann, ist nicht per se schutzwürdig und schutzbedürftig, sondern muss nötigenfalls sein Glück in einer Marktnische suchen oder aus dem Wettbewerb ausscheiden. Das Verbot von Untereinstandspreisverkäufen dient vor allem dem wirtschaftspolitischen Ziel des Mittelstandsschutzes. Speziell mit Blick auf den Lebensmitteleinzelhandel treten noch weitere politische Momente hinzu. Neben dem bereits erwähnten Schutz vor Beeinträchtigungen der Versorgung im ländlichen Raum dürfte das Bemühen eine Rolle gespielt haben, im Lebensmittelhandel einem Preiswettbewerb entgegenzuwirken, der möglicherweise den Qualitätswettbewerb verdrängt und damit nachteilige Auswirkungen auf die Produktqualität hat. Im Falle eines Verstoßes gegen die Bestimmungen über Verkäufer unter Einstandspreis sind nach allgemeiner Ansicht die kleinen und mittleren Unternehmen anspruchsberechtigt352. Uneinigkeit besteht jedoch darüber, ob daneben auch Konkurrenten des Normadressaten, die nicht zu den kleinen und mittleren Unternehmen zählen, kartelldeliktische Ansprüche zustehen. Ebenfalls proble349
Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 16/5847, S. 9 f. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 16/5847, S. 9. 351 BGH vom 10.12.1985, BGHZ 96, 337, 346 – Abwehrblatt II; Loewenheim, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GWB, § 20 Rn. 140. 352 Statt vieler: Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 56; zum alten Recht siehe nur Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 71. 350
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§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht
matisch ist die Anspruchsberechtigung von Herstellern, deren Produkte von Händlern unter Einstandspreis »verschleudert« werden. Ausgehend vom Schutzzweck des § 20 Abs. 4 S. 2 GWB liegt die Annahme nahe, Mitbewerber, die nicht als kleinere oder mittlere Unternehmen anzusehen sind, seien bei Verletzungen nicht anspruchsberechtigt. Im Schrifttum wird diese Position vertreten, allerdings mit unterschiedlichen Begründungen353. Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen, weil sie die aus der Beschränkung der Anspruchsberechtigung folgenden Konsequenzen unberücksichtigt lässt. Wenn nämlich ein Unternehmen gegen das Verbot aus § 20 Abs. 4 S. 2 GWB verstößt und sich konkurrierende Unternehmen nicht privatrechtlich gegen den Untereinstandspreisverkauf zur Wehr setzen können, weil sie nicht anspruchsberechtigt sind, droht eine Eskalation des Preiskampfs. Möglicherweise lassen sich die Konkurrenten notgedrungen auf den »Preiskrieg« ein und verkaufen ihrerseits Waren unter Einstandspreis, um zu verhindern, dass sie Kunden und Marktanteile verlieren. Damit würde eine abwärtsgehende Preisspirale in Gang gesetzt, die erst recht die kleinen und mittleren Unternehmen belastet und damit den Gesetzeszweck geradezu konterkariert. Dass diese Gefahren nicht aus der Luft gegriffen sind, belegt der »Preiskrieg« zwischen Lebensmitteldiscountern, der den Gegenstand der Wal*Mart-Entscheidung des BGH bildete354. Ausdrücklich verweist das Gericht in seiner Entscheidung auf den von einem Abwehrverhalten ausgehenden »Verstärkungseffekt« und betont, dass der Gesetzeszweck in umso größerem Maße verfehlt wird, je nachhaltiger andere marktmächtige Unternehmen das gesetzliche Verbot missachten und einen Preiskampf zum Nachteil der kleinen und mittleren Unternehmen betreiben355. Das Gericht deutet an, dass der Verstoß von Mitbewerbern lauterkeitsrechtlich als Rechtsbruch verfolgbar sein könne356, doch ist dieser vermeintliche Ausweg spätestens seit der Probeabonnement-Entscheidung versperrt357, die einem Rückgriff auf das Lauterkeitsrecht unter Umgehung kartellrechtlicher Sanktionsmechanismen entgegensteht.
Daher wird man davon ausgehen müssen, dass es dem Schutzzweck von § 20 Abs. 4 S. 2 GWB eher entspricht, wenn eine Anspruchsberechtigung auch von solchen Mitbewerbern zugelassen wird, die nicht als kleine oder mittlere Unternehmen anzusehen sind. Diese Mitbewerber sind »an sich« durch das Verbot von Untereinstandspreisverkäufen nicht geschützt, doch wäre es aus den genannten Gründen sachwidrig, eine Anspruchsberechtigung zu versagen, weil anderenfalls die Bekämpfung von Rechtsverstößen und die Verwirklichung des Normzwecks erschwert oder sogar unmöglich gemacht würde. Diese Lösung weist zwei entscheidende Vorzüge auf: Erstens werden zur Sanktionierung der rechtlich miss353 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 56, verneint den Rechtswidrigkeitszusammenhang; ablehnend auch Lettl, JZ 2003, 662, 667, der jedoch eine Anspruchsberechtigung von Mitbewerbern nach dem Lauterkeitsrecht für möglich hält. 354 BGH vom 12.11.2002, BGHZ 152, 361 ff. – Wal*Mart. 355 BGH vom 12.11.2002, BGHZ 152, 361, 371 – Wal*Mart. 356 BGH vom 12.11.2002, BGHZ, 152, 361, 372 – Wal*Mart. 357 BGH vom 7.2.2006, BGHZ 166, 154 ff. – Probeabonnement.
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billigten Praktiken gerade diejenigen Marktakteure mobilisiert, die typischerweise über mehr Durchsetzungskraft verfügen als ein kleines oder mittleres Unternehmen und zweitens wird auf materiellrechtlicher Ebene ein möglicher »Abwehreinwand« von vornherein entkräftet. Denn Unternehmen müssen nicht durch eigene Untereinstandspreisverkäufe auf entsprechende Praktiken ihrer Konkurrenten reagieren, sondern sie können sich gegen entsprechende Maßnahmen rechtlich zur Wehr setzen. Ausgeschlossen sind dagegen Ansprüche eines Herstellers, wenn infolge von Untereinstandspreisverkäufen von ihm produzierter Waren sein Ansehen Schaden nimmt. Auch dieses Ergebnis beruht auf einer wertenden Analyse des Normzwecks. Es fehlt an schützenswerten Individualinteressen des Herstellers, die einen kartelldeliktischen Anspruch legitimieren könnten. Denn ein Hersteller kann sich gegen einen »Preiskrieg« mit seinen Produkten und dadurch verursachte Ansehensverluste gut schützen, z.B. durch Einrichtung eines selektiven Vertriebssystems. Unterlässt der Unternehmer eine solche Absatzorganisation, dann muss er die damit verbundenen Risiken in Kauf nehmen und kann sie nicht unter dem Deckmantel praktizierten Mittelstandsschutzes verwirklichen. Zudem würde eine Anspruchsberechtigung des Herstellers bei Untereinstandspreisverkäufen faktisch auf eine privatrechtlich abgesicherte (Mindest-)Preisbindung hinauslaufen – ein Ergebnis, das mit dem grundsätzlichen Verbot vertikaler Preisbindungen unvereinbar wäre. 4. Beteiligung an der wettbewerbsbeschränkenden Praktik Eine wichtige Neuerung nach der siebten GWB-Novelle 2005 besteht darin, dass – unter bestimmten Voraussetzungen – selbst Marktakteure Schadensersatz verlangen können, die an einer wettbewerbsbeschränkenden Praktik beteiligt sind. Der Regierungsentwurf zur siebenten GWB-Novelle hatte eine Regelung vorgesehen, wonach ein Anspruch nicht ausgeschlossen ist, »weil der andere Marktbeteiligte an dem Verstoß mitgewirkt hat«. Zur Begründung verwies der Gesetzgeber auf die Courage und Crehan-Entscheidung des EuGH. Soweit in der Vergangenheit Kartellmitglieder aus dem Schutzbereich des Kartellverbots ausgenommen wurden, solle dies künftig nicht mehr möglich sein, doch könne der Anspruch aus anderen Gründen ausgeschlossen werden358. Nach alter Rechtslage entsprach es der herrschenden Ansicht, dass Kartellmitglieder untereinander keinen kartellrechtlichen Schutz genießen und daher nicht anspruchsberechtigt waren359. Eine oft zitierte Entscheidung des Kammergerichts streifte die Problematik, allerdings unter dem Aspekt eines subjektiven Rechts des Kartellmitglieds gegenüber der Kartellbehörde (auf Versagung der Erlaubnis eines Rationalisierungskartells)360. In seiner Entscheidung stellt das Gericht apodiktisch fest, § 1 GWB a.F. sei allenfalls ein Schutzge358
Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 53. Benisch, in: Gemeinschaftskommentar, GWB, § 35 Rn. 8; Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 39; K. Schmidt, in: Festschrift für Benisch, S. 293, 301 ff. m.w.Nachw. 360 KG vom 7.9.1977, WUW/E OLG 1903, 1905 – Air-Conditioning-Anlagen. 359
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§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht
setz zugunsten der Mitbewerber der Kartellpartner, nicht aber für die Kartellpartner selbst anzusehen. Im Übrigen habe die Beschwerdeführerin die Möglichkeit, zivilrechtlich den Vertrag anzugreifen, zumal § 13 GWB a.F. einen speziellen privatrechtlichen Rechtsbehelf in Form eines Rücktritts- bzw. Kündigungsrechts aus wichtigem Grund vorsah361. Einen Sonderfall bildet eine Entscheidung des LG Mannheim. Es hatte über die Klage eines Taxiunternehmers zu entscheiden, der einer Autozentrale angeschlossen war und die angebotenen Leistungen dieser Zentrale (insbesondere die Funk- und Telefonvermittlung) für mehr als ein Taxi nutzen wollte. Dies wurde mehrheitlich abgelehnt. Das Landgericht sah in der Mehrheitsentscheidung einen wettbewerbsbeschränkenden Beschluss und bejahte kartelldeliktische Ansprüche des Taxiunternehmers: Als durch den Kartellbeschluss Überstimmter bedürfe er des Rechtsschutzes, während es ihm andererseits nicht zugemutet werden kann, die Einleitung eines Bußgeldverfahrens gegen die Beklagte zu veranlassen und sich dadurch womöglich der Gefahr der Ausschließung auszusetzen362. Diese Begründung überrascht: Ein direktes zivilrechtliches Vorgehen gegen den Mehrheitsbeschluss dürfte für den Kläger kaum als weniger risikoreich anzusehen sein als der Ruf nach einem Einschreiten der Kartellbehörde. Davon abgesehen wird man den Taxiunternehmer aber schon nicht als Beteiligten der kartellverletzenden Verhaltensweise ansehen können; denn er wurde überstimmt und war damit das Opfer einer Kartellsperre363. Im Vertikalverhältnis wurde § 14 GWB a.F. überwiegend als Schutzgesetz für den Gebundenen anerkannt364. Zwar konnte der Gebundene die Nichtigkeit der Vereinbarung geltend machen365 und zusätzlich gewährte § 21 Abs. 2 GWB Schutz vor Druckausübung, doch war dieser Schutz nicht in jeder Hinsicht ausreichend366.
Ob ein Unternehmen, das an einer wettbewerbsbeschränkenden Praktik beteiligt ist, berechtigt sein kann, Schadensersatz zu verlangen, bedarf einer differenzierenden Beurteilung367. Die Anspruchsberechtigung ist nicht generell ausgeschlossen, aber umgekehrt nicht immer zu bejahen. In Abhängigkeit von der Art der Beteiligung können die zugrundeliegende Interessenlage und das kartellrechtliche Schutzbedürfnis sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Es macht beispielsweise einen Unterschied, ob sich mehrere Unternehmen »auf Augenhöhe« zur Bildung eines Kartells entschließen oder ob ein wirtschaftlich schwaches Unternehmen in ein solches Kartell geradezu hineingezwungen wird. Im Übrigen ist zu bedenken, dass die Beteiligten als »Tatnächste« am ehesten in der Lage sind, eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung von innen heraus aufzubrechen. Die Aussicht, Schadensersatz verlangen zu können, kann neben Kronzeugenprogrammen möglicherweise ein wichtiges Motiv zur Aufdeckung wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen darstellen. 361
KG vom 7.9.1977, WUW/E OLG 1903, 1905 – Air-Conditioning-Anlagen. LG Mannheim vom 18.12.1964, WuW/E LG/AG 259, 263 – Zweittaxi. 363 K. Schmidt, in: Festschrift für Benisch, S. 293, 303. 364 Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 59 m.w.Nachw. 365 § 134 BGB i.V.m. § 14 GWB a.F. 366 Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 59. 367 K. Westermann, in: Festschrift für H.P. Westermann, S. 1605, 1609. Für eine generelle Einbeziehung der Beteiligten einer gegen Art. 81 EG verstoßenden horizontalen oder vertikalen Vereinbarung oder Verhaltensweise aber Lettl, ZHR 167 (2003), 473, 479. 362
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In der Courage und Crehan-Entscheidung hat der EuGH für eine wettbewerbsbeschränkende Vertikalvereinbarung darauf hingewiesen, dass das Gemeinschaftsrecht nicht dem Grundsatz entgegenstehe, dass ein Einzelner nicht aus seinem eigenen rechtswidrigen Verhalten Nutzen ziehen darf368. Allerdings stellt das Gericht diesen Grundsatz keineswegs als unabänderlich in den Raum, sondern sieht das innerstaatliche Gericht in der Pflicht, sorgfältig die Umstände des Einzelfalls zu prüfen, insbesondere den wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmen sowie die Stärke der Verhandlungsposition und das jeweilige Verhalten der Vertragsparteien: »Insbesondere hat dieses Gericht zu prüfen, ob die Partei, die durch den Abschluss eines Vertrages, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, angeblich einen Schaden erlitten hat, der anderen Partei eindeutig unterlegen war, so dass ihre Freiheit, die Vertragsbedingungen auszuhandeln, und ihre Fähigkeit, insbesondere durch den rechtzeitigen Einsatz aller ihr zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten den Schadenseintritt zu verhindern oder den Schadensumfang zu begrenzen, ernsthaft beschränkt oder nicht vorhanden gewesen waren«369.
Entscheidend ist demnach, in welchem Verhältnis der eigene Tatbeitrag des Geschädigten zu den Handlungen der übrigen Beteiligten steht. Wer sich an einer Wettbewerbsbeschränkung beteiligt, willigt damit in die positiven und in die negativen Folgen dieses Verhaltens ein. Hierin liegt der maßgebliche Grund, warum die Rechtsordnung Schadensersatzansprüche verweigern oder in anderen Fällen, trotz der Beteiligung am Rechtsverstoß, Schadensersatzansprüche zusprechen kann. Dabei ist zu prüfen, ob die Entscheidung zur Beteiligung an der Wettbewerbsbeschränkung freiwillig erfolgte oder aufgrund einer Zwangslage getroffen wurde. Eine Zwangslage des Geschädigten kann dabei aus einer Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit resultieren, insbesondere infolge eines vorhandenen Machtgefälles zwischen den Beteiligten370. Wer durch Ausübung von Druck, Zwang oder durch vergleichbar massive Einflüsse (z.B. einen Boykottaufruf) dazu gebracht wird, sich an einer wettbewerbsbeschränkenden Praktik zu beteiligen, ist kartellrechtlich nicht als Täter, sondern als Opfer einzustufen. In diesen Fällen kann man bei wertender Betrachtung nicht davon ausgehen, der Beteiligte habe sich freiwillig auf die Vor- und Nachteile der Mitwirkung am Kartellrechtsverstoß eingelassen. Umgekehrt kann der Initiator einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung ebenso wenig Schadensersatz von anderen 368
EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 31 – Courage und Crehan. EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 33 – Courage und Crehan. 370 Ähnlich Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 33: deutliches Gefälle in der Stärke der Verhandlungsposition. K. Westermann, in: Festschrift für Westermann, S. 1605, 1609 will entscheidend darauf abstellen, ob ein Unternehmer durch Druckausübung zur Teilnahme an einer Kartellabsprache gezwungen wurde. Lettl ZHR 167 (2003), 473, 483 zieht eine Wertungsparallele zur gestörten Vertragsparität nach der Rechtsprechung des BVerfG. Dagegen wird man indessen einwenden müssen, dass für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht genuin gemeinschaftsrechtliche Maßstäbe gelten müssen. Auch sachlich sind die Konstellationen nicht vergleichbar, da die Rechtsprechung des BVerfG auf den Schutz vor qualitativ anderen Gefahren zielte. 369
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§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht
Beteiligten verlangen wie Unternehmen, die ohne Vorliegen einer wirtschaftlichen oder sonstigen Zwangslage gemeinsam und freiwillig an einer wettbewerbsbeschränkenden Handlung mitwirken371. 5. Zielrichtung der Wettbewerbsbeschränkung Die Zielgerichtetheit einer Wettbewerbsbeschränkung gehörte nach altem Recht zu den wichtigsten Kriterien bei der Ermittlung des Schutzcharakters von Kartellrechtsbestimmungen. Ein Wirtschaftsteilnehmer wurde als geschützt (und damit als anspruchsberechtigt) angesehen, wenn sich eine wettbewerbsbeschränkende Praktik gezielt gegen ihn wendete, also z.B. darauf gerichtet war, seinen Marktzutritt zu verhindern. Das konnte allerdings zu dem eigentümlichen Ergebnis führen, dass die Gefahr, auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden umso geringer war, je erfolgreicher und umfassender der Wettbewerb durch Kartellabsprachen beeinträchtigt wurde372. Denn in den Fällen breitenwirksamer Wettbewerbsbeschränkungen fehlte es naturgemäß an der zielgerichteten Beeinträchtigung bestimmter Marktakteure. a) Rechtsprechung In der Rechtsprechung hatte das Kriterium der Zielgerichtetheit weite Verbreitung gefunden. Während die höchstrichterliche Rechtsprechung das Kriterium mit Bedacht verwendete, wurde es von den Instanzgerichten oftmals überstrapaziert. aa) Höchstrichterliche Rechtsprechung Die Krankenhaus-Zusatzversicherung betraf kartellrechtswidrige Absprachen, die dazu dienten, potenziellen Mitbewerbern den Marktzutritt zu verwehren. Im Streitfall arbeiteten die beklagten Ersatzkassen mit bestimmten privaten Krankenversicherungen zusammen. Den Mitgliedern der Ersatzkassen wurden diese privaten Krankenversicherer als Anbieter von Krankenhauszusatzversicherungen empfohlen. Für die weitere Zukunft war eine Zusammenarbeit der Ersatzkassen mit den privaten Krankenversicherern vorgesehen, wobei ein einheitlicher und günstiger Tarif für die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherungen angeboten und das Erstattungsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden sollte. Hiergegen wendeten sich die Kläger, die ebenfalls private Krankenversicherungsleistungen anboten, aber von der Zusammenarbeit ausgeschlossen waren. Die Vereinbarung konnte nach Ansicht der Richter zur Folge haben, dass die Kläger aufgrund des starken und unmittelbaren Einflusses der Ersatzkassen auf ihre Mitglieder die Kläger vom Markt jedenfalls insoweit ausschließen, als es sich um diese Mitglieder handelt. Der BGH bejahte Ansprüche der Kläger373 und stellte der Entscheidung folgenden Leitsatz voran: 371 Das strafrechtliche Kriterium der »Tatherrschaft«, das Lettl, ZHR 167 (2003), 473, 482 f., heranziehen will, ist zwar anschaulich, doch passen die strafrechtlichen Maßstäbe schon deswegen nicht für das Kartellrecht, weil das Strafrecht keine Unternehmenstäterschaft kennt. 372 Berrisch/Burianski, WuW 2005, 878, 881; Lutz, WuW 2005, 718, 727; Volhard, in: Festschrift für Gaedertz, 599, 604. 373 BGH vom 4.4.1975, BGHZ 64, 232, 238 – Krankenhaus-Zusatzversicherung.
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»§§ 1, 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB bezwecken den Schutz derjenigen Wettbewerber der Kartellpartner, die infolge der Beschränkung des Wettbewerbs schon am Zutritt zu dem durch den Vertrag beeinflußten Markt behindert werden«. Wenngleich in der Entscheidung maßgeblich der gezielt verwehrte Marktzutritt als Kriterium hervorgehoben wird, ist dem Urteil nicht im Umkehrschluss zu entnehmen, dass ungezielte Beeinträchtigungen prinzipiell keinen Schadensersatz auslösen können. Diese Sichtweise wird bestätigt durch die Familienzeitschrift-Entscheidung des BGH, die eine gezielte Beeinträchtigung von Abnehmern betraf. Wörtlich heißt es in der Entscheidung unter Bezug auf die frühere Rechtsprechung: »Aus den in dieser Entscheidung angeführten Gründen folgt, daß die Marktgegenseite jedenfalls dann und insoweit geschützt ist, als sich die Kartellabsprache oder das abgestimmte Verhalten gezielt gegen bestimmte Abnehmer und Lieferanten richtet«374. Für Verstöße gegen europäische Kartellvorschriften sprach der BGH ebenfalls aus, dass Art. 81 EG »jedenfalls« dann als ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 S. 1 BGB zugunsten des Beeinträchtigten anzusehen ist, wenn die verbotene Schädigung der Wettbewerbsfreiheit unmittelbar gegen den Betroffenen gerichtet ist375. Zwar hat es die höchstrichterliche Rechtsprechung vermieden, über die jeweiligen konkreten Streitfälle hinausgehende allgemeine Festlegungen hinsichtlich der Anspruchsberechtigung vorzunehmen und betonte, dass hierüber von Fall zu Fall entschieden werden müsse376. Jedoch ließ die höchstrichterliche Rechtsprechung umgekehrt auch nicht den Schluss zu, nur zielgerichtete Eingriffe könnten privatrechtliche Ansprüche auslösen377.
bb) Instanzgerichtliche Rechtsprechung In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung hatte sich das Kriterium der Gezieltheit gewissermaßen zu einem Universalinstrument der Begrenzung der Anspruchsberechtigung entwickelt, was zur Folge hatte, dass kartelldeliktische Ansprüche zumeist nur bejaht wurden, wenn eine Zielgerichtetheit der Wettbewerbsbeschränkung vorlag. (1) Vitaminkartell-Entscheidungen. Zu einer Welle von Entscheidungen kam es infolge der Aufdeckung eines Preiskartells von Vitaminherstellern durch die Europäische Kommission. Die Kläger, Produzenten von Nahrungsmitteln, bei deren Herstellung Vitamine oder Vitamingemische eingesetzt wurden, bezogen entsprechende Zutaten von den Herstellern. Diese waren an weltweit wirksamen Preiskartellen über verschiedene Vitamine beteiligt. In dem Zeitraum, in dem die Kartelle wirksam waren, kam es zu erheblichen Preissteigerungen; die Kläger verlangten wegen der nachteiligen Wirkungen des Kar374
BGH vom 25.1.1983, BGHZ 86, 324, 330 – Familienzeitschrift; Hervorhebung durch den
Verf. 375
BGH vom 23.10.1979, BGH WuW/E 1643, 1645 – BMW-Importe; BGH vom 10.11.1987, WuW/E BGH 2451, 2457 – Cartier-Uhren. 376 BGH vom 25.1.1983, BGHZ 86, 324, 330 – Familienzeitschrift; BGH vom 10.12.1985, BGHZ 96, 337, 345 und 351 – Abwehrblatt II; BGH vom 12.5.1998, GRUR 1999, 276, 277 – Depotkosmetik. 377 Bulst, EWS 2004, 403, 409. Nicht ganz zu Unrecht sieht Scheffler, WRP 2007, 163, 166 in dem Übergang vom Schutzgesetzerfordernis zur Betroffenheit nach neuem Recht einen »Triumph des Blind- oder Fehlzitats«.
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§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht
tells Schadensersatz. Die unterinstanzliche Gerichte kamen trotz im Wesentlichen gleicher Sachlage zu unterschiedlichen Ergebnissen in der rechtlichen Beurteilung. Das Landgericht Mannheim verneinte die Anspruchsberechtigung der Abnehmer. In einer Konstellation, in der die Preise für das betreffende Produkt aufgrund des Kartells weltweit angehoben wurden, würde eine Zulassung von Deliktansprüchen der gesamten Marktgegenseite ohne weitere Einschränkungen zu einer unübersehbaren und weitgehend vom Zufall abhängigen Anzahl von Anspruchsberechtigten führen. Vom weltweiten Preiskartell betroffen sei jeder, der die entsprechenden Produkte erwerbe. Die Zahl der möglichen Anspruchsteller wäre z.B. abhängig von der Länge der »Vertriebskette« für das jeweilige Produkt378. Denkbar wären auch Ersatzansprüche von Kunden, die nicht das Produkt des jeweiligen Beklagten sondern dasjenige eines anderen Kartellmitglieds erworben haben, weil allein die Teilnahme (auch) des Beklagten an dem Kartell die Erhöhung der Preise seines scheinbaren »Konkurrenten« ermöglicht habe379. Durch das Erfordernis der Schutzgesetzeigenschaft in § 823 Abs. 2 BGB solle der Deliktsschuldner davor geschützt werden, einem unabsehbaren Kreis von möglichen Anspruchstellern gegenüberzustehen, wie dies etwa bei einer deliktischen Generalklausel der Fall wäre. Verzichte man bei einem Kartellverstoß auf das Erfordernis, wonach das Kartell gezielt gegen bestimmte Marktteilnehmer gerichtet sein müsse, so sei ein überzeugendes Kriterium zur Eingrenzung des anspruchsberechtigten Personenkreises nicht auszumachen. Eine Beschränkung auf die unmittelbare Marktgegenseite, also auf diejenigen, die die jeweiligen Produkte direkt bei den Kartellmitgliedern erworben haben, ist vor dem Hintergrund des Schutzgedankens des Kartellverbots nicht überzeugend, weil nicht einzusehen sei, warum es einen Unterschied machen soll, ob die Klägerin direkt von der Beklagten oder über einen zwischengeschalteten und unabhängigen Vitamin-Händler beliefert wurde. Ebenso wenig ist nach Auffassung des Gerichts zur sinnvollen Eingrenzung des Kreises der Berechtigten das Kriterium geeignet, ob der Anspruchsteller Produkte des jeweiligen Kartellmitglieds (und nicht Produkte eines anderen Kartellmitgliedes) erworben hat380. Das OLG Karlsruhe setzte sich in der Berufungsentscheidung mit dieser Argumentation der Vorinstanz nicht näher auseinander, hegte aber offenbar zumindest Sympathie für die Begründung, indem es feststellte, das Landgericht habe die Frage der Anspruchsberechtigung »mit beachtenswerten Gründen« verneint.381 Das LG Mainz begründet seine Ablehnung eines Schadensersatzanspruches mit der Überlegung, ein weltweites Preiskartell führe eben zu einem weltweiten Preisanstieg, dem alle ausgesetzt seien, ohne dass eine Verschiebung zum Nachteil bestimmter Akteure erfolge382. Eine Zulassung von Deliktsansprüchen der gesamten Marktgegenseite, ohne das einschränkende Erfordernis der Zielgerichtetheit, würde zu einer völlig unübersehbaren und weitgehend vom Zufall abhängigen Anzahl von Anspruchsberechtigten führen383. Selbst die Beschränkung der anspruchsberechtigten Personen auf die unmittelbare Marktgegenseite, also Abnehmer, die »kartellbefangene« Produkte direkt von den Kartellmitgliedern erworben haben, sei vor dem Hintergrund des Schutzgedankens des Kar378
Köhler, GRUR 2004, 99, 100. LG Mannheim vom 11.7.2003, GRUR 2004, 182, 183 – Vitaminkartell. 380 LG Mannheim vom 11.7.2003, GRUR 2004, 182, 183 – Vitaminkartell. 381 OLG Mannheim vom 28.1.2004, GRUR 2004, 883 – Vitaminkartell; dazu Beninca, WuW 2004, 604 ff.; Bulst, NJW 2004, 2201 ff.; Keßler, BB 2005, 1125, 1126 ff. 382 LG Mainz vom 15.1.2004, WuW DE-R 1349, 1351 – Vitaminpreise Mainz. 383 LG Mainz vom 15.1.2004, WuW/DE-R 1349, 1350 – Vitaminpreise Mainz. 379
C. Anspruchsberechtigung
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tellverbots »kein überzeugendes Abgrenzungskriterium«384. Im Weiteren führt das Gericht aus, nur in dem Fall des gezielten Vorgehens gegen bestimmte Konkurrenten oder Abnehmer oder Mitglieder der Marktgegenseite, um diese vom Markt zu drängen, ihnen Marktchancen zu abzuschneiden oder ihnen die Chance zu nehmen, überhaupt am Wettbewerb teilzunehmen, sei eine materielle Anspruchsberechtigung gemäß Art. 81 Abs. 1 EG gegeben385. Völlig anders beurteilte hingegen das LG Dortmund die Konstellation und sah in seiner Entscheidung die Klägerin als Abnehmerin von Vitaminen und Vitamingemischen unproblematisch als von § 1 GWB und Art. 81 EG geschützt an. Das Gericht nahm mit seiner knappen, aber in der Sache treffenden Begründung den sich im Gesetzgebungsverfahren anbahnenden Wandel vorweg: »Eine Zielgerichtetheit des kartellrechtswidrigen Verhaltens auf einen bestimmten Adressaten ist angesichts der jede Kartellvereinbarung missbilligenden Zielsetzung des Gesetzes nicht zu fordern. Ausreichend ist eine unmittelbare und objektive Betroffenheit der Kl. als bestimmbarer Marktteilnehmer und Marktgegenseite. (…) Das Kartell war in seiner Konzeption und Durchführung gerichtet auf Durchsetzung kartellbedingt überhöhter Preise auf der nächsten Handelsstufe, zu der bei den hier in Rede stehenden Vitaminprodukten auch Herstellerfirmen aus der Nahrungsmittelindustrie als Direktabnehmer gehören«386.
(2) Weitere Entscheidungen. Das OLG Düsseldorf lehnte im Falle eines Preiskartells Ansprüche der Marktgegenseite ab: § 1 GWB a.F. sei nur insoweit ein Schutzgesetz zugunsten der Marktgegenseite, als sich die verbotene Absprache gezielt gegen bestimmte Abnehmer und Lieferanten richte. Im Streitfalle richteten sich die Preisabsprachen aber nicht gegen bestimmte Lieferanten. Vielmehr wurden allgemeine Vergütungssätze festgelegt, auf deren Grundlage bestimmte Leistungen abgerechnet wurden. Dass die Klägerin hiervon »in ihrer Tätigkeit als Leistungsanbieter betroffen ist, weil sie die vereinbarten Vergütungssätze nicht hinnehmen will, macht aus den Vereinbarungen noch keine gegen sie individuell gerichtete Maßnahme«387. In anderen Entscheidungen lagen nach Ansicht des Gerichts zielgerichtete Rechtsverstöße vor, sodass auch nach engem Verständnis eine Anspruchsberechtigung des Betroffenen nicht abgelehnt werden konnte. Das Gericht bejahte beispielsweise die Anspruchsberechtigung eines Medikamentenherstellers, dessen Präparate nicht in einer »Positivliste« der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen enthalten waren388. In einer Entscheidung des LG Berlin hatten sich die Beklagte und vierzig weitere Hersteller von Transportbeton im Berliner Raum an einer Quotenvereinbarung beteiligt, in der festgelegt wurde, welche Lieferanteile die Beteiligten, also auch die Beklagte, pro Jahr nicht überschreiten durften. Die Klägerin, ein Bauunternehmen, begehrte von der Beklagten den prozentualen jährlichen Mehrerlös, den diese durch Verkäufe an die Klägerin erzielt habe. Das Gericht hielt die Quotenabsprache kartellrechtswidrig wegen Verstoßes gegen § 1 GWB a.F.389, verneinte aber einen Schadensersatzanspruch der Klägerin, weil es 384
LG Mainz vom 15.1.2004, WuW/DE-R 1349, 1350 – Vitaminpreise Mainz. LG Mainz vom 15.1.2004, WuW DE-R 1349, 1351 – Vitaminpreise Mainz. 386 LG Dortmund vom 1.4.2004, WuW/ED-R 1352, 1353 – Vitaminpreise Dortmund; dazu Bulst, EWS 2004, 403 ff. 387 OLG Düsseldorf vom 23.5.1989, WuW/E OLG 4454 – Ennepetal-Vertrag. 388 OLG Düsseldorf vom 2.9.1997, WuW/E DE-R 183, 186 – Berliner Positivliste. 389 LG Berlin vom 23.5.2003, WuW DE-R 1325 – Berliner Transportbeton II. 385
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§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht
an einem zielgerichteten Vorgehen der Beklagten gegen die Klägerin als Abnehmerin fehle390. Aufgrund der Vielzahl der an der Quotenvereinbarung beteiligten Unternehmen sowie der Vielzahl betroffener Bauunternehmen als unmittelbarer Marktgegenseite sei ein gezieltes Vorgehen nicht ersichtlich391. Zwar sei die Quotenabsprache auf den Raum Berlin/Brandenburg begrenzt gewesen, doch waren alle Bauunternehmen, die im relevanten Zeitraum Bedarf nach Transportbeton gehabt hätten, gleichermaßen vom Kartellverstoß betroffen. Das Landgericht begründet die Ablehnung eines kartelldeliktischen Schadensersatzanspruches damit, dass die Normierung des Schadensersatzes nicht dazu diene, sämtlichen von einer Kartellvereinbarung mittelbar betroffenen Abnehmern die Möglichkeit eines Schadensausgleiches zu eröffnen392. Diese Begründung verwundert, weil das Gericht die Klägerin zutreffend als einen unmittelbar auf der Marktgegenseite agierenden Wirtschaftsteilnehmer qualifizierte393. Schwer nachzuvollziehen ist die Unterscheidung des Gerichts, wonach Wettbewerber, die am Marktzutritt gehindert würden, aufgrund des zielgerichteten Vorgehens in den Schutzbereich des § 1 GWB a.F. einbezogen seien, während die Auswirkungen des Quotenkartells auf den Preis für die Abnehmer von Transportbeton lediglich »mittelbarer Natur« seien394. Des Weiteren stellt das Gericht apodiktisch die Behauptung in den Raum, § 1 GWB a.F. schütze den Wettbewerb als solchen und gerade nicht bestimmte Unternehmen395. Schließlich verweist das Gericht auf den Gesichtspunkt der Systemkonformität aufgrund des deliktischen Charakters des kartelldeliktischen Schadensersatzanspruches, wonach sich das Erfordernis der Zielgerichtetheit ergebe396. Unklar ist geblieben, wie »zielgenau« die Beeinträchtigung gewesen sein muss. Nach Ansicht des OLG Stuttgart könne es keinen Unterschied machen, ob die Kartellmitglieder einen namentlich ins Auge gefassten Gegner oder einen ganzen, abgrenzbaren Markt und damit dessen bestimmbare Teilnehmer treffen und gegebenenfalls ausschalten wollen397. Das OLG Celle hielt es im Falle eines Nachfragekartells für ausreichend, dass die Betroffenen »hinreichend individualisierbar« sind398. Für Verstöße gegen das Gemeinschaftskartellrecht knüpft das OLG Düsseldorf an die Formulierung des BGH an, wonach eine Anspruchsberechtigung jedenfalls anzunehmen ist, wenn die verbotene Verhaltensweise »unmittelbar gegen den Betroffenen« gerichtet ist. Das OLG Düsseldorf meint, dies dürfe nicht »im Sinne eines finalen Handelns« zum Nachteil eines Marktakteurs verstanden werden399, sondern »im Sinne eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses, wie es auch sonst gefordert wird«400.
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LG Berlin vom 23.5.2003, WuW DE-R 1325, 1326 – Berliner Transportbeton II. LG Berlin vom 23.5.2003, WuW DE-R 1325, 1326 – Berliner Transportbeton II. 392 LG Berlin vom 23.5.2003, WuW DE-R 1325, 1327 – Berliner Transportbeton II. 393 LG Berlin vom 23.5.2003, WuW DE-R 1325, 1326 – Berliner Transportbeton II. 394 LG Berlin vom 23.5.2003, WuW DE-R 1325, 1328 – Berliner Transportbeton II. 395 LG Berlin vom 23.5.2003, WuW DE-R 1325, 1327 – Berliner Transportbeton II. 396 LG Berlin vom 23.5.2003, WuW DE-R 1325, 1327 – Berliner Transportbeton II. 397 OLG Stuttgart vom 22.5.1998, WuW DE-R 161, 163 – Carpartner II. 398 OLG Celle vom 13.5.1998, NJWE-WettbR 1999, 164. 399 OLG Düsseldorf vom 16.6.1998, WuW DE-R 143, 146 – Global One; siehe auch OLG Düsseldorf vom 28.8.1998, WuW/E DE-R 233, 240 – Inkontinenzhilfen. 400 OLG Düsseldorf vom 16.6.1998, WuW DE-R 143, 146 – Global One. 391
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b) Kritische Würdigung und Bedeutung der Zielgerichtetheit nach neuem Recht Es ist erstaunlich, dass sich die Zielgerichtetheit über lange Jahre als ein weithin akzeptiertes Kriterium zur Bestimmung der Anspruchsberechtigung behaupten konnte. Man kann den Erfolg dieses Kriteriums nur damit erklären, dass es den Gerichten ermöglichte, schwierigen Fragen der kartelldeliktischen Schadensersatzhaftung auf einfache Weise auszuweichen. Die (scheinbar) einfache Handhabung täuscht darüber hinweg, dass sich das Merkmal der Zielgerichtetheit dogmatisch nicht schlüssig begründen lässt401. Außerdem können die damit gewonnenen Ergebnisse und die zugrunde liegenden Wertungen nicht überzeugen. Privatrechtliche Ansprüche auszuschließen, wenn und weil eine Schädigung von bestimmten Marktakteuren nicht gezielt erfolgt, sondern »nur« faktisch bewirkt wird oder weil eben alle Marktakteure durch wettbewerbsbeschränkende Praktiken gleichermaßen betroffen sind, bedeutet, gerade die besonders gefährlichen Praktiken, nämlich solche mit »Breitenwirkung«, sanktionslos zu stellen402. Damit wird verhindert, dass wirksame Sanktionen eingreifen, wenn Wettbewerb massiv eingeschränkt wird und beispielsweise ein Kartell besonders erfolgreich agiert. Gerade die positionsverschlechternde Drittwirkung von wettbewerbsbeschränkenden Praktiken zum Nachteil von Akteuren auf vor- und nachgelagerten Marktstufen403 wurde bei einer Betrachtung, die maßgeblich die Zielgerichtetheit als Kriterium heranzieht, völlig ausgeblendet. Das führte im Ergebnis zu der eigenartigen, ja geradezu »absurden Konsequenz«404, dass eine private Rechtsverfolgung umso unwahrscheinlicher wurde, je gefährlicher und breitenwirksamer eine wettbewerbsbeschränkende Praktik war. Nimmt man den Schutz der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs ernst, dann besteht in Fällen, in denen z.B. sämtliche Abnehmer eines Preiskartells geschädigt werden, kein geringeres, sondern umgekehrt ein besonders großes Bedürfnis, gegen die vom Kartell ausgelösten Wettbewerbsverzerrungen vorzugehen405. Zu Recht wurde deswegen im Schrifttum beklagt, dass die Unterscheidung zwischen »gezielter« und »allgemeiner« Schädigung willkürliche Ergebnisse zur Folge habe406. Würde man die Gezieltheit eines Rechtsverstoßes als Ausschlusskriterium anerkennen und diesen Rechtsgedanken auf andere Lebensbereiche 401 Bulst, EWS 2004, 403, 409; ders., NJW 2004, 2201, 2202; Keßler, WRP 2006, 1061, 1066 f.; für Österreich: Hoffer, KartG, § 26, 1.5.1., S. 230. 402 »Warum soll der Schädiger plötzlich völlig frei von Haftung sein, gerade weil (!) er unermeßlich hohe Schäden verursacht hat?«, Karollus, Funktion und Dogmatik der Haftung aus Schutzgesetzverletzung, S. 352. 403 Keßler, WRP 2006, 1061, 1067. 404 Roth, in: Basedow, Private Enforcement of EC Competition Law, S. 61, 74 f.; siehe auch ders., in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 22 und 49 und Berrisch/Burianski, WuW 2005, 878, 881. 405 Zur vergleichbaren Problematik des Schutzes mittelbar Betroffener siehe sogleich im Text unter 6., S. 376 ff. 406 Volhard, in: Festschrift für Gaedertz, S. 599, 605.
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übertragen, dann hätte dies beispielsweise zur Folge, dass die Haftung eines Herstellers für ein fehlerhaftes Produkt oder dessen Haftung für Umweltschäden abzulehnen wäre, wenn und weil viele Betroffene zwar geschädigt werden, aber die Verletzungen nicht zielgerichtet hervorgerufen werden. Weder im Kartellrecht noch in sonstigen außervertraglichen Haftungsfällen kann aber ein Schadensersatzanspruch allein deswegen ausgeschlossen sein, weil sich ein Verletzer nicht gezielt gegen einen bestimmten Geschädigten gewendet hat und möglicherweise viele Geschädigte vorhanden sind. Eine solche Lösung liefe auf ein durch nichts zu rechtfertigendes Privileg für Massenschädigungen hinaus407. Wer die Zielgerichtetheit als Ausschlusskriterium anerkennt, überlässt dem Schädiger die Entscheidung, wer Schadensersatz verlangen kann. Der Regierungsentwurf zur siebenten GWB-Novelle 2005 hatte ausdrücklich eine Klarstellung im Gesetz aufnehmen wollen, wonach Art. 81 und 82 EG und die Vorschriften des GWB »auch dann dem Schutz anderer Marktbeteiligter [dienen], wenn sich der Verstoß nicht gezielt gegen diese richtet«. Damit wollte der Gesetzgeber deutlich machen, dass ein Schutz von Marktakteuren nicht auf finale Schädigungen beschränkt ist, weil dies zur Folge habe, dass aus Sicht eines Kartellmitglieds eine Schadensersatzpflicht umso weniger zu befürchten ist, je umfassender die Kartellabsprache angelegt ist408. Nach neuem Recht ist das Kriterium der Zielgerichtetheit nicht überflüssig, muss aber mit Vorsicht angewendet werden. Insbesondere ist die Zielrichtung einer wettbewerbsbeschränkenden Praktik – im Gegensatz zum alten Recht – nur als ein positives Indiz für die Anspruchsberechtigung eines Betroffenen anzuerkennen. Das bedeutet: Wenn sich eine wettbewerbsbeschränkende Praktik gezielt gegen einen bestimmten Wirtschaftsteilnehmer richtet, dann spricht dies für seine Anspruchsberechtigung. Eine umgekehrte Indizwirkung hat die Zielgerichtetheit dagegen nicht. Deswegen sich Ansprüche nicht allein deswegen ausgesprochen, weil sich die Wettbewerbsbeschränkung gezielt gegen Dritte oder eine Vielzahl von Marktakteuren betrifft. 6. Marktvermittelte Fernwirkungen von Wettbewerbsbeschränkungen Dem Wortlaut des § 33 Abs. 1 S. 3 GWB ist nicht zu entnehmen, dass die Anspruchsberechtigung auf Mitbewerber oder die Marktgegenseite beschränkt ist. Vielmehr können sonstige Marktbeteiligte auch Marktakteure sein, die mit dem Verletzer weder konkurrieren, noch mit ihm in direktem geschäftlichem Kontakt stehen. Man kann diese Marktakteure als mittelbar Betroffene bezeichnen409. Die Anspruchsberechtigung mittelbar Betroffener gehört zu den großen Diskussionsfeldern des Kartelldeliktsrechts. 407
Bulst, NJW 2004, 2201, 2202. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 53. 409 Zur – mitunter problematischen – Abgrenzung zwischen unmittelbar und mittelbar Betroffenen Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 89 ff. unter Analyse des US-amerikanischen Rechts. 408
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a) Ausgangsüberlegungen aa) Übergreifende Wirkungen von Wettbewerbsbeschränkungen und daraus resultierende Rechtsprobleme Die nachteiligen Wirkungen von Wettbewerbsbeschränkungen treffen oftmals nicht nur Konkurrenten oder die Marktgegenseite410. Denn Wettbewerbsbeschränkungen wirken nur selten punktuell. Vielfach lösen sie diffuse Effekte aus, die bewirken, dass Marktakteure nachteilig betroffen sind, die weit von der eigentlichen Störungsquelle entfernt im Wettbewerb agieren. Die Gefahr solcher marktvermittelten Fernwirkungen wird durch die bestehende und ständig zunehmende Vernetzung und Verflechtung von Märkten und Wirtschaftsabläufen gefördert. Marktvermittelte Fernwirkungen können im Prinzip sowohl vorgelagerte als auch nachgelagerte Marktstufen betreffen. Zumeist stehen die Auswirkungen auf nachgelagerten Marktstufen im Vordergrund. Oft wird in diesem Zusammenhang sogar nur vom indirekten Abnehmer (»indirect purchaser«) gesprochen. Man darf nicht von der idealisierten Vorstellung einer linear verlaufenden Wirkungskette bis zum Endkonsumenten ausgehen, bei der beispielsweise ein kartellbedingt überhöhter Preis bis zum Endabnehmer »durchgereicht« wird. Ein solches Bild ist zwar anschaulich und verdeutlicht die Grundproblematik, entspricht aber nicht der Wirklichkeit. Die Realität ist komplexer. Es macht beispielsweise einen Unterschied, ob das »kartellbefangene« Fertigprodukt eines Herstellers in der Absatzkette weiterverkauft wird oder ob ein Rohprodukt auf der folgenden Absatzstufe weiterverarbeitet wird, also z.B. »kartellbefangene« Vitamine und Vitamingemische als Zutaten für Nahrungs- und Futtermittel Verwendung finden, die sodann weiterverkauft werden. Es liegt auf der Hand, dass im zweiten Fall viele zusätzliche Faktoren die Preisbildung beeinflussen. Selbst dieses Beispiel ist aber noch stark vereinfacht, denn im Wettbewerb bestehen unzählige wechselseitige Abhängigkeiten, sodass die Fernwirkungen wettbewerbsbeschränkender Praktiken äußerst vielgestaltig sein können. Dass entfernte Schädigungen ursächlich auf den Kartellverstoß zurückgeführt werden können, wird umso schwieriger nachzuweisen sein, je mehr zusätzliche Faktoren die Marktverhältnisse beeinflussen, etwa eine unvorhersehbar steigende oder sinkende Nachfrage, der Eintritt neuer Unternehmen in den Markt, eine plötzliche Rohstoffknappheit oder stark ansteigende Energiepreise, politische Unruhen usw. Doch kann es umgekehrt Fälle geben, in denen ein solcher Nachweis, möglicherweise sogar über mehrere Stufen, erfolgreich geführt werden kann. Die Diskussion über die Anspruchsberechtigung entfernt betroffener Marktakteure ist von großem theoretischem Reiz. Bisweilen scheint es, als handele es sich 410 »Nach der dem Kartellgesetz zugrunde liegenden Wirtschaftsauffassung wirken sich Wettbewerbsbeschränkungen nicht nur auf die unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmer aus, sondern durch die Interdependenz aller wirtschaftlicher Vorgänge auf einen weit größeren Kreis von Wirtschaftsteilnehmern, wenn auch in abnehmendem Maße mit dem Grad der Marktferne«, Benisch, WuW 1961, 764, 770.
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§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht
– neben der Abwälzung überhöhter Preise auf nachfolgende Marktstufen – um das wichtigste Problem der privaten Rechtsdurchsetzung. Demgegenüber ist die rechtspraktische Bedeutung der Problematik bislang sehr gering. Es wird den mittelbar Betroffenen regelmäßig schon an den notwendigen Informationen zum Kartellverstoß fehlen und oftmals ist das Geltendmachen von Schadensersatzansprüchen durch einen einzelnen indirekt Betroffenen schlicht unwirtschaftlich, weil mit zunehmender Entfernung eine »Atomisierung des Schadens«411 eintritt, sodass ein rationales Desinteresse an der Rechtsverfolgung besteht. Dass gleichwohl die Diskussion über eine Anspruchsberechtigung mittelbar Betroffener besonders intensiv geführt wird, hängt damit zusammen, dass die Problematik einen Gradmesser für den Stellenwert und die Akzeptanz privatrechtlicher Sanktionen im Kartelldeliktsrecht bildet. Man muss Farbe bekennen, welche Bedeutung man der privatrechtlichen Sanktionierung im Kartellrecht beimisst. Die Anspruchsberechtigung mittelbar Betroffener ist eine »Stellschraube«, mit der über Anwendungsbereich und Stellenwert privatrechtlicher Sanktionen entschieden werden kann. Außerdem berührt die Problematik grundlegende Fragen des Deliktsrechts, das einer Ersatzfähigkeit von Vermögensschäden mittelbar Betroffener eher zurückhaltend gegenübersteht und deswegen unterschiedliche Mechanismen kennt, um mittelbare Verletzungen und entfernte Vermögensschäden aus dem Deliktsschutz auszugrenzen. Schließlich weist die Frage der Anspruchsberechtigung notwendigerweise Überschneidungen mit sonstigen und schwierigen Problemen auf, speziell mit dem Schutzzweck der Norm sowie Kausalität und Zurechenbarkeit, betrifft also zentrale Fragen des Haftungstatbestands. bb) Legitimation eines eingeschränkten Vermögensschutzes mittelbar Geschädigter im Deliktsrecht Das bürgerliche Recht gewährt bekanntlich keinen allgemeinen Schutz vor Vermögensschäden, sondern es sieht einen differenzierten Schutz vor. Diese deliktsrechtliche Konzeption beruht auf mehreren ineinandergreifenden Erwägungen412. Die eingeschränkte Ersatzfähigkeit von Vermögensschäden und die Beschränkung der Ersatzfähigkeit auf »unmittelbare« Vermögensschäden reduzieren den Kreis der potenziell Anspruchsberechtigten und führen damit zu einer Kanalisierung der Schadensabwicklung zwischen dem Schädiger und dem Primärgeschädigten413. Eine solche rechtliche Fokussierung gewährleistet niedrige Abwicklungskosten, weil eine Vervielfältigung der Prozesse und eine Zergliederung des 411
Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 40. Näher dazu Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 823 Rn. 184 und § 826 Rn. 12 ff. 413 »Jede Rechtsordnung … muß die potentiell unabsehbare Kette immer neuer ersatzpflichtiger Schäden, die immer weitere Geschädigte treffen, an einem noch kalkulierbaren Punkt abbrechen und die Haftung des Schädigers beschränken«, Gotthardt, Wandlungen schadensrechtlicher Wiedergutmachung, S. 27; Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 826 Rn. 12. 412
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Schadensereignisses vermieden werden. Damit eng zusammen hängt die Gefahr, dass eine allgemeine Haftung für jegliche Vermögensschäden zu einer uferlosen deliktischen Haftung führen könnte, wenn und weil sie sich auch auf diffuse Schadenskonstellationen erstreckt, die eine Vielzahl von Personen betreffen, deren Schäden aber nur ein geringes und oft nur schwer verifizierbares Ausmaß erreichen414. Dadurch würden – bildlich gesprochen – die Schleusentore einer allgemeinen Haftung für Vermögensschäden geöffnet. Des Weiteren dürfen mithilfe eines umfassenden deliktischen Schutzes nicht Personen aus ihrer vertragsrechtlichen Eigenverantwortung entlassen werden415. Das Vertragsrecht ermöglicht dem Einzelnen, seine Rechtsverhältnisse privatautonom zu regeln und sich insbesondere auch vor Vermögensschäden abzusichern. Hierfür sieht das Vertragsrecht im Einzelnen verschiedene, auf ganz unterschiedliche Interessenlagen ausgerichtete und sehr fein austarierte Regelungsmechanismen vor, innerhalb derer die Parteien die Verteilung vertraglicher Risiken flexibel und individuell vornehmen können. Das Vertragsrecht ermöglicht auf diese Weise eine sehr präzise Feinsteuerung, während das Deliktsrecht notwendigerweise einen eher »groben Zuschnitt« aufweist. Eine Diskriminierung von Vermögensschäden kann schließlich hinzunehmen sein, wenn zwar ein privater Schaden entsteht, aber das schädigende Ereignis in einer Gesamtbetrachtung nicht zu einem gesamtgesellschaftlichen Ressourcenschaden führt416. Diese Gründe haben dazu geführt, dass der Vermögensschutz des bürgerlichen Rechts schon dem Grunde nach restriktiv ausgestaltet ist. Sie erklären zugleich die Existenz von Korrektiven, mit denen einer zu weiten Ausdehnung des deliktischen Vermögensschutzes im Einzelfall entgegengesteuert werden kann. Im Rahmen der Haftung für vorsätzlich sittenwidrige Schädigungen gemäß § 826 BGB werden beispielsweise – dogmatisch unterschiedlich begründete – Eingrenzungsversuche unternommen, die in der Sache auf eine Differenzierung zwischen (anspruchsberechtigten) unmittelbaren Geschädigten und (nicht anspruchsberechtigten) mittelbaren Geschädigten hinauslaufen417. Ähnliche Bemühungen finden sich im Rahmen der Haftung für eine Verletzung des Rechts am Unternehmen. Die Rechtsprechung sucht bei der Haftung für Verletzungen des Rechts am Unternehmen nach Korrektiven, um den deliktischen Vermögensschutz nicht übermäßig auszudehnen418. Dieses Erfordernis wird zumeist dahingehend umschrieben, die Handlung müsse zweckbezogen auf die Einschränkung einer unternehmerischen Tätigkeit zielen, sich irgendwie gegen den Betrieb als solchen richten und dürfe nicht vom Betrieb ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betreffen419. 414
Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 826 Rn. 17. Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 826 Rn. 15 f. 416 Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 826 Rn. 13 f. 417 Zu den verschiedenen Ansätzen siehe nur Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 826 Rn. 32 ff. 418 BGH vom 9.12.1958, BGHZ 29, 65, 74. 419 BGH vom 9.12.1958, BGHZ 29, 65, 74. 415
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cc) Strukturelle Unterschiede zwischen Deliktsrecht und Kartelldeliktsrecht Die soeben dargestellten Gründe, die für eine Eingrenzung des deliktischen Schutzes mittelbar Betroffener sprechen, sind im Kartellrecht anders zu gewichten. Erstens gilt es berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit den materiellrechtlichen Geboten und Verboten des Kartellrechts vergleichsweise deutliche Grenzen zwischen rechtlich zulässigen und unzulässigen Verhaltensweisen gezogen hat, während vermögensschützende Generalklauseln oder vermögensschützende »Rahmenrechte« spezieller Korrektive bedürfen, um die für die Rechtsanwendung notwendigen Konturen zu gewinnen. Je präzisier die materiellrechtlichen Anforderungen formuliert werden, desto weniger besteht ein Bedürfnis, den rechtlichen Schutz durch zusätzliche Korrekturmechanismen einzuschränken. Hierin liegt auch der Grund, warum die Problematik der mittelbaren Betroffenheit typischerweise beim Kartellverbot angesiedelt wird, obgleich sich die Sachfrage in ähnlicher Form auch im Zusammenhang mit anderen Wettbewerbsbeschränkungen stellen kann. Aufgrund seiner generalklauselartigen Weite erscheint das Bedürfnis nach Restriktionen beim Kartellverbot besonders ausgeprägt. Zweitens ist der mehrdimensionale Schutz individueller und überindividueller Interessen im Kartellrecht zu berücksichtigen. Im Kartellrecht werden die Individualinteressen Einzelner im öffentlichen Interesse mobilisiert. Einschränkungen der Anspruchsberechtigung dürfen nicht dazu führen, dass der Leitgedanke einer umfassenden Eigenverantwortung der Marktakteure für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs ausgehöhlt wird. Drittens droht im Kartellrecht keine Umgehung der vertragsrechtlichen Risikoverteilung durch das Kartelldeliktsrecht, sodass aus diesem Grund ebenfalls keine Einschränkungen der Anspruchsberechtigung begründet werden können. Denn gegen typische wirtschaftliche Risiken, die von wettbewerbsbeschränkenden Praktiken ausgehen, können sich Marktakteure im Wettbewerb durch Verträge nur bedingt schützen. Insbesondere vor Veränderungen der Marktpreise schützt das Vertragsrecht (bis zur Grenze des Wuchers) gerade nicht. Die einzig mögliche Reaktion eines Geschädigten besteht dann in der Abwälzung seines Schadens auf die nachfolgenden Marktstufen, soweit die Marktverhältnisse dies zulassen. In der Literatur ist zwar versucht worden, die Problematik mittelbarer Betroffenheit über das vertragsrechtliche Instrument des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aufzulösen420. Doch zeigt eine nähere Betrachtung, dass das Vertragsrecht hier überfordert wäre421. Viertens bleibt noch der Einwand, dass eine Anspruchsberechtigung für eine Vielzahl von Geschädigten ein uferloses Haftungsrisiko für den Schädiger heraufbeschwört. Die damit verbundenen Gefahren sind im Kartelldeliktsrecht anders zu beurteilen als im allgemeinen Deliktsrecht. Eine Restriktion der An420 421
Al-Deb’i/Krause, ZGS 2006, 20, 23 ff. Zur Kritik unten D. III. 1. a) dd) (2), S. 412 ff.
C. Anspruchsberechtigung
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spruchsberechtigung ist vor allem dann sinnvoll, wenn aus einem Schadensereignis eine Vielzahl unterschiedlicher und diffuser Schadenssituationen resultiert. Eine Abwicklung jedes einzelnen, noch so entfernten Schadensfalls wäre ökonomisch unsinnig und hätte unverhältnismäßige Belastungen des Schädigers zur Folge. Aus multiplen Schadensfällen werden diejenigen mit rechtlicher Relevanz herausgefiltert. Anders liegt es dagegen in Fällen, in denen eine Vielzahl von Schadensereignissen einen strukturell ähnlichen Charakter aufweist, die Schädigungen also eine gleichartige Schadenstypik aufweisen. Eine solche Situation wird häufig bei durch Wettbewerbsbeschränkungen verursachten Schäden auftreten. Man kann zwar oft nicht sicher sagen, wo und wie sich die wirtschaftlichen Nachteile einer Wettbewerbsbeschränkung letztendlich niederschlagen; man kann aber mit einiger Sicherheit sagen, dass die auf einer bestimmten Marktstufe Geschädigten in gleichartiger Weise nachteilig betroffen werden. Damit ähnelt die kartellrechtliche Problematik eher den Konstellationen deliktischer Massenschäden, etwa in Fällen der Produkthaftung oder der Haftung für Umweltschäden. Man hat es also nicht mit einer Vielzahl höchst unterschiedlicher Schadensvariationen zu tun, sondern eher mit einer Vielzahl vergleichbarer Schadenslagen. In diesen Fällen geht es nicht mehr darum, die unterschiedlichen Schadensfälle nach Haftungsrelevanz zu kategorisieren, sondern vielmehr gilt es, die massenhaft gleichartigen Schadensfälle rechtlich zu organisieren. b) Mittelbar Betroffene als sonstige Marktbeteiligte Verbreitet wird die Auffassung vertreten, dass im Grundsatz nur unmittelbar Betroffene der Marktgegenseite gemäß § 33 GWB anspruchsberechtigt sein sollen422 oder mittelbar Betroffene allenfalls ausnahmsweise als Anspruchsberechtigte anzuerkennen sind423. Demgegenüber gesteht ein anderer Teil des Schrift422 Al-Deb’i/Krause, ZGS 2006, 20, 23; Bechtold, DB 2004, 235, 239; ders., GWB, § 33 Rn. 22; Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 38; Brinker/Balssen, in: Festschrift für Bechtold, S. 69, 78 f.; Dittrich, GRUR 2009, 123, 126; Kahlenberg/Haellmigk, BB 2004, 389, 394; dies. 2005, 1509, 1514; Rehbinder, in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GWB, § 33 Rn. 15 f.; Rittner/ Dreher, Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, § 23 Rn. 145 f.; Rittner/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, § 14 Rn. 137; von Wallenberg, Kartellrecht, Rn. 518; wohl auch Hempel, WuW 2004, 362, 369 und Kling/Thomas, Kartellrecht, § 21 Rn. 42; für Österreich: Hoffer, KartG, § 26, 1.5.1., S. 230. 423 Im Einzelnen werden dabei sehr unterschiedliche Eingrenzungen vorgenommen: Lübbig, in: Münchener Kommentar, GWB, § 126 Rn. 66, will »in der Regel« nur die unmittelbare Marktgegenseite zum Kreis der Anspruchsberechtigten zählen, allerdings eine Bestimmung im Einzelfall vornehmen; im Übrigen bleibe abzuwarten, wie die Rechtsprechung diese Fälle in Zukunft entscheide (a.a.O. Rn. 67). Ebenfalls auf die künftige Entwicklung der Rechtsprechung verweisen Hartog/Noack, WRP 2005, 1396, 1404 und Keßler, BB 2005, 1125, 1128. Görner, Die Anspruchsberechtigung der Marktbeteiligten nach § 33 GWB, S. 206 ff, 227 will eine Anspruchsberechtigung mittelbarer Abnehmer »regelmäßig« ausschließen, aber Ausnahmen zulassen und damit eine Anspruchsberechtigung bejahen, wenn sich aufgrund der Rechtsverhältnisse mit den unmittelbaren Abnehmern ergebe, dass sie das Marktrisiko der unmittelbaren Abnehmer tragen. Dies sei beispielsweise der Fall bei »cost plus«-Verträgen, Kommissionsgeschäften und Konzernsachverhalten. Kersting, ZWeR 2008, 252, 261 ff. will eine Anspruchsberechtigung indirekt Betroffener »grund-
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§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht
tums mittelbar Betroffenen eine Anspruchsberechtigung im Hinblick auf Schadensersatzansprüche zu. Dabei werden im Einzelnen zahlreiche Varianten diskutiert424. Die gesetzliche Ausgangslage in § 33 GWB ist nicht eindeutig und sie wurde vom Gesetzgeber in Kenntnis der bestehenden Diskussion und in Erwartung von Initiativen auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts möglicherweise sogar bewusst offengelassen, um die weitere Rechtsentwicklung abzuwarten. Die amtlichen Materialien geben nur begrenzt Aufschluss. Immerhin heißt es in der Begründung zum Regierungsentwurf, dass zum Kreis der Anspruchsberechtigten auch Endverbraucher gehören können; dies gelte »insbesondere dann, wenn eine Kartellabrede auf der letzten Absatzstufe« vorliege425. Diese Formulierung lässt den Schluss zu, dass Endverbraucher auch in weiteren Fällen, und zwar bei mittelbarer Betroffenheit, anspruchsberechtigt sein können, weil ansonsten die Wendung »insbesondere« überflüssig gewesen wäre426. aa) Keine gesetzliche Notwendigkeit zur Differenzierung zwischen unmittelbar und mittelbar Betroffenen Obgleich die Unterscheidung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Betroffenen allgegenwärtig ist und schon nach alter Rechtslage getroffen wurde427, lässt sich eine solche Differenzierung weder den nationalen Kartellvorschriften noch 424 sätzlich« verweigern, aber zugleich in »besonders gelagerten Fällen« Ausnahmen zulassen. K. Westermann, in: Festschrift für H.P. Westermann, S. 1605, 1618 sieht mittelbar Betroffene als anspruchsberechtigt an, wenn sie darlegen können, dass die Kartellabsprache wegen ihrer umfassenden Wirkung auch den Wettbewerb zwischen den unmittelbaren Abnehmern ausgeschlossen habe und letztere die überhöhten Einkaufspreise daher an die mittelbaren Abnehmer weitergegeben haben. 424 Mit unterschiedlichen Akzentuierungen: Basedow, ZWeR 2006, 294, 302; Becker/Hossenfelder, Einführung in das neue Kartellrecht Rn. 44; Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 108 ff., 132; Drexl, in: Festschrift für Canaris, 1339, 1351 ff.; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 29; A. Fritzsche, WRP 2006, 42, 46; Fuchs, WRP 2005, 1384, 1394; ders., in: Enforcement – Die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts, S. 183, 193; Herrlinger, WRP 2005, 1136, 1137; Jüntgen, Die prozessuale Durchsetzung privater Ansprüche im Kartellrecht, S. 27 f.; Keßler, WRP 2006, 1061, 1069 f.; Lettl, Kartellrecht, § 11 Rn. 42 und 48 ff.; Monopolkommission, Sondergutachten 41, Rn. 37 und 39; Schnelle, in: Festschrift für Mailänder, S. 195, 204; wohl auch für eine Anspruchsberechtigung mittelbar Betroffener Berrisch/Burianski, WuW 2005, 878, 881 und Lange, in: Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Rn. 753. Eine Anspruchsberechtigung mittelbar Betroffener »im Grundsatz möglich« hält K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, VO 1/2003 Anh. 2 Rn. 19. A. Fritzsche, WRP 2006, 42, 52 Fn. 130 und Roth, in: Festschrift für Huber, 1133, 1142 und 1148 ff. sowie ders., in: Festschrift für H.P. Westermann, S. 1355, 1373 ff. wollen zwischen Abwehr- und Schadensersatzansprüchen differenzieren: Indirekt Betroffene sind danach von der Geltendmachung von Abwehransprüchen ausgeschlossen, während indirekt Betroffene Schadensersatzansprüche geltend machen können. 425 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 53. 426 Ebenso Roth, in: Festschrift für Huber, S. 1133, 1155; Schütt, WuW 2004, 1123, 1129. 427 Für § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 81, 82 EG eine Anspruchsberechtigung mittelbar Betroffener bejahend: Lettl, ZHR 167 (2003), 473, 480. Für § 33 GWB a.F. eine Anspruchsberechtigung mittelbar Betroffener verneinend: Köhler, GRUR 2003, 99, 100 f.; Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 50.
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dem Gemeinschaftskartellrecht entnehmen. Das Problem dürfte aus dem USamerikanischen Recht importiert sein428. Dort ist die rechtliche Ausgangslage jedoch eine völlig andere. Im US-amerikanischen Kartellrecht besteht ein Bedürfnis, die privatrechtliche Rechtsdurchsetzung in geordnete Bahnen zu lenken und den Schädiger vor den immensen Belastungen und wirtschaftlichen Folgen privater Klagen bei Kartellrechtsverstößen zu schützen. Es liegt auf der Hand, dass in einer Kartellrechtsordnung, die dreifachen Schadensersatz kennt429 und einen Kartelltäter verfahrensrechtlich nicht mit Samthandschuhen anfasst430, ein starkes Bedürfnis nach rechtlichen Korrektiven. Die Eingrenzung der Anspruchsberechtigung ist dabei ein besonders geeignetes Mittel. Aus dem Sinn und Zweck der meisten kartellrechtlichen Verbotsbestimmungen lässt sich eine allgemeine Beschränkung der Anspruchsberechtigung nur auf unmittelbare Betroffene nicht herleiten. Auch besteht in Abweichung vom USamerikanischen Recht kein Anlass, den Schädiger generell vor einer Inanspruchnahme durch mittelbare Betroffene zu schützen, weil Schadensersatzklagen im deutschen und europäischen Recht die Schärfe des US-amerikanischen Rechts fehlt. Gerade weil sich die nachteiligen Wirkungen von Wettbewerbsbeschränkungen typischerweise nicht auf bestimmte Marktbeteiligte beschränken, sondern auf andere Absatzstufen, Marktsegmente und Märkte übergreifen können, besteht ein dringendes Bedürfnis, die Berechtigung zur Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche entsprechend weit zu fassen und mittelbar Betroffene in den gesetzlichen Schutz einzubeziehen. bb) Keine Indizwirkung von § 33 Abs. 3 S. 2 GWB Möglicherweise kann § 33 Abs. 3 S. 2 GWB als gesetzgeberisches Indiz für einen Ausschluss mittelbar Betroffener gewertet werden. Nach dieser Vorschrift ist ein Schaden nicht ausgeschlossen, wenn eine Ware oder Dienstleistung zu einem überteuerten Preis bezogen wird und die Ware oder Dienstleistung weiterveräußert wird. Allerdings darf man die Aussagekraft von § 33 Abs. 3 S. 2 GWB nicht überbewerten. Die Norm ist jedoch wenig geglückt und bedarf einer kritischen Überprüfung431. Dafür, dass der Gesetzgeber mit § 33 Abs. 3 S. 2 GWB indirekt die Frage der Anspruchsberechtigung hätte mitregeln wollen, gibt es keine greifbaren Anhaltspunkte. Denn die darin geregelte Problematik der Abwälzung überhöhter Preise wird typischerweise das Verhältnis zwischen Erstabnehmer und Folgeabnehmern betreffen, kann aber beispielsweise ebenso zwischen Zweitund Drittabnehmern auftreten. Zudem beschränkt sich die gesetzliche Regelung auf eine schadensrechtliche Betrachtung desjenigen, der Waren oder Dienstleis428
Schnelle, in: Festschrift für Mailänder, S. 195, 204. Dazu unter D. III. 2. a), S. 416. 430 Zu den Einzelheiten der privaten Rechtsdurchsetzung in den Vereinigten Staaten siehe nur Hempel, Privater Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 205 ff. m.w.Nachw. Besondere verfahrensrechtliche Belastungen gehen z.B. von der pre-trial discovery, der Möglichkeit von class actions und von den besonderen Kostenregelungen aus; dazu jeweils Hempel a.a.O., S. 210 ff., 217 f., 220 ff. 431 Dazu unter D. II. 2. a) und III. 1. a), S. 396 ff. und S. 404 ff. 429
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tungen zu einem überhöhten Preis bezieht. Ein Ausschluss der Anspruchsberechtigung für mittelbare Betroffene wäre nur anzunehmen, wenn § 33 Abs. 3 S. 2 GWB deren Schaden sozusagen in die Person des Erstabnehmers verlagert oder einen (insoweit fiktiven) Schaden für ersatzfähig erklärt, der realiter nur auf nachgelagerten Stufen zur Entstehung gelangen kann. Das aber ist nicht Gegenstand der Regelung. Es bleibt daher dabei, dass § 33 Abs. 3 S. 2 GWB hinsichtlich der Anspruchsberechtigung mittelbar Betroffener schlicht keine verbindliche Aussage zu entnehmen ist. Das Bemühen, aus dem Gesetz eine Anspruchsberechtigung nur unmittelbar Betroffener herauszulesen, läuft auf den Versuch hinaus, die nach altem Recht bestehenden Restriktionen unter Geltung des Schutzprinzips im neuen Recht zu neuem Leben zu erwecken432. cc) Bedenken des Schrifttums gegen eine Einbeziehung mittelbar Betroffener und Stellungnahme Im Ausgangspunkt ist in Erinnerung zu rufen, dass das Kartellrecht einen umfassenden Schutz von Marktakteuren vor Wettbewerbsbeschränkungen bezweckt. Auf Sanktionsebene folgt daraus, dass prinzipiell »jedermann« Ersatz des ihm durch einen Kartellrechtsverstoß entstandenen Schadens verlangen kann. Nicht die Zuerkennung eines solchen Anspruchs bedarf der Begründung, sondern der – nur ausnahmsweise zulässige – Ausschluss der Anspruchsberechtigung. Diese Kriterien gelten unabhängig davon, auf welcher Stufe ein Schaden eintritt. Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass ein solches Schutzkonzept des Kartellrechts mittelbar Betroffene nicht per se außer Betracht lassen kann. Zu fragen ist aber, ob es überzeugende Gründe gibt, mittelbar Betroffenen per se eine Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zu verwehren. Diese Frage ist zu verneinen. (1) Praktikabilität der Rechtsdurchsetzung bei Massenschäden. Den wohl wichtigsten Einwand gegen eine Berücksichtigung mittelbar Betroffene bildet die Gefährdung der Praktikabilität der Rechtsdurchsetzung. Bezieht man mittelbar Geschädigte ein, dann erhöht sich die Zahl möglicher Kläger und der Verletzer sieht sich möglicherweise einer Vielzahl von Ansprüchen und Verfahren ausgesetzt. Das spricht jedoch nicht prinzipiell gegen einen Schutz mittelbar Betroffener. Gewiss ist richtig, dass privatrechtliche Sanktionen praktikabel ausgestaltet sein müssen. Ansprüche, die nur auf dem Papier stehen, sind als Sanktionen verfehlt. Allerdings darf die Praktikabilität nicht zum allein entscheidenden Faktor erhoben werden. Dass die Rechtsdurchsetzung in bestimmten Fällen schwierig ist, legitimiert keinen Verzicht auf Rechtsschutz, sondern gibt in erster Linie Anlass, über Verbesserungen nachzudenken. Das gilt insbesondere in den problematischen Fällen der Massenschädigung. Das Risiko, dass durch die Wettbewerbsbeschränkung eine Vielzahl von Personen wirtschaftlich in Mitleiden432
Drexl, in: Festschrift für Canaris, 1139, 1351.
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schaft gezogen wird und damit möglicherweise viele Schadensersatzprozesse drohen, kann und darf einen Verletzer nicht entlasten. Ein einzelner Geschädigter ist um nichts weniger schutzwürdig, wenn gleichzeitig (und vielleicht zufällig) auch noch eine Vielzahl anderer Personen geschädigt wird433. Es wäre geradezu ein Schlag in das Gesicht der Opfer, wenn ihnen mit dem Argument Ersatzansprüche verwehrt würden, es gebe eben zu viele von ihnen434. Dass der Schädiger sich möglicherweise einer Vielzahl von Geschädigten ausgesetzt sieht, beruht auf seinem Fehlverhalten. Der Schädiger hat dieses Risiko durch seinen Kartellrechtsverstoß selbst gesetzt und es ist kein überzeugender Grund dafür ersichtlich, den Schädiger nur deswegen zu privilegieren, weil eine Vielzahl von Klagen droht435. Massenschäden sind im Übrigen keineswegs selten und auch außerhalb des Kartelldeliktsrechts anzutreffen, etwa bei Fällen der Produkt- oder Umwelthaftung. Ein Produzent, der ein fehlerhaftes Produkt in Verkehr bringt, kann möglicherweise durch eine Vielzahl von Kunden in Anspruch genommen werden, die durch das fehlerhafte Produkt geschädigt werden. Ebenso könnte ein Unternehmer, der schädliche Abwässer in einen Fluss einleitet, möglicherweise durch eine Vielzahl von Anrainern des Flusses in Anspruch genommen werden. In beiden Fällen stellt sich die Frage der Praktikabilität der Rechtsdurchsetzung, doch ist diese Frage von der materiellen Inhaberschaft von Schadensersatzansprüchen streng zu trennen436. Der Verletzer wird nicht davor geschützt, möglicherweise durch eine Vielzahl von Geschädigten in Anspruch genommen zu werden. Keine überzeugende Begründung für eine materiellrechtliche Beschränkung der Anspruchsberechtigung auf unmittelbar Betroffene bildet die Überlegung, mit zunehmendem Abstand zwischen Schädiger und Betroffenen sei eine »Atomisierung des Schadens« verbunden, sodass nach mehreren Absatzstufen die kartellbedingte Schädigung möglicherweise nur noch wenige Cents beträgt und daher eine Geltendmachung dieses Schadens für den Einzelnen unrentabel ist und – selbst wenn ein Einzelner Klage erheben würde – der davon ausgehende Sanktionseffekt denkbar gering wäre. Weder sind die geringe Höhe noch eine eventuell schwierige Feststellbarkeit des Schadens hinreichende Gründe, eine Schadenshaftung kurzerhand abzulehnen. Sicher können und werden in solchen Fällen oft Schwierigkeiten auftreten, einen Schadensnachweis zu führen. Doch erwächst aus solchen tatsächlichen Hindernissen bei der Feststellung des Ausmaßes des Schadens grundsätzlich kein rechtliches Argument, weil Schwierigkeiten dieser Art immer wieder auftreten können437. Die richtige rechtliche Antwort be433 Vgl. Karollus, Funktion und Dogmatik der Haftung aus Schutzgesetzverletzung, S. 351; speziell für das Kartelldeliktsrecht zustimmend Stillfried/Stockhuber, WBl 1995, 301, 308. 434 Völlig zu Recht spricht Schütt, WuW 2004, 1124, 1127 von einer schwer nachvollziehbaren doppelten Bestrafung der Opfer. 435 A. Fritzsche, WRP 2006, 42, 46. 436 Vgl. Huber, Fragen der Schadensberechnung, S. 95 f. 437 BGH vom 4.4.1975, BGHZ 64, 232, 238 – Krankenhaus-Zusatzversicherung.
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§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht
steht nicht in einer generellen Beschränkung der Anspruchsberechtigung, sondern in einer sachgerechten rechtlichen Organisation und Ausgestaltung der Schadensdurchsetzung438. Im Übrigen besteht kein Bedürfnis nach einer Einschränkung der Anspruchsberechtigung als Korrektiv, um eine ausufernde Haftung von Verletzern zu beschränken. Der Nachweis des Rechtsverstoßes, des Kausalzusammenhangs und die Bezifferung des Schadens stellen hohe Anforderungen an die Geschädigten die praktisch als »Filter« gegen aussichtslose Klagen wirken. (2) Kein fehlender Zurechnungszusammenhang. Nicht weiter hilft die Überlegung, dass mittelbar Betroffene erst durch ein freiverantwortliches Dazwischentreten Dritter mit den Auswirkungen einer wettbewerbsbeschränkenden Praktik in Berührung kommen. Wenn beispielsweise ein Direktabnehmer einen überhöhten Preis an seine Geschäftspartner, die Zweitabnehmer, weitergibt, dann beruht dies auf einer autonomen Entscheidung des Direktabnehmers. Ob eine solche Weitergabe gelingen wird, hängt von vielfältigen Faktoren ab. Daraus wird zum Teil gefolgert, dass sich für den mittelbar Betroffenen lediglich ein latent vorhandenes »allgemeines Marktrisiko« verwirkliche439. Der Zweitabnehmer sei immer dem Risiko ausgesetzt, dass ein Direktabnehmer gestiegene Preise auf ihn abwälze, unabhängig davon, ob die Preissteigerung auf regulär veränderten Wettbewerbsbedingungen, auf plötzlichen Ereignissen (z.B. Streik, Naturkatastrophen, politischen Krisen oder ähnlichen Vorkommnissen) oder eben auf einer Wettbewerbsbeschränkung beruhe. Der mittelbar Betroffene zahle daher einen »Wettbewerbspreis«, keinen »Kartellpreis«440. Diese Argumentation läuft darauf hinaus, die Anspruchsberechtigung zu verneinen, weil dem Verletzer infolge des Dazwischentretens eines Dritten der Schaden nicht mehr zugerechnet werden kann441. Dabei wird indessen übersehen, dass das eigenverantwortliche Dazwischentreten eines Dritten keineswegs automatisch eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs bewirkt und daher als argumentative Stütze für einen generellen Ausschluss der Anspruchsberechtigung mittelbar Betroffener nicht überzeugend ist. Die Problematik eines eigenverantwortlichen Eingreifens Dritter bedarf einer differenzierenden Betrachtung. Dabei ist danach zu unterscheiden, ob der Dritte selbst fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat oder ob seine 438 Sehr deutlich in diesem Sinne Stillfried/Stockhuber, WBl 1995, 301, 307: »letztlich sollten in rechtspolitischer Hinsicht Ermittlungs- und Beweisprobleme bei der Schadensersatzfeststellung wohl auch eher Anlaß dazu geben, im Interesse Geschädigter über allfällige Reformmodelle nachzudenken, als die grundsätzliche Pflicht zum Schadensersatz zugunsten potentieller Schädiger überhaupt in Frage zu stellen«. 439 Görner, Die Anspruchsberechtigung der Marktbeteiligten nach § 33 GWB, S. 198 und 216 f. 440 Görner, Die Anspruchsberechtigung der Marktbeteiligten nach § 33 GWB, S. 217; ähnlich Köhler, GRUR 2004, 99, 101 und Loewenheim, in: Festschrift für Riesenkampff, S. 87, 90. 441 So ausdrücklich Görner, Die Anspruchsberechtigung der Marktbeteiligten nach § 33 GWB, S. 217.
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Handlung rechtmäßig oder sogar rechtlich geboten war; außerdem können weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen sein442. Die Rechtsprechung fragt danach, ob die vom Verletzten geschaffene Lage allgemein dazu geeignet war, das Verhalten des Dritten auszulösen. Wenn dies der Fall ist, kann ein adäquater Ursachenzusammenhang sogar dann bestehen, sollte sich das Verhalten des Dritten als fehlerhaft erweisen443. Diese Wertungen lassen sich nicht nur für mittelbare Schädigungen infolge von Wettbewerbsbeschränkungen fruchtbar machen, sondern sie sind in diesen Fällen sogar besonders berechtigt. Denn es macht gerade die besondere volkswirtschaftliche Schädlichkeit (und Sanktionsbedürftigkeit) von wettbewerbsbeschränkenden Praktiken aus, dass sie nicht punktuell wirken, sondern »lawinenartig auch die nachfolgenden Marktstufen erfassen«444. Direktabnehmern bleibt regelmäßig gar nichts anderes übrig, als einen verfälschten Bezugspreis bei der eigenen Kalkulation zugrunde zu legen und – soweit möglich – auf die eigenen Abnehmer abzuwälzen. Es handelt sich um eine defensive Reaktion auf die Zuwiderhandlung. Es ist also durchaus zutreffend, dass Zweit- und Folgeabnehmer das »allgemeine Marktrisiko« tragen, dass wirtschaftliche Nachteile, insbesondere höhere Preise, auf sie abgewälzt werden. Nur ist daraus nicht der Schluss zu ziehen, dass es an der Zurechenbarkeit fehlt. Weil sich um eine marktkonforme und deswegen wettbewerbstypische Vorgehensweise handelt, wird der Zurechnungszusammenhang nicht unterbrochen und eine Anspruchsberechtigung ist nicht aufgrund der Verwirklichung eines »allgemeinen Marktrisikos« ausgeschlossen. Die Zweit- und Folgeabnehmer zahlen zwar einen »Wettbewerbspreis«, aber eben einen Wettbewerbspreis, der durch verfälschten Wettbewerb zustande gekommen ist. Es Ergebnis ist festzuhalten, dass Ansprüche mittelbar Betroffener nicht allein deswegen versagt werden dürfen, weil ein Marktakteur »nur« indirekt von einer Wettbewerbsbeschränkung betroffen ist. Vielmehr sollte die Anspruchsberechtigung mittelbar Betroffener nach normspezifischen Wertungskriterien beurteilt werden. Nur eine solche differenzierende Betrachtung ermöglicht die notwendige flexible Anwendung des Kartelldeliktsrechts und vermeidet Pauschallösungen. Sie steht überdies in Übereinstimmung mit der rechtspolitischen Zielvorstellung der Kommission, die im Weißbuch ausdrücklich davon ausgeht, dass eine Anspruchsberechtigung von »jedermann« grundsätzlich indirekte Abnehmer einschließt445. c) Sonstige Fernwirkungen von Wettbewerbsbeschränkungen In seiner eingehenden Untersuchung von Schadensersatzansprüchen der Marktgegenseite führt Bulst, der grundsätzlich eine Anspruchsberechtigung von mittel442 443 444 445
Näher Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 X 3, S. 142 ff. BGH vom 19.11.1971, BGHZ 57, 245, 256. Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 259. Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 4.
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bar Betroffenen bejaht446, Fälle marktvermittelter Fernwirkungen auf, in denen eine Anspruchsberechtigung aus Zurechnungsgründen zu verneinen sein könne447. Dies gelte erstens für »umbrella plaintiffs«448. Gemeint sind damit die Abnehmer von Unternehmen, die nicht an einer wettbewerbsbeschränkenden Praktik beteiligt sind, insbesondere also die Nichtmitglieder eines Kartells. Es kann unter Umständen dazu kommen, dass die Nichtmitglieder sich den kartellbeeinflussten Marktpreisen anpassen, sich also sozusagen unter den Preisschirm des Kartells begeben, und von ihren Abnehmern höhere Preise verlangen. Problematisch sind zweitens Fälle, in denen das erworbene Produkt durch einen Abnehmer weiterverarbeitet werde, weil der Kartellrechtsverstoß auf die Preisbildung des neu hergestellten Produkts aufgrund der zusätzlichen Faktoren nur noch geringe Bedeutung habe449. Entsprechendes gelte drittens für Waren, an der eine kartellbefangene Dienstleistung verrichtet wurde. Bulst nennt hier das Beispiel eines Reeders, der überhöhte Hafendienstleistungsgebühren auf seinen Befrachter abwälzt450. Schließlich ist viertens an Fälle zu denken, in denen ein Arbeitsmittel, beispielsweise eine Maschine, mit der andere Produkte hergestellt werden, »kartellbefangen« ist und sich die Kosten für den Einkauf der Maschine indirekt in den Kosten der damit hergestellten Produkte niederschlagen451. Die Beispiele zeigen vor allem, dass man nicht bei der Idealvorstellung linearer Auswirkungen von Wettbewerbsbeschränken stehen bleiben darf. Vielmehr können die tatsächlichen Zusammenhänge äußerst vielgestaltig sein. Das von Bulst befürwortete Kriterium der Unmittelbarkeit ist allerdings zu wenig konturiert, um es praktikabel handhaben zu können. So ist etwa in den Verarbeitungsfällen durchaus denkbar, dass der »kartellbefangene« Rohstoff für das herzustellende Produkt so wichtig ist, dass der Kartellpreis für die weitere Kalkulation neben anderen Faktoren eben doch deutlich ins Gewicht fällt. In den genannten Beispielsfällen wird eine Schadensersatzklage allerdings kaum vorkommen, weil die notwenigen Nachweise von Kausalität und Schadenshöhe schwer zu führen sein werden. Gelingt einem Folgeabnehmer allerdings ausnahmsweise doch ein entsprechender Nachweis, dann besteht kein Grund, ihm einen Schadensersatzanspruch zu versagen. Allein im Fall der »umbrella plaintiffs« wird man eine Anspruchsberechtigung von vornherein versagen können. Denn in diesen Fällen entsteht der Schaden zwar auch durch das freiverantwortliche Dazwischentreten eines Dritten, doch handelt es sich nicht um eine defensive Reaktion auf die Wettbewerbsbeschränkung, sondern um das aktive Setzen einer neuen Ursache bei Gelegenheit eines fremden Rechtsverstoßes, sozusagen eine Preiskalkulation im Angesicht einer günstigen Marktlage. Soweit diese Anpassung ihrerseits keinen 446 Zum deutschen Recht: Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 132 ff.; zum europäischen Recht ders. S. 252. 447 Siehe bereits den Überblick bei Bulst, NJW 2004, 2201, 2202 f. 448 Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 255. 449 Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 255 f. 450 Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 256 f. 451 Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 257.
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kartellrechtlichen Verbotstatbestand erfüllt, verwirklicht sich in diesen Fällen ein allgemeines Lebens- oder »Marktrisiko«, für das ein Verletzer nicht haftet452. 7. Keine Subsidiarität kartelldeliktischer Ansprüche Die Anspruchsberechtigung ist nicht davon abhängig, ob einem Betroffenen wegen eines Kartellrechtsverstoßes andere Ansprüche bestehen. Insbesondere kommt dem Kartelldeliktsrecht kein subsidiärer Charakter zu. Etwas missverständlich ist eine Passage in der Begründung der Krankenhauszusatzversicherung-Entscheidung des BGH. Dort heißt es: »Mangels eines außerkartellrechtlichen Deliktsschutzes in diesem Interessenbereich, etwa aus dem Gesichtspunkt des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, und mangels eines hinreichenden kartellrechtlichen Deliktsschutzes im vorliegenden Fall, ist auch aus deliktsrechtlicher Sicht ein solcher Schutz derjenigen gesetzestreuen Wettbewerber geboten, auf deren Kosten die Abschnürung des Marktzutritts durch die Bekl. vollzogen wird«453. Diese Aussage ist nicht im Sinne einer Subsidiarität kartelldeliktischer Ansprüche zu verstehen. Aus dem Zusammenhang ergibt sich nämlich, dass der BGH gerade den besonderen Stellenwert und die Notwendigkeit privaten Rechtsschutzes darlegen wollte. Daher wird man den Hinweis auf fehlenden Deliktsschutz eher als Bekräftigung für das Erfordernis kartelldeliktischen Schutzes verstehen müssen und als einen Aufruf, in die Entscheidung rechtspolitische Erwägungen einfließen zu lassen454. Die Existenz sonstiger deliktischer Ansprüche bildet damit keinen Ausschlussgrund, sondern umgekehrt belegt das Fehlen sonstiger deliktischer Haftungsnormen das besondere rechtliche Bedürfnis nach einer spezifisch kartellrechtlichen Haftung bei wettbewerbsbeschränkenden Praktiken. Verfehlt ist daher eine Entscheidung des KG, das aus der Entscheidung des BGH ableiten wollte, privater Rechtsschutz greife bei Verstößen gegen § 1 GWB a.F. nur ein, »wenn es an einem anderen Rechtsschutz fehlt«455. Überlegungen in ähnlicher Richtung (aber mit anderen Folgerungen) finden sich in einer Entscheidung des OLG Bremen456.
III. Zwischenfazit Fasst man die bisherigen Überlegungen zusammen, lassen sich die normspezifischen Wertungskriterien folgendermaßen zusammenfassen: 1. Bei einem Kartellrechtsverstoß können grundsätzlich alle Wirtschaftsteilnehmer anspruchsberechtigt sein, die durch die Zuwiderhandlung (auch) individuell betroffen sind. 2. Neben Mitbewerbern und der Marktgegenseite (direkten Geschäftspartnern) sind mittelbar Betroffene nicht generell von der Anspruchsberechtigung ausgeschlossen. 452 453 454 455 456
Die Adäquanz verneinend Eilmannsberger, ecolex 2002, 28, 31. BGH vom 4.4.1975, BGHZ 64, 232, 238 – Krankenhauszusatzversicherung. Steindorff, JZ 1976, 29, 31. KG vom 7.9.1977, WuW/E OLG 1903, 1905 – Air-Conditioning-Anlagen. OLG Bremen vom 20.4.1989, WuW/E OLG 4478, 4480 – Versteigerung der Käuferposition.
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3. Für die Anspruchsberechtigung eines Wirtschaftsteilnehmers spricht, dass eine wettbewerbsbeschränkende Praktik gezielt gegen ihn gerichtet ist. Umgekehrt folgt aus der Zielrichtung einer Wettbewerbsbeschränkung nicht, dass Wirtschaftsteilnehmer, die nicht zielgerichtet beeinträchtigt werden, von einer Geltendmachung privatrechtlicher Ansprüche ausgeschlossen wären. 4. Einschränkungen der Anspruchsberechtigung können sich ergeben, wenn a) das kartellrechtlich geschützte (Individual-)Interesse zur persönlichen Disposition eines bestimmten Marktakteurs steht, b) eine Begrenzung der Anspruchsberechtigung aus den wirtschafts- oder wettbewerbspolitischen Zielen einer Kartellvorschrift abzuleiten ist oder c) der Betreffende maßgeblich an einer wettbewerbsbeschränkenden Praktik beteiligt ist. 5. Eine Anspruchsberechtigung ist nicht ausgeschlossen, wenn der Betreffende aufgrund eines Machtgefälles zur Beteiligung an der wettbewerbsbeschränkenden Handlung veranlasst wurde. 6. Der Frage, ob dem Betreffenden andere (sonder-)deliktische Ansprüche zustehen, kommt keine Bedeutung zu.
D. Anspruchsinhalt Der Inhalt des Schadensersatzanspruchs richtet sich, sofern nicht die kartellrechtlichen Sonderbestimmungen aus § 33 Abs. 3 S. 2 bis 5 GWB eingreifen, nach den §§ 249 ff. BGB. Ebenso wie im Lauterkeitsrecht ist der Schadensausgleich im Kartellrecht nicht auf den »reinen« Ausgleich im Individualverhältnis beschränkt. Vielmehr können zusätzliche Wertungskriterien in die Schadensberechnung einfließen. Insbesondere kann zu berücksichtigen sein, dass Schadensersatzklagen auch der Wahrnehmung überindividueller Interessen dienen.
I. Naturalherstellung Der schadensrechtliche Grundsatz des Vorrangs der Naturalrestitution gilt im Kartellrecht457, doch beschränkt sich der Anwendungsbereich der Naturalherstellung in der Rechtsprechung im Wesentlichen auf Behinderungs- und Diskriminierungsfälle458. Je nach Lage des Einzelfalls kommen als Reaktion auf das wettbewerbsbeschränkende Verhalten Ansprüche auf Fortsetzung oder Auf-
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Bechtold, GWB, § 33 Rn. 25; Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 148. Mailänder, Privatrechtliche Folgen unerlaubter Kartellpraxis, S. 184 warnt mit Recht davor, den Vorrang der Naturalherstellung sklavisch zu verstehen: Das Ausgleichsverlangen dürfe nicht »in eine Zwangsjacke gefesselt werden, wonach grundsätzlich zuerst einmal Naturalrestitution gefordert und zuerkannt« werden müsse. 458
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nahme von Lieferungen, Ansprüche auf Aufnahme in einen Verband oder Ansprüche auf Gleichbehandlung459 in Betracht. Welche Rechtsfolge sachgerecht ist, richtet sich nach der verletzten Kartellrechtsvorschrift, nach der konkreten Verletzungshandlung und nach den jeweiligen Umständen des Falles. Beispielsweise hat der BGH in der Depotkosmetik-Entscheidung angenommen, dass Art. 81 Abs. 1 EG zwar einem Hersteller verbiete, seine Waren unter unzulässiger Beschränkung des Wettbewerbs in einem einzelne Händler diskriminierenden Vertriebssystem abzusetzen, aber nicht gebiete, sämtliche Wiederverkäufer, die für den Absatz seiner Produkte fachlich geeignet seien, zu beliefern460.
Nicht abschließend geklärt ist bislang die Frage, ob es sich bei den geschuldeten Maßnahmen um naturalrestitutiven Schadensausgleich oder um Maßnahmen zur Störungsbeseitigung handelt. Die Rechtsprechung ist bei der Behandlung solcher Konstellationen unterschiedlich verfahren oder hat die Frage einfach offen gelassen461. In einigen Fällen einer rechtswidrigen Liefersperre bejahten die Gerichte einen Anspruch auf Belieferung bzw. einen Anspruch auf Abschluss eines Vertrages zu den allgemein üblichen Konditionen und griffen zur Begründung auf § 249 Abs. 1 BGB zurück462. In anderen Fällen haben die Gerichte zum Teil den Beseitigungsanspruch463, zum Teil den Unterlassungsanspruch464 herangezogen465. Ebenfalls auf den Unterlassungsanspruch stützt der BGH den Anspruch eines Unternehmens gegen einen Wirtschaftsverband auf Aufnahme in diesen Verband, wenn die Aufnahme rechtswidrig verweigert wurde466.
459 Beispielhaft ist hier zu denken an Ansprüche auf Berücksichtigung bei der Auftragsvergabe oder auf Zulassung zu einer Ausschreibung, Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 90 m.w.Nachw. 460 BGH vom 12.5.1998, GRUR 1999, 276, 277 – Depotkosmetik; zustimmend Bornkamm, in: Schwarze, Neue Entwicklungen auf dem Gebiet des europäischen Wettbewerbsrechts, S. 47, 51 ff.; kritisch dagegen Mäsch, ZIP 1999, 1507 ff. Den Meinungsstand speziell für die Fälle selektiver Vertriebssysteme zusammenfassend Papadimitriou, Zum Belieferungsanspruch des Außenseiters eines selektiven Vertriebsbindungssystems aus Art. 81 EG und deutschem Zivilrecht, S. 119 ff. 461 BGH vom 24.9.1979, WuW/E BGH 1629, 1634 f. – Modellbauartikel II; BGH vom 10.11.1987, WuW/E BGH 2451, 2457 – Cartier-Uhren. 462 BGH vom 26.10.1961, BGHZ 36, 91, 100 – Gummistrümpfe; BGH vom 2.4.1964, BGHZ 41, 271, 280 – Werkmilchabzug; BGH vom 24.6.1965, BGHZ 44, 279, 283 ff. – Brotkrieg; BGH vom 9.11.1967, BGHZ 49, 90, 98 f. – Jägermeister; BGH vom 30.6.1966, GRUR 1967, 210, 211 ff. – Flaschenbier; BGH vom 26.10.1972, WuW/E BGH 1238, 1245 – Registrierkassen; BGH vom 20.11.1975, WuW/E BGH 1391, 1395 – Rossignol. 463 OLG Saarbrücken vom 16.9.1987, Az. 1 U 148/85, Ls. 3 (zitiert nach juris). 464 KG vom 12.10.1979, WuW/E OLG 2210, 2212 – Rote Liste; OLG Karlsruhe vom 8.11.1978, WuW/E OLG 2085, 2091 f. – Multiplex; OLG Karlsruhe vom 12.3.1980, WuW/E OLG 2217, 2223 – Allkauf-Saba. 465 Beide Ansprüche kombiniert LG Dortmund vom 10.5.1973, NJW 1973, 2212, 2213: Es bejaht einen Anspruch der Kläger auf Beseitigung der angeordneten Inseratensperre sowie einen Anspruch auf Unterlassung zu besorgender künftiger Inseratensperren. 466 BGH vom 25.2.1959, BGHZ 29, 344, 349 – Sanifa.
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Im Schrifttum finden sich unterschiedliche Auffassungen, wobei die Konstruktion einer Naturalherstellung überwiegend auf Kritik stößt467. Indessen sollte der Streit über die »richtige« dogmatische Konstruktion nicht überbewertet werden. Möglicherweise hat schon die Nichterwähnung des Beseitigungsanspruches in § 35 GWB a.F. und § 33 GWB a.F. dazu beigetragen, dass der Beseitigungsanspruch nach altem Recht nur zum Teil als Anspruchsgrundlage herangezogen wurde468. Hinzu kommt, dass Diskriminierungs- und Behinderungsfälle mehrere ineinandergreifende Probleme aufwerfen, wobei die Frage nach der einschlägigen Anspruchsgrundlage zwar logisch vorrangig beantwortet werden muss, doch in ihrer Aussagekraft begrenzt ist. Insbesondere geben die gesetzlichen Anknüpfungspunkte – Schadensersatz im Wege der Naturalherstellung oder Anspruch auf Beseitigung – keine Auskunft über die konkrete Ausgestaltung der Rechtsfolgen. Ob beispielsweise der Verletzer infolge seines Verhaltens einem Kontrahierungszwang mit dem Betroffenen unterliegt oder ob der Betroffene »nur« eine Gleichbehandlung verlangen kann, lässt sich nicht aus der zugrunde liegenden Anspruchsgrundlage ableiten; maßgebend sind insoweit andere Kriterien469. Gleichwohl sollte man die Frage nach der Anspruchsgrundlage nicht ganz beiseiteschieben, sondern anhand dogmatischer und praktischer Erwägungen beantworten. Vieles spricht für eine Heranziehung der Abwehransprüche470. Diese sind erstens zukunftsgerichtet, während Schadensersatz notwendigerweise eine vergangenheitsbezogene Aufarbeitung beinhaltet. Zweitens sind Belieferungsansprüche des Betroffenen oder Ansprüche auf Gleichbehandlung als Umkehrakte der maßgeblichen Verletzungshandlung anzusehen und damit taugliche Gegenstände quasinegatorischer Störungsbeseitigung. Drittens verlangen Abwehransprüche – was die Rechtsdurchsetzung wesentlich erleichtert – keinen Nachweis 467 Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Rn. 672; Bornkamm, in: Langen/ Bunte, GWB, § 33 Rn. 89 ff.; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 396 ff.; Kahrs, Zivilrechtliche Ansprüche auf Grund einer Verletzung des Diskriminierungsverbots, S. 163 ff.; Kilian, ZHR 142 (1978), 453, 480 ff.; ders., AcP 180 (1980), 47, 82; Lettl, Kartellrecht, § 11 Rn. 91; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 20 Rn. 231; Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rn. 667; K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, VO 1/2003 Anh. 2 Rn. 28 und 31; ders., AcP 206 (2006), 169, 191 f.; differenzierend Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 166: Nur die Nachholung von Lieferungen sei als Naturalherstellung anzusehen. 468 Roth, in: Festschrift für H.P. Westermann, S. 1355, 1360. 469 Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Rn. 669 nennt drei Grundfragen für die Prüfung, ob Kontrahierungszwang als rechtliche Reaktion in Betracht kommt: Besteht für den Kunden keine zumutbare Ausweichmöglichkeit oder kann er die begehrte Leistung auch von jemand anders erhalten? Ist der Kunde auf die Leistung angewiesen oder ist ihm ein Verzicht zumutbar? Ist die Ablehnung sachlich nicht begründet, handelt es sich also um eine willkürliche oder um eine sachorientierte Entscheidung? 470 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 89; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 398; Görner, Die Anspruchsberechtigung der Marktbeteiligten nach § 33 GWB, S. 192; Kilian, ZHR 142 (1978), 435, 481 f.; ders., AcP 180 (1980), 47, 82; K. Schmidt, AcP 206 (2006), 169, 191 f.
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vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhaltens471. Folgt man dieser Einordnung, dann fallen diese Fälle aus dem Abwendungsbereich der kartelldeliktischen Schadensersatzhaftung heraus. Die Einzelheiten sollen daher im Rahmen dieser Untersuchung nicht näher dargestellt werden472. Darüber hinaus gibt es praktisch keine Anwendungsfälle für eine Naturalherstellung bei wettbewerbsbeschränkenden Praktiken. Sofern man eine analoge Anwendung von § 249 Abs. 1 S. 2 BGB auf geschäftsschädigende Äußerungen bejaht473, ist eine Anwendung dieser Vorschrift als spezielle Erscheinungsform der Restitution in Betracht zu ziehen, wenn die Wettbewerbsbeschränkung eine Geschäftsschädigung bewirkt, was bei Boykottaufrufen und als Nebenfolge öffentlich ausgesprochener Liefersperren denkbar ist474.
II. Schadensersatz in Geld 1. Ausgangsfragen Das Ziel kompensatorischen Schadensersatzes besteht darin, den infolge der wettbewerbsbeschränkenden Handlung eingetretenen Schaden in vollem Umfang auszugleichen. a) Grundsätze der Schadensermittlung aa) Umfang des Schadensersatzes Diese Zielvorgabe steht in Einklang mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts. Bei Verstößen gegen Kartellbestimmungen des Gemeinschaftsrechts liegt es danach mangels einschlägiger Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zwar in der Hand der Mitgliedstaaten, Kriterien für die Ermittlung des Umfanges des Schadensersatzes zu bestimmen, doch hat der EuGH in der Manfredi-Entscheidung wichtige Fixpunkte vorgegeben. Der Gerichtshof folgert aus dem Effektivitätsgrundsatz, ein Geschädigter müsse nicht nur Ersatz des Vermögensschadens (damnum emergens), sondern auch den Ersatz des entgangenen Gewinns (lucrum cessans) sowie Zahlung von Zinsen verlangen können475. Der schadensrechtlichen Unterscheidung zwischen »echten« Vermögensschäden und entgangenem Gewinn kommt im deutschen Recht theoretische, nicht aber praktische Bedeu471 Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 398 wendet ein, die Entbehrlichkeit des Verschuldens stelle kein rechtsdogmatisches Argument dar und sei deshalb zu vernachlässigen. Das ist zwar im Ausgangspunkt richtig. Doch angesichts der ohnehin schwachen Aussagekraft der Dogmatik zur Abgrenzung zwischen Schadensersatz- und Abwehransprüchen in den hier interessierenden Fällen dürfte es legitim sein, die rechtliche Einordnung (auch) mit einer gewissen Pragmatik vorzunehmen. 472 Eingehend zur kartellrechtlichen Problematik des Kontrahierungszwangs Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 301 ff. 473 Oben § 3. C. II. 2., S. 161. 474 Siehe etwa BGH vom 26.4.1967, WuW/E BGH 893, 898 f. – Hörgeräte. 475 EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. I-6619 Rn. 96 – Manfredi.
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tung zu, da nach den Grundsätzen der §§ 249 ff. BGB beide Schäden ersatzfähig sind. Die Aussage des EuGH ist vor allem für Rechtsordnungen von Bedeutung, in denen die beiden Schadenspositionen unterschiedlich beurteilt und behandelt werden. bb) Differenzhypothese Den gedanklichen Ausgangspunkt der Schadensberechnung bildet bei Kartellrechtsverstößen die Differenzmethode476. Danach ist der tatsächliche Zustand mit dem Zustand zu vergleichen, der ohne das schädigende Ereignis bestanden hätte. Auf das Kartellrecht übertragen ist demgemäß der durch die Wettbewerbsbeschränkung eingetretene Zustand mit dem Zustand zu vergleichen, der ohne diese Wettbewerbsbeschränkung bestanden hätte477. Die Bestimmung des schadensfreien Zustands im Wettbewerb lässt allerdings erheblichen Raum für Wertungen und entscheidet damit maßgeblich über die Höhe des ersatzfähigen Schadens. Denn in Abhängigkeit von der hypothetisch zugrunde liegenden Wettbewerbssituation kann die Schadensberechnung sehr unterschiedlich ausfallen478. Im Streitfall der Meierei-Zentrale-Entscheidung war der Kläger beispielsweise als Großhändler für Milch und Molkereiprodukte tätig und bezog seine Waren von der Beklagten. Die Beklagte schloss ihrerseits mit Einzelhändlern langfristige Rahmenverträge über die Belieferung mit Milch und Molkereiprodukten ab, wobei der Kläger als Großhändler in den Vertrieb eingeschaltet war. Hierfür betrieb die Beklagte ein zentrales Abrechnungssystem, von dem der Kläger jedoch, nachdem er sich geweigert hatte, auf eine kartellrechtswidrige Neugestaltung der maßgeblichen Vertragsverhältnisse einzugehen, ausgeschlossen wurde. In der Folge verlor der Kläger Geschäftsbeziehungen mit seinen bisherigen Kunden, konnte keine neuen Kunden gewinnen und musste schließlich seine Tätigkeit als Großhändler aufgeben. Wegen dieser kartellrechtswidrigen Behinderung verlangte der Kläger nun Schadensersatz in Höhe des entgangenen Gewinns. Die Höhe des ersatzfähigen Gewinns ist davon abhängig, welche Wettbewerbsverhältnisse hypothetisch zugrunde gelegt werden. Im Streitfall hatte die Revision vorgebracht, es müsse hypothetisch von einem Zustand ausgegangen werden, in dem das zentrale Abrechnungssystem nicht existent gewesen wäre und damit »heftiger Preiswettbewerb aller Großhändler um die Einzelhändler« bestanden hätte, was folgerichtig den Gewinn des Klägers geschmälert hätte. Dem folgte der BGH jedoch nicht: Im Falle der unbilligen Behinderung müsse der Schaden des behinderten Unternehmens auf der Grundlage der tatsächlichen, von dem marktbeherrschenden Unternehmen wesentlich gestalteten Marktverhältnissen und demgemäß dadurch errechnet werden, dass die Umsätze vor und nach der unbilligen Behinderung miteinander verglichen werden. Ob im Falle einer unzulässigen Kartellvereinbarung etwas anderes gilt, ließ das Gericht ausdrücklich offen479. 476 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 54; Monopolkommission, Sondergutachten 41, Rn. 60. 477 BGH vom 9.11.1967, BGHZ 49, 90, 98 – Jägermeister; BGH vom 23.3.1982, BGHZ 83, 238, 244 – Meierei-Zentrale; BGH vom 8.5.1990, WuW/E BGH 2647, 2652 – Nora-Kunden-Rückvergütung. 478 Hildebrand, WuW 2005, 513, 518 f.; Monopolkommission, Sondergutachten 41, Rn. 61 f. 479 BGH vom 23.3.1982, BGHZ 83, 238, 244 – Meierei-Zentrale.
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Eine Hauptschwierigkeit im Kartelldeliktsrecht bildet die Ermittlung des Schadens im konkreten Verletzungsfall. Zur Vorbereitung des Grün- und Weißbuchs der Kommission wurde hierzu eine umfassende Studie vorgelegt480, in der verschiedene Varianten der Schadensberechnung vorgestellt und analysiert werden481. Die Diskussion über die Möglichkeiten der Schadensberechnung ist jedoch längst nicht abgeschlossen. Eingehende und differenzierte Vorschläge zur Schadensberechnung sind insbesondere von Bulst unterbreitet worden, der nach Marktstufen differenziert und für Direktabnehmer482, Folgeabnehmer483 und Endabnehmer484 jeweils unterschiedliche Optionen für eine Schadensberechnung vorschlägt. Die einzelnen Berechnungsvarianten sollen im Folgenden nicht näher dargestellt werden. Denn aus rechtlicher Sicht bestehen keine grundsätzlichen Bedenken, verschiedene Berechnungsformen und Berechnungsmodelle zuzulassen, sofern sie den schadensrechtlichen Grundanforderungen gerecht werden. Angesichts der Vielfalt wettbewerbsbeschränkender Praktiken wäre es kontraproduktiv, wenn die Rechtsordnung von vornherein eine bestimmte Variante der Schadensberechnung verlangen und andere Möglichkeiten per se ausschließen würde. Vielmehr sollte es, nicht zuletzt im Interesse einer wirksamen Rechtsdurchsetzung, dem Geschädigten überlassen bleiben, auf welcher Grundlage er seinen Schaden quantifiziert. Es ist durchaus sinnvoll, wenn die Rechtsordnung insoweit Zurückhaltung übt und keine verbindlichen Vorgaben trifft. cc) Schadenspauschalierung und Schätzung Zugleich wird kein Weg daran vorbeiführen, in gewissem Maße Schadenpauschalierungen anzuerkennen. Im Falle eines kartellbedingt überhöhten Preises wird beispielsweise häufig ein Rückgang der Nachfrage eintreten, weil Käufer entweder auf andere Güter ausweichen oder auf einen Erwerb des Gutes gänzlich verzichten. Damit entgeht ihnen der Gewinn, den sie erzielt hätten, wenn sie zum Wettbewerbspreis die gewünschten zusätzlichen Einheiten hätten erwerben können485. Die Berechnung dieses Schadenspostens bereitet, von den allgemeinen Schwierigkeiten der Schadensermittlung abgesehen, nochmals zusätzliche Probleme und lässt sich wohl überhaupt nur pauschalierend vornehmen486.
480 Ashurst-Studie, Calculation of damages; kompakter Überblick zu den verschiedenen Berechnungsarten nach dieser Studie bei Hildebrand, WuW 2005, 513, 518 f. und Hoffer, KartG, § 26, 1.5.1., S. 230 f. 481 Kritisch dazu Wagner, in: Eger/Schäfer, Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, S. 605, 625. 482 Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 286 ff. 483 Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 298 ff. 484 Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 306 f. 485 Monopolkommission, Sondergutachten 41, Rn. 62 ff. 486 Dazu näher Monopolkommission, Sondergutachten 41, Rn. 63 und Wagner, in: Eger/Schäfer, Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, S. 605, 626 f.
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Erleichtert wird der Schadensnachweis durch eine großzügige Heranziehung von Erfahrungssätzen487 und durch die Anwendung von § 287 ZPO. Mit der siebten GWB-Novelle wurde in § 33 Abs. 3 S. 3 GWB ein ausdrücklicher Hinweis auf diese zivilprozessuale Vorschrift aufgenommen, womit der Gesetzgeber den Stellenwert dieser Bestimmung bei der Schadensberechnung unterstrichen hat. b) Zeitpunkt des Schadenseintritts Grundsätzlich ist der Schaden zu ersetzen, der dem Geschädigten infolge der Rechtsverletzung entsteht, gleichgültig wann sich der Schaden realisiert. Besonderheiten gelten, wenn die Schadensersatzhaftung auf die Verletzung einer kartellbehördlichen Verfügung gestützt wird. Dann kommt es darauf an, ab welchem Zeitpunkt die Entscheidung für den Adressaten verpflichtende Wirkung entfaltet. Nur Schäden, die nach diesem Zeitpunkt eintreten, sind ersatzfähig. Die verpflichtende Wirkung einer kartellbehördlichen Verfügung entsteht spätestens mit Eintritt der Bestandskraft. Ordnet die Kartellbehörde gemäß § 65 Abs. 1 GWB die sofortige Vollziehung an, dann ist auch der Schaden ersatzfähig, der vor Eintritt der Bestandskraft der Entscheidung entstanden ist488. 2. Schadensrechtliche Sonderregelungen § 33 Abs. 3 S. 2 bis 5 GWB ergänzt und modifiziert die §§ 249 ff. BGB. a) Überhöhte Preise und Schadensabwälzung (§ 33 Abs. 3 S. 2 GWB) Gemäß § 33 Abs. 3 S. 2 GWB ist ein Schadens nicht deshalb ausgeschlossen, weil eine Ware oder Dienstleistung, die zu einem überteuerten Preis bezogen wurde, wenn die Ware oder Dienstleistung weiterveräußert wurde. Diese Vorschrift wirft viele Fragen auf. Der Referentenentwurf hatte in § 33 Abs. 3 S. 2 GWB-E eine ähnliche Bestimmung vorgesehen. Diese Entwurfsfassung lautete: »Besteht der der Schaden darin, dass der Betroffene eine Ware oder Dienstleistung zu einem überteuerten Preis bezogen hat, wird der Schaden durch die Weiterveräußerung der Ware oder Dienstleistung nicht gemindert«.
Die Formulierung ließ darauf schließen, dass an einen Ausschluss des Einwandes des Schädigers gedacht war, der Geschädigte habe seinen Schaden teilweise auf seine Abnehmer abwälzen können489. Der Regierungsentwurf sah eine entsprechende Vorschrift nicht vor. In den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für 487 Ein Beispiel bildet die Vermutung der Abwälzung verletzungsbedingter Preisaufschläge auf Folgeabnehmer; dazu unter III. 1. b)., S. 415. 488 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 70; zum alten Recht Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 94. 489 In diesem Sinne auch Monopolkommission, Sondergutachten 41, Rn. 59, 66 ff.
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Wirtschaft und Arbeit wurde dagegen die jetzige Formulierung aufgenommen. Zur Begründung heißt es: »Der neu eingefügte Satz 2 stellt klar, dass im Falle des Bezugs überteuerter Waren oder Dienstleistungen in Folge einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung oder Verhaltensweise allein der Umstand der Weiterveräußerung dieser Ware oder Dienstleistung durch den Erstabnehmer der Feststellung eines Schadens nicht entgegengehalten werden kann. Die Rechtsprechung hat teilweise die Auffassung vertreten, dass die Weiterveräußerung einer überteuerten Ware oder Dienstleistung durch den Erstabnehmer bereits bei der Frage nach der Schadensentstehung zu berücksichtigen sei (LG Mannheim, Urteil vom 11.07.2003 – 7 O 326/02; OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.01.2004 – 6 U 183/93). Demgegenüber ist zu bedenken, dass der Erstabnehmer im Falle eines kartellbedingt überhöhten Preises einen Mehrbetrag bezahlt hat oder ihn noch schuldet. Dies wirkt sich zunächst nachteilig auf seine Vermögenslage aus. Insoweit ist dem Erstabnehmer auch – zusätzlich neben einem möglichen entgangenen Gewinn – ein eigener Schaden entstanden, und es bedarf eigener Anstrengungen, diesen Schaden wieder auszugleichen (vgl. Köhler, GRUR 2004, 99)«490.
Die Schwierigkeiten im Umgang mit § 33 Abs. 3 S. 2 GWB beginnen beim unpräzisen Wortlaut491. Unbehagen weckt bereits die Formulierung des »überteuerten Preises«, denn Preise können infolge einer Wettbewerbsbeschränkung (bezogen auf einen unter regulären Wettbewerbsbedingungen zustande gekommenen Marktpreis) zu hoch oder zu niedrig sein. Teuer oder billig sind dagegen die Güter, also Waren oder Dienstleistungen, die auf dem Markt zu einem bestimmten Preis erworben werden. Vom Gesetz gemeint sind Preise, die infolge der Wettbewerbsbeschränkung erhöht sind. Ebenso wenig gelungen ist es, wenn das Gesetz von einer Weiterveräußerung von Waren oder Dienstleistungen spricht. Das ist zum einen zu eng, weil die der Regelung zugrunde liegende Interessenlage nicht abweicht, wenn eine Ware nicht veräußert, sondern auf sonstige Weise zur entgeltlichen Nutzung überlassen wird, beispielsweise durch Miete oder Leasing. Zum anderen passt der Begriff Weiterveräußerung für Dienstleistungen gar nicht, weil Dienstleistungen nicht veräußert, sondern gegen Entgelt erbracht werden492. Neben der sprachlichen Ungenauigkeit der Vorschrift bereitet aber vor allem ihr Regelungsinhalt Schwierigkeiten. Nach dieser Vorschrift ist ein Schaden im Falle der Weiterveräußerung eines erworbenen Gutes »nicht ausgeschlossen«. Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass – soweit ersichtlich – niemand die Ansicht vertritt, schon die Weiterveräußerung als solche schließe das Vorhandensein eines kartelldeliktischen Schadens aus493. Ebenfalls nicht weiter hilft die Überlegung, der Gesetzgeber habe »die Entstehung eines Schadens beim Einkauf von 490 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss), BT-Drucks. 15/5049, S. 48. 491 Völlig zu Recht spricht Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 115, von einem missratenen Tatbestand. 492 Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 115. 493 Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 115.
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Waren oder Dienstleistungen zu kartellbedingt überhöhten Preisen gesetzlich angeordnet«494. Um die genaue Reichweite des § 33 Abs. 3 S. 2 GWB abzustecken, ist es unumgänglich, zunächst die in den amtlichen Materialien zitierten Entscheidungen näher zu untersuchen. Die Gesetzesfassung ist nur im Zusammenhang mit diesen zwei instanzgerichtlichen Entscheidungen verständlich. Die Entscheidung des LG Mannheim betrifft die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in einem Vitaminkartell-Fall495; bei der Entscheidung des OLG Karlsruhe handelt es sich um die spätere Berufungsentscheidung496. Das Landgericht lehnte den Schadensersatzanspruch der Klägerin, einer Direktabnehmerin der kartellbefangenen Vitamine und Vitamingemische, aus verschiedenen Gründen ab; unter anderem verneint das Gericht auch die Entstehung eines Schadens infolge des Bezugs der Ware zu einem kartellbedingt überhöhten Preis, wenn dem Abnehmer eine »Abwälzung« des höheren Preises gelingt und dadurch sein Gewinn insgesamt nicht geschmälert wird. Nach Ansicht des Gerichts erfordert die Berechnung des Schadens im Fall des gewerblichen Abnehmers eines Produkts, dass er grundsätzlich die gesamte Vermögensentwicklung darzulegen hat, die sich für ihn aus dem Kartellverstoß ergeben hat. Dazu gehöre nicht nur der kartellbedingt überhöhte Einkaufspreis des jeweiligen Produkts, sondern auch die weitere wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere die Gewinnspanne, die sich aus der Verarbeitung des Produkts und dem Verkauf des eigenen Erzeugnisses ergeben habe. Wenn diese Gewinnspanne vor Beginn, während und nach Ende der Vitaminkartelle gleich geblieben sein sollte, denn habe die Klägerin keinen Schaden erlitten, weil sie die Preiserhöhungen beim Einkauf der Vitamine und Vitamingemische erfolgreich auf die Abnehmer der von ihr hergestellten Produkte abgewälzt habe497. Das OLG Karlsruhe bestätigte die Entscheidung des Landgerichts. Speziell zur Berechnung des Schadens führt das Gericht aus, die gebotene wirtschaftliche Betrachtungsweise dürfe nicht außer Acht lassen, dass der Einkaufspreis im betriebswirtschaftlichen Ablauf von vornherein nur ein Kostenfaktor sei, der prinzipiell im Verkaufspreis eingehe und an die nächste Wirtschaftsstufe oder den Endverbraucher weitergegeben werde. Für gewöhnlich handele es sich um einen neutralen Rechnungsposten. Daher bestehe grundsätzlich zwischen Nachteil und Vorteil ein unlösbarer innerer Zusammenhang. Handele es sich um korrespondierende Positionen der Schadensbetrachtung, seien diese bei wertender Betrachtung zu einer Rechnungseinheit zu verbinden, was zu einer Anrechnung des Aktivpostens in der Schadensbilanz führe. Nichts anderes könne sich unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Kartellrechts ergeben498. Diese Entscheidungen sind im Schrifttum zu Recht auf Ablehnung gestoßen499 und auch der Gesetzgeber hält die Argumentation der Gerichte für verfehlt. Die Unzulänglichkeit der gerichtlichen Argumentation besteht darin, dass die Gerichte einen unzutreffenden Ansatz für die Schadensermittlung gewählt haben, und zwar sowohl unter allge494
K. Westermann, in: Festschrift für H.P. Westermann, S. 1605, 1621 f. LG Mannheim vom 11.7.2003, GRUR 2004, 182 – Vitaminkartell. 496 OLG Karlsruhe vom 28.1.2004, GRUR 2004, 883 – Vitaminkartell. 497 LG Mannheim vom 11.7.2003, GRUR 2004, 182, 184 – Vitaminkartell. 498 OLG Stuttgart vom 28.1.2004, GRUR 2004, 883, 884 – Vitaminkartell. 499 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 102; Keßler, BB 2005, 1125, 1127; Köhler, GRUR 2004, 99, 102; Roth, in: Festschrift für Huber, S. 1137, 1157. 495
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meinen schadensrechtlichen Gesichtspunkten als auch speziell aus kartelldeliktischer Perspektive. Statt die wirtschaftlich nachteiligen Folgen des wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens für den Direktabnehmer im Einzelnen zu untersuchen, haben die Gerichte kurzerhand eine Gesamtsaldierung des Abnehmervermögens vorgenommen und gelangten zu dem Schluss, ein wirtschaftlicher Nachteil liege nicht vor und folglich fehle ein ersatzfähiger Schaden. Die Gerichte vermengen damit zwei unterschiedliche Schadensposten, die nach §§ 251, 252 BGB klar auseinandergehalten werden müssen, nämlich zum einen die eingetretene Vermögensminderung und zum anderen den entgangenen Gewinn. Beide Schadensposten stehen schadensrechtlich selbstständig nebeneinander und können auch nebeneinander geltend gemacht und zugesprochen werden500. Dann verbietet sich aber die von den Gerichten vorgenommene Gesamtsaldierung. Die Richter übersehen, dass der Direktabnehmer von Vitaminen und Vitamingemischen für den Erwerb dieser Rohprodukte einen höheren Marktpreis zahlen muss, als er ohne die Existenz des Preiskartells hätte zahlen müssen. Schon diese Mehrbelastung stellt den entscheidenden wirtschaftlichen Nachteil dar. Zudem kann der Direktabnehmer zum Kartellpreis weniger Einheiten erwerben als zum niedrigeren Marktpreis, was sich ebenfalls wirtschaftlich nachteilig auswirkt. Unzutreffend beschränken die Gerichte den Schadensersatz auf den entgangenen Gewinn. Dies steht nicht nur im Widerspruch zu den nationalen Vorgaben des deutschen Schadensrechts, sondern widerspricht darüber hinaus, wie der EuGH mittlerweile in der Manfredi-Entscheidung klar ausgesprochen hat, dem Effektivitätsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts501.
Damit ist festzustellen, dass der Gesetzgeber in § 33 Abs. 3 S. 2 GWB einer ohnehin unzutreffenden Rechtsansicht der Instanzgerichte eine Absage erteilt502. Das ist zwar begrüßenswert, nur sagt die Vorschrift schadensrechtlich dann nichts Neues503. Sie präzisiert lediglich, dass hinsichtlich der Entstehung eines Schadens beim Abnehmer maßgeblich auf den Bezug des »kartellbefangenen« Gutes und die dadurch entstehende Vermögenssituation beim Direktabnehmer abzustellen ist. Trennt man nun zwischen Schadensentstehung und der Berücksichtigung von schadensbedingten Vorteilen (Vorteilsausgleichung), dann drängt sich die Frage auf, ob § 33 Abs. 3 S. 2 GWB auch diese – sehr umstrittene504 – Problematik regelt. Nach den amtlichen Materialien sollte die Vorschrift hierzu aber keine Aussage enthalten: »Die weitere Schadensentwicklung durch eine Weiterveräußerung der Ware oder Dienstleistung regelt sich nach den Grundsätzen der Vorteilausgleichung. Dies wird durch den neu eingefügten Satz 2 bekräftigt. Dabei ist zum einen zu prüfen, ob im Rahmen einer wertenden Betrachtungsweise eine Vorteilsausgleichung bei Kartellrechtsverstößen sachgerecht ist. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung weist darauf hin, dass die herrschende Meinung im kartellrechtlichen Schrifttum bereits jetzt die Auffassung vertritt, dass eine Vorteilsausgleichung im Fall der Abwälzung des Schadens nicht in Betracht 500 501 502 503 504
Roth, in: Festschrift für Huber, S. 1133, 1157. EuGH vom 13.7.2006, Slg. 2006, I-6619 Rn. 95 – Manfredi. Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 104; Lutz, WuW 2005, 718, 728. Berrisch/Burianski, WuW 2005, 878, 885. Dazu näher unter III. 1. a), S. 404 ff.
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kommt … In jedem Fall ist für die im Rahmen der Schadensminderung zu berücksichtigenden Umstände der Schädiger darlegungs- und beweisbelastet«505.
Der Sinn und Zweck von § 33 Abs. 3 S. 2 GWB erschöpft sich hiernach in der Klarstellung, dass die Weiterveräußerung eines kartellbefangenen Gutes die Schadensentstehung beim Direktabnehmer nicht hindert. Ob die erfolgreiche »Weiterwälzung« eines überhöhten Preises im Übrigen schadensmindernd zu berücksichtigen ist, lässt die Vorschrift dagegen offen. Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Gesetzgeber hat sich mit § 33 Abs. 3 S. 2 GWB auf einen »Nebenkriegsschauplatz« begeben und ist den Kernproblemen ausgewichen. § 33 Abs. 3 S. 2 GWB ist – versteht man die Vorschrift im Sinne der amtlichen Materialien506 – funktionslos und überflüssig. b) Berücksichtigung des anteiligen Verletzergewinns (§ 33 Abs. 3 S. 3 GWB) Gemäß § 33 Abs. 3 S. 3 GWB kann bei der Entscheidung über den Umfang des Schadens nach § 287 ZPO »insbesondere der anteilige Gewinn, den das Unternehmen durch den Verstoß erlangt hat, berücksichtigt werden«. Der Gesetzgeber verfolgt damit das Ziel, die Anspruchsdurchsetzung in den Fällen zu erleichtern, in denen die Ermittlung des hypothetischen Marktpreises als Grundlage einer Schadensberechnung nach der Differenzmethode mit großen Schwierigkeiten verbunden ist507. aa) Anteiliger Verletzergewinn als zusätzliche Bemessungsgröße im Rahmen der Schadensermittlung Der Referentenentwurf hatte noch vorgesehen, dass der Betroffene anstelle des Schadensersatzes die Herausgabe des anteiligen Gewinns verlangen kann, den der Verletzer durch den Verstoß erlangt hat508. Allerdings ist dieser Ansatz einer Alternativität zwischen Schadensersatz oder Herausgabe des Verletzergewinns mit Recht nicht weiter verfolgt worden509. Im Unterschied zur Herausgabe des Verletzergewinns als Variante der dreifachen Schadensberechnung bildet der Verletzergewinn im Kartelldeliktsrecht nur einen Anhaltspunkt für die Schadensschätzung durch das Gericht im Rahmen von § 287 ZPO. Der Schadensersatzanspruch ist nicht allein auf Herausgabe des erzielten Verletzergewinns gerichtet510. Daher ist es unbeachtlich, dass der Verletzergewinn bei der dreifachen Schadensberechnung – nach bisherigem Ver505 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss), BT-Drucks. 15/5049, S. 48. 506 Zu einer abweichenden Interpretation der Vorschrift unten III. 1. a) dd) (1), S. 410. 507 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 54. 508 Siehe dazu bereits Steindorff, ZHR 138 (1974), 504, 518. 509 Zur Kritik an früheren Überlegungen, in denen eine Heranziehung des Verletzergewinns erwogen wurde K. Schmidt, Aufgaben und Leistungsgrenzen der Gesetzgebung im Kartelldeliktsrecht, S. 39 f.; Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 149. 510 Bechtold, GWB, § 33 Rn. 28; Roth, in: Festschrift für Huber, S. 1133, 1166 f.
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ständnis – in einem Alternativverhältnis zur konkreten Schadensberechnung steht511. Ein solches Alternativverhältnis besteht im Rahmen der kartelldeliktischen Schadensersatzhaftung nicht, weil die Herausgabe des Verletzergewinns bei Kartellrechtsverstößen nicht an die wirtschaftliche Verwertung einer bestimmten Rechtsposition gekoppelt ist. § 33 Abs. 3 S. 3 GWB dient der Praktikabilität der Schadensberechnung bei Kartellrechtsverstößen, indem die Vorschrift den Verletzergewinn als schadensrechtlich relevante Bemessungsgröße anerkennt. Der Verletzergewinn wird im Rahmen der Schadensermittlung vor allem dann Bedeutung erlangen, wenn andere Varianten der Schadensermittlung nicht in Betracht kommen und insbesondere eine Schadensberechnung aufgrund hypothetischer Marktpreise nicht gelingt. § 33 Abs. 3 S. 3 GWB eröffnet eine zusätzliche und ergänzende Variante zur konkreten Schadensberechnung, um ein Leerlaufen des Schadensersatzanspruches zu verhindern. In diesen Fällen kann die Heranziehung des Verletzergewinns den Kartelltäter empfindlich treffen, weil der Verletzergewinn unter Umständen deutlich über dem aufgrund des Kartellverstoßes erzielten Gewinns liegen kann512. Zudem hat die neuere Rechtsprechung die Berechnungsmodalitäten bei der Ermittlung des Verletzergewinns verschärft. bb) Berechnung des Verletzergewinns und Reichweite der Schätzungsbefugnis des Gerichts Gemäß § 33 Abs. 3 S. 3 GWB zu berücksichtigen ist der aus dem kartellrechtswidrigen Verhalten erzielte Gewinn, nicht nur der verletzungsbedingte »Mehrgewinn«513. Für die Berechnung des Gewinns verweist der Gesetzgeber auf die Grundsätze, die nach neuerer Rechtsprechung514 im Rahmen der dreifachen Schadensberechnung für die Berechnung des Verletzergewinns gelten515. Der Gewinn soll sich dabei grundsätzlich aus den Umsatzerlösen abzüglich der Herstellungskosten der erbrachten Leistungen sowie abzüglich angefallener Betriebskosten errechnen. Gemeinkosten oder sonstige betriebliche Aufwendungen, die auch ohne das wettbewerbswidrige Verhalten angefallen wären, sind nicht abzugsfähig. Im Falle mehrerer Geschädigter kann nur der jeweils auf den einzelnen Schädiger entfallende Gewinn berücksichtigt werden. Die Höhe dieses Anteils be511 Bedenken jedoch bei Fuchs, WRP 2005, 1384, 1395; ähnlich, jedoch ohne nähere Problematisierung, Bechtold, DB 2004, 235, 239; Kahlenberg/Haellmigk, BB 2004, 389, 394; Hempel, WuW 2004, 362, 368. 512 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 108. 513 Fuchs, WRP 2005, 1384, 1395; Hempel, WuW 2004, 362, 370. 514 BGH vom 2.11.2000, BGHZ 145, 366 ff. – Gemeinkostenanteil; zu den Einzelheiten oben § 4. D. II. 4. c) (2), S. 265 ff. 515 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 109; Schütt, WuW 2004, 1124, 1130 f. Nach Ansicht von Roth, in: Festschrift für Huber, S. 1133, 1167 geht die kartellrechtliche Berechnung über die Grundsätze der dreifachen Schadensberechnung hinaus. Die Heranziehung der Grundsätze zum Verletzergewinn ablehnend Tilmann, in: Festschrift für Loewenheim, S. 571, 574 ff.
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stimmt sich nach dem Gewinn aus dem Kartellrechtsverstoß gegenüber dem Geschädigten bzw. aus den Folgeverträgen mit ihm516. Vom Gesetz nicht eindeutig beantwortet wird die Frage, ob dem Gericht im Rahmen der Schätzung des Verletzergewinns und seiner Entscheidung über den gemäß § 33 Abs. 3 S. 3 GWB zu ersetzenden Schaden ein Ermessensspielraum zusteht. Nach Ansicht Tilmanns ist der Anspruch des Verletzten auf den gesamten Verletzergewinn gerichtet. Das Gericht dürfe keinen »Rabatt« zugunsten des Verletzers anordnen517. Eine solche Interpretation provoziert indessen »Schätzungskunststücke«. Da § 33 Abs. 3 S. 3 GWB lediglich als Anhaltspunkt für die Schadensberechnung dienen soll, nicht aber ein Höchst- oder Mindestmaß für die Schadenshöhe festlegt, ist dem Richter ein Entscheidungsspielraum zuzubilligen. Um eine willkürliche Schadensfestsetzung auf Grundlage des geschätzten Verletzergewinns zu verhindern, kann man jedoch auf die Wertungen des § 34 Abs. 3 S. 1 GWB zurückgreifen. Übertragen auf § 33 Abs. 3 S. 3 GWB folgt daraus: Im Regelfall ist der vom Richter geschätzte, anteilige Verletzergewinn als Schaden zu ersetzen. Wäre die Herausgabe dieses Gewinns aber eine unbillige Härte, kann der zu ersetzende Schaden auf einen angemessenen Geldbetrag beschränkt werden. Eine solche Schadenskorrektur belastet den Geschädigten nicht unzumutbar, weil § 33 Abs. 3 S. 3 GWB nur ergänzenden Charakter hat, also die Ersatzfähigkeit anderer Schadensposten unberührt lässt. c) Zinsen (§ 33 Abs. 3 S. 4 und 5 GWB) Mit Einführung der Pflicht zur Verzinsung von Geldschulden ab Eintritt des Schadens bezweckt der Gesetzgeber eine weitere »Verstärkung des Abschreckungscharakters von zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen«518. Diese Verschärfung gegenüber den allgemeinen Bestimmungen des Schuldrechts, wonach Geldforderungen im Regelfall erst mit Eintritt des Schuldnerverzuges zu verzinsen sind, zielt auf eine wirkungsbezogene Abstimmung kartellbehördlicher und privatrechtlicher Sanktionen. Das Nebeneinander verschiedener Sanktionsinstrumente im Kartellrecht darf nicht dazu führen, dass durch die Anwendung einer Sanktion die Wirksamkeit einer anderen Sanktion beeinträchtigt wird. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass privatrechtliche Schadensersatzansprüche vielfach erst nach einem kartellbehördlichen Verfahren als Folgeklage erhoben werden. Ein solches Vorgehen wird gesetzlich sogar besonders begünstigt durch die in § 33 Abs. 4 GWB enthaltene Bindungswirkung und die in § 33 Abs. 5 GWB vorgesehene Hemmung der Verjährung. Diese Vergünstigungen würden jedoch entwertet, wenn es bei der allgemeinen Regelung der Verzinsung bliebe. Mit § 33 Abs. 3 S. 4 GWB begründet der Gesetzgeber demgegenüber eine vom Zeitpunkt 516
Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 54. Tilmann, in: Festschrift für Loewenheim, S. 571, 574. 518 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 54; siehe auch Hempel, WuW 2004, 362, 371. 517
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des privaten Vorgehens unabhängige Verzinsungspflicht, die mit dem Zeitpunkt des Schadenseintritts entsteht. Die Vorschrift schließt weiter gehende Zinsansprüche aus anderen Rechtsgrundlagen, etwa aus Vertrag, nicht aus519.
III. Überindividuelle Interessen Die enge Verbindung des Schutzes von individuellen und überindividuellen Interessen gehört zum prägenden Charakter des Kartelldeliktsrechts. Schadensersatz dient zwar immer dem Ausgleich individueller Schäden, doch kann im Rahmen der Haftungsausfüllung wertend einfließen, dass eine Schadensersatzklage zugleich im überindividuellen Interesse liegt. 1. Abwälzung von kartellbedingten Preiserhöhungen auf andere Marktakteure Wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen bewirken vielfach, dass der wirtschaftliche Nachteil nicht bei einem Marktakteur verbleibt, sondern dass sich die nachteiligen Wirkungen über mehrere Absatzstufen ausbreiten. Dies zeigt sich besonders anschaulich im Falle überhöhter Preise. Von den kartellbedingt überhöhten Preisen sind in der Regel nicht nur die direkten Geschäftspartner der Kartellanten betroffen, sondern die überhöhten Preise werden typischerweise weitergegeben. Dazu kommt es, wenn der Erstgeschädigte infolge einer Wettbewerbsbeschränkung einen wirtschaftlichen Nachteil erleidet, diesen aber durch seine eigene geschäftliche Tätigkeit ganz oder teilweise ausgleicht, indem er einen Teil des Schadens auf andere Marktakteure »abwälzt«. Eine Schadensabwälzung wird in vielen Fällen der unternehmerischen Vernunft entsprechen und stellt keine ungewöhnliche und außerhalb der Lebenserfahrung liegende Reaktion dar. Eine »Abwälzung« überhöhter Preise auf Folgeabnehmer ist für sich genommen auch nicht rechtswidrig. Ob und in welcher Höhe die Schadensabwälzung gelingt, ist von sehr unterschiedlichen Faktoren abhängig und kann bei mehreren Absatzstufen erheblich variieren. Wenn etwa ein »kartellbefangenes« Produkt weiterverarbeitet wird, dann ist zwar prinzipiell möglich, dass die höheren Einkaufspreise eine Preiserhöhung des Weiterverarbeitungsprodukts bewirken. Doch ob die Weiterwälzung gelingt, hängt von den preisrelevanten Faktoren auf dem Folgemarkt ab. Herrscht dort beispielsweise intensiver Preiswettbewerb, dann gelingt die Abwälzung womöglich nicht oder nicht in vollem Umfang. Der dem »Abwälzer« zufließende Vorteil besteht in einem Teil des vom Erstgeschädigten verlangten Weiterverkaufspreises, wobei sich die Höhe dieses Anteils notwendigerweise nur unter Berücksichtigung des kartellbedingt verfälschten Preises bestimmen lässt. Nach Bulst liegt der Vorteil in der Differenz zwischen dem tatsächlichen Weiterverkaufspreis des Abnehmers und dem Weiterverkaufspreis, den der Abnehmer gesetzt hätte, hätte er selbst 519
Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 54.
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zum Wettbewerbspreis und nicht zum Kartellpreis erworben520. Die Besonderheit liegt darin, dass dem Geschädigten kein eigenständiger Vermögenswert als Folge des schädigenden Ereignisses zufließt521. Vielmehr liegt der Vorteil des Geschädigten in dem »Nichtbehalten des Schadens durch Weitergabe«522. Die »Abwälzung« überhöhter Preise wirft komplexe Fragen auf. Besonders umstritten ist, ob der Schädiger den Einwand erheben kann, der Geschädigte habe den ihm entstandenen Schaden durch Preiserhöhungen wirtschaftlich ausgleichen können und dürfe daher insoweit keinen Schadensersatz verlangen (defensive Abwälzungsproblematik). Machen demgegenüber mittelbar Betroffene wegen einer Zuwiderhandlung Schadensersatz geltend, dann wird ihnen oft der Nachweis schwerfallen, dass ein überhöhter Preis auf sie abgewälzt wurde (offensive Abwälzungsproblematik). a) Defensive Abwälzungsproblematik aa) Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben Dem Gemeinschaftsrecht sind zur Behandlung des Abwälzungseinwands keine verbindlichen Vorgaben zu entnehmen, da sich der EuGH mit dieser Frage bislang nicht beschäftigen musste. Einige EuGH-Entscheidungen tangieren zwar ähnliche Probleme523, doch handelt es sich dabei um anders gelagerte Konstellationen, sodass die darin getroffenen Aussagen nur mit Zurückhaltung herangezogen werden können. Als Fingerzeig des EuGH ist immerhin die Aussage zu werten, dass das Gemeinschaftsrecht nationalen Regelungen nicht entgegensteht, mit denen eine Bereicherung des Anspruchsberechtigten verhindert wird524. bb) Schadensrechtliche Einordnung Das Gesetz gibt zur Lösung der defensiven Abwälzungsproblematik wenig Anhaltspunkte. Nach den amtlichen Materialien soll § 33 Abs. 3 S. 2 GWB diesen Fall nicht regeln525. Die Differenzhypothese des Schadensrechts hilft ebenfalls nicht weiter. Sie besagt, dass schädigungsbedingten Vor- und Nachteile im Einzelfall in die schadensrechtliche Beurteilung einzubeziehen sind, gibt aber keine Auskunft darüber, welche Aspekte im Einzelnen Berücksichtigung finden müssen. 520
Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 125. Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 125. 522 Dittrich, GRUR 2009, 123, 125. 523 Zu diesen Entscheidungen näher Petrucci, E.C.L.R. 2008, 33, 39 f.; zur einschlägigen Rspr. des EuGH siehe auch die Nachweise in der folgenden Fn. 524 EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 94 – Manfredi und EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 30 – Courage und Crehan unter Hinweis auf EuGH vom 4.10.1979, Rs. 238/78. Slg. 1979, 2955 Rn. 14 – Ireks-Arkady/Rat; EuGH vom 27.2.1980, Rs. 68/79, Slg. 1980, 501 Rn. 26 – Just und EuGH vom 21.9.2000, Rs. C-441 und 442/98, Slg. 2000, I-7145 Rn. 31 – Michaïlidis. 525 Oben II. 2. a), S. 396 ff. 521
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(1) Vorteilsausgleichung. Ein Großteil des Schrifttums ist bemüht, anknüpfend an die Ausführungen in den amtlichen Materialien526, anhand der allgemeinen Grundsätze der Vorteilsausgleichung eine Lösung des Abwälzungsproblems zu entwickeln527. Den Gegenstand der Vorteilsausgleichung bildet nicht die Berücksichtigung von Vorteilen »an sich«, sondern die Versagung der Anrechnung von schädigungsbedingt eingetretenen Vorteilen aus bestimmten Gründen528. Die Lehre von der Vorteilsausgleichung beruht auf der gedanklichen Unterscheidung zwischen der Schadensentstehung und der Anrechnung von Vorteilen im Wege einer wertenden Korrektur. Über den Wert dieser Unterscheidung kann man streiten. Mit Recht wird die Frage aufgeworfen, ob es sinnvoll ist, zwischen der Schadensberechnung einerseits und der Vorteilsausgleichung andererseits zu differenzieren. Es wirkt recht gekünstelt, wenn zwischen der (teilweisen) Nichtentstehung eines Schadens und der (teilweisen) Anrechnung von Vorteilen unterschieden wird. Denn im Ergebnis wird jedenfalls Schadensersatz insoweit nicht gewährt, als ein Schaden nicht entstanden ist oder dem Geschädigten anrechenbare Vorteile zugeflossen sind529. Aus dogmatischer Sicht wäre die Trennung zwischen Schadensentstehung und Vorteilsausgleichung dann sinnvoll und zu befürworten, wenn es sich um klar voneinander abgrenzbare gedankliche Schritte handeln würde, die von unterschiedlichen Wertungen beeinflusst werden. Das ist aber nicht der Fall. Grenzen und Wertungen verschwimmen. Vorzugswürdiger dürfte sein, von einer einheitlichen, wertenden Schadensermittlung auszugehen, in die sämtliche mit der Vorteilsausgleichung verbundenen Sachfragen einfließen530. Ob man dann zwischen der »eigentlichen« Schadensentstehung und der Vorteilsausgleichung unterscheidet oder die Vorteilsausgleichung bereits als Frage der Schadensentstehung ansieht, ist dabei eine eher nachrangige und begriffliche Frage. Zu den allgemeinen Grundsätzen der Vorteilsausgleichung gehören insbesondere die von der Rechtsprechung regelmäßig herangezogenen Kriterien. Danach muss zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Vorteil ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen, die Vorteilsausgleichung muss dem Zweck des Schadensersatzes entsprechen und die Vorteilsausgleichung darf nicht zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers führen531. Eine Heranziehung dieser Kri526
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss), BT-Drucks. 15/5049, S. 48. 527 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 105 ff.; Dieckmann, in: Handbuch des Kartellrechts, § 40 Rn. 20; Kling/Thomas, Kartellrecht, § 21 Rn. 61 ff.; Loewenheim, in: Liber Amicorum für Riesenkampff, S. 87, 89 ff.; Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GWB, § 33 Rn. 39; Roth, in: Festschrift für Huber, S. 1133, 1158 ff.; Topel, in: Handbuch des Kartellrechts, § 50 Rn. 91 und 133 ff.; K. Westermann, in: Festschrift für H.P. Westermann, S. 1605, 1622 ff. Zur Diskussion im alten Recht: Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 143 ff. 528 Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 249 Rn. 132. 529 Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 118 f. 530 Thiele, AcP 167 (1967), 193, 201 ff.; Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 8 ff. 531 Siehe nur BGH vom 15.1.1953, BGHZ 8, 325, 329; BGH vom 17.6.1953, BGHZ 10, 107, 108; BGH vom 24.3.1959, BGHZ 30, 29, 33 f.; BGH vom 15.11.1967, BGHZ 49, 56, 62.
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terien stößt indessen auf mehrere Bedenken. Problematisch ist schon der gedankliche Ausgangspunkt. Dass es sich bei der Abwälzung von verletzungsbedingten Preisaufschlägen um einen Anwendungsfall der Vorteilsausgleichung handeln soll, ist eine Prämisse, die ihrerseits einer überzeugenden Begründung bedarf532. Denn die Abwälzung von Preisaufschlägen führt lediglich zu einer Schadensverlagerung, nicht aber zu einer Schadensminderung533. Überdies kann man zweifeln, ob es sich bei der Vorteilsausgleichung überhaupt um eine einigermaßen klar konturierte Rechtsfigur handelt. Nicht zu Unrecht wird gesagt, dass das Schlagwort der Vorteilsausgleichung in Wahrheit eine Fülle höchst unterschiedlicher Konstellationen kennzeichnet, die keineswegs einheitlichen Regeln folgen, sondern die sich bei genauerer Betrachtung in viele »unüberblickbare, unkoordinierte und höchst umstrittene Billigkeitslösungen« auflösen534. Doch selbst wenn man die Annahme als richtig unterstellt, dass es sich um einen Fall der Vorteilsausgleichung handelt, ist schnell zu erkennen, dass die Kriterien der Rechtsprechung inhaltlich kaum fassbare »Leerformeln« sind, die einer Konkretisierung anhand von Fallgruppen bedürfen535. Die Kriterien enthalten keine subsumtionsfähigen Tatbestandsmerkmale, sondern beruhen ihrerseits auf komplexen und vom jeweiligen Einzelfall abhängigen Wertungen. Die bloß formale Heranziehung dieser Kriterien führt allenfalls zu Scheinlösungen. (2) Bereicherungsverbot. Für eine Beachtlichkeit der Schadensabwälzung scheint vor allem das schadensrechtliche Bereicherungsverbot zu sprechen, wonach der Geschädigte grundsätzlich vollen Schadensausgleich erhalten soll, aber nicht über den erlittenen Schaden hinaus bereichert werden soll. Der Geschädigte soll an der Schädigung nicht verdienen. Auch der EuGH anerkennt ein Bereicherungsverbot als grundlegendes Prinzip des Gemeinschaftsrechts. Das Gericht betont, die Mitgliedstaaten seien nicht daran gehindert, »dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt«536. Allerdings darf man die Leistungsfähigkeit und die inhaltliche Aussagekraft des Bereicherungsverbots nicht überschätzen. Denn unabhängig davon, ob man das Bereiche-
532 Kritisch zur Vergleichbarkeit der kartellrechtlichen Abwälzungsproblematik mit sonstigen Fällen der Vorteilsausgleichung auch Görner, Die Anspruchsberechtigung der Marktbeteiligten nach § 33 GWB, S. 220 f. 533 Eilmannsberger, in: Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht, Teil 6/1, S. 169. 534 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 194. Umfangreiche Bestandsaufnahmen aus jüngerer Zeit zur Vorteilsausgleichung geben Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 486 ff.; Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 249 Rn. 132 ff. und Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 25 ff. 535 Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 249 Rn. 140. 536 EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 94 – Manfredi; EuGH vom 20.9.2001, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I- 6297 Rn. 30 – Courage und Crehan.
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rungsprinzip als eigenständiges schadensrechtliches Prinzip anerkennt537, gibt dieser Grundsatz gerade keine Auskunft darüber, wann eine schadensrechtlich unzulässige Bereicherung des Geschädigten vorliegt. Entscheidend ist daher, ob der einem Geschädigten zugesprochene Schadensersatz in vollem Umfang rechtlich legitimiert ist, das heißt vom Zweck der haftungsbegründenden Norm gedeckt ist. Das Bereicherungsverbot ist dann, aber auch nur dann verletzt, wenn die Höhe des vom Schädiger zu leistenden Schadensersatzes nicht durch schadensrechtlich anerkannte Wertungen abgesichert ist. So verstanden wird deutlich, warum sich allein aus dem Bereicherungsverbot keine entscheidenden Argumente für oder gegen die Beachtlichkeit der Schadensabwälzung auf nachfolgende Abnehmer ableiten lassen. Es setzt nämlich seinerseits die Offenlegung der dem Schadensersatz zugrunde liegenden Wertungen voraus. (3) Gebot der Schadensminderung. Die Problematik der Abwälzung lässt sich nicht auf Grundlage von § 254 BGB lösen. Zwar muss der Geschädigte gemäß § 254 Abs. 2 S. 1 BGB zur Schadensbegrenzung und Schadensminderung beitragen. Doch kann man daraus nicht ableiten, dass die Erfüllung dieser Obliegenheit die Beachtlichkeit des Abwälzungseinwands begründet538. Die Abwälzung des erhöhten Kartellpreises wäre unter dem Aspekt der Schadensminderung kein dem Geschädigten zufließender Vorteil, sondern das Unterlassen einer solchen Abwälzung wäre ein vom Geschädigten vermeidbarer Nachteil. Schon daran wird deutlich, dass diese Überlegung nicht weiter führen kann. Zwar ist richtig, dass sich ein Geschädigter um die Geringhaltung des Schadens bemühen muss, keinesfalls aber muss er deswegen in die Tasche des Schädigers sparen. Der Geschädigte ist in der Wahl der Mittel, die er zur Schadensminderung in Betracht zieht, grundsätzlich frei. Es liegt daher in der Entscheidungsautonomie eines jeden Unternehmers, ob und wie er auf kartellbedingte Preiserhöhungen beim Bezug von Waren oder Dienstleistungen reagiert. Er kann diese Preiserhöhungen, wenn die Marktverhältnisse es zulassen, auf seine Abnehmer abwälzen, er kann aber die höheren Einkaufspreise auch durch andere Maßnahmen, beispielsweise durch sonstige Kosteneinsparungen, kompensieren oder defizitäre Unternehmensbereiche quersubventionieren. Es ist nicht die Aufgabe der Rechtsordnung, einem Unternehmer insoweit bestimmte Reaktionen vorzugeben und es würde einen ohnehin schon schwierigen Schadensersatzprozess vollends überfordern, 537 Schiemann, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 249 Rn. 2, sieht dieses Prinzip als Bestandteil des deutschen ordre public an; kritisch dagegen Thüsing, Wertende Schadensberechnung, S. 423 ff., jeweils m.w.Nachw. 538 Monopolkommission, Sondergutachten 41, Rn. 68. Genau umgekehrt argumentieren Berrisch/Burianski, WuW 2005, 878, 886, die in der Weiterwälzung des Schadens eine überobligationsmäßige Anstrengung des Geschädigten sehen wollen. Reich, WuW 2008, 1046, 1053 will danach differenzieren, ob die Abwälzung des Schadens durch den Geschädigten seiner Schadensminderungsobliegenheit entspreche oder ob die Abwälzung auf überobligationsmäßigen Anstrengungen beruht. Kießling, GRUR 2009, 733, 736 will aus § 254 Abs. 2 S. 1 BGB die »Verpflichtung« des Schädigers ableiten, »sich um Vorteile zu bemühen«, also eine Abwälzung vorzunehmen.
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wenn in Rahmen der Schadensberechnung unternehmerische Zweckmäßigkeitsentscheidungen justiziabel wären. Im Übrigen lässt sich schon daran zweifeln, ob es sich bei der »Schadenabwälzung« tatsächlich um eine taugliche Maßnahme Schadensminderung handelt. Denn der wirtschaftliche Nachteil wird nicht behoben, sondern verschoben. cc) Potenzierung der Schadensersatzhaftung? Mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar wäre es, einen Schadensersatz des Direktabnehmers im Falle einer erfolgreichen Abwälzung mangels Schaden zu verneinen und zugleich eine Anspruchsberechtigung weiterer Betroffener abzulehnen. Damit würden die Vorgaben des EuGH klar konterkariert539, weil die praktische Wirksamkeit des Schadensersatzes beeinträchtigt wäre. Im Schrifttum wird verbreitet eine Interdependenz zwischen der Problematik des Abwälzungseinwandes und der Anspruchsberechtigung mittelbar Betroffener angenommen540. Diese wechselseitige Abhängigkeit wird damit begründet, dass nur auf diese Weise eine mehrfache Inanspruchnahme des Verletzers zu vermeiden ist. Folgt man der hier vertretenen Ansicht, wonach es grundsätzlich nicht auf die Unterscheidung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Betroffenheit ankommen kann541, wäre folgerichtig der Einwand der Schadensabwälzung als beachtlich anzusehen. Indessen erweist sich die Prämisse einer solchen Interdependenz zwischen Anspruchsberechtigung und Beachtlichkeit der Schadensabwälzung als angreifbar542. Richtig ist, dass bei einer Anspruchsberechtigung nur unmittelbar Betroffener die Beachtlichkeit der Schadensabwälzung zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers führen könnte. Dem Schädiger käme dann nämlich zugute, dass der Direktabnehmer den wirtschaftlichen Nachteil auf diejenigen Marktakteure verschiebt, die ihrerseits nicht anspruchsberechtigt wären und den Schädiger aus Rechtsgründen nicht in Anspruch nehmen können. Eine solche Lösung wäre rechtspolitisch verfehlt. Die privatrechtliche Sanktionierung eines wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens würde gleichsam ins Leere laufen, wenn und weil der Kartellrechtsverstoß über den Direktabnehmer hinaus nachteilige Wirkungen auf der folgenden Absatzstufe (und möglicherweise sogar darüber hinaus) hervorruft. Etwas überspitzt gesagt kommt der Kartelltäter privatrechtlich unge539
Drexl, in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, S. 223,
257. 540 Brinker/Balssen, in: Festschrift für Bechtold, S. 69, 77 ff.; Bulst, EWS 2004, 62, 63; Dittrich, GRUR 2009, 123, 125 ff.; Hartog/Noack, WRP 2005, 1396, 1403 f.; Kießling, GRUR 2009, 733, 734 ff.; Lutz, WuW 2005, 718, 728; Loewenheim, in: Liber Amicorum für Riesenkampff, 87, 90; Petrucci, E.C.L.R. 2008, 33, 34 ff.; Roth, in: Festschrift für Huber, S. 1133, 1162 f.; K. Westermann, in: Festschrift für H.P. Westermann, S. 1605, 1622 ff.; eingehend zu den unterschiedlichen »Kombinationsmöglichkeiten« Görner, Die Anspruchsberechtigung der Marktbeteiligten nach § 33 GWB, S. 204 ff. 541 Oben C. II 6., S. 376 ff. 542 Ebenfalls ablehnend Keßler, WRP 2006, 1061, 1068; zweifelnd Schütt, WuW 2004, 1123, 1128.
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schoren davon, weil es ihm gelingt, den Schaden dorthin zu verschieben, wo keine deliktischen Ansprüche mehr zu befürchten sind. Umgekehrt stellt sich allerdings die Frage, ob eine Schadensabwälzung stets beachtlich sein muss, wenn – wie hier vertreten – mittelbar Betroffene prinzipiell als anspruchsberechtigt angesehen werden. In diesem Zusammenhang wird vor allem auf eine drohende mehrfache Inanspruchnahme des Schädigers bzw. eine Vervielfachung des zu leistenden Schadensersatzes hingewiesen, die vermieden werden müssten543. Auch die Kommission befürchtet eine unbillige Mehrfachentschädigung und eine ungerechtfertigte Bereicherung der Abnehmer, wenn der Einwand der Schadensabwälzung generell verwehrt werde544. Eine drohende Vervielfachung des Schadensersatzes erscheint auf den ersten Blick als ein gewichtiges Argument, würden damit doch die Grenzen einer auf Restitution und Kompensation gerichteten Schadensersatzhaftung besonders deutlich überschritten. Indessen liegen die Dinge keineswegs so eindeutig, wie dies auf den ersten Blick scheint. Zunächst bedarf es einer kritischen Betrachtung der oft behaupteten Mehrfach- oder Vielfachhaftung. Diese Begriffe sind plakativ, aber inhaltlich unklar. Zu unterscheiden ist zwischen einer quantitativen und einer qualitativen Vervielfachung von Schadensersatzansprüchen. Die quantitative Vervielfachung betrifft das Problem von Massenschädigungen. In einem solchen Fall droht keine Mehrfachhaftung der Schädigers und keine Vervielfachung des Schadens. Der Schädiger muss den tatsächlich eingetretenen Schaden eines jeden Geschädigten ersetzen. Bei einer Vielzahl von Betroffenen droht in Wahrheit eine Vervielfachung der Kläger und der damit einhergehenden Klagen. Eine Durchbrechung schadensrechtlicher Strukturen droht hingegen nicht. Auch verdient ein Unternehmen, das durch wettbewerbsbeschränkende Praktiken eine Vielzahl von Schäden verursacht, nicht schon deswegen besonderen rechtlichen Schutz, weil es möglicherweise einer Vielzahl von Geschädigten gegenübersteht. Eine echte qualitative mehrfache Inanspruchnahme des Schädigers droht nur dann, wenn dieser denselben Schadensposten mehrfach als Schaden erstatten müsste. Infrage stehen kann dies nur für die verletzungsbedingte Preiserhöhung, wenn diese sich auf mindestens zwei Absatzstufen auswirkt: Ein Lebensmittelproduzent erwirbt beispielsweise die »kartellbefangenen« Vitamine zum überhöhten Kartellpreis und er veräußert die hergestellten Lebensmittel wiederum zu einem höheren Preis an seine Abnehmer. Es ist nun denkbar, dass sowohl der Erst- oder Direktabnehmer als auch der Zweit- oder Folgeabnehmer (oder womöglich sogar noch weitere Abnehmer) den Schädiger wegen des jeweils überhöhten Preises in Anspruch nehmen, für den die Betroffenen das Erzeugnis erworben haben. Indessen droht hier keine qualitative Vervielfachung des Schadens. Denn es handelt sich bei der Preiserhöhung zwar 543 Brinker/Balssen, in: Festschrift für Bechtold, S. 69, 77; Bulst, EWS 2004, 62, 63; Dittrich, GRUR 2009, 123, 125 f.; Kießling, GRUR 2009, 733, 734; Loewenheim, in: Liber Amicorum für Riesenkampff, S. 87, 90; Lübbig, in: Münchener Kommentar, GWB, § 126 Rn. 50; Roth, in: Festschrift für Huber, S. 1133, 1163; Röhling, in: Festschrift für Huber, 1117, 1131; K. Westermann, in: Festschrift für H.P. Westermann, S. 1605, 1626. 544 Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 9.
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um dasselbe Schadensphänomen, nicht aber um »ein- und denselben Schadensposten«545. Es kann auch keine Rede von einer »willkürlichen Vervielfachung der Schadensersatzansprüche«546 sein. Vielmehr bildet die kartellbedingte Preiserhöhung auf jeder Absatzstufe ein spezifisches Schadensereignis. Ob und in welchem Maße sich die auf ein Preiskartell zurückzuführende Preiserhöhung auf nachfolgenden Absatzstufen auswirkt, ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig547. Eine dadurch bewirkte Preissteigerung bildet eine jeweils eigenständige Folge der Wettbewerbsbeschränkung. Eine verletzungsbedingte Fortsetzung von Preissteigerungen auf anderen Absatzstufen stellt für den jeweils Geschädigten einen selbstständigen wirtschaftlichen Nachteil und damit jeweils einen eigenständigen Schadensposten dar.
Rechtlich problematisch ist daher genau genommen nicht eine Mehrfach- oder Vielfachhaftung des Schädigers, sondern die mögliche Potenzierung der Schadensersatzsumme hinsichtlich der verletzungsbedingten Preiserhöhungen. dd) Stellungnahme (1) De lege lata: Unbeachtlichkeit des Abwälzungseinwands zur Verwirklichung der Anreizfunktion der Schadensersatzhaftung. De lege lata ist der Einwand der Schadensabwälzung nicht zuzulassen548. Wer den Einwand der Schadenabwälzung generell zulässt, »nimmt dem Kartelldeliktsrecht viel von seiner möglichen Wirkung«549. Aus wirtschaftstheoretischer Sicht haben Haucap/ Stühmeier jüngst dargelegt, dass die abschreckende Wirkung des Schadensersat545 Entgegen Dittrich, GRUR 2009, 123, 126. Erst recht liegt bei der Inanspruchnahme eines Schädigers durch unmittelbar und mittelbar Betroffene keine »Doppelhaftung für einen nur einmal eingetretenen Schaden« vor, wie K. Westermann, in: Festschrift für H.P. Westermann, S. 1605, 1629 annimmt. 546 Brinker/Balssen, in: Festschrift für Bechtold, S. 69, 77 Fn. 37. 547 Unter anderem sind zu berücksichtigen die Nachfrage-Elastizität auf dem nachgelagerten Markt, die Kostenstruktur und die Wettbewerbssituation der auf den nachgelagerten Markt anbietenden Unternehmen; zu den Einzelheiten: Haucap/Stühmeier, WuW 2008, 413, 421; Hellwig, in: Basedow, Private Enforcement of EC Competition Law, S. 121 ff.; Schnelle, in: Festschrift für Mailänder, S. 195, 201 f. 548 Für einen Ausschluss des Abwälzungseinwands: Berrisch/Burianski, WuW 2005, 878, 886; Lettl, ZHR 167 (2003), 473, 487 f.; ders., Kartellrecht, § 11 Rn. 102; K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Anh. 2 VO 1/2003 Rn. 30; Topel, in: Handbuch des Kartellrechts, § 50 Rn. 135; Zimmer/ Logemann, ZEuP 2009, 489, 511; für das österreichische Recht: Eilmannsberger, in: Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht, Teil 6/1, S. 171; einschränkend (nämlich bei gleichzeitigem Ausschluss der Anspruchsberechtigung mittelbar Betroffener): Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 107; Dittrich, GRUR 2009, 123, 128; Rehbinder, in: Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff, GWB, § 33 Rn. 40; Rittner/Dreher, Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, § 23 Rn. 145 f.; ablehnend: Schnelle, in: Festschrift für Mailänder, S. 195, 203. Nach alten Recht gegen eine Anrechnung von »Abwälzungsvorteilen« Köhler, GRUR 2004, 99, 102; Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 147 m.w.Nachw. Generell gegen eine Berücksichtigung einer Weiterwälzung von Schäden Huber, Fragen der Schadensberechnung, S. 96. 549 Basedow, ZWeR 2006, 794, 303; ähnlich Zimmer/Logemann, ZEuP 2009, 489, 510: Der größte Anreiz zu Schadensersatzklagen bestehe, »wenn die unmittelbaren Abnehmer den bei ihnen eingetretenen Vermögensverlust geltend machen können – und zwar auch im Fall, dass sie durch eine teilweise oder (unwahrscheinlicherweise) vollständige ›Weiterreichung‹ der Preiserhöhung letztlich bereits einen wirtschaftlichen Ausgleich erfahren haben«.
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zes empfindlich beeinträchtigt würde, wenn der Einwand der Schadensabwälzung zugelassen würde550. Den wohl wichtigsten Einwand gegen den Ausschluss des Abwälzungseinwandes bildet die Überlegung, der Geschädigte würde auf diese Weise unzulässig »bereichert«. In der Tat ist es möglich, dass der Geschädigte von der Geltendmachung des Schadensersatzanspruches profitiert, wenn er den wirtschaftlichen Nachteil erfolgreich auf seine Abnehmer abwälzt und ihm dies nicht schadensmindernd angerechnet wird. Eine solche Besserstellung ließe sich aus der isolierten Perspektive eines kartelldeliktischen Individualschutzes nur schwer rechtfertigen. Anders liegt es hingegen, wenn man akzeptiert, dass der Geschädigte mit der privatrechtlichen Sanktionierung im öffentlichen Interesse tätig wird551. Bei allen Erleichterungen, die das Gesetz für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen, insbesondere durch Folgeklagen vorsieht, ist die Geltendmachung kartelldeliktischer Schadensersatzansprüche nach wie vor mit erheblichen und oftmals nur schwer abschätzbaren Risiken verbunden. Dies gilt nicht nur für die prozessuale Durchsetzung als solche, sondern auch für etwaige Folgerisiken, z.B. wirtschaftliche Vergeltungsmaßnahmen durch den Verletzer. Wird dem Schädiger aber der Einwand der Schadensabwälzung verwehrt, dann bedeutet dies für den Geschädigten einen materiellen Anreiz zur privaten Rechtsdurchsetzung. Mit der möglichen Besserstellung des Geschädigten korrespondiert ein entsprechend höherer Schadensbetrag, der vom Schädiger zu zahlen ist, weil er sich nicht auf die Schadensabwälzung berufen kann. Auch dies lässt sich zwangslos mit dem Schutz öffentlicher Interessen erklären. Denn die insoweit höhere Schadenssumme stärkt den präventiven Charakter des kartelldeliktischen Schadensersatzanspruchs. Es ist legitim und sachgerecht, wenn die Rechtsordnung Anreize setzt, damit überhaupt ein Schadensersatzanspruch erfolgreich geltend gemacht werden kann. Denn die Alternative besteht darin, die Kartellrendite beim Verletzer zu belassen. Es bedarf jedoch einer überzeugenden Begründung, warum es prinzipiell vorzugswürdig sein soll, den Schädiger zu schonen552, während es eine »Bereicherung« des Geschädigten unter allen Umständen zu verhindern gilt. Völlig zu Recht attestiert Wagner einem so verstandenen Schadensrecht Einäugigkeit553. Wenn die Rechtsordnung vor der Wahl steht, entweder den Geschädigten zu »bereichern« oder den Schädiger zu entlasten, sollte die Entscheidung nicht denjenigen benachteiligen, der sich für die Bekämpfung des Rechtsverstoßes ein550 Haucap/Stühmeier, WuW 2008, 413, 422 f.; zu ökonomischen Aspekten siehe auch Dubow, E.C.L.R. 2003, 238 ff. 551 In diese Richtung auch Glöckner, WRP 2007, 490, 495. 552 Ähnlich Zimmer/Logemann, ZEuP 2009, 489, 511: Es dürfe nicht vergessen werden, dass eine ineffektive Ausgestaltung von Ansprüchen der Abnehmerseite letztlich zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Schädiger und damit gleichfalls zu einem Ergebnis führe, das mit dem Regelungsziel der Kompensation nicht vereinbar sei. 553 Wagner, in: Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, S. 605, 616; ders., AcP 206 (2006), 352, 407.
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setzt, sondern zuungunsten desjenigen getroffen werden, der den Rechtsverstoß begeht. Auf das Kartellrecht übertragen: Der Kartelltäter sollte nicht davon profitieren, dass es dem Erstgeschädigten gelingt, seinen Nachteil auf andere Wirtschaftsstufen abzuwälzen554. Diese Überlegungen geben Anlass, § 33 Abs. 3 S. 2 GWB in einem anderen Licht zu betrachten. Die Norm hat, versteht man sie im Sinne der amtlichen Materialien, keinen nennenswerten Anwendungsbereich555. Daher ist zu erwägen, die Vorschrift – im Sinne des ursprünglichen Ansatzes des Referentenentwurfs – auf die Gesamtproblematik der Weiterveräußerung von überteuerten Waren oder Dienstleistungen, und zwar einschließlich des Abwälzungseinwands, zu erstrecken556. Die Textfassung der Vorschrift, wonach der Schaden durch eine Weiterveräußerung »nicht ausgeschlossen« ist, lässt eine solche Interpretation ohne Überschreiten des Wortsinns zu. Das steht zwar nicht im Einklang mit den Überlegungen des Gesetzgebers zum Normzweck, doch ist der Wille des Gesetzgebers nicht bindend. Im Übrigen halten die amtlichen Materialen fest, dass überwiegend »bereits jetzt« die Auffassung vertreten werde, dass eine Vorteilsausgleichung im Falle der Schadensabwälzung nicht in Betracht komme557. Der Gesetzgeber hielt es also offenbar gerade nicht für notwendig, insoweit eine rechtliche Korrektur vorzunehmen. (2) De lege ferenda: Innenausgleich zwischen den Geschädigten unterschiedlicher Absatzstufen sowie Konzentration von Schadensersatzklagen. Bislang ist die Inanspruchnahme eines Verletzers durch mehrere Geschädigte unterschiedlicher Marktstufen ein rein »akademisches Problem«558. Wenn die private Klagetätigkeit in Zukunft deutlich zunehmen sollte und dabei insbesondere Geschädigte unterschiedlicher Marktstufen Schadensersatz neben- oder nacheinander von einem Verletzer verlangen, dann ist zu fragen, ob de lege ferenda nicht abweichende Regelungsmodelle geschaffen werden sollten, um eine unverhältnismäßige Schadensersatzhaftung des Schädigers zu vermeiden. Bei einer deutlichen Zunahme der privaten Klagetätigkeit würde zugleich das Bedürfnis nach wirtschaftlichen Anreizen durch die Rechtsordnung sinken, sodass ein wesentlicher Legitimationsgrund für den generellen Ausschluss des Abwälzungseinwands entfiele. Vorzugswürdig erscheint dabei eine Innenausgleichs- und Anrechnungslösung, wonach zwischen den Geschädigten verschiedener Absatzstufen ein inter554
Drexl, in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, S. 223,
258. 555
Oben, II. 2. a), S. 396 ff. In diesem Sinne bereits Alexander, JuS 2007, 109, 112 f. und wohl auch Bechtold, GWB, § 33 Rn. 26 f.; K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Anh. 2 VO 1/2003, Rn. 30. 557 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit, BT-Drucks. 15/5049, S. 48. 558 Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 329; ähnlich Basedow, ZWeR 2006, 294, 303 f. 556
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ner Ausgleich ermöglicht wird559. Eine solche Lösung muss berücksichtigen, dass die Geschädigten infolge des Kartellrechtsverstoßes eine »gestufte Gefahrengemeinschaft« bilden. Eine Preiserhöhung auf den nachfolgenden Absatzstufen beruht nicht allein auf dem Verhalten des Verletzers, sondern auf dem – rechtlich zulässigen, aber eben »gefahrerhöhenden« – Verhalten des in der Absatzkette Vorgeschädigten. Sämtliche Geschädigte können dabei grundsätzlich direkt gegen den Schädiger vorgehen. Sofern aber der Geschädigte einer vorgelagerten Absatzstufe vom Schädiger bereits Schadensersatz erlangt hat, muss sich ein ebenfalls geschädigter Folgeabnehmer hinsichtlich des auf ihn übergewälzten Preisaufschlages an seinen Vordermann halten und von diesem Ausgleich verlangen. Denn im Verhältnis zwischen Verletzer und Abnehmer gelten andere Wertungen als zwischen Abnehmern verschiedener Absatzstufen untereinander560. Hat umgekehrt ein mittelbar betroffener Folgeabnehmer bereits erfolgreich Schadensersatz geltend gemacht und geht erst danach der Vorgeschädigte gegen den Verletzer vor, dann kann dieser den an den Folgeabnehmer geleisteten Schadensersatz in Anrechnung bringen, soweit der Vorgeschädigte seinem Abnehmer im Innenverhältnis zum Ausgleich verpflichtet gewesen wäre. Um eine solche Ausgleichs- und Anrechnungslösung zu begründen, bedarf es einer speziellen gesetzlichen Regelung, da auf Basis des geltenden Rechts ein Innenausgleich zwischen den Geschädigten verschiedener Absatzstufen nicht zu begründen ist. Ein Ausgleich auf vertraglicher Ebene vermag nicht zu überzeugen, weil das Vertragsrecht damit zum Zwecke eines deliktischen Innenausgleichs umfunktioniert würde. Dies gilt insbesondere für die im Schrifttum561 vorgeschlagene Konstruktion eines Rückgriffs auf das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Danach soll die Vorstellung der Parteien, wonach der vereinbarte Preis auf einem (ohne Kartellrechtsverstoß zustande gekommenen) Wettbewerbspreis beruht, die Geschäftsgrundlage ihrer Verträge bilden. Im Falle eines verletzungsbedingt »verzerrten« Preises erweise sich diese Annahme als fehlerhaft, sodass der Preis anzupassen sei562. Dagegen spricht, dass dieser Weg zu einer im Geschäftsverkehr nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheit führen würde. Denn infolge eines Kartellrechtsverstoßes wären möglicherweise sämtliche Folgeverträge zwischen nachfolgenden Marktstufen gleichsam »infiziert«. Es droht eine abstatzstufenübergreifende Korrektur einer Vielzahl von Verträgen. Dies steht aber im Widerspruch zu dem anerkannten Grundsatz, dass Folgeverträge563 aus Gründen 559 In diese Richtung auch Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 59. Die genau umgekehrte Situation stellt sich im Falle einer Verletzerkette, wenn ein Geschädigter verschiedene Verletzer jeweils auf Herausgabe des Verletzergewinns in Anspruch nimmt, siehe dazu BGH vom 14.5.2009, WRP 2009, 1129 Tz. 73 ff. – Tripp-Trapp-Stuhl. 560 Drexl, in: Festschrift für Canaris, S. 1339, 1359. 561 Al-Deb’i/Krause, ZGS 2006, 20, 24 f. 562 Al-Deb’i/Krause, ZGS 2006, 20, 25. 563 Mit Folgeverträgen sind dabei Verträge gemeint, die von den Kartellmitgliedern in Ausführung der Kartellabsprache mit unbeteiligten Dritten abgeschlossen werden, z.B. Liefer- und Kaufverträge zu den kartellbestimmten Bedingungen; siehe nur Bunte, in: Langen/Bunte, GWB, § 1 Rn. 297.
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der Rechtssicherheit von den Wirkungen eines Kartellrechtsverstoßes unberührt bleiben, sofern nicht der Vertrag selbst als kartellrechtswidrig anzusehen ist564. Die Verträge zwischen unmittelbaren und mittelbaren Abnehmern wären zwar nicht nichtig, doch könnten sich die Parteien gerade nicht mehr auf den Inhalt der Verträge verlassen, weil sie stets damit rechnen müssten, dass infolge der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen im Wege der Vertragskorrektur über § 313 BGB Änderungen des Vertragsinhalts drohen. Das auf Ausnahmefälle zugeschnittene Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage würde damit schlicht überfordert. Zudem beruht die Annahme, die Parteien setzten einen unverfälschten Marktpreis als Geschäftsgrundlage voraus, auf bloßer Fiktion565. Für außervertragliche Ausgleichslösungen gibt es ebenfalls keine passende Rechtsgrundlage566. Deliktische oder bereicherungsrechtliche Ansprüche der Folgeabnehmer gegenüber der vorgelagerten Absatzstufe scheitern daran, dass die »Abwälzung« der überhöhten Preise nicht rechtswidrig ist567. Auch besteht zwischen den Geschädigten verschiedener Absatzstufen kein Verhältnis der Gesamtgläubigerschaft568. Drexl schlägt deswegen eine Ergänzung von § 33 Abs. 3 (nach Satz 2), folgenden Inhalts vor: »Soweit sich danach eine Verpflichtung zur Schadenersatzleistung gegenüber Abnehmern unterschiedlicher Absatzstufen ergibt, sind diese Abnehmer als Gesamtgläubiger berechtigt. Im Innenverhältnis ist der Abnehmer der vorgelagerten Stufe verpflichtet, seinem Abnehmer Ausgleich zu leisten, soweit er die Ware oder Dienstleistung zu einem überhöhten Preis weiterveräußert hat«569.
Diese Lösung hat den Vorteil, dass der Geschädigte nur einmal und auf die gesamte Schadenssumme in Anspruch genommen wird. Problematisch ist allerdings, dass sich die gesamte Schadenssumme aller Geschädigten nur selten bestimmen lassen wird und die Gesamtgläubiger nahezu immer in eine – womög564 RG vom 22.5.1931, RGZ 133, 51, 58; BGH vom 4.5.1956, WuW/E BGH 152, 153 – Spediteurbedingungen; OLG Celle vom 15.2.1963, WuW/E OLG 559, 560 f. – Brückenbauwerk; OLG Frankfurt/M. vom 4.4.1963, WuW/E OLG 629, 630 – Öfen; OLG Stuttgart vom 26.11.1982, WuW/E OLG 2803, 2804 f. – Neubau Bürgerzentrum; OLG Düsseldorf vom 30.7.1987, WuW/E OLG 4182, 4184 – Delkredere-Übernahme; Bechtold, GWB, § 1 Rn. 73 und § 20 Rn. 64; Bunte, in: Langen/Bunte, GWB, § 1 Rn. 296 f.; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 115; J.B. Nordemann, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GWB, § 1 Rn. 256. Anders zum alliierten Dekartellierungsrecht BGH vom 23.9.1955, NJW 1956, 68 f. (in dieser Entscheidung nimmt das Gericht Teilnichtigkeit an). Kritisch zum Grundsatz der Wirksamkeit von Folgeverträgen Säcker, ZWeR 2008, 348, 353. 565 Görner, Die Anspruchsberechtigung der Marktbeteiligten nach § 33 GWB, S. 225. 566 Drexl, in: Festschrift für Canaris, Bd. I, S. 1339, 1355 ff. untersucht dabei die Anwendung der Grundsätze der Drittschadensliquidation, die Anwendung des Bereicherungsrechts und schließlich die Regeln über Gläubigermehrheiten. 567 Rittner/Dreher, Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, § 23 Rn. 146. Anders aber Säcker, ZWeR 2008, 348, 353 f., der von der (Teil-)Unwirksamkeit der Folgeverträge ausgeht und einen bereicherungsrechtlichen Anspruch aus § 812 BGB bejaht. 568 Anders Görner, Die Anspruchsberechtigung der Marktbeteiligten nach § 33 GWB, S. 227. 569 Drexl, in: Festschrift für Canaris, Bd. I, S. 1339, 1359
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lich aufwendige – Auseinandersetzung gezwungen werden. Deswegen ist zu erwägen, Schadensersatzklagen mehrerer Geschädigter von Anfang an zu koordinieren und zu konzentrieren. In diese Richtung tendieren auch die Überlegungen der Kommission im Weißbuch, die Gruppen- und Verbandsklagen einführen möchte570. Detaillierte Vorschläge zu einer Verfahrenskonzentration wurden im Schrifttum bereits unterbreitet571. Insbesondere das Präklusionsmodell von Linder verdient dabei nähere Beachtung572. Linder schlägt vor, die Klagen aller Geschädigten in einem einzigen Verfahren zusammenzufassen. Sämtliche Opfer eines Kartellrechtsverstoßes können sich an diesem Verfahren beteiligen. Verzichten sie aber darauf, dann sind sie von der Geltendmachung ihrer Schäden ausgeschlossen573. b) Offensive Abwälzungsproblematik Da mittelbar Betroffene von der Geltendmachung kartelldeliktischer Schadensersatzansprüche nicht grundsätzlich ausgeschlossen sind, ergibt sich aus der Abwälzung überhöhter Preise auf nachgeordnete Absatzstufen ein weiteres Problem. Wenn die mittelbar Geschädigten eine verletzungsbedingte Preiserhöhung als Schaden geltend machen wollen, dann müssen sie nachweisen, dass verletzungsbedingte Preisaufschläge tatsächlich auf sie abgewälzt wurden. Mit zunehmender Distanz zur Verletzungshandlung und infolge fehlender Kenntnisse über die Preiskalkulation ihrer Marktpartner wird den Geschädigten dieser Nachweis große Schwierigkeiten bereiten. Um die Rechtsdurchsetzung zu erleichtern, schlägt die Kommission im Weißbuch eine Beweiserleichterung vor. Danach sollen sich indirekte Abnehmer auf die widerlegliche Vermutung berufen können, der rechtswidrige Preisaufschlag sei in vollem Umfang auf sie abgewälzt worden574. Eine solche Beweiserleichterung ist prozessual als Anscheinsbeweis anzusehen und könnte bruchlos in die zivilverfahrensrechtliche Dogmatik integriert werden. Der zugrunde liegende Erfahrungssatz besagt, dass verletzungsbedingte Preiserhöhungen typischerweise an nachfolgende Marktstufen weitergegeben werden. Dass ein solcher Erfahrungssatz die Komplexität des Wettbewerbsgeschehens notwendigerweise stark verkürzt und vereinfacht, muss dabei hingenommen werden. De lege ferenda wäre freilich eine Einschränkung erforderlich, wenn man dem oben vorgeschlagenen Modell einer Innenausgleichs- und Anrechnungslösung folgt. Dann nämlich müsste sich ein Folgeabnehmer ggf. zunächst an den Vorgeschädigten halten. 570
Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 4 f. Näher zu den derzeit diskutierten Regelungsmodellen Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 334 ff. 572 Linder, Privatklage und Schadensersatz im Kartellrecht, S. 161 ff. entwickelte Präklusionsmodell. Zu den Schwächen dieses Vorschlags Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 337 ff. 573 Linder, Privatklage und Schadensersatz im Kartellrecht, S. 166 f. 574 Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 9. 571
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2. Schadenskorrektive im überindividuellen Interesse Überindividuelle Interessen können im Rahmen der Haftungsausfüllung haftungsschärfend oder haftungsmindernd zu berücksichtigen sein. Beide Varianten werden im Kartellrecht diskutiert, sind aber mit Zurückhaltung zu bewerten. a) Haftungsverschärfung durch mehrfachen Schadensersatz? Der Gedanke eines mehrfachen Schadensersatzes weckt in Deutschland – außerhalb des Kartellrechts und weniger Sonderbereiche575 – schnell Befremden und Ablehnung576. Im Kartellrecht wird mehrfacher Schadensersatz dagegen nicht erst seit der siebenten GWB-Novelle als Option ernsthaft diskutiert577. Beflügelt wird die Debatte durch den rechtsvergleichenden Blick auf das US-amerikanische Recht, das bei Kartellrechtsverstößen die Möglichkeit dreifachen Schadensersatzes kennt578. Die Monopolkommission empfahl in ihrem Sondergutachten zur GWB-Novelle 2005 eine Verdopplung des Schadensersatzes579; Hempel befürwortet sogar – nach dem Vorbild des US-amerikanischen Rechts – einen dreifachen Schadensersatz580. Wagner schlägt vor, zunächst durch Studien die Wahrscheinlichkeit der Durchsetzung privater Ansprüche bei Kartellrechtsverstößen aufzuklären und darauf aufbauend einen Multiplikator zu bestimmen, der bei verschiedenen Arten von Wettbewerbsbeschränkungen auch unterschiedlich sein könne581. Roth hält einen doppelten oder mehrfachen Schadensersatz in »Hard-core«-Fällen für denkbar582. Der Josten-Entwurf von 1949 hatte sogar einen Schadensersatz in Höhe des fünffachen Betrages des nachgewiesenen oder vom Gericht nach freier Überzeugung angenommenen Schadens vorgesehen583. Für den Geschädigten kann eine Vervielfachung des Schadensersatzes zweifelsohne einen zusätzlichen Anreiz zur privaten Rechtsverfolgung darstellen. Es 575 BGH vom 24.6.1955, BGHZ 17, 376 ff. – GEMA und BGH vom 10.3.1972, BGHZ 59, 286 ff. – Doppelte Tarifgebühr; siehe auch die gesetzlichen Regelungen in §§ 54e Abs. 2 und 54f Abs. 3 UrhG. Eingehend zur Problematik Dreier, Kompensation und Prävention, S. 293 ff. 576 Zur Problematik siehe bereits oben, § 3. B. II. 3., S. 145 ff. 577 Zur früheren Diskussion siehe nur Steindorff, ZHR 138 (1974), 504, 515. 578 Section 4 (a) Clayton Act: »any person who shall be injured in his business or property by reason of anything forbidden in the antitrust laws may sue therefor in any district court of the United States in the district in which the defendant resides or is found or has an agent, without respect to the amount in controversy, and shall recover threefold the damages by him sustained, and the cost of suit, including a reasonable attorney’s fee«; zu den Einzelheiten Hempel, Privater Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 200 ff. m.w.Nachw. 579 Monopolkommission, Sondergutachten 41, Rn. 75 ff., 83. 580 Hempel, WuW 2004, 362, 371. 581 Wagner, in: Eger/Schäfer, Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, S. 605, 646 ff., 650. Ähnlich hält Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 326 ff., 344, 358 bei Schadensersatzansprüchen von Direktabnehmern eine Erhöhung des Schadensersatzes durch einen vom Gericht zu bestimmenden Faktor für möglich. 582 Roth, in: Basedow, Private Enforcement of EC Competition Law, S. 61, 79 f. 583 § 26 Abs. 3 S. 1 des Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung des Leistungswettbewerbs.
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ist davon auszugehen, dass ein Geschädigter den schwierigen Weg der privaten Rechtsdurchsetzung nur gehen wird, wenn er sich davon einen Vorteil verspricht. Die mit der Rechtsdurchsetzung verbundenen Risiken und etwaige Folgerisiken für den Kläger werden durch den einfachen Schadensersatz oftmals nicht vollständig aufgefangen; eine Vervielfachung des Schadensersatzes könnte gewissermaßen als »Risikoprämie« für den Geschädigten angesehen werden584. Außerdem könnte eine Vervielfachung des Schadensersatzes einen Anreiz für das Opfer geben, selbst in schwierigen Fällen eine private Rechtsverfolgung zu wagen. Zugleich ist mit einer Vervielfachung des Schadensersatzes eine erhebliche Verstärkung der Sanktionswirkung von Schadensersatzansprüchen verbunden. Mehrfacher Schadensersatz kann schließlich Sanktionsdefizite ausgleichen oder verhindern, die sich aus einer geringen Wahrscheinlichkeit der Rechtsverfolgung ergeben. Geht ein Schädiger davon aus, dass der Rechtsverstoß mit großer Wahrscheinlichkeit nicht verfolgt wird, dann wird die Schadensersatzpflicht keine abschreckende Wirkung auf ihn haben, es sei denn, die geringe Wahrscheinlichkeit eines privatrechtlichen Vorgehens wird durch eine Vervielfachung des zu leistenden Schadensersatzes ausgeglichen585. Koppelt man die Vervielfachung des Schadensersatzes an die Wahrscheinlichkeit der Rechtsdurchsetzung, dann handelt es sich nicht um einen echten »Strafschadensersatz«. Denn die Rechtsordnung gewährleistet damit nur, dass der tatsächlich verursachte Schaden vom Schädiger zu ersetzen ist, ohne ihn jedoch darüber hinaus zu »bestrafen«. Wird etwa nur jeder zweite Kartellrechtsverstoß aufgedeckt, dann wäre der Schadensersatzbetrag zu verdoppeln, würde nur jede dritte Zuwiderhandlung entdeckt, wäre der Schadensersatzbetrag zu verdreifachen usw.586 Erscheint eine solche Lösung auf den ersten Blick einleuchtend, gestaltet sich die rechtliche Umsetzung jedoch sehr schwierig. Die Multiplikationslösung steht und fällt mit der Erkenntnis, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung der Wettbewerbsbeschränkung und eines privatrechtlichen Vorgehens im Einzelnen ist. Hierzu bedürfte es aufwendiger Studien, die ein ohnehin schon schwieriges Schadenersatzverfahren vollends überfordern könnten. Zudem wird man die Wahrscheinlichkeit der Rechtsverfolgung kaum einzelfallbezogen feststellen können, weil diese ihrerseits von ganz unterschiedlichen Faktoren abhängig ist. Allenfalls wäre deswegen zu überlegen, den Faktor anhand typischer Fallgruppen zu bestimmen. Der Faktor müsste zudem nach oben hin begrenzt werden, weil anderenfalls exorbitante Schadenssummen drohen587. Die 584 Monopolkommission, Sondergutachten 41, Rn. 75; ähnlich Roth, in: Basedow, Private Enforcement of EC Competition Law, S. 61, 80: »A claim for double or multiple damages may be justified as an compensation for the expenses encountered by claimant and his risk that he may lose his case«. 585 Monopolkommission, Sondergutachten 41, Rn. 76. 586 Wagner, in: Eger/Schäfer, Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, S. 605, 647. 587 Wagner, in: Eger/Schäfer, Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, S. 605, 651.
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Bestimmung des Faktors ist schließlich zwangsläufig mit einer arithmetischen Unsicherheit behaftet. Der Multiplikator wäre umso höher anzusetzen, je geringer die Durchsetzungswahrscheinlichkeit ist; umgekehrt erhöht sich aber die Durchsetzungswahrscheinlichkeit mit dem Anstieg des Multiplikators. Eine Vervielfachung des Schadensersatzes bedürfte einer gesetzgeberischen Maßnahme und erfordert damit eine rechtspolitische Grundsatzentscheidung. Eine pauschale Vervielfachung des Schadensersatzes würde die Grenzen der flexiblen §§ 249 ff. BGB sprengen. Angesichts der geradezu ängstlichen Bemühungen des Gesetzgebers, im Zuge der Neugestaltung der privatrechtlichen Sanktionen durch die siebte GWB-Novelle eine übermäßige Belastung des Schädigers zu vermeiden, müssen die Aussichten für eine Einführung mehrfachen Schadensersatzes derzeit als gering angesehen werden. Vom Gemeinschaftsrecht sind entsprechende Anstöße nicht zu erwarten. Der Äquivalenzgrundsatz des Gemeinschaftsrechts verlangt nur, dass ein mehrfacher Schadensersatz, wenn dieser für nationale Kartellrechtsverstöße vorgesehen ist, auch bei Verletzungen des EGKartellrechts zur Anwendung kommt588. Doch verlangt das Gemeinschaftsrecht nicht die Existenz eines mehrfachen Schadensersatzes. Die Äußerungen der Kommission im Weißbuch lassen überdies erkennen, dass sie eine Mehrfachentschädigung für unbillig hält und nicht anstrebt589. Insgesamt ist derzeit ein dringendes rechtspolitisches Bedürfnis für die Einführung eines mehrfachen Schadensersatzes nicht zu erkennen590. Vielmehr sollte kurz- und mittelfristig abgewartet werden, wie sich die private Rechtsdurchsetzung im Kartellrecht in der Praxis entwickelt. Bislang liegen auf nationaler Ebene schlicht zu wenige Erfahrungen mit der neuen Rechtslage vor. Auch sollte abgewartet werden, ob und wie die Kommission ihre im Weißbuch dargelegten Pläne umsetzt und wie die Praxis darauf reagiert. b) Haftungsprivileg für Kronzeugen? Überindividuelle Interessen müssen nicht zwingend nur schadenserhöhend berücksichtigt werden. Es kann umgekehrt danach zu fragen sein, ob in bestimmten Fällen eine Haftungserleichterung für den Schädiger sachgerecht ist. Dieses Problem stellt sich, wenn der Schädiger an der Aufklärung von wettbewerbsbeschränkenden Praktiken mitwirkt, sie vielleicht überhaupt erst in Gang bringt und deswegen – im Rahmen eines behördlichen Verfahrens – in den Genuss einer Sonderstellung als Kronzeuge kommt. Das Gemeinschaftskartellrecht und viele nationale Kartellrechtsordnungen kennen – angelehnt an US-amerikanische Erfahrungen bei der Verfolgung von Kartellrechtsverstößen591 – Kronzeugenprogramme592. Im Gemeinschaftsrecht 588
EuGH vom 13.7.2006, Slg. 2006, I-6619 Rn. 93 – Manfredi. Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 9; dazu auch Becker, in: Die Europäisierung des Kartell- und Lauterkeitsrechts, S. 15, 24 ff. 590 Ebenfalls ablehnend Böge/Ost, E.C.L.R. 2006, 197, 202. 591 Stockmann, in: Festschrift für Bechtold, S. 559, 560 f. 592 Zu den verschiedenen Kronzeugenprogrammen Blake/Schnichels, EuZW 2004, 551 ff. 589
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und in Deutschland gibt es hierzu keine gesetzliche Grundlage. Die Einzelheiten sind rechtlich unverbindlichen Bekanntmachungen der Kommission593 und des Bundeskartellamtes594 zu entnehmen. Danach kann die Mitwirkung als Kronzeuge bei der Aufdeckung und Aufklärung eines Kartellrechtsverstoßes im Rahmen der Entscheidung über ein Bußgeld berücksichtigt werden. Möglich sind eine Ermäßigung des Bußgeldes oder sogar ein völliger Verzicht auf ein Bußgeld. In Österreich findet sich eine gesetzliche Regelung in § 11 Abs. 3 WettbG595. Das Ziel solcher Kronzeugenregelungen besteht darin, durch ein Absehen oder eine Ermäßigung von Geldbußen an einem Kartellrechtsverstoß Beteiligte zu motivieren, Rechtsverstöße aufzudecken und an der Aufklärung mitzuwirken. Ohne Kronzeugenprogramme könnten Kartellrechtsverstöße vielfach nicht erkannt und bekämpft werden. aa) Konfliktfelder zwischen Kronzeugenprogrammen und privatrechtlichen Sanktionen Kronzeugenregelungen und private Rechtsdurchsetzung stehen in einem Spannungsverhältnis. Ohne eine inhaltliche Abstimmung beide Mechanismen drohen Reibungsverluste. Wenn ein Unternehmen als Kronzeuge an der Aufdeckung einer Wettbewerbsbeschränkung mitwirkt, kann es einerseits – sofern die notwendigen Voraussetzungen vorliegen – mit der Ermäßigung oder sogar dem Erlass einer Geldbuße rechnen. Andererseits schafft der Kronzeuge das Risiko, dass seine Aufklärung Geschädigten den Weg zu Klagen bereitet. Der Kronzeuge muss Folgeklagen Geschädigter einkalkulieren, die sich vielleicht gerade auf die Informationen stützen, die er beigebracht hat. Ermäßigung oder Erlass einer Geldbuße im Zuge des Kronzeugenprogramms nützen aber dem kooperierenden Unternehmen wenig, wenn anschließend möglicherweise Schadenersatzklagen mit Ansprüchen in noch größeren Dimensionen drohen596. Das wiederum kann dazu führen, dass Kronzeugenregelungen weniger attraktiv werden und damit ein Aufdecken von wettbewerbsbeschränkenden Praktiken erschwert wird. 593
Kommission, Mitteilung 2006/C 298/11. BKartA, Bekanntmachung Nr. 9/2006. 595 Die Vorschrift lautet: »Die Bundeswettbewerbsbehörde kann davon Abstand nehmen, die Verhängung einer Geldbuße gegen Unternehmer oder Unternehmensvereinigungen zu beantragen, die 1. ihre Mitwirkung an der Zuwiderhandlung gegen § 1 KartG 2005 oder Art. 81 Abs. 1 EGV eingestellt haben, 2. die Bundeswettbewerbsbehörde über diese Zuwiderhandlung informieren, bevor sie von dem Sachverhalt erfährt, 3. in der Folge uneingeschränkt und zügig mit der Bundeswettbewerbsbehörde zwecks vollständiger Aufklärung des Sachverhalts zusammenarbeiten und 4. andere Unternehmer oder Unternehmensvereinigungen nicht zur Teilnahme an der Zuwiderhandlung gezwungen haben. War der Sachverhalt der Bundeswettbewerbsbehörde bereits bekannt, so kann sie bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eine geminderte Geldbuße beantragen. Die Bundeswettbewerbsbehörde hat den Bundeskartellanwalt zu benachrichtigen, wenn sie keine oder eine geminderte Geldbuße beantragt«. Zu den Einzelheiten dieser Kornzeugenregelung Thyri, Kartellrechtsvollzug in Österreich, Rn. 242 ff. 596 Bauer, ecolex 2007, 357; Böge, in: Basedow, Private Enforcement of EC Competition Law, S. 217, 220 ff.; Eilmannsberger, CML Rev. 44 (2007), 431, 435 ff.; Soltész, WuW 2006, 769; Ritter, WuW 2008, 762, 773; Stockmann in: Festschrift für Bechtold, S. 559, 568 ff. 594
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Dieses Spannungsverhältnis ist komplex und betrifft im Einzelnen unterschiedliche Konfliktfelder597, die nach differenzierenden Lösungsansätzen verlangen. Vor allem zwei Kernprobleme bedürfen der Lösung: Zum einen ist problematisch, wie die Behörde mit Informationen umgeht, die sie von Kronzeugen erlangt hat. Zum anderen ist fraglich, ob das Auftreten als Kronzeuge gegenüber der Behörde Auswirkungen auf die private Haftung des Kronzeugen haben kann. bb) Umgang mit Informationen des Kronzeugen Das erste Konfliktfeld liegt außerhalb des Gegenstandes der vorliegenden Untersuchung, sodass einige Hinweise genügen müssen. In ihrer Bekanntmachung über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der EUMitgliedstaaten bei der Anwendung der Art. 81 und 82 EG geht die Kommission davon aus, dass die Verpflichtung der Kommission zur Offenlegung von Informationen gegenüber einzelstaatlichen Gerichten nicht ausnahmslos gilt. Insbesondere wird die Kommission keine von einem Antragsteller auf Kronzeugenbehandlung freiwillig bereitgestellten Informationen ohne dessen Einverständnis an einzelstaatliche Gerichte weitergeben598. Zur Begründung stützt sich die Kommission auf die europäische Rechtsprechung, wonach sie die Übermittlung von Informationen an einzelstaatliche Gerichte aus Gründen verweigern darf, die Vorrang haben und die sich auf die notwendige Sicherung der Gemeinschaftsinteressen dienen, oder um einen etwaigen Eingriff in ihre Funktionsabläufe und ihre Unabhängigkeit, vor allem durch Gefährdung der Erfüllung der ihn übertragenen Aufgaben zu unterbinden599. Weitere Überlegungen finden sich im Weißbuch der Kommission600. Danach sollen Unternehmenserklärungen im Rahmen von Kronzeugenprogrammen besonderem Schutz unterliegen und zwar bereits dann, wenn eine Kronzeugenbehandlung beantragt wurde, unabhängig davon, ob die Kommission dem Antrag stattgibt601. cc) Haftungsrechtliche Folgen der Kronzeugeneigenschaft Die haftungsrechtliche Problematik der Kronzeugenstellung betrifft eine schwierige Gemengelage der Interessen zwischen dem Kronzeugen, der Behörde und dem oder den Geschädigten. (1) Haftungsbeschränkung des Kronzeugen im Außenverhältnis. Im Weißbuch regt die Kommission an, die Haftung von Kronzeugen, denen der Erlass einer 597
Böge, in: Basedow, Private Enforcement of EC Competition Law, S. 217, 220 ff. Kommission, Bekanntmachung C 2004/C 101/04, Rn. 26; siehe auch Blake/Schnichels, EuZW 2004, 551, 555. 599 EuGH vom 6.12.1990, Rs. C-2/88, Slg. 1990, I-4405, Rn. 10 f. – Zwartveld; EuGH vom 26.11.2002, Rs. C-275/00, Slg. 2002, I-10943, Rn. 49 – First and Franex; EuG vom 18.9.1996m Rs. T-353/94, Slg. 1996, II-921, Rn. 93 – Postbank. 600 Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 12. 601 Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 12. 598
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Geldbuße zuerkannt wurde, auf Schadensersatzansprüche ihrer direkten und indirekten Vertragspartner zu begrenzen. Dadurch würden die von einem Kronzeugen möglicherweise zu leistenden Schadensersatzzahlungen besser abschätzbar und in der Höhe begrenzt, ohne dass der Schädiger seiner Haftung »über Gebühr enthoben würde«602. Haftungsrechtlich bedeutet dies, dass der Kronzeuge im Innen- und Außenverhältnis aus der gesamtschuldnerischen Haftung mehrerer Verletzer herausgelöst wird603. Problematisch an dieser Lösung ist, dass sie zu Lasten des Opfers geht. Man könnte dies mit der Überlegung rechtfertigen, dass die Opfer ohne die Informationen des Kronzeugen vielleicht keine oder nur eine schlechte Chance gehabt hätten, gegen den oder die Schädiger vorzugehen, während sie nunmehr von der Bindungswirkung einer kartellbehördlichen Entscheidung profitieren604. Eine solche Argumentation läuft darauf hinaus, die Schutzwürdigkeit des Opfers nicht nach dem vom Täter angerichteten Schaden, sondern an dem späteren Verhalten des Täters zu beurteilen. Überspitzt formuliert: Der Geschädigte muss froh sein, bei einer Schadenersatzklage überhaupt etwas zu bekommen. Außerhalb des Kartellrechts würde man eine solche Argumentation leicht als zynisch empfinden. Dass ein geständiger Täter nicht nur mit einer Strafmilderung rechnen könnte, sondern dem Opfer ein Teil seines Schadensersatzanspruchs als »Prämie« für den Täter aberkannt wird, dürfte als allgemeiner Rechtsgedanke nur schwer vermittelbar sein und im Hinblick auf Art. 14 GG verfassungsrechtliche Bedenken aufwerfen605. Warum bei Kartellrechtsverstößen anderes gelten soll, ist schwer einzusehen. Denn an der Schutzwürdigkeit der Kartellgeschädigten, die infolge des Kartellrechtsverstoßes einen Schaden erlitten haben, ändert das spätere Verhalten des Kronzeugen nichts. Es müssen deshalb besonders überzeugende Gründe dargetan werden, wenn gerade die Opfer von Kartellrechtsverstößen eine Verschlechterung ihrer haftungsrechtlichen Position hinnehmen sollen. Zu kurz greift es, wenn nur danach gefragt wird, ob der Kronzeugenstatus für den Täter haftungsrechtlich attraktiv gemacht werden sollte. Sicher kann eine drohende Schadensersatzhaftung durch Folgeklagen die Bereitschaft, als Kronzeuge aufzutreten, beeinträchtigen. Jedoch ist umgekehrt ebenso zu bedenken, dass die Bereitschaft von Geschädigten zur privaten Klage nicht gerade gefördert wird, wenn Kronzeugen allzu großzügige Haftungsprivilegien auf Kosten der Geschädigten gewährt werden. Zu Recht wird daher warnend darauf hingewiesen, man dürfe nicht aus den Augen verlieren, wie es mit der Behandlung der Opfer im Vergleich zur Behandlung der Täter stehe606.
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Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 12. Noch enger BKartA, Diskussionspapier »Private Kartellrechtsdurchsetzung«, S. 31: Haftung nur gegenüber eigenen Vertragspartnern. 604 In diese Richtung geht aber die Argumentation von Kersting, ZWeR 2008, 252, 267. 605 Ähnlich Ritter, WuW 2008, 762, 773. 606 Stockmann in: Festschrift für Bechtold, S. 559, 573. 603
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(2) Haftungsbeschränkung nach Marktanteil; Haftungshöchstgrenzen. Eine auf seinen Marktanteil beschränkte Haftung des Kronzeugen, die etwa im Grünbuch als Option genannt wurde607, ist abzulehnen. Mit Recht wird dagegen eingewendet, dass zwischen Haftungsumfang und Marktanteil nicht zwingend eine Beziehung bestehen muss. Der Anteil des Kronzeugen an dem kartellierten Markt muss keineswegs seinem Beitrag am eingeklagten Schaden entsprechen608. Nicht weniger problematisch sind »Haftungsrabatte« oder Haftungshöchstgrenzen. Dabei sind im Einzelnen verschiedene Varianten denkbar609. Der Nachteil dieser Lösungen besteht jedoch darin, dass die Berechnung von Haftungsquoten und Haftungshöchstgrenzen die Schadensermittlung erheblich erschwert. Richtet man die Haftungsquote eines einzelnen Schädigers beispielsweise an dem durch eine Wettbewerbsbeschränkung entstandenen Gesamtschaden aus, dann müsste dieser Gesamtschaden überhaupt erst ermittelt werden. Das dürfte gerade bei vielen Geschädigten kaum zu bewältigen sein. Des Weiteren bleibt der Einwand, dass Haftungshöchstgrenzen oder Haftungsquoten letztlich zu Lasten der Opfer gehen. Sie müssten also zumindest auf einen Teil ihres Schadens zugunsten des Kronzeugens verzichten. (3) Haftungsbeschränkung im Innenverhältnis. Eine »Indienstnahme« der Geschädigten und eine Zwangsminderung ihrer Schadensersatzansprüche können vermieden werden, wenn ein Kronzeuge allein im Innenverhältnis privilegiert wird. Die Schadensersatzhaftung im Außenverhältnis bleibt danach unverändert. Gleichwohl genießt der Kronzeuge im Verhältnis zu den übrigen Schädigern eine haftungsrechtliche Vorzugsposition. Denkbar ist insbesondere, dass die gemäß § 426 Abs. 1 S. 1 BGB bestehende Ausgleichspflicht des Kronzeugen im Verhältnis zu den übrigen Schuldnern modifiziert wird. In der Folge haftet der Kronzeuge mit einem geringeren Anteil oder unter Umständen gar nicht610. Für eine auf das Innenverhältnis beschränkte Lösung spricht vor allem, dass eine Modifikation des Innenausgleichs bei einer gesamtschuldnerischen Haftung aus Delikt keine Besonderheit darstellt und eine sachgerechte und flexible Interessenabwägung ermöglicht. Es ist anerkannt, dass bei einer deliktisch-gesamtschuldnerischen Haftung das Maß der internen Beteiligung von den einzelnen Schadensbeiträgen abhängt. Dieser Gedanke wird vielfach spezialgesetzlich ausgesprochen611 und ist darüber hinaus verallgemeinerbar612. Im Rahmen der Ermittlung der einzelnen Schadensanteile kann das Verhalten des Kronzeugen dann zu seinen Gunsten und zu Lasten der weniger kooperativen Mittäter berücksichtigt werden. 607
Kommission, Grünbuch Schadensersatzklagen, S. 11, Option 30. Jüntgen, Die prozessuale Durchsetzung privater Ansprüche im Kartellrecht, S. 160. 609 Dazu näher Jüntgen, Die prozessuale Durchsetzung privater Ansprüche im Kartellrecht, S. 161. 610 Kersting, ZWeR 2008, 252, 265 ff. 611 Z.B. § 17 Abs. 1 StVG, § 41 Abs. 1 LuftVG, § 5 S. 2 ProdHaftG und § 93 S. 2 AMG. 612 Bydlinski, in: Münchener Kommentar, BGB, § 426 Rn. 21; Ehmann, in: Erman, BGB, § 426 Rn. 9; Gehrlein, in: Bamberger/Roth, BGB, § 426 Rn. 9; Noack, in: Staudinger, BGB, § 426 Rn. 97 ff. 608
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Dogmatisch kann sich eine Modifikation der Innenhaftung des Kronzeugen im Verhältnis zu anderen Gesamtschuldnern auf § 426 Abs. 1 S. 1 BGB stützen. Ob im Sinne dieser Vorschrift hinsichtlich der Haftungsanteile »ein anderes bestimmt ist«, beurteilt sich neben gesetzlichen oder vertraglichen Vorgaben auch anhand sonstiger Wertungen. Wenn der Deliktshaftung ein gesellschafts- und ordnungspolitischer Charakter zukommt, dann gehört zur Gesamtwürdigung der Umstände nicht nur das unmittelbar schädigungsbezogene Verhalten, sondern ebenso das weitere Verhalten des Deliktstäters in Bezug auf die Aufklärung und Sanktionierung des Rechtsverstoßes einschließlich des Ermöglichens eines Schadensausgleichs. Hier kann man zur Begründung einer Besserstellung des Kronzeugen anführen, dass sein Verhalten im öffentlichen Interesse der Aufklärung von Kartellrechtsverstößen liegt. Die Honorierung dieses Verhaltens darf aber nicht auf Kosten der Opfer vorgenommen werden. Demgegenüber ist es richtig, den Kronzeugen gerade gegenüber den nicht aufklärungswilligen übrigen Kartelltätern zu privilegieren. Die Höhe des verbleibenden Haftungsanteils des Kronzeugen sollte in einer Einzelfallprüfung ermittelt werden. Kersting schlägt vor, die Beteiligung des Kronzeugen am Innenausgleich in Relation zu der gewährten Ermäßigung des Bußgeldes zu beschränken613. Dafür spricht, dass die Ermäßigung der Geldbuße jedenfalls einen wichtigen Fingerzeig im Hinblick auf den »Wert« der Tätigkeit des Kronzeugen gibt. Gleichwohl sollte eine zwingende Ankopplung vermieden werden, um flexible Einzelfalllösungen zu ermöglichen. Darüber hinaus ist zu erwägen, den Kronzeugen von der Ausfallhaftung gemäß § 426 Abs. 1 S. 2 BGB ganz zu befreien. Damit würde das mit dem endgültigen Ausfall eines regresspflichtigen Gesamtschuldners verbundene zusätzliche Haftungsrisiko nicht auf den Kronzeugen erstreckt. Keinen Beifall verdient die Überlegung Kerstings, den eingeschränkten Innenausgleich de lege ferenda doch wieder auf das Außenverhältnis »durchschlagen« zu lassen, sodass der Kronzeuge dem Geschädigten entgegenhalten könne, er hafte nicht in voller Höhe und dürfe Schadensersatzleistungen um den Prozentsatz kürzen, um den das Bußgeld ermäßigt worden sei614. Denn auf diese Weise würde letztlich doch wieder der Geschädigte belastet. Koppelt man zudem das Haftungsprivileg des Kronzeugen an die Entscheidung der Kartellbehörde über die Ermäßigung der Geldbuße615, dann führt dies zu einem indirekten Bestimmungsrecht der Kartellbehörde über die Höhe des ersatzfähigen Schadens. Das widerspricht aber den Grundsätzen des europäischen Kartellverfahrens616 und
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Kersting, ZWeR 2008, 252, 266. Kersting, ZWeR 2008, 252, 267. 615 Kersting, ZWeR 2008, 252, 266. 616 »Die Gewährung eines Geldbußenerlasses oder einer Geldbußenermäßigung lässt die privatrechtlichen Folgen für ein Unternehmen wegen eines kartellrechtswidrigen Verhaltens unberührt«, Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (2006/C 298/11), Abl. EU Nr. C 298/17, Tz. 39. 614
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steht im nationalen Recht mit § 33 Abs. 4 GWB nicht in Einklang, da eine Bindungswirkung insoweit nicht vorgesehen ist617.
E. Bindungswirkung kartellbehördlicher Entscheidungen Kartellbehördliche und privatrechtliche Sanktionen stehen im Grundsatz rechtlich unabhängig nebeneinander. Dieser Grundsatz wird jedoch für Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche618 mit § 33 Abs. 4 GWB durchbrochen619. Gemäß § 33 Abs. 4 GWB sind Gerichte an die Feststellung des Verstoßes gebunden, die in einer bestandskräftigen Entscheidung der Kartellbehörde, der Kommission der Europäischen Gemeinschaft oder der Wettbewerbsbehörde oder eines in der Funktion einer Wettbewerbsbehörde handelnden Gerichts in einem anderen Mitgliedstaat getroffen wurde. Diese Bindungswirkung hat zur Folge, dass die kartellbehördlichen und privatrechtlichen Sanktionen eng miteinander verwoben werden. Das Gericht prüft bei einer Schadensersatzklage nur noch die Tatbestandsvoraussetzungen, die nicht von der Bindungswirkung der einschlägigen kartellbehördlichen Entscheidung erfasst werden; im Übrigen legt es die Feststellungen der Kartellbehörde zugrunde. Das Ziel dieser Bindung des Zivilgerichts besteht darin, in einem System paralleler Zuständigkeiten im Interesse der Rechtssicherheit und einer einheitlichen Rechtsanwendung widersprechende Entscheidungen zu vermeiden620. § 33 Abs. 4 GWB steht in enger Verbindung mit Art. 16 VO 1/2003. Eigenständige Bedeutung kommt der deutschen Vorschrift nur zu, soweit nicht bereits Art. 16 VO 1/2003 Anwendung findet621. Die Bindungswirkung dient sowohl überindividuellen als auch individuellen Interessen. Im überindividuellen Interesse liegen vor allem die Gewährleistung kohärenter Rechtsanwendung und die davon ausgehende Rechtssicherheit. Zudem ermöglicht die Bindungswirkung ein besseres Zusammenspiel622 kartellbehördlicher und privatrechtlicher Sanktionen in einer Art Verbundwirkung623. Im individuellen Interesse des Klägers liegt die Bindungswirkung, weil Informationsdefizite abgebaut werden, die eine Durchsetzung seiner Ansprüche erschweren. Freilich bleiben trotz Bindungswirkung ent617
»Alle weiteren Fragen, insbesondere zur Schadenskausalität und zur Schadensbezifferung, unterliegen der freien Beweiswürdigung des Gerichts«, Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 54; zum Umfang der Bindungswirkung siehe unter E. II. 1., S. 426 ff. 618 § 34a Abs. 5 i.V.m. § 33 Abs. 4 GWB; siehe unten § 8. E., S. 604. 619 Kritisch zur Beschränkung der Bindungswirkung auf Schadensersatz- und Abschöpfungsklagen Fuchs WRP 2005, 1388, 1395. Die Norm für verfehlt hält Bechtold, DB 2004, 235, 239: Mit der Bestimmung sei eine Fülle von Auslegungsproblemen verbunden; ebenfalls kritisch Hempel, WuW 2004, 362, 371. 620 Erw. 22 VO 1/2003. 621 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 54. 622 Demgegenüber meint Hempel, WuW 2004, 362, 371, § 33 Abs. 4 GWB fördere die Abschreckungswirkung des behördlichen Verfahrens. 623 Siehe bereits Steindorff, ZHR 138 (1974), 504, 516.
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scheidende Hürden bestehen, insbesondere der Nachweis der Kausalität und die Bezifferung des Schadens624. Als problematisch kann sich auch der Zugang des Klägers zu behördlichen Entscheidungen erweisen625.
I. Gemeinschaftsrechtlicher Hintergrund Die Vorschrift des § 33 Abs. 4 GWB findet ihr Vorbild in Art. 16 VO 1/2003. Diese gemeinschaftsrechtliche Bestimmung wiederum beruht auf richtungsweisenden Entscheidungen des EuGH626. Der Gerichtshof hatte für das Gemeinschaftskartellrecht in den Entscheidungen Delimitis und Masterfoods und HB ausgesprochen, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten es vermeiden müssen, Entscheidungen zu erlassen, die beabsichtigten Entscheidungen der Kommission zur Anwendung der Art. 81 und 82 EG zuwiderlaufen und erst recht keine Entscheidungen erlassen dürfen, die im Widerspruch zu bereits ergangenen Entscheidungen der Kommission stehen627. Mit Art. 16 VO 1/2003 werden die Grundsätze der EuGH-Rechtsprechung kodifiziert und präzisiert628. Die primärrechtliche Grundlage der Rechtsprechung des EuGH und des Art. 16 VO 1/2003 bildet neben Art. 81 und 82 EG der in Art. 10 EG verankerte Loyalitätsgrundsatz629. Art. 16 VO 1/2003 begründet – anders als § 33 Abs. 4 GWB – keine ausdrückliche materielle Bindung der nationalen Gerichte und Wettbewerbsbehörden an Entscheidungen der Kommission630. Die Vorschrift beinhaltet ein umfassendes und verfahrensrechtlich ausgerichtetes Kohärenzgebot631. Das wird schon daran deutlich, dass gemäß Art. 16 Abs. 1 S. 2 VO 1/2003 von den nationalen Gerichten auch Entscheidungen vermieden werden müssen, die einer erst beabsichtigten Entscheidung der Europäischen Kommission zuwiderlaufen632. In einem solchen Fall liegt noch keine Entscheidung vor, deren Inhalt der Entscheidung eines Gerichts oder einer Kartellbehörde des Mitgliedstaates widersprechen könnte. Das frühe Eingreifen des Kohärenzgebots bereits während laufender Verfahren soll von vornherein widersprüchliche Entscheidungen verhindern. 624
Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 54. Dazu näher Dreher, ZWeR 2008, 325, 330 ff.; Lampert/Weidenbach, WRP 2007, 152 ff. 626 Komninos, CML Rev. 44 (2007), 1387 ff. 627 EuGH vom 14.12.2000, Slg. 2000, I-11369, Rn. 51 und 52 – Masterfoods und HB; EuGH vom 28.2.1991, Slg. 1991. I-935 Rn. 47 – Delimitis; dazu näher oben A. III. 1. c), S. 319 ff. 628 Durner, EuR 2004, 547, 552 ff.; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 75; Ritter, in: Immenga/Mestmäcker, VO 1/2003, Rn. 1; Sura, in: Langen/Bunte, VO Nr. 1/2003, Art. 16 Rn. 4. 629 Zu verschiedenen dogmatischen Ansätzen zur Begründung der Bindungswirkung, Durner, EuR 2004, 547, 557 ff.; zu Art. 10 EG siehe oben § 2. B. II. 630 So wohl auch Roth, in: Festschrift für Huber, S. 1133, 1153 Fn. 100. 631 Sura, in: Langen/Bunte, VO Nr. 1/2003, Art. 16 Rn. 2; kritisch zur »dirigistische Koordination der mitgliedstaatlichen Gerichte durch die politischen Organe der Gemeinschaft« durch Art. 16 VO 1/2003 Durner, EuR 2004, 547, 574. 632 Das Gericht hat dann zu prüfen, ob das bei ihm anhängige Verfahren auszusetzen ist, Art. 16 Abs. 1 S. 3 VO 1/2003, was regelmäßig in Betracht kommen wird, Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, VO 1/2003, Art. 16 Rn. 7. 625
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Sofern die Kommission bereits eine Entscheidung erlassen hat, wirkt das Kohärenzgebot in der Sache als eine verbindliche Vorgabe633 für die nationalen Gerichte oder die Kartellbehörden634. Im Gegensatz zu § 33 Abs. 4 GWB richtet sich das gemeinschaftsrechtliche Kohärenzgebot aus Art. 16 VO 1/2003 nicht auf das Verhältnis von kartellbehördlichen und privatrechtlichen Sanktionen, sondern auf das Verhältnis zwischen dem Vollzug des Gemeinschaftskartellrechts durch die Kommission einerseits und die nationalen Gerichte bzw. Kartellbehörden der Mitgliedstaaten andererseits. Art. 16 VO 1/2003 gilt daher unabhängig davon, ob nach nationalem Recht behördliche oder privatrechtliche Sanktionen angewendet werden. Die Vorschrift folgt damit einem anderen Regelungskonzept als § 33 Abs. 4 GWB635. Beide Bestimmungen weisen zwar große Schnittflächen auf, sind aber nicht völlig deckungsgleich.
II. Einzelfragen 1. Umfang der Bindungswirkung a) Bindung an den Inhalt der Entscheidung Gemäß § 33 Abs. 4 GWB sind Gerichte an die »Feststellung des Verstoßes gebunden«. Soll diese Bindungswirkung nicht leerlaufen, muss sie sich auf den Inhalt der Entscheidung, also auf die zugrunde liegenden rechtlichen und tatsächlichen Feststellungen beziehen636. Etwas missverständlich ist es, wenn verbreitet637 – auch in den amtlichen Materialien638 – von einer Tatbestandswirkung des § 33 633
Zu den indirekten Auswirkungen von Maßnahmen der Kommission durch Meinungsäußerungen siehe Bornkamm/Becker, ZWeR 2005, 213, 230 ff. 634 Siehe dazu Kommission, Bekanntmachung 2004/C 101/03. 635 Diese unterschiedliche Normkonzeption übersieht Meyer, GRUR 2006, 27, 28, der in § 33 Abs. 4 GWB lediglich eine Wiederholung und Komplettierung des Art. 16 VO Nr. 1/2003 sieht. 636 Bechtold, GWB, § 33 Rn. 36; Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 120; Dreher, ZWeR 2008, 325, 328 ff.; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 78; Jüntgen, Die prozessuale Durchsetzung privater Ansprüche im Kartellrecht, S. 138 ff.; Scheffler, WRP 2007, 163, 166; Schütt, WuW 2004, 1124, 1131. Anders jedoch Meyer, GRUR 2006, 27, 29 f. und Schnelle, in: Festschrift für Mailänder, S. 195, 200, die im technischen Sinne von einer Tatbestandswirkung ausgehen und die Bindungswirkung allein auf den Tenor der kartellbehördlichen Entscheidung, nicht aber auf die tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen der Kartellbehörde erstrecken wollen. Eine solchermaßen eingeschränkte Bindungswirkung wäre jedoch kaum geeignet, Folgeklagen spürbar zu erleichtern, was Meyer auch selbst einräumt und hierauf seine Kritik an der Vorschrift stützt (a.a.O., S. 30). 637 Becker/Hossenfelder, Einführung in das neue Kartellrecht, Rn. 47; Biermann, ZWeR 2007, 1, 22; Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 112; Bunte, Kartellrecht, S. 412; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 71 ff.; A. Fritzsche, WRP 2006. 42, 43; Hartog/Noack, WRP 2005, 1396, 1404; Lange, in: Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Rn. 749 und 761; Lübbig, in: Münchener Kommentar, GWB, § 33 Rn. 113; ders./le Bell, WRP 2006, 1209, 1212; Rittner/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, § 14 Rn. 144; Topel, in: Handbuch des Kartellrechts, § 50 Rn. 138 ff. 638 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 54.
E. Bindungswirkung kartellbehördlicher Entscheidungen
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Abs. 4 GWB gesprochen wird639. Denn mit Tatbestandswirkung ist nach verwaltungsrechtlicher Terminologie gemeint, dass der rechtswirksame Verwaltungsakt als solcher von allen Staatsorganen als gegebener Tatbestand zu beachten ist640. Bei der Tatbestandswirkung tritt eine inhaltliche Bindung der Gerichte jedoch nur bei gestaltenden und konstitutiv-feststellenden Verwaltungsakten ein641. Die private Rechtsdurchsetzung wird mit der Bindungswirkung nur dann gefördert, wenn die Entscheidung vollinhaltlich bindend ist, was insbesondere die Entscheidungsgründe einschließt. Nur dann wird das typische Informationsdefizit des Klägers beseitigt. Die Bindungswirkung des § 33 Abs. 4 GWB erstreckt sich deswegen auf die tatsächlichen Feststellungen ebenso wie auf die rechtliche Würdigung des maßgeblichen Verhaltens und dabei insbesondere die objektiven und (soweit erforderlich642) subjektiven Tatbestandsmerkmale643. Allerdings gilt die Bindung nur für die tragenden Erwägungen der kartellbehördlichen Entscheidung. Ergänzende Beurteilungen, etwa zu den Schäden einzelner Betroffener einer wettbewerbsbeschränkenden Praktik, haben an der Bindungswirkung nicht teil und unterliegen der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß §§ 286, 287 ZPO644. Die Abgrenzung zwischen bindungsfähigen und nicht bindungsfähigen Inhalten einer Entscheidung kann zweifelhaft sein, insbesondere wenn sich bestimmte Gesichtspunkte überschneiden, wie etwa der wirtschaftliche Vorteil im Sinne des § 81 Abs. 5 S. 1 GWB und der im Rahmen der Schadensermittlung zu berücksichtigungsfähige Verletzergewinn gemäß § 33 Abs. 3 S. 3 GWB. Beide Größen sind zwar nicht identisch, stehen aber auch nicht völlig unabhängig nebeneinander. Richtigerweise sind Faktoren, die von der Kartellbehörde im Rahmen eines ihr zustehenden Ermessens oder Beurteilungsspielraums Berücksichtigung finden, nicht in die Bindungswirkung einzubeziehen645. Denn § 33 Abs. 4 GWB soll dem Kläger eine sachgerechte Informationsbasis für seine Klage verschaffen, nicht aber der entscheidenden Kartellbehörde eine indirekte Einflussmöglichkeit auf privatrechtliche Streitigkeiten sichern, die über die ihr gesetzlich zugewiesene Stellung im Zivilverfahren646 hinausgehen.
639 Zu Recht kritisiert deshalb Jüntgen, Die prozessuale Durchsetzung privater Ansprüche im Kartellrecht, S. 138 f. dass die Begriffe Tatbestandswirkung und Feststellungswirkung jeweils mit unterschiedlichem Inhalt gebraucht werden, was zu Verwirrungen Anlass gebe. Ebenfalls kritisch zur Terminologie Dreher, ZWeR 2008, 325, 328. 640 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 20 V 2 Rn. 50 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 8. 641 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 20 V 2 Rn. 51. 642 Insbesondere Bußgelder können nur verhängt werden, wenn subjektive Voraussetzungen gegeben sind, siehe § 81 GWB und Art. 23 VO 1/2003. 643 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 120. 644 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 78; Schütt, WuW 2004, 1123, 1131. 645 Ähnlich Bechtold, DB 2004, 235, 239 f. 646 Zur Stellung der deutschen Kartellbehörden bzw. der Kommission in Zivilverfahren: § 90 Abs. 2 GWB und Art. 15 VO 1/2003.
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b) Keine negative Bindungswirkung Die Bindungswirkung will die private Rechtsdurchsetzung erleichtern, nicht aber die Sanktionierung von wettbewerbsbeschränkenden Praktiken verhindern. Daher folgt aus § 33 Abs. 4 GWB keine negative Bindungswirkung. Darin liegt eine wichtige Abweichung im Vergleich zu Art. 16 VO 1/2003. Lehnt also die Kartellbehörde ein Eingreifen ab oder hebt sie eine zuvor getroffene Entscheidung auf, dann sind Gerichte insoweit nicht gebunden647. Eine nur scheinbare Ausnahme bilden Konstellationen, in denen der kartellbehördlichen Entscheidung ein Anwendungsvorrang vor privatrechtlichen Sanktionen zukommt. Denn soweit die Entscheidung der Kartellbehörde konstitutiven Charakter hat (etwa bei § 30 Abs. 3 GWB), bildet das Vorhandensein einer solchen Entscheidung erst die Grundlage für die private Rechtsdurchsetzung. Das folgt allerdings nicht aus § 33 Abs. 4 GWB, sondern schon aus dem Charakter der kartellbehördlichen Entscheidung. Für Positiventscheidungen der Kommission gemäß Art. 10 VO 1/2003 folgt die (negative) Bindungswirkung ebenfalls nicht aus § 33 Abs. 4 GWB, sondern aus dem Kohärenzgebot des Art. 16 VO 1/2003648. Stellt also die Kommission fest, dass eine bestimmte Verhaltensweise die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 1 EG nicht erfüllt oder die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG vorliegen, dann sind Schadensersatzansprüche wegen eines (angeblichen) Kartellrechtsverstoßes ausgeschlossen. 2. Bindende Entscheidungen der Kommission und der Kartellbehörden und Kartellgerichte Bindende Wirkung entfalten gemäß § 33 Abs. 4 GWB Entscheidungen der Kommission (soweit sich dies nicht schon aus Art. 16 VO 1/2003 ergibt), Entscheidungen der deutschen Kartellbehörden649 sowie Entscheidungen von Kartellbehörden oder als solchen handelnden Gerichten anderer Mitgliedstaaten. Die Einbeziehung von Entscheidungen ausländischer Kartellbehörden oder Kartellgerichte, die in den amtlichen Materialien nicht näher begründet wird, stößt vielfach auf Skepsis650. Obgleich eine Bindung deutscher Gerichte an auslän647 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 121; Kling/Thomas, Kartellrecht, § 21 Rn. 75; Roth, in: Festschrift für Huber, S. 1133, 1153 Fn. 100; Schütt, WuW 2004, 1123, 1132. Freilich wird von einer solchen Entscheidung der Kartellbehörde eine starke Indizwirkung ausgehen, die dem Verletzer jedenfalls tatsächlich zugute kommen kann, Bechtold, GWB, § 33 Rn. 36. 648 Bornkamm/Becker, ZWeR 2005, 213, 221 f.; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 84; Roth, in: Festschrift für Huber, S. 1133, 1154; anders Meyer, GRUR 2006, 27, 30, wonach die deutschen Gerichte »entgegen dem Wortlaut des § 33 IV GWB an die Feststellung der Kommission gebunden« seien. 649 § 48 Abs. 1 GWB. Im Gegensatz zu § 33 Abs. 1 GWB gilt hier wiederum der enge Begriff der Kartellbehörde. 650 Eingehend etwa Monopolkommission, Sondergutachten 41 Rn. 49 ff. Kritik ferner bei Berrisch/Burianski, WuW 2005, 878, 883; Fuchs, WRP 2005, 1384, 1395; ders., in: Enforcement – Die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts, S. 183, 194; Lübbig/le Bell, WRP 2006, 1209, 1212; Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GWB, § 33 Rn. 55; Scheffler, WRP 2007, 163, 167.
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dische Entscheidungen nichts grundsätzlich Neues ist651, sieht sich die gesetzliche Regelung deutlicher Kritik ausgesetzt. Es gebe keine Gewähr dafür, dass kartellbehördliche Entscheidungen in anderen Mitgliedstaaten in einem rechtsstaatlichen Verfahren ergehen, in dem zumindest das rechtliche Gehör der betroffenen deutschen Staatsangehörigen gewährleistet sei. Schon deswegen verstoße die Regelung gegen den in Art. 103 Abs. 1 GG verankerten Grundsatz rechtlichen Gehörs652. Solche Einwände schießen indessen über das Ziel hinaus. Gewiss kann die Bindung der Gerichte in Zivilklagen an eine vorausgegangene kartellbehördliche Entscheidung gewisse Gefahren mit sich bringen653. Diese Gefahren bestehen allerdings unabhängig davon, ob eine deutsche Kartellbehörde, die Kommission oder die zuständige Einrichtung eines anderen Mitgliedstaates tätig geworden ist. Der deutsche Gesetzgeber geht in § 33 Abs. 4 GWB von einer qualitativ vergleichbaren und zuverlässigen Arbeit der Behörden aller Mitgliedstaaten der Gemeinschaft aus654. Die Annahme einer solchen Gleichwertigkeit ist gemeinschaftsrechtlich nach dem Äquivalenzgrundsatz geboten, wenn über einen Verstoß gegen Gemeinschaftskartellrecht entschieden wird. Wenn darüber hinaus eine Gleichwertigkeit angenommen wird, ist dies nur konsequent und begegnet in der Sache keinen durchgreifenden Bedenken. Denn man wird nicht, ohne die Grenze der ernsthaften Auseinandersetzung zu überschreiten, behaupten können, jenseits Deutschlands und jenseits der Kommission herrschten flächendeckend rechtsstaatswidrige Zustände bei der Bekämpfung von wettbewerbsbeschränkenden Praktiken, die es ausgeschlossen erscheinen lassen, deutsche Richter an die Entscheidungen ausländischer Behörden oder Gerichte zu binden655. Nicht unterschätzt werden sollte auch die rechtspolitische Signalwirkung, die von der Einbeziehung ausländischer Wettbewerbsbehörden ausgeht und möglicherweise Anlass zu parallelen Entwicklungen in anderen Staaten geben kann656. Bei der Diskussion über die Bindungswirkung ausländischer Wettbewerbsbehörden ist zu berücksichtigen, dass die Bindungswirkung persönlich und räumlich begrenzt ist657. In persönlicher Hinsicht erstreckt sich die Bindungs651
Drexl, in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, S. 223,
259 f. 652 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 77; Rehbinder, in: Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff, GWB, § 33 Rn. 55; Monopolkommission, Sondergutachten 41, Rn. 53. 653 Dazu sogleich unter III., S. 433 ff. 654 Wollmann, in: Festschrift für Bechtold, S. 661, 674 attestiert dem deutschen Gesetzgeber ein »bemerkenswertes Vertrauen in die Richtigkeitsgewähr von Entscheidungen der Wettbewerbsbehörden, auch außerhalb Deutschlands«. 655 Roth, in: Festschrift für Huber, S. 1133, 1153 Fn. 105 verweist zu Recht auf die Grundsätze zur Anerkennung ausländischer Verwaltungsakte. 656 Lübbig, in: Münchener Kommentar, GWB, § 33 Rn. 115. Ähnlich Zimmer/Logemann, ZEuP 2009, 489, 507: Eine generelle Erstreckung der Bindungswirkung auf die Entscheidungen ausländischer Behörden könne zur »Stärkung des Netzwerkgedankens« innerhalb der Union beitragen. 657 Die Bindung reicht nur so weit »wie die Wirkung der Entscheidung der Wettbewerbsbehörde insbesondere in räumlicher Hinsicht«, Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 54.
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wirkung grundsätzlich nur auf Personen, die an der kartellbehördlichen Entscheidung beteiligt waren und mithin Gelegenheit hatten, ihre Sicht der Dinge darzulegen und gegebenenfalls die kartellbehördliche Entscheidung anzugreifen658. Schon deswegen besteht keine Gefahr, dass der Grundsatz des rechtlichen Gehörs tangiert wird. In räumlicher Hinsicht umfasst die Bindungswirkung nur Wettbewerbsbeschränkungen, die Auswirkungen auf dem Gebiet der jeweiligen Behörden haben659. Entscheidungen ausländischer Behörden werden deswegen wohl nur im Zusammenhang mit Verstößen gegen das Gemeinschaftskartellrecht relevant werden660. Denn die Anwendung des GWB ist den deutschen Kartellbehörden vorbehalten und Verstöße gegen die Kartellbestimmungen anderer Mitgliedstaaten der Gemeinschaft werden regelmäßig nicht in die Zuständigkeit deutscher Gerichte fallen. Die Bindungswirkung erstreckt sich überdies nur auf den konkret entschiedenen Sachverhalt. Es stellt daher keinen Verstoß gegen § 33 Abs. 4 GWB oder gegen Art. 16 VO 1/2003 dar, wenn sich ein nationales Gericht in einem Schadensersatzverfahren nicht an der Entscheidung einer Kartellbehörde orientiert, die in einem anderen, gleich gelagerten Fall getroffen wurde661. Denn eine solche, über den Einzelfall hinaus gehende Bindung würde die Rechtsschutzmöglichkeiten der Betroffenen unzulässig einschränken662. 3. Bindungswirkung und berechtigtes Interesse an der Feststellung beendeter Zuwiderhandlungen Die Bindungswirkung ist zumeist ein erwünschter Nebeneffekt einer vorangegangenen kartellbehördlichen Entscheidung. Aufgrund der Existenz der Bindungswirkung können Betroffene dazu motiviert werden, sich mit einer Beschwerde an die Kartellbehörde oder die Kommission zu wenden. Trifft die Behörde daraufhin eine Entscheidung, dann wird den Beschwerdeführern möglicherweise eine spätere Rechtsdurchsetzung mit einer Folgeklage erleichtert. Im Hinblick auf § 32 Abs. 3 GWB und Art. 7 Abs. 1 S. 4 VO 1/2003 stellt sich die Frage, ob das Ziel der Herstellung der Bindungswirkung als ein berechtigtes Interesse am Erlass einer Feststellungsentscheidung anzuerkennen ist. Nach den genannten Bestimmungen kann eine in der Vergangenheit liegende Zuwider658 Bechtold, GWB, § 33 Rn. 39; Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 122; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 79; Jüntgen, Die prozessuale Durchsetzung privater Ansprüche im Kartellrecht, S. 141; Monopolkommission, Sondergutachten 41, Rn. 44; Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GWB, § 33 Rn. 54; Roth, in: Festschrift für Huber, S. 1133, 1154; Schütt, WuW 2004, 1123, 1131; zweifelnd Lübbig, in: Münchener Kommentar, GWB, § 33 Rn. 116. Anders Meyer, GRUR 2006, 27, 31: die Vorschrift solle »offensichtlich nicht nur inter partes [Rechtswirkungen] entfalten, sondern inter omnes«. Worauf sich diese Interpretation des § 33 Abs. 4 GWB stützt, bleibt allerdings offen. 659 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 54. 660 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 81. 661 Bornkamm/Becker, ZWeR 2005, 213, 220 f. 662 Bornkamm/Becker, ZWeR 2005, 213, 221; Scheffler, WRP 2007, 163, 167.
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handlung festgestellt werden, wenn ein berechtigtes Interesse an der Feststellung besteht. § 32 Abs. 3 GWB lässt dabei ein berechtigtes Interesse genügen, während Art. 7 Abs. 1 S. 4 VO 1/2003 ein berechtigtes Interesse der Kommission verlangt. Als berechtigtes Interesse könnte das Ziel angesehen werden, Geschädigten mit der Bindungswirkung die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen zu erleichtern. Für das österreichische Kartellrecht hat der OGH ein berechtigtes Interesse an der Feststellung einer Zuwiderhandlung abgelehnt, wenn das Begehren der Vorbereitung von Schadensersatzklagen dient663. Ebenso wie das deutsche Pendant in § 32 Abs. 3 GWB setzt § 28 Abs. 1 KartG664 ein berechtigtes Interesse an einer Feststellung im Falle einer beendeten Zuwiderhandlung voraus. Nach Auffassung der österreichischen Richter obliegt den Zivilgerichten eine eigenständige Beurteilung der Rechtslage, sofern nicht spezialgesetzlich eine besondere Fachbehörde zur Entscheidung vorgeschaltet ist. Dies ist im österreichischen Kartellrecht jedoch nicht vorgesehen. Das Gericht sieht die Gefahr, dass die Verlagerung der Prüfung kartellrechtlicher Vorfragen eines Schadensersatzanspruchs in das Kartellverfahren dazu führt, dass zentrale Aspekte des Anspruchs nicht im streitigen Verfahren des Zivilprozesses geklärt werden (einschließlich der dort vorgesehenen Kostenregelungen), sondern in das Kartellverfahren verschoben werden. Die Entscheidung muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass das österreichische Kartellrecht eine Bindungswirkung von Entscheidungen im behördlichen bzw. gerichtlichen Kartellverfahren nicht kennt.
a) Tätigwerden der Behörde aufgrund der Beschwerde eines (potenziell) Geschädigten Ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 32 Abs. 3 GWB ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn die Kartellbehörde auf Beschwerde eines (potenziell) Geschädigten tätig geworden ist665. Dies ergibt sich zwangslos aus dem Wortlaut, da die Vorschrift ganz allgemein von einem berechtigten Interesse spricht und dies in persönlicher Hinsicht nicht näher eingrenzt. Da § 33 Abs. 4 GWB eine Bindungswirkung bei Schadensersatzklagen vorsieht, muss es zulässig sein, wenn die Kartellbehörde, die auf Betreiben eines Betroffenen Ermittlungen aufnimmt, dem Betroffenen durch das Herbeiführen der Bindungswirkung eine Folgeklage erleichtert. Wendet sich also ein möglicher Geschädigter an die Kartellbehörde, damit diese einen in der Vergangenheit liegenden Kartellrechtsverstoß feststellt, sodass der Betroffene anschließend Schadensersatzansprüche geltend machen 663
OGH vom 8.10.2008, 16 Ok 8/08, ÖBl. 2009, 135 ff. – Aufzugskartell II. § 28 KartG lautet: »(1) Wenn die Zuwiderhandlung gegen ein im ersten Hauptstück enthaltenes Verbot bereits beendet ist, hat das Kartellgericht die Zuwiderhandlung festzustellen, soweit daran ein berechtigtes Interesse besteht. (2) Im Übrigen hat das Kartellgericht festzustellen, ob und inwieweit ein Sachverhalt diesem Bundesgesetz unterliegt«. 665 Ohne diese Einschränkung Bechtold, GWB, § 32 Rn. 19; enger Bornkamm, in: Langen/ Bunte, GWB, § 32 Rn. 37, wonach Interessen der Geschädigten nur »ausnahmsweise« eine Entscheidung nach § 32 Abs. 3 GWB rechtfertigen. Ablehnend Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff, GWB, § 32 Rn. 19: Die Vorschrift diene nicht dem subjektiven Rechtsschutz. 664
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kann, dann genügt dies als berechtigtes Interesse im Sinne des § 32 Abs. 3 GWB. Es steht allerdings im Ermessen der Kartellbehörde, ob sie zugunsten eines möglichen Geschädigten eine Feststellungsentscheidung trifft, um durch den Eintritt der Bindungswirkung dessen Klage zu erleichtern. Einen Anspruch auf Feststellung hat der Betroffene nicht. Die Gefahr einer Umverlagerung des Zivilverfahrens in das Kartellverfahren steht – entgegen der Ansicht des OGH zu § 28 Abs. 1 KartG – der Annahme eines berechtigten Interesses im Sinne von § 32 Abs. 3 GWB nicht entgegen. Im Gegenteil besteht der Zweck der Bindungswirkung gerade darin, das Zivilverfahren spürbar zu entlasten. Im Unterschied zu § 32 Abs. 3 GWB verlangt Art. 7 Abs. 1 S. 4 VO 1/2003 ein berechtigtes Interesse der Kommission. Aus Art. 7 Abs. 2 VO 1/2003 folgt, dass zwischen dem berechtigten Interesse einer natürlichen oder juristischen Person, die Beschwerde bei der Kommission wegen eines bestimmten Verhaltens erhebt, und dem berechtigten Interesse der Kommission an der Feststellung einer bereits beendeten Zuwiderhandlung zu unterscheiden ist. Ein berechtigtes Interesse im Sinne von Art. 7 Abs. 2 VO 1/2003 ist zu bejahen, wenn ein Marktakteur geltend macht, er habe durch einen Kartellrechtsverstoß einen Schaden erlitten oder werde durch eine Zuwiderhandlung voraussichtlich einen Schaden erleiden666. Dies entspricht der Praxis der Kommission, die in ihrer Bekanntmachung über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Art. 81 und 82 EG davon ausgeht, dass ein berechtigtes Interesse von Unternehmen vorliegt, wenn diese auf dem gleichen relevanten Markt tätig sind oder das beanstandete Verhalten geeignet ist, sie in ihren Interessen unmittelbar zu verletzen667. Auch Verbraucher können ein berechtigtes Interesse haben, wenn ihre wirtschaftlichen Interessen insofern unmittelbar verletzt werden, als sie Abnehmer der Produkte oder Dienstleistungen sind, die den Gegenstand der Zuwiderhandlung bilden668. Im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens ist die Kommission nicht daran gehindert, dieses berechtigte Interesse zum Anlass zu nehmen, eine Entscheidung nach Art. 7 Abs. 1 S. 4 VO 1/2003 zu treffen. Allerdings muss die Kommission stets das Gemeinschaftsinteresse im Blick behalten, den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes vor Verfälschungen zu schützen. Das bloße Rechtsverfolgungsinteresse etwaiger Geschädigter genügt hierfür nicht. Ein berechtigtes Interesse im Sinne des Art. 7 Abs. 1 S. 4 VO 1/2003 liegt daher nicht vor, wenn das Gemeinschaftsinteresse völlig in den Hintergrund tritt und es im Wesentlichen nur darum geht, den Beschwerdeführern zu erleichtern, »im Hinblick auf die Erlangung von Schadensersatz vor den nationalen Gerichten ein Fehlverhalten zu beweisen«669.
666 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 20 Rn. 6; Sura in: Langen/ Bunte, VO 1/2003, Art. 7 Rn. 12. 667 Kommission, Bekanntmachung 2004/C 101/05, Rn. 36. 668 Kommission, Bekanntmachung 2004/C 101/05, Rn. 37. 669 EuG vom 15.1.1997, Rs. T-77/95, Slg. 1997, II-1 Rn. 58 – SFEI u.a./Kommission.
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b) Tätigwerden der Behörde ohne Beschwerde eines (potenziell) Geschädigten Ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 32 Abs. 3 GWB und Art. 7 Abs. 1 S. 4 VO 1/2003 an der Förderung privater Klagen ist dagegen nicht anzuerkennen, wenn die Kartellbehörde oder die Kommission nicht auf Antrag eines Geschädigten tätig geworden ist und keine konkreten Anhaltspunkte bestehen, dass Geschädigte Schadensersatzklagen anstreben. Nach der Gegenansicht soll es ausreichen, wenn die Feststellungsentscheidung den Zweck verfolge, Dritte zu motivieren, Schadensersatzansprüche geltend zu machen670. Das überzeugt nicht. Gewiss besteht an der Förderung privater Klagen ganz allgemein ein öffentliches Interesse. Doch gehört es nicht zu den Aufgaben der Behörden, schon prophylaktisch etwaigen Klagen Privater wegen Kartellrechtsverstößen den Weg zu ebnen. Würde man bereits die völlig ungewisse Aussicht privater Klagen als berechtigtes Interesse für eine behördliche Feststellungsentscheidung anerkennen, dann würde dieses Merkmal entwertet. Da Schadensersatzansprüche bei den meisten Kartellrechtsverstößen – zumindest theoretisch – in Betracht kommen, ließe sich ein berechtigtes Interesse nahezu immer mit dem Hinweis auf mögliche Klagen Geschädigter begründen. Richtigerweise genügt daher das Ziel des Herbeiführens der Bindungswirkung nur dann, wenn die Behörde bereits konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass eine private Rechtsdurchsetzung von etwaigen Geschädigten in Betracht gezogen wird. Im Übrigen ist die unterschiedliche Zielrichtung zwischen Privatklagen und behördlicher Rechtsdurchsetzung zu beachten671. Selbstverständlich ist die Behörde nicht gehindert, neben anderen berechtigten Interessen – beispielsweise dem Interesse an der Klarstellung der Rechtslage672 – das Ziel der Förderung privater Klagen mitzuverfolgen. Nur reicht dies als alleinige Legitimation für eine Feststellungsentscheidung nicht aus.
III. Ambivalenz der Bindungswirkung Die Einführung einer Bindungswirkung für kartellbehördliche Entscheidungen ist ein ambivalentes Hilfsmittel zur Stärkung der privatrechtlichen Verfolgung von Kartellverstößen. Einerseits liegen die Vorteile einer solchen Regelung auf der Hand. Wenn eine Kartellbehörde eine Entscheidung trifft, dann verfügt sie regelmäßig über mehr Informationen als ein privater Folgekläger, der sich diese Informationen erst mühsam beschaffen müsste. Zudem hat die Kartellbehörde den kartellrechtlich relevanten Sachverhalt bereits tatsächlich ausgewertet und rechtlich gewürdigt. Angesichts der oftmals komplexen Umstände bedeutet dies für einen privaten Kläger eine spürbare Erleichterung bei der Rechtsdurchsetzung. Mit der Bindungswirkung wird eine stärkere Verknüpfung von kartellbe670 671 672
Bechtold, GWB, § 32 Rn. 19. Kommission, Bekanntmachung 2004/C 101/65, Rn. 27. Bechtold, GWB, § 32 Rn. 19; Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 32 Rn. 37.
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§ 5. Schadensersatz im Kartellrecht
hördlichen und privatrechtlichen Sanktionen gewährleistet. Mehrere Sanktionen, die nebeneinander eingreifen, können eine Verbundwirkung entfalten und auf diese Weise einen zusätzlichen Abschreckungseffekt auslösen. Andererseits darf man die Risiken einer Bindungswirkung nicht übersehen. § 33 Abs. 4 GWB und Art. 16 VO 1/2003 stehen in einem Spannungsverhältnis zum Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit673. Dieses fundamentale Prinzip ist in Art. 97 GG verfassungsrechtlich garantiert und auch im Gemeinschaftsrecht verankert674. Eine Missachtung dieses Fundamentalprinzips liegt aber nicht vor, solange eine vollumfängliche gerichtliche Prüfung in der Sache durch Gerichte, nicht zuletzt durch den EuGH675, sichergestellt ist. Diesen Anforderungen werden die gesetzlichen Regelungen gerecht676. Außerdem entfalten Entscheidungen, die an einem besonders schwerwiegenden Fehler leiden und deswegen nichtig sind, grundsätzlich keine Bindungswirkung677. Eine Auflistung solcher Nichtigkeitsgründe enthält für das Verwaltungsrecht § 44 VwVfG. Dieser allgemeine Rechtsgedanke ist auf das Kartellrecht übertragbar678. Sofern die kartellbehördliche Entscheidung nichtig ist, kann von dieser Entscheidung keine Bindungswirkung für private Schadensersatzklagen ausgehen. Die Gefahr, dass rechtliche oder tatsächliche Fehler der kartellbehördlichen Entscheidung auf die private Rechtsdurchsetzung »durchschlagen« und der Zivilrichter gewissermaßen sehenden Auges Unrecht sprechen muss, dürfte entgegen kritischen Stimmen679 als äußerst gering einzuschätzen sein. Das verbleibende »Restrisiko« lässt sich zudem minimieren, wenn man – höchst ausnahmsweise – eine Durchbrechung der Bindungswirkung zulässt. Bloße Zweifel an der Richtigkeit der bindenden Entscheidung reichen dafür aber nicht. Vielmehr ist eine Ausnahme nur in Erwägung zu ziehen, wenn fundamentale Rechtsgrundsätze verletzt wurden und die Anwendung der Bindungswirkung für die Beteiligten schlechthin untragbar ist680.
673
Meyer GRUR 2006, 27, 29 hält § 33 Abs. 4 GWB für »nur schwer mit der verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit vereinbar«. 674 Durner, EuR 2004, 547, 562 ff. 675 Art. 234 EG; zum Spannungsverhältnis zwischen richterlicher Unabhängigkeit und europäischer Integration siehe auch Classen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 97 Rn. 36. 676 Art. 16 Abs. 1 S. 4 VO Nr. 1/2003 und § 33 Abs. 4 S. 3 GWB. 677 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 8. 678 Insbesondere erlaubt § 56 Abs. 4 GWB nicht den Gegenschluss, § 44 VwVfG sei nicht anwendbar, siehe nur Bechtold, GWB, § 56 Rn. 8. 679 Hempel, WuW 2004, 362, 371. 680 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 122 bejaht eine Durchbrechung der Bindung für den Fall der Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze; Scheffler, WRP 2007, 163, 167 will eine Ausnahme bei Verstößen gegen den innerstaatlichen ordre public zulassen.
Dritter Teil
§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme der Abschöpfungshaftung A. Legitimation der Abschöpfung von Unrechtsvorteilen Wer unrechtmäßig handelt, darf einen daraus resultierenden Vorteil nicht behalten. Dieser Gedanke weist einen elementaren Gerechtigkeitsgehalt auf1. Die Rechtsordnung verwirklicht diesen Gedanken, indem sie geeignete Instrumente bereitstellt, um demjenigen, der gegen das Recht verstößt, zu verdeutlichen, dass sich eine Rechtsverletzung nicht bezahlt macht2. Die Abschöpfung von Unrechtsvorteilen beruht auf zwei miteinander verwobenen Zielen. Zum einen muss die Rechtsordnung individuelle ökonomische Fehlanreize vermeiden, indem sie die Entstehung von Unrechtsgewinnen nach Möglichkeit verhindert oder einem Verletzer einen bereits entstandenen Unrechtsgewinn entzieht. Ein Entzug von Unrechtsvorteilen kommt immer dann in Betracht, wenn sich Rechtsverstöße für den Verletzer »lohnen«. Ein rational handelnder Täter stellt die zu erwartenden Vorteile eines Rechtsverstoßes den möglichen Nachteilen (z.B. Geldbußen oder Schadensersatzansprüche von Opfern) gegenüber. Bei ökonomischer Betrachtung hat der Täter keinen Anlass, sich rechtstreu zu verhalten, wenn die aus der Zuwiderhandlung zu erwartenden Vorteile die zu erwartenden Nachteile seines Handelns überwiegen. Zum anderen liegt der Abschöpfung von Unrechtsvorteilen eine gesamtgesellschaftliche Ordnungsfunktion zugrunde. Abschöpfung dient dem Erhalt des Vertrauens in die Rechtsordnung. Es müsste den Glauben an die Vernünftigkeit und Richtigkeit der Rechtsordnung schwer erschüttern, wenn diese es widerspruchslos hinnähme, dass ein Rechtsverletzer von einer Auflehnung gegen die Rechtsordnung materiell profitiert. Das BVerfG hat diese Ordnungsfunktion mit Blick auf § 73d StGB deutlich ausgesprochen: »Der betroffene Straftäter soll deliktisch erlangte Gegenstände nicht behalten; die mit der Bereicherung des Täters verbundene Störung der Rechtsordnung soll nicht auf Dauer bestehen bleiben; die Gewinnabschöpfung soll verhindern, dass die bereits eingetretene Stö1
Köndgen, RabelsZ 64 (2000), 661, 662 f. Dieser Gedanke liegt z.B. auch den examplary damages bzw. punitive damages (dazu bereits oben § 2. C. III. 1. b) und § 3. B. II. 3., S. 102 ff. und S. 145 ff.) zu Grunde, was in einem Zitat von Lord Devlin anschaulich zum Ausdruck kommt: »Exemplary damages can properly be awarded whenever it is necessary to teach a wrongdoer that tort does not pay«, Rookes v. Barnard [1964] A.C. 1129, 1227. 2
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
rung der Vermögensordnung auch zukünftig fortdauert … Die Entziehung deliktisch erlangten Vermögens ist nicht Ausdruck vergeltender, sondern ordnender Gerechtigkeit …«3 Weiter heißt es: »Indem der Staat dem Täter deliktisch Erlangtes wegnimmt, führt er ihm, wie auch der Rechtsgemeinschaft, vor Augen, dass strafrechtswidrige Bereicherungen nicht geduldet werden und Straftaten sich nicht lohnen. Der vermögensordnende Eingriff soll die Unverbrüchlichkeit und die Gerechtigkeit der Rechtsordnung erweisen und so die Rechtstreue der Bevölkerung stärken«4.
Wenngleich eine Abschöpfung von Unrechtsvorteilen einerseits grundlegenden Gerechtigkeitserwartungen entspricht, berührt sie andererseits »Urängste«. Ein Zugriff der Rechtsordnung auf erwirtschaftete Vorteile weckt schnell Befürchtungen vor Gängelung, Enteignung und staatlicher Einmischung. In solchen »Urängsten« dürfte ein wesentlicher Grund zu sehen sein, warum die Einführung von Sanktionsinstrumenten, die auf eine Abschöpfung gerichtet sind, besonders leicht auf große Vorbehalte und starke Widerstände stoßen.
B. Instrumente zur Abschöpfung von Unrechtsvorteilen Der Begriff Abschöpfung ist mehrdeutig. Im Folgenden wird der Begriff in einem weiten Sinne verstanden. Zur Abschöpfung werden dabei rechtliche Instrumente zum Entzug von unrechtmäßig erlangten Vorteilen gezählt, die einer Person infolge ihres eigenen oder eines fremden Rechtsverstoßes zugeflossen sind und deren Verbleib bei dieser Person von Rechts wegen verhindert werden soll. Auf die Rechtsnatur des Abschöpfungsinstruments kommt es dabei nicht an. Der nachfolgende Überblick über wichtige Abschöpfungsinstrumente im deutschen Recht soll es ermöglichen, § 10 UWG und § 34a GWB in die vorhandenen Rechtsstrukturen einzuordnen. Der Überblick beschränkt sich dabei nicht auf Abschöpfungsmechanismen des Privatrechts5, sondern schließt andere Abschöpfungsregelungen mit ein. Dieser übergreifende Ansatz ist erforderlich, weil trotz unterschiedlicher Rechtsnatur zwischen verschiedenen Sanktionsinstrumenten Querbezüge und enge Zusammenhänge bestehen können. Beispielsweise hat der Gesetzgeber den in § 34 und § 34a GWB verwendeten Begriff des wirtschaftlichen Vorteils dem Ordnungswidrigkeitenrecht entnommen und den Haftungstatbestand des § 34a GWB an § 34 GWB angelehnt.
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BVerfG vom 14.1.2004, BVerfGE 110, 1, 18. BVerfG vom 14.1.2004, BVerfGE 110, 1, 19 f. 5 Eine auf das Privatrecht ausgerichtete Bestandsaufnahme zu Mechanismen der Gewinnherausgabe hat jüngst Helms, Gewinnherausgabe als haftungsrechtliches Problem, 2007, in seiner Habilitationsschrift vorgelegt. 4
B. Instrumente zur Abschöpfung von Unrechtsvorteilen
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I. Abschöpfung im Privatrecht Das Privatrecht kennt vielfältige Abschöpfungsmechanismen6. Köndgen gelangt zu der Einschätzung, die Abschöpfung sei über unterschiedliche Anspruchsgründe verstreut und noch dazu von unterschiedlichen tatbestandlichen Ausformungen geprägt. Dabei handele es sich um Differenzierungen, deren Sinn sich nur selten ohne Weiteres erschließe und die die alte Rechtsweisheit »tort must not pay« als Muster ohne Wert erscheinen lassen. In dieser Rechtszersplitterung sei mutmaßlich auch der Grund zu suchen, warum sich jedenfalls im Privatrecht eine kohärente Theorie der Gewinnabschöpfung bisher nicht entwickelt habe7. Nach Auffassung Helms liegen sowohl die tatbestandlichen Voraussetzungen der Gewinnhaftung als auch die Kriterien zur Bestimmung des Anspruchsumfangs nach wie vor weitgehend im Dunkeln8. Dass die Gewinnhaftung große Schwierigkeiten aufwerfe, sei in erster Linie der »Lückenhaftigkeit, Unbestimmtheit und Widersprüchlichkeit der einschlägigen gesetzlichen Regelungen« geschuldet9. Sieht man von den zahlreichen Detailfragen ab, dann sind im außervertraglichen Bereich des Privatrechts im Wesentlichen zwei verschiedene Regelungskonzepte für eine Abschöpfung zu erkennen. Eine Abschöpfung kann zum einen in Betracht kommen, wenn in eine fremde individuelle Rechtssphäre eingegriffen wird. In diesen Fällen dient die Abschöpfung der Korrektur von rechtswidrigen Vermögensverschiebungen. Es findet dann eine »Rückverschiebung« des unberechtigten Vermögenszuwachses vom Eingreifer zum Berechtigten statt. Zum anderen kann eine Abschöpfung als rechtliche Reaktion auf eine unerlaubte Handlung ausgelöst werden. In der Rechtsanwendung können und werden sich beide Erscheinungsformen der Abschöpfung überschneiden, wenn die unerlaubte Handlung in einem Eingriff in ein fremdes Individualinteresse besteht. 1. Abschöpfung durch »Rückverschiebung« von unberechtigten Vermögensmehrungen a) Abschöpfung bei Geschäftsanmaßung Wer ein fremdes Geschäft als sein eigenes behandelt, obwohl er weiß, dass er nicht dazu berechtigt ist, ist nach §§ 687 Abs. 2, 681 S. 2, 667 BGB dazu verpflichtet, das, was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt hat, herauszugeben. Diese Herausgabepflicht umfasst insbesondere den Gewinn, der mit der Ge6
Der Blick ist im Folgenden allein auf die Möglichkeiten einer außervertraglichen Abschöpfung durch das Privatrecht zu richten. Ausgeblendet bleiben die rechtlichen Möglichkeiten einer Abschöpfung im Zusammenhang mit Verträgen und vertragswidrigem Verhalten; dazu eingehend Helms, Gewinnherausgabe als haftungsrechtliches Problem, S. 310 ff. und Köndgen, RabelsZ 56 (1992), 696 ff. 7 Köndgen, RabelsZ 64 (2000), 661, 663. 8 Helms, Gewinnherausgabe als haftungsrechtliches Problem, S. 15. 9 Helms, Gewinnherausgabe als haftungsrechtliches Problem, S. 15.
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
schäftsführung erzielt wurde10. Soweit der Anspruch die Gewinnherausgabe mit einschließt, handelt es sich also um eine Gewinnabschöpfung bei rechtswidrigem und vorsätzlichem Eingriff in eine fremde Rechtsposition11. § 687 Abs. 2 BGB ergänzt damit das Bereicherungs- und Schadensrecht um eine eigenständige Kategorie12. Die gesetzliche Regelung im Zusammenhang mit der Geschäftsführung ohne Auftrag erklärt sich vor allem aus der Regelungstechnik und den in § 687 Abs. 2 BGB enthaltenen Verweisungen13. In der Sache bilden die Fälle des § 687 Abs. 2 BGB aber geradezu den »kontradiktorischen Gegensatz« zur Geschäftsführung für einen anderen14, weil der Geschäftsführer vorsätzlich in die Angelegenheiten eines anderen eingreift, also gerade nicht fremdnützig für einen anderen, sondern eigennützig handelt. Damit steht die Geschäftsanmaßung dem Deliktsrecht nahe15 und die angeordnete Gewinnabschöpfung ließe sich als Sanktion für die deliktische Handlung begreifen16. Eine Haftung nach § 687 Abs. 2 BGB setzt voraus, dass der Geschäftsführer sich nicht »nur« rechtswidrig verhält, sondern durch sein Verhalten in einen spezifischen fremden Rechtskreis eindringt. Er muss ein objektiv fremdes Geschäft führen17, mithin eine Tätigkeit übernehmen, die Gegenstand der Sorge eines andern ist18. Es kann dabei dahinstehen, ob den entscheidenden Anknüpfungspunkt für § 687 Abs. 2 BGB die bewusste Verfehlung des Willens des Geschäftsherrn bildet19 oder – so die herrschende Meinung – der rechtswidrige Eingriff in ein fremdes Recht20. 10
Allgemeine Ansicht, siehe nur RG vom 11.10.1932, RGZ 138, 45, 49. Helms, Gewinnherausgabe als haftungsrechtliches Problem, S. 156 ff. sieht das tragende Haftungsprinzip in dem Eingriff in eine Gewinnerzielungsbefugnis, die rechtlich einem anderen vorbehalten ist (a.a.O., S. 157). Danach erweitert die Gewinnabschöpfung wegen Geschäftsanmaßung die gesetzlichen Haftungsansprüche in den Bereich geschäftlich gewinnversprechender Chancen hinein (a.a.O., S. 158). 12 Ehmann, in: Erman, BGB, § 687 Rn. 3; anders Reichard, AcP 193 (1993), 567, 597 ff.: Es handele sich vielmehr um die Wiederholung der Regelung der verschärften Kondiktionshaftung in § 819 BGB. 13 Köndgen, RabelsZ 64 (2000), 661, 667; zur historischen Entwicklung Helms, Gewinnherausgabe als haftungsrechtliches Problem, S. 120 ff. und Reichard, AcP 193 (1993), 567, 581 ff. 14 Wittmann, in: Staudinger, BGB, § 687 Rn. 1. 15 »Wenn Jemand böswilliger Weise ein fremdes Geschäft als eigenes behandelt habe, so schließe der Entw. ebenfalls die Anwendung der Bestimmungen über die Geschäftsführung aus und verweise den Geschäftsherrn lediglich auf den Anspruch aus der unerlaubten Handlung«, Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Bd. II, S. 742. 16 Wittmann, in: Staudinger, BGB, § 687 Rn. 15 hält de lege ferenda eine Einordnung in das Deliktsrecht für erwägenswert. 17 BGH vom 12.6.1989, NJW-RR 1989, 1255, 1257; Seiler, in: Münchener Kommentar, BGB, § 687 Rn. 18; Wittmann, in: Staudinger, BGB, § 687 Rn. 5. 18 RG vom 29.10.1919, RGZ 97, 64, 66. 19 Köndgen, RabelsZ 64 (2000), 661, 666 f. 20 BGH vom 28.9.1992, BGHZ 119, 257, 259; Ehmann, in: Erman, BGB, § 687 Rn. 4; Gehrlein, in: Bamberger/Roth, BGB, § 687 Rn. 3; Seiler, in: Münchener Kommentar, BGB, § 687 Rn. 18 ff.; Wittmann, in: Staudinger, BGB, § 687 Rn. 5 ff. 11
B. Instrumente zur Abschöpfung von Unrechtsvorteilen
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Die Haftung bei angemaßter Geschäftsführung beruht darauf, dass individuelle Zuständigkeitssphären existieren, die gegen einen Zugriff Dritter geschützt werden. Hieraus erhellt, warum diese Form der Haftung bei einem wettbewerbswidrigen Verhalten eher selten in Betracht kommen kann. Wettbewerb kennt typischerweise keine festen und gegen Zugriff geschützten Zuständigkeitssphären. Wer unlauter oder kartellrechtswidrig handelt, führt damit in aller Regel kein fremdes Geschäft21, sondern nimmt eine Handlung vor, die von Rechts wegen ganz zu unterbleiben hat. Anderes gilt nur dann, wenn eine privilegierte Wettbewerbsposition beeinträchtigt wird. Neben der Verletzung von Immaterialgüterrechten kommt dies nur bei Verletzungen der unternehmerischen Geheimnissphäre und – mit Einschränkungen – im Rahmen des ergänzenden Leistungsschutzes vor. In diesen Fällen gibt es spezielle Zuständigkeitsbereiche des Rechteinhabers, die gegen externe Zugriffe geschützt werden. Im Übrigen stellen Rechtsverletzungen im Wettbewerb keinen Eingriff in eine individualbezogene fremde Zuständigkeit dar. Schließen sich beispielsweise Unternehmen zu einem Preiskartell zusammen, dann ist evident, dass die Festlegung von Kartellpreisen im Rechtssinne kein fremdes Geschäft darstellen kann. Denn die Bildung des Marktpreises soll allein durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage bewirkt werden und steht deswegen außerhalb der rechtlichen Zuständigkeit eines bestimmten Marktakteurs. Gleichermaßen fremdartig mutet der Gedanke eines fremden Geschäfts bei unlauteren Handlungen an. Wer Mitbewerber herabsetzt, gezielt behindert oder wer irreführend wirbt, führt ersichtlich kein fremdes Geschäft. b) Abschöpfung durch Eingriffskondiktion Eine weitere privatrechtliche Erscheinungsform der Abschöpfung ergibt sich im Anwendungsbereich der Eingriffskondiktion gemäß § 812 Abs. 1, S. 1, 2. Alt. BGB22. Zwar wird bisweilen von einer Abschöpfungskondiktion gesprochen23, doch bezieht sich dieser Begriff auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen der Kondiktionen und beschreibt keinen speziellen Abschöpfungsmechanismus im bürgerlichen Recht. Den Dreh- und Angelpunkt einer bereicherungsrechtlichen Abschöpfung von Unrechtsvorteilen bildet das Tatbestandsmerkmal »auf Kosten«24. Nach der herrschenden Zuweisungslehre ist danach zu fragen, ob die Rechtsordnung ein Gut und dessen Nutzung allein einer bestimmten Person zugewiesen hat25. Daran knüpft sich die weitere Problematik, welchen Positionen ein bereicherungsrechtlich relevanter Zuweisungsgehalt zukommt und nach welchen Kriterien dies sowie die Reichweite des Zuweisungsgehalts zu bestimmen sind. 21 Der gleiche Rechtsgedanke hindert die Anwendung von § 687 Abs. 2 BGB bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, Canaris, in: Festschrift für Deutsch, 85, 86. 22 Eingehend Helms, Gewinnherausgabe als haftungsrechtliches Problem, S. 25 ff. 23 So etwa Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 71 II 1 c, III 1a, S. 258, 261. 24 Eingehend Helms, Gewinnherausgabe als haftungsrechtliches Problem, S. 25 ff. 25 Die Einzelheiten der damit angesprochenen hochkomplexen Problematik können hier nicht vertieft werden, dazu eingehend Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 69 I, S. 168 ff.
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
Auf Konstellationen rechtswidrigen Verhaltens im Wettbewerb gemünzt, wird sich zwar häufig in einem untechnischen Sinne sagen lassen, ein Unternehmer habe ein Geschäft »auf Kosten« eines Konkurrenten gemacht oder er habe einen Vorteil im Wettbewerb »auf Kosten« eines anderen Unternehmens erzielt. Dies reicht aber als Basis für eine Eingriffskondiktion nicht aus. Das zeigt beispielhaft die Forschungskosten-Entscheidung26: Die Klägerin, ein Chemie-Unternehmen, hatte von der zuständigen Behörde die Zulassung für bestimmte Pflanzenschutzmittel erhalten. Die Beklagte beantragte später die Zulassung gleichartiger Mittel. Bei deren Zulassung stützte sich die Behörde auf Ergebnisse der Untersuchungen der Klägerin. Diese verlangte nun von der Beklagten die anteilige Erstattung der Forschungskosten, weil der Beklagten die Untersuchungen der Klägerin im Zulassungsverfahren zugutegekommen seien. Eine Verletzung gewerblicher Schutzrechte lag nicht vor, ebenso wenig ein Verstoß gegen das Lauterkeitsrecht. Die Beklagte profitierte vielmehr von Erkenntnissen, die im Wettbewerb frei zur Verfügung standen. Jeder Marktakteur hatte die Möglichkeit, sich dieser Erkenntnisse zum eigenen Vorteil zu bedienen. In der Nutzung dieser Erkenntnisse lag also eine allgemeine »Erwerbs- und Gewinnchance«, die von Rechts wegen keinem Unternehmer ausschließlich zugewiesen war27. Dementsprechend lehnte der BGH eine privatrechtliche Haftung auf Grundlage einer Eingriffskondiktion mit Recht ab.
Von einem Eingriff in den Zuweisungsgehalt einer Rechtsposition lässt sich nur sprechen, wenn ein Marktakteur über eine spezielle Position im Wettbewerb verfügt, die ihm mehr als ein Verbietungsrecht gegenüber anderen vermittelt28 und insbesondere wirtschaftliche Verwertungsbefugnisse beinhaltet. Im Schrifttum ist streitig, wie weit der Kreis solcher Positionen im Wettbewerb zu ziehen ist29. Klar ist jedoch, dass nur ein Bruchteil möglicher Wettbewerbsverstöße überhaupt die Basis einer Eingriffskondiktion bilden könnte. Denn die Haftung nach § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB ist konzeptionell eine auf die Rückverschiebung von Vermögenswerten gerichtete Haftung. Der ungerechtfertigten Bereicherung des Schuldners muss eine Entreicherung des Gläubigers entsprechen. Eine solche Konzeption kann Umstände außerhalb des Individualverhältnisses zwischen Kondiktionsgläubiger und Kondiktionsschuldner nicht berücksichtigen. Für die mehrdimensionale Interessenlage im Wettbewerb passt daher dieses Haftungskonzept schon dem Grunde nach nicht. Eine weitere Schwierigkeit tritt auf Rechtsfolgenseite hinzu. Da im Wettbewerb erlangte Vorteile in aller Regel nicht »in Natur« herausgegeben können30, bleibt es beim Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB. Im Falle der Bösgläubigkeit 26
BGH vom 9.3.1989, BGHZ 107, 117 ff. – Forschungskosten. BGH vom 9.3.1989, BGHZ 107, 117, 121 – Forschungskosten. 28 Ein solches Verbietungsrecht steht im Lauterkeitsrecht jedem Unternehmer zu, der als Mitbewerber anzusehen ist, §§ 2 Abs. 1 Nr. 3, 8 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 UWG. 29 Zum Streitstand siehe nur Helms, Gewinnherausgabe als haftungsrechtliches Problem, S. 52 ff. 30 BGH vom 24.11.1981, BGHZ 82, 299, 307 – Kunststoffhohlprofil II. 27
B. Instrumente zur Abschöpfung von Unrechtsvorteilen
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des Eingreifers, also bei vorsätzlichen Eingriffen, kommt die verschärfte Haftung nach §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB in Verbindung mit den allgemeinen Vorschriften zum Zuge. Soweit bei § 818 Abs. 2 BGB eine Herausgabe des vom Eingreifer erzielten Gewinns abgelehnt und der Wertersatz auf den objektiven Verkehrswert des Erlangten beschränkt wird31, lässt sich eine »echte« Abschöpfung nur aus §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1, 285 BGB entwickeln. Das setzt voraus, dass § 285 BGB in dem Verweis auf die allgemeinen Vorschriften eingeschlossen ist, was überwiegend bejaht wird32. Eine tragende Stütze dieser Position liegt in der anzustrebenden »Wertungsharmonie« mit der Surrogationshaftung des bösgläubigen Fremdgeschäftsführers nach §§ 687 Abs. 2, 681 S. 1, 667 BGB33, die ihrerseits eine Abschöpfung des erzielten Gewinns ermöglicht. Zudem sei die Anwendung von § 285 BGB gerechtfertigt, um dem Bereicherungsschuldner die ihm zukommenden Vergünstigungen des Bereicherungsrechts vollständig zu nehmen und ihn rechtlich wieder den Schuldnern aus anderen Rechtsgründen gleichzustellen34. 2. Abschöpfung bei unerlaubten Handlungen Dem BGB ist eine Abschöpfung bei deliktischen Handlungen fremd. Die Haftung bei unerlaubten Handlungen erfolgt aus einer der Abschöpfung genau entgegengesetzten Perspektive. Das Delikts- und Schadensrecht fragt nicht danach, welche Vorteile ein Schädiger aus seinem rechtswidrigen Verhalten gezogen hat, sondern den rechtlichen Bezugspunkt bilden allein die bei dem Geschädigten eingetretenen Nachteile. Da die Vorteile des Schädigers mit den Nachteilen des Geschädigten keineswegs identisch sein müssen, kann diese Konzeption allenfalls eine zufällige Abschöpfung bewirken. Der Gedanke einer Abschöpfung von Unrechtsvorteilen ist im Deliktsrecht aber auf fruchtbaren Boden gefallen. Denn das Bedürfnis nach einer Abschöpfung von Unrechtsvorteilen ergab und ergibt sich typischerweise aus unerlaubten Handlungen, sodass es nur konsequent ist, dass die Abschöpfung – obgleich eine gesetzliche Regelung im BGB fehlt – im Deliktsrecht erfolgreich integriert ist35. Die zwei wichtigsten Erscheinungsformen einer Abschöpfung von Unrechtsvorteilen im Deliktsrecht wurden im Rahmen dieser Untersuchung bereits vorgestellt: Eine »echte« Abschöpfung liegt vor, wenn ein Geschädigter im Rahmen der dreifachen Schadensberechnung vom Verletzer die Herausgabe des Verletzer31 BGH vom 18.12.1986, BGHZ 99, 244, 248 f.; BGH vom 24.11.1981, BGHZ 82, 299, 307 f. – Kunststoffhohlprofil II; BGH vom 7.1.1971, BGHZ 55, 128, 135; BGH vom 18.12.1962, BGHZ 38, 356, 369; RG vom 3.5.1935, RGZ 147, 396, 398. 32 Wendehorst, in: Bamberger/Roth, BGB § 818 Rn. 117; zur Vorgängervorschrift § 281 BGB a.F. BGH vom 11.10.1979, BGHZ 75, 203, 207; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 73 II 3 b, S. 315; siehe dort auch zum Streitstand. 33 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 73 II 3 b, S. 315. 34 BGH vom 11.10.1979, BGHZ 75, 203, 207. 35 Helms, Gewinnherausgabe als haftungsrechtliches Problem, S. 212.
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gewinns verlangt36. Wertend berücksichtigt wird der Abschöpfungsgedanke bei der Zuerkennung einer Geldentschädigung bei schwerwiegenden Beeinträchtigungen ideeller Interessen des Persönlichkeitsrechts37.
II. Abschöpfung im Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht Ordnungswidrigkeitenrecht und Strafrecht kennen unterschiedliche Abschöpfungsmechanismen. Beide Rechtsgebiete können den Gedanken einer Abschöpfung von Unrechtsvorteilen integrieren, weil sie auf einem »verletzerbezogenen« Regelungskonzept beruhen. Die Rechtsfolgen im Ordnungswidrigkeitenrecht und Strafrecht sind in erster Linie tat- und täterbezogen ausgerichtet. Eine Abschöpfung von Unrechtsvorteilen fügt sich in diesen Regelungsansatz nahtlos ein. 1. Abschöpfung durch Geldbußen a) Allgemeines Wird wegen einer Ordnungswidrigkeit eine Geldbuße verhängt, dann soll gemäß § 17 Abs. 4 S. 1 OWiG die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen38. Eine spezielle Regelung für Kartellordnungswidrigkeiten enthält § 81 Abs. 5 GWB. Aus § 17 Abs. 4 OWiG folgt, dass sich ein Bußgeld aus einem »abschöpfenden« und einem – in der Regel darüber hinaus gehenden – »ahndenden« Teil zusammensetzt39. Dass das Gesetz dem Ziel der Abschöpfung große Bedeutung beilegt, wird anhand von § 17 Abs. 4 S. 2 OWiG deutlich, wonach zur Gewährleistung einer vollständigen Abschöpfung das gesetzlich vorgesehene Höchstmaß für Geldbußen überschritten werden darf. Die Legitimation der Abschöpfung im Ordnungswidrigkeitenrecht beruht auf den oben dargelegten Gründen. In wirtschaftsbezogenen Bereichen werden Entscheidung in der Regel auf Grundlage einer Kosten-Nutzen-Analyse getroffen40. Die drohende Geldbuße wird dann von den Rechtsadressaten als negativer Rechnungsposten dem durch den Rechtsverstoß voraussichtlich zu erzielenden Gewinn gegenübergestellt, sodass mit steigendem Gewinn die repressive Funktion der Geldbuße in den Hintergrund gedrängt wird41. Mit dem Zugriff auf den Un-
36
Zu den Einzelheiten oben, § 4. D. II. 4., S. 253 ff. Zu den Einzelheiten oben, § 3. C. IV. 2., S. 171 ff. 38 Eingehend dazu Brenner, NStZ 1998, 557 ff.; Drathjer, Die Abschöpfung rechtswidrig erlangter Vorteile im Ordnungswidrigkeitenrecht, 1997. 39 Brenner, NStZ 1998, 557. 40 Drathjer, Die Abschöpfung rechtswidrig erlangter Vorteile im Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 22. 41 Drathjer, Die Abschöpfung rechtswidrig erlangter Vorteile im Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 22. 37
B. Instrumente zur Abschöpfung von Unrechtsvorteilen
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rechtsvorteil wird der entscheidende Tatanreiz beseitigt42. Für den Täter soll klar werden, dass sich die Begehung einer Ordnungswidrigkeit nicht »lohnt« und er finanziell »draufzahlt«. Nur auf diese Weise wird er von der Begehung weiterer Ordnungswidrigkeiten abgeschreckt43. Zugleich dient die Vorschrift aber auch der »Bewährung der Rechtsordnung«, weil deutlich zum Ausdruck kommt, dass rechtswidrig erzielte Profite nicht bei den Tätern belassen werden44. Die Geldbuße bildet als »Verwaltungssanktion«45 ein eigenständiges Sanktionsinstrument des Ordnungswidrigkeitenrechts und vereint als »kombinierte Sanktion«46 repressive und präventive Elemente. Obgleich die wirtschaftlichen Folgen einer Geldbuße und einer Geldstrafe einen Täter vergleichbar schwer treffen können, besteht ein fundamentaler Unterschied im »Wesen« von Geldstrafe und Geldbuße. Beide Sanktionen unterscheiden sich dadurch, dass mit der Verhängung einer Kriminalstrafe ein ehrenrühriges, autoritatives Unwerturteil über eine Verhaltensweise des Täters verbunden ist, nämlich der Vorwurf einer Auflehnung gegen die Rechtsordnung und die Feststellung der Berechtigung dieses Vorwurfs47. Demgegenüber wird die an eine Ordnungswidrigkeit geknüpfte Geldbuße lediglich als eine nachdrückliche Pflichtenmahnung angesehen und empfunden, die keine ins Gewicht fallende Beeinträchtigung des Ansehens und des Leumundes des Betroffenen zur Folge hat, mag sie dessen Vermögen auch ebenso stark belasten wie eine vergleichbare Geldstrafe. Ihr fehlt – wie es das BVerfG plastisch, aber etwas missverständlich ausgedrückt hat – »der Ernst der staatlichen Strafe«48. b) Abschöpfung als Bemessungskriterium Geldbußen sind nicht allein auf eine Abschöpfung von Unrechtsvorteilen gerichtet, sondern die Abschöpfung bildet nur ein Wertungskriterium bei der Festsetzung eines zu verhängenden Bußgeldes. Neben der Abschöpfung können weitere Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Allerdings bildet die Abschöpfung gleichsam die Basis bei der Bemessung des Bußgeldes. Damit das Ziel der Abschöpfung erreicht wird, muss die Geldbuße dem Täter mindestens den Unrechtsvorteil entziehen. Demgemäß bestimmt die Abschöpfung in der Regel die Untergrenze der zu verhängenden Geldbuße49. Sie ist gemäß § 17 Abs. 4 OWiG so festzusetzen, dass sie mindestens den vom Täter 42
Drathjer, Die Abschöpfung rechtswidrig erlangter Vorteile im Ordnungswidrigkeitenrecht,
S. 22. 43
Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 17 Rn. 112. Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 17 Rn. 112. 45 Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 17 Rn. 6. 46 Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 17 Rn. 4. 47 BVerfG vom 16.7.1969, BVerfGE 27, 18, 33; BVerfG vom 6.6.1967, BVerfGE 22, 49, 80. 48 BVerfG vom 16.7.1969, BVerfGE 27, 18, 33; BVerfG vom 6.6.1967, BVerfGE 22, 49, 80; BVerfG von 4.2.1959, BVerfGE 9, 167, 171. 49 BayObLG vom 2.1.1998, NJW 1998, 2461, 2462; OLG Karlsruhe vom 3.7.1974, NJW 1974, 1883; Brenner, NStZ 1998, 557. 44
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aus der Ordnungswidrigkeit erlangten Unrechtsvorteil aufzehrt50. Ordnungswidriges Gewinnstreben könnte nicht wirksam bekämpft werden, wenn der Täter Gewissheit darüber hätte, dass ihm sein ordnungswidriges Verhalten auch unter Berücksichtigung einer späteren Geldbuße, die einen festgesetzten Höchstbetrag nicht übersteigen darf, noch wirtschaftliche Vorteile bringen werde51. Spezial- und Generalprävention greifen hierbei ineinander. § 17 Abs. 4 S. 1 OWiG ist als Sollvorschrift ausgestaltet, um zu verhindern, dass neben der Abschöpfung andere Zumessungskriterien in den Hintergrund gedrängt werden. Die Grundlage für die Zumessung der Geldbuße bilden nach § 17 Abs. 3 OWiG die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit sowie der Vorwurf, der den Täter trifft. Des Weiteren sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters zu berücksichtigen. Welchen Stellenwert damit der Abschöpfung bei der Sanktionierung einer Ordnungswidrigkeit zukommt, ist jeweils im Einzelfall zu entscheiden und lässt sich daher nicht pauschal sagen. Beruhen (gute) wirtschaftliche Verhältnisse eines Täters hauptsächlich auf »Unrechtsvorteilen«, kann das Ziel der Abschöpfung zum beherrschenden Aspekt bei der Zumessung des Bußgeldes werden52. Der Begriff des wirtschaftlichen Vorteils, der auch in §§ 34 Abs. 1, 34a Abs. 1, 81 Abs. 5 GWB Verwendung findet und in bewusster Anlehnung an § 17 Abs. 4 OWiG in das Gesetz aufgenommen wurde53, wird in einem weiten Sinne verstanden. Wirtschaftlicher Vorteil im Sinne des § 17 Abs. 4 S. 1 OWiG ist derjenige Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat54. Neben tatsächlich eingetretenen Vermögensvorteilen sind als wirtschaftliche Vorteile auch sonstige vermögenswerte Verbesserungen der wirtschaftlichen Situation des Täters anzusehen. Dazu gehört etwa die Verbesserung der Marktposition des Täters55, z.B. in Form neuer Geschäftsverbindungen, durch Hinzugewinnen von Marktanteilen, durch Gebrauchsvorteile oder die Aussicht, in Zukunft aus der Zuwiderhandlung Einnahmen erzielen zu können56. Die Bestimmung des wirtschaftlichen Vorteils richtet sich nach dem NettoPrinzip und verlangt einen Vergleich der Vermögenssituation des Betroffenen nach der begangenen Ordnungswidrigkeit mit der Vermögenssituation, wie sie sich ohne die Zuwiderhandlung dargestellt hätte57. Wenn feststeht, dass ein wirt50
BGH vom 19.9.1974, NJW 1975, 269, 270. OLG Hamburg vom 3.3.1971, NJW 1970, 1000, 1002. 52 Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 17 Rn. 114. 53 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 56. 54 BayObLG vom 2.1.1998, NJW 1998, 2461, 2462; Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 81 Rn. 295. 55 BayObLG vom 2.1.1998, NJW 1998, 2461, 2462; OLG Hamburg vom 3.3.1971, NJW 1971, 1000, 1002; OLG Karlsruhe vom 30.12.1974, NJW 1975, 793. 56 OLG Karlsruhe vom 30.12.1974, NJW 1975, 793, 794. 57 Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 81 Rn. 296 ff.; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 81 Rn. 452; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Einführung und Allgemeiner Teil, Rn. 284; zu den Einzelheiten: Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 17 Rn. 117 ff. 51
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schaftlicher Vorteil entstanden ist, kann die Höhe des wirtschaftlichen Vorteils geschätzt werden58. c) Geldbußen gegen Unternehmen Wird eine Ordnungswidrigkeit begangen, durch die Pflichten, welche eine juristische Person oder eine Personenvereinigung treffen, verletzt worden sind oder eine juristische Person oder die Personenvereinigung bereichert worden ist oder werden sollte, so kann gemäß § 30 OWiG unter bestimmten Voraussetzungen eine Geldbuße gegen die juristische Person oder Personenvereinigung selbst festgesetzt werden. Diese Regelung beruht auf der Erfahrung, dass von den Handlungen eines Repräsentanten in aller Regel das Unternehmen profitiert. Um dem begünstigten Unternehmen die durch rechtswidriges Verhalten des Repräsentanten entstandenen Vorteile nicht zu belassen, ermöglicht § 30 OWiG die Verbandsgeldbuße59. Sie wird im Falle einer Rechtsverletzung verhängt, die unmittelbar von einem Repräsentanten des Unternehmens begangen wurde. Der Zweck der Verbandsgeldbuße entspricht dem Zweck (oder den Zwecken) strafoder bußgeldrechtlicher Sanktionen, die gegen die handelnden natürlichen Personen verhängt werden. Richtet sich eine Verbotsvorschrift direkt an ein Unternehmen und kann bei einer Zuwiderhandlung eine Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG verhängt werden, dann entspricht dies in der Sache einer Art Unternehmenstäterschaft60, die ansonsten nicht anerkannt ist. Möglicherweise gewinnt aber die Problematik einer eigenständigen Unternehmenstäterschaft mit dem Einfluss des Gemeinschaftsrechts künftig an Boden61. 2. Abschöpfung durch Anordnung von Verfall a) Allgemeines Speziell auf den Entzug von unrechtmäßig erlangten Vorteilen zugeschnitten ist der Verfall gemäß §§ 73 ff. StGB und § 29a OWiG. Nach dem Sprachgebrauch des StGB handelt es sich beim Verfall um eine Maßnahme62. Verfall wird angeordnet, wenn ein Täter, Teilnehmer oder ein Dritter aus einer Tat oder für eine Tat »etwas erlangt« hat. Die Besonderheit des Verfalls besteht darin, dass zur An58 Bohnert, OWiG, § 17 Rn. 27; Raum, in: Langen/Bunte, GWB, § 81 Rn. 141; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Einführung und Allgemeiner Teil, Rn. 285. 59 OLG Hamm vom 27.4.1973, NJW 1973, 1851, 1852; Rogall, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 30 Rn. 18. 60 Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB, Vorbem. § 81 Rn. 45 ff.; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, Vor § 81 Rn. 59 ff.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Besonderer Teil, Rn. 164. 61 Tiedemann, NJW 1993, 23, 30. 62 § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB. Bei den Maßnahmen handelt es sich um bestimmte Rechtsfolgen der Tat, die trotz unterschiedlicher Rechtsnatur teilweise nach gleichen Grundsätzen behandelt werden; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, § 11 Rn. 64.
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
ordnung das Vorliegen einer mit Geldbuße bedrohten Handlung bzw. das Vorliegen einer rechtswidrigen Tat genügt, also insbesondere ein vorwerfbares Verhalten nicht vorausgesetzt wird. Infolge dieser Abkopplung vom individuellen Vorwurf kommt dem Verfall kein unmittelbar repressiver »Ahndungscharakter« zu63. Der Primärzweck des Verfalls besteht in der Prävention64. Die rechtliche Einordnung des Verfalls bereitet Schwierigkeiten. Verbreitet wird der Verfall als kondiktionsähnliches65 Instrument angesehen, das dem Ziel dient, eine beim Täter oder Dritten verbleibende unrechtmäßige Bereicherung infolge einer von ihm begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit zu verhindern66. Diese rechtliche Charakterisierung ist zwar aufgrund der »Anleihe« im bürgerlichen Recht anschaulich, führt aber etwas in die Irre. Der erlangte Vorteil muss nämlich keineswegs – wie es einer Eingriffskondiktion entsprechen würde – auf Kosten eines bestimmten Opfers erzielt worden sein67. Damit fehlt dem Verfall der kondiktionstypische Rückverschiebungscharakter. Nach der Rechtsprechung handelt sich beim Verfall nicht um eine Strafe oder eine strafähnliche Maßnahme, sondern um »eine Maßnahme eigener Art«68. b) Verfall im Strafrecht aa) Überblick Die Anordnung von Verfall im Strafrecht setzt gemäß § 73 Abs. 1 S. 1 StGB voraus, dass eine rechtswidrige Tat begangen worden ist. Gemäß § 11 Nr. 5 StGB liegt eine rechtswidrige Tat vor, wenn der Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht wurde. Welche Elemente zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehören, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen und richtet sich nach dem zugrunde liegenden Verbrechensbegriff69. Der Täter oder Teilnehmer muss nicht schuldhaft gehandelt haben70. Ebenfalls unerheblich ist, ob zugunsten des Täters persönliche Strafausschließungsgründe vorliegen71. Dem Verfall unterliegt das für die Tat oder aus der Tat Erlangte, und zwar der Gegenstand selbst bzw. der Geldbetrag, der dem Wert des Erlangten entspricht72. 63
Joecks, in: Münchener Kommentar, StGB, § 73 Rn. 14. BVerfG vom 14.1.2004, BVerfGE 110, 1, 18; BGH vom 21.8.2002, BGHSt 47, 369, 373; BGH vom 18.2.2004, NStZ-RR 2004, 214, 215; BGH vom 30.5.2008, WRP 2008, 1071 Tz. 101 – Strafbare Werbung mit Gewinnmitteilungen. 65 Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem § 73 Rn. 18; Joecks, in: Münchener Kommentar, StGB, § 73 Rn. 4; Retemeyer, in: Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, XIV Rn. 14. 66 BGH vom 1.3.1995, NStZ 1995, 491. 67 Drathjer, Die Abschöpfung rechtswidrig erlangter Vorteile im Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 24; Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 29a Rn. 11. 68 BGH vom 21.8.2002, BGHSt 47, 369, 373. 69 Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, § 11 Rn. 44. 70 Eser, in: Schöne/Schröder, StGB, § 73 Rn. 4; Joecks, in: Münchener Kommentar, StGB, § 73 Rn. 19. 71 Joecks, in: Münchener Kommentar, StGB, § 73 Rn. 20. 72 § 73a StGB. 64
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Erfasst wird der Zuwachs, der auf einer unmittelbaren Kausalbeziehung zwischen Tat und Vorteil beruht73. Mittelbare Vorteile, die dem Verfall unterliegen, werden in § 73 Abs. 2 StGB genannt. Wirtschaftliche Vorteile, die eine Anordnung von Verfall rechtfertigen können, sind nicht nur schuldrechtliche Verträge, etwa über rechtswidrig beworbene Waren oder Dienstleistungen, sondern auch die in Erfüllung der Verträge von den Vertragspartnern geleisteten Zahlungen74. Die Höhe des Verfalls richtet sich nach dem Brutto-Prinzip75. Danach sind Vermögenswerte, die der Täter oder Teilnehmer in irgendeiner Phase des Tatablaufs unmittelbar erlangt hat, in ihrer Gesamtheit abzuschöpfen, ohne dass Gegenleistungen oder sonstige Aufwendungen in Abzug gebracht werden können76. Das Brutto-Prinzip wird mit dem präventiven Zweck des Verfalls begründet. Müsste der Täter oder Teilnehmer lediglich die Abschöpfung des Nettogewinns befürchten, dann würde sich die Tatbegehung für ihn unter finanziellen Gesichtspunkten als weitgehend risikolos erweisen77. Gemäß § 73b StGB können der Umfang des Erlangten und dessen Wert sowie die Höhe der Ansprüche, deren Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer das aus der Tat Erlangte entziehen würde, geschätzt werden. Sofern der Täter oder Teilnehmer für einen anderen gehandelt hat, kann der Verfall gemäß § 73 Abs. 3 StGB auch gegenüber diesem Dritten angeordnet werden. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass das »Unrechtsvermögen« selbst dann abgeschöpft wird, wenn es einem Tatunbeteiligten zufließt und nicht beim Täter oder Teilnehmer verbleibt. Diese Regelung ermöglicht es beispielsweise, den Verfall anzuordnen, wenn Vorteile aus einer Straftat unmittelbar dem Vermögen einer juristischen Person zufließen78. bb) Verfall und Ansprüche von Verletzten Die Anordnung von Verfall unterliegt einer wichtigen Einschränkung. Bisweilen wird diese Einschränkung sogar als »Totengräber des Verfalls« bezeichnet79. Gemäß § 73 Abs. 1 S. 2 StGB wird Verfall nicht angeordnet, soweit dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde. Als den Verfall hindernde Ansprüche kommen sämtliche privatrechtliche Ansprüche in Betracht,
73 BGH vom 21.3.2002, BGHSt 47, 260, 268; BGH vom 30.5.2008, WRP 2008, 1971 Tz. 92 – Strafbare Werbung mit Gewinnmitteilungen; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, § 73 Rn. 16; Fischer, StGB, § 73 Rn. 10. 74 BGH vom 30.5.2008, WRP 2008, 1071 Tz. 102 ff. – Strafbare Werbung mit Gewinnmitteilungen. 75 BGH vom 21.8.2002, NJW 2002, 3339, 3340. 76 BGH vom 21.8.2002, BGHSt 47, 369, 370 f.; BGH vom 30.5.2008, WRP 2008, 1971 Tz. 101 – Strafbare Werbung mit Gewinnmitteilungen. 77 BGH vom 30.5.2008, WRP 2008, 1071 Tz. 101 – Strafbare Werbung mit Gewinnmitteilungen. 78 BGH vom 21.8.2002, BGHSt 47, 369, 373. 79 Eberbach, NStZ 1987, 486, 491.
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neben Schadensersatzansprüchen etwa auch Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder nach Bereicherungsrecht80. Die Regelung des § 73 Abs. 1 S. 2 StGB verfolgt mehrere Ziele: Erstens soll damit verhindert werden, dass der Verletzte aufgrund einer Verfallanordnung gegen den Täter »leer ausgeht« und etwaige bestehende Ansprüche nicht mehr mit Erfolg durchsetzen kann, weil dem Täter die Mittel zur Befriedigung der Ansprüche bereits entzogen wurden81. Zwar berührt die Anordnung des Verfalls den rechtlichen Bestand von Forderungen nicht. Gleichwohl besteht die naheliegende Gefahr, dass infolge einer Abschöpfung durch den Verfall das Vermögen des Täters bereits soweit in Anspruch genommen wird, dass für den Geschädigten kaum noch Haftungsmasse zum Zugriff verbleibt. Zweitens schützt § 73 Abs. 1 S. 2 StGB den Täter vor mehrfacher Inanspruchnahme wegen des Rechtsverstoßes82. Eine solche mehrfache Inanspruchnahme könnte drohen, wenn verschiedene Sanktionsinstrumente, die zwar eine unterschiedliche Rechtsnatur aufweisen, aber im Wesentlichen das gleiche Ziel verfolgen, zusammentreffen. Drittens wird durch § 73 Abs. 1 S. 2 StGB eine problematische Konkurrenz zwischen einem staatlichen Zugriff auf das Vermögen des Täters und privaten Ansprüchen vermieden83. Ein Nebeneinander könnte einen zweifelhaften »Wettlauf« um die besten Zugriffsmöglichkeiten zur Folge haben. Der Verletzte genießt damit im Ergebnis hinsichtlich eines Zugriffs auf den »Unrechtsvorteil« des Täters einen Vorrang vor dem Staat84. Die Ausschlussregelung hat im praktischen Ergebnis zur Folge, dass bei Verstößen gegen individualschützende Normen eine Anordnung von Verfall in der Regel ausscheiden wird, weil und soweit dadurch zugleich Individualansprüche des Verletzten begründet werden. Damit verbleiben für den Verfall vor allem solche Taten, die überindividuelle Interessen betreffen und keine individuellen Ansprüche auslösen85. Verletzter im Sinne von § 73 Abs. 1 S. 2 StGB ist derjenige, dessen Individualinteressen durch die vom Täter übertretene Rechtsvorschrift geschützt werden86. Nach herrschender Meinung genügt schon die bloße Existenz eines Anspruchs, um die »Verfallsperre« des § 73 Abs. 1 S. 2 StGB auszulösen. Es kommt nicht darauf an, ob der Verletzte bereits Anstrengungen zur Durchsetzung seines Anspruchs unternommen hat87 und es ist unerheblich, ob ein Verletzter 80
BGH vom 7.12.2000, NStZ 2001, 257, 258. Kiethe/Hohmann, NStZ 2003, 505, 509; Retemeyer, in: Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, XIV Rn. 28. 82 Fischer, StGB, § 73 Rn. 11; Kiethe/Hohmann, NStZ 2003, 505, 509; Retemeyer, in: Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, XIV Rn. 28. 83 Fischer, StGB, § 73 Rn. 11. 84 Eberbach, NStZ 1987, 486, 491. 85 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Einführung und Allgemeiner Teil, Rn. 279; vgl. etwa BGH vom 11.5.2001, NJW 2001, 2560, 2562 f. 86 BGH vom 23.9.1988, NJW 1989, 2139. 87 BGH vom 7.12.2000, NStZ 2001, 257, 258; BGH vom 12.3.1996, NStZ 1996, 332; BGH vom 15.3.1984, NStZ 1984, 409; Fischer, StGB, § 73 Rn. 11a; Retemeyer, in: Achenbach/Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, XIV Rn. 30. Anders – mit Differenzierungen im Einzelnen – Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, § 73 Rn. 26; Kiethe/Hohmann, NStZ 2003, 505, 510 f. 81
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überhaupt schon ermittelt wurde88. § 73 Abs. 1 S. 2 StGB greift nur dann nicht, wenn Geschädigte ihre Ansprüche nicht geltend machen oder auf die Ansprüche verzichten89. Die Anwendung von § 73 Abs. 1 S. 2 StGB ist nicht von der Anzahl der Opfer abhängig. Die Norm findet also im Falle eines Geschädigten ebenso Anwendung wie bei einer Vielzahl von Geschädigten90. Es kommt auch nicht auf die Höhe der möglichen Ersatzansprüche der Opfer an. Selbst wenn die Geschädigten »nur« jeweils in geringem Umfang geschädigt sind, scheidet eine Anordnung von Verfall aus. Zur Behebung des Sanktionsdefizits bei Streu- und Bagatellschäden ist die Verfallanordnung nicht geeignet. Vielmehr muss nach Lösungen gesucht werden, wie den Opfern die Rechtsdurchsetzung von Kleinstschäden erleichtert wird. c) Verfall im Ordnungswidrigkeitenrecht (§ 29a OWiG) aa) Überblick Die Anordnung von Verfall im Ordnungswidrigkeitenrecht kann erfolgen, wenn der Täter eine mit Geldbuße bedrohte Handlung begangen hat. Darunter ist gemäß § 1 Abs. 2 OWiG eine rechtswidrige Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 OWiG zu verstehen, auch wenn sie nicht vorwerfbar begangen ist. Wie im Strafrecht muss zumindest eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Handlung vorliegen91. Zwar erwähnt § 29a Abs. 1 OWiG nur die Anordnung des Verfalls gegenüber dem Täter, doch ist ein Teilnehmer dem Täter gemäß § 14 Abs. 1 OWiG gleichgestellt. Auch insoweit kommt also, wie im Strafrecht, eine Verfallanordnung in Betracht92. Der Täter muss für eine mit Geldbuße bedrohte Handlung oder aus ihr etwas erlangt haben. Abweichend von § 73 StGB kann gemäß § 29a OWiG jedoch nur ein Geldbetrag für verfallen erklärt werden. Zur Ermittlung des Wertes des erlangten Gegenstandes gelten die gleichen Beurteilungsmaßstäbe wie bei § 73 StGB. Insbesondere ist das Brutto-Prinzip zugrunde zu legen93. Gemäß § 29a Abs. 3 S. 1 OWiG können der Umfang des Erlangten und dessen Wert geschätzt werden. Während im Strafrecht der Verfall prinzipiell neben die jeweilige Kriminalstrafe treten kann, ist eine Anordnung von Verfall im Ordnungswidrigkeiten88
BGH vom 5.5.2004, NStZ 2004, 242, 244. BGH vom 31.7.2006, NStZ-RR 2006, 346; BGH vom 30.10.2003, NStZ-RR 2004, 54, 55. 90 Einschränkend Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, § 73 Rn. 26: § 73 Abs. 1 S. 2 StGB soll danach keine Anwendung finden, wenn wegen der Vielzahl der Opfer eine Aufklärung einzelner Ersatzansprüche »praktisch ausgeschlossen« sei. In einem solchen Fall bestehe kein Anlass für die vom Gesetz bezweckte Rücksicht auf etwaige Ansprüche der Verletzten. 91 Bohnert, OWiG, § 29a Rn. 3; Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 29a Rn. 8. 92 Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 29a Rn. 17. 93 Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB, Vorbem § 81 Rn. 117; Bohnert, OWiG, § 29a Rn. 4; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, Vor § 81 Rn. 118; Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 29a Rn. 27. 89
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recht nur zulässig, wenn wegen der Handlung nicht bereits eine Geldbuße festgesetzt wurde. Dieses spezielle Konkurrenzverhältnis beruht auf § 17 Abs. 4 OWiG. Bei der Festsetzung einer Geldbuße soll der entstandene Vorteil abgeschöpft werden, sodass daneben für eine weitere Abschöpfung durch Verfall kein Raum verbleibt. Das Verhängen einer Geldbuße schließt eine Verfallanordnung aber nicht generell aus. Vielmehr reicht die Verdrängungswirkung der Geldbuße nur soweit, wie der Vermögensvorteil durch die Geldbuße tatsächlich abgeschöpft wurde94. Gemäß § 29a Abs. 2 OWiG kann der Verfall auch gegen Dritte angeordnet werden, wenn »Unrechtsvorteile« aus der mit Geldbuße bedrohten Handlung an diese geflossen sind. Das entspricht der Zielrichtung des § 73 Abs. 3 StGB. Eine Verfallanordnung ist allerdings gemäß § 30 Abs. 5 OWiG ausgeschlossen, wenn gegen die juristische Person oder Personenvereinigung wegen derselben Tat bereits eine Geldbuße verhängt wurde. bb) Verfall und Ansprüche von Verletzten § 29a OWiG enthält – abweichend von den strafrechtlichen Verfallbestimmungen – keine Ausschlussregelung für den Fall bestehender Individualansprüche von Verletzten. Daher stehen Individualansprüche Dritter einer Anordnung von Verfall im Ordnungswidrigkeitenrecht nicht grundsätzlich entgegen95. Das bedeutet aber nicht, dass eine echte Mehrfachabschöpfung des Täters zulässig wäre. Die zuständige Behörde oder das erkennende Gericht müssen bestehende Individualansprüche Dritter ihm Rahmen des ihnen zustehenden Ermessens bei der Bemessung des Bußgeldes berücksichtigen. Eine Verfallanordnung trotz bestehender Individualansprüche Dritter wäre eine unbillige Härte für den Täter96. Ist der Verfall bereits rechtskräftig angeordnet worden und werden erst danach Ersatzansprüche Dritter festgestellt, ordnet die Vollstreckungsbehörde gemäß § 99 Abs. 2 S. 1 OWiG an, dass die Anordnung des Verfalls insoweit nicht mehr vollstreckt wird. Wenn der für verfallen erklärte Geldbetrag bereits gezahlt oder beigetrieben worden ist und die Zahlung aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung an den Verletzten nachgewiesen wird, ordnet die Vollstreckungsbehörde gemäß § 99 Abs. 2 S. 2 OWiG insoweit die Rückerstattung an den Betroffenen oder den Verfallsbeteiligten an. Diese Erstattungsregelung ist der Bestimmung des § 9 Abs. 2 WiStrG nachgebildet und diente als Vorbild für die Erstattungsregeln bei den Abschöpfungssanktionen in § 10 Abs. 2 S. 2 UWG und § 34 Abs. 2 S. 2 GWB97.
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Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 29a Rn. 22. Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 99 Rn. 7. 96 Bohnert, OWiG, § 29a Rn. 11; Drathjer, Die Abschöpfung rechtswidrig erlangter Vorteile im Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 100; Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 29a Rn. 46. 97 Diese Bestimmung gilt gemäß § 34a Abs. 2 S. 2 GWB auch für den Vorteilsabschöpfungsanspruch. 95
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3. Abführung und Rückerstattung des Mehrerlöses Speziell auf rechtswidrig überhöhte Preise zugeschnitten sind §§ 8 und 9 WiStrG. Gemäß § 8 Abs. 1 WiStrG kann angeordnet werden, dass ein Täter, der durch eine Zuwiderhandlung gegen §§ 1 bis 6 WiStrG einen höheren als den zulässigen Preis erzielt, den Mehrerlös an das Land abführt, soweit er diesen Vorteil nicht aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung zurückerstattet hat. Die Abführung des Mehrerlöses tritt gemäß § 8 Abs. 4 WiStrG an die Stelle der Verfallanordnung. Die Rechtsprechung erblickt in der Abführung des Mehrerlöses nach § 8 WiStrG ein »Abschreckungsmittel«, das der Sicherung eines angemessenen Preisgefüges dient98. Statt der Abführung kann gemäß § 9 Abs. 1 WiStrG auf Antrag des Geschädigten die Rückerstattung des Mehrerlöses an ihn angeordnet werden, wenn sein Rückforderungsanspruch gegen den Täter begründet erscheint. Diese Regelung bewirkt gleichsam einen hoheitlichen Schadensausgleich. Sofern der Täter oder der Geschädigte, nachdem die Abführung des Mehrerlöses angeordnet ist, eine rechtskräftige Entscheidung vorlegt, in welcher der Rückforderungsanspruch gegen den Täter festgestellt ist, ordnet die Vollstreckungsbehörde gemäß § 9 Abs. 2 WiStrG an, dass die Anordnung der Abführung des Mehrerlöses insoweit nicht mehr vollstreckt oder der Geschädigte aus dem bereits abgeführten Mehrerlös befriedigt wird. Der Anwendungsbereich von §§ 8 und 9 WiStrG ist eng begrenzt und betrifft Verstöße gegen Sicherstellungsvorschriften99, Verstöße gegen Vorschriften zur Preisregelung100 sowie das Verlangen unangemessener Preise in Beruf und Gewerbe101 oder bei der Vermietung von Wohnraum102. Bei dem herauszugebenden Mehrerlös handelt es sich nach der Legaldefinition § 8 Abs. 1 S. 1 WiStG um den Unterschiedsbetrag zwischen dem rechtlich zulässigen und dem erzielten Preis. Diese abstrakte Berechnungsmethode kann zur Folge haben, dass der Mehrerlös höher als der erzielte Gewinn ist. Das ist der Fall, wenn bereits der Einstandspreis höher als zulässig war103. Bis zur siebenten GWB-Novelle knüpfte auch das Kartellrecht an den preisbezogenen Begriff des Mehrerlöses an104, doch entfiel diese begriffliche Kongruenz im Zuge der Novellierung des Gesetzes, das nunmehr von wirtschaftlichen Vorteilen spricht105. 4. Sicherung von Abschöpfungsmaßnahmen Um zu verhindern, dass Gegenstände, die dem Verfall oder der Einziehung unterliegen, vom Täter beiseite geschafft werden, können diese Gegenstände gemäß 98 99 100 101 102 103 104 105
BGH vom 6.3.1961, NJW 1061, 1030; BGH vom 23.9.1954, NJW 1954, 1734. §§ 1, 2 WiStrG. § 3 WiStrG. § 4 WiStrG. § 5 WiStrG. Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Einführung und Allgemeiner Teil, Rn. 286. §§ 34 Abs. 1, 81 Abs. 2 GWB a.F. §§ 34 Abs. 1, 34a Abs. 1, 81 Abs. 5 GWB.
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
§ 111b StPO sichergestellt werden. Diese Regelung findet auch Anwendung, wenn Verfall gemäß § 73 Abs. 1 S. 2 StGB wegen bestehender Ansprüche von Verletzten nicht angeordnet werden darf. Dies ergibt sich aus § 111b Abs. 5 StPO. § 111b StPO ist keine eigenständige Abschöpfungsmaßnahme, sondern lediglich ein strafprozessuales Hilfsmittel, um die Durchsetzbarkeit von anderen Abschöpfungsinstrumenten und privatrechtlichen Ansprüchen zu sichern. Die Vorschrift beruht auf der Lebenserfahrung, dass Wirtschaftsstraftäter ihre erlangten Vermögenswerte frühzeitig zu verbergen suchen, sodass vor allem ein möglichst rascher Zugriff auf das Vermögen bessere Aussichten für die Opfer schafft, den Täter erfolgreich in Anspruch nehmen zu können106. Im Wirtschaftsstrafrecht hat § 111b StPO lange Zeit offenbar ein Schattendasein geführt und ist erst in jüngerer Zeit wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt107. Die Anwendung von § 111b StPO steht im Ermessen der Beschlagnahmebehörde108. Zum Teil wird eine Ermessenreduzierung auf null angenommen, wenn bei einer Betrachtung ex ante die Gefahr bestehe, dass ein Opfer seiner Ersatzund Ausgleichsansprüche praktisch verlustig geht, weil es diese nicht rechtzeitig durchsetzen oder sichern kann109. Das läuft in der Sache auf eine Rückgewinnungshilfe von Amts wegen hinaus110. Es ist indessen fraglich, ob die Ermittlungsbehörden zur Sicherung der Durchsetzbarkeit privatrechtlicher Ansprüche verpflichtet sind. Zwar werden die Ermittlungsbehörden regelmäßig über einen Informationsvorsprung gegenüber den Geschädigten verfügen, der es ihnen ermöglichen würde, die Reichweite der konkreten Schädigung durch die Straftat abzuschätzen, noch bevor die Opfer hiervon Kenntnis haben. Es besteht zudem bereits zu einem frühen Zeitpunkt die Möglichkeit, Zugriff auf das Tätervermögen zu nehmen. Man kann sich beispielsweise den Fall eines nach § 16 Abs. 2 UWG verbotenen »Schneeballsystems« denken, bei dem die Ermittlungsbehörde alsbald einen Überblick über Ausbreitung und Stand dieses progressiven Vertriebssystems bekommt, während die ahnungslosen Opfer womöglich noch gar nicht erkannt haben, dass sie am unteren Ende des Vertriebssystems stehen und damit sicher einen Schaden erleiden. Jedoch müssen die Ermittlungsbehörden über genügend Entscheidungsspielraum für ihre Tätigkeit verfügen. Dieser Freiraum wäre beschränkt, wenn die Ermittlungsbehörden im Interesse des Geschädigten Maßnahmen ergreifen müssten, um deren Ansprüche zu sichern. Sachgerechter erscheint es, den Ermittlungsbehörden jeweils eine Abwägung im Einzelfall zu gestatten, und zwar selbst dann, wenn eine Gefahr der Vereitelung oder
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Retemeyer, in: Achenbach/Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, XIV Rn. 58. Retemeyer, in: Achenbach/Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, XIV Rn. 60. 108 Meyer-Goßner, StPO, § 111b Rn. 6. 109 Retemeyer, in: Achenbach/Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, XIV Rn. 64. 110 So ausdrücklich Retemeyer, in: Achenbach/Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, XIV Rn. 64, der den Opfern bei Verletzung dieser Pflicht Amtshaftungsansprüche gemäß § 839 BGB zubilligt. 107
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Verschlechterung von Opferansprüchen besteht. Auch bei Straftaten bleibt es grundsätzlich Sache der Opfer, sich zivilverfahrensrechtlicher Mittel zur Sicherung eigener Ansprüche zu bedienen.
III. Abschöpfung im Kartellrecht Die Problematik einer Abschöpfung von unrechtmäßig erlangten Vorteilen stellt sich im Kartellrecht mit besonderer Dringlichkeit. Denn wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen bilden einerseits den paradigmatischen Anwendungsfall für das Erzielen von Unrechtsvorteilen. Unternehmen begehen Kartellrechtsverstöße im Allgemeinen vor allem deswegen, weil sie einen wirtschaftlichen Vorteil davon erhoffen111. Andererseits kann der Entzug der dadurch gewonnenen Unrechtsvorteile eine besonders wirksame Sanktion darstellen, weil eine Abschöpfung dieser Vorteile den entscheidenden ökonomischen Anreiz für Rechtsverstöße beseitigt. Das Kartellrecht kennt unterschiedliche Abschöpfungsmechanismen. Sieht man von § 34a GWB ab, dann bestehen folgende Möglichkeiten zur Abschöpfung: Eine Abschöpfung kann im Rahmen eines Bußgeldes gemäß § 81 Abs. 5 GWB in Verbindung mit § 17 Abs. 4 OWiG erfolgen. Des Weiteren kann gemäß § 29a OWiG der Verfall angeordnet werden und die Kartellbehörde kann gemäß § 34 GWB eine Abschöpfung vornehmen. Darüber hinaus kommen als abschöpfungsähnliche Maßnahmen in Betracht die Berücksichtigung des Verletzergewinns im Rahmen der Schadensberechnung gemäß § 33 Abs. 3 S. 3 GWB sowie die Befugnis der Kartellbehörde, dem Verletzer gemäß § 32 Abs. 2 GWB positive Maßnahmen aufzugeben. Diese ganz erstaunliche Vielzahl von unterschiedlichen Abschöpfungsinstrumenten spiegelt das rechtspolitische Bedürfnis nach einer funktionsfähigen Abschöpfung von unrechtmäßigen Vorteilen bei wettbewerbsbeschränkenden Praktiken wider und belegt zugleich das Bemühen des Gesetzgebers, keine »Sanktionslücken« zu belassen. 1. Abschöpfung durch Geldbußen Geldbußen sind im Gemeinschaftskartellrecht und im nationalen Kartellrecht die praktisch wichtigsten Sanktionen. Im Zuge der siebenten GWB-Novelle sind die Bußgeldvorschriften des GWB und die Vorschriften der VO (EG) 1/2003 enger aufeinander abgestimmt worden112. a) Gemeinschaftskartellrecht Art. 23 VO 1/2003 ermächtigt die Kommission zur Verhängung von Geldbußen, deren Höchstbetrag von der Art des Verstoßes abhängig ist. Art. 23 Abs. 5 VO 1/ 2003 bestimmt, dass die nach den Absätzen 1 und 2 getroffenen Entscheidungen 111 112
BGH vom 28.6.2005, WuW/E DE-R 1567, 1569 – Berliner Transportbeton I. Raum, in: Langen/Bunte, GWB, § 81 Rn. 2.
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keinen strafrechtlichen Charakter haben. Diese Regelung hat vor allem kompetenzrechtliche Gründe113. Allerdings werden verbreitet Zweifel geäußert, ob es in der Hand des Gemeinschaftsgesetzgebers liegen kann, die Rechtsnatur der Sanktionen verbindlich zu bestimmen114. Der Höchstbetrag der Geldbuße beträgt in den Fällen der in Art. 23 Abs. 1 VO 1/2003 genannten Verstöße ein Prozent, in den Fällen der in Art. 23 Abs. 2 VO 1/2003 genannten Verstöße zehn Prozent des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes. Das Gemeinschaftskartellrecht orientiert sich damit im Grundsatz an den von den Verletzern erzielten Umsätzen, nicht aber speziell an einer abzuschöpfenden »Kartellrendite«. Art. 23 Abs. 3 VO 1/ 2003 nennt als Bemessungskriterien bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße die Schwere der Zuwiderhandlung und deren Dauer. Damit werden jedoch nur besonders wichtige Faktoren angesprochen, ohne dass andere Kriterien deswegen bedeutungslos wären. Nach der Rechtsprechung sind als Kriterien im Rahmen der Bemessung der Geldbuße insbesondere berücksichtigungsfähig: das Verhalten jedes einzelnen Unternehmens, die Rolle, die jedes Unternehmen bei der Abstimmung der Verhaltensweisen gespielt hat, der Gewinn, den Unternehmen aus diesen Verhaltensweisen ziehen konnten, ihre Größe und der Wert der betroffenen Waren sowie die Gefahr, die derartige Zuwiderhandlungen für die Ziele der Gemeinschaft bedeuten115. Die Kommission hat ihre Zumessungspraxis bei Bußgeldern in Leitlinien offen gelegt116. Zur Höhe des festzusetzenden Bußgeldes heißt es in den Leitlinien aus dem Jahre 2006, dieses »sollte so hoch festgesetzt werden, dass nicht nur die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen sanktioniert werden (Spezialprävention), sondern auch andere Unternehmen von der Aufnahme oder Fortsetzung einer Zuwiderhandlung gegen die Artikel 81 oder 82 abgehalten werden (Generalprävention)«117. Nach den Leitlinien kann die Kommission die Geldbuße durch einen »Aufschlag zur Gewährleistung einer abschreckenden Wirkung« erhöhen, damit ihr Betrag die aus der Zuwiderhandlung erzielten widerrechtlichen Gewinne übersteigt, sofern diese Gewinne geschätzt werden können118. Ebenfalls in Richtung einer Abschöpfung zielen »Abschreckungszuschläge« der Kommission bei Großunternehmen, die an einer wettbewerbsbeschränkenden Praktik beteiligt sind. Ein solcher Abschöpfungszuschlag wurde beispielsweise erhoben in der Geschmacksverstärker-Entscheidung119. Der zugrunde liegende Verstoß bestand in der Beteiligung der Erzeuger von Nucleotiden an einer Kartellvereinbarung im Sinne des Art. 81 EG. Auf 113
Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 23 VO 1/2003, Rn. 290. Dazu näher Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 23 VO 1/2003, Rn. 290 ff.; Kindhäuser, in: Frankfurter Kommentar, EG-Vertrag Art. 81, Bußgeldrechtliche Folgen, Rn. 11; Schwarze, EuZW 2003, 261, 268. 115 EuGH vom 7.6.1983, Rs. C-100 bis 103/80, Slg. 1983, 1825 Rn. 129 – Pioneer. 116 Kommission, Leitlinien 2006/C 210/02; siehe auch Kommission, Leitlinien 98/C 9/03. 117 Kommission, Leitlinien 2006/C 210/02, Nr. 4. 118 Kommission, Leitlinien 2006/C 210/02, Nr. 31. 114
B. Instrumente zur Abschöpfung von Unrechtsvorteilen
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Grundlage dieser Vereinbarung wurden Preise festgesetzt, Preiserhöhungen umgesetzt, Abnehmer zugewiesen und ein Schema zur Überwachung und Durchsetzung ihrer Vereinbarungen geschaffen. Mit ihren weltweiten Umsätzen im Jahr 2001 von 8,7 Mrd. Euro bzw. 9,2 Mrd. Euro waren zwei beteiligte Unternehmen wesentlich größere Marktteilnehmer als andere Beteiligte. Die Kommission hielt es deswegen für angemessen, dass der Grundbetrag für eine der Marktstellung entsprechende Geldbuße nach oben angepasst wird, um der Größe und den Gesamtressourcen dieser Unternehmen Rechnung zu tragen120. Wegen des nötigen Abschreckungseffekts wurde der festgesetzte Grundbetrag der Geldbußen jeweils um 100 Prozent erhöht121.
Die Berücksichtigung von Unrechtsvorteilen bei der Festsetzung von Bußgeldern entspricht der gängigen Praxis der Kommission122. Allerdings ist die Kommission weder dazu verpflichtet, die Höhe eines Bußgeldes stets an dem erzielten Unrechtsgewinnen auszurichten, noch muss sie umgekehrt zwingend berücksichtigen, dass von den Verletzern ein Unrechtsvorteil gerade nicht erzielt wurde123. Auch ohne die Details der gemeinschaftsrechtlichen Bußgeldpraxis zu vertiefen, ist daher festzuhalten, dass die Abschöpfung von Unrechtsvorteilen als Wertungskriterium in die Entscheidung über die Höhe eines zu verhängenden Bußgeldes einfließt. b) Nationales Kartellrecht Die Festsetzung von Bußgeldern bei Kartellordnungswidrigkeiten richtet sich im Anwendungsbereich des GWB nach § 81. Im Zuge der siebenten GWB-Novelle sind die Regelungen zur Zumessung von Bußgeldern grundlegend überarbeitet worden. Hinsichtlich der Abschöpfung von Unrechtsvorteilen fällt insbesondere ins Auge, dass die Regelung aus § 81 Abs. 2 GWB a.F., wonach ein mehrerlösbezogener Sonderbußgeldrahmen vorgesehen war – die Kartellbehörde konnte in bestimmten Fällen ein Bußgeld in dreifacher Höhe des durch die Zuwiderhandlung erlangten Mehrerlöses124 festsetzen –, durch die umsatzbezogene Obergrenze gemäß § 81 Abs. 4 S. 2 GWB ersetzt wurde125. Eine gewisse Fortsetzung hat die alte Regelung allerdings in § 95 Abs. 2 EnWG gefunden. 119 Kommission vom 17.12.2002, K(2002), 5091, Comp/C.37.671, Abl. Nr. L 75/1 – Geschmacksverstärker; zu weiteren Beispielen aus der Praxis der Kommission siehe nur Bechtold/ Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, VO1/2003 Rn. 62 f. 120 Kommission vom 17.12.2002, K(2002), 5091, Comp/C.37.671, Abl. Nr. L 75/1, Rn. 253 – Geschmacksverstärker. 121 Kommission vom 17.12.2002, K(2002), 5091, Comp/C.37.671, Abl. Nr. L 75/1, Rn. 254 – Geschmacksverstärker. 122 Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 23 VO 1/2003 Rn. 161 m.w.Nachw.; siehe auch EuG vom 12.7.2001, Rs. T-202/98, Slg. 2001, II-2035 Rn. 108 – Tate & Lyle; EuG vom 20.3.2002, Rs. 9/99, Slg. 2002, II-1487 Rn. 455 – HFB Holding. 123 EuG vom 19.3.2003, Rs. 213/00, Slg. 2003, II-913 Rn. 341 – CMA CGM; EuG vom 29.11, 2005, Rs. T-64/02, Slg. 2005, II-5137 Rn. 185 – Dr. Hans Heubach. 124 Zum Begriff des »Mehrerlöses« zuletzt BGH vom 19.6.2007, WRP 2007, 1487 Tz. 10 – kartellbedingte Mehrerlöse; ferner Albuschkat, WRP 1976, 666 ff.; Erlinghagen/Zippel, DB 1974, 953 ff. 125 Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 81 Rn. 295.
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
Der Gesetzgeber ging ausweislich der amtlichen Materialien davon aus, dass die von der Kommission verhängten Bußgelder einen »reinen Ahndungszweck«126 verfolgen, also nicht, jedenfalls nicht vorrangig127, der Abschöpfung von Vermögensvorteilen dienen. Diese Möglichkeit sollte auch für das deutsche Recht eröffnet werden: »Im neuen Recht kann die Geldbuße demnach auch als reine Ahndungsmaßnahme festgesetzt werden. Daraus folgt, dass in diesen Fällen die auf den abgeschöpften wirtschaftlichen Vorteil entfallenden Steuern bei der Bußgeldberechnung nicht mehr berücksichtigt werden müssen. Auch entfällt die Verrechnung mit Schadensersatzleistungen an Dritte gemäß § 33. Andererseits soll diese Umstellung nicht zu einer Verschärfung des bisherigen Sanktionsinstrumentariums führen. Wird bei der Festsetzung der Geldbuße nach Absatz 5 auf eine Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils verzichtet, so ist dies bei der Zumessung zu berücksichtigen. Die Höhe einer reinen Ahndungsgeldbuße wird sich also in Zukunft in der Regel um den Betrag mindern, der nach bisherigem Recht der Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils diente«128.
Gemäß § 81 Abs. 5 GWB findet die Vorschrift des § 17 Abs. 4 OWiG mit der Maßgabe Anwendung, dass der wirtschaftliche Vorteil, der aus der Ordnungswidrigkeit gezogen wurde, durch die Geldbuße nach § 81 Abs. 4 GWB abgeschöpft werden kann129. Im Gegensatz zu § 34 GWB haben die Kartellbehörden von dieser Sanktion in der Vergangenheit häufig Gebrauch gemacht130. Obgleich § 81 Abs. 5 GWB auf § 17 Abs. 4 OWiG verweist und damit der Eindruck einheitlicher Prinzipien bei der Zumessung von Geldbußen erweckt wird, weichen beide Sanktionsmechanismen bei genauerer Betrachtung inhaltlich voneinander ab. In der Sache beschreitet § 81 Abs. 5 GWB einen von § 17 Abs. 4 OWiG abweichenden Sonderweg, der eine Abkopplung der Kartellordnungswidrigkeiten von den Sanktionsstrukturen des allgemeinen Ordnungswidrigkeitenrechts zur Folge hat131. Während § 17 Abs. 4 OWiG festlegt, dass Geldbußen die Höhe des wirtschaftlichen Vorteils überschreiten sollen, geht § 81 Abs. 5 GWB davon aus, dass mit Geldbußen der wirtschaftliche Vorteil abgeschöpft werden kann. Es liegt also im Ermessen der Kartellbehörde, ob sie mit der Geldbuße zugleich eine Abschöpfung vornehmen will oder ob die Geldbuße allein »ahndenden« Charakter trägt. Abweichend von der Sanktionsstruktur des Ordnungswidrigkeitenrechts etabliert das Gesetz damit das Modell einer Geldbuße 126 So die Formulierung in der Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 67 unter Hinweis auf FG Neustadt vom 15.7.2003, BB 2004, 1442, 1443. 127 BFH vom 24.3.2004, BB 2004, 2121, 2122 hält entsprechende Erwägungen zumindest für nicht ausgeschlossen. 128 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 67. 129 Siehe dazu auch BKartA, Bekanntmachung Nr. 38/2006 und dort speziell Teil IV, Nr. 22. 130 Siehe etwa BGH vom 24.4.1991, WuW/E BGH 2718, 2719 f. – Bußgeldbemessung sowie BKartA vom 16.2.1982, WuW/E BKartA 2005, 2007 ff. – Behälterglas; BKartA vom 15.3.1972, WuW/E BKartA 1393, 1404 ff. – Polyamid; BKartA vom 28.12.1971, WuW/E BKartA 1376, 1385 f. – Linoleum. 131 Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 81 Rn. 230.
B. Instrumente zur Abschöpfung von Unrechtsvorteilen
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als reiner Ahndungsmaßnahme132. Den entscheidenden rechtlichen Hintergrund für diese Neuregelung bilden steuerrechtliche Gründe133. Wenn die Kartellbehörde mit der Geldbuße zugleich Unrechtsvorteile abschöpfen will, dann muss die Geldbuße in einen ahndenden und einen abschöpfenden Teil aufgespalten werden und die Trennung muss in den Gründen des Bußgeldbescheids zum Ausdruck kommen134. Die Differenzierung zwischen Ahndung und Abschöpfung kommt auch § 81 Abs. 5 S. 2 GWB zum Ausdruck. Danach ist bei der Zumessung entsprechend zu berücksichtigen, dass die Geldbuße allein der Ahndung dient. Der Regelungszweck dieser Bestimmung ist unklar. Entweder wollte der Gesetzgeber zum Ausdruck bringen, dass ein nicht gemäß § 81 Abs. 5 S. 1 GWB in Verbindung mit § 17 Abs. 4 OWiG abgeschöpfter wirtschaftlicher Vorteil auch sonst nicht mehr berücksichtigt werden darf oder die Vorschrift ist so zu interpretieren, dass ein nicht nach diesen Bestimmungen abgeschöpfter wirtschaftlicher Vorteil im Rahmen anderer Bemessungskriterien berücksichtigt werden kann135. Die gesetzliche Neuregelung der Bußgeldbemessung in § 81 Abs. 5 GWB ist problematisch und sieht sich aus mehreren Gründen Bedenken ausgesetzt. Zweifel weckt schon der Ausgangspunkt des Gesetzgebers, wonach die von der Kommission verhängten Geldbußen einen »reinen Ahndungszweck« verfolgen. Denn angesichts der gegenteiligen Positionen in den Leitlinien der Kommission sowie in der europäischen Rechtsprechung136 ist diese Position nur schwer nachvollziehbar. Entsprechend deutlich fällt die Kritik im Schrifttum aus137. Des Weiteren ist mit der rein »ahndenden« Geldbuße eine Neustruktur bei den Bußgeldsanktionen eingeführt worden, deren Sinn sich nur schwer erschließt. Denn eine solche Geldbuße kommt in Betracht, wenn der wirtschaftliche Vorteil überhaupt nicht abgeschöpft werden soll oder wenn die Kartellbehörde neben der Verhängung einer Geldbuße von der Abschöpfung nach § 34 GWB Gebrauch machen will. Der erste Fall dürfte indessen keine praktisch drängende Problematik betreffen (und war überdies schon nach altem Recht unproblematisch lösbar) und der zweite Fall wird ebenfalls nicht gerade häufig vorkommen, da völlig zu Recht Zweifel geäußert werden, ob die Kartellbehörde »den völlig unökonomischen Weg geht und ein gesondertes Abschöpfungsverfahren nach § 34 durchführt«138. 132
Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 42, 67. »Im Falle einer reinen Ahndungsfunktion sind Geldbußen künftig nicht mehr steuerlich abzugsfähig«, Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 42; siehe dazu auch BVerfG vom 23.1.1990, BVerfGE 81, 228 ff.; Achenbach, BB 2000, 1116 ff.; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 81 Rn. 447. 134 Raum, in: Langen/Bunte, GWB, § 81 Rn. 140. 135 Näher Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 81 Rn. 319. 136 Oben im Text unter a), S. 455 ff. 137 Nach Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 81 Rn. 230 »verkennt der Gesetzgeber« sowohl die wesentlichen Aussagen der Leitlinien der Kommission als auch die Rechtsprechung des EuG und EuGH. Nach Kiegler, DStR 2004, 1974, 1979 ist die Ansicht, dass der EGKartellgeldbuße keine abschöpfende Funktion zukommt, heute nicht mehr haltbar. Kritisch auch Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 81 Rn. 444. 138 Raum, in: Langen/Bunte, GWB, § 81 Rn. 139. 133
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
2. Abschöpfung durch Verfall Obgleich der Verfall im GWB nicht geregelt wird, ist anerkannt, dass bei Kartellverstößen die Anordnung von Verfall als Abschöpfungsmaßnahme möglich ist139. Das Gesetz bringt dies indirekt zum Ausdruck, indem es den Verfall ganz selbstverständlich als mögliche Reaktion auf einen Kartellverstoß in §§ 34 Abs. 2 S. 1, 34a Abs. 1 und 82a Abs. 2 S. 1 GWB voraussetzt. Die gesetzliche Grundlage für die Verfallanordnung bei Kartellrechtsverstößen bildet § 29a OWiG140. Für den unternehmensbezogenen Verfall gilt § 29a Abs. 2 OWiG141. Eine Verfallanordnung bei Kartellrechtsverstößen wird nur höchst selten in Betracht kommen. Eine Abschöpfung von Unrechtsvorteilen wird regelmäßig gemäß § 81 Abs. 5 GWB in Verbindung mit § 17 Abs. 4 OWiG oder nach § 34 GWB gelingen. Außerdem müssen vor Anordnung des Verfalls etwaige Ersatzansprüche Dritter berücksichtigt werden. Nach den amtlichen Materialien wird von der Verfallanordnung abzusehen sein, wenn dem erzielten Vermögensvorteil Ansprüche Dritter entgegenstehen, deren Erfüllung den Vermögensvorteil beseitigen würde, weil dann die Verfallanordnung in eine Sanktion umschlagen könnte142. Da praktisch bei jedem Kartellverstoß Schadensersatzansprüche nach § 33 Abs. 3 GWB bestehen können, bleibt für eine Verfallanordnung im Kartellrecht kaum Raum143. 3. Vorteilsabschöpfung durch Kartellbehörden Eine kartellrechtliche Sondervorschrift zur Abschöpfung von Vermögensvorteilen beinhaltet § 34 GWB. Bei einem Verstoß gegen nationale oder gemeinschaftsrechtliche Kartellvorschriften kann die Kartellbehörde gemäß § 34 Abs. 1 GWB die Abschöpfung des vom Verletzer erzielten wirtschaftlichen Vorteils anordnen und dem Unternehmen die Zahlung eines entsprechenden Geldbetrages auferlegen. Bislang wenig geklärt ist, ob die Kartellbehörden darüber hinaus gemäß § 32 Abs. 2 GWB eine Abschöpfung verwirklichen können, indem sie einem Verletzer aufgeben, kartellbedingt erzielte Vorteile an Kunden zurückzuerstatten. a) Abschöpfung gemäß § 34 GWB aa) Entstehung Die Geschichte der kartellbehördlichen Abschöpfung hat sich in drei Etappen vollzogen. Gleichsam die Urform bildete die Mehrerlösabschöpfung in § 37b GWB a.F., die mit der vierten GWB-Novelle 1980 in das Gesetz aufgenommen wurde: 139 Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB, Vorbem. § 81 Rn. 116 ff.; Raum, in: Langen/ Bunte, GWB, § 81 Rn. 143. 140 Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, Vor 81 Rn. 117. 141 Eingehend dazu Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB, Vorbem. § 81 Rn. 116 ff. 142 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 10/318, 37. 143 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34 Rn. 15.
B. Instrumente zur Abschöpfung von Unrechtsvorteilen
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»(1) Hat ein Unternehmen vorsätzlich oder fahrlässig durch ein Verhalten, das die Kartellbehörde mit einer Verfügung nach § 22 Abs. 5 oder § 103 Abs. 6 untersagt hat, nach Zustellung der Verfügung einen Mehrerlös erlangt, so kann die Kartellbehörde nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Verfügung oder der Feststellung nach § 70 Abs. 3 anordnen, dass das Unternehmen einen dem Mehrerlös entsprechenden Geldbetrag an die Kartellbehörde abführt (Mehrerlösabschöpfung). Satz 1 gilt nicht, soweit der Mehrerlös durch Schadensersatzleistungen nach § 35 oder durch Geldbuße ausgeglichen ist. Die Mehrerlösabschöpfung darf nur innerhalb einer Frist von drei Jahren seit Eintritt der Unanfechtbarkeit der Verfügung oder der Feststellung nach § 70 Abs. 3 angeordnet werden. (2) Wäre durch die Durchführung der Mehrerlösabschöpfung eine unbillige Härte, so soll die Anordnung auf einen angemessenen Geldbetrag beschränkt werden oder ganz unterbleiben. Sie soll auch unterbleiben, wenn der Mehrerlös gering ist. (3) Die Höhe des Mehrerlöses kann geschätzt werden. Der abzuführende Geldbetrag ist zahlenmäßig zu bestimmen. (4) Legt ein Unternehmen, gegen das die Abführung des Mehrerlöses angeordnet ist, der Kartellbehörde eine rechtskräftige Entscheidung vor, nach der es zur Leistung von Schadensersatz wegen desselben missbräuchlichen Verhaltens verpflichtet ist, so ordnet die Kartellbehörde an, dass die Anordnung der Abführung des Mehrerlöses insoweit nicht mehr vollstreckt wird. Ist der Mehrerlös bereits an die Kartellbehörde abgeführt worden und weist das Unternehmen die Zahlung des Schadensersatzes auf Grund der rechtskräftigen Entscheidung an den Geschädigten nach, so erstattet die Kartellbehörde dem Unternehmen den abgeführten Mehrerlös in Höhe der nachgewiesenen Schadensersatzleistung zurück«.
Diese Vorschrift betraf Fälle der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung, die von der Kartellbehörde nach § 22 Abs. 5 und § 103 Abs. 6 GWB a.F. untersagt wurden. Der Gesetzgeber begründete die Einführung dieser Sanktion mit der Erwägung, dass durch die Abschöpfung eine Fehlentwicklung im Wettbewerb korrigiert werde: »Die Vorschrift dient der Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes, indem die Kartellbehörde die Befugnis erhält, rechtswidrig erlangte Vermögensvorteile abzuschöpfen. Dabei geht es nicht um die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit; vielmehr wird ein wirtschaftlicher Unrechtstatbestand im öffentlichen Interesse korrigiert. Die Vorschrift entspricht damit dem Gebot der Gerechtigkeit«144.
Auch der Gedanke der Streu- und Bagatellschäden taucht bereits auf. In der Begründung des Regierungsentwurfs wird darauf hingewiesen, die Mehrerlösabschöpfung habe die Mißbrauchsfälle im Auge, bei denen Schadensersatzansprüche aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht geltend gemacht würden, insbesondere weil die Mißbrauchsverfügung im Einzelfall keinen Schutzcharakter im Sinne von § 35 besitze oder weil sich der Schaden auf eine Vielzahl von Abnehmern verteile, deren individueller Schaden sehr gering sei145.
144 145
Begr. zum Regierungsentwurf vom 27.9.1978, BT-Drucks. 8/2136, S. 26. Begr. zum Regierungsentwurf vom 27.9.1978, BT-Drucks. 8/2136, S. 26.
462
§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
Die Einführung dieser Sanktion war seinerzeit lebhaft umstritten146, viele Argumente tauchten später im Zusammenhang mit der Einführung der Abschöpfungsansprüche wieder auf. Der tatbestandliche Anwendungsbereich des § 37b GWB a.F. war sehr eng gehalten und unterlag entscheidenden Einschränkungen147. So konnte die Mehrerlösabschöpfung nicht bei sämtlichen Kartellrechtsverstößen verhängt werden, sondern nur in den genannten Missbrauchsfällen. Ferner bedurfte es eines vorausgehenden Sanktionsaktes durch die Kartellbehörde gegen das missbilligte Verhalten148. Die sechste GWB-Novelle brachte mit § 34 GWB a.F. eine wesentliche tatbestandliche Ausweitung des Anwendungsbereiches der Abschöpfung. Die Vorschrift hatte folgenden Wortlaut: »(1) Hat ein Unternehmen vorsätzlich oder fahrlässig durch ein Verhalten, das die Kartellbehörde mit einer Verfügung nach § 32 untersagt hat, nach Zustellung der Verfügung einen Mehrerlös erlangt, so kann die Kartellbehörde nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Verfügung oder der Feststellung nach § 71 Abs. 3 anordnen, dass das Unternehmen einen dem Mehrerlös entsprechenden Geldbetrag an die Kartellbehörde abführt (Mehrerlösabschöpfung). Satz 1 gilt nicht, soweit der Mehrerlös durch Schadensersatzleistungen nach § 33 oder durch Geldbuße ausgeglichen ist. Die Mehrerlösabschöpfung darf nur innerhalb einer Frist von drei Jahren seit Eintritt der Unanfechtbarkeit der Verfügung oder der Feststellung nach § 71 Abs. 3 angeordnet werden. (2) Wäre die Durchführung der Mehrerlösabschöpfung eine unbillige Härte, so soll die Anordnung auf einen angemessenen Geldbetrag beschränkt werden oder ganz unterbleiben. Sie soll auch unterbleiben, wenn der Mehrerlös gering ist. (3) Die Höhe des Mehrerlöses kann geschätzt werden. Der abzuführende Geldbetrag ist zahlenmäßig zu bestimmen. (4) Legt ein Unternehmen, gegen das die Abführung des Mehrerlöses angeordnet ist, der Kartellbehörde eine rechtskräftige Entscheidung vor, nach der es zur Leistung von Schadensersatz wegen desselben missbräuchlichen Verhaltens verpflichtet ist, so ordnet die Kartellbehörde an, dass die Anordnung der Abführung des Mehrerlöses insoweit nicht mehr vollstreckt wird. Ist der Mehrerlös bereits an die Kartellbehörde abgeführt worden und weist das Unternehmen die Zahlung des Schadensersatzes auf Grund der rechtskräftigen Entscheidung an den Geschädigten nach, so erstattet die Kartellbehörde dem Unternehmen den abgeführten Mehrerlös in Höhe der nachgewiesenen Schadensersatzleistung zurück«.
Nähere Erwägungen zum Zweck der Sanktionen finden sich in den amtlichen Materialien nicht, was den Schluss erlaubt, dass eine grundsätzliche Änderung des mit § 37b GWB verfolgten Zieles nicht beabsichtigt war. Der Anwendungsbereich des § 34 GWB a.F. wurde auf alle Kartellrechtsverstöße ausgeweitet, die von der Kartellbehörde untersagt werden konnten. Erforderlich war allerdings 146 Instruktiv etwa die Zusammenfassung bei Fischötter, in: Gemeinschaftskommentar, GWB, § 37b Rn. 3. 147 Zu den Einzelheiten Stahl, WuW 1980, 451 ff.; Veltins/Veltins, WRP 1981, 619, 620 ff. 148 Unklar war weiterhin das Verhältnis zum Suspensiveffekt der Anfechtungsbeschwerde, dazu K. Schmidt, DB 1980, 817 ff.
B. Instrumente zur Abschöpfung von Unrechtsvorteilen
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weiterhin, dass die Kartellbehörde bereits gegen das kartellrechtswidrige Verhalten vorgegangen war. Die Abschöpfung blieb demzufolge auf Konstellationen beschränkt, in denen sich der Verletzer über eine bereits ergangene kartellbehördliche Maßnahme hinwegsetzte. Abschöpfungsbedroht war damit erst der wiederholte Kartellrechtsverstoß. Zudem konnte nur der Vorteil abgeschöpft werden, den der Verletzer nach der Zustellung der ersten Anordnung der Kartellbehörde erzielt hatte149. Zuvor erlangte Vorteile blieben dem rechtlichen Zugriff dagegen verwehrt. Nochmals eine wesentliche Ausweitung des Anwendungsbereichs der kartellbehördlichen Abschöpfung brachte die siebte GWB-Novelle. Nunmehr besteht die Möglichkeit, eine Abschöpfung bereits bei der (ersten) Zuwiderhandlung anzuordnen, ohne dass es einer vorherigen Maßnahme der Kartellbehörde bedarf. Damit wird zugleich die Möglichkeit eröffnet, die gesamte »Kartellrendite« abzuschöpfen150. Abschöpfbar ist zudem nicht mehr nur der »Mehrerlös«, sondern der »wirtschaftliche Vorteil«. bb) Stellung und Bedeutung der behördlichen Vorteilsabschöpfung im kartellrechtlichen Sanktionssystem § 34 GWB dient der Abschöpfung von Unrechtsvorteilen, soweit diese dem Verletzer nicht durch andere Maßnahmen entzogen wurden. Ausdrücklich ist eine Abschöpfung gemäß § 34 Abs. 2 GWB ausgeschlossen, »sofern der wirtschaftliche Vorteil durch Schadensersatzleistungen oder durch die Verhängung der Geldbuße oder die Anordnung des Verfalls abgeschöpft ist«. Gleichwohl wäre es verfehlt, insoweit von einer Subsidiarität der Abschöpfung zu sprechen151. Denn der Gesetzgeber hat die verschiedenen Möglichkeiten einer Abschöpfung von Unrechtsvorteilen im GWB in kein Rang- oder Stufenverhältnis gestellt, sondern lediglich verhindern wollen, dass eine Mehrfachabschöpfung stattfindet. Die praktische Bedeutung der kartellbehördlichen Abschöpfung war bislang gering152. Soweit ersichtlich, wurde dieses Instrument von den Kartellbehörden nicht angewendet. Ob die praktische Bedeutung der kartellbehördlichen Abschöpfung nach der Neufassung der Vorschrift künftig zunehmen wird, bleibt abzuwarten. cc) Überblick über den Inhalt der Regelung (1) Tatbestand. § 34 Abs. 1 GWB verlangt einen vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoß gegen Vorschriften des GWB, gegen Art. 81, 82 EG oder gegen eine Verfügung der Kartellbehörde. Der tatbestandliche Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist deckungsgleich mit § 33 Abs. 1 GWB. Im Gegensatz zu § 34a Abs. 1 149
Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 34 Rn. 8. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 55. 151 So aber die Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 55; dagegen mit Recht Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34 Rn. 11. 152 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34 Rn. 1. 150
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
GWB wird nicht verlangt, dass der wirtschaftliche Vorteil »zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern oder Anbietern« erzielt wurde. Deswegen können nach § 34 Abs. 1 GWB auch Vorteile abgeschöpft werden, die etwa zum Nachteil von Konkurrenten erzielt wurden, was beispielsweise bei Verstößen gegen § 20 Abs. 4 GWB in Betracht kommt153. Eine Abschöpfung nach § 34 Abs. 1 GWB verlangt ein vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten des Verletzers. Hierin liegt ein weiterer Unterschied zu § 34a Abs. 1 GWB. Diese Vorschrift greift allein bei Vorsatz ein. In der Fassung des Referentenentwurfes war in § 34 GWB-E auf Verschulden noch ganz verzichtet worden. Die kartellbehördliche Abschöpfung war danach allein an die objektive Zuwiderhandlung gegen Vorschriften des Kartellrechts geknüpft. Der Regierungsentwurf nahm das Verschuldenserfordernis wieder auf: »§ 34 hält wie bisher am Verschuldenserfordernis fest. Es handelt sich gleichwohl um ein verwaltungsrechtliches und nicht um ein straf- oder bußgeldrechtliches Instrument. Durch die Vorteilsabschöpfung soll allein sichergestellt werden, dass die durch den Kartellrechtsverstoß erlangten wirtschaftlichen Vorteile nicht beim Täter verbleiben«154.
Der Bundesrat regte in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf die Prüfung an, die Vorteilsabschöpfung vom Verschuldenserfordernis zu lösen155. Dem folgte die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung jedoch mit der Begründung nicht, es erscheine unbillig, ein Unternehmen auch dann einer Vorteilsabschöpfung auszusetzen, wenn der Kartellrechtsverstoß nicht zumindest fahrlässig begangen worden sei156. Zudem verwies die Bundesregierung auf die Regelungen in § 81 Abs. 5 GWB und § 17 Abs. 4 OWiG, die ebenfalls Verschulden voraussetzen157. Diese Argumentation ist alles andere als überzeugend158. Denn wenn es im erklärten Anliegen des Gesetzgebers gelegen hat, mit § 34 GWB kein straf- oder bußgeldrechtliches Sanktionsinstrument zu schaffen, dann ist es wenig folgerichtig, das Verschuldenserfordernis in § 34 Abs. 1 GWB ausgerechnet mit dem Hinweis auf bußgeldrechtliche Vorschriften zu begründen. Im Gegenteil hätte ein Verzicht auf das Verschuldenserfordernis den eigenständigen Charakter der Abschöpfung nach § 34 Abs. 1 GWB gegenüber der Abschöpfung mittels Geldbuße nach § 81 Abs. 5 GWB in Verbindung mit § 17 Abs. 4 OWiG betont159. Möglicherweise lag es eher in der Absicht des Gesetzgebers, nicht die »Schleusentore« für eine verschuldensunabhängige Abschöpfung zu öffnen. Die Beibehaltung des Verschuldens ist deswegen wohl als ein rechtspolitisches Signal an die Interessenverbände zu interpretieren, die angesichts der tief greifenden Umgestaltung der privatrechtlichen Sanktionen nicht zusätzlich beunruhigt werden sollten. 153 154 155 156 157 158 159
Vgl. Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34a Rn. 7. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 55. Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 15/3640, S. 78. Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/3640, S. 88. Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/3640, S. 88. Köhler, in: Festschrift für Schmidt, S. 509, 510. Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34 Rn. 6; Fuchs, WRP 2005, 1384, 1391.
B. Instrumente zur Abschöpfung von Unrechtsvorteilen
465
(2) Wirtschaftlicher Vorteil. Nach § 34 Abs. 1 GWB abzuschöpfen ist der wirtschaftliche Vorteil. Neben § 34 Abs. 1 GWB und § 81 Abs. 5 GWB in Verbindung mit § 17 Abs. 4 OWiG findet sich der Begriff des wirtschaftlichen Vorteils auch in § 34a Abs. 1 GWB wieder160. Der wirtschaftliche Vorteil ist in einem einheitlichen Sinne zu verstehen und bestimmt sich in den verschiedenen Vorschriften des GWB nach den gleichen Kriterien161. Zur Bestimmung des wirtschaftlichen Vorteils kann auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, die für § 17 Abs. 4 OWiG gelten. Danach ist nicht nur ein in Geld bestehender Gewinn zu berücksichtigen, sondern auch ein sonstiger wirtschaftlicher Vorteil, beispielsweise eine Verbesserung der Marktposition des Täters durch die Ausschaltung oder Zurückdrängung von Wettbewerbern. Der wirtschaftliche Vorteil ist im Vergleich zu der vermögensrechtlichen Gesamtsituation des Betroffenen zu errechnen, wie sie sich durch die Zuwiderhandlung ergeben hat und ohne diese für ihn eingetreten wäre (Saldierungsgrundsatz)162. (3) Durchsetzung. Die Abschöpfung nach § 34 Abs. 1 GWB erfolgt durch Anordnung der Kartellbehörde. Der Kartellbehörde steht Entschließungs- und Auswahlermessen163 zu. Sie entscheidet also nach pflichtgemäßem Ermessen darüber, ob sie die Abschöpfung anordnet und in welcher Höhe sie einen Vorteil abschöpft. Der Ermessensspielraum hinsichtlich der Höhe des abzuschöpfenden Betrages folgt aus § 34 Abs. 3 S. 1 GWB, wonach die Abschöpfung auf einen angemessenen Geldbetrag beschränkt werden oder ganz unterbleiben kann, wenn die Abschöpfung eine unbillige Härte darstellen würde. Ein ermessenslenkender Gesichtspunkt wird dabei von § 34 Abs. 2 S. 2 GWB vorgegeben, wonach eine Abschöpfung unterbleiben soll, wenn der wirtschaftliche Vorteil gering ist. Diese Vorschrift beinhaltet allerdings keine absolut anzusetzende »Bagatellgrenze«. Vielmehr obliegt es der Kartellbehörde, in pflichtgemäßer Ausübung ihres Ermessens zu entscheiden, ob der zur Abschöpfung erforderliche Verwaltungsaufwand außer Verhältnis zu dem abzuschöpfenden Vorteil steht164. b) Abschöpfung gemäß § 32 Abs. 2 GWB? Die sanktionsbezogenen Änderungen im Zuge der siebenten GWB-Novelle führten zu einer Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten der Kartellbehörde. Neben der auf Untersagung gerichteten Abstellungsverfügung gemäß § 32 Abs. 1 GWB kann die Kartellbehörde nunmehr gemäß § 32 Abs. 2 GWB Gebote aussprechen. Die Vorschrift ermächtigt die Kartellbehörde, Unternehmen und 160
Zur Berechnung des Mehrerlöses und der Abgrenzung zum Begriff des wirtschaftlichen Vorteils Volhard, in: Festschrift für Gaedertz, S. 599 ff. 161 Zweifelnd Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 215 ff. 162 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 55. 163 § 34 Abs. 1 GWB: »kann«. Zur verwaltungsrechtlichen Unterscheidung zwischen Auswahlund Entschließungsermessen siehe nur Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 7 f. 164 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34 Rn. 16.
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
Unternehmensvereinigungen alle Maßnahmen aufzugeben, die für eine wirksame Abstellung der Zuwiderhandlung erforderlich und gegenüber dem festgestellten Verstoß verhältnismäßig sind. Das gemeinschaftsrechtliche Pendant und Vorbild hierzu enthält Art. 7 Abs. 1 S. 2 VO 1/2003. Mit der Regelung in § 32 Abs. 2 GWB werden die nach altem Recht bestehenden Schwierigkeiten beseitigt, die daraus resultierten, dass das Gesetz lediglich die Befugnis der Kartellbehörde zum Erlass einer Untersagungsverfügung vorsah. Das alte Recht provozierte nicht nur unnötige Formulierungskunststücke, sondern auch Streit über die Zulässigkeit von bestimmten Tenorierungen. Denn eine Verfügung mit Gebotscharakter war nicht von der Ermächtigung des § 32 GWB a.F. gedeckt165. Jedoch sah es die Rechtsprechung als zulässig an, wenn die Verbotsverfügung so gefasst wurde, dass ein bestimmtes positives Verhalten gleichsam als spiegelbildliches Gegenstück zum Verbot erzwungen wurde, beispielsweise in Form des Verbots, die Aufnahme eines Unternehmens in einen Verband zu verweigern, was in der Sache auf ein Aufnahmegebot hinausläuft166. Nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 2 GWB unterliegen Art und Inhalt der kartellbehördlichen Anordnung keinen näheren Einschränkungen. Ausdrücklich heißt es im Gesetz, die Kartellbehörde könne den Unternehmen »alle Maßnahmen aufgeben, die für eine wirksame Abstellung der Zuwiderhandlung erforderlich und gegenüber dem festgestellten Verstoß verhältnismäßig sind«. Denkbar wäre hiernach eine Anordnung, in der die Kartellbehörde einem Verletzer aufgibt, die durch ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten entstandenen Vorteile an seine Kunden zurückzuerstatten, um dadurch bei diesen eingetretene Nachteile auszugleichen und zugleich die vom Verletzer erwirtschafteten Vorteile abzuschöpfen. Dies wäre vergleichbar mit der Anordnung der Rückerstattung eines rechtswidrig erzielten Mehrerlöses gemäß § 9 Abs. 1 WiStrG167. Ein solches Gebot kann etwa in Betracht kommen, wenn die geschädigten Abnehmer feststehen und damit zu rechnen ist, dass viele Abnehmer nicht selbst aktiv werden, um die entstandenen Schäden ersetzt zu verlangen168. Nach Bornkamm soll eine solche Anordnung sogar der Abschöpfung gemäß § 81 Abs. 5 GWB und § 34 GWB vorzuziehen sein, weil sie dem Primärziel des Schadensausgleichs diene169. Gegen eine solche Befugnis der Kartellbehörde wird eingewendet, dass die Maßnahmen der Kartellbehörde gemäß § 32 GWB zukunftsgerichtet sind und deswegen einen vergangenheitsbezogenen Schadensausgleich nicht erfassen könnten170. Dieser Einwand überzeugt nicht. Denn aus dem Wortlaut der Norm 165 BGH vom 3.4.1975, WuW/E BGH 1345 – Polyester-Grundstoffe; BGH vom 15.11.1994, BGH 127, 388, 390 – Weigerungsverbot. 166 BGH vom 8.2.1994, WuW/E BGH 2906, 2908 – Lüdenscheider Taxen; BGH vom 15.11.1994, BGH 127, 388, 390 – Weigerungsverbot. 167 Oben II. 3., S. 453. 168 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 32 Rn. 26. Für § 30 Abs. 2 S. 2 EnWG ebenso: Robert, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, § 30 Rn. 46; ablehnend dagegen Säcker, RdE 2006, 65. 169 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 32 Rn. 26. 170 Bechtold, GWB, § 32 Rn. 14.
B. Instrumente zur Abschöpfung von Unrechtsvorteilen
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folgt eine solche zeitliche Beschränkung nicht. Zwar werden Untersagungs- und Abstellungsverfügungen in der Regel auf künftiges Verhalten gerichtet sein, doch schließt dies keineswegs aus, dass die Kartellbehörde den Verletzer auch zur Beseitigung bereits eingetretener Störungen verpflichten kann. Zweifelhaft ist dagegen, ob ein kartellbehördliches Ausgleichs- oder Abschöpfungsgebot vom Sinn und Zweck des § 32 GWB gedeckt wäre. Denn § 32 GWB dient der Abstellung der wettbewerbsbeschränkenden Praktik und der Beseitigung von eventuell noch vorhandenen Störungsfolgen. Ausgleichs- oder Abschöpfungsgebote würden jedoch die eigentliche »Störungsquelle« im Wettbewerb unberührt lassen und nur indirekt wirken, indem sie das kartellrechtswidrige Verhalten unrentabel machen. In Betracht kämen solche Anordnungen daher wohl allenfalls als ergänzende Maßnahmen, um ein kartellbehördliches Verbot oder Gebot zu bekräftigen und die Sanktionswirkung zu verstärken. Des Weiteren ist zu bedenken, dass die Kartellbehörde zwar im Interesse einzelner Marktakteure tätig werden darf, der Ausbau der kartellbehördlichen Befugnisse aber nicht die privatrechtliche Sanktionierung gefährden sollte. Hält man die Kartellbehörde generell für berechtigt, eine Art hoheitlichen Schadensausgleich vorzunehmen, dann steht zu befürchten, dass die Motivation der Betroffenen sinkt, das Risiko einer privaten Rechtsverfolgung einzugehen. Es könnte statt dessen eine schädliche Erwartungshaltung der Kartellopfer an die Kartellbehörde geweckt werden, was dem Ziel einer Stärkung der Eigenverantwortung der Marktakteure zuwiderliefe. Könnte die Kartellbehörde gemäß § 32 Abs. 1 GWB einen Nachteilsausgleich anordnen, dann würde dies schwierige Folgeprobleme aufwerfen. Denn die Behörde führt damit quasi ein fremdes Geschäft (nämlich des oder der Geschädigten) und außerdem bedürfte der Klärung, was mit etwaigen Schadensersatzansprüchen Betroffener gegen den Verletzer geschieht. Schließlich müsste der mit der kartellbehördlichen Maßnahme verbundene Eingriff in die Dispositionsfreiheit der Geschädigten Bedenken wecken. Geschädigte können gute Gründe haben, ihre kartellbedingten Schäden nicht geltend zu machen. Es ist nicht Aufgabe der Kartellbehörde, es besser zu wissen und die Geschädigten gegen ihren Willen zu »beglücken«. Diese Bedenken werden gestützt durch den vergleichenden Blick auf § 9 Abs. 1 WiStrG. Dort ist die Rückerstattung des Mehrerlöses von einem Antrag des Geschädigten abhängig und wird demgemäß nur angeordnet, wenn der Geschädigte an einer solchen Maßnahme Interesse bekundet. Gleichwohl verdient im Grundsatz der Gedanke Zustimmung, dass die Kartellbehörden im Rahmen ihrer Möglichkeiten – und über die Vorteile eines kartellbehördlichen Verfahrens für private Kläger gemäß § 33 Abs. 4 und 5 GWB – direkt zum Ausgleich von Vermögensschäden einzelner Betroffener beitragen können. Anstelle eines hoheitlichen Schadensausgleichs oder eines Vermögensentzugs zugunsten Einzelner ist jedoch an eine Art Rückgewinnungshilfe nach dem Vorbild von § 111b Abs. 5 StPO zu denken171. Den soeben vorgebrachten 171
Dazu oben II. 4., S. 453 f.
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
Einwänden würde damit vollständig Rechnung getragen und zugleich würde die private Rechtsdurchsetzung dadurch gestärkt. Für eine solche Funktion des § 32 Abs. 2 GWB bestünde auch ein Bedürfnis, weil nur innerhalb von Bußgeldverfahren, einschließlich der Verfahren nach dem GWB172, gemäß § 46 Abs. 1 OWiG die allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren sinngemäße Anwendung finden.
IV. Abschöpfung im Recht der regulierten Märkte Neben den bereits genannten Rechtsbereichen sind spezielle Abschöpfungsinstrumente im Recht der regulierten Märkte vorgesehen. Regulierte Märkte finden sich in Wirtschaftsbereichen, in denen das Recht erst die Rahmenbedingungen funktionsfähigen Wettbewerbs schaffen und gestalten muss173. Im Folgenden soll der Blick auf den Telekommunikations- und Energiesektor gerichtet werden. Die gesetzlichen Regelungen hierzu sind im TKG und EnWG enthalten. 1. Überblick TKG und EnWG sehen eine Reihe detaillierter und differenzierter Regelungsmechanismen zur Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs auf den jeweiligen Märkten vor. Die jeweiligen Sanktionen sind am Vorbild des Kartellrechts ausgerichtet174. Das ist konsequent, weil es sich bei diesen Vorschriften – strukturell betrachtet – jeweils um ein sektorspezifisches Sondermarktrecht handelt, das große Schnittmengen mit dem Kartellrecht aufweist175. Ebenso wie das Kartellrecht sehen TKG und EnWG ein zweigleisiges Sanktionssystem vor, das sich aus privatrechtlichen Sanktionen in Form von Schadensersatz- und Unterlassungsansprüchen176 sowie behördlichen Eingriffsbefugnissen der jeweiligen Regulierungsbehörden zusammensetzt. Beide Sanktionssysteme kennen insbesondere auch Abschöpfungsinstrumente. Denn ein Bedürfnis nach Abschöpfung von Unrechtsvorteilen wird typischerweise auch bei Zuwiderhandlungen gegen Regulierungsvorschriften bestehen. Gerade auf regulierten Märkten sind die mit einer Abschöpfung verbundenen ökonomischen Anreize als »präventiv wirkende Motivationshilfe zur Normeinhaltung«177 von wesentli172
Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, Vor § 81 Rn. 191. Zu dieser grundsätzlichen Zielrichtung die Begr. zum Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, BT-Drucks. 15/3917, S. 46 sowie die Begr. zum Regierungsentwurf eines Telekommunikationsgesetzes, BT-Drucks. 15/2316, S. 55. 174 Überblick bei Antweiler/Nieberding, NJW 2005, 3673 ff.; Enaux/König, N&R 2005, 2 ff. 175 Das Verhältnis von GWB und EnWG zueinander regelt § 111 EnWG. Die enge Verwandtschaft beider Rechtsgebiete wird durch den neu eingeführten § 29 GWB noch unterstrichen, der gerade auf diejenigen Missbrauchsfälle im Energiesektor zielt, die nicht vom EnWG erfasst werden, siehe dazu die Begr. zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmittelhandels, BT-Drucks. 16/5847, S. 9. 176 § 44 TKG und § 32 EnWG. 177 Koenig/Loetz/Neumann, Telekommunikationsrecht, S. 156. 173
B. Instrumente zur Abschöpfung von Unrechtsvorteilen
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cher Bedeutung. Zur Abschöpfung von »Unrechtsvorteilen« stehen den zuständigen Regulierungsbehörden178 neben Bußgeldern und der Möglichkeit zur Anordnung von Verfall auch jeweils spezielle Abschöpfungsbefugnisse zur Verfügung. Die entsprechenden Regelungen über eine Vorteilsabschöpfung sind in § 43 TKG und § 33 EnWG enthalten. Im Unterschied zum Kartellrecht sind privatrechtliche Abschöpfungsansprüche nicht in die jeweiligen Gesetze aufgenommen worden, obgleich jedenfalls der Regierungsentwurf zum EnWG eine solche Regelung noch vorgesehen hatte179. Die Entwurfsfassung lautete: »(1) Wer einen Verstoß im Sinne des § 33 Abs. 1 vorsätzlich begeht und hierdurch zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt, kann von den gemäß § 32 Abs. 2 Nr. 1 und 2 zur Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs Berechtigten auf Herausgabe dieses wirtschaftlichen Vorteils an den Bundeshaushalt in Anspruch genommen werden, soweit nicht die Regulierungsbehörde die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils durch Verhängung einer Geldbuße, durch Verfall oder nach § 33 Abs. 1 anordnet. (2) Auf den Anspruch sind Leistungen anzurechnen, die das Unternehmen auf Grund des Verstoßes erbracht hat. § 33 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend. (3) Beanspruchen mehrere Gläubiger die Vorteilsabschöpfung, gelten die §§ 428 bis 430 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend. (4) Die Gläubiger haben der Regulierungsbehörde über die Geltendmachung von Ansprüchen nach Absatz 1 Auskunft zu erteilen. Sie können von der Regulierungsbehörde Erstattung der für die Geltendmachung des Anspruchs erforderlichen Aufwendungen verlangen, soweit sie vom Schuldner keinen Ausgleich erlangen können. Der Erstattungsanspruch ist auf die Höhe des an den Bundeshaushalt abgeführten wirtschaftlichen Vorteils beschränkt. (5) § 32 Abs. 4 und 5 ist entsprechend anzuwenden«.
Diese Vorschrift wurde im Vermittlungsausschuss gestrichen180. Gleichwohl verdient der Entwurf eines solchen Vorteilsabschöpfungsanspruchs Aufmerksamkeit. Denn der Entwurf bringt zum Ausdruck, dass privatrechtliche Abschöpfungsansprüche nicht als ein singuläres »Kuriosum« abgetan werden dürfen. 2. Abschöpfung im Telekommunikationsrecht a) Abschöpfung durch Geldbußen oder Verfall Verhängt die Regulierungsbehörde gegen einen Verletzer ein Bußgeld, dann soll dieses gemäß § 149 Abs. 2 S. 2 TKG den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen. Reicht der durch § 149 178 Zuständige Regulierungsbehörde ist im Telekommunikationsrecht die Bundesnetzagentur (§ 116 TKG), im Energiewirtschaftsrecht die Bundesnetzagentur sowie die jeweiligen Landesregulierungsbehörden (§ 54 EnWG). 179 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3917. 180 Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses, BT-Drucks. 15/5736, S. 5, unter Nr. 22.
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
Abs. 2 S. 1 TKG vorgegebene Bußgeldrahmen hierfür nicht aus, dann können diese Beträge gemäß § 149 Abs. 2 S. 3 TKG überschritten werden. Diese Regelung entspricht § 17 Abs. 4 OWiG. Daneben kommt – zumindest theoretisch – eine Anordnung von Verfall in Betracht181. Gemäß § 44 Abs. 1 S. 4 TKG werden bei Verletzungen von TGK-Vorschriften allerdings vielfach Schadensersatzansprüche der Endverbraucher ausgelöst, sodass für eine Anordnung von Verfall kaum Raum verbleibt. b) Vorteilsabschöpfung gemäß § 43 TKG Die Vorteilsabschöpfung gemäß § 43 TKG orientiert sich an der Parallelvorschrift des § 34 GWB182. Diese Sanktion sieht sich gleichermaßen der Frage ausgesetzt, welche Konstellationen für die Vorteilsabschöpfung neben den sonstigen Abschöpfungsmöglichkeiten eigentlich noch verbleiben. Soweit ersichtlich, ist die Bestimmung bislang nicht zur Anwendung gelangt183. Gemäß § 43 Abs. 1 TKG ist eine Abschöpfung in zwei Konstellationen möglich: Entweder verstößt ein Unternehmen gegen eine von der Bundesnetzagentur nach § 42 Abs. 4 TKG erlassene Verfügung oder ein Unternehmen verstößt vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Bestimmung des Gesetzes. Im Unterschied zur Vorteilsabschöpfung nach § 34 GWB, die grundsätzlich ein vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten verlangt, ist ein schuldhaftes Verhalten nicht erforderlich, wenn ein Unternehmen gegen eine Anordnung der Bundesnetzagentur verstößt, mit der diese gegen die missbräuchliche Ausnutzung einer marktmächtigen Stellung vorgeht184. Diese Regelung lässt erkennen, dass Verstöße gegen Missbrauchsverfügungen vom Gesetzgeber als besonders gefährlich und sanktionswürdig angesehen werden. Die praktische Bedeutung dieser Verschärfung dürfte allerdings marginal sein, da bei Verstößen gegen Missbrauchsverfügungen der Bundesnetzagentur regelmäßig zumindest von einem fahrlässigen Handeln auszugehen sein wird185. Der Begriff des wirtschaftlichen Vorteils in § 43 TKG soll in gleichem Sinne zu verstehen sein wie in § 34 Abs. 1 GWB und § 17 Abs. 4 OWiG186. Eine ganz bemerkenswerte Eigenart des § 43 TKG besteht allerdings darin, dass § 43 Abs. 2 S. 1 TKG, im Gegensatz zu § 34 Abs. 2 S. 1 GWB und § 33 Abs. 2 S. 1 EnWG, eine Anrechnung von Geldbußen auf den abzuschöpfenden Vorteil dem Wortlaut nach nicht zulässt. Hierbei dürfte es sich indessen um einen redaktionellen 181
Das TKG erwähnt den Verfall nur in § 43 Abs. 2 S. 1. Bemerkenswert knapp dazu die Begr. im Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/2316, S. 72. 183 Ellinghaus, in: Arndt/Fetzer/Scherer, TKG, § 43 Rn. 2. 184 Enaux/König, N&R 2005, 2, 7; Holthoff-Frank, in: Beck’scher TKG-Kommentar, § 43 Rn. 17; Roth, in: Scheurle/Mayen, TKG, § 43 Rn. 9. 185 Ellinghaus, in: Arndt/Fetzer/Scherer, TKG, § 43 Rn. 4; Holthoff-Frank, Beck’scher TKGKommentar, § 43 Rn. 25 ff.; Roth, in: Scheurle/Mayen, TKG Rn. 46 ff. 186 Ellinghaus, in: Arndt/Fetzer/Scherer, TKG, § 43 Rn. 9; Holthoff-Frank, in: Beck’scher TKG-Kommentar, § 43 Rn. 6. 182
B. Instrumente zur Abschöpfung von Unrechtsvorteilen
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Fehler handeln187, denn statt der jetzigen Gesetzesfassung »die Verhängung oder die Anordnung des Verfalls« sollte es vermutlich heißen: »die Verhängung der Geldbuße oder die Anordnung des Verfalls«. Für eine solche Interpretation spricht, dass die Dopplung »Verhängung oder Anordnung« bezüglich des Verfalls schlicht überflüssig ist und sachlich nichts dafür spricht, warum im Telekommunikationsrecht Geldbußen nicht auf eine Vorteilsabschöpfung anzurechnen sein sollten. Daher ist § 43 Abs. 2 S. 1 TKG berichtigend bzw. ergänzend dahingehend auszulegen, dass auch Geldbußen anzurechnen sind188. 3. Abschöpfung im Energiewirtschaftsrecht a) Abschöpfung durch Geldbußen oder Verfall In Anlehnung an § 81 Abs. 2 GWB a.F. erlaubt § 95 Abs. 2 EnWG bei bestimmten Verstößen die Festsetzung einer Geldbuße von bis zu einer Million Euro und über diesen Betrag hinaus bis zur dreifachen Höhe des durch die Zuwiderhandlung erlangten Mehrerlöses, wobei die Höhe des Mehrerlöses geschätzt werden kann. Mit dieser Regelung beabsichtigte der Gesetzgeber eine wirksame Sanktionsmöglichkeit zu schaffen, die erforderlich ist, um unlauteres Gewinnstreben zu bekämpfen und im Falle missbräuchlichen Verhaltens den Zuwiderhandelnden so zu stellen, dass er im Ergebnis aus seinem missbräuchlichen Verhalten keinen Vorteil zieht, sondern über das Maß der gezogenen Vorteile hinaus eine spürbare finanzielle Einbuße hinnehmen muss189. Inhalt und Ermittlung des Mehrerlöses folgen den Grundsätzen des Kartellrechts vor der siebten GWB-Novelle. Insbesondere kann die Rechtsprechung zu § 81 Abs. 2 GWB a.F. herangezogen werden190. Ebenfalls in Betracht kommt die Anordnung von Verfall. Der Verfall wird nicht nur in § 33 Abs. 2 S. 1 EnWG erwähnt, sondern § 97 EnWG enthält darüber hinaus spezielle Regelungen zur Zuständigkeit. Allerdings ist – wie im Kartellrecht und Telekommunikationsrecht – zu berücksichtigen, dass bei Rechtsverstößen gegen die Bestimmungen des EnWG gemäß § 32 Abs. 3 S. 1 EnWG Schadensersatzansprüche bestehen können. b) Vorteilsabschöpfung gemäß § 33 EnWG Gemäß § 33 EnWG kann die zuständige Regulierungsbehörde einen vorsätzlich oder fahrlässig erzielten wirtschaftlichen Vorteil vom Verletzer abschöpfen. Wie ihr telekommunikationsrechtliches Pendant in § 43 TKG beruht diese Vorschrift 187
Enaux/König, N&R 2005, 2, 8 Fn. 43. I.E. ebenso Holthoff-Frank, in: Beck’scher, TKG-Kommentar, § 43 Rn. 23; Roth, in: Scheurle/Mayen, TKG, § 43 Rn. 55. 189 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3917, S. 74. 190 Robert, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, § 95 Rn. 18. Zum Begriff des Mehrerlöses siehe auch unten § 8. B. IV. 1. a) aa), S. 592 ff. 188
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
auf dem kartellrechtlichen Vorbild des § 34 GWB191. Die Norm folgt aber noch stärker den kartellrechtlichen Grundsätzen. Im Gegensatz zur Regelung im TKG ist eine Abschöpfung gemäß § 33 Abs. 1 EnWG generell nur möglich, wenn der Verletzer vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat192. Die Anknüpfungspunkte für eine Vorteilsabschöpfung bilden entweder ein Verstoß gegen die Bestimmungen der Abschnitte 2 und 3 des EnWG oder ein Verstoß gegen eine aufgrund dieser Vorschriften erlassene Verfügung der Regulierungsbehörde. Im Übrigen entspricht die Regelung inhaltlich § 34 GWB.
V. Abschöpfung im Lauterkeitsrecht Von § 10 UWG abgesehen, kennt das Lauterkeitsrecht keine besonderen Abschöpfungsmechanismen. Eine Abschöpfung von Unrechtsvorteilen nach den allgemeinen Bestimmungen des Strafrechts ist möglich bei Verletzungen der §§ 16 bis 19 UWG. Eine neue Abschöpfungsmöglichkeit wird über § 20 UWG eröffnet. Die Einführung des Bußgeldtatbestandes bei unerlaubter Telefonwerbung gegenüber Verbrauchern ermöglicht eine Abschöpfung von Unrechtsgewinnen nach ordnungswidrigkeitenrechtlichen Grundsätzen. Insbesondere kann der in § 20 Abs. 2 UWG vorgesehene Bußgeldrahmen von 50 000 Euro nötigenfalls gemäß § 17 Abs. 4 OWiG angepasst werden, um eine Abschöpfung des erlangten wirtschaftlichen Vorteils zu gewährleisten. Daneben kommt die Anordnung von Verfall gemäß § 29a OWiG in Betracht.
VI. Bestandsaufnahme 1. Abschöpfung als Kernaufgabe der Rechtsordnung Als wichtigstes Ergebnis der Bestandsaufnahme ist festzuhalten, dass die Abschöpfung von Unrechtsvorteilen keinen Fremdkörper in der Rechtsordnung bildet, sondern im Gegenteil weit verbreitet und fest etabliert ist. Die Vielzahl von Abschöpfungsinstrumenten lässt sogar den Schluss zu, dass die Abschöpfung von Unrechtsvorteilen zu den unverzichtbaren Kernaufgaben der Rechtsordnung gehört. Bei aller Unterschiedlichkeit der Abschöpfungsinstrumente im Detail verdient überdies Aufmerksamkeit, dass die Abschöpfung auf einheitliche Grundgedanken zurückgeführt werden kann, nämlich auf die Beseitigung von ökonomischen Fehlanreizen und auf die überindividuelle Ordnungsfunktion. Trotz des einheitlichen Grundgedankens existiert kein universelles Abschöpfungsinstrument, vielmehr findet sich eine Fülle unterschiedlicher Abschöpfungsmechanismen. Es gibt bislang kein in sich geschlossenes Gesamtsystem der Abschöpfung, das die Koordinaten und Fixpunkte für übergreifende Strukturen 191 192
Robert, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, § 33 Rn. 1; Salje, EnWG, § 33 Rn. 1. Robert, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, § 33 Rn. 6.
B. Instrumente zur Abschöpfung von Unrechtsvorteilen
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und Prinzipien vorgeben könnte. Das Fehlen eines solchen übergreifenden Systems ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die einzelnen Abschöpfungsinstrumente in unterschiedlichen Zusammenhängen gewachsen und unter unterschiedlichen Vorzeichen entstanden sind. Übereinstimmungen und Unterschiede in den Tatbeständen und Rechtsfolgen sind deswegen nicht unbedingt das Ergebnis kohärenter Abstimmungsprozesse, sondern vielfach die Resultate isolierter und oft zufälliger Entwicklungen. In einigen Rechtsbereichen steht eine ganz bemerkenswerte Vielfalt von unterschiedlichen Abschöpfungsmechanismen zur Verfügung, die dann wiederum aufeinander abgestimmt werden müssen. Eine solche Kumulierung der Abschöpfung ist insbesondere im Kartellrecht zu beobachten. Ein Zusammentreffen verschiedener Abschöpfungsinstrumente ist nicht unbedingt ein Indiz mangelhafter Stimmigkeit der Rechtsordnung. Vielmehr kommt damit zum Ausdruck, dass das Ziel einer Abschöpfung von Unrechtsvorteilen auf unterschiedliche Weise verwirklicht werden kann. 2. Funktionelle Unterscheidung der Abschöpfungsinstrumente Obgleich Abschöpfung als Ziel in unterschiedlichen Zusammenhängen Bedeutung erlangen kann und eine Abschöpfung auf unterschiedliche Weise verwirklicht werden kann, folgt daraus doch keineswegs, dass man es mit einer völlig unstrukturierten Materie zu tun hätte. Übergreifende Strukturen werden aber besser erkennbar, wenn man den Blick nicht auf ein bestimmtes Rechtsgebiet, etwa nur das Privatrecht oder das Strafrecht, verengt. Es ist deswegen sinnvoll, die verschiedenen Abschöpfungsinstrumente unabhängig von ihrer Rechtsnatur auf ihre jeweilige Funktion hin zu untersuchen. Eine funktionelle Betrachtungsweise muss danach fragen, welches Gewicht der Abschöpfung als Sanktionsziel beigemessen wird und welche Interessen geschützt werden. Aufgrund des oben gewonnenen Überblicks lassen sich im Wesentlichen drei Gruppen von Abschöpfungsmechanismen unterscheiden. Die Zuordnung der einzelnen Sanktionsinstrumente wird im Anhang II dieser Untersuchung durch Übersichten veranschaulicht. Eine erste Gruppe bilden Instrumente, deren Primärzweck in der Abschöpfung liegt und die nicht dem Schutz von individuellen Interessen dienen. Hierzu gehören neben den behördlichen Abschöpfungssanktionen gemäß § 34 GWB, § 33 EnWG und § 43 TKG insbesondere die Vorschriften zum Verfall. Diesen Bestimmungen ist gemeinsam, dass die Sanktionen nicht eingreifen, wenn durch eine Rechtsverletzung individuelle Interessen betroffen werden, der Verletzer durch seine Handlung auf Kosten eines Verletzten etwas erlangt und dieses Erlangte wieder herausgeben müsste. Die entsprechenden Sanktionen enthalten deswegen Sperrregelungen, die verhindern, dass die Abschöpfung individuelle Ausgleichsansprüche vereitelt193. 193
§ 73 Abs. 1 S. 2 StGB; § 34 Abs. 2 S. 1 GWB; § 33 Abs. 2 S. 1 EnWG; § 43 Abs. 2 S. 1 TKG.
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
Eine zweitens Gruppe bilden Mechanismen, bei denen die Abschöpfung als Nebenzweck und Bemessungsfaktor in Erscheinung tritt. Das Ziel der Abschöpfung tritt dabei neben andere Zwecke und kann gegenüber diesen Zwecken unterschiedlich zu gewichten sein. Beispielsweise bildet die Abschöpfung von Unrechtsvorteilen im Rahmen der Festsetzung von Bußgeldern gemäß § 17 Abs. 4 OWiG und § 81 Abs. 5 GWB nur ein Bemessungskriterium neben weiteren. Charakteristisch für diese Gruppe von Abschöpfungsinstrumenten ist, dass sie multiplen Sanktionszwecken dienen und auf Rechtsfolgenseite offen ausgestaltet sind. Für die privatrechtlichen Sanktionsinstrumente ist typisch, dass die Ermittlung des Anspruchsinhalts zumeist schwierig ist und im Streitfall regelmäßig die Ausübung der richterlichen Befugnis gemäß § 287 ZPO erfordert. In der dritten Gruppe bildet die Abschöpfung wieder den Primärzweck der Sanktion. Im Unterschied zur ersten Gruppe dient die Abschöpfung hier aber dem Schutz individueller Interessen. Abschöpfung bedeutet hierbei zumeist Rückverschiebung von unberechtigten Vermögenszuwächsen infolge des rechtswidrigen Eingriffs. Hier liegt die Domäne privatrechtlicher Abschöpfungsmechanismen. Dies erklärt, warum die Abschöpfungsinstrumente in dieser Gruppe besonders vielgestaltig sind. Denn das Privatrecht muss höchst unterschiedlichen Interessen- und Konfliktlagen gerecht werden und damit möglichst »passgerechte« Regelungsmechanismen bereithalten. Die im Schrifttum bisweilen beklagte Rechtszersplitterung194 ist deswegen kein Defizit, sondern einfach der Natur der Sache geschuldet.
C. Dogmatische Einordnung der Abschöpfungsansprüche Bevor die Einzelheiten der Ansprüche aus § 10 UWG und § 34a GWB untersucht werden, soll im Folgenden – gleichsam vor die Klammer gezogen – das dogmatische Fundament beider Ansprüche herausgearbeitet werden. Dabei gilt es, die strukturgebenden Merkmale beider Ansprüche zu untersuchen, den Sanktionszweck der Abschöpfungsansprüche zu hinterfragen und – auf den dabei gewonnenen Erkenntnissen aufbauend – die rechtlichen Besonderheiten der Abschöpfungsansprüche festzuhalten.
I. Strukturgebende Merkmale Die Ansprüche aus § 10 UWG und § 34a GWB liegen gewissermaßen quer zu den herkömmlichen Kategorien des Privatrechts. Die Tatbestände der beiden Abschöpfungsansprüche setzen sich aus Bausteinen deliktischer Verschuldenshaftung, bereicherungsrechtlicher Eingriffshaftung und kollektivrechtlichen Ab194 Helms, Gewinnherausgabe als haftungsrechtliches Problem, S. 15; Köndgen, RabelsZ 64 (2000), 661, 663.
C. Dogmatische Einordnung der Abschöpfungsansprüche
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wehransprüchen zusammen. Sie beinhalten darüber hinaus ordnungsrechtliche Elemente195. Dies verleiht den Abschöpfungsansprüchen einen eigentümlichen »Patchworkcharakter«. Im Schrifttum besteht Einigkeit darüber, dass es sich bei den Ansprüchen aus § 10 UWG und § 34a GWB um Ansprüche eigener Art handelt196. Das ist sicher richtig, aber zugleich wenig aussagekräftig. Denn die Einordnung der Abschöpfungsansprüche als Ansprüche sui generis besagt eben nur, dass es sich um eine eigenständige Kategorie von Ansprüchen handelt, die vielleicht sachliche Überschneidungen mit anderen Anspruchsarten aufweisen, jedoch über keine so weit gehenden und »wesensbestimmenden« Übereinstimmungen verfügen, dass sie einer bestimmten Art von Ansprüchen zweifelsfrei zugeordnet werden könnten. Versucht man, die Abschöpfungsansprüche nicht nur als Ansprüche eigener Art negativ von anderen Mechanismen abzugrenzen, sondern positiv zu charakterisieren, dann kristallisieren sich vier Merkmale heraus, die im Zusammenspiel das strukturgebende Gerüst der Abschöpfungsansprüche bilden. Es handelt sich um (1.) privatrechtliche Ansprüche mit (2.) rein kollektivrechtlicher Ausrichtung, die (3.) auf einen Entzug von zu Unrecht erlangtem Vermögen gerichtet sind und (4.) verschuldensabhängig sind. Innerhalb der verschiedenen Gruppen von Abschöpfungsmechanismen der Rechtsordnung197 gehören die Abschöpfungsansprüche zur ersten Gruppe der primär auf Abschöpfung gerichteten Instrumente, die dem Schutz überindividueller Interessen dienen. § 10 UWG und § 34a GWB sind keineswegs Fremdkörper in der Rechtsordnung, sondern sie fügen sich in die vorhandenen Strukturen ein. 1. Privatrechtlicher Charakter Die Abschöpfungsansprüche sind privatrechtlicher Natur. Es handelt sich um Ansprüche und damit um (sekundäre) subjektive Rechte198. Den Ansprüchen liegt kein (primäres) subjektives Recht zugrunde, denn die Abschöpfungsansprüche dienen nicht der Sicherung und Verteidigung einer eigenen Rechtsstellung 195
Stadler, in: Die Europäisierung des Kartell- und Lauterkeitsrechts, S. 117, 125. Bauer, Der Gewinnabschöpfungsanspruch der Verbände nach § 10 UWG, S. 88; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 11; Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 124 f.; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 5; Lehmler, UWG, § 10 Rn. 2; ders., in: Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, § 10 UWG Rn. 1; Neuberger, Der wettbewerbsrechtliche Gewinnabschöpfungsanspruch im europäischen Rechtsvergleich, S. 57; Pokrant, in: Festschrift für Ullmann, S. 813, 817; Schaub, GRUR 2005, 918, 921; Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 57 f.; Stadler, in: Die Europäisierung des Kartellund Lauterkeitsrechts, S. 117, 125; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 37 Rn. 3; van Raay, VuR 2007, 47, 48; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 94; Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12, 16. 197 Oben, B. VI. 2., S. 473 ff. 198 Zur Unterscheidung zwischen primären und sekundären subjektiven Rechten oben § 2. A. II. 2., S. 53 ff. 196
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der jeweils Anspruchsberechtigten199, sondern die Ansprüche weisen einen eigenständigen kollektivrechtlichen Charakter auf200. Dass § 10 UWG und § 34a GWB nicht dem Schutz von Individualinteressen der Anspruchsberechtigten dienen, wird schon daran deutlich, dass der abgeschöpfte Gewinn oder wirtschaftliche Vorteil nicht den jeweiligen Anspruchsinhabern, sondern dem Bundeshaushalt zugutekommt. Anspruchsinhaber sind bei § 10 Abs. 1 UWG und § 34a Abs. 1 GWB gewerbliche Interessenverbände201, bei § 10 Abs. 1 UWG darüber hinaus qualifizierte Einrichtungen und Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern202. Diese handeln aber nicht aufgrund der Verletzung eigener individueller Rechte, sondern die Anspruchsberechtigten nehmen mit den Abschöpfungsansprüchen kollektive Interessen der Abnehmer und im Kartellrecht auch der Anbieter wahr. Die Abschöpfungsansprüche begründen eine privatrechtliche Verbindlichkeit des Verletzers gegenüber den Anspruchsberechtigten. Sie stehen daher in einem haftungsrechtlichen Kontext. Dies wird vereinzelt, jedoch zu Unrecht, bestritten. Weil § 10 UWG und § 34a GWB den von einem Rechtsverstoß Betroffenen keine Rechte einräume und der abgeschöpfte Gewinn bzw. Vorteil den Betroffenen nicht zugutekomme, könne nicht von einem »haftungsrechtlichen« Rechtsbehelf gesprochen werden203. Diese Ansicht beruht indessen auf einem (zu) eng gefassten Verständnis des privaten Haftungsrechts. Richtig ist allein, dass Abschöpfungsansprüche nicht auf einen individuellen Interessenausgleich ausgerichtet sind. Gleichwohl ergibt sich aus den Abschöpfungsansprüchen eine privatrechtliche Haftung des Abschöpfungsschuldners im Sinne einer rechtlichen Verbindlichkeit und eines Einstehenmüssens gegenüber einem anderen Rechtssubjekt. Wenn man akzeptiert, dass das Privatrecht nicht allein auf den Schutz individueller Interessen beschränkt ist, sondern überindividuelle Interessen schützen und auf diesen Schutz ausgerichtete Schutzmechanismen entwickeln darf, dann ist kein überzeugender Grund ersichtlich, Abschöpfungsansprüche künstlich vom allgemeinen Haftungsrecht zu trennen. Des Weiteren wird bezweifelt, dass es sich bei den zur Abschöpfung Berechtigten um materielle Anspruchsinhaber handelt204. Denn noch schärfer als bei der Unterlassungsklage trete bei der Gewinnabschöpfungsklage das öffentliche Interesse an der Rechtsdurchsetzung in den Vordergrund205. Diese Beobachtung ist richtig, nur schließt ein Verfolgen überindividueller Interessen nicht aus, dass Privatrechtssubjekte materiellrechtliche Anspruchsinhaber sind. Das Gesetz definiert den Anspruch als das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen 199
Missverständlich ist es daher, wenn eine »eigene Verletzung des Verbandes« gefordert wird, so etwa bei Jestaedt, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozeß, Kap. 19 Rn. 38, 52 und 62. 200 Dazu sogleich unter 2., S. 478 ff. 201 § 10 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG und § 34a Abs. 1 i.V.m. § 33 Abs. 2 GWB. 202 § 10 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 3 und 4 UWG. 203 Helms, Gewinnherausgabe als haftungsrechtliches Problem, S. 12. 204 Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 94. 205 Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 94.
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zu verlangen206, setzt also voraus, dass es einen Anspruchsberechtigten und einen Anspruchsverpflichteten gibt. Die Konstruktion eines »Anspruchs ohne Anspruchsinhaber« mit dem Bundeshaushalt als Nutznießer207 vermag nicht zu überzeugen, weil dadurch privatrechtliche Strukturen ohne Not beiseite geschoben werden. Allenfalls ließe sich darüber nachdenken, ob die sanktionsbefugten Institutionen gleichsam als materiellrechtlich Wahrnehmungsberechtigte anzusehen sein könnten. Eine ähnliche Konstruktion findet sich beim postmortalen Persönlichkeitsrecht208. Diese besondere Konstruktion ist allerdings der Tatsache geschuldet, dass ein rechtlicher Schutz über den Tod des Rechtsträgers hinaus gewährleistet werden muss. Eine solche zwingende Notwendigkeit ist bei den Abschöpfungsansprüchen jedoch nicht ersichtlich, sodass es der »Notlösung« einer Wahrnehmungsberechtigung nicht bedarf. Keinen Einwand gegen den privatrechtlichen Charakter der Abschöpfungsansprüche bildet die Drittbegünstigung des Bundeshaushalts. Dass den Berechtigten der abgeschöpfte Gewinn oder Vorteil nicht verbleibt, hat keine dogmatischen, sondern pragmatische Gründe (deren Berechtigung noch dazu zweifelhaft ist) und ist für die rechtliche Charakterisierung der Abschöpfungsansprüche irrelevant. Die rechtliche Konstellation, wonach eine Leistung nicht an den Anspruchsinhaber zu erbringen ist, sondern an einen Dritten, ist im Privatrecht nicht ungewöhnlich und findet sich z.B. beim unechten (ermächtigenden oder einfachen) Vertrag zugunsten Dritter209. Die Anspruchsberechtigten handeln nicht als Wahrnehmungsberechtigte, Treuhänder oder Einziehungsermächtigte für den Bund, sondern sie sind »echte« Gläubiger. Der Bundeshaushalt als begünstigter Dritte ist lediglich der Empfänger des abzuschöpfenden Geldbetrages und diese Drittleistung bildet den charakteristischen Inhalt der gesetzlichen Schuld. § 10 UWG und § 34a GWB begründen einen gesetzlichen Anspruch des Inhalts, dass nicht an den Gläubiger, sondern an einen Dritten gezahlt werden muss. Die gedankliche Schwierigkeit der Vorstellung einer Anspruchsinhaberschaft einer Institution rührt allein daher, dass im Privatrecht die Vorstellung individueller Rechtsträgerschaft zur Verfolgung individueller Interessen vorherrscht. Die Durchsetzung kollektiver Interessen ist mit einem solchen konventionellen Denkschema schwer in Einklang zu bringen. Indessen hat sich der Gesetzgeber entschieden, die Wahrnehmung kollektiver Interessen mit privatrechtlichen Gestaltungsmitteln zu ermöglichen. Dass damit eine materiellrechtliche Anspruchsinhaberschaft gemeint ist, kommt im Lauterkeitsrecht im Wortlaut des § 8 Abs. 3 UWG zum Ausdruck, wonach die Ansprüche aus Absatz 1 den in Nr. 1 bis 4 ge206
§ 194 Abs. 1 BGB. Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 95. 208 Siehe dazu Hager, in: Staudinger, BGB, § 823 Rn. C 40 m.w.Nachw. Hager verweist wiederum auf die Ähnlichkeit dieser Konstruktion mit der Verbandsklage nach § 13 AGBG a.F., a.a.O. Rn. C 39. 209 Zur unterschiedlichen Terminologie siehe nur Gottwald, in: Münchener Kommentar, BGB, § 328 Rn. 9 m.w.Nachw. 207
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nannten Personen und Institutionen zustehen. Eine entsprechende Regelung enthält § 3 Abs. 1 UKlaG für verbraucherschützende Unterlassungsklagen. Etwas missverständlich heißt es dagegen in § 33 Abs. 2 GWB, der Anspruch aus § 33 Abs. 1 GWB könne von Verbänden geltend gemacht werden. Diese Formulierung könnte Anlass zu der Annahme geben, es liege ein Fall gesetzlicher Prozessstandschaft vor. Doch wäre eine solche nur anzunehmen, wenn im Zivilverfahren ein Prozess im eigenen Namen aus fremdem Recht geführt würde210. Wer jedoch Abschöpfungsansprüche geltend macht, wird im eigenen Namen tätig, macht ein eigenes Recht geltend und handelt auf eigenes Risiko. Ganz fern liegt es schließlich, in den Abschöpfungsansprüchen eine »Beleihung« zu sehen211. Beliehene sind Privatpersonen, denen die Kompetenz zur selbstständigen Wahrnehmung bestimmter Verwaltungsaufgaben im eigenen Namen übertragen worden ist. Sie behalten den Status eines Privatrechtssubjekts, dürfen aber innerhalb der ihnen übertragenen Befugnisse hoheitlich handeln212. Gegen eine Beleihung spricht, dass die Anspruchsberechtigten über keinerlei hoheitlichen Befugnisse verfügen. Vielmehr sind die anspruchsberechtigten Einrichtungen bei der Durchsetzung der Abschöpfungsansprüche anderen Personen gleichgestellt. 2. Kollektivrechtlicher Charakter Ein weiteres Charakteristikum der Abschöpfungsansprüche besteht in ihrer rein kollektivrechtlichen Ausrichtung. Dogmatisch stehen sie in enger Verbindung mit den Verbandsklagebefugnissen im UWG und GWB213. Diese kollektivrechtliche Ausrichtung ergibt sich aus mehreren Elementen: Abschöpfungsansprüche begründen keine Ansprüche einzelner Marktakteure, die von einem Rechtsverstoß betroffen sind. Stattdessen sind Institutionen anspruchsberechtigt, die im Lauterkeits- und Kartellrecht zum Schutz kollektiver Interessen berufen sind. Zusätzlich wird die kollektivrechtliche Ausrichtung dadurch unterstrichen, dass die Tatbestände von einer »Vielzahl von Abnehmern« (§ 10 Abs. 1 UWG) bzw. einer »Vielzahl von Abnehmern oder Anbietern« (§ 34a Abs. 1 GWB) sprechen. Erfasst werden also grundsätzlich nur Handlungen mit Breitenwirksamkeit, die typischerweise kollektive Interessen von Marktakteuren im Wettbewerb beeinträchtigen. Die kollektivrechtliche Ausrichtung der Abschöpfungsansprüche korrespondiert mit dem Schutz kollektiver Interessen durch das Lauterkeits- und Kartellrecht und damit einem entscheidenden Struk210
Siehe nur Lindacher, in: Münchener Kommentar, ZPO, Vor § 50 Rn. 42 ff. Ebenfalls ablehnend: Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 45 f. 212 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 56; näher zur rechtlichen Einordnung der Beleihung Kämmerer, Privatisierung, S. 46 f. 213 Zur Dogmatik der Verbandsklage siehe nur Greger, ZZP 113 (2000), 399, 400 ff.; Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 199 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 47 Rn. 10 ff.; Säcker, Die Einordnung der Verbandsklage in das System des Privatrechts, Rn. 60 ff., 113 ff.; E. Schmidt, NJW 2002, 25 ff.; ders., ZIP 1991, 629 ff. 211
C. Dogmatische Einordnung der Abschöpfungsansprüche
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turelement dieser Rechtsgebiete. Es liegt in der Konsequenz eines Schutzes kollektiver Interessen, dass deren Einhaltung nicht von der Entscheidung einzelner Betroffener abhängig gemacht wird, sondern im Wege eigenständiger kollektivrechtlicher Sanktionsmöglichkeiten gesichert wird. Bisweilen wird verlangt, dass kollektivrechtliche Sanktionen durch Institutionen nur geltend gemacht werden können, wenn eine »eigene Verletzung des Verbandes« vorliegt214. Das ist missverständlich, weil damit unterschiedliche Dinge gemeint sein können. Sicher notwendig ist es, dass die von einer Institution wahrgenommenen kollektiven Interessen vom jeweiligen Verbandszweck gedeckt sein müssen. Es steht also beispielsweise einem gewerblichen Verband nicht frei, gegen beliebige Verstöße im Wettbewerb vorzugehen, sondern die Zuwiderhandlung muss die Interessen der Mitglieder berühren; auch im Übrigen können sich aus der Satzung Einschränkungen ergeben. Dagegen dienen kollektivrechtliche Sanktionen gerade nicht der Sicherung von Individualinteressen des Verbandes. Insofern wäre es geradezu verfehlt, eine eigene Verletzung des Verbandes zu fordern. Aus der Fülle rechtlich geschützter Interessen im Wettbewerb obliegt den Anspruchsberechtigten die Wahrnehmung derjenigen Interessen, die vom Aufgaben- und Tätigkeitsbereich der jeweiligen Institution umfasst werden. Dies folgt für Interessenverbände von Unternehmen unmissverständlich aus § 33 Abs. 2 GWB und § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG. Danach wird die Anspruchsberechtigung jeweils daran geknüpft, dass durch die Zuwiderhandlung die Interessen der Mitglieder des Verbandes berührt werden. Die Einschränkung gilt zwar unmittelbar nur für Abwehransprüche, wird aber durch die uneingeschränkte Verweisung in § 10 Abs. 1 UWG und § 34a Abs. 1 GWB jeweils einbezogen und findet damit auch bei den Abschöpfungsansprüchen Anwendung. Soweit im Lauterkeitsrecht zur Geltendmachung des Abschöpfungsanspruchs nach § 10 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 3 Nr. 3 und 4 UWG auch qualifizierte Einrichtungen und Kammern berechtigt sind, gilt nichts anderes. Zwar verzichtet § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG für qualifizierte Einrichtungen auf das nach altem Recht bestehende Erfordernis, wonach die Zuwiderhandlung wesentliche Belange der Verbraucher berühren musste215. Jedoch sollte die Neuregelung eine sachliche Änderung der Rechtslage nicht bewirken, sodass die qualifizierten Einrichtungen nur dann anspruchsberechtigt sind, wenn die Zuwiderhandlung zumindest in irgendeiner Weise Verbraucherinteressen berührt216. Eine Auslegung der Vorschrift in einem anderen Sinne wäre mit ihrem Sinn und Zweck nicht vereinbar, durch die den Verbraucherverbänden im öffentlichen Interesse verliehene
214
Jestaedt, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozeß, Kap. 19 Rn. 38, 52 und 62. § 13 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 UWG a.F. 216 So die h.M.: Bergmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 8 Rn. 259; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 8 Rn. 3.52; Lettl, GRUR 2004, 449, 460; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 8 Rn. 140. Anders Jestaedt, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, Kap. 19 Rn. 55; Büscher, in: Fezer, UWG, § 8 Rn. 218. 215
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Anspruchsberechtigung den kollektiven Verbraucherschutz zu gewährleisten217. Auch der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass für einen Verbraucherverband von vornherein kein Interesse an einer Klage besteht, wenn bei einer Handlung Belange der Verbraucher nicht berührt werden. Dieses Erfordernis wurde als selbstverständlich und damit als entbehrlich angesehen218. Indirekt folgt die Notwendigkeit der Verfolgung von Verbraucherinteressen daraus, dass gemäß § 4 Abs. 2 S. 1 UKlaG in die Liste qualifizierter Einrichtungen nur rechtsfähige Verbände eingetragen werden, »zu deren satzungsmäßigen Aufgaben es gehört, die Interessen der Verbraucher« wahrzunehmen. Die Verfolgung von unlauteren Handlungen, die Verbraucherinteressen nicht tangieren, liegt demzufolge außerhalb des Satzungszwecks einer qualifizierten Einrichtung und wäre damit unzulässig. Der Aufgabenbereich der Industrie- und Handelskammern sowie der Handwerkskammern ergibt sich aus den gesetzlichen Vorschriften219 und deren Satzungen. Eine Verfolgung von Interessen außerhalb der gesetzlich und satzungsmäßig festgelegten Bereiche wäre von § 8 Abs. 3 Nr. 4 UWG nicht gedeckt. 3. Vermögensentzug durch Abschöpfung Charakterisiert man die Abschöpfung als reinen Entzug von unrechtmäßig erlangten Vermögensvorteilen, dann erscheint diese Feststellung auf den ersten Blick geradezu trivial. Gleichwohl ist diese Erkenntnis wichtig, weil eine Abschöpfung keineswegs zwingend mit einem direkten Vermögensabfluss verbunden sein muss. Theoretisch könnte das Ziel einer Abschöpfung von Unrechtsvorteilen auch erzielt werden, indem einem Verletzer kein Vermögen entzogen, sondern für bestimmte Zeit ein Vermögenszufluss verhindert wird. Denkbar ist beispielsweise, dass ein Rechtsverletzer wegen einer Zuwiderhandlung für einen festgelegten Zeitraum zu einer Art »Zwangsrabatt« gegenüber seinen Kunden verpflichtet wird, sodass ein zu Unrecht erwirtschafteter Vorteil mit der Zeit »aufgebraucht« wird220. Dass die Abschöpfungsansprüche nur dem Vermögensentzug dienen, nicht aber eine »Umverteilung« von Vermögensgütern zwischen Privatrechtssubjekten vornehmen, grenzt diese Ansprüche vom Deliktsrecht und Bereicherungsrecht ab221. Die Primärfunktion des Bereicherungsrechts besteht in der Abschöpfung eines vom Bereicherungsschuldner erlangten ungerechtfertigten Vorteils222. Zwar 217
KG vom 27.5.2005, GRUR-RR 2005, 359. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 23. 219 Siehe dazu § 1 Abs. 1 IHKG sowie die jeweiligen Ausführungsgesetze der Bundesländer für die Industrie- und Handelskammern und § 91 Abs. 1 HwO für die Handwerkskammern. 220 Solche Lösungen werden bisweilen in US-amerikanischen class action-Verfahren gefunden; Beispiele dazu bei Witzsch, JZ 1975, 277, 278 f. Zur ökonomischen Fragwürdigkeit solcher Ansätze Bulst, Schadensersatzansprüche der Marktgegenseite im Kartellrecht, S. 327 f. und Witzsch, JZ 1975, 277, 279 Fn. 7. 221 Säcker, Die Einordnung der Verbandsklage in das System des Privatrechts, Rn. 89 f. 222 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrecht, § 67 I 1 a, S. 128. 218
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knüpfen die Abschöpfungsansprüche ebenso wie bereicherungsrechtliche Ansprüche an der Bereicherung des Schuldners an, jedoch dienen die Abschöpfungsansprüche nicht der Rückabwicklung von ungerechtfertigten Bereicherungen. Im Bereicherungsrecht soll nicht allein der ungerechtfertigte Zuwachs aufseiten des Schuldners beseitigt werden, sondern von Rechts wegen wird der »richtige« Zustand hergestellt, indem das vom Schuldner Erlangte (oder ein Äquivalent) zum Gläubiger »zurückverschoben« wird. Plakativ formuliert ist die Bereicherungshaftung eine »Rückverschiebungshaftung«. Demgegenüber zielt die Abschöpfung von Gewinnen oder wirtschaftlichen Vorteilen allein auf einen Entzug der vom Verletzer erlangten Unrechtsvorteile. Bei unlauteren oder kartellrechtswidrigen Handlungen, die Kollektivinteressen verletzen, gibt es keinen Marktakteur, dem der Verletzervorteil rechtmäßig zustünde. Es kann damit keine Rückverschiebung von Vermögensbestandteilen stattfinden. Vielmehr muss die Rechtsordnung gewährleisten, dass der Vermögensvorteil als solcher dem Wettbewerb entzogen wird. Insofern ist es dogmatisch ganz folgerichtig und überzeugend, wenn der Vorteil nicht den Anspruchsberechtigten, sondern dem Bund zugesprochen wird. Aus Rechtsgründen ist der unerlaubte Vorteil keiner bestimmten Rechtssphäre zugeordnet, sodass der Gesetzgeber frei darüber entscheiden kann, wem der abgeschöpfte Betrag zufließen soll. Rechtspolitisch kann man die Lösung des Gesetzgebers, den Bundeshaushalt zu begünstigen, freilich mit guten Gründen anzweifeln. Diese Überlegung führt sogleich zur Abgrenzung der Abschöpfung gegenüber der deliktischen Haftung. Deliktshaftung setzt grundsätzlich ein Individualverhältnis von Schädiger und Geschädigtem voraus. Zwar ist die deliktische Haftung nicht notwendig auf den individuellen Interessenausgleich zwischen diesen Personen beschränkt, sondern kann in mehr oder weniger großem Umfang etwa zum Schutz überindividueller Interessen instrumentalisiert werden. Gleichwohl ist eine Schadensersatzhaftung dem Grunde nach ausgeschlossen, wenn »nur« Kollektivinteressen beeinträchtigt werden. Dann nämlich fehlt es an der Grundvoraussetzung einer deliktischen Haftung, einem individuellen Schadensträger. 4. Verschuldensabhängigkeit Abschöpfungsansprüche sind verschuldensabhängig. Sie folgen damit haftungsrechtlich dem Verschuldensprinzip, auf dem im Lauterkeitsrecht und Kartellrecht die Schadensersatzhaftung beruht. Bei § 10 UWG und § 34a GWB gilt das Verschuldensprinzip aber in verschärfter Form. Verlangt wird nicht nur ein vorwerfbares Verhalten, sondern erforderlich ist eine vorsätzliche Handlung des Verletzers. Die Gründe, die für eine Verschuldensabhängigkeit sprechen, sind die gleichen, die dem Verschuldensprinzip im Rahmen der deliktischen Haftung zugrunde liegen223. Eine Abschöpfung darf nicht dazu führen, dass sinnvolle Mechanismen 223
Dazu oben § 3. A. II. 1., S. 118 ff.
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von Markt und Wettbewerb beeinträchtigt oder gar außer Kraft gesetzt werden. Unternehmen müssen im Wettbewerb sanktionsfreie Handlungsfreiräume verbleiben. Zwar ist kein Unternehmer gezwungen, die Grenzen des Zulässigen auszuloten224. Doch ist das eben nur die halbe Wahrheit. Wo die Grenze zwischen rechtmäßigen und rechtswidrigen Verhaltensweisen im Wettbewerbsgeschehen verläuft, kann man oft nicht sicher sagen. Namentlich bei neuartigen Absatzstrategien und Vertriebsmethoden herrscht oft Rechtsunsicherheit. Würde nun bei jedem Verstoß eine Abschöpfung drohen, wäre dies nichts anderes als ein wettbewerbsfeindlicher (Fehl-)Anreiz, sich nur noch in rechtlich gesicherten Bereichen zu bewegen. Damit würde die Fortschrittsfunktion des Wettbewerbs geradezu erstickt. Im Wettbewerb als ständigem Prozess der Veränderung werden notwendigerweise immer wieder rechtliche Grauzonen auftauchen. Es ist gerechtfertigt, wenn die Unternehmen, die sich in diese Bereiche vorwagen, das Risiko tragen, nicht in dieser Form weiterhandeln zu dürfen oder einen Störzustand beseitigen zu müssen. Solange jedoch kein schwerwiegendes (nämlich vorsätzliches) schuldhaftes Verhalten vorliegt, ist es sachgerecht und im Interesse der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs geboten, keine weiteren Sanktionen vorzusehen. Abschöpfungsansprüche stellen eine einschneidende Sanktion dar, weil sie mit dem Zugriff auf das Vermögen direkt den »Lebensnerv« von Unternehmen treffen. Ebenso wenig wie es sinnvoll ist, eine verschuldensunabhängige Schadensersatzhaftung im Wettbewerb zu etablieren, wäre es sachgerecht, die Abschöpfungsansprüche verschuldensunabhängig auszugestalten. Denn Unternehmen könnten ansonsten selbst dann auf Herausgabe erlangter Vorteile in Anspruch genommen werden, wenn die Verantwortlichen trotz sorgfältiger Prüfung die Rechtslage unzutreffend eingeschätzt haben. Abgesehen von dem damit verbundenen Prozessrisiko, auf das in den Gesetzesmaterialien hingewiesen wird225, würde die Vorsorge im Ergebnis die Marktgegenseite benachteiligen. Denn die Kosten würden in die Preise für Waren oder Dienstleistungen einkalkuliert und sodann auf die jeweiligen Abnehmer (bis hin zum Letztverbraucher) abgewälzt. Die Einhaltung des Rechts würde damit buchstäblich teuer erkauft. Man kann gewiss die Frage aufwerfen, ob der Anwendungsbereich der Abschöpfungsansprüche nicht zumindest auf grobfahrlässige Rechtsverstöße hätte ausgedehnt werden können. Indessen bedarf es in jedem Fall einer Grenzziehung zwischen Fällen, in denen die Sanktion der Abschöpfung angemessen ist und Fällen, in denen die Sanktion aus den soeben genannten Gründen (noch) nicht eingreifen sollte. Dass der Gesetzgeber diese Grenze zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit gezogen hat und nicht zwischen verschiedenen Graden der Fahrlässigkeit, ist dogmatisch konsequent und verdient Beifall. Die vorsätzliche Begehung bildet im Privatrecht typischerweise den Anknüpfungspunkt für eine Haftungsverschärfung. Beispiele hierfür bilden etwa §§ 687 Abs. 2, 819 Abs. 1, 826, 990 224 225
Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 109. BT-Drucks. 15/1487, S. 24.
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Abs. 1 S. 2 BGB. Dagegen bildet es keinen Wertungswiderspruch, wenn die Schadensersatzhaftung bereits bei Fahrlässigkeit eingreift, die Abschöpfungshaftung dagegen ein vorsätzliches Handeln erfordert226. Denn beide Sanktionen verfolgen unterschiedliche Sanktionszwecke und können deswegen an unterschiedlichen Haftungsmaßstäben ausgerichtet sein. Die praktischen Probleme, die beim Nachweis des Vorsatzes auftreten und damit eine Durchsetzung der Abschöpfungsansprüche erschweren, beruhen auf der Annahme, das Unrechtsbewusstsein bilde im Privatrecht ein notwendiges Element des Vorsatzes. Diese Ansicht bedarf kritischer Überprüfung227.
II. Sanktionszweck Die Bestimmung des Sanktionszwecks der Abschöpfungsansprüche bereitet einige Schwierigkeiten. Die privatrechtliche Abschöpfung von Unrechtsvermögen ist kein Selbstzweck, sondern erfolgt funktionsgebunden. Über diese Funktion(en) der Abschöpfungsansprüche besteht allerdings erhebliche Unklarheit. Bisweilen werden Überlegungen, die sich mit dem Sanktionszweck der Abschöpfung befassen, mit dem Einwand abgetan, es handele sich bei der »breit geführten Diskussion« über die Funktion der Abschöpfungsansprüche »um Streitigkeiten um Begriffe und/oder (Wunsch-)Vorstellungen, die zwar dogmatisch interessant, für die Praxis jedoch wenig relevant sind«228. Dabei wird jedoch verkannt, dass eine Norm nur dann praktische Relevanz erlangen kann, wenn Klarheit darüber besteht, welchen Zwecken diese Vorschrift dient. Deswegen ist es verfehlt, ein Nachdenken über die Funktion der Abschöpfungsansprüche als juristisches Glasperlenspiel zu disqualifizieren. Gerade für die praktische Anwendung der Norm ist es unentbehrlich, den Sanktionszweck dieser Ansprüche klar zu benennen. Die entscheidende Ursache für die verbreitete Zurückhaltung und Skepsis gegenüber den Abschöpfungsansprüchen dürfte darin bestehen, dass der Zweck dieser Ansprüche bislang keineswegs klar und überzeugend herausgearbeitet ist. 1. Bisherige Erklärungsversuche a) Beseitigung eines Sanktionsdefizits bei Streu- und Bagatellschäden Die herrschende Meinung sieht – zumeist unter Hinweis auf die amtlichen Materialien zu § 10 UWG und § 34a GWB – das vorrangige Ziel der Abschöpfungsansprüche darin, bestehende Sanktionsdefizite bei Streu- und Bagatellschäden zu beseitigen229. In der Begründung zu § 10 UWG heißt es dazu: 226 Entgegen Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht – Kommerzialisierung, Strafschadensersatz, Kollektivschaden, Gutachten für den 66 DJT, S. A 113. 227 Dazu näher unten, § 9. B. II., S. 624 ff. 228 Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 37 Rn. 4. 229 Für § 10 UWG: Boesche, Wettbewerbsrecht, Rn. 134; Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, § 23 Rn. 29; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 6 f.; Götting,
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
»Mit der Regelung eines Gewinnabschöpfungsanspruches werden die zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen wegen eines Verstoßes gegen das UWG mit dem Ziel einer weiteren Verbesserung der Durchsetzung des Lauterkeitsrechts erweitert. Das bisherige Recht hat Durchsetzungsdefizite bei den so genannten Streuschäden. Hierunter versteht man die Fallkonstellation, in der durch wettbewerbswidriges Verhalten eine Vielzahl von Abnehmern geschädigt wird, die Schadenshöhe im Einzelnen jedoch gering ist. Häufig vorkommende Fallgruppen dieser Art sind insbesondere die Einziehung geringer Beträge ohne Rechtsgrund, Vertragsschlüsse auf Grund irreführender Werbung, gefälschte Produkte sowie so genannte Mogelpackungen. Bleibt der Schaden im Bagatellbereich, so sieht der Betroffene regelmäßig von einer Rechtsverfolgung ab, weil der Aufwand und die Kosten hierfür in keinem Verhältnis zu seinem Schaden stehen. Mitbewerbern steht ein Schadensersatzanspruch in diesen Fällen nicht zwangsläufig zu. Daher sind Fälle denkbar, in denen der Zuwiderhandelnde den – bis zum Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung erzielten – Gewinn behalten darf. Diese Rechtsdurchsetzungslücke soll durch die Regelung in § 10 geschlossen werden«230.
In eine ganz ähnliche Richtung zielt die Begründung zu § 34a GWB. Dort wird darauf hingewiesen, dass § 34a GWB gleich zwei Rechtsdurchsetzungslücken schließen soll. Zum einen geht es um Streu- und Bagatellschäden, zum anderen um Kartellrechtsverstöße, bei denen die Kartellbehörde von ihren Möglichkeiten zur Abschöpfung keinen Gebrauch gemacht hat: »Ziel dieses Anspruchs ist die Abschöpfung von wirtschaftlichen Vorteilen bei Masse- und Streuschäden. Hierunter versteht man die Fallkonstellation, in der durch kartellrechtswidriges Verhalten eine Vielzahl von Marktteilnehmern geschädigt wird, die Schadenshöhe im Einzelnen jedoch gering ist. Bleibt der Schaden im Bagatellbereich, sieht der Betroffene regelmäßig von einer Rechtsverfolgung ab, weil der Aufwand und die Kosten hierfür in keinem Verhältnis zum Umfang seines Schadens stehen. Zwar können auch die Kartellbehörden einen derartigen Vorteil nach § 34 Abs. 1, durch Verhängung einer Geldbuße oder durch die Anordnung des Verfalls abschöpfen; dies steht jedoch in ihrem pflichtgemäßen Aufgreif- und Verfolgungsermessen. Daher sind Fälle denkbar, in denen der Zuwiderhandelnde ohne besondere gesetzliche Regelung den erzielten Vorteil behalten würde. Diese Rechtsdurchsetzungslücke soll durch den neuen § 34a geschlossen werden, indem auch für derartige Fallgestaltungen eine subsidiär geltende zivilrechtliche Sanktionsmöglichkeit geschaffen wird231.
Obgleich Abschöpfungsansprüche vielfach in Konstellationen eingreifen, in denen Streu- und Bagatellschäden entstehen können, tragen sie zur Lösung der da-
230 Wettbewerbsrecht, § 19 Rn. 11; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 3; Lehr, Wettbewerbsrecht, Rn. 472; Lettl, Das neue UWG, Rn. 671 f.; Loewenheim, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozeß, Kap. 74 Rn. 1; Matutis, UWG, § 10 Rn. 2; Mönch, ZIP 2004, 2032; Neuberger, Der wettbewerbsrechtliche Gewinnabschöpfungsanspruch im europäischen Rechtsvergleich, S. 54; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 10 Rn. 1; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 3. Für § 34a GWB: Bechtold, GWB, § 34a Rn. 4. 230 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 23. 231 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 36.
C. Dogmatische Einordnung der Abschöpfungsansprüche
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mit verbundenen Rechtsprobleme wenig bei232. Schon die tatbestandliche Ausgestaltung der Abschöpfungsansprüche zeigt, dass sie auf Streu- und Bagatellschäden nicht zugeschnitten sind. Der einzige Hinweis auf Schäden der Marktgegenseite besteht in den Tatbestandsmerkmalen »Vielzahl von Abnehmern« (§ 10 Abs. 1 UWG) und »Vielzahl von Abnehmern oder Anbietern« (§ 34a Abs. 1 GWB). Darüber hinaus verlangt das Gesetz nicht, dass der konkrete Rechtsverstoß zu einem individualisierbaren Schaden bei den Abnehmern geführt haben muss. Vielmehr muss der erlangte Gewinn jeweils »zu Lasten« der Marktakteure erzielt worden sein. Es ließe sich argumentieren, dass dieses Merkmal in einem engen schadensrechtlichen Sinne zu verstehen sein könnte und dementsprechend im Sinne einer individuellen Schädigung Einzelner zu verstehen ist. Dies wird vereinzelt auch vertreten233. Den amtlichen Materialien zufolge soll es jedoch genügen, dass bei den Abnehmern eine »wirtschaftliche Schlechterstellung« eingetreten sei234. Die Geschädigten sind nicht anspruchsberechtigt und das Gesetz sieht auch keine Mechanismen vor, um die Geschädigten an der Abschöpfungs zu beteiligen235. Wenn es aber bei der Abschöpfung tatsächlich um die Beseitigung eines Durchsetzungsdefizits bei Streu- und Bagatellschäden gehen würde, dann müsste der abgeschöpfte Gewinn doch zumindest im Ergebnis denjenigen zukommen, die Schäden oder wirtschaftliche Nachteile erlitten haben. Indessen ist eine Auskehr des abgeschöpften Betrages an die benachteiligten Akteure nicht vorgesehen. Die Geschädigten gelangen nicht einmal mittelbar in den Genuss des abgeschöpften Vermögens, weil der abgeschöpfte Gewinn nicht bei den anspruchsberechtigten Institutionen verbleibt, sondern an den Bundeshaushalt abgeführt wird. Ob und zu welchem Zwecken das Geld dann verwendet wird, steht dann allein im Ermessen des Bundes. Eine zweckgebundene Verwendung, etwa zur Förderung des Wettbewerbs- oder Verbraucherschutzes, ist gesetzlich nicht vorgesehen. Orientiert man sich an dem Bemühen des Gesetzgebers, dem Durchsetzungsdefizit bei Streu- und Bagatellschäden auch bei kartellrechtswidrigen Praktiken zu begegnen, dann findet sich in § 34a Abs. 1 GWB ein ganz bemerkenswerter »Konstruktionsfehler«236. Gemäß § 34a Abs. 1 GWB kann der Abschöpfungsanspruch geltend gemacht werden von den gemäß § 33 Abs. 2 zur Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs Berechtigten. Dabei handelt es um rechtsfähige Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger be232
Siehe bereits Alexander, JZ 2006, 890, 892 f. Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 10. 234 BT-Drucks. 15/2795, S. 21 zu § 10 UWG. 235 Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht – Kommerzialisierung, Strafschadensersatz, Kollektivschaden, Gutachten für den 66. DJT, S. A 112, kritisiert, dass die jetzige Fassung des § 10 UWG Verbraucher »enteignet«. Diese Kritik geht aber fehl, da die Gewinnabschöpfung gerade nicht darauf abzielt, dem Verletzer Vorteile zu entziehen, die »an sich« den Geschädigten zustehen. 236 Zu den Einzelheiten näher unten, § 8. C. I., S. 599 ff. 233
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
ruflicher Interessen, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmen angehört, die Waren oder Dienstleitungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. § 33 Abs. 2 GWB verlangt also, dass Verbände aktiv werden, deren Mitglieder auf dem gleichen relevanten Markt wie der Verletzer agieren. In Betracht kommen also nur Verbände von Mitbewerbern. Außerdem muss die Zuwiderhandlung die Interessen der Mitglieder des Verbandes berühren. Folglich können Verstöße, die nicht die Mitbewerber betreffen, sondern Marktpartner, Unternehmen einer anderen Absatzstufe oder eines anderen Marktsegments betreffen, von vornherein nicht mit § 34a GWB verfolgt werden237. Obgleich der Gesetzgeber in den amtlichen Materialien betont, dass Abnehmer im Sinne des § 34a GWB alle potenziell geschädigten Abnehmer bis zum Endabnehmer sind238, lassen sich die meisten dieser Fälle, bei denen der Eintritt von Streu- und Bagatellschäden gerade typisch ist, mit § 34a GWB überhaupt nicht erfassen. Daraus folgt: Der Hinweis auf das Sanktionsdefizit bei Streu- und Bagatellschäden ist letztlich nicht mehr als eine Scheinerklärung für die Abschöpfungsansprüche. Man kann angesichts dieses ernüchternden Befundes nur zwei Schlüsse ziehen: Entweder ist dem Gesetzgeber die Umsetzung des Gewollten gründlich misslungen oder es gibt jenseits der Streu- und Bagatellschäden einen anderen Erklärungsansatz für die Abschöpfungsansprüche. b) »Strafcharakter« In den Materialien zu § 10 UWG wird darauf hingewiesen, dass der Anspruch »einer wirksamen Abschreckung«239 diene. Ähnlich heißt es zu § 34a GWB, es gehe bei dem Abschöpfungsanspruch um eine »Verstärkung der Abschreckungswirkung«240. Verbreitet werden die Abschöpfungsansprüche deswegen als Instrumente mit repressiver Zielrichtung angesehen, als privatrechtliche Instrumente mit »Strafcharakter«241. Diese Überlegung steht zumeist im Zusammenhang mit verfassungsrechtlichen Einwänden gegen die Bestimmungen242. Abschöpfungsansprüche müssen jedoch von Kriminalstrafen und begleitenden Maßnahmen, aber auch von Bußgeldern unterschieden werden. Gewiss wird der Entzug eines Vermögensvorteils vom Betroffenen als eine »Strafe« empfunden. Allerdings folgt daraus nicht zwingend ein rechtlicher »Strafcharakter« der 237
Köhler, in: Festschrift für Schmidt, S. 509, 513. BT-Drucks. 15/3640, S. 56. 239 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 24. 240 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 56. 241 Siehe etwa Sack, WRP 2003, 549, 552 zum Referentenentwurf: »Unstreitig war und ist nun, dass der Gewinnabführungsanspruch einen Strafcharakter hat«. Auch Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12, 16 geht davon aus, dass der Anspruch auf Gewinnabschöpfung einen primär strafenden Charakter habe. Auf die beabsichtigte Präventionswirkung weisen Stadler/Micklitz, WRP 2003, 559, 560; Schaub, GRUR 2005, 918, 923 und – zu § 34a GWB – Rehbinder, in: Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff, GWB, § 34a Rn. 1 hin. 242 Oben § 2. C. III. und IV., S. 99 ff. und S. 106 ff. 238
C. Dogmatische Einordnung der Abschöpfungsansprüche
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Abschöpfungsansprüche243. Vielmehr bedarf auch hier der Klarstellung, was mit dem Begriff der »Strafe« oder des »Strafcharakters« im konkreten Fall gemeint ist. Als eine repressive Nachteilszufügung können die Abschöpfungsansprüche nicht angesehen werden. Denn dem Täter wird lediglich der Vorteil entzogen, der infolge der rechtswidrigen Handlung entstanden ist. Ihm wird also Vermögen entzogen, auf dessen Verbleib der Täter zu keiner Zeit vertrauen durfte. Darüber hinaus wird aber dem Verletzer kein Nachteil zugefügt. Denn der Verletzer haftet, im Unterschied zum Schadensersatz, nicht mit seinem sonst vorhandenen Vermögen. 2. Doppelfunktionalität der Abschöpfungsansprüche Die Fokussierung auf die Problematik der Streu- und Bagatellschäden und die Diskussion über einen »Strafcharakter« der Abschöpfungsansprüche haben den Blick dafür verstellt, dass es sich bei § 10 UWG und § 34a GWB um Instrumente handelt, die im Kern die gleichen Ziele verfolgen wie andere Abschöpfungsinstrumente der Rechtsordnung. Abschöpfungsansprüche sind auf eine Beseitigung individueller ökonomischer Fehlanreize und zugleich auf den Schutz des Vertrauens in die Rechtsordnung gerichtet. Wirtschaftlicher Erfolg im Wettbewerb ist unabhängig von rechtlichen Kategorien. Solange unlautere oder wettbewerbsbeschränkende Praktiken für ein Unternehmen wirtschaftlich vorteilhafter sind als wettbewerbskonforme Handlungen, besteht ein ökonomischer Anreiz, Rechtsverstöße zu begehen. Mit einer Abschöpfung eines Unrechtsvorteils kann dieser ökonomische Anreiz beseitigt werden. Die Abschöpfung beinhaltet damit aber nicht nur eine Reaktion auf einen Rechtsverstoß, sondern zugleich dienen die Abschöpfungsansprüche spezial- und generalpräventiven Zwecken244. In wettbewerbsfunktionaler Hinsicht greift das Recht mit Hilfe von Abschöpfungsansprüchen in die Auslesefunktion des Wettbewerbs ein. In eine ähnliche Richtung zielt es, wenn gesagt wird, § 10 UWG habe die Funktion, ein Marktversagen zu korrigieren245. Wettbewerb kann eine Auslese zwischen rechtlich erlaubten und rechtlich unerlaubten Praktiken nicht gewährleisten. Es ist möglich, dass ein Unternehmen gerade deswegen wirtschaftlichen Erfolg erzielt, weil es sich bewusst in rechtlichen »Grauzonen« bewegt oder die Grenze des rechtlich Zulässigen eindeutig überschreitet. Indem die Rechtsordnung Zuwiderhandlungen mit einer Abschöpfung sanktioniert, bewirkt sie, dass rechtswidrige Praktiken unrentabel und dadurch vom Markt verdrängt werden. Abschöpfungsansprüche ermöglichen keinen interventionistischen Eingriff in das Marktgefüge durch den Richter, sondern sie dienen unabhängig von Indivi243
Zum zivilrechtlichen Begriff »Strafe« oben § 3. B. II. 3., S. 145 ff. Zu den präventionsbegünstigenden Bedingungen im Wettbewerbsgeschehen siehe oben § 3. B. II. 2. b), S. 141 ff. 245 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 4. 244
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
dualinteressen einzelner Marktteilnehmer dem konsequenten Schutz der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs246. Der Sanktionsmechanismus der Abschöpfungsansprüche basiert nicht auf einer Einflussnahme in Marktabläufe, um »bessere« Marktergebnisse hervorzubringen, sondern orientiert sich an Wirkungsweise und Funktionsmechanismen von Markt und Wettbewerb. Die ökonomischen (Fehl-)Anreize werden beseitigt, indem die durch wettbewerbswidriges Verhalten hervorgerufenen marktleistungslos und rechtswidrig erzielten Einkommen247 entzogen werden. Wenn die Rechtsordnung rechtswidriges Verhalten unrentabel macht, dann beruht diese Reaktion gerade auf einer Orientierung an marktimmanenten Auslesemechanismen. Die Abschöpfung steht damit den tatsächlichen Marktabläufen sachlich näher als alle anderen Sanktionen. 3. Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen der Abschöpfungsansprüche Orientiert man sich an den bisherigen Überlegungen zum Sanktionszweck der Abschöpfungsansprüche, dann lassen sich auf dieser Basis wichtige Aussagen über die Leistungsfähigkeit und die Leistungsgrenzen der Abschöpfungsansprüche treffen. Wenngleich Abschöpfungsansprüche an Marktmechanismen ausgerichtet sind und in gewisser Weise korrigierend in das Marktgeschehen eingreifen, darf man nicht verkennen, dass die Rechtsordnung nur in sehr begrenztem Maße Funktionen des Wettbewerbs »ersetzen« kann. Funktionalität und Praktikabilität privatrechtlicher Ansprüche setzen dem Ziel, eine marktnahe und wettbewerbsorientierte Sanktion zu etablieren, notwendigerweise sehr enge Grenzen. Es liegt auf der Hand, dass die Rechtsordnung die Komplexität und Vielschichtigkeit des Wettbewerbsgeschehens, das stetige Wechselspiel von Angebot und Nachfrage, nicht in bestimmte Tatbestände und Rechtsfolgen, mögen sie auch flexibel ausgestaltet sein, umsetzen kann. Die Vielfalt wettbewerbsbeeinflussender Faktoren kann die Rechtsordnung nicht einmal annähernd erfassen. Privatrechtliche Ansprüche sind, ebenso wie sonstige Sanktionen, nur dann funktionsfähig, wenn sie über konturierte Voraussetzungen verfügen, die eine praktische Rechtsanwendung ermöglichen. Abschöpfung ist deswegen allein auf eine punktuelle Verhaltenssteuerung gerichtet. Es ist deswegen richtig, wenn der Anwendungsbereich von § 10 UWG und § 34a GWB tendenziell eng gefasst wird. Mit Recht hat sich Gesetzgeber zunächst für ein behutsames Vorgehen entschieden, um die Wirksamkeit dieser Sanktionsinstrumente in der Praxis zu erproben. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass die Rechtsordnung nur in denjenigen Fällen korrigierend eingreift, in denen die Grenzen zur Rechtswidrigkeit klar überschritten werden. Würde man hingegen schon bei unbedeutenden Rechtsverstößen das Instrument der Abschöpfung einsetzen, dann würde dies zu einer empfindlichen Beeinträchtigung der Wettbewerbsfreiheit führen. 246
Siehe auch Schünemann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 3 Rn. 273. Schünemann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 3 Rn. 273; siehe auch Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34a Rn. 1. 247
C. Dogmatische Einordnung der Abschöpfungsansprüche
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Abschöpfungsansprüche sind weder ein »Wundermittel« noch eine »Allzweckwaffe« gegen Rechtsverletzungen im Wettbewerb. Sie können das bestehende Sanktionsinstrumentarium sinnvoll erweitern und ergänzen, doch sind den Abschöpfungsansprüchen charakteristische Leistungsgrenzen gezogen. Eine wichtige Einschränkung folgt aus der vermögensbezogenen Sanktionswirkung. Eine Abschöpfung ist aus wettbewerbsfunktionaler Sicht überflüssig, wenn der Markt selbst effektiv Abhilfe schafft. Rechtswidrige Handlungen, die unwirtschaftlich sind, dem Verletzer also im Ergebnis keinen Gewinn oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil einbringen, können und müssen nicht mit Hilfe von Abschöpfungsansprüchen sanktioniert werden. Eine Abschöpfung geht daher ins Leere, wenn eine rechtswidrige Handlung erfolglos bleibt oder der Unternehmer gezielt für einen bestimmten Zeitraum eine »Verluststrategie« verfolgt.
III. Rechtliche Besonderheiten 1. Ausgangsüberlegungen Die speziellen Funktionen der Abschöpfungsansprüche haben gewisse Eigenarten und Abweichungen im Vergleich zu anderen privatrechtlichen Ansprüchen zur Folge. Der entscheidende Grund für diese Abweichungen liegt in der rein kollektivrechtlichen Prägung der Abschöpfungsansprüche. Individualrechtliche Interessen und Rechtspositionen sind einem bestimmten Berechtigten zugeordnet. Dieser Berechtigte kann über seine geschützten Interessen und damit über die ihm zustehenden Ansprüche weitgehend frei disponieren. Eine vergleichbare Dispositionsbefugnis steht den Abschöpfungsberechtigten dagegen nicht zu. Die zur Abschöpfung berechtigten Institutionen unterliegen Einschränkungen hinsichtlich der Kollektivinteressen, zu deren Schutz sie berufen sind. Insbesondere können sie nicht frei disponieren wie über ihre eigenen Interessen und Ansprüche. Diese Besonderheiten machen dogmatische Abweichungen erforderlich, um den Sanktionszweck der Abschöpfungsansprüche zu verwirklichen und die »passgenaue« Einbindung in die jeweiligen Sanktionsmechanismen zu gewährleisten. Solche Fragen sind bislang noch kaum thematisiert worden248. 2. Besonderheiten auf Gläubigerseite Jedem Gläubiger steht das Recht zu, nach Belieben mit seiner Forderung zu verfahren. Insbesondere kann er sein Recht unmittelbar übertragen, belasten, aufheben oder inhaltlich ändern, also darüber verfügen. Diese Verfügungsbefugnis bildet ein Kernelement der Handlungsfreiheit des jeweiligen Rechteinhabers. § 10 Abs. 1 UWG und § 34a Abs. 1 GWB begründen zwar jeweils ein eigenes Forderungsrecht des Anspruchsinhabers, doch steht den Gläubigern der Ab248 Siehe aber Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 129 ff. und Köhler, in: Hefermehl/ Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 18.
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
schöpfungsansprüche keine uneingeschränkte »Herrschaftsmacht« über die Forderungen zu. Insbesondere ist die Verfügungsbefugnis der Gläubiger Einschränkungen unterworfen249. Deswegen muss im Einzelfall geprüft werden, ob bestimmte – schuldrechtlich »an sich« zulässige – Handlungen mit den spezifischen rechtlichen Anforderungen an die Abschöpfungsansprüche in Konflikt geraten können. a) Forderungsabtretung Eine erste wesentliche Einschränkung der Verfügungsbefugnis folgt aus den enumerativen Regelungen der Anspruchsberechtigung in § 10 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 UWG und § 34a Abs. 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 2 GWB. Der Gesetzgeber hat jeweils nur einen speziellen Kreis von Institutionen als Anspruchsberechtigte vorgesehen. Jede Erweiterung, Beschränkung oder Veränderung des Kreises der Anspruchsberechtigten ist damit unzulässig. Während also im Normalfall der Gläubiger seine Forderung gemäß § 398 S. 1 BGB auf einen anderen übertragen kann, ist die Abtretung bei Abschöpfungsansprüchen, ebenso wie bei den Abwehransprüchen250, ausgeschlossen251. Die Abtretungssperre folgt aus § 399, 1. Alt. BGB. Denn mit einer Abtretung würde der Inhalt des Anspruchs geändert. Zum Inhalt der Abschöpfungsansprüche gehört, ebenso wie bei Abwehransprüchen – gerade die besondere Bindung der Ansprüche an den jeweiligen Anspruchsberechtigten. Die Ansprüche sollen nur denjenigen Institutionen zustehen und nur von solchen Institutionen durchgesetzt werden, denen gerade der Schutz kollektiver Interessen im Wettbewerb obliegt. Wären die Abschöpfungsansprüche übertragbar, dann wäre es beispielsweise möglich, dass ein solcher Anspruch an einen Mitbewerber abgetreten würde. Dadurch könnte jedoch die vom Gesetzgeber bewusst getroffene Entscheidung, Mitbewerber grundsätzlich nicht als nach § 10 UWG und § 34a GWB anspruchsberechtigt anzuerkennen, unterlaufen werden. Mehr noch: In den Händen von Mitbewerbern könnten Abschöpfungsansprüche zweckentfremdet werden, beispielsweise als Druckmittel gegen Konkurrenten. Unzulässig ist es aber auch, wenn Abschöpfungsansprüche zwischen den Anspruchsberechtigten transferiert werden können. Denn auf diese Weise könnte etwa die Entscheidung des Gesetzgebers umgangen werden, qualifizierte Einrichtungen im Kartellrecht nicht als Anspruchsberechtigte gemäß §§ 34a Abs. 1, 33 Abs. 2 GWB anzuerkennen. Selbst wenn im Lauterkeitsrecht verschiedene Institutionen anspruchsberechtigt sind, bleibt eine Übertragung des Abschöpfungsanspruchs auch zwischen 249 Anders Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 61, der von einer uneingeschränkten Verfügungsbefugnis ausgeht. 250 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 8 Rn. 3.17 ff. 251 Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 129; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 17.
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diesen Berechtigten ausgeschlossen. Denn die Anspruchsberechtigten müssen jeweils besondere Voraussetzungen erfüllen, damit sie die Ansprüche geltend machen können. Beispielsweise setzt die Anspruchsberechtigung von Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen voraus, dass die Zuwiderhandlung die Interessen der Mitglieder des Verbandes berührt. Damit statuiert das Gesetz spezielle, verbandsbezogene Voraussetzungen, die den jeweiligen Abschöpfungsanspruch als höchstpersönlichen Anspruch prägen. Des Weiteren besteht die Gefahr, dass durch eine Abtretbarkeit der Abschöpfungsansprüche die rechtsbefriedende Funktion der Verjährung beeinträchtigt wird. Denn es bestünde die Möglichkeit, dass sich ein Verband, dessen eigener Anspruch verjährt ist, im Wege des Forderungserwerbs einfach einen unverjährten Anspruch bei einem anderen Anspruchsberechtigten »besorgt« und nunmehr diesen Anspruch durchsetzt252. Abschöpfungsansprüche sind demnach nicht abtretbar und damit nicht »verkehrsfähig«. Bei dieser Einschränkung handelt es sich nicht um ein Verfügungsverbot, sondern bereits um eine Einschränkung der Verfügungsmacht. Eingeschränkt wird nicht das rechtliche Dürfen, sondern bereits das rechtliche Können des Anspruchsberechtigten. b) Einziehungsermächtigung Es stellt sich damit die Frage, ob der Anspruchsberechtigte zumindest einen Dritten ermächtigen kann, die Abschöpfungsansprüche durchzusetzen. Schuldrechtlich geschieht dies im Wege einer Einziehungsermächtigung. Dabei wird einem Dritten die Befugnis eingeräumt, eine fremde Forderung im eigenen Namen auszuüben, mithin den Schuldner zur Leistung anzuhalten, ihn zu mahnen sowie die Leistung mit schuldtilgender Wirkung zu empfangen253. Der Erteilung einer solchen Einziehungsermächtigung stehen indessen die gleichen Bedenken entgegen, die schon gegen eine Abtretbarkeit der Forderung sprechen. Zwar lässt die Ermächtigung die rechtliche Zuordnung der Forderung formal unberührt, weil die Gläubigerstellung nicht angetastet wird. Jedoch würde die Erteilung einer Einziehungsermächtigung faktisch zum gleichen Ergebnis führen wie eine Abtretung. Insbesondere könnte der Abschöpfungsanspruch in die Hände eines Nicht-Anspruchsberechtigten gelangen. Die damit verbundenen Risiken bestehen unabhängig davon, ob ein Dritter Forderungsinhaber ist oder lediglich zur Ausübung der Forderung berechtigt ist. Im Regelfall ist davon auszugehen, dass für eine Forderung, die gemäß § 399 BGB nicht abtretbar ist, auch eine Einziehungsermächtigung ausgeschlossen ist254. Diese Wertung greift auch bei den Abschöpfungsansprüchen.
252 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 8 Rn. 3.19 zur Parallelproblematik bei den Abwehransprüchen. 253 Siehe nur Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, § 24 I 1 a, S. 500. 254 Schramm, in: Münchener Kommentar, BGB, § 185 Rn. 40.
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
c) Weitere Einschränkungen und Besonderheiten Die Abschöpfungsgläubiger unterliegen des Weiteren Einschränkungen hinsichtlich der schuldvertraglichen Gestaltung der Rechtsverhältnisse mit dem Abschöpfungsschuldner. Die rechtliche Befugnis des Gläubigers erstreckt sich auf die Regelung der Durchsetzung des Abschöpfungsanspruchs durch seine Person, ist aber hinsichtlich des Inhalts der Schuld beschränkt. Insbesondere kann der Gläubiger mit dem Schuldner keine Abreden treffen, mit denen der Inhalt der Schuld oder des Schuldverhältnisses modifiziert wird. aa) Erlass Der Erlass führt gemäß § 397 Abs. 1 BGB zu einem Erlöschen des Schuldverhältnisses, weil und soweit der Gläubiger durch vertragliche Vereinbarung mit dem Schuldner auf den schuldrechtlichen Anspruch verzichtet255. Die Möglichkeit, einen bestehenden Anspruch durch Erlass zum Erlöschen zu bringen, ist Ausdruck der individuellen Dispositionsfreiheit der Parteien. Die Parteien können eine bestehende Forderung durch eine erneute Vereinbarung aus der Welt zu schaffen. Diese Dispositionsfreiheit ist seitens des Gläubigers jedoch Beschränkungen unterworfen, wenn die bestehende Forderung nicht der Befriedigung seiner individuellen Interessen dient. Als »Sachwalter« in kollektivem Interesse ist der Abschöpfungsgläubiger gehalten, den Anspruch durchzusetzen und dadurch einen effektiven Schutz der Kollektivinteressen zu gewährleisten. Seine Befugnis erstreckt sich jedoch nicht auf die Entscheidung über den Bestand des Anspruchs. Zudem ist die Relativität von Schuldverhältnissen zu beachten, die Rechtswirkungen auf das jeweilige Individualverhältnis beschränkt und damit insbesondere Rechtsänderungen zum Nachteil Dritter ausschließt. Ob es sich bei den Dritten um einzelne Rechtssubjektive oder eine Gruppe von geschützten Personen handelt, ist dabei nicht von Bedeutung. Die damit verbundene Problematik lässt sich leicht anhand des folgenden Beispiels illustrieren: Durch den Verkauf von Mogelpackungen erwirtschaftet ein Unternehmen einen Gewinn von 50 000 Euro. Es wird daraufhin von einer qualifizierten Einrichtung auf Herausgabe des dadurch erzielten Gewinns verklagt. Vor Gericht einigt man sich auf eine vergleichsweise Beendigung des Rechtsstreits. Das beklagte Unternehmen verpflichtet sich zur Zahlung von 35 000 Euro, während der Kläger den Anspruch im Übrigen »erlässt«. In der Zwischenzeit erhebt nun ein anderer Verband Klage gegen das Unternehmen, ohne dass beide Verfahren miteinander verbunden werden. Der zweite Verband verlangt Zahlung in voller Höhe des erzielten Gewinns, zumindest aber in Höhe des noch verbliebenen Gewinns. Der Verletzer verweist dagegen auf den »Erlass« und verweigert weitere Zahlungen. Dass der Verletzer hier nicht nochmals in voller Höhe 50 000 Euro an den Zweitkläger zahlen muss, liegt auf der Hand, weil eine Abschöpfung grundsätzlich nur hinsichtlich des vom Verletzer erzielten Gewinns möglich ist. Eine Mehrfachabschöpfung ist ausgeschlossen. Demzufolge besteht der Anspruch nicht (mehr), wenn und soweit der vom Ver255 Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, § 16 I 1/4, S. 367/370; Schlüter, in: Münchener Kommentar, BGB, § 397 Rn. 1.
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letzer erzielte Gewinn bereits abgeschöpft wurde. Das bedeutet, dass mit Zahlung von 35 000 Euro der Abschöpfungsanspruch in dieser Höhe untergegangen ist und damit von niemandem mehr erfolgreich geltend gemacht werden kann.
Problematisch ist, wie sich im Beispielsfall der mit dem Erstkläger vereinbarte »Erlass« gegenüber anderen Anspruchsberechtigten auswirkt. Die Vereinbarung mit dem Schuldner kann nur Wirkung für andere Gläubiger entfalten, wenn der erlassende Gläubiger eine so weit reichende Verfügungsbefugnis hatte. Da die Gefahr einer Schädigung der Interessen anderer Gläubiger des Gewinnabschöpfungsanspruchs nicht besteht, weil der Gewinn ohnehin an den Bundeshaushalt abzuführen ist, müssen vor allem die Gesichtspunkte einer effektiven Sanktionierung ausschlaggebend sein. Für eine Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Gläubigers spricht, dass die Verfolgung des Gewinnabschöpfungsanspruchs durch mehrere Gläubiger eine gewisse Kontrolle einer ordnungsgemäßen Verfolgung von unlauteren Handlungen bietet. Kommt es zu einer unsachgemäßen Prozessführung oder gar zu einem kollusiven Zusammenwirken zwischen einer anspruchsberechtigten Institution und dem Verletzer, dann besteht trotzdem die Möglichkeit, erfolgreich den Verletzergewinn abzuschöpfen. Für den genannten Beispielsfall würde daraus folgen, dass das Unternehmen einer erneuten Inanspruchnahme nicht entgegenhalten könnte, der Erstkläger habe die Zahlung wirksam für alle anderen Gläubiger erlassen. Er bliebe damit weiterhin zu Zahlung von 15 000 Euro verpflichtet. Zudem darf der Schutz von kollektiven Interessen nicht zur Disposition eines einzelnen Anspruchsberechtigten stehen. Daher sind die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten eines Abschöpfungsgläubigers auf die Entscheidung beschränkt, ob und inwieweit der Anspruch gerade durch ihn selbst geltend gemacht wird. Die Wirkung eines Erlasses ist damit auf das Individualverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner begrenzt. Zahlt also der Verletzer nach Vereinbarung mit dem Gläubiger einen Teil des von ihm erzielten Unrechtsgewinns gemäß § 10 Abs. 1 UWG an den Bundeshaushalt und einigen sich Gläubiger und Schuldner hinsichtlich des verbleibenden Gewinns auf einen Erlass, dann bewirkt diese Vereinbarung nur, dass der Gläubiger den noch verbleibenden Teil des Unrechtsgewinns nicht mehr verlangen kann. Ein anderer Anspruchsberechtigter ist demgegenüber nicht daran gehindert, den beim Verletzer noch verbliebenen Gewinn gemäß § 10 Abs. 1 UWG zugunsten des Bundeshaushalts abschöpfen. In der Sache ist daher ein Erlass im schuldrechtlichen Sinne ausgeschlossen, weil das Ziel des Erlasses – das Erlöschen der Schuld – von den Parteien nicht erreicht werden kann. Deswegen dürfte, wenn Gläubiger und Schuldner eines Abschöpfungsanspruches einen Erlass vereinbaren, die Auslegung dieser Vereinbarung regelmäßig zu dem Ergebnis führen, dass in Wirklichkeit ein unbefristeter Einforderungsverzicht vereinbart wurde256.
256
Zur Abgrenzung Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, § 16 I 2, S. 367 f.
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
bb) Sonstige Änderungen des Schuldverhältnisses Diese Überlegungen gelten über den Erlass hinaus für sämtliche Änderungen des Schuldverhältnisses. Gläubiger und Schuldner können deswegen beispielsweise keine Leistung an Erfüllungs statt gemäß § 364 BGB vereinbaren. Denn dies würde voraussetzen, dass der Gläubiger zu Abreden über den Schuldinhalt berechtigt ist und eine andere Leistung als die geschuldete annehmen darf. Dies ist im Falle der Drittbegünstigung des Bundeshaushalts ausgeschlossen; sie steht nicht zur Disposition des Gläubigers. Ebenfalls ausgeschlossen ist eine Neuregelung des Schuldverhältnisses durch eine Novation257. Auch ein Vergleich258 ist nur mit Einschränkungen möglich. Einigen sich beispielsweise in einem Gewinnabschöpfungsverfahren eine qualifizierte Einrichtung und der Verletzer auf einen Vergleich, bei dem der Verletzer die Hälfte seines erzielten »Unrechtsgewinns« an den Bundeshaushalt herausgibt, dann hindert dieser Vergleich nur den Vergleichspartner, nicht aber weitere Anspruchsberechtigte, wegen des beim Verletzer verbliebenen Gewinns gegen diesen vorzugehen. Diese Lösungen haben den »Nachteil«, dass der Verletzer, solange sein Unrechtsvorteil nicht vollständig abgeschöpft worden ist, mit dem permanenten Risiko der Inanspruchnahme leben muss. Möglicherweise wird ein Unternehmen deswegen im Prozessfall auch wenig Vergleichsbereitschaft zeigen. In diesem Abschöpfungsrisiko liegt jedoch ein entscheidender Sanktionseffekt der Abschöpfungsansprüche. Stünden diese Ansprüche zur Disposition einzelner Parteien, dann wäre die Gefahr groß, dass »faule Kompromisse« geschlossen werden und damit die kollektive Sanktion ihrer Wirksamkeit beraubt wird. Im Individualverhältnis sind die Parteien die Hüter ihrer Individualinteressen. Dass eine Partei eine höchst unvernünftige Entscheidung trifft, kann hingenommen werden, weil nur sie selbst von den Nachteilen betroffen ist. Demgegenüber wäre es bedenklich, wenn eine einzelne Institution verbindlich über kollektive Interessen einer Vielzahl von Marktakteuren entscheiden könnte. Deswegen muss gewährleistet sein, dass nötigenfalls andere Institutionen nicht daran gehindert sind, die kollektiven Interessen wahrzunehmen. Im Übrigen ist die Schlechterstellung des Abschöpfungsschuldners sachlich gerechtfertigt: Wer durch sein rechtswidriges Verhalten nicht nur die Individualinteressen eines Einzelnen, sondern die Kollektivinteressen vieler Personen beeinträchtigt, ist nicht in der Erwartung schützenswert, er könne sich durch Einzelvereinbarungen aus seiner Gesamtverantwortung gleichsam freikaufen.
257 Zur unterschiedlichen Terminologie Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, § 18, 1, S. 402 f. 258 Ob mit dem Vergleich ein Erlass, eine Novation oder eine sonstige Änderung des Schuldverhältnisses bewirkt werden soll, ist eine Frage des Einzelfalls und durch Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln.
C. Dogmatische Einordnung der Abschöpfungsansprüche
495
cc) Einwilligung gemäß § 185 BGB Fraglich ist allenfalls, ob der Bund als Begünstigter analog § 185 BGB einer zwischen Abschöpfungsgläubiger und Abschöpfungsschuldner oder zwischen Abschöpfungsgläubiger und einem Dritten getroffenen Vereinbarung in Bezug auf den Abschöpfungsgegenstand zur Wirksamkeit verhelfen könnte. Zwar ist schwer vorstellbar, dass der Bund freiwillig auf einen Zufluss zu seinem Haushalt verzichtet. Jedoch kann es in bestimmten Fällen sinnvoll sein, wenn – in begrenztem Umfang – Dispositionen über einen Abschöpfungsanspruch getroffen werden können. Neben dem (bislang nur theoretischen Fall) des Erlasses stellt sich in der Praxis vor allem die Frage nach der Zulässigkeit der Abführung eines Teils des abgeschöpften Gewinns an einen Prozessfinanzierer, ohne den ein Abschöpfungsprozess möglicherweise gar nicht unternommen werden könnte259. Eine direkte Anwendung von § 185 BGB scheidet aus, weil der Bund, der Bundeshaushalt oder das Bundesamt für Justiz nicht im Rechtssinne Berechtigte sind. Keiner der Genannten ist Inhaber der geschützten Kollektivinteressen der Marktakteure. Der abzuschöpfende Vorteil fließt dem Bundeshaushalt nur deswegen zu, weil es keinen »wahren« Berechtigten gibt, dem der abzuschöpfende Gewinn bzw. wirtschaftliche Vorteil von Rechts wegen zusteht und der demzufolge als Berechtigter im Sinne von § 185 BGB angesehen werden könnte. Demzufolge fehlt es im Rechtssinne überhaupt an einem Berechtigten, der gemäß § 185 BGB eine Einwilligung erteilen könnte. Gründe der Praktikabilität gebieten jedoch, dass das Bundesamt der Justiz die Möglichkeit erhält, über den Zufluss des abgeschöpften Vermögens rechtswirksam zu disponieren. Dies wird am Beispiel der Prozessfinanzierung besonders deutlich: Eine gewerbliche Prozessfinanzierung ist stets an eine Erfolgsbeteiligung des Finanzierers geknüpft. Wenn aber das Gesetz eine Abführung des abgeschöpften Vermögens an den Bundeshaushalt anordnet, wäre eine Prozessfinanzierung »an sich« ausgeschlossen. Da der Bundeshaushalt seinerseits nicht zur Finanzierung der Abschöpfungsklagen verpflichtet ist, sondern allenfalls hilfsweise und bei erfolgreicher Abschöpfung Zahlungen leistet, und die Finanzmittel der Abschöpfungsberechtigten oft genug sehr begrenzt sind, könnte eine Abschöpfung gerade bei besonders hohen Unrechtsvorteilen schlicht an der fehlenden Finanzierbarkeit eines Prozesses scheitern. Dieses Ergebnis widerspricht aber evident den Zielen einer Abschöpfung. Denn das rechtliche Bedürfnis nach einer Abschöpfung ist umso größer, je rentabler sich ein Rechtsverstoß gestaltet. Es wäre geradezu grotesk, wenn besonders hohe Unrechtsvorteile mangels Finanzierbarkeit eines Verfahrens abschöpfungssicher wären. Es liegt daher nahe, dass dem Drittbegünstigten zumindest die rechtliche Befugnis eingeräumt wird, ganz oder teilweise auf den Zufluss des Gewinns bzw. des wirtschaftlichen Vorteils zu verzichten und wirksam darüber zu entscheiden, an wen der abgeschöpfte Betrag statt dessen fließen soll. Insoweit kann § 185 BGB entsprechende 259 So im Fall des LG München I vom 22.7.2008, 33 O 17282/07 (unveröffentlicht); dazu näher unten § 7. A. II 1. b) ee), S. 512 f.
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
Anwendung finden. Auch für den Bundeshaushalt ist diese Lösung letztlich sinnvoll: Unterbleibt ein Prozess, dann nützt dies auch dem Bundeshaushalt nichts. Wird dagegen ein Prozess erfolgreich geführt, dann erhält der Bundeshaushalt zumindest einen Teil des abgeschöpften Betrages. 3. Besonderheiten auf Schuldnerseite a) Aufrechnung Auch für den Abschöpfungsschuldner gelten Besonderheiten. Ihm ist insbesondere die Möglichkeit zur Aufrechnung verwehrt, was sich gleich aus zwei Gründen ergibt. Zumeist wird es schon an der Aufrechnungslage fehlen und es greift jedenfalls das Aufrechnungsverbot aus § 393 BGB. Zwar ist vorstellbar, dass einem Verletzer gegen den Gläubiger eines Abschöpfungsanspruches eine Forderung zusteht260, jedoch liegt das entscheidende Problem in der Drittbegünstigung des Bundeshaushalts. Das schließt zwar nicht die Gegenseitigkeit, wohl aber die von § 387 BGB geforderte Gleichartigkeit von Aktiv- und Passivforderung aus. Zudem ist nach § 393 BGB gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung eine Aufrechnung nicht zulässig. § 393 BGB schützt das Individualinteresse des Geschädigten, in angemessener Frist ohne Erörterung von Gegenansprüchen des Schädigers zu seinem Recht zu kommen261. Darin erschöpft sich der Zweck der Norm jedoch nicht. Neben der Verhinderung unzulässiger Selbsthilfe dient § 393 BGB auch dazu, »durch Zwang zur Effektiverfüllung zu strafen«262. Diese Wertungen passen ohne Weiteres auch für Abschöpfungsansprüche. Denn durch das Aufrechnungsverbot wird gewährleistet, dass die Sanktion den Schuldner auch tatsächlich spürbar trifft. Die Voraussetzungen von § 393 BGB sind bei Abschöpfungsansprüchen schon tatbestandlich stets erfüllt, weil sie eine vorsätzlich rechtswidrige Handlung verlangen. b) Hinterlegung Nicht von vornherein aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist für den Abschöpfungsschuldner die Möglichkeit zur Hinterlegung. Doch kommt ein solches Vorgehen aus anderen Gründen praktisch kaum in Betracht. Die Hinterlegung zielt auf eine Befreiung des leistungswilligen Schuldners, wenn der Erfüllung 260
Beispielsweise ein Schadensersatzanspruch wegen einer früheren unberechtigten Abmah-
nung. 261 BGH vom 28.4.1987, NJW 1987, 2997, 2998; Schlüter, in: Münchener Kommentar, BGB, § 393 Rn. 1. 262 Nur auf diese Aspekte abstellend Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, § 12 VI 3, S. 259. Anders Deutsch, NJW 1981, 735: Der Zweck von § 393 könne nicht darin gesehen werden, der Vorsatztäter habe stets Schadensersatz zu leisten, weil dies eine besondere Verschärfung der Rechtsfolge für Vorsatztäter wäre, die der grundsätzlichen Gleichbehandlung von Vorsatz und Fahrlässigkeit im Haftungsrecht zuwider laufe. Diese Einwände greifen allerdings bei einer nur an Vorsatz anknüpfenden Haftung, wie sie bei den Abschöpfungsansprüchen zu finden ist, gerade nicht.
C. Dogmatische Einordnung der Abschöpfungsansprüche
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Hindernisse aus dem Risikobereich des Gläubigers entgegenstehen263. Die Erfüllung tritt dann durch Hinterlegung bei einer öffentlichen Stelle ein264. Bei Abschöpfungsansprüchen wird sich indessen für den Schuldner kaum ein Bedürfnis nach Hinterlegung stellen, da er ohnehin zur Zahlung an eine öffentliche Stelle, nämlich an den Bundeshaushalt, verpflichtet ist. Die besondere Gefährdungslage, vor der §§ 372 ff. BGB den Schuldner schützen wollen, dürfte damit kaum jemals eintreten. c) Leistung erfüllungshalber Dem Schuldner ist es, wie bereits dargelegt, verwehrt, gemäß § 364 BGB an Erfüllungs statt zu leisten, da der Gläubiger nicht dazu befugt ist, den Forderungsinhalt zu ändern. Bei einer Leistung erfüllungshalber kommt es zwar nicht zu einer Veränderung des Forderungsinhalts, gleichwohl dürfte auch eine solche Leistung im Falle der Gewinnabschöpfung ausgeschlossen sein. Mit der Leistung erfüllungshalber erhält der Gläubiger eine zusätzliche Befriedigungsmöglichkeit, ohne dass die ursprüngliche Schuld erlischt. Allerdings soll der Gläubiger aufgrund der Abrede aus dem erfüllungshalber angenommenen Gegenstand vorrangig Befriedigung suchen265. Erst wenn dies nicht gelingt, kann er auf die ursprüngliche Forderung zurückgreifen. Ein solches Vorgehen dürfte indessen mit dem Sinn und Zweck der Drittbegünstigung des Bundeshaushalts nicht in Einklang stehen. Denn das Ziel der Abschöpfung besteht in einem tatsächlichen und realen Entzug des Unrechtsvorteils. Dagegen ist es nicht Aufgabe des Gläubigers oder gar des Bundes, zunächst aus anderen Gegenständen Befriedigung zu suchen. Möglicherweise würden durch die mit einem solchen Vorgehen verbundenen Verzögerungen die Wirkungen und die Wirksamkeit der Gewinnabschöpfung geschwächt. 4. Abschöpfungsansprüche und Auslandsbezug Der besondere Rechtscharakter der Abschöpfungsansprüche ist schließlich von Bedeutung bei Sachverhalten mit Auslandsbezug und der dann erforderlichen Bestimmung des zuständigen Gerichts und des anzuwendenden Rechts. a) Internationales Verfahrensrecht Im Hinblick auf die internationale Zuständigkeit von Gerichten ist zu klären, ob es sich bei den Abschöpfungsansprüchen um eine Zivil- und Handelssache im Sinne der VO 44/2001 (EuGVVO) handelt. Dass die Durchsetzung von Abschöpfungsansprüchen eine Zivil- und Handelssache ist, liegt zwar nahe, ist aber keineswegs selbstverständlich. Zweifel ergeben sich aufgrund der Aussagen des 263 264 265
Siehe nur Wenzel, in: Münchener Kommentar, BGB, § 372 Rn. 1. §§ 378, 379 BGB. BGH vom 12.7.1984, BGHZ 92, 123, 127.
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
BGH zu punitive damages266. Nach Auffassung des Gerichts liegt eine Zivilsache vor, wenn der geltend gemachte Strafschadensersatz an den Geschädigten zu entrichten ist267. Ausdrücklich offen ließ das Gericht aber, ob etwa anderes gilt, wenn die punitive damages an den Staat oder eine sonstige Institution fließen268. Damit stellt sich die Frage, wie sich die Drittbegünstigung des Bundeshaushalts in § 10 UWG und § 34a GWB auswirkt. Schon im Ausgangspunkt ist dabei zu bedenken, dass zwischen punitive damages und Abschöpfungsansprüchen erhebliche strukturelle Unterschiede bestehen269. Daher wäre es verfehlt, die Aussagen des BGH zu punitive damages »eins zu eins« auf Abschöpfungsansprüche zu übertragen. Allein darauf abzustellen, wem ein abzuschöpfender Vorteil im Ergebnis zufließt, wäre ein allzu formales und damit wenig überzeugendes Kriterium. Ebenso wenig kann aber ausschlaggebend sein, ob man den Abschöpfungsansprüchen »Strafcharakter« beimisst. Mit »Strafe« und »Strafcharakter« können unterschiedliche Inhalte gemeint sein, die dem Zivilrecht nicht wesensfremd sein müssen270. Entscheidend sind vielmehr die charakteristischen Strukturen und Merkmale der Abschöpfungsansprüche. Zudem muss die VO 44/2001 gemeinschaftsautonom ausgelegt werden. In diesem Zusammenhang kann die Rechtsprechung des EuGH zur Einordnung von Verbandsklagen zur Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen herangezogen werden. Nach Auffassung des Gerichts ist für die Einordnung einer solchen Klage als Zivilsache von Bedeutung, ob der klagende Verbraucherschutzverein als eine Einrichtung des Privatrechts anzusehen ist und ob er Befugnisse wahrnimmt, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden allgemeinen Rechtsvorschriften abweichen271. Für Abschöpfungsklagen durch Verbände sind die gleichen Maßstäbe anzulegen. Trotz gewisser Eigenheiten sind § 10 UWG und § 34a GWB ihrer Grundstruktur nach als privatrechtliche Ansprüche ausgestaltet und die Anspruchsberechtigten verfügen über keinerlei hoheitliche Befugnisse bei der Rechtsdurchsetzung. Vielmehr müssen die Berechtigten zur Geltendmachung den Zivilrechtsweg beschreiten. Dabei stehen sie dem Verletzer als gleichberechtigte Partei gegenüber. Dies alles spricht für das Vorliegen einer Zivil- und Handelssache. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die Anspruchsberechtigten bei der Durchsetzung von Abschöpfungsansprüchen allein überindividuelle Interessen wahrnehmen. Mit Blick auf Verbandsklagen zum Schutz vor missbräuchlichen Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat der EuGH entschieden, dass nicht nur Sachverhalte erfasst werden, in denen ein Einzelner einen individuellen Schaden erleidet, sondern auch Angriffe auf die Rechtsordnung durch die Verwendung missbräuchlicher 266
BGH vom 4.6.1992, BGHZ 118, 312 ff. BGH vom 4.6.1992, BGHZ 118, 312, 337. 268 BGH vom 4.6.1992, BGHZ 118, 312, 338. 269 Oben § 2. C. III. 1. b), S. 102 ff. 270 Oben § 3. B. II. 3., S. 145 ff. 271 EuGH vom 1.10.2002, Rs. C-167/00, Slg. I-8111 Rn. 30 – Verein für Konsumenteninformation/Karl Heinz Henkel zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ. 267
C. Dogmatische Einordnung der Abschöpfungsansprüche
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Klauseln272. Auch diese Wertung kann auf Abschöpfungsansprüche übertragen werden. Dann aber ist es nur folgerichtig, die Durchsetzung dieser Ansprüche als Zivil- und Handelssache anzusehen und somit von der Anwendbarkeit der VO 44/2001 auszugehen273. b) Kollisionsrecht Das Kollisionsrecht betrifft die Frage nach dem anwendbaren materiellen Recht bei Sachverhalten mit Auslandsbezug. Seit dem 11. Januar 2009 ist insbesondere die VO 864/2007 (»Rom II«) von Bedeutung, die in Art. 6 spezielle Regelungen zur Bestimmung des anwendbaren Rechts bei Ansprüchen aus unlauterem und den freien Wettbewerb einschränkendem Verhalten enthält. Der Anwendungsbereich der VO 864/2007 erstreckt sich auf außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen (Art. 1 Abs. 1) und schließt gemäß Art. 2 Abs. 1 insbesondere die Folgen unerlaubter Handlungen ein. Auf Abschöpfungsansprüche ist die Verordnung anzuwenden, wenn diese Sanktionen vom sachlichen Anwendungsbereich erfasst werden. Grundvoraussetzung ist wiederum das Vorliegen eines Zivil- und Handelssache. Dieser Begriff ist wiederum gemeinschaftsautonom zu verstehen. Maßstäbe und Orientierungspunkte gibt die VO 44/2001274. Liegt im Sinne dieser Verordnung eine Zivil- und Handelssache vor, dann kann diese Einordnung auf die VO 864/2007 übertragen werden. Im Weiteren stellt sich die Frage, ob es sich bei den Abschöpfungsansprüchen um außervertragliche Schuldverhältnisse im Sinne des Art. 2 VO 864/2007 handelt. Auch das ist zu bejahen. Die Abschöpfungsansprüche resultieren aus unerlaubten (nämlich unlauteren oder wettbewerbsbeschränkenden) Handlungen und begründen Schuldverhältnisse nicht-vertraglicher Art zwischen dem Berechtigten und dem Verletzer. Dass Art. 2 Abs. 1 den Begriff des Schadens in den Vordergrund rückt, steht dem nicht entgegen. Der Schaden im Sinne dieser Vorschrift bildet das konstitutive Element für das außervertragliche Schuldverhältnis, das gemäß Erwägungsgrund 11 gemeinschaftsautonom zu verstehen ist. Demgemäß ist auch hinsichtlich des Schadens nicht das (engere) deutsche Begriffsverständnis zugrunde zu legen. Gemeint sind in Art. 2 VO 864/ 2007 vielmehr »sämtliche Folgen einer unerlaubten Handlung«, was sowohl Verletzungserfolge als auch die Folgen der betreffenden Verletzung, nach deutschen Kategorien also die Haftungsausfüllung, einschließt275. Wenn die Verordnung zudem Unterlassungsansprüche einschließt, was in Art. 2 Abs. 2 und Abs. 3 VO 864/2007 zum Ausdruck kommt276, wäre es ungereimt, wenn Abschöpfungsansprüche nicht nach den gleichen Regelungen wie die anderen privatrechtlichen 272 EuGH vom 1.10.2002, Rs. C-167/00, Slg. I-8111 Rn. 42 – Verein für Konsumenteninformation/Karl Heinz Henkel. 273 Stadler, JZ 2009, 121, 125. 274 Von Hein, ZEuP 2009, 6, 12. 275 Spickhoff, in: Bamberger/Roth, EGBGB Anh Art. 42 Rn. 26. 276 Spickhoff, in: Bamberger/Roth, EGBGB Anh Art. 42 Rn. 27; von Hein, ZEuP 2009, 6, 13.
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§ 6. Grundstrukturen und Grundprobleme
Sanktionen des Lauterkeits- und Kartellrechts beurteilt würden. Eine unterschiedliche Behandlung stünde im Widerspruch zum Ziel der Verordnung, im Interesse der Rechtssicherheit einheitliche Regelungen zu schaffen277. Eine wesensbedingte Besonderheit für Abschöpfungsansprüche besteht in der Unanwendbarkeit von Art. 6 Abs. 2 VO 864/2007. Diese Bestimmung betrifft unlautere Verhaltensweisen, die ausschließlich die Interessen eines bestimmten Wettbewerbers beeinträchtigen. Hiervon erfasst werden unlautere Handlungen, die Individualinteressen von Konkurrenten berühren, wie beispielsweise die Verletzung von dessen Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen278. Da Abschöpfungsansprüche ausschließlich auf einen Schutz kollektiver Interessen ausgerichtet sind, kann ein Fall des Art. 6 Abs. 2 VO 864/2007 nicht vorliegen.
277 278
Erw. 13 und 14 VO 864/2007. Sack, WRP 2008, 845, 851 mit weiteren Beispielen.
§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht § 10 UWG bildete die spektakulärste Neuerung im Zuge der UWG-Reform 2004. Die UWG-Novelle 2008 brachte lediglich eine Ergänzung im Tatbestand, die durch die Abkopplung des § 7 UWG von der Generalklausel des § 3 UWG erforderlich geworden war. Eine »neue Ära kollektiven Rechtsschutzes«1 ist mit § 10 UWG jedenfalls in dogmatischer Hinsicht angebrochen.
A. Grundlagen I. Entwicklung Der Gedanke, Unrechtsvorteile aus unlauteren Handlungen abzuschöpfen, ist nicht neu. Näher diskutiert wurden die rechtlichen Möglichkeiten einer Abschöpfung von Unrechtsvorteilen schon im Zusammenhang mit der Einführung der kartellbehördlichen Mehrerlösabschöpfung. Auch die vom Bundesministerium der Justiz eingesetzte Arbeitsgruppe zur Überprüfung des Wettbewerbsrechts befasste sich mit der Frage der Einführung eines Gewinnabschöpfungsanspruchs2. Der Gesetzgeber griff solche Überlegungen jedoch erst anlässlich der UWG-Reform 2004 ernsthaft auf. Der Einführung des Gewinnabschöpfungsanspruchs in das UWG wurde große Aufmerksamkeit zuteil. Die Vorschrift entwickelte sich zu einem zentralen Angriffs- und Kritikpunkt. Gerade weil die UWG-Reform inhaltlich zumeist eher behutsame Änderungen wagte, wurde die Neueinführung des Gewinnabschöpfungsanspruches gleichsam als ein »Paukenschlag« wahrgenommen. Zudem wirkte der Gewinnabschöpfungsanspruch wie ein Brennglas für verschiedene Interessen der von der UWG-Reform betroffenen Kreise. Einerseits sollte ein Instrument zur Abschöpfung von Unrechtsgewinnen den Stellenwert des Verbraucherschutzes im Lauterkeitsrecht besonders betonen und diesem Schutzzweck auf Sanktionsebene noch mehr Gewicht verschaffen. Aus dieser Perspektive ist es sicher wünschenswert, wenn der Anspruch auf Gewinnabschöpfung als scharfe Klinge geschliffen wird. Andererseits ist ein Anspruch auf Gewinnabschöpfung in besonderem Maße geeignet, Befürchtungen von Unternehmen und
1 2
Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn 11. Arbeitsgruppe, GRUR 1997, 201, 206.
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
Wirtschaftsverbänden heraufzubeschwören, statt einer Liberalisierung werde ein neues Rechtsinstrument zur Gängelung von Unternehmen im Wettbewerb geschaffen. 1. Vorarbeiten und Entwürfe Einen maßgeblichen Anstoß für die Schaffung des § 10 UWG im Zuge der UWG-Reform bildete das in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft erstellte Gutachten zur »Unrechtsgewinnabschöpfung« von Micklitz und Stadler3. Der Einfluss des Gutachtens zeigt sich daran, dass die amtliche Gesetzesbegründung viele inhaltliche Aspekte des Gutachtens aufgreift. Die Begründung nimmt unter anderem Bezug auf verschiedene Fallgruppen4, die in dem Gutachten von Micklitz und Stadler angesprochen werden, etwa die Einziehung von geringen Beträgen ohne Rechtsgrund5, Vertragsschlüsse aufgrund irreführender Werbung6 und Mogelpackungen7. Der Regelungsvorschlag von Micklitz und Stadler unterscheidet sich noch sehr deutlich von dem späteren § 10 UWG. Der Vorschlag folgt einem völlig anderen dogmatischen Konzept. Der von Micklitz und Stadler entworfene Anspruch ist zwar auf Herausgabe eines erlangten Gewinns gerichtet, verlangt aber zugleich das Vorliegen von (geringen) Individualschäden aufseiten der Verbraucher. Es werden damit Elemente einer Gewinnabschöpfung, eines kollektiven Schadensersatzanspruches und einer Bündelung von Individualansprüchen miteinander verwoben. Demgegenüber zielte der Entwurf von Köhler, Bornkamm und Henning-Bodewig8 auf eine Abschöpfung des erlangten Mehrerlöses. Diese Sanktion sollte allerdings besonders schadensträchtigen Praktiken vorbehalten bleiben, die in einer abschließenden Aufzählung aufgeführt waren. Die Schwäche dieses Ansatzes lag darin, dass der Anwendungsbereich der Abschöpfung von vornherein festgelegt war und nur durch den Gesetzgeber auf neue unlautere Geschäftspraktiken hätte ausgedehnt werden können. In Anbetracht der ständigen Veränderungen im Wettbewerb wäre die Gefahr groß gewesen, dass die enumerative Aufzählung in fünf oder zehn Jahren nicht mehr der Rechtswirklichkeit entsprochen hätte. Im Januar 2003 veröffentlichte das Bundesministerium der Justiz einen Referentenentwurf. Darin war bereits eine Regelung zur Gewinnabschöpfung vorgesehen. Doch enthielt diese Fassung deutliche Abweichungen gegenüber dem späteren Gesetzeswortlaut: »(1) Wer dem § 3 vorsätzlich oder grob fahrlässig zuwiderhandelt und hierdurch systematisch einer Vielzahl von Abnehmern einen Schaden zufügt, kann von den gemäß § 7 Abs. 3 3 4 5 6 7 8
Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, 2002. BT-Drucks. 15/1487, S. 23. Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 25 f., 30. Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 26 f., 31. Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 26. Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig, WRP 2002, 1317, 1322.
A. Grundlagen
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Nr. 2 bis 4 zur Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs Berechtigten auf Herausgabe des auf Kosten der Abnehmer erzielten Gewinns in Anspruch genommen werden. (2) Absatz 1 gilt nicht, soweit der Gewinn durch Schadensersatzleistungen nach § 8 oder durch Erfüllung von auf Grund der Zuwiderhandlung entstandener Ansprüche der Abnehmer ausgeglichen ist. Soweit der Zuwiderhandelnde nach Erfüllung des Anspruchs nach Absatz 1 Schadensersatz nach § 8 geleistet oder auf Grund der Zuwiderhandlung entstandene Ansprüche erfüllt hat, erstattet der Gläubiger dem Zuwiderhandelnden den abgeführten Gewinn in der Höhe der nachgewiesenen Zahlungen zurück. (3) Beanspruchen mehrere Gläubiger den Gewinn, so gelten die §§ 428 bis 430 des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend. (4) Die Gläubiger haben den abgeführten Gewinn nach Abzug der zur Geltendmachung des Anspruchs erforderlichen Aufwendungen an den Bundeshaushalt herauszugeben. Soweit die Gläubiger nach Erfüllung des Anspruchs nach Satz 1 Zahlungen im Sinne von Absatz 2 Satz 2 geleistet haben, wird den Gläubigern der abgeführte Gewinn in Höhe der nachgewiesenen Zahlungen aus dem Bundeshaushalt erstattet. Die Gläubiger haben der zuständigen Stelle des Bundes über die Geltendmachung sowie die Erfüllung von Ansprüchen nach Absatz 1 Auskunft zu erteilen und auf Verlangen Rechenschaft abzulegen. (5) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundesrats nicht bedarf, festzulegen, welche Behörde oder sonstige öffentliche Stelle des Bundes zuständige Stelle im Sinne von Absatz 4 ist«.
Im Gegensatz zu den späteren Formulierungen erfasste § 9 Abs. 1 des Referentenentwurfes sowohl vorsätzliches als auch grob fährlässiges Handeln. Weiterhin war ein systematisches, also zielgerichtetes Handeln erforderlich. Schließlich setzte die Norm aufseiten der Abnehmer einen Schaden voraus. Nachdem zahlreiche Stellungnahmen zum Referentenentwurf eingegangen waren, wurde im August 2003 der Regierungsentwurf veröffentlicht9. Dieser sah in § 10 eine stark überarbeitete Version der Gewinnabschöpfung vor: »(1) Wer dem § 3 vorsätzlich zuwiderhandelt und hierdurch auf Kosten einer Vielzahl von Abnehmern einen Gewinn erzielt, kann von den gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 zur Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs Berechtigten auf Herausgabe dieses Gewinns in Anspruch genommen werden. (2) Auf den Gewinn sind die Leistungen anzurechnen, die der Schuldner auf Grund der Zuwiderhandlung an Dritte oder den Staat erbracht hat. Soweit der Schuldner solche Leistungen erst nach Erfüllung des Anspruchs nach Absatz 1 erbracht hat, erstattet der Gläubiger dem Schuldner den abgeführten Gewinn in Höhe der nachgewiesenen Zahlungen zurück. (3) Beanspruchen mehrere Gläubiger den Gewinn, so gelten die §§ 428 bis 430 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend. (4) Die Gläubiger haben den abgeführten Gewinn nach Abzug der zur Geltendmachung des Anspruchs erforderlichen Aufwendungen an den Bundeshaushalt herauszugeben. Soweit die Gläubiger nach Erfüllung des Anspruchs nach Satz 1 Zahlungen im Sinne von Absatz 2 Satz 2 geleistet haben, wird den Gläubigern der abgeführte Gewinn in Höhe der nachgewiesenen Zahlungen aus dem Bundeshaushalt erstattet. Die Gläubiger haben 9
BT-Drucks. 15/1487, S. 7.
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
der zuständigen Stelle des Bundes über die Geltendmachung sowie die Erfüllung von Ansprüchen nach Absatz 1 Auskunft zu erteilen und auf Verlangen Rechenschaft abzulegen. (5) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundesrates nicht bedarf, festzulegen, welche Behörde oder sonstige öffentliche Stelle des Bundes zuständige Stelle im Sinne von Absatz 4 ist«.
Der Bundesrat lehnte in seiner Stellungnahme10 § 10 in dieser Fassung ab und forderte einen Verzicht auf diese Bestimmung oder eine umfassende Überarbeitung. Zwar sei der Grundgedanke der Regelung begrüßenswert, doch sei der Vorschlag des Regierungsentwurfs unausgereift11. In seiner heutigen Form geht § 10 UWG auf die Beschlüsse des Rechtsausschusses zurück12. Geändert wurde dabei vor allem das im Regierungsentwurf enthaltene Merkmal »auf Kosten«. Es wurde durch »zu Lasten« ersetzt. Damit solle klargestellt werden, dass der Anspruch nicht die Ermittlung von einzelfallbezogenen Nachteilen voraussetze. Erforderlich, aber auch ausreichend sei, dass durch die Zuwiderhandlung bei den Abnehmern eine wirtschaftliche Schlechterstellung eintrete13. 2. »Zankapfel«, »Papiertiger« und »Schreckgespenst« – der Gewinnabschöpfungsanspruch als Zielscheibe der Kritik Während die UWG-Reform größtenteils begrüßt, jedenfalls tendenziell wohlwollend aufgenommen wurde, war § 10 UWG nicht nur ein dauernder »Zankapfel«14 während der Reformarbeiten, sondern bildete (und bildet noch) die Zielscheibe von zum Teil heftiger Kritik. Die Kritikerfront verläuft dabei durch sämtliche Interessenlager, sodass man – wie Sosnitza treffend bemerkt – nach einer alten Weisheit im legislatorischen Betrieb davon ausgehen kann, dass der Entwurf nicht so schlecht sein kann, wenn beide Seiten laut schreien15. Während manche die Regelung als viel zu eng, unausgereift und in der Handhabung kaum praktikabel kritisieren, sehen andere in der Gewinnabschöpfung eine Bedrohung der Unternehmerfreiheit durch einen dem Privatrecht fremdartigen Anspruch, dessen Vereinbarkeit mit der Verfassung zweifelhaft sei16. Die ganze Bandbreite der Kritik an § 10 UWG veranschaulichen die im Schrifttum gezogenen Vergleiche, deren rhetorische Griffigkeit nicht immer mit ihrer sachlichen Berechtigung konform geht. Einige wähnen in der Gewinnabschöpfung eine »Wiederkehr der Drachen«17 oder sehen ein »neues Schreckgespenst«18 herannahen. Andere Auto10
BT-Drucks. 15/1487, S. 29 ff. BT-Drucks. 15/1487, S. 34 f. 12 BT-Drucks. 15/2795, S. 8. 13 BT-Drucks. 15/2795, S. 21. 14 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 2. 15 Sosnitza, GRUR 2003, 739, 745. 16 Dazu bereits oben § 2. C., S. 96 ff. 17 Siehe den Titel des Aufsatzes von Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12 in Anlehnung an Gotthardts Beitrag zur doppelten Tarifgebühr der GEMA in UFITA 1974, 77 ff. 18 Engels/Salomon, WRP 2004, 33, 42. 11
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ren bescheinigen dem Gewinnabschöpfungsanspruch, nicht mehr als ein »schöner bunter Papiertiger«19 zu sein oder sehen in dem Anspruch »mehr Gespenst als Schrecken«20. Speziell der noch während des Gesetzgebungsverfahrens vorgetragenen markigen Kritik am Gewinnabschöpfungsanspruch wird man aus heutiger Sicht mit Zurückhaltung begegnen müssen, weil diese Stellungnahmen »überwiegend mehr durch ihre Zielsetzung der Verhinderung oder (seltener) der Durchsetzung einer gesetzlichen Regelung als durch objektive Sachargumente geprägt erscheinen«21. Die maßgebliche Aufgabe besteht deswegen darin, dem Anspruch auf Gewinnabschöpfung, der ungeachtet aller Kritik eben doch Gesetz geworden ist, ein sachgerechtes Anwendungsfeld zu erschließen, um den klagenden Verbänden nicht Steine statt Brot zu geben22.
II. Stellung und Bedeutung der Gewinnabschöpfung im lauterkeitsrechtlichen Sanktionssystem Der Gewinnabschöpfungsanspruch aus § 10 Abs. 1 UWG steht als eigenständige und gleichberechtigte privatrechtliche Sanktion neben den sonstigen Ansprüchen des UWG. § 10 UWG ist kein »Massen«-Sanktionsinstrument. Denn die Durchsetzung dieses Anspruchs ist erheblich aufwendiger als z.B. die außergerichtliche oder gerichtliche Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs. § 10 UWG kann andere lauterkeitsrechtliche Sanktionen sinnvoll ergänzen, wenn die Unlauterkeit einer Handlung bereits feststeht und nunmehr in einem zweiten Schritt die wirtschaftlichen Folgen der Unlauterkeit aufgearbeitet werden, um verbleibende Anreize für den Verletzer zu beseitigen. Eine Gewinnabschöpfung wird daher als Folgesanktion in Betracht kommen, wenn der Verletzer eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben und damit die Unlauterkeit seines Verhaltens eingeräumt hat oder wenn ein Unterlassungsanspruch gegen den Verletzer bereits erfolgreich vor Gericht durchgesetzt wurde. Dementsprechend richtet auch der VZBV Gewinnabschöpfungsklagen aus23. Die Bedeutung der Gewinnabschöpfung in der Praxis ist derzeit eher gering24. Soweit ersichtlich, wurde die bislang höchste Abschöpfungssumme vom VZBV im Wege eines Vergleichs geltend gemacht. Dabei verpflichtete sich der Discounter Lidl wegen der irreführenden Werbung mit Testergebnissen für eine Matratze 19
Stadler/Micklitz, WRP 2003, 559, 562. Siehe den Titel des Aufsatzes von Beuchler, WRP 2006, 1288. 21 Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 37 Rn. 2. 22 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 5. 23 Beuchler, WRP 2006, 1288 Fn. 6. 24 Nach Sieme, WRP 2009, 914 wurde der Gewinnabschöpfungsanspruch bis Januar 2008 in zwei Fällen erfolgreich vor Gericht durchgesetzt. Insgesamt wurde dabei eine Summe von 3.805,78 Euro abgeschöpft. 20
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
zur Zahlung von 25 000 Euro25. Die Hoffnung mancher, § 10 UWG bleibe ein bloßes Recht auf dem Papier, hat sich nicht erfüllt. Mittlerweile liegen einige Urteile von Instanzgerichten vor26. Die geringe Zahl von Entscheidungen ermöglicht zwar keine umfassende Evaluierung, doch geben die vorhandenen Urteile durchaus wichtige Fingerzeige hinsichtlich der dogmatischen und praktischen Probleme im Umgang mit § 10 UWG. Das Potenzial von § 10 UWG ist jedenfalls längst nicht ausgeschöpft. 1. Rechtsprechung zu § 10 UWG a) Lauterkeitsrechtliche und zivilverfahrensrechtliche Ausgangslage Die bislang zu § 10 UWG vorliegenden Entscheidungen betreffen zivilverfahrensrechtlich zumeist eine – der eigentlichen Gewinnabschöpfung vorgelagerte – Klage auf Auskunft. Einen speziellen Auskunftsanspruch sieht § 10 UWG nicht vor. Jedoch können die allgemeinen Grundsätze zur Auskunft gemäß § 242 BGB27 angewendet werden28. Voraussetzung eines auf Auskunft gerichteten (unselbstständigen) Anspruches ist die Existenz eines Hauptanspruches. Seiner Funktion nach dient der Auskunftsanspruch dazu, dem Geschädigten die zur Rechtsdurchsetzung erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen, die er aus eigenem Wissen nicht haben kann. In Gewinnabschöpfungsverfahren besteht ein Auskunftsanspruch, wenn die Haftungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 UWG dem Grunde nach gegeben sind und der Anspruch nur noch der inhaltlichen Konkretisierung, insbesondere durch die Bezifferung des abzuschöpfenden Gewinns, bedarf29. b) Entscheidungen Im Folgenden sollen einige der bislang ergangenen instanzgerichtliche Entscheidungen zu § 10 UWG vorgestellt werden. aa) LG Bonn, Urteil vom 12.5.2005 Den Gegenstand der ersten veröffentlichen Entscheidung zu § 10 UWG bildete eine irreführende Werbung mit Testergebnissen. Die Beklagte warb für Matratzen und bezog im Rahmen dieser Werbung Ergebnisse von Warentests mit ein. Die veröffentlichten Testergebnisse waren fehlerhaft. Die Beklagte räumte ein, dass es sich um einen Fehler handelte, der auf eine fehlerhafte Übertragung zurückzuführen sei. Das LG Bonn wies die Klage ab, 25 Pressemitteilung des VZBV vom 16. Januar 2009; im Internet: http://www.vzbv.de/go/ presse/1109/5/24/index.html. 26 Dazu sogleich unter b). 27 Siehe bereits RG vom 4.5.1923, RGZ 108, 1, 7. Zu den Einzelheiten des Auskunftsanspruches und dessen Durchsetzung im Lauterkeitsrecht statt vieler: Loewenheim, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozeß, Kap. 72 Rn. 1 ff.; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 38. Kap. Rn. 1 ff. 28 OLG Stuttgart vom 2.11.2006, WRP 2007, 350, 351. 29 Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 10 Rn. 20.
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weil es an einem vorsätzlichen Handeln der Beklagten und damit an einer Tatbestandsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 UWG fehle, womit zugleich dem Auskunftsanspruch die rechtliche Grundlage entzogen sei30. Es sei nicht auszuschließen, argumentierte das Gericht, dass die falsche Angabe des Testergebnisses durch einen menschlichen Fehler herbeigeführt worden sei, womit es am Nachweis des Vorsatzes fehle31. Jeder Mensch mache Fehler, sodass allein der unstreitige Übertragungsfehler noch nicht den Vorwurf des vorsätzlichen Handelns rechtfertige32. Selbst wenn nach Lage der Dinge bereits mehrfach Übermittlungsfehler bei Testergebnissen vorgekommen waren, lasse dies allein noch nicht sicher auf vorsätzliches Handeln des Verletzers schließen. Anderes wäre nur denkbar, wenn aufgrund einer Vielzahl gleichartiger Handlungen der Schluss nahe gelegen hätte, der Fehler »habe System«. Denn in einem solchen Fall wäre der Verweis auf den Übermittlungsfehler eine bloße Schutzbehauptung. Dazu gebe jedoch der Sachverhalt zu wenig Anhaltspunkte. Das LG Bonn konnte daher offenlassen, ob die übrigen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 UWG hinreichend substantiiert dargelegt waren. Bemerkenswert ist, dass die Richter des Landgerichts § 10 UWG weniger misstrauisch begegnen als ein Großteil der Literatur. Beinahe mit einem Ausdruck des Bedauerns weist das Gericht gleich zu Beginn seiner Urteilsbegründung darauf hin, dass der Kläger »schlicht einen ungeeigneten Fall zum Anlass genommen« habe, »die neue Regelung des § 10 UWG zur Gewinnabschöpfung, die im Ansatz zweifellos zu begrüßen« sei, in der Praxis umzusetzen33.
bb) OLG Stuttgart, Urteil vom 2.11.2006 und LG Heilbronn, Urteil vom 23.2.2006 Eine ähnliche Konstellation lag dem LG Heilbronn und in zweiter Instanz dem OLG Stuttgart zur Entscheidung vor34. Wieder ging es um einen Fall der irreführenden Werbung mit Testergebnissen für Matratzen. Die Beklagte hatte für eine »Komfort-Matratze Ortho-med« Ende 2004 mit dem Testurteil »gut« der Stiftung Warentest aus dem Jahr 1998 geworben, obgleich es zwischenzeitlich neue Warentests mit anderen Prüfkriterien gab. Die Beklagte wurde durch den Kläger zweimal erfolglos abgemahnt. In einem auf die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs gerichteten Verfahren hielt das Landgericht die entsprechende Werbung der Beklagten für unlauter, weil der Eindruck erweckt worden sei, es bestehe weder Anlass noch die Möglichkeit, sich weitere Informationen über die beworbene Matratze etwa in neueren Testheften zu verschaffen. Die Beklagte wurde rechtskräftig zur Unterlassung verurteilt35. Ebenso wie das Landgericht Bonn lehnte das Landgericht Heilbronn einen Auskunftsanspruch ab, weil ein vorsätzliches Handeln nicht dargelegt worden sei. Die Beklagte berief sich darauf, sie habe sich auf Informationen ihrer Lieferanten verlassen und daher nicht gewusst, dass es im Zeitpunkt der Werbung für die von ihr vertriebenen Matratzen bereits neue Tests mit anderem Prüfkriterien 30
LG Bonn vom 12.5.2005, GRUR-RR 2006, 111 – Unzutreffendes Testurteil. LG Bonn vom 12.5.2005, GRUR-RR 2006, 111 – Unzutreffendes Testurteil. 32 LG Bonn vom 12.5.2005, GRUR-RR 2006, 111 – Unzutreffendes Testurteil. 33 LG Bonn vom 12.5.2005, GRUR-RR 2006, 111 – Unzutreffendes Testurteil. 34 OLG Stuttgart vom 2.11.2006, WRP 2007, 350; LG Heilbronn vom 23.2.2006, BeckRS 2006, 03993. Zu den Hintergründen des Verfahrens Beuchler, WRP 2006, 1288, 1290. 35 Näher zur »Vorgeschichte« des Gewinnabschöpfungsverfahrens im konkreten Fall Beuchler, WRP 2006, 1288, 1290. 31
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gegeben habe. Darin, dass sich die Beklagte nach ihrem eigenen Vorbringen ohne nähere Prüfung auf die Informationen ihrer Lieferanten verlassen hatte, vermochte das Gericht ein vorsätzliches Handeln nicht zu erblicken. Dieser Fehler allein rechtfertige die Annahme bedingten Vorsatzes schon deswegen nicht, weil erfahrungsgemäß gerade große und bedeutende Handelsunternehmen wie die Beklagte in der Regel versuchen, von Mitbewerbern belauerte Wettbewerbsverstöße zu vermeiden. Die Unterstellung, Fehlinformationen eventuell ungeprüft oder blindlings in die eigene Werbung übernommen zu haben, führe keineswegs zwingend zum Schluss, die Wettbewerbswidrigkeit sei billigend in Kauf genommen worden36. Dass sich die Einschätzung, eine bestimmte Werbung sei zulässig, im Nachhinein als falsch erweise, rechtfertige nicht ohne Weiteres den Schluss, bei Fortsetzung der Werbung habe die Beklagte die Unlauterkeit billigend in Kauf genommen und vorsätzlich gehandelt37. Schließlich sieht das Gericht auch kein vorsätzliches Handeln darin, dass die Beklagte nach Abmahnung durch den Kläger ihre Werbung inhaltsgleich fortgesetzt habe, denn in der Abmahnung sei nicht konkret dargelegt worden, welche geänderten Prüfkriterien und neuen Ergebnisse seit 1998 vorlägen. Der verbreiteten Annahme, eine vorsätzliche Begehung sei regelmäßig anzunehmen, wenn der Täter sein Handeln nach einer Abmahnung fortsetze, sei mit Vorsicht zu begegnen. Das Gericht fragt: Warum solle ein Werbender, dem eine – zumal kaum detaillierte – Abmahnung zugehe, die Fortsetzung seiner Werbung schon dann und vorsorglich nur deswegen einstellen, um den Verdacht des (spätestens ab diesem Zeitpunkt) angeblich vorsätzlichen Wettbewerbsverstoßes zu begegnen, solange die Möglichkeit bestehe, die Abmahnung sei unberechtigt?38 Das OLG Stuttgart hob die Entscheidung des LG Heilbronn auf und verwies die Sache an das Landgericht zurück. Sehr knapp befasst sich das Gericht zunächst mit dem Einwand der Beklagten, § 10 UWG sei verfassungswidrig. Das Gericht verwirft diese Überlegung. Die Vorschrift sei zwar als Sanktion gedacht, enthalte aber schon kein materielles Strafrecht. Sie ersetze Schadensersatz und Mängelgewährleistungsansprüche, welche aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten nicht zur Durchsetzung gelangten39. Den Schwerpunkt der Entscheidung bildet die Auseinandersetzung mit der Frage des Vorsatzes. Im Gegensatz zur Vorinstanz bejahte das OLG Stuttgart im Ergebnis ein zumindest bedingt vorsätzliches Handeln der Beklagten. Die Urteilsbegründung offenbart allerdings die Schwierigkeiten im Umgang mit diesem Tatbestandsmerkmal. Ein vorsätzliches Verhalten sei anzunehmen, wenn der Verletzer ein wettbewerbsrelevantes Verhalten fortsetze, obgleich er sich aufgrund der ihm bekannten Tatsachen nicht der Einsicht verschließen könne, dass dieses unlauter sei40. Das OLG sah die Beklagte vom Vorwurf des vorsätzlichen Verhaltens nicht dadurch entlastet, dass sie sich auf das fehlerhafte Verhalten ihres Lieferanten verlassen habe. Das Gericht zieht eine Parallele zur arglistigen Täuschung und verweist darauf, dass derjenige, der sich die Vorzüge arbeitsteiligen Wirtschaftens zunutze mache, gegenüber seinem Vertragspartner nicht auf eine daraus resultierende Unkenntnis berufen könne41. Der Beklagten habe hinsichtlich der
36 37 38 39 40 41
LG Heilbronn vom 23.2.2006, BeckRS 2006, 03993. LG Heilbronn vom 23.2.2006, BeckRS 2006, 03993. LG Heilbronn vom 23.2.2006, BeckRS 2006, 03993. OLG Stuttgart vom 2.11.2006, WRP 2007, 350, 352. OLG Stuttgart vom 2.11.2006, WRP 2007, 350, 352. OLG Stuttgart vom 2.11.2006, WRP 2007, 350, 353.
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Angaben ihres Lieferanten eine Prüfungspflicht oblegen. Stütze sie ihre eigene Werbung auf die ungeprüften Angaben des Lieferanten, dann sehe sie vorsätzlich davon ab, ihrer Prüfungspflicht nachzukommen und übernehme damit bewusst das Risiko fehlerhafter Angaben. Die Unrichtigkeit der Angaben werde damit billigend in Kauf genommen. Hinzu komme, dass der Warentest bereits lange zurückgelegen habe, und sich deswegen der Verdacht geradezu habe aufdrängen müssen, der Test sei überholt. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte ihre Werbung nach der ersten Abmahnung fortgesetzt habe42. Für das Verschulden sieht das OLG Stuttgart drei unterschiedliche Anknüpfungspunkte: Erstens müsse die Beklagte das Risiko fehlerhafter Informationen tragen, wenn ihr der arbeitsteilige Prozess zugutekomme. Das Gericht geht dabei von einer besonderen Prüfungspflicht der Beklagten aus. Zweitens habe sich der Beklagten der Verdacht der Unrichtigkeit der Informationen schon angesichts des Alters der Testergebnisse, mit denen geworben wurde (der Test lag sechs Jahre zurück), geradezu aufdrängen müssen und drittens habe die Beklagte die Werbung nach der Abmahnung unverändert fortgesetzt. Dass das Gericht hier drei unterschiedliche Anknüpfungspunkte wählt, deutet darauf hin, dass der Verschuldensvorwurf angesichts des Sachverhalts zwar gleichsam »greifbar in der Luft lag«, aber letztlich rechtlich doch schwer zu fassen war. Aufmerksamkeit verdient dabei vor allem der erstgenannte Gesichtspunkt. Der Sache nach ist die vom Gericht unterstellte Prüfungspflicht der Beklagten ein Hilfsmittel, um dem deliktsrechtlichen Zurechnungsproblem zu entgehen. Das Gericht muss ein eigenes Verschulden der Beklagten »konstruieren«, weil eine Zurechnung fremden Verschuldens nicht in Betracht kommt. Dieser Lösungsweg liegt ganz auf der Linie des allgemeinen Deliktsrechts und der »Abwanderung« der Geschäftsherrnhaftung von § 831 BGB zu § 823 BGB durch das Ausweiten von Verkehrssicherungs- und Organisationspflichten. Im Ergebnis handelt es sich bei der vom OLG Stuttgart angenommenen Prüfungspflicht der Beklagten um nichts anderes um eine besondere Verkehrssicherungs- und Organisationspflicht des Werbenden, wonach dieser sicherstellen muss, dass Informationen, gleichgültig woher diese kommen, nicht ungeprüft weitergegeben und vor allem veröffentlicht werden. Nur kurz widmeten sich die Richter der Frage, ob ein etwaiger Gewinn der Beklagten zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern erzielt worden sei. Die irreführende Werbung sei jedenfalls geeignet, die angesprochenen Adressaten über die Tragweite des Warentests zu täuschen und dadurch zum Kauf des beworbenen Produkts zu veranlassen. Ein durch solche Käufe entstandener Gewinn gehe somit zu Lasten der Abnehmer. Zudem mache die Beklagte selbst nicht geltend, dass die Werbung »wirkungslos verpufft« sei43. Unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien weist das OLG Stuttgart sodann darauf hin, dass eine wirtschaftliche Schlechterstellung der Abnehmer genüge, ein Schaden der Kunden jedoch nicht erforderlich sei. Zugleich sichert sich das Gericht jedoch durch eine Hilfserwägung ab. Eine wirtschaftliche Schlechterstellung könne – so das Gericht unter Hinweis auf eine Entscheidung des BGH zur Haftung bei fehlerhafter Beratung über Wertpapiere44 – bereits in dem Abschluss eines Vertrages zu sehen sein. In der in Bezug genommenen Entscheidung des BGH bestätigt dieser seine Rechtsprechung, wonach derjenige, der durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages verleitet wird, den er 42 43 44
OLG Stuttgart vom 2.11.2006, WRP 2007, 350, 353. OLG Stuttgart vom 2.11.2006, WRP 2007, 350, 353. BGH vom 8.3.2005, BGHZ 162, 306 ff.
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ohne dieses Verhalten nicht geschlossen hätte, sogar bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung einen Vermögensschaden dadurch erleiden kann, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist45.
cc) OLG Hamm, Urteil vom 14.2.2008 und LG Essen, Urteil vom 20.7.2007 Einen anders gelagerten Fall betraf eine Entscheidung des LG Essen, das einen auf Auskunft gerichteten Anspruch zur Durchsetzung der Gewinnabschöpfung und damit dem Grunde nach die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 UWG bejahte46. Der Entscheidung lag der Vertrieb von »Venenkapseln« zugrunde, die nach § 2 LMBG47 nicht zugelassene und damit verbotene Zusatzstoffe enthielten. Der Verkauf dieses Produkts als Nahrungsergänzungsmittel war damit nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 LMBG unzulässig; zugleich lag eine Unlauterkeit gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 11 UWG vor48. Das beklagte Unternehmen brachte nun unter geändertem Namen ein Produkt mit den gleichen Inhaltsstoffen auf den Markt. Das LG Essen ging davon aus, dass mit dem neuerlichen Verkauf eine Zuwiderhandlung gegen § 3 UWG begangen wurde. Auch hält das Gericht infolge dieser unlauteren Handlung eine Gewinnerzielung zu Lasten von Abnehmern für möglich. Es ließ dahingestellt, ob das Produkt von der Substanz her gesehen zu einem angemessenen Preis verkauft worden sei. Tatsache sei, dass das Produkt suggerierend als Arzneimittel angeboten worden sei, obwohl bei der im Produkt enthaltenen Dosierung der Zusatzstoffe diese Bestandteile keine positiven medizinischen Auswirkungen auf den menschlichen Körper hatten. Infolge des beim Verbraucher hervorgerufenen Irrtums werde diesem nicht bewusst, dass sie ein Produkt erwerben, das sie bei vollständiger Aufklärung über die Sachlage nicht gekauft hätten49. Kopfzerbrechen bereitete dem Gericht der Vorsatz. Denn die Beklagten argumentierten, bezüglich des namentlich geänderten Produktes seien sie von einer anderen Rechtslage ausgegangen und daher sei die Zuwiderhandlung jedenfalls nicht vorsätzlich erfolgt. Nach Ansicht des LG Essen hätten sich die Beklagten deswegen »im Grunde genommen in einem Rechtsirrtum befunden«, doch sei dieser Irrtum, trotz eingeholten Rechtsrats unerheblich50. In einem ähnlichen Fall sah das OLG Hamm die Voraussetzungen für einen Auskunftsanspruch als nicht gegeben an. Auch diese Entscheidung betraf den Vertrieb von Präparaten mit nicht zugelassenen Zusatzstoffen. Das Gericht zweifelte bereits, ob eine objektive Zuwiderhandlung vorliege51, verneinte aber einen Auskunftsanspruch, weil es jedenfalls am Vorsatz fehle. Die Beklagte habe sich an – im Ausgangsverfahren noch nicht berücksichtigter – neuerer höchstrichterlicher Rechtsprechung orientiert. Nach dieser Rechtsprechung setzt das Verbot des Inverkehrbringens eines in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft als Lebensmittel mit Zusatzstoffen rechtmäßig hergestellten und in den Verkehr gebrachten Produkts zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen voraus, dass die geltend gemachte Gefahr für die öffentliche Gesundheit 45
BGH vom 8.3.2005, BGHZ 162, 306, 310. LG Essen vom 20.7.2007, Az. 45 O 4/07, Magazindienst 2007, 985 ff., im Folgenden zitiert nach juris. 47 Das LMBG wurde abgelöst durch das LFGB, das entsprechende Regelungen enthält. 48 OLG Hamm vom 7.12.2004, Az. 4 U 101/04, Magazindienst 2005, 304. 49 LG Essen vom 20.7.2007 Az. 45 O 4/07, Abs. 27 (zitiert nach juris). 50 LG Essen vom 20.7.2007 Az. 45 O 4/07, Abs. 27 (zitiert nach juris). 51 OLG Hamm vom 14.2.2008, GRUR-RR 2008, 435, 436. 46
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auf der Grundlage der letzten bei seinem Erlass zur Verfügung stehenden Informationen unter Berücksichtigung des Wahrscheinlichkeitsgrads schädlicher Auswirkungen der zugesetzten Stoffe auf die menschliche Gesundheit und der Schwere dieser potenziellen Auswirkungen als hinreichend nachgewiesen anzusehen sind52. Die Beklagte hatte ihre Produkte von den Niederlanden aus vertrieben und behauptet, dass sie erstens das Erzeugnis dort rechtmäßig in Verkehr habe bringen dürfen und zweitens im Hinblick auf die Entscheidung des BGH nicht davon habe ausgehen müssen, dass diese Vorgehensweise unerlaubt sei. Das OLG Hamm hielt diese Argumentation jedenfalls insoweit für plausibel, als die Beklagte damit einem Rechtsirrtum unterliegen konnte: Unter Berücksichtigung der BGH-Entscheidung sei die Überlegung, das Produkt in den Niederlanden in den Verkehr zu bringen, um nunmehr einen zulässigen Vertrieb zu ermöglichen, nicht oder nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen. Von daher mag (allenfalls) ein Verbotsirrtum vorgelegen haben, der aber über den Grad der Fahrlässigkeit nicht hinausging53.
dd) LG Berlin, Urteil vom 25.9.2007 Den Gegenstand der Entscheidung des LG Berlin bildete die irreführende Gestaltung einer Internetseite, auf der für das Herunterladen von Klingeltönen für Mobiltelefone geworben wurde54. Der klagende VZBV vertrat dabei der Ansicht, dass die Eingangsseite der Beklagten in Verbindung mit den Bestellformularen gegen lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbote verstoße, weil aufgrund der Gestaltung leicht die Gefahr bestehe, dass ein Interessent keinen Einzeltitel erwerbe, sondern ein Dauerschuldverhältnis abschließe. Denn auf der Eingangsseite werde ein bestimmter Titel vorgestellt, den der Nutzer herunterladen könne. Der Hinweis auf einen Einzelkauf sei auf den späteren Seiten völlig untergeordnet. Weder durch einen späteren Sternchenhinweis noch durch eine von der Beklagten versendete Textnachricht auf das Mobiltelefon werde dem Nutzer deutlich vor Augen geführt, dass er eine Verpflichtung mit Dauerwirkung eingehe. Die Gestaltung der Internetseite sei vorsätzlich darauf angelegt, den Besteller über den Inhalt seiner Erklärung irrezuführen. Zudem sei die Beklagte bereits zuvor mehrfach vorgewarnt worden, indem sie wegen irreführender Werbung abgemahnt worden sei. Das Landgericht lehnte einen Auskunftsanspruch ab. Es sei nicht erkennbar, dass die Beklagte in Kenntnis aller Tatumstände gehandelt habe und diese auch in ihren Willen aufgenommen habe. Es sei zu berücksichtigen, dass der beanstandete Bestellvorgang mehrstufig ablaufe. Der Kläger rüge nicht ein einzelnes Element dieser Bestellroutine, sondern werfe der Beklagten insgesamt eine intransparente Gestaltung vor. Die Berechtigung dieses Vorwurfes lasse sich nur unter Berücksichtigung aller Umstände beurteilen. Jedes einzelne Gestaltungselement der Bestellung erhalte bei der rechtlichen Würdigung eine Bedeutung. Nur das Zusammenwirken aller Elemente könne den Vorwurf der unlauteren Intransparenz begründen. Die – vom Gericht angenommene – Unlauterkeit sei nicht evident. Es bleibe Raum für unterschiedliche Beurteilungen. Angesichts dessen könne der Beklagten nicht unterstellt werden, dass sie um die Eignung zur Irreführung bzw. Ausnutzung im Sinne gewusst habe bzw. sie für möglich gehalten habe und diese auch wollte bzw. zumindest in Kauf nahm. Es erscheine genau so möglich, dass die Beklagte davon ausgegangen sei, dass durch die unstreitig vorhandenen Hinweise darauf, dass der Nutzer ein 52 53 54
BGH vom 6.5.2004, GRUR 2004, 793 – Sportlernahrung II. OLG Hamm vom 14.2.2008, GRUR-RR 2008, 435, 437. LG Berlin vom 25.9.2007, CR 2008, 192.
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Abonnement und nicht nur einen einzelnen Klingelton erwerbe, eine Irreführung bzw. Ausnutzung ausgeschlossen werde. Selbst unter Berücksichtigung der Vorabmahnungen ergebe sich nichts anderes, da diese Abmahnungen andere Sachverhalte betrafen. Allein aus dem Umstand, dass dort rechtlich derselbe Vorwurf erhoben wurde, lasse sich nicht auf ein vorsätzliches Verhalten schließen55.
ee) LG München I, Urteil vom 22.7.2008 In der Entscheidung des LG München I erhob die Verbraucherzentrale Hamburg e.V. zur Vorbereitung einer Gewinnabschöpfung Auskunftsklage gegen O2 Germany56. Dem Streitfall lagen dubiose Umrechnungspraktiken von O2 bei der Währungsumstellung von DM auf Euro zugrunde. Die Beklagte rechnete dabei den mit ihren Kunden in DM vereinbarten Minutenpreis in Euro um und rundete ihn auf zwei Nachkommastellen. Dann errechnete sie hieraus den Preis für den vertraglich vereinbarten 10-Sekundentakt. Dieser Betrag wurde mit fünf Nachkommastellen in die Rechnungen eingestellt. Der Endpreis des einzelnen Gesprächs wurde sodann wiederum gerundet ausgewiesen. Durch die Rundung des Minutenpreises entstanden erhebliche Abweichungen: Ein zehnminütiges Gespräch im Tarif »Genion Home« kostete statt 0,50 DM nun 0,30 Euro, also 0,59 DM. Diese Praktiken wurden der Beklagten in einem eigenständigen Vorprozess untersagt57. Denn es handelte sich bei dem Vorgehen der Beklagten um einen Verstoß gegen die verbraucherschützenden Bestimmungen der VO 1103/97. Die Entscheidung befasst sich zunächst mit dem Einwand der Beklagten, die Klägerin handele rechtsmissbräuchlich, weil sie zur Finanzierung der Auskunftsklage einen Prozessfinanzierer eingeschaltet habe. Bei einem Prozessfinanzierer handelt es sich um ein Unternehmen, das die Kosten eines (teuren) Gerichtsverfahrens gegen eine vertraglich vereinbarte Beteiligung am Erlös der Klage ganz oder teilweise übernimmt. Die Klägerin hatte hierzu eine Vereinbarung mit dem (seinerzeit zuständigen) Bundesverwaltungsamt geschlossen. An sich ist ein erfolgreich abgeschöpfter Gewinn gemäß § 10 Abs. 1 UWG in vollem Umfang an den Bundeshaushalt abzuführen. Um jedoch eine Prozessfinanzierung zu ermöglichen, wurde ein Prozessfinanzierer für den Erfolgsfall anteilig am Gewinn beteiligt. Das Gericht verneint einen Rechtsmissbrauch durch Einschaltung des Finanzierers. Zwar stehe dem Kläger gemäß § 10 Abs. 4 S. 2 UWG ein Kostenerstattungsanspruch zu, doch sei dieser Erstattungsanspruch der Höhe nach auf den abgeschöpften Gewinn beschränkt und greife zudem nur ein, wenn Aufwendungen vom Abschöpfungsschuldner nicht erstattet werden. Damit trage der Kläger das alleinige Prozessrisiko. Es gehe dem Kläger nicht in erster Linie darum, gegen den Verletzer einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. Vielmehr sei die Einschaltung des Prozessfinanzierers nachvollziehbar und von sachlichen Gründen getragen58. Jedoch hält das Gericht die Auskunftsklage für unbegründet, weil ein Anspruch auf Gewinnabschöpfung nicht in Betracht komme. Die Beklagte habe nicht vorsätzlich gehandelt. Daran fehle es, weil sich der Vorsatz auch auf die Einordnung der Verhaltensweisen 55
LG Berlin vom 25.9.2007, CR 2008, 192. LG München I vom 22.7.2008, 33 O 17282/07 (nicht veröffentlicht). 57 LG München I vom 3.5.2005, 33 O 3385/02; MMR 2006, 348 (nur redaktioneller Leitsatz veröffentlicht). 58 LG München I vom 22.7.2008, 33 O 17282/07, Urteilsumdruck S. 13. 56
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als Wettbewerbshandlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG a.F. habe beziehen müssen. Es habe jedoch keine Wettbewerbshandlung vorgelegen. Denn die Umrechnung der Beträge sei eine Maßnahme bei Vertragsdurchführung59. Solche Handlungen seien zwar nach Inkrafttreten der RL 2005/29/EG nach Lauterkeitsrecht zu beurteilen, doch habe der Beklagten im Zeitpunkt der Umrechnung das Wissen und Wollen gefehlt, eine Wettbewerbshandlung vorzunehmen60.
ff) LG Hanau, Urteile vom 1.9.2008 und 17.9.2009 Erfolg hatten zwei vom VZBV angestrengte Auskunftsklagen vor dem Landgericht Hanau61. Beide Entscheidungen betrafen die irreführende Gestaltung von Internetseiten. Die beklagte Betreiberin der Seiten bot hierbei bestimmte Dienste an, z.B. die Teilnahme an einem »Online-Adventskalender«. Um diese Dienste nutzen zu können, mussten sich Interessenten zunächst auf der Seite über ein Anmeldeformular anmelden. Im Rahmen dieser Anmeldung wurde jedoch nicht deutlich genug darauf hingewiesen, dass die Dienste nur gegen ein nicht unbeträchtliches Entgelt erbracht werden. Im Fall des »Online-Adventskalenders« betrug die Teilnahmegebühr beispielsweise 59 Euro. Die Unlauterkeit dieses Verhaltens stand jeweils aufgrund vorangegangener rechtskräftiger Unterlassungsklagen fest. In beiden Fällen hatte das Gericht keine Bedenken, die Voraussetzungen des § 10 UWG dem Grunde nach zu bejahen. Dass die Beklagte einen unrechtmäßigen Gewinn erzielt habe, liege nahe, weil die Nutzer in Kenntnis der Kostenpflichtigkeit der Dienste diese sehr wahrscheinlich nicht in Anspruch genommen hätten. Der Gewinnerzielung stehe auch nicht entgegen, dass den Nutzern möglicherweise Anfechtungsrechte oder sonstige Rechte zur Verfügung stünden. Eine Vielzahl von Abnehmern sei betroffen, da es gerade Sinn und Zweck des Internetportals gewesen sei, möglichst viele Kunden zu erreichen62. Auch ein vorsätzliches Handeln wurde vom Gericht bejaht. Im Vorfeld war die Beklagte wegen der unlauteren Gestaltung mehrerer von ihr betriebener Seiten abgemahnt worden. Da die Beklagte gleichwohl weitergehandelt habe, sei spätestens zu diesem Zeitpunkt des Erhalts der Abmahnungen Vorsatz zu bejahen. Die Beklagte wendete zwar ein, sie habe die Gestaltung ihrer Seiten von Rechtsanwälten überprüfen lassen und sei von der Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens überzeugt gewesen. Das Gericht hielt diesen Einwand jedoch nicht für überzeugend. Denn durch die Abmahnung habe der Beklagten klar sein müssen, dass die eingeholte Rechtsauskunft möglicherweise unrichtig sei. Wenn sie aber gleichwohl die Gestaltung ihrer Seiten nicht ändere und vergleichbar gestaltete neue Portale eröffne, dann nehme sie die Unlauterkeit zumindest billigend in Kauf, was für ein vorsätzliches Handeln genüge63.
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LG München I vom 22.7.2008, 33 O 17282/07, Urteilsumdruck S. 15. LG München I vom 22.7.2008, 33 O 17282/07, Urteilsumdruck S. 16. 61 LG Hanau vom 1.9.2008, 9 O 551/08 (unveröffentlicht) und LG Hanau vom 17.9.2008, 1 O 569/08 (unveröffentlicht). 62 LG Hanau vom 1.9.2008, 9 O 551/08, Urteilsumdruck, S. 6; LG Hanau vom 17.9.2008, 1 O 569/08, Urteilsumdruck, S. 6. 63 LG Hanau vom 1.9.2008, 9 O 551/08, Urteilsumdruck, S. 6 f.; LG Hanau vom 17.9.2008, 1 O 569/08, Urteilsumdruck, S. 7. 60
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gg) OLG Frankfurt, Urteile vom 4.12.2008 Auch zwei Entscheidungen des OLG Frankfurt64 betrafen die Täuschung der Verbraucher im Internet. Durch die Gestaltung der Internetseiten wurde die Kostenpflichtigkeit der angebotenen Dienste geschickt verschleiert. Zudem schlossen die geprellten Nutzer gleich Verträge mit einer mehrmonatigen Nutzungsdauer ab. Das OLG sah hierin nicht nur unlautere geschäftliche Handlungen, sondern hielt die Betreiber der Seiten zugleich für verpflichtet, über den erlangten Gewinn Auskunft zu erteilen. Betroffen seien diejenigen Internet-Nutzer, die durch Ausfüllen der Felder einen Vertrag geschlossen und sich zur Zahlung eines Entgelts verpflichtet hätten. Dass es sich bei der Zahl dieser Kunden um eine »Vielzahl« handele, stehe angesichts der Werbewirksamkeit der Internetauftritte, des hohen Irreführungspotenzials und der Dauer der Zuwiderhandlungen, die sich mindestens über mehrere Monate erstreckten, außer Frage, ohne dass es darauf ankomme, wann eine »Vielzahl« anzunehmen sei65. Der Gewinn sei zu Lasten der (zahlenden) Kunden erzielt, weil die Nutzer keine adäquate Gegenleistung erhalten hätten. Dies folge aus der unangemessenen Höhe des Entgelts und daraus, dass den Kunden aufgrund der Laufzeit des Vertrages eine nicht voll brauchbare Leistung aufgedrängt worden sei66. Keinen Zweifel hegte das Gericht schließlich am Vorsatz, der schon aufgrund der objektiven Umstände nahe liege67. Beide Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. In beiden Fällen sind Nichtzulassungsbeschwerden beim BGH anhängig68.
2. Zwischenfazit Die Entscheidungen zeigen, dass die Praxis beim Umgang mit § 10 UWG (zu) große Zurückhaltung übt69. Im Vorfeld geäußerte Befürchtungen, es komme zu vielen unnötigen Gerichtsverfahren70, haben sich als völlig verfehlt erwiesen. Es ist keine Klagenflut eingetreten und es steht nicht zu erwarten, dass Unternehmen künftig in »harmlosen Fällen« eine Gewinnabschöpfung fürchten müssen. Immerhin geben einige Urteile durchaus Anlass zu vorsichtigem Optimismus, dass es möglich sein kann, einen Gewinnabschöpfungsanspruch erfolgreich geltend zu machen71. Die Entscheidungen belegen die schon im Vorfeld geäußerte Erwartung, dass sich das Vorsatzerfordernis gleichsam als Fallbeil des Abschöpfungsanspruchs erweisen wird. Die Gerichte neigen allerdings verbreitet dazu, 64
OLG Frankfurt vom 4.12.2008, GRUR-RR 2009, 265 ff.; OLG Frankfurt vom 4.12.2008, K&R 2009, 197 ff.; zu diesen Entscheidungen Seichter, jurisPR-WettbR 6/2009 Anm. 5; Sieme, WRP 2009, 914, 915. 65 OLG Frankfurt vom 4.12.2008, GRUR-RR 2009, 265, 267; OLG Frankfurt vom 4.12.2008, K&R 2009, 197, 201. 66 OLG Frankfurt vom 4.12.2008, GRUR-RR 2009, 265, 268; OLG Frankfurt vom 4.12.2008, K&R 2009, 197, 201. 67 OLG Frankfurt vom 4.12.2008, GRUR-RR 2009, 265, 268; OLG Frankfurt vom 4.12.2008, K&R 2009, 197, 202. 68 Az. I ZR 11/09 und I ZR 12/09. 69 Beuchler, WRP 2006, 1288, 1292 f. 70 Sack, WRP 2003, 549, 550; ähnlich bereits Grauel/Luhrenberg, WRP 1980, 521, 524. 71 Seichter, jurisPR-WettbR, Anm. 6; van Raay, VuR 2007, 47, 50.
A. Grundlagen
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den Vorsatz vorschnell zum zentralen Tatbestandsmerkmal zu erheben und dabei die Anforderungen an den Vorsatznachweis zu überdehnen. Den Beklagten werden bisweilen die Türen zur Flucht in den Rechtsirrtum einladend weit geöffnet. Es muss verwundern, welchen Ausflüchten die Richter zuweilen Glauben schenken. Demgegenüber scheinen die weiteren Tatbestandsmerkmale des § 10 UWG vergleichsweise wenige Probleme zu bereiten. Die bislang vorliegenden Erfahrungen geben Anlass, zunächst weitere praktische Erfahrungen abzuwarten. Eine Reform der Abschöpfungsansprüche wäre dagegen zum jetzigen Zeitpunkt verfehlt, zumal sich insbesondere die Kernproblematik des Vorsatzes möglicherweise schon de lege lata befriedigend lösen lässt72.
III. Einfluss des Gemeinschaftsrechts Das Gemeinschaftsrecht enthält keine speziellen Vorgaben zur Ausgestaltung einer Gewinnabschöpfung. In jüngster Zeit ließ die Kommission erkennen, dass sie der künftigen Einführung von Abschöpfungsinstrumenten offen gegenüber steht. 1. Gemeinschaftsrechtliche Anforderungen de lege lata Die Sanktions- und Verfahrensvorschriften der lauterkeitsrechtlichen Sekundärrechtsakte, RL 2005/29/EG und RL 2006/114/EG, sehen keine näheren Bestimmungen zu einer Gewinnabschöpfung vor, stehen aber einer solchen Sanktion auch nicht grundsätzlich entgegen73. Die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben sind hinsichtlich der Ausgestaltung der Gewinnabschöpfung zu beachten, wenn diese Sanktion (auch) dazu dient, Verstöße gegen Rechtsvorschriften, die auf Gemeinschaftsrecht zurückgehen, zu bekämpfen. Da § 10 UWG grundsätzlich für alle Zuwiderhandlungen gegen § 3 und § 7 UWG gilt, fallen grundsätzlich auch solche Verhaltensweisen in den Anwendungsbereich der Gewinnabschöpfung, deren Unlauterkeit auf die RL 2005/29/EG und RL 2006/114/EG, zurückgeht. Damit unterliegt § 10 UWG den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts an die Sanktionen der nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. In Präzisierung des Grundsatzes der praktischen Wirksamkeit verlangt die RL 2005/29/EG, dass die Sanktionen der mitgliedstaatlichen Lauterkeitsrechte »wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein« müssen74. Diesen gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen wird der Gewinnabschöpfungsanspruch gerecht75. Ein Anspruch auf Gewinnabschöpfung kann im Sinne von Art. 13 RL 2005/29/EG und Art. 10 EG als wirksame und abschreckende Sanktion angese72 73 74 75
Dazu unten § 9. B. II., S. 624 ff. Schaub, GRUR 2005, 918, 922. Art. 13 S. 2 RL 2005/29/EG. Alexander, GRUR Int. 2005, 809, 812; Schaub, GRUR 2005, 918, 922.
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
hen werden. Generell steht das Gemeinschaftsrecht einer präventiven Steuerung mithilfe privatrechtlicher Ansprüche weniger skeptisch gegenüber als das nationale Recht. Auch die kollektivrechtliche Ausgestaltung von Sanktionsmechanismen stößt nicht auf gemeinschaftsrechtliche Bedenken. Es ist sogar umgekehrt davon auszugehen, dass das Gemeinschaftsrecht kollektivrechtliche Sanktionen grundsätzlich als sehr geeignet zur Rechtsdurchsetzung ansieht. Ebenso wenig wie das nationale Recht schützt das Gemeinschaftsrecht Vermögenswerte, die auf unrechtmäßige Weise erzielt wurden76. 2. Gewinnabschöpfung als gemeinschaftsrechtliches Rechtsinstrument de lege ferenda? Bislang vereinzelt geblieben ist die Forderung, gemeinschaftsweit eine Gewinnabschöpfung einzuführen. Lettl schlägt im Rahmen seiner Untersuchung über den Schutz vor irreführender Werbung in Europa vor, eine solche Sanktion bei Verstößen gegen das Verbot irreführender Werbung aufzunehmen77. Im Grünbuch über kollektive Rechtsdurchsetzungsinstrumente finden sich neuerdings Überlegungen in ähnlicher Richtung. Der Kommission sieht in Abschöpfungsmaßnahmen eine mögliche Option zur Bekämpfung unlauterer Handlungen78. Diese Vorschläge sind vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Deutschland mit Zurückhaltung zu bewerten. Die Abschöpfung von Unrechtsvorteilen ist im Grundsatz sicher ein berechtigtes und notwendiges Sanktionsziel, gerade zur Bekämpfung wettbewerbswidriger Handlungen. Doch sollten zunächst längerfristige praktische Erfahrungen mit den vorhandenen Abschöpfungsinstrumenten abgewartet und analysiert werden79.
IV. Seitenblick nach Österreich Die Diskussion über das Für und Wider einer Gewinnabschöpfung im deutschen Lauterkeitsrecht wurde in Österreich aufmerksam verfolgt. Ebenso wie das deutsche Recht kennt das österreichische Recht verschiedene rechtliche Ansätze einer Abschöpfung80, doch fehlt es an einer spezifischen Lösung für die Abschöpfung von unlauter erzielten Gewinnen. Anlässlich der Umsetzung der RL 2005/29/EG und im Vorfeld einer möglichen großen UWG-Reform wurde die Forderung nach der Einführung eines Ge-
76
Vgl. etwa EuGH, Rs. 205 bis 215/82, Slg. 1983, 2633 Rn. 27 ff. – Milchkontor zum Vertrauensschutz bei der (rechtswidrigen) Gewährung von staatlichen Beihilfen. 77 Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa, S. 345 ff. mit Formulierungsvorschlag auf S. 355 f. 78 Kommission, Grünbuch Kollektive Rechtsdurchsetzung, Tz. 45. 79 Alexander, WRP 2009, 683, 686. 80 Überblick bei Kolba, in: Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb, Aktuelle Fragen des Lauterkeitsrechts, S. 125, 131.
A. Grundlagen
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winnabschöpfungsanspruchs erhoben81. Im Gesetzgebungsverfahren zur Novelle 2007 des östUWG wurde ein Abänderungsantrag eingebracht, wonach in § 14b öUWG ein Anspruch auf Gewinnabschöpfung in das Gesetz aufgenommen werden sollte82. Der österreichische Entwurf eines Gewinnabschöpfungsanspruchs orientierte sich am deutschen Vorbild des § 10 UWG, wollte aber den Anspruch nicht zu eng ausgestalten und dadurch »Fehler wie in Deutschland« vermeiden83: »(1) Wer zumindest grob fahrlässig den §§ 1, 1a, 2, 2a zuwiderhandelt und dadurch zu Lasten einer Vielzahl von Verbrauchern oder Unternehmern einen Gewinn erzielt, kann von den gemäß § 14 zur Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs berechtigten Verbänden auf Herausgabe des Gewinns in Anspruch genommen werden. § 273 ZPO und § 151 PatG gelten sinngemäß. (2) Nehmen mehrere gemäß § 14 zur Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs berechtigte Verbände den Unternehmer aufgrund derselben Zuwiderhandlung auf Herausgabe des Gewinns in Anspruch, ist § 892 ABGB sinngemäß anzuwenden, wobei entscheidend ist, welcher Verband den Gewinnabschöpfungsanspruch als erster gerichtlich gefordert hat«.
Zu einer Umsetzung dieses Entwurfs kam es nicht84. Der Entwurf verdient gleichwohl Aufmerksamkeit, weil er gegenüber § 10 UWG mehrere bemerkenswerte Abweichungen aufweist. Erstens sollte der Anwendungsbereich auf grob fahrlässige Zuwiderhandlungen erstreckt werden, denn der Entwurf verlangt »zumindest« ein solches Verhalten. Zweitens knüpft der Entwurf hinsichtlich des erzielten Gewinns nicht wie das deutsche Recht an die Marktposition der Betroffenen als Abnehmer an, sondern an die Eigenschaft als Verbraucher oder Unternehmer. Diese Formulierung weist gegenüber § 10 UWG den großen Vorzug auf, dass die absatzbezogene Perspektive verlassen wird und der Gewinnabschöpfungsanspruch für jegliche Kollektivinteressen geöffnet wird. Drittens sieht der Entwurf keine Aufspaltung zwischen Anspruchsinhaberschaft und (Dritt-)Begünstigung vor. Vielmehr sollte der Anspruch den nach § 14 östUWG anspruchsberechtigten Verbänden zustehen und der Gewinn sollte bei diesen Verbänden auch verbleiben.
81 Siehe dazu Kolba, in: Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb, Aktuelle Fragen des Lauterkeitsrechts, S. 125 ff. mit einem – an Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung angelehnten – Formulierungsvorschlag auf S. 130 Fn. 22: »Wer rechtswidrig und schuldhaft gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften verstößt und hierdurch bei einer Vielzahl von Verbrauchern einen Schaden verursacht, der im Einzelfall nicht eine Bagatellgrenze von xx überschreitet, kann von den nach § 14 UWG klagslegitimierten Verbänden auf Herausgabe des auf Grund des Wettbewerbsverstoßes erlangten Gewinns in Anspruch genommen werden«. 82 Abänderungsantrag der Abgeordneten Bettina Hradecsni, Kolleginnen und Kollegen zu der Regierungsvorlage der UWG-Novelle 2007; im Internet veröffentlicht unter http://www.parlinkom.gv.at/pls/portal/docs/page/PG/DE/XXIII/AA/AA_00049/imfname_089249.pdf. 83 Begr. zum Abänderungsantrag, siehe vorherige Fn. 84 Dazu Wiltschek, ÖBl 2007, 241.
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
B. Struktur des Haftungstatbestands I. Grundanforderungen Der Haftungstatbestand des § 10 Abs. 1 UWG setzt sich aus mehreren Elementen zusammen. Voraussetzung ist das Vorliegen einer unlauteren geschäftlichen Handlung gemäß § 3 oder § 7 UWG. Darüber hinaus muss der Verletzer den Rechtsverstoß vorsätzlich begangen haben. Schließlich – und darin liegt die Kernproblematik der Gewinnabschöpfung – ist eine Gewinnerzielung zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern erforderlich. 1. Geschäftliche Handlung, Unlauterkeit und Spürbarkeit Die allgemeinen Anforderungen hinsichtlich des Vorliegens einer geschäftlichen Handlung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG, der Unlauterkeit und der spürbaren Beeinträchtigung geschützter Interessen weichen vom Haftungstatbestand des § 9 S. 1 UWG nicht ab. Daher ist insoweit auf die Ausführungen zur lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzhaftung zu verweisen85. 2. Absatzbezogenes Vertikalverhältnis § 10 Abs. 1 UWG erfasst nur Gewinne zu Lasten von Abnehmern. Hierin liegt ein wichtiger Unterschied zu § 34a GWB, der Abnehmer und Anbieter einbezieht. Die Ausrichtung des Tatbestandes auf Gewinne zu Lasten von Abnehmern führt zu zwei wichtigen Einschränkungen des Anwendungsbereiches von § 10 UWG. Gewinne, die im Horizontalverhältnis zu Lasten von Mitbewerbern erwirtschaftet wurden, unterliegen nicht der Abschöpfung. Ebenfalls nicht abschöpfbar sind Gewinne zu Lasten von Anbietern. a) Abnehmer aa) Abgrenzungen Der Begriff des Abnehmers ist im Katalog der Definitionen in § 2 UWG nicht enthalten und wird vom Gesetz neben § 10 Abs. 1 UWG nur noch in § 4 Nr. 9 Buchst. a und § 16 Abs. 2 UWG verwendet. In den amtlichen Materialien wird darauf hingewiesen, dass unter den Begriff des Abnehmers »alle Marktteilnehmer fallen«86. Das ist jedoch missverständlich. Unter Marktteilnehmern versteht das Gesetz gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG neben Mitbewerbern und Verbrauchern alle Personen, die als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig sind. In Bezug auf Abnehmer führt der Verweis auf die Marktteilnehmer doppelt in die Irre87, denn weder die in § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG genannten Anbieter noch die Mitbewerber können Abnehmer im Sinne des § 10 UWG sein. 85
Zu den Einzelheiten oben, § 4. B. II., S. 192 ff. BT-Drucks. 15/1487, S. 24. 87 Insoweit ist daher die Kritik in der Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 15/1487, S. 34 berechtigt, der Hinweis auf alle Marktteilnehmer treffe »offensichtlich nicht zu«. 86
B. Struktur des Haftungstatbestands
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Die terminologische Unklarheit ist zurückzuführen auf eine Vermengung verschiedener sachlicher und begrifflicher Ebenen, die in § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG angelegt ist. Die Begriffe Anbieter und Nachfrager in § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG beschreiben die Rolle eines Marktakteurs in Bezug auf einen bestimmten Beschaffungsvorgang am Markt: Der Anbieter bietet eine bestimmte Ware oder Dienstleistung an, der Nachfrager fragt bestimmte Waren oder Dienstleistungen nach. Einen Anbieter »an sich« kann es ebenso wenig geben wie einen Nachfrager »an sich«, da jeder Marktakteur in Abhängigkeit vom konkreten Beschaffungsakt zugleich in mehreren Rollen auf dem Markt agieren kann. Wer beispielsweise Rohprodukte von seinen Lieferanten bezieht, diese zu Fertigprodukten weiter verarbeitet und anschließend weiter veräußert, ist zugleich Nachfrager (der Rohprodukte) und Anbieter (der hergestellten Fertigprodukte). Der Begriff des Mitbewerbers in § 2 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 UWG betrifft dagegen nicht die Rolle eines Marktakteurs in Bezug auf einen bestimmten Beschaffungsvorgang, sondern beschreibt sein Verhältnis zu anderen Unternehmen im Wettbewerb. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG bringt dies mit dem Merkmal des konkreten Wettbewerbsverhältnisses zum Ausdruck. Mitbewerber können Anbieter und Nachfrager sein, denn ein konkretes Wettbewerbsverhältnis kann im Angebotsund im Nachfragewettbewerb vorliegen88. Der in § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG ebenfalls erwähnte Verbraucher bestimmt sich nochmals nach anderen Gesichtspunkten, nämlich danach, zu welchem Zweck jemand ein bestimmtes Geschäft vornimmt. Dies ergibt sich aus der Verweisung in § 2 Abs. 2 UWG auf § 13 BGB. Ein Verbraucher wird zwar häufig die Rolle eines Nachfragers einnehmen, doch ist dies nicht zwingend. Er kann im Einzelfall durchaus auch Anbieter sein. Beispielsweise ist denkbar, dass ein Antiquitätenhändler eine Privatperson anruft oder aufsucht, um sie zum Verkauf eines wertvollen antiken Möbelstücks zu bewegen89. Aufgrund der Relativität der verschiedenen Begriffe ist mit dem Verweis auf die Marktteilnehmer wenig gewonnen. Entscheidend ist vielmehr, in welchem Regelungszusammenhang auf einen bestimmten Marktakteur Bezug genommen wird. Dabei ist von einer wettbewerbsfunktionalen Sichtweise auszugehen, deren Anknüpfungspunkt die konkrete Handlung des Verletzers bildet. Es muss also danach gefragt werden, in Bezug auf welche Handlung welcher Marktakteur betroffen ist. Die Mitbewerbereigenschaft knüpft an das konkrete Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Verletzer und seinen Konkurrenten an, während es bei Nachfragern und Anbietern um das konkrete Vertikalverhältnis beim Absatz oder Bezug von Waren oder Dienstleistungen geht. Mit dem Abnehmerbegriff nimmt § 10 UWG allein das absatzbezogene Vertikalverhältnis in den Blick, also den Austausch von Waren oder Dienstleistungen90. Nach dem Wortsinn können
88 89 90
Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 2 Rn. 59 ff., 73. Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 2 Rn. 81. Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 10 Rn. 10.
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
mit dem Begriff des Abnehmers nur Marktakteure gemeint sein, die im konkreten Fall als Nachfrager am Markt agieren91. bb) Abnehmer als Nachfrager nachfolgender Absatzstufen Das Gesetz unterscheidet nicht danach, ob ein Abnehmer Waren oder Dienstleistungen zu privaten oder geschäftlichen Zwecken nachfragt. Abnehmer können damit Verbraucher, Unternehmer, die öffentliche Hand, Verbände usw. sein. Einigkeit besteht darüber, dass Abnehmer im Sinne des § 10 Abs. 1 UWG jedenfalls die Geschäftspartner des Verletzers sind. Zweifelhaft ist hingegen, ob der Abnehmerbegriff auf die direkten Geschäftspartner des Verletzers beschränkt ist92, eine Anbieter-Kunden-Beziehung voraussetzt93 oder ob der Begriff in einem weiteren Sinne zu verstehen ist und indirekte Abnehmer auf nachgelagerten Marktstufen einbezieht94. Der vergleichende Blick auf § 4 Nr. 9 Buchst. a UWG und § 16 Abs. 2 UWG bringt keinen greifbaren Erkenntnisgewinn, weil beide Vorschriften sehr spezifische Unlauterkeitstatbestände beinhalten, aus unterschiedlichen historischen Zusammenhängen entstanden sind95 und nicht von dem Bemühen um terminologische Einheit geprägt sind. In § 4 Nr. 9 Buchst. a UWG steht der Abnehmerbegriff im Zusammenhang mit dem – letztlich allein maßgeblichen – Erfordernis der Herkunftstäuschung. Für die Herkunftstäuschung spielt es keine Rolle, auf welcher Absatzstufe die Täuschung auftritt. Entscheidend sind allein die jeweiligen Verkehrskreise, die das Produkt letztlich erwerben wollen und die Kaufentscheidung treffen96. Ob und wie viele Absatzstufen zwischen dem Nachahmer und den getäuschten Personen liegen, ist für § 4 Nr. 9 Buchst. a UWG unerheblich. Demgegenüber geht es bei § 16 Abs. 2 UWG um den Abschluss von Verträ-
91 Verfehlt daher Pinski, Abschöpfungsregelungen im Wettbewerbsrecht, S. 51, die auch Mitbewerber als Abnehmer ansehen will. 92 Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, § 23 Rn. 35; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 11; Mellulis, in: Gloy/Loschelder, Handbuch des Wettbewerbsrechts, § 26 Rn. 12; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 10 Rn. 11; Schmauß, Der Gewinnabschöpfungsanspruch von Verbänden in der Neufassung des § 10 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), S. 114; wohl auch Koch, in: jurisPK-UWG, § 10 Rn. 24. 93 Neuberger, Der wettbewerbsrechtliche Gewinnabschöpfungsanspruch im europäischen Rechtsvergleich, S. 108, der damit die Fälle des rechtsgrundlosen Einzugs von Kleinbeträgen erfassen möchte, in denen es an einem Vertragsverhältnis fehlt. 94 Bauer, Der Gewinnabschöpfungsanspruch der Verbände nach § 10 UWG, S. 137; Gärtner, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 143; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/ Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 71; Kaeding, PharmR 2008, 315, 321; Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 138; Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 122 f.; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 37 Rn. 9; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 194. 95 § 16 Abs. 2 UWG beruht auf § 6c UWG a.F., während § 4 Nr. 9 Buchst. a UWG einen Anwendungsfall des nach altem Recht ungeregelten ergänzenden Leistungsschutzes regelt. 96 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 4 Rn. 9.42; Sambuc, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 4 Nr. 9 Rn. 90 ff.
B. Struktur des Haftungstatbestands
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gen, mit denen Kunden in ein progressives Vertriebssystem eingebunden und zur Abnahme von Waren, Dienstleistungen oder Rechten veranlasst werden97. Der Abnehmerbegriff ist dort in einem engeren und vertragsbezogenen Sinne zu verstehen. Auch der Blick in das alte UWG hilft nicht weiter. Dort enthielt § 13a UWG a.F. ebenfalls das Merkmal des Abnehmers. Die Vorschrift beinhaltete ein lauterkeitsrechtliches Rücktrittsrecht für Abnehmer, das im Zuge der UWG-Reform jedoch wegen Bedeutungslosigkeit wieder gestrichen wurde. In § 13a UWG a.F. wurde der Begriff in Anlehnung an den Sprachgebrauch der Wirtschaft verstanden und bezeichnete den Vertragspartner des Verletzers, der in seiner Rolle als Nachfrager am Markt auftrat. Erfasst waren sämtliche Abnehmer von Waren oder gewerblichen Leistungen. Es konnte sich um private Endabnehmer,98 Unternehmer99 oder Existenzgründer100 handeln. Als Abnehmer kamen aber nur die Vertragspartner des Verletzers in Betracht, weil ein vertragliches Rücktrittsrecht nur innerhalb einer bestehenden vertraglichen Beziehung Sinn ergab. Während also eine sprachlich-systematische Auslegung kein klares Ergebnis zutage fördert, geben die amtlichen Materialien aufschlussreiche Hinweise. Der Bundesrat forderte in seiner Stellungnahme zum Gewinnabschöpfungsanspruch im Regierungsentwurf zum UWG die Klarstellung, dass nur Vertragspartner Abnehmer im Sinne der Vorschrift seien101. Diesem Begehren folgte die Bundesregierung nicht, was den Schluss zulässt, dass eine Beschränkung auf Vertragspartner nicht gewollt war. Dieser Befund wird bestätigt durch einen Seitenblick auf § 34a GWB. In der Begründung zum Regierungsentwurf des Vorteilsabschöpfungsanspruchs heißt es, Abnehmer im Sinne des Absatzes 1 seien nicht nur die unmittelbaren Abnehmer, sondern alle potenziell geschädigten Abnehmer bis hin zum Endabnehmer102. Für ein weites Verständnis des Abnehmerbegriffs spricht vor allem die kollektivrechtliche Ausrichtung des Gewinnabschöpfungsanspruchs. Die Sanktion dient dem Schutz von überindividuellen Interessen von Marktakteuren und daher bedarf es einer Abstimmung zwischen den geschützten Interessen und der Reichweite der Sanktion. Das UWG erstreckt sich nicht nur auf den Schutz potenzieller Vertragspartner, sondern zielt auf einen prinzipiell weiter reichenden Schutz von Marktakteuren. Weil aber der materiellrechtliche Schutz nicht davon abhängig ist, ob zwischen den Marktakteuren eine unmittelbare Vertragsbeziehung besteht oder begründet werden soll, kann ein solcher Zusammenhang auch auf Sanktionsebene nicht gefordert werden – anderenfalls wären bestimmte unlautere Handlungen per se von § 10 UWG nicht erfasst, obgleich hierfür ein sachlicher Grund nicht ersichtlich ist. 97 98 99 100 101 102
Vgl. Bornkamm, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 16 Rn. 37. OLG Nürnberg vom 3.10.1989, GRUR 1990, 141. OLG Zweibrücken vom 2.7.1996, NJW-RR 1997, 175. OLG Düsseldorf vom 19.1.1990, NJW-RR 1990, 875. BT-Drucks. 15/1487, S. 34. BT-Drucks. 15/3640, S. 56; siehe auch unten, § 8. B. I. 2., S. 586 ff.
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
Abnehmer sind danach alle Marktteilnehmer, die Waren oder Dienstleistungen des Verletzers nachfragen und im Vertikalverhältnis von der Unlauterkeit betroffen werden103. Auf die Vertragsbeziehungen kommt es dabei nicht an. Ein solches weites Verständnis des Abnehmers ist zwanglos mit dem Sanktionszweck der Vorschrift in Einklang zu bringen. Den rechtlichen Anknüpfungspunkt bildet daher nicht eine rechtsgeschäftliche Beziehung oder ein Anbieter-Kunden-Verhältnis, sondern allein die Marktposition der von einer unlauteren Handlung Betroffenen. Abnehmer kann jeder sein, der eine Ware oder Dienstleistung auf dem Markt nachfragt. Die Nachfragereigenschaft bestimmt sich nach einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Es kommt nicht darauf an, ob der Nachfrager selbst oder ein Dritter die Kosten für die nachgefragte Ware oder Dienstleistung übernimmt. Werden beispielsweise die Kosten für Waren oder Dienstleistungen von Versicherungen, Kranken- oder Pflegekassen übernommen, dann ist Nachfrager derjenige, der die Waren oder Dienstleistungen in Anspruch nimmt104. b) Ausschluss der Gewinnerzielung zu Lasten von Mitbewerbern Keine Abnehmer sind Mitbewerber. Gewinn, der ausschließlich zu Lasten von Mitbewerbern erwirtschaftet wird, liegt außerhalb des Anwendungsbereiches des § 10 UWG105. Wenn ein Gewinn nur zum Nachteil eines oder mehrerer Konkurrenten erwirtschaftet wird, dann betrifft diese unlautere Handlung allein das Horizontalverhältnis zwischen den Wettbewerbern und im konkreten Verletzungsfall das Individualverhältnis zwischen dem Verletzer und dem verletzten Unternehmen. Es geht also schon der Struktur nach um eine völlig andere Situation als bei Benachteiligungen von Marktakteuren im Vertikalverhältnis. Sachverhalte mit ausschließlichem Konkurrentenbezug begründen eine individuelle Haftungsbeziehung zwischen dem Verletzer und Verletztem. In diesen Fällen besteht für eine kollektivrechtliche Gewinnabschöpfung weder Raum noch Bedürfnis106, weil kollektive Interessen von Nachfragern nicht beeinträchtigt sind und eine Abschöpfung des Verletzergewinns zumeist im Rahmen der dreifachen Schadensberechnung möglich ist. c) Ausschluss der Gewinnerzielung zu Lasten von Anbietern Unklar ist, warum § 10 UWG – im Unterschied zu § 34a GWB – lediglich Handlungen im absatzbezogenen Vertikalverhältnis erfasst, nicht aber das Erzielen von Gewinn zu Lasten von Anbietern. Angesichts der zeitnahen Entstehung beider 103 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 71; Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 138; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 194. 104 Kaeding, PharmR 2008, 315, 321 f. 105 Alexander, WRP 2004, 407, 418; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 71; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 8; Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 139; Piper, in: Piper/Ohly, UWG § 10 Rn. 10. A.A. Pinski, Abschöpfungsregelungen im Wettbewerbsrecht, S. 51. 106 A.A. Schaub, GRUR 2005, 918, 922 f., die eine Anwendung von § 10 UWG für die Fälle des ergänzenden Leistungsschutzes ohne Einschränkungen befürwortet.
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Abschöpfungsansprüche und der engen tatbestandlichen Verwandtschaft beider Vorschriften wird man die Nichterwähnung der Anbieter in § 10 UWG nicht als bloßen Zufall oder redaktionellen Fehler abtun können. Wie die verschiedenen Fassungen des Gewinnabschöpfungsanspruchs im Gesetzgebungsverfahren belegen, ist die Einbeziehung einer Gewinnerzielung zu Lasten von Anbietern nie in Betracht gezogen worden. Das ist einigermaßen erstaunlich, weil unlautere Handlungen ohne Weiteres auch Anbieter nachteilig treffen können. Zwar treten breitenwirksame unlautere Handlungen im absatzbezogenen Vertikalverhältnis häufiger auf als im Vertikalverhältnis zu Anbietern. Doch ist die geringere Häufigkeit von Rechtsverstößen kein überzeugender Grund dafür, solche Zuwiderhandlungen per se vom Abschöpfungstatbestand auszuschließen. Unlautere Handlungen gegenüber Anbietern können vor allem im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Nachfragemacht auftreten. Zwar handelt es sich dabei zumeist (auch) um kartellrechtliche Konstellationen, insbesondere um Verstöße gegen § 20 Abs. 3 GWB und § 1 GWB. Gleichwohl kann die Ausnutzung von Nachfragemacht gegebenenfalls nach Lauterkeitsrecht beurteilt werden, insbesondere nach §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 1 und Nr. 10 UWG107. Die Rechtsprechung hat sich z.B. mehrfach mit dem Einfordern von besonderen Vorteilen durch nachfragestarke Unternehmen befasst108. Es liegt nicht fern, dass nachfragestarke Unternehmen aufgrund unrechtmäßig erlangter Vergünstigungen Unrechtsgewinne erzielen. Diese Gewinne können nicht nach § 10 Abs. 1 UWG abgeschöpft werden. In den Gesetzgebungsmaterialien findet sich kein Hinweis, warum Anbieter in § 10 UWG nicht genannt sind. Diese Lücke im Tatbestand dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht an der Problematik der Streu- und Bagatellschäden ausgerichtet war und vorrangig als Instrument des Verbraucherschutzes angesehen wurde. Verbraucher sind typischerweise Nachfrager, damit Abnehmer und zumeist in dieser Rolle von unlauteren Handlungen betroffen. Vom hier vertretenen Standpunkt aus ist die Beschränkung auf Abnehmer inkonsequent, weil damit wichtige Kollektivinteressen ohne sachlichen Grund aus dem Anwendungsbereich des Gewinnabschöpfungsanspruchs ausgenommen werden. Gravierende Sanktionslücken verbleiben im Ergebnis gleichwohl nicht, weil in der Regel kartellrechtliche Möglichkeiten zur Abschöpfung zur Verfügung stehen.
II. Breitenwirksamkeit der unlauteren Handlung Die unlautere Handlung muss eine »Vielzahl von Abnehmern« in Mitleidenschaft ziehen. Der Gesetzgeber wollte damit verdeutlichen, dass sich die Sanktionswirkung des Gewinnabschöpfungsanspruchs nur gegen besonders gefährliche (»breitenwirksame«) unlautere Handlungen richtet, die eine größere Anzahl 107
Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 4 Rn. 10.133 ff. BGH vom 3.12.1976, GRUR 1977, 257 – Schaufensteraktion; BGH vom 17.12.1976, GRUR 1977, 619 – Eintrittsgeld; BGH vom 9.6.1982, GRUR 1982, 737 – Eröffnungsrabatt. 108
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
von Abnehmern betreffen109. Damit wird das kollektivrechtliche Element des Lauterkeitsrechts aufgegriffen und auf Sanktionsebene umgesetzt. Nicht die Schädigung von Individualinteressen einzelner Abnehmer legitimiert danach eine Gewinnabschöpfung, sondern erst die Gefahr, dass die konkrete unlautere Handlung die Interessen einer Vielzahl von Marktakteuren beeinträchtigt. 1. Meinungsspektrum Kontrovers wird die Frage diskutiert, ob eine Mindestanzahl von Abnehmern betroffen sein muss, um von einer Vielzahl von Abnehmern sprechen zu können. Das Spektrum der Meinungen ist groß: Eine Vielzahl erfordere jedenfalls keine unbestimmte Anzahl von Betroffenen110, ein überschaubarer Kreis von Abnehmern genüge. Ein Teil des Schrifttums verlangt eine Mindestanzahl von fünfzehn bis dreißig Betroffenen111, während andere Autoren eine Vielzahl jedenfalls bei fünfzig Personen annehmen wollen112, was in etwa zwei Schulklassen oder den Passagieren eines Reisebusses entspreche113. In Anlehnung an § 305 Abs. 1 S. 1 BGB, bei dem eine Vielzahl von Verträgen bereits bei beabsichtigter dreimaliger Verwendung von der Rechtsprechung angenommen wird,114 soll nach einer verbreiteten Ansicht auch für § 10 UWG die Untergrenze einer Vielzahl von Abnehmern bei einer Betroffenheit von mindestens drei Personen desselben Kreises von Nachfragern gezogen werden115. Demgegenüber hat sich die Rechtsprechung der Frage der Vielzahl von Abnehmern bislang überhaupt nicht gewidmet. In seiner – § 10 Abs. 1 UWG immerhin grundsätzlich bejahenden – Entscheidung geht das OLG Stuttgart auf das Merkmal der »Vielzahl von Abnehmern« überhaupt nicht näher ein und spricht in der Urteilsbegründung fast durchgängig nur von der Gewinnerzielung zu Lasten von Abnehmern116.
109
Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 24. Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, § 10 Rn. 12. 111 Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 135 und in dem vorbereitenden Gutachten ders./Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 94. Ebenso Gärtner, Der Gewinnabschöpfungsanspruch, S. 144 f. Nahe stehend Schmauß, Der Gewinnabschöpfungsanspruch von Verbänden in der Neufassung des § 10 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, S. 117: 15 bis 20 Personen. 112 Bauer, Der Gewinnabschöpfungsanspruch der Verbände nach § 10 UWG, S. 141; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 70. 113 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 70 Fn. 137. 114 BGH vom 11.12.2003, NJW 2004, 1454; BGH vom 27.9.2001, NJW 2002, 138. 115 Köhler, in: Baumbach/Hefermehl, UWG, § 10 Rdn. 12; Mönch, ZIP 2004, 2032; Neuberger, Der wettbewerbsrechtliche Gewinnabschöpfungsanspruch im europäischen Rechtsvergleich, S. 109; Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 120; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 196 f.; ähnlich Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, § 23 Rn. 34: »mindestens zwei oder drei«. Die Mindestanzahl von drei Abnehmern ablehnend Rittner/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, § 4 Rn. 54, allerdings ohne weitere Stellungnahme, ab wann eine Vielzahl von Abnehmern statt dessen anzunehmen sein soll. 116 OLG Stuttgart vom 2.11.2006, WRP 2007, 350, 353. 110
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2. »Vielzahl von Abnehmern« als qualitatives Erfordernis a) Massencharakter der unlauteren Handlung In der Diskussion über eine Mindestanzahl betroffener Abnehmer werden qualitative und quantitative Anforderungen miteinander vermengt. Beide Gesichtspunkte sollen jedoch unterschieden werden. § 10 Abs. 1 UWG verlangt zwar eine Breitenwirksamkeit der unlauteren Handlung, nicht aber den konkreten Nachweis, dass eine bestimmte Mindestanzahl von Abnehmern von einer unlauteren Handlung tatsächlich betroffen ist. Das Erfordernis der Vielzahl von Abnehmern im Haftungstatbestand ist nicht quantitativ zu verstehen. Wollte man von einer Vielzahl von Abnehmern erst dann ausgehen, wenn der Nachweis einer Mindestbetroffenheit geführt wäre, dann stünde ein Anspruchsberechtigter vor der schwierigen Aufgabe, die notwendige Anzahl von Verletzungsfällen im Einzelnen zu belegen. Das wäre indessen mit der kollektivrechtlichen Grundkonzeption der Sanktion schwer zu vereinbaren. Denn die geschützten Kollektivinteressen bestehen gerade nicht in der Summierung einer Mindestanzahl von Individualinteressen, sondern die Kollektivinteressen haben eine andere rechtliche Qualität. Sie bilden gegenüber den lauterkeitsrechtlich geschützten Individualinteressen ein aliud. Der Schutz der Kollektivinteressen ist unabhängig von der Anzahl der tatsächlich Betroffen. Irreführende geschäftliche Handlungen sind beispielsweise auch dann verboten, wenn nur die Gefahr einer Irreführung besteht, selbst wenn im Einzelfall kein einziger Adressat der täuschenden Aussage tatsächlich irregeführt worden ist. In den amtlichen Materialien wird überzeugend die Parallele zu § 16 UWG gezogen, der besonders schwerwiegende unlautere Handlungen mit Strafe bedroht, deren Gefährlichkeit gerade aus der »Massenbetroffenheit« resultiert117. Diese Parallele macht deutlich, dass die Vielzahl betroffener Abnehmer in einem qualitativen Sinne zu verstehen ist. In § 16 Abs. 1 UWG werden unwahre Angaben mit Strafe bedroht, wenn sie durch Mitteilungen verbreitet werden, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind. Dafür wird eine Mindestzahl von Kenntnisnehmern nicht vorausgesetzt, sondern es genügt schon die Möglichkeit zur Kenntnisnahme durch mehrere Personen118. Entscheidend ist also allein, dass die Mitteilung nach ihrer Art darauf gerichtet ist, einen Personenkreis zu erreichen, der nicht von vornherein abgegrenzt ist119. Dieser Rechtsgedanke lässt sich auf § 10 Abs. 1 UWG übertragen. Eine Vielzahl von Abnehmern ist jedenfalls dann betroffen, wenn die unlautere Praktik ihrer Art nach einen Massencharakter aufweist und über ein omniplurales Verbreitungspotenzial120 verfügt. Die 117
Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 24. Bornkamm, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 16 Rn. 14; Brammsen, in: Münchener Kommentar, UWG, § 16 Rn. 35; Rengier, in: Fezer, UWG, § 16 Rn. 80. 119 BGH vom 15.12.1971, GRUR 1972, 479 – Vorführgeräte; OLG Oldenburg vom 20.5.1965, GRUR 1967, 107 – Wäschefabrik. 120 Brammsen, in: Münchener Kommentar, UWG, § 16 Rn. 35. 118
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Handlung muss dazu geeignet sein, über den Einzelfall hinaus nachteilige Wirkungen zu entfalten. Vielfach werden an dem qualitativen Massencharakter einer unlauteren Handlung keine ernsthaften Zweifel bestehen. Wer im Wettbewerb etwa mit Hilfe von Massenmedien kommuniziert, wendet sich schon aufgrund dieser Kommunikationsmittel an einen unüberschaubaren Personenkreis und somit an eine Vielzahl von Marktakteuren. Gleiches gilt, wenn zwar Individualkommunikationsmittel verwendet werden, z.B. E-Mail, Telefon, Telefax, Brief usw., aber die Kommunikation standardisiert und damit breitenwirksam erfolgt. Anwendungsbeispiele sind vorformulierte Serienbriefe, automatisierte Telefonanrufe oder Faxsendungen oder Anrufe von geschulten Call-Center-Mitarbeitern, die routinemäßig vorgehen und danach trachten, die Angerufenen mit eingeübten Standardfloskeln zu übertölpeln. Aus diesem Grund war es in dem vom OLG Stuttgart entschiedenen Fall121 entbehrlich, näher auf die Vielzahl von Abnehmern einzugehen. Es ging dabei um die Veröffentlichung von Angaben auf einer Internet-Seite, mithin um Massenkommunikation, bei der typischerweise davon auszugehen ist, dass eine Vielzahl von Werbeadressaten Kenntnis von den (irreführenden) Angaben nehmen konnte. b) Problemfälle Relevant wird die Frage nach einer Mindestanzahl Betroffener nur, wenn nicht schon anhand der Art der unlauteren Handlung feststeht, ob es um ein Massenphänomen oder um Einzelfälle geht. Allein in diesen Fällen kann man die Frage aufwerfen, ob eine quantitative Mindestbetroffenheit erforderlich ist. Beispielsweise kann es sich beim Einziehen von Kleinbeträgen ohne Rechtsgrund122 sowohl um einen versehentlichen Einzelfall als auch um ein systematisches Vorgehen handeln. Für die im Schrifttum vorgeschlagene Parallele zu § 305 Abs. 1 S. 1 BGB spricht, dass es bei der Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen um die rechtliche Bewältigung von Gefahren des »Massengeschäftsverkehrs« durch die einseitige Inanspruchnahme von Gestaltungsmacht geht, die Interessenlage mit § 10 Abs. 1 UWG vergleichbar ist. Auch das sprachliche Verständnis lässt es zu, von einer Vielzahl zu sprechen, wenn mindestens drei Abnehmer betroffen sind. Dass eine Unlauterkeit bei drei bis fünf Betroffenen noch »leicht zu überschauen« sei123, bildet keinen schlagkräftigen Einwand. Denn auch unlautere Handlungen, die (noch) keine übermäßige Verbreitung gefunden haben, bedürfen der wirksamen Bekämpfung. Im Übrigen ist keineswegs auszuschließen, dass bereits in drei bis fünf Fällen erhebliche Unrechtsgewinne erwirtschaftet werden können. Insofern ist bereits den Anfängen zu wehren. 121 122 123
Oben A. II. b) bb), S. 507 ff. Beispiel aus der Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487. Gärtner, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 144.
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Die Betroffenheit von drei Abnehmern ist allerdings nicht als quantitatives Mindesterfordernis anzusehen, sondern als tatsächliches Indiz für einen qualitativen »Massencharakter« der unlauteren Handlung. Wenn durch eine unlautere Handlung oder gleichartige Handlungen mindestens drei Abnehmer betroffen sind, dann ist es Sache des Unternehmers darzulegen, dass es sich gleichwohl um Einzelfälle gehandelt hat. Daher sollte die Schwelle nicht als ein formales Ausschlusskriterium gehandhabt werden. Erlangt ein Anspruchsberechtigter beispielsweise davon Kenntnis, dass zwei Abnehmer von einer Zuwiderhandlung betroffen sind und bestehen aufgrund der Umstände genug Anhaltspunkte dafür, dass ein planvolles und systematisches Vorgehen des Verletzers vorliegt und weitere Verletzungsfälle nur noch nicht bekannt geworden sind, dann wäre es verfehlt, wenn der Anspruchsberechtigte, nur um jeden Zweifel auszuräumen, noch mindestens einen weiteren Verletzungsfall abwarten müsste. Der vergleichende Blick auf § 305 Abs. 1 S. 1 BGB ist noch in einer anderen Hinsicht aufschlussreich. Dort genügt es, wenn die Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen mehrfach gegenüber nur einem Vertragspartner erfolgt124, weil die von Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgehenden Gefahren nicht von der Anzahl der Vertragspartner abhängig sind. Eine einseitige Inanspruchnahme des Rechts, den Inhalt eines Vertrags zu gestalten, liegt auch dann vor, wenn dieses Recht nur gegenüber einem Vertragspartner in einer Vielzahl von Verträgen ausgeübt wird125. Eine ähnliche Situation ist bei unlauteren Handlungen vorstellbar. Möglicherweise wird ein und derselbe Abnehmer durch wiederholte unlautere Handlungen beeinträchtigt, indem ihm beispielsweise ständig als Rechnung getarnte Eintragungsofferten zugeschickt werden oder er fortwährend mit Telefonanrufen zu Werbezwecken terrorisiert wird. Dies geschieht vielleicht gerade deswegen, weil der Angerufene bereits in früheren Fällen klein beigegeben und einen Vertrag abgeschlossen hat, also ein »dankbares Opfer« ist. Im Unterschied zu § 305 Abs. 1 S. 1 BGB ist aber in § 10 Abs. 1 UWG eine Verschiedenheit von Personen erforderlich. § 10 Abs. 1 UWG greift deshalb nicht ein, wenn ein Abnehmer durch eine Vielzahl gleichartiger unlauterer Handlungen beeinträchtigt wird, obgleich es sich bei den genannten Beispielen zweifelsohne um besonders hartnäckige und dreiste Geschäftspraktiken handelt. Die Unanwendbarkeit des Gewinnabschöpfungsanspruchs folgt aus seinem kollektivrechtlichen Charakter. Soweit tatsächlich »nur« ein Abnehmer durch gleichartige Praktiken betroffen sein sollte, bedarf es des Schutzes seiner Individualinteressen. Darauf ist § 10 UWG aber nicht ausgerichtet. Ein solcher Schutz wird insbesondere durch das bürgerliche Recht gewährleistet. Massive Einwirkungen auf einzelne Abnehmer können beispielsweise einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellen und Abwehr- und Schadensersatzansprüche auslösen.
124 125
BGH vom 11.12.2003, NJW 2004, 1454, 1455. BGH vom 11.12.2003, NJW 2004, 1454, 1455.
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
III. Zu Lasten 1. Ausgangsüberlegungen Der Verletzer muss Gewinn »zu Lasten« einer Vielzahl von Abnehmern erwirtschaftet haben. Dieses Merkmal wirft viele Fragen auf. Die Schwierigkeiten im Umgang mit dem Tatbestandsmerkmal »zu Lasten« sind auf zwei Kernprobleme zurückzuführen, die man sich zunächst bewusst machen muss. Erstens beruht ein vom Verletzer durch Benachteiligung von Abnehmern unrechtmäßig erzielter Gewinn nicht in einem gezielten Eingriff in den Zuweisungsgehalt einer fremden Rechtssphäre. Wie alle Marktakteure verfügen die Abnehmer über Marktchancen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Der Schutz des Lauterkeitsrechts betrifft die Möglichkeit zur Verwirklichung der Chance unter wettbewerbskonformen Bedingungen. Wird den Abnehmern diese Möglichkeit durch eine unlautere Handlung genommen, dann treffen sie ihre Entscheidung unter funktionswidrigen Bedingungen. Dies unterscheidet die Gewinnerzielung durch unlauteren Wettbewerb von dem Eingriffserwerb, der einen Anspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB auslöst: Während der Verletzer im Falle des Eingriffserwerbs rechtswidrig auf eine fremde Rechtsposition zugreift und dadurch etwas erlangt, erzielt der unlauter Handelnde durch die Zuwiderhandlung einen funktionswidrigen Vermögenszuwachs. Zweitens ist zu beachten, dass der Absatz von Waren oder Dienstleistungen oftmals über mehrere Stufen erfolgt. Das bedeutet, dass der Gewinn des Verletzers vielfach nicht direkt aus dem Vermögen derjenigen Marktakteure stammt, die durch die unlautere Handlung letztlich einen tatsächlichen Nachteil erleiden. Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn ein Hersteller die von ihm hergestellten Produkte über Großhändler vertreibt, die ihrerseits Einzelhändler beliefern. Die Einzelhändler wiederum veräußern die Produkte schließlich an die Konsumenten, die das letzte Glied der Absatzkette bilden. Wirbt der Hersteller irreführend für seine Produkte, dann treffen die Folgen der Irreführung letztlich die Verbraucher, weil sie infolge der irreführenden Werbung einer Fehlvorstellung über das beworbene Produkt erliegen. Der Gewinn des Herstellers resultiert aber allein aus seinen Geschäften mit den Großhändlern, also seinen unmittelbaren Marktpartnern. Nur in diesem Verhältnis findet die maßgebliche Vermögensverschiebung statt, die zum Gewinn des unlauter Handelnden führt. Dagegen fließt dem Unternehmer in der Regel kein Gewinn aus den Folgegeschäften zwischen Großhändler und Einzelhändler sowie zwischen Einzelhändler und Konsument zu. Groß- und Einzelhändler profitieren zwar möglicherweise von der unlauteren Handlung, können aber nach § 10 UWG nur in Anspruch genommen werden, wenn sie selbst einen vorsätzlichen Rechtsverstoß begangen haben. Umgekehrt ist freilich möglich, dass der wirtschaftliche Nachteil gleichsam bis zum Hersteller »rückverlagert« wird, wenn eine Regresskette in Gang gesetzt wird126. Dies 126
§ 478 BGB.
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kann geschehen, indem ein Kunde Gewährleistungsrechte gegenüber dem Einzelhändler geltend macht, woraufhin dieser sich an den Großhändler wendet und der Großhändler seinerseits gegen den Hersteller vorgeht. Allerdings wird es hierzu oft nicht kommen: Zumeist werden die Kunden ihre Rechte nicht geltend machen oder ein Regress scheitert, weil die strengen Voraussetzungen des § 377 HGB nicht erfüllt sind127. 2. Meinungsspektrum Zur Frage, wann ein Gewinn »zu Lasten« von Abnehmern erwirtschaftet wurde, hat sich mittlerweile ein vielschichtiges Meinungsspektrum entwickelt. Die Problematik gewinnt zusätzlich an Komplexität, weil anhand dieses Tatbestandsmerkmals mehrere Sachfragen ineinandergreifen. Zudem lassen die – eher vagen – Vorgaben der amtlichen Materialien Spielraum für verschiedene Interpretationen. a) Amtliche Materialien Die konzeptionelle Unsicherheit des Gesetzgebers bei Schaffung der Gewinnabschöpfung kommt beim Tatbestandsmerkmal »zu Lasten« besonders deutlich zum Ausdruck. Der Gesetzgeber orientierte sich nicht an einem klar umrissenen Sachproblem, sondern verfolgte unterschiedliche Ansätze, die in wechselnden Formulierungen Ausdruck fanden. aa) Konzeptionelle Wechsel während der Gesetzgebungsarbeiten: Vom Schaden zur wirtschaftlichen Schlechterstellung Der Referentenentwurf verlangte noch, den Abnehmern müsse ein »Schaden zugefügt« worden sein. Damit stand der Referentenentwurf noch in konzeptioneller Nähe zum Vorschlag einer Unrechtsgewinnabschöpfung von Micklitz und Stadler. Nähere Ausführungen zu der Frage, wann eine Schadenszufügung vorliegt und ob es individueller Schadensnachweise oder einer typisierenden Betrachtung bedarf, fanden sich in der Begründung nicht. Es ist jedoch anzunehmen, dass diese Formulierung – ebenso wie der Vorschlag von Micklitz und Stadler128 – an den Schadensbegriff des bürgerlichen Rechts anknüpfen wollte. Der Referentenentwurf war insoweit noch klar dem Gedanken der Bekämpfung von »Streu- und Bagatellschäden« verhaftet. Demgegenüber löste sich der Regierungsentwurf von dem schadensrechtlichen Ansatz und verlangte, die Gewinnerzielung müsse »auf Kosten« der Abnehmer erfolgt sein. Damit wurde an eine bereicherungsrechtliche Formulierung angeknüpft. Diese Wendung bildet ein Kernelement der Nichtleistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB und ist nach herrschender Meinung dahingehend zu verstehen, dass in den Zuweisungsgehalt einer bestimmten Rechts127 128
Zu den Voraussetzungen siehe nur Canaris, Handelsrecht, § 29 Rn. 45 ff. Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 127.
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position eingegriffen worden sein muss129. Es erscheint aber unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber die bereicherungsrechtliche Problematik gleichsam in den Gewinnabschöpfungsanspruch transformieren wollte. Näher liegt die Annahme, eine geeignete Formulierung habe klarstellen sollen, dass ein Schaden der Abnehmer nicht erforderlich sei130. Der Regierungsentwurf änderte damit freilich – bewusst oder unbewusst – die konzeptionelle Ausrichtung der Gewinnabschöpfung. Nicht der Schaden der einzelnen Abnehmer sollte den rechtlichen Anknüpfungspunkt bilden, sondern allein der zu Unrecht erzielte Gewinn des Verletzers. Inhaltlich wurde das Merkmal »auf Kosten« dahingehend verstanden, es solle zwischen dem Nachteil der Abnehmer und dem Vorteil des Verletzers ein direkter Zusammenhang bestehen. Hierzu wird in der amtlichen Begründung ausgeführt, durch das Merkmal auf Kosten werde klargestellt, dass der Tatbestand nur dann greife, wenn der Gewinnerzielung unmittelbar ein Vermögensnachteil der Abnehmer gegenüberstehe131. Allerdings sollte als Vermögensnachteil jede »wirtschaftliche Schlechterstellung« genügen132. Der Gesetzgeber verlangte damit zumindest noch einen spezifischen Zusammenhang zwischen dem Verletzergewinn und den Nachteilen der Abnehmer. Der Bundesrat kritisierte, dass nach dieser Gesetzesfassung ein Vermögensnachteil der Abnehmer dargelegt und bewiesen werden müsse, was oftmals auf Schwierigkeiten stoßen werde. Daher forderte er, der bereicherungsrechtliche Ansatz solle aufgegeben werden. Stattdessen sei zu prüfen, wie der abzuschöpfende Betrag anhand von Umständen, die für die Gläubiger erkennbar, jedenfalls leicht ermittelbar seien, vom Gericht in relativ freiem Ermessen festgelegt werden könnte133. Im Rechtsausschuss wurde die endgültige Textfassung vorgeschlagen. Zur Begründung heißt es: »Durch die Ersetzung des Begriffs ›auf Kosten‹ durch die Wörter ›zu Lasten‹ soll klargestellt werden, dass der Gewinnabschöpfungsanspruch nicht die Ermittlung von einzelfallbezogenen Nachteilen voraussetzt. Vielmehr ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass durch die Zuwiderhandlung bei einer Vielzahl von Abnehmern eine wirtschaftliche Schlechterstellung eingetreten sei«134.
Mit dieser Änderung war wiederum eine konzeptionelle Weichenstellung verbunden. Es wurde nämlich auf eine Individualbetroffenheit von Abnehmern verzichtet. Zugleich wurde aber an dem Kriterium der wirtschaftlichen Schlechter129 Statt vieler: Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 67 II, S. 131 und § 69 I, S. 168 ff. 130 Dies bestreitet Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 105: Trotz des geänderten Wortlauts habe der Gesetzgeber am Erfordernis des Schadens festhalten wollen. 131 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 24. 132 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 14/1487, S. 24. 133 Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 15/1487, S. 34. 134 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss), BT-Drucks. 15/ 2795, S. 21.
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stellung der Abnehmer festgehalten. Wann eine wirtschaftliche Schlechterstellung im Einzelnen anzunehmen ist, lässt sich nach den amtlichen Materialien nicht mit Sicherheit sagen. Aufgrund dessen gibt es eine Reihe von unlauteren Handlungen, bei denen zweifelhaft ist, ob ein Gewinn »zu Lasten« von Abnehmern erzielt wurde oder nicht. bb) Kriterien der wirtschaftlichen Schlechterstellung Eine wirtschaftliche Schlechterstellung ist sicher anzunehmen, wenn die Abnehmer infolge einer unlauteren Handlung einen Vermögensschaden erleiden. Solche Fälle dürfte der Gesetzgeber als typische Anwendungsfälle der Gewinnabschöpfung vor Augen gehabt haben. Wenn ein Händler beispielsweise über die Qualität eines von ihm verkauften Produktes vorsätzlich täuscht und einen Preis verlangt, der der beworbenen Qualität, nicht aber der tatsächlichen (und deutlich niedrigeren) Qualität des Produkts entspricht, liegt ein Vermögensschaden und damit ein Vermögensnachteil der Abnehmer vor. Gleiches gilt im Fall des Minderausschanks135 oder beim Verkauf von Mogelpackungen. Ein etwaiger Gewinn des werbenden Verkäufers wäre in diesen Fällen »zu Lasten« der Abnehmer erzielt. Problematisch ist dagegen die Bewertung vertragsbezogener unlauterer Handlungen, z.B. wenn Verbraucher einen Darlehensvertrag abschließen und über das bestehende Widerrufsrecht136 nicht belehrt werden oder wenn ihnen auf Nachfrage von einem Darlehensgeber die falsche Auskunft erteilt wird, ein entsprechendes Widerrufsrecht bestehe nicht. Zweifelhaft ist weiterhin, ob eine wirtschaftliche Schlechterstellung anzunehmen ist, wenn die Abnehmer Verträge abschließen, die für sich genommen, also bei Saldierung von Leistung und Gegenleistung, nicht nachteilig sind, die aber etwa durch belästigende Werbung zustande gebracht wurden. Problematisch sind ferner Verträge, die durch Ausnutzung der geschäftlichen Unerfahrenheit zustande gebracht wurden, beispielsweise der Erwerb von Handy-Klingeltönen durch Jugendliche137. Den amtlichen Materialien zufolge ist bei der Ermittlung eines Vermögensnachteils der Abnehmer die vom Zuwiderhandelnden erbrachte Gegenleistung zu berücksichtigen. Es fehle an einem Nachteil, wenn der vom Zuwiderhandelnden erzielte Preis völlig angemessen ist und der Abnehmer auch keinen sonstigen Nachteil, beispielsweise in Form von Aufwendungen, die ohne die unlautere Handlung nicht angefallen wären, erlitten hat. Die Gegenleistung habe jedoch dann außer Betracht zu bleiben, wenn die Abnehmer hieran kein Interesse haben, mithin eine aufgedrängte Bereicherung vorliege138. Berücksichtigt man entsprechend den Vorgaben der amtlichen Materialien bei der Ermittlung des Vermögensnachteils die vom Zuwiderhandelnden erbrachte Gegenleistung, kann eine 135 Z.B. BGH GRUR 1983, 451 f. – Ausschank unter Eichstrich I; BGH GRUR 1987, 180, 181 – Ausschank unter Eichstrich II. 136 §§ 495 Abs. 1 i.V.m. 355 BGB. 137 Z.B. BGH vom 6.4.2006, GRUR 2006, 776 – Werbung für Klingeltöne. 138 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 24.
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Vermögenseinbuße der Abnehmer folgerichtig nicht vorliegen, wenn das Preis-/ Leistungsverhältnis stimmt und die Ware oder Dienstleistung einen wirtschaftlichen Wert verkörpert139. Anders gewendet müsste eine Gewinnabschöpfung ausscheiden, wenn die Abnehmer vom Verletzer ein Gut erhalten, das wertangemessen ist, mag sich die Geschäftsanbahnung auch unlauter vollzogen haben. Der Sache nach läuft dies auf eine Saldierung hinaus, wie sie schadensrechtlich etwa bei der Differenzmethode zur Ermittlung des Schadens vorzunehmen ist. Allerdings soll dieser Saldierungsgrundsatz wiederum nicht uneingeschränkt gelten. In den Gesetzesmaterialien wird auf zusätzliche Faktoren hingewiesen, die in die Bestimmung der wirtschaftlichen Schlechterstellung einfließen sollen und die gewissermaßen als »Korrekturschrauben« dienen. Danach sind bei der Ermittlung des Vermögensnachteils der Abnehmer etwaige Aufwendungen zu berücksichtigen, die ohne unlautere Handlung nicht angefallen wären. Man kann hier – in Anlehnung an die schadensrechtliche Terminologie – auch von »unnützen« oder »vergeblichen« Aufwendungen sprechen. Offen bleibt dabei, welche Aufwendungen hierfür konkret in Betracht kommen. Denkbar wären etwa Fahrtkosten, wenn Abnehmer einen entlegenen Einkaufsmarkt aufsuchen, weil sie dort ein beworbenes Sonderangebot erwerben möchten, das nicht (mehr) vorhanden ist, weil der Unternehmer sich nicht genügend bevorratet hat. Eine Angemessenheitsprüfung soll des Weiteren nicht stattfinden, wenn die Abnehmer an der erhaltenen Leistung kein Interesse haben und damit eine »aufgedrängte Bereicherung« vorliegt140. Von einer »aufgedrängten Bereicherung« wird im Allgemeinen gesprochen, wenn bei dem Betroffenen ein Vermögenszuwachs eingetreten ist, dieser Vorteil aber bei subjektiver Betrachtung, also unter Berücksichtigung seiner persönlichen Dispositionen, für ihn nicht brauchbar ist141. Gemeint sind also Fälle, in denen zwar rechnerisch kein Nachteil festzustellen ist, in denen aber der Abnehmer mit dem erworbenen Erzeugnis nichts anfangen kann. Ein solcher Fall könnte beispielsweise vorliegen, wenn einem Verbraucher am Telefon ein mehrbändiges Lexikon in französischer Sprache aufgeschwatzt wird, obgleich er die Sprache nicht beherrscht und auch nicht zu Erlernen gedenkt. b) Rechtsprechung und Schrifttum Der bislang eher bescheidene Fundus von Entscheidungen zu § 10 UWG gibt nur wenig greifbare Anhaltspunkte für das maßgebliche Verständnis des Merkmals »zu Lasten«. Da die Gerichte zumeist nur auf den Vorsatz näher eingehen (und diesen oft genug verneinen), fehlt es an näheren Ausführungen zum Merkmal »zu Lasten«. In den wenigen sonstigen Streitfällen, in denen die Voraussetzungen des § 10 UWG dem Grunde nach bejaht werden, bereitete das Merkmal 139 Mellulis, in: Gloy/Loschelder, Handbuch des Wettbewerbsrechts, § 26 Rn. 14; Mönch, ZIP 2004, 2032, 2034; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 10 Rn. 8. 140 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 24. 141 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, § 72 IV (S. 286 ff.).
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»zu Lasten« dagegen keine Probleme, weil jedenfalls ein Vermögensnachteil der Abnehmer sehr wahrscheinlich war. Die Stellungnahmen im Schrifttum orientieren sich im Ausgangspunkt größtenteils an der amtlichen Begründung und nehmen Bezug auf das Kriterium der wirtschaftlichen Schlechterstellung. Überwiegend wird »zu Lasten« – ebenso wie die Vorgängerformulierungen »Schaden« und »auf Kosten« in den Entwürfen – in einem vermögensbezogenen Sinne verstanden. Ein Gewinn soll danach »zu Lasten« von Abnehmern erzielt sein, wenn die Abnehmer infolge der unlauteren Handlung wirtschaftlich schlechter stehen als zuvor, also infolge der unlauteren Handlung eine Vermögenseinbuße erlitten haben. Hält man einen solchen Vermögensnachteil der Abnehmer für erforderlich, dann bedarf weiterhin der Klärung, worin der maßgebliche Vermögensnachteil besteht und wie dieser zu ermitteln ist. Auch darüber besteht lebhafter Streit. Demgegenüber geht ein Teil des Schrifttums davon aus, dass ein Vermögensnachteil bei den Abnehmern nicht erforderlich ist. aa) Schaden der Abnehmer Im engsten Sinne will Sieme eine Gewinnerzielung »zu Lasten« nur dann annehmen, wenn dem Verbraucher aufgrund der unlauteren Handlung ein allgemeiner zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch zusteht142. Anfechtungs-, Widerrufs-, Gewährleistungs- oder sonstige Rechte seien hingegen nicht zu berücksichtigen143. Dagegen sprechen mehrere Gründe. Dogmatisch führt diese Interpretation zu einer Vermischung von Schadensersatz und Abschöpfung, also zwei unterschiedlichen Anspruchskategorien, die unterschiedliche Ziele verfolgen. Zudem lässt sich diese Auffassung mit der Entstehungsgeschichte des Gesetzestextes nicht vereinbaren. Wenngleich die amtlichen Materialien eine konzeptionelle Unsicherheit des Gesetzgebers erkennen lassen, kommt doch hinreichend klar zum Ausdruck, dass die Gewinnabschöpfung von zivilrechtlichen Schadensfragen abgekoppelt werden sollte144. Warum hätte sich der Gesetzgeber sonst von dem Begriff »Schaden« verabschieden sollen? Schließlich fehlt es an einer überzeugenden Begründung, aus welchem Grund eine Abschöpfung von dem Eingreifen deliktischer oder vertraglicher Schadensersatzansprüche abhängen soll. Gerade bei mittelbar betroffenen Abnehmern kann diese Lösung zu ganz zufälligen Ergebnissen führen, weil vertragliche Schadensersatzansprüche von Abnehmern gegenüber dem Verletzer (z.B. einem Hersteller) nicht bestehen und deliktische Schadensersatzansprüche nur unter bestimmten (engen) Voraussetzungen eingreifen. 142
Sieme, WRP 2009, 914, 919 ff.; ders., Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 105 ff. 143 Sieme, WRP 2009, 914, 919. 144 Die Annahme Siemes, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 105, der Gesetzgeber habe zwar den Begriff des Schadens aus der Entwurfsfassung nicht in den Gesetzestext übernommen, aber gleichwohl am Erfordernis eines Schadens festhalten wollen, lässt sich weder anhand der amtlichen Materialien belegen, noch sind dafür einleuchtende Gründe erkennbar.
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
bb) Individuell-konkreter Vermögensnachteil der Abnehmer Nach Köhler wird ein Gewinn zu Lasten von Abnehmern erwirtschaftet, wenn den Abnehmern aus bürgerlichem Recht Ansprüche oder sonstige Rechte zur Sicherung ihrer Vermögensinteressen zustehen, diese aber nicht geltend gemacht werden. Dazu sollen insbesondere Gewährleistungsrechte nach den §§ 434 ff. BGB sowie Ansprüche aus §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB oder unerlaubter Handlung gemäß §§ 823 ff. BGB gehören145. Dieser Ansatz korrespondiert notwendigerweise mit dem engen Abnehmerbegriff, wonach nur die direkten Geschäftspartner des Verletzers als Abnehmer im Sinne des § 10 Abs. 1 UWG anzusehen sein sollen. Denn außerhalb des unmittelbaren Geschäftskontaktes werden vermögensschützende Rechte oder Ansprüche der Abnehmer gegen den Verletzer kaum bestehen. Der Gewinn muss hiernach unmittelbar auf den Vermögensnachteil zurückzuführen sein, der durch die Nichtgeltendmachung dieser Rechte und Ansprüche entsteht. Es muss also zu einer unmittelbaren Vermögensverschiebung gekommen sein. Veranschaulichen lässt sich diese Position an den folgenden Beispielen146: Ein Unternehmer verkauft Waren in Mogelpackungen für fünf Euro. Der Gewinn beträgt zwei Euro und jeder Abnehmer hätte einen Anspruch auf Kaufpreisminderung in Höhe von einem Euro. Dann verbleibt dem Verletzer pro Stück ein Unrechtsgewinn von einem Euro, der gemäß § 10 Abs. 1 UWG abschöpfbar wäre. Wenn über die Gebührenhöhe eines Telekommunikationsdienstes getäuscht werde, dann soll der gesamte Gewinn abzüglich der Unkosten abschöpfbar sein. Dagegen soll es nicht genügen, wenn der Abnehmer zu unnützen Aufwendungen veranlasst werde. Des weiteren soll eine Gewinnerzielung zu Lasten von Abnehmern nicht vorliegen, wenn durch den Verstoß gegen § 3 UWG nicht Vermögensinteressen der Abnehmer beeinträchtigt werden, sondern sonstige Interessen, wie etwa das von § 7 UWG geschützte Interesse, nicht belästigt zu werden. Auch Beeinträchtigungen der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit sind danach von § 10 Abs. 1 UWG nicht erfasst147.
§ 10 Abs. 1 UWG greift danach nur in direkten Vertrags- bzw. Geschäftsverhältnissen148 und setzt voraus, dass dem Gewinn ein vermögensschützendes Recht oder ein vermögensschützender Anspruch des Abnehmers gegenübersteht. Problematisch ist dabei, welche Individualrechte Vermögensinteressen der Abnehmer schützen. Gewiss zu bejahen ist der Vermögensbezug bei Gewährleistungsrechten. Erhält der Kunde weniger als ihm vertraglich geschuldet ist, liegt ein 145 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 10; ebenso Lettl, das neue UWG, Rn. 673. Unklar Schaub, GRUR 2005, 918, 921, die solche Konstellationen als Anwendungsfälle nennt aber nicht sagt, ob § 10 UWG nur für diese gelten soll. Nahe stehend auch Lehmler, UWG, § 10 Rn. 13 und ders. in: Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, § 10 UWG Rn. 11: Danach muss dem erzielten Gewinn ein unmittelbarer Vermögensnachteil der Abnehmer gegenüberstehen. 146 Beispiele von Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 10 a.E. 147 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 10. 148 Zur Unterscheidung: Neuberger, Der wettbewerbsrechtliche Gewinnabschöpfungsanspruch im europäischen Rechtsvergleich, S. 108.
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Vermögensnachteil vor, dessen Behebung die einzelnen Gewährleistungsrechte dienen. Gleiches gilt für die vorvertragliche Verschuldenshaftung (culpa in contrahendo). Schwieriger liegt es bei den verbraucherschützenden Widerrufsrechten: Dient etwa ein Widerrufsrecht bei Haustür- oder Fernabsatzgeschäften dem Schutz von Vermögensinteressen der Verbraucher oder geht es dabei allein um die Sicherung einer unbeeinflussten Entscheidung? Noch fraglicher ist der Vermögensbezug bei Anfechtungsrechten. Denn der Vertragspartner wird mithilfe der Anfechtungsregeln nicht vor »schlechten« Verträgen geschützt, sondern allein vor den Auswirkungen einer fehlerhaften Willensbildung. Der Getäuschte kann seine Willenserklärung auch im Falle eines wirtschaftlich äußerst vorteilhaften Vertrages anfechten. Unabhängig von den verbleibenden Zweifelsfragen des Vermögensbezugs liegt die Problematik dieses Ansatzes darin, dass viele unlautere Praktiken nicht erfasst werden können und somit eine »Gerechtigkeitslücke«149 verbleibt. Denn die lauterkeitsrechtliche Sanktionierung eines Rechtsverstoßes wäre danach stets von dem (oftmals zufälligen) Bestehen oder Nichtbestehen individueller Ansprüche abhängig. Dadurch würden zwei unterschiedliche Rechtsfragen auf der Sanktionsebene voneinander abhängig gemacht, die auf Tatbestandsebene strikt zu trennen sind. Es ist für die Beurteilung der Lauterkeit einer Handlung grundsätzlich unbeachtlich, ob der Betroffene durch vertragliche oder gesetzliche Ansprüche oder Rechte geschützt ist150. Dann wäre es aber inkonsequent, bei der Sanktionierung diesen Zusammenhang wieder herzustellen. Gerade die Fälle, in denen ein individueller Schutz der Abnehmer nicht besteht, bei denen also lauterkeitsrechtlich ein tendenziell größeres Schutzbedürfnis besteht, wären mit § 10 UWG nicht zu erfassen. Bedenklich ist weiterhin, dass nach dieser Ansicht die Gewinnabschöpfung von der Angemessenheit des Preises abhinge151. Angenommen, ein Unternehmer wirbt wegen nachlassender Umsätze beim Verkauf von Socken mit einer nach §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 4 UWG unzulässigen irreführenden Preisherabsetzung. Der ursprüngliche, angemessene und übliche Kaufpreis wird beibehalten. Wenn sich die Beworbenen nunmehr aufgrund der irreführenden Werbung zum Kauf entschließen, soll eine Gewinnabschöpfung ausgeschlossen sein, weil zwar ein Gewinn erzielt worden sei, nicht aber zu Lasten der Abnehmer152. Das überzeugt nicht, weil die Gewinnabschöpfung damit zu einem Instrument der Preiskontrolle umfunktioniert würde. § 5 Abs. 4 UWG verbietet nicht die Preisgestaltung, sondern das Erwecken des irreführenden Eindrucks einer Preisherabsetzung. Die Unlauterkeit entfällt nicht, wenn der herabgesetzte Preis »angemessen« oder sogar niedriger als der marktübliche Preis ist. Ob der ver149
Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 37 Rn. 10 a.E. Für das Bestehen eines Widerrufsrechts siehe BGH vom 7.5.1998, GRUR 1998, 1041 ff. – Verkaufsveranstaltung in Aussiederwohnheim. Der Fall betraf die Ausnutzung der geschäftlichen Unerfahrenheit von Aussiedlern, was nach heutigem Recht gemäß §§ 3, 4 Nr. 2 UWG unlauter wäre. 151 In Anlehnung an Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 10. 152 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 10. 150
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langte Preis angemessen, zu hoch oder zu niedrig ist, bleibt für die materiellrechtliche Beurteilung außer Betracht. Wäre die Gewinnabschöpfung im Beispielsfall davon abhängig, ob zugleich ein ungemessener Preis für die Socken verlangt würde, hätte dies zur Folge, dass nicht die Irreführung über die Preisherabsetzung sanktioniert wird, sondern in Wahrheit eine »fehlerhafte« Preisgestaltung des Unternehmers.
Schließlich darf man die Praktikabilität von § 10 UWG nicht aus den Augen verlieren. Wenn man eine Gewinnerzielung »zu Lasten« von Abnehmern nur bejaht, wenn ein konkret-individueller Vermögensnachteil in Form von nicht geltend gemachten Individualrechten vorliegt, dann muss das Bestehen solcher Individualrechte im Streitfall dargetan und bewiesen werden. Dies kann die Anspruchsberechtigten vor erhebliche Probleme stellen, weil die Voraussetzungen der Individualrechte für jeden Einzelfall nachgewiesen werden müssen. cc) Vermögensnachteil der Abnehmer bei typisierender Betrachtung Um das Problem des Nachweises konkret-individueller Vermögensnachteile zu entschärfen, soll nach verbreiteter Ansicht eine typisierende Betrachtung vorzunehmen sein. Eine Gewinnerzielung »zu Lasten« ist danach anzunehmen, wenn die unlautere Handlung prinzipiell geeignet ist, bei den Abnehmern Vermögensnachteile hervorzurufen153. Der Vorteil dieses Ansatzes liegt darin, dass die Anspruchsberechtigten von den schwierigen Einzelfallnachweisen individueller Nachteile der Abnehmer entlastet sind. Bei einer Irreführung über Eigenschaften eines Produkts käme es danach nicht auf den Nachweis an, dass das Produkt tatsächlich mangelhaft ist und damit Gewährleistungsansprüche der jeweiligen Käufer bestehen, sondern es würde ausreichen, wenn die Mangelhaftigkeit der beworbenen Sache aufgrund der Werbung nahe liegt oder jedenfalls wahrscheinlich ist. Das führt notwendigerweise zu einer gröberen Betrachtung und beinhaltet Unsicherheiten154. Es ist beispielsweise nicht ausgeschlossen, dass einzelne Abnehmer trotz der Täuschung mit der erworbenen Ware oder Dienstleistung zufrieden sind und daher selbst bei Bestehen von Individualrechten oder Individualansprüchen hiervon keinen Gebrauch machen. Weil es nicht auf das tatsächliche Bestehen von Individualrechten oder Individualansprüchen ankommt, ist es hiernach auch möglich, Marktakteure als Abnehmer erfassen, die nicht in direktem Geschäftskontakt mit dem Verletzer stehen155. Daher können, wenn man den Begriff des Abnehmers 153 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 60 ff.; Koch, in: jurisPK-UWG, § 10 Rn. 30; Loewenheim, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozeß, Kap. 74 Rn. 2; Mellulis, in: Gloy/Loschelder, Handbuch des Wettbewerbsrechts, § 26 Rn. 15; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 10 Rn. 8; Schmauß, Der Gewinnabschöpfungsanspruch von Verbänden in der Neufassung des § 10 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), S. 107 ff.; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 37 Rn. 10. Nach Fallgruppen differenzierend Bauer, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 122 ff. 154 Mellulis, in: Gloy/Loschelder, Handbuch des Wettbewerbsrechts, § 26 Rn. 15. 155 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 71; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 37 Rn. 9.
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entsprechend weit fasst, mit Hilfe von § 10 UWG auch unlautere Handlungen sanktioniert werden, die erst auf nachfolgenden Marktstufen ihre nachteiligen Wirkungen entfalten, ohne dass bürgerlichrechtliche oder deliktische Ansprüche der Abnehmer gegen den Verletzer gegeben sind. Als problematisch erweisen sich jedoch Konstellationen, in denen eine unlautere Handlung vorliegt, die Abnehmer aber rein rechnerisch keinen Vermögensnachteil erlitten haben. In diesen Fällen sind Leistung und Gegenleistung zwar angemessen, doch ohne die unlautere Handlung hätte der Betroffene den Vertrag wahrscheinlich nicht oder jedenfalls nicht mit diesem Inhalt geschlossen. Legt man die Gesetzesmaterialien zugrunde, müsste man einen Vermögensnachteil der Abnehmer und mithin eine Gewinnabschöpfung verneinen, wenn das erworbene Gut zu einem angemessenen Preis verkauft wurde, keine unnützen Aufwendungen entstanden sind und kein Fall der aufgedrängten Bereicherung vorliegt. Gerade die letztgenannten Kriterien lassen sich jedoch mit einer typisierenden Betrachtung kaum in Einklang bringen: Ob jemand vergebliche Aufwendungen vorgenommen hat oder ob eine aufgedrängte Bereicherung vorliegt, lässt sich nur unter Berücksichtigung des konkreten Einzelfalls ermitteln. Die Problematik kommt »zum Schwur«, wenn durch eine unlautere Handlung Erwartungen der Abnehmer enttäuscht werden156: Ein Unternehmer verkauft einen von ihm hergestellten Joghurt als »biologisch«157, obgleich es sich um ein gewöhnliches Industrieprodukt handelt. Angenommen, der Marktpreis für einen »echten« Bio-Joghurt betrage 80 Cent, der Preis für einen nicht biologisch hergestellten Joghurt dagegen 50 Cent. Wird nun der »falsche« Bio-Joghurt für 50 Cent verkauft, dann ist zweifelhaft, ob ein Vermögensnachteil der Abnehmer vorliegt. Sie erhalten zwar bloß normalen Joghurt, diesen jedoch zu einem für Joghurt dieser Art angemessenen Preis. Es liegen auch keine Aufwendungen vor, die ohne unlautere Handlung nicht angefallen wären, denn die an Joghurt interessierten Abnehmer hätten ja ohnehin Geld für das Lebensmittel ausgegeben. Allenfalls kann man fragen, ob die Abnehmer, weil es sich nicht um ein biologisch hergestelltes Produkt handelt, kein Interesse an dem Joghurt haben. Dies wird man aber wohl nur dann bejahen können, wenn das Produkt für die Abnehmer überhaupt nicht brauchbar ist. Folglich wäre der Verkauf des Joghurts für 60 oder 80 Cent durch § 10 UWG sanktionierbar, weil die Abnehmer einen Nachteil erlitten hätten. Anders dagegen bei einem Verkauf des Joghurts zu 50 Cent, weil die Abnehmer dann zwar ein anderes als das gewollte Produkt erhalten, aber zu einem »marktgerechten« Preis. Ein solches Ergebnis wird zu Recht als wenig einleuchtend empfunden. Es sei nicht einzusehen, kritisiert Micklitz, warum einem Gewerbetreibenden ein auf diese Weise erzielter Gewinn verbleiben solle158. Ein Käufer, der durch eine irreführende Angabe zum 156
Siehe auch das Beispiel von Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 60: Jemand verkauft eine gewöhnliche Glyzerincreme als Spezialhautcreme mit angeblich faltenglättender Wirkung um einen für (einfache) Glyzerincreme angemessenen Preis. Ähnlich das Beispiel von Krieger, BB 1978, 625, 627, wonach jemand einen deutschen Whiskey als schottischen Whisky ausgibt und diesen zu einem für deutsche Whiskeys angemessenen Preis verkauft. 157 Zur Werbung mit dem Zusatz »Bio«, »biologisch« und dergleichen siehe Bornkamm, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 5 Rn. 4.65 ff. 158 Micklitz, in: Münchener Kommentar, BGB, § 10 Rn. 122 a.E.
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
Erwerb einer Ware oder zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung veranlasst werde, die sich grundlegend von der beworbenen Ware oder Dienstleistung unterscheidet, ist auch dann schützenswert, wenn der Wert des erworbenen Guts dem gezahlten Preis entspricht159. Dagegen kann man nicht einwenden, dass solche Vorstellungen der Abnehmer lediglich immaterieller Natur sind. Entscheidend ist im vorliegenden Zusammenhang die Erkenntnis, dass Abnehmer bereit sind, für qualitativ gleichartige Produkte höchst unterschiedliche Preise zu bezahlen – jeweils in Abhängigkeit davon, welche zusätzlichen Motive durch den Kauf bedient werden. Häufig dominieren sogar diese zusätzlichen Aspekte, sodass der Erwerb der Ware oder Dienstleistung »als solcher« in den Hintergrund tritt und es den Nachfragern eigentlich darum geht, ein bestimmtes Lebensgefühl, soziales Prestige usw. zu erwerben. Dementsprechend wollen Abnehmer im genannten Beispielsfall nicht nur ein »an sich« für Ernährungszwecke taugliches Produkt erwerben, sondern sie wollen ihre Mittel gezielt einsetzen, um mit einem Erwerbsvorgang spezifische Motive zu befriedigen. Dazu gehört das »gute Gefühl«, ein Produkt zu erwerben, das die Kriterien einer »biologischen« Herstellung160 einhält. Im JoghurtFall geht es demzufolge nicht allein darum, einen Joghurt zu Ernährungszwecken zu erwerben, sondern der Abnehmer möchte einen Joghurt erwerben, der biologisch hergestellt ist, der also besondere Merkmale aufweist, die für seine Kaufentscheidung maßgeblich sind. Erwerben Abnehmer ein Produkt, das ihre durch die Werbung geweckten Erwartungen enttäuscht, führt dies zu einer Fehlallokation der Mittel, weil die Abnehmer in Kenntnis der Sachlage ihr Geld zum Erwerb eines anderen Produkts eingesetzt hätten. Schon in diesem Fehleinsatz der Mittel könnte man einen relevanten Vermögensnachteil sehen.
Zur Bewältigung dieser Probleme wird im Schrifttum eine Parallele zum Schadensrecht angedacht161. Denn in bestimmten Konstellationen wird das Eingehen einer vertraglichen Bindung als ein Schaden angesehen. Auch das OLG Stuttgart deutet in seiner Entscheidung zu § 10 UWG einen solchen Weg an162. Allerdings ist zweifelhaft, wie tragfähig diese schadensrechtliche Parallele ist. Sofern z.B. bei der Prospekthaftung schon das Eingehen eines Vertrags als Schaden angesehen wird163, beruht diese Annahme auf dem besonderen Risiko, das von dem Vertragsgegenstand ausgeht. Wertpapiere, Anlagen, Beteiligungen, Investitionsmodelle usw. sind Güter, denen typischerweise ein besonderes Vermögensrisiko immanent ist, weil die künftige Wertentwicklung schwer abzuschätzen ist und der Erwerber gerade nur ein bestimmtes Risiko in Kauf nehmen will. Unlauter zustande gebrachte Verträge beinhalten ein solches besonderes Vermögensrisiko nicht. Zudem muss beachtet werden, dass der BGH im Hinblick auf die Abgren159 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 60; Micklitz, in: Münchener Kommentar, BGB, § 10 Rn. 122; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 178. 160 Siehe die VO 2092/91 vom 24.6.1991. 161 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 61; eingehend Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 107 ff. 162 OLG Stuttgart vom 2.11.2006, WRP 2007, 350, 353 unter Hinweis auf BGH vom 8.3.2005, BGHZ 162, 306 ff. 163 Dazu näher BGH vom 26.9.1991, BGHZ 115, 213, 221 m.w.Nachw.
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zung zwischen der Täuschungsanfechtung und der Vertragsauflösung im Wege der vorvertraglichen Verschuldenshaftung gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB stets daran festgehalten hat, dass nicht der Vertragsschluss an sich als Schaden anzusehen164. dd) Verzicht auf das Erfordernis eines Vermögensnachteils Ein Teil des Schrifttums verzichtet auf das Erfordernis eines Vermögensnachteils bei den Abnehmern und entgeht damit den angesprochenen Problemen165. Ein Gewinn ist danach »zu Lasten« von Abnehmern erzielt, wenn eine Verletzung lauterkeitsrechtlich geschützter Interessen der Abnehmer vorliegt166. Diese Ansicht geht zurück auf erste Überlegungen zum Merkmal »auf Kosten« im Regierungsentwurf167. Im bereicherungsrechtlichen Sinne wird die Wendung »auf Kosten« von der herrschenden Meinung dahingehend verstanden, dass in den Zuweisungsgehalt einer individuellen Rechtsposition eingegriffen worden sein muss. Wann eine Rechtsposition einen Zuweisungsgehalt aufweist und nach welchen Kriterien der Zuweisungsgehalt zu bestimmen ist, gehört zu den zentralen Fragen des Bereicherungsrechts168. Man kann die bereicherungsrechtliche Diskussion in ihrer gesamten Komplexität nicht »nahtlos« auf das Lauterkeitsrecht übertragen, weil mit unlauteren Handlungen in der Regel gerade nicht in individuelle Rechte der Abnehmer eingegriffen wird, die einen Zuweisungsgehalt im bereicherungsrechtlichen Sinne aufweisen. Gleichwohl hätte man im Ansatz den Gedanken fruchtbar machen können, dass eine Bereicherung »auf Kosten« anzunehmen ist, wenn in einen deliktisch geschützten Interessenkreis eingegriffen wird169. Übertragen auf das Lauterkeitsrecht hätte man eine Gewinnerzielung »auf Kosten« bejahen können, wenn die Abnehmer durch die unlautere Handlung in der ihnen auf dem Markt im Wettbewerb zukommenden Funktion beeinträchtigt werden170. Obgleich der Gesetzgeber an dem Merkmal »auf Kosten« nicht festgehalten hat, wurden diese Überlegungen aufgegriffen auf die Wendung »zu Lasten« über164 BGH vom 19.12.1997, NJW 1998, 898, 899; BGH vom 26.9.1997, NJW 1998, 302, 304; siehe dazu auch Alexander, Vertrag und unlauterer Wettbewerb, S. 136 ff. 165 So bereits zum Referentenentwurf des Gewinnabschöpfungsanspruchs Alexander, WRP 2004, 407, 417 f. Diesen Überlegungen für den geltenden § 10 UWG folgend: Gärtner, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 147 ff.; ders., GRUR Int. 2008, 817, 820 f.; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 177 ff. 166 Alexander, WRP 2004, 407, 418; Gärtner, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 152; ders., GRUR Int. 2008, 817, 821; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 177. 167 Alexander, WRP 2004, 407, 418. 168 Statt vieler: Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, § 69 I 1 c, S. 170 ff.; von Caemmerer, in: Festschrift für Rabel, S. 333, 353 ff. = Gesammelte Schriften, Bd. I, S. 209, 229 ff. 169 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, § 69 I 1 c, S. 170 f. Siehe auch Kleinheyer, JZ 1970, 471, 475, wonach ein bereicherungsrechtlicher Anspruch bei Eingriffen in Rechtspositionen in Betracht kommt, wenn sich der Inhaber dieser Rechtsposition gegen Zugriffe mit Hilfe eines Unterlassungsanspruches zur Wehr setzen kann. 170 Alexander, WRP 2004, 407, 418.
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tragen171. Das Merkmal »zu Lasten« sei begrifflich weniger festgelegt und könne deswegen freier interpretiert werden. Entscheidend sei, dass der Abnehmer im Wettbewerb als eine Art »Schiedsrichter« fungiere und gerade in dieser Funktion in seinen Interessen geschützt werden müsse. Die danach geschützten Interessen können, müssen aber keinen unmittelbaren Vermögensbezug aufweisen172. Ähnlich will Neuberger das Tatbestandsmerkmal »zu Lasten« als negative Abgrenzung zu unlauteren Handlungen verstehen, bei denen der Verletzer Gewinn »auf Kosten« der Mitbewerber erzielt wird173. Da es in solchen Fällen um die Verletzung von Individualinteressen der Mitbewerber geht, folge daraus im Umkehrschluss, dass nach Neuberger § 10 UWG immer dann anzuwenden ist, wenn Abnehmerinteressen betroffen sind. Micklitz hält die Anknüpfung an einen Vermögensnachteil der Abnehmer ebenfalls für nicht sachgerecht. Er spricht dem Vermögensnachteil als Kriterium allenfalls sekundäre Bedeutung zu174. Micklitz will ein »weiteres Verständnis« des Begriffs »zu Lasten« zugrunde legen, das von einer rein wirtschaftlichen Betrachtung losgelöst sei175. Allerdings lässt er letztendlich offen, welche Bedeutung er dem Merkmal »zu Lasten« beimessen will. Schwer verständlich bleibt zudem, warum Micklitz methodisch eine teleologische Reduktion des Tatbestandsmerkmals »zu Lasten« befürwortet176. 3. Stellungnahme Die dogmatische Funktion des Merkmals »zu Lasten« besteht darin, eine spezielle Verbindung zwischen dem Unrechtsgewinn des Verletzers und der materiellrechtlichen Schutzebene herzustellen. Nicht ein Unrechtsgewinn als solcher unterliegt einer Abschöpfung nach § 10 UWG, sondern nur ein Unrechtsgewinn, der auf einer spezifischen Beeinträchtigung der Abnehmer beruht. Eine solche spezifische Beeinträchtigung liegt bereits dann vor, wenn die Zuwiderhandlung lauterkeitsrechtlich geschützte Interessen der Abnehmer verletzt. Eine vermögensbezogene Schlechterstellung der Abnehmer ist dabei nicht erforderlich. Es genügt eine wirtschaftliche Schlechterstellung der Abnehmer, die schon dann anzunehmen ist, wenn wirtschaftliche Interessen der Abnehmer durch eine unlautere Handlung beeinträchtigt werden. a) Kein Vermögensnachteil erforderlich Entgegen der herrschenden Meinung verlangt das Merkmal »zu Lasten« keinen Vermögensbezug. Zwar ist in den Materialien von einer wirtschaftlichen Schlech171
Gärtner, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 147 ff.; ders., GRUR Int. 2008, 817, 820 f.; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 177 ff. 172 Von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 177. 173 Neuberger, Der wettbewerbsrechtliche Gewinnabschöpfungsanspruch im europäischen Rechtsvergleich, S. 106. 174 Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 120. 175 Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 123. 176 Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 123.
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terstellung der Abnehmer die Rede177. Eine wirtschaftliche Schlechterstellung muss aber keineswegs nur im (engen) Sinne eines Vermögensnachteils zu verstehen sein. Einen wichtigen Fingerzeig gibt hierzu das Gemeinschaftsrecht. Die RL 2005/29/EG schützt erklärtermaßen die »wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher« und mittelbar die »wirtschaftlichen Interessen rechtmäßig handelnder Mitbewerber«178. Aus dem Regelungsinhalt der Richtlinie ergibt sich, dass mit diesen wirtschaftlichen Interessen nicht allein vermögensbezogene Interessen gemeint sind. Art. 8 und 9 der Richtlinie schützen beispielsweise Verbraucher vor Beeinträchtigungen durch aggressive Geschäftspraktiken, ohne dass es dabei darauf ankommt, ob neben der Entscheidungs- und Verhaltensfreiheit des Verbrauchers179 zugleich deren Vermögensinteressen tangiert werden. Es genügt vielmehr, wenn die »Wahlfreiheit des Verbrauchers« wesentlich beeinträchtigt wird180. Gegen einen Vermögensbezug spricht weiterhin, dass sich der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren vom Erfordernis eines Schadens der Abnehmer abgewendet hat. Schon mit dem Merkmal »auf Kosten« im Referentenentwurf kam deutlich zum Ausdruck, dass die Gewinnabschöpfung nicht allein auf unlautere Handlungen ausgerichtet sein sollte, bei denen Vermögensnachteile in Form von privatrechtlichen Schäden eintreten. Es bleibt damit die Überlegung, dass ein Vermögensnachteil der Abnehmer zumindest als ein mit dem erzielten Gewinn des Verletzers korrespondierendes Element erforderlich sein könnte. Doch auch diese Erwägung ist nicht zwingend. Denn der Vermögensnachteil von Abnehmern muss sich nicht automatisch in Form eines Gewinns beim Verletzer niederschlagen. Vielmehr handelt es sich bei etwaigen Nachteilen der Abnehmer und dem Gewinn des Verletzers um unterschiedliche Größen, die zwar übereinstimmen können, aber nicht zwangsläufig deckungsgleich sein müssen. Ob eine solche Deckungsgleichheit besteht, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, die mit der konkreten unlauteren Handlung nur bedingt etwas zu tun haben. Damit ließe sich ein Vermögensbezug nur noch mit der Erwägung rechtfertigen, dass § 10 Abs. 1 UWG gerade auf den Schutz von Vermögensinteressen ausgerichtet ist. Einen solchen Schluss lässt jedoch der Tatbestand des Gewinnabschöpfungsanspruchs nicht zu. § 10 UWG ist nicht auf bestimmte unlautere Handlungen beschränkt, sondern erfasst sämtliche Zuwiderhandlungen gegen §§ 3 und 7 UWG. Spätestens durch die ausdrückliche Erwähnung von § 7 UWG im Haftungstatbestand des § 10 Abs. 1 UWG wurde deutlich, dass der Gewinnabschöpfungsanspruch auch bei unlauteren Handlungen eingreifen kann, bei denen nicht zwingend Vermögensinteressen beeinträchtigt werden. Denn § 7 UWG dient dem Schutz der privaten und beruflichen Sphäre vor Eingriffen und 177 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 24; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss), BT-Drucks. 15/2795, S. 21. 178 Erw. 6 RL 2005/29/EG. 179 Art. 8 RL 2005/29/EG. 180 Erw. 16 RL 2005/29/EG.
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Störungen sowie dem Schutz der Entscheidungsfreiheit von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern, nicht aber dem Schutz von Vermögensinteressen181. Hätte der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des Gewinnabschöpfungsanspruchs auf Verletzungen bestimmter, nämlich vermögensbezogener Interessen beschränken wollen, dann hätte in § 10 Abs. 1 UWG eine von §§ 8 Abs. 1 und 9 S. 1 UWG abweichende Formulierung gewählt werden müssen. Die einheitliche Ausgestaltung der Tatbestände der Sanktionen lässt hingegen im Wege der systematischen Auslegung nur den Schluss zu, dass § 10 Abs. 1 UWG prinzipiell bei allen unlauteren Handlungen Anwendung finden kann, die Abnehmerinteressen tangieren. Der Schutz des Vermögens bildet lediglich einen Ausschnitt aus der Vielzahl lauterkeitsrechtlich geschützter Interessen. Dann aber ist es nur folgerichtig, wenn auf Sanktionsebene keine künstliche Aufspaltung nach Vermögensinteressen und sonstigen Interessen der Abnehmer vorgenommen wird. Sieht man den Sanktionszweck von § 10 UWG in einer Korrektur von Marktmechanismen, dann kann es nicht darauf ankommen, ob der Gewinn auf die Nichtgeltendmachung von bestehenden Individualrechten zurückzuführen ist, ob mit dem Vertrag Erwartungen des Abnehmers erfüllt werden, ob er die erworbene Ware oder Dienstleitung haben will oder ob sie ihren Preis wert ist. Vielmehr muss das Tatbestandsmerkmal »zu Lasten« autonom ausgelegt werden. b) Keine unmittelbare Vermögensverschiebung erforderlich Hält man aufseiten der Abnehmer einen Vermögensnachteil nicht für erforderlich, dann kann es folgerichtig nicht darauf ankommen, ob der Gewinn des Verletzers unmittelbar auf einem Vermögensnachteil der Abnehmer beruht. Vielmehr genügt es, wenn zwischen dem Gewinn des Unternehmers und der Benachteiligung der Abnehmer ein kausaler Zusammenhang besteht182. Verlangt man keinen direkten Vermögenszufluss, dann ist es unproblematisch möglich, § 10 UWG anzuwenden, wenn der Unrechtsgewinn des Verletzers z.B. auf einer rechtswidrigen Ersparnis von Aufwendungen beruht. Eine solche Kostenersparnis ist als eine Gewinnerzielung »zu Lasten« von Abnehmern anzusehen, wenn der Unternehmer die eingesparten Kosten zugunsten einer Vielzahl von Abnehmern hätte aufwenden müssen. Beispielhaft zu denken ist insbesondere an Kosteneinsparungen, die ein Unternehmer dadurch erzielt, dass er Abnehmern lauterkeitsrechtlich gebotene Informationen vorenthält. Täuscht der Unternehmer die Abnehmer, indem er gemäß § 5a Abs. 2 UWG wesentliche Informationen unterlässt, dann kann sich ein Unrechtsgewinn daraus ergeben, dass der Unternehmer die Kosten für das Zurverfügungstellen der Informationen erspart.
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Eingehend zu den Schutzzwecken des § 7 UWG Burmeister, Belästigung als Wettbewerbsverstoß, S. 37 ff. m.w.Nachw. 182 Dazu sogleich im Text unter IV. 2., S. 548 ff.
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c) Beeinträchtigung von lauterkeitsrechtlich geschützten Abnehmerinteressen Bei den geschützten Interessen der Abnehmer kann es sich um Vermögensinteressen handeln, sodass nach der hier vertretenen Ansicht unproblematisch alle Konstellationen sicher erfasst werden können, in denen bei individuell-konkreter oder typisierender Betrachtung ein Vermögensnachteil vorliegt. Allerdings ist der Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 UWG darüber hinaus auf solche Konstellationen zu erstrecken, in denen es nicht oder zumindest nicht vordergründig um den Schutz von Vermögensinteressen geht. Welche Abnehmerinteressen im Einzelnen geschützt sein können, entzieht sich einer abschließenden Festlegung. In den amtlichen Materialien und im Schrifttum werden verschiedene Fallgruppen aufgeführt, in denen eine Gewinnabschöpfung in Betracht kommen soll. In den amtlichen Erläuterungen werden beispielsweise genannt das Einziehen geringer Beträge ohne Rechtsgrund, Vertragsschlüsse aufgrund irreführender Werbung, gefälschte Produkte und Mogelpackungen183. Die Literatur hat diese Fallgruppen aufgegriffen und zum Teil ergänzt und erweitert. Goldmann etwa differenziert in Anlehnung an das Gutachten Micklitz und Stadler184 zwischen unmittelbaren und mittelbaren Benachteiligungen der Verbraucher, der Irreführung durch Werbung und dem unlauteren und belästigenden Direktmarketing185. Ähnliche Fallgruppenbildungen nehmen Micklitz186 und von Braunmühl187 vor. Weitere Fallgruppen finden sich bei Neuberger188 und Bauer189. Solche Fallgruppen sind anschaulich, aber nur begrenzt aussagekräftig. Denn jede Fallgruppe muss vor dem Hintergrund des zugrunde liegenden Verständnisses des Tatbestandsmerkmals »zu Lasten« gesehen werden. Zielführender ist es, anhand der jeweiligen Unlauterkeitstatbestände danach zu fragen, aus welchen Gründen eine bestimmte Verhaltensweise im Wettbewerb als unlauter beurteilt wird. Grundsätzlich verlangt jedes lauterkeitsrechtliche Verbot Klarheit darüber, aus welchen Gründen ein bestimmtes Verhalten im Wettbewerb von der Rechtsordnung missbilligt und untersagt wird. Weil Lauterkeitsrecht auf die Einschränkung unternehmerischer Handlungsmöglichkeiten im Wettbewerb zielt, ist es unumgänglich, diese Freiheitsbeschränkung sachlich zu legitimieren190. Einschränkungen der Handlungsfreiheit und mithin auch lauterkeitsrechtliche Ver183
BT-Drucks. 15/1487, S. 23. Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 25 ff. 185 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 22 ff. 186 Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 98 ff. 187 Von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 188 ff. 188 Neuberger, Der wettbewerbsrechtliche Gewinnabschöpfungsanspruch im europäischen Rechtsvergleich, S. 68 ff. 189 Bauer, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 122 ff. 190 »Nicht etwa muss sich Wettbewerbshandeln in seiner jeweils konkreten Erscheinungsform rechtfertigen. Unzulässigkeit von Wettbewerbshandeln ist in einem freiheitlichen Wettbewerbskonzept vielmehr die Ausnahme, die ihrerseits einer (ordnungspolitischen) Begründung bedarf«, Schünemann in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 1 Rn. 54 f. 184
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
bote ziehen ihre Legitimation aus dem Schutz von Interessen, die generell oder im konkreten Fall das Interesse frei handeln zu können, überwiegen. Für das Lauterkeitsrecht ist mithin stets erforderlich, mit dem Offenlegen der geschützten Interessen zu begründen, warum diese Interessen ein Verbot bestimmter unternehmerischer Tätigkeit im Wettbewerb rechtfertigen. Für § 10 Abs. 1 UWG bedarf diese interessenbezogene Vorgehensweise einer weiteren Präzisierung. Denn die Gewinnabschöpfung greift aufgrund ihrer absatzbezogenen Zielsetzung nur ein, wenn die Unlauterkeit der Handlung gerade aus Gründen des Schutzes von Abnehmern erfolgt. Dabei dürfen die Interessen der Abnehmer nicht einfach gleichgesetzt werden mit den lauterkeitsrechtlich geschützten Interessen der Verbraucher191 oder der sonstigen Marktteilnehmer192. Denn als Abnehmer kommen neben Privatpersonen auch Unternehmer, Verbände usw. in Betracht. Dementsprechend heterogen können die lauterkeitsrechtlich relevanten Schutzinteressen im Rahmen des § 10 UWG sein. Eine enumerative Aufzählung der lauterkeitsrechtlich geschützten Interessen von Abnehmern liefe auf den Versuch hinaus, sämtliche unlauteren Handlungen abschließend nennen und regeln zu wollen. So vielfältig und wandelbar das Wettbewerbsgeschehen ist, so vielfältig und wandelbar sind die Interessen der Abnehmer und mit ihnen das Bedürfnis nach einem rechtlichen Schutz dieser Interessen. Gleichwohl folgt daraus nicht, dass die geschützten Interessen der Abnehmer sich per se jeder Charakterisierung entziehen. Als wirtschaftliche Interessen der Abnehmer geschützt sind all jene Interessen, die den Abnehmern in ihrer speziellen Marktrolle als Nachfrager im Wettbewerb gemeinsam sind. In funktionaler Hinsicht zielt dies auf die Rolle der Nachfrager als »Schiedsrichter« im Wettbewerb. Die Entscheidung der Nachfrager im Wettbewerb bestimmt im Einzelnen darüber, welchen Angeboten im Wettbewerb wirtschaftlicher Erfolg beschieden ist und gewährleistet damit insgesamt die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs193. Indem das Gesetz in § 10 Abs. 1 UWG nur auf die Abnehmer abstellt und nur eine Gewinnerzielung zu ihren Lasten als tatbestandserheblich anerkennt, bringt es zum Ausdruck, dass gerade die Entscheidung der Nachfrager im Wettbewerb dem besonderen Schutz durch den Abschöpfungsanspruch 191 Dazu im Einzelnen Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 13 Rn. 48 ff.; ders., Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht, S. 121; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/ Bornkamm, UWG, § 1 Rn. 12 ff.; Schünemann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 1 Rn. 56 ff. 192 Vielfach können sich die Interessen von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern überschneiden, gleichwohl gibt es Abweichungen, siehe nur Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 23 Rn. 20 ff.; Schünemann, in: Großkommentar, UWG, Einl. Rn. C 18; ders. WRP 2004, 925, 932 f. 193 »Die Art und Weise, wie der Kunde diese seine Willens- und Entscheidungstätigkeit ausübt, ist also entscheidend dafür, einmal in welcher Richtung sich die wirtschaftlichen Anstrengungen der Unternehmer in ihrer Gesamtheit bewegen, und ferner, welchen Platz jeder einzelne Unternehmer im wirtschaftlichen Berufsleben einnimmt«, Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, S. 274; zur »Schiedsrichterfunktion« der Abnehmer im Wettbewerb siehe auch Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 2 Rn. 10. Kritisch aber Schünemann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 1 Rn. 22; ders., Lauterkeitsrecht im Umbruch, S. 41, 52 ff.
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unterliegt. Weil die Entscheidung für oder gegen die Angebote auf dem Markt ein Kernelement des Wettbewerbsgeschehens bildet, werden die Abnehmer zwar im Hinblick auf diese spezielle Funktion, aber als grundsätzlich äquivalente Akteure im Wettbewerb geschützt.
IV. Gewinn Gemäß § 10 Abs. 1 UWG ist der Gewinn abzuschöpfen, der vom Verletzer zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern erzielt wurde. Dem Gewinn kommt innerhalb des Anspruchs auf Gewinnabschöpfung eine Doppelfunktion zu. Zum einen bildet der Gewinn des Verletzers ein Element des Haftungstatbestandes. Ohne erzielten Gewinn entfällt die rechtliche Legitimation für eine Abschöpfung. Zum anderen kennzeichnet der Gewinn den maßgeblichen Anspruchsinhalt. Abzuschöpfen ist gemäß § 10 Abs. 1 UWG der Gewinn, den der Verletzer mit der unlauteren Handlung erzielt hat. Dabei ist allerdings zu beachten, dass der herauszugebende Gewinn um bestimmte Zahlungen gemäß § 10 Abs. 2 UWG zu bereinigen ist. Es ist also möglich, dass der Verletzer zwar einen Gewinn zu Lasten von Abnehmern erwirtschaftet hat, sodass der Haftungstatbestand von § 10 Abs. 1 UWG erfüllt ist, der Verletzer aber keinen Gewinn herausgeben muss, weil sein Unrechtsgewinn, z.B. durch Zahlungen an Dritte, vollständig aufgezehrt wurde. Der Gewinn auf Tatbestandsseite muss daher nicht zwingend dem Gewinn entsprechen, der vom Verletzer herauszugeben ist194. 1. Ausgangsfragen Der Begriff des Gewinns ist schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mehrdeutig und findet innerhalb der Rechtsordnung in unterschiedlichen Zusammenhängen Verwendung. Das Steuerrecht enthält beispielsweise in § 4 EStG eine eingehende Regelung zum Gewinn. Das bürgerliche Recht unterscheidet zwischen (entgangenen) Gewinnen als Schadensposten gemäß § 252 BGB und der Zusage von Gewinnen im Sinne von § 661a BGB195. Im betriebswirtschaftlichen Sinne meint Gewinn die positive Differenz zwischen Ertrag und Aufwand196. a) Abgrenzung aa) Wirtschaftlicher Vorteil Aus der klaren Unterscheidung zwischen Gewinn in § 10 UWG und wirtschaftlichem Vorteil in § 34a GWB ist zu folgern, dass der Gesetzgeber bewusst diese 194
Anders von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 201, der von inhaltlicher Kongruenz aus-
geht. 195 Ähnlich ist im Lauterkeitsrecht zu unterscheiden zwischen Spielen, bei denen den Teilnehmern ein Gewinn winkt (§ 4 Nr. 5 und 6 UWG) und zwischen dem Gewinn im Sinne von § 10 Abs. 1 UWG. 196 Wöhe, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 54.
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
abweichenden Formulierungen verwendet hat und damit der Gegenstand der Abschöpfung in beiden Fällen nicht identisch ist. Der kartellrechtliche Begriff des wirtschaftlichen Vorteils wurde im Zuge der siebten GWB-Novelle vereinheitlicht, ist aber dem Lauterkeitsrecht fremd. Dies schließt es aus, Gewinn und wirtschaftlichen Vorteil synonym zu verstehen und damit die im Kartellrecht geltenden Grundsätze, die ihrerseits aus dem Recht der Ordnungswidrigkeiten stammen, kurzerhand auf das Lauterkeitsrecht zu übertragen197. bb) Mehrerlös Der Gesetzgeber ist nicht dem Entwurf von Köhler, Bornkamm und HenningBodewig198 gefolgt, die für bestimmte unlautere Handlungen eine Abschöpfung des Mehrerlöses vorgeschlagen hatten199. Dieser Entwurf orientierte sich an dem kartellrechtlichen Begriff des Mehrerlöses200. Zwischen Gewinn und Mehrerlös muss strikt unterschieden werden. Der Gewinn betrifft den tatsächlichen Überschuss der Einnahmen gegenüber den Ausgaben. Zur Bestimmung des Mehrerlöses ist dagegen auf das hypothetisch rechtmäßige Verhalten abzustellen und nach der Differenz zwischen den aufgrund des Rechtsverstoßes erzielten tatsächlichen Einnahmen und den Einnahmen, die das Unternehmen im gleichen Zeitraum ohne die rechtswidrige Handlung erzielt hätte, zu fragen201. Dass der Gesetzgeber in § 10 Abs. 1 UWG nicht den Begriff des Mehrerlöses gewählt hat, sondern von Gewinn spricht, deutet bereits auf begrifflicher Ebene an, dass bei der Gewinnermittlung hypothetische Erwägungen hinsichtlich eines etwaigen rechtmäßigen Gewinnanteils außer Betracht zu bleiben haben. b) Berechnungsgrundsätze Der Gewinn steht nicht als ein außerrechtliches Faktum fest, sondern Gewinn und Gewinnermittlung unterliegen in vergleichbarer Weise rechtlichen Maßstäben wie etwa die Schadensberechnung. Die maßgeblichen Kriterien müssen der Norm, die den Gewinn als Bezugspunkt wählt, entnommen werden. Welche Kosten bei der Gewinnberechnung Berücksichtigung finden müssen, ist eine genuin juristische Fragestellung. Beispielsweise wäre es nicht sachgerecht, für die Gewinnberechnung im Rahmen von § 10 UWG sämtliche Erträge eines Unternehmens innerhalb einer bestimmten Periode zu berücksichtigen, etwa auch Erträge aus Spekulationsgewinnen. Denn ein solcher Wertzuwachs, selbst wenn 197 Rechtspolitisch hält Gärtner, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 118 f., allerdings eine Übernahme des wirtschaftlichen Vorteils nach kartellrechtlichem Vorbild in das UWG für wünschenswert. 198 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig, WRP 2002, 1317 ff. 199 Siehe § 9 Abs. 2 des Entwurfes von Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig, WRP 2002, 1317, 1322. 200 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig, WRP 2002, 1317, 1327. 201 Albuschkat, WRP 1976, 666 ff.; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB (3. Aufl. 2001), § 34 Rn. 11; Erlinghagen/Zippel, DB 1974, 953 ff.
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man diesen im betriebswirtschaftlichen Sinne bei der Gewinnermittlung berücksichtigen müsste202, hat mit der rechtlich missbilligten Handlung nichts zu tun. Daher wäre ein Zugriff auf solche Unternehmensvorteile vom Sanktionszweck des Gewinnabschöpfungsanspruchs nicht gedeckt. § 10 UWG gibt zur Gewinnermittlung keine näheren Anhaltspunkte. In § 10 Abs. 2 UWG legt das Gesetz lediglich fest, dass bestimmte Zahlungen des Verletzers an Dritte auf den Gewinn anzurechnen sind. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt allerdings voraus, dass der Gewinn des Verletzers bereits ermittelt wurde. Es ist also zwischen der eigentlichen Gewinnermittlung und zwischen der »Bereinigung« dieses Gewinns gemäß § 10 Abs. 2 UWG zu unterscheiden. In den amtlichen Materialien203 heißt es zur Ermittlung des Gewinns: »Der Gewinn errechnet sich aus den Umsatzerlösen abzüglich der Herstellungskosten der erbrachten Leistungen sowie abzüglich eventuell angefallener Betriebskosten. Gemeinkosten und sonstige betriebliche Aufwendungen, die auch ohne das wettbewerbswidrige Verhalten angefallen wären, sind nicht abzugsfähig. Ist die Höhe des Gewinns streitig, so gilt die Vorschrift des § 287 ZPO«204.
Diese Äußerungen lassen darauf schließen, dass der Gesetzgeber die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Berechnung des Verletzergewinns im Rahmen der dreifachen Schadensberechnung205 vor Augen hatte. Obgleich Gewinnabschöpfung und Herausgabe des Verletzergewinns auf unterschiedlichen Konzeptionen beruhen206, ist eine Orientierung an diesen schadensrechtlichen Grundsätzen im Rahmen von § 10 UWG zu befürworten207. Hierfür spricht, dass die Herausgabe des Verletzergewinns und die Gewinnabschöpfung vergleichbare Sanktionszwecke verfolgen und somit die schadensrechtlichen Kriterien und Wertungen auf die Gewinnabschöpfung übertragen werden können. Diese Nähe der Sanktionszwecke kommt deutlich zum Ausdruck, wenn die Rechtsprechung betont, dass die Herausgabe des Verletzergewinns maßgeblich vom Gedanken der Prävention beeinflusst wird208. Für eine Parallele spricht weiterhin die Praktikabilität der Rechtsanwendung. Die Rechtsprechung zur Ermittlung des Verletzergewinns kann als Leitbild und Orientierungsmaßstab dienen und zur Transparenz der Rechtsanwendung beitragen. Unternehmen müssen keine Willkür fürchten, weil die Gerichte – worauf von Braunmühl mit Recht hinweist – auf eine über Jahrzehnte gefestigte Rechtsprechung zurückgreifen 202
Wöhe, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 54, 814 ff. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 24. 204 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 24. 205 Zu den Einzelheiten oben § 4. D. II. 4. c) cc) (2), S. 265 ff. 206 Bauer, Der Gewinnabschöpfungsanspruch der Verbände nach § 10 UWG, S. 160 f. 207 Bauer, Der Gewinnabschöpfungsanspruch der Verbände nach § 10 UWG, S. 160 ff.; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 99; Mellulis, in: Gloy/Loschelder, Handbuch des Wettbewerbsrecht, § 26 Rn. 10; Säcker, Die Einordnung der Verbandsklage in das System des Privatrechts, Rn. 89; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 204. 208 BGH vom 2.11.2000, BGHZ 134, 366, 372 – Gemeinkostenanteil. 203
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
können und erfahrungsgemäß von ihrer Möglichkeit, gemäß § 287 ZPO Gewinn zu schätzen, sehr vorsichtig Gebrauch machen209. 2. Zusammenhang zwischen Zuwiderhandlung und Gewinnerzielung a) Kausalität und Zurechenbarkeit Zwischen dem zu Lasten der Abnehmer erzielten Gewinn und der Zuwiderhandlung gegen § 3 oder § 7 UWG muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität treffen dabei zusammen, weil der Gewinn einen Bestandteil des Tatbestands bildet und zugleich den Anspruchsinhalt beschreibt. Mit dem Kausalitätserfordernis kommt das Rechtsprinzip zum Ausdruck, dass eine Person für bestimmte, von der Rechtsordnung missbilligte Erfolge nur dann haftbar gemacht werden kann, wenn diese Folgen in irgendeiner Weise auf diese Person zurückgeführt werden können. Erforderlich ist also eine besondere – etwa durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse belegte oder durch juristische Wertungen begründete – Beziehung zwischen der haftungsauslösenden Handlung und den Haftungsfolgen. Kausalzusammenhang und Zurechenbarkeit erfüllen bei der deliktischen Schadensersatzhaftung zudem wichtige Korrektivfunktionen, um eine ausufernde Schadensersatzpflicht zu verhindern210. Im Rahmen der Gewinnabschöpfung kommt der Korrektivfunktion nur geringere Bedeutung zu, weil sich der Anspruchsumfang nicht an fremden Nachteilen bemisst, sondern allein an dem vom Verletzer selbst erzielten Vorteil. Deswegen können an den Kausalitätsnachweis im Rahmen von § 10 Abs. 1 UWG geringere Anforderungen gestellt werden als an den Kausalitätsnachweis im Rahmen einer deliktischen Schadensersatzhaftung. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob der Gewinn – dem Gedanken der Lehre von der adäquaten Kausalität211 und den Adäquanzformeln der Rechtsprechung folgend212 – nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwarten war213. Selbst wenn es nämlich ganz unwahrscheinlich ist, dass der Verletzer mit einer unlauteren Handlung Gewinn erzielt, muss ein Gewinn, der mit dieser Handlung tatsächlich erzielt wurde, der Abschöpfung unterliegen. Denn eine unlautere Handlung zum Nachteil von Ab209
Von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 212. Siehe nur von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. II, Rn. 411 ff.; speziell zur Lehre vom adäquaten Kausalzusammenhang Lange, AcP 156 (1957), 114 ff. 211 Siehe nur Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 3 VI, S. 82 ff; kritisch Lange, AcP 156 (1957), 114 ff. 212 Besonders verbreitet ist die Formel, wonach eine Bedingung dann adäquat ist, wenn das Ereignis im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg dieser Art herbeizuführen«, siehe etwa BGH vom 24.4.1952, NJW 1952, 1010, 1011; BGH vom 25.9.1952, BGHZ 7, 198, 204; BGH vom 14.10.1971, BGHZ 57, 137, 141; BGH vom 9.10.1997, NJW 1998, 138, 140. 213 Gärtner, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 123 f.; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 207. 210
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nehmern wird nicht weniger gefährlich, wenn sie für den Unternehmer mit großen wirtschaftlichen Risiken verbunden ist und die Gewinnaussichten deshalb ungewiss sind. Zudem wäre nicht zu erklären, warum die Rechtsordnung risikoreiche Handlungen, mit denen der Unternehmer Abnehmerinteressen beeinträchtigt, letztlich eben doch belohnt, wenn sie sich als ertragreich erweisen. Trotz geringerer Anforderungen ist ein Kausalzusammenhang dem Grunde nach nicht entbehrlich. Denn das Ziel der Abschöpfung besteht nicht in einer irgendwie gearteten Entreicherung eines Verletzers, sondern in einem Entzug derjenigen Vorteile, die gerade unter Verstoß gegen die Regeln des lauteren Wettbewerbs erzielt wurden. Der vom Verletzer erzielte Gewinn muss dementsprechend auf die Verletzung der lauterkeitsrechtlich geschützten Interessen der Abnehmer zurückzuführen sein und darf nicht auf sonstigen Umständen beruhen, die mit der unlauteren Handlung gar nichts zu tun haben. An dem Zusammenhang fehlt es, wenn der Gewinn gleichsam »bei Gelegenheit« der Zuwiderhandlung entstanden ist und der innere Zusammenhang zwischen dem Rechtsverstoß und dem Gewinn fehlt. Ohne diesen inneren Zusammenhang entfällt die rechtliche Legitimationsbasis der Gewinnabschöpfung. Zu weit geht es deswegen, wenn im Schrifttum vereinzelt ein konditionaler Zusammenhang für ausreichend gehalten wird. In diesem Sinne plädiert Goldmann dafür, nicht nur den Gewinn abzuschöpfen, der entsteht, weil der Verletzer unlauter gehandelt hat, sondern auch den Gewinn, der entsteht, wenn unlauter gehandelt wird214. Zur Rechtfertigung verweist Goldmann auf den Rechtsgedanken der Lehre vom versari in re illicita und auf die Stärkung des Abschreckungseffekts der Gewinnabschöpfung215. In der Sache geht es dabei um das Bemühen, die Gewinnabschöpfung nicht am schwierigen Nachweis der Kausalität scheitern zu lassen. Dieses Anliegen ist im Ansatz berechtigt, doch geht der Verzicht auf jeglichen Kausalzusammenhang zu weit216. b) Anteiliger Unrechtsgewinn Umstritten ist, in welchem Umfang der vom Verletzer erzielte Gewinn herauszugeben ist. Dabei müssen zwei Konstellationen auseinandergehalten werden. Zum einen können mehrere selbstständige Handlungen vorliegen, von denen nur eine unlauter ist. Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass eine einzige unlautere Handlung aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt ist, von denen nur ein Teilelement die Unlauterkeit begründet.
214
Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 92. Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 93. 216 Bauer, Der Gewinnabschöpfungsanspruch der Verbände nach § 10 UWG, S. 146 ff.; Gärtner, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 121 ff.; Neuberger, Der wettbewerbsrechtliche Gewinnabschöpfungsanspruch im europäischen Rechtsvergleich, S. 92 ff.; Schmauß, Der Gewinnabschöpfungsanspruch von Verbänden in der Neufassung des § 10 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, S. 98 ff. 215
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
aa) Mehrere geschäftliche Handlungen Von unterschiedlichen geschäftlichen Handlungen ist auszugehen, wenn das zu beurteilende Geschehen nach der Verkehrsanschauung keine natürliche oder rechtliche Einheit bildet. Unterschiedliche geschäftliche Handlungen liegen insbesondere vor, wenn verschiedene Maßnahmen Bestandteile eines »MarketingMixes« des Unternehmens bilden. Wird ein Produkt beispielsweise durch eine aufeinander abgestimmte Kombination von unterschiedlichen Werbeformen (z.B. Werbeanzeigen im Internet und in Printmedien, Kino- und Fernsehspots, Produktplatzierung und dergleichen) bekannt gemacht, dann sind diese einzelnen Maßnahmen lauterkeitsrechtlich getrennt zu beurteilen, selbst wenn es sich um eine einheitlich konzipierte Werbekampagne handelt. Die Abgrenzung zwischen einer einheitlichen geschäftlichen Handlung und mehreren geschäftlichen Handlungen wird im Einzelfall oft schwierig sein, doch kann man sich hierbei an den strafrechtlichen Grundsätzen zu § 52 StGB orientieren. Danach liegt im Rechtssinne eine Handlung vor, wenn ein Willensentschluss in einer bestimmten Bewegung umgesetzt wird (Handlung im natürlichen Sinn)217. Des Weiteren ist von einer Handlung auszugehen im Falle tatbestandlicher Handlungseinheit, bei der die Verwirklichung des tatbestandsmäßigen Verhaltens begrifflich oder faktisch mehrere Einzelakte verlangt218. Ein Beispiel für eine aus mehreren Einzelakten zusammengesetzte Handlung bildet etwa Nr. 26 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG. Der Tatbestand setzt voraus, dass der Unternehmer die Wohnung des Verbrauchers aufgesucht hat und er sodann trotz Aufforderung des Verbrauchers die Wohnung nicht verlässt oder wieder dorthin zurückkehrt. Schließlich gilt als eine Handlung die natürliche Handlungseinheit. Dabei sind mehrere natürliche Handlungen, die in einem sozialen Sinnzusammenhang stehen, miteinander zu einer rechtlichen Bewertungseinheit verknüpft219. Eine solche Tatbestandsverwirklichung liegt vor, wenn der Verletzer durch eine Mehrzahl von Einzelakten in ähnlicher Weise und in rascher Aufeinanderfolge immer denselben Tatbestand verwirklicht220. Als praktisches Anwendungsbeispiel ist an Serienbriefe zu denken, die mit jeweils den gleichen irreführenden Informationen an eine Vielzahl von Empfängern verschickt. Es handelt sich dabei nicht bei jedem Brief um eine eigenständige Handlung, sondern das Verschicken sämtlicher Briefe wird aufgrund des übereinstimmenden »Tatcharakters« als eine geschäftliche Handlung angesehen. Liegt nach diesen Kriterien keine einheitliche geschäftliche Handlung vor, sondern handelt es sich um mehrere selbstständige Handlungen, dann unterliegt nur 217 Siehe nur Heintschel-Heinegg, in: Münchener Kommentar, StGB, § 52 Rn. 18 ff.; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. II, § 33 Rn. 17 f. 218 Siehe nur Heintschel-Heinegg, in: Münchener Kommentar, StGB, § 52 Rn. 24 ff.; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. II, § 33 Rn. 19 ff. 219 Siehe nur Heintschel-Heinegg, in: Münchener Kommentar, StGB, § 52 Rn. 22 ff.; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. II, § 33 Rn. 29 ff. 220 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. II, Rn. 32.
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die jeweils konkrete unlautere Handlung der Gewinnabschöpfung. Eine Abschöpfung ist daher nur hinsichtlich desjenigen Gewinns möglich, der gerade durch diese unlautere Handlung erzielt worden ist: Wenn beispielsweise ein Autohersteller sein neuestes Modell durch ganz unterschiedliche Werbemaßnahmen bekannt macht und nur eine davon (z.B. die Information in einem Verkaufsprospekt) unlauter ist, dann unterliegt nicht etwa der gesamte vom Hersteller erzielte Gewinn der Abschöpfung, sondern nur derjenige Anteil, der gerade auf die konkrete unlautere Handlung entfällt. Bei einem Zusammenwirken mehrerer Handlungen wird zwar der konkret auf jede Handlung entfallende Gewinnanteil mit mathematischer Exaktheit kaum zu berechnen sein. Doch hilft hier die Anwendung von § 287 ZPO, der eine richterliche Schätzung des auf die unlautere Handlung entfallenden Gewinnanteils ermöglicht.
bb) Geschäftliche Handlung als Bewertungseinheit Schwieriger liegt es, wenn sich eine unlautere Handlung aus verschiedenen Einzelelementen zusammensetzt, von denen nur ein Teil unlauter ist. Oftmals enthält beispielsweise eine Werbeanzeige mehrere Informationen, von denen aber nur eine Angabe irreführend ist. Da bei der Berechnung des Gewinns im Sinne von § 10 UWG den Grundsätzen zu folgen ist, die im Rahmen der dreifachen Schadensberechnung hinsichtlich des Verletzergewinns gelten, liegt es nahe, zunächst einen Blick auf die Parallelproblematik im Schadensrecht zu werfen. Denn auch dort stellt sich die Frage, ob in einem Verletzungsfall der gesamte Verletzergewinn herauszugeben ist oder ob der Geschädigte lediglich eine anteilige Herausgabe des Verletzergewinns verlangen kann. (1) Seitenblick auf das Schadensrecht. Im Rahmen der dreifachen Schadensberechnung verfolgt die Rechtsprechung einen differenzierenden Ansatz. Liegt dem Verlangen nach Herausgabe des Verletzergewinns eine Fallkonstellation des ergänzenden Leistungsschutzes zugrunde, dann ist der Verletzergewinn nur insoweit herauszugeben, als er auf der Rechtsverletzung beruht221. Das beruht auf der Überlegung, dass bei der unlauteren Nachahmung von Waren oder Dienstleistungen die Entscheidungen der Kunden, die letztlich zu einer Gewinnerzielung des Verletzers führen, von ganz unterschiedlichen Motiven getragen sein können222. Selbst bei einer identischen oder fast identischen Nachahmung ist nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass jeder Kaufentschluss und damit der gesamte Gewinn allein durch das imitierte Aussehen und nicht auch 221 BGH vom 21.9.2006, GRUR 2007, 431 Tz. 37 – Steckverbindergehäuse; BGH vom 17.6.1992, BGHZ 119, 20, 29 – Tchibo/Rolex II. Ebenso im Markenrecht: BGH vom 6.10.2005, GRUR 2006, 419 Tz. 15 – Noblesse; OLG Frankfurt a.M. vom 13.3.2003, GRUR-RR 2003, 274, 278 – Vier-Streifen-Kennzeichnung; für das Geschmacksmusterrecht: BGH vom 2.11.2000, BGHZ 145, 366, 375 – Gemeinkostenanteil. 222 BGH vom 19.3.2008, WRP 2008, 938 Tz. 8 – »entwendete Datensätze mit Konstruktionszeichnungen«.
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
durch andere wesentliche Umstände verursacht worden ist. Beispielsweise kann für den Kaufentschluss auch der niedrige Preis des nachgeahmten Produkts ausschlaggebend sein223. Für die Entscheidung zum Kauf eines technischen Gegenstands kann weniger die Gestaltung als vielmehr die technische Funktionalität ankommen224. Die gleichen Erwägungen gelten bei der Verletzung gewerblicher Schutzrechte. Im Falle einer Kennzeichenverletzung wird der geschäftliche Erfolg in vielen Fällen nicht ausschließlich oder noch nicht einmal überwiegend auf der Verwendung des fremden Kennzeichens, sondern auf anderen Umständen beruhen225. Eine schadensrechtliche Berücksichtigung von Eigenleistungen bei unlauteren Nachahmungen ist berechtigt, weil der Nachahmer in der Regel auf Originale zurückgreift, die schon auf dem Markt bekannt sind. Es kommt hinzu, dass bei unlauteren Nachahmungen und bei Verletzungen von gewerblichen Schutzrechten der »Unrechtsanteil« der maßgeblichen Verletzungshandlung unterschiedlich schwer ins Gewicht fallen kann226. Indem die Rechtsprechung eine anteilige Herausgabe des Verletzergewinns zulässt, ermöglicht sie eine wertende Abstufung des Schadens in Abhängigkeit von der Intensität des Eingriffs. Die dabei erforderliche wertende Betrachtung ist in etwa dem Vorgehen bei der Berücksichtigung von Mitverschuldensanteilen im Rahmen des § 254 BGB vergleichbar227. Anders entscheidet die Rechtsprechung dagegen bei einer Verletzung von Betriebsgeheimnissen. Bereits das Reichsgericht betonte, dass eine unter Verstoß gegen die Vorschriften zum Schutz von Unternehmensgeheimnissen erlangte Kenntnis von Geheimnissen »mit dem Makel der Gesetz- oder Sittenwidrigkeit« behaftet ist und deswegen nicht verwertet werden darf228. Der BGH hielt an dem Grundsatz fest, dass Kenntnisse, die unter Verstoß gegen § 17 UWG erlangt werden, vom Verletzer in keiner Weise verwendet werden dürfen229. Der Makel der Wettbewerbswidrigkeit erstreckt sich dabei nicht nur auf die Kenntnisse als solche, sondern auch auf Entwicklungen, die zwar nicht vollständig auf
223
BGH vom 17.6.1992, BGHZ 119, 20, 29 – Tchibo/Rolex II. BGH vom 21.9.2006, GRUR 2007, 431 Tz. 40 – Steckverbindergehäuse. 225 BGH vom 6.10.2005, GRUR 2006, 419 Tz. 15 – Noblesse OLG Frankfurt a.M. vom 13.3.2003, GRUR-RR 2003, 274, 277 – Vier-Streifen-Kennzeichnung m.w.Nachw. 226 Auf Tatbestandsebene des ergänzenden Leistungsschutzes gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 9 UWG berücksichtigt die Rspr. das unterschiedliche Gewicht und die unterschiedliche Intensität der verletzungsrelevanten Faktoren im Rahmen der Wechselwirkungstheorie, siehe nur BGH vom 26.6. 2008, GRUR 2008, 1115 Tz. 18 – ICON; BGH vom 24.5.2007, GRUR 2007, 984 Tz. 14 – Gartenliege; BGH vom 21.9.2006, GRUR 2007, 339 Tz. 24 – Stufenleitern; BGH GRUR 2005, 166, 167 – Puppenausstattungen. 227 BGH vom 21.9.2006, GRUR 2007, 431 Tz. 37 – Steckverbindergehäuse; für das Markenrecht: OLG Frankfurt a.M. vom 13.3.2003, GRUR-RR 2003, 274, 278 – Vier-Streifen-Kennzeichnung. 228 RG vom 23.2.1934, RGZ 144, 41, 52 – Hosenträgerbund. 229 BGH vom 19.12.1984, GRUR 1984, 294, 296 – Füllanlage; BGH vom 19.3.2008, WRP 2008, 938 Tz. 9 – »entwendete Datensätze mit Konstruktionszeichnungen«. 224
B. Struktur des Haftungstatbestands
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den unlauter erlangten Kenntnissen beruhen, bei denen diese Kenntnisse aber – entweder für eigenständige Entwicklungsgedanken des Verletzers oder neben diesen – in einer Weise mitursächlich geworden sind, die wirtschaftlich oder technisch nicht als bedeutungslos angesehen werden kann. Denn auch in diesen Fällen wird die unlauter erlangte Kenntnis zum Vorteil des Verletzers (mit-)verwendet, da er ohne sie, das heißt bei ausschließlich eigenständiger Entwicklung, entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nur später und/oder mit größerem eigenen Aufwand zu gleichen Entwicklungsergebnissen hätte gelangen können wie unter Zuhilfenahme der mit dem Makel der Wettbewerbswidrigkeit behafteten Kenntnisse230. Diese unterschiedliche schadensrechtliche Vorgehensweise ist sachgerecht und konsequent. Der zugrunde liegende Gedanke wird freilich durch den Hinweis auf den »Makel der Wettbewerbswidrigkeit« etwas verdunkelt. Bei der Verletzung von Unternehmensgeheimnissen wird dem Verletzer der Einwand abgeschnitten, der von ihm erwirtschaftete Gewinn beruhe zumindest auch auf einem Eigenanteil. Würde die Rechtsprechung eine anteilige Herausgabe des Gewinns zulassen, dann würde damit ein Anreiz für den Verletzer geschaffen, das Risiko einer massiven Rechtsverletzung einzugehen, da er ja – wenn es zu einer Schadensersatzklage kommt – allenfalls eine anteilige Herausgabe seines Gewinns fürchten muss. Das Risiko einer Schadensersatzzahlung wäre dabei umso geringer, je stärker die behauptete Eigenleistung des Verletzers bei der Verwertung des Geheimnisses ins Gewicht fällt. Dieser Rechtsgedanke weist gewisse Parallelen zum Verbot der geltungserhaltenden Reduktion von unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf. Dieses Verbot dient dem Ziel, den einzelnen Kunden vor nachteiligen Geschäftsbedingungen zu schützen, aber auch den Rechtsverkehr insgesamt von unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen freizuhalten. Dieses Ziel wäre nicht zu erreichen, wenn jeder Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zunächst einmal ungefährdet bis zur Grenze dessen gehen könnte, was gerade noch vertretbar ist231. Ähnlich könnte ein Rechtsverletzer im Wettbewerb das Risiko eingehen, sich auf strafbare Weise ein Unternehmensgeheimnis zu verschaffen, um dieses Unternehmensgeheimnis sodann – mehr oder weniger intensiv – zum eigenen Vorteil zu nutzen, um im Falle einer Schadensersatzklage durch den Geschädigten seine Eigenleistungen gleichsam mit der Verletzungshandlung aufzuwiegen. Dies würde nicht nur zu einer Entwertung des individuellen Schutzes von Unternehmensgeheimnissen führen, sondern würde die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs insgesamt gefährden. Denn Wettbewerb lebt davon, dass Konkurrenten einander mit veränderten Leistungen, Konditionen usw. überraschen, bestimmte Informationen der Konkur230 BGH vom 19.12.1984, GRUR 1985, 294, 296 – Füllanlage; BGH vom 19.3.2008, WRP 2008, 938 Tz. 9 – »entwendete Datensätze mit Konstruktionszeichnungen«. 231 Grundlegend (zum damaligen AGBG): BGH vom 17.5.1982, BGHZ 84, 109, 116; seitdem st. Rspr.
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
renz vorenthalten bleiben oder ihnen erst nach einem erreichten Markterfolg zugänglich sind232. (2) Problemlage bei der Gewinnabschöpfung. Zieht man die Parallele zum Schadensrecht, dann sind bei der Gewinnabschöpfung im Prinzip beide Lösungsmöglichkeiten denkbar: Entweder lässt man nur eine anteilige Gewinnabschöpfung zu, sodass bei einem Zusammenwirken mehrerer Faktoren nur der spezifische Unrechtsanteil des Gewinns des Verletzers abgeschöpft wird233. Oder man gestattet eine Abschöpfung des gesamten Gewinns, der im Zusammenhang mit einer bestimmten unlauteren Handlung erzielt wird234. Der Gesetzeswortlaut erlaubt keinen näheren Aufschluss. § 10 Abs. 1 UWG verlangt lediglich, dass der Gewinn »hierdurch«, also kausal durch die vorsätzliche Zuwiderhandlung, erwirtschaftet wurde. Nicht entscheidend weiter hilft die Überlegung, dass eine unlautere Handlung einer einheitlichen rechtlichen Beurteilung unterliegen muss235. Zwar ist richtig, dass beispielsweise eine Werbeanzeige anhand ihrer Gesamtwirkung beurteilt wird. Für die rechtliche Bewertung ist demzufolge nicht eine isoliert herausgegriffene Angabe in dieser Anzeige maßgeblich, sondern der beim Adressaten mit der Werbung erzielte Gesamteindruck236. Daraus folgt aber nicht, dass automatisch der gesamte Gewinn des Unternehmers, der auf die Anzeige zurückgeht, »infiziert« ist237 und daher in vollem Umfang der Abschöpfung unterliegen muss. Gerade weil sich die Wirkung von Werbung nicht monokausal auf bestimmte Einzelelemente zurückführen lässt, ist nicht auszuschließen, dass der vom Verletzer erzielte Gewinn eben erst durch eine Verbundwirkung der verschiedenen Bestandteile entstanden ist und mithin lediglich ein Teil des Verletzergewinns unrechtmäßig erzielt wurde238. Die strenge Vorgehensweise der Rechtsprechung in den Fällen des Geheimnisverrats kann auf § 10 UWG nicht übertragen werden. Dort geht es nämlich da232
Vgl. zum Schutz des »Geheimwettbewerbs« BGH vom 29.1.1975, WuW/E BGH, 1337, 1342 – Aluminium-Halbzeug. 233 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 10; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 10 Rn. 13 (bei Gleichsetzung von Unrechtsgewinn und Mehrerlös); Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 128; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 211. 234 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 89; Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 143 ff. 235 Hierauf stützen sich Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 87 und Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 143. 236 St. Rspr. BGH vom 9.6.1983, GRUR 1983, 654, 655 – Kofferschaden; BGH vom 17.12.1987, GRUR 1988, 459, 460 – Teilzahlungsankündigung; BGH vom 24.10.2002, GRUR 2003, 361, 362 – Sparvorwahl; speziell zur einer »blickfangmäßigen« Gestaltung von Werbeanzeigen: BGH vom 8.10.1998, BGHZ 139, 368, 376 – Handy für 0,00 DM; BGH vom 17.2.2000, GRUR 2000, 911, 912 f. – Computerwerbung I; BGH vom 24.10.2002, GRUR 2003, 163 – Computerwerbung II; BGH vom 28.11.2002, GRUR 2003, 249 – Preis ohne Monitor. 237 Entgegen Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 144. 238 Von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 211.
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rum, den Verletzer gerade auch vor einer wirtschaftlichen Verwertung des Geheimnisses abzuschrecken. § 10 UWG zielt dagegen auf die Beseitigung des von der unlauteren Handlung selbst ausgehenden ökonomischen Fehlanreizes. Die Steuerungsfunktion des § 10 UWG verlangt dabei, dass die Sanktion »tatangemessen« angewendet wird. Nur eine anteilige Gewinnabschöpfung ermöglicht aber eine dem konkreten Verletzungsfall entsprechende Sanktionierung. Die Abschöpfung unterliegt gerade nicht dem schadensrechtlichen Prinzip, wonach stets ein voller Schadensausgleich zu leisten ist239. Vielmehr muss die Abschöpfung dem Unrechtsgehalt der unlauteren Handlung entsprechen und so bemessen sein, dass der ökonomische Fehlanreiz beseitigt wird. Jede weiter gehende Sanktionierung wäre mit dem Sanktionszweck der Abschöpfung nicht vereinbar. Deswegen ist von dem Grundsatz auszugehen, dass der Gewinn nur insoweit herauszugeben ist, als er auf der Rechtsverletzung beruht. Da eine mathematisch exakte Ermittlung Gewinnermittlung kaum möglich ist, bleibt nur der Weg über die richterliche Schätzung gemäß § 287 ZPO. Insbesondere in den häufigen Fällen einer Irreführung und einer damit verbundenen Täuschung über den Wert der von den Abnehmern erworbenen Ware oder Dienstleistung kann ein sachgerechter Beurteilungsmaßstab auch dadurch gewonnen werden, dass der unrechtmäßige Gewinnanteil anhand des »Minderwerts« bestimmt wird. Das Verhältnis des tatsächlichen »Minderwerts« zum Wert der Ware oder Dienstleistung in ordnungsgemäßem Zustand gibt dabei einen Anhaltspunkt für den unrechtmäßigen Gewinnanteil240. Wenngleich von dem Grundsatz auszugehen ist, dass der Unrechtsanteil des Gewinns abzuschöpfen ist, wird eine vollständige Gewinnabschöpfung dadurch nicht ausgeschlossen. Eine Abschöpfung des gesamten Gewinns kommt in Betracht, wenn das unlautere Element der geschäftlichen Handlung bestimmend in den Vordergrund rückt und andere Umstände dahinter als unwesentlich zurücktreten. Beispielhaft ist etwa an eine reißerische Blickfangwerbung zu denken, wenn gerade die blickfangmäßig hervorgehobene Information falsch ist und die übrigen Informationen völlig untergeordneten Charakter haben. c) Rechtmäßiges Alternativverhalten Der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens betrifft das Verteidigungsvorbringen des Verletzers, er habe seinen Gewinn – oder einen Anteil davon – auf rechtmäßige Weise erzielen können. Dogmatisch handelt es sich bei dem Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht um eine eigenständige Rechtsfigur, sondern vielmehr um ein Zusammenspiel mehrerer Wertungsgesichtspunkte, insbesondere der hypothetischen Kausalität, des Rechtswidrigkeits- oder
239 Überdies wird eben dieses Prinzip im Falle der anteiligen Abschöpfung von Verletzergewinn im Rahmen der dreifachen Schadensberechnung durchbrochen! 240 Zur praktischen Berechnung kann dabei § 441 Abs. 3 BGB als Orientierungshilfe dienen; dazu statt vieler Faust, in: Bamberger/Roth, BGB, § 441 Rn. 7 ff.
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
Pflichtwidrigkeitszusammenhangs und des Schutzzwecks der Norm241. Dogmatisch erschwerend kommt hinzu, dass diese Aspekte ihrerseits keineswegs trennscharf gegeneinander abgegrenzt sind, sondern vielfach terminologisch und sachlich nicht exakt getrennt werden242. Das Schadensrecht gibt zur Behandlung dieses Einwands dementsprechend keine einheitlichen Vorgaben. Zumeist wird nach Fallgruppen und konkreten Schadensereignissen differenziert243. Die entscheidende Wertungsfrage lautet, ob es den Verletzer entlasten darf, wenn er seinen Gewinn auf rechtmäßige Weise hätte erzielen können. Abgesehen davon, dass ein solcher Nachweis praktisch wohl nur sehr schwer zu führen sein dürfte, ist eine solche Entlastung des Verletzers im Falle der Inanspruchnahme auf Gewinnabschöpfung grundsätzlich nicht anzuerkennen244. Schon in begrifflicher Hinsicht ist festzuhalten, dass das Gesetz nicht nur eine Abschöpfung eines unrechtmäßigen Mehrerlöses vorsieht, sondern die Abschöpfung des vom Verletzer erzielten Gewinns245. Dies lässt darauf schließen, dass bei der Gewinnermittlung hypothetische Entwicklungen gerade nicht berücksichtigt werden sollen. Dementsprechend ist es nur konsequent, auch ein rechtmäßiges Alternativverhalten nicht zu berücksichtigen. Neben dem Wortlaut der Norm spricht für eine Unerheblichkeit des Einwands rechtmäßigen Alternativverhaltens aber vor allem der Sanktionszweck der Gewinnabschöpfung. Die Gewinnabschöpfung ist eine verhaltensbezogene, keine erfolgsbezogene Sanktion. Sie zielt nicht auf eine Marktergebniskorrektur, sondern sie soll die Einhaltung wettbewerbsbezogener Verhaltenspflichten sicherstellen. Dann aber muss die Sanktion bereits bei Verletzung dieser Verhaltenspflichten eingreifen und zwar unabhängig davon, ob das wirtschaftliche Ergebnis (der Gewinn des Unternehmers) auch bei einem rechtmäßigen Verhalten eingetreten wäre. Denn eine konkrete unlautere Handlung verliert ihre Schädlichkeit nicht dadurch, dass bei rechtmäßigem Verhalten ein Gewinn entstanden wäre. Entscheidend ist, wie sich ein Unternehmer im Wettbewerb verhalten hat, nicht wie er sich hätte verhalten können. Wer sich für den rechtswidrigen Weg entscheidet, muss sich an dieser Entscheidung festhalten lassen. Wenn ein Unternehmer einen Konkurrenten durch rechtswidriges Verhalten im Wettbewerb schädigt, dann kann sich dieser Unternehmer, wenn er auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird, nicht darauf berufen, er hätte den Konkurrenten auch 241 Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 4 XII 1, S. 199 f.; von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. II, Rn. 443. 242 Von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. II, Rn. 442: »oft willkürlich anmutende Einordnung einer Rechtsfrage«. 243 Siehe nur Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 4 XII 2 und 3, S. 200 ff. 244 Gärtner, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 124 ff.; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 87 f.; Micklitz, in: Münchener Kommentar, § 10 Rn. 145; Sieme, Der gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 127; anders Bauer, Der Gewinnabschöpfungsanspruch der Verbände nach § 10 UWG, S. 154 ff. 245 Unrechtsgewinn und Mehrerlös dagegen gleichsetzend Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 10 Rn. 13.
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durch wettbewerbskonformes Verhalten schädigen können246. Nicht anderes kann gelten, wenn nicht ein Schadensersatzanspruch, sondern ein Gewinnabschöpfungsanspruch im Raum steht. 3. Anrechenbare Leistungen Gemäß § 10 Abs. 2 S. 1 UWG sind auf den Gewinn »Leistungen anzurechnen, die der Schuldner auf Grund der Zuwiderhandlung an Dritte oder den Staat erbracht hat«. Nachdem auf erster Stufe der Gewinn zu ermitteln ist, den der Verletzer mit der unlauteren Handlung erzielt hat, ist dieser Gewinn auf zweiter Stufe um etwaige Zahlungen an Dritte zu bereinigen. § 10 Abs. 2 S. 1 UWG beinhaltet zudem eine wichtige dogmatische Aussage hinsichtlich des Verhältnisses zu Individualansprüchen und anderen Abschöpfungsinstrumenten. a) Dogmatische Einordnung Der kollektivrechtliche Gewinnabschöpfungsanspruch kann einerseits mit individuellen Ansprüchen einzelner Geschädigter in Konflikt geraten und andererseits mit hoheitlichen Sanktionen zusammentreffen. Daraus resultieren zwei Konfliktfelder. Erstens muss sichergestellt sein, dass keine Mehrfachabschöpfung stattfindet. Eine Mehrfachabschöpfung des Verletzers wäre mit dem Grundgedanken der Abschöpfung nicht vereinbar. Die Höhe des Abschöpfungsanspruchs ist durch die Höhe des vom Verletzer zu Unrecht erwirtschafteten Gewinns begrenzt. Zweitens muss verhindert werden, dass sich die Gewinnabschöpfung zum Nachteil von Geschädigten auswirkt. Eine erfolgreiche Abschöpfung des Unrechtsgewinns könnte dazu führen, dass den Geschädigten eine geringere Haftungsmasse zur Verfügung steht. Individualansprüche werden zwar in ihrem rechtlichen Bestand durch den Abschöpfungsanspruch nicht tangiert, jedoch könnte eine erfolgreiche Abschöpfung dazu führen, dass die genannten Individualansprüche faktisch »ins Leere« gehen, weil das beim Verletzer noch vorhandene Vermögen durch den Abschöpfungsanspruch aufgezehrt wurde. Deswegen sind Individualansprüche Dritter grundsätzlich vorrangig zu befriedigen247. Wenn und soweit der Gewinn infolge der Befriedigung von Ansprüchen der Abnehmer oder Mitbewerber entzogen ist, besteht für eine Abschöpfung kein Bedürfnis mehr248. Diese Regelung ist allerdings nicht im Sinne einer Subsidiarität zu verstehen. Denn der Gewinnabschöpfungsanspruch tritt nicht hinter die Individualansprü246
Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 4 XII 5 b, S. 206. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 24. 248 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 24. Eine andere Akzentuierung findet sich bei von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 235, der die Funktion von § 10 Abs. 2 UWG in dem Anreiz zur Entschädigung individuell benachteiligter Abnehmer und Mitbewerber sieht. Allerdings wird man fragen müssen, ob ein solcher Anreiz tatsächlich besteht; denn letztlich ist es für den Verletzer in wirtschaftlicher Hinsicht gleichgültig, aus welchen Rechtsgründen er zahlen muss. 247
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
che Dritter zurück, sondern er steht eigenständig und gleichberechtigt neben diesen Sanktionen, wenn seine Voraussetzungen gegeben sind. Das Gesetz bringt mit dieser Regelung die grundlegende Wertung zum Ausdruck, wonach der Kollektivschutz nicht zu Lasten des Individualschutzes gehen darf. Anders gewendet: Individualrechte Einzelner dürfen nicht zugunsten der Sanktionierung kollektiver Interessen geopfert werden249. Der Bundesrat äußerte während des Gesetzgebungsverfahrens in seiner Stellungnahme »rechtssystematische Bedenken« gegen eine solche Regelung, weil der Gewinnabschöpfungsanspruch in keinem Zusammenhang mit dem Schadensersatzanspruch gemäß § 9 UWG stehe, der eine Anrechnung rechtfertigen würde. Beide Ansprüche stünden unabhängig nebeneinander, was sich deutlich in Fällen zeige, in denen die Mitbewerber und Abnehmer ihre Schäden jeweils selbst geltend machen könnten250. In die gleiche Richtung zielt Kritik aus dem Schrifttum, § 10 UWG vermenge Abnehmer- und Mitbewerberschäden251. Die Bundesregierung ist den Bedenken des Bundesrates jedoch zu Recht nicht gefolgt252. Privatrechtliche Ansprüche zielen, unabhängig von der Rechtsgrundlage, auf einen Zugriff auf das Vermögen des Verletzers. Dieses bildet in rechtlicher Hinsicht eine einheitliche Vermögensmasse und mithin ein einheitliches Zugriffsobjekt für die Gläubiger. Dann aber können die Wirkungen von mehreren Sanktionen nicht aus Sicht der verschiedenen Anspruchsteller beurteilt werden, sondern allein aus Sicht desjenigen, auf dessen Vermögen zugegriffen wird und der mit der Sanktion getroffen werden soll. Es findet damit keine Vermengung verschiedener Interessen statt, sondern die verschiedenen Zwecke der einzelnen Sanktionen bedürfen einer Abstimmung aufeinander. Vor allem stellt sich rechtssystematisch die Frage des Verhältnisses von Individualschutz und Kollektivschutz, die mit § 10 Abs. 2 S. 1 UWG sachlich überzeugend beantwortet wurde. Wollte man hingegen anders entscheiden und eine Anrechnung nur für Ansprüche von Abnehmern zulassen, hätte dies eine zweifelhafte Schlechterstellung der Geschädigten zur Folge, deren Anspruchsdurchsetzung durch eine (zuvor erfolgte) Abschöpfung möglicherweise erschwert oder sogar völlig verhindert würde. In eine andere Richtung zielt dagegen die Anrechenbarkeit von Leistungen an den Staat, die im Referentenentwurf noch nicht vorgesehen war und erst in dem Regierungsentwurf aufgenommen wurde. Bei Zahlungen infolge hoheitlicher Sanktionen oder Maßnahmen droht keine Vereitelung von Individualansprüchen. Auch ist das Interesse des Staates an einem vorrangigen Zugriff auf das Vermögen des Abschöpfungsschuldners nicht schutzwürdig. Das abgeschöpfte Vermögen fließt ja ohnehin in die Staatskasse. Vielmehr betrifft dieser Fall die Kollision mehrerer Sanktionen mit überindividueller Ausrichtung. So wird bei249 250 251 252
Vgl. dazu bereits Vollmer, DB 1979, 2213, 3316. Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 34 f. Pokrant, in: Festschrift für Ullmann, S. 813, 818; Schaub, GRUR 2005, 918, 922. Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks., 15/1487, S. 43.
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spielsweise im Falle des Verstoßes gegen § 16 UWG mit der Verhängung einer Geldstrafe der staatliche Strafanspruch durchgesetzt. Unabhängig von der Frage nach den spezifischen Strafzwecken dient die Verhängung der Geldstrafe der Befriedigung des öffentlichen Interesses an der Verfolgung und Ahndung solcher rechtswidrigen Praktiken. Einer Abschöpfung bedarf es nur, soweit trotz der hoheitlichen Sanktion oder Maßnahme noch ein Vorteil bei dem Verletzer verbleiben sollte. Darüber hinaus kann die Abschöpfung nicht eingreifen, weil dann der von der Sanktion intendierte Zweck nicht mehr verwirklicht werden kann und es somit an der Legitimation für den Einsatz dieses Sanktionsinstruments fehlt. Der Präventionszweck der Gewinnabschöpfung wird in diesen Fällen bereits durch die Kriminalstrafe erreicht253. Im Übrigen ginge eine Abschöpfung »ins Leere«, wenn und weil der Unrechtsvorteil bereits durch eine Geldstrafe aufgezehrt ist. § 10 Abs. 2 S. 2 UWG komplettiert die Regelung aus Satz 1 um einen prozeduralen Aspekt. Es kann der Fall eintreten, dass ein Unternehmer, nachdem er den zu Unrecht erzielten Gewinn an den Bundeshaushalt gezahlt hat, Ansprüche der Mitbewerber oder der Abnehmer befriedigt oder staatliche Sanktionen erfüllen muss. Da es nicht darauf ankommen kann, in welcher Reihenfolge die Ansprüche gestellt und vom Schuldner befriedigt werden, ist konsequenterweise der abgeführte Gewinn in Höhe der nach Abführung geleisteten Zahlungen auf diese Forderungen an den Abschöpfungsschuldner herauszugeben. Anderenfalls würden ganz zufällige Ergebnisse drohen und die Ordnungsfunktion des § 10 Abs. 2 S. 1 UWG würde unterwandert. b) Einzelheiten aa) Individualansprüche von Verletzten Weitgehend unproblematisch sind die Fälle von Individualansprüchen, die gegen den Verletzer bestehen. Gemeint sind Ansprüche, die aus der unlauteren Handlung resultieren, unabhängig davon, ob diese Individualansprüche aus dem UWG oder etwa aus dem bürgerlichen Recht erwachsen. Erfasst werden die Ansprüche von sämtlichen Marktteilnehmern, die von einer unlauteren Handlung betroffen sein können. Eine Differenzierung nach dem Rechtsgrund der vom Schuldner geleisteten Zahlung findet nach dem Wortlaut nicht statt. Deswegen ist nicht zwischen Leistungen aus gesetzlichen oder vertraglichen Schuldverhältnissen zu unterscheiden. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift wird man den Kreis der anrechenbaren Drittzahlungen weit ziehen müssen. Zu berücksichtigen sind beispielsweise Schadensersatzansprüche von Mitbewerbern aufgrund von § 9 S. 1 UWG254, des Weiteren Bereicherungsansprüche bei Produktnachahmungen255 253
Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/1487, S. 43. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 24. 255 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 13; Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 171. 254
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
(insbesondere in den Fällen von § 4 Nr. 9 Buchst. a UWG256) oder Ansprüche auf Zahlung einer Vertragsstrafe, zu der sich der Verletzer im Rahmen einer Unterwerfungserklärung verpflichtet hat257. Gegen eine Anrechenbarkeit von Vertragsstrafen wird vereinzelt eingewendet, der Verletzer könne durch geschickt vereinbarte Vertragsstrafe den Gewinn an Dritte abführen, die dem Verpflichteten nahe stehen258. Dieser Einwand überzeugt indessen nicht. Eine Anrechenbarkeit der Vertragsstrafe im Rahmen von Unterwerfungserklärungen kommt nur in Betracht, wenn die abgegebene Erklärung, verbunden mit dem Vertragsstrafeversprechen, rechtlich und tatsächlich dazu geeignet ist, die Gefahr einer erneuten Begehung der unlauteren Handlung zu beseitigen. Entscheidend ist also, ob durch die abgegebenen Erklärungen die Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr entfällt259. Im Falle eines kollusiven Zusammenwirkens mit Dritten fehlt es an der Ernsthaftigkeit der Unterwerfungserklärung und des Vertragsstrafeversprechens. Vertragsstrafe und Unterlassungserklärung entfalten damit keine Wirkung. Zahlt der Verletzer eine solche »Pseudo«-Vertragsstrafe, dann ist diese Zahlung nicht gewinnmindernd gemäß § 10 Abs. 2 UWG zu berücksichtigen. Anrechnungsfähig sind weiterhin sämtliche Individualansprüche auf Nacherfüllung, Minderung, Schadensersatz usw. von Abnehmern260. Dies allerdings nicht, weil damit ein Anreiz zur Erfüllung dieser Ansprüche gesetzt oder eine Doppelbelastung vermieden würde261. Denn für den Verletzer macht es keinen Unterschied, ob der von ihm erwirtschaftete Unrechtsgewinn abgeschöpft wird oder ob der Gewinn infolge der Befriedigung bürgerlichrechtlicher Forderungen aufgezehrt wird. Wären bürgerlichrechtlichen Forderungen nicht anrechnungsfähig, bestünde jedoch die Gefahr, dass durch die Gewinnabschöpfung im kollektiven Interesse individuelle Ansprüche vereitelt werden. Nicht abzugsfähig sind hingegen Kosten, die im Zusammenhang mit etwaigen von Abnehmern ausgeübten Rücktritts-, Widerrufs- und Anfechtungsrechten vom Unternehmer erbracht werden, beispielsweise die Kosten für Umtausch und Rücksendung von Waren. Denn bei diesen Kosten handelt es sich nicht um Leistungen an Dritte, sondern um eigene Aufwendungen des Verletzers, mögen diese im Ergebnis auch im Interesse Dritter liegen und diesen zugutekommen. 256
Dazu näher Pokrant, in: Festschrift für Ullmann, S. 813, 817 und Schaub, GRUR 2005, 918,
921. 257 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 13; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 37 Rn. 12; anders Mönch, ZIP 2004, 2032, 2033. 258 Mönch, ZIP 2004, 2032, 2033. 259 Die Rechtsprechung stellt hierbei strenge Anforderungen siehe nur BGH vom 9.11.1995, GRUR 1996, 290, 291 f. – Wegfall der Wiederholungsgefahr I; BGH vom 16.11.1995, GRUR 1997, 379, 380 – Wegfall der Wiederholungsgefahr II; zu den Einzelheiten siehe nur Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 8 Rn. 1 ff. und Kap. 20 Rn. 1 ff. 260 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 123; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 13; Pokrant, in: Festschrift für Ullmann, S. 813, 819. 261 So aber Pokrant, in: Festschrift für Ullmann, S. 813, 819; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 235.
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Generell ist erforderlich, dass der Schuldner die Leistungen bereits »erbracht hat«. Der Verletzer muss also die gegen ihn bestehenden Forderungen im schuldrechtlichen Sinne erfüllt haben. Dass die genannten Verpflichtungen dem Grunde nach bestehen, genügt daher nicht. Ebenso wenig reicht die Ankündigung aus, zahlen zu wollen oder sich gegen eine Inanspruchnahme nicht zu Wehr zu setzen. Erst recht kann den Verletzer nicht der Hinweis entlasten, er müsse künftig mit Zahlungen rechnen oder sei bereits auf Zahlung verklagt262. bb) Zahlungen an den Staat Leistungen, die der Schuldner an den Staat erbracht hat, sind vor allem Ordnungsgelder, Bußgelder und Geldstrafen263. Der Begriff »Leistungen« ist an sich verfehlt, weil es sich nicht um schuldrechtliche Verpflichtungen handelt. Gemeint sind Zahlungen an den Staat, unabhängig davon, auf welche Rechtsgrundlage die Maßnahme gestützt ist und in welchen Haushalt das Geld fließt. Der Bundesrat äußerte an der Anrechnung von Geldstrafen scharfe Kritik, weil auf diese Weise besonders schwerwiegende Verstöße gegen das UWG und damit Straftäter privilegiert würden: »Es erscheint schon vom Strafzweck her unvertretbar, eine verhängte Strafe auf zivilrechtliche Forderungen anzurechnen und gar eine verhängte Strafe vom Gläubiger und vom Staat über die Regelungen in § 10 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 UWG-E dem Straftäter wieder erstatten zu lassen. Der Sinn eines Strafverfahrens würde sich kaum noch erschließen, wenn etwa von vornherein feststeht, dass die zu verhängende Strafe anschließend vom Staat dem Straftäter zu erstatten sein wird. Hierzu führt aber die vorgesehene Regelung, wenn das Strafverfahren nach der Gewinnabschöpfung durchgeführt wird«264.
Bei diesem Einwand wird allerdings übersehen, dass Kriminalstrafen und Abschöpfung zwar voneinander zu unterscheiden sind, aber in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen aufeinander abgestimmt werden müssen. Sofern eine Geldstrafe bereits einen Entzug des vom Verletzer erzielten Unrechtsgewinns bewirkt, besteht für eine Abschöpfung weder Raum noch Bedürfnis265. Denn das Ziel der Abschöpfung kann dann nicht mehr erreicht werden. cc) Insbesondere: Gewinnabschöpfung und Verfall Ob zu den anrechenbaren Leistungen auch Zahlungen gehören, die aufgrund einer Verfallanordnung an den Staat geleistet werden, ist zweifelhaft. Denn Voraus262 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 13; Pokrant, in: Festschrift für Ullmann, S. 813, 819. 263 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 13. 264 Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 15/1487, S. 35; zum entsprechenden Einwand beim Vorteilsabschöpfungsanspruch gemäß § 34a GWB siehe unten § 8. B. IV. 3. 265 »Die Anrechnung eventueller Strafen ist geboten, weil der Präventionszweck des Gewinnabschöpfungsanspruchs, dass sich unlauteres Verhalten nicht lohnen darf, in diesen Fällen bereits durch die Kriminalstrafe erreicht ist«, Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/1487, S. 43.
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
setzung hierfür wäre, dass eine Verfallanordnung neben einem Gewinnabschöpfungsanspruch dem Grunde nach in Betracht kommt. Gewinnabschöpfung und Verfall können vor allem in den Fällen des § 16 UWG zusammentreffen, aber auch bei der Verletzung von Strafvorschriften, die zugleich als Marktverhaltensregelungen im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG zu qualifizieren sind. Die in § 16 UWG enthaltenen Straftatbestände – unwahre Werbung gemäß § 16 Abs. 1 UWG und progressive Kundenwerbung gemäß § 16 Abs. 2 UWG – betreffen paradigmatische Anwendungsfälle für breitenwirksame unlautere Handlungen, bei denen der Verletzer zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern Gewinn erzielt266. Ein Zusammentreffen von Gewinnabschöpfung und Verfall gemäß §§ 73 ff. StGB ist problematisch, weil beide Abschöpfungsinstrumente das gleiche Ziel, nämlich die Abschöpfung von Unrechtsvermögen, verfolgen. Um eine Mehrfachabschöpfung zu vermeiden, verfügen sowohl der Gewinnabschöpfungsanspruch als auch die Bestimmungen zum Verfall über Schutzmechanismen, die einer mehrfachen Abschöpfung entgegenstehen: Gemäß § 10 Abs. 2 UWG sind bestimmte Zahlungen an den Staat auf den abzuschöpfenden Gewinn anrechenbar, zu denen auch Zahlungen gerechnet werden könnten, die aufgrund einer Verfallanordnung geleistet werden. § 73 Abs. 1 S. 2 StGB schließt demgegenüber schon die Anordnung von Verfall aus, soweit dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde. Zudem sieht § 73c Abs. 1 StGB bestimmte Regelungen für Härtefälle vor. Im Ergebnis ist klar, dass nach dem Sinn und Zweck des Gewinnabschöpfungsanspruchs wie auch des Verfalls eine Mehrfachabschöpfung ausgeschlossen sein muss. Denn das Ziel beider Abschöpfungsinstrumente besteht allein in der Abschöpfung eines beim Verletzer vorhandenen Unrechtsvermögens, nicht dagegen in der Zufügung eines zusätzlichen Nachteils. Soweit also ein Unrechtsgewinn bereits abgeschöpft wurde, ist eine nochmalige Abschöpfung ausgeschlossen. Zweifelhaft ist allerdings, wie dieses Ergebnis rechtlich begründet werden kann. Nach Auffassung des BGH ist die Anordnung von Verfall nicht durch einen etwaigen Anspruch auf Gewinnabschöpfung ausgeschlossen; insbesondere ist § 73 Abs. 1 S. 2 UWG nicht anzuwenden267. Die Entscheidung betraf die Versendung von unwahren Gewinnmitteilungen und Geschenkversprechen im Versandhandel, die den Straftatbestand des § 16 Abs. 1 UWG verwirklichten. Unter anderem hatte der BGH darüber zu urteilen, ob wegen dieser strafbaren Handlungen die Anordnung von Wertersatzverfall gegen an der Straftat beteiligte Personen in Betracht kommt. Der BGH geht davon aus, dass ein Anspruch auf Gewinnabschöpfung nicht als Anspruch im Sinne von § 73 Abs. 1 S. 2 StGB anzusehen ist, sodass diese Vorschrift der Anordnung von Verfall nicht, auch nicht in analoger Anwendung, entgegensteht. Der Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme im Zivil- und Strafverfah266
Diese Problematik zeichnete sich bereits zu den Entwürfen ab, siehe Alexander, WRP 2004, 407, 418 f. und Sack, WRP 2003, 549, 553. 267 BGH vom 30.5.2008, GRUR 2008, 818 – Strafbare Werbung im Versandhandel.
B. Struktur des Haftungstatbestands
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ren könne mit § 10 Abs. 2 UWG einerseits und § 73c Abs. 1 StGB andererseits begegnet werden268.
Für diese Lösung spricht auf den ersten Blick der Gesichtspunkt des besseren Zugriffs auf den erwirtschafteten Unrechtsvorteil. Da § 73 Abs. 1 S. 2 StGB bereits dann die Anordnung von Verfall sperrt, wenn ein Anspruch dem Grunde nach besteht, wäre die Anordnung von Verfall in den Fällen des § 16 UWG praktisch immer durch § 10 UWG gesperrt, obgleich ein Gewinnabschöpfungsanspruch zwar dem Grunde nach in Betracht kommt, aber vielleicht nur selten tatsächlich mit Erfolg durchgesetzt werden kann. Indessen sollte dieser Aspekt nicht überbewertet werden. Denn § 16 UWG ist zugleich Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB269, sodass die Anordnung von Verfall regelmäßig schon wegen dieser Schadensersatzansprüche der Verletzten ausscheiden wird. Denn solche Schadensersatzansprüche sind jedenfalls Ansprüche im Sinne des § 73 Abs. 1 S. 2 StGB. Für die Ansicht des BGH scheint weiterhin § 34a Abs. 1 GWB zu sprechen, wonach eine Vorteilsabschöpfung ausgeschlossen ist, soweit die Kartellbehörde die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils anordnet. Im Gegensatz zu § 10 UWG wird der Verfall ausdrücklich in § 34a GWB erwähnt. Allerdings muss § 34a GWB innerhalb der Hierarchie kartellrechtlicher Abschöpfungsmöglichkeiten gesehen werden270. Der Kartellbehörde wird hinsichtlich der Abschöpfung von Unrechtsvorteilen gewissermaßen das Erstzugriffsrecht auf das Vermögen des Verletzers eingeräumt. Es wäre ersichtlich inkonsequent gewesen, wenn der Gesetzgeber die verschiedenen kartellbehördlichen Abschöpfungsmöglichkeiten im Verhältnis zur privatrechtlichen Vorteilsabschöpfung uneinheitlich geregelt hätte. Aufgrund dieser speziellen Situation ist § 34a Abs. 1 GWB in Hinblick auf § 10 Abs. 3 S. 1 UWG nur bedingt aussagekräftig. Das Verhältnis zum Verfall ist für § 10 UWG eigenständig zu klären. Richtigerweise sollte § 73 Abs. 1 S. 2 StGB auf den Gewinnabschöpfungsanspruch analoge Anwendung finden271. Eine direkte Anwendung scheidet aus, weil § 73 Abs. 1 S. 2 StGB, wie schon der Wortlaut verdeutlicht, auf Ansprüche zugeschnitten ist, die einen individuell Verletzten aus der rechtswidrigen Tat erwachsen sind. Verletzter im Sinne dieser Vorschrift ist derjenige, dessen Individualinteressen durch die vom Täter übertretene Norm geschützt werden sollen272. Der Gewinnabschöpfungsanspruch wurzelt indessen nicht in der Verletzung von Individualinteressen, sondern gründet sich ausschließlich auf die Verletzung von 268
BGH vom 30.5.2008, GRUR 2008, 818 Tz. 135 – Strafbare Werbung im Versandhandel. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 22; BGH vom 30.5.2008, GRUR 2008, 818 Tz. 87 – Strafbare Werbung im Versandhandel. 270 Dazu Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34 Rn. 11 ff. 271 So bereits zum Regierungsentwurf Alexander, WRP 2004, 407, 419; ebenso Bornkamm, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 16 Rn. 27; Jestaedt, Wettbewerbsrecht, Rn. 933; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 13; Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 174; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 243. 272 BGH vom 23.9.1988, NJW 1989, 2139. 269
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
Kollektivinteressen. Gleichwohl ist die analoge Anwendung von § 73 Abs. 1 S. 2 StGB gerechtfertigt, weil die Gewinnabschöpfung in wirtschaftlicher Hinsicht Individualansprüchen einzelner Geschädigter gleichsteht. Zudem ist § 73 Abs. 1 S. 2 StGB als Ausdruck des Grundsatzes zu verstehen, dass das Strafrecht nur als letztes Mittel einer rechtlichen Reaktion auf missbilligte Verhaltensweisen zum Einsatz kommen soll. 4. Sonstige Abzugsposten? Neben den genannten Zahlungen sind weitere Kosten grundsätzlich nicht abzugsfähig. Nicht überzeugend sind Überlegungen, neben den in § 10 Abs. 2 S. 1 UWG genannten Leistungen und Zahlungen weitere abzugsfähige Kosten anzuerkennen273. Am weitesten geht dabei der Vorschlag, alle Kosten, die einem unlauter handelnden Wettbewerber infolge seines unlauteren Handelns entstehen, als Schmälerung seines Gewinns anzusehen, sodass diese Kosten auf den Gewinn anzurechnen seien, weil der Wettbewerber sonst mehr als seinen Gewinn herausgeben müsse274. Es liegt auf der Hand, dass es für Verletzer ein Leichtes wäre, durch Abzug aller möglichen Kosten seinen Gewinn in jedem Verletzungsfall »wegzurechnen«. Für die Kosten, die im Zusammenhang mit der Rechtsverfolgung des Gewinnabschöpfungsanspruchs entstehen, verneint die amtliche Begründung eine Abzugsfähigkeit, weil der Zuwiderhandelnde sonst einen Anreiz hätte, sich auf kostenträchtige Prozesse einzulassen275. Diese Argumentation ist nicht überzeugend. Es ist schon zweifelhaft, ob ein Unternehmer es nur deswegen auf einen Prozess ankommen lassen wird, um die dabei entstehenden Kosten vom Gewinn abzuziehen276. Außerdem ist das Ziel, Gerichtsverfahren zu verhindern, kein legitimer Sanktionszweck. Bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs steht es jedem frei, auch aussichtslose und teure Prozesse zu führen. Gleichwohl ist es im Ergebnis richtig, die Abzugsfähigkeit von Kosten der Rechtsverfolgung zu verneinen. Denn jeder Beklagte trägt das Risiko, vor Gericht zu verlieren, zur Zahlung verurteilt zu werden und dann die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das ist keine doppelte Belastung277, sondern das Ergebnis allgemeiner Grundsätze der Kostentragung. Es wäre dagegen nicht verständlich, warum in einem auf Gewinnabschöpfung gerichteten Verfahren der geltend gemachte materiellrechtliche Zahlungsanspruch zu Lasten des obsiegenden Klägers um die Verfahrenskosten des Beklagten zu kürzen sein sollte. Ein solches Ergebnis stünde im Widerspruch zu den zivilprozessualen Regeln der Kostentragung, wonach die Kosten grundsätz273 Mönch, ZIP 2004, 2032, 2033; Sack, WRP 2003, 549, 554 f.; siehe dazu auch die tabellarische Übersicht bei Bauer, Der Gewinnabschöpfungsanspruch der Verbände nach § 10 UWG, S. 175 ff. 274 Sack, WRP 2003, 549, 554. 275 BT-Drucks. 15/1487, S. 24; ähnlich Goldmann in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 101 und Mönch, ZIP 2004, 2032, 3033. 276 Sack, WRP 2003, 549, 554 hält dies mit Recht für eine lebensfremde Annahme. 277 Entgegen Sack, WRP 2003, 549, 554.
C. Anspruchsberechtigung
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lich der unterliegenden Partei aufzuerlegen sind. Wollte man hingegen eine Anrechnung zulassen, dann hätte dies zur Folge, dass der Beklagte seine Rechtsverfolgungskosten entgegen § 91 ZPO auf den obsiegenden Kläger abwälzen könnte, indem dessen Anspruch entsprechend gekürzt würde. Nicht abzugsfähig können aus den gleichen Gründen Kosten sein, die anlässlich der Geltendmachung des Gewinnabschöpfungsanspruchs entstehen, z.B. die Kosten für eine der Abschöpfung vorausgehende Abmahnung, Auskunft, Rechnungslegung und dergleichen278. Nicht abzugsfähig sind weiterhin Schäden, die infolge einer Beeinträchtigung des guten Rufes des unlauter handelnden Unternehmens entstehen279 oder Kosten, die zur Beseitigung einer etwaigen Rufbeeinträchtigung aufgewendet werden müssen280. Solche Kosten fallen allein in die Risikosphäre desjenigen, der die unlautere Handlung begangen und damit den Schaden am eigenen Unternehmen hervorgerufen hat und können nicht durch Abzugsfähigkeit dem Anspruchsberechtigten aufgebürdet werden. Es müsste sehr befremdlich anmuten, wenn ein Verletzer sich nicht nur zu Lasten der Abnehmer bereichert, sondern auch noch auf deren Kosten sein durch das eigene rechtswidrige Verhalten beschädigtes Ansehen saniert. Eine Abzugsfähigkeit würde also diejenigen Unternehmer begünstigen, die durch unlauteres Verhalten nicht nur Abnehmerinteressen beeinträchtigen, sondern auch den Ruf des eigenen Unternehmens bedenkenlos aufs Spiel setzen, also in jeder Hinsicht rücksichtslos handeln. Abgesehen von den sachlichen Einwänden gegen die Abzugsfähigkeit der beispielhaft genannten Posten, wird man § 10 Abs. 2 UWG als abschließende Regelung ansehen müssen. Für andere als die gesetzlich aufgeführten Leistungen an Dritte oder an den Staat ist davon auszugehen, dass ein Abzug vom Gewinn nicht in Betracht kommt.
C. Anspruchsberechtigung Die Befugnis zur Durchsetzung des Anspruchs aus § 10 Abs. 1 UWG regelt das Gesetz durch Verweisung auf § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis Nr. 4 UWG. Es legt damit die Wahrnehmung der Abschöpfung in die Hände der Verbände, Einrichtungen und Kammern, die in Kollektivinteresse tätig werden. Diese Institutionen sind im Rechtssinne nicht Inhaber der Kollektivinteressen, deren Schutz ihnen obliegt, sondern sie handeln gleichsam als »Sachwalter« im kollektiven Interesse. Mit dieser speziellen Ausgestaltung der Anspruchsberechtigung kommt die rein kollektivrechtliche Zielrichtung des Gewinnabschöpfungsanspruchs besonders deutlich zum Ausdruck.
278
Anders Sack, WRP 2003, 549, 554. Goldmann in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 102; anders Sack, WRP 2003, 549, 554. 280 Anders Sack, WRP 2003, 549, 554. 279
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
I. Verbände, Einrichtungen Kammern Anspruchsberechtigt sind rechtsfähige Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen281, qualifizierte Einrichtungen nach § 4 UKlaG282 und Industrie und Handelskammern sowie Handwerkskammern283. Durch die inhaltlich uneingeschränkten Verweise auf § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis Nr. 4 UWG wird deutlich, dass die Anspruchsberechtigung für den Gewinnabschöpfungsanspruch nach den gleichen Kriterien zu beurteilen ist wie die Anspruchsberechtigung für Abwehransprüche. So verlangt § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG im Hinblick auf gewerbliche Interessenverbände, dass »die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührt«. Diese Einschränkung muss konsequenterweise auch im Rahmen des § 10 Abs. 1 UWG gelten. Verbände, die Interessen von Mitbewerbern des Verletzers oder von Anbietern vertreten, sind deswegen nur dann anspruchsberechtigt, wenn die unlautere Handlung nicht nur wirtschaftliche Interessen der Abnehmer beeinträchtigt, sondern zugleich Mitgliederinteressen berührt.
II. Mehrere Berechtigte 1. Problematik Mit § 10 Abs. 3 UWG hat der Gesetzgeber eine Regelung für den Fall treffen wollen, dass mehrere Anspruchsberechtigte einen Verletzer auf Gewinnabschöpfung in Anspruch nehmen. Die materiellrechtliche Situation soll dabei den Regeln über die Gesamtgläubigerschaft nach §§ 428 bis 430 BGB entsprechen. Der Gesetzgeber war sich bewusst, dass kaum jemals eine Situation eintreten wird, in der mehrere Anspruchsberechtigte einen Verletzer auf Abschöpfung in Anspruch nehmen284. Schon wegen der mit der Durchsetzung verbundenen Risiken und Unwägbarkeiten werden sich die anspruchsberechtigten Institutionen regelmäßig absprechen und Doppelverfolgungen tunlichst zu vermeiden suchen285. Außerdem sind die Anspruchsberechtigten gemäß § 10 Abs. 4 S. 1 UWG verpflichtet, dem Bundesamt für Justiz über die Geltendmachung von Ansprüchen gemäß § 10 Abs. 1 UWG Auskunft zu erteilen, sodass eine Anfrage bei dieser zuständigen Stelle schnell Klarheit darüber schaffen wird, ob wegen einer bestimmten unlauteren Handlung bereits ein Gewinnabschöpfungsverfahren betrieben wird. Die Gefahr einer mehrfachen Inanspruchnahme eines Verletzers dürfte damit äußerst gering sein. Gleichwohl hielt der Gesetzgeber den Verweis in § 10 Abs. 3 UWG nicht für entbehrlich286. 281 282 283 284 285 286
§ 10 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG. § 10 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG. § 10 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 4 UWG. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 24. Von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 246. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 24.
C. Anspruchsberechtigung
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2. Verfehlte Verweisung Für den Fall mehrerer Abschöpfungsklagen verweist das Gesetz auf die Regeln der Gesamtgläubigerschaft in §§ 428 bis 430 BGB. Diese Vorschriften sind jedoch auf eine andere Interessenlage zugeschnitten und mit dem Gewinnabschöpfungsanspruch nicht kompatibel. a) Abweichende Interessenlage zwischen Gesamtgläubigerschaft und einer Gewinnabschöpfung durch mehrere Berechtigte Bei der Gesamtgläubigerschaft sind mehrere Gläubiger berechtigt, die ganze Leistung zu fordern, der Schuldner aber ist nur verpflichtet, die Leistung einmal zu bewirken. §§ 428 bis 430 BGB regeln die daraus resultierenden Rechtsverhältnisse zwischen Schuldner und den Gesamtgläubigern sowie zwischen den Gesamtgläubigern untereinander287. Die Eigenheiten der Gewinnabschöpfung und die Besonderheiten der Gesamtgläubigerschaft passen jedoch nicht zueinander288. Der Verweis auf die §§ 428 bis 430 BGB bringt – wie der nähere Blick auf die einzelnen Bestimmungen zeigt – keinerlei Regelungs- und Erkenntnisgewinn. Das Grundproblem dieser Verweisung besteht darin, dass die §§ 428 ff. BGB auf den Fall der Identität von Gläubiger(n) und Leistungsempfänger(n) zugeschnitten sind. Diese Annahme passt aber auf § 10 UWG schon deswegen nicht, weil – unabhängig von der Anzahl der Gläubiger – stets ein und derselbe Leistungsinhalt geschuldet ist, nämlich die Zahlung des Gewinns an den drittbegünstigten Bundeshaushalt. Eine Verweisung auf die §§ 428 bis 430 BGB wäre nur dann sachgerecht gewesen, wenn der abgeschöpfte Gewinn bei den Anspruchsberechtigten verblieben wäre. Betrachtet man die §§ 428 bis 430 BGB näher, dann ist zu erkennen, dass praktisch keine dieser Regelungen auf die besondere Konstellation der Gewinnabschöpfung passt. b) § 428 BGB Dem Schuldner steht bei Gesamtgläubigerschaft gemäß § 428 BGB ein Wahlrecht zu, an welchen der Gläubiger er die geschuldete Leistung erbringt. Das Ziel dieser Bestimmung besteht darin, den Schuldner zu schützen, der die Leistung nur einmal erbringen muss und den Gläubigern die Aufteilung der Leistung untereinander überlässt289. Der Schuldner kann damit also zur Leistung denjenigen auswählen, bei dem die geringsten Leistungskosten oder Leistungsrisiken zu erwarten sind290.
287 Zur Interessenlage im Falle der Gesamtgläubigerschaft siehe nur Ehmann, in: Erman, BGB, § 428 Rn. 1 f. 288 Ebenso Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 127 f. 289 »Befreiungsinteresse« des Schuldners, Ehmann, in: Erman, BGB, § 428 Rn. 2. 290 Selb, Mehrheiten von Gläubigern und Schuldnern, § 16 I 1, S. 244.
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
Dieses Wahlrecht geht bei der Gewinnabschöpfung von vornherein ins Leere291, weil der Gewinn immer an den Bundeshaushalt abzuführen ist292. c) § 430 BGB Weil die Zahlung nicht an einen Gläubiger, sondern an einen Dritten erfolgen muss, ist auch die Ausgleichungspflicht der Gesamtgläubiger gemäß § 430 BGB gegenstandslos293. Gemäß § 430 BGB sind die Gesamtgläubiger – entsprechend der Bestimmung für Gesamtschuldner in § 426 Abs. 1 BGB – im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen berechtigt, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Aufgrund der Drittbegünstigung des Bundeshaushalts kann sich das Problem eines Ausgleichs der Gläubiger im Innenverhältnis zwischen mehreren Verbänden indessen nicht stellen. Eines Ausgleichs bedarf es allenfalls hinsichtlich des Anspruches auf Aufwendungsersatz gegenüber der zuständigen Stelle des Bundes. Insoweit findet die Verweisung aus § 10 Abs. 3 UWG jedoch keine direkte Anwendung, weil es sich nicht um die Gesamtgläubigerschaft hinsichtlich des herauszugebenden Gewinns handelt, sondern um den ganz anders gelagerten Aufwendungsersatzanspruch gegen die zuständige Stelle des Bundes. Allenfalls wäre an eine entsprechende Anwendung zu denken294. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Anwendung von § 430 BGB zu ungerechten Ergebnissen führen könnte295, sodass die für eine Analogie notwendige Vergleichbarkeit der Interessenlage fehlt. d) § 429 BGB Unanwendbar ist § 429 Abs. 2 BGB296. Danach erlöschen die Rechte der übrigen Gläubiger gegen den Schuldner, wenn sich Forderung und Schuld in der Person eines Gesamtgläubigers vereinen. Ein solcher Fall ist bei der Gewinnabschöpfung nur sehr schwer vorstellbar. Selbst wenn ein solcher Fall eintreten sollte, 291
Dies verkennt Mönch, ZIP 2004, 2032, 2036, der ein solches Wahlrecht des Schuldners anerkennen will. 292 Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 79 sieht in dem Verweis auf § 428 S. 2 BGB die Klarstellung, dass jeder Gläubiger den ganzen Gewinn selbstständig auch dann noch einfordern könne, wenn ein anderer Gläubiger bereits Klage erhoben hat. 293 Ahrens, Wettbewerbsrecht, Rn. 314; Säcker, Die Einordnung der Verbandsklage in das System des Privatrechts, Rn. 98. 294 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 18; Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 88 f. 295 Zutreffend weist von Braunmühl, in: Fezer, UWG § 10 Rn. 246 darauf hin, dass die eigenen Aufwendungen mehrerer Verbände einer gleichmäßigen Verteilung nur schwer zugänglich sind. Denn es ist unklar, welche Aufwendungen überhaupt zum Maßstab des anteiligen Aufwendungsersatzes zu erheben sind, weil die Aufwendungen von Verband zu Verband ganz unterschiedlich sein können. 296 Ahrens, Wettbewerbsrecht, Rn. 314; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 18; Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 80 f.
C. Anspruchsberechtigung
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kann § 429 Abs. 2 BGB keine Anwendung finden. Denn mit § 429 Abs. 2 BGB wird die rechtliche Situation hergestellt, in der der Schuldner gleichsam an sich selbst als Gesamtgläubiger erfüllt297. Diese Regelung setzt aber voraus, dass die Schuld durch Leistung an den einen Gesamtgläubiger Erfüllung eintreten könnte. Das aber ist bei § 10 UWG nicht der Fall. § 429 Abs. 3 in Verbindung mit § 422 BGB regelt die Wirkung der Erfüllung. Diese Regelung ist bei § 10 UWG gegenstandslos298, weil Erfüllung nur bei Zahlung an den Bundeshaushalt eintritt und dann ohnehin für alle übrigen Schuldner wirkt. Leistung an Erfüllungs statt, Hinterlegung und Aufrechnung kommen bei der Gewinnabschöpfung nicht in Betracht299. Ebenfalls unanwendbar sind §§ 429 Abs. 3 S. 1, 422 S. 2, 423 BGB300. Diese Bestimmungen betreffen Verfügungen über die Forderung. Diese Vorschriften sind nicht anzuwenden, weil die Verfügungsbefugnis der Gläubiger hinsichtlich des Abschöpfungsanspruchs aufgrund der speziellen Rechtsnatur des Abschöpfungsanspruchs Einschränkungen unterliegt. Denn der Gewinnabschöpfungsanspruch dient der Verwirklichung kollektiver Interessen, durch die individualbezogene Verfügungsmöglichkeiten, die den Sanktionszweck vereiteln könnten, eingeschränkt werden301. Da dem Gläubiger vor allem die Befugnis zur Übertragung der Forderung fehlt, ist auch § 429 Abs. 3 S. 2 BGB obsolet, der Regelungen im Falle der Forderungsübertragung vorsieht. Gemäß § 429 Abs. 1 BGB wirkt der Verzug eines Gesamtgläubigers auch gegen die übrigen Gläubiger. Diese Regelung steht in einem unmittelbaren Sachzusammenhang mit § 428 BGB. Denn die Annahme der angebotenen Leistung durch den Gläubiger hätte den Schuldner gegenüber allen Gläubigern befreit302. Die Anwendung von § 429 Abs. 1 BGB im Rahmen des § 10 UWG ist fragwürdig303, weil die damit verbundene Privilegierung des Schuldners auf dem Wahlrecht des Schuldners gemäß § 428 BGB beruht304, der bei der Gewinnabschöpfung gerade nicht anwendbar ist. Übrig bleibt damit allein § 429 Abs. 3 S. 1 BGB in Verbindung mit § 425 BGB. Dieser Vorschrift liegt in Abweichung von §§ 422, 423 BGB das Prinzip der Einzelwirkung zugrunde305. Sie begründet damit eine Ausnahme von der ansonsten für Gesamtschuldner und Gesamtgläubiger gleichermaßen geltenden Gesamt297
Bydlinski, in: Münchener Kommentar, BGB, § 429 Rn. 3. Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 18; Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 184. 299 Oben § 6. C. III. 3., S. 496 ff.; Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 81 ff. 300 Ahrens, Wettbewerbsrecht, Rn. 314; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 18.; differenzierend Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 81 ff. 301 Oben § 6. C. III. 2., S. 489 ff. 302 Selb, Mehrheiten von Gläubigern und Schuldnern, § 16 II 2 a), S. 255. 303 Ebenso Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 183. 304 Bydlinski, in: Münchener Kommentar, BGB, § 429 Rn. 2. 305 Bydlinski, in: Münchener Kommentar, BGB, § 425 Rn. 1. 298
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
wirkung von rechtsrelevanten Tatsachen. In Bezug auf Abschöpfungsansprüche ist diese Regelung in der Sache entbehrlich, weil damit nur zum Ausdruck gebracht wird, dass die Wirkungen bestimmter Tatsachen jeweils auf das einzelne Rechtsverhältnis beschränkt sind. Ohne die verkomplizierende Verweisungstechnik des Gesetzes könnte man zu keinem anderen Ergebnis gelangen.
D. Anspruchsinhalt und prozedurale Aspekte Die markanteste Eigenheit des Gewinnabschöpfungsanspruchs besteht darin, dass der Gewinn nicht dem Abschöpfungsgläubiger zusteht, sondern an den Bundeshaushalt herzugeben ist. Der Bundeshaushalt ist damit drittbegünstigter Leistungsempfänger. In diesem Zusammenhang regelt § 10 Abs. 4 UWG noch einige prozedurale Besonderheiten, nämlich die Verpflichtung des Anspruchsgläubigers zur Erteilung von Auskunft gegenüber dem Bundesamt für Justiz und den Anspruch auf Erstattung der zur Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen.
I. Drittbegünstigung des Bundeshaushalts 1. Dogmatische Einordnung Die Drittbegünstigung des Bundeshaushalts bildet ein dogmatisches Charakteristikum des Abschöpfungsanspruchs und kennzeichnet den Leistungsinhalt. Referentenentwurf und Regierungsentwurf hatten noch eine Leistungskette vorgesehen, wonach der Schuldner an den Gläubiger zu zahlen hatte und dieser wiederum zur Auskehrung des Gewinns an den Bundeshaushalt verpflichtet war. Erst im Rechtsausschuss wurde die Verpflichtung des Schuldners zur direkten Zahlung an den Bundeshaushalt in das Gesetz aufgenommen. Durch diese Abkürzung des Zahlungsweges sollte das Verfahren vereinfacht werden306. Weil der Schuldner gesetzlich verpflichtet ist, an einen Dritten zu leisten, kann Erfüllung nur bei einem Bewirken der Leistung an diesen Dritten, also durch die Zahlung an den Bundeshaushalt, eintreten307. Zahlt der Schuldner irrtümlich an den Verband, der Klage erhoben hat, dann tritt keine Erfüllung ein. In einem solchen Fall könnte jedoch das Bundesamt der Justiz nicht die Herausgabe des vom Abschöpfungsgläubiger erlangten Betrages verlangen, denn das Gesetz sieht keinen Anspruch vor, der ein solches Begehren trägt. Der Bund hat keinen Anspruch auf den Gewinn, sondern er ist nur faktisch begünstigt. Deswegen müsste die fehlerhafte Zahlung entweder »im Dreieck« rückabgewickelt werden.
306 307
Begr. der Beschlussempfehlung, BT-Drucks. 15/2795, S. 21. Vgl. Wenzel, in: Münchener Kommentar, BGB, § 362 Rn. 17.
D. Anspruchsinhalt und prozedurale Aspekte
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2. Rechtspolitische Bewertung Die Abführung des erzielten Gewinns an den Bundeshaushalt bietet die rechtspolitisch breiteste Angriffsfläche und sieht sich vielfacher Kritik ausgesetzt. Einerseits wird befürchtet, dass mit der Begünstigung des Bundeshaushalts vor allem ein bequemes Mittel zur Haushaltssanierung auf den Schultern der anspruchsberechtigten Verbände geschaffen wird: »Welch’ eine Verlockung für den Finanzminister! Aber glaubt man denn ernsthaft, dass ein Verbraucherverband oder eine sonstige klagebefugte Einrichtung bereit sein wird, ein vergleichsweise hohes Prozessrisiko einzugehen, nur um für die Staatskasse die Kastanien aus dem Feuer zu holen?«308
Andererseits wird die Befürchtung geäußert, dass trotz der Drittbegünstigung des Bundeshaushalts eine erhebliche Gefahr von Missbräuchen zu Lasten von Unternehmen besteht: Es »ist bedenklich, dass die Wettbewerbsvereine und Verbraucherschutzverbände mit dem Anspruch ausgestattet werden sollen. Das wird deren Appetit auf die Austestung der äußersten Grenzen dieser Vorschrift sicher erhöhen. Zwar verbleibt den Verbänden der abgeschöpfte Gewinn nicht. Dieser soll an den Bundeshaushalt abgeführt werden. Doch schafft gerade dieses scheinbar die Seriosität fördernde Merkmal eine Interessenlage, bei der die Verbände versucht sein dürften, gegen eine kleine ihnen zufließende Spende entsprechende Verfahren gegen potenzielle Schuldner fallen zu lassen. Darüber hinaus bietet auch der Anspruch auf Aufwendungsersatz die Möglichkeit, sich über möglichst hohe Aufwendungen eine Einnahmequelle zu erschließen. Dass der Bund offenbar ein Refinanzierungsinstrument für die von ihm finanziell ausgestatteten Verbraucherschutzverbände schaffen wollte, kommt auch in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck, wenn die Angemessenheit der Abgabe an den Bundeshaushalt mit dieser teilweisen öffentlichen Finanzierung der Verbraucherschutzverbände gerechtfertigt wird«309.
Die – hier nur stellvertretend genannten – Befürchtungen haben sich nur zu einem geringen Teil bewahrheitet. Fest steht bereits jetzt, dass sich die von den Abschöpfungsansprüchen ausgehende Verlockung für den Finanzminister derzeit in recht überschaubaren Grenzen hält. Eine sprudelnde Einnahmequelle für den Bundeshaushalt ist mit § 10 UWG nicht entstanden. Zugleich geben die bislang zu § 10 UWG vorliegenden Entscheidungen keinerlei Anhaltspunkte zu einem Missbrauch der Abschöpfung. Die rechtspolitische Problematik der Drittbegünstigung des Bundeshaushalts besteht in dem fehlenden Anreiz zur Rechtsverfolgung. Privatrechtliche Rechtsdurchsetzung ist stets von – mehr oder weniger – egoistischen Motiven des einzelnen Klageberechtigten getragen. Je geringer der eigene Vorteil ist, der aus einer Rechtsverfolgung zu erwarten ist, und je höher die mit der Rechtsverfolgung verbundenen Risiken und Kosten sind, desto größer wird die Hemmschwelle eines Berechtigten sein, seinen privatrechtlichen Anspruch durchzusetzen. Umgekehrt 308 309
Stadler/Micklitz, WRP 2003, 559, 562. Engels/Salomon, WRP 2004, 32, 43.
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
kann aber die Bereitschaft zur Rechtsdurchsetzung steigen, wenn mit der Geltendmachung eines Anspruchs Vorteile verbunden sind. Welchen Anreiz hat nun ein privater Kläger zur Rechtsdurchsetzung, wenn er zwar das volle Risiko eines Zivilverfahrens trägt, aber letztlich nichts gewinnen kann? Fließt der abzuschöpfende Gewinn vollständig an den Bundeshaushalt, dann fehlt es an einem finanziellen Eigeninteresse des Gläubigers zur Anspruchsdurchsetzung. Wer bestenfalls wirtschaftlich neutral steht und im ungünstigen Fall Einbußen fürchten muss, hat wenig Veranlassung, den Weg der privaten Rechtsdurchsetzung zu beschreiten. Der Gesetzgeber hat im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens verschiedene Lösungsansätze erwogen, etwa das Verbleiben des Gewinns bei den Anspruchsberechtigten oder die Abführung des Gewinns an eine Stiftung. Solche Überlegungen wurden jedoch zugunsten der Abführung des Gewinns an den Bundeshaushalt verworfen. Gegen den Verbleib des Gewinns bei den Anspruchsberechtigten spreche – so die amtliche Begründung –, dass der Anspruch aus dem letztlich sachfremden Motiv der Einnahmeerzielung geltend gemacht werde310. Eine Stiftung bringe Verwaltungsaufwand mit sich und derzeit sei nicht absehbar, ob dieser Verwaltungsaufwand lohne311. Die Widersprüchlichkeit beider Begründungen ist mit Händen zu greifen: Einerseits fürchtet der Gesetzgeber den »Missbrauch« des Abschöpfungsanspruchs zum Zwecke der Einnahmeerzielung, was eine gewisse finanzielle Attraktivität des Anspruchs voraussetzt. Anderseits äußert der Gesetzgeber aber erhebliche Zweifel an eben dieser finanziellen Attraktivität der Gewinnabschöpfung und hält es deswegen gar nicht für lohnenswert, eine Stiftung zu errichten. Nicht nur dieser offenbare Widerspruch in der Argumentation entwertet die Überzeugungskraft der gesetzlichen Regelung, sondern auch die inhaltliche Schwäche beider Begründungen. Hinsichtlich der Stiftungslösung drängt sich beispielsweise die Frage auf, warum nicht erwogen wurde, eine bereits existente Stiftung zu unterstützen, um den Gründungsaufwand zu vermeiden, wie etwa die Stiftung Warentest, die sich satzungsgemäß der Wahrnehmung von Verbraucherinteressen befasst312. Allerdings wäre damit nur das Verteilungsproblem gelöst worden, nicht das Problem des fehlenden wirtschaftlichen Anreizes.
II. Rechtsverhältnis zwischen Abschöpfungsgläubiger und Bundeshaushalt Der Abschöpfungsgläubiger ist gemäß § 10 Abs. 4 S. 1 UWG verpflichtet, dem Bundesamt für Justiz Auskunft über die Geltendmachung eines Gewinnabschöpfungsanspruchs zu erteilen und dem Abschöpfungsgläubiger steht bei erfolgreicher Abschöpfung gemäß § 10 Abs. 4 S. 2 UWG ein Erstattungsanspruch zu.
310 311 312
Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 25. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 25. Siehe § 2 Abs. 1 der Satzung der Stiftung Warentest.
D. Anspruchsinhalt und prozedurale Aspekte
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1. Auskunftspflicht Die Pflicht der Abschöpfungsgläubiger zu Erteilung von Auskunft wurzelt in den früheren Gesetzesfassungen, in denen die Abschöpfung noch als Leistungskette vorgesehen war. Die Auskunftspflicht sollte die Abwicklung zwischen der zuständigen Stelle des Bundes und den zur Geltendmachung des Gewinnabschöpfungsanspruchs Berechtigten erleichtern313. Zugleich wurde damit verhindert, dass ein Gläubiger den Gewinn selbst einstreicht und dem Bundeshaushalt vorenthält. Infolge der Einführung einer direkten Zahlungspflicht an den Bundeshaushalt tritt das Abwicklungsinteresse in den Hintergrund. Es liegt im Interesse des Schuldners, den Gewinn direkt an den Bundeshaushalt zu zahlen, da ansonsten keine Erfüllung eintritt. Für das Bundesamt für Justiz ist die Kenntnis von Abschöpfungsmaßnahmen daher vor allem wegen § 10 Abs. 4 S. 2 und 3 UWG und den Aufwendungsersatzansprüchen von Interesse314. Der Erteilung der Auskunft kommt aber noch eine andere – und wichtigere – Funktion zu. Es wird dadurch eine Koordinierung der privatrechtlichen Sanktionierung ermöglicht, sodass mehrfache Abschöpfungsverfahren im Interesse aller Beteiligten verhindert werden. Dies kann allerdings nur gelingen, wenn das Bundesamt für Justiz zum Dialog mit den Anspruchsberechtigten bereit ist315. Sieht man den Zweck der Auskunftspflicht gerade in der Möglichkeit einer Koordination privatrechtlicher Sanktionierung, dann ist es sinnvoll, wenn ein Anspruchsberechtigter so früh wie möglich zu erkennen gibt, dass er aufgrund einer unlauteren Handlung einen Gewinnabschöpfungsanspruch gegen einen Verletzer durchsetzen will. In diese Richtung lässt sich auch der Wortlaut des Gesetzes interpretieren, denn § 10 Abs. 4 S. 1 UWG verlangt nicht erst Auskunft über einen bereits abgeschöpften Gewinn, sondern bereits über die »Geltendmachung von Ansprüchen nach Absatz 1«. Von einer Geltendmachung ist schon dann auszugehen, wenn der Anspruchsberechtigte konkrete außergerichtliche oder gerichtliche Maßnahmen zur Durchsetzung eines Abschöpfungsanspruchs gegen einen Verletzer ergreift. Damit ist es auf unkomplizierte Weise möglich, mehrfache Abschöpfungsverfahren auszuschließen, selbst wenn sich die anspruchsberechtigten Institutionen im Vorfeld nicht untereinander abstimmen. Es bedarf stattdessen nur noch einer Anfrage beim Bundesamt für Justiz, um herauszufinden, ob bereits ein Gewinnabschöpfungsverfahren wegen einer unlauteren Handlung betrieben wird316. Auf diese Weise lassen sich die mit mehreren Abschöpfungsverfahren verbundenen Probleme, die der Gesetzgeber in § 10 Abs. 3 UWG zu bewältigen suchte, von vornherein vermeiden. 313
Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 25. Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 22. 315 Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 187. 316 Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 147 f. will sogar einen Anspruch auf Auskunft gegenüber dem Bundesamt für Justiz bejahen. 314
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
2. Ersatz von Aufwendungen a) Überblick § 10 Abs. 4 S. 2 UWG sieht im Falle der erfolgreichen Gewinnabschöpfung einen Erstattungsanspruch gegenüber dem Bundesamt für Justiz vor, dessen Höhe gemäß § 10 Abs. 4 S. 3 UWG durch den abgeschöpften Gewinn begrenzt wird317. Diese Kappungsgrenze gewährleistet, dass Kosten und Nutzen der Durchsetzung des Gewinnabschöpfungsanspruches nicht außer Verhältnis geraten und die Gewinnabschöpfung für den Bundeshaushalt nicht zu einem unkalkulierbaren Verlustgeschäft wird, weil die Kosten der Rechtsdurchsetzung die Höhe des abgeschöpften Gewinns übersteigen. Zugleich wird der Gefahr entgegengewirkt, dass unnütz hohe Aufwendungen verursacht werden318. Die Gefahr, dass der Aufwendungsersatz von den Anspruchsberechtigten als Einnahmequelle missbraucht wird319, ist gering320. Abgesehen von der absoluten Grenze des Aufwendungsersatzes gemäß § 10 Abs. 4 S. 3 UWG erhält der Gläubiger nicht sämtliche Aufwendungen ersetzt, sondern nur die zur Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten. Welche Kosten in diesem Sinne als erforderlich anzusehen sind, bestimmt sich nach den Maßstäben der § 12 Abs. 1 S. 2 UWG, § 670 BGB und § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO321. Maßgeblich ist demgemäß nicht, welche Aufwendungen der Abschöpfungsgläubiger im konkreten Fall für erforderlich gehalten hat, sondern welche Aufwendungen er bei verständiger Würdigung der Sachlage und bei sorgfältiger Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für erforderlich halten durfte322. Nicht ersatzfähig sind beispielsweise Aufwendungen, die im Zusammenhang mit einer rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung der Gewinnabschöpfung entstanden sind323. Der Anspruch auf Aufwendungsersatz gemäß § 10 Abs. 4 S. 2 UWG besteht nur, soweit die Anspruchsberechtigten vom Schuldner keinen Ausgleich erlangen können. Die Bedeutung des einschränkenden Halbsatzes ist unklar. Man kann den Satz dahingehend verstehen, dass der Bundeshaushalt nur hilfsweise einspringt, wenn der Schuldner die materiellrechtlichen und prozessualen Kostenansprüche des Gläubigers tatsächlich nicht befriedigen kann324. Die Höhe der erstattungsfähigen Aufwendungen wäre dann strikt an die Höhe bestehender Erstattungsansprüche gegenüber dem Abschöpfungsschuldner gekoppelt. Aufwendungen, der 317
§ 10 Abs. 4 S. 3 UWG. Diese Gefahr sieht Sack, WRP 2003, 549, 555. 319 Sack, WRP 2003, 549, 555. 320 Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 191. 321 Ähnlich Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 149 ff. mit Beispielen. 322 Von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 251 unter Hinweis auf die bürgerlich-rechtlichen Grundsätze. 323 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 23; Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 191. 324 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 129. 318
D. Anspruchsinhalt und prozedurale Aspekte
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der Abschöpfungsgläubiger vom Abschöpfungsschuldner nicht verlangen kann, wären von § 10 Abs. 4 S. 2 UWG nicht erfasst. Eine solche enge Interpretation ist indessen sprachlich und sachlich nicht zwingend. § 10 Abs. 4 S. 2 UWG kann in einem weiten Sinne auch so gelesen werden, dass Aufwendungen des Abschöpfungsgläubigers ersatzfähig sind, die er aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht vom Abschöpfungsschuldner verlangen kann, wenn nur diese Aufwendungen zur Rechtsverfolgung erforderlich waren325. Dazu können beispielsweise Kosten gehören, die der Kläger selbst tragen muss, weil er nur teilweise obsiegt hat326 oder Kosten, die zur Vorbereitung und Durchführung der Gewinnabschöpfungsklage geboten waren und die nicht von § 91 ZPO erfasst werden327. Für dieses weitere Verständnis der Norm spricht, dass auf diese Weise immerhin ein wirtschaftlicher »Mindestanreiz« für die Verbände geschaffen wird, das Risiko einer Gewinnabschöpfungsklage einzugehen. Folgt man dagegen dem engeren Verständnis, dann würden die Anspruchsberechtigten unter Umständen selbst bei einer erfolgreichen Anspruchsdurchsetzung »draufzahlen«, etwa wenn im Vorfeld der Abschöpfungsklage besonders kostenträchtige Maßnahmen – beispielsweise für Sachverständigengutachten oder Verkehrsbefragungen – erforderlich sind. b) Verbleibende wirtschaftliche Risiken für die Anspruchsberechtigten Trotz § 10 Abs. 4 S. 2 UWG verbleiben für die Abschöpfungsgläubiger verschiedene wirtschaftliche Risiken. Erstens setzt der Erstattungsanspruch voraus, dass der abgeschöpfte Gewinn dem Bundeshaushalt wirklich zugeflossen ist. Dies folgt aus § 10 Abs. 4 S. 3 UWG. Der Abschöpfungsgläubiger trägt damit das volle Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Abschöpfungsschuldners328. Bleibt jegliche Zahlung des Abschöpfungsschuldners an den Bundeshaushalt aus, dann besteht auch kein Erstattungsanspruch gegen den Bund. Diese Regelung beruht auf dem Gedanken der sich selbst finanzierenden Gewinnabschöpfung und ist vor dem Hintergrund der privatrechtlichen Ausgestaltung des Abschöpfungsanspruchs konsequent. Zudem wird auf diese Weise verhindert, dass von Anspruchsberechtigten wirtschaftlich aussichtslose Klagen angestrengt werden. Zweitens verbleibt ein Restrisiko für den Abschöpfungsgläubiger, wenn der Abschöpfungsschuldner nach der Abschöpfung gewinnmindernde Zahlungen 325 Koch, in: jurisPK-UWG, § 10 Rn. 46; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 23; Lehmler, UWG, § 10 Rn. 20; Micklitz, in: Münchener Kommentar, § 10 Rn. 191; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 256. 326 Eine Erforderlichkeit entsprechender Aufwendungen ablehnend: Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 15/1487, S. 35; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 129; Mönch, ZIP 2004, 2032, 2036. 327 Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 191. 328 Koch, in: jurisPK-UWG, § 10 Rn. 47; Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 190; anders von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 256, wonach § 10 Abs. 4 S. 2 UWG die Möglichkeit biete, in Fällen der Insolvenz auf Schuldnerseite den Verband in Höhe seines Forderungsausfalls aus Bundesmitteln zu befriedigen.
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§ 7. Gewinnabschöpfung im Lauterkeitsrecht
gemäß § 10 Abs. 2 UWG vornimmt. Leistet der in Anspruch genommene Unternehmer nach der Abführung des Gewinns an den Bundeshaushalt nachweisbar anrechenbare Zahlungen an Dritte, dann steht ihm gemäß § 10 Abs. 2 S. 2 UWG ein Erstattungsanspruch gegen den Bund zu. Zehrt nun der Erstattungsanspruch des Schuldners aus § 10 Abs. 2 S. 2 UWG den abgeschöpften Gewinn auf, dann wirkt dies auf den Aufwendungsersatz gemäß § 10 Abs. 4 S. 2 UWG zurück, weil dieser Anspruch gemäß § 10 Abs. 4 S. 3 UWG nicht höher als der beim Bundeshaushalt verbleibende Gewinn sein kann. Dementsprechend ist der Anspruch des Gläubigers auf Aufwendungsersatz entsprechend zu kürzen oder, falls der gesamte Gewinn an den Schuldner zu erstatten ist, entfällt der Erstattungsanspruch vollständig. Wurden die Aufwendungen des Gläubigers bereits ersetzt, dann entsteht eine Pflicht zur Rückzahlung der zu viel erstatteten Aufwendungen an den Bundeshaushalt. Da in einem solchen Fall der Rechtsgrund für den Aufwendungsersatz ursprünglich bestanden hat und dieser durch die Zahlung des Abschöpfungsschuldners an Dritte nachträglich erloschen ist, ergibt sich die Rückzahlungspflicht aus § 812 Abs. 1 S. 2, 1. Alt. BGB329. Diese Folge ist misslich, weil sie selbst einem erfolgreichen Anspruchsberechtigten nachträglich eine finanzielle Unsicherheit aufbürdet und möglicherweise zu einer komplizierten Rückabwicklungskette führt. Um unbillige Folgen für den Anspruchsberechtigten zu verhindern, wird man eine Pflicht des Abschöpfungsschuldners annehmen müssen, den Abschöpfungsgläubiger darüber zu informieren, dass er wegen der unlauteren Handlungen von Dritten in Anspruch genommen wird oder gegen ihn staatliche Maßnahmen verhängt werden. Der Abschöpfungsgläubiger kann dann zunächst abwarten und muss nicht das Risiko eines erfolglosen Abschöpfungsverfahrens eingehen. Eine solche Informationspflicht entspricht in der Sache der Pflicht eines Abgemahnten, bei mehrfachen Abmahnungen darüber aufzuklären, dass er bereits abgemahnt worden ist und daraufhin eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat. Der BGH begründet eine solche Aufklärungspflicht mit einer im Einzelfall erforderlichen Interessen- und Pflichtenabwägung. Danach erscheine es geboten, den Verletzer, der durch sein unerlaubtes Handeln Anlass zur Abmahnung und – für den Fall des Schweigens auf diese – zum prozessualen Vorgehen gegeben habe, als verpflichtet anzusehen, den Abmahnenden darüber aufzuklären, dass eine Unterwerfung wegen derselben Verletzungshandlung bereits einem Dritten gegenüber erfolgt sei330. Denn für den Abmahnenden bestehe anderenfalls die erhebliche, auf das ursprüngliche wettbewerbswidrige Verhalten des Verletzers zurückzuführende Gefahr eines sowohl überflüssigen als auch aussichtslosen Prozesses, während andererseits die Mitteilung der Unterwerfung, ihres Adressaten und ihres wesentlichen Inhalts dem Abgemahnten eine im Verhältnis zu jenem von ihm verursachten Risiko geringen, jedenfalls aber zumutbaren Aufwand bereitet.
329 Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 159. Anders Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 193: Eine Rechtsgrundlage für Rückforderungsansprüche sei nicht ersichtlich. 330 BGH vom 19.6.1986, GRUR 1987, 54, 55 – Aufklärungspflicht des Abgemahnten.
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Diese Grundsätze können auf § 10 UWG übertragen werden331. Denn eine Aufklärungspflicht besteht grundsätzlich auch gegenüber Verbänden332. Zudem ist die Interessenlage bei der Gewinnabschöpfung grundsätzlich vergleichbar, weil die anspruchsberechtigte Institution Gefahr läuft, ein unnötiges Abschöpfungsverfahren zu betreiben oder Aufwendungen wieder erstatten zu müssen. Das hat zur Folge, dass der Verletzer, wenn er seiner Informationsobliegenheit nicht nachkommt, dem Abschöpfungsgläubiger zum Schadensersatz in Höhe der zu erstattenden Aufwendungen verpflichtet ist. Sofern der Abschöpfungsschuldner keine Informationspflicht verletzt hat, liegt es im Ermessen des Bundesamtes für Justiz, ob es etwaige Rückforderungsansprüche wegen zu viel gezahlter Aufwendungen von einem Abschöpfungsgläubiger zurückfordert. In einem solchen Fall bleibt letztlich nicht mehr als der rechtlich unverbindliche Appell, dass der Bundeshaushalt – gleichsam als eine Art Härtefallregelung – ausnahmsweise den wirtschaftlichen Nachteil übernimmt.
331 332
Mönch, ZIP 2004, 2032, 2035. BGH vom 5.5.1988, GRUR 1988, 716, 717 – Aufklärungspflicht gegenüber Verbänden.
§ 8. Vorteilsabschöpfung im Kartellrecht § 34a GWB ist das kartellrechtliche Pendant zu § 10 UWG. Obgleich die beiden Ansprüche im Detail Unterschiede aufweisen, verfügen sie über eine einheitliche Grundstruktur und gehören der gleichen dogmatischen Kategorie an1.
A. Grundlagen § 34a GWB folgte § 10 UWG nach. Der Gesetzgeber zeigte sich von der harschen Kritik an § 10 UWG wenig beeindruckt. Er gab mit der Aufnahme von § 34a GWB zu verstehen, dass Abschöpfungsansprüchen ein fester Platz im System privatrechtlicher Ansprüche zukommen soll. Die Einführung des Vorteilsabschöpfungsanspruches in das GWB fand im Vergleich zur lebhaften Diskussion über den Gewinnabschöpfungsanspruch geringere Aufmerksamkeit2. Das ist aus mehreren Gründen nicht überraschend. § 10 UWG zog schon durch seine Vorreiterrolle große Aufmerksamkeit auf sich. Der kartellrechtliche Vorteilsabschöpfungsanspruch segelte demgegenüber im Windschatten der Gewinnabschöpfung. Des Weiteren kannte das Kartellrecht bereits vor der siebten GWB-Novelle eine Reihe von speziellen Abschöpfungsinstrumenten. Praktische Bedeutung hatte jedoch nur die Abschöpfung durch Geldbußen. Demgegenüber spielte die kartellbehördliche Abschöpfung gemäß § 34 GWB a.F. in der Praxis keine Rolle. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung mögen viele Kritiker der Einführung einer privatrechtlichen Vorteilsabschöpfung im Kartellrecht mit Gelassenheit entgegengesehen haben. Die im Gesetzgebungsverfahren an § 34a GWB formulierte Kritik betrifft weniger das Instrument der Abschöpfung an sich als die Praktikabilität der Sanktion. Der Bundesrat kritisierte, das nicht grundsätzlich abzulehnende Institut der Gewinnabschöpfung sei nicht in einer sinnvollen und für die Justizverwaltungen hinnehmbaren Weise ausgestaltet. Die Vorschrift sei nicht praktikabel und durch die Gerichte nicht vernünftig handhabbar. Von der vorgeschlagenen »Schaufenstergesetzgebung« solle daher Abstand genommen werden3.
1 2 3
Oben, § 6. C., S. 474 ff. Stadler, in: Die Europäisierung des Kartell- und Lauterkeitsrechts, S. 117, 118. BT-Drucks. 15/3640.
A. Grundlagen
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I. Entwicklung Im Gegensatz zur wechselvollen Entstehungsgeschichte des § 10 UWG durchlief der Anspruch auf Vorteilsabschöpfung im Gesetzgebungsverfahren nur geringfügige Änderungen. Der Gesetzgeber konnte auf die Erfahrungen aus der UWGReform aufbauen. Die Fassung des Vorteilsabschöpfungsanspruchs im Referentenentwurf lautete: »(1) Soweit nicht die Kartellbehörde die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils nach § 34 Abs. 1 oder den Verfall nach § 29a des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten in Verbindung mit § 81 Abs. 3 Satz 3 anordnet, können die in § 33 Abs. 2 Nr. 2 und 3 genannten Verbände und qualifizierten Einrichtungen von dem, der einen Verstoß im Sinne des § 33 Abs. 1 vorsätzlich begeht und hierdurch auf Kosten einer Vielzahl von Geschädigten einen wirtschaftlichen Vorteil erzielt, die Herausgabe eines entsprechenden Geldbetrages verlangen. (2) Auf den Anspruch sind Leistungen anzurechnen, die das Unternehmen auf Grund des Verstoßes an einen Betroffenen erbracht hat. § 34 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend. (3) Beanspruchen mehrere Gläubiger die Vorteilsabschöpfung, gelten die §§ 438 bis 430 des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend. (4) Die Verbände und qualifizierten Einrichtungen haben den erlangten Geldbetrag nach Abzug der zur Geltendmachung des Anspruchs erforderlichen Aufwendungen an das Bundeskartellamt abzuführen. Soweit sie nach der Abführung Zahlungen nach Absatz 2 Satz 2 zurückerstattet haben, wird ihnen der abgeführte Betrag in Höhe der nachgewiesenen Zahlungen vom Bundeskartellamt erstattet. Sie haben dem Bundeskartellamt über die Geltendmachung sowie die Erfüllung von Ansprüchen nach Absatz 2 Auskunft zu erteilen und auf Verlangen Rechenschaft abzulegen. (5) § 33 Abs. 4 und 5 ist entsprechend anzuwenden«.
Der Regierungsentwurf enthielt nur geringfügige Abweichungen: »(1) Wer einen Verstoß im Sinne des § 34 Abs. 1 vorsätzlich begeht und hierdurch zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt, kann von den gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 1 und 2 zur Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs Berechtigten auf Herausgabe dieses wirtschaftlichen Vorteils an den Bundeshaushalt in Anspruch genommen werden, soweit nicht die Kartellbehörde die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils durch Verhängung einer Geldbuße, durch Verfall oder nach § 34 Abs. 1 anordnet. (2) … [wie Referentenentwurf] (3) … [wie Referentenentwurf] (4) Die Gläubiger haben dem Bundeskartellamt über die Geltendmachung von Ansprüchen nach Absatz 1 Auskunft zu erteilen. Sie können vom Bundeskartellamt Erstattung der für die Geltendmachung des Anspruchs erforderlichen Aufwendungen verlangen, soweit sie vom Schuldner keinen Ausgleich erlangen können. Der Erstattungsanspruch ist auf die Höhe des an den Bundeshaushalt abgeführten wirtschaftlichen Vorteils beschränkt. (5) … [wie Referentenentwurf]«.
Ganz dem Vorbild des § 10 UWG verhaftet, sah der Regierungsentwurf eine Vorteilsabschöpfung nur bei Handlungen zu Lasten von Abnehmer vor. Der Aus-
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§ 8. Vorteilsabschöpfung im Kartellrecht
schuss für Wirtschaft und Arbeit fügte in den Tatbestand die Wendung »oder Anbietern« ein und erstreckte damit den Anwendungsbereich des Abschöpfungsanspruchs auf sämtliche wettbewerbsbeschränkende Praktiken zu Lasten der voroder nachgelagerten Absatzstufe. In der amtlichen Begründung heißt es dazu, es werde klargestellt, dass »nicht nur die Abnehmer im engeren Sinne, sondern auch die Anbieter geschützt werden«4. Das erweckt den Eindruck, die Aufnahme der Anbieter in den Tatbestand des Abschöpfungsanspruchs habe lediglich redaktionellen Charakter. In Wahrheit wurde der Anwendungsbereich von § 34a GWB gegenüber dem Regierungsentwurf und dem Vorbild des § 10 UWG beträchtlich erweitert. Der Gesetzgeber ist insoweit mit Recht vom Vorbild des Gewinnabschöpfungsanspruchs abgewichen.
II. Stellung und Bedeutung der Vorteilsabschöpfung im kartellrechtlichen Sanktionssystem 1. Legitimation einer privatrechtlichen Abschöpfung im Kartellrecht Kartellrechtsverstöße gehören zu denjenigen Rechtsverletzungen, die typischerweise Unrechtsvorteile abwerfen. Kartellabsprachen und sonstige Wettbewerbsbeschränkungen beruhen gerade auf dem Bestreben, Marktverhältnisse in der Weise zu verändern, dass die Beteiligten hierdurch wirtschaftlich besser gestellt werden. Dementsprechend lösen Kartellrechtsverstöße in besonderem Maße das Bedürfnis nach einer Abschöpfung von Unrechtsvorteilen aus. § 10 UWG und § 34a GWB gehören der gleichen dogmatischen Anspruchskategorie an und folgen den gleichen Grundgedanken und Sanktionszwecken5. Im Unterschied zum Lauterkeitsrecht kennt das Kartellrecht neben § 34a GWB eine Reihe weiterer Abschöpfungsinstrumente6. Angesichts dieser vielfältigen Möglichkeiten der Abschöpfung, die bei Kartellrechtsverstößen zur Verfügung stehen, liegt nicht ohne Weiteres auf der Hand, warum es neben den vorhandenen Abschöpfungsmechanismen noch eines zusätzlichen privatrechtlichen Anspruchs bedurfte7. Praktische Sanktionsdefizite können jedenfalls nicht den Ausschlag gegeben haben. § 34a GWB dürfte vor allem als ein Zeichen für die Aufwertung und Stärkung des privaten Rechtsschutzes anzusehen sein. Das Gesetz bringt mit § 34a GWB die funktionelle Äquivalenz von kartellbehördlichen und privatrechtlichen Sanktionen zum Ausdruck. Zugleich kann ein Nebeneinander kartellbehördlicher und privatrechtlicher Sanktionsinstrumente sinnvoll 4 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss), BT-Drucks. 15/5049, S. 48. 5 Oben § 6. C., S. 474 ff. 6 Oben § 6. B. III., S. 455 ff. 7 Fuchs, WRP 2005, 1384, 1391; ders. in: Enforcement – Die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts, S. 183, 194 f., sieht für den Abschöpfungsanspruch »kein wirkliches Bedürfnis«.
A. Grundlagen
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sein, weil die Sanktionen jeweils unterschiedliche Vor- und Nachteile aufweisen8. Indem das Gesetz einen privatrechtlichen Vorteilsabschöpfungsanspruch vorsieht, legt es die Verantwortung für eine Verfolgung von Kartellrechtsverstößen auch in die Hände Privater. Dies entspricht dem Ziel des Kartellrechts, eine »Kultur des Wettbewerbs« und die Eigenverantwortung der Marktakteure für den Erhalt der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs zu fördern9. Für den Verletzer bedeutet dies zugleich, dass er im Falle eines Kartellrechtsverstoßes sowohl mit kartellbehördlichen als auch mit privatrechtlichen Sanktionen rechnen muss. Entscheidet beispielsweise die zuständige Kartellbehörde in pflichtgemäßem Ermessen, wegen eines Kartellrechtsverstoßes keine Abschöpfung anzuordnen, dann ist der Verletzer keineswegs auf der sicheren Seite, sondern kann gleichwohl noch auf Abschöpfung des erlangten Vorteils in Anspruch genommen werden. Auf diese Weise wird insgesamt ein dichteres Sanktionsnetz bei Kartellrechtsverstößen geknüpft. 2. Bedeutung Während § 10 UWG in der Rechtsprechung immerhin erste Spuren hinterlassen hat, ist § 34a GWB bislang nicht zur Anwendung gekommen. Man darf die Prognose wagen, dass sich daran wenig ändern wird10. Die Vorschrift ist zwar nicht als »totes Recht« anzusehen11, doch beschränkt sich die Bedeutung der Vorschrift auf eine bloße Appellfunktion. Zu bezweifeln ist, ob die Existenz des Abschöpfungsanspruchs »Druck« auf die Kartellbehörden ausübt, von der – in ihrem Ermessen liegenden – Vorteilsabschöpfung gemäß § 34 GWB Gebrauch zu machen12. Denn man könnte diese Überlegung genauso gut umkehren und sagen, dass durch § 34a GWB »Druck« von den Kartellbehörden genommen wird, weil mit § 34a GWB eine zielgleiche »Ersatzsanktion« zur Verfügung steht. Die Gründe für die Bedeutungslosigkeit von § 34a GWB sind vielfältig. Erstens kommt eine Vorteilsabschöpfung gemäß § 34a GWB nur in Betracht, wenn der Unrechtsvorteil einem Kartelltäter nicht bereits auf andere Weise entzogen wurde. Zweitens fehlt es für die Anspruchsberechtigten, wie bei § 10 UWG, an einem wirtschaftlichen Anreiz, das Risiko einer Vorteilsabschöpfung einzugehen. Drittens ist der Kreis der Anspruchsberechtigten enger gezogen als bei § 10 UWG. Insbesondere dürfen qualifizierte Einrichtungen den Anspruch aus § 34a GWB nicht geltend machen13. Viertens unterliegt die Anspruchsberechtigung der Wirtschaftsverbände gemäß §§ 34a Abs. 1, 33 Abs. 2 GWB nochmals speziellen Einschränkungen14. 8
Oben § 5. A. II. 1., S. 299 ff. Oben § 5. A. II. 3., S. 312 ff. 10 Alexander, JZ 2006, 890, 895; Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34a GWB Rn. 1; Monopolkommission, Sondergutachten 41, Rn. 94. 11 Kling/Thomas, Kartellrecht, § 21 Rn. 83. 12 So Bechtold, DB 2004, 239, 240. 13 Unten, C. I. 2., S. 601 ff. 14 Unten, C. I. 1., S. 599 ff. 9
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§ 8. Vorteilsabschöpfung im Kartellrecht
3. Verhältnis zu anderen Sanktionen Der Abschöpfungsanspruch steht grundsätzlich gleichberechtigt und gleichrangig neben den sonstigen privatrechtlichen Sanktionen. Es handelt sich also nicht um ein Sanktionsinstrument »zweiter Klasse«. Missverständlich ist es deswegen, wenn die amtlichen Materialien von einer Subsidiarität des Anspruchs auf Vorteilsabschöpfung sprechen15. a) Privatrechtliche Sanktionen Mit sonstigen kartelldeliktischen Ansprüchen kann § 34a GWB zusammentreffen. Insbesondere ist es möglich, dass einem erfolgreich durchgesetzten Unterlassungsanspruch gemäß § 33 Abs. 1 GWB ein Anspruch auf Vorteilsabschöpfung nachfolgt. Das Verhältnis zu Schadensersatzansprüchen regelt § 34a Abs. 2 S. 1 GWB. Hiernach sind Schadensersatzzahlungen auf den herauszugebenden wirtschaftlichen Vorteil anzurechnen. b) Kartellbehördliche Sanktionen Besonderer Abstimmungsbedarf besteht aber im Hinblick auf die weiteren Abschöpfungsmechanismen des GWB. Grundsätzlich muss eine Mehrfachabschöpfung des Verletzers verhindert werden. Dies wird an sich schon durch § 34a Abs. 2 GWB gewährleistet, wonach »Leistungen« des Verletzers an Dritte auf den herauszugebenden Vorteil anzurechnen sind. Der zweite Halbsatz des § 34a Abs. 1 GWB begründet jedoch ein spezielles Rangverhältnis zu anderen Abschöpfungsinstrumenten. Dieser besonderen Abstimmung bedarf es, weil die kartellbehördlichen Abschöpfungsinstrumente und § 34a Abs. 1 GWB den gleichen Sanktionszwecken dienen. § 34a Abs. 1 GWB geht von einen Primat der kartellbehördlichen Abschöpfung aus. Dieser Vorrang ist sachgerecht, weil typischerweise die Kartellbehörde am besten einschätzen kann, ob ein Kartellrechtsverstoß vorliegt und ob ein Verletzer aus seiner Zuwiderhandlung einen wirtschaftlichen Vorteil gezogen hat. Da ihr zudem unterschiedliche Abschöpfungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, kann sie weiterhin entscheiden, welche Reaktion im konkreten Fall angemessen ist. Der Vorrang gilt grundsätzlich für sämtliche kartellbehördlichen Abschöpfungsmechanismen, einschließlich der Anordnung von Verfall. Insoweit findet also § 73 Abs. 1 S. 2 StGB keine Anwendung, der in analoger Anwendung an sich einem Abschöpfungsanspruch entgegen stünde16. Der Vorrang anderer Abschöpfungsinstrumente wird in dem Zeitpunkt begründet, in welchem die Kartellbehörde die Abschöpfung nach anderen Vorschriften anordnet17. Bereits mit dieser Anordnung (und nicht erst mit erfolgrei15
Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 55. Zur Parallelproblematik bei § 10 UWG oben § 7. B. IV. 3. b) cc), S. 561 ff. 17 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 34a Rn. 20; Lübbig, in: Münchener Kommentar, GWB, § 34a Rn. 25. 16
A. Grundlagen
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chem »Vollzug« der Abschöpfung) geht der Anspruch aus § 34a Abs. 1 GWB unter18. Der Begriff der Anordnung meint die Bekanntgabe des jeweiligen Bescheides gegenüber dem oder den Adressaten19. Die bloße Absicht der Kartellbehörde, eine Anordnung nach § 34 Abs. 1 GWB treffen zu wollen, steht der Geltendmachung eines Abschöpfungsanspruchs dagegen nicht entgegen. Allerdings sind die Verbände gut beraten, vor Klageerhebung stets zu prüfen, ob die Kartellbehörde eine entsprechende Anordnung plant20. Es ist auch denkbar, dass die Kartellbehörde erst nach Klageerhebung durch einen Verband die Abschöpfung anordnet. In einem solchen Fall kann der Abschöpfungsanspruch mangels Bestehens nicht mehr mit Erfolg durchgesetzt werden. Der Kläger kann dann nur noch seine Klage zurücknehmen oder den Rechtsstreit für erledigt erklären21. Allerdings tritt der Vorrang kartellbehördliche Ansprüche nur ein, »soweit« die Abschöpfung angeordnet wird. Daher schließt beispielsweise eine Anordnung gemäß § 34 Abs. 1 GWB einen Abschöpfungsanspruch nicht per se aus. § 34a Abs. 1 GWB ist trotz einer Anordnung nach § 34 Abs. 1 GWB noch anwendbar, wenn ein wirtschaftlicher Vorteil beim Verletzer verblieben ist22. Ein solcher Fall kann eintreten, wenn die Kartellbehörde den vom Verletzer erzielten Vorteil zu niedrig angesetzt hat, z.B. weil das gesamte Ausmaß eines Kartellrechtsverstoßes erst später sichtbar geworden ist.
III. Einfluss des Gemeinschaftsrechts Der Anspruch auf Vorteilsabschöpfung beruht nicht auf gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Es handelt sich um ein eigenständiges Sanktionsinstrument des deutschen Rechts. Gleichwohl kommt dem Gemeinschaftsrecht bei der Anwendung des Abschöpfungsanspruchs Bedeutung zu. Insbesondere verlangt der Äquivalenzgrundsatz des Gemeinschaftsrechts, dass der Abschöpfungsanspruch bei Verstößen gegen Vorschriften des EG-Kartellrechts in gleicher Weise zur Anwendung kommen kann wie bei Verstößen gegen nationale Kartellrechtsvorschriften. § 34a GWB erfüllt diese Anforderungen nur bei korrigierender Auslegung des Tatbestands und bei Einbeziehung von Verstößen gegen Entscheidungen der Kommission23. Bedenken gegen einen privatrechtlichen Abschöpfungsanspruch als Sanktion bestehen aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht nicht. Das gemeinschaftsrechtliche Bemühen von Rechtsprechung und Kommission24, die privatrechtliche Rechts18
Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 55. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 55. 20 Es »empfiehlt sich somit eine Erkundigung bei der zuständigen Kartellbehörde, ob diese ein eigenes Verfahren zur Vorteilsabschöpfung eingeleitet hat oder einzuleiten beabsichtigt«, Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 55. 21 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 34a Rn. 21. 22 Bechtold, GWB, § 34a Rn. 6. 23 Dazu sogleich unter B. I. 1. b), S. 585 f. 24 Oben § 5. A. III., S. 316 ff. 19
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durchsetzung bei der Verletzung von Bestimmungen des Gemeinschaftskartellrechts zu stärken, dürfte im Gegenteil dafür sprechen, dass das Gemeinschaftsrecht, dessen Fokus bislang vor allem auf Schadensersatzklagen liegt, einer privatrechtlichen Vorteilsabschöpfung nicht ablehnend gegenübersteht. Eine Übernahme der Vorteilsabschöpfung in das Gemeinschaftskartellrecht ist nur vereinzelt angedacht worden25. § 34a GWB taugt in seiner jetzigen Form als »Exportartikel« nicht. Denn § 34a GWB weist erhebliche konstruktive Schwachstellen auf, die einer Übernahme dieser Regelung auf Gemeinschaftsebene entgegenstehen. Bevor man eine gemeinschaftsrechtliche Vorteilsabschöpfung in den Blick nimmt, gilt es zunächst, die – praktisch viel wichtigere – Schadensersatzhaftung bei EG-Kartellrechtsverstößen zu stärken.
IV. Seitenblick nach Österreich Das österreichische Kartellrecht kennt keine § 34 und § 34a GWB vergleichbaren speziellen Abschöpfungsinstrumente mehr. Demgegenüber sah das alte Kartellgesetz (KartG 1988) in § 21 noch einen eigenständigen Abschöpfungstatbestand vor. Gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 KartG 1988 konnte das Kartellgericht von Amts wegen oder auf Antrag einer Amtspartei einem Unternehmer oder einem Verband von Unternehmern, die durch die verbotene Durchführung eines Kartells bereichert waren, die Zahlung eines der Bereicherung entsprechenden Geldbetrages an den Bund auferlegen. Diese Bestimmung galt gemäß § 40 KartG 1988 entsprechend für den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Praktische Bedeutung haben diese Vorschriften allerdings nicht erlangt26. Trotz Abschaffung dieser Regelung sind von einem Verletzer erzielte Unrechtsvorteile auch nach geltendem Recht abschöpfbar. Eine durch den Kartellrechtsverstoß eingetretene Bereicherung des Kartelltäters kann nach jetziger Rechtslage bei der Bemessung einer zu verhängenden Geldbuße berücksichtigt werden. Gemäß § 30 S. 1 KartG »ist insbesondere auf die Schwere und die Dauer der Rechtsverletzung, auf die durch die Rechtsverletzung erzielte Bereicherung, auf den Grad des Verschuldens und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Bedacht zu nehmen«. Das KartG verlangt eine Abschöpfung des erzielten Unrechtsvorteils nicht zwingend, sondern die Bereicherung des Verletzers bildet nur ein Wertungskriterium neben anderen27. Diese Regelung beruht nicht zuletzt auf der praktischen »Schwierigkeit, Langwierigkeit und Kostenintensität exakter Feststellungen zu einer etwaigen Bereicherung, wenn dazu womöglich noch ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müsste, ohne, dass es dadurch zu einer Verbesserung des Schutzes des Wettbewerbes oder der Durchsetzungsmöglichkeiten des Kartellgesetzes käme«28. 25 26 27 28
Ritter, WuW 2008, 762, 773. Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht, § 8 Rn. 86. OGH vom 12.9.2007, 16 Ok 4/07 zu § 143 KartG 1988. OLG Wien vom 7.6.2005, 27 Kt 245/04.
B. Struktur des Haftungstatbestands
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B. Struktur des Haftungstatbestands I. Grundanforderungen 1. Parallele zum Tatbestand der kartellbehördlichen Vorteilsabschöpfung gemäß § 34 Abs. 1 GWB Der Haftungstatbestand des § 34a GWB setzt einen Verstoß im Sinne des § 34 Abs. 1 GWB voraus. § 34a GWB verweist damit auf die Voraussetzungen der kartellbehördlichen Vorteilsabschöpfung. a) Zuwiderhandlung im Sinne des § 34 Abs. 1 GWB § 34 Abs. 1 GWB findet Anwendung, wenn ein Unternehmen gegen eine Vorschrift des GWB, gegen Art. 81 oder 82 EG oder eine Verfügung einer Kartellbehörde verstoßen hat. Grundlage einer Abschöpfung können damit nach dem Gesetzeswortlaut sämtliche Kartellverstöße sein. Für § 34a GWB ist allerdings einzuschränken, dass Verstöße gegen Vorschriften, die ausschließlich Pflichten gegenüber der Kartellbehörde beinhalten (z.B. § 39 GWB), nicht Grundlage einer privatrechtlichen Vorteilsabschöpfung sein können29. Denn es ist grundsätzlich nicht die Aufgabe privater Verbände darüber zu wachen, ob Unternehmen ihre gegenüber der Kartellbehörde bestehenden Pflichten einhalten. b) Verstoß gegen die Verfügung einer Kartellbehörde aa) Entscheidungen der Kommission Der Tatbestand des § 34 Abs. 1 GWB erfasst nach dem Wortlaut nicht Zuwiderhandlungen gegen Entscheidungen der Kommission. Das ist bei § 34 Abs. 1 GWB sachgerecht, weil eine Vorteilsabschöpfung nur von der Behörde angeordnet werden sollte, die auch die Verfügung erlassen hat, gegen die verstoßen wurde. Die Kommission stützt sich jedoch bei ihren Maßnahmen allein auf das Gemeinschaftsrecht, nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten. Könnten nationale Kartellbehörden eine Vorteilsabschöpfung bei Verstößen gegen Verfügungen der Kommission anordnen, wäre ein »Kompetenzwirrwarr« zu befürchten30. Anders ist die Situation bei § 34a GWB. Durch den Verweis auf den Tatbestand des § 34 Abs. 1 GWB werden Verstöße gegen Verfügungen der Kommission generell aus dem Anwendungsbereich des Anspruchs auf Vorteilsabschöpfung ausgeklammert. Ein bedenkliches »Kompetenzwirrwarr« droht aber bei § 34a GWB nicht, weil die Geltendmachung des Abschöpfungsanspruchs typischerweise eine Folgemaßnahme zu einem vorangegangenen und abgeschlosse29 Noch weiter gehend lehnt Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34 Rn. 4 schon die Anwendung von § 34 GWB auf Verstöße gegen § 39 GWB ab. Anders Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 206. 30 Bechtold, GWB, § 34 Rn. 3.
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nen behördlichen Verfahren darstellt. Der tatbestandliche Ausschluss von Zuwiderhandlungen gegen Verfügungen der Kommission verletzt den gemeinschaftsrechtlichen Äquivalenzgrundsatz, weil Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht dadurch rechtlich anders behandelt werden als Verstöße gegen nationale Kartellrechtsvorschriften. Insoweit gelten die gleichen Erwägungen wie für den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch31. Bei gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung des § 34a GWB muss ein Vorteilsabschöpfungsanspruch auch bei Zuwiderhandlungen gegen Verfügungen der Kommission möglich sein32. Der Verweis auf § 34 Abs. 1 GWB bedarf daher in Bezug auf die Kartellbehörde dahingehend einer korrigierenden Auslegung, dass auch die Kommission als Kartellbehörde anzusehen ist. Das entspricht der hier vertretenen Auslegung von § 33 Abs. 1 GWB. bb) Bestandskraft der Verfügung § 34 Abs. 1 GWB a.F. hatte ausdrücklich die Unanfechtbarkeit der Verfügung verlangt, also die formelle Bestandskraft der Verfügung. § 34 Abs. 1 GWB verzichtet auf dieses Erfordernis. Sofern ein Verstoß gegen eine kartellbehördliche Verfügung die Grundlage für eine Abschöpfung – nach § 34 GWB oder nach § 34a GWB – bilden soll, ist jedoch auch weiterhin Bestandskraft zu verlangen33. Denn die Vorteilsabschöpfung dient, ebenso wie die Schadensersatzklage, einer nachträglichen »Aufarbeitung« des Geschehens auf gesicherter rechtlicher Grundlage. Solange aber Bestandskraft nicht eingetreten ist, besteht die Möglichkeit einer abweichenden rechtlichen Beurteilung. Freilich ist die Frage nach der Notwendigkeit der Bestandskraft eher theoretischer Natur. Denn erst mit Eintritt der Bestandskraft entsteht gemäß § 34a Abs. 5 in Verbindung mit § 33 Abs. 4 GWB die Bindungswirkung der Entscheidung der Kartellbehörde. Schon aus Gründen der Praktikabilität werden Anspruchsberechtigte, bevor sie eine private Rechtsdurchsetzung starten, die Bestandskraft der Entscheidung abwarten. 2. Absatz- oder bezugsbezogenes Vertikalverhältnis Während § 34 Abs. 1 GWB sämtliche Kartellrechtsverstöße erfassen kann, unabhängig davon, zu wessen Lasten sich diese Zuwiderhandlungen auswirken, ist der Anwendungsbereich von § 34a GWB auf Zuwiderhandlungen zu Lasten von Abnehmern oder Anbietern, also Marktakteuren im Vertikalverhältnis, beschränkt. Dagegen erfasst § 34a Abs. 1 GWB nicht Vorteile aus Rechtsverletzungen im Horizontalverhältnis. § 34a Abs. 1 GWB bleibt damit hinter § 34 Abs. 1 GWB zurück, geht aber über § 10 Abs. 1 UWG hinaus. Denn im Gegensatz zu 31
Oben § 5. B. II. 2. a), S. 346 ff. Anders Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 206, der die Nichterwähnung der Kommission wegen Art. 16 VO 1/ 2003 für unschädlich hält. 33 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34 Rn. 5; Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 206. 32
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§ 10 Abs. 1 UWG umfasst der Haftungstatbestand auch die Erzielung von Vorteilen zu Lasten von Anbietern. Dass durch kartellrechtswidrige Praktiken gerade auch zu Lasten von Anbietern wirtschaftliche Vorteile erzielt werden können, zeigt das folgende Beispiel: Im Streitfall der Selex-Tania-Entscheidung des Kammergerichts34 hatten sich mehrere Einzelhändler zu einer Einkaufskooperation zusammengeschlossen, die mit den Lieferanten Höchstpreise, Vertragskonditionen, Abnahmemengen und dergleichen aushandelte sowie die Abrechnungen für alle Einkäufer übernahm. Zu individuellen Vertragsverhandlungen zwischen den der Kooperation angehörigen Unternehmen und den Lieferanten kam es nur, wenn über die bereits ausgehandelten Bedingungen hinaus weitere Verbesserungen für einzelne Nachfrager erreicht erzielt wurden. Das KG sah in dieser Nachfragekooperation ein verbotenes Kartell gemäß § 1 GWB a.F.35 Es liegt die Annahme nahe, dass die Unternehmen aufgrund der gebündelten Nachfrage deutlich günstigere Preise erzielen konnten als im Falle unbeschränkten Wettbewerbs. Das Nachfragekartell konnte auf Seiten der Kartellanten zu einem wirtschaftlichen Vorteil in Form von niedrigeren Einkaufspreisen führen. Derartige Unrechtsvorteile könnten gemäß § 34a GWB abgeschöpft werden.
a) Abnehmer und Anbieter Die Begriffe »Anbieter« und »Abnehmer« gehören zur gebräuchlichen Terminologie des GWB36 und kennzeichnen die Rolle als Marktakteur im Wettbewerbsgeschehen. Wer Anbieter oder Abnehmer ist, bestimmt sich in Relation zum handelnden Kartelltäter und zur konkreten Verletzungshandlung37. Es ist danach ist zu fragen, ob die vom Kartellrechtsverstoß betroffenen Unternehmen in ihrer Rolle als Anbieter, Abnehmer oder Mitbewerber betroffen sind. Eine hiervon losgelöste, gleichsam abstrakte Einordnung kommt dagegen nicht in Betracht, weil ein solches Verständnis verkennen würde, dass Marktakteure in unterschiedlicher Weise im Wettbewerb agieren können und deswegen kein Marktakteur per se als Anbieter oder Abnehmer anzusehen ist. Vom Anwendungsbereich des Anspruchs auf Vorteilsabschöpfung werden unstreitig Anbieter und Abnehmer erfasst, die in direktem geschäftlichem Kontakt mit dem handelnden Unternehmen stehen oder durch einen Kartellverstoß auf nachgeordneten Marktstufen betroffen sind38, also beispielsweise die Direktabnehmer von Unternehmen, die einem Preiskartell angehören. Wie im Lauterkeitsrecht stellt sich jedoch die Frage nach der Einbeziehung entfernter (mittelbarer) 34
KG vom 26.2.1986, WuW/E OLG 3737 ff. – Selex-Tania. KG vom 26.2.1986, WuW/E OLG 3737, 3741 ff. – Selex-Tania. 36 Außer in § 34a Abs. 1 GWB spricht das Gesetz von Abnehmern bzw. Vereinigungen von Abnehmern in §§ 19 Abs. 4 Nr. 3, 24 Abs. 4 S. 2 Nr. 3, 25 S. 1, 30 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 und 90 Abs. 4 GWB. Anbieter sind, neben § 34a Abs. 1 GWB, in §§ 19 Abs. 2 S. 1 und Abs. 4, 20 Abs. 2 und 29 S. 1 GWB angesprochen. 37 Zur Relativität des Begriffes Abnehmer in § 10 Abs. 1 UWG siehe oben § 7. B. I. 2. a), S. 518 ff. 38 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34a Rn. 8; Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff, GWB, § 34a Rn. 2. 35
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§ 8. Vorteilsabschöpfung im Kartellrecht
Anbieter oder Abnehmer, also von Marktakteuren, die nicht in einem direkten (unmittelbaren) geschäftlichen Kontakt mit dem Verletzer stehen. Die amtlichen Materialien sind bemerkenswert eindeutig. Im Regierungsentwurf heißt es: »Abnehmer im Sinne des Absatzes 1 sind nicht nur die unmittelbaren Abnehmer, sondern alle potentiell geschädigten Abnehmer bis hin zum Endabnehmer. Gemeinsames Ziel der §§ 34 und 34a ist die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils des Zuwiderhandelnden, unabhängig davon, auf welcher Marktstufe durch die Zuwiderhandlung der korrespondierende wirtschaftliche Nachteil eingetreten ist. Der Begriff des Abnehmers ist daher im Lichte des spezifischen Regelungsziels von § 34a auszulegen«39.
Das lässt den Schluss zu, dass der Gesetzgeber nicht nur die Direktabnehmer einbeziehen, sondern den Tatbestand für sämtliche Abnehmer öffnen wollte. Überträgt man diese Erwägungen auf Anbieter, die im Regierungsentwurf des Vorteilsabschöpfungsanspruchs noch nicht berücksichtigt waren, müssten folgerichtig nicht nur die unmittelbaren Anbieter, beispielsweise Zulieferer des Verletzers, sondern auch Unternehmen auf vorgelagerten Marktstufen erfasst werden. Nicht nur die amtlichen Materialien sprechen für eine Einbeziehung sämtlicher Anbieter und Abnehmer. Vor allem entspricht nur dieses Verständnis dem Sanktionszweck der Vorteilsabschöpfung. Ebenso wie im Lauterkeitsrecht wäre eine Beschränkung des Anwendungsbereiches auf die unmittelbare Marktgegenseite nicht sachgerecht, weil anderenfalls die Gefahr besteht, dass bestimmte Rechtsverstöße nicht mit § 34a GWB erfasst werden könnten. Eine Beschränkung auf unmittelbare Abnehmer oder Anbieter wäre nur dann konsequent, wenn die Vorteilsabschöpfung konzeptionell darauf ausgerichtet wäre, diejenigen Nachteile zu erfassen, die Marktakteuren infolge des Kartellrechtsverstoßes erwachsen. Diese Position findet indessen in § 34a GWB keine Stütze. § 34a GWB tritt nicht an die Stelle von nicht geltend gemachten Individualrechten und -ansprüchen, sondern dient einem eigenständigen Schutz von Kollektivinteressen im Wettbewerb. Kartellrechtsverstöße können sich in ganz unterschiedlicher Weise auf Marktakteure auswirken und werden vielfach Streuwirkungen auf nachfolgenden Marktstufen entfalten. Es ist keineswegs selten, dass die nachteiligen Wirkungen von Kartellverstößen erst auf nachgelagerten Absatzstufen eintreten, etwa bei Produktverarbeitung oder mehrstufigem Vertrieb40. Es hinge also von mehr oder weniger zufälligen Umständen ab, ob die wirtschaftlichen Nachteile eines Kartellrechtsverstoßes direkt auf der Marktgegenseite eintreten oder sich gleichsam stufenübergreifend ausbreiten. Daher sind als Abnehmer und Anbieter sämtliche Marktakteure anzusehen, die auf vor- oder nachgelagerten Marktstufen tätig sind, ohne dass es auf einen direkten Geschäftskontakt mit dem Verletzer ankommt41. 39
Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 56. Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34a Rn. 8. 41 Bechtold, GWB, § 34a Rn. 4; Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34a Rn. 8; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 34a Rn. 11 und Lübbig, in: Münchener Kommentar, GWB, § 34a Rn. 13; Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GWB, § 34a Rn. 2. 40
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b) Ausschluss der Vorteilserzielung zu Lasten von Mitbewerbern Grundsätzlich nicht erfasst werden von § 34a GWB Zuwiderhandlungen, die allein Mitbewerber betreffen. Von dem Anspruch auf Vorteilsabschöpfung ausgeschlossen sind damit Kartellrechtsverstöße, die nur im Horizontalverhältnis zu wirtschaftlichen Vorteilen geführt haben42. Das bedeutet jedoch nicht, dass horizontale Wettbewerbsbeschränkungen generell aus dem Anwendungsbereich von § 34a GWB herausfallen. Entscheidend ist allein, ob der aus dem Verstoß erwachsende wirtschaftliche Vorteil zu Lasten von Anbietern oder Abnehmern erwirtschaftet wurde, was auch bei horizontalen Wettbewerbsbeschränkungen der Fall sein kann. Wenn sich Unternehmen beispielsweise zu einem Preiskartell zusammenschließen, dann handelt es sich um eine horizontale Wettbewerbsbeschränkung. Erzielen die Kartellanten infolge des Kartells eine Kartellrendite, weil sie höhere Preise verlangen können als bei funktionierendem Preiswettbewerb, dann handelt es sich um einen wirtschaftlichen Vorteil zu Lasten der Abnehmer, die diese überhöhten Preise zahlen müssen. Dass mitbewerberbezogene Kartellverstöße aus dem Anwendungsbereich von § 34a GWB ausgenommen sind, ist folgerichtige Konsequenz der kollektivschützenden Ausrichtung der Sanktion. Wenn es an der Betroffenheit von Anbietern oder Abnehmern fehlt, dann handelt es sich typischerweise um ein sonderdeliktisches Individualverhältnis, was einen Ausgleich zwischen dem Kartelltäter und dem oder den behinderten Unternehmen erfordert. Dies geschieht im Wege des kartelldeliktischen Schadensersatzes. Im Rahmen der Schadensbestimmung kann gemäß § 33 Abs. 3 S. 3 GWB kann insbesondere der anteilige Gewinn, den das Unternehmen durch den Verstoß erlangt hat, berücksichtigt werden, sodass der Gedanke der Abschöpfung gleichsam in den Schadensersatzanspruch integriert wird.
II. Breitenwirksamkeit der kartellrechtswidrigen Handlung § 34a GWB verlangt, dem Vorbild des § 10 UWG folgend, dass der wirtschaftliche Vorteil zu Lasten einer Vielzahl von Anbietern oder Abnehmern erzielt wurde. Der Anspruch auf Vorteilsabschöpfung setzt also eine gewisse Breitenwirksamkeit des Kartellrechtsverstoßes voraus. Die erläuternde Passage der Gesetzesbegründung43 entspricht nahezu wörtlich der entsprechenden Formulierung zu § 10 UWG44. Mit dem Erfordernis einer Vielzahl von Betroffenen kommt zum Ausdruck, dass die Vorteilsabschöpfung gerade auf diejenigen Konstellationen ausgerichtet ist, in denen die Zuwiderhandlung nicht nur die Individualinteressen eines einzelnen Unternehmens tangiert. Die notwendige Breitenwirksamkeit der Wettbewerbsbeschränkung ist gegeben, wenn die Zuwi42 43 44
Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34a Rn. 7. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 55. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 24.
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§ 8. Vorteilsabschöpfung im Kartellrecht
derhandlung einen »Massencharakter« aufweist und deswegen besonders wettbewerbsschädlich ist. Wie bei § 10 UWG kommt es auf die Qualität des Kartellrechtsverstoßes an45. Die Breitenwirksamkeit kann sich sowohl aus dem Charakter des Kartellrechtsverstoßes ergeben als auch aus den diffusen Wirkungen von Kartellrechtsverstößen auf vorgelagerten oder nachgelagerten Absatzstufen. Gerade solche – kaum kontrollierbaren – Streuwirkungen machen wettbewerbsbeschränkende Praktiken besonders gefährlich und verlangen nach einer wirksamen Bekämpfung. Ob der »Massencharakter« vom Verletzer beabsichtigt war oder ob dieser erst aus einem Zusammenspiel der Umstände des Einzelfalls resultiert, ist unerheblich46. Denn die Vorteilsabschöpfung verlangt nur hinsichtlich der Zuwiderhandlung Vorsatz, nicht aber hinsichtlich der Vorteilserzielung zu Lasten einer Vielzahl von Betroffenen. Es genügt demgemäß, wenn sich die einer Zuwiderhandlung innewohnende Gefahr einer breitenwirksamen Betroffenheit vielleicht erst auf entfernten Absatzstufen tatsächlich realisiert. Eine bestimmte Mindestanzahl betroffener Anbieter oder Abnehmer ist nicht erforderlich. Allerdings stellt die Betroffenheit von mindestens drei Abnehmern oder Anbietern ein wichtiges Indiz für einen breitenwirksamen Verstoß dar. Abzulehnen ist die Ansicht, es bedürfe stets einer nicht individualisierbaren größeren Anzahl von Geschädigten47. Denn für die Schutzwürdigkeit von Kollektivinteressen kommt es nicht darauf an, ob die Anzahl der betroffenen Marktakteure zahlenmäßig bestimmbar ist oder nicht. Entscheidend ist allein die Qualität des Kartellrechtsverstoßes. Werden »nur« vier oder fünf Marktakteure durch eine kartellrechtswidrige Handlung nachteilig betroffen, weil es sich um einen spezialisierten Markt handelt, auf dem nur wenige Unternehmen tätig sind, dann sind deren Kollektivinteressen nicht weniger schutzwürdig als bei einer unüberschaubaren Vielzahl von Anbietern oder Abnehmern.
III. Zu Lasten Das Tatbestandsmerkmal »zu Lasten« wirft in § 34a GWB die gleichen Auslegungsprobleme auf wie in § 10 UWG. Die amtlichen Materialien geben wenig Aufschluss. Im Schrifttum orientiert man sich überwiegend an § 10 UWG und verlangt eine wirtschaftliche Schlechterstellung in Form von Massen- und Streuschäden, wobei eine typisierende Betrachtung genügen soll48. Die Frage, ob eine vermögensbezogene Benachteiligung der Abnehmer oder Anbieter vorliegen muss, stellt sich im Kartellrecht weniger dringlich als im Lau45
Oben § 7. B. II. 2., S. 525 ff. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB § 34a Rn. 13. 47 So aber Bechtold, GWB, § 34a Rn. 4. 48 Bechtold, GWB, § 34a Rn. 4; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 34a Rn. 11 und 14; Lettl, Kartellrecht, § 11 Rn. 117; Lübbig, in: Münchener Kommentar, GWB, § 34a GWB Rn. 17; Rehbinder, GWB, § 34a Rn. 2. 46
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terkeitsrecht. Typischerweise führt nämlich ein Kartellrechtsverstoß zu wirtschaftlichen Nachteilen bei den Betroffenen. Folgt man der hier vertretenen Ansicht, wonach grundsätzlich sämtliche Betroffene gemäß § 33 Abs. 3 GWB berechtigt sein können, Schadensersatz zu verlangen49, dann ist regelmäßig davon auszugehen, dass den von einem Kartellrechtsverstoß betroffenen Abnehmern oder Anbietern Schadensersatzansprüche gegen den Verletzer zustehen. Es ist deswegen vor allem eine konzeptionelle Frage, ob auf Seiten der Abnehmer oder Anbieter ein Vermögensnachteil eingetreten sein muss. Gegen dieses Verständnis spricht die Unklarheit, nach welchen Maßstäben diese wirtschaftliche Schlechterstellung zu beurteilen sein soll. Sicher liegt eine wirtschaftliche Schlechterstellung vor, wenn von Abnehmern überhöhte oder von Anbietern zu niedrige Preise verlangt werden. Indessen erscheint die vom Gesetzgeber befürwortete Prüfung der Angemessenheit des Preises50 aus kartellrechtlicher Sicht verfehlt. Für die kartellrechtliche Beurteilung spielt die Preiswürdigkeit einer Ware oder Dienstleistung keine Rolle. Denn das Kartellrecht regelt, bezogen auf den Preis von Gütern, allein, ob der verlangte Preis wettbewerbskonform oder wettbewerbswidrig zustande gekommen ist. Demgegenüber ist es kartellrechtlich irrelevant, ob der verlangte Preis den durch Werbung erweckten Erwartungen eines Käufers entspricht und ob der verlangte Preis außer Verhältnis zum Wert des erworbenen Gegenstandes steht. Auch vergebliche Aufwendungen oder gar eine »aufgedrängte Bereicherung« sind keine geeigneten Kriterien zur Feststellung, ob der Verletzer im kartellrechtlichen Sinne »zu Lasten« von Anbietern oder Abnehmer gehandelt hat. Auszugehen ist deswegen allein vom Sinn und Zweck der Vorteilsabschöpfung. Der Anspruch aus § 34a GWB dient nicht der Bündelung von etwaigen Individualansprüchen Betroffener gegen einen Kartelltäter, sondern einer eigenständigen Sanktionierung der Zuwiderhandlung. Entscheidend kann es deswegen nicht auf eine – konkrete oder abstrakte – Betrachtung der Vermögensverhältnisse der Opfer einer wettbewerbsbeschränkenden Praktik ankommen. Vielmehr ist, wie im Lauterkeitsrecht, danach zu fragen, ob die Zuwiderhandlung kartellrechtlich geschützte Interessen dieser Marktakteure beeinträchtigt. Gleichwohl sind die Vermögensverhältnisse der Betroffenen dabei nicht bedeutungslos. Denn eine kartellrechtlich relevante Beeinträchtigung geschützter Interessen und ein Handeln »zu Lasten« sind jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Abnehmer oder Anbieter wirtschaftlich benachteiligt sind, also infolge des Kartellrechtsverstoßes einen Schaden erlitten haben. Allerdings ist ein solcher Vermögensbezug nicht zwingend erforderlich. Vielmehr kann ein Vorteil schon dann »zu Lasten« von Abnehmern oder Anbietern erzielt sein, wenn etwa durch Druckausübung deren Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt wird.
49
Dazu eingehend oben § 5. C. II. 6., S. 376 ff. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 24; dem folgend Lettl, Kartellrecht, § 11 Rn. 117; zweifelnd dagegen Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 34a Rn. 14. 50
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§ 8. Vorteilsabschöpfung im Kartellrecht
IV. Wirtschaftlicher Vorteil Der Verletzer muss mit dem Kartellrechtsverstoß einen wirtschaftlichen Vorteil erzielt haben. Wie in § 10 UWG dem Gewinn kommt in § 34a GWB dem wirtschaftlichen Vorteil doppelte Relevanz zu. Das Erzielen eines solchen Vorteils bildet zum einen ein Element des Haftungstatbestandes. Zum anderen wird mit dem wirtschaftlichen Vorteil zugleich die Rechtsfolge vorgegeben. Denn herauszugeben ist der vom Verletzer erlangte wirtschaftliche Vorteil, der aber gegebenenfalls um etwaige Leistungen gemäß § 34a Abs. 2 S. 1 GWB zu bereinigen ist. Fehlt es dagegen an der Erzielung eines wirtschaftlichen Vorteils, dann entfällt die Grundlage der Vorteilsabschöpfung, weil kein Bedürfnis nach einer Korrektur von ökonomischen Fehlanreizen im Wettbewerb besteht. 1. Ausgangsfragen § 34a Abs. 1 GWB verwendet den Begriff des wirtschaftlichen Vorteils und folgt damit einer vereinheitlichten Terminologie innerhalb des Gesetzes. Auch § 34 Abs. 1 GWB und § 81 Abs. 5 S. 1 GWB in Verbindung mit § 17 Abs. 4 OWiG sprechen vom wirtschaftlichen Vorteil. Der einheitliche Sprachgebrauch fördert die Rechtstransparenz und erleichtert die Rechtsanwendung. Der Begriff des wirtschaftlichen Vorteils ist in den verschiedenen Vorschriften in gleichem Sinne zu verstehen51. Zur Ermittlung des wirtschaftlichen Vorteils sind jeweils die gleichen Maßstäbe und Kriterien heranzuziehen. a) Abgrenzung aa) Mehrerlös Der Begriff des wirtschaftlichen Vorteils ist vom Mehrerlös zu unterscheiden, der im alten Kartellrecht Verwendung fand. Gemäß § 34 GWB a.F. konnte ein vom Verletzer erlangter Mehrerlös abgeschöpft werden konnte. Ebenfalls der Mehrerlös war im Rahmen der Festsetzung eines Bußgeldes gemäß § 81 Abs. 2 S. 2 GWB a.F. maßgebend. Bei dem Mehrerlös handelte sich um die Differenz zwischen den tatsächlichen Einnahmen aufgrund des Wettbewerbsverstoßes und den Einnahmen (Umsatzerlösen), die das betroffene Unternehmen im gleichen Zeitraum ohne den Verstoß erzielt hätte52. Die Bestimmung des Mehrerlöses beruhte auf einer Gegenüberstellung der tatsächlichen Vermögenssituation des Verletzers mit der hypothetischen Situation bei »Hinwegdenken« des Kartellverstoßes. Gegenüber dem ordnungswidrigkeitenrechtlichen Begriff des wirtschaftlichen Vorteils war der Begriff des Mehrerlöses teils enger, teils weiter. Erfasst wurden 51 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 56; Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34a Rn. 10; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 34a Rn. 10; Lettl, Kartellrecht, § 11 Rn. 14 f. und 115; Lübbig, in: Münchener Kommentar, GWB, § 34a Rn. 10. 52 BGH vom 24.4.1991, WuW/E BGH 2718, 2719 – Bußgeldbemessung; KG vom 28.11.1972, WuW/E OLG 1339, 1350 – Linoleum; BKartA vom 28.12.1971, WuW/E BKartA 1376, 1385 – Linoleum.
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nur geldwerte Vorteile, die unmittelbar aus der Zuwiderhandlung erlangt wurden und in einer Gegenleistung bestanden. Nicht als Mehrerlös anzusehen waren sonstige Vorteile, wie beispielsweise die Verbesserung der Marktposition, die Ersparnis von Kosten oder sonstige Verbesserungen53. Der Begriff des Mehrerlöses reichte jedoch weiter als der wirtschaftliche Vorteil, weil es nur auf die tatsächlichen Einnahmen des Verletzers (also auf den Erlös) ankam, nicht aber auf den beim Verletzer endgültig verbleibenden Vorteil54. Mangelnde Kostendeckung schloss einen Mehrerlös nicht aus. Ein Mehrerlös konnte vorliegen, wenn die geforderten Preise für den Verletzer nicht auskömmlich oder kostendeckend waren, aber man davon auszugehen konnte, dass ohne den zugrundeliegenden Verstoß noch niedrigere Preise erzielt worden wären55. Aus dem genannten Grund kam es für die Mehrerlösberechnung auch nicht auf Kosten- oder Steueranteile an erzielten Mehreinnahmen an56. Das nicht ganz einfache Nebeneinander von Mehrerlös und wirtschaftlichem Vorteil nach altem Recht verdeutlicht eine Entscheidung des BFH57. Anlass war ein Streit über die steuerliche Behandlung von Bußgeldern. Nach Ansicht des Gerichts waren der Begriff des Mehrerlöses in § 81 Abs. 2 GWB und der Begriff des wirtschaftlichen Vorteils im Sinne von § 17 Abs. 4 OWiG tatsächlich und wirtschaftlich gesehen im Wesentlichen deckungsgleich, aber nicht vollständig identisch58. Denn entweder beinhalte der wirtschaftliche Vorteil eine Teilmenge des Mehrerlöses oder aber umgekehrt der Mehrerlös eine Teilmenge des wirtschaftlichen Vorteils. Stelle aber der erlangte wirtschaftliche Vorteil als Untergrenze den Sockelbetrag für die Bemessung der Geldbuße nach OWiG in ihrer Gesamtheit dar, die ihrerseits der Höhe nach durch den erlangten Mehrerlös im kartellrechtlichen Sinne mitbestimmt werde, dann werde der wirtschaftliche Vorteil durch die festgesetzte Geldbuße grundsätzlich unabhängig davon abgeschöpft, ob er sich in Form einer zusätzlichen Erhöhung der Buße über § 17 Abs. 4 OWiG auswirke oder ob er lediglich rechnerisch (und von vornherein) als Höchstbetrag in die Bemessung des Bußgeldrahmens nach Maßgabe von § 17 Abs. 1 OWiG oder § 81 Abs. 2 GWB a.F. einbezogen werde. Der wirtschaftliche Vorteil stelle jedenfalls im Regelfall immer die nach oben hin offene Untergrenze der Bußgeldfestsetzung dar. Innerhalb dieser Grenze komme der Geldbuße eine ahndende und zugleich abschöpfende Doppelfunktion zu und sie sei bezogen auf den abschöpfenden Teil »nur der Form nach Sanktion«. Das bedeute jedoch nicht, dass dieser Teil des derart festgesetzten einheitlichen Bußgeldes »eindeutig« abgrenzbar sein müsse. Es genüge, dass sich einerseits der ahndende Teil und andererseits der abschöpfende Teil nachweisen lassen. Das sei bei der konkreten Geldbuße der Fall und erweise sich nicht zuletzt daran, dass der Mehrerlös als Bruttobetrag zu verstehen sei und regelmäßig den Nettobetrag des eigentlichen wirtschaftlichen Vorteils übersteigen werde. Würde angesichts 53
Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB (3. Aufl. 2001), § 81 Rn. 335. Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB (3. Aufl. 2001), § 81 Rn. 336. 55 Klusmann, in: Handbuch des Kartellrechts, § 57 Rn. 75. 56 Klusmann, in: Handbuch des Kartellrechts, § 57 Rn. 75; vgl. auch BGH vom 24.4.1991, WuW/E BGH 2718 – Bußgeldbemessung; KG vom 28.11.1972, WuW/E OLG 2369, 2675 – Programmzeitschriften. 57 BFH vom 9.6.1999, NZG 2000, 384. 58 BFH vom 9.6.1999, NZG 2000, 384, 385. 54
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§ 8. Vorteilsabschöpfung im Kartellrecht
dessen der Mehrerlös bei der Bußgeldbemessung gleichwohl nicht berücksichtigt, weil die Abschöpfung des Erlöses in der Sanktion aufgehe, bliebe der erlangte wirtschaftliche Vorteil in dieser Höhe steuerlich unbeachtet, obwohl die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in entsprechendem Umfang gemindert werde. Sichtbar werde dies auch und gerade in jenen Fällen, in denen, wie bei der Klägerin, die Geldbuße als Verbandsbuße festgesetzt werde. Denn dabei solle diese vorzugsweise dazu dienen, unrechtmäßige wirtschaftliche Vorteile abzuschöpfen und unlauterem Gewinnstreben vorzubeugen. Auch wenn der Ahndungszweck bei der Bußgeldbemessung im Allgemeinen gleichwohl Berücksichtigung finden werde, so trete er doch deutlich zurück. Im Vordergrund stehe hier die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils59.
Die siebente GWB-Novelle brachte den Abschied vom Begriff des Mehrerlöses. Die Anknüpfung an den wirtschaftlichen Vorteil anstelle des Mehrerlöses verwirklicht konsequent das Abschöpfungsziel der Vermeidung ökonomische Fehlanreize. Denn ein solcher Fehlanreiz kann nur dann bestehen, wenn der Verletzer nach der Saldierung aller wirtschaftlich relevanten Faktoren im Ergebnis tatsächlich von der Verletzungshandlung profitiert. Dagegen dient die Abschöpfung von Mehrerlös allein der Korrektur einer fehlerhaften Preisbildung, greift also isoliert einen Teilaspekt des Wettbewerbsgeschehens heraus, ohne dabei zu berücksichtigen, dass im Falle der Erwirtschaftung eines Mehrerlöses keineswegs gesagt ist, dass sich der Rechtsverstoß im Ergebnis für den Verletzer bezahlt macht. bb) Gewinn Vom wirtschaftlichen Vorteil gemäß § 34a Abs. 1 GWB ist der Gewinn im Sinne des § 10 Abs. 1 UWG zu unterscheiden. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber in beiden Tatbeständen bewusst unterschiedliche Begriffe verwendet hat, sodass man nicht von einer Deckungsgleichheit von Gewinn und wirtschaftlichem Vorteil ausgehen kann. Der Begriff des Gewinns ist enger als der Begriff des wirtschaftlichen Vorteils. Ein vom Verletzer erzielter Gewinn bildet lediglich einen speziellen Fall des wirtschaftlichen Vorteils60. Ein Gewinn des Verletzers ist zugleich als ein wirtschaftlicher Vorteil anzusehen, doch gilt dies nicht umgekehrt. b) Berechnungsgrundsätze Zur Ermittlung und Berechnung des wirtschaftlichen Vorteils sind die allgemeinen Kriterien des Ordnungswidrigkeitenrechts heranzuziehen61. Auszugehen ist von der wirtschaftlichen Gesamtsituation, wobei diese nicht nur die unmittelbaren Vermögensvorteile des Verletzers umfasst62, sondern auch weitere Vorteile, 59
BFH vom 9.6.1999, NZG 2000, 384, 385. Göhler/König/Seitz, OWiG, § 17 Rn. 41. 61 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 55. 62 Zur Unterscheidung zwischen Vermögensvorteilen und wirtschaftlichen Vorteilen siehe die Begr. des Regierungsentwurfs zum Zweiten Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT-Drucks. 10/318, S. 37. 60
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wie beispielsweise die Verbesserung der Marktposition des Verletzers infolge der Ausschaltung oder Zurückdrängung von Wettbewerbern63. Weil die Abschöpfung ökonomische Fehlanreize korrigieren soll, kommen als wirtschaftliche Vorteile grundsätzlich nur die geldwerten Vorteile des Verletzers im Wettbewerb in Betracht, die das rechtlich missbilligte Handeln für den Kartelltäter profitabel werden lassen. Erforderlich ist eine materielle Besserstellung des Verletzers infolge der Zuwiderhandlung. Wirtschaftliche Vorteile sind demgemäß nur solche Verbesserungen, die sich in Geld messen und ausdrücken lassen. Folgerichtig keine wirtschaftlichen Vorteile sind bloß immaterielle Vorteile64. Die Ermittlung des wirtschaftlichen Vorteils erfolgt nach dem Saldierungsgrundsatz, das heißt durch den Vergleich der wirtschaftlichen Gesamtsituation des Verletzers, die sich ohne den Kartellrechtsverstoß ergeben hätte und der tatsächlich eingetretenen Lage65. Eine solche »Saldierung« verlangt nicht nur die Berücksichtigung eines eingetretenen Zuwachses an Vorteilen, sondern erfordert auch die Einbeziehung von tatsächlich getätigten eigenen Aufwendungen durch den Verletzer66, die mindernd in Ansatz zu bringen sind. Die meisten Streitfragen ranken sich um die Berücksichtigungsfähigkeit der verschiedenen Passivpositionen67. Darüber hinaus gestattet § 34a Abs. 2 GWB die Anrechnung weiterer Aufwendungen des Verletzers, die im Zusammenhang mit seinem Rechtsverstoß stehen. Ein wirtschaftlicher Vorteil liegt nur dann vor, wenn nach dieser Saldierung ein Überschuss zugunsten des Verletzers verbleibt. Maßgeblich ist demgemäß – ebenso wie bei § 17 Abs. 4 OWiG und § 34 GWB – der »Netto-Vorteil« des Verletzers. c) Schätzungsbefugnis Oftmals wird der Verletzer den wirtschaftlichen Vorteil, beispielsweise die Verbesserung seiner Marktposition, nicht in Natur herausgeben können und vielfach wird sich auch der erzielte Vorteil nicht exakt ermitteln lassen. Im Gegensatz zu § 33 Abs. 3 S. 3 und § 34 Abs. 4 S. 1 GWB fehlt in § 34a GWB jeder Hinweis zur Zulässigkeit einer Schätzung. Daraus ist jedoch im Umkehrschluss nicht zu folgern, eine Schätzung wäre unzulässig. Ohne die Möglichkeit zur Schätzung bliebe eine Abschöpfung von wirtschaftlichen Vorteilen unpraktikabel. Daher wird man den in § 33 Abs. 3 S. 3 und § 34 Abs. 4 S. 1 GWB enthaltenen Rechtsgedanken auf die Vorteilsabschöpfung erweitern und davon ausgehen müssen, dass eine Schätzung durch das erkennende Gericht zulässig ist68. Ebenfalls analog 63 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 55; vgl. auch OLG Karlsruhe vom 30.12.1974, NJW 1975, 793 und oben, § 6. B. II. 1. b), S. 445 ff. 64 Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 17 Rn. 118. 65 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 55. 66 Göhler/König/Seitz, OWiG, § 17 Rn. 42 f.; Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 17 Rn. 118 ff. 67 Dazu im Einzelnen Drathjer, Die Abschöpfung rechtswidrig erlangter Vermögensvorteile im Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 63 ff. 68 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34a Rn. 13.
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§ 8. Vorteilsabschöpfung im Kartellrecht
anwendbar ist § 34 Abs. 4 S. 2 GWB, wonach der abzuführende Geldbetrag zahlenmäßig zu bestimmen ist. Sofern es, insbesondere bei Auskunftsklagen, zunächst einmal nur auf die Wahrscheinlichkeit der Entstehung eines wirtschaftlichen Vorteils ankommt, ist es zulässig, mit großzügigen Erfahrungssätzen zu arbeiten. Ein Beispiel für die Anwendung solcher Erfahrungssätze bildet die Berliner Transportbeton I-Entscheidung. Sie betraf ein rechtswidriges Quotenkartell. Zur Bemessung des Bußgeldes stützt sich das Gericht auf den Erfahrungssatz, dass ein Kartell typischerweise Preiserhöhungen und wirtschaftliche Vorteile bei den Kartellanten verursacht: »Die generelle Eignung eines Kartells, für seine Mitglieder wirtschaftliche Vorteile entstehen zu lassen, folgt schon daraus, daß die beteiligten Unternehmen durch die Festlegung bestimmter Quoten der Notwendigkeit enthoben sind, sich im Wettbewerb am Markt zur Erlangung von Aufträgen gegen konkurrierende Unternehmen durchzusetzen, was regelmäßig über die von ihnen angebotenen Preise erfolgt. Wird den beteiligten Unternehmen von vornherein eine fest umrissene Quote zugedacht, können die Marktmechanismen keine Wirkung entfalten. Damit wird grundsätzlich der Preiswettbewerb weitgehend außer Kraft gesetzt. Deshalb liegt es nach der Lebenserfahrung nahe, daß die im Rahmen des Kartells erzielten Preise höher liegen als die im Wettbewerb erreichbaren Marktpreise. Das Unternehmen, das aufgrund der ihm eingeräumten Quote nicht im Wettbewerb bestehen muß, wird regelmäßig seine Preissenkungsspielräume nicht nutzen. Die Bildung eines Kartells und seine Durchführung indizieren daher, daß den Beteiligten hieraus auch jeweils ein Vorteil erwächst. Unternehmen bilden derartige Kartelle, um keine Preissenkung vornehmen und damit auch keine Gewinnschmälerung hinnehmen zu müssen. Nach ökonomischen Grundsätzen wird bei Kartellen regelmäßig eine Kartellrendite entstehen. Deshalb spricht … eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß das Kartell gebildet und erhalten wird, weil es höhere als am Markt sonst erzielbare Preise erbringt«69. Dieser Erfahrungssatz ist nicht auf Bußgeldverfahren beschränkt, sondern kann auch für die private Rechtsdurchsetzung fruchtbar gemacht werden.
2. Zusammenhang zwischen Zuwiderhandlung und wirtschaftlichem Vorteil Zwischen dem Kartellrechtsverstoß und dem vom Verletzer erzielten wirtschaftlichen Vorteil muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Wie bei der Gewinnabschöpfung kommt damit das grundlegende Prinzip zum Ausdruck, dass eine Person für bestimmte, von der Rechtsordnung missbilligte Erfolge nur dann haftbar gemacht werden kann, wenn ihr die Folgen zurechenbar sind. Die Vorteilsabschöpfung erstreckt sich auf sämtliche wirtschaftliche Vorteile, die ursächlich auf den Kartellverstoß zurückzuführen sind. Wie bei § 10 UWG kommt es nicht darauf an, ob die Erzielung von wirtschaftlichen Vorteilen nach der allgemeinen Lebenserfahrung zu einem gewissen Grad wahrscheinlich war. Selbst ganz unwahrscheinliche Vorteile, die aus einem Kartellrechtsverstoß gezogen werden, unterliegen einer Abschöpfung70.
69 70
BGH vom 28.6.2005, WuW/E DE-R 1567, 1569 – Berliner Transportbeton I. Oben § 7. B. IV. 2. a), S. 548.
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Problematisch ist jedoch, wie weit der Kreis der einem Verletzer noch zurechenbaren Vorteile zu ziehen ist. Erwirtschaftet ein Unternehmer infolge eines Kartellverstoßes einen unrechtmäßigen Gewinn, dann wird dieser wirtschaftliche Vorteil (unproblematisch) von § 34a GWB erfasst. Wie aber steht es mit Gewinnen, die der Täter wiederum aus dem »Unrechtsgewinn« erzielt, z.B. wenn er mit dem Geld sein Unternehmen modernisiert, dadurch konkurrenzfähiger wird und dadurch Marktanteile hinzugewinnt? Im Ordnungswidrigkeitenrecht werden als wirtschaftliche Vorteile die »ursprünglichen Tatfrüchte«71 angesehen, also Vorteile, die dem Verletzer unmittelbar aus dem Rechtsverstoß erwachsen72. Setzt im genannten Beispiel ein Unternehmer den aus einem Kartellverstoß erlangten Unrechtsgewinn zur Modernisierung seines Unternehmens ein, dann sind die daraus erwachsenden Vorteile als »mittelbare Gewinne«73 keine abschöpfbaren wirtschaftlichen Vorteile mehr. In der Sache geht es hier um die sachgerechte Eingrenzung der Haftung des Verletzers. Eine dem Gedanken des »versari in re illicita« vergleichbare prinzipielle »Infizierung« sämtlicher Folgevorteile ist abzulehnen, weil dies zu einer letztlich uferlosen Abschöpfungshaftung führen würde. Dies gebietet nicht zuletzt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit74. Überdies würde eine solche Lösung weit über das Sanktionsziel hinausschießen. Die Vorteilsabschöpfung soll ökonomische Fehlanreize im konkreten Verletzungsfall beseitigen, nicht aber darüber hinaus wirtschaftliche Werte zerschlagen. Eine sachgerechte Lösung besteht in einer analogen Anwendung von §§ 73 Abs. 3, 73a StGB. Die Heranziehung dieser Vorschriften wird auch für § 81 Abs. 5 GWB und § 17 Abs. 4 OWiG diskutiert75. Danach sind gezogene Nutzungen und Surrogate noch als wirtschaftliche Vorteile anzusehen und können abgeschöpft werden76. Dieser Ansatz hat den Vorzug, dass dem Kartelltäter einerseits eine leichte »Flucht« aus der Abschöpfung verwehrt wird, ohne andererseits die Vorteilsabschöpfung völliger Konturenlosigkeit preiszugeben.
71
Drathjer, Die Abschöpfung rechtswidrig erlangter Vorteile im Ordnungswidrigkeitenrecht,
S. 84. 72 Drathjer, Die Abschöpfung rechtswidrig erlangter Vorteile im Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 84; Göhler/König/Seitz, OWiG, § 17 Rn. 44; Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 17 Rn. 119. 73 Gegen die Unterscheidung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Gewinnen jedoch Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 17 Rn. 119. 74 Drathjer, Die Abschöpfung rechtswidrig erlangter Vorteile im Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 86. 75 Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 81 Rn. 299; ähnlich für das Ordnungswidrigkeitenrecht Drathjer, Die Abschöpfung rechtswidrig erlangter Vorteile im Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 87. 76 Zu den Einzelheiten siehe nur Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, § 73 Rn. 30 ff. und § 73a Rn. 1 ff.
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§ 8. Vorteilsabschöpfung im Kartellrecht
3. Anrechenbare Leistungen Neben den in die Saldierung aufzunehmenden Posten sind gemäß § 34a Abs. 2 S. 1 GWB Leistungen anzurechnen, die das Unternehmen aufgrund des Verstoßes erbracht hat. Dogmatisch regelt diese Vorschrift vor allem das Verhältnis des Abschöpfungsanspruchs zu individuellen Ersatzansprüchen und verdeutlicht, dass der Kollektivschutz nicht zu Lasten des Individualschutzes einzelner Marktakteure gehen darf77. Es besteht kein Bedürfnis nach einer Abschöpfung durch Verbände, wenn der entstandene Vorteil des Verletzers durch Schadensersatzzahlungen aufgezehrt wird78. a) Zahlungen des Verletzers aufgrund privatrechtlicher Ansprüche Den amtlichen Materialien zufolge soll sich § 34a Abs. 2 GWB allein auf privatrechtliche Leistungen des Abschöpfungsschuldners aufgrund individueller Ersatzansprüche beziehen79. Das betrifft vor allem Schadensersatzansprüche von Betroffenen nach § 33 Abs. 3 GWB, aber auch sonstige vertragliche und deliktische Ansprüche gegen den Verletzer. b) Kartellbehördliche Abschöpfungsmaßnahmen Das Verhältnis zu den kartellbehördlichen Abschöpfungsmaßnahmen ist bereits in § 34a Abs. 1 GWB geregelt. Zahlungen aufgrund der Anordnung einer Geldbuße oder des Verfalls durch die Kartellbehörde sind daher nicht nach § 34a Abs. 2 GWB auf den herauszugebenden Vorteil anzurechnen, sondern schließen, soweit sie zu einer Abschöpfung führen, schon die Anwendbarkeit des Vorteilsabschöpfungsanspruchs aus. Anderes ergibt sich auch nicht aus der – redaktionell wenig geglückten – Verweisung von § 34a Abs. 2 S. 2 auf § 34 Abs. 2 S. 2 GWB80. Denn diese Verweisung bezieht sich allein auf die Erstattungsregelung, nicht aber auf die Art der anrechenbaren Leistungen. Dies ergibt sich aus einer gesetzessystematischen Zusammenschau mit dem letzten Halbsatz des § 34a Abs. 1 GWB81. c) Sonstige Zahlungen des Verletzers, insbesondere Geldstrafen Problematisch ist die Behandlung sonstiger Zahlungen des Verletzers, die nicht auf individuellen Ersatzansprüchen Betroffener oder auf kartellbehördlichen Anordnungen beruhen. Solche Fälle sind bei Kartellrechtsverstößen zwar selten, aber denkbar. Beispielhaft ist etwa an Geldstrafen zu denken, wenn sich Unternehmer zu einem verbotenen Submissionskartell im Sinne des § 298 StGB zu77 78 79 80 81
Ähnlich Lutz, WuW 2005, 718, 729: Vorrang des Individualschutzes. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 56. Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 56. Anders Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GWB, § 34a Rn. 5. Lübbig, in: Münchener Kommentar, GWB, § 34a Rn. 27.
C. Anspruchsberechtigung
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sammengeschlossen haben. Der Bundesrat äußerte gegen eine Anrechnung von Geldstrafen Bedenken, weil damit angeblich besonders schwerwiegende Verstöße gegen das GWB privilegiert würden82. Dieser Einwand ist schon deswegen nicht stichhaltig, weil Geldstrafen und Vorteilsabschöpfung zwar unterschiedliche Sanktionszwecke verfolgen, aber in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen aufeinander abgestimmt werden müssen. Wenn bereits eine Geldstrafe bewirkt, dass dem Verletzer der erzielte Unrechtsvorteil entzogen wird, dann bleibt für eine Vorteilsabschöpfung kein Raum. Blickt man auf die Parallelbestimmung des § 10 Abs. 2 UWG, dann ist festzustellen, dass in vergleichbaren Fällen Geldstrafen auf den herauszugebenden Gewinn des Verletzers anzurechnen sind. Zwar spricht § 10 Abs. 2 UWG ebenfalls von Leistungen, versteht darunter aber im untechnischen Sinne sämtliche Zahlungen an Dritte oder an den Staat aufgrund der unlauteren Handlung, unabhängig vom Rechtsgrund83. Diesen Rechtsgedanken wird man auf § 34a Abs. 2 S. 1 GWB erstrecken müssen. Das Bedürfnis nach einer Abschöpfung entfällt unabhängig von Rechtsnatur und Rechtsgrund der vom Verletzer erbrachten Zahlung, wenn diese bereits zu einer Abschöpfung der Unrechtsvorteile führt. Dann aber wäre es wertungswidersprüchlich, wenn eine Geldstrafe zwar auf einen nach § 10 UWG abzuschöpfenden Gewinn angerechnet werden müsste, nicht aber auf einen nach § 34a GWB abzuschöpfenden wirtschaftlichen Vorteil.
C. Anspruchsberechtigung Zur Geltendmachung des Anspruchs auf Vorteilsabschöpfung sind gemäß § 34a Abs. 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 2 GWB nur Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen befugt, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmen angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, soweit sie insbesondere nach ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande sind, ihre satzungsmäßigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen wahrzunehmen und soweit die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührt.
I. Beschränkung auf Unternehmensverbände 1. Problematik der gesetzlichen Neufassung des § 33 Abs. 2 GWB § 34a Abs. 1 GWB verweist auf § 33 Abs. 2 GWB, der wiederum nach dem Vorbild von § 8 Abs. 2 Nr. 2 UWG formuliert wurde. Der Gesetzgeber ist damit von 82
Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 15/3640, S. 78; der Einwand entspricht nahezu wortgleich der Stellungnahme zu § 10 UWG (siehe oben § 7. B. IV. 3. b) bb), S. 561). 83 Oben, § 7. B. IV. 3. b), S. 559 ff.
600
§ 8. Vorteilsabschöpfung im Kartellrecht
der bisherigen gesetzlichen Fassung abgewichen. Daraus ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten. Nach § 33 S. 2 GWB a.F. konnte der Unterlassungsanspruch »von rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher Interessen geltend gemacht werden«. Weitere Anforderungen stellte das Gesetz nicht. Anspruchsberechtigt waren nach altem Recht alle unternehmerischen Interessenverbände, unabhängig davon, ob deren Mitglieder im Horizontalverhältnis oder im Vertikalverhältnis von der Zuwiderhandlung betroffen waren. Einschränkungen ergaben sich, weil zum Teil gefordert wurde, dass die verletzte Norm zugunsten der Verbandsmitglieder (oder zumindest eines Teils davon) Schutzgesetzcharakter aufweisen musste84. Mit Aufgabe des Schutzprinzips hat sich diese Frage erledigt, jedoch rächt es sich, dass der Gesetzgeber im Zuge der siebten GWB-Novelle die (sachlich ohnehin nicht überzeugenden) Einschränkungen der Anspruchsberechtigung aus dem Lauterkeitsrecht einfach in das Kartellrecht kopiert hat und damit, vermutlich ganz unbeabsichtigt85, den Anwendungsbereich der Verbandsklagebefugnis bedenklich eingeschränkt hat. Gegenüber der bisherigen Ausgestaltung der Verbandsklagebefugnis weist die Neufassung folgende Einschränkungen auf: Dem Verband muss eine erhebliche Zahl von Unternehmen angehören, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben und es müssen durch den Kartellrechtsverstoß die Interessen der Mitglieder betroffen sein. Das hat zur Folge, dass nur Verbände aktivlegitimiert sind, deren Mitglieder auf dem relevanten Markt mit dem Kartelltäter konkurrieren86 und damit – im Sinne von § 33 Abs. 1 S. 3 GWB – Mitbewerber sind87. Die Interessen der Mitbewerber werden jedoch häufig nicht tangiert sein, wenn die Zuwiderhandlung Anbieter oder Abnehmer trifft88. Insbesondere die Verletzung von Interessen der Verbraucher, z.B. bei einer Preisabsprache zum Nachteil von Verbrauchern, kann grundsätzlich nicht erfasst werden89. Es bleibt damit letztlich eine Frage des Einzelfalls und des Zufalls, ob sich aufgrund der Marktbedingungen und der konkreten Umstände der Verletzung ein Kartellrechtsverstoß (zumindest auch) die Interessen der Mitbewerber berührt. Selbst wenn man die Anforderungen des § 33 Abs. 2 GWB insgesamt großzügig auslegt90, bleiben Verbände, die Unternehmen der Marktgegenseite oder nachgeordneter Absatzstufen repräsentieren, von der Anspruchsberechtigung nach § 33 Abs. 2 GWB und damit von der Geltendmachung der Vorteilsabschöpfung ausgeschlossen91. Die gesamte Regelung mutet beinahe wie ein Schildbürgerstreich an. 84 85 86 87 88 89 90 91
Siehe nur Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 186 f. Köhler, WRP 2007, 602, 603: »versehentliche Verkürzung der Klagebefugnis«. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 109. Köhler, WRP 2007, 602, 603; ders. in: Festschrift für Schmidt, S. 509, 513. Alexander, JZ 2006, 890, 893. Köhler, in: Festschrift für Schmidt, S. 509, 514. Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 80. Bechtold, GWB, § 33 Rn. 16.
C. Anspruchsberechtigung
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Diesen insgesamt misslungenen Zustand wird letztlich nur der Gesetzgeber selbst beheben können. De lege lata bleibt wohl nur der wenig befriedigende Weg einer korrigierenden Auslegung des § 33 Abs. 2 GWB, wonach die Klagebefugnis der Verbände, wie vor dem Inkrafttreten der siebenten GWBNovelle, unabhängig von der Stellung ihrer Mitglieder im Marktgeschehen zu bestimmen ist92. Im Schrifttum sind für eine Reform bereits überzeugende Vorschläge unterbreitet worden. Köhler plädiert in seinem Vorschlag nicht nur für die Aufnahme der qualifizierten Einrichtungen in § 33 Abs. 2 GWB, sondern auch für eine vereinfachte Umschreibung der Anspruchsberechtigung von Unternehmensverbänden unter Verzicht auf das Erfordernis des Vertriebs von Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt93. 2. Nichtberücksichtigung von qualifizierten Einrichtungen Im Gesetzgebungsverfahren war lange Zeit eine Erweiterung der Anspruchsberechtigung dahingehend vorgesehen, dass auch qualifizierte Einrichtungen anspruchsberechtigt sein sollten94. Die Ansprüche aus § 33 Abs. 1 und § 34a Abs. 1 GWB hätten dann sowohl Unternehmensverbände als auch Verbraucherverbände geltend machen können. Völlig zutreffend wiesen die amtlichen Materialien darauf hin, mit der Anspruchsberechtigung qualifizierter Einrichtungen werde dem Umstand Rechnung getragen, dass das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen durch die Sicherung eines wirksamen Wettbewerbs auch die Interessen der Verbraucher schütze95. Im Vermittlungsausschuss wurde gleichwohl die Kehrtwende vollzogen96 und die Anspruchsberechtigung von qualifizierten Einrichtungen wurde gestrichen97. Wie hektisch sich diese Änderung vollzog, ließ sich daraus ersehen, dass zunächst die Überschrift von § 34a GWB nicht geändert wurde und diese bis zur redaktionellen Korrektur »Vorteilsabschöpfung durch Verbände und Einrichtungen« lautete. Eine Erläuterung für die Streichung der Anspruchsberechtigung qualifizierter Einrichtungen gab der Gesetzgeber nicht. Man kann nur vermuten, dass die Streichung das Ergebnis einer politischen Kompromisssuche war. Möglicherweise ist die Streichung der qualifizierten Einrichtungen als Anspruchsbe92 Köhler, WRP 2007, 602, 604 Fn. 9 hält es für nicht ausgeschlossen, dass die Gerichte diesen Weg gehen könnten. 93 Köhler, WRP 2007, 602, 604. 94 Ähnlich sah auch das Energiewirtschaftsgesetz zunächst eine Einbeziehung von qualifizierten Einrichtungen vor, siehe § 33 Abs. 2 im Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3917. 95 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 53. 96 Beim Energiewirtschaftsgesetz wurde ebenfalls im Vermittlungsausschuss die Anspruchsberechtigung von qualifizierten Einrichtungen gestrichen (BT-Drucks. 15/5736, S. 5 unter Nr. 21) und darüber hinaus wurde auf den vorgesehenen Anspruch auf Vorteilsabschöpfung gänzlich verzichtet (a.a.O., unter Nr. 22). 97 Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses, BT-Drucks. 15/5735, S. 2 unter Nr. 8 Buchst. b.
602
§ 8. Vorteilsabschöpfung im Kartellrecht
rechtigte auf das Bemühen zurückführen, »das Kartellrecht als Grundordnung des Marktes zu bewahren und nicht in den Dunstkreis des Verbraucherschutzrechts abdriften zu lassen«98. Die Nichtberücksichtigung von qualifizierten Einrichtungen wäre nur dann folgerichtig, wenn das Kartellrecht auf den Schutz von Kollektivinteressen der Unternehmen beschränkt wäre. Indessen lässt sich eine solche Aussage nicht treffen. Wettbewerb ist im Interesse aller daran Beteiligten schützenswert und schutzbedürftig. Eine solche Sichtweise steht in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftskartellrecht, das von einer prinzipiellen Gleichrangigkeit der geschützten Personen ausgeht. Speziell zu privatrechtlichen Ansprüchen wird etwa im Grünbuch der Kommission ausgeführt: »Durch die Erleichterung von Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts wird es Verbrauchern und Unternehmen, die durch Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsvorschriften geschädigt worden sind, einfacher gemacht, ihre Verluste vom Rechtsverletzer zurückzufordern; darüber hinaus wird die Anwendung des Wettbewerbsrechts gestärkt«99.
Obgleich das Gesetz formal den bisherigen Rechtszustand fortsetzt, vermag die Nichtaufnahme von qualifizierten Verbänden rechtspolitisch nicht zu überzeugen100. Der Gesetzgeber hat vielmehr unnötigerweise ein Zweiklassen-System der kollektivrechtlichen Rechtsdurchsetzung im Lauterkeitsrecht und Kartellrecht geschaffen. Die Verbandsklage, die im Kartellrecht bislang nur ein bescheidenes Dasein führt, hätte durch eine Ausweitung der Anspruchsberechtigung auf qualifizierte Einrichtungen spürbar aufgewertet werden können. Der Blick in das Lauterkeitsrecht lehrt, dass gerade von den Verbraucherverbänden wichtige Initiativen bei der Bekämpfung wettbewerbswidriger Praktiken ausgehen können. Der Ausschluss von verbraucherschützenden Interessenverbänden ist keine sachliche Konsequenz eines einseitig auf Unternehmerschutz fixierten Kartellrechts, sondern vielmehr eine im gesetzgeberischen Ermessen liegen Entscheidung über die Ausgestaltung des Sanktionsregimes. Daraus Rückschlüsse auf die kartellrechtliche Schutzwürdigkeit der Interessen von Verbrauchern zu ziehen, wäre verfehlt. De lege lata muss der klar zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers respektiert werden. Eine Anspruchsberechtigung von qualifizierten Einrichtungen bei Kartellrechtsverstößen darf deswegen nicht auf anderem Wege, insbesondere über §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1, 3 Nr. 2 UWG101 oder § 2 Abs. 1 98
Drexl, in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, S. 223,
260. 99
Kommission, Grünbuch Schadensersatzklagen, S. 3. Hervorhebung durch den Verf. Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 75; Drexl, in: Hopt/Tzouganatos, Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, S. 223, 260; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 34a Rn. 4; Köhler, WRP 2007, 602 f.; ders., in: Festschrift für Schmidt, S. 509, 514; Lutz, WuW 2005, 718, 730. 101 BGH vom 7.2.2006, BGHZ 166, 154 Tz. 13 ff. – Probeabonnement. 100
C. Anspruchsberechtigung
603
UKlaG102, konstruiert werden. De lege ferenda sollte die Anspruchsberechtigung von qualifizierten Einrichtungen für Abwehransprüche und für den Abschöpfungsanspruch in das Gesetz aufgenommen werden103.
II. Mehrere Berechtigte Angesichts der ohnehin wenig geglückten Ausgestaltung der Anspruchsberechtigung dürfte kaum jemals eine Situation eintreten, in der mehrere Verbände nebeneinander den Abschöpfungsanspruch geltend machen104. Für den ganz unwahrscheinlichen Fall, dass so etwas doch geschehen sollte, enthält § 34a Abs. 3 GWB, ebenso wie § 10 Abs. 3 UWG, den Verweis auf die Vorschriften über die Gesamtgläubigerschaft in §§ 428 bis 430 BGB. Auch diese Regelung ist kein Meisterstück des Gesetzgebers. Es wurde übersehen, dass aufgrund der Drittbegünstigung des Bundeshaushalts und aufgrund der speziellen Charakteristik des Abschöpfungsanspruchs die bürgerlich-rechtlichen Regelungen zur Gesamtgläubigerschaft schlicht nicht passen. Die Einzelheiten müssen an dieser Stelle nicht wiederholt werden105. Insbesondere bleibt es dabei, dass der Verletzer, wenn er von mehreren Verbänden in Anspruch genommen werden sollte, mit befreiender Wirkung allein an den Bundeshaushalt leisten kann106. Ein Vorgehen mehrerer Verbände wird schon im Vorfeld leicht zu vermeiden sein, wenn sich die anspruchsberechtigten Verbände untereinander und mit dem Bundeskartellamt abstimmen. Denn bei dem Bundeskartellamt laufen gleichsam alle Fäden zusammen, sodass es praktisch als Koordinierungsstelle fungieren kann107. Denn es kann selbst die Abschöpfung anordnen und ist von entsprechenden Maßnahmen der Landeskartellbehörden zu benachrichtigen108. Zudem besteht gemäß § 34a Abs. 4 S. 1 GWB eine Informationspflicht der Verbände. Eine parallele Verfolgung mehrerer Abschöpfungsverfahren wegen eines Kartellrechtsverstoßes wird daher leicht zu verhindern sein, indem ein Verband, bevor er Maßnahmen zur Durchsetzung der Vorteilsabschöpfung ergreift, eine informelle Anfrage an das Bundeskartellamt richtet.
102 Bechtold, GWB, § 33 Rn. 15: Das GWB schützt zwar (auch) Verbraucher, ist aber kein Verbraucherschutzgesetz i.S.v. § 2 UKlaG. Anders Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 137. 103 Siehe dazu den Formulierungsvorschlag bei Köhler, WRP 2007, 602, 604. 104 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 34a Rn. 25; Köhler, in: Festschrift für Schmidt, S. 509, 514 f.; Lübbig, in: Münchener Kommentar, GWB, § 34a Rn. 31. 105 Dazu näher oben, § 7. C. II., S. 566 ff. 106 Unzutreffend daher Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GWB, § 34a Rn. 3: Der Täter könne mit befreiender Wirkung an jeden Verband leisten. 107 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 34a Rn. 27. 108 § 48 Abs. 1 S. 2 GWB; siehe auch § 54 Abs. 3 GWB, wonach an Verfahren der Landeskartellbehörden das Bundeskartellamt mit allen Rechten und Pflichten beteiligt ist.
604
§ 8. Vorteilsabschöpfung im Kartellrecht
D. Anspruchsinhalt und prozedurale Aspekte I. Drittbegünstigung des Bundeshaushalts Gemäß § 34a Abs. 1 GWB richtet sich der Abschöpfungsanspruch auf Herausgabe des erzielten wirtschaftlichen Vorteils an den Bundeshaushalt. Die dogmatische Konstruktion dieser Drittbegünstigung entspricht der Regelung in § 10 Abs. 1 UWG. Auch die Modalitäten der Abwicklung, insbesondere die Auskunftspflicht des Abschöpfungsgläubigers und der Erstattungsanspruch, entsprechen den Regelungen zur Gewinnabschöpfung. Zuständig ist nicht das Bundesamt für Justiz, sondern als sachnächste Bundesbehörde das Bundeskartellamt. Die Zuständigkeit des Bundeskartellamtes besteht unabhängig davon, ob bei einem kartellbehördlichen Vorgehen »an sich« die Landeskartellbehörde zuständig wäre109. Das Bundeskartellamt bildet damit gleichsam das Scharnier zwischen Abschöpfungsgläubiger und Bundeshaushalt und, sofern ein solcher Fall eintreten sollte, auch zwischen mehreren Abschöpfungsgläubigern.
II. Rechtsverhältnis zwischen Abschöpfungsgläubiger und Bundeskartellamt § 34a Abs. 4 GWB regelt in Satz 1 die Informationspflicht der Abschöpfungsgläubiger gegenüber dem Bundeskartellamt. § 34a Abs. 4 S. 2 und 3 beinhalten den Anspruch auf Erstattung der zur Geltendmachung des Anspruchs erforderlichen Aufwendungen. Die Einzelheiten dieser Regelung sind den Bestimmungen in § 10 Abs. 4 UWG nachgebildet110. Aufgaben und Stellung des Bundeskartellamts entsprechen im Rahmen der Vorteilsabschöpfung gemäß § 34a GWB den Aufgaben und der Stellung des Bundesamtes für Justiz bei der lauterkeitsrechtlichen Gewinnabschöpfung.
E. Bindungswirkung kartellbehördlicher Entscheidungen § 34a Abs. 5 GWB verweist auf die Regelung in § 33 Abs. 4 GWB zur Bindungswirkung kartellbehördlicher und gerichtlicher Entscheidungen. Ein Abschöpfungskläger genießt daher die gleichen Vorteile der Bindungswirkung wie ein Kläger im Schadensersatzprozess111. Die gesetzliche Regelung zielt auf eine Förderung privater Klagetätigkeit. Freilich schafft die Bindungswirkung angesichts der übrigen Fallstricke des Abschöpfungsanspruchs nur eine marginale Erleichterung für die Anspruchsberechtigten.
109 110 111
Bechtold, GWB, § 34a Rn. 11. Dazu näher oben, § 7. D., S. 570 ff. Zu Art und Umfang der Bindungswirkung siehe oben, § 5. E., S. 424 ff.
Vierter Teil
§ 9. Verantwortlichkeit Die Verantwortlichkeit umfasst unterschiedliche Rechtsfragen. Im Rahmen privatrechtlicher Haftung muss die Rechtsordnung erstens eine Aussage darüber treffen, gegen wen sich ein Schadensersatzanspruch oder ein Abschöpfungsanspruch richtet, wer also Schuldner oder Anspruchsverpflichteter ist. Zweitens setzt die deliktische Haftung voraus, dass die Haftung auf ein persönlich vorwerfbares Fehlverhalten zurückgeführt werden kann. Im Falle der Schadensersatzhaftung muss eine vorsätzliche oder fahrlässige Zuwiderhandlung vorliegen, im Falle der Abschöpfung ist Vorsatz erforderlich. Drittens stellt sich das Problem der Verantwortlichkeit für Dritte. Dieser Problematik kommt bei wettbewerbswidrigen Handlungen eine Schlüsselrolle zu. Denn Rechtsadressaten des Lauterkeits- und Kartellrechts sind Unternehmen. Typischerweise sind Unternehmen aber durch eine mehr oder weniger komplexe Organisation und ein arbeitsteiliges Zusammenwirken vieler Personen gekennzeichnet. Der handelnde Einzelunternehmer bildet dagegen eher die Ausnahme. Um nun eine Haftung des Unternehmens zu begründen, muss das persönliche Fehlverhalten eines Einzelnen dem Unternehmen zurechenbar sein. Diese Fragen stellen sich anspruchsübergreifend für die Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche, sodass sie im Folgenden zusammengefasst erörtert werden.
A. Anspruchsverpflichtung Die Anspruchsverpflichtung wird in §§ 9 S. 1, 10 Abs. 1 UWG und §§ 33 Abs. 3, 34a Abs. 1 GWB einheitlich, aber denkbar vage beschrieben: »Wer« eine Zuwiderhandlung schuldhaft begeht, ist zum Schadensersatz oder zur Herausgabe der erlangten Unrechtsvorteile verpflichtet. Schuldner der Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche ist damit der Verletzer. Wird ein Rechtsverstoß von mehreren begangen, haften diese als (Mit-)Täter oder Beteiligte.
I. Verletzer Verletzer ist, wer den haftungsbegründenden Tatbestand durch eigenes Verhalten selbst verwirklicht, also die maßgebliche Verletzungshandlung vornimmt. Ebenfalls als Verletzer haftet, wer für das rechtswidrige Verhalten eines Dritten einzustehen hat. Obgleich ein Unternehmen nicht selbst deliktisch handeln kann, gilt
608
§ 9. Verantwortlichkeit
es im Rechtssinne als Verletzer, wenn beispielsweise ein Organ oder Repräsentant des Unternehmens eine unerlaubte Handlung begeht, die dem Unternehmen zuzurechnen ist und durch die eine Vorschrift verletzt wird, die sich an das Unternehmen richtet. Im Lauterkeitsrecht kann Verletzer nur derjenige sein, dessen Verhalten als geschäftliche Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG zu qualifizieren ist. Unerheblich ist es, ob der Verletzer dabei zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens handelt. Privatpersonen oder die öffentliche Hand sind Verletzer, wenn sie fremden Wettbewerb fördern. Einschränkungen können sich jedoch ergeben, wenn bestimmte Verbotstatbestände besondere persönliche Qualifikationen erfordern, also etwa eine Marktverhaltensvorschrift im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG nur für bestimmte Personen gilt. Dann kommen nur diese Personen als Verletzer in Betracht. Ob man den Begriff des Verletzers neben Tätern auch auf Teilnehmer, also Anstifter und Gehilfen, erstreckt, ist letztlich nur eine terminologische Frage. Denn Teilnehmer haften jedenfalls gemäß § 830 Abs. 2 BGB wie Täter1. Vom Verletzer strikt zu unterscheiden ist dagegen der Störer, der willentlich und adäquat-kausal an einem fremden Rechtsverstoß mitwirkt und auf Beseitigung und Unterlassung, nicht aber auf Schadensersatz und Abschöpfung in Anspruch genommen werden kann. In der Nähe der Störerhaftung steht die Haftung desjenigen, der eine spezielle Verkehrspflicht im Wettbewerb verletzt. Eine solche Verletzung begründet eine Täterschaft und damit eine Haftung als Verletzer. 1. Keine Haftung des Störers auf Schadensersatz und Abschöpfung Der Begriff des Störers geht zurück auf § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB2 und hat über das bürgerliche Recht hinaus einen wahren Siegeszug angetreten. Allerdings ist es bislang nicht gelungen, die Störerhaftung auf eine in jeder Hinsicht tragfähige und überzeugende Basis zu stellen. Nach wie vor wirft die Haftung des Störers eine ganze Reihe von Fragen auf3. Die Unschärfe beginnt schon auf terminologischer Ebene, weil der Begriff des Störers mit verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird4. Die wettbewerbsrechtliche Störerhaftung lässt sich in der Sache als eine besondere Form der Beteiligungshaftung bei Abwehransprüchen charakterisieren5. 1 Zur Anwendbarkeit von § 830 BGB im Lauterkeits- und Kartellrecht sogleich im Text unter II., S. 616 ff. 2 Streitig ist aber schon, ob § 1004 BGB auch als dogmatische Grundlage der Störerhaftung im wettbewerbsrechtlichen Bereich anzusehen ist, dazu Ahrens, in: Festschrift für Canaris, S. 3, 5 und ders., WRP 2007, 1281, 1284, der einen solchen Bezug für verfehlt hält. 3 Welche Schwierigkeiten die sachgerechte Ausgestaltung der Störerhaftung aufwirft, zeigt anschaulich die Zusammenstellung von 21 Thesen zur Störerhaftung durch Ahrens, WRP 2007, 1281 ff. 4 So will beispielsweise Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 71 unter den Begriff des Störers die unmittelbar handelnden Personen, Anstifter, Gehilfen sowie sonstige Personen fassen, die willentlich, adäquat kausale Tatbeiträge liefern. 5 Ahrens, WRP 2007, 1281.
A. Anspruchsverpflichtung
609
Nach der Formel der ständigen Rechtsprechung ist Störer, wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines geschützten Guts oder zu einer verbotenen Handlung beigetragen hat6. Als Störer sollen vor allem Personen in Betracht kommen, die selbst keinen tatbestandlichen Rechtsverstoß begehen, aber aus eigenem Entschluss an einer fremden rechtswidrigen Handlung mitwirken, beispielsweise Redakteure und Verleger, die an der Verbreitung unlauterer Äußerungen beteiligt sind. Die Verantwortlichkeit des Störers beruht auf anderen Gründen als die Haftung eines Verletzers. Zwar leistet auch der Störer einen ursächlichen Beitrag zu einem Rechtsverstoß, aber sein Beitrag ist anderer Natur als der des Verletzers. Während der Verletzer die rechtswidrige Handlung im Kern initiiert, läuft der Beitrag des Störers darauf hinaus, diesen Verstoß nicht zu verhindern, obgleich die Möglichkeit dazu besteht7. Die Störerhaftung hängt damit von dem maßgeblichen Rechtsverstoß eines Dritten ab. Ohne einen solchen Rechtsverstoß bleibt für eine Störerhaftung kein Raum. Nur vereinzelt wird – im Lauterkeitsrecht – eine Schadensersatzpflicht bei schuldhaftem Verhalten des Störers für möglich gehalten8. Einem Störer sei die Vorgehensweise des Haupttäters zuzurechnen, weil er an der unlauteren Beeinträchtigung mitwirke; er sei insoweit als deliktischer Schuldner anzusehen9. Des Weiteren greife § 823 Abs. 2 BGB ein, weil § 1004 BGB, auch in analoger Anwendung, Schutzgesetz im Sinne dieser Vorschrift sei10. Rechtsprechung und herrschende Lehre lehnen eine Schadensersatzhaftung des Störers dagegen mit Recht ab11. Die Störerhaftung beruht nicht auf einer wie auch immer gearteten Zurechnung des Verhaltens des Verletzers, sondern auf einer eigenverantwortlichen Mitwirkung an einem fremden Rechtsverstoß. Eine Haftung als Störer setzt voraus, dass eine tatbestandsmäßige Verletzungshandlung eines Dritten vorliegt, doch lässt sich daraus nicht zwingend schlussfolgern, der Störer müsse automatisch in gleichem Umfang wie der Verletzer haften. Dagegen spricht schon die Wertung des § 830 BGB. Wer nicht Täter, Mittäter oder Teilnehmer einer uner6 St. Rspr., siehe nur BGH vom 19.4.2007, GRUR 2007, 708 Tz. 40 – Internet-Versteigerung II; BGH vom 11.3.2004, BGHZ 158, 236, 251 – Internet-Versteigerung I; BGH vom 17.5.2001, BGHZ 148, 13, 17 f. – ambiente.de; BGH vom 15.10.1998, GRUR 1999, 418, 419 f. – Möbelklassiker; BGH vom 10.10.1996, GRUR 1997, 313, 315 f. – Architektenwettbewerb m.w.Nachw. 7 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 30 Rn. 46. 8 Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 8 Rn. 152; in diese Richtung auch Döring, WRP 2007, 1131, 1134, der eine Nichtanwendung der Störerhaftung bei Schadensersatzansprüchen für dogmatisch nicht begründbar hält. 9 Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 8 Rn. 152. 10 Döring, WRP 2007, 1131, 1134; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 8 Rn. 152. 11 BGH vom 11.3.2004, BGHZ 158, 236, 253 – Internet-Versteigerung I; BGH vom 18.10.2001, GRUR 2002, 618, 619 – Meißner Dekor I; BGH vom 6.4.2000, GRUR 2001, 82, 83 – Neu in Bielefeld I; BGH vom 12.6.1997, GRUR 1998, 167, 168 f. – Restaurantführer; Ahrens, WRP 2007, 1281; Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 9 Rn. 51; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/ Bornkamm, UWG, § 9 Rn. 1.4; Koos, in: Fezer, UWG, § 9 Rn. 5; Rittner/Kulka, Wettbewerbsund Kartellrecht, § 4 Rn. 20.
610
§ 9. Verantwortlichkeit
laubten Handlung ist, haftet nach deliktsrechtlichen Grundsätzen nicht auf Schadensersatz. Dies wird bestätigt durch die jüngste Rechtsprechung des BGH, in der eine Täterschaft bei Verletzung von lauterkeitsrechtlichen Verkehrspflichten angenommen wird12. Damit wird der Täterbegriff erheblich erweitert, doch bedürfte es einer solchen Konstruktion nicht, wenn Störer und Verletzer hinsichtlich der lauterkeitsrechtlichen Sanktionen gleich zu behandeln wären. Denn derjenige, der eine lauterkeitsrechtliche Verkehrspflicht verletzt, wäre nach dem bisherigen Verständnis jedenfalls als Störer anzusehen. Dass der Störer für das Handeln des Verletzers im Rechtssinne einzustehen hat, bleibt letztlich eine Unterstellung, die sich weder aus § 862 noch aus § 1004 BGB, die ohnehin nur Abwehransprüche, nicht aber Schadensersatzansprüche betreffen, ableiten lässt13. Der Hinweis auf §§ 823 Abs. 2 S. 1, 1004 BGB hilft ebenfalls nicht weiter. Selbst wenn man § 1004 BGB als ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 S. 1 BGB ansehen wollte, was nicht unproblematisch ist, begründet diese Konstruktion doch nicht, warum der Störer gerade wegen der Mitwirkung an einer fremden unlauteren Handlung zum Schadensersatz verpflichtet sein müsste. Dies ergibt sich weder direkt noch analog aus § 1004 BGB. Im Übrigen sind die Vorschriften des UWG, mit Ausnahme der §§ 16 bis 19 UWG, gerade keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 S. 1 BGB, weil anderenfalls das lauterkeitsrechtliche Sanktionsregime ausgehöhlt würde. Verwirklicht der Störer dagegen durch seine Mitwirkung an einem fremden Rechtsverstoß zugleich einen deliktischen Tatbestand, haftet er als Verletzer; auf die Störerhaftung kommt es dann nicht mehr an14. Gleichermaßen abzulehnen wäre eine Haftung des Störers auf Abschöpfung. Praktisch wird sich diese Frage allerdings schon deswegen kaum stellen, weil in aller Regel nicht der Störer von einer unlauteren oder kartellrechtswidrigen Praktik wirtschaftlich profitiert und schon deswegen Abschöpfungsansprüche von vornherein nicht in Betracht kommen. 2. Täterschaft durch Verkehrspflichtverletzung a) Verkehrspflichten im Lauterkeitsrecht Gewissermaßen zwischen die Haftung des Verletzers und die Störerhaftung ist im Lauterkeitsrecht in jüngerer Zeit die täterschaftliche Haftung wegen der Verletzung einer lauterkeitsrechtlichen Verkehrspflicht getreten. Danach kann derjenige, der durch sein Handeln im geschäftlichen Verkehr in einer ihm zurechenbaren Weise die Gefahr eröffnet, dass Dritte Interessen von Marktteilnehmern verletzen, die durch das Lauterkeitsrecht geschützt sind, eine unlautere Handlung begehen, wenn er diese Gefahr nicht im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren
12 13 14
Dazu sogleich im Text unter 2. Vgl. BGH vom 18.10.2001, GRUR 2002, 618, 619 – Meißner Dekor. Dies übersieht Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 8 Rn. 152.
A. Anspruchsverpflichtung
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begrenzt. Diese Haftung für eine Verkehrspflichtverletzung basiert auf den allgemeinen deliktsrechtlichen Verkehrspflichten. Diesen kommt insbesondere in den Fällen des Unterlassens15 und bei mittelbaren Verletzungen Bedeutung zu, doch sind sie keineswegs nur auf diese Fälle beschränkt16. Verkehrspflichten können prinzipiell zum Schutz aller deliktisch geschützten Rechte und Rechtsgüter relevant werden. Ihrer Funktion nach handelt es sich bei Verkehrspflichten um Pflichten zur Gefahrvermeidung und zur Gefahrabwehr17. Die Übernahme der Verkehrspflichten in das Lauterkeitsrecht ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie Sonderdeliktsrecht auf Basis der allgemeinen deliktischen Regeln systemkonform fortentwickelt werden kann. Grundlegend für die Anerkennung von Verkehrspflichten im Lauterkeitsrecht ist die Jugendgefährdende Medien bei eBay-Entscheidung des BGH18. Das Urteil betrifft die Haftung des Online-«Auktionshauses« ebay für Verstöße seiner Nutzer gegen Vorschriften des Jugendschutzes: Ein als Verkäufer tätiger Nutzer hatte über ebay Software und Tonträger mit volksverhetzenden und gewaltverherrlichenden Inhalten angeboten, die nicht im Wege des Versandhandels an Jugendliche hätten vertrieben werden dürfen. Der Anbieter verstieß gegen §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 11 UWG19 und war unproblematisch als Verletzer zu qualifizieren. Schwieriger gestaltet sich die lauterkeitsrechtliche Verantwortlichkeit von ebay. Denn das Unternehmen bietet seinen Nutzern zwar gegen Entgelt die Möglichkeit zur Vornahme von Käufen und Verkäufen im Internet, tritt aber nicht selbst als Partner der abgeschlossenen Geschäfte in Erscheinung und hat aufgrund der Vielzahl abgewickelter Geschäfte von den jeweiligen Inhalten der geschlossenen Verträge regelmäßig keine Kenntnis. Das Unternehmen schafft einen Online-Marktplatz, auf dem – unter Einsatz von ebay bereitgestellter Hilfsmittel, insbesondere Software und Hilfsdiensten – Geschäfte zwischen den Nutzern angebahnt, abgeschlossen und abgewickelt werden können. Im Zusammenhang mit Markenrechtsverletzungen hatte der BGH eine Haftung von ebay für Rechtsverstöße der Nutzer auf Grundlage der Störerhaftung begründet20. Demgegenüber geht der BGH bei Zuwiderhandlungen gegen Lauterkeitsrecht von einer täterschaftlichen Handlung aus. Wer durch sein Handeln im geschäftlichen Verkehr die Gefahr schaffe, dass Dritte durch das Wettbewerbsrecht geschützte Interessen von Marktteilnehmern verletze, sei dazu verpflichtet, diese Gefahr im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu begrenzen. Das Gericht verweist zur Begründung auf seine ständige Rechtsprechung zu den Verkehrspflichten im Deliktsrecht und auf zwei Entscheidungen, in denen Verkehrspflichten im Urheberrecht21 und »der Sache nach« im Lauterkeitsrecht22 aner15
Grundlegend RG vom 30.10.1902, RGZ 52, 373 ff. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, § 76 III 1 b, S. 401 17 Zur dogmatischen Einordnung eingehend Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, § 76 III 1 d, S. 402. 18 BGH vom 12.7.2007, BGHZ 173, 188 – Jugendgefährdende Medien bei eBay; dazu Döring, WRP 2007, 1131 ff. und Köhler, GRUR 2008, 1 ff. 19 BGH vom 12.7.2007, BGHZ 173, 188 Tz. 30 ff. – Jugendgefährdende Medien bei eBay. 20 BGH vom 27.3.2007, GRUR 2007, 708 Tz. 33 ff. – Internet-Versteigerung II; BGH vom 11.3.2004, BGHZ 158, 236, 249 ff. – Internet-Versteigerung I. 21 BGH vom 9.6.1983, GRUR 1984, 54, 55 – Kopierläden. 22 BGH vom 23.3.1995, GRUR 1995, 601 – Bahnhofsverkaufsstellen. 16
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§ 9. Verantwortlichkeit
kannt worden seien. Der Rechtsprechung zu deliktischen und sonderdeliktischen Verkehrspflichten liege als einheitlicher Gedanke zugrunde, dass jeder, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft oder andauern lässt, die ihm zumutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen, die zur Abwendung der daraus Dritten drohenden Gefahren notwendig sind, treffen muss. Wer gegen eine wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht verstoße, sei Täter einer unlauteren Handlung23. Zwar beinhalte nicht schon die Art der Geschäftstätigkeit von ebay als solche eine allgemeine Verkehrspflicht, die Gefahr unlauterer Handlungen Dritter zu verhindern, denn eine so weit reichende Pflicht würde das auf massenhafte Abwicklungen gerichtete Geschäftsmodell insgesamt infrage stellen, doch ergebe sich eine Handlungspflicht jedenfalls dann, wenn ebay Kenntnis von rechtswidrigen Verhaltensweisen Dritter erlange24.
In der Jugendgefährdende Medien bei eBay-Entscheidung musste sich der BGH allein mit einem Unterlassungsanspruch befassen. Da das Gericht aber dem Grunde nach eine täterschaftliche Haftung bejaht, ist daraus zu schlussfolgern, dass eine Verletzung von Verkehrspflichten neben Unterlassungsansprüchen auch Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche auslösen kann. Die Anerkennung einer Haftung für die Verletzung einer lauterkeitsrechtlichen Verkehrspflicht führt damit zu einer Ausweitung der lauterkeitsrechtlichen Täterschaft auf Konstellationen, die bislang allein der Störerhaftung vorbehalten waren. Diese Ausweitung ist sachgerecht und überzeugend, weil auf diese Weise schädliche Kontrolllücken im Wettbewerb vermieden werden. Wer – wie ebay – gleichsam als Mittler zwischen Geschäftspartnern Geld verdient, steht nicht außerhalb der rechtlichen Verantwortung für individuelle und überindividuelle Interessen im Wettbewerb. b) Reichweite der Haftung für Verkehrspflichtverletzungen Eine Haftung wegen der Verletzung von Verkehrspflichten wird immer dann in Betracht kommen, wenn Unternehmen durch ihr eigenes geschäftliches Verhalten die Gefahr von wettbewerbswidrigen Handlungen schaffen. Neben den Betreibern von Online-Handelsplattformen ist beispielsweise an die Betreiber von Suchmaschinen im Internet zu denken. Die Gefahrenlage ist vergleichbar. Die Betreiber von Suchmaschinen verdienen an der Informationsrecherche im Netz und zugleich besteht die Gefahr, dass sie gewissermaßen eine Plattform für fremde Rechtsverstöße bieten, insbesondere bei Manipulationen der »TrefferListe«25. Ebenfalls übertragbar sein dürfte die Rechtsprechung auf geschäftliche Handlungen von Medien, denn diese bieten gegen Entgelt die Plattform für die Verbreitung von Werbung26. 23
BGH vom 12.7.2007, BGHZ 173, 188 Tz. 36 – Jugendgefährdende Medien bei eBay. BGH vom 12.7.2007, BGHZ 173, 188 Tz. 42 – Jugendgefährdende Medien bei eBay. 25 Instruktiv zu den verschiedenen Manipulationsmöglichkeiten Mankowski, in: Fezer, UWG, § 4-S12 Rn. 69 ff. Zur Verantwortlichkeit der Betreiber von Suchmaschinen Sieber/Liesching, MMR-Beilage 8/2007. 26 Köhler, GRUR 2008, 1, 6. 24
A. Anspruchsverpflichtung
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In welchen Konstellationen lauterkeitsrechtliche Verkehrspflichten sonst noch entstehen können und welchen konkreten Inhalt sie im Einzelfall aufweisen, bedarf weiterer Diskussion. Bei der Ausgestaltung der Haftung für Verkehrspflichtverletzungen muss jedenfalls der Gefahr vorgebeugt werden, dass ein Instrument zur universellen Haftungsbegründung geschaffen wird, dessen Grenzen – wie bei der Störerhaftung – letztlich verschwimmen und damit eine sachgerechte Handhabung erschweren. Lauterkeitsrechtliche Verkehrspflichten sollten deswegen nicht schon bei geschäftlichen Beziehungen und speziellen Abhängigkeitsverhältnissen zwischen Unternehmen bejaht werden. Beispielsweise wird man nicht generell annehmen dürfen, dass etwa eine Muttergesellschaft die Pflicht hat, rechtswidrige Praktiken ihrer Tochtergesellschaften zu verhindern27. Auch die Überlassung von »good will« begründet ohne Hinzutreten besonderer Umstände keine Verantwortlichkeit des überlassenden Unternehmens für Wettbewerbsverstöße des Erwerbers. In der Neu in Bielefeld I-Entscheidung hatte sich der BGH beispielsweise mit der möglichen Schadensersatzhaftung eines Franchisegebers für die irreführende Werbung eines Franchisenehmers zu befassen28. Die Vorinstanz nahm an, der Franchisegeber sei für die unlauteren Handlungen des Franchisenehmers verantwortlich. Wer einem anderen »good will« zur geschäftlichen Ausnutzung überlasse, habe auch Sorge dafür zu tragen, dass damit nur in wettbewerbskonformer Weise verfahren werde. Dies entspricht in der Sache der Annahme einer lauterkeitsrechtlichen Verkehrspflicht. Die rechtliche Möglichkeit, wettbewerbswidrige Verkaufsveranstaltungen der Franchisenehmer und deren Bewerbung zu verbieten, folge unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Franchisevertrages aus der jedem Vertrag immanenten Pflicht zum rechtmäßigen Verhalten. Dieser rechtlichen Bewertung folgte der BGH mit Recht nicht. Da der Franchisegeber die fragliche Werbung nicht selbst veranlasst hatte, kommt nur ein durch Unterlassen begangener Verstoß in Betracht. Dann müsste jedoch den Franchisegeber hinsichtlich des Werbeverhaltens des Franchisenehmers eine »Erfolgsabwendungspflicht« treffen, die sich beispielsweise aus Gesetz oder aus vorangegangenem gefährdendem Tun ergeben könnte. Aus der Überlassung von »good will« an den Franchisenehmer folgt eine solche Pflicht jedoch nicht29. Anderes kann jedoch gelten, wenn das Geschäftsmodell des Franchisegebers bereits mit dem »Makel« der Unlauterkeit behaftet ist30. Richtet der Franchisenehmer seinen Marktauftritt dann an den Vorgaben des Franchisegebers aus, verwirklicht sich gerade die spezifische Gefahr dieses Geschäftsmodells und den Franchisegeber trifft eine Pflicht zur Erfolgsabwendung. Im Übrigen wäre es in einem solchen Fall sachwidrig, nur die Franchisenehmer in Anspruch zu nehmen, nicht aber den Franchisegeber als eigentlichen Urheber der rechtswidrigen Praktiken.
27
Vgl. BGH vom 18.10.2001, GRUR 2002, 618, 619 – Meißner Dekor I. BGH vom 6.4.2000, GRUR 2001, 82, 83 – Neu in Bielefeld I. 29 BGH vom 6.4.2000, GRUR 2001, 82, 83 – Neu in Bielefeld I. Dagegen können die Handlungen eines Franchisenehmers dem Franchisegeber in der Regel nach § 8 Abs. 2 UWG zugerechnet werden, siehe BGH vom 5.4.1995, GRUR 1995, 605, 606 – Franchise-Nehmer. 30 Z.B. Franchisevereinbarung über ein gegen § 16 Abs. 2 UWG verstoßenden progressives Vertriebssystem. 28
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§ 9. Verantwortlichkeit
Ob die Verletzung von Verkehrspflichten auch im Kartellrecht eine täterschaftliche Haftung begründen kann, wird bislang kaum diskutiert. Durchgreifende Rechtsgründe gegen eine solche Konstruktion bestehen zwar nicht, gleichwohl dürften Anwendungsfälle im Kartellrecht eher Seltenheitswert haben. Denn Verkehrspflichten kommen vor allem dann in Betracht, wenn die Rechtswidrigkeit gleichsam durch einen Dritten »vermittelt« wird. Solche Konstellationen treten im Kartellrecht nur bedingt auf. Eine zumindest ähnliche Situation lag aber der Buchpreisbindung-Entscheidung zugrunde: Mehrere Bezirksämter in Berlin hatten bei der zentralen Beschaffung von Schulbüchern die Buchhändler zur Einräumung von Preisnachlässen verpflichtet, mit denen die Händler gegen die Bestimmungen des Buchpreisbindungsgesetzes verstießen. Der BGH bejahte einen Unterlassungsanspruch von Buchhändlern gegen das Land Berlin, obgleich das Land nicht Normadressat des gesetzlichen Preisbindungsgebots ist, da es nicht selbst gewerbs- oder geschäftsmäßig Bücher als Letztverbraucher verkauft, sondern in Erfüllung seiner Pflicht, Lernmittelfreiheit zu gewähren, die Schulbücher für die Schüler zentral beschafft. Jedoch kann nach Ansicht des Gerichts nicht nur der Normadressat des gesetzlichen Verbots selbst, sondern auch derjenige, der Buchhändler oder Verleger im Wissen um die Buchpreisbindung vorsätzlich zu einem Verstoß gegen das Buchpreisbindungsgesetz veranlasst, auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Zur Begründung stützte sich der BGH auf die Störerhaftung, verwies aber zugleich auch auf § 830 Abs. 2 BGB.31 Richtigerweise war die Aufforderung an die Buchhändler durch die Berliner Bezirksämter als Veranlassung zu einem rechtswidrigen Verhalten und somit als eine Anstiftung anzusehen. Auf eine spezielle Verkehrspflicht kam es in dem Streitfall nicht an. Anders wäre aber möglicherweise zu entscheiden, wenn das Land die Buchhändler nicht ausdrücklich zur Einräumung rechtswidriger Preisnachlässe aufgefordert und damit angestiftet hätte, aber durch seine Beschaffungspraxis eine besondere Gefahrenlage geschaffen hätte, die Rechtsverstöße begünstigt. Das wäre beispielsweise der Fall gewesen, wenn mit der Beschaffung von Schulbüchern gezielt nur diejenigen Buchhändler beauftragt worden wären, die dem Land eigeninitiativ rechtswidrige Rabatte einräumen.
c) Haftung für Rechtsverletzungen Dritter aufgrund eigener Pflichtverletzung Von der Haftung als Täter wegen der Verletzung einer lauterkeitsrechtlichen Verkehrspflicht zu unterscheiden sind Fälle, in denen jemand aufgrund einer eigenen Pflichtverletzung für die Rechtsverletzung, die von einem Dritten begangen wird, haftet. Diese Konstellation liegt im Schnittbereich zwischen der Haftung für Pflichtverletzungen und Zurechnungsfragen. Die rechtliche Besonderheit besteht darin, dass der Täter eine Pflicht verletzt, die nicht gegenüber dem Geschädigten besteht und dadurch die Rechtsverletzung durch einen Dritten ermöglicht. Einen aktuellen Anwendungsfall liefert die Halzband-Entscheidung des BGH32. 31 32
BGH vom 24.6.2003, BGHZ 155, 189, 194 – Buchpreisbindung. BGH vom 11.3.2009, WRP 2009, 730 – Halzband.
A. Anspruchsverpflichtung
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Auslöser des Streitfalls war das Online-Angebot von nachgeahmten Cartier-Schmuckstücken auf den Seiten von ebay. Die Nachahmungen waren über ein bestimmtes Mitgliedskonto angeboten worden, doch hatte der Inhaber dieses Kontos vorgebracht, dass nicht er, sondern – ohne sein Wissen – seine Ehefrau die Stücke angeboten habe. Dies konnte geschehen, weil der Inhaber des Mitgliedskontos sein Passwort nicht geheim gehalten, sondern für die Ehefrau zugänglich aufbewahrt hatte. Nach Auffassung des Gerichts unterliegt diese spezielle Konstellation nicht der Störerhaftung. Auch ist keine Täterschaft wegen der Verletzung einer Verkehrspflicht anzunehmen. Vielmehr ergebe sich eine Haftung als Täter, weil der Inhaber des Mitgliedskontos »auch wenn er die Verwendung der Zugangsdaten zu seinem Mitgliedskonto bei eBay durch seine Ehefrau weder veranlasst noch geduldet hat, nicht hinreichend dafür gesorgt hat, dass seine Ehefrau keinen Zugriff auf die Kontrolldaten und das Kennwort dieses Mitgliedskontos erlangte«33. Zur Begründung stützt sich der BGH vor allem auf die Nutzungsbedingungen von ebay, wonach der Inhaber eines Mitgliedskontos seine Zugangsdaten geheim halten müsse34. Der entscheidende Grund für die Haftung desjenigen, der seine Kontaktdaten nicht unter Verschluss halte, für unter seinem Mitgliedsnamen begangene Rechtsverletzungen bestehe in der von ihm geschaffenen Gefahr, dass für den Verkehr Unklarheiten darüber entstehen können, welche Person unter dem betreffenden Mitgliedskonto bei ebay gehandelt habe, wodurch die Möglichkeiten, den Verletzer zu identifizieren und in Anspruch nehmen zu können, erheblich beeinträchtigt würden35. Die Entscheidung ist aus mehreren Gründen problematisch. Der BGH stellt neben die Störerhaftung und die Haftung wegen der Verletzung einer lauterkeitsrechtlichen Verkehrspflicht eine weitere, neuartige Kategorie der Verantwortlichkeit, deren dogmatische Absicherung schwer zu durchschauen ist. Unklar ist schon, ob der BGH von einer echten Täterschaft des Inhabers des Mitgliedskontos ausgeht oder, wie es auch in der Urteilsbegründung heißt, von einer Zurechnung fremden Verhaltens36. Beide Fragen müssen strikt voneinander getrennt werden. Unklar ist weiterhin die Begründung der Täterschaft bzw. Zurechnung. Der Hinweis auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von ebay ist für sich genommen wenig überzeugend, denn vertragliche Pflichten (z.B. Geheimhaltungspflichten) betreffen allein das Verhältnis beider Vertragsparteien. Die Verletzung einer Vertragspflicht kann nicht ohne Weiteres eine Täterschaft hinsichtlich der Verletzung Rechte Dritter begründen. Richtig ist, dass für etwaige Verletzte oft nicht leicht festzustellen ist, wer unter einem frei gewählten Nutzernamen im Internet auftritt und möglicherweise Rechtsverletzungen begeht. Zweifelhaft bleibt indessen, ob dieses Interesse Dritter ausreicht, um vertragliche Pflichten als Grundlage für die Begründung von Täterschaft oder Zurechenbarkeit fremden Verhaltens heranzuziehen. Denn das Interesse Dritter ändert nichts daran, dass die mangelnde Geheimhaltung des Passworts für das eigene Konto nur eine Pflichtwidrigkeit gegenüber dem Vertragspartner (ebay) ist.
33 34 35 36
BGH vom 11.3.2009, WRP 2009, 730 Tz. 16 – Halzband. BGH vom 11.3.2009, WRP 2009, 730 Tz. 17 f. – Halzband. BGH vom 11.3.2009, WRP 2009, 730 Tz. 18 – Halzband. BGH vom 11.3.2009, WRP 2009, 730 Tz. 21 – Halzband.
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§ 9. Verantwortlichkeit
II. Mehrere Beteiligte Unlautere oder kartellrechtswidrige Handlungen werden oft von mehreren Personen begangen. Sie können beispielsweise als Mittäter oder als Tatmittler und mittelbarer Täter zusammenwirken oder an einer Tat sind neben dem Täter auch Anstifter oder Gehilfen beteiligt. In diesen Fällen ist danach zu fragen, ob und wie die Beteiligten im Außen- und Innenverhältnis haften. Mangel spezialgesetzlicher Bestimmungen im UWG und GWB bestimmt sich dies nach § 830 BGB. § 830 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB sind strafrechtlich vorgeprägt. Das Vorliegen von Mittäterschaft, Anstiftung oder Gehilfenschaft (Beihilfe) bestimmt sich zumindest im Grundsatz anhand der Maßstäbe des Strafrechts, also nach den für §§ 25 bis 27 StGB geltenden Kriterien37. Umstritten ist, ob aufgrund deliktischer Besonderheiten Abweichungen von den Grundsätzen des Strafrechts zulässig sein können. Die Frage stellt sich insbesondere im Hinblick auf die subjektiven Voraussetzungen in der Person des Haupttäters38. Anstiftung und Beihilfe sind nach §§ 26, 27 StGB nur zu einer vorsätzlichen Haupttat möglich. Überträgt man diese Grundsätze auf § 830 BGB, dann muss eine Haftung des Teilnehmers folgerichtig ausscheiden, wenn der Haupttäter fahrlässig oder sogar schuldlos gehandelt hat und er zu dieser Handlung bestimmt wurde. Im Vordergrund der Diskussion stehen zumeist Pflichtverletzungen von Gesellschaftsorganen39. Doch sind vergleichbare Problemlagen auch bei Wettbewerbsverstößen denkbar. Dass der Anstifter möglicherweise nach anderen Vorschriften, insbesondere nach § 826 BGB, haftet, spricht nicht grundsätzlich gegen seine deliktische Haftung als Beteiligter, weil die vorsätzliche Anstiftung zu einer unlauteren oder kartellrechtswidrigen Handlung keineswegs in jedem Fall den Tatbestand des § 826 BGB erfüllen muss40. Zudem ist der Einfluss des Anstifters auf das Geschehen sogar größer, wenn der Haupttäter »nur« fahrlässig oder sogar schuldlos gehandelt hat. Dieser herausgehobenen Stellung des Hintermanns ist durch Anwendung von § 830 Abs. 2 BGB Rechnung zu tragen. Zum Teil wird in Abweichung vom Strafrecht eine fahrlässige Mittäterschaft für möglich gehalten, wenn ein unvorsätzliches Zusammenwirken vorliegt und 37
BGH vom 29.10.1974, BGHZ 63, 124, 126; BGH vom 31.1.1978, BGHZ 70, 277, 285 ff.; BGH vom 24.1.1984, BGHZ 89, 383, 389. Kritisch Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 497: Rechtsprechung und Literatur klebten am kriminalistischen Vorbild. Differenzierend Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 82 I 1 d, S. 566: Es sei von den Vorgaben des Strafrechts auszugehen, diese seien jedoch zu korrigieren, »wenn dafür aus Sicht des Deliktsrechts triftige Gründe sprechen«; auch Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 830 Rn. 7 spricht sich gegen eine »sklavische Anbindung privatrechtlicher Regelungen an strafrechtliche Institute« aus. 38 Auch hinsichtlich des Teilnehmers können die subjektiven Anforderungen problematisch sein. Nach Auffassung des BGH (vom 11.3.2004, BGHZ 158, 236, 250 – Internet-Versteigerung I) verlangt der Vorsatz des Gehilfen – abweichend von den strafrechtlichen Grundsätzen – das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit. 39 Siehe nur Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 82 I 2 f, S. 569. 40 Vgl. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 82 I 1 b, S. 565.
A. Anspruchsverpflichtung
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die Schädiger entweder dieselbe Pflicht trifft oder die Pflichten der Schädiger aufeinander bezogen sind41. Beispielsweise ist denkbar, dass sich ein verantwortlicher Redakteur oder Verleger bei einem Rechtsanwalt über die rechtliche Zulässigkeit einer für den Abdruck bestimmten Werbeanzeige informiert. Der Rechtsanwalt hält die (in Wahrheit unlautere) Handlung für zulässig. Handeln sämtliche Beteiligten jeweils sorgfaltswidrig und damit fahrlässig, dann könnte es sich um eine fahrlässige Mittäterschaft handeln mit der Folge der Anwendbarkeit von §§ 830, 840 BGB. Dass eine solche Situation in der Praxis durchaus vorkommen kann, illustriert der Sachverhalt der Das Medizinsyndikat II-Entscheidung des BGH42. Der Streitfall betrifft zwar eine medienrechtliche Konstellation, doch stellt sich die Grundproblematik im Lauterkeitsrecht entsprechend: Die Beklagte hatte ein Sachbuch mit ehrverletzendem Inhalt verlegt und die Prüfung des Inhalts einem externen Rechtsanwalt übertragen, der sodann einer Veröffentlichung zugestimmt hatte. Der Kläger verlangte wegen der Veröffentlichung unter anderem Schadensersatz. Das Gericht ging trotz der Prüfung durch den Rechtsanwalt von einem sorgfaltswidrigen Verhalten aus und bejahte eine Haftung der Beklagten. Die Frage einer fahrlässigen Mittäterschaft konnte der BGH offen lassen, weil das Gericht allein über Ansprüche gegen die Beklagte zu entscheiden hatte43. Die Frage einer möglichen Mittäterschaft kann sich auch stellen, wenn Unternehmen vertraglich oder organisatorisch miteinander verbunden sind. Gestreift wurde die Problematik in der Meißner Dekor I-Entscheidung. Darin blieb jedoch offen, ob eine Muttergesellschaft als Mittäterin für unlautere Handlungen auf Schadensersatz haftet, die von ihrem Tochterunternehmen begangen werden44. Verneint wurde die (Mit-)Täterschaft und damit auch die Schadensersatzhaftung eines Franchisegebers für eine unlautere Handlung, die von einem Franchisenehmer begangen wurde, in der Neu in Bielefeld IEntscheidung45.
Eine Heranziehung von § 830 Abs. 1 S. 1 BGB ist entbehrlich, wenn die maßgebliche rechtswidrige Handlung überhaupt nur durch mehrere begangen werden kann. Dann nämlich ergibt sich die Haftung eines jeden (Mit-)Täters bereits aus der zugrunde liegenden Norm, ohne dass ein Rückgriff auf § 830 Abs. 1 S. 1 BGB erforderlich wäre. Eine nach Art. 81 Abs. 1 EG und § 1 GWB unzulässige Kartellvereinbarung setzt beispielsweise mindestens zwei Beteiligte voraus. Die Parteien dieser Vereinbarung haften eigenständig als Verletzer. Möglich ist auch die Anwendung von § 830 Abs. 1 S. 2 BGB, über dessen Zweck und dogmatische Einordnung allerdings Uneinigkeit besteht46. Im Unterschied zu § 830 Abs. 1 S. 1 BGB zielt Satz 2 auf Fälle, in denen mehrere Personen nicht einvernehmlich zusammengewirkt haben, also die Situation der Alternativ-
41
Deutsch, Haftungsrecht, Rn. 507. BGH vom 8.7.1980, GRUR 1980, 1099 ff. – Das Medizinsyndikat II. 43 BGH vom 8.7.1980, GRUR 1980, 1099, 1104 – Das Medizinsyndikat II. 44 BGH vom 18.10.2001, GRUR 2002, 618, 619 – Meißner Dekor I. 45 BGH vom 6.4.2000, GRUR 2001, 82, 83 – Neu in Bielefeld I. 46 Siehe dazu nur Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 82 II, S. 570 ff. und Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 830 Rn. 28 ff. 42
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§ 9. Verantwortlichkeit
täterschaft47. Die Vorschrift betrifft deliktische Handlungen, bei denen – so die Formulierung des BGH – »mehrere eine zur Herbeiführung des Schadens geeignete Gefahr in rechtlich zurechenbarer Weise gesetzt haben, daß der Schaden mit Sicherheit entweder durch den einen oder den anderen (möglicherweise auch durch beide) verursacht worden ist, und daß der Geschädigte wegen der Möglichkeit der Schadensverursachung durch den (oder einen der) anderen ›Beteiligten‹ die Verursachung nicht sicher nachweisen kann«48. Der Geschädigte soll nicht schutzlos stehen, wenn wegen der Mehrzahl von Schädigern die Schadensbeteiligung im Einzelnen nicht aufklärbar ist. Es wäre ein unverdienter Vorteil für die Schädiger, gerade deswegen nicht haften zu müssen. Solche Fälle sind auch im Wettbewerbsgeschehen denkbar, beispielsweise wenn mehrere Unternehmen über einen Konkurrenten unwahre Tatsachen verbreiten, ohne dabei jedoch als Mittäter zusammenzuwirken. Erleidet das Opfer daraufhin einen Schaden durch Umsatzrückgang und Gewinneinbruch, weil die Kunden den unzutreffenden Behauptungen Glauben schenken und das Geschäft des Geschmähten fortan meiden, wird sich kaum klären lassen, in welchem Umfang die einzelnen Behauptungen zum letztlich eingetretenen Schaden beigetragen haben. Vor genau solchen Beweisschwierigkeiten will § 830 Abs. 1 S. 2 BGB den Geschädigten schützen. Mehrere Beteiligte an einer unlauteren oder kartellrechtswidrigen Handlung haften gemäß § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner. Vereinzelt ist im Schrifttum erwogen worden, in besonderen Fällen einen gesamtschuldnerischen Innenausgleich zwischen mehreren Verletzern auszuschließen. Lettl will z.B. bei Kartellrechtsverstößen mehrerer einen Innenausgleich versagen, weil dadurch jeder Verletzer das Risiko trage, in voller Höhe in Anspruch genommen zu werden, ohne Rückgriff nehmen zu können49. Dagegen spricht, dass auf diese Weise im Ergebnis finanzschwache Verletzer geschützt werden. Denn Geschädigte werden, wenn sie die Wahl zwischen mehreren Verletzern haben, sinnvollerweise auf den solventesten Gegner zugreifen. Wenn dieser aber nicht bei anderen Verletzern Regress nehmen könnte, kommen diese unter Umständen »ungeschoren« davon. Ein solches Privileg des finanzschwachen Verletzers würde die Präventionswirkung der Schadensersatzhaftung bedenklich schwächen.
III. Besonderheiten der Abschöpfungsansprüche Zwar folgen die Abschöpfungsansprüche dem Grunde nach den deliktischen Regeln der Anspruchsverpflichtung, jedoch ergeben sich aus dem speziellen Rechtscharakter dieser Ansprüche einige Besonderheiten. Auf Herausgabe des Gewinns bzw. des wirtschaftlichen Vorteils kann nur in Anspruch genommen wer47
Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 82 II 1 a, S. 571. BGH vom 22.6.1976, BGHZ 67, 14, 19; kritisch zum herrschendem Verständnis der ratio legis Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, § 82 II 3, S. 576 ff. 49 Lettl, ZHR 167 (2003), 473, 491 f. 48
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den, wem der Unrechtsvorteil tatsächlich zugeflossen ist. Der Anspruch richtet sich also nicht gegen jeden Verletzer, sondern gegen den Profiteur. Wenn beispielsweise Geschäftsführer, Mitarbeiter oder Beauftragte für ein Unternehmen tätig werden, eine unlautere Handlung begehen und das Unternehmen dadurch einen Gewinn zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern erzielt, dann ist Schuldner des Gewinnabschöpfungsanspruchs allein das begünstigte Unternehmen. Diese Einschränkung gilt auch dann, wenn die am Rechtsverstoß beteiligten Personen aus dem erzielten Gewinn des Unternehmens eine gewinnabhängige »Erfolgsprämie« erhalten. Die »Prämie« wird nämlich nicht zu Lasten der Marktgegenseite erzielt, sondern vom begünstigten Unternehmen gewährt. Außerdem knüpfen die Abschöpfungsansprüche an den Zufluss gerade derjenigen Vorteile an, die auf externen Marktmechanismen beruhen. Eine Abrede über die Zahlung von »Erfolgshonorar« betrifft allein das interne Verhältnis zwischen dem begünstigten Unternehmen und den Personen, die für dieses Unternehmen tätig geworden sind. Schwierigkeiten kann der (freilich seltene) Fall aufwerfen, dass Täter und Vorteilsempfänger verschiedene Personen sind und eine Zurechnung nicht in Betracht kommt. Köhler nennt das Beispiel, dass ein Handelsvertreter die vorsätzliche Zuwiderhandlung begeht, der Gewinn aber dem Geschäftsherrn zufließt. Eine Haftung des Empfängers ist anzunehmen, wenn dieser als Teilnehmer im Sinne von § 830 Abs. 2 BGB anzusehen ist oder zumindest die vorsätzliche Zuwiderhandlung kannte50. Allerdings wird man einschränkend fordern müssen, dass eine Abschöpfung nur dann in Betracht kommt, wenn der Zufluss des Gewinns von Anfang an beabsichtigt war. Wer planmäßig in den Genuss der Früchte wettbewerblicher Tätigkeit eines anderen kommt, muss zugleich die damit verbundenen rechtlichen Risiken tragen. Hiervon zu unterscheiden sind dagegen Fälle, in denen ein erzielter Gewinn lediglich in eine andere Vermögensmasse »umgeleitet« werden soll, also beispielsweise sofort von der Tochtergesellschaft zur Muttergesellschaft transferiert wird. Solche internen Vorgänge bleiben für die Schuldnerstellung bei § 10 Abs. 1 UWG und § 34a Abs. 1 GWB gänzlich außer Betracht. Entscheidend ist, wem der Gewinn oder der wirtschaftliche Vorteil als Ergebnis der Aktivität im Wettbewerb – und sei es nur für eine »juristische Sekunde« – bestimmungsgemäß zufließt. Dagegen ist es unerheblich, wo der erzielte Gewinn schließlich verbleibt. Anderenfalls würde der Verschiebung von unrechtmäßig erlangten Vermögensmassen Tür und Tor geöffnet. Eine weitere Besonderheit der Abschöpfungsansprüche betrifft das gemeinschaftliche Zusammenwirken mehrerer Verletzer. Eine gemeinsame Handlung mehrerer Unternehmen führt – im Unterschied zur Schadensersatzhaftung – nicht zu einer gesamtschuldnerischen Haftung. Vielmehr haftet jedes Unternehmen einzeln auf Herausgabe des gerade von ihm erzielten Gewinns oder wirtschaftlichen Vorteils51. Die speziellen Regelungen von §§ 830, 840 BGB dienen der Begünstigung des Geschädigten. Diese Vorschriften passen aufgrund der 50
Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 16.
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ganz anderen dogmatischen Konstruktion auf Abschöpfungsansprüche nicht. Denn die Abschöpfung zielt allein auf den Entzug von tatsächlich zugeflossenen Vorteilen, nicht dagegen auf den Schutz von Individualinteressen Geschädigter. Ebenfalls nicht gerechtfertigt ist die Annahme von Gesamtschuldnerschaft. Haften mehrere Schädiger auf Ausgleich desselben Schadens und soll eine Doppelentschädigung vermieden werden, dann schützt die Gesamtschuld den Geschädigten vor den unbilligen Belastungen der Teilschuld52. Dieses individuelle Schutzbedürfnis entfällt aber bei der Abschöpfung, die allein zum Schutze überindividueller Interessen erfolgt. Eine Verlagerung des Ausgleichs auf das Innenverhältnis zwischen mehreren Verletzern wäre nicht sachgerecht, weil die Herausgabe des jeweiligen Verletzergewinns gleichsam eine höchstpersönliche Angelegenheit des jeweiligen Verletzers ist. Lediglich der Rechtsgedanke des § 830 Abs. 2 BGB kann herangezogen werden. Danach stehen Anstifter und Gehilfen haftungsrechtlich den Tätern gleich. Für die Abschöpfung bedeutet dies, dass beispielsweise ein Anstifter in Anspruch genommen werden kann, wenn diesem bestimmungsgemäß der Unrechtsvorteil zugeflossen ist.
B. Vorsatz und Fahrlässigkeit Die Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche des Lauterkeits- und Kartellrechts setzen ein schuldhaftes Verhalten voraus. § 9 S. 1 UWG und § 33 Abs. 3 GWB verlangen einen vorsätzlichen oder fahrlässigen Rechtsverstoß; § 10 Abs. 1 UWG und § 34a Abs. 1 GWB setzen eine vorsätzliche Zuwiderhandlung voraus. Eine verschuldensunabhängige Schadensersatz- oder Abschöpfungshaftung ist demgegenüber gesetzlich nicht vorgesehen und rechtspolitisch auch nicht wünschenswert.
I. Einfluss des Gemeinschaftsrechts Diese gesetzlichen Anforderungen sind daraufhin zu überprüfen, ob sie mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind. Mit Blick auf die kartelldeliktische Schadensersatzhaftung stellt sich etwa die Frage, ob Verschulden als Haftungsvoraussetzung mit dem Gemeinschaftsrecht kompatibel ist. Der EuGH hat zu einem Verschuldenserfordernis bzw. zu dessen Entbehrlichkeit bislang nicht ausdrücklich Stellung genommen. Ob man die Begründung der Manfredi-Entscheidung als einen Hinweis auf die Entbehrlichkeit des Verschuldens lesen kann, also ein »beredtes Schweigen« des EuGH vorliegt, ist zweifelhaft53. 51 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 14; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 16. Anders von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 225: analoge Anwendung von § 830 BGB. 52 Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 840 Rn. 1. 53 Siehe oben § 5. A. III. 2. b) bb), S. 328.
B. Vorsatz und Fahrlässigkeit
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Vereinzelte Stimmen bezweifeln, ob das Erfordernis schuldhaften Handelns mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist54. Diese Bedenken sind nicht von der Hand zu weisen, wenn man wertend auf den Parallelfall der Haftung von Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen das primäre Gemeinschaftsrecht blickt55. Nach den vom EuGH entwickelten Grundsätzen ist nur danach zu fragen, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen primäres Gemeinschaftsrecht vorliegt56. Ein darüber hinausgehendes Verschulden ist dagegen nicht erforderlich57. Unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung des EuGH sprach sich Generalanwalt van Gerven in den Schlussanträgen der Rechtssache Banks für eine eigenständige gemeinschaftsrechtliche Schadensersatzhaftung bei Verstößen gegen das Gemeinschaftskartellrecht aus58. Die Anforderungen einer solchen Haftung seien in Anlehnung an die Francovich-Rechtsprechung zu entwickeln. Der Generalanwalt spricht von einer »Präzedenzwirkung« der darin entwickelten Haftungsvoraussetzungen59. Erforderlich sei »das Vorliegen eines Schadens, der Kausalzusammenhang zwischen dem der Gegenpartei zur Last gelegten Verhalten und dem geltend gemachten Schaden sowie die Rechtswidrigkeit des der Gegenpartei zur Last gelegten Verhaltens«60. Auf ein Verschulden komme es dagegen nicht an. Ziel der im EG-Kartellrecht enthaltenen Verbote sei die Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerbs und daher dürfe es nur auf die Wirkung der verbotenen Handlung ankommen, nicht dagegen auf die Absicht des Handelnden61. Daher sei davon auszugehen, dass die praktische Wirksamkeit der Wettbewerbsbestimmungen erheblich beeinträchtigt würde, wenn der Nachweis des Verschuldens verlangt würde62. 54 Weyer, ZEuP 1999, 424, 448 f. Roth, in: Festschrift für Huber, S. 1133, 1151 hält es für nicht ausgeschlossen, dass die künftige Rechtsprechung des EuGH darauf abziele, auf das Verschuldenserfordernis zu verzichten. 55 Siehe dazu insbesondere EuGH vom 19.11.1991, Rs. C-6/90, Slg. 1991, I-5357 – Francovich; EuGH vom 5.3.1996, Rs. C-46 und 48/93, Slg. 1996, I-1029 – Brasserie du Pêcheur/Factortame und EuGH vom 26.3.1996, Rs. C-392/93, Slg. 1996, I-1631 – British Telecommunications; EuGH vom 8.10.1996, Rs. C-178, 179, 188, 189 und 190/94, Slg. 1996, I-4845 – Dillenkofer. 56 EuGH vom 5.3.1996, Rs. C-46 und 48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 75–80 – Brasserie du Pêcheur/Factortame. 57 EuGH vom 5.3.1996, Rs. C-46 und 48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 79 – Brasserie du Pêcheur/ Factortame. 58 »Aus dem Vorstehenden schließe ich, daß der Anspruch auf Ersatz des Schadens, der dadurch entstanden ist, daß ein Unternehmen gegen gemeinschaftliche Wettbewerbsvorschriften mit unmittelbarer Wirkung verstößt, seine Grundlage in der Gemeinschaftsrechtsordnung selbst findet«, Schlussanträge des Generalanwalts van Gerven, Rs. C-128/92 (Banks) vom 27.10.1993, Slg. 1994, I-1209 Rn. 45. 59 Schlussanträge des Generalanwalts van Gerven, Rs. C-128/92 (Banks) vom 27.10.1993, Slg. 1994, I-1209 Rn. 49. 60 Schlussanträge des Generalanwalts van Gerven, Rs. C-128/92 (Banks) vom 27.10.1993, Slg. 1994, I-1209 Rn. 50. 61 Schlussanträge des Generalanwalts van Gerven, Rs. C-128/92 (Banks) vom 27.10.1993, Slg. 1994, I-1209 Rn. 53. 62 Schlussanträge des Generalanwalts van Gerven, Rs. C-128/92 (Banks) vom 27.10.1993, Slg. 1994, I-1209 Rn. 53 Fn. 152 unter Hinweis auf EuGH vom 8.11.1990, Rs. C-177/88, Slg. 1990,
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Indessen steht das Gebot der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts einem Verschuldenserfordernis des nationalen Rechts nicht entgegen63. Die Rechtsprechung legt im geschäftlichen Verkehr grundsätzlich strenge Maßstäbe an64. Die »Eintrittsschwelle« zum schuldhaften Handeln ist niedrig. Fälle, in denen eine Schadensersatzhaftung bei Verstößen gegen das Gemeinschaftskartellrecht mangels Verschulden abzulehnen wäre, dürften praktisch kaum vorkommen und bei »Hard-core«-Verstößen ausgeschlossen sein65. Es gibt daher keine überzeugenden Hinweise dafür, dass de lege lata das Erfordernis vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhaltens zu einer Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftskartellrechts führt. Mithin lassen sich aus diesem Gebot keine durchgreifenden Bedenken dagegen ableiten, auch bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht eine Schadensersatzhaftung nur bei Vorsatz oder Fahrlässigkeit anzunehmen66. De lege ferenda ist keineswegs sicher, ob das Verschuldenserfordernis der kartelldeliktischen Schadensersatzhaftung in seiner jetzigen Form fortbestehen kann. Das Weißbuch der Kommission sieht eine partielle Abkopplung der Schadensersatzhaftung vom Verschuldenserfordernis vor. Das Verschulden ist danach keine Regelvoraussetzung, fehlendes Verschulden kann einen Schädiger aber entlasten. Den praktisch wichtigsten Fall bildet dabei der Irrtum über die Rechtslage. Die Kommission schlägt eine Lösung vor, die in gewisser Weise quer zu den deutschen Haftungskategorien liegt. Danach soll keine strikte Gefährdungshaftung begründet werden. Allerdings bildet das Verschulden keine Regelvoraussetzung, sondern dem Verletzer wird im Einzelfall der Nachweis eröffnet, dass sein Verstoß auf einem genuin entschuldbaren Rechtsirrtum beruht67. Ein solcher Fall wird nur höchst ausnahmsweise vorliegen, denn ein entschuldbarer Irrtum soll nur anzunehmen sein, wenn eine vernünftige Person, die ein hohes Maß an Sorgfalt walten lässt, nicht hätte wissen können, dass ihr Verhalten den Wettbewerb beeinträchtigt68. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Haftung der Mitgliedstaaten für Verstöße gegen primäres Gemeinschaftsrecht eben-
63 I-3941, Rn. 24 – Dekker. Diese Entscheidung betraf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung gemäß den Vorschriften der Richtlinie 76/207/EWG vom 9.2.1976. Der EuGH führt in der vom Generalanwalt zitierten Passage aus: »Wenn die Haftung eines Arbeitgebers für Verstöße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung davon abhinge, daß ein Verschulden des Arbeitgebers nachgewiesen wird und kein durch das anwendbare nationale Recht anerkannter Rechtfertigungsgrund vorliegt, würde dies die praktische Wirksamkeit dieser Grundsätze erheblich beeinträchtigen«. 64 Zimmer/Logemann, ZEuP 2009, 489, 508. 64 Dazu sogleich im Text unter II. und III., S. 624 ff. und S. 634 ff. 65 Ritter, WuW 2008, 762, 770: Vorsatz sei in diesen Fällen »niemals zweifelhaft«; ebenso Zimmer/Logemann, ZEuP 2009, 489, 508. 66 Lettl, Kartellrecht, § 11 Rn. 83; ders. ZHR 167 (2003), 459, 485; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 22 Rn. 39; Wurmnest, RIW 2003, 869, 898; Zimmer/Logemann, ZEuP 2009, 489, 508. Für die Haftung nach altem Recht ebenso Lettl, ZHR 167 (2003), 473, 484 f. 67 Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 7 f. 68 Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 8.
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falls keine strikte Unrechtshaftung beinhaltet69. Eine solche Haftung wird zwar bereits dann ausgelöst, wenn ein hinreichend qualifizierter Verstoß des Mitgliedstaates vorliegt. Ob aber ein Verstoß in diesem Sinne als hinreichend qualifiziert angesehen werden kann, richtet sich nach verschiedenen Gesichtspunkten, zu denen unter anderem auch »die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums« gehört70. Rechtspolitisch spricht für den Kommissionsvorschlag, dass Opfer wettbewerbsbeschränkender Praktiken vom sehr schwierigen Verschuldensnachweis befreit werden. Zugleich bleibt aber das Verschulden als sinnvolles Haftungskorrektiv im Einzelfall erhalten71. Von einer vollständig verschuldensunabhängigen Haftung würde ein hohes Abschreckungspotenzial ausgehen72. Das Gemeinschaftsrecht folgt damit einer vom deutschen Recht abweichenden Konzeption. Gleichwohl lässt sich eine solche Vorgabe ohne Verwerfungen in das deutsche Deliktsrechtssystem integrieren, wenn die Schadensersatzhaftung bei Verstößen gegen das Gemeinschaftskartellrecht als Haftung für vermutetes Verschulden ausgestaltet würde. Ein schuldhaftes Verhalten wäre danach durch einen festgestellten objektiven Rechtsverstoß indiziert, sodass insoweit eine tatsächliche, aber widerlegbare Vermutung eingreift. Die Vermutung schuldhaften Verhaltens muss gegebenenfalls vom Verletzer widerlegt werden. Hierzu bedarf es des Nachweises, dass der Rechtsverstoß auf einen ausnahmsweise entschuldbaren Rechtsirrtum zurückzuführen ist73. Im deutschen Recht finden sich für einen solchen Regelungsmechanismus Vorbilder. Eine vergleichbare Vermutungsregel liegt beispielsweise der deliktischen Haftung für ein vermutetes Auswahlverschulden des Geschäftsherrn gemäß § 831 Abs. 1 S. 1 BGB zugrunde. Die Vermutung kann sodann durch den Geschäftsherrn widerlegt werden. Ähnlich streitet – bei Unterlassungsansprüchen – eine tatsächliche, widerlegliche Vermutung für das Vorliegen von Wiederholungsgefahr, wenn es bereits zu einem Rechtsverstoß gekommen ist74. Diese Vermutung kann regelmäßig nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung durch den Verletzer widerlegt werden. 69
Von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 288 Rn. 139. EuGH vom 5.3.1996, Rs. C-46 und 48/93, Slg. 1996, I-1029 Rn. 56 – Brasserie du Pêcheur/ Factortame; EuGH vom 8.10.1996, Rs. C-178, 179, 188, 189 und 190/94, Slg. I 1996, I-4845 Rn. 28 – Dillenkofer. 71 Ebenso Zimmer/Logemann, ZEuP 2009, 489, 508 m.w.Nachw.: Das Verschuldenserfordernis könne ein sinnvolles Regulativ im Einzelfall darstellen. 72 So aber die Befürchtung von Eilmannsberger, CML Rev. 44 (2007), 431, 459. 73 Demgegenüber meint Ritter, WuW 2008, 762, 770, bei der Figur des entschuldbaren Rechtsirrtums handele es sich »um einen derzeit im nationalen Recht unbekannten Begriff«. Diese Einschätzung ist schwer nachzuvollziehen, da der Rechtsirrtum und seine Vermeidbarkeit oder Entschuldbarkeit in Wissenschaft und Praxis vielfach eine Rolle spielen; dazu sogleich näher unter II. 3. c) und III. 2., S. 632 ff. und S. 636 ff. 74 Siehe nur BGH vom 26.10.2000, GRUR 2001, 453, 455 – TCM-Zentrum; eingehend und mit umfangreichen weiteren Nachweisen aus der Rspr. Bornkamm, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 8 Rn. 1.33 f. 70
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II. Vorsatz Weil die privatrechtliche Haftung oft gleichermaßen an Vorsatz Fahrlässigkeit anknüpft und Abstufungen der Haftung nach der Art des Verschuldens nur ausnahmsweise vorkommen, wird dem Vorsatz im Privatrecht, im Gegensatz zum Strafrecht, zumeist nur geringe Aufmerksamkeit zuteil75. Der Schwerpunkt der Entscheidungspraxis, aber auch des wissenschaftlichen Interesses liegt auf der Fahrlässigkeitshaftung. Die wichtigsten Bereiche der Vorsatzhaftung im allgemeinen Deliktsrecht bilden die vorsätzlich sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB und der Verstoß gegen Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 S. 1 BGB, sofern das Schutzgesetz nur vorsätzliches Verhalten erfasst. Im Lauterkeits- und Kartellrecht kommt dem Vorsatz größere Bedeutung zu. Denn zum einen setzen die Abschöpfungsansprüche grundsätzlich eine vorsätzliche Zuwiderhandlung voraus. Zum anderen begrenzt § 9 S. 2 UWG die Schadensersatzhaftung verantwortlicher Personen von periodischen Druckschriften auf vorsätzliche Zuwiderhandlungen. 1. Herrschende Doktrin vom Erfordernis des Unrechtsbewusstseins bei privatrechtlicher Vorsatzhaftung In den amtlichen Materialien zum UWG 2004 heißt es, ein vorsätzliches Handeln liege nicht schon dann vor, wenn der Zuwiderhandelnde sämtliche Tatsachen, aus denen sich die Unlauterkeit seines Verhaltens ergebe, kenne; vielmehr setze Vorsatz auch das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit voraus76. Damit ist die Aufmerksamkeit bereits auf eine zentrale Problematik der Vorsatzhaftung gelenkt und gewissermaßen der Finger in die Wunde gelegt. Bewusstsein der Rechtswidrigkeit bedeutet, der Handelnde weiß, dass sein Verhalten nicht erlaubt, sondern verboten ist77. Davon zu unterscheiden ist die Kenntnis der tatsächlichen Umstände des Geschehens. Unterliegt der Handelnde insoweit einer (wesentlichen) Fehlvorstellung, ist ein vorsätzliches Handeln ausgeschlossen78. Das Unrechtsbewusstsein kann im Lauterkeits- und Kartellrecht aus mannigfaltigen Gründen Schwierigkeiten bereiten und wird oft fehlen. Irrtümer des Handelnden über die Rechtslage können schnell auftreten, weil die lauterkeitsrechtlichen und kartellrechtlichen Verbote oft nicht eindeutig sind, Generalklau75 Grundmann, in: Münchener Kommentar, BGB, § 276 Rn. 150; siehe aber z.B. die sehr eingehende Darstellung des Vorsatzes bei Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 331 ff. 76 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 23. 77 Noch weiter gehend will Koos, in: Fezer, UWG, § 9 Rn. 13 zwischen dem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und dem Bewusstsein der Unlauterkeit unterscheiden. Mit einer solchen Unterscheidung ist allerdings wenig gewonnen, denn die Unlauterkeit einer geschäftlichen Handlung begründet im Allgemeinen deren Rechtswidrigkeit. Bedeutung hätte die Unterscheidung nur, wenn der Täter irrig davon ausgeht, dass eine unlautere geschäftliche Handlung ausnahmsweise gerechtfertigt wäre, der Täter also die Unlauterkeit kennt, aber sein Verhalten für ausnahmsweise erlaubt hält. Solche Fälle sind indessen sehr selten; dazu näher unten § 10. A., S. 630 ff. 78 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 351 f.
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seln und unbestimmte Rechtsbegriffe richterlicher Interpretation bedürfen und die Rechtsprechung bisweilen Wandlungen und Kehrtwendungen79 vollzieht. Das hat unvermeidliche Unklarheiten und »Grauzonen« zwischen zulässigem und unzulässigem Verhalten zur Folge. Anforderungen an wettbewerbskonformes Verhalten können zudem nicht immer aus allgemeinen Sozialvorstellungen oder durch eine »Parallelwertung in der Laiensphäre« gewonnen werden. Gewiss wird jedermann einleuchten, dass man das Geschäft seines Konkurrenten nicht verwüsten darf. Ob aber eine unlautere Nachahmung vorliegt oder ob die Voraussetzungen eines Freistellungstatbestandes vom Kartellverbot gegeben sind, können selbst Spezialisten oft nicht mit letzter Sicherheit beantworten. Gerade in diesen Fällen kann dem Verletzer das Bewusstsein fehlen, Unrecht zu begehen. Hält man das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit für ein notwendiges Element des Vorsatzes, dann schließt die Fehleinschätzung des Handelnden über das rechtliche Erlaubtsein seines Verhaltens folgerichtig den Vorsatz aus. Mit anderen Worten: Der Irrtum trübt den Vorsatz80. In der Konsequenz haftet dann allerdings selbst derjenige nicht, der sich aus Gleichmut über die Rechtslage überhaupt keine Gedanken macht, sich der Rechtskenntnis verschließt oder geradezu in Rechtsfeindschaft handelt. Der dogmatische Auslöser dieser Probleme liegt in dem alten »Streit« zwischen Vorsatztheorie und Schuldtheorie. Obgleich häufig diese beiden »Theorien« einander gegenübergestellt werden, handelt es sich in Wahrheit um eine facettenreiche Fragestellung81, die im Deliktsrecht zusätzlich mit der Problematik der dogmatischen Struktur der Haftungstatbestände zusammentrifft. Sachgerechte Lösungen der damit verbundenen Rechtsfragen lassen sich nicht durch einen grundsätzlichen Diskurs gewinnen. Vorzugswürdig sind pragmatische, an Sachproblemen orientierte Überlegungen82. Die rechtlichen Folgen der unterschiedlichen Ansätze werden vor allem am Beispiel des Rechts- oder Verbotsirrtums83 deutlich. Ein solcher Irrtum liegt vor, wenn der Täter trotz voller Kenntnis des Sachverhalts nicht weiß oder erkennt, dass sein Handeln von der Rechtsordnung missbilligt wird. Es geht also um die fehlerhafte rechtliche Bewertung der im Tatsächlichen zutreffend erkannten Situation und des eigenen Verhaltens. Das Strafrecht regelt diesen Fall in § 17 StGB, das Ordnungswidrigkeitenrecht in § 11 Abs. 2 OWiG. Danach handelt ein Täter ohne Schuld (§ 17 StGB) bzw. nicht vorwerfbar (§ 11 Abs. 2 79 Geradezu paradigmatisch: BGH vom 1.10.1971, GRUR 1972, 129 ff. – Der meistverkaufte der Welt einerseits und BGH vom 15.2.1996, GRUR 1996, 910 ff. – Der meistverkaufte Europas andererseits. 80 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 348. 81 Zur strafrechtlichen Diskussion siehe nur Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. I, § 21 Rn. 1 ff. 82 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 77 IV 2 b, S. 446; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 354 ff.; Grundmann, in: Münchener Kommentar, BGB, § 276 Rn. 159. 83 Die Terminologie schwankt; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 353 spricht beispielsweise vom »Bewertungsirrtum«.
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OWiG), wenn ihm bei Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun und wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Schuld und Vorwerfbarkeit sind vom Vorsatz gelöste, eigenständige Kategorien84. Sie beinhalten den Vorwurf an den Täter, er habe strafrechtliches Unrecht verwirklicht, obwohl er in der konkreten Situation von der Appellwirkung der Norm noch erreicht werden konnte und eine hinreichende Fähigkeit zur Selbststeuerung besaß, sodass ihm psychisch eine rechtmäßige Verhaltensalternative zugänglich war85. Demgegenüber handelt ohne Vorsatz, wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Dies folgt aus § 16 StGB und § 11 Abs. 1 OWiG. Das Gesetz unterscheidet also klar zwischen dem Vorsatz als Bestandteil des subjektiven Tatbestandes und der rechtlichen Bewertung des Tatgeschehens. Eine vergleichbare Differenzierung nimmt das Privatrecht nicht vor. Das Reichsgericht begründete die Notwendigkeit des Unrechtsbewusstseins als Bestandteil des Vorsatzes mit historischen und gesetzessystematischen Erwägungen: »Das vorsätzliche Verschulden schließt richtiger Ansicht nach nicht nur die Erkenntnis des schädigenden Erfolges, sondern auch die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit des Handelns in sich. Hierfür spricht – was in der Rechtslehre von verschiedenen Seiten anerkannt wird – nicht allein die Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs (…), sondern auch der aus § 231 BGB. zu entnehmende Beweis aus dem Gegenteil und vor allem die grundsätzliche Gleichstellung von Rechtsirrtum und tatsächlichem Irrtum im Bürgerlichen Gesetzbuche«86.
Der BGH knüpfte an diese Rechtsprechung an87 und die ganz herrschende Lehre folgt dem Grundsatz, dass der Vorsatz im Privatrecht das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit verlangt88. 84
Siehe nur Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 7 Rn. 8. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 19 Rn. 7; zu den verschiedenen Schuldbegriffen ders., a.a.O. Rn. 10 ff. 86 RG vom 29.9.1909, RGZ 72, 4, 6. 87 BGH vom 8.3.1951, NJW 1951, 596, 597; BGH vom 8.2.1965, NJW 1965, 962, 963; BGH vom 16.6.1977, BGHZ 69, 128, 142 f.; für den Vorsatz von Gehilfen ebenso BGH vom 11.3.2004, BGHZ 158, 236, 250 – Internet-Versteigerung I; BGH vom 3.7.2008, BGHZ 177, 150 Tz. 15 – Kommunalversicherer; BGH vom 11.3.2009, WRP 2009, 730 Tz. 14 – Halzband. 88 Allgemein: Esser/Schmidt, Schuldrecht, Bd. I, Allgemeiner Teil, Teilbd. 2, § 26 I 2 a, S. 80 f.; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 647 und 649; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, Allgemeiner Teil, § 20 II, S. 280; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 366; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB, § 276 Rn. 13, jeweils m.w.Nachw.; für das Lauterkeitsrecht: Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 23; Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 9 Rn. 25; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 9 Rn. 23 und § 10 Rn. 41 ff.; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 9 Rn. 1.17 und § 10 Rn. 6; Koos, in: Fezer, UWG, § 9 Rn. 13; Micklitz, in: Münchener Kommentar, UWG, § 10 Rn. 105 ff.; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 9 Rn. 5 und § 10 Rn. 5; Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 96 f. und 211; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 160 ff. (der allerdings die Anforderungen für das Unrechtsbewusstsein nicht hoch ansetzen und auf die Wertung des § 17 StGB zurückgreifen will); für das alte Lauterkeitsrecht: Köhler, in: Großkommentar, UWG, Vor § 13 Rn. 276; für das Kartellrecht: Bechtold, GWB, 85
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2. Anerkannte Ausnahmen vom Erfordernis eines Unrechtsbewusstseins Obgleich die ganz herrschende Meinung das Unrechtsbewusstsein als notwendiges Vorsatzelement betrachtet, sind mittlerweile wichtige Ausnahmen anerkannt. Die Vorsatztheorie gilt im Zivilrecht keineswegs absolut89. Die wichtigsten Ausnahmefälle im Bereich der außervertraglichen Haftung betreffen mit § 823 Abs. 2 S. 1 und § 826 BGB gerade diejenigen Haftungstatbestände, bei denen der Vorsatzhaftung die größte praktische Bedeutung zukommt. Die Rechtsprechung rückt bei Anwendung von § 823 Abs. 2 S. 1 BGB von der Vorsatztheorie ab, wenn das verletzte Schutzgesetz aus dem Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrecht stammt90. Sie folgt in diesen Fällen den strafrechtlichen und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Regelungen, wonach der Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB und § 11 Abs. 2 OWiG nur entlastet, wenn er unvermeidbar war91. Das ist auf den ersten Blick dogmatisch inkonsequent, aber notwendig, um eine ungerechtfertigte Privilegierung des Schädigers zu vermeiden92. Wenn das Schutzgesetz nur vorsätzliches Verhalten erfasst, könnte der Fall eintreten, dass nach strafrechtlichen und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Grundsätzen Vorsatz zu bejahen wäre, während im Rahmen der privatrechtlichen Haftung der Vorsatz des Täters verneint würde. Dies aber hätte eine »Rosinenlösung« zur Folge, die den Schädiger ungerechtfertigt besserstellt und den Geschädigten benachteiligt. Eine weitere wichtige Durchbrechung des Dogmas von der Geltung der Vorsatztheorie ist im Rahmen der Haftung nach § 826 BGB anerkannt. Diese Vorschrift verlangt nach ganz herrschender Meinung allein die Kenntnis der Umstände, auf die sich das Urteil der Sittenwidrigkeit stützt. Jedoch kommt es nicht auf die Kenntnis des Schädigers von der Sittenwidrigkeit an. Der Schädiger muss also die Bewertung seiner Handlung als Verstoß gegen die guten Sitten nicht nachvollzogen haben. Eine Ausnahme gilt nur in umgekehrter Richtung, »wenn der Täter der redlichen Überzeugung ist, dass er in Verfolgung eines erlaubten 89 § 33 Rn. 20 und § 34a Rn. 3; Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34a Rn. 9; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 34a Rn. 9; Lübbig, in: Münchener Kommentar, GWB, § 34a Rn. 8; zum alten Kartellrecht: Roth, in; Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 121; differenzierend: Grundmann, in: Münchener Kommentar, BGB, § 276 Rn. 158 ff.; Löwisch, in: Staudinger, BGB, § 276 Rn. 24 ff.; die Vorsatztheorie im Privatrecht ablehnend: Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 823 Rn. 44; Wiethölter, JZ 1963, 205, 209 f.; M. Wolf, in: Soergel, BGB (12. Aufl.), § 276 Rn. 55. Eingehend zur Problematik mit Blick auf Rechtsirrtümer Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133 ff. Auch das österreichische Privatrecht verlangt für den Vorsatz das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit, siehe nur Koziol/Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts, Bd. II, S. 319. 90 Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 823 Rn. 44: »weit weniger selbstverständlich als dies auf den ersten Blick erscheinen mag«. 90 Für die Verletzung eines Schutzgesetzes aus dem Strafrecht: BGH vom 10.7.1984, NJW 1985, 134, 135; BGH vom 15.10.1996, BGHZ 133, 370, 381 f.; für die Verletzung eines Schutzgesetzes aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht: BGH vom 29.4.1966, BGHZ 46, 17, 22. 91 BGH vom 10.7.1984, NJW 1985, 134, 135; BGH vom 26.2.1962, NJW 1962, 910, 911. 92 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, § 77 IV 2 b, S. 446; siehe dazu auch Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 208 f.
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Interesses so handeln dürfe, wie er handelt«93. Eine überzeugende Erklärung hierfür lässt sich auf Basis der Vorsatztheorie nicht finden. Dass die Kenntnis der Sittenwidrigkeit bei § 826 BGB nicht verlangt wird, beruht maßgeblich auf einer wertenden Betrachtung der Haftungsnorm94. Die konsequent angewendete Vorsatztheorie würde im Rahmen des § 826 BGB zu der wenig überzeugenden Unterscheidung zwischen einem rechtsblinden Verletzer und einem Täter führen, der einen Rechtsverstoß erkennt und gleichwohl handelt. Im ersten Fall wäre eine Vorsatzhaftung abzulehnen, im zweiten Fall nicht. Anders gewendet: Wer gewissenlos handelt, keinerlei Anstrengung zur Rechtserkenntnis unternimmt, dabei die äußerste Grenze der Sittenwidrigkeit überschreitet und hierdurch einem anderen einen Schaden zufügt, könnte gleichwohl und gerade deswegen nicht in Anspruch genommen werden95. Dass eine solches Ergebnis untragbar wäre, hat schon das Reichsgericht mit Blick auf Handlungen im Wettbewerbsgeschehen deutlich ausgesprochen: »In der Verblendung eines heftigen Kampfes, vornehmlich auf wirtschaftlichem Gebiete, wird häufig derjenige, welcher seine Macht in rücksichtsloser Weise, wie sie dem Anstandsgefühle billig denkender Menschen widerstrebt, zur Niederringung des Gegners gebraucht, nicht einsehen, daß seine Ziele oder seine Mittel anstößig sind, sondern überzeugt sein, nur sein berechtigtes Interesse auf erlaubtem Wege zu wahren. Der Zweck des § 826 BGB, solchen Kampfesauswüchsen entgegenzutreten, soweit sie für ein gedeihliches Zusammenleben der Menschen nicht erträglich sind, würde nicht erreicht werden können, wenn dem Täter das Bewußtsein von der Sittenwidrigkeit seines Tuns innewohnen würde«96.
Noch eine weitere Überlegung spricht dafür, ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit nicht zu verlangen. § 826 BGB ist als gesetzliche Basis für richterliche Rechtsfortbildung im Deliktsrecht konzipiert. Wenn bestehende Lücken im deliktischen Schutz geschlossen und neue Verhaltensregeln zur Ordnung des Verkehrs in neuen Konstellationen begründet werden sollen, kann es nicht darauf ankommen, ob ein Täter die Sittenwidrigkeit seines Tuns subjektiv-wertend vorwegnimmt97. Die Rechtsfortbildung geschieht durch eine nachträglich bewertende Betrachtung des »Präzedenzfalls« durch die Gerichte; der Anspruchsgegner kann sich dann aber bei seiner Tat überhaupt nicht an den bestehenden Ver93 RG vom 31.1.1929, RGZ 123, 271, 279; mit unterschiedlichen Formulierungen im Einzelnen, in der Sache aber ebenso: RG vom 3.5.1909, RGZ 70, 108, 113; BGH vom 20.6.1963, NJW 1872, 1873; BGH vom 19.2.1986, NJW 1986, 1751, 1754; BGH vom 24.9.1987, BGHZ 101, 380, 388; BGH vom 12.3.1990, VersR 1990, 987, 989. 94 Oechsler, in: Staudinger, BGB, § 826 Rn. 61 ff.; Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 826 Rn. 28. 95 Eine ganz ähnliche Problematik stellte sich im österreichischen Recht zu § 1 östUWG a.F. Es war nicht erforderlich, dass der Handelnde sich der Sittenwidrigkeit seines Handelns bewusst war. Denn anderenfalls hätten »besonders dickhäutige, bedenkenlose Zeitgenossen nicht belangt werden können«, Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht, § 32 Rn. 62. 96 RG vom 8.2.1912, RGZ 79, 17, 23. 97 Oechsler, in: Staudinger, BGB, § 826 Rn. 65.
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haltensmaßstäben orientieren, weil diese erst nach und infolge seiner Tat durch die Rechtsprechung konkretisiert werden98. 3. Folgerungen für das Lauterkeits- und Kartellrecht Es stellt sich die Frage, ob die für §§ 823 Abs. 2 S. 1 und 826 BGB anerkannten Ausnahmen auf das Lauterkeits- und Kartellrecht übertragen werden können. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Haftungsfällen, in denen wegen eines Rechtsverstoßes eine lauterkeitsrechtliche oder kartellrechtliche Haftung neben bürgerlichrechtlichen Ansprüchen aus §§ 823 Abs. 2 S. 1 und 826 BGB in Betracht kommt und sonstigen Haftungsfällen. a) Zusammentreffen lauterkeits- und kartellrechtlicher Haftung mit Ansprüchen aus §§ 823 Abs. 2 S. 1 und 826 BGB Lauterkeitsrechtliche und bürgerlichrechtliche Schadensersatzansprüche können zusammentreffen. Liegt beispielsweise ein Verstoß gegen die §§ 16 bis 19 UWG vor, dann greift neben der Haftung aus §§ 9 S. 1, 3, 4 Nr. 11 UWG zugleich die deliktische Haftung nach § 823 Abs. 2 S. 1 BGB ein. Denn die §§ 16 bis 19 UWG sind Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 S. 1 BGB99. In einem solchen Fall der Anspruchskonkurrenz wäre es sachwidrig, wenn hinsichtlich des Vorsatzes unterschiedliche Maßstäbe angelegt würden. Verwendet ein Mitarbeiter eine als Betriebsgeheimnis anzusehende Kundenliste nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses im Rahmen einer neuen Tätigkeit weiter, kann darin ein Verstoß gegen § 17 UWG und somit zugleich eine nach §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 11 UWG unlautere Handlung zu sehen sein100. Hält sich der Mitarbeiter irrtümlich für befugt, die Kundenliste verwenden zu dürfen, schätzt er also die Rechtslage unzutreffend ein, ändert dies nach den strafrechtlichen Grundsätzen am Vorwurf des Vorsatzes nichts, sondern es ist gemäß § 17 StGB danach zu fragen, ob der Irrtum für den Täter vermeidbar war. Diese Beurteilung ist für § 823 Abs. 2 S. 1 BGB aus den oben genannten Gründen bindend. Gleiches muss für den lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzanspruch gelten. Es ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, warum die Verschuldensanforderungen bei dem gleichen haftungsbegründenden Rechtsverstoß unterschiedlich zu beurteilen sein sollten, je nachdem ob die Anspruchsgrundlage dem BGB oder dem UWG entnommen wird. Entsprechendes gilt für den Abschöpfungsanspruch. Es wäre ungereimt, wenn beispielsweise im Rahmen der Schadensersatzhaftung nach § 823 Abs. 2 S. 1 BGB in Verbindung mit § 16 Abs. 1 UWG ein Unrechtsbewusstsein beim Vorsatz nicht erforderlich wäre, aber bei der Gewinnabschöpfung gemäß § 10 Abs. 1 98
Oechsler, in: Staudinger, BGB, § 826 Rn. 65. Siehe nur die Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 22. 100 BGH vom 27.4.2006, GRUR 2006, 1044 – Kundendatenprogramm; BGH vom 19.12.2002, GRUR 2003, 453 – Verwertung von Kundenlisten. 99
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in Verbindung mit § 16 Abs. 1 UWG ein solches Unrechtsbewusstsein wieder verlangt würde. Von einer Parallelität der Anforderungen hinsichtlich eines vorsätzlichen Verhaltens ist weiterhin im Kartellrecht auszugehen, wenn die Kartellbehörde wegen eines Verstoßes Bußgelder verhängen kann, also der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit verwirklicht wurde. Da im Ordnungswidrigkeitenrecht – wie im Strafrecht – ein Verbotsirrtum den Vorsatz nicht ausschließt, bildet das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit kein Vorsatzelement101. Man könnte nun einwenden, § 33 Abs. 3 GWB verlange keine Schutzgesetzverletzung mehr, sodass die für § 823 Abs. 2 S. 1 BGB geltenden Überlegungen nicht mehr in das Kartellrecht übertragen werden können. Der Gesetzgeber hat jedoch eine Verknüpfung zwischen den kartellrechtlichen Ordnungswidrigkeiten und den kartelldeliktischen Ansprüchen auf andere Weise hergestellt. Gemäß § 33 Abs. 4 GWB sind die Zivilgerichte an die Feststellungen der Kartellbehörden gebunden. § 34a Abs. 5 GWB übernimmt diese Regelung für den Vorteilsabschöpfungsanspruch. Die Bindungswirkung erstreckt sich dabei sowohl auf die zugrunde liegenden Tatsachen als auch die rechtliche Beurteilung des jeweiligen Kartellverstoßes102. Wenn nun die Kartellbehörde, wie bei der Verhängung von Bußgeldern gemäß § 81 GWB, über ein schuldhaftes Verhalten des Kartelltäters zu entscheiden hat, dann umfasst die Bindungswirkung auch die Feststellungen zur subjektiven Tatseite103. Demnach sind die Zivilgerichte an die nach straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Maßstäben getroffene Entscheidung über ein vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten jedenfalls dann gebunden, wenn eine kartellbehördliche Feststellung im Sinne von § 33 Abs. 4 GWB vorliegt. Um zufällige Ergebnisse zu vermeiden, ist es notwendig, die straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Maßstäbe bereits dann anzuwenden, wenn (noch) keine kartellbehördliche Maßnahme vorliegt und die isolierte Geltendmachung privatrechtlicher Ansprüche wegen eines Kartellrechtsverstoßes im Raum steht. Denn anderenfalls würde ein Kartellverstoß unterschiedlichen rechtlichen Maßstäben unterliegen, je nachdem ob die Kartellbehörde bereits tätig geworden ist oder nicht. Entsprechende Überlegungen gelten, wenn eine unlautere Handlung oder ein Kartellrechtsverstoß zugleich den Haftungstatbestand des § 826 BGB verwirklicht. Zwar ist nicht jeder Rechtsverstoß im Wettbewerb automatisch sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB. Jedoch werden beispielsweise »Hard-core«-Kartelle oder massive Einwirkungen auf die Marktgegenseite im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 1 UWG regelmäßig die Schwelle der Sittenwidrigkeit überschreiten. Auch 101
Cramer/Pananis, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GWB, § 81 Rn. 18 ff.; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, Vor § 81 Rn. 82 ff.; Raum, in: Langen/Bunte, GWB, § 81 Rn. 39. 102 Oben im Text, § 5. E. II. 1., S. 426 ff. 103 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 120; Kling/Thomas, Kartellrecht, § 21 Rn. 75; a.A. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 78 unter insoweit unergiebigem Hinweis auf die Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/3640, S. 54 (dort wird nämlich das Verschulden als von der Bindungswirkung ausgeschlossenes Element gerade nicht erwähnt).
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dann muss die Frage des Vorsatzes einheitlich, also unabhängig von der einschlägigen Anspruchsgrundlage beurteilt werden. Anderenfalls drohen ganz eigenartige Ergebnisse, weil etwa der Vorsatz im Sinne des § 826 BGB bejaht wird (da es insoweit auf das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit nicht ankommt), dem rechtsblinden Täter aber im Hinblick auf die lauterkeits- oder kartellrechtlichen Sanktionen mangels Unrechtsbewusstsein fehlender Vorsatz bescheinigt wird. b) Sonstige Haftungsfälle Die bisherigen Überlegungen zeigen, dass ein Unrechtsbewusstsein als Bestandteil des Vorsatzes nach den zu §§ 823 Abs. 2 S. 1 und 826 BGB anerkannten Grundsätzen in vielen Fällen unlauterer und kartellrechtswidriger Handlungen nicht verlangt werden kann. Von dieser Überlegung ausgehend ist weiter zu fragen, ob die übrigen Haftungsfälle hinsichtlich der Vorsatzanforderungen nach abweichenden Maßstäben beurteilt werden können oder ob für den Vorsatz im Lauterkeits- und Kartellrecht einheitliche Maßstäbe gelten müssen. Stellt man die Frage mit dieser Deutlichkeit, dann kommt ernsthaft nur eine Einheitslösung in Betracht. Hierfür spricht vor allem, dass die Begründung des Reichsgerichts zu § 826 BGB104 in vollem Umfang auch für das Lauterkeits- und Kartellrecht zutrifft. Akzeptiert man den zu § 826 BGB ausgesprochenen Rechtsgedanken, dann erscheint es geradezu zwingend, diese Überlegung auf die lauterkeits- und kartellrechtlichen Haftungstatbestände zu übertragen. Es muss verhindert werden, dass derjenige Unternehmer, der die für ihn geltende Rechtslage überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt und rechtsblind im Wettbewerbsgeschehen agiert, vor einer Vorsatzhaftung geschützt wird. Für eine Übertragbarkeit dieses Rechtsgedankens in das Lauterkeits- und Kartellrecht spricht nicht nur dessen innere Überzeugungskraft und Folgerichtigkeit, sondern auch die strukturelle Nähe des Lauterkeits- und Kartellrechts zu § 826 BGB. In Anbetracht dieser engen Verwandtschaft wäre es nicht überzeugend, die für § 826 BGB als zutreffend erkannten Wertungen im Lauterkeits- und Kartellrecht beiseitezulegen und damit gerade diejenigen Unternehmer von einer Vorsatzhaftung auszunehmen, die skrupellos agieren. Folglich bildet das Unrechtsbewusstsein jedenfalls im Lauterkeits- und Kartellrecht kein Element des Vorsatzes. Dies gilt für sämtliche Ansprüche des UWG und GWB, die im Rahmen des Verschuldens (auch oder nur) Vorsatz verlangen. Stattdessen richten sich die Anforderungen an den Inhalt des Vorsatzes nach den für §§ 823 Abs. 2 S. 1 und 826 geltenden Maßstäben. Neben der damit gewonnenen Rechtseinheitlichkeit und Rechtstransparenz wird auf diese Weise zugleich eines der praktisch wichtigsten Hindernisse bei der Anwendung der Abschöpfungsansprüche aus der Welt geschafft: Einem Verletzer ist nämlich der – ohnehin oft nur vorgeschobene, allerdings schwer widerlegbare – Einwand verwehrt, er habe nicht im Bewusstsein der Unlauterkeit oder Kartellrechtswidrigkeit gehandelt. 104
Siehe dazu das Zitat oben bei Fn. 97.
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§ 9. Verantwortlichkeit
Wenn ein Unternehmer beispielsweise irreführend wirbt, muss er sich nicht bewusst sein, dass er gemäß §§ 3 Abs. 1, 5 UWG unlauter und somit rechtswidrig gehandelt hat. Es genügt, wenn der Unternehmer in Kenntnis der tatsächlichen Umstände die maßgebliche Handlung vornimmt. Angenommen, ein Lebensmittelproduzent stellt Tiefkühl-Pizza her, die in einem elektrisch beheizten Stahl-Durchlaufofen vorgebacken wird. Dieser Ofen wird von Ofenbauern als Steinofen bezeichnet. Auf der Verpackung befinden sich die Abbildung eines altertümlichen Steinofens und der Hinweis, die Pizza sei im Steinofen gebacken. Das OLG Koblenz hielt diese Aussagen für irreführend, weil die angesprochenen Konsumenten aufgrund der Abbildung mit dem Begriff »Steinbackofen« den landläufig und von alters her bekannten Steinbackofen verbinden und damit einer Fehlvorstellung über den Herstellungsprozess der gekauften Pizzen unterliegen105. Da davon auszugehen ist, dass der Produzent in Kenntnis seiner eigenen Produktionsbedingungen wirbt, handelt er vorsätzlich. Der Produzent kann sich nicht damit entlasten, er sei aufgrund der unter Fachleuten gebräuchlichen Bezeichnung davon ausgegangen, dass die Werbeaussage nicht irreführend gewesen sei. Denn insoweit irrt er sich über die rechtliche Bewertung seines Handelns.
c) Korrektiv des erheblichen (unvermeidbaren) Verbotsirrtums Auf Grundlage der Wertungen, die für § 826 BGB gelten, ergibt sich zugleich eine sachgerechte Lösung für den Rechts- bzw. Verbotsirrtum. Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass ein solcher Irrtum den Vorsatz des Handelnden unberührt lässt. Gerade der gewissenlos und rechtsblind handelnde Verletzer darf nicht aus der Vorsatzhaftung entlassen werden. Allerdings bedarf es eines Korrektivs für Verletzungsfälle, in denen jemand sein (objektiv rechtswidriges) Vorgehen »ohne einen auf Gewissenlosigkeit beruhenden Irrtum für erlaubt oder gar für geboten hält«106. Denn es macht einen erheblichen Unterschied, ob ein Täter ohne Rücksicht auf die Rechtsordnung handelt oder ob er sich um Rechtserkenntnis bemüht, aber aus besonderen Umständen ausnahmsweise die Unrechtmäßigkeit seines Handelns nicht erkennen konnte. Es wäre evident verfehlt, den auf Rechtstreue bedachten Täter einem gewissenlos und rechtsblind handelnden Vorsatztäter gleichzustellen. In der Rechtsprechung zu § 826 BGB manifestiert sich dieser Rechtsgedanke, indem sie berücksichtigt, ob der Täter der redlichen Überzeugung war, die rechtlich missbilligte Handlung vornehmen zu dürfen107. Die dogmatische Begründung der Beachtlichkeit des unvermeidbaren Verbotsirrtums hängt von dem eingenommenen Standpunkt ab. Auf Basis der Vorsatztheorie handelt es sich um eine wertungsbedingte Durchbrechung, auf Basis der Schuldtheorie dagegen um die konsequente Anwendung des Satzes, dass ein unvermeidbarer Verbotsirrtum das Verschulden ausschließt108. Ein Verbotsirrtum wird nur sehr selten unvermeidbar sein. Vermeidbarkeit ist stets anzunehmen, wenn das vom Verletzer missachtete rechtliche Gebot oder 105 106 107 108
OLG Koblenz vom 22.12.1988, WRP 1989, 332, 333 – Steinbackofen. BGH vom 20.6.1963, NJW 1963, 1872, 1873. Siehe die Nachw. oben Fn. 94. Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 826 Rn. 27.
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Verbot allgemeine Verhaltensanforderungen widerspiegelt. Die Nichtbeachtung solcher grundlegenden Regeln, die sich jedermann ohne besondere Anstrengungen und selbst bei laienhaftem Rechtsverständnis aufdrängen müssen, liegt in der Nähe des rechtsblinden und gewissenlosen Handelns109. Die zur Bestimmung der Unvermeidbarkeit maßgeblichen Kriterien lassen sich durch einen wertenden Vergleich gewinnen. Orientierungspunkte gibt zum einen die Rechtsprechung zu § 826 BGB. Danach entlastet insbesondere die Auskunft eines Rechtskundigen, das Verhalten sei erlaubt, den Täter regelmäßig nicht110. Zum anderen können die strafrechtlichen und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Beurteilungsmaßstäbe herangezogen werden. Soweit nach den dort anzuwendenden, tendenziell strengen Kriterien111 ein unvermeidbarer (und damit die Schuld oder die Vorwerfbarkeit ausschließender) Irrtum des Täters vorliegt, wird man diese Beurteilung für privatrechtliche Haftungstatbestände übernehmen können112. Im Kartell-Ordnungswidrigkeitenrecht geht die Rechtsprechung von einem unvermeidlichen Irrtum aus, »wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seinem Lebens- und Berufskreis zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Handelns nicht zu gewinnen vermochte (…). Das setzt voraus, daß er alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa auftauchende Zweifel durch Nachdenken und erforderlichenfalls durch Einholung von Rat beseitigt hat (…). Hätte der Täter bei gehöriger Anspannung seines Gewissens das Unrechtmäßige seines Tuns erkennen können, so ist sein Verbotsirrtum verschuldet«113. Dabei »sind an den Täter höhere Anforderungen zu stellen als hinsichtlich der Beobachtung der im Verkehr erforderlichen und dem Täter zuzumutenden Sorgfalt bei den Fahrlässigkeitsdelikten (…). Auch an die neben der Pflicht zu eigener Prüfung in den meisten Fällen bestehende Erkundigungspflicht (…) sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es ist ferner zu beachten, daß der Täter sich der ihm obliegenden persönlichen Entscheidung über Recht oder Unrecht seines Tuns nicht schlechthin dadurch entziehen kann, daß er eine Meinungsäußerung eines Rechtskundigen einholt«114.
109
Zu § 826 BGB ebenso Oechsler, in: Staudinger, BGB, § 826 Rn. 69. BGH vom 19.2.1986, NJW 1986, 1751, 1754; BGH vom 15.5.1979, BGHZ 74, 281, 284 f. 111 Näher zu den – im Einzelnen umstrittenen – Voraussetzungen der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums im Strafrecht: Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. I, § 21 Rn. 52 ff. und im Ordnungswidrigkeitenrecht: Rengier, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 11 Rn. 57 ff., jeweils m.w.Nachw. Speziell zu den Anforderungen an die Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums im Kartellordnungswidrigkeitenrecht siehe nur Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, Vor § 81 Rn. 86 ff. 112 Gegen eine Übernahme der strafrechtlichen Kriterien bei § 826 BGB aber Oechsler, in: Staudinger, BGB, § 826 Rn. 71. 113 BGH vom 27.1.1966, BGHSt 21, 18 ff. = GRUR 1966, 456, 458 f. – Klinker mit Anm. Koenigs; bestätigt durch BGH vom 1.12.1981, BGHSt 30, 270 ff. = WuW/E BGH 1901, 1904 – Transportbeton-Vertrieb II und BGH vom 19.4.1984, wistra 1984, 178. 114 BGH GRUR 1966, 456, 459 – Klinker. Zur Kritik an dem gegenüber dem Fahrlässigkeitsmaßstab strengeren Vermeidbarkeitsmaßstab siehe nur Rengier, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, § 11 Rn. 62 m.w.Nachw. 110
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§ 9. Verantwortlichkeit
Legt man diese – zu Recht sehr strengen – Kriterien zugrunde, dann könnte ein unvermeidbarer Verbotsirrtum im Lauterkeitsrecht vorliegen, wenn jemand gegen sehr spezielle Vorschriften verstößt, deren Auslegung höchstrichterlich noch nicht geklärt und zwischen den Instanzgerichten womöglich streitig ist (z.B. im Lebensmittelrecht), und den Tatbestand des §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 11 UWG verwirklicht. Weiterhin ist denkbar, dass der Gesetzgeber ein bislang verkehrsfähiges Produkt »über Nacht« verbietet, sodass Werbung und Vertrieb ganz plötzlich und unvorhersehbar gegen Nr. 9 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG verstoßen. Im Kartellrecht hat die Rechtsprechung einen unvermeidbaren Verbotsirrtum beispielweise in der Transportbeton-Vertrieb I-Entscheidung bejaht. Der Streitfall betraf eine mit § 1 GWB unvereinbare Verkaufsgemeinschaft. Die Beteiligten gingen irrtümlich von der kartellrechtlichen Unbedenklichkeit aus. Für die Unvermeidbarkeit dieses Verbotsirrtums sprachen mehrere Umstände: Die kartellrechtliche Beurteilung im konkreten Fall warf schwierige Rechtsfragen auf, die Rechtslage war höchstrichterlich nicht geklärt, die Praxis des Bundeskartellamts ließ keine einheitliche und klare Rechtsauffassung erkennen und das Bundeswirtschaftsministerium bezeichnete Verkaufsgemeinschaften in einer Veröffentlichung unter bestimmten Voraussetzungen als grundsätzlich zulässig115.
III. Fahrlässigkeit Fahrlässig handelt gemäß § 276 Abs. 2 BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt116. Der Unterscheidung zwischen verschiedenen Graden von Fahrlässigkeit kommt im Rahmen der lauterkeits- und kartellrechtlichen Schadensersatz- und Abschöpfungshaftung keine Bedeutung zu117. 1. Allgemeine Anforderungen a) Sorgfaltsmaßstab Die Rechtsprechung betont regelmäßig die strengen Maßstäbe, die im geschäftlichen Bereich (im Lauterkeits- und Kartellrecht, aber auch im gewerblichen Rechtsschutz und im Urheberrecht) bei der Ermittlung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt anzulegen sind118. Welche Anforderungen im Einzelnen gelten, ist naturgemäß von der jeweiligen Verletzungssituation abhängig, wobei eine Viel115
BGH vom 1.12.1981, WuW/E BGH 1871, 1874 f. – Transportbeton-Vertrieb I. Bildhafter umschreibt § 1294 ABGB die Fahrlässigkeit. Diese ist anzunehmen, wenn ein Schaden »aus schuldbarer Unwissenheit, oder aus Mangel der gehörigen Aufmerksamkeit, oder des gehörigen Fleißes verursacht worden ist«. 117 Anders noch nach früherer Rechtslage im gewerblichen Rechtsschutz, weil dort bei leichter Fahrlässigkeit in § 139 Abs. 2 S. 2 PatG a.F., § 24 Abs. 2 S. 2 GebrMG a.F. und § 37 Abs. 2 S. 2 SortSchG a.F. Haftungserleichterungen vorgesehen waren. Die Rspr. übernahm diese Abstufung für parallele lauterkeitsrechtliche Ansprüche aus § 1 UWG a.F., siehe etwa BGH vom 10.6.1960, GRUR 1961, 26 ff. – Grubenschaleisen mit Anm. Harmsen. 118 BGH vom 6.5.1999, BGHZ 141, 329, 345 – Tele-Info-CD; BGH vom 5.7.2001, GRUR 2002, 248, 252 – SPIEGEL-CD-ROM; BGH vom 22.11.2001, BGHZ 149, 191, 204 – shell.de; BGH vom 11.4.2002, GRUR 2002, 706, 708 – vossius.de. 116
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zahl unterschiedlicher Faktoren zu berücksichtigen ist119. Die Gerichte greifen infolgedessen zumeist auf formelhafte Obersätze mit kaum subsumtionsfähigen Inhalten zurück und präzisieren die Sorgfaltsmaßstäbe sodann im Hinblick auf den jeweiligen Einzelfall. Grundsätzlich auszugehen ist von einem objektiven Maßstab120, also von einem allgemeinen Sorgfaltsstandard, auf dessen Einhaltung jedermann vertrauen darf121. Dieser Maßstab wird, da die Lebenswirklichkeit eine schematische Gleichsetzung verbietet, nach Verkehrskreisen typisiert, deren speziellen Anschauungen und Bedürfnissen Rechnung zu tragen ist122. Für markt- und wettbewerbsbezogene Tätigkeiten folgt daraus, dass besondere Umstände und Verhältnisse in bestimmten Geschäftsbereichen oder auf bestimmten Märkten bei der Beurteilung der Sorgfaltspflichten Beachtung finden müssen. Maßgeblich ist insoweit das rechtlich gebotene Verhalten. Das folgt schon aus dem Wortlaut des § 276 Abs. 2 BGB, wonach es auf die »erforderliche« und nicht auf die übliche Sorgfalt ankommt. Keine verbindlichen Anhaltspunkte geben deswegen die tatsächlichen Gepflogenheiten und Gebräuche in einer Branche123, weil diese auch sorgfaltswidrig sein können. Insbesondere sind etwaige Unsitten und Nachlässigkeiten, die im Geschäftsleben eingerissen sein mögen, nicht zu berücksichtigen124. Besondere Kenntnisse und Fähigkeiten handelnder Personen können als Kriterien bei der Ermittlung der erforderlichen Sorgfalt einfließen. Es widerspricht nach Ansicht der Rechtsprechung einem objektiven Sorgfaltsmaßstab nicht, wenn bestimmte, eine gesteigerte Sachkenntnis bedingende Umstände, die sich etwa aus den langjährigen Erfahrungen eines bedeutenden Unternehmens ergeben können, einbezogen werden125. Allerdings dürfen solche besonderen Umstände nur mit Zurückhaltung herangezogen werden, weil dadurch die ohnehin strengen Sorgfaltsanforderungen nochmals verschärft werden. Es wäre nicht überzeugend, dem erfolgreichen und seit langem auf dem Markt etablierten Unternehmer generell ein höheres Maß an Sorgfalt abzuverlangen als beispielsweise einem Newcomer, der mit den Gegebenheiten des Marktes noch nicht in vergleichbarem Maße vertraut ist. b) Abgrenzung zur fachlichen Sorgfalt gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG Der Fahrlässigkeitsmaßstab im Lauterkeitsrecht ist nicht deckungsgleich mit der fachlichen Sorgfalt im Sinne von §§ 2 Abs. 1 Nr. 7, 3 Abs. 2 S. 1 UWG. Denn die 119
Allgemeiner Überblick dazu z.B. bei Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 396 ff. St. Rspr., siehe nur BGH GSZ vom 4.3.1957, BGHZ 24, 21, 27; BGH vom 17.3.1981, BGHZ 80, 186, 193; BGH vom 31.5.1994, NJW 1994, 2232, 2233. 121 Zum Vertrauensgedanken als Legitimationsgrund für einen objektiven Sorgfaltsmaßstab siehe nur Grundmann, in: Münchener Kommentar, BGB, § 276 Rn. 55. 122 BGH vom 31.5.1994, NJW 1994, 2232, 2233. 123 BGH vom 8.1.1986, NJW 1986, 1099, 1100. 124 Vgl. BGH vom 15.1.1965, GRUR 1965, 495, 496 – Wie uns die anderen sehen (in einer medienrechtlichen Konstellation). 125 BGH vom 11.12.1973, BGHZ 62, 29, 37 – Maschenfester Strumpf. 120
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fachliche Sorgfalt beschreibt einen objektiven Verhaltensstandard, dessen Nichtbeachtung die Unlauterkeit der Handlung begründet. Ein Verstoß gegen die fachliche Sorgfalt ist demgegenüber nicht automatisch auch als Fahrlässigkeit zu bewerten. Freilich ist nicht ausgeschlossen, dass zur Bestimmung der fachlichen Sorgfalt im Sinne von §§ 2 Abs. 1 Nr. 7, 3 Abs. 2 S. 1 UWG und der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 Abs. 2 BGB ähnliche Kriterien heranzuziehen sein können126. 2. Insbesondere: Fahrlässigkeit bei Verkennung der Rechtslage durch den Täter In der Praxis besonders häufig stellt sich die Frage nach den Sorgfaltsanforderungen, wenn der Täter einer Fehlvorstellung über die Rechtslage unterliegt. a) Ausgangsüberlegungen Die Einordnung des Rechtsirrtums verlangt in zweifacher Hinsicht nach einer Präzisierung. Zum einen darf man diese Problematik nicht mit der Frage der Vermeidbarkeit eines Irrtums im Rahmen der Vorsatzhaftung vermengen127. Dort geht es nicht um einen generellen Ausschluss des Verschuldens, sondern nur darum, ob ein Täter bei irriger Beurteilung der Rechtslage vorsätzlich gehandelt hat. Die Rechtsprechung arbeitet deswegen auch mit anderen (und zwar strengeren) Beurteilungsmaßstäben128. Die Unvermeidbarkeit eines Irrtums wird nur dann relevant, wenn der Haftungstatbestand auf Vorsatz beschränkt ist. Umfasst die Haftungsnorm dagegen Vorsatz und Fahrlässigkeit, dann bedarf der Klärung, ob trotz der Fehlvorstellung des Handelnden die Schwelle zur Fahrlässigkeit überschritten wurde. Zum anderen kommt es in den Fällen eines Irrtums über die Rechtslage bei der Fahrlässigkeitshaftung genau genommen nicht auf die Rechtskenntnis oder -unkenntnis des Täters an, sondern auf dessen Möglichkeit zum Erkennen der von Rechts wegen gebotenen Sorgfalt. Der Vorwurf der Fahrlässigkeit setzt sich nämlich zusammen aus der Erkennbarkeit der geltenden Sorgfaltsanforderungen und – auf dieser Erkenntnis aufbauend – der Außerachtlassung dieser Sorgfalt durch den Täter bei gegebener Vermeidbarkeit129. Die Kenntnis der rechtlichen Gebote und Verbote spielt nun insoweit eine Rolle, als die jeweiligen Sorgfaltsanforderungen erst hierdurch ihre konkrete Gestalt gewinnen. Der Rechtsirrtum betrifft die Ebene der Erkennbarkeit der gebotenen Sorgfalt im Hinblick auf die zugrunde liegende Rechtslage. Hieraus erhellt, warum 126
Siehe oben § 4. B. II. 2. b), S. 196 f. Dazu oben, unter II. 3. c), S. 632 ff. 128 BGH GRUR 1966, 456, 459 – Klinker. Praktisch wird allerdings bei Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums (und dem damit verbundenen Ausschluss des Vorsatzes) zugleich auch der Vorwurf fahrlässigen Verhaltens entfallen. 129 Statt vieler: Grundmann, in: Münchener Kommentar, BGB, § 276 Rn. 68 ff., 77 ff. 127
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die praktische Kernfrage stets auf die Klärung abzielt, welche Anstrengungen der Handelnde hätte unternehmen müssen, um sich über die Rechtslage zu informieren. Im Falle des entschuldigten Rechtsirrtums konnte der Täter die gebotene Sorgfalt nicht erkennen und damit den Sorgfaltspflichtverstoß nicht vermeiden. Beim unentschuldigten Rechtsirrtum hätte der Täter dagegen die gebotene Sorgfalt erkennen und damit eine Verletzung der Sorgfaltspflicht vermeiden können. Eine mit dem entschuldigten und unentschuldigten Rechtsirrtum verwandte Problematik kennt das österreichische Lauterkeitsrecht. Wenn ein Unternehmer dort gegen eine außerhalb des Lauterkeitsrechts stehende Norm verstößt und dadurch einen Rechtsbruch im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 östUWG begeht, dann ist bereits die Unlauterkeit (und nicht erst das Verschulden des Handelnden) ausgeschlossen, wenn die Auffassung des Unternehmers über die Auslegung der angeblich verletzten Norm durch das Gesetz so weit gedeckt ist, dass sie mit gutem Grund vertreten werden kann130. Diese Besonderheit des österreichischen Lauterkeitsrechts ist eine Folge des dort sehr weit gefassten Rechtsbruchtatbestandes. Danach kann – anders als im deutschen Recht – prinzipiell jede Verletzung einer Rechtsnorm mithilfe des UWG sanktioniert werden. Ausdrücklich hat es der OGH in der Stadtrundfahrten-Entscheidung131 abgelehnt, den Rechtsbruch auf die Verletzung marktverhaltensregelnder Vorschriften zu beschränken. Indem eine Unlauterkeit bereits dann ausgeschlossen wird, wenn der Unternehmer einer vertretbaren Rechtsauffassung folgt, wird das Haftungsrisiko auf ein überschaubares Maß zurückgeschraubt.
b) Entwicklung der Rechtsprechung aa) Tendenz zur Verschärfung der Sorgfaltsanforderungen Bei der rechtlichen Beurteilung von Fehleinschätzungen der Rechtslage verfährt die Rechtsprechung keineswegs einheitlich. Dies erschwert die Aufstellung von verallgemeinerbaren Regeln und Kriterien und damit die Voraussage durch den Praktiker132. In älteren Entscheidungen ging der BGH von dem Grundsatz aus, dass im Allgemeinen denjenigen, der in Kenntnis aller Tatumstände objektiv sittenwidrig im Sinne von § 1 UWG a.F. gehandelt habe, auch ein Verschulden treffe133. Dies könne jedoch nicht ohne Weiteres gelten, wenn neue Tatbestände auftreten, für deren wettbewerbsrechtliche Beurteilung aufgrund der Generalklausel des § 1 UWG a.F. die Rechtsprechung noch keine festen Rechtsgrundsätze entwickelt habe. 130 OGH vom 8.7.2008, 4 Ob 99/08z, ÖBl 2009, 77, 73 – Fahrschulgruppe mit Anm. Mildner; OGH vom 11.3.2008, 4 Ob 225/07b, ÖBl 2008, 237, 242 – Stadtrundfahrten mit Anm. Mildner; OGH vom 25.3.2003, 4 Ob 296/02m, ÖBl 2004, 20, 21 ff. – Interventionsstelle mit Anm. Gamerith; zu den Einzelheiten siehe nur Duursma, in: Gumpoldsberger/Baumann, UWG § 1 Rn. 169 ff. m.w.Nachw. 131 OGH vom 11.3.2008, 4 Ob 225/07b, ÖBl 2008, 237, 241 – Stadtrundfahrten. 132 Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 30 Rn. 14. 133 BGH vom 22.4.1958, BGHZ 27, 264, 273 – Boxprogrammhefte; BGH vom 9.10.1959, GRUR 1960, 144, 146 – Bambi.
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In der Boxprogrammhefte-Entscheidung verneinte das Gericht hiernach ein Verschulden für den als unlauter angesehenen Vertrieb von Programmheften für Boxveranstaltungen134. Ähnlich hatte das Gericht bereits in einer zu §§ 11, 15 LUG ergangenen Entscheidung ein Verschulden der Beklagten abgelehnt, weil es sich bei der maßgeblichen Rechtsfrage um eine äußerst schwierige und in den Fachkreisen des In- und Auslandes eingehend erörterte Rechtsfrage handele, zu der sich eine als herrschend anzusehende Meinung auch gegenwärtig noch nicht eindeutig gebildet habe. Die Beklagte habe sich für die Richtigkeit der von ihr vertretenen Rechtsauffassung auf die Stellungnahme namhafter Fachjuristen berufen können. Die Beurteilung der Streitfrage sei zudem für ihren gesamten Geschäftsbetrieb von weittragender Bedeutung gewesen. Bei dieser Sachlage habe die Beklagte trotz der ihr ungünstigen Urteile der Tatsacheninstanzen an ihrer Rechtsauffassung festhalten und eine Klärung der Rechtslage durch eine höchstrichterliche Entscheidung abwarten können, ohne sich dabei einem Schuldvorwurf auszusetzen135. Dieser Betrachtungsweise folgte das Gericht im Zusammenhang mit den alliierten Dekartellierungsbestimmungen136. Die Abitz II-Entscheidung betraf den Verkauf von kosmetischen Artikeln durch einen Einzelhändler, der nicht in das selektive Vertriebssystem der Herstellerin eingebunden war und sich die Produkte anderweitig beschaffte. Der Beklagte hielt die von der klagenden Herstellerin geschlossenen Vertriebs- und Absatzbindungsverträge für unzulässig. Das Gericht bewertete das Verhalten des Beklagten zwar als unlauter, verneinte jedoch – unter Bezugnahme auf die Grundsätze des Boxprogrammhefte-Urteils – ein Verschulden. Angesichts der besonderen rechtlichen Schwierigkeiten, die bei der Beurteilung der Rechtsgültigkeit von Preisbindungen nach den Dekartellierungsbestimmungen und den Äußerungen der Decartelization and Industrial Deconcentration Group auftraten, sei ein Verschulden des Beklagten zu verneinen. Die wegen der Beurteilung der vertikalen Preisbindungen bestehenden rechtlichen Unklarheiten waren in der Rechtsprechung noch nicht durch die Entwicklung fester Rechtsgrundsätze beseitigt worden. Bei der gegebenen Sachlage lasse sich trotz der sonst im Wettbewerbsrecht gebotenen Anlegung strenger Verschuldensmaßstäbe weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit des Beklagten feststellen137.
Diese Entscheidungen und die zugrunde liegenden Wertungskriterien müssen vor dem Hintergrund der tiefgreifenden politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Umwälzungen der Nachkriegszeit gesehen werden. Sie tragen der unvermeidlichen Rechtsunsicherheit der damaligen Zeit Rechnung. Ob die Nachkriegsrechtsprechung an der reichsgerichtlichen Rechtsprechung anknüpfen oder neue Wege einschlagen würde, musste sich erst allmählich herausstellen. Fehlten höchstrichterliche Aussagen, die als Orientierungspunkt dienen konnten, sprach dies für einen unverschuldeten Irrtum138. Anders jedoch, wenn die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits hinreichende Anhaltspunkte für die rechtliche Beurteilung bestimmter Praktiken gab139. 134 135 136 137 138 139
BGH vom 22.4.1958, BGHZ 27, 264, 273 – Boxprogrammhefte. BGH vom 18.5.1955, BGHZ 17, 266, 295 – Magnettonband. BGH vom 3.6.1953, NJW 1953, 1426 f. BGH vom 27.1.1959, GRUR 1960, 200, 202 – Abitz II. BGH vom 7.3.1969, GRUR 1969, 418, 422 – Standesbeamte. BGH vom 14.11.1980, GRUR 1981, 286, 288 – Goldene Karte I.
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Allmählich verschob sich jedoch die höchstrichterliche Argumentation. Die bisherige Rechtsprechung war damit nicht einfach »überholt«140, sondern die bisherigen Kriterien wurden durch neue und tendenziell strengere Maßstäbe überlagert. Wenn ein unverschuldeter Irrtum bei schwierigen Rechtsfragen und fehlender höchstrichterlicher Leitlinien anzunehmen sein kann, dem Verletzer also weder ein vorsätzliches noch ein fahrlässiges Verhalten zur Last fällt, dann hat dies eine Risikoverlagerung bei Handlungen zur Folge, deren rechtliche Zulässigkeit zweifelhaft ist. Zwar können solche Praktiken mit Hilfe von Abwehransprüchen immer noch sanktioniert werden, doch wären etwaige Schäden für Mitbewerber mangels Vorsatz oder Fahrlässigkeit nicht ersatzfähig. Der Geschädigte trägt damit das wirtschaftliche Risiko der rechtswidrigen Handlung des Schädigers, weil er auf dem entstandenen Schaden »sitzen bleibt«, obgleich die schädigende Handlung als rechtswidrig beurteilt wird. Diese Überlegungen veranlassten die Rechtsprechung, maßgeblich auf diesen Aspekt der Risikotragung abzustellen. Grundsätzlich müsse der Schuldner das Risiko eines Irrtums über die Rechtslage tragen; er könne dieses Risiko nicht dem Gläubiger zuschieben141. Die Taxi-Genossenschaft-Entscheidung betraf beispielsweise die kartellrechtliche Beurteilung von Teilnehmerverträgen, die eine Taxi-Genossenschaft mit Nicht-Mitgliedern abschließen wollte und durch die wettbewerbliche Aktivitäten der Teilnehmer erheblichen Beschränkungen unterworfen wurden. Zum maßgeblichen Zeitpunkt war die Rechtslage höchstrichterlich nicht geklärt; die beklagte Taxi-Genossenschaft hielt sich (wie sich im Nachhinein herausstellte zu Unrecht) zum Abschluss von Verträgen solchen Inhalts für berechtigt142. Der BGH ging davon aus, dass ein unverschuldeter Rechtsirrtum im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes einschließlich des Wettbewerbsrechts nicht schon dann anzunehmen sei, wenn der fehlerhafte Rechtsstandpunkt ernsthaft vertreten werden könne. Zwar sei zu berücksichtigen, dass gerade in diesen Rechtsgebieten zuweilen Rechtsfragen von solcher Schwierigkeit und Komplexität auftreten, dass die Einschätzung und Berücksichtigung der Rechtslage die Beteiligten vor ungewöhnliche Schwierigkeiten stelle, dem bei Bewertung ihres Verhaltens unter Verschuldensgesichtspunkten Rechnung getragen werden müsse. Das lasse sich aber nicht allgemein für jegliche Streitfragen aus den genannten Rechtsgebieten sagen. Daher bleibe es bei dem bereits in anderen Entscheidungen ausgesprochenen Grundsatz143, wonach ein Rechtsirrtum nur dann entschuldigt sein könne, wenn der Irrende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte. Bei zweifelhaften Rechtsfragen, in denen sich noch keine einheitliche Rechtsprechung gebildet hat und die insbesondere nicht durch höchstrichterliche Entscheidungen geklärt sind, bedeute dies, dass für den rechtsirrig Handelnden die Möglichkeit einer ihm ungünstigen gerichtlichen
140 So aber Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 9 Rn. 46; dagegen mit Recht Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 30 Rn. 16. 141 BGH vom 18.4.1974, NJW 1974, 1903, 1904. 142 BGH vom 16.12.1986, GRUR 1987, 564 – Taxi-Genossenschaft. 143 Siehe BGH vom 9.2.1951, NJW 1951, 398; BGH vom 11.4.1962, DB 1962, 698; BGH vom 1.10.1970, WM 1970, 1513, 1514; BGH vom 7.3.1972, NJW 1972, 1045, 1046.
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§ 9. Verantwortlichkeit
Entscheidung undenkbar gewesen sein müsse144. In nachfolgenden Entscheidungen finden sich nahezu wortgleiche Ausführungen des Gerichts145.
Ein fahrlässiges Handeln ist nach neuerer Rechtsprechung nicht ausgeschlossen, wenn sich der Täter bei zweifelhafter Rechtslage auf die für ihn günstigere Rechtsansicht stützt146. Fahrlässig handelt bereits, wer sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt, indem er eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des fraglichen Verhaltens in Betracht ziehen muss147. bb) Gegenläufige Tendenz bei Schutzrechtsverwarnungen Eine gegenläufige Tendenz ist in den Fällen der Haftung für unberechtigte Schutzrechtsverwarnungen zu erkennen148. Diese spezielle Situation wird von der Rechtsprechung – allerdings ohne sachlich überzeugende Gründe149 – weitgehend in das bürgerliche Recht verlagert, doch erklärt dies nicht die abweichenden Sorgfaltsmaßstäbe. Der BGH weist ausdrücklich darauf hin, dass für diese Konstellationen besondere (und in jüngerer Zeit mildere) Anforderungen gelten. Ein Schutzrechtsinhaber könne zur Wahrung seines Rechts zu Verteidigungsmaßnahmen genötigt sein, während für einen Werbenden regelmäßig keine zwingende Notwendigkeit bestehe, mit seiner Werbung bis in gefährliche Grenzbereiche des Zulässigen vorzustoßen150. In älteren Entscheidungen war die Rechtsprechung mit der Annahme eines fahrlässigen Handelns schnell bei der Hand. Zwar begründe die objektive Möglichkeit zu Zweifeln über die Rechtslage nicht schon den Vorwurf des Verschuldens. Doch müsse der Verwarner die Rechtslage, noch dazu, wenn er eine öffentliche Warnung aussprechen wolle, besonders sorgfältig prüfen151. Noch strengere Maßstäbe legt die Kaugummikugeln-Entscheidung an. Darin hielt der BGH nähere Erörterungen zu einem »besonderen Verschulden« der auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Beklagten für entbehrlich, weil auf der Hand liege, dass ein entschuldbarer Rechtsirrtum nicht vorliege152. In der Kindernäh144
BGH vom 16.12.1986, GRUR 1987, 564, 565 – Taxi-Genossenschaft. BGH vom 10.10.1989, GRUR 1990, 474, 476 – Neugeborenentransporte; BGH vom 6.5.1999, BGHZ 141, 329, 345 – Tele-Info-CD. 146 BGH vom 6.7.1995, BGHZ 130, 205, 220 – Feuer, Eis & Dynamit I. 147 BGH vom 23.5.1990, GRUR 1990, 1035, 1038 – Urselters II; BGH vom 6.5.1999, BGHZ 141, 329, 345 – Tele-Info-CD. Ebenso zum Markenrecht: BGH vom 14.12.1995, BGHZ 131, 308, 318 – Gefärbte Jeans und zum Urheberrecht: BGH vom 18.12.1997, GRUR 1998, 568, 569 – Beatles-Doppel-CD; BGH vom 23.4.1998, GRUR 1999, 49, 51 – Bruce Springsteen and his Band; BGH GRUR 2002, 248, 252 – Spiegel-CD-Rom. 148 Zur Entwicklung der Rechtsprechung zum Verschulden in diesen Fällen siehe Horn, GRUR 1971, 442, 447 f. und Köhler, in: Großkommentar, UWG, Vor § 13 Rn. 283. 149 Zur Problematik siehe nur Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 4 Rn. 10.169 ff. 150 BGH vom 14.11.1980, GRUR 1981, 286, 288 – Goldene Karte I. 151 BGH vom 24.5.1963, WRP 1968 50, 53 – Spielautomat; ähnlich bereits BGH vom 15.6.1951, GRUR 1951, 452, 455 – Mülltonnen. 152 BGH vom 8.2.1963, WRP 1965, 97, 100 – Kaugummikugeln. 145
B. Vorsatz und Fahrlässigkeit
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maschinen-Entscheidung lässt es der BGH zur Annahme eines fahrlässigen Verhaltens des Verwarners genügen, wenn dieser den seinem Schutzrecht entgegenstehenden Stand der Technik nur unvollständig berücksichtigt oder zwar gesehen, aber falsch gewürdigt hat, oder wenn er vorwerfbar die Erfordernisse des Fortschritts oder der Erfindungshöhe falsch eingeschätzt oder die Verletzungsform zu Unrecht als unter sein Recht fallend eingeordnet habe153. Spätere Entscheidungen schrauben die Anforderungen maßvoll zurück und warnen vor einer »Überspannung der billigerweise zu fordernden Sorgfaltspflicht« des Verwarners154. Es würde zu einer bedenklichen Entwertung der Schutzrechte führen, wenn der Schutzrechtsinhaber auch dann von der Verwarnung eines vermeintlichen Verletzers absehen müsste, sofern er sein Schutzrecht nach gehöriger Prüfung objektiv zutreffend als materiell rechtsbeständig ansieht, eine falsche Entscheidung hierüber aber nicht für ausgeschlossen hält155. Die Rechtsprechung differenzierte im Weiteren auch zwischen der Verwarnung aus geprüften und ungeprüften Schutzrechten156: Bei Verwarnungen aus Gebrauchsmustern werde von dem Verwarner ein höheres Maß an Nachprüfung verlangt als bei einem Vorgehen aus geprüften Schutzrechten. Das beruhe auf der in diesen Fällen größeren Gefährdung des Schutzrechts in seinem materiellen Bestand. Dieser Gesichtspunkt gelte gleichermaßen für das Geschmacksmuster- und Urheberrecht, die ebenfalls ohne Prüfung ihrer materiellen Schutzvoraussetzungen zur Entstehung gelangen.
c) Bewertung Die differenzierende Linie der Rechtsprechung verdient im Wesentlichen Zustimmung. Richtig und überzeugend ist die Wertung, dass ein Unternehmer das Risiko einer Fehlbewertung der Rechtslage selbst tragen muss und nicht auf den Gläubiger abwälzen darf. Die Rechtsordnung legt die Grenzen zulässiger wettbewerblicher Tätigkeit fest und bestimmt damit zugleich, innerhalb welcher Aktionsspielräume Marktmechanismen greifen. Jeder Unternehmer trägt damit die wirtschaftlichen Chancen und Risiken, innerhalb dieser Handlungsfreiräume seine Ziele verwirklichen und gewinnbringend wirtschaften zu können. Der Vorstoß eines Unternehmers in rechtlich noch ungesicherte Bereiche begründet ein vergleichbares wirtschaftliches Risiko wie das Bemühen um Erschließung eines neuen Marktes durch ein innovatives Produkt. Wenn ein Unternehmer das wirtschaftliche Risiko tragen muss, dass eine Innovation vom Markt nicht angenommen wird und sich damit als »Verlustbringer« entpuppt, dann muss der Unternehmer in gleicher Weise das Risiko tragen, dass seine Aktivität als wettbewerbswidrig eingestuft wird. In beiden Fällen muss er die rechtlichen und wirtschaftlichen Nachteile seines Handelns übernehmen. Im Unterschied zum missglückten wirtschaftlichen Vorstoß treffen die nachteiligen Folgen einer rechtswidrigen Hand153 BGH vom 5.11.1962, GRUR 1963, 255, 259 – Kindernähmaschinen; insoweit nicht in BGHZ 38, 200 ff. abgedruckt. 154 BGH vom 11.12.1973, BGHZ 62, 29, 35 – Maschenfester Strumpf; siehe auch BGH vom 22.6.1976, GRUR 1976, 715, 717 – Spritzgießmaschine. 155 BGH vom 11.12.1973, BGHZ 62, 29, 35 – Maschenfester Strumpf. 156 BGH vom 11.12.1973, BGHZ 62, 29, 37 – Maschenfester Strumpf; BGH vom 19.1.1979, GRUR 1979, 332, 336 – Brombeerleuchte.
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§ 9. Verantwortlichkeit
lung typischerweise nicht zuerst den handelnden Unternehmer, sondern andere Marktakteure, also Mitbewerber oder sonstige Marktteilnehmer. Es ist konsequent, diese Nachteile im Wege der privatrechtlichen Haftung auf den Handelnden zurück zu verlagern. In tatsächlicher Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass sich die Möglichkeiten, Rechtskenntnisse und damit Gewissheit über die geltenden Sorgfaltsanforderungen zu erlangen, in den letzten Jahrzehnten vorteilhaft entwickelt haben. Selbstverständlich gibt es nach wie vor schwierige und unklare Rechtsfragen und es wird diese auch in Zukunft geben. Unternehmen werden in ihrer geschäftlichen Tätigkeit immer wieder rechtliches Neuland betreten (müssen). Wettbewerb lebt von innovativen Vorstößen. Man braucht beispielhaft nur an die vielfältigen Fragen denken, die mit Beginn und Fortentwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs zusammenhängen. Jedoch lassen sich aufgrund des vorhandenen Materials aus der gerichtlichen Praxis und der Wissenschaft immer bessere Rückschlüsse auf die rechtliche Bewertung von neuartigen Geschäftsmethoden gewinnen. Die auf den ersten Blick wechselvoll und uneinheitlich erscheinende Linie der Rechtsprechung, insbesondere die Sondermaßstäbe bei Konstellationen der Schutzrechtsverwarnungen, ist weniger überraschend, wenn man sich die unterschiedlichen Interessen- und Gefährdungslagen vor Augen hält, die jeweils betroffen sind. Insbesondere kommt hierbei der Unterscheidung zwischen den individuellen und überindividuellen Interessen zentrale Bedeutung zu. Schutzrechtsverwarnungen betreffen typischerweise allein das Individualverhältnis zwischen dem Schutzrechtsinhaber und einem anderen Unternehmer, allenfalls noch – bei Abnehmerverwarnungen – auch die Interessen von Geschäftspartnern. Damit sind die von unberechtigten Verwarnungen ausgehenden Gefahren auf wenige Personen beschränkt, mögen auch die materiellen Interessen von bedeutendem Gewicht sein. Insbesondere fehlt die typische Breitenwirksamkeit der Handlung, weil Verwarnungen oder sonstige Verteidigungshandlungen stets zielgerichtet vorgenommen werden. Dabei ist zu beachten, dass alle Beteiligten gleichermaßen schützenswerte Ziele verfolgen, sodass in diesen Fällen insbesondere das Argument der Risikoverlagerung nicht trägt. Der Inhaber eines Schutzrechts hat ein legitimes Interesse daran, sein Schutzrecht in vollem Umfang zu verteidigen und zwar auch und gerade in den zweifelhaften Grenzbereichen seines Schutzrechts. Zugleich besteht umgekehrt ein nicht weniger schutzwürdiges Interesse des Verwarnten daran, die rechtlichen Freiräume, die ihm angesichts des bestehenden Schutzrechts für die eigene geschäftliche Aktivität verbleiben, soweit wie möglich auszunutzen. Gerade weil die maßgebliche Interessenkollision typischerweise die Grenzbereiche des jeweiligen Schutzrechts betreffen, werfen diese Streitfälle regelmäßig schwierige Rechtsfragen auf und tragen die Rechtsunsicherheit sozusagen in sich157. Wäre die Rechtslage für jedermann eindeutig, dann würden sich die Parteien vermutlich nicht streiten. Aus diesen 157
Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 30 Rn. 67.
C. Verantwortlichkeit für Dritte
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Überlegungen heraus ist auch zwanglos die Abstufung der Sorgfaltsanforderungen nach geprüften und nicht geprüften Schutzinhalten zu erklären. Wer sich auf ein Schutzrecht beruft, dessen Inhalt nicht durch eine besondere Instanz geprüft wurde, muss vorsichtiger agieren als der Inhaber eines geprüften Schutzrechts. Denn bei ungeprüften Schutzrechten hängt die Schutzfähigkeit insbesondere davon ab, ob dem Erzeugnis aufgrund von Formgebung, Gestaltung oder sonstigen Umständen die für den Schutz erforderliche schöpferische Eigentümlichkeit zugebilligt werden kann. Eine endgültige Klärung der damit zusammenhängenden Zweifelsfragen lässt sich in der Regel erst im gerichtlichen Verfahren herbeiführen. Vorprozessuale Recherchen und Sachverständigengutachten haben demgegenüber oft nur einen begrenzten Wert158. Wenngleich strenge Sorgfaltsmaßstäbe grundsätzlich zu befürworten sind, darf eine kritische Grenze nicht überschritten werden. Praktisch unerfüllbare Sorgfaltsanforderungen können in der Sache auf eine schleichende Umwandlung der Verschuldenshaftung in eine Gefährdungshaftung hinauslaufen. Wenn selbst der umsichtigste Akteur der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht gerecht werden kann, wird das Verschuldenserfordernis zum Scheinkriterium. Eine Gefährdungshaftung wäre im Wettbewerb jedoch grundsätzlich verfehlt159. Daher ist nicht nur die dogmatisch offene Einführung einer solchen Haftung abzulehnen, sondern erst recht der viel bedenklichere Weg der verdeckten Etablierung einer Gefährdungshaftung. Zu Recht warnt daher die Rechtsprechung vor einer »Überspannung« der Sorgfaltsanforderungen. Es stellt einen unzulässigen Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit dar, wenn von einem Unternehmer verlangt würde, sich vorsichtshalber auch dann nach der strengsten Gesetzesauslegung und Einzelfallbeurteilung zu richten, wenn beispielsweise die zuständigen Behörden und Gerichte sein Verhalten ausdrücklich als rechtlich zulässig bewerten160.
C. Verantwortlichkeit für Dritte Viele Unternehmen sind komplex organisierte, arbeitsteilig funktionierende Einheiten. Unlautere oder kartellrechtswidrige Handlungen können dann von verschiedenen Personen begangen werden, etwa von Organen oder von Beschäftigten des Unternehmens oder von beauftragten Dritten. Beispielsweise wird die verbotene Beteiligung eines Unternehmens an einem Kartell von der Geschäftsführung initiiert; die Gesellschafter sind einverstanden. Die irreführende Werbung eines Unternehmens wird von einer externen Werbeagentur entwickelt, von der eigenen Werbeabteilung gebilligt, von der Geschäftsführung nicht verhindert und schließlich werden die daraufhin angefertigten Werbeplakate von 158 159 160
BGH vom 19.1.1979, GRUR 1979, 332, 336 – Brombeerleuchte. Oben § 3. A. II. 2. a), S. 120. BGH vom 11.10.2001, GRUR 2002, 269, 270 – Sportwetten-Genehmigung.
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§ 9. Verantwortlichkeit
den Angestellten eines beauftragten dritten Unternehmens in der Öffentlichkeit verbreitet. Eine privatrechtliche Haftung des Unternehmens setzt dessen Verantwortlichkeit voraus. Da ein Unternehmen als funktionelle Wirtschaftseinheit aber nicht selbst handeln kann, bedarf es spezieller rechtlicher Mechanismen, um eine Verantwortlichkeit des Unternehmens zu begründen. Ausgehend von den wenigen gesetzlichen Vorgaben im Bürgerlichen Gesetzbuch stand die Rechtsprechung schon früh vor der Herausforderung, den tatsächlichen Gegebenheiten des Markt- und Wettbewerbsgeschehens (nicht nur bezogen auf wettbewerbswidrige Handlungen, sondern generell für deliktische Handlungen mit Unternehmensbezug) gerecht werden zu müssen. Zur Bewältigung der damit aufgeworfenen Probleme gibt es keinen Königsweg. Nicht ganz zu Unrecht wird gesagt, die Geschichte der deliktischen Unternehmenshaftung sei die »Geschichte gescheiterter Versuche der Zurechnung personalen Fehlverhaltens zu einem Unternehmensträger«161. Die Problematik der Verantwortlichkeit für das Handeln Dritter wird im Lauterkeitsrecht lediglich partiell in § 8 Abs. 2 UWG162 und im Kartellrecht gar nicht geregelt. Dass sich die Problematik der Verantwortlichkeit für Dritte für die privatrechtlichen Sanktionen im Wettbewerb stellt, ist für Schadensersatzansprüche allgemein anerkannt und wird für die Abschöpfungsansprüche nur ganz vereinzelt bestritten. Mönch will den Gewinnabschöpfungsanspruch nur zulassen, wenn die Zuwiderhandlung »vom Inhaber eines Unternehmens oder einer juristischen Person« begangen werde, nicht aber bei Handlungen von Mitarbeitern des Unternehmens oder von externen Dritten; auch § 31 BGB soll danach keine Anwendung finden163. Das ist verfehlt. Hält man jede Art von Zurechnung für ausgeschlossen, dann wären Korporationen vor einer Gewinnabschöpfung sicher, da sie selbst nicht deliktisch handeln können. Es fehlt aber an triftigen Gründen, warum es einem Unternehmensinhaber gestattet sein soll, der Gewinnabschöpfung einfach durch die Einschaltung einer weiteren Person zu entgehen. In der Konsequenz führt diese Ansicht zu einer Totalreduktion des Anwendungsbereichs von § 10 UWG auf Fälle, in denen der Unternehmer eine natürliche Person ist und die unlautere Handlung selbst begeht. Der Hinweis von Mönch auf die Abschaffung von § 4 Abs. 2 UWG a.F. und eine angebliche »Verantwortungsreduktion« im neuen UWG164 trägt zur Begründung nichts bei. Denn § 4 Abs. 2 UWG a.F. betraf allein die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Inhabern oder Leitern eines Betriebs für unwahre öffentliche Werbeaussagen. Die Streichung dieser Vorschrift sagt weder direkt noch im Umkehrschluss etwas über die Verantwortlichkeit bei der Gewinnabschöpfung aus.
161 162 163 164
Brüggemeier, Haftungsrecht, § 3 A I, S. 119. Zum Anwendungsbereich der Norm unter II., S. 658 ff. Mönch, ZIP 2004, 2032, 2034. Mönch ZIP 2004, 2032, 2034 Fn. 27.
C. Verantwortlichkeit für Dritte
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I. Bürgerlichrechtliche Lösungsansätze Man kann nicht sagen, dass das BGB die Problematik der Zurechnung von Drittverhalten übersehen hätte. Das bürgerliche Recht kennt jedoch für das Vertragsrecht einerseits und für die außervertragliche Haftung andererseits ganz unterschiedliche Regelungsmechanismen. 1. Seitenblick auf das Vertragsrecht Das Vertragsrecht regelt in den §§ 164 ff. BGB den Einsatz von Dritten zur verbindlichen Begründung von Rechten und Pflichten165 und in § 278 BGB die Haftung für den Einsatz von Dritten bei der Erfüllung vertraglicher oder sonstiger Verbindlichkeiten. Mit § 278 BGB wird im vertragsrechtlichen Bereich (einschließlich sonstiger Sonderverbindungen) eine generelle Verantwortlichkeit des Schuldners für gesetzliche Vertreter und für Personen begründet, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten bedient. Diese Erfüllungsgehilfen sind Dritte, die im Pflichtenkreis des Schuldners tätig werden. Der zwar allgemein geläufige, aber etwas antiquiert anmutende Begriff des »Erfüllungsgehilfen« macht dabei nur unzureichend deutlich, dass es sich bei dieser Zurechnungsnorm um eine Vorschrift handelt, deren Hauptanwendungsbereich eine Folge moderner inner- und überbetrieblicher Arbeitsteilung ist. Oft wird ein Schuldner die ihm obliegenden Pflichten nicht höchstpersönlich ausführen (können), sondern die notwendigen Tätigkeiten ganz oder teilweise auf andere delegieren, z.B. auf eigene Arbeitnehmer oder externe Dritte. Für den Gläubiger kann dies sinnvoll und nützlich sein, ist aber zugleich mit Risiken verbunden, weil nunmehr Personen tätig werden, auf deren Einsatz und Auswahl er zumeist keinen Einfluss mehr hat. Mit § 278 BGB bürdet das Gesetz dem Schuldner das mit dem Einsatz eines Dritten verbundene Risiko auf. Wer sich zur Erfüllung seiner Pflichten dritter Personen bedient, muss für deren Verhalten ohne Entlastungsmöglichkeit einstehen. Diese Risikoverteilung ist gerechtfertigt, weil der Schuldner seinerseits von der Arbeitsteilung und der Arbeitskraft des Dritten profitiert166. Entsprechend weitreichende Regelungen im außervertraglichen Bereich kennt das bürgerliche Recht nicht. Eine Übertragung des Rechtsgedankens aus § 278 BGB auf außervertragliche Haftungsbeziehungen hat die Rechtsprechung unter Hinweis auf die historische Entstehung des BGB abgelehnt167. Die Nichtanwendbarkeit von § 278 BGB auf die deliktische Haftung entspricht auch der ganz überwiegenden Ansicht im Schrifttum168. In § 31 BGB sieht das Gesetz eine spezielle Zurechnung nur bei Korporationen und dem deliktischen Verhalten ihrer 165
Dies schließt die »Wissenszurechnung« mit ein, § 166 BGB. Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, § 20 VIII, S. 297. 167 BGH vom 25.10.1951, BGHZ 4, 1, 3 f. 168 Statt vieler: Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 656; Löwisch, in: Staudinger, BGB, § 278 Rn. 8; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB, § 278 Rn. 3. Anders aber Friedrich, WRP 1976, 339, 442, der § 278 BGB in weitem Umfang auf unlautere Handlungen anwenden will. 166
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§ 9. Verantwortlichkeit
Organe vor, wobei der Hauptanwendungsbereich der Vorschrift erst durch Analogien erschlossen wurde. Eine außervertragliche Haftungszurechnung für abhängig Beschäftigte unterhalb der Repräsentanz kennt das Gesetz überhaupt nicht, sondern stellt in § 831 BGB lediglich die sehr problematische Geschäftsherrnhaftung zur Verfügung. Diese Unzulänglichkeiten haben zu vielfältigen Erweiterungen geführt. 2. Haftung gemäß §§ 31, 81, 89 BGB (analog) a) Organ- und Repräsentantenhaftung Gemäß § 31 BGB ist ein Verein für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt. Das Organ des Vereins ist damit »haftungsrechtlich gewissermaßen die ›delinquente Hand‹ der juristischen Person«169. Die deliktische Handlung des Organs behält dabei ihre rechtliche Relevanz. § 31 BGB verlagert die Haftung nicht komplett auf die juristische Person170, sondern die Haftung der juristischen Person tritt neben die deliktische Haftung des Organs171. § 31 BGB hat sich im Laufe der Zeit zu einem Grundmodell der Haftung von Korporationen für das deliktische Verhalten ihrer Repräsentanten172 entwickelt. § 31 BGB gilt dem Wortlaut nach nur für Vereine, § 86 BGB erstreckt den Anwendungsbereich auf Stiftungen und § 89 BGB auf juristische Personen des öffentlichen Rechts. Darüber hinaus ist anerkannt, dass § 31 BGB auf juristische Personen des Privatrechts und auf Personenhandelsgesellschaften Anwendung findet und ebenso auf die Gesellschaft bürgerlichen Rechts173. In direkter oder analoger Anwendung von § 31 BGB werden damit nahezu alle Unternehmen und Unternehmensträger erfasst174. Der Verein haftet für den gesamten Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder einen anderen verfassungsmäßig berufenen Vertreter. Die Rechtsprechung hat den Begriff des verfassungsmäßig berufenen Vertreters, der ursprünglich lediglich auf die Einbeziehung der besonderen Vertreter im Sinne des § 30 BGB zielte175, im Laufe der Zeit ausgedehnt. Verfassungsmäßig berufene Vertreter im Sinne des § 31 BGB sind danach nicht nur Personen, deren Tätigkeit in der Sat169
Brüggemeier, Haftungsrecht, § 3 A I 1, S. 120. Im Unterschied etwa zur Staatshaftung, bei der an die Stelle der persönlichen Haftung des Handelnden die Haftung des Staates oder der Körperschaft, in deren Dienst der Handelnde steht, tritt (Art. 34 GG). 171 Zur Begründung der persönlichen Haftung von Organmitgliedern bei Rechtsverstößen im Wettbewerb Rehbinder, in: Festschrift für Loewenheim, S. 513 ff. Eine persönliche Haftung von Organmitgliedern neben der Unternehmenshaftung dürfte vor allem als externes oder internes »Disziplinierungsmittel« interessant sein. 172 Der Begriff des Repräsentanten findet Verwendung in § 3 HaftPflG. 173 BGH vom 24.2.2003, NJW 2003, 1445, 1446 f. 174 Zu problematischen Fällen Reuter, in: Münchener Kommentar, BGB, § 31 Rn. 17 ff. 175 Weick, in: Staudinger, BGB, § 31 Rn. 24 f. 170
C. Verantwortlichkeit für Dritte
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zung der juristischen Person vorgesehen ist; sie müssen weder mit rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht ausgestattet zu sein, noch braucht es sich um einen Aufgabenbereich innerhalb der geschäftsführenden Verwaltungstätigkeit der juristischen Person zu handeln176. Nach der Rechtsprechung genügt es, wenn dem Vertreter durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind und er die juristische Person auf diese Weise repräsentiert177. Dem liegt die Wertung zugrunde, dass es unangemessen wäre, wenn der juristischen Person der Entlastungsbeweis nach § 831 BGB zur Verfügung stünde178. Diese Ausdehnung des Anwendungsbereiches von § 31 BGB auf nicht-organschaftliche Repräsentanten war eine notwendige und folgerichtige Reaktion darauf, dass in weitverzweigten Organisationen die unmittelbaren Einwirkungsmöglichkeiten des Vorstands und gleichgestellter Stellen beschränkt sind179. Wenn aber Leitungsaufgaben und Kompetenzen von den Organen auf nachgeordnete Stellen delegiert werden, weil die Organe sich nicht um jedes Detail kümmern können, dann darf dies bei der deliktischen Haftung nicht ohne Konsequenzen bleiben. Die direkte oder analoge Anwendbarkeit von § 31 BGB im Rahmen der Schadensersatzhaftung im Lauterkeitsrecht180 und Kartellrecht181 hat allgemeine Akzeptanz gefunden. Obgleich § 31 BGB dem Wortlaut nach auf Handlungen zielt, die »zum Schadensersatz« verpflichten, kann die Vorschrift auch im Rahmen der Abschöpfungshaftung herangezogen werden182. Denn die tatbestandliche Formulierung »zum Schadensersatz verpflichtende Handlung« zielt nicht auf eine Einschränkung der Verantwortlichkeit für bestimmte Rechtsfolgen, sondern ist Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens, dass die Korporation für die Folgen deliktischen Handelns ihrer Organe einzustehen hat. Deswegen wird § 31 BGB auch auf Abwehransprüche angewendet183. Die Abschöpfung von »Unrechtsvor176 Beispiel für einen solchen Repräsentanten: Leiter der Presseabteilung eines Unternehmens; BGH vom 4.4.1984, GRUR 1984, 823, 825 – Charterfluggesellschaften. 177 Siehe nur BGH vom 30.10.1967, BGHZ 49, 19, 21 m.w.Nachw. 178 BGH vom 30.10.1967, BGHZ 49, 19, 21. 179 Weick, in: Staudinger, BGB, § 31 Rn. 26. 180 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 23; Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 9 Rn. 54; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 9 Rn. 54 ff.; Koch, in: jurisPK-UWG, § 9 Rn. 3 f.; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 9 Rn. 1.6; Koos, in: Fezer, UWG, § 9 Rn. 5; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 9 Rn. 28. 181 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 84; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 42; Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, GWB, § 33 Rn. 34. 182 Ebenso Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 52 ff.; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 16; Neuberger, Der wettbewerbsrechtliche Gewinnabschöpfungsanspruch im europäischen Rechtsvergleich, S. 116 f.; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 10 Rn. 17; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 224, 226 f. Anders nur Mönch, ZIP 2004, 2032, 2034. 183 BGH vom 19.11.1982, GRUR 1983, 179, 181 – Stapel-Automat; Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, S. 444 f.; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 8 Rn. 2.19.
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§ 9. Verantwortlichkeit
teilen« als Folge einer unerlaubten Handlung konnte der BGB-Gesetzgeber in Ermangelung einer speziellen Abschöpfungshaftung nicht bedenken. Weil ein korporativ verfasstes Unternehmen erst durch natürliche Personen handlungsfähig ist, muss es – sozusagen als Kehrseite der Medaille – für das Handeln dieser Personen in gleicher Weise verantwortlich sein wie eine natürliche Person184. Dies kann sogar für strafrechtliche Sanktionen gelten185. b) »Fiktionshaftung« für mangelhafte Organisation Eng verbunden mit der Ausweitung des Kreises der Repräsentanten, für deren Handlungen die Korporation haftet, ist ein zweiter, dogmatisch allerdings abweichender Ansatz der Rechtsprechung186. Die Verantwortlichkeit der Korporation kann sich daraus ergeben, dass eine Person eine unerlaubte Handlung begangen hat, die nicht als Organ oder Repräsentant anzusehen ist, aber eine Tätigkeit ausgeführt hat, die »an sich« zum Aufgabenkreis eines Organs oder Repräsentanten gehört. Die Rechtsprechung erblickt hierin eine fehlerhafte Organisation, die eine »Fiktionshaftung«187 zur Folge hat. Schon das Reichsgericht hatte zu erkennen gegeben, dass diese Konstruktion vor allem dem Zweck dient, die verfehlte Entlastungsmöglichkeit nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB auszuschalten188. Die Rechtsprechung bejaht einen Organisationsmangel und ein Verschulden der verfassungsmäßigen Vertreter der juristischen Person, wenn nicht für die Bestellung eines besonderen Vertreters im Sinne des § 30 BGB gesorgt werde, sobald der Vorstand nicht in der Lage sei, den Verpflichtungen zu genügen, denen eine juristische Person durch ihren Vorstand nicht wie eine andere Person nachkommen könne. Die Sachlage könne dann, je nach der Art des Geschäftskreises, so sein, dass die juristische Person ihren Pflichten nicht genügt durch Bestellung geeigneter Personen, für die sie sich nach § 831 BGB entlasten könne. Die tatsächlichen Umstände des täglichen Lebens, insbesondere des wirtschaftlichen Verkehrs, könnten es vielmehr mit sich bringen, dass ein solcher Vertreter bestellt werden muss, für den eine Entlastung nicht möglich sei189. Mithilfe dieser »Fiktionshaftung« hat die Rechtsprechung eine Verantwortlichkeit beispielsweise in Fällen begründet, in denen Veröffentlichungen in Massenmedien nicht oder nur unzureichend auf etwaige rechtswidrige Inhalte überprüft wurden und es dadurch zu Rechtsverletzungen kam. Im Hinblick auf die Schwere der Gefahren, die rechtswidrige druckschriftliche Veröffentlichungen für das Ansehen, den Kredit und die gewerbliche Tätigkeit der von ihnen betroffenen Personen in sich bergen, müsse durch ausreichende organisatorische Maßnahmen dafür Sorge getragen werden, dass solche Eingriffe in
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Reuter, in: Münchener Kommentar, BGB, § 31 Rn. 2 m.w.Nachw. Vgl. BVerfG vom 25.10.1966, BVerfGE 20, 323, 336. 186 Reuter, in: Münchener Kommentar, BGB, § 31 Rn. 7 spricht von beliebig gegeneinander austauschbaren Konstruktionen. 187 BGH vom 8.7.1980, GRUR 1980, 1099, 1104 – Das Medizinsyndikat II. 188 RG vom 9.3.1938, RGZ 157, 228, 235. 189 RG vom 9.3.1938, RGZ 157, 228, 235. 185
C. Verantwortlichkeit für Dritte
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fremde Rechtssphären nach Möglichkeit unterbleiben190. Diese Verpflichtung bestehe vor allem, wenn mit den Veröffentlichungen ein »heißes Eisen« angefasst werde191. Daher stellt es beispielsweise einen Organisationsmangel dar, wenn zu veröffentlichende Beiträge überhaupt nicht von den Geschäftsführern oder von Sonderorganen auf ihren Inhalt überprüft werden192 oder wenn die inhaltliche Prüfung durch einen Leiter der Rechtsabteilung erfolgt, dem keine Organstellung im Sinne von § 31 BGB eingeräumt wurde193. Auch die Übertragung der inhaltlichen Prüfung auf einen externen Rechtsanwalt genügt nach der Rechtsprechung nicht: Grundsätzlich müsse der Herausgeber und Verleger einen besonders gefährlichen Beitrag entweder selbst überprüfen oder dem damit beauftragten Dritten Organstellung im Sinne von §§ 30, 31 BGB verschaffen, sodass er für sein Verschulden ohne Entlastungsmöglichkeit einzustehen habe. Ziehe er zu dieser Aufgabe gleichwohl eigene Mitarbeiter ohne solche Organstellung oder einen seinem Unternehmen nicht angehörenden Rechtsanwalt hinzu, so könne er sich dadurch haftungsrechtlich von deren Verschulden nicht freizeichnen, sondern müsse sich so behandeln lassen, als habe er den Beauftragten Organstellung eingeräumt194.
Die genannten Entscheidungen sind zwar zu Verletzungen des Persönlichkeitsrechts ergangen, jedoch dürften die gleichen Maßstäbe für sonstige rechtswidrige Inhalte (insbesondere für rechtswidrige Werbung) gelten, zumal die Rechtsprechung den Gedanken der »Fiktionshaftung« für Organisationsmängel in den verschiedensten Konstellationen zur Anwendung gebracht hat195. In der Sache läuft die Rechtsprechung auf eine offene Korrektur des § 831 BGB hinaus, indem der dezentralisierte Entlastungsbeweis rückgängig gemacht und eine generelle Verantwortlichkeit für Personen begründet wird, die in der Korporation geschäftsführender oder in einer vergleichbar leitenden Funktion tätig werden196. Die »Fiktionshaftung« kann damit zwar zu sachgerechten Ergebnissen führen, sieht sich aber in der Begründung vielfältiger Kritik ausgesetzt197. 3. Geschäftsherrnhaftung gemäß § 831 BGB a) Dogmatische Konstruktion § 831 BGB begründet eine eigenständige Haftung des Geschäftsherrn für den Fall, dass der von ihm bestellte Gehilfe einem Dritten in Ausführung der Verrichtung widerrechtlich einen Schaden zufügt. Die Vorschrift ist »eine der wichtigsten Vorschriften des bürgerlichen Rechts und doch nur eine stumpfe Waffe«198. 190
BGH vom 10.5.1957, BGHZ 24, 200, 213 – Spätheimkehrer. BGH vom 5.3.1963, BGHZ 39, 124, 130 – Fernsehansagerin; BGH vom 8.7.1980, GRUR 1980, 1099, 1104 – Das Medizinsyndikat II. 192 BGH vom 5.3.1963, BGHZ 39, 124, 130 – Fernsehansagerin. 193 BGH vom 10.5.1957, BGHZ 24, 200, 213 – Spätheimkehrer. 194 BGH vom 8.7.1980, GRUR 1980, 1099, 1104 – Das Medizinsyndikat II. 195 Siehe etwa den Überblick bei Hadding, in: Soergel, BGB, § 31 Rn. 16. 196 Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 823 Rn. 384. 197 Dazu im Einzelnen Hadding, in: Soergel, BGB, § 31 Rn. 17 und Reuter, in: Münchener Kommentar, BGB, § 31 Rn. 8 f. 198 Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 1662. 191
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§ 9. Verantwortlichkeit
Denn gemäß § 831 Abs. 1 S. 2 BGB tritt die Ersatzpflicht nicht ein, »wenn der Geschäftsherr bei der Auswahl der bestellten Person und, sofern er Vorrichtungen oder Gerätschaften zu beschaffen oder die Ausführung der Verrichtung zu leiten hat, bei der Beschaffung oder der Leitung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde«. Die gleiche Verantwortlichkeit wie den Geschäftsherrn trifft gemäß § 831 Abs. 2 BGB »denjenigen, welcher für den Geschäftsherrn die Besorgung eines der im Absatz 1 S. 2 bezeichneten Geschäfte durch Vertrag übernimmt«. § 831 BGB basiert auf dem deliktischen Prinzip der Haftung für persönliches Fehlverhalten199. Dogmatisch handelt es sich um eine Haftung, die auf einer doppelten Vermutung beruht: Vermutet wird zum einen die Pflichtverletzung des Geschäftsherrn, zum anderen dessen Verschulden200. Die Geschäftsherrnhaftung gemäß § 831 BGB wird heute wohl allgemein als verfehlt angesehen201. Die praktische Anwendung der Norm bzw. ihre mehr oder weniger offene Umgehung ist von dem Bemühen geprägt, den gesetzlich vorgesehenen Regelungsmechanismus zu korrigieren. Darin kommt der »Unwille zum Ausdruck, es dem Geschäftsherrn als Nutznießer arbeitsteiliger Strukturen bei Schädigungen aus diesem Bereich zu ermöglichen, die Verantwortlichkeit zum Nachteil des Geschädigten von sich zu weisen«202. b) Voraussetzungen der Haftung für Verrichtungsgehilfen aa) Begriff des Verrichtungsgehilfen Als Verrichtungsgehilfen, für die der Geschäftsherr gemäß § 831 BGB einzustehen hat, sind nicht alle Personen anzusehen, die Erfüllungsgehilfen im Sinne des § 278 BGB sind. Es besteht auch keine Deckungsgleichheit zwischen Verrichtungsgehilfen und den Mitarbeitern und Beauftragten im Sinne von § 8 Abs. 2 UWG203. Für die Qualifikation als Verrichtungsgehilfe kommt es nach der Rechtsprechung maßgeblich auf die Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit der eingesetzten Person an. Verrichtungsgehilfe ist, wem von dem Geschäftsherrn, in dessen Einflussbereich er allgemein oder im konkreten Fall tätig ist und zu dem er in einer gewissen Abhängigkeit steht, eine Tätigkeit übertragen 199
Brüggemeier, Haftungsrecht, A I 2, S. 121. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 79 III 1 a, S. 475. 201 Deutlich und treffend etwa die Einschätzung durch von Caemmerer, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des DJT, S. 49, 115 = Gesammelte Schriften, Bd. I, S. 529: »Die Regelung der Haftung für Verrichtungsgehilfen im deutschen Recht der unerlaubten Handlungen (§ 831 BGB) hat sich in der Praxis als mißlungen erwiesen«. Zur Beurteilung durch die ökonomische Analyse des Rechts Lehmann, Bürgerliches Recht und Handelsrecht – eine juristische und ökonomische Analyse, S. 93 ff. Zu Reformbemühungen Belling/Eberl-Borges, in: Staudinger, BGB, § 831 Rn. 131 ff. und Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 831 Rn. 3 ff. 202 Krause, in: Soergel, BGB, § 831 Rn. 4. 203 BGH vom 29.6.1956, NJW 1956, 1715. 200
C. Verantwortlichkeit für Dritte
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wurde204. Das Weisungsrecht des Geschäftsherrn gegenüber dem Verrichtungsgehilfen braucht nicht ins Einzelne zu gehen. Es genügt, wenn der Geschäftsherr die Tätigkeit des Handelnden jederzeit beschränken oder entziehen oder nach Zeit und Umfang bestimmen kann205. Als Verrichtungsgehilfen hat die Rechtsprechung beispielsweise einen »Testesser« im Verhältnis zum Verleger eines Restaurantführers angesehen, selbst wenn dieser »Testesser« als freier Mitarbeiter tätig ist206. bb) Schädigung bei Ausführung der Verrichtung Die Haftung des Geschäftsherrn beschränkt sich auf schädigende Handlungen des Gehilfen, die dieser »in Ausführung der Verrichtung« einem Dritten zufügt. Damit kommt zum Ausdruck, dass der Geschäftsherr nicht für jegliches Fehlverhalten des Gehilfen einzustehen hat, sondern nur für schädigende Verhaltensweisen, die in einem Zusammenhang mit der übertragenen Aufgabe stehen. Die Einstandspflicht des Geschäftsherrn für eigenmächtiges Verhalten seines Gehilfen ist danach zu verneinen, wenn dessen Verfehlung sich von dem ihm übertragenen Aufgabenbereich so weit entfernt, dass aus der Sicht eines Außenstehenden ein innerer Zusammenhang zwischen dem Handeln der Hilfsperson und dem allgemeinen Rahmen der ihr übertragenen Aufgaben nicht mehr zu erkennen ist. Das ist insbesondere anzunehmen, wenn der Gehilfe rein zufällig mit den Rechtsgütern des Geschädigten in einer Weise in Berührung gekommen ist, die ihm lediglich die Gelegenheit bot, wie ein deliktisch handelnder Dritter eine von den ihm übertragenen Aufgaben völlig losgelöste unerlaubte Handlung zu begehen207. cc) Entlastungsbeweis Eingeschränkt wird die Haftung des Geschäftsherrn durch die Möglichkeit des Entlastungsbeweises. Erfüllt der Geschäftsherr die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten, dann ist die Vermutung des pflichtwidrigen Verhaltens widerlegt und der Geschäftsherr haftet für das Fehlverhalten seines Gehilfen nicht. Die Rechtsprechung stellt hierbei allerdings »hohe Anforderungen«208, die letztlich dem Ziel dienen, eine allzu leichte »Enthaftung« des Geschäftsherrn zu verhindern209. Die Sorgfaltspflichten des Geschäftsherrn ergeben sich aus § 831 Abs. 1 S. 2 BGB; darüber hinaus geht die Rechtsprechung von einer fortlaufenden Überwachungspflicht des Geschäftsherrn aus. Maß und Umfang der Pflichten des Ge204 BGH vom 12.6.1997, GRUR 1998, 167, 169 – Restaurantführer; BGH vom 12.6.1997, NJWRR 1998, 250, 251 f. 205 BGH vom 30.6.1966, BGHZ 45, 311, 313; BGH vom 12.6.1997, GRUR 1998, 167, 169 – Restaurantführer; BGH vom 12.6.1997, NJW-RR 1998, 250, 251 f. 206 BGH vom 12.6.1997, GRUR 1998, 167, 169 – Restaurantführer. 207 St. Rspr., siehe nur BGH vom 4.11.1953, BGHZ 11, 151, 153 ff.; BGH vom 24.6.1958, NJW 1958, 1774, 1775; BGH vom 6.10.1970, NJW 1971, 31, 32; BGH vom 14.2.1989, NJW-RR 1989, 723, 725. 208 BGH vom 12.6.1997, GRUR 1998, 167, 169 – Restaurantführer; zu den Einzelheiten Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 831 Rn. 32 ff. 209 Dazu sehr kritisch Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 79 III 5 c, S. 483.
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§ 9. Verantwortlichkeit
schäftsherrn zur Auswahl, Überwachung und Leitung von Verrichtungsgehilfen beurteilt die Rechtsprechung nicht nach starren Regeln, sondern unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung und unter Würdigung der Besonderheiten des Falles210. In Großbetrieben hat die Rechtsprechung den so genannten dezentralisierten Entlastungsbeweis anerkannt, da es dem Geschäftsherrn nicht zuzumuten sei, dass er das gesamte Personal auswähle und beaufsichtige. Wenn eine Mehrheit von Personen nachgeordnet beschäftigt werde, dann richte sich der Sorgfaltsbeweis des Geschäftsherrn auf die Auswahl und Beaufsichtigung des von ihm ausgewählten höheren Angestellten211. Für Kartellrechtsverstöße wird die Auffassung vertreten, dass der dezentralisierte Entlastungsbeweis nicht anzuwenden ist212. Üblicherweise schließe ein weisungsabhängiger Angestellter nicht ohne Wissen der Unternehmensleitung, sondern auf entsprechende Anweisung Kartellverträge; sofern er doch eigenmächtig handelt, lasse dies auf eine mangelnde betriebliche Kontrolle schließen, sodass der dezentralisierte Entlastungsbeweis nicht gerechtfertigt sei213. Für eine solche Einschränkung besteht indessen kein Bedarf, weil § 831 BGB im Kartellrecht keine Bedeutung zukommt. c) Anwendbarkeit bei Schadensersatzansprüchen Die Anwendung von § 831 BGB auf lauterkeitsrechtliche und kartellrechtliche Sachverhalte ist allgemein anerkannt214. Bei genauerer Betrachtung ist der Anwendungsbereich der Norm allerdings sehr eingeschränkt und praktisch wichtige Fälle können mit § 831 BGB nicht erfasst werden. Im Kartellrecht wird § 831 BGB kaum jemals zur Anwendung kommen. Denn Kartellrechtsverstöße, beispielsweise der Abschluss von Kartellvereinbarungen, die Belieferung oder Nichtbelieferung von anderen Unternehmen mit Waren, eine missbräuchliche Preisgestaltung und dergleichen, betreffen typischerweise grundlegende Fragen der Geschäftspolitik eines Unternehmens. Solche Entscheidungen werden im Allgemeinen von Personen mit einem gewissen Entscheidungsspielraum in verantwortlicher Leitungsposition getroffen, mithin von Organen oder Repräsentanten. Sofern dies ausnahmsweise nicht der Fall sein sollte, greifen die Grundsätze der »Fiktionshaftung«, da kartellrechtsrelevante Entscheidungen aufgrund ihrer Tragweite regelmäßig von Organen oder Repräsentanten getroffen werden müssen. 210 Siehe nur BGH vom 30.1.1996, NJW-RR 1996, 867, 868; BGH vom 14.7.1987, NJW 1987, 1469, 1470. 211 BGH vom 25.10.1951, BGHZ 4, 1, 2; zweifelnd aber BGH vom 17.10.1968, NJW 1968, 247, 248. 212 Mailänder, Privatrechtliche Folgen unerlaubter Kartellpraxis, S. 178 f.; Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 133. 213 Mailänder, Privatrechtliche Folgen unerlaubter Kartellpraxis, S. 178 f.; Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 133. 214 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 23; BGH vom 5.10.1979, GRUR 1980, 116, 117 f. – Textildrucke; BGH vom 12.6.1997, GRUR 1998, 167, 169 – Restaurantführer.
C. Verantwortlichkeit für Dritte
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Unlautere Handlungen werden dagegen oft von Verrichtungsgehilfen ausgeführt, doch wird eine Schadensersatzhaftung dann zumeist schon aus einer Täterschaft oder Teilnahme des Handelnden folgen. Wenn beispielsweise ein Geschäftsführer einem Angestellten die Weisung zu einer unlauteren Handlung erteilt, die von dem Angestellten sodann weisungsgemäß ausgeführt wird, dann haftet der Geschäftsführer als (Mit-)Täter gemäß § 830 Abs. 1 S. 1 BGB oder zumindest als Teilnehmer (Anstifter) gemäß § 830 Abs. 2 BGB. Für die unerlaubte Handlung des Geschäftsführers haftet wiederum das Unternehmen analog § 31 BGB. Einer Heranziehung von § 831 BGB bedarf es nicht. Es verbleiben damit die eher seltenen Fälle eigenmächtiger unlauterer Handlungen. Der rechtlichen Ausgestaltung und Begründung der Geschäftsherrnhaftung gemäß § 831 BGB wird im Zusammenhang mit wettbewerbswidrigen Handlungen oft nur wenig Aufmerksamkeit zuteil. Dies ist verwunderlich, weil die Heranziehung von § 831 BGB keineswegs »reibungslos« möglich ist. Erstens ist problematisch, dass die Schadensersatzhaftung des Geschäftsherrn bei Einschaltung von weisungsabhängigen Personen aus dem UWG und GWB zurück in das BGB verlagert wird. Denn § 831 BGB beinhaltet keine Verhaltenszurechnungsnorm, sondern einen eigenständigen Haftungstatbestand. Dies führt zu einem systematisch wenig befriedigenden Nebeneinander von sonderdeliktischer Haftung des Ausführenden nach UWG oder GWB und deliktischer Haftung des Geschäftsherrn nach bürgerlichem Recht. Dabei muss verhindert werden, dass der Anspruch gegen den Geschäftsherrn aus § 831 BGB hinsichtlich der Verjährung und der Gerichtszuständigkeit abweichenden Regelungen unterliegt. Die Sondervorschriften des UWG und GWB müssen daher auf § 831 BGB analog angewendet werden. Zweitens basiert die Haftung des Geschäftsherrn nicht unmittelbar auf der vom Gehilfen begangenen rechtswidrigen Handlung, sondern auf einer eigenständigen Pflichtwidrigkeit des Geschäftsherrn. Dessen Haftung wird ausgelöst durch eine vermutete Verletzung der Pflicht zur sorgfältigen Auswahl, Leitung, Überwachung und Instruktion des Gehilfen. Die Begründung der Haftung verschiebt sich damit von den Verhaltenspflichten im Wettbewerb, deren Verletzung den eigentlichen Gegenstand der lauterkeitsrechtlichen und kartellrechtlichen Sanktionierung bildet, hin zu innerbetrieblichen Organisations- und Überwachungspflichten. Um eine Schadensersatzhaftung des Geschäftsherrn nach § 831 BGB begründen zu können, müssen also die lauterkeitsrechtlichen Ge- und Verbote gleichsam in unternehmensinterne Verkehrspflichten des Geschäftsherrn transformiert werden. Damit wird die Pflichtverletzung des Geschäftsherrn zu einer mittelbaren Verletzung215 des Betroffenen im Wettbewerb. Aus dem Verbot, irreführend zu werben, wird auf diese Weise beispielsweise die Pflicht, durch geeignete Maßnahmen zu verhindern, dass ein weisungsabhängig Beschäftigter, etwa ein Mitarbeiter der Werbeabteilung des Unternehmens, irreführend wirbt.
215
Vgl. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 79 III 1 a, S. 475.
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§ 9. Verantwortlichkeit
Drittens versagt § 831 BGB bei dem Einsatz selbstständiger Dritter, da es bei diesen an der Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit fehlt. Deswegen ist beispielsweise eine Werbeagentur kein Verrichtungsgehilfe im Sinne dieser Vorschrift. Um eine Haftung des Unternehmens für das Handeln eine Werbeagentur zu begründen, die für dieses Unternehmen etwa eine Werbekampagne entwirft, bedarf es rechtlicher Kunstgriffe: In einem vom OLG Frankfurt entschiedenen Fall216 hatte die Beklagte in einer Werbeanzeige die im Rahmen eines Ratenkaufs zu erbringenden Monatsraten viel zu niedrig angegeben. Dies war auf einen Fehler der beauftragten Werbeagentur zurückzuführen, die einen falschen Textbaustein verwendet hatte. Der Fehler war in den vom Auftraggeber kontrollierten Korrekturabzügen nicht bemerkt worden, weil der fehlende Textbaustein (ein so genannter »Finanzierungsklinker«) erst bei Drucklegung eingesetzt werden sollte. Die im Streitfall gegebene Fahrlässigkeit der in der Werbeagentur tätigen Personen konnte dem Auftraggeber nicht zugerechnet werden und die Werbeagentur war nicht als Verrichtungsgehilfe anzusehen. Obgleich im Ergebnis nicht zweifelhaft sein kann, dass der Auftraggeber für seine Werbung verantwortlich ist, auch wenn diese von einer Werbeagentur entworfen wird, bereitet die rechtliche Begründung bemerkenswerte Schwierigkeiten. Das OLG Frankfurt sah sich im Beispielsfall gezwungen, eine spezielle Pflicht des Auftraggebers zu konstruieren, nämlich die Pflicht, sich die Korrekturabzüge der Werbung so vorlegen zu lassen, wie sie tatsächlich erscheinen wird (also einschließlich des noch zu ergänzenden Textbausteins)217. Erst aufgrund dieser Pflichtverletzung vermochte das Gericht sodann eine Haftung des Unternehmensinhabers und damit auch des Unternehmens zu begründen. Das Beispiel zeigt, wie mühsam es ist, trotz der klar auf der Hand liegenden Sorgfaltspflichtverletzung eine Haftung des Unternehmens zu begründen, dessen Werbung im Wettbewerb als irreführend in Erscheinung getreten ist. Der Ausweg des Gerichts bestand darin, spezielle Organisations- und Überwachungspflichten zu konstruieren, deren Verletzung als eigenständige unlautere Handlung angesehen wird. Dieses Vorgehen entspricht exakt der Verlagerung der Unternehmenshaftung von § 831 BGB nach § 823 BGB218. Die Konstruktion spezieller Pflichten kann allenfalls eine »Notlösung« sein, um ungerechtfertigte Haftungslücken zu vermeiden. Sachdienlicher ist es, das Übel an der Wurzel zu packen und nach Zurechungsnormen zu suchen219.
d) Keine Anwendbarkeit bei Abschöpfungsansprüchen Nicht anwendbar ist § 831 BGB auf Abschöpfungsansprüche220. Da § 831 BGB keine Haftungszurechnung ermöglicht, ist danach zu fragen, ob durch eine analoge Anwendung von § 831 BGB eine Gewinnabschöpfung oder eine Vorteilsabschöpfung gegenüber dem Geschäftsherrn begründet werden kann, wenn ein 216
OLG Frankfurt vom 31.8.2006, GRUR 2007, 612 – Finanzierungsklinker. OLG Frankfurt vom 31.8.2006, GRUR 2006, 612 f. – Finanzierungsklinker. 218 Dazu sogleich unter 4. b), S. 657 f. 219 Dazu unter II. 3., S. 663 ff. 220 Mit Einschränkungen ebenso Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 51; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 228 ff. Anders Koch, in: Ullmann, jurisPK-UWG, § 10 Rn. 6; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 16; Neuberger, Der wettbewerbsrechtliche Gewinnabschöpfungsanspruch im europäischen Rechtsvergleich, S. 116. 217
C. Verantwortlichkeit für Dritte
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Verrichtungsgehilfe bei einer unlauteren oder kartellrechtswidrigen Handlung zum Einsatz kommt und der Geschäftsherr hiervon wirtschaftlich profitiert. Im Regelfall fehlt es schon an der für eine Analogie notwendigen Regelungslücke. Wenn beispielsweise der Geschäftsherr seinen Verrichtungsgehilfen die Anweisung erteilt, eine unlautere Handlung zu begehen, durch die der Geschäftsherr sodann einen Gewinn erzielt, dann unterliegt der Geschäftsherr als Anstifter oder (Mit-)Täter auch ohne § 831 BGB der Abschöpfungshaftung221. Soweit ein solcher Fall nicht vorliegt, bestehen trotz struktureller Ähnlichkeiten zwischen der Schadensersatz- und Abschöpfungshaftung gegen eine analoge Anwendung von § 831 BGB Bedenken. Die Haftung des Geschäftsherrn gemäß § 831 BGB beruht auf der vermuteten Pflichtverletzung und knüpft damit an eine sorgfaltswidrige Handlung an, bei der in der Regel der Vorwurf eines fahrlässigen Verhaltens im Raum steht. Damit ist der auf vorsätzliches Verhalten ausgerichtete Abschöpfungsanspruch nicht kompatibel. Ein Unternehmer, dem bei der Auswahl, Überwachung und Anleitung des Gehilfen ein fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen ist, kann nicht einer Abschöpfungshaftung unterliegen, weil damit das vom Gesetzgeber bewusst aufgestellte Erfordernis vorsätzlichen Handelns umgangen und die Abschöpfung für fahrlässige Handlungen geöffnet würde222. Zum Teil wird deswegen im Schrifttum gefordert, es müsse eine vorsätzliche Handlung des Geschäftsherrn vorliegen, die etwa dann anzunehmen sein soll, wenn der Geschäftsherr zwar Hinweise auf mögliche (künftige) Wettbewerbsverstöße habe, diesen aber nicht nachgehe und so im Sinne eines bewussten Ignorierens die Augen verschließe223. Doch auch das genügt nicht. Entscheidend muss es darauf ankommen, ob der Gehilfe vorsätzlich gehandelt hat, denn anderenfalls würde wiederum das Vorsatzerfordernis des Haftungstatbestandes umgangen224. Zudem »passt« das gesamte Regelungskonzept des § 831 BGB auf Abschöpfungsansprüche nicht. Die Verhaltenspflicht des Geschäftsherrn, die eine Haftung nach § 831 BGB begründet, ist inhaltlich nicht mit der Zuwiderhandlung deckungsgleich, die – wenn nicht der Gehilfe, sondern der Geschäftsherr selbst gehandelt hätte – zur Bereicherung des Geschäftsherrn führt. Vielmehr ist die Erzielung des unrechtmäßigen Gewinns oder Vorteils allenfalls eine mittelbare Folge der mangelhaften Auswahl oder Überwachung des Verrichtungsgehilfen. Gegen eine analoge Anwendung von § 831 BGB spricht schließlich, dass die Norm allgemein als rechtspolitisch verfehlt angesehen wird. Eine Analogie ist nur dann zu befürworten, wenn der analog anzuwendenden Vorschrift überzeu221
Siehe oben A. II., S. 616 ff. Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 51; Pokrant, in: Festschrift für Ullmann, S. 813, 821 f.; von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 230; vgl. dazu auch Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 79 III 2 c, S. 479. 223 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 51. 224 Vgl. BGH vom 29.6.1956, NJW 1956, 1715; BGH vom 28.2.1989, WM 1989, 1047, 1050; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 79 III 2 c, S. 479 zur Parallelproblematik bei § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB. 222
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§ 9. Verantwortlichkeit
gende Wertungen zugrunde liegen und wenn die Vorschrift einen leistungsfähigen Regelungsmechanismus bereithält. Beides kann man von § 831 BGB nicht behaupten. Die Entwicklungstendenzen belegen im Gegenteil das Bemühen, die misslungene Regelung des § 831 BGB zu umgehen und den verbleibenden Anwendungsbereich der Vorschrift möglichst zurückzuschneiden. Angesichts dessen wäre es sachwidrig, dem verfehlten § 831 BGB im Rahmen der Abschöpfungsansprüche einen neuen Anwendungsbereich zu verschaffen und damit zugleich die Problematik der unzureichend ausgestalteten Gehilfenhaftung auf § 10 UWG und § 34a GWB zu übertragen. 4. Ergänzende Regelungen Neben den bereits erwähnten Modifikationen bei Anwendung der §§ 31, 831 BGB gibt es weitere Entwicklungstendenzen, die faktisch zu einer Ausweitung der deliktischen Verantwortlichkeit von Unternehmen führen können. a) »Flucht« in die vertragliche und quasi-vertragliche Haftung Vielfach wird eine Haftung, um die Unzulänglichkeiten des Deliktsrechts zu umgehen, in das Vertragsrecht verlagert225. Das hat für den hier interessieren Aspekt der Verantwortlichkeit für Dritte226 den gewichtigen Vorteil, dass statt der problembelasteten Geschäftsherrnhaftung gemäß § 831 BGB die Zurechnungsnorm des § 278 BGB eingreift und damit für Unternehmen gerade die uneingeschränkte Verantwortlichkeit für den Einsatz von Dritten begründet wird, die im Deliktsrecht so nicht vorgesehen ist. Unabhängig davon, ob man einer derartigen »Flucht in das Vertragsrecht«227 kritisch oder wohlwollend gegenübersteht, sind einem solchen Vorgehen bei unlauteren oder kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen naturgemäß sehr enge Grenzen gesteckt. Zwischen konkurrierenden Unternehmen im Wettbewerb bestehen im Normalfall gerade keine Pflichten aus einem vertraglichen oder vertragsähnlichen Schuldverhältnis. Zu Recht vereinzelt geblieben ist die Annahme, bereits das »Wettbewerbsverhältnis« zwischen Konkurrenten begründe ein Schuldverhältnis sui generis, innerhalb dessen § 278 BGB Anwendung finde228. Das ist schon deswegen unhaltbar, weil das »Wettbewerbsverhältnis« nicht mehr als eine rechtliche Fiktion ist, aber nicht im Mindesten als ein Schuldverhältnis oder als ein schuldvertragsähnliches Verhältnis angesehen werden kann. Wenn Gegenstand dieses »Schuldverhältnisses« der Anspruch eines Unternehmers gegen jeden Konkurrenten sein
225 Brüggemeier, Haftungsrecht, § 3 A III 4, S. 135 f.; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 79 III 5 a), S. 482 f.; Wagner, Deliktsrecht, Rn. 307 ff. 226 Zu weiteren Gründen für eine Ausweitung des Vertragsrechts siehe Brüggemeier und Wagner in der vorherigen Fn. 227 Brüggemeier, Haftungsrecht, § 3 A III 4, S. 135. 228 Friedrich, WRP 1976, 339, 442.
C. Verantwortlichkeit für Dritte
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soll, unlauteren Wettbewerb zu unterlassen229, dann ließe sich letztlich jede (sonder-)deliktische Verhaltenspflicht beliebig in ein vertragsähnliches Schutzverhältnis umdeklarieren. Eine solche Sichtweise würde die zentrale Unterscheidung zwischen Vertragsrecht und Deliktsrecht infrage stellen und damit grundlegende Strukturelemente der deutschen Rechtsordnung ohne Not einreißen. b) Unternehmerische Organisationspflichten Abgesehen von der bereits erwähnten »Fiktionshaftung« für Organisationsmängel, hat die Rechtsprechung vielfach und in den unterschiedlichsten Zusammenhängen die Deliktshaftung von § 831 BGB auf § 823 BGB verlagert230. Hierbei handelt es sich um eine im Detail äußerst vielschichtige und komplexe Entwicklungstendenz, die oft, in der Sache aber ungenau231, unter dem Schlagwort des Organisationsverschuldens zusammengefasst wird232. Im Kern beruht diese Entwicklung auf folgender Überlegung233: Man kann davon ausgehen, dass der Inhaber eines Unternehmens organisatorische Vorkehrungen ergreifen kann, um schuldhafte Pflichtverletzungen seiner Mitarbeiter oder Fehler in den betrieblichen Abläufen zu verhindern. Kommt es gleichwohl zu einem Schadensfall, dann bereitet es im Nachhinein nur wenige Schwierigkeiten, eine Maßnahme zu benennen, die den Schadenseintritt verhindert hätte. Auf deren Unterbleiben wird dann die Haftung des Unternehmens gestützt. Der Unternehmer haftet also, wenn diejenigen Maßnahmen unterbleiben, »die die Gewähr für eine ordentliche Betriebsführung bieten«234. Der Gesichtspunkt einer »richtigen« Organisation innerbetrieblicher Abläufe zur Vermeidung wettbewerbswidriger Handlungen wird auch von der Rechtsprechung zur Begründung einer Verantwortlichkeit herangezogen. Die Konfitüre-Entscheidung betraf beispielsweise eine fehlerhafte Preisauszeichnung235. Ein in Postwurfsendungen beworbenes Produkt wurde mit einem anderen Preis beworben als dem im Laden tatsächlich ausgezeichneten Preis. Die Rechtsprechung sah die beklagte Unternehmensinhaberin als verpflichtet an, die Leiter ihrer Selbstbedienungsmärkte anzuweisen, dafür Sorge zu tragen, dass jeweils anhand der Werbung vor Inkrafttreten der Preisänderung die Preisauszeichnung an der Ware auf Übereinstimmung geprüft wird236. Keine fehlerhafte Organisation liegt jedoch vor, wenn eine beworbene Ware aus vom Unternehmer nicht zu vertretenden Umständen nicht vorrätig gehalten werden kann. Denn es ist bekannt, dass auch im kaufmännischen Verkehr beim Bezug von Waren gelegentlich Umstände eintreten können, die eine rechtzeitige Bereitstellung ver229
So Friedrich, WRP 1976, 339, 440. Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 823 Rn. 380 f. 231 Denn es geht weniger um Verschuldensfragen als um die Konkretisierung deliktischer Sorgfaltspflichten, siehe nur Wagner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 823 Rn. 381. 232 Eingehend Matusche-Beckmann, Das Organisationsverschulden, 2001. 233 Siehe nur Matusche-Beckmann, Das Organisationsverschulden, S. 2. 234 BGH vom 25.10.1951, BGHZ 4, 1, 3. 235 BGH vom 30.3.1988, GRUR 1988, 629 – Konfitüre. 236 BGH vom 30.3.1988, GRUR 1988, 629, 630 – Konfitüre. 230
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hindern können, deren Eintritt aber im Zeitraum der Werbung auch bei Anwendung der im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt nicht vorherzusehen ist237.
Matusche-Beckmann will eine allgemeine Organisationspflicht im Wettbewerb annehmen, wonach jeder Mitbewerber gehalten sei, durch eine entsprechende Organisation der von ihm beeinflussbaren Rechtssphäre Verstöße gegen das UWG zu verhindern238. Der dogmatische »Vorteil« einer Haftung für fehlerhafte Organisation besteht darin, dass die Zurechnungsproblematik schlicht umgangen wird, indem das haftungsbegründende Verhalten direkt auf den Unternehmensinhaber zurückgeführt wird oder auf Organe bzw. Repräsentanten des Unternehmens, deren deliktisches Verhalten dann dem Unternehmensinhaber ohne Entlastungsmöglichkeit zugerechnet wird. Die Crux dieser Haftungsbegründung liegt jedoch in der Verlagerung des haftungsauslösenden Verhaltens in die unternehmensinterne Sphäre. Diese Verlagerung wird spätestens dann Schwierigkeiten bereiten, wenn der Haftungstatbestand, wie im Lauterkeitsrecht, ein spezielles Verhalten verlangt. Grundvoraussetzung für die Anwendung des Lauterkeitsrechts ist das Vorliegen einer geschäftlichen Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG, also einer Handlung, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen steht. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass die fehlerfreie Organisation des Unternehmens diesen unmittelbaren Zusammenhang aufweist. Vielmehr ist anerkannt, dass eine geschäftliche Handlung nicht vorliegt, wenn es an einer marktbezogenen Außenwirkung dieses Verhaltens fehlt.
II. § 8 Abs. 2 UWG als lauterkeitsrechtlicher Zurechnungstatbestand Eine spezielle Regelung zur Zurechnung des Verhaltens Dritter enthält im Lauterkeitsrecht § 8 Abs. 2 UWG. Dem Wortlaut nach ist eine Anwendung dieser Vorschrift auf Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche ausgeschlossen. Allerdings bleibt zu fragen, ob die der Vorschrift zugrunde liegenden Wertungen nicht auf Ansprüche aus § 9 S. 1 und § 10 Abs. 1 UWG übertragen werden können. 1. Entstehung § 8 Abs. 2 UWG entspricht in sprachlich modernisierter Form § 13 Abs. 4 UWG a.F. Der Gesetzgeber beabsichtigte keine sachlichen Änderungen der Rechtslage und stellte in den amtlichen Materialien klar, dass § 8 Abs. 2 UWG nur für die Ansprüche aus Absatz 1 gelten solle239. Die Ursprünge der Vorschrift liegen in der Neufassung des UWG im Jahre 1909. Die Reichstagsvorlage enthielt in § 2 folgende Regelung: 237
BGH vom 27.5.1982, GRUR 1982, 681, 682 – Skistiefel. Matusche-Beckmann, Das Organisationsverschulden, S. 329. Ganz ähnlich bereits Kohler, Der unlautere Wettbewerb, S. 289: »Der Inhaber des Geschäfts hat die nötige Vorkehrung zu treffen, damit die Angestellten keine Handlungen des unlauteren Wettbewerbs begehen«. 239 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 22. 238
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»Werden die im § 1 Abs. 1 bezeichneten unrichtigen Angaben in einem geschäftlichen Betriebe von einem Angestellten oder Beauftragten gemacht, so ist der Unterlassungsanspruch auch gegen den Inhaber dieses Betriebs begründet«240. Zur Begründung heißt es: »Für die zivilrechtliche Vertretungspflicht kommt gegenwärtig die Vorschrift des § 831 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Betracht. Hiernach ist jedoch die Ersatzpflicht des Geschäftsherrn im allgemeinen dann ausgeschlossen, wenn er bei der Auswahl der bestellten Personen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat. Es kann anerkannt werden, daß diese Vorschrift zum Schutze des redlichen Verkehrs nicht immer ausreichen wird. (…) Eine solche Vorschrift wird den Leitern größerer Betriebe in gesteigertem Maße die Pflicht auferlegen, die Handlungen der Angestellten und Beauftragten sorgfältig zu überwachen. Andererseits ist die durch § 2 dem Geschäftsherrn auferlegte Haftung vom allgemeinen Standpunkt aus unbedenklich, da sie nur dem Unterlassungsanspruche gegenüber stattfinden soll. Für die Frage der Schadensersatzpflicht bleiben die allgemeinen Grundsätze in Kraft«241.
Den sachlichen Anlass für die Schaffung einer solchen Vorschrift gab die praktische Erfahrung, dass es den Anspruchsberechtigten vielfach Schwierigkeiten bereitet hatte, Inhaber eines Unternehmens für eine unlautere Handlung zur Verantwortung zu ziehen242. Im Rahmen der Vorberatungen des Regierungsentwurfs durch die 35. Kommission wurden verschiedene Regelungsansätze diskutiert. Unter anderem findet sich der Vorschlag einer umfassenden (auch für Schadensersatzansprüche geltenden) Zurechnungsnorm: »Der Geschäftsherr hat die gegen das Gesetz verstoßenden Handlungen seiner Angestellten wie seine eigenen Handlungen zu vertreten«243.
Man verwies darauf, dass eine solche erweiterte Fassung für die früheren Landesteile französischen Rechts nichts Neues bringe. Vielmehr werde es dort sogar als großer Mangel empfunden, dass der Inhaber eines Betriebs nicht prinzipiell für die Handlungen seiner Angestellten hafte244. Eine derart weit reichende Ver240
Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 8.1.1909, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, I. Session 1907/09, XII. Legislaturperiode, Bd. 252, Nr. 1109. 241 Begr. zum Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 8.1.1909, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, I. Session 1907/09, XII. Legislaturperiode, Bd. 252, Nr. 1109, S. 13 f. 242 Siehe dazu die anschauliche und eingehende Schilderung des Falles einer irreführenden Reklame für Schuhwaren in Barmen durch den Abgeordneten Linz; 193. Sitzung des Reichstages am 25.1.1909, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, I. Session 1907/09, XII. Legislaturperiode, Bd. 234, S. 6523, 6536 f. 243 Bericht der 35. Kommission zur Vorberatung des Entwurfs eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, 1. Lesung, Stenographische Berichte des Reichstages, I. Session 1907/09, XII. Legislaturperiode, Bd. 255, Nr. 1390, S. 8433, 8438. 244 Bericht der 35. Kommission zur Vorberatung des Entwurfs eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, 1. Lesung, Stenographische Berichte des Reichstages, I. Session 1907/09, XII. Legislaturperiode, Bd. 255, Nr. 1390, S. 8433, 8439. Zur Haftung des commettant für préposés im französischen Deliktsrecht siehe etwa Brüggemeier, Haftungsrecht, § 3 A II 2, S. 126 f. und Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, § 41 III, S. 639 ff.
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antwortlichkeit des Geschäftsherrn stieß jedoch in der Kommission auf Skepsis. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Ansprüche gegen den Inhaber eines Betriebes nicht zu weit ausgedehnt werden sollten und insbesondere bei Schadensersatzansprüchen an dem (persönlichen) Verschulden des Inhabers festgehalten werden solle245. Bemerkenswert ist, dass allein Praktikabilitätsgesichtspunkte für die Entscheidung ausschlaggebend waren, keine umfassende Zurechnungsnorm zu schaffen. Es sei unmöglich, einen Gewerbetreibenden, der seine Niederlassung in Königsberg habe, haften zu lassen, wenn sein reisender Mitarbeiter etwa in München, in persönlicher Unterredung mit einem Dritten am Biertisch, zu Reklamezwecken eine unrichtige Angabe mache246. Zudem wurde das – bis heute unverändert beliebte – wirtschaftspolitische »Argument« des Mittelstandsschutzes vorgeschoben. Eine weitreichende Haftung des Geschäftsherrn widerspreche gerade den Interessen des Mittelstandes, denn man »schaffe sonst wieder eine Schlinge, deren Anwendung sich gegen die kleinen und mittleren Gewerbetreibenden richten könne«247. Diese »Argumentation« ist entlarvend. Der angebliche Mittelstandsschutz entpuppt sich in Wahrheit als wirtschaftspolitisch motivierte Bremse sinnvoller Fortentwicklungen des Lauterkeitsrechts und als durchschaubares Scheinargument248. Man beließ es bei der Kompromissformel, wonach der Unternehmer für das Verhalten von Mitarbeitern und Beauftragten im Rahmen des Unterlassungsanspruchs ohne Entlastungsmöglichkeit verantwortlich sein sollte, während es für Schadensersatzansprüche bei den als unbefriedigend erkannten bürgerlichrechtlichen Vorschriften blieb. Es ist bemerkenswert, dass diese Lösung die Jahrzehnte nicht nur unbeschadet überdauert, sondern allgemeine Akzeptanz gefunden hat. 2. Dogmatische Einordnung und Normzweck Schwierigkeiten bereitet das richtige dogmatische Verständnis der Vorschrift. Nach Schünemann besteht die Funktion dieser Norm darin, dass sie als Schuldner des Unterlassungsanspruchs »auch« die Gehilfen des Betriebsinha245 Bericht der 35. Kommission zur Vorberatung des Entwurfs eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, 1. Lesung, Stenographische Berichte des Reichstages, I. Session 1907/09, XII. Legislaturperiode, Bd. 255, Nr. 1390, S. 8433, 8439. 246 Bericht der 35. Kommission zur Vorberatung des Entwurfs eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, 1. Lesung, Stenographische Berichte des Reichstages, I. Session 1907/09, XII. Legislaturperiode, Bd. 255, Nr. 1390, S. 8433, 8439. 247 Bericht der 35. Kommission zur Vorberatung des Entwurfs eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, 1. Lesung, Stenographische Berichte des Reichstages, I. Session 1907/09, XII. Legislaturperiode, Bd. 255, Nr. 1390, S. 8433, 8439. 248 Der Gedanke des Mittelstandsschutzes hat im Lauterkeitsrecht vielfach eine unrühmliche Rolle gespielt und zu bedenklichen Entwicklungen – sei es im Gesetz selbst, sei es in der Rechtsanwendung – geführt. Das UWG a.F. enthielt ein ganzes »Horroralphabet« von wirtschaftspolitisch motivierten Bestimmungen, die u.a. auch mit dem Schutz des Mittelstandes gerechtfertigt wurden, Schricker, GRUR Int. 1990, 112, 115.
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bers als des »Störers« bei dessen Wettbewerbsverletzung ausweist, obwohl diese keine »Störer« sind249. Der Betriebsinhaber ist danach der eigentliche Verletzer. Nach der neueren Rechtsprechung und einem Teil des Schrifttums handelt es sich bei der Störerhaftung und der Haftung nach § 13 Abs. 4 UWG um »zwei selbstständige Anspruchsgrundlagen mit unterschiedlichen Anspruchsvoraussetzungen«250. Fritzsche hält § 8 Abs. 2 UWG dagegen nicht für eine eigene Anspruchsgrundlage251. Er sieht in der Vorschrift »eine Art von Zurechnungsnorm«252. Wie sich aus dem – recht umständlich formulierten – Wortlaut des § 8 Abs. 2 UWG ergibt, geht das Gesetz von zwei verschiedenen Ansprüchen aus, nämlich von einem lauterkeitsrechtlichen Anspruch gegen den tatsächlich Handelnden und von einem Anspruch gegen den Unternehmensinhaber, in dessen Interesse der Handelnde tätig geworden ist. Richtigerweise beinhaltet § 8 Abs. 2 UWG keine eigenständige Anspruchsgrundlage, sondern ermöglicht allein eine Zurechnung des Drittverhaltens253. Erst auf Grundlage dieser Zurechnung lässt sich sodann in einem zweiten Schritt ein eigenständiger lauterkeitsrechtlicher Anspruch gegen den Inhaber begründen, weil ohne diese Zurechnungsmöglichkeit ein Anspruch gegen den Unternehmensinhaber scheitern müsste. Der Anspruch selbst ergibt sich jedoch, ebenso wie der davon unabhängige Anspruch gegen den Handelnden, aus § 8 Abs. 1 UWG. Dieser Zurechnung kommt vor allem dann Bedeutung zu, wenn sich ein Anspruch gegen den Unternehmensinhaber anders nicht begründen lässt, weil er nicht als (Mit-)Täter, mittelbarer Täter oder Teilnehmer haftet254. Der Zweck des § 8 Abs. 2 UWG wird – in Übereinstimmung mit der Vorgängerregelung des § 13 Abs. 4 UWG255 – darin gesehen, dass der Inhaber seiner Verantwortung im Wettbewerb nicht durch den Einsatz Dritter, die in seinem Interesse tätig werden und von deren Arbeit der Unternehmer profitiert, entgehen darf. Man müsse, so wird in den Beratungen der 35. Kommission ausgeführt »un249
Schünemann, WRP 1998, 120, 123 zu § 13 Abs. 4 UWG a.F. BGH vom 5.4.1995, GRUR 1995, 605, 608 – Franchise-Nehmer; ebenso Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 8 Rn. 2.32; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 14 Rn. 19. 251 Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, S. 443 f. zu § 13 Abs. 4 UWG a.F. 252 Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 8 Rn. 293. 253 So ausdrücklich RG vom 22.5.1936, RGZ 151, 287, 292 – Alpina und BGH vom 11.1.1955, GRUR 1955, 411, 414 – Zahl 55. Prägnant bereits Kohler, Der unlautere Wettbewerb, S. 286: »Zuwiderhandlungen durch Angestellte des Geschäfts sind Zuwiderhandlungen des Geschäfts«. 254 RG vom 22.5.1936, RGZ 151, 287, 291 ff. – Alpina; BGH vom 3.2.1994, GRUR 1994, 441, 443 – Kosmetikstudio. 255 RG vom 22.5.1936, RGZ 151, 287, 292 – Alpina; BGH vom 11.1.1955, GRUR 1955, 411, 414 – Zahl 55; BGH vom 6.6.1958, BGHZ 28, 1, 10 – Buchgemeinschaft II; BGH vom 8.11.1963, GRUR 1964, 263, 266 – Unterkunde; BGH vom 22.9.1972, GRUR 1973 208, 209 – Neues aus der Medizin; BGH vom 31.5.1990, GRUR 1990, 1039, 1040 – Anzeigenauftrag; BGH vom 5.4.1995, GRUR 1995, 605, 607 – Franchise-Nehmer; BGH vom 19.12.2002, GRUR 2003, 453, 454 – Verwertung von Kundenlisten. 250
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ter allen Umständen verhüten, daß der Prinzipal sich hinter seine Angestellten verkrieche«256. Ganz ähnlich heißt es in der jüngeren Rechtsprechung: »Der Unternehmensinhaber, dem die Wettbewerbshandlungen seiner Angestellten oder Beauftragten zugute kommen, soll sich bei einer wettbewerbsrechtlichen Haftung nicht hinter den von ihm abhängigen Dritten verstecken können«257.
Diese Formulierung ist griffig, beschreibt aber die ratio legis nur ungenau. Denn damit wird zunächst einmal nur zum Ausdruck gebracht, dass die persönliche Inanspruchnahme eines Unternehmensinhabers nicht daran scheitern darf, dass nicht er, sondern ein Dritter für ihn gehandelt hat. Warum aber der Unternehmensinhaber im Unterschied zu § 831 BGB gerade einer Erfolgshaftung ohne Entlastungsmöglichkeit unterliegt, wird daraus noch nicht deutlich. Zielführender ist daher die Überlegung, dass der Unternehmer durch den Einsatz von Mitarbeitern und Beauftragten seinen Geschäftskreis erweitert und damit ein Risiko für unlautere Handlungen schafft258. Köhler führt daneben noch weitere Gesichtspunkte auf259: Der Unternehmer erweitere nicht nur seinen Geschäftskreis und schaffe damit das Risiko der Begehung rechtswidriger Handlungen im Wettbewerb, sondern er beherrsche die von den Dritten ausgehenden Gefahren, wenn und soweit er auf deren Handlungen Einfluss ausüben könne. Der Verletzte sei schutzwürdig, weil ein Anspruch nur gegen den Handelnden, nicht aber gegen den Unternehmer, oftmals seinen Interessen nur unzureichend gerecht werde. Zudem seien für den Verletzten die Hintergründe des Verstoßes in der Regel unklar, sodass die Erfolgshaftung des Unternehmers auch unter dem Aspekt der Beherrschung der Beweislage gerechtfertigt ist. Man wird sogar noch einen Schritt weiter gehen können. § 8 Abs. 2 UWG verwirklicht den Gedanken einer strikten Unternehmensverantwortung im Wettbewerb, da eine lückenlose Sanktionierung von unlauteren Praktiken anders nicht gewährleistet werden könnte260. Weil die privatrechtliche Sanktionierung von unlauteren Handlungen eine persönliche Verantwortlichkeit voraussetzt, muss das Recht gewährleisten, dass die Normadressaten, nämlich die Unternehmen, mit den Sanktionen erreicht werden können. Das bereitet keine Schwierigkeiten, wenn die unlautere Handlung auf einen persönlich Handelnden zurück256 Bericht der 35. Kommission zur Vorberatung des Entwurfs eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, 1. Lesung, Stenographische Berichte des Reichstages, I. Session 1907/09, XII. Legislaturperiode, Bd. 255, Nr. 1390, S. 8433, 8439. 257 BGH vom 19.4.2007, GRUR 2007, 994 Tz. 19 – Gefälligkeit; stärker auf die Verantwortlichkeit des Unternehmensinhabers bei arbeitsteiliger Organisation innerhalb des Unternehmens abstellend BGH vom 11.3.2009, WRP 2009, 730 Tz. 15 – Halzband. 258 BGH vom 5.4.1995, GRUR 1995, 605, 607 – Franchise-Nehmer; Köhler, GRUR 1991, 344, 346. 259 Köhler, GRUR 1991, 344, 345 f. 260 In diesem Sinne auch BGH vom 11.3.2009, WRP 2009, 730 Tz. 15 – Halzband zu § 8 Abs. 2 UWG und § 14 Abs. 7 MarkenG: »Dem Inhaber des Unternehmens oder Betriebs werden Zuwiderhandlungen seiner Angestellten oder Beauftragten zugerechnet, weil die arbeitsteilige Organisation seines Unternehmens oder Betriebs die Verantwortung für die Handlungen seiner Angestellten oder Beauftragten, die ihm zugute kommen, nicht beseitigen soll«.
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geführt werden kann. Das reicht jedoch zur Bekämpfung unlauterer Handlungen nicht aus. Wer nur den tatsächlich Handelnden durch Sanktionen erreicht, nicht aber das Unternehmen als Marktakteur, Initiator und Profiteur einer unlauteren Handlung, schlägt den Sack und meint den Esel. Aus diesem Schutzzweck ergeben sich zugleich die Grenzen der Vorschrift. Sie findet nur Anwendung bei einem unternehmensbezogenen Einsatz Dritter. Handelt der Dritte aus Gefälligkeit oder aus sonstigen privaten Motiven, dann greift § 8 Abs. 2 UWG nicht ein261. 3. Anwendungsbereich und Analogiefähigkeit der Norm Nach dem Gesetzeswortlaut findet § 8 Abs. 2 UWG nur Anwendung auf Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche. Anerkannt ist darüber hinaus die Anwendbarkeit auf Auskunftsansprüche, wenn diese in einem Zusammenhang mit den Ansprüchen aus § 8 Abs. 1 UWG stehen262. Dagegen soll § 8 Abs. 2 UWG auf den Schadensersatz- und Abschöpfungsanspruch nicht anzuwenden sein263. a) Seitenblick in das Markenrecht Es ist bemerkenswert, dass das Markenrecht eine umfassende Verantwortlichkeit des Unternehmensinhabers für unerlaubte Handlungen seiner Angestellten und Beauftragten kennt und damit eine vom Lauterkeitsrecht abweichende Regelung trifft. Gemäß § 14 Abs. 7 MarkenG haftet der Unternehmensinhaber für die Handlungen Dritter unabhängig davon, ob Abwehransprüche oder Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden. Diese Regelung gilt gemäß § 15 Abs. 6 MarkenG entsprechend für Verletzungen geschäftlicher Bezeichnungen und gemäß § 128 Abs. 3 MarkenG für Verletzungen geografischer Herkunftsangaben. Damit begründet das MarkenG eine generelle Verantwortlichkeit des Unternehmensinhabers für Rechtsverletzungen durch Dritte, die in seinem Interesse tätig werden, ohne jede Entlastungsmöglichkeit264. Warum im Markenrecht – rechtspolitisch unumstritten – eine umfassende Zurechnungsmöglichkeit für das Verhalten Dritter existiert, während diese Zurech261 BGH vom 19.4.2007, GRUR 2007, 994 Tz. 19 – Gefälligkeit; BGH vom 11.3.2009, WRP 2009, 730 Tz. 15 – Halzband. 262 BGH vom 23.2.1995, GRUR 1995, 427, 428 – Schwarze Liste. 263 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks., 15/1487, S. 22; BGH vom 9.2.2006, GRUR 2006, 426 Tz. 24 – Direktansprache am Arbeitsplatz II; OLG Frankfurt vom 31.8.2006, GRUR 2007, 612 – Finanzierungsklinker; Bergmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 8 Rn. 243; Büscher, in: Fezer, UWG, § 8 Rn. 173; Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 8 Rn. 296; Jestaedt, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozeß, Kap. 21 Rn. 16; Köhler, in: Hefermehl/ Köhler/Bornkamm, UWG, § 8 Abs. 2.36; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 8 Rn. 165; Seichter, in: jurisPK-UWG, § 8 Rn. 129; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 14 Rn. 16. Zum früheren Recht siehe nur BGH vom 6.4.2000, GRUR 2001, 82, 83 – Neu in Bielefeld I; BGH vom 12.6.1997, GRUR 1998, 167, 168 f. – Restaurantführer; BGH vom 5.10.1979, GRUR 1980, 116, 117 – Textildrucke. 264 Fezer, MarkenG, § 14 Rn. 1055; Hacker, in: Ströbele/Hacker, MarkenG, § 14 Rn. 424; Ingerl/Rohnke, MarkenG, Vor §§ 14–19 Rn. 25.
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nung im Lauterkeitsrecht auf Abwehransprüche beschränkt bleiben soll, ist schwer verständlich265. Markenrecht und Lauterkeitsrecht weisen gemeinsame Wurzeln auf266 und stehen sich sachlich so nahe, dass es vielfach geradezu beliebig erscheinen muss, ob eine Regelung im Markenrecht oder im Lauterkeitsrecht beheimatet ist267. Das beste Beispiel hierfür bildet der Schutz geschäftlicher Bezeichnungen, der lange Zeit in § 16 UWG a.F. geregelt war und erst mit der Markenrechtsreform in das MarkenG übersiedelte268. Zwar sehen Markenrecht und Lauterkeitsrecht unterschiedliche Schutz- und Sanktionsmechanismen vor. Indessen lässt sich allein aus diesen Unterschieden nicht überzeugend erklären, warum das Markenrecht eine umfassende Verantwortlichkeit eines Unternehmensinhabers für Markenverletzungen in seinem Interesse tätiger Dritter vorsieht, während diese Lösung im Lauterkeitsrecht nur für Abwehransprüche akzeptiert und für Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche nicht in Betracht gezogen wird. Die Inkonsequenz der gesetzlichen Regelung kann in der praktischen Rechtsanwendung eigentümliche Zufallsergebnisse zur Folge haben: Man muss sich nur das Beispiel vor Augen führen, dass die Wertschätzung des markenrechtlich geschützten Kennzeichens eines Unternehmens durch den Angestellten (der nicht als Repräsentant im Sinne des § 31 BGB anzusehen ist) eines Konkurrenzunternehmens beeinträchtigt wird. Sind die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG erfüllt, dann haftet das Verletzerunternehmen gemäß § 14 Abs. 6 und 7 MarkenG ohne jede Entlastungsmöglichkeit auf Ersatz des dem Markeninhaber entstandenen Schadens. Greift dagegen Markenschutz nicht ein und wird die Wertschätzung des Kennzeichens etwa im Rahmen einer vergleichenden Werbung beeinträchtigt269, dann könnte sich das Verletzerunternehmen bei im Übrigen identischer Sachlage nach § 831 BGB für den Mitarbeiter exkulpieren.
Eine überzeugende Begründung für die abweichenden Regelungen ist auf Grundlage der herrschenden Meinung nicht zu finden. Im Gegenteil ist die Abweichung zwischen Markenrecht und Lauterkeitsrecht geradezu erstaunlich, weil § 8 Abs. 2 UWG und § 14 Abs. 7 MarkenG – nach allgemeiner Überzeugung – nach den gleichen Rechtsgrundsätzen anzuwenden sein sollen270. Auch der Normzweck der Vorschriften stimmt überein271. Eine unterschiedliche Regelung der Zurechnung wäre geboten, wenn zwingende Gründe eine solche Diffe265
Ebenfalls kritisch, allerdings mit Blick auf abweichende Regelungen im gewerblichen Rechtsschutz Ahrens, GRUR 2006, 617, 621. 266 Das Warenzeichenrecht als Vorläufer des Markenrechts wurde gemeinhin als Bestandteil des Lauterkeitsrechts angesehen, siehe nur Bornkamm, GRUR 2005, 97, 98. 267 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 1 Rn. 71; zu einzelnen Konfliktfeldern Bornkamm, GRUR 2005, 97, 99 ff. 268 Bornkamm, GRUR 2005, 97, 98. 269 §§ 3 Abs. 1, 6 Abs. 2 Nr. 4 UWG. 270 Statt vieler: BGH vom 7.4.2005, GRUR 864 f. – Meißner Dekor II; Fezer, MarkenG, § 14 Rn. 1055. 271 Büscher, in: Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, § 14 MarkenG Rn. 552; Fezer, MarkenG, § 14 Rn. 1055; Hacker, in: Ströbele/Hacker, MarkenG, § 14 Rn. 420.
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renzierung erfordern. Es lässt sich jedoch keine einleuchtende Begründung dafür finden, warum die Zurechnung bei unterschiedlichen Ansprüchen im Lauterkeitsrecht differenzierend geregelt werden müsste, während das Markenrecht auf eine solche Differenzierung – völlig zu Recht – verzichtet. b) De lege lata: Analoge Anwendung von § 8 Abs. 2 UWG auf alle privatrechtlichen Ansprüche des UWG Die Überlegungen zeigen, dass angesichts der wenig befriedigenden gesetzlichen Ausgangslage Korrekturbedarf besteht. De lege lata ist eine analoge Anwendung von § 8 Abs. 2 UWG auf die Ansprüche aus § 9 S. 1 und § 10 Abs. 1 UWG geboten. Gegen eine analoge Anwendung von § 8 Abs. 2 UWG auf die Ansprüche aus § 9 S. 1 und § 10 Abs. 1 UWG spricht neben dem Gesetzeswortlaut vor allem der Wille des Gesetzgebers272. Dieser ist allerdings keineswegs bindend und steht einer Analogie daher nicht zwingend entgegen. Des Weiteren ist zu bedenken, dass es in der Absicht des Gesetzgebers lag, die bisherige Rechtslage fortzuschreiben, sodass man danach fragen muss, aus welchen Gründen die Vorschrift ursprünglich entstanden ist. Ruft man sich nun die Entwicklungsgeschichte in Erinnerung, die zur Herausbildung des § 8 Abs. 2 UWG und seiner Vorgängervorschriften geführt haben, dann ist leicht zu erkennen, auf welch tönernen Füßen die derzeitige gesetzliche Regelung steht. Die Erwägungen anlässlich der Beratung des Entwurfs zum UWG 1909 offenbaren vor allem das Bemühen, aus wirtschaftspolitischen Gründen eine uneingeschränkte Einstandspflicht des Unternehmensinhabers zu vermeiden. Das grundsätzliche Bedürfnis nach einer solchen Haftung, selbst wenn diese im Einzelfall eine unbillige Belastung darstellen könnte, wurde in den Beratungen zweifelsfrei erkannt und mit bemerkenswerter Deutlichkeit ausgesprochen: »Wenn vereinzelte Fälle denkbar seien, wo die Klage gegen den Prinzipal eine Härte enthalte, so sei es andererseits in Tausenden von Fällen unbedingt nötig, die Prinzipale haften zu lassen. Sie möchten nur ihre Reisenden besser instruieren und darüber wachen, daß sie nichts Unrechtes tun und reden«273.
Dass gleichwohl eine umfassende Zurechnungsnorm für Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche abgelehnt wurde, beruhte letztlich auf einem Kompromiss, dem keine zwingenden rechtlichen Erwägungen zugrunde lagen, sondern allein das zweifelhafte Ziel, kleine und mittlere Unternehmen zu schützen. Die Kehrseite dieses Bemühens besteht darin, dass Unternehmen, die von einer unlauteren Handlung betroffen sind, eben nur unter erschwerten Voraussetzungen einen entstandenen Schaden geltend machen können. Diese Konsequenz konnte 272
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oder wollte der Gesetzgeber offenbar nicht erkennen. Fehlt es also der Beschränkung der Zurechnung auf Abwehransprüche an sachlicher Überzeugungskraft, dann verliert die gesetzliche Eingrenzung des Anwendungsbereiches durch den Tatbestand ihren zwingenden Charakter. Auch der Blick auf das Markenrecht ergibt nichts anderes. Man könnte im Umkehrschluss aus §§ 14 Abs. 7, 128 Abs. 3 MarkenG folgern, dass gerade nur bei der Verletzung von Marken, geschäftlichen Bezeichnungen und geografischen Herkunftsangaben eine anspruchsübergreifende Zurechnung von Drittverhalten gerechtfertigt ist. Allerdings unterscheidet sich die Interessenlage bei Markenrechtsverletzungen nicht so fundamental von der Interessenlage bei unlauteren Handlungen, dass im Markenrecht und im Lauterkeitsrecht aus Sachgründen unterschiedliche Regelungen zur Zurechnung geboten wären. Im Gegenteil zeigt die markenrechtliche Einheitslösung eine innere Logik und Konsequenz, die dem Lauterkeitsrecht fehlt. Der Blick in das Markenrecht steht daher einer analogen Anwendung von § 8 Abs. 2 UWG auf Schadensersatzansprüche nicht entgegen, sondern die markenrechtliche Wertung legt ein solches Vorgehen umgekehrt sogar nahe. Dass mit § 99 UrhG und § 44 S. 1 GeschmMG »artverwandte« Regelungen die Zurechnung von Handlungen Dritter bei Schadensersatzansprüchen ausdrücklich ausschließen, bildet keinen schlagkräftigen Einwand. Denn im Gegensatz zum engen Verhältnis von Markenrecht und Lauterkeitsrecht bestehen mit dem Urheber- und Geschmacksmusterrecht weniger Berührungspunkte. Ohnehin kann man die Frage aufwerfen, ob die zersplitterte Regelung der Inhaberhaftung im gewerblichen Rechtsschutz rechtspolitisch überzeugend ist274. Eine analoge Anwendung von § 8 Abs. 2 UWG auf den lauterkeitsrechtlichen Schadensersatz- und Gewinnabschöpfungsanspruch hat entscheidende Vorteile, die bestehende Bedenken gegen eine Analogie überwiegen. Erstens würde die unterschiedliche rechtliche Behandlung von Drittpersonen beseitigt. Die Zurechnung stützt sich nur noch auf zwei Normen, nämlich auf § 31 BGB analog oder § 8 Abs. 2 UWG analog. Dabei gelangen beide Vorschriften übereinstimmend zu dem (rechtspolitisch überzeugenden) Ergebnis, dass der Unternehmensinhaber ohne Entlastungsmöglichkeit für diejenigen Personen haftet, die in seinem Interesse tätig werden. Unabhängig davon, ob ein Organ, Repräsentant oder ein Angestellter des Unternehmens handelt, muss der Unternehmer einheitlich für deren Fehlverhalten ohne Entlastungsmöglichkeit einstehen. Das ist nicht zuletzt deswegen richtig, weil es für den Verletzten im Regelfall kaum nachvollziehbar ist (und sachlich auch keinen Unterschied machen sollte), ob ein Mitarbeiter aus eigenem Antrieb oder auf Anweisung der Geschäftsführung gehandelt hat. Zweitens wäre der Unternehmer für sämtliche lauterkeitsrechtlichen Sanktionen in gleicher Weise durch die Rechtsordnung erreichbar. Die Sanktionierung einer unlauteren Handlung könnte damit genau denjenigen treffen, der als Marktakteur im Wettbewerb tätig, der die maßgebliche unlautere Handlung initiiert und 274
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von ihr profitiert. Um eine wirksame Eindämmung unlauterer Praktiken zu erreichen, ist es notwendig, ein Unternehmen gerade mit »fühlbaren« Sanktionen, wie eben Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüchen, zu treffen. Drittens könnte mit § 8 Abs. 2 UWG im Rahmen der Gewinnabschöpfungshaftung die Zurechnungslücke geschlossen werden, die mangels analoger Anwendbarkeit von § 831 BGB bestehen bleibt. Im Vergleich zu den vielfältigen dogmatischen Verwerfungen, die mit einer analogen Anwendung von § 831 BGB verbunden wären, erscheint die analoge Anwendung von § 8 Abs. 2 UWG als das mildere und damit vorzugswürdige Mittel. Hinzu kommt, dass speziell zum Schutz der Kollektivinteressen wieder ein funktioneller »Gleichklang« zwischen Abwehrund Abschöpfungsansprüchen hergestellt wird. c) De lege ferenda: Schaffung eines einheitlichen Zurechnungstatbestands im Lauterkeitsrecht nach markenrechtlichem Vorbild Die analoge Anwendung von § 8 Abs. 2 UWG auf lauterkeitsrechtliche Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche kann nur eine Notlösung sein, um die derzeit unbefriedigende Rechtslage zu korrigieren. An den Gesetzgeber ist zu appellieren, das Vorbild des Markenrechts aufzugreifen und eine gleichartige Zurechnungsnorm in das Lauterkeitsrecht zu übernehmen. Eine unverhältnismäßige Belastung von Unternehmen droht dadurch nicht. Vielmehr wird ein angemessener Schutz der Marktakteure gewährleistet, die durch rechtswidrige Verhaltensweisen beeinträchtigt werden. Umgekehrt ist ein schützenswertes Interesse von Unternehmen, nicht für das Fehlverhalten Dritter einstehen zu müssen, wenn diese Dritten im Geschäftskreis des Unternehmens und in dessen wirtschaftlichem Interesse tätig werden, grundsätzlich nicht anzuerkennen. Das Risiko eines solchen Fehlverhaltens darf nicht auf einzelne Geschädigte oder die Allgemeinheit abgewälzt werden. Wer von dem Einsatz Dritter profitiert, muss auch das damit einhergehende, gesteigerte Risiko von Rechtsverletzungen tragen. Eine Unterscheidung nach der Qualifikation des Dritten ist dabei nicht geboten. Denn ein Unternehmen (oder eine sonstige juristische Person, Handelsgesellschaft usw.) ist schon dann nicht korrekt organisiert, wenn es innerhalb der beherrschten eigenen Risikosphäre zu verkehrsgefährlichen Zuständen kommt275. Zu einer bedenklichen Ausweitung der Verantwortlichkeit im Vergleich zur derzeitigen Rechtslage käme es nicht, da Rechtsprechung und herrschende Meinung ohnehin bemüht sind, eine umfassende Inhaberhaftung zu begründen.
275
Von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. II, § 2 Rn. 189.
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§ 9. Verantwortlichkeit
D. Medienspezifische Besonderheiten der Verantwortlichkeit I. Ausgangsfragen Die Tätigkeit von Medien unterliegt vielfach rechtlichen Sondermaßstäben, die vor allem durch Art. 5 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geboten sind276. Besonderheiten gelten unter anderem, wenn Medien marktbezogen tätig werden. Das Zusammenspiel von individuellen und überindividuellen Interessen im Wettbewerb gewinnt bei der Tätigkeit von Medien nochmals an Komplexität, weil zusätzliche Aspekte berücksichtigt werden müssen. Das Kartellrecht kennt zwar medienspezifische Sonderregelungen277, beurteilt Medien aber im Übrigen nach den gleichen rechtlichen Maßstäben, die auch für andere Unternehmen gelten278. Hinsichtlich der kartellrechtlichen Sanktionen ergeben sich für Medien keine rechtlichen Besonderheiten. Dagegen gelten für Medien im Rahmen des lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzes Sonderregelungen, auf die im Folgenden näher einzugehen ist: Gemäß § 9 S. 2 UWG kann gegen verantwortliche Personen von periodischen Druckschriften der Anspruch auf Schadensersatz nur bei einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung geltend gemacht werden. Speziell auf Diensteanbieter sind die §§ 7 bis 10 TMG zugeschnitten. Diese Vorschriften beinhalten besondere Anforderungen für die Verantwortlichkeit für fremde Informationen. Medienbezogene Sondermaßstäbe finden ihre rechtliche Legitimation in den besonderen Funktionen, die Medien – speziell Massenmedien – in der heutigen Gesellschaft wahrnehmen. Massenmedien sind nicht nur allgegenwärtig, sondern in der Gesellschaft aus unterschiedlichen Gründen unverzichtbar279. Allerdings bringt die Tätigkeit von Medien ihrerseits auch spezielle Gefahren mit sich, die das Recht nicht ausblenden darf. Die daraus resultierende, schwierige Interessenlage wird an den Beispielen des § 9 S. 2 UWG und §§ 7 bis 10 TMG deutlich. Sowohl § 9 S. 2 UWG als auch die §§ 7 bis 10 TMG betreffen die Verbreitung von Informationen und damit den Kernbereich jeder Medientätigkeit. § 9 S. 2 UWG erfasst periodische Druckschriften und damit ein klassisches Massenmedium, während die §§ 7 bis 10 TMG auf die Tätigkeit von Anbietern elektronischer Kommunikationsdienste gerichtet sind, die ganz verschiedene Arten von Diensten beinhalten können. Sowohl in den Fällen der Pressetätigkeit als auch bei dem Anbieten von Diensten im Sinne des TMG besteht die Gefahr, dass verletzende Informationen, beispielsweise herabsetzende oder irreführende Behauptungen, schnell und massenhaft verbreitet werden. Sind solche Information erst einmal in Umlauf geraten, dann können sie kaum noch kontrolliert werden. Denn Infor-
276 Zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Medienrecht siehe nur Beater, Medienrecht, Rn. 75 ff. 277 §§ 30, 35 Abs. 2 S. 2 und 38 Abs. 3 GWB. 278 Siehe etwa BGH vom 9.11.1982, WuW/E BGH 1965, 1966 – Gemeinsamer Anzeigenteil. 279 Beater, Medienrecht, Rn. 16 ff.
D. Medienspezifische Besonderheiten der Verantwortlichkeit
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mationen sind im Allgemeinen gemeinfrei280 und ihre Verbreitung begegnet damit zumeist keinen rechtlichen Hindernissen. Zudem ermöglichen gerade Neue Medien eine Verbreitung von Informationen mit ungeahnter Schnelligkeit und Breitenwirksamkeit. Einmal im Umlauf befindliche Informationen können nicht einfach aus der Welt geschafft werden.
II. Lauterkeitsrechtliches »Presseprivileg« Gemäß § 9 S. 2 UWG haften die Verantwortlichen von periodischen Druckschriften nur bei vorsätzlichen Zuwiderhandlungen gegen das Lauterkeitsrecht auf Schadensersatz. Eine ähnliche Regelung kennt das österreichische Recht. Gemäß § 2 Abs. 7 östUWG kann der Anspruch auf Schadensersatz »gegen Personen, die sich gewerbsmäßig mit der Verbreitung öffentlicher Ankündigungen befassen, nur geltend gemacht werden, wenn sie die Unrichtigkeit der Angaben kannten, gegen ein Medienunternehmen nur, wenn dessen Verpflichtung bestand, die Ankündigung auf ihre Wahrheit zu prüfen (§ 4 Abs. 2)«. Diese Vorschrift ist teils enger, teils weiter als das deutsche Recht. Enger ist die Vorschrift, weil das Haftungsprivileg nur für die in § 2 östUWG geregelten irreführenden Geschäftspraktiken gilt. Weiter ist die österreichische Regelung, weil sie allgemein für Medienunternehmen gilt.
§ 9 S. 2 UWG setzt voraus, dass dem Grunde nach eine lauterkeitsrechtliche Schadensersatzhaftung gegeben ist. Insbesondere muss eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG vorliegen. Diese Bestimmung wirkt wie ein »Vorfilter«, durch den vor allem die redaktionelle Berichterstattung von Medien von vornherein einer lauterkeitsrechtlichen Kontrolle entzogen wird. Angesichts dessen ist die praktische Bedeutung von § 9 S. 2 UWG begrenzt. 1. Entstehung und Schutzzweck Die Wurzeln der Vorschrift liegen in einer Zeit, in der ein »Vorfilter« für Medientätigkeiten noch nicht existierte, aber ein medienspezifisches Schutzbedürfnis bereits anerkannt war. Eine § 9 S. 2 UWG ähnliche Regelung enthielt bereits § 1 S. 4 UWG 1896, zurückgehend auf die Beschlüsse der VI. Kommission281. Während das Haftungsprivileg sowohl im UWG 1896 als auch im UWG 1909282 nur für irreführende Werbung galt, brachte die UWG-Reform 2004 eine Ausweitung des Anwendungsbereichs. § 9 S. 2 UWG gilt nunmehr für alle unlauteren Handlungen. 280
RG vom 29.4.1930, RGZ 128, 330, 340 ff. – Rundfunknachricht. Bericht des VI. Kommission zur Vorberathung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, IV. Session 1895/97, IX. Legislaturperiode, II. Anlagenband, Aktenstück Nr. 192, S. 1201; siehe dort auch zu den verschiedenen Formulierungsvorschlägen. 282 § 13 Abs. 6 Nr. 1 UWG 1909. 281
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§ 9. Verantwortlichkeit
Maßgeblich lag der Einführung einer Haftungsbeschränkung für die Presse im Lauterkeitsrecht die »Eigenartigkeit des Geschäftsbetriebs im Annoncenwesen«283 zugrunde, also die besondere Situation bei der Herstellung und Verbreitung von regelmäßig erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften. Eine eingehende rechtliche Prüfung von sämtlichen Anzeigen, also von fremden Inhalten, erfordert personellen Aufwand und, in Abhängigkeit von der Anzeige, nicht selten besonderen Sachverstand beim zuständigen Redakteur284. Eine drohende Haftung für Werbeinhalte hätte die Pressetätigkeit empfindlich beeinträchtigen können, denn weder »der Redakteur noch der Verleger sind in der Lage, in dem hastenden Getriebe zu prüfen, wie es sich mit dem Inhalt eines Inserats verhält, ob derselbe wahr oder unwahr sein kann«285. Eine Schadensersatzpflicht, die schon bei fahrlässigen Verhalten ausgelöst wird, hätte die Möglichkeit geschaffen, »die Presse in fast unerträglicher Weise zu chikanieren«286. Zudem besteht die Gefahr, dass bei einer gerichtlichen Beurteilung im Nachhinein »in vielen Fällen, in welchen der Verleger oder Redakteur nur die Wahl hatte, entweder das ihm vorgelegte Inserat aufzunehmen oder die Aufnahme abzulehnen (…) der Richter, welcher sich nur schwer auf den für die richtige Beurteilung der technischen Produktionsverhältnisse einer Zeitung maßgeblichen Standpunkt zu stellen imstande ist, zu dem Ergebnis gelangen [würde], daß man bei Anwendung pflichtmäßiger Aufmerksamkeit und Sorgfalt sehr wohl die Unrichtigkeit der tatsächlichen Angaben hätte erkennen können«287. Diese Überlegungen haben noch immer ihre Berechtigung. Allerdings ist es nicht allein der pressetypische Zeitdruck, der § 9 S. 2 UWG legitimiert. Denn Eile ist im heutigen Geschäftsleben zumeist geboten, ohne dass schon deswegen das Recht Milde walten lässt. Auch kann der Zeitdruck je nach Art des Presseerzeugnisses erheblich variieren: Es macht einen Unterschied, ob ein Anzeigenredakteur beispielsweise eine Tages- oder Wochenzeitung oder ein vierteljährlich erscheinendes Magazin betreut. Aus moderner Sicht greifen in § 9 S. 2 UWG mehrere Gesichtspunkte ineinander. Medien müssen sich einerseits durch Werbung, insbesondere durch Werbeanzeigen, finanzieren und sie sind andererseits, wenn eine geschäftliche Handlung vorliegt, für die von ihnen verbreiteten Informationen nach dem Lauterkeitsrecht dafür verantwortlich, selbst wenn die Informationen von Dritten stammen. Medienunternehmen stehen damit in doppelter Verantwortung. Sie müssen sowohl ihren medienspezifischen Aufgaben 283 Abgeordneter Roeren in der Sitzung vom 16.4.1896, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, IV. Session 1895/97, IX. Legislaturperiode, III. Band, S. 1711. 284 Man wird beispielsweise von einem durchschnittlichen Anzeigenredakteur kaum verlangen können, dass er sachgerecht darüber entscheiden kann, ob etwa das in einer Anzeige beworbene Präparat ein Arzneimittel, ein Nahrungsergänzungsmittel oder ein Lebensmittel ist – für die lauterkeitsrechtliche Beurteilung kann diese Unterscheidung aber von grundlegender Bedeutung sein. 285 Fuld, MuW 1908, 49, 50. 286 Fuld, MuW 1908, 49, 50; ähnlich Kohler, Der unlautere Wettbewerb, S. 289: Schutz der »Vertreter der Presse gegen endlose Bedrückungen«. 287 Fuld, MuW 1908, 49, 50.
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gerecht werden als auch darauf bedacht sein, nicht zum Handlanger rechtswidriger Praktiken zu werden. Die zur Veröffentlichung gebrachten Anzeigen werden zumeist vom jeweiligen Auftraggeber gestellt, der diese selbst oder von einem Dritten hat anfertigen lassen. Ein Anzeigenredakteur bekommt also in der Regel die fertig gestaltete Anzeige in die Hände und entscheidet lediglich über die Platzierung in der Zeitung, ohne Einflussmöglichkeit auf den Inhalt der Anzeige. Er hat vielfach nicht die Zeit und oftmals nicht die Sachkunde, um jede Anzeige eingehend auf eventuelle Rechtsverstöße prüfen zu können. Damit ist die besondere rechtliche und wirtschaftliche Risikosituation umschrieben, die schnell zur Existenzfrage werden kann. Die Finanzierung von Presse durch Werbung würde erheblich erschwert, wenn eine Schadensersatzhaftung bereits bei leichtester Fahrlässigkeit droht. Um das Risiko einer Haftung zu minimieren, müsste ein großer (und damit teurer) Prüfungsaufwand betrieben werden. Womöglich müsste häufig sogar auf einen Abdruck von Werbeanzeigen ganz verzichtet werden. § 9 S. 2 UWG dient damit der Gewährleistung der Finanzierung und Finanzierbarkeit von Medien durch Werbung. Indem Werbung als Finanzierungsquelle erhalten bleibt, wird damit zugleich die Existenz und Unabhängigkeit der Presse geschützt. 2. Anwendungsbereich § 9 S. 2 UWG erfasst dem Grunde nach288 sämtliche unlauteren Handlungen. Sie ist also nicht mehr – wie die Regelung vor der UWG-Reform 2004 – auf Fälle der irreführenden Werbung beschränkt. Die erhebliche Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereiches verdient uneingeschränkt Beifall. Es fehlte schon nach altem Recht an einleuchtenden Gründen, warum das Haftungsprivileg bei Irreführungen galt, nicht aber bei sonstigen unlauteren Handlungen, z.B. bei Herabsetzungen289. Das hatte Zufälligkeiten bei der Haftung zufolge und legte eine analoge Anwendung der Vorschrift über das Irreführungsverbot hinaus nahe290. Demgegenüber lehnte die höchstrichterliche Rechtsprechung eine Ausweitung des Presseprivilegs auf Verstöße gegen § 1 UWG a.F. ab291. Der Gesetzgeber hat diesen misslichen Zustand im Zuge der UWG-Reform 2004 behoben. Dies entspreche – so sagt es die amtliche Begründung in einem fast feierlichen Ton – »dem Geist der Pressegesetzgebung«292. Gleichwohl ist § 9 S. 2 UWG in mehrfacher Hinsicht korrekturbedürftig. Während die Norm in einigen Fällen noch immer zu kurz greift, weil sie der heutigen Medienrealität nicht gerecht wird, bedarf die Vorschrift in anderen Fällen der Einschränkung, um ungerechtfertigte Privilegierungen zu verhindern. 288
Zur teleologischen Reduktion der Vorschrift siehe sogleich unter b)., S. 675 f. BGH vom 26.4.1990, GRUR 1990, 1012 ff. – Pressehaftung. 290 Eine Analogie nach altem Recht befürwortend: Henning-Bodewig, GRUR 1985, 258, 261; Paschke, Medienrecht, Rn. 782. 291 BGH vom 26.4.1990, GRUR 1990, 1012, 1014 – Pressehaftung. 292 Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 23. 289
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§ 9. Verantwortlichkeit
a) Privilegierte Medien § 9 S. 2 UWG gilt nach dem Wortlaut nur für periodische Druckschriften. Der Wortlaut enthält damit eine doppelte Beschränkung: Die Vorschrift gilt nur für Druckschriften und nur für solche, die periodisch erscheinen. Diese Tatbestandsfassung entspricht indessen nicht der heutigen Medienwirklichkeit und verlangt nach Korrekturen. aa) Druckschriften Der Begriff der Druckschrift wird in § 9 S. 2 UWG im presserechtlichen Sinne verstanden293. Danach sind unter einer Druckschrift bzw. einem Druckwerk alle mittels der Buchdruckerpresse oder eines sonstigen Vervielfältigungsverfahrens hergestellten und zur Verbreitung in der Öffentlichkeit bestimmten Schriften, bildlichen Darstellungen mit oder ohne Schrift und Musikalien mit Text oder Erläuterungen zu verstehen294. Entscheidend ist, dass die Druckschrift eine stoffliche Verkörperung aufweist, die den geistigen Inhalt trägt und eine körperliche Verbreitung ermöglicht295. Aufgrund fehlender Materialisierung keine Druckschriften sind beispielsweise Projektionen, Rundfunkdarbietungen und Telemediendienste. Von periodisch erscheinenden Druckwerken wird im presserechtlichen Sinne gesprochen, wenn diese »in ständiger, wenn auch unregelmäßiger Folge und im Abstand von nicht mehr als sechs Monaten« erscheinen296. Von § 9 S. 2 UWG erfasst werden damit vor allem regelmäßig erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften. bb) Andere Medien Der Gesetzgeber hat es unterlassen, das Haftungsprivileg des § 9 S. 2 UWG der grundlegend veränderten Medienwirklichkeit anzupassen. Druckschriften bilden nur einen kleinen Ausschnitt der bunten und äußerst vielgestaltigen Medienlandschaft, zu der insbesondere der Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen) und die Neuen Medien gehören. Eine wortlautgetreue Anwendung von § 9 S. 2 UWG kann eigentümliche Ergebnisse zur Folge haben: Beispielsweise wird die lauterkeitsrechtliche Haftung für den gleichen Inhalt einer Werbeanzeige unterschiedlich beurteilt, je nachdem, ob die Werbeanzeige in der Papierausgabe einer Zeitschrift gedruckt wird oder auf den Internetseiten derselben Zeitschrift, etwa als Werbebanner, veröffentlicht wird. Hätte also der irreführende Inhalt einer Werbeaussage bei sorgfaltsgemäßem Verhalten des Anzeigenredakteurs erkannt werden können, dann haften dieser Redakteur und das Presseunternehmen gemäß § 9 S. 1 UWG auf Schadensersatz, wenn die Werbeanzeige im Internet erscheint. Denn eine Online-Ausgabe einer Zeitung ist mangels Verkörperung keine Druckschrift und § 9 S. 2 UWG findet nach dem 293
Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 23. Z.B. Art. 6 Abs. 2 LPresseG Bayern; zu den presserechtlichen Merkmalen eines Druckwerks Beater, Medienrecht, Rn. 163 ff. 295 Beater, Medienrecht, Rn. 169. 296 Z.B. Art. 6 Abs. 2 S. 2 LPresseG Bayern. 294
D. Medienspezifische Besonderheiten der Verantwortlichkeit
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Wortlaut keine Anwendung. Anders jedoch, wenn die gleiche Werbeanzeige in der Printausgabe veröffentlicht wird. Da § 9 S. 2 UWG eingreift, wäre eine Fahrlässigkeitshaftung ausgeschlossen.
Die Beschränkung des § 9 S. 2 UWG auf Druckschriften hat historische Gründe. Bei Erarbeitung des UWG 1896 und auch bei der Neufassung des UWG 1909 war die Presse das einzige bedeutende Massenmedium297. Die Notwendigkeit eines Existenzschutzes der Presse war gleichsam mit Händen zu greifen. Es gab im Bereich der Massenmedien noch keine ernsthaften Alternativen zur Presse. Hörfunk und Fernsehen steckten noch in den Kinderschuhen und eine weltweite digitale Vernetzung, wie sie durch das Internet ermöglicht wurde, lag in unvorstellbarer Ferne. Die Frage eines generellen Haftungsprivilegs für andere Medien stellte sich dementsprechend weder für die Verfasser des UWG 1896 noch des UWG 1909. Dagegen gibt es heute ganz verschiedenartige Medien, die noch dazu nicht beziehungslos nebeneinanderstehen, sondern mehr und mehr ineinandergreifen, wie das oben genannte Beispiel (Printversion und Online-Ausgabe einer Zeitung) klar belegt. Ein rechtliches Schutzbedürfnis besteht nun keineswegs nur hinsichtlich periodischer Druckschriften, sondern gleichermaßen für alle Medienunternehmen und zwar unabhängig davon, ob es sich nun um Presse, Rundfunk oder Neue Medien handelt. Die Gefahr, dass »vorgefertigte« Werbung lauterkeitsrechtlichen Anforderungen widerspricht, besteht unabhängig davon, in welchen Medien geworben wird. Sachlich rechtfertigen ließe sich das Privileg von periodischen Druckschriften nur dann, wenn diesen Medien eine besonders herausgehobene Stellung zukäme oder wenn Unternehmen, die periodische Druckschriften herstellen, besonders anfällig für eine lauterkeitsrechtliche Haftung wären. Beides ist aber nicht der Fall. Schon die verfassungsrechtliche Gleichstellung von Presse, Rundfunk und Film in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG spricht für einheitliche Maßstäbe. Zwar unterliegen die verschiedenen Medien unterschiedlichen Funktionsmechanismen und unterschiedlichen rechtlichen Regelungen, aber man kann nicht sagen, dass periodische Druckwerke in lauterkeitsrechtlicher Hinsicht einem gegenüber anderen Medien ungleich höheren Haftungsrisiko ausgesetzt wären, aus dem ein besonderes Schutzbedürfnis abgeleitet werden könnte298. Das Festhalten an dem Haftungsprivileg für periodische Druckwerke ist eher als Reminiszenz an die Vorgängernormen zu verstehen, die jedoch historisch in einer ganz andersartigen Medienlandschaft gewachsen sind. Es fehlt aus heutiger Sicht an überzeugenden Gründen für die Einschränkung des Haftungsprivilegs auf periodische Druckwerke. Der methodisch richtige Weg zur Beseitigung dieser unbefriedigenden Lage besteht indessen nicht in einer »verfassungskonformen Auslegung« des Begriffes Druckschrift299. Vielmehr liegt für andere Medien 297
Vgl. Faulstich, Mediengeschichte von 1700 bis ins 3. Jahrtausend, S. 59 ff., 108 ff. Auch die Begründung zum Regierungsentwurf bleibt dunkel und wiederholt im Wesentlichen nur den Gesetzeswortlaut, BT-Drucks. 15/1487, S. 23. 299 So aber Plaß, in: Heidelberger Kommentar, UWG § 9 Rn. 67. 298
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als periodische Druckschriften eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke vor, die mittels Analogie zu schließen ist. § 9 S. 2 UWG ist analog auf diejenigen Medien anzuwenden, die maßgeblich auf Werbeeinnahmen zur Finanzierung angewiesen sind und bei denen eine uneingeschränkte lauterkeitsrechtliche Haftung die Existenzfähigkeit und die im öffentlichen Interesse liegende Tätigkeit gefährdet300. Hiernach in den Schutzbereich der Norm einzubeziehen sind insbesondere der Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen) sowie redaktionelle Dienste in Telemedien. De lege ferenda sollte die Beschränkung auf Druckschriften in § 9 S. 2 UWG gestrichen werden. Stattdessen sollte ein allgemeines Haftungsprivileg für Medienunternehmen geschaffen werden. Der Begriff des Medienunternehmens könnte in Anlehnung an das österreichische Medienrecht verstanden werden als »ein Unternehmen, in dem die inhaltliche Gestaltung des Mediums besorgt wird und seine Herstellung und Verbreitung besorgt oder veranlaßt werden«301. cc) Periodizität Geht man nun diesen ersten notwendigen Schritt, sollte man weiterhin fragen, welche Bedeutung dem Erfordernis der Periodizität beizumessen ist. Im Zusammenhang mit Druckwerken bringt das Erfordernis der Periodizität zum Ausdruck, dass erst aufgrund des wiederkehrenden Erscheinens des Werkes die besondere Gefahrenlage entsteht, vor der § 9 S. 2 UWG schützen will. Bei periodisch erscheinenden Druckwerken besteht die Gefahr, dass eine eingehende Prüfung der Werbeanzeigen die Arbeit des Mediums erschwert, während sich dieses Problem weniger dringlich stellt, wenn es sich um einmalige Veröffentlichungen handelt oder um Werke, die in einem größeren zeitlichen Abstand veröffentlicht werden, beispielsweise Jahrbücher. In der Sache zielt das Erfordernis der Periodizität allerdings weniger auf das regelmäßige Erscheinen des Mediums, sondern auf die Periodizität der Werbefinanzierung. Die spezifische Gefahrenlage, vor der § 9 S. 2 UWG schützen will, tritt nämlich nur auf, wenn das Medium darauf angewiesen ist, ständig aufs Neue Werbung akquirieren zu müssen, um sich zu finanzieren. Vor diesem Hintergrund bereitet es nun keine Schwierigkeiten, das Merkmal der Periodizität auf andere Medien zu übertragen. Entscheidend ist dann nicht, ob in sich abgeschlossene Ausgaben eines Mediums erstellt werden302, was beispielsweise im Rundfunk und bei permanent aktualisierten Seiten im Internet nicht der Fall ist. Richtigerweise ist danach zu fragen, ob das Medium zur Finanzierung wiederkehrend auf Werbung angewiesen ist. Das wird beispielsweise im Rundfunk und bei Online-Ausgaben von Zeitungen regelmäßig zu bejahen sein. 300 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 9 Rn. 2.13; Koos, in: Fezer, UWG, § 9 Rn. 38; Lettl, Das neue UWG, Rn. 367; Petersen, Medienrecht, § 8 Rn. 44. Einschränkend Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 9 Rn. 118 und Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 9 Rn. 140. 301 § 1 Abs. 1 Nr. 6 MedienG. 302 So aber Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 9 Rn. 118.
D. Medienspezifische Besonderheiten der Verantwortlichkeit
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b) Teleologische Reduktion des »Presseprivilegs« Greift § 9 S. 2 UWG in wichtigen Bereichen zu kurz, bedarf der Wortlaut in anderen Fällen einer Einschränkung durch teleologische Reduktion. Das Haftungsprivileg dient dem Ausgleich von Risiken, die entstehen, wenn nicht Redakteure, sondern Dritte über den Inhalt von Werbung entscheiden und den Verantwortlichen des Medienunternehmens nur begrenzte Kontrollmöglichkeiten der Drittinhalte zur Verfügung stehen. Sofern diese besondere Gefahrenlage nicht besteht, entfällt der entscheidende Legitimationsgrund für ein lauterkeitsrechtliches Haftungsprivileg. Daraus folgt, dass § 9 S. 2 UWG nur Anwendung finden kann, wenn das Medienunternehmen keinen inhaltlichen Einfluss auf den Werbeinhalt hat. § 9 S. 2 UWG gilt deswegen nicht, wenn die Werbung durch die Verantwortlichen des Medienunternehmens inhaltlich mitgestaltet wird303. Die bloße äußere Gestaltung genügt hierfür allerdings nicht. Entscheidend ist die Möglichkeit zur Einflussnahme auf den Inhalt der Werbung. Denn bei der inhaltlichen Gestaltung nimmt das Medienunternehmen keine medienspezifische Aufgabe war, sondern wird als Hilfsperson des Werbenden tätig und ist in dieser Rolle beispielsweise mit dem Mitarbeiter einer Werbeabteilung des Unternehmens oder einer externen Werbeagentur vergleichbar. Dann ist es aber nur konsequent, wenn das Medienunternehmen und seine Mitarbeiter den gleichen Haftungsmaßstäben unterliegen. Da § 9 S. 2 UWG nur dem Schutz zulässiger Medientätigkeit dient, findet die Vorschrift des Weiteren keine Anwendung, wenn das Medienunternehmen die Grenzen des Lauterkeitsrechts überschreitet. Nicht anzuwenden ist § 9 S. 2 UWG deshalb, wenn die Unlauterkeit gerade in der unzulässigen Vermengung von redaktionellen Inhalten und Werbung besteht. Die medienrechtliche Pflicht zur Kennzeichnung von Werbung und Trennung zwischen redaktionellen Inhalten und Werbung304 dient nicht nur dem Schutz des Adressaten vor unzulässiger Beeinflussung. Zugleich dienen diese Grundsätze dem Schutz der Unabhängigkeit von Medien bei der Gestaltung ihrer Inhalte305. Wenn ein Medienunternehmen durch eigene Entscheidung seine redaktionelle Unabhängigkeit infrage stellt, dann muss es die sich daraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen tragen. Verstöße gegen das Kennzeichnungs- und Trennungsgebot verlangen in vollem Umfang nach lauterkeitsrechtlicher Kontrolle. Das an dem Verstoß mitwirkende Unternehmen kann sich deswegen nicht auf § 9 S. 2 UWG berufen, wenn es entgegen dem Trennungsgebot die Wahrnehmung der Medienfunktion und die eigene erwerbswirtschaftliche Betätigung unzulässig miteinander verquickt:
303 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG § 9 Rn. 142; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 9 Rn. 2.15. 304 Anhang Nr. 11 zu § 3 Abs. 3, § 4 Nr. 3, § 5a Abs. 2 UWG i.V.m. Art. 7 Abs. 2 RL 2005/29/ EG; ferner §§ 7 Abs. 3, 58 Abs. 1 RStV (für Rundfunk und Telemedien); z.B. Art. 9 Landespressegesetz Bayern (für Presseerzeugnisse). 305 BGH vom 22.2.1990, BGHZ 110, 278, 286 ff. – Werbung im Programm.
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Wenn beispielsweise ein Nachrichtenmagazin einen von der Presseabteilung eines Automobilunternehmens druckfertig formulierten »Fahrbericht« als redaktionellen Artikel veröffentlicht, dann kann dies gleich unter mehreren Aspekten eine unlautere Handlung darstellen306. Im Gegensatz zu einer fertig gestalteten Werbeanzeige betrifft der fertig gestaltete Artikel den Kernbereich redaktioneller Tätigkeit des Nachrichtenmagazins. Hier kann sich das Medienunternehmen nicht mit dem Hinweis auf die Fremdgestaltung des Artikels entlasten. Vielmehr liegt es gerade im originären Aufgabenbereich der Presse, die redaktionellen Inhalte mit der gebotenen Sorgfalt in redaktioneller Eigenverantwortung zu erstellen. Das Presseprivileg des § 9 S. 2 UWG greift demzufolge nicht ein.
3. Privilegierter Personenkreis § 9 S. 2 UWG spricht nur von verantwortlichen Personen, während § 13 Abs. 6 Nr. 1 UWG a.F. noch beispielhaft Redakteure, Verleger, Drucker und Verbreiter nannte. Diese Beispiele dürften auch nach geltendem Recht als Hauptanwendungsfälle für verantwortliche Personen anzusehen sein. Die Verantwortlichkeit richtet sich nach den für Schadensersatzansprüche geltenden Maßstäben. Jeder (Mit-)Täter oder Teilnehmer, der als Schuldner des lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzanspruchs in Betracht kommt, kann sich auf § 9 S. 2 UWG berufen.
III. Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für fremde Informationen Verbreitet ein Diensteanbieter Informationen, die gegen lauterkeitsrechtliche Bestimmungen verstoßen, dann gelten für seine Verantwortlichkeit die §§ 7 bis 10 TMG. Diese Vorschriften beinhalten Regelungen zur Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für eigene und fremde Informationen und gehen zurück auf die Art. 12 bis 14 RL 2000/31/EG. Inhaltlich entsprechen diese Vorschriften den Vorgängerregelungen in §§ 6 bis 9 MDStV und §§ 8 bis 11 TDG. Hiernach sind Diensteanbieter unter bestimmten Voraussetzungen für fremde Informationen nicht oder nur eingeschränkt verantwortlich und haften demgemäß nicht für informationsbedingte Schäden. Die §§ 7 bis 10 TMG begründen dabei jedoch keine Haftung des Diensteanbieters, sondern setzen die Existenz eines Haftungstatbestandes voraus307. 1. Anwendungsbereich Die §§ 7 bis 10 TMG gelten für Diensteanbieter. Im Sinne des TMG ist Diensteanbieter, wer eigene oder fremde Telemedien308 zur Nutzung bereithält oder den 306
Oben Fn. 306. Hoffmann, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, § 7 TMG Rn. 25. 308 Telemedien sind nach der Negativabgrenzung in § 1 Abs. 1 S. 1 TMG und § 2 Abs. 1 S. 3 RStV alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste, soweit sie nicht Telekommunikationsdienste nach § 3 Nr. 24 des Telekommunikationsgesetzes, die ganz in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr. 25 des Telekommunikationsgesetzes oder Rundfunk nach § 2 des Rundfunkstaatsvertrages sind. 307
D. Medienspezifische Besonderheiten der Verantwortlichkeit
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Zugang zur Nutzung vermittelt309. Im Kern umfasst das Angebot von Diensten den Umgang mit eigenen und fremden Informationen. Für eigene Informationen, die Diensteanbieter zur Nutzung bereithalten, sind diese nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich310. Anders liegt es dagegen bei fremden Informationen, also Informationen, die nicht vom Dienstanbieter stammen und deren Inhalte sich der Diensteanbieter auch nicht zu eigen gemacht hat. Das Gesetz unterscheidet zwischen verschiedenen technischen Vorgängen, nämlich der Durchleitung von Informationen und der Zugangsvermittlung311, der Zwischenspeicherung von Informationen312 (Caching) und der Speicherung von Informationen313 (Hosting). 2. Normzweck Die Sonderregelung der Verantwortlichkeit von Diensteanbietern im TMG rechtfertigt sich aus anderen Gründen als die Privilegierung von Medien durch § 9 S. 2 UWG. Zwar können Diensteanbieter auch redaktionell arbeiten und damit gleichermaßen rechtlichen Schutzes bedürfen wie die »klassischen« Massenmedien314. Indessen erstreckt sich das Telemediengesetz auf ganz verschiedenartige Dienste, die nur mehr oder weniger dem Bild etwa des Rundfunks entsprechen315. Die §§ 7 bis 10 TMG beinhalten eine Art Funktions- und Entwicklungsschutz für Diensteanbieter. Sie schützen die Verbreitung von Informationen und damit vor allem die Mittlerrolle von Diensteanbietern. Wer fremde Inhalte transportiert, gerät leicht in die »Schusslinie«, wenn diese Inhalte rechtswidrig sind. Würden nun Diensteanbieter ohne Einschränkungen für die Inhalte der von ihnen vermittelten Fremdinformationen haften, dann könnte dies ihre Tätigkeit empfindlich beeinträchtigen. Die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung erlauben es, mit vergleichsweise geringem Aufwand riesige Informationsmengen zu verbreiten. Ein Diensteanbieter kann aber fremde Informationen mit zumutbarem Aufwand nicht ohne Weiteres kontrollieren und er hat kaum Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Inhalte316. Der Einsatz technischer Hilfsmittel, etwa von Softwarefiltern, kann zwar im Einzelfall möglich sein, um rechtlich missbilligte Inhalte aufzufinden, wird aber häufig allenfalls eine Grobkontrolle ermöglichen. Eine umfassende und eingehende Untersuchung von Informationsinhalten würde die Bereitstellung und Nutzbarkeit von Informationen erheblich 309
§ 2 Nr. 1 TMG. § 7 Abs. 1 TMG. 311 § 8 TMG. 312 § 9 TMG. 313 § 10 TMG. 314 Gemäß §§ 55 ff. RStV gelten für die Anbieter von redaktionellen Telemedien im Wesentlichen die gleichen rechtlichen Anforderungen wie für den Rundfunk. 315 Mückl, JZ 2007, 1077, 1080 f. 316 Erw. 43 und 44 RL 2000/31/EG. 310
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§ 9. Verantwortlichkeit
verzögern und damit die an sich erwünschte Tätigkeit von Diensteanbietern erschweren oder vielfach sogar unmöglich machen. Zudem besteht die Gefahr, dass gleichsam durch die Hintertür eine Art Privatzensur eingeführt wird. Wenn nämlich Diensteanbieter als Informationsmittler uneingeschränkt für rechtswidrige Fremdinhalte zur Verantwortung gezogen werden könnten, dann stünde zu erwarten, dass möglicherweise auch die Verbreitung von nützlichen Informationen eingeschränkt und damit der Zugang zu Informationen versperrt wird. Ein umfassendes rechtliches Haftungsrisiko für Diensteanbieter könnte also das Angebot bestehender oder künftiger Dienste behindern und gefährden. Hieraus erschließt sich zugleich die Reichweite des telemedienrechtlichen Privilegs, das nur für fremde Informationen gilt. Soweit es um eigene Informationen geht, stellt sich die Problematik der Kontrolle von Inhalten nicht, weil der Diensteanbieter von eigenen Informationen stets Kenntnis haben muss und damit der »regulären« rechtlichen Verantwortlichkeit unterliegt. 3. Ausschluss der Verantwortlichkeit Im Unterschied zu § 9 S. 2 UWG knüpfen die §§ 7 bis 10 TMG nicht an einen bestimmten Grad des Verschuldens an, sondern schließen die Verantwortlichkeit eines Diensteanbieters unter jeweils bestimmten Voraussetzungen ganz aus. Dogmatisch kann diese Regelung als objektive Beschränkung des Pflichtenkreises des Diensteanbieters verstanden werden oder als Präzisierung bzw. Einschränkung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt317. Im ersten Fall wäre dem Diensteanbieter schon keine Pflichtverletzung vorzuwerfen; im zweiten Fall läge zwar gegebenenfalls eine Pflichtverletzung des Diensteanbieters vor, doch wäre diese nicht als schuldhaft anzusehen. § 7 Abs. 2 S. 2 TMG deutet auf die zweite Lesart318. Denn gemäß dieser Bestimmung bleiben Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen auch im Falle der Nichtverantwortlichkeit unberührt. Daraus folgt, dass ein Diensteanbieter auch bei Nichtverantwortlichkeit (also bei fehlendem Verschulden) wegen einer Pflichtverletzung beispielsweise auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann. Die Verantwortlichkeit ist rechtsgebietsübergreifend zu verstehen und erstreckt sich sowohl auf das Strafrecht als auch das Privatrecht319. Die §§ 7 bis 10 317 Im Schrifttum hat sich darüber hinaus Streit daran entzündet, ob den §§ 7 bis 10 TMG eine Funktion als »Vorfilter« oder als »Nachfilter« im jeweiligen Haftungstatbestand zukommt, siehe dazu Hoffmann, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, § 7 TMG Rn. 26 ff. Dieser Streit ist allerdings im Hinblick auf die dogmatische Einordnung der §§ 7 bis 10 TMG unergiebig. 318 In diesem Sinne ist wohl auch die Begr. im Regierungsentwurf, BT-Drucks. 13/7885, S. 19 zu verstehen. Danach bezieht sich der Begriff der Verantwortlichkeit »auf das Einstehenmüssen für eigenes Verschulden«. 319 BGH vom 23.9.2003, NJW 2003, 3764 f. – Rassistische Hetze; BGH vom 11.3.2004, BGHZ 158, 236, 246 – Internet-Versteigerung I; BGH vom 19.4.2007, BGHZ 172, 119 Tz. 17 – InternetVersteigerung II.
D. Medienspezifische Besonderheiten der Verantwortlichkeit
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TMG gelten dabei unstreitig für die verschuldensabhängigen Schadensersatzansprüche. Dies gilt unabhängig davon, auf welche Anspruchsgrundlage der Schadensersatzanspruch gestützt wird. Keine Anwendung finden die §§ 7 bis 10 TMG hingegen auf Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche320. Dies folgt aus § 7 Abs. 2 S. 2 TMG und aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift321.
320 321
BGH vom 11.3.2004, BGHZ 158, 236, 246 ff. – Internet-Versteigerung I. BGH vom 11.3.2004, BGHZ 158, 236, 247 ff. – Internet-Versteigerung I.
§ 10. Einwendungen und Durchsetzbarkeit Einem auf Schadensersatz oder Abschöpfung in Anspruch genommenen Unternehmer stehen unterschiedliche »Verteidigungsmöglichkeiten« gegen eine Inanspruchnahme zur Verfügung1. Dabei handelt es sich nicht nur um Einwendungen im technischen Sinne, sondern im Einzelnen um unterschiedliche Aspekte. Im Folgenden sollen drei besonders wichtige Fragen herausgegriffen werden: Erstens der Einwand des Verletzers, sein Verhalten sei ausnahmsweise erlaubt (also gerechtfertigt), zweitens das Vorbringen, die Geltendmachung eines Anspruchs sei rechtsmissbräuchlich oder der Anspruch sei verwirkt und drittens die Einrede der Verjährung.
A. Rechtswidrigkeit I. Ausgangsfragen Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche nach UWG und GWB setzen selbstverständlich voraus, dass die Zuwiderhandlung rechtswidrig war. Dass die jeweiligen Haftungstatbestände die Widerrechtlichkeit nicht besonders erwähnen, liegt in der besonderen Struktur der Haftung in UWG und GWB begründet. Tatbestand und Rechtswidrigkeit gehen im Lauterkeits- und Kartellrecht fließend ineinander über und die »Hauptlast« der Rechtsanwendung liegt in dem exakten Herausarbeiten der jeweiligen Verhaltenspflichten im Wettbewerb und der zugrunde liegenden Interessenlage. Eine gewisse Sonderstellung nehmen nur die §§ 16 bis 19 UWG ein, die – der strafrechtlichen Unterscheidung zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld folgend – stets eine separate Prüfung der Rechtswidrigkeit verlangen. Von diesen Sonderfällen abgesehen ist im Rahmen der notwendigen Interessenabwägung jeweils im konkreten Einzelfall festzustellen, ob eine unlautere oder kartellrechtswidrige Handlung vorliegt. Wird ein solcher Verstoß festgestellt, dann ist zugleich die Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens indiziert und bedarf keiner besonderen Begründung mehr. Sprechen umgekehrt triftige Gründe dafür, das fragliche Verhalten im konkreten Fall als zulässig anzusehen, dann entfällt damit bereits der Vorwurf unlauteren oder kartellrechtswidrigen Verhaltens, sodass es einer geson1 Zusammenstellung etwa bei Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 16 bis 19.
A. Rechtswidrigkeit
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derten Prüfung der Rechtswidrigkeit und des Eingreifens eines Rechtfertigungsgrundes nicht mehr bedarf. Besondere Umstände, z.B. geschäftliche Notlagen und sonstige außergewöhnliche Situationen, können regelmäßig innerhalb der jeweiligen Verbotstatbestände berücksichtigt werden. Vielfach enthalten gesetzliche Verbotstatbestände bereits Ausnahmen, die eine Berücksichtigung besonderer Umstände ermöglichen und damit eine Prüfung von Rechtfertigungsgründen entbehrlich machen. Wenn beispielsweise Lebensmittel wegen drohenden Verderbs oder drohender Unverkäuflichkeit unter Einstandspreis verkauft werden, dann liegt gemäß § 20 Abs. 4 S. 3 GWB schon kein tatbestandlicher Kartellrechtsverstoß gegen § 20 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 GWB vor. Eine Prüfung der Rechtswidrigkeit ist – obschon das Gesetz in § 20 Abs. 4 S. 2 GWB von sachlicher Rechtfertigung spricht – entbehrlich. Entsprechendes gilt, wenn z.B. eine vertrauliche Mitteilung eine geschäftsschädigende Behauptung über einen Mitbewerber enthält und der Mitteilende oder der Empfänger an dieser Mitteilung ein berechtigtes Interesse hat. Liegt ein berechtigtes Interesse vor, dann verstößt die Äußerung nicht gegen § 4 Nr. 8 UWG und ist demzufolge nicht als unlauter anzusehen. Ohne gesetzliche Ausnahmetatbestände lassen sich Problemfälle durch eine Interessenabwägung sachgerecht lösen. Wenn beispielsweise eine als vorrätig beworbene Ware aus unvorhersehbaren und vom Unternehmer nicht abwendbaren Umständen nicht zum Verkauf vorrätig gehalten werden kann, dann ist nach der Rechtsprechung gleichwohl kein Verstoß gegen das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot anzunehmen. Denn die Verkehrsauffassung rechne mit unvermeidbaren Ereignissen, die nachträglich und unvorhersehbar eintreten und vom Anbieter weder zumutbar abzuwenden noch von ihm zu vertreten seien, sodass die Ankündigung in solchen Fällen bei Ausbleiben der Ware noch keine Irreführung darstelle2.
Auf rechtswidrige Verhaltensweisen im Wettbewerb sind die »klassischen« Rechtfertigungsgründe nicht zugeschnitten. Beispielsweise sind Notwehr3 und Notstand4 als Rechtfertigungsgründe auf Gefährdungslagen für Individualrechtsgüter (Leib, Leben oder Eigentum) ausgerichtet. Schon der Gedanke an Notwehr im Wettbewerb mutet eigenartig an. Eine Gefährdung individueller oder überindividueller Interessen kann wettbewerbswidrige Verhaltensweisen nicht legitimieren. Der Selbsthilfe zur Sicherung der Durchsetzbarkeit von Ansprüchen5 kommt angesichts der exzellent ausgebauten Rechtsschutzmöglichkeiten im Lauterkeits- und Kartellrecht kaum Bedeutung zu. Allerdings taucht der Rechtsgedanke der Selbsthilfe im Zusammenhang mit Abwehrhandlungen im Wettbewerb in modifizierter Form auf6. Nochmals besondere Fragen wirft die Einwilligung in wettbewerbswidrige Verhaltensweise auf7.
2 3 4 5 6 7
Vgl. BGH vom 27.5.1982, GRUR 1982, 681, 682 – Skistiefel. § 227 BGB; § 32 StGB. §§ 228, 904 BGB; § 34 StGB. § 229 BGB. Dazu sogleich unter II. 1., S. 683 f. Dazu sogleich unter II. 2., S. 684 f.
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§ 10. Einwendungen und Durchsetzbarkeit
Sofern der Gedanke einer Rechtfertigung vereinzelt doch herangezogen wird, geht es zumeist in Wahrheit darum, ein zu weit geratenes Verbot im Einzelfall auf das rechte Maß zurückzustutzen. Illustratives Anschauungsmaterial lieferte in der Vergangenheit vor allem die vergleichende Werbung. Sie wurde in Deutschland lange Zeit als unlauter angesehen8 und erst auf Druck des Gemeinschaftsrechts zugelassen9. Um an dem Grundsatz des Verbots vergleichender Werbung festhalten zu können, fragte die Rechtsprechung vielfach einzelfallbezogen, ob rechtfertigende Umstände vorlagen, die eine ausnahmsweise Durchbrechung des Grundsatzes erlaubten: Die Biäquivalenz-Werbung-Entscheidung lehnte beispielsweise eine Rechtfertigung für eine vergleichende Werbung eines Generikum-Arzneimittelherstellers ab10. Selbst wenn durch den Vergleich eine bestmögliche Information für den Arzt gewährleistet und dieser Vergleich am ehesten geeignet sei, den Arzt zur Substitutierbarkeit des (teuren) Originalpräparats durch das Generikum-Präparat zu veranlassen, könne dies einen Werbevergleich nicht rechtfertigen. Das allein als Rechtfertigungsgrund in Betracht kommende Interesse der Allgemeinheit an der Kostendämpfung im Gesundheitswesen sei ein rein wirtschaftliches Interesse und einem solchen Interesse komme für die Frage, ob der Schutz des Mitbewerbers gegen direkte und zugleich der Abwerbung von Kunden dienende Anlehnung ihm gegenüber zurückzutreten habe, eine von Haus aus geringere Bedeutung zu als anderen Interessen der Allgemeinheit11. Die Begründung leidet daran, dass wichtige Interessen, nämlich das Interesse der Nachfrager an niedrigen Preisen12 und Informationsinteressen, verdunkelt und missachtet werden. Rechtfertigende Interessen der Allgemeinheit bejaht dagegen die Pelzversand-Entscheidung. Danach stellte es keinen Verstoß gegen § 1 UWG a.F. dar, wenn ein Mitbewerber die Öffentlichkeit über Missstände informiert, »die das Allgemeininteresse in schwerwiegender Weise berühren und von denen nur die Mitbewerber Kenntnis haben«13. Die Entscheidung verdeutlicht, dass ein rigides Verbot vergleichender Werbung unter Umständen dazu führen kann, dass Marktakteuren wichtige Informationen vorenthalten werden. Aufmerksamkeit verdient schließlich eine Passage aus der Begründung der MotorjachtEntscheidung. Dieser Streitfall betraf die eine in Form vergleichender Werbung gekleidete Warnung des Beklagten vor der (tatsächlich nicht gegebenen) Seetüchtigkeit von Motorjachten des Klägers. In der Begründung führt das Gericht aus: »Wenn auch nicht jede irgendwie geartete Gefährdung anderer Menschen schon ein ausreichender Grund dafür sein kann, die Erzeugnisse eines Mitbewerbers im internen Gespräch mit Kaufinteressenten herabzusetzen, so handelte es sich hier doch (…) um eine besonders dringende, für den Nichtfachmann nur schwer erkennbare Lebensgefahr, der zu begegnen nicht nur das
8
Zur Entwicklung siehe etwa Sack, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 6 Rn. 1 ff. 9 Siehe dazu die RL 97/55/EG (jetzt integriert in der RL 2006/114/EG) und die vorfristige Umsetzung durch BGH vom 5.2.1998, BGHZ 138, 55 ff. – Testpreis-Angebot. 10 BGH vom 30.3.1989, BGHZ 107, 136 ff. – Bioäquivalenz-Werbung. 11 BGH vom 30.3.1989, BGHZ 107, 136, 140 – Bioäquivalenz-Werbung. 12 Dazu Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 14 Rn. 1 ff. 13 BGH vom 10.1.1968, BGHZ 50, 1, 6 – Pelzversand.
A. Rechtswidrigkeit
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Recht, sondern auch die moralische Pflicht der Beklagten war«14. Schon die zum Ausdruck kommende Überlegung des Gerichts, nicht jede Gefährdung von Menschen legitimiere ein »Schlechtmachen« der Konkurrenz, mutet – zurückhaltend gesagt – sonderbar und befremdlich an. Vollends grotesk wird es, wenn das Gericht eine moralische Pflicht des Beklagten zur Warnung vor den Konkurrenzprodukten ins Feld führt und im gleichen Atemzug an der Sittenwidrigkeit vergleichender Werbung festhält. In den Augen der Richter hatte der Beklagte die moralische Pflicht, sich im lauterkeitsrechtlichen Sinne sittenwidrig zu verhalten. Noch weiter kann man sich von einer rational nachvollziehbaren Argumentation kaum entfernen.
Diese Beispiele belegen, dass vergleichende Werbung unter Umständen sehr nützlich sein kann und das grundsätzliche Verbot vergleichender Werbung verfehlt war. Um aber nicht diesen Grundsatz infrage stellen zu müssen, verfielen die Richter auf den Kunstgriff des ausnahmsweise zulässigen (»gerechtfertigten«) Vergleichs. Eine weitere Spielart war der sogenannte Abwehrvergleich, der zugleich als ein Unterfall wettbewerblicher Abwehr angesehen wurde15. Wenn das Bedürfnis einer Prüfung von Rechtfertigungsgründen entsteht, dann kann dies ein Indiz dafür sein, dass ein Verbotstatbestand zu weit gefasst, also »falsch« zugeschnitten und deswegen korrekturbedürftig ist. In solchen Fällen ist es methodisch verfehlt, nach Rechtfertigungsgründen zu suchen. Vielmehr muss stattdessen das Gebot oder Verbot präziser gefasst werden, die tangierten Interessen der Marktakteure müssen genauer benannt und gegeneinander abgewogen werden und schließlich müssen die maßgeblichen Wertungen herausgearbeitet und gewichtet werden. Eine »Flucht« in Rechtsfertigungsgründe führt zu intransparenten Scheinbegründungen.
II. Einzelfragen 1. Abwehrhandlungen Nicht selten wendet ein Unternehmer bei Inanspruchnahme ein, sein Wettbewerbsverstoß müsse als ausnahmsweise zulässig angesehen werden, weil seine Handlung dazu diente, einen wettbewerbswidrigen Angriff abzuwehren. Solche Abwehrsituationen können in unterschiedlichen Konstellationen auftreten. Beispielsweise ist zu denken an die (ihrerseits unlautere) Richtigstellung von unzutreffenden Äußerungen16 oder an Fälle eines sogenannten Abwehrboykotts17. Der bereits erwähnte Abwehrvergleich spielt dagegen heute keine Rolle mehr, da § 6 Abs. 2 UWG die Zulässigkeit der vergleichenden Werbung abschließend regelt.
14
BGH vom 27.11.1970, GRUR 1971, 159, 160 – Motorjacht. Dazu nur Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, UWG (22. Aufl. 2001), § 1 UWG Rn. 369 ff. 16 Z.B. BGH vom 3.12.1998, BGHZ 140, 134 ff. – Hormonersatztherapie. 17 Z.B. BGH vom 21.11.1958, GRUR 1959, 244 ff. – Versandbuchhandlung. 15
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§ 10. Einwendungen und Durchsetzbarkeit
Die Problematik von Abwehrhandlungen wird häufig unter dem Schlagwort des »Abwehreinwands« zusammengefasst und in einen sachlichen Zusammenhang mit der Rechtsdurchsetzung gestellt18. Vielfach finden sich dabei terminologische Anleihen aus dem Notwehrrecht. Es werden etwa Kriterien wie Angriff, Abwehrlage, Geeignetheit der Abwehrmaßnahme usw. herangezogen19. Indessen handelt es sich um Rechtsfragen, die mit Rechtfertigungsgründen wie Notwehr und Notstand nur bedingt vergleichbar sind. Denn im Gegensatz zu Notwehr und Notstand schlagen Abwehrhandlungen im Wettbewerbsgeschehen typischerweise nicht nur auf den Angreifer zurück, sondern greifen in die Interessen Dritter ein und betreffen damit Unbeteiligte, insbesondere Verbraucher20. Abwehrkonstellationen verlangen deswegen komplexe Abwägungen im Einzelfall und eine »Prüfung des Gesamtverhaltens des Wettbewerbers nach seinem konkreten Anlass, Zweck und Mittel, seinen Begleitumständen und Auswirkungen«21. Die Rechtsordnung muss eine Aussage darüber treffen, wie ein Unternehmen in besonderen Situationen auf »Angriffe« im Wettbewerbsgeschehen reagieren darf und ob es zur Abwehr beispielsweise zulässig sein kann, Maßnahmen zu ergreifen, die Dritte beeinträchtigen. Allerdings gilt auch hier, dass die Interessenabwägung bereits im Rahmen der Entscheidung stattfinden muss, ob ein unlauteres oder kartellrechtswidriges Verhalten vorliegt. Die Abwehrproblematik betrifft nicht erst die Sanktionsebene. Im Rahmen dieser Untersuchung soll den damit verbundenen Detailfragen daher nicht weiter nachgegangen werden22. 2. Einwilligung Eine Einwilligung des Verletzten kann einen Eingriff in seine Rechtssphäre legitimieren. Sie wird im Zusammenhang mit Rechtsverstößen im Wettbewerb im Gesetz nur vereinzelt erwähnt23. Die Einwilligung als Erlaubnistatbestand für ein »an sich« rechtswidriges Verhalten ist auf Zwei-Personen-Verhältnisse zugeschnitten, in denen der Verletzte dem Verletzer einen Eingriff in seine geschützte Sphäre gestattet. Wenn eine Einwilligung rechtliche Wirkungen entfalten soll, dann setzt dies – neben weiteren Anforderungen – grundsätzlich voraus, dass der Einwilligende zur Disposition über das Rechtsgut oder Interesse befugt ist, in das eingegriffen wird24. Das ist unproblematisch, wenn der Einwilligende alleiniger 18 Siehe etwa Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 8 Rn. 192 ff.; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 24 Rn. 12 ff. 19 Siehe nur Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 8 Rn. 195 ff. 20 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 29 Rn. 3. 21 BGH vom 3.12.1998, BGHZ 140, 134, 139 – Hormonersatztherapie. 22 Näher dazu Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 29; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 18. 23 § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG. Das Gesetz unterscheidet dabei zwischen der vorherigen ausdrücklichen Einwilligung und der mutmaßlichen Einwilligung. Indirekt angesprochen wird die Einwilligung bzw. deren Verweigerung auch in § 7 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 Nr. 1 UWG. 24 Ohly, »Volenti non fit iniuria«, S. 392 ff.
A. Rechtswidrigkeit
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Inhaber der geschützten Rechtsposition ist25. Solche individualbezogenen Schutzpositionen sind im Wettbewerb jedoch aufgrund der mehrdimensionalen Interessenlage eher selten. Als Beispiele für Verstöße, die allein Individualinteressen Einzelner betreffen, werden bisweilen § 4 Nr. 7 bis 10 UWG und §§ 16 ff. UWG26 genannt, doch betreffen diese Vorschriften keineswegs ausschließlich Individualinteressen. Beispielsweise schädigt eine unwahre Tatsachenbehauptung, die zugleich herabsetzend ist27, nicht nur die »geschäftliche Ehre« des Mitbewerbers, sondern sie kann zugleich die Informationslage verfälschen und damit die Entscheidungsgrundlage anderer Marktakteure beeinträchtigen28. § 4 Nr. 9 UWG kann nicht nur den Originalhersteller, sondern auch die Abnehmer schützen und der Anwendungsbereich von § 4 Nr. 10 UWG ist so weit gefasst, dass die Norm ganz verschiedenartige Verhaltensweisen betrifft und nicht auf individualbezogene Beeinträchtigungen verengt werden kann. Schließlich schützt § 16 UWG zwar Individualinteressen, richtet sich aber zugleich gegen besonders »breitenwirksame« und damit »gemeinschädliche« Werbepraktiken29. Um den Schutz »reiner« Individualinteressen geht es nur beim Schutz von Betriebsgeheimnissen in §§ 17 bis 19 UWG. Im Rahmen dieser Tatbestände ist die Problematik einer Einwilligung des Berechtigten allerdings schon im Gesetzeswortlaut enthalten. Vorausgesetzt wird darin nämlich regelmäßig ein »unbefugtes« Verhalten, das insbesondere dann nicht vorliegt, wenn der Berechtigte eingewilligt hat30.
Durch eine unlautere oder kartellrechtswidrige Handlung werden typischerweise nicht nur die Individualinteressen des Verletzten tangiert, sondern darüber hinaus die Interessen Dritter. In einem solchen Fall müssten die Drittbetroffenen ebenfalls einwilligen, um der Handlung die Tatbestandsmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit zu nehmen. Noch weiter gehend stehen überindividuelle Interessen überhaupt nicht zur Disposition Einzelner, sodass eine Einwilligung insoweit grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Daher kommt der Frage einer möglichen Einwilligung bei Abschöpfungsansprüchen von vornherein keine Bedeutung zu31. Wenn nicht nur Individualinteressen eines Einzelnen durch eine Handlung im Wettbewerb beeinträchtigt werden, dann kann sich nur die Frage stellen, ob der Verletzer bei einer Inanspruchnahme mit Erfolg einwenden kann, der Geschädigte habe eingewilligt und damit sei jedenfalls dessen Schadensersatzanspruch ausgeschlossen. Im Unterschied zu den oben genannten Fällen beruht ein solcher Einwand auf der Überlegung, der Verletzte habe in die mit dem Rechtsverstoß verbundene Gefahr eingewilligt und damit auf den repressiv-restitutiven Rechtsschutz verzichtet32. Eine solche Einwilligung des Geschädigten lässt weder die 25
Ohly, »Volenti non fit iniuria«, S. 393 f. Fritzsche, in: Münchener Kommentar, UWG, § 11 Rn. 234. 27 § 4 Nr. 7 und Nr. 8 UWG. 28 Eichholz, Herabsetzung durch vergleichende Werbung, S. 35 ff. 29 Alexander, WRP 2004, 407, 409 f. 30 Siehe nur Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 17 Rn. 21. 31 Damit nicht zu verwechseln ist der Verzicht auf die Durchsetzung des Anspruchs durch einen Anspruchsberechtigten; dazu oben, § 6. C. III. 2., S. 489 ff. 32 Vgl. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 282. 26
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§ 10. Einwendungen und Durchsetzbarkeit
Tatbestandsmäßigkeit noch die Rechtswidrigkeit der fraglichen Verhaltensweise entfallen und verwehrt dem Verletzten lediglich die Möglichkeit, wegen der Gefährdung Schadensersatz zu verlangen. Zu dem gleichen Ergebnis führt es, wenn man – ohne den Rechtsgedanken der Einwilligung heranzuziehen – ein späteres Schadensersatzverlangen des Geschädigten nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) als ausgeschlossen ansieht, wenn der Geschädigte zunächst zu erkennen gibt, mit einer Gefährdung einverstanden zu sein, sodann aber wegen dieses Eingriffs Schadensersatz verlangt33.
B. Rechtsmissbrauch und Verwirkung Erhebt der Verletzer im Falle der Geltendmachung von Schadensersatz- oder Abschöpfungsansprüchen den Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens oder beruft er sich auf die Verwirkung, dann zielt diese Verteidigung vor allem auf die Person des Anspruchstellers und dessen rechtliche Befugnis, den privatrechtlichen Anspruch geltend machen zu dürfen. Beide Einwände werden in lauterkeitsrechtlichen Streitfällen gerne erhoben und beschäftigen die Gerichte häufiger. Im Kartellrecht stellt sich die Frage eines Rechtsmissbrauchs dagegen schon wegen der geringen Zahl von Klagen seltener; bisweilen tauchen verwandte Probleme aber einfach in anderen sachlichen Zusammenhängen auf. Ob beispielsweise ein Unternehmen, das an einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung beteiligt ist, Schadensersatz wegen dieses Kartellrechtsverstoßes verlangen kann, ist schon auf der Ebene der Anspruchsberechtigung zu lösen und muss daher nicht als separater Einwand des Rechtsmissbrauchs geprüft werden34. Im Lauterkeitsrecht ist der Einwand des Rechtsmissbrauchs hingegen für so wichtig erachtet worden, dass sich für Abwehransprüche in § 8 Abs. 4 UWG sogar eine eigenständige gesetzliche Regelung findet. Rechtsmissbrauch und Verwirkung stehen der Durchsetzung eines Anspruchs entgegen. Sofern keine spezialgesetzlichen Regelungen existieren, beruhen Rechtsmissbrauch und Verwirkung auf dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB)35. Sie sind aber an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft und folgen unterschiedlichen Grundgedanken. Wird der Vorwurf des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens gegen den Gläubiger eines Schadensersatzoder Abschöpfungsanspruchs erhoben, dann wird dem Anspruchsinhaber damit die rechtliche Legitimation abgesprochen, den Anspruch geltend zu machen, weil die Durchsetzung des Anspruchs den Boden des Rechts verlässt und das 33 Vgl. LG Wien vom 29.1.1965, NJW 1966, 305, 307; undeutlich, aber in der Sache in die gleiche Richtung zielend BGH vom 5.11.1974, BGHZ 64, 140, 143 f. 34 Siehe unten I. 3. c) und § 5 C. II. 4., S. 696 f. und S. 367 ff. 35 So die h.M.: Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 214; Roth, in: Münchener Kommentar, BGB, § 242 Rn. 134. Anders Teichmann, in: Soergel, BGB, § 242 Rn. 11 ff., der den Rechtsmissbrauch als eigenständige Rechtsfigur ansieht.
B. Rechtsmissbrauch und Verwirkung
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Recht zu missbilligten Zwecken instrumentalisiert wird. Das schädigende Verhalten des Verletzers wird gleichsam von dem schädlichen Verhalten des Anspruchsberechtigten übertroffen, was zur Folge hat, dass sich die Rechtsordnung nunmehr schützend vor den Verletzer stellt und seine Inanspruchnahme verhindert. Bei der Verwirkung müssen dagegen mehrere Momente zusammentreffen. Erst im Rahmen einer »Gesamtschau« der Umstände des Einzelfalls lässt sich dann beurteilen, ob ein Anspruch tatsächlich verwirkt ist, also der Schuldner vor einer Inanspruchnahme durch den Gläubiger geschützt wird. Die sachliche Abgrenzung zwischen Rechtsmissbrauch und Verwirkung kann schwierig sein und die Übergänge sind mitunter fließend.
I. Rechtsmissbrauch 1. Ausgangsfragen Rechtsmissbrauch ist ein schillernder und inhaltlich nur schwer fassbarer Begriff. Ein Rechtsmissbrauch wird oft behauptet, liegt selten vor und ist im Streitfall kaum zu beweisen. Vielfach wird zwischen einem individuellen und einem institutionellen Rechtsmissbrauch unterschieden36, doch darf man den Erkenntniswert dieser Unterscheidung nicht überschätzen. Man kann überdies zweifeln, ob der »institutionelle Rechtsmissbrauch« überhaupt als ein Rechtsmissbrauch bezeichnet werden sollte. Denn gemeint sind hierbei Fälle, in denen eine vorgesehene Rechtsfolge im konkreten Einzelfall als unangemessen erscheint, weil sie zu untragbaren Ergebnissen führen würde. In einem solchen Fall liegt eher eine Fehlwirkung des Rechts vor. Unabhängig von dieser (letztlich nachrangigen) Systematisierungsfrage liegt dem Rechtsmissbrauch jedenfalls kein einheitlich strukturierter Tatbestand mit festen Voraussetzungen zugrunde, sondern die Beurteilung eines Verhaltens als Rechtsmissbrauch verlangt stets eine wertende Betrachtung im Einzelfall37. Im Folgenden sollen allein die Fälle des Rechtsmissbrauchs durch unzulässige Rechtsausübung näher betrachtet werden, also gleichsam die »Zweckentfremdung« des Rechts. Der Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Verhaltens wiegt schwer. Wer rechtsmissbräuchlich handelt, nutzt das Recht in einer unzulässigen und von der Rechtsordnung nicht mehr akzeptierbaren Weise aus. Um die Tragweite des Vorwurfs rechtsmissbräuchlichen Verhaltens richtig einzuordnen, muss man bedenken, dass der Einzelne von Handlungsbefugnissen, die ihm die Rechtsordnung einräumt, grundsätzlich Gebrauch machen darf, selbst wenn anderen Rechtssubjekten dadurch ein erheblicher Nachteil zugefügt wird. Die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches ist beispielsweise nicht allein deswegen rechtsmissbräuchlich, weil es sich um einen bloßen Bagatellschaden handelt und die 36
Grüneberg, in: Bamberger/Roth, BGB, § 242 Rn. 51; Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 217. 37 Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 218.
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§ 10. Einwendungen und Durchsetzbarkeit
Schadensabwicklung für den Schädiger lästig ist. Ebenso wenig kann ein Rechtsmissbrauch angenommen werden, sollte der Schadensersatzanspruch den Schuldner in den Ruin stürzen. Wenn die Rechtsordnung auf eine privatrechtliche Sanktionierung von Rechtsverstößen setzt, dann darf diese grundsätzliche Entscheidung nicht durch eine inflationäre Annahme von Missbrauchsfällen »durch die Hintertür« ausgehebelt werden38. An die Annahme eines Rechtsmissbrauchs sind daher grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen. Vor allem müssen die Wertungskriterien offengelegt werden, die für eine Rechtsmissbräuchlichkeit im konkreten Fall sprechen. Der rechtliche Umgang mit dem Rechtsmissbrauch wird zusätzlich erschwert, weil vielfach materiellrechtliche Sachfragen unter dem irreführenden Etikett des Rechtsmissbrauchs diskutiert werden. Daher sollte stets geprüft werden, ob ein etwaiger Rechtsmissbrauch nicht bereits als Wertungsgesichtspunkt auf anderer Ebene zu berücksichtigen ist. Ein solches Vorgehen ermöglicht es nicht nur, die maßgeblichen rechtlichen Anknüpfungspunkte exakter zu benennen und damit auch die entscheidenden Wertungskriterien präziser herauszuarbeiten, sondern insgesamt kann die Rechtsanwendung dadurch an Transparenz und Überzeugungskraft gewinnen. Geht man konsequent so vor, dann ist schnell zu erkennen, dass von dem (scheinbar) umfangreichen Problemfeld des Rechtsmissbrauchs im Wettbewerb auf Sanktionsebene letzten Endes nur ein sehr bescheidener Restbestand »echter« Anwendungsfälle verbleibt. Dass der Gedanke des Rechtsmissbrauchs im Zusammenhang mit Rechtsverstößen im Wettbewerb immer wieder auftaucht, ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Möglicherweise ist die Vorstellung, dass derjenige, der selbst »Dreck am Stecken« hat, sich nicht zum Richter über die Rechtsverstöße anderer aufschwingen darf39, psychologisch verwurzelt und daher ein zutiefst menschliches Empfinden40. Dieses ohnehin schon vorhandene »Rechtsgefühl« fällt vor allem im Lauterkeitsrecht auf besonders fruchtbaren Boden, weil der in § 1 UWG a.F. verwendete Begriff der »guten Sitten« lange Zeit (auch) im Sinne sittlich-moralischer Kategorien verstanden wurde41 und im Übrigen die in Zunfttradition stehende Vorstellung des ehrbaren Miteinanders der Kaufleute fortlebte. Auf einer solchen Grundlage bereitet es wenig Mühe zu argumentieren, einem Anspruchsberechtigten, der sich selbst moralisch nicht integer verhalte, sei die Befugnis zur Verfolgung anderer Rechtsverstöße im Wettbewerb abzusprechen. Des Weiteren muss man berücksichtigen, dass die Verfolgung überindividueller Interessen durch privatrechtliche Ansprüche bis heute Miss-
38
Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 30 Rn. 145. Zu diesem »unclean hands«-Einwand sogleich im Text unter 3. a), S. 693. 40 Ähnlich Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242, S. 31 f.: goldene Regel der ethischen Tradition. 41 Insbesondere durch die bürgerlichrechtliche »Wunderformel« des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden, die z.T. auch auf § 1 UWG a.F. angewendet wurde; siehe dazu nur Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, UWG (22. Aufl. 2001), Einl. Rn. 66 ff. 39
B. Rechtsmissbrauch und Verwirkung
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trauen weckt42. Wer mit privatrechtlichen Mitteln andere als die eigenen Interessen verfolgt, sieht sich leicht dem Verdacht ausgesetzt, es gehe ihm in Wahrheit um egoistische oder schädigende Motive, wie etwa das »anrüchige« Motiv der Einnahmeerzielung oder um eine Gängelei von missliebigen Konkurrenten. 2. Seitenblick auf § 8 Abs. 4 UWG Gemäß § 8 Abs. 4 UWG ist die Geltendmachung der in § 8 Abs. 1 UWG bezeichneten Ansprüche »unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen«. Der Rechtsmissbrauch in § 8 Abs. 4 UWG gründet sich auf den Gedanken des mangelnden schutzwürdigen Eigeninteresses des Gläubigers43 und gehört daher sachlich in die Nähe des bürgerlichrechtlichen Verbots der Schikane44. Da § 8 Abs. 4 UWG dem Wortlaut nach nur auf die Abwehransprüche gemäß § 8 Abs. 1 UWG anzuwenden ist, kann sich die Frage stellen, ob die Vorschrift im Wege der Analogie auf Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche erstreckt werden kann. Hierzu bedarf es eines Blickes auf die Entstehung und der Vorschrift sowie deren dogmatische Einordnung und ihren Normzweck. a) Entstehung § 8 Abs. 4 UWG geht zurück auf § 13 Abs. 5 UWG a.F.45; die Vorschrift weist gegenüber ihrer Vorgängerregelung nur leichte redaktionelle Änderungen auf. Die Beibehaltung dieser Regelung im Zuge der UWG-Reform war für den Gesetzgeber offenbar ganz selbstverständlich, denn in den amtlichen Materialien finden sich keine näheren sachlichen Ausführungen zu der Vorschrift. § 13 Abs. 5 UWG a.F. war eine Reaktion des Gesetzgebers auf das »Abmahnunwesen«. Nachdem der Gesetzgeber die Möglichkeiten einer Verbandsklage ausgebaut hatte und insbesondere Interessenverbände von Verbrauchern in den Kreis der Anspruchsberechtigten aufgenommen wurden46, kam es zu zahlreichen Neugründungen von Vereinen, die sich das Ziel der Bekämpfung unlauterer Wettbewerbspraktiken setzten und insbesondere einfach gelagerte und massenweise auftretende Rechtsverstöße abmahnten. Auch mancher Gewerbetreibende wurde offenbar nur »zum Schein« in seinem Gewerbe tätig und beschäftigte sich in Wahrheit allein mit der Verfolgung unlauterer Handlungen47. Die finan42 »Juristen [ist es] einfach suspekt, dass jemand gegen einen Wettbewerbsverstoß klagt und aus dieser Klage möglicherweise sogar noch Vorteile in Gestalt von Verfahrenskosten zieht, obwohl er von dem Wettbewerbsverstoß gar nicht betroffen ist«, Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 30 Rn. 124. 43 Allgemein hierzu Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB; § 242 Rn. 260 ff. 44 § 226 BGB. 45 Zur Entstehung des § 13 Abs. 5 UWG a.F. siehe nur Sack, BB 1986, 953 ff. 46 Änderungsgesetz vom 21.7.1965, BGBl. I, S. 625. 47 Eine eingehende Schilderung dieser Praktiken findet sich in der Begr. zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BT-Drucks. 10/4741, S. 17.
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zielle Attraktivität eines solchen Vorgehens ergab sich aus der Rechtsprechung des BGH, der in der Fotowettbewerb-Entscheidung die Ersatzfähigkeit derjenigen Kosten anerkannt hatte, die für eine vorprozessuale Abmahnung notwendig waren48. Ein »Abmahnunwesen« konnte aber erst entstehen, weil unlautere Handlungen nach damaliger Rechtslage nicht schwer zu finden waren. Der Gesetzgeber reagierte auf die sich daraus zwangsläufig entwickelnden Belastungen für Unternehmen eher hilflos. In ersten Gesetzentwürfen wurde vorgeschlagen, nach ein amtlich geführtes Verzeichnis für anspruchsberechtigte Verbände mit lauterkeitsrechtlicher Klagebefugnis einzurichten und den Anspruch auf Kostenersatz bei der erstmaligen Abmahnung abzuschaffen49. Spätere Entwürfe wollten zumindest an der Streichung des Aufwendungsersatzes für Abmahnkosten festhalten50. Im Rechtsausschuss wurde dagegen die spätere Gesetzesfassung vorgeschlagen51. Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass die früheren Vorschläge auf »nahezu einhellige Ablehnung der betroffenen Verbände und Organisationen gestoßen« seien, weil damit auch seriösen Anspruchsberechtigten die Durchsetzung von Ansprüchen erschwert werde. Der Änderungsvorschlag knüpfe deshalb an die in der Rechtsprechung vermehrt festzustellende Tendenz an, Missbräuchen bei der Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen durch Verbände und Mitbewerber dadurch zu begegnen, dass die Klagebefugnis und bestimmten Fällen verneint werde. Die Neuregelung wolle diese Tendenz fördern52.
b) Dogmatische Einordnung und Normzweck Die Rechtsnatur des Missbrauchseinwands aus § 8 Abs. 4 UWG ist umstritten. Die Rechtsprechung und die ihr folgende herrschende Meinung gehen davon aus, dass im Falle eines Missbrauchs eine Klage bzw. ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als unzulässig abzuweisen ist53. Vereinzelt hat die Rechtspre48
BGH vom 15.10.1969, BGHZ 52, 393 ff. – Fotowettbewerb. Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Schwenk u.a., BT-Drucks. 10/80; danach sollte § 13 UWG a.F. neu gefasst werden und insbesondere die folgenden Absätze erhalten (a.a.O., S. 4): »(5) Die in Absatz 2 Nr. 2 und 3 genannten Verbände können den in Absatz 2 genannten Unterlassungsanspruch nur geltend machen, wenn sie in einem von der Aufsichtsbehörde geführten Verzeichnis eingetragen sind. Aufsichtsbehörde ist der Präsident des Landgerichts, in dessen Bezirk der Verband seinen Sitz hat. Hat der Verband seinen Sitz im Bezirk eines Amtsgerichts, das einem Präsidenten unterstellt ist, so ist Aufsichtsbehörde der Amtsgerichtspräsident. Die Aufsichtsbehörde trägt den Verband ein, wenn er nachweist, daß er den auf ihn anwendbaren Voraussetzungen des Absatzes 2 Nr. 2 und 3 entspricht. weist ein eingetragener Verband nach einer Aufforderung durch die Aufsichtsbehörde nicht nach, daß er diesen Voraussetzungen weiterhin entspricht, so löscht die Aufsichtsbehörde die Eintragung. Die Eintragung sowie die Löschung sind von der Aufsichtsbehörde im Bundesanzeiger bekanntzumachen. (6) Wer einen Unterlassungsanspruch außergerichtlich geltend macht, kann von Zuwiderhandelnden einen Ersatz der Aufwendungen für die erste Abmahnung nicht verlangen«. 50 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BT-Drucks. 10/4741, S. 6 mit Begründung S. 17. 51 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss), BT-Drucks. 10/ 5771, S. 10. 52 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss), BT-Drucks. 10/ 5771, S. 22. 53 BGH vom 17.11.2005, GRUR 2006, 243 Tz. 22 – MEGA SALE; BGH vom 17.1.2002, BGHZ 149, 371, 379 – Missbräuchliche Mehrfachabmahnung; Büscher, in: Fezer, UWG, § 8 Rn. 230; Bergmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 8 Rn. 309; Jestaedt, in: 49
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chung allerdings – aus prozessökonomischen Gründen – die Prüfung des Missbrauchs dahingestellt gelassen, wenn die Klage unbegründet ist54. § 8 Abs. 4 UWG schützt vor Rechtsmissbräuchen aller Art, nennt aber beispielhaft zwei spezielle Fälle, das »Gebührenerzielungsinteresse« und das »Kostenbelastungsinteresse« des Gläubigers. Diese gesetzlichen Beispiele sind mit Skepsis zu betrachten55. Wenn die Rechtsordnung privatrechtliche Ansprüche als Sanktionen vorsieht, dann kann es grundsätzlich nicht darauf ankommen, ob die Anspruchsberechtigten aus ehrbaren Motiven heraus handeln oder ob die Anspruchsdurchsetzung von »niedrigen Beweggründen« getragen ist. Entscheidend ist allein, ob der Rechtsverstoß mithilfe der Sanktion wirksam abgestellt wird. Zudem stellt der Gesetzgeber mit § 8 Abs. 4 UWG Kostenerwägungen unberechtigt unter einen Generalverdacht der Missbräuchlichkeit. Das entspricht zwar der Tendenz des deutschen Rechts, pekuniäre Anreize prinzipiell als verdächtig anzusehen. Doch ist damit die Gefahr verbunden, dass die positiven Effekte solcher Anreize vorschnell beiseitegeschoben werden56. c) Fehlende Analogiefähigkeit der Norm § 8 Abs. 4 UWG ist auf Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche nicht analog anzuwenden. Zwar steht außer Frage, dass Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche nicht unbegrenzt gewährt werden. Gleichwohl sollten die Grenzen des Rechtsmissbrauchs nicht nach den Maßstäben des § 8 Abs. 4 UWG gesteckt werden. Schon die in § 8 Abs. 4 UWG genannten Beispielsfälle missbräuchlichen Verhaltens passen auf Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche nicht. Wenn einem Kläger der Nachweis gelingt, dass er infolge einer unlauteren Handlung einen Schaden erlitten hat, dann liegt schon deswegen ein schutzwürdiges Eigeninteresse des Gläubigers vor, das ein Vorgehen gegen den Verletzer legitimiert. Ob es dem Kläger über seine Schadensersatzforderung hinaus darauf ankommt, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen, ist unerheblich. Denn selbst wenn der Kläger (auch) in der Absicht handeln sollte, den Schädiger mit solchen Kosten zu belasten, entfällt deswegen nicht das schutzwürdige Eigeninteresse des Klägers an der Durchsetzung seines Schadensersatzanspruchs. Nicht anders ist aber bei der Geltendmachung von Abschöpfungsansprüchen zu entscheiden. Hier ist zu bedenken, dass der Gesetzgeber bereits mit der tatbestandlichen Ausgestaltung sicherstellen wollte, dass § 10 UWG nicht zum
54 Ahrens, Der Wettbewerbsprozeß, Kap. 20 Rn. 3 f.; Piper, in: Piper/Ohly, UWG, § 8 Rn. 176; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Kap. 13 Rn. 50. Anders Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 8 Rn. 4.4 m.w.Nachw.: rechtsvernichtende Einwendung. 54 BGH vom 10.12.1998, GRUR 1999, 509, 510 – Vorratslücken. 55 Sack, BB 1986, 953, 959 f.; Schünemann, Wettbewerbsrecht, S. 240. 56 Dazu bereits oben § 3. B. II. 4., S. 152 ff.
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Zwecke der Einnahmenerzielung »missbraucht« wird57. Zudem besteht der Sanktionszweck des § 10 Abs. 1 UWG darin, unlautere geschäftliche Handlungen zu bekämpfen, indem sie für den Verletzer unrentabel gemacht werden. Es kommt also gerade darauf an, den Verletzer mit den Kosten der Gewinnabschöpfung und den bei Rechtsdurchsetzung entstehenden Kosten wirtschaftlich zu belasten. Gelingt dem Anspruchsberechtigten der Nachweis, dass durch eine unlautere Handlung ein unrechtmäßiger Gewinn erwirtschaftet wurde, dann rechtfertigt dies die Durchsetzung dieses Anspruchs unabhängig von etwaigen weiteren Motiven des Berechtigten. In diesen Fällen liegt zwar kein individuelles Eigeninteresse des Anspruchsberechtigten, aber ein legitimes überindividuelles Interesse vor, das vom Anspruchsberechtigten wahrgenommen wird. Demgegenüber würde die Anwendung des § 8 Abs. 4 UWG im Rahmen des § 10 UWG den ohnehin schon geringen pekuniären Anreiz zur Geltendmachung des Anspruchs weiter verringern. Da den Anspruchsstellern bei erfolgreicher Klage schon der abgeschöpfte Gewinn nicht zusteht, sondern der Gewinn an den Bundeshaushalt auszukehren ist, besteht die einzige nennenswerte wirtschaftliche Motivation zur Geltendmachung des Anspruchs in den Kosten der Rechtsdurchsetzung. Köhler befürwortet eine analoge Heranziehung von § 8 Abs. 4 UWG im Rahmen des § 10 UWG, wenn ein Unternehmer bereits von einem anderen Verband auf Gewinnabschöpfung in Anspruch genommen wurde, und der Verband keine nachvollziehbaren Gründe darlege, warum er nachträglich nochmals gegen den Unternehmer vorgehe58. Denn in einem solchen Fall liege die Annahme nahe, dass es dem Verband allein darum geht, die Kosten für den Unternehmer in die Höhe zu treiben. In der Sache läuft das allerdings auf eine Vermutung rechtsmissbräuchlichen Verhaltens und auf einen besonderen Rechtfertigungszwang für den Zweitkläger hinaus. Damit wird jedoch die Begründungslast zum Nachteil des Zweitklägers verschoben. Die Legitimation für ein Vorgehen gegen den Verletzer liegt in dessen vorsätzlichen Rechtsverstoß. Er muss grundsätzlich damit rechnen, von mehreren Berechtigten in Anspruch genommen zu werden und zwar auch dann, wenn ein Erstkläger bereits erfolgreich eine Abschöpfungsklage geltend gemacht hat. Denn es sind vielfältige Gründe denkbar, warum der Erstkläger aus dem Urteil nicht vollstreckt, sodass eine auf Abschöpfung gerichtete Zweitklage sinnvoll und sachgerecht sein kann. Zwar ist nicht auszuschließen, dass der Zweitkläger rechtsmissbräuchlich handelt, doch sollte es bei dem Grundsatz bleiben, dass der Verletzer diese Gründe im Streitfall darzulegen und zu beweisen hat.
57 58
Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 25. Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 10 Rn. 19.
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3. Einzelfragen a) »Unclean hands« Mit dem Einwand der »unclean hands«59 wird einem Gläubiger das Geltendmachen eines Anspruchs mit der Begründung verwehrt, dieser habe selbst rechtswidrig gehandelt. Ein solcher Einwand kommt nicht nur bei Abwehransprüchen, sondern gerade auch bei Schadensersatzansprüchen in Betracht, wenn die anspruchsberechtigten Mitbewerber sich ihrerseits unlauter oder kartellrechtswidrig verhalten. Prölss will gegenüber Schadensersatzansprüchen den Einwand zulassen, der Kläger betreibe selbst unlauteren Wettbewerb. Wenn der Kläger in der anstößigen Wahrnehmung seiner Interessen betroffen werde, liege keine Interessenverletzung und deswegen kein Schaden vor. Dies sei im Einzelfall jedoch genau zu prüfen60. Die innere Rechtfertigung dieses Einwands soll dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu entnehmen sein. Das Recht setze sich mit dem Gleichheitssatz in Widerspruch, wenn es dem Kläger die Vorteile seines rechtswidrigen Verhaltens sichere, zugleich aber dem Beklagten, der den Anspruch des Klägers dem Recht gemäß erfüllen soll, seinen Maßstäben unterwerfe61. Die Überlegung, dass nur der Rechtstreue von anderen die Beachtung des Rechts verlangen kann, dürfte vielfach einem »Gerechtigkeitsempfinden« entsprechen. Das genügt aber nicht als Wertungsfundament für die Anerkennung eines eigenständigen Einwands der »unclean hands«. Die Rechtsordnung verhält sich keineswegs selbstwidersprüchlich oder gleichheitswidrig, wenn sie die Durchsetzung von subjektiven Rechten selbst dann zulässt, wenn die Berechtigten gleichartige oder wechselseitige Rechtsverstöße begehen. Wollte man in diesen Fällen einen Rechtsschutz verneinen, dann würde man die Beteiligten aus den ordnenden Bahnen des Rechts herausdrängen und zur unkontrollierten Selbstjustiz geradezu ermuntern. Aus diesem Grund versagt – entgegen Prölss62 – auch der Präventionsgedanke als Legitimationsgrund für den »unclean hands«-Einwand. Danach soll durch die Versagung des Rechtsschutzes jedermann dazu angehalten werden, alles zu tun, damit sein Verhalten den rechtlichen Anforderungen genüge. Der Versuch, Prävention durch die Versagung von Rechtsschutz zu erzielen, begründet indessen nur die Gefahr außerrechtlicher Konfliktlösungen. Gerade bei wechselseitig begangenen Rechtsverstößen, wie z.B. bei wechselseitigen Herabsetzungen und Verunglimpfungen zweier Konkurrenten, kann oft nur ein Eingreifen des Rechts verhindern, dass sich der Konflikt der Parteien auswächst und »hochschaukelt«. Zutreffend wird gegen die rechtliche Erheblichkeit eines »unclean hands«-Einwandes vorgebracht, dass ein unlauteres Verhalten im Wettbewerb nicht allein 59 Mit Differenzierungen im Einzelnen: Fritze, WRP 1966, 156 ff.; Prölss, ZHR 132 (1969), 35 ff.; Traub, in: Festschrift für von Gamm, S. 213 ff. Zur Wurzel des »unclean hands«-Einwand im englischen equity-Recht Beater, Unlauterer Wettbewerb, Rn. 24. 60 Prölss, ZHR 132 (1969), 35, 72. 61 Prölss, ZHR 132 (1969), 35. 36 f. 62 Prölss, ZHR 132 (1969), 35, 37.
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deshalb Bestand haben dürfe, weil mehrere Wettbewerber sich dieser Handlungsweise in gleicher Weise bedienen63. Diese Rechtsgrundsätze gelten unabhängig davon, ob ein Mitbewerber oder ein Verband gegen die unlautere Handlung vorgeht64. Der Schutz von überindividuellen Interessen im Wettbewerb, der auch durch Mitbewerber wahrgenommen wird65, darf nicht unterlaufen werden, indem das rechtswidrige Verhalten eines Gläubigers für erheblich erklärt wird. Denn die Schutzwürdigkeit der überindividuellen Interessen anderer Marktakteure nimmt nicht deshalb ab, weil auch der Kläger Wettbewerbsverstöße begeht66. Selbst im Individualverhältnis zwischen Verletzer und Verletztem wäre der »unclean hands«-Einwand verfehlt. Hält der Beklagte das Vorgehen des Klägers für unrechtmäßig, dann stehen ihm prozessrechtliche Instrumente, wie zum Beispiel die Widerklage, zur Verfügung. Geht es um die Saldierung von gegeneinander bestehenden Schadensersatzansprüchen, kann eine Aufrechnung in Betracht zu ziehen sein67. Davon abgesehen verbergen sich hinter der »unclean hands«-Problematik zumeist schlicht verschiedene Sachprobleme, für die es eigenständige Lösungswege gibt. Auch deswegen fehlt es an einem Bedürfnis für die Anerkennung eines eigenständigen Rechtsinstituts der »unclean hands«. Dies wird bestätigt durch einen Blick auf die Rechtsprechung, die ein echtes Anwendungsbeispiel für »unclean hands« bislang nicht erkennen lässt. Noch am ehesten mit dem »unclean hands«-Einwand in Verbindung stehen die Entscheidungen Beiderseitiger Rabattverstoß und Kopplung im Kaffeehandel des BGH68. Beide Urteile folgen dem Gedanken einer »Neutralisierung« wechselseitig begangenen unlauteren Handlungen. In Wahrheit lag eine rein schadensrechtliche Problematik vor, die bereits an anderer Stelle erörtert wurde69. b) Provozierter Wettbewerbsverstoß Die Problematik einer Provokation von Rechtsverstößen beschäftigt vor allem die lauterkeitsrechtliche Praxis im Zusammenhang mit Testmaßnahmen. Denkbar ist beispielsweise, dass ein Hersteller die Vertragstreue in seinem Vertriebssystem eingebundener Händler testet oder ein Unternehmer bei seinem Mitbewerber Testkäufe durchführen lässt. Testkäufer betätigen sich unter Umständen als »agent provocateur« und verleiten einen Unternehmer zur Begehung einer unlauteren Handlung. 63 RG vom 13.3.1944, GRUR 1944, 88, 89; BGH vom 21.2.1964, GRUR 1964, 325, 326 – Toastschnitten; BGH vom 1.2.1967, GRUR 1967, 430, 432 – Grabsteinaufträge I. 64 BGH vom 1.2.1967, GRUR 1967, 430, 432 – Grabsteinaufträge I. 65 BGH vom 24.2.2005, BGHZ 162, 246, 251 f. – Vitamin-Zell-Komplex. 66 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 29 Rn. 24. 67 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 29 Rn. 26. 68 BGH vom 24.4.1970, GRUR 1970, 563, 564 – Beiderseitiger Rabattverstoß; BGH vom 2.7.1971, GRUR 1971, 582, 584 – Kopplung im Kaffeehandel. 69 Dazu näher oben, § 4. D. II. 3. b) cc), S. 252 ff.
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Einen Rechtsmissbrauch kann man in solchen Fällen nur in Betracht ziehen, wenn die Testmaßnahme ihrerseits rechtswidrig ist. Daran wird es jedoch zumeist fehlen. Denn Testmaßnahmen müssen schon deswegen grundsätzlich zulässig sein, weil ohne sie Rechtsverstöße oftmals kaum aufzudecken wären70. Solche Praktiken können deswegen keinesfalls per se als missbräuchlich angesehen werden. Außerdem muss es jedem Unternehmer – unabhängig von etwaigen Rechtsverstößen der Konkurrenz – möglich sein, sich über offenkundiges Geschäftsverhalten seiner Mitbewerber zu informieren, um wettbewerbsstrategisch effizient arbeiten zu können71. Die Rechtsprechung hält Testmaßnahmen für unzulässig, »wenn mit ihnen lediglich die Absicht verfolgt wird, den Mitbewerber ›hereinzulegen‹, oder wenn verwerfliche Mittel angewandt werden, um ein unzulässiges Geschäft herbeizuführen. Hierunter fallen insbesondere die in den Bereich der Strafbarkeit reichenden oder anderweit verwerflichen Mittel, unter anderem auch die Anwendung besonderer Verführungskunst. Verwerfliche Mittel sind auch rechtswidrige Handlungen des testenden Mitbewerbers, und zwar nicht nur Straftaten, sondern auch sonstige von der Rechtsordnung verbotene Handlungen, weil grundsätzlich nicht deshalb Rechtsverletzungen hingenommen werden können, damit konkurrierende Unternehmen ihre wettbewerblichen Interessen besser verfolgen können«72.
Ob eine Testmaßnahme zulässig oder unzulässig ist, ist auf materiellrechtlicher Ebene zu entscheiden, nicht erst auf Sanktionsebene. Einem Schadensersatzoder Abschöpfungsanspruch steht daher nicht entgegen, dass der anspruchsbegründende Rechtsverstoß durch eine Testmaßnahme, beispielsweise durch einen Testkauf, aufgedeckt wurde. Ein Sanktionssystem, das maßgeblich auf privatrechtlichen Ansprüchen basiert, setzt in erheblichem Maße die Erforschung von Tatsachen in Eigeninitiative voraus und kann demzufolge nicht im gleichen Atemzug Maßnahmen, die der Informationsbeschaffung dienen, dem Verdikt der Unlauterkeit oder des Rechtsmissbrauchs unterwerfen. Das gilt selbst dann, wenn die Testmaßnahmen sozusagen flächendeckend und systematisch vorgenommen werden, um Verstöße zu unterbinden und Unternehmen zu disziplinieren. Eine solche Konstellation betraf die Aktion Rabattverstoß-Entscheidung: Ein Verband zur Förderung gewerblicher Interessen, zu dessen Mitgliedern auch der Zentralverband des Kraftfahrzeuggewerbes, Landesinnungsverbände des Kraftfahrzeuggewerbes sowie Zusammenschlüsse von Autohändlern gehörten, hatte systematisch Testkäufe bei Automobilhändlern vorgenommen, um – seinerzeit nach dem RabattG verbo70
BGH vom 15.7.1999, GRUR 1999, 1017, 1019 – Kontrollnummernbeseitigung: »unentbehrliches Mittel zur Überprüfung des Wettbewerbsverhaltens von Mitbewerbern«. 71 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 18 Rn. 30. 72 BGH vom 25.2.1992, BGHZ 117, 264, 269 f. – Nicola; die Entscheidung betraf zwar das Sortenschutzrecht, doch betonte der BGH die einheitlichen Grundsätze; siehe dazu auch BGH vom 3.11.1988, GRUR 1989, 113, 114 – Mietwagen-Testfahrt; BGH vom 19.11.1984, GRUR 1985, 447, 450 – Provisionsweitergabe; BGH vom 14.4.1965, BGHZ 43, 359, 367 – Warnschild; BGH vom 2.4.1965, GRUR 1965, 607, 609 – Funkmietwagen.
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tene – Rabattgewährungen aufzudecken. Ein beklagter Automobilhändler, der anlässlich eines solchen Testkaufs einen höheren als den zulässigen Rabatt angeboten hatte, wendete nun ein, es gehe dem Verband nicht um die Aufdeckung von unlauteren Handlungen, sondern darum, die Automobilhändler durch »konstruierte und programmierte Rabattverstöße« zur Einhaltung der unverbindlichen Preisempfehlungen der Automobilhersteller anzuhalten und so faktisch eine kartellrechtswidrige Preisbindung der zweiten Hand wieder einzuführen. Der BGH sah indessen in einem solchen Vorgehen kein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten. Denn das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen schütze nur den lauteren, nicht auch den unlauteren oder sonst wie gesetzwidrigen Wettbewerb73. Die Unterbindung von gesetzlich unzulässigen Rabattangeboten oder Rabattverstößen berührte deshalb nach Ansicht des Gerichts von vornherein nicht die Vorschriften des GWB.
Nur wenn sich die Testmaßnahme ausnahmsweise als unzulässig erweist, kann sich die Frage eines etwaigen Rechtsmissbrauchs stellen. Eine rechtswidrig aufgedeckte Handlung wird allerdings nicht aufgrund der unzulässigen Testmaßnahme »unverfolgbar« oder gar rechtlich zulässig. Eine Sanktionierung bleibt prinzipiell geboten. Prozessual wäre jedoch danach zu fragen, ob die auf rechtswidrige Weise gewonnenen Erkenntnisse im Zivilverfahren verwertet werden dürfen74. c) Beteiligung am Wettbewerbsverstoß Die Beteiligung an einer unlauteren oder kartellrechtswidrigen Handlung steht privatrechtlichen Sanktionen nicht grundsätzlich entgegen. Allerdings kann die Rechtsdurchsetzung Einschränkungen unterliegen. Die Problematik einer Beteiligung am Rechtsverstoß stellt sich insbesondere im Kartellrecht, weil an einer Wettbewerbsbeschränkung typischerweise mehrere Unternehmen beteiligt sind. Rechtsprechung und herrschende Lehre sind dem Problem in der Vergangenheit ausgewichen, indem sie Ansprüche kartellangehöriger Unternehmen untereinander mit dem Hinweis auf den insoweit fehlenden Schutzcharakter des Kartellverbots schlicht abgelehnt haben75. Daran kann jedoch nicht mehr festgehalten werden. Die Problematik verlangt eine nach der Art und Schwere der Tatbeteiligung differenzierende Betrachtung. Es kommt darauf an, ob der Gläubiger den Rechtsverstoß maßgeblich initiiert oder daran gleichberechtigt mitgewirkt hat oder ob er gewissermaßen in den Rechtsverstoß gezwungen wurde76. Die damit verbundenen Wertungsfragen stehen in enger Korrelation mit dem jeweiligen Verbotstatbestand und dem Schutzzweck der Norm, die ihrerseits die Grundlage für die Sanktionierung solcher Praktiken bilden. 73
BGH vom 18.11.1986, GRUR 1987, 304, 305 – Aktion Rabattverstoß. Zu Beweisverwertungsverboten im Zivilprozess siehe etwa BGH vom 19.6.1970, NJW 1970, 1848 ff.; BGH vom 24.11.1981, NJW 1982, 277 ff. 75 KG vom 7.9.1977, WuW OLG 1903, 1905 – Air-Conditioning-Anlagen; Benisch, in: Gemeinschaftskommentar, GWB, § 35 Rn. 8; Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB (9. Aufl. 2001), § 33 Rn. 10; Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 39. 76 Zu den Einzelheiten siehe oben § 5. C. II. 4., S. 367 ff. 74
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Nichts anderes gilt für die (Mit-)Täterschaft und Teilnahme an unlauteren Handlungen. Hiernach lässt sich beispielsweise der Deutsche Heilpraktikerschaft-Streitfall77 ohne Rückgriff auf den Einwand des Rechtsmissbrauchs lösen: Dort standen zwei konkurrierende Berufsorganisationen für Heilpraktiker im Streit über die jeweilige rechtliche Zulässigkeit ihrer Verbandsnamen; beide Verbände hielten die Bezeichnung des jeweils anderen Verbandes für irreführend. An der Gründung des einen Verbandes war der andere Verband beteiligt, später gingen die Verbände jedoch getrennte Wege. Der BGH argumentierte, unabhängig von einem aus der früheren Beziehung der Parteien im Gründungsstadium möglicherweise resultierenden Verstoß gegen Treu und Glauben unter dem Aspekt des widersprüchlichen Verhaltens, komme einem solchen Einwand keine Bedeutung zu, weil der lauterkeitsrechtliche Irreführungsschutz dem Schutz der Allgemeinheit vor Irreführungen diene und im Hinblick auf diesen Zweck Einwendungen aus den persönlichen Beziehungen der Parteien in der Regel zurücktreten müssen78. Das verdient im Ergebnis, nicht aber in der Begründung Zustimmung. Die Mitwirkung an der Gründung des Vereins war schon deswegen unerheblich, weil zum Zeitpunkt der Gründung keine Irreführung vorlag. Daher fehlte es an einer rechtswidrigen Tat an denen die Parteien als Täter oder Teilnehmer mitwirkten.
d) Wechsel der Rechtsauffassung Grundsätzlich nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist ein Wechsel der Rechtsauffassung. Beispielsweise ist denkbar, dass ein Anspruchsberechtigter zunächst gegenüber einem Verletzer zu erkennen gibt, er halte eine bestimmte Praktik für rechtlich unbedenklich. Später überlegt er es sich jedoch anders und erhebt Klage. Ein Gläubiger darf seine Rechtsauffassung ändern und gegen seinen Schuldner vorgehen, selbst wenn er ursprünglich der Meinung war, dessen Verhalten sei rechtmäßig gewesen. Es gibt keinen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, jemand dürfe einen einmal vertretenen, später aber als falsch erkannten Rechtsstandpunkt nicht wieder aufgeben79. Allerdings kann zu prüfen sein, ob stattdessen Verwirkung eingetreten ist. Die Rechtsprechung verfährt in der Sache genauso, denn sie will die Annahme eines Rechtsmissbrauchs von einer Gesamtwürdigung der Umstände abhängig machen. Ein Wechsel der Rechtsauffassung kann danach »erst dann als mißbräuchlich gewertet werden, wenn der andere Teil nach den gegebenen Umständen auf eine dem einmal eingenommenen Standpunkt entsprechende gleichbleibende Einstellung und demgemäß auf eine bestimmte Rechtslage vertrauen durfte, sich darauf eingerichtet hat und ihm eine Inanspruchnahme mit einer völlig veränderten rechtlichen Begründung nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden kann«80. Diese Kriterien entsprechen denen der Verwirkung81. 77 78 79 80 81
BGH vom 26.1.1984, GRUR 1984, 457 ff. – Deutsche Heilpraktikerschaft. BGH vom 26.1.1984, GRUR 1984, 457, 460 – Deutsche Heilpraktikerschaft. Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, § 15 Rn. 138. BGH vom 10.5.1957, GRUR 1957, 499, 503 – Wipp. Dazu sogleich unter II. 2., S. 701 ff.
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e) Prozessfinanzierung Die gewerbliche Prozessfinanzierung begründet keinen Einwand des Rechtsmissbrauchs82. Denn eine solche Finanzierung ist oftmals unumgänglich, wenn ein Kläger die Kosten eines Zivilverfahrens nicht aufbringen kann. Dass Kläger und Finanzierer auf einen Erfolg der Klage hoffen, ist selbstverständlich und in keiner Weise verwerflich. Dies gilt auch für Abschöpfungsklagen. Zwar sieht das Gesetz vor, dass ein abgeschöpfter Gewinn bzw. wirtschaftlicher Vorteil an den Bundeshaushalt herauszugeben ist. Um eine Prozessfinanzierung zu ermöglichen, muss dementsprechend eine Regelung getroffen werden, wonach ein Teil des Abschöpfungsbetrages an den Finanzierer fließt83. Darin liegt jedoch kein Missbrauch der Anspruchsberechtigung, sondern eine schlichte Notwendigkeit, weil auf andere Weise teure Abschöpfungsverfahren für Verbände kaum finanzierbar wären. Hier sind zudem die verfassungsrechtlichen Wertungen zu beachten, wonach eine Erfolgshonorare gerade dann legitim sein können, wenn dadurch der Zugang zum Rechtsschutz überhaupt ermöglicht wird84. Dieser Gedanke kann auf die gewerbliche und gewinnorientierte Prozessfinanzierung bruchlos übertragen werden. Dass der abgeschöpfte Vorteil damit – entgegen der Intention des Gesetzes – in eine private Tasche fließt und nicht an den Bundeshaushalt, ist letztlich eine Folge der tatbestandlichen Konstruktion der Abschöpfungsansprüche. Es rächt sich, dass der Gesetzgeber keinen wirtschaftlichen Anreiz für die Anspruchsberechtigten setzen wollte. Anders kann aber zu entscheiden sein, wenn ein Mitbewerber als Prozessfinanzierer für eine Abschöpfungsklage auftritt. Dann besteht die Gefahr, dass der Finanzierer den Anspruchsberechtigten nur »vorschiebt«, um den Verletzer in einen Rechtsstreit zu verwickeln, den der Mitbewerber mangels eigener Anspruchsberechtigung nicht führen kann. Allerdings genügt auch hier die Finanzierung als solche noch nicht. Vielmehr müssen besondere Verdachtsmomente hinzutreten.
II. Verwirkung Die Verwirkung bildet eine rechtliche Wahrnehmungsgrenze für subjektive Rechte. Sie wird ganz überwiegend als eine Erscheinungsform der unzulässigen Rechtsausübung angesehen85 und ist in dem in § 242 BGB verankerten Grundsatz von Treu und Glauben verwurzelt. Mit § 21 MarkenG kennt das Markenrecht eine partielle und gemäß § 21 Abs. 4 MarkenG nicht abschließende Sonder82
Ebenso LG München I vom 22.7.2008, 33 O 17282/07, Urteilsumdruck S. 12 f. Zur rechtlichen Zulässigkeit solcher Vereinbarungen oben § 6. C. III. 2. c) cc), S. 495 f. 84 BVerfG vom 12.12.2006, BVerfGE 117, 163 Rn. 100 ff.; siehe auch oben, § 3. B. II. 4., S. 152 ff. 85 Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Rn. 352; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 11 Rn. 2.13. 83
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regelung der Verwirkung, die allerdings aufgrund ihres speziellen Zuschnitts auf die markenrechtliche Interessenlage nicht auf andere Rechtsgebiete ausgedehnt werden kann. 1. Rechtliche Einordnung Der besondere rechtliche Charakter der Verwirkung erschließt sich am besten durch einen Vergleich mit anderen Rechtsinstituten. Von der Verjährung unterscheidet sich die Verwirkung vor allem dadurch, dass ein subjektives Recht nicht allein durch Zeitablauf verwirkt werden kann und keine starren Verwirkungsfristen gelten. Das Zeitmoment ist lediglich ein verwirkungsrelevanter Faktor neben weiteren. In der Verwirkung liegt auch kein rechtsgeschäftlicher Verzicht des Berechtigten86, weil ein Verzicht gemäß § 397 BGB eine Einigung zwischen den Parteien verlangt, die bei einer Verwirkung gerade fehlt. Vom Rechtsmissbrauch wird die Verwirkung häufig nur unzureichend abgegrenzt. Ihr haftet vor allem nicht der »Makel« der Ausnutzung einer bestehenden Rechtsposition aus missbilligten Gründen an87, sondern die Rechtsfolge der Verwirkung ergibt sich aus einem Zusammenspiel verschiedener situativer Elemente und einer Wertung im konkreten Einzelfall. Die Verwirkung schützt den Schuldner unter bestimmten Voraussetzungen vor einer Inanspruchnahme durch den Gläubiger88. Sie tritt ein, wenn die Interessen des Verpflichteten die Interessen des Berechtigten an der Verwirklichung seines Anspruchs klar überwiegen89. Die Feststellung, dass ein Anspruch verwirkt ist, setzt eine Gesamtabwägung der Interessen der Beteiligten und folgt aus der überwiegenden Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit der Belange des Schuldners, der aufgrund des Zeitablaufs, des vorangegangenen Verhaltens des Gläubigers und seines schutzwürdigen Vertrauens nicht (mehr) mit einer Inanspruchnahme durch den Berechtigten zu rechnen brauchte. Es greift dagegen zu kurz, wenn die Verwirkung, wie es häufig geschieht90, vor allem auf die Unzuläs86
Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 11 Rn. 2.13; J. Schmidt, in: Staudinger, BGB (12. Aufl. 1983), § 242 Rn. 510. Anders Wieling, AcP 176 (1976), 334 ff. der den Grundsatz der Unzulässigkeit widersprüchlichen Verhaltens und auch die Verwirkung (Wieling a.a.O., Fn. 3) rechtsgeschäftlich deuten will. Dagegen spricht zweierlei: Erstens beruht die Verwirkung gerade nicht (nur) auf der Widersprüchlichkeit des Gläubigerverhaltens und zweitens eröffnet die Ansicht Wielings konsequenterweise den Anwendungsbereich für sämtliche Vorschriften über Rechtsgeschäfte, also z.B. die §§ 119 ff. BGB. Es wäre indessen schwer erträglich, könnte der Gläubiger die aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung mühsam gewonnene Erkenntnis über die Verwirkung durch eine Anfechtung wieder torpedieren. Zutreffend ist aber, dass das Verhalten der Parteien, namentlich wenn sie in langjährigem und engem Geschäftskontakt stehen, unter Umständen als konkludenter Verzicht gedeutet werden kann. 87 Roth, in: Münchener Kommentar, BGB, § 242 Rn. 238 und 297; Teichmann, in: Soergel, BGB, § 242 Rn. 332. 88 Tegtmeyer, AcP 142 (1936), 203, 210 ff. 89 Tegtmeyer, AcP 142 (1936), 203, 211. 90 Köhler, BGB Allgemeiner Teil, § 17 Rn. 41 f.; Peters, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 194 ff. Rn. 17; Teichmann, in: Soergel, BGB § 242 Rn. 332: klassischer Fall des widersprüchlichen Verhaltens.
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sigkeit des Selbstwiderspruchs (venire contra factum proprium) zurückgeführt wird91. Denn damit wird zu einseitig das Verhalten des Gläubigers in den Vordergrund der Betrachtung gerückt92. Ein Gläubiger kann jedoch berechtigte Gründe haben, von einem ihm zustehenden Recht zunächst keinen Gebrauch zu machen, etwa weil die Rechtslage für ihn noch unklar ist, er deswegen das Risiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung zunächst zu vermeiden sucht oder weil er eine andere Entscheidung abwarten will93. Die Verwirkung stellt nach überwiegender Ansicht keinen Erlöschensgrund für einen Anspruch dar, sondern lediglich ein dauerndes Ausübungshindernis94. Sie soll vom Gericht als Einwendung von Amts wegen, aber nicht gegen den Willen des Schuldners95, zu berücksichtigen sein. Diese Konstruktion ist insofern eigenartig, als damit der Verwirkung eine schwer erklärbare Zwitterstellung zuerkannt wird. Denn von Amts wegen zu berücksichtigen sind im Prozess Einwendungen, nicht jedoch Einreden96. Wenn man jedoch annimmt, dass die Verwirkung den Bestand eines Anspruchs oder eines sonstigen subjektiven Rechts unberührt lässt, handelt es sich um ein bloßes Leistungsverweigerungsrecht und damit – wie bei der Verjährung und anderen Leistungsverweigerungsrechten – um eine rechtshemmende Einrede, auf die sich der Schuldner berufen muss. Folgt man hingegen der Auffassung, die von einem Erlöschen des Anspruchs im Falle der Verwirkung ausgeht, läge eine rechtsvernichtende Einwendung vor, die vom Gericht von Amts wegen zu beachten wäre97. Richtig ist, dass jedenfalls Zahlungsansprüche durch Verwirkung nicht erlöschen. Zwar bleibt von ihnen, wenn ihre Durchsetzung dauerhaft gehemmt ist, letztendlich nicht mehr als die bloße Hülle eines Rechts bestehen, was faktisch einem Erlöschen gleichkommt98, doch sollte es dem Schuldner möglich sein, sich ohne formale Neubegründung des Rechts auf die Forderung einzulassen und mit Rechtsgrund zu erfüllen99. Da sich die Verwirkung auf überwiegende Schutzinteressen des Schuldners gründet, sollte ihm konsequenterweise die volle Entscheidungsfreiheit zustehen, ob er sich auf die Verwirkung beruft oder nicht, sodass entgegen der herrschenden Meinung eine Prüfung der Voraussetzungen von Amts wegen nicht stattfinden 91
Roth, in: Münchener Kommentar, BGB, § 242 Rn. 297; Tegtmeyer, AcP 142 (1936), 203, 209. Noch strenger Tegtmeyer, AcP 142 (1936), 203, 206: Entscheidend seien stets die Umstände des Einzelfalles »und zwar nicht auf der Seite des Klägers, sondern auf der des Beklagten«. 93 Vgl. BGH vom 25.4.1961, GRUR 1961, 535, 538 – arko. 94 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 17 Rn. 56. Für ein Erlöschen dagegen: J. Schmidt, in: Staudinger, BGB (12. Aufl.), § 242 Rn. 502 ff.; Teichmann, in: Soergel, BGB § 242 Rn. 343; wohl auch Hohloch, in: Erman, BGB, § 242 Rn. 130, 133. 95 Peters, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 194 ff, Rn. 20, 34; Roth, in: Münchener Kommentar, BGB, § 242 Rn. 314. 96 Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 94. Zur Terminologie Medicus a.a.O., Rn. 92. 97 Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, S. 531. 98 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 17 Rn. 56. 99 Peters, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 194 ff. Rn. 33. Dagegen ist die Lage bei Unterlassungsansprüchen noch anders, siehe Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, S. 533. 92
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muss. Hierfür sprechen auch Gründe der Praktikabilität. Sofern die Parteien zu den Voraussetzungen einer Verwirkung und insbesondere zur Frage des Vertrauensschutzes nichts vorbringen, kann das Gericht kaum sinnvoll über die Verwirkung entscheiden100. Daher kommt eine Prüfung der Verwirkung nur in Betracht, wenn der Sachvortrag entsprechend ausgerichtet ist. Es besteht indessen kein Grund, einem Schuldner, der sich nicht auf die Verwirkung beruft, deren Rechtsfolgen quasi von Amts wegen aufzudrängen101. 2. Voraussetzungen Obgleich über die generellen Voraussetzungen der Verwirkung weitgehende Einigkeit besteht, handelt es sich keineswegs um einen streng subsumtionsfähigen Tatbestand, sondern um ein Rechtsinstitut generalklauselartigen Zuschnitts, dessen Anwendungsbereich für jeden Einzelfall neu definiert werden muss. Nach einer wiederkehrenden Formel der Rechtsprechung ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat und sich der Verpflichtete nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und auch eingerichtet hat, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen wird102. Drei wesentliche Aspekte sind bei der Beurteilung der Verwirkung zu berücksichtigen, die noch dazu nicht isoliert betrachtet werden können, sondern in wechselseitiger Abhängigkeit stehen103: Es ist eine gewisse Zeitspanne zwischen der Möglichkeit zur Durchsetzung des Rechts und dessen tatsächlicher Geltendmachung erforderlich und des Weiteren müssen zusätzliche »Momente« in der Person des Gläubigers und des Schuldners hinzutreten104. Der Gläubiger muss untätig gewesen sein, darf also keine außergerichtlichen oder gerichtlichen Maßnahmen gegen den Schuldner ergriffen haben und er muss dadurch den Anschein erweckt haben, er werde auch künftig nicht gegen den Schuldner vorgehen. Der Schuldner muss schließlich auf diesen Anschein vertraut haben und er muss sich auf der Grundlage dieses Vertrauens darauf eingerichtet haben, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden; sehr plastisch wird dabei bisweilen von einer »Vertrauensinvestition« gesprochen105. Aufgrund einer Gesamtabwägung der Umstände ist dann zu fragen, ob der Schuldner letztendlich schutzwürdig erscheint.
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Ebenso Roth, in: Münchener Kommentar, BGB, § 242 Rn. 314. Trotz Bejahung einer Prüfung von Amts wegen ebenso Peters, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 194 ff, Rn. 20, 34; Roth, in: Münchener Kommentar, BGB, § 242 Rn. 314. 102 BGH vom 19.12.2000, BGHZ 146, 217, 220 f. – Temperaturwächter. 103 BGH vom 19.12.2000, BGHZ 146, 217, 225 – Temperaturwächter. 104 Dabei ist es eher eine terminologische Frage, ob diese Aspekte in dem »Umstandsmoment« zusammengefasst werden (so insbesondere die Rechtsprechung) oder ob noch zwischen einem »Vertrauensmoment« und einem »Umstandsmoment« differenziert wird (so etwa Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 16 Rn. 51 ff.). 105 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 510 ff.; Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, § 15 Rn. 139. 101
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3. Besonderheiten der Verwirkung bei wettbewerbsbezogenen Ansprüchen Die Grundsätze der Verwirkung sind auf das Individualverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner ausgerichtet. Aufgrund der mehrdimensionalen Interessenlage im Wettbewerb und der speziellen Funktionen der Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche als Sanktionen können diese Grundsätze jedoch nicht unbesehen übernommen werden. a) Vertrauen und Vertrauensinvestition Eine erste Besonderheit betrifft das rechtlich geschützte Vertrauen bzw. die schützenswerte Vertrauensposition des Gläubigers. Der Schuldner muss sein Verhalten gerade im Vertrauen auf den vom Gläubiger erweckten Anschein ausgerichtet und durch eigene Maßnahmen »verobjektiviert« haben106. Welcher Art diese »Vertrauensinvestition« ist, hängt maßgeblich vom Anspruchsinhalt ab und ist für die verschiedenen Ansprüche unterschiedlich zu beurteilen. Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen. Bei Unterlassungsansprüchen kommt Verwirkung in Betracht, wenn der Berechtigte sich einen wertvollen Besitzstand geschaffen hat107. Bei Schadensersatzansprüchen ist dagegen das Vorhandensein eines schutzwürdigen Besitzstandes nicht erforderlich. Statt dessen kommt es entscheidend darauf an, ob der Schuldner aufgrund eines hinreichend lange dauernden Duldungsverhaltens des Rechtsinhabers darauf vertrauen durfte, dieser werde nicht mehr mit Schadensersatzansprüchen wegen solcher Handlungen an den Schuldner herantreten, die er aufgrund des geweckten Duldungsanscheins vorgenommen hat108. Diese in ständiger Rechtsprechung getroffene und im Schrifttum akzeptierte Unterscheidung verdient Beifall, weil sie die unterschiedlichen Anspruchsziele und Interessenlagen widerspiegelt. Das Vertrauen in ein »So-WeiterhandelnKönnen« des Schuldners steht einem Unterlassungsanspruch nicht entgegen, weil das Vertrauen des Handelnden allein die künftige Realisierung von noch ungewissen Marktchancen betrifft. Etwas anderes ist es dagegen, wenn die Unterlassung auf einen Eingriff in die sachlich-wirtschaftliche Basis109 des Unternehmens hinausläuft und durch eine Rechtsverwirklichung möglicherweise volks106
Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 337 ff., 510 ff.; Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, § 15 Rn. 139. 107 BGH vom 19.2.1998, GRUR 1998, 1034, 1037 – Makalu; BGH vom 7.6.1990 – GRUR 1990, 1042, 1046 – Datacolor; BGH vom 2.2.1989, GRUR 1989, 449, 451 f. – Maritim; BGH vom 12.7.1984, GRUR 1985, 72, 73 – Consilia zum Lauterkeitsrecht; ferner: BGH vom 24.6.1993, GRUR 1993, 913, 914 – KOWOG; BGH vom 26.9.1980, GRUR 1981, 60, 61 f. – Sitex zum Warenzeichenrecht; BGH vom 19.12.2000, BGHZ 146, 217, 222 f. – Temperaturwächter zum Patentrecht. 108 BGH vom 26.5.1988, GRUR 1998, 776, 778 – PPC; BGH vom 15.11.1957, BGHZ 26, 52, 64 f. – Sherlock Holmes für das Lauterkeitsrecht; siehe auch BGH vom 19.12.2000, BGHZ 146, 217, 222 f. – Temperaturwächter für das Patentrecht. 109 Einzelheiten und Beispiele zu schutzwürdigen Besitzständen bei Köhler, in: Hefermehl/ Köhler/Bornkamm, UWG, § 11 Rn. 2.25.
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wirtschaftlich wertvolle Positionen zerschlagen würden110. Das Erfordernis des wertvollen Besitzstandes ist hingegen bei Schadensersatzansprüchen entbehrlich, weil die Verwirklichung dieses Anspruchs typischerweise in bereits bestehende Vermögenspositionen des Schuldners eingreift. Die schützenswerte »Vertrauensinvestition« besteht hier in der Erwartung des Schuldners, dem Gläubiger keine Zahlung leisten zu müssen. Wie der Schuldner im Einzelnen disponiert, ist dagegen unerheblich. Es kann insbesondere keinen Unterschied machen, ob der Schuldner das infolge der Nichtinanspruchnahme ersparte Vermögen seinem Unternehmen zuführt, zum Aufbau eines Besitzstandes aufwendet oder für sonstige Zwecke aufbraucht. Beide Aspekte stehen in keinem Stufen- oder Abhängigkeitsverhältnis, sodass man aus der Schutzwürdigkeit eines wertvollen Besitzstandes im Rahmen eines Unterlassungsanspruchs nicht zugleich folgern darf, dass auch etwaige Schadensansprüche wegen Verwirkung in der Durchsetzung gehemmt wären. Eher ist der umgekehrte Fall denkbar, dass der geschaffene Besitzstand durch den Unterlassungsanspruch wegen Verwirkung nicht beseitigt wird, wohl aber die durch die (nach wie vor rechtswidrige) Handlung eingetretenen Schäden ausgeglichen werden müssen111. Bei Abschöpfungsansprüchen kann sich die Frage schützenswerten Vertrauens so nicht stellen. Denn im Gegensatz zum Schadensersatz zielt die Abschöpfung von vornherein nur auf solche Vermögenswerte, die dem Schuldner zu Unrecht zugeflossen sind. Der Schuldner wird durch die Anspruchsdurchsetzung nur »entreichert«, soweit ihm durch die rechtswidrige Handlung tatsächlich Vorteile zugeflossen sind. Ein rechtlich schützenswertes Vertrauen in den Verbleib von Unrechtsvorteilen ist grundsätzlich nicht anzuerkennen. Zwar kann eine Schutzwürdigkeit nicht schon deswegen verneint werden, weil der Verletzer schuldhaft gehandelt hat112, doch bedarf es einer umso strengeren Beurteilung, je weniger der Rechtsverstoß entschuldbar oder verständlich erscheint113. Solche nachvollziehbaren Gründe sind bei schwerwiegenden Eingriffen, wie sie von § 10 UWG und § 34a GWB tatbestandlich gefordert werden, kaum vorstellbar. Man kann auch keine Parallele zu bereicherungsrechtlichen Ansprüchen ziehen, deren Verwirkung die Rechtsprechung nach gleichen Maßstäben wie bei Schadensersatzansprüchen beurteilt114. Selbst das Bestehen eines wertvollen Besitzstandes dürfte kaum als anerkennenswerte »Vertrauensinvestition« gegenüber einem Abschöpfungsanspruch anzuerkennen sein, da dies mit dessen Sanktionszweck kollidie110 Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, S. 524, der zudem eine Parallele zum öffentlich-rechtlichen Bestandsschutz zieht, der sich aus Art. 14 GG ergibt. 111 Dies betont BGH vom 19.12.2000, BGHZ 146, 217, 223 – Temperaturwächter m.w.Nachw. mit Blick auf das Patentrecht. Doch dürfte diese Überlegung verallgemeinerbar sein, zumal sich gesetzliche Beispiele im Immaterialgüterrecht finden, in denen das Gesetz einen Eingriff in geschützte Rechtspositionen ohne Verbietungsrecht zulässt, aber den Rechtsinhaber dafür entschädigt, z.B. wenn ein Urheber private Vervielfältigungen in Form von Fotokopien hinzunehmen hat, aber dafür einen Ausgleich erhält, wie etwa bei §§ 53 Abs. 1, 54a UrhG. 112 Köhler, in: Großkommentar, UWG, Vor § 13 Rn. 464 f. 113 BGH vom 8.7.1964, GRUR 1967, 490, 494 – Pudelzeichen. 114 BGH vom 19.12.2000, BGHZ 146, 217, 221 f. – Temperaturwächter.
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ren würde. Es wäre widersinnig, in der Verfestigung unrechtmäßig erlangter Vorteile in Form »wertvoller Besitzstände« ein der Abschöpfung entgegenstehendes Moment erblicken zu wollen, selbst wenn die übrigen Verwirkungsvoraussetzungen erfüllt wären. b) Überindividuelle Interessen Die zweite wettbewerbsbedingte Modifikation der Grundsätze der Verwirkung betrifft die Berücksichtigung überindividueller Interessen im Rahmen der Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche. aa) Seitenblick auf Unterlassungsansprüche Es ist hilfreich, zunächst einen Blick auf Unterlassungsansprüche zu werfen. Die Rechtsprechung berücksichtigt dabei im Rahmen einer Interessenabwägung, ob durch den zu sanktionierenden Rechtsverstoß Interessen der Allgemeinheit berührt werden. Wenn ein solcher Fall vorliegt, ist eine Verwirkung regelmäßig ausgeschlossen. Das gilt selbst dann, wenn der Verletzer einen Besitzstand erworben hätte, der als »Vertrauensinvestition« schützenswert sein könnte115. Für Verstöße gegen § 1 und 3 UWG a.F., also die Kernbereiche des Lauterkeitsrechts, lehnte der BGH eine Verwirkung regelmäßig ab, weil dieser Einwand nur gegenüber Ansprüchen erhoben werden könne, mit denen individuelle Interessen verfolgt werden, nicht dagegen, wenn es um Belange der Allgemeinheit gehe116. Eine Ausnahme sei nur anzuerkennen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des allgemeinen Irreführungsverbots oder eines besonderen Irreführungstatbestandes entfallen seien117 oder wenn das geschützte Allgemeininteresse so weit geschwunden ist, dass es ausnahmsweise gegenüber besonderen Belangen, insbesondere einem zwischenzeitlich erworbenen rechtserheblichen Besitzstand, zurückzutreten hat118. Dies könne etwa bei irreführender Werbung der Fall sein, wenn eine nur geringe Irreführungsgefahr bestehe119 oder »weil es sich im Grunde genommen nur um Individualinteressen der aus §§ 3, 13 UWG klagenden Mitbewerber handelt«120. Damit kommt eine Verwirkung nur in Betracht, wenn überindividuelle Interessen zwar beeinträchtigt werden, aber diese Beeinträchtigung neben der Verletzung der Individualinteressen kaum nennenswert 115 BGH vom 23.6.1994, BGHZ 126, 287, 294 f. – Rotes Kreuz für namensrechtliche Ansprüche aus § 12 BGB, wobei es in der Entscheidung um den Schutz des international bekannten RotkreuzZeichens und damit um besonders wichtige Allgemeininteressen ging. 116 BGH vom 5.4.1990, GRUR 1990, 604, 605 f. – Dr. S.-Arzneimittel; BGH vom 14.3.1985, GRUR 1985, 930, 931 – JUS-Steuerberatungsgesellschaft; BGH vom 17.10.1984, GRUR 1985, 140, 141 – Größtes Teppichhaus der Welt; BGH vom 7.7.1965, GRUR 1966, 267, 271 – White Horse. 117 BGH vom 14.3.1985, GRUR 1985, 930, 931 – JUS-Steuerberatungsgesellschaft. 118 BGH vom 5.4.1990, GRUR 1990, 604, 605 f. – Dr. S.-Arzneimittel; BGH vom 14.3.1985, GRUR 1985, 930, 931 – JUS-Steuerberatungsgesellschaft. 119 BGH vom 5.4.1990, GRUR 1990, 604, 605 f. – Dr. S.-Arzneimittel; BGH vom 29.9.1982, GRUR 1983, 32, 34 – Stangenglas; BGH vom 7.7.1965, GRUR 1966, 267, 271 – White Horse. 120 BGH vom 29.9.1982, GRUR 1983, 32, 34 – Stangenglas.
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ins Gewicht fällt. Bei den Ausnahmen der Rechtsprechung handelt es sich indessen um bloße Scheinausnahmen. Denn gemeint sind Konstellationen, in denen das geschützte überindividuelle Interesse nur unerheblich beeinträchtigt wird, sodass die Schwelle der Spürbarkeit gemäß § 3 Abs. 1 UWG nicht überschritten wird. Reduziert sich damit der Vorwurf der Rechtsverletzung auf die Beeinträchtigung individueller Interessen, dann greifen die allgemeinen Grundsätze der Verwirkung. Der Gedanke der Verwirkung passt schon dem Grunde nach nicht auf Ansprüche, die dem Schutz überindividueller Interessen dienen. Im Schrifttum wird lediglich vereinzelt die Ansicht vertreten, eine Verwirkung könne bei der Verletzung von Allgemeininteressen grundsätzlich möglich sein121, weil die Verwirkung des Anspruchs eines Berechtigten nicht ausschließe, dass andere das verletzte Allgemeininteresse nach wie vor wahrnehmen können122. Deswegen müsse der Berechtigte, in dessen Person die Verwirkungsvoraussetzungen gegeben seien, die Verwirkung gegen sich gelten lassen123. Dabei wird jedoch übersehen, dass keineswegs sicher ist, ob andere Anspruchsberechtigte vorhanden sind, die anstelle des Berechtigten tätig werden könnten. Die Sanktionierung rechtswidriger Praktiken hinge also mehr oder weniger vom Zufall ab. Der Eintritt der Verwirkung beruht zudem entscheidend auf dem Zusammenspiel von Schuldnervertrauen und Gläubigerverhalten. Diese Umstände können aber nur deswegen zu einer Verwirkung führen, weil allein der Gläubiger zur Wahrnehmung seiner individuellen Interessen befugt ist. Nur aufgrund dieser persönlichen Dispositionsbefugnis kann aus dem Wechselspiel zwischen dem Verhalten des Gläubigers und dem Vertrauen des Schuldners der Rechtstatbestand der Verwirkung entstehen. Anders ist es jedoch, wenn der Gläubiger zwar zur Wahrnehmung überindividueller Interessen befugt ist, über diese Interessen jedoch nicht rechtsverbindlich disponieren kann. Aufgrund dieser fehlenden Dispositionsbefugnis kann das Verhalten des Gläubigers kein sicheres Indiz für den Schuldner sein, dass er mit einer Inanspruchnahme nicht mehr rechnen braucht. Damit entfällt aber auch die rechtliche Verknüpfung zwischen dem Gläubigerverhalten und dem schützenswerten Vertrauen des Schuldners. Die damit verbundene Schwächung der Schuldnerposition ist dabei sachlich gerechtfertigt. Wer durch ein rechtswidriges Verhalten die Interessen vieler Personen, ja möglicherweise der Allgemeinheit insgesamt beeinträchtigt, verdient in geringerem Maße Vertrauensschutz, als wenn die Verletzungshandlung lediglich die Interessen eines Einzelnen betrifft. bb) Übertragbarkeit auf Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche Diese Überlegungen sprechen für eine differenzierende Lösung bei Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüchen. Die Wahrnehmung überindividueller Interessen bildet bei Schadensersatzansprüchen lediglich einen Annex zur Durchset121 122 123
Schütz, GRUR 1982, 526 ff. Schütz, GRUR 1982, 526, 531. Schütz, GRUR 1982, 526, 531.
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zung der beeinträchtigten Individualinteressen des Geschädigten. Wenn nun der Durchsetzung der Individualinteressen rechtliche Hindernisse entgegenstehen, dann gilt dies gleichermaßen für überindividuelle Interessen, die im Rahmen der Schadensersatzhaftung zu berücksichtigen wären. Sind die Voraussetzungen der Verwirkung eines Schadensersatzanspruches gegeben, dann steht der Annahme einer Verwirkung nicht entgegen, dass mit dem Schadensersatzanspruch auch überindividuelle Interessen geschützt worden wären. Anders liegt es dagegen bei den Abschöpfungsansprüchen, die ausschließlich dem Schutz und der Durchsetzung überindividueller Interessen dienen. Hier müssen die Erwägungen, die für Unterlassungsansprüche gelten, erst recht herangezogen werden, sodass eine Verwirkung generell ausgeschlossen ist.
C. Verjährung Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche unterliegen – wie die meisten anderen Ansprüche – gemäß § 194 Abs. 1 BGB der Verjährung. Die §§ 194 ff. BGB beinhalten ein fundamentales Rechtsprinzip des deutschen Privatrechts. Wer sein Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, innerhalb einer bestimmten Zeit nicht wahrnimmt, bedarf keines Schutzes mehr durch die Rechtsordnung. Denn möglicherweise besteht ein solcher Anspruch nicht oder ist sachlich nicht (mehr) gerechtfertigt124. Doch selbst wenn der Anspruch berechtigt wäre, kann nach dem Ablauf eines gewissen Zeitraums die Aufklärung der tatsächlichen Umstände so schwierig sein, dass die Vorteile einer Befriedung der Rechtslage durch Zeitablauf schwerer wiegen als die zeitlich unbegrenzte Möglichkeit zur Rechtsdurchsetzung. Sofern Ansprüche zugleich der Sanktionierung unrechtmäßiger Verhaltensweisen dienen, ist eine zeitliche Begrenzung nicht zuletzt deswegen sachgerecht, weil die Sanktionswirkung umso mehr »verblasst«, je mehr Zeit zwischen der Rechtsverletzung und der daran anknüpfenden Sanktionierung vergeht. Das individuelle Schutzinteresse des Schuldners, die allgemeine Sicherheit des Rechtsverkehrs und das generelle Gebot des Rechtsfriedens gebieten eine zeitliche Begrenzung für die Geltendmachung von Ansprüchen125: »denn die bestehenden Zustände würden schwer erschüttert, wenn der Gläubiger noch nach Jahrzehnten mit veralteten Ansprüchen hervortreten könnte. Durch den Zwang zur Geltendmachung des Anspruchs innerhalb einer bestimmten Zeit wird ein erzieherischer Druck auf den Gläubiger ausgeübt, eine glatte Abwicklung des Verkehrslebens gewährleistet und der Schuldner vor Beweisschwierigkeiten bewahrt«126. 124 »Der Schwerpunkt der Verjährung liegt nicht darin, daß dem Berechtigten sein gutes Recht entzogen, sondern darin, daß dem Verpflichteten ein Schutzmittel gegeben wird, gegen voraussichtlich unberechtigte Ansprüche ohne ein Eingehen auf die Sache sich zu verteidigen«, Motive zum Entwurfe eines BGB, Bd. I, S. 291. 125 BGH vom 16.6.1972, BGHZ 59, 72, 74. 126 Tegtmeyer, AcP 142 (1936), 203, 221 f.
C. Verjährung
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I. Verjährungsfristen Die Vielfalt unterschiedlicher Ansprüche und Anspruchsziele spiegelt sich im Verjährungsrecht vor allem in den unterschiedlichen Laufzeiten der einzelnen Verjährungsfristen wider. Das Bedürfnis nach einer Bereinigung der Rechtslage durch Zeitablauf kann, je nach zugrunde liegender Interessen- und Konfliktlage, sehr verschieden ausgeprägt sein. Unterschiedliche Regelungen gelten auch für die Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche im Wettbewerb. 1. Kurze Verjährung bei lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzansprüchen a) Entstehung und Zweck Die kurze Verjährung von sechs Monaten gehörte von Beginn an zu den Regelungen des UWG. Bereits § 11 UWG 1896 kannte eine entsprechende Vorschrift. Alle Gründe, die für eine Festlegung kurzer Verjährungsfristen für den geschäftlichen Verkehr sprechen, würden bei den im UWG geregelten Verhältnissen im besonderen Maße hervortreten127, während eine verzögerte Geltendmachung weniger der Rechtsdurchsetzung diene, sondern leicht missbräuchlichen Charakter tragen könne. Die »Zulassung einer Klage nach Ablauf dieser Frist würde im Allgemeinen nur der Chikane den Weg bahnen«128. Dieser Grundgedanke hat in den späteren Gesetzesfassungen von 1909 und 2004 seine Fortsetzung gefunden129 und wurde in Rechtsprechung und Lehre überwiegend anerkannt130. Das Bedürfnis nach einer möglichst kurzen Verjährungsfrist liegt bei den lauterkeitsrechtlichen Abwehransprüchen auf der Hand. Eine kurze Verjährungsfrist entspricht im Allgemeinen den Interessen beider Parteien. Wettbewerb ist schnelllebig und das Marktgeschehen flüchtig, sodass es zweckmäßig ist, lauterkeitsrechtliche Streitigkeiten schnell auszutragen. Nicht selten sind im Streitfall komplexe Tatsachenfeststellungen erforderlich131 und mit zunehmender zeitlicher Distanz werden deren Ermittlung und deren Beweis im Prozessfalle immer schwieriger. Eine kurze Verjährungsfrist zwingt die Beteiligten dazu, einen Rechtsstreit möglichst zeitnah zu führen. Das tatsächliche Bemühen der Beteiligten nach schneller Klärung der Rechtslage belegt die große Zahl von Streitigkeiten, die außergerichtlich und – wenn es gerichtlicher Klärung bedarf – im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beigelegt werden. Auch das in der Praxis verbreitete und richterrechtlich anerkannte Rechtsinstitut der Abschlusserklä127 Begr. zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 3.12.1895, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, IV. Session 1895/ 97, IX. Legislaturperiode, I. Anlagenband, Nr. 35, S. 110. 128 Siehe vorherige Fn. 129 Das UWG 1909 enthielt eine entsprechende Regelung in § 21 UWG a.F.; daran wiederum knüpft § 11 UWG an. 130 Kritisch für den Bereich des ergänzenden Leistungsschutzes aber Köhler, WRP 1999, 1075, 1080 ff.; Nirk, GRUR 1993, 247, 254; Sambuc, Der UWG-Nachahmungsschutz, Rn. 777. 131 Beater, Unlauterer Wettbewerb, § 30 Rn. 16.
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§ 10. Einwendungen und Durchsetzbarkeit
rung132 beruht vor allem auf dem Wunsch nach schneller Lösung und rascher Beilegung von Rechtsstreitigkeiten. Es ist daher nur sinnvoll und sachgerecht, wenn die Rechtsordnung dieses Bestreben der Parteien durch das Setzen kurzer Verjährungsfristen fördert. b) Rechtspolitische Fragwürdigkeit der kurzen Verjährung bei lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzansprüchen Während die kurze Verjährungsfrist bei lauterkeitsrechtlichen Abwehransprüchen sachgerecht ist, stößt die kurze Verjährung bei Schadensersatzansprüchen auf Bedenken. Denn die gerichtliche Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen erfordert typischerweise einen größeren Aufwand als die Durchsetzung von Abwehransprüchen. Schadensersatzansprüche stellen höhere Anforderungen an den Kläger und er muss zur Vorbereitung einer Schadensersatzklage einen viel größeren Informationsaufwand betreiben als zur Durchsetzung eines Abwehranspruchs. Für den Verletzten kann sich die kurze Verjährungsfrist als problematisch erweisen, weil die notwendigen Informationen oft nicht sogleich zur Verfügung stehen, sondern erst beschafft werden müssen. Als besonders aufwendig und schwierig kann sich etwa der Nachweis der eingetretenen Schäden gestalten. Oft lässt sich der genaue Schadensumfang erst nach einiger Zeit genau feststellen, da Schadensentwicklungen im Wettbewerb, etwa Umsatzrückgänge infolge von Kundenabwanderungen, vielfach erst mit einer gewissen Verzögerung eintreten. Verlangt der Verletzte vom Schädiger die Herausgabe von Verletzergewinn, dann muss sich der Verletzte umfangreiche Informationen über Produktionsabläufe, Vertrieb, Umsatz und Gewinn des Schädigers verschaffen. Zumeist wird der Geschädigte solche Informationen nur mithilfe einer Auskunftsklage erlangen können. Doch eine solche Auskunftsklage gegen den Verletzer lässt den Lauf der Verjährung für einen Schadensersatzanspruch unberührt, bewirkt also keine Hemmung der Verjährung133. Die kurze Verjährung zwingt also den Verletzten geradezu, in eine Schadensfeststellungsklage zu flüchten, um den Eintritt der Verjährung zu verhindern. Schon diese Praktikabilitätsgesichtspunkte wecken Zweifel an der rechtspolitischen Überzeugungskraft der kurzen Verjährungsfrist für lauterkeitsrechtliche Schadensersatzansprüche. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, mit welcher Begründung während der Arbeiten an der UWG-Reform 2004 auf Betreiben des Bundesrates der Gewinnabschöpfungsanspruch aus dem Anwendungsbereich des § 11 Abs. 1 UWG genommen wurde. Es bestehe bei einer kurzen Verjährungsfrist die Gefahr, »dass die Effektivität dieses Instituts leidet, da es für den Gläubiger zum Teil außerordentlich schwierig wäre, die für die Geltendmachung des Anspruchs not-
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Statt vieler Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 12 Rn. 3.74. OLG Stuttgart vom 24.1.1997, WRP 1997, 605, 610 – Räumungsverkauf wegen Brandschadens zu § 21 UWG a.F.; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 11 Rn. 1.46. 133
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wendigen Tatsachen innerhalb der kurzen Fristen zu ermitteln«134. Diese völlig richtigen Überlegungen sind keineswegs auf den Gewinnabschöpfungsanspruch beschränkt, sondern gelten gleichermaßen für lauterkeitsrechtliche Schadensersatzansprüche. Die Zweifel an der Berechtigung der kurzen Verjährung für lauterkeitsrechtliche Schadensersatzansprüche erhalten weitere Nahrung, wenn man die Verjährungsfristen des UWG mit den Verjährungsfristen vergleicht, die benachbarten Rechtsgebieten für Schadensersatzansprüche gelten. Für Schadensersatzansprüche bei Kartellverstößen gilt die regelmäßige Verjährung von drei Jahren. Ebenfalls drei Jahre beträgt die Verjährungsfrist bei Schadensersatzansprüchen wegen der Verletzung von Immaterialgüterrechten135. Obgleich unlautere Handlungen oft Schnittmengen mit dem Kartellrecht und dem Immaterialgüterrecht aufweisen werden, gelten für Rechtsverletzungen stark abweichende Verjährungsfristen. Das hat zur Folge, dass ein Verletzter in Konstellationen, in denen neben kartellrechtlichen oder immaterialgüterrechtlichen Schadensersatzansprüchen möglicherweise auch ein Anspruch gemäß § 9 S. 1 UWG in Betracht kommt, zur schnellen Klageerhebung innerhalb der kurzen UWG-Verjährungsfrist gezwungen ist, um zu verhindern, dass dieser Anspruch verjährt. Ein solcher Fall ist beispielsweise leicht vorstellbar, wenn unklar ist, ob ein sonderrechtlicher Schutz eingreift oder ob eine Unlauterkeit unter dem Aspekt des ergänzenden Leistungsschutzes gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 9 UWG vorliegt. Weil die Problematik der kurzen Verjährung in diesen Fällen besonders deutlich hervortritt, wurden in der Literatur abweichende Regelungen zur Verjährung vorgeschlagen. Köhler befürwortet eine Neuregelung der Verjährung de lege ferenda136, mit der die Verjährungsfrist in Übereinstimmung mit den Sonderschutzrechten auf drei Jahre angehoben wird. Nirk will bereits de lege lata eine längere Verjährungsfrist erreichen, indem er lauterkeitsrechtlich geschützte Leistungsergebnisse als individuelle Schutzpositionen anerkennt, die als sonstige Rechte § 823 Abs. 1 BGB unterfallen sollen, was den Anwendungsbereich des Deliktsrechts eröffnen und in der Folge zu einer längeren Verjährungsfrist führen soll137. Zustimmung verdienen diese Ansichten hinsichtlich des übereinstimmenden Befundes, dass die kurze Verjährungsfrist sachlich verfehlt ist und im Vergleich zu den abweichenden Vorschriften des Immaterialgüterrechts nicht zu rechtfertigen ist. Gleichwohl sind gegen beide Vorschläge Bedenken zu erheben. Gegen Nirk ist einzuwenden, dass diese Lösung auf eine offene Gesetzesderogation der insoweit eindeutigen lauterkeitsrechtlichen Bestimmungen hinausläuft138 134 Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 22.8.2003, BT-Drucks. 15/1487, S. 35. 135 § 102 UrhG; § 141 PatG; § 24f GebrMG; § 49 GeschmMG; § 20 MarkenG; § 37f SortSchG; § 9 Abs. 3 HalbLSchG. 136 Köhler, WRP 1999, 1075, 1081 mit Formulierungsvorschlag. 137 Nirk, GRUR 1993, 247, 254. 138 Sehr berechtigt daher die Skepsis von Sambuc, Der UWG-Nachahmungsschutz, Rn. 777: Es erscheine fraglich, ob sich das Richterrecht über die gesetzliche Regelung in § 21 UWG a.F. hinwegsetze. Ausdrücklich ablehnend BGH vom 14.1.1999, GRUR 1999, 751, 754 – Güllepumpen.
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und noch dazu eine Verlagerung spezifisch lauterkeitsrechtlicher Fragen in das allgemeine Deliktsrecht zur Folge hätte. Eine solche »Auslagerung« von einzelnen Problemkreisen kann zu Friktionen zwischen den einzelnen Rechtsgebieten und zu schädlichen Sonderentwicklungen führen. Daher ist ein Rückgriff auf die BGB-Vorschriften zur Verjährung ausgeschlossen139. Der auf eine partielle Sonderregelung der Verjährung hinauslaufende Vorschlag Köhlers, der auf den Bereich des ergänzenden Leistungsschutzes beschränkt ist, geht demgegenüber nicht weit genug, weil eine solche Regelung, würde sie in das Gesetz übernommen, eine Rechtszersplitterung zur Folge hätte. Die Verjährungsfrist würde dann in Abhängigkeit vom erfüllten UWG-Tatbestand variieren, was insbesondere dann Schwierigkeiten bereiten würde, wenn ein und dieselbe Handlung mehrere Beispielstatbestände verwirklicht140. Anstatt die Rechtsverfolgung und Sanktionierung zu erleichtern, würde eher ein zusätzliches Unsicherheitsmoment geschaffen, das einer effektiven Durchsetzung entgegenstünde. Zudem bliebe der Verletzte auch weiterhin gezwungen, innerhalb der kürzeren Frist Klage zu erheben, um sich nicht Rechtsgrundlagen »abzuschneiden«. De lege ferenda sollten für lauterkeitsrechtliche Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche gleiche Verjährungsfristen eingeführt werden. c) Folgerungen Die mangelnde Überzeugungskraft der kurzen Verjährung für lauterkeitsrechtliche Schadensersatzansprüche spricht dafür, den Anwendungsbereich der kurzen Verjährung auf den lauterkeitsrechtlichen Schadensersatzanspruch zu beschränken und nicht auf konkurrierende Ansprüche (z.B. aus §§ 823 Abs. 2 S. 1, 826 BGB) zu erstrecken. Dies steht im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers. Obgleich der Gesetzgeber die Verjährungsregelung des alten Rechts in das UWG 2004 übernommen hat, wird jedenfalls aus den Materialien das Bestreben deutlich, den Wortlaut des § 11 Abs. 1 UWG so zu fassen, dass konkurrierende Ansprüche grundsätzlich nicht unter § 11 Abs. 1 UWG subsummiert werden können. Während der Bundesrat unter § 11 Abs. 1 UWG nicht nur Ansprüche aus §§ 8 und 9 UWG, sondern auch sonstige, in unmittelbarem Zusammenhang stehende Ansprüche fassen wollte141, hob die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung ausdrücklich hervor, dass die vom Bundesrat vorgeschlagene Formulierung zu weit gehe142.
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Büscher, in: Fezer, UWG, § 11 Rn. 4. Auf dieses Problem weist Köhler, WRP 1999, 1075, 1082 ausdrücklich hin. Nachgeahmte Produkte werden z.B. häufig eine Irreführungsgefahr (etwa über die betriebliche Herkunft) begründen. 141 Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf vom 22.8.2003, BT-Drucks. 15/ 1487, S. 35. 142 BT-Drucks. 15/1487, S. 44. 140
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Von dem Grundsatz der getrennten Beurteilung der Verjährung geht auch die Rechtsprechung aus143. Allerdings ist nach Ansicht des BGH in der Intermarkt II-Entscheidung jeweils zu prüfen, ob eine Regelung, einschließlich der Verjährung, »als erschöpfende und deshalb die anderen ausschließende Regelung der jeweiligen Teilfrage anzusehen ist«144. In Anbetracht der Äußerungen des Gesetzgebers und der mangelnden Überzeugungskraft der kurzen Verjährungsfrist für lauterkeitsrechtliche Schadensersatzansprüche wird man die UWG-Verjährungsregeln entgegen der insoweit noch offenen Formulierung des BGH generell nicht auf konkurrierende Ansprüche aus anderen Gesetzen – etwa Ansprüche aus §§ 823 Abs. 2 S. 1, 824 und 826 BGB – erstrecken können. 2. Regelmäßige Verjährung bei Abschöpfungsansprüchen und kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen Der regelmäßigen Verjährung von drei Jahren unterliegen der lauterkeitsrechtliche Gewinnabschöpfungsanspruch sowie die kartellrechtlichen Ansprüche auf Schadensersatz und Vorteilsabschöpfung. a) Gewinnabschöpfungsanspruch Im Ergebnis besteht Einigkeit darüber, dass der Anspruch aus § 10 Abs. 1 UWG nicht in der kurzen Frist von sechs Montane verjährt145. Streitig ist aber, ob dieses Ergebnis auf § 11 Abs. 4 UWG146 oder auf § 195 BGB147 zu stützen ist. Letztgenannte Auffassung wird damit begründet, § 11 Abs. 4 UWG sei lediglich als Bezugnahme auf die in Abs. 1 erwähnten Ansprüche zu verstehen. Dies ergebe sich aus der systematischen Stellung im Anschluss an die Sonderregelung für den Schadensersatz im dritten Absatz und seines Charakters als Auffangtatbestand. Daher unterliege der in § 11 Abs. 1 UWG nicht genannte Anspruch aus § 10 UWG den Regeln der §§ 194 ff. BGB148. Die Unklarheit ist entstanden, weil § 11 Abs. 4 UWG nur die Worte »andere Ansprüche«, nicht aber wie § 199 Abs. 4 BGB den Zusatz »andere als Schadensersatzansprüche« beinhaltet, was den systematischen Zusammenhang zwischen § 11 Abs. 3 und 4 UWG verdeutlicht hätte. Gleichwohl ist die Vorschrift in die143 BGH vom 22.12.1961, BGHZ 36, 252, 257 – Gründerbildnis; BGH vom 8.10.1971, GRUR 1972, 189, 191 – Wandsteckdose II (insoweit nicht in BGHZ 57, 116 abgedruckt); BGH vom 24.2.1983, GRUR 1983, 467, 468 – Photokina. 144 BGH vom 26.1.1984, GRUR 1984, 820, 823 – Intermarkt II. 145 Von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 318; Büscher, in: Fezer, UWG, § 11 Rn. 37; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 11 Rn. 1.36; Schulz, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 11 Rn. 17. 146 Von Braunmühl, in: Fezer, UWG, § 10 Rn. 318; Büscher, in: Fezer, UWG, § 11 Rn. 37; Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 11 Rn. 1.36. 147 Schulz, WRP 2005, 274, 275; Sieme, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG und die Vorteilsabschöpfung gem. §§ 34, 34a GWB, S. 176 f. 148 Schulz, WRP 2005, 274, 275.
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sem Sinne zu lesen149 und dahingehend zu verstehen, dass sie aus dem UWG folgenden Ansprüche erfasst, mit Ausnahme des Schadensersatzanspruchs nach § 9 S. 1 UWG. Ein anderes Verständnis würde unnötige Lücken in die lauterkeitsrechtlichen Verjährungsvorschriften reißen, weil damit die absolute Verjährung teils dem UWG, teils dem BGB zu entnehmen wäre. Der Gesetzgeber hat sich an der Regelungssystematik des § 199 BGB orientieren wollen150. Zudem entspricht die Einheitlichkeit der absoluten Verjährung dem schützenswerten Interesse des Schuldners und belastet die Anspruchsberechtigten nicht in unzumutbarer Weise. b) Kartellrechtliche Ansprüche Im Gegensatz zum UWG enthält das GWB keine besonderen Verjährungsvorschriften, sondern sieht lediglich in § 33 Abs. 5 GWB einen speziellen Tatbestand für die Hemmung der Verjährung vor151. Die Verjährung folgt daher dem allgemeinen Regime der §§ 194 ff. BGB. aa) Schadenersatzanspruch (1) Geltende Rechtslage. Der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch ist verjährungsrechtlich den deliktischen Ansprüchen gleichzustellen. Dies entsprach schon vor der siebten GWB-Novelle allgemeiner Ansicht152. Denn der kartelldeliktische Schadensersatzanspruch wurde als eine spezielle Ausprägung des § 823 Abs. 2 S. 1 BGB angesehen153. Zudem war auf diese Weise ein Gleichlauf der Verjährungsfristen für Verstöße gegen nationale Kartellbestimmungen und für Verstöße gegen Gemeinschaftskartellrecht sichergestellt, für die § 823 Abs. 2 S. 1 BGB direkt anzuwenden war. Auch nach neuer Rechtslage richtet sich die Verjährung kartelldeliktischer Schadensersatzansprüche den für deliktische Ansprüche geltenden Bestimmungen. Es gilt mithin gemäß § 195 BGB die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren. (2) Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht. Das Gemeinschaftsrecht sieht derzeit keine Bestimmungen zur Verjährung vor. Allerdings stellt der EuGH in der Manfredi-Entscheidung spezielle Anforderungen an die mitgliedstaatlichen Regelungen zum Lauf der Verjährung. De lege ferenda können Änderungen notwendig werden, wenn die im Weißbuch der Kommission niedergelegten Pläne zur Verjährung154 umgesetzt werden. 149
Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 11 Rn. 1.36. Beschlussempfehlung und Bericht des 6. Ausschusses, BT-Drucks. 15/2795, S. 22. 151 Dazu sogleich unter II., S. 715 ff. 152 BGH vom 27.1.1966, WuW/E BGH 734, 735 – Glühlampen II; BGH vom 8.5.1990, WuW/ E BGH 2647, 2652 – Nora-Kunden-Rückvergütung; siehe auch BGH vom 2.7.1996, WuW/E BGH 3074, 3078 – Kraft-Wärme-Kopplung; Roth, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 33 Rn. 191 zu § 852 BGB a.F. 153 BGH vom 27.1.1966, WuW/E BGH 734, 735 – Glühlampen II. 154 Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 10. 150
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(a) Vorgaben der EuGH-Rechtsprechung. Nach der Rechtsprechung des EuGH dürfen die nationalen Verjährungsvorschriften die Durchsetzung von Schadensersatzklagen nicht praktisch unmöglich machen. Eine solche Gefahr besteht aber, wenn die Verjährungsfrist bereits an dem Tag zu laufen beginnt, an dem das Kartell oder abgestimmte Verhalten verwirklicht wird und wenn das innerstaatliche Recht eine kurze Verjährungsfrist vorsieht, die nicht unterbrochen werden kann155. Denn in diesen Fällen ist nicht ausgeschlossen, dass die Verjährungsfrist sogar vor der Beendigung der Zuwiderhandlung abgelaufen ist, sodass ein Geschädigter nicht mehr erfolgreich eine Schadensersatzklage erheben könnte156. Nach deutschem Recht besteht eine solche Gefahr nicht, sodass die derzeitige Rechtslage gemeinschaftskonform ist. Denn gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Diese Voraussetzungen sind bei Ansprüchen wegen unerlaubten Handlungen erfüllt, wenn der haftungsbegründende Tatbestand verwirklicht wurde und ein Schaden eingetreten ist157. Der Anspruch ist entstanden, wenn er erstmalig geltend gemacht und nötigenfalls gerichtlich durchgesetzt werden kann158. Bei Schadensersatzansprüchen genügt es, dass der Geschädigte eine Feststellungsklage erheben könnte159. Nach der Rechtsprechung muss der Schaden wenigstens dem Grunde nach entstanden sein. Dies ist anzunehmen, sobald durch die Verletzungshandlung eine Verschlechterung der Vermögenslage eingetreten ist, ohne dass feststehen muss, ob der Schaden bestehen bleibt und damit endgültig wird, oder ob mit der nicht fernliegenden Möglichkeit weiterer, noch nicht erkennbarer, adäquat verursachter Nachteile bei verständiger Würdigung zu rechnen ist160. (b) Künftiger Änderungsbedarf. De lege ferenda wird der Gesetzgeber die Verjährungsvorschriften für das Kartellrecht speziell regeln müssen, wenn die Kommission ihre im Weißbuch niedergelegten Pläne umsetzt. Nach Auffassung der Kommission sollte die Verjährung nicht vor der Einstellung einer dauernden oder fortgesetzten Zuwiderhandlung beginnen und bevor von dem Geschädigten vernünftigerweise Kenntnis der Zuwiderhandlung und des ihm dadurch verursachten Schadens erwartet werden kann161. Diese Anforderungen entsprechen bereits dem deutschen Recht. Das Erfordernis der Kenntnis findet sich in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB verankert. Für deliktische Dauerhandlun155
EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 78 – Manfredi. EuGH vom 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 79 – Manfredi. 157 Siehe nur Henrich/Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 199 Rn. 12. 158 BGH vom 20.10.1959, NJW 1960, 380, 381; BGH vom 17.2.1971, BGHZ 55, 340, 341; BGH vom 28.9.1973, GRUR 1974, 99, 100 – Brünova. 159 BGH vom 22.2.1979, BGHZ 73, 363, 365. 160 BGH vom 23.6.2005, NJW-RR 2006, 279, 280. 161 Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 10. 156
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gen ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Verjährung nicht vor der Beendigung der rechtswidrigen Handlung beginnt162. Bei fortgesetzten und wiederholten Rechtsverstößen beginnt die Verjährung mit der Beendigung eines jeden Rechtsverstoßes gesondert163. Änderungsbedarf besteht, soweit die Kommission eine eigenständige Verjährungsfrist von mindestens zwei Jahren vorsieht, wenn wegen eines Kartellrechtsverstoßes behördliche Ermittlungen stattfinden. Die Verjährung soll mit Eintritt der Bestandskraft der behördlichen Entscheidung beginnen164. Das deutsche Recht sieht demgegenüber in § 33 Abs. 5 GWB eine Hemmung der Verjährung vor, mit der Folge, dass der Zeitraum während dessen die Verjährung gehemmt ist, in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet wird165. Der Vorteil des Kommissionsvorschlages liegt in der leichteren Berechenbarkeit der Verjährungsfrist. Allerdings könnte der Kommissionsvorschlag in bestimmten Fällen zu einer Schlechterstellung von Geschädigten gegenüber der jetzigen Rechtslage führen. Wird nämlich die Verjährung durch Einleitung eines behördlichen Verfahrens frühzeitig gehemmt, dann können den Geschädigten nach derzeitigem Recht mehr als zwei Jahre verbleiben, um Schadensersatzansprüche geltend zu machen, zumal die Hemmung der Verjährung erst sechs Monate nach der bestandskräftigen Entscheidung bzw. nach Abschluss eines anschließenden Gerichtsverfahrens endet166. Um eine solche Verschlechterung zu vermeiden, empfiehlt sich eine einheitliche Verjährungsfrist von drei Jahren, deren Beginn sich entweder nach den allgemeinen verjährungsrechtlichen Grundsätzen richtet oder nach dem Eintritt der Bestandskraft einer behördlichen Entscheidung bzw. nach der rechtskräftigen Entscheidung eines damit zusammenhängenden Gerichtsverfahrens. bb) Vorteilsabschöpfungsanspruch Für den Vorteilsabschöpfungsanspruch aus § 34a GWB gilt die regelmäßige Verjährungsfrist aus § 195 GWB167. Hierfür spricht vor allem die systematische Einheitlichkeit der Verjährungsregelung für sämtliche privatrechtlichen Ansprüche, die durch Kartellrechtsverstöße ausgelöst werden können. Im Gegensatz zum Lauterkeitsrecht hat der Gesetzgeber im GWB keine nach Anspruchsarten differenzierenden Regelungen geschaffen. Das lässt den Schluss zu, dass eine differenzierende Verjährungsregelung nicht gewollt war. Es sind auch keine Sachgründe erkennbar, warum die Verjährung des Abschöpfungsanspruchs anderen Regeln unterliegen sollte als die Verjährung der sonstigen Ansprüche aus dem GWB. 162
RG vom 19.11.1912, RGZ 80, 436, 438; BGH vom 17.4.2002, NJW-RR 2002, 1256, 1258. RG vom 18.12.1931, RGZ 134, 335, 339 ff.; BGH vom 26.1.1984, GRUR 1984, 820, 822 – Intermarkt II; BGH vom 17.4.2002, NJW-RR 2002, 1256, 1258. 164 Kommission, Weißbuch Schadensersatzklagen, S. 10. 165 § 209 BGB. 166 § 33 Abs. 5 S. 2 GWB i.V.m. § 204 Abs. 2 S. 1 BGB. 167 Bechtold, GWB, § 34a Rn. 16; Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 34a Rn. 17. 163
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§ 34 Abs. 5 GWB ist auf § 34a GWB nicht analog anzuwenden168. Hätte der Gesetzgeber diese Regelung auf den Vorteilsabschöpfungsanspruch erstrecken wollen, dann hätte es einer speziellen Verweisung bedurft; eine solche fehlt jedoch. Zudem passt § 34 Abs. 5 GWB auf den Anspruch aus § 34a GWB nicht. Gemäß § 34 Abs. 5 GWB kann die Vorteilsabschöpfung durch die Kartellbehörde nur innerhalb von fünf Jahren nach Beendigung des Kartellrechtsverstoßes angeordnet werden. Diese zeitliche Beschränkung wurde neu in das Gesetz aufgenommen und schützt Unternehmen davor, dass wegen eines länger zurückliegenden Verstoßes noch Vorteile abgeschöpft werden. Diese Bestimmung steht in einem Sachzusammenhang mit § 81 Abs. 8 GWB, der die Verjährung von kartellrechtlichen Ordnungswidrigkeiten regelt169. Eine zeitliche Beschränkung von hoheitlichen Sanktionen ist ebenso wie eine Verjährung privatrechtlicher Ansprüche sachgerecht, weil mit zunehmendem zeitlichem Abstand zwischen Zuwiderhandlung und Sanktionsanwendung Fehlwirkungen auftreten können. Eine optimale Sanktionswirkung kann nur erzielt werden, wenn die Sanktion möglichst zeitnah mit dem Rechtsverstoß verknüpft ist. Mit zunehmender zeitlicher Distanz muss dagegen das Interesse an der Bekämpfung von Verstößen dem allgemeinen Interesse an einer Befriedung der Rechtslage weichen. Eine Verfolgung auch von kleinsten Rechtsverstößen »um jeden Preis« würde zu unerträglicher Beunruhigung des allgemeinen Rechtsfriedens führen170. Im Falle einer Vorteilsabschöpfung durch Verbände wird ein Schutz vor »Spätabschöpfungen« bereits durch die allgemeinen Verjährungsvorschriften gewährleistet, sodass es einer analogen Anwendung von § 34 Abs. 5 GWB mangels einer Regelungslücke nicht bedarf.
II. Hemmung der Verjährung im Kartellrecht § 33 Abs. 5 GWB beinhaltet eine spezielle Vorschrift zur Hemmung der Verjährung von Schadensersatzansprüchen bei laufenden behördlichen Verfahren. Diese Vorschrift gilt gemäß § 34a Abs. 5 GWB zugleich für den Anspruch auf Vorteilsabschöpfung. Sie findet jedoch keine Anwendung auf sonstige privatrechtliche Ansprüche und gilt insbesondere nicht für Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche.
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Anders Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 34a Abs. 32. Die einzelnen Verjährungsfristen ergeben sich aus §§ 31 ff. OWiG. 170 »Die Verjährung ist eine Einrichtung im Grenzbereich zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit. Die Gerechtigkeit gebietet es, Schuldige sühnender Strafe zuzuführen. Rechtssicherheit strebt nach Rechtsfrieden. Wird dieser durch eine Straftat gestört, so dient es ihm, wenn die Gerechtigkeit durch Eingriff mit strafender Hand die Störung beseitigt. Ist der Rechtsfriede jedoch von selbst, durch heilenden Zeitablauf wieder eingekehrt und die Rechtsordnung wiederhergestellt, so hat ein Eingriff der Strafgewalt keinen Nutzen mehr. Er führt nur zu neuer Unruhe«, BGH vom 19.2.1963, BGHSt 18, 274, 278. 169
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1. Normzweck und Anwendungsbereich § 33 Abs. 5 GWB steht in einem engen Zusammenhang mit § 33 Abs. 4 GWB und bildet neben dieser Vorschrift ein Beispiel für die besonders enge inhaltliche Abstimmung von behördlichen und privatrechtlichen Sanktionen im Kartellrecht. Mit § 33 Abs. 4 GWB sollen Schadensersatzklagen erleichtert werden, die einem behördlichen Verfahren nachfolgen171. Aufgrund der Bindungswirkung gemäß § 33 Abs. 4 GWB ist es für Geschädigte attraktiv, zunächst behördliche Ermittlungen und Maßnahmen abzuwarten. Der Vorteil der Bindungswirkung wäre allerdings schnell dahin, wenn Ermittlungen der Kartellbehörde über einen längeren Zeitraum andauern und Kläger befürchten müssen, dass Schadensersatzansprüche in der Zwischenzeit verjähren. Um zu verhindern, dass Geschädigte durch ein länger andauerndes behördliches Verfahren Nachteile erleiden, sieht § 33 Abs. 5 GWB eine Hemmung der Verjährung vor. § 33 Abs. 5 GWB erwähnt dabei neben den (nationalen) Kartellbehörden ausdrücklich auch die Kommission und die Wettbewerbsbehörden eines anderen Mitgliedstaates der Gemeinschaft. Warum in Absatz 5 im Zusammenhang mit den ausländischen Kartellbehörden der in Absatz 4 enthaltene Zusatz »des als solche handelnden Gerichts« weggelassen wurde, ist unklar. Für die Hemmung der Verjährung kann es richtigerweise keinen Unterschied machen, ob in einem Mitgliedstaat eine Kartellbehörde oder ein Gericht tätig wird172. Vielmehr müssen Absatz 4 und Absatz 5 vollinhaltlich aufeinander abgestimmt werden. Soweit eine Entscheidung gemäß § 33 Abs. 4 GWB Bindungswirkung entfalten kann, wird grundsätzlich die Hemmung der Verjährung gemäß § 33 Abs. 5 GWB ausgelöst. Ist dagegen eine Bindungswirkung schon dem Grunde nach ausgeschlossen173, dann bedarf es des mit § 33 Abs. 5 GWB bezweckten Schutzes des Klägers nicht und die Hemmung der Verjährung erwiese sich lediglich als ein unverdienter Glücksfall. Probleme können weiterhin auftreten, wenn wegen eines Kartellrechtsverstoßes die Kartellbehörden mehrerer Mitgliedstaaten neben- oder nacheinander Verfahren einleiten. Im Interesse der Rechtssicherheit für die Geschädigten muss die Hemmung mit der Einleitung des ersten Verfahrens beginnen und bis zum Abschluss des letzten Verfahrens andauern174. 2. Einzelfragen a) Beginn der Verjährungshemmung Die Hemmung der Verjährung beginnt mit der Einleitung des Verfahrens. Dabei gelten die gleichen Maßstäbe, die auch für § 49 Abs. 1 GWB Anwendung finden, 171
Dazu oben, § 5. E., S. 424 ff. Schütt, WuW 2004, 1124, 1132. 173 Dazu näher oben, § 5. E. II. und III., S. 426 ff. und S. 433 ff. 174 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 33 Rn. 69. Warum diese Lösung gerade unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit bedenklich sein soll, wie Schütt, WuW 2004, 1124, 1132 annimmt, ist nicht ersichtlich. 172
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der bei der Einleitung eines kartellbehördlichen Verfahrens bestimmte Benachrichtigungspflichten vorsieht. Ein Verwaltungsverfahren wird eingeleitet durch die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass einer Verfügung oder eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtete, nach außen wirkende Tätigkeit einer Kartellbehörde; ein Bußgeldverfahren wird eingeleitet durch jede Maßnahme, die erkennbar darauf gerichtet ist, gegen jemanden wegen einer Ordnungswidrigkeit bußgeldrechtlich vorzugehen175. b) Ende der Verjährungshemmung Das Ende der Verjährungshemmung richtet sich gemäß § 33 Abs. 5 S. 2 GWB nach § 204 Abs. 2 BGB. Danach endet die Hemmung sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. Aus dem Sinn und Zweck des § 33 Abs. 5 GWB ist zu folgern, dass die Hemmung nicht nur während des behördlichen Verfahrens gilt, sondern darüber hinaus aufrecht erhalten bleibt, wenn im Anschluss gerichtlich über die Rechtmäßigkeit der behördlichen Maßnahme entschieden wird176. Denn von der Bindungswirkung kann der Kläger erst nach dem endgültigen Abschluss der auf die Behördenentscheidung bezogenen Streitigkeiten profitieren. Da er dementsprechend lange mit seiner Klage zuwarten wird, muss auch die Hemmung der Verjährung entsprechend lange andauern. c) Unanwendbarkeit von § 203 S. 2 BGB Im Rahmen der Verjährungshemmung nach § 33 Abs. 5 GWB findet die Bestimmung des § 203 S. 2 BGB keine Anwendung177. Nach dieser Bestimmung tritt Verjährung frühestens drei Monate nach dem Ende einer durch Verhandlungen bewirkten Hemmung ein. Die darin geregelte »Nachfrist« ist auf den speziellen Hemmungstatbestand des § 203 S. 1 BGB ausgerichtet. Ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass Verhandlungen oftmals kurz vor dem Ende der Verjährung stattfinden. Der Gläubiger soll vor einem raschen Verlust seines Anspruchs geschützt werden, wenn die Verhandlungen beendet werden178. Ein vergleichbares Schutzbedürfnis für den Gläubiger besteht bei Abschluss eines kartellbehördlichen Verfahrens nicht, zumal in § 204 Abs. 2 S. 1 BGB ohnehin ein »Puffer« von sechs Monaten vorgesehen ist.
175 176 177 178
Bracher, in: Frankfurter Kommentar, GWB, § 49 Rn. 4. Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, § 33 Rn. 123 mit Beispiel. Anders Bechtold, GWB, § 33 Rn. 33. Peters, in: Staudinger, BGB, § 203 Rn. 17.
Fünfter Teil
§ 11. Wesentliche Ergebnisse und Ausblick I. Mehrdimensionalität des Lauterkeits- und Kartellrechts [1] Lauterkeitsrecht und Kartellrecht dienen dem Schutz der Marktakteure im Wettbewerb und zugleich dem Schutz der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs. Obschon beide Rechtsgebiete aus unterschiedlichen rechtsgeschichtlichen Zusammenhängen gewachsen sind und Sachverhalte aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten, können und müssen beide Materien als funktionale Einheit betrachtet werden. [2] Zur Bekämpfung von Rechtsverstößen sehen Lauterkeitsrecht und Kartellrecht ähnliche Sanktionsmechanismen vor. Insbesondere kennen beide Rechtsgebiete Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche als privatrechtliche Sanktionsinstrumente. [3] Diese Ansprüche befinden sich in einem grundlegenden Spannungsverhältnis: Einerseits gehören Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche zum Bestand außervertraglicher Haftungsregeln des Privatrechts. Sie sind in die Strukturen und Prinzipien des Privatrechts eingebunden. Andererseits weisen Lauterkeitsrecht und Kartellrecht spezifische Eigenheiten auf, die dem speziellen Regelungsauftrag beider Rechtsgebiete geschuldet sind und durch die der Charakter dieser beiden Bereiche entscheidend bestimmt wird. Für Schadensersatzund Abschöpfungsansprüche können sich daraus strukturelle Besonderheiten ergeben. [4] Lauterkeitsrecht und Kartellrecht sind geprägt durch eine Mehrdimensionalität der geschützten Interessen und der daraus erwachsenden Interessenkonflikte. Diese Mehrdimensionalität ist eine Folge der Komplexität und Vielschichtigkeit des Wettbewerbsgeschehens und bildet zugleich die zentrale Ursache des Spannungsverhältnisses, in dem sich die Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche befinden. Im Wettbewerb treffen nicht nur Individualinteressen verschiedener Marktakteure aufeinander. Zugleich muss die Rechtsordnung den Schutz von überindividuellen Interessen gewährleisten, also von Interessen, die über das Individualverhältnis von Verletzer und Verletztem hinausgreifen. Zu diesen überindividuellen Interessen gehören die Interessen bestimmter abgrenzbarer Gruppen von Marktakteuren, z.B. der Verbraucher (kollektive Interessen), und Interessen der Allgemeinheit (öffentliche Interessen).
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II. Funktionalisierung privatrechtlicher Ansprüche [5] Privatrecht ist nicht »wertneutral«, sondern Ausdruck der bestehenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse. Namentlich das außervertragliche Haftungsrecht beschränkt sich nicht auf die bloße Aufarbeitung individueller Folgen unerlaubter Handlungen im Verhältnis zwischen Verletzer und Verletztem. Bei der Aufarbeitung von Rechtsverletzungen kann das Privatrecht Wertungen berücksichtigen, die über den individuellen Interessenkonflikt hinausgreifen und Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Steuerungsfunktion sind. [6] Anerkennt man eine solche Funktionalisierung des Privatrechts, dann ist es nur konsequent, wenn die außervertragliche Haftung nicht allein auf eine Verletzung subjektiver Rechte des Einzelnen zurückgeführt wird. Im Lauterkeitsund Kartellrecht ist diese Öffnung des Privatrechts bereits weit fortgeschritten. Nicht die Verletzung (primärer) subjektiver Rechte des Einzelnen bildet die Basis der lauterkeitsrechtlichen und kartellrechtlichen Haftung des Verletzers, sondern die Beeinträchtigung von geschützten Interessen der Marktakteure. [7] Privatrechtliche Ansprüche im Wettbewerb sind als (sekundäre) subjektive Rechte Handlungsinstrumente zur Wahrnehmung rechtlich geschützter Interessen durch die Anspruchsberechtigten. Weil die Anspruchsinhaberschaft nicht an ein (primäres) subjektives Recht geknüpft ist, kann ein Anspruchsberechtigter nicht nur seine individuellen Interessen durchsetzen, sondern zugleich als ein »Funktionär« der Rechtsordnung auftreten. [8] Dem Gemeinschaftsrecht sind solche Zielrichtungen immanent. Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht ist das Privatrecht ein Instrument zur Verwirklichung des Binnenmarktes. Diese »Funktionalisierung« des Privatrechts ist im Lauterkeits- und Kartellrecht deutlich erkennbar. [9] Der Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf das Lauterkeits- und Kartellrecht erstreckt sich gerade auch auf die Ausgestaltung der jeweiligen Sanktionssysteme. Grundlegende Bedeutung kommt dabei insbesondere Art. 10 EG zu. Der darin verankerte Loyalitätsgrundsatz verlangt, dass Sanktionen der Mitgliedstaaten, unabhängig von ihrer Rechtsnatur, dem Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz entsprechen müssen. [10] Nach dem Äquivalenzgrundsatz müssen bei Verstößen gegen gemeinschaftsrechtlich verankerte Bestimmungen grundsätzlich vergleichbare Sanktionsmechanismen bestehen wie bei Verstößen gegen entsprechende Vorschriften des nationalen Rechts. Der Effektivitätsgrundsatz gebietet die Schaffung von Sanktionen, die praktische Wirksamkeit entfalten. Das bedeutet insbesondere, dass die Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen.
§ 11. Wesentliche Ergebnisse und Ausblick
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III. Grundanforderungen an privatrechtlichen Sanktionen [11] Sanktionen gehören zu den Fundamenten der Rechtsordnung. Erst wenn das Recht festlegt, auf welche Weise es auf die Nichteinhaltung von Geboten und Verboten reagiert, entsteht sein für die Adressaten zwingender und verbindlicher Charakter. [12] Sanktionen müssen darauf ausgerichtet sein, den Rechtsadressaten dazu zu motivieren, sein Verhalten am rechtlich erwünschten Maßstab auszurichten und umgekehrt das rechtlich unerwünschte Verhalten zu unterlassen. Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche sind besonders geeignete Mittel zur Verhaltenssteuerung im Wettbewerb. Beide Sanktionen zielen auf einen Zugriff auf das Vermögen des Verletzers. Im Falle der Schadensersatzhaftung muss der Verletzer den entstandenen Schaden ausgleichen, im Falle der Abschöpfungshaftung wird dem Verletzer ein zu Unrecht erzielter Vorteil entzogen. Gerade dieser Vermögensbezug erweist sich als wirksames Steuerungsinstrument für unternehmerisches Verhalten im Wettbewerbsgeschehen. Die Entscheidung, wie Unternehmen im Wettbewerb agieren, welche Strategien sie am Markt gegenüber Konkurrenten oder der Marktgegenseite verfolgen, wird ganz wesentlich von Kostengesichtspunkten beeinflusst. Eine wirksame Sanktionierung von wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen wird erzielt, wenn Rechtsverstöße »unrentabel« werden. [13] Sanktionen müssen funktionsfähig und praktikabel ausgestaltet sein. Insbesondere müssen Schutzebene und Sanktionsebene exakt aufeinander abgestimmt sein. Dies geschieht in einem stetigen Prozess wechselseitiger Abstimmung. Fehler innerhalb dieses Abstimmungsprozesses können darin bestehen, dass Verletzungen geschützter Interessen nicht oder nicht effektiv verfolgt werden können (Sanktionsdefizit) oder die Sanktionen über den Schutzzweck hinausgreifen (Sanktionshypertrophie). Mit der Annahme einer solchen Fehlerhaftigkeit auf Sanktionsebene ist allerdings Vorsicht geboten: Nicht selten bildet ein »Zuviel« oder ein »Zuwenig« auf Sanktionsebene lediglich die Symptomatik eines Problems auf Schutzebene.
IV. Lauterkeitsrechtlicher Schadensersatz [14] Seit der UWG-Reform 2004 beinhaltet § 9 S. 1 UWG einen einheitlichen Haftungstatbestand für Schadensersatzansprüche bei unlauteren Handlungen. Inhaltlich führte die Neuregelung zu keiner Neuausrichtung der Schadensersatzhaftung. [15] Gläubiger des Schadensersatzanspruches sind die durch eine unlautere Handlung verletzten Mitbewerber. Maßgeblich kommt es auf das konkrete Wettbewerbsverhältnis zwischen Unternehmen an (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG). Dieses Kriterium stammt aus dem alten Recht, erfüllt aber seit der UWG-Reform 2004 andere Funktionen als nach alter Rechtslage. Damit können die bisherigen Krite-
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rien zur Bestimmung des konkreten Wettbewerbsverhältnisses nicht unbesehen übernommen werden. Das konkrete Wettbewerbsverhältnis ist kennzeichnet durch eine spezielle Konfliktlage innerhalb des Wettbewerbsgeschehens, den Parallelprozess der Konkurrenz. Erforderlich ist eine enge, an dieser speziellen Konfliktlage ausgerichtete Interpretation dieses Merkmals. [16] Andere Marktteilnehmer, insbesondere Verbraucher, sind nach Lauterkeitsrecht nicht anspruchsberechtigt. Der auf Mitbewerber zugeschnittene Schadensersatzanspruch ist ein Ergebnis der historischen Entwicklung des Lauterkeitsrechts, das ursprünglich allein auf einen Individualschutz des Mitbewerbers ausgerichtet war. Zugleich gewährleistet die Konzentration der Anspruchsberechtigung auf Mitbewerber, dass bei der Bekämpfung unlauterer Handlungen wettbewerbsfremde Individualinteressen anderer Betroffener ausgeblendet werden. [17] Einen schadensrechtlichen Sonderbereich innerhalb des Lauterkeitsrechts bildet die dreifache Schadensberechnung. Sie ist von der Rechtsprechung in sämtlichen Fällen unlauterer Nachahmungen im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 9 UWG sowie bei der Verletzung von Unternehmensgeheimnissen gemäß §§ 17 bis 19 UWG anerkannt. Diese Unlauterkeitskonstellationen zeichnen sich dadurch aus, dass nicht in eine allgemeine Marktchance des Unternehmers eingegriffen wird, sondern in eine privilegierte Wettbewerbsposition, die einem Immaterialgüterrecht vergleichbar ist. Der Verletzer beeinträchtigt die rechtlich geschützten Nutzungs- und Verwertungsmöglichkeiten des Berechtigten. Die Varianten der dreifachen Schadensberechnung spiegeln diese Nutzungsmöglichkeiten der privilegierten Wettbewerbsposition wider. [18] Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur dreifachen Schadensberechnung bedürfen angesichts der Vorgaben der RL 2004/48/EG und der zu ihrer Umsetzung erlassenen Vorschriften einer kritischen Überprüfung. Insbesondere ist zweifelhaft, ob die Alternativität zwischen den verschiedenen Berechnungsarten – konkreter Schaden, Herausgabe des Verletzergewinns, fiktive Lizenzgebühr – aufrecht erhalten werden kann. Nach dem Wortlaut der Richtlinie bildet die Herausgabe des Verletzergewinns einen Bestandteil der konkreten Schadensberechnung und steht nur in Alternativität zur fiktiven Lizenzgebühr. Nach Umsetzung der RL 2004/48/EG in das deutsche Recht sind § 139 Abs. 2 PatG, § 24 Abs. 2 GebrMG, § 14 Abs. 6 MarkenG, § 97 Abs. 2 UrhG, § 42 Abs. 2 GeschmMG und § 37 Abs. 2 SortG die Rechtsgrundlagen für die dreifache Schadensberechnung. Im Lauterkeitsrecht können diese Vorschriften im Wege einer Rechts- bzw. Gesamtanalogie herangezogen werden. [19] Im Rahmen der Haftungsausfüllung können überindividuelle Interessen berücksichtigt werden. Die Ersatzfähigkeit von »Marktverwirrungsschäden« beruht auf dem Gedanken, dass der Geschädigte durch eine aktive Korrektur von Fehlvorstellungen im Interesse der fehlinformierten Adressaten tätig wird. Ebenfalls im überindividuellen Interesse liegt ein privates Vorgehen von Rechtsverletzungen, selbst wenn die Verfolgung im Einzelfall fehlschlägt. Unter bestimmten
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Voraussetzungen können vergebliche Aufwendungen zur Rechtsverfolgung als Schaden ersatzfähig sein.
V. Kartellrechtlicher Schadensersatz [20] Die privatrechtlichen Sanktionen des Kartellrechts wurden mit der siebten GWB-Novelle 2005 erheblich umgestaltet. Einen Schwerpunkt der Neuregelung bildete die kartelldeliktische Schadensersatzhaftung. Die gesetzlichen Änderungen setzen sich bewusst und deutlich von der alten Rechtslage ab. Die kartelldeliktische Schadensersatzhaftung gemäß § 33 GWB ist als ein konzeptioneller Neuanfang zu verstehen. [21] Anlass für die Reform der privatrechtlichen Sanktionen gab vor allem das Gemeinschaftsrecht. Auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts greifen mehrere Entwicklungen ineinander. Die Bedeutung privatrechtlicher Schadensersatzklagen bei der Bekämpfung wettbewerbsbeschränkender Praktiken ist in der Rechtsprechung des EuGH in jüngerer Zeit besonders hervorgehoben worden. Zwar betont der EuGH, dass es in Ermangelung eines gemeinschaftsrechtlichen Schadensersatzanspruchs Sache der Mitgliedstaaten ist, einen entsprechenden Haftungstatbestand zu schaffen und auszugestalten. Gleichwohl hat der EuGH, speziell in seinen Entscheidungen Courage und Crehan aus dem Jahr 2001 und Manfredi aus dem Jahr 2006, bereits detaillierte Vorgaben für die Ausgestaltung der Schadensersatzhaftung gegeben. Neben der Rechtsprechung des EuGH hat die Umgestaltung des gemeinschaftsrechtlichen Kartellverfahrensrechts, insbesondere der Übergang zum System der Legalausnahme, dazu beigetragen, dass privatrechtlichen Sanktionen große Aufmerksamkeit zuteil wird. Die Kommission hat Pläne zur einheitlichen Ausgestaltung von Schadensersatzklagen bei Verstößen gegen das Gemeinschaftskartellrecht unterbreitet. [22] Im Gegensatz zum Lauterkeitsrecht eröffnet § 33 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 GWB nicht nur den Mitbewerbern, sondern Betroffenen die Möglichkeit, von einem Verletzer Schadensersatz wegen einer wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweise zu verlangen. § 33 Abs. 3 GWB ist dahingehend zu interpretieren, dass die Aktivlegitimation bei Abwehr- und Schadensersatzansprüchen deckungsgleich ausgestaltet ist. Anspruchsberechtigt ist jeder Betroffene (§ 33 Abs. 1 S. 3 GWB), also jeder Mitbewerber oder sonstige Marktteilnehmer, der durch den Verstoß beeinträchtigt wurde. Eine Beeinträchtigung liegt vor, wenn eine wettbewerbsbeschränkende Praktik kartellrechtlich geschützte Interessen der Marktakteure verletzt. [23] Die Anspruchsberechtigung einzelner Marktakteure ist nach normspezifischen Wertungskriterien zu bestimmen. Richtet sich ein Verstoß gezielt gegen einen bestimmten Marktakteur, dann ist dieser jedenfalls anspruchsberechtigt. Wird ein Marktakteur nicht zielgerichtet beeinträchtigt, folgt daraus nicht, dass er nicht anspruchsberechtigt sein kann. Einschränkungen der Anspruchsberechtigung ergeben sich, wenn das kartellrechtlich geschützte Interesse zur persönli-
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chen Disposition eines bestimmten Marktakteurs steht, wenn eine Begrenzung zur Erreichung besonderer wirtschafts- oder wettbewerbspolitischer Ziele einer Kartellvorschrift geboten ist oder wenn der Geschädigte maßgeblich an einer wettbewerbsbeschränkenden Praktik beteiligt ist. Eine Anspruchsberechtigung ist nicht ausgeschlossen, wenn der Betroffene aufgrund eines Machtgefälles zur Beteiligung an der wettbewerbsbeschränkenden Handlung veranlasst wurde. Der Frage, ob dem Verletzten andere (sonder-)deliktische Ansprüche zustehen, kommt keine Bedeutung zu. [24] Die Anspruchsberechtigung ist nicht davon abhängig, ob Geschädigte unmittelbar betroffen sind oder ob der Schaden eine mittelbare Folge des Kartellrechtsverstoßes darstellt. Das Gemeinschaftsrecht gebietet, dass jedermann den ihm infolge eines Kartellrechtsverstoßes entstandenen Schaden ersetzt verlangen kann. Die Anspruchsberechtigung mittelbar betroffener Abnehmer ist des Weiteren nicht davon abhängig, ob dem Verletzer der Einwand der Schadensüberwälzung auf seine Marktpartner zugebilligt oder verwehrt wird. [25] Gemäß § 33 Abs. 3 S. 2 GWB ist bei dem Bezug einer Ware oder Dienstleistung zu einem überhöhten Preis ein Schaden nicht deswegen ausgeschlossen, weil die Ware oder Dienstleistung weiterveräußert wurde. Diese Bestimmung beinhaltet eine gesetzgeberische Reaktion auf eine schadensrechtlich verfehlte Rechtsprechung einiger Instanzgerichte. Entgegen der herrschenden Meinung ist § 33 Abs. 3 S. 2 GWB dahingehend zu verstehen, dass die Abwälzung einer Preiserhöhung auf nachfolgende Marktstufen für die Schadensberechnung generell unbeachtlich ist. § 33 Abs. 3 S. 2 GWB umfasst danach sowohl die Schadensentstehung als auch die Vorteilsausgleichung. Die Unbeachtlichkeit des Einwands der Schadensabwälzung beruht auf der Erwägung, dass die Initiative zu einer privaten Rechtsdurchsetzung häufig von kartellnahen Unternehmen ausgehen wird und die Rechtsordnung auf diese Weise einen Anreiz zur Rechtsdurchsetzung schaffen kann. Ein solcher wirtschaftlicher Anreiz beinhaltet keinen Verstoß gegen das schadensrechtliche »Bereicherungsverbot«, weil die Verfolgung von Kartellrechtsverstößen im Interesse aller Marktakteure liegt und der Kläger nicht nur sein Individualinteresse geltend macht, sondern zugleich ein öffentliches Interesse wahrnimmt. [26] Gemäß § 33 Abs. 3 S. 3 GWB kann im Rahmen der richterlichen Schadensschätzung der vom Unternehmen durch den Kartellrechtsverstoß erzielte anteilige Gewinn berücksichtigt werden. Diese Bestimmung zielt nicht auf eine Abschöpfung des Verletzergewinns, sondern gibt lediglich einen Orientierungspunkt für die Schadensermittlung, wenn andere Anhaltspunkte fehlen oder keine genaue Aussage ermöglichen. [27] Eine Erleichterung der privaten Rechtsdurchsetzung wird gewährleistet, indem kartellbehördliche und privatrechtliche Sanktionierung inhaltlich stärker aufeinander abgestimmt werden. Nach § 33 Abs. 4 GWB entfalten Entscheidungen der nationalen Kartellbehörden, der Kommission und ausländischer Kartellbehörden bzw. Gerichte eine Bindungswirkung für nachfolgende Schadensersatzverfahren. Diese Bindungswirkung steht ergänzend neben Art. 16 VO 1/
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2003. Die Bindungswirkung erstreckt sich auf die tragenden rechtlichen und tatsächlichen Feststellungen der kartellbehördlichen Entscheidung. [28] § 33 Abs. 5 GWB verhindert, dass während eines – möglicherweise langwierigen – kartellbehördlichen Verfahrens ein Schadensersatzanspruch von Verletzten verjährt. Nach dieser Bestimmung ist die Verjährung während des laufenden kartellbehördlichen Verfahrens gehemmt. [29] Kronzeugenregelungen und private Schadensersatzklagen stehen in einem komplexen Spannungsverhältnis. Kronzeugen können einerseits mit Ermäßigung oder Erlass von Geldbußen rechnen. Andererseits sind Kronzeugen der Gefahr ausgesetzt, privatrechtlich in Anspruch genommen zu werden. Insbesondere drohende Schadensersatzansprüche könnten Unternehmen davon abhalten, als Kronzeuge aufzutreten und Informationen preiszugeben. [30] Ein Haftungsprivileg für Kronzeugen im Außenverhältnis ist abzulehnen. Grundsätzlich können Kronzeugen von den Opfern wettbewerbsbeschränkender Praktiken in Anspruch genommen werden, ohne dass die Geschädigten eine Kürzung oder Einschränkung ihrer Ansprüche hinnehmen müssen. Jedoch ist eine Haftungsprivilegierung des Kronzeugen im Innenverhältnis zu anderen Gesamtschuldnern zu befürworten. Hierbei kommen zwei Maßnahmen in Betracht: Zum einen kann der Kronzeuge im Rahmen des Haftungsausgleichs zwischen den Gesamtschuldnern gemäß § 426 Abs. 1 S. 1 BGB bevorzugt werden, indem sein Haftungsanteil verringert wird. Als Vergleichsmaßstab bietet sich dabei die anteilsmäßige Verringerung der Geldbuße an. Zum anderen kann der Kronzeuge von der anteiligen Ausfallhaftung gemäß § 426 Abs. 1 S. 2 BGB vollständig befreit werden.
VI. Dogmatik der Abschöpfungsansprüche [31] § 10 UWG und § 34a GWB gehören zu einer völlig neuartigen Kategorie von Ansprüchen. In diesen Ansprüchen vereinigen sich verschiedene Strukturelemente. Die Abschöpfungsansprüche gewinnen ihre eigenständige dogmatische Charakteristik aus vier Merkmalen: Es handelt sich um privatrechtliche Ansprüche mit rein kollektivrechtlicher Ausrichtung, die auf einen Entzug von zu Unrecht erlangtem Vermögen gerichtet und verschuldensabhängig sind. [32] Der Sanktionszweck der Abschöpfungsansprüche besteht darin, dass der wirtschaftliche Anreiz für rechtswidrige Handlungen beseitigt wird, indem Rechtsverstöße unrentabel gemacht werden. Zugleich erfüllt die Abschöpfung von Unrechtsvorteilen eine gesamtgesellschaftliche Ordnungsfunktion. Sie bringt zum Ausdruck, dass die Rechtsordnung es nicht widerspruchslos hinnimmt, wenn Verletzer von einem Rechtsverstoß wirtschaftlich profitieren. [33] Aufgrund ihrer speziellen Struktur weisen die Abschöpfungsansprüche rechtliche Besonderheiten auf. Insbesondere ist die Verfügungsbefugnis der Anspruchsinhaber erheblich eingeschränkt.
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VII. Lauterkeitsrechtliche Gewinnabschöpfung [34] Mit § 10 UWG wurden die privatrechtlichen Sanktionen des Lauterkeitsrechts anlässlich der UWG-Reform 2004 um einen Anspruch auf Gewinnabschöpfung ergänzt. Die praktische Bedeutung der neuen Sanktion ist bislang gering. [35] Ganz überwiegend wird das Ziel der Gewinnabschöpfung darin gesehen, ein Sanktionsdefizit bei Streu- und Bagatellschäden zu beseitigen. Bei diesen Schäden handelt es sich um Einbußen in geringer Höhe, die durch eine unlautere Handlung verursacht werden und bei einer Vielzahl von Personen eintreten. Zugleich besteht ein rationales Desinteresse der Geschädigten, ihre Schäden geltend zu machen, sodass der Schädiger praktisch kaum mit privaten Klagen rechnen muss. Die damit verbundene rechtliche Problematik ist komplex; sie muss aber von der Frage der Abschöpfung von Unrechtsgewinnen streng unterschieden werden. Der Gewinnabschöpfungsanspruch kann zur Behebung des – unstreitig bestehenden – Sanktionsdefizits bei Streu- und Bagatellschäden nichts beitragen. [36] Eine Gewinnabschöpfung kommt in Betracht bei sämtlichen Rechtsverstößen mit Breitenwirkung, durch die lauterkeitsrechtlich geschützte Interessen von Abnehmern beeinträchtigt werden. § 10 Abs. 1 UWG erfasst – im Gegensatz zu § 34a Abs. 1 GWB – ausschließlich Zuwiderhandlungen zu Lasten von Abnehmern. Dabei umfasst der Begriff des Abnehmers nicht nur die unmittelbaren Marktpartner des Verletzers, sondern prinzipiell alle Marktbeteiligten auf nachfolgenden Marktstufen, sofern die unlautere Handlung nachteilige Auswirkungen auf diese Marktbeteiligten haben kann und der Verletzer hierdurch Vorteile erlangt. [37] Durch die unlautere Handlung muss eine Vielzahl von Abnehmern betroffen sein. Das Gesetz statuiert damit kein quantitatives Erfordernis einer Mindestzahl Betroffener, sondern beschreibt die Qualität der unlauteren Handlung. Diese muss ihrer Art nach dazu geeignet sein, über den Einzelfall hinaus nachteilige Wirkungen zu entfalten. [38] Der Verletzer muss einen Gewinn »zu Lasten« der Abnehmer erzielt haben. Die dogmatische Funktion dieses Merkmals besteht darin, eine spezielle Verbindung zwischen dem Unrechtsgewinn des Verletzers und der materiellrechtlichen Schutzebene herzustellen. Nur solche Unrechtsgewinne unterliegen der Abschöpfung, die auf einer spezifischen Beeinträchtigung der Abnehmer beruhen. Eine solche spezifische Beeinträchtigung ist anzunehmen, wenn die Zuwiderhandlung lauterkeitsrechtlich geschützte Interessen der Abnehmer verletzt. Auf einen individuell-konkreten oder bei typisierender Betrachtung festzustellenden Vermögensnachteil der Abnehmer kommt es nicht an. [39] Die Berechnung des erzielten und herauszugebenden Gewinns kann sich an den Grundsätzen der Rechtsprechung zur Herausgabe des Verletzergewinns im Rahmen der dreifachen Schadensberechnung orientieren. Herauszugeben ist der auf die Rechtsverletzung zurückgehende Unrechtsgewinnanteil. Das schließt eine Abschöpfung des Gesamtgewinns im Einzelfall nicht aus.
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VIII. Kartellrechtliche Vorteilsabschöpfung [40] § 10 UWG fungierte als Vorbild für § 34a GWB. Beide Ansprüche weisen im Detail Abweichungen auf, sind aber nach den gleichen Grundsätzen auszulegen. Der Anspruch auf Vorteilsabschöpfung ergänzt die bestehenden kartellrechtlichen Abschöpfungsinstrumente. Bislang hat dieser Anspruch keine praktische Bedeutung erlangt. [41] Im Unterschied zu § 10 UWG unterliegt nach § 34a GWB der wirtschaftliche Vorteil (nicht nur der Gewinn) einer Abschöpfung. Der Begriff des wirtschaftlichen Vorteils ist im GWB in einem einheitlichen Sinne zu verstehen. Den Maßstäben und Kriterien des § 17 Abs. 4 OWiG kommt insoweit eine Orientierungs- und Leitbildfunktion zu. [42] § 34a GWB findet Anwendung auf Rechtsverstöße, bei denen zu Lasten von Anbietern oder Abnehmern ein Unrechtsvorteil erwirtschaftet wird. Das Merkmal »zu Lasten« ist wie in § 10 UWG zu verstehen. Anbieter und Abnehmer sind nicht nur Marktbeteiligte, die in direktem geschäftlichen Kontakt zum Verletzer stehen. [43] Gemäß § 34a Abs. 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 2 GWB kann der Abschöpfungsanspruch nur geltend gemacht werden von Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmen angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. Damit werden lediglich solche Interessenverbände erfasst, denen Konkurrenten der Verletzer angehören und die zugleich die Interessen der Mitbewerber wahrnehmen. Demgegenüber zielt § 34a Abs. 1 GWB auf die Abschöpfung von wirtschaftlichen Vorteilen, die zu Lasten der Marktgegenseite, der Abnehmer oder Anbieter, erwirtschaftet wurden. Eine Anspruchsberechtigung für qualifizierte Einrichtungen ist nicht vorgesehen. Damit dürfte eine Vorteilsabschöpfung schon tatbestandlich in der Mehrzahl der möglichen Anwendungsfälle von vornherein nicht in Betracht kommen.
IX. Vorsatz und Fahrlässigkeit [44] Trotz unterschiedlicher Sanktionszwecke weisen Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche mannigfaltige Gemeinsamkeiten auf. Insbesondere setzt eine Haftung nach beiden Ansprüchen voraus, dass ein schuldhaftes Verhalten des Verletzers vorliegt. Das den Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüchen zugrunde liegende Verschuldensprinzip basiert auf der Eigenverantwortung und Einsichtsfähigkeit des Menschen. Vorsatz und Fahrlässigkeit knüpfen an individuellem Fehlverhalten an. Die verschuldensabhängige Haftung basiert auf der Notwendigkeit, haftungsfreie Handlungsfreiräume im Wettbewerb zu erhalten, um insbesondere die Innovationskraft des Wettbewerbs nicht zu gefährden. [45] Vorsätzlich handelt, wer wissentlich und willentlich die Verletzungshandlung vornimmt. Entgegen der ganz herrschenden Meinung bedarf es eines
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speziellen Unrechtsbewusstseins als Vorsatzelement grundsätzlich nicht. Dies beruht auf einem Wertungsabgleich mit § 823 Abs. 2 S. 1 und § 826 BGB. Danach wird bei der Verletzung von Schutzgesetzen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts ein Unrechtsbewusstsein als Vorsatzbestandteil ebenso wenig verlangt wie das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit im Rahmen der Haftung wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung. Entscheidend sind zwei Erwägungen: Zum einen müssen Wertungswidersprüche zwischen dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie dem Zivilrecht vermieden werden. Zum anderen darf gerade der rechtsblinde und gewissenlose Täter, der keinen Gedanken an die Rechtsordnung verschwendet, nicht aus einer Vorsatzhaftung entlassen werden. [46] Ein Korrektiv ist nur für den um Rechtstreue bemühten Täter vorzusehen, der einem Rechts- oder Verbotsirrtum unterliegt, der für ihn unvermeidbar war. Die zur Bestimmung der Unvermeidbarkeit maßgeblichen Kriterien richten sich zum einen nach den für § 826 BGB geltenden Grundsätzen, zum anderen nach den Maßstäben des Ordnungswidrigkeiten- und Strafrechts. [47] Zur Bestimmung der Fahrlässigkeit ist von den Grundsätzen des § 276 Abs. 2 BGB auszugehen. Fahrlässig handelt danach, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dabei ist ein objektiver Maßstab zugrunde zu legen. Die Rechtsprechung stellt zu Recht strenge Anforderungen an die einzuhaltende Sorgfalt im geschäftlichen Verkehr. Ein Irrtum des Handelnden über die Rechtslage kann nur unter besonderen Umständen den Vorwurf der Fahrlässigkeit entfallen lassen.
X. Verantwortlichkeit für Dritte [48] Um die Haftung eines Unternehmens für ein unlauteres oder kartellrechtswidriges Verhalten zu begründen, muss eine rechtliche Verknüpfung zwischen dem individuellen Fehlverhalten einer Person und dem Unternehmen hergestellt werden. Die Problematik einer Unternehmenshaftung für unerlaubte Handlungen ist im Deliktsrecht nur unzureichend geregelt. Mit Ausnahme von § 8 Abs. 2 UWG (der nach dem Wortlaut nur für Abwehransprüche aus § 8 Abs. 1 UWG gilt) finden sich keine speziellen Regelungen im UWG und GWB, sodass es des Rückgriffs auf allgemeine deliktische Grundsätze bedarf. Dabei ist zwischen Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüchen zu unterscheiden. [49] Wenige Probleme bereitet die Unternehmensverantwortlichkeit für das deliktische Verhalten von Organen oder Repräsentanten des Unternehmens. Diese Handlungen werden dem Unternehmen, unabhängig von der Unternehmensorganisation, analog §§ 31, 86, 89 BGB ohne Entlastungsmöglichkeit als eigene Handlungen zugerechnet. Eine Unternehmensverantwortlichkeit kann aber auch aus einer mangelhaften Organisation folgen. In diesen Fällen beruht die Verantwortlichkeit des Unternehmens auf einer »Fiktionshaftung«.
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[50] Schwieriger gestaltet sich die Verantwortlichkeit für Handlungen, die von weisungsgebundenen Mitarbeitern oder Beauftragten begangen werden. Ganz überwiegend wird eine Anwendung von § 831 BGB befürwortet. Danach haftet der Geschäftsherr für eine unerlaubte Handlung seiner Verrichtungsgehilfen aufgrund vermuteten Verschuldens. Dem Geschäftsherrn ist dabei die Möglichkeit eröffnet, einen Entlastungsbeweis zu führen. Ein Rückgriff auf § 831 BGB ist allerdings zumeist schon deswegen entbehrlich, weil eine eigenständige täterschaftliche Handlung des Unternehmensinhabers bereits dann anzunehmen ist, wenn der Verrichtungsgehilfe auf Veranlassung und Weisung tätig wird und den Willen des Geschäftsherrn nach außen umsetzt. [51] Überzeugender ist es, wenn der Unternehmer gemäß § 8 Abs. 2 UWG – vergleichbar der Regelung in § 14 Abs. 7 MarkenG – ohne Entlastungsmöglichkeit für Rechtsverstöße innerhalb seiner unternehmerischen Risikosphäre einzustehen hat. Die Beschränkung auf Abwehransprüche in § 8 Abs. 2 UWG hat historische Gründe, die heute nicht mehr überzeugen. Daher ist eine analoge Anwendung von § 8 Abs. 2 UWG auf lauterkeitsrechtliche Schadensersatzansprüche zu befürworten. [52] Die deliktische Unternehmenshaftung für Organe und Repräsentanten gemäß §§ 31, 86, 89 BGB analog kann aufgrund der vergleichbaren Interessenlage auch bei Abschöpfungsansprüchen zur Anwendung kommen. Auf Abschöpfungsansprüche ist § 831 BGB dagegen nicht anzuwenden. Vielmehr ist eine analoge Anwendung von § 8 Abs. 2 UWG geboten.
XI. »Presseprivileg« [53] § 9 S. 2 UWG enthält eine Sonderregelung für den Fall der Inanspruchnahme von Medienverantwortlichen auf Schadensersatz wegen unlauterer Handlungen. Diese Bestimmung dient dem Schutz der Finanzierbarkeit von Medien. Die gesetzliche Begrenzung auf periodische Druckschriften hat historische Gründe und ist sachlich verfehlt. Die Vorschrift ist daher analog auf andere Medien anzuwenden. Ebenfalls verfehlt ist das Kriterium der Periodizität. Besser sollte danach gefragt werden, ob das Medium zur Finanzierung regelmäßig auf Werbung angewiesen ist.
XII. Rechtswidrigkeit und Rechtsmissbrauch [54] Die Prüfung der Rechtswidrigkeit spielt im Rahmen der lauterkeits- und kartellrechtlichen Schadensersatz- und Abschöpfungshaftung nur eine untergeordnete Rolle. Denn die Feststellung eines haftungsbegründenden Rechtsverstoßes erfordert stets eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall. Das Heranziehen von Rechtfertigungsgründen ist deshalb eher als Indiz für Verhaltenspflichten anzusehen, bei denen das Bedürfnis besteht, einen zu weit geratenen Anwendungsbereich zu korrigieren.
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[55] Rechtsmissbrauch und Verwirkung unterliegen bei Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche Besonderheiten, soweit mit diesen Ansprüchen zugleich überindividuelle Interessen verfolgt werden.
XIII. Verjährung [56] Für Schadensersatz- und Abschöpfungsansprüche gelten unterschiedlichen Verjährungsregeln. Im Kartellrecht gilt grundsätzlich die regelmäßige Verjährung gemäß §§ 195, 199 BGB. Auf den lauterkeitsrechtlichen Gewinnabschöpfungsanspruch findet § 11 Abs. 4 UWG Anwendung. Sachlich verfehlt ist die kurze Verjährung für lauterkeitsrechtliche Schadensersatzansprüche gemäß § 11 Abs. 1 UWG.
XIV. Ausblick [57] Die Untersuchung hat ergeben, dass eine Funktionalisierung des Privatrechts, insbesondere durch eine wertende Einbeziehung überindividueller Interessen, nicht nur möglich ist, sondern vielfach bereits mit Erfolg praktiziert wird. Im Lauterkeits- und Kartellrecht ist diese Entwicklung gut zu beobachten. Bildlich gesprochen handelt es sich jedoch nur um eine vergleichsweise gut sichtbare Spitze eines Eisberges, dessen gesamte Dimensionen derzeit noch schwer abschätzbar sind. Angesichts der vielfältigen Einflussmöglichkeiten allein im Lauterkeits- und Kartellrecht liegt die Annahme nahe, dass überindividuelle Interessen auf mannigfaltige Weise die Privatrechtsbeziehungen Einzelner und damit das Privatrecht insgesamt beeinflussen. [58] Es ist unabdingbar, solche Entwicklungen und Einflüsse herauszuarbeiten und offen zu benennen. Erst dann ist eine sachbezogene Diskussion über die Vor- und Nachteile möglich. Wer beispielsweise die Relevanz des Präventionsgedankens im privaten Haftungsrecht schlicht leugnet, verschließt die Augen vor der Rechtsrealität und vergibt die Chance zu einer gestaltenden Einflussnahme. [59] Anerkennt man überindividuelle Interessen als legitimes Element im Privatrecht, dann stellt sich unausweichlich die Folgefrage nach der Art und Weise der Einbeziehung solcher Interessen. Sofern überindividuelle Interessen als Wertungskriterien relevant werden, ist eine Einbeziehung innerhalb der individualrechtlich geprägten Strukturen des Privatrechts und Zivilverfahrensrechts ohne Verwerfungen möglich. Schwieriger gestaltet sich der Ausbau privatrechtlicher Mechanismen, die speziell auf den Schutz überindividueller Interessen ausgerichtet sind. Die Abschöpfungsansprüche liefern hier einen neuen dogmatischen Anknüpfungspunkt.
Anhang
Art. 5 Abs. 1, Unterabs. 2 Buchst. a) Buchst. b)
Art. 5 Abs. 2, Unterabs. 1
Art. 5 Abs. 2, Unterabs. 2 Buchst. a) Buchst. b)
Art. 5 Abs. 3, Unterabs. 1 Buchst. a) Buchst. b) Art. 5 Abs. 3, Unterabs. 2
Art. 5 Abs. 4 Buchst. a) Buchst. b)
Art. 5 Abs. 5 Buchst. a) Buchst. b) Buchst. c)
Art. 5 Abs. 6
Art. 7 Buchst. a) Buchst. b)
Keine Entsprechung, aber An- Sanktionen der Mitgliedstaaten, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind. forderungen des Art. 10 EG.
Art. 11 Abs. 1, Unterabs. 2 Buchst. a) Buchst. b)
Art. 11 Abs. 1, Unterabs. 3
Art. 11 Abs. 1, Unterabs. 4 Buchst. a) Buchst. b)
Art. 11 Abs. 2, Unterabs. 1 Buchst. a) Buchst. b) Art. 11 Abs. 2, Unterabs. 2
Art. 11 Abs. 2, Unterabs. 3 Buchst. a) Buchst. b)
Art. 11 Abs. 3, Unterabs. 1 Buchst. a) Buchst. b) Buchst. c)
Art. 11 Abs. 3, Unterabs. 2
Art. 12 Buchst. a) Buchst. b)
Art. 13
Übertragung besonderer Befugnisse auf Gerichte bzw. Verwaltungsbehörden: – Beweis der Richtigkeit von Tatsachenbehauptungen durch den Gewerbetreibenden – Tatsachenbehauptung gilt als unrichtig, wenn Beweis misslingt.
Sofern nur Verwaltungsbehörden bestehen, sind die Entscheidungen stets zu begründen. Zudem muss eine gerichtliche Überprüfung der Entscheidungen gewährleistet sein.
Sofern Verwaltungsbehörden bestehen, müssen folgende Anforderungen erfüllt sein: – unparteiliche Zusammensetzung der Behörde, – ausreichende Befugnisse zur Überwachung und Durchsetzung, – in der Regel Begründung der Entscheidungen.
Option der Mitgliedstaaten zur Schaffung eines beschleunigten Verfahrens mit – vorläufiger Wirkung oder – endgültiger Wirkung.
Befugnis des zuständigen Gerichts bzw. der zuständigen Verwaltungsbehörde, – die Einstellung der unlauteren Handlung anzuordnen, – das Verbot einer bevorstehenden unlauteren Handlung anzuordnen. Verschuldensunabhängigkeit der vorgenannten Rechtsbehelfe
Rechtsbehelfe können sich, nach Wahl des Mitgliedstaates, – getrennt oder gemeinsam gegen mehrere Gewerbetreibende, – gegen den Urheber eines Verhaltenskodex richten.
Freiheit der Mitgliedstaaten, über das jeweilige Sanktionssystem zu entscheiden; optionales Vorverfahren.
Befugnis von Personen oder Organisationen, die ein berechtigtes Interesse haben, – gerichtlich gegen unlautere Handlungen vorzugehen, – ein Verfahren vor einer Verwaltungsbehörde anzustrengen.
Zielvorgabe: geeignete und wirksame Mittel zur Bekämpfung unlauterer Handlungen.
Art. 5 Abs. 1, Unterabs. 1
Art. 11 Abs. 1, Unterabs. 1
Regelungsinhalt
Richtlinie 2006/114/EG
Richtlinie 2005/29/EG
Anhang I – Sanktions- und Verfahrensvorschriften der Richtlinie 2005/29/EG und der Richtlinie 2006/114/EG
734 Anhang
Verwaltungsbehörde/Gericht
Durch die Ordnungswidrigkeit erlangtes Etwas (Brutto-Prinzip)
Durch die rechtswid- Anordnung rige Tat erlangtes Etwas (Brutto-Prinzip)
§ 29a OWiG
§§ 73 ff. StGB
Anordnung, ge- Verwaltungsbehörde/Gericht richtet auf Abführung an das Land
Anspruch auf Herausgabe an den Bundeshaushalt Geltendmachung durch Zivilklage
Verstoß gegen nationales Kartellrecht oder Gemeinschaftskartellrecht oder gegen eine Verfügung der Kartellbehörde Wirtschaftlicher Vorteil zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern oder Anbietern Vorsatz
Zuwiderhandlung gegen §§ 1 bis 6 WiStrG Tatbestand Rechtswidrigkeit
Tatbestand Rechtswidrigkeit
Mit Geldbuße bedrohte Handlung (§ 1 Abs. 2 OWiG) Tatbestand Rechtswidrigkeit Keine Geldbuße
Verstoß gegen Verfügung der Bundesnetzagentur gemäß § 42 Abs. 4 oder Verstoß gegen Bestimmung des TKG Vorsatz oder Fahrlässigkeit (nur im zweiten Fall)
Unternehmensverbände gemäß § 8 Verstoß gegen §§ 3 oder 7 UWG Abs. 3 Nr. 2 UWG Gewinn zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern Qualifizierte Einrichtungen gemäß Vorsatz § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG Kammern gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 4 UWG
Wirtschaftlicher Vor- Anspruch auf He- Unternehmensverbände gemäß § 33 teil (Netto-Prinzip) rausgabe an den Abs. 2 GWB Bundeshaushalt Geltendmachung durch Zivilklage
§ 10 UWG Gewinn
§ 34a GWB
§ 8 WiStrG Mehrerlös
Bundesnetzagentur
§ 43 Abs. 1 Wirtschaftlicher Vor- Verfügung TKG teil (Netto-Prinzip)
Gericht
Regulierungsbehörde
§ 33 Abs. 1 Wirtschaftlicher Vor- Verfügung EnWG teil (Netto-Prinzip)
Anordnung
Verstoß gegen nationales Kartellrecht oder Gemeinschaftskartellrecht oder gegen eine Verfügung der Kartellbehörde Vorsatz oder Fahrlässigkeit
Kartellbehörde
§ 34 Abs. 1 Wirtschaftlicher Vor- Verfügung GWB teil (Netto-Prinzip)
Verstoß gegen Bestimmungen der Abschnitte 2 und 3 des EnWG oder gegen eine Entscheidung der Regulierungsbehörde Vorsatz oder Fahrlässigkeit
Anforderungen
Vorschrift Gegenstand der Ab- Art der Abschöp- Befugnis zur Abschöpfung schöpfung fung
A. Abschöpfung als Primärzweck im überindividuellen Interesse
Anhang II – Übersicht auf Abschöpfung gerichteter Sanktionsinstrumente
Anhang II
735
Verletzter, im Wesentlicher Bemessungsfaktor, wenn: Schwerwiegende VerletIm Rahmen der Schadensbezung der ideellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts; rechnung (jedoch nach der Rspr. Wege einer Vorsatz oder Fahrlässigkeit Zivilklage keine »echte« Abschöpfung)
Gewinn
§§ 687 Abs. 2, 681 S. 2, 667 BGB
Inhaber eines geistigen Eigentumsrechts bzw. der sonstigen geschützten Rechtsposition
Verwaltungsbehörde/ Gericht, auf Antrag des Geschädigten
Gewinn § 139 Abs. 2 PatG, § 24 Abs. 2 GebrMG, § 14 Abs. 6 MarkenG, § 97 Abs. 2 UrhG, § 42 Abs. 2 GeschmMG, § 37 Abs. 2 SortG sowie Kommerzielle Bestandteile des Persönlichkeitsrechts und lauterkeitsrechtlich geschützte Positionen (§§ 3, 4 Nr. 9 UWG und §§ 17 ff. UWG)
§ 9 WiStrG
Mehrerlös
Berechtigter
§§ 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt., 818 Abs. 4, 819 Abs. 1, Gewinn 285 BGB
Geschäftsherr
Gegenstand Gläubiger bzw. Befugnis der Abschöp- zur Abschöpfung fung
Verletzung des geistigen Eigentumsrechts bzw. der sonstigen geschützten Rechtsposition Vorsatz oder Fahrlässigkeit
Verletzer
Geschädigter Zuwiderhandlung gegen §§ 1 bis 6 WiStrG Tatbestand; Rechtswidrigkeit
Eingriff in Rechtsposition mit Zuweisungsgehalt; Bösgläubigkeit
Fremdes Geschäft; Kenntnis der Fremdheit des geführten Geschäfts
Voraussetzungen
Eingreifer
Geschäftsführer
Schuldner bzw. Verpflichteter
C. Abschöpfung zum Zwecke eines primär individuellen Interessenausgleichs
Gewinn
Gegenstand der Berücksichtigung der Abschöpfung Abschöpfung
Vorschrift
Geldentschädigung bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts
Vorschrift
Wertigkeit der Abschöpfung Berechtigung zur Abschöpfung Im Rahmen der Bemessung der Verwaltungs- Geldbuße »soll« den wirtschaftlichen Vorteil übersteigen o Ab§ 17 Abs. 4 OWiG WirtschaftliGeldbuße; ggf. Überschreitung behörde/Ge- schöpfung als Regelfall cher Vorteil (Netto-Prinzip) des Höchstmaßes der Geldbuße richt § 17 Abs. 4 OWiG »kann« angewendet werden o ErmessensIm Rahmen der Bemessung der Kartellbe§ 81 Abs. 5 GWB i.V.m. Wirtschaftlientscheidung Geldbuße; ggf. Überschreitung hörde § 17 Abs. 4 OWiG cher Vorteil (Netto-Prinzip) des Höchstmaßes der Geldbuße Betroffener, Anteiliger Gewinn »kann« berücksichtigt werden o freie Ent§ 33 Abs. 3 S. 3 GWB Gewinn Im Rahmen der Schadensim Wege ei- scheidung des Gerichts schätzung des Gerichts nach ner Zivilklage § 287 ZPO
B. Abschöpfung als Bemessungskriterium im individuellen oder überinividuellen Interesse 736 Anhang
737
Anhang III
Anhang III – Gegenüberstellung der wichtigsten Merkmale der Abschöpfungsansprüche aus § 10 UWG und § 34a GWB Merkmale
§ 10 UWG
Haftungsauslösende Eine nach § 3 oder § 7 unzuHandlung lässige geschäftliche Handlung
§ 34a GWB Tatbestand des § 34 Abs. 1 GWB: Verstoß gegen eine Vorschrift des GWB, gegen Artikel 81 oder 82 EG oder gegen die Verfügung einer Kartellbehörde
Gegenstand der Abschöpfung
Gewinn
Wirtschaftlicher Vorteil
Besondere Anforderungen
Zu Lasten von Abnehmern
Zu Lasten von Abnehmern oder Anbietern
Subjektives Element Vorsätzliche Zuwiderhandlung
Vorsätzliche Zuwiderhandlung
Gläubiger des Anspruchs
§ 34a Abs. 1 i.V.m. § 33 Abs. 2 GWB: Unternehmensverbände
§ 10 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG: Unternehmensverbände § 10 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG: Qualifizierte Einrichtungen § 10 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 4 UWG: Kammern
Begünstigter
Bundeshaushalt
Bundeshaushalt
Anrechnung von Zahlungen an Dritte
§ 10 Abs. 2 S. 1 UWG: Anrechnung von Leistungen, die auf Grund der Zuwiderhandlung an Dritte oder an den Staat erbracht wurden
§ 34a Abs. 2 S. 1 GWB: Anrechnung von Leistungen
§ 10 Abs. 2 S. 2 UWG: Erstattungsanspruch des Verletzers bei nachträglicher Zahlung
§ 34a Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 34 Abs. 2 S. 2 GWB: Erstattungsanspruch des Verletzers bei nachträglicher Zahlung
Zuständige Stelle
§ 10 Abs. 5 UWG: Bundesamt für Justiz
§ 34a Abs. 4 GWB: Bundeskartellamt
Informationspflicht
§ 10 Abs. 4 S. 1 UWG: Auskunftspflicht gegenüber der zuständigen Stelle
§ 34a Abs. 4 S. 1 GWB: Auskunftspflicht gegenüber der zuständigen Stelle
738
Anhang
Merkmale
§ 10 UWG
Aufwendungsersatz
§ 10 Abs. 4 S. 2 UWG: § 34a Abs. 4 S. 2 GWB: Erstattungsanspruch gegenüber Erstattungsanspruch gegenüber der zuständigen Stelle der zuständigen Stelle § 10 Abs. 4 S. 3 UWG: »Deckelung« in Höhe des abgeschöpften Gewinns
§ 34a GWB
§ 34a Abs. 4 S. 3 GWB: »Deckelung« in Höhe des abgeschöpften wirtschaftlichen Vorteils
Verhältnis zu Keine Regelung anderen Sanktionen
§ 34a Abs. 1, letzter Halbsatz GWB: Vorrang kartellbehördlicher Abschöpfungsinstrumente
Bindungswirkung
Keine Regelung
§ 34a Abs. 5 i.V.m. § 33 Abs. 4 GWB: Bindungswirkung kartellbehördlicher Entscheidungen
Verjährung
§ 11 Abs. 4 UWG: Drei Jahre nach Entstehung des Anspruchs.
§§ 195, 199 BGB: Regelmäßige Verjährung § 34a Abs. 5 i.V.m. § 33 Abs. 5 GWB: Hemmung der Verjährung während eines laufenden kartellbehördlichen Verfahrens
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Bekanntmachungen, Leitlinien, Mitteilungen und weitere Materialien A. Europäische Kommission Kommission, Bekanntmachung 2004/C 101/05 –, Bekanntmachung 2004/C 101/04
–, Bekanntmachung 2004/C 101/43 –, Bekanntmachung 1997/C 372/5 –, Grünbuch Schadensersatzklagen –, Grünbuch Kollektive Rechtsdurchsetzung –, Leitlinien 2006/C 210/02 –, Leitlinien 98/C 9/ 03
–, Mitteilung 2006/C 298/11 –, Mitteilung KOM (2005) 462 –, Studie 1966
=
Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, Abl. Nr. C 101/65. = Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der EU-Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Artikel 81 und 82 des Vertrages, Abl. Nr. C 101/54. = Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, Abl. Nr. C 101/43 = Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, Abl. Nr. C 372/5. = Grünbuch der Kommission, Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts, KOM (2005) 672 endgültig vom 19.12.2005 = Grünbuch der Kommission über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher, KOM (2008) 794 endgültig vom 27.11.2008 = Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Abs. 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003, Abl. Nr. C 210/2. = Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Abs. 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, Abl. Nr. C 9/2 = Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen, Abl. Nr. C 298/11. = Mitteilung der Kommission, Ergebnis der Überprüfung von Vorschlägen, die sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren befinden, KOM (2005) 462 endgültig vom 27.9.2005 = Schadensersatzansprüche bei einer Verletzung der Artikel 85 und 86 des Vertrages zur Gründung der EWG, Kollektion Studien, Reihe Wettbewerb Nr. 1, 1966
764
Bekanntmachungen, Leitlinien, Mitteilungen und weitere Materialien
–, Weißbuch Schadensersatzklagen
=
–, Working Paper
=
Weißbuch der Kommission, Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts, KOM (2008) 165 endgültig vom 2.4.2008 Commission Staff Working Paper, SEC(2008) 404 vom 2.4.2008
B. Bundeskartellamt BKartA, Bekanntmachung Nr. 9/2006
=
–, Bußgeldleitlinien
=
–, Diskussionspapier »Private Kartellrechtsdurchsetzung«
=
Bekanntmachung Nr. 9/2006 des Bundeskartellamts vom 7.3.2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen – Bonusregelung Bekanntmachung Nr. 38/2006 über die Festsetzung von Geldbußen nach § 81 Abs. 4 Satz 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen – Bußgeldleitlinien – vom 15. September 2006. »Private Kartellrechtsdurchsetzung – Stand Probleme, Perspektiven«, Diskussionspapier für die Sitzung des Arbeitskreises Kartellrecht am 26. September 2005; im Internet: http:// www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/download/pdf/Diskussionsbeitraege/05_Proftag.pdf
C. Sonstige Materialien Arbeitsgruppe
=
Ashurst-Studie, Comparative Report
=
–, Calculation of damages
=
Monopolkommission, Sondergutachten 41
=
Bericht der Arbeitsgruppe »Überprüfung des Wettbewerbsrechts«, GRUR 1997, 201–209 Waelbroeck, Denis/Slater, Donald/Even-Shoshan, Gil, Study on the conditions of claims for damages in case of infringement of EC competition rules, Comparative report, 2004; im Internet: http://ec.europa.eu/comm/competition/antitrust/ actionsdamages/comparative_report_clean_en.pdf Clark, Emily/Hughes, Mat/Wirth, David, Study on the conditions of claims for damages in case of infringement of EC competition rules, Analysis of economic models for the calculation of damages, 2004; im Internet: http://ec.europa.eu/ comm/competition/antitrust/actionsdamages/ economic_clean_en.pdf »Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der Siebten GWB-Novelle«, Sondergutachten 41 der Monopolkommission gemäß § 44 Abs. 1 Satz 4 GWB, 2004; auch im Internet: http:// www.monopolkommission.de/sg_41/text_s41.pdf
Sachverzeichnis
Abmahnung – Anspruch auf Kostenerstattung 26, 69, 154, 290 ff. – Vergebliche ~ 291 ff. Abmahnunwesen 75 f. Abnehmer 518 ff., 587 ff. Absatz von Waren oder Dienstleistungen s. Geschäftliche Handlung Abschöpfung 437 ff. – Abstellungsverfügung 465 ff. – Energiewirtschaftsrecht 471 ff. – Geldbußen 444 ff. – Gewinn 545 ff. – Kartellrecht 455 ff., 579 ff. – Lauterkeitsrecht 472 ff., 501 ff. – Legitimation 437 f. – Instrumente zur ~ 438 ff. – Mehrerlös 453 – Privatrecht 439 ff. – Telekommunikationsrecht 469 ff. – Verfall 447 ff. – Vorteilsabschöpfung durch Kartellbehörden 460 ff. – Wirtschaftlicher Vorteil 592 ff. Abschöpfungsanspruch 474 ff. – Aufrechnung 496 – Doppelfunktionalität 487 f. – Einwilligung des Berechtigten 495 ff. – Einziehungsermächtigung 491 – Erlass 492 f. – Forderungsabtretung 490 f. – Hinterlegung 496 f. – Internationale Zuständigkeit für ~ 497 ff. – Kartellrecht 578 ff. – Kollektivrechtlicher Charakter 478 ff. – Kollisionsrecht 499 f. – Lauterkeitsrecht 501 ff. – Leistung erfüllungshalber 497
– Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen 488 f. – Privatrechtlicher Charakter 475 ff. – Sanktionszweck 483 ff. – Strafcharakter 486 f. – Vergleich 494 – Vermögensentzug 480 ff. – Verschuldensabhängigkeit 481 ff. Abwälzung s. Schadensabwälzung Abwehrhandlungen s. Rechtswidrigkeit Abwerben – von Mitarbeitern 236 ff. – von Kunden 238 f. Aktivlegitimation s. Anspruchsberechtigung Alliiertes Dekartellierungsrecht 36 ff., 44 Anbieter 587 ff. Anreiz s. Belohnung Anschwärzung 274 Ansehensminderung 279 ff. Anspruchsberechtigung 200 ff., 328, 351 ff., 565 ff. – Betroffener 313, 351 ff. – Gewerbliche Verbände 200, 599 ff. – Marktgegenseite 360 ff. – Mitbewerber 203 ff., 359 f. – Qualifizierte Einrichtungen 566 ff., 601 ff. – Verbraucher 189 f., 201 Anspruchsverpflichtung – Mittäter 616 ff. – Störer 608 ff. – Täter 610 ff. – Teilnehmer 616 ff. – Verletzer 607 ff. Äquivalenzgrundsatz s. Loyalitätsgrundsatz Aufklärungsmaßnahmen 285 ff. Aufopferungshaftung 119, 121
766
Sachverzeichnis
Aufwendungsersatz 574 ff. Ausgleichsfunktion 133 ff. Bagatellklausel s. Spürbarkeit Bagatellschaden s. Schaden Beauftragter 207, 295 Belohnung 69, 152 ff. Bereicherungsverbot 158 f. s. auch Vorteilsausgleichung Berufliche Sorgfalt s. Fachliche Sorgfalt Beseitigungsanspruch 245 Bestandskraft einer kartellbehördlichen Verfügung 347 f. Bestrafungsmonopol des Staates 107 ff. Beteiligung an wettbewerbsbeschränkenden Praktiken 367 ff., 696 f. Betroffenheit 352 ff. – Individuelle ~ 361 ff. – Mittelbare und unmittelbare ~ 381 ff. Bezug von Waren oder Dienstleistungen s. Geschäftliche Handlung Billigkeitshaftung 119, 121 Bindungswirkung kartellbehördlicher Entscheidungen 51, 424 ff., 604 – Beendete Zuwiderhandlung 430 ff. – Bindende Entscheidungen 428 ff. – Gefahren 433 ff. – Negative ~ 428 – Umfang der ~ 426 ff. Breitenwirksamkeit – Kartellrechtswidriger Handlungen 589 f. – Unlauterer Handlungen 523 ff. Bundeshaushalt, Drittbegünstigung 570 ff., 604 ff. – Rechtsverhältnis zwischen Abschöpfungsgläubiger und ~ 572 ff. Bundesnetzagentur 30, 469 Diensteanbieter 676 ff. Dreifache Schadensberechnung s. Schadensersatz Druckschriften 672 Effektivitätsgrundsatz s. Loyalitätsgrundsatz Eigentum 15, 55 Eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb s. Recht am Unternehmen
Eingriffskondiktion 441 f. Einwilligung s. Rechtswidrigkeit Entfernen von Kontrollnummern 245 ff. Entscheidungen der Kommission 346 ff., 585 f. Erfahrungssätze 168 f. Erfolgshonorar 69, 152 f. Ergänzender Leistungsschutz 229 ff., 254, 262 ff., 274 s. auch Nachahmungsschutz Exemplarischer Schadensersatz s. Schadensersatz Fachliche Sorgfalt 196 f., 635 f. Fahrlässigkeit s. Verschulden Fehlvorstellungen des Verkehrs 278 f., 283 f. Fernwirkungen wettbewerbsbeschränkenden Praktiken 376 ff. Feststellungsinteresse bei beendeten Zuwiderhandlungen 430 ff. Fiktionshaftung für mangelhafte Organisation s. Zurechnung fremden Verhaltens Fiktive Lizenzgebühr s. Schadensersatz Förderung eines fremden Unternehmens 225 f. Freiheitsgrundrechte 98 f. Funktionalisierung des Privatrechts 65 ff., 174 f., 179 f., 312 ff. Funktionspluralität des Haftungsrechts 135 ff. Gefährdungshaftung 119 f Geldbußen 444 ff., 455 ff., 472 Geldentschädigung s. Schadensersatz Gesamtgläubigerschaft 566 ff., 603 Geschäftliche Handlung 190, 192 ff., 518 Geschäftliche Relevanz s. Spürbarkeit Geschäftsehrverletzung 235 f. Geschäftsführung ohne Auftrag 256, 439 f. Geschäftsgeheimnis 240, 261, 552 f. Geschäftsherrnhaftung s. Zurechnung fremden Verhaltens Gewinn 545 ff., 594 – Anrechenbare Leistungen 557 ff.
Sachverzeichnis
– Anteiliger ~ 549 ff. – Entgangener ~ 247 ff. – Neutralisierung von Unrechtsgewinnen 252 f. – Unrechtsgewinn 248 ff. Grundfreiheiten 94 f. Haftung für Angestellte und Beauftragte s. Zurechnung fremden Verhaltens Hemmung der Verjährung s. Verjährung Herausforderungsfälle 292 f. Informationsinteressen 275 ff. Institution Wettbewerb 62 ff., 312 Josten-Entwurf 39 f. Kartellnotverordnung 34 f. Kartellverordnung 33 f. Kausalität 386 ff., 548 f., 555 ff., 596 f. Kompensation s. Schadensersatz Kompetenzen 77 ff. Konkretes Wettbewerbsverhältnis 207 ff. Kosten der Abmahnung s. Abmahnung Kronzeugen 335, 418 ff. – Haftung 420 ff. Lizenzanalogie s. Schadensersatz Loyalitätsgrundsatz 86 ff., 180 ff., 316 ff., 515 f., 583 Marktchancen 163 ff. – Allgemeine ~ 163 ff. – Besondere ~ 165 f. Marktgegenseite 360 f. Marktverwirrungsschaden s. Schaden Massenschaden s. Schaden Medien- Verantwortlichkeit 668 ff. Mehrerlös 453, 546, 592 ff. Mehrfacher Schadensersatz s. Schadensersatz Meinungsfreiheit 288 Mindestharmonisierung 83 f. Mitbewerber 203 ff., 359 f. – Europäischer Begriff 211 ff. Mittelbar Betroffene s. Betroffenheit more economic approach 16
767
Nachahmungsschutz 229, 245, 260 ff. Naturalherstellung s. Schadensersatz Naturalrestitution s. Schadensersatz Nichtigkeit von Verträgen 300 Ordnungsvorschriften 348 f. Organ s. Zurechnung fremden Verhaltens Österreich – Abschöpfung im Lauterkeitsrecht 516 ff. – Abschöpfung im Kartellrecht 584 f. – Schadensersatz im Kartellrecht 336 ff. – Schadensersatz im Lauterkeitsrecht188 ff. Passing-on Einwand s. Schadensabwälzung Passivlegitimation s. Anspruchsverpflichtung Persönlichkeitsrecht 173 ff. Prävention 7, 139 ff., 150 ff. – begünstigende Faktoren 141 ff. Preisbindung 350 f. Presseprivileg 669 ff. – Anwendungsbereich 671 ff. – Teleologische Reduktion 675 f. Provozierter Rechtsverstoß s. Rechtsmissbrauch Prozessfinanzierung s. Rechtsmissbrauch Punitive damages s. Schadensersatz Rabattgesetz (RabattG) 24, 252 Recht am Unternehmen 56 f. Rechtmäßiges Alternativverhalten 555 ff. s. auch Kausalität Rechtsirrtum s. Verbotsirrtum Rechtsmentalität 42 ff. Rechtsmissbrauch 686 ff. s. auch Rechtswidrigkeit – Provozierter Rechtsverstoß 694 ff. – Prozessfinanzierung 512, 698 – »Unclean hands« 693 ff. – Wechsel der Rechtsauffassung 697 Rechtsverfolgungsinteressen 289 ff. Rechtsverfolgungskosten s. Schaden Rechtswidrigkeit 680 ff. – Abwehrhandlungen 683 f. – Einwilligung 684 ff. Relevanter Markt 355 f.
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Sachverzeichnis
Repräsentant s. Zurechnung fremden Verhaltens Restitution s. Schadensersatz Rücktrittsrecht für Abnehmer 25 Rufausbeutung 220 f. Sanktion 1, 13 ff., 21, 67 ff., 91 ff. – Abstimmung zwischen Schutznormen und Sanktionsnormen 70 ff. – Eignung zur Verhaltensbeeinflussung 68 ff. – Funktionelle Äquivalenz 93 f. – Kartellbehördliche ~ 299 ff. – Wahrscheinlichkeit der Sanktionsanwendung 70 Sanktionsdefizit 74 Sanktionshypertrophie 74 ff. Schaden – Abmahnkosten als ~ 291 ff. – Aufklärungsmaßnahmen als ~ 285 ff. – Fiktive Kosten als ~ 285 f. – Immaterieller ~ 171 ff., 243 f., 295 f. – Marktverwirrungsschaden 275 ff. – Massenschaden 384 ff. – Streu- und Bagatellschaden 5, 128 ff. – Überhöhte Preise als ~ 396 ff. – Vergebliche Abmahnkosten als ~ 291 ff. – Verletzergewinn als ~ 400 ff., 551 ff. – Verletzerzuschlag 264 f. – Wettbewerbsspezifischer ~ 242 – Wettbewerbsunspezifischer ~ 241 f. – Zinsen 402 f. Schadensabwälzung 396 ff., 403 ff. – Defensive Abwälzungsproblematik 404 ff. – Offensive Abwälzungsproblematik 415 ff. Schadensersatz 156 ff., 233 ff. – Dreifache Schadensberechnung 253 ff., 271 ff. – Ermittlungsdilemma 166 ff. – Kompensation 163 ff. – Lizenzanalogie 263 ff. – Mehrfacher ~ 416 ff. – Naturalherstellung 160 ff., 234 ff., 240, 390 ff. – nomineller ~ 132 f. – punitive damages, Strafschadensersatz 102 ff., 145 ff.
– Restitution 159 ff., 234 ff., 390 ff. – Schadenspauschalierung 168 f., 334, 395 f. – Verletzergewinn 265 ff., 271 ff. – Verletzerkette 265, 268 f. – Verletzerzuschlag 264 Schadensersatzanspruch 115 ff. – Anspruchsgrundlage im Kartellrecht 327 f. – kartellrechtlicher ~ 294 ff. – lauterkeitsrechtlicher ~ 176 ff. Schadensminderung 283 ff., 407 f. Schadenspauschalierung s. Schadensersatz Schätzungsbefugnis des Gerichts 285, 595 f. Schutzgesetz 294, 339 ff. Schutzrechtsverwarnung 640 f. Schutzverfügung 294, 339 ff. Schutzzweck der Norm 226 ff., 242 ff., 357 ff. Sicherstellung 453 ff. Spiegelbildprinzip 72 ff. Spürbarkeit 197 ff. Strafe 13 f., 145 ff. Strafschadensersatz s. Schadensersatz Streuschaden s. Schaden Subjektives Recht 53 ff. Subsidiarität kartellrechtlicher Ansprüche 389 TRIPs-Abkommen 187 Überhöhte Preise s. Schaden Übermaßverbot s. Verhältnismäßigkeit Unclean hands s. Rechtsmissbrauch Ungerechtfertigte Bereicherung s. Eingriffskondiktion Unmittelbar Betroffene s. Betroffenheit Unrechtsbewusstsein 624 ff. Unrechtsgewinn s. Gewinn Unrechtsgewinnabschöpfung s. Abschöpfung Unternehmenshaftung 125 f. Unternehmer 205 f. Urteilsveröffentlichung 287 Verantwortlichkeit für Dritte s. Zurechnung fremden Verhaltens Verbandsklage 20 f., 25
Sachverzeichnis
Verbot der Doppelbestrafung 106, 110 ff. Verbotsirrtum 632 ff., 636 ff. Verfall 447 ff., 561 ff. – Ansprüche von Verletzten 449 ff., 452 – Kartellrecht 460 – Ordnungswidrigkeitenrecht 451 ff. – Strafrecht 448 ff. Verhältnismäßigkeit – Abschöpfungsansprüche 100 ff. – Schadensersatzansprüche 105 ff. Verjährung 706 ff. – Gewinnabschöpfungsanspruch 711 f. – Fristen 707 ff. – Hemmung der ~ 51, 715 ff. – Kurze ~ 707 ff. – Regelmäßige ~ 711 ff. – Schadensersatzansprüche 334, 707 ff., 712 ff. – Vorteilsabschöpfungsanspruch 714 f. Verkauf unter Einstandspreis 48, 365 ff. Verkehrspflicht 610 ff. Verkennung der Rechtslage s. Verbotsirrtum Verletzergewinn s. Schaden Verletzerkette s. Schadensersatz Verletzerzuschlag s. Schaden Vermögensschaden s. Schaden Vermögensschutz 378 ff. Verrichtungsgehilfe 650 ff. s. auch Zurechnung fremden Verhaltens Verschleierung des Werbecharakters Verschulden 199 f., 328, 333 f., 481 ff., 620 ff. – Fahrlässigkeit 634 ff. – Vorsatz 624 ff. Verschuldenshaftung 118 f. Vertragsstrafe 15 Verunglimpfung s. Herabsetzung und Verunglimpfung Verwechslungsschutz 232 f. Verweigern von Geschäftsbeziehungen 239 f., 390 ff.
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Verwirkung 698 ff. – Voraussetzungen 701 ff. Vielzahl 525 ff., 589 f. s. auch Breitenwirksamkeit Vollharmonisierung 83 f. Vorrang kartellbehördlicher Entscheidungen 349 ff. Vorsatz s. Verschulden Vorteilsabschöpfung s. Abschöpfung Vorteilsausgleichung 405 ff. Wechsel der Rechtsauffassung s. Rechtsmissbrauch Wettbewerbsrechtliche Verhaltenspflichten 123 ff. Wirtschaftliche Schlechterstellung 531 ff. Wirtschaftlicher Vorteil 545 f., 592 ff. – Anrechenbare Leistungen 598 f. Wirtschafts- und Berufsvereinigung 364 Wirtschaftspolitische Neutralität 97 Zielgerichtetheit wettbewerbsbeschränkender Praktiken 370 ff. Zinsen s. Schaden Zu Lasten 528 ff., 590 ff. Zugabeverordnung (ZugabeVO) 24, 252 Zunft 19 Zurechnung fremden Verhaltens 643 ff. – Bürgerliches Recht 645 ff. – Diensteanbieter 676 ff. – Fiktionshaftung 648 f. – Geschäftsherrnhaftung 649 ff. – Lauterkeitsrecht 22, 658 ff. – Markenrecht 663 ff. – Medien 668 ff. – Organe und Repräsentanten 646 ff. – Unternehmerische Organisationspflichten 657 f. – Verrichtungsgehilfe 650 ff. Zurechnungszusammenhang 386 ff. s. auch Kausalität