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German Pages 507 [508] Year 2006
Jens-Uwe Franck Europäisches Absatzrecht
Schriften zum Europäischen und Internationalen Privat-, Bankund Wirtschaftsrecht EIW Band 9
Schriften zum Europäischen und Internationalen Privat-, Bankund Wirtschaftsrecht
Herausgegeben von Professor Dr. Horst Eidenmüller, LL.M. (Cambridge), München Professor Dr. Dr. Stefan Grundmann, LL.M. (Berkeley), Berlin Professor Dr. Susanne Kalss, LL.M. (Florenz), Wien Professor Dr. Wolfgang Kerber, Marburg Professor Dr. Karl Riesenhuber, M.C. J. (Austin/Texas), Frankfurt (Oder) Dr. Heike Schweitzer, LL.M. (Yale), Hamburg Professor Dr. Hans-Peter Schwintowski, Berlin Professor Dr. Reinhard Singer, Berlin Professor Dr. Christine Windbichler, LL.M. (Berkeley), Berlin
EIW Band 9
De Gruyter Recht • Berlin
Jens-Uwe Franck
Europäisches Absatzrecht System und Analyse absatzbezogener Normen im Europäischen Vertrags-, Lauterkeits- und Kartellrecht
De Gruyter Recht • Berlin
Dr. Jens-Uwe Franck, LL.M.oec., Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort. Die Dissertation wurde von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin mit dem Promotionspreis der „Bibliotheksgesellschaft – Freunde und Förderer der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin e. V.“ ausgezeichnet.
∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. ISBN-13: 978-3-89949-311-5 ISBN-10: 3-89949-311-7
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© Copyright 2006 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggestaltung: Christopher Schneider, Berlin Datenkonvertierung/Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen
Meinen Eltern
Geleitwort der Herausgeber Europäisierung und Internationalisierung fordern die Rechtswissenschaft in besonderem Maße heraus. Die Einteilung in Fachgebiete und das Verhältnis zu anderen Sozialwissenschaften bedürfen der kritischen Neubewertung angesichts vielfacher Wechselwirkungen. Querbezüge zwischen wirtschaftsrechtlicher Regulierung und privatautonomer Gestaltung zeigen diese Entwicklung in aller Deutlichkeit. Eine sich über Deutschland hinaus öffnende Rechtswissenschaft muß sich solchen Herausforderungen stellen. Dafür steht exemplarisch das Recht der Finanzdienstleistungen als Querschnittsmaterie von Privatrecht und (öffentlichem) Wirtschaftsrecht. Dem will die vorliegende Reihe inhaltlich und methodisch Rechnung tragen. Neben dem Bank-, Kapitalmarkt- und Finanzrecht als Schwerpunkt zeigen Gesellschaftsrecht, Wettbewerbs- und Kartellrecht, Immaterialgüterrecht, Insolvenzrecht und auch Arbeitsrecht ähnliche Überlagerungen. Die intensive, international orientierte Bearbeitung der Überschneidungen von klassischem Privatrecht, insbesondere Vertragsrecht, und Wirtschaftsrecht verspricht reichen Ertrag, gerade auch auf europäischer Ebene unter dem zusammenfassenden Aspekt des Unternehmensrechts. In der Reihe soll die herausragende Monographie ebenso ihren Platz finden wie der Tagungsband, Werke auf Deutsch ebenso wie gelegentlich auf Englisch. Ökonomisch ausgerichtete Arbeiten sollen neben die juristischen treten, die den Schwerpunkt bilden. In der Reihe sollen Werke zu Europäisierung und Internationalisierung zusammen kommen, die das Wirtschaftsrecht und das wirtschaftlich gedachte Privatrecht in hervorragender Weise befördern. Im September 2004
Horst Eidenmüller, Stefan Grundmann, Susanne Kalss, Wolfgang Kerber, Karl Riesenhuber, Heike Schweitzer, Hans-Peter Schwintowski, Reinhard Singer, Christine Windbichler
Vorwort Absatzrecht ist als Recht zu verstehen, dass die Funktionsbedingungen von Markt und Wettbewerb gewährleisten will. Vor diesem Hintergrund wird mit der vorliegenden Untersuchung der gemeinschaftsrechtliche Rahmen für Absatzaktivitäten ausgelotet. Ziel ist es, die vielfältigen absatzbezogenen Normen europäischer Herkunft zu systematisieren, die ihnen zugrunde liegenden rechtspolitischen Leitlinien herauszuarbeiten und den Normbestand auf dieser Grundlage zu bewerten. Damit ist zugleich die Hoffnung verknüpft, das Buch werde auch dem Praktiker von Nutzen sein, der sich einen Überblick über die europäischen Vorgaben verschaffen will. Die Arbeit wurde im Sommersemester 2005 von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Sie ist im Wesentlichen auf dem Stand von April 2005, vereinzelt konnten Rechtsänderungen, Rechtsprechung und Schrifttum noch bis Oktober 2005 nachgetragen werden. Dank schulde ich allen, die mich durch ihren Rat, ihre Kritik und ihre Ermutigung unterstützt haben, diese Dissertationsschrift zu erstellen. Von Herzen bedanken möchte ich mich bei meinem verehrten akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Dr. Stefan Grundmann, LL.M. Sein Verständnis von Rechtswissenschaft hat mich seit meinem ersten Semester geprägt. Zutiefst verpflichtet bin ich ihm für die jahrelange Förderung, die mir zuteil wurde, ebenso wie für die Freiheit zur wissenschaftlichen Arbeit. Mein aufrichtiger Dank gilt des weiteren Herrn Prof. Dr. Dr. Christian Kirchner, LL.M., der als Zweitberichterstatter wertvolle Hinweise zur Verbesserung und Präzisierung der Darstellung gegeben hat. Wichtige Anregungen verdanke ich auch Herrn Prof. Dr. Karl Riesenhuber, M.C.J. Er hat die Untersuchung von Anfang an begleitet und war mir jederzeit ein kritischer Gesprächspartner. Freunde und Kollegen haben die Arbeit in einer früheren Fassung ganz oder teilweise gelesen. Ihre Hinweise haben mich angespornt, die Dinge nochmals zu durchdenken. Dafür danke ich Philipp Massari, Dipl.-Kfm. Florian Möslein, LL.M. und Dr. Alexander von Vogel. Die Studienstiftung des deutschen Volkes hat meine Promotion gefördert. Herrn Prof. Dr. Winfried Veelken danke ich herzlich dafür, dass er mein Forschungsvorhaben stets freundlich unterstützt und für die Studienstiftung begutachtet hat. Schließlich bin ich den Herausgebern für die Aufnahme in die Schriftenreihe zu Dank verpflichtet. Erlangen, im November 2005
Jens-Uwe Franck
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen des Europäischen Absatzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
§ 2 Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 4 Zurückdrängung nationaler Regeln für das Absatzverhältnis durch die Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 § 5 Regelungsrahmen für Absatzmittlungsverhältnisse (berufliche Absatzkette) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen . . . . . . . . . . . 156 § 6 Denkbare Leitideen für die Regelung des Absatzverhältnisses . . . . . . 156 § 7 Kompensation von Informationsdefiziten als überzeugende Leitidee der Regelung des Absatzverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 § 8 Grundlagen zur kartellrechtlichen Regelungen der Absatzmittlungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen . . . 256 § 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung . . . . . . . . . . 256 § 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . 332 Teil 4: Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 § 11 Zusammenfassende Überlegungen zum Gesamtsystem . . . . . . . . . 407 § 12 Ergebnis der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
XI
Inhaltsübersicht
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 Rechtsprechungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 Verzeichnis der Entscheidungen der Kommission . . . . . . . . . . . . . 466
XII
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX
Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII I. Allgemeine Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII II. Zeitschriften, Entscheidungssammlungen und andere regelmäßige Veröffentlichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV III. Abkürzungs- und Fundstellenverzeichnis der Rechtsakte und Vorschläge für Rechtsakte der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen des Europäischen Absatzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
§ 2 Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtssetzung für Sonderabsatzformen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Absatz an der Haustür, am Arbeitsplatz und auf organisierten Ausflügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Widerrufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Harmonisierungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Absatz mittels Fernkommunikationstechniken . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regelungsrahmen für die Absatzförderung . . . . . . . . . . . c) Vorvertragliche Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . d) Vertragliche Informationspflichten und Vertragsdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Widerrufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Förderung freiwilliger Verhaltenskodizes . . . . . . . . . . . g) Regeln zur Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . h) Harmonisierungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Absatz von Finanzdienstleistungen mittels Fernkommunikationstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 9 9 9 16 18 18 19 20 22 24 26 28 28 29 30 30
XIII
Inhaltsverzeichnis
b) Regelungsrahmen für die Absatzförderung . . . . . . . . . . . c) Vorvertragliche Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . d) Vertragsdurchführung und Widerrufsrecht . . . . . . . . . . e) Regeln zur Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . f) Harmonisierungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Online-Absatz und Absatzförderung im Internet . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regelungsrahmen für die Absatzförderung . . . . . . . . . . . c) Vorvertragliche Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . d) Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Förderung freiwilliger Verhaltenskodizes . . . . . . . . . . . f) Regeln zur Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . g) Harmonisierungskonzept und Herkunftslandprinzip . . . . . II. Regeln zur Absatzförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken als Rahmen für verbraucherschützende Regeln zur Absatzförderung . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Harmonisierungskonzept und Binnenmarktförderung . . . . c) Unlautere Geschäftspraktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Spezialtatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (i) Irreführende Geschäftspraktiken . . . . . . . . . . . . (ii) Aggressive Geschäftspraktiken . . . . . . . . . . . . . (iii) Die „schwarze Liste“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verhaltenskodizes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Durchsetzung und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Branchen- und produktübergreifende Regelungen für die Absatzförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz vor irreführender und Regelung vergleichender Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Preisangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verkäufergarantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Öko-Audit und europäisches Umweltzeichen . . . . . . . . . e) Kommerzielle Kommunikation über das Fernsehen . . . . . . f) Kommerzielle elektronische Kommunikation . . . . . . . . . 3. Produktspezifische Regelungen für die Absatzförderung . . . . . a) Lebensmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Allgemeine Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vorgaben für bestimmte Inhaltsstoffe . . . . . . . . . . . (3) Regelungen für bestimmte Lebensmittel bzw. Kategorien von Lebensmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Insbesondere: Neuartige Lebensmittel („Novel Food“) . . . (5) Insbesondere: Genetisch veränderte Lebensmittel . . . . . (6) Insbesondere: Diätetische Lebensmittel . . . . . . . . . . . b) Alkoholika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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31 31 35 37 37 37 37 38 39 39 40 41 42 43 44 46 47 49 49 51 51 54 55 55 57 58 58 64 65 65 67 74 76 77 77 81 82 84 85 86 87
Inhaltsverzeichnis
c) d) e) f) g) h)
Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosmetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabak- und Tabakerzeugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . Gefährliche Stoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pauschalreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Investmentfondsanteile und Teilzeitnutzungsrechte an Immobilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Verbraucherkredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausblick: Vorschlag für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verbot mitgliedstaatlicher Regeln in Teilbereichen . . . . . . b) Harmonisierung bestimmter Aspekte der Verkaufsförderung c) Prinzip der gegenseitigen Anerkennung . . . . . . . . . . . III. Vorvertragliche Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . 1. Pauschalreise- und Timesharingrecht . . . . . . . . . . . . . . 2. Versicherungsvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bank- und Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterlassungsklagenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sonstige verfahrensrechtliche Regelungen . . . . . . . . . . . 3. Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz .
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89 92 94 97 97
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§ 4 Zurückdrängung nationaler Regeln für das Absatzverhältnis durch die Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 I. Warenverkehrsfreiheit 1. Anwendungsbereich 2. Beeinträchtigung . 3. Rechtfertigung . . . II. Dienstleistungsfreiheit 1. Anwendungsbereich 2. Beeinträchtigung . 3. Rechtfertigung . . .
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§ 5 Regelungsrahmen für Absatzmittlungsverhältnisse (berufliche Absatzkette) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 I. Kartellrechtlicher Regelungsrahmen für Absatzmittlungsverhältnisse 1. Das Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 1 EG . . . . . . . . . . . . . . a) Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, insbesondere Abgrenzung zu einseitigen Maßnahmen . . . . . b) Unternehmensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wettbewerbsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenstaatlichkeitsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Spürbarkeitskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Kartellverbot . . . . . . 2. Ausnahmen vom Kartellverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
a) Die Konkretisierung des Art. 81 Abs. 3 EG durch die Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Legalausnahmesystem ohne Änderung des EG-Vertrags . c) Zur Gruppenfreistellung von Vertriebsvereinbarungen . 3. Das Missbrauchsverbot des Art. 82 EG . . . . . . . . . . . . a) Marktbeherrschende Stellung . . . . . . . . . . . . . . b) Missbräuchliches Ausnutzen einer marktbeherrschenden Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenstaatlichkeitsklausel . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsfolgen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kartell- und Vertragsrechtliche Regeln für besondere Absatzmittlungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Absatzmittlertypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Handelsvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vertragsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . (2) Kartellrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . b) Vertragshändler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Franchisenehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kommissionsagent und Kommissionär . . . . . . . . . . 2. Besondere Branchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertrieb von Kraftfahrzeugen . . . . . . . . . . . . . . . b) Wertpapierhändler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Versicherungsvermittler . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen . . . . . . . . . . . 156 § 6 Denkbare Leitideen für die Regelung des Absatzverhältnisses . . . 156 I. Kompensation ungleicher Machtverteilung . . . . . . . 1. Ungleiche Marktmacht als Ratio für Verbraucherschutz 2. Der Wettbewerb als Ausgleichsmechanismus . . . . . 3. Marktmacht und Qualität . . . . . . . . . . . . . . . 4. Marktmacht, Preisdiskriminierung und Qualität . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verteilungsgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Legitimität von Umverteilung . . . . . . . . . . . a) Zur Sicht der Wirtschaftswissenschaften . . . . . . b) Normative Grundlagen in der Europäischen Union c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelung des Absatzverhältnisses als Instrument der Verteilungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unerwünschte Umverteilungseffekte . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Paternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Effizienz durch Paternalismus . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
2. Grundsätzliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Effizienz nur als Vorwand für paternalistische Interventionen . b) Vorrang der individuellen Entscheidungsfreiheit vor Effizienzüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 7 Kompensation von Informationsdefiziten als überzeugende Leitidee der Regelung des Absatzverhältnisses . . . . . . . . . . . . 184 I. Informationsmängel auf Absatzmärkten . . . . . . . . . . . . . 1. Qualitätsunkenntnis auf Seiten der Abnehmer . . . . . . . . 2. Klassifizierung von Gütereigenschaften nach der Tendenz zu Informationsproblemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Risiko der adversen Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. „Qualitätsunkenntnis“ auf Seiten der Anbieter . . . . . . . . 5. Nutzen- und Preisunkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Marktreaktionen auf Informationsdefizite . . . . . . . . . . . . 1. Screening . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Screening mit Hilfe von Intermediären . . . . . . . . . . . b) Positive externe Effekte zu Gunsten der Nichtinformierten c) Angebote mit „harten“ Transaktionskonditionen . . . . . 2. Signaling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mechanismus der freiwilligen Offenbarung von Information b) Instrumente des Signaling . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Reputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Garantieversprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Interessenharmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Instrumente zur Regelung von Informationsdefiziten . . . . . . 1. Verhinderung irreführender und betrügerischer Praktiken . . 2. Reputationsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Öffentliche Bereitstellung von Information . . . . . . . . . . 4. Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Widerrufsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Unterstützung des Einsatzes von Informationsintermediären 7. Zwingende Qualitätsstandards . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Gewährleistungs- und Haftungsrecht . . . . . . . . . . . . . 9. Weitere Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Interdependenzen zwischen Marktstruktur und Information der Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Identifizierung und Definition eines Informationsproblems . 2. Gebotenheit der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wahl des Regelungsinstruments . . . . . . . . . . . . . . . .
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XVII
Inhaltsverzeichnis
§ 8 Grundlagen zur kartellrechtlichen Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 I. Allgemeine Grundsätze der Wettbewerbstheorie . . . . . . . . . . 1. Das Modell der vollkommenen Konkurrenz . . . . . . . . . . . 2. Einwendungen gegen das Modell der vollständigen Konkurrenz 3. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Abnehmer als Profiteure kompetitiver Marktstrukturen . . II. Grundsätze der Wettbewerbstheorie zu vertikalen Vereinbarungen 1. Vertikalvereinbarungen als effizientes Mittel zur Ausgestaltung des Absatzweges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antikompetitive Effekte und Effizienzverluste durch vertikale Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wettbewerbstheoretische Kontroverse zu Einzelaspekten . . . . a) Vertikale Beschränkungen und Serviceleistungen . . . . . . (1) Das „Trittbrettfahrerproblem“ . . . . . . . . . . . . . . (2) Koordinierungsproblem zwischen Produzent und Händler b) Auswirkungen auf die Konsumentenwohlfahrt . . . . . . . (1) Interessenkongruenz zwischen Produzenten und Konsumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kritik: Interessenheterogenität bei den Konsumenten . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Doppelte Gewinnspannenerhöhung . . . . . . . . . . . . . e) Weitere Koordinierungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . f) Förderung der Kartellbildung durch vertikale Vereinbarungen g) Vertikale Vereinbarungen und Marktzutritt . . . . . . . . . (1) Vertikale Vereinbarungen als Marktzutrittsschranken . . (2) Vertikale Vereinbarungen als Instrumente für einen erfolgreichen Marktzutritt . . . . . . . . . . . . . . . . h) Bedeutung des Intrabrand-Wettbewerbs . . . . . . . . . . . 4. Resümee: Vertikalvereinbarungen – Profite und Konsumentenwohlfahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Relevanz ökonomischer Überlegungen für die Wettbewerbspolitik 1. Schlussfolgerungen aus der ökonomischen Theorie . . . . . . . 2. Relevanz ökonomischer Argumente . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
224 224 224 227 227 232
. 232 . . . .
234 234 234 235 236 . 237
. . . . .
237 238 241 242 243 245 . 247 . 247 . 249 . 249
. . . .
250 251 251 252
Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen . . . 256 § 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung . . . . . . . . 256 I. Information durch den Anbieter . . . . . . . . . . . . . 1. Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz vor Irreführung . . . . . . . . . . . . . . . b) Erkennbarkeit des Werbecharakters . . . . . . . . c) Regelung vergleichender Werbung . . . . . . . . . d) Mit der Werbung verknüpfte Informationspflichten
XVIII
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
256 256 256 260 260 263
Inhaltsverzeichnis
e) Werbeverbote und -beschränkungen . . . . . . . . . . . . f) Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Etikettierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz vor Irreführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Produktbezogene Information . . . . . . . . . . . . . . . c) Insbesondere: Warnhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . d) Etikettierungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prospekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Prospektinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gestaltung des Prospekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zugang zum Prospekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Individuelle vorvertragliche Informationspflichten . . . . . . a) Informationsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art und Weise der Information . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beratungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Widerrufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Widerrufsrecht als Instrument zur Regelung besonderer Absatztechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgleich von Informationsdefiziten . . . . . . . . . . . . b) Schutz vor irrationalem Verhalten . . . . . . . . . . . . . 2. Der zwingende Charakter des Widerrufsrechts . . . . . . . . 3. Ausnahmen vom Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 4. Zur Ausgestaltung des Widerrufsrechts . . . . . . . . . . . . a) Tatbestandslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Belehrung über das Widerrufsrecht . . . . . . . . . . . . . c) Widerrufsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Form der Widerrufserklärung . . . . . . . . . . . . . . . e) Leistungserbringung während der Widerrufsfrist . . . . . f) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Informationsintermediäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sicherung der Qualität der Information . . . . . . . . . . . . a) Persönliche und organisationsbezogene Vorgaben . . . . . b) Pflichten als Informationsintermediär . . . . . . . . . . . (1) Offenlegung der Grundlagen von Aufklärung und Empfehlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Inhaltliche Vorgaben für Information und Beratung . . 2. Förderung grenzüberschreitender Angebote . . . . . . . . . 3. Minimierung der Risiken auf Grund von Interessenkonflikten a) Verpflichtung zur Vermeidung und zur Transparenz von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bezeichnungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Treuepflicht als Generalnorm . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
265 269 270 271 271 274 275 276 277 277 279 280 281 283 283 285 286 286 288
. . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . .
288 288 290 292 293 297 297 297 299 300 300 301 305 306 306 309
. . . .
. . . .
309 310 312 313
. . 313 . . 317 . . 318
XIX
Inhaltsverzeichnis
IV. Übergreifende Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kompensation von Marktdefiziten . . . . . . . . . . . . a) Dominanz marktunterstützender Regelungen . . . . . b) Regelung der Absatzverhältnisse und Wege zur Binnenmarktintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbraucherschutzrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Leitbild des selbstverantwortlich handelnden Verbrauchers
. . . . 319 . . . . 319 . . . . 319 . . . . 320 . . . . 323 . . . . 327
§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . 332 I. Grundentscheidungen der europäischen Kartellrechtspraxis . . . 1. Zur Rolle der Binnenmarktintegration . . . . . . . . . . . . . a) Europäische Rechtsprechung und Entscheidungspraxis der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ordnungspolitische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zum Konzept der Wettbewerbsbeschränkung: Zwischen Schutz der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit und der Anerkennung einer rule of reason . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Europäische Rechtsprechung und Entscheidungspraxis der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtsprechung von EuGH und EuG . . . . . . . . . . (2) Entscheidungspraxis und Wettbewerbspolitik durch die Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertung: Wettbewerbsbeschränkung als ökonomisches Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausnahme vom Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 3 EG . . . . . . a) Berücksichtigung wettbewerbsfremder Ziele . . . . . . . . (1) Europäische Rechtsprechung und Entscheidungspraxis der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Art. 81 Abs. 3 EG und der Vorrang des Wettbewerbs als Ordnungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Angemessene Beteiligung der Verbraucher . . . . . . . . . (1) Europäische Rechtsprechung und Entscheidungspraxis der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bewertung: Förderung der Konsumentenwohlfahrt durch Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Regulierung durch die Kommission mittels Gruppenfreistellung . 1. Neuausrichtung der Wettbewerbspolitik durch die Vertikal-GVO a) Gestärkte Rolle des Wettbewerbsmechanismus . . . . . . . (1) Allgemeine Regeln zur Beurteilung vertikaler Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zur Beurteilung bestimmter vertikaler Beschränkungen (i) Wettbewerbsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . (ii) Alleinvertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XX
. 332 . 333 . 333 . 337 . 341
. 345 . 345 . 345 . 352 . 355 . 356 . 359 . 359 . 359 . 365 . 368 . 368 . 371 . 374 375 . 375 . . . .
375 377 377 378
Inhaltsverzeichnis
(iii) Kundenbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . (iv) Selektiver Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . (v) Franchising . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (vi) Alleinbelieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (vii) Kopplungsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Überblick über die Regelungen der Vertikal-GVO . . . . . . . (1) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kernbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (i) Preisbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (ii) Gebiets- und Kundenkreisbeschränkungen . . . . . . (iii) Verkaufsbeschränkungen beim selektiven Vertrieb . . (iv) Beschränkungen von Querlieferungen beim selektiven Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . (v) Verkaufsbeschränkungen für Lieferanten . . . . . . . (3) Wettbewerbsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Entzug der Freistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mehr Freiheit für die Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . 2. Zum Sonderregime des Kfz-Absatzes . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Allgemeine Freistellungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . d) Kernbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Allgemeine Kernbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . (2) Kernbeschränkungen für den Kfz-Absatz . . . . . . . . . (3) Kernbeschränkungen für Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen sowie den Absatz von Ersatzteilen . . . . e) Besondere Freistellungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . f) Entzug der Freistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
379 380 381 382 383 383 383 386 387 387 390 390 390 391 393 393 397 397 398 399 400 400 401 402 403 404 405
Teil 4: Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 § 11 Zusammenfassende Überlegungen zum Gesamtsystem . . . . . . 407 I. Europäisches Absatzrecht als marktregelndes Wirtschaftsrecht . . . 407 II. Europäisches Absatzrecht als Element der Ordnungspolitik . . . . . 409 III. Förderung der Binnenmarktintegration . . . . . . . . . . . . . . . 412 § 12 Ergebnis der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 Rechtsprechungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 I. Europäischer Gerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 II. Schlussanträge der Generalanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 III. Europäisches Gericht erster Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 Verzeichnis der Entscheidungen der Kommission . . . . . . . . . . . . . 466 Stichwortverzeichnis
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469
XXI
Abkürzungsverzeichnis I. Allgemeine Abkürzungen a. A. a. a. O. a. E. a. F. a. M. ABl. abl. Abs. AGB allg. Ans. Alt. Art. Aufl. ausdr. Bd. BE BGB BGH Bl. BT-Drucks. BVerfG bzgl. bzw. d. h. ders. dies. ebd. EG
EU EuG EuGH f. ff. Fn. FS GD ggf. GWB
anderer Ansicht am angegebenen Ort am Ende alte Fassung anderer Meinung Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft ablehnend Absatz Allgemeine Geschäftsbedingungen allgemeine Ansicht Alternative Artikel Auflage ausdrücklich Band Begründungserwägung Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Blatt Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht bezüglich beziehungsweise das heißt derselbe dieselbe/n ebenda 1. Europäische Gemeinschaft 2. Nach Bezeichnung eines Artikels: EG-Vertrag, Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Konsolidierte Fassung mit den Änderungen durch den Vertrag von Amsterdam vom 2. 10. 1997 Europäische Union Europäisches Gericht erster Instanz Europäischer Gerichtshof folgende/r (Singular) folgende (Plural) Fußnote Festschrift Generaldirektion bei der Europäischen Kommission gegebenenfalls Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
XXIII
Abkürzungsverzeichnis HGB h. M. Hrsg. Hs. i. S. d. i. V. m. Kfz Kom. krit. lit. m. a. W. m. w. N. o. ä. Rn. Rs. S. s. o. sog. Sps. st. Rspr. str. Tz. u. u. a. UAbs. usw. verb. Rs. vgl. z. B. Ziff. zit. zusf. zust.
XXIV
Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz im Sinne des in Verbindung mit Kraftfahrzeug Europäische Kommission kritisch litera mit anderen Worten mit weiteren Nachweisen oder ähnlich Randnummer Rechtssache Seite siehe oben so genannte Spiegelstrich ständige Rechtsprechung strittig Textziffer und unter anderem Unterabsatz und so weiter verbundene Rechtssache vergleiche zum Beispiel Ziffer zitiert zusammenfassend zustimmend
Abkürzungsverzeichnis
II. Zeitschriften, Entscheidungssammlungen und andere regelmäßige Veröffentlichungen Am. Econ. Rev. Am. Law and Econ. Rev. AfP Antitrust ABA Antitrust L. J. B. U. L. Rev. BB Bell J. Econ. BGHZ BVerfGE CMLR Colum. L. Rev. Cornell. L. Rev. CR DB DZWiR ECLR ELR EuR EuZW EWiR EWS Fordham L. Rev. Geo. L. J. Geo. Wash. L. Rev. GPR GRUR GRUR Int. Harv. L. Rev. IPrax Int. Rev. of Law and Econ. JA JCP JITE/ZgS J. Law & Econ. J. Legal Stud. J. Pol. Econ. JR JuS JZ K&R LM Md. L. Rev. MDR MMR
American Economic Review (Jahrgang [Jahr], Seite) American Law and Economics Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Archiv für Presserecht (Jahr, Seite) Antitrust American Bar Association (Jahrgang [Jahr], Seite) Antitrust Law Journal (Jahrgang [Jahr], Seite) Boston University Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Der Betriebs-Berater (Jahr, Seite) Bell Journal of Economics (Jahrgang [Jahr], Seite) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Band, Seite) Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Band, Seite) Common Market Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Columbia Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Cornell Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Computer und Recht (Jahr, Seite) Der Betrieb (Jahr, Seite) Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht (Jahr, Seite) European Competition Law Review (Jahr, Seite) European Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Europarecht (Jahr, Seite) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Jahr, Seite) Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Jahr, Seite) Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Jahr, Seite) Fordham Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Georgetown Law Journal (Jahrgang [Jahr], Seite) George Washington Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht (Jahr, Seite) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Jahr, Seite) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil (Jahr, Seite) Harvard Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Jahr, Seite) International Review of Law and Economics (Jahrgang [Jahr], Seite) Juristische Arbeitsblätter (Jahr, Seite) Journal of Consumer Policy (Jahrgang [Jahr], Seite) Journal of Institutional and Theoretical Economics / Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (Jahrgang [Jahr], Seite) Journal of Law and Economics (Jahrgang [Jahr], Seite) Journal of Legal Studies (Jahrgang [Jahr], Seite) Journal of Political Economy (Jahrgang [Jahr], Seite) Juristische Rundschau (Jahr, Seite) Juristische Schulung (Jahr, Seite) Juristenzeitung (Jahr, Seite) Kommunikation und Recht (Jahr, Seite) Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Gesetz, Nr., Blatt) Maryland Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Monatsschrift für Deutsches Recht (Jahr, Seite) MultiMedia und Recht (Jahr, Seite)
XXV
Abkürzungsverzeichnis NJW Notre Dame L. Rev. NuR NVwZ Q. J. Econ. ORDO Oxf. Econ. Papers Oxf. J. Leg. Stud. RabelsZ RdA Rev. Econ. Stud. RIW RTDE S. Cal. L. Rev. Stan. L. Rev. TranspR U. C. Davis L. Rev. U. Chi. L. Rev. U. Pa. L. Rev. VuR Va. L. Rev. Wis. L. Rev. WiSt WM WRP WuW Yale L. J. ZBB ZEuP ZfRV ZHR ZIP ZLR ZSR ZUM ZUR ZVglRWiss ZWeR
XXVI
Neue Juristische Wochenschau (Jahr, Seite) Notre Dame Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Natur und Recht (Jahr, Seite) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Jahr, Seite) Quarterly Journal of Economics (Jahrgang [Jahr], Seite) Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft (Jahr, Seite) Oxford Economic Papers (Jahrgang [Jahr], Seite) Oxford Journal of Legal Studies (Jahrgang [Jahr], Seite) Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (Jahrgang [Jahr], Seite) Recht der Arbeit (Jahr, Seite) Review of Economic Studies (Jahrgang [Jahr], Seite) Recht der internationalen Wirtschaft (Jahr, Seite) Revue trimestrielle de droit européen (Jahrgang [Jahr], Seite) Southern California Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Stanford Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Transportrecht (Jahr, Seite) University of California Davis Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) University of Chicago Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) University of Pennsylvania Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Verbraucher und Recht (Jahr, Seite) Virginia Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Wisconsin Law Review (Jahrgang [Jahr], Seite) Wirtschaftswissenschaftliches Studium (Jahr, Seite) Wertpapier-Mitteilungen (Jahr, Seite) Wettbewerb in Recht und Praxis (Jahr, Seite) Wirtschaft und Wettbewerb (Jahr, Seite) Yale Law Journal (Jahrgang [Jahr], Seite) Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft (Jahr, Seite) Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht (Jahrgang [Jahr], Seite) Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Sozialreform (Jahr, Seite) Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Umweltrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft (Jahrgang [Jahr], Seite) Zeitschrift für Wettbewerbsrecht (Jahr, Seite)
Abkürzungsverzeichnis
III. Abkürzungs- und Fundstellenverzeichnis der Rechtsakte und Vorschläge für Rechtsakte der EG Die Rechtsakte werden in alphanummerischer Ordnung der Abkürzungen aufgeführt. Vorschläge oder Gemeinsame Standpunkte sind mit dem Präfix „V“ bzw. „GS“ gekennzeichnet. Abkürzung
Kurzbezeichnung
Amtlicher Titel
Fundstelle
3. SVersRL
Dritte Richtlinie Schadensversicherung
Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18. 6. 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG
ABl. 1992 L 228/1
AGBRL
AGB-Richtlinie
Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen
ABl. 1993 L 95/29
Aromatisierte – weinhaltige Getränke und Cocktails-VO
Verordnung (EWG) Nr. 1601/91 des Rates vom ABl. 1991 L 149/1 10. Juni 1991 zur Festlegung der allgemeinen Regeln für die Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung aromatisierter weinhaltiger Getränke- und aromatisierter weinhaltiger Cocktails
AromenRL
Aromenrichtlinie Richtlinie 88/388/EWG des Rates vom 22. Juni ABl. 1988 L 184/61 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Aromen zur Verwendung in Lebensmitteln und über Ausgangsstoffe für ihre Herstellung
ArzneimittelRL
Arzneimittelrichtlinie
Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel
DiätRL
Diätrichtlinie
Richtlinie 89/398/EWG des Rates vom 3. Mai ABl. 1989 L 186/27 1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind
DSRL
Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation
Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen ParlaABl. 2002 L 201/37 ments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation
EComRL
E-CommerceRichtlinie
Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt
ABl. 2000 L 178/1
EierVO
Eiervermarktungsverordnung
Verordnung (EWG) Nr. 1907/90 des Rates vom 26. Juni 1990 über bestimmte Vermarktungsnormen für Eier
ABl. 1990 L 173/5
ABl. 2001 L 311/67
XXVII
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzung
Kurzbezeichnung
Amtlicher Titel
Fundstelle
ExtraktionslösungsmittelRL
Extraktionslösungsmittelrichtlinie
Richtlinie 88/344/EWG des Rates vom 13. Juni ABl. 1988 L 157/28 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Extraktionslösungsmittel, die bei der Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten verwendet werden
FARL
Fernabsatzrichtlinie
Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments ABl. 1997 L 144/19 und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz
FernsehRL
Fernsehrichtlinie
Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober ABl. 1989 L 298/23 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit
FinFARL
Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen
Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen ParlaABl. 2002 L 271/16 ments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/28/EG
FinMRL
Finanzmarktrichtlinie
Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates
FreisGVORL
Freisetzungsrichtlinie
Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen ParlaABl. 2001 L 106/1 ments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates
GefStRL
Gefahrstoffrichtlinie
Richtlinie 92/32/EWG des Rates vom 30. April 1992 zur siebten Änderung der Richtlinie 67/548/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe
GS-FinFARL
Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen (Gemeinsamer Standpunkt)
Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 16/2002 vom ABl. 2002 C 58 E/32 Rat festgelegt am 19. Dezember 2001 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2002/.../EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom ... über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG
GVLMVO
–
Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen ABl. 2003 L 268/1 Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel
ABl. 2004 L 145/1
ABl. 1992 L 154/1
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzung
Kurzbezeichnung
Amtlicher Titel
Fundstelle
HVertrRL
Handelsvertreter- Richtlinie 86/553/EWG des Rates vom richtlinie 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter
ABl. 1986 L 382/17
HWiRL
Haustürwiderrufsrichtlinie bzw. Haustürgeschäfterichtlinie
Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen
ABl. 1985 L 372/31
InsHRL
Insiderhandelsrichtlinie
Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. November 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte; ersetzt durch die Marktmissbrauchsrichtlinie (MMRL)
ABl. 1989 L 334/30
InvFRL
Investmentfonds- Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom ABl. 1985 L 375/3 richtlinie 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW)
KaufRRL
Kaufrechtsrichtlinie
Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter
KfzGVO
Kfz-GVO
Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission ABl. 2002 L 203/30 vom 31. Juli 2002 über die Anwendung von Art. 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor
KosmetikRL
Kosmetikrichtlinie
Richtlinie 76/768/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel
ABl. 1976 L 262/169
LMEtRL
Lebensmitteletikettierungsrichtlinie
Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür
ABl. 2000 L 109/29
LMVO
Lebensmittelverordnung
Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen ABl. 2002 L 31/1 Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit
LVersRL
Lebensversicherungsrichtlinie
Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen
ABl. 1999 L 171/12
ABl. 2002 L 345/1
XXIX
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzung
Kurzbezeichnung
Amtlicher Titel
Fundstelle
Leitlinien Art. 81 Abs. 3 EG
Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG
Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag (2004/C 101/08)
ABl. 2004 C 101/97
Leitlinien VertikalGVO
Leitlinien für vertikale Beschränkungen
Mitteilung der Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen (2000/C 291/01)
ABl. 2000 C 291/1
MilchVO
Milchvermarktungsverordnung
Verordnung (EWG) Nr. 1898/87 des Rates vom 2. Juli 1987 über den Schutz der Bezeichnung Milch und Milcherzeugnisse bei ihrer Vermarktung
ABl. 1987 L 182/36
MinWRL
Mineralwässerrichtlinie
Richtlinie 80/777/EWG des Rates vom 15. Juli ABl. 1980 L 229/1 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern
MMRL
Marktmissbrauchsrichtlinie
Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch)
ABl. 2003 L 96/16
NahrErgRL
Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie
Richtlinie 2002/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Juni 2002 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Nahrungsergänzungsmittel
ABl. 2002 L 183/51
NährwKzRL
Nährwertkennzeichnungsrichtlinie
Richtlinie 90/496/EWG des Rates vom 24. September 1990 über die Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln
ABl. 1990 L 276/40
NovelFoodVO –
Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten
ABl. 1997 L 43/1
ÖkoAuditVO
Verordnung 761/2001/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. März 2001 über die freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS)
ABl. 2001 L 114/1
ÖkoLandbau- – VO
Verordnung (EWG) Nr. 2092/91 des Rates vom 24. Juni 1991 über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel
ABl. 1991 L 198/1
PrAngRL
Preisangabenrichtlinie
Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments ABl. 1998 L 80/27 und des Rates vom 16. Februar 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse
PRRL
Pauschalreiserichtlinie
Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen
XXX
–
ABl. 1990 L 158/59
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzung
Kurzbezeichnung
Amtlicher Titel
Fundstelle
RL 2002/67/ EG
–
Richtlinie 2002/67/EG der Kommission vom 18. Juli 2002 über die Etikettierung von chininhaltigen und von koffeinhaltigen Lebensmitteln
ABl. 2002 L 191/20
RL 1999/21/ EG
–
Richtlinie 1999/21/EG der Kommission vom 25. März 1999 über diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke
ABl. 1999 L 91/29
RL 97/66/EG
–
Richtlinie 97/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre im Bereich der Telekommunikation
ABl. 1998 L 24/1
RL 95/46/EG
–
Richtlinie 95/46/EG des Europäischen ParlaABl. 1995 L 281/31 ments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr
SäuglAnfNahrRL
–
Richtlinie 91/321/EWG der Kommission vom 14. Mai 1991 über Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung
ABl. 1991 L 175/35
SpirituosenVO
Spirituosenverordnung
Verordnung (EWG) Nr. 1576/89 des Rates vom 29. Mai 1989 zur Festlegung der allgemeinen Regeln für die Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung von Spirituosen
ABl. 1989 L 160/1
TabakproduktRL
Tabakproduktrichtlinie
Richtlinie 2001/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen
ABl. 2001 L 194/26
TabakwerbeRL
Tabakwerberichtlinie
Richtlinie 2003/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen
ABl. 2003 L 152/16
Der gleichnamige Vorgängerrechtsakt 98/43/EG wurde vom EuGH für nichtig erklärt.
ABl. 1998 L 213/9
TranspRL
Transparenzrichtlinie
Richtlinie 98/34/EG des Europäischen ParlaABl. 1998 L 204/37 ments und des Rates vom 22. Juni 1998 in der und ABl. 1998 Fassung der Richtlinie 98/48/EG des EuroL 217/18 päischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft
TShRL
Timesharingrichtlinie
Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte
ABl. 1994 L 280/83
XXXI
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzung
Kurzbezeichnung
Amtlicher Titel
Fundstelle
Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilnutzungsrechten an Immobilien UGPRL
Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken
Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates
ABl. 2005 L 149/22
UmweltzeichenVO
Umweltzeichenverordnung
Verordnung 1980/2000/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juli 2000 zur Revision des gemeinschaftlichen Systems zur Vergabe eines Umweltzeichens
ABl. 2000 L 237/1
UntKlRL
Unterlassungsklagenrichtlinie
Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutze der Verbraucherinteressen
ABl. 1998 L 166/51
ÜwRL
Überweisungsrichtlinie
Richtlinie 97/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997 über grenzüberschreitende Überweisungen
ABl. 1997 L 43/25
VerbrKrRL
Verbraucherkreditrichtlinie
Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom ABl. 1987 L 42/48 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit
V-VerbrKrRL
Vorschlag für eine Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen VerbraucherParlaments und des Rates zur Harmonisierung kreditrichtlinie der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit
KOM (2002) 443 endg., ABl. 2002 C 331 E/200; Änderungen in KOM (2004) 747 endg.
V-VerkfördVO Vorschlag für eine Verkaufsförderungsverordnung
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Verkaufsförderung im Binnenmarkt
KOM (2001) 546 endg./2
VersVermRL
Versicherungsvermittlungsrichtlinie
Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Dezember 2002 über Versicherungsvermittlung
ABl. 2003 L 9/3
VertikalGVO
Vertikal-GVO
Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 der Kommission ABl. 1999 L 336/21 vom 22. Dezember 1999 über die Anwendung von Art. 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen
V-NährwVO
–
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen KOM (2003) 424 Parlaments und des Rates über nährwert- und endg. gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel
XXXII
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzung
Kurzbezeichnung
Amtlicher Titel
Fundstelle
VO 1216/1999 –
Verordnung (EG) Nr. 1216/1999 des Rates vom 10. Juni 1999 zur Änderung der Verordnung Nr. 17: Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages
ABl. 1999 L 148/5
VO 17/62
Kartellverordnung
Verordnung Nr. 17 des Rates: Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages
ABl. 1962 13/204
VO 1/2003
Kartellverordnung
Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln
ABl. 2003 L 1/1
VO 1830/2003 –
Verordnung (EG) Nr. 1830/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln und Futtermitteln sowie zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG
ABl. 2003 L 268/24
V-TabakwerbeRL
Vorschlag für eine Tabakwerberichtlinie
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen
KOM (2001) 283 endg.
V-UGPRL
Vorschlag für eine Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinien 84/450/EWG, 97/7/EG und 98/27/EG
KOM (2003) 356 endg.
WeinVO
Weinverordnung
Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 des Rates vom 17. Mai 1999 über die gemeinsame Marktorganisation von Wein
ABl. 1999 L 179/1
WerbeRL
Werberichtlinie
Richtlinie 84/450/EWG des Rate vom 10. 09. 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung; geändert durch Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. 10. 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung
ABl. 1984 L 250/17, Änderungen in ABl. 1997 L 290/18
WpDRL
Wertpapierdienstleistungsrichtlinie
Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen; aufgehoben durch die Finanzmarktrichtlinie
ABl. 1993 L 141/27
ZusStRL
Zusatzstoffrichtlinie
Richtlinie 89/107/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Zusatzstoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden
ABl. 1989 L 40/27
XXXIII
§ 1 Einleitung Die europäische Integration schreitet scheinbar unaufhaltsam voran. Dies gilt sowohl für die Integrationstiefe, paradigmatisch hierfür steht die Einführung des Euro, als auch für die Breite der Integrationsbasis: Mit der Erweiterung der Europäischen Union im Mai 2004 hat sich die Zahl ihrer Mitgliedstaaten auf 25 erhöht, weitere beitrittswillige Staaten stehen bereit. Die Attraktivität der Europäischen Union liegt zunächst in ihrem Selbstverständnis als Wertegemeinschaft, die „auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit“ (Art. 6 Abs. 1 EU) beruht. Starke Anziehungskraft entfaltet die Europäische Union aber vor allem als Wirtschaftsgemeinschaft, die als Garant für Prosperität und Wohlstand wahrgenommen wird. Der Prozess der europäischen Integration hätte kaum eine solche Eigendynamik entwickelt, die auch über Phasen der Stagnation hinweggeholfen hat, wenn nicht hinter dem Projekt die Überzeugung gestanden hätte, dass die Integration der Wohlfahrt aller Mitgliedstaaten nützt. In diesem Sinne kann die Gemeinschaft auch als eine Unternehmung begriffen werden, die die gesamtwirtschaftliche Effizienz in Europa fördern soll. Im Zentrum steht dabei die Binnenmarktintegration und damit die Schaffung eines „Raumes ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital [...] gewährleistet ist“ (Art. 14 Abs. 2 EG). Die Integration der Märkte zielt darauf ab, die soziale Wohlfahrt zu steigern, indem sie Freiräume für das Individuum schafft, das in der Rolle eines Unternehmers, eines Arbeitnehmers oder eines Verbrauchers agieren kann.1 Ein Kennzeichen der Gemeinschaft besteht deshalb darin, dass sie die Privatrechtsgesellschaft stärkt,2 indem sie eine Ordnung fördert, in der dem Einzelnen die Freiheit aber auch die Verantwortung zukommt, seine Ziele und seinen Weg selbst zu wählen.3 Absatzbezogene Regelungen haben bei der Gesetzgebung zum Binnenmarkt von jeher eine hervorragende Rolle gespielt. Auf Grund einiger gesetzgeberischer Aktivitäten traten diese Regeln aber in den letzten Jahren besonders in den Blickpunkt. Genannt sei zunächst die E-Commerce-Richtlinie vom 8. Juni 2000, die bis zum 17. Januar 2002 in mitgliedstaatliches Recht umzusetzen war. Mit der Gruppenfrei-
1 Näher hierzu Molle, The Economics of European Integration (2005), S. 13–42. 2 Mayer/Scheinpflug, Privatrechtsgesellschaft und die Europäische Union (1996); Grundmann, 4 ERPL (2001), 505, 510 f. 3 Der Begriff der „Privatrechtsgesellschaft“ geht auf Franz Böhm zurück und bezeichnet die freiheitliche Gesellschaftsverfassung gleichberechtigter Individuen, die das Ziel der Überwindung der ständischen Ordnung bildete und in der dem Privatrecht eine zentrale Ordnungsfunktion zugewiesen ist, Böhm, ORDO 17 (1966), 75–151. Eingehend zum Begriff auch Canaris, FS Lerche (1993), 873, 874–881.
1
§ 1 Einleitung
stellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, die zum 1. Januar 2002 in Kraft trat, wurde ein zentraler Bereich der Regulierung von Absatzmittlungsverhältnissen, d.h. der beruflichen Absatzketten, reformiert. Aufmerksam verfolgte die Öffentlichkeit die Diskussion um die Gruppenfreistellungsverordnung für Kfz-Vertriebsvereinbarungen, so dass ein eher „technischer“ Rechtsbereich in den Blickpunkt des politischen Geschehens rückte. Öffentlichkeitswirksam diskutiert wurden ebenfalls die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zur Etikettierung und Werbung von Tabakprodukten. Mit dem am 2. Oktober 2001 veröffentlichten „Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union“ 4 zeigte die Kommission Perspektiven auf, das Lauterkeitsrechts zu harmonisieren. Diese Initiative mündete dann in die im Frühjahr 2005 verabschiedete Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken. In diesen Zusammenhang ist auch der Vorschlag für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt aus dem Jahre 2001 zu stellen. Die Verwirklichungschancen dieser von der Generaldirektion Binnenmarkt angestoßenen Initiative sind momentan eher gering. Zu nennen ist schließlich noch das Gesetzgebungsverfahren für eine Richtlinie zum Fernabsatz von Finanzdienstleistungen, das im September 2002 abgeschlossen wurde. Das Thema der Arbeit definiert sich so zunächst vom Betrachtungsgegenstand her, nämlich den europäischen Normen, die spezifisch den Absatz betreffen. Ein erster Anspruch des „Europäischen Absatzrechts“ besteht darin, eine systematische Bestandsaufnahme dieser Normen zu leisten. Beklagt wurde lange Zeit, dass es dem europäischen Privatrecht bzw. dem Prozess der Europäisierung des Privatrechts an Systematisierung fehle. Eine Reihe von Monographien der letzten Jahre hat dazu beigetragen, diesem Mangel abzuhelfen.5 Die vorliegende Untersuchung ist der Systematisierung absatzbezogener Normen gewidmet und damit einem Teilgebiet des Privat- und Wirtschaftsrechts, das für die Verwirklichung des Binnenmarktes von besonderer Bedeutung ist. Denn erfasst werden Regeln, die überwiegend die Interessen von Marktteilnehmern oder der Allgemeinheit schützen sollen, daher zwingend ausgestaltet sind und so Privatautonomie und Vertragsfreiheit einschränken. Definieren die Mitgliedstaaten unterschiedliche Schutzniveaus, kann dies den freien Fluss von Waren, Dienstleistungen, Personen oder Kapital im Binnenmarkt behindern. Dies begründet die Notwendigkeit und häufig auch die Kompetenz der Gemeinschaft, absatzbezogene Regelungen zu erlassen.
4 KOM (2001) 531 endg. 5 Beispielhaft aufgeführt seien Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001); Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft (1999); Gebauer, Grundfragen der Europäisierung des Privatrechts (1998); Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999); Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts (2004); Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen (2002); Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts (1998); Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht (2004); Leible, Wege zu einem europäischen Privatrecht (2001); Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der Europäischen Union (2002); Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrages (2003); Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. (2003); Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts (2003); Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht (1996).
2
§ 1 Einleitung
Über die Bestandsaufnahme und Systematisierung hinaus soll die Arbeit die absatzbezogenen Regelungen im europäischen Recht verständlich und bewertbar machen. Herauszuarbeiten sind deshalb Leitideen, die rechtliche Regeln rechtfertigen können, an denen sie sich orientieren sollte und anhand derer sie bewertet werden kann. Vor allem Argumente der Ökonomik 6 müssen bei der Gesetzgebungslehre und deshalb auch bei der Gesetzesbewertung beachtet werden. Dies kann bereits im Grundsatz nicht ernstlich angezweifelt werden.7 Ist aber positiv zu konstatieren, dass Normsetzung darauf gerichtet ist, Markt und Wettbewerb in ihrer Funktionsfähigkeit zu unterstützen, kommt den wirtschaftstheoretischen Argumenten für normative Aussagen eine herausgehobene Stellung zu. Gegenstand absatzbezogener Regelungen sind Märkte bzw. das Verhalten von Marktteilnehmern im Zusammenhang mit der Verteilung und der Konsumtion von Gütern. Betroffen ist damit ein originärer Gegenstandsbereich der Wirtschaftswissenschaften. Auch deshalb liegt es nahe, dass Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften hilfreich sein können, um rechtliche Regelungen verstehen und bewerten zu können. Ein Ausgangspunkt der Untersuchung ist denn auch die These, dass sich absatzbezogene Regelungen im Kern damit rechtfertigen lässt, dass sie die Interessen von Marktteilnehmern wie auch der Allgemeinheit schützt, indem sie dazu beiträgt, die Voraussetzungen für marktliche und wettbewerbliche Prozesse zu sichern. Die gemeinschaftsrechtliche Regelungen, die Absatztechniken und die Absatzförderung betreffen – das folgt bereits aus der ihr zu Grunde liegenden Binnenmarktkompetenz nach Art. 94 bzw. 95 EG – ist dem Ziel verpflichtet, Märkte zu integrieren, um so eine effiziente Ressourcenallokation zu fördern und die gesamtwirtschaftliche Effizienz zu erhöhen. Die soziale Wohlfahrt durch einen Gemeinsamen Markt zu steigern, ist nach wie vor zumindest eines der zentralen Anliegen der Gemeinschaftsverfassung (vgl. Art. 2–4 EG). Bei der kartellrechtlichen Regulierung von Vertriebsvereinbarungen liegt es schon in der Natur der Sache, dass sie darauf gerichtet ist, die Funktionsbedingungen von Markt und Wettbewerb zu gewährleisten. Die Normen des Europäischen Absatzrechts können deshalb nur fair bewertet werden, argumentiert man auf Augenhöhe mit dem Stand der ökonomischen Theorie.8 Zu bedenken sind indes auch normative Grenzen für die Berücksichtigung ökonomischer Argumente bei der Rechtssetzung. Diese ergeben sich insbesondere aus übergeordnetem Recht, etwa aus Grundrechten oder Verfassungsprinzipien.
6 Der Begriff der „Ökonomik“ wird hier verwendet, um zu kennzeichnen, dass die Methodik und das Instrumentarium der Wirtschaftswissenschaft auf nicht-wirtschaftliche Zusammenhäge angewendet werden, hier also zur Bewertung von Rechtsnormen, dazu Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts (1997), S. 10–12. 7 Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, welchen Stellenwert man der ökonomischen Analyse bei der Anwendung von Normen zuweist, siehe dazu einerseits Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. (1998), S. 450–488; Grundmann, RabelsZ 66 (1997), 423–453; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts (1997), S. 29–31; andererseits Fezer, JZ 1986, 817–824. 8 Treffend Van den Bergh, ECLR 1996, 75: „[...] lawyers often fail to realise that what they tend to consider traditional legal thinking may in fact be outdated economics.“
3
§ 1 Einleitung
Die europäische Ebene erweitert das Spektrum der für die Rechtssetzung relevanten Faktoren um die Dimension des Binnenmarktes. Europäisches Absatzrecht muss sich deshalb immer auch daran messen lassen, inwieweit es die Integration des Binnenmarktes fördert, gleich ob der Schutz des privaten Abnehmers vor übereilten Käufen im Fernabsatz in Rede steht oder die Sicherung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit von Händlern durch das Kartellrecht. Die vorliegende Untersuchung macht es sich zur Aufgabe, die absatzbezogene Regelungen des Europäischen Gesetzgebers in diesem Spannungsfeld zu analysieren und zu bewerten. Dabei wird nicht übersehen, dass kaum ein Sachverhalt allein durch Normen des europäischen Rechts geregelt wird, sondern im Zusammenspiel mit dem jeweiligen mitgliedstaatlichen Recht. Dies wird vor allem dann deutlich, wenn europäisches Recht in der Handlungsform der Richtlinie vorliegt oder wenn die Grundfreiheiten nationales Recht zurückdrängen. Recht in der Europäischen Gemeinschaft ist deshalb als zweistufiges System zu begreifen. Die Arbeit berücksichtigt das Zusammenwirken der unterschiedlichen Regelungsebenen, indem etwa auf den Harmonisierungsgrad der mitgliedstaatlichen Regeln hingewiesen wird (Mindest- oder Vollharmonisierung). Hervorgehoben wird auch, wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber auf Harmonisierung verzichtet und stattdessen bestimmt, dass die Mitgliedstaaten ihre jeweiligen Regelungsstandards im grenzüberschreitenden Verkehr untereinander anerkennen müssen. Gleichwohl konzentriert sich die Arbeit darauf, die Standards, die die Gemeinschaft positiv für die absatzbezogene Rechtssetzung vorgibt, zu untersuchen und zu bewerten. Diese Eingrenzung des Themas ist gerechtfertigt, weil damit der Regelbestand betrachtet wird, der einen gemeinschaftsweit einheitlichen Regelungsstandard für einen Kernbereich der Wirtschaftsordnung definiert. Für die kartellrechtlichen Regeln begründet sich die isolierte Analyse der europäischen Normen zudem dadurch, dass es durch die Art. 81 und 82 EG sowie die Gruppenfreistellungsverordnungen durchgehend positive Standards setzt, die unmittelbar und vorrangig gegenüber dem mitgliedstaatlichen Recht anzuwenden sind. Das ansonsten das europäische Privatrecht kennzeichnende Strukturelement der Zweistufigkeit ist deshalb dort von untergeordneter Bedeutung. Im ersten Teil der Untersuchung wird der Bestand absatzbezogener Normen des europäischen Rechts aufgenommen und geordnet. Allein die Aufzählung der jüngeren gesetzgeberischen Aktivitäten verdeutlicht, dass sich Absatzrecht als eine vordergründig heterogene Rechtsmaterie darstellt, die vertrags-, lauterkeits- und kartellrechtliche Aspekte umfasst. Die Strukturierung der zu untersuchenden Regeln bildet deshalb die Basis für die weitere Analyse. Im zweiten Teil werden mögliche Leitideen für die Rechtssetzung im Bereich der Absatzverhältnisse, d. h. der Rechtsbeziehung zwischen Anbieter und Abnehmer (Letztabsatz) vorgestellt und insbesondere anhand der Erkenntnisse der ökonomischen Theorie bewertet. Dargelegt werden zum anderen die Ergebnisse der Wettbewerbstheorie für die kartellrechtliche Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse. Damit wird das Fundament gelegt, um die absatzbezogene Rechtssetzung in Einzelbereichen bewerten zu können. Die Instrumente, die das Europäische Absatzrecht kennzeichnen, werden im dritten Teil der Arbeit evaluiert. Herauszuarbeiten ist dabei vor allem, wie das
4
§ 1 Einleitung
Absatzrecht seiner marktregulierenden Funktion im Spannungsfeld des Binnenmarktes gerecht wird. Der vierte Teil enthält zusammenfassende Überlegungen zum Gesamtsystem eines Europäischen Absatzrechts sowie eine Zusammenstellung der Ergebnisse der Untersuchung.
5
Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen des Europäischen Absatzrechts § 2 Begriffsbestimmung Der Absatz 1 übernimmt die betriebliche Funktion, den Abstand zwischen Leistungserzeugung und Abnehmern 2 zu überbrücken.3 Damit schließt sich der betriebliche Wertkreislauf: Die Betriebsleistungen wird verwertet, die im Betriebsprozess eingesetzten Geldmittel fließen zurück und ermöglichen es so, die Produktion fortzuführen.4 Gegenstand dieses Prozesses können sowohl Sachgüter und Dienstleistungen als auch Nutzungsrechte sein.5 Die Bedeutung des Absatzes offenbart sich nicht zuletzt darin, dass der Anteil der Kosten für den Absatz an den Gesamtkosten bzw. Güterpreisen erheblich höher ist als der Anteil der Produktionskosten. Allgemein gilt, dass der Anteil der Absatzkosten an den Gesamtkosten der Wirtschaftstätigkeit mit dem Lebensstandard einer Volkswirtschaft steigt.6 Zwei zentrale Aufgaben sind dem Absatz zugeordnet: 7 Einerseits bedarf es der physischen Distribution, d. h. die erzeugten Leistungen müssen am Ort und zur Zeit des Bedarfs sowie in der benötigten Menge angeboten werden. Dazu bedarf es verschiedener Vorgänge, etwa des Transportes, der Lagerung, des Verpackens usw. Andererseits hat die Absatzwirtschaft auch eine Informationsaufgabe zu erfüllen. Potenzielle Abnehmer müssen informiert werden über die Verfügbarkeit der betroffenen Güter, über die Qualität und über die Bedingungen, zu denen sie abgegeben werden. Die unterschiedlichen Maßnahmen um diese Aufgabe zu erfüllen – vom
1 Alle Tätigkeiten, die sich auf den Absatz von Produkten beziehen, werden auch unter dem Begriff des „Vertriebs“ zusammengefasst. Dieser Terminus wird deshalb häufig – wie auch hier – synonym zum Begriff des „Absatz“ verwendet. Allerdings wird er teilweise auch in einem engeren Sinne verstanden, nämlich als organisatorische Bezeichnung für die betriebliche Einheit der internen und externen Mitarbeiter, die mit dem Absatz befasst sind, Nieschlag/Dichtl/Hörschgen, Marketing, 19. Aufl. (2002), S. 884 f. 2 Der Begriff der „Abnehmer“ wird hier und im Folgenden als Oberbegriff für alle Marktteilnehmer verwendet, gleich ob sie zu beruflichen bzw. gewerblichen oder privaten Zwecken Produkte nachfragen. In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur wird häufig auch der Begriff des „Verbrauchers“ in diesem weiten Sinne verstanden. Allerdings werden im europäischen Privatrecht im Regelfall nur natürliche Personen, die nicht zu beruflichen oder gewerblichen Zwecken handeln als „Verbraucher“ angesehen (etwa Art. 2 Sps. 1 HWiRL, Art. 2 Nr. 2 FARL). 3 Hax, Absatz, in: Albers u. a. (Hrsg.), HdWW (1976), S. 1. 4 Wöhe, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 21. Aufl. (2002), S. 461 f. 5 Martinek, in: Martinek/Semler/Habermeier (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2. Aufl. (2003), § 1, Rn. 1. 6 Klein-Blenkers, Distribution, in: Tietz (Hrsg.), Absatzwirtschaft (1974), Bd. 4, Sp. 474, 478. 7 Hax, Absatz, in: Albers u. a. (Hrsg.), HdWW (1976), S. 1.
6
§ 2 Begriffsbestimmung
individuellen Beratungsgespräch bis zur Werbung in den Massenmedien – lassen sich unter den Begriff der „Absatzförderung“ zusammenfassen. Das Recht stellt Strukturformen für den Absatz zur Verfügung und bildet den Rahmen für die unternehmerische Absatzpolitik. Wenig sinnvoll erscheint es, unter dem Begriff des „Absatzrechts“ alle Rechtsmaterien mit Relevanz für die Absatzpolitik zusammenzufassen. Da Wirtschaft zu einem großen Teil Absatz ist, ließen sich mit einem solchen Verständnis große Teile des privaten und öffentlichen Wirtschaftsrechts vom Kaufvertragsrecht bis zum Börsenzulassungsrecht unter diesem Begriff zusammenführen.8 Eine solche Zusammenfassung wäre wegen der Weite und Disparität der erfassten Materie wenig ergiebig. In den Betrachtungsbereich der Untersuchung werden deshalb nur solche Rechtsmaterien einbezogen, die in spezifischer Weise absatzbezogene Handlungen, Vorgänge und Verhältnisse regeln. Grundsätzlich ausgeklammert werden deshalb etwa das Kaufrecht oder die Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, da diese Materien beispielsweise auch für die Beschaffung von Gütern für den Produktionsprozess Bedeutung haben. Einzuräumen ist, dass die entsprechenden Rechtsakte der Gemeinschaft, also die AGB-Richtlinie und die Kaufrechtsrichtlinie, nur im Verhältnis zwischen Unternehmern und Verbrauchern anzuwenden sind 9 und deshalb etwa nicht für die Beschaffung für den gewerblichen Bedarf gelten, sondern nur für den Absatz an den privaten Endabnehmer. Dies ändert allerdings nichts daran, dass es sich nicht um spezifisch absatzbezogene Regelungen handelt, da sie nicht an absatzbezogene Handlungen anknüpfen. Deutlich wird dies etwa daran, dass die Kaufrechtsrichtlinie in Deutschland größtenteils überschießend umgesetzt wurde und deshalb die Richtlinienregeln weit gehend etwa auch für die Auslegung der Gewährleistungsregeln bei Kaufverträgen zur gewerblichen Beschaffung heranzuziehen sind.10 Als zum Europäischen Absatzrecht zugehörig werden hier diejenigen Normen aufgefasst, die im Primärrecht der EG enthalten sind oder auf seiner Grundlage gesetzt wurden. Davon ausgehend scheint es näher zu liegen, vom „gemeinschaftsrechtlichen Absatzrecht“ oder auch „EG-Absatzrecht“ zu sprechen. Für eine solche Begriffsbildung mag sprechen, dass sie formal korrekt wäre und dass die Bezeichnung „europäisch“ aus Sicht europäischer Staaten, die nicht Mitglied der Europäischen Union sind, als anmaßend empfunden werden könnte. Andererseits ist zu bedenken, dass einerseits das Recht der Europäischen Gemeinschaft bereits de lege lata nicht unerheblichen Einfluss auf andere europäische Rechtsordnungen entfaltet.11 Außerdem hat auch das Recht europäischer Nichtmitgliedsländer die Rechtssetzung auf Gemeinschaftsebene beeinflusst.12 Zudem würde der Begriff des „EG-
8 Martinek, in: Martinek/Semler/Habermeier (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2. Aufl. (2003), § 1, Rn. 2. 9 Art. 1 Abs. 1 KaufRRL, Art. 1 Abs. 1 AGBRL. 10 Vgl. Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie (2002), Einl., Rn. 39. 11 Siehe Will, in: Schwind (Hrsg.), Österreichs Weg in die EG (1991), S. 53–109; für die ehemaligen Beitrittskandidaten Mittel- und Osteuropas Evans, 22 ELR (1997), 201–220 oder für die Schweiz Baudenbacher, EuR 1992, 309–320; Forstmoser (Hrsg.), Der Einfluss des europäischen Rechts auf die Schweiz (1999). 12 Wilhelmsson, Social Contract Law (1994), S. 192.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
Absatzrechts“ nicht die wechselseitigen Einwirkungen zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht widerspiegeln.13 So sind einerseits Grundprinzipien der nationalen Rechtsordnungen für den EuGH Auslegungshilfe für das Gemeinschaftsrecht und damit Rechtserkenntnisquelle.14 Andererseits hat das EG-Recht in Konstellationen freiwilliger Rechtsanpassung über seinen eigentlichen Anwendungsbereich hinaus Auswirkungen auf die Ausgestaltung des nationalen Rechts.15 Im Übrigen ist nur eine Begriffsbildung mit dem Attribut „europäisch“ geeignet, dem dynamischen Charakter der europäischen Integration Ausdruck zu verleihen und das Perspektivische oder gar Visionäre der Idee der Harmonisierung der europäischen Privatrechtsordnungen zu repräsentieren. Deshalb wird sie hier vorgezogen. Betrachtet man die Rechtsquellen des Europäischen Absatzrechts, so können zwei Gruppen von Normen unterschieden werden. Einerseits enthält das Europäische Absatzrecht Vorgaben für die Beziehung zu anderen Institutionen, derer sich der Hersteller bedient, um seine Erzeugnisse abzusetzen. Eine Bestandsaufnahme dieser Regeln für die sog. Absatzmittlungsverhältnisse bzw. die (berufliche) Absatzkette findet sich in § 5. Die §§ 3 und 4 systematisieren demgegenüber die Rechtsakte, die Absatztechniken und Absatzfördermaßnahmen regeln und damit das Verhältnis des Anbieters zu seinen (Letzt-) Abnehmern betreffen (Absatzverhältnis). Unter den Begriff des „Anbieters“ werden Hersteller und Händler zusammengefasst. Aus rechtlicher Sicht ist dies unbedenklich, da bei der Regulierung des Absatzverhältnisses die Regeln systematisiert und analysiert werden, die die Rechte und Pflichten der anbietenden Marktseite gegenüber der Marktseite der Abnehmer betreffen, unabhängig davon, welche Stellung der Anbieter in der Absatzkette einnimmt. Auch für die ökonomische Theorie ist die Differenzierung zwischen Hersteller und Händler in diesem Zusammenhang irrelevant.16 Im Übrigen wäre eine trennscharfe Unterscheidung auch schwer möglich, da die vom Hersteller und Händler übernommenen Funktionen zumindest teilweise austauschbar sind: 17 Händler beeinflussen durch ihre Tätigkeit die Charakteristika eines Produktes, etwa indem sie es umverpacken, montieren oder sonst für den Endverbrauch vorbereiten. Zudem betreiben sowohl Händler als auch Hersteller Marketingaktivitäten (Werbung etc.).
13 Vgl. Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), S. 8. 14 Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 533 f. 15 Zur freiwilligen Rechtsangleichung im Privatrecht Habersack/Mayer, JZ 1999, 913–921; Heiderhoff, Grundstrukturen (2004), S. 159–174; Hommelhoff, in: FS 50 Jahre BGH (2000), Bd. 2, S. 889, 913–924; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545–552, Roth, W.-H., in: FS 50 Jahre BGH (2000), Bd. 2, S. 875, 880–887; Schnorbus, RabelsZ 65 (2001), 654–705; Schulze, in: Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts (1999), S. 9, 17–19; Franck, BKR 2002, 709, 712–716. 16 So für die ökonomische Theorie der Gewährleistung Gómez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie (2002), Einl., Rn. 73, Fn. 1. 17 Spulber, 10 Journal of Economic Perspectives (1996), 135, 136.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
Das europäische Recht setzt einerseits durch Sekundärrechtsakte positive Standards (§ 3). In diesen Fällen wirkt das Europarecht als eigenständige Quelle des Absatzrechts. Andererseits beschränken die Grundfreiheiten des EG-Vertrages die nationalen Vorschriften, die Absatztechniken und Absatzförderung regulieren. Sie wirken so als negative Standards (§ 4).18 Beide Entwicklungen stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern werden durch die Rechtsprechung des EuGH zusammengeführt. Dies geschieht dadurch, dass der Gerichtshof einerseits bei seiner Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten sekundärrechtliche Entwicklungen berücksichtigt,19 gleichzeitig aber auch sekundärrechtliche Regeln im Lichte der Grundfreiheiten auslegt.20
§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht I.
Rechtssetzung für Sonderabsatzformen
Das europäische Recht regelt branchenübergreifend die wichtigsten Sonderabsatzformen. Darunter sind Techniken der Geschäftsanbahnung zu verstehen, die sich vom Normalfall des Absatzes im Büro oder Geschäftslokal des Anbieters unterscheiden.1
1.
Der Absatz an der Haustür, am Arbeitsplatz und auf organisierten Ausflügen
a)
Anwendungsbereich
Die Haustürwiderrufsrichtlinie2 regelt den Schutz der Verbraucher, die in der Privatwohnung, am Arbeitsplatz oder auf vom Gewerbetreibenden organisierten Ausflügen Verträge schließen. Diese Absatztechniken sind in der Praxis häufig im Zu18 Die Begriffe „negative Standards“ und „positive Standards“ sind entlehnt von Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 1. Teil, Rn. 52 (S. 38). Vgl. auch Müller-Graff, in: MüllerGraff (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft (1993), S. 208 und S. 210, der von „Privatrechtsbeschränkung“ und „Privatrechtsschöpfung“ spricht und Wilhelmsson, Social Contract Law (1994), S. 45, der die Begriffe „negative“ und „positive harmonisation“ benutzt. 19 Siehe etwa EuGH, Urt. v. 7. 3. 1990 – Rs. C-362/88, GB-INNO-BM, Slg. 1990, I-667, 687–689, Rn. 14–18. 20 Siehe etwa EuGH, Urt. v. 13. 12. 1990 – Rs. C-238/89, Pall, Slg. 1990, I-4827, 4850, Rn. 22; EuGH, Urt. v. 2. 2. 1994 – Rs. C-315/92, Verband Sozialer Wettbewerb („Clinique“), Slg. 1994, I-317, 335 f., Rn. 12, 17 f. 1 Grundmann, NJW 2000, 14, 20; Micklitz, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 189, 193. 2 Ausführlich zur Haustürwiderrufsrichtlinie und ihrer Umsetzung in den Mitgliedstaaten Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 2 (1999); Rott, Die Umsetzung der Haustürwiderrufsrichtlinie in den Mitgliedstaaten (2000).
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
sammenhang mit Konzepten des Direktabsatzes anzutreffen; sie haben dadurch ihre besondere Bedeutung erlangt. Gerade das door-to-door-selling, aber auch die sog. Kaffeefahrten und Partygeschäfte sind als Absatztechnik erfolgreicher Direktvertriebssysteme bekannt.3 Der Begriff des „Direktabsatzes“ kennzeichnet nach klassischer institutioneller Abgrenzung eine Distributionsform, bei der Waren und Dienstleistungen abgesetzt werden, ohne dass ein selbständiger Absatzmittler eingeschaltet wird.4 Der erste Anbieter und der letzte Nachfrager eines Produktes werden unmittelbar zusammengeführt; der Absatzweg erfolgt lediglich über eine Wirtschaftsstufe.5 Aus Sicht des Herstellers hat das den Vorteil, dass er seine Marketingkonzeption bis zum Weiterverarbeiter oder Endverbraucher durchsetzen kann.6 Die große ökonomische Bedeutung des direkten Absatzes ist nicht bestritten.7 In qualitativer Hinsicht ist festzustellen, dass der Direktvertrieb durch eine große Dynamik und durch signifikante Kosten- und Absatzvorteile für den Anbieter gekennzeichnet ist. Zudem hat sich die Anwendung dieser Vertriebsform von ländlichen auf städtische Märkte und von geringwertigen Gütern des täglichen Bedarfs auf höherwertige, komplexere und damit auch beratungsintensivere Güter verlagert, wie auch die quantitative Bedeutung des Direktmarketing stetig zugenommen hat.8 Trotzdem der Absatz an der Haustür etc. oftmals im Zusammenhang mit dem Direktvertrieb anzutreffen sind, ist es doch nicht gerechtfertigt, den Anwendungsbereich der Haustürwiderrufsrichtlinie darauf zu reduzieren, dass Formen des Direktvertriebs reguliert werden.9 Denn einerseits findet die Richtlinie auch dann Anwendung, wenn sich unabhängige, unternehmensfremde Absatzmittler, insbe-
3 Nieschlag/Dichtl/Hörschgen, Marketing, 19. Aufl. (2002), S. 918 f. 4 Bruns, Direktmarketing (1998), S. 238; Holland, in: Diller (Hrsg.), Vahlens Großes MarktingLexikon, 2. Aufl. (2001), S. 313; Nieschlag/Dichtl/Hörschgen, Marketing, 19. Aufl. (2002), S. 915; Tietz, Der Direktvertrieb an Konsumenten (1993), S. 14. 5 Kaltenbach, Direktabsatz, in: Tietz (Hrsg.), Handwörterbuch der Absatzwirtschaft (1974), Sp. 468, 469. 6 Bruns, Direktmarketing (1998), S. 238 f. 7 Zur Verbreitung des Direktvertriebs Tietz, Der Direktvertrieb an Konsumenten (1993), S. 64 ff. 8 Zur Entwicklung des Direktmarketing Bruns, Direktmarketing (1998), S. 20 ff. 9 So aber – jedenfalls begrifflich – Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, Vor A 2 (1999), Rn. 28 oder, in Bezug auf den deutschen Umsetzungsakt, Magoulas/Schwartze, JA 1986, 225. Diese Sichtweise gründet sich offenbar auf einen anderen, zur klassischen betriebswirtschaftlichen Begriffsbildung quer stehenden Definitionsansatz für den Direktvertrieb, wie er etwa von der Direct Selling Association in den USA vertreten wird. Diese definiert Direktvertreiber als Personen, die Konsumgüter an Dritte durch persönlichen Verkauf absetzen, im allgemeinen in deren Wohnung, so zitiert bei Tietz, Der Direktvertrieb an Konsumenten (1993), S. 13. Ähnlich auch Bruns, Direktmarketing (1998), S. 231 f. und 238 f., nach dem es auf die Betrachtungsweise ankommt: Die klassische Betrachtungsweise geht einseitig von der Sicht des Herstellers aus. Vom Endverbraucher her betrachtet liegt dagegen dann Direktvertrieb vor, wenn er die Produkte auf anderem Wege als beim standortabhängigem Handel kauft. Danach wäre es korrekt zu sagen, dass die Haustürwiderrufsrichtlinie Formen des Direktvertriebs aus Endverbrauchersicht regelt. Die klassische Definition des Direktvertriebs ist einerseits enger als dieser Ansatz, da sie den Vertrieb durch unabhängige Absatzmittler unabhängig von der benutzten Absatztechnik ausschließt, andererseits aber auch weiter, da sie auch den Direktabsatz im Fabrikverkauf oder in herstellereigenen Filialgeschäften erfasst.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
sondere selbständige Handelsvertreter, der geregelten Absatztechniken bedienen. Andererseits suggeriert dies auch zu Unrecht, die Haustürwiderrufsrichtlinie sei der europäische Rechtsakt, der sich speziell dem Direktvertrieb widme. Gerade auch der von der Haustürwiderrufsrichtlinie nicht erfasste Handel über das Telefon 10 oder der Online-Absatz, die durch die Fernabsatzrichtlinie bzw. durch die E-Commerce-Richtlinie reguliert werden,11 können ebenfalls Techniken innerhalb eines Direktabsatzkonzeptes sein. Angezweifelt wird, ob die Gemeinschaft kompetent war, die Haustürwiderrufsrichtlinie zu erlassen.12 Der grenzüberschreitende Vertrieb an der Haustür, am Arbeitsplatz oder bei Ausflugsfahrten ist wenig ausgeprägt. Jedenfalls bleibt unklar, inwieweit gerade die Einführung eines Widerrufsrechts, also einer Maßnahme, die Anbieter belastet, den grenzüberschreitenden Vertrieb fördern soll, wenn die Mitgliedstaaten gleichzeitig frei bleiben, strengere Regeln aufzustellen oder die geregelten Vertriebstechniken sogar ganz zu verbieten, wie es etwa weit gehend das dänische Recht vorsieht.13 Außerdem unterliegen alle Anbieter in einem Mitgliedstaat den gleichen Anforderungen, so dass nicht zu erkennen ist, wie durch eine Harmonisierung Wettbewerbsverzerrungen beseitigt werden.14 Art. 1 und 2 HWiRL definieren den Anwendungsbereich der Richtlinie.15 Anzuwenden ist sie nur auf Verträge zwischen Gewerbetreibenden 16 und Verbrauchern.17 Nicht geklärt ist, ob auch Existenzgründer Verbraucher sind.18 Nicht als Verbraucher handelt nach der Rechtsprechung des EuGH, wer Geschäfte abschließt, die im Zusammenhang mit der Veräußerung seines Gewerbebetriebs stehen.19 Sachlich ist der Anwendungsbereich durch zwei Elemente gekennzeichnet: Erstens muss sich ein Verbraucher einem Gewerbetreibenden gegenüber rechtsgeschäftlich gebunden haben. Im Regelfall wird dies durch den Vertragsschluss in der Wohnung des Verbrauchers geschehen. Die Richtlinie enthält keine zwingenden Argumente dafür, den Anwendungsbereich auf gegenseitige oder entgeltliche Verträge zu verengen. Zwar nimmt Art. 1 HWiRL Bezug auf den Gewerbetreibenden, „der Waren liefert oder Dienstleistungen erbringt“. Dieser Passus beschreibt freilich nur die Tätigkeit des Gewerbetreibenden und nicht die Natur der von der Richtlinie erfassten Rechtsgeschäfte. 10 Der Wortlaut des Art. 2 HWiRL spricht dafür, dass die körperliche Anwesenheit eines Vertreters etc. Voraussetzung für die Eröffnung des Anwendungsbereiches der Richtlinie ist, Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 2.01, Rn. 11 (S. 212), a. A. Eckert, DB 1994, 717, 722. 11 Siehe unten S. 18 bzw. S. 37. 12 Roth, W.-H., JZ 2001, 475, 477 f. 13 Rott, Die Umsetzung der Haustürwiderrufsrichtlinie in den Mitgliedstaaten (2000), S. 33–35. 14 Dies nimmt BE 2 für die Richtlinie in Anspruch. 15 Ausf. zum Anwendungsbereich Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 2 (1999), Rn. 1 ff. 16 Art. 2 Sps. 2 HWiRL. 17 Art. 2 Sps. 1 HWiRL. 18 Vgl. zur Umsetzungsregelung in § 13 BGB Heinrichs, in: Palandt, 64. Aufl. (2005), § 13 Rn. 3 m. w. N. 19 EuGH, Urt. v. 14. 3. 1991 – Rs. C-361/89, di Pinto, Slg. 1991, I-1189, 1210 f., Rn. 14–19.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
Zweck der Richtlinie ist es, dem Verbraucher einen nachträglichen Vergleich von Qualität und Preis mit anderen Angeboten zu ermöglichen.20 Davon ausgehend ließe sich argumentieren, unentgeltliche Verträge, insbesondere Sicherungsverträge, fielen nach der Ratio der Richtlinie nicht in deren Anwendungsbereich. Dabei bliebe indes unberücksichtigt, dass selbst der Sicherungsgeber für eine fremde Verbindlichkeit – der also nicht einmal Einfluss auf die Konditionen der gesicherten Forderung hat – noch entscheiden kann, ob er seine Sicherheit bei diesem Risiko kostenlos zur Verfügung stellen will bzw. nicht besser für eine Verbindlichkeit mit günstigeren Konditionen und damit geringerem Risiko einsetzen will.21 Vor diesem Hintergrund ist streitig, ob und unter welchen Voraussetzungen Bürgschaftsverträge in den Anwendungsbereich der Richtlinie einzubeziehen sind.22 In der Rechtssache Dietzinger entschied der EuGH, dass von Verbrauchern geschlossene Bürgschaften dann in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, wenn der gesicherte Vertrag das persönliche und situative Erfordernis der Richtlinie erfüllt.23 Aus dem Urteil geht nicht eindeutig hervor, ob die Bürgschaft nur dann unter die Richtlinie fällt, wenn sie als Haustürgeschäft gemäß Art. 1 HWiRL geschlossen wurde, oder ob es hinreichend ist, dass der Bürge Verbraucher ist und die gesicherte Hauptschuld von Art. 1 HWiRL und Art. 2 HWiRL erfasst werden.24 Die weit überwiegende Meinung in der Literatur verwarf die Differenzierung des EuGH nach Art der gesicherten Forderung und plädierte unter Hinweis auf den Schutzzweck der Richtlinie dafür, Bürgschaftsverträgen generell in den Anwendungsbereich der Richtlinie einzubeziehen, wenn sie deren situative Voraussetzungen erfüllen.25 Die Regelungen in Art. 1 Abs. 3 und 4 HWiRL verdeutlichen, dass die Richtlinie auch Konstellationen erfasst, in denen es nicht zu einem Vertragsschluss gekommen ist, sondern in denen der Verbraucher lediglich ein Angebot gemacht hat, an das er entweder gebunden war 26 oder das ursprünglich nicht bindend war, jedoch von der Gegenseite später angenommen wurde und so ein den Verbraucher bindender Vertragsschluss zustande kam.27 Der Wortlaut legt nahe, dass einseitige Erklärungen des Verbrauchers nur einbezogen werden, wenn sie „unter ähnlichen wie in Absatz 1 oder Absatz 2 genannten Bedingungen“ abgegeben worden sind, nicht aber bei Vertragsschlusskonditionen nach Art. 1 Abs. 1, 2 HWiRL selbst.28 Sinn und Zweck der Richtlinie sprechen gleichwohl dafür, einseitige Erklärungen, an die der Verbrau-
20 BE 4 HWiRL. 21 Wolf, in: LM, HWiG, Nr. 18/19, Bl. 4. 22 Ausf. dazu Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 2 (1999), Rn. 12 ff. 23 EuGH, Urt. v. 17. 3. 1998 – Rs. C-45/96, Dietzinger, Slg. 1998, I-1199, 1222, Rn. 22 f. 24 Heinrichs, in: Palandt, SchRMod (2002), § 312, Rn. 7; Pfeiffer, ZIP 1998, 1129, 1134. 25 So etwa Kröll, DZWiR 1998, 426, 429 ff.; Kulke, JR 1999, 485, 486 ff.; Lorenz, NJW 1998, 2937, 2938; Reinicke/Tiedtke, ZIP 1998, 893, 894 ff.; Wolf, EWS 1998, 324 ff. 26 Art. 1 Abs. 4 HWiRL. Zu bedenken ist, dass ein Antragender nicht in allen mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen – wie etwa im BGB gem. § 145 – an sein Angebot gebunden ist. So steht es dem Antragenden im englischen Recht grundsätzlich frei, sein Angebot zu widerrufen, Atiyah, Law of Contract, 5. Aufl. (1995), S. 76. 27 Art. 1 Abs. 3 HWiRL. 28 Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 2 (1999), Rn. 20.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
cher entweder sofort gebunden war, oder durch die später ein Vertragsschluss zustande kam, in allen sachlich von der Richtlinie erfassten Konstellationen in den Anwendungsbereich einzubeziehen.29 Ein Vertrag fällt zweitens nur dann unter die Haustürwiderrufsrichtlinie, wenn er in einer besonderen Situation außerhalb der Geschäftsräume des Gewerbetreibenden geschlossen wurde. Entscheidend ist danach die Modalität der Vertragsanbahnung. Darunter fallen Vertragschlüsse auf vom Gewerbetreibenden organisierten Ausflügen und der Vertragsschluss anlässlich eines Besuches der Gewerbetreibenden in der Wohnung des Verbrauchers oder an dessen Arbeitsplatz. Ein organisierter Ausflug liegt nach der Rechtsprechung des EuGH vor, wenn der Gewerbetreibende den Verbraucher an einen anderen Ort als seinen Geschäftsräumen eingeladen hat, der sich zudem in nicht unbeträchtlicher Entfernung vom Wohnort des Verbrauchers befindet, um diesem dort Waren oder Dienstleistungen zu präsentieren.30 Paradigmatisch hierfür ist die sog. Kaffeefahrt, eine von professionellen Veranstaltern organisierte Ausflugsfahrt, die typischerweise per Bus erfolgt und deren Hauptbestandteil eine Verkaufsveranstaltung ist. In den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen nach Art. 1 Abs. 1 Sps. 2 i) HWiRL auch Verträge, die der Verbraucher anlässlich eines Besuches des Gewerbetreibenden in seiner oder in der Wohnung eines anderen Verbrauchers abschließt. Mit der zweiten Variante werden auch sog. Partyverkäufe von der Richtlinie erfasst. Bei dieser Form des Direktvertriebs veranstalten Privatpersonen auf Veranlassung eines Unternehmens „Partys“, bei denen sie Bekannte einladen und ihnen die Produkte dieses Unternehmens zum Kauf anbieten.31 Nach Art. 1 Abs. 1 Sps. 2 ii) HWiRL gilt die Richtlinie auch für Vertragsschlüsse am Arbeitsplatz des Verbrauchers. Der Schutzzweck der Richtlinie spricht für eine weite Auslegung des Begriffes, so dass unter „Arbeitsplatz“ jeder Ort im Betrieb bzw. auf dem Betriebsgelände des Verbrauchers fällt und damit auch der Arbeitsplatz eines Kollegen.32 Eine sachgerechte Eingrenzung des Merkmals setzt voraus, dass der Ort, an dem der Verbraucher angesprochen wird, in einem Zusammenhang zur beruflichen Tätigkeit des Betroffenen steht. Nicht ausreichend wäre deshalb ein Vertragsschluss am Arbeitsplatz eines Freundes oder Bekannten. Die ratio legis rechtfertigt es auch, den Arbeitsort eines Selbständigen oder Gewerbetreibenden in den Anwendungsbereich aufzunehmen, der dort einen Vertrag abschließt, der nicht im Zusammenhang mit seiner freiberuflichen oder gewerblichen Tätigkeit steht.33
29 Generalanwalt Jacobs, Schlussantrag v. 20. 3. 1997 – Rs. C-45/96, Dietzinger, Slg. 1998, I-1201, 1211, Tz. 29; Roth, W.-H., ZIP 1996, 1285, 1288. 30 EuGH, Urt. v. 22. 4. 1999 – Rs. C-423/97, Travel Vac, Slg. 1999, I-2195, 2228, Rn. 38. 31 Sehr bekannt sind die sog. Tupper-Partys, Holland, in: Diller (Hrsg.), Vahlens Großes Markting-Lexikon, 2. Aufl. (2001), S. 313, 314. 32 Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 2 (1999), Rn. 25. 33 Vgl. zu dieser im deutschen Schrifttum zu § 312 BGB diskutierten Frage Heinrichs, in: Palandt, 64. Aufl. (2005), § 312, Rn. 14 m. w. N.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
Kommt es bei einem Besuch des Gewerbetreibenden bei dem Verbraucher zum Vertragsschluss, so schließt eine Bestellung des Vertreters – wenn also dessen Besuch auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers hin erfolgte – die Anwendbarkeit der Richtlinie aus.34 Diese Ausnahmeregelung gilt trotz ihrer systematischen Stellung für beide Besuchsmodalitäten, d. h. auch bei Besuchen in der Wohnung des Verbrauchers.35 Anzuwenden ist die Richtlinie allerdings im Falle provozierter Bestellungen.36 Eine weitere Rückausnahme gilt, wenn ein Vertrag über Leistungsgegenstände geschlossen wird, wegen denen der Verbraucher den Besuch des Gewerbetreibenden gar nicht bestellt hatte und der Verbraucher auch nicht wusste oder wissen konnte, dass diese sich im Leistungsrepertoire des Gewerbetreibenden befinden.37 Nach Art. 3 Abs. 3 HWiRL können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die Richtlinie bei bestellten Vertreterbesuchen (Art. 1 Abs. 2 HWiRL) keine Anwendung findet, soweit die Waren oder Dienstleistungen, die Vertragsgegenstand geworden sind, „unmittelbar mit der Ware oder Dienstleistung in Verbindung stehen, für die der Verbraucher den Gewerbetreibenden um einen Besuch gebeten hat.“ Umstritten ist, inwieweit Art. 1 Abs. 3, 4 HWiRL als Generalklausel fungiert und auch Absatztechniken in den Anwendungsbereich der Richtlinie einbezieht, die nicht unmittelbar von Art. 1 Abs. 1, 2 HWiRL erfasst werden, aber mit diesen vergleichbar sind. Die Befürworter einer generellen Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereich plädieren dafür, das Widerrufsrecht der Richtlinie auch in anderen „Überrumpelungsfällen“ anzuwenden, etwa für Vertragsschlüsse im Anschluss an ein überraschendes Ansprechen in einem öffentlichen Verkehrsmittel oder im Bereich öffentlich zugänglicher Verkehrswege.38 Dafür wird vorgebracht, dass die Begründungserwägung 4 zur Richtlinie ausdrücklich darauf hinweist, dass das Überraschungsmoment, welches den Grund für die Gewährung eines Widerrufsrechts bei Haustürgeschäften bildet, auch „bei anderen Verträgen“ vorliege, „die auf Initiative des Gewerbetreibenden außerhalb seiner Geschäftsräume abgeschlossen werden“.39 Diese Formulierung kann freilich auch als Hinweis auf die Einbeziehung von Vertragsabschlüssen bei Freizeitveranstaltungen oder am Arbeitsplatz verstanden werden, wie sie in Art. 1 Abs. 1 Sps. 1 und Sps. 2 ii) HWiRL ausdrücklich vorgesehen ist. Gegen eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches spricht neben dem unklaren Wortlaut auch die Gesetzgebungsgeschichte: Eine noch in den Vorschlägen enthaltene Generalklausel wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gestrichen.40 Vorzugswürdig ist es deshalb, Art. 1 Abs. 1 HWiRL als abschließende Aufzählung zu
34 Art. 1 Abs. 1 Sps. 2 a. E. HWiRL 35 Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 2 (1999), Rn. 26. 36 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 2.01, Rn. 11 (S. 212 f.). 37 Art. 1 Abs. 2 HWiRL. 38 Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 2 (1999), Rn. 20, 33 f.; siehe auch Mankowski, Beseitigungsrechte (2003), S. 1165. 39 Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 2 (1999), Rn. 34. 40 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 2.01, Rn. 12 (S. 214).
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
begreifen und es den Mitgliedstaaten zu überlassen, den Anwendungsbereich weiter zu fassen.41 Generalanwalt Lenz ging in seinem Schlussantrag in der Rechtssache Faccini Dori davon aus, dass Art. 1 Abs. 3 und 4 HWiRL den Anwendungsbereich der Richtlinie auf mögliche Umgehungsgeschäfte ausdehnen, soweit das Überraschungsmoment als konstitutives Merkmal in der jeweiligen Situation vorliegt.42 Der EuGH erörterte in diesem Fall nicht, ob der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie eröffnet ist, wenn ein Verbraucher auf einem öffentlichen Platz angesprochen wird, sondern lehnte die Anwendung der Richtlinie mangels horizontaler Direktwirkung ab.43 Dies wird teilweise als konkludente Zustimmung zur Lesart des Generalanwalts aufgefasst.44 Plausibler ist freilich die Erklärung, dass der Gerichtshof die Frage des sachlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie bewusst offen ließ, um die Möglichkeit zu haben, sein Grundsatzurteil zur horizontalen Direktwirkung von Richtlinien 45 als ratio decidendi zu bestätigen. Nach der Rechtsprechung des EuGH und der h. M. ist der Anwendungsbereich nach Art. 1 HWiRL nur eröffnet, wenn es unmittelbar „an der Haustür“ bzw. in einer gleichgestellten Situation zum Vertragsschluss kommt.46 Eine bloße Mitursächlichkeit der Vertragsverhandlungen in einer vom sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie erfassten Situation für den späteren Vertragsschluss genügt nicht. Die Anwendung der Regelungen in Fällen, in denen ein Dritter den Vertrag im Namen oder für Rechnung des Unternehmers abschließt, darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass der Vertrag in einer Haustürsituation im Sinne von Art. 1 HWiRL geschlossen wurde.47 Ausnahmen vom sachlichen Anwendungsbereich regelt Art. 3 HWiRL.48 Die Einführung einer Bagatellklausel bis zu 60 Euro gemäß Art. 3 Abs. 1 HWiRL und die Regelung des Art. 3 Abs. 3 HWiRL begründen lediglich ein Wahlrecht für die Mitgliedstaaten, eine Ausnahmeregelung einzuführen. Allein in Art. 3 Abs. 2 HWiRL sind europarechtlich Ausnahmen vorgegeben. Darunter fallen etwa Verträge im Zusammenhang mit Immobilien (lit. a), Verträge über die Lieferung von Lebensmitteln u. ä. (lit. b.), im Rahmen des klassischen Versandhandels geschlossene Verträge (lit. c)
41 Siehe für die Umsetzung in Deutschland § 312 Abs. 1 Nr. 3 BGB, der auch das überraschende Ansprechen in Verkehrsmitteln oder im Bereich öffentlich zugänglicher Verkehrsflächen erfasst. 42 Generalanwalt Lenz, Schlussantrag v. 9. 2. 1994 – Rs. C-91/92, Faccini Dori, Slg. 1994, I-3328, 3333 f., Tz. 23 f. 43 EuGH, Urt. v. 14. 7. 1994 – Rs. C-91/92, Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325, 3355 f., Rn. 19–25. 44 Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 2 (1999), Rn. 20. 45 EuGH, Urteil v. 26. 2. 1986 – Rs. 152/84, Marshall / Southampton and South-West Hampshire Area Health Authority, Slg. 1986, 723, 749, Rn. 48. 46 EuGH, Urt. v. 22. 4. 1999 – Rs. C-423/97, Travel Vac, Slg. 1999, I-2195, 2228, Rn. 35; Habersack/ Mayer, WM 2002, 253, 254; Hoffmann, ZIP 2002, 145, 149; a. A. unter Hinweis auf den Schutzzweck der Norm Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 2.01, Rn. 11 (S. 212); Reich/ Rörig, EuZW 2002, 87 f. 47 EuGH, Urt. v. 25. 10. 2005 – Rs. C-229/04, Crailsheimer Volksbank, noch nicht Slg., Leitsatz 1 und Rn. 41–45. 48 Näher zu den Ausnahmetatbeständen unten S. 293 ff.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
sowie Verträge über Versicherungen (lit. d) oder Wertpapiere (lit. e). In der Rechtssache Heininger entschied der EuGH klar, dass Kreditverträge nicht unter den Ausnahmetatbestand des Art. 3 Abs. 2 lit. a HWiRL fallen, nur weil sie grundpfandrechtlich gesichert sind.49 Im Folgeurteil Schulte stellte der Gerichtshof klar, dass Immobilienkaufverträge auch dann gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. a HWiRL vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen seien, wenn sie Teil eines wirtschaftlich verbundenen, kreditfinanzierten Anlagegeschäftes sind und dass die Haustürwiderrufsrichtlinie auch nicht verlange, dass bei solchen Geschäften der Widerruf des Kreditvertrages zu einer Rückabwicklung des Immobilienkaufes führen müsse.50 Die Anwendung der Haustürwiderrufsrichtlinie ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Sachverhalt bereits von einer anderen verbraucherschützenden Richtlinie erfasst wird, etwa der Timesharingrichtlinie 51 oder der Verbraucherkreditrichtlinie.52 Die verbraucherschützenden Richtlinien sind parallel anzuwenden, da ihnen jeweils eine andere Ratio zu Grunde liegt. So gründen sich die Rechte in der Haustürwiderrufsrichtlinie auf eine spezifische Modalität des Vertragsschlusses, wohingegen beispielsweise der Grund für Verbraucherrechte in der Verbraucherkreditrichtlinie in der Art des geschlossenen Vertrages liegt. b)
Widerrufsrecht
Die Haustürwiderrufsrichtlinie regelt nicht die Frage, ob bzw. unter welchen Bedingungen der Absatz an der Haustür oder verwandte Absatztechniken zuzulassen sind. Hintergrund dafür ist die unterschiedliche rechtspolitische Bewertung in den Mitgliedstaaten. Ansätze für eine einheitliche gewerberechtliche Regulierung waren daran gescheitert.53 Demzufolge steht im Zentrum der Richtlinie eine vertragsrechtliche Regelung, nämlich das unverzichtbare, mindestens siebentägige Widerrufsrecht nach Art. 5 und Art. 7 HWiRL.54 Das Widerrufsrecht setzt keinen Widerrufsgrund voraus. Der Verbraucher kann sich innerhalb der Widerrufsfrist jederzeit vom geschlossenen Vertrage lösen, ohne dass er einen Mangel in seiner Willensbildung oder gar ein vorwerfbares Verhalten des Unternehmers dartun müsste.55 49 EuGH, Urt. v. 13. 12. 2001 – Rs. C-481/99, Heininger, Slg. 2001, I-9945, 9978–9981, Rn. 26–34; zust. mit im Einzelnen unterschiedlichen Erwägungen etwa Fischer, DB 2002, 727, 728 f.; Reich/ Rörig, EuZW 2002, 87; Hoffmann, ZIP 2002, 145, 146 f. und 148; Kulke, ZBB 2002, 33, 42 f.; Staudinger, NJW 2002, 653; abl. Habersack/Mayer, WM 2002, 253, 255; Piekenbrock/Schulze, WM 2002, 521. 50 EuGH, Urt. v. 25. 10. 2005 – Rs. C-350/03, Schulte, noch nicht in Slg., Leitsatz 1 und 2, Rn. 72–81. 51 EuGH, Urt. v. 22. 4. 1999 – Rs. C-423/97, Travel Vac, Slg. 1999, I-2195, 2225, Rn. 21–23. 52 EuGH, Urt. v. 13. 12. 2001 – Rs. C-481/99, Heininger, Slg. 2001, I-9945, 9982, Rn. 39; zust. Felke, MDR 2002, 226; Fischer, DB 2002, 727, 729; Reich/Rörig, EuZW 2002, 87; Hoffmann, ZIP 2002, 145, 146; Kulke, ZBB 2002, 33, 43 f.; abl. Habersack/Mayer, WM 2002, 253, 255. 53 Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 2 (1999), Rn. 93. 54 Zur Bewertung des Widerrufsrechts als Instrument zur Regelung von Informationsdefiziten siehe unten S. 288 ff. 55 Dazu Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997), S. 55–59; Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 332.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
Nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 HWiRL beginnt die Widerrufsfrist erst, wenn eine ordnungsgemäße Belehrung nach Art. 4 HWiRL ausgehändigt wurde. Diese Belehrung muss sowohl die Widerrufsfrist des Art. 5 HWiRL, als auch den Namen und die Anschrift einer Person, der gegenüber das Widerrufsrecht ausgeübt werden kann, enthalten. Zusätzlich muss die Belehrung auch eine Datierung sowie Angaben aufführen, welche es ermöglichen, den abgeschlossenen Vertrag zu identifizieren. Die Richtlinie sanktioniert eine fehlende oder fehlerhafte Belehrung damit, dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt, dem Verbraucher also grundsätzlich ein zeitlich unbegrenztes Widerrufsrecht zusteht. Die Mitgliedstaaten dürfen deshalb keine absolute Grenze für die Ausübung des Widerrufsrechts einführen.56 Einschränkungen im Widerrufsrecht können sich lediglich aus dem Rechtsinstitut der Verwirkung ergeben, das als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben ein anerkanntes Prinzip des europäischen Vertragsrechts ist.57 Auf Grund des allgemein gehaltenen Wortlauts und der Tatsache, dass der europäische Gesetzgeber etwa in Art. 6 Abs. 1 FARL ausdrücklich auf „Werktage“ abstellt, sind auch Sonn- und Feiertage mitzuberechnen.58 Für die Fristwahrung genügt es, die Widerrufserklärung vor Ablauf der Widerrufsfrist abzusenden.59 Nach Art. 4 Abs. 3 HWiRL müssen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zum Schutze der Verbraucher vorsehen, die nicht ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht belehrt werden. Der EuGH hat hieraus geschlussfolgert, dass ein Verbraucher, der vor Abschluss eines Darlehensvertrages nicht ordnungsgemäß belehrt wurde, nicht das wirtschaftliche Risiko der Immobilienanlage tragen muss, die er mit dem Darlehen finanziert hat.60 Übt der Verbraucher sein Widerrufsrecht fristgerecht aus, ist er aus seinen vertraglichen Verpflichtungen entlassen.61 Diese Regelung stellt sicher, dass der Gewerbetreibende vom Verbraucher nicht noch die Erfüllung von vertraglichen Verbindlichkeiten verlangen kann, wenn der Verbraucher dem Gewerbetreibenden den Widerruf bereits angezeigt hat.62 Im Übrigen ist den Mitgliedstaaten bei der Regelung der Rechtsfolgen ein weiter Ermessensspielraum überlassen.63 Richtlinienwidrig ist die Vereinbarung eines pauschalierten Schadensersatzes für den Fall, dass das Widerrufsrecht ausgeübt wird.64 Widerruft ein Verbraucher einen Darlehensvertrag, den
56 EuGH, Urt. v. 13. 12. 2001 – Rs. C-481/99, Heininger, Slg. 2001, I-9945, 9982–9984, Rn. 41–48; zust. Fischer, DB 2002, 727, 729; Hoffmann, ZIP 2002, 145, 148 f.; Kulke, ZBB 2002, 33, 44; Reich/ Rörig, EuZW 2002, 87; abl. Habersack/Mayer, WM 2002, 253, 255; Felke, MDR 2002, 226; Piekenbrock/ Schulze, WM 2002, 521, 522; Staudinger, NJW 2002, 653, 654. 57 Zum Grundsatz von Treu und Glauben im europäischen Privatrecht vgl. Riesenhuber System und Prinzipien S. 398–414. 58 Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 2 (1999), Rn. 70. 59 Art. 5 Abs. 1 S. 2 HWiRL. 60 EuGH, Urt. v. 25. 10. 2005 – Rs. C-350/03, Schulte, noch nicht in Slg., Leitsatz 3 und Rn. 94–101. 61 Art. 5 Abs. 2 HWiRL. 62 EuGH, Urt. v. 22. 4. 1999 – Rs. C-423/97, Travel Vac, Slg. 1999, I-2195, 2232 f., Rn. 53–60. 63 Art. 7 HWiRL. 64 EuGH, Urt. v. 22. 4. 1999 – Rs. C-423/97, Travel Vac, Slg. 1999, I-2195, 2232 f., Rn. 53–60.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
er im Rahmen einer kreditfinanzierten Immobilienanlage geschlossen hat, verstößt es nicht gegen Art. 5 HWiRL, wenn er als Folge des Widerrufs die Darlehensvaluta zu erstatten hat und marktübliche Zinsen für die Überlassung des Darlehens zu zahlen hat, gleichzeitig aber an den Erwerb der Immobilie gebunden bleibt.65 c)
Harmonisierungskonzept
Den Mitgliedstaaten steht es nach Art. 8 HWiRL frei, im Anwendungsbereich der Richtlinie Bestimmungen zu erlassen oder beizubehalten, die günstiger für den Verbraucher sind als die Richtlinienvorgaben. Die siebente Begründungserwägung stellt klar, dass das Gebot der Mindestharmonisierung den Mitgliedstaaten insbesondere ermöglichen soll, den Abschluss von Haustürgeschäften vollständig oder teilweise zu verbieten, etwa nur für einige Produkte. Eine Schranke für strengere nationale Regelungen bilden allerdings die Grundfreiheiten.66 In der Rechtssache Buet maß der EuGH eine französische Regelung an der Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 EG), die es verbot, Unterrichtsmaterialien an der Haustür abzusetzen. Der Gerichtshof hielt das Verbot für verhältnismäßig, da nicht nur die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher berührt waren, sondern die Gefahr bestand, dass durch minderwertige Materialien die Chancen der Verbraucher auf Weiterbildung und Verbesserung ihrer Chancen auf dem Arbeitsmarkt geschmälert würden. Aus diesem Grunde erkannte der Gerichtshof an, dass es kein gleichermaßen wirksames Mittel wäre, dem Verbraucher ein Widerrufsrecht einzuräumen.67
2.
Absatz mittels Fernkommunikationstechniken
Die Fernabsatzrichtlinie regelt vertrags- und wettbewerbsrechtliche Aspekte für Vertragsschlüsse, bei denen die Parteien nicht körperlich anwesend sind und der Vertrieb im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Systems erfolgt. Die Richtlinie will den Verbraucher zum Warenkauf jenseits der Grenze ermuntern, indem sie ihm einen Mindestschutzstandard gewährt.68 Damit erweiterte die Kommission ihr Blickfeld bei der Vollendung des Binnenmarktes: Im Zentrum stand nicht mehr allein der Unternehmer mit grenzüberschreitenden Ambitionen, dem ein level playing field gewährleistet werden soll, sondern auch der aktive Verbraucher, der zielgerichtet die Chance nutzt, grenzüberschreitend Waren zu erwerben oder Dienstleistungen zu empfangen.69 Die Rechtssetzung im Fernabsatzrecht bot sich für die Einleitung dieses Paradig-
65 EuGH, Urt. v. 25. 10. 2005 – Rs. C-350/03, Schulte, noch nicht in Slg., Leitsatz 3 und Rn. 82–93. 66 Vgl. dazu unten S. 110 ff. 67 EuGH, Urt. v. 16. 5. 1989 – Rs. 382/87, Buet u. a. / Ministère public, Slg. 1989, 1235, 1251, Rn. 15. 68 BE 2 bis 4 FARL. 69 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 2.02, Rn. 7 (S. 227).
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
menwechsels an. Der Vertrieb über das Internet oder die telefonische Kommunikation sind für den grenzüberschreitenden Absatz prädestiniert, da dem Verbraucher typischerweise keine höheren Kosten anfallen als beim Kauf im Inland.70 Außerdem erfolgte die Regulierung zeitnah zur Entwicklung des Internet, das den Unternehmen neue Möglichkeiten des Fernvertriebs eröffnete. Der Fernvertrieb war in kaum einem Mitgliedstaat vor Umsetzung der Richtlinie ausführlich reguliert worden.71 Dadurch konnte die Europäische Gemeinschaft auf einem unbestellten Feld innovativ Verbraucherschutzrecht kreieren.72 a)
Anwendungsbereich
Die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Fernabsatzrichtlinie regeln die Art. 1 und 2 FARL: Der Vertrag muss zwischen einem Verbraucher und einem Lieferer geschlossen werden. In ihrem sachlichen Anwendungsbereich knüpft die Richtlinie an den Vertragsschluss im Fernabsatz und somit an eine bestimmte Absatztechnik an. Aus der Definition des Vertragsschlusses im Fernabsatz nach Art. 2 Nr. 1 FARL lassen sich drei Erfordernisse ableiten.73 Der Lieferer verwendet eine oder mehrere Fernkommunikationstechniken, der Vertragsschluss kommt zweitens ausschließlich bei körperlicher Abwesenheit der Parteien zustande und drittens muss der Einsatz der Fernkommunikationstechniken im Rahmen eines dafür organisierten Vertriebs- bzw. Dienstleistungssystems erfolgt sein. Den Begriff der „Fernkommunikationstechniken“ hat der Gesetzgeber bewusst offen definiert, damit die Richtlinie für zukünftige technische Entwicklungen aufgeschlossen bleibt.74 Entscheidend ist danach, dass die Parteien den Vertrag schließen, ohne körperlich anwesend zu sein. Anhang I FARL enthält eine Liste von Kommunikationstechniken, die unter Art. 2 Nr. 4 FARL fallen. Diese Aufzählung ist allerdings nur von beispielhaftem Charakter. Art. 2 Nr. 4 FARL schreibt weiter vor, dass der Vertrag ausschließlich auf Grund der Verwendung von Fernkommunikationstechniken zustande gekommen sein muss. Diese Voraussetzung steht in Übereinstimmung mit der Ratio der Richtlinie, denn soweit der Verbraucher zu einem bestimmten Zeitpunkt entweder im Rahmen der Vertragsanbahnung oder beim Vertragsschluss selbst unmittelbaren Kontakt zum Lieferanten hat, entfallen die Risiken, die ein Vertragsschluss im Fernabsatz typischerweise für den Verbraucher mit sich bringt. Schließlich setzt Art. 2 Nr. 1 FARL voraus, dass der Fernabsatz im Rahmen eines dafür „organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems“ erfolgt. Erforderlich
70 Howells/Wilhelmsson, EC Consumer Law (1997), S. 176: „Distant selling allows consumers to purchase anywhere in the Community from the comfort of their own armchair“. 71 Eine Ausnahme bildete Frankreich, wo der Fernabsatz bereits seit dem 6. 1. 1988 durch Art. L 121–16 bis 20 Code de la consommation geregelt war, siehe Reich, EuZW 1997, 581. 72 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 2.02, Rn. 2 (S. 225). 73 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 2.02, Rn. 10 (S. 228 f.). 74 Bodewig, DZWiR 1997, 447, 448; Kronke, RIW 1996, 985.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
ist mithin, dass das liefernde Unternehmen zumindest einen Teil seiner Produkte systematisch auf dem Wege des Fernabsatzes vertreibt, nicht hinreichend ist der gelegentliche Vertrieb im Fernabsatz.75 Damit sollen Gelegenheitskäufe unter Verwendung von Fernkommunikationstechniken aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen werden, und zwar auch dann, wenn die Initiative dazu vom Lieferer ausging.76 Andererseits setzt das Erfordernis des organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems nicht voraus, dass das Unternehmen seine Produkte ausschließlich im Wege des Fernabsatzes vertreibt.77 Letztlich enthält die Richtlinie verschiedene Ausnahmetatbestände.78 Generelle Ausnahmen bestimmt Art. 3 Abs. 1 FARL. Besonders kontrovers diskutiert wurde die Ausklammerung von Finanzdienstleistungen.79 Mit der Verabschiedung der Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen bestehen nun für den Fernvertrieb in diesem Sektor eigenständige Schutzstandards, die im Wesentlichen denen der Fernabsatzrichtlinie entsprechen. Liegen Verträge i. S. d. Art. 3 Abs. 2 FARL vor, so schließt dies die Informationspflichten der Art. 4 und 5 FARL, das Widerrufsrecht gemäß Art. 6 FARL und den Erfüllungsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 FARL aus. Weitere Ausnahmeregelungen, die lediglich für einzelne Rechte und Pflichten aus der Richtlinie gelten, enthalten Art. 5 Abs. 2 FARL und Art. 6 Abs. 3 FARL. b)
Regelungsrahmen für die Absatzförderung
Art. 9 FARL verbietet es, unbestellt Waren zu liefern oder unangefordert Dienstleistungen zu erbringen, soweit damit eine Zahlungsaufforderung verknüpft ist. Als Rechtsfolge bestimmt die Richtlinie, dass für den Verbraucher keine Zahlungspflicht besteht und sein Schweigen auf eine entsprechende Offerte nicht als Zustimmung gewertet werden darf.80 Sonstige Rechtsfolgen, insbesondere lauterkeitsrechtliche Sanktionen, bleiben den Mitgliedstaaten überlassen. Art. 10 FARL beschränkt die Verwendung bestimmter Fernkommunikationstechniken zu Werbezwecken.81 Will ein Anbieter automatische Anrufsysteme oder Telefaxwerbung einsetzen, bedarf dies der vorherigen Zustimmung des Adressaten (opt-in-Lösung). Demgegenüber ist der Einsatz anderer individueller Kommunikationstechniken zulässig, solange der Verbraucher die Verwendung nicht offenkundig abgelehnt hat (opt-out-Lösung). Wann von einer offenkundigen Ablehnung auszugehen ist, bedarf noch weiterer Klärung. Nicht überzeugend erscheint es, von
75 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 2.02, Rn. 10 (S. 229); Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 10. 76 Reich, EuZW 1997, 581, 583. 77 Bodewig, DZWiR 1997, 447, 448; Reich, EuZW 1997, 581, 583. 78 Näher zu den Ausnahmetatbeständen vom Widerrufsrecht unten S. 293 ff. 79 Dazu Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 2.02, Rn. 12 (S. 230); Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 28–30; Reich, EuZW 1997, 581, 583. 80 Art. 9 Sps. 2 FARL. 81 Vgl. auch die Regelungen in Art. 10 FinFARL, Art. 7 EComRL und Art. 13 DSRL.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
einer offenkundigen Ablehnung bereits dann auszugehen, wenn vernünftigerweise nicht mit einer Zustimmung gerechnet werden kann.82 Zu den Fernkommunikationstechniken, die eine individuelle Kommunikation erlauben und für die deshalb die opt-out-Lösung gilt, zählen Telefonanrufe durch natürliche Personen (sog. Cold Calling) und Briefsendungen, aber auch die Werbung mit E-Mails. Gegen Letzteres wird vorgebracht, dass Werbe-E-Mails als Kommunikationsmittel kein höheres Maß an Individualisierung aufwiesen als automatisierte Anrufe, die aber „unzweifelhaft“ keine Fernkommunikationstechnik seien, die eine individuelle Kommunikation erlaube. Auch sei der Grad der Belästigung durch E-Mails mit der durch Telefaxe vergleichbar. Wenn der Richtliniengeber aber die E-Mail-Werbung nicht in Art. 10 Abs. 1 FARL erwähne, könne daraus nur geschlossen werden, dass Art. 10 FARL diese überhaupt nicht erfasse. Weiter wird vorgebracht, dass sich Widersprüche zu Art. 13 Abs. 1 und 2 DSRL nur vermeiden ließen, sieht man die unerbetene E-Mail-Werbung als nicht von Art. 10 Abs. 2 FARL erfasst an.83 Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass es der Wortlaut des Art. 10 Abs. 2 FARL, der von Fernkommunikationstechniken spricht, „die eine individuelle Kommunikation erlauben mit Ausnahme der in Absatz 1 genannten Techniken“, nicht ausschließt, auch die in Art. 10 Abs. 1 FARL erwähnten automatischen Anrufe als „individuelle Kommunikation“ i. S. d. Art. 10 Abs. 2 FARL anzusehen. Denn man kann es für eine „individuelle Kommunikation“ ausreichen lassen, dass der Adressat namentlich individualisiert wird, was etwa bei Massenbriefsendungen nicht immer der Fall ist. Dass Werbe-E-Mails den Adressaten in gleicher Weise belästigen können wie Telefaxe, mag zwar zutreffen. Freilich hindert dies den Gesetzgeber nicht daran, für die E-Mail-Werbung eine liberalere Regelung zu treffen.84 Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde vor allem diskutiert, ob nur namentlich adressierte Postwurfsendungen oder auch nicht namentlich adressierte von Art. 10 Abs. 2 FARL erfasst werden sollen.85 Daraus ist zu schließen, dass nach dem gesetzgeberischen Willen jedenfalls alle Kommunikationsmittel, die eine individuelle Adressierung aufweisen – wie auch Werbe-E-Mails oder automatische Telefonanrufe – unter Art. 10 Abs. 2 FARL fallen sollen. Der Widerspruch zu Art. 13 Abs. 1, 2 DSRL ist durch den Vorrang dieser strengeren Regelung aufzulösen. Wie aus Begründungserwägung 26 FinFARL folgt (die sich auf den mit Art. 10 FARL wortgleichen Art. 10 FinFARL bezieht), ging der Gesetzgeber erkennbar davon aus, dass die Regelungen des Fernabsatzrechts und die des Datenschutzrechts teilweise parallel zueinander Anwendung finden. Aus alledem folgt, dass Art. 10 FARL auch für die E-Mail-Werbung eine opt-out-Lösung vorsieht.
82 So aber Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 129; Reich, in: Micklitz/Reich, Die Fernabsatzrichtlinie im deutschen Recht (1998), Rn. 131; a. A. Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 26 f.; Leible/Sosnitza, K&R 1998, 283, 286. 83 Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1025, Fn. 44. 84 Die E-Mail-Werbung spielte wohl bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens im Jahre 1997 nur eine untergeordnete Rolle. Darin mag der Grund liegen, dass der Gesetzgeber zwar die „elektronische Post“ im Anhang I FARL erwähnt, nicht aber in Art. 10 FARL. 85 Dazu Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 127 f.
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c)
Vorvertragliche Informationspflichten
Art. 4 Abs. 1 FARL verpflichtet den Lieferanten, den Verbraucher vor Abschluss des Vertrags über verschiedene Aspekte des Vertragsgegenstandes und der Vertragskonditionen zu unterrichten.86 Der Lieferant hat zunächst seine Identität offen zu legen und, wenn dem Vertragsschluss eine Anzahlung vorausgeht, seine Anschrift anzugeben.87 Die Angaben zur Identität müssen dem Verbraucher ermöglichen, weitere Informationen über den potenziellen Geschäftspartner zu beschaffen. Daher ist es erforderlich, dass die Rechtsform des liefernden Unternehmens angegeben wird. Über die Regelungsabsicht und den Wortlaut hinaus geht es jedoch, zu verlangen, dass aus den Angaben auch das Tätigkeitsfeld des Lieferers zu erkennen ist.88 Um beim Verbraucher Vertrauen in die Seriosität eines Unternehmens zu schaffen, ist es freilich für jeden Anbieter im Fernabsatz ratsam, über die Verpflichtungen aus der Richtlinie hinaus immer seine Anschrift mitzuteilen. Art. 4 Abs. 1 lit. b FARL verlangt vom Lieferer, den Verbraucher über die wesentlichen Eigenschaften der Ware oder Dienstleistung, die Vertragsgegenstand sein soll, zu informieren. Bei der Konkretisierung des notwendigen Inhalts der Produktbeschreibung ist abzuwägen zwischen dem Informationsinteresse des Verbrauchers, für den im Fernabsatz die Produktbeschreibung die wichtigste Entscheidungsgrundlage eines Vertragsschlusses ist, und den Interessen des Herstellers, sein Produkt möglichst vorteilhaft darzustellen und die Kosten für die Information möglichst gering zu halten. Dabei gibt der Regelungsansatz der Fernabsatzrichtlinie dem Interesse des Verbrauchers an Information tendenziell den Vorrang. Zu berücksichtigen sind jedoch auch Komplexität und Preis des Produktes: Je komplizierter und teurer ein im Fernabsatz vertriebenes Produkt ist, umso höhere Anforderungen können an die Genauigkeit der Produktbeschreibung gestellt werden. Nach Art. 4 Abs. 1 lit. c FARL sind der Preis der Ware oder Dienstleistung einschließlich aller Steuern offen zu legen. Dem Verbraucher soll der von ihm zu zahlende Bruttopreis einschließlich der Umsatzsteuer, produktbezogener Steuern (etwa Tabak- oder Alkoholsteuer) oder einer Luxussteuer vor Augen geführt werden. Von dieser Ratio ausgehend ist der Wortlaut der Vorschrift nicht so zu verstehen, dass alle Steuern gesondert ausgewiesen werden müssen. Weiter hat der Anbieter den Verbrauchern vor Vertragsschluss auf Lieferkosten hinzuweisen, die erhoben werden.89 Die Richtlinie will damit für Transparenz sorgen, ohne aber eine Aussage darüber zu treffen, ob Lieferkosten erhoben werden dürfen. Einzelheiten hinsichtlich der Zahlung und der Lieferung oder Erfüllung sind dem Verbraucher nach Art. 4 Abs. 1 lit. e FARL mitzuteilen. Der Wortlaut der deutschen Fassung der von „Einzelheiten“ spricht, wird durch andere Sprachfassungen rela-
86 Allgmein zu vorvertraglichen Informationspflichten als Regelungsinstrument siehe unten S. 283 ff. 87 Art. 4 Abs. 1 lit. a FARL. 88 So aber Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 44. 89 Art. 4 Abs. 1 lit. d FARL.
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tiviert, wo allgemeiner von „arrangements“, „modalités“ oder „modalità“ die Rede ist.90 Letztlich kommt es darauf an, dass dem Verbraucher die Zahlungsmodalitäten klar sind und ihm alle erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen, um u. U. notwendige Dispositionen für den Fall der Lieferung bzw. Erfüllung durch den Anbieter treffen zu können. Der Lieferer hat den Verbraucher über dessen Widerrufsrecht zu informieren, soweit es nicht ausnahmsweise nach Art. 6 Abs. 3 FARL ausgeschlossen ist.91 Art. 4 Abs. 1 lit. g FARL verpflichtet den Lieferer, den Verbraucher über alle Kosten für den Einsatz der Fernkommunikationstechniken zu unterrichten, „sofern nicht nach dem Grundtarif berechnet wird“. Unter Grundtarif sind die üblichen für das jeweilige Medium zu entrichtenden Gebühren zu verstehen, also etwa bei der Benutzung des Telefons die üblichen Tarife für Orts- oder Ferngespräche. Art. 4 Abs. 1 lit. h und i FARL verlangen schließlich vom Lieferer, die Gültigkeitsdauer seines Angebots oder des Preises mitzuteilen und den Verbraucher bei Dauerschuldverhältnissen über die Mindestlaufzeit des Vertrages zu unterrichten. Dem Verbraucher soll so der Charakter einer vertraglichen Bindung als Dauerschuldverhältnis und damit die zeitliche Tragweite seiner Entscheidung vor Augen geführt werden. Gemäß dem Transparenzgebot in Art. 4 Abs. 2 FARL sind die Informationen klar und verständlich und auf an die verwendete Fernkommunikationstechnik angepasste Weise zu erteilen. Maßstab für Klarheit und Verständlichkeit der Informationen ist der mündige Verbraucher,92 wobei nach dem jeweils verwendeten Fernkommunikationsmittel differenziert werden kann.93 Zudem betont Art. 4 Abs. 2 FARL, dass der „kommerzielle Zweck“ der Information eindeutig erkennbar sein muss, d. h. der Zweck, einen Vertragsschluss zu erreichen. Für die vorvertraglich zu erteilenden Informationen besteht kein strenges Formgebot, es ist nicht vorgeschrieben, dass sie schriftlich oder sonst in verkörperter Form zugehen müssen. Aus dem Zweck der vorvertraglichen Unterrichtungspflichten folgt, dass sie dem Verbraucher vor Abschluss des Vertrages zur Verfügung stehen müssen, damit er sie noch zur Grundlage seiner Entscheidung über den Vertragsschluss machen kann. Im Übrigen ist nach dem jeweiligen Informationsinhalt zu differenzieren.94 So ist der Verbraucher bereits vor jeder kommerziellen Kommunikation mittels einer Fernkommunikationstechnik oder, soweit dies nicht möglicht ist, jedenfalls direkt zu Beginn gemäß Art. 4 Abs. 1 lit. g FARL auf die Kosten der Kommunikation hinzuweisen, die das Übliche übersteigen. Schließlich soll ihm diese Information als Entscheidungsgrundlage dienen, ob er überhaupt in Vertragsverhandlungen eintritt. Art. 4 Abs. 3 FARL konkretisiert für den Fernabsatz über das Telefon den Zeitpunkt
90 91 92 93 94
Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 48. Art. 4 Abs. 1 lit. f FARL. Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 2.02, Rn. 16 (S. 231). Reich, EuZW 1997, 581, 584. Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 2.02, Rn. 16 (S. 231).
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
für die Unterrichtungspflicht dahingehend, dass zu Beginn des Gesprächs die Identität des Lieferers und der kommerzielle Zweck des Gesprächs mitzuteilen sind. d)
Vertragliche Informationspflichten und Vertragsdurchführung
Die Fernabsatzrichtlinie setzt auf Verbraucherschutz durch Information. Diesem Konzept entsprechend enthält Art. 5 FARL verschiedene Informationspflichten, die der Lieferer nach Vertragsschluss zu erfüllen hat. Nach Art. 5 Abs. 1 UAbs. 1 FARL muss der Lieferer einen Teil der Informationen, die bereits vorvertraglich zu gewähren waren, schriftlich oder sonst auf einem dauerhaften Datenträger bestätigen. Dies gilt allerdings nur für den Fall, dass die Informationen nicht bereits vor Vertragsschluss in dieser Form erteilt worden sind. Demgegenüber definiert Art. 5 Abs. 1 UAbs. 2 FARL Informationen, die dem Verbraucher in jedem Falle zu gewähren sind. In Art. 5 Abs. 1 UAbs. 1 FARL wird vorgeschrieben, dass der Verbraucher die Informationsbestätigung „schriftlich oder auf einem anderen für ihn verfügbaren dauerhaften Datenträger erhalten“ muss. Wie der Wortlaut der Regelung bereits nahe legt, setzt die Übermittlung der Informationen eine aktive Handlung des Anbieters voraus. Es genügt deshalb nicht, wenn er die Informationen zum Herunterladen auf seiner Homepage bereitstellt.95 Um Informationen zu „erteilen“ 96 muss der Anbieter selbst dafür Sorge tragen, dass die Informationen in den Machtbereich des Kunden gelangen.97 Möglich ist deshalb neben dem Übermitteln der Informationen auf Papier oder durch Zuschicken einer CD-ROM etc. auch das Zusenden einer E-Mail. Zu bestätigen sind dem Verbraucher die Informationen gemäß Art. 4 Abs. 1 lit. a bis lit. f FARL. Ihm sollen damit einerseits seine Rechte und Pflichten aus dem Vertrag besonders nachdrücklich vor Augen geführt werden, andererseits wird ihm ein Instrument in die Hand gegeben, das es ihm erleichtert, spätere Vertragsverletzungen der Gegenseite zu erkennen. Art. 5 Abs. 1 UAbs. 2 FARL definiert die Informationen, die dem Verbraucher in jedem Falle in der Phase nach Vertragsschluss zu gewähren sind. Ziel dieser Informationen ist es, den Verbraucher über Einzelheiten seiner Rechte aus dem Vertrag zu unterrichten, nämlich über sein Widerrufsrecht, Kundendienst und Garantiebedingungen sowie über Kündigungsbedingungen bei längerer Vertragsdauer. Die Informationen sind dem Verbraucher schriftlich zu übermitteln; anders als für die Informationsbestätigung nach Art. 5 Abs. 1 UAbs. 1 FARL genügt es also nicht, sie auf einem dauerhaften Datenträger bereitzustellen.98 Zwar enthält lediglich der erste Spiegelstrich ausdrücklich das Gebot der Schriftlichkeit. Jedoch schließt dies nicht die Anwendung auf die Informationsinhalte der anderen Spiegelstriche aus, da der
95 A. A. Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 2.02, Rn. 17 (S. 232). 96 Art. 5 Abs. 1 UAbs. 1 a. E. 97 Dilger, Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Internet (2002), S. 83–85. Vgl. Mankoswki, Beseitigungsrechte (2003), S. 631 f. 98 So auch Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 64.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
europäische Gesetzgeber – was die äußere Systematik betrifft – nicht immer exakt arbeitet.99 Zudem entspricht eine schriftliche Bestätigung durch den Lieferer eher den Interessen des Verbrauchers, da ihr Beweiswert höher ist, als die von Informationen, die er sich lediglich von der Homepage des Lieferers heruntergeladen hat. Sowohl die Informationsbestätigungen als auch die obligatorischen Informationen sind nach Art. 5 Abs. 1 UAbs. 1 FARL „rechtzeitig während der Erfüllung des Vertrages, bei nicht zur Lieferung an Dritte bestimmten Waren spätestens zum Zeitpunkt der Lieferung“ zu übermitteln. Für den praktisch häufigen Fall der Lieferung von Waren, die für den vertragsschließenden Verbraucher selbst bestimmt sind, muss die schriftliche Informationsbestätigung also spätestens erfolgen, wenn die Ware angeliefert wird, in den übrigen Fällen jedenfalls spätestens, wenn der Vertrag aus Sicht des Lieferers vollständig erfüllt wird. Eine Ausnahme zu den nachvertraglichen Informationspflichten enthält Art. 5 Abs. 2 FARL für Dienstleistungen, die unmittelbar durch den Einsatz einer Fernkommunikationstechnik erbracht werden. Davon erfasst werden typischerweise Informationsdienstleistungen, die über das Telefon oder das Internet vertrieben werden,100 beispielsweise die telefonische Wettervorhersage. Diese Ausnahme greift indes nur ein, sofern diese Leistungen in einem Male erfolgen und über den Betreiber der Kommunikationstechnik abgerechnet werden. Jedoch muss der Verbraucher nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 FARL in jedem Fall die geographische Adresse des Diensteanbieters erfahren können, um etwaige Beanstandungen vorbringen zu können. Versäumt es der Lieferer, den Verbraucher gemäß Art. 5 FARL zu informieren, so wird der Beginn der Widerrufsfrist um maximal drei Monate hinausgeschoben.101 Damit kreiert die Richtlinie ein Sanktionsinstrument um die nachvertraglichen Informationspflichten durchzusetzen. Art. 7 FARL regelt verschiedene Rechte und Pflichten des Lieferers im Zusammenhang mit der Erfüllung des Vertrages, nämlich eine Pflicht zur Vertragserfüllung binnen 30 Tagen nach Bestellung (Art. 7 Abs. 1 FARL), eine Unterrichtungs- und Erstattungspflicht, wenn die bestellte Ware oder Dienstleistung nicht verfügbar ist (Art. 7 Abs. 2 FARL) und eine Ersetzungsbefugnis (Art. 7 Abs. 3 FARL). Schließlich haben die Mitgliedstaaten nach Art. 8 FARL wirksame Maßnahmen zum Schutze der Verbraucher im Falle der betrügerischen Verwendung von Zahlungskarten bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz vorzusehen. Die Zahlung per Karte, etwa durch Angabe der Kreditkartennummer, hat eine große praktische Bedeutung für den Fernabsatz. Zum Schutz der Verbraucher muss einerseits gewährleistet werden, dass er bei betrügerischer Verwendung seiner Karte die Stornierung seiner Zah-
99 So ist etwa auch für die Haustürwiderrufsrichtlinie anerkannt, dass die Ausnahmeregelung bei Bestellung des Gewerbetreibenden im 2. Spiegelstrich des Art. 1 Abs. 1 HWiRL auch für den Besuch in der Wohnung des Verbrauchers gemäß Art. 1 Abs. 1 Sps. 1 HWiRL gilt, siehe oben S. 14. 100 Reich, EuZW 1997, 581, 584. 101 Art. 6 Abs. 1 UAbs. 3 FARL.
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lung verlangen kann.102 Andererseits muss ihm das Recht eingeräumt werden, im Falle eines Zahlungskartenbetruges seine Zahlungen erstattet bzw. gutgeschrieben zu bekommen. Gutschrift ist dabei als Bankabrechnung zur Korrektur der Fehlbuchung zu verstehen, nicht etwa als Einräumung eines Guthabens des Verbrauchers beim Lieferer.103 Der Begriff der betrügerischen Verwendung ist gemeinschaftsautonom auszulegen. Entgegen des eher auf eine restriktive Auslegung hindeutenden Wortlautes spricht die Ratio der Regelung dafür, jede weisungswidrige Nutzung der Zahlungskarte darunter zu fassen.104 e)
Widerrufsrecht
Ein Widerrufsrecht des Verbrauchers bildet neben den Informationspflichten das zweite zentrale Schutzinstrument der Fernabsatzrichtlinie.105 Gemäß Art. 6 Abs. 1 FARL kann sich der Verbraucher nach dem Vertragsschluss innerhalb der Widerrufsfrist ohne Angabe von Gründen und ohne Strafzahlung vom Vertrag lösen. Verschiedene Ausnahmetatbestände vom Widerrufsrecht definieren Art. 3 Abs. 2 FARL und Art. 6 Abs. 3 FARL. Der Widerruf des Verbrauchers muss innerhalb der Widerrufsfrist erfolgen. Die Dauer der Widerrufsfrist beträgt „mindestens sieben Werktage“.106 Sie ist in zweierlei Hinsicht nicht abschließend geregelt: Einerseits steht es den Mitgliedstaaten frei, längere Fristen vorzusehen, andererseits bestimmt sich die Definition des Begriffes „Werktag“ nach nationalem Recht. So ist der Sonnabend nach britischem Recht kein Werktag, nach dem Verständnis des französischen und deutschen Rechts doch.107 Für den Beginn der Widerrufsfrist differenziert Art. 6 Abs. 1 FARL zwischen der Lieferung von Waren und der Bereitstellung von Dienstleistungen. Jedenfalls beginnt die Regelfrist von sieben Werktagen nicht zu laufen, solange der Lieferer nicht seinen Informationspflichten nach Art. 5 FARL nachgekommen ist. Erfüllt der Lieferer diese Pflichten, so beginnt die Widerrufsfrist bei Waren mit dem Tag ihres Eingangs beim Verbraucher,108 bei Dienstleistungen mit dem Tag des Vertragsschlusses.109 Die Richtlinie trifft keine Aussage darüber, ob die Widerrufserklärung innerhalb der Frist beim Lieferer zugegangen sein muss oder ob es ausreichend ist, dass der Verbraucher die Erklärung innerhalb der Frist absendet. Im Schrifttum wird unter Hinweis auf Art. 5 Abs. 1 HWiRL teilweise die letztere Auslegung favorisiert,110 die in der Tat angesichts der Regeldauer der Frist von lediglich sieben Werktagen auch als sachgerecht erscheint. Allerdings spricht die Tatsache, dass der europäische Gesetzgeber in Art. 6 Abs. 1 FARL keine dem Art. 5 HWiRL entspre-
102 103 104 105 106 107 108 109 110
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Art. 8 Sps. 1 FARL. So auch Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 116. Vgl. Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 116; Reich, EuZW 1997, 581, 586. Zur Bewertung des Widerrufsrechts als Regelungsinstrument siehe unten S. 288 ff. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 FARL. Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 69. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 Sps. 1 FARL. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 Sps. 2 FARL. Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 75.
§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
chende Regelung aufgenommen hat, eher dafür, dass er diese Frage den Mitgliedstaaten zu Regelung überlassen hat. Wie bereits angedeutet, sanktioniert Art. 6 Abs. 1 FARL die nicht vollständige Belehrung nach Art. 5 FARL damit, dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt. In diesem Fall verlängert sich die Frist nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 3 FARL auf drei Monate. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 4 FARL stellt klar, dass im Falle der vollständigen Übermittlung der Informationen nach Art. 5 FARL die Regelfrist von mindestens sieben Werktagen beginnt. Aus dieser Regelung folgt, dass die Widerrufsfrist bei unterbliebener Information drei Monate und mindestens sieben Werktage betragen muss, da der Verbraucher, der nicht informiert wird, nicht schlechter gestellt werden darf, als der Verbraucher, der am letzten Tag der Dreimonatsfrist die Informationen gemäß Art. 5 Abs. 1 FARL erhält.111 Für Form und Verfahren der Widerrufserklärung stellt die Richtlinie keine Anforderungen auf. Es liegt somit in der Kompetenz der Mitgliedstaaten, weitere Einzelheiten der Ausübung des Widerrufsrechts in formeller Hinsicht zu definieren.112 Da es aber an dem Verbraucher ist, im Streitfalle nachzuweisen, dass er die Widerrufsfrist eingehalten hat, ist er allein aus Beweiszwecken gehalten, den Widerruf per Einschreiben mit Rückschein anzuzeigen.113 Die Rechtsfolgen des ausgeübten Widerrufs regelt Art. 6 Abs. 2 FARL. Es entsteht ein Rückabwicklungsverhältnis in dem der Lieferer verpflichtet ist, die vom Verbraucher geleisteten Zahlungen kostenlos zu erstatten. Art. 6 Abs. 2 S. 3 FARL konkretisiert dies dahingehend, das die Erstattung „so bald wie möglich, in jedem Fall jedoch binnen 30 Tagen zu erfolgen hat“. Dem Verbraucher dürfen infolge der Ausübung des Widerrufsrechts nur die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Ware auferlegt werden.114 Damit können dem Lieferer keine Ansprüche wegen der Nutzungsüberlassung, auf Erstattung von Vertragsabschlussgebühren etc. gewährt werden.115 Nur diese Interpretation entspricht der Regelungsintention des europäischen Gesetzgebers, dem Verbraucher eine weit gehend folgenlose Auflösung des Vertrages zu ermöglichen. Dieser Gedanke findet sich in Art. 6 Abs. 1 FARL wieder, der es ausdrücklich verbietet, Vertragsstrafen für den Fall aufzuerlegen, dass der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübt. In diesem Punkt ist die Regelung des Art. 6 FARL abschließend, so dass keine Gestaltungsspielräume für die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bestehen, die ansonsten nach Begründungserwägung 14 a. E. das Recht haben, „weitere Bedingungen und Einzelheiten für den Fall der Ausübung des Widerrufsrechts festzulegen.“ Art. 7 Abs. 3 S. 3 FARL modifiziert für den Fall der wirksamen Vereinbarung einer Ersetzungbefugnis die Rechtsfolgen des Widerrufs: Der Lieferer muss dann auch die Kosten der Rücksendung tragen.
111 112 113 114 115
Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 78 f. Vgl. BE 14 a. E. FARL. Zur Form des Widerrufs Riesenhuber, System und Prinzipien (2002), S. 340. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 FARL. Eingehend hierzu unten S. 301 ff.
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Art. 6 Abs. 4 FARL regelt einen Widerrufsdurchgriff zu Gunsten des Verbrauchers für verbundene Finanzierungsgeschäfte. Danach löst der Widerruf des im Fernabsatz geschlossenen Vertrages den Kreditvertrag entschädigungslos auf. Den Mitgliedstaaten bleibt es überlassen, die Einzelheiten der Auflösung des Finanzierungsgeschäfts festzulegen.116 Dabei haben sie sicherzustellen, dass dem Verbraucher die Ausübung des Widerrufsrechts nicht dadurch erschwert wird, dass er sich Ansprüchen der Gegenseite für Bearbeitungskosten, entgangenen Gewinn etc. ausgesetzt sieht.117 Der Widerrufsdurchgriff nach Art. 6 Abs. 4 FARL erfasst zum einen die Konstellation, dass der Preis einer Ware oder einer Dienstleistung vollständig oder zum Teil durch einen Kredit vom Lieferer finanziert wird118 und weiter gehend auch den Fall eines drittfinanzierten Geschäftes, soweit der Kredit durch den Dritten „auf Grund einer Vereinbarung zwischen dem Dritten und dem Lieferer“ gewährt wird.119 Von einer solchen Vereinbarung ist insbesondere auszugehen, wenn dem Lieferer Provisionen für die Vermittlung des Kreditgeschäfts zustehen oder wenn ihm sonstige Vergünstigungen eingeräumt werden.120 f)
Förderung freiwilliger Verhaltenskodizes
Die Gemeinschaft versucht, für den Fernabsatz die Ausarbeitung freiwilliger Verhaltenskodizes zu fördern. Diese Bemühungen fanden keinen Niederschlag in der Fernabsatzrichtlinie selbst, dafür aber in der Empfehlung der Kommission über Verhaltenskodizes zum Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz,121 auf die auch in den Begründungserwägungen 18 und 19 FARL Bezug genommen wird. Die Kommission empfiehlt darin den Berufsverbänden von Lieferern auf Basis der Fernabsatzrichtlinie Verhaltenskodizes zu erarbeiten, die weitere in einem Anhang zur Empfehlung aufgeführte Punkte umfassen und im Übrigen auch darüber zu wachen, dass die Mitglieder diesen Verhaltensregeln Folge leisten. Als Reaktion auf diese Empfehlung der Gemeinschaft erarbeitete die European Mail Order Traders Organisation, der Dachverbrand der nationalen Versandhandelsunternehmen, die European Convention on Crossborder Mail Order and Distant Seller.122 g)
Regeln zur Rechtsdurchsetzung
Fragen der Rechtsdurchsetzung behandelt Art. 11 FARL. Zur Konkretisierung der allgemeinen Verpflichtung der Mitgliedstaaten, für geeignete und wirksame Mittel zur Einhaltung der Bestimmungen der Richtlinie zu sorgen (Art. 11 Abs. 1 FARL) werden zwei Wege vorgezeichnet: Nach Art. 11 Abs. 2 FARL ist eine Klagebefugnis für Verbraucherverbände, öffentlichen Einrichtungen oder Berufsverbände vorge-
116 Art. 6 Art. 4 FARL. 117 Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 102. 118 Art. 6 Abs. 4 Sps. 1 FARL. 119 Art. 6 Abs. 4 Sps. 2 FARL. 120 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 2.02, Rn. 22 (S. 234). 121 Empfehlung der Kommission vom 7. April 1992 über die Verhaltenskodices zum Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (02/295/EWG), ABl. 1992 L 156/21. 122 Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 184.
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sehen, mithin die Schaffung eines kollektivrechtlichen Mechanismus zur Rechtsdurchsetzung. Daneben soll die Ausbildung individualrechtlicher Formen zur Streitbeilegung begünstigt werden. So erhalten die Mitgliedstaaten in Art. 11 Abs. 4 FARL die Möglichkeit, die Errichtung von Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle zu fördern, soweit diese die Einhaltung der Richtlinienbestimmungen kontrollieren. Ergänzend dazu wird der Kommission in Art. 17 FARL ein Mandat erteilt, zu untersuchen, ob wirksame Verfahren zur Behandlung von Verbraucherbeschwerden im Bereich des Fernabsatzes geschaffen werden können.123 h)
Harmonisierungskonzept
Art. 14 Abs. 1 FARL stellt es den Mitgliedstaaten frei, strengere Bestimmungen zu erlassen oder aufrechtzuerhalten und verwirklicht somit das Prinzip der Mindestharmonisierung. Streitig ist, ob dieser Grundsatz auch für Art. 10 FARL gilt. Im Schrifttum wird die Ansicht vertreten, dass der EG-Gesetzgeber in diesem Bereich das Allgemeininteresse spezifisch definiere, deshalb eine Vollharmonisierung gegeben sei und somit strengere mitgliedstaatliche Regeln unzulässig seien, die etwa unaufgeforderte Werbe-E-Mails (sog. Spamming) oder unaufgeforderte Telefonanrufe zu Werbezwecken (sog. Cold Calling) verbieten.124 Anderes lasse sich auch nicht aus Art. 14 FARL ableiten, denn aus Art. 14 S. 2 FARL soll folgen, dass strengere Regeln lediglich in Bezug auf bestimmte Waren und Dienstleistungen, nicht jedoch bzgl. bestimmter Kommunikationstechniken erlassen werden dürfen.125 Dem ist freilich entgegenzuhalten, dass Art. 14 S. 2 FARL nicht als abschließende, sondern lediglich als beispielgebende Konkretisierung der allgemeinen Mindestklausel des Art. 14 S. 1 FARL zu verstehen ist. Anders wäre die Existenz der Regelung des Art. 14 S. 1 FARL gar nicht erklärbar. Schließlich betont Begründungserwägung 17 FARL, dass es den Mitgliedstaaten möglich sein muss, die Verbraucher vor besonders belästigenden Eingriffen in ihre Privatsphäre durch die Verwendung von Kommunikationstechniken zu schützen. Dem ist zu entnehmen, dass es nicht der Intention des Richtliniengebers widersprechen kann, wenn die Mitgliedstaaten für die kommerzielle Kommunikation strengere Maßstäbe als die Richtlinie vorsehen. Hieraus folgt, dass auch Art. 10 FARL lediglich als Mindestvorgabe zu verstehen ist.126
123 Dieser Aufforderung kam die Kommission am 10. 3. 2000 mit dem „Bericht an den Rat und das Europäische Parlament über Verbraucherbeschwerden im Zusammenhang mit Fernabsatz und vergleichender Werbung“ nach, KOM (2000) 127 endgültig. 124 Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 178 und Nach A 3, Rn. 9; Reich, EuZW 1997, 581, 586 ff.; Vehslage, GRUR 1999, 656, 658. Davon zu trennen ist die Frage, ob ein derartiges mitgliedstaatliches Verbot für grenzüberschreitende Sachverhalte einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Waren- und Dienstleistungsfreiheit des EG-Vertrages darstellt, da auch die Einräumung eines bloßen Widerspruchsrecht ein ausreichendes Maß an Verbraucherschutz gewährleisten soll, dahingehend argumentieren Leible/Sosnitza, K&R 1998, 283, 286 ff.; a. A. Glöckner, GRUR Int. 2000, 29, 36. 125 Weiler, MMR 2003, 223, 224; Vehslage, GRUR 1999, 656, 658. 126 So auch die h. M., siehe etwa Glöckner, GRUR Int. 2000, 29, 36 m. w. N.; Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 27; Hoeren, WRP 1997, 993, 995; Schricker, GRUR Int. 1998, 541, 546.
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3.
Absatz von Finanzdienstleistungen mittels Fernkommunikationstechniken
a)
Anwendungsbereich
Die Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen schließt die Lücke, die die Fernabsatzrichtlinie ließ, als sie Finanzdienstleistungen aus ihrem Anwendungsbereich ausklammerte.127 Die Vorgaben der Richtlinie gelten für Finanzgeschäfte zwischen „Anbietern“ und „Verbrauchern“. Diese für den persönlichen Anwendungsbereich maßgeblichen Begriffe werden in Art. 2 lit. d und lit. e FinFARL definiert. Die Begriffsbestimmungen entsprechen den auch sonst im europäischen Privatrecht gebräuchlichen und stimmen mit denen des „Lieferers“ und des „Verbrauchers“ in Art. 2 Nr. 2 und 3 FARL überein. In sachlicher Hinsicht begrenzen zwei Komponenten den Anwendungsbereich der Richtlinie. Sie erfasst erstens nur Verträge, die im Fernabsatz geschlossen wurden und die zweitens Finanzdienstleistungen zum Vertragsgegenstand haben. Die Vertriebstechnik des Fernabsatzes wird durch die Begriffe des „Fernabsatzvertrages“ (Art. 2 lit. a FinFARL) und des „Fernkommunikationsmittels“ (Art. 2 lit. e FinFARL) umschrieben. Sie entsprechen den Begriffen des „Vertragsschluß im Fernabsatz“ in Art. 2 Nr. 1 FARL bzw. der „Fernkommunikationstechnik“ in Art. 2 Nr. 4 FARL, weshalb auf die Ausführungen zur Fernabsatzrichtlinie verwiesen werden kann. Allerdings enthält die Finanzfernabsatzrichtlinie anders als die (allgemeine) Fernabsatzrichtlinie in ihrem Anhang I keine beispielhafte Liste für Fernkommunikationstechniken. Eine materielle Bedeutung ist dem nicht beizumessen. Vielmehr hat der europäische Gesetzgeber hier der abstrakten Definition vertraut, unter die ohnehin alle im Anhang I FARL aufgeführten Kommunikationstechniken subsummiert werden können. Art. 2 lit. b FinFARL fasst unter den Begriff der „Finanzdienstleistungen“ jede Bankdienstleistung sowie jede Dienstleistung im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung von Einzelpersonen, Geldanlage oder Zahlung. Für Finanzgeschäfte im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses regelt Art. 1 Abs. 2 UAbs. 1 FinFARL, dass die Bestimmungen der Richtlinie nicht für jeden einzelnen Vorgang anzuwenden sind. Betroffen davon sind etwa die laufenden Überweisungen innerhalb eines Vertrages über Online-Banking 128 oder die Wahrnehmung regelmäßiger Aufstockungsoptionen bei Lebensversicherungen.129 Im Einzelnen regelt Art. 1 Abs. 2 UAbs. 1 FinFARL, dass die Richtlinienbestimmungen nur auf die erstmalige Dienstleistungsvereinbarung anzuwenden ist, wenn sich dieser Vereinbarung mehrere „aufeinander folgende Vorgänge“ anschließen oder eine „Reihe von Vorgängen der gleichen Art“, die „in einem zeitlichen Zusammenhang stehen“. Falls keine erstmalige Dienstleistungsvereinbarung vorliegt, jedoch trotz-
127 Art. 3 Abs. 1 Sps. 1 FARL. 128 Dilger, Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Internet (2002), S. 116; Härting/Schirmbacher, CR 2002, 809, 810; Riesenhuber, WM 1999, 1441, 1443. 129 Härting/Schirmbacher, CR 2002, 809, 810.
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dem „aufeinander folgende oder getrennte Vorgänge der gleichen Art, die in einem zeitlichen Zusammenhang stehen, zwischen den gleichen Vertragspartnern abgewickelt werden“, bestimmt Art. 1 Abs. 2 UAbs. 2 S. 1 FinFARL, dass die Unterrichtungs- und Auskunftspflichten der Art. 3, 4 FinFARL nur für den ersten Vorgang gelten. Vergeht zwischen zwei Vorgängen mehr als ein Jahr, so gilt der nächste Vorgang in jedem Fall wieder als „erster Vorgang“.130 b)
Regelungsrahmen für die Absatzförderung
Art. 10 FinFARL regelt die kommerzielle Kommunikation für Finanzdienstleistungen. Verwendet ein Anbieter Voice-Mail-Systeme oder Telefax zur Werbung, muss der Adressat dem zugestimmt haben (sog. opt-in-Lösung). Für sonstige Kommunikationsmöglichkeiten (insbesondere individuelle Telefonwerbung, sog. Cold Calling und Werbe-E-Mails) bleibt es Sache der Mitgliedstaaten, ob sie sich für eine opt-in- oder eine opt-out-Lösung entscheiden. Auf Grund dieser Wahlmöglichkeit hat sich die Erwartung einiger Autoren nicht erfüllt, durch die Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen, die dem Konzept der Vollharmonisierung folgt, könnten strengere nationale Regelungen für das Cold Calling oder Spamming „gekippt“ werden.131 Neu ist jedoch, dass in Art. 10 Abs. 3 FinFARL ausdrücklich der Grundsatz aufgenommen wurde, dass die kommerzielle Kommunikation dem Verbraucher keine Kosten verursachen darf. Auf diesem Leitgedanken beruht etwa auch das Verbot der Telefaxwerbung ohne Einwilligung des Verbrauchers. Zu beachten sind nach Begründungserwägung 26 S. 2 neben Art. 10 FinFARL aber abweichende strengere Regelungen anderer Richtlinien. Dazu zählt nicht Art. 7 EComRL, denn auch nach dieser Bestimmung steht es den Mitgliedstaaten frei, die unaufgeforderte Werbung mittels elektronischer Post zuzulassen oder zu verbieten. Strenger ist demgegenüber Art. 13 Abs. 1 DSRL, der für die E-Mail-Werbung gegenüber Teilnehmern, die natürliche Personen sind, eine opt-in-Lösung und damit einen strengeren Schutzstandard vorschreibt. Für die Werbung über Sprachtelefonanrufe durch Einzelpersonen überlässt es aber auch Art. 13 Abs. 3 DSRL den Mitgliedstaaten, eine opt-in- oder eine opt-out-Lösung vorzusehen.132 c)
Vorvertragliche Informationspflichten
Art. 3 FinFARL verpflichtet die Anbieter, die Verbraucher vor Abschluss eines Fernabsatzvertrages umfangreich zu unterrichten.133 Den Inhalt der vorvertraglichen Informationspflichten definiert Art. 3 Abs. 1 FinFARL. Die Vorschrift differenziert nach Informationen betreffend den Anbieter, die Finanzdienstleistung, den Fernabsatzvertrag und den Rechtsbehelf. Der Unternehmer muss den Verbraucher zunächst nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 lit. a FinFARL über seine Identität, seine Haupt130 Art. 1 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 FinFARL. 131 Vgl. Glöckner, GRUR Int. 2000, 29, 30 f.; Weiler, MMR 2003, 223, 226. 132 Näher zu Art. 13 DSRL unten S. 74 ff. 133 Allgemein zu vorvertraglichen Informationspflichten als Regelungsinstrument siehe unten S. 283 ff.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
geschäftstätigkeit und die Anschrift seiner Niederlassung sowie weitere für die Geschäftsbeziehung maßgebliche Anschriften informieren. Darunter soll etwa die Anschrift der Filiale einer Bank oder Versicherung fallen, die konkret für die Betreuung des Verbrauchers zuständig ist.134 Ist der Finanzdienstleister grenzüberschreitend tätig, hat er dem Verbraucher auch die Identität und die Anschrift eines Vertreters mitzuteilen, soweit es einen solchen in dem Mitgliedstaat gibt, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.135 Schaltet der Unternehmer eine andere gewerblich tätige Person in den Vertrieb ein, d. h. etwa einen selbständigen Vertreter, Makler oder anderen Vermittler,136 verpflichtet Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 lit. c FinFARL den Unternehmer, auch über die Identität des Vermittlers zu informieren, die Eigenschaft, in der er gegenüber dem Verbraucher tätig wird sowie über die für die Geschäftsbeziehung zwischen dem Verbraucher und dem Vermittler maßgebliche Adresse. Schließlich bestimmen Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 lit. d und e FinFARL, dass der Unternehmer auch Angaben zu einem Handelsregistereintrag und zur zuständigen Aufsichtsbehörde zu machen hat, soweit eine solche nach dem jeweiligen Finanzdienstleisteraufsichtsrecht besteht. Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 FinFARL verlangt eine Belehrung durch den Anbieter über die wesentlichen Merkmale der Finanzdienstleistung (lit. a), den Gesamtpreis (lit. b), spezielle Risiken einzelner Finanzinstrumente (lit. c),137 durch Dritte in Rechnung gestellte Kosten bzw. Steuern (lit. d), eine Beschränkung des Zeitraumes der Gültigkeit der Informationen (lit. e), Einzelheiten hinsichtlich Zahlung und Erfüllung (lit. f) und vom Verbraucher zu tragende spezifische zusätzliche Kosten für die Benutzung des Fernkommunikationsmittels (lit. g). Ist es dem Anbieter nicht möglich, einen Gesamtpreis anzugeben, genügt es, wenn er die Berechnungsgrundlage offen legt und so Preistransparenz gewährleistet. Die Regelung zur Offenbarung von „spezifischen zusätzlichen Kosten“ für die Benutzung des Fernkommunikationsmittels entspricht inhaltlich Art. 4 Abs. 1 lit. g FARL. Die Vorschrift erfasst nicht nur Kosten, die vom Anbieter selbst in Rechnung gestellt werden.138 Eine derartige Restriktion lässt sich weder dem Wortlaut entnehmen, noch der Ratio der Regelung. Vielmehr eröffneten sich bei einer einschränkenden Auslegung dem Anbieter Umgehungsmöglichkeiten. Die Informationspflichten hinsichtlich des Fernabsatzvertrages definiert Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 FinFARL. Ausführlich ist etwa über die Möglichkeit zum Widerruf des Vertragsschlusses zu unterrichten (lit. a und d), wobei besonders ins Auge springt, dass der Verbraucher ausdrücklich auch über das „Nichtbestehen“ eines Widerrufsrechts und „die Folgen der Nichtausübung dieses Rechts“ zu informieren ist und
134 Härting/Schirmbacher, CR 2002, 809, 811. 135 Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 lit. b FinFARL. 136 Härting/Schirmbacher, CR 2002, 809, 811. 137 Felke/Jordans, WM 2004, 166, 167, kritisieren die Pflicht des Anbieters, bei volatilen Finanzinstrumenten (Wertpapieren, Optionen, Investmentfonds) auf das Schwankungsrisiko hinzuweisen als eine Überschreitung der Grenze von der Aufklärung zur Beratung. 138 A.A. Härting/Schirmbacher, CR 2002, 809, 811.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
ihm auch „praktische Hinweise zur Ausübung des Widerrufsrechts“ zu geben sind. Damit hat der europäische Gesetzgeber die Belehrungspflicht über das Widerrufsrecht im Vergleich mit Art. 4 Abs. 1 lit. f und Art. 5 Abs. 1 S. 2 Sps. 2 FARL deutlich erweitert. Zudem ist der Verbraucher bei Dauerschuldverhältnissen über die Mindestlaufzeit des Fernabsatzvertrages zu informieren (lit. b) sowie über Kündigungsmöglichkeiten und damit verbundene Vertragsstrafen (lit. c). Ohne Vorbild im europäischen Privatrecht dürfte die Regelung sein, wonach der Anbieter dem Verbraucher die Rechtsordnung mitzuteilen hat, die auf das vorvertragliche Verhältnis zwischen ihnen anzuwenden ist.139 Aus der Anwendung des Herkunftslandprinzips, wie es etwa in Art. 3 EComRL verankert ist, kann sich nämlich ergeben, dass bei einer grenzüberschreitenden Kontaktaufnahme der Anbieter nur an sein Heimatrecht gebunden ist.140 Nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. f FinFARL sind dem Verbraucher Rechtswahl- und Gerichtsstandsklauseln bereits vorvertraglich mitzuteilen. Schließlich muss der Finanzdienstleister auch darüber informieren, in welcher Sprache die Vertragsbedingungen und Informationen mitgeteilt werden sowie darüber, in welcher Sprache er mit dem Anbieter kommunizieren kann.141 Unter der unbeholfen wirkenden Formulierung der Informationen „betreffend den Rechtsbehelf“ schreibt Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. a FinFARL vor, dass der Verbraucher aufzuklären ist über außergerichtliche Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren und deren Zugangsvoraussetzungen. Soweit der Anbieter nicht an Einlagensicherungssysteme angeschlossen ist, sind die Verbraucher zudem über Garantiefonds oder andere Entschädigungsregelungen zu informieren.142 Den Informationsinhalt betrifft auch die Pflicht des Anbieters, dem Verbraucher „alle Vertragsbedingungen“ zukommen zu lassen.143 Art. 3 Abs. 3 FinFARL regelt einige Besonderheiten für Verträge, die über telefonische Kommunikation zu Stande kommen. Zunächst bestimmt Art. 3 Abs. 3 lit. a FinFARL, dass der Anbieter zu Beginn eines jeden Gespräches seine Identität offen zu legen hat und den geschäftlichen Zweck des Anrufes. Nachfolgend definiert Art. 3 Abs. 3 lit. b FinFARL einen eingeschränkten Katalog von Informationspflichten. Die ausdrückliche Zustimmung des Verbrauchers vorausgesetzt, braucht der Anbieter diesem am Telefon nur die Identität eines etwaigen Vermittlers und dessen Verbindung zum Finanzdienstleister mitzuteilen, die Hauptmerkmale der Finanzdienstleistung, den Gesamtpreis, etwaige weitere Steuern und Kosten sowie Informationen über das Widerrufsrecht. Daneben muss der Verbraucher darüber unterrichtet werden, dass weitere Informationen übermittelt werden können.144 Weiterhin stellt Art. 3 Abs. 3 S. 3 FinFARL klar, dass der Anbieter seine Informationspflichten auch
139 140 141 142 143 144
Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. e FinFARL. Felke/Jordans, WM 2004, 166, 167 f. Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. g FinFARL. Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. b FinFARL. Art. 5 Abs. 1 FinFARL. Art. 3 Abs. 3 S. 2 FinFARL.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
beim Telefonmarketing erfüllen kann, indem er rechtzeitig schriftlich den ausführlichen Informationskatalog übermittelt. Art. 4 FinFARL bestimmt, dass die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und das EG-Sekundärrecht Informationspflichten festlegen können, die über Art. 3 Abs. 1 FinFARL hinausgehen. Solche Bestimmungen der Mitgliedstaaten sind der Kommission zu übermitteln, die ihrerseits diese Informationen transparent zu machen hat. Diese Regelung ist als Ausgangspunkt dafür zu verstehen, zukünftig auch für die vorvertraglichen Informationspflichten eine vollständige Harmonisierung zu erreichen. Ein Transparenzgebot für die Informationen, die dem Verbraucher zu geben sind, definiert Art. 3 Abs. 2 FinFARL. Danach muss der Verbraucher in einer dem Fernkommunikationsmittel angepassten Art und Weise informiert werden. Insbesondere muss der geschäftliche Zweck der Pflichtangaben unmissverständlich erkennbar sein. Nach Art. 3 Abs. 4 FinFARL müssen vorvertragliche Informationen über vertragliche Verpflichtungen im Einklang mit den vertraglichen Verpflichtungen stehen, die dem Recht entsprechen, dass bei Vertragsschluss auf den Vertrag anwendbar wäre. Die Vorschrift besagt nichts anderes, als dass der Anbieter wahrheitsgemäße Angaben machen muss, wenn er den Verbraucher über vertragliche Verpflichtungen informiert.145 Art. 5 Abs. 1 FinFARL verpflichtet den Anbieter, alle Informationen entweder in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger zu übermitteln, der dem Verbraucher zur Verfügung steht. Der Begriff des „dauerhaften Datenträgers“ erfasst nach der Definition in Art. 2 lit. f FinFARL jedes speicher- und wiedergabefähige Medium. Hinreichend ist mithin, dass der Verbraucher die ihm per E-Mail übermittelten Daten abspeichern kann. Bereits der Wortlaut der Regelung 146 deutet darauf hin, dass die Übermittlung von Information eine aktive, auf den konkreten Vertragspartner bezogene Handlung des Anbieters voraussetzt. Es genügt deshalb nicht, wenn er die Informationen nur zum Herunterladen auf seiner Homepage im Internet bereitstellt.147 Schließlich wäre es auch nicht hinreichend, könnte sich der Verbraucher die schriftlichen Informationen im Ladengeschäft des Anbieters abholen. Den Anbieter trifft eine Bringschuld, die Gegenseite zu informieren. Er soll einen Schritt auf den individualisierten Vertragspartner zugehen. In Ausnahme zu Art. 5 Abs. 1 FinFARL bestimmt Art. 5 Abs. 3 S. 1 FinFARL hinsichtlich der zu übermittelnden Vertragsbedingungen, dass der Verbraucher zu jedem Zeitpunkt des Vertragsverhältnisses verlangen kann, dass ihm die Vertragsbedingungen in Papierform vorgelegt werden.
145 Härting/Schirmbacher, CR 2002, 809, 813. 146 Art. 5 Abs. 1 FARL benutzt die Formulierungen „der Verbraucher muß eine Bestätigung der Informationen [...] erhalten“, ihm müssen „Informationen [...] erteilt“ worden sein bzw. Informationen sind „zu übermitteln“. 147 Mankowski, in: Schulte-Nölke/Schulze, Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht (2002), S. 181, 203.
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Dem Verbraucher sind alle Informationen spätestens zu übermitteln, wenn er sich rechtsgeschäftlich gebunden hat, sei es durch ein Angebot oder durch einen Vertragsschluss.148 Wird der Vertrag auf Ersuchen des Verbrauchers mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen, das die rechtzeitige Informationsübermittlung ausschließt, so genügt gem. Art. 5 Abs. 2 FinFARL ausnahmsweise auch die Information unverzüglich nachdem der Vertrag geschlossen wurde. Diese Ausnahmeregel greift beispielsweise bei Vertragsschlüssen am Telefon, wo die Information in Papierform oder zumindest auf einem dauerhaften Datenträger zum Zeitpunkt der Bindung des Verbrauchers praktisch ausgeschlossen ist. d)
Vertragsdurchführung und Widerrufsrecht
Neben den Informationspflichten ist das zentrale Schutzinstrument der Richtlinie das Widerrufsrecht des Verbrauchers nach Art. 6 und 7 FinFARL.149 Die Widerrufsfrist beträgt grundsätzlich 14 Kalendertage, bei Verträgen über Lebensversicherungen und über die Altersversorgung von Einzelpersonen 30 Kalendertage. Sie beginnt mit Vertragsschluss zu laufen. Beim Abschluss von Lebensversicherungen beginnt die Frist zu laufen, wenn der Verbraucher über den Abschluss des Fernabsatzvertrages informiert wird. Zusätzlich gilt jedoch, dass die Widerrufsfrist erst zu laufen beginnt, wenn der Verbraucher vollständig gem. Art. 5 Abs. 1, 2 FinFARL informiert wurde. Das Hinausschieben des Beginns der Widerrufsfrist dient somit als Sanktionsinstrument im Falle einer unvollständigen Belehrung. In Parallele zur Haustürgeschäfterichtlinie und im Gegensatz zur Fernabsatzrichtlinie ist keine absolute zeitliche Grenze vorgeschrieben, innerhalb der der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausüben kann. Ein nicht ordnungsgemäß informierter Verbraucher kann deshalb zeitlich unbegrenzt widerrufen, soweit er sein Recht nicht verwirkt hat. Art. 6 Abs. 1 S. 4 FinFARL räumt dem nationalen Gesetzgeber bei Fernabsatzverträgen über Geldanlagedienstleistungen die Möglichkeit ein, die Wirksamkeit des Vertrages für die Dauer der Widerrufsfrist auszusetzen. Im Rückschluss daraus wird deutlich, dass das Widerrufsrecht sonst grundsätzlich als ein Gestaltungsinstrument auszugestalten ist; seine Ausübung löst einen wirksamen Vertrag auf. Art. 6 Abs. 2 FinFARL definiert drei Gruppen von Verträgen, bei denen dem Verbraucher kein Widerrufsrecht zusteht. Dazu gehören zum einen Verträge über verschiedene Finanzdienstleistungen, deren Preis auf dem Finanzmarkt während der Widerrufsfrist Schwankungen unterliegt, auf die der Anbieter keinen Einfluss hat. Ausgeschlossen ist das Widerrufsrecht auch für Reise- und Gepäckversicherungspolicen und ähnliche Versicherungen mit einer Laufzeit von weniger als einem Monat. Drittens schließt Art. 6 Abs. 2 lit. c FARL das Widerrufsrecht für Verträge aus, die auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers von beiden Seiten bereits voll erfüllt sind, bevor der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübt. Art. 6 Abs. 3 FinFARL räumt den Mitgliedstaaten für drei Konstellationen einen Spielraum ein, dass
148 149
Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 FinFARL. Zur Bewertung des Widerrufsrechts als Regelungsinstrument siehe unten S. 288 ff.
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Widerrufsrecht auszuschließen, nämlich für Fernabsatzverträge über Immobilienkredite (lit. a) und hypothekarisch gesicherte Kredite (lit. b) sowie Verbrauchererklärungen, die unter Mitwirkung eines Amtsträgers abgegeben werden (lit. c). Letzteres betrifft im Wesentlichen notariell zu beurkundende Verträge. Über die Art der Ausübung des Widerrufs schreibt Art. 6 Abs. 4 FinFARL lediglich vor, dass sie so zu erfolgen hat, wie es der Unternehmer dem Verbraucher mitgeteilt hat. Dem Verbraucher muss es möglich sein, nachzuweisen, dass er den Vertrag widerrufen hat. Die rechtzeitige Absendung des Widerrufs genügt dann, wenn dieser in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger erfolgt. Die Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses nachdem der Abnehmer widerrufen hat regelt Art. 7 FinFARL. Die ersten drei Absätze widmen sich der Frage, ob der Anbieter für Leistungen, die er zum Zeitpunkt des Widerrufs bereits erbracht hat, die Gegenleistung – also Zahlung durch den Verbraucher – verlangen kann. Dies wird im Grundsatz bejaht, hängt indes von drei Voraussetzungen ab: Erstens muss der Anbieter den Verbraucher rechtzeitig gem. Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a FinFARL über den in diesem Falle zu zahlenden Betrag belehrt haben.150 Zweitens darf der Anbieter nicht damit begonnen haben, die Leistung zu erbringen, ohne dass der Verbraucher dem zugestimmt hat.151 Die negative Formulierung in Art. 7 Abs. 3 S. 2 FinFARL und der Vergleich mit dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 3 S. 1 FinFARL, wo es ausdrücklich heißt, „wenn er nachweisen kann“, legen eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Anbieters nahe. Schließlich darf der Anbieter drittens keine Summe verlangen, die unverhältnismäßig zum Anteil der erbrachten Leistung ist 152 oder den Charakter einer Vertragsstrafe annimmt.153 Art. 7 Abs. 2 FinFARL stellt es den Mitgliedstaaten frei, Verbraucher, die eine Versicherungspolice kündigen, von der Gegenleistungspflicht zu befreien. Der vierte und der fünfte Absatz des Art. 7 FinFARL regeln das Schicksal der Leistungen, die zum Zeitpunkt des Widerrufs bereits ausgetauscht wurden. Nach Art. 7 Abs. 4 FinFARL hat der Anbieter dem Verbraucher geleistete Beträge innerhalb von 30 Kalendertagen nach Erhalt des Widerrufs zu erstatten, wobei er die ihm nach Art. 7 Abs. 1–3 FinFARL zustehende Gegenleistung einbehalten kann. Der Verbraucher hat gem. Art. 7 Abs. 5 FinFARL an ihn erbrachte Leistungen binnen 30 Kalendertagen zu erstatten, nachdem er den Vertrag widerrufen hat. Art. 8 FinFARL verpflichtet die Mitgliedstaaten in Parallele zu Art. 8 FARL, die Verbraucher vor den Folgen der betrügerischen Verwendung von Zahlungskarten zu schützen.154
150 151 152 153 154
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Krit. hierzu Riesenhuber, WM 1999, 1441, 1446. Art. 7 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 S. 2 FinFARL. Art. 7 Abs. 1 S. 3 Sps. 1 FinFARL. Art. 7 Abs. 1 S. 3 Sps. 2 FinFARL, vgl. auch Art. 6 Abs. 1 S. 1 FinFARL. Vgl. zu Art. 8 FARL oben S. 25.
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e)
Regeln zur Rechtsdurchsetzung
Neben der üblichen Verpflichtung der Mitgliedstaaten, für angemessene und wirksame Mittel zu sorgen, damit die Richtlinienvorgaben eingehalten werden, werden die Mitgliedstaaten in Art. 13 Abs. 2 FinFARL aufgefordert, dies insbesondere dadurch zu gewährleisten, dass öffentlichen Einrichtungen, Verbraucherverbänden oder Berufsverbänden eine Antrags- bzw. Klagebefugnis eingeräumt wird. Zudem ist nach Art. 13 Abs. 3 FinFARL die Entwicklung eines angemessenen und wirksamen außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren zu unterstützen. Schließlich müssen die Mitgliedstaaten außergerichtliche Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren fördern, Art. 14 FinFARL. f)
Harmonisierungskonzept
Die Finanzfernabsatzrichtlinie ist die Erste im Europäischen Vertragsrecht, die im Grundsatz eine vollständige Harmonisierung vorsieht. Begründungserwägung 13 stellt klar, dass die Mitgliedstaaten nur dann vom Standard der Richtlinie abweichen dürfen, wenn dies ausdrücklich vorgesehen ist. Umsetzungsspielräume werden den Mitgliedstaaten in Art. 4 Abs. 2, Art. 6 Abs. 1 S. 4 und Abs. 3, Art. 7 Abs. 2, Art. 10 Abs. 2 sowie Art. 15 Abs. 1 FinFARL überlassen.
4.
Online-Absatz und Absatzförderung im Internet
Die E-Commerce-Richtlinie regelt querschnittsartig Aspekte des elektronischen Handels, um den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen und damit einen Beitrag für einen funktionierenden Binnenmarkt zu leisten.155 a)
Anwendungsbereich
Für den Anwendungsbereich der Richtlinie spielt der Begriff der „Dienste der Informationsgesellschaft“ die maßgebliche Rolle. Die E-Commerce-Richtlinie definiert diesen Begriff nicht selbst, sondern verweist in Art. 2 lit. a auf die Transparenzrichtlinie. Nach der dortigen Definition in Art. 1 Nr. 2 fallen unter „Dienste der Informationsgesellschaft“ alle im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers in der Regel gegen Entgelt elektronisch erbrachte Dienstleistungen. Neben der EuGH-Judikatur zu ähnlichen Formulierungen in Art. 50 EG, z. B. zum Begriff der Entgeltlichkeit,156 kann auch Begründungserwägung 18 der Richtlinie herangezogen werden, um diese Definition zu konkretisieren. Danach umfassen die Dienste der Informationsgesellschaft wirtschaftliche Tätigkeiten, die online durchgeführt werden. Insbesondere zählen dazu der Online-Verkauf von Waren, die OnlineWerbung und -kommunikation, Instrumente zur Datensuche, zum Zugang zu
155 156
Art. 1 Abs. 1 EComRL. Arndt/Köhler, EWS 2001, 102, 103; Hoeren, MMR 1999, 192, 193.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
Daten und zur Datenabfrage sowie Dienste, die Informationen über das Netz übermitteln. Für den hier zu Grunde gelegten Systematisierungsansatz ist von Bedeutung, dass die E-Commerce-Richtlinie mit dem Vertrieb über das Medium Internet eine Absatztechnik reguliert. Ihr sachlicher Anwendungsbereich überschneidet sich dabei mit dem der Fernabsatzrichtlinie.157 Daneben reguliert die E-Commerce-Richtlinie mit der kommerziellen Kommunikation über das Internet auch Maßnahmen der Absatzförderung. Dieses erfolgt generell und nicht nur bezogen auf den OnlineVertrieb, d. h. die E-Commerce-Richtlinie erfasst auch die Online-Werbung für den Offline-Vertrieb. b)
Regelungsrahmen für die Absatzförderung
Art. 6 EComRL stellt Transparenzgebote für die kommerzielle Kommunikation158 auf. Danach muss kommerzielle Kommunikation klar als solche erkennbar (lit. a) und der Auftraggeber muss klar identifizierbar sein (lit. b). Nach Art. 6 lit. c und lit. d EComRL müssen Angebote zur Verkaufsförderung wie Preisnachlässe, Zugaben und Geschenke sowie Preisausschreiben und Gewinnspiele, sofern sie nach nationalem Recht zulässig sind, klar als solche erkennbar sein. Zudem müssen die Bedingungen für die Inanspruchnahme bzw. die Teilnahmebedingungen leicht zugänglich sein und klar und eindeutig angegeben werden. Anforderungen für nicht angeforderte kommerzielle Kommunikation sieht Art. 7 EComRL vor.159 Im Grundsatz steht es den Mitgliedstaaten frei, unaufgeforderte Werbung mittels elektronischer Post zuzulassen oder zu verbieten. Letzteres steht auch dem „Zielstaat“ im Falle grenzüberschreitender Werbung zu, da gemäß Art. 3 Abs. 3 i. V. m. Sps. 8 Anhang EComRL das Herkunftslandprinzip nicht auf die unaufgeforderte Werbung mittels E-Mails anzuwenden ist.160 Lassen Mitgliedstaaten die Werbung mittels unaufgeforderten E-Mails zu, müssen sie nach Art. 7 Abs. 1 EComRL gewährleisten, dass diese für den Nutzer klar und unzweideutig als Werbung erkennbar sind. Nach Art. 7 Abs. 2 EComRL haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass natürliche Personen ihren Widerspruch gegen den Erhalt von unaufgeforderten Werbe-E-Mails dokumentieren können, indem sie sich in so genannte Robinson-Listen eintragen und dass die Diensteanbieter diese Listen auch beachten. Kaum einsichtig ist, warum der Gesetzgeber auf den Begriff der „natürlichen Personen“ abstellt. Wenn die Ratio der Regelung der Verbraucherschutz war, wäre es sachgerecht gewesen, den Anwendungsbereich auf „Verbraucher“ zu begrenzen.
157 Dazu Micklitz, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 189, 201 f. 158 Art. 2 lit. f EComRL. 159 Vgl. auch Art. 10 FARL und Art. 13 DSRL. 160 Arndt/Köhler, EWS 2001, 102, 112; Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 31; Hoeren, MMR 1999, 192, 198; Marly, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 4 (2001), Rn. 14; Maennel, MMR 1999, 187, 190; Waldenberger, EuZW 1999, 296, 300.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
Sollten jedoch auch Unternehmen geschützt werden, so ist unklar, warum die Bestimmung für juristische Personen nicht anzuwenden ist.161 Art. 8 EComRL soll gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten auch Angehörigen sog. reglementierter Berufe,162 also etwa Rechtsanwälten, Ärzten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern, die Teilnahme am elektronischen Geschäftsverkehr ermöglichen. So sollen sich zum Beispiel Anwaltskanzleien im Internet präsentieren dürfen, sofern sie die sonstigen berufsrechtlichen Regeln beachten.163 c)
Vorvertragliche Informationspflichten
In Art. 5 EComRL werden die Informationspflichten statuiert, die jeder Diensteanbieter 164 zu erfüllen hat.165 Er muss seinen Namen mitteilen, die Anschrift und sonstige Angaben zur Kontaktaufnahme, Angaben zu Registereintragungen, zur Aufsichtsbehörde, besondere Angaben bei reglementierten Berufen und die Umsatzsteueridentifikationsnummer.166 Nach Art. 5 Abs. 2 EComRL ist Preistransparenz sicherzustellen. Art. 10 EComRL regelt weitere Informationen, die einem Kunden vor Abschluss eines Vertrages auf elektronischem Wege zu übermitteln sind. Nach Art. 10 Abs. 1 EComRL muss der Diensteanbieter dem Nutzer vor Abgabe seiner Bestellung einige technische Angaben machen, nämlich welche technischen Schritte zum Vertragsschluss führen, ob der Vertragstext gespeichert wird und ob er zugänglich sein wird, mit welchen technischen Mitteln Eingabefehler erkannt und korrigiert werden können und welche Sprachen für den Vertragsabschluss zur Verfügung stehen. Weiterhin müssen dem Kunden die einschlägigen Verhaltenskodizes angegeben werden, denen sich der Diensteanbieter unterworfen hat.167 Ferner müssen die Vertragsbestimmungen und allgemeinen Geschäftsbedingungen dem Nutzer zur Verfügung gestellt werden, und zwar in speicherbarer und reproduzierbarer Weise. d)
Vertragsschluss
Die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten müssen es ermöglichen, dass Verträge auch auf elektronischem Wege abgeschlossen werden können.168 Art. 9 Abs. 2 EComRL ermächtigt die Mitgliedstaaten, für bestimmte Vertragsarten auszuschließen, dass diese elektronisch geschlossen werden können. Dieser Ausnahme-
161 Marly, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 4 (2001), Art. 7, Rn. 18. 162 Art. 2 lit. g EComRL. 163 Marly, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 4 (2001), Art. 8, Rn. 3. 164 Art. 2 lit. b EComRL. 165 Allgmein zu vorvertraglichen Informationspflichten als Regelungsinstrument siehe unten S. 283 ff. 166 Art. 5 Abs. 1 EComRL. 167 Art. 10 Abs. 2 EComRL. 168 Art. 9 Abs. 1 EComRL.
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katalog umfasst Notarverträge, registerpflichtige Verträge, Verträge des Familienund Erbrechts sowie Bürgschaftsverträge im nichtgewerblichen Bereich.169 Die E-Commerce-Richtlinie enthält keine Regelung über den Mechanismus des Vertragsschlusses.170 Verlangt wird in Art. 11 Abs. 1 Sps. 1 EComRL, dass Bestellungen nach ihrem Eingang beim Diensteanbieter unverzüglich auf elektronischem Wege zu bestätigen sind. Außerdem wird der Zugang elektronischer Willenserklärungen auf den Zeitpunkt der Möglichkeit des Abrufs durch den Nutzer festgelegt 171 und die Diensteanbieter werden verpflichtet, technische Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, um Eingabefehler erkennen und korrigieren zu können, bevor eine Bestellung abgesendet wird.172 Von der Regelung des Art. 11 Abs. 1 Sps. 1 und Abs. 2 EComRL sind Verträge ausgeschlossen, die lediglich durch Austausch von E-Mails geschlossen werden.173 Im Übrigen enthält die Richtlinie keine vertragsrechtlichen Regelungen; insbesondere lässt sich die Harmonisierung des Verbrauchervertragsrechts unberührt. Für den Online-Absatz gilt deshalb auch die Fernabsatzrichtlinie. e)
Förderung freiwilliger Verhaltenskodizes
Die E-Commerce-Richtlinie soll einen rechtlichen Rahmen schaffen, um den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft sicherzustellen.174 Vor diesem Hintergrund sollen nach Art. 16 EComRL die Mitgliedstaaten und die Kommission die Handels-, Berufs- und Verbraucherverbände und -organisationen ermutigen, Verhaltenskodizes auf Gemeinschaftsebene aufzustellen. Den Prinzipien der Selbstverwaltungsautonomie und der Freiwilligkeit wird dadurch Rechnung getragen, dass es weder eine Pflicht gibt, einen Kodex zu erarbeiten, noch eine Verpflichtung, sich einem erarbeiteten Kodex zu unterwerfen. Inhaltlich gibt es lediglich die Vorgabe, dass ein Kodex zur sachgerechten Anwendung der Art. 5 bis 15 EComRL beitragen soll.175 Im Übrigen regt Art. 16 Abs. 1 EComRL an, dass Verhaltenskodizes auf Ebene der Mitgliedstaaten oder der Gemeinschaft der Kommission übermittelt werden (lit. b),176 dass die Verhaltenskodizes in den Sprachen der Gemeinschaft elektro-
169 Dazu Marly, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 4 (2001), Art. 7, Rn. 9 ff. 170 Der Richtlinienentwurf, der eine solche Regelung noch beinhaltete, sah sich Kritik ausgesetzt, da die vorgesehene Bestimmung einerseits sehr umständlich war und andererseits tief in die mitgliedstaatlichen Zivilrechtssysteme und die Privatautonomie der Vertragsparteien eingegriffen hätte, Arndt/Köhler, EWS 2001, 102, 108; Hoeren, MMR 1999, 192, 199; Marly, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 4 (2001), Vor Abschnitt 3 (Art. 9–11), Rn. 1; Reich, in: Schulte-Nölke/Schulze (Hrsg.), Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte (1999), S. 79, 90 f. 171 Art. 11 Abs. 1 Sps. 2 EComRL. 172 Art. 11 Abs. 2 EComRL. 173 Art. 11 Abs. 3 EComRL. 174 Vgl. BE 8 EComRL. 175 Art. 16 Abs. 1 lit. a EComRL. 176 Dass der Wortlaut der Bestimmung davon spricht, „Entwürfe für Verhaltenskodices“ zu übermitteln, geht auf den Richtlinienvorschlag zurück, wo noch vorgesehen war, dass die Kommission die Entwürfe auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht prüfen sollte. Da dieses Prüfungsrecht nicht in die Richtlinie übernommen wurde, ist Art. 16 Abs. 1 lit. b EComRL berich-
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nisch abrufbar sind (lit. c), dass der Kommission und den Mitgliedstaaten Erfahrungen im Umgang mit den Kodizes übermittelt werden (lit. d) und dass insbesondere Verhaltensregeln zum Jugendschutz und zum Schutz der Menschenwürde aufgestellt werden (lit. e). Nach Art. 16 Abs. 2 EComRL sollen Verbraucherverbände und -organisationen sowie Behindertenverbände dazu ermutigt werden, bei der Erarbeitung und Anwendung von Verhaltenskodizes mitzuwirken, soweit ihre jeweiligen Interessen betroffen sind. Eine spezifische Regelung zur Förderung von Verhaltenskodizes enthält Art. 8 Abs. 2 EComRL. Danach sollen die Kommission und die Mitgliedstaaten die Berufsvereinigungen und -organisationen der reglementierten Berufe 177 ermutigen, Verhaltenskodizes auf Gemeinschaftsebene für die kommerzielle Kommunikation aufzustellen. f)
Regeln zur Rechtsdurchsetzung
Die Mitgliedstaaten haben gemäß Art. 18 Abs. 1 EComRL zu gewährleisten, dass die innerstaatlichen Klagemöglichkeiten im Zusammenhang mit Diensten der Informationsgesellschaften rasche Maßnahmen gegen mutmaßliche Rechtsverletzungen ermöglichen. Ausdrücklich genannt wird der vorläufige Rechtsschutz. Hintergrund dieser Bestimmung ist die Erkenntnis, dass Schäden bei Rechtsverletzungen im Bereich der Informationsgesellschaften schnell auftreten und durch eine große geographische Ausbreitung gekennzeichnet sein können.178 Die Regelung gibt keine inhaltliche Ausgestaltung vor, insbesondere verpflichtet sie nicht dazu, die elektronische Klageerhebung zu ermöglichen.179 Im Übrigen zeigt die E-Commerce-Richtlinie in Parallele zur Fernabsatzrichtlinie zwei Richtungen an, eine effektive Rechtsdurchsetzung zu unterstützen: Nach Art. 17 EComRL sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, außergerichtliche Formen der Streitbeilegung zu fördern. Dies soll dadurch gelingen, dass Verfahren zur außergerichtliche Streitbeilegung auch auf elektronischem Wege in Anspruch genommen werden können (Abs. 1), dass auf angemessene Verfahrengarantien für die Beteiligten hingewirkt wird (Abs. 2) und dass die jeweiligen Einrichtungen ermutigt werden, wichtige Entscheidungen und sonstige relevante Informationen der Kommission mitzuteilen (Abs. 3). Zum anderen ermöglicht die Aufnahme der E-Commerce-Richtlinie in den Anhang der Unterlassungsklagenrichtlinie 180 gemäß Art. 18 Abs. 2 EComRL die Möglichkeit von Verbandsklagen oder Klagen durch öffentliche Einrichtungen und damit einen Mechanismus zur kollektiven Rechtsdurchsetzung.
tigend so auszulegen, dass die fertiggestellten Kodices übermittelt werden können, Marly, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 4 (2001), Art. 16, Rn. 8. 177 Art. 2 lit. g EComRL. 178 BE 52 EComRL. 179 Marly, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 4 (2001), Art. 18, Rn. 6. 180 Siehe unten S. 106.
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g)
Harmonisierungskonzept und Herkunftslandprinzip
Die Bestimmungen der E-Commerce-Richtlinie für die vorvertragliche Information und die kommerzielle Kommunikation geben nur ein Mindestmaß für den Schutz der Allgemeininteressen, insbesondere den Jugendschutz oder den Verbraucherschutz, vor.181 Dies wird an der Formulierung der einzelnen Vorschriften der Richtlinie deutlich.182 Daher können die Mitgliedstaaten die Absatzfördermaßnahmen auch weiter gehend beschränken oder zusätzliche Informationspflichten anordnen.183 Von politischer Brisanz im Gesetzgebungsverfahren war die Einführung des Herkunftslandprinzips. Es wurde schließlich in Art. 3 EComRL verankert. Danach trägt jeder Mitgliedstaat dafür Sorge, dass die Dienste der Informationsgesellschaft, die von Diensteanbietern erbracht werden, die in seinem Hoheitsgebiet niedergelassen sind, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen. Diensteanbieter müssen sich lediglich an die Bestimmungen am Ort ihrer Niederlassung halten.184 Dieser Grundsatz ist wesentlichen Einschränkungen unterworfen: Einerseits gilt das Herkunftslandprinzip nach Art. 3 Abs. 2 EComRL nur im „koordinierten Bereich“. Dessen Umfang ist in Art. 2 lit. h EComRL definiert. Zum anderen findet das Herkunftslandprinzip gemäß Art. 3 Abs. 3 EComRL keine Anwendung auf eine Reihe von im Anhang zur Richtlinie genannte Bereiche. Dazu zählt etwa die Zulässigkeit unaufgeforderter Werbung; das Vertragsrecht, soweit Rechtswahlfreiheit besteht oder Verbraucherschutznormen eingreifen; das Urheberrecht und gewerbliche Schutzrechte; Aspekte im Recht des elektronischen Geldes und der Investmentfonds; das Versicherungsrecht und das Recht der Immobilienverträge.185 Zudem lässt es Art. 3 Abs. 4 EComRL unter engen Voraussetzungen zu, dass der Bestimmungsstaat die Dienste der Informationsgesellschaft reguliert, um die öffentliche Ordnung, die öffentliche Gesundheit, die öffentliche Sicherheit und die Verbraucher zu schützen.186 Als Ausnahme vom Herkunftslandprinzip kann schließlich auch Art. 1 Abs. 3 EComRL wirken, nachdem die E-Commerce-Richtlinie das sonst im Gemeinschaftsrecht verankerte Schutzniveau insbesondere für die öffentliche Gesundheit und den Verbraucherschutz unberührt lässt. Dies gilt etwa für die Vertriebsregeln in Art. 87 ff. Arzneimittelrichtlinie, freilich
181 Marly, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 4 (2001), Art. 5, Rn. 8; Art. 6, Rn. 3; Art. 7, Rn. 15 f. 182 Siehe die Formulierung „zumindest“ in Art. 5, 6 und 10 EComRL. 183 Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 31. 184 Die daraus resultierende Inländerungleichbehandlung in Mitgliedstaaten mit restriktiveren lauterkeits- oder gewerberechtlichen Bestimmungen erzeugt einen Liberalisierungsdruck. So waren die Regelungen der E-Commerce-Richtlinie ein Grund dafür, dass in Deutschland das Rabattgesetz und die Zugabeverordnung aufgehoben wurden, was mehrheitlich mit Recht positiv beurteilt wurde, etwa Arndt/Köhler, EWS 2001, 102, 104; Wissmann, EuZW 2000, 289; anders aber Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1030, Fn. 72: „Im deutschen Lauterkeitsrecht hat dies zur Aufhebung von RabattG [...] und ZugabeVO [...] geführt, was wiederum die Gewährung eines Mindestmaßes an Mitbewerber- und Verbraucherschutz erheblich gefährdet.“ 185 Zur Rechtfertigung des Ausnahmekatalogs Grundmann, RabelsZ 67 (2003), 246, 263 f. 186 Näher dazu Arndt/Köhler, EWS 2001, 102, 106; Mand, WRP 2003, 192, 201.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
nur insoweit, als „die Freiheit, Dienste der Informationsgesellschaft anzubieten“ nicht eingeschränkt wird.187 Das Herkunftslandprinzip in der E-Commerce-Richtlinie ist nicht als klassische kollisionsrechtliche Regelung zu verstehen.188 Dies folgt aus Art. 1 Abs. 4 EComRL, wonach die Richtlinie weder zusätzliche Regeln im Bereich des Internationalen Privatrechts schafft, noch sich mit der Zuständigkeit der Gerichte befasst. Außerdem hätte eine kollisionsrechtliche Interpretation des Herkunftslandprinzips die Folge, dass auch strengeres Recht des Herkunftslandes sich gegenüber dem Recht des Marktortes durchsetzen würde. Eine solche Benachteiligung eines Anbieters, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist, wäre jedoch kaum mit dem liberalisierenden Ansatz des Herkunftslandprinzips vereinbar. Das anzuwendende Recht bestimmt sich deshalb nach den allgemeinen Kollisionsregeln. Ist danach das Recht des Bestimmungslandes maßgeblich, so ist es jedoch insofern nicht auf den Diensteanbieter anzuwenden, als es im koordinierten Bereich strengere Regeln als der Herkunftsstaat enthält und keine Ausnahme vom Herkunftslandprinzip einschlägig ist.189 Damit wirkt Art. 3 EComRL freilich in der Sache wie eine Kollisionsnorm, indem er darüber entscheidet, welchen Mitgliedstaates Regulierungsstandard zur Anwendung kommt.190 Dabei unterscheidet sich diese Regelung allerdings von klassischem Kollisionsrecht insofern erheblich, als sie nicht abstrakt vom Sachrecht eine Entscheidung über den anzuwendenden Standard trifft. Zu berücksichtigen sind vielmehr auch inhaltliche Aspekte, etwa ob die aufgeworfene Frage zum durch die Richtlinie „koordinierten Bereich“ gehört (Art. 3 Abs. 2 EComRL).
II.
Regeln zur Absatzförderung
Absatzpolitik erschöpft sich nicht darin, eine bestehende Nachfrage zu befriedigen. Vielmehr sind die Unternehmen darauf angewiesen, Bedürfnisse zu wecken und die Kunden zu umwerben.191 Um eine Zielgruppe von dem Angebot eines Unternehmens zu informieren und darüber hinaus davon zu überzeugen, dass es der Konkurrenz überlegen ist, bedarf es einer kommunikativen Beziehung zu den Abnehmern. Mit jeder Absatztätigkeit ist daher kommerzielle Kommunikation verbunden. Einem Anbieter stehen dafür mehrere Möglichkeiten der Kommunikation zur Verfügung, vor allem der Weg über das angebotene Produkt selbst und über die Medien sowie über informelle Kanäle.
187 Zur Kontroverse um die Auslegung dieser Rückausnahme Mand, WRP 2003, 192, 200 f. 188 A. A. Mankowski, ZVglRWiss 100 (2001), 137, 140; ders., IPrax 2000, 257, 258–263; Thünken, IPrax 2001, 15, 20. 189 Arndt/Köhler, EWS 2001, 102, 106; Fezer/Koos, IPrax 2000, 349, 352; Lettl, WRP 2004, 1079, 1087; Gamerith, WRP 2003, 143, 149. 190 Grundmann, RabelsZ 67 (2003), 246, 294 f., der Art. 3 EComRL deshalb auch zum sog. „Binnenmarktkollisionsrecht“ zählt. 191 Wöhe, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 21. Aufl. (2002), S. 462.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
Ein Produkt selbst hat in vielfältiger Weise die Fähigkeit zum Kommunikationsträger.192 An erster Stelle ist die Verpackung zu nennen. Gerade für Massenprodukte spielt die Möglichkeit eine wichtige Rolle, die Kunden durch die Verpackung über die Herkunft zu informieren, über Verarbeitungsweise, Gebrauchsmöglichkeiten, Verbrauchsfristen oder Qualitätsgarantien. Neben dem aufgedruckten Wort kann der Anbieter auch durch Form- und Farbgebung kommunizieren, durch die qualitativ-stoffliche Beschaffenheit und Ausstattung, Geschmack, Geruch oder die Aufmachung. Die kommerzielle Kommunikation mittels des Produktes selbst ist einerseits Gegenstand allgemeiner Regeln des Absatzrechts, daneben existieren im Gemeinschaftsrecht eine Vielzahl spezifischer Vorschriften für die Etikettierung und die sonstige Gestaltung der Verpackung von Produkten einschließlich der Festlegung der Bezeichnung.193 Gerade an der Vielzahl der Pflichtangaben bei der Etikettierung wird deutlich, dass sich die Regelungsrahmen für die Absatzförderung nicht auf Regeln für den Fall beschränkt, dass sich der Anbieter eines Mittels zur Absatzförderung bedient. Vielmehr handelt es sich häufig um „echte“ Rechtspflichten zum Schutze der Abnehmer, die erfüllt werden müssen, damit ein Produkt legal angeboten werden darf. Bei der kommerziellen Kommunikation mittels der Massenmedien 194 stehen dem Unternehmen eine reiche Palette von Ausdrucksmitteln zur Verfügung, etwa Wort, Ton, Bewegung oder Farbe. Angesichts ihrer großen Breitenwirkung kommt die Kommunikation über die Massenmedien gerade dort zum Einsatz, wo es gilt, ein großes Publikum auf die Existenz eines Produktes aufmerksam zu machen und Interesse für dieses Produkt zu wecken. Neben den allgemeinen Vorgaben ist die kommerzielle Kommunikation über bestimmte Medien insbesondere durch die Fernsehrichtlinie und die E-Commerce-Richtlinie europäisch reguliert.
1.
Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken als Rahmen für verbraucherschützende Regeln zur Absatzförderung
Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken zielt darauf ab, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten anzugleichen, die unlautere, die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher schädigende Maßnahmen regeln.195 Mit dem ambitionierten Ziel der vollständigen Harmonisierung zentraler Teile des Lauterkeitsrechts soll die Richtlinie dazu beitragen, dass der Binnenmarkt reibungslos funktioniert, 192 Dazu Topritzhofer, Kommunikation in der Absatzwirtschaft, in: Tietz (Hrsg.), Absatzwirtschaft (1974), Bd. 4, Sp. 1001, 1003 ff. 193 Im Folgenden wurde darauf verzichtet, die europarechtlichen Regelungen zum Urheberrecht und zum Markenrecht mit in die Systematisierung aufzunehmen, obgleich sie ebenfalls die Absatzförderung betreffen. Dies ist einerseits praktischen Erwägungen geschuldet. Zudem liegen diesen Rechtsgebieten aber in weiten Teilen eigenständige Regelungsideen und Prinzipien zu Grunde. 194 Vgl. dazu Topritzhofer, Kommunikation in der Absatzwirtschaft, in: Tietz (Hrsg.), Absatzwirtschaft (1974), Bd. 4, Sp. 1001, 1006 ff. 195 Art. 1 UGPRL.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
gleichzeitig aber auch ein hohes Verbraucherschutzniveau gewährleisten. Im „Grünbuch zum Verbraucherschutz“ vom Oktober 2001 196 – dem Ausgangspunkt zur Richtlinieninitiative – hatte die Kommission festgestellt, dass der Binnenmarkt beim Absatz von Waren und Dienstleistungen an Verbraucher schwach entwickelt sei. Eine wichtige Ursache für diesen Befund sah die Kommission darin, dass die unterschiedliche Behandlung von Geschäftspraktiken gerade kleine und mittlere Unternehmen davon abschrecke, grenzüberschreitend aktiv zu werden. Denn die Unterschiede in den nationalen Rechtsordnungen machten gemeinschaftsweit einheitliche Marketingkampagnen unmöglich oder erschwerten diese jedenfalls, da es zuvor einer eingehenden und deshalb auch teuren rechtlichen Prüfung bedürfe. Gleichermaßen hemme das unterschiedliche Verbraucherschutzniveau auch die privaten Abnehmer in ihrer Bereitschaft zum „grenzübergreifenden Shopping“.197 Die Initiative der Kommission zielte deshalb darauf ab, die Integration des Binnenmarktes von beiden Marktseiten aus zu fördern: Die Verbraucher sollen durch einheitliche Standards darin bestärkt werden, grenzüberschreitend nachzufragen und den Unternehmen soll ein level playing field für ihre Marketingmaßnahmen bereitet werden. Auf Grund des letzten Aspekts ist es folgerichtig, dass der europäische Gesetzgeber mit der Richtlinie eine vollständige Harmonisierung anstrebt. Art. 1 UGPRL weist darauf hin, dass die Richtlinie dem Funktionieren des Binnenmarktes dient, benennt daneben aber nur den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher als Zweck der Richtlinie. Vor allem das deutsche Schrifttum kritisierte dies als „Abkehr von der bewährten Schutzzwecktrias“.198 Gefordert wurde, dass die Richtlinie wie etwa Art. 1 WerbeRL a. F.199 ausdrücklich auf den Schutz der Interessen der Verbraucher, der Konkurrenten und der Allgemeinheit abzielen solle. Die Aufgeregtheit um die Schutzzweckdefinition in Art. 1 UGPRL ist freilich zu relativieren. Zwar ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass lauterkeitsrechtliche Normen, selbst wenn sie vordergründig die Marktgegenseite schützen, immer auch im Interesse der Konkurrenten an einem „fairen Wettbewerb“ stehen; sie sind stets auch als Marktverhaltensrecht zu begreifen. Tatsächlich wäre es deshalb wünschenswert, wenn in der Richtlinie auch auf diesen Aspekt hingewiesen würde.200 Zwingend ist dies jedenfalls nicht, bedenkt man, dass die Richtlinie nur den Verhaltensmaßstab für Praktiken der Gewerbetreibenden gegenüber privaten Abnehmern regelt. Man mag auch dies kritisieren.201 Jedoch erscheint es ausgehend von diesem begrenzten persönlichen Anwendungsbereich konsequent, dass Art. 1 UGPRL
196 Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union, KOM (2001) 531 endg. 197 KOM (2001) 531 endg., S. 11. 198 Henning-Bodewig, GRUR Int. 2002, 389, 396; Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa (2004), S. 27; ders., WRP 2004, 1079, 1088; Micklitz/Keßler, GRUR Int. 2002, 885, 895; Henning-Bodewig/Schricker, GRUR Int. 2002, 319, 322; Wiebe, WRP 2002, 283, 292. 199 Art. 1 WerbeRL hatte ursprünglich folgenden Wortlaut: „Zweck dieser Richtlinie ist der Schutz der Verbraucher, der Personen, die einen Handel oder ein Gewerbe betreiben oder ein Handwerk oder einen freien Beruf ausüben, sowie der Interessen der Allgemeinheit gegen irreführende Werbung und deren unlautere Auswirkungen [...]“. 200 Vgl. Veelken, WRP 2004, 1, 5 und 10. 201 Hierzu sogleich.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
auf den „Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher“ als sachlichen Schutzzweck der Richtlinie abstellt. Im Übrigen erkennt der Richtliniengeber ausdrücklich an, dass damit mittelbar rechtmäßig handelnde Unternehmen vor Mitbewerbern geschützt werden, die sich durch unlauteres Verhalten einen Wettbewerbsvorteil verschaffen könnten.202 Dies findet in Art. 11 Abs. 1 UGPRL seinen Ausdruck, wonach es Mitbewerbern gestattet sein muss, gerichtlich gegen unlautere Geschäftspraktiken vorzugehen. Den nationalen Regelgebern steht es schließlich frei, die Vorgaben der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken mit denen der Werberichtlinie und anderer lauterkeitsrechtlicher Vorgaben in einem nationalen Rechtsakt zusammenzufassen. a)
Anwendungsbereich
Die Richtlinie soll unlautere Geschäftspraktiken regulieren, die an Verbraucher gerichtet sind. Daraus folgt die Einschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs: Der Vorschlag berührt nicht die Regelung unlauterer Geschäftspraktiken, die lediglich die wirtschaftlichen Interessen von Konkurrenten beeinträchtigen bzw. die sich auf ein Rechtsgeschäft zwischen Gewerbetreibenden beziehen.203 Diese Beschränkung des Anwendungsbereichs der Richtlinie wurde insbesondere im deutschen,204 aber auch im österreichischen 205 Schrifttum kritisiert.206 Allerdings ist sie folgerichtig vom rechtspolitischen Ansatz des Grünbuchs her gedacht, das sich auf die Fahnen geschrieben hatte, gerade den grenzüberschreitenden Absatz an private Abnehmer zu fördern, indem deren Vertrauen auf die gemeinschaftsweit einheitliche Gewährleistung fairer Geschäftspraktiken gestärkt wird. Zudem differieren die Lauterkeitsstandards im „b2b“-Bereich in vielen Fällen von denen im „b2c“-Bereich,207 so dass es die rechtspolitische Einigung auf europäischer Ebene erschwert hätte, auch die Lauterkeitsstandards der Geschäftspraktiken zwischen Gewerbetreibenden zu erfassen.208 Den nationalen Gesetzgebern steht es frei, den
202 BE 8 S. 2 UGPRL. 203 So ausdrücklich BE 6 S. 3 UGPRL. Die Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs kommt bereits in Art. 1 UGPRL zum Ausdruck, lässt sich aber auch aus Art. 3 Nr. 1 i. V. m. Art. 5 UGPRL ableiten. 204 Henning-Bodewig, GRUR Int. 2002, 389, 396 weist daraufhin, dass die Beschränkung des Anwendungsbereichs lediglich auf einem Kompetenzkonflikt zwischen der GD Verbraucherschutz (SANCO) und der GD Markt beruht. Krit. auch dies., in: FS Tilmann (2003), S. 149–160; dies./ Schricker, GRUR Int. 2002, 319 f., 321 f.; Beater, ZEuP 2003, 11, 46; Glöckner, WRP 2004, 936, 938; Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1033, 1050, 1057; anders Veelken, WRP 2004, 1, 10: „Ein auf B2C-Beziehungen begrenzter Anwendungsbereich als weiterer Akt im sukzessiven Prozess einer fortschreitenden europäischen Harmonisierung des Lauterkeitsrechts entbehrt nicht der Sinnfälligkeit.“ 205 Gamerith, WRP 2003, 143, 162. 206 Deutschland und Österreich waren auch die einzigen Mitgliedstaaten, die sich für eine Ausdehnung der Richtlinie auf Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen eingesetzt hatten, Glöckner, WRP 2004, 936, 937 f. 207 Dies gilt etwa für die Telefonwerbung, vgl. für die Rechtslage in Deutschland § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG. 208 Glöckner, WRP 2004, 936, 938, weist auf dieses inoffizielle Argument der Kommission hin.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
einheitlichen gemeinschaftsrechtlichen Maßstab auf andere Marktteilnehmer anzuwenden, soweit sie dies für sachgerecht halten.209 Im Übrigen entsprechen die Definition des „Verbrauchers“ und des „Gewerbetreibenden“ als einer zu privaten bzw. zu gewerblichen oder beruflichen Zwecken am Markt agierenden Person 210 den im Gemeinschaftsrecht üblichen Definitionen. Den sachlichen Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags prägt der Begriff der „Geschäftspraktiken“. Dieser ist weit zu verstehen und umfasst nach der Definition in Art. 2 lit. d UGPRL alle denkbaren Maßnahmen zur Absatzförderung und Verhaltensweisen vor und nach Abschluss eines Geschäfts. Ausdrücklich wird klargestellt, dass die Richtlinie nicht das Vertragsrecht regelt.211 Da die Richtlinie auf den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher abzielt, berührt sie auch nicht die Regeln zur Produktsicherheit, die vornehmlich dem Schutz der Gesundheit der Abnehmer dienen.212 Art. 3 Abs. 4 UGPRL schreibt vor, dass gemeinschaftsrechtliche Vorschriften, die die Absatzförderung bestimmter Produkte (z. B. Lebensmittel), über bestimmte Medien (z. B. Fernsehen) oder Vertriebstechniken (z. B. Fernabsatz) regeln, als Spezialregeln den Vorgaben der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken vorgehen. Nach Art. 3 Abs. 7 UGPRL lässt die Richtlinie die Zuständigkeit der Gerichte unberührt. Nicht betroffen sind gemäß Art. 3 Abs. 8 UGPRL auch die Niederlassungs- oder Genehmigungsbedingungen, berufsständische Verhaltenskodices oder andere spezifische Regeln für reglementierte Berufe 213. Nicht tangieren soll die Richtlinie also die berufs- bzw. standesrechtlichen Beschränkungen von Absatzförderungsmaßnahmen, die sachlich damit gerechtfertigt werden, dass sie die besonders strengen Integritätsstandards gewährleisten sollen, die diesen Berufsgruppen (also etwa Ärzten, Rechtsanwälten oder Steuerberatern) auferlegt werden. Der europäische Gesetzgeber wollte sich offensichtlich nicht auf das rechtspolitisch schwierige Terrain der Regulierung der freien Berufe wagen und etwa auch das Standesrecht liberalisieren.214 Der Gesetzgeber verzichtet mithin auf das Ziel, durch die Richtlinie auch den grenzüberschreitenden Absatz von Dienstleistungen der freien Berufe zu fördern. b)
Harmonisierungskonzept und Binnenmarktförderung
Die Richtlinie harmonisiert in ihrem Anwendungsbereich das Lauterkeitsrecht der Mitgliedstaaten abschließend.215 Strengere nationale Schutzstandards sind nur ausnahmsweise nach Art. 3 Abs. 5 UGPRL zulässig, indem nationale Maßnahmen ab dem 12. Juni 2007 für längstens 6 Jahre beibehalten werden. Dies setzt voraus,
209 Glöckner, WRP 2004, 936, 938. 210 Art. 2 lit. a und lit. b UGPRL. 211 Art. 3 Abs. 2 UGPRL. 212 Art. 3 Abs. 3 UGPRL. 213 Art. 2 lit. l UGPRL. 214 Vgl. jeweils noch zum Vorschlag, der noch keine Art. 3 Abs. 8 GS-UPRL entsprechende Regelung enthielt: Hawxwell, GPR 2003–04, 80, 81; Schulte-Nölke/Busch, ZEuP 2004, 99, 101. 215 Krit. aus der Perspektive des Verbraucherschutzes zum Konzept der Vollharmonisierung in Verbindung mit einer Generalklausel Howells/Wilhemsson, 28 ELR (2003), 380, 382–385.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
dass diese mitgliedstaatlichen Regeln zur Umsetzung von Richtlinien erlassen wurden, die lediglich eine Mindestharmonisierung vorsehen und dass sie „unbedingt erforderlich“ sind, um Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken zu schützen. Im Gegensatz zum ursprünglichen Vorschlag der Kommission enthält die Richtlinie nicht mehr das Herkunftslandprinzip. Art. 4 UGPRL bestimmt lediglich, dass die Mitgliedstaaten den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Warenverkehr nicht aus Gründen einschränken dürfen, die mit dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich zusammenhängen. Hierin findet das Prinzip der Vollharmonisierung seinen Ausdruck. Im Umkehrschluss gilt freilich auch, dass sich die Zulässigkeit einer mitgliedstaatlichen Regelung im von der Richtlinie abschließend harmonisierten Bereich allein nach diesem Standard richtet und nicht nach den Grundfreiheiten.216 Allerdings ist auch der Gemeinschaftsgesetzgeber an die Grundfreiheiten gebunden, so dass die Schutzstandards der Richtlinie selbst an den Grundfreiheiten gemessen werden können.217 Demgegenüber sah Art. 4 Abs. 1 S. 1 V-UGPRL 218 noch vor, dass sich die Gewerbetreibenden „auf dem durch diese Richtlinie angeglichenen Gebiet lediglich an die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates zu halten [haben], in dem sie niedergelassen sind“. Die Bedeutung des Herkunftslandprinzips erschien zunächst schon deshalb fraglich, da die Richtlinie auf eine vollständige Harmonisierung abzielt und den Mitgliedstaaten deshalb für die materiellen Regelungen kaum Umsetzungsspielräume bleiben. Idealerweise sollten deshalb im Anwendungsbereich der Richtlinie die Lauterkeitsstandards in den Mitgliedstaaten überhaupt nicht voneinander abweichen. Allerdings ging die Kommission davon aus, dass trotz der Möglichkeit von Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG die Interpretation der Richtlinienbestimmungen bzw. der jeweiligen nationalen Umsetzungsrechtsakte differieren wird und wollte für diese Situation sichergestellt wissen, dass ein Unternehmen sich nur an dem Standard des Landes zu orientieren braucht, in dem es niedergelassen ist.219 Da die potenziellen Abweichungen der Standards zwischen Niederlassungs- und Marktort auf Grund der Vollharmonisierung eher gering sein werden, war mit der Festschreibung des Herkunftslandprinzips in Art. 4 V-UGPRL keine rechtspolitische Brisanz verbunden, weshalb die Kommission im Gesetzgebungsverfahren auch nicht auf die Regelung bestand.220 Kritisiert wurde am Herkunftslandprinzip, dass es zu Rechtsunsicherheit oder gar Verwirrung im Empfangsland führen könne, da weder Mitwettbewerber noch Verbraucher wissen, welchem Standard ein Anbieter unterliegt. Außerdem sei es als Wettbewerbsverzerrung anzu-
216 Vgl. Lettl, WRP 2004, 1079, 1082. 217 Streinz, Europarecht, 6. Aufl. (2003), Rn. 706. 218 Eingehend zu dieser Regelung und zur ursprünglich vorgesehenen „Kontrolle an der Quelle“, die zu Konflikten mit dem kollisionsrechtlichen Marktortprinzip geführt hätte: Veelken, WRP 2004, 1, 11–14. 219 Veelken, WRP 2004, 1, 12. 220 Siehe KOM (2004) 753 endg., bei Punkt „Rechtswahl“.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
sehen, muss sich ein grenzüberschreitend agierender Anbieter an ein geringeres Verbraucherschutzniveau halten als ein inländischer Konkurrent.221 c)
Unlautere Geschäftspraktiken
Die Richtlinie regelt die Frage, wann eine Geschäftspraxis als unlauter anzusehen ist, auf drei Ebenen. Art. 5 Abs. 1 UGPRL enthält die Generalklausel, die mit Hilfe der zwei Kriterien des Art. 5 Abs. 2 UGPRL zu konkretisieren ist. Insbesondere gelten alle irreführenden und aggressiven Geschäftspraktiken i. S. d. Art. 5 Abs. 4 i. V. m. Art. 6 bis 9 UGPRL als unlauter. Schließlich verweist Art. 5 Abs. 5 UGPRL auf eine „schwarze Liste“ von Klauseln im Anhang zum Vorschlag, die „unter allen Umständen“ als unlauter anzusehen sind. (1)
Generalklausel
Den zentralen materiellrechtlichen Verbotstatbestand enthält Art. 5 Abs. 1 UGPRL, der „unlautere Geschäftspraktiken“ verbietet und damit erstmals eine Generalklausel im europäischen Lauterkeitsrecht verankert. Damit eine Geschäftspraxis unlauter ist, müssen nach Art. 5 Abs. 2 UGPRL zwei Kriterien erfüllt sein: Die Praxis muss der beruflichen Sorgfalt 222 widersprechen und geeignet sein, das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet, in Bezug auf das jeweilige Produkt wesentlich zu beeinflussen. Die Voraussetzung des Art. 5 Abs. 2 lit. a UGPRL stellt auf Sollenselemente ab, nämlich auf die „Erfordernisse der beruflichen Sorgfaltspflicht“. Freilich geben weder Wortlaut noch Begründung zu erkennen, wie diese berufsständischen Pflichten zu konkretisieren sind. Die Definition der beruflichen Sorgfalt in Art. 2 lit. h UGPRL lässt einen normativen Maßstab erkennen,223 denn es soll der Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt zu verlangen sein, von dessen Anwendung „nach anständigen Marktgepflogenheiten und/oder dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben“ „billigerweise [...] ausgegangen werden kann“. Die Betonung von normativen Kriterien ist überzeugend, da die Richtlinie im Kern auf ein hohes Verbraucherschutzniveau abzielt. Daran und nicht in erster Linie an den Interessen der Mitwettbewerber und den von ihnen entwickelten Handelsbräuchen bzw. der Handelspraxis muss sich deshalb auch die Präzisierung der materiellen Vorgaben orientieren.224 Die Unlauterkeit einer Wettbewerbshandlung kann nicht durch ihre Branchenüblichkeit ausgeschlossen sein. Maßstab zur Beurteilung der Lauterkeit einer Geschäftspraktik ist nach Art. 5 Abs. 2 lit. b UGPRL der „Durchschnittsverbraucher“. Die Richtlinie enthält anders als der 221 Henning-Bodewig/Schricker, GRUR Int. 2002, 319, 321; Henning-Bodewig, GRUR Int. 2002, 389, 394 f. 222 Art. 2 lit. h UGPRL; krit. zur begrifflichen Anknüpfung an die „berufliche Sorgfalt“ Glöckner, WRP 2004, 936, 939. 223 Anders noch Art. 2 lit. j V-UGPRL, der auch auf die tatsächliche Praxis abstellte („im Binnenmarkt im Tätigkeitsbereich des Gewerbetreibenden übliche Handelspraxis“). 224 Veelken, WRP 2004, 1, 16.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
vorangehende Vorschlag der Kommission keine Definition des „Durchschnittsverbrauchers“. Art. 2 lit. b V-UGPRL hatte diesen in Übereinstimmung mit dem vom EuGH entwickelten Verbraucherleitbild 225 definiert als den „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen“ Verbraucher. Die Streichung der Definition bedeutet jedoch keine inhaltliche Distanzierung von diesem Leitbild; vielmehr sollte das Konzept offen bleiben für weitere Rechtsprechungsentwicklungen.226 Im Grundsatz ist daher für die Frage, ob eine Geschäftspraxis als unlauter zu beurteilen ist, ein einheitlicher normativer Maßstab anzuwenden. Allerdings kann der Maßstab variieren, je nach dem Kundenkreis, an den sich die Werbemaßnahme richtet (z. B. Kinder) 227 oder je nach der Art des beworbenen Produkts. Letzteres Differenzierungskriterium erwähnt der Vorschlag nicht ausdrücklich, es ist jedoch durch den Hinweis auf das Vorbild der EuGH-Rechtsprechung in der Begründungserwägung 18 legitimiert.228 Im Rahmen der normativen Vorgaben der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist es den nationalen Gerichten und Verwaltungsbehörden überlassen, zu beurteilen, wie der Durchschnittsverbraucher in einem konkreten Fall eine Geschäftspraktik auffassen würde.229 Ob ein Verhalten als unlauter anzusehen ist, macht Art. 5 Abs. 2 lit. b UGPRL davon abhängig, dass es das „wirtschaftliche Verhalten“ der Verbraucher beeinflussen kann. Daraus wurde geschlussfolgert, dass das Konzept der unlauteren Geschäftspraktiken der Richtlinie allein an wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichtet sei, „Geschmacks- und Anstandsfragen“ dagegen nicht von der Richtlinie erfasst werden und es mithin den Mitgliedstaaten überlassen bliebe, diese Aspekte zu regeln.230 Dieser pauschalen Argumentation ist entgegenzuhalten, dass es bei der angesprochenen Frage nicht um einen anderen Regelungsgegenstand geht (wie etwa dem Vertragsrecht), den die Richtlinie bewusst nicht regeln wollte. Vielmehr sind die in Art. 5 Abs. 2 UGPRL aufgeführten Kriterien für die Beurteilung der Unlauterkeit einer Verhaltensweise als abschließend anzusehen. Richtig ist freilich, dass die Richtlinie Raum lässt für strengere mitgliedstaatliche Regeln, die nicht primär dem Abnehmerschutz, sondern dem Interesse der Allgemeinheit dienen und die auch „Geschmacks- und Anstandsfragen“ betreffen können. Die offenen Formulierungen in Art. 5 Abs. 1 und 2 UGPRL ändern nichts daran, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten verbindliche Vorgaben macht und dass auch die generalklauselartigen Rechtsbegriffe europarechtlich autonom auszulegen sind.231 Der tatsächliche Erfolg der angestrebten vollständigen Harmonisierung wird davon abhängen, inwieweit der EuGH durch Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234
225 Zum Verbraucherleitbild in der EuGH-Rechtsprechung unten S. 257 ff. und zu seiner Bewertung S. 327 ff. 226 KOM (2004) 753 endg., bei Punkt „Verbraucherrichtwert“. 227 Art. 5 Abs. 3 UPPRL, BE 18 S. 3, BE 19 UGPRL. 228 Siehe EuGH, Urt. v. 22. 6. 1999 – Rs. C-342/97, Lloyd Schuhfabrik Meyer, Slg. 1999, I-3819, 3841, Rn. 26. 229 So ausdr. BE 18 a. E. 230 Hawxwell, GPR 2003–04, 80, 82. 231 Eingehend Glöckner, WRP 2004, 936, 942–945.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
EG die Gelegenheit erhalten wird, europaweit einheitliche Maßstäbe zur Auslegung und Anwendung des Art. 5 UGPRL vorzugeben. Dass der EuGH selbst für sich die Kompetenz in Anspruch nimmt, Generalklauseln im europäischen Privatrecht autonom auszulegen, wird etwa in den Urteilen Océano Grupo und Cofidis deutlich, in denen der Gerichtshof Vorgaben für die Auslegung der Generalklausel des Art. 3 Abs. 1 AGBRL machte.232 Entscheidungen des EuGH zur Ausfüllung von Generalklauseln hindern die mitgliedstaatlichen Gerichte auch nicht daran, Einzelfallgerechtigkeit durchzusetzen. Denn es bleibt ihnen überlassen, den Sachverhalt zu ermitteln und zu subsumieren sowie die konkrete Entscheidung zu treffen. Letzteres verdeutlicht das Urteil Freiburger Kommunalbauten zu Art. 3 Abs. 1 AGBRL: Der EuGH gibt den nationalen Gerichten Kriterien an die Hand, die für die Auslegung der Generalklausel notwendig sind, überlässt es aber dem nationalen Gericht, diese Kriterien auf den konkreten Fall anzuwenden und zu entscheiden, ob eine Vertragsklausel missbräuchlich ist.233 Insofern besteht kein prinzipieller, sondern lediglich ein gradueller Unterschied zwischen der Auslegung von Tatbestandsmerkmalen und der Konkretisierung von Generalklauseln. (2)
Spezialtatbestände
Mit den irreführenden und den aggressiven Geschäftspraktiken regeln die Art. 6 bis 9 UGPRL zwei Fallgruppen unlauterer Geschäftspraktiken besonders. Dies soll vor allem die Rechtssicherheit erhöhen. Denn die Richtlinie strebt ein Regelungsmodell an, in dem der Generalklausel neben den Spezialtatbeständen keine zentrale Bedeutung zukommt, sondern lediglich eine Auffangfunktion.234 Damit soll in erster Linie den Bedenken des Vereinigten Königreichs und Irlands Rechnung getragen werden, die der Rechtssetzung durch Generalklauseln ihrer Rechtstradition entsprechend skeptisch gegenüberstehen.235 Die Tatbestände der irreführenden und aggressiven Geschäftspraktiken sind als abschließende Regelungen zu verstehen. Liegen im Einzelfall die Voraussetzungen nicht vor, darf nicht auf die allgemeinen Kriterien zur Ausfüllung der Generalklausel nach Art. 5 Abs. 2 und 3 UGPRL zurückgegriffen werden.236 (i)
Irreführende Geschäftspraktiken
Die Richtlinie unterscheidet zwischen irreführenden Handlungen (Art. 6 UGPRL) und irreführendem Unterlassen (Art. 7 UGPRL). Erstere Regelung lehnt sich an den Irreführungstatbestand nach Art. 2 Nr. 2, Art. 3 WerbeRL an. Nach Art. 6 Abs. 1 UGPRL gelten zunächst alle Geschäftspraktiken als irreführend, die falsche An-
232 EuGH, Urt. v. 27. 6. 2000 – verb. Rs. C-240/98 und C-244/98, Océano Grupo Editorial und Salvat Editores, Slg. 2000, I-4941; EuGH, Urt. v. 21. 11. 2002 – Rs. C-473/00, Cofidis, Slg. 2002, I-10875. 233 EuGH, Urt. v. 1. 4. 2004 – Rs. C-237/02, Freiburger Kommunalbauten, Slg. 2004, I-3403, 3422 f., Rn. 22–24. 234 KOM (2003) 356 endg., S. 14, Tz. 52. 235 Veelken, WRP 2004, 1, 17 f. 236 Veelken, WRP 2004, 1, 18.
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gaben enthalten. Darüber hinaus können auch sachlich richtige Angaben eine irreführende Handlung begründen, wenn sie geeignet sind, den Durchschnittsverbraucher zu täuschen und ihn deshalb zu einer ansonsten nicht so getroffenen geschäftlichen Entscheidung veranlassen können. Art. 6 UGPRL gibt die Sachverhalte vor, auf die sich die irreführenden Angaben beziehen können. Diese Liste umfasst insbesondere Angaben über wesentliche Merkmale des Produktes (u. a. auch Zubehör, Kundendienst und Beschwerdeverfahren) (lit. b); Aussagen oder Symbole, die im Zusammenhang mit Sponsoring stehen (lit. c); den Preis, die Art der Preisberechnung oder einen Preisvorteil (lit. d); die Notwendigkeit einer Leistung für den Verbraucher (lit. e); Merkmale des Gewerbetreibenden (lit. f) sowie Rechte und Risiken für den Verbraucher (lit. g). Die Aufzählung der Umstände, die für die Irreführung maßgeblich sind, ist dem Wortlaut nach im Gegensatz zu Art. 3 WerbeRL abschließend.237 Angeregt wurde deshalb eine Textänderung bzw. eine andere Auslegung, da sich die Bezugspunkte, aus denen sich eine Täuschung der Verbraucher ableiten lässt, praktisch nicht abschließend aufzählen lassen.238 Nach Art. 6 Abs. 2 UGPRL gilt es ebenfalls als unlauter, vermarktet ein Gewerbetreibender ein Produkt auf eine Art und Weise, die eine Verwechslung mit einem anderen Produkt, Warenzeichen, Warennamen oder Kennzeichen befürchten lässt oder verletzt er Verpflichtungen, die ihm aus einem Verhaltenskodex obliegen.239 Eine regelungstechnische Innovation bildet die eingehende Regelung des irreführenden Unterlassens in Art. 7 UGPRL. Hierin tritt besonders klar das Konzept der Richtlinie zu Tage, eine informierte Entscheidung des Verbrauchers zu gewährleisten.240 Unlauter handelt nach Art. 7 Abs. 1 UGPRL ein Gewerbetreibender, der wesentliche Informationen vorenthält, die ein Durchschnittsverbraucher benötigte um eine informierte Entscheidung treffen zu können und wenn dieses Unterlassen zumindest geeignet ist, den Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte. Als Irreführung durch Unterlassen gilt nach Art. 7 Abs. 2 UGPRL auch, wenn die Art und Weise der Information dem Verbraucher keine informierte Entscheidung ermöglicht (nicht transparente oder verspätete Information) oder wenn der kommerzielle Zweck der Handlung des Gewerbetreibenden nicht erkennbar ist. Es überzeugt nicht, dass der Richtliniengeber die letzte Konstellation als einen Fall des Unterlassens einordnet. Fälle getarnter Werbung bzw. kommerzieller Kommunikation bilden schwerpunktmäßig ein unlauteres Tun.241 Art. 7 Abs. 1 UGPRL ist nicht als allgemeine vorvertragliche Aufklärungspflicht zu verstehen. Zu berücksichtigen sind auch die berechtigten Interessen der Anbieter. Dies findet vor allem in der Regelung des Art. 7 Abs. 3 UGPRL seinen Ausdruck, wonach die räumlichen und zeitlichen Beschränkungen des verwendeten Kommuni237 238 239 240 241
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Lettl, WRP 2004, 1079, 1113. Veelken, WRP 2004, 1, 19. Krit. zur dieser Alternative Veelken, WRP 2004, 1, 19 f. KOM (2003) 356 endg., S. 17, Tz. 64. Veelken, WRP 2004, 1, 21.
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kationsmediums bei der Entscheidung darüber zu berücksichtigen sind, ob ein Anbieter den Abnehmern Informationen vorenthalten hat. Bei der Frage danach, welche Informationen ein Anbieter schuldet, ist einschränkend zu berücksichtigen, dass Zweck der Regelung nicht der Schutz der Abnehmer vor Fehlvorstellungen an sich ist. Ihre Entscheidungsfreiheit soll insoweit geschützt werden, wie es notwendig ist, damit sie keinerlei für sie nachteilige wirtschaftliche Dispositionen treffen. Diese Einschränkung leistet das Tatbestandsmerkmal der „wesentlichen“ Informationen in Art. 7 Abs. 1 UGPRL, das sodann in Art. 7 Abs. 4 UGPRL konkretisiert wird: Im Falle einer „Aufforderung zum Kauf“ gelten als „wesentlich“ insbesondere die wichtigsten Merkmale des Produkts, der Handelsname des Geschäftspartners, der Preis einschließlich aller Steuern, Abgaben und zusätzlichen Kosten, die Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen sowie die Information darüber, ob Rücktrittsoder Widerrufsrechte bestehen. Die Abnehmer sind freilich nur dann zu informieren, wenn sich die Angaben nicht unmittelbar aus den Umständen ergeben. Unter der Formulierung „Aufforderung zum Kauf“ ist nicht die vertragsrechtliche Rechtsfigur der invitatio ad offerendum zu verstehen.242 Festgelegt wird vielmehr mit einem eigenständigen lauterkeitsrechtlichen Begriff die Schwelle, ab der den Gewerbetreibenden die Informationspflichten des Art. 7 Abs. 4 UGPRL treffen. Art. 2 lit. i UGPRL definiert die „Aufforderung zum Kauf“ als „jede kommerzielle Kommunikation, die die Merkmale des Produkts und den Preis in einer Weise angibt, die den Mitteln der verwendeten kommerziellen Kommunikation angemessen ist und den Verbraucher dadurch in die Lage versetzt, einen Kauf zu tätigen“. Der Gewerbetreibende ist deshalb nicht verpflichtet, mit jeder Werbung die in Art. 7 Abs. 4 UGPRL aufgeführten Informationen zu verbinden.243 Es liegt in seiner Hand, ein Produkt zu bewerben, ohne den Preis oder genaue Eigenschaften aufzuführen und so nicht die Schwelle des Art. 2 lit. i UGPRL zu überschreiten.244 Diese weite Ausnahme des gesamten Bereichs der allgemein gehaltenen Werbung aus dem Tatbestand des Art. 7 Abs. 1 UGPRL soll Vorbehalte gegen die Kategorie der Irreführung durch Unterlassung mildern.245 Nach Art. 7 Abs. 5 UGPRL gelten zudem auch die sonst im Gemeinschaftsrecht für Werbung, kommerzielle Kommunikation und Marketing festgelegten Informationsanforderungen als wesentliche Informationen i. S. d. Art. 7 Abs. 1 UGPRL. Die Regelung verknüpft damit die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken mit den produkt- oder absatztechnikbezogenen Informationspflichten des Gemeinschaftsrechts, die dadurch mit zusätzlichen Sanktionen versehen werden. Art. 7 Abs. 5 UGPRL verweist auf Anhang II zur Richtlinie, der – nicht abschließend – spezielle Informationspflichten aufführt. Zu betonen ist, dass mit der Richtlinie diese Informationspflichten nicht modifiziert werden, etwa bzgl. des Zeitpunktes, zudem eine bestimmte Information zu geben ist. Denn wie Art. 3 Abs. 4 UGPRL ausdrücklich
242 243 244 245
Vgl. Art. 3 Abs. 2 UGPRL. BE 14 S. 4 UGPRL. Schulte-Nölke/Busch, ZEuP 2004, 99, 106 f. Krit. Veelken, WRP 2004, 1, 21 f.
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klarstellt, gilt diesbezüglich der Spezialitätsgrundsatz.246 Genauso wenig führt die Richtlinie dazu, dass diese Informationspflichten ihren Charakter als Minimumstandards einbüßen. Dies ließe sich zwar durchaus aus der Systematik des Richtlinienvorschlags herleiten, widerspräche indes der Intention des Richtliniengebers.247 (ii)
Aggressive Geschäftspraktiken
Als weiteren speziellen Unlauterkeitstatbestand neben der Irreführung enthält die Richtlinie die Kategorie der „aggressiven Geschäftspraktiken“. Nach der Grundnorm in Art. 8 UGPRL gelten alle Geschäftspraktiken als aggressiv und damit unlauter, die durch Belästigung, Nötigung oder unzulässige Beeinflussung die Freiheit der Verbraucher erheblich beeinträchtigen und diese dadurch veranlassen können, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die sie anderenfalls nicht getroffen hätten. Dem Gewerbetreibenden ist es danach untersagt, eine Machtposition gegenüber dem Verbraucher so auszunutzen, dass es diesem erheblich erschwert wird, unabhängig und informiert über einen Geschäftsabschluss zu entscheiden.248 Zur Konkretisierung enthält Art. 9 UGPRL einige Kriterien, wobei offen bleibt, ob diese als abschließend anzusehen sind. Zu berücksichtigen sind danach Zeitpunkt, Ort, Art und Dauer des Einsatzes der Geschäftspraktiken (lit. a), die Verwendung drohender oder beleidigender Formulierungen oder Verhaltensweisen (lit. b), das Ausnutzen von Situationen, in denen das Urteilsvermögen des Verbrauchers beeinträchtigt ist (Unglückssituationen) (lit. c), Behinderung des Verbrauchers bei der Ausübung seiner vertraglichen Rechte (lit. d) und das Drohen mit unzulässigen Handlungen (lit. e). Als in dieser allgemeinen Form zweifelhaftes Beispiel 249 für eine unzulässige Beeinflussung und damit aggressive Handlung i. S. d. Art. 8 f. UGPRL nennt die Kommission in der Begründung zum Vorschlag das Angebot eines Gewerbetreibenden, einem Verbraucher, der ihm gegenüber mit Zahlungen im Rückstand ist, die Zahlungsfrist zu verlängern, wenn der Verbraucher ein weiteres Produkt kauft.250 Nicht recht erkennbar wird, wie der Gewerbetreibende dem Verbraucher in dieser Situation die Möglichkeit zu einer informierten Entscheidung nimmt. Schließlich braucht sich der Verbraucher nicht auf das Angebot einlassen und kann in Kauf nehmen, dass sein Gläubiger gegen ihn vorgehen wird. Dies ist freilich dessen legitimes Recht, das er grundsätzlich ohnehin hätte ausüben können. Das Beispiel offenbart, wie schwierig es ist, das Kriterium des „Ausnutzens einer Machtposition“ zu konkretisieren, das nach Art. 2 lit. j UGPRL notwendiges Merkmal einer unzulässigen Beeinflussung ist. Wichtig wird sein, für die Annahme einer Machtposition strikt an die individuellen Umstände anzuknüpfen. Zu vermeiden sind jegliche Tendenzen,
246 Schulte-Nölke/Busch, ZEuP 2004, 99, 107 f. und 111–116 zu Folgeproblemen des Vorrangs der spezifischen Informationspflichten. 247 Dazu Schulte-Nölke/Busch, ZEuP 2004, 99, 109. 248 KOM (2003) 356 endg., S. 18, Tz. 71. 249 Veelken, WRP 2004, 1, 26. 250 KOM (2003) 356 endg., S. 18, Tz. 71.
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davon auszugehen, Gewerbetreibende hätten generell eine „Machtposition“ gegenüber privaten Abnehmern, etwa mit der Begründung, sie verfügten über die größeren Ressourcen, seien nicht auf das einzelne Geschäft angewiesen und hätten deshalb stets eine stärkere Verhandlungsposition.251 Im Schrifttum wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass es den Unrechtsgehalt einer aggressiven Verhaltensweise unangemessen verkürzte, beurteilte man sie lediglich unter dem Aspekt, dass sie die Verbraucherentscheidung unsachgemäß beeinflussen kann.252 So gründet sich das Unlauterkeitsurteil der unerwünschten Werbung per Telefon, Telefax oder E-Mail auch auf das unzumutbare Eindringen in die Privatsphäre und darauf, dass technische Einrichtungen blockiert werden bzw. dem Werbeadressat Kosten und Mühen entstehen, sich gegen die unerwünschte Werbung zu schützen oder diese auszufiltern. Diese Wertungen, die sich häufig auch auf grundrechtliche Positionen stützen können, müssen in die Auslegung des Art. 8 UGPRL einfließen. Ein normativer Anknüpfungspunkt hierfür könnte die Abgrenzungsfrage sein, wann die Entscheidungs- bzw. Verhaltensfreiheit des Verbrauchers „erheblich“ i. S. d. Art. 8 UGPRL beeinträchtigt wird. (iii)
Die „schwarze Liste“
Die Richtlinie zählt in Anhang I eine Reihe von Geschäftspraktiken auf, die nach Art. 5 Abs. 5 UGPRL in jedem Fall als unlauter anzusehen sind. Der Anhang differenziert wiederum zwischen irreführenden und aggressiven Geschäftspraktiken und führt beispielsweise sog. Lockangebote auf; falsche Behauptungen, wonach ein Produkt nur zeitlich begrenzt verfügbar sei; die Präsentation gesetzlich zugestandener Rechte als Besonderheit; Werbung mit dem Begriff des Räumungsverkaufs, wenn keine Geschäftsaufgabe beabsichtigt ist, „hartnäckiges und unerwünschtes Ansprechen über Telefon, Fax, E-Mail oder sonstige für den Fernabsatz geeignete Medien“ oder auch die Aufforderung zur Bezahlung unbestellter Waren oder Dienstleistungen. Fraglich ist, inwieweit der Katalog des Anhang I UGPRL für die dort aufgeführten Geschäftspraktiken von abschließendem Charakter ist. Kann eine unerwünschte Telefonwerbung, die aber nicht „hartnäckig“ erfolgte, wie in Anhang I Nr. 23 UGPRL vorausgesetzt, trotzdem nach Art. 8 f. UGPRL unlauter sein? Der Wortlaut der Überschrift („Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter gelten“) deutet daraufhin, dass die Aufzählung nicht abschließend ist und daneben auf die allgemeinen Tatbestände zurückgegriffen werden kann.253 d)
Verhaltenskodizes
Die Kommission bringt in Art. 10 UGPRL ihre positive Einstellung gegenüber Instrumenten der Selbstregulierung zum Ausdruck. Verhaltenskodizes i. S. d. Art. 2 lit. f UGPRL betrachtet sie als nützliche Mechanismen, um die Grundsätze der
251 252 253
Zur Haltlosigkeit eines in solcher Weise verallgemeinernden Ansatzes siehe S. 156 ff. Veelken, WRP 2004, 1, 25. Veelken, WRP 2004, 1, 25.
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Richtlinie für bestimmte Branchen zu konkretisieren. An Verhaltenskodizes kann auch Art. 5 Abs. 2 lit. a UGPRL anknüpfen, wonach lauteres Verhalten den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflichten entsprechen muss. Als positiv wird vor allem angesehen, dass die Selbstkontrolle unlauterer Geschäftspraktiken die staatlichen Durchsetzungsmechanismen entlastet, also vor allem die Verwaltungsbehörden bzw. die Gerichte.254 Die Richtlinie unterstützt die Rolle der Verhaltenskodizes zum einen dadurch, dass es nach Art. 5 Abs. 5 i. V. m. Anhang I Nr. 1 und 3 UGPRL unlauter ist, wahrheitswidrig zu behaupten, Unterzeichner eines Verhaltenskodex zu sein oder dass ein Verhaltenskodex von einer öffentlichen oder anderen Stelle gebilligt sei. Zum anderen hält Art. 6 Abs. 2 lit. b UGPRL einen Sanktionsmechanismus bereit: Verletzt ein Gewerbetreibender einen Verhaltenskodex, dem er sich unterworfen hat, so liegt darin eine irreführende und damit unlautere Handlung. Dies gilt indes nur, wenn es sich um eine eindeutige Verpflichtung handelt, deren Einhaltung nachprüfbar ist und wenn der Gewerbetreibende im Rahmen einer Geschäftspraxis darauf hinweist, dass er durch den Kodex gebunden sei. Bestimmungen eines Kodex dürfen nicht den Vorgaben der Richtlinie bzw. der mitgliedstaatlichen Gesetzgebung zur Umsetzung widersprechen. Allerdings können die Verpflichtungen der Kodizes strenger sein als die der Richtlinie. Denn zwar strebt diese eine Vollharmonisierung an, jedoch bindet dies nur die Mitgliedstaaten, nicht aber die Gewerbetreibenden, die sich freiwillig einem Kodex unterwerfen. Zu beachten sind daneben aber die kartellrechtlichen Grenzen.255 Der Richtliniengeber verzichtete darauf, die Maßgeblichkeit von Kodizes davon abhängig zu machen, dass die Verbraucher bzw. ihre Verbände bei der Aufstellung beteiligt werden. Dies überrascht, besteht doch das Ziel der Richtlinie gerade darin, ein hohes Maß an Verbraucherschutz bei der Angleichung der Lauterkeitsstandards zu erreichen. Einzuräumen ist freilich, dass es sich als praktisch schwierig erweisen könnte, die Verbraucherinteressen mit einzubeziehen. Verlangte man dies obligatorisch, würde es erheblich komplizierter und unflexibler, Verhaltenskodizes auszuhandeln. Indem die Kommission freiwillige Verhaltenskodizes mit der gesetzgeberischen Regulierung verknüpft und die ergänzende Rolle der Selbstregulierung ausdrücklich positiv beurteilt, geht sie einen Schritt auf das Vereinigte Königreich und Irland zu, also die Mitgliedstaaten, die bisher für den Schutz der Verbraucher vor unlauteren Handeln weit gehend auf Verhaltenskodizes gesetzt haben.256 Zu konstatieren bleibt aber auch, dass bei Wettbewerbsrechtlern kontinentaleuropäischer Provenienz nach wie vor ein gehöriges Maß an Skepsis zur Frage zu bemerken ist, inwie-
254 BE 20 UGPRL. 255 Siehe zur Behandlung von Wettbewerbsregeln im Rahmen des Art. 81 Abs. 1 EG Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 1, A, Rn. 186–192. 256 Zum British Code of Advertising, Sales Promotion and Direct Marketing Jergolla, WRP 2003, 431–449 und 606–609.
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weit durch Selbstregulierung tatsächlich inhaltlich ausgewogene und mit dem System unverfälschten Wettbewerbs konforme Regelungen gefunden werden können.257 e)
Durchsetzung und Verfahren
Für die Sanktionierung eröffnet der Richtlinienvorschlag den Mitgliedstaaten einigen Gestaltungsspielraum. Die Sanktionen müssen nach Art. 13 S. 2 UGPRL „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein. Diesem Erfordernis kann durch zivilrechtliche Ansprüche, aber auch durch Verwaltungs-, Ordnungswidrigkeitenoder Strafrecht Rechung getan werden. Der Vorschlag lässt den Mitgliedstaaten damit den Freiraum, ihre teils sehr unterschiedlich konzipierten Durchsetzungsmodelle aufrechtzuerhalten und weiterhin etwa auf Konkurrentenklagen zu setzen oder darauf, dass staatliche Stellen tätig werden.258 Art. 11 UGPRL sieht als einheitliche verfahrensrechtliche Mindeststandards zunächst vor, dass die Mitgliedstaaten ein Verfahren bereitstellen müssen, das Personen oder Organisationen, die ein berechtigtes Interesse daran haben, unlautere Geschäftspraktiken zu bekämpfen, ermöglicht, ein behördliches oder ein gerichtliches Verfahren einzuleiten.259 Daneben müssen die Mitgliedstaten Unterlassungsanordnungen ermöglichen, ohne dass dies einen Schaden oder ein Verschulden voraussetzt.260 Dem nationalen Recht bleibt es auch überlassen, den Anspruchsberechtigten zu benennen. Art. 11 UGPRL bestimmt zudem, dass auch die Möglichkeit eines beschleunigten Verfahrens bestehen muss.261 Schließlich regelt Art. 12 UGPRL noch die Befugnisse von Gerichten und Verwaltungsbehörden zur Tatsachenfeststellung. Die Art. 11 bis 13 UGPRL gehen mithin nicht über das hinaus, was bisher etwa schon Art. 5 WerbeRL zur Rechtsdurchsetzung vorsieht. Diese Zurückhaltung der Kommission wurde kritisiert und eine weiter gehende Harmonisierung der Durchsetzungsregeln als notwendig angesehen.262 Selbst wenn man diesen Befund teilt, wird man anerkennen müssen, dass es sich erstens hierbei um einen auf Grund der divergierenden Rechtstraditionen und gewachsener Strukturen sehr sensiblen Bereich handelt, der eine Einigung sehr schwer macht. Zweitens überzeugt es aus der Perspektive der Binnenmarktintegration, dass die Kommission vorrangig auf die Angleichung der sachlichen Schutzstandards setzt und den Mitgliedstaaten lediglich eine effektive Sanktionierung aufgibt.
257 258 259 260 261 262
Beater, ZEuP 2003, 11, 49 f.; Veelken, WRP 2004, 1, 28. Schulte-Nölke/Busch, ZEuP 2004, 99, 104. Art. 11 Abs. 1 UGPRL. Art. 11 Abs. 2 UGPRL. Art. 11 Abs. 2 UGPRL. Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1047.
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2.
Branchen- und produktübergreifende Regelungen für die Absatzförderung
a)
Schutz vor irreführender und Regelung vergleichender Werbung
Die Richtlinie über irreführende Werbung stellte den ersten Schritt der EG dar, das Werberecht zu harmonisieren. Ursprünglich war eine umfassende lauterkeitsrechtliche Regelung geplant. Dieser Ansatz schmolz dann in den Beratungen zu einem Rechtsakt zusammen, der lediglich die irreführende Werbung erfasste.263 Im Jahre 1997 wurde nach langjähriger Diskussion schließlich die Richtlinie über vergleichende Werbung verabschiedet.264 Mit dieser Richtlinie wurde die vergleichende Werbung in den Anwendungsbereich der Werberichtlinie einbezogen. Nach Art. 1 WerbeRL bezweckt die Richtlinie zunächst den Schutz der Gewerbetreibenden vor irreführender Werbung. Der Schutz der Verbraucher vor Irreführungen soll umfassend durch Art. 5 Abs. 4 UGPRL i. V. m. Art. 6 und Art. 7 UGPRL gewährleistet werden. Weiter legt die Werberichtlinie auch die Bedingungen für zulässige vergleichende Werbung fest (Art. 1 WerbeRL), aber auch dies nur insoweit, als die Interessen anderer Gewerbetreibender tangiert sind. Deutlich wird dies an der Änderung, die Art. 3a WerbeRL durch Art. 14 UGPRL erfahren hat: Voraussetzung für die Zulässigkeit vergleichender Werbung nach der Werberichtlinie ist nicht mehr, dass diese „auf dem Markt“ keine Verwechslungsgefahr verursacht (Art. 3a Abs. 1 lit. d WerbeRL a. F.), sondern dass sie keine Verwechslungsgefahr „bei den Gewerbetreibenden“ begründet (Art. 3a Abs. 1 lit. h WerbeRL). Die Werberichtlinie bestimmt damit lediglich den Schutzstandard für Marketingmaßnahmen, die sich an Gewerbetreibende als Abnehmer richten (vertikales Verhältnis). Sie regelt jedoch das zulässige Marktverhalten nur ausschnittsweise: Da der Schutzstandard für die Werbung gegenüber privaten Abnehmern in der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und anderen Spezialregelungen definiert wird, regelt die Werberichtlinie die Frage, unter welchen Umständen sich ein Konkurrent einen Vorteil durch unlautere Werbung sichert – also die „horizontale“ Dimension des Werberechts – nur teilweise. Die weit gefasste Definition der „Werbung“ bestimmt den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie. Darunter fällt nach Art. 2 Nr. 1 WerbeRL jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, zu fördern. Die Äußerung kann in beliebiger Form erfolgen.265 Es kommt nicht darauf an, dass sie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich ist. Erfasst werden deshalb auch Aussagen in einem individuellen Kundengespräch. Der Tatbestand der Werbung nach Art. 2 Nr. 1 WerbeRL betrifft jedoch nur
263 Paefgen, Globales und Euro-Marketing (1989), S. 134; Perau, Werbeverbote im Gemeinschaftsrecht (1997), S. 69. 264 Zur Entstehungsgeschichte Freund, Vergleichende Werbung (2001), S. 23 ff. 265 EuGH, Urt. v. 25. 10. 2001 – Rs. C-112/99, Toshiba Europe, Slg. 2001, I-7945, 7986, Rn. 31.
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Äußerungen, die wenigstens einen objektiv nachprüfbaren Tatsachenkern enthalten. Reine Werturteile können schon begrifflich nicht irreführen.266 Im Zentrum der Werberichtlinie steht der Tatbestand der Irreführung. Nach Art. 2 Nr. 2 WerbeRL ist Werbung irreführend, wenn sie die Personen, an die sie sich richtet oder die von ihr erreicht werden, täuscht oder zu täuschen geeignet ist und infolgedessen deren wirtschaftliches Verhalten beeinflussen kann oder einen Mitwettbewerber schädigt oder zu schädigen geeignet ist. Der Tatbestand besteht somit aus zwei Elementen, die kumulativ gegeben sein müssen: der Täuschung oder Täuschungseignung einerseits und der Eignung zur Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens oder Eignung zur Schädigung eines Mitbewerber andererseits. Bezüglich des zweiten Merkmals scheint der EuGH nicht auf den Zeitpunkt der Werbung, sondern auf den (späteren) Zeitpunkt abzustellen, zu dem die für die wirtschaftlichen Verhältnisse relevante Entscheidung durch den Adressaten der Werbung getroffen wird.267 Eine solche Auslegung hat zur Folge, dass die potenzielle Eignung einer Werbung, das wirtschaftliche Verhalten am Markt zu beeinflussen, nicht hinreichend ist, um den Irreführungstatbestand zu erfüllen und dass eine Aufklärung im Rahmen von Vertragsverhandlungen genügte, einer Werbung das Verdikt der Irreführung zu nehmen.268 Dies widerspricht allerdings Art. 2 Nr. 2 WerbeRL, wonach eine Werbung bereits dann irreführend ist, wenn sie das Verhalten der Adressaten auf Grund ihres Potentials zur Täuschung „beeinflussen kann“. Zudem nennt Art. 3 lit. a WerbeRL die bloße Verfügbarkeit eines Produktes als möglichen Irreführungsgegenstand und nach Begründungserwägung 3 WerbeRL ist es unerheblich, ob auf Grund der Werbung ein Vertrag geschlossen wurde. Auch spricht der EuGH in der Nissan-Entscheidung an anderer Stelle selbst davon, dass der verschwiegene Umstand lediglich „geeignet“ sein müsse, Werbeadressaten von ihrer Kaufentscheidung abzuhalten.269 Die Werberichtlinie trifft keine Aussage darüber, wann eine Werbung täuscht oder geeignet ist, zu täuschen. Damit spezifizierte sie insbesondere auch vor der Einschränkung ihres Anwendungsbereichs auf Werbemaßnahmen, die sich an Gewerbetreibende richten, nicht das der Richtlinie zugrunde liegende Verbraucherleitbild. In der zu Art. 2 Nr. 2 WerbeRL ergangenen Entscheidung Nissan stellte der EuGH darauf ab, ob die Werbung geeignet ist,270 eine „erhebliche Zahl“ von Verbrauchern irrezuführen.271 Der Gerichthof legte als Auslegungsmaßstab das Leit-
266 Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1022 f. 267 EuGH, Urt. v. 16. 1. 1992 – Rs. C-373/90, Ermittlungsverfahren gegen X („Nissan“), Slg. 1992, I-131, 150, Rn. 16. 268 Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 11 f.; Köhler, GRUR Int. 1994, 396, 400; Schricker, GRUR Int. 1994, 586, 593. 269 EuGH, Urt. v. 16. 1. 1992 – Rs. C-373/90, Ermittlungsverfahren gegen X („Nissan“), Slg. 1992, I-131, 150, Rn. 15. 270 Entgegen dem insoweit missverständlichen deutschen Wortlaut des Urteils ist keine tatsächliche Irreführung nachzuweisen, Deutsch, GRUR 1997, 44. 271 EuGH, Urt. v. 16. 1. 1992 – Rs. C-373/90, Ermittlungsverfahren gegen X („Nissan“), Slg. 1992,
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bild des aufmerksamen und verständigen Verbrauchers zu Grunde. Diese Entscheidung ist indes nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu den weiteren Irreführungstatbeständen im übrigen Sekundärrecht 272 und auch dem im primären Gemeinschaftsrecht als maßgeblich erachteten Verbraucherleitbild 273 zu sehen. Art. 3 WerbeRL konkretisiert, dass alle Bestandteile einer Werbung zu berücksichtigen sind, um zu beurteilen, ob diese irreführend ist. Insbesondere sind die Angaben der Werbung über Merkmale (lit. a) und den Preis (lit. b) der beworbenen Ware oder Dienstleistung mit in die Beurteilung einzubeziehen sowie Angaben über das werbende Unternehmen (lit. c). Die Aufzählung ist nicht abschließend, so dass auch Angaben über die geschäftlichen Verhältnisse der Konkurrenten bei der Feststellung zu berücksichtigen ist, ob eine Werbung irreführen kann. Die Werberichtlinie gibt in ihrem zweiten Schwerpunkt vor, unter welchen Voraussetzungen vergleichende Werbung in den Mitgliedstaaten als zulässig angesehen werden muss. Die Richtlinie sieht die vergleichende Werbung als ein positiv zu beurteilendes Marketinginstrument, das die Abnehmer über die Vor- und Nachteile verschiedener Produkte informiert und so den Wettbewerb intensiviert.274 Art. 2 Nr. 2a WerbeRL definiert vergleichende Werbung als solche, die unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die von einem Mitbewerber angeboten werden, erkennbar macht. Durch diese weite Definition werden alle Formen vergleichender Werbung erfasst.275 Andererseits findet die Richtlinie keine Anwendung bei Werbevergleichen allgemeiner Art ohne erkennbaren Bezug auf individualisierbare Mitwettbewerber oder deren Leistungen.276 Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit vergleichender Werbung sind katalogartig in Art. 3a WerbeRL geregelt. Im Hinblick auf die der Richtlinie zu Grunde liegende Wertung, dass vergleichende Werbung den Wettbewerb zwischen den Anbietern im Interesse der Abnehmer fördert, sind die an die Zulässigkeit geknüpften Voraussetzungen im für die Abnehmer günstigsten Sinne auszulegen.277
I-131, 150, Rn. 16; siehe aber auch die französiche Fassung des Urteils, wo es heißt: „un nombre significatif de consommateurs“. 272 Insbesondere die 6-Korn-Eier-Entscheidung des EuGH zu Art. 10 Abs. 2 der Eiervermarktungs-VO (siehe unten S. 83) und die zu Art. 6 Abs. 3 KosmetikRL ergangenen Entscheidungen Verband Sozialer Wettbewerb („Clinique“), Unilever („Odol-Med 3“) und Estée Lauder („Lifting Creme“) (siehe unten S. 93). 273 Kritisch zur Rekurrierung auf das im Rahmen der Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten entwickelte Verbraucherleitbild Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000), S. 96 ff. und Roth, W.-H., in: FS Mestmäcker (1996), S. 725, 733 f.; dazu unten S. 327 ff. 274 BE 2 der Richtlinie 97/55/EG. 275 EuGH, Urt. v. 25. 10. 2001 – Rs. C-112/99, Toshiba Europe, Slg. 2001, I-7945, 7985 f., Rn. 29–31. 276 Ganz h. M., siehe etwa Freund, Vergleichende Werbung (2001), S. 55 f. m. w. N. 277 EuGH, Urt. v. 25. 10. 2001 – Rs. C-112/99, Toshiba Europe, Slg. 2001, I-7945, 7987, Rn. 36 f.
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Der Werbevergleich darf zunächst nicht irreführend sein.278 Hierzu hat der EuGH beispielsweise entschieden, dass ein Vergleich konkurrierender Produkte dann irreführend ist, wenn der Werbende die Marke eines Konkurrenten nicht nennt, diese aber die Kaufentscheidung spürbar beeinflussen kann und die verglichenen Marken deutliche Unterschiede hinsichtlich ihres Ansehens aufweisen.279 Nicht notwendig sei hingegen, dass bei einem Vergleich darauf hingewiesen wird, dass die verglichenen Produkte auf unterschiedlichen Vertriebswegen beschafft wurden.280 Damit will der Gerichtshof verhindern, dass Parallelimporte stigmatisiert werden, die schließlich gerade das Anliegen des Binnenmarktes seien und der Marktgegenseite neue Chancen eröffneten. Nach Art. 3a Abs. 1 lit. b WerbeRL darf die Werbung nur Waren oder Dienstleistungen vergleichen, die für den gleichen Bedarf oder denselben Zweck bestimmt sind. Der Wortlaut der Vorschrift und das durch die Richtlinie anerkannte Interesse der Abnehmer an Werbevergleichen als Informationsquelle sprechen für ein weites Verständnis dieser Voraussetzung. Notwendig ist deshalb nur, dass Produkte verglichen werden, die aus Sicht des angesprochenen Verkehrskreises substituierbar sind. Bezugspunkt des Vergleichs müssen objektiv wesentliche, relevante, nachprüfbare und typische Eigenschaften dieser Waren oder Dienstleistungen sein, wozu auch der Preis zu rechnen ist.281 Das Gebot der Objektivität eines Preisvergleichs ist nach Ansicht des EuGH nicht bereits dadurch verletzt, dass der Werbende gerade die Produkte für den Vergleich auswählt, bei denen ein für ihn günstiger Preisunterschied besteht. Einen Preisvergleich objektiv zu gestalten fordert nicht, nur Durchschnittspreise zu vergleichen.282 Bei einem Werbevergleich dürfen weder Marken, Handelsnamen oder andere Unterscheidungszeichen noch die Waren, Dienstleistungen, die Tätigkeiten oder die Verhältnisse eines Mitbewerbers herabgesetzt oder verunglimpft (lit. d) oder unlauter ausgenutzt werden (lit. f). Die Reputation eines Unterscheidungszeichens wird durch die Nennung in der Werbung nicht unlauter nach Art. 3a Abs. 1 lit. f WerbeRL ausgenutzt, wenn der Hinweis Voraussetzung für einen wirksamen Wettbewerb auf dem betroffenen Markt ist.283 Eine unzulässige Rufausnutzung liegt aber dann vor, wenn die Nennung der Marke etc. einen falschen Eindruck erweckt über die Beziehung zwischen dem Werbenden und dem Markeninhaber oder wenn die Gefahr besteht, dass der angesprochene Verkehrskreis die gute Reputation des Konkurrenzproduktes auf die Angebote des Werbenden überträgt.284
278 279 280 281 282 283 284
Art. 3a Abs. 1 lit. a WerbeRL. EuGH, Urt. v. 8. 4. 2003 – Rs. C-44/01, Pippig Augenoptik, Slg. 2003, I-3095, 3148, Rn. 53. EuGH, Urt. v. 8. 4. 2003 – Rs. C-44/01, Pippig Augenoptik, Slg. 2003, I-3095, 3151, Rn. 61–64. Art. 3a Abs. 1 lit. c WerbeRL. EuGH, Urt. v. 8. 4. 2003 – Rs. C-44/01, Pippig Augenoptik, Slg. 2003, I-3095, 3156, Rn. 81 f. EuGH, Urt. v. 25. 10. 2001 – Rs. C-112/99, Toshiba Europe, Slg. 2001, I-7945, 7992, Rn. 54. EuGH, Urt. v. 25. 10. 2001 – Rs. C-112/99, Toshiba Europe, Slg. 2001, I-7945, 7992, Rn. 55, 57.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
Ein Mitbewerber wird nicht allein deshalb herabgesetzt oder verunglimpft, weil der Werbende einen Preisvergleich vornimmt und so der Eindruck entsteht, die Preise des Mitbewerbers seien überhöht.285 Schließlich liegt es in der Natur eines Preisvergleichs, dass die eigenen Produkte als die günstigeren herausgestellt werden. Zwangsläufig geht dies zu Lasten des Konkurrenten. Ein Verstoß gegen Art. 3a Abs. 1 lit. d WerbeRL kann auch nicht darin gesehen werden, dass die Werbung zusätzlich zum Namen des Mitbewerbers dessen Firmenlogo und ein Bild der Fassade seines Geschäfts zeigt.286 Im Übrigen setzt ein zulässiger Werbevergleich voraus, dass er keine Verwechslungsgefahr bei den Gewerbetreibenden begründet oder zwischen dem Werbenden und einem Mitbewerber oder zwischen den Warenzeichen, Warennamen, sonstigen Kennzeichen, Waren oder Dienstleistungen des Werbenden und denen eines Mitbewerbers (lit. h). Daneben bestimmt Art. 6 Abs. 2 lit. a UGPRL als Parallelnorm zum Schutz der Verbraucher als Adressaten vergleichender Werbung, dass diese keine Verwechslungsgefahr in sich birgt. Die Werberichtlinie macht keine spezifischen Sanktionsvorgaben. In Art. 4 Abs. 1 UAbs. 1 WerbeRL heißt es allgemein, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, geeignete und wirksame Möglichkeiten zur Bekämpfung der irreführenden Werbung und zur Gewährung der Einhaltung der Bestimmungen über vergleichende Werbung zu schaffen. Im Übrigen enthält die Richtlinie Regelungen zur verfahrensmäßigen Durchsetzung der Richtlinienbestimmungen.287 Im Grundsatz gestattet es Art. 7 Abs. 1 WerbeRL den Mitgliedstaaten, bei irreführender Werbung einen über die Richtlinienvorgaben hinausreichenden Schutzstandard vorzusehen. Ein Teil des Schrifttums geht – auch unter Berufung auf das Urteil des EuGH in der Rechtssache Nissan – davon aus, dass sich das Prinzip der Mindestharmonisierung nur auf die Regelung der Sanktionen beziehe, bezüglich des Begriffs der Irreführung aber eine abschließend harmonisierte, gemeinschaftsrechtliche Begriffsbildung maßgeblich sein soll.288 Eine solche Deutung des Urteils steht jedoch im Widerspruch zu der zuvor ergangenen Entscheidung Pall und der nach dem Nissan-Urteil getroffenen Entscheidung in der Rechtssache Clinique. Der Gerichtshof brachte in beiden Urteilen zum Ausdruck, dass die Werberichtlinie lediglich „objektive Mindestkriterien“ definiert, anhand derer zu messen ist, ob eine Werbung irreführend ist.289 Gegen die Annahme eines vollharmonisierten Irreführungstatbestandes ist einzuwenden, dass sich dem
285 EuGH, Urt. v. 8. 4. 2003 – Rs. C-44/01, Pippig Augenoptik, Slg. 2003, I-3095, 3156, Rn. 80. 286 EuGH, Urt. v. 8. 4. 2003 – Rs. C-44/01, Pippig Augenoptik, Slg. 2003, I-3095, 3156 f., Rn. 83 f. 287 Siehe unten S. 108. 288 Everling, in: ZAW (Hrsg.), Irreführende Werbung in Europa (1990), S. 43, 51 ff.; ders., ZLR 1994, 221, 237 f.; ähnlich Köhler, GRUR Int. 1994, 396, 397 ff., nach dem das Verhältnismäßigkeitsprinzip auch eine Schranke für strengere nationale Vorschriften in rein innerstaatlichen Fällen bilde. 289 EuGH, Urt. v. 13. 12. 1990 – Rs. C-238/89, Pall, Slg. 1990, I-4827, 4850, Rn. 22; EuGH, Urt. v. 2. 2. 1994 – Rs. C-315/92, Verband Sozialer Wettbewerb („Clinique“), Slg. 1994, I-317, 334 f., Rn. 10.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 WerbeRL kein Anhaltspunkt dafür entnehmen lässt, den Tatbestand des Art. 2 Nr. 2 WerbeRL vom Vorbehalt strengerer nationaler Regelungen auszunehmen. Zudem spricht auch die siebente Begründungserwägung davon, dass es notwendig sei, „objektive Mindestkriterien“ aufzustellen, nach denen die Irreführungsgefahr einer Werbung zu beurteilen ist. Systematisch schlägt zudem für eine Mindestharmonisierung zu Buche, dass Art. 7 Abs. 2 WerbeRL ausdrücklich vorsieht, dass Art. 7 Abs. 1 WerbeRL nicht für die vergleichende Werbung gelten soll. Der Irreführungsbegriff des Art. 2 Nr. 2 WerbeRL gibt danach lediglich Mindestanforderungen für das in den Mitgliedstaaten zu gewährleistende Schutzniveau vor.290 Für die Regelungen zur vergleichenden Werbung legt Art. 7 Abs. 2 WerbeRL fest, dass der Grundsatz der Mindestharmonisierung, soweit es sich um den Vergleich handelt, nicht gilt. Damit ist die vergleichende Werbung grundsätzlich abschließend harmonisiert. Kontrovers diskutiert wird dazu zunächst die Frage, ob aus dieser Regelung folgt, dass die Mitgliedstaaten auch einen durch die Richtlinie nicht zugelassenen Vergleich verbieten müssen, oder ob die Richtlinie nur abschließende Kriterien für die Zulässigkeit der vergleichenden Werbung enthält.291 Für Letzteres spricht der Wortlaut des Art. 3a WerbeRL 292 und dass ursprünglich im Gesetzgebungsverfahren eine Formulierung vorgesehen war, wonach vergleichende Werbung ausdrücklich „nur“ unter den nachfolgenden Voraussetzungen zulässig sein sollte.293 Außerdem wird geltend gemacht, dass nur eine solche Auslegung dem Liberalisierungsziel der Richtlinie entspräche.294 Gleichwohl sprechen die besseren Argumente, insbesondere das Harmonisierungsziel der Richtlinie über vergleichende Werbung,295 aber auch die Einbettung in die Richtlinie über irreführende Werbung für die Auslegung im Sinne einer gemeinschaftsweit einheitlichen Regelung,296 so dass liberalere mitgliedstaatliche Regelungen nicht zulässig sind. Auch der EuGH ging in der Toshiba-Entscheidung davon aus, dass Art. 3a WerbeRL nicht nur als Zulässigkeits-, sondern auch als Verbotskatalog zu verstehen ist.297
290 Ganz h. M., siehe etwa Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 18; Roth, in: FS Mestmäcker (1996), S. 725, 736–739; Schricker, GRUR Int. 1990, 771, 772, Fn. 12. 291 Ausf. dazu Freund, Vergleichende Werbung (2001), S. 64 ff. 292 Bornkamm, in: Schwarze (Hrsg.), Werbung und Werbeverbote im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts (1999), S. 134, 139. 293 Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 20; siehe Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über vergleichende Werbung und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung vom 21. 4. 1994, ABl. EG Nr. C 136 v. 19. 5. 1994, S. 4, 7. 294 Sack, GRUR Int. 1998, 263, 270 f. 295 Vgl. BE 2 WerbeRL. 296 Bornkamm, in: Schwarze (Hrsg.), Werbung und Werbeverbote im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts (1999), S. 134, 139 f.; Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 20; Eck/Ikas, WRP 1999, 251, 255 f.; Menke, WRP 1998, 811, 817 f.; Tilmann, GRUR 1997, 790. 297 EuGH, Urt. v. 25. 10. 2001 – Rs. C-112/99, Toshiba Europe, Slg. 2001, I-7945, 7986 f., Rn. 32–35, dazu Sack, WRP 2002, 363, 365.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
Unklar ist ebenfalls der Verweis in Art. 3a Abs. 1 lit. a WerbeRL auf Art. 7 Abs. 1 WerbeRL. Nach erstgenannter Regelung ist die vergleichende Werbung nur zulässig, wenn sie nicht irreführend ist, wobei dafür der Irreführungsbegriff nach Art. 2 Nr. 2, Art. 3 und Art. 7 Abs. 1 WerbeRL maßgeblich ist. Die Bezugnahme auf Art. 7 Abs. 1 WerbeRL würde – nähme man sie wörtlich – dazu führen, dass auch bei einer vergleichenden Werbung gegenüber Gewerbetreibenden ein weiter reichender mitgliedstaatlicher Irreführungsschutz möglich wäre.298 Neben dem Wortlaut wird für diese Auslegung vorgebracht, dass sich die Mitgliedstaaten, als sie die Richtlinie abfassten, nicht auf einen einheitlichen europäischen Irreführungsmaßstab einigen konnten. Andererseits bestimmt aber Art. 7 Abs. 2 WerbeRL, dass Art. 7 Abs. 1 WerbeRL nicht für die vergleichende Werbung gilt, soweit es sich um den Vergleich handelt. Wortlaut und Systematik der Werberichtlinie lassen deshalb kein klares Ergebnis über den Harmonisierungsstandard beim irreführenden Werbevergleich erkennen. Ausschlaggebend sollte deshalb das Harmonisierungsziel der Richtlinie über vergleichende Werbung sein. Danach sollen die Mitgliedstaaten nicht das Recht haben, für vergleichende Werbung strengere Maßnahmen zu erlassen.299 Aus diesem Grunde spricht mehr dafür, im Rahmen der vergleichenden Werbung von einem vollharmonisierten Irreführungsmaßstab auszugehen, der die Anwendung strengerer mitgliedstaatlicher Regelungen ausschließt.300 b)
Preisangaben
Um Markttransparenz und eine korrekte Information der Verbraucher zu fördern, regelt die Richtlinie über Preisangaben die Preisauszeichnung. Gemäß Art. 3 Abs. 1 PrAngRL ist für sämtliche Erzeugnisse nicht nur der Verkaufspreis anzugeben, sondern auch der Preis je Maßeinheit, soweit dieser nicht mit dem Verkaufspreis identisch ist. Den Mitgliedstaaten steht es nach Art. 5 PrAngRL frei, davon Ausnahmen zuzulassen, wenn die Angabe des Preises je Maßeinheit auf Grund der Beschaffenheit oder der Zweckbestimmung nicht sinnvoll wäre oder sogar zu Verwechslungen führen könnte. Dies ist auch die Ratio der Ausnahmeoptionen nach Art. 3 Abs. 2 PrAngRL für Erzeugnisse, die bei der Erbringung einer Dienstleistung geliefert werden und für Versteigerungen sowie Verkäufe von Kunstgegenständen und Antiquitäten. Nach Art. 3 Abs. 4 PrAngRL gilt auch für jegliche Werbung, bei der der Verkaufspreis der Erzeugnisse genannt wird, dass der Preis je Maßeinheit anzugeben
298 So Dilly, Das Irreführungsgebot in Art. 3a der Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung (2001), S. 81; Gloy/Bruhn, GRUR 1998, 226, 232; Ohly/Spence, GRUR Int. 1999, 681, 690; Plassmann, GRUR 1996, 377, 379. 299 BE 18 der Richtlinie zur vergleichenden Werbung. 300 EuGH, Urt. v. 8. 4. 2003 – Rs. C-44/01, Pippig Augenoptik, Slg. 2003, I-3095, 3144–3146, Rn. 38–44; Bornkamm, in: Schwarze (Hrsg.), Werbung und Werbeverbote im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts (1999), S. 134, 143 f.; Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 21; Eck/Ikas, WRP 1999, 251, 257 f.; Menke, WRP 1998, 811, 820; Plaß, NJW 2000, 3161; Sack, GRUR Int. 1998, 263, 271; ders., GRUR 2004, 89, 91 f.; differenzierend Tilmann, GRUR 1997, 790, 791 ff.
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ist. Dem Werbenden bleibt also die Wahl, ob er überhaupt mit dem Verkaufspreis werben will. Ein Transparenzgebot legt schließlich Art. 4 Abs. 1 PrAngRL fest. Danach müssen der Verkaufspreis und der Preis je Maßeinheit unmissverständlich, klar erkennbar und gut lesbar sein. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die Zahl der anzugebenden Preise begrenzt wird. Die Preisangabenrichtlinie hindert nach Art. 10 die Mitgliedstaaten nicht, für die Unterrichtung der Verbraucher und den Preisvergleich günstigere Bestimmungen zu erlassen oder beizubehalten. Die Richtlinie folgt damit dem Konzept der Mindestharmonisierung. Wie dargelegt, sieht die Richtlinie teilweise auch lediglich eine optionale Harmonisierung vor.301 c)
Verkäufergarantien
Für Verkäufer ist die Garantie ein bedeutendes Werbemittel. Insbesondere der KfzMarkt ist geprägt von der Werbung der Hersteller mit der Dauer der von ihnen gegebenen Garantien.302 Nach Art. 6 Abs. 1 KaufRRL ist ein Garantiegeber an die Angaben gebunden, die er in einer Garantiewerbung macht. Die Regelung statuiert damit mittelbar ein Irreführungsverbot und sanktioniert irreführende Angaben mit einer Bindungswirkung.303 Um Irreführungen und falsche Vorstellungen der Verbraucher über den Umfang seiner Rechte zu vermeiden, zählt Art. 6 Abs. 2 KaufRRL bestimmte Pflichtangaben einer Garantieerklärung auf und enthält Transparenzgebote.304 Nach Art. 6 Abs. 3 KaufRRL ist die Garantie dem Verbraucher auf Wunsch schriftlich oder auf einem sonstigen dauerhaften Datenträger zugänglich zu machen. Die Mitgliedstaaten können nach Art. 6 Abs. 5 KaufRRL für ihr Gebiet vorschreiben, dass die Garantie in einer oder mehreren Sprachen abzufassen ist, die jedoch Amtssprachen der Gemeinschaft sein müssen. Bei Verstößen gegen diese Anforderungen bleibt die Garantie gültig, Art. 6 Abs. 5 KaufRRL. Gegen den Verwender kommen jedoch wettbewerbsrechtliche Sanktionen in Betracht.305 Die Kaufrechtsrichtlinie setzt einen Mindeststandard, der durch die Mitgliedstaaten gewährleistet werden muss. Nach Art. 8 KaufRRL können die Mitgliedstaaten strengere Bestimmungen zu Gunsten der Verbraucher erlassen oder aufrechterhalten. d)
Öko-Audit und europäisches Umweltzeichen
Regeln mit Relevanz für die umweltbezogene Werbung enthalten die Verordnung zur Vergabe eines Umweltzeichens 306 und die Öko-Audit-Verordnung.307 Ziel der 301 Vgl. etwa Art. 4 Abs. 1 S. 2, Art. 6 Abs. 2, Art. 7, Art. 8 Abs. 2, 3 PrAngRL. 302 Malinvaud, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie (2002), Art. 6, Rn. 7. 303 Dazu Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 296 f. 304 Malinvaud, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie (2002), Art. 6, Rn. 23. 305 Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 22. 306 Allgemein zum europäischen Umweltzeichen Klindt, BB 1998, 545, 551 ff. 307 Allgemein zur Öko-Audit-Verordnung Horneffer, ZUR 2001, 361ff.; Knopp/Ebermann-Finken, EWS 2000, 329 ff.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
Umweltzeichenverordnung ist es, ein gemeinschaftsrechtliches Systems zur Vergabe des Umweltzeichens „Europäische Blume“ zu etablieren. Dieses System soll die Verbraucher besser über die Umwelteigenschaften von Produkte informieren und ihre Aufmerksamkeit auf Produkte lenken, die sich während ihrer gesamten Lebensdauer durch geringe schädliche Umweltauswirkungen auszeichnen.308 Nach Art. 9 Abs. 2 UmweltzeichenVO darf das Umweltzeichen erst in der Werbung erwähnt werden, nachdem es vergeben wurde und auch dann nur im Zusammenhang mit dem Produkt, für das es vergeben wurde. Untersagt wird jede falsche oder irreführende Werbung und das Verwenden verwechslungsfähiger Zeichen und Logos. Neben dem Aufbau des produktbezogenen System des Umweltzeichens ist die Gemeinschaft auch daran interessiert, betriebsstätten- und produktionsbezogen auf die Unternehmen zu Gunsten eines erweiterten und effektiven Umweltschutzes einzuwirken. Mittels der ÖkoAuditVO wurde deshalb ein auf freiwilliger Teilnahme beruhendes Umweltmanagement- und Umweltbetriebsprüfungssystem (EMAS) installiert. Ziel des EMAS ist es, für Unternehmen Anreize zu schaffen, leistungsfähige betriebliche Umweltschutzinstrumente einschließlich sog. UmweltAudits einzuführen und die Öffentlichkeit auf der Grundlage interner und externer Selbstüberprüfungen über die umweltorientierten Leistungen des Unternehmens zu informieren.309 Eine Organisation, die sich am EMAS beteiligt und eine laufende EMAS-Eintragung besitzt, ist grundsätzlich berechtigt, das in Anhang 4 ÖkoAuditVO dargestellte Zeichen zu führen. Die zulässigen Arten der Verwendung des Öko-Audit-Zeichens sind detailliert in Art. 8 Abs. 2 und 3 ÖkoAuditVO geregelt.310 Dieser Normierung bedurfte es, da die bloße Teilnahme am EMAS keine Aussagen über die Umweltverträglichkeit einzelner Produkte des Unternehmens zulässt. Durch die Verwendung des Zeichens drohten Irreführungen. Gleichzeitig sollte den freiwillig teilnehmenden Organisationen zumindest eine allgemeine Imagewerbung erlaubt werden und außerdem durch die Teilnahme am Öko-Audit jedenfalls umweltbezogene Informationen, mit denen eine Organisation wirbt, einer besonderen Kontrolle unterliegen. So ist es einerseits zulässig, das Zeichen auf Briefköpfen der eingetragenen Organisationen zu verwenden 311 und auf Unterlagen, in denen die Beteiligung der Organisation am EMAS mitgeteilt wird.312 Verboten ist es andererseits, das Zeichen auf Produkten oder ihrer Verpackung 313 und in Verbindung mit Vergleichen mit anderen Produkten 314 zu benutzen. In der Werbung für Produkte darf das Zeichen nach Art. 8 Abs. 2 lit. e ÖkoAuditVO nur in den Fällen zugelassen werden, die die Leit-
308 BE 4 UmweltzeichenVO. Vgl. zur Wirkungsweise von Labels mit umweltbezogenen Aussagen Grankvist/Dahlstrand/Biel, 27 JCP (2004), 213–230. 309 Knopp/Ebermann-Finken, EWS 2000, 329. 310 Dazu Horneffer, ZUR 2001, 361, 367; Schmidt-Räntsch, NuR 2002, 197, 203. 311 Art. 8 Abs. 2 lit. c ÖkoAuditVO. 312 Art. 8 Abs. 2 lit. d ÖkoAuditVO. 313 Art. 8 Abs. 3 lit. a ÖkoAuditVO. 314 Art. 8 Abs. 3 lit. b ÖkoAuditVO.
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linien zur Öko-Audit-Verordnung festlegen.315 Der Anhang 3 dieser Leitlinien listet unter Punkt 5 ausführlich diese Voraussetzungen auf. Dabei wird betont, dass das Zeichen nicht allein im Rahmen der Werbung für Produkte verwendet werden darf, da sonst die Verwechslung mit einem Umweltzeichen drohte. Das Zeichen kann jedoch als Zuverlässigkeitsnachweis für bestimmte Werbeaussagen verwendet werden, genauso wie mit dem Logo darauf hingewiesen werden darf, dass eine Organisation sich am EMAS beteiligt. e)
Kommerzielle Kommunikation über das Fernsehen
Die Fernsehrichtlinie harmonisiert die mitgliedstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften für Fernsehsendungen und gewährleistet damit den freien Verkehr der Fernsehsendungen innerhalb der Gemeinschaft. Denn im Grundsatz gilt nach der Richtlinie, dass es alle Mitgliedstaaten dulden müssen, wenn Sendungen grenzüberschreitend verbreitet werden, wenn diese in dem Mitgliedstaat rechtmäßig gesendet werden, wo der Fernsehveranstalter niedergelassen ist.316 Die Definition der „Fernsehsendung“ in Art. 1 lit. a FernsehRL markiert den Anwendungsbereich der Richtlinie. Sie gilt danach für alle klassischen, an die Allgemeinheit gerichteten Fernsehdienste, gleich ob diese terrestrisch, per Satellit oder über Kabel 317 verbreitet werden oder ob das Programm verschlüsselt oder unverschlüsselt übermittelt wird. Neue Rundfunkdienste werden erfasst, soweit sie in der Form der „point to multipoint“-Verbreitung ausgestrahlt werden, so etwa bei der mehrfachen zeitversetzten Ausstrahlung desselben Programms ohne Interaktivität (sog. Quasi-Video-on-Demand-Dienste oder auch „near video on demand“).318 Nicht unter die Richtlinie fallen jedoch interaktive audiovisuelle Dienste wie beispielsweise „video on demand“. Einen wichtigen Bestandteil der Richtlinie 319 bilden die Standards für die kommerzielle Kommunikation im vierten Kapitel der Fernsehrichtlinie. Diese Regelungen sollen einerseits den Grundsatz der Werbefreiheit im Fernsehen gewährleisten. Denn das Fernsehen, insbesondere die privaten Sender, sind von der Werbung als Einnahmequelle abhängig. Andererseits sollen aber die audiovisuellen Werke und die Öffentlichkeit vor einem Übermaß an Werbung und bestimmten Werbetechniken geschützt werden. Art. 1 FernsehRL definiert die zwei markantesten Spielarten der kommerziellen Kommunikation über das Fernsehen, nämlich die Fernsehwer-
315 Entscheidung der Kommission vom 7. 9. 2001 über Leitlinien für die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 761/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates über die freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS), ABl. 2001 L 247/24. 316 Sog. Sendestaatsprinzip, vgl. näher unten S. 72. 317 EuGH, Urt. v. 10. 9. 1996, Rs. C-11/95, Kommission / Belgien, Slg. 1996, I-4115, 4116, Leitsatz 1 und 4161–4163, Rn. 20–25. 318 Schmittmann/Stolz/de Vries, AfP 1997, 605 f.; Traimer, Medien und Recht 1997, 127. 319 Vgl. die Einschätzungen von Drijber, 36 CMLR (1999), 87, 113; Mestmäcker, in: Mestmäcker (Hrsg.), Der Einfluss des europäischen Gemeinschaftsrechts auf die deutsche Rundfunkordnung (1990), S. 21 und Martin-Pérez de Nanclares, EG-Fernsehrichtlinie (1995), S. 131.
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bung und das Teleshopping.320 Als Fernsehwerbung gilt danach „jede Äußerung [...] die im Fernsehen von einem öffentlich-rechtlichen oder privaten Veranstalter entweder gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung gesendet wird mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen [...] gegen Entgelt zu fördern“.321 Auch die Eigenwerbung des Senders fällt unter den Begriff der „Fernsehwerbung“. Relevant ist dies für die Werbezeitenregelungen. In den Begründungserwägungen 34 und 39 zur Änderungsrichtlinie 97/36/EG wird klargestellt, dass Hinweise auf das eigene Programm oder Trailer für Sendungen nicht zur Eigenwerbung zu rechnen sind.322 Die Richtlinienvorschriften sind auch auf neue Werbetechniken wie das Split-Screen-Verfahren, die interaktive Werbung oder das virtuelle Sponsoring anzuwenden. Die Kommission hat dies in einer Mitteilung erläutert, um Unsicherheiten auszuräumen.323 Um die gegensätzlichen Interessen zwischen dem Schutz der Werbung als Einnahmequelle und dem Schutz vor der Werbung auszugleichen, setzt die Fernsehrichtlinie verschiedene Prinzipien um: Die Werbung ist vom redaktionellen Teil zu trennen. Sie ist grundsätzlich zwischen den Sendungen einzufügen. Nur unter bestimmten Voraussetzungen darf ein Programm unterbrochen werden, um zu werben. Die Werbezeit ist pro Stunde und Tag begrenzt. Sie hat vor allem die Menschenwürde zu achten. Minderjährige sind besonders zu schützen; die Werbung für bestimmte Produkte wie Tabakwaren, Alkoholika oder Arzneimittel ist einzuschränken oder ganz zu untersagen. Nach Art. 10 Abs. 1 FernsehRL müssen Werbung und Teleshopping als solche klar erkennbar und von anderen Programmteilen getrennt sein. Werbung darf also nur ausgestrahlt werden, wenn sie nach Inhalt und Gestaltung nicht mit dem Programm verwechselt werden kann. Es muss deutlich werden, dass es sich bei Werbesendungen nicht um neutrale Äußerungen Dritter im Rahmen des redaktionellen Programms handelt, sondern um von Absatzinteressen getragene kommerzielle Kommunikation.324 Bei dem Grundsatz der Trennung von Werbung und Programm handelt es sich damit um eine Ausprägung des allgemeinen Irreführungsverbots. Freilich fordert die Praxis des Merchandising, der Ratgeber- und Warensendungen, der Hinweise auf die Bekleidung von Moderatoren etc. diesen Grundsatz täglich heraus.325 Art. 10 Abs. 1 FernsehRL schließt es nicht aus, im sog. Split-Screen-Verfahren zu werben, bei dem parallel redaktionelle Inhalte und Werbeinhalte gesendet
320 Daneben gibt es etwa noch die Möglichkeit des Sponsoring, der Telepromotion oder der Dauerwerbesendung. 321 Art. 1 lit. c FernsehRL. 322 Schmitt-Vockenhausen, ZUM 1998, 377, 379; Schmittmann/Stolz/de Vries, AfP 1997, 605, 606; Traimer, Medien und Recht 1997, 127. 323 Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf bestimmte Aspekte der Bestimmungen der Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ über die Fernsehwerbung, ABl. C 102 v. 28. 4. 2004, S. 2–11 (im Folgenden: Mitteilung zur Fernsehrichtlinie), Tz. 8 und 37–69. 324 Köhler, Rechtsfragen des inländischen und grenzüberschreitenden Rundfunkrechts (1992), S. 77. 325 Vgl. Martin-Pérez de Nanclares, EG-Fernsehrichtlinie (1995), S. 132 ff.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
werden. Das Split Screen ist aber nur zulässig, wenn die Werbung klar durch optische oder akustische Mittel von anderen Programmteilen getrennt wird.326 Art. 10 Abs. 2 FernsehRL schreibt das Prinzip der Blockwerbung fest; einzeln gesendete Werbespots müssen die Ausnahme bilden. Gerechtfertigt ist dies etwa, wenn einzelne sehr lange Spots gesendet werden oder wenn wenig Zeit für die Werbeunterbrechung besteht, etwa zwischen den Runden eines Boxkampfes.327 Als spezielle Regelung zum allgemeinen Grundsatz der Trennung von Programm und Werbung verbieten Art. 10 Abs. 3 und 4 FernsehRL ausdrücklich subliminale Techniken, also das Werben mit auf das Unterbewusstsein einwirkenden psychologischen Mitteln,328 und die Schleichwerbung.329 Art. 11 FernsehRL bestimmt, wie Werbung oder Teleshopping in das Fernsehprogramm einzufügen ist. Werbung darf nur zwischen eigenständigen Teilen von Sendungen oder in Pausen von Sportübertragungen etc. eingefügt werden.330 Kinospielfilme und Fernsehfilme 331 dürfen für jeden vollen Zeitraum von 45 Minuten einmal unterbrochen werden. Eine weitere Unterbrechung ist zulässig, wenn die programmierte Sendedauer um mindestens 20 Minuten über zwei oder mehrere volle 45-Minuten-Zeiträume hinausgeht, also wenn die Sendedauer eines Films mindestens 110 Minuten beträgt. Dazu entschied der EuGH, dass die Zeitdauer der geschalteten Werbespots bei der Berechnung der Zeiträume mit einzubeziehen ist, d. h. der Berechnung ist das sog. Bruttoprinzip zu Grunde zulegen.332 Dies hat zur Folge, dass Filme bei der Berechnung „länger“ werden und damit öfter unterbrochen werden können. Der Gerichtshof begründete das Bruttoprinzip damit, dass Wortlaut und historische Auslegung nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führten.333 Deshalb sei die in der Norm enthaltene Beschränkung der Werbefreiheit im
326 Kommission, Mitteilung zur Fernsehrichtline, Tz. 45–47. 327 Kommission, Mitteilung zur Fernsehrichtline, Tz. 20. 328 Dazu Beater, Unlauterer Wettbewerb (2002), § 16, Rn. 12 f. (S. 453 f.). 329 Definiert in Art. 1 lit. d FernsehRL als „die Erwähnung oder Darstellung von Waren, Dienstleistungen, Namen, Warenzeichen oder Tätigkeiten eines Herstellers von Waren oder Erbringers von Dienstleistungen in Programmen, wenn sie vom Fernsehveranstalter absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen ist und die Allgemeinheit hinsichtlich des eigentlichen Zwecks dieser Erwähnung oder Darstellung irreführen kann. Eine Erwähnung oder Darstellung gilt insbesondere dann als beabsichtigt, wenn sie gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung erfolgt“, vgl. zu Begriff und Auslegung Martin-Pérez de Nanclares, EG-Fernsehrichtlinie (1995), S. 139 f.; Kommission, Mitteilung zur Fernsehrichtline, Tz. 30–34. 330 Als „Pausen“ einer Sportsendung gelten nur Unterbrechungen, die sich natürlich und regelmäßig unmittelbar aus der Struktur der Veranstaltung ergeben. Nicht erfasst werden deshalb zufällige Unterbrechungen; ein Spielerwechsel beim Fußball ist keine Pause i. S. d. Art. 11 Abs. 2 FernsehRL, so Kommission, Mitteilung zur Fernsehrichtline, Tz. 23. 331 Unter den Begriff des „Fernsehfilms“ fallen auch Filme, die für das Fernsehen produziert worden sind und bereits nach ihrer Konzeption Pausen für die Einfügung von Werbespots vorsehen, EuGH, Urt. v. 23. 10. 2003 – Rs. C-245/01, RTL Television, Slg. 2003, I-12489, 12490, Leitsatz 1 und 12527, Rn. 74. 332 EuGH, Urt. v. 28. 10. 1999 – Rs. C-6/98, ARD / PRO Sieben, Slg. 1999, I-7599, 7600 und 7633, Leitsatz 1 und Rn. 33. Zu dieser Entscheidung Ladeur, EWS 2000, 478–485. 333 Anders Schmittmann, AfP 1997, 515, 518, wonach der Wortlaut des Art. 11 Abs. 3 FernsehRL
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Lichte der Grundfreiheiten und der Zielsetzung der Richtlinie restriktiv auszulegen.334 Serien, Reihen und leichte Unterhaltungssendungen mit Dokumentarfilmen werden nicht vom strengen Zeitregime des Art. 11 Abs. 3 FernsehRL erfasst. Um aber Umgehungen zu verhindern, hat der EuGH entschieden, dass eine „Reihe“ jedenfalls durch einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen den betreffenden Sendungen gekennzeichnet sein muss, also etwa durch die Fortentwicklung der Handlung oder der Wiederkehr einer oder mehrerer Personen in den einzelnen Folgen.335 Nicht ausreichend ist es deshalb, inhaltlich nicht in einem Zusammenhang stehende Filme im Rahmen eines Zyklus unter einem gemeinsamen Obertitel auszustrahlen und damit lediglich formal miteinander zu verknüpfen. Gottesdienste dürfen nach Art. 11 Abs. 5 FernsehRL nicht unterbrochen werden, um zu werben. Nachrichten, Magazine über das aktuelle Zeitgeschehen, Dokumentarfilme, Sendungen religiösen Inhalts und Kindersendungen etc. dürfen dann nicht unterbrochen werden, wenn ihre Sendezeit weniger als 30 Minuten beträgt. Regelungen über die maximal erlaubte Sendezeit für Werbung im Verhältnis zur täglichen Sendezeit und zu einer Stunde Sendezeit trifft Art. 18 FernsehRL. Danach darf die kommerzielle Kommunikation insgesamt 20 Prozent der täglichen Sendezeit nicht überschreiten, wobei für Werbespots allein eine Grenze von 15 Prozent der täglichen Sendezeit festgelegt ist. Die Kommission geht davon aus, dass der Begriff der „täglichen Sendezeit“ sich auf den Programmtag eines Senders bezieht, der etwa auch erst um 6.00 Uhr beginnen kann.336 Innerhalb einer Stunde gilt für Werbespots und Teleshopping-Spots eine Grenze von 20 Prozent. Die Richtlinie lässt offen, ob auf „natürliche volle Stunden“ abzustellen ist, d. h. immer beginnend mit der Minute 0 um 1 Uhr, 2 Uhr etc. oder, ob sich die Angabe auf eine „verschobene volle Stunde“ bezieht, also die Zeitspanne mit Beginn der Sendung läuft.337 Auch für die Split-Screen-Werbung gelten die Beschränkungen des Art. 18 FernsehRL in vollem Umfang.338 Art. 18a FernsehRL erlaubt reine Teleshopping-Kanäle. Teilt sich ein TeleshoppingSender eine Frequenz mit einem sonstigen Fernsehsender, kann er dennoch als reiner Teleshopping-Sender behandelt werden, wenn beide Sender getrennte Lizenzen halten und auch sonst nicht zu verwechseln sind. Für sonstige Fernsehsender bestimmt Art. 18a FernsehRL, dass sog. Teleshopping-Fenster eine Mindestdauer von 15 Minuten haben müssen, eine Gesamtdauer von drei Stunden am Tag nicht über-
bereits klar die Geltung des Bruttoprinzips vorgibt; siehe demgegenüber aber Jarass, ZUM 1997, 769, 770 m. w. N., der die Ambivalenz des Wortlauts darlegt. 334 EuGH, Urt. v. 28. 10. 1999 – Rs. C-6/98, ARD / PRO Sieben, Slg. 1999, I-7599, 7630 f., Rn. 27–31. 335 EuGH, Urt. v. 23. 10. 2003 – Rs. C-245/01, RTL Television, Slg. 2003, I-12489, 12490, Leitsatz 2 und 12534, Rn. 105–107. 336 Kommission, Mitteilung zur Fernsehrichtline, Tz. 14–18. 337 Kommission, Mitteilung zur Fernsehrichtline, Tz. 9–13. 338 Kommission, Mitteilung zur Fernsehrichtline, Tz. 50.
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schreiten dürfen und beschränkt ihre tägliche Gesamtzahl auf acht pro Tag. Teleshopping-Fenster müssen optisch und akustisch klar als solche erkennbar sein. Allgemeine inhaltliche Gestaltungsgrundsätze für die Fernsehwerbung und das Teleshopping stellt Art. 12 FernsehRL auf. Danach darf die kommerzielle Kommunikation nicht die Menschenwürde verletzen, nach Rasse, Geschlecht oder Nationalität diskriminieren, religiöse oder politische Überzeugungen verletzen oder Verhaltensweisen fördern, durch die Gesundheit, Sicherheit oder der Schutz der Umwelt gefährdet werden. Art. 13 bis 15 FernsehRL enthalten produktspezifische Reglementierungen der Werbung und des Teleshopping für Tabakerzeugnisse, Arzneimittel und alkoholische Getränke.339 Dem Schutze Minderjähriger vor körperlichen oder seelischen Schäden durch die Fernsehwerbung dient ein Katalog von Kriterien, die gemäß Art. 16 Abs. 1 FernsehRL einzuhalten sind. Danach soll die Werbung erstens keine Kaufappelle direkt an Minderjährige richten, die deren Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ausnutzen (lit. a). Zum Zweiten darf die Werbung die Minderjährigen nicht unmittelbar auffordern, ihre Eltern oder Dritte zum Kauf der beworbenen Ware oder Dienstleistung zu bewegen (lit. b). Drittens untersagt es Art. 16 Abs. 1 lit. c FernsehRL, für Werbezwecke das besondere Vertrauen auszunutzen, das Minderjährige zu Eltern, Lehrern oder anderen Vertrauenspersonen haben. Schließlich darf Werbung nicht ohne berechtigten Grund Minderjährige in gefährlichen Situationen zeigen (lit. d). Nach Art. 16 Abs. 2 FernsehRL muss auch das Teleshopping diese Anforderungen erfüllen und darf darüber hinaus Minderjährige nicht dazu anhalten, Kauf- oder Miet- bzw. Pachtverträge für Waren oder Dienstleistungen zu schließen. Eine ausführliche Regelung des Sponsoring 340 beinhaltet Art. 17 FernsehRL. Trotz Sponsoring muss die Eigenverantwortung und die redaktionelle Unabhängigkeit des Fernsehveranstalters gewahrt bleiben. Dass Programme gesponsert sind, muss transparent gemacht werden, indem der Name oder das Firmenemblem des Sponsors am Programmanfang oder am Programmende eingeblendet wird.341 Diese Regelung darf jedoch nicht so verstanden werden, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die Nennung des Sponsors auf diese beiden Zeitpunkte beschränken wollte.342 Eine formelle wie materielle Grenze für Hinweise auf den Sponsor zieht dagegen Art. 17 Abs. 1 lit. c FernsehRL. Danach dürfen gesponserte Sendungen keine verkaufsfördernden Hinweise auf Produkte des Sponsors enthalten. Gänzlich untersagt ist das Sponsoring Unternehmen, deren Haupttätigkeit die Herstellung von Zigaretten
339 Siehe dazu unten S. 94 (Tabak- und Tabakerzeungisse), S. 87 (Alkoholika) und S. 89 (Arzneimittel). 340 Definiert in Art. 1 lit. e FernsehRL als ein „Beitrag eines nicht im Bereich der Produktion von audiovisuellen Werken tätigen öffentlichen oder privaten Unternehmens zur Finanzierung von Fernsehprogrammen mit dem Ziel, seinen Namen, sein Warenzeichen, sein Erscheinungsbild, seine Tätigkeit oder seine Leistung zu fördern“. 341 Art. 17 Abs. 1 lit. b FernsehRL. 342 EuGH, Urt. v. 12. 12. 1996 – verb. Rs. C-320/94, C-328/94, C-329/94, C-337/94, C-338/94 und C-339/94, RTI u. a., Slg. 1996, I-6471, 6473, Leitsatz 3 und 6508 f., Rn. 43–47.
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oder von anderen Tabakerzeugnissen ist,343 während es für Pharmaunternehmen nur auf allgemeine Namens- und Imagewerbung begrenzt ist.344 Nach Art. 17 Abs. 4 FernsehRL dürfen Nachrichtensendungen und Sendungen zur politischen Information nicht gesponsert werden. Die Fernsehrichtlinie enthält keine Sanktionen für Verstöße gegen die Bestimmungen für die kommerzielle Kommunikation über das Fernsehen. Die Richtlinie lässt zwei Optionen, um von den vorgegebenen Standards abweichen zu können. Einerseits erlaubt Art. 3 Abs. 1 FernsehRL den Mitgliedstaaten für die Fernsehveranstalter, die ihrer Rechtshoheit unterworfen sind,345 strengere oder ausführlichere Bestimmungen vorzusehen. Andererseits sieht Art. 20 FernsehRL vor, dass die Mitgliedstaaten für Sendungen, die ausschließlich für ihr eigenes Hoheitsgebiet bestimmt sind und in einem anderen Mitgliedstaat weder unmittelbar noch mittelbar öffentlich empfangen werden können, hinsichtlich Art und Dauer der zulässigen Werbung von der Richtlinie verschiedene Bestimmungen erlassen können. Diese Vorgaben können strenger oder milder als die der Richtlinie sein und können sich auch auf Fernsehveranstalter auswirken, die nicht der Rechtshoheit des regulierenden Mitgliedstaates unterliegen.346 Bei der Rechtsdurchsetzung verfolgt die Fernsehrichtlinie ein anderes Konzept als etwa die Werberichtlinie. Art. 2 Abs. 1 FernsehRL legt fest, dass Fernsehveranstalter der Rechtshoheit jenes – und nur dieses – Mitgliedstaates unterliegen, in welchem sie niedergelassen sind. Damit gilt das Prinzip der Sendestaatskontrolle. Um Zweifelsfälle darüber zu verhindern, welcher Mitgliedstaat für die Einhaltung der Richtlinienvorgaben verantwortlich ist, definiert Art. 2 Abs. 3 FernsehRL den Begriff der Niederlassung.347 Diese Definition knüpft an die Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Factortame an,348 wonach es entscheidend auf die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit ankommt.349 Davon ausgehend legt die Richtlinie Kriterien fest, um einen Fernsehveranstalters zu einem Sendestaat zuzuordnen. Diese Kriterien gehen größtenteils auf die Rechtsprechung des EuGH zur Fernsehrichtlinie vor ihrer Revision zurück.350 Relevant sind primär der Ort der „Hauptverwaltung“ des Fernsehveranstalters, also der Ort, an dem die für die Programmgestaltung wesentlichen Entscheidungen getroffen werden, sowie derjenige Ort, an dem ein „wesentlicher Teil des Sendepersonals“ tätig ist. Dieses gilt allerdings dann nicht, wenn ein Fern-
343 Art. 17 Abs. 2 FernsehRL. 344 Art. 17 Abs. 3 FernsehRL. 345 Art. 2 Abs. 1 FernsehRL. 346 Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 25. 347 Siehe zu Art. 2 Abs. 3 FernsehRL Helberger, ZUM 1998, 50, 55; Knothe/Bashayan, AfP 1997, 849, 855 f. 348 BE 11 FernsehRL. 349 EuGH, Urt. v. 25. 7. 1991 – Rs. C-221/89, Factortame u. a., Slg. 1991, I-3905, 3965, Rn. 20; EuGH, Urt. v. 4. 10. 1991 – Rs. C-246/89, Kommission / Vereinigtes Königreich, Slg. 1991, I-4585, 4614, Rn. 21. 350 Helberger, ZUM 1998, 50, 52 mit Nachweisen aus der EuGH-Rechtsprechung.
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sehveranstalter sich nur in einem anderen Mitgliedstaat niederlässt, um bewusst bestimmte Regelungen des ursprünglichen Niederlassungsstaates zu umgehen.351 Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen.352 Es ist nicht schon dann von einer Umgehung auszugehen, wenn der Fernsehveranstalter im Niederlassungsstaat keine Dienste erbringt.353 Ist ein Fernsehveranstalter in verschiedenen Mitgliedstaaten niedergelassen, so kommt es nach der Rechtsprechung des EuGH auf den Mittelpunkt der Tätigkeit an.354 Art. 2a Abs. 1 FernsehRL beschreibt die sich aus dem Harmonisierungs- und dem Rechtsdurchsetzungskonzept der Richtlinie ergebende Schlussfolgerung: Die Mitgliedstaaten müssen im von der Richtlinie koordinierten Bereich den freien Empfang von Fernsehsendungen aus anderen Mitgliedstaaten gewährleisten und dürfen die Weiterverbreitung dieser Fernsehsendungen nicht behindern. Eine Ausnahmemöglichkeit hiervon eröffnet Art. 2a Abs. 2 FernsehRL für Situationen, in denen einzelne Mitgliedstaaten die inhaltlichen Vorgaben des Art. 22 FernsehRL (Minderjährigenschutz) oder des Art. 22a FernsehRL (Schutz vor Sendungen, die zum Hass auf Grund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Nationalität aufstacheln) nicht durchsetzen. Das Prinzip der Sendestaatskontrolle ist beschränkt auf den durch die Richtlinie koordinierten Bereich. Dementsprechend stellte der Gerichtshof in der Entscheidung de Agostini einerseits klar, dass der Schutz vor irreführender Werbung nicht durch die Fernsehrichtlinie koordiniert wird und somit die allgemeinen Regelungen des Empfangsstaates diesbezüglich angewendet werden können.355 Andererseits entschied der EuGH in der gleichen Rechtssache, dass die Fernsehrichtlinie den Schutz Minderjähriger im Hinblick auf Fernsehprogramme umfassend regelt und es daher dem Empfangsstaat verwehrt ist, Vorschriften anzuwenden, durch die der Inhalt von Fernsehwerbung kontrolliert wird, die sich an Minderjährige richtet.356
351 BE 14 FernsehRL. Dieser Grundsatz geht zurück auf eine ständige Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit, grundlegend EuGH, Urt. v. 3. 12. 1974 – Rs. 33/74, van Binsbergen, Slg. 1974, 1299, 1309, Rn. 13; EuGH, Urt. v. 3. 2. 1993 – Rs. C-148/91, Veronica Omroep Organisatie, Slg. 1993, I-487, Leitsatz 1 und 519, Rn. 12; EuGH, Urt. v. 5. 10. 1994 – Rs. C-23/93, TV 10, Slg. 1994, I-4795, 4832, Rn. 20; vgl. auch die Schlussanträge des Generalanwalts Lenz v. 30. 4. 1996 – Rs. C-11/95, Kommission / Belgien, Slg. 1996, I-4117, 4140 f., Tz. 73–75; v. 6. 2. 1997 – Rs. C-14/96, Denuit, Slg. 1997, I-2788, 2797, Tz. 34–35 und v. 6. 2. 1997 – Rs. C-56/96, VT 4, Slg. 1997, I-3145, 3156, Tz. 35–38. 352 Drijber, 36 CMLR (1999), 87, 95; Helberger, ZUM 1998, 50, 54 f. 353 EuGH, Urt. v. 5. 6. 1997 – Rs. C-56/96, VT 4, Slg. 1997, I-3143, 3168, Rn. 22. Dies ergibt sich mittelbar auch aus der Existenz der Regelung in Art. 20 FersehRL. 354 EuGH, Urt. v. 10. 9. 1996 – Rs. C-222/94, Kommission / Vereinigtes Königreich, Slg. 1996, I-4025, 4077, Rn. 58; EuGH, Urt. v. 5. 6. 1997 – Rs. C-56/96, VT 4, Slg. 1997, I-3143, 3167, Rn. 19. 355 EuGH, Urt. v. 9. 7. 1997 – verb. Rs. C-34/95, C-35/95 und C-36/95, De Agostini und TV-Shop, Slg. 1997, I-3843, 3889, Rn. 37 f.; so zuvor bereits Schricker, GRUR Int. 1990, 771, 775. 356 EuGH, Urt. v. 9. 7. 1997 – verb. Rs. C-34/95, C-35/95 und C-36/95, De Agostini und TV-Shop, Slg. 1997, I-3843, 3893–3895, Rn. 55–62.
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f)
Kommerzielle elektronische Kommunikation
Die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation soll den Schutz personenbezogener Daten und der Privatsphäre der Nutzer öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste gewährleisten. Deshalb trifft die Richtlinie auch Vorkehrungen, um die Teilnehmer gegen unerwünschte kommerzielle Kommunikation zu schützen. Sachlich betreffen diese Regelungen nur unerbetene „Nachrichten“ i. S. d. Art. 2 lit. d DSRL. Nicht erfasst sind deshalb beispielsweise die Briefwerbung, das Ansprechen in der Öffentlichkeit oder die Haustürwerbung. Art. 13 DSRL enthält eine sowohl hinsichtlich der materiellen Vorgaben als auch hinsichtlich des Harmonisierungsumfangs differenzierte Regelung für die Werbung über elektronische Kommunikationsmittel. Art. 13 Abs. 1 DSRL verbietet die kommerzielle Kommunikation mittels automatischer Anrufsysteme, Faxgeräten oder elektronischer Post, wenn die Teilnehmer nicht zuvor darin eingewilligt haben. Der Begriff der elektronischen Post ist legaldefiniert in Art. 2 lit. h DSRL als „jede über ein öffentliches Kommunikationsnetz verschickte Text-, Sprach-, Tonoder Bildnachricht, die im Netz oder im Endgerät des Empfängers gespeichert werden kann, bis sie von diesem abgerufen wird.“ Er umfasst vor allem SMS und E-Mail.357 Eine Einwilligung setzt eine Willensbekundung voraus, die ohne Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage erfolgt und mit der die betroffene Person akzeptiert, dass ihre Daten für diese Art der kommerziellen Kommunikation verwendet werden.358 Daraus folgt, dass eine generelle oder nur vermutete Einwilligung nicht ausreicht. Die Leitidee hinter der Aufzählung des Art. 13 Abs. 1 DSRL war es, die Verwendung leicht und preiswert massenhaft einsetzbarer kommerzieller Kommunikationsmittel von der vorherigen Zustimmung des Adressaten abhängig zu machen.359 Machte man den Grad des Eingriffs in die Privatsphäre zum entscheidenden Kriterium, so hätte man anders als in Art. 13 Abs. 3 DSRL geregelt auch für die individuelle Telefonwerbung eine opt-in-Lösung vorsehen müssen. Ausnahmsweise erlaubt Art. 13 Abs. 2 DSRL auch die Direktwerbung mittels elektronischer Post ohne ausdrückliche Einwilligung des Adressaten. Dies setzt zum einen voraus, dass der Werbende die elektronische Kontaktinformation des Kunden im Zusammenhang mit dem Verkauf eines Produktes oder einer Dienstleistung und gemäß der Richtlinie 95/46/EG erhalten hat. Sodann muss der Kunde klar und deutlich die Möglichkeit erhalten haben, eine solche Nutzung der elektronischen Kontaktinformation bei deren Erhebung gebührenfrei und problemlos abzulehnen. Hat er dies nicht getan, so kann er Gewerbetreibende die E-Mail-Adresse etc. des Kunden nutzen, muss sich aber darauf beschränken, für eigene ähnliche Waren oder Dienstleistungen zu werben. Der Regelung liegt der Gedanke zu Grunde, dass ein Unternehmen ein besonderes Interesse daran hat, eine bestehende Kundenbe357 358 359
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Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1026. Art. 2 lit. f DSRL i. V. m. Art. 2 lit. h RL 95/46/EG. BE 40 DSRL.
§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
ziehung auch mittels elektronischer kommerzieller Kommunikation zu pflegen. Außerdem fühlt sich ein Kunde weniger in seiner Privatsphäre gestört, erhält er von einem bekanten Geschäftspartner elektronische Werbung. Zudem spricht in dieser Konstellation auch mehr dafür, dass die Werbung Informationen enthält, die für den Kunden nützlich sind. Der Wortlaut, vor allem aber auch der Schutzzweck der Vorschrift, der auf einer bestehenden Kundenbeziehung angelegt ist, streiten dafür, einen erfolgten Vertragsschluss zur Anwendungsvoraussetzung zu machen; eine bloße Vertragsanbahnung genügt nicht.360 Man mag hiergegen einwenden, dass die Interessenlage auch die Anwendung des Art. 13 Abs. 2 DSRL rechtfertige, wenn sich ein Kunde ausführlich nach einem bestimmten Produkt erkundigt hat, sich aber schließlich doch nicht zum Kauf entscheiden konnte. Es erscheint allerdings sachgerecht, den Gewerbetreibenden hier darauf zu verweisen, sich die ausdrückliche Einwilligung des Kunden dafür einzuholen, dass er ihm noch ein anderes Angebot per elektronische Post zukommen lassen darf. Zudem erhält man mit der Voraussetzung des bereits erfolgten Vertragsschlusses ein klares Abgrenzungskriterium und vermeidet Schwierigkeiten, das berechtigte Interesse des Händlers etwa davon abhängig zu machen, wie intensiv die bereits erfolgten Vertragsverhandlungen waren. Um unsachgerechte Differenzierungen zu vermeiden, ist der Begriff des „Verkaufs“ in Art. 13 Abs. 2 DSRL weit auszulegen; er umfasst nicht nur Kaufverträge, sondern alle Geschäfte über Waren und Dienstleistungen.361 Dies folgt auch aus dem Wortlaut, der vom „Verkauf [...] einer Dienstleistung“ spricht sowie aus der Begründungserwägung 41, wo allgemein auf eine „bestehende Kundenbeziehung“ abgestellt wird. Ein Gewerbetreibender hat die elektronische Kontaktinformation seines Kunden insbesondere dann gemäß der Richtlinie 95/46/EG erhalten, wenn dieser darin eingewilligt hat, dass sie dem Gewerbetreibenden zur Verfügung steht 362 oder dieser auf die Daten angewiesen war, um seinen Vertrag bzw. eine sonstige rechtliche Verpflichtung gegenüber dem Kunden zu erfüllen.363 Wie sich im Umkehrschluss aus Art. 13 Abs. 3 und Art. 15 DSRL sowie aus den Begründungserwägungen 40 und 42 der Richtlinie ergibt, bezwecken Art. 13 Abs. 1 und 2 DSRL die vollständige Harmonisierung der betroffenen Materie. Demgegenüber stellt es Art. 13 Abs. 3 DSRL den Mitgliedstaaten für die übrigen Fälle des Direktmarketings über elektronische Kommunikation, insbesondere für SprachTelefonanrufe durch Einzelpersonen („Cold Calling“), frei, die Interessen der Teilnehmer durch eine opt-in-Lösung oder eine opt-out-Lösung zu schützen. Die Regeln des Art. 13 Abs. 1–3 DSRL gelten nach Art. 13 Abs. 5 S. 1 DSRL für die Werbung gegenüber natürlichen Personen. Der Anwendungsbereich der Richtlinie
360 Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1027; a. A. Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815, 822; Ohlenburg, MMR 2003, 82, 84. 361 Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1027. 362 Art. 7 lit. a RL 95/46/EG. 363 Art. 7 lit. b und c RL 95/46/EG.
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geht damit über den der Fernabsatzrichtlinie hinaus, die lediglich Verbraucher schützt, also die Personen, die zu privaten Zwecken am Markt agieren. Die Differenzierung zwischen natürlichen und juristischen Personen knüpft offensichtlich daran an, dass zwar auch die Interessen juristischer Personen durch unerbetene kommerzielle Kommunikation berührt werden, etwa indem Geschäftsabläufe gestört werden. Jedenfalls können sie aber nicht in ihrer „Privatsphäre“ bzw. in ihrem „Persönlichkeitsrecht“ tangiert werden. Folgerichtig profitieren natürliche Personen vom besonderen Schutz des Art. 13 DSRL auch dann, wenn sie zu gewerblichen Zwecken tätig sind.364 Für andere Teilnehmer als natürliche Personen fordert die Richtlinie die Mitgliedstaaten lediglich dazu auf, deren berechtigte Interessen in Bezug auf unerbetene Nachrichten ausreichend zu schützen.365 Den Mitgliedstaaten steht es deshalb frei, die Regelungen des Art. 13 Abs. 1 bis 3 DSRL auch auf juristische Personen anzuwenden. Art. 13 Abs. 4 DSRL untersagt schließlich, beim Versand unerbetener Nachrichten zur Direktwerbung falsche Identitäten, falsche Absenderadressen oder Anrufernummern zu verwenden. Dieses Verbot anonymer Werbung gilt auch gegenüber juristischen Personen. Mit der Regelung soll vor allem gewährleistet werden, dass ein Werbeadressat sich jederzeit weitere Nachrichten verbitten kann.366 Soweit sie strenger sind verdrängen die Regelungen des Art. 13 DSRL zur unerbetenen kommerziellen Kommunikation die Vorgaben der Art. 7 EComRL, Art. 10 FARL und Art. 10 FinFARL. Dies betrifft insbesondere die unerbetene Werbung mittels elektronischer Post, für die Art. 13 Abs. 1 DSRL im Gegensatz zu den anderen Vorschriften grundsätzlich eine opt-in-Lösung vorschreibt. Für die sachlich von der Datenschutzrichtlinie erfassten Konstellationen ist damit auch faktisch alleine Art. 13 DSRL maßgeblich, da er vom persönlichen Anwendungsbereich auch die anderen Regelungen umfasst: Art. 10 FARL und Art. 10 FinFARL gelten nur gegenüber Verbrauchern, Art. 7 Abs. 2 EComRL gilt wie Art. 13 DSRL gegenüber natürlichen Personen. Die Regelungen der Fernabsatzrichtlinien haben daneben lediglich deshalb noch selbständige Bedeutung, da sie nicht nur die elektronische kommerzielle Kommunikation erfassen, sondern auch konventionelle Fernkommunikationsmittel, soweit sie wie die Briefwerbung auch individuelle Kommunikation erlauben.367
3.
Produktspezifische Regelungen für die Absatzförderung
Im Sekundärrecht finden sich zahlreiche produktspezifische Regelungen zur Absatzförderung, vor allem zur Werbung und zur Etikettierung. Da es kaum möglich ist, diese Regelungen vollständig aufzulisten, beschränkt sich die Darstellung auf einen Überblick der zentralen Vorschriften und einige repräsentative Beispiele für
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Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1026. Art. 13 Abs. 5 S. 2 DSRL. Vgl. BE 43 DSRL. Micklitz/Reich, Die Fernabsatzrichtlinie im deutschen Recht (1998), S. 83.
§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
Regelungen in Teilbereichen, wie etwa den Marktordnungen im Rahmen der Agrarpolitik. a)
Lebensmittel
Das Gemeinschaftsrecht enthält differenzierte Vorschriften für die Absatzförderung von Lebensmitteln. Den Regeln ist gemein, dass keine absoluten Verbote der Absatzförderung aufgestellt werden. Stattdessen werden materielle und formelle Kriterien für die Zulässigkeit von absatzfördernden Maßnahmen sowie Irreführungsverbote formuliert. (1)
Allgemeine Bestimmungen
Die Basisregelungen für das europäische Lebensmittelrecht enthält die Lebensmittelverordnung. Sie soll einen einheitlichen Rahmen und einheitliche Bewertungsmaßstäbe für das Lebensmittelrecht schaffen. Im Zentrum steht neben der Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und der Festlegung von Verfahren, durch die Lebensmittelsicherheit gewährleistet werden soll, die Definition des Lebensmittelbegriffes.368 Gemäß Art. 2 Abs. 1 LMVO fallen unter „Lebensmittel“ alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand vom Menschen aufgenommen werden. Diese Definition ergänzt ein zweiter Absatz, nach dem auch Getränke, Kaugummi sowie Zusatzstoffe „Lebensmittel“ sind und ein dritter Absatz, der einen Negativkatalog enthält. Diese Definition ist vor allem auch deshalb von Bedeutung, da sie das Lebensmittel- vom Arzneimittelrecht 369 mit seinen strikteren Regeln für die Absatzförderung abgrenzt. Einen Bezug zur Absatzförderung hat Art. 8 LMVO: Um die Möglichkeit einer sachkundigen Wahl der Lebensmittel durch die Verbraucher zu gewährleisten, sind alle Praktiken des Betrugs oder der Täuschung, der Verfälschung von Lebensmitteln und alle sonstigen Praktiken zu verhindern, die den Verbraucher irreführen können. Damit wird auch ausgesagt, dass bei allen Absatzfördermaßnahmen im Lebensmittelbereich irreführende Praktiken zu bekämpfen sind. Dies spezifiziert Art. 16 LMVO, der es ausdrücklich verbietet, durch die Kennzeichnung, Werbung und Aufmachung von Lebensmitteln oder Futtermitteln irrezuführen. Es ist zu bezweifeln, dass diese Rahmenregelung mit eher programmatischem Charakter neben den speziellen Vorgaben für die Werbung und Etikettierung praktische Bedeutung erlangt.370 Die Wirkungsweise der Verordnung ist in Art. 4 Abs. 4 und 5 LMVO festgelegt. Danach sind die bestehenden lebensmittelrechtlichen Grundsätze und Verfahren so bald wie möglich, spätestens jedoch bis zum 1. Januar 2007, so anzupassen, dass sie mit den allgemeinen Vorgaben der Lebensmittelverordnung in Ein-
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Eingehend Köhler, GRUR 2002, 844–850. Vgl. Art. 2 Abs. 3 lit. d LMVO. Köhler, ZLR 2001, 191, 201–203.
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klang stehen. Zudem müssen die bestehenden Rechtsvorschriften bis dahin unter Berücksichtigung dieser Vorgaben durchgeführt werden. Von allgemeiner Bedeutung für den Absatz von Lebensmitteln sind die in der Lebensmitteletikettierungsrichtlinie enthaltenen Regeln für die Kennzeichnung, die nach dem Regelungskonzept der Richtlinie auch auf bestimmte Aspekte der Aufmachung und der Werbung erstreckt werden.371 Sachlich erfasst die Richtlinie alle Lebensmittel, die an den Endverbraucher ohne weitere Verarbeitung abgegeben werden.372 Die zentrale Regelung ist das in Art. 2 Abs. 1 lit. a LMEtRL postulierte Verbot, den Käufer durch die Etikettierung irrezuführen, das mittels einer beispielhaften Aufzählung irreführender Aussagen verdeutlicht wird. Nach der Rechtsprechung des EuGH zu diesem Irreführungstatbestand sei es grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob eine Bezeichnung, eine Marke oder eine Werbung irreführend sein könne. Dabei habe es auf die mutmaßlichen Erwartungen eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abzustellen.373 Im konkreten Fall entschied der Gerichtshof jedoch selbst,374 dass es nicht irreführend sei, eine Konfitüre als „naturrein“ zu bewerben, auch wenn diese den Zusatzstoff Petkin enthält, mit Schadstoffen aus dem Erdreich belastet ist und Rückstände von Blei, Cadmium und Pestiziden enthält.375 Der EuGH verneinte eine Irreführungsgefahr insbesondere deshalb, weil Petkin ein auch gemeinschaftsrechtlich zugelassener Zusatzstoff sei, über dessen Existenz die Verbraucher sich auf dem Etikett informieren könnten. Die sonstigen Rückstände lägen in einer Dosis weit unter den zulässigen Grenzwerten vor. Zudem seien Früchte, die in der natürlichen Umwelt angebaut werden, zwangsläufig auch den dort vorhandenen Schadstoffen ausgesetzt. In der nachfolgenden Entscheidung Geffroy urteilte der Gerichtshof, dass es auch dann grundsätzlich dem nationalen Gericht obliege, die Frage nach der Irreführungsgefahr im konkreten Fall zu beantworten, wenn eine mit dem Gemeinschaftsrecht praktisch identische mitgliedstaatliche Vorschrift auszulegen sei.376 Der EuGH behielt sich jedoch ausdrücklich vor, entweder die Frage selbst zu entscheiden, wenn der vorliegende Akteninhalt ausreichend ist und eine bestimmte Entscheidung geboten erscheinen lässt,377 oder dem nationalen Gericht
371 Vgl. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 3 LMEtRL. 372 Art. 1 Abs. 1 LMEtRL. 373 EuGH, Urt. v. 4. 4. 2000 – Rs. C-465/98, Darbo, Slg. 2000, I-2297, 2233 f., Rn. 20. Das Urteil erging zur mit Art. 2 Abs. 1 LMEtRL wortgleichen Vorschrift der Vorgängerrichtlinie 79/112/EG. Siehe generell zum Verbraucherleitbild in der EuGH-Rechtsprechung S. 257 ff. und zu seiner Bewertung S. 327 ff. 374 Krit. hierzu Hartwig, GRUR Int. 2000, 758 f., der anmerkt, dass der EuGH die Tatfrage der Eignung der Angaben der Etikettierung zur Irreführung mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer Verbraucherbefragung oder der Einholung eines Sachverständigengutachtens dem mitgliedstaatlichen Gericht zu überlassen gehabt hätte. 375 EuGH, Urt. v. 4. 4. 2000 – Rs. C-465/98, Darbo, Slg. 2000, I-2297, 2336–2338, Rn. 27–34 376 EuGH, Urt. v. 12. 9. 2000 – Rs. C-366/98, Geffroy, Slg. 2000, I-6579, 6605, Rn. 18. Auch dieses Urteil erging zur mit Art. 2 Abs. 1 LMEtRL wortgleichen Vorschrift der Vorgängerrichtlinie 79/112/EG. 377 EuGH, Urt. v. 12. 9. 2000 – Rs. C-366/98, Geffroy, Slg. 2000, I-6579, 6605, Rn. 19.
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zumindest „nützliche Hinweise“ für dessen Entscheidung zu geben,378 die freilich faktisch präjudizierend wirken können. Art. 2 Abs. 1 lit. b LMEtRL verbietet für die Etikettierung und Werbung Aussagen, die einem Lebensmittel „Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit“ zuschreiben.379 Von diesem Verbot krankheitsbezogener Aussagen sind Angaben abzugrenzen, die sich auf die Förderung des menschlichen Wohlbefindens, auf die Erhaltung und Stärkung der Gesundheit beziehen.380 Allgemeine mitgliedstaatliche Verbote von gesundheitsbezogenen Angaben, wie etwa „ein guter Name für gesunden Genuss“ oder „wichtig für die Funktion vieler Enzyme“, gehen deshalb über Art. 2 Abs. 1 lit. b LMEtRL hinaus und sind nur im Rahmen von Art. 18 Abs. 2 LMEtRL zulässig.381 Die Möglichkeit, mit gesundheitsbezogenen Angaben zu werben, soll indes entsprechend eines Verordnungsvorschlages der Kommission erheblich beschränkt werden.382 Weiter enthält die Lebensmitteletikettierungsrichtlinie detaillierte Vorschriften über die zwingenden Angaben bei der Etikettierung von Lebensmitteln (Art. 3) und konkretisiert diese durch Regelungen über die Verkehrsbezeichnung (Art. 5), das Verzeichnis der Zutaten (Art. 6 und 7), die Angabe der Nettofüllmenge (Art. 8) und des Mindesthaltbarkeitsdatums (Art. 9) bzw. des Verfallsdatums (Art. 10). Mit der Lebensmitteletikettierungsrichtlinie strebt der Gesetzgeber gemäß Art. 18 Abs. 1 LMEtRL im Grundsatz eine vollständige Harmonisierung an. Demnach haben die Mitgliedstaaten den Handel von Erzeugnissen, die die Etikettierungsanforderungen der Richtlinie erfüllen, zu gestatten. Allerdings räumt der Gesetzgeber in der Begründungserwägung 10 LMEtRL ein, dass es ihm noch nicht gelungen sei, ein umfassendes Verzeichnis der allein zwingend vorgeschriebenen Angaben aufzustellen um so sämtliche Etikettierungsvorschriften zu harmonisieren. Dies müsse einer späteren Ergänzung der Richtlinie vorbehalten bleiben. Deshalb erlaubt Art. 18 Abs. 2 LMEtRL den Mitgliedstaaten, im nichtharmonisierten Bereich zum Schutz der Gesundheit und geistiger Eigentumsrechte sowie vor Täuschung über die Richtlinienbestimmungen hinaus weiter gehende Vorschriften für die Etikettierung zu erlassen.383 Hierzu entschied der EuGH, dass das österreichische allgemeine Verbot gesundheitsbezogener Aussagen mit einem Erlaubnisvorbehalt nur in unverhältnismäßiger Art und Weise der Gesundheit und dem allgemeinen Ver-
378 EuGH, Urt. v. 12. 9. 2000 – Rs. C-366/98, Geffroy, Slg. 2000, I-6579, 6606, Rn. 20. 379 Siehe auch unten S. 275. 380 Generalanwalt Geelhoed, Schlussantrag v. 4. 7. 2002 – Rs. C-221/00, Kommission / Österreich, Slg. 2003, I-1009, 1028 f., Tz. 53. 381 EuGH, Urt. v. 23. 1. 2003 – Rs. C-221/00, Kommission / Österreich, Slg. 2003, I-1007, 1059, Rn. 39–41; EuGH, Urt. v. 23. 1. 2003 – verb. Rs. C-421/00, 426/00 und 16/01, Sterbenz und Haug, Slg. 2003, I-1065, 1085 f., Rn. 31–34. 382 Hierzu unten S. 80. 383 Art. 18 LMEtRL gilt nur für die Etikettierung, nicht aber für die Werbung. Die Frage, inwieweit den Mitgliedstaaten strengere Werberegelungen erlaubt sind, bemisst sich deshalb nach den Grundfreiheiten, insbesondere Art. 28 und 30 EG, so EuGH, Urt. v. 15. 7. 2004 – Rs. C-239/02, Douwe Egberts, Slg. 2004, I-7007, 7054, Rn. 34.
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braucherschutz diene und deshalb gemeinschaftsrechtswidrig sei.384 Als unverhältnismäßig wurde auch das absolute Verbot des belgischen Rechts qualifiziert, Angaben über das Schlankerwerden oder ärztliche Empfehlungen etc. in die Etikettierung von Lebensmitteln aufzunehmen.385 Demgegenüber hielt der Gerichtshof eine Vorschrift des österreichischen Lebensmittelrechts für zulässig, nach welcher der Ablauf der Mindesthaltbarkeitsfrist deutlich und allgemein verständlich zu kennzeichnen ist. Da die Richtlinie lediglich die Angabe des Mindesthaltbarkeitsdatums vorschreibt (Art. 3 Abs. 1 Nr. 5, Art. 9 LMEtRL), sei der vom österreichischen Recht geregelte Tatbestand nicht von der Richtlinie harmonisiert worden.386 Die Regelung schütze die Verbraucher auch in verhältnismäßiger Art und Weise vor Täuschung, so dass sie nach Art. 18 Abs. 2 LMEtRL gerechtfertigt sei.387 Soweit die Absatzförderung mit Aussagen zum Nährwert von Lebensmitteln betrieben wird, sind die materiellen und formellen Standards der Nährwertkennzeichnungsrichtlinie einzuhalten. Nach Art. 3 NährwKzRL dürfen sich Werbebehauptungen nur auf den Energiewert und abschließend in Art. 1 Abs. 4 lit. a Ziff. ii NährwKzRL aufgezählte Nährstoffe beziehen. Die Art. 4 bis 6 NährwKzRL enthalten Vorgaben dafür, wie die Angaben zum Energiewert oder zu den Nährstoffen zu etikettieren sind. Der Transparenz der Etikettierung dient auch Art. 7 NährwKzRL, wonach die Angaben nach Möglichkeit tabellarisch zu erfolgen haben, in gut lesbarer Art und Weise und in unverwischbarer Schrift anzubringen sind sowie grundsätzlich in einer für den Käufer leicht verständlichen Sprache 388 abgefasst sein müssen. Wie Art. 7 Abs. 3 NährwKzRL klarstellt, wird die Nährwertkennzeichnung durch die Richtlinie abschießend harmonisiert. Der EuGH hat dazu ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung auch Präzisierungen im Einklang mit den Regelungszielen vornehmen dürfen, wenn die Richtlinie unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, insbesondere wenn die Einzelheiten zu einer Regelung nicht wie vorgesehen 389 in einem Ausschussverfahren geklärt worden sind.390 Für die Etikettierung und die Werbung für ökologisch produzierte Lebensmittel stellt Art. 5 ÖkoLandbauVO detaillierte Voraussetzungen auf. Das Recht der Werbung und der Etikettierung von Lebensmitteln soll durch eine Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel verschärft
384 EuGH, Urt. v. 23. 1. 2003 – Rs. C-221/00, Kommission / Österreich, Slg. 2003, I-1007, 1060–1062, Rn. 45–54; EuGH, Urt. v. 23. 1. 2003 – verb. Rs. C-421/00, 426/00 und 16/01, Sterbenz und Haug, Slg. 2003, I-1065, 1086 f., Rn. 36–41. 385 EuGH, Urt. v. 15. 7. 2004 – Rs. C-239/02, Douwe Egberts, Slg. 2004, I-7007, 7008, Leitsatz 2 und 7057, Rn. 43 f. 386 EuGH, Urt. v. 13. 3. 2003 – Rs. C-229/01, Susanne Müller, Slg. 2003, I-2587, 2618, Rn. 29. 387 EuGH, Urt. v. 13. 3. 2003 – Rs. C-229/01, Susanne Müller, Slg. 2003, I-2587, 2618 f., Rn. 31–36. 388 Zu den Anforderungen an eine „leicht verständliche Sprache“ näher unten S. 272. 389 Siehe Art. 6 Abs. 8 i. V. m. Art. 10 NährwKzRL. 390 EuGH, Urt. v. 23. 10. 2003 – Rs. C-40/02, Margarete Scherndl, Slg. 2003, I-12647, 12683, Rn. 33–35; siehe zum Urteil Gorny, ZLR 2004, 84–88.
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werden.391 Ins Blickfeld der Kommission sind damit einerseits Angaben geraten, die erklären, suggerieren oder mittelbar zum Ausdruck bringen, einem Lebensmittel kämen besondere Nährwerteigenschaften zu („nährwertbezogene Angaben“, Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 V-NährwAngVO) und andererseits Angaben, nach denen ein Zusammenhang zwischen einem Lebensmittel und der Gesundheit bestünden („gesundheitsbezogene Angaben“, Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 V-NährwAngVO). Nach Art. 3 Abs. 1 V-NährwAngVO dürfen nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben nur verwendet werden, wenn sie den Voraussetzungen der Verordnung entsprechen. Anderenfalls sind sie als irreführende Werbung i. S. d. Werberichtlinie anzusehen, Art. 1 Abs. 3 V-NährwAngVO. Der Vorschlag enthält in den Art. 3 bis 10 einen umfangreichen Katalog von Voraussetzungen, damit Produkte mit nährwert- oder gesundheitsbezogenen Angaben beworben werden dürfen.392 Art. 11 V-NährwAngVO zählt gesundheitsbezogene Angaben auf, die in jedem Falle unzulässig sein sollen. Der Vorschlag sieht sich vielfältiger Kritik ausgesetzt. Bemängelt wird insbesondere die sachlich nicht zu rechtfertigende Abkehr vom Maßstab für die Zulässigkeit gesundheitsbezogener Angaben, wie er sich aus der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 2 Abs. 1 lit. b LMEtRL ergibt,393 die erhebliche Belastung der Unternehmen durch die obligatorische Notwendigkeit, wissenschaftliche Nachweise positiver ernährungsphysiologischer Wirkungen zu erbringen (Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 V-NährwAngVO) sowie den zu erwartenden übermäßigen bürokratischen Aufwand durch die Erstellung von Nährwertprofilen (Art. 4 Abs. 1 V-NährwAngVO) und dem in Art. 14 ff. V-NährwAngVO vorgesehenen Genehmigungsverfahren für gesundheitsbezogene Angaben. (2)
Vorgaben für bestimmte Inhaltsstoffe
Ziel der Regelungen für die Absatzförderung von Lebensmitteln ist es, die Verbraucher zu unterrichten und so ihre Interessen zu schützen.394 Aufbauend auf dieser Zielsetzung sieht die Richtlinie 2002/67/EG über die Etikettierung von chininhaltigen und von koffeinhaltigen Lebensmitteln zum Schutz vor einem potenziellen Gesundheitsrisiko vor, dass beide Stoffe ausdrücklich im Zutatenverzeichnis aufzuführen sind (Art. 1) und dass bei Lebensmitteln mit einem Koffeininhalt von mehr als 150 mg/l ein entsprechender Warnhinweis anzubringen ist. Wie aus Art. 3 der Richtlinie folgt, ist es den Mitgliedstaaten verwehrt, strengere Vorgaben zu erlassen. Die Zusatzstoffrichtlinie bezweckt, die mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften über Lebensmittelzusatzstoffe und deren Verwendung anzugleichen. Darunter fallen nach Art. 1 Abs. 2 ZusStRL Stoffe mit oder ohne Nährwert, die in der Regel weder selbst als Lebensmittel verzehrt, noch als charakteristische Lebensmittelzutat ver391 Eingehend zum Verordnungsvorschlag Hüttebräuker, WRP 2004, 188–205; Sosnitza, ZLR 2004, 1–20 sowie bereits zum Entwurf des Vorschlags Meisterernst, ZLR 2002, 569–583; Sosnitza, WRP 2003, 669, 673 f. 392 Eine übersichtliche Systematisierung der Voraussetzungen findet sich bei Sosnitza, ZLR 2004, 1, 4 f. 393 Siehe oben S. 79. 394 BE 6 LMEtRL.
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wendet werden und die einem Lebensmittel aus technologischen Gründen bei der Herstellung, Verarbeitung, Zubereitung, Behandlung, Verpackung, Beförderung oder Lagerung zugesetzt werden, wodurch diese Stoffe mittelbar zu einem Bestandteil des Lebensmittels werden können. Die Richtlinie erfasst danach vor allem Farbstoffe, Konservierungsstoffe, Antioxidationsmittel, Emulgatoren, Geschmacksverstärker usw.395 Die Art. 7 und 8 ZusStRL regeln die Etikettierung für die Lebensmittelzusatzstoffe. Für die Lebensmittelzusatzstoffe, die nicht an den Endverbraucher verkauft werden, schreibt Art. 7 ZusStRL vor, welche Angaben zu machen sind über die Bezeichnung, Lagerung und Verwendung der Stoffe, zur Identifizierung des Herstellers und zur enthaltenen Menge. Neben diesen Angaben sind bei Zusatzstoffen, die zum Verkauf an den Endverbraucher bestimmt sind, nach Art. 8 ZusStRL die Verkehrsbezeichnung und das Mindesthaltbarkeitsdatum anzugeben. Alle Angaben sind in einer für den Käufer leicht verständlichen Sprache 396 abzufassen, soweit der Anbieter die Kunden nicht durch andere Maßnahmen unterrichtet.397 Den Mitgliedstaaten ist es nach Art. 10 Abs. 1 ZusStRL verwehrt, weitere Angaben für die Etikettierung zu fordern. Entsprechend der Zusatzstoffrichtlinie regelt Art. 9 AromenRL die Etikettierungspflichten für Aromen. Kennzeichnungsbestimmungen für das In-Verkehr-Bringen von Extraktionslösungsmittel, die bei der Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten verwendet werden, enthält Art. 7 ExtraktionslösungsmittelRL. Gleich den Regelungen zur Etikettierung von Zusatzstoffen sind auch die Vorgaben zur Kennzeichnung von Aromen und Extraktionsmittel gemeinschaftsrechtlich abschließend harmonisiert.398 (3)
Regelungen für bestimmte Lebensmittel bzw. Kategorien von Lebensmitteln
Neben den Vorschriften, die den gesamten Lebensmittelbereich betreffen, gibt es Normen für die Absatzförderung von bestimmten Gruppen landwirtschaftlich erzeugter Lebensmittel. Hintergrund dieser Regeln ist, dass für die meisten landwirtschaftlichen Erzeugnisse eine gemeinsame europäische Marktordnung i. S. d. Art. 34 Abs. 1 UAbs. 2 lit. c EG errichtet wurde.399 Von weit reichender Bedeutung ist die umfassende Rechtssetzungskompetenz der EG gemäß Art. 37 Abs. 2 EG für Produktion und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, soweit die entsprechende Maßnahme der Verwirklichung der Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik dient.400 Auf Grundlage dieser Gesetzgebungsbefugnis wurden für eine Reihe agrarischer Erzeugnisse absatzbezogene Regelungen beschlossen.
395 Siehe zu den erfassten Lebensmittelzusatzstoffen Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Anhang I ZusStRL. 396 Zu den Anforderungen an eine „leicht verständliche Sprache“ näher unten S. 272. 397 Art. 10 Abs. 2 ZusStRL. 398 Siehe die gleichlautenden Bestimmungen in Art. 10 S. 1 ZusStRL, Art. 9 Abs. 4 S. 1 AromenRL und Art. 7 Abs. 4 S. 1 ExtraktionslösungsmittelRL. 399 Borchardt, in: Lenz (Hrsg.), EG-Vertrag, 2. Aufl. (1999), Art. 34, Rn. 6; Hix, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2000), Art. 34 EGV, Rn. 3. 400 Hix, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2000), Art. 37 EGV, Rn. 4 ff.
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Paradigmatisch hierfür steht die Milchvermarktungsverordnung, die im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse erlassen wurde. Ziel dieser Verordnung ist es u. a., den Absatz von Milcherzeugnissen durch verbrauchsfördernde Maßnahmen zu verbessern und Wettbewerbsverfälschungen zu verhindern.401 An zentraler Stelle steht die Festlegung der Voraussetzungen, unter denen die Bezeichnungen „Milch“ (Art. 2 Abs. 1 MilchVO) und „Milcherzeugnis“ (Art. 2 Abs. 2 MilchVO) verwendet werden dürfen. Vorbehalten ist die Bezeichnung „Milch“ grundsätzlich „dem durch ein- oder mehrmaliges Melken gewonnenen Erzeugnis der normalen Eutersekretion, ohne jeglichen Zusatz oder Entzug“. Zulässig ist es, die Milch zu behandeln, ohne dass sich ihre Zusammensetzung ändert und den Fettgehalt zu standardisieren. Aufgezählt werden zudem mögliche Zusätze zur Bezeichnung als „Milch“, etwa Typ, Herkunft oder Qualität. „Milcherzeugnisse“ sind „ausschließlich aus Milch gewonnene Erzeugnisse, wobei jedoch für die Herstellung erforderliche Stoffe zugesetzt werden können, sofern diese nicht verwendet werden, um einen der Milchbestandteile vollständig oder teilweise zu ersetzen.“ Art. 3 Abs. 2 MilchVO konstituiert unter ausdrücklichen Verweis auf Art. 2 Abs. 1 WerbeRL ein spezielles Irreführungsverbot gegen die unzulässige Verwendung der Bezeichnung „Milch“ auf Etiketten, Handelsdokumenten oder Werbung irgendwelcher Art. Auf Grund der 6-Korn-Eier-Entscheidung des EuGH 402 hat die EG-Verordnung über bestimmte Vermarktungsnormen von Eiern einige Bekanntheit erlangt. Die Verordnung regelt, wie Eier zu kennzeichnen, zu beschriften und zu verpacken sind. Unter anderem legt Art. 10 Abs. 2 lit. e der Verordnung fest, dass die Packungen werbewirksame Angaben aufweisen dürfen, sofern diese sowie ihre Aufmachung nicht geeignet sind, den Käufer irrezuführen. In besagter 6-Korn-Eier-Entscheidung hatte der EuGH den Maßstab für die Irreführung festzulegen. Das Gericht kam dabei zu dem Ergebnis, das darauf abzustellen sei, wie ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher eine Angabe wahrscheinlich auffassen werde.403 Damit traf der EuGH eine Entscheidung mit weit reichenden Konsequenzen für das Verbraucherleitbild im europäischen Recht.404 Ebenfalls gesondert geregelt ist der Handel mit Mineralwässern. Art. 9 MinWRL enthält ein Irreführungsverbot für Verpackung, Etiketten und Werbung von Mineralwässern. Danach ist es untersagt, mit vorgetäuschten Merkmalen zu werben, insbesondere hinsichtlich Herkunft, Datum der Nutzungsgenehmigung oder Analyseergebnisse. Verboten sind auch Aussagen über eine krankheitslindernde oder -heilende Wirkung des Mineralwassers oder die Bezeichnung „Mineralwasser“
401 Vgl. BE 1 und 7 der MilchVO. 402 EuGH, Urt. v. 16. 7. 1998 – Rs. C-210/96, Gut Springenheide und Tusky („6-Korn-Eier“), Slg. 1998, I-4657. 403 EuGH, Urt. v. 16. 7. 1998 – Rs. C-210/96, Gut Springenheide („6-Korn-Eier“), Slg. 1998, I-4657, 4693, Rn. 37; siehe zu dieser Entscheidung Leible, EuZW 1998, 528 f.; Reese, WRP 1998, 1035–1043. 404 Allgemein zum Verbraucherleitbild in der EuGH-Rechtsprechung unten S. 257 ff. und zu seiner Bewertung S. 327 ff.
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unzulässig zu verwenden.405 Nach Art. 10 Abs. 1 MinWRL sind die Vorgaben der Richtlinie im geregelten Bereich abschließend harmonisiert. Bestimmungen zur Werbung und Kennzeichnung von Nahrungsergänzungsmitteln 406 enthalten die Art. 6 f. NahrErgRL.407 Dies betrifft vor allem Vitamin- und Mineralstoffpräparate. Die Richtlinie enthält das für Lebens- und Arzneimittel übliche Verbot der Werbung mit krankheitsbezogenen Aussagen 408 und gibt einen Katalog von Pflichtangaben für die Etikettierung vor.409 Art. 7 Abs. 1 NahrErgRL untersagt der Werbung und Etikettierung jede Aussage, aus der sich entnehmen ließe, dass nicht allein durch eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung dem Körper eine angemessene Nährstoffmenge zugeführt werden könne. (4)
Insbesondere: Neuartige Lebensmittel („Novel Food“)
Die Novel-Food-VO regelt die Voraussetzungen unter denen neuartige Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden dürfen. Die Verordnung erfasst nach Art. 1 Abs. 2 – Lebensmittel mit neuer oder gezielt modifizierter Molekularstruktur (lit. c), – Lebensmittel, die aus Mikroorganismen, Pilzen oder Algen bestehen oder aus diesen isoliert worden sind (lit. d), – Lebensmittel, die aus Pflanzen bestehen oder aus Pflanzen isoliert worden sind und aus Tieren isolierte Lebensmittel, soweit sie nicht mit herkömmlichen Vermehrungs- oder Zuchtmethoden gewonnen wurden und erfahrungsgemäß als unbedenklich gelten (lit. e) sowie – Lebensmittel, die in einem nicht üblichen Verfahren hergestellt worden sind, das eine bedeutende Veränderung ihrer Zusammensetzung oder der Struktur bewirkt hat, was sich auf ihren Nährwert, ihren Stoffwechsel oder auf die Menge unerwünschter Stoffe im Lebensmittel auswirkt (lit. f). Die Verordnung ist nicht auf Lebensmittel anzuwenden, die genetisch veränderte Organismen enthalten bzw. die aus genetisch veränderten Organismen hergestellt wurden.410 Für gentechnisch hergestellte Lebensmittel gelten gesonderte Regeln zur Absatzförderung.411 Art. 8 NovelFoodVO enthält um die Verbraucher zu informieren 412 Anforderungen, wie neuartige Lebensmittel zu etikettieren sind.413 Diese müssen etwa alle Merkmale oder Ernährungseigenschaften aufzählen, durch die sie sich von den bereits bestehenden Lebensmitteln unterscheiden. Auch müssen vorhandene neuartige 405 Dazu unten S. 275. 406 Zur Definition siehe Art. 2 lit. a NahrErgRL. 407 Allgemein zur Richtlinie Kügel/Delewski, EuZW 2003, 549–551. 408 Art. 6 Abs. 2 NahrErgRL; dazu unten S. 275. 409 Art. 6 Abs. 3 NahrErgRL. 410 Art. 1 Nr. 2 lit. a und b NovelFoodVO – die genetisch veränderte Lebensmittel erfassten – wurden durch Art. 38 VO 1829/2003 gestrichen. 411 Dazu sogleich unten S. 85. 412 Dazu BE 8 NovelFoodVO. 413 Dazu Loosen, ZLR 2000, 434, 437–444.
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Stoffe bezeichnet werden, die die Gesundheit beeinflussen können oder gegen die ethische Vorbehalte bestehen.414 Zudem bestimmt Art. 6 Abs. 1 S. 1 NovelFoodVO, dass bereits dem Antrag auf Zulassung eines neuartigen Lebensmittels ein „angemessener Vorschlag für die Aufmachung und Etikettierung“ beizufügen ist, der die Voraussetzungen der Verordnung erfüllt. Begründungserwägung 10 NovelFoodVO stellt klar, dass es den Lieferanten von Lebensmitteln freisteht, auf der Etikettierung darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem betroffenen Lebensmittel um kein neuartiges Lebensmittel handelt. (5)
Insbesondere: Genetisch veränderte Lebensmittel
Die Verbraucher in der Europäischen Gemeinschaft begegnen Lebensmitteln mit großen Vorbehalten, die genetisch veränderte Bestandteile aufweisen oder mit Hilfe genetisch veränderter Organismen hergestellt wurden.415 Etikettierungsregeln sollen für Transparenz sorgen, damit den Verbrauchern die freie Wahl bleibt, auf solche Lebensmittel zu verzichten. Kennzeichnungspflichten für genetisch veränderte Organismen (im Folgenden: GVO), die als Produkt oder in Produkten in den Verkehr gebracht werden, enthält zunächst die Freisetzungsrichtlinie. Sie verlangt, dass alle Produkte mit GVO auf einem Etikett oder einem Begleitdokument gut sichtbar mit dem Hinweis versehen sind: „Dieses Produkt enthält genetisch veränderte Organismen“.416 Bereits bei der Anmeldung zum In-Verkehr-Bringen von GVO muss angegeben werden, wie das Produkt gekennzeichnet werden soll.417 Die schriftliche Zustimmung zum Inverkehrbringen muss die Kennzeichnungsvorschriften enthalten.418 Art. 21 Abs. 1 FreisGVORL verpflichtet die Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass die Kennzeichnungsvorschriften für GVO eingehalten werden. Schließlich sind auch Produkte, die GVO enthalten, aber nicht in den Verkehr gebracht werden, nach Art. 26 Abs. 1 FreisGVORL mit einem entsprechenden Hinweis zu kennzeichnen. Das Kennzeichnungsrecht für genetisch veränderte Lebensmittel hat der Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Verordnung 1829/2003 über genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel (GVLMVO) und der Verordnung 1830/2003 über Rückverfolgbarkeit grundlegend neu geregelt. Die dort enthaltenen Kennzeichnungspflichten dienen einerseits dem Gesundheits- und Umweltschutz, da sie es ermöglichen sollen, den Weg von GVO zurückverfolgen zu können, wenn diese schädliche Wirkungen entfalten. Andererseits soll dem Bedürfnis der Verbraucher entsprochen werden, über den Einsatz von Gentechnik in der Lebensmittelherstellung informiert zu werden. Die Regelungen stellen damit ein Korrelat zu den Bewertungsunsicherheiten dar, die mit der Anwendung der Gentechnik angesichts ihrer Restrisiken und möglichen Langzeitfolgen verbunden sind. 414 Art. 8 Abs. 1 lit. b, c NovelFoodVO. 415 Hierzu Honkanen/Verplanken, 27 JCP (2004), 401–420 m. w. N. 416 BE 40 FreisGVORL, Art. 19 Abs. 3 lit. e FreisGVORL, Art. 26 Abs. 1 FreisGVORL, Anhang IV lit. A Nr. 8 FreisGVORL. 417 Anhang IV lit. A Nr. 8 FreisGVORL. 418 Art. 19 Abs. 3 lit. e FreisGVORL.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
Nach Art. 13 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GVLMVO sind alle Lebensmittel zu kennzeichnen, die aus GVO bestehen, diese enthalten oder aus ihnen hergestellt sind. Ob sich eine Veränderung gegenüber herkömmlichen Lebensmitteln nachweisen lässt, ist grundsätzlich irrelevant. Allerdings enthält Art. 12 Abs. 2 GVLMVO eine Bagatellklausel, wonach Lebensmittel dann nicht zu kennzeichnen sind, wenn der Anteil des genetisch variierten Materials an einer Zutat oder an dem Lebensmittel selbst, soweit es nur aus einer einzigen Zutat besteht, nicht höher als 0,9 Prozent ist. Dies gilt aber nur dann, wenn dieser Anteil zufällig oder technisch nicht zu vermeiden ist. Beschränkt bleibt die Kennzeichnungspflicht auf Lebensmittel, die aus GVO gewonnen wurden, d. h. Lebensmittel müssen nicht bereits dann gekennzeichnet werden, wenn im Verlaufe der Produktion GVO eingesetzt werden. Nicht erfasst wird deshalb die Verwendung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen bei der Produktion von Enzymen und Verarbeitungshilfsstoffen, die Fütterung von Tieren mit transgenen Pflanzen oder der Einsatz von transgenen Tierarzneimitteln.419 Gentechnisch hergestellte Lebensmittel, die sich in ihren Merkmalen von herkömmlichen Lebensmitteln unterscheiden oder die Anlass zu ethischen oder religiösen Bedenken geben, sind nach Art. 13 Abs. 2 GVLMVO besonders zu kennzeichnen. Gibt es kein entsprechendes herkömmliches Erzeugnis, so sind nach Art. 13 Abs. 3 GVLMVO auf der Etikettierung die entsprechenden Informationen über Art und Merkmale der betreffenden Lebensmittel anzubringen. Die Kennzeichnung von Produkten nach der Verordnung über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel setzt voraus, dass den Beteiligten alle Informationen über diese Lebensmittel vom Zeitpunkt des In-Verkehr-Bringens an zur Verfügung stehen. Dafür und auch um zu ermöglichen, Produkte zurückzuziehen, die gesundheitsschädliche Auswirkungen haben,420 schreibt die Verordnung 1830/2003 ein System fest, dass es möglich macht, gentechnisch veränderte Lebensmittel vom Endverbraucher bis zum Erzeuger zurückzuverfolgen. Wer solche Lebensmittel auf den Markt bringt oder vertreibt, muss diese nicht nur kennzeichnen, sondern die Nachweise über die Transaktionen mindestens fünf Jahre lang aufbewahren.421 Einheitliche Codenummern, die bei der Genehmigung gentechnischer Veränderungen vergeben werden, sollen es ermöglichen, GVO zu identifizieren und ihren Weg zu dokumentieren.422 (6)
Insbesondere: Diätetische Lebensmittel
Letztlich reguliert die Gemeinschaft in besonderer Weise die Maßnahmen zur Absatzförderung von Lebensmitteln, die für eine spezifische Art der Ernährung bestimmt sind. Zentraler Rechtsakt ist die Diätrichtlinie. Art. 2 Abs. 2 DiätRL verbietet es, Lebensmittel, die zum allgemeinen Verzehr bestimmt sind, als „diätetisch“ zu
419 420 421 422
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Lell, EuZW 2004, 108, 109. BE 3 und 4 VO 1830/2003. Art. 4, 5 VO 1830/2003. Art. 8 VO 1830/2003.
§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
bezeichnen oder einen gleichermaßen irreführenden Begriff zu verwenden. Die Werbung mit krankheitsbezogenen Eigenschaften oder Wirkungen untersagt Art. 6 Abs. 1 DiätRL.423 Nach Art. 10 Abs. 1 DiätRL dürfen die Mitgliedstaaten den freien Handel nicht durch strengere Bestimmungen behindern, als sie in der Richtlinie vorgesehen sind.424 Die Vermarktungsbedingungen für Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung werden auf Grundlage der Ermächtigung in Art. 4 Abs. 1 DiätRL 425 in einer Einzelrichtlinie geregelt. Diese Säuglingsanfangsnahrungsrichtlinie verpflichtet dazu, über die richtige Verwendung der Erzeugnisse zu informieren (Art. 7 Abs. 3) und auf die Überlegenheit des Stillens hinzuweisen (Art. 7 Abs. 4 lit. a). Daneben wird auch die Etikettierung reguliert. Verboten sind etwa idealisierende Ausführungen oder die Verwendung von Kinderbildern, Art. 7 Abs. 5. Die Regeln für die Etikettierung und Bezeichnung gelten gemäß Art. 7 Abs. 7 lit. b der Richtlinie auch für die Werbung. Allerdings ist diese nach Art. 8 Abs. 1 ohnehin nur in wissenschaftlichen Publikationen zulässig oder in den der Säuglingspflege gewidmeten Veröffentlichungen. Als Einzelrichtlinie i. S. v. Art. 4 Abs. 1 DiätRL erging ebenfalls die Richtlinie 1999/ 21/EG über diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke. Art. 4 der Richtlinie schreibt Angaben für die Etikettierung vor, die zusätzlich zu den allgemeinen Vorgaben für die Lebensmittelkennzeichnung gelten. Auf den Etiketten diätetischer Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke müssen nach Art. 4 Abs. 2 der Brennwert und die wichtigsten Nährstoffe angegeben werden. Weitere Hinweispflichten und Warnungen, insbesondere zur richtigen Verwendung, definiert Art. 4 Abs. 3–5 der Richtlinie. b)
Alkoholika
Im Vordergrund der Regelungen für die Absatzförderung für alkoholische Getränke steht das Ziel, die Konsumenten vor den gesundheitsschädlichen Folgen des Alkoholkonsums zu schützen. Allgemeine Maßgaben enthält die Empfehlung des Rates vom 5. Juni 2001 zum Alkoholkonsum von jungen Menschen, insbesondere von Kindern und Jugendlichen.426 Nach Punkt II.1.b) sollen die Mitgliedstaaten gemeinsam mit den Herstellern und Anbietern alkoholischer Getränke dafür sorgen, dass diese nicht speziell für den Absatz an Kinder und Jugendliche aufgemacht oder beworben werden. Zu achten ist auf im Einzelnen aufgeführte Beschränkungen, etwa für die Verwendung von Trendsymbolen oder den Einsatz von Jugendlichen in der Werbung.
423 Dazu unten S. 275. 424 Vgl. aber auch Art. 11 und 12 DiätRL. 425 Krit. zu dieser weit reichenden Übertragung von Gesetzgebungskompetenzen auf die Kommission Perau, Werbeverbote im Gemeinschaftsrecht (1997), S. 79. 426 Empfehlung des Rates vom 5. Juni 2001 zum Alkoholkonsum von jungen Menschen, insbesondere von Kindern und Jugendlichen (2001/458/EG), ABl. L 161/38 vom 16. 6. 2001.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
Neben diesen sich auf alle Alkoholika beziehenden Empfehlungen gibt es unterschiedliche Regelungen, die nur bestimmte alkoholische Produkte zum Regelungsgegenstand haben. Das Weinbezeichnungsrecht beispielsweise wurde als Teil der landwirtschaftlichen Marktordnung schon relativ früh gemeinschaftsweit normiert.427 Für Weine und ähnliche Getränke wie Schaumweine oder Likörweine existieren weitere spezielle Regeln mit Relevanz für die Vermarktung. So verbietet Art. 48 WeinVO im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation für Wein jegliche Bezeichnung, Aufmachung oder Werbung, die falsch oder geeignet ist, Verwechslungen oder Irreführungen bei den Adressaten hervorzurufen. In der Rechtssache Sektkellerei Kessler entschied der Gerichtshof zur entsprechenden Bestimmung in der Vorgängerverordnung für Schaumweine,428 dass es grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts sei, zu beurteilen, ob eine Bezeichnung, eine Marke oder eine Werbung möglicherweise irreführend ist. Dabei hat das nationale Gericht auf die mutmaßliche Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abzustellen.429 Ein Sachverständigengutachten oder eine Verbraucherbefragung muss das Gericht nur veranlassen, wenn die Beurteilung der Frage, ob eine Bezeichnung etc. die Adressaten irreführen kann, besondere Schwierigkeiten bereitet.430 In Anhang VII und VIII der WeinVO wird für alle Weine und Schaumweine etc. obligatorische und fakultative Angaben für die Etikettierung vorgeben sowie die Sprachen, die für die Etikettierung verwendet werden können. Die Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung aromatisierter weinhaltiger Getränke und Cocktails ist in einer gleichnamigen Verordnung geregelt. Die dort enthaltenen Bestimmungen über Etikettierung und Aufmachung gelten gemäß Art. 8 Abs. 1 der VO auch für die Werbung. Eine parallele Regelung für Spirituosen findet sich in der Sprirituosen-VO.431 Dort ist Art. 7 die zentrale Bestimmung für Etikettierung, Aufmachung und Werbung. Art. 15 FernsehRL beschränkt die Fernsehwerbung für alkoholische Getränke. Danach darf die Werbung nicht – speziell an Minderjährige gerichtet sein (lit. a), – eine Verbindung zwischen einer Verbesserung der physischen Leistungsfähigkeit und Alkoholgenuss bzw. dem Führen eines Kraftfahrzeugs und Alkoholgenuss herstellen (lit. b), – den Eindruck erwecken, Alkoholgenuss fördere sozialen oder sexuellen Erfolg (lit. c),
427 Dazu Storm, Das Europäische Weinbezeichnungsrecht (1990), S. 3 ff. 428 Art. 13 der Verordnung (EWG) Nr. 2333/92 des Rates vom 13. Juli 1992 zur Festlegung der Grundregeln für die Bezeichnung und Aufmachung von Schaumwein und Schaumwein mit zugesetzter Kohlensäure, ABl. L 231/9 vom 13. 8. 1992. 429 Siehe allgemein zum Verbraucherleitbild in der EuGH-Rechtsprechung unten S. 257 ff. und zu seiner Bewertung S. 327 ff. 430 EuGH, Urt. v. 28. 1. 1999 – Rs. C-303/97, Sektkellerei Kessler, Slg. 1999, I- 513, 546 f., Rn. 36 f. 431 Hierzu Bülow, ZLR 1990, 451–458.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
– eine therapeutische, stimulierende, beruhigende oder konfliktlösende Wirkung von Alkohol suggerieren (lit. d), – unmäßigen Alkoholgenuss fördern oder Enthaltsamkeit negativ darstellen (lit. e) oder – die Höhe des Alkoholgehalts eines Getränks als positive Eigenschaft hervorheben (lit. f). c)
Arzneimittel
Die Richtlinie vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (im Folgenden: Arzneimittelrichtlinie) fasst eine Vielzahl von Richtlinien 432 zu einem Text zusammen, die Vorgaben für die Herstellung, den Vertrieb und die Verwendung von Arzneimitteln enthalten. Die Arzneimittelrichtlinie regelt auch die Etikettierung und die Werbung für Humanarzneimittel.433 Die Vermarktungsregeln der Arzneimittelrichtlinie sind neben den allgemeinen Vorgaben der Werberichtlinie und den Regeln der Fernsehrichtlinie anzuwenden.434 Den sachlichen Geltungsbereich der Richtlinie definiert im Wesentlichen der Begriff der Arzneimittel. Nach Art. 1 Nr. 2 ArzneimittelRL fallen darunter alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet werden oder die dazu bestimmt sind, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu werden. Von praktischer Relevanz ist die Frage der Abgrenzung der Arzneimittel von den Lebensmitteln,435 da für Arzneimittel strengere Regeln für die Absatzförderung gelten. Die Arzneimittelrichtlinie trennt zwischen Sachinformationen einerseits, repräsentiert durch die obligatorischen Angaben für die Etikettierung und die Packungsbeilage, und andererseits der Werbung.436 Titel V ArzneimittelRL regelt neben der Ausgestaltung der Packungsbeilage auch, wie Arzneimittel zu etikettieren sind. Einen Katalog mit obligatorischen Angaben für die Etikettierung legt Art. 54 ArzneimittelRL fest. Diese müssen entweder auf der äußeren Umhüllung angegeben werden, oder – falls eine solche nicht vorhanden ist – auf der Primärverpackung, d. h. auf dem Behältnis oder jeder anderen Form von Arzneimittelverpackung, die unmittelbar mit dem Arzneimittel in Berührung kommt.437 Zu den Pflichtangaben zählen etwa der Name des Arzneimittels, Angaben über die enthaltenen Wirkstoffe, 432 Siehe BE 1, Art. 128 und Anhang II und III ArzneimittelRL. 433 Zuvor geregelt in der Richtlinie 92/27/EWG des Rates vom 31. März 1992 über die Etikettierung und die Packungsbeilage von Humanarzneimitteln, ABl. L 113 vom 30. 4. 1992, S. 8 und der Richtlinie 92/28/EWG des Rates vom 31. März 1992 über die Werbung von Humanarzneimitteln, ABl. L 113 vom 30. 4. 1992, S. 13. 434 BE 42 und 44 ArzneimittelRL. 435 Ausf. dazu Köhler, GRUR 2002, 844 ff. 436 Nach Art. 86 Abs. 2 Sps. 1 ArzneimittelRL fallen Etikettierung und Packungsbeilage ausdrücklich nicht unter den Begriff der „Werbung für Arzneimittel“, Gröning, WRP 1994, 355, 359. 437 Art. 1 Nr. 23 ArzneimittelRL.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
die Art der Verabreichung, Warnhinweise und das Verfalldatum. Kleine Primärverpackungen, auf denen die in Art. 54 ArzneimittelRL genannten Angaben nicht abgedruckt werden können, müssen zumindest die in Art. 55 Abs. 3 ArzneimittelRL aufgeführten Angaben aufweisen, nämlich den Namen des Arzneimittels, die Dosierung und den Verabreichungsweg, die Art der Verabreichung, das Verfalldatum, die Nummer der Herstellungscharge und Inhalt nach Gewicht, Volumen oder Einheiten. Die notwendigen Angaben für die Primärverpackungen, die sich in einer äußeren Umhüllung befinden und deshalb nicht alle Angaben des Katalogs gemäß Art. 54 ArzneimittelRL enthalten müssen, legt Art. 55 Abs. 2 ArzneimittelRL fest. Alle Angaben müssen nach dem Transparenzgebot des Art. 56 ArzneimittelRL gut lesbar, klar verständlich und unauslöschlich sowie gemäß Art. 63 Abs. 1 ArzneimittelRL in allen Amtssprachen der Mitgliedstaaten aufgeführt sein, in denen das Arzneimittel in Verkehr gebracht wird. Ein Genehmigungsverfahren für die äußere Umhüllung und die Primärverpackung vor den nationalen Behörden schreibt Art. 61 ArzneimittelRL vor. Besondere Etikettierungsvorschriften für Arzneimittel, die Radionuklide enthalten und für homöopathische Arzneimittel enthalten die Art. 66–69 ArzneimittelRL. Als Sanktion bei Verstoß gegen die Etikettierungsvorschriften können die Behörden die Genehmigung für das In-Verkehr-Bringen des Arzneimittels aussetzen, Art. 64 ArzneimittelRL. Art. 86 bis 100 ArzneimittelRL bestimmen, wie Arzneimittel beworben werden dürfen. Den Ausgangspunkt bildet die weite Definition der „Werbung für Arzneimittel“. Darunter fallen alle Maßnahmen, die informieren, den Markt untersuchen oder Anreize schaffen, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern. Art. 87 Abs. 1 ArzneimittelRL untersagt es, für Arzneimittel zu werben, für die keine Genehmigung nach den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft vorliegt. Zu den „Rechtsvorschriften der Gemeinschaft“ i. S. d. Art. 87 Abs. 1 ArzneimittelRL zählen gemäß Art. 6 Abs. 1 ArzneimittelRL die auf Art. 6 ff. ArzneimittelRL beruhenden nationalen Zulassungsvorschriften und die Bestimmungen über das zentrale Zulassungsverfahren nach der Verordnung 2309/93/EWG. Art. 87 Abs. 3 ArzneimittelRL schreibt vor, dass die Arzneimittelwerbung einen zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördern muss und verbietet die irreführende Werbung. Im Übrigen differenziert die Richtlinie zwischen der Öffentlichkeitswerbung 438 und der Werbung bei Personen, die berechtigt sind, Arzneimittel zu verschreiben oder abzugeben (sog. Fachwerbung).439 Die Vorschriften zur Öffentlichkeitswerbung verbieten beispielsweise die Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, für Arzneimittel, die psychotrope Substanzen oder Suchtstoffe enthalten und für solche, die der Behandlung bestimmter, schwerwiegender Erkrankungen dienen.440 Nach Art. 89 ArzneimittelRL muss der Werbecharakter jeder Mitteilung klar erkennbar sein und das Produkt ist klar als
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Art. 88–90 ArzneimittelRL. Art. 91–96 ArzneimittelRL. Art. 88 Abs. 1 und 2 ArzneimittelRL.
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Arzneimittel dazustellen. Zudem stellt die Vorschrift einen Katalog mit Pflichtangaben auf. Schließlich zählt Art. 90 ArzneimittelRL eine Reihe von Aussagen auf, derer sich die Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel nicht bedienen darf. So darf etwa nicht damit geworben werden, dass die Einnahme eines Arzneimittels eine ärztliche Untersuchung oder einen chirurgischen Eingriff ersetze.441 Für die Fachwerbung definieren Art. 91 f. ArzneimittelRL einen inhaltlichen Mindeststandard für die Informationen, die zu übermitteln sind. Außerdem verbieten bzw. beschränken die Art. 94–96 ArzneimittelRL einzelne Instrumente der Absatzförderung, wie Prämien in der Form finanzieller oder materieller Vorteile, die Abgabe von Gratismustern oder übermäßigen Repräsentationsaufwand bei Veranstaltungen zur Verkaufsförderung. Im Zusammenhang mit der Fachwerbung für Arzneimittel schreibt Art. 93 ArzneimittelRL vor, dass Arzneimittelvertreter hinreichend ausgebildet werden müssen, um genaue und vollständige Auskünfte über die Arzneimittel erteilen zu können (Abs. 1). Außerdem müssen sie bei Verkaufsgesprächen für jedes angebotene Arzneimittel eine Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels und – soweit der Mitgliedstaat dies vorschreibt – auch Informationen zum Verkaufspreis und zu den Erstattungsbedingungen zur Verfügung stellen (Abs. 2). Umfangreich regeln endlich die Art. 97 ff. ArzneimittelRL die Überwachung der Arzneimittelwerbung und die Sanktionierung von Verstößen.442 Besondere Regelungen für die Fernsehwerbung für Arzneimittel enthält die Fernsehrichtlinie. Für Arzneimittel und ärztliche Behandlungen, die im Sendestaat rezeptpflichtig sind, besteht nach Art. 14 FernsehRL ein absolutes Fernsehwerbeund Teleshoppingverbot. Nichtverschreibungspflichtige Medikamente und ärztliche Behandlungen dürfen zwar im Fernsehen beworben werden. Jedoch besteht ein faktisches Verbot des Teleshopping auch für nichtverschreibungspflichtige Medikamente, da Art. 14 Abs. FernsehRL ein Teleshoppingverbot für genehmigungspflichtige Produkte im Sinne der Arzneimittelrichtlinie festschreibt und diese Richtlinie faktisch alle Medikamente erfasst. Beim Sponsoring von Fernsehsendungen dürfen Pharmasendungen zwar für ihren Namen oder ihr Image werben, nicht jedoch für Medikamente bzw. ärztliche Behandlungen selbst, sofern diese Produkte im Sendestaat rezeptpflichtig sind.443 Die Regeln über die Etikettierung von Arzneimitteln harmonisieren diesen Bereich umfassend. Erfüllt ein Medikament die Anforderungen der Arzneimittelrichtlinie, so muss jeder Mitgliedstaat das In-Verkehr-Bringen dieses Arzneimittels genehmigen.444 Ausnahmsweise gestattet es Art. 57 ArzneimittelRL den Mitgliedstaaten, zusätzlich Angaben für die Etikettierung zu verlangen, nämlich Informationen über den Preis des Arzneimittels, über die Bedingungen, unter denen die für die soziale 441 442 443 444
Art. 90 lit. a ArzneimittelRL. Dazu Meyer, Produktspezifische Werberegelungen (1996), S. 132 f. Art. 17 Abs. 3 FernsehRL. Art. 60 und BE 41 ArzneimittelRL.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
Sicherheit zuständigen Stellen den Preis erstatten, über die Regeln bzgl. der Abgabe an den Patienten sowie die Identifizierung und die Echtheit des Arzneimittels. Auch die Werberegeln der Arzneimittelrichtlinie sind vollständig harmonisiert. Zwar fehlt es an einer Parallelnorm zu Art. 60 ArzneimittelRL, die ausdrücklich festlegt, dass eine richtlinienkonforme Werbemaßnahme in allen Mitgliedstaaten als zulässig anzuerkennen ist. Jedoch erlaubt die Richtlinie den Mitgliedstaaten an mehreren Punkten ausdrücklich, niedrigerer Standards zu etablieren (z. B. in Art. 89 Abs. 2 ArzneimittelRL), aber auch strengerer Vorgaben zu machen (z. B. in Art. 96 Abs. 2 ArzneimittelRL). Im Rückschluss daraus folgt, dass die Mitgliedstaaten im regulierten Bereich nur dann von den Vorgaben der Richtlinie abweichen dürfen, wenn dies ausdrücklich angeordnet wird. d)
Kosmetika
Die Absatzförderung für kosmetische Produkte wird von der Kosmetikrichtlinie reguliert. Ihren Anwendungsbereich umschreibt Art. 1 Abs. 1 KosmetikRL mittels zweier Kriterien: Erfasst werden alle Stoffe oder Zubereitungen, die einerseits dazu bestimmt sind, äußerlich mit dem menschlichen Körper oder mit den Zähnen und den Schleimhäuten der Mundhöhle in Berührung zu kommen, und die andererseits zumindest überwiegend für die Reinigung, Parfümierung oder ähnlichen Zwecken angewendet werden. Nicht einbezogen sind somit pharmazeutische Produkte und Medikamente, also Erzeugnisse, die in erster Linie dazu dienen, Krankheiten zu verhüten bzw. zu behandeln.445 Der EuGH hat dazu entschieden, dass für Erzeugnisse, die begrifflich sowohl der Definition der „kosmetischen Mittel“, als auch der Definition der „Arzneimittel“ nach Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 65/65 446 unterfallen, die strengeren Maßstäbe der Arzneimittelrichtlinie anzulegen sind.447 Im Übrigen verweist Art. 1 Abs. 2 und 3 KosmetikRL auf verschiedene Anhänge zur Richtlinie, in denen einzelne Erzeugnisse ausdrücklich in den Anwendungsbereich einbezogen oder von ihm ausgeschlossen werden. Vermarktungsregeln für kosmetische Produkte beinhaltet Art. 6 KosmetikRL.448 Nach Art. 6 Abs. 1 KosmetikRL müssen die Behältnisse und Verpackungen unverwischbar, gut leserlich und deutlich sichtbar einen Katalog von im Einzelnen aufgezählten Angaben enthalten. Vor allem müssen der Name und die Anschrift oder die Firma und der Firmensitz des in der Gemeinschaft ansässigen Herstellers bzw. der in der Gemeinschaft ansässigen Person, die für das In-Verkehr-Bringen verantwortlich ist (lit. a),449 der Nenninhalt zur Zeit der Abfüllung (lit. b) und das Mindesthalt-
445 BE 5 KosmetikRL. 446 Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel, ABl. Nr. 22 vom 9. 2. 1965, S. 369. 447 EuGH, Urt. v. 16. 4. 1991 – Rs. C-112/89, Upjohn, Slg. 1991, I-1703, 1704, Leitsatz 2 und 1743–1745, Rn. 25–34. 448 Meyer, Produktspezifische Werberegelungen (1996), S. 133 f. 449 Der EuGH hat klargestellt, dass nur die Angaben entweder des Herstellers oder des für den Vertrieb Verantwortlichen vorgeschrieben sind, soweit der eine oder der andere in der Gemein-
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barkeitsdatum angegeben werden (lit. c) und es müssen auf der Etikettierung besondere Vorsichtsmaßnahmen für den Gebrauch aufgeführt werden (lit. d). Ausnahmsweise, nämlich wenn Letzteres „aus praktischen Gründen nicht möglich ist“, können diese Warnhinweise auch nur auf einer Packungsbeilage enthalten sein. Damit dieser Ausnahmetatbestand erfüllt ist, reicht es jedoch nicht aus, sich auf Platzmangel auf der Etikettierung zu berufen, wenn sich dieser darauf gründet, dass zur erhöhten Verkehrsfähigkeit des Produktes und damit letztlich aus wirtschaftlichen Gründen die entsprechenden Hinweise in mehreren Sprachen abgefasst werden.450 Außerdem muss der Hersteller durch eine Nummer oder ein Kennzeichen klar identifizierbar sein (lit. e) und der Verwendungszweck (lit. f) sowie eine Liste der Bestandteile des Produktes (lit. g) sind anzugeben. Die Irreführung durch die Etikettierung von Kosmetika verbietet 6 Abs. 3 UAbs. 1 KosmetikRL. Danach dürfen bei den verschiedenen Maßnahmen zur Absatzförderung, also bei der Etikettierung, der Aufmachung für den Verkauf und der Werbung für kosmetische Mittel in keinem Falle durch Texte, Bezeichnungen, Warenzeichen, Abbildungen und andere Zeichen Merkmale vorgetäuscht werden, die das betroffene Erzeugnis nicht besitzt. Im Lichte des Art. 28 EG, der nur verhältnismäßige Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit erlaubt, stellt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach ständiger Rechtsprechung des EuGH auch eine Schranke des Irreführungsverbotes des Art. 6 Abs. 3 UAbs. 1 KosmetikRL dar.451 Daraus schlussfolgert der Gerichtshof, dass bei der Beurteilung, ob eine Maßnahme irreführend ist, auf die mutmaßliche Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist.452 Dieses Verbraucherleitbild gilt insoweit, als ein Irrtum über die Eigenschaften eines Produktes die Gesundheit nicht beeinträchtigen kann; 453 im Übrigen ist ein strengerer Maßstab anzulegen. Endlich regelt die Richtlinie auch Werbebehauptungen über Tierversuche. Nach Art. 6 Abs. 3 UAbs. 2 KosmetikRL darf der Hersteller oder die Person, die das Erzeugnis auf dem Gemeinschaftsmarkt in den Verkehr bringt, auf der Verpackung etc. darauf hinweisen, dass im Zusammenhang mit dem Produkt keine Tierversuche durchgeführt wurden. Dies setzt jedoch voraus, dass weder der Hersteller noch
schaft ansässig ist, Urt. v. 23. 11. 1989 – Rs. 150/88, Parfümeriefabrik 4711 / Provide, Slg. 1989, 3891, 3915 f., Rn. 22–27. 450 EuGH, Urt. v. 13. 9. 2001 – Rs. C-169/99, Schwarzkopf, Slg. 2001, I-5901, Leitsatz 2 und 5937 f., Rn. 31–35. 451 EuGH, Urt. v. 2. 2. 1994 – Rs. C-315/92, Verband Sozialer Wettbewerb („Clinique“), Slg. 1994, I-317, 318, Leitsatz und 336, Rn. 16; EuGH, Urt. v. 28. 1. 1999 – Rs. C-77/97, Unilever („OdolMed 3“), Slg. 1999, I-431, 432, Leitsatz und 478, Rn. 27; EuGH, Urt. v. 13. 1. 2000 – Rs. C-220/98, Estée Lauder („Lifting Creme“), Slg. 2000, I-117, 146, Rn. 26; EuGH, Urt. v. 24. 10. 2002 – Rs. C-99/01, Linhart und Biffl, Slg. 2002, I-9375, 9403, Rn. 26. 452 Siehe allgemein zum Verbraucherleitbild in der EuGH-Rechtsprechung unten S. 257 ff. und zu seiner Bewertung S. 327 ff. 453 EuGH, Urt. v. 13. 1. 2000 – Rs. C-220/98, Estée Lauder („Lifting Creme“), Slg. 2000, I-117, 118, Leitsatz und 146, Rn. 27 f.; EuGH, Urt. v. 24. 10. 2002 – Rs. C-99/01, Linhart und Biffl, Slg. 2002, I-9375, 9404, Rn. 31.
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seine Zulieferer für das Fertigerzeugnis, einen Prototyp oder einzelne Bestandteile Tierversuche durchgeführt oder in Auftrag gegeben haben, noch Bestandteile verwendet haben, die in Tierversuchen durch Dritte geprüft wurden, um neue kosmetische Mittel zu entwickeln. Die Kommission wird aufgefordert, Leitlinien zu dieser Vorschrift zu erlassen. Die Kosmetikrichtlinie enthält keine Vorgaben für spezifische Sanktionen bei Verstößen gegen die Vorgaben zur Absatzförderung. Art. 6 Abs. 3 KosmetikRL bestimmt nur allgemein, dass die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen treffen müssen, um die Einhaltung der Vermarktungsvorschriften zu gewährleisten. Die Richtlinie harmonisiert die Bestimmungen über die Verpackung und Etikettierung kosmetischer Erzeugnisse abschließend.454 Kein Mitgliedstaat darf strengere Anforderungen aufstellen. Erfüllt ein Produkt die Richtlinienanforderungen, ist es deshalb in jedem Mitgliedstaat frei handelbar. Als einzige Ausnahme hierzu erlaubt es Art. 7 Abs. 2 KosmetikRL den Mitgliedstaaten, vorzuschreiben, dass die in Art. 6 Abs. 1 lit. b, c, d und f vorgesehenen Angaben in ihrer jeweiligen Amts- oder Landessprache abzufassen sind und dass die Liste der Bestandteile des Produktes i. S. d. Art. 6 Abs. 1 lit. g KosmetikRL in einer „für die Verbraucher leicht verständlichen Sprache“ abgefasst werden. e)
Tabak- und Tabakerzeugnisse
Die Gesetzgebung der Gemeinschaft für Tabakerzeugnisse ist – ausgehend vom Aktionsprogramm „Europa gegen den Krebs“ 455 – geprägt vom „Kampf gegen den Tabakkonsum“ 456 und für ein allgemein hohes Gesundheitsschutzniveau.457 Zum Regelungsrahmen für die Absatzförderung von Tabakerzeugnissen gehört einerseits die Tabakproduktrichtlinie, die neben Regelungen über die zulässigen Inhaltsstoffe (Art. 3) auch Etikettierungsvorschriften enthält. Gemäß Art. 5 Abs. 1 TabakproduktRL ist auf Zigarettenpackungen der gemessene Teer-, Nikotin- und Kohlenmonoxidgehalt aufzudrucken. Außerdem ist in Art. 5 Abs. 2 bis 8 TabakproduktRL detailliert geregelt, in welcher Form Packungen von Tabakerzeugnissen Warnhinweise tragen müssen, die darauf hinweisen, dass Rauchen gefährlich für die Ge-
454 Vgl. Art. 7 Abs. 1 KosmetikRL und EuGH, Urt. v. 23. 11. 1989 – Rs. 150/88, Parfümeriefabrik 4711 / Provide, Slg. 1989, 3891, 3892, Leitsatz 2 und 3913–3915, Rn. 13–21; EuGH, Urt. v. 2. 2. 1994 – Rs. C-315/92, Verband Sozialer Wettbewerb („Clinique“), Slg. 1994, I-317, 335, Rn. 11; EuGH, Urt. v. 28. 1. 1999 – Rs. C-77/97, Unilever („Odol-Med 3“), Slg. 1999, I-431, 477, Rn. 24; EuGH, Urt. v. 24. 10. 2002 – Rs. C-99/01, Linhart und Biffl, Slg. 2002, I-9375, 9401, Rn. 17 und 9403, Rn. 24 Im Übrigen erlaubt Art. 12 KosmetikRL den Mitgliedstaaten, in Ausnahmesituationen vorläufig das In-Verkehr-Bringen eines Mittels trotz Richtlinienkonformität zu untersagen, wenn durch dieses Gesundheitsrisiken drohen. 455 ABl. 1986 Nr. C 184, 19 ff. 456 Koenig/Kühling, EWS 2002, 12. 457 Siehe etwa Art. 1 TabakproduktRL; für einen Überblick über die Gemeinschaftspolitik im Tabakbereich Hervey, 26 ELR (2001), 101–125; zur präventiven Gesundheitspolitik der Gemeinschaft Becker, ZSR 2003, 355–375.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
sundheit ist.458 Zudem dürfen keine Produktbezeichnungen verwendet werden, die „den Eindruck erwecken, dass ein bestimmtes Tabakerzeugnis weniger schädlich als andere sei“, Art. 7 TabakproduktRL. Die Rechtmäßigkeit der TabakproduktRL ist wegen eines möglichen Verstoßes der Warnhinweispflichten gegen die (negative) Meinungsfreiheit der Tabakwarenhersteller und im Hinblick auf die von der EG in Anspruch genommenen Kompetenz nach Art. 95 EG in Frage gestellt worden.459 Eine Nichtigkeitsklage Deutschlands nach Art. 230 Abs. 5 EG gegen Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 der Richtlinie wies der Gerichtshof – da einen Tag zu spät eingereicht – wegen offensichtlicher Unzulässigkeit ab.460 In einem später vom High Court London initiierten Vorabentscheidungsverfahren entschied der EuGH entgegen anderslautender Stimmen in der Literatur, dass sich die Richtlinie mit Recht auf die Binnenmarktkompetenz stütze.461 Eine zweite Stoßrichtung der Kommission zielt darauf ab, die Werbung für Tabakerzeugnisse zu beschränken.462 Die älteste Restriktion der Tabakwerbung enthält Art. 13 FernsehRL, wonach jede Form der Fernsehwerbung für Zigaretten und andere Tabakerzeugnisse verboten ist. Nach Art. 17 Abs. 2 FernsehRL ist es Unternehmen auch untersagt, Fernsehprogramme zu sponsern, wenn deren Haupttätigkeit die Herstellung von Zigaretten und anderen Tabakerzeugnissen ist. Mit der Tabakwerberichtlinie vom 6. Juli 1998 wollte die Gemeinschaft jegliche Absatzförderung für Tabakprodukte untersagen.463 Der EuGH erklärte indes die Richtlinie in einem Aufsehen erregenden Urteil wegen mangelnder Kompetenzgrundlage für nichtig.464 Kurze Zeit nach dieser Entscheidung legte die Kommission – offensichtlich ermutigt durch einige Passagen in der Urteilsbegründung des Gerichtshofes 465 – einen neuen Vorschlag für eine Tabakwerberichtlinie vor. Diese trat schließlich am 26. Mai 2003 in Kraft. Den Begriff der „Werbung“ definiert Art. 2 lit. b TabakwerbeRL als „jede Art kommerzieller Kommunikation mit dem Ziel oder der direkten oder indirekten Wirkung, den Verkauf eines Tabakerzeugnisses zu fördern“. Der Gemeinschaftsgesetzgeber verwendet hier ohne erkennbaren Grund eine andere Formulierung als in Art. 2 Nr. 1 WerbeRL.
458 Zur Bewertung dieser Warnpflichten siehe unten S. 274. 459 Crosby, 27 ELR (2002), 177–193; Dauses, EuZW 2001, 577; Koenig/Kühling, EWS 2002, 12, 13 ff. bzw. 17 ff.; Schroeder, EuZW 2001, 489, 490 ff. bzw. 494 f. 460 EuGH, Beschluss v. 17. 5. 2002 – Rs. C-406/01, Deutschland / Parlament und Rat, Slg. 2002, I-4561. 461 EuGH, Urt. v. 10. 12. 2002 – Rs. C-491/01, British American Tobacco (Investments) und Imperial Tobacco, Slg. 2002, I-11453; hierzu B. Wägenbaur, EuZW 2003, 107–109. 462 Näher zur Bewertung der Werbeverbote für Tabakprodukte unten S. 266 ff. 463 Vgl. insbesondere Art. 3 Abs. 1 RL 98/43/EG. 464 EuGH, Urt. v. 5. 10. 2000 – Rs. C-376/98, Deutschland / Parlament und Rat, Slg. 2000, I-8419, 8421 f., Leitsatz 3; zu diesem Urteil etwa Calliess, Jura 2001, 311–318; Götz, JZ 2001, 34–36; Hervey, 38 CMLR (2001), 1421–1446; Hilf/Frahm, RIW 2001, 128–133; Stein, EWS 2001, 12–17; Usher, 38 CMLR (2001), 1519–1543. 465 EuGH, Urt. v. 5. 10. 2000 – Rs. C-376/98, Deutschland / Parlament und Rat, Slg. 2000, I-8419, 8527 f., Rn. 97 f. und 8531 f., Rn. 111, 117; dazu Stein, EWS 2001, 12, 17.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
Art. 3 TabakwerbeRL verbietet die Werbung in der Presse und anderen gedruckten Veröffentlichungen, also etwa Katalogen oder Postwurfsendungen (Abs. 1) sowie im Internet (Abs. 2). Ausnahmen gelten lediglich für Veröffentlichungen, die ausschließlich für im Tabakhandel tätige Personen bestimmt sind und für Veröffentlichungen, die außerhalb der Gemeinschaft gedruckt und herausgegeben werden und nicht hauptsächlich für den Gemeinschaftsmarkt bestimmt sind. Die Rundfunkwerbung für Tabakerzeugnisse und das Sponsoring von Rundfunkprogrammen durch Unternehmen der Tabakindustrie untersagt Art. 4 TabakwerbeRL ausnahmslos. Unter den Begriff des „Rundfunk“ fällt hier nur der Hörfunk, das Fernsehen ist nicht betroffen.466 Schließlich verbietet Art. 5 TabakwerbeRL das Sponsoring von Veranstaltungen oder Aktivitäten mit grenzüberschreitender Wirkung, worunter auch das Sponsoring einzelner Teilnehmer fällt.467 Im Rahmen der erfassten Veranstaltungen ist es auch verboten, kostenlos Tabakerzeugnisse zu verteilen. Im Gegensatz zur (für nichtig erklärten) Vorgängerrichtlinie bleibt die so genannte indirekte Werbung über Diversifizierungsprodukte ungeregelt, also etwa die Verwendung einer Tabakmarke für Waren der Parfum- oder Lederindustrie (Davidoff Parfum, Camel Boots). Gleiches gilt für Fragen der Überwachung von Werbeausgaben und des Automatenverkaufs. Die Richtlinie ist auch bemüht, ihren Regelungsgehalt auf grenzüberschreitende Wirtschaftsvorgänge zu beschränken, so dass sie keine Werbeverbote für das Kino enthält und auch die Plakatwerbung sowie das Sponsoring von Veranstaltungen mit rein nationalem bzw. lokalem Charakter erlaubt bleiben. Trotzdem wird auch ihr weithin die Binnenmarktkompetenz abgesprochen,468 so dass es abzuwarten bleibt, ob sie ggf. vor dem EuGH standhalten wird. Die Tabakproduktrichtlinie harmonisiert die Regeln zur Etikettierung von Tabakerzeugnissen vollständig. Nach Art. 13 Abs. 1 TabakproduktRL darf nämlich die Einfuhr, der Verkauf und der Konsum von Tabakerzeugnissen, die der Richtlinie entsprechen, nicht aus Gründen untersagt werden, die in der Richtlinie geregelt sind. Auch die Tabakwerberichtlinie bewirkt eine vollständige Harmonisierung im geregelten Bereich, so dass den Mitgliedstaaten keine weiter reichenden Bestimmungen erlaubt sind.469 Für diese Auslegung spricht insbesondere, dass die Richtlinie im Gegensatz zu ihrem Vorgängerrechtsakt 470 keine Mindeststandardklausel enthält.
466 BE 12 TabakwerbeRL. 467 Röttinger, Medien und Recht 2003, 231. 468 Dauses, EuZW 2001, 577; Görlitz, ZUM 2002, 97–106; ders, EuZW 2003, 485–490; Oppermann, ZUM 2001, 950–953; Schwarze, ZUM 2002, 89–97; R. Wägenbauer, EuZW 2001, 450. 469 Röttinger, Medien und Recht 2003, 231. 470 Art. 5 RL 98/43/EG.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
f)
Gefährliche Stoffe
Um zu vermeiden, dass der Handels zwischen den Mitgliedstaaten behindert wird und um Wettbewerbsverzerrungen entgegenzutreten, hat die Gemeinschaft eine Richtlinie über gefährliche Stoffe erlassen, die die Regeln über die Einstufung, die Verpackung und die Kennzeichnung gefährlicher Stoffe sowie die Anmeldung neuer Stoffe harmonisiert. Die Art. 22–25 GefStRL enthalten Vorgaben für die Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe. Die Anforderungen an die notwendige Verpackung für gefährliche Stoffe definiert Art. 22 der Richtlinie. Zudem wird ein Katalog von Pflichtangaben aufgestellt, die deutlich lesbar und dauerhaft auf jeder Verpackung angebracht sein müssen (Art. 23 Abs. 2 GefStRL) und es werden ausführliche Regeln für die Ausführung der Kennzeichnung (Art. 24 GefStRL) aufgestellt, etwa zur Abmessung, der Farbe und Aufmachung von Kennzeichnungsschildern. Ausnahmen zu den Verpackungs- und Kennzeichnungsvorschriften enthält Art. 25 GefStRL. Für die Bewerbung gefährlicher Stoffe schreibt Art. 26 GefStRL vor, dass stets die einschlägige Gefährdungskategorie anzugeben ist. Nach Art. 30 GefStRL dürfen die Mitgliedstaaten das In-Verkehr-Bringen von Stoffen nicht wegen der Verpackung oder Kennzeichnung im Sinne der Richtlinie verbieten, behindern oder beschränken, wenn die Vorgaben der Richtlinie beachtet werden. Damit bezweckt die Richtlinie im Grundsatz eine Vollharmonisierung. Begrenzte Ausnahmen hierzu erlaubt die Schutzklausel in Art. 31 GefStRL, wenn ein Mitgliedstaat einen gefährlichen Stoff auf Grund neuer Information neu bewertet. g)
Pauschalreisen
Die Pauschalreiserichtlinie enthält in Art. 3 Abs. 1 ein Irreführungsverbot. Danach dürfen Beschreibungen, die der Veranstalter oder der Vermittler dem Verbraucher gibt, der Preis und die übrigen Vertragsbedingungen keine irreführenden Angaben enthalten. Nach dem Wortlaut, insbesondere der abschließenden Formulierung („übrige Vertragsbedingungen“) scheint sich das Irreführungsverbot nur auf vertragliche Aussagen zu beschränken. Aus dem systematischen Zusammenhang zu den obligatorischen Angaben im Prospekt (Art. 3 Abs. 2 PRRL) und den sonstigen vorvertraglichen Informationspflichten des Art. 4 PRRL folgt indes, dass die Vorschrift auch alle Werbeaussagen, insbesondere jene des Prospektes, betrifft.471 Die Pauschalreiserichtlinie ermächtigt die Mitgliedstaaten ausdrücklich, im geregelten Bereich strengere Vorschriften zum Schutze des Verbrauchers zu erlassen bzw. aufrechtzuerhalten, Art. 8 PRRL. h)
Investmentfondsanteile und Teilzeitnutzungsrechte an Immobilien
Parallele Regelungen für die Werbung beinhalten Art. 3 Abs. 3 TShRL und Art. 35 InvFRL. Dort ist zur effektiven Durchsetzung der gemäß Art. 3 Abs. 1 TShRL bzw. Art. 27 Abs. 1 InvFRL bestehenden Prospektpflichten bestimmt, dass in jeder Wer471 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 4.01, Rn. 13 (S. 610); Meyer/Kubis, TranspR 1991, 411, 412; Yaqub, in: Yaqub/Bedford (Hrsg.), European Travel Law (1997), S. 45, 50.
97
Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
bung für die entsprechenden Immobilien bzw. Investmentfondsanteile anzugeben ist, dass ein Prospekt erhältlich ist und wo dieser angefordert werden kann. Sowohl die Timesharingrichtlinie als auch die Investmentfondrichtlinie geben den Mitgliedstaaten lediglich Mindeststandards vor.472 Im Falle der Investmentfondrichtlinie legt Art. 1 Abs. 6 allerdings ausdrücklich fest, dass strengere oder zusätzliche Vorgaben als die der Richtlinie nicht auf ausländische Investmentgesellschaften angewendet werden dürfen, wenn diese nach ihrem Herkunftsrecht 473 zugelassen worden sind und die Mindeststandards der Richtlinie erfüllen. Diesen Grundsatz schränkt die Richtlinie allerdings für den hier interessierenden Bereich wieder ein: Beim grenzüberschreitenden Absatz von Investmentanteilen sind in jedem Falle die Vertriebsmodalitäten des Zielstaates, insbesondere die Bestimmungen über die Werbung, zu beachten.474 i)
Verbraucherkredite
In ausdrücklicher Ergänzung zur Werberichtlinie bestimmt Art. 3 VerbrKrRL für die Werbung für Kreditgewährung und Kreditvermittlung, dass in jeder Anzeige und in jedem in Geschäftsräumen bereitgehaltenen Angebot, bei dem Angaben zum Zinssatz oder sonstigen Kreditkosten gemacht werden,475 auch der effektive Jahreszins angegeben werden muss.476 In Fällen, in denen keine solche Angabe mit Aussagekraft gemacht werden kann, ist die Kreditbelastung durch ein repräsentatives Beispiel darzustellen. Dies betrifft etwa Kredite mit flexiblem Zinssatz.477 Die Verbraucherkreditrichtlinie definiert lediglich Mindeststandards. Art. 15 VerbrKrRL stellt es den Mitgliedstaaten frei, weiter gehende Vorschriften zum Schutz der Verbraucher aufrechtzuerhalten oder zu erlassen.
4.
Ausblick: Vorschlag für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt
Einen Vorschlag für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt (V-VerkfördVO) legte die Kommission dem Rat und dem Europäischen Parlament am 2. Oktober 2001 vor.478 Die konzeptionellen Grundlagen des Vorschlags liegen
472 Art. 11 TShRL und Art. 1 Abs. 7 InvFRL. 473 Vgl. Art. 3 Hs. 1 InvFRL. 474 Art. 1 Abs. 6 i. V. m. Art. 44 f. InvFRL. 475 Durch diese Einschränkung bleibt den Kreditinstituten überlassen, ob sie überhaupt mit Preiselementen werben wollen, Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 4.10, Rn. 29 (S. 671). 476 Näher hierzu und zu Reformüberlegungen unten S. 264. 477 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 4.10, Rn. 29 (S. 671). 478 KOM (2001) 546 endg., hierzu Apostolopoulos, WRP 2004, 841 f.; Gamerith, WRP 2003, 143, 150–161; Göhre, WRP 2002, 36–43; Henning-Bodewig, GRUR Int. 2002, 389, 396–398; Kunz-Hallstein/Loschelder, GRUR 2002, 410–413; Lehne/Hark, in: FS Tilmann (2003), S. 179–194; Ohly, NJW 2003, 2135, 2137.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
im Grünbuch der Kommission „Kommerzielle Kommunikation im Binnenmarkt“ vom 8. Mai 1996,479 im „Folgedokument zum Grünbuch über kommerzielle Kommunikation im Binnenmarkt“ vom 4. März 1998 480 sowie in der „Mitteilung der Kommission über Verkaufsförderung im Binnenmarkt“ vom 2. Oktober 2001.481 Nach umfangreichen Änderungsvorschlägen des Parlaments präsentierte die GD Binnenmarkt am 25. 10. 2002 einen modifizierten Vorschlag.482 Der Verordnungsvorschlag zielt darauf ab, einen weiteren Einzelaspekt der Absatzförderungsmaßnahmen zu harmonisieren, um so die Funktion des Binnenmarktes zu unterstützen.483 Er regelt die Voraussetzungen, unter denen Unternehmen ihren Kunden zeitlich befristet Rabatte, unentgeltliche Zuwendungen, Zugaben oder die Teilnahme an Preisausschreiben und Gewinnspielen anbieten dürfen.484 Um den Unternehmen ein level playing field für solche Verkaufsfördermaßnahmen zu ermöglichen, verfolgt der Gesetzgeber einen differenzierten Regelungsansatz. Zunächst definiert Art. 3 Nr. 1 V-VerkfördVO die Verbote und Beschränkungen, die keinem Mitgliedstaat erlaubt sind. Art. 4 bis 6 V-VerkfördVO legen dann Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Verkaufsförderungsaktionen fest. Wie schließlich aus dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung folgt,485 sind Verkaufsförderungsmaßnahmen in der gesamten Gemeinschaft zuzulassen, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig sind, die nicht nach Art. 3 Nr. 1 V-VerkfördVO verboten oder beschränkt werden dürfen und die die Voraussetzungen der Art. 4 bis 6 V-VerkfördVO erfüllen.486 Bemerkenswert ist, dass die GD Binnenmarkt für die Regulierung der Verkaufsförderung auf das Rechtsinstrument der Verordnung setzt. Die Attraktivität der Verordnung liegt aus Sicht der Kommission in ihrer unmittelbaren Geltung in den Mitgliedstaaten. Die Regelungen einer Verordnung können sich effektiver als die in einer Richtlinie den ihnen gebührenden Vorrang erstreiten. Freilich nimmt der europäische Gesetzgeber damit auch in Kauf, dass die Rechtslage unübersichtlicher wird. Anbieter sehen sich neben dem originär nationalen Recht und dem mitgliedstaatlichen Recht, das Richtlinienvorgaben transformiert und deshalb im Lichte des Gemeinschaftsrechts auszulegen ist, auch noch Regelungen aus Verordnungen gegenüber. Teilweise wird darin die Gefahr einer „Rechtszersplitterung“ gesehen, die selbst die Binnenmarktintegration hemmen könnte.487 Wenn diese Gefahr prinzipiell auch nicht von der Hand zu weisen ist, relativiert sie sich doch im Hinblick auf den Vorschlag für eine Verkaufsförderungsverordnung. Soweit wie hier ein be-
479 KOM (1996) 192 endg. 480 KOM (1998) 121 endg. 481 KOM (2001) 546 endg. 482 KOM (2002) 585 endg. 483 KOM (2001) 546 endg., Begründung der V-VerkfördVO zu Art. 1, S. 25; Henning-Bodewig, GRUR Int. 2002, 389, 396. 484 Art. 2 lit. b V-VerkfördVO. 485 Art. 3 Nr. 2 V-VerkfördVO. KOM (2001) 546 endg., Begründung der V-VerkfördVO zu Art. 3 Abs. 2, S. 28. 486 KOM (2001) 546 endg., Begründung der V-VerkfördVO zu Art. 3 Abs. 2, S. 28. 487 Kunz-Hallstein/Loschelder, GRUR 2002, 410, 411; Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa (2004), S. 24.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
grenzter Bereich geregelt werden soll (Rabatte, unentgeltliche Zuwendungen, Zugaben, Teilnahme an Preisausschreiben und Gewinnspielen), ein signifikanter Fortschritt für den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr durch Harmonisierung, Liberalisierung und gegenseitige Anerkennung zu erwarten ist und Marketinginstrumente tatsächlich grenzüberschreitend eingesetzt werden können, überwiegen diese Vorteile gegenüber dem beklagten Nachteil der „Rechtszersplitterung“.488 Schließlich lässt sich auch argumentieren, dass eine Verordnung auf Grund ihrer unmittelbaren Geltung zu mehr Transparenz führt. a)
Verbot mitgliedstaatlicher Regeln in Teilbereichen
Unzulässig sind nach Art. 3 Abs. 1 V-VerkfördVO mitgliedstaatliche Verbote und Restriktionen der Verkaufsförderung, die nach Ansicht der Kommission nicht durch Allgemeininteressen wie dem Verbraucherschutz oder der Lauterkeit des Handelsverkehrs zu rechtfertigen sind und deshalb den Waren- und Dienstleistungsverkehr unverhältnismäßig beschränken.489 Art. 3 Abs. 1 V-VerkfördVO untersagt zunächst, die Nutzung und kommerzielle Kommunikation verkaufsfördernder Aktionen generell zu verbieten. Davon betroffen wären etwa generelle mitgliedstaatliche Verbote von Zugaben.490 Nicht möglich soll es auch sein, den Wert verkaufsfördernder Maßnahmen zu beschränken. Ausnahmen sollen für Rabatte auf Erzeugnisse mit Preisbindung und Verkäufe unter Selbstkosten gelten. Unzulässig soll es zudem sein, Rabatte im Vorfeld von Saisonschlussverkäufen zu verbieten oder die Zulässigkeit von Verkaufsförderaktionen von einer vorherigen Genehmigung abhängig zu machen. Da Art. 3 Abs. 1 V-VerkfördVO dazu führte, dass nicht wenige nationale Verbote und Beschränkungen von Verkaufsförderungsaktivitäten aufgehoben werden müssten, liegt in dieser Vorschrift ein nicht zu unterschätzendes Liberalisierungspotential. b)
Harmonisierung bestimmter Aspekte der Verkaufsförderung
Eine Rechtsangleichung strebt die Verordnung für Materien an, bei denen die Kommission ein regulierendes Eingreifen für rechtspolitisch erforderlich und als verhältnismäßige Beschränkung der Grundfreiheiten ansieht, allerdings die jeweiligen Bestimmungen in den einzelnen Mitgliedstaaten erheblich voneinander abweichen und so die Binnenmarktintegration behindern. Harmonisiert werden sollen Informationspflichten bei Verkaufsförderaktionen (Art. 4 V-VerkfördVO), die Regelungen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen (Art. 5 V-VerkfördVO) und Maßnahmen für eine effektivere Rechtsdurchsetzung (Art. 6 V-VerkfördVO). Art. 4 V-VerkfördVO definiert im Zusammenspiel mit dem Anhang zum Vorschlag umfangreiche Angaben, von denen die Zulässigkeit von Rabatten, unentgeltlichen Zuwendungen und Zugaben sowie Preisausschreiben und Gewinnspielen abhän-
488 489 490
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Vgl. Beater, ZEuP 2003, 11, 42 f. KOM (2001) 546 endg., Begründung der V-VerkfördVO zu Art. 3 Abs. 1, S. 27. Göhre, WRP 2002, 36, 41.
§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
gen soll.491 Der Kunde ist darüber „klar und unmissverständlich“ zu informieren. Die Verordnung setzt auf das Konzept des Abnehmerschutzes durch Information statt durch Verbot.492 So sollen etwa die Kunden vor „Mondpreisen“ geschützt werden, indem sie vom Anbieter verlangen können, zu erfahren, wie lange ein früherer Preis für ein Produkt Gültigkeit hatte.493 Missachtet ein Werbender die Informationsauflagen, so liegt darin ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot der Werberichtlinie. Diese Verkoppelung mit der Werberichtlinie bildet den Mechanismus zur Durchsetzung der Verordnung.494 Zum besonderen Schutz von Kindern und Jugendlichen verbietet Art. 5 V-VerkfördVO, ohne Einwilligung der Sorgeberechtigten personenbezogene Daten von Kindern im Rahmen der Verkaufsförderung zu erheben (Nr. 1). Des Weiteren wird die direkte unentgeltliche Abgabe von Zuwendungen oder Zugaben an Kinder bei Gefahr für deren körperliche Unversehrtheit genauso untersagt (Nr. 2) wie die unentgeltliche Abgabe von Produkten, insbesondere von alkoholischen Getränken, deren Verkauf an Minderjährige verboten ist (Nr. 3).495 Um die Rechtsdurchsetzung gegen den Auftraggeber einer Verkaufsförderungsaktion zu erleichtern, bürdet Art. 6 Abs. 1 V-VerkfördVO diesem die Beweislast darüber auf, dass er die Informationspflichten nach Art. 4 V-VerkfördVO erfüllt hat. Um eine außergerichtliche Streitbeilegung zu fördern, müssen die werbenden Unternehmen dem Kunden eine Adresse benennen, über die eine kostenlose Beschwerde möglich ist.496 Damit soll vermieden werden, dass die Unternehmen Auskunftsdienste nur zum Schein einrichten oder gar als zusätzliche Einnahmequelle missbrauchen.497 Außerdem soll Anbieter die Pflicht treffen, auf schriftliche Beschwerden innerhalb von sechs Wochen zu antworten.498 Der Kunde soll dadurch über einen schriftlichen Beleg über die Haltung des Auftraggebers verfügen, der ihm erleichtern kann, weiter gegen diesen vorzugehen.499 Indem schließlich Art. 6 Abs. 4 V-VerkfördVO den Auftraggeber verpflichtet, auf ein alternatives Streitbeilegungsverfahren zu verweisen, dem er sich unterwirft, soll die Anwendung dieser Form der Streitschlichtung gefördert werden.
491 Dazu Henning-Bodewig, GRUR Int. 2002, 389, 397 f. 492 Fezer, WuW 2002, 217; Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. (2003), S. 443. 493 Art. 4 i. V. m. Anhang, Nr. 2.2. Sps. 2 V-VerkfördVO; krit. hierzu Köhler, BB 2002, Heft 4, Die erste Seite, der vor einem kaum zu bewältigenden bürokratischen Aufwand warnt. Eine Belastung der Unternehmen „über Gebühr“ befürchten auch Kunz-Hallstein/Loschelder, GRUR 2002, 410, 413. 494 BE 13 V-VerkFördVO. 495 Vgl. dazu Göhre, WRP 2002, 36, 40. 496 Art. 6 Abs. 2 V-VerkfördVO. 497 Begründung der V-VerkfördVO zu Art. 6 Abs. 2 und 3, S. 30 f. 498 Art. 6 Abs. 2 V-VerkfördVO. 499 Göhre, WRP 2002, 36, 41.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
c)
Prinzip der gegenseitigen Anerkennung
Art. 3 Abs. 2 V-VerkfördVO statuiert das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung 500 für Regelungen bzgl. Verkaufsförderaktionen i. S. d. Art. 2 lit. b V-VerkfördVO: Soweit eine Maßnahme dem Gemeinschaftsrecht und dem Wettbewerbsrecht des Herkunftsstaates entspricht, darf der grenzüberschreitende Verkehr der Verkaufsförderaktion als Dienstleistung bzw. der Waren, die von der Verkaufsförderaktion profitieren sollen, nicht verhindert werden. Die Vorschlagsbegründung und die Parallele zu Art. 3 Abs. 2 EComRL sprechen dafür, die Regelung als Konkretisierung der Grundfreiheiten zu verstehen und nicht als (klassische) kollisionsrechtliche Regelung.501
III.
Vorvertragliche Informationspflichten
Eine wichtige Aufgabe des Absatzes besteht darin, Bedarfsträger sowohl über Verfügbarkeit und Qualität der betreffenden Güter zu informieren, als auch über die Bedingungen, zu denen sie abgegeben werden. Dementsprechend lassen sich die vorvertraglichen Informationspflichten in zahlreichen europäischen Rechtsakten in das Europäische Absatzrecht einordnen.502 Zur vorvertraglichen Informationsordnung zählen auch die Regeln zur Werbung und zur Etikettierung, die jedoch als Maßnahmen zur Absatzförderung bereits gesondert behandelt wurden.
1.
Pauschalreise- und Timesharingrecht
Die Pauschalreiserichtlinie regelt das Vertragsverhältnis zwischen dem Veranstalter oder Vermittler einer Gesamtheit von Reiseleistungen und seinem Kunden. Die Richtlinie sieht ein detailliertes, abgestuftes System der Information der Verbraucher vor. Ein grundsätzliches Verbot irreführender Angaben bezüglich der Beschreibungen der Reise, ihres Preises und der übrigen Vertragsbedingungen enthält Art. 3 Abs. 1 PRRL. Den Mindestinhalt eines begebenen Reiseprospektes definiert Art. 3 Abs. 2 PRRL. Ein Reiseveranstalter ist also nicht verpflichtet, einen Prospekt zur Verfügung zu stellen. Es besteht keine Prospektpflicht, sondern nur eine „Prospektwahrheitspflicht“,503 teilweise wird auch von „bedingten Informationspflichten“ gesprochen.504 Die Informationspflichten betreffen alle wesentlichen Reiseleistungen und die Zahlungsbedingungen. Damit die Angaben für den Kunden transparent sind, schreibt Art. 3 Abs. 2 PRRL auch vor, dass diese deutlich lesbar, klar und 500 So ausdrücklich KOM (2001) 546 endg., Begründung der V-VerkfördVO zu Art. 3 Abs. 2, S. 28. 501 Henning-Bodewig, GRUR Int. 2002, 389, 397. 502 Näher zu vorvertraglichen Informationspflichten als Regulierungsinstrument unten S. 283 ff. und insbesondere zur Information durch Prospekte für Pauschalreisen, Timesharingobjekte und Investmentfonds unten S. 277 ff. 503 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 4.01, Rn. 14 (S. 610). 504 Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 303.
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§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
genau sein müssen. Schließlich erklärt Art. 3 Abs. 2 PRRL in seinem Abschlusssatz die Katalogangaben für bindend. Aufklärungs- und Dokumentationspflichten vor und bei Vertragschluss bzw. Reiseantritt außerhalb des Prospektes regelt Art. 4 Abs. 1 und 2 PRRL. Nach Art. 4 Abs. 1 lit. a PRRL ist der Verbraucher vor Vertragsschluss über Pass- und Visumerfordernisse und gesundheitspolizeiliche Formalitäten zu unterrichten. Dies wird nur relevant, wenn dem Verbraucher kein Katalog zur Verfügung gestellt wurde, da beide Informationen bereits obligatorische Angaben nach Art. 3 PRRL sind. Weitere Informationspflichten vor Beginn der Reise werden in Art. 4 Abs. 1 lit. b PRRL definiert, wonach über den Ablauf der Reise, Kontaktadressen und Versicherungsmöglichkeiten zu unterrichten ist. Bereits vor Vertragsschluss sind dem Verbraucher auch alle Vertragsbedingungen zu übermitteln. Diese sind schriftlich oder in einer anderen dem Verbraucher verständlichen und zugänglichen Form festzulegen. Der Kunde erhält eine Abschrift des Vertrages. Ausnahmen gelten gemäß Art. 4 Abs. 2 PRRL für Buchungen bzw. Vertragsschlüsse „zu einem späten Zeitpunkt oder im letzten Augenblick“, wenn deren Besonderheiten entgegenstehen. Zu den obligatorischen Vertragsbedingungen zählen auch im Anhang aufgezählte Informationspflichten. Zusätzlich zu den Pflichtangaben im Katalog ist der Verbraucher beispielsweise auch über Termine, Rückreisemodalitäten, Ausflüge oder Zahlungsmodalitäten zu informieren. Da die Pauschalreiserichtlinie lediglich eine Mindestharmonisierung anstrebt (Art. 8 PRRL), steht es den Mitgliedstaaten frei, strengere Informationspflichten zu Gunsten der Verbraucher zu etablieren. Die Timesharingrichtlinie enthält Vorgaben für den Abschluss von Verträgen, die zur zeitweiligen Nutzung einer Immobilie berechtigen. Nach Art. 3 Abs. 1 TShRL muss der Verkäufer jedem Interessenten, der Informationen über die in Frage stehende Immobilie wünscht, ein Schriftstück auszuhändigen, das eine allgemeine Beschreibung der Immobilie enthält und kurze, genaue Angaben über das angebotene Recht, die Nutzungsbedingungen, den Preis und weitere in einem Anhang festgelegte Angaben. Im Gegensatz zur Pauschalreiserichtlinie besteht hier also ein Prospektzwang. Nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 TShRL werden die Prospektangaben mit Vertragsschluss Vertragsinhalt der Timesharingvereinbarung. Schließlich schreibt Art. 3 Abs. 3 TShRL vor, dass in jeder Werbung für eine Immobilie anzugeben ist, das ein Prospekt erhältlich ist und wo er angefordert werden kann. Nach Art. 11 TShRL können die Mitgliedstaaten vorteilhaftere Vorschriften für Erwerber von Timesharingrechten erlassen oder beibehalten und somit auch ausführlichere Informationspflichten vorsehen.
2.
Versicherungsvertragsrecht
Vorvertragliche Informationspflichten enthält auch das europäische Versicherungsvertragsrecht. Bei Schadensversicherungen hat der Versicherer seinen Klienten gemäß Art. 31, 43 Abs. 2 UAbs. 1, 2 3.SVersRL über das anwendbare bzw. vom Ver-
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
sicherer vorgeschlagene Recht zu informieren sowie über Beschwerdestellen und ggf. das Land des Sitzes oder der Zweigniederlassung der Versicherung. Umfangreichere Informationspflichten sind für Lebensversicherungen vorgeschrieben. Nach Art. 36 Abs. 1 i. V. m. Anhang III LVersRL schuldet der Anbieter Informationen über Bestand und Beendigung, Rechte und Pflichten, Anlageinformation, das anwendbare Recht und die anwendbaren Steuerregelungen. Wie bereits aus dem Wortlaut des Art. 36 Abs. 1 LVersRL folgt, handelt es sich grundsätzlich nur um Mindestvorgaben. Zusätzliche Angaben darf ein Mitgliedstaat jedoch gem. Art. 36 Abs. 3 LVersRL nur verlangen, wenn dies für das tatsächliche Verständnis der wesentlichen Bestandteile der Versicherungspolice durch den Versicherungsnehmer notwendig ist.505 Die Versicherungsvermittlungsrichtlinie enthält in Art. 11 Abs. 1 VersVermRL einen umfangreichen Katalog von Informationen, die der Vermittler dem Kunden schuldet. Diese Informationspflichten betreffen einerseits Angaben über die Person des Vermittlers (lit. a), die es insbesondere ermöglichen, seine berufliche Qualifikation zu überprüfen (lit. b) und den Grad seiner Unabhängigkeit abzuschätzen (lit. c und d) sowie sich über ihn zu beschweren (lit. e). Andererseits treffen den Versicherungsvermittler auch Informationspflichten über den angebotenen Vertrag (lit. i–iii). Zudem enthalten Art. 11 Abs. 2 und 3 VersVermRL Vorgaben, durch die die Qualität der Beratung sichergestellt werden soll, indem der Vermittler verpflichtet wird, seine Empfehlungen auf eine hinreichend breite Basis an Informationen aufzubauen und dabei die Präferenzen des Kunden zu berücksichtigen. Formelle Vorgaben über die Art und Weise der Erfüllung der Informationsvorschriften enthält schließlich Art. 12 VersVermRL. Diese Regeln in der Versicherungsvermittlungsrichtlinie sind ein typisches Beispiel dafür, wie der Einsatz von Absatzmittlern als Informationsintermediäre gefördert und reguliert wird.506
3.
Bank- und Kapitalmarktrecht
Im europäischen Bank- und Kapitalmarktrecht sind vorvertragliche Informationspflichten von hervorragender Bedeutung. Art. 3 ÜwRL verpflichtet die Kreditinstitute, ihre „tatsächlichen und möglichen Kunden“ über die Konditionen für grenzüberschreitende Überweisungen zu informieren, insbesondere über Entgelt und Ausführungszeit. Diese Informationspflicht gilt nur für Überweisungen bis zum Gegenwert von 50.000 Euro, die nicht von Kreditinstituten ausgehen oder anderen Instituten, die gewerbsmäßig grenzüberschreitende Überweisungen ausführen.507 Die Finanzmarktrichtlinie enthält in Art. 19 Abs. 3 allgemeine Informationspflichten, die für alle Wertpapiergeschäfte gelten. Darüber hinaus regeln die Art. 19 Abs. 4
505 Siehe hierzu EuGH, Urt. v. 5. 3. 2002 – Rs. C 386/00, Axa Royal Belge, Slg. 2002, I-2209; Schwintowski, VuR 2002, 296 f.; Herrmann, DZWiR 2004, 45, 48–50. 506 Eingehend dazu unten S. 305 ff. 507 Näher zum Hintergrund dieser Regelung S. 284.
104
§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
bis 6 FinMRL ein differenziertes System von Informations- und Beratungspflichten, je nachdem ob die Wertpapierfirma als Anlageberater, Anlagebetreuer oder als Discount-Broker auftritt, der lediglich die Transaktion vornimmt („execution-only“).508 Als alternative vorvertragliche Informationspflichten lassen sich die Verwertungs-, Weitergabe- und Empfehlungsverbote für Primär- und Sekundärinsider nach Art. 2 bis 4 MMRL begreifen. Denn durch das Handelsverbot wird der Insider während der Werbungsphase bis zum Vertragsschluss vor die Wahl gestellt, entweder die betreffende Information aufzudecken und damit seine Insiderstellung aufzuheben oder den Vertragsschluss zu unterlassen.509 Die allgemeine Pflicht, Insiderinformationen zu veröffentlichen (Art. 6 Abs. 1 MMRL), greift unabhängig von einem Vertragsschluss ein. Sie trifft außerdem nicht den Insider, sondern den Emittenten und fällt daher nicht unter die hier zu erfassenden vorvertragliche Informationspflichten.510 Von großer Bedeutung für den kapitalmarktrechtlichen Anlegerschutz sind die Informationspflichten im VI. Abschnitt der Investmentfondsrichtlinie. Die Richtlinie erfasst sowohl Investmentfonds in Form eines Trusts bzw. in Satzungsform (Investmentgesellschaften), als auch Fonds in Vertragsform, verwaltet durch eine Verwaltungsgesellschaft.511 Die Prospekt- und sonstigen Informationspflichten der Richtlinie können deshalb (auch) als vertragliche Informationspflichten begriffen werden.512 Eine Verwaltungsgesellschaft oder eine Investmentgesellschaft muss nach Art. 27 Abs. 1 InvFRL einen vereinfachten und einen vollständigen Prospekt sowie einen Jahres- und einen Halbjahresbericht veröffentlichen. Den Inhalt der Prospekte gibt Art. 28 Abs. 1–4 InvFRL und Art. 29 InvFRL vor. Die Angaben von wesentlicher Bedeutung sind nach Art. 30 InvFRL jeweils auf dem neuesten Stand zu halten. Art. 28 Abs. 5, 6 InvFRL bestimmen den notwendigen Inhalt des Jahresund des Halbjahresberichts. Der vereinfachte Prospekt ist potenziellen Zeichnern vor Vertragsschluss kostenlos anzubieten.513 Kostenlos zur Verfügung zu stellen sind auf Verlangen der Zeichner der vollständige Prospekt, Jahres- und Halbjahresbericht,514 letztere zudem auch den Anteilsinhabern.515 Schließlich ist jede Verwaltungs- oder Investmentgesellschaft nach Art. 34 InvFRL verpflichtet, den Ausgabeund Rücknahmepreis ihrer Anteile mindestens zweimal monatlich zu veröffentlichen.
508 Näher hierzu unten S. 311 ff. 509 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), § 7, Einl. – Übersicht, Rn. 20 (S. 591 f.) und 4.21, Rn. 17 ff. (S. 762 ff.) zur Vorgängerregelung in der Insiderhandelsrichtlinie. 510 Zu Art. 6 MMRL Leppert/Stürwald, ZBB 2002, 90, 93–97; Weber, EuZW 2002, 43, 45. 511 Art. 1 Abs. 3 InvFRL. 512 Verzichtet wird hier darauf, auch die nichtvertragsbezogenen kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten des Gemeinschaftsrechts darzustellen. Auch sie können als Teil eines Absatzrechts begriffen werden. Die umfangreichen Informationsregeln des Primärmarktes mit einzubeziehen, hieße jedoch, den Rahmen der Arbeit zu sprengen. Verwiesen sei deshalb auf Heinze, Europäisches Kapitalmarktrecht, Recht des Primärmarktes (1999). 513 Art. 33 Abs. 1 UAbs. 1 InvFRL. 514 Art. 33 Abs. 1 UAbs. 2 InvFRL. 515 Art. 33 Abs. 2 InvFRL.
105
Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
Die vertragsbezogenen Informationspflichten des Bank- und Kapitalmarktrechts sind in der Regel Mindestvorgaben. Die Mitgliedstaaten können deshalb strengere Informationsanforderungen festlegen. Dies folgt aus der Formulierung der jeweiligen Informationsvorschrift (Art. 3 ÜwRL, Art. 19 Abs. 1 FinMRL: „insbesondere“), für die Finanzmarktrichtlinie im Allgemeinen aber auch aus dem Harmonisierungskonzept. Ziel der Richtlinie ist es nach ihrer dritten Begründungserwägung, den Anlegern ein hohes Schutzniveau zu bieten und den Wertpapierfirmen die grenzüberschreitende Erbringung von Wertpapierdienstleistungen auf der Grundlage des Herkunftslandprinzips zu erleichtern. Diesem Konzept stehen etwa weiter gehende mitgliedstaatliche Wohlverhaltenspflichten grundsätzlich nicht entgegen. Freilich schließen einzelne Regelungen strengeres nationales Recht explizit aus: Art. 19 Abs. 6 FinMRL etwa verlangt von den Mitgliedstaaten, dass sie es ermöglichen müssen, dass Wertpapierfirmen unter bestimmten Voraussetzungen auch die bloße Ausführung einer Transaktion anbieten dürfen, ohne dass sie individualisierte Informations- oder gar Beratungspflichten treffen. Eine Sonderstellung nimmt die Investmentfondsrichtlinie ein. Sie legt grundsätzlich einen Mindeststandard fest,516 bestimmt indes ausdrücklich, dass strengere und zusätzliche nationale Vorschriften nicht auf ausländische Investmentunternehmen anzuwenden sind, wenn sie nach ihrem Herkunftsrecht zugelassen worden sind 517 und dieses den Standard der Richtlinie erfüllt, Art. 1 Abs. 6 InvFRL. Beachten muss ein im Ausland tätiges Investmentunternehmen jedoch die nach Art. 44 bis 48 InvFRL zusätzlich möglichen vertriebsbezogenen Bestimmungen. Abschließend harmonisiert ist schließlich das Verbot von Insidergeschäften nach Art. 2 bis 4 MMRL. Dafür spricht, dass die Richtlinie anders als zuvor Art. 6 InsHRL keine ausdrückliche Erlaubnis für strengere nationale Vorschriften vorsieht.
IV.
Rechtsdurchsetzung
Die materiellen Regeln zum Schutz der Abnehmer und zur Stärkung des Vertrauens in den Binnenmarkt liefen leer, wenn sie nicht mit einer effektiven Rechtsdurchsetzung einhergingen. Für die Gemeinschaft wurde ein Regelungsbedarf konstatiert, weil Anbieter insbesondere mit dem Aufkommen des E-Commerce zunehmend grenzüberschreitend tätig wurden und sich deshalb auch grenzüberschreitend wirkende unlautere Marketingmethoden häuften. Dem standen jedoch Defizite bei der grenzüberschreitenden Durchsetzung abnehmerschützender Normen gegenüber. Entgegenwirken sollen diesem Mangel einmal verfahrensrechtliche Vorschriften, die privaten Verbänden und öffentlichen Stellen die grenzüberschreitende Rechtsverfolgung ermöglichen. Die Kommission sprach davon, dass der „freie Verkehr der Unterlassungsklagen“ gewährleistet werden müsse.518 Zum anderen soll 516 Siehe aber Art. 28 Abs. 3 S. 5 InvFRL, wonach der Inhalt des vereinfachten Prospekts in Art. 28 Abs. 3 InvFRL abschließend harmonisiert ist, vgl. Art. 1 Abs. 7 InvFRL. 517 Es gilt das Sitzstaatrecht nach Art. 3 HS. 1 InvFRL. 518 Grünbuch der Kommission über den Zugang der Verbraucher zum Recht und die Beilegung
106
§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
die Rechtsdurchsetzung auch verbessert werden durch eine effektive Zusammenarbeit der Behörden der Mitgliedstaaten untereinander und mit der Kommission.519
1.
Unterlassungsklagenrichtlinie
Zentraler verfahrensbezogener Rechtsakt ist die Richtlinie über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen.520 Sie schreibt den Mitgliedstaaten vor, dass sie qualifizierte Einrichtungen befugen müssen, zum Schutz der Verbraucherinteressen Unterlassungsklagen anstrengen zu können. Darüber hinaus müssen qualifizierte Einrichtungen aus einem Mitgliedstaat, wo Interessen beeinträchtigt werden, die diese Einrichtungen schützen, auch in dem Mitgliedstaat Unterlassungsklagen einreichen können, wo der Ursprung des Verstoßes liegt.521 Die Richtlinie erfasst Verbraucherinteressen nur insoweit, als sie von den Richtlinien geschützt werden, die der Anhang der Unterlassungsklagenrichtlinie aufzählt. Hierzu gehören nahezu alle Richtlinien, die absatzbezogene Regeln enthalten, etwa die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, die Fernabsatzrichtlinien, die Haustürwiderrufsrichtlinie, die Fernsehrichtlinie und die Arzneimittelrichtlinie. Unter den Begriff der „qualifizierten Einrichtung“ fallen gemäß Art. 3 UntKlRL nach Wahl des Mitgliedstaates unabhängige öffentliche Stellen (lit. a) oder private Verbraucherschutzverbände (lit. b). Der Gemeinschaftsgesetzgeber stellt also den Mitgliedstaaten frei, die Rechtsdurchsetzung zu unterstützen, indem sie die privatrechtliche oder die administrative Kontrollkompetenz fördern. Beide Optionen können auch kumulativ gewählt werden.522 Art. 4 UntKlRL führt ein Registrierungsverfahren ein, um zu vermeiden, dass die Klagebefugnis durch unseriöse Verbände missbräuchlich in Anspruch genommen wird und um die Unterlassungsprozesse davon zu entlasten, dies prüfen zu müssen.523 Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die Einrichtungen mit, die nach ihrem Recht klagebefugt sind.524 Auf der Grundlage dieser Informationen erstellt die Kommission gemäß Art. 4 Abs. 3 UntKlRL ein Verzeichnis dieser Einrichtungen und veröffentlicht es im Amtsblatt der EG. Die mitgliedstaatlichen Gerichte oder Verwaltungsbehörden haben die verzeichneten „qualifizierten Einrichtungen“ als klageberechtigt anzuerkennen.525 Den Gerichten oder Verwaltungsbehörden bleibt aber das Recht, zu überprüfen, ob
von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt v. 16. 11. 1993, KOM (1993) 576 endg., S. 87 ff. 519 Art. 1 VO über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz. 520 Zur Unterlassungsklagenrichtlinie Hopt/Baetge, in: Basedow/Hopt/Kötz/Baetge (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozess (1999), S. 11, 30–39. 521 Art. 4 Abs. 1 UntKlRL. 522 BE 10 UntKlRL. 523 Greger, NJW 2000, 2457, 2458. 524 Art. 4 Abs. 2 UntKlRL. 525 Art. 4 Abs. 1 S. 2 UntKlRL.
107
Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
der Zweck der qualifizierten Einrichtung es im konkreten Fall rechtfertigt, Klage erheben zu können. Art. 2 UntKlRL erläutert den Begriff der „Unterlassungsklage“. Für eine Unterlassungsklage durch eine qualifizierte Einrichtung kommen drei Rechtsschutzziele in Betracht. Sie kann zunächst darauf abzielen, dass das Gericht anordnet, einen Verstoß gegen eine verbraucherschützende Vorschrift einzustellen.526 Dies betrifft vor allem Anordnungen in einem Dringlichkeitsverfahren. Die Klagebefugnis der qualifizierten Einrichtungen muss auch für die Maßnahmen gelten, die sich gegen die fortdauernde Wirkung eines Verstoßes richten, etwa die Veröffentlichung der Gerichtsentscheidung oder einer Richtigstellung.527 Drittens schließlich müssen qualifizierte Einrichtungen auch befugt sein, die Anordnung von Zwangsgeldern gegen eine unterlegene beklagte Partei beantragen zu können, soweit die mitgliedstaatliche Rechtsordnung ein solches Druckmittel vorsieht.528 Art. 5 UntKlRL eröffnet den Mitgliedstaaten eine Option, die unnötige Prozesse vermeiden soll: 529 Sie können vorschreiben, dass eine Partei, die eine Unterlassungsklage erheben will, zuerst versuchen muss, durch Konsultationen mit der Gegenpartei bzw. der Gegenpartei und einer qualifizierten Einrichtung zu erreichen, dass der Verstoß eingestellt wird.
2.
Sonstige verfahrensrechtliche Regelungen
Neben den verfahrensbezogenen Regelungen der Fernabsatzrichtlinien und der E-Commerce-Richtlinie, die bereits im Zusammenhang mit den Rechtsregeln für bestimmte Absatztechniken erwähnt wurden,530 enthält das Gemeinschaftsrecht einige Vorschriften, die es erleichtern sollen, Werberegeln durchzusetzen. So bestimmt Art. 4 Abs. 1 S. 2 WerbeRL, dass es einem vom nationalen Recht zu bestimmenden Kreis von Personen oder Organisationen, die ein berechtigtes Interesse haben, gestattet sein muss, vor Gerichten oder Verwaltungsbehörden gegen rechtswidrige Werbung vorzugehen.531 Weiterhin müssen die Mitgliedstaaten den nationalen Gerichten oder Verwaltungsbehörden Befugnisse übertragen, die sie zu schadens- und verschuldensunabhängigen Einstellungsanordnungen oder Untersagungen von Veröffentlichungen ermächtigen 532 und für Maßnahmen in diesem Rahmen ein beschleunigtes Verfahren vorsehen, wahlweise mit vorläufiger oder endgültiger Wirkung.533 Außerdem sieht die Richtlinie die Möglichkeit vor – und regt damit eine solche mitgliedstaatliche Regelung an – dass die nationalen Ge-
526 527 528 529 530 531 532 533
108
Art. 2 Abs. 1 lit. a UntKlRL. Art. 2 Abs. 1 lit. b UntKlRL. Art. 2 Abs. 1 lit. b UntKlRL. Greger, NJW 2000, 2457, 2458. Siehe oben S. 28, S. 37 und S. 41. Eine vergleichbare Regelung enthält auch Art. 7 Abs. 2 TabakwerbeRL. Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 WerbeRL. Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2 WerbeRL.
§ 3 Setzung eigener Standards für das Absatzverhältnis durch Sekundärrecht
richte oder Verwaltungsbehörden von einem Werbenden verlangen können, dass dieser eine rechtskräftige Entscheidung über die Rechtswidrigkeit einer Werbung sowie eine berichtigende Erklärung veröffentlicht.534 Dies setzt voraus, dass ein Gericht durch rechtskräftige Entscheidung angeordnet hat, eine irreführende oder unzulässig vergleichende Werbung einzustellen und soll dazu beitragen, die fortdauernden Wirkungen einer rechtswidrigen Werbung auszuräumen. Endlich sieht Art. 6 WerbeRL unter bestimmten Umständen vor, dem Kläger gegen eine Werbung die Beweislast zu erleichtern.535 Art. 97 ArzneimittelRL enthält parallele Regelungen zu Art. 4 WerbeRL. Bemerkenswert ist, dass Art. 97 Abs. 1 ArzneimittelRL darüber hinaus ausdrücklich auf die Möglichkeit hinweist, Arzneimittelwerbung vorab durch eine Behörde kontrollieren zu lassen. Schließlich sehen sowohl Art. 5 WerbeRL als auch Art. 97 Abs. 5 ArzneimittelRL die Möglichkeit einer ergänzenden Rolle für Verfahren der freiwilligen Selbstkontrolle vor.
3.
Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz
Die Mitgliedstaaten setzen auf unterschiedliche Konzepte, um abnehmerschützende Regeln durchzusetzen, etwa zivilrechtliche Klagemöglichkeiten, verwaltungsrechtliche Durchsetzung durch Ombudsmänner oder andere Behörden und nicht zuletzt auch auf Strafverfolgung. Die Gemeinschaft respektiert im Grundsatz diese Diversität, will jedoch mit der Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz ein gemeinschaftsweites Netzwerk von Behörden für die grenzüberschreitende Rechtsdurchsetzung installieren. Danach muss jeder Mitgliedstaat eine zentrale Verbindungsstelle benennen, die Teil des gemeinschaftsweiten Netzwerkes wird und deshalb für die Anwendung der Verordnung verantwortlich ist.536 Diese Behörde kann bei ihren Ermittlungen auf die Hilfe der Partnerbehörden zurückgreifen und ist im Gegenzug dazu verpflichtet, die Behörden der anderen Mitgliedstaaten zu unterstützen. Verschiedene Verfahren für diese Amtshilfe und deren Voraussetzungen beschreiben Art. 6 ff. der Verordnung. Eine wirksame Teilnahme der mitgliedstaatlichen Behörden am Netzwerk setzt ein Mindestmaß an gemeinsamen Ermittlungs- und Durchsetzungsbefugnissen voraus (Art. 4 Abs. 3 bis 6) und angemessene Personal- und Sachausstattung (Art. 4 Abs. 7). Die Verordnung gilt nur für die Verfolgung innergemeinschaftlicher, d. h. grenzüberschreitender Verstöße, nicht für rein innerstaatliche Sachverhalte.537 Die verfolgte Verhaltensweise muss hierbei gegen eine Regelung einer Richtlinie oder Verordnung verstoßen, die im Anhang zur Verordnung aufgezählt wird.538 Hierunter fallen auch ein Großteil der hier systematisierten Rechtsakte, etwa die Haustürwiderrufsrichtlinie, die Fern534 535 536 537 538
Art. 4 Abs. 2 UAbs. 3 WerbeRL. Dazu Freund, Vergleichende Werbung (2001), S. 166 f. Art. 4 Abs. 1 VO über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 lit. b VO über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz. Art. 3 lit. a i. V. m. Anhang.
109
Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
absatzrichtlinien, die E-Commerce-Richtlinie, die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, die Werberichtlinie, die Fernsehrichtlinie und die Arzneimittelrichtlinie.
§ 4 Zurückdrängung nationaler Regeln für das Absatzverhältnis durch die Grundfreiheiten Die Warenverkehrsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit sind Prüfungsmaßstab für mitgliedstaatliche Normen für bestimmte Absatztechniken und die Absatzförderung. Dies folgt aus dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht, der nach Ansicht des EuGH in jedem Fall gilt und unmittelbar dem Gemeinschaftsrecht zu entnehmen ist.1 Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts wird von den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Auslegung durch die obersten nationalen Gerichte im Wesentlichen akzeptiert, wenn auch mit anderem Begründungsansatz und nicht bedingungslos.2 Dabei ist von einem Anwendungsvorrang des europäischen Rechts, nicht von einem Geltungsvorrang auszugehen.3
I.
Warenverkehrsfreiheit
Mitgliedstaatliche Normen sind für den grenzüberschreitenden Sachverhalt unanwendbar, wenn sie als Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen gemäß Art. 28 EG verboten sind. Die Überprüfung absatzbezogener Regeln war häufig der Anlass für den EuGH, seine Rechtsprechung zu Art. 28 EG fortzuentwickeln.
1.
Anwendungsbereich
Die Anwendung des Art. 28 EG setzt sachlich den grenzüberschreitenden Handel mit Waren voraus. Geschützt sind dabei nicht nur die aus einem Mitgliedstaat stammenden Waren, sondern auch Waren aus Drittstaaten, die sich im freien Verkehr in einem Mitgliedstaat befinden, Art. 23 Abs. 2 EG.4 Unter dem Begriff der Ware fallen
1 St. Rspr. seit EuGH, Urt. v. 15. 7. 1964 – Rs. 6/64, Costa / E. N. E. L., Slg. 1964, 1251, 1269 f., Rn. 8–13; EuGH, Urt. v. 17. 12. 1970 – Rs. 11/70, Internationale Handelsgesellschaft, Slg. 1970, 1125, 1135, Rn. 3. 2 Siehe nur Craig/de Búrca, EU Law, 3. Aufl. (2003), S. 285–314. 3 EuGH, Urt. v. 7. 2. 1991 – Rs. C-184/89, Nimz, Slg. 1991, I-297, 321, Rn. 21 („außer Anwendung zu lassen“); Streinz, Europarecht, 6. Aufl. (2003), Rn. 200. 4 Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV und EGV (2002), Art. 28 Rn. 2; Leible, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 28 (2000), Rn. 46.
110
§ 4 Zurückdrängung nationaler Regeln für das Absatzverhältnis
alle Gegenstände, die Geldwert besitzen und handelbar sind.5 Für den Bereich des Absatzes ist entscheidend, dass absatzbezogene Handlungen – soweit sie einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen – als akzessorische Gewährleistungen von der Warenverkehrsfreiheit umfasst sind. Geschützt sind so beispielsweise die Kundenwerbung für pädagogisches Material an der Haustür 6 oder die Ausstrahlung von Fernsehwerbung für eine bestimmte Form des Vertriebs von Kraftstoff.7
2.
Beeinträchtigung
Eine Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit kommt durch diskriminierende wie durch unterschiedslos wirkende Beschränkungen in Betracht. Diskriminierend ist zunächst jede Regelung, aus der sich ausdrücklich eine Unterscheidung zwischen inländischen und grenzüberschreitenden Sachverhalten zum Nachteil letzterer ergibt. In diesem Falle spricht man von einer unmittelbaren 8 Diskriminierung. Da die meisten absatzbezogenen Normen formal unterschiedslos anwendbar sind, ist diese Form der Beeinträchtigung selten anzutreffen. Eine unmittelbare Diskriminierung nahm der EuGH bei einer Vorschrift an, die zwingend die Angabe der ausländischen Herkunft einer Ware vorschrieb,9 bei einer Werbekampagne für den Absatz inländischer Waren mittels der Etikettierung „Buy Irish“ 10 oder auch bei einer Vorschrift, wonach für inländischen Wermutwein keine Mindestalkoholmenge galt, ausländischer Wermutwein aber den jeweiligen Vorschriften des Ausfuhrstaates zu entsprechen hatte. Dies führte im konkreten Sachverhalt dazu, dass Wermutwein aus Italien eine Mindestalkoholmenge von 16 Vol.-% enthalten musste.11 Der EuGH hat es nicht bei einem engen, rechtlichen Diskriminierungsbegriff belassen. Eine mittelbare 12 Diskriminierung liegt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes vor, wenn das grenzüberschreitende Produkt nur typischerweise von einer Regelung stärker betroffen ist als der inländische Sachverhalt. Eine mittelbare Diskriminierung nahm der EuGH im Falle einer Werbebeschränkung des französischen Rechts an, nach der für typische französische Branntweine wie Rum und Obst-
5 Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2000), Art. 28 EGV, Rn. 15; Leible, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 28 EGV (2000), Rn. 45. 6 EuGH, Urt. v. 16. 5. 1989 – Rs. 382/87, Buet u. a. / Ministère public, Slg. 1989, 1235, 1251, Rn. 7–9. 7 EuGH, Urt. v. 9. 2. 1995 – Rs. C-412/93, Leclerc-Siplec, Slg. 1995, I-179, 216–218, Rn. 18–24, wobei der Gerichtshof im konkreten Fall eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit verneinte. 8 Synonym werden auch die Begriffe „offen“, „rechtlich“ oder „formal“ verwendet, Ehlers, Jura 2001, 266, 270. 9 EuGH, Urt. v. 17. 6. 1981 – Rs. 113/80, Kommission / Irland („Irish Souvenirs“), Slg. 1981, 1625, 1639–1641, Rn. 11–17. 10 EuGH, Urt. v. 24. 11. 1982 – Rs. 248/81, Kommisson / Irland („Buy Irish“), Slg. 1982, 4005, 4022, Rn. 26. 11 EuGH, Urt. v. 20. 4. 1983 – Rs. 59/82, Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft / Weinvertriebs-GmbH („Wermutwein“), Slg. 1983, 1217, 1226, Rn. 8 f. 12 Synonym werden auch die Begriffe „versteckt“, „faktisch“ oder „materiell“ verwendet, Ehlers, Jura 2001, 266, 270.
111
Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
branntweine frei geworben werden durfte, wohingegen es gänzlich untersagt war, für Whiskey oder Wacholderbranntweine zu werben, die überwiegend eingeführt wurden.13 Die Grundfreiheiten werden vom EuGH nicht nur als Diskriminierungsverbote begriffen, sondern darüber hinaus auch als allgemeine Beschränkungsverbote. Ausgangspunkt für diese Entwicklung war die weite Definition von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen in der Dassonville-Entscheidung. Danach ist jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung i. S. d. Art. 28 EG anzusehen.14 Daraus folgte, dass alle unterschiedslos anwendbaren Regelungen, die in irgendeiner Form Absatztechniken, Werbung oder sonstige Maßnahmen der Absatzförderung betrafen, die Freiheit des Warenverkehrs beeinträchtigten und somit rechtfertigungsbedürftig waren. Tragendes Argument um eine Beschränkung anzunehmen, war allein, dass die Absatzmöglichkeiten für eingeführte Erzeugnisse – wenn auch in gleichem Maße wie die inländischer Erzeugnisse – beeinträchtigt waren und somit die Maßnahmen geeignet waren, das Einfuhrvolumen zu beschränken. Maßnahmen gleicher Wirkung sah der EuGH nachfolgend etwa in einem Verkaufsverbot an Sonntagen,15 im Verbot der Haustürwerbung für den Verkauf von pädagogischem Material,16 in der Untersagung von Werbegeschenken,17 im Verbot der Werbung für künstliche Süßstoffe mit dem Begriff „Zucker“ 18 sowie in der Beschränkung der Werbung mit Preisnachlässen.19 Diese weite Auslegung des Art. 28 EG schränkte der EuGH in der Keck-Entscheidung ein. Dort lehnte es der Gerichtshof ab, das französische Verbot, Waren unter Einkaufspreis weiterzuverkaufen, an Art. 28 EG zu messen. Vielmehr entschied der EuGH in ausdrücklicher Abkehr von seiner vorherigen Rechtsprechung, dass die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, nicht geeignet sei, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern und somit keine Beschränkung des Art. 28 EG vorliege, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer in gleicher Weise gelten und sofern der Absatz inländischer Erzeugnisse und der Absatz von Erzeug-
13 EuGH, Urt. v. 10. 7. 1980 – Rs. 152/78, Kommission / Frankreich („Werbung für alkoholische Getränke“), Slg. 1980, 2299, 2314 f., Rn. 13 f. 14 EuGH, Urt. v. 11. 7. 1974 – Rs. 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837, 852, Rn. 5. 15 EuGH, Urt. v. 23. 11. 1989 – Rs. 145/88, Torfaen Borough Council / B & Q, Slg. 1989, 3851, 3888 f., Rn. 10–17. 16 EuGH, Urt. v. 16. 5. 1989 – Rs. 382/87, Buet u. a. / Ministère public, Slg. 1989, 1235, 1251, Rn. 7–9. 17 EuGH, Urt. v. 15. 12. 1982 – Rs. 286/81, Oosthoek’s Uitgeversmaatschappij, Slg. 1982, 4575, 4587 f., Rn. 15. 18 EuGH, Urt. v. 12. 12. 1990 – Rs. C-241/89, SARPP, Slg. 1990, I-4695, 4723, Rn. 29. 19 EuGH, Urt. v. 7. 3. 1990 – Rs. C-362/88, GB-INNO-BM, Slg. 1990, I-667, 686, Rn. 7 f.; EuGH, Urt. v. 18. 5. 1993 – Rs. C-126/91, Yves Rocher, Slg. 1993, I-2361, 2388, Rn. 10 f.
112
§ 4 Zurückdrängung nationaler Regeln für das Absatzverhältnis
nissen aus anderen Mitgliedstaaten in gleicher Weise berührt sei.20 Der Gerichtshof begründete seine Auffassung damit, dass die Anwendung von Verkaufsmodalitäten im Gegensatz zu produktspezifischen Regelungen auf Erzeugnisse aus einem anderen Mitgliedstaat nicht geeignet sei, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tue.21 Diese Einschränkung des Anwendungsbereichs des Art. 28 EG, die in zahlreichen Folgeentscheidungen bestätigt wurde,22 ist von zentraler Bedeutung, um absatzbezogene Normen zu bewerten. Bei der Anwendung der Keck-Rechtsprechung traten im Folgenden viele Zweifelsfragen auf. Eine schematische, rein begriffliche Abgrenzung der produkt- von den vertriebsbezogenen Regelungen ist teilweise schwer durchzuführen oder führt jedenfalls allein nicht zu überzeugenden Abgrenzungen.23 So stellen Werbeverbote im Grundsatz bloße Verkaufsmodalitäten dar.24 Befindet sich die Werbung indes auf dem Produkt, handelt es sich um eine produktbezogene Regelung.25 Die formale, an Begrifflichkeiten orientierte Auslegung muss deshalb durch teleologische Argumente gestützt werden. Maßgeblich muss der Zweck sein, die der Einschränkung des Tatbestandes des Art. 28 EG zu Grunde liegt: Die Warenverkehrsfreiheit dient der Gewährleistung des Binnenmarktes.26 Anbietern im Binnenmarkt soll kein zusätzlicher Aufwand dadurch entstehen, dass sie ihr Produkt grenzüberschreitend anbieten, etwa weil sie unterschiedliche Produktstandards erfüllen müssen. Das Ziel der Warenverkehrsfreiheit besteht deshalb darin, den Zutritt auf andere mitgliedstaatliche Märkte nicht zu erschweren.27 Davon ausgehend sollen aber nationale Maßnahmen nicht rechtfertigungsbedürftig sein, die nach erfolgtem Marktzutritt lediglich die Modalitäten des Wettbewerbs regeln und auch faktisch die grenzüberschreitend gehandelten Waren nicht anders betreffen als die Waren, die rein inländisch vertrieben werden. Berücksichtigt man diese Ratio des Keck-Urteils und die ausdrückliche Einschränkung des EuGH, dass nur „bestimmte“, „unterschiedslos“ anwendbare Verkaufsmodalitäten vom Konzept der Maßnahmen gleicher Wirkung ausgenommen werden sollen, so existiert weiterhin ein Bestand von Normen, die begrifflich als
20 EuGH, Urt. v. 24. 11. 1993 – verb. Rs. C-267 u. C-268/91, Keck und Mithouard, Slg. 1993, I-6097, 6131, Rn. 16. 21 EuGH, Urt. v. 24. 11. 1993 – verb. Rs. C-267 u. C-268/91, Keck und Mithouard, Slg. 1993, I-6097, 6131, Rn. 17. 22 Vgl. die ausf. Nachw. für Regelungen, die der EuGH zu den „Verkaufsmodalitäten“ oder zu den „Produktspezifikationen“ rechnet bei Leible, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 28 (2000), Rn. 28. 23 Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2000), Art. 28 EGV, Rn. 49; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht (1996), S. 99. 24 EuGH, Urt. v. 15. 12. 1993 – Rs. C-292/92, Hühnermund u. a., Slg. 1993, I-6787, 6823, Rn. 21–24 (Werbeverbot für apothekenübliche Produkte außerhalb von Apotheken); EuGH, Urt. v. 9. 2. 1995 – Rs. C-412/93, Leclerc-Siplec, Slg. 1995, I-179, 217 f., Rn. 21–24 (Verbot der Fernsehwerbung für eine bestimmte Form des Vertriebs von Kraftstoff). 25 EuGH, Urt. v. 6. 7. 1995 – Rs. C-470/93, Mars, Slg. 1995, I-1923, 1940 f., Rn. 11–14. 26 Art. 14 Abs. 2 EG. 27 Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2000), Art. 28, Rn. 49; Ehlers, Jura 2001, 482, 485.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
Verkaufsmodalitäten aufgefasst werden können, die aber trotzdem als Beschränkungen des Art. 28 EG zu werten sind. Darunter fallen zum einen Regeln, die die Absatzförderung für gewisse Produkte oder bestimmte Absatztechniken verbieten. Denn neu auf einen Markt drängende Erzeugnisse sind in viel größerem Maße auf Werbung und andere Maßnahmen der Absatzförderung angewiesen sind als die etablierten inländischen Erzeugnisse, mit denen die Verbraucher bereits vertraut sind. Deshalb behindern Verbote der Absatzförderung Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten typischerweise erheblich stärker als die inländische Konkurrenz.28 Gleiches gilt für das Verbot bestimmter Absatztechniken, weshalb der EuGH auch das Verbot des Versandhandels mit Arzneimitteln, die in Deutschland nur in Apotheken verkauft werden dürfen, als eine Maßnahme gleicher Wirkung i. S. v. Art. 28 EG qualifizierte.29 Weiterhin als Beschränkung zu werten sind auch mitgliedstaatliche Vertriebsmodalitäten, durch die einem Anbieter wesentliche Anpassungskosten entstehen, die ihn gegenüber innerstaatlichen Konkurrenten benachteiligen. Vor diesem Hintergrund wird unter dem Stichwort des Euro-Marketing argumentiert, dass vertriebsbezogene Regelungen auch nach der Keck-Rechtsprechung in den Tatbestand des Art. 28 EG fallen, wenn ein Anbieter durch sie gezwungen ist, eine einheitlich für mehrere Länder oder sogar den gesamten Binnenmarkt konzipierte Marketingstrategie zu ändern, ihm dadurch Anpassungskosten entstehen und deshalb der gemeinschaftliche Warenverkehr gestört wird.30 Diese Argumentation trägt dem Umstand Rechung, dass vertriebsbezogene Regelungen faktisch den Marktzutritt in gleicher Weise erschweren können wie produktspezifische Regelungen. Mitgliedstaatliche Vertriebsregeln können insbesondere verhindern, dass ein Produzent die Kostenvorteile (economies of scale and scope), die ein einheitlicher Binnenmarkt mit sich bringen soll, auch durch eine einheitliche Marketingstrategie umsetzt.31 Der EuGH-Rechtspre-
28 Mit diesem Argument sah der EuGH in dem nahezu vollständigen Verbot der Werbung für alkoholische Erzeugnisse in Schweden eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit, obwohl es sich nur um eine Verkaufsmodalität handelte, EuGH, Urt. v. 8. 3. 2001, Rs. C-405/98, GIP, Slg. 2001, I-1795, 1823 f., Rn. 18–25; bestätigt in EuGH, Urt. v. 15. 7. 2004 – Rs. C-239/02, Douwe Egberts, Slg. 2004, I-7007, 7009, Leitsatz 3 und 7059, Rn. 53; zuvor bereits EuGH, Urt. v. 9. 7. 1997 – verb. Rs. C-34/95, C-35/95 und C-36/95, De Agostini und TV-Shop, Slg. 1997, I-3843, 3890, Rn. 42 f. Siehe auch Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 174 f.; Leible, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 28 EGV (2000), Rn. 30; Stein, EuZW 1995, 435, 436. 29 EuGH, Urt. v. 11. 12. 2003 – Rs. C-322/01, Deutscher Apothekerverband / DocMorris und Jaques Waterval, Slg. 2003, I-14887, 14980, Rn. 55–76. 30 Leible/Sosnitza, K&R 1998, 283, 287 m. w. N.; Leible, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 28 EGV (2000), Rn. 28; Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 164 ff. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht (1996), S. 102, stellt darauf ab, ob durch die mitgliedstaatlichen Normen „Werbung oder andere wichtige Vertriebsparameter in ihrem Kern“ beschränkt werden. 31 Ackermann, RIW 1994, 189, 194. Berücksichtigt hat der EuGH das Argument des einheitlichen Marketingkonzepts im Urteil Douwe Egberts: Das belgische Verbot der Werbung mit Bezugnahmen auf das „Schlankerwerden“ und „ärztliche Empfehlungen“ etc. stelle eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung des freien Warenverkehrs dar, weil es die Aufgabe eines Werbesystems verlangt, welches der Anbieter für besonders wirksam hält, EuGH, Urt. v. 15. 7. 2004 – Rs. C-239/02, Douwe Egberts, Slg. 2004, I-7007, 7059, Rn. 52; zu dieser Entscheidung Knopp/Grieb, ZLR 2004, 611–618.
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§ 4 Zurückdrängung nationaler Regeln für das Absatzverhältnis
chung ist jedoch die Wertung zu entnehmen, dass Verkaufsmodalitäten nur ausnahmsweise als Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit zu werten sind. Dies setzt voraus, dass die mitgliedstaatlichen Vertriebsregeln nicht nur unerhebliche Anpassungskosten verursachen. Dies scheidet jedenfalls bei teilbaren Wettbewerbshandlungen aus. Verbietet etwa ein Mitgliedstaat das Cold Calling als Marketinginstrument gegenüber Verbrauchern, so rechtfertigt dies keine Gleichstellung mit einer Produktspezifikation. Denn auf Grund der unterschiedlichen Sprachen ist ein Anbieter ohnehin gezwungen, für (fast) jeden nationalen Markt das Telefonmarketing gesondert in Auftrag zu geben. Festzuhalten bleibt, dass auch nach der Einschränkung durch die Keck-Rechtsprechung eine Vielzahl mitgliedstaatlicher Normen, die Absatztechniken, Werbung und andere Maßnahmen der Absatzförderung regulieren, die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigen.
3.
Rechtfertigung
Beschränkt eine mitgliedstaatliche Maßnahme den freien Warenverkehr, so stellt sich die Frage nach einer Rechtfertigung. Eine ausdrückliche Schrankenregelung für die Warenverkehrsfreiheit enthält Art. 30 EG. Zum Schutze der dort abschließend aufgezählten und eng auszulegenden32 Rechtsgüter können sowohl unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen, als auch unterschiedslos anwendbare Beschränkungen gerechtfertigt sein, soweit die betreffende Maßnahme verhältnismäßig ist. Dies setzt voraus, dass die Regelung zum Schutze eines der in Art. 30 EG aufgeführten Rechtsgüter geeignet, erforderlich und nicht übermäßig ist. Der Mitgliedstaat hat also insbesondere unter mehreren gleich geeigneten Mitteln dasjenige auszuwählen, das den freien Warenverkehr am wenigsten beeinträchtigt.33 Ein Rückgriff auf Art. 30 EG zur Rechtfertigung mitgliedstaatlicher Maßnahmen scheidet aus, wenn eine Richtlinie oder sonstige Regelung der Gemeinschaft die betreffende Materie abschließend harmonisiert. In dieser Konstellation ist zunächst allein der durch die Harmonisierungsmaßnahme gezogene Rahmen maßgeblich für die Frage, inwieweit die Warenverkehrsfreiheit eingeschränkt werden darf.34
32 EuGH, Urt. v. 25. 1. 1977 – Rs. 46/76, Bauhuis, Slg. 1977, 5, 15, Rn. 12/15; EuGH v. 17. 6. 1981 – Rs. 113/80, Kommission / Irland („Irish Souvenirs“), Slg. 1981, 1625, 1638, Rn. 7; EuGH, Urt. v. 9. 6. 1982 – Rs. 95/81, Kommission / Italien, Slg. 1982, 2187, 2204, Rn. 27. 33 EuGH, Urt. v. 13. 7. 1994 – Rs. C-131/93, Kommission / Deutschland, Slg. 1994, I-3303, 3322 f., Rn. 24–27 (Verbot der Einfuhr von lebenden Süßwasserkrebsen); Leible, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 30 EGV (2000), Rn. 8. 34 EuGH, Urt. v. 5. 10. 1977 – Rs. 5/77, Tedeschi / Denkavit, Slg. 1977, 1555, 1576, Rn. 33/35; EuGH, Urt. v. 8. 9. 1979 – Rs. 251/78, Denkavit Futtermittel / Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes Nordrhein-Westfalen, Slg. 1979, 3369, 3388 f., Rn. 14; EuGH, Urt. v. 23. 5. 1996 – Rs. C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553, 2611 f., Rn. 18–21; Leible, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 30 (2000), EGV Rn. 10.
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Freilich ist auch der Gemeinschaftsgesetzgeber selbst an die Grundfreiheiten gebunden, so dass sich auch die Harmonisierungsmaßnahme selbst an den Grundfreiheiten und damit auch am Verhältnismäßigkeitsprinzip messen lassen muss.35 Als Rechtfertigungsgründe nach Art. 30 EG kommen für absatzbezogene Regeln insbesondere der Gesundheitsschutz 36 und der Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums 37 in Betracht. Der EuGH sah aus Gründen des Gesundheitsschutzes z. B. ein Werbeverbot für Arzneimittel, die im Inland nicht zugelassen sind, die aber aus anderen Mitgliedstaaten auf Einzelbestellung importiert werden dürfen, als gerechtfertigt an.38 Unter dem Begriff des gewerblichen und kommerziellen Eigentums fallen etwa unmittelbare geographische Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen, deren Verwendung im Rahmen von Absatzfördermaßnahmen von Bedeutung ist. Dies gilt unabhängig davon, ob sie durch die mitgliedstaatliche Rechtsordnung als Ausschließlichkeitsrecht ausgestaltet sind oder wettbewerbsrechtlich geschützt sind.39 Als Korrektiv zur Ausdehnung des Konzepts der Maßnahmen gleicher Wirkung auf unterschiedslos anwendbare Regelungen entwickelte der EuGH in der CassisEntscheidung die „zwingenden Erfordernisse“ des Allgemeininteresses als ungeschriebene Schrankenregelung.40 Ob es sich dabei dogmatisch um immanente Schranken 41 oder um Rechtfertigungsgründe 42 handelt, ist umstritten, macht im vorliegenden Zusammenhang aber keinen Unterschied. Jedenfalls spricht der EuGH ausdrücklich davon, dass ein zwingendes Erfordernis eine Beschränkung des Warenverkehrs „rechtfertigt“.43 Von Relevanz für die Rechtsregeln für bestimmte Absatztechniken und die Absatzförderung ist vor allem, dass der Gerichtshof den Verbraucherschutz und die Lauterkeit des Handelsverkehrs als zwingende Erfordernisse anerkennt.44 Daneben hat der EuGH auch sonstige Allgemeininteressen wie eine wirksame steuerliche Kontrolle oder den Umweltschutz zur Rechtfertigung herangezogen.45
35 Streinz, Europarecht, 6. Aufl. (2003), Rn. 706. 36 Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 182 ff. 37 Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 189 f. 38 EuGH, Urt. v. 10. 11. 1994 – Rs. C-320/93, Lucien Ortscheit, Slg. 1994, I-5243, 5264 f., Rn. 17–20. 39 EuGH, Urt. v. 10. 11. 1992 – Rs. C-3/91, Exportur, Slg. 1992, I-5529, 5562, Rn. 28; Leible, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 30 EGV (2000), Rn. 19. 40 EuGH, Urt. v. 20. 2. 1979 – Rs. 120/78, REWE / Bundesmonopolverwaltung für Branntwein („Cassis de Dijon“), Slg. 1979, 649, 662, Rn. 8. 41 Leible, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 28 EGV (2000), Rn. 20. 42 Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2000), Art. 28 EGV, Rn. 107 ff.; Sack, EWS 1994, 37, 46. 43 EuGH, Urt. v. 26. 6. 1997, Rs. C-368/95, Familiapress, Slg. 1997, I-3689, 3715, Rn. 18. 44 EuGH, Urt. v. 20. 2. 1979 – Rs. 120/78, REWE / Bundesmonopolverwaltung für Branntwein („Cassis de Dijon“), Slg. 1979, 649, 662, Rn. 8; EuGH, Urt. v. 15. 12. 1982 – Rs. 286/81, Oosthoek’s Uitgeversmaatschappij, Slg. 1982, 4575, 4587, Rn. 14. 45 Zu den anerkannten zwingenden Erfordernissen Craig/de Búrca, EU Law, 3. Aufl. (2003), S. 659 ff.; Leible, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 28 EGV (2000), Rn. 19.
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Der Gerichtshof wendet die zwingenden Erfordernisse als ungeschriebene Schranke nicht nur für unterschiedslos anwendbare Maßnahmen an, sondern auch für mittelbare Diskriminierungen, nicht jedoch für unmittelbar diskriminierende Regeln.46 Letzteres hatte der EuGH mehrfach ausdrücklich betont.47 Ob sich an dieser ständigen Rechtsprechung auf Grund des Urteils in der Sache Preußen Elektra etwas geändert hat, lässt sich einstweilen nicht beantworten. Zwar läuft die Entscheidung im Ergebnis darauf hinaus, dass eine unmittelbar diskriminierende mitgliedstaatliche Regelung mit Erfordernissen des Umweltschutzes zu rechtfertigen ist.48 Allerdings lässt sich die Urteilsbegründung auch so verstehen, dass das Gericht den Umweltschutz als Mittel zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen ansieht und folglich doch auf eine Rechtfertigung nach Art. 30 EG abstellt.49 Eine solche Argumentation wäre zwar dogmatisch höchst fraglich, da sie die Grenzen zwischen zwei originär verschiedenen Zielen der Gemeinschaft, nämlich dem Umweltschutz (Art. 174 EG) und den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen (Art. 30 EG) verwischte, so dass sich in Zukunft jede umweltschützende, unmittelbar diskriminierende Maßnahme über Art. 30 EG rechtfertigen ließe.50 Allerdings würde bei einer solchen Interpretation Raum für die Aufrechterhaltung des Grundsatzes bleiben, dass unmittelbar diskriminierende Maßnahmen nicht unter Rückgriff auf ungeschriebene, zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden könnten. Unabhängig von dieser einstweilen ungeklärten Frage kommt es jedenfalls für die Praxis nicht auf die oftmals schwierige Abgrenzung zwischen bloßen Beschränkungen und mittelbaren Diskriminierungen an. Der Schwerpunkt der Prüfung, ob eine mitgliedstaatliche Regelung auf Grund zwingender Erfordernisse gerechtfertigt ist, liegt innerhalb der einschlägigen EuGH-Entscheidungen bei der Frage der Verhältnismäßigkeit. Die Beeinträchtigungen müssen geeignet, erforderlich und angemessen sein, um die mit ihnen angestrebten Zwecke zu verwirklichen.51 Im Rahmen der Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei der Prüfung der zwingenden Erfordernisse Verbraucherschutz und Lauterkeit des Handelsverkehrs legt der EuGH das Leitbild des durchschnittlich aufmerksamen und vernünftigen Durchschnittsverbrauchers zu Grunde.52 Gleichzeitig hat der Gerichtshof zur Konkretisierung des Verhältnis-
46 Zusf. Ehlers, Jura 2001, 482, 487. 47 EuGH, Urt. v. 17. 6. 1981 – Rs. 113/80, Kommission / Irland („Irish Souvenirs“), Slg. 1981, 1625, 1639, Rn. 11; EuGH, Urt. v. 20. 4. 1983 – Rs. 59/82, Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft / Weinvertriebs-GmbH, Slg. 1983, 1217, 1227, Rn. 11. 48 EuGH, Urt. v. 13. 3. 2001 – Rs. C-379/98, Preußen Elektra / Schleswag, Slg. 2001, I-2099, 2185 f., Rn. 73 f. und 76 ff.; Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2. Aufl. (2002), Art. 28, Rn. 23, Fn. 50. 49 EuGH, Urt. v. 13. 3. 2001 – Rs. C-379/98, Preußen Elektra / Schleswag AG, Slg. 2001, I-2099, 2185, Rn. 75. 50 Gündisch, NJW 2001, 3686, 3687. 51 Vgl. etwa EuGH v. 1. 2. 2001 – Rs. C-108/96, Mac Quen u. a., Slg. 2001, I-837, 867 f., Rn. 30 f. 52 Siehe generell zum Verbraucherleitbild in der EuGH-Rechtsprechung unten S. 257 ff. und zu seiner Bewertung S. 327 ff.
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mäßigkeitsgrundsatzes einen Vorrang des Transparenzmodells postuliert: Die Berufung auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses zur Rechtfertigung mitgliedstaatlicher, den Warenverkehr behindernder Regeln ist für die Fälle versagt, in denen die Ziele der Rechtssetzung gleichermaßen durch Informationsregeln erreicht werden können (sog. labelling-doctrine).53
II.
Dienstleistungsfreiheit
Auf Grund der Liberalisierung der Märkte insbesondere für Versicherungen und sonstige Finanzdienstleistungen, aber auch generell vor dem Hintergrund der Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft wird es zunehmend zur grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen und zu Konkurrenz zwischen Anbietern von Dienstleistungen verschiedener Mitgliedstaaten kommen. Damit ist eine ansteigende Bedeutung der Dienstleistungsfreiheit der Art. 49 ff. EG vorgezeichnet. Für den hier betrachteten Bereich ist vor allem relevant, dass das auf grenzüberschreitende Absatzhandlungen anwendbare Lauterkeitsrecht des Marktstaates den freien Dienstleistungsverkehr beschränken kann. Die Dogmatik der Dienstleistungsfreiheit hat sich weit gehend konvergent mit der Warenverkehrsfreiheit entwickelt. Die Ursachen hierfür liegen einerseits in der zunehmenden Bedeutung der Korrespondenzdienstleistungen. Darunter versteht man Dienstleistungen, die ohne Kontakt vor Ort erbracht werden. Der zum Vollzug der Dienstleistungen erforderliche Informations- und Leistungsaustausch erfolgt im Wege der Korrespondenz.54 Der EuGH hat in unterschiedlichen Konstellationen entschieden, dass auch diese Art der Dienstleistungserbringung von der Dienstleistungsfreiheit erfasst wird.55 Grund für das zunehmende Gewicht der Korrespondenzdienstleistungen ist, dass vermehrt moderne Kommunikationstechnologien verwendet werden. Da Korrespondenzdienstleistungen ohne Ortsveränderung von Dienstleister und Dienstleistungsempfänger erbracht werden, sind sie dem Warenverkehr strukturell sehr ähnlich.56 Zum anderen wird es zunehmend komplizierter, zwischen Waren und Dienstleistungen zu unterscheiden oder doch zumindest eine unterschiedliche Behandlung plausibel zu begründen. Denn beispielsweise lässt sich eine Reihe ehemals „klassischer Waren“ wie Bücher, Fotos, Videofilme etc. digitalisieren und so direkt über das Internet liefern.
53 Grundlegend EuGH, Urt. v. 20. 2. 1979 – Rs. 120/78, REWE / Bundesmonopolverwaltung für Branntwein („Cassis de Dijon“), Slg. 1979, 649, 664, Rn. 13; EuGH, Urt. v. 22. 6. 1982 – Rs. 220/81, Timothy Robertson u. a., Slg. 1982, 2349, 2361 f., Rn. 12–14; EuGH, Urt. v. 11. 7. 1984 – Rs. 51/83, Kommission / Italien, Slg. 1984, 2793, 2805 f., Rn. 14 f. 54 Holoubek, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2000), Art. 49, Rn. 52 ff.; Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2. Aufl. (2002), Art. 50, Rn. 29. 55 EuGH, Urt. v. 4. 12. 1986 – Rs. 205/84, Kommission / Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1986, 3755, 3800–3802, Rn. 18–24 (Direktversicherungen); EuGH v. 24. 10. 1978 – Rs. 15/78, Société générale alsacienne de banque / Koestler, Slg. 1978, 1971, 1979, Rn. 3 (Bankgeschäfte); EuGH, Urt. v. 30. 4. 1974 – Rs. 155/73, Giuseppe Sacchi, Slg. 1974, 409, 428, Rn. 6 (Telekommunikation und Fernsehen). 56 Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 49/50 EGV (2001), Rn. 44.
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§ 4 Zurückdrängung nationaler Regeln für das Absatzverhältnis
1.
Anwendungsbereich
Art. 50 Abs. 1 EG definiert Dienstleistungen als entgeltliche Leistungen, die nicht in den Anwendungsbereich einer der anderen Grundfreiheiten fallen. Gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten werden beispielhaft in Art. 50 Abs. 2 EG aufgezählt. Es muss sich bei einer Dienstleistung um eine selbstständige Tätigkeit handeln,57 deren Ergebnis keine dem Art. 28 EG unterfallende Ware sein darf. In Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit darf sie nur vorübergehender Natur sein.58 Es ist wichtig, im Bezug auf absatzbezogenen Handlungen zwei Konstellationen auseinander zu halten. Zum einen schützt die Dienstleistungsfreiheit Absatztechniken und Maßnahmen zur Absatzförderung von Dienstleistungen. So fällt die Werbung für Dienstleistungen in den Anwendungsbereich des Art. 49 EG. Paradigmatisch dafür ist die Entscheidung Schindler. Dort sah der EuGH die Einfuhr von Werbematerial für eine Lotterie durch die Organisatoren der Lotterie als von der Dienstleistungsfreiheit umfasst an.59 Andererseits schalten Unternehmen zur Vermarktung ihrer Produkte Dritte ein. Die Benutzung von Absatztechniken oder die Durchführung von Maßnahmen zur Absatzförderung durch Direktvermarktungsagenturen oder Werbeagenturen ist dann ebenfalls durch die Art. 49 ff. EG gewährleistet. Hier unterfällt die Werbung – gleich ob für Waren oder Dienstleistungen – als Dienstleistung dem Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit.60 Die Unterscheidung beider Konstellationen ist im Zusammenhang mit der im Folgenden anzureißenden möglichen Übertragung der Keck-Rechtsprechung auf die Dienstleistungsfreiheit von Bedeutung.
2.
Beeinträchtigung
Die Dienstleistungsfreiheit wirkt zum einen als Diskriminierungsverbot. Diskriminierend sind Regelungen, die nach der Staatsangehörigkeit oder der Ansässigkeit des Leistungserbringers differenzieren.61 Für unmittelbar diskriminierend hielt der EuGH etwa ein Dekret der Flämischen Gemeinschaft, das inländischen Kabelnetzbetreibern verbot, Sendungen aus anderen Mitgliedstaaten zu verbreiten, wenn diese Sendungen in einer anderen Sprache als der des Mitgliedstaates, in dem der
57 In Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2. Aufl. (2002), Art. 50, Rn. 6; Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 49/50 EGV (2001), Rn. 30. 58 EuGH, Urt. v. 30. 11. 1995 – Rs. C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165, 4195 f., Rn. 26 ff.; Craig/de Búrca, EU Law, 3. Aufl. (2003), S. 800 f.; Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 49/50 EGV (2001), Rn. 31 ff. 59 EuGH, Urt. v. 24. 3. 1994 – Rs. C-275/92, Schindler, Slg. 1994, I-1039, 1088 f., Rn. 22 ff. 60 EuGH, Urt. v. 30. 4. 1974 – Rs. 155/73, Giuseppe Sacchi, Slg. 1974, 409, 428, Rn. 6; EuGH, Urt. v. 18. 3. 1980 – Rs. 52/79, Debauve, Slg. 1980, 833, 855, Rn. 8. 61 EuGH, Urt. v. 17. 12. 1981 – Rs. 279/80, Webb, Slg. 1981, 3305, 3324, Rn. 14.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
Sender seinen Sitz hat, ausgestrahlt wurden.62 Die Dienstleistungsfreiheit schützt nicht nur gegen unmittelbar diskriminierend wirkende Regeln, sondern auch gegen mitgliedstaatliche Normen, die trotz Verwendung eines scheinbar neutralen Kriteriums ausschließlich oder zumindest überwiegend die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung betreffen und somit mittelbare Diskriminierungen darstellen.63 Eine mittelbare Diskriminierung nahm der Gerichtshof etwa bei einer italienischen Regelung an, durch die bei der Vergabe öffentlicher Aufträge regionale Unternehmen bevorzugt wurden 64 oder bei einer Kontingentierung von Bootsanlegeplätzen, die nur für Bootseigner galt, die nicht in diesem Mitgliedstaat ansässig waren.65 Mit der Entscheidung Van Binsbergen legte der EuGH die Dienstleistungsfreiheit erstmalig als allgemeines Beschränkungsverbot aus.66 Seitdem betrachtet der Gerichtshof, wenn auch mit wechselnden Formulierungen, in ständiger Rechtsprechung 67 auch unterschiedslos anwendbare Regelungen als mögliche Beeinträchtigungen des Art. 49 EG. Noch nicht endgültig geklärt ist hingegen die Frage, inwieweit die zur Warenverkehrsfreiheit entwickelten Grundsätze der Keck-Rechtsprechung auch auf die Dienstleistungsfreiheit anzuwenden sind und ob eine solche Einschränkung des Beschränkungsverbots sachgerecht wäre.68 Eine Übertragung hätte zur Folge, dass die Dienstleistungsfreiheit hinsichtlich vermarktungsbezogener Regelungen nicht als Beschränkungs-, sondern nur als Diskriminierungsverbot aufzufassen wäre. Dafür, dass der EuGH diese Position vertritt, scheinen die Ausführungen des Gerichtshofes in der Rechtssache Alpine Investments 69 zu sprechen. Dort sah der EuGH nur im Ergebnis auf Grund der Behinderung des Marktzugangs die Einschränkung des Beschränkungsverbots nach der Keck-Entscheidung ihrem Zweck entsprechend als nicht einschlägig an. Gleichwohl muss beachtet werden, dass selbst bei Übertragung der Keck-Grundsätze auf die Dienstleistungsfreiheit die Rechtsregeln für absatzbezogene Handlungen weit gehend als Beschränkung rechtfertigungsbedürftig wären. Deutlich wird dies in der Entscheidung de Agostini, wo auf dem Prüfstein stand, ob ein Verbot irreführender und auf Kinder zugeschnittener Fernsehwerbung mit den Grundfreiheiten konform war. Im Hinblick auf die beworbenen Produkte – Waren oder Dienstleistungen – stellte sich die fragliche Regelung zwar als bloße Vertriebsregelung dar. Mit Blick auf die Fernsehwerbung als eigene Dienstleistung, also aus Sicht des Produzenten der Werbesendung und aus Sicht des Senders, hatte die Regelung allerdings unmittelbar inhaltsbezogene Wirkung, so
62 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1992 – Rs. C-211/91, Kommission / Belgien, Slg. 1992, I-6757, 6775 f., Rn. 4–6. 63 Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 49/50 EGV (2001), Rn. 85 ff. 64 EuGH, Urt. v. 3. 6. 1992 – Rs. C-360/89, Kommission / Italien, Slg. 1992, I-3401, 3417 f., Rn. 6–12. 65 EuGH, Urt. v. 29. 4. 1999 – Rs. C-224/97, Ciola, Slg. 1999, I-2517, 2535 f., Rn. 13 f. 66 EuGH, Urt. v. 3. 12. 1974 – Rs. 33/74, van Binsbergen, Slg. 1974, 1299, 1309, Rn. 10/12. 67 EuGH, Urt. v. 25. 7. 1991 – Rs. C-76/90, Säger / Dennemeyer, Slg. 1991, I-4221, 4243, Rn. 12; EuGH, Urt. v. 9. 8. 1994 – Rs. C-43/93, Vander Elst / OMI, Slg. 1994, I-3803, 3823 f., Rn. 14; EuGH, Urt. v. 28. 4. 1998 – Rs. C-158/96, Kohll / Union des caisses de maladie, Slg. 1998, I-1931, 1946, Rn. 33. 68 Zum letzten Punkt vgl. nur Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 239 ff. 69 EuGH, Urt. v. 10. 5. 1995 – Rs. C-384/93, Alpine Investments, Slg. 1995, I-1141, 1176 ff., Rn. 33–38; vgl. Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 49/50 EGV (2001), Rn. 92 ff.
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§ 4 Zurückdrängung nationaler Regeln für das Absatzverhältnis
dass der Gerichtshof zu Recht ohne weiteres von einer Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch das Werbeverbot ausging.70 3.
Rechtfertigung
Unmittelbar diskriminierende Regelungen können nur gerechtfertigt sein, wenn sie die Rechtsgüter öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit in verhältnismäßiger Art und Weise schützen.71 Eine Rechtfertigung kommt nicht nur für spezifisch ausländerrechtliche Maßnahmen in Betracht,72 gleichwohl Art. 46 EG vordinglich Relevanz für das Ausländerrecht der Mitgliedstaaten hat. Weder vermag der Wortlaut der Norm eine solche restriktive Auslegung zu begründen, noch erscheint plausibel, warum gerade das Ausländerrecht eine derart hervorgehobene Stellung innehaben soll. Die Rechtfertigung absatzbezogener Regeln durch die geschriebenen Rechtfertigungsgründe kommt angesichts der restriktiv auszulegenden Schutzzwecke der öffentlichen Ordnung und Sicherheit 73 faktisch nur zum Schutze der Gesundheit in Betracht. Denkbar ist insoweit etwa die Rechtfertigung absatzbezogener Regeln für Arzneimitteln über Art. 55 i. V. m. Art. 46 Abs. 1 EG. Für Beschränkungen und mittelbare Diskriminierungen gilt ein identischer Rechtfertigungsmaßstab.74 Beide Arten der Beeinträchtigung können sowohl auf Grund der ausdrücklichen Schrankenregelung in Art. 55 i. V. m. Art. 46 Abs. 1 EG, als auch zum Schutz zwingender Gründe des Allgemeinwohls 75 gerechtfertig sein, soweit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Genüge getan ist. Der Verbraucherschutz wurde vom EuGH in unterschiedlichen Konstellationen zur Rechtfertigung unterschiedslos anwendbarer Regelungen herangezogen.76 Bedeutung für Maßnahmen zur Absatzförderung hat die Anerkennung des Schutzes des Verbrauchers vor einem Übermaß an kommerzieller Werbung.77 Der Schutz der Lauterkeit des Handelsverkehrs wurde ebenfalls als schützenswertes Allgemeininteresse anerkannt.78 70 EuGH, Urt. v. 9. 7. 1997 – verb. Rs. C-34/95, C-35/95 und C-36/95, De Agostini und TV-Shop, Slg. 1997, I-3843, 3892, Rn. 50; bestätigt durch EuGH v. 28. 10. 1999 – Rs. C-6/98, ARD / PRO Sieben, Slg. 1999, I-7599, 7637, Rn. 49; vgl. Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 236 f.; Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 49/50 EGV (2001), Rn. 96. 71 Art. 55 i. V. m. Art. 46 Abs. 1 EG. 72 Vgl. Jarass, RIW 1993, 1, 6; Scheuer, in: Lenz (Hrsg.), EG-Vertrag, 2. Aufl. (1999), Art. 46, Rn. 5; Schlag, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2000), Art. 46 EGV, Rn. 3; a. A. Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 46 EGV (2001), Rn. 7. 73 Allg. Ans., vgl. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 2. Aufl. (2002), Art. 46, Rn. 1; Schlag, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2000), Art. 46 EGV Rn. 6. 74 Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 49/50 (2001), EGV Rn. 85. 75 St. Rspr. seit EuGH, Urt. v. 3. 12. 1974 – Rs. 33/74, van Binsbergen, Slg. 1974, 1299, 1309, Rn. 10/12; vgl. Craig/de Búrca, EU Law, 3. Aufl. (2003), S. 814 ff. 76 EuGH, Urt. v. 4. 12. 1986 – Rs. 205/84, Kommission / Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1986, 3755, 3804 f., Rn. 30; EuGH, Urt. v. 26. 2. 1991 – Rs. C-180/89, Kommission / Italien, Slg. 1991, I-709, 723, Rn. 20. 77 EuGH, Urt. v. 25. 7. 1991 – Rs. C-288/89, Collectieve Antennevoorziening Gouda, Slg. 1991, I-4007, 4043, Rn. 23. 78 EuGH, Urt. v. 9. 7. 1997 – verb. Rs. C-34/95, C-35/95 und C-36/95, De Agostini und TV-Shop, Slg. 1997, I-3843, 3893, Rn. 53.
121
Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
Um die Verhältnismäßigkeitsprüfung zu konkretisieren, hat der EuGH ein Verbot der Doppelbelastung postuliert: Eine Regelung ist nicht erforderlich zum Schutz eines Allgemeininteresses, wenn diesem bereits durch Normen des Herkunftsstaates Rechnung getragen wird.79 Heranzuziehen ist auch hier das vom EuGH zur Warenverkehrsfreiheit entwickelte Leitbild vom aufmerksamen und vernünftigen Durchschnittsverbraucher 80 und das Prinzip vom Vorrang des Transparenzmodells. Letzteres ist nicht unbestritten. Im Bereich der Dienstleistungsfreiheit wird der Vorrang von Informationsregeln vor inhaltsgestaltenden Regeln teilweise für ungeeignet gehalten, das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu konkretisieren. Begründet wird dies damit, dass der Inhalt von Dienstleistungen in vielen Fällen erst durch die Vertragsbedingungen und dementsprechend von einer Vielzahl – im Gegensatz zum Warenverkehr – wenig anschaulicher Komponenten bestimmt werde,81 eine Argumentation, auf die auch der EuGH in den sogenannten Versicherungsurteilen 82 zurückgriff. Richtig daran ist, dass der Inhalt von Dienstleistungsprodukten, insbesondere von Finanzdienstleistungen, häufig hohe Anforderungen an den Verbraucher stellt und schwieriger zu erfassen ist. Indes spricht das nicht grundsätzlich dagegen, den Vorrang des Transparenzmodells auch für Finanzdienstleistungen anzuerkennen. Deutlich wird darin lediglich, dass es ungleich schwieriger ist, hinreichende Transparenz herzustellen. Dies mag dazu führen, dass in manchen Fällen Informationspflichten nicht gleich geeignet sind wie inhaltsgestaltende Regeln, um die Interessen der Abnehmer zu schützen, widerlegt aber nicht den Grundsatz.83 In diesem Sinne lassen sich auch die zitierten Entscheidungen des Gerichtshofs im Versicherungsbereich interpretieren. Die Analyse des Sekundärrechts, das eine zentrale Funktion von Informations- und Transparenzregeln erkennen lässt, stützt die Annahme, dass das Gemeinschaftsrecht auch bei der Rechtssetzung für den Absatz von Dienstleistungen vom Informationsparadigma bestimmt wird, und dies sogar bei komplexen Finanzdienstleistungen.84
79 EuGH, Urt. v. 17. 12. 1981 – Rs. 279/80, Webb, Slg. 1981, 3305, 3325, Rn. 17 und 3326, Rn. 20; dazu Craig/de Búrca, EU Law, 3. Aufl. (2003), S. 817. 80 Vgl. Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts (2001), S. 249. 81 Reich, ZHR 153 (1989), 571, 585 f. 82 Grundlegend für diesen Aspekt EuGH, Urt. v. 4. 12. 1986 – Rs. 205/84, Kommission / Bundesrepublik Deutschland („Versicherung“), Slg. 1986, 3755, 3803, Rn. 30; auf letztgenanntes Urteil verweisend EuGH, Urt. v. 4. 12. 1986 – Rs. 220/83, Kommission / Frankreich, Slg. 1986, 3663, 3709, Rn. 20; EuGH, Urt. v. 4. 12. 1986 – Rs. 252/83, Kommission / Dänemark („Mitversicherung“), Slg. 1986, 3713, 3748 f., Rn. 20; EuGH, Urt. v. 4. 12. 1986 – Rs. 206/84, Kommission / Irland („Mitversicherung“), Slg. 1986, 3843, 3850, Rn. 20. 83 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 1. Teil, § 2 Rn. 62 (S. 47 f.). 84 Vgl. die Informations- und Transparenzvorschriften in der Fernabsatzrichtlinie (S. 22), der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen (S. 30), der Finanzmarktrichtlinie oder der Investmentfondsrichtlinie (S. 104 f.).
122
§ 5 Regelungsrahmen für Absatzmittlungsverhältnisse
§ 5 Regelungsrahmen für Absatzmittlungsverhältnisse (berufliche Absatzkette) Zu den Kernaufgaben des Absatzes gehört es, den Absatzweg zu gestalten und damit zu bestimmen, wie die räumlichen, zeitlichen, quantitativen und qualitativen Diskrepanzen zwischen Produktion und Konsumtion zu überbrücken sind.1 Neben der bereits im Zusammenhang mit der Haustürgeschäfterichtlinie erwähnten Möglichkeit des direkten Absatzes kann ein Hersteller seine Produkte durch Händler über verschiedene Absatzstufen zum Verbraucher gelangen lassen (indirekter Absatz).2 Mit der Hilfe von Absatzmittlern lassen sich Produkte häufig besser auf die Zielmärkte verteilen. Auf Grund von Kontakten, Erfahrungen und Spezialkenntnissen sowie einer an das jeweilige Marktsegment angepassten Geschäftsgröße und -struktur kann der Zwischenhandel oftmals effizienter beim Absatz agieren als ein Hersteller.3 Einem Unternehmen tut sich bei der Organisation des indirekten Absatzes eine weite Bandbreite von Gestaltungsalternativen auf. Bei deren Ausgestaltung ist dem Recht eine herausragende Rolle zugewiesen. Aus diesem Grunde wird das Recht der Absatzmittlungsverträge bzw. Vertriebsverträge (beide Begriffe werden im Folgenden synonym verwendet) auch als das Absatzrecht im engeren Sinne beschrieben.4 Hierunter fallen sämtliche Vereinbarungen über die Kooperation zwischen selbständigen Unternehmen, welche punktuell, wie z. B. der Handelsmakler oder der Kommissionär,5 oder auf Grund längerfristiger Vereinbarungen in die Gestaltung des Absatzweges eingeschaltet sind.6 Als Leitbild für den längerfristig in das Absatzgeschehen eingebundenen Unternehmer fungiert der Handelsvertreter. Daneben hat die Wirtschaftspraxis ihren Bedürfnissen entsprechend eine Reihe weiterer Vertriebsmittlertypen entwickelt, etwa den Vertragshändler, den Kommissionsagenten oder den Franchisenehmer. Der Begriff des Absatzmittlers i. e. S. zeichnet sich mithin durch eine besondere rechtliche Bindung an den Lieferanten aus. Ausgegrenzt wird bei dieser Definition des Absatzmittlers der unabhängige Handel, der im Grundsatz ohne besondere vertragliche Bindung an einen Hersteller Produkte am Markt über Zwischenhändler oder direkt vom Hersteller ordert, um sie dann an den Verbraucher weiter zu veräußern.7 Da auch auf diese Weise der Absatzweg ausgestaltet wird und Absatzaktivitäten durchgeführt werden, kann auch
1 Bruns, Direktmarketing (1998), S. 226; Weinbeer, Absatzwege, in: Tietz (Hrsg.), Absatzwirtschaft (1974), Bd. 4, Sp. 179 ff. 2 Wöhe, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 21. Aufl. (2002), S. 581. 3 Bruns, Direktmarketing (1998), S. 225. 4 Martinek, in: Martinek/Semler/Habermeier (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2. Aufl. (2003), § 1, Rn. 4. 5 Jedenfalls nach den gesetzlichen Leitbildern im deutschen Handelsrecht, vgl. §§ 93 ff. und §§ 383 ff. HGB. 6 Vgl. zum Begriff des „Absatzmittlers“, in den teilweise auch unselbständige Absatzorgane einbezogen werden, Martinek, in: Martinek/Semler/Habermeier (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2. Aufl. (2003), § 1, Rn. 3 f., 8 ff.; Ebenroth, Absatzmittlungsverträge (1980), S. 22 ff. 7 Ebenroth, Absatzmittlungsverträge (1980), S. 20.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
das Verhältnis zu einem solchermaßen beschriebenen unabhängigen Händler als Absatzmittlungsverhältnis bzw. Vertriebsverhältnis beschrieben werden. Dass es zweckmäßig ist, auch diese Kategorie als Teil des Absatzrechts zu etablieren, könnte in Frage gestellt werden, da für die Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Hersteller oder Lieferanten einerseits und unabhängigen Händlern andererseits (fast) keine übergreifenden vertragsrechtlichen Bestimmungen existieren, die spezifisch absatzbezogen sind.8 Sie macht jedoch deshalb Sinn, weil mit Art. 81 und 82 EG und der Vertikal-GVO kartellrechtliche Regelungen existieren, die nicht nur für die Absatzmittlerverhältnisse i. e. S., sondern für alle vertikalen vertraglichen Beziehungen und somit auch für die Ausgestaltung des Verhältnisses der Hersteller oder Lieferanten mit unabhängigen Händlern Anwendung finden.
I.
Kartellrechtlicher Regelungsrahmen für Absatzmittlungsverhältnisse
Herkömmlich begriffen die Hersteller den Absatz als ein eher logistisches Problem, das sie entweder selbst oder mit Hilfe von Absatzmittlern zu lösen hatten. Selbst der Handel hatte aus Sicht der Hersteller lediglich eine Hilfsfunktion inne; er agierte als ihr verlängerter Arm.9 Inzwischen ist gerade der Handel dem geschilderten Rollenverständnis längst entwachsen und hat sich als selbständiger Marktpartner etabliert. Auch andere Absatzmittler, etwa Handelsvertreter, sehen sich nicht als bloße Auftragssammler, sondern als ebenbürtige Partner nicht nur ihrer Kunden, sondern auch der von ihnen vertretenen Unternehmen. Als wichtige Aufgabe des Kartellrechts wird es deshalb zwar traditionell angesehen, die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Absatzmittler gegenüber den Herstellern zu gewährleisten. Da angesichts des Phänomens zunehmender Nachfragemacht des Handels sogar Druck auf die Hersteller ausgeübt werden kann, wird allerdings in der gesetzgeberischen Auseinandersetzung mit diesem Spannungsverhältnis eine neue Herausforderung für das Kartellrecht der Absatzmittler erblickt.10 Die kartellrechtliche Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse erfolgt auf europäischer Ebene querschnittsartig durch die primärrechtliche Regelung in Art. 81 und 82 EG und die auf Grundlage des Art. 81 Abs. 3 EG erlassene VertikalGVO. Branchenspezifisch geregelt ist nur der Kfz-Vertrieb durch die gleichnamige Gruppenfreistellungsverordnung.
8 Eine Ausnahme bildet Art. 4 KaufRRL, der die Rückgriffsrechte des Letztverkäufers gegenüber den Lieferanten regelt. Auf die Regelung wird im Folgenden nicht näher eingegangen, da das Kaufgewährleistungsrecht als nicht spezifisch absatzbezogene Regulierung generell nicht zum Gegenstand der Untersuchung gerechnet wird; vgl. zu Art. 4 KaufRRL Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie (2002), Art. 4. 9 Nieschlag/Dichtl/Hörschgen, Marketing, 19. Aufl. (2002), S. 881. 10 Dazu Stuyck/Van Dyck, in: Collins (Hrsg.), Unfair Commercial Practices (2004), S. 131–186.
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§ 5 Regelungsrahmen für Absatzmittlungsverhältnisse
1.
Das Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 1 EG
Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen erklärt Art. 81 Abs. 1 EG für nicht mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar und verboten, wenn sie geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Art. 81 Abs. 1 EG regelt nicht nur horizontale Wettbewerbsbeschränkungen, sondern auch vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, also Vereinbarungen zwischen Unternehmen verschiedener Wirtschaftsstufe.11 a)
Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, insbesondere Abgrenzung zu einseitigen Maßnahmen
Art. 81 Abs. 1 EG erfasst als verbotene Formen wettbewerbsbeschränkenden Zusammenwirkens Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, aber auch Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen, welche allerdings im Rahmen der Regeln für vertikale Beschränkungen in den Hintergrund treten. Eine Vereinbarung setzt die Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei Unternehmen über ihr zukünftiges Marktverhalten voraus, deren Ausdrucksform unerheblich ist, sofern sie den Willen der Parteien getreu wiedergibt.12 Nicht erforderlich ist eine rechtliche Verbindlichkeit oder eine moralische bzw. tatsächliche Verpflichtung.13 Von besonderer Bedeutung für die kartellrechtliche Bewertung von vertriebsbezogenen Maßnahmen ist die Abgrenzung zu einseitigen unternehmerischen Maßnahmen.14 Einigkeit besteht im Ansatz darin, dass diese nicht vom Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG erfasst werden, sondern allenfalls vom Tatbestand des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 82 EG.15 In der Praxis der Gemeinschaftsorgane und insbesondere der Kommission werden formal von einer Partei ausgehende Verhaltensweisen aber in weitem Umfang auch unter Art. 81 Abs. 1 EG 11 St. Rspr. seit EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966 – verb. Rs. 56 u. 58/64, Consten und Grundig / Kommission, Slg. 1966, 321, 387 f.; EuGH, Urt. v. 1. 10. 1987 – Rs. 311/85, VVR / Sociale Dienst van de Plaatselijke en Gewestelijke Overheidsdiensten („Flämisches Reisebüro“), Slg. 1987, 3801, 3826–2829, Rn. 9–24; EuGH, Urt. v. 24. 10. 1995 – Rs. C-70/93, BMW / ALD Auto-Leasing D, Slg. 1995, I-3439, 3467, Rn. 15; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 1, A, Rn. 74; Weiß, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2. Aufl. (2002), Art. 81, Rn. 52; Habermeier, in: Martinek/Semler/Habermeier (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2. Aufl. (2003), § 29, Rn. 36. 12 EuGH, Urt. v. 8. 7. 1999 – Rs. C-49/92 P, Kommission / Anic Partecipazioni, Slg. 1999, I-4125, 4205, Rn. 130; EuG, Urt. v. 26. 10. 2000 – Rs. T-41/96, Bayer / Kommission, Slg. 2000, II-3383, 3409, Rn. 69; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 1, A, Rn. 86; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004), § 9, Rn. 3 m. w. N. 13 EuG, Urt. v. 14. 5. 1998 – Rs. T-347/94, Mayr-Melnhof / Kommission, Slg. 1998, II-1751, 1777, Rn. 65. 14 Dazu Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004), § 9, Rn. 6–9 (S. 242 f.). 15 EuGH, Urt. v. 25. 10. 1983 – Rs. 107/82, AEG / Kommission, Slg. 1983, 3151, 3195, Rn. 38; EuGH, Urt. v. 17. 9. 1985 – Rs. 25/84 und 26/84, Ford / Kommisson, Slg. 1985, 2725, 2743, Rn. 21; EuG, Urt. v. 7. 7. 1994 – Rs. T-43/92, Dunlop Slazenger International / Kommission, Slg. 1994, II-441, 469, Rn. 56; EuG, Urt. v. 26. 10. 2000 – Rs. T-41/96, Bayer / Kommission, Slg. 2000, I-3383, 3408, Rn. 66.
125
Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
subsummiert. Weisungen per Rundschreiben oder Fernschreiben werden als „Vereinbarungen“ begriffen, wenn sie die vertraglichen Beziehungen mit den Empfängern gestalten, sei es, dass ihr Inhalt hingenommen wird, was bereits an ihrer Befolgung erkennbar wird,16 oder sei es, dass sich ihr Einverständnis in einer bestimmten „Konkretisierung“ der zunächst einseitig erscheinenden Maßnahme ausdrückt.17 Allerdings hat sich die jüngere Rechtsprechung um eine Grenzziehung gegen eine ausufernde Handhabung des Begriffes der „Vereinbarung“ durch die Kommission bemüht. In der Entscheidung ADALAT hatte die Europäische Kommission die Auffassung vertreten, dass eine einseitige Liefermengenkürzung und -beschränkung gegenüber spanischen und französischen Großhändlern durch die Firma Bayer, mit der sie versuchte, Parallelexporte in das Vereinigte Königreich zu verhindern, eine „Vereinbarung“ über die Unterlassung des Exports darstelle. Die Kommission begründete dies damit, dass sich die Maßnahme der Bayer AG in eine laufende Geschäftsbeziehung „einfügt“.18 Diese Auslegung von Lieferkürzungen auf den üblichen Bedarf als „Vereinbarung“ hat auch in den Leitlinien der Kommission für vertikale Beschränkungen ihren Niederschlag gefunden.19 Dort hat die Kommission weiter ausgeführt, dass es für die Interpretation einer einseitigen Maßnahme als „Vereinbarung“ spricht, wenn der Lieferant ein Überwachungssystem zur Verfolgung der Lieferwege seiner Produkte eingerichtet hat. Als ein solches Überwachungssystem soll bereits gelten, wenn die Waren mit Kennnummern gekennzeichnet werden.20 Das europäische Gericht erster Instanz hat auf die Nichtigkeitsklage der Bayer AG hin die Entscheidung der Kommission aufgehoben.21 Das Gericht stellt in seinem Urteil klar, dass die Grenze zwischen „wirklich“ einseitigen Maßnahmen und nur „scheinbar“ einseitigen Maßnahmen nicht verwischt werden dürfe. Von einer „Vereinbarung“ könne nur ausgegangen werden, wenn die von einer „scheinbar“ einseitigen Maßnahme betroffenen Unternehmen dieser ausdrücklich oder konkludent zustimmten. Dabei obliege es der Kommission, den Beweis für diese Zustimmung zu führen.22 Dies sei ihr im konkreten Fall nicht gelungen; vor allem habe Bayer weder seine wahren Beweggründe offen gelegt, noch ein System eingerichtet, um die Warenströme zu verfolgen.23 Zudem hatten die betroffenen Händler stets ver-
16 EuGH, Urt. v. 8. 2. 1990 – Rs. C-279/87, Tipp-Ex / Kommission, Slg. 1990, I-261, Rn. 21, 23; EuGH, Urt. v. 17. 9. 1985 – verb. Rs. 25 und 26/84, Ford / Kommission, Slg. 1985, 2725, 2743, Rn. 21. 17 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 1, A, Rn. 87 ff. m. w. N., 89. 18 Kommission, Entsch. v. 10. 1. 1996, 96/478/EG, ADALAT, ABl. L 201 v. 9. 8. 1996, S. 1, 45, BE 155 ff. 19 Leitlinien VertikalGVO, S. 11, Rn. 49. 20 Leitlinien VertikalGVO, S. 11, Rn. 49. 21 EuG, Urt. v. 26. 10. 2000 – Rs. T-41/96, Bayer / Kommission, Slg. 2000, II-3383; bestätigt durch EuGH, Urt. v. 6. 1. 2004 – Rs. C-2/01 P und C-3/01 P, Bundesverband der Arzneimittel-Importeure e. V. und Kommission / Bayer, Slg. 2004, I-23. 22 EuG, Urt. v. 26. 10. 2000 – Rs. T-41/96, Bayer / Kommission, Slg. 2000, II-3383, 3409 f., Rn. 71 f. 23 EuG, Urt. v. 26. 10. 2000 – Rs. T-41/96, Bayer / Kommission, Slg. 2000, II-3383, 3411 ff., Rn. 78–110.
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§ 5 Regelungsrahmen für Absatzmittlungsverhältnisse
sucht, die Liefermengenkürzungen durch Ersatzlieferungen von nicht betroffenen Händlern zu umgehen, so dass nicht ernsthaft die Rede davon sein konnte, dass diese in die Kürzungen eingewilligt hätten.24 Neben dieser Grenzziehung hat die Entscheidung gleichwohl bekräftigt, dass auch weiterhin einseitig erscheinende Maßnahmen geeignet sein können, den Begriff der „Vereinbarung“ in Art. 81 Abs. 1 EG zu erfüllen. Auch der Begriff der abgestimmten Verhaltensweisen erfordert, dass mindestens zwei selbständige Unternehmen ihr Verhalten am Markt willentlich koordinieren. Diese Koordination muss keine faktische oder gar rechtliche Bindungskraft entfalten.25 Die abgestimmte Verhaltensweise ist insofern weiter als das Merkmal der Vereinbarung zu verstehen, als es keinen gemeinsamen Willen über ein zukünftiges Marktverhalten voraussetzt. Es genügt, dass zwei oder mehrere Unternehmen bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lassen.26 Systematisch erfüllt die Tatbestandsvariante der abgestimmten Verhaltensweise deshalb eine Auffangfunktion für Fälle, in denen der Nachweis einer Vereinbarung nicht gelingt, gleichwohl den Unternehmen eine Form der Verhaltenskoordinierung nachgewiesen werden kann.27 Allerdings genügt nicht allein der Nachweis der Koordinierung, um eine abgestimmte Verhaltensweise annehmen zu können. Notwendig ist darüber hinaus auch, dass der Abstimmung ein bestimmtes Marktverhalten folgt.28 Auf Grund der extensiven Auslegung des Vereinbarungsbegriffs durch die Praxis der Kommission und die europäische Rechtsprechung ist die praktische Relevanz allerdings eingeschränkt geblieben.29 In vielen Konstellationen werden abgestimmte Verhaltensweisen zusammen mit gleichzeitig getroffenen Vereinbarungen als umfassende wettbewerbsbeschränkende Praxis und einheitlicher Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EG bewertet. Denn da das Kartellverbot keine rechtlichen Unterschiede in der Bewertung an Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen knüpft, erübrigt sich für die Praxis eine Abgrenzung.30
24 EuG, Urt. v. 26. 10. 2000 – Rs. T-41/96, Bayer / Kommission, Slg. 2000, I-3383, 3423 ff., Rn. 111–157. 25 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 1, A, Rn. 103 ff. 26 EuGH, Urt. v. 8. 7. 1999 – Rs. C-49/92 P, Kommission / Anic Partecipazioni, Slg. 1999, I-4125, 4202, Rn. 115; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004), § 9, Rn. 18 m. w. N. 27 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 1, A, Rn. 100. 28 EuGH, Urt. v. 8. 7. 1999 – Rs. C-49/92 P, Kommission / Anic Partecipazioni, Slg. 1999, I-4125, 4203, Rn. 118. 29 Siehe für Anwendungsbeispiele Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 1, A, Rn. 122 f. 30 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 1, A, Rn. 103.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
b)
Unternehmensbegriff
Absatzmittler i. e. S., insbesondere Handelsvertreter, sind rechtsfähige Einheiten, die eine kommerzielle oder wirtschaftliche Tätigkeit ausüben 31 und damit Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsregeln. Für die unabhängigen Händler als Partner der Absatzmittlungsverhältnissen versteht sich dies von selbst. Die Tatsache, dass wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen in Absatzmittlerverhältnissen nach der Rechtsprechung des EuGH und der Praxis der Kommission teilweise nicht dem Verbotstatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG unterfallen,32 hat andere Gründe und lässt sich jedenfalls nicht damit erklären, die jeweiligen Absatzmittler seien keine Unternehmen.33 c)
Wettbewerbsbeschränkung
Wettbewerbsbeschränkend ist eine Vereinbarung, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt bezweckt oder bewirkt. Eine Grenzziehung zwischen den beiden letztgenannten Kriterien ist für die Praxis entbehrlich. Die Einschränkung des Wettbewerbs und die Verhinderung, also der vollständige Ausschluss von Wettbewerb, werden allgemein unter dem Begriff der Wettbewerbsbeschränkung zusammengefasst.34 Ob darunter alle Maßnahmen fallen, die geeignet sind, die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit der beteiligten Unternehmen oder eines Dritten zumindest einzuschränken, ist eine kontrovers diskutierte Schlüsselfrage des Kartellrechts gegenüber Vertriebsvereinbarungen.35 Im Grundsatz geht die Kommission von einem solch weiten Konzept der tatbestandlichen Wettbewerbsbeschränkung aus. Die prokompetitive Gesamtwirkung einer Vereinbarung soll danach erst auf der Ebene des Art. 81 Abs. 3 EG berücksichtigt werden können. Dagegen hat die Rechtsprechung des EuGH wiederholt Anstöße gegeben, Einschränkungen der wettbewerblichen Handlungsmöglichkeiten, die aber bei einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung zu einem wettbewerblich gewünschten Verhalten führen, bereits vom Tatbestand der Wettbewerbsbeschränkung auszunehmen. Diese Ansätze sind für die kartellrechtliche Behandlung von Absatzmittlungsverträgen bedeutend, da diese typischerweise Elemente enthalten, die die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Beteiligten einschränken (insbesondere Alleinvertriebs- oder Alleinbezugsvereinbarungen, Vereinbarungen zum selektiven Vertrieb oder Beschränkungen in Franchiseverträgen), bei 31 Zum Unternehmensbegriff im Europäischem Wettbewerbsrecht Bellamy/Child, European Community Law Of Competition, 5. Aufl. (2001), 2–003 ff.; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 1, A, Rn. 12 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004), § 8, Rn. 1 ff. (S. 221 ff.); Stockenhuber, in: Grabitz/ Hilf, Bd. I, Art. 81 (2000), Rn. 51 ff. 32 Siehe unten, für den Handelsvertreter S. 148, für den Vertragshändler S. 150, für den Franchisenehmer S. 151 und für den Kommissionsagenten und den Kommissionär S. 153. 33 Explizit für den Handelsvertreter Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 1, A, Rn. 24. 34 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 1, A, Rn. 136. 35 Dazu im Einzelnen unten S. 345 ff.
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einer Gesamtbetrachtung aber als wettbewerbsintensivierend angesehen werden können. Anerkannt ist die Ausnahme von Vertriebsbeschränkungen vom Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG für eine Reihe von Konstellationen: Vereinbaren Unternehmen, die nicht marktbeherrschend sind, Wettbewerbsverbote, so weisen diese nach den Leitlinien der Kommission für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen in der Regel keine spürbare wettbewerbswidrige Wirkung auf, wenn sie für eine Laufzeit von weniger als einem Jahr vereinbart werden.36 Tritt ein Unternehmen neu auf einen Markt, sei es durch die Einführung eines neuen Produktes oder den erstmaligen Zutritt auf einen räumlichen Markt, sind nach Ansicht der Kommission die vertikalen Beschränkungen durch dieses Unternehmen für zwei Jahre nicht als Wettbewerbsbeschränkungen i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG zu werten. Dies gilt unabhängig von der Marktstellung des betroffenen Unternehmens. Ausgenommen davon sind die als besonders wettbewerbsschädlich eingeschätzten Klauseln des Art. 4 VertikalGVO.37 Darüber hinaus will die Kommission zum Schutz von Vertriebshändlern bei einem Marktzutritt auch nicht als wettbewerbsbeschränkend ansehen, wenn ein Lieferant, der neu auf einen Markt zutritt, seinen Händlern in anderen räumlichen Märkten für einen Zeitraum von maximal zwei Jahren untersagt, Händler in dem neu zu erschließenden Markt zu beliefern.38 Bei einer „echten“ testweisen Einführung eines neuen Produktes in einem Gebiet oder in eine bestimmte Kundengruppe ist es nicht als Wettbewerbsbeschränkung zu werten, wenn der Lieferant die für den testweisen Vertrieb eingesetzten Händler für einen Zeitraum von maximal einem Jahr verpflichtet, jeden aktiven Verkauf außerhalb des ihnen zugewiesenen Gebietes bzw. der zugewiesenen Kundengruppe zu unterlassen.39 Anerkannt ist auch, dass Beschränkungen der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit grundsätzlich vom Tatbestand des Artikel 81 Abs. 1 EG ausgenommen sind, wenn sie notwendig sind, um die für eine konkrete Vertriebsvereinbarung notwendigen Investitionen und insbesondere auch die Übermittlung wesentlichen Know-hows zu sichern.40 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH fallen Vereinbarungen über qualitative Selektionskriterien in Vertriebssystemen nicht unter den Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG. Dies setzt voraus, dass die Selektion nach Art des vertriebenen Produkts erforderlich ist, um den gewünschten Qualitätsstandard oder den korrekten Gebrauch des Produktes zu gewährleisten, die Selektionskriterien objektiver und qualitativer Natur sind und diskriminierungsfrei gehandhabt werden. Zudem muss das Absatzsystem den Wettbewerb stärken und die Verhaltensbeschränkungen dürfen nicht über das hinausgehen, was für die Funktion des selektiven Vertriebs und sei-
36 37 38 39 40
Leitlinien VertikalGVO, S. 29, Rn. 141. Leitlinien VertikalGVO, S. 25, Rn. 119, Ziff. 10. Leitlinien VertikalGVO, S. 25, Rn. 119, Ziff. 10. Leitlinien VertikalGVO, S. 25, Rn. 119, Ziff. 10. Leitlinien VertikalGVO, S. 28, Rn. 135.
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ner positiven wettbewerblichen Wirkungen notwendig ist (Verhältnismäßigkeitsprüfung).41 Nicht als wettbewerbsbeschränkend i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG bewertet werden schließlich unter bestimmten Voraussetzungen auch Franchise- und Handelsvertreterverträge, obgleich auch sie die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Franchisenehmer bzw. Handelsvertreter beschränken.42 Einig sind sich die Kommission und die europäische Gerichtsbarkeit darin, dass unabhängig von der sonstigen wettbewerblichen Wirkung eine Abrede als wettbewerbsbeschränkend zu qualifizieren ist, wenn sie den innergemeinschaftlichen Handel behindern kann.43 Das gemeinschaftsrechtliche Wettbewerbsrecht soll verhindern, dass Unternehmen das Ziel der Binnenmarktintegration durch vertragliche Abmachungen konterkarieren. Das ist deshalb von Bedeutung für die kartellrechtliche Behandlung von Absatzmittlungsvereinbarungen, da diese nicht selten Gebietsschutzvereinbarungen für einzelne Händler und andere Maßnahmen vorsehen, um den Parallelhandel im Binnenmarkt zu beschränken. d)
Zwischenstaatlichkeitsklausel
Eine Vereinbarung fällt nur dann unter das Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG, wenn sie geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Diese sog. Zwischenstaatlichkeitsklausel fungiert nicht nur als materielles Tatbestandsmerkmal, sondern gleichzeitig als Kollisionsnorm, die den Anwendungsbereich des EG-Kartellrechts von dem der mitgliedstaatlichen Rechte abgrenzt.44 Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen sind deshalb daraufhin zu prüfen, ob sie die Integration der nationalen Märkte zu einem Binnenmarkt und damit eine zentrale Zielstellung der Gemeinschaft nach Art. 3 lit. c EG beeinträchtigen. Davon wird bei grenzüberschreitenden Vereinbarungen regelmäßig ausgegangen. Bei Vereinbarungen innerhalb eines Mitgliedstaates ist danach zu fragen, ob diese zu einer Abschottung der Märkte entlang der mitgliedstaatlichen Grenzen beitragen.45 Eine marktabschottende Wirkung ist insbesondere bei Exportverboten und -beschränkungen anzunehmen, kann aber letztlich Folge nahezu jeder vertriebsbezogenen
41 Siehe EuGH, Urt. v. 11. 12. 1980 – Rs. 31/80, L’Oréal / De Nieuwe Amck, Slg. 1980, 3775, 3790, Rn. 15 f.; EuGH, Urt. v. 25. 10. 1977 – Rs. 26/76, Metro / Kommission („Metro I“), Slg. 1977, 1875, 1905, Rn. 20 f.; EuGH, Urt. v. 25. 10. 1983 – Rs. 107/82, AEG / Kommission, Slg. 1983, 3151, 3194, Rn. 35; EuGH, Urt. v. 22. 10. 1986 – Rs. 75/84, Metro / Kommission („Metro II“), Slg. 1986, 3021, 3084, Rn. 37; EuG, Urt. v. 27. 2. 1992 – Rs. T-19/91, Vichy / Kommission, Slg. 1992, II-415, 441, Rn. 65. 42 Dazu unten S. 148 für den Handelsvertreter und S. 151 für den Franchisenehmer. 43 Eingehend zum Zusammenhang zwischen Binnenmarktintegration und dem Vertriebskartellrecht unten S. 333 ff. 44 EuGH, Urt. v. 30. 6. 1966 – Rs. 56/65, LTM / MBU, Slg. 1966, 281, 303; EuGH, Urt. v. 31. 5. 1979 – Rs. 22/78, Hugin / Kommission, Slg. 1979, 1869, 1899–1901, Rn. 17–26; Bellamy/Child, European Community Law Of Competition, 5. Aufl. (2001), 2–128; Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Einleitung, E, Rn. 8; vgl. auch Art. 3 Abs. 1 und 2 VO 1/2003. 45 Dazu Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Einleitung, E, Rn. 31 ff.
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Beschränkung sein. Eine Ausnahme hiervon bilden Preis- und Konditionenbindungen in innermitgliedstaatlichen Vereinbarungen, so etwa bei der Buchpreisbindung.46 Zu beachten sind bei der Bewertung der marktabschottenden Wirkung vor allem die kumulative Wirkung bei Vertragsnetzen und die Marktstärke der an den Vertriebsbeschränkungen beteiligten Unternehmen. Bei der Vertragsgestaltung suchen die Unternehmen die marktabschottende Wirkung durch sog. „nationale Bindungsklauseln“ zu vermeiden.47 So wird etwa bei einer Alleinbezugsvereinbarung vorgesehen, dass der gebundene Händler frei bleibt, die betroffenen Produkte von Lieferanten aus anderen Mitgliedstaaten zu beziehen. Damit schließt man zwar nach den Buchstaben des Vertrages eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels aus. Indes sind für die Frage nach der marktabschottenden Wirkung die tatsächlichen Gegebenheiten entscheidend. e)
Spürbarkeitskriterium
Als Korrektiv zur Weite des Kartellverbotstatbestandes entwickelte der EuGH das (ungeschriebene) Tatbestandsmerkmal der „Spürbarkeit“, wonach die Wirkungen der betrachteten Maßnahme auf den Wettbewerb und den zwischenstaatlichen Handel „spürbar“ sein müssen, um als wettbewerbsbeschränkend bewertet zu werden.48 Mit diesem Kriterium sollen Bagatellfälle vom Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts ausgeschlossen werden, bei denen die wirtschaftliche Handlungsfreiheit Dritter nur in unerheblicher Weise eingeschränkt und das Ziel der Binnenmarktintegration nur unwesentlich tangiert wird. Der EuGH verwendet allgemein unterschiedliche qualitative und quantitative Kriterien, um das Merkmal der Spürbarkeit zu konkretisieren.49 Seiner Rechtsprechung lässt sich entnehmen, dass er bei Marktanteilen der beteiligten Unternehmen von mindestens fünf Prozent (gemessen an Umsatzanteilen) regelmäßig annimmt, dass eine Wettbewerbsbeschränkung spürbar ist, und dass bei Marktanteilen unter einem Prozent die Spürbarkeit regelmäßig ausscheidet.50 Von Bedeutung für Vertriebsvereinbarungen ist die sog. Bündeltheorie. Danach sind für das Merkmal der Spürbarkeit nicht nur die Auswirkungen des konkreten Vertrages zu berücksichtigen, sondern auch die gemeinsamen Wirkungen mit ande46 Vgl. EuGH, Urt. v. 21. 1. 1999 – verb. Rs. C-215/96 und C-216/96, Bagnasco u. a., Slg. 1999, I-135, 136, Leitsatz 3 und 178–180, Rn. 46–53. 47 Dazu Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 61. 48 EuGH, Urt. v. 30. 6. 1966 – Rs. 56/65, LTM / MBU, Slg. 1966, 281, Rn. 303 f.; EuGH, Urt. v. 25. 10. 1983 – Rs. 107/82, AEG / Kommission, Slg. 1983, 3151, 3200 f., Rn. 56–58; EuGH, Urt. v. 10. 12. 1985 – Rs. 260/82, NSO / Kommission, Slg. 1985, 3812, 3824 f., Rn. 44–49; vgl. Bellamy/Child, European Community Law Of Competition, 5. Aufl. (2001), 2–141 ff.; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 1, A, Rn. 199 ff. Speziell zur Spürbarkeit bei Vertriebsverträgen Völcker, Handelsvertretervertrieb und EG-Kartellrecht (1994), S. 266 ff. 49 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 1, A, Rn. 205 ff. 50 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 1, A, Rn. 206 f. m. w. N.
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ren gleichartigen Verträgen.51 Der EuGH hat die Bündeltheorie durch eine zweistufige Prüfung konkretisiert. In einem ersten Schritt gilt es festzustellen, ob der relevante Markt für neue Konkurrenten schwer zugänglich ist. Zu berücksichtigen sind dabei alle wirtschaftlichen und rechtlichen Begleitumstände der Vereinbarung. Das EuG hat in zwei Entscheidungen zum deutschen Speiseeismarkt angenommen, dass parallele Vertragsnetze den Marktzugang erschwerten, als etwa 30 Prozent des Marktes durch vergleichbare Wettbewerbsbeschränkungen gebunden waren (sog. Bindungsgrad).52 Die Kommission differenziert ihre Bewertung nach der Vertriebsstufe, auf der die Bindungen auftreten. Beim Absatz von Zwischenprodukten nimmt sie ab einem Bindungsgrad von 50 Prozent eine marktabschottende Wirkung an, auf der Einzelhandelsebene ab 40 Prozent, wenn alle Lieferanten einen Marktanteil von weniger als 30 Prozent aufweisen und ab 30 Prozent Bindungsgrad, wenn vereinzelte Lieferanten einen höheren Marktanteil halten.53 Hat ein Konkurrent eine marktbeherrschende Position inne, ist eine signifikante Marktabschottung auch bei einem Bindungsgrad von unter 30 Prozent möglich.54 Liegt eine marktabschottende Wirkung auf Grund eines Vertragsnetzes oder eines Bündels von Vertragsnetzen vor, ist in einem zweiten Schritt festzustellen, ob der in Frage stehende Vertrag in signifikanter Weise zu dieser Abschottungswirkung beiträgt. Relevant hierfür sind die Marktstellung des Lieferanten, der Bindungsgrad seines Vertragsnetzes und die Dauer der vereinbarten Bindung.55 Die Kommission geht in den Leitlinien über vertikale Wettbewerbsbeschränkungen davon aus, dass das Vertragsnetz eines Unternehmens in der Regel nicht in erheblichem Maße zum marktabschottenden Effekt beiträgt, wenn sein Vertragsnetz weniger als 5 Prozent des gebundenen Marktanteils ausmacht.56 Herkömmlich haben die Gemeinschaftsorgane die Frage der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung und die nach der Spürbarkeit der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten nicht getrennt; die Prüfung fiel regelmäßig zusammen.57 Demgegenüber strebt die Kommission jetzt eine differenzierte Kon-
51 EuGH, Urt. v. 12. 12. 1967 – Rs. 23/67, Brasserie de Haecht, Slg. 1967, 544, 555; EuGH, Urt. v. 28. 2. 1991 – Rs. C-234/89, Delimitis, Slg. 1991, I-935, 985–987, Rn. 19–27; EuGH, Urt. v. 27. 4. 1994 – Rs. C-393/92, Almelo, Slg. 1994, I-1477, 1519, Rn. 37–39; EuGH, Urt. v. 7. 12. 2000 – Rs. C-214/99, Neste, Slg. 2000, I-11121, 11148 f., Rn. 26 f.; siehe auch Bellamy/Child, European Community Law Of Competition, 5. Aufl. (2001), 2–146; Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EGWettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Einleitung, E, Rn. 16; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 1, A, Rn. 251 ff.; Weiß, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2. Aufl. (2002), Art. 81 EGV, Rn. 91. 52 EuG, Urt. v. 8. 6. 1995 – Rs. T-7/93, Langnese-Iglo / Kommission, Slg. 1995, II-1533, 1536, Leitsatz 4 und 1574, Rn. 105; EuG, Urt. v. 8. 6. 1995 – Rs. T-9/93, Schöller / Kommission, Slg. 1995, II-1611, 1644, Rn. 81. 53 Leitlinien VertikalGVO, S. 29 f., Rn. 146–149. 54 Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 65. 55 EuGH, Urt. v. 28. 2. 1991 – Rs. C-234/89, Delimitis, Slg. 1991, I-935, 988, Rn. 25 f. 56 Leitlinien VertikalGVO, S. 29, Rn. 142. 57 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 1, A, Rn. 201; Habermeier, in: Martinek/Semler/Habermeier (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2. Aufl. (2003), § 30, Rn. 42, Fn. 112.
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kretisierung des Spürbarkeitskriteriums an. Während die de minimis-Bekanntmachung bzw. Bagatellbekanntmachung darlegt,58 wann eine Wettbewerbsbeschränkung „spürbar“ ist, erläutert die Kommission die Frage der spürbaren Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten in einer gesonderten Bekanntmachung zur Zwischenstaatlichkeitsklausel.59 Einen Zusammenhang stellt lediglich die Bagatellbekanntmachung her, die in Ziffer 3 Satz 4 darauf hinweist, dass Vereinbarungen zwischen kleinen und mittleren Unternehmen 60 selten geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen. Der Hintergrund dieser Differenzierung liegt in der Vorrangregel des Art. 3 VO 1/2003, wonach das Gemeinschaftsrecht ausschließlich gilt, soweit eine Vereinbarung oder Verhaltensweise geeignet ist, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen. Die Kommission wollte mit der Trennung zwischen dem materiellrechtlichen Kriterium der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung und dem (auch) jurisdiktionellen Kriterium der Spürbarkeit der Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel verhindern, dass eine großzügigere Auslegung des ersteren Kriteriums dazu führte, dass die mitgliedstaatlichen Rechte einen erweiterten Anwendungsbereich erhielten.61 In der Bagatellbekanntmachung stellt die Kommission im Interesse höherer Rechtssicherheit quantitative Regeln auf, um die Spürbarkeit einer Wettbewerbsbeschränkung beurteilen zu können. Diese binden jedoch weder den EuGH, noch nationale Behörden.62 Nach der Bekanntmachung wird bei vertikalen Vereinbarungen die Spürbarkeit verneint, soweit keines der beteiligten Unternehmen auf keinem der von der Vereinbarung betroffenen relevanten Märkte die Grenze von 15 Prozent Marktanteil überschreitet.63 Wird auf dem relevanten Markt ein kumulativer Marktabschottungseffekt durch nebeneinander bestehende Netze von Vereinbarun-
58 Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. C 368 v. 22. 12. 2001, S. 13–15 (im Folgenden: Bagatellbekanntmachung); hierzu Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004), § 10, Rn. 84–99 (S. 292–296). 59 Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, ABl. C 101/07 v. 27. 4. 2004, S. 81–96; zur Spürbarkeit: Tz. 3 f., 44–57; hierzu Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004), § 4, Rn. 37–43 (S. 138 f.). 60 Siehe Empfehlung der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, 2003/361/EG, ABl. L 124 v. 20. 5. 2003, S. 36–41. 61 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004), § 10, Rn. 85 (S. 293); paradigmatisch für dahingehende Befürchtungen vor der Kartellrechtsreform zu vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen Venit, in: Ehlermann/Laudati (Hrsg.), European Competition Law Annual 1997 (1998), S. 567, 576 („From the Frying Pan Into the Fire – The Applicability of National Law“) und S. 579. 62 Tz. 4 und 6 Bagatellbekanntmachung; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 1, A, Rn. 213; Habermeier, in: Martinek/Semler/Habermeier (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2. Aufl. (2003), § 30, Rn. 46; Weiß, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2. Aufl. (2002), Art. 81 EGV, Rn. 93. 63 Tz. 7 lit. b Bagatellbekanntmachung.
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gen, die ähnliche Wirkungen auf den Markt haben, festgestellt, setzt Ziffer 8 der Bekanntmachung die Marktanteilsschwelle auf 5 Prozent herab. Ein kumulativer Abschottungseffekt ist anzunehmen, wenn mehr als 30 Prozent des relevanten Marktes von kumulativ wirkenden Vereinbarungen abgedeckt werden. Für einzelne Unternehmen mit einem Marktanteil von weniger als 5 Prozent wird angenommen, dass sie nicht wesentlich zu dem kumulativen Abschottungseffekt beitragen.64 Überschreitet ein Unternehmen die relevanten Marktanteilsschwellen in lediglich zwei Kalenderjahren um 2 Prozentpunkte, geht die Kommission nach Ziffer 8 der Bagatellbekanntmachung nicht von einer wettbewerbsbeschränkenden Wirkung aus. Die nur an den Marktanteilsschwellen orientierte Ausnahme vom Kartellverbot gilt jedoch nicht für Vereinbarungen, die sog. Kernbeschränkungen enthalten. Ziffer 11.2. der Bagatellbekanntmachung definiert in Übereinstimmung mit Art. 4 Vertikal-GVO diese Kernbeschränkungen für vertikale Vereinbarungen. f)
Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Kartellverbot
Art. 81 Abs. 2 EG normiert schließlich mit der Nichtigkeit der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das Kartellverbot. Die Nichtigkeit nach Art. 81 Abs. 2 EG erstreckt sich nur auf die mit Art. 81 Abs. 1 EG unvereinbaren vertraglichen Bestimmungen. Die Auswirkungen der Nichtigkeit auf die übrigen Bestandteile der Vereinbarung sind nicht nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilen, sondern richten sich nach den jeweiligen nationalen Bestimmungen.65 Neben die zivilrechtliche Nichtigkeitsfolge treten als Sanktionsinstrumente Zwangsgelder und Geldbußen. Art. 23 f. VO 1/2003 ermächtigt die Kommission, diese anzudrohen und festzusetzen.
2.
Ausnahmen vom Kartellverbot
Wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen, die unter Art. 81 Abs. 1 EG fallen, sind nach Art. 81 Abs. 3 EG i. V. m. Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 1/2003 vom Kartellverbot ausgenommen, wenn sie kumulativ vier Voraussetzungen erfüllen.66 Nach Art. 81 Abs. 3 EG muss die Maßnahme die Warenerzeugung oder -verteilung verbessern oder den technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts fördern; die Verbraucher müssen angemessen an dem dadurch entstehenden Gewinn beteiligt werden; den beteiligten Unternehmen dürfen keine Beschränkungen auferlegt werden, die unerlässlich sind, diese Ziele zu verwirklichen und es darf den Unternehmen keine Möglichkeit
64 Tz. 8 S. 2 Bagatellbakanntmachung; vgl. Leitlinien VertikalGVO, S. 29, Rn. 142, wo die Kommission stattdessen auf den gebundenen Marktanteil abstellt. 65 EuGH, Urt. v. 14. 12. 1983 – Rs. 319/82, Soc. De Vente de Ciments et Bétons de l’Est / Kerpen & Kerpen, Slg. 1983, 4173, 4183 f., Rn. 11; K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 2, Rn. 44. Nach deutschem Zivilrecht ist grundsätzlich § 139 BGB maßgeblich, für Formularverträge § 306 BGB, K. Schmidt, a. a. O., Rn. 51. 66 Ausführlich zur Handhabung des Art. 81 Abs. 3 EG durch die Gemeinschaftsorgane im Hinblick auf Vertriebsvereinbarungen unten S. 359 ff.
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eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten. Die Kriterien für eine Ausnahme vom Kartellverbot haben sich allerdings in der Entscheidungspraxis der Kommission teilweise erheblich vom Wortlaut der Vorschrift entfernt. Die Kommission sah sich auf Grund des von ihr vertretenen weiten Konzepts der Wettbewerbsbeschränkung gezwungen, Art. 81 Abs. 3 EG weit auszulegen, um Vereinbarungen vom Kartellverbot ausnehmen zu können, die im Ganzen wettbewerbsfördernd wirken. Will sich ein Unternehmen auf die Ausnahmeregelung des Art. 81 Abs. 3 EG berufen, trägt es die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen erfüllt sind. Dies legt Art. 2 S. 2 VO 1/2003 in Übereinstimmung mit der bis dahin geltenden Rechtsprechung zur Beweislast bei Freistellungsanträgen fest.67 a)
Die Konkretisierung des Art. 81 Abs. 3 EG durch die Kommission
Die Konkretisierung des Art. 81 Abs. 3 EG erfolgte bislang im Wesentlichen durch die Entscheidungspraxis der Kommission. Dies liegt erstens darin begründet, dass die Kommission lange Zeit über ein Entscheidungsmonopol verfügte, Vereinbarungen vom Kartellverbot freistellen zu können und zweitens in dem weiten Beurteilungsspielraum, der ihr dabei von den europäischen Gerichten eingeräumt worden war. Das bis zum 1. Mai 2004 geltende Kartellverfahrensrecht befugte nämlich allein die Kommission dazu, das Kartellverbot durch sog. Einzelfreistellungen auf bestimmte Vereinbarungen für nicht anwendbar zu erklären.68 Ausgangspunkt für eine solche individuelle Entscheidung der Kommission i. S. d. Art. 249 Abs. 4 EG war ein förmliches und aufwendiges Anmeldeverfahren. Allerdings bedeutete es für die Kommission einen erheblichen Aufwand, einen Antrag auf Einzelfreistellung zu bearbeiten. Sie erließ deshalb nur in wenigen Fällen eine formale Entscheidung. Sie konnte entweder die geplante Maßnahme genehmigen („Einzelfreistellungsentscheidung“), untersagen („Verbotsentscheidung“) oder feststellen, dass die angezeigte Maßnahme überhaupt nicht unter Art. 81 Abs. 1 EG fiel („Negativtest“). In der Praxis fand das Verfahren in den meisten Fällen durch ein Schreiben der Kommission sein Ende, in der sie mitteilte, ob gegen die angezeigte Maßnahme bei überblicksmäßiger Prüfung Bedenken bestünden oder nicht. Im ersten Fall bezeichnete man das Schreiben der Kommission als discomfort letter, im zweiten als comfort letter. Der praktische Wert dieser Verwaltungsschreiben war begrenzt, weil sie keine Bindungswirkung entfalteten. Ihnen kam in Gerichts- oder Verwaltungsverfahren lediglich Indizwirkung zu und sie konnten jederzeit von der Kommission zurückgezogen werden.69 Für die Wirkung einer Einzelfreistellung war entscheidend, dass
67 Siehe EuG, Urt. v. 9. 7. 1992 – Rs. T-66/89, Publishers Association / Kommission, Slg. 1992, II-1995, 2022, Rn. 69. Da Art. 2 S. 2 VO 1/2003 nach Auffassung der Kommission auch einzelstaatliche Straf- und Bußgeldverfahren erfasst, steht sie im Widerspruch zur Handhabung der Unschuldsvermutung im deutschen Strafprozessrecht, die auch für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen von Rechtfertigungsgründen gilt, dazu Hossenfelder/Lutz, WuW 2003, 118, 119 f. 68 Art. 9 Abs. 1 VO Nr. 17/62. 69 Sauter, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 3, B, Rn. 6; Wesseling, The Modernisation of EC Antitrust Law (2000), S. 84.
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die Ausnahme vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG erst rechtswirksam wurde, wenn die Entscheidung erlassen wurde. Allerdings war es mit der Änderung des Art. 4 VO Nr. 17/62 durch die VO Nr. 1216/1999 zum 1. 1. 2000 möglich geworden, eine Vereinbarung rückwirkend freizustellen. Die Monopolstellung der Kommission bei der Freistellung von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen fand mit dem In-Kraft-Treten der Verordnung 1/2003 ein Ende. Diese führte mit Art. 1 Abs. 2 ein sog. Legalausnahmesystem ein, wonach Vereinbarungen, die die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG erfüllen, nicht verboten sind, ohne dass dies einer vorherigen Entscheidung bedürfte. Die gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln der Art. 81, 82 EG werden seitdem dezentral durchgesetzt, also auch durch die mitgliedstaatlichen Kartellbehörden und Gerichte. Der Kommission wurde jedoch mit dem Instrument der sog. Positiventscheidung nach Art. 10 VO 1/2003 ein der Einzelfreistellung vergleichbares Instrument zugewiesen, das freilich nur deklaratorisch wirkt. Danach hat sie das Recht, aus Gründen des öffentlichen Interesses festzustellen, dass eine bestimmte Vereinbarung oder Verhaltensweise mit Art. 81 EG vereinbar ist, sei es, weil bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 81 Abs. 1 EG nicht gegeben sind, oder sei es, dass die Voraussetzungen einer Ausnahme vom Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 3 EG vorliegen. Die Kommission soll sich dieses Instruments allerdings nur in Ausnahmefällen bedienen, etwa wenn für neue Formen von Vereinbarungen oder Verhaltensweisen noch keine Rechtsprechung oder Verwaltungspraxis vorliegt.70 Eine entsprechende Entscheidung der Kommission bindet die mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden und Gerichte, Art. 16 VO 1/2003. Daneben darf die Kommission in Einzelfällen Unternehmen Auskünfte über die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit bestimmter Vereinbarungen oder Verhaltensweisen erteilen.71 Diese sog. Beratungsschreiben sind rechtlich unverbindlich. Die Kommission hat die Voraussetzungen für diese Auskünfte in einer Bekanntmachung konkretisiert.72 Der zweite Grund dafür, dass es nach der bis zum 1. Mai 2004 herrschenden Kartellverfahrensordnung nahezu allein der Kommission vorbehalten war, die Ausnahmeregelung des Art. 81 Abs. 3 EG zu konkretisieren, liegt in der Zurückhaltung, die die europäischen Gerichte bei der Überprüfung von Einzelfreistellungen der Kommission an den Tag legten. Sie betonten regelmäßig den politischen und administrativen Charakter einer Freistellungsentscheidung und schlussfolgerten daraus, dass sich diese einer gerichtlichen Nachprüfung weitest gehend entziehe. Damit räumten der Gerichtshof und das Gericht erster Instanz der Kommission einen weiten Beurteilungsspielraum für die Ausgestaltung der Ausnahmen vom Kartellverbot ein. Nach der Umstellung auf das Legalausnahmensystem stellte sich die bisher von der 70 BE 14 VO 1/2003. 71 BE 38 VO 1/2003. 72 Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben), ABl. C 101 v. 27. 4. 2004, S. 78–80.
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Rechtsprechung noch nicht beantwortete Frage, ob nun etwa den Unternehmen ein entsprechender Beurteilungsspielraum bei ihrer „Selbstveranlagung“ nach Art. 81 Abs. 3 EG zuzubilligen ist. Dies wird teilweise im Schrifttum mit dem Hinweis darauf bejaht, dass sonst den Unternehmen eine zu große Rechtsunsicherheit und eine Verschärfung des Kartellrechts drohte.73 Zwar ist dem zuzugeben, dass um Rechtssicherheit für die Unternehmen zu gewährleisten, Art. 81 Abs. 3 EG weiter konkretisiert werden muss. Indes erscheint es nicht zwingend, die Lösung dafür in einem Beurteilungsspielraum für die Unternehmen zu sehen, die sich wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen bedienen wollen. Schließlich haben auch die Unternehmen, die zivilrechtlich gegen wettbewerbsbeschränkende Praktiken anderer Unternehmen vorgehen wollen, ein berechtigtes Interesse daran, dass die Kriterien für eine Ausnahme vom Kartellverbot so klar wie möglich definiert sind. Deshalb scheint es fruchtbringender, für die notwendige Rechtssicherheit auf die Vorgaben der bisherigen Entscheidungspraxis der Kommission und die von ihr erlassenen Gruppenfreistellungsverordnungen zu setzen, verbunden mit den Instrumenten der Positiventscheidungen nach Art. 10 VO 1/2002 und der written opinions sowie Stück für Stück ergänzt um die zukünftige Handhabung durch die Kartellbehörden und die Gerichte. b)
Legalausnahmesystem ohne Änderung des EG-Vertrags
Die Weite und Unbestimmtheit der Tatbestandsmerkmale des Art. 81 Abs. 3 EG war auch ein Ansatzpunkt dafür, in Frage zu stellen, ob der Systemwechsels mit Einführung der Legalausnahmen durch die Verordnung 1/2003 erfolgen durfte ohne den EG-Vertrag zu ändern.74 Argumentiert wird, dass Art. 81 Abs. 3 EG mangels hinreichender Bestimmtheit gar nicht die Voraussetzungen erfülle, die der EuGH an die unmittelbare Anwendbarkeit einer Norm des EG-Vertrages stellt.75 Verwiesen wird zudem auf den Wortlaut des Art. 81 Abs. 3 EG, wonach das Kartellverbot „für nicht anwendbar erklärt“ werden kann, es also im Grundsatz einer im System der Legalausnahmen nicht vorgesehenen konstitutiven Erklärung bedürfe, in der festgestellt wird, dass die Voraussetzungen einer Ausnahme vom Kartellverbot tatsächlich vorliegen.76 Demgegenüber ging die Kommission bereits in ihrem Weißbuch zur Modernisierung des Kartellrechts davon aus, dass Art. 81 Abs. 3 EG es auch ermöglichte, ein Systems von Legalausnahmen einzuführen.77 Vertreter der Kommission wiesen darauf hin, dass Art. 81 Abs. 3 EG unmittelbar angewendet werden könne, da die Vor-
73 Bechtold, WuW 2003, 343. 74 Gegen die Rechmäßigkeit der Reform ohne Vertragsänderung etwa Monopolkommission, Kartellpolitische Wende in der Europäischen Union? (1999), Tz. 13–21 und Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004), § 13, Rn. 9–19 (S. 332–337). 75 Mestmäcker, EuZW 1999, 523, 526. Zur unmittelbaren Anwenbarkeit von Normen des EGVertrages grundlegend EuGH, Urt. v. 5. 2. 1963, Rs. 26/62, van Gend en Loos, Slg. 1963, 5, 12 f. 76 Möschel, JZ 2000, 61, 62. 77 Kommission, Weißbuch über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag, KOM (1999) 101 endg./2, ABl. 1999, C 132/1, Tz. 12 ff.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
schrift zwar auf der Tatbestandsseite einen wirtschaftlichen Beurteilungsspielraum aufweise, dem aber auf der Rechtsfolgenseite kein Ermessensspielraum gegenüberstünde, den auszufüllen tatsächlich einer Behörde vorbehalten wäre.78 Im Übrigen sei es nichts außergewöhnliches, wenn die unmittelbare Anwendung einer Norm auch komplexe ökonomische Analysen erfordere. Gleiches gelte schließlich etwa für Art. 81 Abs. 1 EG oder auch Art. 86 Abs. 2 EG.79 Erwartet wird, dass der EuGH diese Streitfrage zu klären haben werde.80 c)
Zur Gruppenfreistellung von Vertriebsvereinbarungen
Auf der Grundlage einer generellen Ermächtigung des Rates 81 kann die Kommission Gruppenfreistellungsverordnungen erlassen, durch die Voraussetzungen festgelegt werden, unter denen Kategorien von Vereinbarungen vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG ausgenommen werden, die wegen der Ähnlichkeit der zu Grunde liegenden Sachverhalte und der wettbewerblich relevanten Wertungsgesichtspunkte typisierend betrachtet werden können.82 Im bis zum 1. Mai 2004 geltenden Kartellverfahrensrecht hatten die Gruppenfreistellungsverordnungen eine überragende Bedeutung bei der konstitutiven Ausgestaltung des Kartellrechts durch die Kommission. Dies galt insbesondere für die kartellrechtliche Behandlung vertikaler Vereinbarungen. Der Praktische Hintergrund dafür, dass die Kommission Gruppenfreistellungsverordnungen erließ, lag darin, dass sie dadurch ihren Verwaltungsaufwand eindämmen konnte. Mit der Einführung des Systems der Legalausnahmen verloren die Gruppenfreistellungsverordnungen diese Rationalisierungsfunktion. Einige Hinweise sprechen dafür, dass die Kommission auch künftig auf Gruppenfreistellungen setzen wird, um den Ausnahmetatbestand vom Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG zu konkretisieren. So äußerte etwa der seinerzeitige Generaldirektor der GD Wettbewerb, Alexander Schaub: „[...] block exemptions remain useful and valuable. They create an effective safe harbour for agreements that are presumed to fulfil the conditions of Article 81(3).“ 83 Gruppenfreistellungsverordnungen entfalten auch in einem System der Legalausnahme konstitutive Wirkungen.84 Da die Gruppenfreistellung im Wege einer Verordnung i. S. d. Art. 249 Abs. 2 EG ergeht, ist sie unmittelbar bindend für alle mitgliedstaatlichen Kartellbehörden und Gerichte. Wird eine Vereinbarung von einer 78 Schaub/Dohms, WuW 1999, 1055, 1064. 79 Schaub, in: Hawk (Hrsg.), Annual Proceedings of the Fordham Corporate Law Institute 2001 (2002), S. 31, 45. 80 Hossenfelder/Lutz, WuW 2003, 118, 119; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004), § 13, Rn. 19 (S. 337). 81 VO (EWG) 19/65, ABl. 36/533, 11; vgl. Grill, in: Lenz (Hrsg.), EG-Vertrag, 2. Aufl. (1999), Art. 81, Rn. 49; Sauter, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 85 Abs. 3, B, Rn. 11. 82 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004), § 13, Rn. 20 (S. 337). 83 Schaub, in: Hawk (Hrsg.), Annual Proceedings of the Fordham Corporate Law Institute 2001 (2002), S. 31, 46. 84 Eingehend Fuchs, ZWeR 2005, 1, 9–14; Klees, Europäisches Kartellverfahrensrecht (2005), S. 49–52; a.A. etwa Bechtold, WuW 2003, 343.
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Gruppenfreistellung erfasst, kann sie nur mit Wirkung für die Zukunft und nur nach einem förmlichen Entzug der Freistellung durch die Kommission oder eine nationale Kartellbehörde für kartellrechtswidrig erklärt werden (siehe Art. 29 VO 1/2003, Art. 6, 7 VertikalGVO). Mitgliedstaatlichen Gerichten steht es deshalb nicht zu, Vereinbarungen, die von einer GVO erfasst werden, in einem Zivilverfahren für nichtig zu erklären.85 Sie dienen so der Rechtssicherheit der Unternehmen. Darauf, dass sich die Kommission weiter des Instruments der Gruppenfreistellung bedienen will, deutet auch hin, dass sie im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Verordnung 1/2003 eine Generalermächtigung zum Erlass von Gruppenfreistellungsverordnungen forderte. Allerdings lehnte eine große Mehrheit der Mitgliedstaaten diese Forderung ab, so dass auch weiterhin der Rat die Hoheit über die Festsetzung des Rahmens für die Gruppenfreistellung behält.86 Der Vertrieb war ursprünglich durch vier Gruppenfreistellungsverordnungen reguliert worden, die auf Grundlage der Verordnung 19/65 erlassen worden waren, nämlich durch die GVO für Alleinvertriebsvereinbarungen,87 für Alleinbezugsvereinbarungen,88 für Franchisevereinbarungen 89 und für Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge.90 Für Vereinbarungen über selektiven Vertrieb und Handelsvertreterverträge wurde keine Gruppenfreistellung erlassen, lediglich für den Vertrieb von Kraftfahrzeugen enthielt die Verordnung 1475/95 eine Freistellung des selektiven Vertriebs. Die seinerzeitigen Verordnungen sahen sich starker Kritik ausgesetzt. Die Hauptkritikpunkte 91 betrafen den sog. Zwangsjackeneffekt für die Ausgestaltung von Vertriebsverträgen,92 zweitens die Tatsache, dass auch marktmächtige Unternehmen von der Freistellung profitierten und drittens den zu engen Regelungsbereich, der zahlreiche den Wettbewerb nicht beschränkende Vereinbarungen von der Freistellung ausschloss. Mitte der 1990er Jahre setzte eine breite Diskussion über die Reform der kartellrechtlichen Regulierung der vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen ein. Eine Analyse der ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen des Vertriebs durch ein Grünbuch der Kommission zur EG-Wettbewerbspolitik gegenüber vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen bildete dafür den Ausgangspunkt.93 Im Juni 1999 beschloss der Rat sowohl eine Änderung des Art. 4 Abs. 2 der Kartellverordnung 17/62, durch die für eine größere Anzahl von Vereinbarungen eine rückwirkende Freistellung möglich wurde,94 als auch eine Änderung der Verordnung 19/65, durch die die
85 Vgl. Leitlinien Art. 81 Abs. 3 EG, Tz. 2 und 37. 86 Hossenfelder/Lutz, WuW 2003, 118, 128. 87 VO (EWG) Nr. 1983/83 v. 22. 6. 1983, ABl. L 173, 1. 88 VO (EWG) Nr. 1984/83 v. 22. 6. 1983, ABl. L 173, 5. 89 VO (EWG) Nr. 4087/88 v. 30. 11. 1988, ABl. L 359, 46. 90 VO (EG) Nr. 1475/95 v. 28. 6. 1995, ABl. L 145, 25. 91 Subiotto/Amato, 69 Antitrust L. J. (2001), 147, 150 f. 92 Siehe ausführlich unten S. 293. 93 Grünbuch zur EG-Wettbewerbspolitik gegenüber vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen vom 22. 01. 1997, KOM (1996) 721 endg. 94 Verordnung (EG) Nr. 1216/1999 des Rates vom 10. Juni 1999, ABl. 1999 L 148/5.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
Kommission zum Erlass von Gruppenfreistellungsverordnungen mit einem erweiterten Anwendungsbereich ermächtigt wurde.95 Am Ende des Reformprozesses stand die am 22. Dezember 1999 beschlossene Vertikal-GVO, welche die Gruppenfreistellungsverordnungen über Alleinvertriebs- und Alleinbezugsvereinbarungen sowie über Franchisingvereinbarungen ablöste.96 Um die neue Ausrichtung ihrer Wettbewerbspolitik zu erläutern, beschloss die Kommission am 24. Mai 2000 „Leitlinien über vertikale Beschränkungen“, die schließlich mit kleinen Änderungen am 13. Oktober 2000 veröffentlicht wurden.97 In den Leitlinien interpretiert die Kommission in erster Linie die Vertikal-GVO aus ihrer Sicht, stellt aber auch generell ihre Auffassung zur Behandlung vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen nach Art. 81 EG dar. Nach dem bis zum 1. Mai 2004 geltenden Kartellverfahrensrecht waren die Leitlinien auch maßgeblich für die Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG im Rahmen von Einzelfreistellungsverfahren.98 Obgleich es sich bei ihnen um unverbindliche Vorgaben der Kommission handelt,99 sind sie für die Rechtspraxis von hoher Bedeutung. Die Vertikal-GVO verfolgt eine im Vergleich zu den früheren Gruppenfreistellungsverordnungen neue Regelungstechnik.100 Sie enthält keine sog. weiße Klauseln mehr, gilt nur bis zu einer Marktanteilsschwelle von 30 Prozent und ist auf alle Arten vertikaler Vereinbarungen anzuwenden. Regelungstechnisch ist dies so umgesetzt, dass nach der Verordnung alle Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen, die vom Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG erfasst werden, als freigestellt gelten, wenn sie in den Anwendungsbereich des Art. 2 VertikalGVO fallen, die Marktanteilsschwellen des Art. 3 VertikalGVO nicht überschreiten werden und keine „Kernbeschränkungen“ 101 i. S. d. Art. 4 VertikalGVO enthalten. Soweit Wettbewerbsverbote i. S. d. Art. 5 VertikalGVO vereinbart werden, entfällt die Freistellung nur für die betreffende Vertragsklausel.102 Gemäß Art. 2 Abs. 1 VertikalGVO erfasst diese sog. „Schirmfreistellung“ alle Vereinbarungen zwischen „Unternehmen, von denen jedes zwecks Durchführung der Vereinbarung auf einer anderen Produktions- oder Vertriebsstufe tätig ist, und welche die Bedingungen betreffen, zu denen die Partner bestimmte Waren oder Dienstleistungen kaufen, verkaufen oder weiterverkaufen können“. Damit fallen wettbe-
95 Verordnung (EG) Nr. 1215/1999 des Rates vom 10. Juni 1999, ABl. 1999 L 148/1. 96 Näher zur Vertikal-GVO siehe unten S. 375 ff. 97 ABl. 2000 C 291/1. 98 Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 242. 99 Zur rechtlichen Bindungswirkung der Leitlinien Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 244 ff. 100 Zum neuen Regelungsansatz Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004), § 13, Rn. 26–31 (S. 340 f.); Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO (2001), Rn. 12 ff.; Veelken, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht, Ergänzungsband (2000), GFVO, Rn. 7 ff. 101 Synonym werden die Begriffe „hardcore restrictions“ und „Schwarze Klauseln“ verwendet, Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 90. 102 Diese Klauseln werden deshalb z. T. als „rote“ Klauseln, etwa Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 137, oder als „graue“ Klauseln bezeichnet, etwa Bechtold, EWS 2001, 49.
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§ 5 Regelungsrahmen für Absatzmittlungsverhältnisse
werbsbeschränkende Vereinbarungen im Rahmen der Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse, soweit sie in den Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG fallen, in den Anwendungsbereich der Vertikal-GVO und sind so im Grundsatz freigestellt.
3.
Das Missbrauchsverbot des Art. 82 EG
Art. 82 EG untersagt die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben, wenn dadurch der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden kann. Das Missbrauchsverbot findet auf Grund seiner unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen parallel zum Kartellverbot des Art. 81 EG Anwendung.103 Art. 82 EG ist auch auf Verhaltensweisen anzuwenden, die nach Art. 81 Abs. 3 EG, insbesondere auch durch eine Gruppenfreistellung, vom Kartellverbot ausgenommen sind.104 Bei Vertriebsvereinbarungen ist eine Kollision zwischen Art. 81 EG und den Regelungen einer Gruppenfreistellung indes praktisch dadurch ausgeschlossen, dass die Vertikal-GVO nach Art. 3 nur auf Unternehmen mit einem Marktanteil bis zu 30 Prozent anzuwenden ist.105 Praktische Bedeutung erlangt das Missbrauchsverbot neben Art. 81 Abs. 1 EG vor allem dadurch, dass es im Gegensatz zum Kartellverbot auch einseitige Verhaltensweisen erfasst. a)
Marktbeherrschende Stellung
Die Anwendung des Art. 82 EG setzt eine beherrschende Stellung eines Unternehmens auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben voraus. Für die Marktabgrenzung gelten keine Besonderheiten. Die sachliche Abgrenzung hat nach dem sog. Bedarfsmarktkonzept zu erfolgen, d. h. sie ist nach der Substituierbarkeit der Produkte aus Sicht der Marktgegenseite vorzunehmen,106 wofür die Kreuzpreiselastizität der Nachfrage ein entscheidendes Indiz bildet.107 Der räumlich relevante Markt umfasst das Gebiet, in dem sich die objektiven Wettbewerbsbedingungen bei dem betroffenen Erzeugnis für alle Unternehmen gleichen.108 Zu beachten ist allerdings, dass Art. 82 EG nur Märkte schützt, die zumin-
103 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 86, Rn. 6 f. 104 Grundlegend EuG, Urt. v. 10. 7. 1990 – Rs. T-51/89, Tetra Pak / Kommission („Tetra Pak I“), Slg. 1990, II-309, 356–361, Rn. 21–31. 105 Vgl. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 86, Rn. 8. 106 Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes, ABl. v. 9. 12. 1997, C 372/5, Rn. 7; EuGH, Urt. v. 18. 2. 1971 – Rs. 40/70, Sirena / Eda, Slg. 1971, 69, 84, Rn. 16; EuGH, Urt. v. 21. 2. 1973 – Rs. 6/72, Europemballage und Continental Can / Kommission, Slg. 1973, 215, 248, Rn. 32; EuGH, Urt. v. 11. 12. 1980 – Rs. 31/80, L’Oreal / De Nieuwe Amck, Slg. 1980, 3775, 3793, Rn. 25. 107 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 2. 1978 – Rs. 27/76, United Brands / Kommission („Chiquita Bananen“), Slg. 1978, 207, 282, Rn. 33. 108 EuGH, Urt. v. 14. 2. 1978 – Rs. 27/76, United Brands / Kommission („Chiquita Bananen“), Slg. 1978, 207, 284, Rn. 44; siehe auch Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes, ABl. v. 9. 12. 1997, C 372/5, Rn. 8.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
dest einen „wesentlichen Teil“ des Gemeinsamen Marktes ausmachen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn sich die beherrschende Stellung auf die größeren Mitgliedstaaten bzw. bedeutende Teile derselben erstreckt.109 Neben der räumlichen Dimension sind aber auch andere Kriterien zu berücksichtigen, wie die Wirtschaftskraft einer Region und die Bedeutung eines Gebietes für den Gemeinsamen Markt. Auf Grund seiner hohen Verkehrsbedeutung wurde etwa der Hafen von Genua als wesentlicher Teil des Gemeinsamen Marktes angesehen.110 Eine beherrschende Stellung nimmt ein Unternehmen nach der Rechtsprechung des EuGH dann ein, wenn es eine solche wirtschaftliche Machtstellung hat, dass es einen wirksamen Wettbewerb auf einem Markt verhindern kann und sich in erheblichen Maße unabhängig von seinen Wettbewerbern und seinen Abnehmern verhalten kann.111 Dies ist nach der Marktstruktur, der Unternehmensstruktur und dem Marktverhalten des Unternehmens zu beurteilen.112 Obgleich der Marktanteil ein starkes Indiz für das Vorhandensein einer marktbeherrschenden Stellung darstellt, lässt sich doch keine exakte Quantifizierung nach dem Marktanteil vornehmen. So hat der EuGH bei Marktanteilen von 32 bzw. 36 Prozent eine marktbeherrschende Stellung verneint 113 und bei einem Marktanteil, der zwischen 40 und 45 Prozent lag, darauf hingewiesen, dass dies nicht ohne weiteres eine marktbeherrschende Stellung begründe. Vielmehr komme es auf die Stärke und die Zahl der Wettbewerber an.114 Ohne weiteres geht der Gerichtshof von einer beherrschenden Stellung aus, wenn ein Unternehmen einen Marktanteil von 85 Prozent hält.115 b)
Missbräuchliches Ausnutzen einer marktbeherrschenden Position
Art. 82 EG verbietet nicht, eine marktbeherrschende Position innezuhaben, sondern nur, diese auf missbräuchliche Art und Weise auszunutzen. Ein Unternehmen nutzt seine beherrschende Position dann missbräuchlich aus, wenn es auf einem Markt, auf dem der Wettbewerb durch die marktbeherrschende Stellung bereits geschwächt ist, den Wettbewerb mit Mitteln behindert, die von den Mitteln normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs abweichen.116 Art. 82 EG selbst zählt 109 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 86, Rn. 57; etwa EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975 – verb. Rs. 40 bis 48, 50, 54, 111, 113 und 114/73, Suiker Unie u. a. / Kommission, Slg. 1975, 1663, 2012 f., Rn. 444–448 (betrifft den süddeutschen Zuckermarkt). 110 EuGH, Urt. v. 10. 12. 1991 – Rs. C-179/90, Merci convenzionali porto di Genua („Hafen von Genua I“), Slg. 1991, I-5889, 5928, Rn. 15. 111 EuGH, Urt. v. 8. 6. 1971 – Rs. 78/70, Deutsche Grammophon / Metro, Slg. 1971, 487, 501, Rn. 17; EuGH, Urt. v. 11. 12. 1980 – Rs. 31/80, L’Oreal, Slg. 1980, 3775, 3793, Rn. 26; EuGH, Urt. v. 9. 11. 1983 – Rs. 322/81, Michelin / Kommission, Slg. 1983, 3461, 3503, Rn. 30. 112 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 86, Rn. 73. 113 EuGH, Urt. v. 15. 12. 1994 – Rs. C-250/92, Gøttrup-Klim / DLG, Slg. 1994, I-5641, 5690, Rn. 48. 114 EuGH, Urt. v. 14. 2. 1978 – Rs. 27/76, United Brands / Kommission („Chiquita Bananen“), Slg. 1978, 207, 290, Rn. 108/110. 115 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975 – verb. Rs. 40 bis 48, 50, 54, 111, 113 und 114/73, Suiker Unie u. a. / Kommission, Slg. 1975, 1663, 1996, Rn. 379/380; EuGH, Urt. v. 13. 2. 1979 – Rs. 85/76, HoffmannLaRoche / Kommission („Vitamine“), Slg. 1979, 461, 526 f., Rn. 53 und 56. 116 EuGH, Urt. v. 3. 7. 1991 – Rs. C-62/86, AKZO / Kommission, Slg. 1991, I-3359, 3455, Rn. 70; EuGH, Urt. v. 15. 12. 1994 – Rs. C-250/92, Gøttrup-Klim / DLG, Slg. 1994, I-5641, 5690, Rn. 48.
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§ 5 Regelungsrahmen für Absatzmittlungsverhältnisse
beispielhaft vier Verhaltensweisen auf, bei denen ein Missbrauch anzunehmen ist. Dies betrifft zum einen das Erzwingen von unangemessenen Preisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen (lit. a). Missbräuchlich ist es auch, bürdet ein marktbeherrschendes Unternehmen seinen Kunden Verwendungsbeschränkungen hinsichtlich der erworbenen Produkte auf (lit. b). Praktisch geworden ist dies für Fälle, in denen die Händler verpflichtet wurden, nur unter bestimmten Bedingungen weiterzuverkaufen,117 lediglich bestimmte Abnehmer zu beliefern, nur für bestimmte Verwendungszwecke zu liefern oder diese Beschränkungen auch ihren Kunden aufzuerlegen.118 Nach Art. 82 lit. c EG ist es ebenfalls missbräuchlich, gegenüber Handelspartnern unterschiedliche Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen anzuwenden, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden. Vor allem die Gewährung von Treuerabatten kann gegen dieses Diskriminierungsverbot verstoßen.119 Art. 82 lit. d EG schließlich erfasst sog. Koppelungsgeschäfte, indem für missbräuchlich erklärt wird, den Abschluss eines Vertrages an die Bedingung zu knüpfen, zusätzliche Leistungen anzunehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen. Neben den Konstellationen des Katalogs in Art. 82 EG sind eine Reihe anderer absatzbezogener Verhaltensweisen als missbräuchlich angesehen worden. Darunter fallen etwa die vollständige Geschäftsverweigerung 120 und Verlustverkäufe, um Konkurrenten vom Markt zu verdrängen oder am Marktzutritt zu hindern (sog. predatory pricing).121 Als missbräuchlich können auch vertikale Maßnahmen gewertet werden, die darauf abzielen, Wettbewerber zu behindern. Das betrifft etwa Alleinbezugsvereinbarungen, die durch ein marktbeherrschendes Unternehmen auferlegt werden 122 oder Wettbewerbsverbote gegenüber Absatzmittlern.123 c)
Zwischenstaatlichkeitsklausel
Art. 82 EG ist nur anzuwenden, wenn die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung dazu führen kann, dass der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt wird. Hierbei gelten die gleichen Kriterien wie zur Aus117 EuGH, Urt. v. 14. 2. 1978 – Rs. 27/76, United Brands / Kommission („Chiquita Bananen“), Slg. 1978, 207, 295, Rn. 152/160. 118 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975 – verb. Rs. 40 bis 48, 50, 54, 111, 113 und 114/73, Suiker Unie u. a. / Kommission, Slg. 1975, 1663, 2004, Rn. 398/399. 119 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975 – verb. Rs. 40 bis 48, 50, 54, 111, 113 und 114/73, Suiker Unie u. a. / Kommission, Slg. 1975, 1663, 2021, Rn. 522–527; EuGH, Urt. v. 13. 2. 1979 – Rs. 85/76, HoffmannLaRoche / Kommission („Vitamine“), Slg. 1979, 461, 539 f., Rn. 89 f. 120 EuGH, Urt. v. 14. 2. 1978 – Rs. 27/76, United Brands / Kommission („Chiquita Bananen“), Slg. 1978, 207, 297, Rn. 182/183; EuGH, Urt. v. 22. 1. 1974 – Rs. verb. Rs. 6 und 7/73, Commercial Solvents / Kommission, Slg. 1974, 223, 252, Rn. 25. 121 EuG, Urt. v. 6. 10. 1994 – Rs. T-83/91, Tetra Pak / Kommission („Tetra Pak II“), Slg. 1994, II-755, 826–828, Rn. 147–152; bestätigt durch EuGH, Urt. v. 14. 11. 1996 – Rs. C-333/94, Tetra Pak / Kommission („Tetra Pak II“), Slg. 1996, I-5987, 6012 f., Rn. 41–45. 122 EuGH, Urt. v. 13. 2. 1979 – Rs. 85/76, Hoffmann-LaRoche / Kommission („Vitamine“), Slg. 1979, 461, 539, Rn. 89 f. 123 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975 – Verb. Rs. 40 bis 48, 50, 54, 111, 113 und 114/73, Suiker Unie u. a. / Kommission, Slg. 1975, 1663, 2016 f., Rn. 482/483.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
legung der Zwischenstaatlichkeitsklausel bei Art. 81 Abs. 1 EG, so dass es auf eine spürbare Beeinträchtigung des Handels ankommt. Die in Vorbereitung befindlichen Leitlinien der Kommission zur Konkretisierung der Zwischenstaatlichkeitsklausel werden auch auf Art. 82 EG anzuwenden sein.124 d)
Rechtsfolgen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung
Art. 82 EG verbietet es unmittelbar, eine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich auszunutzen. Dies stellt Art. 1 Abs. 3 VO 1/2003 klar. Die zivilrechtlichen Konsequenzen ergeben sich gänzlich aus den mitgliedstaatlichen Vorschriften. In der Regel sind Rechtgeschäfte nichtig, die nach Art. 82 EG verboten sind.125 Im Übrigen können Verstöße gegen das Missbrauchsverbot auch Unterlassungs-, Beseitigungs-, und Schadensersatzansprüche auslösen.126 Neben diese zivilrechtlichen Rechtsfolgen treten als Sanktionsinstrumente Zwangsgelder und Geldbußen, die die Kommission gemäß Art. 23 f. VO 1/2003 androhen und festsetzen darf.
II.
Kartell- und Vertragsrechtliche Regeln für besondere Absatzmittlungsverhältnisse
Das Gemeinschaftsrecht enthält mit der Handelsvertreterrichtlinie vertragsrechtliche Vorgaben lediglich für die Beziehung zwischen Unternehmer und Handelsvertreter. Daneben sind weitere branchenspezifische Rechtsakte wie die Finanzmarktrichtlinie und die Versicherungsvermittlerrichtlinie zu untersuchen. Außerdem werden im Folgenden die kartellrechtlichen Vorgaben für besondere Absatzmittlungsverhältnisse vorgestellt.
1.
Absatzmittlertypen
a)
Handelsvertreter
Der selbständige Handelsvertreter bildet den klassischen Typus eines Absatzmittlers. Wenngleich neue Formen der Absatzmittlung vordringen und die Zahl der Handelsvertretungen angesichts fortschreitender Kooperation und Konzentration in Industrie und Handel zurückgeht, nimmt doch der Handelsvertreter nach wie vor eine wichtige Rolle beim Absatz von Waren und Dienstleistungen ein. Dies wird daran deutlich, dass die Zahl der Handelsvertreter in der Europäischen Union auf
124 Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, ABl. C 101/07 v. 27. 4. 2004, S. 81–96. 125 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 86, Rn. 26–32; Bellamy/Child, European Community Law Of Competition, 5. Aufl. (2001), Rn. 10–029 ff. 126 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht (1997), Bd. I, Art. 86, Rn. 33–35; Bellamy/Child, European Community Law Of Competition, 5. Aufl. (2001), Rn. 10–054 ff.
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§ 5 Regelungsrahmen für Absatzmittlungsverhältnisse
500.000127 und in der Bundesrepublik Deutschland auf 60.000 geschätzt wird.128 Sie lenken etwa ein Drittel der Warenströme.129 (1)
Vertragsrechtliche Vorgaben
Der Handelsvertreter ist der einzige Absatzmittlertypus, der Gegenstand einer sekundärrechtlichen Harmonisierungsmaßnahme ist. Die Handelsvertreterrichtlinie regelt das vertragliche Verhältnis zwischen Handelsvertreter und Unternehmer.130 Art. 1 Abs. 2 HVertrRL definiert den Handelsvertreter als selbständigen Gewerbetreibenden, der ständig damit betraut ist, für eine andere Person den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen. Der Anwendungsbereich erfasst also lediglich die Vermittlung warenbezogener Geschäfte. Dass Gesellschaftsorgane nicht unter die Richtlinie fallen, stellt Art. 1 Abs. 3 Sps. 1 HVertrRL klar. Weitere Ausnahmen bzw. die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten zu Ausnahmeregelungen definiert Art. 2 HVertrRL. Dies betrifft vor allem Fälle, in denen die Interessen des Handelsvertreters weniger schwer wiegen, etwa wenn er unentgeltlich oder nebenberuflich handelt.131 In der Entscheidung Bellone hat der Gerichtshof klargestellt, dass die Schutzvorschriften für den Handelsvertreter unabhängig davon anzuwenden sind, ob dieser in ein Register eingetragen ist.132 Insbesondere folgerte der EuGH im Rückschluss aus Art. 13 Abs. 2 HVertrRL, dass die Wirksamkeit des Handelsvertretervertrages von keinen anderen Formerfordernissen als der Schriftform abhängig gemacht werden dürfe und dass es deshalb richtlinienwidrig sei, die Wirksamkeit des Vertrages davon abhängig zu machen, dass der Handelsvertreter eingetragen sei.133 Art. 3 und 4 HVertrRL regeln zwingend 134 die gegenseitigen Rechte und Pflichten im Handelsvertretervertrag. Beide Parteien trifft danach die Pflicht, sich nach den Geboten von Treu und Glauben zu verhalten.135 Kontrovers diskutiert wird, inwieweit der EuGH befugt ist, auf der Grundlage dieser Generalklausel einen autonom europaprivatrechtlichen Begriff von Treu und Glauben zu entwickeln.136 127 Westphal, Handelsvertreterrichtlinie (1994), S. 1. 128 Nieschlag/Dichtl/Hörschgen, Marketing, 19. Aufl. (2002), S. 909. 129 Fischer, ZVglRWiss 101 (2002), 143; Graf von Westphalen, in: Graf von Westphalen (Hrsg.), Handelsvertreterrecht (1995), S. 1. 130 Vgl. zur Auslegung der Richtlinienvorschriften jeweils m. w. N. Fischer, ZVglRWiss 101 (2002), 143 ff.; Fock, Handelsvertreter-Richtlinie (1999); Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 3.80, Rn. 1 ff. (S. 561 ff.); Westphal, Handelsvertreterrichtlinie (1994). 131 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 3.80, Rn. 10 (S. 567). 132 EuGH, Urt. v. 30. 4. 1998 – Rs. C-215/97, Barbara Bellone / Yokohama, Slg. 1998, I-2191, 2208, Rn. 13. 133 EuGH, Urt. v. 30. 4. 1998 – Rs. C-215/97, Barbara Bellone / Yokohama, Slg. 1998, I-2191, 2209, Rn. 14; bestätigt in EuGH, Urt. v. 13. 7. 2000 – Rs. C-456/98, Centrosteel, Slg. 2000, I-6007, 6008, Leitsatz 1 und 6026, Rn. 14; zust. Lange, JZ 1998, 1112, 1113 f.; abl. Fock, ZEuP 2000, 108, 114 f. 134 Art. 5 HVertrRL. 135 Art. 3 Abs. 1 2. Hs. und Art. 4 Abs. 1 HVertrRL. 136 Befürwortend Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 3.80, Rn. 8 (S. 566); Steindorff, in: Deutsches und europäisches Bank- und Börsenrecht (1994), S. 135, 141 f.; abl. Canaris,
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
Den Handelsvertreter trifft darüber hinaus nach Art. 3 Abs. 1 Hs. 1 HVertrRL eine Interessenwahrungspflicht (stricto sensu) bzw. eine Treuepflicht i. e. S. Sie verpflichtet ihn nicht nur, fremde Interessen mit einzubeziehen, sondern verbietet ihm, eigene Interessen zu berücksichtigen.137 Die Interessenwahrungspflicht ist als Korrelat dafür aufzufassen, dass der Handelsvertreter einen geldwerten Vorteil oder eine Einflussposition ohne Gegenleistung erhalten hat.138 Ausprägungen dieser Pflicht sind die Informationspflicht des Handelsvertreters 139 und das Weisungsrecht des Unternehmers.140 Auf der Interessenwahrungspflicht beruht auch das Wettbewerbsverbot für den Handelsvertreter für die Laufzeit des Vertrages. Wie zum Grundsatz von Treu und Glauben wird auch für das Wettbewerbsverbot kontrovers diskutiert, ob Inhalt und Reichweite Richtliniengegenstand sind und also der EuGH zuständig sei, dieses auszulegen und fortzubilden.141 Die Voraussetzungen des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots regelt Art. 20 HVertrRL. Die Art. 6–12 HVertrRL widmen sich der Vergütung des Handelsvertreters. Im Zentrum stehen dabei Regelungen darüber, wie der Provisionsanspruch entsteht oder wieder entfallen kann. Die Richtlinie konstruiert einen zweistufigen Entstehenstatbestand, bestehend aus Abschluss eines Geschäftes (Art. 7 HVertrRL) und einem weiteren Ereignis, typischerweise die Ausführung des Geschäftes durch den Unternehmer (vgl. Art. 10 HVertrRL). Für Fälle, bei denen keine Vermittlung vorliegt, können die Mitgliedstaaten zwischen der Bezirks- und der Alleinvertretung wählen. Nach beiden Modellen besteht für den Handelsvertreter auch ein Anspruch, wenn seine Tätigkeit nicht kausal für den Geschäftsabschluss war.142 Art. 8 und 9 HVertrRL beschäftigen sich mit Vertragsschlüssen, nachdem das Handelsvertreterverhältnis bereits beendet wurde. Hier entschied sich der Gemeinschaftsgesetzgeber dafür, anzuerkennen, dass das Bemühen des Handelsvertreters noch nachwirkt, ließ aber die Möglichkeit zu, den Erfolg zwischen altem und neuem Handelsvertreter aufzuteilen.143 Art. 11 Abs. 1 HVertrRL umreißt schließlich einen Erlöschenstatbestand für den Provisionsanspruch. Dieser entfällt, wenn feststeht, dass der vermittelte Vertrag nicht ausgeführt werden wird und dass dieses nicht vom Unternehmer zu vertreten ist.
Handelsrecht, 23. Aufl. (2000), § 17, Rn. 21; Fischer, ZVglRWiss 101 (2002), 143, 153 und 157; Franzen, Privatrechtsangleichung (1999), S. 544 ff. 137 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 3.80, Rn. 11 (S. 567). 138 Grundmann, Treuhandvertrag (1997), S. 166 ff. und 192 ff. 139 Art. 3 Abs. 2 lit. b HVertrRL. 140 Art. 3 Abs. 2 lit. c HVertrRL. 141 Für eine gemeinschaftsrechtliche Durchdringung der Materie Steindorff, in: Deutsches und europäisches Bank- und Börsenrecht (1994), S. 135, 141 f.; abl. Canaris, Handelsrecht, 23. Aufl. (2000), § 17, Rn. 47; Fischer, ZVglRWiss 101 (2002), 143, 152 und 157; Franzen, Privatrechtsangleichung (1999), S. 548 ff. 142 Näher zu den Tatbestandsvoraussetzungen des speziellen Provisionsanspruchs eines Bezirks- bzw. des Alleinvertreters in Art. 7 HVertrRL EuGH, Urt. v. 12. 12. 1996 – Rs. C-104/95, Kontogeorgas, Slg. 1996, I-6643, 6663, Rn. 14 ff. 143 Art. 9 Hs. 2 HVertrRL.
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§ 5 Regelungsrahmen für Absatzmittlungsverhältnisse
Nach Art. 14 HVertrRL gilt ein befristeter Vertrag als auf unbestimmte Zeit geschlossen, wenn er nach dem Ende seiner Laufzeit von beiden Parteien fortgesetzt wird. Die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung bei unbefristeten Verträgen und die Kündigungsfristen legt Art. 15 HVertrRL fest. Im Übrigen ist es den Mitgliedstaaten nach Art. 16 HVertrRL freigestellt, eine außerordentliche Kündigung für den Fall einer Pflichtverletzung oder den Eintritt außergewöhnlicher Umstände vorzusehen. Art. 17–19 HVertrRL regeln den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters. Die Richtlinie räumt den Mitgliedstaaten hierbei ein Wahlrecht zwischen dem deutschen Modell eines Ausgleichsanspruchs 144 und dem französischen Entschädigungsmodell 145 ein. Als Anspruchsvoraussetzungen für einen Ausgleich nach Art. 17 Abs. 2 HVertrRL sieht die Richtlinie einerseits einen fortgesetzten, der Handelsvertretertätigkeit entspringenden Vorteil für das Unternehmen und zweitens die „Billigkeit“ des Anspruchs voraus. Die Konkretisierung des Billigkeitselementes durch das Regelbeispiel der entgehenden Provisionen,146 aber auch der Wortlaut der Vorschrift 147 sprechen dafür, dass die Ausgleichsregelung auf europäischer Ebene als reine Kompensationsregel ohne soziale Ausgleichskomponente zu verstehen ist. In der Rechtssache Ingmar entschied der EuGH, dass der Ausgleichsanspruch nach Art. 17, 18 HVertrRL auch zwingend für einen Handelsvertreters gilt, der seine Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeübt hat, während der Unternehmer seinen Sitz in einem Drittland hat und der Vertrag deshalb vereinbarungsgemäß dem Recht dieses Drittstaates unterliegt.148 Der Gerichtshof stützte sich im Kern auf den Zweck der Richtlinie, einen unverfälschten Wettbewerb im Binnenmarkt zu etablieren. Dieses Ziel sei gefährdet, wenn Richtlinienstandards durch die Wahl des Statuts eines Drittlandes umgangen werden könnten.149 Die Richtlinie harmonisiert das Recht des Handelsvertreters grundsätzlich vollständig, d. h. die Mitgliedstaaten dürfen bei der Umsetzung vom Standard der Richtlinie weder zum Nachteil, noch zum Vorteil des Handelsvertreters abweichen.150 Dies folgt zum einen im Umkehrschluss daraus, dass einige Normen ausdrücklich Abweichungen durch die Mitgliedstaaten zulassen bzw. Umsetzungsalternativen enthalten.151 Zudem entspricht diese Auslegung auch dem Zweck der Richtlinie, Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, die dadurch entstehen, dass Unternehmen unterschiedliche Schutzniveaus für ihre Handelsvertreter sicherstellen müssen. Schließlich spricht auch für eine vollständige Harmonisierung, dass
144 Art. 17 Abs. 2 HVertrRL. 145 Art. 17 Abs. 3 HVertrRL. 146 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 3.80, Rn. 16 (S. 570). 147 Fischer, ZVglRWiss 101 (2002), 143, 155. 148 EuGH, Urt. v. 9. 11. 2000 – Rs. C-381/98, Ingmar, Slg. 2000, I-9305, 9306, Leitsatz. 149 EuGH, Urt. v. 9. 11. 2000 – Rs. C-381/98, Ingmar, Slg. 2000, I-9305, 9334 f., Rn. 21, 24–26. Das Urteil wurde kontrovers diskutiert. Der Argumentation des EuGH zust. etwa Jayme, IPrax 2001, 190 f.; Kindler, BB 2001, 11, 12; Reich, EuZW 2001, 51 f.; abl. etwa Freitag, EWiR 2000, 1061, 1062; Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45, 54 ff. 150 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 3.80, Rn. 6 (S. 565 f.); Westphal, Handelsvertreterrichtlinie (1994), S. 58–63. 151 Siehe Art. 2 Abs. 2, 12 Abs. 4, 13 Abs. 2, 15 Abs. 3, 16 und 20 Abs. 4 HVertrRL.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
die Kommission in ihrem ersten Entwurf noch eine generelle Mindestklausel vorgesehen hatte, wonach es den Mitgliedstaaten freistehen sollte, die Handelsvertreter stärker zu schützen. Diese wurde jedoch nicht in die Endfassung übernommen. Freilich gilt die vollständige Harmonisierung nur für den von der Richtlinie erfassten Bereich des Handelsvertreterrechts. Daneben sind ergänzende Mitgliedstaatliche Regelungen möglich und sogar notwendig. Nicht geregelt sind etwa die Vertretungsmacht des Handelsvertreters, Inkasso- und Delkrederevereinbarungen, Verjährung, Aufwendungsersatz, Sanktionen und damit das gesamte Leistungsstörungsrecht.152 (2)
Kartellrechtliche Vorgaben
Das europäische Kartellrecht reguliert Handelsvertreterverhältnisse nur eingeschränkt.153 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH wird das Handelsvertreterverhältnis in seiner typischen Ausgestaltung nicht vom Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG erfasst, so dass die in der Regel zu Lasten des Handelsvertreters vereinbarten Beschränkungen wie Wettbewerbsverbote, Gebietsschutzabreden, Kundenkreisbeschränkungen oder Preisvorgaben grundsätzlich keine kartellrechtliche Relevanz haben.154 Begründet wird dies damit, dass Handelsvertreter im Güteraustausch lediglich eine Hilfsfunktion ausüben. Sie treten auf dem Markt der zu vermittelnden Produkte nicht selbst als Anbieter oder Nachfrager auf, sondern handeln nur im Interesse anderer Anbieter oder Nachfrager, in deren Unternehmen sie eingegliedert sind. Damit fehlt es an einer eigenständigen Wettbewerbsstellung des Handelsvertreters, die durch vertragliche Einschränkungen seiner Handlungsfreiheit beeinträchtigt werden könnte.155 Tragendes Kriterium für die fehlende eigenständige Wettbewerbsstellung ist aus Sicht des Gerichtshofes, dass der Handelsvertreter in die Absatzorganisation des Unternehmers eingegliedert ist und den Weisungen des Unternehmers zu folgen hat. Beide Aspekte führen dazu, dass Handelsvertreter und Unternehmer aus kartellrechtlicher Sicht eine wirtschaftliche Einheit bilden. Ein Handelsvertreter ist demgegenüber dann nicht in ein Unternehmen eingegliedert, wenn er eine selbständige Dienstleistungstätigkeit ausübt und Geschäftsbeziehungen zu einer Viel-
152 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 3.80, Rn. 18 ff. (S. 571 f.). 153 Zum Kartellrecht des Handelsvertreters siehe etwa Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 46 ff.; Bellamy/Child, European Community Law Of Competition, 5. Aufl. (2001), 7–028 ff.; Emde, BB 2002, 949 ff.; Lange, EWS 2001, 18 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004), § 8, Rn. 36–45 (S. 232–236); Rittner, DB 1999, 2097 ff.; ders., DB 2000, 1211 ff.; Roniger, Das neue Vertriebskartellrecht (2000), E-49 ff.; Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO (2001), Rn. 147 ff.; Veelken, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht, Ergänzungsband (2000), GFVO, Rn. 27. 154 EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966 – verb. Rs. 56 u. 58/64, Consten und Grundig / Kommission, Slg. 1966, 321, Rn. 387 f.; EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966 – Rs. 32/65, Italien / Rat und Kommission, Slg. 1966, 457, 485; EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975 – verb. Rs. 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113 und 114/73, Suiker Unie u. a. / Kommission, Slg. 1975, 1663, 2016 f., Rn. 478–483. 155 Lange, EWS 2001, 18, 19.
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§ 5 Regelungsrahmen für Absatzmittlungsverhältnisse
zahl von Unternehmen unterhält.156 Zusammenfassend ist eine aus Sicht der EuGHRechtsprechung wettbewerbsrechtlich „neutrale“ Handelsvertretervereinbarung dadurch gekennzeichnet, dass der Handelsvertreter für fremde Rechnung handelt, keine finanziellen Risiken des Absatzes bzw. der Abwicklung der mit Dritten geschlossenen Verträge trägt und hauptsächlich für einen Geschäftsherren und ohne nennenswerte Eigenhändlerabschlüsse tätig ist.157 Diese Rechtsansicht entsprach im Wesentlichen auch die Handelsvertreter-Bekanntmachung der Kommission von 1962, die sog. Weihnachtsbekanntmachung,158 und die darauf aufbauende Praxis der Kommission. Mit der Vertikal-GVO und den dazugehörigen Leitlinien für vertikale Beschränkungen, deren Ziffern 12 ff. die Weihnachtsbekanntmachung ersetzt haben, zeichnet sich eine Akzentverschiebung durch die Kommission in Richtung einer restriktiveren Auffassung ab. Die Vertikal-GVO ist auf die Handelsvertretervereinbarungen anzuwenden, die unter Art. 81 Abs. 1 EG fallen.159 Dies wird teils der Definition des Käuferbegriffes in Art. 1 lit. g VertikalGVO,160 im Übrigen jedenfalls der Ziffer 13 der Leitlinien entnommen. Grundlegendes Kriterium dafür, das Kartellverbot anzuwenden, soll nach Ansicht der Kommission allein die Frage der Risikoverteilung bei der Tätigkeit sein, die dem Vermittler übertragen ist.161 Von einem sog. echten Handelsvertretervertrag, der nicht unter Art. 81 Abs. 1 EG fällt, sei damit nur auszugehen, wenn der Vertreter weder Risiken aus den abgeschlossenen bzw. vermittelten Verträgen, noch Risiken aus geschäftsspezifischen Investitionen zu tragen habe.162 Der nicht erschöpfende Katalog von Risiken in den Ziffern 16 und 17 der Leitlinien, die eine Anwendung des Kartellverbots auslösen sollen, ist sehr weit gehend. In der Praxis dürften insbesondere die Kriterien der Verpflichtung zur Investition in Absatzförderungsmaßnahmen 163 und der Investitionen in geschäftsspezifische Ausrüstungen etc., die nach Geschäftsaufgabe also „verloren“ sind,164 dazu führen, dass eine Vereinbarung von Art. 81 Abs. 1 EG erfasst werde. Ein neuer Aspekt der kartellrechtlichen Regeln für Handelsvertreterverhältnissen in der Vertikal-GVO und den Leitlinien ist die klare Differenzierung zwischen Wettbewerbsbeschränkungen auf dem Markt der durch den Handelsvertreter vermittel-
156 EuGH, Urt. v. 1. 10. 1987 – Rs. 311/85, VVR / Sociale Dienst van de Plaatselijke en Gewestelijke Overheidsdiensten („Flämisches Reisebüro“), Slg. 1987, 3801, 3828, Rn. 20. 157 Roniger, Das neue Vertriebskartellrecht (2000), E-54. 158 Bekanntmachung der Kommission vom 24. 12. 1962 über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern, ABl. 1962 Nr. 139/2921. 159 Veelken, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht, Ergänzungsband (2000), GFVO, Rn. 27; zweifelnd Rittner, DB 2000, 1211. 160 Emde, BB 2002, 949; Pukall, NJW 2000, 1375, 1377; Roniger, Das neue Vertriebskartellrecht (2000), Art. 1, Rn. 22; Veelken, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht, Ergänzungsband (2000), GFVO, Rn. 27; krit. Lange, EWS 2001, 18, 22 f. 161 Leitlinien VertikalGVO, S. 4, Rn. 13. 162 Leitlinien VertikalGVO, S. 5, Rn. 14. 163 Krit. dazu Lange, EWS 2001, 18, 21; Roniger, Das neue Vertriebskartellrecht (2000), E-58. 164 Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 50.
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ten Produkte einerseits und dem Markt für die Vermittlerdienste andererseits.165 Beschränkungen, die dem Vertreter hinsichtlich der vermittelten Produkte auferlegt werden, typischerweise also Gebiets- und Kundenbeschränkungen oder Preisregelungen, werden im Falle echter Handelsvertreterverträge – die also die eben diskutierten Kriterien erfüllen – nicht von Art. 81 Abs. 1 EG erfasst. Diese Einschränkungen des Wettbewerbs werden als unerlässliches Korrelat zur vollständigen Übernahme aller Risiken durch den Unternehmer angesehen.166 Anderes kann mit Blick auf den Markt für Vermittlerdienste gelten, vor allem für vereinbarte Wettbewerbsverbote. Diese können auf Grund ihrer marktabschottenden Wirkung ohne weiteres unter Art. 81 Abs. 1 EG fallen.167 Gleichwohl können diese Klauseln nach der Vertikal-GVO freigestellt sein, wobei aber insbesondere die Regelung des Art. 5 lit. a VertikalGVO der Freistellung von Wettbewerbsbeschränkungen Grenzen setzt.168 Offen bleibt, inwieweit der EuGH bereit sein wird, die von der Kommission betriebene Neuausrichtung bei der Behandlung von Wettbewerbsbeschränkungen in Handelsvertretervereinbarungen mitzutragen.169 Fraglich ist dies insbesondere für den Aspekt der Eingliederung des Handelsvertreters in die Absatzorganisation des Unternehmens. Der Gerichtshof sah hierin bislang das zentrale Kriterium für die Nichtanwendung des Art. 81 Abs. 1 EG auf Wettbewerbsbeschränkungen in Handelsvertretervereinbarungen. Demgegenüber stellt die Kommission einzig auf die Risikoverteilung ab; nach Ziffer 13 der Leitlinien soll es irrelevant sein, ob ein Vermittler für ein oder mehrere Unternehmen tätig wird. b)
Vertragshändler
Ein Vertragshändler ist als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut, die Produkte eines anderen Unternehmers im eigenen Namen und für eigene Rechnung zu vertreiben. Im Unterschied zu einem gewöhnlichen Händler ist er dazu verpflichtet, die Interessen seines Vertragspartners zu wahren. Ihn trifft eine Absatzförderungspflicht sowie typischerweise die Pflicht, im Geschäftsverkehr das Herstellerzeichen neben seiner eigenen Firma herauszustellen.170 Der Aufbau von Vertragshändlernetzen hat sich als probates Mittel erwiesen, um Auslandsmärkte
165 Veelken, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht, Ergänzungsband (2000), GFVO, Rn. 27. 166 Vgl. Leitlinien VertikalGVO, S. 6, Rn. 18. 167 Vgl. Leitlinien VertikalGVO, S. 6, Rn. 19. Krit. dazu Rittner, DB 1999, 2097, 2100; ders., DB 2000, 1211. 168 Vgl. Veelken, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht, Ergänzungsband (2000), GFVO, Rn. 27. 169 Zweifelnd Bechtold, EWS 2001, 49, 53; Polley/Seeliger, WRP 2000, 1203, 1208; Schultze/Pautke/ Wagener, Vertikal-GVO (2001), Rn. 152. 170 Zum Begriff des Vertragshändlers Canaris, Handelsrecht, 23. Aufl. (2000), § 19, Rn. 4 ff.; Ebenroth, Absatzmittlungsverträge (1980), S. 32 ff.; Manderla, in: Martinek/Semler/Habermeier (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2. Aufl. (2003), § 14, Rn. 1 ff.; Martinek, Vertriebsrecht (1992), Rn. 29; Ulmer, Der Vertragshändler (1969), S. 206.
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§ 5 Regelungsrahmen für Absatzmittlungsverhältnisse
zu erschließen. Zur Attraktivität von Vertragshändlernetzen trägt ebenfalls bei, dass gleichzeitig der Kapitaleinsatz für den Lieferanten relativ gering ist.171 Für Vertragshändler existieren keine besonderen vertragsrechtlichen Vorgaben auf europäischer Ebene. Dies wird damit erklärt, dass mit Ausnahme Belgiens in keinem Mitgliedstaat spezifische Regeln für derartige Vertragsverhältnisse bestehen.172 Kartellrechtliche Normen knüpfen ebenfalls nicht spezifisch an den Vertragshändlervertrag als Absatzmittlungsverhältnis an. Jedoch sind besonders zwei Formen der vertraglichen Ausgestaltung des Absatzes über Vertragshändler in das Visier des europäischen Kartellrechts geraten, nämlich die Vereinbarung von Alleinvertriebsverträgen und der Aufbau selektiver Vertriebssysteme. Da diese Vereinbarungen indes nicht spezifisch mit Vertragshändlerverträgen verknüpft sind, werden sie bei den allgemeinen kartellrechtlichen Regelungen für vertikale Vereinbarungen erörtert.173 c)
Franchisenehmer
Der Absatz über ein System von Franchisenehmern 174 ist dadurch gekennzeichnet, dass mehrere selbständige, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung handelnde Unternehmen einheitlich am Markt auftreten. Üblicherweise stellt der Franchisegeber den Franchisenehmern im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses vor allem Know-how in Form von Konzepten für Beschaffung, Absatz und Organisation, aber auch Nutzungs- und Schutzrechte zur Verfügung. Im Übrigen ist er zur ständigen Unterstützung der Franchisenehmer verpflichtet. Im Gegenzug muss sich der Franchisenehmer einem Kontroll- und Weisungssystem unterwerfen, welches sichern soll, dass alle Franchisenehmer einheitlich und systemkonform auftreten. In der unternehmerischen Praxis sind Franchisesysteme äußerst vielgestaltig und umfassen neben den hier relevanten absatzbezogenen Franchisesystemen etwa auch das Hersteller-Franchising.175 Auf gemeinschaftsrechtlicher Eben bestehen keine vertragsrechtliche Vorgaben für das Franchising. Grundlegend für die kartellrechtliche Beurteilung von Franchiseverträgen sind die Aussagen des Gerichtshofs in der Rechtssache Pronuptia.176 Der EuGH hob in der Entscheidung die wettbewerbsfördernden Effekte von Franchise-
171 Ebenroth, Absatzmittlungsverträge (1980), S. 136. 172 Geist, in: Koppensteiner (Hrsg.), Österreichisches und europäisches Wirtschaftsprivatrecht (1997), Teil 8/I, S. 220. 173 Siehe zur Bewertung von Alleinvertriebsvereinbarungen S. 378 und des selektiven Vertriebs S. 380. 174 Vgl. zum Begriff des Franchisenehmers Canaris, Handelsrecht, 23. Aufl. (2000), § 20, Rn. 10 ff. Allgemein zu Entwicklung und Bedeutung von Franchiseverträgen siehe nur Martinek, in: Martinek/Semler/Habermeier (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2. Aufl. (2003),§ 18, Rn. 1 ff. 175 Umfassend zur Typologie des Franchising Martinek, in: Martinek/Semler/Habermeier (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2. Aufl. (2003), § 4, Rn. 49 ff. 176 EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986 – Rs. 161/84, Pronuptia, Slg. 1986, 353; zu den dort vom EuGH aufgestellten Grundsätzen Bellamy/Child, European Community Law Of Competition, 5. Auflage (2001), 7–166 ff.
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Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
systemen hervor.177 Diese sah er darin, dass die Produktpalette bereichert werde und vor allem auch kleinen, unabhängigen Unternehmern die Vermarktungsvorteile der einheitlichen Erscheinung eines Produktes eröffnet werde. Der EuGH hob hervor, dass ein Franchisesystem durch wenigstens ein Mindestmaß an Wettbewerb auch zwischen den Franchisenehmern gekennzeichnet sei, was eine wettbewerbsrechtlich positivere Situation darstelle als die Vermarktung durch ein Großunternehmen. Vor diesem Hintergrund ging der EuGH davon aus, dass Vereinbarungen dann nicht wettbewerbsbeschränkend i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG seien, wenn sie unerlässlich sind, um zu verhindern, dass das Know-how des Franchisegebers und seine sonst gewährte Unterstützung nicht den Konkurrenten zu Gute kommt 178 oder erforderlich sind, um das einheitliche Erscheinungsbild aufrechtzuerhalten.179 Als wettbewerbsbeschränkend qualifizierte das Gericht dagegen etwa Ausschließlichkeitsrechte des Franchisenehmers, seine Bindung an ein vereinbartes Geschäftslokal und Preisabsprachen.180 In der Folge kam es zu einer Reihe von Kommissionsentscheidungen über Anträge auf Einzelfreistellung. Schließlich beschloss die Kommission 1988 eine Gruppenfreistellungsverordnung für Franchiseverträge, die später durch die Vertikal-GVO abgelöst wurde. Letztere enthält keine spezifischen Regelungen über Vereinbarungen in Franchise-Vertragssystemen. Mithin sind im Anwendungsbereich der Vertikal-GVO sämtliche wettbewerbsbeschränkende Klauseln in Franchiseverträgen freigestellt, sofern nicht eine Kernbeschränkung nach Art. 4 VertikalGVO oder eine „rote“ Klausel nach Art. 5 VertikalGVO vereinbart wird.181 Grenzen werden der Freistellung zudem noch durch Art. 2 Abs. 3 VertikalGVO gesetzt. Danach findet die Vertikal-GVO keine Anwendung auf Bestimmungen, die die Übertragung von geistigen Eigentumsrechten zum Hauptgegenstand haben. Eine Freistellung kommt nur in Betracht, wenn sich die Vereinbarungen zur Übertragung von geistigen Eigentumsrechten unmittelbar auf die Nutzung, den Verkauf oder den Weiterverkauf der Waren oder Dienstleistungen durch den Käufer oder seine Kunden beziehen. Diese Voraussetzungen werden typischerweise bei Lizenzbestimmungen in Franchisevereinbarungen erfüllt sein.182 Für den Absatz durch Franchisesysteme im Kfz-Sektor gelten vorrangig die Bestimmungen der Kfz-GVO.183 d)
Kommissionsagent und Kommissionär
Kommissionär ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender damit betraut wird, für Rechnung eines anderen Unternehmens Geschäfte im eigenen Namen abzuschlie-
177 EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986 – Rs. 161/84, Pronuptia, Slg. 1986, 353, 381, Rn. 15. 178 EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986 – Rs. 161/84, Pronuptia, Slg. 1986, 353, 381 f., Rn. 16. 179 EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986 – Rs. 161/84, Pronuptia, Slg. 1986, 353, 382 f., Rn. 17–22. 180 EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986 – Rs. 161/84, Pronuptia, Slg. 1986, 353, 383 f., Rn. 23 f. 181 Ausführlich zu zulässigen Beschränkungen in Franchisesystemen Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO (2001), Rn. 504 ff. 182 Vgl. Leitlinien VertikalGVO, S. 9, Rn. 35 und S. 39 f., Rn. 200. 183 Dies folgt unmittelbar aus dem in Art. 2 Abs. 5 VertikalGVO verankerten Subsidiaritätsprinzip; a. A. Roniger, Das neue Vertriebskartellrecht (2000), Art. 2, Rn. 29.
152
§ 5 Regelungsrahmen für Absatzmittlungsverhältnisse
ßen.184 Kommissionäre werden im Allgemeinen mit einer umsatzabhängigen Kommission oder Provision vergütet. Besonders im Wertpapiergeschäft, im Handel mit Agrarprodukten und im Außenhandel ist der Vertrieb über Kommissionäre anzutreffen.185 Der Kommissionsagent ist ein von der Praxis des Wirtschaftslebens entwickelter Absatzmittlertyp, bei dem Elemente des gewöhnlichen Kommissionärs mit solchen des Handelsvertreters verbunden werden. Im Gegensatz zum typischen Kommissionär ist ein Kommissionsagent ständig damit betraut, im eigenen Namen auf Rechnung des Kommittenten Geschäfte abzuschließen.186 Die Handelsvertreterrichtlinie erfasst nicht Kommissionsagenten und Kommissionäre, denn Art. 1 Abs. 2 HVertrRL verlangt ausdrücklich ein Handeln im fremden Namen, damit die Richtlinie anzuwenden ist. Somit bestehen auf Gemeinschaftsebene keine besonderen vertragsrechtlichen Vorgaben für die Ausgestaltung von Kommissionsagenturverträgen und Verträgen mit Kommissionären. Kartellrechtlich sind die Vereinbarungen mit Kommissionsagenten und Kommissionären gleich den Handelsvertretervereinbarungen zu behandeln. Dies folgt aus Rn. 12 der Leitlinien für vertikale Beschränkungen, wonach die Leitlinien über Handelsvertreter auch für Vermittler gelten, die im eigenen Namen handeln.187 Klauseln, die die Handlungsfreiheit dieser Absatzmittler einengen, werden daher im Regelfall nicht als wettbewerbsbeschränkend und von Art. 81 Abs. 1 EG erfasst angesehen, da in ihnen ein notwendiges Korrelat dazu gesehen wird, dass der Unternehmer das wirtschaftliche Risiko trägt. Im Übrigen kommt eine Freistellung nach der Vertikal-GVO in Betracht.
2.
Besondere Branchen
a)
Vertrieb von Kraftfahrzeugen
Die Gruppenfreistellungsverordnung für Kfz-Vertriebsvereinbarungen stellt Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen frei, die den Vertrieb von Kraftfahrzeugen regeln und behandelt annexweise auch die Freistellung von Abreden zum Vertrieb von Ersatzteilen und zum Kundendienst.188 Die Kfz-GVO löste die ebenfalls branchenspezifisch erlassene GVO Nr. 1475/95 ab. Die Kommission räumte im Rahmen des Konsultationsprozesses vor Erlass der Verordnung ein, dass die Vorgängerverordnung ihre wesentlichen Ziele nicht erreichen konnte, nämlich den Wettbewerb innerhalb und zwischen den Vertriebsnetzen zu stärken, die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Händler gegenüber den Herstellern zu fördern so-
184 Canaris, Handelsrecht, 23. Aufl. (2000), § 32, Rn. 1, für das deutsche Recht folgt dies aus § 383 Abs. 1 HGB. 185 Nieschlag/Dichtl/Hörschgen, Marketing, 19. Aufl. (2002), S. 910. 186 Canaris, Handelsrecht, 23. Aufl. (2000), § 18, Rn. 2, vgl. auch Flohr, in: Martinek/Semler/Habermeier (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2. Aufl. (2003), § 23, Rn. 4. 187 Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO (2001), Rn. 153; Veelken, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht, Ergänzungsband (2000), GFVO, Rn. 27, Fn. 113. 188 Näher zu den einzelnen Regelungen der Kfz-GVO unten S. 397 ff.
153
Teil 1: Bestandsaufnahme von Struktur und Regelungen
wie unabhängigen Reparaturwerkstätten den Marktzugang zu erleichtern.189 Die Kommission musste erkennen, dass Hersteller sich nicht an die Vorgaben der GVO hielten. Dies belegen sowohl die erfolgreichen Verfahren gegen VW, Daimler Chrysler und Opel, denen es zeitweise gelungen war, Absatzgebiete innerhalb des Binnenmarktes voneinander abzuschotten, als auch die große Zahl von Verbraucherbeschwerden.190 Da die Kommission gleichzeitig die Regelungen der sektorübergreifend geltenden Vertikal-GVO als nicht geeignet ansah, um die spezifischen Probleme des Kfz-Vertriebs und des Kundendienstes angemessen zu lösen, entschied sie sich dafür, erneut eine branchenspezifische, jedoch regelungstechnisch und inhaltlich völlig neu gestaltete GVO zu konzipieren. Die Kfz-GVO stützt sich auf die Ermächtigungs-Verordnung 19/65/EWG. Nach der Einführung des sog. Legalausnahmesystems durch die Kartellverordnung 1/2003 wirkt die Kfz-GVO wie alle Gruppenfreistellungen für die Ausnahme vom Kartellverbot des Art. 81 Abs. 3 EG lediglich deklaratorisch. Sie ist trotzdem von praktischer Bedeutung, weil sie den Vertragspartnern Rechtssicherheit gewährleistet. Die Regelungstechnik der Kfz-GVO folgt der Vertikal-GVO. Vertikale Beschränkungen sind grundsätzlich bis zu einem bestimmten Marktanteil der Vertragspartner und soweit die allgemeinen Voraussetzungen nach Art. 3 KfzGVO erfüllt sind, freigestellt, soweit sie keine Kernbeschränkungen nach Art. 4 KfzGVO enthalten. Ein Verstoß gegen die „Besonderen Voraussetzungen“ nach Art. 5 KfzGVO führt zur Unwirksamkeit der entsprechenden Klausel, lässt aber die Freistellung im Übrigen unberührt. Da die sog. weißen Klauseln weggefallen sind, erhalten die Partner von Vertriebsverträgen eine größere Freiheit für die Ausgestaltung. Dies gilt jedenfalls unterhalb der jeweiligen Marktanteilsschwellen und jenseits der ausdrücklich vorgegebenen Bedingungen und verbotenen Kernbeschränkungen. b)
Wertpapierhändler
Für den Wertpapierhandel ist zunächst festzuhalten, dass die Handelsvertreterrichtlinie keine Anwendung findet, da nach Art. 1 Abs. 2 HVertrRL die Richtlinie nur für warenbezogene Geschäfte gilt. Im Übrigen wird das Recht des Wertpapierhandels gemeinschaftsrechtlich durch die Finanzmarktrichtlinie reguliert. Diese Richtlinie enthält einerseits aufsichtsrechtliche Regeln, vor allem Bedingungen für den Zugang zur Tätigkeit des Wertpapierhandels in Art. 5 ff. FinMRL. Andererseits beinhaltet die Richtlinie auch vertragsrechtliche Bestimmungen, etwa in Art. 19 FinMRL. Die dort geregelten Wohlverhaltensregeln, insbesondere auch Interessenwahrungs- und Sorgfaltspflichten, gelten für das vertragliche Verhältnis zwischen Wertpapierhändler und Kunden. Reguliert ist hier also nicht das Absatzmittlungsverhältnis.191 Für den Wertpapierhandel bestehen somit keine spezifischen gemein189 Pfeffer, NJW 2002, 2910. 190 Siehe die Erläuterungen zum Entwurf der GVO, ABl. C 67 v. 16. 3. 2002, S. 13. 191 Diese Regeln sind für den Bereich des Absatzrechts im hier verstandenen Sinne gleichwohl relevant, da sie auch Informationspflichten des Wertpapierhändlers gegenüber den Kunden enthalten, siehe oben S. 104.
154
§ 5 Regelungsrahmen für Absatzmittlungsverhältnisse
schaftsrechtlichen Regelungen zur Ausgestaltung des Absatzmittlungsverhältnisses. c)
Versicherungsvermittler
Für die Versicherungsvermittlung gilt ähnliches wie für den Wertpapierhandel: Da die Handelsvertreterrichtlinie ausdrücklich auf die Vermittlung von Warengeschäften beschränkt ist, gilt sie nicht für die Versicherungsvermittlung. Berufliche Anforderungen und eine Eintragungspflicht für Versicherungsvermittler etablieren Art. 3 und 4 VersVermRL. Absatzbezogen sind daneben vor allem die Informationspflichten des Versicherungsvermittlers gegenüber seinen Kunden in Art. 11 und 12 VersVermRL. Diese Pflichten betreffen jedoch nicht das vertragliche Verhältnis zwischen Versicherung und Vermittler, sondern das Verhältnis des Vermittlers zum potenziellen Versicherungsnehmer, so dass hierin keine Vorgaben für das Absatzmittlungsverhältnis zu sehen sind. Diese Normen sind gleichwohl für das Europäische Absatzrecht relevant, da sie Anforderungen und Pflichten des Versicherungsmittlers als Informationsintermediär regeln.192 Auch die Gruppenfreistellungsverordnung für den Versicherungssektor 193 erfasst nicht den Vertrieb von Versicherungsdienstleistungen, sondern betrifft nur horizontale Vereinbarungen zwischen Versicherern. Im Ergebnis bestehen deshalb auch für die Versicherungsvermittlung keine spezifischen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.
192 Dazu unten S.305 ff. 193 Verordnung (EG) Nr. 358/2003 der Kommission vom 27. Februar 2003 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Versicherungssektor, ABl. L 53 v. 28. 2. 2003, S. 8–16.
155
Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen § 6 Denkbare Leitideen für die Regelung des Absatzverhältnisses I.
Kompensation ungleicher Machtverteilung
1.
Ungleiche Marktmacht als Ratio für Verbraucherschutz
Nach traditioneller Theorie sind die Verbraucher, also die privaten Abnehmer, zu schützen, um ein strukturelles Marktungleichgewicht gegenüber den Anbietern auszugleichen. Zum Schutz der Verbraucher sei es deshalb gerechtfertig, die Privatautonomie einzuschränken. Dieser Ansatz – auch als „Ausbeutungstheorie“ bezeichnet – geht auf die Lehre vom Monopolkapitalismus der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts zurück.1 Er geht davon aus, dass der Verbraucher machtlos den Strategien der mächtigen Unternehmen gegenüberstehe. Die Disparität in Größe und Ressourcen zwischen den Unternehmen und den Verbrauchern, so nahm man an, führe zu einem Ungleichgewicht an Verhandlungsstärke. Deshalb könnten Anbieter gegenüber den Verbrauchern Konditionen durchsetzen, die deren Interessen widersprechen. Dem Verbraucher verbleibe nicht nur keine Wahl, als die standardisierten Produkte zu den einseitig festgelegten Konditionen zu akzeptieren, er sei auch schutzlos den Werbe- und Überrumpelungsstrategien der Produzenten ausgesetzt. Noch in den 1960er und 1970er Jahren bildete diese Idee den Kern der ökonomischen Theorie zur Regulierung des Absatzverhältnisses.2 Dieses Leitbild geht darauf zurück, dass in jener Zeit Untersuchungen über Konzentrationsprozesse in der Wirtschaft und darüber, wie die Marktstruktur das Preisniveau beeinflusst, die Forschung über Marktversagen und wirtschaftspolitische Möglichkeiten einzugreifen, beherrschten. Deshalb lag es nahe, auch bei der Analyse der Variablen einzelner Transaktionen das Konzept der Marktmacht (market power), dort verstanden als Verhandlungsmacht (bargaining power), als einen fruchtbaren Erklärungsansatz anzusehen. Dies führte zu der These, dass die Ursache nachteiliger Transaktionsvariablen wie etwa der gelieferten Produktqualität oder der Vertragskonditionen, darin zu sehen sei, dass die Anbieter ihre stärkere Verhandlungsmacht ausnutzen können. Davon ausgehend wurden zunächst auch aus ökonomischer Sicht Konzepte der Wettbewerbspolitik, etwa die Inhaltskontrolle von Verträgen, als geeignet angesehen, um das Absatzverhältnis zu regulieren. 1 Schäfer, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung (2000), S. 559 f. 2 Hadfield/Howse/Trebilcock, 21 JCP (1998), 131, 133 f.; zu Ansätzen in dieser Zeit für eine philosophische Fundierung des Verbraucherschutzes Adomeit, NJW 2004, 579, 579–580.
156
§ 6 Denkbare Leitideen für die Regelung des Absatzverhältnisses
Diese Konzepte griffen Rechtsprechung und juristische Literatur 3 zum Verbraucherschutz auf. Sie wirken dort bis heute fort: Traditionell wird die Auffassung vertreten, dass ungleiche Marktmacht, ungleiche Verhandlungsstärke oder noch allgemeiner „die wirtschaftliche Unterlegenheit“ die Ursache dafür seien, dass Verbraucher von Unternehmen unangemessen benachteiligt werden. Auf Grund der „take it or leave it“-Situation sei der Verbraucher gezwungen, Vertragsbestimmungen zu akzeptieren, die aus seiner Sicht unfair sind. Der Verbraucher stehe einem Anbieter gegenüber, der auf das einzelne Geschäft nicht angewiesen sei und der sich auch der Tatsache bewusst sei, dass sich seine Konkurrenten in gleicher Weise verhielten wie er. Diese Marktkonstellation komme einer monopolistischen Struktur gleich und verlange deshalb nach regulierendem Eingreifen, insbesondere nach einer Inhaltskontrolle von Verträgen. Höchstrichterliche Entscheidungen verschiedener Rechtsordnungen belegen, dass auch die Rechtsprechung sich des Konzepts ungleicher Marktmacht bedient hat, um zu begründen, warum regulierend in das Absatzverhältnis einzugreifen sei. Grundlegend für das US-amerikanische Recht war das Urteil in der Rechtssache Henningsen v. Bloomfield Motors, Inc.,4 in der das Gericht einer Freizeichnungsklausel in einem Standardvertrag die Durchsetzung verweigerte: “The gross inequality of bargaining position occupied by the consumer in the automobile industry is thus apparent. There is no competition among the car makers in the area of the express warranty. Where can the buyer go to negotiate for better protection? Such control and limitation of his remedy are inimical to the public welfare and, at the very least, call for great care by the courts to avoid injustice through application of strict common-law principles of freedom of contract”5
Paradigmatisch und vielfach zitiert sind auch die Aussagen Lord Diplocks in der Entscheidung A Schroeder Music Publishing Co Ltd v. Macauly 6: “The terms of this kind of standard form of contract have not been the subject of negotiation between the parties to it [...] They have been dictated by the party whose bargaining power [...] enables him to say: ‘If you want these goods or services at all, these are the only terms on which they are obtainable. Take it or leave it.’”
3 Grundlegend Kessler, 43 Colum. L. Rev. (1943), 629, 632: „Standard contracts are typically used by enterprises with strong bargaining power. The weaker party, in need of the goods or services, is frequently not in a position to shop around for better terms, either because the author of the standard contract has a monopoly (natural or artificial) or because all competitors use the same clauses. His contractual intention is but a subjection more or less voluntary to terms dictated by the stronger party, terms whose consequences are often understood only in a vague way, if at all. Thus, standardized contracts are frequently contracts of adhesion; they are à prendre ou à laisser“. Paradigmatisch aus dem neueren Schrifttum etwa Bourgoignie, Éléments pour une théorie du droit de la consommation (1988), S. 72 f., 128 f.; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente (1994), S. 59–63 und mit Bezug zum europäischen Kontext die Nachweise in Fn. 8. 4 32 N. J. 358, 161 A.2d 69 (1960). 5 Ebd., 391, 161 A.2d 87. 6 [1974] 3 All ER 616, House of Lords, zit. nach Beale/Bishop/Furmston (Hrsg.), Contract – Cases and Materials, 4. Aufl. (2001), S. 950.
157
Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
Der Bundesgerichtshof urteilte in der Konsumentenkreditentscheidung, dass ein Kreditvertrag wegen Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 BGB nichtig sei, „wenn zwischen den Leistungen des Darlehensgebers und den durch einseitige Vertragsgestaltung festgelegten Gegenleistungen des Darlehensnehmers ein auffälliges Mißverhältnis besteht und der Darlehensgeber die wirtschaftlich schwächere Lage des Darlehensnehmers, dessen Unterlegenheit, bei der Festlegung der Darlehensbedingungen bewußt zu seinem Vorteil ausnutzt (oder) sich zumindest leichtfertig der Ansicht verschließt, daß sich der Darlehensnehmer nur auf Grund seiner wirtschaftlich schwächeren Lage auf die ihn beschwerenden Darlehensbedingungen einläßt.“ 7
Auch in der Judikatur des EuGH und bei Kommentatoren des europäischen Privatrechts 8 sind Tendenzen festzustellen, die ungleiche Marktmacht zwischen Anbietern und Abnehmern bzw. eine allgemein wirtschaftlich schwächere Position des Verbrauchers als Ratio des Verbraucherrechts anzusehen. Der Gerichtshof etwa hat im Hinblick auf die Klauselrichtlinie ausgeführt: „so ist festzustellen, daß das durch die Richtlinie eingeführte Schutzsystem davon ausgeht, daß der Verbraucher sich gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet [...]“.9
Bereits vorher hatte der EuGH zum Verbraucherbegriff geurteilt, dass der Verbraucher in seiner Eigenschaft als der „wirtschaftlich schwächere Vertragspartner“ 10 durch besondere Vorschriften geschützt wird. Schließlich spricht auch die Kommission in ihrer „Verbraucherpolitischen Strategie 2002–2006“ davon, dass es Ziel verbraucherschützender Maßnahmen sein müsse, 7 BGHZ 80, 153, 160 f. Nicht in diese Reihe von Urteilen fällt die Bürgschaftsentscheidung des BVerfG, in der das Gericht zwar die Formel von der „strukturell ungleichen Verhandlungsstärke“ verwendete (E 89, 214, 234), in der Sache aber auf mangelnde Aufklärung durch die Bankangestellten und damit auf Informationsprobleme abstellte (E 89, 214, 235), dazu Canaris, AcP 200 (2000), 273, 296; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 266– 270; ders., in: Schlechtriem (Hrsg.), Wandlungen des Schuldrechts (2002), 97, 115; Hommelhoff, Verbraucherschutz im System des deutschen und europäischen Privatrechts (1996), S. 35 f. 8 Mit Bezug auf das Europäische Verbraucherrecht Reich, Europäisches Verbraucherrecht, 3. Aufl. (1996), S. 31, der die Notwendigkeit des Verbraucherschutzes mit der „wirtschaftlich schwachen Stellung des Verbrauchers“ einerseits und der „Übermacht der Anbieter“ andererseits begründet; Staudenmayer, in: Schulte-Nölke/Schulze (Hrsg.), Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte (1999), S. 63, 67, nach dem der „entscheidende Grund des Verbraucherschutzrechts“ das „strukturelle Ungleichgewicht des Verbrauchers gegenüber der Angebotsseite“ sei, dass sich darin ausdrücke, dass der Verbraucher die in der Regel „wirtschaftlich ungleich schwächere und rechtlich unerfahrene Vertragspartei“ sei; siehe weiter die Einschätzung von Tjittes, in: Beale/Hartkamp/Kötz/Tallon (Hrsg.), Contract Law (2002), S. 527: „Given the inferior bargaining power of the consumer, the courts are inclined to redress the contractual imbalance by protecting the consumer against onerous clauses“; Weatherill, EC Consumer Law and Policy (1997), S. 60: „imbalance in economic power“; siehe allgemein zum Ansatz der ungleichen Verhandlungsmacht zur Regulierung des Verbraucherrechts Beale, 6 Oxf. J. Leg. Stud. (1986), 123–136; DaunerLieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 109–145; Thal, 8 Oxf. J. Leg. Stud. (1988), 17–33. 9 EuGH, Urt. v. 27. 6. 2000 – Rs. C-240/98 und C-244/98, Océano Grupo Editorial und Salvat Editores, Slg. 2000, I-4941, 4973, Rn. 25 10 EuGH, Urt. v. 3. 7. 1997 – Rs. C-269/95, Benincasa, Slg. 1997, I-3767, 3795, Rn. 17; EuGH, Urt. v. 19. 1. 1993 – Rs. C-89/91, Shearson Lehman Hutton, Slg. 1993, I-139, 187, Rn. 18; EuGH, Urt. v. 11. 7. 2002 – Rs. C-96/00, Gabriel, Slg. 2002, I-6367, 6399, Rn. 39 und 6404, Rn. 58.
158
§ 6 Denkbare Leitideen für die Regelung des Absatzverhältnisses „strukturelle Ungleichgewichte zwischen den einzelnen Verbrauchern und den Unternehmen auszugleichen, die sich aus der wirtschaftlich schwächeren Position der Verbraucher [...] ergeben“.11
2.
Der Wettbewerb als Ausgleichsmechanismus
Die beschriebene traditionelle Ratio zur Begründung des Schutzes privater Abnehmer übersieht zunächst die Rolle des Wettbewerbs zwischen den Anbietern. Auch wenn der einzelne Anbieter in vielen Fällen tatsächlich über mehr Ressourcen verfügt, sagt dies doch nichts über dessen wirtschaftliche Macht am Markt aus. Kein Anbieter kann es sich leisten, Produkte anzubieten, die nicht den Bedürfnissen seiner Kunden entsprechen, so lange er diesbezüglich dem Wettbewerbsdruck seiner Konkurrenz ausgesetzt ist. Dies gilt für den global agierenden Automobilkonzern genauso wie für den Gebrauchtwagenhändler an der nächsten Straßenkreuzung 12 und für die Produktqualität genauso wie für die angebotenen Vertragsbedingungen. Auf kompetitiven Märkten ist der Anbieter auf die Nachfrage der Verbraucher mindestens genauso angewiesen wie diese auf die Produkte des Anbieters.13 In vielen Konstellationen wird man sogar annehmen können, dass Anbieter dringender auf einen Vertragsschluss angewiesen sind, da Abnehmer ausweichen oder verzichten können, die Anbieter aber verkaufen müssen, wenn sie nicht gänzlich auf ihren Kosten sitzen bleiben wollen.14 Größe und Ressourcenstärke allein führen deshalb nicht zu einer wirtschaftlichen Machtstellung auf Märkten. Denn der Wettbewerb ist das geeignete „Instrument zur Zähmung oder Neutralisierung der Macht von Privatrechtssubjekten“ 15 und so relativiert auch der Wettbewerb in hohem Maße den Eindruck wirtschaftlicher Übermacht oder überlegener Verhandlungsstärke der Anbieter gegenüber den Verbrauchern.16 Die These der Schwäche des einzelnen Verbrauchers auf Grund seiner „wirtschaftlichen Unterlegenheit“ oder der „ungleichen Verhandlungsposition“ ist deshalb eine „Leerformel“,17 die nichts zur Klärung der Frage beiträgt, warum tatsächlich auf Märkten Produktqualität angeboten wird, die nicht den Bedürfnissen der Abnehmer entspricht.
11 Ziffer 2 der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Verbraucherpolitische Strategie 2002–2006, KOM (2002) 208 endg., ABl. 2002 C 137/2. 12 Adomeit, JZ 2003, 1053, 1054: „[...] ein heutiger Gebrauchtwagenhändler, befragt nach seiner ,economic power‘, würde nur bitter lächeln.“ 13 Rittner, AcP 188 (1988), 101, 132: „Denn auch [...] Unternehmen leben, soweit sie sich an den kleinen Kunden wenden, von eben diesen Kunden, die seitens anderer Unternehmen ebenso umworben werden.“ 14 Canaris, FS Lerche (1993), S. 873, 882. 15 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 293. Das Schlagwort vom Wettbewerb als „Entmachtungsinstrument“ geht zurück auf Böhm, ORDO 22 (1971), 11, 20. 16 Hadfield/Howse/Tebilcock, 21 JCP (1998), 131, 134. 17 Van den Bergh, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Effiziente Verhaltenssteuerung (1997), S. 77, 78.
159
Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
3.
Marktmacht und Qualität
Es fragt sich weiter, ob überlegene Marktmacht generell ein Ansatzpunkt sein kann, um schlechte Produktqualität zu erklären. Die ökonomische Theorie verneint dies und betont, dass überlegene Marktmacht und insbesondere eine Monopolstellung für sich betrachtet keinen Anreiz bieten, die Marktgegenseite „unfair“ zu behandeln, ihr etwa „nachteilige Vertragsbedingungen“ aufzuzwingen.18 Gerade für die Frage der Kontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGB), an der sich oftmals die Kontroverse um den richtigen inneren Grund für den Schutz der Abnehmer entzündete,21 ist inzwischen überzeugend belegt, dass Anbieter nicht deshalb für sie günstige Geschäftsbedingungen durchsetzen können, weil sie mehr Marktmacht oder Verhandlungsstärke als ihre Kunden hätten. Vielmehr hindern strukturelle Informationsasymmetrien auf Grund prohibitiv hoher Transaktionskosten die Kunden daran, auf AGB Einfluss zu nehmen, so dass es zu einem Wettbewerb um einen Qualitätsstandard an AGB, der den Präferenzen der Kunden entspricht, kommen könnte.19 Auf dem Markt für allgemeine Geschäftsbedingungen droht deshalb eine adverse Selektion.20 Dies – und nicht eine überlegene Marktmacht oder Verhandlungsstärke der Anbieter – rechtfertigt eine Inhaltskontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen. Der Ansatz, dass monopolistische Märkte bzw. überlegene Marktmacht zu einer niedrigen Qualität der angebotenen Konditionen führen, beruht auf einer unzulässigen Analogie zwischen Quantitäts- und Qualitätsproblemen.21 Dominiert ein Monopolist oder ein Kartell die Angebotsseite eines Marktes, besteht für den Anbieter ein Anreiz, seinen Output herabzusetzen. Der Preis des Gutes wird sich daraufhin erhöhen. Der Monopolist kann sich auf Kosten der Marktgegenseite eine Monopolrendite sichern. Die Anhebung der Preise über das Wettbewerbsniveau durch eine Mengenbeschränkung beeinträchtigt freilich nicht nur die Konsumentenwohlfahrt, sondern auch die soziale Wohlfahrt, denn ein Teil der Nachfrage, die zu den geringeren Wettbewerbspreisen hätte gedeckt werden können, bleibt unbefriedigt.22
18 Für die Frage nach den „fairen“ oder „guten“ Vertragsbedingungen kann als Referenzsystem das Modell des vollständigen Vertrages herangezogen werden. Bei einem vollständigen Vertrag haben sich die Vertragsparteien vor Vertragsschluss über die Zuordnung aller Risiken, die mit der Durchführung des Vertrages verbunden sind, geeinigt. Indem jeweils derjenige ein spezifisches Risiko übernimmt, der dieses Risiko mit dem geringeren Aufwand vermeiden oder versichern kann, optimieren die Vertragspartner den gemeinsamen Nutzen aus dem Vertrag, Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl. (2005), S. 401. 19 Siehe zur Anwendung des Akerlofschen Modells des „Market for Lemons“ auf den Markt für Allgemeine Geschäftsbedingungen Adams, in: Neumann, Ansprüche, Eigentums- und Verfügungsrechte (1984), S. 655–680; ähnlich zuvor bereits Slawson, 84 Harv. L. Rev. (1971), 529, 530 f.; siehe zur ökonomischen Rechtfertigung der AGB-Kontrolle auch Basedow, in: Münchener Kommentar, Bd. 2a, 4. Aufl. (2003), Vor § 305, Rn. 4–6; Kötz, Europäisches Vertragsrecht I (1996), S. 211–213; ders., JuS 2003, 209–214; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl. (2005) S. 413–415; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 69–74. 20 Ausf. dazu unten S. 187. 21 Katz, Standard form contracts, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law (1998), vol. III, S. 502. 22 Dazu unten S. 227 ff.
160
§ 6 Denkbare Leitideen für die Regelung des Absatzverhältnisses
Über die Einschränkung des Outputs hinaus bestehen indes für einen Monopolisten keine Anreize dafür, seine Marktstellung zu nutzen, um die Marktgegenseite zu benachteiligten. Ein Monopolist, der seinen Gewinn maximieren will, wird seine Produkte in der Qualität und auch zu den vertraglichen Konditionen anbieten, die die Abnehmer präferieren.23 Denn der Monopolist kann ohne weiteres die Qualität und die vertraglichen Konditionen den Ansprüchen der Abnehmer gemäß gestalten, jedoch die angebotene Menge reduzieren und damit den Preis soweit anheben, dass er die zusätzlichen Kosten mehr als kompensieren kann.24 Es besteht mithin kein Anreiz für einen Monopolisten, die Abnehmer neben dem erhöhten Monopolpreis sonst in irgendeiner Form in ihren Interessen zu beeinträchtigen.28 Für die Praxis wird demgegenüber zu bedenken gegeben, dass Monopolisten bzw. Anbieter mit großer Marktmacht den Präferenzen der Abnehmer tendenziell weniger entsprechen, da für sie kein oder nur ein geringer äußerer Druck bestehe, Ineffizienzen zu vermeiden. Schließlich gebe es keine wirksame Konkurrenz durch andere Anbieter, die das betreffende Produkt in besserer Qualität oder abnehmerfreundlicheren Konditionen anbieten würden.25 Auch wenn dies plausibel erscheinen mag, so ist doch zu bedenken, dass ein Monopolist im Gegensatz zu einem Anbieter, der starken Konkurrenzdruck ausgesetzt ist, den zusätzlichen Gewinn aus der erhöhten Qualität des Produktes bzw. den aus Sicht der Abnehmer verbesserten Vertragskonditionen vollständig internalisieren, d. h. selbst einnehmen kann. Für ihn besteht deshalb sogar noch ein größerer Anreiz, sein Angebot nach den Präferenzen der Abnehmer auszurichten, als für einen Anbieter in einer starken Konkurrenzsituation.26 Genauso wenig ist empirisch belegt, dass monopolistische Marktstrukturen dazu führten, dass sich die Variablen einer Transaktion (Korrektheit der Werbeaussagen, vertragliche Ausgestaltung der Recht und Pflichten etc.)
23 Dass der Anbieter allen Abnehmern einen optimalen Standard an Produktqualität bzw. vertraglichen Konditionen anbietet, gilt freilich nur, wenn man homogene Präferenzen unterstellt. Im Übrigen richtet sich der Anbieter nach den Präferenzen des sog. marginalen Abnehmers, nicht aber nach dem Durchschnittsabnehmer. Der marginale Abnehmer befindet sich bei einer bestimmten Qualitäts-Preis-Kombination gerade im Grenzbereich zwischen Kaufen und Nichtkaufen; seine Wertschätzung eines Produktes entspricht dem aktuellen Preis. Richtet sich die angebotene Qualität des Produktes nach den Präferenzen der „marginalen“ Abnehmer, wird mithin einerseits für die Abnehmer ein zu geringer Qualitätsstandard angeboten, die bereit wären, einen höheren Preis auch für eine geringere Qualitätsverbesserung zu zahlen. Andererseits wird für die Abnehmer ein zu hoher Qualitätsstandard angeboten, die einen geringeren Preis unter Inkaufnahme schlechterer Qualität bzw. Vertragskonditionen vorziehen würden, grundlegend Spence, 6 Bell J. Econ. (1975), 417–429; siehe auch Craswell, 43 Stan. L. Rev. (1991), 361, 372–376; Sheshinsky, 43 Economica (1976), 127 und Comanor, 98 Harv. L. Rev. (1985), 983, 990–992. Letzterer zieht die Ergebnisse von Spence heran, um die Auswirkungen vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen auf die Konsumentenwohlfahrt zu analysieren, dazu unten S. 238 ff. 24 Das Modell setzt eine freie Preisbildung voraus. Insbesondere bei öffentlichen Monopolen ist dies u. U. nicht der Fall; die Preise werden hier häufig unter Berücksichtigung politischer Belange vorgegeben. Dies mag eine Ursache dafür sein, dass gerade bei öffentlichen Monopolen trotz der beschriebenen ökonomischen Anreize teilweise Qualitätsstandards unter den Präferenzen der Abnehmer angeboten werden. 25 Vgl. Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 200. 26 Schwartz, 63 Va. L. Rev. (1977), 1053, 1072, Fn. 39.
161
Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
qualitativ verschlechterten.27 Ein Zusammenhang zwischen Marktstruktur und Qualität der angebotenen Produkte bzw. Konditionen kann danach weder theoretisch noch empirisch nachgewiesen werden. Nicht überzeugen können deshalb Konzepte, die davon ausgehen, dass Monopolmacht oder zumindest eine marktmächtige Position eines Unternehmens grundsätzlich dazu führten, dass der Markgegenseite schlechtere Qualitätsstandards angeboten werden.
4.
Marktmacht, Preisdiskriminierung und Qualität
Einen Zusammenhang zwischen der Marktmacht eines Anbieters und der Qualität der Variablen einer Transaktion offenbart die ökonomische Theorie aber für den Fall, dass ein Anbieter sich unterschiedlicher Qualitätsstandards bedient, um eine Preisdiskriminierung zu ermöglichen. Von Preisdiskriminierung spricht man, setzt ein Anbieter ein Gut zu unterschiedlichen Preisen ab, ohne dass dem Preisunterschied ein entsprechender Kostenunterschied gegenübersteht.28 Durch Preisdiskriminierung kann ein Anbieter versuchen, die Abnehmer entsprechend ihrer jeweiligen Reservationspreise, also der individuellen Zahlungsbereitschaft, zu belasten. Er kann so eine Konsumentenrente abschöpfen und seinen Gewinn maximieren. Allerdings setzt Preisdiskriminierung voraus, dass sich die Reservationspreise der Abnehmer ermitteln lassen und dass unter ihnen keine Arbitragegeschäfte zustande kommen. Für den Anbieter wäre es optimal, von jedem Nachfrager dessen Reservationspreis zu fordern. Man spricht dann von einer „Preisdiskriminierung ersten Grades“ bzw. von einer „perfekten Preisdiskriminierung“.29 Praktisch kommt diese Form der Preisdiskriminierung kaum vor, da der erforderliche Informationsbedarf – wenn überhaupt – nur unter außerordentlich hohen Kosten gedeckt werden kann.30 Einfacher zu realisieren ist aber die „Preisdiskriminierung zweiten Grades“, bei der ein Monopolist verschiedene Outputeinheiten zu unterschiedlichen Preisen verkauft, wobei jedes Individuum, das dieselbe Menge des Gutes kauft, auch den gleichen Preis zu zahlen hat.31 Der Monopolist löst das Informationsproblem, das ihn an einer perfekten Preisdiskriminierung hindert, dadurch, dass er verschiedene PreisMengen-Kombinationen anbietet, nämlich Kombinationen, die sich an Personen mit hoher Nachfrage richten und solche, die sich an andere Personen mit geringer Nachfrage richten. Die Konsumenten werden veranlasst, selbst die für sie bestimmte Kombination zu wählen. Der Monopolist bietet den Konsumenten einen 27 Schwartz, 63 Va. L. Rev. (1977), 1053, 1071 f.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl. (2005), S. 513, weisen daraufhin, dass die Notwendigkeit einer AGB-Kontrolle gerade für Märkte bestehe, die einem erheblichen Preiswettbewerb ausgesetzt seien, wie z. B. Möbelgeschäfte, „deren AGB man oft nur als sittenwidrige Knebelungsverträge bezeichnen konnte“. Siehe auch Schäfer, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung (2000), S. 559, 560 und Shy, Industrial Organization, Theory and Applications (1995), S. 315–317. 28 Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2006), S. 196. 29 Varian, Microeconomics, 6. Aufl. (2003), S. 439–441. 30 Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2006), S. 196. 31 Varian, Microeconomics, 6. Aufl. (2003), S. 439.
162
§ 6 Denkbare Leitideen für die Regelung des Absatzverhältnisses
Anreiz zur Selbstselektion.32 Diese Form der Preisdifferenzierung findet sich tatsächlich in der Praxis: So hängen die Tarife von Elektrizitätsunternehmen häufig von der Menge der Energie ab, die ein Kunde abnimmt.33 Für die hier interessierende Frage nach einem Zusammenhang zwischen Marktmacht und Qualität der angebotenen Produkte ist diese Analyse von Interesse, da der Anreiz zur Selbstselektion auch dadurch erzielt werden kann, dass verschiedene Preis-Qualitäts-Konditionen angeboten werden, wobei sich die „Qualität“ auf das angebotene Produkt bezieht 34 und damit auch auf die vertraglichen und sonstigen Variablen einer Transaktion.35 Diese setzt voraus, dass die Zahlungsbereitschaft der Abnehmer korreliert mit einer Transaktionsvariable, etwa den Garantiebedingungen des Anbieters. Ein marktmächtiger Anbieter kann nun ein Produkt mit Garantiebedingungen anbieten, die relativ vorteilhaft für die Abnehmer sind. Er kann etwa einen hohen pauschalierten Schadensersatz bei Leistungsstörungen anbieten oder eine besonders lange Garantiezeit. Diese „gute“ Produktqualität offeriert er zu einem relativ hohen Preis. Daneben bietet er zu einem relativ geringen Preis auch eine Vertragsgestaltung mit ungünstigen Garantiebedingungen für die Abnehmer an. Die Unterschiede in den Konditionen müssen signifikant sein, da sonst die Gefahr besteht, dass der Absatz im unteren Marktsegment den Absatz im oberen Marktsegment „kannibalisiert“.36 Diese werden sich aus dem Angebot die PreisQualitäts-Kombination heraussuchen, die ihren Präferenzen am nächsten kommt und unter ihrem Reservationspreis liegt. Dies zeigt, dass es spezifische Zusammenhänge zwischen der Marktstruktur und der Qualität von Transaktionsvariablen (Produktqualität, Vertragskonditionen etc.) geben kann. Preisdiskriminierung ist nur bei monopolistischen Marktstrukturen bzw. auf nicht-kompetitiven Märkten möglich. Denn nur ein Monopolist bzw. ein marktmächtiges Unternehmen kann von sich aus entweder den Preis oder eben wie hier die Menge bzw. die Qualität des angebotenen Produktes festlegen, um seinen Gewinn zu maximieren. Dies wirft die Frage auf, ob Marktmacht nicht doch ein Ansatzpunkt sein kann, um das Absatzverhältnisses zwischen Anbietern und Abnehmern zu regulieren: Marktmächtige Unternehmen bieten unterschiedliche Produktqualitäten und Vertragskonditionen an, um durch Preisdiskriminierung ihren Gewinn zu maximieren. Mehrere Argumente sprechen allerdings dagegen, diesen den Abnehmern drohenden Nachteil durch zwingende vertragliche Standards zu begegnen.37 Zum Ersten
32 Varian, Microeconomics, 6. Aufl. (2003), S. 442 f. 33 Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 230. 34 Varian, Microeconomics, 6. Aufl. (2003), S. 443. 35 Gómez, in: Collins (Hrsg.), Unfair Commercial Practices (2004), S. 187, 196. 36 Sehr anschaulich ist der bei Varian, Microeconomics, 6. Aufl. (2003), S. 444 f. zitierte Kommentar von Emile Dupot, einem französischen Ökonomen des 18. Jahrhunderts, über die Preisgestaltung der Eisenbahn. Dieser legt dar, dass die Wagons der dritten Klasse nicht etwa deshalb so schäbig ausgestattet seien, weil es zu teuer wäre, sie einigermaßen vernünftig mit Dach und Sitzpolsterung auszustatten. Vielmehr sei die heruntergekommene Ausstattung nötig, um die wohlhabenderen Passagiere davon abzuschrecken, die dritte Klasse zu benutzen. 37 Gómez, in: Collins (Hrsg.), Unfair Commercial Practices (2004), S. 187, 197.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
kann eine Regulierung kaum alle Variablen erfassen, die eine Transaktion kennzeichnen und die ein Monopolist bzw. marktmächtiger Anbieter nutzen kann, um Anreize für eine Selbstselektion zu setzen. Der Anbieter wird auf andere Variablen der Transaktion ausweichen. Es käme lediglich dazu, dass sich die aus Sicht der Abnehmer unfairen Konditionen verschieben würden. Versuchte ein Gesetzgeber oder Richter trotzdem, entsprechende Mindeststandards zum Schutze der Abnehmer festzusetzen, sieht er sich dem Problem gegenüber, die notwendigen Informationen zu beschaffen und auszuwerten, um ein angemessenes Maß an Regulierung zu definieren und so das Ergebnis eines fairen und rationalen Aushandlungsmechanismus nachzuvollziehen.38 Unter Ökonomen überwiegen die Zweifel, ob eine regulierende Institution das erforderliche Maß an Informationen erlangen und auswerten kann, um sinnvoll zu intervenieren.39 Schließlich ist auch zu bedenken, dass die Einführung von Mindeststandards für Produktqualität oder vertragliche Konditionen immer auch einen Teil der Abnehmer vom Zugang zu einem Produkt ausschließt. Eine Maßnahme, die die Konsumenten schützen will, kann so deren Wohlfahrt verringern. Denn dem marktmächtigen Anbieter steht es frei, auf die Regulierung zu reagieren, indem er das Qualitätsniveau seiner Produkte allgemein anhebt oder aber ausschließlich auf dem oberen Marktsegment anbietet, also zu guter Qualität und relativ hohem Preis. Dann gäbe es zwar keine aus Sicht der Abnehmer unfairen Produkt- oder Vertragskonditionen mehr. Allerdings schließt dies die Abnehmer vom Zugang zu dem Produkt aus, die einen geringeren Reservationspreis haben. Es kann deshalb sogar gesellschaftlich nützlich sein, wenn marktmächtige Anbieter auch niedrige Qualität anbieten können, um so ihr Informationsdefizit zu überwinden und Preisdiskriminierungen vornehmen zu können.40
5.
Ergebnis
Die Marktstruktur ist für sich genommen keine Ursache dafür, dass den Abnehmern schlechte Transaktionsvariablen angeboten werden; sie rechtfertigt es nicht, das Absatzverhältnis zu Gunsten der Abnehmer zu regulieren. Daran ändert sich auch nichts, berücksichtigt man, dass marktmächtige Anbieter niedrige Standards an Produktqualität und Vertragskonditionen einführen können, um ihre Informationsdefizite über den Reservationspreis der Abnehmer zu überwinden und so eine Preisdiskriminierung zu ermöglichen. Denn die besseren ökonomischen Gründe sprechen dagegen, auf Grund dieses Befundes das Absatzverhältnis zu Gunsten der Abnehmer zu regulieren.
38 Zum Modell des vollständigen Vertrages und die Anforderungen an seine Rekonstruktion durch die Rechtsordnung Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl. (2005), S. 401–418. 39 Sheshinski, 43 Economica (1976), 127, 128. 40 Varian, Microeconomics, 6. Aufl. (2003), S. 444.
164
§ 6 Denkbare Leitideen für die Regelung des Absatzverhältnisses
Damit ist freilich nicht gesagt, dass die Marktstruktur keinen Anlass zu regulierenden Eingreifen geben könnte und die Position der Abnehmern gegenüber marktmächtigen Unternehmen nicht geschützt werden müsste. Dies ist aber die Aufgabe des Kartellrechts, das kompetitive Marktstrukturen absichern und fördern soll, nicht aber die Aufgabe der vertrags- und lauterkeitsrechtlichen Regulierung. Allerdings kann die kartellrechtliche Regulierung nicht die Ausgestaltung der individuellen Transaktion optimieren. Sie muss vielmehr die Rahmenbedingungen dafür sichern, damit der Wettbewerb dafür sorgen kann, dass Abnehmern Produkte in der Qualität und der Menge angeboten werden, die ihren Präferenzen entsprechen und dass die Anbieter keine Monopolrenditen auf Kosten der Konsumentenwohlfahrt abschöpfen können.
II.
Verteilungsgerechtigkeit
Das Ziel, Einkommen und Vermögen gerecht zu verteilen, prägt die absatzbezogene Regulierung. Vor allem verbraucherschützende Bestimmungen erklären sich auch als Reaktion auf ein soziales Phänomen, das nach dem Titel einer Arbeit von Caplovitz mit dem Schlagwort „The Poor Pay More“ beschrieben wird.41 In dieser Studie legt Caplovitz dar, dass unterprivilegierten Bevölkerungsschichten häufig auf ungünstigere Angebote angewiesen seien und sich deshalb die Verbraucherschutzproblematik verschärft in Bevölkerungsschichten mit geringem Einkommen zeige.
1.
Zur Legitimität von Umverteilung
Das freie Spiel der Marktkräfte führt dazu, dass Einkommen nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip verteilt wird. Die Höhe des Einkommens richtet sich danach, wie die Beteiligten am Wirtschaftsprozess zur Produktion beitragen. Der Einsatz der Produktionsfaktoren durch den Einzelnen – seien es seine Arbeitskraft, sein Kapitalbesitz oder Grundstücke bzw. Gebäude – bestimmt die Verteilung des Einkommens. Diese hängt mithin davon ab, wie die Beteiligten am Wirtschaftsprozess anfangs mit Produktionsfaktoren ausgestattet sind. Die marktgerechte Einkommensverteilung, die auch als primäre Einkommensverteilung bezeichnet wird, führt dazu, dass viele Mitglieder der Gesellschaft nicht genügend Einkommen erwirtschaften, um ihre persönlichen Bedürfnisse befriedigen zu können. Die Gründe dafür sind vielfältig: Allein durch den Einsatz von Kapitalbesitz oder der Überlassung von Grundstücken und Gebäuden kann von vornherein nur eine Minderheit ausreichend Einkommen erzielen. Aber Menschen können auch gehindert sein, mit ihrer Arbeitskraft Einkommen zu erzielen, weil sie an Krankheiten leiden, behindert sind oder ihre Arbeitskraft am Markt nicht nachgefragt wird. Aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit wird die primäre Einkommensverteilung korrigiert. Dies
41
Caplovitz, The Poor Pay Moore (1963).
165
Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
geschieht, indem die am Markt erzielten Einkommen vor allem durch den Staat 42 umverteilt werden. Die wichtigsten Instrumente hierfür sind die Ausgestaltung des Steuerrechts, etwa ein progressives System der Einkommensbesteuerung, und Transferzahlungen an die Bedürftigen, beispielsweise Leistungen, um das Wohl von Familien mit Kindern zu fördern, Ausbildungsförderungen, Beihilfen zu Wohnraum oder allgemeine Leistungen der Sozialhilfe. Das Ergebnis der Umverteilungsmaßnahmen bildet dann die sog. sekundäre Einkommensverteilung. a)
Zur Sicht der Wirtschaftswissenschaften
Ökonomen akzeptieren in ihrer Mehrzahl das Ziel der „Verteilungsgerechtigkeit“ als eine normative Vorgabe.43 Sie betonen freilich, dass Umverteilung immer mit Effizienzverlusten verbunden sei und dass es daher notwendig sei, das „wie“ der Umverteilung unter Effizienzgesichtspunkten zu betrachten.44 Zu bedenken ist daneben auch, dass Eingriffe in die marktgerechte Einkommensverteilung dazu führen, dass Anreizmechanismen geschwächt werden. Von einer Einkommensumverteilung gehen deshalb Wirkungen aus, die das Funktionieren der Marktwirtschaft gefährden.45 Eine Herausforderung des modernen Wohlfahrtsstaates ist es deshalb, die Grenzlinie zwischen Marktorientierung und der Umverteilung von Einkommen zu definieren.46 Allerdings gibt es nach wie vor Strömungen, die einer staatlichen Umverteilung grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen.47 Es soll danach nur ausnahmsweise legi-
42 Nicht nur der Staat verteilt Einkommen um. In Deutschland und vielen anderen Staaten der Europäischen Union sind die Sozialversicherungssysteme eine gewaltige Maschinerie zur Umverteilung von Einkommen. Daneben tragen auch private Spenden und sonstige Zuwendungen zu einer sozial gerechteren Einkommensverteilung bei. 43 Beispielhaft Hanusch/Kuhn/Cantner, Volkswirtschaftslehre, 5. Aufl. (2000), S. 83: „Schließlich kann die Verteilung der Einkommen und Vermögen, wie sie sich am Markt ergibt (primäre Verteilung) aus ethischen Erwägungen heraus unerwünscht sein, was dann nach einer Korrektur verlangt.“ Eidenmüller spricht davon, dass die Ökonomen sich gegenüber vereilungspolitischen Fragen „agnostisch“ geben, Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. (1998), S. 277. 44 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl. (2005), S. 7; von Weizsäcker, in: Neumann, Ansprüche, Eigentums- und Verfügungsrechte (1984), S. 123, 125. 45 Zu diesem Phänomen und wirtschaftspolitischen Implikationen Böhm, in: ders., Reden und Schriften (1960), S. 151, 152 f. 46 Wilhelmsson, Social Contract Law (1994), S. 6. 47 Herausgehoben seien Friedman, Capitalism and Freedom (1962), S. 174: „I find it hard, as a liberal, to see any justification for graduated taxation solely to redistribute income“ und von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Band 2: Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit (1981), S. 99: „Es ist jetzt notwendig, deutlich zwischen zwei gänzlich verschiedenen Problemen zu unterscheiden, die die Forderung nach ,sozialer Gerechtigkeit‘ in einer Marktordnung aufwirft. Das erste ist das, ob der Begriff der ,sozialen Gerechtigkeit‘ innerhalb einer ökonomischen Ordnung, die auf dem Markt beruht, überhaupt irgendeine Bedeutung oder irgendeinen Inhalt hat. Das zweite ist das, ob es möglich ist, eine Marktordnung zu erhalten, während man sie (im Namen der ,sozialen Gerechtigkeit‘ oder irgendeines anderen Vorwandes) einem Entlohnungssystem unterwirft, das auf der Bewertung der Leistung oder der Bedürfnisse verschiedener Individuen oder Gruppen durch eine Autorität beruht, die die Macht hat, dieses System durchzusetzen. Die Antwort auf jede dieser beiden Fragen ist ein klares Nein.“ Siehe hierzu Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 202–214; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. (1998),
166
§ 6 Denkbare Leitideen für die Regelung des Absatzverhältnisses
tim sein, Normen am Ziel der Verteilungsgerechtigkeit auszurichten, nämlich dann, wenn dies zu mehr Effizienz führt und sich somit durch die privaten Präferenzen der Marktteilnehmer rechtfertigt. Dies kann etwa für verschiedene Fälle von Marktversagen begründet werden. So kommt es durch „Trittbrettfahrerprobleme“ (free rider problems) zu weniger privaten Zuwendungen an Bedürftige, als es den Präferenzen der Marktteilnehmer entspräche.48 Bis zu einem gewissen Grade korrigieren Steuersystem und Transferleistungen also nur, dass der private Spendenmarkt versagt. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass eine „übermäßige Verstaatlichung von Solidarität“ unweigerlich zu einer weiteren Verminderung der Bereitschaft zu freiwilligem sozialen Engagement führe.49 Auch das System staatlicher Sozialversicherungen lässt sich jedenfalls teilweise damit rechtfertigen, dass private Versicherungen gegen soziale Risiken mit erheblichen Problemen des moralischen Risikos (moral hazard) und der adversen Selektion zu kämpfen hätten und deshalb wohl nicht im präferierten Maße am Markt angeboten würden. Im Falle einer staatlichen Zwangsversicherung vermeidet man dagegen zumindest das Problem der adversen Selektion.50 Ethisch wird die grundsätzliche Ablehnung von Umverteilungsambitionen mit dem Argument untermauert, dass Umverteilung letztlich zu Eigentumsrechten an anderen Personen (property rights in other people) führte, der einzelne Mensch mit seinen Talenten, Fähigkeiten und Begabungen aber nur sich selbst gehöre.51 Arbeitsverdienste zu besteuern sei danach mit Zwangarbeit gleichzusetzen.52 b)
Normative Grundlagen in der Europäischen Union
Verteilungsgerechtigkeit als Regulierungsziel kann nur auf einem gesamtgesellschaftlichen Konsens ruhen. Welche Bedeutung der Verteilungsgerechtigkeit in einem gesellschaftlichen System beikommt, hängt deshalb von den herrschenden Vorstellungen zur Egalität ab. Die Europäische Union charakterisiert eine im Vergleich zu anderen Wirtschaftsregionen der Welt hohe soziale Homogenität.53 Die Gesellschaften der Mitgliedstaaten kennzeichnet – trotz gradueller UnterS. 277–283. Neuner, Privatrecht und Sozialstaat (1999), S. 73 f., legt in Bezug auf ein anderes Zitat dar, dass es sich bei von Hayeks Vorbehalten gegen alles „soziale“ um ideologisch gefärbte, inhaltsleere und einseitige Polemik handele. 48 Friedman, Capitalism and Freedom (1962), S. 191; Posner, Economic Analysis of Law, 6. Aufl. (2003), S. 478. 49 Calliess, G.-P., Prozedurales Recht (1999), S. 69 ff. und ders., in: Joerges/Teubner (Hrsg.), Rechtsverfassungsrecht (2003), S. 239, 247 f., jeweils m. w. N. 50 Posner, Economic Analysis of Law, 6. Aufl. (2003), S. 478. Mit dem Problemen des moral hazard sehen sich natürlich auch die staatlichen Sozialversicherungssysteme konfrontiert. Man vergleiche nur die aufwendigen Mechanismen um sicherzustellen, dass Empfänger von Arbeitslosengeld tatsächlich Arbeit suchen und eine zumutbare Arbeitsstelle auch annehmen. 51 Nozick, Anarchy, State, and Utopia (1974), S. 168 f., 172. 52 Nozick, Anarchy, State, and Utopia (1974), S. 168 f., 159; dagegen Neuner, Privatrecht und Sozialstaat (1999), S. 87–90. 53 Schulte, in: Clever/Schulte (Hrsg.), Bürger Europas (1995), S. 62–66; ders., Europäische Sozialpolitik und die Zukunft des Sozialstaates in Europa (1998), S. 7–9; Ringler, Die Europäische Sozialunion (1997), S. 30.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
schiede 54– ein Grundkonsens über Charakteristika, die den „Europäischen Wohlfahrtsstaat“ prägen.55 Dazu gehört, dass staatliche Eingriffe in das Wirtschaftssystem, das auf Privateigentum und Marktwirtschaft beruht, akzeptiert sind. Es finden sich Staatsziele, die auf die Wohlfahrt der Bürger ausgerichtet sind; ein ausgebautes System der sozialen Sicherung und ein Rechtssystem, das dem Einzelnen individuelle Rechtsansprüche auf die Teilhabe an den sozialen Maßnahmen und Leistungen zubilligt. Eine weitere, jedenfalls weit gehend konsentierte Idee findet ihren Ausdruck im Ziel der Chancengerechtigkeit 56: Jedem Bürger sollen unabhängig von Geburt und Herkunft nicht nur formal die gleichen Entwicklungsmöglichkeiten freistehen, sondern ihm sollen durch die Gesellschaft auch die äußeren Bedingungen gewährleistet werden, um sein Talente und Fähigkeiten entfalten zu können. Diese sozialpolitischen Vorstellungen sind nicht nur in den Rechtsordnungen und insbesondere in den Verfassungen der Mitgliedstaaten verankert.57 Sie sind auch in europäischen Rechtsakten niedergelegt,58 etwa im primären und sekundären Gemeinschaftsrecht,59 in der von den Mitgliedern des Europarates angenommenen Europäischen Sozialcharta von 1961,60 in der inzwischen von allen EG-Mitgliedstaaten ratifizierten Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte 61 und seit 2000 auch durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, wo die sozialstaatlichen Grundlagen vor allem in den Art. 24 bis 35 ihren Ausdruck finden.62 Die ge-
54 Zu einer Typologie wohlfahrtsstaatlicher Sozialleistungssysteme in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union Schulte, in: Clever/Schulte (Hrsg.), Bürger Europas (1995), S. 62, 67–69. 55 Schulte, in: Clever/Schulte (Hrsg.), Bürger Europas (1995), S. 62, 70. 56 Zur Idee der Chancengerechtigkeit in einer durch die Prinzipien von Markt, Wettbewerb und Vertragsfreiheit geprägten Wirtschaftsverfassung Canaris, Iustitia distributiva (1997), S. 72–75; s. a. Grüner, in: Franz u. a. (Hrsg.), Ökonomische Analyse von Verträgen (2000), S. 336 f. 57 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat (1999), S. 79. Für eine Übersicht sozial geprägter Bestimmungen in den Verfassungen der Mitgliedstaaten der EU siehe Merten, in: Merten/Pitschas (Hrsg.), Der europäische Sozialstaat und seine Institutionen (1993), S. 63, 65–67. Paradigmatisch für die rechtliche Dimension des Wohlfahrtsprinzips ist etwa das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG in der Rechtsprechung des BVerfG: Das Fortschreiten zu mehr sozialer Gerechtigkeit sei ein „leitende[s] Prinzip aller staatlicher Maßnahmen“ und anzustrebende Ziele seien die „annähernd gleichmäßige Förderung des Wohles aller Bürger“ und eine „annähernd gleichmäßige Verteilung der Lasten“, BVerfGE 5, 85, 198. 58 Zur zunehmenden Einbeziehung der Sozialpolitik in den Prozess der europäischen Integration Waldschmitt, Die Europäische Sozialunion (2001), S. 77–141. 59 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat (1999), S. 195–202. Zur Entwicklung der Sozialpolitik im System des Gemeinschaftsrechts Krebber, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 2. Aufl. (2002), Art. 136, Rn. 1–5. 60 Dazu Europarat (Hrsg.), Die Europäische Sozialcharta (2002); Agnelli, Die Europäische Sozialcharta (1978); Leuprecht, in: Merten/Pitschas (Hrsg.), Der europäische Sozialstaat und seine Institutionen (1993), S. 79, 81–83; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat (1999), S. 77 f.; Waldschmitt, Die Europäische Sozialunion (2001), S. 84–87. 61 Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte vom 9. 12. 1989, Entwurf vom 30. 5. und 2. 10. 1989, KOM (89) 248 endg. und KOM (89) 471 endg.; vgl. Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), § 6, Rn. 28–34 (S. 338–342), dort in Fn. 65 auch m. w. N. zur Literatur; zu den politischen Hintergründen der Annahme der Charta siehe Clever, in: Clever/Schulte (Hrsg.), Bürger Europas (1995), S. 101, 105. 62 ABl. EG 2000, Nr. C 364/01.
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§ 6 Denkbare Leitideen für die Regelung des Absatzverhältnisses
meinsamen sozialstaatlichen Wertevorstellungen in der Europäischen Union manifestieren sich auch vielfach im Vertrag für eine Verfassung für Europa.63 Bereits die Präambel betont, dass das geeinte Europa weiter voranschreiten will „zum Wohle aller seiner Bewohner, auch der Schwächsten und der Ärmsten“ und dass es „ein Kontinent bleiben will, der offen ist für [...] sozialen Fortschritt“. Zu den Zielen der Union rechnet Art. I–3 Abs. 3 UAbs. 2 des Verfassungsvertrages die Bekämpfung sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung sowie die Förderung sozialer Gerechtigkeit und sozialen Schutzes. Neben den sozialen Grundrechten – Teil II inkorporiert die Charta der Grundrechte der Union in den Verfassungsvertrag – ist noch die Querschnittsklausel in Art. III–117 hervorzuheben, wonach bei der Durchführung der einzelnen Politiken auch den Erfordernissen „der Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes“, „der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung“ und eines hohen Niveaus der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Gesundheitsschutzes“ Rechnung zu tragen ist. Zwar sind die aufgezählten Normen in ihrem Grad an Verbindlichkeit heterogen; kein europäischer Rechtsakt gewährt soziale Grundrechte, auf die sich der Einzelne unmittelbar berufen könnte. Jedoch legen sie Zeugnis ab von der gemeinsamen europäischen Grundüberzeugung, dass staatliche Interventionen nicht nur legitim sind, um soziale Belange zu fördern, sondern in vielen Bereichen sogar gefordert sind. Die schrittweise Aufwertung der Sozialpolitik innerhalb des Gemeinschaftsrechts in den letzten Jahren macht darüber hinaus deutlich, dass die Gemeinschaft es als ihre Aufgabe ansieht, ein Mindestmaß sozialer Kohärenz innerhalb der Union zu gewährleisten.64 Programmatisch für diese Entwicklung ist der Begriff der „Europäischen Sozialunion“.65 Das Streben nach einem Ausgleich des Wohlstandsgefälles innerhalb der Europäischen Union wird weithin als logische Folge des europäischen Einigungsprozesses begriffen.66 Eine eigenständige soziale Gestaltung durch die Europäische Gemeinschaft wird mithin als notwendiges Instrument angesehen, um ihre innere Stabilität zu gewährleisten. Aus diesem Grunde rechtfertigen sich auch Umverteilungen innerhalb der Gemeinschaft. Diese wird über die verschiedenen Strukturfonds der Gemeinschaft organisiert, nämlich den Regionalfonds, den Sozialfonds und teilweise auch über den Agrarfonds.67
63 ABl. EG 2004, Nr. C 310/01. 64 Zum „Konzept der sozialen Mindestnorm“ als dem einzig realistischen Konzept zu einer europäischen Integrationspolitik auf dem Gebiet des Sozialrechts Clever, in: Clever/Schulte (Hrsg.), Bürger Europas (1995), S. 101, 102–104. 65 Zu diesem Begriff Ringler, Die Europäische Sozialunion (1997), S. 33–36. 66 Paradigmatisch Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. (1999), Rn. 1630: „In dieser Genese der EGSozialnormen spiegelt sich die allgemeine Entwicklung des europäischen Einigungsprozesses. Eine sich über das Wirtschaftliche hinaus politisch solidarisch empfindende Gemeinschaft und Union muss die allmähliche Verringerung sozialer Ungleichheiten als ihre Aufgabe ansehen.“ 67 Clever, in: Clever/Schulte (Hrsg.), Bürger Europas (1995), S. 101, 107.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
c)
Zwischenergebnis
Grundsätzlich zu verneinen, dass es legitim sei, umzuverteilen, um eine sozial gerechte Einkommensverteilung zu erzielen, widerspricht dem gesellschaftlichen Grundkonsens von sozialer Gerechtigkeit, dem herrschenden Verständnis von sozialer Marktwirtschaft sowie den normativen, am Grundsatz der Sozialstaatlichkeit ausgerichteten Vorgaben in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Wohlfahrtsstaatlichkeit ist genauso Element „Europäischer Identität“ wie sie Teil der Staatlichkeit in den Mitgliedstaaten der Union ist 68 und steht als solche jedenfalls im Kern nicht zur Disposition. Im Vordergrund ordnungspolitischer Überlegungen steht daher zu Recht die Frage nach einer effizienten Umsetzung der verteilungspolitischen Ziele.
2.
Regelung des Absatzverhältnisses als Instrument der Verteilungspolitik
Aus Sicht der Ökonomik sollten verteilungspolitische Ambitionen durch die Ausgestaltung des Steuersystems durchgesetzt werden oder durch unmittelbare Transferleistungen des Staates. Nicht effizient sei es hingegen, zu versuchen, sonstige Rechtsnormen und etwa auch das Absatzverhältnis zu regulieren, um Verteilungsgerechtigkeit zu erreichen. Diese Einschätzung stützt sich auf mehrere Argumente. Anbieter und Abnehmer stehen sich in einer vertraglichen Beziehung gegenüber. Wird versucht, durch eine Regulierung dieser Beziehung eine Umverteilung zu Gunsten der Abnehmer herbeizuführen, kann die Marktgegenseite Preis oder andere Variablen der Transaktion anpassen und so die Nachteile kompensieren.69 Damit wird das Umverteilungsziel konterkariert. Würde nun versucht, die Ausweichreaktion des Produzenten durch regulative Eingriffe zu verhindern, bestünde die Gefahr, dass dieser sich ganz aus dem betroffenen Markt zurückzieht. Dies würde im Ergebnis die Entscheidungsfreiheit und Souveränität der Abnehmer einschränken und sie eventuell sogar zwingen, Schwarzmärkte zu nutzen,70 aber kaum die Verteilungsgerechtigkeit fördern.
68 Schulte, in: Clever/Schulte (Hrsg.), Bürger Europas (1995), S. 62, 85. 69 Dazu Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts (1986), S. 193; Kaplow/Shavell, 23 J. Legal Stud. (1994), 667, 674; Polinsky, Law and Economics, 2. Aufl. (1989), S. 121–124; Schäfer, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Allokationseffizienz in der Rechtsordnung (1989), S. 1, 14. Anerkannt wird dieser Mechanismus auch von Autoren, die sich für ein „soziales Vertragsrecht“ einsetzen, etwa Wilhelmsson, Social Contract Law (1994), S. 37. Eine ausführlich Analyse des Mechanismus der Weitergabe der durch rechtliche Regulierung entstandenen Kosten über den Preis findet sich bei Craswell, 43 Stan. L. Rev. (1991), 361–398. In dieser Studie weist Craswell vor allem darauf hin, dass den Abnehmern Wohlstandsnachteile drohen, wenn zwingende, ineffiziente Standards eingeführt werden. Hauptergebnis seiner Untersuchung ist der Nachweis, dass alles darauf hindeutet, dass Abnehmer gerade von einer Regulierung profitieren, wenn sich feststellen lässt, dass der Anbieter die Kosten einer Regulierung tatsächlich über den Preis an die Abnehmer weitergeben kann. 70 Vgl. Ramsay, Consumer protection, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law (1998), vol. I, S. 410, 413.
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§ 6 Denkbare Leitideen für die Regelung des Absatzverhältnisses
Selbst wenn die Umverteilung nicht durch Preiserhöhungen konterkariert wird, spricht viel dafür, dass es ineffizient ist, hierfür das Absatzverhältnis zu regulieren. Gezeigt wurde, dass es zu jedem System, in dem sowohl versucht wird, über das Steuersystem und Transferleistungen umzuverteilen, als auch rechtliche Normen so auszugestalten, dass sie sozial Schwächere begünstigen und die deshalb nicht an Effizienzgesichtspunkten ausgerichtet sind, ein alternatives System konstruierbar ist, das mindestens ein gleiches Maß an Umverteilung zu leisten vermag, dabei aber ohne ineffiziente Regelungen auskommt und mithin die soziale Wohlfahrt erhöht. Umverteilung senkt stets die Anreize zu arbeiten und verzerrt so private Allokationsentscheidungen. Denn wenn das durch Arbeit erzielbare Einkommen besteuert wird oder eine Person sich ohne zu arbeiten auf Transferleistungen des Staates oder einer Sozialversicherung stützen kann, sinken die Opportunitätskosten für Freizeit. Bei der Entscheidung für oder gegen Arbeit wird nun ein Preis für Freizeit zu Grunde gelegt, der unter dem wirklichen Preis liegt. Dadurch kommt es zu wohlstandsmindernden Ineffizienzen.71 Bei einem System, das Umverteilung nicht nur über das Steuersystem oder Transferleistungen bewirkt, sondern ein gleiches Maß an Umverteilung durch eine Kombination aus auf Umverteilung ausgerichteten rechtlichen Regeln und das Steuersystems bzw. Transferleistungen, kommt es hingegen zu zusätzlichen Effizienzverlusten: Einerseits entstehen die gleichen Effizienzverluste durch die verminderten Anreize zu arbeiten, wie in einem System, das allein darauf ausgerichtet ist, durch Transferleistungen bzw. das Steuersystem umzuverteilen. Denn der Grund für die Ineffizienzen liegt in der Umverteilung an sich; er ist unabhängig vom Mechanismus zur Umverteilung.72 Daneben vermindert der kombinierte Ansatz zusätzlich die soziale Wohlfahrt durch die Normen, die nicht nach Effizienzgesichtspunkten gestaltet sind, sondern am Ziel der Verteilungsgerechtigkeit orientiert sind.73 Deshalb spricht viel dafür, dass Umverteilungsambi-
71 Sog. „labour-leisure choice“, Kaplow/Shavell, 23 J. Legal Stud. (1994), 667, 677 oder auch „work-leisure trade-off“, Gómez, in: Collins (Hrsg.), Unfair Commercial Practices (2004), S. 187, 199, Fn. 22. 72 Kaplow/Shavell, 23 J. Legal Stud. (1994), 667, 668. Diese Annahme bestreitet Jolls, in: Sunstein (Hrsg.), Behavioral Law and Economics (2000), S. 288–301. Sie argumentiert, dass Erkenntnisse der kognitiven Psychologie dafür sprechen, dass die Allokationsverzerrungen bei Umverteilungen durch das Steuersystem und Transferleistungen in der Realität höher seien als bei einem System, das die gleichen Umverteilungsergebnisse durch die Ausrichtung privatrechtlicher Normen zu erreichen sucht. 73 Sog. „double-distortion argument“, vgl. Sanchirico, 29 J. Legal Stud. (2000), 797, 799. In diesem Aufsatz findet sich auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Argumentation von Kaplow/Shavell. Dagegen wiederum Kaplow/Shavell, 29 J. Legal Stud. (2000), 821–835. Das „doubledistortion argument“ wurde in früheren Arbeiten noch nicht berücksichtigt, in denen davon ausgegangen wird, dass es zwischen einem System, das Umverteilung durch Transferzahlungen und das Steuersystem anstrebt und einem System, das zudem auf sonstige rechtliche Regelungen setzt, die die sozial Schwächeren fördern sollen, vom Gesichtspunkt der Effizienz her betrachtet keine grundsätzlichen Unterschiede gäbe, vgl. Calabresi, 100 Yale L. J. (1991), 1211, 1224, Fn. 36; Kronman, 89 Yale L. J. (1980), 472, 508.
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tionen grundsätzlich effizienter durch Transferleistungen oder das Steuersystem verwirklicht werden können.74 Außerdem ist zu bedenken, dass Umverteilung durch Transferleistung oder steuerliche Regelungen viel zielgenauer erreicht werden können.75 Begünstigt etwa eine absatzbezogene Regelung alle zu privaten Zwecken am Markt Tätigen zum Nachteil der Marktgegenseite, kommt dieser Umverteilungsmechanismus nicht nur den sozial Schwachen, sondern auch den wohlhabenden Verbrauchern zu Gute. Dem Staat stehen dagegen bei Umverteilungen über Transferleistungen und Steuern zielgenauere Instrumente zur Verfügung, um die Bedürftigkeit des Einzelnen einschätzen zu können. Diese grundsätzliche Kritik an den Ambitionen, über die Ausgestaltung rechtlicher Regeln außerhalb des Steuersystems und der Transferleistungen zur Verteilungsgerechtigkeit beizutragen, ist nicht unwidersprochen geblieben.76 Argumentiert wird, dass auf realen Märkten verbraucherbegünstigende Regelungen häufig wegen der damit verbundenen Transaktionskosten nicht durch die Marktgegenseite konterkariert werden, so dass das Umverteilungsziel doch erreicht werde.77 Verwiesen wird auch auf Studien, die für den Wohnungsmarkt 78 oder den Kreditmarkt 79 zu dem Ergebnis kommen, dass zwingende Regelungen zu Gunsten der Verbraucher (beispielsweise Mietpreiskontrolle) deren wirtschaftliche Lage effektiv verbessern können, ohne dass sonstige negative Auswirkungen auf den Markt zu befürchten seien, wie etwa eine Einschränkung des Angebots an Wohnungen oder steigende Kosten für Kredite. Die aufgeführten Studien zeigen, dass auch in Vertragsverhältnissen Umverteilung durch die Ausgestaltung privatrechtliche Normen möglich ist. Der Preismechanismus wirkt nicht in jedem Falle kompensierend. Gleichwohl werden damit nicht die grundsätzlichen Zweifel daran ausgeräumt, dass Umverteilungsambitionen effizient und präzise durch die Ausrichtung privatrechtlicher Normen zu verwirklichen sind.80
74 Eidenmüller weist darauf hin, dass die Überlegungen von Kaplow/Shavell nicht zwingend seien, da sie die Verwaltungskosten für die jeweiligen Maßnahmen außer Acht ließen. Es sei nicht unplausibel anzunehmen, dass es auch Konstellationen gebe, in denen die Verwaltungskosten für Umverteilung über das Steuersystem oder Transferleistungen höher seien als die Effizienzverluste durch eine auf Verteilungsgerechtigkeit zugeschnittene privatrechtliche Regelung, Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. (1998), S. 292 f. 75 Vgl. Polinsky, An Introduction to Law and Economics, 2. Aufl. (1989), S. 124–127. 76 Collins, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 49 (1992), S. 85, 87 und 94 f. 77 Vgl. Ramsay, Consumer protection, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law (1998), vol. I, S. 410, 413 f. 78 Markovits, 89 Harv. L. Rev. (1976), 1815–1846; Note, 101 Harv. L. Rev. (1988), 1835–1855. 79 Schill, 77 Va. L. Rev. (1991), 489–538. 80 Vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. (1998), S. 306.
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§ 6 Denkbare Leitideen für die Regelung des Absatzverhältnisses
3.
Unerwünschte Umverteilungseffekte
Abnehmerschützende Regulierung kann dazu führen, dass Vermögen von ärmeren zu wohlhabenderen Abnehmern umverteilt wird. Deutlich wird dies am Beispiel nicht-dispositiver Schadensersatzansprüche aus Gewährleistung oder Produkthaftung.81 Diese Ansprüche haben aus ökonomischer Perspektive den Charakter einer Versicherung. Die Anbieter schlagen die durchschnittlichen Kosten für die Begleichung der Ansprüche als „Versicherungsprämie“ auf den Produktpreis auf. Dabei differenzieren sie im Regelfall nicht zwischen den Abnehmern, so dass jeder Abnehmer unabhängig von seiner Einkommens- und Vermögenslage den gleichen „Versicherungsaufschlag“ zahlt. Da aber im „Versicherungsfall“ – etwa bei Tod oder Personenschaden auf Grund von Produktmängeln – die Abnehmer auch Schadensersatzzahlungen in Höhe des Einkommens erhalten, subventionieren die Kunden der niedrigen Einkommensschichten den Verdienstausfall der wohlhabenden Einkommensschichten mit.82 Weiter ist zu bedenken, dass zwingend hohe Qualitätsstandards zu Preiserhöhungen führen, die einkommensschwächere Abnehmer vom Markt ausgrenzen können.83 Beispielsweise legen Kreditgeber die Kosten für Information und Beratung sowie die damit zusammenhängenden Haftungsrisiken über den Zins auf die Kreditnehmer um. Je höher die Kosten der vermeintlich verbraucherschützenden Vorgaben sind, umso eher werden untere Einkommensschichten von Krediten ausgeschlossen. Durch Mindestanforderungen an die Produktqualität – von Sicherheitsanforderungen an technische Geräte bis zu den Bedingungen, unter denen Rechts- oder Steuerberatung angeboten werden darf – werden preiswerte Produkte mit geringer Qualität vom Markt gedrängt. Damit benachteiligt ein Regulierer gerade die unteren Einkommensschichten, die einen höheren Nutzen davon haben könnten, ein Produkt geringer Qualität zu konsumieren als keines. Schließlich haben empirische Studien gezeigt, dass einkommensschwache Abnehmergruppen nur in relativ geringerem Maße von Informationspflichten profitieren, etwa von der Produktinformation auf Etiketten, der standardisierten Information über die Kosten von Kreditverträgen oder von Prospekten für Investmentfonds oder Timesharingobjekten.84 Gleichzeitig bezahlen sie jedoch über den Preis diese
81 Schäfer, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung (2000), S. 563 f.; Calliess, AcP 203 (2003), 575, 585; Van den Bergh, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Effiziente Verhaltenssteuerung (1997), S. 77, 82 f. 82 Siehe auch das Beispiel bei Hartlief, 27 JCP (2004), 253, 260: Wird den Energielieferanten eine zwingende Haftung für Schäden auf Grund von Stromausfällen oder anderen Störungen auferlegt – man denke etwa an Spannungsschwankungen – bezahlen letztlich alle Kunden die Schäden über den Strompreis mit. Typischerweise sind diese Schäden aber bei wohlhabenderen Kunden größer, die etwa teure, empfindliche elektronische Geräte besitzen oder Aquarien mit wertvollen exotischen Fischen etc. 83 Adomeit, NJW 2004, 579, 581; Hartlief, 27 JCP (2004), 253, 258; Kötz, Europäisches Vertragsrecht I (1996), S. 197; Van den Bergh, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Effiziente Verhaltenssteuerung (1997), S. 77, 82. 84 Hynes/Posner, 4 Am. Law and Econ. Rev. (2002), 168, 170; Ogus, Regulation (1994), S. 129; Van den Bergh, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Effiziente Verhaltenssteuerung (1997), S. 77, 98 f.; jeweils mit Hinweisen auf empirische Studien.
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Instrumente des Abnehmerschutzes mit. Diese Beispiele deuten darauf hin, dass tatsächlich eher die gut verdienenden Mittelschichten von abnehmerschützenden Maßnahmen profitieren, seien es Inhaltsbestimmungen oder Informationsregeln, und dies auf Kosten der unteren Einkommensschichten.
4.
Ergebnis
Das freie Spiel der Marktkräfte führt nicht zu einer gesellschaftlich akzeptierten Einkommensverteilung. Deshalb muss auch eine ordnungspolitische Analyse davon ausgehen, dass Umverteilung ein legitimes Ziel rechtlicher Regulierung sein kann. Normen des Vertragsrechts oder andere Regeln, die das Absatzverhältnis regulieren, am Ziel der Umverteilung statt an Effizienzgesichtspunkten auszurichten, ist jedoch in vielen Fällen ein ungeeigneter, jedenfalls aber kein optimaler Weg, um Verteilungsgerechtigkeit zu fördern. Umverteilung ist effizienter durch andere Instrumente, nämlich durch Transferleistungen und das Steuerrecht, zu erreichen. Diese Erkenntnisse der Ökonomik konnten im Grundsatz nicht widerlegt werden. Selbst wenn man berücksichtigt, dass in einzelnen Konstellationen ein regulierendes Eingreifen den gewünschten Umverteilungseffekt hat, so ist jedenfalls nach dem Ausgeführten das Ziel der Verteilungsgerechtigkeit keine solide Basis, auf dem ein kohärentes, auch ökonomisch fundiertes Konzept für die Regulierung des Absatzverhältnisses aufbauen kann. Stets zu bedenken ist schließlich, dass einkommensschwache Gruppen nur in relativ geringerem Maße von abnehmerschützenden Maßnahmen profitieren und insbesondere ein überhöhtes Maß an Abnehmerschutz zu einer ungewollten Umverteilung von niedrigen zu wohlhabenden Einkommensschichten führt. Auch deshalb ist die Regulierung des Absatzverhältnisses durch Vertrags- und Lauterkeitsrecht denkbar ungeeignet, verteilungspolitische Ambitionen zu verwirklichen.
III.
Paternalismus
Es mag überraschen, dass Überlegungen zum Paternalismus bei der Frage nach Ansätzen für effiziente Regelungen von Bedeutung sein sollen. „Paternalismus“ wird intuitiv mit Gängelung und rechthaberischer, staatlicher Einmischung in private Entscheidungen, kaum aber mit liberalen Konzepten wie der Ausrichtung von Normen auf Wohlstandmaximierung in Verbindung gebracht. Zwei Elemente kennzeichnen eine Regelung als paternalistisch: Sie ergeht erstens im (vermeintlichen) Interesse und damit zum Wohle des von ihr erfassten Personenkreises. Zweitens beansprucht sie auch dann Geltung, wenn die Betroffenen der Regelung nicht zustimmen. Ihnen soll auch gegen ihren Willen geholfen werden.85 Rechtsnormen, die
85 Zu den Elementen der Paternalismusdefintion Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. (1998), S. 359 und Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht (1996), S. 7–14.
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überzeugend nur aus paternalistischer Motivation erklärbar sind, treten im Privatrecht zahlreicher auf, als man vielleicht auf den ersten Blick glauben mag. Ein gleichermaßen prominentes wie kontrovers diskutiertes Beispiel im europäischen Privatrecht ist Art. 7 Abs. 1 KaufRRL. Der Richtliniengeber ordnet dort an, dass die Gewährleistungsrechte der Richtlinie unabdingbar sind.86 Im Schrifttum war im Hinblick auf diese Vorschrift die Rede von „paternalistischem Ungeist“ 87 und von „spießbürgerlichem Paternalismus“ 88. Diese Formulierungen verdeutlichen, dass der Begriff „Paternalismus“ aus Sicht der Rechtswissenschaften häufig negativ verstanden wird.89 Er wird zumeist mit bevormundenden gesellschaftlichen Zuständen in Verbindung gebracht, seien es aristokratische Strukturen oder totalitäre Systeme. In einer freiheitlichen Gesellschaft wird „Paternalismus“ intuitiv als Fremdkörper empfunden. Dies scheint um so mehr für eine Analyse zu gelten, die auf Effizienz und Wohlstandsmaximierung ausgerichtet ist und damit auf liberalen Grundideen fußt. Gleichwohl können auch paternalistisch motivierte Regelungen aus wohlstandsökonomischer Perspektive überzeugend erklärt und gerechtfertigt werden.90 Denn eine mittel- oder langfristige Veränderung der Präferenzen von Individuen unter dem Einfluss paternalistischer Vorgaben kann zu Effizienzgewinnen führen.91 Um abzuschätzen, ob dies erstrebenswert ist, müssen diese Effizienzgewinne abgewogen werden mit den freiheitsbeschränkenden Wirkungen paternalistischer Intervention. Die konventionelle ökonomische Theorie tut sich schwer damit, paternalistische Regelungen zu analysieren. Denn ihre Modelle setzen typischerweise voraus, dass 86 Siehe hierzu die krit. ökonomische Analyse bei Gómez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EUKaufrechts-Richtlinie (2002), Einl., Rn. 116–124; siehe auch Canaris, AcP 200 (2000), 273, 362–364; Kirchner, ZRP 1997, 290, 293; Medicus, ZIP 1996, 1928, 1929 f. Pointierte Kritik an § 475 BGB, der Art. 7 Abs. 1 KaufRRL in das deutsche Recht transformiert, findet sich bei Adomeit, JZ 2003, 1053 f. und zuvor bereits in NJW 2002, Heft 43, Editorial; siehe dazu die Replik von Reich in einem Leserbrief, NJW 2002, Heft 49, XIV f. Andererseits wird die zwingende Geltung des Gewährleistungsrechts auch verteidigt, so übernehmen etwa Stijns/van Gerven, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 7 Rn. 6, die – freilich wenig aussagekräftige – Begründung des Richtliniengebers: „Die Effektivität der KaufR-RL und die Wirkung, die sie zwischen Verbraucher und Verkäufer tatsächlich entfaltet, hängen entscheidend davon [d. h. von ihrem zwingenden Charakter, Anm. d. Verf.] ab“. Siehe auch Grundmann, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Vereinheitlichung und Diversität (2002), S. 284, 306 f., der relativierend auf das begrenzte Ausmaß der Anordung hinweist und insbesondere darauf, dass für die Vertragsgemäßheit nach Art. 2 Abs. 1 KaufRRL primär die Parteiabrede maßgeblich sei und Möllers, in: Bottke/Möllers/Schmidt (Hrsg.), Recht in Europa (2003), S. 189, 212 f., der Art. 7 Abs. 1 KaufRRL damit rechtfertigt, dass marktliche Informationsdefizite überwunden werden können. 87 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 363, Fn. 315. 88 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 364. 89 Vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. (1998), S. 358; siehe demgegenüber Sunstein/Thaler, 70 U. Chi. L. Rev. (2003), 1159, 1165: “The thrust of our argument is that the term ‘paternalistic’ should not be considered pejorative, just descriptive.“ 90 Sunstein/Thaler, 70 U. Chi. L. Rev. (2003), 1159–1202 unter dem programmatischen Titel: „Libertarian Paternalism Is Not an Oxymoron“. Krit. zur Rechtfertigung paternalistischer Motive durch Effizienzüberlegungen Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. (1998), S. 367–370; dazu auf S.182. 91 Gómez, in: Collins (Hrsg.), Unfair Commercial Practices (2004), S. 187, 199.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
die Präferenzen der Nachfrager intern stabil, widerspruchsfrei und dem Einzelnen auch bewusst sind (logical rationality).92 Damit geht die ökonomische Theorie von einem sehr restriktiven Verständnis menschlicher Rationalität (human rationality) aus. Unberücksichtigt bleiben der Inhalt der Präferenzen 93 und die Frage, ob die Ergebnisse individueller Entscheidungen tatsächlich den Präferenzen entsprechen. Will man paternalistische Interventionen analysieren, deren Ziel gerade darin besteht, Präferenzen zu beeinflussen, ist das Modell der logischen Rationalität deshalb wenig hilfreich. Unverzichtbar ist dann, auch die Ergebnisse individueller Entscheidungsprozesse (nämlich inwieweit sie zu Ergebnissen führen, die tatsächlich den Präferenzen entsprechen) und die Folgen rechtlicher Interventionen in diese Prozesse zu berücksichtigen. Dies soll das Konzept der materiellen Rationalität (substantive rationality) leisten.94 Dieser Ansatz betrachtet auch, inwieweit ein Individuum tatsächlich erfolgreich seine Interessen verfolgen und sein Wohl fördern kann. Dadurch wird es möglich, Aspekte in die Analyse mit einzubeziehen, die Individuen daran hindern, effiziente Entscheidungen zu treffen, obwohl ihnen alle dafür notwendigen Informationen zur Verfügung stehen.
1.
Effizienz durch Paternalismus
Wann kann aber paternalistisches Recht durch Effizienzüberlegungen gerechtfertigt sein? Der Ausgangspunkt, um diese Frage zu beantworten, soll in einer kritischen Auseinandersetzung mit den Annahmen des Modells liegen, das paternalistische Eingriffe ablehnt. Nach einem solchen liberalen Konzept ist die Möglichkeit der freien, individuellen Entscheidung stets vorzugswürdig. Die Freiheit, individuell zu entscheiden, führt danach notwendigerweise zu Ergebnissen, die am besten den Präferenzen des Einzelnen entsprechen.95 Die einem solchen Modell zu Grunde liegende Argumentation ruht im Kern auf zwei Prämissen: Zum einen muss man annehmen, dass sich Individuen in einer Entscheidungssituation ex ante ihrer Präferenzen bewusst sind und alle Faktoren im Blick haben, die ihre Präferenzen definieren. Zum Zweiten setzt das Modell voraus, dass der Einzelne auch fähig ist, die Entscheidung zu treffen, die seinen Präferenzen entspricht. Ein Blick auf die Welt realer Entscheidungssituationen offenbart freilich, dass beide Prämissen nur für wenige Entscheidungen erfüllt sind. Die ex-ante-Präferenzen von Individuen sind häufig in sich widersprüchlich. Nicht selten werden Entscheidun-
92 Kahnemann, JITE/ZgS 150 (1994), 18, 18 f.; Burrows, 15 Int. Rev. of Law and Econ. (1995), 489, 490; siehe für eine prägnante Zusammenfassung der Rational Choice Theory und ihrer Berechtigung: Ulen, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 98, 106–111; ausführlicher Korobkin/Ulen, 88 Cal. L. Rev. (2000), 1051, 1060–1075. 93 Trebilcock, The Litmits of Freedom of Contract (1993), S. 147. 94 Kahnemann, JITE/ZgS 150 (1994), 18, 18–20 und 32; Burrows, 15 Int. Rev. of Law and Econ. (1995), 489, 490. 95 Sog. instrumentalist argument, dazu und zum Folgenden Burrows, Oxf. Econ. Papers 45 (1993), 542, 542–555 und ders., 15 Int. Rev. of Law and Econ. (1995), 489, 491–495.
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gen impulsiv oder übereilt getroffen, die der Einzelne nach einiger Überlegung und Berücksichtigung „tiefer“ liegender Präferenzen ex post gerne korrigiert hätte.96 Zu berücksichtigen ist zudem, dass Präferenzen dynamisch sind. Erfahrungen führen zu neuen Erkenntnissen und verändern die Präferenzen. Will ein Individuum optimal entscheiden, muss es Erfahrungen reflektieren und bei seiner Entscheidung berücksichtigen. Allein die Erfüllung dieser Bedingung erscheint kaum plausibel für viele Situationen, in denen unter Druck Entscheidungen getroffen werden müssen. Noch komplizierter wird es allerdings, bezieht man mit ein, dass sich die Präferenzen durch die zu treffende Entscheidung selbst ändern.97 Um sein eigenes Wohl zu optimieren, muss der Einzelne antizipieren, wie sich seine Präferenzen bei alternativen Entscheidungen verändern werden und dies berücksichtigen. Diese theoretischen Anforderungen an eine rationale Entscheidung sind praktisch kaum zu erfüllen. Studien haben gezeigt, dass es Individuen schwer fällt, vorherzusehen, wie sich ihre Präferenzen verändern werden.98 Bestimmte Entscheidungen sind nur einmal oder doch sehr selten zu treffen. In einer solchen Situation ist es schon theoretisch nicht oder kaum möglich, aus Erfahrungen auf die Änderung der Präferenzen zu schließen. In anderen Situationen können Entscheidungen fatale Folgen haben. Dies schließt ebenfalls aus, sich seine Präferenzen neu bewusst zu machen.99 Schätzt ein Individuum aber seine Präferenzen richtig ein, sieht es sich mit dem Problem konfrontiert, tatsächlich die „richtige“ Entscheidung zu treffen. Aus verschiedenen Optionen ist diejenige zu wählen, die zu Ergebnissen führt, die am besten seinen Präferenzen entsprechen. Eine solche rationale Entscheidung verlangt einerseits ein hohes Maß an Vorstellungsvermögen, um überhaupt alle in Betracht kommenden Optionen erkennen zu können. Andererseits bedarf es beträchtlicher analytischer Fähigkeiten, um die Folgen einer Option abschätzen und seinen Präferenzen gegenüberstellen zu können.100 Die Probleme, die für eine rationale Entscheidung notwendigen Informationen zu erlangen und aufzunehmen sowie die beschränkten Fähigkeiten, diese Informationen auch zu verarbeiten, werden unter dem Stichwort der „eingeschränkten Rationalität“ (bounded rationality) diskutiert. Informationen zu suchen, aufzunehmen und zu verarbeiten kostet Zeit, Energie und Geld. Vielfach sind Individuen nicht gewillt, diese in Informationen zu investieren.101 Ein solches Verhalten ist dann rational, wenn die potenziellen Kosten den Nutzen übersteigen (rational ignorance). Dies führt dazu, dass Informationen, die prinzipiell verfügbar sind, nicht in die Entscheidungsfindung einfließen und deshalb u. U. keine optimale Entscheidung getroffen wird.
96 Burrows, 15 Int. Rev. of Law and Econ. (1995), 489, 492. 97 Burrows, 15 Int. Rev. of Law and Econ. (1995), 489, 493 f. 98 Kahnemann, JITE/ZgS 150 (1994), 18, 25–27. 99 Burrows, Legal paternalism and efficiency, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law (1998), vol. II, S. 539, 540 f. 100 Burrows, 15 Int. Rev. of Law and Econ. (1995), 489, 494. 101 Eisenberg, 47 Stan. L. Rev. (1995), 211, 214.
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Aber auch die erfassten Informationen werden nur in beschränktem Maße verarbeitet und nur unvollkommen bei der Entscheidung berücksichtigt. Die Gründe dafür sind einerseits psychologischer Natur, worauf sogleich zurückzukommen sein wird. Andererseits liegen sie auch schlicht in den Grenzen des menschlichen Intellekts begründet: Die Fähigkeit, Risiken und Chancen zu kalkulieren, Erfahrungen richtig auszuwerten und aus ihnen für die Zukunft zu lernen und dergleichen mehr, ist individuell beschränkt.102 Das Gut Information kennzeichnet deshalb ein abnehmender oder ab einer bestimmten Informationsmenge sogar negativer Grenznutzen.103 Dass die Fähigkeit, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten begrenzt ist, gilt im Übrigen nicht nur für Menschen, sondern für jedes System. Alle Systeme sind der Zeitbeschränkung unterworfen und auch Computer können nur in begrenztem Umfang Daten verarbeiten. Das Problem der eingeschränkten Rationalität ist deshalb kein technologisches, sondern ein prinzipielles.104 Der spätere Nobelpreisträger Simon hatte bereits in den 1950er Jahren als Gegenentwurf zum rational choice-Ansatz ein verhaltenstheoretisches Modell der Entscheidungsfindung entwickelt.105 Er stellt dem ökonomischen Standardmodell des homo oeconomicus den satisficing man gegenüber. Der satisficing man strebt nicht an, eine bekannte Nutzenfunktion zu optimieren, sondern sucht ein zuvor definiertes, zufrieden stellendes Anspruchsniveau zu erreichen: “Whereas economic man maximizes – selects the best alternative from among all those available to him, his cousin, administrative man, satisfices – looks for a course of action that is satisfactory, ‘good enough’.” 106
Während des Suchvorgangs passt der satisficing man sein Anspruchsniveau an. Stellt sich heraus, dass es relativ leicht erreicht wird, hebt er es an; lässt sich das anfangs angestrebte Niveau nicht mehr erreichen, senkt er sein Ziel. Entspricht schließlich eine verfügbare Alternative dem Anspruchsniveau, stellt er die Suche ein und wählt diese Alternative. “Most human decision-making, whether individual or organizational, is concerned with the discovery and selection of satisfactory alternatives; only in exceptional cases is it concerned with the discovery and selection of optimal alternatives [...] An example is the difference between searching a haystack to find the sharpest needle in it and searching the haystack to find a needle sharp enough to sew with.” 107
102 Simon, 69 Am. Econ. Rev. (1979), 493, 502–503. 103 Eidenmüller, JZ 2005, 216, 218; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001), S. 115; Van den Bergh, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Effiziente Verhaltenssteuerung (1997), S. 77, 84. 104 Klopstech/Selten, Formale Konzepte eingeschränkt rationalen Verhaltens (1981), S. 2 f. 105 Grundlegend Simon, 69 Q. J. Econ. (1955), 99–118; neu abgedruckt in ders., Models of Man: Social and Rational (1957), S. 241–260; für eine Zusammenfassung siehe Erlei/Leschke/Sauerland, Neue Institutionenökonomik (1999), S. 9–12. Eine Übersicht über weitere Ansätze zur Formalisierung des Konzepts des eingeschränkt rationalen Verhaltens findet sich bei Klopstech/Selten, Formale Konzepte eingeschränkt rationalen Verhaltens (1981), S. 4–25. 106 Simon, Administrative Behaviour, 3. Aufl. (1976), S. XXIX. 107 March/Simon, Organizations (1958), S. 140–141.
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Das Satisficing-Modell ist somit von der Einsicht gekennzeichnet, dass der Mensch, der praktisch nicht fähig ist, seine Entscheidungen zu optimieren, sich angesichts der Komplexität seiner Umwelt an Routineregeln hält. Treten neue Probleme auf, definiert er ein individuelles Anspruchsniveau. Gelingt es ihm, dieses Niveau zu erreichen, akzeptiert er dies als befriedigende Lösung. Simons Kritik blieb indes unspezifisch; seinem Verhaltensmodell fehlte es deshalb zunächst etwas an Überzeugungskraft.108 Für die notwendige empirische Fundierung sorgten in der Zeit danach die Kognitionspsychologie und die experimentelle Ökonomik. Mit einer Vielzahl von Studien wurde gezeigt, dass Menschen tatsächlich in der Praxis häufig auf Routineregeln setzen, anstatt zu versuchen, auf der Basis der Informationen, über die sie verfügen, eine rationale Entscheidung zu treffen. Eine Untersuchung zum Verhalten von Haushalten in flut- bzw. erdbebengefährdeten Gebieten 109 hat ergeben, dass die Bewohner kaum versuchten, Risiken und Kosten abzuwägen, um festzustellen, ob es für sie nützlich wäre, sich gegen Flut oder Erbeben zu versichern. Dies galt selbst dann, wenn sie hinreichend informiert waren, um eine rationale Entscheidung treffen zu können. Vielmehr entschieden sie entsprechend früherer Erfahrungen mit Erdbeben bzw. Überschwemmungen oder richteten sich nach Hinweisen von Freunden und Nachbarn. Bei den Entscheidungsmechanismen der Praxis handelt es sich also nicht selten um bloße Faustregeln, die zu systematischen Fehlern bei der Entscheidungsfindung führen können. Menschen neigen dazu, zukünftige Entwicklungen zu optimistisch einzuschätzen und ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen.110 Sie treffen Entscheidungen auf Grundlage von Beispielen, die nicht repräsentativ sind.111 Der Wert sofortiger Vorteile wird gegenüber zukünftigen Vorteilen typischerweise überschätzt.112 Unterschätzt werden in der Regel Risiken, bei denen die Wahrscheinlich-
108 Eidenmüller, JZ 2005, 216, 218. 109 Kunreuther, 24 Public Policy (1976), 227, 255. 110 Eisenberg, 47 Stan. L. Rev. (1995), 211, 216–218 mit zahlreichen illustrativen Forschungsergebnissen der kognitiven Psychologie. Beispielsweise glauben 90 Prozent aller Autofahrer, besser zu fahren als der Durchschnitt. Eine Mehrheit der Menschen geht davon aus, dass ihre Chancen auf persönlichen und beruflichen Erfolg überdurchschnittlich gut seien. Paare, befragt kurz nach der Eheschließung, schätzten richtig ein, dass ca. 50 Prozent aller Ehen in den Vereinigten Staaten geschieden werden. Mit null Prozent veranschlagten sie allerdings die Möglichkeit, dass dies auch das Schicksal ihrer eigenen Ehe werden könnte. Ehefrauen vermuteten, dass nur 40 Prozent aller Männer nach einer Scheidung ihren gerichtlich bestätigten Unterhaltsverpflichtungen nachkommen würden. Aber alle Frauen gingen davon aus, dass ihr Ehemann in einer solchen Situation ordnungsgemäß Unterhalt zahlen würde. 96 Prozent aller Professoren gehen davon aus, überdurchschnittlich gute Professoren zu sein, Eidenmüller, JZ 2005, 216, 218. Siehe zum Phänomen des over-confidence bias auch Ulen, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 98, 117–122 und für Erklärungsansätze und weitere Beispiele Jolls, in: Sunstein (Hrsg.), Behavioral Law and Economics (2000), S. 288, 292. 111 Eisenberg, 47 Stan. L. Rev. (1995), 211, 218–222; Ramsay, Consumer protection, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law (1998), vol. I, S. 410, 411. 112 Eisenberg, 47 Stan. L. Rev. (1995), 211, 222. Diese Beobachtung geht bereits auf den englischen Ökonomen Arthur C. Pigou zurück: „Generelly speaking, everybody prefers present pleasures or satisfactions of given magnitude to future pleasures or satisfactions of equal magnitude, even when the latter are perfectly certain to occur. But this preference for present pleasures does not –
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
keit, dass sie sich verwirklichen, gering ist.113 Das Gegenteil gilt, wenn der Einzelne unmittelbar mit der Möglichkeit konfrontiert wird, dass ein grundsätzlich sehr unwahrscheinliches Risiko eintreten könnte. In einer solchen Situation tendieren Menschen dazu, das Risiko zu hoch zu bewerten.114 Festgestellt wurde auch, dass der Rahmen, in den eine Entscheidungsalternative eingebettet ist, den Ausgang einer Entscheidung in irrationaler Weise beeinflussen kann (sog. framing hypothesis).115 So werden etwa Verluste als schmerzlicher empfunden als nichtrealisierte Gewinne, selbst wenn der Nachteil bei wirtschaftlicher Betrachtung identisch ist. Daraus folgt beispielsweise, dass Personen eher bereit sind, ein Angebot anzunehmen, bei dem im Vergleich zu den allgemeinen Konditionen der Preis gesenkt wurde (was als Gewinn empfunden wird), als ein gleichlautendes Angebot, bei dem jedoch der Preis vergleichsweise angehoben wurde (was als Verlust angesehen wird). Anleger sind eher bereit, bei steigenden als bei fallenden Kursen zu verkaufen, auch wenn sie in beiden Fällen den gleichen Gewinn realisieren könnten. Denn im zweiten Fall empfinden sie die Transaktion eher als Verlust des hypothetisch höheren Gewinns, für den Fall, dass sie zu einem früheren Zeitpunkt verkauft hätten. Mit dem experimentell nachgewiesenen Effekt der framing hypothesis wurde auch begründet, warum die US-amerikanische Kreditkartenindustrie vehement versucht, zu verhindern, dass es Verkäufern gestattet sei, Kreditkartenzahlern gegenüber Bargeldzahlern einen Aufpreis abzuverlangen, sie gleichzeitig aber hinnimmt, dass bei Bargeldzahlungen ein Rabatt gewährt wird. In der ersten Situation soll der Aufpreis als Verlust auf Grund der Zahlung per Kreditkarte empfunden werden, in der zweiten Situation betrachtet man den potenziellen Rabatt als nichtrealisierten Gewinn, der aber weniger schwer wiegt.116 Das Phänomen der kognitiven Dissonanzen (cognitive dissonance) beschreibt, dass Personen Informationen selektiv aufnehmen und verarbeiten.117 Dem liegt unbewusst das Ziel zu Grunde, vorgefasste Anschauungen aufrechterhalten zu können. Denn
the idea is self-contradictory – imply that a present pleasure of given magnitude is any greater than a future pleasure of the same magnitude. It implies only that our telescopic faculty is defective, and that we, therefore, see future pleasures, as it were, on a diminished scale“, Pigou, The Economics of Welfare (1920), S. 24 f. (Hervorhebung im Original). 113 Eisenberg, 47 Stan. L. Rev. (1995), 211, 223 f.; Kunreuther/Slovic, 68 Am. Econ. Rev., Papers and Proceedings (1978), 64, 67. 114 Eisenberg, 47 Stan. L. Rev. (1995), 211, 224 f.; Ramsay, Consumer protection, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law (1998), vol. I, S. 410, 411. 115 Eisenberg, 47 Stan. L. Rev. (1995), 211, 218–220; Korobkin/Ulen, 88 Cal. L. Rev. (2000), 1051, 1104–1107; Sunstein/Thaler, 70 U. Chi. L. Rev. (2003), 1159, 1179; Eidenmüller, JZ 2005, 216, 219; illustrativ zur Wirkung der framing hypothesis in Verhandlungssituationen: Bazerman, in: Breslin/Rubin (Hrsg.), Negotiation Theory and Practice, 2. Aufl. (1993), S. 197, 197–200. 116 Hogarth, Judgement and Choice, 2. Aufl. (1988), S. 104; krit. zu dieser Erklärung für das Verhalten der Kreditkartenindustrie Kitch, 6 Journal of Law, Economics, and Organization (1990), 217–233. 117 Grundlegend Festinger, A theory of cognitive dissonance (1957); zur ökonomischen Charakterisierung Akerlof/Dickens, 72 Am. Econ. Rev. (1982), 307–319.
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§ 6 Denkbare Leitideen für die Regelung des Absatzverhältnisses
niemand möchte gezwungen sein, sich selbst oder gar anderen gegenüber eingestehen zu müssen, einen Fehler begangen oder eine falsche Entscheidung getroffen zu haben.118 Menschen neigen also dazu, Informationen auszublenden, die ihr eigenes Image als „smart, nice people“ in Frage stellen würden. Das Phänomen der kognitiven Dissonanzen kann beispielsweise erklären, warum die gerade beschriebenen Anleger, die wegen des Effekts der framing hypothesis nicht rechtzeitig bei fallenden Kursen noch einen Gewinn realisiert haben und bei weiter fallenden Kursen in die Verlustzone geraten sind, häufig weiter abwarten und hoffen, die Baisse aussitzen zu können, anstatt sich von den Anteilen zu trennen und abzuwarten oder sich neu am Markt zu positionieren.119 Die geschilderten Phänomene hindern Personen daran, rationale, an ihren Präferenzen orientierte Entscheidungen zu treffen. Zu betonen ist, dass diese Problematik nicht grundsätzlich am Maß oder der Qualität der Informationen anknüpft, über die die Betroffenen verfügen. Sie kann nicht auf „unvollkommene Information“ als eine Form von Marktversagen reduziert werden. Vielmehr handelt es sich im Kern um ein Problem, das nachgelagert ist und in die Phase der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen fällt, die an sich verfügbar sind. Informationsregeln können demzufolge nicht prinzipiell, sondern allenfalls graduell Abhilfe schaffen. Vorgaben über die Art und Weise, wie Informationen der Marktgegenseite zur Verfügung zu stellen sind (etwa Standardisierungsregeln) können dazu beitragen, dass die intellektuellen Anforderungen bzw. die Kosten gering sind, derer es bedarf, um Informationen auszuwerten und zu verarbeiten. Festzuhalten bleibt aber, dass gerade die belegten individuellen Probleme, eine rationale, präferenzorientierte Entscheidung zu treffen, Ansatzpunkt für ökonomisch gerechtfertigte Interventionen aus paternalistischen Motiven heraus bieten kann. Denn die ökonomische Theorie hat auch gezeigt, dass selbst geringe individuelle Abweichungen vom rational gebotenen Verhalten durch Kumulierungen starke ökonomische Effekte haben können.120 Aus dem Blickwinkel der Wohlstandsmaximierung ist damit grundsätzlich Raum für paternalistisch motivierte Eingriffe.
118 Mit der rhetorischen Frage danach, wie oft man denn schon einmal einen Mann in einem Pub habe erklären hören, dass sein letzter Autokauf ein voller Fehlgriff war und er jedem von diesem Modell nur abraten könne, brachte Geraint Howells diesen Aspekt auf den Punkt, SECOLAKonferenz „EC Law of Marketing Contracts and Fair Dealing“, London, 16. Mai 2002. 119 Im Zusammenhang hiermit steht auch der Effekt des sunk cost-fallacy, d. h. der Weigerung, sich selbst einzugestehen, dass es u. U. besser ist, getane Investitionen, die sich nicht rentiert haben, abzuschreiben und dem „schlechten Geld“ nicht noch „gutes Geld“ hinterherzuwerfen, Eidenmüller, JZ 2005, 216, 219. 120 Akerlof/Yellen, 75 Am. Econ. Rev. (1985), 708–720; Akerlof, 81 Am. Econ. Rev., Papers and Proceedings (1991), 1–19.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
2.
Grundsätzliche Kritik
a)
Effizienz nur als Vorwand für paternalistische Interventionen
Angemerkt wird teilweise, dass Effizienzargumente nur benutzt würden, um Paternalismus zu kaschieren.121 Richtig daran ist, dass eine Norm ihren paternalistischen Charakter nicht dadurch verliert, dass sie wohlfahrtsmaximierend wirkt. Widersprochen werden müsste aber einer These, wonach Effizienz in der Regel nur „vorgeschoben“ werde, um Paternalismus zu rechtfertigen. Dies mag zwar für einige vorgebrachte Beispiele plausibel sein: Wird versucht, die Nichtigkeit von Sklavereiverträgen (oder entsprechend von Verträgen über sexuelle Dienstleistungen) unter Hinweis auf die entgegenstehenden Langzeitpräferenzen der Betroffenen 122 oder den externen psychischen Kosten Dritter 123 zu rechtfertigen, ist dies in der Tat wenig überzeugend.124 Diese Beispiele zeigen aber nur, dass Effizienz kein umfassendes Konzept zur Begründung paternalistischer Regelungen sein kann, sondern dass es dazu weiterer Ansätze bedarf.125 Gleichwohl gibt es nicht wenige Konstellationen, bei denen das Motiv der Effizienzsteigerung ein überzeugender Ansatz ist, paternalistische Regelungen zu rechtfertigen. Steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht zu, nachdem er einen Vertrag an der Haustür geschlossen hat, auf das er auch nicht unter Preisnachlass verzichten kann, spricht einiges dafür, dass jedenfalls eine gewisse Anzahl von Verträgen wieder aufgelöst wird, die nur durch das Überraschungsmoment zustande gekommen sind und in keiner Weise den Präferenzen des Verbrauchers entsprechen.126 Kaum vorgeschoben scheint auch zu sein, dass die vom Staat auferlegte Pflicht wohlfahrtsmaximierend wirkt, für die Zeit nach dem Erwerbsleben Vorsorge zu tragen. Denn belegt ist, dass Individuen von sich aus kein angemessenes Maß an Altersvorsorge treffen würden.127 Dies verdeutlicht, dass es sehr wohl Konstellationen gibt, in denen eine Effizienzsteigerung als Motiv nicht den Blick auf die wahren Hintergründe einer paternalistischen Regelung verstellt, sondern die Regelung überzeugend begründet.
121 In diese Richtung etwa Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. (1998), S. 370: „Es erscheint wenig sinnvoll und wird auch den mit rechtlichem Paternalismus verbundenen Problemen nicht gerecht, die Existenz paternalistischer Motive im Recht ganz zu leugnen oder aber nach anderen ,technischen‘ und vermeintlich unverdächtigen Erklärungen oder Rechtfertigungen für derartige Regelungen zu suchen.“ 122 Cooter, 64 Notre Dame L. Rev. (1989), 817, 825. 123 Calabresi/Melamed, 85 Harv. L. Rev. (1972), 1089, 1111 f. 124 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. (1998), S. 367–369; vgl. auch Möschel, FS Tilmann (2003), S. 705, 717. 125 Zu diesen Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. (1998), S. 370–388. 126 Zum Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften als paternalistische, aber wohlfahrtsfördernde Regelung Sunstein/Thaler, 70 U. Chi. L. Rev. (2003), 1159, 1187 f. Allerdings beeinträchtigen kognitive Dissonanzen die Wirkung eines Widerrufsrechts, dazu oben S. 180. 127 Akerlof/Dickens, 72 Am. Econ. Rev. (1982), 307, 317; Eisenberg, 47 Stan. L. Rev. (1995) 211, 222.
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§ 6 Denkbare Leitideen für die Regelung des Absatzverhältnisses
b)
Vorrang der individuellen Entscheidungsfreiheit vor Effizienzüberlegungen
Auf paternalistischen Motiven ruhende Eingriffe wird generell ablehnen, wer das Recht des Einzelnen auf Entscheidungsfreiheit und ein autonomes, selbstbestimmtes Leben als einen Wert an sich begreift und darin ein vorrangiges Recht sieht. Jede paternalistische Regelung ist dann als ein Eingriff in dieses Recht zu betrachten, das nicht durch Wohlstandsgewinne gerechtfertigt werden kann, wie gering auch immer die damit verbundenen Freiheitsverluste sein mögen. Eine solch liberale Position klingt bereits in den Worten John Stuart Mills an: “That principle is [ ] that the only purpose for which power can be rightfully exercised over any member of a civilised community, against his will, is to prevent harm to others. His own good, either physical or moral, is not a sufficient warrant. He cannot rightfully compelled to do or forbear because it will be better for him to do so, because it will make him happier, because, in the opinions of others, to do so would be wise, or even right. These are good reasons for remonstrating with him, or reasoning with him, or persuading him, or entreating him, but not for compelling him, or visiting him with any evil in case he do otherwise.” 128
Diese Kritik richtet sich gegen das Ziel der Wohlstandsmaximierung selbst. Es sei als nachrangig gegenüber der individuellen Freiheit anzusehen. Dieser Ansatz sprengt den Argumentationsrahmen dieser Arbeit; eine nachhaltige Auseinandersetzung wäre nur im Rahmen einer umfassenden Diskussion über die angemessene Rolle des Zieles der Wohlstandsmaximierung für die Rechtssetzung und Rechtsauslegung möglich. An dieser Stelle soll deshalb nur Folgendes zu bedenken gegeben werden: Der Begriff der Freiheit darf nicht nur negativ definiert werden.129 Das Recht auf individuelle Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben reduzierte sich anderenfalls auf ein Abwehrrecht, das den Einzelnen gegen bevormundende Eingriffe schützt. Aber das Wesen der Freiheit drückt sich nicht nur darin aus, irgendetwas nicht tun zu müssen, sondern auch in der Möglichkeit, seine Ziele und Wünsche verwirklichen zu können, also aktiv Entscheidungen zu treffen, die zu Ergebnissen führen, die den individuellen Präferenzen entsprechen. Paternalistische Interventionen, die zu mehr Effizienz führen, können dem Einzelnen einen Zuwachs an positiver Freiheit bescheren.130 Diese Überlegung spricht dafür, von Fall zu Fall mögliche Effizienzgewinne durch paternalistische Interventionen und das damit verbunden Mehr an positiver Freiheit gegen die Einbußen an negativer Freiheit abzuwägen.
3.
Ergebnis
Paternalistisch motivierte Eingriffe können auch aus Effizienzgesichtspunkten heraus sinnvoll sein. Ob eine Intervention tatsächlich zu effizienteren Ergebnissen führt, hängt von mehreren Umständen ab: Es muss sich darlegen lassen, dass es 128 Mill, On Liberty (1865), S. 6. 129 Vgl. Neuner, Privatrecht und Sozialstaat (1999), S. 86–90. 130 Zu diesem Aspekt Burrows, Oxf. Econ. Papers 45 (1993), 542, 560 f.; ders., 15 Int. Rev. of Law and Econ. (1995), 489, 496.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
nicht genügt, eine freie, selbstbestimmte Entscheidung zu gewährleisten, um die soziale Wohlfahrt zu maximieren. Ist diese Annahme in vielen Kontexten plausibel, so muss aber zudem dargetan werden, dass der Regulierer tatsächlich über das Wissen für eine effizientere Lösung (superior knowledge) verfügt und weiter gehend auch über die erforderlichen Instrumente, um individuelle Entscheidungen fördern oder erzwingen zu können, die dieser Lösung nahe kommen und damit die soziale Wohlfahrt fördern. Führt man sich vor Augen, wie dynamisch und disparat die Präferenzstruktur der Abnehmer ist, so wird leicht nachvollziehbar, dass Ökonomen paternalistisch motivierte Eingriffe auch angesichts der Erkenntnisse der kognitiven Psychologie und der damit verbundenen Kritik an der Annahme rationalen Verhaltens skeptisch betrachten.131 Regulierung aus paternalistischen Motiven heraus lässt sich deshalb nur punktuell rechtfertigen.
§ 7 Kompensation von Informationsdefiziten als überzeugende Leitidee der Regelung des Absatzverhältnisses Unvollkommene Information ist der überzeugende Ansatz, ein Leitbild für die Regelung von Absatzverhältnissen zu zeichnen. Die Entstehung der Informationsökonomik der 1970er Jahre und insbesondere Akerlofs Modell vom „Market for Lemons“ kann als die „Schlüsseltheorie“ angesehen werden, um das Verbraucherschutzrecht zu verstehen.1 Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass auf realen Märkten viele Akteure Entscheidungen treffen, ohne vollständig informiert zu sein. Je nach dem Ausmaße der Informationsmängel können dadurch Märkte erheblich in ihrer Funktionsfähigkeit eingeschränkt werden. Man spricht von „Informationsmängeln“ als einer Form von Marktversagen.2
I.
Informationsmängel auf Absatzmärkten
Zunächst kann innerhalb von Informationsmängeln unterschieden werden zwischen unzureichender Information über die Qualität eines Gutes, seinem Nutzen und seinem Preis.3 Von hervorragender Relevanz für die Regelung des Absatzverhältnisses ist die Qualitätsunkenntnis: Marktteilnehmer können häufig die Qua131 Gómez, in: Collins (Hrsg.), Unfair Commercial Practices (2004), S. 187, 199 f.; Kirchner, JITE/ ZgS 150 (1994), 37, 41; zu dieser Kritik Sunstein/Thaler, 70 U. Chi. L. Rev. (2003), 1159, 1200. 1 Schäfer, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung (2000), S. 559 f.; ähnlich Shapiro, JITE/ZgS 139 (1983), 527, 528: „The economics of consumer protection is the economics of information“ und Van den Bergh, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Effiziente Verhaltenssteuerung (1997), S. 77, 84: „Es handelt sich hier [bei der Theorie von Akerlof, d. Verf.] um eine allgemeine Theorie des Verbraucherschutzes [...]“. 2 Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 279. 3 Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 280.
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§ 7 Kompensation von Informationsdefiziten als überzeugende Leitidee
lität der Variablen einer Transaktion nicht hinreichend genau einschätzen, um eine wohlinformierte Entscheidung zu treffen. Von unzureichender Information über die Qualität eines Gutes können beide Marktseiten betroffen sein. Folge der Informationsasymmetrien kann sein, dass der Markt für gute Qualität gestört wird oder sogar zusammenbricht und nur noch schlechte Qualität angeboten wird (adverse Selektion).
1.
Qualitätsunkenntnis auf Seiten der Abnehmer
Typischerweise sind Anbieter besser als Abnehmer über die Qualität der Variablen einer Transaktion informiert. Dies liegt für die Produktqualität jedenfalls für den Hersteller auf der Hand, da er das Produkt konzipiert und produziert hat. Aber auch ein Händler hat häufig spezielle Kenntnisse über die Produkte eines Sortiments und kann daher die Qualität eines Produktes besser einschätzen. Für Abnehmer ist es dagegen aufwendiger, sich über die Qualität zu informieren. Zudem gilt für den Regelfall, dass es für die Anbieter relativ betrachtet billiger ist, sich zu informieren. Denn die Kosten, die sie dafür ausgeben, die Qualität eines Produktes zu testen, die Etikettierung und die Werbung zu entwickeln, allgemeine Geschäftsbedingungen auszugestalten und sonstige Transaktionsvariablen zu optimieren, können sie auf eine Vielzahl von gleichartigen Transaktionen verteilen. Dagegen wird der Abnehmer jedenfalls typischerweise ein Gut nur einmal oder jedenfalls in viel geringerer Anzahl erwerben wollen, so dass es für ihn nicht nur aufwendiger, sondern relativ gesehen auch erheblich teurer ist, diese Informationen zu beschaffen. Sind die Informationskosten prohibitiv hoch, ist die uninformierte Entscheidung durch den Abnehmer die effizientere Variante.4 Zuletzt sollte nicht vergessen werden, dass ein Informationsvorsprung eines Anbieters auch darauf beruhen kann, dass er die Marktgegenseite irregeführt oder sogar bewusst getäuscht hat. Irreführende und betrügerische Praktiken können das Marktverhalten und die Entscheidungsfindung erheblich verzerren. Deshalb besteht eine der Hauptaufgaben der Regelung der Beziehung zwischen Anbieter und Abnehmer darin, solche Praktiken abschreckend zu sanktionieren und der Gegenseite effektive Instrumente zur Verfügung zu stellen, die negativen Folgen betrügerischer Praktiken zu beseitigen.
2.
Klassifizierung von Gütereigenschaften nach der Tendenz zu Informationsproblemen
Güter bzw. Eigenschaften von Gütern lassen sich danach klassifizieren, in welchem Ausmaß der Anbieter ihre Qualität besser beurteilen kann als der Abnehmer. Üblicherweise differenziert man zwischen homogenen Gütern, Such- bzw. Inspek4
Der Abnehmer verhält sich dann als „rational fool“, siehe bereits oben S. 177.
185
Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
tionsgütern, Erfahrungsgütern sowie Vertrauens- bzw. Glaubensgütern.5 Keinerlei Informationsnachteile für eine Marktseite gibt es bei homogenen Gütern. Anbieter und Abnehmer sind über alle ihre Qualitätseigenschaften informiert. Dies kann nur bei Gütern mit standardisierter Qualität in Frage kommen. Produzenten können beispielsweise dann gezwungen sein, die Qualität einer bestimmten Produktgattung zu standardisieren, wenn das Produkt börsenmäßig gehandelt wird. Solches trifft etwa auf Bodenschätze wie Erdöl oder Erze und bestimmte Getreide- oder Kaffeesorten zu. Such- bzw. Inspektionsgüter sind dadurch gekennzeichnet, dass die Abnehmer sich über die Qualitätsmerkmale des Produktes unter relativ niedrigen Kosten informieren können, indem sie das Produkt betrachten, ausprobieren etc. Das mag etwa bei Geschirr, einfachen Möbelstücken oder Anzügen der Fall sein. Bei dieser Art von Gütern spielen Informationsnachteile der Abnehmer eine untergeordnete Rolle. Demgegenüber lässt sich die Qualität sog. Erfahrungsgüter erst beurteilen, nachdem der Abnehmer sie erworben hat. Das kann einerseits in der Natur des Produktes seinen Grund haben oder darin, wie es aufgemacht ist. So lässt sich bei Dosensuppe erst feststellen, ob sie ungenießbar ist, nachdem sie geöffnet wurde. Auch die Qualität eines Restaurants wird man erst beurteilen können, nachdem man zumindest einmal dort eingekehrt ist. Andererseits können auch die Kosten, die mit einem Qualitätstest einer Ware verbunden sind, für ein Gut oder doch für einen bestimmten Qualitätsaspekt eines Gutes die Klassifizierung als Erfahrungsgut begründen. Ein privater Abnehmer wird etwa kaum die Kosten auf sich nehmen, eine bestimmte Sorte von Fisch daraufhin prüfen zu lassen, ob sie mit Schwermetallen belastet ist. Wäre der Verbraucher mit diesem Problem alleine gelassen, würde er eine schlechte Qualität dieses Aspektes erst anhand einer Vergiftung „erfahren“. Am stärksten ausgeprägt sind die Informationsnachteile zu Lasten der Abnehmer bei den sog. Glaubens- bzw. Vertrauensgütern. Hier lässt sich die Qualität eines bestimmten Produktes auch dann nicht sicher beurteilen, nachdem man es verwendet hat. Ein Beispiel dafür ist die Behandlung von Krankheiten. Ob eine Heilung gerade auf Grund oder nur trotz der Einnahme eines bestimmten Medikaments, der Durchführung eines chirurgischen Eingriffs etc. erfolgte, lässt sich nie zuverlässig ermitteln. Dafür sind die Prozesse zu komplex, die zum Ergebnis „Heilung“ führen. Die Qualität des Medikaments oder des ärztlichen Heileingriffes bleibt für die Patienten und die zahlenden Versicherungen regelmäßig im Dunklen. Es darf freilich nicht verkannt werden, dass es sich bei den vier Kategorien nur um ein Modell handelt. Nicht viele Produkte lassen sich idealtypisch klassifizieren. Gerade bei komplexeren Produkten sind verschiedene Qualitätsaspekte zu differen-
5 Die Bezeichnungen „Suchgut“ (search good) und „Erfahrungsgut“ (experience good) gehen zurück auf die Studie von Nelson, 78 J. Pol. Econ. (1970), 311–329; der Begriff der „Glaubensgüter“ (credence good) wurde von Darby/Karni geprägt, 16 J. of Law & Econ. (1973) 67, 68 f. Zum folgenden Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 285 f.; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl. (2005), S. 503 f.
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§ 7 Kompensation von Informationsdefiziten als überzeugende Leitidee
zieren.6 So mag ein Laie, der ein gebrauchtes Kfz erwerben will, zwar Leistungsmerkmale des Autos, die bereits gefahrenen Kilometer und auch die Beschaffenheit der Karosserie relativ unproblematisch erkennen können. Viele Merkmale, wie etwa der Verschleiß an Motor oder Getriebe, wird er gleichwohl nur „erfahren“ können. Somit stellt sich ein Gebrauchtwagen dem Laien teils als Suchgut dar, teils aber auch als Erfahrungsgut.
3.
Risiko der adversen Selektion
Sind auf einem Markt die Abnehmer systematisch unzureichend informiert über die Qualität der angebotenen Produkte oder zumindest einzelner Produktmerkmale, besteht die Gefahr, dass sich der Markt zu einem „Market for lemons“ entwickelt, also einem Markt, auf dem nur noch schlechte Qualität angeboten wird.7 Ausgangspunkt 8 ist die Überlegung, dass ein wohlinformierter Kunde seine Zahlungsbereitschaft an der Qualität des angebotenen Produktes ausrichtet. Kann er die Qualität nicht beurteilen, so wird als plausibel unterstellt, dass er allenfalls einen Preis zu zahlen bereit ist, der der durchschnittlichen Qualität angemessenen ist. Daraus folgt jedoch, dass Produkte mit überdurchschnittlicher Qualität nur mit relativ geringen Gewinnen oder gar mit Verlusten abzusetzen sind. Deshalb werden die Anbieter die durchschnittliche Qualität ihrer Produkte absenken. Dadurch wiederum sinkt auch der durchschnittliche Preis, den die Kunden, die ja über die tatsächliche Qualität des Produktes nicht informiert sind, zu zahlen bereit sind. Als Reaktion werden die Anbieter die Qualität der Produkte weiter absenken usw. Die schlechte Qualität verdrängt die gute Qualität. Dieser Prozess der adversen Selektion geht im Modell so fort, bis nur noch schlechte Qualität angeboten wird.
4.
„Qualitätsunkenntnis“ auf Seiten der Anbieter
Auch Informationsnachteile auf Seiten der Anbieter können einen Prozess adverser Selektion auslösen.9 Können die Anbieter nämlich transaktionsrelevante Faktoren im Einflussbereich der Abnehmer nicht genau einschätzen, so herrscht bei ihnen Unkenntnis über „Qualitätsmerkmale“ der Marktgegenseite. Instruktiv hierfür ist der Versicherungsmarkt. Kann ein Versicherer mangels Informationen über das Risiko, dass ein Versicherungsfall eintritt, die Prämien einzelner Versicherter nicht
6 Tirole, Industrial Organization (1988), S. 106. 7 Die Metapher des „Market for Lemons“ leitet sich daraus ab, dass im Amerikanischen ein Gebrauchtwagens mit erheblichen Mängeln als „lemon“ bezeichnet wird. Als Akerlof die Theorie von der Gefahr des Zusammenbruchs der Märkte für Qualität auf Grund von Informationsasymmetrien erstmalig begründete, hatte er als Beispiel auf den Markt für gebrauchte Kfz zurückgegriffen, Akerlof, 84 Q. J. Econ. (1970), 488–500. 8 Vgl. die knappe Darstellung bei Wein, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 80, 83. 9 Dazu Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 284 f.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
differenziert gestalten, wird er den Preis für die Versicherung so ausrichten, dass er im Durchschnitt keine Verluste erleidet. Da der auf der Grundlage der hohen und niedrigen Risiken ermittelte Tarif für die niedrigen Risiken relativ gesehen zu hoch ist, neigen diese dazu, auf eine Versicherung zu verzichten. Tendenziell sinkt deshalb der Anteil der niedrigen Risiken im Portefeuille. Der Versicherer, der sich am durchschnittlichen Risiko seiner Klienten orientiert, muss daraufhin die Prämien anheben. Folglich verzichten weitere von den niedrigen Risiken auf den Versicherungsschutz und die durchschnittliche Qualität der Risiken im Bestand des Versicherers sinkt weiter. Dieses Wechselspiel aus Preisanpassungen und adverser Selektion der Risiken führt im Modell dazu, dass letztlich nur noch hohe Risiken, wenn auch zu entsprechend hohen Preisen, versichert werden. Für niedrige Risiken kommt auf Grund der Informationsnachteile auf Seiten der Versicherer kein Markt zustande. Vergleichbare Probleme können auf dem Markt für Verbraucherdarlehen auftreten. Für eine optimale Bonitätsprüfung bei Privatpersonen müssten die Kreditgeber deren persönliche Verhältnisse tiefschürfend analysieren. Prognostiziert werden müsste das Risiko des Arbeitsplatzverlustes, von Krankheit, Unfällen, Ehescheidung, Entfall eines Einkommens wegen Kinderbetreuung etc.10 Allerdings sind im Marktsegment für Verbraucherkredite die Darlehensvaluta und damit auch die Gewinnspannen relativ gering,11 so dass es sich häufig nicht rentiert, die für eine detaillierte Analyse notwendigen Kosten aufzubringen. Die Kreditgeber entscheiden deshalb über die Kreditvergabe an Verbraucher anders als im „klassischen“ Kreditgeschäft lediglich anhand genormter, leicht feststellbarer und nachprüfbarer Kriterien.12 Können die Kreditgeber aber nicht optimal zwischen „guten“ und „schlechten“ Kreditnehmern unterscheiden, werden sie Darlehen zu einem Zinssatz gewähren, der das durchschnittliche Ausfallrisiko abdeckt. Den Verbrauchern, die eigentlich „gute“ Schuldner sind, werden deshalb Kredite lediglich zu ineffizient hohen Zinsen angeboten. Der Markt stellt ihnen kein angemessenes Produkt zur Verfügung. Auch dies kann einen Prozess adverser Selektion auslösen: Die „guten“ Schuldner werden bei zu hohen Zinsen eher aus dem Markt gedrängt als die „schlechten“ Schuldner.13 Denn sie können sich teilweise nicht nur die Kreditaufnahme zu diesen Konditionen nicht mehr leisten, sondern werden auch auf ein Darlehen verzichten, weil sie die nicht ihrer Bonität angepassten Konditionen als unfair empfinden. In der Konsequenz sinkt die durchschnittliche Qualität im Pool der Kreditnehmer. Dies wiederum führt dazu, dass der Kreditgeber den Preis anheben muss, worauf erneut ein Teil der Kreditnehmer mit überdurchschnittlicher Bonität auf den Kredit
10 Rösler/Mackenthun/Pohl, Handbuch Kreditgeschäft, 6. Aufl. (2002), S. 240–243. 11 Rösler/Mackenthun/Pohl, Handbuch Kreditgeschäft, 6. Aufl. (2002), S. 234. 12 Rösler/Mackenthun/Pohl, Handbuch Kreditgeschäft, 6. Aufl. (2002), S. 234. Für einen einfachen Scoringbogen, mit dem die Banken die Bonität von Privatkunden beurteilen, siehe Becker/Peppmeier, Bankbetriebslehre, 4. Aufl. (2000), S. 129 f. 13 Hynes/Posner, 4 Am. Law and Econ. Rev. (2002), 168, 175.
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§ 7 Kompensation von Informationsdefiziten als überzeugende Leitidee
verzichten muss oder wird. Die Kreditnehmer mit guter Bonität werden so vom Markt gedrängt und der Preis für die Kreditvergabe pegelt sich auf einem ineffizient hohen Niveau ein.
5.
Nutzen- und Preisunkenntnis
Wird der Nutzen bestimmter Güter falsch eingeschätzt, spricht man von sog. Nutzenunkenntnis.14 Sind die Abnehmer unzureichend über den Nutzen eines Gutes informiert, kann dies dazu führen, dass es systematisch in zu hohem oder zu geringem Maße nachgefragt wird. Die Ursache dafür liegt häufig darin, dass der Nutzen eines Produktes erst wirklich offenbar wird, nachdem es konsumiert wurde. Hier werden Parallelen zur Kategorie der „Erfahrungsgüter“ deutlich, unter der Produkte zusammengefasst werden, bei denen sich die Qualität erst durch den Gebrauch erschließt. Das Problem der unzureichenden Nutzeninformation verschärft sich, trifft es mit Phänomenen der eingeschränkten Rationalität zusammen. Von Bedeutung ist etwa, dass Individuen dazu neigen, den Nutzen eines Gutes zu unterschätzen, wenn er erst in der Zukunft sichtbar wird und stattdessen den Nutzen sofort spürbarer Vorteile zu hoch werten.15 Dieses Verhaltensmuster führt zu systematischen Fehleinschätzungen: So würden Individuen nicht in angemessenem Maße für die Zeit nach ihrem Erwerbsleben vorsorgen, gäbe es keine obligatorische Rentenversicherung.16 Probleme der Nutzenunkenntnis sind deshalb bei Gütern wie Altersabsicherung, Gesundheitsvorsorge oder Bildung von besonderer Brisanz. Sind die Marktteilnehmer nicht hinreichend über den Preis informiert, den ein Anbieter für seine Produkte verlangt, oder sind sie bei einer Mehrzahl von Anbietern nicht über die Preisverteilung informiert, spricht man von Preisunkenntnis.17 Dass es sich hierbei nicht nur um eine theoretische Möglichkeit handelt, ist bei ökonomischer Betrachtung selbstverständlich: Da es stets mit Kosten verbunden ist, Informationen zu gewinnen, ist ein Optimum an Informationen über den Preis erreicht, wenn die Kosten für die Gewinnung einer zusätzlichen Informationseinheit den erwarteten zusätzlichen Nutzen übersteigen. Somit existiert auf jedem Markt auch ein „optimales Maß an Preisunkenntnis“.18 Für den Absatz von Waren und Dienstleistungen spielt das Phänomen der Preisunkenntnis neben den Informationsasymmetrien bzgl. der Produktqualität nur eine untergeordnete Rolle.19 Der Wettbewerb zwingt die Anbieter im Regelfall zur
14 Dazu Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 303–306. 15 Siehe Pigou, zit. oben § 6, Fn. 112. 16 Akerlof/Dickens, 72 Am. Econ. Rev. (1982), 307, 317; Eisenberg, 47 Stan. L. Rev. (1995) 211, 222. 17 Dazu Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 306 f. 18 Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 306. 19 Anders ist dies etwa auf dem Arbeitsmarkt: Ein Grund für einen permanent vorhandenen Sockelbetrag an Arbeitslosen wird im Informationsdefizit der Arbeitssuchenden über das an
189
Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
Preistransparenz. Im Übrigen lassen sich Preise zumeist leicht erfragen und ist ein Preisvergleich mittels einfacher rechnerischer Schritte durch die Zurückführung auf eine Einheit, etwa Preis pro Liter, unkompliziert möglich. Ein Vergleich wird jedoch dann erschwert, existiert beispielsweise keine einheitliche Maßeinheit oder setzt sich ein Preis wie etwa auf dem Kreditmarkt aus verschiedenen Kostenfaktoren zusammen, die nicht einheitlich bestimmt werden. Hier kann eine zwingend vorgegebene Standardisierung der Preisangabe (z. B. Preis pro Gramm oder effektiver Jahreszins) notwendig sein, um Informationsdefizite zu überwinden.
II.
Marktreaktionen auf Informationsdefizite
Nach alledem wäre es jedoch verfehlt, anzunehmen, dass ohne regulierende Hilfestellung Informationsdefizite und die Gefahr adverser Selektion die Absatzmärkte dominierten. Der mit einem Informationsnachteil belasteten Marktgegenseite, dem sog. Prinzipal, stehen nämlich unterschiedliche Wege offen, den Wissensvorsprung der Gegenseite, des sog. Agenten, wettzumachen.20 Man kann drei Strategien unterscheiden, mit denen die Marktteilnehmer versuchen, Informationsprobleme zu überwinden: Screening, Signaling und Interessenharmonisierung.
1.
Screening
Das Screening umfasst alle Anstrengungen des Prinzipals, Informationen einzuholen, um damit die Informationsasymmetrie abzubauen.21 Abnehmer können etwa selbst ein Produkt begutachten, es vor dem Kauf ausprobieren und alle Informationen auswerten, die ihnen der Anbieter zur Verfügung stellt. a)
Screening mit Hilfe von Intermediären
Stößt der Prinzipal beim Erschließen und Auswerten von Informationsquellen an seine Grenzen, kann er die Hilfe Dritter in Anspruch nehmen. Diese Rolle als Hilfspersonen beim Screening spielen die sog. Informationsintermediäre.22 In der Praxis einem bestimmten Arbeitsplatz erzielbare Entgelt gesehen, sog. Theorie der Sucharbeitslosigkeit, dazu Helberger, Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung 1982, 398, 399–402; Rothschild, WiSt 1979, 518–523. 20 Die Prinzipal-Agent-Theorie stellt einen analytischen Rahmen für die Untersuchung der Probleme zur Verfügung, die mit einer asymmetrischen Informationsverteilung verbunden sind. Der Theorie liegt ein Modell zugrunde, in dem eine asymmetrische Informationsverteilung zu Lasten des Prinzipals vorliegt, vgl. Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 291–296. In der hier zu untersuchenden Beziehung zwischen Anbieter und Abnehmer können – wie gezeigt – Informationsnachteile zu Lasten beider Marktseiten vorliegen. Dementsprechend können Anbieter und Abnehmer, abhängig vom jeweiligen Aspekt, sowohl Agent als auch Prinzipal im Sinne der Prinzipal-Agent-Theorie sein. 21 Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 298. 22 Informationsintermediäre können auch Funktionen des Signaling übernehmen, siehe dazu unten S. 198.
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§ 7 Kompensation von Informationsdefiziten als überzeugende Leitidee
wird auf sie vor allem zurückgegriffen, um sich über die Qualität eines Produktes zu informieren. Informationsintermediäre lassen sich nach dem Grad ihrer Unabhängigkeit vom Produzenten typisieren.23 Die Typologie reicht vom Angestellten oder Vertreter eines Produzenten über den Anbieter konkurrierender Produkte mehrerer Hersteller bis zum reinen Informationsintermediär, der lediglich Informationen zur Verfügung stellt, ansonsten aber keine Transaktionen durchführt. Intermediäre können Informationen relativ kostengünstig erlangen und verarbeiten.24 Informationsbeschaffung und -verarbeitung ist mit hohen Fixkosten verbunden. Dem stehen geringe (Grenz-) Kosten für die Nutzung einmal aufgebauter Informationspools gegenüber. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass professionelle Intermediäre eine einmal erschlossene Informationsquelle um Informationen zu beschaffen für ganz unterschiedliche Märkte nutzen können und damit die durchschnittlichen Kosten senken können. Schließlich können professionelle Intermediäre Transaktionen auf dem Markt für Informationen auch effizienter ausführen. Sie befinden sich in einer besseren Verhandlungsposition, da sie Erfahrungen mit den Verhandlungsmechanismen haben und durch sich wiederholende Transaktionen auch mehr in die Ausgestaltung von Standardverträgen investieren können.25 Durch ihre Tätigkeit ist es Intermediären möglich, ein weit gespanntes Kommunikationsnetzwerk aufbauen, das es ihnen erlaubt, auch auf wechselnde Bedürfnisse schnell und flexibel zu reagieren. Zudem verfügen sie zumeist über spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten, sei es durch Ausbildung oder Erfahrung, sowie über optimierte Technologien, die es ihnen ermöglichen, auf effiziente Weise Zugang zu bestimmten Informationen zu erlangen und diese schnell und zielorientiert zu verarbeiten. Auf Grund ihrer Erfahrungen wissen Intermediäre auch häufig am besten, wie Informationen für den Nutzer verständlich und seinen Bedürfnissen entsprechend aufzuarbeiten sind.26 Vorteilhaft für die Versorgung der Märkte mit Informationen ist, wenn sich ein Wettbewerb zwischen den Intermediären über die Qualität der Beratung entfacht.27 Da es bei Information über die Qualität eines Produktes nicht nur um verifizierbare Angaben geht, sondern die Beratung durch den Intermediär auch auf dessen subjektiven Beurteilungen beruht, werden gleichartige Informationsanfragen unterschiedlich gelöst: Ein Kunde, der sich bei mehreren Fachhändlern über Fernseher informiert, wird unterschiedliche Empfehlungen erhalten, welches Gerät seinen Bedürfnissen am besten entspräche. 23 Siehe für eine Typologie Grundmann/Kerber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 264, 268. 24 Grundmann/Kerber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 264, 269–272; Rose, The Economics, Concept, and Design of Information Intermediaries (1999), S. 58–65; Yavas, 5 Journal of Economics and Management Strategy (1996), 195–216. 25 Rose, The Economics, Concept, and Design of Information Intermediaries (1999), S. 64. 26 Rose, The Economics, Concept, and Design of Information Intermediaries (1999), S. 78 f.; Zelewski, Die Betriebswirtschaft 1987, 737, 740 f. 27 Grundmann/Kerber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 264, 273–275.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
Informationsintermediäre helfen den Abnehmern, eine Vertragsentscheidung entsprechend ihrer Präferenzen zu treffen. Sie reduzieren oder eliminieren Informationsasymmetrien. Damit können sie ein Marktversagen auf Grund von Informationsproblemen verhindern und dazu beitragen, Märkte zu generieren oder zu stabilisieren. Die Möglichkeit, von dritter Seite Informationen zu erhalten, ist freilich immanent begrenzt. Diese Grenzen sind einerseits ökonomischer Natur. Denn Information hat die Eigenschaften eines öffentlichen Gutes: 28 Es kann grundsätzlich von mehreren Individuen gleichzeitig genutzt werden, ohne dass sich diese in ihrem Konsum gegenseitig beeinträchtigen 29 und es ist kaum bzw. nur unter prohibitiv hohen Kosten möglich, entweder allen Nutzern den Gebrauch in Rechnung zu stellen oder zu verhindern, dass Zahlungsunwillige das öffentliche Gut nutzen können. Diese Eigenschaften führen dazu, dass Märkte typischerweise kein sozial optimales Maß an öffentlichen Gütern produzieren. Erhält ein Prinzipal gegen Entgelt Informationen von einem Dritten, kann er diese selbst nutzen und auch an andere Prinzipale weitergeben. Zwar kann der Anbieter untersagen, diese Informationen weiterzugeben. Praktisch ist eine solches Verbot jedoch häufig schwer kontrollierbar. Es besteht deshalb die Gefahr, dass sog. Trittbrettfahrer das Gut „Information“ nutzen können, ohne dafür einen Preis zu entrichten.30 Daraus folgt ein hohes Risiko, dass der Markt für Informationen versagt. In vielen Fällen kann man deshalb Informationen von Dritten lediglich aus privaten Quellen erhalten 31 („Wo gibt es denn hier ein gutes italienisches Restaurant?“) oder wenn der Staat eingreift, indem er etwa Verbraucherschutzberatung subventioniert. Erfolgreich kann auch eine Selbstorganisation einer Marktseite funktionieren, wie etwa das Modell der SCHUFA in Deutschland zeigt, über die sich vor allem die Kreditwirtschaft, aber auch andere Unternehmen über die Kreditwürdigkeit von Personen informieren. Auch das Arrow-Paradoxon behindert die Entstehung von Märkten für Information,32 ein Phänomen, das mit dem Charakter des Gutes „Information“ zusammenhängt: Ein Marktteilnehmer wird nur dann Information erwerben wollen, wenn er von ihrer Nützlichkeit überzeugt ist. Dies setzt voraus, dass ihn der Intermediär, der Informationen anbietet, über die Information informiert. Das ist freilich in vielen Fällen kaum möglich, ohne die eigentlich zu veräußernde Information selbst zu enthüllen. Die Marktgegenseite ist nicht hinreichend über den Nutzen der Infor28 Shapiro, JITE/ZgS 139 (1983), 527, 529; Ulen, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 98, 100–102. 29 Man spricht von der „Nichtrivalität im Konsum“ als Eigenschaft öffentlicher Güter, Hanusch/ Kuhn/Cantner, Volkswirtschaftslehre, 5. Aufl. (2000), S. 92. 30 Es handelt sich dabei um einen postitven externen Effekt im Konsum, Varian, Microeconomics, 6. Aufl. (2003), S. 602. 31 Shapiro, JITE/ZgS 139 (1983), 527, 533. 32 Grundlegend Arrow, in: Nelson (Hrsg.), The Rate and Direction of Inventive Activity (1962), 609, 615; siehe auch Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001), S. 156 f.; Grundmann/Kerber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 264, 275 f.; Hadfield/Howse/Trebilcock, 21 JCP (1998), 131, 143; Wein, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 80, 82 f.
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§ 7 Kompensation von Informationsdefiziten als überzeugende Leitidee
mation informiert. Dies führt dazu, dass Nachfrager tendenziell Informationen unterbewerten und deshalb ihren Reservationspreis geringer festlegen, als es ihren Präferenzen entspricht. Viele Transaktionen über Information, die an sich wohlfahrtssteigernd wirkten, kommen deshalb nicht zustande. Dem dargelegten Paradoxon liegt die Erkenntnis zugrunde, dass es sich bei dem Gut „Information“ zumindest um ein Erfahrungsgut handelt. Darüber hinaus können Erwerber von Information in vielen Fällen deren Qualität aber selbst im Nachhinein sehr schwer oder gar nicht beurteilen, d. h. Information kann sogar die Eigenschaft eines Vertrauensgutes annehmen. Dies birgt die Gefahr einer adversen Selektion auf dem Markt für Information in sich, in deren Folge die durchschnittliche Qualität der angebotenen Informationen stetig sinkt und es schließlich zu einem kompletten Marktversagen kommen kann.33 Die Informationsbeschaffung mit Hilfe Dritter unterliegt auch praktischen Grenzen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Information über das Produkt und das Produkt selbst nur zusammen erhältlich sind. Bei vielen Dienstleistungen ist es nicht möglich, umfangreiche Informationen aus mehr als einer Quelle zu erschließen. Beispielhaft sei die Durchführung eines riskanten chirurgischen Eingriffes genannt, in dessen Verlauf erst eine exakte Diagnose gestellt werden kann.34 Bezieht ein Abnehmer Informationsintermediäre in die Anbahnung einer Transaktion ein, kann er damit Informationsdefizite abbauen, schafft sich gleichzeitig jedoch neue principal-agent-Probleme.35 Die Beziehung zwischen einem Intermediär und seinen Klienten ist selbst durch Informationsasymmetrien gekennzeichnet. Denn die Dienste eines Informationsintermediärs sind wiederum Erfahrungs- oder Vertrauensgüter, über deren Qualität sich ein Klient in der Regel kein Urteil bilden kann bzw. die er nur mit ineffizient hohem Aufwand prüfen könnte. Der Klient kann kaum die Qualifikation und die Fähigkeiten eines Intermediärs einschätzen (hidden characteristics). Er kann nicht beurteilen, welche Anstrengungen der Intermediär tatsächlich unternimmt, um seinen Auftrag zu erfüllen (hidden action), was die Gefahr des moral hazard in sich birgt. Schließlich kann der Klient nicht überblicken, ob der Intermediär tatsächlich allein in seinem Interesse handelt oder etwa auch seine Eigeninteressen berücksichtigt (hidden information). Möglich ist, dass der Intermediär die Informationsnachteile des Klienten unmittelbar zu seinem Vorteil ausnutzt, indem er Produkte empfiehlt, an deren Absatz er ein besonderes Interesse hat.36 Verkäufer in Warenhäusern etwa erhalten häufig zusätzliche Prämien, wenn es ihnen gelingt, besonders teure Unterhaltungselektronik, Bekleidung etc. zu verkaufen. Dieses Risiko kann ein Abnehmer verringern, wendet er sich an reine Infor-
33 Vgl. Grundmann/Kerber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 264, 277; Rose, The Economics, Concept, and Design of Information Intermediaries (1999), S. 158. 34 Shapiro, JITE/ZgS 139 (1983), 527, 530; Wein, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 80, 82. 35 Eckardt, Agent and Broker Intermediaries in Insurance Markets (2002), S. 7–9. 36 Sog. conflicts of interest-Problem, vgl. Grundmann/Kerber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 264, 277.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
mationsintermediäre, die nicht selbst die Produkttransaktion durchführen und die vom Klienten allein dafür bezahlt werden, dass sie ihn informieren. Es bleibt die Gefahr, auf Grund des Vergütungsmodus Fehlanreize zu setzen: 37 Wird der Intermediär pro durchgeführter Transaktion entlohnt, kann ihn das dazu verleiten, zu viele Transaktionen zu empfehlen, wogegen er bei Bezahlung pro Beratungszeit versucht sein kann, den Konsultationsprozess länger als notwendig zu gestalten. Die allgemeinen Marktmechanismen lindern die Informationsprobleme auf dem Markt für Informationsintermediäre: Die Anbieter von Informationen können hohe Qualität signalisieren, indem sie in den Aufbau einer guten Reputation investieren oder sich zu umfangreichen Gewährleistungen verpflichten. Nachfrager können sich Informationen über die Intermediäre beschaffen. Auf Grund der spezifischen Eigenschaften des Gutes „Information“ besteht trotz dieser Marktmechanismen gleichwohl ein großes Risiko, dass der Markt für Information ohne regulative Eingriffe versagt.38 Nicht zu vernachlässigen ist schließlich auch der Kostenaspekt: Die Einbeziehung von Intermediären verlängert die Kette der Transaktionen vom Produzenten zum (End-) Abnehmer und verursacht damit zusätzliche Kosten. Effizient ist ihr Einsatz deshalb nur, wenn die Vorteile auf Grund des Einsatzes von Informationsintermediären diese zusätzlichen Transaktionskosten kompensieren.39 b)
Positive externe Effekte zu Gunsten der Nichtinformierten
Die Informationsbeschaffung über Dritte mindert nur unter bestimmten Voraussetzungen die Probleme ungleicher Information, wie auch generell die Möglichkeit des Screening durch die potenziell verfügbaren Informationen begrenzt ist. Nicht notwendig ist allerdings, dass jeweils alle Marktteilnehmer auf einer Marktseite über Qualitätsstandards informiert sind, um die Gegenseite dazu zu motivieren, hohe Produktqualität anzubieten. Denn von informierten Abnehmern gehen positive externe Effekte auf die Nichtinformierten aus.40 Informierte Abnehmer stellen höhere Ansprüche und treiben dadurch die Qualität des Produktes nach oben. Die nichtinformierten Abnehmer können sich an ihnen orientieren. Außerdem stellen sie sicher, dass der Preis eines Produktes ein Indikator für die angebotene Qualität ist. Gezeigt wurde nämlich, dass ein relativ hoher Preis auch hohe Qualität signalisiert, solange sich informierte Abnehmer auf einem Markt befinden und der Anbieter keine Möglichkeit hat, zwischen den Abnehmern nach dem Grad ihrer Informiertheit zu differenzieren.41 Schwer einzuschätzen ist für einen Regelgeber freilich, wie groß der Anteil der informierten Abnehmer auf einem Markt sein muss, damit es sich erübrigt,
37 Grundmann/Kerber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 264, 277 f. 38 Grundmann/Kerber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 264, 278 f. und S. 281–285 zur unterstützenden Regulierung auf Märkten für Informationsintermediäre. 39 Hellwig, in: Giovannini/Mayer (Hrsg.), European financial integration (1991), S. 35, 42. 40 Schwartz/Wilde, 127 U. Pa. L. Rev. (1979), 630, 662–666; Wein, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 80, 82. 41 Tirole, Industrial Organization (1988), S. 107 f.
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§ 7 Kompensation von Informationsdefiziten als überzeugende Leitidee
regulierend einzugreifen.42 Angenommen wird, dass desto eher von einer genügend großen Anzahl solcher Abnehmer ausgegangen werden kann, je gezielter sich Verkaufsförderaktionen an die Gruppe der Abnehmer richten, die Qualität und Preise vergleichen, je stärker die Kommunikation zwischen informierten und nicht-informierten Abnehmern ist („Mund-zu-Mund-Propaganda“) und je sensibler Abnehmer auf gute oder schlechte Publicity in Bezug auf ein Produkt reagieren.43 c)
Angebote mit „harten“ Transaktionskonditionen
Es wurde gezeigt, dass Informationsdefizite nicht nur auf Seiten der Abnehmer bestehen, sondern auch auf Anbieterseite: Die mangelnde Kenntnis der Anbieter über das genaue Risiko, das sie etwa bei einer Kreditvergabe eingehen, kann verhindern, dass Kreditnehmer, bei denen eigentlich ein geringes Ausfallrisiko besteht, die also eine „gute Qualität“ als Schuldner haben, einen Kredit zu einem angemessenen Zinssatz angeboten bekommen.44 Für den Kreditgeber besteht nun eine Chance, seinen Informationsnachteil zu überwinden, darin, dass er ein Darlehen zu einem relativ niedrigen Zinssatz, aber unter sehr „harten“ Konditionen anbietet. Diese können etwa darin liegen, dass er sehr hohe Sicherheiten gegen den Ausfall der Tilgungen und Zinszahlungen verlangt und das Darlehen nur gegen Vereinbarung drastischer Rechtsfolgen bei Tilgungs- oder Zinszahlungsverzug auskehrt. Auf Grund der strengen Konditionen kann der Kreditgeber erwarten, dass eine Selbstselektion der Kreditnehmer stattfindet: Zum Vertragsschluss unter diesen Bedingungen werden sich angesichts der drohenden Folgen nur diejenigen bereit finden, die selbst einschätzen, dass bei ihnen das Ausfallrisiko gering ist.45 Der Einsatz „harter“ und evtl. aus Abnehmersicht auch „unfair“ erscheinender Transaktionskonditionen kann als Instrument des Screening angesehen werden. Es ermöglicht dem Anbieter, zwischen Kreditnehmern mit hohem und solchen mit geringerem Risikopotential zu unterscheiden. Auf diese Weise kann trotz Informationsdefizit der Prozess der adversen Selektion verhindert werden und es kann ein Markt für Kreditnehmer mit geringem Ausfallrisiko entstehen.
2.
Signaling
Hohe Preise und ein großer Marktanteil können einem Abnehmer gute Produktqualität signalisieren.46 Denn Anbieter im hochpreisigen Segment richten ihre Vertriebsstrategie typischerweise auf Wiederholungskäufe aus. Ist die Nachfrage 42 Schwartz/Wilde, 127 U. Pa. L. Rev. (1979), 630, 636 f. 43 Ogus, Regulation (1996), S. 123. 44 Siehe oben S. 188. 45 Zu diesem Instrument des Screening Hynes/Posner, 4 Am. Law and Econ. Rev. (2002), 168, 174 f.; Hadfield/Howse/Trebilcock, 21 JCP (1998), 131, 143; Gómez, in: Collins (Hrsg.), Unfair Commercial Practices (2004), S. 187, 206 f. 46 Shapiro, JITE/ZgS 139 (1983), 527, 533.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
nach einem Produkt konstant hoch, so kann dies darauf hindeuten, dass die Abnehmer mit der Produktqualität im Regelfall zufrieden sind. Für die besser informierte Marktseite bestehen darüber hinaus aber auch Anreize, gezielt Informationen bereitzustellen, um Informationsasymmetrien abzubauen und gewinnbringende Transaktionen zu ermöglichen, die ansonsten einer adversen Selektion zum Opfer fielen. a)
Mechanismus der freiwilligen Offenbarung von Information
Es ist eine auf den ersten Blick überraschende Erkenntnis spieltheoretischer Überlegungen, dass der Agent sich gezwungen sehen kann, sogar für ihn unvorteilhafte Informationen dem Prinzipal freiwillig zu offenbaren: 47 Wenn der Prinzipal weiß, dass der Agent über einen Aspekt der Transaktion besser informiert ist und der Prinzipal die fragliche Information ex post verifizieren kann, wird der rational handelnde Agent diese Information auch dann offenbaren, wenn sie für ihn nicht vorteilhaft ist.48 Dieser Mechanismus der freiwilligen Information der Marktgegenseite wird als unraveling result bezeichnet.49 Für Absatzmärkte bedeutet der Mechanismus, dass ein Anbieter eines Erfahrungsgutes, der über die Produktqualität einen Wissensvorsprung hat, seine Informationen dem Abnehmer auch dann mitteilt, wenn die Produktqualität nur unterdurchschnittlich ist. Weiß der Abnehmer nämlich, dass der Anbieter über die Qualität eine Aussage treffen könnte, dieses aber unterlässt, muss der Abnehmer zwangsläufig davon ausgehen, ihm werde nur die schlechtest denkbare Produktqualität angeboten. Diese Schlussfolgerung beruht im Ausgangspunkt auf der plausiblen Überlegung, dass ein Anbieter bestmöglicher Qualität keinen Grund hat, den Abnehmer über die Qualität seiner Ware im Unklaren zu lassen. Vielmehr liegt es in seinem Interesse, den Markt hierüber in Kenntnis zu setzen. Informiert er aber die Marktgegenseite über die Qualität seines Produktes, zwingt er gleichzeitig auch den Anbieter zweitbester Qualität dazu, den Qualitätsstandard seines Produktes gleichfalls zu offenbaren. Würde dieser das nämlich nicht tun, wüssten die Abnehmer ohnehin sogleich, dass er keine „erstbeste“ Qualität anbietet (da er ja sonst auf jeden Fall die Qualität kundgetan hätte), würden aber andererseits auch davon ausgehen, er biete eine weitaus schlechtere Qualität an. Um klarzustellen, dass er aber tatsächlich zumindest Produkte zweitbester Qualität anbietet, muss er diese Information an die Abnehmer weitergeben. Dadurch zwingt er jedoch wiederum den Anbieter drittbester Qualität dazu, auch seinen Qualitätsstandard am Markt offen zu legen, da für ihn parallele Überlegungen gelten. Es wird also ein fortlaufender Prozess in Gang gesetzt, in dessen Folge alle Anbieter den Qualitätsstandard ihrer Produkte
47 Grundlegend Grossman/Hart, 35 Journal of Finance (1980), 323–334; Milgrom, 12 Bell J. Econ. (1981), 380–391; Grossmann, 24 J. Law & Econ. (1981), 461–483. 48 Siehe für ein illustratives Beispiel Baird/Gertner/Picker, Game Theory and the Law (1994), S. 89 f. 49 Man spricht auch vom sog. „Revelationsprinzip“, so Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001), S. 129.
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§ 7 Kompensation von Informationsdefiziten als überzeugende Leitidee
preisgeben werden, solange sie nicht wirklich nur ein Produkt schlechtester Qualität anbieten.50 Der Mechanismus der freiwilligen Information gründet sich also auf die potenziellen Schlussfolgerungen, welche die mit Informationsnachteilen belastete Marktseite aus dem Schweigen der Gegenseite ziehen kann. Solche Schlüsse sind jedoch nur möglich, wenn der Abnehmer sicher sein kann, dass der Anbieter selbst über die Produktqualität informiert ist und wenn die Produktqualität nachträglich überprüfbar ist, es sich also um ein Erfahrungsgut handelt.51 Weiterhin setzen diese spieltheoretischen Überlegungen voraus, dass feststeht, welchen Inhalts die Information sein muss, damit sie aus Sicht der Marktgegenseite vorteilhaft ist. In der dargestellten Konstellation etwa ist klar, dass eine hohe Produktqualität besser ist als eine niedrige. Für manche Aspekte ist das allerdings nicht eindeutig. Ein Anbieter wird kaum wissen, welche Farbe ein Abnehmer für ein Produkt präferiert. Stellt man sich vor, dass diesbezüglich eine Informationsasymmetrie zu Lasten des Abnehmers besteht, kann er kaum Schlüsse aus dem Schweigen des Anbieters ziehen.52 Der Mechanismus zur freiwilligen Offenbarung von Informationen zeigt, dass es für den Agenten vorteilhaft sein kann, seinen Wissensvorsprung freiwillig aufzugeben. Freilich sind die Annahmen, die diesem spieltheoretischen Modell immanent sind, für viele Konstellationen nicht gegeben. b)
Instrumente des Signaling
Lösungen des Marktes für Informationsdefizite greifen aber auch dann ein, wenn die schlechter informierte Marktseite ex post die Informationen der Gegenseite kaum verifizieren kann. Dies ist nicht überraschend, bedenkt man, dass die adverse Selektion die Entstehung von Märkten für Güter mit hoher Qualität verhindert und folglich beiden Marktseiten schadet. Deshalb haben auch Anbieter ein Interesse daran, eine hohe Produktqualität zu signalisieren, um Informationsdefizite bei den Abnehmern zu überwinden. (1)
Reputation
Ein wirkungsmächtiger Mechanismus, um Informationsasymmetrien abzubauen, liegt im Aufbau von Reputation.53 Er ruht auf der verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnis, dass Individuen Erfahrungen, die sie in der Vergangenheit gemacht 50 Mathios, 43 J. Law & Econ. (2000), 651, 659–660, zeigt in einer empirischen Studie über die Angabe des Fettgehaltes auf den Etiketten von Salatdressings, dass die Anreize zur freiwilligen Information tatsächlich einen wichtigen Marktmechanismus bilden, allerdings nicht zur vollständigen Offenbarung wie im Modell führen. Denn außer den Marken mit sehr hohem Fettgehalt verzichteten auch einige der Produzenten von Dressings mit mittlerem Fettgehalt auf eine freiwillige Etikettierung. Deshalb können zwingende Informationspflichten trotz des Mechanismus der freiwilligen Information die Informationslage auf Märkten noch verbessern. 51 Zu möglichen Mechanismen des Screening oder Signaling bei nichtverifizierbaren Informationen Ulen, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 98, 104 f. 52 Baird/Gertner/Picker, Game Theory and the Law (1994), S. 96 f. 53 Wein, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 80, 88–90.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
haben, in die Zukunft extrapolieren.54 Erfährt auf einem durch Qualitätsunkenntnis gekennzeichneten Markt ein Abnehmer gute Qualität bei einem Anbieter, wird er davon ausgehen, dass der gleiche Anbieter auch bei zukünftigen Transaktionen seine Qualitätserwartungen erfüllen wird. Der Reputationsmechanismus ist ein erfolgreiches Instrument, um Märkte zu erschließen. Bietet ein Anbieter der Marktgegenseite anfangs gute und damit teure Qualität zu einem relativ geringen Preis an, werden die Kunden, die die Qualität beurteilt haben, später das Angebot des Anbieters auch zu einem höheren Preis akzeptieren. Reputation aufzubauen muss also als Investition verstanden werden, durch die es möglich ist, Informationsnachteile der Marktgegenseite abzubauen und deshalb auch Güter von hoher Qualität zu angemessenen Preisen zu vermarkten. Da eine einmal aufgebaute Reputation ein sehr empfindliches „Kapital“ ist, das durch schlechte Qualität sehr schnell gefährdet wird, und weil die für den Reputationsaufbau aufgewendeten Investitionen in der Regel irreversibel sind (sog. sunk costs 55), besteht für den Anbieter ein Anreiz, den Qualitätsstandard, dem er den Abnehmern signalisiert hat, aufrechtzuerhalten. Wie wirksam der Reputationsmechanismus in der Praxis ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, etwa davon, wie oft Abnehmer eine gleichartige Transaktion tätigen, wie genau sie nach einer Transaktion die vom Anbieter gelieferte Qualität verifizieren können, wie schnell die Lieferung schlechter Qualität tatsächlich zu einem Reputationsverlust führen kann, wie langfristig die Abnehmer tendenziell ein Produkt nachfragen und der Anbieter seine Strategie zum Aufbau von Reputation auslegt.56 Auf Märkten mit niedrigen Zutrittsschranken sind Anbieter eher gezwungen, eine gute Reputation aufzubauen, um Abnehmer an sich zu binden.57 Den Mechanismus, durch Reputation gute Qualität zu signalisieren, nutzen in erster Linie Anbieter hochwertiger Produkte. Allerdings können sich Abnehmer in gleicher Weise ihre Reputation zu Nutze machen: Ein Kreditnehmer kann sich durch dauerhaft vertragsgemäße Zinszahlungen und Tilgungen die Reputation eines „guten“ Schuldners verschaffen, damit Informationsnachteile bei Kreditgebern überwinden und gewährleisten, auch künftig mit Krediten bedient zu werden oder sogar günstigere Konditionen zu erhalten. Ein erhoffter Reputationstransfer kann auch Anreiz für Anbieter sein, sich eines bestimmten Intermediärs zu bedienen. Steht ein Intermediär nämlich in dem Ruf, gewissenhaft die von ihm vertriebenen Produkte auf ihre Qualität hin zu kontrollieren und auszuwählen, können Hersteller an dessen Reputation partizipieren, wenn
54 Hogarth, Judgement and Choice, 2. Aufl. (1987), S. 69 f., 212. 55 Zum Begriff Varian, Microeconomics, 6. Aufl. (2003), S. 358 f. 56 Shapiro, JITE/ZgS 139 (1983), 527, 532. Für Modelle zur Frage, unter welchen Voraussetzungen Anbieter hoher Qualität auch langfristig Anreize haben, diesen Standard zu halten siehe Klein/Leffler, 89 J. Pol. Econ. (1981), 615–641; für einen Überblick siehe Tirole, Industrial Organization (1988), S. 110–113 und 116–126. 57 Kirchner, in: Grundmann/Kerber/Weatherill, Party Autonomy (2001), S. 165, 172.
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sie ihre Produkte mit seiner Hilfe vertreiben.58 Der Intermediär wird als Garant für die Qualität der vertriebenen Produkte angesehen. Dies ist beispielsweise einer der Gründe dafür, warum sich Kapitalgesellschaften namhafter Investmentbanken bedienen, um Wertpapiere zu emittieren.59 (2)
Garantieversprechen
Anbieter können eine gute Produktqualität auch durch Garantieversprechen signalisieren, die über die zwingenden Gewährleistungsrechte hinausgehen.60 Abnehmer können aus der Garantie ableiten, dass der Anbieter viel daran setzen wird, tatsächlich einen hohen Qualitätsstandard zu erfüllen, um nicht zu hohen Garantieansprüchen ausgesetzt zu sein. Garantieversprechen als Instrument des Signaling einzusetzen, ist Anbietern allerdings nur begrenzt möglich. Um zu verhindern, dass Anbieter auch für das Risiko aufkommen müssen, dass die Abnehmer mit dem Produkt nicht sorgfältig umgehen oder die Garantie sonst missbrauchen (Problem des moral hazard), muss der Anbieter das Garantieversprechen zeitlich und inhaltlich beschränken.61 Außerdem besteht die Gefahr einer adversen Selektion zum Nachteil des Garantiegebers: 62 Güter mit einer umfangreichen Garantie sind gerade für Abnehmer attraktiv, bei denen auf Grund hoher Benutzungsintensität oder gewöhnlich unachtsamen Umgangs relativ häufig Mängel auftreten oder die mit hohen Mangelfolgeschäden rechnen. Demgegenüber sind für behutsame Nutzer die Garantien von untergeordneter Bedeutung. Deshalb werden sich unter den Abnehmern der Produkte mit umfangreichen Garantien auch überdurchschnittlich viele befinden, die die Garantie in Anspruch nehmen werden. Dies wiederum verteuert es für den Anbieter, die Garantie anzubieten. Die Gefahr des moral hazard und das Problem adverser Selektion begründen, dass auf realen Märkten Garantien nur in beschränktem Umfang angeboten werden. Im Übrigen ist zu bedenken, dass das Instrument der Garantie seiner rechtlichen Natur nach nur dort sinnvoll eingesetzt werden kann, wo der Anbieter einen Erfolg schuldet, also typischerweise bei Kauf- oder Werkverträgen. Dagegen scheidet es bei Dienstverträgen aus. Aber gerade Dienstverträge beinhalten häufig Leistungen mit dem Charakter eines Erfahrungsgutes, dessen Qualität auch ex post schwer verifizierbar ist. Genannt sei die Behandlung durch Ärzte oder die rechtliche Beratung.63
58 Spulber, 10 Journal of Economic Perspectives (1996), 135, 147 f. 59 Grundmann/Kerber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 264, 273. 60 Zur Signalfunktion der Gewährleistung Gómez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-KaufrechtsRichtlinie (2002), Einl., Rn. 75 f.; Priest, 90 Yale L. J. (1981), 1297, 1303–1307; Tirole, Industrial Organization (1988), S. 106 f.; Twigg-Flesner/Weatherill/Willett, 25 JCP (2002), 291, 292 f. 61 Dazu Gómez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie (2002), Einl., Rn. 82–84. 62 Gómez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie (2002), Einl., Rn. 86; Tirole, Industrial Organization (1988), S. 106. 63 In einigen Rechtsordnungen ist es Anwälten allerdings möglich, Verträgen mit conditional fees oder contingency fees anzubieten, um zu signalisieren, dass sie Leistung mit hoher Qualität offerie-
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
Zudem ist einzuräumen, dass Garantieversprechen nur dann als Signal für Produktqualität wahrgenommen werden, wenn die Abnehmer das Risiko erkennen, dass nicht in vertragsgemäßer Qualität geleistet werden wird. Verhaltenswissenschaftliche Studien um das Phänomen der eingeschränkten Rationalität zeigen, dass dies nicht selbstverständlich ist, denn Individuen haben typischerweise große Schwierigkeiten damit, Risiken richtig einschätzen zu können.64 Schließlich sieht sich ein Abnehmer, der erkennt, dass eine Garantie notwendig und zweckmäßig ist, Informationsproblemen mit Bezug auf die ihm angebotenen Garantien gegenüber: Es mag aufwendig für ihn sein, exakt zu erfassen und zu vergleichen, welche Leistungen die jeweiligen Garantien umfassen und welche Ansprüche ihm zustehen.65 Garantieversprechen sind daher zwar im Grundsatz sehr wirkungsvolle Instrumente, um gute Qualität zu signalisieren, gleichwohl können im Detail die Grenzen erheblich sein, die ihrer Wirkung entgegenstehen. (3)
Werbung
Traditionell unterschätzt und kritisch hinterfragt wurde die Rolle der Werbung als Informationsträger. Häufig wurden ihr negative Auswirkungen auf die soziale Wohlfahrt unterstellt.66 Seit jeher war zwar kaum zu bestreiten, dass Abnehmer durch die Werbung jedenfalls von der Existenz eines Produktes Kenntnis erlangen, je nach der Art der Werbung zudem auch von seinem Preis, der physischen Beschaffenheit, dem Ort, wo es erhältlich ist oder bestimmten Charakteristika. Damit reduziert die Werbung die Suchkosten der Abnehmer.67 Als sehr zweifelhaft erschien indessen die Aussagekraft der Werbung über die Qualität des Produktes und damit den Faktor, bei dem typischerweise weit reichende Informationsnachteile der Abnehmer bestehen. Dies gründet sich zum einen darauf, dass die Überzeugungskraft von Werbeaussagen über bestimmte Qualitätsmerkmale vom Charakter des Produktes bzw. der Eigenschaft abhängt, auf die sich eine Qualitätsaussage bezieht.68 Bei Suchgütern bzw. Sucheigenschaften spricht viel dafür, dass die Aussagen glaubwürdig sind, da der Abnehmer sie relativ leicht und kostengünstig verifizieren kann. Ein Anbieter eines Suchgutes ginge ein hohes Risiko ein, seine gute Reputation zu verlieren, würde er sein Produkt mit falschen Angaben bewerben. In der Folge würde niemand mehr seinen Werbeaussagen vertrauen. Anbieter haben deshalb nur geringe Anreize, in der Werbung über die Qualität von Sucheigenschaften zu täuschen. Anders ist das freilich bei Erfahrungsren, dazu Gravelle, Conditional fees in Britain, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law (1998), vol. I, S. 382, 384 f. und Rubinfeld/Scotchmer, Contingent fees, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law (1998), vol. I, S. 415, 417 f. 64 Eisenberg, 47 Stan. L. Rev. (1995), 211, 223–225. 65 Twigg-Flesner/Weatherill/Willett, 25 JCP (2002), 291, 293. 66 Beispielhaft Kaldor, 18 Rev. Econ. Stud. (1950), 1–27. 67 Tirole, Industrial Organization (1988), S. 289. 68 Nelson, 82 J. Pol. Econ. (1974), S. 729, 730 f.; Shy, Industrial Organization, Theory and Applications (1995), S. 297.
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gütern, die in der Praxis auch viel häufiger und intensiver beworben werden als Suchgüter.69 Hier können Anbieter durchaus damit rechnen, jedenfalls für einen gewissen Zeitraum von irreführenden Werbeaussagen zu profitieren. Es besteht ein geringerer Anreiz für sie, nur mit korrekten Aussagen zu werben, um Reputationsverluste zu verhindern. Zum anderen verweisen kritische Stimmen im Hinblick auf die Informationskraft von Werbung darauf, dass Werbeaussagen häufig keine verifizierbaren Angaben enthalten, sondern nur versuchen, ein Image vom Produkt zu kommunizieren. Dieses Phänomen ist besonders bei der Fernsehwerbung ausgeprägt.70 In den Vordergrund tritt hier, dass Werbung zur künstlichen Produktdifferenzierung geeignet ist. Darunter versteht man die Strategie der Hersteller, mittels der Werbung ein Produkt mit einem spezifischen Lebensgefühl bzw. positiven Attributen wie Freiheit, Chic, Luxus oder Erotik zu verbinden, um so eine Markenidentität aufzubauen. Auf diesem Wege lässt sich für physisch nahezu identische Produkte (Waschmittel, Bier, Zigaretten) eine Differenzierung herbeiführen. Das Image eines Produktes wird zur Produkteigenschaft, die der Abnehmer mit dem Produkt erwirbt. Diese Strategie der Produktdifferenzierung mit Appellen an das eigene Streben nach Wohlstand, Attraktivität, Bewunderung etc. ist die Ursache für das negative Image der Werbung als Informationsträger und den Vorwurf, die Abnehmer manipulieren zu wollen.71 Aber auch reine Imagewerbung, die anscheinend abgesehen von der Information, dass ein Produkt käuflich sei, keine Informationen über das Produkt vermittelt, signalisiert den Abnehmern etwas über die Produktqualität. Die für den Abnehmer wichtige Information liegt allein in der Existenz der Werbung.72 Wie ist dies zu erklären? Die Werbung fungiert als Katalysator des wirkungsmächtigen, aber auch sensiblen Mechanismus der Reputation. Ein Anbieter, der in Werbung investiert, kann ein Image hoher Qualität oder anderer Eigenschaften für seine Produkte fördern. Dieser goodwill würde aber sehr schnell vernichtet – und gerade umso schneller, je höher der Bekanntheitsgrad der Marke ist –, böte das Unternehmen tatsächlich Produkte minderer Qualität an oder Produkte, die nicht den vorgeblichen Eigenschaften entsprechen. Die Werbung signalisiert daher den Abnehmern, dass ein Anbieter gezielt in den goodwill investiert und deshalb selbst ein großes Interesse daran hat, eine möglichst hohe Produktqualität zu gewährleisten. Nur für einen Anbieter, der gewillt ist, langfristig hohe Qualität anzubieten, lohnen sich nämlich hohe Investitionen in die Werbung. Denn hierbei handelt es sich um irreversible Investitionen, sog. sunk costs.73 Werbung kann deshalb selbst dann den Abnehmern Produkteigenschaften signalisieren, wenn sie keine objektiven und somit nachprüfbaren Aussagen über die Qualität eines Produktes enthält. Der Abnehmer, der ein
69 Nelson, 82 J. Pol. Econ. (1974), 729, 738–740; Tirole, Industrial Organization (1988), S. 115. 70 Tirole, Industrial Organization (1988), S. 290. 71 Tirole, Industrial Organization (1988), S. 115 und 290; Schmitz, Kommerzielle Kommunikation (2000), S. 40 f., 43–46. 72 Grundlegend Nelson, 82 J. Pol. Econ. (1974), S. 729, 732. 73 Zum Begriff Varian, Microeconomics, 6. Aufl. (2003), S. 358 f.
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intensiv beworbenes Produkt kauft, erwirbt gleichzeitig eine an die Reputation anknüpfende Versicherung für dessen Qualität.74 Zu bedenken ist allerdings auch, dass die Adressaten der Werbung nur eingeschränkt rational handeln.75 Auf Grund von Phänomenen wie kognitiven Dissonanzen 76 ist es gerade nicht selbstverständlich, dass ein Abnehmer eines Produktes, der feststellen muss, dass dieses nicht die in der Werbung angepriesenen Eigenschaften hat, in Zukunft diese Marke meidet oder sogar andere Abnehmer darüber informiert und so die Reputation des Produktes untergräbt. Das eingeschränkt rationale Verhalten der Abnehmer kann irreführende Werbung für Anbieter lohnenswert machen. Dies verursacht nicht nur individuelle Nachteile, sondern soziale Kosten. Trotz des Reputationsmechanismus, mit dem sich das Eigeninteresse der Anbieter an wahren Werbeaussagen erklären lässt, bedarf es daher einer wirksamen Regulierung gegen irreführende Werbepraktiken, um zu gewährleisten, das Werbung tatsächlich ein Informationsinstrument für die Verbraucher bildet.77
3.
Interessenharmonisierung
Die negativen Folgen von Informationsasymmetrien können auch dadurch vermieden werden, dass die betroffenen Marktakteure ihre Interessen harmonisieren. Denn widersprüchliche Interessen sind häufig der Grund dafür, dass ein für beide Seiten nützlicher Informationsaustausch nicht zustande kommt. Verfolgen die Parteien jedoch gleichgerichtete Interessen, besteht für sie ein Anreiz, sich transaktionsrelevante Informationen gegenseitig zur Verfügung zu stellen. Ein Weg, Interessengegensätze abzubauen, liegt in verschiedenen Formen vertikaler Kooperation und Integration. In der Natur der Sache liegt, dass dieser Weg zur Überwindung der Informationsasymmetrien zwischen Anbieter und Abnehmer von Waren und Dienstleistungen nicht gangbar ist. Von zunehmender Bedeutung sind demgegenüber die verschiedenen Formen vertikaler Zusammenarbeit innerhalb einer Absatzkette vom Hersteller zum Endabnehmer. Insbesondere seit den 1990er Jahren ist ein Anstieg von Kooperationen zwischen Produzenten und Händlern zu verzeichnen, die auf Informationsaustausch basieren. Ziel dieser vertikalen Partnerschaften ist es, die Effizienz zum beiderseitigen
74 Klein/Leffler, 89 J. Pol. Econ. (1981), 615, 629–632; Landes/Poster, 30 J. Law & Econ. (1987), 265, 269 f.; Vgl. auch die Zusammenfassung bei Schmitz, Kommerzielle Kommunikation (2000), S. 49–51. Freilich lässt sich die intensive lebensgefühlbetonte Werbung nicht nur damit erklären, dass der Hersteller vermittelt, viel dafür zu investieren, eine gute Reputation aufzubauen und damit eine hohe Qualität seiner Produktes signalisiert. Indem der Kunde ein Produkt erwirbt, mit dem ein bestimmtes Image verbunden ist, erfüllt er sich auch psychologische Bedürfnisse, die an Status anknüpfen, Stigler/Becker, 67 Am. Econ. Rev. (1977), 76, 83–87; Akerlof/Dickens, 72 Am. Econ. Rev. (1982), 307, 316 f. 75 Zum Phänomen des eingeschränkt rationalen Verhaltens siehe oben S. 177 ff. 76 Zu kognitiven Dissonanzen siehe oben S. 180. 77 Nagler, 51 Journal of Public Economics (1993), 359–378.
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Vorteil zu steigern. Die Händler können in die Kooperation ihre Informationen über das Nachfrageverhalten der Kunden einbringen, die sie mit Hilfe der auf elektronischer Basis funktionierenden Warenwirtschaftssysteme erlangen, besonders auch durch Treue- und Rabattsysteme mit entsprechenden Karten.78 Die Produzenten sind demgegenüber häufig besser über die allgemeine Entwicklung auf dem Markt informiert und ihnen stehen regelmäßig auch größere Ressourcen zur Verfügung, um Informationen zu verarbeiten. Überlässt eine Handelskette das Management für eine bestimmte Kategorie von Produkten einem Hersteller, so spricht man vom sog. category management.79 Der Hersteller entwickelt dann für die Handelskette auf Basis der ausgetauschten Informationen ein gemeinsames Konzept für das gesamte Marketing einer Produktgruppe, indem etwa der Verkaufspreis, die Art der Darbietung der Ware im Geschäft oder auch Werbemaßnahmen festgelegt werden. Eine auf Vertrauen, Kooperation und Informationsaustausch basierende Partnerschaft zwischen Hersteller und Händler soll so eine traditionell von gegensätzlichen Interessen geprägte Beziehung ersetzen.80 Neben der Kooperation sind auch stärker integrative Schritte zum Interessenausgleich denkbar. Diese können von einer gegenseitigen Kapitalbeteiligung bis zur Fusion bzw. Übernahme reichen. Nicht selten kauft ein Abnehmer seinen Zulieferer auf. Das verdeutlicht auch die mit einer vertikalen Interessenharmonisierung verbundene ordnungspolitische Problematik: Zwar werden Informationsdefizite abgebaut, andererseits wird freilich der Wettbewerb durch die vertikale Kooperation beschränkt. Es besteht also die Gefahr, dass eine Form von Marktversagen nur unter Inkaufnahme anderer Risiken für den Markt beseitigt wird. Eine andere Möglichkeit, Nachteile durch Informationsdefizite zu vermeiden, liegt darin, den Agenten am Erfolg des Prinzipals zu beteiligen.81 Für den mit einem Informationsvorsprung ausgerüsteten Agenten besteht dann ein finanzieller Anreiz, sein Wissen auch für den Erfolg des Prinzipals einzusetzen. Dieser Ansatz kann allerdings nur in wenigen Fällen dazu beitragen, die Probleme der Qualitätsunkenntnis im Absatzverhältnis zu bewältigen. In Betracht kommt etwa eine Erfolgsbeteiligung bei der Honorierung von Rechtsanwälten.82
III.
Instrumente zur Regelung von Informationsdefiziten
Die Regulierung zur Überwindung von Informationsproblemen muss dort ansetzen, wo der Markt nicht hinreichend auf Defizite reagiert. Es kann kaum überraschen, dass die regulierenden Eingriffe in ihrer Funktionsweise teilweise den
78 Nieschlag/Dichtl/Hörschgen, Marketing, 19. Aufl. (2002), S. 915, 928. 79 Zu verschiedenen Formen der Ausgestaltung des category management Steiner, 15 Antitrust ABA (2001), 77 f.; siehe auch Nieschlag/Dichtl/Hörschgen, Marketing, 19. Aufl. (2002), S. 931–933. 80 Steiner, 15 Antitrust ABA (2001), 77, 78 f., dort auch zu Risiken für den Wettbewerb. 81 Meyer, Jahrbuch für Sozialwissenschaften 41 (1990), 104, 113 f. 82 Vgl. hierzu bereits Fn. 63.
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Marktmechanismen nachgebildet sind. Die Informationsinstrumente können danach unterschieden werden, wie intensiv sie in die freie Ausgestaltung von Transaktionen und damit in die Privatautonomie eingreifen. Am geringsten ist die Intensität, beschränkt sich der Staat darauf, existierende Marktmechanismen für den Informationsaustausch zu fördern. Schafft dies nicht hinreichend Abhilfe, kann der Regulierer Informationen selbst zur Verfügung stellen oder unabhängige Einrichtungen finanzieren, die die Marktteilnehmer informieren. Darüber hinaus kann auch die Marktseite mit einem Informationsvorteil verpflichtet werden, die Gegenseite zu informieren. Am stärksten beschränkend wirken schließlich Regeln wie Mindeststandards an Qualität oder zwingendes Haftungs- und Gewährleistungsrecht, die inhaltsgestaltenden Charakter haben und dadurch eine Marktseite teilweise von der Verantwortung befreien, sich informieren zu müssen.
1.
Verhinderung irreführender und betrügerischer Praktiken
Maßnahmen, die irreführende und betrügerische Praktiken verhindern sollen, zählen zu den wichtigsten Eingriffsmöglichkeiten, um bestehende Informationsmechanismen zu unterstützen, denn anerkannt ist: „information which is false is worse than no information“.83 Sanktioniert man irreführende und betrügerische Praktiken effektiv, kompensiert dies einerseits Nachteile, die Marktteilnehmer durch die falschen Informationen erleiden. Andererseits müssen Sanktionen aber auch abschreckenden Charakter haben, um präventiv wirken zu können und damit zu gewährleisten, dass die Märkte den Informationen vertrauen können. Prominentes Beispiel im Absatzrecht ist die Regelung irreführender Werbung.84 Bereits Nelson hat hierzu auf ein bemerkenswertes Phänomen hingewiesen: Das Recht selbst schafft mitunter erst die Voraussetzungen dafür, dass Werbung bei ihren Adressaten Fehlvorstellungen hervorrufen kann.85 Auf einem Markt ohne jegliche Regulierung werden die Abnehmer den Werbeaussagen, die sie nicht selbst kostengünstig prüfen können – die also nicht Sucheigenschaften betreffen – kaum Vertrauen schenken. Folglich besteht für Anbieter kaum Anreiz, den Versuch zu wagen, sich durch irreführende Werbung einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Untersagt man indessen die irreführende Werbung und installiert auch Mechanismen zur Durchsetzung, so wird eine Basis dafür geschaffen, dass die Abnehmer Werbeaussagen auch als Information ansehen, auf die sie Entscheidungen stützen können. Damit besteht aber auch ein Anreiz für Anbieter, sich durch irreführende Angaben einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.
83 Ogus, Regulation (1996), S. 145. 84 Empirisch belegt ist, dass die rechtlichen Beschränkungen tatsächlich einen zentralen Faktor für die Werbepolitik der Unternehmen bilden, Davis, 28 Journal of Consumer Affairs (1994), 380–402. Ökonomische Analysen der Behandlung irreführender Werbung finden sich bei Craswell, 65 B. U. L. Rev. (1985), 657–732 und ders., 64 S. Cal. L. Rev. (1991), 550–604. 85 Nelson, 82 J. Pol. Econ. (1974), 729, 749 f.; hierzu auch Van den Bergh, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Effiziente Verhaltenssteuerung (1997), S. 77, 90 f.
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Abnehmer können zudem auch falsch einschätzen, wie umfassend das Recht sie tatsächlich vor den Folgen von Fehlvorstellungen schützt, die die Werbung verursacht. Es wird deshalb Konstellationen geben, in denen Abnehmer im Vertrauen auf eine Werbeaussage eine Transaktion getätigt haben und dabei fälschlicherweise damit rechneten, dass ihnen im Falle der Enttäuschung ihres Vertrauens rechtliche Instrumente zur Durchsetzung ihres Interesses zur Verfügung stehen. Fehleinschätzungen solcher Art lässt sich nicht damit begegnen, dass man die Regulierung weiter ausweitet; denn je umfangreicher und abnehmerfreundlicher diese ausgestaltet wird, desto höher werden auch die Erwartungen an den Abnehmerschutz sein. Will man den Abnehmern die Werbung als Informationsquelle mittels Regulierung offen halten, steht deshalb nur ein Weg zur Verfügung: Der Regelgeber muss die Vorgaben für die Werbung so effektiv und nachdrücklich durchsetzen, dass sich irreführende Angaben für den Anbieter nicht rentieren. Dieses Ziel zu erreichen verursacht soziale Kosten. Dies verdeutlicht: Dem Markt Informationsquellen zu eröffnen, ist immer mit Kosten verbunden, die letztlich typischerweise die Marktseite tragen muss, die von den Informationen profitiert. Selbst bei einem so selbstverständlich erscheinenden Aspekt wie der Regelung irreführender Werbung hat man sich deshalb genau den Mechanismus klarzumachen, den eine Regelung auslöst und zu prüfen, welches Maß an Regelung tatsächlich effizienzsteigernd wirkt.86 Deshalb spricht etwa viel dafür, Übertreibungen großzügig zu behandeln und bei der Festlegung des Maßstabs, wann eine Werbung als irreführend zu behandeln ist, zwischen Such-, Erfahrungs- und Vertrauensgütern zu differenzieren.87 Schließlich ist auch unabhängig von der Frage der Kosten zu bedenken, dass es bei der Definition eines Schutzstandards gegen die Irreführung zu einem trade-off zwischen Irreführungsschutz und Information kommt. Denn je strenger ein Schutzstandard definiert wird – etwa über ein maßgebliches Verbraucherleitbild – umso mehr Informationen werden dem Markt generell vorenthalten. Die Regelung muss deshalb das rechte Maß an Irreführungsschutz gewährleisten, das einerseits sicherstellt, dass Marketingmaßnahmen einen Informationswert für die Abnehmer haben, andererseits jedoch nicht den Abnehmern den Zugang zu nützlichen Informationen verwehrt.
2.
Reputationsschutz
Der Aufbau von Reputation ist ein bedeutendes Instrument für die Marktteilnehmer, um dem Markt einen hohen Standard an Qualität zu signalisieren. Marktteilnehmer investieren viel, um eine gute Reputation aufzubauen, etwa in aufwendige
86 Ogus, Regulation (1996), S. 147: Die Kosten der Durchsetzung des Irreführungsverbots dürfen nicht den Gewinn übersteigen, der sich ergibt, multipliziert man die Differenz zwischen dem Ertrag des Abnehmers bei „richtiger“ Werbung und bei „unrichtiger“ Werbung mit der Wahrscheinlichkeit, dass der Adressat nicht erkennt, dass die Werbung irreführend ist. 87 Van den Bergh, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Effiziente Verhaltenssteuerung (1997), S. 77, 90.
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Werbekampagnen oder in die Aufrechterhaltung einer hohen Produktqualität. Da Reputation sichert, dass Märkte für hochqualitative Produkte entstehen können und da sie auch die Suchkosten der Abnehmer senkt, liegt es im allgemeinen Interesse, diesen Mechanismus zu unterstützen. Demgegenüber sind die Kosten für Trittbrettfahrer sehr gering, die von der Reputation eines Konkurrenten profitieren wollen, indem sie etwa dessen Label, Design etc. nachahmen. Da Reputation jedoch sehr wertvoll ist, bestehen starke Anreize, jedenfalls kurzfristig Gewinne zu sichern, indem man sich an die Reputation eines anderen Herstellers anlehnt. Eine solche Trittbrettfahrertaktik entwertet einerseits die Investitionen, die ein Unternehmen in seine Reputation getätigt hat. Andererseits untergräbt sie die Anreize für Unternehmen, durch die Gewährleistung hoher Produktqualität etc. in die eigene Reputation zu investieren.88 Daher ist es eine zentrale Aufgabe für jeden Regelgeber, Instrumente zur Verfügung zu stellen, die verhindern, dass Dritte die Reputation eines Marktteilnehmers missbrauchen und damit die Signalfunktion stören, die Reputation für den Markt hat.89 Der Regelgeber kommt dem über die verschiedenen Mechanismen des gewerblichen Rechtsschutzes und des Lauterkeitsrechts nach, etwa dem Markenrecht und dem Urheberrecht.
3.
Öffentliche Bereitstellung von Information
Versagt der Markt bei der Bereitstellung von Informationen, liegt es nahe, dass der Staat selbst die Marktteilnehmer informiert. Er tut dies häufig mittelbar, etwa indem er Verbraucherschutzverbände subventioniert, die individuelle Beratungen anbieten, oder indem Organisationen unterstützt werden, die unabhängige Tests von Produkten vornehmen und die Ergebnisse massenwirksam publizieren, wie etwa in Deutschland die „Stiftung Warentest“.90 Eine Problematik dieser Tests liegt darin, dass sie der Natur der Sache nach auf Produkte beschränkt sind, die sich bereits auf dem Markt befinden.91 Gute Bewertungen durch unabhängige Organisationen sind sehr prestigeträchtig und ein wirksames Marketinginstrument. Deshalb können Tests den Marktzutritt für neue Produkte erschweren. Dem kann teilweise entgegengewirkt werden, wenn im Testbericht auch auf Produkte hingewiesen wird, die erst noch vor der Markteinführung stehen und deshalb noch nicht getestet werden konnten. Weitere Schwächen der Information durch Produktevaluationen liegen darin, dass der Abnehmer darauf vertrauen muss, dass auch die wirklich relevanten Kriterien getestet wurden und für das Gesamttestergebnis auch sinnvoll gewichtet worden sind.92 Die Wirkung der Warentests ist zudem dadurch begrenzt, dass Abnehmer häufig nur für wichtige Entscheidungen die Transaktionskosten 88 89 90 91 92
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Landes/Posner, 30 J. Law & Econ. (1987), 265, 270. Collins, Regulating Contracts (1999), S. 288. Wein, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 80, 93. Meyer, Jahrbuch für Sozialwissenschaften 41 (1990), 104, 111. Meyer, Jahrbuch für Sozialwissenschaften 41 (1990), 104, 111.
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aufwenden und sich mit unabhängigen Tests auseinandersetzen. Das ist typischerweise beim Kauf teurer Produkte der Fall.93 Schließlich besteht auch die Gefahr, dass Unternehmen Testkriterien antizipieren und sich bei der Qualitätsgewährleistung auf diese Kriterien beschränken. Indem der Staat Wirtschaftsforschungsinstitute finanziert, sorgt er dafür, dass den Märkten makroökonomische Daten zur Verfügung stehen. Unternehmen richten sich etwa bei Investitionsentscheidungen auch nach makroökonomischen Daten wie der prognostizierten Entwicklung der Konjunktur, eines Wechselkurses oder der Kaufkraft der Privathaushalte.
4.
Informationspflichten
Informationsdefizite können überwunden werden, wenn der Regelgeber die Marktseite mit einem Informationsvorsprung dazu verpflichtet, die Gegenseite über transaktionsrelevante Sachverhalte zu informieren. Dies kann durch individuelle, vorvertragliche Informationspflichten erfolgen, aber auch durch allgemeine, nicht auf einen bestimmten Vertragsschluss bezogene Kundeninformationen. Anbietern kann es obliegen, mit ihren Werbemaßnahmen oder über die Etikettierung Informationen zu transportieren. Effektvoll kann die Markttransparenz gesteigert werden, hat der Anbieter jedem Interessenten einen Prospekt auszuhändigen. Dies empfiehlt sich, um komplexe (Erfahrungs-)Eigenschaften darzulegen. Die Prospektpflicht hat den Vorteil, dass sich Kunden in anonymer Weise informieren können, ohne sich dem Zeitaufwand und dem psychologischen Druck eines individuellen Gesprächs aussetzen zu müssen. Diese Gefahr birgt die Verpflichtung des Anbieters zu einem Beratungsgespräch in sich. Eine Beratungspflicht verlangt nicht nur, die Gegenseite über ein Produkt aufzuklären. Der Anbieter muss darüber hinaus auf die individuellen Bedürfnisse eines Kunden eingehen, die tatsächlichen Gegebenheiten bewerten und eine daran angepasste Empfehlung abgeben.94 Auf Grund des damit verbundenen Personalaufwandes und der Haftungsrisiken ist dies die kostenträchtigste Pflicht, Informationsdefizite der Marktgegenseite auszugleichen. Dass die Anbieter über Produkteigenschaften informieren müssen, ist sachgerecht, wenn sie Produkte mit den Eigenschaften von Erfahrungs- oder Vertrauensgütern anbieten. Denn in diesen Konstellationen ist den Kunden aus faktischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht möglich, sich selbst zu informieren. Der durchschnittliche Käufer eines Lebensmittels weiß nicht, wie lange ein Produkt haltbar sein wird. Es ist mithin sachgerecht, wenn es dem Hersteller obliegt, die Abnehmer darüber zu informieren.
93 Zentes, WiSt 1979, 523, 527. 94 Zur Abgrenzung zwischen Aufklärungs- und Beratungspflichten Hadding, in: FS Schimansky (1999), S. 67–81; Horn, in: Horn/Krämer (Hrsg.), Bankrecht 2002 (2003), S. 73, 77 f.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
Eine individuelle Informationspflicht kann auch den Charakter eines Warnhinweises 95 annehmen. Anlass zu einer solch besonders eindringlichen Information kann bei Produkten bestehen, die Risiken von Krankheit, Verletzung oder – wie etwa im Falle von Krediten – erhebliche wirtschaftliche Risiken in sich bergen. Die Wirksamkeit von Informationspflichten ist theoretisch dadurch begrenzt, dass Informationsnachteile für die Abnehmer gerade auf Märkten auftreten, in denen eine besondere Fachkenntnis oder relativ hohe Kosten erforderlich sind, um das Defizit auszugleichen. Einem Kunden wird es deshalb schwer fallen, Informationen sinnvoll bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Diesem Problem kann teilweise abgeholfen werden, indem Vorgaben gemacht werden für die Art und Weise, in der informiert werden muss, so dass auch dem Laien möglich wird, kostengünstig eine informierte Entscheidung zu treffen. Nützlich kann etwa die Pflicht sein, über eine oder mehrere entscheidende Transaktionsvariablen in einer standardisierten Form zu informieren. Beispielhaft sei der Absatz von Verbraucherkrediten genannt. Unterschiedliche Varianten von Tilgungsplänen und verschiedene Zusatzkosten machen es für eine Person ohne fachliche Vorkenntnisse schwer, Angebote miteinander zu vergleichen, selbst wenn alle Angaben über die anfallenden Kosten „auf dem Tisch liegen“. Ein Vergleich unterschiedlicher Angebote wird aber dann relativ leicht möglich, wenn die Kreditinstitute über einen einheitlich zu berechnenden effektiven Jahreszins informieren müssen.96 Zu bedenken sind auch Abwehrstrategien: 97 Informationsverpflichtete können versuchen, unliebsame Faktoren in kryptischen Formulierungen oder sonst durch die Form der Übermittlung der Information zu verschleiern. Aus diesem Grunde müssen Informationspflichten mit einem Transparenzgebot einhergehen. Statuiert der Regelgeber Informationspflichten, hat er sich ebenfalls die Kosten für die Information der Marktgegenseite vor Augen zu halten. Denn Anbieter können diese Kosten über den Preis abwälzen.98 Eine Informationspflicht kann deshalb dazu führen, dass ein rational handelnder Abnehmer, der bestimmte Informationen auf Grund der Kosten nicht eingeholt oder verarbeitet hat, letztlich durch die in seinem Interesse installierte Informationspflicht gezwungen wird, diese Kosten zu tragen.99 Vor der Implementierung von Informationspflichten ist deshalb zu prüfen, ob die Verzerrung durch das ursprünglich vorhandene Informationsproblem unter Berücksichtigung der vorhandenen marktlichen Mechanismen die Kosten und Verzerrungen wirklich wert ist, die durch die Informationspflicht entstehen. Schließlich stellt auch die eingeschränkte Fähigkeit der Abnehmer, Informationen aufnehmen und verarbeiten zu können, eine Grenze für die Effizienz von Informa-
95 Dazu Ogus, Regulation (1996), S. 142–144. 96 Gómez, in: Collins (Hrsg.), Unfair Commercial Practices (2004), S. 187, 204; Grundmann, 39 CMLR (2002), 269, 287. 97 Hadfield/Howse/Trebilcock, 21 JCP (1998), 131, 143 f. 98 Siehe Nachw. oben § 6, Fn. 69. 99 Hadfield/Howse/Trebilcock, 21 JCP (1998), 131, 141.
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tionspflichten dar.100 Überschreiten die Informationspflichten diese Grenze, ist jede weitere Information nicht nur nutzlos. Vielmehr kann die Informationsüberlastung (information overload) sogar kontraintentional wirken. Rational handelnde Kunden werden in der beschränkten Zeit, die ihnen zur Verfügung steht, nur bestimmte Schlüsselinformationen wahrnehmen (sog. chunks). Die unbewusst selektive Verarbeitung von Informationen kann dazu führen, dass gerade die weniger relevanten Punkte wahrgenommen werden.101 Zudem erzeugt die Bereitstellung umfangreicher Informationen durch den Anbieter ein trügerisches Gefühl der Sicherheit, eine informierte Vertragsentscheidung treffen zu können, obgleich sich objektiv die Informationslage für den Abnehmer nicht verbessert hat.102 Dies kann sich auch nachteilig auf andere Informationsinstrumente wie das nachfolgend zu diskutierende Widerrufsrecht auswirken: Ein Abnehmer, der sich gut informiert fühlt, wird weniger geneigt sein, sich während der Widerrufsfrist nochmals mit dem erworbenen Produkt auseinander zu setzen, weitere Informationen einzuholen oder sein Produkt mit der Konkurrenz zu vergleichen.103 Eine ansteigende Quantität der Information verbessert deshalb nicht proportional die Qualität der Vertragsentscheidung und kann im Gegenteil sogar zu einer Verschlechterung führen; oder in mikroökonomischer Terminologie: Information zeichnet sich durch einen abnehmenden – u. U. sogar negativen – Grenznutzen aus.104 Bei der Regelung von Informationsdefiziten auf Märkten ist somit nicht ein Maximum, sondern ein Optimum an Information anzustreben. Idealerweise sollte ein Regelgeber in einem konkreten Fall deshalb zunächst durch empirische Studien klären lassen, welche Informationen tatsächlich von den Abnehmern gebraucht und auch aufgenommen und verarbeitet werden können, um dann mit Hilfe einer KostenNutzen-Analyse ein sinnvolles Maß an Informationspflichten zu definieren.
5.
Widerrufsrechte
Widerrufsrechte, die als Reuerecht einem Vertragsteil das Recht einräumen, allein auf Grund einer nachträglichen Interessen- und Willensänderung vom Vertrag Abstand zu nehmen,105 können als ein Instrument zur Überwindung von Informationsasymmetrien interpretiert werden.106 Billigt das Gesetz einem Vertragspartner
100 Eingehend Kind, Die Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information (1998), S. 443–503. 101 Grundmann, 39 CMLR (2002), 269, 286; Martinek, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung (2000), S. 517, 525 f. 102 Martinek, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung (2000), S. 517, 526 f. 103 Martinek, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung (2000), S. 517, 527. 104 Eidenmüller, JZ 2005, 216, 218; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001), S. 115; Van den Bergh, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Effiziente Verhaltenssteuerung (1997), S. 77, 84. 105 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997), S. 2 f.; Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 345 f. 106 Grundmann, JZ 2000, 1133, 1140; ders., 39 CMLR (2002), 269, 276; Heiderhoff, Grundstrukturen (2004), S. 394.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
ein Widerrufsrecht zu, so gewährt es diesem eine cooling-off period 107 und damit die Gelegenheit, informationelle Defizite auszugleichen und uninformierte Entscheidungen zu korrigieren. Indem Abnehmern ein Recht zum Widerruf eingeräumt wird, schafft man auch einen Anreiz für Händler, die Preise ihrer Produkte so festzulegen, dass sie der Produktqualität entsprechen. Würden sie stattdessen Waren und Dienstleistungen zu im Verhältnis zur Qualität überhöhten Preisen anbieten, müssten sie damit rechnen, dass die Abnehmer in signifikanter Anzahl von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch machen. In der Folge drohten Umsatz- und damit auch Gewinneinbrüche. Cooling-off periods können deshalb Händler angesichts der drohenden Konsequenzen dazu veranlassen, über den Preis akkurate Informationen über die Qualität der angebotenen Produkte bekannt zu machen.108 Damit können Widerrufsrechte dazu beitragen, dass der von Akerlof beschriebene Mechanismus der adversen Selektion auf Grund von Informationsasymmetrien verhindert wird. Indes beschränkt das psychologische Phänomen der kognitiven Dissonanzen die marktregulierende Kraft von Widerrufsrechten.109 Individuen möchten nicht gezwungen sein, sich selbst oder anderen gegenüber eingestehen zu müssen, eine Fehlentscheidung getroffen zu haben. Aus diesem Grunde werden Informationen unbewusst selektiv aufgenommen und verarbeitet.110 Dies führt dazu, dass Hinweise systematisch ausgeblendet werden, die eigentlich dazu führen sollten, dass ein Vertragsschluss als nachteilig zu beurteilen ist und es damit als logisch erscheinen lassen würden, von einem Widerrufsrecht Gebrauch zu machen. Tatsächlich werden beispielsweise nur weniger als 2 Prozent aller Haustürgeschäfte widerrufen.111 Um diesen kognitionspsychologischen Effekten entgegenzuwirken wird vorgeschlagen, die Wirksamkeit eines Geschäfts davon abhängig zu machen, dass der Abnehmer es innerhalb von 14 Tagen bestätigt.112 Eine Analyse von Widerrufsrechten als Instrument zur Regulierung von Informationsasymmetrien wäre nicht vollständig, ohne auf ihre Nachteile hinzuweisen. Kritisiert wird das Instrument des Widerrufsrechts zunächst als Quelle von ex-postOpportunismus. Denn vom Widerrufsrecht profitiert auch der bereits bei Vertragsschluss bestens Informierte, der jedoch innerhalb der Widerrufsfrist eines günstigeren Angebots gewahr wurde oder dessen Präferenzen sich zwischenzeitlich änderten.113 Möglich ist sogar ein Missbrauch dergestalt, dass ein Abnehmer ein
107 Begriff nach Shapiro, 74 Va. L. Rev. (1988), 519, 569. 108 Dazu Rekaiti/Van den Bergh, 23 JCP (2000), 371, 381. 109 Ramsay, Consumer protection, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law (1998), vol. I, S. 410, 412. 110 Akerlof/Dickens, 72 Am. Econ. Rev. (1982), 307–319. 111 Vgl. BT-Drucks. 10/2876 v. 15. 2. 1985, S. 7 f.: 1,8 Prozent aller Bestellungen werden bei vertraglich eingeräumtem Lösungsrecht rückgängig gemacht. Lehmann, GRUR 1974, 133, 140, zitiert den Arbeitskreis „Gut beraten – zu Hause gekauft e. V.“, wonach die Rücktrittsquote lediglich 0,8 Prozent betrage. 112 Eidenmüller, JZ 2005, 216, 222. 113 Schwintowski, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 331, 346.
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§ 7 Kompensation von Informationsdefiziten als überzeugende Leitidee
Produkt bereits von Anfang an mit dem Vorsatz erwirbt, es lediglich für einen bestimmten Zeitraum zu nutzen, um dann von seinem Widerrufsrecht Gebrauch zu machen. Dieser Gefahr kann durch die Ausgestaltung des Widerrufsrechts abgeholfen werden, indem etwa der Abnehmer, der sein Widerrufsrecht ausübt, verpflichtet wird, gezogene Nutzungen herauszugeben und Wertverluste am Vertragsgegenstand zu ersetzen.114 Andererseits führen Widerrufsrechte auch zu höheren Kosten auf Seiten der Anbieter, die diese über den Preis auf die Abnehmer umlegen.115 Denn zum einen verursachen widerrufene Geschäfte je nach gesetzlicher Ausgestaltung ein signifikantes Maß an Transaktionskosten, etwa wenn der Anbieter verpflichtet ist, die Kosten der Rücksendung der Waren zu tragen. Zum anderen verzögert ein Widerrufsrecht stets den Zahlungseingang. Denn endgültig verbucht werden kann die Zahlung erst, nachdem die Widerrufsfrist abgelaufen ist. Deshalb kann der Anbieter gezwungen sein, den Preis seiner Produkte um eine Zinskomponente für die Zahlungsverzögerung zu erhöhen. Angesichts dieser Kostenfaktoren sollte sich ein Regelgeber versichern, dass die Informationsprobleme nicht effizienter durch Informationspflichten reguliert werden können, oder, wo diese allein wenig erfolgversprechend erscheinen, nicht besser Mindestqualitätsstandards festgelegt werden sollten. Schließlich müssen auch sonstige negative Effekte für die Abnehmer mit ins Kalkül gezogen werden. So können im Einzelfall die mit dem Widerrufsrecht einhergehenden Kosten und Risiken dazu führen, dass sich Unternehmen aus einem bestimmten Marktsegment gänzlich zurückziehen oder dass andere aus Abnehmersicht nachteilige Reaktionen der Anbieter provoziert werden. Im Bereich des Darlehensrechts etwa wurde festgestellt, dass Banken bei Verträgen, bei denen sie verpflichtet sind, eine cooling-off period zu gewähren, dazu übergingen, die Darlehensvaluta erst nach Ablauf der Widerrufsfrist auszuzahlen.116 Einem Verbraucher, der dringend auf ein Darlehen angewiesen ist, gereicht das Widerrufsrecht so zum Nachteil. Das regulierende Eingreifen in den Markt durch Widerrufsrechte wirkt deshalb nur dann wohlfahrtssteigernd, wenn die Vorteile durch die Kompensation von Informationsasymmetrien die drohenden Nachteile durch opportunistisches Verhalten der Abnehmer, die durch die cooling-off period verursachten Kosten oder sonstige nachteilige Auswirkungen für die Abnehmer überwiegen. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich davon ab, wie der Regelgeber das Widerrufsrecht ausgestaltet.
114 Rekaiti/Van den Bergh, 23 JCP (2000), 371, 382. 115 Rekaiti/Van den Bergh, 23 JCP (2000), 371, 383. 116 Van den Bergh, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Effiziente Verhaltenssteuerung (1997), S. 77, 88; Rekaiti/Van den Bergh, 23 JCP (2000), 371, 384.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
6.
Unterstützung des Einsatzes von Informationsintermediären
Intermediäre können gefragte Helfer bei der Lösung komplizierter Informationsprobleme sein. Solche treten vor allem auf Märkten für Erfahrungs- und Vertrauensgüter auf, wo Informationsdefizite nicht durch Wiederholungsgeschäfte kompensiert werden und wo komplexe Information kaum so reduziert werden kann, dass die Abnehmer allein über Prospekte oder andere standardisierte Informationsträger (Etikettierung etc.) wirksam informiert werden können. Die Aufwendungen, um einen Informationsintermediär einzuschalten, rentieren sich zudem nur, wenn es um Geschäfte geht, bei denen ein relativ hoher Wert auf dem Spiel steht. In vielen Fällen verhindern allerdings Informationsprobleme, dass Intermediäre wirkungsvoll eingesetzt werden. Der Gesetzgeber kann deshalb die Rolle von Informationsintermediären auf den Märkten stärken und damit helfen, Informationsdefizite abzubauen. Marktregulierung kann einerseits die Vorteile von Intermediärlösungen verstärken, andererseits auch Risiken und Gefahren minimieren, die mit der Einbeziehung von Informationsintermediären einhergehen.117 Dabei steht ein Regelgeber häufig vor der Alternative, marktunterstützend oder marktkorrigierend einzugreifen.118 Ein wichtiger Vorteil von Informationsintermediären liegt in deren Fähigkeit, die für den Klienten notwendigen Informationen schnell beschaffen, verarbeiten und in einer an die Anforderungen des Klienten angepassten Art und Weise darstellen zu können. Ein maßgebliches Kriterium dafür, dass diese berechtigte Erwartung der Klienten nicht enttäuscht wird, liegt darin, ein hinreichendes Ausbildungs- und Erfahrungsniveau der Intermediäre zu gewährleisten. Das kann zum einen dadurch sichergestellt werden, dass nur Personen, die einen bestimmten Ausbildungsstandard erfüllen, als Vermittler für bestimmte Produkte tätig werden dürfen (Lizenzierungssystem). Eine lediglich marktunterstützende Lösung läge darin, Vermittlern, die bestimmte Standards erfüllen, zu erlauben, eine gesetzlich geschützte Bezeichnung zu benutzen (Zertifizierungslösung). Für die Praxis dürften Kombinationen aus beiden Ansätzen vorteilhaft sein. Danach legt der Regelgeber Mindestanforderungen fest, die zu erfüllen sind, um Zugang zum Vermittlermarkt zu erhalten. Darüber hinaus fördert er die Möglichkeit, bei Einhaltung höherer Standards über ein Zertifizierungssystem das Recht zu erwerben, eine bestimmte Bezeichnung zu führen und sich damit einen Marketingvorteil zu verschaffen. Informationsintermediäre können auf Grund von economies of scale and scope Information kostengünstig liefern. Davon sollen möglichst viele Nutzer profitieren. Der Gemeinschaftsgesetzgeber kann dazu beitragen, diesen Vorteil auszuschöpfen, indem er die Hürden abbaut, die einer grenzüberschreitenden Tätigkeit der Vermittler entgegenstehen. Regelungsbedürftig ist auch die Frage, ob ein Vermittler in einer Bran-
117 Beide Aspekte lassen sich nicht immer klar trennen. Trotzdem ist die Unterscheidung als analytischer Ansatz sinnvoll, Grundmann/Kerber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 264, 281. 118 Zum Folgenden Grundmann/Kerber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 264, 283–285.
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§ 7 Kompensation von Informationsdefiziten als überzeugende Leitidee
che verpflichtet ist, einen Überblick über den gesamten Markt zu haben, oder ob es ihm frei steht, seine Beratung auf Teilmärkte zu beschränken. Den Gefahren zu begegnen, die den Interessen der Klienten durch die Interessenkonflikte beim Intermediär drohen, bildet eines der Hauptanliegen der Regulierung von Informationsintermediären. Das Problem ist hier besonders virulent, da die Konflikte häufig für den Klienten kaum ersichtlich sind. Ein Vermittler kann wirtschaftlich von einem Anbieter abhängig sein. Je nach Provisionsregelung kann der Intermediär daran interessiert sein, ganz bestimmte Produkte zu empfehlen oder möglichst umfangreiche Transaktionsvolumina zu vermitteln. Diese Risiken können dadurch verringert werden, dass der Vermittler seinen Klienten offenbaren muss, dass er Bindungen zu bestimmten Anbietern unterhält und dass er auch die Art seiner wirtschaftlichen Beziehung zu den Anbietern spezifizieren muss. So kann sich der Klient selbst eine Ansicht darüber bilden, wie groß das Risiko von Interessenkonflikten beim Intermediär ist und dies mit ins Kalkül ziehen, wenn er die Informationen des Intermediärs beurteilt. Einer fehlerhaften Beratung auf Grund von Interessenkonflikten kann auch vorgebeugt werden, wenn der Intermediär die Provisionen offen legen muss, die er dafür erhält, dass er einen Vertrag vermittelt. Die Pflicht zur Transparenz von Provisionen kann letztlich auch als Maßnahme zur Förderung der Preistransparenz verstanden werden, denn wirtschaftlich gesehen sind es letztlich die Kunden, die für eine Vermittlungsprovision aufkommen müssen.119 Marktunterstützend können zudem Bezeichnungsrechte (labels) wirken. Danach dürfen Vermittler gewisse Bezeichnungen (z. B. „Makler“) nur führen, wenn sie ein bestimmtes Maß an Unabhängigkeit von den Anbietern gewährleisten. Das kann voraussetzen, dass sie Produkte konkurrierender Anbieter vermitteln, ihre Provision unabhängig von der Art des vertriebenen Produkts ist oder idealerweise, dass sie nur Informationen mitteln und ihre Vergütung nicht davon abhängt, dass ein Geschäft zustande kommt. Die Etablierung von Bezeichnungsrechten kann den Klienten gegenüber der „Offenbarungslösung“ Suchkosten ersparen. Daneben kann ein Regelgeber auch festlegen, dass überhaupt nur Personen bzw. Unternehmen als Informationsintermediäre am Markt auftreten dürfen, die ein bestimmtes Maß an Unabhängigkeit von den Produktanbietern gewährleisten. Werden Interessenkonflikte nicht ausgeräumt, so gilt doch allgemein, dass dem Vermittler eine Treuepflicht gegenüber seinen Klienten bindet, nach der er im Falle eines Interessenkonfliktes unbedingt die Interessen seiner Klienten zu wahren hat.120 Dies zeigt, dass eine Reihe von Optionen bereitsteht, um den Einsatz von Informationsintermediären zu fördern.
119 Folgerichtig verlangt § 492 Abs. 1 S. 5 Nr. 4 BGB, dass die Provision für die Vermittlung eines Verbraucherdarlehensvertrages im Zusammenhang mit den sonstigen Kosten im Vertrag auszuweisen ist. 120 Diese Pflicht wird als marktkorrigierende Regel begriffen, Grundmann/Kerber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 264, 285.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
7.
Zwingende Qualitätsstandards
Dem Informationsdefizit der Abnehmer über die Produktqualität kann abgeholfen werden, wenn der Gesetzgeber ein Mindestmaß an Qualität vorgibt, unter dem es gar nicht erlaubt ist, ein Produkt anzubieten.121 Der Mindeststandard kann sich auf verschiedene Variablen einer Transaktion beziehen: Für viele Produkte gibt es Regeln über ihre physische Beschaffenheit. Bestimmte vertragliche Vereinbarungen sind nicht erlaubt, insbesondere allgemeine Geschäftsbedingungen werden einer Inhaltskontrolle unterzogen.122 Um gewisse Dienstleistungen erbringen zu dürfen, bedarf es einer Mindestqualifikation, so etwa bei der Rechtsberatung oder handwerklichen Leistungen.123 Ein Risiko der Mindeststandards liegt darin, dass sie zu hoch definiert werden. Ein Verbot bestimmter Transaktionsvariablen ist als Informationsinstrument nur dann effizient, wenn die daraus folgende Einsparung an Informationskosten überwiegt gegenüber den Wohlstandseinbußen, die einerseits die Anbieter auf Grund geringerer Gewinne verzeichnen und andererseits die Abnehmer durch die geringere Auswahl und Varianz an Produkten erleiden.124 Mindeststandards wirken also dann wohlstandsvermindernd, wenn der durchschnittliche Abnehmer eine geringere Qualität zu einem niedrigeren Preis bevorzugt hätte und auf dem Markt für ihn keine signifikanten Informationsprobleme bestehen bzw. er dem Mindeststandard keine überzeugende Aussagekraft beimisst. Wie die große Verbreitung der Schwarzarbeit zeigt, übertragen die Kunden in Deutschland viele Aufträge auch Handwerkern, die nicht über die in der Handwerksordnung vorgeschriebenen Befähigungsnachweise verfügen. Denn oft sind die Kunden durch Dritte genügend über die Fähigkeiten bestimmter Handwerker informiert, um ihnen bestimmte Aufträge anvertrauen zu können. Gerade im Bereich handwerklicher Leistungen wird daher deutlich, dass Mindeststandards eine Tendenz zur Marktabschottung innewohnt.125 Das erforderliche Maß an Mindeststandard darf freilich nicht allein davon abhängig gemacht werden, inwieweit dadurch in effizienter Weise Informationsprobleme bewältigt werden können. Denn Mindeststandards dienen auch der Produktsicherheit und zeitigen positive externe Effekte: Vorschriften über notwendige Bauteile eines Kfz schützen nicht nur den Käufer und Fahrer, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer.126
121 Shapiro, JITE/ZgS 139 (1983), 527, 539. 122 Die Ursache für zu niedrige Qualitätsstandards bei allgemeinen Geschäftsbedingungen sind systematische Informationsasymmetrien, siehe oben S. 160. 123 Shapiro, JITE/ZgS 139 (1983), 527, 541 f. 124 Gómez, in: Collins (Hrsg.), Unfair Commercial Practices (2004), S. 187, 206; Hadfield/Howse/ Trebilcock, 21 JCP (1998), 131, 159. 125 Vgl. Basedow, EuZW 2001, 97. 126 Wein, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 80, 95.
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§ 7 Kompensation von Informationsdefiziten als überzeugende Leitidee
8.
Gewährleistungs- und Haftungsrecht
Müssen Anbieter Gewährleistungen für die Qualität ihrer Produkte übernehmen und für Schäden einstehen, die auf Qualitätsmängel zurückzuführen sind, mindert das die Problematik der Qualitätsunkenntnis der Abnehmer.127 Denn einerseits versichern sie die Kunden gegen Mängel, da ihnen eine Kompensation für den Fall gewährt wird, dass das Produkt nicht den vereinbarten Qualitätsstandards entspricht. Andererseits wird damit gewährleistet, dass für den Produzenten ein Anreiz besteht, Produkte mit hoher Qualität anzubieten, um zu vermeiden, Gewährleistungs- und Haftungsansprüchen ausgesetzt zu sein. Auf Grund der mit Gewährleistungs- und Haftungsansprüchen verbundenen Risiken der adversen Selektion unter den Abnehmern und des moral hazard, d. h. des Missbrauchs durch den Abnehmer,128 müssen diese Rechte zeitlich und inhaltlich beschränkt werden. Zudem ist auch hier zu bemerken, dass zwingende Gewährleistungs- und Haftungsregelungen wohlstandsmindernd wirken, wenn die Nachfrager ein geringeres Maß an rechtlichen Schutz zu einem entsprechend niedrigeren Preis präferierten. Deshalb ist es schwierig für einen Gesetzgeber, ein aus Wohlstandsgesichtspunkten heraus optimales Niveau an zwingenden Gewährleistungsund Haftungsregeln zu definieren. Schließlich wird der Wert zwingender Gewährleistungs- und Haftungsrechte dadurch gemindert, dass Abnehmer sich ihrer Rechte häufig nicht bewusst sind oder sie nicht geltend machen. Dem kann dadurch Rechnung getragen werden, dass die Anbieter verpflichtet werden, ihre Kunden über diese Rechte aufzuklären und auch darauf hingewiesen wird, wie sie geltend zu machen sind.129
9.
Weitere Maßnahmen
Neben den bereits erörterten gibt es weitere staatliche Instrumente, um Informationsprobleme abzuwenden, die allerdings für die Regulierung der Absatzverhältnisse nicht im Vordergrund stehen. Dazu zählt zum einen die Etablierung von Versicherungspflichten.130 Eine solche Maßnahme lässt sich nicht nur deshalb rechtfertigen, weil die Betroffenen nicht informiert wären, sondern im Vordergrund stehen hier häufig Phänomene eingeschränkter Rationalität, die verhindern, dass die Individuen die zur Verfügung stehenden Informationen auch angemessen bei ihrer Entscheidung berücksichtigen. Typisch ist etwa die Pflicht, sich gegen soziale
127 Dazu Hadfield/Howse/Trebilcock, 21 JCP (1998), 131, 147; Shapiro, JITE/ZgS 139 (1983), 527, 540 f. Mit der Überwindung von Informationsproblemen rechtfertigt Möllers den zwingenden Charakter der sich aus der Kaufgewährleistungsrichtlinie ergebenden zwingenden Gewährleistungsrechte, in: Bottke/Möllers/Schmidt (Hrsg.), Recht in Europa (2003), S. 189, 212 f. 128 Siehe oben S. 199. 129 Shapiro, JITE/ZgS 139 (1983), 527, 540. 130 Freilich entspricht ein zwingendes Gewährleistungsrecht ökonomisch gesehen einer Zwangsversicherung.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
Risiken wie Krankheit und Arbeitslosigkeit zu versichern oder für die Zeit nach der Erwerbstätigkeit vorzusorgen. Obligatorisch sind aber auch verschiedene Schadensversicherungen, etwa die Haftpflichtversicherung für Kfz-Halter. Zum Kreis möglicher Regelungsinstrumente zählen auch staatliche Transferzahlungen, mit denen die Folgen unvorhersehbarer oder zumindest schwer vorhersehbarer Ereignisse gemildert werden sollen. Beispielhaft seien Kompensationszahlungen für Opfer von Naturkatastrophen, etwa Erdbeben oder Überschwemmungen, genannt. Problematisch ist hieran, dass eine Gewissheit oder doch hohe Wahrscheinlichkeit späterer staatlicher Hilfe den Anreiz zur Eigenvorsorge erheblich mindert (moral hazard). Da auch in diesem Bereich Phänomene eingeschränkt rationalen Verhaltens von großer Bedeutung sind,131 ist eine effektive Regulierung und Handhabung von Transferzahlungen sehr schwierig.
IV.
Interdependenzen zwischen Marktstruktur und Information der Märkte
Vertrags- und lauterkeitsrechtliche Vorschriften, die das Absatzverhältnis regulieren, sollten primär darauf ausgerichtet sein, Informationsdefizite auszugleichen und zu kompensieren. Kompetitive Marktstrukturen zu sichern und damit zu verhindern, dass marktmächtige Anbieter die Interessen der Abnehmer schädigen können, ist hingegen die ordnungspolitische Aufgabe des Kartellrechts. Diese Einsicht kann allerdings nicht in Frage stellen, dass Interdependenzen zwischen beiden Regelungsanliegen existieren. Eine aus wettbewerbstheoretischer Sicht wünschenswerte Struktur eines Marktes mit geringen Zutrittsschranken und einer großen Anzahl von Marktteilnehmern bei hoher Fluktuation kann zu Informationsproblemen führen.132 Auf solchen Märkten besteht eine höhere Gefahr betrügerischer Praktiken. Je geringer die Zutrittsschranken zu einem Markt sind, um so häufiger treten Abnehmer auf, denen es nicht darauf ankommt, längerfristig eine gute Reputation aufzubauen, sondern die Informationsnachteile der Gegenseite zu kurzfristigen Gewinnen ausnutzen wollen (sog. „fly-by-night producer“).133 Bei der Regulierung des Absatzverhältnisses sind mögliche Auswirkungen auf die Marktstruktur zu bedenken. So können qualitative Mindeststandards, insbesondere subjektive Marktzugangsbeschränkungen, genauso den Marktzutritt von Wettbewerbern erschweren wie unabhängige Produkttests, die vom Staat gefördert werden.134 Auch bei der Regulierung von Marketinginstrumenten wie der Werbung
131 Kunreuther, 24 Public Policy (1976), 227–261. 132 Hadfield/Howse/Trebilcock, 21 JCP (1998), 131, 153. 133 Gómez, in: Collins (Hrsg.), Unfair Commercial Practices (2004), S. 187, 202, Fn. 28. Folgerichtig ließen sich „hit-and-run“-Strategien vielfach zu Beginn der neunziger Jahre in den ehemals sozialistischen Ländern Mittel-, Südost- und Osteuropas beobachten, d. h. während der Periode des Übergangs zur Marktwirtschaft und damit zu einer Zeit, als die Marktzutrittsschranken allgemein sehr niedrig waren, vgl. für Ungarn Cseres, 27 JCP (2004), 43, 50. 134 Vgl. Hadfield/Howse/Trebilcock, 21 JCP (1998), 131, 160 f.
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oder der Etikettierung sind Auswirkungen auf die Marktstruktur mitzudenken.135 Unternehmen, die auf einem Markt eine starke Position innehaben, können durch hohe Ausgaben für die Werbung einen goodwill aufbauen, der zu einer starken Markenloyalität führt. Will ein Newcomer bei solchen Marktverhältnissen Marktanteile erobern, genügt es kaum, schlicht ein Konkurrenzprodukt mit höherer Qualität bzw. zu niedrigeren Preisen anzubieten. Er ist vielmehr darauf angewiesen, die Vorzüge des neuen Produkts offensiv publik zu machen, um auch den goodwill der eingesessenen Konkurrenten zu überwinden. Eine Möglichkeit dazu besteht in aggressiven Werbekampagnen, insbesondere auch mittels vergleichender Werbung. Hindern ihn daran aber die Regelungen zur Werbung, die dem Schutz der Abnehmer dienen sollen, dann schützen diese Regeln bestehende Marktzutrittsschranken und können dazu beitragen, dass die Marktverhältnisse versteinern. Bei der Regulierung von Marketinginstrumenten und allgemein des Absatzverhältnisses zum Schutze der Abnehmer muss deshalb berücksichtigt werden, dass dadurch neuen Mitwettbewerbern der Marktzutritt erschwert werden kann. Eine liberalere Regelung kann mehr Wettbewerb garantieren und somit in vielen Fällen auch besser den Interessen der Abnehmer dienen. Eine Wechselwirkung anderer Art zwischen regulierenden Eingriffen in das Absatzverhältnis und der Marktstruktur ist im Zusammenhang mit Maßnahmen zu bedenken, die die Transparenz auf den Märkten fördern sollen. Nahe liegend ist, aus der obigen Analyse der Marktunvollkommenheiten den Schluss zu ziehen, dass ein höheres Maß an Transparenz über die Variablen von Transaktionen stets die Position der Abnehmer verbessert, da häufig Informationsasymmetrien zu ihrem Nachteil bestehen. Aus wettbewerbspolitischer Sicht darf aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass mehr Transparenz auch die Gefahr kollusiven Verhaltens, oder doch zumindest von Parallelverhalten der Anbieter, erhöht und damit die Intensität des Wettbewerbs beeinträchtigen kann. Das gilt vor allem für Märkte mit einer oligopolistischen Angebotsstruktur und insbesondere in Bezug auf den Preis als Transaktionsvariable. Mehr Markttransparenz kann deshalb im Einzelfall auch den Interessen der Abnehmer zuwiderlaufen.136 Die aufgeführten Beispiele verdeutlichen, dass bei regulierenden Eingriffen in das Absatzverhältnis zum Schutze der Interessen der Abnehmer auch Sensibilität für wettbewerbliche Mechanismen notwendig ist. Denn vertrags- oder lauterkeitsrechtlicher Abnehmerschutz kann zu negativen Auswirkungen auf die Marktstruktur führen. Dies darf gleichwohl nicht von der zentralen Erkenntnis ablenken, dass Probleme, die aus der Marktstruktur folgen, der Regulierung durch das Kartellrecht zu überlassen sind und dass die Regulierung des Absatzverhältnisses darauf auszurichten ist, Informationsdefizite zu überwinden. 135 Murris, in: Hawk (Hrsg.), Annual Proceedings of the Fordham Corporate Law Institute 2002 (2003), S. 7, 9 f.; Gómez, in: Collins (Hrsg.), Unfair Commercial Practices (2004), S. 187, 207 f.; Shy; Industrial Organization, Theory and Applications (1995), S. 301; Schmitz, Kommerzielle Kommunikation (2000), S. 53–55; Van den Bergh, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Effiziente Verhaltenssteuerung (1997), S. 77, 99 m. w. N. 136 Tunney, 25 JCP (2002), 329, 338–341.
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V.
Schlussfolgerungen
Die Regulierung des Absatzverhältnisses, der Transaktionen von Waren und Dienstleistungen muss sich darauf konzentrieren, Informationsprobleme zu beheben. Erkennt der Regelgeber dies als Leitidee an, steht er vor der Frage, wie die Regulierung im Detail zu organisieren ist. Der Informationsgrad der Märkte ist von der Funktion komplexer Mechanismen abhängig. Vor einem regulierenden Eingreifen hat man sich deshalb aus ordnungspolitischer Perspektive 137 zu vergegenwärtigen, ob erstens ein regulierungsbedürftiges Problem vorliegt und wie es genau zu definieren ist, ob zweitens eine Regulierung tatsächlich Erfolg verspricht und drittens, welches Instrument zielführend einzusetzen ist.
1.
Identifizierung und Definition eines Informationsproblems
Zunächst ist das Informationsproblem zu definieren. Zu vergegenwärtigen hat man sich, wie stark die Informationsdefizite der Marktteilnehmer sind, welche Marktmechanismen wirken, um den Markt zu informieren und inwieweit zu hohe Transaktionskosten oder Phänomene eingeschränkter Rationalität es erschweren, Informationen zu erlangen und zu verarbeiten. Abzugrenzen ist der Markt, auf dem die Defizite auftreten. So gilt es festzustellen, ob das Defizit lediglich bei Transaktionen zwischen professionellen Anbietern mit den Abnehmern, die zu privaten Zwecken am Markt operieren, auftreten oder ob alle Abnehmer betroffen sind. Von geringerer Bedeutung ist eine Analyse der Marktstruktur. Wie wir gesehen haben, ist diese aber nicht gänzlich irrelevant für die Regulierung des Absatzverhältnisses: Je geringer die Zutrittsschranken zu einem Markt sind, umso größer sind tendenziell die Informationsprobleme und umso größer ist die Gefahr, dass flight-by-night-Produzenten Informationsdefizite zu Lasten der Abnehmer ausnutzen. Bevor man ein Informationsproblem als regulierungsbedürftig einordnet, hat man sich zu vergewissern, ob nicht doch Marktmechanismen innerhalb eines zumutbaren Zeitrahmens eine Lösung erreichen. Insbesondere ist ein paradox anmutender Effekt zu berücksichtigen: Je schwerwiegender die Folgen eines Informationsproblems sind, etwa einer betrügerischen Praktik in Zusammenhang mit einem bestimmten Produkt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Missstand offenkundig wird und dass die Marktteilnehmer der entsprechenden Branche dafür sensibilisiert werden und ein marktlicher Mechanismus das Problem löst.138 Ein regulierendes Eingreifen kann deshalb gerade dann überflüssig sein, wenn öffentlich am lautesten danach gerufen wird.
137 Daneben sind freilich gerade auf der Gemeinschaftsebene auch kompetenzrechtliche Fragen zu bedenken oder auch, wie sich eine angedachte Regel in ein bestehendes Rechtssystem einfügt. 138 Hadfield/Howse/Trebilcock, 21 JCP (1998), 131, 154.
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Andererseits gibt es eine Reihe von Charakteristika, die es unwahrscheinlich machen, dass Marktmechanismen ein Informationsproblem lösen.139 Dies kann dann der Fall sein, wenn die Anzahl der wiederholt zu tätigenden Transaktionen gering ist und damit wenig Anreiz dafür besteht, die Marktgegenseite durch Qualität davon zu überzeugen, auch die nächste Transaktion mit demselben Partner zu tätigen. Wie bereits betont, bieten gerade Märkte mit geringen Zutrittsschranken die Möglichkeit, kurzfristig Informationsnachteile zu Geld zu machen. Gleiches gilt für Märkte mit niedrigen Marktaustrittsbarrieren. Deren Höhe ist vor allem vom Anteil firmenspezifischen Kapitals abhängig. Darunter fallen Kapitalgüter, die nicht weiter verwendet werden können, wenn ein Unternehmen sich von einem Markt zurückzieht. Je geringer der Anteil firmenspezifischen Kapitals bei einer Unternehmung ist, umso höher sind die Anreize, kurzfristig Informationsdefizite der Marktgegenseite auszunutzen oder sogar zu provozieren (opportunistisches Verhalten), um dann aus dem Markt auszusteigen (hit and run-Strategie).140 Marktmechanismen und Informationsinstrumente versagen häufig auch dann, wenn Schwierigkeiten bei der Suche nach Rechtsschutz bestehen oder sich dieser schlicht nicht lohnt, weil auf einem Markt nur Transaktionen mit sehr kleinen Volumina getätigt werden oder die Gegenseite nur mit geringen Vermögenswerten operiert und sich damit keine Vollstreckungsmöglichkeit ergibt.
2.
Gebotenheit der Regelung
Ist ein Informationsproblem identifiziert und ist eine Lösung durch einen Marktmechanismus innerhalb eines erträglichen Zeitraumes nicht zu erwarten, ist weiter zu prüfen, ob eine effektive Regelung des Problems möglich ist. Damit ist zunächst die Frage danach angesprochen, in welchen Fällen sich ein Regelgeber überhaupt in einer Position befindet, dass er entweder dem Markt die erforderlichen Informationen zur Verfügung stellen kann oder aber die Transaktionskosten zur Erlangung und Verarbeitung der Informationen soweit senken kann, dass die Marktteilnehmer das Informationsproblem selbst lösen können. In der Tat gibt es eine Reihe von Konstellationen, in denen ohne weiteres von einer solchen Position des Regelgebers ausgegangen werden kann.141 Das ist etwa dann der Fall, wenn dieser die betreffenden Informationen ohnehin für eigene Zwecke erworben hat. Dies trifft auf die Informationen für die volkswirtschaftliche Entwicklung zu, die sich eine Regierung durch Wirtschaftsforschungsinstitute zur Verfügung stellen lässt, um ihre Wirtschaftspolitik zu fundieren und die sie auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Für viele Konstellationen bedarf es staatlicher Regulierung, um Informationsprobleme zu lösen: Informationsdefizite können teilweise am effizientesten durch zwingende Qualitätsstandards oder Gewährleistungs- und Haftungsrecht behoben
139 140 141
Hadfield/Howse/Trebilcock, 21 JCP (1998), 131, 155 f. Schäfer, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung (2000), S. 559, 562. Hadfield/Howse/Trebilcock, 21 JCP (1998), 131, 157 f.
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werden. Hier liegt es in der Natur der Sache, dass nur der Staat das Problem beseitigen kann. Ein Informationsproblem effizient zu lösen, setzt auch voraus, die Kosten der Regelung zu berücksichtigen, und zwar nicht nur die Kosten für den Regelgeber, sondern auch die Kosten für die Marktteilnehmer. Diese sozialen Kosten sind mit den Wohlstandsgewinnen abzuwägen, die erwartet werden. Optimal ist deshalb nicht die Rechtslage, die den Abnehmern die beste Rechtstellung einräumt, sondern diejenige, die der Abnehmer bei einem vollständigen Vertrag, der Informationskosten ausblendet und die Kosten für den Abnehmerschutz mit berücksichtigt, selbst gewählt hätte. Denn der Abnehmer wird durchaus bestimmte Risiken selbst tragen wollen, wenn er diese zu geringeren Kosten übernehmen kann als der Produzent.142
3.
Wahl des Regelungsinstruments
Einem Regelgeber stehen einerseits marktunterstützende bzw. marktkompensierende und andererseits marktkorrigierende Instrumente zur Verfügung, um Informationsdefizite zu überwinden. Diese Unterscheidung knüpft daran an, wie intensiv eine Regelung in die Entscheidungsfreiheit der Marktteilnehmer eingreift.143 Will der Regelgeber etwa die Abnehmer vor den mit Haustürgeschäften verbundenen Risiken schützen, kann er den Absatz an der Haustür verbieten. Er verhindert damit Verträge, die ohne die Intervention geschlossen worden wären. Der Gesetzgeber greift marktkorrigierend ein. Alternativ kann er dem Abnehmer ein Widerrufsrecht einräumen, das diesem die Möglichkeit gibt, Informationsdefizite zu kompensieren, die durch den unvorbereiteten Vertragsschluss bedingt sind, und sich unbeeindruckt von der Anwesenheit des Vertreters und dem Überraschungsmoment nochmals zu versichern, einen seinen Präferenzen entsprechenden Vertrag geschlossen zu haben. Die Regelung unterstützt so eine von Informationsdefiziten freie Entscheidungsfindung, ohne dass dem Markt eine Vertriebsalternative genommen wird. Das Schicksal des Haustürvertriebs bleibt den Entscheidungen der Marktakteure überlassen. Freilich können marktunterstützende und marktkorrigierende Regeln nicht immer klar getrennt werden. So kann eine Haftungsregel für den Fall fehlerhafter Informationen als marktunterstützend interpretiert werden, da sie ähnlich wie der Grundsatz pacta sunt servanda der begünstigten Partei Planungssicherheit gewährleistet. Andererseits kann man eine Haftungsregel auch so verstehen, dass der Regelgeber den Anbieter der Information zu einer zusätzlichen Leistung, nämlich einer Garan-
142 Schäfer, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung (2000), S. 559, 563; Van den Bergh, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Effiziente Verhaltenssteuerung (1997), S. 77, 80 f.; Hartlief, 27 JCP (2004), 253, 259 f. Vgl. auch Kötz, Europäisches Vertragsrecht I (1996), S. 197 f. 143 Grundmann/Kerber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 264, 281; Wilhelmsson, Social Contract Law (1994), S. 126, spricht von „market-rational regulation“ im Gegensatz zu „market-rectifying regulation“.
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§ 7 Kompensation von Informationsdefiziten als überzeugende Leitidee
tie, verpflichtet und damit korrigierend in den Markt eingreift.144 Richtig und für eine Analyse nützlich bleibt jedoch die Tendenz: Eine Regel ist umso eher eine mit lediglich marktunterstützendem Charakter, je mehr Freiheit sie der individuellen Entscheidung durch die Parteien lässt und nur deren typische Erwartungen schützt. Wie wir gesehen haben, stehen dem Regelgeber eine Reihe marktunterstützender Instrumente zur Verfügung, um Informationsdefiziten zu begegnen: Maßnahmen gegen Irreführung und Täuschung, Reputationsschutz, Förderung des Einsatzes von Informationsintermediären, unterschiedlichen Formen der Verpflichtung, die Marktgegenseite zu informieren (Prospekte, individuelle Information, Beratung) usw. Die Kosten-Nutzen-Abwägung bleibt bei marktunterstützenden Eingriffen den Abnehmern überlassen, so dass Informationslösungen eine höhere Gewähr dafür bieten, dass der Markt trotz regulierender Eingriffe Produkte zur Verfügung stellt, die die individuellen Präferenzen der Nachfrager treffen.145 Bei der Wahl des Instruments zur Regelung eines Informationsproblems sind die Grenzen zu berücksichtigen, die ihrer Wirkungsweise gesetzt sind. Hinzuweisen ist insbesondere auf mögliche kontraproduktive Wirkungen auf Grund der Kosten, die mit einem Regelungsinstrument verbunden sind. Wird eine Marktseite verpflichtet, der Gegenseite Informationen zur Verfügung zu stellen, so ist diese Regelung kontraproduktiv, wenn die Kosten über den Preis auf die Gegenseite abgewälzt werden und diese die Informationen in ihrem Wert geringer schätzt, als die Kosten, die sie indirekt dafür aufzubringen hat. Zu bedenken ist auch, dass marktkorrigierende Regelungen wie Produktverbote bzw. andere inhaltsbeschränkende Vorgaben oder auch strikte Regulierung bestimmter Marketinginstrumente (etwa ein Verbot vergleichender Werbung) antikompetitive Effekte mit sich bringen. Sie verhindern den Wettbewerb um die besten Standards, schränken damit die Marktvielfalt ein und erschweren den Marktzugang. Zwingendes Verbrauchervertragsrecht etwa schränkt die Vertragsfreiheit ein. Dadurch entstehen Wohlfahrtsverluste, da Lernprozesse verhindert werden, durch die Parteien im Lichte ihrer individuellen Präferenzen zu optimalen Vertragsgestaltungen finden können.146 Bei der Regelung von Informationsproblemen ist deshalb zunächst an solche Instrumente wie einfache Warnungen durch Etikettierungsregeln oder die Förderung des Einsatzes von Informationsintermediären zu denken, die anders als inhaltsgestaltende Regeln den Abnehmern die Angebotsvielfalt erhalten, gleichzeitig aber auch das geschilderte Informationskostenproblem vermeiden.147 In einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung muss der Gesetzgeber marktunterstützenden Instrumenten Vorrang einräumen und damit einer größere Produktvielfalt und mehr Ent-
144 Beispiel bei Grundmann/Kerber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 264, 282. 145 Ogus, Regulation (1996), S. 122. 146 Kirchner, in: Grundmann/Kerber/Weatherill, Party Autonomy (2001), S. 165, 170 f.; siehe auch ders., in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht (2000), S. 95, 109 f.; ders., 31 U. C. Davis L. Rev. (1998), 671, 682. 147 Hadfield/Howse/Trebilcock, 21 JCP (1998), 131, 159.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
scheidungsfreiheit für die Abnehmer sichern. Erst wenn allein mit ihrer Hilfe eine Marktunvollkommenheit nicht behoben werden kann, ist der Rückgriff auf marktkorrigierende Regelungen legitimiert.148 Der Vorzug marktunterstützender Regelungen folgt auch aus den – freilich mit einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsverfassung 149 einhergehenden – Prinzipien von Privatautonomie und Vertragsfreiheit. Aus vertragsrechtstheoretischer Sicht zeigt sich die Überlegenheit marktunterstützender Instrumente („Informationslösungen“) gegenüber marktkorrigierenden Instrumenten („Kontrolllösungen“) daran, dass sie geeignet sind, materiale Vertragsfreiheit und formale Vertragsgerechtigkeit 150 zu fördern.151 Von einer Rechtsordnung, die auf dem Fundament der Vertragsfreiheit aufbaut, kann sinnfälliger Weise (lediglich) erwartet werden, dass sie eine formale bzw. prozedurale 152 Vertragsgerechtigkeit gewährleistet.153 Die Idee der Gerechtigkeit fußt hier auf dem Satz volenti non fit iniuria: Gerecht ist die freiwillige, autonome Selbstbindung des Individuums. Nicht gewährleisten kann eine freiheitliche Vertragsrechtsordnung hingegen eine material verstandene Vertragsgerechtigkeit. Denn einer Rechtsordnung, die die Freiheit des Einzelnen und seine autonome, subjektive Entscheidung in das Zentrum ihres Interesses rückt, 148 Franck, ZBB 2003, 334, 339. Vgl. Canaris, FS Lerche (1993), S. 873, 879: „Verfassungsrechtlich besteht also ein Primat des Marktprinzips im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses mit der Konsequenz, daß dessen Durchbrechung der Legitimation bedarf“. 149 Zur Festlegung der Europäischen Gemeinschaften auf das Primat der Markt- und Wettbewerbswirtschaft siehe unten S. 366. 150 Zur Unterscheidung zwischen „materialen“ bzw. „inhaltlichen“ Gerechtigkeitskriterien einerseits und „formalen“ bzw. „prozeduralen“ Kriterien andererseits Canaris, AcP 200 (2000), 273, 282 f. Vgl. die Differenzierungen in „content-neutral“ und „content-oriented protection of the weaker party“ bei Wilhelmsson, Social Contract Law (1994), S. 126 bzw. zwischen „procedural“ und „substantive fairness“ bei Brownsword, in: Brownsword/Howells/Wilhelmsson, Welfarism in Contract Law (1994), S. 21, 55 f. 151 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 303; Wilhelmsson, Social Contract Law (1994), S. 126: „Therefore it is easy to see that the concept pair content-neutrality/content-orientation is quite closely related to another concept pair [...] The concepts are marktet-rational and market-rectifying regulation.“ Vgl. auch Reich, JZ 1997, 609, 610: „Informations- und Aufklärungspflichten sind doch gerade [...] strengeren inhaltlichen Beschränkungen der Vertragsfreiheit durch zwingendes Recht im Rahmen der Verhältnismäßigkeit vorzuziehen, sofern ein Regelungsbedürfnis besteht. Sie sollen – jedenfalls in der Theorie – Privatautonomie und Marktfreiheiten sichern und nicht einschränken.“ 152 Vgl. die wirkungsmächtige Lehre von der Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus, grundlegend Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 132 ff.; 152 ff.; 161 und ders., in: FS Raiser (1974), S. 3 ff.; siehe dazu Canaris, Iustitia distributiva (1997), S. 48–51; ders., FS Lerche (1993), 873, 882 f.; Mankowski, Beseitigungsrechte (2003), S. 1138 f. m. w. N. Die Konzeption, nach der die freie Aushandlung eines Vertrages eine gewisse Gewähr für die Richtigkeit der vereinbarten Rechtsfolgen leiste, greift allerdings zu kurz, weil sie außer Acht lässt, dass etwa ein Anbieter auch ohne jegliche Verhandlungen einen Anreiz hat, seinem Vertragspartner die von ihm gewünschte Produktqualität (wozu eben auch Leistungsaustauschbedingungen gehören) anzubieten, solange er befürchten muss, dass der Kunde ansonsten abwandert, vgl. Adams, in: Neumann, Ansprüche, Eigentums- und Verfügungsrechte (1984), S. 655, 660 f. Versuche, diesen Aspekt des Wettbewerbs in Schmidt-Rimplers Konzeption mit einzubeziehen, müssen daran scheitern, dass sie auf die unhaltbare These zuliefen, der Wettbewerb biete Gewähr für die Richtigkeit der durch ihn herbeigeführten Ergebnisse, Canaris, FS Lerche (1993), 873, 883. 153 Canaris, Iustitia distributiva (1997), S. 46–51; ders., AcP 200 (2000), 273, 283–285.
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§ 8 Grundlagen zur kartellrechtlichen Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse
fehlt es grundsätzlich an überzeugungskräftigen Kriterien, um inhaltliche Angemessenheit oder Richtigkeit beurteilen zu können. Eine inhaltliche Kontrolle ist deshalb so weit wie möglich zu vermeiden. Demgegenüber kann eine freiheitlich ausgerichtete Privatrechtsordnung sehr wohl danach streben, dem Individuum materiale Vertragsfreiheit zu gewährleisten: Mit der Verbesserung der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit steigt die Überzeugungskraft der Idee der (lediglich) formalen Vertragsgerechtigkeit. Dies erklärt, dass sich marktunterstützende Instrumente, insbesondere Informationslösungen, stimmig in ein Vertragsrecht einpassen, das auf Privatautonomie und Vertragsfreiheit ausgerichtet ist. Allerdings steht die Gewährleistung tatsächlicher Entscheidungsfreiheit in einem latenten Spannungsverhältnis zur Vertragsbindung und zum Grundsatz pacta sunt servanda, der sich gleichfalls aus der Privatautonomie ableitet.154 Denn nur wenn eine Rechtsordnung Verträge grundsätzlich ohne Ansehung der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit der Parteien anerkennt, können diese die ihnen zugedachte Funktion erfüllen, eine auch für die Zukunft stabile Basis zu bilden, auf der Dispositionen in der Gegenwart aufbauen können.155 Dieses Spannungsverhältnis zwischen der Gewährleistung materialer Vertragsfreiheit und formaler Vertragsbindung markiert auch den Hintergrund für die unterschiedliche Bewertung marktunterstützender Instrumente auf der Grundlage der Prinzipien von Privatautonomie und Vertragsfreiheit. Während etwa den Widerrufsrechten einerseits ein „Bruch mit der Privatautonomie“ vorgeworfen wird,156 wird ihnen andererseits attestiert, dass sie vereinbar seien mit einem freiheitlichen Vertragsrechtsmodell und als verträglicher Eingriff in die Vertragsfreiheit anzusehen seien, um die Selbstbestimmung des Vertragsschließenden zu stärken.157
§ 8 Grundlagen zur kartellrechtlichen Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse Auf europäischer Ebene dominiert die kartellrechtliche Regulierung vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen das Recht der Absatzmittlungsverhältnisse. Die folgenden Betrachtungen konzentrieren sich auf diesen Aspekt und klammern die vertrags-
154 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 278 f. 155 Zu dieser zentralen Funktion des Bindungsgrundsatzes in einer marktwirtschaftlichen Ordnung Grundmann, ZHR 163 (1999), 635, 649 f. 156 Roth, H., JZ 1999, 529, 533; krit. zu den vertragstypenbezogenen Widerrufsrechten Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997), S. 171 ff., 212; krit. zum Widerrufsrecht beim Abzahlungskauf bereits Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher (1983), S. 119; generell krit. zu Widerrufsrechten auch Adomeit, NJW 2004, 579, 581. 157 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 345 f.; ders., FS Lerche (1993), S. 873, 887; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 451; Grundmann, JZ 2000, 1133, 1140; Mankowski, Beseitigungsrechte (2003), S. 1139; Möllers, JZ 2002, 121, 131; Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 563.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
rechtliche Regelung durch die Handelsvertreterrichtlinie aus. Dies scheint gerechtfertigt, da dort nicht die Regelung absatzbezogener Probleme im Vordergrund steht, sondern – arbeitsrechtsähnlich – der vertragsrechtliche Schutz der Handelsvertreter.1
I.
Allgemeine Grundsätze der Wettbewerbstheorie
1.
Das Modell der vollständigen Konkurrenz
Ausgangspunkt für wettbewerbstheoretische Überlegungen ist zumeist das Modell der vollständigen Konkurrenz,2 das bis heute als Standardmodell der ökonomischen Theorie gilt.3 Das Modell basiert auf einer Reihe von Annahmen: Die Wirtschaft befindet sich in einem stationären Zustand, d. h. man geht von einer festen Menge an Produktionsfaktoren, konstanter Produktionstechnik, einer gegebenen Produktpalette und Bedürfnisstruktur der Individuen aus. Vorausgesetzt werden daneben auch eine atomistische Marktstruktur, Homogenität der Güter und vollständige Markttransparenz.4 Sind diese Modellannahmen erfüllt, führt die vollständige Konkurrenz zu marktleistungsgerechter Einkommensverteilung, optimaler Faktorallokation und Angebotssteuerung gemäß den Käuferpräferenzen (Konsumentensouveränität).5 Ergebnis ist ein Pareto-Optimum, d. h. ein Zustand, in dem es keine Möglichkeit gibt, jemanden besser zu stellen, ohne jemand anderen zu benachteiligen.6 Gewährleistet ist damit auch die größtmögliche Wohlfahrt für die Abnehmer; ihr Nutzen kann durch regulierende Eingriffe nicht gemehrt werden.7 Darin liegt die Attraktivität des Modells der vollständigen Konkurrenz begründet, die dazu führte, dass es lange Zeit als Leitbild der Wettbewerbspolitik angesehen wurde. Diese Position hat es aus verschiedenen Überlegungen heraus eingebüßt.
2.
Einwendungen gegen das Modell der vollständigen Konkurrenz
Erster Ansatzpunkt für die Kritik am Modell der vollständigen Konkurrenz sind die extremen Annahmen, die ihm zu Grunde liegen. Kein realer Markt wird je die Modellannahmen erfüllen. Angesichts dessen wird von vornherein bezweifelt, inwieweit vollständige Konkurrenz einen sinnvollen Maßstab bilde, um zu beurteilen, 1 Siehe dazu BE 2 HVertRL. 2 Vgl. etwa Viscusi/Vernon/Harrington, Economics of Regulation and Antitrust (1998), S. 73 f. 3 Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 26. 4 Zu den Voraussetzungen des Modells der vollständigen Konkurrenz im Einzelnen siehe etwa Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 27 f.; Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 7. Aufl. (2001), S. 5 f. 5 Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 7. Aufl. (2001), S. 6. 6 Eine Allokation ist Pareto-effizient, wenn es keine Möglichkeit gibt, jemand besser zu stellen, ohne jemand anderen zu benachteiligen, Varian, Microeconomics, 6. Aufl. (2003), S. 15. 7 Viscusi/Vernon/Harrington, Economics of Regulation and Antitrust (1998), S. 73.
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§ 8 Grundlagen zur kartellrechtlichen Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse
wie funktionsfähig reale Märkte sind.8 Zudem wurde eingewandt, dass es teilweise ökonomisch gar nicht sinnvoll sei, die Annahmen des Modells zu erfüllen: 9 Eine atomistische Marktstruktur stehe der Realisierung von Größenvorteilen in der Produktion (economies of scale) entgegen. Die Bedingung der Homogenität der Güter widerspreche dem Interesse der Nachfrager nach einem differenzierten Produktprogramm. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass es kaum durchschlagend ist, ein Modell dafür zu kritisieren, dass es die Realität vereinfacht abbildet. Denn dies ist schließlich der Anspruch an ein Modell. Hinterfragen muss man allerdings, inwieweit das Modell trotz der Vereinfachungen taugt, um Aussagen darüber treffen zu können, welche Eingriffe möglich oder notwendig sind, um die Funktionsfähigkeit von Markt und Wettbewerb zu erhalten und zu verbessern. Solange freilich keine andere, leistungsfähigere Theorie des Marktes entwickelt wird, bleibt das Modell der vollständigen Konkurrenz als Ausgangspunkt maßgeblich.10 Dass es aus wettbewerbstheoretischer Sicht teilweise ambivalent oder sogar unerwünscht sein kann, dass alle Modellannahmen erfüllt sind, berührt ebenfalls nicht die Stellung des Modells im Kern. Es verdeutlicht lediglich, dass ein Abweichen von den Voraussetzungen der vollständigen Konkurrenz nicht ohne weiteres ein regulierendes Eingreifen rechtfertigen kann. Vielmehr sind stets die realen Bedingungen daraufhin zu prüfen, ob ein Eingriff tatsächlich die Funktion des Wettbewerbs zu verbessern vermag.11 Als Einwand gegen die Nützlichkeit des Modells der vollständigen Konkurrenz zur Beurteilung der Funktionsfähigkeit von Märkten ist auch das Konzept des Second Best zu verstehen.12 Dieser Ansatz beruht auf der Erkenntnis, dass auf einem Markt mit mehreren Unvollkommenheiten, verstanden als Abweichungen von den Modellbedingungen der vollständigen Konkurrenz, der Wettbewerb sogar „funktionsfähiger“ werden kann, tritt eine weitere Unvollkommenheit hinzu. Daraus wird nun geschlussfolgert, dass wettbewerbspolitische Eingriffe mit dem Ziel des Ausgleichs von Marktunvollkommenheiten dazu führen können, dass sich die Wettbewerbssituation sogar verschlechtert. Klassisches Beispiel, um dies zu belegen, ist, dass es bei oligopolistischen Angebotsstrukturen den Anbietern, die ihr Verhalten koordinieren wollen, entgegenkommt, wenn sich die Markttransparenz erhöht. Gerade auf oligopolistischen Märkten mit relativ homogenen Produkten, man denke etwa an den Markt für Kraftstoffe, kann eine hohe Transparenz zu einem kartellrechtlich schwer greifbaren 13 Parallelverhalten führen. Die Erkenntnisse aus dem Second-Best-Theorem weisen daraufhin, dass man nicht ohne weiteres aus dem Abweichen der realen Marktbedingungen von den Modellannahmen der vollständigen Konkurrenz wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen
8 9 10 11 12 13
Vgl. etwa Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 120. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 7. Aufl. (2001), S. 6 f. Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 63. Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 64. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 7. Aufl. (2001), S. 9. Emmerich, Kartellrecht, 9. Aufl. (2001), S. 35 f.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
ziehen kann. Gleichwohl kann der Ansatz nicht als grundsätzliche Alternative zum Modell der vollständigen Konkurrenz verstanden werden. Dies wird bereits daran deutlich, dass er mit Begriffen wie dem der „Marktunvollkommenheit“ arbeitet, die auf dem Modell der vollständigen Konkurrenz fußen. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass der Ansatz des Second Best keine klare wirtschaftspolitische Leitlinie liefert, sondern zu einer gewissen Beliebigkeit führen kann, weil Abweichungen von den Modellbedingungen stets mit anderen Marktunvollkommenheiten gerechtfertigt werden können, womit sich schließlich ein immer weiter reichender Verzicht auf die First-Best-Annahmen des Modells rechtfertigen ließe.14 Der dritte Ansatzpunkt für Vorbehalte gegen das Modell der vollständigen Konkurrenz ist dessen statischer Charakter: Es geht davon aus, dass die Ressourcenausstattung, das technische Wissen, die zu handelnden Produkte und auch die Präferenzstruktur der Nachfrager unveränderlich vorgegeben sind.15 Im Gegensatz dazu zeichnen sich reale Märkte durch eine ihnen innewohnende Dynamik aus. Der Wettbewerb soll ja gerade dazu führen, dass die angebotenen Güter den sich ändernden Präferenzen der Nachfrager entsprechen. Deshalb wurde versucht, dem statischen Modell der vollständigen Konkurrenz dynamische Wettbewerbstheorien gegenüberzustellen.16 In der Tat ist der Modellzustand vollständiger Konkurrenz nicht optimal, betrachtet man die beiden dynamischen Wettbewerbsfunktionen Anpassungsflexibilität und Förderung des technischen Fortschritts. Letzteres ist durch die Annahmen unendlicher Reaktionsgeschwindigkeit und vollständiger Transparenz begründet: Im Zustand vollständiger Konkurrenz können keine Vorsprungsgewinne realisiert werden, da die Konkurrenz annahmegemäß jede Innovation ohne Zeitverzögerung erkennen und nachvollziehen kann. Ohne die Möglichkeit von Vorsprungsgewinnen wiederum besteht kein Anreiz dafür, das Risiko einer Innovationstätigkeit einzugehen.17 Dynamische Theorien gehen deshalb davon aus, dass Marktunvollkommenheiten jedenfalls teilweise erforderlich sind, damit der Wettbewerb funktionsfähig ist. Das Problem dieses Ansatzes liegt freilich darin, ein theoretisch fundiertes Konzept zu entwickeln, wettbewerbspolitisch wünschenswerte von unerwünschten Marktunvollkommenheiten zu unterscheiden. Auch dazu bedarf es offensichtlich normativer Kriterien. Bisher ist es jedenfalls nicht gelungen, eine überzeugende, umfassende dynamische Wettbewerbstheorie zu entwickeln, die das Modell der vollkommenen Konkurrenz als Referenzmaßstab überflüssig machen könnte.18
14 Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 65. 15 Paradigmatisch Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (1983), Rn. 65: „Aber Erkenntnisobjekt [der Wohlfahrtsökonomik, d. Verf.] blieb unverändert ein für praktische Wettbewerbspolitik und im Gefolge davon Wettbewerbsrecht weitgehend unbrauchbares stationäres Gleichgewicht.“ 16 Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 7. Aufl. (2001), S. 10 f. 17 Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 66. 18 Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 66.
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§ 8 Grundlagen zur kartellrechtlichen Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse
3.
Schlussfolgerungen
Das Modell der vollständigen Konkurrenz kann dazu beitragen, die Funktionfähigkeit von Märkten zu beurteilen. Allerdings sind die vorgebrachten Kritikpunkte maßgeblich, versucht man, aus der Modellwelt wirtschaftspolitische Handlungsmaximen abzuleiten. Das Modell der vollständigen Konkurrenz geht von Annahmen aus, die auf keinem realen Markt jemals erfüllt sein werden. Deshalb ist es bereits im Ansatz nicht sinnvoll, jedes Abweichen von den Modellannahmen als Marktversagen aufzufassen und daraus wirtschaftpolitischen Handlungsbedarf abzuleiten.19 Daneben kann es u. U. auch aus wettbewerbstheoretischer Sicht unerwünscht sein, dass bestimmte Annahmen erfüllt sind. Das Second-Best-Theorem hat gezeigt, dass es sinnvoll sein kann, Abweichungen von den Modellannahmen der vollständigen Konkurrenz zu tolerieren, wenn dadurch vor dem Hintergrund anderer Marktunvollkommenheiten jedenfalls der „bestmögliche“ Wettbewerbszustand erreicht werden kann. Schließlich erklärt die Kritik am statischen Ansatz des Modells, dass beispielsweise temporäre Exklusivrechte und damit Monopolpositionen als Abweichung von den Modellannahmen notwendig sein können, damit der Markt seine dynamische Funktion erfüllen kann, den technischen Fortschritt zu fördern. Gerade diese Erkenntnis, wonach Wettbewerb und Markt die dynamischen Funktionen nur unter Inkaufnahme einer gewissen statischen Ineffizienz erfüllen, unterstreicht, dass allein auf der Grundlage des Konzepts des Marktversagens wirtschaftspolitische Handlungsmaximen nicht theoretisch fundiert werden können. Es bedarf vielmehr einer wertenden Entscheidung, wann es angezeigt ist, Märkte zu regulieren. Dass ein Marktversagen vorliegt, ist mithin nur eine notwendige Voraussetzung, um staatliche Regulierung zu begründen. Erst der Nachweis, dass ein Eingreifen tatsächlich die Wettbewerbssituation verbessert und wohlfahrtsfördernd wirkt, stellt eine hinreichende Bedingung für regulierende Eingriffe dar.20 Aus diesen Erkenntnissen heraus hat sich die Wirtschaftspolitik darauf beschränkt, offensichtlich nichtkompetitive Marktstrukturen, für die es keine sonstigen Rechtfertigungen gibt, zu regulieren. An erster Stelle stehen dabei Märkte, die durch eine Monopolstellung eines Marktteilnehmers oder einer Gruppe von kollusiv handelnden Marktteilnehmern, also einem Kartell,21 dominiert werden.
4.
Die Abnehmer als Profiteure kompetitiver Marktstrukturen
Abnehmer profitieren von kompetitiven Marktstrukturen. Das zentrale ökonomische Problem monopolistischer Strukturen besteht nämlich darin, dass ein Monopolist zu einem Preis absetzen kann, der oberhalb der Grenzkosten liegt.22 Er kann
19 20 21 22
Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 63 f. Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 66 f. Varian, Microeconomics, 6. Aufl. (2003), S. 433. Varian, Microeconomics, 6. Aufl. (2003), S. 419–423.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
sich so zum einen auf Kosten der Marktgegenseite eine sog. Monopolrendite sichern. Zum anderen schließt ein Preis oberhalb der Grenzkosten Abnehmer vom Zugang zu einem Produkt aus, die zwar bereit wären, einen Preis in Höhe der Grenzkosten zu zahlen, nicht aber den Monopolpreis. Diese Abnehmer sind gezwungen, ohne dieses Produkt oder mit einem weniger präferierten auszukommen. Sie erleiden einen Wohlfahrtsverlust, einen deadweight loss.23 Dies verursacht soziale Kosten, denn die Abnehmer müssen sich mit einem Substitut zufrieden geben, das nur deshalb relativ gesehen günstiger ist als das eigentlich präferierte Produkt, weil letzteres lediglich zu einem Monopolpreis erhältlich ist. So kann sich ein Produkt am Markt behaupten, das Ressourcen nicht effizient nutzt. Auf monopolisierten Märkten werden die Bedürfnisse der Nachfrager deshalb nur zu unnötig hohen Kosten befriedigt.24 Auf den ersten Blick verursacht nur dieser zweite Aspekt soziale Kosten: Denn die Monopolrendite geht zwar zu Lasten der Konsumenten, verursacht aber für sich keine sozialen Kosten, da die Höhe der Verluste der Abnehmer dem zusätzlichen Ertrag des Monopolisten entspricht. Demgegenüber steht dem Nachteil der Abnehmer, die von den präferierten Gütern ausgeschlossen werden, kein Gewinn des Monopolisten gegenüber. Nach traditioneller Wettbewerbstheorie ist deshalb der reduzierte Output der einzige Grund, aus dem sich begründen lässt, dass Monopolmärkte schädlich für die soziale Wohlfahrt sind. Insbesondere Vertreter der Chicago School haben vorgebracht, dass diese Analyse zu kurz greife.25 Posner hat versucht, dies mit einer Analogie zum Diebstahl zu verdeutlichen. Beim Diebstahl stehe dem Verlust des Opfers an einem Gut ein entsprechender Gewinn des Täters gegenüber,26 daneben trete aber kein Verlust auf, der dem deadweight loss im Falle von Monopolen entspreche. Trotzdem folge daraus nicht, dass Diebstahl keine sozialen Kosten verursache. Einerseits verbrauche die Transaktion selbst Kosten, denn nicht nur muss der Diebstahl geplant und ausgeführt werden, auch die Beute muss abgesetzt werden. Andererseits wende die Gesellschaft Ressourcen auf, um sich vor Diebstählen zu schützen. Die Opportunitätskosten dieser Ressourcen stellen die sozialen Kosten des Diebstahls dar. Vergleichbares gelte auch für Monopole: Die Aussicht auf eine Monopolrendite führe dazu, dass ein Unternehmen Ressourcen einsetzt, um eine Monopolstellung zu erlangen oder seine Monopolstellung aufrechtzuerhalten. Ein marktmächtiges Unternehmen werde beispielsweise Mittel für Lobbyarbeit einsetzen, um eine günstige Gesetzgebung zu erreichen, etwa Marktzutrittschranken in der Form von Importquoten.27 Die Opportunitätskosten dieser Ressourcen sind dann neben dem deadweight loss ebenfalls
23 Varian, Microeconomics, 6. Aufl. (2003), S. 425–429. 24 Posner, Antitrust Law, 2. Aufl. (2001), S. 12. 25 Posner, 83 J. Pol. Econ. (1975), 807–827. 26 Dies ist natürlich eine vereinfachte Betrachtung. Ein Dieb erlangt nicht die gleiche rechtliche Stellung, häufig sicher auch keine faktische Position, die der des rechtmäßigen Besitzers entspricht. Er kann kein Eigentum im juristischen Sinne erwerben, sondern allenfalls die faktische Gebrauchsmöglichkeit an der Sache. Beim Verkauf des Diebesgut muss er im Regelfall einen Preisabschlag hinnehmen. 27 Viscusi/Vernon/Harrington, Economics of Regulation and Antitrust (1998), S. 73.
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§ 8 Grundlagen zur kartellrechtlichen Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse
soziale Kosten von Monopolen. Posner geht davon aus, dass durch diese Effekte tendenziell die gesamte Monopolrendite als Nachteil für die soziale Wohlfahrt anzusehen sei.28 Daneben werden andere ökonomische Probleme im Zusammenhang mit Monopolen behauptet. Streitig diskutiert wird die These, wonach monopolistische Märkte im Vergleich zu kompetitiven Märkten weniger innovativ seien. Dies scheint zunächst deshalb nicht plausibel, da auch ein Monopolist seinen Gewinn maximieren kann, führt er neue Technologien ein bzw. passt er sich wandelnden Rahmenbedingungen an. Daneben werden allerdings andere, teilweise gegensätzliche Effekte konstatiert. Für einen Monopolisten, so wird argumentiert, sei der Anpassungsund Innovationsdruck mangels wirksamer Konkurrenz deutlich schwächer als bei intensivem Wettbewerb. Er neige deshalb dazu, sich „auf seinen Lorbeeren auszuruhen“, da er aus Innovationen weniger Vorteile als ein Unternehmen unter starkem Wettbewerbsdruck zieht.29 Dieses Ergebnis kann indes durch andere strategische Überlegungen konterkariert werden. Es wurde gezeigt, dass für einen Monopolisten ein größerer Anreiz besteht als für einen potenziellen Konkurrenten, eine von dritter Seite gemachte Innovation zu erwerben.30 Dies kann sogar dazu führen, dass ein Monopolist ein Patent erwirbt, um potenzielle Wettbewerber vom Marktzutritt abzuhalten, dieses Patent aber gar nicht nutzt, etwa weil seine eigene Technologie der neu patentierten Technologie überlegen ist.31 Zu bedenken gegeben wird auch, dass die sichere Realisierung von Innovationsgewinnen, die häufig gegebene Ressourcenstärke und gute Ertragslage einem Monopolisten die Entscheidung leichter machen, aufwendige und auch risikoreiche Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu initiieren. Im Ergebnis wird konstatiert, dass es zwar Zusammenhänge zwischen Marktstruktur und Innovationskraft gibt. Insbesondere auf Grund der Komplexität des Innovationsprozesses sind aber klare theoretische Vorhersagen über die Innovationskraft einer bestimmten Marktstruktur nicht möglich. Festhalten lässt sich lediglich, dass weder ein Monopol, noch die vollkommene Konkurrenz ideale Voraussetzungen für technologischen Fortschritt bieten.32 Auch empirische Studien haben zu keinen eindeutigen Ergebnissen im Hinblick auf die Frage geführt, inwieweit Marktmacht Innovationen eher verzögert oder beschleunigt.33 Weder in der ökonomischen Theorie noch Empirie ist bisher der Vorwurf belegt, monopolistische Strukturen führten zu einem Absinken der Qualität der angebote-
28 Posner, Antitrust Law, 2. Aufl. (2001), S. 13–17. 29 Grundlegend Arrow, in: Nelson (Hrsg.), The Rate and Direction of Inventive Activity (1962); Posner, Antitrust Law, 2. Aufl. (2001), S. 19; vgl. auch Tirole, Industrial Organization (1988), S. 392. 30 Tirole, Industrial Organization (1988), S. 392 f. 31 Tirole, Industrial Organization (1988), S. 393. 32 Viscusi/Vernon/Harrington, Economics of Regulation and Antitrust (1998), S. 92. 33 Posner, Antitrust Law, 2. Aufl. (2001), S. 20 m. w. N.; siehe aber auch Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 201, die konstatieren, dass empirische Untersuchungen eher auf eine relativ geringe Innovationsleistung von Monoplen hindeuten.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
nen Waren und Dienstleistungen.34 Theoretisch spricht gegen schlechtere Qualität auf Grund monopolistischer Strukturen, dass Ineffizienz und Ressourcenverschwendung direkt den Gewinn des Monopolisten schmälern und deshalb für ihn Anreiz genug besteht, solches zu verhindern. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass auf monopolistischen Märkten weniger äußerer Druck besteht, Ineffizienzen zu vermeiden, da zum einen keine Konkurrenz vorhanden ist, die evtl. zu niedrigeren Preisen oder zu besserer Qualität bzw. zu besseren Konditionen anbieten könnte und zweitens ein Monopolunternehmen auf Grund der Monopolrendite Ineffizienzen viel eher wirtschaftlich verkraften kann, als in einer Situation wirksamer Konkurrenz.35 Neben der Wohlstandsmaximierung durch einen funktionsfähigen Wettbewerb werden dem Kartellrecht auch nichtökonomische Zielsetzungen zugeordnet: Es soll verhindern, dass durch die Monopolrendite Vermögen von den Konsumenten auf die Inhaber von Unternehmen übergeht und damit Vermögen von weniger wohlhabenden zu wohlhabenderen Gruppen umverteilt wird. Kartellrechtliche Regulierung soll kleine und mittelständische Unternehmen fördern 36 und die Machtballung in den Händen ökonomischer Interessengruppen mildern, damit die politische Freiheit sichern und demokratische Prozesse und Strukturen unterstützen.37 Zweifelhaft ist zunächst, ob diese nichtökonomischen Zielsetzungen in sich schlüssig sind. Bedenkt man den zunehmenden Streubesitz von Aktien, vermittelt etwa durch Investmentfonds, erscheint nicht selbstverständlich, dass mit einer Monopolrendite Vermögen von nichtwohlhabenden zu wohlhabenden Schichten transferiert wird. Erschüttert wird dieses Argument weiter, folgt man der These, wonach Monopolgewinne etwa durch Ausgaben, um die Monopolstellung zu sichern, größtenteils in soziale Kosten umgewandelt werden. Diese Kosten landen schließlich als Einkommen bei Gruppen, die nicht notwendigerweise wohlhabender sind als die Konsumenten der Produkte eines Monopolisten.38 Von den besonderen Aufwendungen, eine marktmächtige Stellung zu erlangen oder zu erhalten, profitieren nicht nur Politiker, Erfinder oder Werbeagenturen, sondern auch die Arbeitnehmer. Denn Untersuchungen haben gezeigt, dass Gewerkschaften durchsetzen können, dass Teile der Monopolrendite in Form von höheren Löhnen den Arbeitnehmern zu Gute kommen.39 34 Posner, Antitrust Law, 2. Aufl. (2001), S. 19: „[It is an] ancient idea, a typical lay intuition about monopoly, that a lack of competition makes a firm less interested and effective in minimizing its quality-adjusted costs, whether by careful buying of inputs and supervision of production processes or by inventing new products and processes.“ Dazu bereits oben S. 159. 35 Dies führt zum Effekt der sog. „X-Inefficiency“ bei marktmächtigen Unternehmen, vgl. hierzu Viscusi/Vernon/Harrington, Economics of Regulation and Antitrust (1998), S. 83. 36 Craig/de Búrca, EU Law, 3. Aufl. (2003), S. 937. 37 Emmerich, Kartellrecht, 9. Aufl. (2001), S. 2 f.; Dhaeyer/Thilmany, 14 RTDE (1978), 223, 225. 38 Posner, Antitrust Law, 2. Aufl. (2001), S. 24. 39 Viscusi/Vernon/Harrington, Economics of Regulation and Antitrust (1998), S. 84. Höhere Löhne für Arbeitnehmer marktmächtiger Unternehmen führen zu Wohlstandsverlusten, weil hierdurch Arbeit in geringerer Weise nachgefragt wird, als dies sozial wünschenswert wäre.
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Kaum überzeugend belegen lässt sich auch, dass gerade Wirtschaftszweige mit einem hohen Konzentrationsgrad besonders effektiv auf die Politik Einfluss nehmen können, um ihre Interessen durchzusetzen. Effektiver Lobbyismus ist kaum von der Marktstruktur abhängig, sondern etwa von der Homogenität der Präferenzen innerhalb einer Gruppe, der Größe der Gruppe oder dem Potential für finanzielle Einflussnahme.40 Überzeugend ist freilich, dass es bestimmte Sektoren wie den der Massenmedien gibt, die von besonderer Sensibilität für ein demokratisches Gemeinwesen und die Ausübung freiheitlicher Grundrechte sind. In diesem Bereich kann gut begründet werden, dass auch kartellrechtliche Regulierung darauf ausgerichtet sein soll, etwa eine möglichst weit gefächerte, pluralistische Medienlandschaft zu erhalten. Abgesehen von der inneren Überzeugungskraft nichtökonomischer Zielstellungen wird in Frage gestellt, ob diese Ansätze tatsächlich auch Eigenständiges zur Ausgestaltung der Wettbewerbspolitik beitragen können. Eine Berücksichtigung des „Umverteilungsarguments“ und des „Machtballungsarguments“ fordert kaum eine andere Ausrichtung der Wettbewerbspolitik als die ökonomischen Erwägungen. Anders verhält es sich mit dem Ziel, kleine und mittlere Unternehmen zu fördern. Dieses kann den sonstigen Zielen der Wettbewerbspolitik entgegenstehen, so dass die Wettbewerbspolitik als ungeeignetes Instrumentarium hierfür erscheint. Will ein Regelgeber tatsächlich kleine und mittlere Unternehmen fördern, sollte dies besser über das Steuerrecht geschehen.41 Typisch für die europäische Wettbewerbspolitik ist schließlich, dass das Kartellrecht auch die Funktion hat, den Binnenmarkt abzusichern.42 Die Anstrengungen der Gemeinschaft durch Grundfreiheiten und Sekundärrecht einen Raum ohne Binnengrenzen zu schaffen, könnten durch Abmachungen privatrechtlicher Natur konterkariert werden. Insbesondere in den Anfangsjahren der Gemeinschaft sah die Europäische Kommission es als die vorrangige Aufgabe der Wettbewerbspolitik an, die Integration der Märkte zu fördern.43 Da die Binnenmarktvorschriften inzwischen weit gehend umgesetzt sind und die Zutrittsschranken für nationale Märkte signifikant herabgesetzt sind, ist diese Zielsetzung etwas in den Hintergrund gerückt, gleichwohl nach wie vor präsent.44 Bei allem bleibt zu betonen, dass die Wettbewerbstheorie den überzeugendsten Ansatz für wettbewerbspolitische Regulierung liefert, nämlich kompetitive Marktstrukturen zu sichern um die soziale Wohlfahrt zu fördern.
40 Vgl. für eine Analyse der Einflussnahme durch Interessengruppen etwa Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 410–414 und von Weizsäcker, in: Neumann, Ansprüche, Eigentums- und Verfügungsrechte (1984), S. 123, 134–139. 41 Posner, Antitrust Law, 2. Aufl. (2001), S. 2 und 25 f. 42 Ausf. dazu unten S. 333 ff. 43 Wesseling, The Modernisation of EC Antitrust Law (2000), S. 48. 44 Siehe etwa die Ausführungen im Grünbuch zu EG-Wettbewerbspolitik gegenüber vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen (KOM 96/721 endg.) S. 22–27.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
II.
Grundsätze der Wettbewerbstheorie zu vertikalen Vereinbarungen
Vertikale Vereinbarungen gestalten Absatzmittlungsverhältnisse. Wirtschaftswissenschaftler und Kartellrechtler diskutieren ihre wettbewerbspolitische Bewertung seit geraumer Zeit kontrovers. Innerhalb der ökonomischen Theorie, die vertikale Beschränkungen auf ihre Wirkungen auf die Konsumentenwohlfahrt hin analysiert, schälen sich zwei gegensätzliche Positionen heraus. Einer Auffassung nach sind Vertikalvereinbarungen aus Effizienzgesichtspunkten als vorteilhaft zu bewerten. Argumentiert wird, dass von ihnen grundsätzlich keine antikompetitiven Effekte ausgehen. Anderes könne allenfalls gelten, wenn die Beschränkungen von einem marktmächtigen Unternehmen ausgehen. Demgegenüber betont die Gegenauffassung, dass die Auswirkungen vertikaler Vereinbarungen auf die Konsumentenwohlfahrt differenziert einzuschätzen seien. Insbesondere die einschränkenden Wirkungen auf den markeninternen Wettbewerb (Intrabrand-Wettbewerb) können in vielen Konstellationen die Konsumentenwohlfahrt mindern. Im Folgenden sollen zunächst die beiden Strömungen mit der ihnen jeweils zu Grunde liegenden Argumentation vorgestellt werden. 1.
Vertikalvereinbarungen als effizientes Mittel zur Ausgestaltung des Absatzweges
Im Kern ruht die behauptete effizienzfördernde Wirkung vertikaler Vereinbarungen auf der Überlegung, dass vertikale Beschränkungen den Produzenten lediglich die Option eröffnen, den Absatzweg ihrer Produkte selbst zu gestalten und dass sich die Produzenten dieser Möglichkeit nur in einer Art und Weise bedienen, die die Konsumentenwohlfahrt steigere. Sie können die Händler durch vertikale Vereinbarungen zu bestimmten Serviceleistungen beim Verkauf des Produktes oder zu Werbeaktionen verpflichten bzw. Verkaufspreise vorgeben und so Anreize für die Bereitstellung der gewünschten Serviceleistungen schaffen. Dies gewährleiste, dass den Abnehmern Produkte in der gewünschten Kombination von Qualität der Serviceleistungen und Preis angeboten werden. Aus dieser Überlegung heraus wird postuliert, dass sich vertikale Beschränkungen nie zu Lasten der Abnehmer auswirkten. Vielmehr seien die Interessen von Produzenten und Abnehmern gleichgerichtet. Neben den effizienzsteigernden Effekten wird gegen die wettbewerbsrechtliche Kontrolle vertikaler Vereinbarungen vorgebracht, dass diese Vereinbarungen nicht den Output beschränken. Die soziale Schädlichkeit von Wettbewerbsbeschränkungen bestehe aber im Kern gerade in quantitativen Beschränkungen durch Monopolisten bzw. marktmächtiger Unternehmen, wodurch Abnehmer vom Zugang zu dem betroffenen Produkt ausgeschlossen werden und sich der Anbieter auf Kosten der Marktgegenseite eine Monopolrendite sichern kann. Genau dieser Effekt könne aber von vertikalen Vereinbarungen nicht ausgehen. Sie seien nicht mit quantitativen Restriktionen verbunden.45 Hierzu weist Bork, ein Vorkämpfer für die Zulässig45
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Bork, The Antitrust Paradox (1993), S. 297: „But I have never seen any economic analysis that
§ 8 Grundlagen zur kartellrechtlichen Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse
keit vertikaler Vereinbarungen,46 auch daraufhin, dass der Begriff der „vertikalen Beschränkungen“ missverständlich sei: Vertikale Vereinbarungen „beschränken“, indem sie einem Hersteller ermöglichen, wirtschaftliche Aktivitäten der Händler zu kontrollieren und auch die Konkurrenz zwischen Händlern einzuschränken. Entscheidend sei aber, dass vertikale Vereinbarungen niemals zu quantitativen „Beschränkungen“ führen können.47 Soweit aber tatsächlich durch vertikale Vereinbarungen der Wettbewerb eingeschränkt werde, etwa der markeninterne Wettbewerb, wird argumentiert, dass die wettbewerbsfördernden Effekte in jedem Falle überwiegen gegenüber den antikompetitiven Wirkungen. Dies gelte etwa dann, wenn vertikale Beschränkungen erst den Marktzutritt ermöglichen oder Probleme externer Effekte lösen, die ansonsten die Erbringung von Serviceleistungen für die Abnehmer verhindern. Auf der Grundlage dieser Analyse werden vertikale Beschränkungen als wettbewerbspolitisch unbedenklich eingestuft. Dies soll sowohl für vertikale Preisbindungen, als auch für sonstige Beschränkungen, etwa Gebiets- und Kundenbeschränkungen, Alleinvertriebs- oder Alleinbezugsvereinbarungen gelten.48 Kontrovers beurteilt wird innerhalb dieser Strömung die Frage, inwieweit die Marktstruktur etwas an der positiven Bewertung vertikaler Vereinbarungen ändern könne. Bork verneint dies: Vertikale Beschränkungen beeinflussten nicht die Marktmacht auf der Hersteller- oder Händlerebene.49 Andererseits wird argumentiert, dass vertikale Vereinbarungen auf einem Markt, den ein Hersteller dominiert, auch zu erheblichen Einschränkungen des Interbrand-Wettbewerbs führen könnten. Auf Grund dieser antikompetitiven Effekte seien vertikale Beschränkungen bei einer solchen Marktstruktur ökonomisch nachteilig, denn in dieser Konstellation sei eine kompensatorische Wirkung des Intrabrand-Wettbewerbs wünschenswert. Jedenfalls bedürfe es dann, wenn wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen von einem marktmächtigen Unternehmen ausgehen, einer Analyse im Einzelfall, um feststellen zu können, ob die wettbewerbsfördernden Aspekte tatsächlich überwiegen.50
shows how manufactured-imposed resale price maintenance, closed dealer territories, customer allocation clauses, or the like can have the net effect of restricting output.“ 46 Grundlegend Bork, 75 Yale L. J. (1966), 373–475 und die sich anschließende Debatte, Gould/ Yamey, 76 Yale L. J. (1967), 722–730; Bork, 76 Yale L. J. (1967), 731–743; Gould/Yamey, 77 Yale L. J. (1968), 936–949. 47 Bork, The Antitrust Paradox (1993), S. 297 f.; vgl. auch Bock, 30 The Antitrust Bulletin (1985), S. 117, 118. 48 Bork, The Antitrust Paradox (1993), S. 288: „Analysis shows that every vertical restraint should be completely lawful“; Easterbrook, 53 Antitrust L. J. (1984), 135: „No practice a manufacturer uses to distribute its products should be subject of serious antitrust attention.“ 49 Bork, The Antitrust Paradox (1993), S. 290 in Bezug auf die Schwinn-Entscheidung des Supreme Courts (United States v Arnold, Schwinn & Co., 388 U.S. 365 [1967]): „These vertical restraints could not, therefore, create any additional power in Schwinn to restrict output. This would be true whether Schwinn had 1 or 100 percent of the bicycle market.“ 50 Bock, 30 The Antitrust Bulletin (1985), S. 117, 135–141; Easterbrook, 53 Antitrust L. J. (1984), 135, 159–161.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
2.
Antikompetitive Effekte und Effizienzverluste durch vertikale Beschränkungen
Die Lehren der Chicago School haben anhaltenden Widerspruch provoziert. Auf der Grundlage unterschiedlicher Überlegungen wird die These bestritten, dass vertikale Beschränkungen grundsätzlich effizienzsteigernd und wettbewerbsfördernd wirken. Vielmehr, so wird vorgebracht, wirken sie in mehrfacher Hinsicht antikompetitiv, etwa durch marktabschottende Effekte oder dadurch, dass sie es erleichtern, Kartelle aufzubauen. Bezweifelt wird insbesondere die Hauptthese der Chicago School, nämlich die behauptete Interessenkongruenz zwischen Produzenten und Abnehmern.51 Dem wird die These entgegengestellt, dass Produzenten mit Hilfe von vertikalen Vereinbarungen Allokationsentscheidungen verzerren und sich auf Kosten der Abnehmer eine zusätzliche Rendite sichern. Daraus wird letztlich der Schluss gezogen, dass eine effizienzsteigernde und wettbewerbsfördernde Wirkung vertikaler Beschränkungen nicht nur von der Marktstruktur, sondern von einer ganzen Reihe anderer Faktoren abhänge und sich zuverlässig nur in einer Einzelfallbetrachtung nachweisen lasse.
3.
Wettbewerbstheoretische Kontroverse zu Einzelaspekten
Die konträren Beurteilungen vertikaler Vereinbarungen und deren Effekte auf die Konsumentenwohlfahrt gründen sich auf unterschiedliche Modelle und Argumente, die im Folgenden skizziert werden. a)
Vertikale Beschränkungen und Serviceleistungen
Die Wettbewerbstheorie sah sich zunächst der Aufgabe gegenüber, überhaupt zu begründen, welche Vorteile sich Produzenten von vertikalen Beschränkungen versprechen können. Dies ist theoretisch fraglich, weil Produzenten vom markeninternen Wettbewerb profitieren. Denn stehen die Händler einer Marke in Wettbewerb zueinander, fördert dies die Nachfrage und erhöht deshalb den Gewinn des Produzenten. So führt etwa ein Preiswettbewerb zwischen Händlern zu niedrigeren Endverkaufspreisen zu Lasten der Händler. Gleichzeitig steigt aber der Absatz und damit auch der Gewinn des Produzenten, dessen Gewinnspanne sich bereits durch den Verkauf an die Händler ergibt und von der Konkurrenz zwischen den Händlern grundsätzlich unbeeinflusst bleibt. Ein bereits früh dargelegter Ansatz geht davon aus, dass vertikale Vereinbarungen einem Produzenten erlauben, sicherzustellen, dass Händler den Vertrieb seiner Produkte mit bestimmten Serviceleistungen verbinden. Dabei ist der Begriff der Serviceleistungen weit zu verstehen: Er umfasst alle Maßnahmen des Händlers zur Verkaufsförderung, wie die Werbung, die vorvertragliche Information einschließ-
51
234
Dazu unten S. 237.
§ 8 Grundlagen zur kartellrechtlichen Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse
lich von Beratungsgesprächen oder die Ausstattung der Verkaufsräume (mehr Kassen, aufwendigere Schaufensterauslagen etc.) genauso wie andere Leistungen, die mit dem Vertrieb der Ware oder Dienstleistung in Verbindung stehen. Dazu gehören etwa Leistungen wie die Anlieferung der Ware zum Kunden, die Möglichkeit der Finanzierung mittels Kredit bzw. Ratenkaufs oder auch nachvertragliche Dienstleistungen, wie Reparatur oder Beratung bei Problemen des Kunden mit dem Produkt. Die Serviceleistungen umfassen letztlich alle Faktoren im Zusammenhang mit dem Erzeugnis des Herstellers, für die der Händler zu sorgen hat und die die Nachfrage nach dem Produkt beeinflussen.52 Werden diese Serviceleistungen des Händlers mit dem Produkt zu einem „Paket“ verbunden, steigt der Preis. Für einen Produzenten sind diese Zusatzleistungen um das Produkt herum deshalb nur dann profitabel, wenn der Nachfragezuwachs auf Grund der Serviceleistungen den mit dem Preisanstieg verbundenen Nachfragerückgang wettmacht. Weshalb aber muss ein Produzent vertikale Beschränkungen einsetzen, um diese Serviceleistungen zu gewährleisten? Die Frage ist deshalb berechtigt, da auch die Händler ein Interesse daran haben, durch das Angebot von Serviceleistungen einen höheren Gewinn erzielen zu können. Die ökonomische Theorie hat indes gezeigt, dass positive Externalitäten eine solche Strategie der Händler verhindern können. (1)
Das „Trittbrettfahrerproblem“
Investiert ein Händler in verschiedene Leistungen, um die Nachfrage zu erhöhen, können andere Händler daran partizipieren, ohne eine Gegenleistung erbringen zu müssen (sog. free rider-Problem bzw. „Trittbrettfahrerproblem“).53 Der Mechanismus ist einfach: Ein Kunde wird durch die besonderen Verkaufsförderaktionen eines Händlers auf ein bestimmtes Produkt aufmerksam, lässt sich von ihm ausführlich über die Vor- und Nachteile beraten und beschließt schließlich, dieses Produkt zu kaufen. Bei einem Preisvergleich stellt er allerdings fest, dass der Händler, dessen Marketingmaßnahme zu seiner Kaufentscheidung führte, einen höheren Preis verlangt (damit sich seine Kosten für die Verkaufsförderung amortisieren), als andere Händler. Aus diesem Grunde wird er das Produkt bei einem anderen Händler kaufen. Auf diese Art und Weise profitiert ein Händler von den Verkaufsbemühungen eines anderen, ohne eine Gegenleistung entrichten zu müssen. Darin liegt ein sog. positiver externer Effekt. Da er seine Kosten nicht internalisieren kann, wird sich deshalb ein Händler kaum besondere Verkaufsförderaktionen u. ä. „leisten“, will er im Konkurrenzkampf mit den „Trittbrettfahrern“ weiter bestehen. Das „Trittbrettfahrerproblem“ hat zur Folge, dass zum Nachteil von Produzenten und Händlern, aber letztlich u. U. auch der Abnehmer, weniger Serviceleistungen im Zusammenhang mit dem Vertrieb des Produktes angeboten werden. Indes sind nicht alle Serviceleistungen vom free rider-
52 Telser, 3 J. Law & Econ. (1960), 86, 91 und 95; Comanor, 98 Harv. L. Rev. (1985), 983, 987; Rey/Caballero-Sanz, Policy Implications (1996), S. 13. 53 Grundlegend Telser, 3 J. Law & Econ. (1960), 86, 91.
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Problem betroffen, sondern vor allem die vor Vertragsschluss zu erbringenden Leistungen. Denn von anderen Leistungen, wie der Anlieferung der Ware, der Möglichkeit der Kreditgewährung oder der Reparatur, können die Käufer anderer Händler ausgeschlossen werden. Das Problem relativiert sich weiter, wenn es dem Händler möglich ist, Produkt und Service getrennt voneinander anzubieten. So kann ein Händler jedem Kunden seinen Präferenzen entsprechend zusätzliche Leistungen offerieren. Gleichzeitig verhindert er, dass Kunden anderer Händler den Service nutzen, ohne dafür zu bezahlen. Allerdings ist diese Option, das „Trittbrettfahrerproblem“ zu lösen, begrenzt. Für einige Leistungen, etwa die Werbung, ist es praktisch nicht möglich, gesondert Bezahlung zu verlangen. Für andere Leistungen, etwa die vorvertragliche Information mittels Broschüren, Katalogen oder Beratungsgesprächen ist dies zwar möglich. Allerdings können hier die Transaktionskosten der separaten Preisfestsetzung und -einziehung gegenüber den Nachteilen aus der unvollständigen Internalisierung der Kosten überwiegen, so dass dieser Weg nicht effizient wäre, um das free riding zu verhindern. Aus diesem Grunde suchen Produzenten dem „Trittbrettfahrerproblem“ mittels vertikaler Beschränkungen abzuhelfen. Ein Produzent hat zum einen die Option, mit seinen Händlern Alleinvertriebsvereinbarungen jeweils für ein bestimmtes Gebiet zu treffen und seinen Händlern zu untersagen, Kunden in anderen Gebieten zu beliefern. In einer etwas abgeschwächten Form des Gebietsschutzes untersagt er ihnen zumindest den aktiven Vertrieb in die Gebiete, die anderen Händlern zugeteilt sind. Jedenfalls kann ein Produzent so Trittbrettfahrerprobleme unter seinen Händlern minimieren. Eine zweite Option liegt im selektiven Vertrieb: Der Produzent beliefert nur Händler mit seinem Produkt, die sich zu einem bestimmten Maß an Serviceleistungen verpflichten. Gleichzeitig verbietet er ihnen, die Ware an Händler außerhalb des Systems weiterzuverkaufen. Die „Trittbrettfahrer-Rechtfertigung“ ist nicht ohne Widerspruch geblieben.54 Kritiker haben eingewandt, dass eine am Wettbewerbsprinzip orientierte Marktwirtschaft auf „free rider“ angewiesen sei, die durch aggressiven Preiswettbewerb die Konkurrenz zwingen, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um Waren und Dienstleistungen im Interesse der Abnehmer effizient bereitzustellen. (2)
Koordinierungsproblem zwischen Produzent und Händler
Es liegt jedoch nicht nur an „trittbrettfahrenden“ Händlern, sondern auch an positiven externen Effekten zu Gunsten der Produzenten, dass Händler die Kosten von Verkaufsbemühungen nicht vollständig internalisieren können.55 Berechnet der Hersteller den Preis in Abhängigkeit von der gelieferten Menge (sog. linear tariff), kommt ihm eine Absatzsteigerung beim Händler unmittelbar zu Gute. Der Hersteller profitiert also von den Verkaufsanstrengungen des Händlers, ohne dass bei ihm
54 Pitofsky, 71 Geo. L. J. (1983), 1487, 1493. 55 Rey/Caballero-Sanz sprechen hier von „vertikalen Externalitäten“ im Unterschied zu „horizontalen Externalitäten“ beim free rider-Problem, Policy Implications (1996), S. 13.
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selbst zusätzliche Kosten entstehen. Der Händler kann deshalb seine Mehraufwendungen für zusätzliche Aktivitäten zur Verkaufsförderung nicht vollständig internalisieren. Dies führt dazu, dass Händler tendenziell, gemessen an der optimalen gewinnmaximierenden Strategie für Händler und Produzent, zu hohe Preise berechnen bzw. zu geringe Verkaufsanstrengungen tätigen.56 Diesem Koordinierungsproblem, dem sog. double coordination problem, kann der Produzent abhelfen, indem er Höchstpreise festsetzt und gleichzeitig die Händler zu Serviceleistungen verpflichtet. Freilich wird betont, dass der Hersteller dieses Koordinierungsproblem auch ohne eine Höchstpreisbindung lösen könne, nämlich indem er einen zweigeteilten Tarif festsetzt, und zwar einen mengenabhängigen Preis auf der Basis seiner Grenzkosten, zuzüglich einer sog. Franchise-Pauschale.57 b)
Auswirkungen auf die Konsumentenwohlfahrt
(1)
Interessenkongruenz zwischen Produzenten und Konsumenten
Die Befürworter vertikaler Beschränkungen argumentieren, dass sich im Wettbewerb verschiedener Vertriebssysteme die gewinnmaximierende Mischung aus Produktqualität und der mit dem Vertrieb verbundenen Serviceleistungen durchsetzen werde. Weiter postulieren sie eine Interessenkongruenz zwischen Produzenten und Endabnehmern: Maximieren die Produzenten ihren Gewinn, sei auch den Interessen der Endabnehmer optimal gedient. Die Ausgangsüberlegung dieser Argumentation ist, dass vertikale Vereinbarungen lediglich als Teil der Absatzpolitik der Produzenten zu verstehen seien. Die Option, vertikale Beschränkungen zu vereinbaren, eröffne einen Wettbewerb um den effizientesten Absatzweg. So konkurrieren etwa produzenteneigene Filialnetze, selektive Vertriebssysteme, Händlersysteme mit Gebietsschutz und der unbeschränkte Vertrieb über den Groß- und Einzelhandel. Der Marktprozess soll entscheiden, welche Systeme sich durchsetzen. Die Art des Vertriebs sei damit als ein Merkmal des Produktes aufzufassen. Was grundsätzlich für alle Produktspezifikationen gelte, solle auch für die Ausgestaltung des Vertriebes gelten: Jeder Hersteller könne selbst entscheiden, ob er Rohstoffe hoher oder niedriger Qualität verwendet. Kein Anlass für ein regulierendes Eingreifen bestehe, nur weil ein Produzent teure Ausgangsstoffe für ein Produkt wählt, die Kunden aber eine geringere Qualität zu einem entsprechend niedrigerem Preis vorziehen würden. Es bleibe Markt und Wettbewerb überlassen, diese Diskrepanz zu lösen. Genauso wenig soll es aber dann legitim sein, regulierend einzugreifen, weil ein Hersteller sein Produkt nur in einem selektiven System anbietet, durch das er eine hohe Beratungsqualität sicherstellt, viele Anbieter aber einen Kauf ohne Beratung, aber zu einem niedrigeren Preis, vorziehen würden. Auch hier soll die Regulierung dem Markt überlassen bleiben, der den Produzenten schließlich durch mangelnde Nachfrage abstrafen könne. Entscheidend sei 56 Rey/Caballero-Sanz, Policy Implications (1996), S. 13. 57 Rey/Caballero-Sanz, Policy Implications, S. 14; Veelken, ZVglRWiss 97 (1998), 241, 264; aufgegriffen auch vom Grünbuch zu vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen (1996), Tz. 59 i.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
allein, dass sich verschiedene Varianten, den Absatzweg auszugestalten, am Markt etablieren können. Je größer die Vielfalt, umso höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass jeder Abnehmer eine ihm genehme Kombination aus Preis und Beratung etc. finde.58 Aus diesem Grunde seien die Interessen der Hersteller und die der Abnehmer nicht gegenläufig: Das Interesse des Herstellers nach Gewinnmaximierung durch die optimale Vertriebsstruktur entspreche dem Interesse der Abnehmer, die von ihnen präferierte Kombination aus Qualität und Preis erwerben zu können. Bestritten wird, dass Produzenten vertikale Beschränkungen dafür nutzen können, die Produktpreise in die Höhe zu treiben und sich auf Kosten der Abnehmer einen zusätzlichen Gewinn zu sichern.59 Produzenten bedienen sich vertikaler Vereinbarungen und insbesondere auch vertikaler Preisbindungen, um auf effiziente Weise ihren Händlern Anreize zu geben, sich um die Verkaufsförderung ihrer Produkte zu bemühen. Darin liege ein wettbewerbsfördernder Aspekt, denn mit der Steigerung der Verkaufsförderung für bestimmte Marken wird der Wettbewerb zwischen den Marken forciert. Dabei haben die Produzenten kein Interesse daran, den Absatzmittlern Verkaufspreise vorzuschreiben, die die Nachfrage vermindern könnten. Wenn sie dennoch Preise vorgeben, die über den bisherigen Marktpreisen liegen, dann liege darin nichts Verwerfliches. Sie unterstellen sich dem Urteil des Marktes. Wird das Produkt weiterhin nachgefragt, zeige dies, dass die Abnehmer die mit dem Preis einhergehenden Anstrengungen des Händlers, etwa eine umfangreiche Verkaufsberatung, tatsächlich wertschätzten. Daraus ziehen Vertreter der Chicago School den Schluss, dass immer, wenn es trotz vertikaler Beschränkungen zu einer Erhöhung des Outputs kommt, von einem wettbewerbsfördernden und effizienzsteigernden Effekt dieser Vereinbarungen ausgegangen werden könne.60 Im Kern wird also argumentiert, dass ein Produzent seinen Händlern nur dann vertikale Beschränkungen auferlegen werde, um größere Vertriebsanstrengungen für seine Produkte zu gewährleisten, wenn er sich sicher sei, dass der Wert der Serviceleistungen die Kosten für die Verbraucher übersteigen werde.61 Denn anderenfalls würde die Nachfrage und damit auch der Gewinn des Produzenten sinken. Deshalb soll gelten, dass die Interessen von Produzenten und Endabnehmern grundsätzlich gleichgerichtet sind. (2)
Kritik: Interessenheterogenität bei den Konsumenten
Die These von der Kongruenz der Interessen von Produzenten und Konsumenten, so wird andererseits argumentiert, berücksichtige nicht die Interessenheterogenität der Konsumenten. Comanor hat herausgearbeitet, dass die Logik der Bork’schen Ana-
58 Scherer, 52 Antitrust L. J. (1983), 687, 704, der Douglas/Miller, 64 Am. Econ. Rev. (1974), 657, 668 zitiert: „[...] the greater the number of price-quality options the better“. 59 Zum Folgenden Easterbrook, 53 Antitrust L. J. (1984), 135, 141; Grimes, 64 Antitrust L. J (1995), 83, 86–88. 60 Bork, 76 Yale L. J. (1967), 731, 742 f.; Easterbrook, 53 Antitrust L. J. (1984), 135, 163 f.; Posner, 45 U. Chi. L. Rev. (1977), 1, 18 f. 61 Bork, 76 Yale L. J. (1967), 731, 733 f.
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lyse nicht für alle Abnehmer, sondern nur für die marginalen Konsumenten gilt.62 Der marginale Konsument zeichnet sich dadurch aus, dass seine Wertschätzung des Produktes dem Marktpreis entspricht.63 Deshalb reagiert er sensibel gegenüber Veränderungen in der Produktqualität, die das Gleichgewicht zwischen subjektiver Wertschätzung und Marktpreis stören. Steigert etwa der Produzent die Qualität, wird der marginale Konsument weniger nachfragen, wenn aus seiner Sicht der Wert der Qualitätsverbesserung geringer ist, als der mit ihr einhergehende Preisanstieg. Entsprechend wird ein marginaler Konsument mehr nachfragen, wenn für ihn der Wert einer Qualitätsverbesserung höher ist als der Preisanstieg. Neben den marginalen Konsumenten gibt es jedoch in der Praxis, d. h. auf Märkten, die nicht den Modellannahmen der vollständigen Konkurrenz entsprechen, auch Abnehmer, die den Wert eines Produktes sogar höher einschätzen, als den Preis, den sie dafür zu zahlen haben. Man spricht hier von den sog. inframarginalen Konsumenten.64 Da diese sogar bereit wären, für das unveränderte Produkt einen höheren Preis zu zahlen, werden sie ihre Nachfrage kaum verringern, nimmt der Produzent eine Qualitätsverbesserung vor, die ihrer Einschätzung nach aber nicht den damit verbundenen Preisanstieg wert ist. Dies zeigt, dass für einen Produzenten allein das antizipierte Nachfrageverhalten der marginalen Konsumenten maßgeblich sein wird für die Frage, ob er die Qualität seines Produktes gewinnsteigernd verändern kann. Bewirkt ein Produzent durch vertikale Vereinbarungen, dass der Vertrieb seiner Produkte mit einem vorgegebenen Maß an Dienstleistungen verbunden ist, entspricht dies einer Anhebung der Produktqualität. Die Profitabilität einer höheren Vertriebsqualität hängt deshalb allein von den Präferenzen der marginalen Konsumenten ab. Der Produzent wird die vertikalen Beschränkungen dann einführen, wenn vorauszusehen ist, dass die marginalen Konsumenten die zusätzlichen Serviceleistungen höher einschätzen als die damit verbundenen Preiserhöhungen. Will man indes Aussagen darüber treffen, wie sich vertikale Beschränkungen und die Gewährleistung zusätzlicher Serviceleistungen im Vertrieb auf die allgemeine Konsumentenwohlfahrt auswirken, kommt es auf die Präferenzen aller Konsumenten an, nicht nur auf die der marginalen Konsumenten. In dem Maße, wie die Veränderungen der Produktzusammensetzung nicht die Interessen der inframarginalen Konsumenten berücksichtigt, tritt demnach ein Nachteil für die allgemeine Konsumentenwohlfahrt ein. Daraus folgt auch, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Interessen von Produzenten und Endabnehmern gleichgerichtet sind. Daraus, dass ein zusätzlicher Service im Vertrieb profitabel für den Produzenten ist, kann nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, dass davon auch der
62 Comanor, 98 Harv. L. Rev. (1998), 983, 990–998; siehe für eine knappe Zusammenfassung Hughes/Foss/Ross, ECLR 2001, 424, 427 f. Comanors Analyse geht zurück auf einen Ansatz von Spence, der untersuchte, inwieweit Monopolisten den Konsumenten die von ihnen gewünschte Produktqualität anbieten, Spence, 6 Bell J. Econ. (1975), 417–429. 63 Comanor, 98 Harv. L. Rev. (1998), 983, 991; Spence, 6 Bell J. Econ. (1975), 417–419. 64 Comanor, 98 Harv. L. Rev. (1998), 983, 991.
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durchschnittliche Abnehmer profitiert. Vertikale Beschränkungen führen deshalb nicht notwendigerweise zu einer Effizienzsteigerung.65 Aus dem Modell, dass Produzenten sich vertikaler Vereinbarungen bedienen, um zu gewährleisten, dass der Vertrieb ihres Produktes mit einem gewissen Maß an Serviceleistungen einhergeht, lassen sich folglich keine generellen Aussagen darüber ableiten, wie sich vertikale Beschränkungen auf Effizienz und Konsumentenwohlfahrt auswirken. Vertikale Beschränkungen und die damit einhergehenden Preiserhöhungen werden sich häufig nachteilig auf die inframarginalen Konsumenten auswirken. Denn diese schätzen zusätzliche Serviceangebote beim Vertrieb oftmals geringer als die marginalen Konsumenten.66 Dies erscheint deshalb plausibel, weil ein Produzent vertikale Beschränkungen gerade verwendet, um Dienstleistungen zu gewährleisten, bei denen das Risiko des „Trittbrettfahrereffektes“ besonders hoch ist. Werbung, Beratung oder sonstige Maßnahmen der vorvertraglichen Information gehören dazu. Allerdings handelt es sich bei inframarginalen Konsumenten typischerweise um solche, die ein Produkt bereits häufiger erworben haben und es deshalb besonders zu schätzen wissen. Ihnen wird mithin weniger an zusätzlichen Informationen gelegen sein als den marginalen Konsumenten, nach denen sich der Produzent richtet. Aus diesem Grunde erleiden inframarginale Konsumenten durch vertikale Beschränkungen typischerweise Wohlfahrtsnachteile. Eine Steigerung der allgemeinen Konsumentenwohlfahrt durch vertikale Beschränkungen setzt deshalb voraus, dass die Wohlfahrtsgewinne der marginalen Konsumenten überwiegen gegenüber den Verlusten der infragmarginalen Konsumenten.67 Dieses hängt von zwei Faktoren ab, nämlich einerseits davon, in welchem Maße sich beide Gruppen in ihrer Größe unterscheiden und andererseits davon, inwieweit die relative Wertschätzung des zusätzlichen Service zwischen beiden Gruppen differiert.68 Die Relevanz des ersten Faktors erscheint offensichtlich: Je größer die Zahl der Abnehmer ist, die die zusätzlichen Serviceleistungen in hohem Maße schätzen, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die allgemeine Konsumentenwohlfahrt erhöht. Dies mag insbesondere bei neu auf dem Markt eingeführten Produkten der Fall sein, da hier bei dem durchschnittlichen Konsumenten ein höherer Bedarf an Information durch Werbung, Beratungsgespräche etc. gegeben ist. Demgegenüber ist es bei bereits etablierten Produkten eher wahrscheinlich, dass die Zahl der Wiederholungskäufer relativ hoch ist, die kaum Wert legen auf zusätzliche, mit dem Vertrieb verbundene Dienstleistungen. Der zweite Faktor ist von Bedeutung, da die Wohlfahrtsnachteile für die inframarginalen Konsumenten umso stärker sind, je größer die Differenz ist zwischen ihrer Wertschätzung des Produkt-Service-Pakets und der Wertschätzung durch die marginalen Konsumenten. Ist diese Differenz hoch, sehen sich die Produzenten einer
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Comanor, 98 Harv. L. Rev. (1998), 983, 998. Comanor, 98 Harv. L. Rev. (1998), 983, 999. Comanor, 98 Harv. L. Rev. (1998), 983, 999. Dazu Comanor, 98 Harv. L. Rev. (1998), 983, 999 f.
§ 8 Grundlagen zur kartellrechtlichen Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse
inelastischen bzw. steilen Nachfragekurve gegenüber. In diesem Fall spielen die Präferenzen der inframarginalen Konsumenten für die Entscheidung des Produzenten über zusätzliche Serviceleistungen eine kleine Rolle, da selbst eine relativ hohe Preisanhebung kaum zu einem Nachfragerückgang der Abnehmer führt, und dies selbst dann nicht, wenn sie die zusätzlichen Leistungen nur sehr gering schätzen. Ist andererseits die Nachfragekurve relativ elastisch bzw. flach, können auch geringere Preissteigerungen dazu führen, dass die inframarginalen Konsumenten signifikant weniger nachfragen. Dann werden die Produzenten in höherem Maße auch die Interessen der inframarginalen Konsumenten berücksichtigen. Die Argumentation gegen die Annahme einer selbstverständlichen Identität der Interessen von Produzenten und Konsumenten unterliegt freilich einer Einschränkung: Das Problem der Vernachlässigung der Präferenzen der inframarginalen Konsumenten wird nur dann relevant, wenn der Anbieter über ein gewisses Maß an Marktmacht verfügt.69 Denn auf einem perfekt operierenden Markt findet sich immer auch ein Anbieter, der dem betroffenen Konsumenten das von ihm verlangte Produkt mit dem von ihm präferierten Maß an Serviceleistungen verknüpft anbietet.70 Damit beschränkt sich die Kritik Comanors auf eine theoretische Fundierung der Einschränkung, die teilweise auch von Vertretern der Chicago School selbst vorgenommen wird: 71 Ist der Interbrand-Wettbewerb eingeschränkt und sind deshalb einige Unternehmen marktmächtig, kann der Intrabrand-Wettbewerb dazu ein nützliches und notwendiges Korrektiv sein. Dann können die Nachteile vertikaler Beschränkungen durchaus gegenüber den Vorteilen überwiegen. Daran wird deutlich, dass die postulierte Interessenkongruenz von Produzenten und Konsumenten für die Praxis häufig nicht plausibel ist. Dazu gehören nicht nur Konstellationen, in denen Märkte von einem Monopolisten oder wenigen sehr marktmächtigen Unternehmen dominiert werden. Auf realen Märkten ist das Erkennen von Produkten bzw. Produkt-Service-Kombinationen, die besser den Präferenzen eines Konsumenten entsprechen, teilweise mit erheblichen Suchkosten verbunden. Bereits aus diesem Grunde mag sich ein Konsument mit einer ProduktService-Kombination zufrieden geben, obwohl er weniger Service zu einem geringeren Preis vorziehen würde. c)
Zwischenergebnis
Produzenten bedienen sich vertikaler Beschränkungen, um die Händler zu mehr Anstrengungen beim Vertrieb animieren zu können. Denn durch vertikale Vereinbarungen lassen sich Trittbrettfahrerprobleme begrenzen und Koordinationsprobleme lösen. Diese Überlegung wird auch durch die Befürworter einer strengen Kontrolle vertikaler Beschränkungen kaum in Frage gestellt. Damit ist aber noch keine
69 Vgl. Rey/Caballero-Sanz, Policy Implications (1996), S. 14. 70 Auf Märkten mit vollkommener Konkurrenz verläuft die Nachfragekurve perfekt elastisch, es gibt deshalb nur marginale Konsumenten, Comanor, 98 Harv. L. Rev. (1998), 983, 1000. 71 Siehe oben S. 233.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
Aussage darüber getroffen, ob die Beschränkungen effizienzsteigernd sind und die allgemeine Konsumentenwohlfahrt fördern: Ist den Abnehmern besser mit einem niedrigen Preis und wenig Service oder einem umfangreichen Vertriebsservice zu einem höherem Preis gedient? Gegner der wettbewerbsrechtlichen Regulierung vertikaler Vereinbarungen behaupten, dass durch den Wettbewerb verschiedener Vertriebssysteme die Produzenten nur solche Produkt-Service-Kombinationen am Markt durchsetzen können, durch die sich die Nachfrage erhöht. Deshalb sei von einer Identität der Interessen zwischen Produzenten und Konsumenten auszugehen. Vertikale Beschränkungen würden demnach stets wohlfahrtssteigernd wirken. Diese Analyse ist nur für den Bereich der marginalen Konsumenten haltbar. Bezieht man auch auf realen Märkten anzutreffende inframarginale Konsumenten in die Überlegungen mit ein, lassen sich keine allgemeingültige Aussagen über die Wirkungen vertikaler Beschränkungen auf die Konsumentenwohlfahrt treffen. Ob sich die Gewährleistung zusätzlicher Dienstleistungen durch vertikale Beschränkungen effizienzsteigernd auswirkt, lässt sich dann nur im Einzelfall ermitteln. d)
Doppelte Gewinnspannenerhöhung
Innerhalb einer vertikalen Absatzstruktur müssen verschiedene geschäftliche Entscheidungen getroffen werden: 72 Die Großhandels- und die Verkaufspreise an die Endabnehmer müssen genauso festgelegt werden wie etwa die Provisionen, die Franchisenehmer zu zahlen haben. Die Menge des gehandelten Produktes ist zu bestimmen und in welchem Umfang Maßnahmen zur Absatzförderung unternommen werden. Diese Entscheidungen beeinflussen sowohl die Höhe der Gewinnspanne der vertikalen Struktur aus Produzent und Händler, als auch die Verteilung des Gewinns zwischen ihnen. Da weder der Produzent noch der Händler diese Variablen kontrollieren, sondern jeweils die in ihren Einflussbereich fallenden Entscheidungen unabhängig voneinander treffen, kommt es zu externen Effekten und damit zu Ineffizienzen. Diese Koordinierungsprobleme können mittels vertikaler Vereinbarungen gelöst werden. Im Zusammenhang mit den Serviceleistungen, die die Händler beim Vertrieb erbringen, wurde das Problem der davon ausgehenden positiven externen Effekte für die Produzenten erwähnt, das sog. double coordination problem.73 Ein bereits früher analysiertes Phänomen ist das der doppelten Gewinnspannenerhöhung bzw. der double marginalization.74 Verfügen in einer vertikalen Beziehung sowohl der Produzent, als auch der Händler über ein gewisses Maß an Marktmacht, können sie unabhängig voneinander ihre jeweiligen Gewinnspannen definieren. Dies führt zu einem Koordinierungsproblem, weil beide Beteiligte „ihre“ Preise festlegen – also der Produzent den Großhandelspreis und der Händler den Endabnehmerpreis – ohne zu bedenken, wie sich ihre Entscheidung auf die Gewinnspanne des jeweils anderen auswirken wird. Wenn etwa der Händler eine Preis-
72 Dazu Rey/Caballero-Sanz, Policy Implications (1996), S. 11 f. 73 Siehe oben S. 236. 74 Grundlegend Spengler, 58 J. Pol. Econ. (1950), 347–352; zusammengefasst bei Rey/CaballeroSanz, Policy Implications (1996), S. 12.
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§ 8 Grundlagen zur kartellrechtlichen Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse
erhöhung in Betracht zieht, dann kalkuliert er, ob sich dadurch sein Gewinn trotz des damit verbundenen Nachfragerückgangs erhöhen wird. Er berücksichtigt jedoch nicht, dass der Nachfragerückgang auch den Gewinn des Produzenten schmälern wird. Auf Grund dieser externen Effekte kommt es tendenziell zu einem Preis für den Endabnehmer, der über dem Preis liegt, zu dem Produzent und Händler ihren jeweiligen Gewinn maximieren könnten. Vertikale Beschränkungen sind eine Option, dieses Koordinierungsproblem zu lösen: Die für Produzent und Händler gewinnmaximierende Preisstrategie ließe sich durchsetzen, indem der Produzent dem Händler einen Höchstpreis vorgibt und selbst von diesem den Preis verlangt, der der gewinnmaximierenden Strategie entspricht.75 Ob der Produzent allerdings in der Praxis den gemeinsamen gewinnmaximierenden Preis finden kann, erscheint mehr als fraglich. Dies setzt nämlich nicht nur voraus, dass er seine eigene Kostenkurve kennt, sondern auch informiert ist über die Nachfragekurve der Konsumenten und die Kostenkurve des Händlers.76 Aus diesem Grunde erscheint es Kritikern der Zulassung vertikaler Beschränkungen sehr unwahrscheinlich, dass Höchstpreisbindungen tatsächlich Effizienz und Konsumentenwohlfahrt steigern können. Vielmehr solle man auf die Wirkungen der Konkurrenz vertrauen: Überdurchschnittliche Händlergewinne regen den Marktzutritt weiterer Händler an, wodurch die Marktmacht der Händler sinke und das Problem des double marginalization entschärft werde.77 e)
Weitere Koordinierungsprobleme
Neben dem double coordination problem und dem double marginalization problem sehen sich Produzent und Händler einer Reihe weiterer Koordinierungsprobleme gegenüber, wollen sie den Gewinn bei ihren geschäftlichen Aktivitäten maximieren. Vertikale Vereinbarungen können auch hier eine Lösung zum gegenseitigen Nutzen herbeiführen.78 Viele unternehmerische Entscheidungen und Maßnahmen des Produzenten beeinflussen indirekt auch die Händler. Erhöht der Produzent etwa die Produktqualität oder initiiert er eine umfassende Werbekampagne, profitieren davon auch die Händler. Durch diese positiven externen Effekte kann der Produzent seine Kosten nicht vollständig internalisieren. Mit Hilfe vertikaler Vereinbarungen, über die die Händler an den Kosten beteiligt werden, können aber Anreize für den Produzenten geschaffen werden, soviel in das Produkt und die Verkaufsförderung zu investieren, dass die vertikale Struktur als Ganzes ihren Gewinn maximieren kann.
75 Rey/Caballero-Sanz, Policy Implications (1996), S. 12, dort und auf S. 13 auch zu anderen Instrumenten, um das Koordinierungsproblem zu lösen. Der Produzent kann etwa einen zweiteiligen Tarif festlegen, der aus einem mengenabhängigen Element in Höhe der Grenzkosten und einer Pauschale besteht. 76 Veelken, ZVglRWiss 97 (1998), 241, 262. 77 Veelken, ZVglRWiss 97 (1998), 241, 262 f.; auch Rey/Caballero-Sanz, Policy Implications (1996), S. 12, bemerken, dass der Intrabrand-Wettbewerb das Problem der doppelten Gewinnspannenerhöhung lösen könne. 78 Zusammengefasst bei Rey/Caballero-Sanz, Policy Implications (1996), S. 15 f.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
Vertikale Vereinbarungen können auch dazu dienen, das Geschäftsrisiko zwischen Produzent und Händler effizient aufzuteilen. Deutlich wird dies beim Vertrieb von Waren, bei denen unsicher ist, wie viel Umsatz erwartet werden kann, wie dies etwa in Bereichen schnell fortschreitender technologischer Entwicklungen auftreten kann oder bei Waren, die abhängig sind von aktuellen Modetrends oder auch bei Produkten, deren Umsatz erheblich vom Wetter abhängt. Zweiteilige Tarife, bestehend aus einem mengenabhängigen Grundpreis in Höhe der Grenzkosten und einer pauschalen Zahlung, können Koordinierungsprobleme zwischen Produzent und Händler lösen. Dieses Instrument führt indes nicht nur zu Anreizen für die Händler, mehr in die Verkaufsförderung etc. zu investieren, weil ihnen alle Gewinne oberhalb der Pauschale zu Gute kommen. Vielmehr führt der zweiteilige Tarif auch dazu, dass nicht nur die Chancen, sondern auch die Risiken des Vertriebs teilweise auf den Händler übertragen werden. Verhält sich der Händler risikoavers, ist dieser Risikotransfer auch aus Sicht des Produzenten nicht wünschenswert. Er sieht sich also einem trade-off zwischen gemeinsamer Gewinnoptimierung und einer effizienten Aufteilung des Geschäftsrisikos gegenüber. In dieser Situation kann es vorteilhaft sein, einen Einkaufspreis für den Händler festzulegen, der über dem Grenzpreis liegt, dafür aber eine geringere Pauschale einzufordern. Damit lässt sich zwar keine gemeinsame Gewinnmaximierung erreichen, indes wird dadurch das Risiko des Händlers gemindert, so dass u. U. erst die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sich ein risikoaverser Händler überhaupt auf das Geschäft einlässt. Ein weiteres Koordinierungsproblem betrifft spezifische Investitionen. Insbesondere bei selektiven Vertriebssystemen oder bei Franchisesystemen müssen die Händler Investitionen tätigen, die auf die Produkte eines Herstellers zugeschnitten sind und die ihren Wert verlieren, beendet der Händler bzw. Franchisenehmer seine Geschäftsbeziehung zu diesem Hersteller. In solchen Konstellationen können nur langfristige Vereinbarungen dem Händler hinreichend Planungssicherheit geben, auf dass er tatsächlich genug Anreize hat, sich für die notwendigen spezifischen Investitionen zu entscheiden. Was die Auswirkungen der vertikalen Vereinbarungen zur Lösung der beschriebenen Koordinierungsprobleme auf die Konsumentenwohlfahrt betrifft, so gilt nichts anderes als für die bereits erörterten Vereinbarungen, die zusätzliche Serviceleistungen durch die Händler gewährleisten sollen: 79 Soweit auf den betroffenen Märkten ein lebhafter Interbrand-Wettbewerb besteht, können vertikale Beschränkungen nicht nur Koordinierungsprobleme zwischen Produzent und Händler lösen und damit beiden Parteien einen höheren Gewinn sichern. Vielmehr führen sie gleichzeitig auch zu einer effizienten Ressourcenallokation und steigern die Konsumentenwohlfahrt. Je stärker indes der Interbrand-Wettbewerb eingeschränkt ist, desto schwerer sind die Auswirkungen der vertikalen Beschränkungen einzuschätzen. Der Effekt auf die Konsumentenwohlfahrt lässt sich dann nur im Einzelfall exakt bestimmen.
79
244
Rey/Caballero-Sanz, Policy Implications (1996), S. 16.
§ 8 Grundlagen zur kartellrechtlichen Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse
f)
Förderung der Kartellbildung durch vertikale Vereinbarungen
Die wettbewerbsschädigende Wirkung vertikaler Vereinbarungen wird auch damit begründet, dass sie horizontale Wettbewerbsbeschränkungen unterstützen, deren nachteilige Folgen für die soziale Wohlfahrt grundsätzlich unbestritten sind. Vertikale Vereinbarungen können benutzt werden, um zu kontrollieren, ob Kartellabsprachen eingehalten werden oder sogar, um Außenstehenden Kartellpreise aufzuzwingen. Dies kann einerseits dadurch verwirklicht werden, dass Produzenten an einem Händlerkartell mitwirken.80 Vereinbaren etwa mehrere Händler, den Output eines Produktes zu reduzieren, um so den Preis auf ein festgelegtes Niveau anzuheben, gehen sie damit auch das Risiko beträchtlicher Umsatzverluste ein. Denn sowohl außenstehende Händler, als auch illoyale Kartellmitglieder könnten unter dem Kartellpreis verkaufen und sich so erhebliche Vorteile verschaffen. Das Händlerkartell kann sich aber stabilisieren, operiert es gemeinsam mit den Produzenten. Können die Produzenten etwa überzeugt werden, allen ihren Händlern vertikale Preisbindungen entsprechend des Kartellpreises aufzuerlegen, kann der Kartellpreis auch außenstehenden Händlern aufgezwungen werden. Gleichzeitig bekommen die Kartellmitglieder indirekt ein Instrumentarium an die Hand, um abtrünnige Händler zu maßregeln. Denn schließlich könnte ein Produzent gegen einen Händler vorgehen, der gegen die Vereinbarungen verstößt. Vertikale Beschränkungen können auch dazu beitragen, Produzentenkartelle zu stabilisieren.81 Treffen Produzenten untereinander eine Preisabsprache, bestehen starke Anreize für sie, durch Preiskonzessionen an einige Käufer sich zeitweise auf Kosten der anderen Kartellmitglieder ein höheres Verkaufsvolumen zu sichern. Dieses Verhalten ist für die anderen Parteien des Kartells angesichts von uneinheitlichen Endverkaufspreisen schwer zu entdecken. Dem kann entgegengewirkt werden, wenn das Produzentenkartell vertikale Preisbindungen mit den Händlern vereinbart, die zu einheitlichen Endverkaufspreisen führen. Hält sich nun ein Produzent nicht an den Kartellpreis und schlägt sich dies in einem gesunkenen Verkaufspreis des Händlers nieder, können die anderen Kartellmitglieder den Bruch der Kartellvereinbarung leicht entdecken. Der Produzent muss auch mit seinen Händlern vereinbaren, dass sie die reduzierten Einkaufspreise an die Kunden weitergeben, da es ansonsten nicht zu Absatzsteigerungen kommen würde und allein der Händler von den gesenkten Einkaufspreisen profitieren würde. Vertikale Vereinbarungen können so horizontale Wettbewerbsbeschränkungen unterstützen. Bestritten wird indes, dass dies in der Praxis eine signifikante Gefahr darstelle.82 Vorgebracht wird, dass Produzenten an sich kein Interesse daran haben, ein Händlerkartell zu unterstützen. Die horizontale Absprache der Händler lasse den Umsatz zum Nachteil der Produzenten absinken, die Monopolgewinne strei80 Pitofsky, 71 Geo. L. J. (1983), 1487, 1490; Carstensen/Dahlson, Wis. L. Rev. (1986), 1, 40–55; White, 60 Geo. Wash. L. Rev. (1991), 1, 42. 81 Pitofsky, 71 Geo. L. J. (1983), 1487, 1490 f.; Carstensen/Dahlson, Wis. L. Rev. (1986), 1, 55–59; White, 60 Geo. Wash. L. Rev. (1991), 1, 40–42. 82 Bork, The Antitrust Paradox (1993), S. 292; Easterbrook, 53 Antitrust L. J. (1984), 135, 141–143.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
chen aber die Händler ein. Zwar bestehe die Möglichkeit für das Händlerkartell, Produzenten über höhere Einkaufspreise zu entschädigen. Dadurch würde jedoch der Anreiz für die Händler reduziert, sich am Kartell zu beteiligen. Zudem könne die Organisation eines Händlerkartells über vertikale Preisbindungen nur dann effektiv funktionieren, wenn entsprechende Vereinbarungen mit allen Produzenten konkurrierender Produkte getroffen würden. Dies stelle aber für viele diversifizierte Märkte ein kaum überwindbares Koordinierungsproblem dar. Schließlich wird auch bezweifelt, inwieweit die Zusammenarbeit eines Händlerkartells mit dem Produzenten wirklich die Kontrolle der Einhaltung der Kartellabsprachen erleichtern könne. Ein Produzent werde von einem nicht absprachegemäßen Verhalten eines Händlers nicht eher erfahren als die anderen Kartellmitglieder. Dann haben aber auch diese verschiedene Sanktionsmöglichkeiten, wenn auch nur informeller Art. Bezweifelt wird, ob daneben die Sanktionsmöglichkeiten des Produzenten, der Vertragsstrafen geltend machen oder die Belieferung einstellen kann, tatsächlich einen zusätzlichen Effekt haben. Ein Händlerkartell über vertikale Preisbindungen zu steuern und zu kontrollieren sei deshalb nur unter relativ hohem Aufwand möglich und verspreche einen eher ungewissen Erfolg. Doch auch die Gefahr, dass sich Produzentenkartelle vertikaler Beschränkungen erfolgreich bedienen, wird teilweise als praktisch gering bewertet. Angezweifelt wird, dass es tatsächlich vertikaler Beschränkungen bedürfe, um ein absprachewidriges Verhalten eines Kartellmitglieds zu identifizieren. Es wird argumentiert, dass die Händler im Rahmen der Verhandlungen um bessere Konditionen Preissenkungen einzelner Produzenten ohnehin bekannt machen werden.83 Zudem seien die Kosten der Konstruktion zu bedenken. Diese bestehen nicht nur in den Verwaltungsaufwendungen für die Organisation und Überwachung, sondern werden vor allem auch durch Effizienzverluste im Vertrieb verursacht.84 Doch unterstellt man, dass vertikale Beschränkungen tatsächlich zur Stabilisierung von Kartellvereinbarungen beitragen können: Kann damit schlüssig eine wettbewerbsschädliche Wirkung vertikaler Vereinbarungen begründet werden? Dagegen wird argumentiert, dass es ausreichend sein müsse, dass sich die Wettbewerbspolitik darauf beschränkt, die eigentlich bedenklichen horizontalen Vereinbarungen zu untersagen und zu verfolgen. Denn wenn hinter einer vertikalen Vereinbarung tatsächlich eine horizontale Vereinbarung steht, sei diese auch von den Kartellbehörden in der Praxis relativ einfach zu identifizieren.85 Sie könnten sich von vornherein auf Branchen konzentrieren, in denen durchgängig mit vertikalen Beschränkungen gearbeitet wird. Produzenten, die ein Händlerkartell zwingen wollen, an der Kartellierung des Marktes mitzuwirken, werden sich bei den Kartellbehörden beschweren. Gerade die Organisation von Händlerkartellen erfordere auf Grund der disparaten Interessen der Beteiligten einen so großen Aufwand, dass sie kaum „zu verstecken“ seien. 83 84 85
246
Bork, The Antitrust Paradox (1993), S. 293. Bork, The Antitrust Paradox (1993), S. 294. Bork, The Antitrust Paradox (1993), S. 292–294; a. A. White, 60 Geo. Wash. L. Rev. (1991), 1, 43.
§ 8 Grundlagen zur kartellrechtlichen Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse
g)
Vertikale Vereinbarungen und Marktzutritt
(1)
Vertikale Vereinbarungen als Marktzutrittsschranken
Die wettbewerbsschädigende Wirkung vertikaler Vereinbarungen wird häufig auch damit begründet, dass sie benutzt werden können, um Wettbewerbern den Zutritt zu einem Markt zu verwehren oder doch zumindest wesentlich zu erschweren. Produzenten können mit ihren Händlern Alleinbezugsverpflichtungen vereinbaren. Danach darf der Händler Vertragsprodukte sowie mit diesen konkurrierende Produkte nur vom Lieferanten oder einem vom Lieferanten benannten Dritten beziehen. Wird ein Markt von wenigen Händlern bzw. Handelsketten dominiert, die sich an bestimmte Produzenten vertraglich gebunden haben, besteht die Gefahr, dass neu auf den Markt dringende Hersteller keine „freien“ Absatzmittler für ihre Produkte finden und gezwungen sind, erst ein eigenes Vertriebssystem aufzubauen. Ist der betroffene Händlermarkt durch starke Effekte wie economies of scale oder economies of scope gekennzeichnet, steigen dadurch die Kosten potenzieller Wettbewerber für einen Marktzutritt signifikant. Alleinbezugsvereinbarungen verhindern etwa Synergieeffekte bei Händlern, die konkurrierende gleichartige Produkte in ihr Sortiment aufnehmen wollen.86 Gerade auf Grund möglicher Synergien wären deshalb die Vertriebskosten für neue konkurrierende Produkte relativ gering. Deutlich wird an diesem Beispiel, dass die vertikalen Beschränkungen, die den Marktzutritt behindern, auch die Händler benachteiligen. Allerdings können diese für die entgangenen Gewinne durch die angestammten Produzenten entschädigt werden. Die Strategie der Produzenten beruht also darauf, durch vertikale Vereinbarungen die Kosten potenzieller Konkurrenten für einen Marktzutritt in die Höhe zu treiben.87 Die Stichhaltigkeit dieser Analyse, die in vertikalen Beschränkungen Marktzutrittsschranken erblickt, wird bestritten. Bork etwa führt aus, dass ein Produkt, mit dessen Vertrieb sich Gewinn erzielen lasse, immer einen Händler finden werde. Es gebe keine überzeugende Überlegung, warum dies nicht so sein solle: “If it can be established that a manufacturer with a product the consuming public would like to buy cannot find dealers willing to make profit, a revolutionary discovery about human motivation will have been made [...] The theory of dealership systems as barriers to entry must be regarded as an empty notion.” 88
Tatsächlich gibt es aber mehrere Ansätze, plausibel zu erklären, warum Händler auf realen Märkten in Zusammenarbeit mit den angestammten Produzenten bereit sein können, sich einem neuen, gewinnversprechenden Produkt zu verschließen oder ihm zumindest hohe Hürden aufzuerlegen. Aghion und Bolton 89 entwickelten ein Modell, nach dem der bereits auf dem Markt agierende Produzent einen Teil des potenziellen Gewinns, den sich ein Konkurrent bei Marktzutritt sichern könnte, aus-
86 Rey/Caballero-Sanz, Policy Implications (1996), S. 19. 87 Vgl. für formale Analysen dieser Strategie Mathewson/Winter, 77 Am. Econ. Rev. (1987), 1057–1062; Schwartz, 77 Am. Econ. Rev. (1987), 1063–1068. 88 Bork, The Antitrust Paradox (1993), S. 325. 89 Aghion/Bolton, 77 Am. Econ. Rev. (1987), 388–401.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
nutzt, um dem Händler einen Anreiz zu bieten, mitzuwirken, um den Wettbewerber am Marktzutritt zu hindern. Der Produzent bietet dem Händler geringere Einkaufspreise an und beteiligt ihn so am zusätzlichen Gewinn, den der Produzent dadurch erzielt, dass ein Konkurrent vom Markt ausgeschlossen bleibt. Als Gegenleistung verpflichtet sich der Händler dazu, allein die Waren dieses Produzenten zu beziehen und einen pauschalierten Schadensersatz zu zahlen, wenn er die Vereinbarung nicht einhalten sollte und doch Waren eines Konkurrenten in sein Sortiment aufnimmt. Ein konkurrierender Produzent wird seine Waren deshalb nur dann über den gebundenen Händler vertreiben können, wenn er den Händler für die von diesem zu zahlenden Schadensersatzpauschale kompensiert. Der angestammte Produzent und der Händler können über die Festlegung des pauschalierten Schadensersatzes definieren, welchen Gewinn sich ein konkurrierender Produzent von einem Marktzutritt versprechen muss und damit sicherstellen, dass sie im Falle des Marktzutritts besser gestellt werden: Der Produzent, indem er statt der zusätzlichen Gewinne auf Grund des Ausschlusses anderer Produzenten nun den pauschalierten Schadensersatz vom Händler einstreicht und der Händler, indem er an Stelle der Beteiligung am zusätzlichen Gewinn des Produzenten nun höhere Gewinne erzielt, weil er die Waren des neu auf den Markt gedrängten Produzenten vertreibt. Eine solche Vereinbarung zwischen Produzent und Händler verursacht soziale Kosten, da sie den Marktzutritt von Unternehmen unterbindet, die effizienter agieren würden als der angestammte Produzent. Durch vertikale Beschränkungen kann indes auch in anderer Hinsicht der Marktzutritt neuer Wettbewerber erschwert werden.90 Es wird argumentiert, dass Händler, die durch eine Alleinbezugsvereinbarung für einen längeren Zeitraum an einen Produzenten und an den Vertrieb einer Marke gebunden sind, einen größeren Anreiz haben, neue Konkurrenten einem besonders harten Wettbewerb auszusetzen. Entsprechend ist es auch plausibel, anzunehmen, dass Händler, denen ein Gebiet zum exklusiven Vertrieb zugewiesen ist, viel eher geneigt sein werden, neu auf diesen räumlichen Markt tretende Konkurrenten in einen Preiskrieg zu verwickeln. Denn die Händler müssen im Gegensatz zu dem sie beliefernden etablierten Produzenten keine Rücksicht darauf nehmen, welche Auswirkungen ein Preisnachlass auf einem lokalen Markt für die angrenzenden Märkte hat. Die ökonomische Theorie legt daher in der Tat für viele Konstellationen nahe, dass durch vertikale Vereinbarungen „künstliche“ Marktzutrittsschranken aufgebaut werden können. Dies schließt zwar nicht aus, dass wettbewerbsfähige Produkte sich trotzdem auf einem Markt durchsetzen können,91 ändert allerdings nichts daran, dass vertikale Vereinbarungen deshalb antikompetitiv wirken und damit zu Effizienzverlusten und Wohlfahrtsnachteilen führen können.
90 Rey/Caballero-Sanz, Policy Implications (1996), S. 16. 91 Treffend Möschel, JITE 152 (1996), 247, 249: “In the long run we are all dead and every restraint of competition will be overcome at some time in the process of the development of competition.”
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(2)
Vertikale Vereinbarungen als Instrumente für einen erfolgreichen Marktzutritt
Andererseits gehen von der effizienzsteigernden Wirkung vertikaler Vereinbarungen besondere Anreize für einen Marktzutritt aus. Insbesondere die Lösung grundlegender Koordinierungsprobleme im Verhältnis zwischen Produzent und Händler schafft häufig erst die Voraussetzungen für einen Marktzutritt. Will sich ein Produzent neue Märkte erschließen, besitzt er in der Regel wenig Erfahrung im Marketing für diesen Markt und bedient sich deshalb gerne erfahrener, unabhängiger Händler. Für diese stellt die Markteinführung eines neuen Produktes allerdings ein relativ großes geschäftliches Risiko dar. Einerseits bedarf es großer Anfangsinvestitionen für Werbung und für andere Aktionen der Verkaufsförderung, für die Schulung des Personals, damit Kunden auch solide beraten werden können und für den Aufbau eines Service für Garantiefälle. Diesen Aufwendungen steht eine ungewisse Ertragsaussicht gegenüber, lässt sich doch vielfach im Vorhinein nur schwer einschätzen, wie erfolgreich ein Produkt sich durchsetzen kann. Aus diesem Grunde ist es gerade bei Produktneueinführungen wichtig, dass Produzenten und Händler vertikale Beschränkungen vereinbaren können, beispielsweise ein Alleinvertriebsrecht für ein bestimmtes Gebiet. Damit lässt sich sicherstellen, dass der Händler die Ergebnisse seiner Investitionen internalisieren kann und damit einen größeren Anreiz hat, das Risiko einer Produkteinführung einzugehen. So eingängig auch die positiven Effekte auf die Möglichkeit des Marktzutritts sind, die der Lösung von Koordinierungsproblemen mittels vertikaler Vereinbarungen entstammen, so darf dieser Aspekt doch nicht überbewertet werden. Denn aus Sicht eines Produzenten macht es letztlich keinen Unterschied, auf welchen Effekt einer vertikalen Vereinbarung die Steigerung seiner Gewinnaussichten und damit sein Anreiz zum Marktzutritt zurückgeht, auf die Lösung von Koordinierungsproblemen oder doch auf die Förderung kartellartiger Strukturen bzw. auf einer Beschränkung des Interbrand-Wettbewerbs.92 Sollte letzteres der Fall sein, so sind die positiven langfristigen Effekte, die der Marktzutritt eines Anbieters mit sich bringt, mit den kurzfristigen negativen Effekten durch die vertikalen Beschränkungen abzuwägen. h)
Bedeutung des Intrabrand-Wettbewerbs
Vertikale Vereinbarungen schränken den markeninternen Wettbewerb ein. Kontrovers beurteilt wird die Frage, ob dies für sich wettbewerbspolitisch bedenklich ist. Die von den Ideen der Chicago School geprägte Lehre der Unbedenklichkeit vertikaler Vereinbarungen schätzt die eigenständige wettbewerbspolitische Bedeutung des Intrabrand-Wettbewerbs als gering ein. Entscheidend sei danach allein der Interbrand-Wettbewerb, der das Preisniveau bestimmt. Erhält etwa ein Sportartikelhändler das exklusive Recht, eine bekannte Marke in einem bestimmten Gebiet allein vertreten zu dürfen, werde ihm dies trotzdem nicht die Möglichkeit geben, signifikant den Preis zu erhöhen. Auf Grund der Konkurrenz der von anderen Händlern vertretenen Marken hätte dies nämlich einen starken Nachfragerückgang zur Folge,
92
Rey/Caballero-Sanz, Policy Implications (1996), S. 16.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
so dass er im Ergebnis schlechter dastünde. Das Beispiel macht aber deutlich, dass eine kompensierende Wirkung des markeninternen Wettbewerbs jedenfalls dann wünschenswert sein kann, wenn es auf Grund der Marktstruktur an einem funktionierenden Interbrand-Wettbewerb fehlt. An diesem Punkt knüpft auch die gegenteilige Beurteilung an, die argumentiert, dass dem markeninternen Wettbewerb generell eine effizienzsteigernde Wirkung innewohne und er deshalb von der Wettbewerbspolitik geschützt werden solle. Betont wird insbesondere das Phänomen der steigenden Produktdifferenzierung: 93 Gerade auf Grund der durch vertikale Vereinbarungen forcierten Verkaufsförderung nehme die (künstliche) Produktdifferenzierung zu bzw. seien die Marken aus Sicht der Abnehmer weniger substituierbar. Dadurch wiederum sinke die Nachfrageelastizität, mit der Folge, dass die Marktmacht der einzelnen Produzenten zunehme und sich der Interbrand-Wettbewerb verringere. Die natürliche Antwort des Marktes auf diese Entwicklung sei der markeninterne Wettbewerb. Je größer der Erfolg der vertikalen Beschränkungen bei der Förderung der Markendifferenzierung, desto wichtiger sei die disziplinierende Wirkung des Intrabrand-Wettbewerbs. Dieser erfülle mehrere wohlstandsfördernde Funktionen auf Märkten mit einer hohen Produktdifferenzierung und Markenloyalität.94 Zum einen ermögliche markeninterner Wettbewerb Arbitragegeschäfte. Ist etwa ein Produkt kurzfristig sehr begehrt, so dass der Produzent in Lieferschwierigkeiten kommt,95 könne ein Käufer dieses Produkt mit einem Gewinn an einen anderen Käufer, der sonst eine Wartezeit in Kauf nehmen müsste, weiterverkaufen. Diese Arbitragegeschäfte führen zu einer effizienten Allokation und erhöhen die Konsumentenwohlfahrt. Zum zweiten wird argumentiert, dass auch der markeninterne Wettbewerb die Konkurrenz zwischen den Händlern um die effizienteren Vertriebsmethoden fördere und so Innovationen und Effizienzsteigerungen beim Absatz herausfordere. Schließlich könne der Intrabrand-Wettbewerb auch die Konkurrenz zwischen den Produzenten anregen. Marktmacht auszuüben etwa wird durch die Möglichkeit zu Arbitragegeschäften erschwert, denn beispielsweise setzt Preisdiskriminierung auf Monopolmärkten voraus, dass ein Weiterverkauf des betroffenen Gutes verhindert werden kann.96
4.
Resümee: Vertikalvereinbarungen – Profite und Konsumentenwohlfahrt
Die ökonomische Theorie kann keine allgemeingültige Antwort auf die Frage geben, wie sich vertikale Vereinbarungen auf Wettbewerb, gesamtwirtschaftliche Effizienz und Konsumentenwohlfahrt auswirken.97 Nach dem gegenwärtigen For93 Grimes, 64 Antitrust L. J. (1995), 83, 96. 94 Grimes, 64 Antitrust L. J. (1995), 83, 96–99. 95 Dies kommt in der Praxis beispielsweise bei der Neueinführung von Automodellen vor, die sich überraschend viel besser verkaufen, als der Hersteller dies vermutet hatte. 96 Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 196. 97 Insoweit gilt nach wie vor von Weizsäckers Resümee: „Es ist allerdings leider der Wettbe-
250
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schungsstand lässt sich jedenfalls eine per se-Vorteilhaftigkeit nicht überzeugend begründen. Vielmehr zeigen jüngere Überlegungen, dass vertikale Vereinbarungen zwar auf vielfältige Art und Weise dazu beitragen können, das Verhalten von Produzenten und Händlern zu deren gegenseitigem Nutzen zu koordinieren und dadurch ihre Ergebnisse zu optimieren. Indes lässt sich daraus nicht ableiten, dass dies auch in jedem Fall die Konsumentenwohlfahrt steigere. Ob vertikale Vereinbarungen auch den Abnehmern zu Gute kommen, hängt von vielen Faktoren ab. Hervorzuheben ist die Intensität des Interbrand-Wettbewerbes: Je stärker die Konkurrenz zwischen verschiedenen vertikalen Strukturen ist, umso wahrscheinlicher ist es, dass Effizienzgewinne auch den Konsumenten zu Gute kommen. Dem lassen sich nicht wenige Konstellationen gegenüberstellen, in denen vertikale Beschränkungen zum Nachteil der Abnehmer und der Konsumentenwohlfahrt wirken. Auf Grund sich überlagernder Effekte können allerdings kaum allgemeine, eindeutige Aussagen über die Auswirkungen bestimmter vertikaler Vereinbarungen getroffen werden. Allenfalls für konkrete Konstellationen scheint es jedenfalls theoretisch möglich zu sein, die Wirkungen vertikaler Beschränkungen genauer zu verifizieren.
III.
Relevanz ökonomischer Überlegungen für die Wettbewerbspolitik
1.
Schlussfolgerungen aus der ökonomischen Theorie
Auf kaum einem Rechtsgebiet liegt es so nahe und ist es auch lang anerkannte Praxis wie beim Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften bei der Rechtssetzung und -gestaltung zu berücksichtigen.98 Gleichzeitig ist gerade die Wettbewerbspolitik gegenüber Vertikalvereinbarungen ein „schwieriger Fall“. In kaum einem Bereich hat die Wettbewerbstheorie innerhalb weniger Jahrzehnte vergleichbare Kehrtwendungen vollzogen. Die verbesserte Tiefenschärfe der Modellbildung gestattet neue Einblicke in die komplexen Wirkungen vertikaler Vereinbarungen, die zu der gegenwärtig vorherrschenden skeptischen Beurteilung führen, bei der indes zumeist auf die Analyse des Einzelfalles verwiesen wird. Vor diesem Hintergrund werden die Schwierigkeiten verständlich, denen sich Regelgeber hier gegenübersehen, die gewillt sind, ökonomische Erkenntnisse zu berücksichtigen.99 Da die gegenwärtig herrschende Wettbewerbstheorie vertikale Beschränkungen nicht verallgemeinernd bewertet, lässt sich keine per se-Regel zur Frage ihrer Be-
werbstheorie nicht gelungen, ein allgemeingültiges Kriterium stringent abzuleiten, das einem sagt, ob bestimmte Vertragstypen sozial schädlich sind, weil sie den Wettbewerb beschränken“, von Weizsäckers, in: Neumann, Ansprüche, Eigentums- und Verfügungsrechte (1984), S. 123, 125. 98 Möschel, in: FS Tilmann (2003), S. 705; Kirchner, ZHR 144 (1980), 563; ders., in: FS Schmidt (1997), S. 33, 38: „[...] Kartellrecht [hat] [...] oftmals in seiner Geschichte Änderungen seines Instrumentariums und seiner Zielsetzung als Antwort auf Entwicklungen in der Wirtschaftstheorie erfahren [...]“. 99 Vgl. Rey/Caballero-Sanz, Policy Implications (1996), S. 4.
251
Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
handlung begründen. Eine Einzelfallprüfung ist freilich keine realistische wettbewerbspolitische Option, weil die ökonomische Analyse eines jeden Falles die Anwendung einer komplexen Methodik erforderte. Bedenkt man die damit verbundenen Kosten zusammen mit der nicht sicheren Erwartung, wirklich zu einer klaren Aussage zu kommen, stellt sich eine solche Regelung als praktisch nicht handhabbar und ineffizient dar. Eine gangbare Möglichkeit besteht deshalb darin, bestimmte Konstellationen zu definieren, in denen die Vorteile der Verwendung vertikaler Vereinbarungen für die Konsumentenwohlfahrt typischerweise gegenüber den Nachteilen überwiegen bzw. vice versa, und bei denen dann eine widerlegbare Vermutung für die Wettbewerbskonformität bzw. Wettbewerbswidrigkeit besteht. Zudem ist auch einzuräumen, dass die Wettbewerbstheorie vertikale Vereinbarungen nicht vollständig beurteilen kann. Denn einerseits gibt es Phänomene, deren Integration in die Modellbildung erst am Anfang steht. Andererseits kann die ökonomische Analyse durch das komplexe Zusammenwirken verschiedener vertikaler Vereinbarungen erheblich erschwert werden. Schließlich ist auch ein Aspekt zu bedenken, auf den sogleich einzugehen ist: Die Frage der größtmöglichen Effizienz und der Steigerung der Konsumentenwohlfahrt ist nicht die einzige Besorgnis der realen Wettbewerbspolitik.
2.
Relevanz ökonomischer Argumente
Welchen Einfluss die sich aus der ökonomischen Theorie ergebenden Schlussfolgerungen auf die Ausgestaltung der Wettbewerbspolitik haben, hängt letztlich davon ab, welche Bedeutung der Regelgeber einer Analyse nach dem Kriterium der gesamtgesellschaftlichen Effizienz und der Konsumentenwohlfahrt einräumen will bzw. angesichts normativer Vorgaben überhaupt einräumen darf. Ein Stützpfeiler der vor allem von Vertretern der Chicago School forcierten Lehre gegen die wettbewerbsrechtliche Regulierung vertikaler Vereinbarungen besteht in der These, dass Kartellrecht sinnvoller Weise einzig der Maximierung der sozialen Wohlfahrt zu dienen habe, indem es effiziente Regelungen fördere.100 Davon ausgehend definiere sich der vom Wettbewerbsrecht anzustrebende Zustand dadurch, dass eine andere Ausgestaltung der geschäftlichen Verhältnisse die Konsumentenwohlfahrt nicht steigern könne.101 Teilweise wird freilich auch von Vertretern der Chicago School eingeräumt, dass in Situationen, in denen sich die ökonomischen, am Effizienzkriterium ausgerichteten Argumente die Waage halten, Raum für andere politische Erwägungen bleibe.102 Allerdings ist festzuhalten, dass allgemein unter Ökonomen
100 Bork, The Antitrust Paradox (1993), S. 50 ff., zusf. S. 405: “The only goal that should guide interpretation of the antitrust laws is the welfare of consumers”; Easterbrook, 53 Antitrust L. J. (1984), 135, 138–140; Page, 75 Va. L. Rev. (1989), 1221, 1238; Posner, Antitrust Law, 2. Aufl. (2001), S. 2: “[...] the only goal of antitrust law should be to promote efficiency in the economic sense”. 101 Bork, The Antitrust Paradox (1993), S. 61: “‘Competition’ may be read as a shorthand expression, a term of art, designating any state of affairs in which consumer welfare cannot be increased by moving to an alternative state of affairs through judicial decree.” 102 Easterbrook, 53 Antitrust L. J. (1984), 135, 138.
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§ 8 Grundlagen zur kartellrechtlichen Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse
große Skepsis darüber herrscht, inwieweit das Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen ein geeignetes Instrumentarium bereithalte, andere, „nichtökonomische“ Zielstellungen zu ereichen,103 sei es etwa die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen, die Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs, die Verhinderung von Umverteilung von Vermögen von Verbrauchern zu den Unternehmensinhabern oder die Milderung von Machtkonzentration ökonomischer Interessengruppen zum Schutz der politischen Freiheit.104 Ein insbesondere unter Wettbewerbsrechtlern verbreiteter Ansatz betont demgegenüber, dass die Wohlfahrtsökonomie mit ihrem auf die mikroökonomische Preistheorie beschränkten Instrumentarium 105 kein hinreichendes Konzept bieten könne, um Wettbewerbspolitik praktisch zu gestalten. Die traditionelle Preistheorie berücksichtige nicht hinreichend die dynamischen Aspekte vieler Geschäftspraktiken, wie etwa den Einsatz von Verdrängungsstrategien.106 Es wird weiter darauf hingewiesen, dass nicht einmal die Frage befriedigend beantwortet werde, wie die Effizienz, die nach der Wohlfahrtsökonomik einziges Kriterium für die Konsumentenwohlfahrt sein soll, zu messen sei.107 Da zudem die Effizienzanalyse allein auf ökonomischen Modellen beruht, und nicht auf der Analyse tatsächlicher Sachverhalte, seien deren Aussagen nur von eingeschränktem Wert für die Wettbewerbspolitik.108 Denn schließlich seien die Annahmen der ökonomischen Theorie teilweise weit von ökonomischen Realitäten entfernt. Zu bedenken ist zudem, dass Wettbewerbspolitik in einem vorgegebenen institutionellen bzw. konstitutionellen Rahmen gestaltet werden muss.109 Der EG-Vertrag gibt der Wettbewerbspolitik die Aufgabe vor, die Binnenmarktintegration abzusichern. Art. 81 Abs. 3 EG ermöglicht die Abwägung der Wettbewerbspolitik mit anderen Zielsetzungen der Gemeinschaft (Umweltpolitik, Kulturpolitik etc.).110 Neoklassische Industrieökonomik kann aber keine Aussagen darüber treffen, wie Wettbewerbspolitik angesichts konfligierender Zielsetzungen auszugestalten ist. 111 Für die Entwicklung in den Vereinigten Staaten wird konstatiert, dass die Verbraucher vertikale Beschränkungen und insbesondere Formen vertikaler Preisbindung
103 Paradigmatisch Gómez, in: Collins (Hrsg.), Unfair Commercial Practices, S. 187, 192: „I am highly doubtful about the aptitude of any competition law system to achieve [...] ,non-economic‘ goals“. 104 Siehe bereits oben S. 230. 105 So ausdrücklich Bork, The Antitrust Paradox (1993), S. 117: „There is no body of knowledge other than conventional price theory that can serve as a guide to the effects of business behavior upon consumer welfare.“ 106 Hawk, ECLR1988, 53, 61 m. w. N. 107 Schmitt/Rittaler, Die Chicago School of Antitrust Analysis (1986), S. 44–53. 108 Flynn, 71 Cornell L. Rev. (1986), 1095, 1124–1136. 109 Siehe für einige Beispiele, die die Grenzen ökonomischer Argumente angesichts normativer Vorgaben deutlich machen, Möschel, in: FS Tilmann (2003), S. 705, 706 f. 110 Eingehend dazu unten S. 359 ff. 111 Kirchner, in: Ehlermann/Laudati (Hrsg.), European Competition Law Annual 1997 (1998), S. 513, 521.
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Teil 2: Rechtfertigung absatzbezogener Regelungen
nicht als für sie vorteilhaft angesehen haben.112 Dies fand seinen Ausdruck vor allem in den Stellungnahmen der großen Verbraucherschutzorganisationen im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren. Sie schätzten insbesondere den Intrabrand-Wettbewerb als essentiellen Bestandteil einer freien Wettbewerbswirtschaft und als notwendiges Instrument, um ein niedriges Preisniveau für die Verbraucher zu gewährleisten. Nach verbreiteter Auffassung ist die Theorie, wonach vertikale Beschränkungen grundsätzlich die Konsumentenwohlfahrt steigern und damit den Verbrauchern zu Gute kommen, weit entfernt von der Realität. Eine Wettbewerbspolitik, die sich diesen ökonomischen Ansatz zu Eigen mache, wird weithin als „unternehmerfreundlich“ und „verbraucherfeindlich“ empfunden. Daraus lässt sich natürlich nicht schlussfolgern, dass die ökonomische Theorie falsch ist. Jedoch können diese Überlegungen als Hinweis darauf gewertet werden, dass die Erkenntnisse der ökonomischen Modellbildung die Vorgänge und Zusammenhänge des realen Wirtschaftsgeschehens nur unzureichend reflektieren.113 Diesen Bedenken entspricht der Ansatz, der sich dem Schutze der wettbewerblichen Handlungsfreiheit der Beteiligten verschreibt.114 Die Wettbewerbspolitik soll sich darauf konzentrieren, wettbewerbsbeschränkende Einzelverhaltensweisen zu identifizieren und zu bekämpfen. Ein gängiger Einwand gegen diesen wettbewerbstheoretischen Ansatz ist, dass er zu einem Verständnis von Wettbewerbsbeschränkung führe, der konturenlos sei und etwa jeden Vertrag und jede Gesellschaftsgründung erfasse, da diese schließlich auch die wettbewerbliche Handlungsfreiheit Dritter einschränken.115 Vertreter des Konzepts der Wettbewerbsfreiheit begegnen dem, indem sie einräumen, dass es sicher im Detail schwierig sein könne, wettbewerbskonforme und wettbewerbsbeschränkende Eingrenzungen wirtschaftlicher Handlungsfreiheit voneinander abzugrenzen. Allerdings stelle das Abwägen anhand von übergeordneten Prinzipien eine Methode dar, die bei der Rechtsgestaltung und -auslegung in vielen Bereichen, die wie das Wettbewerbsrecht von „Maßund Gradfragen“ 116 geprägt sind, eher die Regel als die Ausnahme sei. Es sei kein Grund ersichtlich, warum eine von Werturteilen geprägte Abwägung im Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu weniger befriedigenden Ergebnissen führen solle als anderswo.117 In diesen Prozess der Ausgestaltung des Wettbewerbsrechts nach dem Konzept der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit können und müssen gleichwohl auch die Ergebnisse der ökonomischen Theorie einfließen, wenn auch nur als ein Bestimmungsfaktor unter mehreren.118 Denn die Erkenntnisse der Wett-
112 Burns, 63 Fordham L. Rev. (1993), 597, 630–639. 113 Burns, 63 Fordham L. Rev. (1993), 597, 651. 114 Siehe etwa Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (1983), Rn. 69 f.; ders., in: FS Tilmann (2003), 705, 715–717. 115 Bork, The Antitrust Paradox (1993), S. 59, 135, 136, 284. Dazu Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004), § 10, Rn. 17–22 (S. 268–270); Schmitt/Rittaler, Die Chicago School of Antitrust Analysis (1986), S. 41–44. 116 Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (1983), Rn. 69. 117 Vgl. Veelken, ZVglRWiss 97 (1998), 241, 257. 118 Veelken, ZVglRWiss 97 (1998), 241, 246; Duijm, Die Wettbewerbspolitik der EG gegenüber vertikalen Vertriebsvereinbarungen (1996), S. 69: „Damit eine Wettbewerbspolitik als rational be-
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§ 8 Grundlagen zur kartellrechtlichen Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse
bewerbstheorie, so korrekt und wegweisend sie im Einzelnen auch sein mögen, können und sollen keine vollständige Antwort auf die Fragen der Wettbewerbspolitik geben.119
zeichnet werden kann, muß sie den aktuellen Kenntnisstand der Wettbewerbstheorie nutzen“. In der europäischen Wettbewerbspolitik lässt sich in den letzten Jahren ein Trend für eine zunehmende Berücksichtigung wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse erkennen, siehe Nitsche/Thielert, WuW 2004, 250–259; mit Bezug zur Wettbewerbspolitik gegenüber vertikalen Vereinbarungen Hughes/Foss/Ross, ECLR 2001, 424, 433. 119 Siehe dazu die Parabel zum Verhältnis zwischen Ökonomen und Wettbewerbsrechtlern bei Silberman, 57 Antitrust L. J. (1988), 49: „A student once asked his teacher: ‘Master, you have spent much effort teaching me, giving me rules and insights. To what end?’ ‘I have taught,’ the teacher replied, ‘so that you will stop simply accepting my teaching as if it were the answer and learn to ask harder questions.’ The student continued: ‘Then it must be that your answer to the more difficult question will be the height of wisdom.’ ‘No,’ said the master, ‘wisdom will come when you recognize that there will be questions to which my answers – while entirely correct – do not provide you with a complete answer at all.’“
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen § 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung Die Regelung von spezifischen Absatztechniken und Absatzfördermaßnahmen soll Informationsdefizite überwinden. In der Tat lassen sich die meisten europäischen Vorgaben, die diesen Bereich bestimmen, als Maßnahmen verstehen, die die Information der Märkte verbessern. Drei Ansätze können dabei unterschieden werden: Nahe liegt es zunächst, die Marktseite mit einem Informationsvorsprung zu verpflichten, die Gegenseite über transaktionsrelevante Sachverhalte zu informieren oder jedenfalls zu fördern, dass die Gegenseite freiwillig informiert (I). Räumt der Gesetzgeber den Abnehmern ein Widerrufsrecht ein, so gibt er ihnen eine erweiterte Möglichkeit, Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und noch (nachträglich) für ihre vertragliche Entscheidung zu berücksichtigen (II). Schließlich kann auch das Know-how Dritter, sog. Informationsintermediäre, in Anspruch genommen werden (III).
I.
Information durch den Anbieter
1.
Werbung
Werbung kann Informationsdefizite überwinden, weil die Abnehmer sich mit der Werbung kostengünstig über bestimmte Qualitätsmerkmale von Produkten informieren können. Aber auch die reine Imagewerbung kann eingedenk des Reputationsmechanismus eine hohe Produktqualität signalisieren.1 a)
Schutz vor Irreführung
Trotz aller Marktmechanismen bestehen vor allem bei Erfahrungsgütern Anreize für einen Anbieter, sich durch irreführende Werbeversprechungen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Demgegenüber kann ein effektiv sanktioniertes Verbot irreführender Werbung die Grundlage dafür legen, dass die Abnehmer Werbeaussagen über den reinen goodwill hinaus als Informationsquelle nutzen können. Andererseits kann ein zu strenger Maßstab bei der Bestimmung einer Irreführungsgefahr dazu führen, dass der Mehrzahl der Abnehmer wertvolle Information vorenthalten wird.2 1 2
Zur Werbung als Informationsinstrument siehe oben S. 200. Zur Regelung irreführender Werbepraktiken siehe oben S. 204.
256
§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
Ein übergreifendes Verbot irreführender Werbepraktiken folgt aus Art. 5 Abs. 4 lit. a i. V. m. Art. 6 und 7 UGPRL und Art. 2 Abs. 2 WerbeRL. Daneben enthält das Gemeinschaftsrecht eine Vielzahl produktspezifischer Irreführungsverbote,3 aber auch ein (mittelbares) Verbot der irreführenden Werbung mit Garantieangaben beim Verbrauchsgüterkauf.4 Die Beurteilung einer bestimmten Werbung hängt wesentlich davon ab, wie man den unbestimmten Rechtsbegriff der Irreführung anhand eines Verbraucherleitbildes und u. U. auch einer Irreführungsquote konkretisiert. Der EuGH hatte in einer Reihe von Entscheidungen Gelegenheit, seine Position zu dieser Frage zu entwickeln. Die Urteile betrafen neben Werbebehauptungen auch Aussagen der Etikettierung, in Prospekten und sonstige Anbieterinformationen. Im Zentrum der Rechtsprechung steht die Formel, wonach die Irreführungsgefahr anhand der mutmaßlichen Erwartungen eines „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers“ zu beurteilen sei.5 Die Attribute „aufmerksam“ und „verständig“ sind nicht dahingehend zu verstehen, dass dem „Norm-Verbraucher“ eine besondere intellektuelle Leistungsfähigkeit oder Cleverness abzuverlangen sei. Wie etwa die englische und die französische Sprachfassung 6 zeigen, ist die Irreführungsgefahr am Maßstab eines „angemessen“ oder „in vernünftiger Weise“ aufmerksam und umsichtig handelnden Verbrauchers zu beurteilen.7 Der vom EuGH angelegte Maßstab ist normativer Natur. Das wird dadurch bestätigt, dass der Gerichtshof teilweise selbst eine Irreführungsgefahr durch eine Aussage der Werbung etc. verneint, ohne auf die tatsächlichen Anschauungen des angesprochenen Verkehrskreises einzugehen.8 Der normative Maßstab des verständigen Verbrauchers gilt gleichwohl nicht unterschiedslos. Im Urteil Estée Lauder wies der Gerichtshof darauf hin, dass ein strengerer Maßstab anzuwenden sei, wenn ein Irrtum des Verbrauchers die Gesundheit beeinträchtigen kann,9 also nicht lediglich 3 Art. 6 Abs. 3 KosmetikRL, Art. 87 Abs. 3 Sps. 2 ArzneimittelRL, Art. 2 Abs. 1 lit. a, Abs. 3 lit. b LMEtRL, Art. 9 Abs. 2 UmweltzeichenVO, Art. 3 Abs. 1 PRRL, Art. 19 Abs. 2 S. 1 FinMRL. 4 Art. 6 Abs. 1 KaufRRL. 5 Grundlegend für diese Formel war die 6-Korn-Eier-Entscheidung, EuGH, Urt. v. 16. 7. 1998 – Rs. C-210/96, Gut Springenheide und Tusky, Slg. 1998, I-4657, 4693, Rn. 37; danach wurde die Formulierung stereotyp verwendet, siehe etwa EuGH, Urt. v. 28. 1. 1999 – Rs. C-303/97, Sektkellerei Kessler, Slg. 1999, I- 513, 546 f., Rn. 36; EuGH, Urt. v. 22. 6. 1999 – Rs. C-342/97, Lloyd Schuhfabrik Meyer, Slg. 1999, I-3819, 3841, Rn. 26; EuGH, Urt. v. 13. 1. 2000 – Rs. C-220/98, Estée Lauder („Liftingcreme“), Slg. 2000, I-117, 146, Rn. 27; EuGH, Urt. v. 4. 4. 2000 – Rs. C-465/98, Darbo, Slg. 2000, I-2297, 2333 f., Rn. 20; ähnlich zuvor bereits EuGH, Urt. v. 6. 7. 1995 – Rs. C-470/93, Mars, Slg. 1995, I-1923, 1944, Rn. 24 („von verständigen Verbrauchern kann erwartet werden“). 6 „[...] the presumed expectations of an average consumer who is reasonably well-informed and reasonably observant and circumspect“ bzw. „[...] l’attente présumée d’un consommateur moyen, normalement informé et raisonablement attentif et avisé“. 7 Dazu Helm, in: FS Tilmann (2003), S. 135, 140–142. 8 Siehe EuGH, Urt. v. 13. 12. 1990 – Rs. C-238/89, Pall, Slg. 1990, I-4827, 4849, Rn. 18–21; EuGH, Urt. v. 18. 5. 1993 – Rs. C-126/91, Yves Rocher, Slg. 1993, I-2361, 2389 f., Rn. 14–19; EuGH, Urt. v. 2. 2. 1994 – Rs. C-315/92, Verband Sozialer Wettbewerb („Clinique“), Slg. 1994, I-317, 337 f., Rn. 19–23; EuGH, Urt. v. 4. 4. 2000 – Rs. C-465/98, Darbo, Slg. 2000, I-2297, 2334 ff., Rn. 21–34; EuGH, Urt. v. 24. 10. 2002 – Rs. C-99/01, Linhart und Biffl, Slg. 2002, I-9375, 9404 f., Rn. 31–35. 9 EuGH, Urt. v. 13. 1. 2000 – Rs. C-220/98, Estée Lauder („Liftingcreme“), Slg. 2000, I-117, 146,
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
dessen wirtschaftliche Interessen betroffen sind. Aber auch im letzteren Falle ist zu differenzieren. Der EuGH erkennt an, dass die Aufmerksamkeit des Durchschnittsverbrauchers je nach Art der betroffenen Waren oder Dienstleistungen variieren kann.10 Je bedeutender das beworbene Produkt ist, umso höher ist der Grad an Aufmerksamkeit, der von einem Durchschnittsverbraucher erwartet werden kann. Der Gerichtshof selbst relativiert allerdings den normativen Charakter seines Maßstabs für eine Irreführungsgefahr. So betonte er etwa in Estée Lauder, dass es wichtig sei zu prüfen, ob „soziale, kulturelle oder sprachliche Eigenheiten es rechtfertigen können, dass das für eine Hautstraffungscreme verwendete Wort ,Lifting‘ von den deutschen Verbrauchern anders verstanden wird als von den Verbrauchern in anderen Mitgliedstaaten“ 11 und rekurrierte damit auch darauf, wie der angesprochene Verkehrskreise eine Bezeichnung, Werbeaussage etc. tatsächlich versteht. Demgegenüber hatte der EuGH noch im Urteil Clinique argumentiert, dass von einer Produktbezeichnung in Deutschland keine Irreführungsgefahr ausgehe, da der Anbieter das Produkt in anderen Ländern unter der gleichen Bezeichnung vertreibe „offenbar ohne dass die Verbraucher durch die Verwendung dieser Bezeichnung irregeführt würden.“12 Zum anderen betont der EuGH in ständiger Rechtsprechung, dass im Grundsatz das nationale Gericht beurteilen muss, ob eine Bezeichnung, eine Marke oder eine Werbung irreführen könne.13 Dies gilt auch für Konstellationen, in denen der Gerichtshof einräumt, dass aus seiner Sicht wenig für eine Irreführungsgefahr spreche 14 oder in denen Bestimmungen auszulegen sind, die im Wesentlichen mit gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen identisch sind.15 Dabei geht der EuGH davon aus, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte im Regelfall auf der Grundlage des vorgegebenen normativen Beurteilungsmaßstabs selbst einschätzen können, ob eine Irreführungsgefahr gegeben ist, ohne dass darüber Beweis zu erheben sei. Allerdings überlässt es der Gerichtshof den nationalen Gerichten, zu entscheiden, ob es sich dazu nicht in der Lage sieht und deshalb doch auf die nach nationalem Recht üblichen Beweismittel zurückgreift und ein Sachverständigengutachten einRn. 28; bestätigt in EuGH, Urt. v. 24. 10. 2002 – Rs. C-99/01, Linhart und Biffl, Slg. 2002, I-9375, 9404, Rn. 31. 10 EuGH, Urt. v. 22. 6. 1999 – Rs. C-342/97, Lloyd Schuhfabrik Meyer, Slg. 1999, I-3819, 3841, Rn. 26. 11 EuGH, Urt. v. 13. 1. 2000 – Rs. C-220/98, Estée Lauder („Liftingcreme“), Slg. 2000, I-117, 147, Rn. 29; ein entsprechender Hinweis findet sich schon in EuGH, Urt. v. 26. 11. 1996 – Rs. C-313/94, Graffione, Slg. 1996, I-6039,6059, Rn. 22. 12 EuGH, Urt. v. 2. 2. 1994 – Rs. C-315/92, Verband Sozialer Wettbewerb („Clinique“), Slg. 1994, I-317, 337, Rn. 21. 13 EuGH, Urt. v. 16. 1. 1992 – Rs. C-373/90, Ermittlungsverfahren gegen X („Nissan“), Slg. 1992, I-131, 150, Rn. 15; EuGH, Urt. v. 26. 11. 1996 – Rs. C-313/94, Graffione, Slg. 1996, I-6039, 6059, Rn. 25; EuGH, Urt. v. 16. 7. 1998 – Rs. C-210/96, Gut Springenheide und Tusky („6-Korn-Eier“), Slg. 1998, I-4657, 4691 f., Rn. 32–35; EuGH, Urt. v. 28. 1. 1999 – Rs. C-303/97, Sektkellerei Kessler, Slg. 1999, I-513, 546, Rn. 36. 14 EuGH, Urt. v. 13. 1. 2000 – Rs. C-220/98, Estée Lauder („Liftingcreme“), Slg. 2000, I-117, 147, Rn. 30. 15 EuGH, Urt. v. 12. 9. 2000 – Rs. C-366/98, Geffroy, Slg. 2000, I-6579, 6605, Rn. 18.
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§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
holt oder eine Verbraucherbefragung in Auftrag gibt.16 Auf diese Möglichkeit wies der Gerichtshof hin, obwohl er selbst an anderer Stelle seine Skepsis gegenüber demoskopischen Beweismitteln geäußert hatte.17 Greift das nationale Gericht auf die Ergebnisse einer Verbraucherumfrage zurück, so kann es auch selbst einen Prozentsatz der durch eine Werbeaussage etc. getäuschten Verbraucher definieren, der es rechtfertigt, eine Werbeaussage zu verbieten.18 Daraus folgt für die mitgliedstaatliche Praxis, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, ob es die Frage nach einer Irreführungsgefahr als reine Rechtsanwendung begreift und allein anhand des normativen Maßstabs des verständigen Verbrauchers klärt oder ob es eine empirisch-deskriptive Irreführungsfeststellung vornimmt. Soweit der Irreführungsbegriff gemeinschaftsrechtlich vorgegeben ist, etwa bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt auf Grund der Rechtsprechung zur Waren- oder Dienstleistungsfreiheit oder auf Grund eines abschließend harmonisierten sekundärrechtlichen Irreführungsverbots,19 muss sich das nationale Gericht bei einer empirisch-deskriptiven Irreführungsfeststellung im Rahmen der normativen Vorgaben des EuGH bewegen. Es sind verschiedene Wege denkbar, auf denen das Gericht diesen Vorgaben gerecht werden kann.20 Es kann bereits bei der Verkehrsbefragung auf den Referenzmaßstab des „durchschnittlichen Verbrauchers“ abstellen, eine entsprechend hohe Irreführungsquote festlegen 21 oder ein zusätzliches normatives Hilfskriterium formulieren. Die Entscheidungserheblichkeit des durch die EuGH-Rechtsprechung vorgegebenen normativen Rahmens wird daran deutlich, dass es sich der Gerichtshof vorbehält, über die Frage einer Irreführungsgefahr selbst zu entscheiden, wenn der vorliegende Akteninhalt ausreicht und eine bestimmte Entscheidung geboten erscheinen lässt.22 Damit stellt der EuGH klar, dass es Konstellationen gibt, in denen das allein auf Grundlage normativer Erwägungen gefundene Ergebnis so eindeutig ist, dass es in keinem Falle durch empirische Untersuchungen in Frage gestellt werden kann.23 16 EuGH, Urt. v. 16. 7. 1998 – Rs. C-210/96, Gut Springenheide und Tusky („6-Korn-Eier“), Slg. 1998, I-4657, 4692, Rn. 35; EuGH, Urt. v. 28. 1. 1999 – Rs. C-303/97, Sektkellerei Kessler, Slg. 1999, I-513, 547, Rn. 37; EuGH, Urt. v. 13. 1. 2000 – Rs. C-220/98, Estée Lauder („Liftingcreme“), Slg. 2000, I-117, 147, Rn. 30; zusf. Lettl, WRP 2004, 1079, 1099 f. 17 Siehe vor allem EuGH, Urt. v. 20. 2. 1975 – Rs. 12/74, Kommission / Deutschland („Sekt und Weinbrand“), Slg. 1975, 181, 197, Rn. 12; dazu Niemöller, Verbraucherleitbild (1999), S. 190 f. 18 EuGH, Urt. v. 16. 7. 1998 – Rs. C-210/96, Gut Springenheide und Tusky („6-Korn-Eier“), Slg. 1998, I-4657, 4692, Rn. 36; EuGH, Urt. v. 13. 1. 2000 – Rs. C-220/98, Estée Lauder („Liftingcreme“), Slg. 2000, I-117, 147, Rn. 31. 19 Etwa Art. 6 Abs. 3 KosmetikRL. 20 Dazu Niemöller, Verbraucherleitbild (1999), S. 189; Reese, WRP 1998, 1035, 1039 f. 21 Vgl. EuGH, Urt. v. 16. 1. 1992 – Rs. C-373/90, Ermittlungsverfahren gegen X („Nissan“), Slg. 1992, I-131, 150, Rn. 16, wo der Gerichtshof darauf abstellte, dass eine „erhebliche Zahl von Verbrauchern“ einer Fehlvorstellung unterlegen waren. 22 EuGH, Urt. v. 12. 9. 2000 – Rs. C-366/98, Geffroy, Slg. 2000, I-6579, 6605, Rn. 19; EuGH, Urt. v. 4. 4. 2000 – Rs. C-465/98, Darbo, Slg. 2000, I-2297, 2334 ff., Rn. 21–34. Krit. Leible, ZLR 2003, 73, 76, der eine „gewisse Willkürlichkeit“ auf Seiten des Gerichtshofs konstatiert, wenn dieser sich festlegt, ob ein Fall durchentschieden werden kann. 23 Zur Bewertung des vom EuGH geprägten normativen Verbraucherleitbildes siehe unten S. 329.
259
Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
b)
Erkennbarkeit des Werbecharakters
Mittelbar dienen auch Vorgaben über die formalen Anforderungen an die Werbung dem Schutz vor Irreführung. Hierzu gehört die Pflicht, Werbeaussagen als solche erkennbar zu machen. Paradigmatisch dafür steht Art. 10 FernsehRL, der festschreibt, dass Werbung vom sonstigen Fernsehprogramm zu trennen ist. Danach muss jede Verwechslung der Werbung mit dem Programm ausgeschlossen sein, die Werbung darf grundsätzlich nur en bloc erfolgen, subliminale – also im Unterbewusstsein wirkende – Techniken und Schleichwerbung sind verboten. Für die Werbung über das Internet bestimmt Art. 6 lit. a EComRL, dass kommerzielle Kommunikation als solche erkennbar sein muss. Entsprechende branchenspezifische Regelungen enthalten Art. 19 Abs. 2 S. 2 FinMRL und Art. 89 Abs. 1 lit. a ArzneimittelRL. Danach muss jede Marketingmitteilung bzw. Öffentlichkeitswerbung so gestaltet werden, dass der Werbecharakter der Mitteilung deutlich zum Ausdruck kommt. Den Adressaten der Werbung soll so bewusst gemacht werden, dass es sich nicht um Sachinformationen aus einer neutralen Quelle, sondern um kommerzielle Kommunikation handelt. Um eine informierte Entscheidung treffen zu können, soll der Abnehmer so die Möglichkeit haben, die Glaubwürdigkeit von Informationen selbst bewerten zu können um sich ein Urteil zu bilden, inwieweit er sie zur Grundlage seiner Vertragsentscheidung machen kann und will.24 Die gleiche Ratio, allerdings bezogen auf die individuelle kommerzielle Kommunikation, liegt auch den Regeln für den Fernabsatz zu Grunde, wonach der Unternehmer, der seine vorvertraglichen Informationspflichten erfüllt, deren geschäftlichen Zweck unmissverständlich erkennbar machen muss 25 und bei Telefongesprächen mit Verbrauchern bereits zu Beginn des Gesprächs offen zu legen hat, dass der Anruf einen geschäftlichen Zweck hat.26 Parallel dazu gilt auch, dass bei der Werbung mit elektronischer Post deren geschäftlicher Charakter offen zu Tage treten muss.27 In Art. 7 Abs. 2 UGPRL wird der Kerngedanke der bisher aufgezählten Regelungen verallgemeinert: Ein Anbieter, der den kommerziellen Zweck einer Geschäftspraxis (Art. 2 lit. d UGPRL) nicht kenntlich macht, handelt irreführend und damit unlauter nach Art. 5 Abs. 1, 4 lit. a UGPRL, soweit sich der kommerzielle Zweck nicht unmittelbar aus den Umständen ergibt. c)
Regelung vergleichender Werbung
Die vergleichende Werbung kann die Marktransparenz verbessern. Aus informationsökonomischer Sicht ist sie als Marketinginstrument deshalb grundsätzlich positiv zu beurteilen.28 Zudem stellt vergleichende Werbung aus wettbewerbsstrate-
24 Beater, Unlauterer Wettbewerb (2002), § 15, Rn. 32 (S. 397 f.). 25 Art. 4 Abs. 2 FARL, Art. 3 Abs. 2 FinFARL. 26 Art. 4 Abs. 3 FARL, Art. 3 Abs. 3 lit. a FinFARL. 27 Art. 7 Abs. 1 EComRL. 28 Eingehend Menke, Recht und Ökonomie der kritisierenden vergleichenden Werbung (1994), S. 76–168; Shapiro, JITE/ZgS 139 (1983), 527, 535.
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§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
gischer Sicht ein „klassisches Angriffsinstrument“ 29 dar, das neuen Anbietern den Marktzutritt erleichtert. Von der Zulässigkeit vergleichender Werbung können somit positive Effekte auf die Marktstruktur ausgehen.30 Dieses Potential der vergleichenden Werbung erkannte auch der europäische Gesetzgeber an. Werbevergleiche tragen aus seiner Sicht dazu bei, „die Vorteile der verschiedenen vergleichbaren Erzeugnisse objektiv herauszustellen“ und „den Wettbewerb zwischen den Anbietern von Waren und Dienstleistungen“ zu fördern.31 Folgerichtig sieht Art. 3a WerbeRL vor, dass die vergleichende Werbung zulässig ist, wenn sie verschiedene Voraussetzungen erfüllt.32 Die tatsächlichen Markttransparenzeffekte vergleichender Werbung hängen wesentlich davon ab, wie gut Adressaten vor täuschenden Praktiken geschützt werden. Dem Schutz der vergleichenden Werbung als Informationsinstrument dienen deshalb die Voraussetzungen, die Art. 3a Abs. 1 WerbeRL zum Schutze der Gewerbetreibenden aufstellt und wonach ein Werbevergleich nicht irreführen darf (lit. a), nur Produkte für den gleichen Bedarf oder die gleiche Zweckbestimmung (lit. b) und nur bestimmte Eigenschaften verglichen werden dürfen, insbesondere auch der Preis (lit. c), der Vergleich nicht zu Verwechslungen führen darf (lit. h) und im Zusammenhang mit Sonderangeboten verschiedene Klarstellungen enthalten muss (Art. 3a Abs. 2 WerbeRL). Dem Schutz der Mitbewerber vor Herabsetzung, Verunglimpfung und Ausbeutung sollen Art. 3a Abs. 1 lit. d, f, g und auch lit. h WerbeRL dienen. Kaum sachlich zu rechtfertigen 33 ist die Voraussetzung des Art. 3a Abs. 1 lit. e WerbeRL, wonach sich ein Werbevergleich bei Waren mit Ursprungsbezeichnung (etwa Champagner, Bordeaux) nur auf Waren mit der gleichen Bezeichnung beziehen darf. Legt man diesen Zulässigkeitskatalog aus, ist einerseits zu bedenken, dass eine extensive Interpretation die Gefahr in sich birgt, dass vergleichende Werbung faktisch unzulässig würde.34 Damit unterliefe man aber die Grundentscheidung des europäischen Gesetzgebers. Andererseits gewährleistet erst der effektive Schutz vor irreführenden Werbevergleichen deren Informationswert und so eine größere Markttransparenz. Auch der Aspekt des Konkurrentenschutzes sichert ein Informationsinstrument, denn er zielt darauf ab, die Reputation von Unternehmen zu schützen. Die Auslegung der Zulässigkeitsbedingungen muss diesen gegensätzlichen Mechanismen, die jedoch einheitlich auf eine Verbesserung der Informationsordnung gerichtet sind, Rechnung tragen. Paradigmatisch hierfür ist die Frage, ob bzw. inwieweit die rein unternehmensbezogene (bzw. persönliche) vergleichende Werbung zulässig sein soll. Da Art. 2 Nr. 2a
29 Beater, Unlauterer Wettbewerb (2002), § 15, Rn. 48 (S. 403). 30 Menke, Recht und Ökonomie der kritisierenden vergleichenden Werbung (1994), S. 169–189. 31 BE 2 RL 97/55/EG; siehe auch EuGH, Urt. v. 25. 10. 2001 – Rs. C-112/99, Toshiba Europe, Slg. 2001, I-7945, 7987, Rn. 36. 32 Dazu bereits oben S. 60. 33 Freund, Vergleichende Werbung (2001), S. 144 m. w. N. 34 Beater, Unlauterer Wettbewerb (2002), § 8, Rn. 69 (S. 252).
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
WerbeRL als möglichen Bezugspunkt eines Werbevergleichs ausdrücklich auch den „Mitbewerber“ nennt, fällt die rein unternehmensbezogene Werbung in den Anwendungsbereich der Richtlinie.35 Aus dem Wortlaut des Art. 3a Abs. 1 lit. b und c WerbeRL wird teilweise geschlossen, dass rein unternehmensbezogene Werbevergleiche durchweg unzulässig seien, weil sie sich nicht auf die Eigenschaften von Waren oder Dienstleistungen beziehen.36 Freilich ist der Wortlaut nicht eindeutig: Möglich ist auch, die Voraussetzungen der Art. 3a Abs. 1 lit. b und c WerbeRL so zu verstehen, dass sie auf rein unternehmensbezogene Vergleiche nicht anzuwenden sind. Dies hieße, dass dann, wenn Waren oder Dienstleistungen verglichen werden, diese für den gleichen Bedarf oder dieselbe Zwecksetzung geeignet sein müssen (lit. b) bzw. dass dann, wenn Eigenschaften von Waren oder Dienstleistungen verglichen werden, objektiv verglichen werden muss und nur „wesentliche, relevante, nachprüfbare und typische Eigenschaften“ verglichen werden dürfen. Ist der Wortlaut aber nicht eindeutig, müssen andere Kriterien für die Auslegung herangezogen werden. Argumentiert wird, dass bei dieser Frage das Interesse der Marktgegenseite vorzuziehen sei gegenüber der Werbefreiheit der Unternehmen. Denn eine restriktive Auslegung fördere – ganz im Sinne des oben Ausgeführten – den Nutzen der vergleichenden Werbung als Informationsinstrument.37 Dem liegt offensichtlich der Gedanke zu Grunde, dass die rein unternehmensbezogene Werbung wenig informativ für den Abnehmer sei. Die besseren Argumente sprechen indes dafür, dass auch die rein unternehmensbezogene Werbung grundsätzlich zulässig nach Art. 3a WerbeRL ist. Denn zum einen zielt die Richtlinie darauf ab, die vergleichende Werbung umfassend zu liberalisieren und erfasst aus diesem Grunde auch alle ihre Spielarten.38 Deshalb kann es nicht überzeugen, aus dem Wortlaut des Art. 3a Abs. 1 lit. b und c WerbeRL abzuleiten, dass der Gesetzgeber alle Vergleiche außer den reinen Produktvergleichen als generell unzulässig qualifizieren wollte.39 Vielmehr sieht der europäische Gesetzgeber die vergleichende Werbung generell als ein wirksames Instrument an, die Marktgegenseite über die Vorteile verschiedener vergleichbarer Erzeugnisse zu informieren, aber auch um generell den Wettbewerb zwischen den Anbietern zu fördern.40 Nicht zu bestreiten ist, dass auch die rein unternehmensbezogene Werbung diesen Zielen dienen kann. Angesichts dessen ist es vorzugswürdig, auch sie als grundsätzlich zulässig anzusehen.
35 Vgl. auch BE 6 der Richtlinie 97/55/EG; Tilmann, GRUR 1999, 546, 547; a. A. Berlit, BB 2000, 1305, 1306; krit. auch Gamerith, WRP 2003, 143, 148, der darauf hinweist, dass bei der persönlichen bezugnehmenden Werbung eine ausdrückliche Bezugnahme auf eigene Verhältnisse fehle. 36 So Gloy/Bruhn, GRUR 1998, 226, 237; Köhler/Piper, UWG, 3. Aufl. (2002), § 2, Rn. 11; Menke, WRP 1998, 811, 825. 37 Beater, Unlauterer Wettbewerb (2002), § 15, Rn. 65 (S. 408). 38 Siehe BE 6 der Richtlinie 97/55/EG. 39 Kießling/Kling, WRP 2002, 615, 622; Tilmann, GRUR 1999, 546, 547; siehe auch BT-Drucks. 14/2959, S. 10. 40 BE 2 der Richtlinie 97/55/EG.
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Freilich unterliegt auch die unternehmensbezogene vergleichende Werbung den Voraussetzungen des Art. 3a Abs. 1 lit. a, d, f und h WerbeRL. Insbesondere Art. 3a Abs. 1 lit. d WerbeRL ist auch auf rein unternehmensbezogene vergleichende Werbung zugeschnitten, da er verlangt, dass diese nicht „die Tätigkeiten oder die Verhältnisse eines Mitwettbewerbers“ herabsetzt oder verunglimpft. Und auch Art. 3a Abs. 1 lit. c WerbeRL lässt sich so verstehen, dass die unternehmensbezogene vergleichende Werbung objektiv sein und sich auf wesentliche, relevante und nachprüfbare Eigenschaften beziehen muss.41 Lässt man die rein unternehmensbezogene vergleichende Werbung zu, verbleiben also dennoch genügend Korrektive, um Werbemaßnahmen untersagen zu können, die nicht dem Informationsinteresse der Abnehmer dienen oder die den legitimen Interessen der Konkurrenz am Schutz ihrer Reputation zuwiderlaufen. d)
Mit der Werbung verknüpfte Informationspflichten
Der europäische Regelgeber hat sich des Mediums Werbung auch bedient, um die Adressaten gezielt über bestimmte Tatsachen zu unterrichten (obligatorische Information) oder zumindest vorzugeben, wie über eine bestimmte Tatsache zu informieren ist (optionale Information). Nur in wenigen Fällen und dann auch nur in geringem Umfang wird dem Werbenden vorgeschrieben, mit der Werbung bestimmte Informationsinhalte zu transportieren. Art. 3 Abs. 3 TShRL verlangt, dass bei jeder Werbung für ein Timesharingobjekt anzugeben ist, dass ein Prospekt für die Immobilie erhältlich ist und wo dieser angefordert werden kann. Sie unterstützt so effektiv den Prospektzwang der Timesharingrichtlinie. Die Regel verpflichtet aber nicht dazu, jeder Werbung einen Prospekt beizulegen.42 Eine parallele Verpflichtung trifft Art. 35 InvFRL, wonach jede Werbung für den Erwerb von Anteilen eines Investmentfonds darauf hinweisen muss, dass ein Prospekt vorhanden ist und die Stellen bezeichnen muss, wo diese Prospekte für das Publikum erhältlich sind. Die Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel muss nach Art. 89 ArzneimittelRL verschiedene Angaben enthalten, etwa den Namen oder die gebräuchliche Bezeichnung des Arzneimittels, unerlässliche Informationen für die Anwendung und einen Hinweis auf die Packungsbeilage. Art. 26 GefStRL schreibt vor, dass bei jeder Werbung für gefährliche Stoffe i. S. d. Richtlinie die einschlägige Gefährdungskategorie anzugeben ist. Dem potenziellen Kunden soll damit vergegenwärtigt werden, wie gefährlich das beworbene Produkt ist. Der Gesetzgeber hat die Werbung nicht nur in wenigen Fällen, sondern auch nur in geringer Intensität instrumentalisiert, um bestimmte Informationen zu vermitteln. Die Prospekthinweispflichten berühren nicht den Inhalt und die Darstellung der Werbung. Der Werbeadressat wird lediglich darauf hingewiesen, dass er sich zusätzlich zur allgemeinen Werbung des Anbieters auch mit Hilfe eines Prospekts informieren kann. Eine Ausnahmestellung haben auch die Pflichtangaben für die
41 42
Tilmann, GRUR 1999, 546, 547. Martinek, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 13 (1998), Rn. 116.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
Arzneimittelwerbung und der obligatorische Hinweis auf die Gefährdungskategorie bei der Werbung für gefährliche Stoffe inne. Denn im Vordergrund steht hierbei der Schutz der Gesundheit der Konsumenten der Arzneimittel bzw. der Personen, die unmittelbar mit den gefährlichen Stoffen in Kontakt kommen können. Zu ihrem Schutz müssen die Mindestinformationen über ein Arzneimittel auch über die Werbung transportiert werden bzw. sollen sich die Erwerber gefährlicher Stoffe vor dem Kauf klarmachen, ob sie das notwendige Know-how und Equipment bereit halten, um mit dem Stoff sachgemäß umgehen zu können. In diesen Fällen tritt die Sorge um Wohlstandsverluste durch einen uninformierten, für den Kunden wirtschaftlich nachteiligen Kauf hinter dem Gesundheitsschutz zurück. Die Zurückhaltung des Gesetzgebers bei der inhaltlichen Werberegulierung ist angemessen, da es sich bei der Werbung um ein „freiwilliges“ Informationsinstrument des Anbieters handelt, das durch inhaltliche (Über-) Reglementierung unattraktiver würde. Dies schränkte jedoch den Wert der Werbung als Informationsinstrument für den Markt ein und wirkte demnach kontraproduktiv. Neben den Fällen, in denen der Gesetzgeber vorschreibt, dass bestimmte Informationen mit der Werbung zu transportieren sind, regelt er für andere Konstellationen lediglich, wie zu informieren ist. So bestimmt Art. 3 Abs. 4 PreisangabenRL, dass bei jeglicher Werbung, in der der Verkaufspreis des Erzeugnisses genannt wird, auch der Preis je Maßeinheit anzugeben ist. Spielen auch Informationsdefizite in Bezug auf den Preis auf den Märkten für den Absatz von Waren und Dienstleistungen eine untergeordnete Rolle neben den Informationsdefiziten über die Produktqualität, so erleichtert es die standardisierte Preisangabe doch erheblich, konkurrierende Produkte zu vergleichen. Problematisch ist ein Preisvergleich auf dem Kreditmarkt. Selbst wenn hier alle Angaben über die Kosten eines Kredites „auf dem Tisch liegen“, mag es für einen Laien auf Grund der unterschiedlichen Varianten von Tilgungsplänen und der verschiedenen Zusatzkosten (etwa Abschluss- und Verwaltungsgebühren, Schätzgebühren, Disagio, Zinsen, Kosten für die Eintragung von Grundpfandrechten) sehr schwierig bzw. teuer sein, Angebote mehrerer Kreditinstitute miteinander zu vergleichen.43 Diesem Informationsproblem soll die Regelung des Art. 3 VerbrKrRL abhelfen, nach der bei jeder Werbung auch der effektive Jahreszins anzugeben ist, wenn ein Kredit oder die Kreditvermittlung beworben wird und Angaben zum Zins gemacht werden. Soweit dies nicht handhabbar ist, kann der Kreditgeber die Angabe durch ein repräsentatives Beispiel ersetzen. Ihm bleibt aber die Entscheidung, ob er mit den Kreditkosten werben will. Soweit er sich jedoch dafür entscheidet, zwingt ihn Art. 3 VerbrKrRL zu einer standardisierten Angabe,44 die den Abnehmern einen unkomplizierten Preisvergleich ermöglicht.45
43 Grundmann, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Vereinheitlichung und Diversität (2002), S. 284, 300. 44 Siehe die Definition des effektiven Jahreszinses in Art. 1 Abs. 2 lit. e und Art. 1a VerbrKrRL. 45 Grundmann, 39 CMLR (2002), 269, 287. In der Tat wurde für den US-amerikanischen Verbraucherkreditmarkt nach der Einführung einer vergleichbaren Regelung durch den „Truth in Lending Act“ festgestellt, dass gerade die Informationspflichten mit standardisierten Kalkulationen
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Demgegenüber will Art. 4 V-VerbrKrRL jeden werbenden Kreditgeber dazu verpflichten, der Werbung „Standardinformationen“ beizufügen.46 Diese Pflichtangaben konzentrieren sich auf die Kosten des Kredits, nämlich den effektiven Jahreszins, die Anzahl und Höhe der monatlichen Raten sowie „jede Art von Kosten im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag“. Weiterhin sind auch die Laufzeit des Kreditvertrages und die Verpflichtung zur Inanspruchnahme einer Nebenleistung, insbesondere einer Versicherung, anzugeben. Diese Informationen sind nach Art. 4 V-VerbrKrRL klar und knapp zu halten, optisch hervorzuheben und anhand eines repräsentativen Beispiels zu verdeutlichen. Eine solche zwingend herausgehobene Stellung des Preises im Marketing trägt die Gefahr in sich, dass sich der Wettbewerb zwischen den Kreditgebern auf diesen Parameter reduziert. Das kann dazu führen, dass die Qualität anderer Transaktionsvariablen (sonstige Vertragskonditionen, Beratungsqualität) sinkt, wenn die Verbraucher ihre Entscheidung zu einseitig am Preis orientieren und die Anbieter deshalb versucht sind, ihre Anstrengungen allein darauf zu konzentrieren, Produkte zu einem möglichst niedrigen Zinssatz anzubieten.47 Vorteilhafter sind deshalb optionale Informationsregeln wie in Art. 3 Abs. 4 PreisangabenRL und in Art. 3 VerbrKrRL, denn einen Aussagewert für den Verbraucher hat auch die bewusste Entscheidung eines Anbieters, im Gegensatz zur Konkurrenz nicht mit dem Preis, sondern beispielsweise mit der Qualität der Beratung zu werben. Es bleibt ihm danach überlassen, sich in erster Linie vom Preis oder aber vom Versprechen einer fairen Beratung leiten zu lassen. Eine Norm wie Art. 4 V-VerbrKrRL führte demgegenüber zu einer Überreglementierung der Werbung, die deren Charakter als grundsätzlich freiwilliges marktliches Informationsinstrument der Anbieter widerspricht. Indem die Regelung dem Werbenden die Freiheit der Entscheidung nähme, welches Qualitätsmerkmal seines Produktes er herausstellen will, machte sie die Werbung in unnötiger Weise unattraktiv und wirkte deshalb u. U. kontraproduktiv. e)
Werbeverbote und -beschränkungen
Die Werbeverbote und -beschränkungen des Gemeinschaftsrechts lassen sich nur in wenigen Fällen damit rechtfertigen, dass die Werbung als Informationsinstrument geschützt werden soll. Dies ist nur dann schlüssig möglich, wenn die Regelung als abstrakter Irreführungstatbestand verstanden werden kann. In diesem Sinne kön-
die Aufmerksamkeit der Verbraucher für die Kreditkonditionen geschärft haben. Allerdings gab es Anzeichen dafür, dass dieser positive Effekt auf Verbraucher mit hohem Bildungsniveau beschränkt war, Hynes/Posner, 4 Am. Law and Econ. Rev. (2002), 168, 194 m. w. N.; siehe auch Ogus, Regulation (1996), S. 129 f. 46 Art. 4 in der ursprünglichen Fassung des Vorschlags verlangte ausdrücklich lediglich die Angabe des Sollzinses, des Kreditgeber-Gesamtzins und des effektiven Jahreszins, siehe hierzu Franck, ZBB 2003, 334, 340 f. Die Erweiterung der Pflichtangaben beruhte auf einer Anregung des Europäischen Parlaments, Hoffmann, BKR 2004, 308, 313. 47 Es steigt also m. a. W. das Risiko der adversen Selektion unter den sonstigen Vertragsbedingungen neben dem Preis. Dieser Effekt wurde tatsächlich in den USA nach Einführung des „Truth in Lending Act“ beobachtet, Hynes/Posner, 4 Am. Law and Econ. Rev. (2002), 168, 194.
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nen etwa die Beschränkungen der Werbung mit dem EMAS-Zeichen begriffen werden.48 Zu groß erscheint die Gefahr, dass die Werbeadressaten dieses Symbol mit einem Umwelt-Produktkennzeichen verwechseln und unbegründet davon ausgehen, dass die Produkte des Unternehmens umweltverträglich seien. Denn einer bloßen Teilnahme an dem Umweltmanagement- und Umweltbetriebsprüfungssystem lässt sich keine Aussage darüber entnehmen, wie umweltverträglich Produkte oder Produktionsstandards des Unternehmens sind. Dem Schutz vor einer Irreführung der Werbeadressaten dient auch die Regelung der Voraussetzungen, unter denen eine Werbung auf den ökologischen Landbau Bezug nehmen darf.49 Demgegenüber erklären sich die Werbeverbote für Tabakprodukte 50 genauso wie die Beschränkungen der Werbung für Alkoholika,51 Arzneimittel 52 oder Säuglingsanfangsnahrung 53 sowie der Werbung mit krankheitsbezogenen Aussagen 54 allein mit paternalistischen Erwägungen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hielt es dort für angebracht, dem Markt ein wichtiges wettbewerbsstrategisches und transparenzförderndes Instrument zu entziehen oder es jedenfalls inhaltlich zu reglementieren, um drohenden Gefahren für die öffentliche Gesundheit entgegenzuwirken.55 Gerade die umfangreichen Beschränkungen der Arzneimittelwerbung scheinen in der Tat gut begründet zu sein, bedenkt man, dass gerade von Krankheit betroffene Werbeadressaten besonders anfällig sind für verlockende Aussagen und leicht zu spontanen Entscheidungen neigen, die bei genauerer Überlegung eigentlich wider ihren Präferenzen sind. Werbebeschränkungen sind deshalb geeignet, den Gefahren medikamentöser Selbstbehandlung entgegenzuwirken, also insbesondere einem übermäßigen Arzneimittelkonsum und einem Arzneimittelfehlgebrauch.56
48 Art. 8 Abs. 2 lit. e ÖkoAuditVO i. V. m. Anhang 3, Punkt 5 der Entscheidung der Kommission vom 7. 9. 2001 über Leitlinien für die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 761/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates über die freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS), ABl. 2001 L 247/24. 49 Art. 5 ÖkoLandbauVO. 50 Siehe Art. 13 FernsehRL, Art. 3 und 4 TabakwerbeRL. 51 Art. 15 FernsehRL. 52 Art. 88 und 90 ArzneimittelRL. 53 Art. 8 Abs. 1, 2, Art. 7 Abs. 7 lit. b i. V. m. Abs. 3 bis 6 SäuglAnfNahrRL. 54 Art. 2 Abs. 1 lit. b i. V. m. Abs. 3 lit. b, Art. 6 Abs. 1 DiätRL, Art. 9 Abs. 1 MinWRL, Art. 6 Abs. 2 NahrErgRL. 55 Obgleich sich die hier in Rede stehenden Harmonisierungsvorschriften auf die Kompetenzen zur Herstellung des Binnenmarktes (Art. 95 EG) bzw. der Durchsetzung der Grundfreiheiten (Art. 47 Abs. 2, 55 EG) stützen, werden sie sachlich vom Ziel des Gesundheitsschutzes dominiert. Das ist grundsätzlich angesichts der Vorgaben des Art. 95 Abs. 3 EG auch nicht zu beanstanden. Indes schließt Art. 152 Abs. 4 lit. c EG jegliche Harmonisierung zum Schutze und der Verbesserung der menschlichen Gesundheit aus. Die Werbeverbote für Tabakprodukte, die rechtspolitisch allein vom Gedanken des Gesundheitsschutzes inspiriert sind, umgehen dieses Verbot, Stein, in: Schwarze (Hrsg.), Werbung und Werbeverbote (1999), S. 52, 53; Oppermann, ZUM 2001, 950, 952 f.; R. Wägenbaur, EuZW 2001, 450. 56 Anders etwa die Entwicklung in den Vereinigten Staaten, wo der Supreme Court im Verbot der Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente eine nicht zu rechtfertigende Einschränkung der kommerziellen Meinungsfreiheit sah, Shapiro, JITE/ZgS 139 (1983), 527, 535.
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An die besondere Schutzbedürftigkeit der Werbeadressaten knüpft auch die Argumentation des EuGH an, mit der er die Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 EG) durch das französische Verbot der Haustürwerbung für den Verkauf von pädagogischen Material rechtfertigt. Der Gerichtshof beruft sich darauf, dass die potentiellen Kunden „zu einer Kategorie von Personen [gehören], die aus dem einen oder anderen Grund einen Bildungsrückstand haben, den sie aufholen wollen. Dies macht sie besonders schutzlos gegenüber Verkäufern von pädagogischem Material, die sie davon zu überzeugen versuchen, daß die Benutzung dieses Materials ihnen eine berufliche Zukunft sichert“.57
Ein solches paternalistisches Verbot der Kundenwerbung an der Haustür hielt der EuGH insbesondere wegen der Gefahren für notwendig, die von einem unüberlegten Kauf ungeeigneten Materials drohten. Die nachteiligen Wirkungen gingen über einen wirtschaftlichen Verlust hinaus; sie gefährden vielmehr die Möglichkeiten des Verbrauchers, sich weiterzubilden. Weniger einschneidende Instrumente wie etwa ein Widerrufsrecht seien deshalb nicht als gleichgeeignet anzusehen, die Abnehmer zu schützen.58 Auch das gemeinschaftsrechtliche Verbot bestimmter Aussagen in der Fernsehwerbung für alkoholische Getränke verfolgt mit dem Minderjährigenschutz 59 und der Verhinderung besonders suggestiver Werbeaussagen 60 erkennbar das Ziel, Gesundheitsschutz durch den Schutz der freien, selbstbestimmten Entscheidung zu erreichen. Anderes gilt für das Werbeverbot für Tabakprodukte, dessen paternalistischer Hintergrund kaum freiheitsfördernde Effekte erkennen lässt. Anzuerkennen ist zwar, dass der Konsum von Tabakprodukten gesundheitsschädlich, potentiell sogar lebensbedrohend ist, Dritte schädigen kann und für die Allgemeinheit hohe Kosten verursacht. Dies rechtfertigt regulierende Maßnahmen, nicht jedoch ein umfassendes Tabakwerbeverbot. Denn einerseits sind die mit dem Rauchen verbundenen gesundheitlichen Risiken wie kaum eine andere Erkenntnis bereits im allgemeinen Bewusstsein der Gesellschaft verankert. Zudem wird durch Anti-Rauch-Kampagnen und durch die Etikettierungsvorschriften der Tabaketikettierungsrichtlinie kontinuierlich darauf hingewiesen.61 Der Schutz Dritter kann durch Rauchverbote am Arbeitsplatz, in Restaurants, an öffentlichen Plätzen etc. erreicht werden. Den Schutz Minderjähriger können Vertriebsverbote und Werbebeschränkungen gewährleisten. Externalitäten auf Grund der erhöhten Kosten für das Gesundheits57 EuGH, Urt. v. 16. 5. 1989 – Rs. 382/87, Buet u. a. / Ministère public, Slg. 1989, 1235, 1251, Rn. 13. 58 EuGH, Urt. v. 16. 5. 1989 – Rs. 382/87, Buet u. a. / Ministère public, Slg. 1989, 1235, 1251, Rn. 14 f. 59 Art. 15 lit. a FernsehRL. 60 Art. 15 lit. b, c und d FernsehRL. 61 Empirische Studien haben gezeigt, dass der Tabakkonsum gesenkt werden kann, klärt man über die Gesundheitsschäden des Rauchens auf, Schneider/Klein/Murphy, 24 J. Law & Econ. (1981), 575–612. Insbesondere wurde nachgewiesen, dass Werbespots gegen Zigaretten das Rauchen bei Teenagern signifikant reduzieren können, da die Präferenzen in dieser Gruppe noch weniger stark ausgeprägt sind, Lewitt/Coate/Grossman, 24 J. Law & Econ. (1981), 545–569.
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wesen können durch die Tabaksteuer aufgefangen werden. Die Werbeverbote können auch kaum als ein Akt des „kollektiven Selbstpaternalismus“ einer nichtrauchenden Bevölkerungsmehrheit interpretiert werden, die sich selbst vor der Versuchung des Rauchens schützen will.62 Im Vordergrund steht vielmehr das Ziel, das Rauchen zu ächten und die Raucher davon zu überzeugen, das Rauchen wegen der negativen Auswirkungen aufzugeben.63 Hierin spiegelt sich die Idee eines Wertepaternalismus wider, wonach es bestimmte Lebensarten gebe, die besser seien als andere und die deshalb zu fördern seien.64 Deutlich wird das in der Mitteilung „Zu gesunder Lebensführung: Bildung, Information und Kommunikation“, in der der Rat zunächst darauf hinweist, dass „irreführende Formen von Werbung und Marketing, die eine ungesunde Lebensführung begünstigen könnten“, zu bekämpfen sind, um daraus zu folgern, dass bei der Ausgestaltung des Gemeinschaftsrechts auf Gebieten, die sich auf den Gesundheitsbereich auswirken, wie insbesondere auch der Bereich des Tabak, „Synergien mit dem Aspekt einer gesunden Lebensführung“ anzustreben sind.65 Klarer kann man es kaum sagen: Der rauchende Mensch ist als ein „irregeführtes“ Individuum anzusehen, das durch staatliche Eingriffe auf den richtigen Weg zurückgeführt werden soll. Hinter den umfassenden Beschränkungen der Tabakwerbung steht nur vordergründig der „Schutz“ vor den unmittelbaren Folgen der Werbung, also der Verleitung zum Konsum von Tabakprodukten. Vielmehr geht es um ethische und moralische Auseinandersetzungen in der Gesellschaft, um den Kampf der „Guten“ gegen den „schlechten“ Tabakkonsum.66 Nicht berücksichtigt hat der europäische Gesetzgeber zudem, dass Werbeverbote für Tabakprodukte auch von ihrer Zielstellung ausgehend kontraproduktiv wirken können, indem sie nämlich zu einer Erhöhung des Zigarettenkonsums führen. Diesen Effekt illustriert eine empirische Studie zu verschiedenen gesetzgeberischen
62 Zu diesem Ansatz Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. (1998), S. 375–379. 63 Siehe etwa den Beschluss 646/96/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. März 1996 über einen Aktionsplan zur Krebsbekämpfung innerhalb des Aktionsrahmens im Bereich der öffentlichen Gesundheit (1996–2000), ABl. 1996 L 95/9, wo im Anhang unter Punkt B als Ziel der Gemeinschaftspolitik u. a. festgelegt wird, „die Bürger zu einer gesunden Lebensweise anzuhalten“. Zu den dafür erforderlichen Maßnahmen zählt auch die „Anregung von europaweiten Projekten zur Förderung des Nichtrauchens“, die „Bewertung der in den Mitgliedstaaten [...] ergriffenen Maßnahmen zur Reduzierung des Tabakkonsums, z. B. Verbot oder Einschränkung der direkten oder indirekten Werbung“, die „Unterstützung und Bewertung von Pilotaktionen zur Förderung des Nichtrauchens“ und die „europaweite Auswahl und Verbreitung der bewährtesten Raucherentwöhnungsmethoden“. 64 Vgl. Stein, EWS 2001, 12, mit Bezug auf die Tabakwerberichtlinie: „Wollen wir wirklich ein Europa der kumulierten Verbote, ein Europa ,guter Polizey‘, in dem die (europäische) Obrigkeit dem Gemeinschaftsbürger vorschreibt – wie seinerzeit die absolutistischen Herrscher –, was gut für ihn ist, und mit Verboten belegt, was nicht als gut gilt?“ 65 Schlussfolgerungen des Rates vom 2. 12. 2003 zu gesunder Lebensführung: Bildung, Information und Kommunikation (2004/C 22/01), ABl. 2004 C 22/1, Tz. 11 f. 66 Wolff, in: Schwarze (Hrsg.), Werbung und Werbeverbote (1999), S. 75 spricht deshalb auch von den Diskussionen über die Regulierung der Werbung für Tabakprodukte als „klassische Stellvertreterdebatten“.
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Initiativen gegen das Rauchen und insbesondere auch zum „Advertising Ban“, mit dem amerikanisches Bundesrecht 1971 die Radio- und Fernsehwerbung für Zigaretten verbot.67 Gezeigt wurde einerseits, dass die Werbung die Nachfrage nach Zigaretten nur gering beeinflusst und deshalb ein Werbeverbot auch nur einen statistisch fast irrelevanten Rückgang der Nachfrage verursachte. Andererseits ist die Nachfrage nach Zigaretten sehr preiselastisch. Da die Werbeverbote eine Kostenersparnis für die Produzenten bedeutete, ermöglichten sie, die Preise für Zigaretten zu senken. Dies erklärt, warum der „Advertising Ban“ nach dem in der Studie verwendeten Regressionsmodell zu einem Anstieg im Zigarettenkonsum führte. Sehr zweifelhaft ist deshalb, ob ein Werbeverbot tatsächlich ein geeignetes Mittel im Kampf gegen den Tabakkonsum darstellt. Angesichts der hohen Preiselastizität der Nachfrage ist eine Steuererhöhung jedenfalls ein deutlich effektiveres Mittel.68 Die Gefahr solcher wertepaternalistischer Gesetzgebung wie der weit gehenden Beschränkung der Tabakwerbung liegt nicht zuletzt in ihrer Vorbildwirkung.69 In ihr könnte der Keim liegen für eine Überwucherung der Werbefreiheit, einem Grundpfeiler einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung. Für die Zukunft sind Bestrebungen seitens der Kommission zu befürchten, die Einschränkungen des Marketings auch auf andere Produkte auszudehnen. So ersuchte der Rat bereits die Kommission zu überlegen, wie „die bei der Bekämpfung des Tabakkonsums gewonnenen Erfahrungen [...] auf andere Bereiche (beispielsweise Reduzierung von Gesundheitsschäden durch Fettleibigkeit und Alkohol)“ übertragen werden können.70 EU-Verbraucherkommissar Kyprianou etwa äußerte, dass er im „Kampf gegen die zunehmende Fettleibigkeit von Kindern in Europa“ auch Werbeverbote für „Fast food“ nicht ausschließe.71 Erwogen wurde zudem bereits, die Autowerbung zu beschränken, um so die Verkehrssicherheit zu erhöhen.72 f)
Rechtsdurchsetzung
Regelungen zur Durchsetzung der Vorschriften zur Werbung enthält kaum ein Rechtsakt. Typisch ist der pauschale Hinweis darauf, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, geeignete und wirksame Maßnahmen zu treffen, um zu gewährleisten, dass die jeweiligen Bestimmungen eingehalten werden.73 Zwingende Vorgaben enthalten lediglich Art. 4 WerbeRL und Art. 97 ArzneimittelRL, wonach die Mitgliedstaaten für Personen mit berechtigtem Interesse eine erweiterte Befugnis 67 Schneider/Klein/Murphy, 24 J. Law & Econ. (1981), 575, 599–607. 68 Van den Bergh, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Effiziente Verhaltenssteuerung (1997), S. 77, 97. 69 So auch die Befürchtungen im Zusammenhang mit den Regeln zur Tabaketikettierung, siehe unten § 9, Fn. 108. 70 Schlussfolgerungen des Rates vom 2. 12. 2003 zu gesunder Lebensführung: Bildung, Information und Kommunikation (2004/C 22/01), ABl. 2004 C 22/1, Tz. 15, Sps. 5; siehe bereits Heim, in: Schwarze (Hrsg.), Werbung und Werbeverbote (1999), S. 60. 71 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. 1. 2005 unter der Überschrift „EU-Kommissar fordert Werbestopp für ,Fast food‘ “. 72 Dazu Herb, in: Schwarze (Hrsg.), Werbung und Werbeverbote (1999), S. 84–87. 73 Siehe etwa Art. 4 Abs. 1 S. 1 WerbeRL, Art. 6 Abs. 2 KosmetikRL, Art. 16 UmweltzeichenVO, Art. 99 ArzneimittelRL.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
vorsehen müssen, Klage zu erheben oder ein Verwaltungsverfahren einzuleiten. Zudem ist zu gewährleisten, dass es die Möglichkeit zu einer schadens- und verschuldensunabhängigen Einstellungsanordnung oder Untersagung gibt sowie beschleunigte Verfahren. Im Übrigen betonen beide Richtlinien die Möglichkeit paralleler Systeme der freiwilligen Selbstkontrolle.74 Art. 6 WerbeRL sieht darüber hinaus Beweiserleichterungen vor. Ein Sanktionsmittel gegen irreführende Werbeaussagen besteht darin, ihnen vertragliche Bindungswirkung zuzuweisen. Ein Abnehmer kann dann vertragliche Ansprüche aus ihnen herleiten.75 Einen solchen Sanktionsmechanismus sieht Art. 2 Abs. 2 lit. d KaufRRL vor.76 Um zu bestimmen, welche Qualität und welche Leistungen der Käufer vernünftigerweise von einer Kaufsache erwarten kann, damit diese vertragsgemäß ist, sind danach auch die in der Werbung gemachten öffentlichen Äußerungen des Verkäufers, des Herstellers oder dessen Vertreters über die Eigenschaften des Gutes in Betracht zu ziehen. Der Verkäufer kann sich nach Art. 2 Abs. 4 KaufRRL von der Zurechnung öffentlicher Äußerungen entlasten, wenn er sie nicht kannte bzw. von ihnen keine Kenntnis haben konnte, wenn die betreffende Äußerung bei Vertragsschluss bereits berichtigt war oder wenn die Kaufentscheidung nicht durch die betreffende Äußerung beeinflusst sein konnte.
2.
Etikettierung
Die Kennzeichnung von Produkten ist ein bedeutendes Informationsmedium. Nicht von ungefähr begründete der EuGH die Leitentscheidung zum Vorrang einer Informationsregel vor einer inhaltsgestaltenden Regulierung mit dem Hinweis auf das Informationspotential der Etikettierung.77 Der Gemeinschaftsgesetzgeber bemüht sich in vielfältiger Weise, durch Vorgaben für die Etikettierung die Markttransparenz zu fördern. Dabei konzentriert er sich auf Produktarten, etwa den Absatz von Lebensmitteln, Kosmetika und Arzneimittel, bei denen auf Grund des massenweisen Vertriebs und ihres Charakters als Erfahrungs- oder sogar Vertrauensgüter ein besonderer Bedarf der Abnehmer nach kostengünstigen Informationen durch den Hersteller besteht. Typisch für die Regeln zur Etikettierung im Gegensatz zur Werberegulierung ist, dass sie nicht nur eingreifen, wenn sich der Anbieter dazu entschließt, bestimmte Angaben in eine Etikettierung aufzunehmen. Vielmehr wird der legale Absatz eines Produktes häufig davon abhängig gemacht, dass die Etikettierung bestimmte Angaben enthält, vor Gefahren warnt etc.
74 Art. 5 WerbeRL, Art. 97 Abs. 5 ArzneimittelRL. 75 Gómez, in: Grundmann/Bianca, EU-Kaufrechts-Richtlinie (2002), Einl., Rn. 99. 76 Siehe hierzu Grundmann, in: Grundmann/Bianca, EU-Kaufrechts-Richtlinie (2002), Art. 2, Rn. 34–43; Lehmann, JZ 2000, 280, 283–286. 77 EuGH, Urt. v. 20. 2. 1979 – Rs. 120/78, REWE / Bundesmonopolverwaltung für Branntwein („Cassis de Dijon“), Slg. 1979, 649, 664, Rn. 13.
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§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
a)
Schutz vor Irreführung
Die zentrale Regulierungsaufgabe liegt wie bei der Werberegulierung darin, die Abnehmer vor irreführenden Etikettierungen zu schützen. Nur wenn gesichert ist, dass die Angaben auf Etiketten den Abnehmer nicht täuschen, kann die Etikettierung die Markttransparenz fördern. Folgerichtig enthält das Gemeinschaftsrecht Irreführungsverbote, die sich auf die Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln und Kosmetika beziehen.78 Die Irreführungsgefahr ist – wie bereits zu den Werberegeln dargelegt – grundsätzlich anhand der mutmaßlichen Erwartungen des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zu messen. Dieses normative Leitbild und die weiteren Vorgaben für seine praktische Handhabung hat der EuGH maßgeblich im Rahmen der Auslegung von Etikettierungsregeln entwickelt.79 Hervorzuheben ist auch hier, dass der Maßstab je nach Produktart differieren kann. Ein strengerer Maßstab ist anzulegen, wenn nicht nur die wirtschaftlichen Interessen der Abnehmer, sondern deren Gesundheit und körperliche Unversehrtheit auf dem Spiel stehen.80 b)
Produktbezogene Information
Das Gros der Regulierung von Kennzeichnung und Aufmachung bilden produktbezogene Informationen, die der Hersteller über die Etikettierung dem Markt zur Verfügung zu stellen hat. Dazu gehören Angaben über den Namen bzw. die Verkehrsbezeichnung des Produktes,81 Inhaltsstoffe bzw. Zutaten,82 Produkteigenschaften wie Haltbarkeit,83 Mengenangaben 84 oder besondere Qualitätsmerkmale,85 Hinweise zur richtigen Aufbewahrung 86 und zum Gebrauch 87 sowie Angaben, durch die es möglich wird, den Hersteller 88 und den genauen Herstellungsposten 89 zu identifizieren. Neben den obligatorischen Informationsregeln gibt es auch Rege-
78 Art. 16 LMVO, Art. 2 Abs. 1 LMEtRL, Art. 9 Abs. 1 MinWRL und Art. 6 Abs. 3 KosmetikRL. 79 Siehe EuGH, Urt. v. 16. 7. 1998 – Rs. C-210/96, Gut Springenheide und Tusky („6-Korn-Eier“), Slg. 1998, I-4657, 4693, Rn. 37. 80 EuGH, Urt. v. 13. 1. 2000 – Rs. C-220/98, Estée Lauder („Liftingcreme“), Slg. 2000, I-117, 146, Rn. 28. 81 Art. 54 lit. a ArzneimittelRL, Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 LMEtRL, Art. 8 lit. a ZusStRL. 82 Art. 54 lit. b, d ArzneimittelRL, Art. 3 Abs. 1 Nr. 2, 10 LMEtRL, Art. 7 Abs. 2 lit. a MinWRL, Art. 6 Abs. 3 lit. a NahrErgRL. 83 Art. 6 Abs. 1 lit. c KosmetikRL, Art. 54 lit. h ArzneimittelRL, Art. 3 Abs. 1 Nr. 5 LMEtRL, Art. 10 Abs. 1 lit. e EierVO (Verpackungsdatum), Art. 8 lit. c ZusStRL. 84 Art. 6 Abs. 1 lit. b KosmetikRL, Art. 3 Abs. 1 Nr. 3, 4 LMEtRL, Art. 10 Abs. 1 lit. d EierVO, Art. 7 Abs. 1 lit. h, Art. 8 lit. b ZusStRL. 85 Art. 10 Abs. 1 lit. c EierVO (Güte- und Gewichtsklasse). 86 Art. 54 lit. i ArzneimittelRL, Art. 3 Abs. 1 Nr. 6 LMEtRL, Art. 10 Abs. 1 lit. f EierVO, Art. 7 Abs. 1 lit. c, Art. 8 lit. b ZusStRL. 87 Art. 6 Abs. 1 lit. d KosmetikRL, Art. 54 lit. e, n ArzneimittelRL, Art. 3 Abs. 1 Nr. 6, 9 LMEtRL, Art. 7 Abs. 3 S. 1 SäuglAnfNahrRL, Art. 6 Abs. 3 lit. b NahrErgRL, Art. 7 Abs. 1 lit. c, d, Art. 8 lit. b ZusStRL. 88 Art. 6 Abs. 1 lit. a KosmetikRL, Art. 3 Abs. 1 Nr. 7, 8 LMEtRL, Art. 10 Abs. 1 lit. a EierVO, Art. 7 Abs. 1 lit. f, Art. 8 lit. b ZusStRL. 89 Art. 6 Abs. 1 lit. e KosmetikRL, Art. 54 lit. m ArzneimittelRL, Art. 10 Abs. 1 lit. b EierVO, Art. 5 Abs. 9 TabakproduktRL, Art. 7 Abs. 1 lit. e, Art. 8 lit. b ZusStRL.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
lungen wie bei der Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln, die lediglich die Art und Weise der Kennzeichnung vorschreiben, wenn sich der Hersteller dazu entschließt, diese Angaben auszuweisen.90 Generell nehmen Bestimmungen über die Modalitäten der Information bei Aufmachung und Kennzeichnung von Produkten einen breiten Raum ein, sind sie doch entscheidend dafür, ob eine Information tatsächlich den Abnehmer erreicht. Um Transparenz zu gewährleisten, müssen die Anbieter alle Angaben gut lesbar, klar verständlich und unverwischbar aufführen.91 Neben den allgemeinen Transparenzgrundsatz treten vielfältige spezielle Regeln, durch die gewährleistet werden soll, dass die Informationen übersichtlich dargeboten werden und vom Abnehmer leicht erfasst werden können. So schreibt Art. 6 Abs. 5 LMEtRL vor, dass im Verzeichnis der Zutaten diese „in absteigender Reihenfolge ihres Gewichtsanteils zum Zeitpunkt der Verarbeitung“ aufzuzählen sind.92 Welche Einheiten zur Angabe von Masse oder Volumen benutzt werden dürfen gibt Art. 8 Abs. 1 LMEtRL vor, während etwa Art. 4 NährwKzRL die exakte Reihenfolge bestimmt, in der Angaben zum Nährwert zu machen sind und nach Art. 7 Abs. 1 S. 2 NährwKzRL die Angaben in einer Tabelle zusammenzufassen sind, soweit dafür genügend Platz vorhanden ist. Mit diesen Regelungen sollen Angaben standardisiert werden, damit sie leichter verglichen werden können. Prototyp einer solchen Regelung ist Art. 3 Abs. 1 PrAngRL, wonach bei jedem Erzeugnis auch der Preis je Maßeinheit anzugeben ist. Die Sprache der Etikettierung ist von großer Bedeutung dafür, wie verständlich Angaben für die Abnehmer sind. Soweit die Richtlinien dazu Bestimmungen enthalten, beschreiten sie unterschiedliche Wege. Einen liberalen Ansatz verfolgen etwa Art. 7 Abs. 2 NährwKzRL, Art. 10 Abs. 2 ZusStRL oder Art. 9 Abs. 4 AromenRL, nach denen es ausreicht, wenn die Angaben „in einer dem Käufer leicht verständlichen Sprache“ abgefasst sind oder der Käufer „durch andere Maßnahmen“ unterrichtet wird. Das Konzept der „leicht verständlichen Sprache“ ist bewusst handelsfreundlich gewählt. Es baut auf dem Leitbild eines verständigen Abnehmers auf. Dem Hersteller soll im Interesse eines freien innergemeinschaftlichen Handels gerade nicht die Pflicht auferlegt werden, in jedem Falle die Etikettierung in der Amtssprache oder der überwiegend verwendeten Sprache des Landes zu gestalten, in der sein Produkt in den Verkehr gebracht wird.93 Dies folgt insbesondere im Rückschluss aus anderen Sprachregelungen des Sekundärrechts wie Art. 63 Abs. 1 ArzneimittelRL, wo ausdrücklich vorgesehen ist, dass die Etikettierung in der Amtssprache des Landes zu erfolgen hat, in dem das Arzneimittel vertrieben wird.94 Eine mitgliedstaatliche Regelung verstößt deshalb gegen das Konzept der „leicht verständlichen Sprache“, wenn sie vorschreibt, dass bei der Etikettierung eine be-
90 Art. 2 NährwKzRL. 91 So etwa Art. 56 ArzneimittelRL, Art. 6 Abs. 1 KosmetikRL, Art. 7 Abs. 1 S. 3 NährwKzRL, Art. 23 Abs. 2 GefStRL, Art. 7 Abs. 1, Art. 8 ZusStRL. 92 Eine parallele Regelung enthält Art. 6 Abs. 1 lit. g S. 1 KosmetikRL. 93 Usher, in: Grundmann/Kerber/Weatherill, Party Autonomy (2001), S. 151, 159. 94 EuGH, Urt. v. 12. 10. 1995, Rs. C-85/94, Piageme, Slg. 1995, I-2955, 2977, Rn. 16.
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§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
stimmte Sprache zu verwenden ist, ohne dass sie die Möglichkeit vorsieht, stattdessen eine andere für den Käufer leicht verständliche Sprache zu verwenden oder ihn durch andere Maßnahmen zu unterrichten.95 Wann tatsächlich Angaben in einer Sprache „leicht verständlich“ sind, wenn diese nicht hauptsächlich in einer Region gesprochen wird, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Grundsätzlich ist hierfür der Maßstab eines verständigen Durchschnittsverbrauchers anzulegen. Für diesen müssen die Informationen mühelos erkennbar sein. Fremdsprachliche Angaben sind vor allem dann leicht verständlich, wenn die verwendeten Begriffe in verschiedenen Sprachen sehr ähnlich sind oder wenn eine zweite Sprache im Absatzgebiet als allgemein bekannt vorausgesetzt werden kann.96 So ist Französisch auch im flämischsprachigen Teil Belgiens als „leicht verständlich“ anzusehen. Die Etikettierung in einer Amtssprache des Mitgliedstaates, in dem der Vertrieb erfolgt, gewährleistet grundsätzlich eine leichte Verständlichkeit. Darüber hinaus können auch fremdsprachliche Ausdrücke leicht verständlich sein.97 Dies kann für Ausdrücke zutreffen, die dem Käufer im Allgemeinen bekannt sind (etwa „made in“), für unübersetzbare Ausdrücke bzw. für Ausdrücke, für die es in der Amtssprache des Vertriebsstaates kein Pendant gibt (z. B. „tortellini“) und für Ausdrücke, die auf Grund ihrer ähnlichen Schreibweise leicht verständlich sind (z. B. „café“ oder „chocolate“). Alternativ zur „leicht verständlichen Sprache“ kann der Hersteller dem Käufer auch durch andere Maßnahmen unterrichten.98 Diese müssen auf dem Etikett erscheinen. Es genügt nicht, den Abnehmer darauf zu verweisen, dass er sich in der Verkaufsstelle oder durch andere Informationskampagnen informieren kann. Denn es soll auf jeden Fall gewährleistet sein, dass der unmittelbare Endverbraucher von den vorgeschriebenen Angaben Kenntnis nehmen kann und nicht lediglich der Käufer oder der Adressat einer Marketingmaßnahme.99 Allerdings fällt es schwer, sich neben der textlichen Information durch das Etikett andere gleichgeeignete Mittel (Zeichnungen, Piktogramme o. ä.) vorzustellen, die so komplexe Sachverhalte wie etwa die in Art. 4 bis 6 NährwKzRL verlangten Angaben darstellen können. Das Konzept der „leicht verständlichen Sprache“ verfolgt im Grundsatz auch Art. 16 Abs. 1 LMEtRL für die Etikettierung von Lebensmitteln. Jedoch können die Mitgliedstaaten nach Art. 16 Abs. 2 LMEtRL verlangen, dass bei Erzeugnissen, die auf
95 EuGH, Urt. v. 18. 6. 1991, Rs. C-369/89, Piageme, Slg. 1991, I-2971, 2984, Rn. 11–17 und EuGH, Urt. v. 12. 10. 1995, Rs. C-85/94, Piageme, Slg. 1995, I-2955, 2976, Rn. 14–21. Die Entscheidungen ergingen zu Art. 14 der Vorgängerrichtlinie 79/112/EWG zur Lebensmitteletikettierungsrichtlinie, die anders als Art. 16 Abs. 2 LMEtRL noch nicht die Möglichkeit vorsah, dass die Mitgliedstaaten vorschreiben können, dass Waren, die auf ihrem Territorium vertrieben werden, in der Amtssprache zu etikettieren sind. 96 EuGH, Urt. v. 12. 10. 1995, Rs. C-85/94, Piageme, Slg. 1995, I-2955, 2979, Rn. 30. 97 Siehe hierzu die Mitteilung der Kommission über die Verwendung der Sprachen beim InVerkehr-Bringen von Lebensmitteln (Auslegung der Rechtsvorschriften) im Anschluß an das Urteil „Peeters“, ABl. 1993 C 345/3, Rn. 34–43. 98 Art. 7 Abs. 2 NährwKzRL, Art. 10 Abs. 2 ZusStRL, Art. 9 Abs. 4 AromenRL. 99 EuGH, Urt. v. 12. 10. 1995, Rs. C-85/94, Piageme, Slg. 1995, I-2955, 2978, Rn. 24–26.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
ihrem Territorium vermarktet werden, die Etiketten in ihrer Amtssprache abgefasst werden. Die gleiche Option räumt den Mitgliedstaaten auch Art. 7 Abs. 2 KosmetikRL ein, dies zumindest für die Angaben, die wichtig sind, um die Gesundheit der Verbraucher zu schützen, wie etwa das Verfalldatum und Hinweise zum Gebrauch. Demgegenüber dürfen die Mitgliedstaaten für die Liste der Bestandteile lediglich die Angabe in einer „für den Verbraucher leicht verständlichen Sprache“ fordern. Einen durchgehend strengeren Standard gibt Art. 63 Abs. 1 ArzneimittelRL vor, nach dem die Etikettierungsangaben in der Amtssprache des Mitgliedstaates abgefasst sein müssen, in dem das Arzneimittel in den Verkehr gebracht wird. c)
Insbesondere: Warnhinweise
Warnhinweise auf Etiketten stellen eine Form der besonders eindringlichen Produktinformation dar. Anders als die Mehrzahl der übrigen Informationspflichten zielen sie nicht in erster Linie darauf, eine informierte Vertragsentscheidung zu gewährleisten. Vielmehr strebt der Gesetzgeber durch sie an, gezielt das Verhalten der Abnehmer zu steuern. Müssen etwa die Verpackungen von Arzneimitteln davor warnen, diese innerhalb der Reichweite von Kindern aufzubewahren,100 so soll diesem Verhalten entgegengewirkt werden. Übersteigt der Koffeingehalt eines Getränks die Menge von 150 mg/l, ist der Warnhinweis „Erhöhter Koffeingehalt“ anzubringen,101 damit Verbraucher, die besonders empfindlich gegenüber Koffein sind, dieses Getränk meiden. Nahrungsergänzungsmittel müssen einen Warnhinweis enthalten, die angegebene empfohlene Tagesdosis nicht zu überschreiten.102 Die Etikettierung von Säuglingsanfangsnahrung muss einen „Wichtigen Hinweis“ aufweisen, der klarstellt, dass das Stillen überlegen ist und empfiehlt, das Erzeugnis nur auf den Rat eines unabhängigen Fachmanns hin zu verwenden.103 Auch wenn diese Regeln darauf ausgerichtet sind, das Verbraucherverhalten in eine bestimmte Richtung zu lenken, ordnen sie sich dennoch in ein Verbraucherschutzkonzept ein, das Schutz nicht durch Verbote, sondern durch Information anstrebt. Denn um den Abnehmern tatsächlich präferenzgemäße Entscheidungen zu ermöglichen, bedarf es teilweise eines besonders eindringlichen Hinweises auf Gefahren und Risiken, die mit einem Produkt verbunden sind. Warnhinweise schlagen jedoch in ein Instrument des Wertepaternalismus um, wenn sie erkennbar nicht mehr vom Willen getragen sind, einem Abnehmer durch eine effektive Information eine seinen Präferenzen entsprechende Erwerbsentscheidung zu erleichtern oder ihn zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Produkt anzuhalten, sondern darauf ausgerichtet sind, ihm im vermeintlich eigenen Interesse davon abzubringen, ein legales Produkt zu erwerben. Die Hersteller von Zigaretten müssen auf 30 bzw. 40 Prozent der Breitseite einer Zigarettenver-
100 101 102 103
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Art. 54 lit. f ArzneimittelRL, ähnlich Art. 6 Abs. 3 lit. e NahrErgRL. Art. 2 Abs. 1 RL 2002/67/EG, dazu BE 4. Art. 6 Abs. 3 lit. c NahrErgRL. Art. 7 Abs. 4 SäuglAnfNahrRL.
§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
packung vor den schädlichen Wirkungen des Rauchens warnen.104 Der Wortlaut der Warnhinweise ist auf suggestive und dramatische Art und Weise zugespitzt („Rauchen kann zu einem langsamen und schmerzhaften Tod führen“), teilweise ist zweifelhaft, ob die Aussagen in ihrer Generalisierung richtig sind („Rauchen ist tödlich“, „Rauchen [...] verursacht Impotenz“).105 Farbfotografien und andere Abbildungen, die etwa Schatten auf der Lunge zeigen, verklumpte Spermien oder hässliche Wucherungen am Kehlkopf sollen zusätzlich auf die Risiken des Rauchens hinweisen.106 Die Aufmachung der Warnhinweise und Abbildungen verdeutlicht, dass es dem Gesetzgeber nicht darum geht, die Verbraucher aufzuklären und eine informierte Kaufentscheidung sicherzustellen. Vielmehr sollen Tabakprodukte stigmatisiert und die Kunden gezielt vom Kauf abgehalten, ja geradezu abgeschreckt werden.107 Wie bei den Regeln zur Einschränkung der Tabakwerbung steht hier das Interesse im Vordergrund, einer aus Sicht des Gesetzgebers vorzugswürdigen Lebensweise, der des Nichtrauchens, zum Durchbruch zu verhelfen und ein „Laster“ der Gesellschaft einzudämmen.108 d)
Etikettierungsbeschränkungen
Etikettierungsbeschränkungen können Abnehmer vor Fehlvorstellungen schützen. Einen solchen abstrakten Irreführungsschutz bezweckt Art. 8 Abs. 3 lit. a ÖkoAuditVO, der es untersagt, das EMAS-Zeichen auf Produkten oder ihrer Verpackung zu verwenden. Der Gemeinschaftsgesetzgeber sah dieses Gebot als erforderlich an, um zu verhindern, dass die Verbraucher zu Unrecht auf Grund dieses Zeichens davon ausgehen, ein Produkt sei ökologisch unbedenklich. Um die berechtigten Erwartungen der Verbraucher zu schützen, darf die Produktkennzeichnung auch nur unter bestimmten Voraussetzungen auf den ökologischen Landbau Bezug nehmen.109 Im Übrigen sind die Etikettierungsbeschränkungen jedoch von einem paternalistischen Impetus bestimmt. Produzenten sollen etwa nicht die Furcht vor Krankheiten für ihr Marketing ausnutzen. Der Gesetzgeber sieht die Gefahr, das krankheitsbezo-
104 Art. 5 Abs. 5 TabakproduktRL. 105 Art. 5 Abs. 2 lit. a, lit. b i. V. m. Anhang I TabakproduktRL. 106 Art. 5 Abs. 3 TabakproduktRL. Die Kommission hat eine Galerie von 42 Motiven zusammengestellt (siehe http://europa.eu.int/comm/mediatheque/photo/new_en.html, dort unter „Health Warnings on Tobacco Products“). Die EU-Staaten können selbst entscheiden, ob sie diese nutzen wollen oder nicht. Bislang haben Belgien und Irland angekündigt, die Tabakhersteller zu verpflichten, die Bilder auf den Verpackungen zu drucken. 107 B. Wägenbaur, EuZW 2002, 790. 108 Pointiert Die Zeit vom 23. 10. 2003 (Nr. 44), S. 49: „Noch nie hat es eine ähnliche europäische Konsumvorschrift gegeben, die nur noch eine filterlose Zigarettenlänge entfernt zu sein scheint von totalstaatlicher Bevormundung“ und: „Hinter den Traueranzeigen auf den Zigarettenschachteln verbirgt sich ein staatlicher Herrschaftsanspruch, das Leben der Bürger endlich in den Griff zu bekommen. Er geht mit dem fürsorglichen Gestus der Aufklärung einher, ist aber nur ein Vorbote kommender Verbote“; ähnlich Crosby, 27 ELR (2002), 177, 187–190. 109 Art. 5 ÖkoLandbauVO.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
gene Aussagen die Verbraucher davon abhalten, rechtzeitig einen Arzt aufzusuchen. Aus diesem Grund verbietet das Gemeinschaftsrecht an mehreren Stellen, einem Produkt bei der Etikettierung „Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit“ zuzuschreiben.110 Konsequenterweise erfasst das Verbot keine „positiv“ formulierten Angaben, also Hinweise darauf, dass ein Produkt dazu beitragen kann, die Gesundheit zu erhalten und zu fördern.111 Ferner findet auch die Politik der Gemeinschaft zur „Förderung und zum Schutz des Stillens“ 112 in Etikettierungsbeschränkungen seinen Ausdruck. Die Aufmachung von Lebensmitteln, die für Säuglinge bestimmt sind, soll Mütter nicht dazu verleiten, das Stillen einzustellen. Deshalb darf die Etikettierung keine Begriffe wie „humanisiert“ oder „maternisiert“ verwenden.113 Um die Erzeugnisse nicht zu „idealisieren“, dürfen Etiketten auch keine Kinderbilder o. ä. enthalten.114 e)
Rechtsdurchsetzung
Keiner der Gemeinschaftsrechtsakte zur Etikettierung enthält spezifische Regeln zur Durchsetzung der Bestimmungen. Allenfalls findet sich der Hinweis darauf, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, geeignete und wirksame Maßnahmen zu treffen, um zu gewährleisten, dass die Bestimmungen eingehalten werden.115 Folgerichtig wäre es, wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber die erweiterten Möglichkeiten, Klage zu erheben oder ein Verwaltungsverfahren einzuleiten nicht nur für Verstöße gegen Werbevorschriften wie etwa in Art. 4 WerbeRL und Art. 97 ArzneimittelRL vorsehen würde, sondern auch für Verstöße gegen Etikettierungsregeln. Gleiches gilt für die den Mitgliedstaaten vorgeschriebene Regel, die Möglichkeit zu einer schadens- und verschuldensunabhängigen Einstellungsanordnung oder Untersagung und eines beschleunigten Verfahrens vorzusehen. Allerdings greift auch für irreführende Angaben bei der Etikettierung wie bei Werbeäußerungen der Sanktionsmechanismus des Art. 2 Abs. 2 lit. d KaufRRL, der eine vertragliche Bindungswirkung dieser Angaben vorsieht. In der Folge können den getäuschten Käufern Gewährleistungsansprüche zustehen.
110 Art. 2 Abs. 1 lit. b LMEtRL, ähnlich Art. 9 Abs. 2 lit. a MinWRL, Art. 6 Abs. 1 S. 1 DiätRL, Art. 6 Abs. 2 NahrErgRL. 111 EuGH, Urt. v. 23. 1. 2003 – Rs. C-221/00, Kommission / Österreich, Slg. 2003, I-1007, 1059, Rn. 39–41; EuGH, Urt. v. 23. 1. 2003 – verb. Rs. C-421/00, 426/00 und 16/01, Sterbenz und Haug, Slg. 2003, I-1065, 1085 f., Rn. 31–34; hierzu bereits oben S. 79; siehe auch Art. 9 Abs. 2 lit. c MinWRL. Allerdings soll das Recht, mit gesundheitsbezogenen Angaben werben zu dürfen nach einem Verordnungsvorschlag der Kommission erheblich eingeschränkt werden, dazu bereits oben S. 80. 112 Begründungserwägung zur SäuglAnfNahrRL. 113 Art. 7 Abs. 3 S. 2 SäuglAnfNahrRL. 114 Art. 7 Abs. 5 S. 1 SäuglAnfNahrRL. 115 So Art. 6 Abs. 2 KosmetikRL.
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§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
3.
Prospekte
Eine Prospektpflicht stellt – verglichen mit individuellen Informationspflichten oder Kennzeichnungsregeln – ein relativ teures Regelungsinstrument dar. Sie kann deshalb nur dann effizient sein, wenn der Prospekt hilft, Informationsprobleme beim Absatz komplexer Erfahrungsgüter auszugleichen, die massenhaft am Markt vertrieben werden. Folgerichtig müssen im Gemeinschaftsrecht nur Anbieter von Timesharingobjekten und von Anteilen an Investmentfonds einen Prospekt veröffentlichen.116 Daneben spielt der Prospekt als Informationsinstrument beim Vertrieb von Pauschalreisen eine herausragende Rolle. Hier schreibt der Gemeinschaftsgesetzgeber jedoch nicht vor, dass der Veranstalter einen Prospekt zu begeben hat. Stattdessen macht er nur Vorgaben für den Fall, dass sich der Veranstalter eines Prospektes bedient.117 a)
Prospektinhalt
Mit dem Prospekt sollen die Abnehmer über standardisierte Informationen verfügen, die einen unkomplizierten Produktvergleich ermöglichen. Deshalb bilden Angaben über den Vertragsgegenstand den Kern des Prospektinhalts. Flankiert werden sie von Informationen über den Preis und den Vertragspartner. So muss ein Timesharingprospekt ausführlich über die jeweilige Immobilie 118 informieren und über die Rechte und Pflichten, die mit dem Erwerb des Timesharingrechts einhergehen.119 Daneben treten Informationen über den Anbieter des Timesharingrechts und den Eigentümer, soweit letzterer nicht mit dem Anbieter identisch ist.120 Zudem muss der Prospekt Informationen über den Preis enthalten und die sonstigen Kosten, die mit dem Timesharingrecht verbunden sind.121 Kritisiert wird, dass die umfangreichen Pflichtangaben im Timesharingprospekt zu einer Informationsüberlastung beim Adressaten führten und deshalb kontraintentional wirken.122 Dagegen wurde zu bedenken gegeben, dass Verbraucher etwa auch nicht erkennbar darin überfordert seien, umfangreiche Daten über Ausstattungsvarianten von Neuwagen zu vergleichen.123 Unabhängig hiervon ist aber auch zu 116 Art. 27–33, 35, 47 InvFRL, Art. 3 TShRL. Kritisch zur Prospektpflicht der Timesharingrichtlinie Schäfer, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung (2000), S. 559, 566, nach dem der hohe Kostenaufwand für die Prospekte nicht durch den Nutzen für die Verbraucher gerechtfertigt werde. 117 Art. 3 Abs. 2 PRRL. 118 Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Anhang, lit. c, d, e, f TShRL. Im Einzelnen zu den Pflichtangaben im Anhang Martinek, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 13 (1998), Rn. 139–155. 119 Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Anhang, lit. b, g TShRL. Nicht nachvollziehbar ist, warum die Informationen gemäß Anhang, lit. k TShRL über die Möglichkeiten von Umtausch und Weiterveräußerung des Timesharingrechts nicht bereits im Prospekt anzugeben sind, Martinek, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 13 (1998), Rn. 118. 120 Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Anhang, lit. a TShRL. 121 Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Anhang, lit. i TShRL. 122 Martinek, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung (2000), S. 517, 521–530; Kind, Die Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information (1998), S. 513–515. Allgemein zur Gefahr der Informationsüberlastung siehe oben S. 208. 123 Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht (2003), Rn. 284 und Fn. 10.
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berücksichtigen, dass die transparenzfördernde Wirkung eines Prospekts nicht davon abhängt, dass alle (potentiellen) Erwerber aktuell alle Prospektangaben zur Kenntnis nehmen. Ihnen ist bereits gedient, wenn sie bestimmte Informationen aus dem Prospekt bei ihrer Vertragsentscheidung berücksichtigen. Die Transparenzeffekte hängen deshalb ganz wesentlich von der Ausgestaltung des Prospektes ab, weniger von der Anzahl der gegebenen Informationen. Zudem darf nicht verkannt werden, dass allein die Möglichkeit, dass einige Interessenten die Angaben im Prospekt lesen könnten, disziplinierend auf den Anbieter wirken kann, so dass er absieht von Konditionen, die besonders nachteilig für den Erwerber sind. Schließlich können die Angaben dem Erwerber auch nützlich sein, will er Gewährleistungsansprüche geltend machen, denn nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 TShRL werden sie „Bestandteil des Vertrages“. Der vereinfachte und der vollständiger Prospekt für Investmentfonds müssen alle Angaben enthalten, die erforderlich sind, damit sich der Anleger ein fundiertes Urteil bilden kann über die ihm vorgeschlagene Anlage und die mit ihr zusammenhängenden Risiken.124 Dafür muss der vollständige Prospekt eine Erläuterung des Risikoprofils des Fonds enthalten.125 Zudem ist der Anleger über eine Reihe von im Anhang spezifizierter Punkte aufzuklären, die in ihrer Mehrzahl den Vertragsgegenstand betreffen.126 Darüber hinaus sind die Vertragsbedingungen des Investmentfonds bzw. die Satzung der Investmentgesellschaft beizufügen. Alternativ kann der Anteilinhaber auch darüber unterrichtet werden, dass und wie er diese Dokumente einsehen kann.127 Der vereinfachte Prospekt muss eine Zusammenfassung der wichtigsten Informationen enthalten, die in Anhang I, Schema C der Richtlinie aufgeführt sind.128 Die wesentlichen Angaben beider Prospekte müssen gemäß Art. 30 InvFRL auf dem neuesten Stand gehalten werden. Nach Art. 33 Abs. 3 InvFRL sind in beiden Prospekten die Stellen zu nennen, wo die Jahres- und die Halbjahresberichte der Öffentlichkeit zugänglich sind. Dies gilt nicht, wenn die Behörden eine andere Form genehmigen, wie die Berichte veröffentlicht werden können. Auch beim Pauschalreiseprospekt stehen die Angaben über das Produkt „Reise“ im Vordergrund.129 Der Prospekt muss – soweit von Bedeutung – Informationen enthalten über den Bestimmungsort, Transportmittel, die Unterbringung, die Mahlzeiten, die Reiseroute, Pass- und Visumerfordernisse, gesundheitspolizeiliche Formalitäten sowie eine Mindestteilnehmerzahl, die erforderlich ist, damit die Reise zustande kommt.130 Die Preise sind klar und genau anzugeben.131 Zudem hat der Reiseveranstalter eine etwaige Anzahlungsverpflichtung im Katalog zu benennen
124 Art. 28 Abs. 1 S. 1 InvFRL. 125 Art. 28 Abs. 1 S. 2 InvFRL. 126 Art. 28 Abs. 2 i. V. m. Anhang I, Schema A InvFRL. 127 Art. 29 InvFRL. 128 Art. 28 Abs. 3 S. 1 InvFRL. 129 Zu den Pflichtangaben des Pauschalreiseprospekts Tonner, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 12 (1999), Art. 3, Rn. 10–17. 130 Art. 3 Abs. 2 lit. a–e, g PRRL. 131 Art. 3 Abs. 2 PRRL.
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sowie den Zeitplan für die Zahlung des Restbetrages darzulegen.132 Information über den Veranstalter muss der Katalog nicht enthalten. Von einer solchen Pflichtangabe nahm der Gesetzgeber wohl Abstand aus Rücksicht auf die Interessen der Reisebüros. Diese befürchteten, dass die Kunden direkt beim Veranstalter buchten, wüssten sie dessen Anschrift.133 b)
Gestaltung des Prospekts
Ob ein Prospekt die Kunden wirksam informieren kann, hängt davon ab, wie er ausgestaltet ist. Das betrifft die äußere Form, die Sprache und den Ausdruck. Eine große Herausforderung stellt es dar, potenzielle Anleger über einen Investmentfonds zu informieren. Um der komplizierten Materie gerecht zu werden, schreibt Art. 28 Abs. 1 InvFRL vor, dass der vollständige Prospekt das Risikoprofil des Fonds „leicht verständlich“ erläutern muss. Für den vereinfachten Prospekt bestimmt Art. 28 Abs. 3 S. 2 InvFRL, dass er „so zu gliedern und abzufassen [ist], dass er für den Durchschnittsanleger leicht verständlich ist“. Beide Prospekte muss das Investmentunternehmen als schriftliches Dokument erstellen. Alternativ können die zuständigen Behörden auch billigen, dass er auf einem dauerhaften Datenträger gespeichert wird.134 Nach Art. 47 Abs. 2 InvFRL sind die Prospekte in einer Amtssprache des Mitgliedstaates abzufassen, in dem der Fonds vertrieben wird. Die zuständigen Behörden dieses Staates können auch eine andere Sprache genehmigen. Eine Gefahr für die Transparenz des Timesharingprospektes wird darin gesehen, dass der Anbieter den Interessierten bewusst mit Angaben überfrachtet und damit eine wirkliche Information verhindert.135 Allerdings sieht bereits Art. 3 Abs. 1 TShRL vor, dass die Angaben im Prospekt „kurz“ und „genau“ zu halten sind. Zudem widerspräche es auch der Ratio des Prospekts als Informationsträger, Intransparenz durch übermäßige Angaben zuzulassen.136 Der Prospekt für das Timesharingobjekt ist als „Schriftstück“ auszuhändigen.137 Ein Interessent hat nach Art. 4 Sps. 2 TShRL die Wahl, sich den Prospekt in der Sprache seines Wohnsitzlandes aushändigen zu lassen oder in der Sprache des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Voraussetzung ist stets, dass es sich um eine Amtssprache der Gemeinschaft 138 handelt.139 Ein Anbieter von Timesharingrechten ist deshalb gehalten, Prospekte in allen Amtssprachen der Gemeinschaft vorrätig zu halten. Für die Angaben in einem Pauschalreiseprospekt schreibt Art. 3 Abs. 2 PRRL vor, dass sie „deutlich lesbar, klar und genau“ zu halten sind. Auch dieses Transparenzgebot betrifft nicht nur die äußere Form des Prospekts, sondern untersagt es den
132 133 134 135 136 137 138 139
Art. 3 Abs. 2 lit. f PRRL. Tonner, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 12 (1999), Art. 3, Rn. 29. Art. 28 Abs. 4 InvFRL. Mäsch, EuZW 1995, 8, 11 und 14; Kappus, EWS 1996, 273, 275. Vgl. Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 4.02, Rn. 14 (S. 639 f.). Art. 3 Abs. 1 TShRL. Die derzeit zwanzig Amtssprachen der Gemeinschaft zählt Art. 1 VO 1/1958 auf. Zur Sprachenfrage Martinek, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 13 (1998), Rn. 131–133.
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Anbietern, die wesentlichen Informationen in einem Dickicht aus weitschweifigen und überflüssigen Formulierungen zu verbergen. Dieser Aspekt wird auch durch die Einschränkung unterstrichen, dass Angaben nur zu machen sind, soweit sie „von Bedeutung“ sind. Vorgaben zur Form der Prospekts (schriftlich, auf dauerhaftem Datenträger) oder zur Sprache enthält die Richtlinie nicht. Diese Zurückhaltung des Gesetzgebers mag darin begründet liegen, dass die Richtlinie es dem Veranstalter ohnehin frei stellt, einen Prospekt auszuhändigen. c)
Zugang zum Prospekt
Die Wirkung eines Prospektes als Instrument zur Information der Märkte ist umso stärker, je höher die Anzahl der Personen ist, die Einsicht nehmen können und je leichter diese Zugang zum Prospekt haben. Die größte Breitenwirksamkeit soll dem vereinfachten Prospekt der Investmentfondsrichtlinie zukommen. Dieser ist „potenziellen Zeichnern vor Vertragsschluss kostenlos anzubieten“.140 Die Investmentgesellschaft selbst muss die Initiative ergreifen und den Prospekt anbieten, auch ohne von einem Interessenten aufgefordert worden zu sein.141 „Potenzieller Zeichner“ ist jeder individualisierte Interessent. Abzulehnen ist es, den Adressatenkreises weiter zu beschränken, etwa auf Interessenten mit „qualifiziertem Erwerbsinteresse“.142 Daran ist nicht nur bedenklich, dass sich kaum ein handhabbarer Maßstab finden lässt, um beurteilen zu können, wie ernst ein Erwerbsinteresse ist. Darüber hinaus spricht dagegen, dass jede weitere Einschränkung die Funktion des Prospektes als Instrument zur allgemeinen Information der (Kapital-) Märkte in Frage stellt. Für den vollständigen Prospekt ist im Vergleich zum vereinfachten Prospekt der potenzielle Adressatenkreis eingeschränkt und auch der Zugang erschwert. Er ist lediglich den Zeichnern vorbehalten und diesen auch nur auf Verlangen auszuhändigen.143 Nach Art. 35 InvFRL muss jede Werbung für die Anteile eines Investmentunternehmens auf die Prospekte und die Möglichkeit des Zugangs hinweisen. Damit wird die Werbung benutzt, um den Wert des Prospektes als Informationsmedium für den Markt zu erhöhen. Den Prospekt über ein Timesharingobjekt muss der Anbieter nach Art. 3 Abs. 1 TShRL „jedem Interessenten, der Informationen über die Immobilie(n) wünscht“ aushändigen. Anders als beim vereinfachten Prospekt des Investmentfonds muss hier der Interessent den ersten Schritt gehen. Die Richtlinie hätte insoweit gut daran getan, die Prospektpflicht in Anlehnung an die Regelung des Art. 33 Abs. 1 UAbs. 1 InvFRL auszugestalten.144 Damit hätte man dem Anbieter auch die spätere Ausflucht ab-
140 Art. 33 Abs. 1 UAbs. 1 InvFRL. 141 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 4.24, Rn. 35 (S. 792 f.). 142 So aber Elster, Europäisches Kapitalmarktrecht (2002), S. 177 f., Fn. 706. 143 Art. 33 Abs. 1 UAbs. 2 InvfRL. 144 In diese Richtung § 482 Abs. 1 BGB, wonach der Unternehmer „jedem Verbraucher, der Interesse bekundet“, einen Prospekt auszuhändigen hat.
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geschnitten, der Interessent habe keinen Prospekt erbeten.145 Abzulehnen sind Tendenzen, den Kreis der Personen einzuengen, die Anspruch auf einen Prospekt haben. Teilweise wird angenommen, ein Anbieter habe den Prospekt nur demjenigen auszuhändigen, mit dem er bereit sei, einen Vertrag abzuschließen. Denn er könne nicht gezwungen werden, mit jedem einen Vertrag zu schließen und den anderen Personen nütze der Prospekt schließlich nichts.146 Eine solche Auslegung wäre mit dem Wortlaut unvereinbar und nähme der Prospektpflicht einen Teil der Wirkung als marktbezogenes Informationsinstrument.147 Strittig ist, wann der Prospekt auszuhändigen ist. Nach einer Ansicht genügt die Aushändigung bei Vertragsschluss.148 Nach anderer Ansicht soll Art. 3 Abs. 1 TShRL so auszulegen sein, dass der Prospekt eine angemessene Zeit vor dem Vertragsschluss auszuhändigen sei, um dem Erwerber eine Bedenkzeit einzuräumen.149 Für eine solche warming-up period fehlt es jedoch nicht nur an einem Anhaltspunkt im Gesetzeswortlaut. Sie erscheint auch vom Regelungskonzept und vom Schutzzweck der Richtlinie her gedacht nicht notwendig. Denn zum einen setzt die Richtlinie mit dem Widerrufsrecht des Art. 5 TShRL stattdessen auf eine cooling-off period. Zum anderen wird dem Schutzbedürfnis des Erwerbers bereits dadurch Rechnung getragen, dass der Unternehmer ihm zu jedem Zeitpunkt einen Prospekt auszuhändigen hat.150 So liegt es in der Selbstverantwortung des Kunden, sich selbst eine Bedenkzeit zwischen der Aushändigung des Prospekts und dem Vertragsschluss zu verschaffen.151 Entsprechend Art. 35 InvFRL verlangt auch Art. 3 Abs. 2 TShRL, dass jede Werbung auf die Möglichkeit hinweisen muss, einen Prospekt anzufordern.152 Die Pauschalreiserichtlinie enthält keine Vorgaben darüber, wie dem Kunden Zugang zum Prospekt zu verschaffen ist. Auch dies ist wohl eine Folge davon, dass der Reiseveranstalter frei bleibt, überhaupt einen Prospekt zu erstellen. d)
Rechtsdurchsetzung
Die Mitgliedstaaten müssen Normen, die auf EG-Recht beruhen, in wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Weise sanktionieren.153 Daneben enthält das Gemeinschaftsrecht nur punktuell Regeln zur Rechtsdurchsetzung der Prospekt-
145 Martinek, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 13 (1998), Rn. 111. 146 Mäsch, EuZW 1995, 8, 11 f.; ders., DNotZ 1997, 180, 194. 147 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 4.02, Rn. 13 (S. 639). 148 Mäsch, EuZW 1995, 8, 12. 149 Martinek, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 13 (1998), Rn. 114. 150 A. A. Martinek, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 13 (1998), Rn. 117. 151 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 4.02, Rn. 13 (S. 639). 152 Vgl. Martinek, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 13 (1998), Rn. 116, nach dem es der Zielsetzung der Richtlinie förderlich gewesen wäre, eine Pflicht zu begründen, bei jeder Werbung für ein Timesharingobjekt einen Prospekt beizulegen. 153 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 1. Teil – Grundlagen, Rn. 179–181 (S. 127 ff.); Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht (2003), Rn. 217–245; zur Rechtsdurchsetzung siehe bereits oben S. 106 ff.
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vorgaben. Nach Art. 32 InvFRL muss ein Investmentunternehmen den vereinfachten und den vollständigen Prospekt der zuständigen Behörde übermitteln. Eine präventive Kontrolle des Prospekts sieht die Richtlinie jedoch nicht vor. Diese Idee scheiterte im Gesetzgebungsverfahren, weil einige Mitgliedstaaten Haftungsrisiken fürchteten.154 Teilweise wird beklagt, dass in der Timesharingrichtlinie Sanktionen für Verstöße gegen die Prospektpflicht fehlen. Im Detail wird kritisiert, dass Verletzungen der Prospektregeln kaum schärfer sanktioniert werden können als die Nichtbeachtung der inhaltlichen Erfordernisse des Timesharingvertrages. Für diese Pflichtverletzung sieht Art. 5 Nr. 1 Sps. 2 TShRL als Sanktion nur vor, dass sich die Widerrufsfrist um höchstens drei Monate verlängert.155 Allerdings ist nicht zu verkennen, dass auch diese Sanktion nur einen Mindeststandard definiert. Die Mitgliedstaaten sind in jedem Falle aufgerufen, ihrer generellen Pflicht nach einer effektiven Sanktionierung nachzukommen. Übersehen wird häufig, dass die Pauschalreiserichtlinie und die Timesharingrichtlinie einen Sanktionsmechanismus gegen falsche Prospektangaben enthalten. Beide Richtlinien sehen nämlich vor, dass die in dem Prospekt enthaltenen Angaben den Veranstalter bzw. den Vermittler „binden“ 156 bzw. dass sie „Bestandteil des Vertrages“ 157 sind. Diese Regeln sind nicht dahingehend auszulegen, dass es sich bei den Prospektangaben zwingend um ein bindendes Vertragsangebot handele. Nach wie vor bestimmt sich diese Frage nach mitgliedstaatlichem Recht und ein Prospekt kann als invitatio ad offerendum angesehen werden.158 Vielmehr bezweckt die Bindungswirkung, unbewusst irreführende oder bewusst täuschende Angaben im Prospekt zu sanktionieren. Denn indem die Angaben für den Fall eines Vertragsschlusses zu bindenden Vertragsbestandteilen erklärt werden, stehen dem Kunden auch vertragliche Erfüllungs- bzw. Leistungsstörungsansprüche zu, wenn die tatsächlichen Leistungen nicht den Katalogangaben entsprechen.159 Im Zusammenhang mit Bindungswirkung von Katalogangaben regeln beide Richtlinien auch die Voraussetzungen, unter denen die Angaben wirksam geändert werden können, um der Prospekthaftung zu entgehen. Dies können die Vertragsparteien zum einen ausdrücklich vereinbaren.160 Der Anbieter einer Pauschalreise kann die Prospektangaben einseitig korrigieren, wenn dies „dem Verbraucher vor Abschluss des Vertrages klar mitgeteilt“ wurde. Zudem ist „im Prospekt [...] ausdrücklich darauf hinzuweisen“.161 Die letzte Formulierung wird teilweise so ausgelegt,
154 Elster, Europäisches Kapitalmarktrecht (2002), S. 177. 155 Martinek, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 13 (1998), Rn. 115. 156 Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 PRRL. 157 Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 TShRL. 158 Martinek, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 13 (1998), Rn. 119; Tonner, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 12 (1999), Art. 3, Rn. 18–22. 159 Vgl. Art. 5 PRRL. 160 Dies ergibt sich aus Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Sps. 2 PRRL und im Rückschluss aus Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 TShRL. 161 Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Sps. 1 PRRL.
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dass der Veranstalter sicherstellen müsse, dass die an die Kunden ausgelieferten Kataloge durch Aufkleber oder Einlegeblätter korrigiert werden.162 Diese Interpretation widerspricht allerdings der Intention der Vorschrift. Denn sie will dem Anbieter ermöglichen, Angaben zu ändern, nachdem die Kunden bereits den Prospekt in der ursprünglichen Fassung eingesehen haben. Der Anbieter genügt deshalb dieser Voraussetzung, wenn er sich im Prospekt ausdrücklich vorbehält, Angaben bis zum Vertragsschluss zu korrigieren.163 Angaben des Timesharingprospekts darf der Anbieter einseitig nur bei Umständen anpassen, auf die er keinen Einfluss hat.164 Solche Umstände können in der Frage einer behördlichen Genehmigung liegen oder in einer Änderung von Erschließungsbeiträgen, Tarifen für kommunale Versorgungsleistungen (etwa Wasserversorgung, Müllentsorgung) oder von Grund- oder Wohnsteuern.165 Will der Anbieter in einem solchen Fall die Prospektangaben korrigieren, muss er das dem Erwerber vor Vertragsschluss mitteilen und im Vertrag ausdrücklich auf die Änderung hinweisen.166 Liegen die Voraussetzungen einer Änderung der Prospektangaben nicht vor, so folgt aus dem Regelungskonzept des Art. 3 Abs. 2 TShRL, dass der Prospektinhalt in seiner ursprünglichen Form Vertragsbestandteil wird und der Erwerber darauf vertragliche Ansprüche stützen kann.167
4.
Individuelle vorvertragliche Informationspflichten
Im Gegensatz zu den vorherigen Instrumenten treffen die individuellen Informationspflichten den Anbieter erst in der Phase der konkreten Vertragsanbahnung. „Individuell“ heißt, dass der Anbieter einen bereits individualisierten potenziellen Vertragspartner zu informieren hat. Es bedeutet nicht, dass die zu übermittelnden Informationen in dem Sinne individualisiert sind, dass sie spezifisch auf einen Vertragspartner zugeschnitten sein müssen. Eine standardisierte Mitteilung genügt den meisten individuellen vorvertraglichen Informationspflichten. a)
Informationsinhalt
Die individuelle vorvertragliche Information ist wie die sonstigen gemeinschaftsrechtlichen Informationsinstrumente primär darauf gerichtet, Informationsdefiziten auf Märkten zu begegnen. Das Bedürfnis, die Markttransparenz zu verbessern, kann sich zum einen aus der Absatztechnik ergeben. Bei Geschäftabschlüssen außerhalb konventioneller Vertriebstechniken tritt der Kunde seinem Vertragspart-
162 Tonner, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 12 (1999), Art. 3, Rn. 18. 163 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 4.01, Rn. 15 (S. 611). 164 Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 TShRL. 165 Martinek, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 13 (1998), Rn. 120. 166 Art. 3 Abs. 2 UAbs. 3 TShRL. 167 Trotzdem wird teilweise in der Literatur eine besondere Sanktion für die Einhaltung des Art. 3 Abs. 2 TShRL angemahnt, so etwa Martinek, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 13 (1998), Rn. 123.
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ner (bzw. dessen Vertreter) nicht persönlich gegenüber. Stattdessen spielt die Reputation des Anbieters eine besondere Rolle, um Seriosität des Geschäftsgebarens und gute Qualität der Produkte zu signalisieren. Um diesen Mechanismus zu unterstützen und um unlauteren Verhaltensweisen vorzubeugen, muss der Anbieter seine Identität und weitere unternehmensbezogene Angaben offen legen.168 Kann der Käufer ein Produkt beim Vertragsschluss nicht in Augenschein nehmen, werden Such- zu Erfahrungseigenschaften. Folgerichtig muss ein Anbieter im Fernabsatz seine Kunden über Produkteigenschaften informieren.169 Neben der Produktqualität ist der Preis die wichtigste Transaktionsvariable. Schließt man einen Vertrag, ohne seinem Geschäftspartner gegenüberzustehen, sind klarstellende Nachfragen nicht möglich. Informationspflichten über den Preis einschließlich Steuern und Nebenkosten für Versand, die Benutzung von Fernkommunikationstechniken etc. sollen deshalb für Transparenz sorgen.170 Weitere Angaben unterrichten über sonstige Konditionen 171 und vertragliche Rechte.172 Ausgangspunkt für Informationspflichten kann auch die Annahme eines produktspezifischen Falles von Marktversagen sein. Anlass für die Informationspflichten des Art. 3 ÜwRL war der Befund der Kommission, dass auf dem Markt für grenzüberschreitende Überweisungen die Marktmechanismen nicht die für einen Wettbewerb erforderliche Transparenz gewährleisteten.173 Hierin wurde – neben einer mangelhaften transeuropäischen Infrastruktur für Kleinbetragszahlungen – der Grund für zu hohe Gebühren und zu lange Überweisungsdauern im Vergleich zum inländischen Zahlungsverkehr gesehen. Deshalb zielen die Informationspflichten des Art. 3 ÜwRL darauf, die Vertragsparameter Entgelt und Ausführungszeit vergleichbar zu machen. Allerdings konstatierte der europäische Gesetzgeber bereits im Jahre 2001 in der ersten Begründungserwägung zur Verordnung über grenzüberschreitende Zahlungen,174 dass trotz dieser Regelung „der Verbraucher nur unzureichende oder überhaupt keine Informationen zu Überweisungsgebühren erhält“. Dieser Befund wurde u. a. zum Anlass dafür genommen, nicht mehr auf marktunterstützende Regelungen und den Wettbewerbsmechanismus zu vertrauen, sondern den Finanzinstituten in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung über grenzüberschreitende Zahlungen bis zu einem Betrag von 12.500 Euro (ab 1. 1. 2006: 50.000 Euro) einheitliche Gebühren für grenzüberschreitende wie für innerstaatliche Überweisungen vorzuschreiben.175
168 Art. 4 Abs. 1 lit. a FARL, Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 FinFARL, Art. 5 Abs. 1 EComRL. 169 Art. 4 Abs. 1 lit. b FARL, Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. a FinFARL. 170 Art. 4 Abs. 1 lit. c, d, g, Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. b, c, d, g FinFARL, Art. 5 Abs. 2 EComRL. 171 Art. 4 Abs. 1 lit. e, h, i FARL, Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. e, f FinFARL. 172 Art. 4 Abs. 1 lit. f FARL, Art. 3 Abs. 1 Nr. 3, 4 FinFARL. 173 Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 296; ein Marktversagen konstatiert auch Grundmann, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Vereinheitlichung und Diversität (2002), S. 284, 293. 174 Verordnung (EG) Nr. 2560/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Dezember 2001 über grenzüberschreitende Zahlungen in Euro, ABl. 2001, L 344/13. 175 Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht (2003), Rn. 538. Krit. zu diesem marktkorrigierenden Eingriff Hoffmann, EuZW 2002, 69–75.
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Bedarf für produktbezogene Informationen sah die Gemeinschaft auch auf dem Versicherungsmarkt. Art. 31, 43 Abs. 2 UAbs. 1 und 2 3.SVersRL verlangen vom Versicherer bei Schadensversicherungen vorvertragliche Informationen über das anwendbare oder vom Versicherer vorgeschlagene Recht, über Beschwerdestellen und ggf. das Land des Sitzes oder der Zweigniederlassung der Versicherung. Umfangreichere Informationspflichten über das Versicherungsunternehmen und die Versicherungspolice sieht Art. 36 Abs. 1 i. V. m. Anhang III LVersRL für Lebensversicherungen vor. Neben diesen Informationen, die Marktunvollkommenheiten ausgleichen wollen, stehen solche, die es technisch dem Nutzer ermöglichen oder jedenfalls erleichtern sollen, einen Vertrag zu schließen. Nach Art. 10 EComRL muss der Diensteanbieter die Nutzer darüber aufklären, welche einzelnen technischen Schritte zum Vertragsschluss führen, ob der Vertragstext gespeichert wird und ihnen zugänglich sein wird, welche technischen Mittel der Nutzer hat, um Eingabefehler noch vor der endgültigen Bestellung zu erkennen und zu korrigieren und welche Sprachen für den Vertragsschluss zur Verfügung stehen. Andere Hinweise klären über Hindernisse bei der späteren Vertragsdurchführung auf. Darunter fällt etwa Art. 4 Abs. 1 lit. a PRRL, der Reiseveranstalter dazu verpflichtet, die Kunden vorvertraglich über die für die Reise erforderlichen Pass- und Visumerfordernisse u. ä. zu unterrichten. b)
Art und Weise der Information
Ein Transparenzgebot begleitet die Informationspflichten: Zu informieren hat der Anbieter im Fernabsatz „klar und verständlich auf jedwede der verwendeten Fernkommunikationstechnik angepaßten Weise“,176 der Onlineverkäufer „klar, verständlich und unzweideutig“ 177, Anbieter von Überweisungen „in leicht verständlicher Form“ 178 und der Versicherer „eindeutig und detailliert“.179 Im Fernabsatz muss zudem der kommerzielle Zweck der Information unzweideutig erkennbar sein.180 Der Adressat soll sich bewusst machen, dass die Informationen keine neutralen sind und er diese zu bewerten hat, bevor er auf ihrer Grundlage eine Vertragsentscheidung fällt. Die Vorgaben zur Form differieren. Schriftliche Information verlangen Art. 4 Abs. 1 lit. a PRRL, Art. 36 Abs. 1 i. V. m. Anhang III LVersRL und Art. 3 ÜwRL, der ausdrücklich auch die elektronische Übermittlung zulässt. Für die vorvertraglichen Informationspflichten der Fernabsatzrichtlinie gibt es kein Formgebot. Nach Art. 5 Abs. 1 FARL sind die Mehrzahl der Informationen nach Vertragsschluss schriftlich oder auf einem dauerhaften Datenträger zu bestätigen. Dagegen verlangt Art. 5 Abs. 1
176 177 178 179 180
Art. 4 Abs. 2 FARL, Art. 3 Abs. 2 FinFARL. Art. 10 Abs. 1 EComRL. Art. 3 ÜwRL. Anhang III LVersRL. Art. 4 Abs. 2 und Abs. 3 FARL, Art. 3 Abs. 2 und 3 lit. a FinFARL.
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FinFARL Schriftlichkeit auch für die nach Art. 3 Abs. 1 FinFARL zu übermittelnden vorvertraglichen Informationen. Eine ausdrückliche Sprachenregelung enthält nur die Lebensversicherungsrichtlinie. Die vorvertraglichen Informationen sind dort grundsätzlich in einer Amtssprache des Mitgliedstaates zu erteilen, in dem der Versicherungsnehmer gewöhnlich Aufenthalt bzw. Niederlassung hat (sog. Mitgliedstaat der Verpflichtung).181 Sie können auf dessen Wunsch hin auch in einer anderen Sprache abgefasst werden, wenn dies das Recht des Mitgliedstaats der Verpflichtung zulässt oder Rechtswahlfreiheit besteht.182 Nicht überzeugen kann der Versuch, den Transparenzregeln oder dem Schutzzweck der Informationspflichten Sprachregelungen zu entnehmen.183 Wo es an einer ausdrücklichen Gemeinschaftsvorschrift fehlt, obliegt es den Mitgliedstaaten zu bestimmen, ob es erforderlich ist, eine bestimmte Sprache vorzuschreiben, um den Informationszweck zu sichern. c)
Rechtsdurchsetzung
Das Gemeinschaftsrecht überlässt es im Wesentlichen den Mitgliedstaaten, die vorvertraglichen Informationspflichten zu sanktionieren.184 Einen europarechtlich vorgeschriebenen Sanktionsmechanismus enthält etwa die Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen: Informiert der Anbieter von Finanzdienstleistungen im Fernabsatz seine Kunden nicht ordnungsgemäß, beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen.185 Nach Art. 5 Abs. 1, 4 lit. a i. V. m. Art. 7 Abs. 1, 5 i. V. m. Anhang II UGPRL handelt ein Anbieter unlauter, der nicht die vorvertraglichen Informationsvorschriften erfüllt, wie sie sich aus dem sonstigen Gemeinschaftsrecht ergeben. Auf Grund dieser Verknüpfung tragen auch die Sanktionsinstrumente der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (Art. 11–13 UGPRL) zur Durchsetzung der vorvertraglichen Informationspflichten bei.
5.
Beratungspflicht
Die Grenze von der Informations- zur Beratungspflicht ist überschritten, wenn Anbieter nicht nur Informationen zur Verfügung stellen müssen, auf deren Grundlage die Vertragspartner sich selbst ein Urteil bilden können, welches Produkt am besten ihren Präferenzen entspricht, sondern wenn sie selbst hierüber eine Empfehlung aussprechen müssen.186 Eine Beratungspflicht konkretisiert Art. 19 Abs. 4 FinMRL für den 181 Anhang III Abs. 1 S. 2 LVersRL. 182 Anhang III Abs. 2 LVersRL; Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 4.31, Rn. 31 a. E. (S. 874); anders Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 280 f. 183 Eingehend Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 283–287. 184 Siehe zur Rechtsdurchsetzung bereits oben S. 106 ff. 185 Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 Sps. 2 FinFARL. Die Fernabsatzrichtlinie sanktioniert nur die Nichterfüllung der nach Vertragsschluss eingreifenden Informationspflichten damit, dass die Wiederrufsfrist nicht beginnt, Art. 6 Abs. 1 FARL. 186 Zur Abgrenzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten Hadding, in: FS Schimansky (1999), S. 67–81; Horn, in: Horn/Krämer (Hrsg.), Bankrecht 2002 (2003), S. 73, 77 f.
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Erwerb von Wertpapieren. Allerdings trifft die Regelung eine Wertpapierfirma auch nur dann, wenn sie sich zur Anlageberatung verpflichtet hat. Es handelt sich also nicht um eine obligatorische Verknüpfung von Geschäftsabschluss und Beratung.187 In jedem Fall beraten müssen jedoch Kreditgeber, wenn der Vorschlag der Kommission für eine neue Verbraucherkreditrichtlinie in der vorliegenden Form umgesetzt wird. Nach Art. 6 Abs. 4 V-VerbrKrRL soll es ihnen obliegen, dem Kunden die Kreditform und den Gesamtkreditbetrag anzubieten, „der in Anbetracht der finanziellen Situation des Verbrauchers, der Vor- und Nachteile des vorgeschlagenen Produkts und des Zwecks, dem der Kredit dienen soll, für den Verbraucher am geeignetsten ist.“ 188 Die Norm suggeriert, es gäbe den richtigen Kredit. Nähme man diese Fiktion beim Wort, bliebe dem Kunden keine Freiheit, zwischen verschiedenen Produkten zu wählen. Euphemistisch wäre es, dann noch von „Beratung“ zu sprechen; „Fremdbestimmung“ wäre der angemessene Terminus.189 Daneben sprechen grundsätzliche Erwägungen gegen eine Zwangsberatung durch die Kreditgeber, die einhergehen soll mit der vorvertraglichen Pflicht, die Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers in dessem Interesse zu beurteilen (sog. Pflicht zur „verantwortungsvollen Kreditvergabe“).190 Angesichts der mit einer Zwangsberatung verbundenen erheblichen Kosten durch Personalaufwand und Haftungsrisiken wird die Regelung Kredite verteuern, kaum aber Informationsprobleme effizient lösen. Zudem wird die Vorschrift dazu führen, dass Kreditnehmer erdulden müssen, dass ihre Lebensverhältnisse noch detaillierter ausgeforscht werden und dass sie sich bevormundende Ratschläge von Sachbearbeitern der Banken anhören müssen.191 Kreditgeber sollten deshalb lediglich dazu verpflichtet werden, ein Beratungsangebot vorrätig zu halten und den Kunden auf die Möglichkeit einer Beratung und den ggf. dafür aufzuwendenden Preis hinzuweisen.192 Im Übrigen sollte weniger einschneidenden Informationsmechanismen vertraut werden. Um den Kreditnehmern die Überschuldungsproblematik zu illustrieren, wurde vorgeschlagen, den Kreditgeber zu verpflichten, dem Verbraucher Modellkalkulationen darüber zur Verfügung zu stellen, welche Konsequenzen etwa der Verlust des Arbeitsplatzes auf seine finanzielle Leistungsfähigkeit hätte und wie sich die Gesamtkosten des Kredites entwickelten, käme er mit der Zahlung von Zinsen und Tilgung in Verzug.193 Gerechtfertigt wäre es in diesem Zusammenhang auch, die Informationspflicht drastisch in Form eines Warnhinweises auszugestalten.194
187 Siehe Art. 19 Abs. 5 und 6 FinMRL; näher hierzu unten S. 310 ff. 188 Die ursprüngliche Fassung des Vorschlags enthielt eine entsprechende Regelung in Art. 6 Abs. 3, hierzu Franck, ZBB 2003, 334, 341. 189 Riesenhuber, ZBB 2003, 325, 328 f. 190 Art. 6 Abs. 1 V-VerbrKrRL, im ursprünglichen Verordnungsvorschlag Art. 9, krit. hierzu Franck, ZBB 2003, 334, 342; Riesenhuber, ZBB 2003, 325, 330–333. Zum Änderungsvorschlag des Europäischen Parlaments Hoffmann, BKR 2004, 308, 312. 191 Rohe, BKR 2003, 267, 271. 192 Riesenhuber, ZBB 2003, 325, 329 f. 193 Grundmann, 39 CMLR (2002), 269, 287 f. 194 Ogus, Regulation (1996), S. 142.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
Bei der Ausgestaltung solcher Pflichten ist freilich darauf zu achten, dass sie die Anforderungen an den Kreditgeber nicht überspannen und unkompliziert durch diesen erfüllt werden können. Keinesfalls darf in Aufklärungs- und Warnpflichten eine Konstruktion gesehen werden, um die Kreditgeber dafür verantwortlich machen zu können, dass Verbraucher ein Darlehen nicht zurückzahlen können.195 Kreditnehmer sollen über die Risiken einer Darlehensaufnahme informiert werden; tragen müssen sie die Risiken aber selbst.
II.
Widerrufsrecht
Mit der Haustürwiderrufsrichtlinie, der Fernabsatzrichtlinie und der Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen bedienen sich alle europäischen Rechtsakte, die auf eine Absatztechnik zugeschnitten sind, des Widerrufsrechts als Regulierungsinstrument.
1.
Das Widerrufsrecht als Instrument zur Regelung besonderer Absatztechniken
Die Notwendigkeit regelnder Eingriffe in das Absatzverhältnis lässt sich primär mit strukturellen Informationsdefiziten begründen. Daneben können Wohlfahrtsgewinne auch erreicht werden, wenn verhindert wird, dass Individuen Vertragsentscheidungen wider ihre eigenen Präferenzen treffen bzw. indem ihnen die Option gewährt wird, eben solche Entscheidungen zu korrigieren. Bei Haustürgeschäften und Vertragsschlüssen im Fernabsatz treten begünstigt durch die Absatztechnik verstärkt Informationsasymmetrien zu Lasten der Verbraucher auf. Zudem begünstigen diese Absatztechniken die Tendenz zu systematisch irrationalem Verhalten auf Seiten der Abnehmer. a)
Ausgleich von Informationsdefiziten
Bei Haustürgeschäften i. S. d. Art. 1 Abs. 1 HWiRL, also Verträgen, die der Verbraucher in seiner Privatwohnung, an seinem Arbeitsplatz oder während eines vom Gewerbetreibenden organisierten Ausflugs schließt, geht die Initiative zum Vertragsschluss in der Regel vom Gewerbetreibenden aus; 196 die Offerte trifft den Verbraucher unvorbereitet. Dieses Überraschungs- oder sogar Überrumpelungsmoment führt dazu, dass der Verbraucher nicht über konkurrierende Angebote informiert ist. Hierin liegt ein Defizit, das sich in der spezifischen Absatzsituation nicht beheben lässt 197 und fester Bestandteil der Absatzstrategie des Unternehmers 195 Vgl. Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß (1989), S. 14–19. 196 Staudenmayer, 27 JCP (2004), 269, 271 f. 197 Vgl. BE 4 HWiRL; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 312 f.
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ist. Die situative Informationsasymmetrie rechtfertigt es deshalb, dem Verbraucher ein Widerrufsrecht einzuräumen.198 Auch bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz liegen die Informationsnachteile der Abnehmer auf der Hand. Beim Absatz etwa über Kataloge oder das Internet können Güter, die im Ladengeschäft erworben als Suchgüter zu qualifizieren wären, über deren Qualität sich die Abnehmer also mit nur geringem Aufwand durch bloßes Betrachten oder einfaches Ausprobieren informieren können, die Eigenschaften von Erfahrungsgütern annehmen, deren Qualität sich erst nach Vertragsschluss erschließt, nämlich nachdem der Abnehmer das Produkt zugesandt bekommen hat.199 Da kann sich der im Internet als herrlich gewachsene Tanne abgebildete Weihnachtsbaum bei Anlieferung am Heiligen Abend als ziemlich mickriges Gewächs entpuppen oder der im Katalog als „geräuscharm“ beworbene Video-Beamer verdirbt auf Grund des Lüftungslärmpegels den abendlichen Filmgenuss. Die Beispiele belegen auch, wie begrenzt trotz aller medialen Möglichkeiten die Wirkungen vorvertraglicher Information im Fernabsatz sein können. Denn ein Online-Händler von Weihnachtsbäumen wird kaum jedes einzelne Exemplar per Bild ins Internet einstellen können und der Verkäufer des Beamers kann zwar im Katalog vermerken, dass der Geräuschpegel „29 dB“ beträgt. Doch ein Kunde wird erstens allein anhand dieser technischen Angabe schwerlich einschätzen können, ob ihm diese Lärmbelästigung erträglich erscheint, noch kann er sich zweitens sicher auf diese schwer nachprüfbare Aussage des Verkäufers verlassen. Eine optische Begutachtung des Baumes oder ein Testlauf des Beamers im Ladengeschäft hätte dagegen in beiden Situationen vor dem Kauf leicht zur Gewissheit über die gewünschten Eigenschaften geführt. Die mit Haustür- und Fernabsatzgeschäften verbundenen Informationsdefizite werden durch den offensiven Charakter dieser Verkaufsmethoden verstärkt. Der Absatz an der Haustür ist an sich eine aggressive Vertriebsstrategie. Der Unternehmer gibt die Rahmenbedingungen für die Verhandlungssituation vor; er kann so den Informationsverarbeitungs- und Entscheidungsspielraum des Verbrauchers erheblich vermindern.200 Aggressive Verkaufsmethoden sind aber auch im Zusammenhang mit Fernvertriebstechniken anzutreffen. So wird etwa beim Teleshopping den Kunden häufig suggeriert, dass ein Zuwarten „riskant“ sein könne, da das Angebot „stark limitiert“ sei, der Vergleich mit konkurrierenden Angeboten des konventionellen Vertriebs nicht lohne, da das Produkt sowieso nur über diesen einen Vertriebskanal erhältlich sei bzw. da es sich um ein „völlig neuartiges Produkt“ handele. Üblich ist im Teleshopping auch, dass den Verbrauchern ein besonders günstiges Angebot gemacht wird, wenn sie sich innerhalb der „nächsten 10 Minuten“ etc. zum Kauf entschließen sollten. Beim Telefonmarketing durch psychologisch geschultes Personal kann eine Überrumpelungssituation herbeigeführt werden, die vergleichbar ist mit dem Besuch des Vertreters an der Haustür. Deutlich 198 199 200
Basedow, AcP 200 (2000), 445, 487. Vgl. BE 14 FARL; Rekaiti/Van den Bergh, 23 JCP (2000), 371, 380. Mankoswki, Beseitigungsrechte (2003), S. 225.
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wird, dass aggressive Verkaufsmethoden gerade auch im Fernabsatz den Verbraucher von einer überlegten, informierten Entscheidung nach einem Angebotsvergleich abhalten können.201 Ein Widerrufsrecht gibt dem Abnehmer die Möglichkeit, den Vertragsschluss frei von aktueller Beeinflussung durch den Anbieter zu überdenken. Freilich ist einzuräumen, dass der Aspekt der aggressiven Verkaufsmethoden nicht für alle Spielarten des Fernvertriebs zutrifft, etwa nicht für Katalogangebote. Davon ausgehend liegt es nahe, solche Praktiken punktgenauer etwa durch lauterkeitsrechtliche Normen zu unterbinden. Allerdings kommen rechtliche Regelungen nicht ohne Typisierung aus, mit der immer auch ein gewisses Schutzübermaß einhergeht.202 Angesichts der Informationsasymmetrien, die bei Haustürgeschäften und im Fernabsatz drohen, erscheint ein Widerrufsrecht grundsätzlich als ein geeignetes Regelungsinstrument. Güter, die bei herkömmlichen Vertragsanbahnungsmodalitäten die Eigenschaften eines Suchgutes aufweisen und diese Qualität durch andere Vertriebtechniken verlieren, können diese mit der Einräumung eines Widerrufsrechts wiedergewinnen 203 und der Käufer eines Produktes, das angeblich lediglich im Teleshopping erhältlich ist, kann den Kauf rückgängig machen, wenn er feststellt, dass ein gleichartiges Produkt zu wesentlich günstigeren Konditionen bei einem konventionellen Händler verfügbar ist. b)
Schutz vor irrationalem Verhalten
Die kognitive Psychologie hat Phänomene herausgearbeitet, die zeigen, dass Individuen teilweise systematisch wider ihre Präferenzen handeln. Für diese Konstellationen lässt sich theoretisch schlüssig begründen, dass ein regelndes Eingreifen effizienzsteigernd wirken kann. Bei Haustürgeschäften und auch im Fernabsatz treten verstärkt nachteilige Effekte durch irrationales Verhalten auf. Besonders geschickte bzw. geschulte Haustürvertreter 204 können psychologischen Druck auf die Kunden ausüben, so dass deren Fähigkeit zur rationalen Wahrnehmung und Entscheidung besonders eingeschränkt wird. Gerade die Situation im persönlichen Umfeld des Verbrauchers kann zu einem erhöhten Abschlusszwang führen, da sich der Kunde dem Verkaufsgespräch nicht einfach entziehen kann, indem er sich entfernt.205 Dadurch vergrößert sich die Gefahr einer unüberlegten und unvorteilhaften Entscheidung für einen Vertragsschluss. Ein Widerrufsrecht gibt dem Betroffenen hier die Möglichkeit, seine Entscheidung frei vom suggestiven Einfluss eines Vertreters nochmals zu überdenken und u. U. rückgängig zu machen.206
201 Siehe BE 5 FARL; Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 327. 202 Vgl. Mankoswki, Beseitigungsrechte (2003), S. 267 f.; 1136 f. 203 Grundmann, JZ 2000, 1133, 1140; ders., 39 CMLR (2002), 269, 285 f. 204 Rekaiti/Van den Bergh, 23 JCP (2000), 371, 377. 205 Franzen, Privatrechtsangleichung (1999), S. 384; Mankoswki, Beseitigungsrechte (2003), S. 202. 206 Sunstein/Thaler, 70 U. Chi. L. Rev. (2003), 1159, 1187 f. Krit. zur Rechtfertigung eines Widerrufsrechts als Möglichkeit zur Korrektur irrationaler Entscheidungen Van den Bergh, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Effiziente Verhaltenssteuerung (1997), S. 77, 86 f.
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Auch im Fernabsatz kann ein Abnehmer leichter zum Vertragsschluss verlockt werden und trifft deshalb typischerweise weniger rationale Vertragsentscheidungen als bei einem gezielten Vertragsschluss im Ladengeschäft.207 Dass diese Erwägung auch maßgeblich dafür war, ein Widerrufsrecht in die Fernabsatzrichtlinie einzuführen, wird daran deutlich, dass dieses Schutzinstrument auch bei Distanzverträgen über Dienstleistungen gewährt wird, bei denen jedenfalls auf Grund der Vertriebstechnik keine spezifischen Informationsnachteile zu erwarten sind. Denn für die Information bzw. für einen Produktvergleich macht es an sich keinen Unterschied, ob eine Pauschalreise oder ein Verbraucherkredit von zu Hause aus im Katalog, im Internet etc. oder aber im Reisebüro bzw. einer Bankfiliale geprüft wird. In der ersten Konstellation ist der Kunde ohne den unmittelbaren Einfluss eines Verkäufers vielleicht sogar noch eher zu einem unabhängigen Vergleich konkurrierender Produkte fähig.208 Allenfalls lässt sich noch argumentieren, dass es bei körperlicher Abwesenheit der Parteien dem Kunden schwerer fällt als beim Vertragsschluss „von Angesicht zu Angesicht“ einzuschätzen, ob sein Vertragspartner seriös ist.209 Freilich mag man bezweifeln, inwieweit der persönliche Kontakt tatsächlich ein aussagekräftiges Urteil über die Seriosität eines Geschäftspartners gewährleistet. Weniger schlüssig begründbar ist deshalb das Widerrufsrecht für den Vertrieb von Dienstleistungen im Fernabsatz, soweit anders als etwa beim Telefonmarketing kein aggressives Verkäuferverhalten zu befürchten ist. Das Bedürfnis für ein Widerrufsrecht lässt sich hier mit einer höheren Gefahr der Verlockung zum Vertragsschluss durch die Vertriebstechnik des Fernabsatzes begründen bzw. durch die besondere psychologische Situation beim Vertragsschluss in der eigenen Wohnung und somit in einer vertrauten Umgebung, wo man Vertragsangeboten gegenüber weniger wachsam ist.210 Letzteres gilt auch für das in der Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen vorgesehene Widerrufsrecht. Im Anwendungsbereich der Richtlinie lässt sich das Widerrufsrecht kaum durch spezifische Informationsprobleme rechtfertigen, sondern nur, wenn man annimmt, dass im Fernabsatz im besonderen Maße aggressive Verkaufstechniken anzutreffen sind (beispielsweise im Telefonmarketing) und die Verbraucher generell eher zum Vertragsschluss verlockt werden. Bezweifelt wird für den Bereich des Fernabsatzes von Finanzdienstleistungen deshalb, ob das Widerrufsrecht ein effizientes Regulierungsinstrument darstellt oder ob nicht die negativen Auswirkungen, insbesondere die auf die Verbraucher umgelegten Kosten, gegenüber den marktunterstützenden Wirkungen überwiegen.211 Ein Widerrufsrecht ist nicht nur als Instrument zu begreifen, dass dem Abnehmer nachträglich eine informierte Vertragsentscheidung ermöglicht, sondern auch als
207 Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 327; Heinrichs, in: FS Medicus (1999), S. 188 f. 208 Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 328; Roth H., JZ 2000, 1013, 1013 f. 209 Dilger, Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Internet (2002), S. 89; Mankoswki, Beseitigungsrechte (2003), S. 236. 210 Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 328. 211 Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 328 f.
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eine Chance, irrationale Entscheidungen zu korrigieren,212 die verstärkt durch aggressive Vertriebstechniken und besondere Verlockungen bei Haustürgeschäften oder im Fernabsatz auftreten können. Grundsätzlich lässt sich für Haustürgeschäfte und Vertragsschlüsse im Fernabsatz deshalb überzeugend darlegen, dass es sinnvoll ist, den Abnehmern ein Widerrufsrecht einzuräumen.213 Das regulierende Eingreifen in den Markt durch Widerrufsrechte wirkt allerdings nur dann wohlfahrtssteigernd, wenn die Vorteile durch die Kompensation von Informationsproblemen und irrationalem Verbraucherverhalten überwiegen gegenüber den Nachteilen durch opportunistisches Verhalten der Abnehmer und anderen Kosten, die durch die cooling-off period verursacht werden. Dies hängt davon ab, wie das Recht zum Widerruf ausgestaltet wird, worauf sogleich einzugehen ist.
2.
Der zwingende Charakter des Widerrufsrechts
Die Widerrufsrechte im europäischen Absatzrecht sind als zwingende Schutzinstrumente ausgestaltet.214 Dadurch sind Wohlstandsverluste unvermeidlich. Einem Verbraucher, der beispielsweise nach umfänglichen Preisvergleichen und genauer Prüfung seiner Präferenzen zu dem Schluss gelangt ist, ein bestimmtes Notebook im Internet zu bestellen, steht es nicht frei, einen Preisnachlass dafür auszuhandeln, dass er auf sein Widerrufsrecht verzichtet. Hierin wird ein paternalistisches Element der Widerrufsrechte für Haustürgeschäfte und im Fernabsatz erkennbar.215 Deutlich wird anhand dieser Überlegung auch, dass ein Widerrufsrecht kein Instrument ist, das generell zur Marktregulierung für Verbraucherverträge eingesetzt werden sollte. Vielmehr muss es auf Konstellationen beschränkt bleiben, bei denen entweder eine spezifische Gefahr irrationalen Verhaltens besteht, auf Grund derer typischerweise auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass ein Verbraucher rational einschätzen kann, ob er des Widerrufsrechts zu seinem eigenen Schutz bedarf, oder dass in besonderem Maße Informationsdefizite auf Abnehmerseite vorliegen, die nicht durch andere Schutzinstrumente hinreichend ausgeglichen werden. Wie dargetan, lässt sich aber genau dies für Haustürgeschäfte und Vertragsschlüsse im Fernabsatz zeigen. Deshalb überzeugt der zwingende Charakter der Widerrufsrechte für diese Vertriebstechniken als marktunterstützender Eingriff in die Privatautonomie.216
212 Brors, DB 2002, 2046, 2047. 213 A. A. für den Fernabsatz Schäfer, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung (2000), S. 559, 567, wonach es besser gewesen wäre, die Gewährung der Widerrufsmöglichkeit dem Markt zu überlassen. Dagegen ausf. Mankoswki, Beseitigungsrechte (2003), S. 269–272. 214 Siehe Art. 6 HWiRL, Art. 12 Abs. 1 FARL, Art. 12 Abs. 1 FinFARL. 215 Mankoswki, Beseitigungsrechte (2003), S. 273, spricht Widerrufsrechten an sich den paternalistischen Charakter ab, da sie dem zu schützenden Verbraucher nicht in seiner Option beschränken, sich rechtsgeschäftlich zu binden und ihn deshalb nicht in seiner endgültigen Entscheidung bevormunden. 216 Basedow, AcP 200 (2000), 445, 487.
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3.
Ausnahmen vom Anwendungsbereich
Bei Haustürgeschäften und im Fernabsatz sind Konstellationen erkennbar, bei denen die Wohlfahrtsverluste durch ein Widerrufsrecht gegenüber den möglichen Wohlfahrtsgewinnen überwiegen. Damit verknüpft ist die Gefahr, dass sich Anbieter gänzlich aus diesem Marktsegment zurückziehen und deshalb einige Produkte nicht mehr über diese Vertriebskanäle erhältlich wären. Um solche einschränkenden Auswirkungen auf die Konsumentensouveränität zu verhindern, sind Ausnahmen vom Widerrufsrecht angezeigt. Der europäische Gesetzgeber hat eine Reihe von Konstellationen identifiziert, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Marktunvollkommenheiten, die zu kompensieren sind, gering sind, dass die Transaktionskosten durch ein Widerrufsrecht sehr hoch wären oder eine große Gefahr opportunistischen Verhaltens des Widerrufsberechtigten bestünde. Unverhältnismäßig hohe Kosten durch ein Widerrufsrecht können zum einen für Vertragsabschlüsse über geringwertige Produkte entstehen. Aus diesem Grunde gewährt Art. 3 Abs. 1 HWiRL den Mitgliedstaaten die Option, eine Bagatellklausel einzuführen. Die mitgliedstaatlichen Vorschriften können vorsehen, dass die Regeln der Haustürwiderrufsrichtlinie und damit das Widerrufsrecht nur Anwendung finden, wenn der vom Verbraucher zu zahlende Gegenwert eine bestimmte Summe, höchstens jedoch 60 Euro, nicht übersteigt. Die Mitgliedstaaten haben in unterschiedlicher Weise von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Das deutsche Recht legt in § 312 Abs. 3 Nr. 2 BGB eine Bagatellschwelle von 40 Euro fest, die jedoch nur anzuwenden ist, wenn die Leistung bei Abschluss der Verhandlungen sofort erbracht und bezahlt wird. Eine einheitliche Mindestsumme i. H. v. 35 britischen bzw. 40 irischen Pfund sehen das Vereinigte Königreich und Irland vor,217 während in Österreich die Bagatellklausel nur eingreift, wenn das Geschäft üblicherweise außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen wird.218 Eine unbillige Härte für den Lieferanten bedeutete ein Widerrufsrecht auch dann, wenn die Ware nach einem Widerruf praktisch unverkäuflich wäre. Diese Einsicht liegt Art. 6 Abs. 3 Sps. 3 FARL zugrunde, wonach kein Widerrufsrecht für Verträge über Waren besteht, die „nach Kundenspezifikation“ angefertigt werden oder die „auf die persönlichen Bedürfnisse“ des Abnehmers zugeschnitten sind. Andererseits erfasst die Ausnahmeregelung auch Verträge über Waren, „die auf Grund ihrer Beschaffenheit nicht für eine Rücksendung geeignet sind“, „die schnell verderben können“ oder „deren Verfallsdatum überschritten wurde“. Ein Widerrufsrecht eröffnet Verbrauchern Raum für opportunistische Verhaltensweisen. In einigen Konstellationen können die Risiken des ex-post-Opportunismus so signifikant sein, dass Ausnahmen vom Widerrufsrecht gerechtfertig sind. Diese Ratio liegt etwa Art. 6 Abs. 2 lit. a FinFARL zugrunde, der Verträge über verschie-
217 Rott, Die Umsetzung der Haustürwiderrufsrichtlinie in den Mitgliedstaaten (2000), S. 66 und 72. 218 Rott, Die Umsetzung der Haustürwiderrufsrichtlinie in den Mitgliedstaaten (2000), S. 96.
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dene Finanzdienstleistungen vom Widerrufsrecht ausschließt, deren Preis auf dem Finanzmarkt während der Widerrufsfrist schwankt, ohne dass der Anbieter Einfluss darauf hätte. Dies betrifft Dienstleistungen im Zusammenhang mit Devisen, Geldmarktinstrumenten, handelbaren Wertpapieren etc. Dem Verbraucher soll damit die Möglichkeit genommen werden, risikolos zu spekulieren.219 Eine parallele Regelung enthält Art. 6 Abs. 3 Sps. 2 FARL, wobei deren praktische Bedeutung zweifelhaft ist, da Art. 3 Abs. 1 Sps. 1 FARL Finanzdienstleistungen generell aus dem Anwendungsbereich der Fernabsatzrichtlinie ausklammert.220 Einen vergleichbaren Hintergrund hat auch der Ausschluss des Widerrufsrechts bei Verträgen über Wettund Lotteriedienstleistungen nach Art. 6 Abs. 3 Sps. 6 FARL. Die Regelung will verhindern, dass ein glückloser Verbraucher seinen Einsatz zurückverlangen kann.221 Daneben greift diese Ausnahmeregelung aber auch für Dauerwett- und Lotterieverträge ein. Opportunistisches Verbraucherverhalten soll auch Art. 6 Abs. 2 lit. b FinFARL verhindern, der das Widerrufsrecht für Reise- und Gepäckversicherungspolicen ausschließt, sowie für „ähnliche kurzfristige Versicherungspolicen mit einer Laufzeit von weniger als einem Monat“. Gerade bei Versicherungen, die anlässlich einer Reise abgeschlossen werden, könnte anderenfalls der Verbraucher, soweit er keine Ansprüche gegen den Versicherer geltend machen will, nach der Reise den Vertragsschluss widerrufen und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem er die Leistung des Versicherers bereits vollständig in Anspruch genommen hat. Die Ausnahmeregelung ist insbesondere auch deshalb gerechtfertigt, weil die erfassten Versicherungsverträge nur überschaubare Lasten und Risiken mit sich bringen und deshalb das Schutzbedürfnis der Verbraucher eingeschränkt ist.222 Die Gefahr, dass ein Widerrufsrecht missbräuchlich genutzt wird, zeigt sich auch bei Verträgen über kopierbare Medien. Hier besteht das Risiko, dass der Verbraucher die gelieferten Produkte kopiert, den Vertrag widerruft und dann die Kopie unter Verletzung gewerblicher Schutzrechte weiter benutzt. Deshalb steht Verbrauchern nach Art. 6 Abs. 3 Sps. 4 FARL bei Verträgen zur Lieferung von Audio- oder Videoaufzeichnungen oder Software, die vom Verbraucher entsiegelt worden sind, kein Widerrufsrecht zu. Der Wortlaut des Tatbestands scheint vorauszusetzen, dass die Waren bei Verkauf versiegelt waren, ist aber in diesem Punkt nicht eindeutig. Möglich ist auch, ihn so auszulegen, dass für ursprünglich versiegelte Waren die Entsiegelung eine zusätzliche Voraussetzung dafür ist, dass die Ausnahmeregelung eingreift. Diese Interpretation ist vorzuziehen, da sie die Anbieter auch vor opportunistischen Verhalten schützt, wenn die Ware nicht versiegelt werden kann.223 Dies trifft etwa für Verträge über Software zu, die im Downloadverfahren erworben wird.
219 Riesenhuber, WM 1999, 1441, 1442. 220 Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 94. 221 Allerdings wird diese Konstellation bereits von Art. 6 Abs. 3 Sps. 1 FARL erfasst. 222 Riesenhuber, WM 1999, 1441, 1442. 223 A. A. Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 96 unter Hinweis darauf, dass Ausnahmetatbestände generell restriktiv auszulegen seien.
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Ausnahmen vom Widerrufsrecht sind jedoch nicht nur dann angezeigt, wenn besondere Nachteile drohen, sondern auch in Fällen, in denen typischerweise ein geringeres Bedürfnis zum regulierenden Eingreifen besteht und deshalb durch ein Widerrufsrecht auf Grund der damit verbundenen Kosten eher Wohlfahrtsnachteile zu erwarten wären. Schließen die Parteien einen Vertrag bei einem Vertreterbesuch, der auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers erfolgte, fehlt es an dem ansonsten typischen Überraschungsmoment bei Haustürgeschäften. Der Verbraucher kann sich auf die Vertragsverhandlungen einstellen, indem er sich im Vorhinein über konkurrierende Angebote informiert und sich so einen Überblick über die Marktsituation verschaffen. Vor diesem Hintergrund findet die Haustürwiderrufsrichtlinie keine Anwendung, wenn der Vertreter bestellt wurde.224 Diese Ausnahmeregelung gilt trotz ihrer systematischen Stellung am Ende des zweiten Spiegelstrichs der Vorschrift für beide Besuchsmodalitäten, d. h. auch bei Besuchen in der Wohnung des Verbrauchers.225 Wird die Bestellung indes vom Vertreter provoziert, bleibt die für einen Haustürbesuch typische psychologisch nachteilige Situation des Verbrauchers – wenn auch abgeschwächt – bestehen,226 so dass in diesem Falle das Widerrufsrecht trotzdem anzuwenden ist.227 Folgerichtig ist auch die Rückausnahme gemäß Art. 1 Abs. 2 HWiRL für den Fall, dass ein Vertrag über Leistungsgegenstände geschlossen wird, wegen denen der Verbraucher den Vertreter gar nicht bestellt hatte und der Verbraucher auch nicht wusste oder wissen konnte, dass diese sich im Leistungsrepertoire des Anbieters befinden. Denn in dieser Konstellation wird der Verbraucher wieder unvorbereitet angetroffen. Davon ausgehend lässt sich ebenso schlüssig die Option für die Mitgliedstaaten zu einer Rück-Rückausnahme in Art. 3 Abs. 3 HWiRL herleiten, nach der das Widerrufsrecht wiederum entbehrlich ist, soweit die Waren oder Dienstleistungen, die im Falle des Art. 1 Abs. 2 HWiRL Vertragsgegenstand geworden sind, „unmittelbar mit der Ware oder Dienstleistung in Verbindung stehen, für die der Verbraucher den Gewerbetreibenden um einen Besuch gebeten hat.“ Das Schutzbedürfnis zu Gunsten des Verbrauchers ist auch dann eingeschränkt, wenn ein Intermediär diesen berät und damit ein Mindestmaß an Information und Schutz vor irrationalem Handeln gewährleistet. Diese Ratio liegt der Öffnungsklausel in Art. 6 Abs. 3 lit. c FinFARL zugrunde, nach der das Widerrufsrecht für Erklärungen ausgeschlossen werden kann, die unter Mitwirkung eines Amtsträgers abgegeben werden, wenn dieser bestätigt, dass die Informationsrechte des Art. 5 Abs. 1 FinFARL gewahrt wurden. Die Ausnahme ist damit im Wesentlichen auf Notariatsverträge zugeschnitten und überzeugt sachlich aber allenfalls dann, wenn man sich das Leitbild des zu einer Beratung verpflichteten deutschen Notars vor Augen führt.228 Da eine solche Beratungspflicht jedoch nicht in allen europäischen
224 Art. 1 Abs. 1 Sps. 2 a. E. HWiRL 225 Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 2 (1999), Rn. 26. 226 Eingehend Mankoswki, Beseitigungsrechte (2003), S. 232–234. 227 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 2.01, Rn. 11 (S. 213). 228 Eingehend zur Frage, inwieweit die Einschaltung eines Notars die Schutzfunktion eines Widerrufsrechts entbehrlich macht Mankowski, Beseitigungsrechte (2003), S. 1141–1145.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
Rechtsordnungen existiert, ist die Ausnahme zu Recht lediglich als Option für die Mitgliedstaaten ausgestaltet. Die Nachteile für den Abnehmer im Fernabsatz und bei Haustürgeschäften werden teils auch durch Marktmechanismen hinreichend kompensiert. So nehmen Art. 3 Abs. 2 Sps. 1 FARL und Art. 3 Abs. 2 lit. b HWiRL Verträge über die Lieferung von Lebensmitteln, Getränken oder sonstigen Haushaltsgegenständen des täglichen Bedarfs vom Widerrufsrecht aus, wenn diese „im Rahmen häufiger und regelmäßiger Fahrten“ bzw. „von ambulanten Einzelhändlern in kurzen Zeitabständen und regelmäßig“ geliefert werden. Diese Ausnahmen können nicht alleine mit der Geringwertigkeit oder der Verderblichkeit der vertriebenen Waren begründet werden, da diese Aspekte bereits in Art. 3 Abs. 1 HWiRL und Art. 6 Abs. 3 Sps. 3 FARL gesondert erfasst werden. Vielmehr vertraut die Regelung dem Reputationsmechanismus.229 Dessen praktische Wirksamkeit Informationsnachteile zu überwinden hängt maßgeblich davon ab, dass sich gleichartige Transaktionen wiederholen, dass der Abnehmer vor einer wiederholten Transaktion die Qualität des Produktes verifizieren kann und dass der Anbieter versucht, längerfristig eine gute Reputation aufzubauen. Diese Kriterien sind in den von Art. 3 Abs. 2 Sps. 1 FARL und Art. 3 Abs. 2 lit. b HWiRL erfassten Konstellationen erfüllt, denn die Qualität von Lebensmitteln, Getränken und einfachen Haushaltsgegenständen zeigt sich typischerweise sehr schnell und fliegende Händler, die ihr Geschäft regelmäßig an bestimmten Orten betreiben, sind auf Wiederholungskäufer angewiesen und damit auch darauf, eine gute Reputation aufzubauen. Neben einer ganzen Reihe gut begründbarer Ausnahmen vom Widerrufsrecht nehmen die vertriebsartbezogenen Richtlinien indes auch in wenig überzeugenden Fällen Verträge vom Widerrufsrecht aus. So schließen Art. 3 Abs. 2 HWiRL und Art. 3 Abs. 1 Sps. 4 FARL immobilienbezogene Verträge vom Anwendungsbereich der Richtlinie aus; Art. 6 Abs. 3 lit. a FinFARL gewährt den Mitgliedstaaten die Option, Immobiliarkredite vom Widerrufsrecht auszunehmen. Diesen Ausnahmeregelungen liegt offenbar die Ratio zu Grunde, dass bei Immobiliarverträgen typischerweise andere rechtliche Mechanismen im mitgliedstaatlichen Recht den sonst mit dem Widerrufsrecht intendierten Schutz vor übereilten Entscheidungen gewährleisten, so etwa im deutschen Recht die Pflicht zur notariellen Beurkundung bei Verpflichtungsgeschäften zum Erwerb von Grundstücken nach § 311b Abs. 1 BGB. Dass diese Lösungen keinen gleichwertigen Abnehmerschutz bieten, wurde in den sog. „Schrottimmobilienfällen“ deutlich.230 Von der Marktregelungsfunktion der Haustürwiderrufsrichtlinie her gedacht gibt es auch keine schlüssige Begründung dafür, Versicherungsverträge und Verträge über Wertpapiere nach Art. 3 Abs. 2 lit. d und lit. e HWiRL vom Anwendungsbereich auszunehmen. Lediglich für Lebensversicherungen gibt es mit dem vertragsgegenstandsbezogenen Rücktrittsrecht nach Art. 35 LVersRL hierfür ein Äquivalent auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene.231 229 230 231
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Rekaiti/Van den Bergh, 23 JCP (2000), 371, 395. Hierzu Schwintowski, VuR 2004, 440, 441. Zum Rücktrittsrecht nach Art. 35 LVersRL Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 331.
§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
4.
Zur Ausgestaltung des Widerrufsrechts
a)
Tatbestandslosigkeit
Den Widerrufsrechten ist gemein, dass sie ausgeübt werden können, ohne dass positive Voraussetzungen dafür vorliegen müssen. Man spricht davon, dass sie „tatbestandsfrei“ seien.232 Ein Verbraucher, der ein Haustürgeschäft oder einen Vertrag im Fernabsatz geschlossen hat, kann sich dieses Gestaltungsrechts bedienen, ohne dass es auf ein aktuelles Defizit in seiner Willensbildung ankäme oder darauf, dass sich die Gegenseite in irgendeiner Form vorwerfbar verhalten hätte. An dieser Eigenart des Widerrufsrechts etwa im Unterschied zu einem Anfechtungsrecht wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung wird dessen Charakter als allgemeines Marktregulierungsinstrument deutlich. b)
Belehrung über das Widerrufsrecht
Der Anbieter muss bei allen Haustür- und Fernabsatzgeschäften seinen Vertragspartner über dessen Widerrufsrecht informieren.233 Eine solche Aufklärungspflicht über ein Recht der Gegenseite ist atypisch für eine Vertragsrechtsordnung, die auf den Prinzipien von Privatautonomie und Selbstverantwortung aufbaut. Sie lässt sich freilich damit rechtfertigen, dass ein Widerrufsrecht eine Ausnahmeregel im Vertragsrecht darstellt und deshalb der Begünstigte hierüber aufgeklärt werden muss, damit er es effektiv wahrnehmen kann. Eine mangelhafte Belehrung wird damit sanktioniert, dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt. Nach der Haustürgeschäfterichtlinie 234 und der Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen 235 kann dies zu einem zeitlich unbegrenzten Widerrufsrecht führen.236 Einschränkungen können sich im Einzelfall aus dem Rechtsinstitut der Verwirkung ergeben, das als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben ein anerkanntes Prinzip des europäischen Vertragsrechts ist.237 Nicht zuzustimmen ist daher der Auffassung, wonach es gemeinschaftsrechtskonform wäre, das Widerrufsrecht auf fünf Jahre zu beschränken.238 Der Anbieter kann jedoch den Verbraucher auch nach Vertragsschluss noch über das Recht zum Widerruf belehren. Dies folgt für die Finanzfern-
232 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag (1997), S. 167; Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 332; krit. zu dieser Begriffsbildung Mankowski, Beseitigungsrechte (2003), S. 1136, der hierin eine bewusste Verwischung des Unterschieds zwischen Tatbestandsmerkmalen und zugrundeliegender Ratio sieht. 233 Art. 4 HWiRL, Art. 4 Abs. 1 lit. f, Art. 5 Abs. 1 UAbs. 2 Sps. 1 FARL, Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a, Abs. 3 lit. b Sps. 5 FinFARL. 234 Art. 5 Abs. 1 S. 1 HWiRL. 235 Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 Sps. 2 FinFARL. 236 So für die Haustürwiderrufsrichtlinie EuGH, Urt. v. 13. 12. 2001 – Rs. C-481/99, Heininger, Slg. 2001, I-9945, 9982, Rn. 41–48; zust. Fischer, DB 2002, 727, 729; Hoffmann, ZIP 2002, 145, 148 f.; Kulke, ZBB 2002, 33, 44; Reich/Rörig, EuZW 2002, 87; abl. Felke, MDR 2002, 226; Habersack/Mayer, WM 2002, 253, 255; Staudinger, NJW 2002, 654; Piekenbrock/Schulze, WM 2002, 521, 522. 237 Zum Grundsatz von Treu und Glauben im europäischen Privatrecht Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 398–412. 238 So aber Habersack/Mayer, WM 2002, 253, 259.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
absatzrichtlinie unmittelbar aus dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 Sps. 2 FinFARL. Gegen die Möglichkeit der Nachbelehrung bei Haustürgeschäften wird vorgebracht, dass die Haustürwiderrufsrichtlinie nicht ausdrücklich diese Option vorsehe.239 Dem ist mit Recht entgegengehalten worden, dass Art. 4 Abs. 3 HWiRL eine effektive Durchsetzung der Belehrungspflicht verlangt und eine nachträgliche Belehrung eine geeignete Maßnahme darstellt, um die Interessen der Verbraucher in diesem Sinne zu wahren.240 Belehrt der Anbieter den Verbraucher nicht ordnungsgemäß, sanktioniert dies die Fernabsatzrichtlinie mit einer Verlängerung der Widerrufsfrist auf drei Monate.241 Art. 6 Abs. 1 UAbs. 4 FARL stellt klar, dass im Falle der nachträglichen vollständigen Übermittlung der Informationen die Regelfrist von mindestens sieben Werktagen beginnt. Daraus folgt, dass die Widerrufsfrist bei unterbliebener Information durch den Lieferer drei Monate und 7 Werktage beträgt, da der nichtinformierte Verbraucher nicht schlechter gestellt sein darf als der Verbraucher, der am letzten Tag der Dreimonatsfrist belehrt wird.242 Die Widerrufsfrist auf unbestimmte Zeit zu verlängern, wenn der Verbraucher nicht ordnungsgemäß belehrt wurde, wird als zu starker, insbesondere aber auch zu teurer Sanktionsmechanismus kritisiert.243 Richtig an dieser Kritik ist, dass bei sehr langen Widerrufsfristen das Problem des ex-post-Opportunismus in seiner ganzen Schärfe zum Tragen kommt. Wie etwa die Konstellation in der Rechtssache Heininger 244 gezeigt hat, geht es Verbrauchern, die nicht über ein ihnen zustehendes Widerrufsrecht belehrt worden sind und die dieses deshalb noch nach einigen Jahren geltend machen wollen, darum, Investitionen, die sich nachträglich als nachteilig herausstellten, rückgängig zu machen. Andererseits ist zu bedenken, dass ein gleichwirksames, aber effizienteres Sanktionsinstrument als die dauerhafte Verzögerung des Fristbeginns gegen eine mangelhafte Belehrung nicht in Sicht ist. Dass sich der Verbraucher auf die Nichtigkeit des Vertrages berufen kann, wie in einigen Mitgliedstaaten im Falle der Nichtbelehrung bei Haustürverträgen vorgesehen,245 hat faktisch die gleichen Auswirkungen, als ob sie ein Widerrufsrecht ausgeübt hätten. Eine verlängerte, aber absolut begrenzte Frist wie in der Fernabsatzrichtlinie macht das Risiko einer fehlerhaften Belehrung zwar kalkulierbar für die Anbieter.
239 Tonner, BKR 2002, 856, 858 und bei einer Sachverständigenanhörung vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages Westphal, dort zur Möglichkeit der Nachbelehrung nach Art. 229 § 8 Abs. 2 EGBGB, Protokoll der 129. Sitzung des Rechtsausschusses am 3. 6. 2002, S. 29 und 46. 240 Pfeiffer, Protokoll der 129. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags am 3. 6. 2002, S. 35 und in der schriftlichen Stellungnahme, S. 7, abgedruckt im Protokoll auf S. 111; Fischer/Machunsky, Haustürwiderrufsgesetz, 2. Aufl. (1995), § 2, Rn. 47 f.; vgl. auch Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 338. 241 Art. 6 Abs. 1 UAbs. 3 FARL. 242 Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 78 f. 243 Rekaiti/Van den Bergh, 23 JCP (2000), 371, 388 f. 244 EuGH, Urt. v. 13. 12. 2001 – Rs. C-481/99, Heininger, Slg. 2001, I-9945. 245 Rekaiti/Van den Bergh, 23 JCP (2000), 371, 389.
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§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
Dies birgt aber gleichzeitig die Gefahr des Missbrauchs durch Anbieter mit sich, die bewusst auf die Rechtsunkenntnis der Verbraucher setzen könnten.246 c)
Widerrufsfrist
Die Richtlinien sehen unterschiedlich lange Widerrufsfristen vor. Nach Art. 5 HWiRL beträgt sie „mindestens 7 Tage“ und nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 FARL „mindestens 7 Werktage“. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 FinFARL bestimmt im Grundsatz eine Frist von 14 Kalendertagen, für Verträge über Lebensversicherungen und über die Altersvorsorge von Einzelpersonen ausnahmsweise 30 Kalendertage. Um die Länge der Widerrufsfrist zu bewerten, muss die Ratio maßgeblich sein, die dem Widerrufsrecht als Regulierungsinstrument zu Grunde liegt. Für Suchgüter sind sieben Tage in jedem Falle eine ausreichende Frist, um Informationsnachteile auszugleichen. Demgegenüber ist diese Zeitspanne bei Erfahrungsgütern kaum hinreichend, um die Eigenschaften der Ware zu prüfen. So kann man nach sieben Tagen sicher sagen, ob ein von einem Haustürvertreter erworbener Staubsauger tatsächlich die gewünschte Leistungsfähigkeit aufweist, aber kaum, ob die per Internet bestellten „nichtrostenden japanischen Messer“ tatsächlich hinreichend vor Korrosion geschützt sind.247 Allerdings bezweckt das Widerrufsrecht im Fernabsatz und bei Haustürgeschäften nicht, die Informationsdefizite der Verbraucher vollständig auszugleichen. Das Widerrufsrecht soll lediglich die Nachteile kompensieren, die aus der besonderen Vertriebstechnik folgen. Dafür sind auch bei Erfahrungsgütern in der Regel sieben Tage hinreichend. Insbesondere erscheint eine solche Frist ausreichend zu sein, um einen Angebotsvergleich nachzuholen und sich die Risiken und möglichen Folgen des Vertragsschlusses vor dem Hintergrund seiner eigenen Präferenzen zu vergegenwärtigen, um irrationale Vertragsentscheidungen ausgleichen zu können, die verursacht wurden durch die besondere psychologischen Situation bei der regulierten Vertriebstechniken. Die längeren Fristen beim Fernabsatz von Finanzdienstleistungen lassen sich mit der regelmäßig höheren Komplexität der Vertragsgegenstände rechtfertigen.248 Stellt man in Rechnung, dass es immer auch ein dezisionistisches Element enthält, Fristen festzulegen, können die Fristlängen der Widerrufsrechte überzeugen. Dass die Widerrufsfrist bei Haustürgeschäften bereits mit Vertragsschluss zu laufen beginnt,249 schränkt die Vergleichsmöglichkeit für Konstellationen ein, in denen die Lieferung der Ware erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt.250 Für den Fernabsatz wurde diesem Gesichtspunkt Rechnung getragen, so dass die Frist beim Warenkauf erst mit dem Erhalt der Ware zu laufen beginnt, beim Vertragsschluss über Dienstleistungen hingegen bereits nach Vertragsschluss, soweit der Verbraucher eine Leistungsbeschreibung erhalten hat.251 Entsprechend beginnt nach Art. 6 Abs. 1 246 247 248 249 250 251
Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 338. Rekaiti/Van den Bergh, 23 JCP (2000), 371, 385 f. Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 328. Art. 5 Abs. 1 S. 1 HWiRL. Dazu Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 335 f. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 FARL.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
UAbs. 2 Sps. 2 FinFARL die Frist nicht zu laufen, bevor dem Verbraucher die Vertragsbedingungen vorliegen. Für die Fristwahrung genügt es nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 HWiRL und Art. 6 Abs. 6 S. 2 FinFARL, die Widerrufserklärung rechtzeitig abzusenden. Damit wird dem Verbraucher die Widerrufsfrist als volle Bedenkzeit zugegeben und dem Gewerbetreibenden das Verzögerungsrisiko auferlegt.252 Die Fernabsatzrichtlinie trifft keine Aussage zu dieser Frage. Im Schrifttum wird es teilweise unter Hinweis auf die entsprechende Regelung für Haustürgeschäfte auch für den Fernabsatz als ausreichend angesehen, dass der Verbraucher die Widerrufserklärung rechtzeitig absende.253 Dies erscheint sachgerecht, denn im Fernabsatz, gerade im grenzüberschreitenden, droht dem Verbraucher ansonsten das Risiko eines verspäteten Widerrufs auf Grund unbestimmt langer Postlaufzeiten. Allerdings spricht die Tatsache, dass der Gesetzgeber in der Fernabsatzrichtlinie keine dem Art. 5 Abs. 1 S. 2 HWiRL entsprechende Regelung aufgenommen hat, eher dafür, dass diese Frage den Mitgliedstaaten zur Regelung überlassen bleibt. d)
Form der Widerrufserklärung
Bereits aus der Tatbestandslosigkeit des Widerrufsrechts folgt, dass der Verbraucher keine Gründe angeben muss, widerruft er einen Vertrag.254 Die Richtlinien überlassen es ausdrücklich 255 oder stillschweigend den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, die Form der Widerrufserklärung festzulegen. Die Mitgliedstaaten sind jedoch bei der Ausgestaltung nicht frei, sondern durch das Gebot der effektiven Umsetzung und spezielle Vorgaben gebunden, wie das Gebot der Nachweisbarkeit in Art. 6 Abs. 6 S. 1 FinFARL.256 Vorzugswürdig wäre angesichts des Schutzzwecks der Widerrufsrechte und um Disparitäten zu vermeiden, bereits gemeinschaftsrechtlich die Formfreiheit festzuschreiben. Dem Begünstigten kann eine freiwillige Formwahl zugemutet werden, um Beweisschwierigkeiten vorzubeugen.257 e)
Leistungserbringung während der Widerrufsfrist
Wichtig für die Ausgestaltung eines Widerrufsrechts ist die Frage, ob den Parteien auch während der Widerrufsfrist erlaubt ist, die von ihnen geschuldete Leistung zu erbringen. Dies erscheint für Warenkäufe angesichts der prinzipiell einfachen Rückabwicklungsmöglichkeit problemlos. Vielmehr setzt dort eine nachträgliche Information über Qualitätsmerkmale sogar voraus, dass der Abnehmer den betreffenden Gegenstand selbst bereits ausprobieren konnte. Folgerichtig läuft die Widerrufsfrist beim Warenkauf im Fernabsatz auch erst, wenn die Ware geliefert wurde.258 Bei Dienstleistungen hingegen ist die Rückabwicklung komplizierter, da der Verbrau252 253 254 255 256 257 258
300
Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 338 f. Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 75. So ausdr. Art. 6 Abs. 1 FARL, Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 FinFARL. Art. 5 Abs. 1 HWiRL, Art. 6 Abs. 6 S. 1 FinFARL. Dazu eingehend Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 333 f. Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 334. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 Sps. 1 FARL.
§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
cher die Leistung nicht in Natur zurückgewähren kann. Da ihm gleichzeitig keine Möglichkeit zu opportunistischem Verhalten gegeben werden soll, muss deshalb für diese Fälle das Widerrufsrecht ausgeschlossen werden oder zumindest eine Wertersatzpflicht bzw. Zahlungspflicht vorgesehen sein. Dem Abnehmer ist es dann aber nicht möglich, das Geschäft wirtschaftlich „ungeschehen“ zu machen, was eigentlich dem Zweck des Widerrufsrechts entspricht. Um dieser Problematik Rechnung zu tragen, verbieten einige mitgliedstaatliche Rechtsordnungen, den Vertrag während der Widerrufsfrist auszuführen.259 Damit werden indes Wohlfahrtsverluste in Kauf genommen, da für Verbraucher der Zugang zu Dienstleistungen verzögert wird. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat im europäischen Absatzrecht differenziert auf diese Problematik reagiert, dabei allerdings den individuellen Präferenzen der Verbraucher einen hohen Stellenwert zugewiesen. Die Haustürwiderrufsrichtlinie trifft keine gesonderte Regelung. Art. 7 HWiRL setzt hier voraus, dass Dienstleistungen bereits während der Widerrufsfrist erbracht werden können, da dort für die Rückabwicklung von Verträgen, „insbesondere bezüglich der Rückerstattung von Zahlungen für Waren oder Dienstleistungen“ auf das mitgliedstaatliche Recht verwiesen wird. Art. 6 Abs. 3 Sps. 1 FARL schließt (parteidispositiv) das Widerrufsrecht für den Fall aus, dass der Leistungserbringer mit Zustimmung des Verbrauchers bereits während der Widerrufsfrist damit begonnen hat, die Leistung auszuführen. Beim Fernabsatz von Finanzdienstleistungen ist das Widerrufsrecht nur dann ausgeschlossen, wenn der Vertrag auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers von beiden Seiten bereits vollständig erfüllt wurde.260 Ansonsten gilt, dass der Anbieter vor Ende der Widerrufsfrist nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des Verbrauchers mit der Vertragsausführung beginnen darf, will er sich für den Fall der Ausübung des Widerrufsrechts einen Anspruch für die bereits erbrachten Leistungen sichern.261 Informationspflichten sichern sowohl in der (allgemeinen) Fernabsatzrichtlinie 262 als auch in der Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen,263 dass der Verbraucher Kenntnis erhält von der Option, die Dienstleistung bereits während der Widerrufsfrist in Anspruch zu nehmen und die u. U. damit verbundene Folge, das Widerrufsrecht zu verlieren. f)
Rechtsfolgen
Die Regelung der Rechtsfolgen, die mit der Ausübung eines Widerrufsrechts verbunden sind, muss nach zwei konkurrierenden Zielstellungen ausgerichtet werden. Die Rechtsfolgen dürfen einerseits den Widerrufsberechtigten tatsächlich nicht
259 Siehe etwa Art. L. 121-26 Code de la consommation, dazu ausf. Tangl, ZfRV 1998, 62, 64 ff.; auch Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, Nach A 2 (1999), Rn. 27; Rott, Die Umsetzung der Haustürwiderrufsrichtlinie in den Mitgliedstaaten (2000), S. 54. 260 Art. 6 Abs. 2 lit. c FinFARL. 261 Art. 7 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S. 2 FinFARL. 262 Art. 5 Abs. 1 UAbs. 2 Sps. 1 FARL; diese Vorschrift übersehen Rekaiti/Van den Bergh, 23 JCP (2000), 371, 397. 263 Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a bzw. Abs. 3 lit. b Sps. 3 FinFARL, siehe auch BE 24.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
daran hindern, sein Widerrufsrecht auszuüben. Daher soll dieser wirtschaftlich möglichst so gestellt werden, wie er ohne das widerrufene Geschäft dastehen würde. Andererseits begünstigt genau dieses opportunistische Verhalten durch den Verbraucher und schränkt damit die Effizienz des Widerrufsrechts als Regulierungsinstrument ein. Dem kann teilweise abgeholfen werden, indem bestimmte Vertragstypen vom Widerrufsrecht ausgenommen werden. Generell lässt sich der Gefahr des ex-post-Opportunismus jedoch nur dadurch begegnen, dass der Verbraucher, der einen Vertrag widerruft, zu Nutzungs- und Wertersatzansprüchen verpflichtet wird. Dadurch wiederum mag manch ein Verbraucher davon abgehalten werden, ein Geschäft rückgängig zu machen, das er im Nachhinein als nachteilig ansieht. Mit dem Widerruf entsteht ein Rückabwicklungsverhältnis, d. h. die vertraglichen Leistungspflichten entfallen und die Parteien haben die ausgetauschten Leistungen zurückzugewähren.264 Die Rückgewährpflichten werden in den Richtlinien nur kursorisch geregelt, dabei in unterschiedlicher Dichte. Bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz muss der Anbieter Zahlungen, die er erhalten hat, spätestens binnen 30 Tagen zurückgewähren.265 Soll der Widerrufsberechtigte tatsächlich nicht durch die Sorge um die Rückerstattung seiner Zahlungen davon abgehalten werden, sein Recht auszuüben, müssen die Mitgliedstaaten diesen Erstattungsanspruch effektiv sanktionieren.266 Den Parteien steht es nicht frei, eine Vertragsstrafe für den Fall zu vereinbaren, dass der Verbraucher widerruft.267 Denn eine Vertragsstrafenvereinbarung könnte die Dispositionsfreiheit des Begünstigten während der Widerrufsfrist erheblich einschränken. Dies widerspräche aber der Ausgestaltung des Widerrufsrechts als tatbestandsloses Reuerecht 268 und seiner Funktion als Instrument zur Marktregulierung. Auch die mit der Rückabwicklung verbundenen Kosten können einen Berechtigten daran hindern, sein Widerrufsrecht auszuüben. Dies betrifft insbesondere die beim Warenkauf anfallenden Kosten der Rücksendung der Ware. Die Haustürwiderrufsrichtlinie verhält sich dazu nicht und überlässt diesen Komplex der mitgliedstaatlichen Regelung.269 Art. 6 Abs. 2 S. 2 FARL bestimmt, dass dem Verbraucher die „unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren“ auferlegt werden können. Eine Ausnahme hiervon gilt für den Fall, dass der Lieferant von einer vereinbarten Ersetzungsbefugnis Gebrauch gemacht hat. Dann gehen die Kosten der Rücksendung zu dessen Lasten.270
264 Art. 5 Abs. 2, Art. 7 HWiRL, Art. 6 Abs. 2 FARL. 265 Art. 6 Abs. 2 S. 3 FARL, Art. 7 Abs. 4 FinFARL. 266 Dazu Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 339, Fn. 177. 267 So ausdr. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 FARL, Art. 6 Abs. 1 S. 1 FinFARL. Für Haustürgeschäfte vgl. EuGH, Urt. v. 22. 4. 1999 – Rs. C-423/97, Travel Vac, Slg. 1999, I-2195, 2232 f., Rn. 53–60. 268 Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 340. 269 Art. 7 HWiRL. 270 Art. 7 Abs. 3 S. 3 FARL.
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§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
Eine wichtige Frage im Zusammenhang mit dem Schutz des Anbieters vor opportunistischem Verhalten ist die Regelung für Leistungen, die ihrer Natur nach bei Ausübung des Widerrufsrechts nicht zurückgewährt werden können. Denn gerade bei solchen Vertragsgegenständen liegt es nahe, dass ein Abnehmer darauf spekuliert, mit Hilfe des Widerrufsrechts letztlich kostenlos eine Leistung zu erhalten. Für Haustürgeschäfte verweist Art. 7 HWiRL auch für diese Problematik auf das mitgliedstaatliche Recht. Die Fernabsatzrichtlinie nimmt einige Vertragstypen ganz vom Widerrufsrecht aus, bei denen die Rückabwicklung problematisch ist. Dazu gehören insbesondere während der Widerrufsfrist erbrachte Dienstleistungen,271 aber etwa auch verderbliche Produkte.272 Im Rückschluss aus der dortigen Regelung des Problems und da Art. 6 Abs. 2 S. 2 FARL ansonsten festlegt, dass die einzigen Kosten, die dem Verbraucher auferlegt werden können, die unmittelbaren Rücksendungskosten sind, scheidet eine Vergütung von Leistungen aus, die nicht zurückgewährt werden können.273 Angesichts des aufgezeigten Risikos opportunistischen Verhaltens muss dies im Grundsatz als unbefriedigend empfunden werden. Die praktischen Auswirkungen dieses Mankos werden allerdings dadurch abgemildert, dass die Fernabsatzrichtlinie für viele relevante Konstellationen das Widerrufsrecht ohnehin ausschließt. Ein anderes Konzept verfolgt die Finanzfernabsatzrichtlinie. Sie schützt die Interessen der Verbraucher nicht durch eine Beschränkung der Erstattungspflichten, sondern indem sie die Vergütungspflicht davon abhängig macht, dass der Kunde rechtzeitig und korrekt informiert wird. Art. 7 FinFARL bejaht demnach grundsätzlich einen Anspruch des Anbieters auf die Zahlung für Leistungen, die er zum Zeitpunkt des Widerrufs bereits erbracht hat. Dieser Anspruch ist jedoch von drei Voraussetzungen abhängig: Erstens muss der Anbieter den Verbraucher rechtzeitig gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a FinFARL über den in diesem Falle zu zahlenden Betrag belehrt haben.274 Zweitens darf der Anbieter seine Leistung nicht ohne die Zustimmung des Verbrauchers erbracht haben.275 Die negative Formulierung in Art. 7 Abs. 3 S. 2 FinFARL und der Vergleich mit dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 3 S. 2 FinFARL, wo es ausdrücklich heißt, „wenn er nachweisen kann“, deuten hierfür auf eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Anbieters hin. Drittens darf der Anbieter keine Summe verlangen, die in ihrer Höhe unverhältnismäßig zum Anteil der erbrachten Leistung ist 276 oder die auf Grund ihrer Höhe den Charakter einer Vertragsstrafe annimmt.277 Im Gegensatz zur Fernabsatzrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber hier ein Regelungsmodell gefunden, das einen sachgerechten Ausgleich der verschiedenen Interessen gewährleistet.
271 272 273 274 275 276 277
Art. 6 Abs. 3 Sps. 1 FARL. Art. 6 Abs. 3 Sps. 3 FARL. Heinrichs, in: FS Medicus (1999), S. 194; Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 340. Krit. hierzu Riesenhuber, WM 1999, 1441, 1446. Art. 7 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 S. 2 FinFARL. Art. 7 Abs. 1 S. 3 Sps. 1 FinFARL. Art. 7 Abs. 1 S. 3 Sps. 2 FinFARL, vgl. auch Art. 6 Abs. 1 S. 1 FinFARL.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
Um opportunistisches Verhalten durch den Widerrufsberechtigten zu unterbinden ist schließlich auch die Frage von Bedeutung, inwieweit er Ansprüchen auf Wertersatz ausgesetzt ist, weil sich die gelieferte Ware verschlechtert hat oder untergegangen ist. Davon ist maßgeblich abhängig, ob der Verbraucher Anreize für einen sorgsamen Umgang mit dem Vertragsgegenstand während der Widerrufsfrist hat. Dieses Regulierungsproblem stellt sich nicht bei Dienstleistungen und ist deshalb hier nur für Warenkäufe als Haustürgeschäft oder im Fernabsatz relevant. Art. 7 HWiRL überlässt die Regelung ausdrücklich den nationalen Rechtsordnungen. Auch die Fernabsatzrichtlinie regelt die Folgen einer Verschlechterung oder des Untergangs erhaltener Waren nicht unmittelbar. Die Beschränkung der Kostentragungspflicht in Art. 6 Abs. 2 S. 2 FARL weist jedoch nicht nur daraufhin, dass die Ersatzpflicht das Widerrufsrecht nicht übermäßig behindern darf, sondern zeigt durch ihre Ausgestaltung auch auf, dass dafür ein strenger Maßstab anzulegen ist. Die Fernabsatzrichtlinie will dem Verbraucher ermöglichen, seinen Vertrag weit gehend folgenlos aufzulösen.278 Richtlinienwidrig ist es deshalb, dem Lieferanten wie in § 357 Abs. 3 S. 1 BGB einen Ersatzanspruch für einen Wertverlust zuzubilligen, der auf Grund der bloßen Ingebrauchnahme der Sache entstanden ist.279 Der Zielkonflikt zwischen dem Interesse des Widerrufsberechtigten an einer möglichst folgenlosen Auflösung des Vertrages und dem Interesse des Widerrufsgegners an einem Schutz vor opportunistischen Verhaltensweisen spiegelt sich in den Regeln über die Rechtsfolgen des Widerrufs wieder. Dabei lässt sich eine Tendenz feststellen, die Interessen der Abnehmer zu betonen. Zu bedauern ist, dass die Haustürwiderrufsrichtlinie und die Fernabsatzrichtlinie keinen Anspruch des Widerrufsgegners auf Wertersatz für die Verschlechterung oder den Untergang des Vertragsgegenstandes und auf Vergütung für Leistungen vorsehen, deren Rückgewähr der Natur der Sache nach nicht möglich ist. Vorbildlich bezüglich des letzten Aspekts erscheint die Regelung in Art. 7 Abs. 1 und 3 FinFARL. Wichtig bei der Ausgestaltung der Ansprüche des Lieferanten ist insbesondere, dass er den Widerrufsberechtigten im Vorhinein über die Ansprüche informiert, denen dieser ausgesetzt ist, sollte er den Vertragsschluss widerrufen. Dies dient nicht nur dem Schutz des Verbrauchers, sondern ist auch dafür unerlässlich, dass die drohenden Ansprüche ihrer Funktion als präventiver Schutz gegen opportunistisches Verhalten durch den Widerrufsberechtigten gerecht werden können.
278 Micklitz, in: Grabitz/Hilf, Bd. III, A 3 (2000), Rn. 85. 279 Brüggemeier/Reich, BB 2001, 213, 215; Franck, JR 2004, 45, 47; Heiderhoff, Grundstrukturen (2004), S. 343 f., 420 f.; Mankowski, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 357, 370 f.; ders., Beseitigungsrechte (2003), S. 893 f.; Ulmer, in: Münchener Kommentar, Bd. 2a, 4. Aufl. (2003), § 357, Rn. 5; a. A. Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1154 f.; Heinrichs, in: Palandt, 64. Aufl. (2005), § 357, Rn. 14 m. w. N.
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§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
III.
Informationsintermediäre
Die Gemeinschaft regelt ausführlich das Recht der Wertpapierdienstleister und der Versicherungsvermittler. Die Information der Abnehmer durch Intermediäre spielt bei Finanzdienstleistungen eine wichtige Rolle. Denn hierbei handelt es sich um Erfahrungs- oder Vertrauensgüter, deren Qualität im Wesentlichen durch ihre rechtliche Ausgestaltung bestimmt wird. Der Markt ist deshalb für den Laien schwer überschaubar und von Informationsnachteilen der Klienten geprägt.280 Die Emittenten von Wertpapieren stellen dem Kapitalmarkt über Emissionsprospekte, Zwischenberichte oder die Ad-hoc-Publizität große Mengen an Information zur Verfügung. Diese Informationen sind vielfältig und häufig auch komplex. Um sie nutzen zu können, bedarf es nicht nur professioneller Kenntnisse. Erst durch Größenvorteile (economies of scale) oder Synergieeffekte (economies of scope) kann es sich lohnen, kapitalmarktrechtliche Informationen umfassend zu verarbeiten. Diese Charakteristika sind bei institutionellen Anlegern gegeben. Erwerben demgegenüber Kleinanleger Wertpapiere oder werden Versicherungsverträge für private Zwecke abgeschlossen, sind die Klienten in der Regel auf professionellen Rat angewiesen. Die Versicherungsmärkte stehen zudem paradigmatisch dafür, dass sich durch die gemeinschaftsrechtlich angestoßene Liberalisierung das Angebot deutlich verbreitert hat. Diese Vielfalt ermöglicht den Kunden, Leistungen zu erwerben, die genauer auf ihre Bedürfnisse und Präferenzen zugeschnitten sind. Als Kehrseite der gestiegenen Produktdifferenzierung hat sich allerdings die Markttransparenz verringert.281 Auf Finanz- und Kapitalmärkten besteht deshalb ein hohes Risiko von Informationsasymmetrien zu Lasten der Kunden. Außerdem ist dort der Wert der Güter hoch genug, so dass sich der Einsatz von Intermediären zur Information lohnt und vom Markt auch angenommen wird. Dazu kommt für den Absatz von Wertpapieren, dass viele Transaktionen, vor allem bei börsennotierten Werten, überhaupt nur von Wertpapierdienstleistern durchgeführt werden können. Die Kunden sind in diesen Fällen also von vornherein darauf angewiesen, sich eines Intermediäres zu bedienen. Deshalb liegt es dort nahe, auch dessen Funktion als Informationsmittler zu fördern. Punktuell enthält das Gemeinschaftsrecht daneben in der Arzneimittelrichtlinie Vorgaben, die Arzneimittelvertreter in der Rolle als Informationsintermediäre betreffen. Diese Regelungen erklären sich in erster Linie durch die besondere Sensibilität des Produkts Arzneimittel und seiner Bedeutung für die öffentliche Gesundheit. Folgerichtig ist sie aber auch aus informationsökonomischer Sicht, handelt es sich doch bei Arzneimitteln um Erfahrungs- bzw. sogar Vertrauensgüter. Schließlich werden beim Vertrieb von Arzneimitteln auch beträchtliche Umsätze erzielt,
280 Siehe BE 2 FinMRL: „In den letzten Jahren wurden immer mehr Anleger auf den Finanzmärkten aktiv; ihnen wird ein immer komplexeres und umfangreicheres Spektrum an Dienstleistungen und Finanzinstrumenten angeboten“; siehe auch Eckardt, Agent and Broker Intermediaries in Insurance Markets (2002), S. 5–7. 281 Eckardt, Versicherungsvermittler im Wettbewerb (2002), S. 1; Fleischer, ZEuP 2000, 772, 775.
305
Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
auf Grund derer es effizient möglich ist, die Information der Märkte durch Intermediäre zu fördern.
1.
Sicherung der Qualität der Information
Intermediäre können den Markt nur dann wirksam informieren, wenn sie ein bestimmtes Maß an Qualität bei der Aufnahme, Verarbeitung und Darbietung der Informationen gewährleisten können. Allerdings können Informationsdefizite auf Seiten der Nachfrager verhindern, dass sich hohe Qualität auf Märkten für Information durch Intermediäre durchsetzt. Deshalb hat sich der europäische Gesetzgeber dafür entschieden, zwingende Produktstandards zu setzen. a)
Persönliche und organisationsbezogene Vorgaben
Die Qualitätsmindeststandards betreffen zunächst persönliche Eigenschaften der Vermittler, wie etwa das Ausbildungs- und Erfahrungsniveau. So schreibt Art. 93 Abs. 1 ArzneimittelRL vor, dass Arzneimittelvertreter befähigt sein müssen, genaue und vollständige Auskünfte über die vertretenen Arzneimittel erteilen zu können. Versicherungsverträge darf nur vermitteln, wer in ein Register seines Mitgliedstaates eingetragen ist und die beruflichen Mindestanforderungen erfüllt.282 Die Versicherungsunternehmen dürfen nur die Dienste dieser Vermittler in Anspruch nehmen.283 Die Richtlinie definiert im Wesentlichen drei notwendige Qualifikationskriterien: Versicherungsvermittler dürfen nur dann eingetragen werden, wenn sie „strengen beruflichen Anforderungen in Bezug auf Sachkompetenz, Leumund, Berufshaftpflichtschutz und finanzielle Leistungsfähigkeit genügen“.284 Diese Mindesterfordernisse 285 muss ein Versicherungsvermittler dauerhaft erfüllen.286 An erster Stelle steht hierbei die Sachkompetenz. Art. 4 Abs. 1 UAbs. 1 VersVermRL überlässt es dem Herkunftsstaat, die Kenntnisse und Fertigkeiten zu definieren, über die ein Versicherungsvermittler verfügen muss. Vorgeschrieben wird lediglich, dass diese „angemessen“ sein müssen. Die Mitgliedstaaten können die geforderte Fachkunde an die Tätigkeit des Vermittlers und die Art der vertriebenen Produkte anpassen.287 Insbesondere im Hinblick auf Nebenberuflern wird den Mitgliedstaaten zugestanden, dass geforderte Niveau abzusenken.288 Das setzt voraus, dass ein anderer Versicherungsvermittler oder ein Versicherer die uneingeschränkte Haftung für das Handeln des weniger fachkundigen Vermittlers übernimmt. Kritisiert wird die Sachkompetenzregelung vor allem wegen ihrer Unbestimmtheit. Es wird
282 283 284 285 286 287 288
306
Art. 3, 4 VersVermRL. Art. 3 Abs. 6 VersVermRL. BE 14 VersVermRL. Nach Art. 4 Abs. 6 VersVermRL können die Mitgliedstaaten die Anforderungen verschärfen. Art. 4 Abs. 5 VersVermRL. Art. 4 Abs. 1 UAbs. 2 VersVermRL. Zu den nebenberuflichen Vermittlern Teichler, VersR 2002, 385, 391 f.
§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
zu bedenken gegeben, dass es sich bereits an dieser Stelle angeboten habe, ausdrücklich zwischen Agenten und Maklern oder anderen Vermittlern zu differenzieren.289 Jedenfalls wäre es sachgerecht gewesen, die noch im Vorschlag enthaltene Formulierung zu übernehmen, nach der ein Vermittler im „Besitz allgemeiner kaufmännischer und fachlicher Kenntnisse und Fähigkeiten“ zu sein habe.290 Art. 4 Abs. 2 VersVermRL verlangt sodann, dass die Vermittler einen guten Leumund besitzen. Das erfordert zumindest, dass sie nicht als Straftäter von Eigentums- oder Finanzkriminalität registriert sind und nie in Konkurs gegangen sind, es sei denn, dass sie nach nationalem Recht rehabilitiert sind. Versicherungsvermittler können sich schadensersatzpflichtig machen, wenn sie fehlerhaft beraten oder falsche Auskünfte geben. Art. 4 Abs. 3 VersVermRL sichert ab, dass Haftungsgläubiger befriedigt werden können. Diesen Gläubigerschutz soll primär eine Berufshaftpflichtversicherung gewährleisten. Möglich ist aber auch eine andere „gleichwertige, die Haftpflicht bei Verletzung beruflicher Sorgfaltspflichten abdeckende Garantie“. Als Mindestsumme sieht die Richtlinie eine Million Euro für den einzelnen Schadensfall und 1,5 Millionen Euro für alle Schadensfälle eines Jahres vor. In der Bewertung dieser Summe ist sich das Schrifttum uneins: Die Mindestdeckungssummen werden teilweise als „gerade noch angemessen“ 291 beurteilt, andererseits aber auch als jedenfalls für Versicherungsagenten „stets unangemessen hoch“.292 Für diese Vermittler sieht Art. 4 Abs. 3 VersVermRL alternativ die Möglichkeit vor, dass die Versicherung, in deren Namen der Agent handelt, eine solche Versicherung bzw. gleichwertige Garantie oder die uneingeschränkte Haftung für das Handeln des Vermittlers übernimmt. Jedoch wurde bereits darauf hingewiesen, dass in der Praxis die Notwendigkeit einer Berufshaftpflichtversicherung faktisch nie durch eine entsprechende Absicherung des Versicherungsunternehmens ersetzt wird.293 Zur Höhe der Mindestdeckungssumme sollte bedacht werden, dass die Summe wohl für Klienten hinreichend ist, die zu privaten Zwecken Versicherungsschutz suchen. Bei Unternehmenskunden ist dagegen leicht vorstellbar, dass die Limits von 1 bzw. 1,5 Millionen Euro überschritten werden können. Allerdings ist diesen zuzumuten, das Solvenzrisiko des Vermittlers eigenverantwortlich zu prüfen und eine angemessene Haftpflichtversicherungssumme bzw. eine Freistellung durch den Versicherer zu fordern.294 Deshalb scheint es nicht notwendig, über das geregelte Maß hinaus korrigierend in den Markt einzugreifen. Nützlich könnte jedoch eine marktunterstützende Regelung sein, nach der ein Vermittler die Haftpflichtsumme seinen Klienten zu offenbaren hat.
289 290 291 292 293 294
Dazu Teichler, VersR 2002, 385, 386 f. Müller, Zeitschrift für Versicherungswesen 2003, 98, 102. Teichler, VersR 2002, 385, 386. Abram, ZVersWiss 2003, 459, 470. Abram, ZVersWiss 2003, 459, 467–470. Teichler, VersR 2002, 385, 386, Fn. 17.
307
Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
Ein Registereintrag soll sicherstellen, dass die Vermittler tatsächlich die vorgeschriebenen Qualitätsmerkmale erfüllen.295 Nur die dauerhafte Erfüllung der Qualifikationskriterien ermöglicht die Eintragung und verhindert die spätere Löschung. Die zuständige Behörde hat die Kriterien nicht nur beim Ersteintrag zu prüfen, sondern auch zu überwachen, dass diese ständig eingehalten werden. Die Qualitätssicherung wird dadurch unterstützt, dass die Vermittler ihren Klienten mitzuteilen haben, in welches Register sie eingetragen sind und auf welche Weise sich die Eintragung überprüfen lässt.296 Erstaunlich ist, dass nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 VersVermRL die Versicherungsunternehmen ihre Vermittler selbst eintragen können und nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 3 VersVermRL die Mitgliedstaaten überhaupt davon absehen können, dass natürliche Personen registriert werden, die nur für einen Versicherer vermitteln.297 Wertpapierdienstleistungen 298 darf ein Unternehmen nur dann erbringen, wenn es die Zulassungsvoraussetzungen der Art. 5 ff. FinMRL erfüllt, insbesondere auch die organisatorischen Anforderungen nach Art. 13 FinMRL. Notwendig ist zunächst eine adäquate Kapitalisierung.299 Die Richtlinie konkretisiert diese Voraussetzung unter Hinweis auf die Kapitaladäquanzrichtlinie.300 Zur Absicherung von geschädigten Anlegern ist die Zulassung als Wertpapierfirma nach Art. 11 FinMRL auch davon abhängig, dass die Anforderungen der Richtlinie 97/7/EG über Systeme für die Entschädigung von Anlegern 301 erfüllt sind. Geschäftsleiter einer Wertpapierfirma müssen gut beleumdet und ausreichend erfahren sein.302 Damit die Aufsichtsbehörden dies kontrollieren können, müssen alle Veränderungen in der Geschäftsleitung gemeldet werden zusammen mit den für eine Beurteilung notwendigen Angaben über Personen, die zur Leitung der Firma bestellt werden.303 Art. 9 Abs. 4 FinMRL statuiert das „Vier-Augen-Prinzip“ für die Geschäftsleitung, räumt den Mitgliedstaaten aber die Option ein, Ausnahmen vorzusehen für Firmen, die nur von einer natürlichen Person geführt werden. Daneben müssen auch Gesellschafter mit einer qualifizierten Beteiligung 304 eine hinreichende Gewähr dafür bieten, dass sie eine Wertpapierfirma solide und umsichtig führen können.305 Beantragt eine Wertpapierfirma die Zulassung, muss sie einen Geschäftsplan vorweisen, der die geplanten Geschäfte benennt und den organisatorischen Aufbau des
295 Art. 3 Abs. 3 VersVermRL. 296 Art. 12 Abs. 1 lit. b VersVermRL. 297 Krit. Müller, Zeitschrift für Versicherungswesen 2003, 98, 101. 298 Zum Begriff der „Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten“ siehe Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 FinMRL. Hierzu zählt auch die reine Anlageberatung, siehe Anhang I, Abschnitt A, Nr. 5, vgl. auch BE 3 FinMRL. 299 Art. 12 FinMRL. 300 Richtlinie 93/6/EWG über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten, ABl. EG 1993 L 141/1. 301 ABl. 1997 L 84/22. 302 Art. 9 Abs. 1 FinMRL. 303 Art. 9 Abs. 2 FinMRL. 304 Den Begriff der „qualifizierten Beteiligung“ definiert Art. 4 Abs. 1 Nr. 27 FinMRL. 305 Art. 10 FinMRL.
308
§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
Unternehmens vorstellt.306 Die zuständigen Behörden haben einen Zulassungsantrag innerhalb von sechs Monaten zu bescheiden.307 Die Gründe, unter denen einer Wertpapierfirma ihre Zulassung entzogen werden darf, definiert Art. 8 FinMRL. Organisatorische Anforderungen an eine Wertpapierfirma stellt Art. 13 FinMRL auf. Dazu gehört neben den an anderer Stelle noch näher zu betrachtenden organisatorischen Vorgaben, um Interessenkonflikte zu vermeiden 308 vor allem die Verpflichtung zu einer ordnungsgemäßen Verwaltung und Buchhaltung, interne Kontrollmechanismen und Verfahren zur Risikobewertung zu installieren sowie wirksame Kontroll- und Sicherheitsmechanismen für Datenverarbeitungssysteme.309 Eine Wertpapierfirma hat durch „angemessene Vorkehrungen“ „Kontinuität und Regelmäßigkeit der Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten“ zu gewährleisten 310 und bei Rückgriff auf die Dienste Dritter „unnötige zusätzliche Geschäftsrisiken“ zu vermeiden.311 Um die Beaufsichtigung zu erleichtern, muss eine Wertpapierfirma ihre Geschäftsvorgänge dokumentieren.312 Art. 13 Abs. 7 und 8 FinMRL verlangen schließlich von den Wertpapierfirmen Vorkehrungen zum Schutz der Eigentums- und Forderungsrechte der Anleger: Gelder und Wertpapiere der Anleger müssen insolvenzfest vom Eigenbestand der Wertpapierfirma getrennt werden. Um Härten für Universalbanken zu vermeiden, dürfen Kreditinstitute auch die Gelder der Anleger für eigene Rechnung verwenden. b)
Pflichten als Informationsintermediär
(1)
Offenlegung der Grundlagen von Aufklärung und Empfehlung
Regelungsgegenstand ist zunächst die Frage, in welcher Breite ein Intermediär einer Branche über das Angebot am Markt informiert sein muss. Soll ihn stets die Pflicht treffen, den ganzen Markt überblicken zu können oder soll er das Recht haben, sich auf Teilmärkte zu beschränken, wenn er seinen Klienten diese Spezialisierung mitteilt? Für den Klienten eines Versicherungsvermittlers ist es zunächst wichtig, zu wissen, ob er es mit einem Vermittler zu tun hat, der ihn über Produkte eines breiten Spektrums von Versicherungsunternehmen oder lediglich über Produkte einer bestimmten Anzahl von Versicherungsunternehmen berät.313 Deshalb bestimmt Art. 12 Abs. 1 lit. e UAbs. 2 VersVermRL, dass der Vermittler seinem Klienten Auskunft über die Breite des Spektrums an Anbietern zu geben hat, auf die er seine Empfehlung stützt. Wenn der Vermittler jedoch für sich in Anspruch nimmt, als Makler tätig zu werden und den Kunden auf der Grundlage einer objektiven Unter-
306 307 308 309 310 311 312 313
Art. 7 Abs. 2 FinMRL. Art. 7 Abs. 3 FinMRL. Art. 13 Abs. 3 FinMRL, näher unten S. 315. Art. 13 Abs. 5 UAbs. 2 FinMRL. Art. 13 Abs. 4 FinMRL. Art. 13 Abs. 5 S. 1 FinMRL. Art. 13 Abs. 6 FinMRL. BE 18 VersVermRL.
309
Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
suchung zu beraten, verpflichtet ihn Art. 12 Abs. 2 VersVermRL dazu, „seinen Rat auf die Untersuchung einer hinreichenden Zahl von [...] Versicherungsverträgen“ zu stützen. Der Gesetzgeber setzt hier also auf eine marktkorrigierende Vorgabe.314 Anders ist dieser Punkt hingegen für die Vermittlung von Wertpapieren geregelt. Nach der Richtlinie steht es dem Vermittler frei, sich auf bestimmte Marktsegmente zu spezialisieren. Teilt er dies seinem Klienten mit, kann ihm später nicht vorgeworfen werden, seine Empfehlung nicht auf Grund einer breiteren Marktkenntnis getroffen zu haben.315 (2)
Inhaltliche Vorgaben für Information und Beratung
Um die Rolle eines Vermittlers als Informationsintermediär zu fördern, kann ihm der Regelgeber Vorgaben dazu machen, worüber er seinen Klienten zu informieren hat, um dessen Vertragsentscheidung zu fördern und wie er die Informationen auf den Klienten zuschneiden muss. Nach Art. 93 Abs. 2 ArzneimittelRL müssen die Arzneimittelvertreter für jedes Arzneimittel, das sie anbieten, eine Zusammenfassung der Merkmale vorlegen und – soweit die Mitgliedstaaten dies vorsehen – ergänzen um die Informationen zum Verkaufspreis und zu den Erstattungsbedingungen. Die Informationspflichten des Art. 12 Abs. 1 VersVermRL betreffen Angaben, die mittelbar für die Vertragsentscheidung des Klienten wichtig sind, nämlich den Status des Versicherungsvermittlers und die Offenlegung von Interessenkonflikten.316 Wertpapierfirmen treffen zunächst die allgemeinen Informationspflichten nach Art. 19 Abs. 3 FinMRL. Um ihren Kunden eine informierte Anlageentscheidung zu ermöglichen, sind diese über die Wertpapierfirma und ihre Dienstleistungen, Finanzinstrumente und vorgeschlagene Anlagestrategien, Ausführungsplätze sowie Kosten und Nebenkosten zu informieren. Wie Art. 19 Abs. 3 S. 2 FinMRL klarstellt, können diese Informationen auch in standardisierter Form zur Verfügung gestellt werden, etwa bei Aufnahme der Geschäftsbeziehung, wie dies in Deutschland bei Direktbanken und Discount Brokern üblich ist.317 Die Rolle der Wertpapierfirmen als Informationsintermediäre ist aber vor allem durch die differenzierten Informations- und Beratungspflichten in Art. 19 Abs. 4 bis 6 FinMRL definiert. Als Grundregel kann Art. 19 Abs. 5 FinMRL aufgefasst werden: Betreut eine Wertpapierfirma die Anlagen eines Kunden, trifft sie die Pflicht, die Informationen auf die Erfahrung des jeweiligen Klienten zuzuschneiden. Sie hat deshalb die Kenntnisse und Erfahrungen des Klienten im Anlagebereich zu ermitteln,
314 Grundmann/Kerber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 264, 283. Teilweise wird sogar eine noch striktere Regel gefordert, die die Makler prinzipiell dazu verpflichtet, alle auf dem Markt erhältlichen Angebote auszuschöpfen, so Matusche-Beckmann, NVersZ 2002, 385, 388 f. 315 Grundmann/Kerber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy (2001), S. 264, 283 (noch mit Bezug auf die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie, dem Vorgängerrechtsakt zur Finanzmarktrichtlinie). 316 Hierzu unten S. 313. 317 Vgl. Balzer, ZBB 2003, 177, 186 f.
310
§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
um beurteilen zu können, ob ein Produkt für den Kunden geeignet ist. Erscheint dem Anlagebetreuer ein Produkt als ungeeignet, so muss er den Kunden warnen,318 also besonders eindringlich auf die Risiken dieser Anlage hinweisen. Eine Warnpflicht trifft die Wertpapierfirma ebenfalls dann, wenn der Kunde es ablehnt, dem Anlagebetreuer die notwendigen Angaben zur Verfügung zu stellen, damit dieser beurteilen kann, ob ein Produkt geeignet ist.319 Die Firma trifft jedoch grundsätzlich keine Pflicht, individuelle Anlageziele des Kunden zu ermitteln und Anlageempfehlungen auszusprechen. Der informierte Anleger soll allein entscheiden, welche Schlüsse er aus den Informationen über mögliche Anlagestrategien und angebotene Produkte zieht. Verpflichtet sich eine Wertpapierfirma aber über die Anlagebetreuung hinaus auch zur Anlageberatung bzw. zum Portfolio-Management, so treffen sie weiter gehende Pflichten nach Art. 19 Abs. 4 FinMRL. Sie hat getreu der Formel „know your customer“ nicht nur seine Kenntnisse und Erfahrungen im Anlagebereich zu ermitteln, sondern auch seine finanziellen Verhältnisse und Anlageziele zu erfragen und auf dieser Grundlage geeignete Wertpapierdienstleistungen und Finanzinstrumente zu empfehlen. Art. 19 Abs. 6 FinMRL stellt es Wertpapierfirmen schließlich frei, lediglich die Ausführung von Kundenaufträgen bzw. die Annahme und Übermittlung von Kundenaufträgen als Wertpapierdienstleistung anzubieten (sog. execution-only-Business). In diesem Falle trifft sie keine kundenbezogene Informationspflicht nach Art. 19 Abs. 5 FinMRL, wenn es sich um Wertpapiere i. S. d. Art. 19 Abs. 6 Sps. 1 FinMRL handelt und die Dienstleistung auf Veranlassung des Kunden erbracht wird. Außerdem muss der Kunde darauf hingewiesen werden, dass die Wertpapierfirma nicht prüft, ob die zu erwerbenden Finanzinstrumente für den Kunden geeignet sind. Die durch Art. 19 Abs. 6 FinMRL eingeräumte Option zum „execution-only“ ist nicht nur deshalb zu begrüßen, weil hierdurch eine Produktdifferenzierung ganz im Interesse der Nachfrager ermöglicht wird, die kostengünstig anlegen wollen und deshalb unter Verzicht auf individuelle Information oder Beratung ihre Geschäfte über Direktbanken und Discount Broker vollziehen wollen.320 Wichtig ist diese Option auch deshalb, weil nur so die Möglichkeit besteht, dass sich ein Markt für reine Anlageberatung etablieren kann. Da viele Transaktionen bei der Wertpapieranlage nur von Wertpapierfirmen durchgeführt werden können und kaum ein Kunde bereit ist, doppelt für Aufklärung und Beratung zu zahlen, würde eine zwingende Verknüpfung von Transaktion und Informationsleistung die Entstehung reiner Beratungsmärkte verhindern.
318 Art. 19 Abs. 5 UAbs. 2 FinMRL. 319 Art. 19 Abs. 5 UAbs. 3 FinMRL. 320 Dies war nach der Vorgängerregelung in Art. 11 Abs. 1 S. 4 Sps. 4, 5 WpDRL nicht möglich, siehe Elster, Europäisches Kapitalmarktrecht (2002), S. 292–296 m. w. N. Auch der Vorschlag zur Finanzmarktrichtline (KOM [2002] 625 endg.) sah in Art. 18 Abs. 4 noch eine obligatorische Informations- und Beratungspflicht vor; siehe Balzer, ZBB 2003, 177, 186.
311
Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
Solche reinen Informationsintermediärlösungen sind aber von großem Vorteil für die Kunden. Denn das geringste Risiko von Interessenkonflikten besteht bei einem Intermediär, der allein Information anbietet und damit unabhängig von den Anbietern agiert. Vom Anreizmechanismus her gedacht ist es ideal, wenn der Intermediär zudem unabhängig davon zu bezahlen ist, ob eine Transaktion zu Stande kommt.321 Diesem Idealbild entspricht etwa ein unabhängiger Produkttest in einer Zeitschrift. Auch auf Immobilienmärkten ist es nicht unüblich, allein für die Information zu bezahlen, dass eine Wohnung zu vermieten ist. Abnehmer tendieren jedoch dazu, Intermediäre nur für den „Erfolgsfall“ bezahlen zu wollen. So können sie ihre Kosten für einen erfolgreichen Geschäftsabschluss genauer kalkulieren und dem Intermediär Anreize setzen, die „richtigen“ Informationen zu beschaffen. Damit untergraben sie allerdings die Neutralität ihres Intermediärs: Ein Immobilienmakler, der nur im Fall eines Vertragsschlusses honoriert wird, hat wie der Vermieter einer Wohnung den Anreiz, seinem Klienten diese „schön zu reden“. Da deshalb am Markt eine Tendenz gegen eine reine Informationsintermediärlösung besteht, sollten diese durch den Gesetzgeber gefördert werden, etwa über einen Bezeichnungsschutz („Anlageberater“, „Versicherungsberater“). Jedenfalls sollte sich der Gesetzgeber Regelungen enthalten, die die Vermittlung eines Vertragsschlusses zwingend mit einer Informations- bzw. Beratungsleistung verknüpfen. Kann er sich anders als in Art. 19 Abs. 6 FinMRL nicht dazu entschließen, die Möglichkeit einzuräumen, gänzlichen auf individuelle Information oder Beratung zu verzichten, so läge eine Möglichkeit, individuelle Aufklärung sicherzustellen, gleichzeitig aber die Marktvielfalt auch unter den Informationsintermediären zu fördern und den Wettbewerb um die beste Informationslösung zu erhalten, darin, die Durchführung der Transaktion und die Informations- oder Beratungspflicht zu entkoppeln: Der Kunde hätte so auch die Option, sich bei einem unabhängigen Fachmann gegen eine Gebühr beraten zu lassen; er erhielte dann einen Nachweis über die Beratung. Der Dienstleister, bei dem der Kunde sodann eine Transaktion in Auftrag gibt, müsste nur prüfen, ob sein Kunde vor dem Auftrag hinreichend aufgeklärt wurde. Ob auf diese Weise tatsächlich ein Markt für reine Informationsintermediäre entstünde, hinge vom Verhalten der Kunden ab. Entwicklungen wie die Etablierung von Discount-Brokern haben jedoch gezeigt, dass die Kunden durchaus bereit sind, auf Vielfalt am Markt aufgeschlossen zu reagieren und eingefahrene Wege zu verlassen.
2.
Förderung grenzüberschreitender Angebote
Können Intermediäre ihre Dienste und ihr Wissen über bestimmte Produkte europaweit anbieten, erweitern sie ihren Nachfragekreis; die Vorteile der economies of scale and scope kommen verstärkt zum Tragen. Im Abbau der Hürden für eine grenzüberschreitende Tätigkeit verwirklicht sich eine klassische Regelungsaufgabe der 321
312
Grundmann, JZ 2000, 1133, 1142.
§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
Gemeinschaft. Art. 3 Abs. 5 VersVermRL erklärt, dass Versicherungsvermittler, die in einem Mitgliedstaat registriert sind, in der gesamten Gemeinschaft tätig werden dürfen. Sie haben lediglich ein in Art. 6 VersVermRL niedergelegtes vereinfachtes Notifizierungsverfahren zu durchlaufen, bevor sie erstmals in einem anderen Mitgliedstaat tätig werden dürfen. Auch Wertpapierdienstleister, die in einem Mitgliedstaat zugelassen sind, erhalten damit einen „Europa-Pass“. Nach Art. 31 Abs. 1 FinMRL müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass eine Wertpapierfirma, die eine Behörde eines anderen Mitgliedstaates zugelassen hat und beaufsichtigt, Wertpapierdienstleistungen und Nebenleistungen erbringen darf, soweit die Zulassung des Herkunftslandes dies abdeckt. Die Wertpapierfirma hat ihre Aufsichtsbehörde darüber zu informieren, dass sie grenzüberschreitend tätig werden wird. Die Behörde wird daraufhin die zuständigen Stellen im Aufnahmemitgliedstaat informieren.322 Das Unternehmen kann seine Leistungen auch erbringen, indem es eine Zweigniederlassung gründet.323
3.
Minimierung der Risiken auf Grund von Interessenkonflikten
Konfligierende Interessen können einen starken Anreiz bilden, den Klienten nicht optimal in dessen Interesse zu informieren. Ein Hauptanliegen der Regulierung von Intermediären besteht deshalb darin, zu verhindern, dass Interessenkonflikte beim Intermediär den Klienten zum Nachteil gereichen. a)
Verpflichtung zur Vermeidung und zur Transparenz von Interessenkonflikten
Gefahren durch Interessenkonflikte können zunächst dadurch verringert werden, dass der Vermittler verpflichtet wird, seinem Klienten zu offenbaren, ob er an einen Anbieter gebunden ist und welcher Art die wirtschaftliche Beziehung zu dem Anbieter ist. Klienten können sich dann selbst ein Urteil über die Interessenkonflikte beim Intermediär bilden und einschätzen, inwieweit sie diese berücksichtigen müssen, wenn sie die Informationen des Intermediärs beurteilen wollen. Art. 12 Abs. 1 VersVermRL verpflichtet Versicherungsvermittler dazu, potenzielle Interessenkonflikte offen zu legen, insbesondere Beteiligungen an Versicherungsunternehmen bzw. Beteiligungen von Versicherungsunternehmen am Kapital des Vermittlers und besondere vertragliche Beziehungen zu Versicherungsunternehmen. Das Provisionsinteresse der Vermittler ist ein wesentliches Strukturhindernis für eine objektive Beratung.324 Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens plädierten Verbraucherverbände deshalb dafür, die Versicherungsvermittler zu verpflichten, die Provisionen offen zu legen, die sie von den Versicherern erhalten. Damit sollte
322 Art. 31 Abs. 2–4 FinMRL. 323 Hierzu Art. 32 FinMRL. 324 Lorenz, in: Schnyder/Heiß/Rudisch (Hrsg.), Internationales Verbraucherschutzrecht (1995), S. 231, 244–246.
313
Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
durch Transparenz dagegen vorgebeugt werden, dass Vermittler nicht maßgerechten, überflüssigen und überteuerten Versicherungsschutz empfehlen. Darauf hingewiesen wurde, dass sich in Großbritannien die Provisionsoffenlegung als Mechanismus bewährt habe, um die Risiken von Interessenkonflikten bei Versicherungsvermittlern zu minimieren.325 Die Kommission lehnte diese Forderung ab. Sie berief sich darauf, dass es für alle gewerblichen Tätigkeiten üblich sei, dass die genaue Zusammensetzung des Endpreises dem Abnehmer unbekannt bleibt. Außerdem hänge die Höhe der Provision von mehreren Faktoren ab. Um sie offen zu legen, müssten dem Klienten vielfältige Informationen über die vertragliche Vereinbarung zwischen Versicherung und Vermittler mitgeteilt werden. Diese Informationen überforderten nach Ansicht der Kommission allerdings den Versicherungsnehmer und würden seinen Schutz nicht erhöhen.326 Dieser Sichtweise ist entgegenzusetzen, dass sich das Produkt „Versicherung“ auf Grund seiner Komplexität und den damit verbundenen besonderen Informationsdefiziten der Versicherungsnehmer von den üblichen gewerblichen Angeboten unterscheidet. Hier ist zum einen der Bedarf des Klienten nach objektiver Information überdurchschnittlich hoch, wie auch die Gefahr durch Interessenkonflikte, die ein Kunde nur schwer erkennen kann. Auch der Verkäufer eines Herrenausstatters erhält nicht selten eine zusätzliche Provision, gelingt es ihm, einen besonders teuren Anzug zu verkaufen. Doch ist es in dieser Konstellation zum einen viel einfacher für den Kunden, selbst die Qualität des Anzugs einzuschätzen. Zum anderen kann der Kunde häufig auch leicht erkennen, dass der Verkäufer ein Interesse daran hat, ein Produkt mit einem möglichst hohen Preis zu verkaufen. Demgegenüber sind die möglichen Interessenkonflikte eines Versicherungsvermittlers viel schwerer zu durchschauen: Das Provisionsinteresse des Vermittlers kann von ganz unterschiedlichen Kriterien abhängig sein. Es muss nicht mit dem Preis des Produktes korrelieren. Was den Hinweis anbelangt, die Informationen überforderten die Klienten des Vermittlers, so ist darauf hinzuweisen, dass es dem Gesetzgeber möglich ist, eine standardisierte Angabe der Provisionen vorzuschreiben, die einen Vergleich der Provisionen erleichterte. Zudem ist zu bedenken, dass Versicherungsnehmer und damit Klienten des Vermittlers nicht nur Verbraucher, sondern auch Unternehmen sind. Diesen erlauben die auf dem Spiel stehenden höheren Prämien durchaus, relativ viel Zeit und Geld aufzuwenden, um die Informationen des Vermittlers auszuwerten. Die ablehnenden Argumente der Kommission überzeugen deshalb nicht. Im Schrifttum wird die Haltung der Kommission teilweise mit dem Argument unterstützt, dass eine Offenlegung der Provisionen die Gefahr in sich berge, dass die Kunden ihre Vertragsentscheidung nur nach der Angabe der Provision ausrichteten und deshalb immer den Vertrag vorziehen würden, bei dem der Vermittler die ge-
325 Matusche-Beckmann, NVersZ 2002, 385, 390. 326 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Versicherungsvermittlung, KOM (2000) 511 endg., ABl. C E/2001/29/245, S. 31.
314
§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
ringste Provision erhielte.327 Sachargumente gerieten so in den Hintergrund. Weiter gehend bestehe die „Gefahr“, dass die Kunden gänzlich auf Beratung verzichteten und sich den Direktversicherern zuwendeten.328 Richtig hieran ist, dass die einseitige Hervorhebung eines Qualitätskriteriums eines Produktes – hier etwa eine niedrige Provision – grundsätzlich bei Informationsasymmetrien die Gefahr einer adversen Selektion unter den sonstigen Konditionen erhöht.329 Diese Gefahr wird im Rahmen einer Versicherungsvermittlung indes dadurch kompensiert, dass der Vermittler es selbst in der Hand hat, seinen Klienten davon zu überzeugen, dass sein Rat auf einer sachgerechten Risikoanalyse und einem angemessenen Deckungskonzept aufbaut und dass er sich nicht von seinem Provisionsinteresse hat leiten lassen. Im Übrigen ist freilich vorstellbar, dass sich Versicherer, nachdem ihnen die Provisionen offen gelegt wurden, dazu entschließen, sich lieber direkt zu versichern, da ihnen die Beratungsleistung nicht die Provision Wert ist. Verfehlt ist jedoch, darin eine „Gefahr“ zu erblicken. Vielmehr liegt hierin eine eigenverantwortliche Entscheidung der Kunden, die auch keiner Wertentscheidung des Gesetzgebers widerspricht. Schließlich hat dieser den Vertrieb von Versicherungen nicht mit einer Zwangsberatung verbunden und sich so für eine größere Marktvielfalt entschieden, die auch die Direktversicherung umfasst. Eine Pflicht zur Provisionsoffenlegung wäre deshalb zu befürworten. Interessenkollisionen bilden auch im Wertpapierhandel ein großes Konfliktpotenzial.330 Die Interessen der Klienten können zum einen mit denen der Wertpapierfirma selbst konkurrieren. Transaktionsabhängige Gebühren können dazu verleiten, dem Kunden ein Übermaß an Transaktionen zu empfehlen (sog. churning) oder Wertpapiere, an deren Vermittlung sie ein besonderes Provisionsinteresse haben. Die Mitarbeiter der Wertpapierfirma können ihr Eigeninteresse den Interessen der Klienten vorziehen, etwa indem sie sich bei überzeichneten Emissionen selbst bevorzugt bedienen. Steht die Ausführung einer größeren Kundenorder an, können sie diese Information ausnutzen und vorher auf eigene Rechung Geschäfte tätigen (sog. front running). Letzteres Beispiel zeigt, dass Verletzungen der Interessenwahrungspflicht der Klienten mit insiderrechtlichen Verstößen einhergehen können. Schließlich können sich Wertpapierdienstleister auch Interessenkonflikten zwischen mehreren Klienten ausgesetzt sehen. Beispielhaft genannt sei wieder der Fall der Zuteilung von Wertpapieren bei überzeichneten Emissionen. Die Finanzmarktrichtlinie begegnet diesen Gefahren zunächst mit präventiven Regeln zu Organisation und Verfahren. Diese sind als Aufsichtsregeln formuliert, d. h. sie sind vom Herkunftsmitgliedstaat der Wertpapierfirma zu erlassen und zu überwachen. Nach Art. 13 Abs. 3 FinMRL müssen Wertpapierfirmen auf Dauer wirksame organisatorische und verwaltungsmäßige Vorkehrungen treffen, um zu
327 Matusche-Beckmann, NVersZ 2002, 385, 390. 328 Matusche-Beckmann, NVersZ 2002, 385, 390, Fn. 53. 329 Vgl. oben, S. 265 zur Pflicht, bei jeder Werbung für Verbraucherkredite den effektiven Jahreszins angeben zu müssen. 330 Koller, in: Assmann/Schneider, Wertpapierhandelsgesetz, 3. Aufl. (2003), § 33, Rn. 31.
315
Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
verhindern, dass Interessenkonflikte den Kunden zum Nachteil gereichen. Die Norm erfasst vor allem Konflikte, die in der Aufbau- und Ablauforganisation angelegt sind. Wie im Rückschluss aus Art. 18 Abs. 2 FinMRL klar wird, erkennt der Richtliniengeber an, dass nicht sämtlich mögliche Interessenkonflikte durch organisatorische oder verwaltungsmäßige Maßnahmen ausgeschaltet werden können. Der Wertpapierdienstleister soll sie so weit wie möglich verhindern. Wie durch den Hinweis auf „angemessene“ Maßnahmen klar wird, ist die Grenze dort überschritten, wo der Aufwand unverhältnismäßig und wirtschaftlich nicht mehr vertretbar ist.331 Der gebotene Aufwand bestimmt sich für jedes Unternehmen individuell. Art. 13 Abs. 2 FinMRL fordert zudem angemessene Strategien und Verfahren, um den einschlägigen Vorschriften über persönliche Geschäfte der Geschäftsleitung, der Beschäftigten und der vertraglich gebundenen Vermittler nachzukommen. Die Wertpapierfirma muss deshalb interne Maßnahmen treffen, um die persönlichen Transaktionen von Angestellten der Firma kontrollieren zu können und so zu verhindern, dass diese Wertpapiergeschäfte aus Eigeninteresse zum Nachteil der Interessen der Klienten tätigen. Um die organisatorischen Regeln zur Prävention gegen Interessenkonflikte zu erfüllen, verfügen die Wertpapierdienstleister über ein breites Spektrum an Maßnahmen. Die Firmen müssen hausinterne Verhaltensregeln erlassen und kontrollieren. Mitarbeiter sind regelmäßig zu schulen, wie sie Interessenkonflikte vermeiden können und mit ihnen umgehen müssen. Ihre Vergütungen können so ausgestaltet werden, dass sie keine Anreize zu einem Fehlverhalten in konfliktträchtigen Situationen bieten. Ein Beschwerdemanagement kann Schwachstellen in der Organisation aufdecken. Eine zentrale Maßnahme besteht darin, durch sog. Chinese Walls innerbetriebliche Vertraulichkeitsbereiche zu schaffen und überwachen zu lassen. Damit kann der Informationsfluss im Unternehmen so kanalisiert werden, dass die Gefahr des Missbrauchs von Informationen minimiert wird.332 Wenn nötig, kann eine Wertpapierfirma auch sog. restricted lists erstellen, die Wertpapiere aufzählt, die vorübergehend nicht Gegenstand der Geschäfte der Mitarbeiter oder der Wertpapierfirma sein dürfen und auch von der aktiven Anlageberatung auszuschließen sind. Art. 18 Abs. 1 FinMRL verlangt, dass Wertpapierfirmen alle angemessenen Vorkehrungen zu treffen haben, um Interessenkonflikte zwischen ihr bzw. ihren Angestellten und den Klienten oder zwischen den Klienten zu erkennen. Wie sich insbesondere aus der systematischen Stellung des Art. 18 FinMRL ergibt, zielt die Norm im Unterschied zu Art. 13 Abs. 3 FinMRL nicht auf die Minimierung der Risiken auf Grund allgemeiner, strukturell bedingter Interessenkonflikte, sondern auf die Verhinderung von Nachteilen für die Klienten durch Interessenkonflikte beim konkreten Geschäft. Wie bereits der Wortlaut des Art. 18 Abs. 1 FinMRL erkennen lässt, verlangt die Regel nicht, konfliktträchtige Konstellationen in jedem Falle zu ver-
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316
Vgl. Koller, in: Assmann/Schneider, Wertpapierhandelsgesetz, 3. Aufl. (2003), § 33, Rn. 16. Zu den Chinese Walls Elster, Europäisches Kapitalmarktrecht (2002), S. 270–272.
§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
meiden. Art. 18 Abs. 2 FinMRL fordert von der Wertpapierfirma allerdings, zunächst „nach vernünftigem Ermessen“ zu versuchen, durch organisatorische und verwaltungsmäßige Vorkehrungen (i. S. d. Art. 13 Abs. 3 FinMRL) zu gewährleisten, dass Kundeninteressen nicht beeinträchtigt werden. Die Grenze zur Unvermeidbarkeit von Risiken beurteilt sich danach, welcher Kräfteeinsatz für das Unternehmen zumutbar ist. Muss die Firma gleichwohl erkennen, dass trotz der Maßnahmen im konkreten Geschäftsfall dem Klienten auf Grund von Interessenskonflikten ein Risiko droht, so verlangt Art. 18 FinMRL nicht, das Mandat abzulehnen oder die Transaktion nicht auszuführen. Vielmehr bestimmt Art. 18 Abs. 2 FinMRL, dass der Händler die Art und die Quellen der Interessenkonflikte offen zu legen hat. Der Klient ist auch über die Mechanismen einer zu befürchtenden Manipulation aufzuklären. Dies räumt zwar den Konflikt nicht aus, reduziert aber dessen Gefahrenpotential. Denn dem Klienten erleichtert dies, sich selbst zu schützen.333 Interessenkonflikte zwischen Aufträgen verschiedener Kunden regelt Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 FinMRL, der vorschreibt, dass vergleichbare Aufträge gemäß dem Zeitpunkt ihres Eingangs bei der Wertpapierfirma auszuführen sind. Durch Transparenz sollen mögliche Interessenkonflikte 334 verhindert werden, wenn die Wertpapierfirma einen Auftrag eines Kunden erfüllt, indem sie auf die entsprechende Order eines anderer Kunden oder den eigenen Bestand zurückgreift.335 Will das Unternehmen einen Auftrag auf diese Art internalisieren, so muss es die ausdrückliche vorherige Zustimmung des Kunden einholen.336 b)
Bezeichnungsrechte
Sind Bezeichnungen Vermittlern vorbehalten, die ein bestimmtes Maß an Unabhängigkeit von Versicherungsunternehmen gewährleisten, so liegt darin eine Möglichkeit, den Markt zu informieren über die Gefahr möglicher Interessenkonflikte beim Vermittler. Das setzte voraus, dass die Klienten mit der Bedeutung von möglichen Bezeichnungen wie etwa „Versicherungsagent“, „Versicherungsmakler“ oder „Versicherungsberater“ vertraut wären und einschätzen könnten, welchen Grad an Unabhängigkeit sie jeweils erwarten könnten. Allerdings hat sich der Gemeinschaftsgesetzgeber weder für den Wertpapierhandel, noch für die Versicherungsvermittlung dazu entschlossen, Kategorien von Intermediären nach dem Maß ihrer rechtlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit zu definieren und an diese Kategorien Bezeichnungsrechte anzuknüpfen. Allerdings ermöglicht es Art. 3 Abs. 2 VersVermRL den Mitgliedstaaten, mehr als nur ein Register bzw. unterschiedliche Abteilungen in einem Register einzu-
333 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 4.20, Rn. 26 (S. 735 f.). 334 Ein zweites Problem einer solchen Internalisierung von Aufträgen liegt darin, dass sie die Aussagekraft der Preisbildung am Markt schwächt. Damit erklären sich etwa die Veröffentlichungspflichten „systematischer Internalisierer“ (Art. 4 Abs. 1 Nr. 7 FinMRL) nach Art. 27 FinMRL. 335 Balzer, ZBB 2003, 177, 183 f. 336 Art. 21 Abs. 3 UAbs. 3 S. 2 FinMRL.
317
Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
richten.337 Damit bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, Kriterien für verschiedene Typen von Versicherungsvermittlern zu entwickeln und damit auch Bezeichnungsrechte zu verbinden. Fraglich bleibt dann, wie mit ausländischen Vermittlern zu verfahren wäre. Um deren Dienst- und Niederlassungsfreiheit nicht einzuschränken, sollte ihnen die Wahl gelassen werden, die im Herkunftsland übliche Bezeichnung zu verwenden oder sich einem Vermittlertypus des Mitgliedstaates zuzuordnen, in dem sie tätig werden wollen.338 Im Rahmen des Notifizierungsverfahrens nach Art. 6 VersVermRL könnte dann der Registerbetreiber prüfen, ob der ausländische Vermittler die Voraussetzungen erfüllt, um einer bestimmten Kategorie zugeordnet zu werden und die entsprechende Bezeichnung zu führen. Sehen sich die Kunden ausländischen, häufig fremdsprachlichen Bezeichnungen gegenüber, werden sie nicht selten verunsichert reagieren. Es obläge dann ihrer Eigenverantwortung, herauszufinden, welche möglichen Interessenverknüpfungen sich hinter diesem label verbergen. Deshalb verspräche die Möglichkeit einen Marketingvorteil, die in einem Mitgliedstaat übliche Bezeichnung zu verwenden. Es bestünde somit ein Anreiz für einen Vermittler, nachzuweisen, dass er die Voraussetzungen erfüllt, eine bestimmte Bezeichnung verwenden zu dürfen. Effektiver wäre es freilich, die Voraussetzungen gemeinschaftsrechtlich zu harmonisieren, unter denen die Vermittler bestimmte Bezeichnungen benutzen dürften. c)
Treuepflicht als Generalnorm
Einen Vermittler, der auf Grund einer vertraglichen Beziehung mit einem Klienten tätig wird,339 bindet eine Treuepflicht. Danach hat er bei Interessenkollisionen dem Interesse seiner Klienten unbedingt Vorrang einzuräumen. Der Vermittler muss sich loyal verhalten, selbst wenn ihm dadurch finanzielle Vorteile entgehen. Denn durch die Vergütung, die er von seinem Klienten erhält, wird er dafür kompensiert, dass er jegliche eigene Interessen bei der Ausübung seines Mandats ausblendet.340 Diese strikte Interessenwahrungspflicht ist allen treuhänderischen Rechtsverhältnissen inhärent, ohne dass sie ausdrücklich niedergelegt werden müsste. Art. 19 Abs. 1 FinMRL formuliert sie für die Wertpapierdienstleister. Danach haben sie „bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen [...] ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden [zu handeln]“. Die Treuepflicht kann als eine marktkorrigierende Generalnorm für den Umgang eines Intermediärs mit 337 Direkter noch Art. 5 Abs. 3 der Empfehlung der Kommission vom 18. 12. 1991 über Versicherungsvermittler (92/48/EWG): „Gibt es ein zentrales Register, sollte in diesem zwischen unabhängigen und abhängigen Versicherungsvermittlern unterschieden werden“. 338 Teichler, VersR 2002, 385, 391. 339 Dies ist freilich bei der Versicherungsvermittlung häufig nicht der Fall. Handelt der Vermittler nicht als Makler bzw. kommt kein gesonderter Beratervertrag zwischen ihm und dem Klienten zu Stande, treffen den Vermittler jedenfalls nach deutschen Recht nur dann eigenständige Pflichten gegenüber dem Klienten, wenn er unmittelbar eigenes wirtschaftliches Interesse am Vertragsschluss hat oder wenn er in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hat und hierdurch die Vertragsverhandlungen beeinflusst hat (§ 311 Abs. 3 BGB), BGHZ 56, 81, 83; BGHZ 88, 67, 68 f. 340 Eingehend Grundmann, Treuhandvertrag (1997), S. 192 ff.
318
§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
Interessenkonflikten verstanden werden. Aus ihr lassen sich aber auch alle notwendigen marktunterstützenden organisatorischen oder transaktionsbezogenen Maßnahmen ableiten, mit denen Interessenkonflikte verhindert werden sollen oder die regeln, wie mit ihnen umzugehen ist.
IV.
Übergreifende Elemente
1.
Kompensation von Marktdefiziten
Das europäische Recht der Absatzförderung und der Absatztechniken soll Marktdefizite kompensieren. Wie die Analyse und die Systematisierung gezeigt haben, zielt die Regulierung vornehmlich darauf ab, Probleme unvollkommener Information auf Märkten zu beheben. a)
Dominanz marktunterstützender Regelungen
Zum Repertoire der Regulierung der Absatzverhältnisse gehören sowohl marktkorrigierende als auch marktunterstützende Instrumente, wobei auf europäischer Ebene eine Dominanz letzterer zu verzeichnen ist. Marktunterstützende Regeln wollen Marktdefiziten begegnen, ohne die Vielfalt der Angebote am Markt zu schmälern. Den Marktakteuren soll die Freiheit bleiben, die Leistung in Anspruch zu nehmen, die ihren Präferenzen am besten entspricht. Dem Wettbewerb bleibt die Rolle als zentraler Steuerungsmechanismus des Wirtschaftssystems, als Entdeckungsverfahren weitestgehend erhalten. Dies gilt für die Vielzahl von Normen, die die Information des Marktes durch Anbieterinstrumente unterstützen, wie die Werbung, die Etikettierung, Prospekte etc., genauso wie für die Regeln, die es erleichtern, sich eines Intermediärs zu bedienen, um Informationsdefizite zu überwinden. Aber auch das Widerrufsrecht kann eher als marktunterstützendes, denn als marktkorrigierendes Instrument verstanden werden. Gibt es doch den Abnehmern eine zweite Chance, Informationsmängel über die Qualität des erworbenen Produktes auszugleichen oder frei von einer besonderen Druck- oder Verlockungssituation zu entscheiden, ob ein Geschäft tatsächlich ihren individuellen Präferenzen entspricht. Regelungen mit marktkorrigierender Funktion stehen bei der Regelung von Absatztechniken und Absatzfördermaßnahmen am Rande. Dies liegt freilich schon in der Definition des betrachteten Bereichs begründet. Denn typische marktkorrigierende Regelungen, wie etwa die Festlegung von Mindeststandards für die Produktqualität oder die Einführung eines zwingenden Gewährleistungs- und Haftungsrechts, sind nicht absatzbezogen im hier verstandenen Sinne. Verknüpft der Regelgeber ausnahmsweise mit absatzbezogenen Regelungen marktkorrigierende Ziele, kann dies häufig nicht überzeugen. Paradigmatisch hierfür stehen die Regeln zur Tabakwerbung und zur Etikettierung von Tabakerzeugnissen. Der Gesetzgeber strebt mit ihnen nicht an, die Konsumenten durch Information über die gesundheitlichen Risiken des Rauchens aufzuklären und ihnen so eine informierte Ver-
319
Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
tragsentscheidung zu ermöglichen. Vielmehr sollen die Abnehmer im vermeintlich eigenen Interesse davon abgehalten – betrachtet man die vorgegebenen Warnhinweise, ja geradezu davon abgeschreckt werden – ein legales Produkt zu erwerben. Dies verdeutlicht, dass der Regelgeber korrigierend in den Mechanismus von Markt und Wettbewerb eingreifen will. Da sich ein Verbot des Absatzes von Tabakprodukten rechtspolitisch nicht durchsetzen ließe, sollen vergleichbare Wirkungen erreicht werden, indem Absatzfördermaßnahmen beschränkt und reguliert werden. Mit den Warnhinweisen nach der Tabakproduktrichtlinie funktionalisiert der Gesetzgeber die Etikettierung, ein klassisches Informationsinstrument des Anbieters, zu einem Instrument des Wertepaternalismus. b)
Regelung der Absatzverhältnisse und Wege zur Binnenmarktintegration
Die marktunterstützenden Regelungen für Absatztechniken und Absatzfördermaßnahmen nehmen innerhalb des Rechts des Binnenmarktes einen breiten Raum ein. Setzt der Gemeinschaftsgesetzgeber hier Recht, so erfolgt dies stets auch mit dem Ziel, die Binnenmarktintegration zu fördern. Dies folgt zwingend aus den Gemeinschaftskompetenzen: Nahezu alle Rechtsakte zur Regulierung von Absatztechniken und Absatzfördermaßnahmen stützen sich auf Art. 94 und Art. 95 EG. Die Rechtsangleichung muss deshalb grenzüberschreitende geschäftliche Aktivitäten im Binnenmarkt erleichtern. Es entspricht den Anforderungen, die der EuGH aus den Grundfreiheiten ableitet und die auch den Gemeinschaftsgesetzgeber binden, dass der EG-Gesetzgeber vorrangig auf absatzbezogene marktunterstützende Regeln setzt, um den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs dürfen die Mitgliedstaaten keine zwingenden inhaltlichen Normen vorsehen, die den grenzüberschreitenden Verkehr behindern, wenn den jeweiligen Schutzinteressen auch durch Information hinreichend Rechnung getragen wird.341 Nach Auffassung des Gerichtshofs gelten die Grundsätze eines freien innergemeinschaftlichen Wirtschaftsverkehrs und damit auch die Grundfreiheiten nicht nur für nationale Maßnahmen, sondern auch für Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane.342 Daraus leitet der EuGH ab, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine allgemeine Schranke für harmonisierende Normen des EG-Sekundärrechts darstellt, die den innergemeinschaftlichen Handel beschränken und die besondere Schutzinteressen (Verbraucherschutz, Lauterkeit 341 St. Rspr., EuGH, Urt. v. 20. 2. 1979 – Rs. 120/78, REWE / Bundesmonopoverwaltung für Branntwein („Cassis de Dijon“), Slg. 1979, 649, 664, Rn. 13; EuGH, Urt. v. 28. 6. 1980 – Rs. 788/89, Gilli und Andres, Slg. 1980, 2071, 2078, Rn. 7; EuGH, Urt. v. 12. 3. 1987 – Rs. 178/44, Kommission / BRD, Slg. 1987, 1227, 1271, Rn. 35; EuGH, Urt. v. 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97, Centros, Slg. 1999, I-1459, 1495, Rn. 36; weitere Beispiele aus der Rechtsprechung bei Usher, in: Grundmann/Kerber/Weatherill, Party Autonomy (2001), S. 151, 158 f. Zum Informationsmodell, das aus dieser Rechtsprechung für das Privatrecht abgeleitet wird, Grundmann, 39 CMLR (2002), 269, 281–285. 342 St. Rspr., EuGH, Urt. v. 17. 5. 1984 – Rs. 15/83, Denkavit Nederland, Slg. 1984, 2171, 2184, Rn. 15; EuGH, Urt. v. 14. 7. 1998 – Rs. C-341/95, Bettati, Slg. 1998, I-4355, 4380, Rn. 61; monographisch hierzu Scheffer, Die Marktfreiheiten des EG-Vertrages als Ermessensgrenze des Gemeinschaftsgesetzgebers (1997); Schwemer, Die Bindung des Gemeinschaftsgesetzgebers an die Grundfreiheiten (1995).
320
§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
des Handelsverkehrs) verfolgen.343 Dies erklärt, warum unter den Harmonisierungsmaßnahmen zur Förderung der Binnenmarktintegration absatzbezogene, marktunterstützende Bestimmungen im Vordergrund stehen im Vergleich zu inhaltsbestimmenden, marktkorrigierenden Regeln. Auch regulierungstheoretisch ist die vorrangige Harmonisierung durch einheitliche marktunterstützende Regeln für Absatztechniken und Absatzfördermaßnahmen an Stelle harmonisierter inhaltlicher Standards überzeugend. Denn hierin kann ein vorteilhafter Kompromiss liegen, um die Vorteile einheitlicher Regelung zu nutzen und die damit einhergehenden Nachteile zu minimieren. Einheitliche Regelungen in einem Gemeinsamen Markt werden gemeinhin mit zwei Vorteilen verknüpft: 344 Zentrale Lösungen können externe Effekte über die Grenzen einzelner Regelgeber hinweg vermeiden und Kosten sparen, da Skalenerträge besser ausgenutzt und Transaktionskosten gespart werden können. Dem stehen jedoch Vorteile dezentraler Regulierung gegenüber. Erstens: In einem zu regulierenden Gebiet gibt es regional unterschiedliche Präferenzen in der Bevölkerung und unterschiedliche äußere Bedingungen. Eine zentrale Lösung kann immer nur eine „durchschnittliche“ Lösung sein. Dezentrale, räumlich differenzierte Regelungen können dagegen effizientere Lösungen finden, die heterogenen Präferenzen besser gerecht werden. Zweitens belassen dezentrale Regelungskompetenzen die Möglichkeit zu parallelen Experimentierungsprozessen, d. h. gleichzeitig verschiedene Ansätze zur Regulierung eines Problems ausprobieren zu können. Solche Prozesse des Experimentierens mit verschiedenen Lösungen und des wechselseitigen Lernens sind wünschenswert, da die Regelgeber zum einen für viele Probleme noch nicht die „richtige“ Lösung gefunden haben und zum anderen ständig neue Probleme auftreten, für die geeignete Lösungen noch entwickelt werden müssen. Durch die Beschränkung auf eine zentrale Regelungsinstanz verzichtete man auf einen Wettbewerb der Regelungsideen und damit auf den Wettbewerb als Mittel, neues Wissen zu generieren und zu verbreiten.345
343 Siehe EuGH, Urt. v. 9. 8. 1994 – Rs. C-51/93, Meyhui, Slg. 1994, I-3879, 3898, Rn. 9–22. Dort prüft der Gerichtshof, ob eine gemeinschaftsrechtliche Regelung, nach der bestimmte Kristallerzeugnisse in der Sprache des Landes zu bezeichnet sind, in dem sie in den Verkehr gebracht werden, eine verhältnismäßige Maßnahme zum Schutze der Verbraucher darstellt. Siehe auch die st. Rspr. zum Irreführungsverbot des Art. 6 Abs. 3 KosmetikRL, wonach im Lichte des Art. 28 EG Verhaltensweisen nur insoweit als irreführend angesehen werden dürfen, wie dies zum Zwecke des Verbraucherschutzes notwendig sei, EuGH, Urt. v. 2. 2. 1994 – Rs. C-315/92, Verband Sozialer Wettbewerb („Clinique“), Slg. 1994, I-317, 318, Leitsatz und 336, Rn. 16; EuGH, Urt. v. 28. 1. 1999 – Rs. C-77/97, Unilever („Odol-Med 3“), Slg. 1999, I-431, 432, Leitsatz und 478, Rn. 27; EuGH, Urt. v. 13. 1. 2000 – Rs. C-220/98, Estée Lauder („Lifting Creme“), Slg. 2000, I-117, 146, Rn. 26; EuGH, Urt. v. 24. 10. 2002 – Rs. C-99/01, Linhart und Biffl, Slg. 2002, I-9375, 9403, Rn. 26. 344 Zu den Vor- und Nachteilen zentraler und dezentraler Regulierung Gatsios/Holmes, Regulatory competition, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law, Bd. 3 (1998), S. 271, 273–275; Kerber, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung (2000), S. 67, 84–87; Woolcock, in: McCahery/Bratton/Picciotto/Scott (Hrsg.), International Regulatory Competition and Coordination (1996), S. 289, 298–301. 345 Grundlegend für diesen Ansatz einer evolutorischen Marktprozess- und Wettbewerbstheorie von Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren (1968). Für den verfassungsrechtliche
321
Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
Drittens schließlich ist zu berücksichtigen, dass Regulierung stets durch Repräsentanten erfolgt und damit das Problem verbunden ist, dass es aus verschiedenen Gründen – angefangen vom politischen Prozess, durch den die Regelgeber bestimmt werden, bis zur Beeinflussung durch Interessengruppen – fraglich ist, inwieweit sich die Regelgeber bei ihren Entscheidungen tatsächlich an den Problemen aller Menschen orientieren oder einzelne Gruppen auf Kosten anderer begünstigen (sog. rent-seeking-Problem). Bei einer weit gehend dezentralen Entscheidungsfindung werden Macht und Einfluss einzelner Regelgeber begrenzt, zudem sehen sie sich einem Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Das vermindert die Risiken des rent-seeking-Problems. Ob zentralen Lösungen oder einem Markt für Regelungsideen der Vorzug zu geben ist, kann nicht generell beantwortet werden. Die Vor- und Nachteile zentraler bzw. dezentraler Regelungen sind je nach Problembereich miteinander abzuwägen, so dass man dazu gelangt, Kompetenzen auf unterschiedlichen Ebenen auch differenziert zuzuordnen.346 Steht im Ausgangspunkt jedoch fest, dass es einer Regelung auf zentraler Ebene bedarf, um etwa zu ermöglichen, dass ein Produkt frei auf dem Gemeinsamen Markt vertrieben werden kann, so kommt es darauf an, die Vorteile zentraler Regelung zu sichern und die damit verbundenen Nachteile zu minimieren. Dies kann dadurch geschehen, dass den in Rede stehenden Schutzbedürfnissen durch eine einheitliche Regelung entsprochen wird, die eine standardisierte Information über die Produkteigenschaften und etwaige Risiken durch Etikettierung festlegt, es den Mitgliedstaaten aber frei lässt, den Produktstandard zu bestimmen. Kann allein durch eine solche zentral vorgegebene Informationslösung ein Produkt frei im Gemeinsamen Markt zirkulieren, vermeidet dies die Nachteile, die mit einer Harmonisierung der Produktstandards verbunden wären: Dem Markt bleibt die Produktvielfalt erhalten um heterogene Präferenzen bedienen zu können und die mitgliedstaatlichen Regierungen können um den angemessenen Produktstandard konkurrieren.347 Bedenkt man, dass nahezu alle Regelungen für Absatztechniken und Absatzfördermaßnahmen als Regeln zur Förderung der Information der Märkte verstanden werden können, rechtfertigt dies den Stellenwert absatzbezogener Normen innerhalb des Binnenmarktprojekts: Die Konzentration der Harmonisierung auf Regeln für Absatztechniken und Absatzförderung ermöglicht es, eine effiziente Balance zwischen zentraler und dezentraler Regelung zu finden.
Rahmen des Gemeinschaftsrechts wird konstatiert, dass er sich schlecht dafür eigne, Rechtsvereinheitlichungs- und -angleichungsprozesse als „offene Lernprozesse“ zu gestalten, Kirchner, in: Grundmann, Systembildung (2000), S. 99, 109–111. Zur Bedeutung des Lern- und Suchpotentials durch den Wettbewerb zwischen Vertragsrechtsordnungen Kirchner, in: Weyers (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht (1997), S. 103, 118 f. 346 Kerber, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung (2000), S. 67, 86. Mögliche Chancen und Risiken harmonisierten Verbraucherschutzrechts werden aufgezeigt von Kirchner, in: Grundmann/Kerber/Weatherill, Party Autonomy (2001), S. 165, 168–170. 347 Vgl. Grundmann/Kerber/Weatherill, in: Grundmann/Kerber/Weatherill, Party Autonomy (2001), S. 3, 37.
322
§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
Unabhängig von diesem regelungstheoretischen Argument erklären auch praktische Gründe, dass der Bestand gemeinschaftlicher Regeln gerade bei absatzbezogenen marktunterstützenden Regeln sehr dicht ist. Schließlich ist es häufig leichter, einen politischen Konsens über absatzbezogene als über inhaltsgestaltende und damit marktkorrigierende Regeln zu erzielen.348 Können sich die Mitgliedstaaten beispielsweise nicht darauf einigen, einen bestimmten Inhaltsstoff zu verbieten, so können sie sich doch leichter darauf verständigen, den freien Verkehr im Binnenmarkt zu gewährleisten, wenn Produkte mit diesem Inhaltsstoff einen Warnhinweis tragen oder Absatzfördermaßnahmen für diese Produkte beschränkt sind.
2.
Verbraucherschutzrecht?
Die hier als Recht der Absatztechniken und Absatzfördermaßnahmen systematisierten Normen werden teilweise als Bestandteil eines europäischen Verbraucherschutzrechtes begriffen.349 Aus dieser Perspektive liegt das Ziel der absatzbezogenen Regelungen primär darin, die Wahl- und Entscheidungsfreiheit derVerbraucher zu schützen und zu stärken: Die Harmonisierung gewährleiste einen einheitlichen Mindestschutz für Verbraucher, so dass ihr Vertrauen in den Binnenmarkt gefördert werde. Der Verbraucher soll ermutigt werden, grenzüberschreitend Waren zu ordern und Dienstleistungen nachzufragen. Die grenzüberschreitende Nachfrage soll für einen verstärkten Wettbewerbsdruck sorgen und eine effizientere Versorgung mit Waren und Dienstleistungen anregen. Der Verbraucher rücke so in die Rolle des Initiators der Binnenmarktintegration mit ihren positiven Wirkungen.350 In der Tat will der Gemeinschaftsgesetzgeber mit dem Argument, einheitliches Verbraucherschutzrecht baue psychologische Hemmschwellen zur grenzüberschreitenden Nachfrage ab, insbesondere auch eine Kompetenz zur Rechtsharmonisierung aus Art. 95 EG begründen.351
348 Vgl. Grundmann/Kerber/Weatherill, in: Grundmann/Kerber/Weatherill, Party Autonomy (2001), S. 3, 36. 349 Siehe etwa Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. (2003); Howells/Wilhelmsson, EC Consumer Law (1997); Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht (2004); Weatherill, EC Consumer Law and Policy (1997); Vgl. auch Wilhelmsson, Social Contract Law (1994), S. 113 f., der die vertragsrechtlichen Regelungen des Gemeinschaftsrechts als Teil eines „sozialen Vertragsrechts“ ansieht, da sie darauf gerichtet seien, die schwächere Vertragspartei zu schützen. Feilich räumt er an anderer Stelle auch ein: “[...] one has to acknowledge the fact that it is possible to construct several different systems on the basis of the same concrete legal material” (S. 19). 350 Diese Perspektive betonen etwa BE 5 KaufRRL oder auch das Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union vom 2. 10. 2001, KOM (2001) 531 endg., S. 3; siehe hierzu Heiderhoff, Grundstrukturen (2004), S. 223–227, nach der es sich um eine „schlüssig erscheinende Prämisse“ des Gemeinschaftsrechts handele, dass das Verbrauchervertrauen den Binnenmarkt „tatsächlich belebt“ (S. 226). Krit. zu diesem Begründungsansatz Wilhelmsson, 27 JCP (2004), 317–337. 351 Krit. zu diesem Begründungsansatz Roth W.-H., JZ 2001, 475, 478 f. und 481 f.; Wilhelmsson, 27 JCP (2004), 317–337.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
Unabhängig von der Frage, ob es nicht realistischer ist, auf die grenzüberschreitend anbietenden Unternehmen als Initiatoren des Binnenmarktes zu setzen,352 offenbart doch der angestrebte circulus virtuosus und die Kompetenzbegründung eines: Gemeinschaftsrecht ist zunächst dazu bestimmt, die Integration der Märkte zu fördern. Die Angleichung des Verbraucherrechts kann ein Mittel hierzu sein. Deutlich wird dies daran, dass die hier systematisierten Normen sich nahezu durchgehend auf die Binnenmarktrechtssetzungskompetenz nach Art. 94 und 95 EG stützen, teilweise auch auf Kompetenzgrundlagen zur Durchsetzung der Grundfreiheiten.353 Kompetenznorm ist fast 354 nie Art. 153 Abs. 3 lit. b, Abs. 4 EG, also die Regel, die die Gemeinschaft ermächtigt, originäres Verbraucherrecht zu schaffen. Demgegenüber ist Art. 153 Abs. 3 lit. a EG weder als eigene Kompetenzgrundlage zu verstehen,355 noch führt der Verweis auf Art. 95 EG dazu, dass der Verbraucherschutz Hauptziel einer Rechtsangleichungsmaßnahme sein könnte.356 Auf Art. 95 EG dürfen nur Maßnahme gestützt werden, die als Hauptzweck die Verwirklichung des Binnenmarktes anstreben. Das europäische Recht für Absatztechniken und Absatzförderung ist deshalb zuerst Binnenmarktrecht, nicht Verbraucherschutzrecht.357 Die Angleichungsrechtsakte wollen genauso die Interessen der Unternehmer an einem freien Binnenmarkt wie auch die Interessen der Verbraucher schützen.358 Einzuräumen ist, dass viele Richtlinien zur Rechtsharmonisierung nur Mindeststandards definieren und so den Unternehmen lediglich einen „näherungsweise einheitlichen Handlungsrahmen“ 359 bieten.360 Allerdings deuten neuere Rechtsakte 352 So Grundmann, AcP 202 (2002), 40, 43: „Der Verbraucher ist nur ein Spieler, der wichtigere für die Marktentstehung [...] ist das Unternehmen.“ (Hervorhebung ergänzt). 353 Die Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen stützt sich auch auf Art. 47 Abs. 2, 55 EG. 354 Eine Ausnahme bildet die Preisangabenrichtlinie, bei deren Erlass sich der Gemeinschaftsgesetzgeber nur auf Art. 129a Abs. 1 lit. b EG a. F. als Kompetenzgrundlage gestützt hat. Daneben wurde nur ein anderer Rechtsakt ausschließlich auf Grund dieser Rechtsgrundlage erlassen, nämlich die Entscheidung 94/3092/EG vom 7. 12. 1994 zur Errichtung eines gemeinschaftlichen Informationssystems über Haus- und Freizeitunfälle. Bislang erging kein Rechtsakt (allein) auf Grundlage des Art. 153 Abs. 3 lit. b EG, vgl. Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 EGV, Rn. 34. 355 EuGH, Urt. v. 7. 3. 1996 – Rs. C-192/94, El Corte Inglés, Slg. 1996, I-1281, 1303, Rn. 13; Generalanwalt Lenz, Schlussantrag v. 7. 12. 1995 – Rs. C-192/94, El Corte Inglés, Slg. 1996, I-1284, 1293, Tz. 32; Berg, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2000), Art. 153 EGV, Rn. 14; Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 EGV, Rn. 32. Markant trat dieser Aspekt im Streit um die Rechtsgrundlage für die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken hervor: Das Parlament hatte gefordert, die Richtlinie auch auf Art. 153 EG zu stützen. Die Kommission akzeptierte sodann den Gemeinsamen Standpunkt des Rates, der auch einen Verweis auf Art. 153 Abs. 1, Abs. 3 lit. a EG enthielt, betonte aber, dass „Artikel 95 EG-Vertrag allein als die richtige Rechtsgrundlage anzusehen ist“; KOM (2004) 753 endg. 356 Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2. Aufl. (2002), Art. 153, Rn. 13–16; Lurger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV (2003), Art. 153 EGV, Rn. 32; a. A. Micklitz/Reich, EuZW 1992, 593, 594. 357 Ähnlich für das Verbrauchervertragsrecht Heiderhoff, Grundstrukturen (2004), S. 219–222. 358 Vgl. BE 2, 3 HWiRL, BE 2–4 FinFARL, BE 2, 6 LMEtRL. 359 Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 229. 360 Krit. deshalb etwa Calliess, in: Joerges/Teubner (Hrsg.), Rechtsverfassungsrecht (2003), S. 239, 265. Siehe aber die Ansätze bei Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 1. Teil, Rn. 110–120 (S. 81–88); Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 146–170, 222–227 und Stein-
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§ 9 Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung
und laufende Gesetzgebungsverfahren auf einen Trend zur Vollharmonisierung hin.361 Wird der Verbraucherschutz zuweilen stärker betont, hat dies einmal rechtspolitische Gründe. Unter der Flagge des europaweit verbesserten Verbraucherschutzes lassen sich Harmonisierungsmaßnahmen politisch leichter durchsetzen als unter der Zielstellung, ein level playing field für Unternehmen zu schaffen.362 Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Generaldirektion Verbraucherschutz und nicht die Generaldirektion Binnenmarkt die Mehrzahl der Rechtsakte im hier betrachteten Bereich initiiert hat.363 Zum anderen liegt die größere Auffälligkeit des Verbraucherschutzgedankens auch darin begründet, dass für Unternehmen häufig bereits die Harmonisierung des Schutzstandards an sich vorteilhaft ist, denn so können sie die Vorteile eines freien Binnenmarktes nutzen, die durch das evtl. höhere (einheitliche) Schutzniveau verursachten Kosten aber über den Preis an die Abnehmer weitergeben. Dagegen kommt es aus der Sicht der Interessen der Verbraucher ganz wesentlich auf das Niveau des harmonisierten Standards an.364 Dies ändert jedoch nichts an der Kernaussage, wonach in der Sache die gemeinschaftsrechtliche Regulierung der Absatzverhältnisse genauso im Interesse der Unternehmen wie der Verbraucher erfolgt. Formal scheint allerdings der beschränkte persönliche Anwendungsbereich der hier systematisierten Rechtsakte für eine Charakterisierung als Verbraucherrecht zu sprechen. Denn die Mehrzahl der Regelungen sind lediglich auf Rechtsverhältnisse zwischen Unternehmern und Verbrauchern („b2c“) anzuwenden, nicht jedoch auf zweiseitige Unternehmensbeziehungen („b2b“). Jedoch kann diese formale Beschränkung jedenfalls für die vertragsrechtlichen Normen – das betrifft hier vor allem das Gros der Regelungen der Haustürwiderrufsrichtlinie, der Fernabsatz-
dorff, EuZW 1990, 251, 252 f., zu begründen, dass im Falle einer Harmonisierung des Mindeststandards strengere mitgliedstaatliche Vorgaben im Regelfall nicht für den grenzüberschreitenden Sachverhalt Anwendung finden können. 361 Wilhelmsson, 27 JCP (2004), 317, 318 („current turn towards total harmonisation“) und 322–324; krit. hierzu Howells/Wilhelmsson, 28 ELR (2003), 370–388. Für diese Tendenz hin zur Vollharmonisierung stehen die Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen, die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und der Vorschlag zur Änderung der Verbraucherkreditrichtlinie. 362 Siehe Collins, 14 Oxf. J. Leg. St. (1994), 229, 237: „Despite the rhetorical support for the policy of consumer rights, the emerging pattern of EC regulation of consumer contracts reveals a succession of victories for the free marketers” (Hervorhebung ergänzt) und Wilhelmsson, 27 JCP (2004), 317: „Worrying over the legitimacy of a Union which appears distant from its citizen, European lawmakers emphasise the need to focus on the citizens when building the European legal area. The protection and support of consumers in the Union is seen as one way of gearing EC law more towards a recognition of the needs and wants of individuals.“ Grundmann, 4 ERPL (2001), 505, 521, weist darauf hin, dass die Regulierung von Verbraucher-Unternehmer-Beziehungen auf der europäischen Ebene leichter konsensfähig sei. Pointiert Dreher, JZ 1997, 167, 168: „Heute entwickelt die sogenannte Verbraucherpolitik – wie alle politisch leicht konsensfähigen und scheinbar kostenlosen Massenbeglückungen des sozialen Bereichs im weiteren Sinne – eine früher unvorstellbare Eigendynamik“ (Hervorhebung ergänzt) und Adomeit, JZ 2003, 1053, 1054: „[...] ,Verbraucherschutz‘ ist überwältigend suggestiv.“ 363 Grundmann, 4 ERPL (2001), 505, 525 f.; ders., 39 CMLR (2002), 269, 273–277; Roth W.-H., JZ 2001, 475, 479. 364 Vgl. Art. 95 Abs. 3, Art. 153 Abs. 3 lit. a EG; Howells/Wilhelmsson, 28 ELR (2003), 370, 378.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
richtlinie und der Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen – kompetenzrechtlich erklärt werden. Denn nach einem obiter dictum des Gerichtshofs in der Rechtssache Alsthom Atlantique behindern mitgliedstaatliche Normen dann nicht den freien Verkehr im Binnenmarkt, wenn sie im grenzüberschreitenden Sachverhalt durch Rechtswahl abbedungen werden können.365 Es erscheint daher nur folgerichtig, wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber harmonisierende Rechtsakte auf der Grundlage der Art. 94, 95 EG oder auch der Art. 47 Abs. 2, 55 EG auf die Bereiche beschränkt, deren Regeln im grenzüberschreitenden Sachverhalt zwingend gelten. Dies betrifft im Vertragsrecht vor allem verbrauchervertragsrechtliche Regelungen,366 wogegen für Verträge zwischen Unternehmen im Grundsatz Rechtswahlfreiheit besteht.367 Unabhängig von der Rechtswahlfreiheit ist ein Harmonisierungsbedarf und eine Rechtsangleichungskompetenz aber gerade für den Bereich von nicht parteidispositiven Schutzvorschriften zu verzeichnen, da unterschiedliche Schutzniveaus hier insbesondere die Herstellung des Binnenmarktes behindern können.368 Auch dies erklärt, warum vertragsrechtliche Harmonisierung häufig auf die Regelung der Beziehung zwischen Verbraucher und Unternehmer beschränkt ist, deren Ausgestaltung weit gehend der Vertragsfreiheit entzogen ist. Dieser Ansatz kann indes nicht für die Harmonisierung lauterkeitsrechtlicher Regeln fruchtbar gemacht werden. Soweit dort, wie etwa im Vorschlags für eine Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, der Regulierungszweck ausdrücklich auf den Schutz von Verbraucherinteressen reduziert wird, liegen dem tatsächlich rechtspolitische Ansichten zu Grunde, die indes häufig in der Sache nicht überzeugen können. Denn als „modern“ gilt ein integrierter Ansatz für das Lauterkeitsrecht, der sowohl dem Konkurrenten- als auch dem Verbraucherschutz verpflichtet ist.369 Entsprechend lehnt eine ganz überwiegende Mehrheit des Schrifttums das Konzept der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken ab und spricht sich dafür aus, eine Schutzzwecktrias beizubehalten, wie sie etwa Art. 1 WerbeRL a.F. formuliert.370
365 EuGH, Urt. v. 24. 1. 1991 – Rs. C-339/89, Alsthom Atlantique, Slg. 1991, I-107, 124, Rn. 15. Siehe dazu Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 1. Teil, Rn. 68 f. (S. 52–69); ders., ZHR 163 (1999), 635, 656–659; ders., 4 ERPL (2001), 505, 513–515; Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 99–101 m. w. N.; abl. etwa Mülbert, ZHR 159 (1995), 2, 10; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht (1996), S. 78 f.; Heiderhoff, Grundstrukturen (2004), S. 68–71 m. w. N. 366 Siehe Art. 5 EVÜ. 367 Eine andere Frage ist, ob ein kohärenter Harmonisierungsansatz der vertragsrechtlichen Regulierung der Gemeinschaft de lege lata in einer Beschränkung auf Bereiche gesehen werden kann, die einer Rechtswahl nicht oder nur eingeschränkt zugänglich sind, so Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), 1. Teil, Rn. 24–30 (S. 18–21); ders., NJW 2000, 14, 16–19; krit. hierzu Leible, EWS 2001, 471, 473, Fn. 31; Roth W.-H., in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht (2000), 113, 116, Fn. 23. 368 Kirchner, in: Weyers (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht (1997), S. 103, 107 u. 117. 369 Schricker, Recht der Werbung in Europa (1990), Rn. 144. 370 Henning-Bodewig/Schricker, GRUR Int. 2002, 319, 320; Henning-Bodewig, in: FS Tilmann (2003), S. 149, 157 f.; Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig, WRP 2002, 1317, 1324; Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa (2004), S. 27; Micklitz/Kessler, GRUR Int. 2002, 885, 895; Sosnitza, GRUR 2003, 739, 741.
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Freilich sagt das formale Kriterium eines postulierten Schutzzwecks oder eines eingeschränkten Anwendungsbereiches wenig darüber aus, ob eine Regelung tatsächlich darauf ausgerichtet ist, lediglich die Interessen einer Gruppe von Marktteilnehmern zu schützen.371 Maßgeblich hierfür muss vielmehr die inhaltliche Gestaltung sein. Die gemeinschaftsrechtliche Regelung von Absatzförderung und Absatztechniken bedient sich ganz überwiegend marktunterstützender Instrumente, vorrangig Instrumenten, um die Märkte zu informieren. Zwar zielt dies darauf, Marktdefizite zu verhindern, die sich primär nachteilig für die Abnehmer auswirken. Indes verkürzte es in unzulässiger Weise den Wirkungsmechanismus der Regelung, sähe man hierin lediglich Schutzinstrumente für eine Gruppe von Marktteilnehmern. Denn soweit Normen in erster Linie geeignet sind, marktliche und wettbewerbliche Prozesse zu fördern und abzusichern und so den gesamtwirtschaftlichen Nutzen zu mehren, sind sie als integraler Bestandteil einer einheitlich strukturierten Zivilrechts- und Wirtschaftsordnung zu begreifen und nicht als ein Sonderprivatrecht, das die Interessen einer Gruppe von Marktteilnehmern (Verbraucher, Unternehmer) bevorzugt fördert. Entscheidend ist deshalb, dass die Regelung hier im Wesentlichen marktunterstützend wirkt, selten marktkorrigierend, und im Ganzen nicht über das zur Marktordnung notwendige Maß hinausragt. Das Gemeinschaftsrecht zur Regelung der Absatzverhältnisse ist mithin besser zu begreifen als Marktrecht und allgemeines Zivil- und Wirtschaftsrecht, nicht aber als einseitig parteiliches Recht zu Gunsten des „schwachen“ Verbrauchers.
3.
Leitbild des selbstverantwortlich handelnden Verbrauchers
Das Leitbild eines selbstverantwortlich am Markt agierenden Verbrauchers bestimmt das Recht der Absatztechniken und der Absatzförderung.372 Diese Wertung lässt zum einen der bereits beschriebene marktregulierende Charakter der Normen zu. Ein System, das Instrumente kennzeichnen, die auf die Informationsmechanismen des Marktes setzen, diese fördern und ergänzen wollen, das Marktdefizite durch Informationspflichten, Transparenz und cooling-off periods überwinden will, fußt notwendigerweise auf der Idee eines rational handelnden und aufklärbaren Verbrauchers.373
371 Dies betont auch Veelken, WRP 2004, 1, 10, der in der Besprechung des Vorschlags für eine Richtlinie gegen unlautere Geschäftspraktiken darauf hinweist, dass es durchaus sinnvoll sein könne, den Anwendungsbereich auf „B2C-Beziehungen“ zu begrenzen, soweit mit dieser Begrenzung des Anwendungsbereichs nicht auch der Normzweck auf „Verbraucherschutz“ reduziert werde. 372 Paradigmatisch Wilhelmsson, Social Contract Law (1994), S. 145 f. m. w. N.: „[...] one can claim that the consumer model prevailing in the Community is a well-informed and well-to-be-informed consumer – the active internal-market-consumer – who can and should decide on his own affairs at his own risk.“ 373 Vgl. Howells/Wilhelmsson, 28 ELR (2003), 370, 381: „The protection of the weak and vulnerable consumers has probably never been very high on the agenda of Community law.“
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Zum anderen entwickelte der EuGH das sprichwörtliche Leitbild vom „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher“. Der Gerichtshof postulierte dieses Leitbild zunächst in seiner Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten.374 Damit verstärkte der Gerichtshof sein bereits mit der Cassis-Rechtsprechung entwickeltes liberales Transparenzmodell: Soweit eine Informationsregel in gleicher Weise wie eine inhaltsgestaltende Regelung geeignet ist, einem legitimen Schutzzweck zu dienen, ist die inhaltsgestaltende und damit stärker freiheitsbeschränkende Regel nicht mehr zu rechtfertigen. Zielt der Gesetzgeber auf den Schutz der Verbraucher, ist die Frage der Gleich-Geeignetheit der Informationsregel am Leitbild des verständigen Verbrauchers zu messen: Diesem wird die Last aufgebürdet, sich zu informieren, auszuwählen und selbstverantwortlich eine Vertragsentscheidung zu treffen.375 Denn ein funktionsfähiger Binnenmarkt setzt einen aufmerksamen, umsichtig am Markt agierenden Verbraucher voraus. Dieser wird um eine breite Palette an Waren und Dienstleistungen bereichert, muss sich dafür aber zumuten lassen, dass ihm Informationsobliegenheiten auferlegt werden.376 Das Prinzip der Selbstverantwortung lässt sich somit als übergeordnetes Prinzip der Grundfreiheitendogmatik entnehmen.377 Dies korreliert mit dem Befund, wonach das Wesen der Wahrnehmung der Grundfreiheiten darin liege, ungehindert grenzüberschreitend die Privatautonomie wahrnehmen zu können.378 Konsequent machte der EuGH das Leitbild des verständigen Verbrauchers auch für die Auslegung des Sekundärrechts, insbesondere der Irreführungstatbestände, nutzbar. Er stützt sich dafür auf die Überlegung, dass die Rechtsakte des Sekundärrechts wie die Grundfreiheiten dazu bestimmt seien, die Integration des Binnenmarktes zu fördern und der EG-Gesetzgeber auch an die Grundfreiheiten gebunden sei. Folgerichtig scheint es deshalb auch zu sein, das Sekundärrecht der Gemeinschaft im Lichte der Grundfreiheiten auszulegen 379 und das Leitbild vom „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher“ so zum Maßstab für die Interpretation der verschiedenen sekundärrechtlichen Irreführungsverbote zu nehmen.380
374 Zusammenfassend Fleischer, ZEuP 2000, 772, 783. 375 Niemöller, Verbraucherleitbild (1999), S. 169. 376 Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht (1996), S. 195 f.; Leible, EuZW 1998, 528; Fleischer, ZEuP 2000, 772, 791; Schmitz, Kommerzielle Kommunikation (2000), S. 301 f. 377 Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 242 f. 378 Müller-Graff, in: ders. (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft (1993), S. 195, 205; ders., NJW 1993, 13, 13; Grundmann, 4 ERPL (2001), 505, 510. 379 Zur Frage, wie sich die Relevanz der Auslegung der Richtlinienvorschriften im Lichte der Grundfreiheiten auch für rein innerstaatliche Sachverhalte begründen lässt Niemöller, Verbraucherleitbild (1999), S. 162–165. 380 Zum Irreführungsverbot des Art. 6 Abs. 3 KosmetikRL: EuGH, Urt. v. 2. 2. 1994 – Rs. C-315/92, Verband Sozialer Wettbewerb („Clinique“), Slg. 1994, I-317, 318, Leitsatz und 336, Rn. 16; EuGH, Urt. v. 28. 1. 1999 – Rs. C-77/97, Unilever („Odol-Med 3“), Slg. 1999, I-431, 432, Leitsatz und 478, Rn. 27; EuGH, Urt. v. 13. 1. 2000 – Rs. C-220/98, Estée Lauder („Lifting Creme“), Slg. 2000, I-117, 146, Rn. 26; EuGH, Urt. v. 24. 10. 2002 – Rs. C-99/01, Linhart und Biffl, Slg. 2002, I-9375, 9403, Rn. 26. Befürwortend Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht (1996), S. 191; krit. Leible, ZLR 2003, 71, 74 f.
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Dies wirft die Frage auf, ob der EuGH damit nicht vorschnell berechtigte Schutzzwecke der jeweiligen Rechtsmaterie, insbesondere des Lauterkeitsrechts, zurückgedrängt hat.381 Denn das Leitbild vom mündigen Verbraucher mag zwar eine nützliche Fiktion des Rechts sein, um die Binnenmarktintegration effektiv voranzutreiben. Aber unbestritten handeln reale Verbraucher in vielen Konstellationen nicht selbstverantwortlich und treffen häufig keine rationalen, streng an ihren Präferenzen orientierten Entscheidungen.382 Das gemeinschaftsrechtliche Verbraucherleitbild freilich ist normativ zu verstehen: Der Gesetzgeber soll sich im Grundsatz darauf beschränken, zu gewährleisten, dass dem Verbraucher vor einer Vertragsentscheidung alle notwendigen Informationen korrekt zur Verfügung stehen, um eine autonome, an seinen Präferenzen orientierte Entscheidung über die Transaktion treffen zu können. Nicht kümmern solle den Gesetzgeber die Frage, inwieweit der Verbraucher die Informationen zur Grundlage seiner Entscheidung macht und ob die Entscheidung seinen Bedürfnissen entspricht.383 Bereits die Bezugnahme auf den „Durchschnittsverbraucher“ bei der Beschreibung des Leitbildes impliziert, dass in Kauf genommen wird, die Interessen des unterdurchschnittlich informierten, unterdurchschnittlich aufmerksamen und unterdurchschnittlich verständigen Verbraucher nicht im höchstmöglichen Maße zu schützen. Tatsächlich ist es aber nicht überzeugend, diese Interessen allein deshalb durch das Raster der Regulierung fallen zu lassen, weil damit der Integration des Binnenmarktes gedient ist. Vielmehr bedarf es einer normativen Rechtfertigung für das liberale Leitbild vom selbstverantwortlichen Verbraucher. Diese liegt in der Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft begründet. Der europäische Integrationsprozess baut auf dem Grundkonsens einer freiheitlichen Gesellschaft auf. Der EG-Vertrag legt die Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft und ihre Aktivitäten zur Schaffung des Binnenmarktes auf das Leitbild einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ fest.384 Das individuell durchsetzbare Recht der EG-Bürger auf eine freie Teilnahme am grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr markiert zusammen mit dem im Binnenmarkt zu gewährleistenden
381 Krit. zur Übertragung der Maßstäbe der Grundfreiheitenrechtsprechung auf die Auslegung der lauterkeitsrechtlichen Richtlinien deshalb Beater, Unlauterer Wettbewerb (2002), § 6, Rn. 57–64 (S. 170 ff.), § 8, Rn. 40 f. (S. 242 f.), § 13, Rn. 43 f. (S. 372); siehe auch ders., Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht (2000), S. 50 f., 97 f.; ferner Leible, ZLR 2003, 71, 74 f., der den richtigen dogmatischen Ansatzpunkt darin sieht, das Sekundärrecht im Lichte der Gemeinschaftsgrundrechte auszulegen. 382 Zugespitzt Atiyah, Law of Contract, 5. Aufl. (1995), S. 28: „Of course there will always be the socially inadequate, the feckless and irresponsible few, who are unable to care properly for their economic interests [...]“. 383 So kennzeichnet Staudenmayer, RIW 1999, 733, 737, den normativen Charakter des Verbraucherleitbilds. Siehe auch Dauses, RIW 1998, 750, 757: „Das Leitbild des informierten und mündigen Verbrauchers, das die Rechtsprechung des Europagerichts zeichnet, beruht nicht auf einem statistisch belegten sozialempirischen Verhaltensmodell; ihm liegt kein standardisierter Durchschnittsverbraucher zugrunde, eher eine rechtspolitische Zielvorstellung, mithin letztlich ein normatives Grundverständnis.“ 384 Diese Systementscheidung ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 EG, siehe auch Art. 154 Abs. 2, 157 Abs. 1 EG.
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System unverfälschten Wettbewerbs und anderen Funktionsgarantien die Grundpfeiler der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft.385 Deren Grundsätze können als Leitlinien für die Auslegung und Fortbildung der wirtschaftsrechtlichen Regeln sowohl des Primär- als auch des Sekundärrechts Bedeutung erlangen.386 Es ist deshalb nur konsequent, weist eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsverfassung bei der Anwendung der Verkehrsfreiheiten und des absatzbezogenen Sekundärrechts dem Verbraucher die Rolle eines mündigen Marktakteurs zu, der durch Information zu selbstverantwortlichen Entscheidungen befähigt werden kann.387 Dem zu privaten Zwecken am Markt agierenden kann wie anderen Marktteilnehmern auch ein Lernprozess zugemutet werden: Handelt er nicht informiert oder entgegen der ihm zur Verfügung stehenden Informationen und erleidet er deshalb einen Verlust, so wird unterstellt, dass er in Zukunft bewusster und geschickter am Markt agieren und davon profitieren werde.388 Die Privatautonomie gewährt dem einzelnen Marktakteur die Möglichkeit zur eigenen lernenden Erfahrung, um sich selbst seiner Präferenzen bewusst zu werden. In diesem Lerneffekt liegt die klassische Rechtfertigung von Präferenzautonomie und Selbstverantwortung als normative Prinzipien.389 Er begründet auch, dass in vielen Fällen die legitime Aufgabe des Staates darauf beschränkt ist, eine Informationsordnung zu gewährleisten, die dem Einzelnen eine informierte, präferenzorientierte Entscheidung ermöglicht. Das Argument des Lernprozesses, der Persönlichkeitsbildung durch Präferenzautonomie, verliert indes an Überzeugungskraft, je größer die Nachteile sind, die dem „Lernenden“ durch eine Fehlentscheidung drohen. Denn aus Fehlern kann man nur lernen, wenn die möglichen Folgen begrenzt sind. Das Konzept versagt, wenn irre-
385 Mestmäcker, in: Wirtschaft und Verfassung in der Europäischen Union (2003), 507, 513 f.; Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung (1992), S. 26–53; Canaris, FS Lerche (1993), S. 873, 890; Hatje, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 683, 691–708; Immenga, EuZW 1994, 14, 15; Windbichler, RdA 1992, 74, 75 f. 386 Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung (1992), S. 12; Hatje, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 683, 693. 387 Dreher, JZ 1997, 167, 178: „Der ,offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb‘ und den vier Grundfreiheiten entspricht das Leitbild des verständigen Verbrauchers“; so auch Fezer, WRP 1995, 671, 676; Leible, EuZW 1998, 528, 529; Scherer, WRP 1999, 991, 996; ähnlich Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 425 f., der betont, dass die Rechtsordnung den Grundsatz formaler Privatautonomie nicht nur gewähre, sondern auch abverlange und deshalb ein Verbraucher als dazu in der Lage angesehen werden müsse, etwa Werbung kritisch zu beurteilen. Einen Zusammenhang zwischen der Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft und „Aufmerksamkeitsobliegenheiten“, die den Adressaten von Etikettierungen aufzuerlegen sind, stellt auch Müller-Graff her, in: ders., Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft (1993), S. 195, 207. 388 Zugespitzt Adomeit, NJW 2004, 579, 581: „Durch einen bereuten Kauf lernt man, dieser Effekt ist oft allein schon den Kaufpreis wert“ (Hervorhebung im Original). 389 Dazu Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. (1998), S. 329–333; vgl. auch Eidenmüller, JZ 2005, 216, 223: „Wenn wir selbstbestimmtes, rationales menschliches Verhalten normativ für ein erstrebenswertes Ziel halten, dann tun wir möglicherweise gut daran, die Rechtsordnung gewissermaßen auf einem überschießenden Rationalitätsfundament zu errichten.“
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versible Freiheitsverluste zu befürchten sind.390 Stehen die Rechtsgüter Leben oder Gesundheit auf dem Spiel und nicht nur wirtschaftliche Interessen, lässt sich deshalb das liberale Leitbild des Verbrauchers als selbstverantwortlich handelnder Marktakteur nicht mehr rechtfertigen, indem man auf den Grundsatz der Privatautonomie verweist. Gefragt sind hier stärker paternalistisch wirkende Maßnahmen. Dies erkennt auch der EuGH an, wenn er darauf hinweist, dass für die Ermittlung einer Irreführungsgefahr ein strengerer Maßstab anzuwenden sei, wenn eine Fehlvorstellung des Verbrauchers dessen Gesundheit gefährden könne.391 Aber auch wirtschaftliche Nachteile tragen die Gefahr irreversibler Freiheitsverluste in sich. Das Modell des mündigen, selbstverantwortlich am Markt agierenden Verbrauchers setzt deshalb bestimmte Rahmenbedingungen voraus, um den gemeinsamen sozialpolitischen Überzeugungen der Mitgliedstaaten gerecht zu werden. Denn zum einen können Vermögensverluste existenzbedrohende Ausmaße annehmen. Dem tragen die Mitgliedstaaten dadurch Rechnung, dass sie durch Vollstreckungsschutzvorschriften und auch über Transferleistungen (Sozialhilfe o. ä.) ein Existenzminimum gewährleisten.392 Zum anderen führt auch die Überschuldung zu irreversiblen Freiheitsverlusten beim Verbraucher, nämlich zum Verlust der Möglichkeit, aktiv die Rolle des mündigen, selbstverantwortlichen Marktteilnehmers auszufüllen.393 Ein notwendiges Korrelat zum liberalen Verbraucherleitbild besteht deshalb in einem Verbraucherinsolvenzrecht, das dem überschuldeten Verbraucher die Perspektive bietet, seine wirtschaftliche Freiheit zurückzuerlangen.394 Dies ist insbesondere deshalb sachgerecht, weil auch Ereignisse zur Überschuldung und damit zur endgültigen wirtschaftlichen Unfreiheit der Verbraucher führen können, an denen die Verbraucher selbst kein Verschulden trifft (Krankheit, Unfälle, Arbeitslosigkeit etc.), ihnen also allenfalls vorgeworfen werden kann, sich hiergegen nicht hinreichen abgesichert zu haben.395
390 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. (1998), S. 384. 391 EuGH, Urt. v. 13. 1. 2000 – Rs. C-220/98, Estée Lauder („Liftingcreme“), Slg. 2000, I-117, 146, Rn. 28; bestätigt in EuGH, Urt. v. 24. 10. 2002 – Rs. C-99/01, Linhart und Biffl, Slg. 2002, I-9375, 9404, Rn. 31; siehe auch Reese, Grenzüberschreitende Werbung in der Europäischen Gemeinschaft (1994), S. 77 f. 392 Die Vereinbarkeit einer solchen Gewährleistung mit liberalen Grundwerten und einem an den Prinzipien von Markt und Wettbewerb orientierten Wirtschaftssystem räumt selbst von Hayek ein, der ansonsten jeglicher Umverteilung die Rechtfertigung abspricht; allerdings nur unter der Prämisse, dass ein Mindesteinkommen etc. außerhalb der Mechanismen des Marktes gewährt wird, so von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Band 2: Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit (1981), S. 122, 184; siehe hierzu Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), S. 208–210; vgl. auch Böhm, in: ders., Reden und Schriften (1960), S. 82, 139; Canaris, FS Lerche (1993), S. 873, 890. 393 Vgl. Balz, in: Hörmann (Hrsg.), Verbraucherkredit und Verbraucherinsolvenz (1986) zur Situation in der Bundesrepublik vor der Einführung der Möglichkeit der Restschuldbefreiung: „Der Wiederaufbau einer ,bürgerlichen Existenz‘ wird dem Schuldner zu oft unmöglich.“ 394 Angedeutet bei Grundmann, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Vereinheitlichung und Diversität (2002), S. 284, 298. Für das deutsche Insolvenzrecht siehe § 1 S. 2 InsO, §§ 286–303 InsO (Restschuldbefreiung), §§ 305–310 InsO (Schuldenbereinigungsverfahren) und §§ 311–314 InsO (Modifiziertes Insolvenzverfahren). Zu verschiedenen Modellen der Verbraucherinsolvenz in Europa (England, Frankreich, Schweiz, Skandinavien): Krug, Der Verbraucherkonkurs (1998), S. 71–80 und Schulte, Die europäische Restschuldbefreiung (2001), S. 36–72. 395 Wilhelmsson spricht in diesem Zusammenhang von „Social Force Majeur“, 13 JCP (1990),
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Das Leitbild des mündigen, selbstverantwortlich handelnden Verbrauchers prägt die gemeinschaftsrechtliche Regulierung der Absatzverhältnisse und die Auslegung der Normen durch die Rechtsprechung des EuGH. Die vorangegangenen Überlegungen machen freilich deutlich, dass ein Verbraucherleitbild nicht mehr ist als eine Formel, die für das Ergebnis einer Interessenabwägung steht: 396 Vor dem Hintergrund der Wirtschaftsverfassung des EG-Vertrages und zur Förderung der Binnenmarktintegration weist das Gemeinschaftsrecht im hier systematisierten Bereich der Regulierung von Absatztechniken und der Absatzförderung den Prinzipien von Privatautonomie und Selbstverantwortung Vorrang zu gegenüber einem paternalistisch geprägten Verbraucherschutz.
§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse Das Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse ist seit Ende der neunziger Jahre von tiefgreifenden Reformen betroffen. Zum einen löste das Grünbuch zur EGWettbewerbspolitik gegenüber vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen 1 eine Diskussion aus, die zum Erlass der Vertikal-GVO führte. Mit der Vertikal-GVO reformierte die Kommission das Vertriebskartellrecht umfassend. Zudem ist die kartellrechtliche Behandlung von Vertriebsvereinbarungen von der grundlegenden Reform des Kartellverfahrensrechts durch die Verordnung 1/2003 betroffen. Das System der Legalausnahmen und der dezentrale Vollzug des Gemeinschaftskartellrechts durch nationale Kartellbehörden und Gerichte könnten neue Bewertungen absatzbezogener Vereinbarungen anstoßen.
I.
Grundentscheidungen der europäischen Kartellrechtspraxis
Bei allen Reformüberlegungen der letzten Jahre wurde betont, dass Änderungen der Wettbewerbspolitik nur unterhalb der Schwelle einer Vertragsänderung zu suchen seien.2 Der EG-Vertrag bildet deshalb auch nach den Reformen den Rahmen für die Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft gegenüber Absatzmittlungsverhältnissen. Umso wichtiger erscheint eine kritische Analyse der Ausformung, die Art. 81
1–14. Er begrüßt für diese Fälle die positiven Wirkungen von Vollstreckungsbeschränkungen und Verbraucherinsolvenzverfahren (S. 11), hält daneben allerdings umfangreiche Eingriffe in die Privatautonomie und Vertragsfreiheit zum Schutz der Verbraucher für erforderlich, etwa Ausschluss von Verzugszinsen, Stundung von Zahlungen oder außerordentliche Rücktrittsrechte. 396 Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 265; ähnlich zuvor bereits Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 427. 1 KOM (1996) 721 endg. 2 Schaub, seinerzeit Generaldirektor der für die Wettbewerbspolitik zuständigen GD IV, zit. nach Charbonnier, DZWiR 1996, 265, 272, Fn. 52; siehe auch Kirchner, in: Ehlermann/Laudati (Hrsg.), European Competition Law Annual 1997 (1998), S. 513 f.
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§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse
EG durch die Urteile des EuGH und des EuG, aber vor allem auch durch die Entscheidungspraxis der Kommission erfahren hat. Gerade mit Blick auf die Behandlung von Vertriebsvereinbarungen wird der Praxis des EG-Wettbewerbsrechts vorgeworfen, den Schutz und die Förderung der freien Wettbewerbswirtschaft und damit das eigentliche Ziel des Wettbewerbsrechts aus den Augen verloren zu haben. Aus ordnungspolitischer Sicht sind insbesondere drei Strukturmerkmale der Praxis zu Art. 81 EG in die Kritik geraten. Vorgeworfen wird der Gemeinschaft, dass sie das Wettbewerbsrecht einseitig instrumentalisiere, um die Binnenmarktintegration zu fördern, dass sie ein Konzept der Wettbewerbsbeschränkung verfolge, das jede Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit erfasse und dass sie auch für nicht wettbewerbliche Ziele weit gehend nach Art. 81 Abs. 3 EG Ausnahmen vom Kartellverbot zulasse. 1.
Zur Rolle der Binnenmarktintegration
a)
Europäische Rechtsprechung und Entscheidungspraxis der Kommission
Den Boden für eine Verknüpfung des Schutzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit dem Schutz des freien Handels im Gemeinsamen Markt bereitete bereits im Jahre 1966 die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Consten und Grundig. Der Gerichtshof hatte dort darüber zu urteilen, ob eine Vereinbarung kartellrechtswidrig ist, in der die Firma Grundig-Verkaufs-GmbH der französischen Firma Établissements Consten ein Alleinvertriebsrecht für Frankreich einräumte und sich die Firma Consten im Gegenzug u. a. dazu verpflichtete, Mindestmengen an Waren abzunehmen, angemessen Werbung zu betreiben und Garantie- und Kundendienst zu leisten sowie keine gleichartigen Waren zu vertreiben und Grundig-Waren nicht außerhalb des Vertragsgebietes zu exportieren. Der Alleinvertrieb durch Consten in Frankreich war durch Vereinbarungen zwischen Grundig und seinen Großhändlern abgesichert.3 Der Gerichtshof entschied, dass eine Vereinbarung als Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG zu qualifizieren sei, die für bestimmte Produkte eine Aufrechterhaltung der Trennung der nationalen Märkte anstrebt und damit den innergemeinschaftlichen Handel behindert. Der EuGH begründete seine Entscheidung insbesondere damit, dass der EG-Vertrag „nach seiner Präambel und seinem Inhalt“ darauf gerichtet sei, „die Schranken zwischen den Staaten zu beseitigen, und der Wiedererrichtung dieser Schranken mit einer Reihe strenger Bestimmungen entgegentritt“. Aus diesem Grunde könne es das Wettbewerbsrecht der EG den Unternehmen nicht erlauben, durch private Vereinbarungen Hindernisse für den innergemeinschaftlichen Handel zu errichten, die durch Rechtsharmonisierung und die Grundfreiheiten beseitigt werden sollen.4 Der Gerichtshof betonte, dass dies unabhängig davon gelten müsse, wie sich eine Vereinbarung tatsächlich auf den Wettbewerb im betroffenen Markt auswirke: 3 EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966 – verb. Rs. 56 und 58/64, Consten und Grundig / Kommission, Slg. 1966, 321, 327 f. 4 EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966 – verb. Rs. 56 und 58/64, Consten und Grundig / Kommission, Slg. 1966, 321, 388.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen „Deshalb schließt der Umstand, daß eine Vereinbarung zu einer selbst beträchtlichen Ausweitung des Handelsvolumens zwischen Mitgliedstaaten führt, noch nicht aus, daß die Vereinbarung den Handel in der genannten Weise ,beeinträchtigen‘ kann.“ 5
Der EuGH traf damit für die Auslegung des Art. 81 EG die Grundentscheidung, dass das Ziel, einen freien Parallelhandel innerhalb der Gemeinschaft zu gewährleisten, über das Interesse der Unternehmen zu stellen sei, durch Beschränkungen im Absatzmittlungsverhältnis den Marktzutritt zu erleichtern und Serviceleistungen für die Abnehmer zu gewährleisten.6 Von seinem mit dem Urteil Consten und Grundig eingeschlagenen Weg, das EG-Wettbewerbsrecht zu instrumentalisieren, um die Marktintegration abzusichern, ist der Gerichtshof seitdem nicht mehr abgewichen. In ständiger Rechtsprechung hat er in jeder Vertriebsvereinbarung, die den Parallelhandel zwischen den Mitgliedstaaten beschränkt, eine Verletzung des Art. 81 Abs. 1 EG gesehen.7 Gleiches gilt für Vereinbarungen, die lediglich faktisch die gleichen Auswirkungen haben, etwa wenn parallel importierte Produkte bei der Gewährung von Garantieleistungen benachteiligt werden.8 Andererseits sah der EuGH vertikale Beschränkungen wie etwa Alleinvertriebsvereinbarungen nicht ohne weiteres als wettbewerbsbeschränkend nach Art. 81 Abs. 1 EG an, wenn sie die Möglichkeit zum Parallelhandel offen ließen.9 An dieser Linie halten der EuGH und das ihm seit September 1989 beigeordnete europäische Gericht erster Instanz auch fest, obwohl der Binnenmarkt zunehmend integriert ist und mit dem Ablauf des Jahres 1992 sogar formal vollendet wurde (Art. 14 Abs. 1 EG).10 Das europäische Gericht erster Instanz berief sich in mehreren Fällen auf die Formel des EuGH aus der Rechtssache Miller, wonach „eine Exportverbotsklausel schon ihrem Wesen nach eine Beschränkung des Wettbewerbs [darstellt] [...] denn das Ziel, über das sich die Vertragsschließenden geeinigt haben, ist der Versuch, einen Teil des Marktes zu isolieren.“ In der Entscheidung Dunlop Slazenger
5 EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966 – verb. Rs. 56 und 58/64, Consten und Grundig / Kommission, Slg. 1966, 321, 389 f. 6 Letzteres begründete der EuGH damit, dass die Händler „[...] gerade durch den Wettbewerb mit Verteilern von Erzeugnissen derselben Marke zu größeren Anstrengungen angeregt [werden]“ (Hervorhebung ergänzt); EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966 – verb. Rs. 56 und 58/64, Consten und Grundig / Kommission, Slg. 1966, 321, 392. Diese Begründung ist fragwürdig, da die Konkurrenz mit Händlern, die die gleichen Produkte vertreiben, free-rider-Probleme verursachen kann und deshalb Investitionen in die Verkaufsförderung gerade verhindern kann, siehe oben S. 235. 7 EuGH, Urt. v. 1. 2. 1978 – Rs. 19/77, Miller / Kommission, Slg. 1978, 131, 148, Rn. 7: „Hierzu ist festzustellen, dass eine Exportverbotsklausel schon ihrem Wesen nach eine Beschränkung des Wettbewerbs darstellt“; EuGH, Urt. v. 12. 7. 1979 – verb. Rs. 32/78 und 36 bis 82/78, BMW / Kommission, Slg. 1979, 2435. 8 EuGH, Urt. v. 10. 12. 1985 – Rs. 31/85, ETA Fabriques / DK Investment, Slg. 1985, 3933, Leitsatz 2 und 3944, Rn. 14. 9 EuGH, Urt. v. 6. 5. 1971 – Rs. 1/71, Cadillon / Höss, Slg. 1971, 351, Leitsatz 3 und 356, Rn. 7/10. 10 EuG, Urt. v. 14. 7. 1994 – Rs. T-66/92, Herlitz / Kommission, Slg. 1994, II-531, 532, Leitsatz 1 und 542, Rn. 29; EuG, Urt. v. 14. 7. 1994 – Rs. T-77/92, Parker Pen / Kommission, Slg. 1994, II-549, 550, Leitsatz 1 und 564, Rn. 37.
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§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse
urteilte das EuG, dass ein System des Allein- oder selektiven Vertriebs nur dann kartellrechtskonform sei, „wenn den Vertragshändlern innerhalb des Vertriebsnetzes weder faktisch noch rechtlich ein Verbot des Weiterverkaufs der Vertragserzeugnisse auferlegt wird. Solche Vereinbarungen bewirken nämlich eine Abschottung der nationalen Märkte und laufen damit dem Ziel des Gemeinsamen Marktes zuwider; damit widersprechen sie ihrem Wesen nach Artikel 85 [jetzt: 81] Absatz 1 EWG-Vertrag.“ 11
Im Urteil Spanische Banken unterstrich der EuGH, dass die Auswirkungen einer Vertriebsvereinbarung auf die Freiheit des innergemeinschaftlichen Handels eine besondere Rolle dabei spielen, wie diese nach Art. 81 EG zu beurteilen sei: „Das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft und das nationale Wettbewerbsrecht beurteilen die restriktiven Verhaltensweisen nach unterschiedlichen Gesichtspunkten. Die Artikel 85 und 86 [jetzt: Artikel 81 und 82] stellen darauf ab, ob diese Verhaltensweisen den Handel zwischen den Mitgliedstaaten behindern können [...]“.12
Die europäische Gerichtsbarkeit sieht es in ständiger Praxis als wettbewerbsbeschränkend i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG an, wenn eine vertikale Vereinbarung den innergemeinschaftlichen Handel behindert. Diesen vom EuGH begründeten Ansatz machte sich auch die Europäische Kommission für ihre Entscheidungspraxis für Anträge auf Einzelfreistellung zu Eigen. Auch sie sieht in der Wettbewerbspolitik ein Instrument zur Förderung der Integration des Binnenmarktes. Anschaulicher Beleg dafür ist eine Aussage im „Neunten Bericht zur Wettbewerbspolitik“ zur Rolle der Wettbewerbspolitik in der Gemeinschaft: „Ihr erstes grundlegendes Ziel besteht darin, die Einheit eines nach außen hin offenen Gemeinsamen Marktes zu bewahren. [...] Wettbewerbsbeschränkende Absprachen oder mißbräuchliche Verhaltensweisen von Unternehmen, die erneut die Märkte voneinander abschotten, um künstliche Preisunterschiede aufrechtzuerhalten oder unangemessene Geschäftsbedingungen anzuwenden, müssen daher behindert und bekämpft werden. Dieses Hauptanliegen der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik spiegelt sich in den meisten allgemeinen Maßnahmen auf dem Gebiet der Kartelle [...] wider.13
Diesem Anspruch entspricht die Entscheidungspraxis der Kommission, wonach etwa Exportbeschränkungen, die den Parallelhandel unterbinden sollen, immer eine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG darstellen 14 und andere Maßnahmen grundsätzlich als „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung einzustu11 EuG, Urt. v. 7. 7. 1994 – Rs. T-43/92, Dunlop Slazenger International / Kommission, Slg. 1994, II-441, 443, Leitsatz 3 und 467, Rn. 52. 12 EuGH, Urt. v. 16. 7. 1992 – Rs. C-67/91, Asociación Española de Banca Privada u. a. („Spanische Banken“), Slg. 1992, I-4785, 4825, Rn. 11. 13 Kommission, Neunter Bericht über die Wettbewerbspolitik (1980). 14 Kommission, Entsch. v. 28. 7. 1978, 78/696/EWG, Arthur Bell and Sons, ABl. L 235 v. 26. 8. 1978, S. 15, 17; Kommission, Entsch. v. 28. 7. 1978, 78/687/EWG, Teacher and Sons, ABl. L 235 v. 26. 8. 1978, S. 20, 22; Kommission, Entsch. v. 5. 6. 1991, 91/532/EWG, Viho/Toshiba, ABl. L 287 v. 17. 10. 1991, S. 39, 42, BE 20; Kommission, Entsch. v. 18. 3. 1992, 92/261/EWG, Newitt / Dunlop Slazenger International u. a., ABl. L 131 v. 16. 5. 1992, S. 32, 40, BE 48; Kommission, Entsch. v. 15. 7. 1992, 92/426/EWG, VIHO / Parker Pen, ABl. L 233 v. 15. 8. 1992, 27, 30, BE 16.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
fen sind, wenn sie darauf abzielen, den Parallelhandel unattraktiver zu machen.15 Mit hohen Geldbußen müssen Unternehmen rechnen, die nach wie vor versuchen, nationale Märkte über Vertriebsvereinbarungen abzuschotten.16 Das Ziel, den freien Handel zu gewährleisten, betonte die Kommission auch bei der Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG. Nach ihrer Entscheidungspraxis erfüllen Vereinbarungen, die darauf gerichtet sind, die Märkte entlang der mitgliedstaatlichen Grenzen voneinander abzuschirmen, in keinem Falle die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Kartellverbot.17 Unternehmen, die den Parallelhandel mittelbar einzuschränken versuchen, um so unterschiedliche Preisniveaus auf nationalen Märkten abzusichern, können nach Ansicht der Kommission kaum je überzeugend darlegen, dass dieses Vorgehen die Voraussetzungen einer Ausnahme vom Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 3 EG erfüllt.18 Ziel der Kommission war es auch stets, bei der Ausarbeitung von Gruppenfreistellungen, die Vertriebsvereinbarungen betreffen, die Möglichkeit des Parallelhandels und der Arbitrage in der Gemeinschaft zu gewährleisten, um damit eine umfassende ökonomische Integration zu fördern.19 Zwar räumte sie ein, dass vertikale Vereinbarungen im Grundsatz die Marktintegration wahrscheinlich nur bei großer Marktmacht der beteiligten Parteien behindern können. Gleichzeitig betonte sie aber, dass bereits eine „gewisse“ Marktmacht ausreiche, um im Zusammenspiel mit vertikalen Beschränkungen das Festhalten an Preisdiskriminierungen zu erleichtern und dass Märkte auch durch ein umfassendes System von Alleinbezugs- und Alleinvertriebsvereinbarungen abgeschottet werden könnten.20 Folgerichtig ge15 Kommission, Entsch. v. 8. 5. 2001, 2001/791/EG, Glaxo Wellcome, ABl. L 302 v. 17. 11. 2001, S. 1, 26, BE 124 f. 16 Kommission, Entsch. v. 12. 7. 1995, 95/477/EG, BASF Lacke + Farben und Accinauto, ABl. L 272 v. 15. 11. 1995, S. 16, Art. 2 Abs. 1: 2,7 Millionen ECU gegen BASF Lacke + Farben AG; Kommission, Entsch. v. 10. 1. 1996, 96/478/EG, ADALAT, ABl. L 201 v. 9. 8. 1996, S. 1, Art. 3: 3 Millionen ECU gegen die Bayer AG, aufgehoben durch EuG, Urt. v. 26. 10. 2000 – Rs. T-41/96, Bayer / Kommission, Slg. 2000, II-3383; Kommission, Entsch. v. 28. 1. 1998, 98/273/EG, VW, ABl. L 124 v. 25. 4. 1998, S. 60, Art. 3: 102 Millionen ECU gegen die Volkswagen AG, bestätigt durch EuGH, Urt. v. 18. 9. 2003 – Rs. C-338/00 P, Volkswagen / Kommission, Slg. 2003, I-9189; Kommission, Entsch. v. 20. 9. 2000, 2001/146/EG, Opel, ABl. L 59 v. 28. 2. 2001, S. 1, Art. 3: 43 Millionen EUR gegen die Opel Nederland BV und die General Motors Nederland BV, herabgesetzt auf 35,475 Millionen EUR durch EuG, Urt. v. 21. 10. 2003 – Rs. T-368/00, General Motors Nederland BV und Opel Nederland BV / Kommission, Slg. 2003, II-4495; Kommission, Entsch. v. 30. 10. 2002, 2003/675/EG, Nintendo, ABl. L 255 v. 8. 10. 2003, S. 33, Art. 3: 149,128 Millionen EUR gegen Nintendo Corporation Ltd. und Nintendo of Europe GmbH. 17 Siehe Kommission, Entsch. v. 23. 11. 1972, 72/403/EWG, Pittsburgh Corning Europe – Formica Belgium – Hertel, ABl. L 272 v. 5. 12. 1972, S. 35, 39; Kommission, Entsch. v. 21. 9. 1978, 78/823/ EWG, Maissaatgut, ABl. L 286 v. 12. 10. 1978, S. 23, 34; Kommission, Entsch. v. 14. 12. 1979, 80/ 256/EWG, Pioneer Hi-Fi-Geräte, ABl. L 60 v. 5. 3. 1980, S. 21, 35, BE 87; Kommission, Entsch. v. 13. 12. 1989, 90/38/EWG, Bayo-n-ox, ABl. L 21 v. 16. 1. 1990, S. 71, 77, BE 56; Kommission, Entsch. v. 30. 10. 2002, 2003/675/EG, Nintendo, ABl. L 255 v. 8. 10. 2003, S. 33, 86, BE 341. 18 Kommission, Entsch. v. 8. 5. 2001, 2001/791/EG, Glaxo Wellcome, ABl. L 302 v. 17. 11. 2001, S. 1, 32–38, BE 150–189. 19 Grünbuch zu EG-Wettbewerbspolitik gegenüber vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen, KOM 1996/721 endg., Tz. 78 f. 20 Grünbuch zu EG-Wettbewerbspolitik gegenüber vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen, KOM 1996/721 endg., Tz. 82 f.
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§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse
währleistet etwa Art. 4 lit. b VertikalGVO bei einem System von Gebiets- bzw. Kundenkreisbeschränkungen unbedingt den passiven Verkauf, also den Verkauf auf eine unaufgeforderte Anfrage von Kunden hin, um so die Möglichkeit zum Parallelhandel sicherzustellen. Analysiert man, wie die europäische Gerichtsbarkeit und die Kommission das EGWettbewerbsrecht in Bezug auf Vertriebsverträge auslegen und anwenden, wird deutlich, dass das Ziel, einen freien zwischenstaatlichen Handel zu gewährleisten, häufig ins Zentrum der Kartellrechtspraxis rückt und das Ziel, kompetitive Marktstrukturen sicherzustellen, in den Hintergrund verweist. Vereinbarungen zwischen Unternehmen können nach gemeinschaftsrechtlicher Praxis alleine deshalb als wettbewerbsbeschränkend nach Art. 81 Abs. 1 EG qualifiziert werden, weil sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten und damit die Marktintegration behindern. Eine Ausnahme vom Kartellverbot gemäß Art. 81 Abs. 3 EG kommt nicht für Vertriebsvereinbarungen in Betracht, die eine Marktabschirmung entlang der mitgliedstaatlichen Grenzen zur Folge haben können. Nicht absehbar ist, dass die Gemeinschaft dieses Konzept ändern wird. Denn aus Sicht der Kommission bleiben auch nach der formellen Vollendung des Binnenmarktes im Jahre 1992 noch viele Integrationsziele offen.21 Die Erweiterung der Europäischen Union hat den Bedarf an aktiver Integrationspolitik erhöht.22 Im Übrigen hat die Kommission durch ihre Politik gegenüber Vertriebsverträgen das Recht der Verbraucher oder der Händler, innerhalb der Gemeinschaft ein Produkt an jedem Ort erwerben und handeln zu können, geradezu zu einem Symbol des Binnenmarktes stilisiert.23 Kaum vorstellbar ist deshalb, dass die Kommission von dieser Position abrücken wird. b)
Ordnungspolitische Bewertung
Der wettbewerbsrechtlichen Praxis der Kommission gegenüber Vertriebsverträgen wird vorgeworfen, dass sie die Förderung der Binnenmarktintegration zu einem eigenständigen Ziel des Wettbewerbsrechts entwickelt habe, das den Schutz und die Förderung eines lebendigen Wettbewerbs und damit die Zielstellung, die im Zentrum jeder Wettbewerbspolitik stehen müsse, überlagert wenn nicht gar verdrängt habe. Wettbewerbspolitik müsse den Wettbewerb intensivieren, dies könne zwar auch dadurch geschehen, dass die Marktintegration gefördert werde. Letzteres und auch die Gewährleistung des Parallelhandels dürfen allerdings nicht zum Selbstzweck der Wettbewerbspolitik erklärt werden.24
21 Siehe etwa Kommission, Verbraucherpolitische Strategie 2002–2006, KOM (2002) 208 endg., S. 9: „Dennoch stehen der vollen Nutzung der Möglichkeiten des Einzelhandels-Binnenmarktes noch Hindernisse entgegen“. 22 Korah, EC Competition Law and Practice (2000), S. 11; Wesseling, The Modernisation of EC Antitrust Law (2000), S. 97. 23 Deacon, in: Hawk (Hrsg.), Annual Proceedings of the Fordham Corporate Law Institute 1995 (1996), 307, 309. 24 Korah, 39 Current Legal Problems (1986), 85, 91.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
Tatsächlich ist zu monieren, dass sich die Gemeinschaft lange Zeit einseitig auf das Ziel orientiert hat, Marktabschottungen entlang der mitgliedstaatlichen Grenzen zu verhindern und die Möglichkeit zum Parallelhandel abzusichern. Sie hat sich dadurch Erkenntnissen der Wettbewerbstheorie verschlossen. Es wurde zu wenig berücksichtigt, dass vertikale Beschränkungen häufig erst die Risiken eines Marktzutritts kalkulierbar machen und dass generell wettbewerbliche Nachteile auf Grund von Einschränkungen des Intrabrand-Wettbewerbs häufig dadurch kompensiert werden, dass sich der Interbrand-Wettbewerb intensiviert. Zwar ist auch unter Wettbewerbsrechtlern anerkannt, dass dies jedenfalls für Märkte mit einem funktionierenden Interbrand-Wettbewerb gilt 25 und wird inzwischen ebenfalls von der Kommission akzeptiert.26 Niedergeschlagen hat sich diese Erkenntnis gleichwohl lediglich auf der Ebene einer Ausnahme vom Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 3 EG, etwa im Anwendungsbereich der Vertikal-GVO, wobei auch dort Art. 4 lit. b VertikalGVO einen absoluten Gebietsschutz ausschließt, so dass der Parallelhandel nicht unterbunden werden darf. Selbst der EuGH räumte bereits ein, dass es den Schutz vor Trittbrettfahrern verwehre und damit auch die Wettbewerbsintensität schwächen könne, wenn die Auslegung des Art. 81 Abs. 1 EG darauf fixiert sei, Marktaufteilungen innerhalb eines Vertriebssystems zu verhindern.27 Besonders hohe Wellen der Kritik schlug die Entscheidung der Kommission im Fall The Distillers Company Ltd.,28 der geradezu lehrbuchartig die möglichen unbeabsichtigten nachteiligen Wirkungen der unbedingten Gewährleistung des Parallelhandels auf die Wettbewerbsintensität illustriert. Die Distillers Company Ltd. hatte ihren im Vereinigten Königreich ansässigen Händlern vorgeschrieben, beim Weiterverkauf in andere EG-Staaten einen um etwa 5 britische Pfund höheren Preis zu berechnen. Diese Vereinbarung betraf vor allem schottischen Whisky. Damit sollte das höhere Preisniveau auf dem europäischen Festland gesichert werden, das aus Sicht des Unternehmens notwendig erschien, um den auf diesen Märkten notwendigen größeren Aufwand für Marketing kompensieren zu können. Auf dem kontinentalen Markt musste Distillers seine Produkte stärker bewerben, da dort der Markt für hochprozentige Alkoholika härter umkämpft war, Whisky als Getränk an sich weniger populär war und der schottische Whisky zudem diskriminierend besteuert wurde.29 Nachdem die Kommission Distillers untersagt hatte, den Export durch diese Preisstrategie zu behindern und auch eine Nichtigkeitsklage gegen die Entscheidung erfolglos blieb,30 vertrieb das Unternehmen den Whisky nicht etwa in
25 Schaub, in: Hawk (Hrsg.), Annual Proceedings of the Fordham Corporate Law Institute 2000 (2001), S. 217, 218; Whish, Competition Law, 4. Aufl. (2001), S. 544. 26 Grünbuch zu EG-Wettbewerbspolitik gegenüber vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen, KOM 1996/721 endg., Tz. 82. 27 EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986 – Rs. 161/84, Pronuptia, Slg. 1986, S. 353, 383 f., Rn. 24. 28 Kommission, Entsch. v. 20. 12. 1977, 78/163/EWG, The Distillers Company, ABl. L 50 v. 22. 2. 1978, S. 16; krit. Korah, 2 ELR (1978), S. 62–71; positiver in seiner Bewertung Sharpe, 15 CMLR (1978), S. 447–464, für weitere Nachw. siehe Gieseke, Die Untersagung von Parallelimport-Beschränkungen durch EG-Kommission und EuGH (1994), S. 39. 29 Korah, 2 ELR (1978), S. 62, 64. 30 EuGH, Urt. v. 10. 7. 1980 – Rs. 30/78, Distillers Company / Kommission, Slg. 1980, 2229.
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ganz Europa zum englischen Preis, sondern belieferte einfach die britischen Händler nicht mehr mit den Niedrigpreismarken „Johnnie Walker Red Label“ und drei anderen Marken („Vat 69“, „Dewars“ und „Black & White“). Angesichts dieser unternehmerischen Entscheidung, die für die Konsumenten auf dem britischen Markt nachteilig und für den kontinentaleuropäischen Markt jedenfalls keine Vorteile brachte, entschloss sich die Kommission, ein modifiziertes Vertriebssystem von Distillers für drei Jahre zu tolerieren. Dort war eine gespaltene Preispolitik nur noch für die Marke „Johnnie Walker Red Label“ vorgesehen. Die britischen Händler waren bei Exporten dazu verpflichtet, Ausgleichszahlungen für die erhöhten Werbekosten (promotion equalization charges) auf dem europäischen Festland zu zahlen.31 Die Distillers-Entscheidung verdeutlicht, dass die Beschränkung der Parteiautonomie, Vertriebsverträge zu schließen, die den innergemeinschaftlichen Handel erschweren, dazu führen kann, dass Produkte von einzelnen Märkten zurückgezogen werden. Die Strategie, den Parallelhandel unbedingt zu gewährleisten, schadet bei solchen Auswirkungen nicht nur der Allokationseffizienz und der Wettbewerbsintensität auf einzelnen Märkten innerhalb der Gemeinschaft. Darüber hinaus kann sie sich auch nachteilig hinsichtlich des eigentlich verfochtenen Zieles auswirken, den innergemeinschaftlichen Handel zu fördern. Denn Distillers hätte als Reaktion auf die Entscheidung der Kommission auch die Belieferung des europäischen statt des britischen Marktes einstellen können. Von Unternehmen zu verlangen, einen Markt als integriert zu behandeln, wo dies nicht den Realitäten entspricht, kann sich im Hinblick auf das Ziel der Binnenmarktintegration als kontraproduktiv erweisen.32 Denn so lange die rechtlichen Rahmenbedingungen und insbesondere auch die Präferenzen im Konsum in den einzelnen Mitgliedstaaten differieren, kann etwa eine differenzierte Preispolitik eines Anbieters tatsächlich ein unternehmerisches Instrument sein, welches sowohl wettbewerbsfördernd als auch integrationsfördernd wirkt. Soweit und solange die EGWettbewerbspolitik solche Unternehmensstrategien untersagt oder sogar Vertriebssysteme vorschreibt, die den Parallelhandel erleichtern sollen, wird dies dazu führen, dass bestimmte Produkte in einigen mitgliedstaatlichen Märkten gar nicht mehr vertrieben werden oder zwar zu einem gemeinschaftsweit einheitlichen, aber höheren Preis, als er sonst möglich wäre. Der Fall Sony Pan-European Dealer Agreement (PEDA) steht paradigmatisch dafür, wie die Kommission auf die Ausgestaltung von Vertriebssystemen Einfluss genommen hat, um die Möglichkeit des Parallelhandels zu fördern. Die Firma Sony hatte verschiedene Musterverträge für den selektiven Vertrieb von hochwertiger Unterhaltungselektronik am 19. Februar 1993 bei der Kommission angemeldet.33 Unter
31 Bekanntmachung der Kommission nach Art. 19 Abs. 3 VO 17/62 im Fall IV/30.228, The Distillers Company p.l.c., ABl. C 245 v. 14. 9. 1983, S. 3 f. 32 Waelbroeck, in: Michigan Law Review Association (Hrsg.), Festschrift für Eric Stein, 2. Aufl. (1987), S. 301, 305 f. 33 Anmeldung einer europäischen Selektivvertriebsvereinbarung (Sache Nr. IV/34.631 – Sony Pan-European Dealer Agreement), ABl. C 321 v. 27. 11. 1993, S. 11 f.
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Punkt 5.2 der Selektivvereinbarung war vorgesehen, dass Sony seine Erzeugnisse direkt an die autorisierten Vertriebshändler verkauft, von denen sie ausschließlich an in der Gemeinschaft ansässige Endverbraucher oder an andere autorisierte Händler derselben Kategorie weiterverkauft werden durften. Die Kommission machte aber die Genehmigung der Vertriebsbindungsvereinbarungen in einem comfort letter u. a. davon abhängig, dass in dem System eine Vertriebsebene für Großhändler integriert würde. Die Kommission befürchtete nämlich, dass der Wegfall des Großhandels Paralleleinfuhren verringern könnte und damit die Einzelverkaufspreise verteuern würde. Aus dem gleichen Grund schrieb sie vor, dass Sony den autorisierten Groß- und Einzelhändlern die Belieferung nicht ohne schriftliche Begründung verwehren dürfe.34 Damit mag zwar die Kommission durchaus den Parallelhandel zwischen den nationalen Märkten erleichtert und damit auch ein höheres Maß an Preiskonvergenz gesichert haben. Eine solche Einmischung in die Vertriebsstrategie wirkt sich freilich fast automatisch nachteilig auf die Allokationseffizienz aus, ist doch einem Unternehmen zu unterstellen, dass es am besten weiß, welche Vertriebsstruktur zu einer effizienten Absatzorganisation führt. Demgegenüber spricht vieles dafür, dass eine bürokratische Intervention nach Art der Kommission in diesem Falle nur zu generell höheren Endverbraucherpreisen führte und einer „größeren Distanz“ zwischen den Abnehmern und dem Hersteller, die es diesem erschwerte, schnell zu erkennen, wenn sich die Bedürfnisse der Kunden ändern und flexibel darauf zu reagieren.35 Generell überzeugt es nicht, dass die Kommission das Ziel der Binnenmarktintegration häufig auf das Kriterium einheitlicher Preise reduziert. Denn ein integrierter Markt muss nicht durch eine einheitliche Preispolitik gekennzeichnet sein. Die Vereinigten Staaten bilden ein Beispiel für einen Markt mit einer grundsätzlich zentral vorgegebenen Wettbewerbsordnung und zugleich auch divergierenden Wettbewerbsrechten auf der Ebene der Staaten, auf dem trotzdem weiterhin die Preise zwischen verschiedenen Regionen des Marktes differieren.36 Im Übrigen werden Zweifel darüber angemeldet, ob die Politik der unbedingten Gewährleistung des Parallelhandels überhaupt in effizienter Weise die Marktintegration fördern und zu einer Preiskonvergenz (auf niedrigem Niveau) führen könne. Dies ist empirisch nicht eindeutig belegt.37 Betrachtet man die steigenden logistischen Anforderungen an die Händler, denen kompetitive Märkte eine immer schnellere und flexiblere Reaktion auf Veränderungen der Nachfrage abverlangen und die technologischen Fortschritte bei der vertikalen Koordinierung, insbesondere durch die Informationstechnologien, die effiziente Methoden wie die Just-In-Time-Produktion ermöglichen, ist fraglich, ob der Parallelhandel die Rolle spielen kann, die ihm die Kommission
34 Pressemitteilung der Europäischen Gemeinschaft vom 11. Juli 1995 (IP/95/736). 35 Art/van Liedekerke, 33 CMLR (1996), 719, 733. 36 Wesseling, The Modernisation of EC Antitrust Law (2000), S. 98. 37 Deacon, in: Hawk (Hrsg.), Annual Proceedings of the Fordham Corporate Law Institute 1995 (1996), 307, 311.
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zuweisen möchte.38 Parallelimporte sind typischerweise keine zuverlässige Lieferquelle 39 und wie man vom sog. „Grauimport“ von Kraftfahrzeugen weiß, sehen sich Kunden in der Praxis häufig einem geringeren Service gegenüber und sind regelmäßig zu Kompromissen bei ihrer Auswahl gezwungen, etwa bei der Zusammenstellung der Ausstattung. Die tatsächlichen Auswirkungen der Ausgestaltung des Wettbewerbsrechts gegenüber Vertriebsverträgen auf die Marktintegration sind jedenfalls komplexer, als es die Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft in vielen Fällen suggeriert. Zu Unrecht vermittelt die Entscheidungspraxis der Kommission nicht selten den Eindruck, es bestünde ein originärer Konflikt zwischen Wettbewerbsintensität und Binnenmarktintegration.40 c)
Rechtliche Bewertung
Art. 3 EG definiert als parallele Zielsetzungen einerseits das Verbot von Zöllen und mengenmäßigen Beschränkungen bei der Ein- und Ausfuhr von Waren sowie aller sonstigen Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten (lit. a) und die Schaffung eines Binnenmarktes, der gekennzeichnet ist durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten (lit. c), sowie andererseits die Sicherung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts vor Verfälschungen schützt (lit. g). Eine Hierarchie, wonach die Wettbewerbsregeln primär die Binnenmarktintegration abzusichern hätten, lässt sich mithin der Systematik des Art. 3 EG nicht entnehmen. Sie folgt auch nicht aus Art. 2 EG, der zur Erreichung der dort näher aufgezählten Zielstellungen der Gemeinschaft, etwa der „harmonischen und ausgewogenen Entwicklung des Wirtschaftslebens“ sowohl auf die Errichtung des Gemeinsamen Marktes verweist, als auch auf die Durchführung der in Art. 3 EG vorgezeichneten Politiken und damit auch auf die Wettbewerbspolitik. Nach der Systematik des EG-Vertrages bildet der Schutz des Wettbewerbs neben der Errichtung des Gemeinsamen Marktes ein eigenständiges Element, um die Ziele des Art. 2 EG zu erreichen. Gleichwohl ist dem Ziel der Binnenmarktintegration bei der Ausgestaltung des europäischen Wettbewerbsrechts eine besondere Gewichtung zugewiesen worden.41 Denn bereits aus dem Wortlaut des Art. 81 EG folgt, dass ein Grund für das gemeinschaftsrechtliche Kartellverbot darin zu sehen ist, dass wettbewerbsbeschränkende Handlungen mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind.42
38 Deacon, in: Hawk (Hrsg.), Annual Proceedings of the Fordham Corporate Law Institute 1995 (1996), 307, 320. 39 Deacon, in: Hawk (Hrsg.), Annual Proceedings of the Fordham Corporate Law Institute 1995 (1996), 307, 323. 40 Van den Bergh, ECLR 1996, 75, 77. 41 Veelken, ZVglRWiss 97 (1998), 241, 258 f. 42 Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Band I (1997), Einleitung, Rn. 23.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
Gewichtige Argumente für die Sichtweise, dass die Wettbewerbspolitik der Marktintegration zu dienen habe, lassen sich der Entstehungsgeschichte des EWG-Vertrages entnehmen. Paradigmatisch hierfür stehen die Wertungen des im April 1956 vorgelegten Spaak-Berichtes,43 der entscheidend das Konzept der wirtschaftlichen Integration vorbestimmte, wie es schließlich mit den Römischen Verträgen 1957 beschlossen wurde.44 Einer Kommission unter Vorsitz des belgischen Außenministers Paul-Henri Spaak war die Aufgabe übertragen worden, mögliche Wege einer weiteren wirtschaftlichen Integration zu prüfen. Dies war notwendig geworden, nachdem 1955 die Konferenz von Messina die Unstimmigkeiten über diese Frage unter den sechs Mitgliedstaaten der Montanunion deutlich gemacht hatte. Der Spaak-Bericht, der empfahl, eine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und eine Europäische Atomgemeinschaft zu gründen, wurde im Mai 1956 von den Außenministern auf der Konferenz von Venedig angenommen und bildete die Grundlage für die Verhandlungen über die Vertragstexte. Der Bericht legt deshalb ein beredtes Zeugnis von den Konzepten ab, die die Gründungsväter des EWG-Vertrages mit den dort niedergelegten Politiken verfolgten. Der Spaak-Bericht betont die Notwendigkeit, Lücken zu schließen, die sich im Vergleich mit der Wirtschaftskraft der Vereinigten Staaten auftaten.45 Die geeignete Maßnahme hierfür sahen seine Autoren darin, einen großen Wirtschaftsraum aufzubauen, „in dem die Voraussetzungen für eine gemeinsame Wirtschaftspolitik geschaffen werden, die – gestützt auf die Einheit mächtiger Produktionskräfte – eine fortlaufende wirtschaftliche Ausweitung, größere Sicherheit gegen Rückschläge, eine beschleunigte Hebung des Lebensstandards und die Entwicklung harmonischer Beziehungen zwischen den Teilnehmerstaaten zum Ziele haben wird.“ 46 Die Vorteile des Gemeinsamen Marktes sahen die Verfasser darin, dass er die Voraussetzungen bot, um die Vorteile einer Massenproduktion ausnutzen zu können, ohne dass es zu einer Monopolisierung der Märkte kommen müsse.47 Ein größerer Markt sollte die Unternehmen zwingen, ihre Produktionsmethoden zu erneuern und damit Quantität und Qualität der Produkterzeugung zu erhöhen.48 Ein gemeinsamer Markt wurde mithin als Instrument betrachtet, den Wettbewerbsdruck zu erhöhen, wovon man sich wiederum eine Steigerung der ökonomischen Effizienz erhoffte. Die Autoren des Spaak-Berichtes betrachteten die Wettbewerbspolitik als Instrument, um die Marktintegration abzusichern. Bereits sie betonten das Risiko, dass
43 Regierungsausschuss, eingesetzt von der Konferenz von Messina, Bericht der Delegationsleiter an die Außenminister, MAE 120 d/56 (korr.), Brüssel, den 21. April 1956 (im Folgenden: Spaak-Bericht). 44 Waelbroeck, in: Michigan Law Review Association (Hrsg.), Festschrift für Eric Stein, 2. Aufl. (1987), S. 301 f. Zu Entstehungsgeschichte und Bedeutung des Spaak-Berichtes ausf. Küsters, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (1982), S. 135–268; spezifisch mit Bezug zur EGWettbewerbspolitik Goyder, EC Competition Law, 4. Aufl. (2003), S. 23 f. 45 Spaak-Bericht, Vorwort, S. 9 f. 46 Spaak-Bericht, Erster Teil, Einleitung, S. 15. 47 Spaak-Bericht, Erster Teil, Einleitung, S. 16. 48 Spaak-Bericht, Erster Teil, Einleitung, S. 16.
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§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse
Unternehmen durch private Vereinbarungen nationale Märkte voneinander abschotten könnten und damit die Marktintegration behindern würden.49 Eine Funktion des Wettbewerbsrechts in der Förderung und Absicherung der Marktintegration zu sehen, ist deshalb insbesondere aus Sicht des historischen Gesetzgebers gerechtfertigt. Bereits von den Gründungsvätern der Gemeinschaft war beabsichtigt worden, dass die Grundfreiheiten und das Wettbewerbsrecht komplementär zusammenwirken sollten, um den Binnenmarkt zu integrieren. Auf der Grundlage seiner Entstehungsgeschichte wird das gemeinschaftsrechtliche Wettbewerbsrecht deshalb zu Recht als Pendant zu den Grundfreiheiten im Streit gegen Beschränkungen des freien Binnenmarktes angesehen.50 Diese parallelen Zielsetzungen werden insbesondere in Konstellationen deutlich, in denen die Grundfreiheiten gegen nichtstaatliches Handeln zur Anwendung kommen, etwa gegenüber kollektiven Regelungen der Berufsausübung, typischerweise in Urteilen zu berufsregelnden Vorschriften von Sportverbänden.51 Generalanwalt Lenz sah im Fall Bosman in den UEFA-Regeln über Spielertransfers nicht nur eine Verletzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit der Spieler gemäß Art. 39 EG, sondern auch eine Wettbewerbsbeschränkung für die europäischen Fußballklubs i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG. Zur Frage einer möglichen Ausnahme vom Kartellverbot äußerte er, dass eine solche zwar „theoretisch denkbar erschiene“, dass eine Freistellung aber nichts am Verstoß gegen Art. 39 EG ändern würde und die Kommission dieses bereits im Freistellungsverfahren berücksichtigen solle: „Ein einheitliches Ergebnis wäre in jedem Falle anzustreben. Dies würde bedeuten, daß auch eine Freistellung nach Artikel 85 [jetzt: 81] Absatz 3 ausscheiden müßte.“ 52 Das Konzept, dass dieser Aussage zu Grunde liegt, tritt klar zu Tage: Die Grundfreiheiten und das Wettbewerbsrecht dienen dem gleichen Zweck. Kommt es zu Überschneidungen im Anwendungsbereich, könnte deshalb eine Verhaltensweise nicht vom Kartellverbot ausgenommen sein, die gegen eine Grundfreiheit verstößt. Doch auch wenn dem EG-Vertrag ein Konzept zu entnehmen ist, wonach das Wettbewerbsrecht auch als Instrument zu verstehen ist, um den freien Produktverkehr in der Gemeinschaft zu fördern, darf daraus nicht eine strikt gegen vertikale Vereinbarungen und auf die unbedingte Gewährleistung eines freien Parallelhandels ausgerichtete Anwendung der Wettbewerbspolitik abgeleitet werden. Die Wettbewerbstheorie und die Praxis des Binnenmarktes zeigen, dass es in nicht wenigen Konstellationen vertikale Vereinbarungen und dabei insbesondere Vertriebsbeschränkungen sind, die es den Unternehmen erst erlauben, ihre Produkte überall auf einem gemeinsamen Markt anzubieten, obwohl dieser durch unterschiedliche
49 Spaak-Bericht, Erster Teil, Titel II, Kapitel 1, Abschnitt 1, b) 2., S. 59 f. 50 Schröter, in: Hawk (Hrsg.), Annual Proceedings of the Fordham Corporate Law Institute 1987 (1988), 645, 667. 51 Grundlegend EuGH, Urt. v. 12. 12. 1974 – Rs. 36/74, Walrave und Koch / Association Union Cycliste Internationale, Slg. 1974, 1405, 1419 f., Rn. 16/19. 52 Generalanwalt Lenz, Schlussantrag v. 20. 09. 1995 – Rs. C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4930, 5036, Tz. 278.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen gekennzeichnet ist. Untersagen die Gemeinschaftsorgane diese vertikalen Vereinbarungen unter Hinweis auf das Ziel der Binnenmarktintegration, das etwa unbedingt die Freiheit des Parallelhandels verlange, und sind die Unternehmen deshalb gezwungen, sich aus einzelnen Märkten zurückzuziehen, ist damit dem Ziel der Förderung des freien Produktaustausches kaum gedient.53 Generalanwalt Warner hat sich deshalb in der Rechtssache Distillers Company mit Recht offen gegen die Kommission gewandt, als er betonte, dass die Beachtung der Kommissionspolitik hinsichtlich von Parallelimporten nicht wichtiger sein dürfe, als es dem Unternehmen Distillers überhaupt erst zu ermöglichen, seine Produkte in den kontinentaleuropäischen Staaten zu vertreiben. Eine entgegensetzte Haltung sei deshalb unvereinbar mit einer ordnungsgemäßen Ausübung des Ermessens nach Art. 81 Abs. 3 EG.54 Das Ziel der Binnenmarktintegration verlangt von der Wettbewerbspolitik deshalb nur bis zu einem Punkt, Vertriebsbeschränkungen kartellrechtlich zu kontrollieren, ab dem dies kontraproduktiv wirkt und faktisch behindert, dass ein Unternehmen sich neue Märkte erschließt. Denn es überforderte die Unternehmen und wäre letztlich nachteilig für die Marktintegration, verlangte man von ihnen, sich zu verhalten, als ob ein einheitlicher Markt bestünde, obwohl er in der Realität nicht verwirklicht ist.55 Hierin offenbart sich die Ambivalenz, die darin liegt, dem Ziel der Binnenmarktintegration eine maßgebliche Rolle bei der Ausgestaltung der Wettbewerbspolitik zuzuweisen. Ein formal vollendeter Binnenmarkt bedeutet nicht, dass ein Markt mit einheitlichen Rahmenbedingungen bestünde. Dies ist im Übrigen weder ein realistischer Weise anstrebbares, noch überhaupt ein anzustrebendes Ziel, bleibt doch auch innerhalb eines Binnenmarktes ein Wettbewerb um die besseren Rahmenbedingungen wünschenswert. Auch wenn man einerseits vor diesem Hintergrund anerkennt, dass es die Unternehmen überfordern kann, ihr Verhalten auf die Leinwand eines fiktiv perfekten Binnenmarktes zu projizieren, kann ihnen doch andererseits nicht frei überlassen bleiben, auf die tatsächlichen Rahmenbedingungen zu reagieren. Könnten etwa Unternehmen nationale Märkte mit unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen beliebig durch Vertriebsbeschränkungen voneinander abschotten, um den Parallelhandel zu verhindern und so unterschiedliche Preisniveaus zu konservieren, würde man auf den Wettbewerbsdruck verzichten, den sich die Väter des Binnenmarktes vom freien Handel erhofften. Für den Markt,
53 Waelbroeck, in: Michigan Law Review Association (Hrsg.), Festschrift für Eric Stein, 2. Aufl. (1987), S. 301, 306. 54 Generalanwalt Warner, Schlussantrag v. 12. 03. 1980 – Rs. 30/78, Distillers Company / Kommission, Slg. 1980, 2267, 2288 f. 55 Mestmäcker, Europäisches Wettbewerbsrecht (1974), S. 49. Vgl. Forrester, in: Ehlermann/Laudati (Hrsg.), European Competition Law Annual 1997 (1998), S. 359, 363: „DG IV [d. h. die mit der Wettbewerbspolitik befasste Generaldirektion der Europäischen Kommission, Anm. d. Verf.] in a sense, obliged private business reluctantly to participate in creating the common market by forcing it to ignore governmental barriers to trade and discrepancies in market conditions between different Member States.“
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§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse
in den die Reimporte fließen, sollte man sich fragen, ob dort das Preisniveau etwa durch wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen zu hoch gehalten wird. Demgegenüber ist für den Markt, von dem die Parallelimporte ausgehen, zu hinterfragen, ob hier nicht staatliche, einen freien Wettbewerb behindernde Maßnahmen für ein künstlich niedriges Preisniveau sorgen. In beiden Konstellationen sollte vom Parallelhandel politischer Druck ausgehen, um einen freien, unverfälschten Wettbewerb zu gewährleisten. Stellte man es den Unternehmen frei, diesen Druck aus dem Integrationsprozess zu nehmen, dann wäre das Ziel des Gemeinsamen Marktes verfehlt. Andererseits hängt der Wettbewerbsdruck im Binnenmarkt davon ab, dass Unternehmen in einem ersten Schritt überhaupt in bisher für sie fremde Märkte eindringen. Verwehrte man es einem von Parallelimporten betroffenen Unternehmen völlig, auf unterschiedliche Rahmenbedingungen im Binnenmarkt zu reagieren, bestünde die Gefahr, dass es sich ganz aus dem Markt mit dem niedrigeren Preisniveau zurückzöge. Auch dieses Resultat widerspräche dem Binnenmarktziel. Man könnte zwar argumentieren, dass von solch einer unternehmerischen Entscheidung politischer Druck beispielsweise auf ein Land mit einem durch staatliche Regulierung niedrigen Preisniveau ausginge, seine Rahmenbedingungen anzupassen, um so die Angebotsvielfalt zu erhalten. Dafür bedürfte es freilich keines Binnenmarktes. Man führte die Idee des Binnenmarktes ad absurdum, nähme man grundsätzlich in Kauf, dass mitgliedstaatliche Maßnahmen den innergemeinschftlichen Handel mittelbar unterbinden. Berücksichtigt man das Ziel der Binnenmarktintegration innerhalb der Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft, ist deshalb ein Mittelweg zu finden, bei dem teilweise durch vertikale Beschränkungen der Unternehmen, teilweise gerade durch ihre Untersagung ein freier Produktaustausch gewährleistet wird, der einen effizienzfördernden Anpassungsdruck auf im Binnenmarkt operierende Unternehmen und die mitgliedstaatlichen Rahmenbedingungen erzeugt. Diese durch den EGVertrag vorgegebene Balance zu finden, ist eine der größten Herausforderungen an die Wettbewerbspolitik im Binnenmarkt.
2.
Zum Konzept der Wettbewerbsbeschränkung: Zwischen Schutz der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit und der Anerkennung einer rule of reason
a)
Europäische Rechtsprechung und Entscheidungspraxis der Kommission
(1)
Rechtsprechung von EuGH und EuG
Das Urteil Consten und Grundig bildet den Ausgangspunkt, um die Rechtsprechung des EuGH zum Konzept der Wettbewerbsbeschränkung zu analysieren. Der Gerichtshof begründete seine Entscheidung, wonach in einem Alleinvertriebsrecht, das Grundig der Firma Consten für Frankreich gewährte, eine Wettbewerbsbeschränkung lag, u. a. damit, dass
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen „[der] Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit [...] für alle Wirtschaftsstufen und für alle Erscheinungsformen des Wettbewerbs [gilt]. Der Wettbewerb zwischen Herstellern mag zwar im allgemeinen augenfälliger in Erscheinung treten als der zwischen Verteilern von Erzeugnissen einer und derselben Marke. Dies bedeutet aber nicht, daß eine Vereinbarung, die den Wettbewerb zwischen solchen Verteilern beschränkt, schon deswegen nicht unter das Verbot des Artikels 85 [jetzt: 81] Absatz 1 fiele, weil sie den Wettbewerb zwischen Herstellern möglicherweise verstärkt. Andererseits brauchen bei der Anwendung von Artikel 85 [jetzt: 81] Absatz 1 die tatsächlichen Auswirkungen einer Vereinbarung nicht berücksichtigt zu werden, wenn sich ergibt, daß diese eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt. Daher stellt es für sich allein noch keinen Rechtsfehler dar, daß die angefochtene Entscheidung die Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb zwischen gleichartigen Erzeugnissen der verschiedenen Marken nicht untersucht hat.“ 56
In dieser Passage legte der Gerichtshof in mehrerlei Hinsicht seine Grundauffassung für die wettbewerbspolitische Praxis der Gemeinschaft gegenüber Vertriebsvereinbarungen dar. Zum einen, indem er klarstellte, dass auch vertikale Vereinbarungen Wettbewerbsbeschränkungen i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG begründen können, da der Intrabrand-Wettbewerb in gleicher Weise wie der Interbrand-Wettbewerb schützenswert sei. Zum anderen betonte der EuGH, dass das Merkmal der Wettbewerbsbeschränkung gemäß Art. 81 Abs. 1 EG keiner Abwägung zwischen wettbewerbsbeschränkender und wettbewerbsfördernder Auswirkungen einer Vereinbarung zugänglich sei. Eine tatbestandsmäßige Wettbewerbsrestriktion könne also nicht etwa deshalb verneint werden, weil die Beschränkung der markeninternen Konkurrenz erst einen Marktzutritt ermöglicht und damit den Wettbewerb zwischen den Marken intensiviert. Daher bedürfe es auch keiner Analyse der tatsächlichen Auswirkungen einer Vereinbarung auf die Wettbewerbsintensität, soweit feststeht, dass die Vereinbarung eine Einschränkung des Wettbewerbs i. S. d. zuvor fixierten weiten Interpretation bezweckt. Mit diesen Aussagen legte der EuGH den Grundstein für das Konzept des Schutzes der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit durch Art. 81 Abs. 1 EG, das sich in der Folgezeit vor allem die Kommission zu Eigen machte. Die Rechtsprechung entwickelte sich indes nicht konsistent fort. Bereits kurz vor der Entscheidung Consten und Grundig hatte der Gerichtshof in LTM / MBU die Basis für eine Tendenz in der Auslegung des Art. 81 Abs. 1 EG gelegt, die dem Konzept des Schutzes der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit entgegenstand. In diesem Fall urteilte der EuGH nämlich, dass eine Alleinvertriebsvereinbarung nicht per se unter das Verbot von Art. 81 Abs. 1 EG falle.57 Ferner führte der Gerichtshof aus: „Das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung kann vor allem dann zweifelhaft erscheinen, wenn sich die Vereinbarung gerade für das Eindringen eines Unternehmens in ein Gebiet, in dem es bisher nicht tätig war, als notwendig erweist. Daher
56 EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966 – verb. Rs. 56 und 58/64, Consten und Grundig / Kommission, Slg. 1966, 321, 390 f. 57 EuGH, Urt. v. 30. 6. 1966 – Rs. 56/65, LTM / MBU, Slg. 1966, 281, 302.
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§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse sind bei der Entscheidung darüber, ob ein Vertrag, der ,ein Alleinvertriebsrecht einräumt‘ wegen seines Zwecks oder seiner Wirkung als verboten anzusehen ist, insbesondere Art und Menge der den Gegenstand der Vereinbarung bildenden Erzeugnisse in Betracht zu ziehen; ferner ist zu prüfen, welche Stellung und Bedeutung der Lieferant und der Vertriebsberechtigte auf dem Markt dieser Erzeugnisse innehaben [...]“.58
Der EuGH schreibt bereits hier vor, dass es nicht genüge, für die Annahme einer Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG festzustellen, dass eine Vereinbarung – wie hier das Recht zum Alleinvertrieb – die wirtschaftliche Handlungsfreiheit einer Partei behindere. Insbesondere mag eine Einschränkung des markeninternen Wettbewerbs dadurch kompensiert werden, dass sich die Konkurrenz zwischen den Marken intensiviert, wenn ein neuer Wettbewerber zum Markt zutritt. Bei dieser Abwägung komme es wesentlich auf die Marktstruktur an. Der Gerichtshof vollzog damit bereits im Jahre 1966 Überlegungen, die später der Entscheidungspraxis der Kommission entgegengehalten wurden. Dieses Konzept führte der EuGH in der Entscheidung Völk / Vervaecke fort, als er urteilte, dass Vereinbarungen nicht vom Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG erfasst werden, die nur geringe Auswirkungen auf den betroffenen Markt haben, berücksichtigt man die schwache Marktposition der Parteien. Unter diesen Voraussetzungen könne auch eine Alleinvertriebsvereinbarung mit absolutem Gebietsschutz keine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG darstellen.59 Der EuGH zeichnete damit bereits 1969 für die Auslegung des Art. 81 Abs. 1 EG für Vertriebsvereinbarungen ein Kriterium vor, dem die Kommission dreißig Jahre später mit der Vertikal-GVO eine zentrale Rolle zuwies: Soweit die Marktmacht des beschränkenden Unternehmens nicht zu groß ist, kompensiert der Interbrand-Wettbewerb Einschränkungen des Intrabrand-Wettbewerbs. In den folgenden Jahren verfolgte der Gerichtshof diesen Ansatz weiter. Gerade in Entscheidungen zu Beschränkungen in Vertriebsvereinbarungen betonte er wiederholt die Notwendigkeit, die Klauseln in ihrem ökonomischen und rechtlichen Kontext zu prüfen. Eine von den tatsächlichen und rechtlichen Umständen isolierte Betrachtung genüge keineswegs, um festzustellen, dass eine Wettbewerbsbeschränkung nach Art. 81 Abs. 1 EG vorliege.60 Entsprechend entschied der EuGH auch in Bezug auf Exklusivitätsklauseln in Lizenzverträgen. So urteilte er etwa im Gegensatz zur vorausgegangenen Kommissionsentscheidung im Fall Maissaatgut, dass ein der Firma Nungesser eingeräumtes exklusives Recht zur Produktion und zum Vertrieb eines bestimmten Saatgutes nicht vom Tatbestand der Wettbewerbsbeschränkung erfasst werde.61 Hervorzuheben ist auch die Rechtsprechung des EuGH zum Vertriebsfranchising, nach der beschränkende Vereinbarungen, die zum Funktio-
58 EuGH, Urt. v. 30. 6. 1966 – Rs. 56/65, LTM / MBU, Slg. 1966, 281, 304. 59 EuGH, Urt. v. 9. 7. 1969 – Rs. 5/69, Völk / Vervaecke, Slg. 1969, 295, Leitsatz 3 und 302, Rn. 7. 60 EuGH, Urt. v. 12. 12. 1967 – Rs. 23/67, Brasserie de Haecht, Slg. 1967, 543, 544, Leitsatz 1 und 555 f.; EuGH, Urt. v. 10. 7. 1980 – Rs. 99/79, Lancôme / Etos, Slg. 1980, 2511, 2512, Leitsatz 5 und 2536, Rn. 24. 61 EuGH, Urt. v. 8. 6. 1982 – Rs. 258/78, Nungesser / Kommission („Maissaatgut“), Slg. 1982, 2015.
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nieren des Franchisesystems notwendig seien – etwa Wettbewerbsverbote oder Exklusivbezugsvereinbarungen – nicht den Wettbewerb beeinträchtigen, obgleich sie die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Parteien einschränken.62 Gleichwohl ist einzuräumen, dass die Rechtsprechung an diesem Punkt nicht konsistent ist. Der EuGH entschied etwa auch, dass eine Vereinbarung innerhalb eines selektiven Vertriebssystems, die Querverkäufe unter den zugelassenen Händlern untersagt, „deren wirtschaftliche Freiheit ein[schränkt] und [...] daher eine Wettbewerbsbeschränkung dar[stellt]“.63
Bereits zuvor hatte der Gerichtshof geurteilt, dass Klauseln in Lieferverträgen allein deshalb eine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 81 EG darstellen können, weil sie „den Abnehmer in seiner Freiheit beschränken, die gelieferte Ware nach seinen eigenen wirtschaftlichen Interessen zu verwenden“.64
Indes wurde die Entscheidung Delimitis / Henninger Bräu aus dem Jahre 1991 weithin als Beleg dafür aufgefasst, dass der Gerichtshof grundsätzlich für eine „ökonomische“ Lesart des Art. 81 Abs. 1 EG plädiert.65 Der EuGH bestätigte in diesem Urteil, dass Ausschließlichkeitsklauseln in Vertriebsvereinbarungen nur dann als Wettbewerbsbeschränkungen gemäß Art. 81 Abs. 1 EG aufzufassen seien, wenn eine Analyse des rechtlichen und ökonomischen Zusammenhangs, insbesondere der Marktverhältnisse, ergebe, dass der Marktzutritt tatsächlich erschwert werde und dass die Vereinbarung signifikant zu den Marktzutrittsschranken beitrage.66 Die vertragliche Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit allein könnte danach nicht dazu führen, dass eine Vertriebsvereinbarung dem Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG unterfällt. Unter Hinweis auf die Entscheidungen des EuGH in den sog. Deutschen Auto-LeasingFällen wurde allerdings behauptet, dass der EuGH keineswegs nur Vereinbarungen, die bei einer Gesamtbetrachtung antikompetitiv wirkten, als wettbewerbsbeschränkend i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG ansehe, sondern dass der Gerichtshof nach wie vor dem Schutze der individuellen wettbewerblichen Freiheit Priorität einräume.67 Tatsächlich hatte der Gerichtshof in diesen Urteilen formuliert, dass beschränkende Klauseln zwischen einem Autohersteller und seinen Händlern deshalb wettbewerbsbeschränkend seien, weil sie „die geschäftliche Handlungsfreiheit der Händler“ 68
62 EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986 – Rs. 161/84, Pronuptia, Slg. 1986, S. 353, 354, Leitsatz 1, 2 und 381 ff., Rn. 15–22. 63 EuGH, Urt. v. 21. 2. 1984 – Rs. 86/82, Hasselblad / Kommission, Slg. 1984, 883, 908, Rn. 46. 64 EuGH, Urt. v. 14. 12. 1983 – Rs. 319/82, Soc. De Vente de Ciments et Bétons de l’Est / Kerpen & Kerpen, Slg. 1983, 4173, 4182, Rn. 6. 65 Siehe nur Whish, Competition Law, 4. Aufl. (2001), S. 98 f. m. w. N. 66 EuGH, Urt. v. 28. 2. 1991 – Rs. C-234/89, Delimitis, Slg. 1991, I-935, 984–987, Rn. 14–27. 67 Schröter, in: Gormley (Hrsg.), Current and Future Perspectives on EC Competition Law (1997), S. 15, 26. 68 EuGH, Urt. v. 24. 10. 1995 – Rs. C-266/93, Volkswagen und VAG Leasing, Slg. 1995, I-3477, 3518, Rn. 24.
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bzw. „die Handlungsfreiheit von Wirtschaftsteilnehmern“ 69 beschränkten. Freilich sind die Ausführungen des Gerichtshofes nicht eindeutig. Möglich ist auch eine Auslegung, wonach die eigentlichen Gründe der Wertung als „wettbewerbsbeschränkend“ doch auf einer Analyse beruht, die die tatsächlichen wettbewerblichen Auswirkungen und die wirtschaftlichen Zusammenhänge berücksichtigt. Die zitierten Formulierungen wären danach lediglich als missverständliche Verkürzungen anzusehen.70 Dafür spricht in der Entscheidung Volkswagen und VAG Leasing, dass der Gerichtshof analysierte, wie sich die Vereinbarungen auf die Möglichkeit des Marktzutritts und die Marktstellung der involvierten Unternehmen auswirkten.71 In der Entscheidung BMW / Deutsche Auto-Leasing D erübrigte sich aus Sicht des Gerichts offensichtlich jede Abwägung wettbewerbsfördernder mit -behindernden Aspekten, denn es sah in der Vereinbarung eine Beschränkung, die faktisch einem absoluten Gebietsschutz gleichkam, der mit einem Ausfuhrverbot verknüpft ist.72 Derartige Klauseln sind jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes per se wettbewerbsbeschränkend i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG. Seit seiner Gründung 1989 ist das europäische Gericht erster Instanz für Nichtigkeitsklagen gegen Entscheidungen der Kommission zuständig 73 und damit auch mit der Frage befasst, inwieweit Vertriebsvereinbarungen den Wettbewerb beschränken. Eine Reihe von Urteilen des EuG liegt auf der Linie, die der EuGH mit der Delimitis-Entscheidung vorgezeichnet hatte. So urteilte das EuG in Dansk Pelsdyravlerforening, dass ein Wettbewerbsverbot nicht unter Art. 81 Abs. 1 EG falle, wenn es sich vorteilhaft auf den Wettbewerb auswirken könne, d. h. wenn solch eine Klausel selbst zum freien Wettbewerb beitragen könne.74 Im gleichen Urteil betonte das Gericht auch, dass bei der Beurteilung einer Ausschließlichkeitsvereinbarung unter dem Blickwinkel des Art. 81 Abs. 1 EG der tatsächliche wirtschaftliche Zusammenhang zu berücksichtigen sei. Je nach den Marktverhältnissen könne eine ausschließliche Lieferpflicht, die dem Erzeuger den Absatz seiner Produkte sicherstellt und dem Wiederverkäufer die Versorgung mit den Produkten gewährleistet, den Wettbewerb bei den Preisen und den dem Verbraucher gebotenen Dienstleistungen verstärken.75 In den Entscheidungen Langnese-Iglo und Schöller bestätigte das Gericht ausdrücklich die Vorgaben des EuGH aus Delimitis, wonach ein Netz von Alleinbezugsverträgen nur dann den Wettbewerb beschränke, wenn dadurch neuen inlän69 EuGH, Urt. v. 24. 10. 1995 – Rs. C-70/93, BMW / ALD Auto-Leasing D, Slg. 1995, I-3439, 3468 f., Rn. 19. 70 Wesseling, The Modernisation of EC Antitrust Law (2000), S. 93, Fn. 49. 71 EuGH, Urt. v. 24. 10. 1995 – Rs. C-266/93, Volkswagen und VAG Leasing, Slg. 1995, I-3477, 3517, Rn. 23 bzw. 3518, Rn. 25. 72 EuGH, Urt. v. 24. 10. 1995 – Rs. C-70/93, BMW / ALD Auto-Leasing D, Slg. 1995, I-3439, 3468 f., Rn. 19 f. 73 Die Zuständigkeit folgt aus Art. 225 Abs. 2, 3 EG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 lit. c des Beschlusses des Rates (88/591/EGKS, EWG, Euratom) zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften. 74 EuG, Urt. v. 2. 7. 1992 – Rs. T-61/89, Dansk Pelsdyravlerforening / Kommission, Slg. 1992, II-1931, 1933, Leitsatz 5 und 1961, Rn. 74. 75 EuG, Urt. v. 2. 7. 1992 – Rs. T-61/89, Dansk Pelsdyravlerforening / Kommission, Slg. 1992, II-1931, 1934, Leitsatz 7 und 1979, Rn. 99.
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dischen oder ausländischen Wettbewerbern der Zugang zu diesem Markt verschlossen werde. Ergebe eine Untersuchung der Marktverhältnisse, dass tatsächlich hohe Marktzutrittsschranken bestünden, unterfielen nur die Ausschließlichkeitsbindungen Art. 81 Abs. 1 EG, die in erheblichem Maße zur Marktabschottung beitrügen.76 Die europäischen Gerichte haben in ihrer Rechtsprechung zu Vertriebsvereinbarungen jedoch auch versucht, zu klären, wo die Grenzen bei der Berücksichtigung wirtschaftlicher Argumente auf der Tatbestandsebene des Art. 81 Abs. 1 EG liegen. Deutlich wird dies in der Reaktion des EuG auf das Vorbringen, eine Klausel einer Vertriebsvereinbarung müsse nach einer rule of reason als nicht wettbewerbsbeschränkend i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG behandelt werden. Maßgeblich hierfür ist die Entscheidung Van den Bergh Foods. Dort stellte der gleichnamige Produzent von Speiseeis den Verkäufern kostenlos oder gegen einen geringfügigen Mietzins Kühltruhen zur Verfügung, in denen allerdings kein Eis anderer Unternehmen aufbewahrt werden durfte. Nachdem die Kommission diese Vertriebsvereinbarung untersagt hatte, klagte die Firma gegen die Entscheidung. Sie berief sich u. a. darauf, dass eine rule of reason anzuwenden sei, aus der sie ableitete, dass die Vereinbarung nicht dem Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 1 EG unterfiele. Van den Bergh Foods argumentierte, dass die Ausschließlichkeitsklausel notwendig sei, um die Vorteile ihres Vertriebssystems ausnutzen zu können und die Klausel den Wettbewerb auch nicht unverhältnismäßig beschränke, der Art des Erzeugnisses Rechnung getragen werden müsse und die Ausschließlichkeitsklausel nicht für Konkurrenten den Marktzugang beeinträchtige.77 Im Hinblick auf dieses Vorbringen urteilte das EuG: „Was das Argument von HB betrifft, dass auf den vorliegenden Fall die rule of reason anzuwenden sei, so ist festzustellen, dass eine solche Regel im Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft nicht besteht. Eine Auslegung des Artikels 85 [jetzt: 81] Absatz 1 EGVertrag, wie sie HB vorschlägt, wäre im Übrigen schwerlich mit der Regelungssystematik von Artikel 85 vereinbar. Denn Artikel 85 Absatz 3 EG-Vertrag sieht ausdrücklich vor, dass wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen freigestellt werden können, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen [...] Nur im Rahmen dieser Bestimmung kann eine Abwägung der wettbewerbsfördernden und der wettbewerbsbeschränkenden Gesichtspunkte einer Beschränkung stattfinden.“ 78
Das Gericht lehnt es hier also ausdrücklich ab, eine rule of reason anzuwenden und auf der Tatbestandsebene des Art. 81 Abs. 1 EG wettbewerbsfördernde mit wettbewerbsbeschränkenden Gesichtspunkten abzuwägen. Es sah sich dadurch gleichwohl keineswegs daran gehindert, zum Merkmal der „Wettbewerbsbeschränkung“ i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG ausführlich die Argumente beider Parteien zu würdigen, ob
76 EuG, Urt. v. 8. 6. 1995 – Rs. T-7/93, Langnese-Iglo / Kommission, Slg. 1995, II-1533, 1536, Leitsatz 3 und 1572 f., Rn. 99; EuG, Urt. v. 8. 6. 1995 – Rs. T-9/93, Schöller / Kommission, Slg. 1995, II-1611, 1612 f., Leitsatz 2 und 1643, Rn. 76. 77 EuG, Urt. v. 23. 10. 2003 – Rs. T-65/98, Van den Bergh Foods / Kommission, Slg. 2003, II-4653, 4680, Rn. 53 f. 78 EuG, Urt. v. 23. 10. 2003 – Rs. T-65/98, Van den Bergh Foods / Kommission, Slg. 2003, II-4653, 4701, Rn. 106 f.
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und in welchem Maße die Vereinbarung tatsächlich den Marktzutritt von Konkurrenten erschwerte und inwieweit dadurch tatsächlich der Wettbewerb für Speiseeis beschränkt wurde, wobei auch ausdrücklich die tatsächlichen Marktverhältnisse analysiert und berücksichtigt wurden.79 In der Sache berücksichtigte das Gericht also durchaus die Argumente, die u. a. eben auch unter dem Stichwort der rule of reason vorgebracht worden waren. Durch eine Selbsteinschätzung des Gerichts im vorangegangenen Urteil M6 wird klar, dass der EuG mit seinen Aussagen in Van den Bergh Foods nicht seine vorhergegangene Rechtsprechung zu den Vertriebsvereinbarungen zurücknehmen wollte: „Diese Urteile [das Gericht bezieht sich hier u. a. auf die oben zitierten Urteile Nungesser und Eisele und Pronuptia, d. Verf.] können jedoch nicht dahin ausgelegt werden, dass sie das Bestehen einer Rule of reason im Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft anerkennen. Sie sind vielmehr Teil einer breiteren Strömung in der Rechtsprechung, die nicht völlig abstrakt und unterschiedslos davon ausgeht, dass jede die Handlungsfreiheit eines oder mehrerer Beteiligter beschränkende Vereinbarung zwangsläufig von dem Verbot des Artikels 85 [jetzt Art. 81] Absatz 1 EG-Vertrag erfasst wird. Vielmehr sind bei der Prüfung, ob diese Bestimmung auf eine Vereinbarung anwendbar ist, der konkrete Rahmen zu berücksichtigen, in dem diese ihre Wirkungen entfaltet, insbesondere der wirtschaftliche und rechtliche Kontext, in dem die betroffenen Unternehmen tätig sind, die Art der Waren und/oder Dienstleistungen, auf die sich die Vereinbarung bezieht, sowie die tatsächlichen Bedingungen der Funktion und der Struktur des relevanten Marktes.“ 80
Es wird deshalb kaum praktische Auswirkungen auf die Rechtsprechungspraxis zur kartellrechtlichen Behandlung von Vertriebsvereinbarungen haben, dass das Gericht eine rule of reason ausdrücklich ablehnt sowie nach eigener Aussage pro- und antikompetitive Effekte nicht auf Tatbestandsebene des Art. 81 EG miteinander abwägen will. Denn faktisch wägen die Gerichte durchaus wettbewerbsfördernde mit wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen ab, wenn sie etwa urteilen, dass unter bestimmten Voraussetzungen Alleinvertriebs- und Alleinbezugsvereinbarungen oder Wettbewerbsverbote nicht unter das Kartellverbot fallen, weil dadurch Vertriebssysteme stabilisiert werden können und der Interbrand-Wettbewerb intensiviert werden kann.81 Und dass die Gerichte bei der Auslegung des Merkmals der Wettbewerbsbeschränkung den wirtschaftlichen und rechtlichen Kontext und die tatsächlichen Marktverhältnisse berücksichtigen, lässt sich terminologisch durchaus als eine „Regel der Vernunft“, also eine rule of reason, begreifen.
79 EuG, Urt. v. 23. 10. 2003 – Rs. T-65/98, Van den Bergh Foods / Kommission, Slg. 2003, II-4653, 4687, Rn. 75–105, 4701, 108–118. 80 EuG, Urt. v. 18. 9. 2001 – Rs. T-112/99, M6 u. a. / Kommission, Slg. 2001, II-2459, 2489, Rn. 76. 81 Dies sieht offensichtlich auch die Kommission so, wenn sie im Weißbuch zur Reform des Kartellverfahrensrechts ausführt: „Die Kommission hat diesen Weg bereits in einigen Fällen beschritten, in denen sie die wettbewerbsfördernden und wettbewerbsschädlichen Aspekte bestimmter Vereinbarungen nach Artikel 85 [jetzt: 81] Absatz 1 [EG] beurteilte. Diese Vorgehensweise wurde vom Gerichtshof bestätigt“, Kommission, Weißbuch über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag, 1999/C 132/1, Tz. 57.
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Die ausdrückliche Ablehnung eines solchen Konzepts durch das EuG in der Entscheidung Van den Bergh Foods erklärt sich zunächst damit, dass sich die Rechtsprechung zu Art. 81 EG vom US-amerikanischen Konzept der rule of reason distanzieren wollte.82 Darüber hinaus wollte das Gericht aber auch inhaltliche Schranken für die Auslegung des Art. 81 EG setzen. Zum einen sollen Argumente, die nach der Systematik des Art. 81 EG erst auf der Ebene einer Ausnahme vom Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 3 EG zu diskutieren sind, nicht in die Frage hineinspielen dürfen, ob eine Wettbewerbsbeschränkung nach Art. 81 Abs. 1 EG vorliegt.83 Zum zweiten will die Rechsprechung offensichtlich jeden Ansatzpunkt vermeiden, der die kartellrechtliche Behandlung horizontaler Vereinbarungen oder das Verbot vertikaler Preisfixierungen und der Verabredung eines absoluten Gebietsschutzes unter Art. 81 Abs. 1 EG „aufweichen“ könnte. Denn insbesondere für Zuwiderhandlungen gegen Art. 81 Abs. 1 lit. a, b und c EG, also bei Absprachen über Preise, Produktionsund Lieferquoten sowie Marktaufteilung, sieht die Rechtsprechung eben keinerlei Spielraum, eine tatbestandsmäßige „Wettbewerbsbeschränkung“ i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG abzulehnen, selbst unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen und rechtlichen Kontexts sowie der tatsächlichen Marktstruktur.84 Deshalb lehnt das EuG nicht nur ausdrücklich die Anerkennung einer rule of reason ab, sondern verneint auch, bei Art. 81 Abs. 1 EG wettbewerbsfördernde mit wettbewerbsbeschränkenden Aspekten abzuwägen.85 Wie dargelegt, wollte das EuG damit in der Sache aber nicht von der vorherigen Rechtsprechungslinie zur kartellrechtlichen Behandlung von Vertriebsvereinbarungen abweichen. (2)
Entscheidungspraxis und Wettbewerbspolitik durch die Kommission
Die Kommission baute ihre Entscheidungspraxis auf dem Konzept auf, das der EuGH im Urteil Consten und Grundig skizziert hatte und betrachtete deshalb jede vertragliche Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit als eine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG. Diese Strategie führte zu einer weit reichenden Anwendung des Kartellverbots auf Vertriebsvereinbarungen. Paradigmatisch hierfür steht die Maissaatgut-Entscheidung: Gewährt ein Produzent einem anderen Unternehmen eine Lizenz, um ein Produkt in einem Gebiet exklusiv herzustellen und zu vertreiben, so liegt nach Auffassung der Kommission darin allein deshalb eine Wettbewerbsbeschränkung, weil sich der Lizenzgeber der Möglichkeit begebe, für dieses Gebiet andere Unternehmen zu lizenzieren oder selbst dort mit
82 Vgl. EuGH, Urt. v. 8. 7. 1999 – Rs. C-235/92 P, Montecatini / Kommission, Slg. 1999, I-4539, 4617, Rn. 131, ein Vorbringen der Kommission zitierend: „Zum einen sei nicht ersichtlich, weshalb man um einer vernünftigen statt unsinnigen Rechtsanwendung willen auf einen Grundsatz des nordamerikanischen Rechts zurückgreifen müsse.“ 83 EuG, Urt. v. 18. 9. 2001 – Rs. T-112/99, M6 u. a. / Kommission, Slg. 2001, II-2459, 2488, Rn. 73 f. 84 EuG, Urt. v. 10. 3. 1992 – Rs. T-14/89, Montedipe / Kommission, Slg. 1992, II-1155, 1246, Rn. 265; EuG, Urt. v. 6. 4. 1995 – Rs. T-148/89, Tréfilunion / Kommission, Slg. 1995, II-1063, 1107 f., Rn. 109. 85 EuG, Urt. v. 18. 9. 2001 – Rs. T-112/99, M6 u. a. / Kommission, Slg. 2001, II-2459, 2487–2489, Rn. 72–77.
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seinem Produkt zu handeln.86 Parallel entschied die Kommission etwa, dass eine Vereinbarung in einem Lizenzvertrag bereits dann wettbewerbsbeschränkend nach Art. 81 Abs. 1 EG sei, wenn sich der Lizenznehmer dazu verpflichte, keine anderen Produkte als die des Lizenzgebers herzustellen.87 Beispiele wie diese belegen, dass die Kommission einen wettbewerbsbeschränkenden Charakter allein deshalb annahm, weil die wirtschaftliche Handlungsfreiheit eines Beteiligten oder eines Dritten formal eingeschränkt wurde. Erst auf der Ebene einer möglichen Ausnahme vom Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 3 EG analysierte und berücksichtigte die Kommission auch die Marktbedingungen und die tatsächlichen Auswirkungen einer Vereinbarung auf den Markt.88 Beschränkungen in Vertriebsvereinbarungen konnten danach freigestellt werden, soweit sie eine marktaufschließende Funktion hatten und damit die wettbewerbsfördernden und marktintegrierenden Aspekte dominierten. Allerdings ist zu bemerken, dass die Kommission selbst auch Ausnahmen zu ihrer strikt formalen Auslegung des Art. 81 Abs. 1 EG zugelassen hat. So sieht sie unter bestimmten Voraussetzungen etwa bei selektiven Vertriebssystemen 89 oder Handelsvertreterverträgen 90 Beschränkungen in Vertriebsvereinbarungen nicht als Wettbewerbsbeschränkung an, obgleich sie die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Parteien beschränken. Festzuhalten bleibt indes, dass die Kommission grundsätzlich bereits eine formale Beschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit in Vertriebsvereinbarungen als wettbewerbsbeschränkend i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG qualifiziert. Im Anfangsstadium des Reformprozesses der Wettbewerbspolitik gegenüber vertikalen Beschränkungen gab es Indizien dafür, dass die Kommission gewillt war, ihr formales Konzept der Wettbewerbsbeschränkung bei Art. 81 Abs. 1 EG grundsätzlich zu überdenken, nicht zuletzt, um Spannungen zur Rechtsprechung des EuGH aufzulösen. Darauf deuteten etwa Aussagen von Mitarbeitern der GD Wettbewerb hin, die davon sprachen, dass eine Option für eine Reform darin liege, auf der Grundlage einer stärkeren Berücksichtigung ökonomischer Argumente den Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG restriktiver auszulegen.91 Diesen Überlegungen entsprach die Option IV im Grünbuch zur EG-Wettbewerbspolitik gegenüber vertika86 Kommission, Entsch. v. 21. 9. 1978, 78/823/EWG, Maissaatgut, ABl. L 286 v. 12. 10. 1978, S. 23, 31 f. 87 Kommission, Entsch. v. 20. 12. 1977, 78/156/EWG, Philips VCRs, ABl. L 47 v. 18. 2. 1978, S. 42, 45, BE 23. 88 Siehe etwa Kommission, Entsch. v. 23. 12. 1993, 93/405/EWG, Schöller, ABl. L 183 v. 26. 7. 1993, S. 1, 13–17, BE 114–146; Kommission, Entsch. v. 23. 12. 1993, 93/406/EWG, Langnese-Iglo, ABl. L 183 v. 26. 7. 1993, S. 19, 31–36, BE 115–147. In beiden Entscheidungen hatte die Kommission allein auf Grund der Vereinbarung einer Alleinbezugsverpflichtung eine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG angenommen, ohne den wirtschaftlichen Kontext und die tatsächlichen Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb zu prüfen, siehe demgegenüber EuG, Urt. v. 8. 6. 1995 – Rs. T-7/93, Langnese-Iglo / Kommission, Slg. 1995, II-1533, 1571–1576, Rn. 94–114 und Korah, ECLR 1998, 506, 507. 89 Kommission, Entsch. v. 21. 12. 1993, 94/29/EG, Grundig-EG-Vertriebsbindung, ABl. L 20 v. 26. 1. 1994, S. 15, 19, BE 23–34. 90 Siehe oben S. 149. 91 Siehe etwa Deacon, in: Hawk (Hrsg.), Annual Proceedings of the Fordham Corporate Law Institute 1995 (1996), 307–314, zusf. 321–324.
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len Wettbewerbsbeschränkungen.92 Diese knüpfte an die Marktstruktur an und sah vor, dass auf eine vertikale Vereinbarung von Parteien, die nur über einen Marktanteil von weniger als 20 Prozent im Vertragsgebiet verfügten, bereits der Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG nicht anzuwenden gewesen wäre, dieses aber von der Kommission nach einer Marktanalyse widerrufen hätte werden können.93 Indes verwirklichte die Kommission nicht diese Option. Die Vertikal-GVO, die aus dem Diskussionsprozess um die Behandlung vertikaler Vereinbarungen hervorging, zeugt zwar von der Bereitschaft, den wirtschaftlichen Kontext, die Marktstrukturen und die ökonomischen Auswirkungen vertikaler Vereinbarungen auf den Wettbewerb stärker bei der kartellrechtlichen Behandlung zu berücksichtigen. Allerdings soll dies erst auf dem Wege der Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG vollzogen werden, also durch Gruppen- oder Einzelfreistellung. Mit den Konzepten der Vertikal-GVO zeigt die Kommission, dass sie nicht bereit ist, ökonomischen Argumenten bereits auf der Tatbestandsebene des Art. 81 EG größeren Raum zu geben.94 Dies dokumentieren auch die Ausführungen im Weißbuch über die Reform des Kartellverfahrensrechts. Zur Auslegung des Art. 81 EG betont die Kommission, dass sie keinen Spielraum sehe, über die bis dahin anerkannten Ausnahmefälle hinaus bereits auf der Ebene des Tatbestandes des Art. 81 EG wettbewerbsfördernde mit wettbewerbsschädlichen Aspekten abzuwägen.95 Sie begründet das im Wesentlichen mit der Systematik des Art. 81 EG und dem Argument, dass Art. 81 Abs. 3 EG sonst seiner Funktion beraubt würde. Zudem weist die Kommission darauf hin, dass es gewagt wäre, die Modernisierung der Wettbewerbsregeln von einer Entscheidungspraxis und ihrer Bestätigung durch die Gemeinschaftsgerichte abhängig zu machen. Schließlich führt die Kommission aus, dass „bei einem solchen Ansatz die Gefahr der Zweckentfremdung des Artikels 85 [jetzt: 81] Absatz 3 [bestünde], der einen Rechtsrahmen für die wirtschaftliche Beurteilung von Vereinbarungen darstellt, nicht aber den Ausschluß der Wettbewerbsregeln aus politischen Gründen ermöglichen soll“.
Die Kommission unterstreicht damit ein Konzept, wonach Vertriebsvereinbarungen, die auch wettbewerbsbeschränkende Elemente enthalten, bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise jedoch eher den Wettbewerb intensivieren, unter Art. 81 Abs. 1 EG fallen und (lediglich) nach Art. 81 Abs. 3 EG vom Kartellverbot ausgenommen werden können. Bestätigt hat die Kommission diesen Ansatz schließlich in ihren Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG unter Berufung auf die Urteile des EuG in den Rechtssachen Van den Bergh Foods und Métropole télévison (M6): 96
92 Kommission, Grünbuch zur EG-Wettbewerbspolitik gegenüber vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen, KOM (1996) 721 endg., Tz. 293–301. 93 Positiv zu dieser Option Venit, in: Ehlermann/Laudati (Hrsg.), European Competition Law Annual 1997 (1998), S. 567, 578 f.; krit. hingegen Veelken, ZVglRWiss 97 (1998), 241, 281–284. 94 Krit. dazu Korah, ECLR 1998, 506–513. 95 Kommission, Weißbuch über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag (1999/C 132/1), Tz. 56 f. 96 Siehe zur Aussagekraft dieser Urteile aber oben S. 350 ff.
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§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse „In einem zweiten Schritt, der nur zum Tragen kommt, nachdem festgestellt wurde, dass eine Vereinbarung den Wettbewerb einschränkt, werden die sich aus dieser Vereinbarung ergebenden wettbewerbsfördernden Wirkungen ermittelt, und es wird geprüft, ob diese wettbewerbsfördernden Wirkungen gegebenenfalls die wettbewerbswidrigen Auswirkungen aufwiegen. Diese Abwägung von wettbewerbsfördernden und wettbewerbswidrigen Auswirkungen wird ausschließlich im Rahmen von Artikel 81 Absatz 3 durchgeführt.“ 97
Gleichzeitig erkennt aber auch die Kommission an, dass bestimmte Vertriebsvereinbarungen trotz ihrer wettbewerbsbeschränkenden Wirkung ausnahmsweise nicht vom Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG erfasst werden sollen. Hierzu gehören etwa Vereinbarungen, die objektiv erforderlich sind, damit ein Vertriebshändler in einen neuen Markt eintreten kann 98 und nicht spürbare Wettbewerbsbeschränkungen,99 soweit eine Beschränkung des Wettbewerbs nicht bezweckt war, wovon bei Preisbindungen der zweiten Hand, der Festsetzung von Mindestpreisen und der Gewährung eines absoluten Gebietsschutzes ausgegangen wird.100 Auch an sich wettbewerbsbeschränkend wirkende Nebenabreden können bereits tatbestandlich vom Kartellverbot ausgenommen sein, wenn sie unmittelbar verbunden sind mit einer nicht wettbewerbsbeschränkenden Hauptvereinbarung und für deren Durchführung notwendig und angemessen sind.101 (3)
Zusammenfassung
Die europäische Rechtsprechung und die Kommission haben unterschiedliche Antworten auf die Frage entwickelt, inwieweit Vertriebsvereinbarungen tatbestandlich wettbewerbsbeschränkend sind. Ihre Wege haben sich wieder angenähert, ohne allerdings zusammenzuführen. In der europäischen Rechtsprechung hat sich ein Ansatz durchgesetzt, wonach die tatsächlichen Auswirkungen jeder Vertriebsbeschränkung bereits auf der Ebene des Tatbestands von Art. 81 EG umfassend vor dem Hintergrund ihres rechtlichen und wirtschaftlichen Kontexts zu analysieren sind. Dabei berücksichtigt sie insbesondere die Marktstruktur und schätzt Vertriebsbeschränkungen in vielen Fällen als nicht wettbewerbsbeschränkend ein, wenn diese von Unternehmen mit einem geringen Marktanteil ausgehen und wenn sie den Marktzutritt neuer Konkurrenten nicht erschweren. Zwar bestreitet das EuG, dass es bereits auf der Ebene des Art. 81 Abs. 1 EG wettbewerbsbeschränkende mit wettbewerbsfördernden Aspekten abwägen würde. Tatsächlich praktiziert es jedoch genau dies in vielen Fällen bei vertraglichen Beschränkungen in Vertriebsverträgen. Demgegenüber lässt sich die Kommission von dem Konzept leiten, dass in Vertriebsvereinbarungen im Grundsatz jede Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit wettbewerbsbeschränkenden Charakter habe und deshalb vom Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG erfasst werde. Auch wenn sie inzwischen akzep-
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Leitlinien Art. 81 Abs. 3 EG, Tz. 11. Leitlinien Art. 81 Abs. 3 EG, Tz. 18.2. Leitlinien Art. 81 Abs. 3 EG, Tz. 24. Leitlinien Art. 81 Abs. 3 EG, Tz. 23. Leitlinien Art. 81 Abs. 3 EG, Tz. 28–31.
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tiert, dass vertikale Vereinbarungen, die keine Preisfixierung beinhalten und nicht von marktmächtigen Unternehmen ausgehen, im Prinzip nicht schädlich für die Wettbewerbsintensität sind, so ist sie doch nur bereit, dieser ökonomische Erkenntnis auf der Ebene einer Ausnahme vom Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 3 EG zum Durchbruch zu verhelfen. b)
Bewertung: Wettbewerbsbeschränkung als ökonomisches Konzept
Einigkeit scheint zwischen europäischer Rechtsprechung, Kommission und Schrifttum über die wettbewerbspolitische Zielsetzung zu bestehen, dass Vertriebsvereinbarungen, die zwar die beteiligten Parteien oder auch Dritte in ihrer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit beschränken, jedoch bei einer umfassenden ökonomischen Betrachtung wettbewerbsintensivierend wirken, wettbewerbspolitisch positiv zu beurteilen sind und folglich nicht nach Art. 81 EG verboten sein sollen. Kontrovers beurteilt wird freilich, ob diese Überlegungen bereits bei dem Tatbestandsmerkmal der „Wettbewerbsbeschränkung“ gemäß Art. 81 Abs. 1 EG umgesetzt werden sollten oder erst bei einer Ausnahme vom Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 3 EG. Maßgeblich hierfür muss sein, dass dem Tatbestandsmerkmal der „Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs“ in Art. 81 Abs. 1 EG ein ökonomisches Konzept zu Grunde liegt.102 Ob eine Vereinbarung wettbewerbsbeschränkend ist, muss deshalb wertend ermittelnd werden, wobei der wirtschaftliche Kontext zu berücksichtigen ist, insbesondere die Marktstruktur und wie sich die Vereinbarung tatsächlich auf den Wettbewerb auswirkt. Damit unvereinbar ist eine formale Betrachtung, die in jeder vertraglichen Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit eine Wettbewerbsbeschränkung erblickt. Sie hat zur Folge, dass eine Vielzahl von Vereinbarungen, die faktisch keine negativen Auswirkungen auf die Kompetitivität eines Marktes haben, grundsätzlich dem Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG unterfallen und allenfalls nach Art. 81 Abs. 3 EG davon ausgenommen sein können. Hält man sich mit der Beweislastverteilung 103 den praktisch gravierendsten Unterschied zwischen einer Bewertung als nicht wettbewerbsbeschränkend nach Art. 81 Abs. 1 EG oder vom Kartellverbot ausgenommen nach Art. 81 Abs. 3 EG vor Augen, erscheint es auch sachgerecht, bereits auf Tatbestandsebene die Vereinbarungen nicht als wettbewerbsbeschränkend zu qualifizieren, bei denen auf Grund der Marktverhältnisse eine beschränkende Wirkung durch eine wettbewerbsintensivierende Wirkung, etwa durch Verschärfung des Interbrand-Wettbewerbs, kompensiert wird. Dazu dürfte der größte Teil der Vertriebsvereinbarungen zu rechnen sein, die unter die Vertikal-GVO fallen. Gegen eine solche Konzeption hat die Kommission vorgebracht, dass sie erstens der Systematik des Art. 81 EG widerspräche und Art. 81 Abs. 3 EG bedeutungslos werden würde, dass sie zweitens zur Rechtsunsicherheit
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Korah, Current Legal Problems (1986), 85, 92. Art. 2 VO 1/2003.
§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse
bei der Auslegung des Art. 81 EG führte und dass drittens Art. 81 Abs. 3 EG den richtigen Rahmen für eine wirtschaftliche Beurteilung von Vereinbarungen bilde.104 Diese Einwände können nicht überzeugen. Gerade die Entscheidungspraxis der Kommission selbst zeigt, dass die Motive für eine Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG etwa auch industrie-, sozial-, umwelt- oder kulturpolitischer Art sind 105 und damit eine Ausnahme vom Kartellverbot in der Praxis keineswegs von einer wettbewerbsfördernden Gesamtwirkung abhängig ist. Deshalb kann keine Rede davon sein, dass eine weitere Berücksichtigung ökonomischer Argumente auf der Tatbestandsebene von Art. 81 EG die Ausnahmeregelung des Art. 81 Abs. 3 EG überflüssig machte.106 Vor diesem Hintergrund muss es auch überraschen, dass die Kommission gerade in Art. 81 Abs. 3 EG den richtigen Standort für eine ökonomische Betrachtung sieht. Denn die Vorschrift hat eine klare Struktur mit vier Voraussetzungen, die kumulativ erfüllt sein müssen. Dabei ist keineswegs sichergestellt, dass Vereinbarungen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung keine nachteiligen Auswirkungen auf den Wettbewerb haben, tatsächlich die Bedingungen einer Ausnahme vom Kartellverbot erfüllen, etwa „zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen“.107 Die wirtschaftliche Analyse der Auswirkungen einer Vereinbarung auf Art. 81 Abs. 3 EG zu beschränken, ist jedoch auch deshalb abzulehnen, weil sie dazu geführt hat, dass sich Unternehmen bei ihrer Vertragsgestaltung strikt an die Vorgaben einer passenden Gruppenfreistellungsverordnung zu halten haben.108 Nach der Reform des Kartellverfahrensrechts ist es zwar nicht mehr gerechtfertigt, von einem „Zwangsjackeneffekt“ zu sprechen. Gleichwohl werden die Unternehmen aus Gründen der Rechtssicherheit bemüht sein, Vereinbarungen in den Grenzen einer Gruppenfreistellung abzufassen. Dies beschränkt die vertragliche Gestaltungsfreiheit, obwohl dies aus Sicht der Wettbewerbstheorie nicht nur unnötig, sondern auch unerwünscht ist. Zu dem Argument der drohenden Rechtsunsicherheit ist zu sagen, dass kaum einzusehen ist, worin diesbezüglich der Unterschied liegen soll, wendet man ein ausfüllungsbedürftiges Konzept auf der Ebene des Tatbestandes (Art. 81 Abs. 1 EG) oder der Ausnahmeregelung (Art. 81 Abs. 3 EG) an. Ein Unterschied liegt lediglich darin, dass auf Grund der geltenden Beweislastverteilung (Art. 2 VO 1/2003) die Rechtsunsicherheit im ersten Falle eher die Partei bzw. die Behörde belastet, die sich
104 Kommission, Weißbuch über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag (1999/C 132/1), Tz. 56 f. 105 Dazu unten S. 360 ff. 106 Vgl. Generalanwalt Lenz, Schlussantrag v. 20. 09. 1995 – Rs. C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4930, 5031, Tz. 265: „Wenn eine Regel, die auf den ersten Blick eine Wettbewerbsbeschränkung zu enthalten scheint, notwendig ist, um eben diesen Wettbewerb erst zu ermöglichen, muß in der Tat davon ausgegangen werden, daß eine solche Regel nicht gegen Artikel 85 [jetzt: 81] Absatz 1 verstößt. Es wäre wenig überzeugend, dies mit der Begründung abzulehnen, daß Artikel 85 Absatz 3 ohnehin die Möglichkeit einer Freistellung vom Kartellverbot des Absatzes 1 bereithält.“ 107 Bright, 16 Oxf. J. Leg. Stud. (1996), 535, 545. 108 Im Einzelnen dazu unten S. 393 ff.
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darauf beruft, dass eine bestimmte Verhaltensweise wettbewerbswidrig sei, wohingegen im zweiten Falle das Unternehmen davon betroffen ist, das eine Ausnahme vom Kartellverbot geltend macht. Jedenfalls obliegt es den Behörden und Gerichten, eine notwendige Konkretisierung vorzunehmen, wobei sie sich an der bisherigen Entscheidungspraxis der Kommission zu Freistellungsanträgen und der Rechtsprechung von EuGH und EuG orientieren können. Die hier vertretene Position, ökonomische Argumente bereits konsequent bei der Ausfüllung des Begriffes der Wettbewerbsbeschränkung zu berücksichtigen, darf allerdings weder als Plädoyer für eine isoliert an einer wohlfahrtsökonomischen Analyse ausgerichteten Wettbewerbspolitik, noch als erster Schritt dafür missverstanden werden, eine rule of reason nach Vorbild des US-amerikanischen Antitrustrechts zu übernehmen. Allenfalls könnte von einer economic rule of reason 109 gesprochen werden. Damit soll keineswegs bestritten werden, dass es fruchtbar ist, die Entwicklung des amerikanischen Kartellrechts zu beobachten und zu analysieren. Die Offenheit des amerikanischen Systems für ökonomische Argumente und gerade die Debatten um die wettbewerbsrechtliche Behandlung von Vertriebsbeschränkungen verlangen danach, die dortigen Erfahrungen und Erkenntnisse bei der Ausgestaltung des europäischen Wettbewerbsrechts zu berücksichtigen. Gleichwohl war und ist es zu Recht nicht erfolgversprechend, vor den europäischen Gerichten bei Streitigkeiten zu Art. 81 Abs. 1 EG unter Hinweis auf eine rule of reason zu argumentieren. Denn zum einen widerspricht die Struktur des europäischen Kartellrechts dem amerikanischen Ansatz, der gleichsam keinen Art. 81 Abs. 3 EG kennt. Das Konzept einer rule of reason wurde dort entwickelt, um das Kartellverbot des Sherman Act, nach dessen Wortlaut alle Beschränkungen des Handelns ausnahmslos untersagt sind, für die Praxis handhabbar zu machen. Eine „reasonable interpretation“ dieser Vorschrift verlangt, dass nur solche Verhaltensweisen untersagt werden, die bei einer Gesamtabwägung aller Umstände wettbewerbspolitisch negativ zu bewerten sind. Als prozedurales Korrelat zur rule of reason hat die amerikanische Rechtsprechung per se rules of infringement entwickelt.110 Darunter fallen Klauseln, die keinerlei Abwägung zugänglich und deshalb in jedem Falle verboten sind. Zur effizienten Ausgestaltung des Gerichtswesens soll es den Klägern bei diesen Klauseln erspart bleiben, in jedem Fall erneut darlegen zu müssen, dass eine Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, die auch bei Abwägung aller Umstände nicht hinnehmbar ist. Indes ist es Gegenstand andauernden Wandels, welche Klauseln unter eine per se rule fallen und welche Umstände und Kriterien bei der Gesamtabwägung unter einer rule of reason zu berücksichtigen sind.111 Auch auf Grund dieser inhaltlichen Unbestimmtheit ist es wenig weiter führend, bei Überlegungen für Wandlungen im europäischen Wettbewerbsrecht in den Kategorien des amerikanischen Konzepts der rule of reason zu argumentieren. In der Sache jedoch spricht die US-amerikanische Kon109 Wesseling, The Modernisation of EC Antitrust Law (2000), S. 103. 110 Ausf. zum Konzept von per se rules und rules of reason Black, ECLR 1997, 145–161. 111 Zum Wandel der Behandlung von Vertriebsbeschränkungen im US-amerikanischen Antitrustrecht Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason (1997), S. 25–36; Hawk, ECLR 1988, 53, 73–75.
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zeption jedenfalls dafür, ökonomische Argumente zu berücksichtigen, füllt man den Tatbestand der Wettbewerbsbeschränkung bei Art. 81 Abs. 1 EG aus.
3.
Ausnahme vom Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 3 EG
Ein Kennzeichen der EG-Wettbewerbspolitik ist die Regelung des Art. 81 Abs. 3 EG, der unter vier kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen vorsieht, dass eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung vom Kartellverbot ausgenommen ist. Die Vereinbarung muss danach dazu beitragen, die Warenerzeugung oder -verteilung zu verbessern oder den technischen oder wirtschaftlichen Fortschritt zu fördern. Die Verbraucher müssen an dem dadurch entstehenden Gewinn partizipieren, wobei keine Beschränkungen ausgenommen werden dürfen, die für die Verwirklichung der Ziele nicht unerlässlich sind oder durch die für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren der Wettbewerb ausgeschaltet werden kann. Die Bedeutung, die der Vorschrift im System der EG-Wettbewerbspolitik zukommt, spiegelt sich in der Aussage des EuG wider, wonach es „nach Ansicht des Gerichts grundsätzlich keine wettbewerbswidrige Verhaltensweise geben [kann], die unabhängig von der Intensität ihrer Wirkungen auf einem bestimmten Markt nicht freigestellt werden kann [...]“.112 a)
Berücksichtigung wettbewerbsfremder Ziele
Für eine Ausnahme wettbewerbswidriger Abreden in Vertriebsverträgen kommt nach dem Wortlaut des Art. 81 Abs. 3 EG vor allem in Betracht, sich darauf zu berufen, dass eine Vereinbarung im Ganzen die Warenverteilung verbessern werde. Allerdings haben sich wettbewerbsrechtliche Praxis und Diskussion um die Auslegung des Art. 81 Abs. 3 EG vom Wortlaut der Vorschrift entfernt. Eine Schlüsselfrage für die Bewertung der Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft ist, inwieweit auch Vorteile für wettbewerbsfremde Gemeinschaftspolitiken (etwa Industrie-, Umwelt-, Kultur- oder Beschäftigungspolitik) berücksichtigt werden können oder ob lediglich ein ökonomischer Nutzen die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen einer Vereinbarung aufwiegen kann. Vor diesem Hintergrund ordnet sich die Praxis zur Freistellung von Vertriebsverträgen in die allgemeine Diskussion um das richtige Konzept zur Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG ein. (1)
Europäische Rechtsprechung und Entscheidungspraxis der Kommission
Bis zur Reform des Kartellverfahrensrechts mit der Verordnung 1/2003 war die Entscheidung über die Ausnahme einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung vom Kartellverbot bei der Europäischen Kommission monopolisiert. Die Praxis der Kommission bei der Freistellung war aus inhaltlichen Erwägungen heraus Kritik
112 EuG, Urt. v. 15. 7. 1994 – Rs. T-17/93, Matra Hachette / Kommission, Slg. 1994, II-595, 625, Rn. 85.
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ausgesetzt, aber auch auf Grund des praktizierten Verfahrens. Die Handhabung der Freistellung war in hohem Maße durch die formale Auslegung des Art. 81 Abs. 1 EG bedingt, die dazu führte, dass eine große Zahl von Vereinbarungen frei gestellt werden musste. Dies überforderte die Kapazität der Kommission permanent. Die alternativen Instrumente, derer sich die Kommission bediente um das Massenproblem zu bewältigen, waren die comfort letters und die Gruppenfreistellung. Ersteres Instrument, ein Verwaltungsschreiben der GD Wettbewerb, in dem diese erklärt, dass sie in Bezug auf eine bestimmte Vereinbarung keinen Grund zum Eingreifen sehe, wurde auf Grund des begrenzten praktischen Werts kritisiert. Denn es gab zum einen keine Sicherheit in Prozessen, obgleich es von den Richtern bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden konnte. Zum anderen konnte ein comfort letter auch jederzeit von der Kommission zurückgezogen werden. Die Gruppenfreistellungen hingegen gerieten insbesondere auf Grund ihres begrenzten Anwendungsbereichs und der mit ihnen einhergehenden einschränkenden Wirkung auf die Vertragsgestaltung in die Kritik.113 Diese verfahrensbezogenen Diskussionspunkte sind mit der Einführung des Legalausnahmesystems durch Art. 1 Abs. 2 VO 1/2003 überholt.114 Aus inhaltlicher Sicht fällt auf, dass die Kommission bei ihren Entscheidungen sonstigen Zielstellungen der Gemeinschaftspolitik gegen rein wettbewerbspolitische Überlegungen zum Durchbruch verholfen hat und dabei von der Rechtsprechung unterstützt wurde. Dies gilt zum einen für die Industriepolitik. Die Kommission sieht in der Wettbewerbspolitik ein Element der allgemeinen Industriepolitik.115 Eines der Hauptziele der Industriepolitik der Gemeinschaft, das sie auch mit Hilfe der Ausgestaltung des Wettbewerbsrechts zu verfolgen sucht, ist die Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen.116 So zielt etwa die sog. Bagatellbekanntmachung der Kommission auch darauf ab, die Belastung für kleine und mittlere Unternehmen zu senken, indem sie diese ausnimmt von der Anwendung des Art. 81 Abs. 1 EG.117 Beispielhaft für das Vorbringen industriepolitischer Erwägungen durch die Kommission steht der Fall Matra Hachette über die Freistellung einer Kooperation zwischen VW und Ford für die Zusammenarbeit beim Bau eines Minivan. Dabei berücksichtigte das Gericht das Argument der Kommission, wonach die Zusammenarbeit zur bis dahin größten ausländischen Direktinvestition in Portugal führe, und dies gerade in einer sehr strukturschwachen Region.118
113 Zum sog. Zwangsjackeneffekt siehe unten S. 393. 114 Siehe oben S. 135 ff. 115 Vgl. etwa Kommission, Industriepolitik in einem offenen und wettbewerbsorientierten Umfeld, Mitteilung vom 16. 9. 1990, KOM (90) 556 endg., S. 8 (dort mit Bezug zur Fusionskontrolle). 116 Zur Definition dieser Zielgruppe siehe die Empfehlung der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, 2003/361EG, ABl. L 124/36 v. 20. 5. 2003. 117 Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. C 368 v. 22. 12. 2001, S. 13–15. 118 EuG, Urt. v. 15. 7. 1994 – Rs. T-17/93, Matra Hachette / Kommission, Slg. 1994, II-595, 642, Rn. 136; vgl. generell zu der Entscheidung Swaak, 32 CMLR (1995), 1271–1286.
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In engem Zusammenhang mit der Industriepolitik stehen häufig beschäftigungspolitische Überlegungen, die ebenfalls bei der Entscheidung über eine Freistellung Berücksichtigung finden. Dies fügt sich in die Struktur des Art. 81 Abs. 3 EG ein, sieht man die Förderung der Beschäftigung als eine Maßnahme an, die den „wirtschaftlichen Fortschritt“ fördere. Diese Sichtweise bestätigte der EuGH in seinem Urteil zur Freistellung des selektiven Vertriebssystems der Firma SABA: „Außerdem stellt der Abschluß von Lieferverträgen für einen angemessenen Zeitraum ein stabilisierendes Element für die Erhaltung von Arbeitsplätzen dar, die unter dem Gesichtspunkt der Verbesserung der allgemeinen Bedingungen der Warenerzeugung gerade unter den Voraussetzungen einer ungünstigen Wirtschaftskonjunktur zu den Zielen gehört, die Artikel 85 [jetzt: Art. 81] Absatz 3 zu verfolgen gestattet.“ 119
Entsprechend berief sich die Kommission in der bereits erwähnten Entscheidung Matra Hachette darauf, dass „bei dem Beitrag zum wirtschaftlichen und technischen Fortschritt andere als die in dieser Bestimmung ausdrücklich genannten Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Dazu gehöre z. B. die Erhaltung von Arbeitsplätzen“.120
Deutlich wird die sozialpolitische Komponente bei der Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG auch in der Entscheidung Stichting Baksteen. Dort stellt die Kommission eine Vereinbarung in der niederländischen Ziegelindustrie als Beitrag zur Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts frei, weil diese die notwendige Umstrukturierung des Sektors der Ziegelindustrie zu „annehmbaren sozialen Bedingungen“ gewährleiste.121 Auch umweltpolitische Aspekte hat die Kommission zunehmend bei der Freistellungspraxis berücksichtigt. Im XXV. Bericht über die Wettbewerbspolitik hieß es etwa: „Bei ihrer Bewertung der Einzelfälle wägt die Kommission die in einer Vereinbarung enthaltenen Wettbewerbsbeschränkungen gegen deren Umweltziele ab und wendet dabei den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach Artikel 85 [jetzt: 81] Absatz 3 EGV an. Die Verbesserung der Umwelt wird als ein Element eingestuft, das zur Stärkung der Produktion oder der Verteilung und zur Förderung des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts beiträgt.“ 122
Auf der Basis dieser Überlegung hat die Kommission in der Entscheidung PhilipsOsram eine Vereinbarung freigestellt, weil sie dazu beitrug, die Luftverschmutzung zu verringern.123 Auch in der späteren Entscheidung CECED stellte die Kommission
119 EuGH, Urt. v. 25. 10. 1977 – Rs. 26/76, Metro / Kommission („Metro I“), Slg. 1977, 1875, 1915, Rn. 43; ausdr. bestätigt in EuGH, Urt. v. 11. 7. 1985 – Rs. 42/84, Remia / Kommission, Slg. 1985, 2545, 2577, Rn. 42. 120 EuG, Urt. v. 15. 7. 1994 – Rs. T-17/93, Matra Hachette / Kommission, Slg. 1994, II-595, 629, Rn. 96. 121 Kommission, Entsch. v. 29. 4. 1994, 94/296/EG, Stichting Baksteen, ABl. L 131 v. 26. 5. 1994, S. 15, 20, BE 27. 122 Kommission, XXV. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1995, Brüssel/Luxemburg 1996, Rn. 85. 123 Kommission, Entsch. v. 21. 12. 1994, 94/986/EG, Philips-Osram, ABl. L 378 v. 31. 12. 1994, S. 37, 42, BE 27.
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eine Vereinbarung zwischen Herstellern von Haushaltsgeräten u. a. mit der Begründung frei, dass die Zusammenarbeit darauf abziele, den Energieverbrauch von neuen Waschmaschinen um mindestens 15–20 Prozent herabzusetzen. Damit würde die Vereinbarung dazu beitragen, Kohlendioxid- und Schwefeldioxidschäden zu verringern und so dem in Art. 174 EG festgelegten Ziel entsprechen, Umweltschäden an der Quelle zu bekämpfen.124 Schließlich haben auch kulturpolitische Zielsetzungen bei Freistellungen bereits eine Rolle gespielt. Im Fall VBBB/VBVB verweigerte die Kommission zwar einem niederländisch-flämischen Arrangement zur vertikalen Preisbindung bei Büchern die Freistellung, billigte aber im Prinzip, dass kulturpolitische Interessen die Entscheidung für eine Ausnahme nach Art. 81 Abs. 3 EG beeinflussen können.125 Die Kommission und die europäischen Gerichte erkennen an, dass die Vorteile, die für ein kollektives System der Buchpreisbindung vorgebracht werden, nämlich, dass es niedrige Buchpreise genauso gewährleiste wie die Veröffentlichung einer Vielzahl von Büchern und den Erhalt einer ausreichenden Zahl von Buchhandlungen, die ein vollständiges Sortiment vorrätig haben, Vorteile im Sinne von Art. 81 Abs. 3 EG seien.126 Sogar der Rat wies in einer Entschließung darauf hin, dass bei der Anwendung der Wettbewerbspolitik auf Buchpreisbindungen in homogenen grenzüberschreitenden Sprachräumen zu berücksichtigen sei, dass Bücher nicht nur als Handelswaren, sondern auch als Träger kultureller Werte anzusehen seien und kulturelle Zwecke Wettbewerbsbeschränkungen rechtfertigen können.127 Als die Kommission und die deutschen und österreichischen Verleger, die einen Antrag auf einen Negativtest bzw. eine Freistellung für die Buchpreisbindung gestellt hatten, zu einer einvernehmlichen Lösung gelangten,128 betonte Wettbewerbskommissar Monti besonders, dass eine Lösung gefunden wurde, die auch vollständig von der Kommissarin für Kultur und Bildung Viviane Reding unterstützt wurde und dass er sich in dieser Sache regelmäßig mit ihr abgestimmt habe.129 Die Filmförderung ist ein weiteres Feld, auf dem kulturpolitisches Engagement bei der Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG sichtbar wird. In der Entscheidung UIP stellte die Kommission ein Verleih- und Lizenzsystem für Kinofilme u. a. unter der Voraussetzung frei, dass sich United International Pictures und seine Partner verpflichteten, „Spielfilme anderer Hersteller in der Gemeinschaft nach eigenem Ermessen zu pro-
124 Kommission, Entsch. v. 24. 1. 1999, 2000/475/EG, CECED, ABl. L 187 v. 26. 7. 2000, S. 47, 52, BE 55–57. 125 Kommission, Entsch. v. 25. 11. 1981, 82/123/EWG, VBBB/VBVB, ABl. L 54 v. 25. 2. 1982, S. 36, 48, BE 59. 126 Siehe Generalanwalt Lenz, Schlussantrag v. 16. 6. 1994 – Rs. C-360/92 P, Publishers Association / Kommission, Slg. 1995, I-25, 39 f., Tz. 33. 127 Entschließung des Rates v. 8. 2. 1999 betreffend die Preisbindung für Bücher in homogenen grenzüberschreitenden Sprachräumen, ABl. C 42 v. 17. 2. 1999, S. 3. 128 Die Verleger verzichteten auf eine grenzüberschreitende Buchpreisbindung. Damit war der zwischenstaatliche Handel nicht betroffen, so dass Art. 81 Abs. 1 EG für diese Vereinbarung nicht anzuwenden war, siehe Mitteilung der Kommission (2000/C 162/08), Sachen COMP/34.657 – Sammelrevers und COMP/35.245–35.251 – Einzelrevers, ABl. C 162 v. 10. 6. 2000, S. 25, 26, Tz. 13. 129 Pressemitteilung der Europäischen Gemeinschaft vom 23. 2. 2000 (IP/00/183).
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duzieren, zu finanzieren, zu vertreiben oder die Verleihrechte dafür zu erwerben“.130 Im Jahre 1999 gab die Kommission bekannt, dass sie beabsichtige, die Freistellung zu verlängern, wobei sie die Auflagen von UIP zur Förderung europäischer Filme konkretisierte. UIP musste sich u. a. dazu verpflichten, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit unabhängigen Produzenten publik zu machen, eine branchenerfahrene Führungskraft einzustellen, die dafür geeignete europäische Filme ermittelt und deren Verleih sicherstellt, in der Fachpresse über Art und Umfang ihrer Verleihtätigkeit von Spielfilmen Dritter zu berichten, Art und Umfang der Beteiligung an europäischen Filmen aufzuzeichnen und die berufliche Entwicklung europäischer Filmemacher zu fördern sowie Filmfestivals zu unterstützen.131 Angesichts des relativ geringen Marktanteils von UIP in der Gemeinschaft, der seit Erlass der Freistellungsentscheidung bei etwa 20 Prozent lag,132 wird deutlich, dass die Auflagen der Kommission aus rein wettbewerbspolitischer Sicht kaum erforderlich scheinen und sie damit das Freistellungsverfahren instrumentalisierte, um den europäischen Film zu fördern. Kulturpolitische Aspekte trugen auch dazu bei, dass die Kooperationsvereinbarung zahlreicher europäischer öffentlich-rechtlicher Fernsehveranstalter unter der Bezeichnung „Eurovision“ freigestellt wurde. Die Kommission begründete ihre positive Entscheidung u. a. damit, dass die Vereinbarung den Betrieb eines transnationalen, spezialisierten Sportkanals ermögliche, mit dessen Hilfe „eine breitere Palette von Sportprogrammen einschließlich MinderheitsSportarten und Sportprogrammen mit erzieherischen, kulturellen oder humanitärem Inhalt“ angeboten werden könne.133 Von den europäischen Gerichten ist nicht beanstandet worden, dass die Kommission wettbewerbsfremde Erwägungen bei ihrer Freistellungspraxis berücksichtigt. Anerkannt wurde vielmehr, dass der Kommission bei ihren Entscheidungen ein weiter Beurteilungsspielraum zukomme. Der EuGH begründete dies damit, dass die Freistellungsentscheidung politischer und administrativer Natur sei und sich deshalb der gerichtlichen Nachprüfung entziehe.134 Praktisch prüfen die europäischen Gerichte nicht in der Sache, ob die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG vorliegen, sondern beschränken die Prüfungsdichte auf die Suche nach „offensichtlichen Beurteilungsfehlern“ der Kommission.135 Dies entspricht der allgemeinen Handhabung von wettbewerbsrechtlichen Fällen, in denen komplexe wirtschaft-
130 Kommission, Entsch. v. 3. 8. 1989, 89/467/EWG, UIP, ABl. L 226 v. 3. 8. 1989, S. 25, 29, BE 27. 131 Bekanntmachung der Kommission nach Art. 19 Abs. 3 VO 17/62 im Fall IV/C.2/30.566 (UIP Cinema), ABl. C 205 v. 20. 7. 1999, S. 6, 7, Tz. 4.2.1.–4.2.7. 132 Bekanntmachung der Kommission nach Art. 19 Abs. 3 VO 17/62 im Fall IV/C.2/30.566 (UIP Cinema), ABl. C 205 v. 20. 7. 1999, S. 6, 7, Tz. 3. 133 Kommission, Entsch. v. 11. 6. 1993, 93/403/EWG, EBU/Eurovisions-System, ABl. L 179 v. 22. 7. 1993, S. 23, 34, BE 62. 134 EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966 – verb. Rs. 56 und 58/64, Consten und Grundig / Kommission, Slg. 1966, 321, 325, Leitsatz 12 und 396; EuGH, Urt. v. 15. 5. 1975 – Rs. 71/74, Frubo / Kommission, Slg. 1975, 563, 585, Rn. 43. 135 EuG, Urt. v. 15. 7. 1994 – Rs. T-17/93, Matra Hachette / Kommission, Slg. 1994, II-595, 596, Leitsatz 4 und 631 Rn. 104.
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liche Fragen involviert sind. Das EuG definiert seine Rolle bei der gerichtlichen Prüfung von Freistellungsentscheidungen wie folgt: „[Es] ist darauf hinzuweisen, daß das Gericht die komplexen wirtschaftlichen Bewertungen, die die Kommission bei der Ausübung ihres Beurteilungsspielraums nach Art. 85 [jetzt: 81] Absatz 3 EWG-Vertrag im Hinblick auf dessen vier Voraussetzungen vornimmt, nur darauf überprüfen kann, ob die Verfahrens- und Begründungsregeln beachtet wurden, ob der Tatbestand richtig festgestellt wurde, ob kein Beurteilungsfehler und kein Ermessensfehlgebrauch vorliegt“.136
Das EuG selbst deutet hier bereits an, dass das Korrelat zum weiten Beurteilungsspielraum der Kommission darin liegen müsse, zu prüfen, ob diese bei ihrer Freistellungsentscheidung die erforderlichen Verfahrens- und Begründungsregeln beachtet hat. Dementsprechend hat das Gericht in der Folge auch Entscheidungen der Kommission auf Grund von Verfahrens- oder Begründungsmängel für nichtig erklärt.137 Offen ist bisher die Frage, inwieweit die dezentrale Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG nach der Reform des Kartellverfahrensrechts durch die Verordnung 1/2003 eine Änderung der Auslegung zur Folge haben wird und ob der bisher der Kommission zugebilligte Beurteilungsspielraum zukünftig etwa auch den Unternehmen 138 bzw. den mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichten zugebilligt wird.139 Jedenfalls scheint die Kommission den nationalen Kartellbehörden und Gerichten, die Art. 81 Abs. 3 EG selbst und unmittelbar anwenden können, nicht den gleichen Beurteilungsspielraum zusprechen zu wollen, den sie für sich selbst in Anspruch genommen hat. Offensichtlich hält sie es nicht für sachgerecht, es diesen Institutionen zuzubilligen oder zuzumuten, wettbewerbsfremde Ziele bei der Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG zu berücksichtigen bzw. diese Ziele der Gemeinschaftspolitik mit den Zielen der Wettbewerbspolitik im Einzelfall abzuwägen. Anders lässt sich die Aussage aus dem Weißbuchs der Kommission nicht deuten, wonach Art. 81 Abs. 3 EG lediglich „einen Rechtsrahmen für die wirtschaftliche Beurteilung von Vereinbarungen darstellt, nicht aber den Ausschluß der Wettbewerbsregeln aus politischen Erwägungen ermöglichen soll“.140
136 EuG, Urt. v. 21. 2. 1995 – Rs. T-29/92, SPO u. a. / Kommission, Slg. 1995, II-289, 382, Rn. 288; bestätigt durch EuGH, Urt. v. 25. 3. 1996 – Rs. C-137/95, SPO u. a. / Kommission, Slg. 1996, I-1611, 1623, Rn. 35. 137 Siehe etwa EuG, Urt. v. 11. 7. 1996, verb. Rs. T-528/93, T-542/93, T-543/93 und T-546/93, Métropole Télévision u. a. / Kommission, Slg. 1996, II-649 und EuG, Urt. v. 8. 10. 2002, verb. Rs. T-185/00, T-216/00, T-299/00 und T-300/00, Métropole Télévision u. a. / Kommission, Slg. 2002, II-2993. 138 Dazu oben S. 136. 139 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004), § 13, Rn. 77 (S. 359 f.) halten einen solchen Beurteilungsspielraum für unvereinbar mit der unmittelbaren Wirkung von Art. 81 Abs. 3 EG. 140 Kommission, Weißbuch über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag (1999/C 132/1), Tz. 57.
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Überraschend ist angesichts der geschilderten Praxis der Kommission auch die restriktive Einschätzung in den Leitlinien für Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit: „Die erste Voraussetzung [des Art. 81 Abs. 3 EG, d. Verf.] besteht darin, dass die Vereinbarung zur Verbesserung der Erzeugung oder Verteilung von Produkten oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beiträgt. Da diese Vorteile mit statischer oder dynamischer Effizienz zusammenhängen, können sie als „wirtschaftlicher Nutzen“ bezeichnet werden. Der wirtschaftliche Nutzen kann ein größeres Gewicht haben als wettbewerbsbeschränkende Wirkungen.“ 141
Mitgliedstaatliche Wettbewerbsbehörden oder Gerichte, die sich die Entscheidungspraxis der Kommission bei der Auslegung des Art. 81 Abs. 3 EG zum Vorbild nehmen, werden jedenfalls reiches Anschauungsmaterial dafür finden, dass neben wettbewerbspolitischen auch industrie-, beschäftigungs-, umwelt- oder kulturpolitische Erwägungen Eingang in die Handhabung der Ausnahmeregelung vom Kartellverbot gefunden haben. (2)
Art. 81 Abs. 3 EG und der Vorrang des Wettbewerbs als Ordnungsprinzip
Das formale Konzept der „Wettbewerbsbeschränkung“ unter Art. 81 Abs. 1 EG hat dazu geführt, dass sich zwei Kategorien von Freistellungen nach Art. 81 Abs. 3 EG unterscheiden lassen. Zum Ersten nimmt die Regelung Vereinbarungen vom Kartellverbot aus, die bei einer wirtschaftlichen Betrachtung gar nicht wettbewerbsbeschränkend wirken. Dies betrifft in der Hauptsache vertikale, vertriebsbezogene Abmachungen. Es hat nachteiliger Auswirkungen, dass diese Vereinbarungen auf eine Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG angewiesen sind: Nicht gesichert ist, dass diese Vereinbarungen die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG erfüllen. Zum anderen engt das Bestreben zur Kompatibilität mit der Ausnahmeregelung die vertragliche Gestaltungsfreiheit in unerwünschter und wettbewerbspolitisch auch unnötiger Weise ein. Dargelegt wurde, dass diese Kategorie von Vereinbarungen deshalb bereits vom Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG ausgenommen sein sollte. Die zweite Kategorie betrifft Vereinbarungen, die nur auf Grund sonstiger, nicht originär wettbewerbspolitischer Erwägungen vom Kartellverbot ausgenommen werden. Die Praxis zeigt, dass die Kommission andere Gemeinschaftsziele neben dem Schutz des Wettbewerbs mit einbezogen hat in ihre Entscheidungen über eine Freistellung. Die Rechtfertigung hierfür lässt sich nicht unmittelbar dem Wortlaut des Art. 81 Abs. 3 EG entnehmen, denn das industriepolitische Zielsetzungen wie die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen oder die Ansiedlung von Unternehmen in strukturschwachen Regionen, die Förderung der Beschäftigung sowie umwelt- und kulturpolitische Aspekte als Maßnahmen „zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts“ anzusehen sind, folgt erst aus der Lesart der Vorschrift,
141 Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. C 3 v. 6. 1. 2001, S. 2, 5, Tz. 32.
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wie sie durch die Kommission geprägt wurde. Tragender Gedanke bei dieser Ausgestaltung des Art. 81 Abs. 3 EG ist die bereits mehrfach aufgegriffene Überlegung, dass die Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft dem Ziel des Gemeinsamen Marktes verpflichtet sei, welcher seinerseits kein Selbstzweck sei, sondern als Instrument anzusehen sei, um die in Art. 2 EG definierten Aufgaben der Gemeinschaft zu erfüllen. Daraus, so wird argumentiert, lasse sich ableiten, dass die Gemeinschaftspolitiken dem Konzept eines funktionsfähigen Wettbewerbs (workable competition) verpflichtet seien.142 Wettbewerbspolitik sei deshalb nicht auf die Gewährleistung des Preiswettbewerbs zu reduzieren.143 In dieser Auslegung liegt einerseits eine deutliche Absage an die Ideen der Chicago School, nach der das Instrumentarium der Wettbewerbstheorie auf die konventionelle Preistheorie beschränkt sein sollte.144 Andererseits wird daraus abgeleitet, dass Art. 81 Abs. 3 EG auch ermögliche, Einschränkungen des Wettbewerbs in Kauf zu nehmen, um andere Ziele der Gemeinschaftspolitik zu verfolgen. Bereits im Urteil Walt Wilhelm hatte der EuGH entschieden, dass Art. 81 EG eine gezielte Politik erlaube, um dadurch eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft zu gewährleisten und die in Art. 2 EG definierten Aufgaben erfüllen zu können.145 Später urteilte der Gerichtshof, dass die Art. 2 und 3 EG eine abschließende Liste der Vertragsziele und Tätigkeitsfelder darstellen, aus denen heraus eine Wettbewerbsbeschränkung gerechtfertigt sein könne.146 Im Übrigen finden sich normative Anknüpfungspunkte um andere Gemeinschaftspolitiken berücksichtigen zu können, die mit der Wettbewerbspolitik in Konkurrenz treten können, in den sog. Querschnittsklauseln, so etwa in Art. 6 EG für den Umweltschutz 147 und in Art. 151 Abs. 4 EG für die Wahrung und Förderung der Vielfalt der Kultur. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass der Stellenwert, der in vielen Konstellationen bei der Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG sonstigen politischen Zielsetzungen zugestanden wurde, nicht nur ordnungspolitisch kritikwürdig ist, sondern auch vor dem Hintergrund der Grundwertungen der Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft bedenklich ist. Wie Art. 4 Abs. 1 EG postuliert, ist die Gemeinschaft bei der Erreichung ihrer wirtschaftspolitischen Zielsetzungen auf eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb festgelegt.148 Dies kommt auch in dem Bekennt-
142 Schröter, in: Hawk (Hrsg.), Annual Proceedings of the Fordham Corporate Law Institute 1987 (1988), 645, 656–659; siehe auch EuGH, Urt. v. 25. 10. 1977 – Rs. 26/76, Metro / Kommission („Metro I“), Slg. 1977, 1875, 1905, Rn. 20. 143 Reich, in: Gormley (Hrsg.), Current and Future Perspectives on EC Competition Law (1997), S. 127, 132. 144 Bork, The Antitrust Paradox (1993), S. 117: „There is no body of knowledge other than conventional price theory that can serve as a guide to the effects of business behavior upon consumer welfare.“ 145 EuGH, Urt. v. 13. 2. 1969 – Rs. 14/68, Walt Wilhelm / Bundeskartellamt, Slg. 1969, 1, 14, Rn. 5. 146 EuGH, Urt. v. 21. 2. 1973 – Rs. 6/72, Europemballage und Continental Can / Kommission, Slg. 1973, 215, 244, Rn. 24. 147 Vgl. Reich, in: Gormley, Current and Future Perspectives on EC Competition Law (1997), S. 127, 128. 148 Nach der Rechtsprechung des EuGH legt die Bestimmung den Mitgliedstaaten keine „klaren und unbedingten Verpflichtungen“ auf. Vielmehr handele es sich um einen „allgemeinen
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nis zu einem System offener und wettbewerbsorientierter Märkte in Art. 154 Abs. 2 und Art. 157 Abs. 1 EG zum Ausdruck. Diese Systemgarantie verdichtet sich zusammen mit verschiedenen Funktionsgarantien des EG-Vertrages, insbesondere den konstitutionalisierten Freiheitsgewährleistungen durch die Grundfreiheiten und der Gewährleistung eines Systems unverfälschten Wettbewerbs zu einer marktwirtschaftlich und freiheitlich geprägten Wirtschaftsverfassung.149 Die Gemeinschaft kann deshalb nicht jede Wirtschaftspolitik betreiben, die ihr zweckmäßig erscheint.150 Bei der Auslegung und Fortentwicklung der wirtschaftsrechtlichen Bestimmungen des EG-Rechts – und damit etwa auch des Art. 81 Abs. 3 EG – müssen wirtschaftsverfassungsrechtliche Wertungen eine wichtige Rolle spielen.151 Der Vertrag von Maastricht hat neue Zuständigkeiten und politische Zielsetzungen der Gemeinschaft verankert, die mit den Freiheitsgewährleistungen und dem System unverfälschten Wettbewerbs konkurrieren und kollidieren können. Dies gilt etwa für die Industriepolitik, die Sozialpolitik oder die Umweltpolitik. Herausgearbeitet wurde, dass marktintegrativen Zielen ein Vorrang gegenüber nichtwirtschaftlichen Zielen zukomme. Industriepolitik, Umweltpolitik etc. treten hinter die Schaffung eines Systems unverfälschten Wettbewerbs und der Verwirklichung der Grundfreiheiten zurück. Begründet wird dies zunächst mit der hervorgehobenen Position der marktintegrativen Zielvorgaben in Art. 2 EG und dem unterschiedlichen Präzisionsgrad, mit dem die betreffenden Ziele im Vertrag umschrieben seien. Hervorgehoben wird daneben auch die Tatsache, dass der Vertrag zur Marktintegration vor allem mit den Kompetenzen zur Rechtsangleichung besonders durchsetzungsstarke Instrumente bereit halte und potenziell marktgefährdende Politiken wie die Industriepolitik (Art. 157 Abs. 3 S. 2 EG), Strukturpolitik (Art. 161 EG) oder gewisse umweltpolitische Maßnahmen (Art. 175 Abs. 2 EG) durch das Einstimmigkeitserfordernis erschwert seien.152 Doch selbst wenn man die Annahme eines rechtlich determinierten Verhältnisses zwischen den verschiedenen Zielstellungen in Art. 2 und Art. 3 EG für zu weit gehend hält, so ist jedenfalls der Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft, die auf die Grundsätze einer offenen Marktwirtschaft und eines freien Wettbewerbs festgelegt ist, die Wertung zu entnehmen, dass der Steuerung des Wirtschaftssystems durch Wettbewerb im Verhältnis zu wettbewerbsfremden Steuerungsmechanismen Vorrang zukommen muss.153 Grundsatz, dessen Anwendung komplexe wirtschaftliche Beurteilungen erfordert, die in die Zuständigkeit des Gesetzgebers oder der nationalen Verwaltung fallen“, EuGH, Urt. v. 3. 10. 2000 – Rs. C-9/99, Échirolles Distribution, Slg. 2000, I-8207, 8235, Rn. 25. 149 Mestmäcker, in: Wirtschaft und Verfassung in der Europäischen Union (2003), 507, 513 f.; Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung (1992), S. 26–53; Canaris, FS Lerche (1993), S. 873, 890; Hatje, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht (2003), S. 683, 691–708; Immenga, EuZW 1994, 14, 15; Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. (2003), S. 142 f.; Windbichler, RdA 1992, 74, 75 f. 150 Mestmäcker, in: Wirtschaft und Verfassung in der Europäischen Union (2003), 507, 512. 151 Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung (1992), S. 12; Hatje, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 683, 693. 152 Basedow, in: FS Everling (1995), Bd. 1, S. 49–68. 153 Dreher, WuW 1998, 656, 657 f.; anders etwa Mussler, Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft im Wandel (1998), S. 166–189, der konstatiert, dass der unverfälschte Wettbe-
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
Wird etwa wie im Fall Matra Hachette eine wettbewerbsbeschränkende Zusammenarbeit zweier Automobilkonzerne vom Kartellverbot ausgenommen, weil dadurch eine Investition in einer strukturschwachen Region zu Stande kommt, so illustriert dies eine Schwächung des Rangs der Wettbewerbspolitik,154 die rechtlich zweifelhaft ist. Denn zwar bietet Art. 157 EG eine Grundlage für industriepolitische Interventionen, doch legt Art. 157 Abs. 3 UAbs. 2 EG fest, dass diese Vorschrift keine Grundlage für Maßnahmen bietet, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen können.155 Nicht weniger fragwürdig ist es, wenn die Kommission im Fall UIP die kartellrechtliche Zulässigkeit einer Vereinbarung unter amerikanischen Filmstudios über den Verleih und die Lizenzierung von Kinofilmen davon abhängig macht, dass die beteiligten Unternehmen den „europäischen Film“ fördern. Dies beeinträchtigt die unternehmerische Handlungsfreiheit in ungerechtfertigter, weil aus wettbewerbspolitischer Sicht nicht erforderlicher Weise. Es zeigt sich hier, dass bei der Berücksichtigung wettbewerbsfremder Zielstellungen im Rahmen des Art. 81 Abs. 3 EG beständig die Gefahr besteht, den Vorrang des Wettbewerbs als rechtliches, der Wirtschaftsverfassung der EG zu entnehmendes Ordnungsprinzip aus den Augen zu verlieren. b)
Angemessene Beteiligung der Verbraucher
Eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung darf nur dann vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG ausgenommen werden, wenn die Parteien eine „angemessene Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn“ nachweisen können (Art. 81 Abs. 3 EG). Auch die Auslegung dieses Merkmals ist kennzeichnend für die Ziele, die Kommission und Rechtsprechung mit der Wettbewerbspolitik verfolgen. (1)
Europäische Rechtsprechung und Entscheidungspraxis der Kommission
Von grundsätzlicher Bedeutung für das Verständnis und die Anwendung dieser Voraussetzung ist zunächst die Frage, wer „Verbraucher“ i. S. d. Art. 81 Abs. 3 EG ist und also von der freizustellenden Vereinbarung profitieren muss. Durchgesetzt hat
werb durch den Vertrag von Maastricht seine zentrale Stellung verloren habe und die Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln insbesondere durch die industriepolitischen Ermächtigungen in erheblichem Maße in Frage gestellt werde. Vgl. auch Kirchner, in: Ehlermann/Laudati (Hrsg.), European Competition Law Annual 1997 (1998), S. 513, 515, 517 f. und 522, der eine Änderung des Art. 3 EG vorschlägt, so dass bereits aus dem Wortlaut der Vorrang der Grundfreiheitensicherung und der Wettbewerbspolitik gegenüber den nichtwirtschaftlichen Zielsetzungen hervorginge. 154 Vgl. Amato, Antitrust and the Bounds of Power (1997), S. 62, in Bezug auf die Entscheidung Matra Hachette: „Over and above the substance of the decision, then, the principles of argument that result show surprising permeability of the antitrust principles, which are hybridized and weakened by the joint presence of industrial policy and social cohesion objectives. The original subsidiarity of the competition principle in relation to other principles laid down by the Treaty thus displays continuing vitality that goes well beyond the capacity for these principles to act as a merely external limit, going instead as far as corroding the sense and logic of the antitrust machinery from within.“ 155 Siehe aber Immenga, EuZW 1994, 14, 16, nach dem sich aus Art. 157 EG kein Rangverhältnis zwischen Wettbewerbs- und Industriepolitik entnehmen lasse.
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sich eine weite Auslegung, wonach alle Abnehmer bzw. Konsumenten erfasst werden, unabhängig davon, auf welcher Stufe der Vertriebskette sie sich am Marktgeschehen beteiligen. Einbezogen werden deshalb nicht nur Endverbraucher, die zu privaten Zwecken konsumieren, sondern auch Unternehmen, die im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit Produkte erwerben.156 Entscheidend ist mithin, dass auch die Marktgegenseite (bei horizontalen Vereinbarungen) oder die nachgeordnete Wirtschaftsstufe (bei vertikalen Vereinbarungen) von einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung profitiert.157 Sodann galt es zu klären, wann ein „Gewinn“ für die Abnehmer vorliegt. Hinreichend ist nach der Entscheidungspraxis der Kommission jeder wirtschaftliche Vorteil, der den Verbrauchern auf Grund der Vereinbarung zukommt.158 Darunter fallen zuerst reduzierte Preise 159 bzw. dass ein Unternehmen seine bisherigen Preise beibehält, obgleich die Kosten gestiegen sind.160 Neben diesen finanziellen Vorteilen kann ein Gewinn für die Verbraucher auch in einer Qualitätsverbesserung des Produktes 161 liegen oder einer größeren Produktvielfalt.162 Anerkannt ist für Vertriebsvereinbarungen, dass durch sie zum Gewinn für die Verbraucher bessere Serviceleistungen durch den Händler erreicht werden können, insbesondere eine Beratung durch geschultes Personal sowie Wartungs- und Reparaturleistungen.163 Einen Gewinn für die Verbraucher bejahte die Kommission auch bei einem Strukturkrisenkartell, in dessen Rahmen sich verschiedene niederländische Ziegelsteinhersteller verpflichtet hatten, Überkapazitäten abzubauen, indem sie ältere Produktionsstätten schlossen. Dies begründete die Kommission damit, dass die Ver-
156 Siehe etwa Kommission, Entsch. v. 17. 7. 1968, 68/319/EWG, ACEC-Berliet, ABl. L 201 v. 12. 8. 1968, S. 7, 9, BE III.2.; Kommission, Entsch. v. 18. 7. 1975, 75/494/EWG, Kabelmetal-Luchaire, ABl. L 222 v. 22. 8. 1975, S. 34, 38, BE 11; Leitlinien Art. 81 Abs. 3 EG, Tz. 84. 157 Zur Bewertung dieses Verständnisses siehe unten S. 373. 158 EuGH, Urt. v. 25. 10. 1977 – Rs. 26/76, Metro / Kommission („Metro I“), Slg. 1977, 1875, 1916 f., Rn. 48. 159 Kommission, Entsch. v. 23. 9. 1964, 64/566/EWG, Grundig-Consten, ABl. L v. 20. 10. 1965, S. 2545, 2550, BE III.4.; Kommission, Entsch. v. 24. 9. 1971, 71/337/EWG, CEMATEX, ABl. L 227 v. 8. 10. 1971, S. 26, 31, BE III.2.; Kommission, Entsch. v. 13. 7. 1983, 83/390/EWG, Rockwell/Iveco, ABl. L 224 v. 17. 8. 1983, S. 19, 25, BE II.9.; Kommission, Entsch. v. 22. 8. 1986, 86/405/EWG, Lichtwellenleiter, ABl. L 236 v. 22. 8. 1986, S. 30, 38, BE 60; Kommission, Entsch. v. 11. 10. 1988, 88/541/EWG, BBC Brown Boveri, ABl. L 301 v. 4. 11. 1988, S. 68, 72, BE 24. 160 Kommission, Entsch. v. 28. 5. 1971, 71/222/EWG, F.N. – C.F. (La Cartoucherie Française), ABl. L 134 v. 20. 6. 1971, S. 6, 11, BE 12. 161 Kommission, Entsch. v. 28. 5. 1971, 71/222/EWG, F.N. – C.F. (La Cartoucherie Française), ABl. L 134 v. 20. 6. 1971, S. 6, 11, BE 12; Kommission, Entsch. v. 11. 12. 1980, 80/1332/EWG, Vaccuum Interrupters, ABl. L 383 v. 31. 12. 1980, S. 1, 8, BE III.5.; Kommission, Entsch. v. 13. 7. 1983, 83/390/ EWG, Rockwell/Iveco, ABl. L 224 v. 17. 8. 1983, S. 19, 25, BE II.9. 162 Kommission, Entsch. v. 22. 7. 1969, 69/242/EWG, Jaz-Peter, ABl. L 195 v. 7. 8. 1969, S. 5, 9, BE 13; Kommission, Entsch. v. 23. 3. 1990, 90/186/EWG, Moosehead/Whitbread, ABl. L 100 v. 20. 4. 1990, S. 32, 36, BE 16. 163 Kommission, Entsch. v. 28. 10. 1970, 70/488/EWG, Omega, ABl. L 242 v. 5. 11. 1970, S. 22, 26, BE 7; Kommission, Entsch. v. 13. 12. 1974, 75/73/EWG, BMW, ABl. L 29 v. 3. 2. 1975, S. 1, 6, BE 24; Kommission, Entsch. v. 15. 12. 1975, 76/159/EWG, SABA, ABl. L 28 v. 3. 2. 1976, S. 19, 27, BE 42; Kommission, Entsch. v. 21. 12. 1993, 94/29/EG, Grundig-EG-Vertriebsbindung, ABl. L 20 v. 25. 1. 1994, S. 15, 21, BE 37.
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einbarung dazu beitrage, dass sich die Abnehmer langfristig einem gesunden Wirtschaftszweig und wettbewerbsfähigen Angebotsstrukturen gegenübersehen. Kurzfristig würden die Abnehmer jedenfalls weiterhin von der immer noch vorhandenen Konkurrenz unter den Kartellmitgliedern profitieren.164 Schließlich muss der den Verbrauchern zukommende Gewinn durch die wettbewerbsbeschränkende Abrede auch „angemessen“ sein. Dies setzt zunächst voraus, dass die Weitergabe der Vorteile die negativen Auswirkungen zumindest ausgleicht, die den Verbrauchern durch die Wettbewerbsbeschränkung entstehen.165 Die Kommission hat nicht versucht, diesen Begriff näher zu definieren und damit den ihr zukommenden weiten Auslegungsspielraum selbst einzuschränken.166 Eine Reihe von Entscheidungen hat dieser Voraussetzung freilich schärfere Konturen verliehen. Aus dem Merkmal der „Angemessenheit“ lässt sich schlussfolgern, dass die fragliche Vereinbarung nicht nur positive Wirkungen für die Abnehmer entfalten müsse. Hinreichend ist vielmehr, dass die Vorteile gegenüber den Nachteilen überwiegen.167 So nahm die Kommission etwa eine angemessene Beteiligung der Verbraucher an, wenn durch eine Vereinbarung für einen Teil der Verbraucher die Preise (moderat) stiegen, dieser Nachteil jedoch aufgewogen wurde durch Qualitätsverbesserungen und dadurch, dass Quersubventionen abgebaut wurden, was für einen größeren Teil der Abnehmer Preissenkungen erwarten ließ.168 Von überwiegenden Nachteilen für die Verbraucher ging die Kommission dagegen im Falle eines Systems der kollektiven vertikalen Preisbindung im Handel mit niederländischsprachigen Büchern aus.169 Zwar erkannte sie an, dass die Buchpreisbindung ein breiteres Titelangebot begünstige und die Möglichkeit besserer Serviceleistungen durch die Buchhändler. Andererseits versperre die Preisbindung jedoch die Möglichkeit, Rationalisierungsvorteile durch Preisnachlässe an die Kunden weiterzugeben. Dies schränke indes die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher ein, da sie nicht die Chance haben, auf die zusätzlichen Serviceleistungen zu Gunsten eines geringeren Preises zu verzichten. Die Kommission sah diese nachteiligen Folgen auch als überwiegend an, weil die größere Gruppe der Abnehmer populäre Bücher vorziehe. Diese Bücher würden aber an den Kosten für die Herausgabe von Büchern mit geringerer Auflage beteiligt, welche wiederum in der Regel nur einen kleineren, kapitalkräftigeren Teil der Bevölkerung interessieren. Keine überwiegenden Vorteile sah die Kommission auch in einem Vertriebssystem, das den Absatz einer
164 Kommission, Entsch. v. 29. 4. 1994, 94/296/EG, Stichting Baksteen, ABl. L 131 v. 26. 5. 1994, S. 15, 20, BE 29 f. 165 Leitlinien Art. 81 Abs. 3 EG, Tz. 85. 166 Whish, Competition Law, 4. Aufl. (2001), S. 129. 167 Kommission, Entsch. v. 5. 2. 1992, 92/204/EWG, Niederländische Bauwirtschaft („SPO“), ABl. L 92 v. 7. 4. 1992, S. 1, 24, BE 120. 168 Kommission, Entsch. v. 15. 9. 1999, 1999/695/EG, REIMS II, ABl. L 275 v. 26. 10. 1999, S. 17, 27, BE 77–85. 169 Kommission, Entsch. v. 25. 11. 1981, 82/123/EWG, VBBB/VBVB, ABl. L 54 v. 25. 2. 1982, S. 36, 47 f., BE 54–56.
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§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse
Marke von Hautpflegemitteln ausschließlich über niedergelassene Apotheker vorsah.170 Die Wettbewerbsintensität auf dem relevanten Markt ist ein wichtiges Kriterium für die Frage, ob die Vorteile aus einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung tatsächlich auch den Verbrauchern zu Gute kommen.171 Dies gilt insbesondere für Kosteneinsparungen: Nur bei einem robusten Preiswettbewerb kann davon ausgegangen werden, dass die Einsparungen über Preissenkungen an die Abnehmer weitergegeben werden.172 Aber auch die Nachfragemacht der Abnehmer kann sicherstellen, dass die Marktgegenseite an Rationalisierungsvorteilen partizipiert. So hat die Kommission etwa darauf abgestellt, dass sich die Produzenten „anspruchsvollen“ Abnehmern gegenübersehen, deren „Sachwissen und Verhandlungsstärke gewährleisten, dass der Verbraucher in angemessener Weise am Gewinn beteiligt wird“.173 Schließlich spricht aus dem Blickwinkel der Kommission auch einiges dafür, dass das Kriterium der angemessenen Beteiligung der Marktgegenseite erfüllt ist, wenn ein Abnehmer selbst die Beteiligten zur Zusammenarbeit ermutigt oder gar seine Auftragsvergabe von einer Kooperation abhängig macht.174 (2)
Bewertung: Förderung der Konsumentenwohlfahrt durch Wettbewerb
Die gemeinschaftsrechtliche Praxis bei der Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG wird dafür kritisiert, dass sie das Potential der Vorschrift nicht hinreichend ausschöpfe, um den Verbraucherschutz zu fördern. So wird gefordert, dass das Kriterium der „angemessenen Beteiligung der Verbraucher“ als „autonomous consumer protection objective“ 175 verstanden werden solle; mithin als Ansatzpunkt, Verbraucherschutzaspekte umfassend in die kartellrechtliche Regulierung mit einfließen zu lassen.176 Die Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG könne und solle demnach auch dazu dienen, strukturelle Informationsdefizite auf Seiten der Verbraucher zu überwin170 Kommission, Entsch. v. 11. 1. 1991, 91/153/EWG, Vichy, ABl. L 75 v. 21. 3. 1991, S. 57, 62, BE 28. 171 Siehe Leitlinien der Kommission zur Anwendbarkeit von Art. 81 EG auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit (2001/C 3/02), Tz. 34. Eingehend zur Weitergabe und zum Ausgleich von Kosteneinsparungen und anderen Arten von Effizienzgewinnen: Leitlinien Art. 81 Abs. 3 EG, Tz. 95–104. 172 EuGH, Urt. v. 25. 10. 1977 – Rs. 26/76, Metro / Kommission („Metro I“), Slg. 1977, 1875, 1916, Rn. 48; Kommission, Entsch. v. 22. 7. 1969, 69/242/EWG, Jaz-Peter, ABl. L 195 v. 7. 8. 1969, S. 5, 9, BE 15; Kommission, Entsch. v. 24. 9. 1971, 71/337/EWG, CEMATEX, ABl. L 227 v. 8. 10. 1971, S. 26, 31, BE III.2.; Kommission, Entsch. v. 15. 12. 1975, 76/159/EWG, SABA, ABl. L 28 v. 3. 2. 1976, S. 19, 27, BE 43; Kommission, Entsch. v. 28. 5. 1971, 71/222/EWG, F.N. – C.F. (La Cartoucherie Française), ABl. L 134 v. 20. 6. 1971, S. 6, 11, BE 12. 173 Kommission, Entsch. v. 11. 12. 1980, 80/1332, Vacuum Interrupters, ABl. L 383 v. 31. 12. 1980, S. 1, 8, BE III.5.; siehe auch Kommission, Entsch. v. 23. 12. 1975, 76/248/EWG, United Reprocessors GmbH, ABl. L 51 v. 26. 2. 1976, S. 7, 11 f., BE III.2.; Kommission, Entsch. v. 23. 12. 1975, 76/249/ EWG, KEWA, ABl. L 51 v. 26. 2. 1976, S. 15, 19, BE III.2. 174 Kommission, Entsch. v. 23. 11. 1977, 77/781/EWG, GEC-Weir Natriumwälzpumpen, ABl. L 327 v. 20. 12. 1977, S. 26, 34, BE III.3.b. 175 Reich, in: Gormley, Current and Future Perspectives on EC Competition Law (1997), S. 127, 133 und 137. 176 Ähnlich in der Tendenz auch Evans, ECLR 1981, 425–437.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
den.177 Im Anschluss an die Entscheidung Grundig-EG-Vertriebsbindung, in der ein Verbrauchervorteil durch ein freigestelltes Vertriebssystem darin gesehen wurde, dass Grundig beabsichtigte, eine einheitliche, gemeinschaftsweite, vertragliche Vollgarantie einzuführen,178 wurde verlangt, die Kommission solle eine Ausnahme vom Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG grundsätzlich davon abhängig machen, dass die Unternehmen eine gemeinschaftsweite Garantie anbieten.179 Dieser Ansatz vermag vor allem deshalb nicht zu überzeugen, weil mit ihm ein Verlust an konzeptioneller Klarheit einhergeht. Zwar ist die Wettbewerbspolitik genauso wie die absatzbezogenen vertrags- und lauterkeitsrechtlichen Regelungen den Interessen der Abnehmer verpflichtet. Richtig ist auch, dass strukturelle Informationsdefizite zum Nachteil der Abnehmer einen Wettbewerb um optimale Qualitätsstandards verhindern. Daraus folgt freilich nicht, dass die Ausgestaltung des Wettbewerbsrechts darauf ausgerichtet sein sollte, Informationsdefizite auszugleichen. Die Regelungsaufgabe der Wettbewerbspolitik ist vielmehr darin zu sehen, kompetitive Marktstrukturen zu gewährleisten, indem Kartellabsprachen, der Missbrauch marktbeherrschender Positionen etc. verhindert werden. Die Bekämpfung struktureller Informationsasymmetrien sollte demgegenüber den vertrags- und lauterkeitsrechtlichen Regeln überlassen bleiben. Diese können systematischer und effektiver dazu beitragen, Informationsdefizite auf Märkten zu überwinden. Bei einer konzeptionellen Vermischung droht die Gefahr, dass letztlich keine Regelungsaufgabe befriedigend gelöst wird.180 Denn die Entscheidung, ob eine Vereinbarung unter Art. 81 Abs. 3 EG fällt, ergeht grundsätzlich nur punktuell durch eine Behörde oder ein Gericht. Ob überhaupt eine Ausnahme einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung vom Kartellverbot in Betracht kommt, ist abhängig von Kriterien, die grundsätzlich für die Regelung von Informationsdefiziten unmaßgeblich sind, wie etwa der Marktanteil eines Unternehmens. Werden trotzdem vertragliche Gewährleistungsrechte oder Informationspflichten durch Freistellungsentscheidungen oder in Gruppenfreistellungsverordnungen verankert, so ist damit jedenfalls keine systematische Verbesserung der marktlichen Informationsordnung zu erreichen. Bedenklich ist die Einführung von Regeln mit vertragsrechtlichem Charakter durch die Hintertür des Kartellrechts auch aus kompetenzrechtlicher Sicht. Der Gesetzgeber umginge damit die Kompetenzgrenzen des Art. 95 EG, auf den sonst die vertragsrechtliche Harmonisierung gestützt wird, und schaltete zudem die im Verfahren nach Art. 251 EG notwendige Mitwirkung des Europä-
177 Reich, in: Gormley, Current and Future Perspectives on EC Competition Law (1997), S. 127, 135; bereits zuvor ders., in: Serra/Calais-Auloy, Concurrence et consommation (1994), S. 23, 26. 178 Kommission, Entsch. v. 21. 12. 1993, 94/29/EG, Grundig-EG-Vertriebsbindung, ABl. L 20 v. 25. 1. 1994, S. 15, 18, BE 19. 179 Reich, in: Gormley, Current and Future Perspectives on EC Competition Law (1997), S. 127, 137. 180 Daraus folgt freilich nicht zwingend, dass die Kompetenzen zur Verfolgung wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen einerseits und unfairer bzw. verbraucherschädigender Marktpraktiken andererseits nicht gleichzeitig von einer Behörde wahrgenommen werden könnten, vgl. für die Durchsetzung des ungarischen Wettbewerbsrechts Cseres, 27 JCP (2004), 43, 65 f.
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ischen Parlaments aus. Die Erfahrung mit der Ausgestaltung der Gruppenfreistellung hat zudem gezeigt, dass es mit einem unerwünschten „Zwangsjackeneffekt“ einhergeht, die Freistellung vom Kartellverbot von positiven Vorgaben, also etwa bestimmten vertraglichen Rechten, abhängig zu machen. Dies behindert in unnötiger Weise den Wettbewerb um vertragsgestalterische Innovationen.181 Die Autoren, die eine Freistellung vom Kartellverbot stärker für verbraucherpolitische Zielsetzungen instrumentalisieren wollen, verstehen teilweise den Begriff des „Verbrauchers“ in Art. 81 Abs. 3 EG auch zu eng und beziehen nur Abnehmer ein, die zu privaten Zwecken handeln.182 Demgegenüber geht die gemeinschaftsrechtliche Praxis zu Recht davon aus, dass der Begriff des „Verbrauchers“ in Art. 81 Abs. 3 EG alle Konsumenten umfasst. Nahe gelegt wird diese Auslegung bereits durch die französische („utilisateur“) und die italienische Sprachfassung („utilizzattori“).183 Dies überzeugt auch, bedenkt man die Rolle, die der Wettbewerbspolitik in der Wirtschaftsverfassung der EG zugewiesen ist. Die Gewährleistung eines freien Wettbewerbs steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Grundentscheidung für eine offene Marktwirtschaft.184 Der Schutz kompetitiver Marktstrukturen kann deshalb in keiner Facette darauf reduziert werden, lediglich die Interessen derjenigen zu vertreten, die zu privaten Zecken am Markt agieren. Deshalb ist es konsequent, dass auch bei der Gewährung von Ausnahmen zum Kartellverbot die Interessen aller Abnehmer in die Abwägung mit einfließen. Da die gemeinschaftsrechtliche Wettbewerbspolitik den freien Wettbewerb als zentrale Institution einer Marktwirtschaft schützt, ist es nicht nur regulierungstheoretisch überzeugend, sondern auch aus Sicht der EG-Wirtschaftsverfassung folgerichtig, dass sich die Kommission damit zurückgehalten hat, im Rahmen der Gewährung von Einzelfreistellungen vertragsrechtliche verbraucherbegünstigende Regelungen (Gewährleistungsrechte, Informationspflichten etc.) durchzusetzen. Dies ist nicht Regelungsaufgabe des Kartellrechts. Maßgeblich muss vielmehr die Erkenntnis sein, dass kartellrechtliche Regulierung einem robusten, funktionsfähigen Wettbewerb verpflichtet sein muss, 181 Näher dazu unten S. 393. 182 Deutlich wird dies etwa bei Reich, in: Gormley, Current and Future Perspectives on EC Competition Law (1997), S. 127, der zwar zunächst darauf verweist, dass ein Ziel des Kartellrechts darin liege, die Konsumentenwohlfahrt zu fördern und damit einen Begriff der mikroökonomischen Theorie verwendet, der sich auf die Wohlfahrt aller Abnehmer bzw. Konsumenten bezieht. Jedoch spricht er bereits im nächsten Absatz lediglich davon (und bezieht sich dann in seiner ganzen Abhandlung auch darauf), dass das Kartellrecht die Interessen der Personen zu schützen habe, die zum privaten Konsum Waren und Dienstleistungen im Binnenmarkt erwerben. Bezeichnend ist zudem die auf S. 137 im Zusammenhang mit den Freistellungsentscheidungen Yves Saint Laurent Parfums (Kommission, Entsch. v. 16. 12. 1991, 92/33/EWG, ABl. L 12 v. 18. 1. 1992, S. 24–35) und Givenchy (Kommission, Entsch. v. 14. 7. 1992, 92/428/EWG, ABl. L 236 v. 19. 8. 1992, S. 11–22) getätigte Aussage: „It may be true that the consumption of luxury products is not really a consumer problem“, die erkennbar macht, dass Reich es für denkbar hält, bei der Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG auch verteilungspolitische Aspekte zu berücksichtigen. Denn auf nichts anderes läuft es hinaus, macht man die Einführung einer die Abnehmer begünstigenden Regelung davon abhängig, ob das Produkt von jedermann erworben wird oder vorzugsweise von besser betuchten Kunden. 183 Evans, ECLR 1981, 425, 428; Stuyck, 37 CMLR (2000), 367, 399. 184 Siehe Art. 4 Abs. 1 EG.
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welcher wiederum ein Garant für den Schutz der Interessen der Verbraucher ist.185 In diesem Sinne begriff die Kommission Wettbewerbspolitik bereits als Verbraucherschutzpolitik, lange bevor der Verbraucherschutz als eigene Politik in Art. 153 EG niedergelegt wurde. Dies zeigt ihre Antwort auf eine Anfrage, in der von der Kommission offensichtlich ein Bekenntnis zu einer interventionistischeren Politik zur Preiskontrolle und -regulierung erwartet worden war: „Die Wettbewerbspolitik hat jedoch auch indirekte Auswirkungen auf die Preise. So hat eine aktive Wettbewerbspolitik gegen Preisabsprachen und Kontingentvereinbarungen, Wettbewerbsbeschränkungen und Praktiken, die die Einheit des Gemeinsamen Marktes gefährden, sowie gegen Tendenzen zum Ausbau der Wirtschaftsmacht eine abschwächende Wirkung auf das Preisniveau. Diese Politik dient dem Schutz der Verbraucherinteressen insofern, als sie den Verbrauchern die Möglichkeit gibt, sich innerhalb der Gemeinschaft zu den besten Preis- und Qualitätsbedingungen zu versorgen.“ 186
Dies sollten sich die mitgliedstaatlichen Institutionen zum Vorbild nehmen, die bei der dezentralen Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG die Voraussetzungen für Ausnahmen von Vertriebsverträgen vom Kartellverbot zu formulieren haben. Sie sollten der Versuchung widerstehen, die Freistellung vom Kartellverbot von der Aufnahme unmittelbar verbraucherbegünstigender Regelungen abhängig zu machen. Stattdessen sollten sie sich davon leiten lassen, dass Art. 81 EG den Interessen aller Abnehmer durch den Schutz kompetitiver Marktstrukturen dient.
II.
Regulierung durch die Kommission mittels Gruppenfreistellung
Auf Grund des weiten Konzepts der Wettbewerbsbeschränkung, wie es vor allem von der Kommission verfochten wird, werden nahezu alle Vertriebsverträge von Art. 81 Abs. 1 EG erfasst und sind deshalb nur wirksam, wenn sie die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG erfüllen. Der Rat hat die Kommission auf Grundlage des Art. 83 EG mit dem Erlass der Verordnung 19/65 dazu ermächtigt, in sog. Gruppenfreistellungsverordnungen in generell-abstrakter Weise Vereinbarungen zu definieren, welche ohne weitere Prüfung vom Kartellverbot ausgenommen sind. Der Kommission wurde damit ein Spielraum zugewiesen, in dem sie eigenverantwortlich regulieren kann. Zwar hat das Instrument der Gruppenfreistellung mit der Umstellung des Kartellverfahrensrechts auf das Legalausnahmesystem durch die Verordnung 1/2003 an Bedeutung verloren, da die Freistellungsverordnungen nunmehr lediglich deklaratorisch wirken. Nach wie vor übernehmen sie jedoch die wichtige Funktion eines „sicheren Hafens“. Denn wird eine Vereinbarung von einer Gruppenfreistellung erfasst, kann sie nur mit Wirkung für die Zukunft für kartellrechtswidrig erklärt werden (Art. 6, 7 VertikalGVO). Da die Gruppenfreistellung im Wege einer Verordnung i. S. d. Art. 249 Abs. 2 EG ergeht, ist sie auch unmittelbar bindend für mitgliedstaatliche Kartellbehörden und Gerichte. 185 Stuyck, 37 CMLR (2000), 367, 399. 186 Antwort der Kommission auf die schriftliche Anfrage Nr. 654/78 von Herrn Schyns, ABl. 1979 Nr. C 5/27, Tz. 3 f. (Hervorhebungen ergänzt).
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§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse
1.
Neuausrichtung der Wettbewerbspolitik durch die Vertikal-GVO
a)
Gestärkte Rolle des Wettbewerbsmechanismus
Die Kommission hat ihre wettbewerbspolitische Grundhaltung gegenüber vertikalen Beschränkungen in den Leitlinien für vertikale Beschränkungen zum Ausdruck gebracht.187 Darin hat sie sich dazu bekannt, den Ergebnissen des Wettbewerbsmechanismus größeren Freiraum zuzugestehen und die ökonomischen Zusammenhänge bei der Beurteilung von Vertriebsvereinbarungen umfassend zu berücksichtigen. Paradigmatisch hierfür ist einmal die Aussage, wonach sich eine Ausnahme vom Kartellverbot im Wesentlichen darauf gründe, dass Vereinbarungen „mehr Effizienzgewinne mit sich bringen als wettbewerbswidrige Wirkungen“ 188 und zum anderen, dass die Kommission den „Schutz des Wettbewerbs zum Wohle der Verbraucher und zur effizienten Verteilung der Ressourcen“ als Hauptziel der EG-Wettbewerbspolitik bezeichnet.189 Die Kommission betont in den Leitlinien, dass sie vertikale Beschränkungen allgemein als weniger wettbewerbsschädlich ansehe als horizontale Beschränkungen.190 Sie begründet dies damit, dass Unternehmen, die auf einer Wirtschaftsstufe miteinander konkurrieren, einen Anreiz haben, sich gegenseitig zu wettbewerbsfeindlichen Verhaltensweisen zu ermuntern, die sich letztlich zu Lasten der Abnehmer auswirkten. Demgegenüber sei bei vertikalen Geschäftsbeziehungen das Produkt des einen Unternehmens das Einsatzgut des anderen. Deshalb führe die Ausübung von Marktmacht durch ein Unternehmen zu Nachteilen bei dem Unternehmen der jeweils anderen Handelsstufe. Dieser Mechanismus bewirke, dass die Unternehmen in der Vertriebskette einen Anreiz haben, zu verhindern, dass die übrigen Vertragspartner Marktmacht ausüben. Hingewiesen wird jedoch auch darauf, dass diese selbstdisziplinierende Wirkung dann versage, wenn ein Unternehmen auf Grund seiner starken Marktstellung Marktmacht ausüben könne. In solchen Konstellationen sei der Schutz des Wettbewerbs zwischen den Marken und des markeninternen Wettbewerbs notwendig, um Effizienzgewinne und Vorteile für die Verbraucher sicherzustellen.191 (1)
Allgemeine Regeln zur Beurteilung vertikaler Beschränkungen
Die Kommission hat „Allgemeine Bewertungsgrundlagen“ für vertikale Vereinbarungen zusammengestellt, in denen sie zunächst die negativen und positiven Wirkungen vertikaler Vereinbarungen zusammenfasst. Zu ersteren zählt sie, dass vertikale Vereinbarungen zu Marktzutrittsschranken führen, den markeninternen Wettbewerb als auch den Markenwettbewerb verringern und die Marktintegration
187 Kommission, Mitteilung der Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen (2000/ C 291/01), im Folgenden: Leitlinien VertikalGVO. 188 Leitlinien VertikalGVO, S. 3, Rn. 5. 189 Leitlinien VertikalGVO, S. 3, Rn. 7. 190 Leitlinien VertikalGVO, S. 20, Rn. 100. 191 Leitlinien VertikalGVO, S. 20, Rn. 102.
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behindern können, namentlich den Parallelhandel einschränken.192 Daneben hebt die Kommission auch positive Aspekte hervor, vor allem, dass vertikale Vereinbarungen andere Formen des Wettbewerbs neben dem Preiswettbewerb fördern. Verdeutlicht wird an Beispielen, dass Effizienzgewinne durch vertikale Vereinbarungen möglich seien.193 Aufgezählt werden u. a. die Lösung von „Trittbrettfahrerproblemen“, also die Sicherung der Internalisierung von Investitionen, insbesondere Verkaufsförderungsbemühungen; die Lösung von „Hold-up“-Problemen durch die Absicherung spezieller Investitionen; die Erzielung von Größenvorteilen durch Konzentration des Vertriebs; die Bereitstellung von Kapital durch den Lieferanten für den Käufer und die Sicherung von „Einheitlichkeit und Qualität“, indem Absatzmittlern Standards auferlegt werden. Um vertikale Beschränkungen zu bewerten, stellt die Kommission die positiven den negativen ökonomischen Wirkungen gegenüber. Wettbewerbspolitische Bedenken überwiegen im Falle unzureichenden Markenwettbewerbs, d. h. wenn vertikale Beschränkungen von marktmächtigen Unternehmen ausgehen. Marktmächtig ist ein Unternehmen, wenn es Preise durchzusetzen vermag, die über dem freien Marktpreis liegen und damit höhere Gewinne erzielt.194 Dagegen sollen auf einem Markt, der nicht von Konzentration geprägt ist, vertikale Wettbewerbsbeschränkungen keine spürbaren negativen Wirkungen entfalten. Davon auszunehmen seien einige Kernbeschränkungen, etwa vertikale Preisbindungen oder absolute Gebietsschutzklauseln. Um den Konzentrationsgrad eines Marktes zu beurteilen, bedient sich die Kommission des sog. HHI-Index: Ein Markt gilt danach als nicht konzentriert, wenn die Summe der Quadrate der Marktanteile sämtlicher Unternehmen weniger als 1000 beträgt.195 Daneben legt die Kommission ihrer Bewertung einige relative Regeln zu Grunde. Ökonomisch schädlicher seien danach vertikale Beschränkungen des Markenwettbewerbs, etwa durch Wettbewerbsverbote, gegenüber Beschränkungen des markeninternen Wettbewerbs, etwa durch Alleinvertriebsvereinbarungen. Denn erstere schotten den Markt ab und können verhindern, dass ein Produkt dem Abnehmer überhaupt zur Verfügung steht.196 Ausschließlichkeitsbindungen beeinträchtigen den Wettbewerb typischerweise mehr als nichtausschließliche Regelungen. So lassen etwa Mengenvorgaben dem Händler einen Spielraum, auch konkurrierende Produkte zu vertreiben.197 Den Vertrieb von Nichtmarkenprodukten zu beschränken, sei wegen der geringeren Produktdifferenzierung und der leichteren Substituierbarkeit in der Regel weniger wettbewerbsschädlich, als den Vertrieb von Markenwaren und -dienstleistungen zu beschränken. Auf der Ebene des Zwischenhandels wirken Beschränkungen weniger wettbewerbsschädlich als beim Vertrieb an den
192 193 194 195 196 197
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Leitlinien VertikalGVO, S. 21, Rn. 103. Leitlinien VertikalGVO, S. 23 f., Rn. 116. Leitlinien VertikalGVO, S. 24, Rn. 119, Ziff. 1. Leitlinien VertikalGVO, S. 24, Rn. 119, Ziff. 1. Leitlinien VertikalGVO, S. 25, Rn. 119, Ziff. 2. Leitlinien VertikalGVO, S. 25, Rn. 119, Ziff. 4.
§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse
Endabnehmer.198 Zu berücksichtigen seien zudem verschiedene Effekte beim Zusammentreffen unterschiedlicher vertikaler Beschränkungen. Dieses wirke in der Regel verstärkt wettbewerbsfeindlich. Andererseits könne etwa die Kombination eines Alleinvertriebssystems mit Mengenvorgaben oder Höchstpreisbindungen verhindern, dass der Alleinvertriebshändler die Preise zu sehr anhebe.199 Verstärkt werden können die negativen Wirkungen vertikaler Beschränkungen auch, wenn sie parallel von mehreren Lieferanten oder Käufern in einem Wirtschaftszweig verwendet werden.200 Im Übrigen gelte, dass positive Effekte und Effizienzgewinne umso eher zu erwarten seien, je stärker eine vertikale Beschränkung auf der Übertragung von Know-how beruht oder an vertragsspezifische Investitionen geknüpft sei.201 Schließlich seien Markteinführungstests, Markteinführungen neu entwickelter Produkte und die Erschließung neuer Märkte gesondert zu bewerten.202 (2)
Zur Beurteilung bestimmter vertikaler Beschränkungen
Ausgehend von den allgemeinen Vorgaben zur Beurteilung von Vertikalvereinbarungen, legt die Kommission in den Leitlinien auch ihre Grundhaltung zu bestimmten Typen von vertriebsbezogenen Wettbewerbsbeschränkungen dar. Im Folgenden werden die Hauptargumente der Kommission zusammengefasst. (i)
Wettbewerbsverbote
Verpflichtet sich ein Händler gegenüber seinen Lieferanten, keine konkurrierenden Waren oder Dienstleistungen zu kaufen, weiterzuverkaufen oder in eigene Produkte einzubauen, spricht man von einem sog. Markenzwang oder auch Wettbewerbsverbot.203 Wettbewerbsverbote wirken sich unmittelbar auf den Markenwettbewerb aus, denn sie schotten den Markt gegenüber aktueller oder potenzieller Lieferkonkurrenz ab, erleichtern kollusives Verhalten unter Lieferanten und schränken den Markenwettbewerb in den Verkaufsstätten ein, soweit der Händler an Endabnehmer vertreibt. Um Wettbewerbsverbote zu beurteilen, sind zum einen deren Ausmaß und Dauer zu betrachten. Je höher die Bindungsquote ist und je länger das Wettbewerbsverbot wirkt, desto stärker ist der Effekt der Marktabschottung. Die Kommission geht bei ihrer Beurteilung davon aus, dass Verbote mit einer Dauer von weniger als einem Jahr keine spürbaren wettbewerbswidrigen Wirkungen haben, bei Verboten mit einer Dauer zwischen einem und fünf Jahren die wettbewerbsfördernden und wettbewerbswidrigen Aspekte sorgfältig gegeneinander abzuwiegen seien und Verbote mit einer Laufzeit von über fünf Jahren nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein können.
198 199 200 201 202 203
Leitlinien VertikalGVO, S. 25, Rn. 119, Ziff. 5. Leitlinien VertikalGVO, S. 25, Rn. 119, Ziff. 6. Leitlinien VertikalGVO, S. 25, Rn. 119, Ziff. 7. Leitlinien VertikalGVO, S. 25, Rn. 119, Ziff. 8 und 9. Leitlinien VertikalGVO, S. 25 f., Rn. 119, Ziff. 10. Zu Wettbewerbsverboten Leitlinien VertikalGVO, S. 28–32, Rn. 138–160.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
Die Marktstellung des Lieferanten ist der zweite Faktor, um Wettbewerbsverbote zu beurteilen. Eine Reihe von Faktoren bestimmen die Marktstellung: Zu beachten sind die Marktstellung der Wettbewerber bzw. der Konzentrationsgrad auf dem relevanten Markt, Marktzutrittsschranken und sog. „gegengewichtige Marktmacht“. Letzteres besagt, dass die Wirkung von Wettbewerbsverboten beschränkt ist, wenn Käufer mit bedeutender Nachfragemacht ungebunden auf dem Markt agieren. Umgekehrt sind die abschottenden Wirkungen umso größer, wenn Lieferanten bedeutende Käufer an sich binden können. Schließlich ist für die marktabschottende Wirkung von Wettbewerbsverboten auch wichtig, auf welcher Handelsstufe sie verabredet werden. Wettbewerbsverbote bei Zwischenprodukten haben im Allgemeinen nur dann eine stark abschottende Wirkung, wenn sie kumulativ auftreten oder von marktbeherrschenden Lieferanten benutzt werden. Auf der Ebene des Großhandels mit Endprodukten hängt die abschottende Wirkung davon ab, wie aufwendig es für einen konkurrierenden Hersteller wäre, selbst einen Großhandelsbetrieb aufzubauen. Am größten ist die Gefahr der Marktabschottung auf der Einzelhandelsstufe. Bereits bei einer Bindung von 30 Prozent des relevanten Marktes durch einen nicht beherrschenden Lieferanten könne hier nach Auffassung der Kommission eine spürbare wettbewerbswidrige Wirkung festzustellen sein. Abzuwägen ist die wettbewerbsbeschränkende Wirkung der Wettbewerbsverbote mit möglichen Effizienzgewinnen. Hervorzuheben ist, dass Wettbewerbsverbote vertragsspezifische Investitionen des Lieferanten während des Abschreibungszeitraumes absichern und Know-how schützen, das ein Lieferant dem Händler zur Verfügung stellt, etwa beim Franchising. Demgegenüber soll es in der Regel nicht ausreichen, dass der Lieferant dem Händler ein Darlehen gewährt oder nicht vertragsspezifische Ausrüstungen überlässt, um eine Ausnahme vom Kartellverbot zu rechtfertigen. Anderes soll nur gelten, wenn das Darlehen günstiger ist im Vergleich mit der Kreditaufnahme bei einer Bank und wenn der Käufer nicht daran gehindert ist, jederzeit und ohne das Risiko einer Konventionalstrafe das Wettbewerbsverbot durch die Tilgung des Restdarlehens aufzuheben. Dabei soll die Tilgung so zu gestalten sein, dass die Raten nicht steigen. Zudem soll der Käufer die Möglichkeit haben, vom Lieferanten bereitgestellte Ausrüstungen zum Marktwert zu erwerben. (ii)
Alleinvertrieb
Verpflichtet sich der Lieferant, seine Produkte für den Weiterverkauf in einem bestimmten Gebiet nur an einen Vertriebshändler zu verkaufen, liegt eine Alleinvertriebsvereinbarung vor.204 Mit dieser Vereinbarung geht typischerweise die Verpflichtung des Händlers einher, die Produkte nicht aktiv in andere Gebiete zu veräußern, die einer Ausschließlichkeitsbindung unterliegen. Alleinvertriebsvereinbarungen verringern den markeninternen Wettbewerb, da sie zu einer Aufteilung der Märkte führen. Die Kommission macht ihre wettbewerbspolitische Bewertung im Wesentlichen von der Marktstellung des Lieferanten abhängig, da eine
204
378
Zum Alleinvertrieb Leitlinien VertikalGVO, S. 32–35, Rn. 161–177.
§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse
Einschränkung des markeninternen Wettbewerbs nur bei gleichzeitiger Einschränkung des Markenwettbewerbs problematisch sei. Dementsprechend seien Vereinbarungen durch Lieferanten mit einem Marktanteil bis 30 Prozent stets vom Kartellverbot auszunehmen. Im Übrigen sei auf die konkrete Marktposition abzustellen. Bedenklich seien Konstellationen, in denen ein Händler das ausschließliche Recht zum Vertrieb von mehreren konkurrierenden Produkten von Gewicht im selben Gebiet erhalte. Weitere Faktoren um Alleinvertriebsvereinbarungen zu bewerten, sind nach den Leitlinien u. a. die Marktstellung der Käufer („Nachfragemacht“), die „Reife des Marktes“ und die betroffene Handelsstufe. Effizienzgewinne durch Alleinvertrieb sind zum einen auf der Ebene der Großhändler durch Größenvorteile bei der Logistik festzustellen. Zum anderen schützen Alleinvertriebsvereinbarungen Investitionen der Händler in den Aufbau eines Markenimages. Dieser Effekt ist umso größer, je komplexer die Produkte sind und je mehr es beim Kauf auf das Vertrauen der Abnehmer ankommt. (iii)
Kundenbeschränkung
Bei Kundenbeschränkungen verpflichtet sich der Lieferant, seine Produkte für den Weiterverkauf an eine bestimmte Gruppe von Kunden nur einem Vertriebshändler anzubieten.205 Die Vereinbarung von Kundenbeschränkungen wird hauptsächlich bei Zwischenprodukten oder im Falle von Endprodukten auf der Großhandelsstufe praktiziert. Nur in diesem Bereich lassen sich auf praktikable Weise Kundengruppen unterscheiden, die jeweils andere Anforderungen an das Produkt haben. Mit der Beschränkung des Kundenkreises zu Lasten des Lieferanten wird der Händler in der Regel verpflichtet, die Produkte nicht aktiv an andere Kundengruppen zu verkaufen, für die entsprechende Ausschließlichkeitsbindungen bestehen. Kundenbeschränkungen verringern den markeninternen Wettbewerb und führen zu einer Marktaufteilung. Wie ihre Wirkungsweise, so entspricht auch ihre wettbewerbspolitische Beurteilung durch die Kommission im Grundsatz der Beurteilung von Alleinvertriebsvereinbarungen: Soweit der Lieferant einen Marktanteil von weniger als 30 Prozent aufweist, sei davon auszugehen, dass die Einschränkungen des Intrabrand-Wettbewerbs durch den Interbrand-Wettbewerb kompensiert werden. Hat der Lieferant eine bedeutendere Marktstellung, dann sei die Vereinbarung nur vom Kartellverbot auszunehmen, wenn sich klare und erhebliche Effizienzgewinne darlegen lassen. Dies scheint allenfalls dann möglich, wenn sich die Abnehmer verpflichten, in besondere Ausrüstungen oder Fertigkeiten oder in spezielles Knowhow zu investieren, um den Anforderungen ihres Kundenstammes gerecht zu werden. Anhaltspunkte für den Zeitraum, für den eine Kundenbeschränkung gerechtfertigt werden kann, gibt in diesen Fällen die Abschreibungsdauer der Investitionen. Kundenbeschränkungen erscheinen besonders dann wirtschaftlich erforderlich, handelt es sich um neue oder komplexe Produkte, die an die Bedürfnisse des
205
Zu Kundenbeschränkungen Leitlinien VertikalGVO, S. 35 f., Rn. 178–183.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
einzelnen Kunden angepasst werden müssen. Dies kommt vorrangig für Zwischenprodukte in Betracht, also Produkte, die an unterschiedliche Gruppen gewerblicher Kunden weitervertrieben werden. (iv)
Selektiver Vertrieb
Der selektive Vertrieb erfasst Systeme, mit denen der Lieferant sicherstellen will, dass seine Produkte nur von Händlern vertrieben werden, die bestimmte Merkmale (etwa besonders qualifiziertes Verkaufspersonal, gute Geschäftslage) erfüllen (sog. qualitativer selektiver Vertrieb) oder dass seine Produkte innerhalb eines Gebietes nur von einer beschränkten Zahl von Händlern vertrieben werden (sog. quantitativer selektiver Vertrieb).206 Im Gegensatz zum Alleinvertrieb schränkt der selektive Vertrieb nicht den aktiven Verkauf in andere Gebiete ein, sondern jeglichen Verkauf an nicht zugelassene Händler. Dadurch wird nicht nur der markeninterne Wettbewerb eingeschränkt, sondern es droht die Gefahr, dass Händler vom Markt ausgeschlossen werden. Die Kommission erkennt die Rechtsprechung des EuGH an,207 wonach selektive Vertriebsvereinbarungen unter bestimmten Voraussetzungen nicht als Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG zu werten sind. Dies setzt voraus, dass erstens die Beschaffenheit des Produkts einen selektiven Vertrieb bedingt, d. h. ein selektives Vertriebssystem muss erforderlich sein, um die Qualität zu wahren und um zu gewährleisten, dass das Produkt richtig gebraucht wird. Zweitens müssen die Wiederverkäufer auf Grund objektiver Kriterien qualitativer Art ausgewählt werden, die einheitlich festzulegen und unterschiedslos anzuwenden sind. Drittens dürfen die aufgestellten Kriterien nicht über das erforderliche Maß hinausgehen. Ob ein Vertriebssystem als „nicht wettbewerbsbeschränkend“ einzustufen ist, hängt nicht davon ab, dass es lückenlos in dem Sinne ist, dass in der Praxis gebundene Waren nicht von Systemfremden frei erworben und legitim im Binnenmarkt vertrieben werden können.208 Soweit selektive Vertriebssysteme unter Art. 81 Abs. 1 EG fallen, hängt ihre Freistellung von der Marktstellung des Lieferanten und seiner Konkurrenz ab. Überschreitet ein Lieferant nicht die Marktanteilsschwelle von 30 Prozent, sind Vereinbarungen über qualitativen wie über quantitativen Selektivvertrieb vom Kartellverbot ausgenommen. Dies gilt unabhängig von der Art des Produkts. Im Übrigen gilt es abzuwägen zwischen den wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen und den Effizienzgewinnen durch selektiven Vertrieb. Zu bedenken ist vor allem, dass der Markenwettbewerb die Einschränkungen des markeninternen Wettbewerbs nicht
206 Zum selektiven Vertrieb Leitlinien VertikalGVO, S. 36–39, Rn. 184–198. 207 Siehe EuGH, Urt. v. 11. 12. 1980 – Rs. 31/80, L’Oréal / De Nieuwe Amck, Slg. 1980, 3775, 3790, Rn. 15 f.; EuGH, Urt. v. 25. 10. 1977 – Rs. 26/76, Metro / Kommission („Metro I“), Slg. 1977, 1875, 1905, Rn. 20 f.; EuGH, Urt. v. 25. 10. 1983 – Rs. 107/82, AEG / Kommission, Slg. 1983, 3151, 3194, Rn. 35; EuG, Urt. v. 27. 2. 1992 – Rs. T-19/91, Vichy / Kommission, Slg. 1992, II-415, 441, Rn. 65. 208 EuGH, Urt. v. 13. 1. 1994, Rs. C-376/92, Metro / Cartier, Slg. 1994, I-15, 16, Leitsatz 1 und 36, Rn. 24–29.
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kompensieren kann, wenn der selektive Vertrieb von Lieferanten mit starker Marktstellung ausgeht. Dies ist insbesondere deshalb beachtlich, da in der Praxis häufig auf einem Markt diese Vertriebsmethode gleichzeitig von mehreren Lieferanten angewandt wird. Selektiver Vertrieb kann Trittbrettfahrerprobleme verhindern und so sicherstellen, dass Händler Aufwendungen für die Verkaufsförderung internalisieren können. Effizienzgewinne fallen deshalb am ehesten bei neuen und bei komplexen, also beratungsintensiven Produkten an und bei Produkten, deren Qualitätseigenschaften vor oder auch nach dem Verbrauch schwierig zu beurteilen sind (Erfahrungs- bzw. Vertrauensgüter). Von geringerer Bedeutung sind Effizienzgewinne auf Grund von Größenvorteilen beim Transport, durch die Logistikkosten eingespart werden können. Beurteilt man selektive Vertriebssysteme nach Art. 81 Abs. 3 EG, ist immer auch zu überdenken, ob sich dieselben Effizienzvorteile bei vergleichbarem Kostenaufwand nicht auch auf andere, weniger wettbewerbsbeschränkende Weise erzielen lassen, etwa indem ein bestimmter Vertriebsservice ausdrücklich zwischen Lieferant und Händler vereinbart wird. (v)
Franchising
Das Franchising 209 ist eine Form des Vertriebs, bei der ein Franchisegeber den Franchisenehmern erlaubt, eine bestimmte Geschäftsmethode nutzen zu dürfen und ihnen die damit verbundenen Schutzrechte einräumt. Daneben unterstützt der Franchisegeber den Franchisenehmer häufig auch kommerziell oder technisch. Im Gegenzug erhält der Franchisegeber in der Regel eine Franchisegebühr vom Franchisenehmer; dies ist indes kein konstitutives Merkmal des Franchising. Der Vorteil des Franchising als Vertriebssystem besteht darin, dass es dem Franchisegeber mit einem begrenzten Investitionsaufwand ermöglicht, ein einheitliches Netz für den Vertrieb seiner Produkte aufzubauen. Eine Franchisevereinbarung beinhaltet typischerweise eine Kombination vertikaler Beschränkungen, etwa Vereinbarungen über selektiven Vertrieb, Wettbewerbsverbote oder Alleinvertrieb. Die Kommission erkannt wie auch der EuGH an,210 dass Wettbewerbsverbote, in denen sich die Franchisenehmer verpflichten, nur Produkte des Franchisegebers zu vertreiben und jede Konkurrenztätigkeit zu unterlassen, bereits nicht wettbewerbsbeschränkend i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG sind, soweit sie erforderlich sind, um die Einheitlichkeit und den Ruf des Franchisesystems zu erhalten. Für die Laufzeit der Franchisevereinbarung fällt das Wettbewerbsverbot dann nicht unter den Tatbestand des Kartellverbots. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann darüber hinaus auch ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vom Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG ausgenommen sein.
209 Zu Franchisingvereinbarungen Leitlinien VertikalGVO, S. 39 f., Rn. 199–201. 210 EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986 – Rs. 161/84, Pronuptia, Slg. 1986, S. 353, 381, Rn. 15 f.; hierzu bereits oben S. 151.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
Für die Vereinbarung von Selektiv- oder Alleinvertrieb in Franchisingverträgen gelten die allgemein für diese Beschränkungen aufgestellten Kriterien. Sie werden bis zu einem Marktanteil des Franchisegebers bzw. des von ihm bestimmten Lieferanten von 30 Prozent als unbedenklich angesehen, ansonsten sind die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen mit den Effizienzgewinnen abzuwägen. Dabei gilt für Franchisevereinbarungen die Besonderheit, dass eine Ausnahme vom Kartellverbot umso eher gerechtfertigt erscheint, je mehr Know-how weitergegeben wird. (vi)
Alleinbelieferung
Unter den Begriff der „Alleinbelieferung“ fasst die Kommission Vertriebsbeschränkungen, nach denen der Lieferant ein bestimmtes Endprodukt nur an einen Käufer in der Gemeinschaft bzw. ein Zwischenprodukt nur an einen Abnehmer für einen bestimmten Verwendungszweck (industrial supply) abgeben darf.211 Wesentliches Kriterium um die Alleinbelieferung zu bewerten, ist die Marktstellung des Käufers auf dem vorgelagerten Beschaffungs- und dem nachgelagerten Vertriebsmarkt. Die Kommission geht bei Vereinbarungen über Alleinvertrieb davon aus, dass der Interbrand-Wettbewerb bis zu einem Marktanteil von 30 Prozent die Einschränkungen bzw. hier auch gänzliche Unterbindung des Intrabrand-Wettbewerbs kompensiere. Bei einer stärkeren Marktstellung des Käufers sei daneben auch zu berücksichtigen, wie umfassend die Alleinbelieferungsklausel ist und welche Laufzeit sie hat. Bei einer Dauer von mehr als fünf Jahren soll davon auszugehen sein, dass die Vereinbarung nicht erforderlich sei, um Effizienzgewinne zu erzielen bzw. dass diese Gewinne dann nicht mehr gegenüber den Abschottungseffekten überwiegen. Darüber hinaus sind auch die Marktstellung konkurrierender Käufer im vorgelagerten Beschaffungsmarkt zu berücksichtigen sowie Marktzutrittsschranken auf der Ebene der Lieferanten und die Marktmacht der Lieferanten. Um die Alleinbelieferung zu beurteilen sind im Übrigen auch die Handelsstufe, auf der sie verwendet wird und die Art des Produktes maßgeblich. Eine Abschottung des Marktes ist weniger wahrscheinlich bei Zwischenprodukten und bei homogenen Produkten. Den wettbewerbswidrigen Wirkungen der Alleinbelieferung sind die Effizienzgewinne gegenüberzustellen, die durch sie erzielt werden. Dies betrifft vor allem die Lösung von Hold-up-Problemen. Hierunter werden Konstellationen zusammengefasst, in denen eine Partei spezifische Investitionen absichern will, etwa in Spezialausrüstungen oder Mitarbeiterschulungen. Eine geringere Rolle spielen Größenvorteile durch Alleinbelieferung. Bewertet man diese Effizienzvorteile, ist indes auch in Rechnung zu stellen, dass es Alternativen zur Alleinbelieferung gibt, die weniger wettbewerbsbeschränkend wirken. So können Hold-up-Probleme auch dadurch gelöst werden, dass eine Mindestliefermenge vereinbart wird.
211
382
Zur Alleinbelieferung Leitlinien VertikalGVO, S. 40–42, Rn. 202–214.
§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse
(vii) Kopplungsbindung Bei Kopplungsvereinbarungen macht der Lieferant den Verkauf des sog. Kopplungsprodukts davon abhängig, dass der Käufer auch ein anderes Produkt bezieht.212 Dieses gekoppelte Produkt stellt der Lieferant entweder selbst bereit oder ein von ihm benanntes Unternehmen. Kopplungsbindungen beschränken den Wettbewerb, sie wirken hinsichtlich des gekoppelten Produktes marktabschottend wie ein Wettbewerbsverbot. Werden zudem noch Wettbewerbsverbote verabredet, verstärkt dies die wettbewerbsbeschränkende Wirkung. Allerdings geht die Kommission davon aus, dass die Effizienzgewinne durch Kopplungsbindungen überwiegen, soweit der Lieferant weder beim Kopplungsprodukt noch beim gekoppelten Produkt einen Marktanteil von über 30 Prozent aufweist. Gewichtet man in den übrigen Fällen die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen, ist vor allem zu berücksichtigen, welche Marktstellung der Lieferant auf dem Markt für das Kopplungsprodukt innehat, daneben aber auch die Marktmacht der Käufer. Dem stehen Effizienzgewinne gegenüber, die durch gemeinsame Herstellung und gemeinsamen Vertrieb entstehen können oder dadurch, dass der Lieferant das gekoppelte Produkt in großen Mengen bezieht. Effizienzgewinne sind zudem möglich, wenn Kopplungsbindungen dazu beitragen, dass bestimmte Produktstandards (Einheitlichkeit und Qualität) eingehalten werden. Das setzt freilich voraus, dass ein obligatorischer Bezug beim Lieferanten bzw. einem von diesem zu benennenden Unternehmen notwendig ist, um diesen Produktstandard sicherzustellen. Die Kommission weist insbesondere darauf hin, dass die bloße Vereinbarung von Qualitätsstandards nicht unter Art. 81 Abs. 1 EG fallen würde. Gleiches soll deshalb auch gelten, wenn der Lieferant des Kopplungsproduktes dem Käufer vorschreibt, bei welchem Lieferanten er das gekoppelte Produkt zu beziehen hat, wenn es nicht möglich ist, lediglich Mindestqualitätsanforderungen zu formulieren. Eine solche Vereinbarung soll vor allem dann nicht wettbewerbsbeschränkend sein, wenn der Lieferant daraus keinen direkten finanziellen Vorteil zieht. b)
Überblick über die Regelungen der Vertikal-GVO
(1)
Anwendungsbereich
Den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung umreißt Art. 2 VertikalGVO, dessen erster Absatz definiert vertikale Vereinbarungen als: „Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen zwischen zwei oder mehr Unternehmen, von denen jedes zwecks Durchführung der Vereinbarung auf einer unterschiedlichen Produktions- oder Vertriebsstufe tätig ist, und welche die Bedingungen betreffen, zu denen die Parteien bestimmte Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen können“.
Die Bedeutung der Vorschrift ragt indes über die einer Definitionsnorm hinaus, da sie gleichzeitig alle Vereinbarungen vom Kartellverbot ausnimmt, die unter die De-
212
Zu Kopplungsbindungen Leitlinien VertikalGVO, S. 42–44, Rn. 215–224.
383
Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
finition fallen (sog. Schirmfreistellung).213 Art. 2 Abs. 1 VertikalGVO schließt Vereinbarungen zwischen Unternehmen der gleichen Wirtschaftsstufe genauso vom Anwendungsbereich der Gruppenfreistellung aus 214 wie Vertikalvereinbarungen, die sich nicht auf den Bezug, Verkauf oder Weiterverkauf von Produkten (vgl. Art. 1 lit. a VertikalGVO) beziehen und Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Verbrauchern.215 Damit fallen Miet-, Pacht- oder Leasingverträge, soweit sie nicht auch produktbezogene Wettbewerbsbeschränkungen enthalten, nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung.216 Gleiches gilt für Forschungs- und Entwicklungsverbote in vertikalen Vereinbarungen.217 Art. 2 Abs. 1 S. 2 VertikalGVO, wonach die Freistellung gilt, soweit die betroffenen vertikalen Vereinbarungen unter Art. 81 Abs. 1 EG fallen, ist deklaratorischer Natur. Denn soweit Art. 81 Abs. 1 EG eine Vereinbarung nicht erfasst, bedarf es ohnehin keiner Ausnahme nach Art. 81 Abs. 3 EG i. V. m. der Vertikal-GVO.218 Art. 2 Abs. 2 VertikalGVO regelt die Anwendung der Freistellung auf Vereinbarungen, an denen Unternehmensvereinigungen beteiligt sind. Verbundgruppen sollen im Grundsatz nicht schlechter gestellt werden als integrierte Unternehmen.219 Der Anwendungsbereich wird hier aber begrenzt, da bei diesen Vereinbarungen das Risiko besteht, dass es zu horizontalen Absprachen kommt oder jedenfalls zu zwar formal vertikalen Vereinbarungen, die aber horizontale Wirkungen entfalten.220 Die Freistellung gilt nur, wenn alle Mitglieder der Vereinigung Wareneinzelhändler sind und keines ihrer einzelnen Mitglieder zusammen mit seinen verbundenen Unternehmen einen jährlichen Gesamtumsatz von 50 Millionen Euro erzielt.221 Die Vorschrift erfasst insbesondere Vertriebs- und Einkaufsvereinigungen von Einzelhändlern, nicht dagegen Zentraleinkaufsgenossenschaften.222 Auf Vereinbarungen, die die Übertragung und Verwendung geistigen Eigentums regeln, ist die Vertikal-GVO nur unter den fünf in Art. 2 Abs. 3 definierten Voraussetzungen anzuwenden.223 Die Anwendung der Verordnung setzt voraus, dass (1) die Bestimmungen Bestandteil einer Vertikalvereinigung i. S. d. Art. 2 Abs. 1 VertikalGVO sind, (2) die Übertragung von Eigentumsrechten auf den Käufer oder deren Nutzung durch den Käufer betreffen, (3) die Abmachungen in Bezug auf die geistigen Eigentumsrechte nicht den Hauptgegenstand der Vereinbarung bilden, (4) unmittelbar mit der Nutzung, dem Verkauf oder dem Weiterverkauf von Waren
213 Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO (2001), Rn. 204. 214 Dazu Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO (2001), Rn. 221–227. 215 Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 86. 216 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004), § 14, Rn. 8 (S. 364 f.). 217 Leitlinien VertikalGVO, S. 7, Rn. 25; Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 86. 218 Semler, in: Martinek/Semler/Habermeier (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2. Aufl. (2003), § 31, Rn. 28. 219 Pukall, NJW 2000, 1375, 1377. 220 Dazu Bayreuther, EWS 2000, 106, 107. 221 Krit. hierzu Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004), § 14, Rn. 16 f. (S. 367). 222 Bayreuther, EWS 2000, 106, 107. 223 Dazu Leitlinien VertikalGVO, S. 8 f., Rn. 30–37; Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO (2001), Rn. 264–314.
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oder Dienstleistungen durch den Käufer oder dessen Kunden zusammenhängen und (5) im Verhältnis zu den Vertragswaren oder -dienstleistungen keine Wettbewerbsbeschränkungen enthalten, die denselben Zweck oder dieselbe Wirkung wie vertikale Beschränkungen haben, die nicht durch die Vertikal-GVO freigestellt werden. Art. 2 Abs. 4 VertikalGVO verankert den Grundsatz, wonach Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, also horizontale Vereinbarungen, nicht vom Kartellverbot ausgenommen sind. Den Begriff des „Wettbewerbers“ definiert Art. 1 lit. a VertikalGVO als tatsächliche oder potenzielle Anbieter auf demselben Produktmarkt und damit unabhängig vom geographischen Markt. Ausnahmsweise sind nichtwechselseitige vertikale Vereinbarungen auch zwischen Wettbewerbern freigestellt. Nicht wechselseitig ist eine Vereinbarung, wenn im Rahmen eines Austauschvertrages jeweils nur eine Partei Lieferant oder Abnehmer ist. Dies gilt nur, wenn alternativ der jährliche Gesamtumsatz des Käufers 100 Millionen Euro nicht überschreitet (lit. a), beim Warenhandel in Fällen, in denen der Lieferant Hersteller und Händler der Ware ist, der Käufer jedoch nur Händler (lit. b) oder schließlich auch bei der Erbringung von Dienstleistungen, wenn der Lieferant ein auf mehreren Wirtschaftsstufen tätiger Dienstleistungserbringer ist und der Käufer auf der Wirtschaftsstufe, auf der er die Vertragsleistung bezieht, nicht im Wettbewerb mit dem Lieferanten steht (lit. c). Die beiden letzten Alternativen sollen einem Hersteller erlauben, seine Produkte auch in (intrabrand-) Konkurrenz mit seinen Vertriebshändlern selbst zu vertreiben (sog. „zweigleisiger Vertrieb“ bzw. dual distribution).224 Kritisiert wird an Art. 2 Abs. 4 VertikalGVO, dass die Regelung Vereinbarungen im industriellen Zulieferbereich in weitem Maße aus der Vertikal-GVO herausnimmt. Denn dort sind die Käufer typischerweise auch selbst in der Lage, die entsprechenden Waren herzustellen, so dass zwischen dem Unternehmen, das liefert und dem Unternehmen, das ein Produkt bezieht, zumindest ein potenzielles Wettbewerbsverhältnis besteht.225 Die Vertikal-GVO erfasst nach Art. 3 nur Vereinbarungen von Unternehmen, deren Marktanteil 30 Prozent nicht überschreitet. Dabei ist grundsätzlich auf den Marktanteil des Lieferanten abzustellen, im Falle von Alleinbelieferungspflichten i. S. d. Art. 1 lit. c VertikalGVO kommt es auf den Marktanteil des Käufers an. Nachdem das Kartellverfahrensrecht reformiert wurde und das Legalausnahmesystem eingeführt wurde, markiert die Marktanteilsschwelle keine Verfahrensgrenze 226 mehr, sondern lediglich eine „Rechtssicherheitsgrenze“: Unterhalb der Schwelle ist eine Vereinbarung, die auch die sonstigen Voraussetzungen der Vertikal-GVO erfüllt, in jedem Falle vom Kartellverbot ausgenommen, oberhalb dieser Schwelle hängt die Ausnahme von der Auslegung des Art. 81 Abs. 3 EG durch die Kartellbehörden und Gerichte ab. 224 225 226
Leitlinien VertikalGVO, S. 7 f., Rn. 27. Pukall, NJW 2000, 1375, 1377. Pukall, NJW 2000, 1375, 1376.
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Das starre Kriterium der Marktanteilsschwellen sieht sich zum einen deshalb Kritik ausgesetzt, weil es gerade ein Kriterium neben anderen (etwa branchenspezifische Besonderheiten und die Marktstärke der Konkurrenzunternehmen) heraushebt, um die Wirkung vertikaler Vereinbarungen auf den Wettbewerb einzuschätzen.227 Zum anderen provoziert das Kriterium des Marktanteils Rechtsunsicherheit, denn der Marktanteil unterliegt Schwankungen und ist somit eine schwierige Bezugsgröße für ein Vertriebssystem, das auf einen längeren Zeitraum hin ausgerichtet ist. Dieser Unsicherheit sehen sich vor allem Unternehmen mit einem Marktanteil im Grenzbereich um die 30 Prozent gegenüber. Um dem gerecht zu werden, gibt Art. 9 VertikalGVO zum einen Kriterien vor, um den Marktanteil zu ermitteln. Insbesondere wird der relevante Markt definiert. Zudem ergeben sich wichtige Anhaltspunkte für die Bestimmung des relevanten Marktes aus der gleichnamigen Bekanntmachung der Kommission.228 Außerdem enthält Art. 9 Abs. 2 lit. c bis e VertikalGVO eine Toleranzschwellenregelung. Im Übrigen hat die Kommission mitgeteilt, dass Unternehmen im Falle einer nachträglichen Anmeldung nicht mit einer Geldbuße rechnen müssen, wenn sie in gutem Glauben davon ausgingen, die Marktanteilsschwelle der Vertikal-GVO nicht überschritten zu haben.229 Dies muss entsprechend auch gelten, nachdem das Verfahren der Anmeldung zur Freistellung mit dem In-Kraft-Treten der Kartellverordnung 1/2003 gegenstandslos geworden ist. Die Vertikal-GVO ist nach Art. 13 ab 1. 1. 2000 in Kraft und wird vom 1. 6. 2000 bis zum 31. 5. 2010 angewandt werden. Die Übergangsvorschrift des Art 12 VertikalGVO sieht vor, dass Verträge, die am 1. 6. 2000 bereits in Kraft waren und die Voraussetzungen der Vorgängerverordnungen erfüllten, bis zum 31. 12. 2001 noch nach altem Recht freigestellt waren. (2)
Kernbeschränkungen
Art. 4 Vertikal-GVO definiert die Kernbeschränkungen bzw. die sog. schwarzen Klauseln. Enthält ein Vertrag eine der dort aufgezählten Bestimmungen, entfällt die Freistellung für ihn insgesamt.230 Der Vorschrift ist darüber hinaus die Wertung zu entnehmen, dass diese Klauseln so wettbewerbsschädlich sind, dass eine Ausnahme vom Kartellverbot auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Vertikal-GVO nur ausnahmsweise denkbar erscheint.231 Die in Art. 4 Vertikal-GVO genannten Tatbestände müssen nach dem Wortlaut bezweckt sein. Ein Bewirken genügt, anders als etwa nach Art 81 Abs. 1 EG, nicht.232
227 Bayreuther, EWS 2000, 106, 108. 228 Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. EG C 372 v. 9. 12. 1997, S. 5–13. 229 Leitlinien VertikalGVO, S. 15, Rn. 65. 230 Siehe BE 10 VertikalGVO und Leitlinien VertikalGVO, S. 15, Rn. 66. 231 Die Kommission spricht – ausgehend vom Kartellverfahrensrecht, das vor der Verordnung 1/2003 galt – davon, dass die Einzelfreistellung schwarzer Klauseln unwahrscheinlich sei, siehe Leitlinien VertikalGVO, S. 11, Rn. 46. 232 Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 92; Pukall, NJW 2000, 1375, 1378; Schultze/Pautke/
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(i)
Preisbindung
Art. 4 lit. a VertikalGVO verbietet Preisbindungen. Unter den Begriff des „Preises“ fällt nicht nur der Endpreis, sondern auch Preisbestandteile und sonstige preisbildende Faktoren, wie beispielsweise Gewinnspannen, Rabatte, Transport-, Verpackungs- und Lagerkosten.233 Unbenommen bleibt es dem Lieferanten, Höchstverkaufspreise festzulegen 234 oder Preisempfehlungen auszusprechen, solange diese nicht faktisch doch wie Fest- oder Mindestverkaufspreise wirken. Verboten sind mithin auch Preisbindungen, die mittelbar bezweckt sind. Eine verbotene schwarze Klausel liegt demnach etwa vor, wenn ein Lieferant seinen Käufern für den Fall Sonderrabatte gewährt, dass diese sich an die (unverbindliche) Preisempfehlung halten.235 Die Kommission hat in ihren Leitlinien eine Reihe von Maßnahmen aufgezählt, die als mittelbare Preisbindungen zu werten seien.236 Nicht überraschen kann, dass darunter auch verschiedene Maßnahmen mit einseitigem Charakter fallen. Schließlich interpretiert die Europäische Kommission den Begriff der „Vereinbarung“ sehr extensiv, wobei freilich die von der Rechtsprechung gezogenen Grenzen zu beachten sind.237 Wie sich aus dem Urteil des EuG in der Rechtssache ADALAT ergibt, kann von einer „Vereinbarung“ nur die Rede sein, wenn sich der Käufer tatsächlich an die Vorgaben des Lieferanten hält.238 Da Art 4 lit. a VertikalGVO lediglich Preisbindungen des Lieferanten gegenüber dem Käufer untersagt, sind Preisbindungen zu Lasten des Lieferanten im Rahmen der Vertikal-GVO vom Kartellverbot ausgenommen. Dies betrifft beispielsweise Meistbegünstigungsklauseln.239 (ii)
Gebiets- und Kundenkreisbeschränkungen
Art. 4 lit. b VertikalGVO kehrt das sonst in Art. 4 VertikalGVO verwendete RegelAusnahme-Verhältnis um, indem er grundsätzlich Gebietsschutz und Kundenkreisbeschränkungen untersagt, dafür aber ausdrücklich Ausnahmen zulässt.240 Nach den Leitlinien erfasst der Begriff der „Beschränkungen“ nicht nur direkte Verpflichtungen, sondern auch indirekte Maßnahmen.241 Dazu gehören nach Auffassung der Kommission Sanktionen, mit denen der Händler dazu gebracht werden soll, nicht Wagener, Vertikal-GVO (2001), Rn. 392; Veelken, in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht (2001), Rn. 175; a. A. Polley/Seeliger, WRP 2000, 1203, 1211. 233 Veelken, in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht (2001), Rn. 167. 234 Äußerungen der Kommission deuten daraufhin, dass sie Höchstpreisbindungen bereits nicht als Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG ansieht, dazu Veelken, in: Immenga/ Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht (2001), Rn. 168–170. 235 Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 97. 236 Siehe Leitlinien VertikalGVO, S. 11, Rn. 47. 237 Siehe oben S. 125. 238 Vgl. EuG, Urt. v. 26. 10. 2000 – Rs. T-41/96, Bayer / Kommission, Slg. 2000, I-3383, 3409 f., Rn. 71 f. und 3423–3438, Rn. 111–157; Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 98. 239 Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 99; Metzlaff, BB 2000, 1201, 1206; Schultze/Pautke/ Wagener, Vertikal-GVO (2001), Art. 4 lit. a Rn. 343 f.; Semler/Bauer, DB 2000, 193, 197; Veelken, in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht (2001), Rn. 161; zweifelnd Polley/Seeliger, WRP 2000, 1203, 1212. 240 Dazu Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 101 f. 241 Leitlinien VertikalGVO, S. 11, Rn. 49.
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in die betroffenen Gebiete oder an die betroffenen Kunden zu liefern, also etwa die Verweigerung oder Reduzierung von Prämien oder Nachlässen, die Verweigerung der Lieferung oder die Verringerung der Liefermenge, Beschränkung der Liefermenge auf die Nachfrage im zugeteilten Gebiet bzw. Kundenkreis, die Androhung der Vertragskündigung oder Gewinnausgleichsverpflichtungen. Als Hinweis auf unzulässige Verkaufsbeschränkungen wird auch gewertet, verweigert ein Unternehmen gemeinschaftsweite Garantieleistungen oder errichtet es ein Überwachungssystem, um den tatsächlichen Bestimmungsort der gelieferten Ware zu überprüfen. Vor allem mit den Lieferverweigerungen durch den Lieferanten sieht die Kommission auch einseitige Maßnahmen in einem Maße von den schwarzen Klauseln erfasst, das im Widerspruch zur europäischen Rechtsprechung steht.242 Ausgenommen vom Verbot des Art. 4 lit. b Vertikal-GVO sind zunächst Beschränkungen des aktiven Verkaufs in Gebiete oder an Gruppen von Kunden, die der Lieferant sich selbst vorbehalten oder ausschließlich einem anderen Händler zugewiesen hat (Sps. 1). Daraus folgt, dass sog. Passivverkäufe dem Händler immer möglich sein müssen. Dem liegt das Bestreben der Kommission zu Grunde, die Möglichkeit des Parallelhandels zu gewährleisten und damit die Binnenmarktintegration zu fördern. Nicht immer fällt es allerdings leicht, zwischen „aktivem“ und „passivem“ Verkauf zu unterscheiden. Die Kommission zählt zum „aktiven“ Verkauf, wenn einzelne Kunden angesprochen werden, etwa durch Briefe oder Besuche und wenn eine bestimmte Kundengruppe angesprochen wird, etwa durch Werbung oder andere Maßnahmen der Verkaufsförderung oder durch den Betrieb einer Niederlassung bzw. einer Verkaufsstätte.243 Demgegenüber soll ein „passiver“ Verkauf vorliegen, reagiert der Lieferant lediglich auf unaufgeforderte Anfragen von Kunden.244 Allgemeine Werbung in den Medien oder im Internet sei nicht als aktiver Verkauf aufzufassen.245 Nach den Leitlinien ist ein Gebiet oder eine Kundengruppe nur dann einem Händler ausschließlich zugeordnet, wenn der Lieferant für dieses Gebiet bzw. für diese Kundengruppe einen einzigen Vertragshändler eingesetzt hat und dieser gegen den „aktiven“ Verkauf durch die anderen Absatzmittler des Lieferanten innerhalb der Gemeinschaft, wie auch durch den Lieferanten selbst, geschützt ist.246 Die so formulierte Voraussetzung ist nicht nur unpraktikabel, insbesondere, wenn ein Vertriebssystem umstrukturiert werden soll,247 sie geht auch über das von Art. 4 lit. b Sps. 1 VertikalGVO Verlangte hinaus. Denn die Regelung schreibt nicht vor, inwieweit ein Händler, dem ein Ausschließlichkeitsrecht zugewiesen ist, vor Verkäufen Dritter zu schützen ist.248
242 243 244 245 246 247 248
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Siehe oben S. 126. Leitlinien VertikalGVO, S. 12, Rn. 50. Leitlinien VertikalGVO, S. 12, Rn. 50. Leitlinien VertikalGVO, S. 12, Rn. 51. Leitlinien VertikalGVO, S. 12, Rn. 50. Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 109–111. Rahlmeyer, in: Martinek/Semler/Habermeier (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2. Aufl. (2003), § 31, Rn. 62.
§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse
Dass sich ein Lieferant ein Gebiet oder eine Kundengruppe i. S. d. Art. 4 lit. b Sps. 1 VertikalGVO selbst vorbehält, setzt nicht voraus, dass er dieses Gebiet oder diese Kundengruppe bereits tatsächlich beliefert. Denn diese Variante soll es dem Lieferanten ermöglichen, ein Vertriebsnetz aufzubauen. Vorausgesetzt wird allerdings, dass der Lieferant konkrete Pläne hat, den betreffenden Bereich selbst zu beliefern oder durch einen Dritten beliefern zu lassen.249 Art. 4 lit. b Sps. 2 VertikalGVO lässt es zu, Großhändlern den Verkauf an Endverbraucher zu untersagen (sog. Sprunglieferungsverbot). Auf vorgelagerten Marktstufen bleibt ein Sprunglieferungsverbot hingegen unzulässig. Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems zu verbieten, Produkte an nicht zugelassene Händler (sog. Systemaußenseiter) zu veräußern, erlaubt Art. 4 lit. b Sps. 3 VertikalGVO. Der Begriff der „selektiven Vertriebssysteme“ erfasst nach Art. 1 lit. d VertikalGVO Systeme, bei denen sich der Lieferant verpflichtet, die Vertragswaren oder -dienstleistungen nur an Händler zu verkaufen, die auf Grund festgelegter Merkmale ausgewählt werden, und in denen sich diese Händler verpflichten, die betreffenden Waren oder Dienstleistungen nicht an Händler weiterzuverkaufen, die nicht zum Vertrieb zugelassen sind. Kritisiert wird, dass nur Selektivvertriebsverträge unter den Wortlaut der Definition fallen, bei denen auch der Lieferant eine Verpflichtung eingeht.250 Damit profitierten nur händlerseitig geschlossene Vertriebssysteme bei einer restriktiven Auslegung nicht von der Vertikal-GVO. Allerdings spricht etwa ein Vergleich mit Art. 1 lit. b VertikalGVO dafür, unter den Begriff der „Verpflichtung“ nicht nur rechtlich verbindliche Zusagen, sondern auch bloße Anreizregelungen zu fassen. Die Kommission geht in den Leitlinien davon aus, dass Art. 1 lit. d VertikalGVO trotz des Wortlauts („festgelegte Merkmale“) auch die quantitative Selektion durch den Hersteller erfasst.251 Dafür wird vorgebracht, dass die qualitative Selektion nach der EuGH-Rechtsprechung häufig gar nicht wettbewerbsbeschränkend i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG wirke und deshalb eine Gruppenfreistellung wenig praktische Bedeutung hätte.252 Art. 4 lit. b Sps. 4 VertikalGVO bestimmt schließlich, dass einem Käufer von Bauteilen, die ihm nur geliefert wurden, damit er sie in andere Erzeugnisse einfügen kann, Beschränkungen für den Weiterverkauf auferlegt werden können. Dies ist unter der Bedingung möglich, dass sich das Verbot nur auf den Weiterverkauf an Konkurrenten des Lieferanten bezieht, die „diese Bestandteile für die Herstellung derselben Art von Erzeugnissen verwenden würden, wie sie der Lieferant herstellt“. Dies scheint allenfalls dann von praktischer Relevanz zu sein, legt man den Begriff
249 Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 114–117. 250 Dazu Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 121–124. 251 Leitlinien VertikalGVO, S. 37, Rn. 187. 252 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004), § 14, Rn. 39 (S. 372); Veelken, in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht (2001), Rn. 210–216.
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„verwenden“ weit aus und schließt das Ausspähen von Betriebsgeheimnissen mit ein.253 (iii)
Verkaufsbeschränkungen beim selektiven Vertrieb
Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems dürfen nach Art. 4 lit. c VertikalGVO nicht darin beschränkt werden, aktiv oder passiv an Endverbraucher zu verkaufen. Damit ist nach der Vertikal-GVO eine Kombination eines selektiven Vertriebssystems mit einer Alleinvertriebsvereinbarung, nach der den Exklusivhändlern zugewiesene Gebiete gegen den aktiven Verkauf anderer Vertriebshändler abgesichert werden, nicht vom Kartellverbot ausgenommen.254 Der Lieferant kann sich allerdings dazu verpflichten, nur einen Händler oder eine begrenzte Zahl von Händlern in einem bestimmten Gebiet zu beliefern.255 Möglich ist auch die sog. Dualdistribution, d. h. der Lieferant kann sich vorbehalten, Endkunden parallel zu seinen Abnehmern selbst zu beliefern. Der Lieferant kann seinen Abnehmern aber verbieten, von nicht zugelassenen Niederlassungen aus zu verkaufen. (iv)
Beschränkungen von Querlieferungen beim selektiven Vertrieb
Unzulässig ist es nach Art. 4 lit. d VertikalGVO, Querlieferungen zwischen zugelassenen Händlern eines selektiven Vertriebssystems zu unterbinden. Die Regelung stellt auch klar, dass Querlieferungen zwischen Unternehmen unterschiedlicher Handelsstufen, sog. Rück- und Sprunglieferungen,256 zuzulassen sind. Daraus folgt, dass ein Lieferant seine Händler nicht dazu verpflichten darf, die Vertragsprodukte ausschließlich von ihm zu beziehen. Daher ist eine Kombination eines selektiven Vertriebs mit einem Alleinbezugssystem nach der Vertikal-GVO nicht vom Kartellverbot ausgenommen.257 (v)
Verkaufsbeschränkungen für Lieferanten
Schließlich verbietet Art. 4 lit. e VertikalGVO bestimmte Beschränkungen des Anschlussmarktes und will damit dagegen vorbeugen, dass unabhängige Reparaturund Dienstleistungsunternehmen behindert werden. Danach darf ein Abnehmer seinen Lieferanten nicht daran hindern, die Bestandteile eines gelieferten Erzeugnisses als Ersatzteile an Endverbraucher oder an Reparaturwerkstätten oder andere Dienstleistungserbringer abzusetzen. Die Vorschrift soll nach dem Willen der Kommission auch indirekte Beschränkungen des Lieferanten erfassen. Der Abnehmer darf dem Lieferanten deshalb nicht verbieten, unabhängigen Reparaturwerkstätten notwendige Informationen oder Ausrüstungen (z. B. Werkzeuge) zu liefern.258 Die
253 254 255 256 257 258
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Bayreuther, EWS 2000, 106, 114. Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 127. Leitlinien VertikalGVO, S. 12 f., Rn. 53. Bayreuther, EWS 2000, 106, 112. Leitlinien VertikalGVO, S. 13, Rn. 55. Leitlinien VertikalGVO, S. 13, Rn. 56.
§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse
Kommission will so gewährleisten, dass der Markt für Originalersatzteile offengehalten wird. (3)
Wettbewerbsverbote
Art. 5 VertikalGVO enthält einen Katalog von Klauseln, die nicht nach Art. 2 Abs. 1 VertikalGVO vom Kartellverbot ausgenommen sind. Darunter fallen Wettbewerbsverbote während der Vertragslaufzeit, die für eine Dauer von mehr als fünf Jahren abgeschlossen werden (lit. a), nachvertragliche Wettbewerbsverbote (lit. b) und individualisierte Wettbewerbsverbote im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems (lit. c). Diese unterliegen anders als die Kernbeschränkungen des Art. 4 VertikalGVO nicht dem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“, d. h. deren Vereinbarung führt nicht zum Verlust der Freistellung für die Gesamtvereinbarung (sog. graue oder auch rote Klauseln). Das folgt bereits aus der Formulierung des Eingangssatz des Art. 5 VertikalGVO 259 und ist so auch in den Leitlinien der Kommission festgeschrieben.260 Im Unterschied zu den Kernbereichsbeschränkungen kommt für diese grauen Klauseln auch außerhalb der Vertikal-GVO eine Ausnahme vom Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 3 EG in Betracht. Ergibt sich etwa im Einzelfall, dass zur Absicherung einer umfangreichen Investition ein Wettbewerbsverbot von mehr als fünf Jahren erforderlich ist, so kann eine solche Vereinbarung, wenn sie denn von Art. 81 Abs. 1 EG erfasst wird, trotz Art. 5 lit. a VertikalGVO nach Art. 81 Abs. 3 EG vom Kartellverbot ausgenommen sein.261 Die Definition des Wettbewerbsverbots nach Art. 1 lit. b VertikalGVO erfasst einerseits vertragliche Verbote, nämlich alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen, die den Käufer veranlassen, keine Waren oder Dienstleistungen herzustellen, zu beziehen, zu verkaufen oder weiterzuverkaufen, die mit den Vertragswaren oder -dienstleistungen im Wettbewerb stehen. Darunter fallen insbesondere solche Vereinbarungen, die unter dem Begriff des „Markenzwangs“ zusammengefasst werden können.262 Solche Vereinbarungen sind dadurch gekennzeichnet, dass der Käufer dazu verpflichtet wird, seine Bestellungen für ein bestimmtes Produkt auf einen Lieferanten zu konzentrieren. Zum anderen fallen unter die Definition auch faktische Wettbewerbsverbote, nämlich alle unmittelbaren oder mittelbaren Verpflichtungen des Verkäufers, mehr als 80 Prozent seiner wertmäßig berechneten Einkäufe von Vertragswaren oder -dienstleistungen sowie ihrer Substitute vom Lieferanten zu beziehen.263 Eine solche Verpflichtung kann sich auch mittelbar ergeben, etwa aus am Bedarf des Käufers orientierten Vereinbarungen über Treue- oder Umsatzrabatte.
259 Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 138. 260 Leitlinien VertikalGVO, S. 15, Rn. 67. 261 Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 138. 262 Leitlinien VertikalGVO, S. 21, Rn. 106. 263 Im Einzelnen zu den Definitionsmerkmalen des „Wettbewerbsverbotes“ Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 130–157.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
Art. 5 lit. a VertikalGVO erfasst zunächst Wettbewerbsverbote während der Vertragsbeziehung mit einer Laufzeit von mehr als 5 Jahren bzw. die für unbegrenzte Laufzeit geschlossen wurden. Ein Wettbewerbsverbot gilt auch dann als „auf unbegrenzte Zeit geschlossen“, verlängert sich die Vereinbarung ohne Kündigung automatisch.264 Ein Wettbewerbsverbot fällt zudem unter Art. 5 lit. a VertikalGVO, wenn es formal zwar auf fünf Jahre begrenzt ist, der Käufer jedoch nach Ablauf dieser Zeitspanne aus tatsächlichen Gründen heraus gezwungen ist, dass Wettbewerbsverbot zu verlängern (sog. Perpetuierungseffekt).265 Ein solcher Zwang kann etwa darin liegen, dass ein Käufer Ausrüstungen, die er vom Lieferanten erhalten hat und die nicht vertragsspezifisch sind, nach dem Ende des Wettbewerbsverbots nicht übernehmen kann. Auch ein Darlehensvertrag zwischen Lieferant und Käufer muss so ausgestaltet sein, dass er den Käufer nicht daran hindert, nach Ablauf von fünf Jahren das Wettbewerbsverbot aufzuheben.266 Zugelassen sind weiter gehende Wettbewerbsverbote, wenn der Käufer die Waren oder Dienstleistungen von Räumlichkeiten aus oder auf Grundstücken vertreibt, die im Eigentum des Lieferanten stehen oder durch diesen von dritter Seite angemietet oder gepachtet worden sind. Die Kommission begründet dies damit, dass von einem Lieferanten nicht erwartet werden könne, dass er den Vertrieb konkurrierender Produkte in Räumen oder von Grundstücken aus zulassen müsse, die sein Eigentum sind oder deren Hauptmieter bzw. -pächter er ist.267 In diesem Fall sind Wettbewerbsbeschränkungen freigestellt, soweit sie nicht über den Zeitraum hinausreichen, in welchem der Käufer diese Räumlichkeiten oder Grundstücke nutzt. Praktische Relevanz hat diese Regelung insbesondere für Bierlieferungsverträge, bei denen die Brauerei Eigentümerin oder Hauptpächterin einer Gaststätte ist.268 Nachvertragliche Wettbewerbsverbote zu Lasten des Käufers nimmt Art. 5 lit. b VertikalGVO lediglich unter enger zeitlicher, sachlicher und örtlicher Begrenzung vom Kartellverbot aus. Sie müssen auf ein Jahr begrenzt sein, sich auf konkurrierende Produkte beschränken und dürfen sich lediglich auf die Räume bzw. Grundstücke beziehen, in denen bzw. auf denen der Käufer während der Vertragsdauer seine Geschäfte betrieben hat. Dies gilt zudem nur für Wettbewerbsverbote, die unerlässlich sind, um Know-how i. S. d. Art. 1 lit. f VertikalGVO zu schützen, welches der Lieferant dem Käufer übertragen hat. Zu beachten ist, dass im Umkehrschluss aus Art. 5 lit. a und lit. b VertikalGVO, die nur Wettbewerbsverbote erfassen, die den Käufern auferlegt werden, Wettbewerbsverbote gegenüber Verkäufern bzw. Lieferanten nicht unter Art. 5 VertikalGVO fallen und deshalb vom Kartellverbot freigestellt sind.269
264 Leitlinien VertikalGVO, S. 13, Rn. 58. 265 Leitlinien VertikalGVO, S. 13, Rn. 58, dazu näher Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 159. 266 Leitlinien VertikalGVO, S. 13 f., Rn. 58. 267 Leitlinien VertikalGVO, S. 14, Rn. 59. 268 Rahlmeyer, in: Martinek/Semler/Habermeier (Hrsg.), Vertriebsrecht, 2. Aufl. (2003), § 31, Rn. 79. 269 Dazu Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 170–172.
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§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse
Nach Art. 5 lit. c VertikalGVO dürfen Lieferanten Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems nicht verbieten, bestimmte Konkurrenzprodukte anzubieten. Unbenommen bleibt ihnen, generell zu verbieten, konkurrierende Produkte zu vertreiben.270 Durch diese Regelung sollen Absprachen verhindert werden, die mittelbar horizontal wirken und einen konkurrierenden Lieferanten kollektiv boykottieren und damit faktisch zu einem „selektiven Club von Marken führender Lieferanten“ führen können.271 Es handelt sich damit um ein „vorbeugendes Diskriminierungsverbot“.272 (4)
Entzug der Freistellung
Die Art. 6 bis 8 VertikalGVO regeln die Möglichkeit, Vereinbarungen die Freistellung zu entziehen, die an sich unter die Vertikal-GVO fallen. Dieses Recht steht der Kommission in Einzelfällen zu, wenn die Vereinbarungen Wirkungen entfalten, die nicht mit den Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG vereinbar sind. Dies ist denkbar, wenn der Marktzugang durch ein Netz gleichartiger, sich gegenseitig verstärkender vertikaler Vereinbarungen beschränkt wird. Wird die Entscheidung über den Entzug wirksam, entfällt die Freistellung für die betroffene Vereinbarung. Dies setzt in jedem Fall aber auch eine Entscheidung voraus, die feststellt, dass die Vereinbarung gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstößt.273 Unter den gleichen Voraussetzungen kann nach Art. 7 VertikalGVO auch eine mitgliedstaatliche Behörde die Freistellung entziehen, soweit die Vereinbarung im Gebiet dieses Staates eine übermäßig wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfaltet.274 Art. 8 VertikalGVO ermächtigt die Kommission, per Verordnung die Freistellung für ganze Netze gleichartiger vertikaler Beschränkungen zu widerrufen, wenn mehr als 50 Prozent des betroffenen Marktes von gleichartigen vertikalen Beschränkungen erfasst werden.275 Der Erlass einer Entzugsverordnung ist etwa denkbar, wenn parallele Systeme des selektiven Vertriebs mehr als 50 Prozent des Marktes abdecken und Selektionskriterien verwenden, die angesichts der betreffenden Waren nicht erforderlich sind oder bestimmte Vertriebsformen diskriminieren.276 c)
Mehr Freiheit für die Vertragsgestaltung
Das Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG bildet mit der in Art. 81 Abs. 2 EG angeordneten Nichtigkeitsfolge und den in Art. 81 Abs. 3 EG definierten Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Kartellverbot einen zwingenden Rahmen für die Freiheit der Vertragsgestaltung. Legt man einen weiten, funktionalen Begriffs des Vertragsrechts zu Grunde, der alle Normen einschließt, die Abschluss, Inhalt und Beendi-
270 271 272 273 274 275 276
Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 173. Leitlinien VertikalGVO, S. 14, Rn. 61; Bayreuther, EWS 2000, 106, 114. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004), § 14, Rn. 54 (S. 375). Leitlinien VertikalGVO, S. 17, Rn. 81; Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 222. Näher zu diesem Verfahren Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 223–230. Dazu Leitlinien VertikalGVO, S. 17 f., Rn. 80–87. Leitlinien VertikalGVO, S. 17, Rn. 83.
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gung von Verträgen betreffen,277 hat bereits Art. 81 EG den Charakter einer vertragsrechtlichen Regel. Ungleich stärker ist die inhaltsgestaltende Wirkung auf Verträge durch die Gruppenfreistellungsverordnungen.278 Besonders prägnant trat dieser Effekt bei den Vorgängerverordnungen zur Vertikal-GVO hervor, die sog. „weiße“ Klauseln enthielten, also ausformulierte Vertragsbedingungen, die zu verwenden waren um zu gewährleisten, dass eine Vereinbarung nicht gegen das Kartellrecht verstieß.279 Die jeweiligen Verordnungen hatten so den Charakter von Musterverträgen für Alleinvertriebs-, Alleinbezugs- und Franchisingvereinbarungen. Die Unternehmen, die für ihre Vertriebsverträge in den Genuss der Gruppenfreistellung kommen wollten, waren deshalb gezwungen, ihre Vereinbarungen unter allen Umständen den Vorgaben der jeweiligen Gruppenfreistellungsverordnung anzupassen, was nicht selten zu erheblichen Verzerrungen bei der Vertragsgestaltung führte. Das erzwungene Bemühen der Parteien, jede Vereinbarung unter eine Gruppenfreistellungsverordnung zu „pressen“, behinderte vertragsgestalterische Innovationen 280 – weshalb man auch von einem „Zwangsjackeneffekt“ sprach 281 – und unterband damit einen Wettbewerb um eine effiziente Ausgestaltung von Vertragsbedingungen.282 Setzt ein Wirtschaftssubjekt eine neue Vertragsgestaltung durch – etwa um bestimmte Transaktionsprobleme effizienter lösen zu können – so stellt dies nämlich ebenso eine Innovation dar wie die Kreation eines neuen Produktes oder eines Produktionsverfahrens.283 Das enge Korsett der Gruppenfreistellungsverordnung verhinderte jedoch, dass die Wirtschaftssubjekte auf dem Markt dezentral nach neuen vertraglichen Problemlösungen suchen konnten, um sich im Erfolgsfall einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber ihren Konkurrenten erarbeiten zu können. In einem funktionsfähigen Wettbewerbsprozess würden sich die besseren Vertragsgestaltungen am Markt durchsetzen. Gerade in Zeiten sich rapide wandelnder Wirtschaftsstrukturen bedarf es aber des Freiraums, um mit vertraglichen Regeln zu experimentieren und wechselseitig aus den Erfahrungen zu lernen. Stattdessen führten die Gruppenfreistellungsverordnungen, deren Regelungen häufig als Antwort auf die Vertragspraxis zu verstehen sind, zu einer „Versteinerung einer vergangenen – europäischen – Kautelarpraxis“ und unterdrückten damit mögliche Lernprozesse.284 Dies macht die Wohlstandsverluste durch die Gruppenfreistel-
277 Zur Begründung dieses Ansatzes für die gemeinschaftsrechtliche Ebene Grundmann, NJW 2000, 14, 15; ders., 4 ERPL (2001), 505, 511. 278 Kirchner, in: Weyers (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht (1997), S. 103, 106 f. 279 Siehe Art. 2 GVO Alleinvertriebsvereinbarungen (1983/83/EWG), Art. 2 GVO Alleinbezugsvereinbarungen (1984/83/EWG) und Art. 2 GVO Franchisevereinbarungen (4087/88/EWG). Sog. „weiße“ Klauseln enthielt auch der Vorgängerrechtsakt zur GVO für den Kfz-Vertrieb, siehe Art. 3, 4 GVO Kfz-Vertriebsvereinbarungen (1475/95/EG). 280 Horspool/Korah, 37 Antitrust Bulletin (1992), 337, 357; Wesseling, The Modernisation of EC Antitrust Law (2000), S. 84. 281 Subiotto/Amato, 69 Antitrust L. J. (2001), 147, 150. 282 Kirchner, JITE/ZgS 152 (1996), 226, 235 und 240; ders., in: Ehlermann/Laudati (Hrsg.), European Competition Law Annual 1997 (1998), S. 513, 518. 283 Kerber, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung (2000), S. 67, 71. 284 Kirchner, in: Weyers (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht (1997), S. 103, 108, 119 u. 131.
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lungsverordnungen deutlich, die die Freiheit der Vertragsgestaltung in Vertriebssystemen erheblich beschnitten. Ein „Zwangsjackeneffekt“ benachteiligt auch nichtintegrierte Vertriebssysteme, also etwa das Vertriebsfranchising oder den selektiven Vertrieb über unabhängige Einzelhändler, gegenüber integrierten Vertriebssystemen.285 Die in den neunziger Jahren beschleunigte Entwicklung der Informationstechnologien ermöglicht neue, effizientere Formen der vertikalen Zusammenarbeit verschiedener Handelsstufen. Während integrierte Vertriebssysteme sich dieser neuen Möglichkeiten unbelästigt von kartellrechtlichen Vorgaben bedienen konnten, sahen sich nichtintegrierte Systeme bei der vertraglichen Ausgestaltung neuer Formen der Kooperation nicht selten durch das Kartellrecht behindert. Die kartellrechtliche Zulässigkeit war häufig zumindest zweifelhaft, da nach der herrschenden Kartellrechtspraxis grundsätzlich alle Verhaltensweisen, die die wirtschaftliche Handlungsfreiheit beeinträchtigen, vom Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG erfasst sind und nach den anzuwendenden Gruppenfreistellungen alle Regelungen verboten waren, die die Verordnung nicht ausdrücklich erlaubte. Das Kartellrecht sollte sich allerdings stattdessen so weit wie möglich neutral verhalten gegenüber verschiedenen Konzepten der Ausgestaltung des Absatzweges und nicht bestimmte Systeme diskriminieren. Zudem wurde auch aus kompetenzrechtlicher Sicht kritisiert, dass Gruppenfreistellungsverordnungen faktisch umfangreiche vertragsrechtliche Regeln aufstellen. Denn beim Erlass dieser Verordnung ist das Parlament im Gegensatz zu den vertragsrechtlichen Harmonisierungsmaßnahmen auf der Grundlage von Art. 94 und Art. 95 EG vom Gesetzgebungsprozess ausgeschlossen.286 Indes hat sich der „Zwangsjackeneffekt“ bereits durch die veränderte Regelungstechnik in der Vertikal-GVO entschärft, da diese keine positiven, sondern mit den schwarzen und grauen Klauseln nur noch negative Standards für die Vertragsgestaltung vorgibt. Da diese gleichwohl detailliert geregelt sind, bleibt den Unternehmen nach wie vor nur ein eingeschränkter Spielraum, um ihre Vertriebsvereinbarungen frei auszugestalten.287 Maßgeblich dazu tragen die Kernbeschränkungen des Art. 4 VertikalGVO bei. Art. 4 lit. b VertikalGVO etwa verkehrt die allgemeine Regelungstechnik der Vertikal-GVO in ihr Gegenteil, indem er vorschreibt, dass grundsätzlich alle Gebiets- oder Kundenkreisbeschränkungen beim Vertrieb verboten sind und dann in vier Spiegelstrichen Rückausnahmen von diesem Verbot zulässt (Beschränkung des aktiven Verkaufs in Gebiete, die einem anderen Käufer vorbehalten sind; Sprunglieferungsverbote; Verbot des Verkaufs an Systemaußenseiter beim selektiven Vertrieb; Verbot des Weiterverkaufs an Bauteilen). Damit wirken die als Rückausnahmen erlaubten Vertragsgestaltungen faktisch wie die weißen Klauseln der
285 Deacon, in: Hawk (Hrsg.), Annual Proceedings of the Fordham Corporate Law Institute 1995 (1996), S. 307, 320 f. 286 Grundmann, in: Collins (Hrsg.), Unfair Commercial Practices (2004), 209, 214. 287 Forrester, in: Hawk (Hrsg.), Annual Proceedings of the Fordham Corporate Law Institute 1999 (2000), S. 181, 206 f.; Wesseling, The Modernisation of EC Antitrust Law (2000), S. 101.
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Vorgängerverordnungen. In der Literatur wurde deshalb empfohlen, in Vertriebsverträgen möglichst in enger Anlehnung an den Wortlaut des Art. 4 VertikalGVO zu umschreiben, welchen Beschränkungen ein Vertriebshändler unterliegt.288 Dass die Unternehmen nach altem Kartellverfahrensrecht – also vor dem In-KraftTreten der Verordnung 1/2003 – tatsächlich gezwungen waren, ihre Vereinbarungen „GVO-kompatibel“ auszugestalten, lag im Wesentlichen darin, dass vertikale Vereinbarungen Effizienzsteigerungen ermöglichen, ein Antrag auf Einzelfreistellung aber eine langwierige und im Ausgang unsichere Prozedur nach sich zog. Die Analyse der kartellrechtlichen Entscheidungspraxis der Kommission hat gezeigt, dass sie im Grundsatz alle Vereinbarungen, welche die wirtschaftliche Handlungsfreiheit von Unternehmen einschränken, als kartellrechtswidrig gemäß Art. 81 Abs. 1 EG ansieht. Dies gilt auch, wenn die Vereinbarungen im Ganzen wettbewerbsfördernd und effizienzsteigernd wirken. Um den Absatzweg ihrer Produkte aber effizient auszugestalten, müssen Unternehmen häufig auf Vereinbarungen bestehen, die die wirtschaftliche Handlungsfreiheit ihrer Vertragspartner einengen. Auf kompetitiven Märkten sind Unternehmen deshalb gezwungen, die Gestaltungsräume, die ihnen Art. 81 Abs. 3 EG lässt, bis an ihre Grenzen auszuschöpfen.289 Nach dem bis zum 1. Mai 2004 geltenden Kartellverfahrensrecht waren die Unternehmen darauf angewiesen, dass die Kommission ihre Vertriebsverträge freistellte. Da eine Einzelfreistellung in vielen Fällen keine ernsthafte Alternative darstellte, waren die Unternehmen gezwungen, Vertriebsvereinbarungen an die Vertikal-GVO anzupassen. Mit der Umstellung auf das sog. Legalausnahmesystem durch Art. 1 Abs. 2 VO 1/2003 sind die Unternehmen nicht mehr darauf angewiesen, dass ihre Vertriebsvereinbarungen freigestellt werden. Es genügt, dass die Vereinbarungen die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG erfüllen, damit sie vom Kartellverbot ausgenommen sind. Folglich wirken Gruppenfreistellungsverordnungen nunmehr lediglich deklaratorisch, wodurch sie an Bedeutung verloren haben. Die Unternehmen können im Grundsatz frei von den Vorgaben der Vertikal-GVO ihre Vertriebsvereinbarungen ausgestalten. Gleichwohl wird in der Praxis auch zukünftig eine weit gehende Anlehnung an die Vorgaben der Vertikal-GVO festzustellen sein. Denn zum einen bietet die Gruppenfreistellung den Unternehmen einen safe harbour, da eine von einer Gruppenfreistellung erfasste Vereinbarung allenfalls mit Wirkung für die Zukunft für kartellrechtswidrig erklärt werden darf (Art. 6, 7 VertikalGVO) und die als Verordnung gemäß Art. 249 Abs. 2 EG ergehenden Gruppenfreistellungen auch unmittelbar gegenüber den mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichten wirken.290 Zum anderen wird auch eine neue Praxis die meisten Vorgaben der Vertikal-GVO nicht in Frage stellen, so etwa das Verbot der Preisbindung oder des absolu-
288 Bauer/de Bronett, Vertikal-GVO (2001), Rn. 95, 109–111. 289 Vgl. zu diesem Aspekt Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht (1999), § 8 Einl.-Übersicht, Rn. 13 (S. 913 f.); ders., 4 ERPL (2001), 505, 519. 290 Schaub, in: Hawk (Hrsg.), Annual Proceedings of the Fordham Corporate Law Institute 2001 (2002), S. 31, 46.
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ten Gebietsschutzes nach Art. 4 lit. a und lit. b VertikalGVO. Allerdings wird der Wettbewerb um die effizienteste Ausgestaltung des Vertriebsweges die Unternehmen dazu zwingen, die Grenzen des Kartellrechts unter neuen Verfahrensbedingungen auszutesten. Nicht mehr gerechtfertigt ist es jedenfalls, von einem „Zwangsjackeneffekt“ durch Gruppenfreistellungsverordnungen zu sprechen. 2.
Zum Sonderregime des Kfz-Absatzes
a)
Überblick
Wie die Vertikal-GVO baut auch die Kfz-GVO auf der Überlegung auf, dass der Interbrand-Wettbewerb die Einschränkungen des Intrabrand-Wettbewerbs durch vertikale Vereinbarungen kompensiert, soweit die Beschränkungen nicht von marktmächtigen Unternehmen ausgehen. Dieser wettbewerbspolitische Ansatz beider Verordnungen findet seinen Ausdruck in der parallelen Regelungstechnik. Die KfzGVO stellt Vereinbarungen nur frei, wenn die Vertriebspartner die Marktanteilsschwellen nicht überschreiten, die in Art. 3 Abs. 1 und 2 KfzGVO fixiert werden. Enthält eine Vereinbarung eine Kernbeschränkung i. S. d. Art. 4 KfzGVO, so entfällt die Freistellung für die Vereinbarung insgesamt. Verstößt eine Abmachung gegen die „Besonderen Voraussetzungen“ des Art. 5 KfzGVO, ist lediglich die jeweilige Klausel unwirksam. Allerdings verfolgt die Kommission mit der Kfz-GVO eine Reihe branchenspezifischer wettbewerbspolitischer Ziele. Der Kfz-Vertrieb wird durch die starke Stellung der Hersteller dominiert, die aus der oligopolistischen Marktstruktur und der starken Markenbindung der Nutzer folgt, deren Qualitätsvertrauen sich an der Reputation der Herstellermarke ausrichtet. Diese Position hat es den Herstellern möglich gemacht, nicht nur ein geschlossenes, gegen den Interbrand-Wettbewerb abgeschottetes Vertriebssystem für die Kfz zu installieren, sondern auch den Ersatzteilmarkt weit gehend in ihrem Interesse zu organisieren. Die Kfz-GVO soll eine Reform dieser Vertriebsstrukturen ermöglichen und die Absatzmärkte liberalisieren. Neben dem notorischen Ziel der EG-Wettbewerbspolitik, die Marktintegration zu fördern, soll die Rechtstellung der Händler, Werkstattbetreiber und auch der Fahrzeugteilehersteller gegenüber den Fahrzeugherstellern gestärkt und der Wettbewerb zwischen ihnen intensiviert werden. Deshalb dürfen nach der Kfz-GVO selektiver und (gebiets-) exklusiver Vertrieb nicht kombiniert werden. Standortklauseln sind unzulässig, so dass es Händlern freisteht, überall im Binnenmarkt Betriebsstätten zu eröffnen. Die Händler dürfen nicht mehr verpflichtet werden, selbst Kundendienstleistungen anzubieten. Die Kommission möchte den Mehrmarkenvertrieb etablieren. Sie untersagt es deshalb den Herstellern, die Händler darin zu beschränken, mehrere Marken zu vertreiben. Für den Vertrieb von Ersatzteilen und den Kundendienst sollen die Regeln der Verordnung dafür sorgen, dass es den Herstellern möglich ist, ein Netz qualifizierter, autorisierter Reparaturwerkstätten aufzubauen. Daneben soll die Wettbewerbsposition unabhängiger Reparaturwerkstätten verbessert werden. Die Kfz-GVO sichert ihnen den Zugang zu Ersatzteilen und technischen Informationen. Zudem gewährleistet sie die Freiheit der Hersteller von Ersatz-
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teilen, ihre Produkte direkt an Händler und Werkstätten liefern zu können. Um diese wettbewerbspolitischen Ziele zu erreichen, setzt die Kfz-GVO im Vergleich mit der Vertikal-GVO über die Kernbeschränkungen deutlich strengere Vorgaben, die Vertriebsverträge einhalten müssen, damit sie vom Kartellverbot ausgenommen werden.291 b)
Anwendungsbereich
Sachlich erstreckt sich der Anwendungsbereich der Kfz-GVO nach Art. 2 Abs. 1 auf alle vertikalen Vereinbarungen, die den Verkauf neuer Fahrzeuge, den Verkauf und die Belieferung mit Kraftfahrzeugersatzteilen und Wartungs- und Instandsetzungsdienstleistungen an Kraftfahrzeugen betreffen. Die Verordnung erfasst nicht nur Verträge zwischen Kfz-Herstellern und ihren Vertragspartnern, sondern sämtliche vertikalen Vereinbarungen, an denen Marktbeteiligte aller Stufen der Vertriebskette in der Automobilindustrie beteiligt sind. Betroffen sind also auch Importeurverträge in die Gemeinschaft, Zuliefervereinbarungen und Unterhändlervereinbarungen. Ob die Gruppenfreistellung anzuwenden ist, hängt vom Marktanteil der beteiligten Unternehmen ab. Nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 KfzGVO gilt sie grundsätzlich nur, soweit der Marktanteil des Lieferanten nicht die Schwelle von 30 Prozent überschreitet. Bei Alleinbelieferungsvereinbarungen 292 ist auf den Marktanteil des Käufers abzustellen.293 Großzügiger behandelt die Verordnung selektive Vertriebssysteme: Bei quantitativer Selektion 294 für den Verkauf von neuen Kraftfahrzeugen gilt die Freistellung nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 KfzGVO bis zu einem Marktanteil von 40 Prozent und für rein qualitativ selektive Vertriebssysteme 295 nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 3 KfzGVO sogar unabhängig vom Marktanteil des Lieferanten. Wie der Marktanteil zu berechnen ist, bestimmt Art. 8 Abs. 1 KfzGVO auf der Basis der Absatzmengen bzw. Absatzwerte. Eine Toleranzschwellenregelung enthält Art. 8 Abs. 2 lit. c–e KfzGVO. Es ist nicht absehbar, dass ein Kfz-Hersteller in Europa die Marktanteilschwelle von 30 Prozent überschreiten wird.296 Praktische Auswirkungen werden die Marktschwellenwerte aber für Beschränkungen haben, die den Kundendienst betreffen. Da faktisch alle Hersteller die Grenze von 30 Prozent am relevanten Kundendienstmarkt überschreiten, darf kein Hersteller die Zahl seiner
291 Siehe Ensthaler/Funk/Stopper, Automobilvertriebsrecht (2003), S. 163–182, wo die Auswirkungen einer Anwendung der Vertikal-GVO auf Kfz-Vertriebssysteme erörtert werden. 292 Art. 1 Abs. 1 lit. e KfzGVO. 293 Art. 3 Abs. 2 KfzGVO. 294 Art. 1 Abs. 1 lit. g KfzGVO. 295 Art. 1 Abs. 1 lit. h KfzGVO. 296 Ensthaler, WuW 2002, 1042, 1053. Dies gilt jedenfalls dann, hält man alle PKW modellunabhängig für substituierbar aus der Sicht der Nachfrager. Zu anderen Ergebnissen mag man kommen, betrachtet man kleinere Marktsegmente, etwa Geländewagen, Sportwagen etc. Hiergegen spricht aber, dass dies zu der – auch von der Kommission unerwünschten – Folge führte, dass für verschiedene Fahrzeuge eines Herstellers auch unterschiedliche Vertriebsvereinbarungen getroffen werden dürften, Schönbohm, WRP 2004, 695, 696, Fn. 23.
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Vertragswerkstätten durch Alleinvertriebsregeln oder quantitative Selektion begrenzen. Dies war auch so von der Kommission beabsichtigt worden, die hofft, dass dadurch die Dichte des Netzes der Werkstätten aufrechterhalten bzw. sogar erhöht werden könne.297 Die Verordnung trat am 1. 10. 2002 in Kraft.298 Ausnahmsweise gilt das Verbot von Standortklauseln in selektiven Vertriebssystemen nach Art. 5 Abs. 2 lit. b KfzGVO erst mit Wirkung zum 1. 10. 2005.299 Für Vereinbarungen, die bei In-Kraft-Treten der Verordnung bereits bestanden, galt nach Art. 10 KfzGVO eine einjährige Übergangsregelung. Nach dieser galten sie auch als freigestellt, soweit sie die Voraussetzungen der Vorgängerverordnung erfüllten.300 Die Kfz-GVO läuft wie die VertikalGVO bis zum 31. 5. 2010. Bis dahin wird die Kommission auf der Grundlage eines bis zum 31. 5. 2008 zu erstellenden Berichts 301 zu prüfen haben, ob mit der Verordnung die erhofften Auswirkungen auf den Wettbewerb im Kfz-Handel erreicht werden konnten. c)
Allgemeine Freistellungsvoraussetzungen
Art. 3 Abs. 3–6 KfzGVO regeln einen vertraglichen Mindeststandard, vorrangig zum Schutz der Händler und Werkstätten, den Vertriebsvereinbarungen erfüllen müssen, damit sie von der Gruppenfreistellung profitieren können. Vertragshändleroder Vertragswerkstättenverträge sind nur dann freigestellt, wenn der Hersteller dem Händler oder Werkstattbetreiber einräumt, vertragliche Rechte und Pflichten auf einen anderen Händler bzw. eine andere Werkstatt des Vertriebssystems übertragen zu dürfen.302 Durch die Formulierung mit der Verbindung „bzw.“ stellt die Kommission klar, dass sich der Hersteller nicht mit einer Übertragung „über Kreuz“ einverstanden erklären muss, also von einem Vertragshändler auf eine Vertragswerkstatt.303 Liest man die Vorschrift zusammen mit der Definition des Art. 1 Abs. 1 lit. v KfzGVO, ist sie so auszulegen, dass der Hersteller lediglich zustimmen muss, dass die Rechte innerhalb der eigenen Marke übertragen werden können, nicht aber der Übertragung zwischen verschiedenen Marken innerhalb eines Konzerns zustimmen muss.304 Mit Art. 3 Abs. 3 KfzGVO wird eine Vertragshändler- oder Vertragswerkstattkonzession zu einem handelbaren Gut und erhält somit einen eigenen Wert. Die Kommission begründet die Vorschrift mit dem Ziel, die Integration der Märkte zu fördern.305
297 Creutzig, EuZW 2002, 560, 562. 298 Art. 12 Abs. 1 KfzGVO. 299 Art. 12 Abs. 2 KfzGVO. 300 Dazu Creutzig, EuZW 2002, 560, 563. Generell zur Beendigung der unter dem Regime der Vorgänger-GVO geschlossenen Verträge und zur Frage von Ausgleichsansprüchen der Vertragshändler Schönbohm, WRP 2004, 695–699. 301 Art. 11 Abs. 2 KfzGVO. 302 Art. 3 Abs. 3 KfzGVO. 303 Creutzig, EuZW 2002, 560, 562. 304 Creutzig, EuZW 2002, 560, 563. 305 BE 10 KfzGVO.
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Regelungen über die Modalitäten einer Kündigung, die Vertragslaufzeit sowie für die Streitschlichtung sollen die rechtliche Position der Händler und Werkstätten stärken. So verlangt Art. 3 Abs. 4 KfzGVO für eine Freistellung, dass Kündigungen nur schriftlich möglich sind und einer ausführlichen Begründung bedürfen, die objektiv und transparent ist. Mit dieser Regelung sollen Händler und Werkstätten vor ungerechtfertigten Kündigungen geschützt werden.306 Damit wird ein Element des Prinzips der Systemgerechtigkeit eines Vertriebssystems festgeschrieben.307 Nach Art. 3 Abs. 5 KfzGVO muss die Vertragslaufzeit auf mindestens fünf Jahre bemessen sein, wobei der Hersteller mindestens sechs Monate vor Fristablauf mitteilen muss, dass er den Vertrag nicht verlängern wird. Bei Verträgen mit unbestimmter Laufzeit ist eine ordentliche Kündigungsfrist von mindestens zwei Jahren vorzusehen. Erweist es sich als notwendig, das Vertriebsnetz umfassend zu restrukturieren oder entschädigt der Hersteller den Händler bzw. Werkstattinhaber, verkürzt sich die Kündigungsfrist auf ein Jahr.308 Art. 3 Abs. 6 KfzGVO verpflichtet schließlich dazu, eine Schiedsgerichtsklausel zu vereinbaren. d)
Kernbeschränkungen
Enthält eine Vereinbarung eine der in Art. 4 KfzGVO definierten Kernbeschränkungen, entfällt die Freistellung für die gesamte Vereinbarung. Das Verbot der Kernbeschränkungen gilt auch für Unternehmen mit einem Marktanteil unter den Schwellen der Bagatellbekanntmachung.309 (1)
Allgemeine Kernbeschränkungen
Aus den Kernbeschränkungen lässt sich die zentrale Neuerung der Verordnung für die Vertriebsstrukturoptionen der Hersteller ableiten. Sie müssen sich entweder für einen gebietsexklusiven Vertrieb entscheiden, d. h. für ein System, das auf Alleinvertriebsvereinbarungen aufbaut, oder für ein selektives Vertriebssystem. Es ist nicht zulässig, Alleinvertrieb und selektiven Vertrieb zu kombinieren.310 Denn Art. 4 Abs. 1 lit. b iii) KfzGVO ermöglicht zwar einen selektiven Vertrieb, indem er Vereinbarungen freistellt, die den Händlern verbieten, Kfz oder Ersatzteile an nicht zugelassene Händler zu verkaufen. Ein Hersteller kann so nur Händler zu seinem System zulassen, die bestimmte qualitative Merkmale erfüllen. Diese müssen einheitlich für alle Bewerber gelten, dürfen also nicht in diskriminierender Weise angewandt werden. In Betracht kommen etwa Kriterien für die Größe und Ausstattung des Ausstellungsraumes oder die Ausbildung des Verkaufspersonals. Zudem kann ein Hersteller die Zahl der zugelassenen Händler auch quantitativ beschränken.
306 Krit. Vogel, GPR 2003–04, 40, 43. 307 Ensthaler, WuW 2002, 1042, 1047. 308 Krit. Vogel, GPR 2003–04, 40, 43. 309 BE 12 KfzGVO; vgl. Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung (de minimis), ABl EG C 368 v. 22. 12. 2001, S. 13; dazu Vogel, GPR 2003–04, 40, 45. 310 Dazu Ensthaler/Funk/Stopper, Automobilvertriebsrecht (2003), S. 90 f.
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Jedoch bestimmt Art. 4 Abs. 1 lit. d KfzGVO, dass in einem System selektiven Vertriebs den Händlern grundsätzlich keine Beschränkungen des aktiven oder passiven Verkaufs auferlegt werden dürfen, so dass einzelnen Händlern innerhalb des Systems keine Gebietsexklusivität garantiert werden kann. Allerdings kann der Hersteller den Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems untersagen, ihre Geschäfte von nicht zugelassenen Standorten aus zu betreiben. Diese Regelung gilt aber nur vorbehaltlich des Art. 5 Abs. 2 lit. b KfzGVO, der den Händlern das Recht sichert, „zusätzliche Verkaufs- oder Auslieferungsstellen an anderen Standorten im Gemeinsamen Markt“ zu errichten. Das Trennungsgebot zwischen Alleinvertriebssystem und selektivem Vertrieb findet gleichfalls in Art. 4 lit. b i) KfzGVO seinen Ausdruck. Danach dürfen die Hersteller den aktiven Verkauf in andere Gebiete verbieten und damit ihren Händlern eine Gebietsexklusivität zuweisen. Dem Händler muss aber in jedem Falle das Recht zum passiven Verkauf bleiben. Verboten sind ihm danach vor allem Marketingaktionen, die auch Kunden in Gebieten erreichen, die anderen Händlern zugewiesen sind. Dagegen darf ihm nicht untersagt werden, eine Internetseite zu unterhalten.311 Entscheidet sich ein Hersteller für den gebietsexklusiven Vertrieb, dann darf er seinen Händlern nicht verwehren, die Produkte an unabhängige Wiederverkäufer abzusetzen. Dadurch wird nicht nur untersagt, gleichzeitig einen selektiven Vertrieb aufzubauen. Vielmehr wird das Vertriebsnetz generell für nicht autorisierte Wiederverkäufer wie Supermärkte, Internethändler oder Grauimporteure geöffnet.312 Da dies in der Regel der Vertriebspolitik der Hersteller widerspricht, haben diese sich nahezu ausnahmslos für den Aufbau eines selektiven Vertriebssystems mit qualitativen Kriterien und einer quantitativen Begrenzung entschieden.313 Aus Art. 4 lit. b KfzGVO folgt, dass es Händlern nicht verboten werden darf, an unabhängige Leasingunternehmen zu verkaufen.314 (2)
Kernbeschränkungen für den Kfz-Absatz
Ein Hersteller muss seinen Händlern die Möglichkeit lassen, alle Fahrzeuge aus dem Vertragsprogramm des Herstellers zu bestellen, bereitzuhalten und zu verkaufen.315 Den Händlern selektiver Vertriebssysteme wird somit das Recht gewährt, beim Hersteller auch Fahrzeuge in einer Ausführung zu ordern, wie sie an sich für das Marktgebiet um seinen Standort nicht relevant ist (etwa mit rechtsseitigem Lenkrad), um diese dann über Auslieferungsstellen in anderen Marktgebieten zu veräußern (also etwa im Vereinigten Königreich). Begründungserwägung 16 stellt zudem klar, dass auch sonstige mittelbare Gebietsbeschränkungen durch den
311 Leitlinien VertikalGVO, S. 12, Rn. 50, Sps. 2. 312 Pfeffer, NJW 2002, 2910, 2912. 313 Vogel, GPR 2003–04, 40, 45 und Schönbohm, WRP 2004, 695 nach denen sich lediglich der japanische Fahrzeughersteller Suzuki dafür entschieden hat, ein System mit Alleinvertriebsrechten aufzubauen. 314 Pfeffer, NJW 2002, 2910, 2912. 315 Sog. Verfügbarkeitsklausel, Art. 4 Abs. 1 lit. f KfzGVO, siehe auch BE 20.
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Händler unstatthaft sind. Das betrifft etwa Verkaufsziele, Produktzuteilungen oder Bonussysteme. Die Kommission geht in Abkehr von ihrer bisherigen Auffassung davon aus, dass die Verbindung von Vertrieb und Kundendienst nicht zwingend gewährleistet sein müsse.316 Deshalb verlangt Art. 4 Abs. 1 lit. g KfzGVO, dass dem Händler das Recht bleiben muss, seine Kundendienstverpflichtungen an autorisierte Werkstätten des Herstellers weiterzugeben. Das ermöglicht Händlern, sich allein auf den Verkauf zu konzentrieren. Damit soll der Mehrmarkenvertrieb erleichtert werden. Der Lieferant kann den Händler dazu verpflichten, den Endverbrauchern vor Abschluss des Kaufvertrages den Namen und die Anschrift zugelassener Werkstätten mitzuteilen.317 Da die Kundendiensttätigkeit jedoch in der Praxis häufig die wichtigste Ertragsquelle der Vertragshändler darstellt, ist zweifelhaft, inwieweit sie von der Möglichkeit Gebrauch machen werden, den Kundendienst zu delegieren.318 (3)
Kernbeschränkungen für Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen sowie den Absatz von Ersatzteilen
Die Kfz-GVO enthält Kernbeschränkungen, die nur für Zulieferverträge der Automobilindustrie gelten. Nicht freigestellt sind etwa Vereinbarungen, die die Zulieferer darin einschränken, ihre Produkte auch an unabhängige Händler, Werkstätten oder an Endverbraucher zu veräußern 319 sowie Vereinbarungen, die sie daran hindern, ihre Waren- oder Firmenzeichen auf den gelieferten Produkten effektiv und gut sichtbar anzubringen.320 Händler und Werkstätten müssen nach Art. 4 Abs. 1 lit. k KfzGVO frei bleiben, Ersatzteile von einem anderen Unternehmen als dem Hersteller zu beziehen. Der Hersteller darf jedoch vorschreiben, dass für Arbeiten im Rahmen der Gewährleistung, des unentgeltlichen Kundendienstes oder von Rückrufaktionen die Ersatzteile von ihm zu beziehen sind. Er kann so Querverkäufe zwischen Vertragshändlern derselben Marke unterbinden und damit die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Händler einschränken.321 Nach Art. 4 Abs. 2 KfzGVO muss jeder Hersteller allen unabhängigen Marktteilnehmern, also in erster Linie den freien Werkstätten, aber auch Pannendiensten, Automobilclubs, Inspektions- und Testunternehmen, Herausgebern von technischen Informationen, Ersatzteilhändlern usw. den Zugang zu erforderlichen technischen Informationen, Diagnose- und anderen Geräten und Werkzeugen einschließlich der einschlägigen Software und einer fachlichen Unterweisung verschaffen.322 Die un-
316 Vgl. BE 21 KfzGVO. 317 Krit. Creutzig, WRP 2002, 1124, 1128 f. 318 Pfeffer, NJW 2002, 2910, 2913. 319 Art. 4 Abs. 1 lit. j KfzGVO. 320 Art. 4 Abs. 1 lit. l KfzGVO. 321 Krit. Creutzig, WRP 2002, 1124, 1128. 322 Dazu und insbesondere auch zu den Grenzen dieses Anspruchs Ensthaler/Funk/Stopper, Automobilvertriebsrecht (2003), S. 142–145.
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§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse
abhängigen Marktteilnehmer dürfen im Verhältnis zu den autorisierten Vertragswerkstätten nicht diskriminiert werden. e)
Besondere Freistellungsvoraussetzungen
Art. 5 KfzGVO enthält einen Katalog von Vereinbarungen, die nicht freistellungsfähig sind, im Gegensatz zu den Kernbeschränkungen allerdings auch nicht dazu führen, dass die gesamte Vereinbarung nicht mehr vom Kartellverbot ausgenommen ist. Nach Art. 5 Abs. 1 lit. a KfzGVO sind alle unmittelbaren und mittelbaren Wettbewerbsverbote von der Freistellung ausgeschlossen. Dies zielt darauf ab, den Mehrmarkenvertrieb bei Neuwagen zu fördern.323 Wie Art. 1 Abs. 1 lit. b KfzGVO konkretisiert, darf den Händlern nicht verboten werden, Neufahrzeuge verschiedener Hersteller in einem Ausstellungsraum zu vertreiben. Den Herstellern bleibt allerdings die Möglichkeit, die Händler zu verpflichten, jeweils die gesamte Fahrzeugpalette auszustellen, soweit dies es nicht unmöglich macht oder unverhältnismäßig erschwert, Fahrzeuge anderer Hersteller auszustellen und zu verkaufen.324 Die Hersteller können ihren Händlern auch vorschreiben, zum Schutz der Markenidentität die Fahrzeuge anderer Hersteller nur in gesonderten Bereichen zu verkaufen und mindestens 30 Prozent des Gesamtumsatzes mit ihrer Marke zu tätigen. Wenn alle Hersteller eine solche Mindestbezugsverpflichtung vereinbarten, bliebe den Händlern bei einer geschickten Kalkulation immer noch der Freiraum, drei unterschiedliche Marken zu vertreiben. Allerdings schränkt die Regelung die Freiheit der Händler gegenüber der Vorgängerverordnung ein, da dort Mindestbezugsverpflichtungen nicht freigestellt waren.325 Nicht zulässig ist es, die Händler zu verpflichten, „markenspezifisches“ Verkaufspersonal zu beschäftigen.326 Wenn sich der Händler allerdings (auf Wunsch des Herstellers) dafür entscheidet, muss der Hersteller alle dafür anfallenden zusätzlichen Kosten tragen. Diese umfassen die Schulungskosten für das Personal einschließlich der Reise- und Aufenthaltskosten und des Gehalts während der Schulung. Art. 5 Abs. 1 lit. b KfzGVO stellt klar, dass autorisierten Vertragswerkstätten frei bleiben muss, auch Fahrzeuge konkurrierender Lieferanten instand zu setzen und zu warten. Im Gegensatz zur Vorgängerverordnung wird hier nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Hersteller verhindern kann, dass Dritte dadurch Nutzen aus seinen Investitionen ziehen können. Diese Frage bleibt den mitgliedstaatlichen Zivilrechten überlassen.327 Die Fahrzeughersteller dürfen ihre Vertragshändler nicht daran hindern, selbst Leasingverträge mit Endkunden abzuschließen.328 Da nach Art. 1 Abs. 1 lit. w KfzGVO auch Leasingunternehmen als „Endkunden“ anzusehen sind, stellt die
323 324 325 326 327 328
Krit. zu dieser Zielstellung angesichts möglicher free-rider-Probleme Vogel, GPR 03–04, 40, 46. BE 27 KfzGVO. Creutzig, EuZW 2002, 560, 561. Art. 5 Abs. 1 lit. a i. V. m. Art. 1 Abs. 1 lit. b KfzGVO; Creutzig, EuZW 2002, 560, 561. Creutzig, EuZW 2002, 560, 562. Art. 5 Abs. 2 lit. a KfzGVO, siehe auch BE 30.
403
Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
Regelung sicher, dass unabhängige Leasingunternehmen mit den Leasingunternehmen der Kfz-Hersteller konkurrieren können.329 Eine gravierende Abkehr von der Vorgängerregelung stellt das Verbot von Standortklauseln nach Art. 5 Abs. 2 lit. b KfzGVO dar. Nicht mehr freigestellt sind danach Vereinbarungen in selektiven Vertriebssystemen, wonach sich die Händler von PKW 330 und leichten Nutzfahrzeugen 331 dazu verpflichten, an keinem anderen Ort im gemeinsamen Markt zusätzliche Verkaufs- oder Auslieferungsstellen zu errichten.332 Da Art. 4 Abs. 1 lit. d KfzGVO dem Hersteller die Möglichkeit lässt, den Händlern eines selektiven Vertriebssystems einen (Haupt-) Standort vorzuschreiben, stellt sich die Frage, wie eine bloße Verkaufs- oder Auslieferungsstelle von einem Vertriebsstandort abzugrenzen ist. Hilfreich kann es sein, die aus dem Handelsrecht bekannten Kriterien zur Abgrenzung zwischen Haupt- und Zweigniederlassungen heranzuziehen.333 Bedenkt man die Intention der Kommission, die innerhalb selektiver Vertriebssysteme keinerlei Ausschließlichkeitsschutz mehr zulassen wollte, muss auch an einer bloßen Verkaufsstelle eine branchenübliche Geschäftsabwicklung möglich sein. Dazu gehört nicht nur eine entsprechende personale und sachliche Ausstattung, sondern auch eine gewisse finanzielle Verselbständigung.334 Nach Art. 5 Abs. 3 Kfz-GVO darf ein Händler schließlich auch einer autorisierten Vertragswerkstatt nicht vorschreiben, von welchem Standort aus sie tätig wird. f)
Entzug der Freistellung
Art. 6 Abs. 1 KfzGVO ermächtigt die Kommission, Vereinbarungen in Einzelfällen die Freistellung zu entziehen, wenn sie Wirkungen entfalten, die nicht mit den Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG vereinbar sind. Anzunehmen ist das insbesondere, falls der Marktzugang durch ein Netz gleichartiger, sich gegenseitig verstärkender vertikaler Vereinbarungen beschränkt wird (lit. a), falls der Wettbewerb auf einem Markt beschränkt wird, auf dem der Lieferant keiner wirksamen Konkurrenz ausgesetzt ist (lit. b) oder auf dem sich unterschiedliche Preis und Lieferbedingungen durch Abschottung einzelner räumlicher Märkte etablieren können (lit. c) und schließlich auch dann, wenn innerhalb eines räumlichen Marktes ohne sachliche Rechtfertigung unterschiedliche Preise oder Verkaufsbedingungen angewandt werden (lit. d). Nach Art. 6 Abs. 2 KfzGVO kann unter den gleichen Voraussetzungen auch eine mitgliedstaatliche Behörde die Freistellung entziehen, wenn die Vereinbarung im Gebiet dieses Staates eine übermäßig wettbewerbsbeschränkende Wirkung hat.
329 Ensthaler, WuW 2002, 1042, 1048. 330 Art. 1 Abs. 1 lit. o KfzGVO. 331 Art. 1 Abs. 1 lit. p KfzGVO. 332 Krit. Vogel, GPR 03–04, 40, 46 f., nach dem diese Regelung den Aufbau eines selektiven Vertriebssystems „weitgehend illusorisch“ macht. 333 Ensthaler, WuW 2002, 1042, 1045. 334 Ensthaler, WuW 2002, 1042, 1045.
404
§ 10 Kartellrecht der Absatzmittlungsverhältnisse
Schließlich ermächtigt Art. 7 KfzGVO die Kommission, per Verordnung die Freistellung für ganze Netze gleichartiger vertikaler Beschränkungen zu widerrufen, wenn mehr als 50 Prozent des betroffenen Marktes von gleichartigen vertikalen Beschränkungen erfasst werden. g)
Bewertung
Auch wenn die Kfz-GVO grundsätzlich dem Konzept und der Struktur der VertikalGVO folgt, so misstraute die Kommission doch für den Kfz-Vertrieb erheblich der liberalen Auffassung, wonach auf kompetitiven Märkten die Freiheit der Hersteller, ihren Absatzweg auszugestalten, zu einem Wettbewerb der unterschiedlichen Vertriebsstrukturen und im Ergebnis auch zu Marktergebnissen führt, wie sie für die Abnehmer vorteilhaft sind. Dementsprechend hängt die Gruppenfreistellung für Kfz-Vertriebsvereinbarungen von einer ganzen Reihe detaillierter Anforderungen ab. Trotz der neuen Regelungstechnik werden die Hersteller faktisch auf ein System des selektiven Vertriebs festgelegt, bei dem die Zahl der Händler begrenzt werden kann, jedoch die Händler nicht darin beschränkt werden dürfen, zusätzliche Verkaufs- oder Auslieferungsstellen zu errichten. Die im Vergleich zur Vertikal-GVO strengere Regulierung begründet sich darin, dass die Kommission ihre Vorstellungen über eine wünschenswerte Marktstruktur des Kfz-Vertriebs verwirklichen will. Sie strebt an, die Position von Händlern, Werkstattbetreibern und Zulieferern gegenüber den Herstellern zu stärken und fördert den Vertrieb mehrerer Marken durch einen Händler. Vor allem aber will die Kommission die Absatzmärkte in der Gemeinschaft integrieren. Aus diesem Blickwinkel betrachtet sind strikte Vorgaben folgerichtig, musste die Kommission doch in der Vergangenheit wiederholt erkennen, dass es den Herstellern gelang, mitgliedstaatliche Märkte voneinander abzuschotten. Die nach wie vor teils signifikanten Preisunterschiede beim Vertrieb von Neuwagen veranlassen die Kommission, unbeirrt daran festzuhalten, die Möglichkeit zum Parallelhandel zu sichern und die Marktintegration zu fördern.335 Man kann indes bezweifeln, ob die strengen Regeln für die Ausgestaltung des KfzVertriebs wettbewerbstheoretisch gerechtfertigt sind. Dargelegt wurde bereits, dass generell fraglich ist, ob nicht das Ziel der Marktintegration innerhalb der EG-Wettbewerbspolitik überbewertet wird gegenüber der originären Zielstellung des Kartellrechts, kompetitive Marktstrukturen zu gewährleisten.336 Gerade auf dem Automobilmarkt ist ein harter Wettbewerb in ganz Europa zu konstatieren. Keine Unternehmensgruppe dominiert den Markt.337 Die starke Konkurrenz führt zu erheblichen Preisnachlässen, Sonderverkaufsaktionen und günstigen Finanzierungs-
335 Die Kommission misst der Preiskonvergenz auf dem Automobilmarkt eine hohe Bedeutung bei, vgl. etwa die Preisübersichten für Neuwagen auf der Homepage der GD Wettbewerb unter http://europa.eu.int/comm/competition/car_sector/price_diffs/ die die Verbraucher dazu animieren sollen, einen Neuwagen dort im Binnenmarkt zu erwerben, wo er am preiswertesten ist. 336 Siehe oben S. 337 ff. 337 Siehe etwa die Übersicht bei Ensthaler/Funk/Stopper, Automobilvertriebsrecht (2003), S. 84.
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Teil 3: Bewertung der Instrumente absatzrechtlicher Regelungen
möglichkeiten. Auf Grund des lebhaften Preiswettbewerbs sind die Gewinnspannen von Händlern und Herstellern relativ gering. Abgesehen davon, dass die Kommission nicht die Preiskonvergenz zum hervorgehobenen Maßstab für den Erfolg ihrer Wettbewerbspolitik machen sollte, sind auch keine hohen Preisunterschiede zwischen den mitgliedstaatlichen Märkten für Neuwagen im Vergleich mit anderen Sektoren zu konstatieren.338 Insbesondere erklären sich die vorhandenen Preisdifferenzen auch durch die unterschiedlich hohen indirekten Steuern (etwa Umsatzund Luxussteuer).
338
406
Vogel, GPR 2003–04, 40, 44.
Teil 4: Zusammenfassung und Ergebnis § 11 Zusammenfassende Überlegungen zum Gesamtsystem Eine äußere Ordnung für ein Europäisches Absatzrecht wurde im ersten Teil dieser Untersuchung entworfen. Dies geschah entlang eines (Haupt-) Elements, nämlich des aus betriebswirtschaftlicher Perspektive definierten Begriffes des „Absatz“ sowie anhand zweier großer Unterelemente, und zwar einerseits der Absatzfördermaßnahmen und Absatztechniken (Regelung des [Letzt-] Absatzverhältnisses) und andererseits der Absatzmittlungsverhältnisse (berufliche Absatzketten). Eine äußere Ordnung zu konstruieren ist als Arbeitshypothese zu begreifen. Sie ist dann als Systembildung sinnvoll, wenn sie eine innere Ordnung abbildet, wenn sich wertungsmäßige Zusammenhänge und gemeinsame Eigenarten aufzeigen lassen, die das Verständnis für eine Gruppe von Rechtssätzen vertiefen und die assistieren können bei der folgerichtigen Auslegung und Fortbildung der systematisierten Normen.1 Gemeinsame Prinzipien aufzudecken mag sehr ambitioniert erscheinen bei einer äußeren Ordnung, die vom Recht auf Widerruf von Haustürgeschäften bis zum Kartellrecht des Franchising reicht und damit disparate Materien einschließt. Freilich hindert dies nicht prinzipiell, eine innere Ordnung aufzudecken, sondern deutet lediglich darauf hin, dass realistisch keine zu großen Erwartungen an den Bestand der grundlegenden gemeinsamen Wertungen und Prinzipien zu hegen sind.
I.
Europäisches Absatzrecht als marktregelndes Wirtschaftsrecht
Nicht selten werden die Normen, die hier als Europäisches Absatzrecht systematisiert worden sind, als Regeln zum Schutze der privaten Endverbraucher verstanden. Dies gilt insbesondere und vielfach für die Regelung von Absatzfördermaßnahmen und Absatztechniken.2 Darüber hinaus wird teilweise sogar die kartellrechtliche Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse als Instrumentarium des (unmittelbaren) Verbraucherschutzes angesehen. So werden Gruppenfreistellungsverordnungen als ein flexibles Instrument verstanden, um Verbraucherrechte zu gewährleisten oder es wurde gefordert, die Einzelfreistellung einer Vereinbarung davon abhängig zu machen, dass den Verbrauchern bestimmte Gewährleistungsrechte zugestanden werden.3 1 2 3
Vorbildhaft Riesenhuber, System und Prinzipien (2003), S. 5–10 m. w. N. Siehe oben S. 323. Siehe oben S. 371.
407
Teil 4: Zusammenfassung und Ergebnis
Diese Perspektive verkürzt indes nicht nur den tatsächlichen „Schutzbereich“ absatzbezogener Regelungen, sondern sie vernachlässigt den Aspekt der Binnenmarktintegration und verzerrt auch die Wirkungsmechanismen, wie sie sich positiv aus den hier analysierten Regelungsinstrumenten ableiten lassen, wie sie normativ in der Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft angelegt sind und auch aus Sicht der ökonomischen Theorie überzeugen können. Richtig an der Verbraucherschutzperspektive ist jedoch, dass die Regeln des Europäischen Absatzrechts primär das Ziel verfolgen, den Nutzen der Marktgegenseite zu mehren. Erscheint dies für das Recht der Absatzförderung und der Absatztechniken selbstverständlich, so haben wir auch gesehen, dass die Abnehmer die hauptsächlichen Profiteure kompetitiver Marktstrukturen sind, auf die die kartellrechtliche Regulierung abzielt. Denn ein robuster, funktionsfähiger Wettbewerb ist der beste Garant, die Interessen der Verbraucher zu schützen. Freilich kommt die kartellrechtliche Regulierung nicht nur den privaten Nachfragern zu Gute. Schließlich leiden professionelle Abnehmer genauso unter Wettbewerbsbeschränkungen wie auch sie vom Problem strukturell asymmetrisch verteilter Informationen betroffen sind. Folgerichtig gelten die absatzbezogenen Regelungen in vielen Fällen auch zu Gunsten beruflicher Abnehmer, so etwa die E-Commerce-Richtlinie, die Werberichtlinie oder die Lebensmitteletikettierungsrichtlinie. Zudem lassen sich Beschränkungen auf die Rechtsbeziehung zwischen Unternehmern mit privaten Abnehmern auch mit kompetenzrechtlichen Erwägungen erklären 4 oder schlicht damit, dass regulierte Sachverhalte ganz überwiegend nur private Abnehmer betreffen, was sicher für Hautürgeschäfte oder Timesharingverträge gilt. Konzeptionell verkürzt das Etikett des „Verbraucherschutzrechts“ die Wirkungsmechanismen des Europäischen Absatzrechts, da es suggeriert, dass diese Regulierungsmaßnahmen einer Verbraucherpolitik als Konkurrenz oder Ausgleich zur Wirtschaftspolitik entspringen. Wie wir jedoch gesehen haben, folgen die Regelungen nahezu durchweg dem Marktparadigma und lassen sich als Teil einer allgemeinen Wirtschaftspolitik begreifen, die die institutionellen Rahmenbedingungen für Markt und Wettbewerb gewährleisten will. Die kartellrechtliche Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse als Teil der europäischen Wettbewerbspolitik ist auf die Sicherung kompetitiver Marktstrukturen fixiert. Paradigmatisch hierfür ist, dass Kommission und Gerichtshof Art. 81 Abs. 3 EG nicht als Instrument begreifen, um unmittelbar verbraucherschützende Vorgaben zu installieren,5 sondern grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Optimierung der wettbewerblichen Bedingungen auch die Versorgung der Abnehmer mit Waren und Dienstleistungen in der präferierten Quantität, Qualität und Vielfalt verbessert, so Konsumentensouveränität gewährleistet und die Konsumentenwohlfahrt fördert.
4 Siehe oben S. 325. 5 Freilich nutzt die gemeinschaftsrechtliche Praxis Art. 81 Abs. 3 EG tatsächlich in bedenklicher Art und Weise, um nichtwettbewerbliche Ziele – Industrie- und Beschäftigungspolitik, Kulturpolitik, Umweltpolitik – zu verfolgen, siehe oben S. 360.
408
§ 11 Zusammenfassende Überlegungen zum Gesamtsystem
Die vertrags- und lauterkeitsrechtlichen Regelungen für Absatztechniken und Absatzfördermaßnahmen lassen sich nahezu vollständig als Normen verstehen, die strukturelle Informationsdefizite überwinden wollen und damit als Antwort auf ein drohendes Marktversagen. Die hier als Europäisches Absatzrecht systematisierten Normen wirken daher komplementär bei der Aufgabe, marktliche und wettbewerbliche Prozesse abzusichern und so die Konsumentenwohlfahrt zu fördern.6 Sie sind deshalb als integraler Bestandteil einer einheitlich strukturierten Zivilrechtsund Wirtschaftsordnung anzusehen.
II.
Europäisches Absatzrecht als Element der Ordnungspolitik
Wenn auch wiederholt betont wurde, dass ökonomische Erkenntnisse für die Ausgestaltung des Absatzrechts bedeutdend sind, darf doch eines nicht in den Hintergrund geraten: Das Europäische Recht des Absatzes regelt Märkte und Marktverhalten. Damit tritt das Recht in den Dienst der Ökonomie; die „Wirtschaft [ist] eine Funktion des Rechts“.7 Europäisches Absatzrecht kann deshalb als Wirtschaftsrecht im Sinne einer Fortschreibung ordoliberaler Tradition verstanden werden,8 nämlich als staatliche Regulierung mit dem Ziel, die Funktionen von Markt und Wettbewerb zu gewährleisten, indem es die Hauptformen von Markversagen (Wettbewerbsbeschränkungen, strukturelle Informationsdefizite) bekämpft.9 Der Ausgangspunkt der Überlegungen der Freiburger Schule des Ordoliberalismus war die Menschenwürde und die Suche nach einem Konzept für eine „Menschengerechte Ordnung“. Diese soll zuvörderst bedingen, dass die Freiheit des Menschen umfassend geschützt wird. Der Ordoliberalismus setzt sich insbesondere mit der Bedrohung der Freiheit des Menschen durch wirtschaftliche und private Macht auseinander.10 Als Aufgabe des Rechts wird es angesehen, eine wirtschaftliche Ordnung zu gewährleisten, welche die Freiheit des einzelnen gegen wirtschaftliche und private Machtpositionen schützt. Das zentrale Instrument dafür sieht die Freiburger Schule im Wettbewerb, der nach Böhm nicht nur einen Anreizmechanismus darstellt, sondern auch als Entmachtungsinstrument anzusehen ist.11 6 Zum komplementären Chrakter von Kartell- und Verbraucherrecht Averitt/Lande, 65 Antitrust L. J. (1997), 713, 713 f.; Dhaeyer/Thilmany, 14 RTDE (1978), 223, 246–249; Gómez, in: Collins (Hrsg.), Unfair Commercial Practices (2004), S. 187, 188–192; Murris, in: Hawk (Hrsg.), Annual Proceedings of the Fordham Corporate Law Institute 2002 (2003), S. 7, 9 f.; Serra, in: Serra/Calais-Auloy (Hrsg.), Concurrence et consommation (1994), S. 1, 2. 7 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers (1998), S. 113. 8 Zusammenfassend zu den Ideen der Freiburger Schule des Ordoliberalismus, zu deren herausragenden Vertretern Walter Eucken und Franz Böhm gehörten, Vanberg, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law (1998), vol. II, S. 172–179; Holzwarth, Ordnung der Wirtschaft durch Wettbewerb (1985). 9 Auf den Zusammenhang zwischen der gemeinschaftsrechtlichen absatzbezogenen Regulierung im hier verstandenen Sinne und den Konzepten der ordoliberalen Schule wird verschiedentlich im Schrifttum hingewiesen, etwa Grundmann, JZ 2000, 1133, 1136 f.; ders., 4 ERPL (2001), 505, 515; Reese, Grenzüberschreitende Werbung in der Europäischen Gemeinschaft (1994), S. 74. 10 Eucken, ORDO 1 (1948), 56, 74 f. 11 Böhm, ORDO 22 (1971), 11, 20.
409
Teil 4: Zusammenfassung und Ergebnis
Davon ausgehend lehnt die Freiburger Schule sowohl eine Zentralverwaltungswirtschaft als Wirtschaftsordnung ab, als auch eine vom Laissez faire-Liberalismus geprägte Ordnung. Gegen erstere wenden die Vertreter ordoliberaler Ideen nicht nur ein, dass bei einem Verzicht auf freie Märkte mit freier Preisbildung kein funktionierender Mechanismus erkennbar sei, um die Knappheit einzelner Produktionsmittel festzustellen und diese in der erforderlichen Weise zu lenken.12 Vielmehr kritisieren sie ausgehend von ihrem normativen Grundverständnis, dass mit einer Zentralverwaltungswirtschaft zwangsläufig ein hohes Maß an wirtschaftlicher Machtzusammenballung verbunden ist. Denn schließlich entwirft die Zentralstelle allein die Wirtschaftspläne und lenkt die Handlungen der Wirtschaftsteilnehmer, die ihrerseits entmachtet und unfrei sind.13 Die Freiburger Schule plädiert daher grundsätzlich für eine Verkehrswirtschaft, die Lenkungsprobleme der dezentralen Lösung durch Angebot und Nachfrage überlässt. Allerdings weist sie genauso die Ideen eines Laissez faire-Liberalismus zurück, da dieser den Marktakteuren die Freiheit lasse, Märkte zu vermachten. Denn wenn die Wirtschaftsteilnehmer den Wettbewerb durch Monopolisierung und Kartellbildung ausschalten können, bedrohe private Macht die rechtsstaatliche Freiheit.14 Entsprechend formuliert der Ordoliberalismus als die vordringlichste wirtschaftspolitische Aufgabe des Staates in einer Marktwirtschaft, Rahmenbedingungen für die Wirtschaftsordnung zu setzen, welche die Funktionsfähigkeit von Markt und Wettbewerb gewährleisten und insbesondere Monopole und Kartelle zu bekämpfen, um damit die wirtschaftliche Freiheit zu sichern. Innerhalb der so gesetzten Rahmenbedingungen soll jedoch der Wirtschaftsprozess selbst den Marktmechanismen überlassen bleiben.15 Die Ideen des Ordoliberalismus haben die Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft maßgeblich geprägt. Deutlich wird dies zunächst in der Wettbewerbspolitik. Denn die Art. 81–86 EG sind als ein Beitrag der deutschen Verhandlungsdelegation zu den Römischen Verträgen anzusehen, der wesentlich auf den Konzepten der Freiburger Schule fußt.16 Bemerkenswert ist auch die herausgehobene Rolle des Kartellrechts. Denn als einziges materielles Rechtsgebiet wurde es unmittelbar in den Gründungsverträgen geregelt. Der Gesetzgeber maß diesen Regelungen also einen so hohen Stellenwert zu, dass er nicht auf Sekundärgesetzgebung vertraute.17 Aber auch in der späteren Diskussion um die Auslegung der EG-Wettbewerbspolitik sind Ideen präsent, die sich auf den Ordoliberalismus zurückführen lassen. Dies gilt etwa für den Ansatz, wonach die kartellrechtliche Regulierung nicht allein der Steigerung der sozialen Wohlfahrt verpflichtet sei, sondern dem Schutz der wirtschaft12 Eucken, Grundlagen der Nationalökonomie, 7. Aufl. (1959), S. 80. 13 Eucken, Grundlagen der Nationalökonomie, 7. Aufl. (1959), S. 86 f. und 198. 14 Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 4: „Die Freiheit, welche der Rechtsstaat garantieren wollte, wurde faktisch durch wirtschaftliche Machtbildung bedroht.“ 15 Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 93: „Der Staat hat die Formen, das institutionelle Rahmenwerk, die Ordnung, in der gewirtschaftet wird, zu beeinflussen, und er hat Bedingungen zu setzen, unter denen sich eine funktionsfähige und menschenwürdige Wirtschaftsordnung entwickelt. Aber er hat nicht den Wirtschaftsprozeß selbst zu führen.“ 16 Siehe nur Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. (1999), Rn. 1029. 17 Grundmann, JZ 2000, 1136 f.; ders., 4 ERPL (2001), 505, 519.
410
§ 11 Zusammenfassende Überlegungen zum Gesamtsystem
lichen Handlungsfreiheit der Wirtschaftsteilnehmer. Denn sieht man im Wettbewerb ein Entmachtungsinstrument, wird er zum rechtlichen Schutzgut um der Freiheit willen und nicht nur um der bloßen wirtschaftlichen Effizienz willen. Aus den Konzepten der ordoliberalen Schule folgt auch, dass der staatliche Ordnungsrahmen die Interessen der Abnehmer zu schützen hat. Dafür ist jedoch nicht auf interventionistische, einseitig bevorteilende Regulierung zu setzten, sondern auf den Wettbewerb. Der beste Weg, den Interessen der Abnehmer an Freiheit vor der wirtschaftlichen Macht der Produzenten zu dienen und also „Konsumentensouveränität“ herzustellen, liegt hiernach darin, die Produzenten zu hindern, Macht zu bilden. Das geeignete Mittel hierfür wird in der Konkurrenz gesehen.18 Bereits in der ordoliberalen Tradition findet sich also der Ansatzpunkt für das im Europäischen Absatzrecht vorherrschende Konzept, wonach die Gewährleistung kompetitiver Marktstrukturen durch das Kartellrecht der richtige Anknüpfungspunkt ist, um Benachteiligungen von Abnehmern zu begegnen, die durch Phänomene wie „ungleiche Marktmacht“ verursacht werden. Da es dem Staat nach der Ordnungspolitik der Freiburger Schule obliegt, die Bedingungen für die Funktionsfähigkeit der Märkte zu gewährleisten, muss es in der Fortschreibung dieses Ansatzes auch als Aufgabe staatlicher Regulierung anzusehen sein, der Gefahr von Marktversagen auf Grund struktureller Informationsasymmetrien zu begegnen. Entsprechend der ordoliberalen Forderung nach ungestörter Privatautonomie und Wettbewerb sind die regulierenden Eingriffe jedoch auf die geringstmögliche Intensität zu beschränken, die notwendig ist, um die Funktionsschwächen von Markt und Wettbewerb auszugleichen.19 Mithin entspricht der marktkonforme Schutz der Interessen der Abnehmer, wie er sich ganz überwiegend im Gemeinschaftsrecht findet, den wirtschaftspolitischen Vorstellungen des Ordoliberalismus, die sich sowohl von einem laissez faire-Ansatz abgrenzen als auch von der Idee einer Regulierung, die berufen ist, unterschiedliche Marktmacht bzw. Verhandlungsstärke durch einseitige Normen zu Gunsten der Abnehmer auszugleichen.20 Dies verdeutlicht, dass für absatzbezogene Regelungen im Binnenmarkt Konzepte maßgeblich sind, wie sie bereits die ordoliberale Schule als Aufgabe staatlicher Ordnungspolitik entworfen hat und wie sie auch in der heutigen Wirtschaftstheorie weit gehend konsentiert sind. Denn sowohl Autoren, die wirtschaftspolitische Überlegungen im Wesentlichen auf das neoklassische Standardmodell der vollkommenen Konkurrenz gründen als auch Vertreter der „Neuen Institutionenökonomik“ 21 gehen davon aus, dass ein staatliches Eingreifen in die Marktfreiheit 18 Böhm, in: ders., Freiheit und Ordnung in der Markwirtschaft (1980), S. 315, 464 f. 19 Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung (1992), S. 14 f. 20 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung der Verbraucher (1998), S. 115 f.; Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem (1981), S. 19. 21 Die „Neue Institutionenökonomik“ geht nicht von der Vorstellung der Möglichkeit eines perfekten Marktes aus, sondern berücksichtigt bereits in ihrem theoretischen Ansatz Informationsunvollkommenheiten und Transaktionskosten. Sie bedient sich jedoch wie die Neoklassik des sog. ökonomischen Paradigmas, d. h. sie geht bei ihren Untersuchungen von Ressourcenknappheit aus, nimmt ein eigennütziges Rationalverhalten an und betrachtet als handelnden
411
Teil 4: Zusammenfassung und Ergebnis
bzw. ein „Kollektivhandeln“ 22 angesichts von Marktversagen 23 gerechtfertigt sein könne.24
III.
Förderung der Binnenmarktintegration
Allen Vorgaben des Europäischen Absatzrechts ist gemein, dass sie zumindest auch dazu bestimmt sind, den innergemeinschaftlichen Handel und damit die Binnenmarktintegration zu fördern. Für die Regelungen der Absatztechniken und Absatzfördermaßnahmen folgt dies notwendigerweise aus der Kompetenzgrundlage nach Art. 94 bzw. 95 EG, für die kartellrechtliche Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse lässt es sich der Entstehungsgeschichte und der Systematik des EG-Vertrages entnehmen und ist zudem für die Praxis durch die Handhabung des EG-Wettbewerbsrechts durch EuGH und Kommission vorgegeben.25 Bei der Auslegung der jeweiligen Vorschriften kann dies zu Zielkonflikten führen: Setzt man etwa die einheitliche Schwelle hoch an, ab der von einer Irreführungsgefahr ausgegangen werden darf, so erleichtert dies den innergemeinschaftlichen Warenverkehr, senkt aber das Niveau des Verbraucherschutzes. Hier bedarf es tatsächlich eines Kompromisses zwischen dem Ziel eines hohen Verbraucherschutzniveaus und der Gewährleistung der Verkehrsfreiheiten. Der EuGH hat sich in dieser Frage dafür entschieden, das im Rahmen der Grundfreiheitenrechtsprechung entwickelte normative Leitbild vom verständigen Verbraucher auf die sekundärrechtlichen Irreführungsverbote zu
Akteur das Indivuduum mit seinen Präferenzen und Interessen (methodologischer Individualismus), schränkt aber die Annahme ein, dass Marktakteure unbeschränkt rational handeln und berücksichtigt, dass es auf Grund von Informationskosten rational sein könne, nicht nach der besten Lösung zu suchen, sondern sich mit einer zufriedenstellenden zu begnügen, siehe Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts (1997), S. 12–21; ders., in: FS Schmidt (1997), S. 33, 35. Die Bedingungen, welche die reale Marktgestaltung ausmachen und den Ressourceneinsatz und die Kosten von Transaktionen bestimmen, werden als „Institutionen“ begriffen. Betrachtungsgegenstand der Institutionenökonomik sind deshalb auch rechtliche Normen als „Institutionen“. Untersucht wird, welche Änderungen der Institutionen effizienzsteigernd wirken können, welches „institutionelle Arrangement [...] rational oder ökonomisch vorzuziehen ist“, Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 2. Aufl. (1999), S. 287. Auf Grund der Nähe zum realen Marktgeschehen und der Fokussierung auch und gerade auf rechtliche Regelungszusammenhänge verspricht der Theorieansatz der „Neuen Institutionenökonomik“ für die Gesetzgebungslehre und -analyse wichtige Erkenntnisgewinne, Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts (1997), S. 29; ders., in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht (2000), S. 95, 99–101; Engel, RabelsZ 62 (1998), 324–328. Zur Verbindung zwischen Ordoliberalismus und Institutionenökonomik siehe Streit, JITE/ZgS 148 (1992), 675–704. 22 Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 2. Aufl. (1999), S. 299 f. 23 Teilweise wird jedoch von Vertretern der Institutionenökonomik jedenfalls begrifflich die Rechtfertigung von Regulierung auf Grund von „Marktversagen“ abgelehnt, da das Konzept von „Marktversagen“ auf dem Modell der vollkommenen Konkurrenz fußt, siehe etwa Kirchner, in: Grundmann/Kerber/Weatherill, Party Autonomy (2001), S. 165, 168. 24 Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. (2005), S. 81–84; 219–249; 279–324; Hanusch/Kuhn/Cantner, Volkswirtschaftslehre, 5. Aufl. (2000), S. 83–94; Ogus, Regulation (1996), S. 29–46; Schwartz, 151 JITE/ZgS (1995), 31: „Thus complete consumer contracts should be regulated only if they are the product of market imperfections.“ 25 Siehe oben S. 341 ff. und S. 333 ff.
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§ 11 Zusammenfassende Überlegungen zum Gesamtsystem
übertragen. Er hat so unter ausdrücklicher Berufung auf die Binnenmarktintegration diesem Zweck im Verhältnis zum Verbraucherschutz eine signifikante Rolle zugewiesen. Das Ergebnis des liberalen Verbraucherleitbildes ist freilich angesichts der freiheitlichen Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft auch unabhängig vom Aspekt der Binnenmarktintegration überzeugend.26 Demgegenüber ist bei der kartellrechtlichen Regulierung von Vertikalvereinbarungen der Widerspruch zwischen integrationsfördernder und wettbewerbstheoretisch überzeugender Anwendung des Wettbewerbsrechts oft nicht eindeutig zu belegen. Denn die unbedingte Gewährleistung eines freien Parallelhandels, der aus Sicht der Kommission häufig als entscheidendes Instrument zur fortschreitenden Binnenmarktintegration angesehen wird, kann auch dazu führen, dass Unternehmen sich aus einzelnen mitgliedstaatlichen Märkten ganz zurückziehen oder diese erst gar nicht bedienen.27 Die kartellrechtliche Sicherstellung des Parallelhandels wirkt dann kontraproduktiv für die Binnenmarktintegration. Daneben ist grundsätzlich fraglich, ob der Parallelhandel ein effektiver Weg ist, die Marktintegration zu fördern.28 Desgleichen können vertikale Beschränkungen, durch die sich ein Unternehmen etwa gegen Trittbrettfahrer schützt, Anfangsinvestitionen erst lohnend erscheinen lassen, die aber notwendig sind, um einen neuen Markt zu erschließen. Eine zu strikte kartellrechtliche Regulierung, die in jedem Falle die Abschottung einzelner Märkte verhindern will, kann auch hier kontraproduktiv für die Integration des Binnenmarktes sein. Daneben gibt es freilich Beispiele in der Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft, die von einem echten trade-off zwischen wettbewerbstheoretisch überzeugender und integrationsfördernder Lösung zeugen. Paradigmatisch dafür steht der Fall Sony PanEuropean Dealer Agreement, bei dem die Kommission die Freistellung des Vertriebssystems von Sony u. a. davon abhängig machte, dass in das System auch eine Ebene für Großhändler integriert wurde.29 Geht man wie die Kommission davon aus, dass dadurch Parallelhandel und Arbitrage in der Gemeinschaft erleichtert wurden, so nimmt man doch gleichzeitig in Kauf, dass das Unternehme gezwungen wird, eine aus seiner Sicht ineffiziente Vertriebsstruktur zu betreiben, die letztlich zu höheren Preisen für alle Abnehmer führt. Man mag ein solches Ergebnis aus wettbewerbstheoretischer Sicht kritisieren, soweit indes tatsächlich damit der Binnenmarktintegration gedient ist, steht diese Auslegung im Einklang mit dem europäischen Wettbewerbsrecht. Das mit praktisch allen Normen des Europäischen Absatzrechts verbundene Ziel, den freien Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern und die Integration der mitgliedstaatlichen Märkte zu unterstützen, kann zu Konflikten mit den originären Schutzinteressen der jeweiligen Sachmaterie führen. Es müssen daher Kom-
26 27 28 29
Siehe oben S. 329. Siehe den Fall Distillers, oben S. 338. Siehe oben S. 340. Siehe oben S. 339.
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Teil 4: Zusammenfassung und Ergebnis
promisse gefunden werden, die den divergierenden Zwecken Rechnung tragen und den Wertungen der Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft entsprechen. Der „ergänzende“ Zweck der Binnenmarktintegration ist deshalb ein Grund dafür, dass sich die materielle Ausgestaltung des Gemeinschaftsrechts von den entsprechenden nationalen Rechten unterscheidet, etwa den lauterkeitsrechtlichen Normen ein liberaleres Verbraucherleitbild zu Grunde liegt oder vertikale Vereinbarungen strenger kartellrechtlich kontrolliert werden.
§ 12 Ergebnis der Untersuchung I. (zu §§ 3 und 4) 1. Absatzrecht steht im Zentrum des Regelungsrahmens für unternehmerische Tätigkeit. Die Gemeinschaft regelt umfangreich, wie der Abstand zwischen Leistungserzeugern und Abnehmern überbrückt werden kann. Das betrifft zunächst besondere Absatztechniken, nämlich den Haustürvertrieb, den Fernabsatz und den elektronischen Handel. Wahrhaft pointillistisch sind die vielfältigen, teils übergreifend geltenden, zumeist aber branchen-, medien- oder produktbezogenen Bestimmungen zur Absatzförderung. Geregelt werden vor allem Werbung und Etikettierung. Zur Absatzförderung zählen aber auch die umfangreichen vorvertraglichen Informationspflichten, ist es doch Aufgabe des Vertriebs, die Abnehmer über Qualität, Konditionen etc. der angebotenen Produkte zu informieren. 2. Als Schranke mitgliedstaatlicher Regeln für Absatztechniken und Absatzförderung wirken die Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 EG) und die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG). Insbesondere auf Grund des vom EuGH in seiner Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten entwickelten Leitbilds des selbstverantwortlich handelnden, informierbaren Verbrauchers führte diese „negative“ Harmonisierung vielfach zu einer Liberalisierung der mitgliedstaatlichen Rechte.
II. (zu § 5) Vor allem die Wettbewerbspolitik beeinflusst auf Gemeinschaftsebene die Ausgestaltung von Absatzmittlungsverträgen. Ziel dieser kartellrechtlichen Regeln ist es, die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Absatzmittler gegenüber den Herstellern zu schützen und die Freiheit des innergemeinschaftlichen Handels zu gewährleisten. Eine zentrale Stellung nimmt hierbei Art. 81 EG ein, dessen Tatbestandsmerkmal „Wettbewerbsbeschränkung“ weit ausgelegt wird und der deshalb umfassend auch vertikale Vereinbarungen in Vertriebsverträgen erfasst. In einzelnen Fällen erkennt der EuGH die überwiegend prokompetitive Wirkung von Vertriebs-
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beschränkungen an und nimmt unter bestimmten Voraussetzungen etwa Wettbewerbsverbote, Selektivvertriebsvereinbarungen nach qualitativen Kriterien oder Franchisevereinbarungen vom Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG aus. Von herausgehobener Bedeutung für Absatzmittlungsverhältnisse sind die Vertikal-GVO und die Kfz-GVO, die typisierend festlegen, unter welchen Voraussetzungen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen in Vertriebsverträgen nach Art. 81 Abs. 3 EG nicht Kartellverbot erfasst werden. Neben Art. 81 EG ist das Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 82 EG relevant für Absatzmittlungsverhältnisse, da es auch einseitige Verhaltensweisen erfasst, etwa Geschäftsverweigerungen. Vertragsrechtlich ist auf europäischer Ebene lediglich der Handelsvertreter als Absatzmittlertyp Gegenstand eines gesonderten Regelungsaktes.
III. (zu § 6, I.) Lange Zeit dominant und auch heute noch präsent ist der Ansatz, wonach private Abnehmer als die wirtschaftlich schwächeren Marktteilnehmer des besonderen Schutzes bedürfen, um sie vor der Ausbeutung durch die Marktgegenseite zu bewahren. Diese Vorstellung ist schon deshalb als Leitidee für die Regelung von Absatzverhältnissen unbrauchbar, weil sie die Rolle vernachlässigt, die der Wettbewerb zwischen den Anbietern spielt. Denn dieser sorgt dafür, dass sich eine Überlegenheit der Anbieter an Ressourcen nicht als Macht am Absatzmarkt gegenüber den Abnehmern ausdrückt. Der Anbieter auf einem kompetitiven Markt ist genauso auf den Abnehmer angewiesen, wie dieser auf den Anbieter. Um die Interessen der Abnehmer zu schützen ist es deshalb notwendig, den Wettbewerb durch das Kartellrecht abzusichern; nicht aber, einseitig zu Gunsten privater Abnehmer in das Absatzverhältnis zu intervenieren. Darüber hinaus hat die ökonomische Theorie gezeigt, dass die Marktmacht eines Anbieters ohnehin nicht erklären kann, dass Produkte auf Märkten in einer Qualität angeboten werden, die nicht den Bedürfnissen der Abnehmer entspricht. Denn zwar hat ein Monopolist bzw. ein marktmächtiger Anbieter Anreize, sein Output zu beschränken um so eine Monopolrendite abzuschöpfen. Grundsätzlich hat er aber kein Interesse daran, die Produktqualität abzusenken. Dies kann ausnahmsweise anders sein, wenn ein Monopolist Angebote mit niedrigen Qualitätsstandards gezielt nutzt, um eine Preisdiskriminierung unter den Nachfragern zu ermöglichen. Aber auch in einer solchen Konstellation sprechen die besseren Argumente dafür, nicht zu versuchen, den Missstand über regulative Eingriffe in das Absatzverhältnis zu beseitigen. Vielmehr muss die Wettbewerbspolitik darauf ausgerichtet sein, die Erlangung von Marktmacht oder Monopolstellungen bzw. deren Missbrauch zu verhindern. Die These von der wirtschaftlichen Unterlegenheit des privaten Abnehmers ist eine Leerformel, von der keine Erkenntnis bei der Suche nach den Ursachen für Qua-
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litätsverschlechterungen auf Märkten zu erwarten ist. Die Kompensation ungleicher Marktmacht ist ungeeignet als Leitidee für die Regelung des Absatzverhältnisses.
IV. (zu § 6, II.) 1. In die Ausgestaltung der rechtlichen Regelungen für die Beziehung zwischen Anbieter und Abnehmer fließen ausdrücklich oder unterschwellig Ambitionen ein, Einkommen und Vermögen gerechter zu verteilen. Die Legitimität dieser Ambitionen kann im Grundsatz nicht bestritten werden. Das freie Spiel der Marktkräfte führt zu einer Verteilung des Einkommens nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Viele Mitglieder der Gesellschaft können nicht genügend Einkommen erwirtschaften, um die für ein angemessenes Leben notwendigen Bedürfnisse befriedigen zu können. Aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit ist deshalb die primäre, marktgerechte Einkommensverteilung zu korrigieren. Dies beruht auf einem gesellschaftlichen Konsens und Grundnormen in der Europäischen Union, die am Grundsatz der Sozialstaatlichkeit ausgerichtet sind. 2. Zu bedenken ist allerdings, dass Umverteilung die Anreize innerhalb eines marktwirtschaftlichen Systems schwächt. Zudem zeigt die ökonomische Theorie, dass der Versuch, über die Ausgestaltung privatrechtlicher Normen umzuverteilen, im Regelfall untauglich ist; jedenfalls aber andere Wege offen stehen, Verteilungsgerechtigkeit effizienter zu fördern. Vorzuziehen ist es, eine sozial ausgewogene Verteilung von Einkommen und Vermögen durch unmittelbare Transferzahlungen und das Steuerrecht anzustreben. 3. Schließlich besteht das Risiko unbeabsichtigter Verteilungseffekte durch abnehmerschützende Vorschriften: Von Gewährleistungs- und Haftungsregeln profitieren Abnehmer mit größerem Einkommen in stärkerem Maße. Faktisch ziehen Abnehmer mit niedrigem Einkommen einen relativ geringeren Nutzen aus Informationsinstrumenten. Über den Preis zahlen sie aber den gleichen Anteil für den Abnehmerschutz mit. Außerdem können Mindeststandards für die Produktqualität dazu führen, dass untere Einkommensschichten vom Markt ausgegrenzt werden. Die Regulierung des Absatzverhältnisses zu Gunsten der Abnehmer begünstigt deshalb eher gut verdienende Mittelschichten auf Kosten der Abnehmer mit geringerem Einkommen. Dies verdeutlicht, dass auch verteilungspolitische Ambitionen kein überzeugender Ausgangspunkt sind, von dem sich die Regelung des Absatzverhältnisses leiten lassen sollte.
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V. (zu § 6, III.) 1. Effizienzfördernd können auch paternalistische Regeln wirken, also Normen, die dem Adressatenkreis auch ohne oder sogar gegen dessen Willen zu Gute kommen sollen. Ansatzpunkt hierfür ist die Erkenntnis, dass Individuen nur eingeschränkt rational handeln. Sie treffen Entscheidungen, die ihren Präferenzen nicht optimal entsprechen und dies sogar in Konstellationen, in denen alle für eine optimale Entscheidung notwendigen Informationen verfügbar wären. Denn zum einen sind sich Individuen ihrer eigenen Präferenzen, die teilweise in sich widersprüchlich sind und auch Veränderung unterliegen, selten klar bewusst. Zweitens ist es häufig rational, darauf zu verzichten, alle prinzipiell zur Verfügung stehenden Informationen auch zur Entscheidungsgrundlage zu machen (rational ignorance). Der potenzielle Nutzen mag nämlich hinter dem Aufwand, diese aufzunehmen und zu verarbeiten, zurückbleiben. Der rational Handelnde trifft dann eine Entscheidung, die seinen Präferenzen zwar nicht optimal entspricht, die ihn aber zufrieden stellt. Drittens ist die intellektuelle Kapazität, Informationen verarbeiten zu können, individuell begrenzt. Viertens schließlich hat die kognitive Psychologie eine Reihe von Phänomenen wie etwa kognitive Dissonanzen identifiziert, die zeigen, dass Individuen systematisch in irrationaler Weise bestimmte Informationen nicht wahrnehmen oder jedenfalls nicht korrekt in ihre Entscheidungsfindung einbeziehen, obwohl dies notwendig wäre, um eine präferenzorientierte Entscheidung zu treffen. 2. Theoretisch lässt sich auf Grundlage dieser Erkenntnisse schlüssig begründen, dass paternalistische Regulierung wohlstandsfördernd wirken kann. Eine solche Wirkung setzt freilich voraus, dass der Regelgeber tatsächlich über das notwendige überlegene Wissen (superior knowledge) verfügt, wie auch über die erforderlichen Instrumentarien, um die individuellen Entscheidungen seinen Erkenntnisse entsprechend fördern oder sogar erzwingen zu können. Allein angesichts der Disparität und Dynamik der Präferenzstruktur unter den Abnehmern ist zweifelhaft, ob paternalistisches Eingreifen tatsächlich wohlfahrtssteigernd wirken kann. Paternalistische Motivationen können deshalb die Regulierung des Absatzverhältnisses allenfalls punktuell leiten.
VI. (zu § 7) 1. Unvollkommene Information auf Märkten auszugleichen überzeugt als Ansatzpunkt, regelnde Eingriffe in das Absatzverhältnis zu begründen. Vor allem Qualitätsunkenntnis auf Seiten der Abnehmer, aber auch Nutzen- und Preisunkenntnis unter Abnehmern sowie Informationsdefizite auf Anbieterseite können erklären, dass Märkte in ihrer Funktionsfähigkeit eingeschränkt sind und auf Grund von Prozessen adverser Selektion systematisch eine zu niedrige Produktqualität ange-
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boten wird. Das Modell der adversen Selektion wegen Informationsdefiziten macht aber vor allem deutlich, dass die Gefahr eines „Market for Lemons“ und der Unterversorgung an Produktqualität kein spezifisches Risiko privater Marktteilnehmer ist und nicht mit einem Defizit an „wirtschaftlicher Macht“ korreliert. Vielmehr kann dies grundsätzlich alle Abnehmer betreffen, die in bestimmten Situationen systematisch über Variablen unzureichend informiert sind, die für eine Transaktion relevant sind. 2. Verschiedene Marktmechanismen wirken den Informationsproblemen entgegen. Die Marktseite, die mit einem Informationsdefizit belastet ist, kann auf vielfältige Informationsquellen und professionelle Informationsintermediäre zurückgreifen. Wichtig ist die Erkenntnis, dass von Marktteilnehmern, die informiert auf Märkten agieren, positive externe Effekte für die nicht informierten Marktteilnehmer ausgehen, soweit die Gegenseite nicht nach dem Grad der Informiertheit differenzieren kann. Aber auch die Marktseite mit einem Informationsvorsprung hat ein Interesse daran, Informationsdefizite zu beseitigen, um Transaktionen für Produkte hoher Qualität zu ermöglichen, die ansonsten der adversen Selektion zum Opfer fielen. Spieltheoretische Überlegungen zeigen, dass dieser Anreiz zu einem Mechanismus der umfassenden freiwilligen Offenbarung der Produktqualität führen kann, da sich die Anbieter jedenfalls von den Konkurrenten abgrenzen wollen, die noch schlechtere Qualität anbieten (sog. unraveling result). Als Instrument zur Überwindung von Informationsdefiziten wirkt auch der Reputationsmechanismus. Vor allem Garantieversprechen und Investitionen in die Werbung können der Marktgegenseite hohe Qualität signalisieren. 3. Genügen die Reaktionen der Marktteilnehmer nicht, um Informationsdefizite auszugleichen, ist ein Eingreifen des Gesetzgebers gefordert. Ihm steht hierbei eine breite Palette von Instrumenten zur Verfügung, die sich darin unterscheiden, wie intensiv sie in die Marktmechanismen eingreifen. Mögliche Maßnahmen reichen von der Verhinderung irreführender Praktiken über Regeln zum Schutz aufgebauter Reputation, Informationspflichten, der Etablierung von Widerrufsrechten bis zur Festlegung von Qualitätsmindeststandards und zwingendem Gewährleistungsund Haftungsrecht. Vor einem Eingreifen hat sich der Gesetzgeber zunächst zu vergegenwärtigen, ob überhaupt ein regulierungsbedürftiges Problem vorliegt, d. h. insbesondere darüber, ob nicht die vorhandenen Marktmechanismen ausreichen. Sodann ist zu prüfen, ob das Problem erfolgversprechend und vor allem effizient gelöst werden kann, ob also der Nutzen durch ein Eingreifen gegenüber den Kosten für die Allgemeinheit und die betroffenen Marktakteure überwiegt. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, welche Art von Informationsinstrument eingesetzt werden kann. Neben der Effizienz in Bezug auf die unmittelbare Wirkung auf das Informationsproblem ist zu bedenken, dass inhaltsbeschränkend wirkende Vorgaben wie Produktverbote oder zwingendes Gewährleistungs- und Haftungsrecht auch die Marktvielfalt beschränken und Wettbewerbern den Marktzugang erschweren. Überlegen sind deshalb häufig marktunterstützende Maßnahmen wie etwa Etikettierungsregeln, die effizient Informationsprobleme ausgleichen, dabei aber
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die Angebotsvielfalt erhalten. Der bevorzugte Rückgriff auf marktunterstützende Informationsregeln entspricht deshalb auch Grundwertungen einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung und den damit einhergehenden Prinzipien von Privatautonomie und Vertragsfreiheit. Denn solche Regeln verbessern die tatsächliche Entscheidungsfreiheit und fördern damit eine material verstandene Vertragsfreiheit. Auf diese Weise stärken sie zugleich die Überzeugungskraft der in einer freiheitlichen Vertragordnung dominierenden Idee einer formalen Vertragsgerechtigkeit.
VII. (zu § 8) 1. Die Sicherung kompetitiver Marktstrukturen ist die vordringliche und originäre Aufgabe jeder kartellrechtlichen Regulierung. Sie verhindert, dass sich Monopole bzw. Kartelle auf Kosten der Abnehmer eine Monopolrendite sichern können und dass sie durch die dafür notwendige Reduzierung des Outputs Abnehmer vom Zugang zu Gütern ausschließen. Wettbewerbstheoretische Überlegungen gehen zumeist vom Standardmodell der vollständigen Konkurrenz aus, das trotz aller berechtigten Kritik ein nützliches Referenzsystem bildet, um die Funktionsfähigkeit von Märkten zu beurteilen. Wirtschaftspolitische Handlungsmaximen lassen sich jedoch nicht allein auf Grundlage eines auf dem Modell der vollständigen Konkurrenz basierenden Konzepts von Marktversagen fundieren. Nachzuweisen ist, dass regulierende Eingriffe tatsächlich die Wettbewerbssituation verbessern können. Die Wirtschaftspolitik muss sich deshalb darauf beschränken, offensichtlich nichtkompetitive Marktstrukturen zu regulieren, für die es keine sonstige Rechtfertigung gibt. 2. Die Wettbewerbstheorie kann keine allgemeingültigen Aussagen darüber treffen, wie sich die für Vertriebsverträge typischen vertikalen Beschränkungen auf Wettbewerb, gesamtwirtschaftliche Effizienz und Konsumentenwohlfahrt auswirken. Nicht belegen lässt sich jedenfalls die These von ihrer per se-Vorteilhaftigkeit. Denn zwar kann gezeigt werden, dass vertikale Vereinbarungen dazu beitragen können, das Verhalten von Produzenten und Händlern in deren gegenseitigem Interesse zu koordinieren und so deren Ergebnisse zu optimieren. Dies steigert jedoch nicht zwingend die Konsumentenwohlfahrt. Vielmehr hängt es insbesondere von der Intensität des Interbrand-Wettbewerbs ab, ob Effizienzgewinne durch vertikale Beschränkungen auch den Abnehmern zu Gute kommen. Kontrovers diskutiert und nicht allgemeingültig zu beantworten ist auch, inwieweit vertikale Vereinbarungen die Kartellbildung unterstützen können, wie ihre Auswirkungen auf die Möglichkeit des Marktzutritts neuer Mitbewerber einzuschätzen sind und inwieweit der Schutz des Intrabrand-Wettbewerbs für sich wettbewerbspolitisch bedeutungsvoll ist. 3. Angesichts der ambivalenten Erkenntnisse der Wettbewerbstheorie zu den Wirkungen vertikaler Vereinbarungen lassen sich kaum allgemeine Regeln zu ihrer kartellrechtlichen Behandlung formulieren. Da auch eine Einzelfallprüfung keine
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gangbare Option bildet, bleibt dem Regelgeber nur, bestimmte Konstellationen und Voraussetzungen zu definieren, bei denen die Vorteile der Verwendung bestimmter vertikaler Vereinbarungen typischerweise gegenüber den Nachteilen überwiegen bzw. vice versa und bei denen dann eine widerlegliche Vermutung für die Wettbewerbskonformität bzw. die Wettbewerbswidrigkeit besteht. Schließlich ist zu bedenken, dass Effizienz und Steigerung der Konsumentenwohlfahrt nicht die einzigen Besorgnisse realer Wettbewerbspolitik sind. Denn zwar geben diese ökonomischen Kriterien die theoretisch überzeugendsten Maßstäbe vor, um Kartellrecht auszugestalten. Andererseits stößt deren Umsetzung auf Schwierigkeiten, nicht zuletzt auch auf normative Grenzen. Prominent auf europäischer Ebene ist etwa die Vorgabe, dass gerade das Kartellrecht der vertikalen Vertriebsvereinbarungen auch die Binnenmarktintegration zu fördern habe. Die Erkenntnisse der Ökonomik nehmen deshalb zwar den Platz eines zentralen Bestimmungsfaktors neben anderen Kriterien ein. Die Ausgestaltung der Wettbewerbspolitik bleibt aber von Maß- und Gradfragen geprägt und verlangt vielfach abwägende Entscheidungen.
VIII. (zu § 9, I.) 1. Die europäischen Regelungen für Absatztechniken und Absatzfördermaßnahmen lassen sich als Maßnahmen verstehen, um Informationsdefizite auf Märkten zu verhindern. Die Regelungen setzen an drei Punkten an: Die Anbieter werden verpflichtet, die Marktgegenseite über transaktionsrelevante Sachverhalte zu informieren oder es wird der Einsatz freiwilliger Informationsinstrumente gefördert. Zweitens räumt der Gesetzgeber Abnehmern Widerrufsrechte ein, die diesen eine erweiterte Möglichkeit geben, Informationen aufzunehmen und bei ihrer Vertragsentscheidung zu berücksichtigen. Drittens schließlich fördern gemeinschaftsrechtliche Regelungen auch den Einsatz von Intermediären, um Informationsdefiziten zu begegnen. 2. Relativ ausführlich regelt der europäische Gesetzgeber die Werbung und damit ein Instrument der freiwilligen Information durch den Anbieter. Dem Schutz der Informationsfunktion der Werbung dienen zunächst die allgemeinen und produktspezifischen Irreführungsverbote des Gemeinschaftsrechts. Für die Auslegung dieser Regeln ist von besonderer Relevanz, dass der EuGH die Irreführungsgefahr von Werbeaussagen normativ anhand der mutmaßlichen Erwartungen eines „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers“ bemisst und damit ein liberales Verbraucherleitbild vorgibt. Wichtig für die Informationsordnung sind auch die Regeln, die Anbieter zwingen, den Werbecharakter von Informationen aufzudecken. Nur dann haben die Abnehmer die Möglichkeit, die Glaubwürdigkeit von Informationen fair zu bewerten und sich ein Urteil bilden zu können, inwieweit sie diese zur Grundlage für ihre Vertragsentscheidung machen wollen. Der europäische Gesetzgeber erkennt auch die positiven Wirkungen der vergleichenden Werbung an, die sowohl der Information der
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Märkte dienen kann und zudem als „klassisches Angriffsinstrument“ aus wettbewerbstrategischer Sicht positiv zu beurteilen ist. Nur in wenigen Fällen und dann auch nur sehr begrenzt wird Werberegulierung gezielt eingesetzt, um bestimmte Informationen zu transportieren. Geregelt sind etwa Pflichtangaben für die Arzneimittelwerbung oder die Verpflichtung, bei der Bewerbung von Timesharingobjekten auf den Prospekt für die Immobilie hinzuweisen. Diese Zurückhaltung bei der inhaltlichen Werberegulierung ist angemessen, da sonst die Attraktivität der Werbung als freiwilliges Informationsinstrument der Anbieter in kontraproduktiver Weise beeinträchtigt werden würde. Differenziert zu beurteilen sind die Werbeverbote und -beschränkungen im Gemeinschaftsrecht. Teilweise lassen sie sich als abstrakte Irreführungsverbote verstehen und deshalb rechtfertigen zum Schutz der Rolle der Werbung als Informationsinstrument. In der Mehrzahl der Fälle erklären sich die inhaltlichen Vorgaben jedoch allein aus paternalistischen Motiven heraus. Gute Gründe gibt es tatsächlich, die Werbung etwa für Alkoholika oder Arzneimittel zu beschränken, um eine freie, selbstbestimmte Vertragsentscheidung der Werbeadressaten nicht zu gefährden. Nicht sachlich zu rechtfertigen ist demgegenüber das umfassende Verbot, für Tabakprodukte zu werben. Dieses kann nicht als freiheitsfördernder paternalistisches Instrument angesehen werden, sondern allein als Instrument eines illiberalen Wertepaternalismus. 3. Umfangreich reguliert das Gemeinschaftsrecht auch die Etikettierung. Die Basisregelung bildet wiederum der Irreführungsschutz, hier indes lediglich produktspezifisch für Lebensmittel und Kosmetika geregelt. Den Hauptinhalt der Regelungen bilden produktspezifische Informationen, die Hersteller über die Etikettierung dem Markt zur Verfügung stellen müssen. Flankiert werden diese Regeln von Transparenzvorschriften, insbesondere von Vorgaben zur Sprache, die zu verwenden ist. Auch obligatorische Warnhinweise ordnen sich grundsätzlich in ein Abnehmerschutzkonzept ein, das Schutz nicht durch Verbote, sondern durch Information anstrebt. Denn um den Abnehmern tatsächlich präferenzgemäße Entscheidungen zu ermöglichen, bedarf es teilweise besonders eindringlicher Hinweise auf Gefahren und Risiken, die mit einem Produkt verbunden sind. Dies gilt jedoch nicht für die europäischen Regeln zur Tabaketikettierung. Diese können nur als ein wertepaternalistisches Instrument verstanden werden, das darauf abzielt, Abnehmer vom Erwerb eines legalen Produktes abzubringen. Etikettierungsbeschränkungen bezwecken teilweise einen abstrakten Irreführungsschutz, zumeist aber werden sie von einem paternalistischen Impetus bestimmt, wie etwa die Beschränkungen, krankheitsheilende Wirkungen von Produkten auf der Etikettierung zu benennen. 4. Die Anbieter von Timesharingobjekten und von Investmentfonds müssen den Abnehmern vor dem Abschluss eines Geschäfts einen Prospekt aushändigen. Dieser sparsame Umgang des Gemeinschaftsgesetzgebers mit Prospektpflichten ist überzeugend, weil der Prospekt ein relativ teures Informationsinstrument darstellt, das effizient vor allem beim massenhaften Vertrieb komplexer Erfahrungsgüter eingesetzt werden kann. Eine bedeutende Rolle spielt der Prospekt auch beim Vertrieb von Pauschalreisen. Europäisch vorgegeben sind hier jedoch nur Regeln für den Fall, dass der Anbieter sich freiwillig dazu entschließt, einen Prospekt zu begeben.
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Um den Abnehmern eine informierte Vertragsentscheidung zu ermöglichen und um den Produktvergleich durch standardisierte Informationen zu erleichtern, sind für Prospekte Pflichtangaben vorgesehen. Diese betreffen vor allem den Vertragsgegenstand, den Preis und den Vertragspartner. Regeln zur Form, zum Ausdruck und zur Wahl der Prospektsprache sollen dessen Funktion als Informationsinstrument sichern. Die Wirkung eines Prospektes als marktbezogenes Instrument hängt wesentlich von seiner Verbreitung unter den Abnehmern ab. Sie ist umso größer, je höher die Zahl der Personen ist, die Einsicht in den Prospekt haben. Andererseits steigen damit auch die Kosten einer Prospektpflicht, so dass es wichtig ist, ein effizientes Maß der vorgeschriebenen Verbreitung zu finden. Die Anbieter von Investmentfonds etwa haben den vereinfachten Prospekt jedem „potenziellen Zeichner“ auszuhändigen. Die obligatorische Verbreitung ist damit weiter als bei der Timesharingrichtlinie, die vorschreibt, dass der Prospekt „jedem Interessenten“ zur Verfügung zu stellen ist. 5. In der Phase der unmittelbaren Vertragsanbahnung sollen Informationspflichten, die gegenüber dem individualisierten potenziellen Vertragspartner bestehen, Informationsasymmetrien abbauen. Solche Pflichten lassen sich insbesondere dann überzeugend begründen, wenn – wie etwa beim Fernabsatz – die Absatztechnik besondere Informationsprobleme provoziert oder wenn wie im Falle grenzüberschreitender Überweisungen ein produktspezifisches Marktversagen konstatiert wird. Daneben treten etwa für den elektronischen Handel Informationspflichten, die technische Hindernisse zum Vertragsschluss aus dem Weg räumen sollen. Die Grenze von der Informationspflicht zur Beratungspflicht ist überschritten, wenn der Anbieter verpflichtet wird, eine eigene Stellungnahme zu verschiedenen Verhaltens- bzw. Gestaltungsmöglichkeiten abzugeben. Eine Pflicht zur obligatorischen Beratung findet sich gegenwärtig nicht im Europäischen Absatzrecht; Art. 19 Abs. 4 FinMRL regelt die Beratung durch Wertpapierhändler nur für den Fall, dass sie sich zur Anlageberatung verpflichten. Jedoch sieht Art. 6 Abs. 4 V-VerbrKrRL eine Beratungspflicht des Kreditgebers gegenüber einem Verbraucher vor.
IX. (zu § 9, II.) 1. Bei Vertragsschlüssen als Haustürgeschäft und im Fernabsatz räumt der europäische Gesetzgeber dem Verbraucher ein Widerrufsrecht ein. Diese cooling-off period rechtfertigt sich als Regelungsinstrument einerseits, um strukturelle Informationsasymmetrien auszugleichen, die verstärkt bei besonderen Absatztechniken auftreten und die in diesen Fällen typischerweise noch durch offensive Verkaufsmethoden verschärft werden. Andererseits besteht bei „Haustürgeschäften“, aber auch im Fernabsatz ein besonderes Risiko, dass sich Abnehmer auf Grund einer Druck- oder Locksituation irrational verhalten und Geschäfte schließen, die an und für sich ihren Präferenzen widersprechen. Ein Widerrufsrecht gibt den Betroffenen deshalb auch die Möglichkeit, eine Vertragsentscheidung frei von suggestiven
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Einflüssen zu überdenken. Widerrufsrechte lassen sich deshalb nicht nur als Instrument rechtfertigen, um asymmetrische Informationsverteilungen zu kompensieren, sondern auch als paternalistische, jedoch freiheitsfördernde Eingriffe in Privatautonomie und Marktfreiheit. Vom genauen Zuschnitt des Anwendungsbereichs und der Ausgestaltung des Widerrufsrechts hängt schließlich ab, ob die Wohlfahrtsgewinne durch die Kompensation von Informationsproblemen und irrationalem Verhalten gegenüber den Nachteilen überwiegen, die durch opportunistisches Verhalten und andere Kostenfaktoren entstehen. 2. Die Ausnahmen vom Anwendungsbereich der Widerrufsrechte in der Haustürwiderrufsrichtlinie, der Fernabsatzrichtlinie und der Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen lassen sich überwiegend überzeugend damit begründen, dass die zu kompensierenden Marktunvollkommenheiten gering sind, dass die Transaktionskosten durch ein Widerrufsrecht sehr hoch wären oder eine große Gefahr opportunistischen Verhaltens des Widerrufsberechtigten bestünde. Sie tragen deshalb dazu bei, dass die Widerrufsrechte als marktkonforme Eingriffe in die Privatautonomie überzeugen können. Dies lässt sich demgegenüber für die Ausgestaltung der Widerrufsrechte nur bedingt bestätigen. Während etwa die Pflicht des Unternehmers, den Verbraucher über dessen Widerrufsrecht zu belehren oder auch die Festlegung der Fristlängen im Grundsatz überzeugen, so sind insbesondere die Rechtsfolgenregelungen zu kritisieren. In ihnen spiegelt sich der Zielkonflikt wider zwischen dem Interesse des Widerrufsberechtigten, den Vertrag möglichst folgenlos aufzulösen und dem Interesse des Widerrufsgegners an einem Schutz vor opportunistischen Verhaltensweisen. Zu bedauern ist vor allem, dass die Haustürwiderrufsrichtlinie und die Fernabsatzrichtlinie keinen Anspruch des Widerrufsgegners auf Wertersatz für die Verschlechterung oder den Untergang des Vertragsgegenstandes und auf Vergütung für Leistungen vorsehen, deren Rückgewähr der Natur der Sache nach nicht möglich ist.
X. (zu § 9, III.) 1. Um die Information der Märkte über den Rückgriff auf Intermediäre zu fördern, regelt die Gemeinschaft ausführlich das Recht der Wertpapierdienstleister und Versicherungsvermittler, daneben auch punktuell die Rolle der Arzneimittelvertreter als Informationsintermediäre. Regelungsziel ist zunächst, durch zwingende Mindeststandards für das Produkt „Information“ eine adverse Selektion auf dem Markt für Intermediärlösungen zu verhindern. Geregelt sind deshalb zum einen verschiedene persönliche und organisationsbezogene Vorgaben. So darf etwa nur derjenige Versicherungen vermitteln, der berufliche Mindestanforderungen erfüllt und sich registrieren lässt. Andere Regelungen sollen unmittelbar die Qualität der Vermittlung der notwendigen Informationen sichern. So muss beispielsweise ein Arzneimittelvertreter für jedes von ihm vertriebene Arzneimittel eine Zusammenfassung der Merkmale vorlegen.
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2. Ein zentrales Anliegen der Regelungen von Intermediärlösungen liegt darin, Risiken für die Qualität des Produktes „Information“ zu minimieren, die auf Grund von Interessenkonflikten beim Intermediär entstehen können. Diesen Gefahren kann zum einen durch Transparenzvorschriften begegnet werden. Versicherungsvermittler sind beispielsweise dazu verpflichtet, potenzielle Interessenkonflikte offen zu legen, wie sie etwa durch Beteiligungen an Versicherungsunternehmen entstehen können. Nicht überzeugen kann die Entscheidung der Kommission, von einer Pflicht zur Provisionsoffenlegung bei Versicherungsvermittlern abzusehen. Wertpapierdienstleister müssen Interessenkonflikte bereits durch organisatorische Maßnahmen soweit wie möglich vermeiden und interne Verfahren einrichten, um etwa die persönlichen Transaktionen der Angestellten zu kontrollieren. Zu vermeiden sind auch geschäftsbezogene Interessenkonflikte. Soweit organisatorische und verwaltungsmäßige Vorkehrungen nicht ausreichen, um Interessenkonflikte auszuschließen, sind diese und die damit verbundenen Risiken dem Klienten gegenüber offen zu legen. Keinen Gebrauch hat der Gemeinschaftsgesetzgeber von der Möglichkeit gemacht, durch geschützte Bezeichnungsrechte dem Markt den Grad der Unabhängigkeit eines Intermediärs zu signalisieren. Zu begrüßen ist, dass die Finanzmarktrichtlinie die Durchführung einer Transaktion nicht zwingend mit individuellen Informationspflichten oder gar Beratungspflichten verbindet. Dies ermöglicht nicht nur die Angebote des sog. „execution only“ und damit eine größere Produktdifferenzierung, sondern lässt auch die Möglichkeit offen, dass sich ein Markt für die reine Anlagenberatung etablieren kann. Komplettiert werden die verschiedenen Instrumente zur Verhinderung und Auflösung von Interessenkonflikten durch die allgemeine Treuepflicht, die jeden Intermediär bindet, der einen Klienten auf der Grundlage einer vertraglichen Beziehung informiert oder berät. Aus dem treuhänderischen Charakter dieses Vertrages folgt, dass der Vermittler unbedingt den Interessen der Klienten Vorrang einzuräumen hat, selbst wenn ihm hierdurch finanzielle Einbußen entstehen. 3. Schließlich besteht eine klassische Regelungsaufgabe des Gemeinschaftsrechts darin, Hindernisse für den Binnenmarkt abzubauen. Die jeweiligen Richtlinien erleichtern es deshalb den Versicherungsvermittlern und Wertpapierdienstleistern, auch grenzüberschreitend tätig zu werden.
XI. (zu § 9, IV.) 1. Die gemeinschaftsrechtliche Regelung von Absatzverhältnissen wird dominiert von marktunterstützenden Instrumenten. Diese haben den Vorteil, dass sie Marktdefiziten begegnen, ohne die Vielfalt der Angebote einzuschränken. Dem Wettbewerb verbleibt so die Rolle als zentraler Steuerungsmechanismus und den Marktteilnehmern die Freiheit bei der Produktwahl. Nicht überzeugen können demgegenüber vereinzelte Ansätze wie bei der Regelung der Tabaketikettierung,
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dem Absatzrecht marktkorrigierende Ziele zuzuweisen. Diese Regeln zielen lediglich darauf ab, den Tabakkonsum zu verhindern. Damit wird ein klassisches Informationsinstrument der Anbieterseite zu einem Instrument wertepaternalistischer Regulierung. 2. Drei Aspekte erklären die Vorherrschaft marktunterstützender Regeln: Erstens stützt sich die Regelung von Absatztechniken und Absatzfördermaßnahmen kompetenzrechtlich auf die Art. 94 und 95 EG und muss deshalb dazu beitragen, grenzüberschreitende wirtschaftliche Aktivitäten zu erleichtern. Aus den Grundfreiheiten leitet der EuGH ab, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine allgemeine Schranke für harmonisierende Normen des EG-Sekundärrechts darstellt, die den innergemeinschaftlichen Handel beschränken. Zwingende inhaltliche Regeln sind deshalb nur zulässig, soweit dem jeweiligen Schutzbedürfnis nicht durch Informationslösungen hinreichend Rechnung getragen werden kann. Folgerichtig stehen unter den Harmonisierungsmaßnahmen zur Binnenmarktintegration absatzbezogene, marktunterstützende Bestimmung im Vordergrund im Vergleich zu inhaltsbestimmenden, marktkorrigierenden Regelungen. Zweitens überzeugt die vorrangige Harmonisierung durch marktunterstützende Regeln für Absatztechniken und Absatzförderung auch aus regelungstheoretischer Sicht. Sie ermöglicht eine effiziente Balance zwischen dezentralen und zentralen Regelungen. Indem beispielsweise den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, Produktstandards zu definieren, die Gemeinschaft aber zentral eine standardisierte Information über Produkteigenschaften etwa durch die Etikettierung vorschreibt, ermöglicht sie den freien Produktverkehr im Binnenmarkt und gestattet doch gleichzeitig eine Konkurrenz über den effizientesten Produktstandard und schaltet somit durch einheitliche Regeln nicht etwa den Wettbewerb als Mittel aus, neues Wissen zu generieren. Drittens schließlich ist es typischerweise leichter, politischen Konsens über absatzbezogene, marktunterstützende als über inhaltsgestaltende, marktkorrigierende Regeln zu erzielen. 3. Die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen für Absatztechniken und Absatzförderung als „Verbraucherschutzrecht“ zu verstehen, widerspiegelte nur in unzureichender Weise deren Wirkungsmechanismen. Denn zum einen stützt sich das Gemeinschaftsrecht in diesem Bereich kompetenzrechtlich nahezu immer auf die Binnenmarktkompetenz der Art. 94 und 95 EG und mit Ausnahme der Preisangabenrichtlinie nie auf Art. 153 Abs. 3 lit. b, Abs. 4 EG, also die Regel, die die Gemeinschaft ermächtigt, originäres Verbraucherrecht zu schaffen. Aus kompetenzrechtlicher Perspektive ist das europäische Recht der Absatztechniken und der Absatzförderung deshalb zuerst Binnenmarktrecht, nicht Verbraucherschutzrecht. Zum anderen liegt Rechtsangleichung auch im Interesse der Unternehmen an einem level playing field, also einem jedenfalls näherungsweise einheitlichen Handlungsrah. men im Binnenmarkt. Aber auch inhaltlich verkürzte der Ansatz von absatzbezogenen Regelungen als Verbraucherschutzrecht die Wirkungsweise der gemeinschaftsrechtlichen Regelung von Absatztechniken und Absatzförderung. Denn diese bedient sich ganz überwiegend marktunterstützender Instrumente, weshalb es nicht gut begründbar ist, sie auf den Schutz der Interessen einer bestimmten Gruppe von
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Marktteilnehmern zu reduzieren. Vielmehr sind Normen, die darauf abzielen, wettbewerbliche Prozesse zu fördern und abzusichern als integraler Bestandteil einer einheitlich strukturierten Zivilrechts- und Wirtschaftsordnung zu begreifen, nicht aber als Sonderprivatrecht. Die europäischen Regeln der Absatztechniken und Absatzförderung sind deshalb auch zuerst Marktrecht und allgemeines Zivil- und Wirtschaftsrecht, nicht aber Verbraucherschutzrecht. 4. Der Verbraucher, der selbstverantwortlich am Markt agiert, dominiert als Leitbild das europäische Recht der Absatztechniken und der Absatzförderung. Seinen Ausdruck findet dies bereits darin, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber auf marktunterstützende Instrumente setzt, die in erster Linie marktliche Informationsmechanismen sichern, fördern und ergänzen wollen. Der EuGH hat dies explizit gemacht, indem er bei der Auslegung der Grundfreiheiten und des Sekundärrechts vom Leitbild des „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers“ ausgeht. Dieses normative Leitbild rechtfertigt sich angesichts der Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft, die vorrangig auf die Ordnungsprinzipien Markt und Wettbewerb setzt. Das individuell durchsetzbare Recht der EG-Bürger auf eine freie Teilnahme am grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr markiert zusammen mit dem im Binnenmarkt zu gewährleistenden System unverfälschten Wettbewerbs und anderen Funktionsgarantien die Grundpfeiler der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft. Da deren Grundsätze als Leitlinien für die Auslegung und Fortbildung des Gemeinschaftsrechts herangezogen werden können, ist es nur folgerichtig, wird dem Verbraucher die Rolle eines mündigen Marktbürgers zugewiesen, der durch Information zu selbstverantwortlichen Entscheidungen befähigt werden kann. Das liberale Leitbild als normative Vorgabe kann jedoch dann nicht mehr überzeugen, wenn dem Betroffenen irreversible Freiheitsverluste drohen, also entweder die Rechtsgüter Leben oder Gesundheit auf dem Spiel stehen oder Vermögensverluste, die existenzbedrohende Ausmaße annehmen oder zur andauernden Überschuldung des Verbrauchers führen können. Die drohenden übermäßigen Einschränkungen der wirtschaftlichen Freiheit des Verbrauchers können jedoch durch sozialpolitische Maßnahmen ausgeglichen werden, insbesondere auch durch die Möglichkeit der Schuldbefreiung im Rahmen eines Verbraucherinsolvenzverfahrens.
XII. (zu § 10, I.1.) 1. Das Recht der Absatzmittler wird durch die kartellrechtliche Regulierung geprägt. Der Praxis des EG-Kartellrechts wird vor allem auch im Hinblick auf die Behandlung von Vertriebsvereinbarungen vorgeworfen, das zentrale Ziel der Wettbewerbspolitik, nämlich den Schutz und die Förderung kompetitiver Strukturen, aus den Augen verloren zu haben. Insbesondere drei Merkmale der Praxis zu Art. 81 EG sind in die Kritik geraten: Die Gemeinschaft instrumentalisiere das Kartellrecht in nicht gerechtfertigter Weise, um die Binnenmarktintegration zu fördern, sie behan-
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dele jede Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit als tatbestandliche Wettbewerbsbeschränkung und lasse auch für wettbewerbsfremde Ziele weit gehend nach Art. 81 Abs. 3 EG Ausnahmen vom Kartellverbot zu. 2. Eine Analyse der Anwendung des EG-Wettbewerbsrechts auf Vertriebsverträge erweist, dass das Ziel, einen freien zwischenstaatlichen Handel im Binnenmarkt zu fördern und auch einen freien Parallelhandel zu gewährleisten, im Zentrum der kartellrechtlichen Behandlung von Vertriebsverträgen steht und nicht selten den Schutz des Wettbewerbs als an sich originäres Ziel der Wettbewerbspolitik in den Hintergrund verweist. Die unbedingte Gewährleistung des Parallelhandels kann verhindern, dass wettbewerbstheoretischen Erkenntnissen zum Durchbruch verholfen wird, wonach Vertriebsbeschränkungen häufig einen Marktzutritt wirtschaftlich erst ermöglichen und generell Einschränkungen des markeninternen Wettbewerbs häufig dadurch kompensiert werden, dass sich der Wettbewerb zwischen den Marken intensiviert. Zum anderen kann freier Parallelhandel dazu führen, dass Unternehmen ihre Produkte von Teilmärkten des Binnenmarktes ganz zurückziehen; seine Gewährleistung durch die Wettbewerbspolitik wirkt dann kontraproduktiv hinsichtlich des Zieles, den Binnenmarkt weiter zu integrieren. Abzulehnen sind die teilweise zu verzeichnenden marktkorrigierenden Eingriffe in die Vertriebsstruktur wie im Fall Sony, wo die Kommission vorschrieb, dass in das Vertriebssystem eine Ebene für Großhändler aufzunehmen sei. Sie befürchtete ansonsten eine Erschwerung des Parallelhandels. Es spricht viel dafür, dass solche Interventionen die Allokationseffizienz verringern und zu höheren Preisen führen, wohingegen die positiven Effekte für die Binnenmarktintegration alles andere als sicher sind. Fraglich ist zudem die Tragfähigkeit der Grundannahmen der Kommission, dass einheitliche Preise einen entscheidenden Indikator für erfolgreich integrierte Märkte darstellen und dass der Parallelhandel tatsächlich geeignet sei, Preiskonvergenz und Integration nachhaltig zu fördern. Die Auswirkungen von der Ausgestaltung des Vertriebskartellrechts auf die Binnenmarktintegration sind jedenfalls komplexer, als es die Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft häufig suggeriert. Zu Unrecht wird teilweise auch der Eindruck vermittelt, es bestünde ein originärer Konflikt zwischen Wettbewerbsintensität und der Integration des Binnenmarktes. 3. Angesichts der Entstehungsgeschichte des EG-Vertrages ist eine Hauptfunktion der EG-Wettbewerbspolitik darin zu sehen, die Integration des Binnenmarktes zu fördern und abzusichern. Bereits die Gründungsväter der Gemeinschaft hatten vorgesehen, dass Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln komplementär zusammenwirken sollen, um die mitgliedstaatlichen Märkte zu integrieren. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass die Wettbewerbspolitik strikt gegen vertikale Beschränkungen auszurichten sei. Denn wie bereits konstatiert wurde, kann sich angesichts uneinheitlicher Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten eine unbedingte Gewährleistung des freien Parallelhandels auch nachteilig auf die Binnenmarktintegration auswirken, weil Unternehmen sich von Teilmärkten des Binnenmarktes zurückziehen oder den Marktzutritt erst gar nicht versuchen. Bei der Auslegung und Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft ist deshalb eine
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Teil 4: Zusammenfassung und Ergebnis
Balance zu finden, teilweise durch die Zulassung vertikaler Beschränkungen, teilweise gerade durch ihre Untersagung zur Binnenmarktintegration beizutragen.
XIII. (zu § 10, I.2.) 1. Differenzierte Antworten haben die europäische Gerichtsbarkeit und die Kommission auf die Frage danach gegeben, inwieweit Vertriebsvereinbarungen tatbestandlich als wettbewerbsbeschränkend zu werten sind. In der Rechtsprechung hat sich die Auffassung durchgesetzt, wonach die tatsächlichen Auswirkungen einer Vertriebsbeschränkung bereits bei Art. 81 Abs. 1 EG innerhalb ihres rechtlichen und wirtschaftlichen Kontexts zu analysieren und zu bewerten sind. Von Belang sei danach besonders die Marktstruktur. Nicht beschränkend wirken deshalb nach der Rechtsprechung Vertriebsbeschränkungen, wenn diese von Unternehmen ausgehen, die nur einen geringen Marktanteil innehaben und wenn sie den Marktzutritt neuer Konkurrenten nicht erschweren. Das EuG bestreitet zwar, wettbewerbsfördernde mit wettbewerbsbeschränkenden Aspekten bereits auf der Tatbestandsebene in Art. 81 Abs. 1 EG abzuwägen. Tatsächlich praktiziert das Gericht wie auch der EuGH allerdings genau dies. Die Kommission verfolgt demgegenüber nach wie vor den Ansatz, dass jede Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit wettbewerbsbeschränkend sei. Sie akzeptiert zwar, dass vertikale Vereinbarungen in Vertriebsverträgen, die keine Preisfixierungen enthalten und nicht von marktmächtigen Unternehmen ausgehen, sich prinzipiell nicht nachteilig auf die Intensität des Wettbewerbs auswirken. Allerdings berücksichtigt die Kommission diese Erkenntnis erst bei der Auslegung und Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG. 2. Überzeugend ist es, ökonomische Argumente bereits durchgehend zu berücksichtigen, um den Begriff der Wettbewerbsbeschränkung auszufüllen und damit Vereinbarungen bereits vom Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG auszuschließen, bei denen auf Grund der Marktverhältnisse die wettbewerbsintensivierende Wirkung die damit verbundenen beschränkenden Wirkungen kompensiert. Dies ist zum einen konsequent, weil dem Merkmal der Wettbewerbsbeschränkung ein ökonomisches Konzept zu Grunde liegt. Zum anderen kann nur so gewährleistet werden, dass tatsächlich alle im Ganzen wettbewerbsfördernden Vereinbarungen nicht untersagt werden. Art. 81 Abs. 3 EG wird hierdurch auch nicht gegenstandslos, denn die Praxis nutzt die Regelung in vielfältiger Weise, um Vereinbarungen aus nichtwettbewerblichen Motiven heraus vom Kartellverbot auszunehmen. Das Problem der Rechtsunsicherheit schließlich stellt sich grundsätzlich gleichermaßen auf Tatbestands- wie auf Freistellungsebene; in jedem Fall bedarf es einer auf verschiedene Konstellationen bezogenen Konkretisierung durch Behörden und Gerichte, wie sie gegenwärtig vor allem die Vertikal-GVO und die Leitlinien der Kommission zu vertikalen Beschränkungen leisten.
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§ 12 Ergebnis der Untersuchung
XIV. (zu § 10, I.3.) 1. Die Ausnahmevorschrift des Art. 81 Abs. 3 EG spielt angesichts des vor allem in der Praxis der Kommission herrschenden weiten Verständnisses von wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen bei Art. 81 Abs. 1 EG für die kartellrechtliche Behandlung von Vertriebsverträgen eine hervorragende Rolle. Bemerkenswert ist aus ordnungspolitischer Sicht vor allem, dass die Kommission in ihrer Entscheidungspraxis zu Art. 81 Abs. 3 EG in weitem Maße nichtwettbewerblichen Zielstellungen etwa industrie-, beschäftigungs-, sozial- oder kulturpolitischer Art zum Durchbruch verholfen hat gegenüber wettbewerbspolitischen Erwägungen. Weder EuGH noch EuG beanstanden diese Praxis; sie wiesen der Kommission vielmehr einen weiten, nur begrenzt gerichtlich zu überprüfenden Beurteilungsspielraum zu. Offen ist bislang, inwieweit sich die dezentrale Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG nach der Reform des Kartellverfahrensrechts auf die Auslegung der Vorschrift auswirken wird und ob sich die mitgliedstaatlichen Behörden oder sogar die Unternehmen auf einen ähnlich weiten Beurteilungsspielraum wie bislang die Kommission stützen werden können. 2. Die Berücksichtigung wettbewerbsfremder Zielstellungen bei Art. 81 Abs. 3 EG wird damit begründet, dass die Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft dem Ziel des Gemeinsamen Marktes verpflichtet sei, welcher wiederum als ein Instrument anzusehen sei, die in Art. 2 EG definierten Aufgaben der Gemeinschaft zu erfüllen. Weitere normative Anknüpfungspunkte um Wettbewerbsbeschränkungen aus wettbewerbsfremden Motiven heraus zu rechtfertigen, werden auch in der Liste der Vertragsziele und Tätigkeitsfelder der Gemeinschaft in Art. 3 EG gesehen sowie in den Querschnittsklauseln der Art. 6 EG, Art. 151 Abs. 4 EG oder Art. 157 Abs. 3 EG. 3. Der Stellenwert, der bei der Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG sonstigen politischen Zielsetzungen zugestanden wurde, ist angesichts der Grundwertungen der Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft nicht zu rechtfertigen. Um ihre wirtschaftspolitischen Ziele zu erreichen, ist die Gemeinschaft auf eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb festgelegt, Art. 4 Abs. 1 EG. Dies kommt auch in dem Bekenntnis zu einem System offener und wettbewerbsorientierter Märkte in Art. 154 Abs. 2 EG und Art. 157 Abs. 1 EG zum Ausdruck. Diese Systemgarantie verdichtet sich zusammen mit verschiedenen Funktionsgarantien des EG-Vertrages, insbesondere den konstitutionalisierten Freiheitsgewährleistungen durch die Grundfreiheiten und der Gewährleistung eines Systems unverfälschten Wettbewerbs zu einer marktwirtschaftlich und freiheitlich geprägten Wirtschaftsverfassung. Bei der Auslegung und Fortentwicklung der wirtschaftsrechtlichen Bestimmungen des EG-Rechts – und damit auch des Art. 81 Abs. 3 EG – muss diese wirtschaftsverfassungsrechtliche Modellkonzeption eine wichtige Rolle spielen. An diesen Grundwertungen hat auch die Einführung neuer Politiken durch den Vertrag von Maastricht nichts geändert. Selbst wenn man nicht der Ansicht folgt, dass sich dem EG-Vertrag ein Vorrang der marktintegrativen Ziele gegenüber nichtwirt-
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schaftlichen Zielen entnehmen lässt, so ist jedenfalls nach wie vor der Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft die Wertung zu entnehmen, dass der Steuerung des Wirtschaftssystems durch Wettbewerb im Verhältnis zu wettbewerbsfremden Steuerungsmechanismen Vorrang zukommen muss. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Kommission in einer Reihe von Entscheidungen, bei denen sie sich im Rahmen von Art. 81 Abs. 3 EG von wettbewerbsfremden Zielen hat leiten lassen, den Vorrang des Wettbewerbs als rechtliches, der Wirtschaftsverfassung der EG zu entnehmendes Ordnungsprinzip aus den Augen verloren hat. 4. Europäische Kommission und Gerichtshof begreifen Art. 81 Abs. 3 EG nicht als Instrument, um unmittelbar verbraucherschützende Vorgaben durchzusetzen. Sie gehen insbesondere auch davon aus, dass der Begriff des „Verbrauchers“ in Art. 81 Abs. 3 EG alle Abnehmer erfasst. Dieses Verständnis des Merkmals der „angemessenen Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn“ überzeugt erstens, weil die Wettbewerbspolitik in erster Linie auf die Sicherung kompetitiver Marktstrukturen ausgerichtet sein sollte und deshalb keinesfalls darauf reduziert werden kann, lediglich die Interessen derjenigen zu vertreten, die zu privaten Zwecken am Markt agieren. Es ist nicht Regelungsaufgabe des Kartellrechts, mittels der Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Kartellverbot vertragsrechtliche verbraucherschützende Regelungen (Gewährleistungsrechte, Informationspflichten etc.) durchzusetzen. Dies wäre nicht nur aus kompetenzrechtlicher Sicht bedenklich. Vor allem können vertrags- und lauterkeitsrechtliche Regelungen systematischer und effektiver dazu beitragen, Informationsdefizite auf Märkten zu überwinden. Diese Einsicht sollte sich auch bei der dezentralen Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EG durchsetzen. Die mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichte sollten sich von der Idee leiten lassen, dass Art. 81 EG wie generell die Wettbewerbspolitik am effektivsten die Interessen der Abnehmer schützt, wenn seine Auslegung daran ausgerichtet bleibt, den freien Wettbewerb zu schützen.
XV. (zu § 10 II.1.) 1. Indem der Rat die Kommission ermächtigte, Gruppenfreistellungsverordnungen zu erlassen, wies er der Kommission einen Freiraum für eigenverantwortliche kartellrechtliche Regulierung zu. Auch nach der Einführung des Legalausnahmesystems wirken die Gruppenfreistellungsverordnungen weiterhin konstitutiv. Da sie die mitgliedstaatlichen Gerichte und Behörden unmittelbar binden, erfüllen sie die Funktion eines „sicheren Hafens“. 2. Mit dem Erlass der Vertikal-GVO hat die Kommission ihre Wettbewerbspolitik gegenüber Vertriebsvereinbarungen neu ausgerichtet. Sie legte Wert darauf, den Ergebnissen des Wettbewerbsmechanismus größeren Freiraum zu lassen und ökonomische Zusammenhänge bei der Bewertung umfassend zu berücksichtigen. Die Kommission erkennt deshalb die positiven Wirkungen vertikaler Vereinbarungen, wie die Lösung von „Trittbrettfahrerproblemen“, die Sicherung der Internalisie-
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rung von Investitionen etc. genauso an wie ihre negativen Seiten, namentlich die Gefahr der Errichtung von Marktzutrittsschranken, die Verringerung des markeninternen Wettbewerbs und des Wettbewerbs zwischen den Marken und die Behinderung der Marktintegration, vor allem durch die Beschränkung des Parallelhandels. Als entscheidend wird deshalb die Bilanz aus positiven und negativen ökonomischen Wirkungen angesehen. Grundregel sei danach, dass vertikale Vereinbarungen keine spürbaren negativen Auswirkungen entfalteten, soweit sie nicht von marktmächtigen Unternehmen ausgingen. Ausnahmen sollen für die Preisbindung oder den absoluten Gebietsschutz gelten, deren negative Wirkungen grundsätzlich überwiegen. 3. Diesem neu ausgerichtetem Ansatz entsprechend hat die Kommission die Vertikal-GVO ausgestaltet. Sie gilt grundsätzlich bis zu einer Marktanteilsschwelle von 30 Prozent, findet auf alle Arten vertikaler Vereinbarungen Anwendung und erfasst damit auch umfassend Vertriebsverträge. Freigestellt sind alle Vereinbarungen, die in den Anwendungsbereich des Art. 2 VertikalGVO fallen, wenn die Marktanteilsschwellen des Art. 3 VertikalGVO nicht überschritten werden und wenn sie keine Kernbeschränkungen i. S. d. Art. 4 VertikalGVO enthalten. Soweit Wettbewerbsverbote i. S. d. Art. 5 VertikalGVO vereinbart werden, entfällt die Freistellung nur für die betreffende Vertragsklausel. 4. Mit der Vertikal-GVO hat die Kommission auch mehr Freiheit für die Vertragsgestaltung geschaffen und damit für einen Wettbewerb um innovative und effiziente vertragliche Gestaltungen. Zwar schränken auch die Regeln der Vertikal-GVO die Vertragsparteien vor allem durch die Kernbeschränkungen des Art. 4 VertikalGVO erheblich ein. Und auch nachdem Art. 81 Abs. 3 EG unmittelbar anzuwenden ist, haben die Vertragsparteien um Rechtssicherheit für ihre Gestaltungen zu erlangen noch ein erhebliches Interesse daran, Vertriebsverträge in Übereinstimmung mit der Vertikal-GVO zu formulieren. Da aber durch die neue Regelungstechnik die sog. weißen Klauseln weggefallen sind, hat die Verordnung nicht mehr den Charakter eines Mustervertrages und es ist nicht mehr gerechtfertigt, von einem „Zwangsjackeneffekt“ zu sprechen. Außerdem geben ihnen die dezentrale Anwendung des Kartellrechts und das Legalausnahmesystem die Möglichkeit, neu auszutesten, wieweit ihnen Art. 81 Abs. 3 EG Freiraum für eigene vertragliche Gestaltung lässt.
XVI. (zu § 10 II.2.) 1. Bei der Abfassung der Kfz-GVO ließ sich die Kommission jedenfalls im Ansatz ebenfalls von der Erkenntnis leiten, dass der Wettbewerb zwischen den Marken Einschränkungen des markeninternen Wettbewerbs kompensiert, soweit die Beschränkungen nicht von marktmächtigen Unternehmen ausgehen. Dies hat sich in einer zur Vertikal-GVO parallelen Regelungstechnik niedergeschlagen: Vereinbarungen im Kfz-Vertrieb sind vom Kartellverbot ausgenommen, wenn die Vertriebspartner nicht die in Art. 3 Abs. 1 und 2 KfzGVO fixierten Marktanteilsschwellen überschrei-
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ten und die Vereinbarung keine Kernbeschränkungen nach Art. 4 KfzGVO enthält. Ein Verstoß gegen Art. 5 KfzGVO führt dazu, dass die betroffene Klausel unwirksam ist, im Übrigen der Vertrag aber freigestellt bleibt. 2. Allerdings vertraut die Kommission im Kfz-Vertrieb in deutlich geringerem Maße der liberalen Überzeugung, dass auf kompetitiven Märkten die Freiheit der Hersteller, den Absatzweg für ihre Produkte zu gestalten, zur Konkurrenz zwischen verschiedenen Vertriebsstrukturen führt und damit schließlich auch zu Marktergebnissen ganz im Interesse der Abnehmer. Die Kommission versucht stattdessen, eigene Vorstellungen von einer wünschenswerten Marktstruktur umzusetzen. Durch eine ganze Reihe gezielter Vorgaben will sie die Position von Händlern, Werkstattbetreibern und Zulieferern gegenüber den Herstellern stärken. Sie möchte etablieren, dass Händler auch mehrere Marken vertreiben. Vor allem aber veranlassen die Preisunterschiede bei Neuwagen die Kommission, strikt die Möglichkeit des freien Parallelhandels zu gewährleisten, um so den Kfz-Markt in der Gemeinschaft zu integrieren. 3. Zweifelhaft ist, ob die engmaschigen Regeln für Kfz-Vertriebsverträge wettbewerbstheoretisch zu rechtfertigen sind. Auf dem Markt für Neuwagen herrscht ein lebhafter Wettbewerb zwischen den Automobilkonzernen. Es spricht viel dafür, dass dieser bereits in weitem Maße dafür sorgt, die Interessen der Abnehmer und anderer Wirtschaftsteilnehmer zu schützen. Das Ziel der Marktintegration darf nicht überbewertet werden neben dem originären Zweck jeder kartellrechtlichen Regulierung, kompetitive Marktstrukturen zu gewährleisten. Auch angesichts der unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten, etwa der unterschiedlichen Höhe indirekter Steuern, vermag es nicht zu überzeugen, dass die Kommission häufig den Eindruck erweckt, die Preiskonvergenz im Binnenmarkt sei der erstrangige Maßstab für den Erfolg ihrer Wettbewerbspolitik für den KfzVertrieb.
XVII. (zu § 11) 1. Weder die europäischen Regeln für Absatztechniken und Absatzfördermaßnahmen, noch die kartellrechtliche Regulierung der Absatzmittlungsverhältnisse sind als Normen zum Schutz der Verbraucher, also der zu privaten Zwecken am Markt nachfragenden Endabnehmer, zu begreifen. Ein solches Verständnis verkürzte den Schutzbereich der Regeln, vernachlässigte den Aspekt der Binnenmarktintegration und verzerrte die Wirkungsmechanismen der Regelungen. Die Normen, wie sie hier als Europäisches Absatzrecht systematisiert worden sind, entspringen nicht einer Verbraucherpolitik, die als Konkurrenz oder Ausgleich zur Wirtschaftspolitik anzusehen ist. Sie folgen vielmehr in ihrer Mehrzahl dem Marktparadigma und lassen sich als Teil einer einheitlich strukturierten Zivilrechts- und Wirtschaftsordnung begreifen, die die institutionellen Rahmenbedingungen für Markt und Wettbewerb gewährleisten will.
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§ 12 Ergebnis der Untersuchung
2. Regelt das Recht Märkte bzw. Marktverhalten, bildet die Wirtschaft eine Funktion des Rechts. Europäisches Absatzrecht kann so auch als Wirtschaftsrecht im Sinne einer Fortschreibung ordoliberaler Tradition verstanden werden, indem es nämlich als Instrumentarium angesehen werden kann, mit dem die Hauptformen von Marktversagen (Wettbewerbsbeschränkungen, strukturelle Informationsdefizite) bekämpft werden, um die Funktionen von Markt und Wettbewerb zu gewährleisten. Der überwiegend marktkonforme Schutz der Interessen der Abnehmer im Europäischen Absatzrecht entspricht den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der ordoliberalen Schule, die sich sowohl von einem laissez faire-Ansatz abgrenzen als auch von Konzepten, unterschiedliche Marktmacht bzw. Verhandlungsstärke durch Normen auszugleichen, die einseitig an den Interessen der Abnehmer ausgerichtet sind. Denn bereits in der ordoliberalen Tradition findet sich die Überzeugung, dass die Gewährleistung der Konkurrenz zwischen den Anbietern der richtige Ansatz ist, um Benachteiligungen von Abnehmern zu verhindern. 3. Die Regeln des Europäischen Absatzrechts sind immer auch darauf ausgerichtet, den innergemeinschaftlichen Handel und damit die Binnenmarktintegration zu fördern. Dies kann zu Konflikten mit den originären Schutzzwecken der jeweils betroffenen Materie führen, also etwa dem Schutz der Lauterkeit des Handelsverkehrs, dem Verbraucherschutz oder dem Schutz des Wettbewerbs. Es gilt daher Kompromisse zu finden, die den divergierenden Zwecken Rechnung tragen und den Wertungen der Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft entsprechen. 4. Der Regelbestand des Europäischen Absatzrechts ist im Ganzen positiv zu bewerten. Ihm ist auch ein kohärentes System nicht abzusprechen. Denn die Untersuchung hat wertungsmäßige Zusammenhänge aufgezeigt: Die Normen des Europäischen Absatzrechts sind darauf ausgerichtet, die Binnenmarktintegration zu fördern und sie sind als Regelungen zu begreifen, die die Funktionsbedingungen von Markt und Wettbewerb gewährleisten sollen.
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Rechtsprechungsverzeichnis I. Europäischer Gerichtshof Rechtssache
Datum
Bezeichnung
Amtliche Sammlung
Seite
26/62 6/64 56/65
5. 2. 1963 15. 7. 1964 30. 6. 1966
van Gend en Loos Costa / E. N. E. L. LTM / MBU
1963, 5 1964, 1251 1966, 281
56 u. 58/64
13. 7. 1966
Consten und Grundig / Kommission
1966, 321
32/65 23/67
13. 7. 1966 12. 12. 1967
Italien / Rat und Kommission Brasserie de Haecht
1966, 457 1967, 544
14/68 5/69 11/70 40/70 1/71 78/70 6/72
13. 2. 1969 9. 7. 1969 17. 12. 1970 18. 2. 1971 6. 5. 1971 8. 6. 1971 21. 2. 1973
1969, 1 1969, 295 1970, 1125 1971, 69 1971, 351 1971, 487 1973, 215
6 u. 7/73 155/73 8/74 33/74
22. 1. 1974 30. 4. 1974 11. 7. 1974 3. 12. 1974
Walt Wilhelm / Bundeskartellamt Völk / Vervaecke Internationale Handelsgesellschaft Sirena / Eda Cadillon / Höss Deutsche Grammophon / Metro Europemballage und Continental Can / Kommission Commercial Solvents / Kommission Giuseppe Sacchi Dassonville van Binsbergen
137 110 130, 131, 346, 347 125, 148, 333, 334, 346, 363 148 132, 347 366 347 110 141 334 142 141, 366
36/74
12. 12. 1974
12/74
20. 2. 1975
71/74 40 bis 48, 50, 54, 111, 113 u. 114/73 46/76 5/77 26/76
19/77 27/76
1974, 1405
143 118, 119 112 73, 120, 121 343
1975, 181
259
1975, 563 1975, 1663
363 142, 143, 148
Bauhuis Tedeschi / Denkavit Metro / Kommission („Metro I“)
1977, 5 1977, 1555 1977, 1875
Miller / Kommission, United Brands / Kommission („Chiquita Bananen“)
1978, 131 1978, 207
115 115 130, 361, 366, 369, 371, 380 334 141, 142, 143
15. 5. 1975 16. 12. 1975
Walrave und Koch / Association Union Cycliste Internationale Komission / Deutschland („Sekt und Weinbrand“) Frubo / Kommission Suiker Unie u. a. / Kommission
25. 1. 1977 5. 10. 1977 25. 10. 1977
1. 2. 1978 14. 2. 1978
1974, 223 1974, 409 1974, 837 1974, 1299
459
Rechtsprechungsverzeichnis
Rechtssache
Datum
Bezeichnung
Amtliche Sammlung
Seite
15/78
24. 10. 1978
1978, 1971
118
85/76
13. 2. 1979
1979, 461
142, 143
120/78
20. 2. 1979
1979, 649
22/78 32/78 u. 36 bis 82/78 251/78
31. 5. 1979 12. 7. 1979
Société générale alsacienne de banque / Koestler Hoffmann-LaRoche / Kommission („Vitamine“) REWE / Bundesmonopolverwaltung für Branntwein („Cassis de Dijon“) Hugin / Kommission BMW / Kommission
1979, 1869 1979, 2435
116, 118, 270, 320 130 334
1979, 3369
115
52/79 788/89 30/78 152/78
18. 28. 10. 10.
1980, 833 1980, 2071 1980, 2229 1980, 2299
119 320 338 112
99/79 31/80
10. 7. 1980 11. 12. 1980
Denkavit Futtermittel / Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes Nordrhein-Westfalen Debauve Gilli und Andres Distillers Company / Kommission Kommission / Frankreich („Werbung für alkoholische Getränke“) Lancôme / Etos L’Oréal / De Nieuwe Amck
1980, 2511 1980, 3775
113/80
17. 6. 1981
Kommission / Irland („Irish Souvenirs“) 1981, 1625
279/80 258/78
17. 12. 1981 8. 6. 1982
1981, 3305 1982, 2015
95/81 220/81 248/81 286/81 59/82
9. 6. 1982 22. 6. 1982 24. 11. 1982 15. 12. 1982 20. 4. 1983
1982, 2187 1982, 2349 1982, 4005 1982, 4575 1983, 1217
115 118 111 112, 116 111, 117
107/82
25. 10. 1983
Webb Nungesser / Kommission („Maissaatgut“) Kommission / Italien Timothy Robertson u. a. Kommisson / Irland („Buy Irish“) Oosthoek’s Uitgeversmaatschappij Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft / Weinvertriebs-GmbH („Wermutwein“) AEG / Kommission
347 130, 141, 142, 380 111, 115, 117 119, 122 347
1983, 3151
322/81 319/82
9. 11. 1983 14. 12. 1983
125, 130, 131, 380 142 134, 348
86/82 15/83 51/83 42/84 25/84 u. 26/84 260/82 161/84
21. 2. 1984 17. 5. 1984 11. 7. 1984 11. 7. 1985 17. 9. 1985 10. 12. 1985 28. 1. 1986
152/84
26. 2. 1986
460
8. 9. 1979
3. 1980 6. 1980 7. 1980 7. 1980
Michelin / Kommission Soc. De Vente de Ciments et Bétons de l’Est / Kerpen & Kerpen Hasselblad / Kommission Denkavit Nederland Komission / Italien Remia / Kommission Ford / Kommisson NSO / Kommission Pronuptia
Marshall / Southampton and South-West Hampshire Area Health Authority
1983, 3461 1983, 4173 1984, 883 1984, 2171 1984, 2793 1985, 2545 1985, 2725 1985, 3812 1986, 353
1986, 723
348 320 118 361 125, 126 131, 334 151, 152, 338, 348, 381 15
Rechtsprechungsverzeichnis
Rechtssache
Datum
Bezeichnung
Amtliche Sammlung
Seite
75/84 205/84
22. 10. 1986 4. 12. 1986
1986, 3021 1986, 3755
220/83 252/83
4. 12. 1986 4. 12. 1986
1986, 3663 1986, 3713
130 118, 121, 122 122 122
206/84
4. 12. 1986
1986, 3843
122
178/44 311/85
12. 3. 1987 1. 10. 1987
1987, 1227 1987, 3801
320 125, 149
382/87
16. 5. 1989
Metro / Kommission („Metro II“) Kommission / Bundesrepublik Deutschland Kommission / Frankreich Kommission / Dänemark („Mitversicherung“) Kommission / Irland („Mitversicherung“) Kommission / BRD VVR / Sociale Dienst van de Plaatselijke en Gewestelijke Overheidsdiensten („Flämisches Reisebüro“) Buet u. a. / Ministère public
1989, 1235
145/88 150/88 C-279/87 C-362/88 C-241/89 C-238/89
23. 11. 1989 23. 11. 1989 8. 2. 1990 7. 3. 1990 12. 12. 1990 13. 12. 1990
Torfaen Borough Council / B & Q Parfümeriefabrik 4711 / Provide Tipp-Ex / Kommission GB-INNO-BM SARPP Pall
1989, 3851 1989, 3891 1990, I-261 1990, I-667 1990, I-4695 1990, I-4827
C-339/89 C-184/89 C-180/89 C-234/89 C-361/89 C-112/89 C-369/89 C-62/86 C-221/89 C-76/90 C 288/89 C-246/89 C-179/90
24. 1. 1991 7. 2. 1991 26. 2. 1991 28. 2. 1991 14. 3. 1991 16. 4. 1991 18. 6. 1991 3. 7. 1991 25. 7. 1991 25. 7. 1991 25. 7. 1991 4. 10. 1991 10. 12. 1991
1991, I-107 1991, I-297 1991, I-709 1991, I-935 1991, I-1189 1991, I-1703 1991, I-2971 1991, I-3359 1991, I-3905 1991, I-4221 1991, I -4007 1991, I-4585 1991, I-5889
C-373/90
16. 1. 1992
C-360/89 C-67/91
3. 6. 1992 16. 7. 1992
1992, I-3401 1992, I-4785
59, 258, 259 120 335
C-3/91 C-211/91 C-89/91 C-148/91 C-126/91 C-267 u. C-268/91 C-292/92 C-376/92
10. 11. 1992 16. 12. 1992 19. 1. 1993 3. 2. 1993 18. 5. 1993 24. 11. 1993
Alsthom Atlantique Nimz Kommission / Italien Delimitis di Pinto Upjohn Piageme AKZO / Kommission Factortame u. a. Säger / Dennemeyer Collective Antennevoorziening Gouda Kommission / Vereinigtes Königreich Merci convenzionali porto di Genua („Hafen von Genua I“) Ermittlungsverfahren gegen X („Nissan“) Kommission / Italien Asociación Española de Banca Privada u. a. („Spanische Banken“) Exportur Kommission / Belgien Shearson Lehman Hutton Veronica Omroep Organisatie Yves Rocher Keck und Mithouard
18, 111, 112, 267 112 92, 94 126 9, 112 112 9, 62, 257 326 110 121 132, 348 11 92 273 142 72 120 121 72 142
1992, I-5529 1992, I-6757 1993, I-139 1993, I-487 1993, I-2361 1993, I-6097
116 120 158 73 257 113
15. 12. 1993 13. 1. 1994
Hühnermund u. A. Metro / Cartier
1993, I-6787 1994, I-15
113 380
1992, I-131
461
Rechtsprechungsverzeichnis
Rechtssache
C-315/92
C-275/92 C-393/92 C-131/93 C-91/92 C-43/93 C-51/93 C-23/93 C-320/93 C-250/92 C-412/93 C-384/93 C-470/93 C-85/94 C-70/93 C-266/93 C-55/94 C-192/94 C-137/95 C-5/94 C-11/95 C-222/94 C-333/94 C-313/94 C-320/94 u.a. C-104/95 C-56/96 C-368/95 C-269/95 C-34/95, 35/95 u. 36/95 C-45/96 C-158/96 C-215/97 C-341/95 C-210/96
Datum
Bezeichnung
Amtliche Sammlung
Seite
Verband Sozialer Wettbewerb („Clinique“)
1994, I-317
24. 3. 1994 27. 4. 1994 13. 7. 1994 14. 7. 1994 9. 8. 1994 9. 8. 1994 5. 10. 1994 10. 11. 1994 15. 12. 1994 9. 2. 1995 10. 5. 1995 6. 7. 1995 12. 10. 1995 24. 10. 1995 24. 10. 1995 30. 11. 1995 7. 3. 1996 25. 3. 1996 23. 5. 1996 10. 9. 1996 10. 9. 1996 14. 11. 1996 26. 11. 1996 12. 12. 1996 12. 12. 1996 5. 6. 1997 26. 6. 1997 3. 7. 1997 9. 7. 1997
Schindler Almelo Kommission / Deutschland Faccini Dori Vander Elst / OMI Meyhui TV 10 Lucien Ortscheit Gøttrup-Klim / DLG Leclerc-Siplec Alpine Investments Mars Piageme BMW / ALD Auto-Leasing D Volkswagen und VAG Leasing Gebhard El Corte Inglés SPO u. a. / Kommission Hedley Lomas Kommission / Belgien Kommission / Vereinigtes Königreich Tetra Pak / Kommission („Tetra Pak II“) Graffione RTI u. a. Kontogeorgas VT 4 Familiapress Benincasa De Agostini und TV-Shop
1994, I-1039 1994, I-1477 1994, I-3303 1994, I-3325 1994, I-3803 1994, I-3879 1994, I-4795 1994, I-5243 1994, I-5641 1995, I-179 1995, I-1141 1995, I-1923 1995, I-2955 1995, I-3439 1995, I-3477 1995, I-4165 1996, I-1281 1996, I-1611 1996, I-2553 1996, I-4115 1996, I-4025 1996, I-5987 1996, I-6039 1996, I-6471 1996, I-6643 1997, I-3143 1997, I-3689 1997, I-3767 1997, I-3843
17. 28. 30. 14. 16.
Dietzinger Kohll / Union des caisses de maladie Barbara Bellone / Yokohama Bettati Gut Springenheide und Tusky („6-Korn-Eier“)
1998, I-1199 1998, I-1931 1998, I-2191 1998, I-4355 1998, I-4657
62, 93, 94, 257, 258, 321, 328 119 132 115 15 120 321 73 116 142 111, 113 120 113, 257 272, 273 125, 349 348, 349 119 324 364 115 67 73 143 258 71 146 73 116 158 73, 114, 121 12 120 145 320 83, 257, 258, 259, 271 131
2. 2. 1994
3. 1998 4. 1998 4. 1998 7. 1998 7. 1998
C-215/96 u. C-216/96 C-303/97
21. 1. 1999
Bagnasco u. a.
1999, I-135
28. 1. 1999
Sektkellerei Kessler
1999, I-513
C-77/97
28. 1. 1999
Unilever („Odol- Med 3“)
1999, I-431
C-212/97 C-423/97
9. 3. 1999 22. 4. 1999
Centros Travel Vac
1999, I-1459 1999, I-2195
462
88, 257, 258, 259 93, 94, 321, 328 320 13, 15, 16, 17, 302
Rechtsprechungsverzeichnis
Rechtssache
Datum
Bezeichnung
Amtliche Sammlung
Seite
C-224/97 C-342/97 C-49/92 P C-235/92 P C-6/98
29. 4. 1999 22. 6. 1999 8. 7. 1999 8. 7. 1999 28. 10. 1999
Ciola Lloyd Schuhfabrik Meyer Kommission / Anic Partecipazioni Montecatini / Kommission ARD / PRO Sieben
1999, I-2517 1999, I-3819 1999, I-4125 1999, I-4539 1999, I-7599
C-220/98
13. 1. 2000
Estée Lauder („Lifting Creme“)
2000, I-117
C-465/98
4. 4. 2000
Darbo
2000, I-2297
Océano Grupo Editorial und Salvat Editores Centrosteel Geffroy
2000, I-4941
120 257, 258 125, 127 352 69, 70, 121 93, 257, 258, 259, 271, 321, 328, 331 78, 257, 259 51, 158
C-240/98 u. C-244/98 C-456/98 C-366/98
27. 6. 2000 13. 7. 2000 12. 9. 2000
C-9/99 C-376/98 C-381/98 C-214/99 C-108/96 C-405/98 C-379/98 C-169/99 C-112/99
3. 10. 2000 5. 10. 2000 9. 11. 2000 7. 12. 2000 1. 2. 2001 8. 3. 2001 13. 3. 2001 13. 9. 2001 25. 10. 2001
C-481/99
13. 12. 2001
C-386/00 C-406/01 C-96/00 C-99/01
5. 3. 2002 17. 5. 2002 11. 7. 2002 24. 10. 2002
C-473/00 C-491/01
21. 11. 2002 10. 12. 2002
C-221/00
23. 1. 2003
C-421/00, 426/00 u. 16/01 C-229/01 C-44/01
23. 1. 2003 13. 3. 2003 8. 4. 2003
C-338/00 P C-40/02 C-245/01
18. 9. 2003 23. 10. 2003 23. 10. 2003
2000, I-6007 2000, I-6579
145 78, 79, 258, 259 Échirolles Distribution 2000, I-8207 367 Deutschland / Parlament und Rat 2000, I-8419 95 Ingmar 2000, I-9305 147 Neste 2000, I-11121 132 Mac Quen u. a. 2001, I-837 117 GIP 2001, I-1795 114 Preußen Elektra / Schleswag 2001, I-2099 117 Schwarzkopf 2001, I-5901 93 Toshiba Europe 2001, I-7945 58, 60, 61, 63, 261 Heininger 2001, I-9945 16, 17, 297, 298 Axa Royal Belge 2002, I-2209 104 Deutschland / Parlament und Rat 2002, I-4561 95 Gabriel 2002, I-6367 158 Linhart und Biffl 2002, I-9375 93, 94, 257, 321, 328, 331 Cofidis 2002, I-10875 51 British American Tobacco (Investments) 2002, I-11453 95 und Imperial Tobacco Kommission / Österreich 2003, I-1007 79, 80, 276 Sterbenz und Haug 2003, I-1065 79, 80, 276 Susanne Müller 2003, I-2587 80 Pippig Augenoptik 2003, I-3095 61, 62, 64 Volkswagen AG / Kommission 2003, I-9189 336 Margarete Scherndl 2003, I-12647 80 RTL Television 2003, I-12489 69, 70
463
Rechtsprechungsverzeichnis
Rechtssache
Datum
Bezeichnung
Amtliche Sammlung
C-322/01
11. 12. 2003
2003, I-14887 114
C-2/01 P u. C-3/01/P C-237/02 C-239/02 C-350/03
1. 4. 2004 15. 7. 2004 25. 10. 2005
Deutscher Apothekerverband / DocMorris und Jaques Waterval Bundesverband der ArzneimittelImporteure e. V. und Kommission / Bayer Freiburger Kommunalbauten Douwe Egberts Schulte
C-229/04
25. 10.2005
Crailsheimer Volksbank
6. 1. 2004
Seite
2004, I-23
126
2004, I-3403 2004, I-7007 noch nicht in amtl Slg. noch nicht in amtl. Slg.
51 80, 114 16, 17, 18 15
II. Schlussanträge der Generalanwälte Rechtssache
Generalanwalt
Datum
Bezeichnung
Amtliche Sammlung
Seite
30/78
Warner
12. 3. 1980
1980, 2267
344
C-91/92 C-360/92 P
Lenz Lenz
9. 2. 1994 16. 6. 1994
1994, I-3328 1995, I-25
15 362
C-415/93 C-192/94 C-11/95 C-14/96 C-56/96 C-45/96 C-221/00
Lenz Lenz Lenz Lenz Lenz Jacobs Geelhoed
20. 9. 1995 7. 12. 1995 30. 4. 1996 6. 2. 1997 6. 2. 1997 20. 3. 1997 4. 7. 2002
Distillers Company / Kommission Faccini Dori Publishers Association / Kommission Bosman El Corte Inglés Kommission / Belgien Denuit VT 4 Dietzinger Kommission / Österreich
1995, I-4930 1996, I-1284 1996, I-4117 1997, I-2788 1997, I-3145 1998, I-1201 2003, I-1009
343, 357 324 73 73 73 13 79
III. Europäisches Gericht erster Instanz Rechtssache
Datum
Bezeichnung
Amtliche Sammlung
Seite
T-51/89 T-19/91 T-14/89 T-61/89
10. 27. 10. 2.
Tetra Pak / Kommission („Tetra Pak I“) Vichy / Kommission Montedipe / Kommission Dansk Pelsdyravlerforening / Kommission Publishers Association / Kommission Dunlop Slazenger International / Kommission Herlitz / Kommission Parker Pen / Kommission Matra Hachette / Kommission
1990, II-309 1992, II-415 1992, II-1155 1992, II-1931
141 130, 380 352 349
7. 1990 2. 1992 3. 1992 7. 1992
T-66/89 T-43/92
9. 7. 1992 7. 7. 1994
T-66/92 T-77/92 T-17/93
14. 7. 1994 14. 7. 1994 15. 7. 1994
464
1992, II-1995 135 1994, II-441 125, 335 1994, II-531 1994, II-549 1994, II-595
334 334 359, 360, 361, 363
Rechtsprechungsverzeichnis
Rechtssache
Datum
Bezeichnung
Amtliche Sammlung
Seite
Tetra Pak / Kommission („Tetra Pak II“) SPO u. a. / Kommission Tréfilunion / Kommission Langnese-Iglo / Kommission
1994, II-755
143
T-83/91
6. 10. 1994
T-29/92 T-148/89 T-7/93
21. 2. 1995 6. 4. 1995 8. 6. 1995
T-9/93 T-528/93, 542/93, 543/93 u. 546/93 T-347/94 T-41/96
8. 6. 1995 11. 7. 1996
Schöller / Kommission Métropole Télévision u. a. / Kommission
14. 5. 1998 26. 10. 2000
Mayr-Melnhof / Kommission Bayer / Kommission
T-112/99 T-185/00, 216/00, 299/00 u. 300/00 T-368/00
18. 9. 2001 8. 10. 2002
M6 u.a. /Kommission Métropole Télévision u. a. / Kommission
21. 10. 2003
T-65/98
23. 10. 2003
General Motors Nederland BV und Opel Neerland BV / Kommission Van den Bergh Foods / Kommission
1995, II-289 364 1995, II-1063 352 1995, II-1533 132, 350, 353 1995, II-1611 132, 350 1996, II-649 364
1998, II-1751 125 2000, II-3383 125, 126, 127, 336, 387 2001, II-2459 351, 352 2002, II-2993 364
2003, II-4495 336 2003, II-4653 350, 351
465
Verzeichnis der Entscheidungen der Kommission Entscheidung
Datum
Bezeichnung
Fundstelle im Amtsblatt
Seite
64/566/EWG 68/319/EWG 69/242/EWG
23. 9. 1964 17. 7. 1968 22. 7. 1969
Grundig-Consten ACEC-Berliet Jaz-Peter
20. 10. 1965, S. 2545 L 201 v. 12. 8. 1968, S. 7 L 195 v. 7. 8. 1969, S. 5
70/488/EWG
28. 10. 1970
Omega
71/222/EWG
28. 5. 1971
71/337/EWG
24. 9. 1971
F.N. – C.F. (La Cartoucherie Française) CEMATEX
L 242 v. 5. 11. 1970, S. 22 L 134 v. 20. 6. 1971, S. 6
369 369 369, 371 369
72/403/EWG
23. 11. 1972
75/73/EWG 75/494/EWG 76/159/EWG 76/248/EWG 76/249/EWG 77/781/EWG
13. 12. 1974 18. 7. 1975 15. 12. 1975 23. 12. 1975 23. 12. 1975 23. 11. 1977
78/156/EWG 78/163/EWG 78/696/EWG 78/687/EWG 78/823/EWG
20. 12. 1977 20. 12. 1977 28. 7. 1978 28. 7. 1978 21. 9. 1978
Pittsburgh Corning Europe – Formica Belgium – Hertel BMW Kabelmetal-Luchaire SABA United Reprocessors GmbH KEWA GEC-Weir Natriumwälzpumpen Philips VCRs The Distillers Company Arthur Bell and Sons Teacher and Sons Maissaatgut
L 227 v. 8. 10. 1971, S. 26 L 272 v. 5. 12. 1972, S. 35 L 29 v. 3. 2. 1975, S. 1 L 222 v. 22. 8. 1975, S. 34 L 28 v. 3. 2. 1976, S. 19 L 51 v. 26. 2. 1976, S. 7 L 51 v. 26. 2. 1976, S. 15 L 327 v. 20. 12. 1977, S. 26 L 47 v. 18. 2. 1978, S. 42 L 50 v. 22. 2. 1978, S. 16 L 235 v. 26. 8. 1978, S. 15 L 235 v. 26. 8. 1978, S. 20 L 286 v. 12. 10. 1978, S. 23
80/256/EWG 80/1332/EWG
14. 12. 1979 11. 12. 1980
Pioneer Hi-Fi-Geräte Vaccuum Interrupters
L 60 v. 5. 3. 1980, S. 21 L 383 v. 31. 12. 1980, S. 1
82/123/EWG
25. 11. 1981
VBBB/VBVB
L 54 v. 25. 2. 1982, S. 36
83/390/EWG 86/405/EWG 88/541/EWG 89/467/EWG 90/38/EWG 90/186/EWG 91/153/EWG 91/532/EWG
13. 7. 1983 22. 8. 1986 11. 10. 1988 3. 8. 1989 13. 12. 1989 23. 3. 1990 11. 1. 1991 5. 6. 1991
Rockwell/Iveco Lichtwellenleiter BBC Brown Boveri UIP Bayo-n-ox Moosehead/Whitbread Vichy Viho/Toshiba
92/33/EWG 92/204/EWG
16. 12. 1991 5. 2. 1992
92/261/EWG
18. 3. 1992
92/428/EWG 92/426/EWG 93/403/EWG
14. 7. 1992 15. 7. 1992 11. 6. 1993
Yves Saint Laurent Parfums Niederländische Bauwirtschaft („SPO“) Newitt / Dunlop Slazenger International u. a. Givenchy VIHO / Parker Pen EBU/Eurovisions-System
L 224 v. 17. 8. 1983, S. 19 L 236 v. 22. 8. 1986, S. 30 L 301 v. 4. 11. 1988, S. 68 L 226 v. 3. 8. 1989, S. 25 L 21 v. 16. 1. 1990, S. 71 L 100 v. 20. 4. 1990, S. 32 L 75 v. 21. 3. 1991, S. 57 L 287 v. 17. 10. 1991, S. 39 L 12 v. 18. 1. 1992, S. 24 L 92 v. 7. 4. 1992, S. 1
466
369, 371 369, 371 336 369 369 371 371 371 371 353 338 335 335 335, 353 336 369, 371 362, 370 369 369 369 363 336 369 371 335 373 370
L 131 v. 16. 5. 1992, S. 32
335
L 236 v. 19. 8. 1992, S. 11 L 233 v. 15. 8. 1992, S. 27 L 179 v. 22. 7. 1993, S. 23
373 335 363
Verzeichnis der Entscheidungen der Kommission
Entscheidung
Datum
Bezeichnung
Fundstelle im Amtsblatt
94/29/EG
21. 12. 1993
Grundig-EG-Vertriebsbindung L 20 v. 25. 1. 1994, S. 15
93/405/EWG 93/406/EWG 94/296/EG
23. 12. 1993 23. 12. 1993 29. 4. 1994
Schöller Langnese-Iglo Stichting Baksteen
L 183 v. 26. 7. 1993, S. 1 L 183 v. 26. 7. 1993, S. 19 L 131 v. 26. 5. 1994, S. 15
94/986/EG 95/477/EG
21. 12. 1994 12. 7. 1995
L 378 v. 31. 12. 1994, S. 37 L 272 v. 15. 11. 1995, S. 16
96/478/EG
10. 1. 1996
Philips-Osram BASF Lacke + Farben und Accinauto ADALAT
98/273/EG 2000/475/EG 1999/695/EG 2001/146/EG 2001/791/EG 2003/675/EG
28. 1. 1998 24. 1. 1999 15. 9. 1999 20. 9. 2000 8. 5. 2001 30. 10. 2002
VW CECED REIMS II Opel Glaxo Wellcome Nintendo
L 124 v. 25. 4. 1998, S. 60 L 187 v. 26. 7. 2000, S. 47 L 275 v. 26. 10. 1999, S. 17 L 59 v. 28. 2. 2001, S. 1 L 302 v. 17. 11. 2001, S. 1 L 255 v. 8. 10. 2003, S. 33
L 201 v. 9. 8. 1996, S. 1
Seite
353, 369, 372 353 353 361, 370 361 336 126, 336 336 362 370 336 336 336
467
Stichwortverzeichnis abgestimmte Verhaltensweise 127 Abnehmer – Begriff 6 Absatz – Begriff und Bedeutung 6 Absatzmittler – Begriff 123 f. Absatzrecht, s. Europäisches Absatzrecht adverse Selektion 160, 185, 187, 188, 193, 195, 199, 210, 417 f., 423 Alkoholika 87 – Fernsehwerbung 88, 266 f. Alleinbelieferung 382 Alleinbezug 131, 248 Alleinvertrieb 236, 249, 378 f. Anbieter – Begriff 8 angemessene Beteiligung der Verbraucher 368 ff. Arbeitsplatz 13 Aromen 82 Arrow-Paradoxon 192 f. Arzneimittelrichtlinie 89 ff. – Arzneimittel, Begriff 89 – Etikettierung 89 f. – Harmonisierungskonzept 91 – Rechtsdurchsetzung 109 – Werbung 90 f., 266 Arzneimittelvertreter als Informationsintermediäre 305, 306, 310 Ausnahmen vom Kartellverbot 429 – Rechtsprechung und Entscheidungspraxis 359 ff. – Beschäftigungspolitik 361 – Industriepolitik 360 – Kulturpolitik 362 – Umweltpolitik 361 – Vorrang des Wettbewerbs als Ordnungsprinzip 365 ff. Beratungspflicht – als Informationsinstrument 207, 286 ff., 422 Binnenmarktintegration 412, 433
– als Ziel des Kartellrechts 130, 231, 333 ff., 413, 420, 427 f. – ordnungspolitische Bewertung 337 ff. – rechtliche Bewertung 341 ff. – Rechtsprechung und Entscheidungspraxis der Kommission 333 ff. – Bedeutung absatzbezogener, marktunterstützender Regelungen 320 ff. bounded rationality, s. eingeschränkte Rationalität Boxkampf 69 Buchpreisbindung 131, 370 Bündeltheorie 131 f. category management 203 Chancengerechtigkeit 168 chinin- und koffeinhaltige Lebensmittel, Etikettierung 81, 274 Cocktail 88 cognitive dissonance, s. kognitive Dissonanzen Cold Calling 21, 31, 74, 115 cooling-off period, s. a. Widerrufsrecht 210, 211, 281, 292, 327, 422 Datenschutzrichtlinie 74 ff. deadweight loss 228 diätetische Lebensmittel 86 Diätrichtlinie 86 f. Dienstleistungsfreiheit 118 ff. – Anwendungsbereich 118 – Beeinträchtigung 119 – Rechtfertigung 121 f. Direktabsatz – Begriff 10 Diskriminierung – unmittelbare 111, 115, 119, 121 – mittelbare 111, 115, 120, 121 double coordination problem 237, 242 double marginalization problem 242 f. Durchschnittsverbraucher, s. Verbraucherleitbild E-Commerce-Richtlinie 37 ff. – Absatzförderung 38 f.
469
Stichwortverzeichnis – Anwendungsbereich 37 f. – Harmonisierungskonzept 42 – Herkunftslandprinzip 42 f. – Rechtsdurchsetzung 41 – Verhaltenskodizes 40 – Vertragsschluss 39 – vorvertragliche Informationspflichten 39 economies of scale and scope 114, 212, 247, 305, 376 Eier 83 eingeschränkte Rationalität 177, 202, 216, 218 Einkommensverteilung 165 f. EMAS 66, 266, 275 Erfahrungsgüter 186, 200, 205, 207, 212, 270, 277, 305 Etikettierung als Informationsinstrument 270 ff., 421 – Sprachregelungen 272 ff. Europäisches Absatzrecht – Begriff 7 – Rechtsquellen 8, 414 Exportverbot 130 ex-post-Opportunismus 210, 293, 298, 302 externer Effekt, positiver 194, 214, 242, 418 Extraktionslösungsmittel 82 Fast food 269 Fernabsatzrichtlinie 18 ff. – Absatzförderung 20 f. – Werbe-E-Mails 21 – Anwendungsbereich 19 f. – Harmonisierungskonzept 29 – Rechtsdurchsetzung 28 – Verhaltenskodizes 28 – vertragliche Informationspflichten 24 ff. – vorvertragliche Informationspflichten 22 ff. – Widerrufsrecht 26 ff., 288 ff. Fernabsatz von Finanzdienstleistungen 30 ff. – Absatzförderung 31 – Anwendungsbereich 30 f. – Harmonisierungskonzept 37 – Rechtsdurchsetzung 37 – vorvertragliche Informationspflichten 31 ff. – Widerrufsrecht 35 ff., 288 ff. Fernsehrichtlinie 67 ff. – alkoholische Getränke, Werbung für 88 – Anwendungsbereich 67 – Arzneimittelwerbung 91 – Fernsehwerbung 68
470
– Sanktionen 72 – Sendestaatsprinzip 72 f. – Sponsoring 71 – Tabakwerbung 95 Finanzmarktrichtlinie – Beratungspflicht 286 f. – Europa-Pass 313 – execution-only-Business 311 – Harmonisierungskonzept 106 – Informationspflichten 104 f., 310 ff. – Interessenkollisionen 315 ff. – organisatorische Anforderungen 309 – Treuepflicht 318 f. – Zulassungsvoraussetzungen 308 f. fly-by-night-Produzent 216, 218 framing hypothesis 180, 181 Franchisenehmer 151 Franchiseverträge 130, 415 – kartellrechtliche Vorgaben 151 f. Franchising 381 f. free rider problem, s. Trittbrettfahrerproblem Freiburger Schule, s. Ordoliberalismus freiwillige Offenbarung von Informationen, s. unraveling result Garantieversprechen 199 ff. gefährliche Stoffe, Richtlinie über 97 gegenseitige Anerkennung, s. a. Herkunftslandprinzip und Sendestaatsprinzip 102 Generaldirektion Binnenmarkt 99, 325 Generaldirektion Verbraucherschutz 325 Generalklauseln – autonome Auslegung 51 genetisch veränderte Lebensmittel 85 ff. Geschäftspraktiken 47 Gesundheitsschutz als Rechtfertigungsgrund 116 Gewährleistungsrecht – als Regelungsinstrument 215 goodwill 201, 217, 256 Gottesdienst 70 Größenvorteile, s. economies of scale Gruppenfreistellung 138 ff., 374 ff. Handelsvertreter 144 ff. Handelsvertreterrichtlinie 145 ff. – Anwendungsbereich 145 – Harmonisierungskonzept 147 f. – Kündigung 147 – Treuepflichten 145 f. – Vergütung 146 Handelsvertreterverträge 130
Stichwortverzeichnis – kartellrechtliche Vorgaben 148 ff. Haustürwiderrufsrichtlinie 9 ff. – Ausnahmen 15 f. – Belehrung 17 – Bestellung des Vertreters 14 – einseitige Erklärungen 12 – Kompetenz 11 – Umgehungsgeschäfte 15 – Widerrufsrecht 16 ff., 288 ff. Herkunftslandprinzip, s. a. Sendestaatsprinzip und gegenseitige Anerkennung 42 f., 106 Hold-up-Probleme 376, 382
Kommissionär 152 Kommissionsagent 153 Kopplungsbindung 383 Kopplungsgeschäfte 143 Korrespondenzdienstleistungen 118 Kosmetikrichtlinie 92 ff. – Etikettierung 92 f. – Harmonisierungskonzept 94 – Werbebehauptungen über Tierversuches 93 krankheitsbezogene Aussagen 266, 275 f. Kundenbeschränkung 379, 387 ff.
inframarginaler Konsument 239 Informationsintermediäre 190 ff., 212 f., 305 ff., 418, 423 Informationspflicht, s. vorvertragliche Informationspflicht Informationsüberlastung 209, 277 f. Integration, europäische 1 Interbrand-Wettbewerb 233, 241, 244, 249 f., 338, 346 f., 351, 356, 397, 419 Interessenharmonisierung 202 Intermediär 198 Intrabrand-Wettbewerb 232, 233, 241, 249 f., 254, 338, 346 f., 397, 419 Investmentfondsrichtlinie – Harmonisierungsstandard 107 – Prospekt- und Informationspflichten 105, 277 ff. – Werbung, Hinweispflicht auf Prospekt 97, 263
labelling-doctrine 118 Lebensmittel – Begriff 77 – diätetische 86 – genetisch veränderte 85 ff. Lebensmitteletikettierungsrichtlinie 78 ff. – Harmonisierungskonzept 79 f. – Irreführungsverbot 78 – gesundheitsbezogene Angaben 78 Lebensmittelverordnung 77 Lebensmittelzusatzstoffe 81 Legalausnahmesystem 136, 137 f., 138 level playing field 18, 45, 99, 325, 425
Kaffeefahrt 13 Kartellrecht – Aufgabe 124, 252 – Binnenmarktintegration 130, 231 – nichtökonomische Zielsetzungen 230 f., 253 – ökonomische Rechtfertigung 227 ff., 419 KfZ-GVO 153 f., 397 ff., 415, 431 f. – allgemeine Freistellungsvoraussetzungen 399 f. – Anwendungsbereich 398 f. – besondere Freistellungsvoraussetzungen 403 f. – Bewertung 405 f. – Kernbeschränkungen 400 ff. Koffeingehalt 274 kognitive Dissonanzen 180 f., 182, 202, 210, 417 kommerzielle Kommunikation 43 f.
marginaler Abnehmer bzw. Konsument 161, 239, 240 market for lemons 184, 187, 418 marktbeherrschende Stellung 141 f. Marktmacht, Einfluss auf Produktqualität 160 f. Marktmissbrauchsrichtlinie – Harmonisierungsstandard 106 – vorvertragliche Informationspflichten 105 marktkorrigierende Regelungen 212, 220 ff., 319 marktunterstützende Regelungen 212, 220 ff., 319, 320 ff., 327 , 418 f., 424 f. marktwirtschaftliche Wirtschaftsverfassung, s. a. Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft 222 Marktzutrittsschranken 216 f., 228, 247 f. Milchvermarktungsverordnung 83 Mineralwasser 83 f. Missbrauchsverbot 141 ff. moral hazard 167, 199, 215, 216 Nachfragemacht 124 Nahrungsergänzungsmittel
84
471
Stichwortverzeichnis Nährwertkennzeichnungsrichtlinie 80 nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben – Verordnungsvorschlag 80 f. negative Standards – Begriff 9 Neue Institutionenökonomik 411 Novel Food 84 Nutzenunkenntnis 189, 417 öffentliches Gut 192 Öko-Audit 65 ff. Ökonomik – Bedeutung für Gesetzesbewertung Ordoliberalismus 409 ff., 433 over-confidence bias 179
3
pacta sunt servanda 220, 223 Parallelexporte 126 Partyverkauf 13 Paternalismus 174 f., 417 Pauschalreiserichtlinie – Aufklärungs- und Dokumentationspflichten 103 – Irreführungsverbot 97 – Reiseprospekt 102, 277 ff. positive Standards – Begriff 9 – kartellrechtliche Regeln 4 predatory pricing 143 Preisangabenrichtlinie 64 f., 264 Preisdiskriminierung 162 Preisunkenntnis 189 f., 417 Prinzipal-Agent-Theorie 190, 193 Prospekt – Investmentfondsrichtlinie 105 – Pauschalreiserichtlinie 102 – Timesharingrichtlinie 103 Prospektpflicht – als Informationsinstrument 207, 277 ff., 421 f. Qualitätsunkenntnis 417 – bei Abnehmern 185 ff. – bei Anbietern 187 ff. rational ignorance 177, 417 Rechtsdurchsetzung, grenzüberschreitende 106 ff. Reputation – als Informationsinstrument 197 ff., 418 – Reputationsschutz 205 f.
472
Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus 222 Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken 44 ff. – aggressive Geschäftspraktiken 54 f. – Anwendungsbereich 46 f. – Aufforderung zum Kauf 53 – Durchschnittsverbraucher 50 – Harmonisierungskonzept 47 f. – Herkunftslandprinzip 48 – irreführende Geschäftspraktiken 51 ff. – irreführendes Unterlassen 52 – Rechtsdurchsetzung 57 – Schutzzweck 45 f. – unlautere Geschäftspraktiken 49 ff. – Verhaltenskodizes 55 f. rule of reason 350 ff., 358 satisficing man 178 Säuglingsanfangsnahrung 87, 266, 274, 276 Screening 190 ff. Second-Best-Theorem 225 f. selektiver Vertrieb 129 f., 380, 389, 390, 415 Sendestaatsprinzip 72 f. Signaling 195 ff. Sonderabsatzformen – Begriff 9 Spaak-Bericht 342 f. spezifische Investitionen 244 Spirituosen 88 Sprache 272 – Etikettierung 272 ff. – Prospekte 279 – vorvertragliche Informationspflichten 286 Spürbarkeitskriterium 131 ff. Suchgüter 186, 200, 205 sunk cost-fallacy 181 sunk costs 198, 201 Tabakproduktrichtlinie 94 f., 274 f. – Harmonisierungskonzept 96 Tabakwerbung 95 f., 266, 267 ff. – Diversifizierungsprodukte 96 – Fernsehwerbung 95 – Harmonisierungskonzept 96 – Rundfunkwerbung 96 Tanne 289 Telefonwerbung, s. Cold Calling Timesharingrichtlinie
Stichwortverzeichnis – Prospekt 103, 277 ff. – Werbung, Hinweispflicht auf Prospekt 97, 103, 263 Transferzahlungen bzw. -leistungen 166, 167, 171 f., 216 Trittbrettfahrerproblem 167, 206, 235 f., 241, 376, 381, 413 Überweisungsrichtlinie – Harmonisierungsstandard 106 – Informationspflichten 104, 284 Umweltschutz als Rechtfertigungsgrund 116, 117 Umweltzeichen, europäisches 65 f. ungleiche Marktmacht als Ratio für Verbraucherschutz 156 ff. unlautere Geschäftspraktiken, s. Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken unraveling result 196, 418 Unterlassungsklagenrichtlinie 107 f. Unternehmen 128 Verbraucherinsolvenzrecht 331 Verbraucherkreditrichtlinie – Werbung, Pflichtangaben zum effektiven Jahreszins 98, 264 Verbraucherleitbild 50, 88, 122, 412, 414, 420, 426 – Rechtfertigung 327 ff. – Rechtsprechung des EuGH 257 ff. Verbraucherschutz als Regelungsziel 323 ff., 371 ff., 407 f., 425 f., 430, 432 Vereinbarung, Abgrenzung zu einseitigen Maßnahmen 125 ff. vergleichende Werbung 60 ff., 260 ff., 420 Verhaltenskodizes 28, 40, 55 Verhältnismäßigkeitsprinzip 117, 121 f. Verkäufergarantien 65 Verkaufsförderung im Binnenmarkt, Verordnungsvorschlag 98 ff. – Informationspflichten 100 f. – Kinder- und Jugendschutz 101 – Prinzip der gegenseitigen Anerkennung 102 – Rabatte und Zugaben 100 – Rechtsdurchsetzung 101 – Verkaufsmodalitäten 114 f. Versicherungen – vorvertragliche Informationspflichten 103 f., 285 Versicherungspflicht – als Regelungsinstrument 215
Versicherungsvermittler als Informationsintermediäre 305 ff. Versicherungsvermittlungsrichtlinie – Informationspflichten 104, 155 Verteilungsgerechtigkeit 165 ff., 416 vertikale Vereinbarungen – Begriff 383 – Bewertung durch die Kommission 375 ff., 430 f. – Wettbewerbstheorie 232 ff., 419 Vertikal-GVO 383 ff., 415, 431 – Anwendungsbereich 383 ff. – Gebiets- und Kundenkreisbeschränkungen 387 ff. – Kernbeschränkungen 386 – Preisbindungen 387 – Regelungstechnik 140 – Wettbewerbsverbote 391 ff. Vertragsfreiheit 222 f., 419 Vertragsgerechtigkeit 222 f., 419 Vertragshändler 150 Vertrauensgüter 186, 205, 207, 212, 270, 305 vollständige Konkurrenz 224 ff. Vorrang des Gemeinschaftsrechts 110 vorvertragliche Informationspflichten 22 ff., 31 ff., 39, 102 ff. – als Informationsinstrument 207 ff., 283 ff., 422 Warenverkehrsfreiheit 110 ff. – Anwendungsbereich 110 f. – Beeinträchtigung 111 ff. – Beschränkungsverbot 112 ff. – Diskriminierungsverbot 111 – Rechtfertigung 115 ff. Warnhinweise – als Regelungsinstrument 208, 274 f. – Tabakprodukte 94 Weinbezeichnungsrecht 88 Werberichtlinie 58 ff. – Harmonisierungskonzept 62 ff. – Irreführung 59 – Rechtsdurchsetzung 108 f. – Sanktionen 62 – vergleichende Werbung 60 ff. – Werbung 58 Werbung – als Informationsinstrument 200 ff., 256 ff., 420 f. Wertpapierhändler 154, 305 ff. Wettbewerb der Regelungsideen 321 f. Wettbewerbsbeschränkung 128 ff., 414, 428
473
Stichwortverzeichnis – als ökonomisches Konzept 356 ff. – Kommission 352 ff. – Rechtsprechung 345 ff. Wettbewerbsverbote 129, 377 f., 391 ff., 415 Widerrufsrecht 16 ff., 26 ff., 35 ff. – als Informationsinstrument 209 ff., 288 ff., 422 f. – Belehrung 297 ff. – Grundsatz der Vertragsbindung 223 – Leistungserbringung 300 f. – Rechtsfolgen 301 ff. – Tatbestandslosigkeit 297 – Widerrufserklärung 300 – Widerrufsfrist 299 f.
474
Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft – Ausnahmen vom Kartellverbot 366 ff., 373 – Ideen des Ordoliberalismus 410 – Rechtfertigung für Verbraucherleitbild 329 f., 426 Zigaretten, Etikettierung 94 f., 274 f. Zusammenarbeit im Verbraucherschutz 109 Zusatzstoffrichtlinie 81 f. Zwangsjackeneffekt 139, 373, 394 ff., 431 Zwischenstaatlichkeitsklausel 130 f., 143