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German Pages 140 [141] Year 2021
Beiträge zum Informationsrecht Band 41
Multiplikatoren als Herausforderung für die Informationsfreiheit und das Verbraucherportal „Topf Secret“ Grund- und lebensmittelrechtliche Determinanten im Spannungsfeld von Verbraucherinformation und Schutz unternehmerischer Interessen
Von Ferdinand Wollenschläger
Duncker & Humblot · Berlin
FERDINAND WOLLENSCHLÄGER
Multiplikatoren als Herausforderung für die Informationsfreiheit und das Verbraucherportal „Topf Secret“
Beiträge zum Informationsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Hansjürgen Garstka, Prof. Dr. Michael Kloepfer, Prof. Dr. Eva Inés Obergfell, Prof. Dr. Friedrich Schoch
Band 41
Multiplikatoren als Herausforderung für die Informationsfreiheit und das Verbraucherportal „Topf Secret“ Grund- und lebensmittelrechtliche Determinanten im Spannungsfeld von Verbraucherinformation und Schutz unternehmerischer Interessen
Von Ferdinand Wollenschläger
Duncker & Humblot · Berlin
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© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 1619-3547 ISBN 978-3-428-18424-8 (Print) ISBN 978-3-428-58424-6 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Das am 1. 5. 2008 in Kraft getretene und im Jahre 2012 novellierte Verbraucherinformationsgesetz stellt einen zentralen Baustein sowohl der Informationsfreiheit als auch der Verbraucherpolitik dar. Es räumt jedem einen – an keine weiteren Bedingungen wie ein berechtigtes Interesse geknüpften – Anspruch auf Zugang zu behördlichen Informationen u. a. über Verstöße von Unternehmen gegen lebensmittelrechtliche Anforderungen ein, um die Informationsbasis für Konsumentscheidungen der Verbraucherinnen und Verbraucher zu verbessern und Markt- sowie Verwaltungstransparenz zu erhöhen. Es liegt auf der Hand, dass dieser Informationsanspruch in einem Spannungsverhältnis zum auch grundrechtlich fundierten Schutz unternehmerischer Interessen steht, werden doch Rechtsverstöße publik, woraus nicht unerhebliche Umsatzeinbußen und Reputationsschäden resultieren können. In besonderer Schärfe besteht dieses Spannungsverhältnis, wenn die Informationen nicht (nur) zur eigenen Unterrichtung, sondern zur Weiterverbreitung begehrt werden, wie über das im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehende Verbraucherportal Topf Secret. Diese private Plattform ermöglicht Einzelnen, die entsprechenden behördlichen Informationen elektronisch zu beantragen und diese nach Erhalt über die Internet-Plattform der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Zweifelsohne erhöht der dann eintretende Multiplikatoreneffekt die vom Verbraucherinformationsgesetz angestrebte Transparenz; freilich nimmt auch die Eingriffsintensität bei den betroffenen Lebensmittelunternehmen zu. Nicht nur deshalb werfen Multiplikatoren eine besondere Herausforderung für die Informationsfreiheit auf. Deren Bewältigung bildet den Gegenstand der vorliegenden und mit Blick auf das Verbraucherportal Topf Secret durchgeführten Untersuchung. Neben einer Analyse des einfach-gesetzlichen Rahmens widmet sich die Arbeit den verfassungs- und unionsrechtlichen Vorgaben für die Auflösung des beschriebenen Spannungsfeldes, etwa grundrechtlichen Grenzen des Informationszugangs einschließlich Mechanismen der Richtigkeitsgewähr. Dabei ist angesichts der Europäisierung des Lebensmittelrechts eine Mehrebenenperspektive einzunehmen, greifen doch nicht nur Anforderungen des nationalen Verfassungsrechts, sondern auch des Unionsrechts, namentlich der Unionsgrundrechte, des EU-Lebensmittelrechts und des EU-Datenschutzrechts. Die generierten Erkenntnisse weisen schließlich über das untersuchte Beispiel Topf Secret hinaus, weshalb eine Schlussbetrachtung die Thematik „Multiplikatoren als Herausforderung für die Informationsfreiheit“ aus allgemeiner Perspektive reflektiert. Die vorliegende Untersuchung beruht auf einem für die Veröffentlichung überarbeiteten Rechtsgutachten für foodwatch e.V., einem der beiden Betreiber des
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Vorwort
Verbraucherportals Topf Secret. Foodwatch e.V. hat sich überdies an den Kosten der Drucklegung beteiligt. Der Verfasser dankt Frau Rauna Bindewald und Herrn Oliver Huizinga von foodwatch e.V. für den hilfreichen Austausch zum Portal Topf Secret, ebenso meinem ehemaligen Assistentenkollegen Ministerialrat Dr. Kai Engelbrecht für die Bereitschaft zur Diskussion verschiedener Rechtsfragen. Rechtsprechung und Literatur befinden sich auf dem Stand von Juni 2021. Der Verfasser dankt schließlich dem Verlag Duncker & Humblot, namentlich Herrn Dr. Florian R. Simon, LL.M., und den Herausgeber(inne)n der Schriftenreihe „Beiträge zum Informationsrecht“, der Kollegin Eva Inés Obergfell und den Kollegen Hansjürgen Garstka, Michael Kloepfer und Friedrich Schoch, für die Aufnahme in diese Schriftenreihe einschließlich der zügigen Begutachtung und Frau Heike Frank vom Verlag für die redaktionelle Betreuung. München, im Juni 2021
Ferdinand Wollenschläger
Inhaltsverzeichnis I.
Multiplikatoren als Herausforderung für die Informationsfreiheit und das Verbraucherportal Topf Secret: Einführung und Gang der Untersuchung . . . . 11
II.
Die Initiative Topf Secret: Funktionsweise der Plattform und Anliegen . . . . . . 15
III. Einfach-gesetzlicher Rahmen: das Verbraucherinformationsgesetz . . . . . . . . . . 18 1. Anwendungsbereich und Zweck der Verbraucherinformation . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2. Antragsberechtigung: jedermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3. Gegenstand und Umfang des Zugangsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 4. Ausschluss- und Beschränkungsgründe, § 3 VIG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 a) Offenbarung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen (§ 3 Satz 1 Nr. 2 lit. c VIG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 b) Zugang zu personenbezogenen Daten (§ 3 Satz 1 Nr. 2 lit. a VIG) . . . . . . . . . 25 c) Information während laufender Verfahren (§ 3 Satz 1 Nr. 1 lit. b, Satz 3 VIG) 26 5. Vorgaben für Verfahren, Rechtsschutz und Richtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 a) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 b) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 c) Richtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 6. Rechtsmissbrauchsklausel, § 4 Abs. 4 VIG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 7. Parallelität zu § 40 Abs. 1a LFGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 8. Verhältnis von VIG-Informationszugangs- und Informationsweiterverwendungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 a) Anwendungsbereich des IWG und dessen Verhältnis zum VIG . . . . . . . . . . . . 31 b) Keine Irrelevanz der Weiterverwendung für den Informationszugang . . . . . . . 33 aa) Trennungsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 bb) Relevanz der Weiterverwendung für den Informationszugang . . . . . . . . . . 35 c) Rechtslage nach dem Gesetz für die Nutzung von Daten des öffentlichen Sektors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
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Inhaltsverzeichnis
IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. Anwendbarkeit der nationalen Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Kein Grundrechtseingriff durch die Handlungen Privater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3. Antragsgebundene Verbraucherinformation auf dem Prüfstand der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 aa) Kein Sonderregime i.S.d. Glykol-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 bb) Eingriffsqualität der antragsgebundenen Informationserteilung . . . . . . . . . 44 (1) Allgemeine Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 (2) Eingriffsqualität der aktiven staatlichen Verbraucherinformation . . . . 45 (3) Eingriffsqualität der antragsgebundenen Informationserteilung nach dem VIG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 (a) Bejahung eines Eingriffs im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. 8. 2019 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 (b) Kritik am Fokus der Eingriffsprüfung auf Topf Secret . . . . . . . . . . 47 (c) Eingriffsqualität der antragsgebundenen Informationserteilung nach dem VIG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 (d) Keine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs aufgrund (informationeller) Zwischenakte Privater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 c) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 aa) Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 bb) Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 cc) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 dd) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 ee) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (1) Allgemeine Konkretisierungen: Drei-Stufen-Lehre und Bezugspunkt der Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (a) Drei-Stufen-Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (b) Bezugspunkt der Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (2) Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (b) Hohe Gewichtung des Zugangsinteresses durch den Gesetzgeber
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(3) Eingriffsintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 (a) Eingriffsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 (b) Belastungsintensität einer Internet-Veröffentlichung . . . . . . . . . . . 62 (c) Unterschiede aktive Publikumsinformation und antragsgebundene Informationserteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 (aa) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts . . . . . . . . . . 64 (bb) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
Inhaltsverzeichnis
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(cc) Eingriffsschärfung qua staatlichem Steuerungsverlust nach Informationserteilung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (4) Hohes Gewicht und Dringlichkeit der Anliegen der Verbraucherinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 (5) Reduktion der Schutzwürdigkeit durch öffentlichkeitsrelevanten Rechtsverstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (6) Schutzmechanismen: (Verfahrens-)Anforderungen im VIG und zivilrechtlicher Rechtsschutz im Kontext der Informationsweiterverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (a) Schutzmechanismen zugunsten des Lebensmittelunternehmens im VIG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (b) Mechanismen zur Richtigkeitsgewähr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 (c) Zivilrechtlicher Rechtsschutz im Kontext der Informationsweiterverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (d) Grundsätzliche Irrelevanz (nur) möglicher Rechtsverstöße Privater 78 (7) Abwägung: Angemessenheit der gesetzgeberischen Priorisierung der Verbraucherinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (a) Bewertung der antragsgebundenen Information in Rechtsprechung und Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (b) Vertretbarkeit und Rechtfertigungsfähigkeit der gesetzgeberischen Interessenbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 (c) Position des Bundesverfassungsgerichts zur aktiven staatlichen Verbraucherinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (d) Anforderungen an die Tatsachengrundlage der Information . . . . . 84 (e) Keine Bagatellschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 (f) Befristung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (g) Anforderungen an die Informationserteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (bb) Hinweis auf Behebung des Verstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (cc) Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (h) Keine Beschränkung auf Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 ff) Differenzierung zwischen gesetzgeberischer Regelung und Anwendung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4. Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5. Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 6. Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 V.
Unionsrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. EU-Primärrecht: Unionsgrundrechte und EU-Marktfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . 95
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Inhaltsverzeichnis 2. Keine Sperrwirkung des Art. 10 VO (EG) Nr. 178/2002 für die schlichte Verbraucherinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3. Vorgaben der EU-Lebensmittelkontrollverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Exkurs: Lebensmittel-Kontrollverordnung (EG) Nr. 882/2004 . . . . . . . . . . . . . 99 b) Lebensmittel-Kontrollverordnung (EU) Nr. 2017/625 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Anforderungen der Verschwiegenheitspflicht, Art. 8 VO (EU) Nr. 2017/ 625 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (1) Grundsätzliche Verschwiegenheitspflicht gemäß Art. 8 Abs. 1 VO (EU) Nr. 2017/625 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (2) Ausnahme für die Veröffentlichung von Kontrollergebnissen gemäß Art. 8 Abs. 5 VO (EU) Nr. 2017/625 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (a) Veröffentlichung gemäß Art. 8 Abs. 5 lit. a und b VO (EU) Nr. 2017/625 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (b) Veröffentlichung bei Erforderlichkeit auf anderweitiger Grundlage 105 bb) Vereinbarkeit mit der Transparenzregelung, Art. 11 VO (EU) Nr. 2017/625 107 cc) Materielle Anforderungen an die Informationserteilung . . . . . . . . . . . . . . 108 4. Vereinbarkeit mit der Datenschutzgrundverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Art. 86 DSGVO (Verarbeitung und Zugang der Öffentlichkeit zu amtlichen Dokumenten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Allgemeine Anforderungen an die Datenverarbeitung (Art. 5 f., 86 DSGVO) 113 aa) Rechtmäßigkeit und Verarbeitung nach Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 1 lit. a, Art. 6 DSGVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 bb) Transparenz (Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 cc) Zweckbindung (Art. 5 Abs. 1 lit. b DSGVO) und Datenminimierung (Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 dd) Richtigkeit (Art. 5 Abs. 1 lit. d DSGVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 ee) Speicherbegrenzung (Art. 5 Abs. 1 lit. e 1. HS DSGVO) . . . . . . . . . . . . . . 120 ff) Integrität und Vertraulichkeit (Art. 5 Abs. 1 lit. f DSGVO) . . . . . . . . . . . . 120
VI. Schlussbetrachtung: Multiplikatoren als Herausforderung für die Informationsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 VII. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
Rechtsprechungsverzeichnis (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Gesetzesmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
I. Multiplikatoren als Herausforderung für die Informationsfreiheit und das Verbraucherportal Topf Secret: Einführung und Gang der Untersuchung Foodwatch e.V. betreibt zusammen mit der Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. die Internet-Plattform Topf Secret. Diese ermöglicht ihren Nutzern, elektronisch bei den Lebensmittelüberwachungsbehörden die Erteilung von Informationen über die Ergebnisse amtlicher Lebensmittelkontrollen bei einzelnen Unternehmen zu beantragen und die daraufhin behördlicherseits erteilten Informationen auf der Plattform im Internet zu veröffentlichen (näher zu Funktionsweise und Anliegen II.). Basis der Plattform ist das am 1. 5. 2008 in Kraft getretene1 und im Jahre 2012 novellierte2 Verbraucherinformationsgesetz (VIG). Dieses räumt jedem einen Anspruch auf Zugang zu Informationen u. a. über Verstöße von Unternehmen gegen lebensmittelrechtliche Anforderungen ein, um die Informationsbasis für Konsumentscheidungen der Verbraucher zu verbessern und Markt- sowie Verwaltungstransparenz zu erhöhen (näher zum VIG III. und zu seinem Anliegen III. 1.). Diese Möglichkeit eines antragsgebundenen Informationszugangs stellt einen wichtigen Baustein nicht nur der Informationsfreiheit, sondern auch der Verbraucherpolitik dar. Er steht neben behördlichen Primärmaßnahmen zur Beseitigung der Rechtsverstöße und behördlichen Sekundärmaßnahmen zu deren Sanktionierung (etwa als Ordnungswidrigkeit) sowie einer aktiven staatlichen Verbraucherinformation, etwa auf der Grundlage des § 40 Abs. 1a Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB).3
1 Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation vom 5. 11. 2007, BGBl. I, S. 2558. 2 Gesetz zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 15. 3. 2012, BGBl. I, S. 476; Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes zur Verbesserung der gesundheitsbezogenen Verbraucherinformation (Verbraucherinformationsgesetz – VIG) vom 17. 10. 2012, BGBl. I, S. 2166, berichtigt durch Bekanntmachung vom 10. 12. 2012, BGBl. I, S. 2725; geändert durch Art. 2 Abs. 34 des Gesetzes zur Strukturreform des Gebührenrechts des Bundes vom 7. 8. 2013, BGBl. I, S. 3154. Zur Novelle J. Prommer/M. Rossi, GewArch 2013, S. 97. 3 Im Überblick zur Verortung der Verbraucherinformation F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (22 ff.); ders., Mitgliedstaatliche Informationsbefugnisse im Lebensmittelsektor vor dem Hintergrund der Harmonisierung des europäischen Lebensmittelrechts, in: A. Dix/G. Franßen/M. Kloepfer/P. Schaar/F. Schoch und Deutsche Gesellschaft für Informationsfreiheit (Hrsg.), Jahrbuch Informationsfreiheit und Informationsrecht 2013, 2014, S. 151 (154 f.).
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I. Einführung und Gang der Untersuchung
Es liegt auf der Hand, dass die zweifelsohne legitimen Zielen dienende behördliche Verbraucherinformation über Rechtsverstöße von Unternehmen im Allgemeinen und im Kontext der Zugänglichmachung über die Plattform Topf Secret im Besonderen nicht nur die Frage nach einfach-gesetzlichen Grenzen, sondern auch nach ihrer Vereinbarkeit mit unternehmerischen Grundrechten, namentlich der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) aufwirft, stehen doch potentiell erhebliche Einbußen an Reputation und Geschäftserfolg im Raum. Es liegt ebenfalls auf der Hand, dass der durch die Weiterveröffentlichung der Informationen im Internet bewirkte Multiplikatoreneffekt die beschriebene Konfliktlage zwischen Informationszugang und unternehmerischen Interessen weiter verschärft. Ein Mehr an Transparenz bedeutet nämlich zugleich eine höhere Eingriffsintensität. Insoweit ist in Erinnerung zu rufen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. 3. 2018 die aktive staatliche Verbraucherinformation gemäß § 40 Abs. 1a LFGB zwar für grundsätzlich verfassungskonform erklärt, gleichzeitig aber – im hiesigen Kontext potentiell relevante – Schranken aufgezeigt hat.4 Daneben werfen MultiplikatorenKonstellationen weitere Fragen auf, etwa nach Realisierbarkeit und Inhalt der behördlichen Korrekturpflicht bei unrichtiger Informationserteilung (§ 6 Abs. 4 VIG) oder nach dem Verhältnis des VIG-Informationszugangsregime zum Regime der im IWG geregelten Informationsweiterverwendung. Die mit Informationszugangsbegehren im Kontext von Topf Secret befassten erstinstanzlichen Verwaltungsgerichte haben die Zulässigkeit einer behördlichen Informationserteilung unterschiedlich beurteilt.5 Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. 8. 20196 und weitere Entscheidungen zahlreicher Oberverwaltungsgerichte haben die Zulässigkeit der Informationserteilung bejaht,7 andere Oberverwaltungsgerichte haben dies im Eilverfahren offen gelassen8. Das Schrifttum gelangt nach wie vor zu divergierenden Einschätzungen.9 Die Bundesregierung 4
BVerfGE 148, 40. Siehe dazu die Nachweise bei C. Halder/B. Metzl, jurisPR-ITR 22/2019 Anm. 6, C. Für die Zulässigkeit etwa VG Augsburg, BeckRS 2019, 12743, Rn. 27 ff.; VG Freiburg, BeckRS 2019, 19973, Rn. 8 ff.; VG Karlsruhe, BeckRS 2019, 27103, Rn. 19 ff.; VG Regensburg, BeckRS 2020, 34611, Rn. 43 ff.; VG Würzburg, BeckRS 2020, 25105; a.A. neben anderen etwa VG Ansbach, BeckRS 2019, 15084, Rn. 25 ff. 6 BVerwGE 166, 233. 7 BayVGH, BeckRS 2020, 6798; BeckRS 2020, 20595; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 16; Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 25.19, Umdruck, S. 5 ff.; OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789, Rn. 31 ff.; BeckRS 2021, 7074, Rn. 34 ff.; OVG Lüneburg, BeckRS 2020, 171; OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (96); Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 32 ff.; VGH Kassel, BeckRS 2020, 27638; VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115; BeckRS 2019, 33951, Rn. 38 ff. 8 OVG Hamburg, BeckRS 2019, 26284; OVG Koblenz, LMuR 2020, S. 90 (91). 9 Verfassungskonform: C. Halder, jurisPR-ITR 9/2020 Anm. 5, C.; ders./B. Metzl, jurisPRITR 22/2019 Anm. 6, C. und D.; F. Kraft/P.-G. Elsing, ZLR 2020, S. 118 (123 f.); R. Metz, VuR 2020, S. 188 (188 f.); vgl. auch, obgleich ohne nähere rechtliche Begründung, R. Neubauer/ J. Dyllick, LKV 2020, S. 237 (237 f.). Einen Verfassungsverstoß annehmend K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62. De lege ferenda eine Reform des VIG vor dem Hintergrund der novellierten 5
I. Einführung und Gang der Untersuchung
13
hat in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften vom 16. 12. 2020 die besondere Bedeutung der „Transparenzvorschriften des Verbraucherinformationsgesetzes (VIG) sowie des § 40 Abs. 1a LFGB“ betont und diese als „wesentliches Instrument des gesundheitlichen Verbraucherschutzes“ qualifiziert. Und weiter heißt es dort spezifisch mit Blick auf Topf-Secret: Hinsichtlich des VIG gilt, dass das Bundesverwaltungsgericht das Verbraucherinformationsgesetz und seine verbraucherfreundliche Handhabung in einem Urteil vom 29. August 2019 (Az. 7 C 29.17) nochmals ausdrücklich bestätigt hat. Infolge des Urteils, dem sich anlässlich einer Klageserie im Zusammenhang mit der foodwatch-Kampagne „Topf Secret“ die obergerichtliche Rechtsprechung weitestgehend angeschlossen hat bzw. dessen tragende Erwägungen sie sich erneut zu eigen gemacht hat, wurden etwaige Rechtsunsicherheiten endgültig beseitigt und Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des VIG ausgeräumt. Das Urteil ermöglicht somit einen bundesweit einheitlichen und wirksamen Vollzug des Gesetzes. Vor diesem Hintergrund besteht auch im Hinblick auf das VIG aus Sicht der Bundesregierung derzeit kein weitergehender gesetzgeberischer Handlungsbedarf.10
Vor diesem Hintergrund erörtert die vorliegende Untersuchung zum einen die Frage, ob eine Auslegung des VIG, wonach die Erteilung von Informationen über die Ergebnisse amtlicher Lebensmittelkontrollen bei einzelnen Unternehmen – auch bei (möglicher) Weiterverwendung der Informationen zum Zwecke der Veröffentlichung auf der Internetplattform „Topf Secret“ – zulässig ist (dazu III.),11 mit den Grundrechten des Grundgesetzes in Einklang steht (dazu IV.).12 In Einklang mit der erwähnten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts liegt der Fokus auf der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG; dazu IV. 3.); weitere Grundrechte werden als Exkurs betrachtet13. Zum anderen thematisiert die Untersuchung die Frage, ob eine derartige Auslegung des VIG mit dem Unionsrecht in Einklang steht (V.). Denn die Europäisierung des Lebensmittelrechts bedingt die Notwendigkeit einer Mehr-Ebenen-Perspektive. Der Schwerpunkt liegt auf dem EU-Lebensmittelsekundärrecht, namentlich der novellierten Lebensmittelkontrollverordnung (EU) Nr. 2017/625 (dazu V. 2. und 3.). Betrachtet werden des Regelung des § 40 Abs. 1a, 4 und 4a LFGB fordernd: M. Grube/A. Pitzer, ZLR 2019, S. 465 (478). Offen gelassen bei M. Rossi, JZ 2020, S. 573 (575 ff.). Für eine generelle Verfassungswidrigkeit der voraussetzungslosen Verbraucherinformation M. Grube/M. Immel/ R. Wallau, Verbraucherinformationsrecht, Teil D, § 1 VIG, Rn. 9. 10 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften vom 16. 12. 2020, BTDrs. 19/25319, S. 93. 11 Diese Auslegung des VIG wird der Untersuchung zugrunde gelegt. 12 Hierbei ist deren Anwendbarkeit trotz unionsrechtlicher Überformung des Sachverhalts zugrunde zu legen, dazu IV. 1. 13 Siehe zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung IV. 4., zur Eigentumsgarantie IV. 5., zur Rechtsschutzgarantie IV. 6., zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht Fn. 77 und Fn. 197 sowie zur Unschuldsvermutung Fn. 33.
14
I. Einführung und Gang der Untersuchung
Weiteren die Unionsgrundrechte (V. 1.), die EU-Marktfreiheiten (V. 1.) sowie die EU-Datenschutzgrundverordnung (V. 4.). Auf der Basis der zum Verbraucher-Portal Topf Secret gewonnenen Erkenntnisse entfaltet eine Schlussbetrachtung (VI.) das Phänomen der Informationsfreiheit für Multiplikatoren, mithin die Konstellation, dass Informationen nicht (nur) zur eigenen Unterrichtung, sondern zur Weiterverbreitung begehrt bzw. verwendet werden. Zwar hat die Multiplikatoren-Konstellation keine spezifische Regelung in den Informationsfreiheitsgesetzen erfahren; allerdings wirft sie spezifische Rechtsfragen und Herausforderungen auf, die die Untersuchung abschließend und vom Beispiel Topf Secret abstrahierend reflektiert. Kein Gegenstand der Untersuchung ist die Zulässigkeit des Betriebs der Plattform einschließlich der Veröffentlichung der Informationen auf dieser durch den Plattformbetreiber und die VIG-Antragsteller. Schließlich bleiben Fragen des Sekundärrechtsschutzes (namentlich Schadensersatzansprüche bei unrichtigen Informationen) ausgeklammert.
II. Die Initiative Topf Secret: Funktionsweise der Plattform und Anliegen Die von foodwatch e.V. und der Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. betriebene Internet-Plattform „Topf Secret“14 ermöglicht die elektronische Beantragung eines Kontrollberichts zu Lebensmittelunternehmen auf der Grundlage des Verbraucherinformationsgesetzes. Die von der Behörde übermittelten Informationen soll der Antragsteller sodann auf der Plattform veröffentlichen: Topf Secret ist eine gemeinsame Online-Plattform von foodwatch und der TransparenzInitiative FragDenStaat, über die Verbraucherinnen und Verbraucher mit wenigen Klicks die Ergebnisse von Hygienekontrollen in Restaurants, Bäckereien und anderen Lebensmittelbetrieben abfragen können. Bekommen Verbraucherinnen und Verbraucher eine Antwort auf ihre Anfrage, sollten sie diese auf Topf Secret hochladen, damit sämtliche Antworten dann für alle sichtbar sind.15
Das Anliegen der Plattform beschreiben die Betreiber wie folgt: foodwatch und FragDenStaat fordern mehr Transparenz in der Lebensmittelüberwachung. Je mehr Menschen mitmachen und Anträge stellen, umso mehr Informationen kommen ans Licht. Damit wollen wir zeigen, dass Bürgerinnen und Bürger ein Interesse an diesen Informationen haben. Langfristig wollen wir erreichen, dass die Politik endlich eine gesetzliche Grundlage schafft, die Transparenz zur Regel macht. Ziel ist, dass die Behörden von sich aus alle Kontrollergebnisse veröffentlichen müssen, ohne dass Bürgerinnen und Bürger Anfragen stellen müssen.16
Im Detail funktioniert die Plattform nach der Beschreibung ihrer Betreiber folgendermaßen: Mit dem auf „Topf Secret“ zur Verfügung gestellten Antragsformular können Verbraucher Auskunft darüber beantragen, wann die beiden letzten lebensmittelrechtlichen Betriebsüberprüfungen im Betrieb des Antragstellers stattgefunden haben und ob es hierbei zu Beanstandungen kam. Für den Fall, dass es zu Beanstandungen kam, wird die Herausgabe der entsprechenden Kontrollberichte verlangt. Um eine solche Informationsanfrage zu stellen, muss sich der Nutzer auf der Plattform registrieren. Hierbei muss er Postadresse, Vorname, Nachname und E-Mail-Adresse an14
Abrufbar unter https://www.foodwatch.org/de/informieren/topf-secret/ (17. 3. 2021). Siehe die Fragen und Antworten zu „Topf Secret“ u. a. zum Thema „Was ist Topf Secret?“, abrufbar unter https://www.foodwatch.org/de/informieren/topf-secret/fragen-antworten/ (17. 3. 2021). 16 Siehe die Fragen und Antworten zu „Topf Secret“ u. a. zum Thema „Was ist das Ziel dieser Aktion?“, abrufbar unter https://www.foodwatch.org/de/informieren/topf-secret/fragenantworten/ (17. 3. 2021). 15
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II. Die Initiative Topf Secret: Funktionsweise der Plattform und Anliegen geben und den Nutzungsbedingungen und Datenschutzbestimmungen von FragDenStaat.de zustimmen. Es kann eine anonyme Option gewählt werden, bei der der Name des Antragstellers nur der Behörde übermittelt, auf „Topf Secret“ jedoch nicht dargestellt wird. Anschließend können die registrierten Nutzer auf ein Restaurant oder einen Lebensmittelbetrieb in der Straßenkarte klicken bzw. über eine Suchfunktion den sie interessierenden Betrieb suchen. Im nächsten Schritt müssen Sie nur noch ihren Namen, E-Mail- und Postadresse eingeben. Die vorformulierte Anfrage wird dann automatisch per E-Mail an die zuständige Behörde geschickt. Werden die Kontrollberichte nach positiver Bescheidung des Antrags an die Antragsteller übermittelt, können diese entscheiden, ob sie diese auf der Home Page von „Topf Secret“ veröffentlichen oder nicht. Eine Verpflichtung zur Veröffentlichung besteht nicht. Zur Publikation müssen die Antragsteller dann, wenn sie die Antwort der Behörde per Post erhalten, auf ihrem Account auf „Post erhalten“ klicken und die per Post erhaltenen Dokumente einscannen und anschließend hochladen. Mit dem Hochladen ist das gescannte Dokument noch nicht öffentlich sichtbar. Vielmehr öffnet sich zunächst ein SchwärzungsTool zum Entfernen personenbezogener Daten. Eine Veröffentlichung ist erst nach einer Schwärzung möglich, wobei technisch nicht sichergestellt werden kann, dass der Nutzer auch tatsächlich personenbezogene Daten geschwärzt hat. Antwortet die Behörde per Mail, finden sich die angefragten Kontrollberichte in der Regel in einem gesonderten Schreiben der Behörde, welches der Antwort-Mail als Anhang beigefügt wird. Um die Antwort zu veröffentlichen, muss der Nutzer der Plattform auf den Anhang klicken. Auch hier öffnet sich im Anschluss das Schwärzungs-Tool. Die Schwärzungen betreffen nur personenbezogene Daten. Das aus den Kontrollberichten hervorgehende Datum der Kontrolle oder etwaige neutrale bzw. positive Bewertungen im Bericht werden hingegen nicht entfernt. Die Plattformbetreiber gehen darüber hinaus die eingestellten Berichte systematisch durch und schwärzen sie gegebenenfalls nach.
Die Plattform weist in den FAQs zur Aktualität der Information auf Folgendes hin: Es dauert in der Regel mehrere Wochen, bis eine Behörde auf eine Anfrage einen Kontrollbericht herausgibt. Zudem werden die Lebensmittelbetriebe nicht täglich von den Behörden kontrolliert. Naturgemäß beschreibt ein auf Topf Secret einsehbarer Kontrollbericht dadurch den Hygienezustand eines Betriebs in der Vergangenheit, d. h. die festgestellten Verstöße sind möglicherweise bereits beseitigt. Das Bundesverfassungsgericht hat aber kürzlich klargestellt, dass Bürgerinnen und Bürger auch ein Recht auf Informationen zu bereits beseitigten Verstößen haben.17
Die betroffenen Lebensmittelbetriebe können eine Aktualisierung der Informationen beantragen:
17 Siehe die Fragen und Antworten zu „Topf Secret“ u. a. zum Thema „Was ist, wenn die online verfügbaren Kontrollberichte veraltet sind?“, abrufbar unter https://www.foodwatch.org/ de/informieren/topf-secret/fragen-antworten/ (17. 3. 2021).
II. Die Initiative Topf Secret: Funktionsweise der Plattform und Anliegen
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Unabhängig davon sind alle Lebensmittelbetriebe herzlich dazu eingeladen, uns aktuelle Kontrollberichte zuzusenden, wenn auf der Plattform nicht der letzte Stand abgebildet ist. Wir verifizieren das mit der zuständigen Behörde und stellen sie dann online.18
Schließlich greift eine Löschungsfrist von fünf Jahren: Das Verbraucherinformationsgesetz gibt allen Bürgerinnen und Bürgern [einen] Informationsanspruch zu Ergebnissen der Lebensmittelkontrollen, die bis zu fünf Jahre in der Vergangenheit liegen. Ergebnisse zu Lebensmittelkontrollen, die mehr als fünf Jahre zurückliegen – zu denen also kein Informationsanspruch gemäß dem Verbraucherinformationsgesetz mehr besteht – werden wir wieder von der Plattform entfernen.19
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Siehe die Fragen und Antworten zu „Topf Secret“ u. a. zum Thema „Was ist, wenn die online verfügbaren Kontrollberichte veraltet sind?“, abrufbar unter https://www.foodwatch.org/ de/informieren/topf-secret/fragen-antworten/ (17. 3. 2021). 19 Siehe die Fragen und Antworten zu „Topf Secret“ u. a. zum Thema „Werden die Kontrollberichte zeitlich unbegrenzt veröffentlicht?“, abrufbar unter https://www.foodwatch.org/de/ informieren/topf-secret/fragen-antworten/ (17. 3. 2021).
III. Einfach-gesetzlicher Rahmen: das Verbraucherinformationsgesetz Die Informationserteilung erfolgt auf der Grundlage des Verbraucherinformationsgesetzes. Dessen Eckpunkte, auch unter Einbeziehung der Rechtsprechung zu Topf Secret, seien im Folgenden als Grundlage der Untersuchung rekapituliert. Nach einer Entfaltung von Anwendungsbereich und Zweck (1.) sowie der Antragsberechtigung von jedermann (2.) seien Gegenstand und Umfang des Zugangsanspruchs (3.), mögliche Ausschluss- und Beschränkungsgründe (4.) sowie Vorgaben für Verfahren, Rechtsschutz und Richtigkeit (5.) in den Blick genommen, ebenso wie die für nicht einschlägig erachtete Rechtsmissbrauchsklausel (6.) und die Parallelität zu § 40 Abs. 1a LFGB (7.). Schließlich ist das Verhältnis von VIG-Informationszugangs- und IWG-Informationsweiterverwendungsrecht zu bestimmen (8.).
1. Anwendungsbereich und Zweck der Verbraucherinformation Der mit der Novelle des Jahres 2012 dem Verbraucherinformationsgesetz vorangestellte § 1 VIG definiert Anwendungsbereich und Zweck dieses Gesetzes: Durch dieses Gesetz erhalten Verbraucherinnen und Verbraucher freien Zugang zu den bei informationspflichtigen Stellen vorliegenden Informationen über 1. Erzeugnisse im Sinne des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (Erzeugnisse) sowie 2. Verbraucherprodukte, die dem § 2 Nummer 26 des Produktsicherheitsgesetzes unterfallen (Verbraucherprodukte), damit der Markt transparenter gestaltet und hierdurch der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor gesundheitsschädlichen oder sonst unsicheren Erzeugnissen und Verbraucherprodukten sowie vor Täuschung beim Verkehr mit Erzeugnissen und Verbraucherprodukten verbessert wird.
In diesen explizit in § 1 VIG genannten Zwecken (Markttransparenz sowie Verbraucherschutz mit Blick auf Gesundheit, Produktsicherheit und Täuschung) erschöpft sich das Anliegen der antragsgebundenen Informationserteilung nicht;20 20 Eine entsprechende Beschränkung lässt sich der Begründung zu § 1 VIG nicht entnehmen, siehe Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 19. 10. 2011, BT-Drs. 17/7374, S. 14; vgl. im Übrigen BVerwGE 166, 233 (235 f.).
1. Anwendungsbereich und Zweck der Verbraucherinformation
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vielmehr lassen sich, namentlich auf der Basis der Gesetzesbegründung, weitere und insgesamt damit folgende Zwecke der Information über Abweichungen von lebensmittelrechtlichen Anforderungen identifizieren,21 so - die Informationsbasis für Konsumentscheidungen der Verbraucher(innen) zu verbessern: Die Erweiterung des Rechts der Verbraucherinformation ist zugleich aber auch Teil einer modernen Verbraucherpolitik. Verbraucherinnen und Verbraucher zeigen ein gesteigertes Interesse an Informationen, bevor sie sich zur Auswahl eines bestimmten Erzeugnisses entschließen. Aus dem Leitbild des mündigen Verbrauchers heraus ist dieses gesteigerte Interesse zu begrüßen und daher zu fördern. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sollen sich als Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmer begreifen können und besser befähigt werden, Kaufentscheidungen eigenverantwortlich zu treffen.22
- die Erhöhung der Markttransparenz und damit die Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Marktsystems;23 bedeutsam ist dies nicht nur für die anfragenden Verbraucher, sondern auch für die Branche und die Allgemeinheit: „Dies nützt nicht nur den einzelnen Verbrauchern, sondern auch Mitbewerbern, die innovative Produkte mit besseren Qualitätseigenschaften anbieten, sowie der Allgemeinheit“;24 - die Sicherstellung des Vertrauens in die Lebensmittelsicherheit und Qualitätssicherung, auch im Interesse der betroffenen Branche;25 - das generalpräventive Anliegen, auf eine Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Anforderungen hinzuwirken, und damit auch den mit diesen bezweckten Gesundheits- und Verbraucherschutz zu befördern;26 - die Stärkung der Verwaltungstransparenz: „Die Transparenz staatlichen Handelns und der ungehinderte Zugang zu Informationen […] sind zudem auch wesentli21
Siehe im Überblick auch F. Schoch, NJW 2010, S. 2241 (2241 f.). Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation vom 22. 5. 2007, BT-Drs. 16/5404, S. 1, 7. Siehe auch Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 19. 10. 2011, BT-Drs. 17/7374, S. 2, 12, 14; BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 17; ferner – im Kontext des LFGB – auch BVerfGE 148, 40 (52, Rn. 32). Allgemein auch F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (24, 25). 23 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation vom 22. 5. 2007, BT-Drs. 16/5404, S. 7; Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 19. 10. 2011, BT-Drs. 17/7374, S. 14. 24 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 19. 10. 2011, BT-Drs. 17/7374, S. 14. 25 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation vom 22. 5. 2007, BT-Drs. 16/5404, S. 1, 7. Siehe auch Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 19. 10. 2011, BT-Drs. 17/7374, S. 14. 26 Vgl. auch BVerfGE 148, 40 (52, Rn. 32); F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (24) – indes gegen einen Sanktionszweck ebd., S. 25 f.; einen Sanktionszweck nur als Nebenziel für zulässig erachtend M. Bäcker, JZ 2016, S. 595 (598 f.). 22
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III. Einfach-gesetzlicher Rahmen: das Verbraucherinformationsgesetz
ches Element eines demokratischen Rechtsstaates“. „Die Verbesserung des Zugangs der Bürger zu staatlichen Informationen stärkt zudem auch ihre Möglichkeiten für eine Beteiligung an der öffentlichen Diskussion über Verwaltungsentscheidungen und ist damit konstituierendes Element eines demokratischen Rechtsstaates“.27 Im Schrifttum heißt es, dass der Staat […] Teile seines Informationsbestands der Öffentlichkeit zugänglich [macht]. Damit dient die Verbraucherinformation auch einem transparenten Staatshandeln und ist folglich im Kontext der Informationsfreiheit zu sehen. Dieses europarechtlich im Umweltbereich angestoßene, vom deutschen Gesetzgeber mit dem Umweltinformationsgesetz, mit den allgemeinen Informationsfreiheitsgesetzen von Bund und Ländern sowie dem Verbraucherinformationsgesetz aber auch darüber hinaus aufgegriffene Anliegen verkörpert einen Paradigmenwechsel im Verwaltungsverständnis: Das Ideal der Öffentlichkeit der Verwaltung hat die Tradition des geheimen Staates abgelöst. Verwaltungstransparenz soll einen Beitrag dazu leisten, Akzeptanz und Legitimation des Handelns der öffentlichen Gewalt zu erhöhen sowie die demokratische Beteiligung der Bürger angesichts der auf diese Weise ermöglichten öffentlichen Debatte zu stärken.28
2. Antragsberechtigung: jedermann Während die seit Inkrafttreten des Verbraucherinformationsgesetzes bestehende Anspruchsgrundlage für den Informationszugang jedermann berechtigt (siehe § 2 Abs. 1 Satz 1 VIG), hebt die mit der Novelle des Jahres 2012 in das Verbraucherinformationsgesetz neu eingefügte Bestimmung zu dessen Anwendungsbereich (§ 1 VIG) auf einen Informationszugang für Verbraucherinnen und Verbraucher ab. Hierin ist mit dem Bundesverwaltungsgericht jedoch keine Beschränkung der Antragsberechtigung auf diesen Personenkreis zu sehen. Denn mit der Einfügung des § 1 VIG strebte der Gesetzgeber keine derartige Einschränkung an; vielmehr bezwecke „das Verbraucherinformationsgesetz nach wie vor einen weiten Informationszugang“, was § 2 Abs. 1 Satz 1 VIG bestätigt.29 Andernfalls hätten 27 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 19. 10. 2011, BT-Drs. 17/7374, S. 2 und 12. Siehe bereits Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation vom 22. 5. 2007, BT-Drs. 16/5404, S. 8. Hierin den Primärzweck sehend M. Möstl, LMuR 2015, S. 185 (187). Umfassend zu den Zwecken der Informationsfreiheitsgesetze G.-J. Ostermann, Transparenz, S. 183 ff., indes (S. 30 ff.) mit Differenzierung gegenüber der Verbraucherinformation; M. Rossi, Informationszugangsfreiheit, S. 67 ff. 28 F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (26 f.) – Nachweise getilgt. Zur verfassungsrechtlichen Fundierung im Überblick C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 2 f. 29 BVerwGE 166, 233 (235). Ebenso BayVGH, BeckRS 2020, 20595, Rn. 19; VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (115 f.). Zustimmend, obgleich mit Kritik an der Argumentation M. Rossi, JZ 2020, S. 573 (573 f.).
3. Gegenstand und Umfang des Zugangsanspruchs
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institutionelle Fragesteller wie Verbraucherverbände, auf die ein erheblicher Teil der Anfragen zurückgeht (vgl. BT-Drs. 17/7374 S. 12), keinen Anspruch auf Zugang zu Informationen mehr […], weil sie in der Regel nicht dem Begriff des Verbrauchers unterfallen.30
3. Gegenstand und Umfang des Zugangsanspruchs Den Gegenstand und Umfang des Anspruchs auf Zugang zu Informationen definiert § 2 VIG.31 In vorliegendem Zusammenhang von besonderer Relevanz ist § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG. Nach diesem erstreckt sich der Zugangsanspruch auf alle Daten über von den nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stellen festgestellte nicht zulässige Abweichungen von Anforderungen a) des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches und des Produktsicherheitsgesetzes, b) der auf Grund dieser Gesetze erlassenen Rechtsverordnungen, c) unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich der genannten Gesetze sowie Maßnahmen und Entscheidungen, die im Zusammenhang mit den in den Buchstaben a bis c genannten Abweichungen getroffen worden sind.
Von besonderer Bedeutung im vorliegenden Zusammenhang ist, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 29. 8. 2019 namentlich herausgearbeitet hat, dass die Abweichung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 VIG nicht bestandskräftig festgestellt sein muss: Es würde auch das Ziel des Verbraucherinformationsgesetzes, den Verbraucher zeitnah zu informieren (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 VIG sowie BT-Drs. 17/7374 S. 18), nicht erreicht, wenn der Informationszugang von der Bestandskraft der Abweichungsfeststellung abhinge. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem zu einer Verbraucherinformation auf der Grundlage des § 40 Abs. 1a LFGB ergangenen Beschluss vom 21. März 2018 (– 1 BvF 1/13 – BVerfGE 148, 40 Rn. 43) betont, dass dann, wenn ein Verstoß bestands- oder rechtskräftig festgestellt sein müsste, die Information der Öffentlichkeit durch die vielfach zu erwartende Einlegung von Rechtsbehelfen voraussichtlich herausgezögert und die Informationsregelung damit um ihre Effektivität gebracht würde.[32] Auch wenn es sich bei der Veröffentlichung nach § 40
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BVerwGE 166, 233 (236). Näher im hiesigen Kontext BVerwGE 166, 233 (238 ff.). 32 Im Original [BVerfGE 148, 40 (55 f., Rn. 43)] heißt es: „Im Grunde ist eine Einbeziehung von Verdachtsfällen in die Informationsregelung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil dies zur Erreichung der Gesetzeszwecke unverzichtbar ist. Dürfte eine Veröffentlichung erst dann erfolgen, wenn ein Verstoß bestands- oder rechtskräftig festgestellt wäre, würde die Information der Öffentlichkeit durch die vielfach zu erwartende Einlegung von Rechtsbehelfen voraussichtlich häufig herausgezögert und die Informationsregelung damit um ihre Effektivität gebracht […]. Um eigenverantwortliche Konsumentscheidungen treffen zu können, benötigen Verbraucherinnen und Verbraucher aktuelle Informationen. Eine möglicherweise um Jahre 31
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III. Einfach-gesetzlicher Rahmen: das Verbraucherinformationsgesetz Abs. 1a LFGB um einen Akt aktiver staatlicher Verbraucherinformation handelt, kann diese Überlegung auf den hier vorliegenden Fall einer antragsgebundenen Information übertragen werden. Auch insoweit gilt, dass die Auskunftsansprüche weitgehend um ihre Effektivität gebracht würden, wenn ihre Durchsetzung durch die Einlegung von Rechtsbehelfen unter Umständen um Jahre verzögert würde. Eine Erhöhung der Markttransparenz und eine Steuerung von Kaufentscheidungen, wie sie das Verbraucherinformationsgesetz bezweckt (BT-Drs. 16/5404 S. 7), setzen aber voraus, dass der Zugang zu Informationen zeitnah erfolgt. Das insoweit gegebene Beschleunigungsinteresse wird auch durch die im Regelfall nur einen Monat betragende Bescheidungsfrist über entsprechende Anträge verdeutlicht (§ 5 Abs. 2 Satz 1 VIG).
Einschränkend, so die zitierte Passage weiter, bedarf es freilich einer hinreichend gesicherten Informationsbasis: Um jedoch zu vermeiden, dass auch vorläufige Überlegungen und juristisch noch nicht von der zuständigen Stelle tatsächlich und rechtlich gewürdigte Informationen, mithin solche Informationen, die noch keine gesicherte Erkenntnis über eine Abweichung bieten, bereits zum Gegenstand des Informationsbegehrens gemacht werden können, ist es jedoch erforderlich, dass die Abweichung von der zuständigen Stelle unter Würdigung des Sachverhalts und einschlägigen Rechtsvorschriften abschließend aktenkundig festgestellt wird.33 verzögerte Mitteilung über Rechtsverstöße ist zur Verbraucherinformation kaum noch geeignet.“ 33 BVerwGE 166, 233 (241 f.). Ebenso BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 20; BeckRS 2020, 20595, Rn. 15; OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789, Rn. 28 f.; BeckRS 2021, 7074, Rn. 39 ff.; OVG Koblenz, LMuR 2020, S. 90 (91); OVG Lüneburg, BeckRS 2020, 171, Rn. 11; VGH Kassel, BeckRS 2020, 27638, Rn. 24, 26; VG Karlsruhe, BeckRS 2020, 35225, Rn. 28; R. Beck, Verbraucherinformationsgesetz, S. 19 f. Zur entsprechenden gesetzgeberischen Bewertung Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 19. 10. 2011, BT-Drs. 17/7374, S. 18: „Das VIG hat in den ersten beiden Anwendungsjahren wegen der Verzögerung der Auskunftserteilung durch Rechtsbehelfe betroffener Unternehmen um teilweise mehr als 1 Jahr in der Öffentlichkeit erhebliche Kritik erfahren. Dies ist insofern zutreffend, als die erteilten Informationen nach einem derart langen Zeitraum für die Verbraucher häufig weitgehend wertlos sind, da sie nicht mehr als Grundlage für eine aktuelle Präferenzentscheidung für oder gegen ein bestimmtes Produkt verwendet werden können.“ A.A. M. Grube/M. Immel/R. Wallau, Verbraucherinformationsrecht, Teil D, § 2 VIG, Rn. 19 f. Partiell restriktiver T. Beyerlein/G. Borchert, VIG, § 1, Rn. 32 ff. Siehe zur Problematik auch F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (31 ff.). Kritisch M. Rossi, JZ 2020, S. 573 (574 f., Zitat 575): „Was unter den besonderen Voraussetzungen des § 40 Abs. 1a LFGB ausnahmsweise den materiellen und prozeduralen Grundrechtsschutz der betroffenen Unternehmen zurücktreten lässt, ist deshalb noch lange nicht geeignet, auch im Falle einfacher nicht zulässiger Abweichungen die Waage stets zu Gunsten der ,Effektivität der Auskunftsansprüche‘ nach dem VIG ausschlagen zu lassen. Nur im Ergebnis, nicht in der Begründung ist dem BVerwG deshalb zuzustimmen. Das Ergebnis lässt sich allein mit dem Wortlaut des Gesetzes und dem (im Unterlassen einer konkretisierenden Regelung zum Ausdruck kommenden) Willen des Gesetzgebers begründen. Der Gesetzgeber, nicht das BVerwG, trägt insoweit aber auch die Verantwortung für die eventuell fehlende Verfassungskonformität dieser Regelung: Jedenfalls in Fällen, in denen keine gewichtigen Verbraucherinteressen auf dem Spiel stehen, erscheint es verfassungsrechtlich höchst bedenklich, Informationen individuell und in der nicht kontrollierbaren Konsequenz auch generell zugänglich zu machen, deren Richtigkeit nicht gesichert ist und zu denen der Betroffene sich unter Umständen noch nicht einmal äußern konnte. Dass Widerspruch und Anfechtungsklage
3. Gegenstand und Umfang des Zugangsanspruchs
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Konkretisierend hat der VGH Mannheim in seinem Beschluss vom 13. 12. 2019 hinsichtlich der Anforderungen an die Feststellung einer Abweichung das Erfordernis einer auch rechtlichen Würdigung des Sachverhalts herausgearbeitet: Da es sich im Fall eines Rechtsverstoßes auch um ein rechtsnormatives Werturteil handelt, muss die „nicht zulässige Abweichung“ jedoch von der zuständigen Überwachungsbehörde (und z. B. nicht nur von einem Untersuchungslabor) festgestellt werden (Senatsurteil vom 13. 09. 2010 – Aktenzeichen 10S210 10 S 2/10 – NVwZ 2011, 443, 444 zum VIG 2008). Demnach genügt ein Untersuchungsergebnis in einem naturwissenschaftlich-technischen Sinne den gesetzlichen Anforderungen nicht, hinzutreten muss die rechtliche Würdigung des Untersuchungsergebnisses durch die zuständige Überwachungsbehörde mit Darlegung der Gründe, die zu dem Verdikt „nicht zulässige Abweichungen“ führen (BayVGH a.a.O. Rn. 47; VG Augsburg a.a.O. Rn. 38). Dies entspricht der Intention des Gesetzgebers anlässlich der sprachlichen Fassung des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG: Nicht hinreichend sei eine „Beanstandung“ von Untersuchungsämtern auf der Basis naturwissenschaftlich-analytischer Erkenntnisse, vielmehr bedürfe die „Feststellung“ einer zusätzlichen juristischwertenden Einordnung seitens der zuständigen Überwachungsbehörde (BT-Drs. 17/7374, S. 15).34
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 7. 8. 2020 folgende Anforderungen an die rechtliche Würdigung herausgearbeitet: In der Benennung einer Rechtsgrundlage hinsichtlich der einzelnen jeweils als Verstoß gekennzeichneten Beanstandungen im Rahmen einer Betriebskontrolle liegt zugleich die rechtliche Subsumtion in Form einer juristisch-wertenden Einordnung der tatsächlichen Feststellungen bei der Kontrolle. Der im Ergebnis- oder Kontrollbericht festgestellte Sachverhalt in Verbindung mit der Benennung der Rechtsvorschrift, gegen die verstoßen worden sei, belegt eine rechtliche Subsumtion mit dem Ergebnis einer festgestellten nicht zulässigen Abweichung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG. Einer Begründung der Subsumtion bedarf es nicht, weil ein Kontrollbericht keinen Verwaltungsakt darstellt und damit nicht der Begründungspflicht des Art. 39 BayVwVfG unterliegt. Insofern reichen die Angabe des festgestellten Sachverhalts und die Zuordnung zu der Rechtsvorschrift, gegen gegen die Preisgabe der betreffenden Information in solchen Fällen nach § 5 Abs. 4 VIG keine aufschiebende Wirkung entfalten, wiegt um so schwerer, weil dies verhindert, dass der fehlende Rechtsschutz gegenüber der Erhebung der Information jedenfalls in Ansätzen durch einen Rechtsschutz gegenüber der Preisgabe der Information kompensiert werden kann. Der Hinweis des BVerwG auf den möglichen verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz (Rn. 52) klingt angesichts der Hürden, die die Rechtsprechung an Fälle der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung stellt, insofern fast schon zynisch.“ Zumindest einen wirksamen VA fordernd F. Becker, ZLR 2019, S. 877 (879 f.). Zu einem Verstoß gegen die Unschuldsvermutung F. Becker, ZLR 2011, S. 391 (421 f.); ferner ders., NVwZ 2018, S. 1032 (1033 f.); A. Merschmann, Informationen, S. 56 ff., 220 ff., 254, 262 ff. (nur bei Gesundheitsgefahr); M. Möstl, LMuR 2015, S. 185 (190 f.); ders., ZLR 2019, S. 343 (349 f.); differenziert F. Hufen, ZLR 2018, S. 539 (543 f.); C. Monsees, Behördliches Informationshandeln, S. 144 ff.; eine Veröffentlichung während laufender Verfahren für möglich erachtend F. Wollenschläger, DÖV 2013, S. 7 (10); ders., JZ 2018, S. 980 (982). 34 VGH Mannheim, BeckRS 2019, 33951, Rn. 22. Ebenso VG Karlsruhe, BeckRS 2020, 35225, Rn. 30, dort, Rn. 31 ff. auch zu weiteren Kautelen. Vgl. zu einer weiteren Konkretisierung VG Regensburg, BeckRS 2020, 34611, Rn. 34 ff.
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III. Einfach-gesetzlicher Rahmen: das Verbraucherinformationsgesetz die nach Auffassung der Behörde verstoßen worden ist, für eine Subsumtion. Ob die Subsumtion der Behörde zutreffend ist, ist gegebenenfalls in einem anderen Verfahren zu klären.35
Mangels Feststellung einer Abweichung soll nach dem Beschluss des VG Ansbach vom 4. 1. 2021 eine Veröffentlichung unzulässig sein, wenn der „Kontrollbericht ausdrücklich ,kein Verstoß‘ feststellt.“36
4. Ausschluss- und Beschränkungsgründe, § 3 VIG Der Anspruch auf Informationszugang „besteht“, wie § 2 Abs. 1 Satz 2 VIG betont, nur „insoweit, als kein Ausschluss- oder Beschränkungsgrund nach § 3 vorliegt.“ Ein solcher könnte im vorliegenden Kontext aufgrund entgegenstehender privater Belange (§ 3 Satz 1 Nr. 2 VIG) greifen, namentlich mit Blick auf den Schutz personenbezogener Daten (lit. a; dazu b) sowie auf den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (lit. c; dazu a). Hingewiesen sei auf die Informationsregelung während laufender Verfahren (§ 3 Satz 1 Nr. 1 lit. b, Satz 3 VIG; dazu c). Schließlich besteht gemäß § 3 Satz 1 Nr. 1 lit. e VIG „in der Regel“ kein Zugangsanspruch wegen entgegenstehender öffentlicher Belange „bei Informationen nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, die vor mehr als fünf Jahren seit der Antragstellung entstanden sind“.
a) Offenbarung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen (§ 3 Satz 1 Nr. 2 lit. c VIG) Hinsichtlich des Ausschlussgrundes einer Offenbarung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen ist zu berücksichtigen, dass § 3 Satz 5 Nr. 1 VIG diesen für nicht einschlägig erklärt bei der hier infrage stehenden Information über Abweichungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG, was das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich betont hat.37 Die Gesetzesbegründung hält fest: Untersuchungsergebnisse, die Rechtsverstöße feststellen, unterliegen nicht dem Buchstaben c. Es besteht regelmäßig kein berechtigtes wirtschaftliches Interesse, Rechtsverstöße nicht
35 BayVGH, BeckRS 2020, 20595, Rn. 16. Siehe auch unter Betonung des Erfordernisses, eine konkrete Vorschrift, gegen die verstoßen wurde, zu benennen VG Ansbach, BeckRS 2021, 160, Rn. 25, 27 f.; siehe insoweit auch VG Würzburg, BeckRS 2021, 654, Rn. 47 ff. 36 VG Ansbach, BeckRS 2021, 160, Rn. 26. 37 BVerwGE 166, 233 (243). Ebenso BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 24; BeckRS 2020, 20595, Rn. 22; OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (94, 96); VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (116 f.). Kritisch, wenn personenbezogene Daten betroffen F. Becker, ZLR 2019, S. 877 (880).
4. Ausschluss- und Beschränkungsgründe, § 3 VIG
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zu offenbaren. Sie haben deshalb grundsätzlich keinen Ausschluss des Informationsanspruchs zur Folge; die in Satz 3 enthaltene Regelung stellt dies ausdrücklich klar.38
Diese Regelung wird weithin, wenn auch nicht allgemein für verfassungskonform erachtet.39 Im Übrigen stellt die Tatsache eines Verstoßes gegen das Lebensmittelrecht regelmäßig kein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis dar.40
b) Zugang zu personenbezogenen Daten (§ 3 Satz 1 Nr. 2 lit. a VIG) Ein weiterer Beschränkungsgrund besteht, wenn Zugang zu personenbezogenen Daten begehrt wird (§ 3 Satz 1 Nr. 2 lit. a VIG). Dieser Beschränkungsgrund greift gemäß § 3 Satz 2 VIG, abgesehen vom hier regelmäßig nicht einschlägigen Fall der Zustimmung, jedoch nicht, wenn „das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiegt.“ Ein derartiges Überwiegen hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 15. 4. 2020 angenommen und eine Rechtfertigung der Preisgabe gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. c, Abs. 3 Satz 1 DSGVO bejaht.41 Der zusätzliche Verweis im Beschluss darauf, dass dem VIG-Antragsteller „etwaige personenbezogene Daten der [Betroffenen], sofern sie diese in ihrem Firmennamen verwendet, ohnehin bekannt“ seien,42 ist insofern problematisch, als diesem zwar der Name, nicht aber der Umstand eines Rechtsverstoßes bekannt ist. Jenseits der Abwägungsklausel des § 3 Satz 2 VIG ist des Weiteren zu berücksichtigen, dass § 3 Satz 6 1. HS VIG eine Ablehnung der Informationserteilung aufgrund entgegenstehender Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse gemäß § 3 Satz 1 Nr. 2 lit. c VIG ausschließt für den Namen des Händlers, der das Erzeugnis oder Verbraucherprodukt an Verbraucher abgibt, sowie für die Handelsbezeichnung, eine aussagekräftige Beschreibung und bildliche Darstellung des Erzeugnisses oder Verbraucherproduktes und in den Fällen des § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 zusätzlich für den Namen und die Anschrift des Herstellers, Bevollmächtigten, Einführers, Händlers sowie jedes Gliedes der Liefer- und Vertriebskette.
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Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation vom 22. 5. 2007, BT-Drs. 16/5404, S. 12. 39 Näher OVG Münster, Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 11 ff.; VG Würzburg, BeckRS 2020, 25105, Rn. 42; T. Heinicke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, § 3 VIG (Stand: 171. EL Juli 2018), Rn. 41; D. Lück/F. Penski, DÖV 2020, S. 506 (510 ff.); F. Schoch, NJW 2010, S. 2241 (2245); F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (35 ff.); ferner VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (117). A.A. F. Becker, ZLR 2011, S. 391 (413); M. Grube/ M. Immel/R. Wallau, Verbraucherinformationsrecht, Teil D, § 3 VIG, Rn. 57 ff. 40 Siehe nur F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (36). 41 BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 25. Ebenso BeckRS 2020, 20595, Rn. 23. Siehe des Weiteren die unten (V.4.b.aa) zitierte Rechtsprechung. 42 BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 25.
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III. Einfach-gesetzlicher Rahmen: das Verbraucherinformationsgesetz
Der zweite Halbsatz dieser Norm erstreckt die Regelung sodann auf den Ausschlussgrund einer Offenbarung personenbezogener Daten (§ 3 Satz 1 Nr. 2 lit. a VIG): „Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a ist nicht anzuwenden.“ Die Gesetzesbegründung erläutert diese im Zuge der Novelle des Jahres 2012 eingefügte Regelung nicht. Soweit tatbestandlich einschlägig, entbindet diese Norm von einer Abwägung gemäß § 3 Satz 2 VIG und ordnet in ihrem Anwendungsbereich einen Vorrang des Informationsinteresses an.43 Sie „stellt ausdrücklich klar, dass insoweit auch nicht etwa ,hilfsweise‘ der Schutz der personenbezogenen Daten gemäß § 3 Satz 1 Nr. 2a VIG greift.“44
c) Information während laufender Verfahren (§ 3 Satz 1 Nr. 1 lit. b, Satz 3 VIG) § 3 Satz 1 Nr. 1 lit. c VIG schließt einen Informationsanspruch wegen entgegenstehender öffentlicher Belange aus „während der Dauer eines Verwaltungsverfahrens, eines Gerichtsverfahrens, eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, eines Disziplinarverfahrens, eines Gnadenverfahrens oder eines ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verfahrens hinsichtlich der Informationen, die Gegenstand des Verfahrens sind, es sei denn, es handelt sich um Informationen nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder 2 oder das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiegt“. Für Strafverfahren regelt § 3 Satz 3 VIG ergänzend: „Im Fall des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b zweiter Halbsatz dürfen Informationen nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 während eines laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens oder eines Verfahrens vor einem Strafgericht nur 1. soweit und solange hierdurch der mit dem Verfahren verfolgte Untersuchungszweck nicht gefährdet wird und 2. im Benehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft oder dem zuständigen Gericht herausgegeben werden.“
5. Vorgaben für Verfahren, Rechtsschutz und Richtigkeit a) Verfahren Verfahrensrechtlich von Bedeutung ist namentlich der Schutz der betroffenen Lebensmittelunternehmen durch Einbeziehung in das antragsgebundene Informa-
43
Kritisch etwa M. Rossi, in: BeckOK IMR, § 3 VIG, Rn. 39. Positiver T. Heinicke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, § 3 VIG (Stand: 171. EL Juli 2018), Rn. 44 (kritisch aber zur Offenlegung der Handelsbeziehungen Rn. 45); ebenfalls kritisch zur Offenlegung jedes Glieds der Lieferkette M. Grube/M. Immel/R. Wallau, Verbraucherinformationsrecht, Teil D, § 3 VIG, Rn. 63; F. Schoch, NVwZ 2012, S. 1497 (1499). 44 E. Schulz, Verbraucherinformationsgesetz, S. 38 (Nr. 7).
5. Vorgaben für Verfahren, Rechtsschutz und Richtigkeit
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tionserteilungsverfahren gemäß § 5 VIG. Dieser bestimmt in seinem Absatz 1 zunächst: Das Verfahren einschließlich der Beteiligung Dritter, deren rechtliche Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können, richtet sich nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz oder den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder. Für die Anhörung gelten § 28 des Verwaltungsverfahrensgesetzes oder die entsprechenden Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder mit der Maßgabe, dass von einer Anhörung auch abgesehen werden kann 1. bei der Weitergabe von Informationen im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2. in Fällen, in denen dem oder der Dritten die Erhebung der Information durch die Stelle bekannt ist und er oder sie in der Vergangenheit bereits Gelegenheit hatte, zur Weitergabe derselben Information Stellung zu nehmen, insbesondere wenn bei gleichartigen Anträgen auf Informationszugang eine Anhörung zu derselben Information bereits durchgeführt worden ist. […]
Die in der vorliegenden Konstellation bedeutsame Möglichkeit eines Absehens von der Anhörung bei einer Information über Abweichungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VIG hat das Bundesverwaltungsgericht indes restriktiv ausgelegt [dazu unten, IV. 3. c) ee) (6) (a)]. Unabhängig von einer Anhörung ist die Entscheidung dem drittbetroffenen Lebensmittelunternehmer gemäß § 5 Abs. 2 Satz 3 VIG bekanntzugeben und greift eine Wartepflicht vor Informationserteilung. Denn „der Informationszugang [darf] erst erfolgen, wenn die Entscheidung dem oder der Dritten bekannt gegeben worden ist und diesem ein ausreichender Zeitraum zur Einlegung von Rechtsbehelfen eingeräumt worden ist. Der Zeitraum nach Satz 2 soll 14 Tage nicht überschreiten“ (§ 5 Abs. 4 Satz 2 und 3 VIG).
b) Rechtsschutz Die soeben erwähnte Wartepflicht gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 und 3 VIG, bevor der Informationszugang gewährt werden darf, soll effektiven Rechtsschutz ermöglichen. Zu erwähnen ist ferner, dass Rechtsbehelfe (Widerspruch und Anfechtungsklage) in den vorliegend relevanten Fällen einer Information über Abweichungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG entgegen § 80 Abs. 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung haben (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG).
c) Richtigkeit Gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 VIG besteht – soweit kein Zugang zu personenbezogenen Daten infrage steht – keine Pflicht der Behörde, „die inhaltliche Richtigkeit
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III. Einfach-gesetzlicher Rahmen: das Verbraucherinformationsgesetz
der Informationen zu überprüfen“.45 Immerhin [insgesamt hierzu noch unten, IV. 3. c) ee) (6) (b)] sind „bekannte Hinweise auf Zweifel an der Richtigkeit […] mitzuteilen“ (§ 6 Abs. 3 Satz 2 VIG). Darüber hinaus ordnet § 6 Abs. 4 VIG eine nach Informationserteilung fortbestehende Verantwortung hinsichtlich der Richtigkeit an: Stellen sich die von der informationspflichtigen Stelle zugänglich gemachten Informationen im Nachhinein als falsch oder die zugrunde liegenden Umstände als unrichtig wiedergegeben heraus, so ist dies unverzüglich richtig zu stellen, sofern der oder die Dritte dies beantragt oder dies zur Wahrung erheblicher Belange des Gemeinwohls erforderlich ist. Die Richtigstellung soll in derselben Weise erfolgen, in der die Information zugänglich gemacht wurde.
6. Rechtsmissbrauchsklausel, § 4 Abs. 4 VIG Gemäß § 4 Abs. 4 VIG ist „[e]in missbräuchlich gestellter Antrag […] abzulehnen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Antragsteller über die begehrten Informationen bereits verfügt.“ Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 29. 8. 2019 genauso wie zahlreiche Oberverwaltungsgerichte die Rechtsmissbräuchlichkeit von Zugangsbegehren wie den vorliegenden, mithin von solchen, die mit Blick auf eine Weiterverwendung im Kontext von Kampagnen gestellt werden, verneint: Das Verbraucherinformationsgesetz nennt als Beispiel („insbesondere“) für einen missbräuchlich gestellten Antrag den Fall, dass der Antragsteller über die begehrten Informationen bereits verfügt (§ 4 Abs. 4 Satz 2 VIG). Die Begründung des Gesetzentwurfs zu dem Verbraucherinformationsgesetz weist nur darauf hin, dass der auskunftspflichtigen Stelle eine angemessene Reaktion auf überflüssige Anfragen sowie querulatorische Begehren ermöglicht werden soll (BT-Drs. 16/5404 S. 12). Damit ist Raum für die Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze, ohne dass der Senat gehalten ist, deren Konturen mit Bezug auf das Verbraucherinformationsgesetz näher zu bestimmen. Dass der Beigeladene nach Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs die von ihm begehrten Informationen wohl auch dazu verwenden will, eine gegen die Betriebe der Klägerin geführte Kampagne zu unterstützen, führt noch nicht zu einem missbräuchlich gestellten Antrag. Vielmehr ist eine solche Öffentlichkeitsarbeit, solange sie mit Mitteln des geistigen Meinungskampfes erfolgt und nicht auf der Grundlage falscher, verfälschter oder sonst wie manipulierter Informationen geführt wird, mit Rücksicht auf die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich zulässig.46 45 Zum aufgrund der Ausblendung des Sekundärrechtsschutzes hier nicht weiter relevanten Charakter als Haftungsprivilegierung M. Rossi, in: BeckOK IMR, § 6 VIG, Rn. 9; a.A. T. Beyerlein/G. Borchert, VIG, § 6, Rn. 35 ff. Für die Verfassungswidrigkeit eines Haftungsprivilegs M. Grube/M. Immel/R. Wallau, Verbraucherinformationsrecht, Teil D, § 6 VIG, Rn. 12 ff. 46 BVerwGE 166, 233 (238). Ebenso BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 18; BeckRS 2020, 20595, Rn. 20; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 18 f.; OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789, Rn. 36 f.; OVG Lüneburg, BeckRS 2020, 171,
7. Parallelität zu § 40 Abs. 1a LFGB
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Treffend weist auch das OVG Münster in seinem Beschluss vom 16. 1. 2020 darauf hin, dass mit der Einstellung in ein Internetportal nicht der Zweck des Verbraucherinformationsgesetzes verfehlt [wird], dem Verbraucher Informationen für Kaufentscheidungen im Lebensmittelsektor zu liefern […]. Eine Verbraucherinformation findet gerade auch in diesem Fall statt.47
Weiter hat das OVG Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 6. 3. 2020 ausgeführt: Soweit die Antragstellerin geltend macht, der Beigeladene habe seinen Antrag über die benannte Internetplattform gestellt, die es ermögliche, nicht überdachte, massenhaft auch mit falschen Namen versehene Anträge zu stellen oder sich als staatliche Organe auszugeben, überzeugt dies bereits deshalb nicht, weil keine Zweifel an der Identität des Beigeladenen bestehen, der sich zudem mit der Weitergabe seiner personenbezogenen Daten einverstanden erklärt hat. Anhaltspunkte dafür, dass sein Antrag Teil einer massenhaft gestellten Anfrage in Bezug auf die in dem betreffenden Unternehmen der Antragstellerin durchgeführten letzten beiden lebensmittelrechtlichen Betriebsprüfungen ist, bestehen ebenfalls nicht. Der Umstand allein, dass die Informationen über das Internet weiter verwendet werden sollen, begründet keine Rechtsmissbräuchlichkeit.48
7. Parallelität zu § 40 Abs. 1a LFGB Die aktive staatliche Publikumsinformation gemäß § 40 Abs. 1a LFGB steht neben der behördlichen Informationserteilung nach dem VIG, so dass nach nicht unbestrittener Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum auch bei späterer Veröffentlichung der Informationen durch Private ein Rückgriff auf das VIG nicht gesperrt ist.49 Rn. 13 f.; VGH Kassel, BeckRS 2020, 27638, Rn. 19; VGH Mannheim, BeckRS 2019, 33951, Rn. 26 ff.; VG Augsburg, BeckRS 2019, 12743, Rn. 47 f.; VG Karlsruhe, BeckRS 2019, 27103, Rn. 29; VG Würzburg, BeckRS 2020, 25105, Rn. 37; BeckRS 2021, 654, Rn. 56. Zustimmend C. Halder/B. Metzl, jurisPR-ITR 22/2019 Anm. 6, C.; R. Metz, VuR 2020, S. 188 (189); M. Rossi, JZ 2020, S. 573 (575). Offen gelassen im Eilverfahren OVG Koblenz, LMuR 2020, S. 90 (91). A.A. K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (67 f.) – zur Sicherung der betroffenen unternehmerischen Grundrechtspositionen; ferner de lege ferenda V. Kluge, ZLR 2019, S. 518 (529 f.). 47 OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (94 f.); ferner VGH Mannheim, BeckRS 2019, 33951, Rn. 29. 48 OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 18 f. 49 VGH Kassel, BeckRS 2020, 27638, Rn. 29 ff.; VGH Mannheim, BeckRS 2019, 33951, Rn. 11 ff.; VG Augsburg, BeckRS 2019, 12743, Rn. 26; VG Regensburg, BeckRS 2020, 34611, Rn. 26 (unter Bezugnahme auf § 2 Abs. 4 VIG); VG Weimar, Beschl. v. 23. 5. 2019, 8 E 423/19, juris, Rn. 20; C. Halder/B. Metzl, jurisPR-ITR 22/2019 Anm. 6, C. Vgl. für eine Umgehung aber K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (68); ders., Gutachten, S. 35. Vgl. schließlich F. Becker, Gutachten, S. 7 f. (erwägend); M. Möstl, ZLR 2019, S. 343 (356 f.).
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III. Einfach-gesetzlicher Rahmen: das Verbraucherinformationsgesetz
8. Verhältnis von VIG-Informationszugangs- und Informationsweiterverwendungsrecht Das – die mit Wirkung vom 17. 7. 2021 aufgehobene Richtlinie 2003/98/EG über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors50 umsetzende und am 23. 7. 2021 außer Kraft getretene51 – Gesetz über die Weiterverwendung von Informationen öffentlicher Stellen (IWG) regelte „die Weiterverwendung von bei öffentlichen Stellen vorhandenen Informationen, insbesondere zur Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen der digitalen Wirtschaft“ (§ 1 Abs. 1 IWG).52 In § 2a IWG stellte es den fundamentalen Grundsatz auf, dass „Informationen, die in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fallen, […] weiterverwendet werden“ dürfen. Mit der Gesetzesbegründung: „Die Änderungsrichtlinie gibt eine automatische Verknüpfung von Zugang und Weiterverwendung vor.“53 Vor diesem Hintergrund seien zunächst der Anwendungsbereich des IWG und dessen Verhältnis zum VIG bestimmt [a)]. Sodann sei die These widerlegt, dass eine Versagung der Informationserteilung unter Verweis auf die (mögliche) Veröffentlichung der erhaltenen Information auf der Plattform Topf Secret bereits aufgrund der strikten Trennung von Informationszugangs- und Informationsweiterverwendungsregime und aufgrund des Weiterverwendungsanspruchs gemäß § 2a IWG ausscheide [b)]. Schließlich sei dargelegt, dass das am 23. 7. 2021 in Kraft getretene und die Richtlinie (EU) 2019/1024 über offene Daten und die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors54 umsetzende Gesetz für die Nutzung von Daten des öffentlichen Sektors vom 16. 7. 202155 nichts am skizzierten Befund geändert hat [c)].
50 Richtlinie 2003/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 11. 2003 über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors, ABl. L 345 vom 31. 12. 2003, S. 90, geändert durch Richtlinie 2013/37/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 6. 2013 zur Änderung der Richtlinie 2003/98/EG über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors, ABl. L 175 vom 27. 6. 2013, S. 1, und aufgehoben durch Art. 19 der Richtlinie (EU) 2019/1024 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 6. 2019 über offene Daten und die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors, ABl. L 172 vom 26. 6. 2019, S. 56. 51 Art. 3 Satz 2 des Gesetzes zur Änderung des E-Government-Gesetzes und zur Einführung des Gesetzes für die Nutzung von Daten des öffentlichen Sektors vom 16. 7. 2021, BGBl. I, S. 2941. 52 Zu diesem H. A. Wolff/N. Seemüller, K&R 2019, S. 102. 53 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Informationsweiterverwendungsgesetzes vom 15. 4. 2015, BT-Drs. 18/4614, S. 13. Zur strikten Akzessorietät auch H. Richter, IWG, § 1, Rn. 49, ferner 53 ff.; ders., NVwZ 2021, S. 760 (762); siehe auch F. Schoch, IFG, Einleitung, Rn. 170, 318, 320. 54 Nachweis in Fn. 50. 55 BGBl. I, S. 2941.
8. VIG-Informationszugangs- und Informationsweiterverwendungsrecht
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a) Anwendungsbereich des IWG und dessen Verhältnis zum VIG Das Weiterverwendungsrecht gemäß § 2a IWG setzte voraus, dass die fraglichen Informationen in den Anwendungsbereich des IWG fielen. § 1 Abs. 1 IWG verlangte hierfür zunächst, dass es sich um „bei öffentlichen Stellen vorhanden[e] Informationen“ handelte. Dies traf auf die hier infrage stehenden Ergebnisse amtlicher Kontrollen zu. Des Weiteren musste ein Zugangsrecht bestehen.56 Dies war beim voraussetzungslosen VIG-Anspruch auf Informationszugang der Fall.57 Des Weiteren durfte kein Ausschlusstatbestand gemäß § 1 Abs. 2 IWG vorliegen. Ein solcher bestand u. a. bei Informationen, „an denen kein oder nur ein eingeschränktes Zugangsrecht besteht“ (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 IWG).58 Dies war auch vor dem Hintergrund des § 1 Abs. 2a IWG zu sehen, wonach dieses Gesetz keinen Anspruch auf Informationszugang vermittelte, dieser musste vielmehr anderweitig begründet sein. Im vorliegenden Kontext gewährt zwar § 2 VIG einen voraussetzungslosen, namentlich von einem berechtigten Interesse unabhängigen Zugangsanspruch. Indes normiert § 3 VIG Ausschluss- und Beschränkungsgründe, die, soweit sie greifen, dem Informationszugang entgegenstehen. In jenen Fällen bestand weder ein Zugangsanspruch nach VIG noch, mangels eines solchen, ein Weiterverwendungsanspruch gemäß § 2a IWG (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 IWG).59 Das IWG begründete ja gerade keinen autonomen Anspruch auf Informationszugang (siehe § 1 Abs. 2a IWG), konnte also Beschränkungen im Zugangsregime nicht überspielen.60 Die Gesetzesbegründung betont: Die Vorschrift dient der Umsetzung von Artikel 1 Abs. 2 Buchstabe c, Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 der Richtlinie 2003/ 98/EG. Diese Regelung hat lediglich klarstellende Funktion, da durch das IWG ohnehin kein Recht auf Zugang zu Dokumenten öffentlicher Stellen eröffnet wird. In den Fällen, in denen kein Zugangsrecht besteht, kann auch kein Recht auf Weiterverwendung eröffnet werden. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen an Informationen aus Gründen des Datenschutzes (vgl. Artikel 1 Abs. 4 der Richtlinie 2003/98/ 56
Im Einzelnen H. Richter, IWG, § 1, Rn. 57 ff. Siehe auch H. Richter, IWG, § 1, Rn. 114. 58 Siehe zur Auslegung dieser Norm bei einer behördlichen Veröffentlichung unabhängig von einem Zugangsanspruch BVerwGE 155, 1 (2 ff.). 59 Vgl. BVerwGE 155, 1 (3); H. Richter, NVwZ 2016, S. 1143 (1145); ders., IWG, § 1, Rn. 32, 37 – dort indes auch für eine weiterverwendungsspezifische Auslegung der Ausnahmetatbestände unter Anerkennung wertungsmäßiger Parallelen zum Zugangsregime (Rn. 30 f.), 46 f., 48 ff., 73, 75 ff., 83; § 2, Rn. 18 f., 44 f. Für eine Zuordnung von Ausschlusstatbeständen, die wie im Kontext des § 3 Satz 2 VIG eine Abwägung mit privaten Interessen verlangen, zu § 1 Abs. 2 Nr. 2 IWG H. Richter, IWG, § 1, Rn. 90. Vgl. auch OVG Münster, Urt. v. 15. 4. 2014, 8 A 1129/11, juris, Rn. 51 ff., 62. Für eine Differenzierung zwischen zulässigen Zugangsbeschränkungen und unzulässigen Weiterverwendungsverboten H. Richter, NVwZ 2021, S. 760 (765). 60 Siehe auch H. Richter, IWG, § 1, der das VIG einerseits als uneingeschränktes Zugangsregime versteht (Rn. 40), andererseits aber betont, dass sich das IWG nicht auf „Informationen [erstreckt], zu denen im konkreten Fall kein Recht auf Zugang besteht“ (Rn. 39); ders., NVwZ 2021, S. 760 (763). 57
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III. Einfach-gesetzlicher Rahmen: das Verbraucherinformationsgesetz EG), des Verschlusssachenschutzes, der statistischen Geheimhaltung, der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Sicherheit, weil sie Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse enthalten oder weil sonst einer der in den §§ 3 bis 6 IFG genannten Gründe vorliegt, kein Zugangsrecht besteht.61
Ferner heißt es in der Gesetzesbegründung zur IWG-Reform: Das geltende IWG nimmt entgegen der Richtlinie (Artikel 1 Absatz 2 ca) Informationen nicht ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich, an denen nur ein eingeschränktes Zugangsrecht besteht. Insoweit eröffnet das geltende IWG gegebenenfalls einen zu breiten Anwendungsbereich. Hier besteht Klarstellungsbedarf. Beispielsweise fallen nach der Richtlinie Informationen mit personenbezogenen Daten nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie, da diese nur mit Einschränkungen zugänglich sind (vgl. etwa § 5 Informationsfreiheitsgesetz).62
Auch die dem IWG zugrunde liegende Richtlinie 2003/98/EG erklärte die Grenzen des nationalen Zugangsregimes für maßgeblich.63 Die Akzessorietät bekräftigte Art. 1 Abs. 3 RL 2003/98/EG ausdrücklich: „Diese Richtlinie stützt sich auf die Zugangsregelungen der Mitgliedstaaten und lässt diese Regelungen unberührt.“ So klammerte Art. 1 Abs. 2 lit. c RL 2003/98/EG von ihrem Anwendungsbereich aus: Dokumente, die nach den Zugangsregelungen der Mitgliedstaaten nicht zugänglich sind, einschließlich aus Gründen […] des Geschäftsgeheimnisses (z. B. Betriebsgeheimnisse, Berufsgeheimnisse, Unternehmensgeheimnisse); ca) Dokumente, zu denen der Zugang durch die Zugangsregelungen der Mitgliedstaaten eingeschränkt ist; […] cc) Dokumente, die nach den Zugangsregelungen der Mitgliedstaaten aus Gründen des Schutzes personenbezogener Daten nicht oder nur eingeschränkt zugänglich sind, und Teile von Dokumenten, die nach diesen Regelungen zugänglich sind, wenn sie personenbezogene Daten enthalten, deren Weiterverwendung gesetzlich nicht mit dem Recht über den Schutz natürlicher Personen in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten vereinbar ist[.]
Mit Blick auf diese Regelung mochte man nun diskutieren, ob der Zugang zu einem Dokument bereits dann ausgeschlossen war, wenn es teilweise zugangsbeschränkte Informationen enthielt, was der Wortlaut nahelegen konnte, oder in diesem Fall im Interesse einer effektiven Weiterverwendungsmöglichkeit eine Teilzugänglichkeit und damit auch Teilweiterverwendungsmöglichkeit anzunehmen war.64 61 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes über die Weiterverwendung von Informationen öffentlicher Stellen (Informationsweiterverwendungsgesetz – IWG) vom 25. 8. 2006, BT-Drs. 16/2453, S. 12. 62 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Informationsweiterverwendungsgesetzes vom 15. 4. 2015, BT-Drs. 18/4614, S. 12. 63 Siehe auch K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (68); ders., Gutachten, S. 36; H. Richter, IWG, § 1, Rn. 50, 71; § 2, Rn. 18 f. 64 Vgl. auch H. Richter, IWG, § 1, Rn. 81.
8. VIG-Informationszugangs- und Informationsweiterverwendungsrecht
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Jedenfalls war das IWG gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 IWG insoweit unanwendbar, wie Ausschluss- und Beschränkungsgründe gemäß § 3 VIG bestanden. Dies ist indes, wie aufgezeigt (siehe III. 4.), auf einfach-gesetzlicher Ebene bei Informationen über Abweichungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 VIG gemäß § 3 Satz 5 Nr. 1 bzw. § 3 Satz 6 VIG nicht der Fall. Ist eine Information – wie bei Betroffenheit personenbezogener Daten im Grundsatz gemäß § 3 Satz 2 2. Alt. VIG – nur aufgrund einer Abwägung zugänglich, wurde das IWG im Übrigen für gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 IWG (Nachweis eines berechtigten Interesses erforderlich) nicht anwendbar erachtet.65 Angesichts der Maßgeblichkeit des nationalen Zugangsregimes musste ein Ausschluss aber auch dann greifen, wenn der Informationsanspruch aus verfassungsrechtlichen Gründen beschränkt war.66 Überdies hatte die Literatur herausgearbeitet, dass eine für die (Nicht-)Weiterverwendung relevante Zugangsbeschränkung auch dann vorlag, wenn eine Beschränkung des Informationszugangs auf die Person des Antragstellers notwendig war.67 Mit Blick auf das Datenschutzrecht hielt § 1 Abs. 3 IWG schließlich fest: Die Bestimmungen zum Schutz personenbezogener Daten und weitergehende Ansprüche aus anderen Rechtsvorschriften auf Weiterverwendung von Informationen öffentlicher Stellen bleiben unberührt.
Diese Norm ließ datenschutzrechtlich motivierte Beschränkungen der Weiterverwendung von Informationen zu, auch wenn diese in den Anwendungsbereich des IWG fielen.68
b) Keine Irrelevanz der Weiterverwendung für den Informationszugang Der These, dass aufgrund einer strikten Trennung von Informationszugangs- und Informationsweiterverwendungsregime und aufgrund des Weiterverwendungsanspruchs gemäß § 2a IWG eine Verweigerung der Informationserteilung unter Verweis auf die Veröffentlichung der Informationen auf der Plattform Topf Secret ausscheide [aa)], war nicht zu folgen [bb)].
65 H. Richter, IWG, § 1, Rn. 90, 105, 610, 612 ff. Das gelte im Übrigen auch für SollRegelungen (ebd., Rn. 106). 66 Vgl. den Verweis bei H. Richter, IWG, § 1, Rn. 32. Siehe auch K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (68), der eine Beschränkung über die Missbrauchsklausel des § 4 Abs. 4 Satz 1 VIG vorschlägt; ebenso ders., Gutachten, S. 34 ff. 67 H. Richter, IWG, § 1, Rn. 77. 68 H. Richter, IWG, § 1, Rn. 616 ff. Ausdrücklich bekräftigt von EuGH, Rs. C-439/19, ECLI:EU:C:2021:504, Rn. 127 f. – B.
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III. Einfach-gesetzlicher Rahmen: das Verbraucherinformationsgesetz
aa) Trennungsthese Der VGH Mannheim hat in seinem Beschluss vom 13. 12. 2019 eine strikte Trennung von Informationserteilung durch die Behörde und Informationsweiterverwendung durch Private herausgearbeitet und hieraus abgeleitet, die Informationserteilung könne (einfach- und unionsrechtlich) nicht unter Verweis auf die im Raum stehende Veröffentlichung auf der Plattform Topf Secret verweigert werden: Dem Informationszugangsanspruch des Beigeladenen steht auch der von der Antragstellerin geäußerte „begründete Verdacht einer Veröffentlichung“ der fraglichen Informationen über das Internet nicht entgegen. Den von der Antragstellerin – mittels Parallelwertungen zum Strafrecht und zum Zivilrecht – postulierten Informationsverweigerungsgrund kennt das geltende Recht nicht. Die Antragstellerin übersieht, dass das Informationszugangsrecht (hier: nach dem VIG) keine Aussage zur zulässigen oder unzulässigen Verwendung der erlangten (Verbraucher-)Information trifft; maßgebend ist insoweit das Informationsweiterverwendungsrecht. Eine mutmaßliche Weiterverwendung der erlangten Informationen des Beigeladenen (einschließlich einer Veröffentlichung auf der Plattform „TopfSecret“) ist im vorliegenden Zusammenhang rechtlich unerheblich. Das VIG regelt im Fall eines Anspruchs lediglich die Herausgabe der begehrten Information an den Antragsteller; wie dieser mit der ihm erteilten Information umgeht, ist nicht (mehr) Regelungsgegenstand des VIG und der auf seiner Grundlage getroffenen Verwaltungsentscheidung […]. Folglich verbietet das VIG die Veröffentlichung der von der Behörde herausgegebenen Information nicht […]. Die informationspflichtige Stelle hat nach dem VIG keine Befugnis, eine eventuelle Weiterverwendungsabsicht des Antragstellers zu ergründen oder gar dagegen zu intervenieren […]. Die gesetzliche Systematik entspricht der Trennung zwischen dem Informationszugangsrecht nach dem VIG (strukturell gleichsinnig: IFG und UIG) und dem im IWG geregelten Informationsweiterverwendungsrecht; dieses begründet keinen Anspruch auf Informationszugang (§ 1 Abs. 2a IWG), sondern setzt das Zugangsrecht voraus und knüpft daran an (Richter, IWG, 2018, § 1 Rn. 50). Der Bescheid des Antragsgegners vom 18. 7. 2019 zur Informationsgewährung trägt der Gesetzeslage Rechnung. Zutreffend wird betont, dass die weitere Verwendung erhaltener Informationen durch das VIG nicht geregelt werde; vielmehr erfolge eine Weiterverwendung bzw. Weitergabe der Informationen in eigener Verantwortung (des Informationsempfängers), wobei das geltende Recht zu beachten sei. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die einem Zugangsanspruch unterliegenden Informationen gemäß § 2a IWG grundsätzlich weiterverwendet werden dürfen; dabei handelt es sich um ein subjektives Recht auf Weiterverwendung (Richter, IWG, 2018, § 2a Rn. 52). Auch diese Regelung zeigt, dass es der informationspflichtigen Stelle verwehrt ist, Verwendungsabsichten des VIG-Antragstellers zu erforschen und gegen eine mutmaßlich bevorstehende Weiterverwendung auf der Grundlage des VIG prophylaktisch vorzugehen.69
69
VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (117); ferner BeckRS 2019, 33951, Rn. 39 f.; F. Kraft/P.-G. Elsing, ZLR 2020, S. 118 (121). Vgl. für eine verfassungsrechtlich relevante Regimetrennung VG Augsburg, BeckRS 2019, 12743, Rn. 28; ferner VG Freiburg, BeckRS 2019, 19973, Rn. 20; VG Karlsruhe, BeckRS 2019, 27103, Rn. 39. Vgl. zur Freiheit der Informationsverwendung mit Blick auf das IFG F. Schoch, IFG, Einleitung, Rn. 16.
8. VIG-Informationszugangs- und Informationsweiterverwendungsrecht
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Diese Trennung sei, so der VGH Mannheim weiter, auch unionsrechtlich vorgezeichnet: Die rechtssystematische Trennung zwischen dem Informationszugangsrecht und dem Informationsweiterverwendungsrecht ist durch die Richtlinie über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors […] unionsrechtlich vorgegeben (Art. 3 Abs. 3 S. 1 RL 2003/98/EG). Die Änderungsrichtlinie von 2013 […] hat das vormalige Genehmigungserfordernis für eine zulässige Informationsweiterverwendung (vgl. Wiebe/Ahnefeld, CR 2015 199, 200) aufgehoben (Art. 3 Abs. 1 RL 2013/37/EU). Konsequenz dieser Neuregelung ist der uneingeschränkte Anspruch auf Informationsweiterverwendung (Wolff/ Seemüller, K&R 2019, 102, 103). Nach dem Informationsfreiheitsrecht zugängliche Informationen dürfen nach eigener Entscheidung des Berechtigten weiterverwendet werden; eine „Interventionsbefugnis“ etwa der nach dem VIG zuständigen Behörde gibt es nicht. § 2a IWG setzt die unionsrechtlichen Vorgaben um. Die Gesetzesbegründung spricht davon, die Änderungsrichtlinie gebe „eine automatische Verknüpfung von Zugang und Weiterverwendung vor“ (BT-Drs. 18/4614, S. 13). Angesichts dieser seit 2015 geltenden Rechtslage ist der von der Antragstellerin mit Blick auf das Internetportal „TopfSecret“ postulierte Informationsverweigerungsgrund nicht nur gesetzeswidrig, er ist darüber hinaus auch unionsrechtswidrig.70
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg formuliert in seinem Beschluss vom 6. 3. 2020: Im Übrigen stünde die Verweigerung der Herausgabe der Kontrollberichte mit Blick auf die beabsichtigte Verwendung kaum mit § 2a IWG in Einklang, nach dem die einem Zugangsanspruch unterliegenden Informationen grundsätzlich weiterverwendet werden dürfen.71
bb) Relevanz der Weiterverwendung für den Informationszugang Richtig ist, dass eine nach dem VIG zugänglich zu machende Information dem IWG und damit auch dem durch § 2a IWG eingeräumten Weiterverwendungsanspruch unterfiel. Richtig ist auch, dass bei Informationen über Abweichungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG der Betroffene einer Informationserteilung entgegenstehende private Belange (Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sowie Datenschutz) nach Maßgabe des § 3 Satz 5 Nr. 1 bzw. § 3 Satz 6 VIG nicht geltend machen kann. Es ginge indes zu weit, hieraus abzuleiten, die spätere Verwendung der Informationen sei für die Frage eines Zugangsanspruchs gemäß VIG irrelevant. Denn auch ein einfach-gesetzlich bestehender Informationsanspruch ist auf seine Grundrechtskonformität hin zu überprüfen. Diese lässt sich nicht ohne Berücksichtigung der Tragweite des Informationszugangs und damit der Verwendung der erhaltenen 70
VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (117 f.). OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 16, ferner Rn. 26. Vgl. auch VG Weimar, Beschl. v. 23. 5. 2019, 8 E 423/19, juris, Rn. 24. 71
36
III. Einfach-gesetzlicher Rahmen: das Verbraucherinformationsgesetz
Informationen beurteilen, hängt hiervon doch die Eingriffsintensität maßgeblich ab. Überdies ist die Weiterverwendung der Information namentlich mit Blick auf das Anliegen der Markttransparenz im VIG angelegt.72 Erwiesen sich demnach die Regelungen des § 3 Satz 5 Nr. 1 bzw. § 3 Satz 6 VIG als zu weitreichend, etwa mit Blick auf eine (mögliche) Internet-Veröffentlichung auf Plattformen wie Topf Secret, wäre der Informationszugang verfassungswidrig. Dies war, wie aufgezeigt [dazu soeben, III. 8. a)], auch für das Informationsweiterverwendungsrecht beachtlich, das Zugangsschranken nicht überspielen konnte. Selbst wenn man eine strikte einfach-rechtliche Trennung annähme, müsste auch diese vor der Verfassung bestand haben. Nichts anderes gilt für das Unions(informationsweiterverwendungs)recht, das, wie ebenfalls aufgezeigt [dazu soeben, III. 8. a)], die Grenzen des Zugangsanspruchs anerkannte.73 Schließlich muss sich auch auf Unionsebene die Informationserteilung und -weiterverwendung an Unionsgrundrechten messen lassen.74 Im Übrigen dürfte auch der VGH Mannheim in seinem Beschluss vom 13. 12. 2019 nicht die These einer grundrechtlichen Unbeachtlichkeit vertreten, prüft er doch die Informationsweitergabe – trotz der abgelehnten Unbeachtlichkeit der Weiterverwendung mit Blick auf das VIG und das EU-Sekundärrecht – an nationalen und EU-Grundrechten.75 Eine gewisse Durchbrechung von Informationserteilung und -weiterverwendung klingt auch in der Korrekturpflicht des § 6 Abs. 4 VIG an. Von der Frage des Anwendungsbereichs und des grundsätzlichen Weiterverwendungsanspruchs zu unterscheiden ist schließlich die Frage nach Verwendungsbeschränkungen (siehe zur Möglichkeit verhältnismäßiger Nutzungsbestimmungen § 4 IWG).76
72
24 f. 73
Siehe auch OVG Hamburg, BeckRS 2019, 26284, Rn. 17; K. F. Gärditz, Gutachten, S. 9,
Siehe auch F. Becker, Gutachten, S. 65 f.; K. F. Gärditz, Gutachten, S. 36. Vgl. auch F. Becker, Gutachten, S. 65 f. 75 Siehe VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (118 f., 119 f.). Vgl. demgegenüber für eine verfassungsrechtlich relevante Regimetrennung VG Augsburg, BeckRS 2019, 12743, Rn. 28. 76 Nach K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (68), soll Art. 3 Abs. 1 RL 2003/98/EG behördlichen Verwendungsauflagen entgegenstehen, nicht aber einer Informationsverweigerung auf Primärebene; ebenso ders., Gutachten, S. 36. Siehe ferner F. Schoch, IFG, § 7, Rn. 77: Besteht ein (unbeschränkter) Zugangsanspruch, kann auch die Verwendung nicht beschränkt werden. Diesen Weg indes aufzeigend F. Becker, ZLR 2019, S. 877 (883); ders., LMuR 2020, S. 57 (60); ders., Gutachten, S. 65 f. Zur Bedeutung des § 4 IWG H. Richter, IWG, § 4. 74
8. VIG-Informationszugangs- und Informationsweiterverwendungsrecht
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c) Rechtslage nach dem Gesetz für die Nutzung von Daten des öffentlichen Sektors Mit dem am 23. 7. 2021 in Kraft getretenen und die Richtlinie (EU) 2019/1024 über offene Daten und die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors umsetzenden Gesetz für die Nutzung von Daten des öffentlichen Sektors (DNG) vom 16. 7. 2021 hat sich nichts am zuvor skizzierten Befund geändert. Auch das DNG normiert in § 4 Abs. 1 den Grundsatz der uneingeschränkten Datennutzung: „Daten dürfen für jeden kommerziellen oder nichtkommerziellen Zweck genutzt werden.“ Es findet indes gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 keine Anwendung auf Daten, a) die nicht oder nur eingeschränkt zugänglich sind, wobei eine Einschränkung auch vorliegt, wenn der Zugang nur bei Nachweis eines rechtlichen oder berechtigten Interesses besteht; nicht oder nur eingeschränkt zugänglich sind Daten insbesondere, aa) soweit der Schutz personenbezogener Daten entgegensteht, bb) soweit der Schutz von Geschäftsgeheimnissen entgegensteht, […]“. Ebenso bleiben gemäß § 2 Abs. 4 „[d]ie Bestimmungen zum Schutz personenbezogener Daten und weitergehende Anforderungen an die Bereitstellung und Nutzung der Daten von Datenbereitstellern aus anderen Rechtsvorschriften […] unberührt.“ Entsprechende Schranken finden sich in Art. 1 Abs. 2 lit. d, f und h sowie Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie (EU) 2019/1024.
IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen Die antragsgebundene Informationserteilung durch die Behörde unterliegt den Grundrechten des Grundgesetzes (1.).77 Mangels einer unmittelbaren Grundrechtsbindung Privater ist die Informationsweitergabe durch den VIG-Antragsteller an die Plattform und die Veröffentlichung der Informationen auf dieser nicht unmittelbar an den Grundrechten des Grundgesetzes zu messen (2.). Die antragsgebundene Informationserteilung stellt einen rechtfertigungsfähigen Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) dar (3.). Hinter diese tritt das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) nach der – indes umstrittenen – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurück, wobei auch insoweit eine Rechtfertigung möglich erscheint (4.). Letzteres gilt auch für die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG), so einschlägig (5.). Schließlich steht die Informationsregelung des VIG mit der Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) in Einklang, was am Rande vermerkt sei (6.).
1. Anwendbarkeit der nationalen Grundrechte Die Informationserteilung nach dem VIG unterliegt (zumindest auch) den Grundrechten des Grundgesetzes. Eine Verdrängung derselben aufgrund einer vollständigen Determinierung des Sachverhalts durch Unionsrecht,78 nämlich das einschlägige EU-Sekundärrecht (zum Informationsweiterverwendungsrecht oben, III.8.; im Übrigen unten, V. 2.–4.) oder EU-Primärrecht, ist nicht ersichtlich.79 Hiervon zu unterscheiden ist die im Kontext des Unionsrechts zu erörternde Frage nach der parallelen Anwendbarkeit von Unionsgrundrechten, die bei mitgliedstaatlichem Handeln gemäß Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC „ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“ greifen (dazu unten, V. 1.).
77 Für einen umfassenden Überblick zu betroffenen nationalen, unionalen und EMRKGrundrechten A. Merschmann, Informationen, S. 40 ff. (dort auch zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht, S. 53 ff.). Mit dem OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 20, liegt eine Aufgabenübertragung auf Private, der das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip Grenzen ziehen, fern. 78 Siehe hierzu aus verfassungsrechtlicher Perspektive nur BVerfGE 152, 152 (168 ff., Rn. 41 ff.); E 152, 216 (229 ff., Rn. 32 ff.); NJW 2021, S. 1518 (1519 f., Rn. 34 ff.); F. Wollenschläger, in: EnzEuR I, § 13, Rn. 16 ff. 79 So auch K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (62).
2. Kein Grundrechtseingriff durch die Handlungen Privater
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2. Kein Grundrechtseingriff durch die Handlungen Privater Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte staatliche Stellen. Art. 12 Abs. 1 GG entfaltet indes keine unmittelbare Drittwirkung80, ebenso wenig das Recht auf informationelle Selbstbestimmung81; beide binden mithin Private nicht unmittelbar. Die Weitergabe der Informationen durch einen Antragsteller an die Plattform Topf Secret bzw. die Veröffentlichung der Informationen durch dieselbe sind daher nicht unmittelbar an diesen Grundrechten zu messen.82 Gleichwohl unterliegen auch diese Handlungen rechtlichen Grenzen, für die Grundrechte im Rahmen der sog. mittelbaren Drittwirkung Relevanz erlangen. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht die Schutzwirkung der Berufsfreiheit folgendermaßen umschrieben: Der Schutzbereich des Art. 12 I GG kann nicht nur berührt sein, wenn eine berufliche Tätigkeit unterbunden wird, sondern auch, wenn der Markterfolg behindert wird. Obwohl unrichtige oder unsachliche Informationen den Wettbewerber nicht grundsätzlich daran hindern, seinen Beruf auszuüben, können sie doch den Erfolg der Berufsausübung beeinflussen. Soweit die am Markt verfügbaren Informationen inhaltlich zutreffen und sachlich sind, gewährt das Grundrecht der Berufsfreiheit jedoch auch dann keinen Schutz gegen sie, wenn die Wettbewerbsposition eines Unternehmens durch sie nachteilig beeinflusst wird. Eine marktwirtschaftliche Ordnung setzt gerade voraus, dass die Marktteilnehmer über ein möglichst hohes Maß an Informationen über marktrelevante Faktoren verfügen. Informationen, welche Markttransparenz verbessern und den Marktteilnehmern eine an den eigenen Interessen orientierte Entscheidung über die Bedingungen der Marktteilhabe ermöglichen, berühren den Schutzbereich der Berufsfreiheit auch dann nicht, wenn sie sich auf die Wettbewerbsposition eines einzelnen Unternehmens nachteilig auswirken […]. Demgegenüber schützt Art. 12 I GG Unternehmen in ihrer beruflichen Betätigung vor inhaltlich unzutreffenden Informationen oder vor Wertungen, die auf sachfremden Erwägungen beruhen oder herabsetzend formuliert sind […], wenn der Wettbewerb in seiner Funktionsweise durch sie gestört wird und sie in der Folge den betroffenen Wettbewerber in der Freiheit seiner beruflichen Tätigkeit beeinträchtigen. So liegt es hier. Die pauschal abwertende Stellungnahme der Bekl. des Ausgangsverfahrens ist herabsetzend formuliert und ihrem Inhalt nach darauf gerichtet und geeignet, andere Marktteilnehmer von Geschäften mit den Bf. abzuhalten, also die von diesen angebotenen Leistungen gar nicht nachzufragen. Wird eine auf das Verhalten von Marktteilnehmern bezogene unsachliche Äußerung, die sich zum Nachteil eines Unternehmens auswirkt, vom Gericht nicht beanstandet, so liegt in dieser Entscheidung ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 12 I GG.83 80
T. Mann, in: Sachs, GG, Art. 12 Rn. 101; Stern, StaatsR IV/1, S. 1771. H. Dreier, in: ders., GG, Art. 2 I, Rn. 97. 82 Siehe auch F. Becker, ZLR 2019, S. 877 (882); ferner F. Schoch, IFG, Einleitung, Rn. 383; zur Rechtslage bei einer hier nicht vorliegenden staatlichen Förderung (indes bezogen auf ein Portal, das auf Informationen Privater beruht) m.w.N. F. Schoch, IFG, Einleitung, Rn. 386 ff. Anders für die Unionsgrundrechte F. Becker, Gutachten, S. 36 f. 83 BVerfG (K), NJW-RR 2004, S. 1710 (1711). 81
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IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen
Gleichwohl besteht eine Rechtfertigungsmöglichkeit, wenn und weil die Äußerung vom Schutz der Meinungsfreiheit erfasst ist: Die die Bf. beeinträchtigenden Äußerungen sind allerdings durch ein berechtigtes Interesse der Bekl. des Ausgangsverfahrens gerechtfertigt. Das OLG hat die Rechte der Bf. aus Art. 12 I GG in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise mit dem Grundrecht der Bekl. aus Art. 5 I 1 GG abgewogen und ist so zur Klageabweisung gekommen. Der Bekl. zu 2 des Ausgangsverfahrens kann sich als natürliche Person ebenso wie die Bekl. zu 1 als juristische Person des Privatrechts auf Art. 5 I GG berufen […]. Die wegen ihres Inhalts angegriffenen Äußerungen fallen in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 GG. Sie sind entgegen der Auffassung der Bf. nicht Tatsachenbehauptungen, sondern als Werturteil einzuordnen, da sie durch das Element der wertenden Stellungnahme geprägt sind […]. Allerdings kann ein solches Werturteil mit einer Tatsachenbehauptung derart verbunden sein, dass seine Schutzwürdigkeit auch vom Wahrheitsgehalt der zu Grunde liegenden tatsächlichen Annahmen abhängt […]. Wenn aber die Äußerung derart substanzarm ist, dass sich ihr eine konkret greifbare Tatsache nicht entnehmen lässt und sie ein bloß pauschales Urteil enthält, tritt der tatsächliche Gehalt gegenüber der Wertung zurück und beeinflusst die Abwägung nicht.84
Und weiter heißt es hinsichtlich der Abwägung der konfligierenden Grundrechtspositionen: Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Es findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen. Dazu gehören auch die zivilrechtlichen Vorschriften der §§ 823 I, 824, 1004 BGB, auf die die Bf. ihre Ansprüche stützen. Das OLG hat bei der Auslegung und Anwendung dieser Normen die Bedeutung des Grundrechts der Bekl. aus Art. 5 I 1 GG berücksichtigt und in die Abwägung mit der Berufsfreiheit der Bf. einbezogen. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gegenüber der Berufsfreiheit dann zurücktreten zu lassen, wenn bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht […]. In solchen Fällen der Schmähkritik scheidet eine Abwägung aus. Der dieser Rechtsfigur zu Grunde liegende Gedanke lässt sich auch auf Rechtsgüterkonflikte beziehen, bei denen die Beeinträchtigung sich auf eine andere Rechtsposition als das bei der Schmähkritik meist betroffene Persönlichkeitsrecht auswirkt, hier also auf die Ausübung der Berufsfreiheit. An einer rein diffamierenden Äußerung besteht kein öffentliches Informationsinteresse, insbesondere trägt sie zur Informiertheit der Marktteilnehmer und zur Markttransparenz nicht bei, so dass die Rechtsordnung sie im Konflikt mit einem anderen Rechtsgut nicht schützt. Steht bei Äußerungen nicht die bloße Diffamierung im Vordergrund, ist über die Frage der Rechtfertigung einer möglichen Beeinträchtigung anderer Schutzgüter durch Abwägung zu entscheiden. Privatpersonen unterliegen anders als der Staat […] nicht generell einem Sachlichkeitsgebot. Eine Äußerung ist auch nicht schon allein deshalb unzulässig, weil sie weniger scharf oder sachlicher hätte formuliert werden können. Solche Faktoren können aber bei der Abwägung im Einzelfall bedeutsam werden. Dabei fällt ins Gewicht, ob von dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit im Rahmen einer privaten Auseinandersetzung zur 84
BVerfG (K), NJW-RR 2004, S. 1710 (1711).
3. Antragsgebundene Verbraucherinformation
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Verfolgung von Eigeninteressen oder im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage Gebrauch gemacht wird […]. Auch an wirtschaftlichen Fragen kann ein solches Informationsinteresse der Allgemeinheit, insbesondere der vom Verhalten eines Unternehmens betroffenen Kreise, bestehen.85
3. Antragsgebundene Verbraucherinformation auf dem Prüfstand der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) Die antragsgebundene Verbraucherinformation stellt einen Eingriff [b)] in den Schutzbereich [a)] der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) dar, der indes – auch vor dem Hintergrund einer (möglichen) Veröffentlichung auf einer Internet-Plattform wie Topf Secret – gerechtfertigt werden kann [c)].
a) Schutzbereich Die Berufsfreiheit „schützt das berufsbezogene Verhalten einzelner Personen oder Unternehmen am Markt“.86 Sie erfasst sowohl natürliche Personen als auch im Lebensmittelsektor tätige Unternehmen als juristische Personen i.S.d. Art. 19 Abs. 3 GG87.
b) Eingriff Im Bereich der staatlichen Publikumsinformationen einschließlich der Verbraucherinformation besteht kein Sonderregime i.S.d. zwischenzeitlich aufgegebenen Glykol-Rechtsprechung, vielmehr sind derartige Maßnahmen nach den allgemeinen Anforderungen an das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs bei mittelbar-faktischen Beeinträchtigungen zu beurteilen (aa). Gemessen hieran stellt die Erteilung der Verbraucherinformation durch die Behörde einen Grundrechtseingriff dar (bb).
85 BVerfG (K), NJW-RR 2004, S. 1710 (1711 f.). Siehe des Weiteren (K), NJW 2016, S. 3362. 86 BVerfGE 147, 50 (141, Rn. 235); ferner E 105, 252 (265); E 115, 205 (229); E 116, 135 (151). 87 Siehe nur BVerfGE 21, 261 (266); E 141, 121 (130 f., Rn. 34; 132, Rn. 37); E 147, 50 (141, Rn. 234); E 148, 40 (50, Rn. 26); BVerwGE 166, 233 (245).
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IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen
aa) Kein Sonderregime i.S.d. Glykol-Rechtsprechung Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Glykol-Beschluss vom 26. 6. 2002 „ein grundrechtliches Sonderregime“88 für die staatliche Informationstätigkeit geschaffen89 : Nach diesem unterfällt nämlich die „Verbreitung zutreffender und sachlich gehaltener Informationen am Markt, die für das wettbewerbliche Verhalten der Marktteilnehmer von Bedeutung sein können, selbst“ dann nicht der Berufsfreiheit, wenn sich „die Inhalte […] auf einzelne Wettbewerbspositionen nachteilig auswirken“.90 Grundrechtsdogmatische Basis dieser Rechtsprechung ist die Ansicht, dass „die Reichweite des Freiheitsschutzes auch durch die rechtlichen Regeln mitbestimmt [wird], die den Wettbewerb ermöglichen und begrenzen. Art. 12 Abs. 1 GG sichert in diesem Rahmen die Teilhabe am Wettbewerb nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen“.91 Zu letzteren rechnet zunächst der Umstand, dass sich „[e]in am Markt tätiges Unternehmen […] der Kommunikation und damit auch der Kritik der Qualität seiner Produkte oder seines Verhaltens aus[setzt]“.92 Überdies setzt die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs „ein möglichst hohes Maß an Informationen der Marktteilnehmer über marktrelevante Faktoren“ voraus; hierzu leiste auch die staatliche Verbraucherinformation einen bedeutsamen Beitrag.93 Damit beeinträchtigten „[m]arktbezogene Informationen des Staates […] den grundrechtlichen Gewährleistungsbereich der betroffenen Wettbewerber [grundsätzlich] nicht“.94 Indes erteilt die Glykol-Rechtsprechung der staatlichen Informationstätigkeit keine grundrechtliche carte blanche; vielmehr formuliert das Bundesverfassungsgericht – grundrechtsdogmatisch indes nicht näher verortete – Kautelen (siehe überdies zum Verhältnis zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung unten IV. 4.): So müsse der informationsbedingte „Einfluss auf wettbewerbserhebliche Faktoren ohne Verzerrung der Marktverhältnisse nach Maßgabe der rechtlichen Vorgaben für staatliches Informationshandeln erfolg[en]“.95 Um dem zu genügen, seien „das Vorliegen einer staatlichen Aufgabe und die Einhaltung der Zuständigkeitsordnung […] sowie die Beachtung der Anforderungen an die Richtigkeit und 88
So der Titel des Aufsatzes von P. M. Huber, JZ 2003, S. 290. Diese Ausführungen folgen F. Wollenschläger, JZ 2018, S. 980 (983 f.); siehe ferner bereits ders., VerwArch 102 (2011), S. 20. 90 BVerfGE 105, 252 (265); ferner E 113, 63 (76 f.) – Eingriff durch Erwähnung im Verfassungsschutzbericht; diese geht „über die bloße Teilhabe staatlicher Funktionsträger an öffentlichen Auseinandersetzungen oder an der Schaffung einer hinreichenden Informationsgrundlage für eine eigenständige Entscheidungsbildung der Bürger, etwa als Marktteilnehmer […], hinaus. Sie ist eine an die verbreiteten Kommunikationsinhalte anknüpfende, mittelbar belastende negative Sanktion“. Vgl. ferner bei unklarer grundrechtsdogmatischer Einordnung E 106, 275 (302 ff.), zur Transparenz hinsichtlich Festbeträgen im Kontext der GKV. 91 BVerfGE 105, 252 (265). 92 BVerfGE 105, 252 (266). 93 BVerfGE 105, 252 (266 f.). 94 BVerfGE 105, 252 (268). 95 BVerfGE 105, 252 (268). 89
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Sachlichkeit von Informationen“ erforderlich.96 Darüber hinaus „ist die Verbreitung von Informationen unter Berücksichtigung möglicher nachteiliger Wirkungen für betroffene Wettbewerber auf das zur Informationsgewährung Erforderliche zu beschränken“.97 Schließlich dürfe sich die staatliche Informationstätigkeit nicht als funktionales Äquivalent eines Eingriffs erweisen.98 Die Glykol-Rechtsprechung ist im Schrifttum überwiegend und zu Recht99 auf Kritik gestoßen:100 Zunächst läuft ein Schutz der Wettbewerbsfreiheit lediglich nach den – gesetzlich vorgezeichneten – Funktionsbedingungen des Wettbewerbs auf einen Ausgestaltungsvorbehalt des Gesetzgebers oder sogar – wie im Glykol-Fall – der Exekutive hinaus. Dieser läuft der Rechtsnatur der Berufsfreiheit als Abwehrrecht zuwider.101 Zudem verkennt diese Rechtsprechung den Charakter staatlicher Marktinformationen, die nicht als eine Stimme im Chor der vielen Produktbewerter wahrgenommen werden, sondern denen eine besondere Autorität zukommt; dies wiederum verlangt nach einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung und der Aktivierung des Gesetzesvorbehalts.102 Die Abkehr von der traditionellen Grundrechtsdogmatik erscheint umso fragwürdiger, als Teilaspekte der überkommenen Grundrechtsprüfung – etwa das Erfordernis der Richtigkeit und Sachangemessenheit der Informationen als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgebots – dann auch vom Bundesverfassungsgericht thematisiert werden.103 Hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Glykol-Rechtsprechung ist darüber hinaus fraglich, ob die angenommene Entbehrlichkeit einer spezifischen Befugnis zum Informationshandeln jenseits des gubernativen Tätigwerdens, mithin der Staatsleitung, gilt.104 Zwischenzeitlich hat das Bundesverfassungsgericht die Glykol-Rechtsprechung zu Recht in seinem Beschluss zur Verbraucherinformation gemäß § 40 Abs. 1a LFGB vom 21. 03. 2018 aufgegeben und das Vorliegen einer Grundrechtsverletzung durch staatliche Marktinformationen entsprechend dem überkommenen dreistufigen 96
BVerfGE 105, 252 (268). BVerfGE 105, 252 (273). 98 BVerfGE 105, 252 (273). 99 Zum Folgenden F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (38 f.). 100 Kritisch etwa K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (63); T. Holzner, NVwZ 2010, S. 489 (490); P. M. Huber, JZ 2003, S. 290; H. Kube ZLR 2007, S. 165 (180); G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12, Rn. 88; M. Möstl, GewArch 2015, S. 1 (2); ders., ZLR 2019, S. 343 (345); D. Murswiek, NVwZ 2003, S. 1 (3 ff.); F. Schoch, ZLR 2010, S. 121 (127 f.); F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (38 f.). Zustimmend Jarass/Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 19. Differenzierend indes J. A. Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG I, Art. 12, Rn. 96 f. 101 P. M. Huber, ZLR 2004, S. 241 (258); D. Murswiek, NVwZ 2003, S. 1 (4). Deutlich insoweit BVerfGE 7, 377 (403 f.). 102 So auch P. M. Huber, ZLR 2004, S. 241 (257 f.); W. Kahl, Der Staat 43 (2004), S. 167 (189 ff.); D. Murswiek, NVwZ 2003, S. 1 (4); F. Schoch, ZLR 2010, S. 121 (133); vgl. ferner F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010, S. 201 f. 103 P. M. Huber, ZLR 2004, S. 241 (259 f.). 104 Ablehnend etwa T. Holzner, NVwZ 2010, S. 489 (490). 97
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Schema (Schutzbereich – Eingriff – Rechtfertigung) geprüft,105 ohne die Aufgabe indes explizit zu thematisieren106. Dies bedeutet freilich nicht, dass jedwedes unternehmensbezogene staatliche Informationshandeln nunmehr einen Eingriff darstellt. Nachdem nämlich nur mittelbar-faktische Auswirkungen auf die berufliche Betätigung vorliegen, ist der Eingriffscharakter anhand der allgemeinen Grundsätze zu prüfen [zu diesen sogleich IV. 3. b) bb)]. bb) Eingriffsqualität der antragsgebundenen Informationserteilung Nach einer Erörterung der allgemeinen Anforderungen an die Eingriffsqualität staatlichen Informationshandelns (1) und einem Blick auf die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur aktiven staatlichen Verbraucherinformation (2) sei dargelegt, dass die antragsgebundene Informationserteilung nach dem VIG einen Eingriff in die Berufsfreiheit darstellt (3). (1) Allgemeine Anforderungen Treffend betonen Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht, dass „nicht jedes staatliche Informationshandeln, das die Wettbewerbschancen von Unternehmen am Markt nachteilig verändert, ohne Weiteres als Grundrechtseingriff zu bewerten“ ist.107 Denn die Berufsfreiheit [schützt] grundsätzlich nicht vor bloßen Veränderungen der Marktdaten und Rahmenbedingungen der unternehmerischen Tätigkeit. In der bestehenden Wirtschaftsordnung umschließt das Freiheitsrecht des Art. 12 Abs. 1 GG das berufsbezogene Verhalten der Unternehmen am Markt nach den Grundsätzen des Wettbewerbs. Marktteilnehmer haben aber keinen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass die Wettbewerbsbedingungen für sie gleich bleiben. Insbesondere gewährleistet das Grundrecht keinen Anspruch auf eine erfolgreiche Marktteilhabe oder künftige Erwerbsmöglichkeiten. Vielmehr unterliegen die Wettbewerbsposition und damit auch die erzielbaren Erträge dem Risiko laufender Veränderung je nach den Verhältnissen am Markt und damit nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen […]. Regelungen, die die Wettbewerbssituation der Unternehmen lediglich im Wege faktisch-mittelbarer Auswirkungen beeinflussen, berühren den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht.108
Dies schließt freilich nicht aus, staatliches Informationshandeln, das die Unternehmen nur mittelbar-faktisch in ihrer Berufsfreiheit beeinträchtigt, als Grundrechtseingriff zu qualifizieren. Denn, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. 3. 2018 herausgearbeitet hat, Art. 12 Abs. 1 GG greift auch
105 106 107 108
BVerfGE 148, 40 (49 ff., Rn. 24 ff.). Siehe zuvor auch BVerwGE 71, 183 (191 ff.). Dazu F. Wollenschläger, JZ 2018, S. 980 (984). BVerfGE 148, 40 (50 f., Rn. 27); BVerwGE 166, 233 (245). BVerfGE 148, 48 (50, Rn. 27).
3. Antragsgebundene Verbraucherinformation
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dann, wenn Normen, die zwar selbst die Berufstätigkeit nicht unmittelbar berühren, aber Rahmenbedingungen der Berufsausübung verändern, in ihrer Zielsetzung und ihren mittelbar-faktischen Wirkungen einem Eingriff als funktionales Äquivalent gleichkommen […], die mittelbaren Folgen also kein bloßer Reflex einer nicht entsprechend ausgerichteten gesetzlichen Regelung sind […]. Das gilt auch für die Grundrechtsbindung des Staates bei amtlichem Informationshandeln. Die amtliche Information der Öffentlichkeit kann in ihrer Zielsetzung und ihren mittelbar-faktischen Wirkungen einem Eingriff als funktionales Äquivalent jedenfalls dann gleichkommen, wenn sie direkt auf die Marktbedingungen konkret individualisierter Unternehmen zielt, indem sie die Grundlagen der Entscheidungen am Markt zweckgerichtet beeinflusst und so die Markt- und Wettbewerbssituation zum wirtschaftlichen Nachteil der betroffenen Unternehmen verändert.109
(2) Eingriffsqualität der aktiven staatlichen Verbraucherinformation Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 21. 3. 2018 auf der vorstehend wiedergegebenen Basis zu Recht die Eingriffsqualität der aktiven behördlichen Verbraucherinformation gemäß § 40 Abs. 1a LFGB bejaht: Veröffentlichungen nach § 40 Abs. 1a LFGB berühren die Berufsfreiheit nicht unmittelbar, kommen einem Eingriff in die Berufsfreiheit aber in ihrer Zielgerichtetheit und Wirkung gleich und sind darum an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. § 40 Abs. 1a LFGB verpflichtet die Behörden, der Öffentlichkeit lebensmittel- und futtermittelrechtliche Verstöße von Unternehmen umfassend und in unternehmensspezifisch individualisierter Form mitzuteilen. Die umfassende Information der Verbraucher erfolgt zu dem Zweck, diese in die Lage zu versetzen, ihre Konsumentscheidung in Kenntnis der veröffentlichten Missstände zu treffen und gegebenenfalls vom Vertragsschluss mit den benannten Unternehmen abzusehen. Die Information zielt also direkt auf eine Veränderung der Marktbedingungen konkret adressierter Unternehmen. Diese Veränderungen sind für die betroffenen Unternehmen nicht bloßer Reflex einer nicht auf sie ausgerichteten gesetzlichen Regelung. Die informationellen Grundlagen von Konsumentscheidungen zu verändern, ist vielmehr der originäre Zweck der Regelung.110
(3) Eingriffsqualität der antragsgebundenen Informationserteilung nach dem VIG Mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. 8. 2019 (a), das wegen des Fokus der Eingriffsprüfung auf die Konstellation Topf Secret auf Kritik gestoßen ist (b), ist auch der antragsgebundenen Informationserteilung nach dem VIG Eingriffsqualität zu attestieren (c). Eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs aufgrund (informationeller) Zwischenakte Privater ist abzulehnen (d).
109
BVerfGE 148, 48 (51, Rn. 28). Siehe auch BVerwGE 166, 233 (245 f.); ferner E 71, 183 (193 ff.). Ebenfalls die Finalität akzentuierend C. Monsees, Behördliches Informationshandeln, S. 86 ff. 110 BVerfGE 148, 40 (51 f., Rn. 29). Ebenso VGH Mannheim, NVwZ 2013, S. 1022 (1023).
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IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen
(a) Bejahung eines Eingriffs im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. 8. 2019 Mit vergleichbarer Begründung wie das Bundesverfassungsgericht im Kontext der aktiven staatlichen Verbraucherinformation gemäß § 40 Abs. 1a LFGB [dazu soeben IV. 3. b) bb) (2)] hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 29. 8. 2019 die Eingriffsqualität der antragsgebundenen Informationserteilung nach dem VIG bejaht. Zunächst hat es zu Recht die Unterschiede zwischen beiden Formen des staatlichen Informationshandelns, mithin der aktiven und antragsgebundenen Verbraucherinformation, herausgearbeitet: Zwischen beiden Arten der Information bestehen allerdings große Unterschiede, die es ausschließen, die dargestellte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ohne Weiteres auf die antragsgebundene Informationsgewährung zu übertragen. Wie der Senat in seinem Beschluss vom 15. Juni 2015 – 7 B 22.14 – (Buchholz 404.1 VIG Nr. 1 Rn. 12) ausgeführt hat, verschafft das aktive Informationsverhalten des Staates an alle Marktteilnehmer den übermittelten Informationen breite Beachtung und gesteigerte Wirkkraft auf das wettbewerbliche Verhalten der Marktteilnehmer. Die Auswirkungen einer antragsgebundenen Informationsgewährung auf das Wettbewerbsgeschehen bleiben dahinter qualitativ und quantitativ weit zurück.111
Diese Unterschiede [zu diesen noch ausführlich im Kontext der Rechtfertigung unten, IV. 3. c) ee) (3)(c)] stehen der Bejahung eines Eingriffs, so das Bundesverwaltungsgericht weiter, indes nicht entgegen: Gleichwohl hat der Senat in seinem Beschluss vom 15. Juni 2015 die Freistellung der informationspflichtigen Stelle von einer Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der begehrten Information an Art. 12 Abs. 1 GG gemessen. Die dahinter stehende Annahme eines funktionalen Äquivalents rechtfertigt sich daraus, dass auch der Verbreitung von Informationen durch Private nicht jegliche mittelbar-faktische Wirkung abgesprochen werden kann. Dies gilt insbesondere in Fällen wie dem vorliegenden, in dem der antragsgebundene Informationszugang erklärtermaßen dem Ziel dient, mit den so erlangten Informationen unter Einschaltung von Verbraucherschutz- und anderen Organisationen gezielt und kampagnenartig an die Öffentlichkeit zu gehen. Es leuchtet ohne Weiteres ein, dass hierdurch ausgelöste Reaktionen für die betroffenen Unternehmen erhebliche ökonomische Wirkungen entfalten können. Derartige Auswirkungen der Informationsgewährung stellen auch keinen bloßen Reflex einer nicht auf sie gerichteten gesetzlichen Regelung dar. Ähnlich wie beim Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch ist es auch beim Verbraucherinformationsgesetz Zweck der Regelung, die informationellen Grundlagen für eigenverantwortliche Kaufentscheidungen der Verbraucher zu schaffen. Die Verbraucher sollen in die Lage versetzt werden, als Marktteilnehmer einen entscheidenden Faktor für die Steuerung des Gesamtsystems darzustellen (BT-Drs. 16/5404 und 17/7374 S. 2).112
111 BVerwGE 166, 233 (246 f.). Ebenso BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 27; BeckRS 2020, 20595, Rn. 26 f.; OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (95). 112 BVerwGE 166, 233 (247).
3. Antragsgebundene Verbraucherinformation
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Generell hat das Bundesverwaltungsgericht überdies einleitend festgehalten: Der Informationszugang nach dem Verbraucherinformationsgesetz ist an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen, weil er direkt auf die Marktbedingungen individualisierter Unternehmen zielt, das Konsumverhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern beeinflussen und auf diese Weise mittelbar-faktisch die Markt- und Wettbewerbssituation zum wirtschaftlichen Nachteil der betroffenen Unternehmen verändern kann.113
(b) Kritik am Fokus der Eingriffsprüfung auf Topf Secret Eine Stimme im Schrifttum kritisiert vor dem Hintergrund der nicht zweckgebundenen Informationserteilung im Kontext der Informationsfreiheit den Fokus des Bundesverwaltungsgerichts auf die konkrete (kampagnenartige) Weiterverwendung durch Private und verlangt, umfassend auf das Spektrum möglicher Verwendungszwecke und die potentiell umfassende Publizität abzustellen: Hier beginnt die erste Unschärfe der juristischen Argumentation des BVerwG, denn es knüpft zur Begründung eines funktionalen Äquivalents an die Verbreitung der Information an, obwohl das VIG doch nur die individuelle Informationserteilung an einen Antragsteller regelt. Entweder also hätte das BVerwG die verfassungsrechtliche Bewertung des VIG strikt an seinem normativen Gehalt messen und also die Frage beantworten müssen, ob bereits die individuelle Informationserteilung einen Eingriff bzw. ein funktionales Äquivalent darstellt, oder es hätte die möglichen Wirkungen einer individuellen Informationserteilung zum Gegenstand seiner verfassungsrechtlichen Prüfungen machen müssen. Dies aber – die zweite Unschärfe – macht es nicht: Es lässt sich bei der notwendigerweise abstrakten Prüfung der Verfassungskonformität einer gesetzlichen Bestimmung zu sehr leiten von dem konkret zu entscheidenden Fall und nimmt ein funktionales Äquivalent insbesondere an, „wenn der antragsgebundene Informationszugang erklärtermaßen dem Ziel dient, mit den so erlangten Informationen unter Einschaltung von Verbraucherschutz- und anderen Organisationen gezielt und kampagnenartig an die Öffentlichkeit zu gehen“. Dies könne nämlich erhebliche ökomische Wirkungen entfalten, die nicht lediglich ein Reflex einer auf die Unternehmen gerichteten Regelung seien (Rn. 47). Diese Prüfung wird weder dem Regelungskonzept des VIG noch verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht. Dem Regelungskonzept des VIG widerspricht es, weil es den Informationszugang wie alle Informationsfreiheitsgesetze gerade zweckunabhängig ausgestaltet. Die Voraussetzungslosigkeit des Zugangsanspruchs steht der Erkennbarkeit des Interesses und der Verwendungsintention des Antragstellers schlicht entgegen. Und die verfassungsrechtliche Bewertung der gesetzlich angeordneten Informationserteilung hängt nicht von der subjektiven Motivation des Antragstellers ab. Die gesetzliche Regelung ist nicht an der tatsächlichen, sondern an der möglichen Verwendung der Information zu messen. Es muss wohl noch einmal betont werden: Die Steuerungsfähigkeit von Informationsfreiheitsgesetzen – auch des VIG – endet mit der Herstellung von Transparenz durch die Bereitstellung von Informationen. Zu welchem Zweck die Informationen verwendet werden, entzieht sich dem Einfluss des Gesetzgebers. Die grundrechtliche Prüfung darf deshalb nicht an den vom Gesetzgeber intendierten, sondern muss an den möglichen 113
BVerwGE 166, 233 (245). Vgl. im Übrigen BVerwG, NVwZ 2015, S. 1297 (1298).
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IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen Wirkungen anknüpfen. Zu beachten ist insbesondere, dass jede individuelle Preisgabe von Informationen grundsätzlich zur potentiellen vollständigen Publizität dieser Informationen führt. Dies ist nicht nur bei jeder administrativen oder gerichtlichen Entscheidung über einen Informationszugang zu berücksichtigen, sondern auch bei der verfassungsrechtlichen Bewertung der gesetzlichen Regelung.114
Eine weite Folgenbetrachtung hat das Bundesverwaltungsgericht im Übrigen auch in seinem Urteil vom 25. 6. 2015 angestellt: Eine Verletzung des § 12 UrhG scheitert auch nicht daran, dass die Gewährung des Informationszugangs auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes die Voraussetzungen einer Veröffentlichung nicht erfüllte. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann nicht darauf abgestellt werden, dass jeweils nur dem Kläger Zugang zu den Werken gewährt werden soll. Damit würde zu Unrecht ausgeblendet, dass der voraussetzungslose Anspruch nach § 1 Abs. 1 IFG von jedermann geltend gemacht werden kann und das Werk vor diesem Hintergrund der Sache nach dem Zugriff der Öffentlichkeit ausgesetzt ist.115
Zu Recht wird bei der Eingriffsprüfung angesichts des Vorliegens (auch) einer abstrakt-generellen Regelung und angesichts der fehlenden Zweckbindung sowohl auf Ebene des VIG als auch der behördlichen Informationserteilung eine generalisierende Perspektive angemahnt, die – neben einer sich u. U. im Einzelfall manifestierenden Verwendungsabsicht – mögliche Verwendungen, was auf typische bzw. erkennbare Verwendungen zu beschränken ist, einschließlich der im Raum stehenden potentiell weit reichenden Publizität in den Blick nimmt. Dies ändert freilich nichts am Ergebnis, da, wie sogleich dargelegt wird, bereits die Erteilung von Informationen über Verstöße von Unternehmen gegen lebensmittelrechtliche Anforderungen an einen Antragsteller zum Zwecke der eigenen Unterrichtung die Eingriffsschwelle überschreitet und das Bundesverwaltungsgericht mit Topf Secret überdies eine mögliche, nicht atypische und besonders eingriffsintensive Informationsverwendung gewürdigt hat. Unabhängig davon kommt eine generalisierende Perspektive – trotz des sodann auf Topf Secret gelegten Fokus – auch in der die Eingriffsprüfung einleitenden Passage im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. 8. 2019 zum Ausdruck, heißt es dort, was nochmals zitiert sei, doch: Der Informationszugang nach dem Verbraucherinformationsgesetz ist an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen, weil er direkt auf die Marktbedingungen individualisierter Unternehmen zielt, das Konsumverhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern beeinflussen und auf diese Weise mittelbar-faktisch die Markt- und Wettbewerbssituation zum wirtschaftlichen Nachteil der betroffenen Unternehmen verändern kann.116
114
M. Rossi, JZ 2020, S. 573 (576). Vgl. auch ders., Informationszugangsfreiheit, S. 164 ff. BVerwGE 152, 241 (251 f.). 116 BVerwGE 166, 233 (245). Siehe des Weiteren die generelle Bejahung der Eingriffsqualität unter Verweis auf den früheren Beschluss vom 15. 6. 2015 (S. 247) sowie die Würdigung von Topf Secret als Beispielsfall („Dies gilt insbesondere in Fällen wie dem vorliegenden“, S. 247). 115
3. Antragsgebundene Verbraucherinformation
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(c) Eingriffsqualität der antragsgebundenen Informationserteilung nach dem VIG Mit dem Bundesverwaltungsgericht,117 der Oberverwaltungsgerichtsbarkeit118 und Stimmen im Schrifttum119 ist die Eingriffsqualität der antragsgebundenen Informationserteilung nach dem VIG zu bejahen. Hierfür streiten die herausgearbeitete Finalität der Maßnahme (Markttransparenz und Beeinflussung von Konsumentscheidungen),120 die zumindest potentiell nicht unerheblichen Konsequenzen für die unternehmerische Betätigung (Intensität) sowie der hinreichend enge und vorhersehbare Zusammenhang zwischen Informationserteilung und Grundrechtsbeeinträchtigung (Unmittelbarkeit)121. Werden im Einzelfall Informationen zum Zwecke der Weiterveröffentlichung über das Portal Topf Secret beantragt, erlangen diese Aspekte im Rahmen der Prüfung der behördlichen Informationserteilung besonderes Gewicht. Aber auch unabhängig hiervon ist aus den soeben genannten Gründen die Eingriffsqualität sowohl der gesetzlich vorgesehenen als auch der behördlicherseits realisierten Informationserteilung über Verstöße von Unternehmen gegen lebensmittelrechtliche Anforderungen (bereits mit Blick auf die Erteilung zu eigenen Informationszwecken) zu bejahen; hierbei ist auch die potentiell weit reichende Publizität in Betracht zu ziehen, wie die vom Bundesverwaltungsgericht spezifisch gewürdigte, mögliche und nicht atypische Verwendung im Kontext der hier inmitten stehenden Internetpublizität auf Plattformen wie Topf Secret, zumal der Gesetzgeber diese Verwendung im Kontext des Vierten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittelund Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften nunmehr ausdrücklich in Bezug genommen hat122. (d) Keine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs aufgrund (informationeller) Zwischenakte Privater Anders als bei der aktiven staatlichen Verbraucherinformation sind in die Kausalkette zwischen staatlichem Handeln und der Beeinträchtigung grundrechtlich 117
BVerwGE 166, 233 (245 ff.). Vgl. im Übrigen BVerwG, NVwZ 2015, S. 1297 (1298). BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 27; BeckRS 2020, 20595, Rn. 25; OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789, Rn. 31; BeckRS 2021, 7074, Rn. 46; OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (95 f.); Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 15 ff. Siehe auch VG Würzburg, BeckRS 2020, 25105, Rn. 42. 119 F. Becker, Gutachten, S. 26 f.; K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (63); M. Grube/ M. Immel/R. Wallau, Verbraucherinformationsrecht, Teil D, § 1 VIG, Rn. 6. Siehe ferner W. G. Leisner, GewArch 2014, S. 57 (60 ff.). 120 Restriktiv zum lenkenden Charakter bei Information über alle Befunde M. Möstl, LMuR 2015, S. 185 (189 f.). 121 Siehe zur Maßgeblichkeit der Kriterien der Finalität, Intensität und Unmittelbarkeit nunmehr auch BVerfG, Beschl. v. 27. 4. 2021, Rn. 54. 122 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften vom 16. 12. 2020, BTDrs. 19/25319, S. 93. 118
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IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen
geschützter unternehmerischer Interessen informationelle Akte Privater dazwischengeschaltet, nämlich die Informationsweitergabe durch den VIG-Antragsteller und die Veröffentlichung auf der Plattform Topf Secret. Hierbei handelt es sich, wie oben ausgeführt (siehe IV. 2.), zum einen nicht um grundrechtsgebundene, sondern um grundrechtsgeschützte Handlungen Privater. Zum anderen unterliegen diese Handlungen datenschutz- und unternehmenspersönlichkeitsrechtlichen Anforderungen, für deren Einhaltung die beteiligten Privaten verantwortlich sind und für deren Durchsetzung sowohl Primär- als auch Sekundärrechtsschutz offensteht [siehe unten IV. 3. c) ee) (6) (c)]. Vor diesem Hintergrund könnte man eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs erwägen.123 Erhärten könnte man diese Argumentation unter Verweis auf die Rechtsprechung zur Regimetrennung zwischen behördlicher Informationserteilung (VIG) und privater Weiterverwendung (IWG) [dazu oben, III. 8. b) aa)]. Dieser Ansatz vermag indes nicht zu überzeugen, da die Weiterverwendung der Informationen und die daraus gegebenenfalls resultierende Beeinträchtigung der unternehmerischen Tätigkeit im VIG-Regime und damit der staatlichen Informationserteilung angelegt sind.124 So zielt dieses namentlich darauf, die Informationsbasis für Konsumentscheidungen der Verbraucher(innen) zu verbessern und die Markttransparenz zu erhöhen (siehe oben, III. 1.), und versteht den anfragenden Verbraucher als Sachwalter der Allgemeinheit125, was eine Weiterverwendung impliziert126. Teile der Rechtsprechung betonen überdies, dass „[e]ine kampagnenartige Weiterverwendung der Information […] im Verbraucherinformationsgesetz gerade angelegt [ist] und […] dessen Zielsetzung [entspricht].“127 Von einer unbeabsichtigten oder nicht vorhersehbaren Nebenfolge kann daher keine Rede sein. Angesichts der im Verbraucherinformationsgesetz angelegten marktbezogenen Verwendung und Relevanz der erteilten Informationen und mangels (gesetzlicher bzw. behördlicher) Beschränkung der Weiterverbreitung kann etwaigen informationellen Zwischenakten Privater auf dem Weg zur Grundrechtsbeeinträchtigung keine – im Vergleich zur unmittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigung bei Informationsver123
Nicht ganz deutlich C. Halder/B. Metzl, jurisPR-ITR 22/2019 Anm. 6, C.: Bei Dazwischentreten eines Bürgers liege kein staatliches Informationshandeln vor. Vgl. auch VG Augsburg, BeckRS 2019, 12743, Rn. 28; VG Freiburg, BeckRS 2019, 19973, Rn. 20; VG Mainz, Beschl. v. 5. 4. 2019, 1 L 103/19.MZ, juris, Rn. 15 f.; VG Würzburg, BeckRS 2020, 25105, Rn. 40 (s. aber auch Rn. 42). 124 F. Becker, ZLR 2019, S. 877 (882); K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (63). 125 So BVerwGE 166, 233 (235, 237); BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 17; OVG Lüneburg, BeckRS 2020, 171, Rn. 14; ferner Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 19. 10. 2011, BT-Drs. 17/ 7374, S. 14. 126 OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 16, 26; VGH Kassel, BeckRS 2020, 27638, Rn. 19; VGH Mannheim, BeckRS 2019, 33951, Rn. 29. 127 BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 18. Ebenso BeckRS 2020, 20595, Rn. 27; OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789, Rn. 33; BeckRS 2021, 7074, Rn. 43. Anders V. Kluge, ZLR 2019, S. 518 (527); D. Lück/F. Penski, DÖV 2020, S. 506 (514 f.).
3. Antragsgebundene Verbraucherinformation
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wendung zu eigenen Zwecken – zurechenbarkeitsausschließende Qualität beigemessen werden, zumal im Fall einer Beantragung über Plattformen wie Topf Secret. Vor diesem Hintergrund scheidet, auch eingedenk des zum mittelbaren Grundrechtseingriff Ausgeführten, eine Unterbrechung der Kausalkette aus. Die Figur des mittelbaren Grundrechtseingriffs impliziert gerade das Dazwischentreten weiterer Akte, so dass es auf die aus den genannten Gründen zu bejahende Zurechenbarkeit der Beeinträchtigung beim Unternehmer an den Staat ankommt. Dies bedeutet nicht, dass der Unterschied zur aktiven staatlichen Verbraucherinformation irrelevant ist, wie bei der Belastungsintensität noch zu erörtern sein wird. Ebenso wenig vermag der Verweis auf eine strikte Regimetrennung zwischen VIG und IWG am Ergebnis etwas zu ändern, muss bzw. müsste sich eine solche doch an der Verfassung messen lassen [dazu oben, III. 8. b) bb)].128
c) Rechtfertigung Der Eingriff in die Berufsfreiheit ist gerechtfertigt, wenn er auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, die ihrerseits formell und materiell verfassungsmäßig ist, und namentlich die Grenzen der Einschränkbarkeit von Grundrechten, allen voran den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wahrt.129 Der zuletzt genannte Aspekt steht hier im Vordergrund. Demnach sind Eingriffe dann verfassungskonform, wenn sie einen verfassungslegitimen Zweck verfolgen [bb)] sowie zu dessen Erreichung geeignet [cc)], erforderlich [dd)] und angemessen [ee)] sind.130 Im Übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht die Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage bejaht [aa)]. Eine weitere Differenzierung zwischen abstrakter Bewertung der gesetzgeberischen Regelung und Informationserteilung im Einzelfall erscheint wegen des abstrakten Untersuchungsgegenstands und der in beiden Fällen nicht begrenzten Weiterverwendungsmöglichkeit entbehrlich [ff)]. aa) Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage Eingriffe in die Berufsfreiheit bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Diese muss dem Bestimmtheitsgebot genügen. Notwendig ist, dass die Regelung „Umfang und Grenzen des Eingriffs deutlich erkennen läßt“.131 Die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots sind kontextspezifisch, namentlich nach Sachbereich und Eingriffsintensität zu bestimmen: 128
24 f. 129
Siehe auch OVG Hamburg, BeckRS 2019, 26284, Rn. 17; K. F. Gärditz, Gutachten, S. 9,
Siehe nur BVerfGE 145, 20 (67, Rn. 121). Siehe nur BVerfGE 148, 40 (52, Rn. 30); Beschl. v. 30. 6. 2020, 1 BvR 1679/17, 1 BvR 2190/17, Rn. 99. 131 BVerfGE 82, 209 (224); ferner Jarass/Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 31. 130
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IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen Der Gesetzgeber ist dabei gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist […]. Welche Anforderungen an die Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen zu stellen sind, richtet sich auch nach der Intensität der durch die Regelung oder aufgrund der Regelung erfolgenden Grundrechtseingriffe […]. Es reicht aus, wenn sich im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen […]. Verbleibende Ungewissheiten dürfen nicht so weit gehen, dass die Vorhersehbarkeit und Justiziabilität des Handelns der durch die Normen ermächtigten staatlichen Stellen gefährdet sind.132
Für die Bestimmung der Eingriffsintensität ist die Drei-Stufen-Lehre heranzuziehen [zu dieser unten IV. 3. c) ee) (1) (a)].133 Das Bestimmtheitsgebot schließt die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht aus.134 Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 29. 8. 2019 die hinreichende Bestimmtheit der Informationszugangsregelung des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG vor diesem Hintergrund zu Recht bejaht: Das verfassungsrechtliche Gebot der Normenbestimmtheit und der Normenklarheit soll die Betroffenen befähigen, die Rechtslage anhand der gesetzlichen Regelung zu erkennen, damit sie ihr Verhalten danach ausrichten können. Die Bestimmtheitsanforderungen dienen auch dazu, die Verwaltung zu binden und ihr Verhalten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß zu begrenzen sowie, soweit sie zum Schutz anderer tätig wird, den Schutzauftrag näher zu konkretisieren. Je ungenauer die Anforderungen an die dafür maßgebende tatsächliche Ausgangslage gesetzlich umschrieben sind, umso größer ist das Risiko unangemessener Zuordnung von rechtlich erheblichen Belangen […]. Dass ein Gesetz unbestimmte, der Auslegung und Konkretisierung bedürftige Begriffe verwendet, führt allein noch nicht zu einem Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der Normklarheit und Justiziabilität […]. Allerdings muss das Gesetz so bestimmt sein, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Die von der Norm Betroffenen müssen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Unvermeidbare Auslegungsschwierigkeiten in Randbereichen sind von Verfassungs wegen hinzunehmen […]. Diesen Anforderungen wird § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG gerecht. Der Bedeutungsgehalt des Merkmals „festgestellte nicht zulässige Abweichungen von Anforderungen“ ist, wie aufgezeigt, im Wege der Auslegung konkretisierbar. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG weist hinreichend deutliche Konturen auf, um sowohl der Behörde als auch dem Unternehmen und den Verbrauchern aufzuzeigen, in welchen Fällen nicht zulässige Abweichungen von den Anforderungen des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs und des Produktsicherheitsgesetzes gegeben sind.135
132 BVerfGE 145, 20 (69 f., Rn. 125); ferner E 82, 209 (224 ff.); E 84, 133 (149); Jarass/ Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 31. 133 BVerfGE 110, 304 (321); ferner E 54, 237 (246). 134 BVerfGE 81, 70 (88); E 82, 209 (225 ff.). 135 BVerwGE 166, 233 (244). Ebenso VG Karlsruhe, BeckRS 2020, 35225, Rn. 29.
3. Antragsgebundene Verbraucherinformation
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bb) Legitimer Zweck Mit der antragsgebundenen Informationserteilung über Abweichungen von lebensmittelrechtlichen Anforderungen verfolgt der Gesetzgeber verschiedene und bereits herausgearbeitete Zwecke, nämlich die Informationsbasis für Konsumentscheidungen der Verbraucher(innen) zu verbessern, im Interesse aller Marktbeteiligten die Markttransparenz und damit die Funktionsfähigkeit des Marktsystems zu erhöhen, das Vertrauen in die Lebensmittelsicherheit und die Qualität zu sichern, generalpräventiv auf eine Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Anforderungen hinzuwirken und damit auch den mit diesen bezweckten Gesundheits- und Verbraucherschutz zu befördern und Verwaltungstransparenz zu realisieren (siehe oben, III. 1). Die Verfolgung dieser Zwecke ist von der Verfassung legitimiert. Ein legitimer Zweck liegt namentlich dann vor, wenn der Gesetzgeber zur Realisierung grundrechtlicher Schutzaufträge tätig wird, so bei Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG),136 zum Verbraucherschutz (Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 12 Abs. 1 GG),137 zur Stärkung der Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG)138 oder der Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG)139 sowie zum Schutz des Wettbewerbs (Art. 12 Abs. 1 GG). Einen verfassungslegitimen Zweck verfolgt der Gesetzgeber nicht erst dann, wenn grundrechtliche Schutzpflichten ihn zu einem bestimmten Handeln verpflichten, sondern bereits dann, wenn er zur Realisierung grundrechtlich geschützter Interessen beiträgt.140 „Im Übrigen“ soll „der Gesetzgeber in die Berufsfreiheit auch zugunsten solcher Ziele eingreifen [können], die zu verfolgen er nicht bereits durch das Grundgesetz gehalten ist“.141 Schließlich trägt ein transparentes Staatshandeln zur ebenfalls im Grundgesetz verbürgten demokratische Teilhabe der Bürger bei (Art. 20 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG).142 Diesen verfassungslegitimen Zwecken lassen sich die einleitend skizzierten, vom Gesetzgeber mit der antragsgebundenen Verbraucherinformation verfolgten Zwecke zuordnen.143 Angesichts der skizzierten verfassungsrechtlichen Verortung überzeugt
136
BVerfGE 78, 179 (192); E 121, 317 (349); E 126, 112 (140); E 148, 40 (52 f., Rn. 33); F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (41). 137 BVerfGE 53, 135 (145); K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (63); F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (41). A.A. F. Becker, ZLR 2011, S. 391 (415). 138 BVerfGE 148, 40 (53, Rn. 33); F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (41). 139 BVerfGE 134, 204 (225, Rn. 75). 140 BVerfGE 134, 204 (224, Rn. 70). 141 BVerfGE 148, 40 (53, Rn. 33). Siehe zur Definitionsmacht des Gesetzgebers auch G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12, Rn. 127; Stern, StaatsR IV/1, S. 1896 f. 142 F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (41) m.w.N. 143 Siehe auch m.w.N. F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (40 f.).
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IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen
es keinesfalls, dem Verbraucherschutz einen Verfassungsrang abzusprechen.144 Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht diese Ziele in seinem Beschluss zur aktiven staatlichen Verbraucherinformation vom 21. 3. 2018 als verfassungslegitim qualifiziert,145 ebenso das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil zur antragsgebundenen Verbraucherinformation vom 29. 8. 2019146. cc) Geeignetheit Ein Mittel ist dann zur Zielerreichung geeignet, „wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann, wobei die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt“.147 Dies ist für die antragsgebundene Verbraucherinformation zu bejahen. Hinsichtlich der Eignung kommt dem Gesetzgeber überdies eine Einschätzungsprärogative zu.148 An anderer Stelle habe ich für die auf das VIG gestützte aktive Verbraucherinformation ausgeführt, dass die gegen diese vorgebrachten Zweifel an der Eignung – einmal ganz abgesehen davon, dass ein möglicher Beitrag zur Zielerreichung genügt – nicht zu überzeugen vermögen.149 So wird ein zweifelhafter Informationswert geltend gemacht, erschöpfe sich dieser doch darin, die bei einer Kontrolle festgestellten Missstände kundzutun. Derartige Momentaufnahmen ließen aber keine Aussage über die zukünftige Verlässlichkeit des Lebensmittelunternehmers zu.150 Zudem könnten die Verbraucher mit der Information über den Verstoß oftmals nichts anfangen, da sich die Einordnung einzelner Beanstandungen als schwierig erweise.151 Dem ist jedoch, wie ausgeführt,152 entgegenzutreten: Denn die veröffentlichten Informationen setzen den Verbraucher über wiederholte lebensmittelrechtliche Verstöße des Betriebs in Kenntnis und gestatten ihm damit eine Ent144 W. G. Leisner, GewArch 2014, S. 57 (62 f.); F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (41); C. Zott, Informationen, S. 129 ff. Differenzierend S. E. Abbé, Verbraucherschutz, S. 39 ff. Anders aber M. Grube/M. Immel/R. Wallau, Verbraucherinformationsrecht, Teil D, § 1 VIG, Rn. 7 f.; § 3 VIG, Rn. 40, 59; C. Monsees, Behördliches Informationshandeln, S. 56 f.; M. Wiemers, ZLR 2009, S. 413 (421). 145 BVerfGE 148, 40 (52 f., Rn. 33). 146 BVerwGE 166, 233 (247). 147 BVerfGE 116, 202 (224); ferner E 40, 196 (222 f.); E 81, 156 (192); E 115, 276 (308); E 117, 163 (188 f.); E 119, 59 (84); E 121, 317 (354); E 126, 112 (144); E 134, 204 (227, Rn. 79); E 142, 268 (288, Rn. 69); E 145, 20 (78, Rn. 149); E 148, 40 (54, Rn. 37); E 149, 126 (145, Rn. 49); Beschl. v. 30. 6. 2020, 1 BvR 1679/17, 1 BvR 2190/17, Rn. 102. 148 Siehe hierzu nur jüngst BVerfGE 149, 126 (145, Rn. 49). 149 Hierzu und zum Folgenden F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (41 f.). 150 Siehe nur T. Holzner, NVwZ 2010, S. 489 (493); T. Mettke, ZLR 2009, S. 399 (399 f.). Vgl. auch, obgleich unklar in der dogmatischen Einordnung D. Lück/F. Penski, DÖV 2020, S. 506 (515). 151 Vgl. F. Becker, ZLR 2011, S. 391 (410 f.); T. Mettke, ZLR 2009, S. 399 (399 f.). 152 F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (41).
3. Antragsgebundene Verbraucherinformation
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scheidung über den Weiterbesuch. Es ist mitnichten so, dass vergangenen Verstößen kein Aussagegehalt zukomme oder hierin lediglich die Anprangerung begangener Rechtsverstöße liege; vielmehr stellt die lebensmittelrechtliche Unzuverlässigkeit in der Vergangenheit eine für die Konsumentscheidung des Verbrauchers in Gegenwart und Zukunft wesentliche Tatsache dar.153
Nicht übersehen werden darf schließlich die mit einer Pflicht zur substantiellen staatlichen Informationsaufbereitung einhergehende Gefahr, einer zu weit reichenden staatlichen Informationsvorsorge Vorschub zu leisten.154 Die Eignung bezüglich der über die Verbraucherinformation hinausgehenden Ziele, namentlich Verwaltungstransparenz herzustellen und präventiv zu wirken, ist ebenfalls zu bejahen.155 Mit vergleichbarer Argumentation hat auch das Bundesverfassungsgericht die Geeignetheit der aktiven behördlichen Verbraucherinformation gemäß § 40 Abs. 1a LFGB zur Zielerreichung in seinem Beschluss vom 21. 3. 2018 bejaht [zu den dort formulierten Kautelen unten IV. 3. c) ee) (7)]: Nicht nur die Publikation anhaltender, sondern auch die Veröffentlichung bereits beseitigter Verstöße ist zur Zweckerreichung geeignet. Das gilt insbesondere im Hinblick auf den generalpräventiven Zweck der Regelung. Die Publikation behobener Verstöße erhöht die abschreckende Wirkung der Informationsregelung und fördert damit die Einhaltung der einschlägigen Vorschriften. Daneben dient die Veröffentlichung behobener Verstöße auch dem Ziel der Verbraucherinformation, weil auch Informationen über rechtsverletzendes Verhalten in der Vergangenheit für die Konsumentscheidung Bedeutung haben können.156
Nichts anderes gilt für die antragsgebundene Informationserteilung, wie (nicht nur) das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 29. 8. 2019 anerkannt hat.157 dd) Erforderlichkeit Ein Mittel ist dann erforderlich, „wenn dem Normgeber [k]ein gleich wirksames, aber für den Grundrechtsträger weniger und Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belastendes Mittel zur Erreichung des Ziels zur Verfügung steht“.158 Hin-
153
Die Eignung daher ebenfalls bejahend: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 14; R. Beck, ZLR 2009, S. 123 (127). 154 Dazu m.w.N. F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (41 f.). 155 Siehe auch F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (42). 156 BVerfGE 148, 40 (54, Rn. 38). 157 BVerwGE 166, 233 (247). Siehe etwa auch OVG Münster, Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 30 f.; K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (63 f.). 158 BVerfGE 148, 40 (57, Rn. 47); ferner E 25, 1 (18); E 30, 292 (316); E 40, 196 (223); E 68, 193 (218 f.); E 75, 246 (269); E 81, 156 (192); E 116, 202 (225); E 117, 163 (189); E 126, 112 (144 f,); E 145, 20 (80, Rn. 153); E 149, 126 (145, Rn. 50); Beschl. v. 30. 6. 2020, 1 BvR 1679/ 17, 1 BvR 2190/17, Rn. 105; BVerwGE 166, 233 (247).
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IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen
sichtlich der Erforderlichkeit kommt dem Gesetzgeber überdies eine Einschätzungsprärogative zu.159 Anders als teils vertreten, kann das ordnungsrechtliche Instrumentarium nicht als gleich effektives Mittel zur Erreichung der skizzierten Ziele erachtet werden.160 Zu dieser Ansicht habe ich an anderer Stelle im Kontext der auf das VIG gestützten aktiven Verbraucherinformation ausgeführt, dass sie das Anliegen der Verbraucherinformation [verkennt], das sich von dem der lebensmittelund gaststättenrechtlichen Eingriffsbefugnisse unterscheidet: Während das Ordnungsrecht auf die Abwehr von Gefahren für die Gesundheit der Verbraucher zielt, möchte die Verbraucherinformation durch Publizität eine adäquate Basis für Konsumentscheidungen des Verbrauchers schaffen und Verwaltungstransparenz [her]stellen. Hierzu leistet das regelmäßig nicht unter den Augen der Öffentlichkeit zum Einsatz kommende ordnungsrechtliche Instrumentarium keinen Beitrag, weshalb es auch nicht als gleich effektives Mittel angesehen werden kann. Analog hierzu lässt sich der Einwand entkräften, eine Verbraucherinformation sei neben einer Ahndung des Verstoßes als Ordnungswidrigkeit oder Straftat entbehrlich. In Rechnung zu stellen ist zudem die erhöhte Präventionswirkung bei zusätzlicher Öffentlichkeitsinformation. Dass schließlich entsprechende Informationen am Markt verfügbar sind und eine staatliche Informationstätigkeit damit entbehrlich ist, kann nicht angenommen werden.161
Die Erforderlichkeit der aktiven Verbraucherinformation hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. 3. 2018 bejaht.162 Ebenso hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Kontext der antragsgebundenen Verbraucherinformation argumentiert und herausgearbeitet, dass die Sanktionierung als Ordnungswidrigkeit kein gleich effektives Mittel ist: Die Erforderlichkeit der Bestimmung kann auch nicht mit der Erwägung der Revision verneint werden, Bußgelder könnten billigere, aber gleich geeignete Mittel sein und einen generalpräventiven Zweck erfüllen. Dass Bußgelder in der Lage wären, den Verbraucher umfassend zu informieren und für Transparenz zu sorgen, ist nicht im Ansatz erkennbar.163
Wegen der unterschiedlichen Zwecksetzung von aktiver und antragsgebundener Verbraucherinformation scheitert die Erforderlichkeit der Letzteren nicht an der Möglichkeit der Ersteren, zumal diese eine höhere Eingriffsintensität aufweist.164
159
Siehe hierzu nur jüngst BVerfGE 149, 126 (145, Rn. 49). So aber etwa M. Möstl, Informationsinteresse, S. 149 (166). 161 F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (42). 162 BVerfGE 148, 40 (57, Rn. 47). 163 BVerwGE 166, 233 (247 f.). Siehe im Übrigen OVG Münster, Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 30 f.; K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (64). Ablehnend und eine Begründung zur Sicherstellung der Zweckbindung fordernd F. Becker, ZLR 2011, S. 391 (409 f., ferner 412 f.). 164 OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 15. 160
3. Antragsgebundene Verbraucherinformation
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ee) Angemessenheit Die Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i. e.S.) ist einer gesetzgeberischen Regelung dann zu attestieren, wenn „[b]ei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere der Eingriffe und dem Gewicht und der Dringlichkeit der sie rechtfertigenden Gründe […] die gesetzlichen Regelungen […] insgesamt die Grenze der Zumutbarkeit [wahren] und […] die Betroffenen nicht übermäßig [belasten]“.165 Nach einer Entfaltung allgemeiner Konkretisierungen, namentlich der DreiStufen-Lehre und des Bezugspunkts der Prüfung (1), und der dem Gesetzgeber zustehenden Einschätzungsprärogative einschließlich der in ihrem Rahmen erfolgten hohen Gewichtung des Zugangsinteresses durch den Gesetzgeber (2) seien die Eingriffsintensität einerseits (3) sowie das Gewicht und die Dringlichkeit der die Verbraucherinformation tragenden Gründe andererseits (4) bestimmt. Schutzmindernd ist bei der Beurteilung der Angemessenheit das Vorliegen eines öffentlichkeitsrelevanten Rechtsverstoßes zu berücksichtigen (5); in Rechnung zu stellen sind auch die vorhandenen Schutzmechanismen, sowohl im VIG zugunsten des drittbetroffenen Lebensmittelunternehmers als auch in Gestalt zivilrechtlicher Rechtsschutzmöglichkeiten im Kontext einer Informationsweiterverwendung (6). Eine Abwägung auf dieser Basis ergibt, dass die hohe Gewichtung der Verbraucherinformation durch den Gesetzgeber trotz der bestehenden Einwände vertretbar ist (7). (1) Allgemeine Konkretisierungen: Drei-Stufen-Lehre und Bezugspunkt der Prüfung (a) Drei-Stufen-Lehre Für Eingriffe in die Berufsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Apotheken-Urteil vom 11. 6. 1958 die Prüfung der Verhältnismäßigkeit mit der DreiStufen-Lehre ausdifferenziert.166 Diese Sonderdogmatik unterscheidet drei Eingriffsstufen, nämlich Berufsausübungsregeln (erste Stufe), subjektive Berufswahlregelungen (zweite Stufe) und objektive Berufswahlregelungen (dritte Stufe), sieht diese in einem Verhältnis steigender Belastungsintensität für den Grundrechtsträger und stellt dementsprechend steigende Rechtfertigungsanforderungen auf. Nachdem die antragsgebundene Verbraucherinformation die Berufstätigkeit nicht an subjektive oder objektive Zulassungsregeln knüpft, liegt lediglich eine Berufsausübungsregelung vor;167 eine solche muss aufgrund vernünftiger Erwägungen des Gemeinwohls zweckmäßig erscheinen168. 165 BVerfGE 145, 20 (80 f., Rn. 155); ferner E 30, 292 (316 f.); E 68, 193 (219); E 70, 1 (30); E 75, 284 (298); E 81, 70 (92); E 83, 1 (19); E 117, 163 (192 f.); E 121, 317 (355); E 148, 40 (57 f., Rn. 49); E 149, 126 (147, Rn. 54). 166 BVerfGE 7, 377 (402 ff.); ferner E 9, 338 (344); E 13, 97 (104 f.); E 25, 1 (11); E 46, 120 (138); E 82, 209 (228 f.); E 97, 228 (255); E 103, 172 (183); E 138, 261 (285, Rn. 54). 167 Vgl. für die aktive Verbraucherinformation nach dem VIG F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (42).
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IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen
Der Beschluss zur aktiven staatlichen Verbraucherinformation gemäß § 40 Abs. 1a LFGB vom 21. 3. 2018 nimmt auf die – teils kritisch betrachtete169 – DreiStufen-Lehre keinen Bezug, sondern führt eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch.170 Anerkannt ist jedenfalls, dass die Drei-Stufen-Lehre kein starres Schema darstellt, sondern im Einzelfall flexibel zu handhaben ist: Gerade bei Berufsausübungsregelungen zeigt sich eine breite Skala von Möglichkeiten […], der eine größere oder geringere Gestaltungsfreiheit auf der Seite des Gesetzgebers entspricht. Zwar ist er allgemein im Bereich der Ausübungsregelung freier als bei den Zulassungsregelungen. Das grundsätzliche Gebot der Differenzierung […] gilt aber auch innerhalb der Ausübungsregelungen; der Gesetzgeber ist inhaltlich um so freier, je mehr er nur die Berufsausübung trifft, um so stärker gebunden, je mehr zugleich die Berufswahl berührt ist […]. Auch hier sind mithin das Maß der Beschränkung für den Einzelnen und die Notwendigkeit der Regelung zum Schutz der Allgemeinheit sorgfältig abzuwägen. Je einschneidender die Freiheit der Berufsausübung beengt wird, desto höher müssen die Anforderungen an die Dringlichkeit der öffentlichen Interessen sein, die zur Rechtfertigung solcher Beengung ins Feld geführt werden.171
Auch unterhalb der Schwelle berufswahlgleicher Berufsausübungsregelungen172 greifen bei empfindlichen Beeinträchtigungen erhöhte Rechtfertigungsanforderungen.173 Somit sind Berufsausübungsregeln entsprechend ihrem im Einzelfall zu bewertenden Gewicht zu würdigen.174 Schließlich ist zu berücksichtigen: „Je enger der Bezug von Vorschriften zu einem Schutzgut ist, desto eher lassen sich Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit verfassungsrechtlich rechtfertigen. Steht dagegen die grundrechtliche Beschränkung nur in einem entfernten Zusammenhang zum Gemeinschaftsgut, so kann dieses nicht generell Vorrang vor der Berufsausübungsfreiheit beanspruchen“.175 (b) Bezugspunkt der Prüfung Bezugspunkt der Prüfung „der Zumutbarkeit einer wirtschaftsordnenden gesetzlichen Regelung im Bereich der Berufsausübung ist nicht die Interessenlage 168
Siehe nur BVerfGE 7, 377 (405); E 77, 84 (106); E 78, 155 (162); E 97, 228 (255). Siehe die Nachweise bei F. Wollenschläger, Verfassungsrechtliche Grundlagen, § 2, Rn. 55 Fn. 172. 170 BVerfGE 148, 40 (52 ff., Rn. 30 ff.). 171 BVerfGE 11, 30 (42 f.); ferner E 16, 147 (163, 167); E 17, 232 (242); E 25, 1 (12); E 32, 1 (34 f.); E 86, 28 (38 f.); E 103, 1 (10); E 103, 172 (183 f.). 172 Zurückhaltend insoweit für die aktive staatliche Verbraucherinformation nach dem VIG F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (42 f.). 173 BVerfGE 16, 147 (167); ferner E 32, 1 (34 f.); E 17, 269 (276). 174 Siehe dazu auch F. Wollenschläger, Verfassungsrechtliche Grundlagen, § 2, Rn. 64. 175 BVerfGE 107, 186 (197); ferner E 52, 277 (282); (K), NJW 2000, 2736 (2736); (K), NJW 2004, 2890 (2891). Kritisch (im Kontext von Spielräumen) und für die Maßgeblichkeit der Belastungsintensität J. A. Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 12, Rn. 114. 169
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eines Einzelnen […]; vielmehr ist eine generalisierende Betrachtungsweise geboten, die auf den betreffenden Wirtschaftszweig insgesamt abstellt“.176 Folglich rechtfertigt „[d]ie Möglichkeit, dass eine gesetzliche Maßnahme im Einzelfall zur Existenzgefährdung oder sogar zur Existenzvernichtung von Betrieben führen könnte, […] es noch nicht, sie unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit von Verfassungs wegen zu beanstanden“;177 notwendig ist vielmehr, dass das Gesetz „bei einer größeren Betroffenengruppe das Übermaßverbot verletzt“.178 Indes gilt auch, dass „die Ungleichheiten berücksichtig[t werden müssen], die typischerweise innerhalb des Berufes bestehen, dessen Ausübung geregelt wird. Werden durch eine Berufsausübungsregelung, die im ganzen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, innerhalb der betroffenen Berufsgruppe nicht nur einzelne, aus dem Rahmen fallende Sonderfälle, sondern bestimmte, wenn auch zahlenmäßig begrenzte, Gruppen typischer Fälle ohne zureichende sachliche Gründe wesentlich stärker belastet, dann kann Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sein“.179 (2) Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers (a) Allgemeines Bei der Angemessenheitsprüfung kommt dem Gesetzgeber – genauso wie im Übrigen bei der Beurteilung von Eignung und Erforderlichkeit180 – eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Gewichtung der konkurrierenden Belange zu.181 Beim Ausgleich widerstreitender Grundrechtspositionen liegt „[d]ie Einschätzung der für die Konfliktlage maßgeblichen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen […] in [d]er politischen Verantwortung [des Gesetzgebers], ebenso die Vorausschau auf die künftige Entwicklung und die Wirkungen seiner Regelung. Dasselbe gilt für die Bewertung der Interessenlage, das heißt die Gewichtung der einander entgegenstehenden Belange und die Bestimmung ihrer Schutzbedürftig176 BVerfGE 68, 193 (219); ebenso E 70, 1 (30); (K), NVwZ-RR 2013, S. 985 (986) – dort (987) auch zu Substantiierungsanforderungen; ferner E 30, 292 (316): Berufsgruppe; E 101, 331 (354): Berufszweig; E 118, 1 (25 f.) – m. abw. Meinung Gaier (41); Jarass/Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 51; G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12, Rn. 150 f. 177 BVerfG (K), NVwZ-RR 2013, 985 (986); ferner E 68, 193 (220); E 70, 1 (30); E 125, 260 (362). 178 BVerfGE 125, 260 (362). 179 BVerfGE 30, 292 (327); ferner E 33, 171 (188 ff.); E 68, 155 (173); E 77, 84 (113) – bei restriktiver Handhabung. 180 Siehe zu beiden Aspekten nur jüngst BVerfGE 149, 126 (145, Rn. 49). 181 Deutlich BVerfGE 149, 126 (149 f., Rn. 60 f.): „Eine verfassungsrechtlich zwingende Vorgabe zur Gewichtung der teils gegenläufigen, verfassungsrechtlich verankerten Belange ist nicht erkennbar. Die Entscheidung für die Regelung ist vom politischen Spielraum des Gesetzgebers gedeckt“ (Zitat 150, Rn. 61). Siehe ferner E 13, 97 (107, 113); E 77, 84 (112); E 111, 10 (38 f.); E 116, 202 (226 f.); E 142, 268 (286, Rn. 64); OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (96).
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keit“.182 Diesen Gewichtungsspielraum hat auch das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 29. 8. 2019 anerkannt, indem es fragte, ob der Gesetzgeber „eine verfassungsrechtlich vertretbare Bewertung und Abwägung der gegenläufigen Interessen vorgenommen“ hat.183 (b) Hohe Gewichtung des Zugangsinteresses durch den Gesetzgeber Bei der Prüfung ist demnach zu berücksichtigen, dass der VIG-Gesetzgeber der Verbraucherinformation allgemein ein hohes Gewicht beigemessen hat. So leiste nach der Begründung der VIG-Novelle des Jahres 2012 eine Verbesserung der Verbraucherinformationsrechte aber zugleich auch als wesentlicher Baustein einer modernen Verbraucherpolitik einen Beitrag zu einer transparenteren Gestaltung des Marktes und damit zur auch volkswirtschaftlich wünschenswerten Stärkung der Marktfunktion […]. Dies nützt nicht nur den einzelnen Verbrauchern, sondern auch Mitbewerbern, die innovative Produkte mit besseren Qualitätseigenschaften anbieten, sowie der Allgemeinheit [siehe ferner bereits oben, III. 1.].184
Ihre Bedeutung spiegelt sich auch in ihrer Konzeption als voraussetzungsloses Jedermannsrecht: „Es wird ein freier Zugang gewährt, der von keinem besonderen Interesse oder einer Betroffenheit abhängig ist.“185 Über diese generelle Bewertung hinaus ist im vorliegenden Zusammenhang von besonderer Relevanz, dass der Gesetzgeber die Information über Abweichungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG weiter herausgehoben und ihr mittels verschiedener Regelungen Vorrang gegenüber unternehmerischen Interessen eingeräumt hat. Stehen nämlich derartige Informationen infrage, - schließen § 3 Satz 5 Nr. 1 und Satz 6 1. HS VIG eine Berufung auf entgegenstehende Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse aus; - versagt § 3 Satz 6 2. HS VIG eine Berufung auf den Schutz personenbezogener Daten; - ermöglicht § 3 Satz 1 Nr. 1 lit. b VIG eine Information auch „während der Dauer eines Verwaltungsverfahrens, eines Gerichtsverfahrens, eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, eines Disziplinarverfahrens, eines Gnadenverfahrens oder eines ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verfahrens hinsichtlich der Informationen, die Gegenstand des Verfahrens sind“, wobei § 3 Satz 3 VIG eine Einschränkung für Strafverfahren formuliert186 ; 182
BVerfGE 134, 204 (224, Rn. 70); ferner E 77, 84 (112). Siehe auch BVerwGE 166, 233 (248). 184 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 19. 10. 2011, BT-Drs. 17/7374, S. 14. 185 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation vom 22. 5. 2007, BT-Drs. 16/5404, S. 10. 186 Diese Bestimmung lautet: „Im Fall des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b zweiter Halbsatz dürfen Informationen nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 während eines laufenden 183
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- gestattet § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG ein Absehen von der Anhörung [zur restriktiven Auslegung durch das Bundesverwaltungsgericht unten, IV. 3. c) ee) (6) (a)]; - schließt § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen aus. Die Gesetzesbegründung zur VIG-Novelle des Jahres 2012 bekräftigt diese Weichenstellung: Die unter dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung definierten Ausnahmen vom Geheimnisschutz [namentlich im Fall von Abweichungen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG] stellen ein wesentliches Kernstück des Gesetzentwurfes dar, das mit der für bestimmte besonders bedeutsame Informationen in § 5 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 geregelten Ausnahme vom Anhörungserfordernis und der der in § 5 Absatz 4 normierten sofortigen Vollziehbarkeit in Kohärenz steht.187
Schließlich stellt auch die weite Verbreitung der Information ein Anliegen des Gesetzgebers dar, sind nach dessen Auffassung „die Rechtfertigung und der Erfolg von Informationszugangsgesetzen [auch] von ihrer quantitativen Inanspruchnahme durch die Bürgerinnen und Bürger abhängig“.188 Wird der Verbraucher als Sachwalter der Allgemeinheit tätig,189 so ist die Weiterverwendung der Informationen im VIG angelegt.190 Dementsprechend betont die Rechtsprechung: „Eine kampagnenartige Weiterverwendung der Information ist im Verbraucherinformationsgesetz gerade angelegt und entspricht dessen Zielsetzung.“191 (3) Eingriffsintensität Zur Bestimmung der Eingriffsintensität sind die Eingriffsfolgen umfassend in den Blick zu nehmen (a). Die (mögliche) Internet-Publizität begründet eine hohe Belastungsintensität (b), wobei die Veröffentlichung auf einer privaten Plattform strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens oder eines Verfahrens vor einem Strafgericht nur 1. soweit und solange hierdurch der mit dem Verfahren verfolgte Untersuchungszweck nicht gefährdet wird und 2. im Benehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft oder dem zuständigen Gericht herausgegeben werden.“ 187 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 19. 10. 2011, BT-Drs. 17/7374, S. 17; ferner S. 18. 188 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 19. 10. 2011, BT-Drs. 17/7374, S. 14. 189 So BVerwGE 166, 233 (235, 237); BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 17; OVG Lüneburg, BeckRS 2020, 171, Rn. 14; ferner Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 19. 10. 2011, BT-Drs. 17/ 7374, S. 14. 190 OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 16, 26; VGH Kassel, BeckRS 2020, 27638, Rn. 19; VGH Mannheim, BeckRS 2019, 33951, Rn. 29. 191 BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 18. Ebenso BeckRS 2020, 20595, Rn. 27; OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789, Rn. 33; VG Würzburg, BeckRS 2020, 25105, Rn. 42; F. Kraft/ P.-G. Elsing, ZLR 2020, S. 118 (121). Anders V. Kluge, ZLR 2019, S. 518 (527); D. Lück/ F. Penski, DÖV 2020, S. 506 (514 f.).
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quantitativ und vor allem qualitativ als weniger gravierend als eine umfassende amtliche Publikumsinformation zu qualifizieren ist (c). (a) Eingriffsfolgen Die tatsächliche Auswirkung der Informationserteilung nach dem VIG auf die unternehmerische Betätigung des betroffenen Unternehmens hängt von der Weiterverwendung der Informationen im Einzelfall ab. Sie kann sich nicht auswirken, sie kann individuelle Konsumentscheidungen in beschränktem Umfang beeinflussen, sie kann aber auch bei einer öffentlichkeitswirksamen Weiterverbreitung erhebliche Auswirkungen haben. Dies ist der Behörde regelmäßig unbekannt, da die Motivation des Antragstellers nicht offenzulegen ist (siehe § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VIG) und die Informationserteilung im Übrigen (auch nach der gesetzlichen Regelung) ohne Zweckbindung erfolgt.192 Eine adäquate Bestimmung der Eingriffsintensität – sowohl mit Blick auf die (abstrakt zu prüfende) gesetzliche Regelung als auch auf die behördliche Informationserteilung im Einzelfall – muss daher die (typischen) Folgen der Informationserteilung umfassend und damit auch die potentiell weit reichende Publizität wie die Möglichkeit einer Informationsverbreitung über das Internet einschließlich Internet-Plattformen in den Blick nehmen, wie im Kontext der Prüfung der Eingriffsqualität bereits ausgeführt und analog hierzu [siehe oben, IV. 3. b) bb) (3)]. Vorliegend kommt hinzu, dass die Untersuchung spezifisch auf eine Beantragung zur späteren Veröffentlichung auf der Plattform Topf Secret zielt. (b) Belastungsintensität einer Internet-Veröffentlichung Bereits die Weitergabe und Veröffentlichung der Information als solche ist als eingriffsintensiv zu beurteilen, werden doch Rechtsverstöße im Rahmen der Berufstätigkeit publik, die bis hin zu ordnungswidrigkeiten- und strafrechtlich relevanten Handlungen reichen können.193 Auch besteht die Gefahr negativer ökonomischer Konsequenzen.194 Hinzu kommt, dass besonders die (potentielle) Internet192
Diese Unsicherheit betonend VG Karlsruhe, BeckRS 2019, 27103, Rn. 41. F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (43). Dies relativierend OVG BerlinBrandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 26; R. Neubauer/J. Dyllick, LKV 2020, S. 237 (238). 194 BVerwGE 166, 233 (247); F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (43). Dies relativierend OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 26; VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (122): „Schließlich ist auch nicht zu erkennen, dass das Bekanntwerden der hier in Rede stehenden Informationen zu unzumutbaren Nachteilen für die Antragstellerin führen könnte. Eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz ist nicht ersichtlich und von der Antragstellerin auch nicht behauptet worden. Es drohen auch keine schwerwiegenden Folgen, wie die Antragstellerin unsubstantiiert behauptet. Denn gravierende Verschiebungen der Marktchancen im Wettbewerb sind nicht zu erwarten. Insoweit sind monokausale Erklärungsmuster ohnehin nicht angebracht, da der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens am Markt von vielen Faktoren abhängt (dazu VG Weimar, Beschl. v. 25. 5. 2019 – 8 E 423/19 – juris Rn. 10). In einem solchen Gesamtzusammenhang erscheinen die 193
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Publizität als besonders belastend zu qualifizieren ist.195 Für die aktive behördliche Verbraucherinformation hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. 3. 2018 herausgearbeitet: Die mit der Information der Öffentlichkeit einhergehende Beeinträchtigung der betroffenen Unternehmen kann von großem Gewicht sein. Je nach technischer Ausgestaltung können die Informationen insbesondere durch die Veröffentlichung im Internet sehr weite Verbreitung finden […]. Diese weithin einsehbare und leicht zugängliche Veröffentlichung von teilweise nicht endgültig festgestellten, teilweise bereits behobenen Rechtsverstößen kann zu einem erheblichen Verlust des Ansehens des Unternehmens und zu Umsatzeinbußen führen, was im Einzelfall bis hin zur Existenzvernichtung reichen kann. Zwar wird ein betroffenes Unternehmen seinerseits öffentlichkeitsgerichtete Maßnahmen ergreifen können, um dem Ansehensverlust entgegenzuwirken. Dass und in welchem Umfang dies gelingt, ist jedoch nicht gewiss.196
Eine Anprangerung ist mit dem VGH Mannheim indes zu verneinen.197 Informationen zu den beiden fraglichen Kontrollen von nachgeordneter Bedeutung und – wie die Antragstellerin selbst betont – von geringem Gewicht: Die bei der Betriebskontrolle am 21. 7. 2017 festgestellten Hygienemängel sind aus der Sicht des mündigen Verbrauchers wenig aufsehenerregend (und schon gar nicht skandalträchtig), zudem sind sie – worauf auch die Antragstellerin hinweist – längst behoben, und die Informationen sind mehr als zwei Jahre alt; bei der Kontrolle am 5. 7. 2018 wird ,kein Verstoß‘ registriert. Würden diese – wenig spektakulären – Informationen über ,TopfSecret‘ öffentlich gemacht, wäre eine Verschiebung der Marktchancen mit möglichen Absatzeinbußen allein auf Grund dieser Verbraucherinformation bei realistischer Betrachtungsweise nicht zu erwarten (zu einem ähnlichen Fall VG Düsseldorf, Beschl. v. 7. 6. 2019 – 29 L 1226/19 – juris Rn. 87)“; R. Neubauer/J. Dyllick, LKV 2020, S. 237 (238). 195 Näher F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (43 f.); ferner ders., AöR 135 (2010), S. 363 (394 f.); C. Zott, Informationen, S. 239 ff. 196 BVerfGE 148, 40 (53, Rn. 34). Siehe zur besonderen Eingriffsintensität einer InternetVeröffentlichung F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (43 f.). Vgl. auch OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (100); W. G. Leisner, GewArch 2014, S. 57 (61 f.); aber auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 26; VG Weimar, Beschl. v. 23. 5. 2019, 8 E 423/19, juris, Rn. 10. 197 Vgl. VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (121): „Ausnahmsweise kann die Offenbarung wahrer Tatsachen unzulässig sein. Das betrifft insbesondere die ,Prangerwirkung‘ einer öffentlichen Äußerung. Eine ,Anprangerung‘ im Rechtssinne kann allerdings nur unter strengen Voraussetzungen angenommen werden. Am Beispiel des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verlangt die Verfassungsrechtsprechung für die Bejahung einer Anprangerung, dass die öffentliche Äußerung zu einem bestimmten Verhalten einer Person ,ein schwerwiegendes Unwerturteil des Durchschnittspublikums oder wesentlicher Teile desselben nach sich ziehen könnte‘ (BVerfG-K, Beschl. v. 18. 2. 2010 – 1 BvR 2477/08 – NJW 2010, 1587 Rn. 26). Für die Unternehmensrechte gemäß Art. 12 Abs. 1 GG und gegebenenfalls Art. 2 Abs. 1 GG gelten gewiss keine weniger strengen Anforderungen. Überträgt man jene Grundsätze auf den vorliegenden Fall, könnte bei einer Veröffentlichung der fraglichen Informationen des Antragsgegners von einer ,Prangerwirkung‘ keine Rede sein. Die Publikation von Hygienemängeln in Verbindung sowohl mit der rechtlichen Einordnung als auch mit der Information zur Behebung der Rechtsverstöße wäre weit von einer ,Anprangerung‘ entfernt. Hinzu kommt, dass es im vorliegenden Zusammenhang nicht um Eindrücke und Beurteilungen eines Durchschnittspublikums geht. Dem Verbraucherinformationsrecht liegt vielmehr
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(c) Unterschiede aktive Publikumsinformation und antragsgebundene Informationserteilung Vorliegend ist freilich – ungeachtet der Streubreite einer Internet-Veröffentlichung – zu berücksichtigen, dass die Weiterverwendung der Information, anders als die Informationserteilung an den Antragsteller, nicht durch den Staat, sondern durch Private und damit nicht in Ausübung von Amtsautorität erfolgt. Auch wenn diese Handlungen Privater mangels Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs nicht ausgeblendet werden können [siehe oben, IV. 3. b) bb) (3) (c)], so ist mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (aa) doch von einer – im Vergleich zur amtlicher Publikumsinformation – geringeren Eingriffsintensität der antragsgebundenen Informationserteilung auch bei späterer Veröffentlichung auf privaten Plattformen wie Topf Secret auszugehen (bb). Schließlich sei die im Schrifttum herausgearbeitete Eingriffsschärfung qua staatlichem Steuerungsverlust nach Informationserteilung behandelt (cc). (aa) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts In seinem Urteil vom 29. 8. 2019 hat das Bundesverwaltungsgericht die quantitativ und qualitativ mindere Eingriffsintensität privater im Vergleich zu amtlicher Publikumsinformation herausgearbeitet: Zwischen beiden Arten der Information bestehen allerdings große Unterschiede, die es ausschließen, die dargestellte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts [GlykolEntscheidung und Entscheidung vom 21. 3. 2018] ohne Weiteres auf die antragsgebundene Informationsgewährung zu übertragen. Wie der Senat in seinem Beschluss vom 15. Juni 2015 – 7 B 22.14 – (Buchholz 404.1 VIG Nr. 1 Rn. 12) ausgeführt hat, verschafft das aktive Informationsverhalten des Staates an alle Marktteilnehmer den übermittelten Informationen breite Beachtung und gesteigerte Wirkkraft auf das wettbewerbliche Verhalten der Marktteilnehmer. Die Auswirkungen einer antragsgebundenen Informationsgewährung auf das Wettbewerbsgeschehen bleiben dahinter qualitativ und quantitativ weit zurück.198 das ,Leitbild des mündigen Verbrauchers‘ zu Grunde (BT-Drs. 16/5404, S. 7). Davon ist bereits auszugehen, wenn einem VIG-Antragsteller bei der Behörde vorhandene Informationen ,ungefiltert‘ zugänglich gemacht werden (BVerfG-K, Beschl. v. 18. 2. 2010 – 1 BvR 2477/08 – NJW 2010, 1587 Rn. 10). Für die an Verbraucher gerichtete Publikumsinformation gilt nichts anderes. Aus deren Wahrnehmung wäre die Annahme einer ,Prangerwirkung‘ durch die Veröffentlichung der hier fraglichen Kontrollberichte ziemlich fernliegend.“ 198 BVerwGE 166, 233 (246 f.); ferner BayVGH, BeckRS 2015, 48743, Rn. 11; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 17; Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 25.19, Umdruck, S. 8 f.; OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789, Rn. 32; BeckRS 2021, 7074, Rn. 47; OVG Lüneburg, BeckRS 2020, 171, Rn. 15; OVG Münster, LMuR 2014, S. 175 (186 f.); VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (118 f.); BeckRS 2019, 33951, Rn. 15; VG Augsburg, BeckRS 2019, 12743, Rn. 26, 28; VG Freiburg, BeckRS 2019, 19973, Rn. 22; VG Karlsruhe, BeckRS 2019, 27103, Rn. 34 ff.; VG Weimar, Beschl. v. 23. 5. 2019, 8 E 423/19, juris, Rn. 20 ff., 27; VG Würzburg, BeckRS 2020, 25105, Rn. 39, 42; BeckRS 2021, 654, Rn. 57. Vgl. auch C. Halder/B. Metzl, jurisPR-ITR 5/2020 Anm. 5, C.; M. Möstl, LMuR 2015, S. 185 (189); F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (47). Zustimmend T. Beyerlein,
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Die in Bezug genommene Entscheidung führt weiter erläuternd aus: Zwischen beiden Arten der Informationsgewährung bestehen gravierende Unterschiede, die es ausschließen, die dargestellte Rechtsprechung des BVerfG [Glykol-Entscheidung] auf die antragsgebundene Informationsgewährung zu übertragen. Mit aktivem Informationshandeln wendet sich der Staat nicht an einen einzelnen zuvor selbst initiativ gewordenen Anspruchsteller, sondern an alle Marktteilnehmer und wirkt so unter Inanspruchnahme amtlicher Autorität direkt auf den öffentlichen Kommunikationsprozess ein. Das verschafft den übermittelten Informationen breite Beachtung und gesteigerte Wirkkraft auf das wettbewerbliche Verhalten der Marktteilnehmer. Die Auswirkungen einer antragsgebundenen Informationsgewährung auf das Wettbewerbsgeschehen bleiben dahinter qualitativ und quantitativ weit zurück. Eine Breitenwirkung vermögen sie nur vermittelt durch Veröffentlichungen Privater zu erzielen, denen nicht die Autorität staatlicher Publikation eigen ist und gegen die sich die betroffenen Unternehmen bei sorgfaltswidriger Verbreitung, namentlich im Falle sachlicher Unrichtigkeit, zivilrechtlich zur Wehr setzen können.199
(bb) Bewertung Hinsichtlich der angesprochenen quantitativen Unterschiede ist zu berücksichtigen, dass die vom Bundesverfassungsgericht für besonders eingriffsintensiv erachtete Internet-Publizität bei entsprechender Weiterverwendung auch im Rahmen der antragsgebundenen Informationserteilung eintreten kann.200 Im Vergleich zur aktiven staatlichen Verbraucherinformation bestehen freilich zwei Unterschiede. Zum einen erfolgt keine generelle und flächendeckende Veröffentlichung der Kontrollergebnisse, da ein Antrag auf Informationserteilung im Einzelfall erforderlich ist.201 Zum anderen zieht die Informationserteilung keine Veröffentlichung zwingend nach sich, vielmehr muss der erfolgreiche Antragssteller die Informationen in weiteren Schritten zunächst zumeist scannen, sodann hochladen und vor der Freigabe ein Schwärzungs-Tool zum Entfernen personenbezogener Daten bedienen. ZLR 2020, S. 74 (77); F. Kraft/P.-G. Elsing, ZLR 2020, S. 118 (121 f.). Partiell zustimmend M. Rossi, JZ 2020, S. 573 (577). Offen gelassen im Eilverfahren dagegen OVG Koblenz, LMuR 2020, S. 90 (91). Anders VG Ansbach, BeckRS 2019, 15084, Rn. 27 ff.; F. Becker, ZLR 2019, S. 877 (881 ff.) – gleiche Grundsätze für anwendbar erachtend; ders., Gutachten, S. 27 ff.; K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (64 ff.); ders., Gutachten, S. 16 ff.; W. G. Leisner, GewArch 2014, S. 57 (58 ff.); D. Lück/F. Penski, DÖV 2020, S. 506 (514 f.). 199 BVerwG, NVwZ 2015, S. 1297 (1298). Siehe auch BayVGH, BeckRS 2020, 20595, Rn. 27; OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (95, 100); Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 69. Vgl. ferner zur besonderen Autorität einer staatlichen Publikumsinformation BVerfGE 95, 173 (184): „Die Tabak-Kennzeichnungsverordnung bedient sich bei ihren Warnhinweisen auch der Autorität des Staates und beansprucht damit ein besonderes, rechtlich vermitteltes Vertrauen.“ 200 Dies betonend VG Ansbach, BeckRS 2019, 15084, Rn. 29; F. Becker, Gutachten, S. 34 f.; K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (64); ders., Gutachten, S. 17; D. Lück/F. Penski, DÖV 2020, S. 506 (514); M. Rossi, JZ 2020, S. 573 (576 f.): „Vor diesem Hintergrund [der InternetVeröffentlichung im Kontext von TopfSecret] schwindet zumindest schon einmal der quantitative Unterschied zwischen einer aktiven staatlichen Unterrichtung und einer antragsabhängigen Informationsgewährung.“ 201 Siehe auch OVG Münster, Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 69.
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Die beiden Qualifikationen ändern freilich nichts daran, dass – gerade auch bezogen auf entsprechende Einzelfälle – eine Internet-Publizität wie bei der aktiven staatlichen Verbraucherinformation entstehen kann. Der qualitative Unterschied liegt freilich vor: „eine solche Publikation [kann] erkennbar keine staatliche Autorität in Anspruch nehmen […]. Die Plattform veröffentlicht lediglich durch private Dritte zur Verfügung gestellte von der öffentlichen Verwaltung ausgestellte Dokumente; dadurch wird sie nicht selbst zu einer staatlichen Veröffentlichungsplattform. Dass die Anträge auf Information über die Webseite ,Frag den Staat‘ erfolgen, erweckt auch nicht den Eindruck, ,TopfSecret‘ sei eine staatliche Veröffentlichungsplattform.“202 Auch gilt nach dem OVG BerlinBrandenburg, „dass anders als bei amtlichen Veröffentlichungen einer Behörde […] bei privaten Veröffentlichungen auf Internetplattformen erwartet werden kann, dass alte Einträge als weniger relevant wahrgenommen werden“.203 Und der VGH Mannheim führt aus: „Auch insoweit besteht rechtlich ein kategorialer (und nicht nur ein gradueller) Unterschied: Mit dem aktiven Informationshandeln wirkt der Staat unter Inanspruchnahme amtlicher Autorität direkt auf den öffentlichen Kommunikationsprozess ein; die Auswirkungen einer antragsgebundenen Informationsgewährung auf das Wettbewerbsgeschehen bleiben dahinter qualitativ und quantitativ weit zurück, einer anschließend erfolgenden Veröffentlichung Privater mit einer gewissen Breitenwirkung fehlt die Autorität einer staatlichen Publikation“.204 Hinzu kommt, dass die Veröffentlichung durch Private zivilrechtlichen und zivilgerichtlich durchsetzbaren Schranken unterliegt, also einem der Informationserteilung nachgelagerten Kontrollregime. Dass eine Weiterveröffentlichung amtlicher Informationen durch Private nicht mit einer amtlichen Veröffentlichung derselben Informationen gleichgesetzt werden kann, hat im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. 3. 2018 zur aktiven staatlichen Verbraucherinformation anklingen lassen. Im Kontext der zeitlichen Begrenzung hat es nämlich ausgeführt: Dem steht nicht entgegen, dass eine zeitliche Begrenzung im Fall der Verbreitung im Internet nicht vollständig realisiert werden könnte. Auf der Internetseite der veröffentlichenden Behörde kann der Inhalt der Veröffentlichung im Unterschied zu einer gedruckten Veröffentlichung nachträglich mit Hinweisen versehen, gelöscht oder auf sonstige Weise modifiziert werden. Soweit darüber hinaus eine zeitlich kaum begrenzte Zugriffsmöglichkeit vermittels des sogenannten „Caches“ einer Suchmaschine oder sonstiger Archive besteht, lässt sich immerhin aus der äußeren Gestaltung ersehen, dass es sich nicht mehr um 202 BayVGH, BeckRS 2020, 20595, Rn. 27. Siehe auch OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (96 f.); VG Freiburg, BeckRS 2019, 19973, Rn. 22. Vgl. aber auch F. Becker, ZLR 2019, S. 877 (881, 882); ders., Gutachten, S. 28 ff.; V. Kluge, ZLR 2019, S. 518 (526). 203 OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 17. 204 VGH Mannheim, BeckRS 2019, 33951, Rn. 15. Siehe auch VG Freiburg, BeckRS 2019, 19973, Rn. 22; VG Karlsruhe, BeckRS 2019, 27103, Rn. 38; VG Mainz, Beschl. v. 5. 4. 2019, 1 L 103/19.MZ, juris, Rn. 15. Diese Ansätze ablehnend K. F. Gärditz, Gutachten, S. 25 ff.; ferner F. Becker, Gutachten, S. 34.
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eine aktuelle und offizielle Information durch die Behörde handelt. Eine Zusammenstellung früherer Bekanntmachungen durch Dritte wäre im Übrigen auch im Fall einer gedruckten Veröffentlichung nicht auszuschließen und unterliegt eigenen Rechtmäßigkeitsanforderungen.205
Diese Unterscheidung mag man auch in der gesetzlichen Differenzierung zwischen antragsgebundener und aktiver behördlicher Information reflektiert sehen;206 einen wirkungsbezogenen Ansatz vermag dies freilich nicht zu ersetzen. Schließlich erachtet es im Schrifttum auch Markus Möstl als [e]ntscheidend für eine zweckgerecht differenzierte dogmatische Systembildung […], dass (anders als durch die Glykol-Entscheidung des BVerfG nahegelegt) klar zwischen solchem Informationshandeln, das allein unspezifisch einer besseren Marktransparenz dient (Bsp. VIG), und solchem, mit dem gezielt Lenkungszwecke verfolgt werden (Bsp. § 40 LFGB), unterschieden wird. Dass es notwendig ist, diese beiden Grundtypen auseinander zu halten und dass für sie unterschiedliche Anforderungen gelten, macht exemplarisch das vom BVerfG aufgestellte Erfordernis der Richtigkeit und Sachlichkeit der Information deutlich, das – genau besehen und entgegen dem BVerfG – gerade nicht über einen Kamm geschert werden darf.207
Relativierend mit Blick auf Topf Secret hat Möstl indes später die Frage aufgeworfen, „inwieweit [das VIG] zum Massenverfahren taugt und als Massenverfahren vielleicht auch grundrechtlich neu bewertet werden müsste.“208 Eine Besonderheit in der vorliegenden Konstellation besteht freilich darin, dass es sich nicht, wie etwa im Falle von Restaurantführern oder Produktbewertungsplattformen, um Informationen auf der Basis von Einschätzungen Privater handelt, sondern bedeutsamer Bestandteil der Information die als solche nach außen kommunizierte amtliche Information ist, wird die behördliche Mitteilung doch weiterverwendet und bei Topf Secret im Original veröffentlicht.209 Dies ist in Rechnung zu stellen, ändert aber nichts daran, dass die Plattform eine private ist, womit eine Gleichstellung mit der aktiven staatlichen Publikumsinformation ausscheidet.210 Mit Blick auf die Qualität der privaten Informationsweiterverwendung sei ferner vermerkt, dass sich diese als Grundrechtsausübung darstellt. Dies vermag zwar keine grundrechtswidrige Informationserteilung zu rechtfertigen, ist aber bei einer um205
BVerfGE 148, 40 (62, Rn. 59). VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (118 f.). 207 M. Möstl, LMuR 2015, S. 185 (189). 208 M. Möstl, ZLR 2019, S. 343 (356 f.). Bei M. Möstl, LMuR 2015, S. 185 (190), heißt es freilich auch: „Nicht jedoch würde man eine solch volle Publizität [d. h. eine aktive behördliche Publikation aller (positiven und negativen) Ergebnisse] jedoch wohl dem Bereich der lenkenden Informationen mit ihren besonderen Anforderungen zurechnen dürfen“ (190). 209 Vgl. auch F. Becker, Gutachten, S. 28 ff.; K. F. Gärditz, Gutachten, S. 21, 25 f.; W. G. Leisner, GewArch 2014, S. 57 (58, 59). 210 Strenger, da auch insoweit staatliches Vertrauen in Anspruch genommen wird VG Ansbach, BeckRS 2019, 15084, Rn. 29; K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (66); D. Lück/ F. Penski, DÖV 2020, S. 506 (514). 206
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fassenden Folgenbetrachtung im Blick zu behalten. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 29. 8. 2019 „eine solche Öffentlichkeitsarbeit, solange sie mit Mitteln des geistigen Meinungskampfes erfolgt und nicht auf der Grundlage falscher, verfälschter oder sonst wie manipulierter Informationen geführt wird, mit Rücksicht auf die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG“ für „grundsätzlich zulässig“ erklärt.211 Zu berücksichtigen ist freilich, dass reine Tatsachenäußerungen nicht von der Meinungsfreiheit geschützt werden, so dass man argumentieren könnte, die schlichte Publikation behördlicher Schreiben falle nicht unter Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Eine derartige Betrachtung verkürzt freilich das Geschehen, was auch das Schrifttum herausgearbeitet hat. So sind auch Informationen, die Voraussetzungen für die Bildung von Meinungen sind, nach Ansicht des BVerfG ebenfalls von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. So führt das BVerfG aus: „Konstitutiv für die Bestimmung dessen, was als Äußerung einer ,Meinung‘ vom Schutz des Grundrechts umfasst wird, ist mithin das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung […]. Die Mitteilung einer Tatsache ist im strengen Sinne keine Äußerung einer ,Meinung‘, weil ihr jenes Element fehlt. Durch das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit geschützt ist sie, weil und soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen ist, welche Art. 5 Abs. 1 GG in seiner Gesamtheit gewährleistet.“ (BVerfG, Beschl. v. 22. 06. 1982 – 1 BvR 1376/79 Rn. 15). Sofern in der Verbreitung der „Hygieneberichte“ lediglich eine Tatsache gesehen wird, so kann daher dennoch durch ihre Präsentation im Rahmen von „Topf Secret“ eine wertende Stellungnahme gesehen werden, was zu einer Meinungsäußerung führt (vgl. Degenhart in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 113).212
(cc) Eingriffsschärfung qua staatlichem Steuerungsverlust nach Informationserteilung? Stimmen im Schrifttum erachten es als eingriffsschärfend und auch insgesamt defizitär, dass der Staat die Kontrolle über die Informationsverwendung nach Informationserteilung verliert. So sei nach Matthias Rossi zu berücksichtigen, dass der Staat bei seinem eigenen aktiven Informationshandeln das Heft in der Hand behält: Er kann die Information jederzeit korrigieren, modifizieren und vor allem auch wieder aufheben und dabei auf dieselbe Aufmerksamkeit vertrauen wie bei ihrer Verkündung. Demgegenüber hat er keinen bzw. kaum Einfluss darauf, wie Private mit von ihnen öffentlich bereitgestellten Informationen umgehen, die sie selbst auf der Grundlage des VIG erhalten haben. Die gesetzlichen Vorkehrungen zum Schutz vor unzumutbaren Folgen greifen nicht bzw. nicht ausreichend. Die in § 6 Abs. 3 Satz 2 VIG normierte Pflicht, auf Zweifel an der Richtigkeit der Informationen hinzuweisen, trifft nur die informationspflichtige Stelle, nicht den Informationsempfänger. Und auch die in § 6 Abs. 4 Satz 2 VIG verankerte Pflicht zur unverzüglichen Richtigstellung ist nicht an Private adressiert, die erlangte Informationen ihrerseits publik machen. Der Staat verliert mit der individuellen 211
BVerwGE 166, 233 (238). C. Halder/B. Metzl, jurisPR-ITR 5/2020 Anm. 5, C. Ebenso K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (66); R. Metz, VuR 2020, S. 188 (189). Siehe auch BVerfG (K), NJW 2016, S. 3362 (3362). 212
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Preisgabe also die Kontrolle über die Informationen, und dieser Kontrollverlust ist bei dem qualitativen Vergleich zwischen aktivem staatlichen Informationshandeln und antragsabhängiger Informationsgewährung durchaus zu berücksichtigen. Denn zentrales Argument und zugleich wesentliche Bedingung für die grundsätzliche Vereinbarkeit staatlichen Informationshandelns mit Art. 12 Abs. 1 GG ist die zeitliche Befristung: „Individualisierte amtliche Informationen über konsumrelevante Rechtsverstöße im Internet sind […] regelmäßig durch Gesetz zeitlich zu begrenzen.“213
Ähnlich heißt es bei Florian Becker: Letztlich ist die Wirkung der durch die Behörde bedingungslos an den privaten Antragsteller herausgegebenen Information sogar noch nachhaltiger als die der staatlich veröffentlichten: Während der Staat den o. a. Sorgfaltspflichten unterliegt, die Information sachlich richtig, vollständig und ggfs. mit einem die Abhilfe darlegenden Hinweis publizieren und sie sogar nach einiger Zeit löschen muss, soll dies alles für den Privaten nicht gelten.214
Das Fazit bei Klaus Ferdinand Gärditz lautet: Insgesamt führt daher die fehlende Differenziertheit und die instrumentelle Armut des VIG, das nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens über Ansprüche nach § 2 VIG keine Möglichkeiten einer Nachsteuerung und grundrechtsschützenden Informationsbeherrschung kennt, zu einer sehr hohen Eingriffsintensität, wenn eine einzelnen Personen antragsabhängig gewährte Verbraucherinformation erkennbar öffentlichkeitswirksam im Rahmen einer Kampagne ins Internet eingestellt wird. Grundrechtliche Sicherungen, die die willkürliche Informationsmacht Privater einhegen und der Mitverantwortung für mittelbare Grundrechtseingriffe gerecht werden könnten, fehlen im VIG vollständig. Schon hieraus folgt die Unverhältnismäßigkeit einer Informationsübermittlung.215
Eingriffserhöhend wirke auch die fehlende Aktualisierungspflicht.216 Unabhängig davon, ob man die vorstehend geltend gemachten Aspekte einer reduzierten staatlichen Richtigkeitsverantwortung und, damit einhergehend, eines defizitären Schutzes bereits als Eingriffsschärfung qualifiziert oder erst im Rahmen der Abwägung für beachtlich erachtet, vermögen sie, wie noch näher auszuführen sein wird [siehe unten, IV. 3. c) ee) (7) (b)], angesichts greifender Schutzmechanismen [siehe unten, IV. 3. c) ee) (6)] im Ergebnis nicht durchzuschlagen. So bestehen zum einen Mechanismen der Richtigkeitsgewähr einschließlich einer fortbestehenden staatlichen Richtigkeitsverantwortung (§ 6 Abs. 4 VIG); zum anderen unterliegt der private Informationsempfänger Schranken bei der Informationsverwendung, die auch zivilgerichtlich durchsetzbar sind.217
213
M. Rossi, JZ 2020, S. 573 (577). F. Becker, ZLR 2019, S. 877 (881; ferner 882). Siehe ferner K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (65). 215 K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (65 f.); ferner K. F. Gärditz, Gutachten, S. 22 ff. 216 K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (65). 217 Ebenfalls auf zivilrechtliche Rechtsschutzmöglichkeiten verweisend BVerwG, NVwZ 2015, S. 1297 (1298). 214
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(4) Hohes Gewicht und Dringlichkeit der Anliegen der Verbraucherinformation Gewicht und Dringlichkeit der Verbraucherinformation sind mit Blick auf ihre Anliegen als hoch einzustufen, die Erteilung der Verbraucherinformation verfolgt öffentliche Interessen von überragendem Gewicht.218 Bereits im Glykol-Beschluss vom 26. 6. 2002 hat das Bundesverfassungsgericht die hohe Bedeutung der Verbraucherinformation für die Marktteilhabe der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie für die Funktionsfähigkeit des Marktes herausgearbeitet: Grundlage der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs ist ein möglichst hohes Maß an Informationen der Marktteilnehmer über marktrelevante Faktoren. Erst die Informiertheit der Marktteilnehmer ermöglicht eine an den eigenen Interessen orientierte Entscheidung über die Bedingungen der Marktteilhabe, insbesondere über das Angebot von oder die Nachfrage nach Gütern und Leistungen. Die Verfügbarkeit entsprechender Informationen dient mittelbar auch der Qualität und Vielfalt der am Markt angebotenen Produkte. Fehlen beispielsweise den Verbrauchern entscheidungserhebliche Informationen, können sie nicht hinreichend beurteilen, ob das Angebot für sie bedarfsgerecht ist. Ein informiertes Handeln der Verbraucher wirkt auch auf die Leistungserbringer zurück, die sich infolgedessen auf den Bedarf der Konsumenten einstellen können. Defizite in der Verfügbarkeit entscheidungserheblicher Informationsinhalte bedrohen demnach die Selbststeuerungskraft des Marktes. Allerdings garantiert der Markt als Einrichtung nicht, dass stets ein bestimmter oder gar ein hoher Informationsstand besteht. Die am Markt verfügbaren Informationen sind häufig nicht vollständig. Informationen werden vielfach in selektiver Weise verbreitet. Auch haben nicht alle am Markt verfügbaren Informationen gleich gute Voraussetzungen, um von ihren Adressaten aufgenommen und folgenreich verarbeitet zu werden. Es fördert die Funktionsweise des Marktes, wenn in solchen Situationen durch zusätzliche, gegebenenfalls auch staatliche Informationen Gegengewichte gesetzt werden oder wenn die überlegene Informationsmacht einzelner Marktteilnehmer ausgeglichen wird.219
In seinem Beschluss zur aktiven staatlichen Verbraucherinformation vom 21. 3. 2018 hat das Bundesverfassungsgericht das unterschiedliche Gewicht der einzelnen Ziele der Verbraucherinformation (zu diesen auch oben, III. 1.) herausgearbeitet: Die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele sind legitim, aber von unterschiedlichem Gewicht. Sofern die Einhaltung solcher Vorschriften gefördert werden soll, die dem Schutz vor Gesundheitsgefahren dienen, hat dies größeres Gewicht (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) als etwa die bloße Verbraucherinformation über (behobene) Hygienemängel. Allerdings besitzen auch der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Täuschung und das Ziel, deren Wissensgrundlage für eigenverantwortliche Entscheidungen zu verbessern, verfassungs-
218
F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (44); ferner D. Kugele, Schutz, S. 102 (112). Vgl. allg. zur Gewichtung auch M. Rossi, Informationszugangsfreiheit, S. 168 ff. und insb. S. 171. 219 BVerfGE 105, 252 (266 f.).
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rechtliche Bedeutung. Dies stärkt jedenfalls deren Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG).220
Trotz dieser Differenzierung hat das Bundesverfassungsgericht einen grundsätzlichen Vorrang der Verbraucherinteressen bejaht [zu den Kautelen unten, IV. 3. c) ee) (7) (c)]: Im Grundsatz ist es angemessen, die Interessen der Unternehmen im Fall eines im Raum stehenden Rechtsverstoßes hinter die Schutz- und Informationsinteressen der Verbraucherinnen und Verbraucher zurücktreten zu lassen. Dass die Rechtsverstöße nicht notwendig mit einer Gesundheitsgefährdung verbunden sind, steht dem nicht entgegen, weil auch der Schutz vor Täuschung und der Nichteinhaltung hygienischer Anforderungen und die Ermöglichung eigenverantwortlicher Konsumentscheidungen legitime Zwecke des Verbraucherschutzes sind.221
In Rechnung zu stellen ist überdies die besondere Angewiesenheit des Einzelnen auf die Verbraucherinformation: „Denn der Einzelne hat regelmäßig keinen Einblick in das lebensmittelrechtliche Gebaren des Gaststättenbetreibers, ist hierauf aber für eine informierte Konsumentscheidung angewiesen.“222 Dies ist auch von erheblicher überindividueller, nämlich volkswirtschaftlicher Relevanz, wie die Gesetzesbegründung zum VIG betont: Unzureichender Informationszugang ist auch aus volkswirtschaftlichen Gründen nachteilig. Verbraucherentscheidungen sind in der Marktwirtschaft ein entscheidender Faktor für die Steuerung des Gesamtsystems. Beruhen die Kaufentscheidungen vieler Verbraucherinnen und Verbraucher regelmäßig auf falschen oder unvollständigen Informationen, so verliert das Marktsystem seine Lenkungskräfte und damit seine besondere Effizienz bei der Allokation der Ressourcen. Im extremen Fall können Informationsdefizite zum weitgehenden Zusammenbruch von Märkten führen und erhebliche volkswirtschaftliche Schäden zur Folge haben. Maßnahmen zur Verbesserung der Verbraucherinformation dienen daher auch dem besseren Funktionieren der Märkte.223
220
BVerfGE 148, 40 (52 f., Rn. 33). BVerfGE 148, 40 (58, Rn. 49). 222 So m.w.N. F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (44); ferner H. Kube, ZLR 2007, S. 165 (189). Siehe überdies R. Metz, VuR 2020, S. 188 (189): bedeutsam, da „die durch Anfragen Einzelner ausgelöste öffentliche Diskussion sowie durch die hiermit verbundene Stärkung der rational gesteuerten Nachfragemacht der Verbraucher dem Funktionieren des Marktmechanismus und damit dem öffentlichen Interesse dient. Anfragende Verbraucher sind für das Gericht Sachwalter des Allgemeininteresses. Wenn jede dritte vorgesehene Lebensmittelkontrolle ausfällt und Lebensmittelskandale menschliches Leben gefährden […,] dann kann die Rolle aktiver Verbraucher nicht hoch genug angesetzt werden.“ 223 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation vom 22. 5. 2007, BT-Drs. 16/5404, S. 7. Siehe auch BVerfGE 105, 252 (267): „Defizite in der Verfügbarkeit entscheidungserheblicher Informationsinhalte bedrohen […] die Selbststeuerungskraft des Marktes“; H. Kube, ZLR 2007, S. 165 (189); F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (44) m.w.N. 221
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Gewichtig ist auch der Schutz derjenigen Lebensmittelunternehmen, die die gesetzlichen Vorgaben – oftmals um den Preis höherer Kosten – einhalten.224 Des Weiteren kommt auch der Verwaltungstransparenz angesichts ihrer Bedeutung für die im Grundgesetz verbürgte demokratische Teilhabe der Bürger ein hohes Gewicht zu (vgl. auch Art. 10 Abs. 3 Satz 2 EUV für die Union: „Die Entscheidungen werden so offen und bürgernah wie möglich getroffen“; ferner Art. 1 Abs. 2 EUV, Art. 15 AEUV225).226 Hinsichtlich der mit zunehmender Streubreite steigenden Eingriffsintensität ist schließlich zu berücksichtigen, dass damit auch Transparenz und Zielerreichung erhöht werden.227 In diesem Sinne betont auch der Gesetzgeber, wie bereits zitiert, dass „die Rechtfertigung und der Erfolg von Informationszugangsgesetzen [auch] von ihrer quantitativen Inanspruchnahme durch die Bürgerinnen und Bürger abhängig“ sind.228 (5) Reduktion der Schutzwürdigkeit durch öffentlichkeitsrelevanten Rechtsverstoß Bei der Beurteilung der Angemessenheit ist zu berücksichtigen, dass der Lebensmittelunternehmer den Grundrechtseingriff durch sein rechtswidriges Handeln, das zudem einen Öffentlichkeits- und Verbraucherbezug aufweist, veranlasst hat; dies mindert, wie Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht herausgearbeitet haben, die Schutzwürdigkeit. So ist der potentiell gewichtige Grundrechtseingriff dadurch relativiert, dass die betroffenen Unternehmen negative Öffentlichkeitsinformationen durch rechtswidriges Verhalten selbst veranlassen, umgekehrt also den Eingriff durch rechtstreues Verhalten verhindern können, und dass ihr Fehlverhalten angesichts seiner Konsequenzen für die Verbraucherinnen und Verbraucher einen Öffentlichkeitsbezug aufweist.229
224
Siehe m.w.N. F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (44); ferner H. Kube, ZLR 2007, S. 165 (189). 225 Hierzu EuGH, Rs. C-28/08 P, Slg. 2010, I-6055, Rn. 53 f. – Bavarian Lager; verb. Rs. C-92/09 und C-93/09, Slg. 2010, I-11063, Rn. 68 – Schecke u. a. 226 F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (44). 227 Vgl. F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (44). 228 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 19. 10. 2011, BT-Drs. 17/7374, S. 14. 229 BVerfGE 148, 40 (54, Rn. 36). Ebenso BVerwGE 166, 233 (248); OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 16; OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (96); Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 30 f.; VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (118); BeckRS 2019, 33951, Rn. 38; VG Würzburg, BeckRS 2020, 25105, Rn. 42; F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (44) m.w.N. Vgl. auch C. Helbach, Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, S. 154 ff., 195 f. Restriktiver K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (64); ders., Gutachten, S. 17 f.; vgl. ferner EuGH, Rs. C-439/19, ECLI:EU:C:2021:504, Rn. 112 – B.
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(6) Schutzmechanismen: (Verfahrens-)Anforderungen im VIG und zivilrechtlicher Rechtsschutz im Kontext der Informationsweiterverwendung Bei der Beurteilung der Angemessenheit ist des Weiteren zu berücksichtigen, dass Schutzmechanismen zugunsten der Lebensmittelunternehmen existieren, zum einen im VIG selbst durch deren Einbeziehung in das Verwaltungsverfahren (a) sowie durch Regelungen zur Richtigkeitsgewähr (b) und zum anderen in Gestalt zivilrechtlicher Rechtsschutzmöglichkeiten im Kontext einer etwaigen Informationsweiterverwendung (c). Mit Blick auf letzteres ist festzuhalten, dass mögliche Rechtsverstöße Privater bei der Informationsweiterverwendung der informationserteilenden Behörde grundsätzlich nicht zurechenbar sind und damit auch die Unangemessenheit des Eingriffs nicht zu begründen vermögen (d). (a) Schutzmechanismen zugunsten des Lebensmittelunternehmens im VIG Das VIG normiert Schutzmechanismen zugunsten der Lebensmittelunternehmen: „Damit die Veröffentlichung der Informationen für das Unternehmen nicht zu unzumutbaren Folgen führt, hat der Gesetzgeber Schutzvorkehrungen geschaffen, die solche Konsequenzen ausschließen sollen.“230 Zu nennen ist zunächst die Pflicht, Drittbetroffene wie Lebensmittelunternehmen gemäß § 5 VIG in das Verwaltungsverfahren hinsichtlich der Informationserteilung einzubeziehen. Wesentliche Schutzmechanismen sind das grundsätzliche Anhörungserfordernis gemäß § 5 Abs. 1 VIG i.V.m. §/Art. 28 VwVfG, die Pflicht zur Bekanntgabe der Entscheidung an den Drittbetroffenen (§ 5 Abs. 2 Satz 3 VIG) und die Rechtsschutz ermöglichende, auch bei Absehen von einer Anhörung greifende Wartepflicht vor Gewährung des Informationszugangs (§ 5 Abs. 4 Satz 2 VIG). Zu Recht betont das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 29. 8. 2019 die besondere Bedeutung dieses Grundrechtsschutzes durch Verfahren, sieht hierin gar „den wichtigsten [verfahrensrechtlichen] Schutz. Durch die Beteiligung kann der Dritte insbesondere in die Lage versetzt werden, im Wege des verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes die Herausgabe von Informationen und damit die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern.“231 Richtig ist zwar, dass § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VIG ermöglicht, bei der gerade in der vorliegenden Konstellation relevanten Information über Abweichungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG von einer Anhörung 230 BVerwGE 166, 233 (248). Ebenso BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 27; BeckRS 2020, 20595, Rn. 29; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 16 f.; Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 25.19, Umdruck, S. 6; OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789, Rn. 35, 46; OVG Lüneburg, BeckRS 2020, 171, Rn. 13; OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (96); Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 36; VG Würzburg, BeckRS 2020, 25105, Rn. 38, 43. Kritisch indes K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (65). Zum Gebot ihrer effektiven Durchsetzbarkeit F. Becker, LMuR 2020, S. 57 (60). 231 BVerwGE 166, 233 (249). Vgl. auch VG Karlsruhe, BeckRS 2019, 27103, Rn. 40.
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abzusehen; hier hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 29. 8. 2019 indes eine restriktive Handhabung postuliert: Um einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nicht leerlaufen zu lassen, wird die informationspflichtige Stelle von der ihr in § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VIG eingeräumten Möglichkeit, von der Anhörung des Dritten abzusehen, soweit es um die Weitergabe von Informationen im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG geht, nur dann Gebrauch machen […] dürfen, wenn für sie, z. B. aus vorangegangenen Anträgen auf Informationszugang, absehbar ist, dass der Dritte gegen die Weitergabe keine Einwände geltend machen wird.232
Schließlich streicht das Bundesverwaltungsgericht die Notwendigkeit einer strikten Konturierung der Informationsgewährung gemäß § 6 Abs. 1 VIG heraus. So hat die zuständige Behörde bei der Zugänglichmachung von Informationen stets darauf zu achten, dass allein die vom Gesetz in den Blick genommenen Abweichungen mitgeteilt werden. Regelhaftes Verhalten des Unternehmers darf hierbei auch nicht mittelbar oder nebenbei zugänglich gemacht werden. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die solchem regelhaften Verhalten zu Grunde liegen, können daher von vornherein nicht zum Gegenstand des Informationszugangs werden.233
(b) Mechanismen zur Richtigkeitsgewähr Das VIG sieht Mechanismen zur Gewähr der Richtigkeit der erteilten Informationen vor. So ist zunächst „die inhaltliche Richtigkeit der Informationen zu überprüfen, soweit es sich […] um personenbezogene Daten handelt“ (§ 6 Abs. 3 Satz 1 VIG).234 Jenseits der Weitergabe personenbezogener Daten besteht indes keine Pflicht zur inhaltlichen Vorab-Richtigkeitsprüfung (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 1 VIG): Die Auffassung der Vorinstanz, nach dem Verbraucherinformationsgesetz alter und neuer Fassung sei der Zugang zu den bei einer Stelle iSd § 1 II VIG 2008/§ 2 II VIG 2012 vorhandenen – nicht personenbezogenen – Informationen ohne Überprüfung ihrer Richtigkeit zu gewähren, unterliegt nach dem Gesetzeswortlaut keinen Zweifeln […]. Die Gesetzesmaterialien und der in ihnen zum Ausdruck kommende Gesetzeszweck bestätigen dieses Auslegungsergebnis. Der Gesetzgeber hat sich bei seinem Regelungsvorhaben am Leitbild des mündigen Verbrauchers orientiert, der befähigt werden soll, seine Kaufentscheidungen eigenverantwortlich zu treffen (BT-Drs. 16/5404, 7). Diesem Leitbild entspricht es, einem Anspruchsteller die bei der Behörde vorhandenen Informationen „ungefiltert“ zugänglich zu machen. Der Anspruchsteller soll umfassend Einblick in den Informationsbestand der Verwaltung erhalten und so in den Stand versetzt werden, sich selbst ein Urteil über Eigenschaften und Verhalten von Produkten zu bilden. Eine Selektion der Daten nach Maß232 BVerwGE 166, 233 (249). Vgl. zur Möglichkeit und zum Gebot einer verfassungskonformen Handhabung auch F. Schoch, NVwZ 2012, S. 1497 (1500). Vgl. ferner VG Karlsruhe, BeckRS 2020, 35225, Rn. 35 ff. Insgesamt restriktiv auch F. Becker, ZLR 2011, S. 391 (418 f.). Kritisch W. G. Leisner, GewArch 2014, S. 57 (63), und zur Verfassungswidrigkeit ebd., S. 64. 233 BVerwGE 166, 233 (249). Siehe auch OVG Münster, Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 36. 234 Dazu BVerwG, NVwZ 2015, S. 1297 (1297).
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gabe behördlicher Richtigkeitskontrolle würde diesem Leitbild zuwiderlaufen. Mit dem Konzept einer „Aktenöffentlichkeit“ hat sich der Gesetzgeber an den bereits vorhandenen Informationszugangsgesetzen – namentlich dem Informationsfreiheitsgesetz vom 5. 9. 2005 (BGBl. I 2005, 2722) und dem Umweltinformationsgesetz vom 22. 12. 2004 (BGBl. I 2004, 3704) – orientiert, die die Informationsgewährung gleichfalls nicht von einer vorgängigen Überprüfung der Richtigkeit abhängig machen (vgl. BT-Drs. 16/5404, 8).235
In diesem Sinne hat das OVG Münster bereits in seinem Urteil vom 1. 4. 2014 herausgearbeitet: Nach der Konzeption der Informationszugangsgesetze hat die Behörde die Informationen im Rahmen der Zugangsgewährung weder zu bewerten noch deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Der Informationsanspruch nach dem Verbraucherinformationsgesetz ist ebenso wie der Anspruch nach dem Umweltinformationsgesetz und derjenige nach dem Informationsfreiheitsgesetz seinem Inhalt nach – vergleichbar mit dem Anspruch auf Akteneinsicht (§29 VwVfG) – auf den bei der in Anspruch genommenen Behörde tatsächlich vorhandenen Bestand an Informationen gerichtet. Von dem Anspruch erfasst werden damit – entsprechend dem Grundsatz der „Aktenwahrheit“ – alle vorhandenen Informationen und zwar gerade unabhängig davon, ob die betreffenden Daten „richtig“ oder „unrichtig“ sind. Diese Akten- und Dokumentenöffentlichkeit erlaubt es jedermann nach Maßgabe des jeweiligen Gesetzes – gewissermaßen wie bei einem öffentlichrechtlich zugänglichen Archiv – Einblick in den Informationsbestand der Verwaltung zu nehmen. Die Behörde ist ihrerseits – in Abkehr von dem Grundsatz der Amtsverschwiegenheit – verpflichtet, diese Einblicke zu gestatten. Dementsprechend steht dem Antragsteller auch kein Anspruch auf richtige Informationen oder auf eine Überprüfung auf Richtigkeit zu […] und können sich weder die informationspflichtige Stelle noch vom Informationszugang betroffene Dritte mit Erfolg zwecks Vermeidung des Informationszugangs auf die (angebliche) Unrichtigkeit der betroffenen Informationen berufen. Insofern unterscheidet sich die Verpflichtung zur Informationsgewährung nach dem VIG, UIG und IFG von den allgemeinen behördlichen Belehrungs-, Beratungs- und Auskunftspflichten (§25 VwVfG), bei denen die Behörde eigene sachbezogene oder sonst inhaltliche Erklärungen oder Bewertungen abgibt, für deren Richtigkeit sie einzustehen hat […]. Dies gilt auch für den Informationsanspruch nach dem Umweltinformationsgesetz in seiner Neufassung. Aus § 7 Abs. 3 UIG n.F., der in Umsetzung des Art. 8 der Richtlinie 2003/4/EG im Interesse des Antragstellers Qualitätsanforderungen an die Informationsgewährung formuliert, folgt keine generelle Pflicht der informationspflichtigen Stelle, die inhaltliche Richtigkeit der Informationen zu prüfen.236
Stets gilt gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 VIG, dass „bekannte Hinweise auf Zweifel an der Richtigkeit […] mitzuteilen“ sind. Überdies ist erforderlich, obgleich die Informationserteilung zu Abweichungen keine bestandskräftige Feststellung voraussetzt (dazu oben, III. 3.), dass „die zuständige Behörde die Abweichung unter Würdigung des Sachverhalts und der einschlägigen Rechtsvorschriften abschließend
235 BVerwG, NVwZ 2015, S. 1297 (1297). Gleichwohl Sorgfaltspflichten anmahnend T. Heinicke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, § 6 VIG (Stand: 171. EL Juli 2018), Rn. 18. 236 OVG Münster, LMuR 2014, S. 175 (186).
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IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen
aktenkundig festgestellt hat“.237 Damit soll verhindert werden, „dass auch vorläufige Überlegungen und juristisch noch nicht von der zuständigen Stelle tatsächlich und rechtlich gewürdigte Informationen, mithin solche Informationen, die noch keine gesicherte Erkenntnis über eine Abweichung bieten, bereits zum Gegenstand des Informationsbegehrens gemacht werden können“.238 Im Interesse einer gesicherten Informationsbasis sind diese Anforderungen strikt zu handhaben. Ferner endet die Verantwortung der Behörde nicht mit der Informationserteilung, sondern besteht fort, sieht doch § 6 Abs. 4 VIG eine Pflicht zur unverzüglichen Korrektur unrichtiger Informationen vor: Stellen sich die von der informationspflichtigen Stelle zugänglich gemachten Informationen im Nachhinein als falsch oder die zugrunde liegenden Umstände als unrichtig wiedergegeben heraus, so ist dies unverzüglich richtig zu stellen, sofern der oder die Dritte dies beantragt oder dies zur Wahrung erheblicher Belange des Gemeinwohls erforderlich ist. Die Richtigstellung soll in derselben Weise erfolgen, in der die Information zugänglich gemacht wurde.
Konkretisierend hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 29. 8. 2019 ausgeführt: Dabei wird die informationspflichtige Stelle zu beachten haben, dass die Richtigstellung nicht nur gegenüber dem Antragsteller geboten sein kann, sondern eine öffentliche Bekanntmachung vonnöten ist, wenn die Publikation der Informationen über das Verhältnis zum Antragsteller hinausgegangen ist. Wenn ein Antragsteller die zugänglich gemachten Informationen etwa an eine Verbraucherschutzorganisation weitergegeben hat und diese ihr einen hohen Verbreitungsgrad der Informationen verschafft hat. In einem solchen Fall kann die informationspflichtige Stelle zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sein, für eine hinreichende Publikation der Richtigstellung zu sorgen.239
Das Bundesverwaltungsgericht hat des Weiteren herausgearbeitet, dass aus § 6 Abs. 4 VIG „der Schluss zu ziehen sein [mag], dass von vornherein als evident falsch erkannte Informationen nicht oder nur unter Hinweis auf ihre Unrichtigkeit zugänglich gemacht werden dürfen“.240
237 BVerwGE 166, 233 (241; ferner 241 f.). Ebenso BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 20; OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789, Rn. 28 f.; OVG Lüneburg, BeckRS 2020, 171, Rn. 9; VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (116). Dieses Erfordernis herausstreichend T. Beyerlein, ZLR 2020, S. 74 (76); M. Grube/K. Ranke, GRUR-Prax 2020, S. 89 (89). 238 BVerwGE 166, 233 (242). 239 BVerwGE 166, 233 (249). Ebenso BayVGH, BeckRS 2020, 20595, Rn. 29; OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (96). Siehe auch F. Becker, LMuR 2020, S. 57 (59 f.). Differenziert und zurückhaltend T. Beyerlein, ZLR 2020, S. 74 (77 f.). 240 BVerwG, NVwZ 2015, S. 1297 (1297). Für ein Herausgabeverbot M. Rossi, in: BeckOK IMR, § 6 VIG, Rn. 12; ferner VG Regensburg, LMRR 2014, 26; T. Beyerlein/G. Borchert, VIG, § 6, Rn. 30; M. Grube/M. Immel/R. Wallau, Verbraucherinformationsrecht, Teil D, § 6 VIG, Rn. 11.
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Schließlich hat der VGH Mannheim in seinem Beschluss vom 13. 12. 2019 eine Pflicht zum Hinweis auf die Beseitigung entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bejaht: In seiner Entscheidung zu – dem mittlerweile novellierten (vgl. Erstes Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzesbuchs vom 24. 4. 2019, BGBl. I S. 498) – § 40 Abs. 1a LFGB hat das BVerfG die zuständigen Behörden für verpflichtet erachtet, die Information der Öffentlichkeit über rechtswidriges Verhalten eines Unternehmens mit der Mitteilung zu verbinden, ob und wann ein Verstoß behoben worden sei; das sei verfassungsrechtlich unerlässlich, weil anderenfalls die Fehlvorstellung entstehen könne, der Verstoß bestehe fort, obgleich es für die Verbraucherentscheidung regelmäßig eine Rolle spielen werde, ob und wie schnell ein Verstoß abgestellt worden sei (BVerfG, Beschl. v. 21. 3. 2018 – 1 BvF 1/13 – BVerfGE 148, 40 Rn. 40). Da es insoweit um die Eignung einer Information zur Erreichung des Gesetzesziels geht, kann für das VIG nichts anderes gelten. Verfassungsgerichtlich wird in diesem Zusammenhang eine verfassungskonforme Anwendung des einschlägigen Gesetzesrechts angemahnt (BVerfG, Beschl. v. 21. 3. 2018 – 1 BvF 1/13 – BVerfGE 148, 40 Rn. 41). Auch dieser Aspekt gilt für das VIG. Der Antragsgegner hat in seinem an den Beigeladenen gerichteten Bescheid „die Übermittlung der angeforderten Informationen“ angekündigt. Ausweislich des VIG-Antrags wird damit nur auf die Ergebnisse der – seinerzeit – beiden letzten lebensmittelrechtlichen Betriebsprüfungen Bezug genommen. Hinsichtlich der Kontrolle vom 5. 7. 2018 ist dies unverfänglich, da keine lebensmittelrechtlichen Verstöße festgestellt worden sind. Zu den Kontrollergebnissen vom 21. 7. 2017 fehlt in dem Bescheid sowohl die rechtliche Zuordnung („Subsumtion“) als auch die Mitteilung, dass die damals gerügten Hygienemängel behoben sind. Damit ist – im Lichte der vorstehend skizzierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung tangiert.241
(c) Zivilrechtlicher Rechtsschutz im Kontext der Informationsweiterverwendung Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Weiterverwendung durch Private, sei es durch den Antragsteller selbst oder die Plattform Topf Secret, eine zivilrechtlichen Schranken unterliegende und gerichtlich angreifbare Handlung darstellt, wobei die unternehmerischen Grundrechtspositionen im Rahmen der mittelbaren Drittwirkung zu berücksichtigen sind.242 Hierbei sind Fragen zu verhandeln wie die etwaige besondere grundrechtliche Relevanz des Betriebs einer Internet-Plattform zur Veröffentlichung staatlicher Informationen, die Informationsaufbereitung, Korrekturpflichten, Löschungsfristen und sachliche Begrenzungen.
241 VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (120). Ebenso BeckRS 2019, 33951, Rn. 33 f.; VG Ansbach, BeckRS 2019, 15084, Rn. 25 ff. Vgl. auch K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (67). Offen gelassen von OVG Münster, BeckRS 2020, 31361, Rn. 15. 242 Siehe etwa BVerfG (K), NJW-RR 2004, S. 1710; (K), NJW 2016, S. 3362. Dazu auch C. Douhaire, Vermerk.
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IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen
(d) Grundsätzliche Irrelevanz (nur) möglicher Rechtsverstöße Privater Mit dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ist eine mögliche Rechtsverletzung durch Private der informationserteilenden Behörde grundsätzlich nicht zurechenbar, weshalb sie auch keine Unangemessenheit des Eingriffs zu begründen vermag: Eine kampagnenartige Weiterverwendung der Information ist im Verbraucherinformationsgesetz gerade angelegt und entspricht dessen Zielsetzung. Allein der Umstand, dass der streitbefangene Kontrollbericht auf der Internetplattform „TopfSecret“ veröffentlicht werden könnte, ändert nichts daran, dass es sich auch in dieser Fallkonstellation um eine antragsgebundene Informationsgewährung an eine Einzelperson handelt. Wie der Beigeladene mit den erhaltenen betriebs- und personenbezogenen Informationen umgeht, bleibt grundsätzlich ihm überlassen und liegt damit außerhalb des behördlichen Verantwortungsund Einflussbereichs. Dies gilt auch für das hier zu erwartende Einstellen des Kontrollberichts auf die von privater Seite betriebene Plattform „TopfSecret“, weil eine solche Publikation erkennbar keine staatliche Autorität in Anspruch nehmen kann. Die Plattform veröffentlicht lediglich durch private Dritte zur Verfügung gestellte von der öffentlichen Verwaltung ausgestellte Dokumente; dadurch wird sie nicht selbst zu einer staatlichen Veröffentlichungsplattform. Dass die Anträge auf Information über die Webseite „Frag den Staat“ erfolgen, erweckt auch nicht den Eindruck, „TopfSecret“ sei eine staatliche Veröffentlichungsplattform. Die lediglich abstrakte Möglichkeit einer rechtswidrigen privaten Weiterverwendung der Information reicht ohne Hinzutreten besonderer Umstände nicht aus, um darin bereits ein der Antragsgegnerin zuzurechnendes Eingriffsäquivalent zu sehen, das einer gesonderten Rechtfertigung bedürfte. Soweit es der Antragstellerin im Verhältnis zum Beigeladenen um etwaige (künftige) Ergänzungen oder zeitliche Begrenzungen bei der Verwendung der Information geht, insbesondere um das auch im Geschäftsverkehr bestehende „Recht auf Vergessen“ […], muss sie die entsprechenden Ansprüche auf dem Zivilrechtsweg verfolgen.243
Im Falle konkreter Anhaltspunkte für eine erkennbar rechtswidrige Weiterverwendung hat die Information freilich zu unterbleiben oder ist mit dem entgegenwirkenden Auflagen zu versehen.244 (7) Abwägung: Angemessenheit der gesetzgeberischen Priorisierung der Verbraucherinformation In Einklang mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. 8. 2019, der Oberverwaltungsgerichtsbarkeit und Teilen der Literatur (a) ergibt eine Gesamtabwägung, dass die hier infrage stehende, vom VIG vorgesehene antragsgebundene 243 BayVGH, BeckRS 2020, 20595, Rn. 27 f., ferner Rn. 23. Ebenso OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789, Rn. 33 f.; VG Würzburg, BeckRS 2020, 25105, Rn. 36, 40 f.; BeckRS 2021, 654, Rn. 55. Vgl. auch VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (121 f.); BeckRS 2019, 33951, Rn. 44 ff. Strikter indes F. Becker, Gutachten, S. 37 ff. 244 Siehe auch F. Becker, LMuR 2020, S. 57 (61); ders., Gutachten, S. 47 f. – dort (S. 73 f.) auch die Einhaltung der Anforderungen der DSGVO im Kontext der Plattform Topf Secret verneinend.
3. Antragsgebundene Verbraucherinformation
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Informationserteilung trotz der bestehenden Einwände und der Eingriffsschärfe – eingedenk der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers und der erfolgten hohen Gewichtung der Verbraucherinformation über Abweichungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG – vertretbar und damit gerechtfertigt ist (b). Mit Blick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur aktiven behördlichen Verbraucherinformation, dessen Eckpunkte rekapituliert seien (c), ist festzuhalten, dass in casu die Wahrung von Anforderungen an eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage bei fraglicher Übertragbarkeit der Entscheidung bejaht werden kann (d); der dort entwickelte Bagatellvorbehalt greift nicht (e), ebenso wie ein (weiteres) Befristungserfordernis (f). Anforderungen an die Informationsaufbereitung ist mit Zurückhaltung zu begegnen (g). Schließlich ist eine Beschränkung auf Akteneinsicht nicht geboten (h). (a) Bewertung der antragsgebundenen Information in Rechtsprechung und Schrifttum Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 29. 8. 2019 die gesetzgeberische Interessenabwägung, auch unter Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, nicht beanstandet: Die beanstandeten Rechtsvorschriften (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG i.V.m. § 3 Satz 5 Nr. 1 VIG) sind auch nicht unverhältnismäßig im engeren Sinn. Der Gesetzgeber hat mit § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG eine verfassungsrechtlich vertretbare Bewertung und Abwägung der gegenläufigen Interessen vorgenommen. Die angegriffenen Regelungen verfolgen wichtige Ziele des Verbraucherschutzes. Im Grundsatz ist es angemessen, die Interessen der Unternehmen im Fall eines im Raum stehenden Rechtsverstoßes hinter die Schutz- und Informationsinteressen der Verbraucherinnen und Verbraucher zurücktreten zu lassen. Dass die Rechtsverstöße nicht notwendig mit einer Gesundheitsgefährdung verbunden sind, steht dem nicht entgegen, weil auch der Schutz vor Täuschung und der Nichteinhaltung hygienischer Anforderungen und die Ermöglichung eigenverantwortlicher Konsumentscheidungen legitime Zwecke des Verbraucherschutzes sind (so auch BVerfG, Beschluss vom 21. März 2018 – 1 BvF 1/13 – BVerfGE 148, 40 Rn. 49 zu § 40 Abs. 1a LFGB). Diese legitimen Zwecke rechtfertigen es auch, dass der Zugang zu Informationen im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG gemäß § 3 Satz 5 Nr. 1 VIG nicht unter Berufung auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse abgelehnt werden kann.245
Maßgeblich hierfür sind auch die vom Gesetzgeber vorgesehenen Mechanismen zum Schutz der unternehmerischen Interessen (§ 5 Abs. 1, § 6 Abs. 3 Satz 2, § 6 Abs. 4 Satz 2 VIG): Diese Schutzvorkehrungen führen zu einem angemessenen, den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG gerecht werdenden Ausgleich zwischen dem Informationsinteresse des Antragstellers und dem Schutzbedürfnis des von der Informationsgewährung betroffenen
245
BVerwGE 166, 233 (248).
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IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen Unternehmens (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2015 – 7 B 22.14 – Buchholz 404.1 VIG Nr. 1 Rn. 12).“246
Diese Ansicht teilt die Oberverwaltungsgerichtsbarkeit weitgehend.247 Das Schrifttum tritt dem teils entgegen,248 teils geht es von der Zulässigkeit der Informationserteilung aus249. (b) Vertretbarkeit und Rechtfertigungsfähigkeit der gesetzgeberischen Interessenbewertung Bei einer Gesamtabwägung, die namentlich die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers und die in diesem Rahmen erfolgte hohe Gewichtung der Verbraucherinformation im Allgemeinen und hinsichtlich Abweichungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG im Besonderen berücksichtigt, erweist sich die mit dem Verbraucherinformationsgesetz ermöglichte antragsgebundene Informationserteilung über Rechtsverstöße auch angesichts einer (möglichen bzw. beabsichtigten) Veröffentlichung dieser Informationen auf der Internet-Plattform Topf Secret als noch im Regelungsspielraum des Gesetzgebers liegend und damit gerechtfertigt. Richtig ist zwar, dass gerade eine Internet-Veröffentlichung über Rechtsverstöße mit potentiell gravierenden ökonomischen Konsequenzen als besonders eingriffsintensiv zu qualifizieren ist [siehe IV. 3. c) ee) (3) (b)]; allerdings steht auch die Verfolgung gewichtiger Belange im Raum, die die unternehmerischen Interessen überwiegen [siehe IV. 3. c) ee) (4)], zumal ein öffentlichkeitsrelevanter Rechtsverstoß infrage steht [siehe IV. 3. c) ee) (5)]. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht selbst für die aktive staatliche Verbraucherinformation im Grundsatz anerkannt [siehe wiederum IV. 3. c) ee) (4)].250 Im Vergleich zu dieser ist nicht nur zu berücksichtigen, dass sich die vorliegende Konstellation – auch bei späterer Veröf246 BVerwGE 166, 233 (249). Siehe auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 16 f.; OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (96). 247 BayVGH, BeckRS 2020, 6798; BeckRS 2020, 20595; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 16; Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 25.19, Umdruck, S. 5 ff.; OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789, Rn. 31 ff.; BeckRS 2021, 7074, Rn. 42 ff.; OVG Lüneburg, BeckRS 2020, 171; OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (96); Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 32 ff.; VGH Kassel, BeckRS 2020, 27638; VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115; BeckRS 2019, 33951, Rn. 38 ff. Siehe ferner VG Würzburg, BeckRS 2020, 25105, Rn. 42. Offen gelassen im Eilverfahren von OVG Hamburg, BeckRS 2019, 26284; OVG Koblenz, LMuR 2020, S. 90 (91). 248 K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62. Kritisch M. Rossi, JZ 2020, S. 573 (575 ff.), obgleich offen: „Das Ergebnis [des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. 8. 2019] mag man teilen, die Begründung überzeugt aber in letzter Konsequenz nicht.“ 249 C. Halder, jurisPR-ITR 9/2020 Anm. 5, C.; ders./B. Metzl, jurisPR-ITR 22/2019 Anm. 6, C. und D.; F. Kraft/P.-G. Elsing, ZLR 2020, S. 118 (123 f.); R. Metz, VuR 2020, S. 188 (188 f.). Vgl. auch, obgleich ohne nähere rechtliche Begründung R. Neubauer/J. Dyllick, LKV 2020, S. 237 (237 f.). 250 BVerfGE 148, 40 (58, Rn. 49).
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fentlichung der erteilten Informationen auf Plattformen wie Topf Secret – mangels Inanspruchnahme von Amtsautorität als weniger einschneidend erweist [siehe IV. 3. c) ee) (3) (c)]; ins Gewicht fällt vor allem, dass – neben den verfahrensrechtlichen Sicherungen zugunsten der betroffenen Unternehmen [siehe IV. 3. c) ee) (6) (a)] – zivilrechtliche Schranken für die Informationsverwendung durch Private existieren, die auch zivilgerichtlich durchgesetzt werden können [siehe IV. 3. c) ee) (6) (c)].251 Angesichts der Vielzahl möglicher Weiterverwendungen der erteilten Information erscheint es auch passgenauer, hier anzusetzen statt an der Informationserteilung, zumal nur mit Blick auf eine bestimmte Weiterverwendung konkrete Grenzen formuliert werden können. Richtig ist zwar, dass die Beschreitung des Zivilrechtswegs den Rechtsschutz dezentralisiert, da er nicht mehr an der behördlichen Informationsquelle ansetzt; dies ist allerdings dem Dazwischentreten Privater geschuldet und überdies insofern nicht übermäßig belastend, als zentraler Rechtsschutz im Kontext der Plattform gesucht werden kann.252 Der zivilgerichtliche Rechtsschutz kann auch nicht unter Verweis auf eine nur nachträgliche Kontrolle für generell ineffektiv erachtet werden.253 Nicht nur bestehen auch hier Möglichkeiten des (vorbeugenden) Eilrechtsschutzes;254 vielmehr würde auch eine etwaige zivilrechtliche Unzulässigkeit der Veröffentlichung auf die Informationserteilung insofern durchschlagen, als die Informationserteilung mit dem Ziel einer rechtswidrigen Verwendung nicht erfolgen darf; ggf. sind entsprechende Auflagen zu erteilen [siehe IV. 3. c) ee) (6) (c) und (d)].255 Dass der Schutz gegen die Weiterverwendung durch Private mangels unmittelbarer Grundrechtsbindung Privater und angesichts deren Grundrechtsberechtigung nicht mit dem Schutz gegenüber dem Staat identisch ist, stellt kein Defizit des zivilrechtlichen Rechtsschutzes dar,256 sondern ist zunächst Konsequenz einer Veröffentlichung ohne Amtsautorität; überdies – und dies sei besonders betont – obliegt es dem Zivilrecht und der in diesem Rahmen greifenden mittelbaren Grundrechtsbindung, einen adäquaten, unternehmerischen Belangen hinreichend
251
Zur Bedeutung zivilrechtlicher Rechtsschutzmöglichkeiten insoweit auch BVerwG, NVwZ 2015, S. 1297 (1298); BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 28; BeckRS 2020, 20595, Rn. 28; OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789, Rn. 34, 46; OVG Münster, LMuR 2014, S. 175 (187); LMuR 2020, S. 92 (97, 100); Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 75; VG Augsburg, BeckRS 2019, 12743, Rn. 48 f.; VG Freiburg, BeckRS 2019, 19973, Rn. 21 f.; VG Karlsruhe, BeckRS 2019, 27103, Rn. 40, 49; VG Mainz, Beschl. v. 5. 4. 2019, 1 L 103/19.MZ, juris, Rn. 15; VG Weimar, Beschl. v. 23. 5. 2019, 8 E 423/19, juris, Rn. 24; VG Würzburg, BeckRS 2020, 25105, Rn. 41. Hierin kein vergleichbar effektives Mittel sehend VG Ansbach, BeckRS 2019, 15084, Rn. 34; K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (66 f.); ders., Gutachten, S. 20 ff., 28 f.; D. Lück/F. Penski, DÖV 2020, S. 506 (515); ferner F. Becker, Gutachten, S. 39. 252 Offen gelassen im Eilverfahren OVG Koblenz, LMuR 2020, S. 90 (91). 253 So aber VG Ansbach, BeckRS 2019, 15084, Rn. 34; D. Lück/F. Penski, DÖV 2020, S. 506 (515). 254 Siehe insoweit auch VG Karlsruhe, BeckRS 2019, 27103, Rn. 40. 255 Siehe zu Auflagen auch F. Becker, LMuR 2020, S. 57 (59 f., 61). 256 So aber K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (66 f.); ders., Gutachten, S. 28 f.
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IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen
Rechnung tragenden Schutz zu bieten.257 Hierbei ist auch die Verwendung behördlicher Informationen in Rechnung zu stellen [siehe IV. 3. c) ee) (6) (c)]. Die – niemals auszuschließende – Gefahr einer rechtswidrigen Nutzung als solche schließt mit dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof die Informationsweitergabe nicht aus; hierfür müssten besondere Umstände hinzutreten, etwa eine erkennbar rechtswidrige Verwendung [siehe IV. 3. c) ee) (6) (d)].258 Die zivilgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeit ist gerade auch der Beanstandung entgegenzuhalten, dass – überdies nur jenseits des Vorliegens personenbezogener Daten – keine Pflicht der Behörde zur inhaltlichen Vorab-Richtigkeitsprüfung besteht (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 1 VIG).259 Dies findet im Übrigen seine Rechtfertigung im für den Informationszugang maßgeblichen Grundsatz der Aktenwahrheit – im Interesse der Verwaltungstransparenz soll ein ungefiltertes Bild der bei der Behörde vorhandenen Informationen vermittelt werden.260 Unabhängig davon kommen weitere Mechanismen der Richtigkeitsgewähr hinzu [siehe IV. 3. c) ee) (6) (b)]: das eine Mindestbasis sichernde (und daher auch strikt auszulegende) Erfordernis einer abschließenden aktenkundigen Feststellung der Abweichung „unter Würdigung des Sachverhalts und der einschlägigen Rechtsvorschriften“,261 womit im Übrigen bereits eine behördliche Kontrollschleife durchlaufen wurde,262 die (ebenfalls strikt zu 257 Hierfür indes eine gesetzliche Regelung fordernd K. F. Gärditz, Gutachten, S. 30. Vgl. auch F. Becker, Gutachten, S. 37 ff. 258 Vgl. – obgleich dogmatisch anders behandelt – BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 28; BeckRS 2020, 20595, Rn. 28; OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789, Rn. 34. 259 Für die Verfassungskonformität BVerwG, NVwZ 2015, S. 1297 (1298); OVG Münster, LMuR 2014, S. 175 (186 f.); VG Ansbach, BeckRS 2011, 33425, Rn. 38 (bei tatsächlichen Unsicherheiten jedenfalls bei Vorliegen eines wichtigen Grundes und im Übrigen Hinweispflicht auf Zweifel); T. Heinicke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, § 6 VIG (Stand: 171. EL Juli 2018), Rn. 19 f. (mit Erfordernis wichtiger Gründe bei tatsächlichen Unsicherheiten); M. Möstl, LMuR 2015, S. 185 (189) – vgl. aber auch die allgemein mit Blick auf Topf Secret aufgeworfene Frage bei dems., ZLR 2019, S. 343 (356 f.), ob das VIG „als Massenverfahren vielleicht auch grundrechtlich neu bewertet werden müsste“; die Richtigkeit nur im Falle der aktiven, nicht aber der passiven Verbraucherinformation fordernd: C. Monsees, Behördliches Informationshandeln, S. 170 f.; F. Schoch, ZLR 2010, S. 121 (137); ders., NJW 2010, S. 2241 (2245, 2246 f.); ders., NJW 2012, S. 2844 (2848); C. Zott, Informationen, S. 403 ff. Offen gelassen M. Rossi, in: BeckOK IMR, § 6 VIG, Rn. 10 ff.; F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (47). Differenziert J. Prommer/M. Rossi, GewArch 2013, S. 97 (102 f.). Sorgfaltspflichten anmahnend T. Beyerlein/G. Borchert, VIG, § 6, Rn. 40 f.; T. Heinicke, in: Zipfel/ Rathke, Lebensmittelrecht, § 6 VIG (Stand: 171. EL Juli 2018), Rn. 18. Ablehnend M. Bäcker, JZ 2016, S. 595 (600), da nicht nur das Ziel der Verwaltungstransparenz (zu insoweit bestehenden geringeren Anforderungen ebd., S. 598), sondern auch der Markttransparenz verfolgt werde; F. Becker, ZLR 2011, S. 391 (413 f.); M. Grube/M. Immel/R. Wallau, Verbraucherinformationsrecht, Teil D, § 6 VIG, Rn. 9 ff. (nur bei Prüfpflicht); W. G. Leisner, GewArch 2014, S. 57 (63 f., insb. 64); kritisch auch K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (64 f.); ders., Gutachten, S. 21 f. 260 C. Monsees, Behördliches Informationshandeln, S. 170. 261 BVerwGE 166, 233 (241; ferner 241 f.). 262 Siehe insoweit auch R. Beck, Verbraucherinformationsgesetz, S. 76: Lediglich Ausschluss einer Zweitprüfung. Vgl. aber auch C. Zott, Informationen, S. 404 f.
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handhabende) Pflicht zur Mitteilung von Zweifeln an der Richtigkeit (§ 6 Abs. 3 Satz 2 VIG)263 sowie die Korrekturpflicht des § 6 Abs. 4 VIG, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überdies eine Öffentlichkeitsinformation gebieten264 und als Grundlage für die Nicht- oder mit einem entsprechenden Hinweis versehene Erteilung als evident falsch erkannter Informationen dienen265 kann. Zusammenfassend betont das OVG Münster in seinem Urteil vom 1. 4. 2014, dass sich das betroffene Unternehmen – wie sonst im Wettbewerb auch – gegen wettbewerbsschädigende unwahre Tatsachenbehauptungen oder unzulässige wertende Äußerungen auch vor den Zivilgerichten zur Wehr setzen kann und damit nicht etwa schutzlos wäre […]. Gerade vor diesem Hintergrund ist zum Ausgleich der kollidierenden Schutzinteressen des betroffenen Unternehmens einerseits (Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG) und der Informationsfreiheit andererseits (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) im Sinne praktischer Konkordanz die informationspflichtige Stelle dazu verpflichtet, dem Antragsteller bekannte Hinweise auf Zweifel an der Richtigkeit mit der Informationsgewährung mitzuteilen, wie dies § 5 Abs. 3 Satz 2 VIG 2008 vorsieht. Dies gilt erst recht für den Fall, dass sich die Informationen als unrichtig erwiesen haben. Zu den mitzuteilenden Informationen gehören auch etwaige Stellungnahmen betroffener Dritter oder Unternehmen, die Zweifel an den herauszugebenden Daten geltend machen. Das Gesetz überantwortet damit sowohl die Prüfung der Informationen auf Richtigkeit als auch die Verantwortung bezüglich der weiteren Verwendung der erlangten Informationen auf den Antragsteller. Es sieht den Bürger als mündigen Informationsempfänger, der selbst bereit und in der Lage ist, die Informationen auf ihren sachlichen Gehalt und ihre Verwertbarkeit zu überprüfen.266
(c) Position des Bundesverfassungsgerichts zur aktiven staatlichen Verbraucherinformation Das Bundesverfassungsgericht hat die aktive staatliche Verbraucherinformation gemäß § 40 Abs. 1a LFGB in seinem Beschluss vom 21. 3. 2018 zwar für grundsätzlich verfassungskonform erklärt: Die angegriffene Regelung verfolgt wichtige Ziele […]. Im Grundsatz ist es angemessen, die Interessen der Unternehmen im Fall eines im Raum stehenden Rechtsverstoßes hinter die Schutz- und Informationsinteressen der Verbraucherinnen und Verbraucher zurücktreten zu lassen. Dass die Rechtsverstöße nicht notwendig mit einer Gesundheitsgefährdung verbunden sind, steht dem nicht entgegen, weil auch der Schutz vor Täuschung und der
263 Siehe auch E. Schulz, Verbraucherinformationsgesetz, S. 48 (Nr. 3): Pflicht schon bei Zweifeln an anderer Stelle als bei der Behörde. 264 Siehe zur Verfassungskonformität auch mit Blick auf diese Mechanismen BVerwG, NVwZ 2015, S. 1297 (1298). 265 BVerwG, NVwZ 2015, S. 1297 (1297). Für ein Herausgabeverbot M. Rossi, in: BeckOK IMR, § 6 VIG, Rn. 12; ferner VG Regensburg, LMRR 2014, 26; M. Grube/M. Immel/R. Wallau, Verbraucherinformationsrecht, Teil D, § 6 VIG, Rn. 11. 266 OVG Münster, LMuR 2014, S. 175 (187); ferner BVerwG, NVwZ 2015, S. 1297 (1298).
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IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen Nichteinhaltung hygienischer Anforderungen und die Ermöglichung eigenverantwortlicher Konsumentscheidungen legitime Zwecke des Verbraucherschutzes sind.267
Allerdings hat es – gerade vor dem Hintergrund der hohen Eingriffsintensität aufgrund einer Internetpublizität und drohender negativer ökonomischer Konsequenzen268 – Kautelen formuliert, die verschiedene Aspekte der Verhältnismäßigkeit betreffen. Mit Blick auf die Eignung der Information zur Zielerreichung hat es die Bedeutung der Richtigkeit der Information betont und behördliche Hinweispflichten angemahnt, einmal mit Blick auf die Behebung des Verstoßes.269 Überdies hat das Bundesverfassungsgericht angesichts der Zulässigkeit einer Publikumsinformation schon vor bestandskräftiger Feststellung eines Verstoßes, mithin einer Verdachtsinformation, strikte Anforderungen an die Tatsachengrundlage eines solchen Verstoßes formuliert.270 Schließlich verlangt das Bundesverfassungsgericht im Kontext der Eignung eine gehaltvolle Gestaltung der Information.271 Hinsicht der im Grundsatz bejahten Angemessenheit der aktiven staatlichen Verbraucherinformation hat das Bundesverfassungsgericht zwei Vorbehalte formuliert. Erstens darf „nur über Verstöße von hinreichendem Gewicht informiert“ werden.272 Zum anderen sei die Informationsverbreitung zeitlich zu begrenzen.273 (d) Anforderungen an die Tatsachengrundlage der Information Als Aspekt der Eignung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss zur aktiven staatlichen Verbraucherinformation vom 21. 3. 2018 strikte Anforderungen an die Tatsachengrundlage einer Verdachtsinformation gestellt: Um zu verhindern, dass Informationen verbreitet werden, die nicht richtig und damit zur Erreichung der Gesetzeszwecke ungeeignet sind, darf außerdem von der nach § 40 Abs. 1a LFGB bestehenden Möglichkeit, die Öffentlichkeit bereits im Fall des hinreichend begründeten Verdachts eines Verstoßes zu informieren, nur unter strengen Voraussetzungen Gebrauch gemacht werden […]. Damit aber auch vor der bestandskräftigen Feststellung eines Verstoßes möglichst nur solche Informationen veröffentlicht werden, die sich auch nachträglich noch als richtig erweisen, sind an die Tatsachengrundlage des Verdachts von Verfassungs wegen hohe Anforderungen zu stellen. Dem wird § 40 Abs. 1a LFGB bei entsprechender Anwendung gerecht. § 40 Abs. 1a LFGB verlangt einen hinreichend begründeten Verdacht. Ein in tatsächlicher Hinsicht unaufgeklärter Verdacht der Behörde genügt nicht (vgl. BTDrucks 17/ 7374, S. 20). Vielmehr muss der Verdacht nach dem Wortlaut der Vorschrift durch Tatsachen 267 268 269 270 271 272 273
BVerfGE 148, 40 (58, Rn. 49). Insgesamt kritisch M. Böhm, ZLR 2019, S. 21 (31, 33 ff.). BVerfGE 148, 40 (53, Rn. 34). BVerfGE 148, 40 (55, Rn. 39 ff.). BVerfGE 148, 40 (55 f., Rn. 42 und 44). BVerfGE 148, 40 (56 f., Rn. 46). BVerfGE 148, 40 (58 ff., Rn. 50 ff.). BVerfGE 148, 40 (60 ff., Rn. 56 ff.).
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hinreichend begründet sein. Für den Fall von Proben ist dies im Gesetz dahingehend konkretisiert, dass sich der Verdacht auf mindestens zwei unabhängige Untersuchungen gründen muss. Der Gesetzgeber hat die Behörde insoweit praktisch zu einer abschließenden Ermittlung der Tatsachen verpflichtet. Hieran hat sich das Maß erforderlicher Tatsachenaufklärung auch für den Fall zu orientieren, dass dem Verdacht eines Verstoßes nicht durch Proben, sondern auf andere Weise, etwa durch Betriebskontrollen, nachgegangen wird. Auch dann müssen die den Verdacht begründenden Tatsachen aus Sicht der Behörde aufgeklärt und in den Überwachungsergebnissen entsprechend dokumentiert sein.274
Es erscheint indes fraglich, ob und inwieweit diese Rechtsprechung auf den hiesigen Kontext unmittelbar übertragbar ist. Erinnert sei an die Unterschiede zwischen einer aktiven und antragsgebundenen Verbraucherinformation [IV. 3. c) ee) (3) (c)]. Überdies ermöglicht das VIG zwar eine Informationserteilung über noch nicht bestandskräftig festgestellte Abweichungen, enthält allerdings keine Befugnis zur Verdachtsinformation.275 Das Richtigkeitsproblem stellt sich bei noch nicht bestandskräftigen Feststellungen freilich.276 Indes setzt eine Informationserteilung nach dem VIG voraus, dass „die zuständige Behörde die Abweichung unter Würdigung des Sachverhalts und der einschlägigen Rechtsvorschriften abschließend aktenkundig festgestellt hat“ [näher IV. 3. c) ee) (6) (b)],277 und greifen weitere Mechanismen zur Sicherung der Richtigkeit erteilter Informationen [siehe IV. 3. c) ee) (6) (b)]. Schließlich sei auf den zivilrechtlichen Rechtsschutz verwiesen [siehe IV. 3. c) ee) (6) (c)].278 Damit und eingedenk der herausgearbeiteten Spezifika der vorliegenden Konstellation erscheint auch das im Glykol-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. 6. 2002 herausgearbeitete Richtigkeitsgebot der Informationserteilung nicht entgegenzustehen; dort heißt es: Die inhaltliche Richtigkeit einer Information ist grundsätzlich Voraussetzung dafür, dass sie die Transparenz am Markt und damit dessen Funktionsfähigkeit fördert. Der Träger der Staatsgewalt kann allerdings zur Verbreitung von Informationen unter besonderen Voraussetzungen auch dann berechtigt sein, wenn ihre Richtigkeit noch nicht abschließend geklärt ist. In solchen Fällen hängt die Rechtmäßigkeit der staatlichen Informationstätigkeit davon ab, ob der Sachverhalt vor seiner Verbreitung im Rahmen des Möglichen sorgsam und unter Nutzung verfügbarer Informationsquellen, gegebenenfalls auch unter Anhörung Betroffener, sowie in dem Bemühen um die nach den Umständen erreichbare Verlässlichkeit 274
BVerfGE 148, 40 (55 f., Rn. 42 und 44). Entsprechende verwaltungsverfahrensrechtliche Kautelen daher fordernd K. F. Gärditz, Gutachten, S. 21 f. Vgl. dazu, dass ein bloßer Verdacht nicht genügt R. Beck, Verbraucherinformationsgesetz, S. 19; T. Beyerlein/G. Borchert, VIG, § 1, Rn. 32; A. Preuß, ZLR 2011, S. 47 (55). 276 Kritisch K. F. Gärditz, Gutachten, S. 21 f. 277 BVerwGE 166, 233 (241). Ebenso BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 20; OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789, Rn. 28 f.; OVG Lüneburg, BeckRS 2020, 171, Rn. 9; VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (116). Dieses Erfordernis herausstreichend T. Beyerlein, ZLR 2020, S. 74 (76); M. Grube/K. Ranke, GRUR-Prax 2020, S. 89 (89). 278 Diese für unzureichend erachtend K. F. Gärditz, Gutachten, S. 20 ff. 275
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IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen aufgeklärt worden ist. Verbleiben dennoch Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht, ist der Staat an der Verbreitung der Informationen gleichwohl jedenfalls dann nicht gehindert, wenn es im öffentlichen Interesse liegt, dass die Marktteilnehmer über einen für ihr Verhalten wichtigen Umstand, etwa ein Verbraucherrisiko, aufgeklärt werden. In solchen Fällen wird es angezeigt sein, die Marktteilnehmer auf verbleibende Unsicherheiten über die Richtigkeit der Information hinzuweisen, um sie in die Lage zu versetzen, selbst zu entscheiden, wie sie mit der Ungewissheit umgehen wollen.279
(e) Keine Bagatellschwelle Anders als teils vertreten,280 ist es verfassungsrechtlich – gerade vor dem Hintergrund der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers und seiner hohen Gewichtung der (hier infrage stehenden Art der) Verbraucherinformation – nicht geboten, die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. 3. 2018 geforderte Bagatellschwelle für die aktive staatliche Verbraucherinformation gemäß § 40 Abs. 1a LFGB281 auf die hier vorliegende antragsgebundene Informationserteilung, auch mit Blick auf eine mögliche bzw. beabsichtige Veröffentlichung auf Plattformen wie Topf Secret, zu übertragen.282 Hiergegen sprechen nicht nur die insgesamt geringeren Rechtfertigungsanforderungen an diese Art der behördlichen Verbraucherinformation, sondern auch das Anliegen der Verwaltungstransparenz, Informationen so weit wie möglich ungefiltert zur Verfügung zu stellen; dies entspricht auch dem Leitbild des mündigen Verbrauchers [siehe IV. 3. c) ee) (7) (g) (aa)]. Hinzu kommt, dass eine Bagatellschwelle, so für erforderlich erachtet, vorrangig bei der die besondere Eingriffsschärfe begründenden Publikumsinformation durch die Plattform ansetzen müsste, nicht aber an der individuellen Informationserteilung durch die Behörde. Schließlich lässt sich argumentieren, dass die Eingriffsintensität bei Bagatellverstößen geringer ist283 und mündige Verbraucher – das Leitbild, das
279 BVerfGE 105, 252 (272). Eine Ausnahme nur im Falle eines Gesundheitsrisikos anerkennend M. Grube/M. Immel/R. Wallau, Verbraucherinformationsrecht, Teil D, § 6 VIG, Rn. 10. 280 VG Ansbach, BeckRS 2019, 15084, Rn. 25 ff., 32; K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (67); ders., Gutachten, S. 29 f.; D. Lück/F. Penski, DÖV 2020, S. 506 (515). Vgl. auch F. Becker, Gutachten, S. 43 ff. Generell für das VIG F. Becker, ZLR 2019, S. 877 (882 f.). Offen gelassen OVG Koblenz, LMuR 2020, S. 90 (91) – Eilverfahren; F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (47). Siehe im Übrigen zur Rs. Schecke unten, V. 1., und zur Rs. B (lettisches Verkehrssünderregister) unten, V. 4. 281 BVerfGE 148, 40 (58 ff., Rn. 50 ff.). 282 OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 17; Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 25.19, Umdruck, S. 6 f.; OVG Bremen, BeckRS 2021, 7074, Rn. 46 ff.; OVG Lüneburg, BeckRS 2020, 171, Rn. 15; VG Mainz, Beschl. v. 5. 4. 2019, 1 L 103/19.MZ, juris, Rn. 16. Siehe demgegenüber EuGH, Rs. C-439/19, ECLI:EU:C:2021:504, Rn. 115 – B. 283 OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789, Rn. 45; OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (97); VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (122); BeckRS 2019, 33951, Rn. 49 f.; VG Karlsruhe, BeckRS 2019, 27103, Rn. 49. Gegenläufig OVG Koblenz, LMuR 2020, S. 90 (92, 100).
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dem VIG zugrunde liegt284 – die Geringfügigkeit eines Verstoßes zu gewichten wissen dürften. Ebenso wenig wurde Änderungsbedarf im VIG – in ausdrücklicher Kenntnis dieser Entscheidung und der Plattform Topf Secret – im Gesetzgebungsverfahren eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften gesehen [dazu I.]. Zusammenfassend hält das OVG Münster in seinem Beschluss vom 23. 7. 2020 fest: Gerade wenn die in den jeweils begehrten Kontrollberichten aufgeführten Beanstandungen von geringem Gewicht sind, sie schon längere Zeit zurückliegen und eventuell auch schon behoben sind, ist es unwahrscheinlich, dass eine Veröffentlichung dieser (kleineren) Mängel für den Betroffenen aktuell noch mit erheblichen Umsatzeinbußen verbunden sein wird. Umgekehrt können die Kontrollberichte gleichwohl noch für die Kaufentscheidung der Verbraucher von Bedeutung sein, weil sie Aufschluss darüber geben, dass in dem Betrieb Kontrollen stattgefunden haben, diese (nur) zu (kleineren) Beanstandungen geführt haben und dass diese Kontrollen schon einige Zeit zurückliegen. Dass ein „verständiger Durchschnittsverbraucher“ diese Informationen im Rahmen seiner Kaufentscheidungen prinzipiell vernünftig – d. h. der von ihm selbst gesetzten Zwecke gemäß – einordnen kann, entspricht dem Leitbild des mündigen, informationsaffinen Verbrauchers, das der Gesetzgeber des Verbraucherinformationsgesetzes vor Augen hatte.285
(f) Befristung Anders als teils vertreten,286 ist es verfassungsrechtlich – gerade vor dem Hintergrund der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers und seiner hohen Gewichtung der (hier infrage stehenden Art der) Verbraucherinformation – ebenso wenig geboten, das vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. 3. 2018 postulierte Befristungserfordernis für die aktive staatliche Verbraucherinformation gemäß § 40 Abs. 1a LFGB287 auf die hier vorliegende antragsgebundene Informationserteilung, auch mit Blick auf eine mögliche bzw. beabsichtige Veröffentlichung auf Plattformen wie Topf Secret, zu übertragen.288 Insoweit hat der Gesetzgeber im Übrigen im Kontext der Einführung der Sechs-Monats-Lö284 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation vom 22. 5. 2007, BT-Drs. 16/5404, S. 1, 7. 285 OVG Münster, Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 67. 286 VG Ansbach, BeckRS 2019, 15084, Rn. 25 ff., 33; K. F. Gärditz, LMuR 2020, S. 62 (67); ders., Gutachten, S. 29 f.; V. Kluge, ZLR 2019, S. 518 (527 f.); D. Lück/F. Penski, DÖV 2020, S. 506 (515). Vgl. auch F. Becker, Gutachten, S. 43 ff. 287 BVerfGE 148, 40 (60 ff., Rn. 56 ff.). 288 Gegen eine unbesehene Übertragung BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 27; BeckRS 2020, 20595, Rn. 26; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 17; Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 25.19, Umdruck, S. 7 f., 13 f.; OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789, Rn. 31 f.; BeckRS 2021, 7074, Rn. 46 ff.; OVG Lüneburg, BeckRS 2020, 171, Rn. 15; VG Augsburg, BeckRS 2019, 12743, Rn. 28; VG Würzburg, BeckRS 2021, 654, Rn. 57. Offen gelassen im Eilverfahren OVG Koblenz, LMuR 2020, S. 90 (91).
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IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen
schungsfrist für die aktive staatliche Verbraucherinformation gemäß § 40 Abs. 4a LFGB in Reaktion auf den erwähnten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. 3. 2018 ausdrücklich betont, dass „[e]twaige Ansprüche auf Zugang zu den betreffenden Informationen auf Antrag, etwa nach dem Umweltinformationsrecht des Bundes und der Länder, […] von der Regelung unberührt [bleiben]“.289 Ebenso wenig wurde Änderungsbedarf im VIG – in ausdrücklicher Kenntnis dieser Entscheidung und der Plattform Topf Secret – im Gesetzgebungsverfahren eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften gesehen [dazu I.]. In der Sache sprechen gegen eine Übertragung nicht nur die bereits im Kontext der Bagatellschwelle herausgearbeiteten Gründe, namentlich die geringeren Rechtfertigungsanforderungen [siehe soeben IV. 3. c) ee) (7) (e)]. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass eine Befristungsregelung für die Informationserteilung existiert: gemäß § 3 Satz 1 Nr. 1 lit. e VIG besteht nämlich „in der Regel“ kein Zugangsanspruch wegen entgegenstehender öffentlicher Belange „bei Informationen nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, die vor mehr als fünf Jahren seit der Antragstellung entstanden sind“. Auf dessen Bedeutung für die Verhältnismäßigkeit der Verbraucherinformation hat jüngst auch das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 30. 1. 2020 hingewiesen: Hiernach [d. h. nach § 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e VIG] ist der Anspruch nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG wegen entgegenstehender öffentlicher Belange in der Regel ausgeschlossen, wenn die Informationen vor mehr als fünf Jahren seit der Antragstellung entstanden sind. Diese zeitliche Beschränkung besteht für nicht zulässige Abweichungen vom Lebensmittelund Futtermittelgesetzbuch, nicht aber für Informationen über den Herstellungsprozess im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4 VIG. Informationsansprüche über Verletzungen lebensmittelrechtlicher Vorschriften zeitlich zu beschränken, ist zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit geboten, da der objektive Informationswert umso geringer ist, je weiter sie zurückliegen; von einem Verstoß in der Vergangenheit lässt sich mit zunehmendem zeitlichen Abstand immer weniger auf die aktuelle Situation des betroffenen Unternehmens schließen (zu § 40 LFGB vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. März 2018 – 1 BvF 1/13 – BVerfGE 148, 40 Rn. 58). Das würde unterlaufen, wenn Informationen über Abweichungen vom regelgerechten Herstellungsprozess nicht nur § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG unterfielen, sondern zugleich § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VIG.290
Demgegenüber muss eine Befristung der Veröffentlichung bei der die besondere Eingriffsschärfe begründenden Publikumsinformation durch die Plattform ansetzen, so man eine solche für erforderlich erachtet291. Schließlich lässt sich argumentieren, dass mit zunehmendem Zeitablauf der Informationswert und damit auch die Ein-
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Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches vom 4. 10. 2018, BT-Drs. 19/4726, S. 8. 290 BVerwGE 167, 311 (316). 291 Siehe auch und nur BayVGH, BeckRS 2020, 20595, Rn. 28 m.w.N. Vgl. für eine entsprechende Befristung durch Private C. Halder/B. Metzl, jurisPR-ITR 5/2020 Anm. 5, C.
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griffsintensität abnehmen292 sowie dass mündige Verbraucher – das Leitbild, das dem VIG zugrunde liegt293 – die Bedeutung länger zurückliegender Verstöße einzuschätzen wissen dürften. Zusammenfassend sei auch insoweit auf den vorstehend zitierten Beschluss des OVG Münster vom 23. 7. 2020 verwiesen [siehe soeben IV. 3. c) ee) (7) (e)]. (g) Anforderungen an die Informationserteilung (aa) Allgemeines Nach dem Bundesverwaltungsgericht bezweckt das VIG nach wie vor einen weiten Informationszugang […], um Einzelpersonen zu Sachwaltern des Allgemeininteresses zu machen. Gemäß dem gesetzgeberischen Leitbild des mündigen Verbrauchers sollen die bei der Behörde vorhandenen Informationen grundsätzlich ungefiltert zugänglich gemacht werden.294
Des Weiteren streitet auch die Idee der Verwaltungstransparenz dafür, Informationen möglichst ungefiltert, mithin so, wie sie bei der Behörde vorliegen, zu erteilen.295 Vor diesem Hintergrund erscheint jedenfalls im Kontext des passiven Informationszugangs eine behördliche Aufbereitung von Informationen nicht unproblematisch. Auch besteht die Gefahr einer extensiven staatlichen Informationsvorsorge.296 Hinzu kommt, dass eine adäquate Informationsaufbereitung auch als Anforderung an die private Verbreitung realisiert werden kann, so erforderlich. (bb) Hinweis auf Behebung des Verstoßes Mit Blick auf die Eignung der Information zur Zielerreichung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss zur aktiven Verbraucherinformation vom 21. 3. 2018 einen behördlichen Hinweis auf die Behebung des Verstoßes angemahnt: Zur Sicherstellung der Eignung müssen die Behörden bei der Rechtsanwendung allerdings von Verfassungs wegen weitere Vorkehrungen treffen, um die Richtigkeit der Information zu sichern und Fehlvorstellungen der Verbraucher zu vermeiden. Die zuständigen Behörden müssen die Information mit der Mitteilung verbinden, ob und wann ein Verstoß behoben wurde. Dies ist verfassungsrechtlich unerlässlich. Ansonsten 292
OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 27; Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 25.19, Umdruck, S. 8; OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789, Rn. 45; OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (97, 100); VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (122); BeckRS 2019, 33951, Rn. 49 f.; VG Karlsruhe, BeckRS 2019, 27103, Rn. 49. 293 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation vom 22. 5. 2007, BT-Drs. 16/5404, S. 1, 7. 294 BVerwGE 166, 233 (235); ferner OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 11, 14. 295 M. Bäcker, JZ 2016, S. 595 (598); ferner M. Rossi, Informationszugangsfreiheit, S. 92 f. 296 Dazu m.w.N. F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (41 f.).
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IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen wäre die Veröffentlichung des Verstoßes zur Erreichung des Informationsziels nicht geeignet, weil die Fehlvorstellung entstehen könnte, der Verstoß bestehe fort. Für die Verbraucherentscheidung wird es regelmäßig eine Rolle spielen, ob und wie schnell ein Verstoß abgestellt wurde. Zwar sieht das Gesetz eine solche Mitteilung nicht ausdrücklich vor. Es steht ihr jedoch auch nicht entgegen. Die zuständigen Behörden haben die Regelung insoweit verfassungskonform anzuwenden. In der Vergangenheit wurden die der Behörde belassenen Gestaltungsspielräume bei der Darstellung der Publikumsinformation bereits für entsprechende Hinweise genutzt.297
Der VGH Mannheim hat dies auch für die antragsgebundene Informationserteilung gefordert [siehe IV. 3. c) ee) (6) (b)].298 (cc) Erläuterungen In seinem Beschluss zur aktiven behördlichen Verbraucherinformation vom 21. 3. 2018 hat das Bundesverfassungsgericht die konkrete Darstellung für entscheidend erachtet: Dabei hängt das Maß des potentiellen Ansehensverlusts auch von der konkreten Darstellung der Information durch die Behörde ab. So kann die Beeinträchtigung der betroffenen Unternehmen etwa durch einen ausdrücklichen Hinweis abgemildert werden, dass die Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB nicht auf einer behördlichen Einschätzung des Risikos weiterer künftiger Verstöße beruht, die Information also nicht etwa als amtliche Warnung aufzufassen ist. Im Verhältnis zu konkurrierenden Unternehmen können Wettbewerbsnachteile begrenzt werden, wenn deutlich erkennbar ist, dass es sich womöglich nur um das Ergebnis stichprobenweise erfolgter Kontrollen handelt. Ohne negative Folgen wird die Veröffentlichung für die Betroffenen indessen kaum bleiben. Nach ihrem Regelungszweck soll sie auch durchaus negative Folgen entfalten, weil gerade hierauf die generalpräventive Wirkung der drohenden Veröffentlichung beruht.299 Inwiefern Veröffentlichungen nach § 40 Abs. 1a LFGB praktisch zu einer gehaltvollen Information der Öffentlichkeit taugen, hängt maßgeblich davon ab, wie die zuständigen Behörden die Informationen aufbereiten und darstellen […]. Das Gesetz lässt für eine geeignete Gestaltung hinreichend Spielraum.300
Diese Rechtsprechung ist freilich nicht unmittelbar übertragbar. Zum einen ist hier wiederum die eingangs erwähnte Filterproblematik zu berücksichtigen. Zum anderen ist die Frage der Informationsaufbereitung vor allem im Kontext der Weiterverwendung durch Private und ihren Grenzen zu verhandeln.301
297 298 299 300 301
BVerfGE 148, 40 (55, Rn. 39 ff.). Ebenso K. F. Gärditz, Gutachten, S. 23 f.; ferner F. Becker, Gutachten, S. 43 ff. BVerfGE 148, 40 (53 f., Rn. 35). BVerfGE 148, 40 (56 f., Rn. 46). Anders K. F. Gärditz, Gutachten, S. 22 ff.
4. Recht auf informationelle Selbstbestimmung
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(h) Keine Beschränkung auf Akteneinsicht Angesichts der Rechtfertigung einer behördlichen Informationserteilung scheidet ein Verweis auf eine Informationsgewährung ausschließlich durch Akteneinsicht (§ 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 VIG) aus.302 ff) Differenzierung zwischen gesetzgeberischer Regelung und Anwendung im Einzelfall Mit Blick auf den abstrakten Untersuchungsgegenstand und der in beiden Fällen nicht begrenzten Weiterverwendungsmöglichkeit ist festzuhalten, dass die vorstehenden Erwägungen, wie im Übrigen auch das OVG Münster in seinem Beschluss vom 23. 7. 2020 ausgeführt hat, nicht nur mit Blick auf die abstrakte gesetzgeberische Interessenbewertung gelten, sondern auch für eine Herausgabe zur möglichen Veröffentlichung über Internet-Plattformen im Einzelfall.303
4. Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG)304 soll nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verbraucherinformation vom 21. 3. 2018 bei unternehmensbezogenen Publikumsinformationen „hinter Art. 12 I GG zurück[treten], weil der Schutz von Unternehmen im Wettbewerb hier von der sachlich spezielleren Grundrechtsnorm des Art. 12 I GG vollständig erfasst wird“.305 Dem lässt sich entgegenhalten,306 dass das Recht auf 302 VG Augsburg, BeckRS 2019, 12743, Rn. 49; VG Weimar, Beschl. v. 23. 5. 2019, 8 E 423/19, juris, Rn. 26; VG Würzburg, BeckRS 2020, 25105, Rn. 47; vgl. ferner VG Karlsruhe, BeckRS 2019, 27103, Rn. 44. Dafür aber VG Ansbach, BeckRS 2019, 15084, Rn. 25 ff., 35; F. Becker, Gutachten, S. 47; D. Lück/F. Penski, DÖV 2020, S. 506 (515 f.); ferner K. F. Gärditz, Gutachten, S. 34. 303 Für eine solche Differenzierung OVG Münster, Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 106 ff. 304 Im Überblick nur A. Merschmann, Informationen, S. 41 ff. (dort auch zur str. Anwendbarkeit auf juristische Personen); G.-J. Ostermann, Transparenz, S. 216 ff. 305 BVerfGE 148, 40 (63, Rn. 62). Siehe fener F. Reimer, JöR n. F. 58 (2010), S. 275 (294 f.). Siehe aber auch BVerfGE 128, 1 (57). 306 Ebenfalls gegen eine Spezialität BayVGH, GewArch 2013, S. 361 (362); OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2013, S. 831 (831 f.); OVG Münster, NVwZ-RR 2013, S. 627 (627); VGH Mannheim NVwZ 2013, S. 1022 (1023); K. F. Gärditz, Gutachten, S. 31. Kritisch auch F. Becker, NVwZ 2018, 1032 (1032 f., 1034); A. Merschmann, Informationen, S. 69 f.; C. Monsees, Behördliches Informationshandeln, S. 80 ff.; M. Möstl, ZLR 2019, S. 343 (348). A.A. S. E. Abbé, Verbraucherschutz, S. 116 f. Näher zur Thematik F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (45 f.).
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IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen
informationelle Selbstbestimmung einen weitergehenden Schutz verbürgt, liegt ein Eingriff doch bereits in der Veröffentlichung personenbezogener Daten, ohne dass es auf die Relevanz für die berufliche Betätigung ankommt.307 Im Ergebnis kann diese Frage jedoch offen bleiben, da nach Auffassung des Autors bei exkursartiger Betrachtung strukturell vergleichbare (Rechtfertigungs-)Standards gelten (siehe zu datenschutzspezifischen Anforderungen auch noch im Kontext des EU-Datenschutzrechts unten, V. 1. und V. 4.).308 Ebenso ließe sich ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht rechtfertigen.309
5. Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) Dass die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG), so überhaupt einschlägig, keinen weitergehenden Schutz als die Berufsfreiheit vermittelt, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 29. 8. 2019 betont: „Ungeachtet der Frage, ob die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG […] das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb umfasst (etwa BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2009 – 1 BvR 706/08 – BVerfGE 123, 186 Rn. 218), gelten die obigen Erwägungen [d. h. zu Art. 12 Abs. 1 GG] hier gleichermaßen.“310
6. Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) Dass § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen im Kontext der Informationserteilung über Abweichungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG ausschließt, lässt sich ebenfalls als im gesetzgeberischen Regelungsspielraum liegend begreifen. So hat auch der 307 Restriktiv indes BVerfGE 147, 50 (142, Rn. 237): „Eine grundrechtlich erhebliche Gefährdungslage besteht allerdings nicht stets bereits deshalb, weil eine staatliche Stelle Kenntnisse erlangt, die einen Bezug zu einer bestimmten juristischen Person und ihrer Tätigkeit aufweisen […]. Die informationelle Maßnahme muss vielmehr die betroffene juristische Person einer Gefährdung hinsichtlich ihrer spezifischen Freiheitsausübung aussetzen“. Vgl. auch D. Lück/F. Penski, DÖV 2020, S. 506 (510 ff.). Allgemein M. Rossi, Informationszugangsfreiheit, S. 135 ff. 308 Dazu bereits F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (45 f.). So auch OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (97); OVG Münster, Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 70 ff., 126; VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (118); VG Regensburg, BeckRS 2020, 34611, Rn. 50. Für einen weitergehenden Schutz (bei abstrakter Betrachtung) C. Monsees, Behördliches Informationshandeln, S. 83. 309 Zu dessen Einschlägigkeit A. Merschmann, Informationen, S. 53 ff. Zur Diskussion um die – vom BVerfG nicht thematisierte – Unschuldsvermutung Fn. 33. Vgl. ferner zur abzulehnenden Prangerwirkung Fn. 197. 310 BVerwGE 166, 233 (249 f.). Schon einen Schutz durch Art. 14 I GG ablehnend A. Merschmann, Informationen, S. 66 f.; anders W. G. Leisner, GewArch 2014, S. 57 (62).
6. Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG)
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Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Rechtsschutzregime des VIG in seinem Beschluss vom 15. 4. 2020 für verfassungskonform erklärt: Da sich nach alledem der Bescheid bei einer über eine bloße summarische Prüfung hinausgehenden Betrachtung als rechtmäßig erweist, kommt es auf die Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht mehr entscheidungserheblich an; die Folgenabschätzung hat sich vielmehr an der gesetzlichen Wertung des § 5 Abs. 4 VIG auszurichten (vgl. VGH BW, a.a.O., Rn. 42 ff.; OVG NW, a.a.O., Rn. 97 ff.). Die von der Antragstellerin monierte Vorwegnahme der Hauptsache (vgl. OVG Hamburg, B.v. 14. 10. 2019 – 5 Bs 149/19 – ZLR 2019, 866 = juris Rn. 19 ff.) ist in der Normstruktur des Verbraucherinformationsgesetzes angelegt. Mit § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG hat sich der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen höherrangiges Recht entschieden, dem Informationsinteresse der Bürger generell einen höheren Stellenwert einzuräumen als dem Interesse des betroffenen Betriebs an der Geheimhaltung von Informationen über lebensmittelrechtliche Beanstandungen (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 13). Mangels erkennbarer Besonderheiten verbleibt es daher bei der gesetzlichen Grundentscheidung für den Sofortvollzug nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG, die nur bei erfolgreicher Inanspruchnahme von Eilrechtsschutz gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 und 3 VIG durchbrochen werden kann. Auf diese Rechtsschutzmöglichkeit sollte die Antragsgegnerin die betroffenen Unternehmen in den Rechtsbehelfsbelehrungen zukünftig ausdrücklich hinweisen.311
311 BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 34. Ebenso BeckRS 2020, 20595, Rn. 31; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 23 ff.; Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 25.19, Umdruck, S. 12 ff.; OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789, Rn. 38 ff.; BeckRS 2021, 7074, Rn. 33; OVG Lüneburg, BeckRS 2020, 171, Rn. 7; OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (99 f.); Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 150 ff.; VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (120 f.); BeckRS 2019, 33951, Rn. 9, 41 ff.; VG Karlsruhe, BeckRS 2019, 27103, Rn. 46 ff.; D. Lück/F. Penski, DÖV 2020, S. 506 (509 f.) – unter Betonung eines strengen Prüfprogramms; F. Schoch, NVwZ 2012, S. 1497 (1500 f.). Ebenso hinsichtlich der Interessenbewertung VGH Kassel, BeckRS 2020, 27638, Rn. 18; vgl. auch VG Freiburg, BeckRS 2019, 19973, Rn. 10; anders insoweit (Vorrang des Aussetzungsinteresses) OVG Koblenz, LMuR 2020, S. 90 (91 f.). Differenziert J. Prommer/M. Rossi, GewArch 2013, S. 97 (102, 103). Für eine Verfassungswidrigkeit F. Becker, ZLR 2011, S. 391 (419 f.); vgl. auch K. F. Gärditz, Gutachten, S. 19 f.; W. G. Leisner, GewArch 2014, S. 57 (63).
V. Unionsrechtlicher Rahmen Angesichts der Europäisierung des Lebensmittelrechts unterliegt die Verbraucherinformation nicht nur Anforderungen des nationalen, sondern auch des Unionsrechts. Im Mittelpunkt der folgenden Betrachtung steht das EU-Lebensmittelsekundärrecht. Für die hier infrage stehende antragsgebundene Verbraucherinformation entfaltet Art. 10 der Lebensmittel-Basis-Verordnung (EG) Nr. 178/2002312 keine Sperrwirkung (2.) und formuliert die am 14. 12. 2019 in Kraft getretene novellierte Lebensmittel-Kontrollverordnung (EU) Nr. 2017/625313 Anforderungen, aber keine unüberwindbaren Hürden (3.). Daneben und infolge der Europäisierung ist auch das EU-Primärrecht, namentlich die Unionsgrundrechte und die Marktfreiheiten, von Bedeutung (1.). Anforderungen formuliert schließlich die Datenschutzgrundverordnung (EU) Nr. 2016/679314 (DSGVO; 4.). Die zwischenzeitlich außer Kraft getretene EU-Richtlinie 2003/98/EG über die Weiterverwendung von 312 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. 1. 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit, ABl. L 31 vom 1. 2. 2002, S. 1, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 2019/1381 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 6. 2019 über die Transparenz und Nachhaltigkeit der EU-Risikobewertung im Bereich der Lebensmittelkette und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 178/2002, (EG) Nr. 1829/2003, (EG) Nr. 1831/2003, (EG) Nr. 2065/2003, (EG) Nr. 1935/2004, (EG) Nr. 1331/2008, (EG) Nr. 1107/ 2009, (EU) 2015/2283 und der Richtlinie 2001/18/EG, ABl. L 231 vom 6. 9. 2019, S. 1. 313 Verordnung (EU) Nr. 2017/625 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 3. 2017 über amtliche Kontrollen und andere amtliche Tätigkeiten zur Gewährleistung der Anwendung des Lebens- und Futtermittelrechts und der Vorschriften über Tiergesundheit und Tierschutz, Pflanzengesundheit und Pflanzenschutzmittel, zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 999/2001, (EG) Nr. 396/2005, (EG) Nr. 1069/2009, (EG) Nr. 1107/2009, (EU) Nr. 1151/2012, (EU) Nr. 652/2014, (EU) 2016/429 und (EU) 2016/2031 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnungen (EG) Nr. 1/2005 und (EG) Nr. 1099/2009 des Rates sowie der Richtlinien 98/58/EG, 1999/74/EG, 2007/43/EG, 2008/119/EG und 2008/120/ EG des Rates und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 854/2004 und (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 89/608/EWG, 89/662/EWG, 90/425/EWG, 91/496/EEG, 96/23/EG, 96/93/EG und 97/78/EG des Rates und des Beschlusses 92/438/EWG des Rates, ABl. L 95 vom 7. 4. 2017, S.1, zuletzt geändert durch Delegierte Verordnung (EU) Nr. 2019/2127 der Kommission vom 10. 10. 2019 zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/625 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich des Zeitpunkts der Anwendung bestimmter Bestimmungen der Richtlinien 91/496/EWG, 97/78/EG und 2000/ 29/EG des Rates, ABl. L 321 vom 12. 12. 2019, S. 111. 314 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. 4. 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl.. L 119 vom 4. 5. 2016, zuletzt berichtigt in ABl. L 74 vom 4. 3. 2021, S. 35.
1. EU-Primärrecht: Unionsgrundrechte und EU-Marktfreiheiten
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Informationen des öffentlichen Sektors wurde bereits, ebenso wie die sie ersetzende Richtlinie (EU) 2019/1024 über offene Daten und die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors, thematisiert (siehe oben, III. 8.).
1. EU-Primärrecht: Unionsgrundrechte und EU-Marktfreiheiten Die Unionsgrundrechte finden auf mitgliedstaatliches Handeln gemäß Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC „ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“ Anwendung.315 Bejaht man dies mit Blick namentlich auf die einschlägigen Regelungen des EU-(Lebensmittel-316, Informationsweiterverwendungs- oder Datenschutz-317)Sekundärrechts (dazu sogleich, V. 2., 3. und 4.),318 wobei keine Umsetzung unionsrechtlicher Verpflichtungen (zur antragsgebundenen Informationserteilung), wohl aber eine hinreichende unionsrechtliche Determinierung des Sachverhalts erforderlich ist,319 finden Unionsgrundgrundrechte parallel Anwendung320. Es kommen vor allem rechtfertigungsbedürftige Eingriffe namentlich in Art. 7 GRC (Achtung des Privat- und Familienlebens), Art. 8 GRC (Schutz personenbezogener
315
Näher hierzu F. Wollenschläger, in: EnzEuR I, § 13, Rn. 16 ff. Allgemein zum Verhältnis unionaler und nationaler Befugnisnormen im Lebensmittelrecht M. Möstl, ZLR 2019, S. 770 (773 ff.). 317 Mit Blick auf Art. 86 DSGVO insoweit für eine primäre Anwendung der nationalen Grundrechte H. A. Wolff, LMuR 2020, S. 1 (7 f.). Ebenso für ein Primat des nationalen Grundrechtsschutzes A. Sandhu, Grundrechtsunitarisierung durch Sekundärrecht, 2021 (zu Art. 86 DSGVO 5. Kap. B. III.). Siehe indes für eine umfassende unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung am Maßstab der DSGVO ohne nähere Entfaltung des Art. 86 DSGVO EuGH, Rs. C-439/19, ECLI:EU:C:2021:504, Rn. 120 – B. 318 Siehe hierzu F. Wollenschläger, Mitgliedstaatliche Informationsbefugnisse im Lebensmittelsektor vor dem Hintergrund der Harmonisierung des europäischen Lebensmittelrechts, in: A. Dix/G. Franßen/M. Kloepfer/P. Schaar/F. Schoch und Deutsche Gesellschaft für Informationsfreiheit (Hrsg.), Jahrbuch Informationsfreiheit und Informationsrecht 2013, 2014, S. 151 (163 ff.). In casu bejahend: F. Becker, Gutachten, S. 10 ff. Vgl. auch J. Gundel, EnzEuR V, § 8, Rn. 86; C. Monsees, Behördliches Informationshandeln, S. 122 ff.; M. Möstl, ZLR 2019, S. 343 (356). Ablehnend VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (119) – ohne Erörtertung der VO (EU) Nr. 2016/679. Restriktiv auch F. Becker, ZLR 2011, S. 391 (404 f.). 319 Näher EuGH, Rs. C-198/13, ECLI:EU:C:2014:2055, Rn. 35 – Hernández; Rs. C-206/ 13, ECLI: EU:C:2014:126, Rn. 26 – Siragusa; Rs. C-223/19, ECLI:EU:C:2020:753, Rn. 79 – YS; F. Wollenschläger, in: EnzEuR I, § 13, Rn. 34 f. 320 Siehe dazu aus unionsrechtlicher Perspektive EuGH, Rs. C-399/11, ECLI:EU:C:2013: 107, Rn. 60 – Melloni; Rs. C-617/10, ECLI:EU:C:2013:105, Rn. 29 – Fransson; Rs. C-516/17, ECLI:EU:C:2019:625, Rn. 20 ff. – Spiegel Online; aus verfassungsrechtlicher Perspektive BVerfGE 152, 152 (169 f., Rn. 43 f.). Näher F. Wollenschläger, in: EnzEuR I, § 13, Rn. 19, 24. Umfassend zum Verhältnis von nationalem und EU-grundrechtlichem Datenschutz A. Sandhu, Grundrechtsunitarisierung. 316
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V. Unionsrechtlicher Rahmen
Daten),321 Art. 15 Abs. 1 GRC (Berufsfreiheit), Art. 16 GRC (unternehmerische Freiheit) und Art. 47 GRC (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf) in Betracht322. In der Sache lässt sich wie im nationalen Kontext argumentieren und ein Grundrechtsverstoß verneinen.323 Es sei freilich darauf hingewiesen, dass der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil in der Rs. Schecke vom 9. 11. 2010 einen Verstoß gegen Art. 7 und 8 GRC in einer sekundärrechtlichen Pflicht zur Veröffentlichung von Informationen über die Empfänger von Mitteln aus dem Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) und dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) [gesehen hat], soweit diese Bestimmungen bei natürlichen Personen, die Empfänger von EGFL- und ELER-Mitteln sind, die Veröffentlichung personenbezogener Daten hinsichtlich aller Empfänger vorschreiben, ohne nach einschlägigen Kriterien wie den Zeiträumen, während deren sie solche Beihilfen erhalten haben, der Häufigkeit oder auch Art und Umfang dieser Beihilfen zu unterscheiden.324
Abgesehen davon, dass die Entscheidung besonders einen prozeduralen Aspekt problematisiert, nämlich dass der Unionsgesetzgeber die Möglichkeit eines schonenderen Ausgleichs nicht in Betracht gezogen hat,325 erscheint eine abweichende materielle Bewertung der im Urteil thematisierten Frage, mithin die Bejahung der Grundrechtskonformität der Veröffentlichung von EU-Agrar-Subventionsempfängern, wie andernorts näher ausgeführt, überzeugender.326 Überdies betrifft das EuGH-Urteil die amtliche Publikumsinformation, hinter der die hier infrage stehende Information quantitativ, vor allem aber qualitativ zurückbleibt [siehe oben, IV. 3. c) ee) (3) (c)]. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. 3. 2018 herausgearbeitet, dass die hier infrage stehende Verbraucherinformation einen öffentlichkeitsrelevanten Rechtsverstoß betrifft, was nicht nur die Schutzwürdigkeit reduziert [siehe oben, IV. 3. c) ee) (5)], sondern die Rs. Schecke zugleich von der hiesigen Konstellation – und mit dem Bundesverfassungsgericht sogar von der eingriffsintensiveren amtlichen Publikumsinformation – unterscheidet: 321 Zu dessen str. Anwendbarkeit auf juristische Personen A. Merschmann, Informationen, S. 49 ff. 322 Zu den einschlägigen Grundrechten C. Monsees, Behördliches Informationshandeln, S. 128 ff. 323 OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (98 f.); Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 127 ff.; ferner VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (119 f.). A.A. (aufgrund abweichender grundrechtlicher Wertungen) F. Becker, Gutachten, S. 22 ff. 324 EuGH, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09, Slg. 2010, I-11063, LS 1 – Schecke u. a. Siehe für ein Abwägungserfordernis bei der Preisgabe personenbezogener Daten im Kontext des Dokumentenzugangs auf EU-Ebene EuGH, Rs. C-28/08 P, Slg. 2010, I-6055, Rn. 41 ff., insb. 77 ff. – Bavarian Lager. 325 EuGH, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09, Slg. 2010, I-11063, Rn. 78 ff. – Schecke u. a.; kategorischer freilich Rn. 86. 326 Ausführlich dazu F. Wollenschläger, AöR 135 (2010), S. 363 (379 ff.).
2. Keine Sperrwirkung des Art. 10 VO (EG) Nr. 178/2002
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Allerdings ist der potentiell gewichtige Grundrechtseingriff dadurch relativiert, dass die betroffenen Unternehmen negative Öffentlichkeitsinformationen durch rechtswidriges Verhalten selbst veranlassen, umgekehrt also den Eingriff durch rechtstreues Verhalten verhindern können, und dass ihr Fehlverhalten angesichts seiner Konsequenzen für die Verbraucherinnen und Verbraucher einen Öffentlichkeitsbezug aufweist (vgl. Reimer, JöR n.F. 58 [2010], S. 275 [286]; Wollenschläger, VerwArch 102 [2011], S. 20 [44]). Dies unterscheidet den vorliegenden Fall von der namentlichen Internetveröffentlichung bei der Vergabe von Agrarsubventionen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010, Rs. C-92/09 und C-93/09, Volker und Markus Schecke u. a. ./. Land Hessen, juris, Rn. 67).327
Am Rande vermerkt sei, dass die EuGH-Entscheidung die beruflichen Grundrechte (Art. 15 ff. GRC) nicht thematisiert hat (siehe überdies zur Nichtübertragbarkeit des EuGH-Urteils zum lettischen Verkehrssünderregister vom 22. 6. 2021 unten im DSGVO-Kontext, V. 4.).328 Abschließend verwiesen sei auf die (einen grenzüberschreitenden Sachverhalt voraussetzenden) EU-Marktfreiheiten,329 für die sich, soweit tatbestandlich einschlägig, hinsichtlich der Rechtfertigung ebenfalls analog zu den Ausführungen zum nationalen Recht argumentieren ließe. Im Übrigen griffen auch bei Einschlägigkeit der EU-Marktfreiheiten die EU-Grundrechte,330 wobei auf eine Konturierung der Bindung zu achten ist331.
2. Keine Sperrwirkung des Art. 10 VO (EG) Nr. 178/2002 für die schlichte Verbraucherinformation Im Schrifttum findet sich die Auffassung, Art. 10 der Lebensmittel-Basis-Verordnung (EG) Nr. 178/2002 sperre eine Information über andere als Gesundheitsrisiken. Diese Norm bestimmt:
327 BVerfGE 148, 40 (54, Rn. 36). Vgl. freilich auch die Wertung bei EuGH, Rs. C-439/19, ECLI:EU:C:2021:504, Rn. 112 – B. 328 Vgl. zu Art. 16 f. GRC im Kontext der Umweltinformation (Transparenz bzgl. Emissionen) indes EuGH, Rs. C-442/14, ECLI:EU:C:2016:890, Rn. 96 ff. – Bayer CropScience; EuG, Rs. T-545/11, ECLI:EU:T:2013:523, Rn. 27 ff., insb. 44 – Stichting Greenpeace Nederland u. a./EK; Rs. T-545/11 RENV, ECLI:EU:T:2018:817, Rn. 49 – Stichting Greenpeace Nederland u. a./EK. 329 Vgl. dazu F. Becker, Gutachten, S. 49 f.; Y. Becker, EuR 2002, S. 418; C. Monsees, Behördliches Informationshandeln, S. 118 ff.; F. Schoch, ZLR 2010, S. 121 (131 ff.); F. Wollenschläger, DÖV 2013, S. 7 (16). Allgemein ferner J. Gundel, EnzEuR V, § 8, Rn. 5 ff. Näher zum Gewährleistungsgehalt der Marktfreiheiten F. Wollenschläger, Unionsrechtliche Grundlagen, § 1, Rn. 6 ff. 330 Dazu nur EuGH, Rs. C-390/12, ECLI:EU:C:2014:281 – Pfleger u. a.; F. Becker, Gutachten, S. 11, 23; C. Monsees, Behördliches Informationshandeln, S. 127 f.; F. Wollenschläger, EuZW 2014, S. 577 m.w.N. 331 Siehe F. Wollenschläger, EuZW 2014, S. 577 (580). Offen F. Becker, Gutachten, S. 23.
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V. Unionsrechtlicher Rahmen Besteht ein hinreichender Verdacht, dass ein Lebensmittel oder Futtermittel ein Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier mit sich bringen kann, so unternehmen die Behörden unbeschadet der geltenden nationalen oder Gemeinschaftsbestimmungen über den Zugang zu Dokumenten je nach Art, Schwere und Ausmaß des Risikos geeignete Schritte, um die Öffentlichkeit über die Art des Gesundheitsrisikos aufzuklären; dabei sind möglichst umfassend das Lebensmittel oder Futtermittel oder die Art des Lebensmittels oder Futtermittels, das möglicherweise damit verbundene Risiko und die Maßnahmen anzugeben, die getroffen wurden oder getroffen werden, um dem Risiko vorzubeugen, es zu begrenzen oder auszuschalten.
Diese Bestimmung statuiert eine Informationspflicht bei Gesundheitsrisiken, entfaltet aber keine Sperrwirkung hinsichtlich der schlichten Verbraucherinformation.332 Dies hat auch der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil in der Rs. Berger vom 11. 4. 2013 – für zum Verzehr ungeeignete Lebensmittel – entschieden;333 es gilt aber auch jenseits dieses Falles334. Schon mit Blick auf den Wortlaut des Art. 17 Abs. 2 der Lebensmittel-BasisVerordnung (EG) Nr. 178/2002 erscheint es überdies fernliegend, dessen UAbs. 2 eine Sperrwirkung jenseits Gesundheitsrisiken zu entnehmen.335 Diese Bestimmung lautet: Die Mitgliedstaaten setzen das Lebensmittelrecht durch und überwachen und überprüfen, dass die entsprechenden Anforderungen des Lebensmittelrechts von den Lebensmittel- und Futtermittelunternehmern in allen Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen eingehalten werden. Hierzu betreiben sie ein System amtlicher Kontrollen und führen andere den Umständen angemessene Maßnahmen durch, einschließlich der öffentlichen Bekanntgabe von Informationen über die Sicherheit und Risiken von Lebensmitteln und Futtermitteln, der Überwachung der Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit und anderer Aufsichtsmaßnahmen auf allen Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen. 332
BVerwGE 166, 233 (250); BayVGH, NVwZ-RR 2020, S. 830 (832) – auch jenseits des Falles zum Verzehr ungeeigneter Lebensmittel; OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (97); VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (119); BeckRS 2019, 33951, Rn. 8; VG Augsburg, BeckRS 2019, 12743, Rn. 29; VG Karlsruhe, BeckRS 2019, 27103, Rn. 42; VG Regensburg, BeckRS 2020, 34611, Rn. 53 f.; VG Weimar, Beschl. v. 23. 5. 2019, 8 E 423/19, juris, Rn. 28; C. Monsees, Behördliches Informationshandeln, S. 132 ff.; F. Schoch, NVwZ 2012, S. 1497 (1503 f.); F. Wollenschläger, EuZW 2013, S. 419 (420 f.). 333 EuGH, Rs. C-636/11, ECLI:EU:C:2013:227, Rn. 28 ff. – Berger. 334 Siehe nur BayVGH, NVwZ-RR 2020, S. 830 (832); VG Regensburg, BeckRS 2020, 34611, Rn. 53 f.; C. Monsees, Behördliches Informationshandeln, S. 133 f.; F. Wollenschläger, EuZW 2013, S. 419 (421) m.w.N.; ders., Mitgliedstaatliche Informationsbefugnisse im Lebensmittelsektor vor dem Hintergrund der Harmonisierung des europäischen Lebensmittelrechts, in: A. Dix/G. Franßen/M. Kloepfer/P. Schaar/F. Schoch und Deutsche Gesellschaft für Informationsfreiheit (Hrsg.), Jahrbuch Informationsfreiheit und Informationsrecht 2013, 2014, S. 151 (157 ff.); C. Zott, Informationen, S. 329 ff. A.A. F. Becker, Gutachten, S. 51 ff. Vgl. auch M. Grube/M. Immel/R. Wallau, Verbraucherinformationsrecht, Teil A, Rn. 49 ff.; A. Merschmann, Informationen, S. 77 ff. 335 Siehe auch VG Regensburg, BeckRS 2020, 34611, Rn. 53 f. A.A. F. Becker, Gutachten, S. 54 f.; ferner A. Merschmann, Informationen, S. 78.
3. Vorgaben der EU-Lebensmittelkontrollverordnung
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Außerdem legen sie Vorschriften für Maßnahmen und Sanktionen bei Verstößen gegen das Lebensmittel- und Futtermittelrecht fest. Diese Maßnahmen und Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.
So beziehen sich sowohl UAbs. 1 als auch UAbs. 3 auf das gesamte Lebensmittelrecht und ist UAbs. 2, genauso wie Art. 10 derselben Verordnung, nicht abschließend zu verstehen, wofür auch der Wortlaut „einschließlich“ spricht. Schließlich lässt auch Art. 8 Abs. 3 VO (EU) Nr. 2017/625 [zu diesem V. 3. b) aa)] keine Beschränkung auf bestimmte Verstöße erkennen.
3. Vorgaben der EU-Lebensmittelkontrollverordnung Sekundärrechtliche Anforderungen an die Herstellung von Transparenz im Lebensmittelbereich formuliert die EU-Lebensmittelkontrollverordnung. Die zwischenzeitlich außer Kraft getretene und im Wege eines Exkurses betrachtete Verordnung (EG) Nr. 882/2004336 (a) wurde zum 14. 12. 2019 durch ihre Nachfolgerin, die Verordnung (EU) Nr. 2017/625 (b), ersetzt.
a) Exkurs: Lebensmittel-Kontrollverordnung (EG) Nr. 882/2004 Art. 7 der früheren, am 13. 12. 2019 außer Kraft getretenen Lebensmittel-Kontrollverordnung (EG) Nr. 882/2004 bestimmte: Transparenz und Vertraulichkeit (1) Die zuständigen Behörden gewährleisten, dass sie ihre Tätigkeiten mit einem hohen Maß an Transparenz ausüben. Zu diesem Zweck machen sie die ihnen vorliegenden Informationen der Öffentlichkeit so rasch wie möglich zugänglich. Generell hat die Öffentlichkeit Zugang zu: a) Informationen über die Kontrolltätigkeiten der zuständigen Behörden und ihre Wirksamkeit und b) Informationen gemäß Artikel 10 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002. (2) Die zuständige Behörde unternimmt entsprechende Schritte, um sicherzustellen, dass die Angehörigen ihres Personals dazu angehalten sind, keine in Wahrnehmung ihrer amtlichen Kontrollaufgaben erworbenen Informationen weiterzugeben, die ihrer Art nach in hinreichend begründeten Fällen der Geheimhaltungspflicht unterliegen. Die Geheimhaltungspflicht hindert die zuständigen Behörden nicht daran, Informationen gemäß Absatz 1 Buchstabe b) zu verbreiten. Die Bestimmungen der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen
336 Verordnung (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 4. 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz, ABl. L 165 vom 3. 4. 2004, S. 1, aufgehoben durch Art. 146 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 2017/625 (Fn. 313).
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Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr bleiben unberührt. (3) Der Geheimhaltungspflicht unterliegen insbesondere folgende Informationen: – die Vertraulichkeit von Voruntersuchungen oder laufenden rechtlichen Verfahren, – personenbezogene Daten, – die Dokumente, für die nach der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission eine Ausnahmeregelung gilt, – Informationen, die durch einzelstaatliches oder Gemeinschaftsrecht geschützt sind und insbesondere Folgendes betreffen: Geheimhaltungspflicht, Vertraulichkeit von Beratungen, internationale Beziehungen und Landesverteidigung.
In dieser Regelung hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 29. 8. 2019 kein Hindernis für den Informationszugang gesehen: Der Senat lässt offen, ob die Auffassung des Berufungsgerichts zutreffend ist, dass Art. 7 Abs. 2 und 3 VO (EG) Nr. 882/2004 keine subjektiven Rechte für das Unternehmen begründet. Jedenfalls steht Art. 7 VO (EG) Nr. 882/2004, nach dessen Absatz 1 Satz 3 Buchst. a) die Öffentlichkeit generell Zugang zu Informationen über die Kontrolltätigkeit der zuständigen Behörden und ihre Wirksamkeit hat, dem Informationszugang nicht entgegen. Die Auffassung der Revision, dass die Öffentlichkeit nur Zugang zu allgemeinen Informationen über die Kontrolltätigkeit der zuständigen Behörden hat, findet in dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 Satz 3 Buchst. a) VO (EG) Nr. 882/2004 keine Stütze. Im Übrigen lässt sich Art. 7 VO (EG) Nr. 882/2004 nichts dafür entnehmen, dass Informationen über Betriebskontrollen und Beanstandungen der Geheimhaltungspflicht unterliegen und nur Informationen über Gesundheitsgefahren zugänglich gemacht werden dürfen. Soweit sich die Revision sinngemäß auf Art. 7 Abs. 3 4. Spiegelstrich VO (EG) Nr. 882/2004 beruft, wonach durch einzelstaatliches Recht geschützte geheimhaltungspflichtige Informationen auch unionsrechtlich geschützt sind, führt dieses Vorbringen nicht weiter. Auch wenn Informationen über Beanstandungen bei Betriebskontrollen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wären, unterlägen sie nach Maßgabe des Verbraucherinformationsgesetzes keinem Schutz.337 337 BVerwGE 166, 233 (250 f.). Siehe auch BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 15; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 25.19, Umdruck, S. 9 f.; OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (97 f.); VGH Mannheim, LMuR 2020, S. 115 (119); BeckRS 2019, 33951, Rn. 8; VG Karlsruhe, BeckRS 2019, 27103, Rn. 42. Nur ein pauschaler Verweis auf die Geheimhaltungspflicht gemäß Art. 7 VO (EG) Nr. 882/2004 findet sich in EuGH, Rs. C-636/11, ECLI:EU:C:2013:227, Rn. 33, 36 f. – Berger; dazu F. Wollenschläger, EuZW 2013, S. 419 (421 f.). Siehe zu 7 VO (EG) Nr. 882/2004 noch S. E. Abbé, Verbraucherschutz, S. 173 ff.; C. Monsees, Behördliches Informationshandeln, S. 134 ff.; F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (33 ff.); ders., Mitgliedstaatliche Informationsbefugnisse im Lebensmittelsektor vor dem Hintergrund der Harmonisierung des europäischen Lebensmittelrechts, in: A. Dix/ G. Franßen/M. Kloepfer/P. Schaar/F. Schoch und Deutsche Gesellschaft für Informationsfreiheit (Hrsg.), Jahrbuch Informationsfreiheit und Informationsrecht 2013, 2014, S. 151 (160 ff.); C. Zott, Informationen, S. 334 ff. Für eine Beschränkung auf die Information über Gesundheitsgefahren bei möglichen Rückschlüssen auf den Betriebsinhaber F. Becker, Gutachten, S. 58 ff. Restriktiv auch M. Grube/M. Immel/R. Wallau, Verbraucherinformationsrecht, Teil D, § 1 VIG, Rn. 4 f.
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b) Lebensmittel-Kontrollverordnung (EU) Nr. 2017/625 Aktuell hat sich die Informationserteilung an der am 14. 12. 2019 in Kraft getretenen Lebensmittel-Kontrollverordnung (EU) Nr. 2017/625 messen zu lassen. Diese statuiert in Art. 8 eine grundsätzliche Verschwiegenheitspflicht [aa)] und formuliert in Art. 11 Vorgaben für die Transparenz amtlicher Kontrollen, die eine Korrekturpflicht einschließen [bb)]. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach weiteren materiellen Kriterien für die Informationserteilung [cc)]. aa) Anforderungen der Verschwiegenheitspflicht, Art. 8 VO (EU) Nr. 2017/625 Art. 8 VO (EU) Nr. 2017/625 statuiert eine grundsätzliche Verschwiegenheitspflicht im Kontext amtlicher Kontrollen (1).338 Von dieser sieht Art. 8 Abs. 5 VO (EU) Nr. 2017/625 eine Ausnahme für die hier infrage stehende Veröffentlichung von Kontrollergebnissen vor (2). (1) Grundsätzliche Verschwiegenheitspflicht gemäß Art. 8 Abs. 1 VO (EU) Nr. 2017/625 Gemäß Art. 8 Abs. 1 VO (EU) Nr. 2017/625 sorgen [die zuständigen Behörden] dafür, dass vorbehaltlich des Absatzes 3 keine Informationen an Dritte weitergegeben werden, die bei der Wahrnehmung von Aufgaben im Zusammenhang mit amtlichen Kontrollen und anderen amtlichen Tätigkeiten erworben werden und die nach nationalen oder Unionsvorschriften ihrer Art nach der beruflichen Geheimhaltungspflicht unterliegen […].
Der in Bezug genommene dritte Absatz lautet: Sofern kein übergeordnetes öffentliches Interesse an der Verbreitung von Informationen, die der beruflichen Geheimhaltungspflicht gemäß Absatz 1 unterliegen, besteht und unbeschadet der Fälle, in denen die Verbreitung nach Unions- oder nationalem Recht erforderlich ist, umfassen solche Informationen auch Informationen, deren Verbreitung Folgendes unterlaufen würde: a) den Zweck von Inspektionen, Untersuchungen oder Audits; b) den Schutz der geschäftlichen Interessen eines Unternehmers oder einer anderen natürlichen oder juristischen Person oder c) den Schutz von Gerichtsverfahren und der Rechtsberatung.
338 Gegen die Zulässigkeit einer Information über andere als drohende Gesundheitsgefahren F. Becker, LMuR 2020, S. 57 (58). Vgl. auch ders., Gutachten, S. 60 ff.
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(2) Ausnahme für die Veröffentlichung von Kontrollergebnissen gemäß Art. 8 Abs. 5 VO (EU) Nr. 2017/625 Über die Ausnahmemöglichkeiten des Art. 8 Abs. 3 VO (EU) Nr. 2017/625339 hinaus formuliert Art. 8 Abs. 5 VO (EU) Nr. 2017/625 einen weiteren Ausnahmetatbestand, der für die hier inmitten stehende Veröffentlichung von Kontrollergebnissen von besonderer Bedeutung ist: Die Verschwiegenheitspflichten gemäß diesem Artikel hindern die zuständigen Behörden nicht daran, Informationen über das Ergebnis amtlicher Kontrollen, die einzelne Unternehmer betreffen, unbeschadet der Fälle, in denen die Verbreitung nach Unions- oder nationalem Recht erforderlich ist, unter folgenden Bedingungen zu veröffentlichen oder der Öffentlichkeit auf anderem Weg zugänglich zu machen: a) Der betreffende Unternehmer erhält Gelegenheit, sich vor der Veröffentlichung oder Freigabe zu den Informationen zu äußern, die die zuständige Behörde veröffentlichen oder der Öffentlichkeit auf anderem Weg zugänglich machen möchte, wobei der Dringlichkeit der Lage Rechnung zu tragen ist und b) die veröffentlichten oder der Öffentlichkeit auf anderem Weg zugänglich gemachten Informationen berücksichtigen die Bemerkungen des betroffenen Unternehmers oder werden mit diesen zusammen veröffentlicht oder freigegeben.
Der Ergebnisbezug wird teils dahin konkretisiert, dass zum einen die „Kontrolle abgeschlossen und rechtlich bewertet worden sein muss. Zum anderen führt die Beschränkung auf das Ergebnis amtlicher Kontrollen dazu, dass die Kriterien der Kontrolle, der Ablauf des Kontrollverfahrens und sonstige Feststellungen der Kontrollpersonen nicht entgegen einer Geheimhaltungspflicht veröffentlicht werden dürfen“.340 Des Weiteren heißt es im Schrifttum: Nach dem Erwägungsgrund 31 setzt eine auf Abs. 5 gestützte Veröffentlichung voraus, dass die Veröffentlichung sachliche Informationen enthält. In tatsächlicher Hinsicht ist eine Information nur dann sachlich, wenn die zugrunde gelegten Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ermittelt wurden. Außerdem muss die fachliche Bewertung allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Und schließlich ist die rechtliche Wertung gleichfalls nach anerkannten Kriterien vorzunehmen. Zu beachten ist dabei, dass sich die Befugnis zur Veröffentlichung gemäß Abs. 5 nur auf das Ergebnis amtlicher Kontrollen bezieht. Die amtliche Kontrolle muss also abgeschlossen und rechtlich bewertet sein. Dass ein verwaltungsrechtliches oder gerichtliches Verfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen sein muss, kann allerdings aus Abs. 5 nicht entnommen werden. Aus der Bezugnahme auf das Ergebnis amtlicher Kontrollen ergibt sich außerdem, dass Abs. 5 nicht dazu berechtigt, beispielsweise die Kriterien für die amtliche Kontrolle, den Verlauf der amtlichen Kontrolle oder Äußerungen von Mitarbeitern des Unternehmens während der amtlichen Kontrolle mit zu veröffentlichen.341 339
Siehe hierzu D. Groß, ZLR 2018, S. 763 (784 f.). F. Becker, LMuR 2020, S. 57 (58). Ebenso ders., Gutachten, S. 61 f. 341 K.-D. Rathke, in: Zipfel/ders., Lebensmittelrecht, Art. 8 VO (EU) 2017/625, Rn. 24 ff. (Stand: 172. EL November 2018). 340
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Art. 8 Abs. 5 VO (EU) Nr. 2017/625 sieht zwei Alternativen für die Zulässigkeit einer Verbraucherinformation über Kontrollergebnisse vor, nämlich eine Veröffentlichung gemäß den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 5 lit. a und b VO (EU) Nr. 2017/625 (a) sowie bei Erforderlichkeit gemäß einer anderweitigen Grundlage im nationalen oder EU-Recht (b). (a) Veröffentlichung gemäß Art. 8 Abs. 5 lit. a und b VO (EU) Nr. 2017/625 Eine aktive behördliche Veröffentlichung bzw. eine antragsgebundene Informationserteilung ist zum einen möglich, wenn die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 5 lit. a und b VO (EU) Nr. 2017/625 vorliegen. Danach, so der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 15. 4. 2020, dürfte eine Offenlegung von Kontrollberichten auf der Basis von § 2 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 VIG nach wie vor grundsätzlich möglich sein, wenn – wie hier – der betroffene Unternehmer zuvor angehört wurde und seine Bemerkungen („comments“, „commentaires“) berücksichtigt wurden (vgl. OVG NW, a.a.O., Rn. 77).342
Das OVG Münster verlangt hierfür in seinem Beschluss vom 23. 7. 2020: Um einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nicht leerlaufen zu lassen und dem Erfordernis des Art. 8 Abs. 5 VO (EU) 2017/625 gerecht zu werden, wird die informationspflichtige Stelle von der ihr in § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VIG eingeräumten Möglichkeit, ohne Anhörung des Dritten Informationen im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG weiterzugeben, allenfalls dann Gebrauch machen dürfen, wenn für sie, z. B. aus vorangegangenen Verfahren auf Informationszugang, ersichtlich ist, dass der Dritte gegen die Weitergabe keine Einwände geltend machen wird.343
Es führt weiter aus: Die Vorgabe des Art. 8 Abs. 5 VO (EU) 2017/625 ist danach eine solche der Gewährung rechtlichen Gehörs. Dem entspricht das Regelungsgefüge der § 2 Abs. 1, § 5 Abs. 1 VIG, welches die Entscheidung über die Informationsgewährung mit einer grundsätzlich vorgeschalteten […] Anhörungspflicht verknüpft […]. Art. 8 Abs. 5 VO (EU) 2017/625 lässt sich dagegen nicht die Bedeutung entnehmen, die die Beschwerde ihm beimisst. Weder der Normwortlaut noch der Erwägungsgrund 31 stützen die Annahme, dass „berücksichtigen“ im vorliegenden Kontext meint, dass der Stellungnahme des Unternehmens entsprochen, die Information mithin nicht bekannt gegeben wird. Art. 8 Abs. 5 b) Variante 1 VO (EU) 2017/625 spricht von „veröffentlichten oder der Öffentlichkeit auf anderem Weg zugänglich gemachten Informationen“, die die Bemerkungen des betroffenen Unternehmens „berücksichtigen“. Diese Entscheidungskonstellation setzt eine positive Entscheidung über den Informationsantrag voraus. Dies belegt in systematischer Hinsicht der Vergleich mit Art. 8 Abs. 5 b) Variante 2 VO (EU) 2017/625. Dieser stellt die Alternative der (Mit-)Veröffentlichung bzw. (Mit-)Freigabe der Bemerkungen des be342 BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 32. So auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 25.19, Umdruck, S. 10 f.; OVG Münster, LMuR 2020, S. 92 (98). 343 OVG Münster, Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 36.
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troffenen Unternehmers neben die Berücksichtigung der Bemerkungen bei der Informationsveröffentlichung. Auch diese Variante hat also eine Informationsgewährung im Blick, nicht deren Versagung.344
Auf dieser Linie liegt auch der Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 6. 3. 2020: Soweit die Antragstellerin meint, aus der Verpflichtung zur Berücksichtigung ihrer Stellungnahme folge hier, dass der Kontrollbericht nicht herausgegeben werden dürfe, geht dies über den Regelungsgehalt des Art. 8 Abs. 5 lit b (EU) 2017/625 hinaus. Dieser sieht seinem Wortlaut entsprechend vor, dass die Information dann der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann, wenn die von dem betroffenen Unternehmen abgegebene Stellungnahme zuvor berücksichtigt worden ist. Der Unternehmer soll danach nicht vor jeder Zugänglichmachung der Information geschützt werden. Berücksichtigungsfähig dürften entsprechend keine Bemerkungen sein, die nicht die sachliche Information als solche, sondern den Anspruch Dritter auf Zugänglichmachung der Information betreffen. Vor diesem Hintergrund vermag auch der Einwand der Antragstellerin nicht zu überzeugen, der Antragsgegner müsse nach Art. 8 Abs. 5 lit b (EU) 2017/625 ihre Stellungnahme zusammen mit dem Kontrollbericht veröffentlichen, da er den Informationszugang nicht, wie mit der Stellungnahme gefordert, abgelehnt habe. Darüber hinaus ist nicht davon auszugehen, dass die Berücksichtigung von Bemerkungen, die nach Art. 8 Abs. 5 lit b (EU) 2017/625 zudem an erster Stelle genannt ist, mithin vorrangig zu sein scheint, zu einer Verpflichtung der Behörde führen soll, den Einwendungen eines Unternehmers zu folgen. Dies ließe sich mit der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz auch dann schwer vereinbaren, wenn ihr die (nachrangige) Möglichkeit gewährt wird, die Bemerkungen des Unternehmers zu veröffentlichen. Vielmehr ist von einer Berücksichtigung auch dann auszugehen, wenn die Behörde die Bemerkungen des Unternehmers zur Kenntnis genommen und bei ihrer Entscheidung über den Informationszugang einbezogen hat (vgl. OVG Münster, a.a.O. Rn. 77). Diesen Anforderungen hat der Antragsgegner mit seinem die Informationsgewährung regelnden Bescheid vom 9. April 2019 genügt. Es kann vor dem geschilderten Hintergrund offen bleiben, ob der Antragsgegner die Bemerkungen der Antragstellerin nach Art. 8 Abs. 5 lit b (EU) 2017/625 auch freigegeben hat, indem er in dem die Informationsgewährung bewilligenden Bescheid den Kern der Stellungnahme der Antragstellerin zusammengefasst hat.345
344 OVG Münster, Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 79 ff. Siehe auch LMuR 2020, S. 92 (98): „Nicht unter die berufliche Geheimhaltungspflicht fallen sollen nach Art. 8 Abs. 5 der Verordnung aber sachliche Informationen über das Ergebnis amtlicher Kontrollen bei einzelnen Unternehmern, wenn der betroffene Unternehmer vor der Weitergabe Stellung dazu nehmen durfte und diese Stellungnahme berücksichtigt oder zusammen mit den von den zuständigen Behörden weitergegebenen Informationen veröffentlicht wird. Danach dürfte eine Offenlegung von Kontrollberichten der vorliegenden Art auf der Basis von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a) VIG nach wie vor grundsätzlich möglich sein, wenn der betroffene Unternehmer zuvor angehört wurde und seine Bemerkungen berücksichtigt wurden.“ 345 OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 25.19, Umdruck, S. 11 f.
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Teile des Schrifttums sehen in Art. 8 Abs. 5 VO (EU) Nr. 2017/625 indes „eine Art Gegendarstellungsrecht des Unternehmers normiert“.346 Auch die Kommentarliteratur verlangt eine Wiedergabe: Buchstabe b verpflichtet die Behörde, die Äußerung des Unternehmers entweder bei der Formulierung der Information zu berücksichtigen oder der Information beizufügen. Eine Berücksichtigung der Äußerung des Unternehmers muss allerdings diese Äußerung im Hinblick auf den Schutzzweck der Regelung objektiv und ohne eigene Wertung in die Information einbeziehen. Es würde dem Schutzzweck der Vorschrift nicht entsprechen, die Argumentation des Unternehmers dadurch zu unterlaufen, dass in einer Gegendarstellung diese Äußerung – direkt oder indirekt in der eigenen Formulierung – inhaltlich infrage gestellt oder bagatellisiert wird.347
In beiden Varianten ist eine Informationserteilung möglich. (b) Veröffentlichung bei Erforderlichkeit auf anderweitiger Grundlage Zum anderen, dies ermöglicht der Einschub in Art. 8 Abs. 5 VO (EU) Nr. 2017/ 625 „unbeschadet der Fälle, in denen die Verbreitung nach Unions- oder nationalem Recht erforderlich ist“, können das nationale und EU-Recht entsprechende Informationsregelungen vorsehen, die unabhängig von den zuerst genannten Voraussetzungen ausgestaltet werden können. Dies hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 15. 4. 2020 herausgestrichen: Die einschränkenden Kautelen, zu denen die Äußerungsmöglichkeit des betroffenen Unternehmers (Buchst. a) und die Berücksichtigung seiner Bemerkungen (Buchst. b) gehört, gelten ausdrücklich „unbeschadet (without prejudice, sans préjudice) der Fälle, in denen die Verbreitung nach Unionsrecht oder nationalem Recht erforderlich ist“ (vgl. auch Erwägungsgrund 31 der VO 2017/625). Es wird somit lediglich ein unionsrechtlicher Mindeststandard für diejenigen Fälle formuliert, in denen Behörden trotz ihrer Verschwiegenheitspflichten tätig werden dürfen; Fälle, in denen eine Veröffentlichung unionsrechtlich oder nach einzelstaatlichem Recht erfolgen muss, bleiben hiervon unberührt.348
Das bedeutet: Die einschränkenden unionsrechtlichen Vorgaben kommen daher beim antragsgebundenen Informationszugang nach dem Verbraucherinformationsgesetz nicht zum Tragen (so auch zur amtlichen Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFBG VG Würzburg, a.a.O., Rn. 48; a.A. in einem obiter dictum BayVGH, B.v. 28. 11. 2019 – 20 CE 19.1995 – juris Rn. 59).349 346
F. Becker, ZLR 2019, S. 877 (881); ferner ders., LMuR 2020, S. 57 (58); ders., Gutachten, S. 62. 347 K.-D. Rathke, in: Zipfel/ders., Lebensmittelrecht, Art. 8 VO (EU) 2017/625, Rn. 31 ff. (Stand: 172. EL November 2018). Siehe auch E. Roffael, ZLR 2020, S. 231 (234). 348 BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 31. Siehe auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 25.19, Umdruck, S. 10; VG Würzburg, BeckRS 2020, 25105, Rn. 45; BeckRS 2021, 6979, Rn. 44. 349 BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 32. Das in Bezug genommene Obiter Dictum lautet recht pauschal und ohne Erörterung [siehe BayVGH, NVwZ-RR 2020, S. 830 (832)]: „Für
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Dem hat sich auch der VGH Mannheim in seinem Beschluss vom 9. 11. 2020 angeschlossen.350 Für die Erforderlichkeit einer Verbreitung nach nationalem Recht i.S.d. Öffnungsklausel wird ein – nicht im behördlichen Ermessen stehender – Informationsanspruch verlangt. Nach nationalem Recht erforderlich („required by national legislation“, „exigée par la législation nationale“) ist die Verbreitung der Informationen, wenn sie nicht im behördlichen Ermessen steht, sondern bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend vorgeschrieben ist (vgl. VG Würzburg, B.v. 28. 1. 2020 – W 8 E 19.1669 – juris Rn. 48; Rathke in Zipfel/ Rathke, Lebensmittelrecht, Art. 8 VO (EU) 2017/625 Rn. 9, 21 ff.).351
Um einen solchen Anspruch handelt es sich bei der antragsgebundenen Informationserteilung gemäß § 2 Abs. 1 VIG.352 Diese auf Informationspflichten abstellende Auslegung bestreitet eine Literaturmeinung unter Verweis auf den auch in der soeben zitierten Entscheidung in Bezug genommenen Erwägungsgrund 31 der VO (EU) Nr. 2017/625; dieser lautet: Die zuständigen Behörden sollten dafür sorgen, dass das Personal, das die amtlichen Kontrollen durchführt, keine Informationen weitergibt, die es bei der Durchführung solcher Kontrollen erlangt, wenn diese Informationen der beruflichen Geheimhaltungspflicht unterliegen. Sofern kein übergeordnetes öffentliches Interesse an einer Weitergabe besteht, sollten unter die berufliche Geheimhaltungspflicht Informationen fallen, deren Weitergabe den Zweck von Inspektionen, Untersuchungen oder Audits, den Schutz geschäftlicher Interessen oder den Schutz von Gerichtsverfahren und der Rechtsberatung untergraben könnte. Nicht unter die berufliche Geheimhaltungspflicht fallen sollten aber sachliche Informationen über das Ergebnis amtlicher Kontrollen bei einzelnen Unternehmern, wenn der betroffene Unternehmer vor der Weitergabe Stellung dazu nehmen durfte und diese Stellungnahme berücksichtigt oder zusammen mit den von den zuständigen Behörden weitergegebenen Informationen veröffentlicht wird. Die Notwendigkeit, die berufliche Geheimhaltungspflicht zu berücksichtigen, ist auch dann hinfällig, wenn die zuständigen Behörden die allgemeine Öffentlichkeit informieren müssen, weil ein begründeter Verdacht besteht, dass Lebens- oder Futtermittel ein Gesundheitsrisiko gemäß Artikel 10 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 darstellen können. Das Recht einzelner Personen auf den Schutz ihrer Daten gemäß der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates Veröffentlichungen, die ab dem 14. 12. 2019 erfolgen, sind die Vorgaben der VO (EU) 2017/625 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 3. 2017 (Neue EU-Kontrollverordnung) zu beachten, insbesondere Art. 8 V, 167 I 2 VO (EU) 2017/625. Da wohl mit einer Veröffentlichung unmittelbar nach der Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu rechnen ist, kommt es vorliegend darauf nicht streitentscheidend an.“ A.A. E. Roffael, ZLR 2020, S. 231 (234). Offen gelassen von VG Augsburg, Beschl. v. 19. 11. 2019, Au 1 K 19.1255, juris, Rn. 37. 350 VGH Mannheim, BeckRS 2020, 33823, Rn. 15. 351 BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 32; ferner VGH Mannheim, BeckRS 2020, 33823, Rn. 15. Vgl. auch VG Würzburg, LMuR 2020, S. 279 (283 f.); BeckRS 2020, 25105, Rn. 45. 352 BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 32. Ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 25.19, Umdruck, S. 10; VG Würzburg, BeckRS 2020, 25105, Rn. 45; BeckRS 2021, 6979, Rn. 44.
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sollten von dieser Verordnung nicht betroffen sein. Diese Bestimmungen sollten ferner unbeschadet der Fälle gelten, in denen die Weitergabe von Informationen nach Unions- oder nationalem Recht erforderlich ist.
Daraus wird eine Beschränkung der Ausnahmeklausel auf Fälle eines Gesundheitsrisikos abgeleitet: Hiernach ist die in Art. 8 Abs. 5 KontrollVO n.F. [enthaltene Verschwiegenheitspflicht] obsolet, „wenn die zuständigen Behörden die allgemeine Öffentlichkeit informieren müssen, weil ein begründeter Verdacht besteht, dass Lebens- oder Futtermittel ein Gesundheitsrisiko“ nach Art. 10 BasisVO darstellen können. Anhand dieser Bezugnahme auf ein Gesundheitsrisiko wird deutlich, dass mit der „Notwendigkeit“ der Veröffentlichung keineswegs auf den Unterschied zwischen gebundenen und Ermessensentscheidungen rekurriert wird. Vielmehr geht es um die Frage, ob die Veröffentlichung zur Gefahrenabwehr erforderlich ist, da nur dann eine Vernachlässigung der unternehmerischen Rechte zu legitimieren ist.353
Diese Einschränkung lässt sich aber schon nicht auf den Wortlaut des Erwägungsgrundes 31 stützen, ignoriert sie doch den letzten Satz des Erwägungsgrundes, der, wie das Wort „ferner“ verdeutlicht, weitere Ausnahmetatbestände gestattet.354 Die hier vertretene Auffassung wird auch im Schrifttum unter ausdrücklichem Verweis auf eine Informationserteilung nach dem VIG geteilt.355 bb) Vereinbarkeit mit der Transparenzregelung, Art. 11 VO (EU) Nr. 2017/625 Art. 11 Abs. 2 VO (EU) Nr. 2017/625 verpflichtet „[d]ie zuständigen Behörden“, „Verfahren fest[zulegen], mit denen sichergestellt wird, dass alle Ungenauigkeiten in den der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Informationen entsprechend korrigiert werden.“ Dem genügen mit dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. 4. 2020 die entsprechenden Schutzmechanismen des VIG: Die Antragstellerin kann auch aus dem von ihr weiter ins Spiel gebrachten Art. 11 Abs. 2 VO 2017/625 nichts für sich herleiten. Diese Vorschrift verpflichtet die zuständigen Behörden zur Festlegung bestimmter Korrekturverfahren und sieht insoweit ähnliche Schutzvorkehrungen vor, wie sie das Verbraucherinformationsgesetz in § 6 Abs. 3 Satz 2 und § 6 Abs. 4 enthält. Im Unterschied zur Ausgestaltung im Verbraucherinformationsgesetz ist die in Art. 11 VO 2017/625 als Leitbild formulierte, auf die behördliche Kon353
F. Becker, LMuR 2020, S. 57 (58). Dies verdeutlichen auch weitere Sprachfassungen des letzten Satzes, etwa die englische („These rules should also be without prejudice to situations where disclosure is required by Union or national legislation“) oder die französische („Ces règles devraient également être sans préjudice des situations dans lesquelles la divulgation est exigée par la législation de l’Union ou la législation nationale“) – Hervorhebung jeweils nicht im Original. 355 K.-D. Rathke, in: Zipfel/ders., Lebensmittelrecht, Art. 8 VO (EU) 2017/625, Rn. 21 ff. (Stand: 172. EL November 2018). Vgl. allgemein auch VG Würzburg, BeckRS 2020, 25105, Rn. 46. 354
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V. Unionsrechtlicher Rahmen
trolltätigkeit bezogene Transparenz allerdings nicht mit einem subjektiven Anspruch belegt (vgl. Heinicke in Zipfel/Rathke, a.a.O., § 2 VIG Rn. 2). So beschränkt sich Art. 11 Abs. 1 auf die Vermittlung eines generellen Bildes (UAbs. 1) bzw. auf die Übermittlung von aggregierten Informationen (UAbs. 2), sieht aber keine einzelfallbezogenen Publikationen vor (vgl. Rathke in Zipfel/Rathke, a.a.O., Art. 11 VO 2017/625 Rn. 9 f.). Auch Art. 11 Abs. 2 richtet sich an die mitgliedstaatlichen Instanzen und vermag keine subjektiven Rechte Einzelner zu begründen. Eine unmittelbare Verpflichtung zur Korrektur von fehlerhaften Informationen in konkreten Einzelfällen enthält die Vorschrift gerade nicht (vgl. Rathke in Zipfel/Rathke, a.a.O., Art. 11 VO 2017/625 Rn. 21).356
Das Schrifttum leitet aus Art. 11 Abs. 2 VO (EU) Nr. 2017/625 eine Korrekturpflicht ab.357 Eine solche enthält zunächst § 6 Abs. 4 VIG. Hinsichtlich fortwirkender (behördlicher) Korrekturpflichten, auch im Zusammenspiel mit Verpflichtungen Privater, gilt das im Kontext der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 12 Abs. 1 GG Gesagte, mithin ist von einem hinreichenden Schutz durch die beschriebenen Mechanismen auszugehen [siehe oben, IV.3.c.ee.(7)(b)].358 Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass Art. 11 VO (EU) Nr. 2017/625 Sperrwirkung hinsichtlich der hier infrage stehenden Information entfaltet.359 cc) Materielle Anforderungen an die Informationserteilung Im Anwendungsbereich des Ausnahmetatbestands von Art. 8 Abs. 5 VO (EU) Nr. 2017/625 finden sich keine materiellen Anforderungen an die Informationserteilung explizit formuliert.360 In die zweite Variante [„unbeschadet der Fälle, in denen die Verbreitung nach Unions- oder nationalem Recht erforderlich ist“; zu dieser V. 3. b) aa) (2) (b)] ließe sich, auch in grundrechtskonformer Auslegung, ein Verhältnismäßigkeitsvorbehalt hineinlesen („erforderlich“); hinzu kommt, dass es einer anderweitigen Informationsgrundlage bedarf, die ihrerseits grundrechtlichen Anforderungen genügen muss. In der ersten Variante, einer Veröffentlichung unter den 356 BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 33. Ebenso OVG Bremen, BeckRS 2021, 7074, Rn. 45. 357 F. Becker, LMuR 2020, S. 57 (58 f.); ders., Gutachten, S. 62 f.; K.-D. Rathke, in: Zipfel/ ders., Lebensmittelrecht, Art. 11 VO (EU) 2017/625, Rn. 16 ff. (Stand: 172. EL November 2018). Indes gegen eine subjektiv-rechtlich unterfütterte Korrekturpflicht OVG Bremen, BeckRS 2021, 7074, Rn. 45. 358 Strikt F. Becker, Gutachten, S. 63 ff., unter Annahme einer überwirkenden Schutzpflicht. 359 Vgl. allgemein auch VG Würzburg, BeckRS 2020, 25105, Rn. 46. 360 Dies bekräftigend F. Becker, Gutachten, S. 61 f.; C. Monsees, Behördliches Informationshandeln, S. 183. Kritisch zum Verzicht auf materielle Vorgaben F. Wollenschläger, EuZW 2013, S. 419 (422); ferner – bezogen auf eine Veröffentlichung – ders., Mitgliedstaatliche Informationsbefugnisse im Lebensmittelsektor vor dem Hintergrund der Harmonisierung des europäischen Lebensmittelrechts, in: A. Dix/G. Franßen/M. Kloepfer/P. Schaar/F. Schoch und Deutsche Gesellschaft für Informationsfreiheit (Hrsg.), Jahrbuch Informationsfreiheit und Informationsrecht 2013, 2014, S. 151 (163). Ohne Kritik C. Monsees, Behördliches Informationshandeln, S. 183.
4. Vereinbarkeit mit der Datenschutzgrundverordnung
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in Art. 8 Abs. 5 VO lit. a und b (EU) Nr. 2017/625 genannten prozeduralen Voraussetzungen, bestehen keine entsprechenden textlichen Anknüpfungspunkte. Selbst wenn man diese Norm als unbedingte Informationsbefugnis (und nicht etwa als auf nationaler Ebene ergänzungsbedürftige Regelung) verstünde, müsste sie sich an Grundrechten messen lassen. Vor diesem Hintergrund stellt sich in beiden Varianten die Frage nach grundrechtlichen Grenzen der Veröffentlichung bzw. Zugänglichmachung entsprechender betriebsbezogener Informationen über das Ergebnis amtlicher Kontrollen. Soweit nationale Grundrechte (auch parallel zu Unionsgrundrechten) anwendbar sind, da eine Veröffentlichung auf nationaler Grundlage unter Inanspruchnahme von Gestaltungsspielräumen erfolgt, was bei der antragsgebundenen Informationserteilung gemäß dem VIG der Fall ist (dazu IV. 1.), hat die Untersuchung bereits die Grundrechtskonformität herausgearbeitet (siehe IV. 3. ff.). Soweit Unionsgrundrechte einschlägig sind (dazu V. 1.), sei festgehalten, dass nach Auffassung des Autors die Überlegungen zum nationalen Grundrechtsschutz auf die unionsgrundrechtliche Beurteilung der antragsgebundenen Informationserteilung übertragen werden können, eine entsprechende behördliche Informationserteilung mithin zulässig ist (dazu bereits V. 1.).361 Schließlich stellt Art. 143 Abs. 1 VO (EU) Nr. 2017/625 die Beachtung von Anforderungen des EU-Datenschutzes sicher.
4. Vereinbarkeit mit der Datenschutzgrundverordnung Die Informationserteilung kann personenbezogene Daten i.S.d. Art. 4 Nr. 1 DSGVO betreffen, mithin Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden „betroffene Person“) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen identifiziert werden kann, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind.
Ist dies der Fall,362 muss die Verarbeitung mit den Anforderungen der DSGVO in Einklang stehen. Diese formuliert für die Informationsfreiheit, mithin für die Verarbeitung und den Zugang der Öffentlichkeit zu amtlichen Dokumenten zunächst 361
Materiell restriktiver F. Becker, Gutachten, S. 61 (Erfordernis einer Gesundheitsgefahr), Abs. 5 indes als Ausnahmeregelung verstehend (S. 61 f.). 362 Näher OVG Münster, Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 84 ff.; F. Becker, LMuR 2020, S. 57 (60 f.); A. Merschmann, Informationen, S. 42, 48 f.; H. Richter, IWG, § 1, Rn. 604; C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 14; H. A. Wolff, LMuR 2020, S. 1 (4 f.).
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V. Unionsrechtlicher Rahmen
eine Sonderregelung (Öffnungsklausel; Art. 86 DSGVO; dazu a). Auf dieser Basis seien sodann die an Informationszugangsregelungen zu stellenden Anforderungen erörtert (Art. 5 f. DSGVO; dazu b). Obgleich das Datenschutzrecht keinen Schwerpunkt der Untersuchung darstellt, seien diese beiden Punkte kurz beleuchtet.
a) Art. 86 DSGVO (Verarbeitung und Zugang der Öffentlichkeit zu amtlichen Dokumenten) Für die Informationsfreiheit, mithin für die Verarbeitung und für den Zugang der Öffentlichkeit zu amtlichen Dokumenten enthält Art. 86 DSGVO eine Sonderregelung (Öffnungsklausel).363 Dieser bestimmt: Personenbezogene Daten in amtlichen Dokumenten, die sich im Besitz einer Behörde oder einer öffentlichen Einrichtung oder einer privaten Einrichtung zur Erfüllung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe befinden, können von der Behörde oder der Einrichtung gemäß dem Unionsrecht oder dem Recht des Mitgliedstaats, dem die Behörde oder Einrichtung unterliegt, offengelegt werden, um den Zugang der Öffentlichkeit zu amtlichen Dokumenten mit dem Recht auf Schutz personenbezogener Daten gemäß dieser Verordnung in Einklang zu bringen.
Erwägungsgrund 154 erläutert: 1
Diese Verordnung ermöglicht es, dass bei ihrer Anwendung der Grundsatz des Zugangs der Öffentlichkeit zu amtlichen Dokumenten berücksichtigt wird. 2Der Zugang der Öffentlichkeit zu amtlichen Dokumenten kann als öffentliches Interesse betrachtet werden. 3 Personenbezogene Daten in Dokumenten, die sich im Besitz einer Behörde oder einer öffentlichen Stelle befinden, sollten von dieser Behörde oder Stelle öffentlich offengelegt werden können, sofern dies im Unionsrecht oder im Recht der Mitgliedstaaten, denen sie unterliegt, vorgesehen ist. 4Diese Rechtsvorschriften sollten den Zugang der Öffentlichkeit zu amtlichen Dokumenten und die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors mit dem Recht auf Schutz personenbezogener Daten in Einklang bringen und können daher die notwendige Übereinstimmung mit dem Recht auf Schutz personenbezogener Daten gemäß dieser Verordnung regeln. 5Die Bezugnahme auf Behörden und öffentliche Stellen sollte in diesem Kontext sämtliche Behörden oder sonstigen Stellen beinhalten, die vom Recht des jeweiligen Mitgliedstaats über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten erfasst werden. 6Die Richtlinie 2003/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates lässt das Schutzniveau für natürliche Personen in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß den Bestimmungen des Unionsrechts und des Rechts der Mitgliedstaaten unberührt und beeinträchtigt diesen in keiner Weise, und sie bewirkt insbesondere keine Änderung der in dieser Verordnung dargelegten Rechte und Pflichten. 7 Insbesondere sollte die genannte Richtlinie nicht für Dokumente gelten, die nach den Zugangsregelungen der Mitgliedstaaten aus Gründen des Schutzes personenbezogener Daten nicht oder nur eingeschränkt zugänglich sind, oder für Teile von Dokumenten, die nach diesen Regelungen zugänglich sind, wenn sie personenbezogene Daten enthalten, bei
363 Zum kompetentiellen Hintergrund C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 9 ff. Siehe auch A. Sandhu, Grundrechtsunitarisierung durch Sekundärrecht, 2021, 5. Kap. B. III.
4. Vereinbarkeit mit der Datenschutzgrundverordnung
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denen Rechtsvorschriften vorsehen, dass ihre Weiterverwendung nicht mit dem Recht über den Schutz natürlicher Personen in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten vereinbar ist.
Das VIG macht von der Öffnungsklausel des Art. 86 DSGVO, personenbezogene Daten im Rahmen der Informationsfreiheit offenzulegen, Gebrauch.364 Art. 86 DSGVO formuliert zunächst das Gebot, in der Ermächtigungsnorm einen Ausgleich zwischen Verwaltungstransparenz und Datenschutz herzustellen.365 Überdies verbiete sich, einen abstrakten Vorrang eines der beiden Belange anzuordnen; geboten sei vielmehr eine Einzelfallprüfung oder eine hinreichend, etwa nach Fallgruppen differenzierende gesetzliche Regelung.366 Ähnlich heißt es an anderer Stelle im Schrifttum: Die Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die Rechtsnorm ein abgestuftes Datenschutzkonzept vorzusehen hat, das nicht zu schematisch ist und die Möglichkeit einer den Besonderheiten des Einzelfalls angemessenen Rechtsfolge einschließt, im Idealfall eine Interessenabwägung. Nach Art. 6 Abs. 3 S. 4 […] muss das Verhältnismäßigkeitsprinzip entweder in die Regelungen integriert werden oder es muss die Möglichkeit ihrer Berücksichtigung im Rahmen der Rechtsanwendung gegeben sein.367
Dem kommt das VIG nach, wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 15. 4. 2020 herausgearbeitet hat: Den Vorgaben dieser Öffnungsklausel, die eine Regelungsbefugnis des nationalen Gesetzgebers für das Informationszugangsrecht enthält […], trägt das Verbraucherinformationsgesetz mit seinem abgestuften, die wechselseitigen Interessen berücksichtigenden Regelungsmodell Rechnung.368
Das Abwägungserfordernis bei personenbezogenen Daten betont auch die Gesetzesbegründung: Buchstabe a dient dem Schutz des grundgesetzlich garantierten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. In jedem Einzelfall ist eine Abwägung zwischen dem konkreten Informationsinteresse des Anspruchstellers einerseits und den Rechten des Betroffenen andererseits vorzunehmen. Bei Daten im Sinne des § 3 Abs. 9 des Bundesdatenschutzgesetzes überwiegt das Interesse der Verbraucherin bzw. des Verbrauchers grundsätzlich nicht.369
Weiter führt das OVG Münster in seinem Beschluss vom 23. 7. 2020 aus:
364 A. Sandhu, Grundrechtsunitarisierung durch Sekundärrecht, 2021, 5. Kap. B. III.; H. A. Wolff, LMuR 2020, S. 1 (2). 365 C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 30; H. A. Wolff, LMuR 2020, S. 1 (5 f.). 366 H. A. Wolff, LMuR 2020, S. 1 (6). 367 C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 36. 368 BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 25. Ebenso BeckRS 2020, 20595, Rn. 23. Vgl. zu Art. 39 BayDSG ferner BayVGH, NJW 2020, S. 85 (87). 369 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation vom 22. 5. 2007, BT-Drs. 16/5404, S. 12.
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Das Verbraucherinformationsgesetz statuiert keinen unzulässigen abstrakten Vorrang des Transparenzinteresses vor dem Datenschutzrecht. Vielmehr enthält es einen austarierten abwägerischen Ausgleich zwischen diesen Schutzgütern, der in jedem Einzelfall materiellrechtlich zum Tragen kommen kann […]. Der oben genannte § 3 Satz 1 Nr. 2 a) VIG berücksichtigt eigens den Schutz personenbezogener Daten als Ausschluss- und Beschränkungsgrund. Eine Ausnahme davon besteht lediglich unter den Voraussetzungen des § 3 Satz 2 VIG. Für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse greift der Regelungsmechanismus des § 3 Satz 1 Nr. 2 c), Satz 5 VIG. Darüber hinaus werden sensible personenbezogene Daten nach § 3 Abs. 9 BDSG a.F. über den Verweis in § 3 Satz 4 VIG auf § 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 und 4 IFG besonders geschützt. Prozedural ergänzt werden diese materiell-rechtlichen Komponenten – wie ausgeführt – durch das Anhörungserfordernis gemäß § 5 Abs. 1 VIG, die Mitteilungspflicht aus § 6 Abs. 3 Satz 2 VIG, die Richtigstellungspflicht nach Maßgabe von § 6 Abs. 4 Satz 1 VIG und die Bekanntmachungspflicht gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 VIG. Letztere versetzt den Betroffenen insbesondere in die Lage, gegenüber der Informationsgewährung um verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz nach § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nachzusuchen.370
Hinsichtlich der Abwägung im Einzelfall heißt es weiter: Art. 86 DSGVO kann sich auch beim Vollzug des Verbraucherinformationsgesetzes – also im jeweiligen Einzelfall – auf die Anwendung des § 3 Satz 1 Nr. 2 a), Satz 2 VIG im Hinblick auf den Schutz personenbezogener Daten auswirken. Der Ausschlussgrund des § 3 Satz 1 Nr. 2 a) VIG kann – fehlt es an einer Zustimmung des Betroffenen – erst nach einer Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Bekanntgabe überwunden werden, die sich innerhalb des von Art. 86 DSGVO gesetzten äußeren Rahmens am europäischen Datenschutzrecht orientiert […]. Daran gemessen ergibt sich – unterstellt, § 3 Abs. 1 Satz 2 a) VIG könnte zugunsten der Antragstellerin zum Tragen kommen – aus dem Beschwerdevorbringen nicht, dass eine von Art. 86 DSGVO gesteuerte Abwägung im Rahmen des § 3 Satz 2 VIG zugunsten der Antragstellerin ausfallen müsste. Die Antragstellerin ist keine natürliche Person. Selbst wenn sie als Personenhandelsgesellschaft und mit Blick auf die inmitten stehenden Informationen den Schutz des § 3 Satz 1 Nr. 2 a) VIG genießen sollte, weil ihre Komplementärin in ihrer Firma namentlich genannt wird, kann sie nicht denselben Datenschutzstandard wie eine natürliche Person in Anspruch nehmen. Dies schließt an die Erwägungen zu Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 16, Art. 8 Abs. 1 GRCh an. Denn es geht insoweit nicht um den Schutz der persönlichen Lebenssphäre, sondern in erster Linie um denjenigen einer wirtschaftlichen Position. In dieser Konstellation ist es gerechtfertigt, dem öffentlichen Interesse an der Information über einen Rechtsverstoß im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) VIG den Vorrang einzuräumen. Auch diese Information dient dem legitimen Zweck des Verbraucherschutzes, ohne dass dabei zugleich schutzbedürftige persönlichkeitsrelevante Informationen über die Antragstellerin – bzw. über ihre Komplementärin – der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden.371 370
OVG Münster, Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 99 ff.; ferner Rn. 41 ff., 145 ff. Vgl. zum hier regelmäßig irrelevanten Schutz sensibler personenbezogener Daten C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 42. 371 OVG Münster, Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 146 ff.
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Auch das Schrifttum bejaht die Vereinbarkeit der Regelung des VIG mit den Anforderungen des Art. 86 DSGVO.372 Problematisiert werden kann allein § 3 Satz 6 2. HS VIG, der bei Abweichungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG einen generellen Nachrang des Schutzes personenbezogener Daten vorsieht. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass, wie ausgeführt, zu Recht die Möglichkeit einer (begrenzten) gesetzgeberischen Vorausabwägung Anerkennung gefunden hat. Diesen Rahmen wahrt § 3 Satz 6 2. HS VIG angesichts seines begrenzten Anwendungsbereichs und der ihn tragenden Anliegen [dazu noch unten, V. 4. b) aa)].373
b) Allgemeine Anforderungen an die Datenverarbeitung (Art. 5 f., 86 DSGVO) Mit Blick auf die Anforderungen der DSGVO deckt die Öffnungsklausel des Art. 86 DSGVO mit Literaturstimmen zwar Sonderregeln im Bereich des Informationszugangs; allerdings darf ein datenschutzrechtliches Mindestschutzniveau374 nicht unterschritten werden.375 Dieses ist mit Blick auf die allgemeinen Grundsätze des Art. 5 DSGVO zu konkretisieren.376 In seinem Urteil zum Zugang zum lettischen Verkehrssünderregister vom 22. 6. 2021 hat der EuGH indes lediglich auf die in Art. 86 DSGVO enthaltene Anerkennung des Informationszugangs als Rechtfertigungsgrund bei Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verwiesen, ohne sich näher mit dem Gehalt des Art. 86 DSGVO (namentlich mit Blick auf die angesprochenen mitgliedstaatlichen Spielräume) auseinanderzusetzen.377 372 S. Schiedermair, in: BeckOK DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 9 („erscheint grundsätzlich als konform“); C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 51 f. (mit Ausnahme § 3 Satz 6 2. HS VIG); H. A. Wolff, LMuR 2020, S. 1 (8). 373 Wohl strikter F. Becker, Gutachten, S. 70 f. Unklar, u. U. a.A. H. A. Wolff, LMuR 2020, S. 1 (9), der indes zunächst von „Regelveröffentlichung“ (sodann aber von Herausgabe) spricht und vor allem § 3 Satz 6 2. HS VIG nicht thematisiert, obgleich zuvor die Möglichkeit einer gesetzlichen Fallgruppenbildung anerkannt wird (S. 6). Strikt im Kontext des UIG C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 48. 374 Probleme mit Blick auf das Erfordernis einer unabhängigen Datenschutzaufsicht gemäß Art. 51 ff. DSGVO sind nicht ersichtlich, zu diesem Erfordernis C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 36; vgl. im Übrigen auch OVG Münster, Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/ 20, juris, Rn. 103 ff. 375 D. A. Pauly, in: Paal/ders., DSGVO, Art. 86, Rn. 9; C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 31. Ebenso OVG Münster, Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 98. Für einen gewissen Spielraum auch H. A. Wolff, LMuR 2020, S. 1 (3). Zu einem Primat des nationalen Verfassungsrechts die Nachweise in Fn. 317. Strikt und die Einhaltung durch die Plattform Topf Secret verneinend F. Becker, Gutachten, S. 73 f. 376 C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 32; ferner OVG Münster, Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 98. 377 EuGH, Rs. C-439/19, ECLI:EU:C:2021:504, Rn. 120 – B.
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aa) Rechtmäßigkeit und Verarbeitung nach Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 1 lit. a, Art. 6 DSGVO) Personenbezogene Daten müssen gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO „auf rechtmäßige Weise“ und „nach Treu und Glauben […] verarbeitet werden“. Als Rechtmäßigkeits- bzw. Zulässigkeitsanforderung muss die Datenverarbeitung zunächst eine der Bedingungen des Art. 6 Abs. 1 DSGVO erfüllen. Die Datenverarbeitung ist – jenseits der hier nicht vorliegenden Einwilligung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. a DSGVO) – namentlich dann rechtmäßig, wenn sie • zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich [ist], der der Verantwortliche unterliegt (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. c DSGVO), oder • für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich [ist], die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. e DSGVO). Unter Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. e DSGVO subsumiert das OVG Münster die antragsgebundene Verbraucherinformation in seinem Beschluss vom 23. 7. 2020 und erachtet auch die Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 DSGVO für gewahrt.378 Der VGH Mannheim hat in seinem Beschluss vom 13. 12. 2019 demgegenüber eine Rechtfertigung gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. c DSGVO bejaht,379 ebenso wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in zwei Beschlüssen380. Nachdem Erwägungsgrund 154 Satz 2 DSGVO den „Zugang der Öffentlichkeit zu amtlichen Dokumenten […] als öffentliches Interesse“ qualifiziert, liegt Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. e DSGVO als Rechtsgrundlage für die Informationserteilung nahe.381 Gemäß Art. 6 Abs. 3 Satz 4 DSGVO muss die Realisierung der Informationsfreiheit in verhältnismäßiger Weise erfolgen.382 Dies lässt sich analog zum zu Art. 12 Abs. 1 GG Ausgeführten – auch mit Blick auf die EuGH-Rechtsprechung in der Rs. Schecke (dazu V. 1.) – bejahen.383 Bedenken werden hinsichtlich § 3 Satz 6 2. HS VIG angemeldet, zumindest insoweit jedes Glied der Lieferkette offenzulegen ist.384 Jedenfalls mit Blick auf das – vor378
OVG Münster, Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 95 ff. Pauschal ohne nähere Erörterung auch VG Würzburg, BeckRS 2020, 25105, Rn. 36; ferner BeckRS 2021, 654, Rn. 54; BeckRS 2021, 6979, Rn. 35. Ebenfalls für eine Subsumtion unter lit. e S. Schiedermair, in: BeckOK DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 3. 379 VGH Mannheim, BeckRS 2019, 33951, Rn. 25. So auch VG Mainz, Beschl. v. 5. 4. 2019, 1 L 103/19.MZ, juris, Rn. 17. 380 BayVGH, BeckRS 2020, 6798, Rn. 25; BeckRS 2020, 20595, Rn. 23. 381 Vgl. insoweit auch EuGH, Rs. C-439/19, ECLI:EU:C:2021:504, Rn. 99 (ferner 120) – B; C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 32. 382 Siehe dazu auch C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 36; ferner zu zeitlichen Grenzen EuGH, Rs. C-131/12, ECLI:EU:C:2014:317, Rn. 93 – Google Spain; Rs. C-136/17, ECLI:EU:C:2019:773, Rn. 74 – GC u. a. 383 Vgl. allg. auch C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 32. Partiell a.A. H. A. Wolff, LMuR 2020, S. 1 (9): eine Weitergabe von Bagatellverstößen scheide regelmäßig aus. 384 Zweifel anmeldend C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 51.
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liegend infrage stehende – letzte Glied und angesichts des begrenzten Anwendungsbereichs bestehen aber, wie ausgeführt, keine durchgreifenden Bedenken an der Verhältnismäßigkeit.385 Der VGH Mannheim hat in seinem Beschluss vom 13. 12. 2019 zur Rechtmäßigkeit einer Informationserteilung festgehalten: Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c VO 2016/679/EU ist die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig, wenn sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, der der Verantwortliche unterliegt, erforderlich ist. Diese Bestimmung legitimiert das „Ob“ der Verarbeitung personenbezogener Daten, das „Wie“ bestimmt sich auf der Grundlage des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 Buchst. b VO 2016/679/EU nach mitgliedstaatlichem Recht (Frenzel in Paal/Pauly, Datenschutz-Grundverordnung – Bundesdatenschutzgesetz, 2. Aufl. 2018, Art. 6 DS-GVO Rn. 18). Erfasst sind danach unter anderem Informationspflichten öffentlicher Stellen nach Maßgabe insbesondere von IFG, UIG und VIG (Frenzel a.a.O.; Schaffland/Holthaus in Schaffland/Wiltfang, Datenschutz-Grundverordnung – Bundesdatenschutzgesetz, EL 10/2019, Art. 6 DS-GVO Rn. 111). Im vorliegenden Zusammenhang steht der Schutz personenbezogener Daten (§ 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a VIG) der Informationspflicht des Antragsgegners nicht entgegen, weil das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe von Informationen über Verstöße gegen das Lebensmittelrecht (§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VIG) überwiegt (§3 Satz 2 VIG). Prägend sind insoweit die gesetzlichen Wertungen nach § 5 Abs. 4 Satz 1 und § 7 Abs. 1 Satz 2 VIG. Dadurch wird ein herausragendes öffentliches Interesse an der Bekanntgabe von Informationen im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG deutlich zum Ausdruck gebracht. Umstände des konkreten Falles stehen dem nicht entgegen, da es um die Offenbarung wahrer Tatsachen ohne eine „Prangerwirkung“ geht […]. Steht dem VIG-Anspruch des Beigeladenen ein gesetzlicher Ausschlussgrund nicht entgegen, handelt der Antragsgegner in Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung.386
Eine restriktive Linie verfolgt indes das Urteil des EuGH in der Rs. B vom 22. 6. 2021.387 Dieses hat einen im lettischen Recht vorgesehenen Anspruch auf Zugang zu Informationen hinsichtlich Registereinträgen zu Strafpunkten, mit denen Fahrzeugführer wegen Verkehrsverstößen sanktioniert wurden, als Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 lit. e und Art. 10 DSGVO qualifiziert. Dies betraf nationale Regelungen, - „die die mit dem Register, in das die gegen Fahrzeugführer wegen Verkehrsverstößen verhängten Strafpunkte eingetragen werden, betraute öffentliche Einrichtung verpflichtet, diese Daten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ohne dass die Person, die den Zugang beantragt, ein besonderes Interesse am Erhalt dieser Daten nachzuweisen hat“, und - „die es der mit dem Register, in das die gegen Fahrzeugführer wegen Verkehrsverstößen verhängten Strafpunkte eingetragen werden, betrauten öffentlichen
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A.A. F. Becker, Gutachten, S. 71 ff. VGH Mannheim, BeckRS 2019, 33951, Rn. 25. So auch VG Mainz, Beschl. v. 5. 4. 2019, 1 L 103/19.MZ, juris, Rn. 17. 387 EuGH, Rs. C-439/19, ECLI:EU:C:2021:504 – B. 386
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V. Unionsrechtlicher Rahmen
Einrichtung erlaubt, diese Daten Wirtschaftsteilnehmern zur Weiterverwendung zu übermitteln.“388 Aus diesem Urteil lässt sich kein Verstoß der VIG-Informationserteilung über Abweichungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG gegen die DSGVO (und Unionsgrundrechte) herleiten. Zunächst erscheint zweifelhaft, ob die hier infrage stehende Veröffentlichung – wie im Fall des lettischen Verkehrssünderregisters – die gemäß Art. 10 DSGVO besonders sensiblen und geschützten „personenbezogen Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten oder damit zusammenhängende Sicherungsmaßregeln“ zum Gegenstand hat. Zwar mag die Information über Abweichungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG Handlungen betreffen, die später zu Sanktionsmaßnahmen i.S.d. Art. 10 DSGVO führen; allerdings knüpft § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG an unzulässige Abweichungen unabhängig von einer Sanktionierung an und erfolgt auch die Informationserteilung unabhängig von einer späteren Sanktionierung und ggf. auch schon weit vor einer solchen.389 So betont auch das Schrifttum: „Abzugrenzen sind die geschützten Strafdaten insbesondere von Daten über Handlungen von betroffenen Personen, die einen Straftatbestand verwirklichen. Diese Daten können zwar gleichfalls sensibel sein. Dies ist im Rahmen der allgemeinen Vorschriften abzuarbeiten. Der besondere Schutzbedarf, dem Art. 10 Rechnung trägt, ergibt sich hingegen erst aus der hoheitlichen Feststellung, dass jemand durch eine bestimmte Handlung eine Straftat begangen hat.“390 Doch auch unabhängig von der Einschlägigkeit des Art. 10 DSGVO lässt sich die materielle datenschutzrechtliche Bewertung des Informationszugangs zum lettischen Verkehrssünderregister indes nicht auf den hier infrage stehenden Zugang zu verbraucherrelevanten Informationen übertragen. Zunächst hat der EuGH bekräftigt, dass weder die DSGVO – einschließlich deren Art. 10 – noch die Unionsgrundrechte ein absolutes Verbot der behördlichen antragsgebundenen (oder aktiven) Information der Öffentlichkeit über personenbezogene Daten aufstellten,391 was im Übrigen in Widerspruch zu Art. 86 DSGVO stünde; allerdings müsse namentlich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt sein, womit entscheidend ist, „ob diese Übermittlung angesichts der Schwere des durch sie bewirkten Eingriffs in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten im Hinblick auf die Verwirklichung der verfolgten Ziele gerechtfertigt und insbesondere verhältnismäßig ist“.392 Insoweit hat der Gerichtshof zunächst die Erforderlichkeit der Informationserteilung zur Verbesserung der Verkehrssicherheit problematisiert:
388 389 390 391 392
EuGH, Rs. C-439/19, ECLI:EU:C:2021:504, LS 2 und 3 – B. Weit freilich EuGH, Rs. C-439/19, ECLI:EU:C:2021:504, Rn. 73 ff. – B. M. Bäcker, in: BeckOK DSR, Art. 10 DSGVO, Rn. 4. EuGH, Rs. C-439/19, ECLI:EU:C:2021:504, Rn. 103 ff. – B. EuGH, Rs. C-439/19, ECLI:EU:C:2021:504, Rn. 106 – B.
4. Vereinbarkeit mit der Datenschutzgrundverordnung
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Wie sich aus der Praxis der Mitgliedstaaten ergibt, verfügt indessen jeder von ihnen über eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten, zu denen u. a. die Möglichkeit einer abschreckenden Ahndung von Verkehrsverstößen gehört, insbesondere indem den betreffenden Fahrzeugführern das Recht zum Führen eines Kraftfahrzeugs genommen wird, wobei der Verstoß gegen ein solches Verbot seinerseits mit wirksamen Strafen geahndet werden kann, ohne dass es erforderlich wäre, den Erlass solcher Maßnahmen der Öffentlichkeit mitzuteilen. Aus dieser Praxis ergibt sich auch, dass darüber hinaus zahlreiche vorbeugende Maßnahmen ergriffen werden können, die von Kampagnen zur kollektiven Sensibilisierung bis zum Erlass individueller Maßnahmen dahin gehend reichen, einen Fahrzeugführer zur Teilnahme an Schulungen und zum Ablegen von Prüfungen zu zwingen, ohne dass es erforderlich wäre, den Erlass solcher individuellen Maßnahmen der Öffentlichkeit mitzuteilen. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht jedoch nicht hervor, dass solche Maßnahmen vom lettischen Gesetzgeber anstelle des Erlasses der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung geprüft und bevorzugt worden wären.393
Diese Argumentation lässt sich indes schon nicht auf den vorliegenden Kontext übertragen, da – anders als im Kontext des Verkehrsregisters – nicht das präventive Anliegen, auf eine Regelbefolgung qua drohender Publizität hinzuwirken, im Vordergrund steht,394 sondern die Kommunikation einer für das (Markt-)Verhalten der Verbraucher relevanten Information [siehe zur besonderen Bedeutung dieser Information auch die zitierte Passage aus dem Glykol-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, oben, IV. 3. c) ee) (4)]. Demgegenüber kommt der Kenntnis des verkehrsrechtskonformen Verhaltens anderer nahezu keine Relevanz für die eigene Teilnahme am Straßenverkehr zu. Im Übrigen kann, wie bereits im Kontext der Berufsfreiheit näher ausgeführt, das ordnungsrechtliche Instrumentarium nicht als gleich effektives Mittel zur Erreichung der Ziele der Verbraucherinformation erachtet werden [siehe oben, IV. 3. c) dd)]. Sieht man in der zitierten EuGH-Passage schließlich eine prozedurale Prüfpflicht des Gesetzgebers angedeutet, so ist auf die Begründung der Notwendigkeit einer Verbraucherinformation in den Gesetzgebungsmaterialien zu verweisen (s. ferner § 1 VIG).395 Insoweit sei auch festgehalten, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine generelle Begründungspflicht des Gesetzgebers besteht.396 Die soeben herausgearbeitete Relevanz der Information für das eigene (Markt-) Verhalten verleiht dem Informationsinteresse in der hiesigen Konstellation überdies ein höheres Gewicht als im Fall des Verkehrssünderregisters, was auch ein anderes 393
EuGH, Rs. C-439/19, ECLI:EU:C:2021:504, Rn. 111 (ferner 113) – B. Vgl. insoweit EuGH, Rs. C-439/19, ECLI:EU:C:2021:504, Rn. 107 – B. 395 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation vom 22. 5. 2007, BT-Drs. 16/5404, S. 1, 7, 8; Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 19. 10. 2011, BT-Drs. 17/7374, S. 2, 12, 14, 17, 18. 396 So jüngst BVerfG, Beschl. v. 24. 3. 2021, 1 BvR 2656/18, Rn. 241; Beschl. v. 5. 5. 2021, 1 BvR 781/21 u. a., Rn. 36. 394
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V. Unionsrechtlicher Rahmen
Ergebnis bei der Angemessenheitsprüfung bedingt,397 zumal vorliegend berufliches und nicht persönliches Verhalten infrage steht. Daher – und mit Blick auf das Anliegen der Verwaltungstransparenz, Informationen so weit wie möglich ungefiltert zur Verfügung zu stellen, auf das Leitbild des mündigen Verbrauchers und auf die geringere Eingriffsintensität bei geringfügigen Verstößen – greift vorliegend auch kein Bagatellvorbehalt.398 Art. 10 DSGVO stellt für die „Verarbeitung personenbezogener Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten oder damit zusammenhängende Sicherungsmaßregeln“ die zusätzliche Voraussetzung auf, dass eine solche Datenverarbeitung „nur unter behördlicher Aufsicht vorgenommen werden [darf] oder wenn dies nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten, das geeignete Garantien für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen vorsieht, zulässig ist. Ein umfassendes Register der strafrechtlichen Verurteilungen darf nur unter behördlicher Aufsicht geführt werden.“ Unbeschadet der zweifelhaften Anwendbarkeit des Art. 10 DSGVO wäre gerade angesichts der im nationalen Kontext entfalteten Kautelen und Schutzmechanismen [siehe oben, IV. 3. c) ee)] hinsichtlich des VIG-Informationszugangs vom Bestehen geeigneter Garantien zugunsten der Betroffenen i.S.d. Art. 10 Satz 1 DSGVO auszugehen.399 Überdies stellt die Plattform Topf Secret angesichts der dort enthaltenen Informationen kein umfassendes Register strafrechtlicher Verurteilungen i.S.d. Art. 10 Satz 2 DSGVO dar (weder umfassender Charakter noch Strafdaten).400 Schließlich steht die Anforderung einer Verarbeitung nach Treu und Glauben angesichts des skizzierten Hintergrunds einer Informationserteilung nicht entgegen.401 bb) Transparenz (Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO) Personenbezogene Daten müssen des Weiteren gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO „in einer für die betroffene Person nachvollziehbaren Weise verarbeitet werden“. Als Anforderung der Transparenz werden eine Benachrichtigungspflicht und Rechtsschutzmöglichkeiten gefordert.402 Mit dem Beschluss des OVG Münster vom 23. 7. 2020 sind diese Anforderungen gewahrt: 397
Siehe dort EuGH, Rs. C-439/19, ECLI:EU:C:2021:504, Rn. 113 ff. – B. So im nationalen Kontext auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19, juris, Rn. 17; OVG Bremen, BeckRS 2021, 7074, Rn. 46 ff.; OVG Lüneburg, BeckRS 2020, 171, Rn. 15. Siehe demgegenüber EuGH, Rs. C-439/19, ECLI:EU:C:2021:504, Rn. 115. 399 Strikt freilich M. Bäcker, in: BeckOK DSR, Art. 10 DSGVO, Rn. 10 ff. Siehe auch T. Petri, in: NK-DSR, Art. 10 DSGVO, Rn. 21 ff. 400 Näher zum Begriff M. Bäcker, in: BeckOK DSR, Art. 10 DSGVO, Rn. 13; T. Petri, in: NK-DSR, Art. 10 DSGVO, Rn. 25 ff. 401 Vgl. hierzu auch C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 32. 402 C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 32, 52. 398
4. Vereinbarkeit mit der Datenschutzgrundverordnung
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Prozedural ergänzt werden diese materiell-rechtlichen Komponenten – wie ausgeführt – durch das Anhörungserfordernis gemäß § 5 Abs. 1 VIG, die Mitteilungspflicht aus § 6 Abs. 3 Satz 2 VIG, die Richtigstellungspflicht nach Maßgabe von § 6 Abs. 4 Satz 1 VIG und die Bekanntmachungspflicht gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 VIG. Letztere versetzt den Betroffenen insbesondere in die Lage, gegenüber der Informationsgewährung um verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz nach § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nachzusuchen.403
cc) Zweckbindung (Art. 5 Abs. 1 lit. b DSGVO) und Datenminimierung (Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO) Personenbezogene Daten müssen überdies gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. b 1. HS DSGVO „für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke erhoben werden und dürfen nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise weiterverarbeitet werden“; ferner müssen personenbezogene Daten gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO „dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein“. Den Grundsätzen der Zweckbindung (Art. 5 Abs. 1 lit. b DSGVO) und der Datenminimierung (Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO) wird im Lichte des Art. 86 DSGVO keine Bedeutung im Kontext der Informationsfreiheit beigemessen, da die Informationserteilung voraussetzungslos und die Informationserhebung im Übrigen nicht zum Zwecke der späteren Weitergabe erfolge.404 In seinem Urteil zum Zugang zum lettischen Verkehrssünderregister vom 22. 6. 2021 hat der EuGH dem Grundsatz der Datenminimierung keine über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hinausgehende Bedeutung beigemessen.405 dd) Richtigkeit (Art. 5 Abs. 1 lit. d DSGVO) Gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. d DSGVO müssen personenbezogene Daten „sachlich richtig und erforderlichenfalls auf dem neuesten Stand sein; es sind alle angemessenen Maßnahmen zu treffen, damit personenbezogene Daten, die im Hinblick auf die Zwecke ihrer Verarbeitung unrichtig sind, unverzüglich gelöscht oder berichtigt werden“. Angesichts des Kontrollzwecks, der hinter der Informationsfreiheit steht, erscheint eine Korrektur ohne entsprechenden Hinweis freilich nicht unproblematisch. Bei zielgerichteter Öffentlichkeitsinformation wird ein Richtigkeitserfordernis postuliert.406 § 6 Abs. 3 Satz 1 VIG sieht ein solches bei Betroffenheit personenbezogener Daten vor.407 403 OVG Münster, Beschl. v. 23. 7. 2020, 15 B 288/20, juris, Rn. 101. Ebenso für eine Vereinbarkeit mit der DSGVO C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 52. 404 C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 33. 405 Vgl. EuGH, Rs. C-439/19, ECLI:EU:C:2021:504, Rn. 98, 104 ff. – B. 406 C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 34.
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V. Unionsrechtlicher Rahmen
ee) Speicherbegrenzung (Art. 5 Abs. 1 lit. e 1. HS DSGVO) Nach Art. 5 Abs. 1 lit. e 1. HS DSGVO müssen personenbezogene Daten „in einer Form gespeichert werden, die die Identifizierung der betroffenen Personen nur so lange ermöglicht, wie es für die Zwecke, für die sie verarbeitet werden, erforderlich ist“. ff) Integrität und Vertraulichkeit (Art. 5 Abs. 1 lit. f DSGVO) Schließlich müssen personenbezogene Daten gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. f DSGVO „in einer Weise verarbeitet werden, die eine angemessene Sicherheit der personenbezogenen Daten gewährleistet, einschließlich Schutz vor unbefugter oder unrechtmäßiger Verarbeitung und vor unbeabsichtigtem Verlust, unbeabsichtigter Zerstörung oder unbeabsichtigter Schädigung durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen“.
407 Von einer anderen Rechtslage geht C. Schnabel, in: NK-DSR, Art. 86 DSGVO, Rn. 34, aus, weshalb die Kritik an § 6 Abs. 3 VIG insoweit nicht durchgreift.
VI. Schlussbetrachtung: Multiplikatoren als Herausforderung für die Informationsfreiheit Das hier näher untersuchte Verbraucherportal Topf Secret steht für eine spezifische Konstellation im Rahmen der Informationsfreiheit, nämlich für den Informationszugang von Multiplikatoren. Hierbei handelt es sich um Personen, die Informationen nicht (nur) zur eigenen Unterrichtung, sondern zur Weiterverbreitung begehren. Ihnen kommt eine ambivalente Rolle im Regime der Informationsfreiheit zu: der durch die Weiterveröffentlichung bewirkte Multiplikatoreneffekt stärkt einerseits das mit der Informationsfreiheit verfolgte Transparenzanliegen (sowie etwaige weitere Anliegen, im Kontext der Verbraucherinformation etwa die Sicherstellung des Vertrauens in die Lebensmittelsicherheit und Qualitätssicherung und das generalpräventive Hinwirken auf die Einhaltung lebensmittelrechtlicher Standards); andererseits verschärft er die vom Informationsfreiheitsregime zu bewältigende Konfliktlage zwischen Transparenz und dieser entgegenstehenden öffentlichen und privaten Belangen (vgl. § 3 VIG; §§ 3 ff. IFG; §§ 8 f. UIG). Ambivalent ist im Übrigen bereits der Status als Multiplikator, kann sich dieser doch nach Informationserteilung (in beide Richtungen) ändern, womit jede Informationszugang begehrende Person zumindest potentieller Multiplikator ist. In den Informationsfreiheitsgesetzen hat die Multiplikatoren-Konstellation keine spezifische Regelung erfahren. Dies erscheint zunächst insofern konsequent, als der Informationszugang – anders als im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht (§ 29 VwVfG) – voraussetzungslos und damit unabhängig von der Verwendungsabsicht gewährt wird (siehe § 1 VIG; § 1 IFG; § 3 Abs. 1 UIG – siehe freilich zur Begründungsbedürftigkeit des Antrags gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 IFG bei auf bestimmte Daten Dritter gerichtete Zugangsbegehren wie auf bestimmte personenbezogene Daten oder Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse). Hinzu kommt, dass die Weiterverwendung von Informationen öffentlicher Stellen durch Private einen Akt der Grundrechtsausübung darstellt und überdies in einem eigenen Informationsregime geregelt ist, seit dem 23. 7. 2021 im Gesetz für die Nutzung von Daten des öffentlichen Sektors. Gleichwohl wirft die Multiplikatoren-Konstellation, wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, spezifische Rechtsfragen auf. Dies resultiert allen voran aus dem Umstand, dass die Weiterverbreitung behördlicherseits erteilter Informationen die Intensität eines mit der Informationserteilung möglicherweise einhergehenden Grundrechtseingriffs – genauso wie im Übrigen das Ausmaß einer etwaigen Betroffenheit öffentlicher Belange – erhöht. Relevanz hat dies für die Beurteilung der
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VI. Schlussbetrachtung
Verfassungskonformität sowohl der Informationsfreiheitsgesetze generell als auch der auf letztere gestützte Informationszugangsbegehren, indem sich generell und im Einzelfall die Frage einer hinreichenden Berücksichtigung entgegenstehender privater und öffentlicher Belange stellt. Hinzu kommen weitere Aspekte, so die Frage nach einer Beschränkung aufgrund überwiegender privater bzw. öffentlicher Belange (§ 3 VIG; §§ 3 ff. IFG; §§ 8 f. UIG), einer etwaigen Rechtsmissbräuchlichkeit derartiger Informationsbegehren (§ 4 Abs. 4 VIG; § 8 Abs. 2 Nr. 2 UIG), nach Spezifika in verfahrensrechtlicher und verwaltungsprozessualer Hinsicht, nämlich hinsichtlich der Relevanz für die Entscheidung über ein Absehen von der Anhörung Drittbetroffener (§ 5 Abs. 1 Satz 2 VIG) und über die Anordnung der kraft Gesetzes entfallenden aufschiebenden Wirkung (§ 5 Abs. 4 Satz 1 VIG), nach Inhalt und Realisierbarkeit etwaiger Korrekturansprüche bei erteilten, sich nachträglich als unrichtig erweisenden Informationen (§ 6 Abs. 4 VIG) oder nach der Möglichkeit von Verwendungsbeschränkungen (Auflagen gemäß § 36 Abs. 1 VwVfG). Überdies besteht mit Blick auf informationelle Akte Privater ein Anknüpfungspunkt für zivilgerichtlichen Rechtsschutz gegen die Informationsmultiplikation. Hinsichtlich der einfach-rechtlichen Behandlung von Informationszugangsbegehren von Multiplikatoren greift zunächst der voraussetzungslose Anspruch auf Informationserteilung. Die besondere Betroffenheit öffentlicher und privater Belange in dieser Konstellation erlangt im Kontext etwaiger Abwägungserfordernisse Relevanz. Für die Verbraucherinformation über Verstöße von Unternehmen gegen lebensmittelrechtliche Anforderungen hat die vorliegende Untersuchung aufgezeigt, dass dem einfach-gesetzlichen Zugangsanspruch weder der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (§ 3 Satz 5 Nr. 1 VIG) noch, nach Maßgabe des § 3 Satz 6 2. HS VIG kraft Gesetzes bzw. nach der Rechtsprechung aufgrund einer Abwägung gemäß § 3 Satz 2 VIG, der Schutz personenbezogener Daten entgegengehalten werden kann (näher oben, III. 4.). Ebenso wenig erweisen sich Informationsbegehren von Multiplikatoren als rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 4 Abs. 4 VIG, erfolgt die Weiterverbreitung doch in Ausübung der Meinungsfreiheit und entspricht dem Transparenzzweck des VIG (näher oben, III. 6.). Schließlich entfalten Befugnisse und Pflichten zur aktiven behördlichen Publikumsinformation keine Sperrwirkung gegenüber einer Weiterverbreitung durch Private (dazu oben, III. 7.). Der in § 4 Abs. 1 des Gesetzes für die Nutzung von Daten des öffentlichen Sektors normierte Grundsatz der uneingeschränkten Datennutzung greift mangels Anwendbarkeit dieses Gesetzes nicht bei Zugangsbeschränkungen im Informationsfreiheitsregime (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 DNG). Hierfür wird bereits das Bestehen einer Abwägungsklausel für ausreichend erachtet und hierfür müssen auch verfassungsrechtlich gebotene Zugangsbeschränkungen genügen. Ebenso wenig entbindet das grundsätzliche Weiterverwendungsrecht von einer Beachtung von Anforderungen des Datenschutzrechts (§ 2 Abs. 4 DNG). Demnach vermag das Informationsweiterverwendungsregime Zugangsbeschränkungen nicht zu überspielen; auch kann aus seiner Existenz schon aus grundrechtlichen Gründen keine strikte Trennung von Informationszugangs- und Informationsweiterverwendungsregime abgeleitet wer-
VI. Schlussbetrachtung
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den, nach der die spätere Verwendung der Informationen für die Frage eines Zugangsanspruchs irrelevant sei (zu alldem oben, III. 8.). Ansatzpunkt für die grundrechtliche Verarbeitung der Multiplikatoren-Konstellation ist die (Befugnis zur) behördliche(n) Informationserteilung. In der Weitergabe personenbezogener Daten liegt stets eine dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung unterfallende Datenverarbeitung (zur Spezialität weiterer Freiheitsrechte IV. 4.). Hinsichtlich sonstiger Freiheitsrechte ist angesichts deren regelmäßig nur mittelbarer Beeinträchtigung durch die Informationserteilung,408 wobei es sich um keine spezifische Frage der Multiplikatoren-Konstellation handelt, ein Eingriff nach den allgemeinen Grundsätzen festzustellen; mangels gesetzlicher und behördlicher Weiterverwendungsbeschränkung ist der Multiplikatoreneffekt als typische Verwendungsmöglichkeit hierbei in Rechnung zu stellen. Ein eingriffsgleiches funktionales Äquivalent und damit ein Eingriff in die Berufsfreiheit liegt etwa in der Informationserteilung über Verstöße von Unternehmen gegen lebensmittelrechtliche Anforderungen auf der Basis des Verbraucherinformationsgesetzes [dazu IV. 3. b)]. Demgegenüber stellt sich die Informationsverbreitung durch Private als Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheit dar, nicht aber als (unmittelbar) grundrechtsgebundenes Handeln (dazu IV. 2.). Dass damit in der Multiplikatoren-Konstellation im Vergleich zur freiheitsbeeinträchtigenden Informationsverwendung unmittelbar durch den Antragsteller weitere informationelle Akte Privater dazwischengeschaltet sind – im untersuchten Beispiel die Informationsweitergabe durch den VIG-Antragsteller und die Veröffentlichung auf der Plattform Topf Secret –, unterbricht den Zurechnungszusammenhang nicht. Denn angesichts der im Verbraucherinformationsgesetz angelegten marktbezogenen Verwendung und Relevanz der erteilten Informationen und mangels (gesetzlicher bzw. behördlicher) Beschränkung der Weiterverbreitung kann etwaigen informationellen Zwischenakten Privater auf dem Weg zur Grundrechtsbeeinträchtigung keine – im Vergleich zur unmittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigung bei Informationsverwendung zu eigenen Zwecken – zurechenbarkeitsausschließende Qualität beigemessen werden. Im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung ist der (mögliche und typische) Multiplikatoren-Effekt belastungsschärfend in Rechnung zu stellen, und zwar generell (sowohl bei der Beurteilung der gesetzlichen Regelung als auch der Informationserteilung im Einzelfall) und nicht nur bei einem auf Weiterverbreitung zielenden Informationsbegehren [dazu IV. 3. c) ee) (3) (a)]; ist eine solche nicht angestrebt, stellt sich bei der Einzelfallbeurteilung die Frage der Gewichtung der potentiell weit reichenden Publizität und der Berücksichtigungsfähigkeit des konkreten Zugangsinteresses, was hier nicht Thema ist (ob und inwieweit ist das individuelle Zugangsinteresse wegen des voraussetzungslosen Zugangsanspruchs und der nicht bedingten Verwendungsmöglichkeit relevant? In welchem Umfang verschärft die 408 Siehe aber zur Betroffenheit der Berufsfreiheit bei Offenlegung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen BVerfGE 147, 50 (141 f., Rn. 234 f.); näher dazu auch M. Rossi, Informationszugangsfreiheit, S. 140 ff.; F. Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), S. 20 (35 ff.).
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VI. Schlussbetrachtung
Möglichkeit einer eingriffsintensiven Weiterverwendung die Anforderungen bei individuell beschränkten – aber gesetzlich und behördlich nicht beschränkten – Informationsbegehren?)409. Generell bleibt die Eingriffsschärfe einer auch öffentlichkeitswirksamen Weiterverbreitung durch Private hinter derjenigen einer staatlichen Publikumsinformation mangels Inanspruchnahme von Amtsautorität qualitativ und, global betrachtet, auch quantitativ zurück [dazu IV. 3. c) ee) (3) (c)]. Die Eingriffsschärfung qua Multiplikation gilt auch angesichts der Problematik einer Erteilung unrichtiger Informationen, zumal grundsätzlich keine Pflicht zur VorabRichtigkeitsprüfung besteht (§ 6 Abs. 3 Satz 1 VIG; § 7 Abs. 3 Satz 2 IFG). Gegenläufig ist freilich die Existenz materieller und prozeduraler Schutzmechanismen einschließlich einer Korrekturpflicht (positiviert in § 6 Abs. 4 VIG) zu berücksichtigen; bei tatsächlicher Multiplikation der Information kann mit dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche Richtigstellung geboten sein [zu all dem im VIG-Kontext IV. 3. c) ee) (6)]. Hinzu kommt, dass eine Weiterverbreitung durch Private eine zivilrechtlichen Schranken unterliegende und gerichtlich angreifbare Handlung darstellt, wobei die Grundrechtspositionen des Informationssubjekts im Rahmen der mittelbaren Drittwirkung zu berücksichtigen sind. Hierbei sind Fragen zu verhandeln wie die etwaige besondere grundrechtliche Relevanz des Betriebs einer Internet-Plattform zur Veröffentlichung staatlicher Informationen, die Informationsaufbereitung, Korrekturpflichten, Löschungsfristen und sachliche Begrenzungen. Die bloße Möglichkeit einer rechtswidrigen Weiterverwendung rechtfertigt keine Versagung der Informationserteilung [IV. 3. c) ee) (6) (d)]. Für das Beispiel der Verbraucherinformation über Verstöße von Unternehmen gegen lebensmittelrechtliche Anforderungen hat die vorliegende Untersuchung aufgezeigt, dass diese auch in und mit Blick auf Multiplikatoren-Konstellationen wie das Verbraucherportal Topf Secret gerechtfertigt werden können [dazu IV. 3. c)]. Erachtet man im Einzelfall eine Informationserteilung für zu weitgehend, kommt die Erteilung einer Auflage zur Nichtweiterverbreitung in Betracht (§ 36 Abs. 1 VwVfG). Dass demnach der Multiplikatoren-Effekt sowohl auf Eingriffs- als auch auf Rechtfertigungsebene generell, mithin unabhängig von einer beabsichtigten Weiterverbreitung der erteilten Information im Einzelfall zu berücksichtigen ist, relativiert die Sonderstellung der Multiplikatoren-Konstellation in grundrechtlicher Hinsicht gegenüber ausschließlich auf die Befriedigung eigener Informationsbedürfnisse zielender Informationsbegehren.
409
Näher hierzu M. Rossi, Informationszugangsfreiheit, S. 157 ff.
VII. Zusammenfassung in Thesen Hintergrund und Gegenstand der Untersuchung
1. Die von foodwatch e.V. und der Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. betriebene Internet-Plattform „Topf Secret“ ermöglicht ihren Nutzern, elektronisch bei den Lebensmittelüberwachungsbehörden die Erteilung von Informationen über die Ergebnisse amtlicher Lebensmittelkontrollen bei einzelnen Unternehmen zu beantragen und die daraufhin behördlicherseits erteilten Informationen auf der Plattform im Internet zu veröffentlichen (näher zur Funktionsweise II.). 2. Basis des über die Plattform geltend gemachten Anspruchs auf Informationserteilung ist das Verbraucherinformationsgesetz (dazu und zum Folgenden III.). Dieses räumt jedermann einen Anspruch auf freien Zugang zu allen bei den Lebensmittelüberwachungsbehörden vorhandenen Daten über unzulässige Abweichungen von lebensmittelrechtlichen Anforderungen ein (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG), ohne dass dem der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (§ 3 Satz 5 Nr. 1 VIG) oder, nach Maßgabe des § 3 Satz 6 2. HS VIG kraft Gesetzes bzw. nach der Rechtsprechung aufgrund einer Abwägung gemäß § 3 Satz 2 VIG, der Schutz personenbezogener Daten entgegengehalten werden könnte. Nach der Rechtsprechung muss eine Abweichung des Weiteren nicht bestandskräftig festgestellt worden sein und stellen sich Informationsanträge mit dem Ziel einer späteren Veröffentlichung auf der Plattform „Topf Secret“ nicht als rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 4 Abs. 4 VIG dar. 3. Die Untersuchung erörtert im Schwerpunkt die Fragen, ob diese Auslegung des VIG a) zum einen mit der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG; IV. 3.) und b) zum anderen mit dem EU-(Lebensmittel-)Sekundärrecht, namentlich der novellierten Lebensmittel-Kontrollverordnung (EU) Nr. 2017/625 (V. 3.) in Einklang steht. 4. Zugleich generiert die Untersuchung – über das erörterte Beispiel des Verbraucherportals Topf Secret hinausweisende – Erkenntnisse zum Phänomen der Informationsfreiheit für Multiplikatoren und den damit verbundenen Herausforderungen (VI.).
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VII. Zusammenfassung in Thesen Vereinbarkeit der Informationserteilung mit der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG)
5. Die Informationserteilung auf der Basis des VIG stellt einen Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) dar [IV. 3. b)], der gerechtfertigt werden kann [IV. 3. c)]. a) Die Informationserteilung verfolgt verfassungslegitime Zwecke, nämlich die Informationsbasis für Konsumentscheidungen der Verbraucher(innen) zu verbessern, im Interesse aller Marktbeteiligten die Markttransparenz und damit die Funktionsfähigkeit des Marktsystems zu erhöhen, das Vertrauen in die Lebensmittelsicherheit und die Qualität zu sichern, generalpräventiv auf eine Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Anforderungen hinzuwirken und damit auch den mit diesen bezweckten Gesundheits- und Verbraucherschutz zu befördern sowie Verwaltungstransparenz zu realisieren [IV. 3. c) bb)]; sie ist zur Erreichung dieser Zwecke auch geeignet [IV. 3. c) cc)] und erforderlich [IV. 3. c) dd)]. b) Bei einer Gesamtabwägung, die namentlich die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers und die in diesem Rahmen erfolgte hohe Gewichtung der Verbraucherinformation im Allgemeinen und hinsichtlich Abweichungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG im Besonderen berücksichtigt (die insoweit greifenden „Ausnahmen vom Geheimnisschutz stellen ein wesentliches Kernstück des Gesetzentwurfes dar“, so die Gesetzesbegründung), erweist sich die mit dem Verbraucherinformationsgesetz ermöglichte antragsgebundene Informationserteilung über Rechtsverstöße auch angesichts einer (möglichen bzw. beabsichtigten) Veröffentlichung dieser Informationen auf der Internet-Plattform Topf Secret als noch im Regelungsspielraum des Gesetzgebers liegend und damit angemessen [IV. 3. c) ee)]. aa) Die Informationserteilung ist gerade auch mit Blick auf eine (mögliche bzw. beabsichtigte) Veröffentlichung auf der Plattform Topf Secret angesichts der drohenden Internet-Publizität, des Gegenstands (Rechtsverstoß) und möglicher ökonomischer Konsequenzen als eingriffsintensiv zu qualifizieren. Dabei bleibt eine Weiterveröffentlichung durch Private hinsichtlich der Eingriffsschärfe hinter einer staatlichen Publikumsinformation mangels Inanspruchnahme von Amtsautorität qualitativ und, global betrachtet, auch quantitativ zurück [IV. 3. c) ee) (3)]. bb) Die Verbraucherinformation im Allgemeinen und hinsichtlich Abweichungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG im Besonderen verfolgt gewichtige Belange [IV. 3. c) ee) (4)]. Überdies wirkt das Vorliegen eines öffentlichkeitsrelevanten Rechtsverstoßes schutzmindernd [IV. 3. c) ee) (5)]. Vor allem aber greifen Schutzmechanismen zugunsten der Lebensmittelunternehmen [IV. 3. c) ee) (6)]: (1) das VIG bezieht sie in das Verwaltungsverfahren ein und ermöglicht so auch Primärrechtsschutz gegen die Informationserteilung;
VII. Zusammenfassung in Thesen
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(2) das VIG statuiert zwar jenseits personenbezogener Daten keine Pflicht der Behörde zur inhaltlichen Vorab-Richtigkeitsprüfung (§ 6 Abs. 3 Satz 1 VIG); allerdings enthält es noch ausreichende Mechanismen zur Richtigkeitsgewähr, so das (strikt zu handhabende) Erfordernis einer abschließenden aktenkundigen Feststellung der Abweichung auf der Basis einer tatsächlichen und rechtlichen Würdigung, die Pflicht zur Mitteilung von Zweifeln an der Richtigkeit (§ 6 Abs. 3 Satz 2 VIG) sowie eine Korrekturpflicht (§ 6 Abs. 4 VIG), die nach dem Bundesverwaltungsgericht überdies als Grundlage für die Nicht- oder mit einem entsprechenden Hinweis versehene Erteilung als evident falsch erkannter Informationen dienen kann. (3) die Informationsweiterverwendung durch Private unterliegt zivilrechtlichen Schranken, in deren Rahmen die unternehmerischen Grundrechte mittelbare Drittwirkung entfalten; hiermit korrespondieren Rechtsschutzmöglichkeiten vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit. cc) Die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur aktiven behördlichen Verbraucherinformation vom 21. 3. 2018 postulierten Kautelen eines Bagatellvorbehalts und eines Befristungserfordernisses können nicht auf den vorliegenden Kontext übertragen werden; eine Befristung der Informationserteilung sieht im Übrigen § 3 Satz 1 Nr. 1 lit. e VIG vor [IV. 3. c) ee) (7) (e) und (f)]. c) Auf folgende Kautelen sei hingewiesen: aa) Es obliegt dem Zivilrecht und der in diesem Rahmen greifenden mittelbaren Grundrechtsbindung, einen adäquaten, unternehmerischen Belangen hinreichend Rechnung tragenden Schutz zu bieten; hierbei ist auch die (Weiter-)Verwendung behördlicher Informationen in Rechnung zu stellen [IV. 3. c) ee) (6) (c)]. bb) Im Falle konkreter Anhaltspunkte für eine erkennbar rechtswidrige Weiterverwendung hat die Informationserteilung zu unterbleiben oder ist mit dem entgegenwirkenden Auflagen zu versehen [IV. 3. c) ee) (6) (d)]. cc) Der Gesetzgeber hat zu beobachten, ob sich diese Schutzmöglichkeiten als defizitär erweisen, und ggf. korrigierend einzugreifen. Vereinbarkeit der Informationserteilung mit dem EU-(Lebensmittelsekundär-)Recht, namentlich der novellierten Lebensmittel-Kontrollverordnung (EU) Nr. 2017/625
6. Art. 10 der Lebensmittel-Basis-Verordnung (EG) Nr. 178/2002 entfaltet keine Sperrwirkung für die hier infrage stehende Verbraucherinformation auch über andere als Gesundheitsgefahren (V. 2.). 7. Die am 14. 12. 2019 in Kraft getretene Novelle der Lebensmittel-Kontrollverordnung, die Verordnung (EU) Nr. 2017/625, steht der Verbraucherinformation
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VII. Zusammenfassung in Thesen
nicht entgegen, formuliert aber Anforderungen [V. 3. b)]. Art. 8 VO (EU) Nr. 2017/ 625 statuiert eine grundsätzliche Verschwiegenheitspflicht im Kontext amtlicher Kontrollen [V. 3. b) aa) (1)]. Von dieser sieht Art. 8 Abs. 5 VO (EU) Nr. 2017/625 indes eine Ausnahme für die hier infrage stehende Veröffentlichung von Kontrollergebnissen vor und ebnet – ohne von grundrechtlichen Anforderungen zu entbinden – zwei Wege für eine Veröffentlichung: a) Zum einen kommt eine Verbraucherinformation unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 5 lit. a und b VO (EU) Nr. 2017/625 in Betracht. Demnach muss der betroffene Unternehmer grundsätzlich angehört werden (lit. a) und müssen die erteilten Informationen „die Bemerkungen des betroffenen Unternehmers [berücksichtigen] oder […] mit diesen zusammen veröffentlicht“ werden. Es ist umstritten, ob die Bemerkungen i.S.e. Gegendarstellungsrechts stets mit der Informationserteilung zu kommunizieren sind oder eine Berücksichtigung auch in einer Kenntnisnahme durch die Behörde und Einbeziehung in die Entscheidungsfindung zu sehen ist [V. 3. b) aa) (2) (a)]. b) Zum anderen ermöglicht Art. 8 Abs. 5 VO (EU) Nr. 2017/625 eine Veröffentlichung in „Fälle[n], in denen die Verbreitung nach Unions- oder nationalem Recht erforderlich ist“, was nach der Rechtsprechung nationale und EU-Informationsregeln unabhängig von den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 5 lit. a und b VO (EU) Nr. 2017/625 gestattet. Die Erforderlichkeit einer Verbreitung nach nationalem Recht setzt nach der Rechtsprechung einen – nicht im behördlichen Ermessen stehenden – Informationsanspruch voraus, was bei § 2 Abs. 1 VIG der Fall ist [V. 3. b) aa) (2) (b)]. 8. Analog zum im nationalen Kontext Ausgeführten lässt sich auch eine Rechtfertigung von Eingriffen in EU-Grundrechte (V. 1.) sowie etwaiger Datenverarbeitungsvorgänge i.S.d. DSGVO (V. 4.) bejahen. Das Urteil des EuGH zum Zugang zum lettischen Verkehrssünderregister vom 22. 6. 2021 steht dem nicht entgegen. Multiplikatoren als Herausforderung für die Informationsfreiheit
9. Das untersuchte Verbraucherportal Topf Secret steht für das Phänomen der Informationsfreiheit für Multiplikatoren, mithin für die Konstellation, dass Informationen nicht (nur) zur eigenen Unterrichtung, sondern zur Weiterverbreitung begehrt bzw. verwendet werden. Dieser Konstellation kommt eine ambivalente Rolle im Regime der Informationsfreiheit zu, stärkt der durch die Weiterveröffentlichung bewirkte Multiplikatoreneffekt doch einerseits das mit der Informationsfreiheit verfolgte Transparenzanliegen, verschärft aber andererseits auch die vom Informationsfreiheitsregime zu bewältigende Konfliktlage zwischen Transparenz und dieser entgegenstehenden öffentlichen und privaten Belangen. In den Informationsfreiheitsgesetzen hat die Multiplikatoren-Konstellation zwar keine spezifische Regelung erfahren; allerdings wirft sie spezifische Rechtsfragen und Herausforderungen auf, die die Untersuchung vom Beispiel Topf Secret abstrahierend reflektiert (im Einzelnen VI.).
Rechtsprechungsverzeichnis (Auswahl) 1. Bundesverfassungsgericht BVerfGE 95, 173 – Tabak-Kennzeichnungsverordnung (22. 1. 1997) BVerfGE 105, 252 – Glykol (26. 6. 2002) BVerfG (K), NJW-RR 2004, S. 1710 – Äußerung (28. 7. 2004) BVerfG (K), NJW 2016, S. 3362 – Offenlegung (29. 6. 2016) BVerfGE 148, 40 – § 40 Abs. 1a LFGB (21. 3. 2018) 2. Verwaltungsgerichte BVerwG, NVwZ 2015, S. 1297 – VIG (15. 6. 2015) BVerwGE 152, 241 – IFG (25. 6. 2015) BVerwGE 155, 1 – IWG (14. 4. 2016) BVerwGE 166, 233 – VIG (29. 8. 2019) BVerwGE 167, 311 – VIG (30. 1. 2020) BayVGH, GewArch 2013, S. 361 – § 40 Abs. 1a LFGB (18. 3. 2013) BayVGH, BeckRS 2015, 48743 – VIG (6. 7. 2015, 20 ZB 14.977) BayVGH, NJW 2020, S. 85 – Art. 86 DSGVO (13. 5. 2019) BayVGH, NVwZ-RR 2020, S. 830 – LKVO (28. 11. 2019) BayVGH, BeckRS 2020, 6798 – Topf Secret (15. 4. 2020, 5 CS 19.2087) BayVGH, BeckRS 2020, 20595 – Topf Secret (7. 8. 2020, 5 CS 20.1302) OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 17.19 – Topf Secret OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6. 3. 2020, OVG 12 S 25.19 – Topf Secret OVG Bremen, BeckRS 2020, 18789 – Topf Secret (14. 7. 2020, 1 B 2/20) OVG Bremen, BeckRS 2021, 7074 – Topf Secret (8. 4. 2021, 1 B 431/20) OVG Hamburg, BeckRS 2019, 26284 – Topf Secret (14. 1. 2019, 5 Bs 149/19) OVG Koblenz, LMuR 2020, S. 90 – Topf Secret (15. 1. 2020) OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2013, S. 831 – § 40 Abs. 1a LFGB (14. 6. 2013) OVG Lüneburg, BeckRS 2020, 171 – Topf Secret (16. 1. 2020, 2 ME 707/19) OVG Münster, NVwZ-RR 2013, S. 627 – § 40 Abs. 1a LFGB (24. 4. 2013) OVG Münster, Urt. v. 15. 4. 2014, 8 A 1129/11, juris – IWG OVG Münster, LMuR 2014, S. 175 – Informationszugang (1. 4. 2014)
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Rechtsprechungsverzeichnis (Auswahl)
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Literaturverzeichnis
Wollenschläger, Ferdinand, Verfassungsrechtliche Grundlagen des Öffentlichen Wirtschaftsrechts, in: Reiner Schmidt/ders. (Hrsg.), Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl. 2019, § 2 (zit. F. Wollenschläger, Verfassungsrechtliche Grundlagen) Wollenschläger, Ferdinand, Verteilungsverfahren. Die staatliche Verteilung knapper Güter: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen, Verfahren im Fachrecht, bereichsspezifische verwaltungsrechtliche Typen- und Systembildung, 2010 (zit. F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren) Zipfel, Walter/Rathke, Kurt-Dieter/Meierernst, Andreas/Sosnitza, Olaf (Hrsg.), Lebensmittelrecht, Loseblatt (Stand: 177. EL Juli 2020) (zit. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht) Zott, Christine, Aktive Informationen des Staates im Internet – Mittelalterlicher Pranger oder modernes Steuerungsinstrument? Eine Analyse der Publikumsinformation unter besonderer Berücksichtigung des Lebensmittel-, Verbraucherinformations- und Sozialrechts, 2016 (C. Zott, Informationen)
Gesetzesmaterialien Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes über die Weiterverwendung von Informationen öffentlicher Stellen (Informationsweiterverwendungsgesetz – IWG) vom 25. 8. 2006, BT-Drs. 16/2453 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation vom 22. 5. 2007, BT-Drs. 16/5404 Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Ergebnisse der Evaluation des Verbraucherinformationsgesetzes vom 14. 5. 2010, BT-Drs. 17/1800 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 19. 10. 2011, BT-Drs. 17/7374 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Informationsweiterverwendungsgesetzes vom 15. 4. 2015, BT-Drs. 18/4614 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches vom 4. 10. 2018, BT-Drs. 19/4726 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften vom 16. 12. 2020, BTDrs. 19/25319
Sachregister § 40 Abs. 1a LFGB ! Aktive Verbraucherinformation Akteneinsicht 91 Aktive Verbraucherinformation ! Datenschutzgrundverordnung – Eingriffsqualität 43 f., 45 ! Glykol-Rechtsprechung ! Hinweis auf Behebung des Verstoßes ! Lebensmittel-Kontroll-VO – Verdachtsfälle 21 f. m. Fn. 32, 84 f. – Vergleich mit antragsgebundener Verbraucherinformation (Eingriffsintensität) 61 ff. – Verhältnis zur antragsgebundenen Verbraucherinformation 29 – Verhältnismäßigkeit 54 f., 56, 63, 83 ff., 86, 87 f., 89 f., 90 Angemessenheit 57 ff., 117 f. Anhörung 26 f., 61, 73 f. B (Rs., EuGH) 115 ff. Bagatellvorbehalt 86 f., 114 Fn. 382, 118 Befristung 87 ff. Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) 41 ff. ! Bestimmtheit – Bezugspunkt der Prüfung 58 f. ! Drei-Stufen-Lehre – Eingriff 41 ff. ! Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers ! Glykol-Rechtsprechung – Rechtfertigung 51 ff. – Schutzbereich 41 Bestimmtheit 51 f. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse 24 f., 60 BVerfGE 148, 48 (§ 40 Abs. 1a LFGB, 21. 3. 2018) – Bagatellschwelle 84, 86 – Befristung 84, 87 f. – Drei-Stufen-Lehre 58
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Eingriffsintensität 63, 66 f. Erforderlichkeit 56 Erläuterung des Verstoßes 90 Geeignetheit 55 Grundrechtseingriff 44 f. Hinweis auf Behebung des Verstoßes 84, 89 f. – Interessenabwägung 83 f. – Recht auf informationelle Selbstbestimmung 91 f. – Schecke (Rs., EuGH) 96 – Tatsachengrundlage der Information 84 f. – verfassungslegitime Ziele 54, 70 f. BVerwGE 166, 233 (VIG; 29. 8. 2019) – Bestimmtheit 52 – Eingriffsintensität 64 – Einschätzungsprärogative 60 – Erforderlichkeit 56 – Geeignetheit 55 – Grundrechtseingriff 46 ff. – Interessenabwägung 79 f. – Rechtsmissbrauch 28 – Richtigkeitsgewähr 21 f., 76, 83 – Schutzmechanismen 73 ff.
Datennutzungsgesetz 37, 121 ff. Datenschutz – Ausschluss- und Beschränkungsgrund i.R.d. VIG 25 f., 60 – (EU-)Grundrecht 95 ff. ! Recht auf informationelle Selbstbestimmung Datenschutzgrundverordnung 109 ff. – Anforderungen an Datenverarbeitung 113 ff. – Öffnungsklausel für Dokumentenzugang (Art. 86 DSGVO) 110 ff. – personenbezogene Daten 109 – Strafdaten (Art. 10 DSGVO) 116, 118 Drei-Stufen-Lehre 57 f.
Sachregister Drittwirkung ! Grundrechtsbindung Privater Eigentumsgarantie 92, 97 Eingriffsintensität – antragsgebundene Informationserteilung 64 ff. – Eingriffsfolgen der Informationserteilung 62 ! Internet-Veröffentlichung Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers 59 ff. Erforderlichkeit 55 ff., 116 f. EU-Grundfreiheiten ! Grundfreiheiten EU-Grundrechte ! Unionsgrundrechte Geeignetheit 54 f. Glykol-Rechtsprechung 42 ff. Grundfreiheiten 97 Grundrechte-Charta ! Unionsgrundrechte Grundrechtsbindung (Privater) 39 ff., 49 f., 81 f. Grundrechtseingriff – aktive Verbraucherinformation 45 – allgemeine Anforderungen bei Informationshandeln 44 f. – antragsgebundene Informationserteilung 45 ff. ! Eingriffsintensität Grundrechtsschutz – nationale und Unionsgrundrechte 38 Hinweis auf Behebung des Verstoßes 77, 89 f. Informationserteilung, Modalitäten 89 ff. Informationsfreiheitsgesetz 121 ff. Informationsweiterverwendung(sgesetz) 30 ff., 121 ff. – Anwendungsbereich 31 ff. – Außerkrafttreten 30 ! Datennutzungsgesetz – (Ir-)Relevanz für den Informationszugang 33 ff., 78 Internet-Veröffentlichung 62 f.
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Korrekturpflicht (§ 6 Abs. 4 VIG) 28, 36, 68 f., 76, 79 f., 83, 107 f., 112, 119, 122, 124 Lebensmittel-Basis-VO 97 ff. ! Sperrwirkung Lebensmittel-Kontroll-VO 99 ff. – (EG) Nr. 882/2004 99 f. – (EU) Nr. 2017/625 101 ff. – (nicht) abschließender Charakter 108 f. – Transparenzregelung 107 f. – Veröffentlichung von Kontrollergebnissen 102 ff. – Verschwiegenheitspflicht 101 ff. Markttransparenz 18 f., 22, 36, 39 f., 49 f., 53, 82 Fn. 259 Meinungsfreiheit 28, 40, 68, 122 Multiplikatoren-Konstellation 121 ff. Ordnungsrecht 56, 117 Prangerwirkung 63 Recht auf informationelle Selbstbestimmung (GG) 91 f. ! Datenschutz ! Datenschutzgrundverordnung Rechtsschutz – aufschiebende Wirkung (VIG) 61 – Wartepflicht 27 – Zivilgerichte 39 ff., 77, 81 ff. Rechtsschutzgarantie 92 f. Richtigkeit(sgewähr) 21 ff., 27 f., 74 ff., 82 f., 84 ff. ! Korrekturpflicht Schecke (Rs., EuGH) 96 f. Sperrwirkung (der Lebensmittel-Basis-VO) 97 ff. Topf Secret, Funktionsweise und Anliegen 15 ff. Transparenz ! Markttransparenz ! Verwaltungstransparenz
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Sachregister
Umweltinformationsgesetz 121 ff. Unionsgrundrechte 95 ff. Verbraucherinformation(sgesetz) ! aktive ~ ! Anhörung – Antragsberechtigung 20 f. – Anwendungsbereich 18 – Ausschluss und Beschränkungsgründe 24 ff. – Bestandskraft 21 ff. – Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse 24 f. – Gegenstand und Umfang 21 ff. – laufende Verfahren 26, 60
– Rechtsmissbrauch(sklausel) 28 f. ! Rechtsschutz ! Richtigkeit(sgewähr) – Verfahren 26 f. – Verhältnis zum Informationsweiterverwendungsrecht 30 ff. – Zugang zu personenbezogenen Daten 25 f., 60 – Zweck 18 ff., 53 f., 70 ff. Verwaltungstransparenz 11, 19 f., 53, 55 f., 72, 82, 86, 89, 111, 118 Viertes Gesetz zur Änderung des LFGB 12 f., 49, 87, 88 Weiterverwendung ! Informationsweiterverwendung