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German Pages 182 [183] Year 2006
Das Recht auf die Heimat
Staats- und völkerrechtliche Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht Herausgeber im Auftrag der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn: Dieter Blumenwitz t, Georg Brunner t, Karl Doehring, Gilbert H. Gornig, Eckart Klein, Hans v. Mangoldt, Boris Meissner t, Dietrich Murswiek, Dietrich Rauschning
Band 23
Das Recht auf die Heimat
Herausgegeben von
Gilbert H. Gornig Dietrich Murswiek
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Duncker & Humblot • Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Die Bände 1 -19 der „Staats- und völkerrechtlichen Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Volkerrecht" erschienen im Verlag Wissenschaft und Politik, Köln
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1434-8705 ISBN 3-428-12063-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 © Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Das 20. Jahrhundert ist oft als „Jahrhundert der Vertreibungen" bezeichnet worden. Dieses Jahrhundert hat auch vielfältige politische und juristische Bemühungen hervorgebracht, die Vertreibungen, „ethnischen Säuberungen" entgegenwirken und den Menschen das Recht auf ein Leben in Freiheit in ihrer angestammten Heimat garantieren sollen. Juristisch lassen sich diejenigen Normen, die „ethnische Säuberungen" verbieten und den Menschen das Recht garantieren, dort zu leben, wo sie ihre Wurzeln haben, in der vertrauten Umgebung, in der man ihre Sprache, ihre Mundart spricht, als „Recht auf die Heimat" zusammenfassen. Im Verfassungsrecht einiger deutscher Bundesländer wird dieses Recht ausdrücklich garantiert. Im Völkerrecht ist der Begriff nicht in Rechtstexte eingegangen. Er läßt sich aber als Sammelbegriff für völkerrechtlich geltende Normen verwenden, die ihrem Inhalt nach das regeln, was der Begriff zum Ausdruck bringt. Seit dem Erscheinen des Grundlagenwerks von Otto Kimminich über „Das Recht auf die Heimat" (1. Auflage 1978) sind über 25 Jahre vergangen. Eine neubearbeitete und erweiterte dritte Auflage hatte Kimminich noch im Jahre 1989 - vor der Öffnung des Eisernen Vorhangs - veröffentlicht. Fünfzehn Jahre später, nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und nach einem Jahrzehnt, das einerseits Menschenrechte für die Menschen in Mittel- und Osteuropa gebracht, andererseits aber auch zu neuen Vertreibungsverbrechen und „ethnischen Säuberungen" geführt hat, scheint eine neue Befassung mit dem Thema notwendig. Sie trifft auf ein politisch grundlegend verändertes Umfeld. Bis 1989 erschien vielen „Vertreibung" als spezifisch deutsches Thema, und die Wahrnehmung deutscher Interessen im Zusammenhang mit den Folgen des Zweiten Weltkriegs wurde von einer verbreiteten öffentlichen Meinung als reaktionär verunglimpft. Beides war nicht richtig. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg hat es immer wieder Vertreibungen gegeben, und die Studiengruppe für Politik und Völkerrecht hat sich immer mit Vertreibungsverbot und Heimatrecht unter dem generellen Aspekt beschäftigt, daß Vertreibungen menschenrechtswidrig sind und geächtet werden müssen. Menschenrechte aber gelten für alle, auch für die Angehörigen eines Volkes, dessen politische Führung einen Krieg begonnen hatte. Die Konflikte in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts haben gezeigt, wie wichtig und aktuell - leider - das Thema Vertreibungsverbot und Recht auf die Heimat ist. Ganz besonders die Verbrechen in Bosnien und im Kosovo haben ins allgemeine Bewußtsein treten lassen, daß die rechtliche Durchdringung dieser Thematik ein wesentlicher Beitrag zur Sicherung des Friedens und der Menschenrechte ist.
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Vorwort
Wie ist der Stand der völkerrechtlichen Entwicklung des „Rechts auf die Heimat"? Welche aktuellen Rechtsfragen stellen sich heute? Mit diesen Fragen beschäftigte sich die Tagung der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht, die vom 3 . - 5 . März 2004 in Königswinter bei Bonn stattfand. Die auf dieser Tagung gehaltenen Vorträge werden im vorliegenden Band dokumentiert. Das Programm umfaßte sowohl Grundsatzbeiträge als auch Beiträge zu aktuellen, speziellen Aspekten des Rechts auf die Heimat. Der erste Beitrag arbeitet heraus, daß das Recht auf die Heimat Bestandteil des geltenden Völkerrechts ist und welche einzelnen Rechte es umfaßt (Dietrich Murswiek). Mit dem Verhältnis des Heimatrechts zum Internationalen Flüchtlingsrecht befaßt sich der Vortrag von Günter Renner. Die europarechtliche Ebene der Thematik beleuchtet das Referat von Heinrich Wilms. Er geht der Frage nach, ob und mit welchem Inhalt sich aus dem Recht der Europäischen Union ein Recht auf die Heimat ergibt. In Deutschland hat das Recht auf die Heimat auch eine verfassungsrechtliche Dimension, da verschiedene Landesverfassungen dieses Recht garantieren. Dies ist Gegenstand des Beitrags von Christoph Degenhart. - Die übrigen Beiträge behandeln speziellere Rechtsfragen bestimmter Staaten. Michael Silagi untersucht die Ausgestaltung des Rechts auf die Heimat in der deutschen Gesetzgebung und zeigt dabei die kulturelle Dimension auf, die dieses Recht im deutschen Vertriebenenrecht hat. Tina de Vries behandelt die Reprivatisierung des Eigentums in Polen und damit eine wesentliche Voraussetzung des Rechts auf die Heimat - ist doch das Eigentum an Grund und Boden eine der faktischen Grundlagen für das Leben in der angestammten Heimat. Vermögensrechtliche Ansprüche Vertriebener sind Sekundäransprüche, die sich aus der Verletzung des primären Rechts ergeben, des Rechts in der Heimat zu bleiben und dort auch sein Eigentum nutzen zu können. Anschauungsmaterial zu diesem Aspekt bietet die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu den vermögensrechtlichen Ansprüchen der zypriotischen Vertriebenen. Damit befaßt sich der Beitrag von Dieter Blumenwitz. - Südtirol ist nicht nur ein immer wieder zitiertes Musterbeispiel für gelungenen Minderheitenschutz. Die Autonomie Südtirols kann auch als Beispiel für eine konkrete Ausformung des Rechts auf die Heimat herangezogen werden, wie Christoph Pan deutlich macht. Das Recht auf die Heimat umfaßt nämlich nicht nur das Recht, sich in seiner Heimat aufzuhalten, sondern auch die Wahrung der existentiellen Bedingungen der Erhaltung und Entfaltung der Identität einer Volksgruppe. So hängen, wie Pans Beitrag klarmacht, Recht auf die Heimat und Minderheitenschutz in Minderheitengebieten eng zusammen. Für die redaktionelle Bearbeitung des Manuskripts, die Herstellung der Druckvorlage und das Erstellen der Register danken die Herausgeber Holger Wöckel und Susanne Nagel. Marburg / Freiburg, im August 2005
Gilbert H. Gornig Dietrich Murswiek
Inhaltsverzeichnis
Klaus Pohle Grußwort
15
Dietrich Murswiek Die völkerrechtliche Geltung eines „Rechts auf die Heimat" Abstract
17 35
Günter Renner Das Recht auf die Heimat und das Internationale Flüchtlingsrecht Abstract
37 48
Heinrich Wilms Das Recht auf die Heimat im Recht der Europäischen Union Abstract
51 64
Christoph Degenhart Das Recht auf die Heimat im deutschen Verfassungsrecht Abstract
65 76
Michael Silagi Die normative Ausgestaltung des Rechts auf die Heimat in der deutschen Gesetzgebung Abstract
77 103
Tina de Vries Die Reprivatisierung des Eigentums in Polen Abstract
105 129
8
nsverzeichnis
Dieter Blumenwitz Die vermögensrechtlichen Ansprüche der zypriotischen Heimatvertriebenen - unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
131
Abstract
147
Christoph Pari Die Südtirolautonomie als konkrete Ausformung des Rechts auf die Heimat
149
Abstract
160
Gilbert H. Gornig / Dietrich Murswiek Nachruf auf Dieter Blumenwitz
163
Dieter Blumenwitz / Gilbert H. Gornig / Dietrich Murswiek Nachruf auf Boris Meissner
167
Hans-Günter Parplies Nachruf auf Reinold Schleifenbaum
169
Die Autoren
171
Sachregister.
179
Abkürzungsverzeichnis
Abs.
Absatz
Abschn.
Abschnitt
Anm.
Anmerkung(en)
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
AVR
Archiv des Völkerrechts
BbgVerfG
Brandenburgisches Verfassungsgericht
Bd.
Band
BDGV
Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht
ber.
berichtigt
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BR-Drs.
Bundesratsdrucksache
BT-Drs.
Bundestagsdrucksache
BullBReg
Bulletin der Bundesregierung
BvD
Bund vertriebener Deutscher
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVFG
Bundesvertriebenengesetz
bzw.
beziehungsweise
CITRA
Conférence Internationale de la Table ronde des Archives
Cong.
Congress
Doc.
document
d.h.
das heißt
dens.
denselben
ders.
derselbe
10
Abkürzungsverzeichnis
Dz.U.
Gesetzblatt (Polen)
ebd.
ebenda
EGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft v. 27. Januar 1957
EinigungsV
Vertrag zwischen der BRD und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands (31. August 1990 (BGBl. II 1990, S. 885)
EMGR
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
EMRK
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 4. November 1950, BGBl II 1952, 686,953 („Europäische Menschenrechtskonvention")
EuGRZ
Europäische Grundrechte - Zeitschrift
EUV
Vertrag über die Europäische Union v. 7. Februar 1992, BGBl II 1253 („Maastricht-Vertrag")
EZAR
Entscheidungssammlung zum Ausländer- und Asylrecht
f.
folgende
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
ff.
folgende
Fn.
Fußnote
FRV
Frankfurter Reichsverfassung
FLJEV
Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen
GA-Res.
General Assembly Resolution
GG
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v. 23. Mai 1949 (BGBl S. 1)
GK
Genfer Flüchtlingskonvention (Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951)
GVB1.
Gesetz- und Verordnungsblatt
GV-Res.
Resolution der Generalversammlung
Hinw.
Hinweis(e)
HLKO
Haager Landkriegsordnung vom 25. Januar 1910
hrsg.
herausgegeben
Hrsg.
Herausgeber
Abkürzungsverzeichnis
11
HStR I, VIII
Isensee, Josef/ Kirchhof, Paul (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Heidelberg, Bd. I., 1987 (2. Aufl. 1995); Bd. VIII, 1995
ICA
International Council on Archives
IFLA
International Federation of Library Associations
ILC
International Law Commission
ILM
International Legal Materials
insbes.
insbesondere
IRG
Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen
i.V.m.
in Verbindung mit
JöR
Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart (1.1907 25.1938; N.F. 1.1951 ff.)
JZ
Juristenzeitung
k.A.
keine Angabe(n)
Kap.
Kapitel
KfbG
Kriegsfolgenbereinigungsgesetz v. 21. Dezember 1992
KK
Kulturpolitische Korrespondenz
Komm.
Kommentar
LAG
Lastenausgleichsgesetz
lit.
littera (Buchstabe)
LKV
Landes- und Kommunalverwaltung
LT-Drs.
Landtagsdrucksache
m.
mit
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
Nachw.
Nachweise
NJW
Neue Juristische Wochenzeitschrift
No.
number
Nr.
Nummer
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
o.S.
ohne Seite
OSN
Entscheidungen des Polnischen Obersten Gerichts nachfolgenden zwei Buchstaben bezeichnen den Senat)
(die
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Abkürzungsverzeichnis
OSP
Rechtsprechung polnischer Gerichte
OTK
Entscheidung/en des Verfassungsgerichtshofes in Polen
PKNW
Polnisches Komitee der Volksbefreiung
Res.
Resolution
RGBl.
Reichsgesetzblatt
Rn.
Randnummer(n)
S.
Seite(n); Satz, Sätze
SächsVBl
Sächsische Verwaltungsblätter
SächsVerfGH
Sächsischer Verfassungsgerichtshof
Sen.
Senate
Sess.
Session
sog.
so genannte(n/r)
st. Rspr.
ständige Rechtsprechung
StAngRegG
Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit
TRNC
Turkish Republic of Nothern Cyprus
u.
und
u.a.
unter anderem; unter anderen
UN
United Nations
UNHCR
Hohes Flüchtlingskommissarat der Vereinten Nationen
U.S.
United States bzw. Supreme Court Reporter
usw.
und so weiter
v.
vom, von; versus
v.a.
vor allem
VdL
Verband der Landsmannschaften
VerfGE
Entscheidungen des Verfassungsgericht(hof)s
VerfGH
Verfassungsgerichtshof
vgl.
vergleiche
Vol.
Volume
VOL
Vereinigte ostdeutsche Landsmannschaften
VwVfG
Verwaltungsverfahrensgesetz
WAR
Forschungsgesellschaft für das Weltflüchtlingsproblem
Abkürzungsverzeichnis
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WGO
Monatshefte für osteuropäische Politik
WK
Wiener Konvention vom 8. April 1983 über Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden von Staaten
YBILC
Yearbook of the International Law Commission
z.B.
zum Beispiel
zahlr.
zahlreich; zahlreiche
ZaöRV
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
ZAR
Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik
Grußwort Sehr geehrte Damen und Herren, verehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die staats- und völkerrechtlichen Fachtagungen der Kulturstiftung der Deutschen Vertriebenen, gemeinsam mit der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht, haben eine gute Tradition. In diesem Jahr werden Sie sich dem Thema „Recht auf die Heimat" widmen. Hochkarätige Referenten haben sich angesagt. Um so mehr bedaure ich wegen anderweitiger Verpflichtungen an der diesjährigen Veranstaltung nicht teilnehmen zu können. Heimat ist nicht allein ein geographischer Begriff, Heimat vermittelt Vertrautheit und Verbundenheit. Heimat das ist vertraute Umgebung, das sind Eltern, Geschwister, Spielkameraden und Nachbarn. Heimat das sind Erlebnisse und Erfahrungen, das ist Muttersprache und Zugehörigkeit. Zu Heimat gehört schließlich auch die Möglichkeit der Bewahrung der eigenen Kultur. Der Verlust der Heimat bedeutet damit nicht nur den Verlust materieller Rechte. Wesentlicher noch ist oftmals der Verlust eines Stücks der eigenen Identität. Das haben rd. 50 Millionen Flüchtlinge und Heimatvertriebene im letzten Jahrhundert in Europa schmerzlich erfahren müssen. Menschen verloren ihre Heimat, weil sie eine vermeintlich „falsche" Nationalität oder Volkszugehörigkeit besaßen oder eine andere religiöse Überzeugung hatten. Zu erinnern sind nicht nur Flucht und Vertreibung namentlich nach dem Zweiten Weltkrieg. In Erinnerung zu rufen sind auch die gewaltsamen Bevölkerungsverschiebungen anläßlich der Balkankriege und nicht zuletzt die verbrecherische Vertreibungspolitik im Kosovo. Angesichts der europäischen Geschichte des letzten Jahrhunderts ist es geradezu erstaunlich, daß wir heute auf ein geeintes,freies Europa blicken können. Wir haben gelernt, daß es nicht so sehr auf Staatsgrenzen ankommt, sondern auf grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Hier muß der Schwerpunkt des Miteinander auch mit unseren ostmitteleuropäischen Nachbarn liegen, wenn deren Beitritt zur Europäischen Union am 1. Mai dieses Jahres vollzogen wird. Ein neues Kapitel des Zusammenlebens wird dann aufgeschlagen. Eine neue europäische Friedensordnung wird Schritt für Schritt verwirklicht. Die Grenzen nach Osten werden fallen. Gemeinsam mit Polen und Tschechen werden wir in einem gemeinsamen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Raum leben.
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Grußwort
Dabei dürfen wir nicht übersehen, daß nicht nur die Erwartungen groß sind. Es gibt auch Ängste. Sie zeigten sich nicht erst bei den emotionsgeladenen Kommentaren zum Thema „Zentrum gegen Vertreibungen". Sie sind auch belegt durch die heftigen Diskussionen zu den BeneS-Dekreten im Zusammenhang mit den Beitrittsverhandlungen mit der Tschechischen Republik. Wir müssen feststellen, daß jegliches Thematisieren von Vermögensfragen und Eigentumsrechten im Zusammenhang mit der Vertreibung von Deutschen insbesondere aus Tschechien und Polen zu heftigen Reaktionen führt. Die heutige Bundesregierung hat, wie im Übrigen alle Regierungen vor ihr, stets die Vertreibung und die entschädigungslose Enteignung deutschen Vermögens als völkerrechtswidrig angesehen. Diese Position gilt unverändert. Sie hat es jedoch als vorrangiges Ziel angesehen, Vertrauen zu schaffen für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit und eine gemeinsame Zukunft innerhalb der Europäischen Union. Deshalb hat sie die Meinung vertreten, daß - unbeschadet privater Rechte Dritter - Eigentums- und Vermögensfragen nicht mit den Beitrittsverhandlungen unserer östlichen Nachbarn zur Europäischen Union verquickt werden sollten. Von dem polnischen Schriftsteller Jan Jozef Lipski, einem großen republikanischen Aufklärer der Siebziger und Achtziger Jahre, stammt der Satz: „Wir müssen uns alles sagen". In der Tat, das müssen wir, aber in Freundschaft und Sachlichkeit. Klar in der Sache aber behutsam in der Form geht es darum, eine Nachbarschaftsbeziehung neu aufzubauen. Daß Unrecht geschehen ist, soll dabei nicht unter den Tisch gekehrt werden. In diesem Sinne verstehe ich auch Ihre diesjährige Veranstaltung. In den nächsten drei Tagen werden Sie sich dem Thema Heimat aus eher juristischer Sicht nähern. Sie beleuchten die völkerrechtliche Geltung des Rechts auf Heimat, stellen dieses Recht in Zusammenhang mit dem Internationalen Flüchtlingsrecht, zeigen seine Grundlagen im Recht der Europäischen Union auf und gehen auch auf das deutsche Verfassungs- und Vertriebenenrecht ein. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsnormen werden Sie am Beispiel Zyperns, Polens und Palästinas u.a. vermögensrechtliche Fragen und Rückkehrrechte erörtern. Ausformungen des Rechts auf Heimat analysieren Sie am Beispiel der Südtiroler Autonomie sowie der Ungarndeutschen. Ihre Themenauswahl belegt die Bedeutung, die Sie demfriedlichen und vertrauensvollen Miteinander beimessen. Ich bin sicher, Sie erwartet eine arbeitsreiche, aber interessante Tagung. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wünsche ich einen angenehmen Aufenthalt, aufschlußreiche Referate und Aussprachen und der Veranstaltung einen erfolgreichen Verlauf. MinDirektor Klaus Pohle, BMI
Die völkerrechtliche Geltung eines „Rechts auf die Heimat44 Von Dietrich Murswiek
I. Wozu ein Recht auf die Heimat? „Heimat", das war jahrzehntelang für die meisten Intellektuellen Westdeutschlands, vielleicht der westlichen Welt überhaupt, etwas Verstaubtes, ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert. Der Begriff hatte seinen Platz noch in Märchenbüchern und in den „Hitparaden der Volksmusik", in unpolitischen Residuen und auf der Bühne der Abgeschmacktheiten. Wer politisch davon redete, galt als Reaktionär. Wer up to date sein wollte, verstand sich als Weltbürger und nur als solcher. Zwischen Individuum und Universum sah der Mainstream keine identitätsstiftenden Zwischeninstanzen. Für einen Archibald Douglas, wie Fontane ihn in seiner Ballade besingt, hätte man nur ein mitleidiges Lächeln übrig gehabt. Lieber zu sterben als fern der Heimat in der Verbannung leben zu müssen, oder - aus der Perspektive von König Jakob - einem Mann, den man für seinen Feind hält, deshalb wieder Vertrauen zu schenken und ihn als Freund aufzunehmen, weil man in dessen Heimatliebe seine tiefe Treue erkennt - solche Lebenshaltungen scheinen nicht in unsere Zeit zu passen. Der moderne Mensch hat keine Heimat. Als Weltbürger ist er überall zu Hause, also nirgends. Das hat zwar nie gestimmt. Man kann seine Wurzeln, seine Prägung durch Land, Landschaft und Kultur, zwar verdrängen und verleugnen, macht sie damit aber nicht unwirklich. Das hat viele Intellektuelle freilich nicht daran gehindert von „Heimat" nie anders als von „Heimattümelei" zu sprechen, die wie jede andere Tümelei nichts als einen verächtlichen Blick verdient. In den letzten Jahren scheint sich aber eine gewisse Trendwende anzubahnen. „Heimatverlust und Exil" ist plötzlich ein Thema des Deutschunterrichts, mit dem sich Gymnasiasten beschäftigen. Vertreibung ist ein Thema der Literatur geworden. Mit der Heimat ist es wie mit vielen anderen Gütern auch: Ihre Bedeutung und ihren Wert erfahren viele Menschen erst durch den erlittenen oder den drohenden Verlust. Die westlichen Intellektuellen, die die Heimat zu bespötteln pflegten, haben ihren Verlust nicht selbst erleiden müssen. Jetzt aber haben sie ein Jahrzehnt neuer Vertreibungen, sogenannter „ethnischer Säuberungen", mit all ihren Schrecklichkeiten in aller Intensität auf dem Bildschirm miterlebt. Po-
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Dietrich Murswiek
litiker, denen man Heimatgefühle kaum zutraute und die für die politischen Anliegen der deutschen Heimatvertriebenen nicht das geringste Verständnis aufbrachten, erlebten die Vertreibung der Kosovo-Albaner als ein so schreckliches Verbrechen, daß sie die Bundeswehr in einen Interventionskrieg schickten, den ersten Krieg, an dem Deutschland sich nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligte. Die deutschen Pazifisten führten Krieg, und das zur Verteidigung des Rechts auf die Heimat! Des Rechts auf die Heimat der Kosovo-Albaner. Ich weiß nicht, ob die Politiker, die diesen Krieg befürwortet hatten, sich das richtig klargemacht haben. Im Vordergrund der Begründung für die „humanitäre Intervention" standen natürlich die schrecklichen Gewalttaten, von denen berichtet wurde und denen man ein Ende bereiten wollte. Aber was war denn der Kern des Konflikts in Bosnien, was war der Kern des Konflikts im Kosovo? Was der Kern der „ethnischen Säuberungen"? Es ging darum, daß bestimmte Gruppen von Menschen ihrer Heimat beraubt werden sollten. Es ging darum, daß sie gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen. Natürlich, man empört sich zu Recht besonders über die grausamen Mittel, die hierzu eingesetzt werden, über das Abbrennen von Dörfern, über die abscheulichen Terrorakte und Verbrechen, die aus dem Bürgerkrieg berichtet wurden. All diese brutalen Gewaltakte aber, jedenfalls soweit sie systematisch begangen wurden, waren Mittel zum Zweck, zum Zweck der sogenannten ethnischen Säuberung, also zur Vertreibung ethnisch definierter Gruppen von Menschen aus ihrer angestammten Heimat. Die betroffenen Menschen hätten sich den Gewalttaten entziehen können, wenn sie geflohen wären. Wäre damit die Welt in Ordnung gewesen? Hätte das eine Intervention überflüssig gemacht? Doch offenbar nicht. Denn würde man diese Frage bejahen, dann hätte auch die mit den gewaltsamen Übergriffen auf die Kosovo-Albaner begründete Intervention nicht gerechtfertigt werden können. Dann wären ja die Menschen, die nicht geflohen sind - jedenfalls soweit sie die Möglichkeit dazu hatten - sozusagen selber Schuld an ihrem Schicksal. Wer mit einer Militärintervention Menschen schützt, die allein deshalb Mord, Vergewaltigung und andere Greueltaten zu befürchten haben, weil sie sich weigern, ihre Heimat zu verlassen, der interveniert zum Schutz des Rechts auf die Heimat. Der führt einen Krieg nicht zum Zwecke einer abstrakten Wahrung von Menschenrechten, sondern zur Wahrung der elementaren Menschenrechte, die eine konkrete Volksgruppe an einem konkreten Ort hat, nämlich in ihrer Heimat. Und damit wird das Recht auf die Heimat selbst indirekt als elementares Menschenrecht anerkannt und verteidigt. Ich will nicht darüber reden, ob der Kosovo-Krieg völkerrechtlich gerechtfertigt war. Das ist hier nicht das Thema. Ich will nur darauf aufmerksam machen, daß dieser Krieg wie kein Ereignis zuvor im letzten halben Jahrhundert das Thema „Heimat" ins Zentrum der Politik gerückt hat. Und nachdem der Krieg vorbei ist und sich die Lage auf dem Balkan beruhigt hat, haben die heimatlosen deutschen Intellektuellen die Chance, aus der rückblickenden Betrachtung des Leidens der Bosnier, der Kosovo-Albaner Erkenntnis zu gewinnen.
Die völkerrechtliche Geltung eines „Rechts auf die Heimat"
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Man kann z.B. darüber nachdenken, warum denn diese Leute unbedingt dort bleiben wollten, wo sie gelebt haben. Man kann darüber nachdenken, warum eigentlich „ethnische Säuberungen", über deren Abscheulichkeit Konsens besteht, nicht eigentlich ganz praktisch, weil konfliktvermeidend sind. Warum sollen Menschen nicht zwangsumgesiedelt werden können, wenn Gesichtspunkte der politischen Arrondierung dafür sprechen? Wer diese Fragen veraeinen will und alle wohlmeinenden Menschen der westlichen Welt sind dafür, daß man sie verneinen muß - , der kommt nicht umhin, die Heimat als Wert zu erkennen, als ein Gut, das fundamentale Bedeutung für den einzelnen hat. Wie essentiell dieser Wert ist, das mag für jeden einzelnen unterschiedlich sein. Heimat ist etwas sehr Subjektives. Und in einer Welt der Internationalisierung, Globalisierung, Standardisierung, in der Industrie und Mode, kommunikative Vernetzung und fremdsprachliche Bildung, Investitionspolitik und Urlaubsverhalten, Massenmedien und Migration die Bedeutung regionaler Besonderheiten immer mehr abschleifen, mag für viele Menschen Heimat längst nicht mehr so wichtig sein wie sie für die meisten Menschenfrüher war. Die Bürgerkriege auf dem Balkan haben uns aber vor Augen geführt, daß auch heute für viele Menschen Heimat etwas Elementares ist, daß das Leben in einer vertrauten Umgebung unter Menschen mit derselben kulturellen Prägung auch heute noch ein natürliches Grundbedürfiiis ist. Dem Menschen seine Heimat zu nehmen, bedeutet, ihm diejenigen Bedingungen zu nehmen, unter denen er sich optimal entfalten kann. Am Beispiel der Sprache wird das besonders deutlich. Wer das Land verlassen muß, in dem seine Muttersprache gesprochen wird, hat in der Regel nicht die Möglichkeit, in der Fremde das zu leisten, was er in seiner Heimat leisten könnte. Selbst wer die Fremdsprache perfekt zu beherrschen lernt, wird in der Regel nie die Sicherheit und Differenziertheit des Ausdrucks erreichen, die Muttersprachlern eigen ist. Das Recht, in seiner Heimat zu bleiben und dort zu leben, sollte daher als Menschenrecht respektiert werden. Ist es auch ein Recht im geltenden Völkerrecht? Das ist das Thema meiner folgenden Ausführungen, und ich nehme die Antwort vorweg: Ja, im Völkerrecht existiert ein Recht auf die Heimat. Ich werde jetzt zunächst auf den möglichen Inhalt dieses Rechts eingehen (II.), sodann die Ableitung dieses Rechts aus dem geltenden Völkerrecht darstellen (III.) und mich schließlich einigen Einzelfragen und Konfliktthemen zuwenden (IV.-VI.).
I I . Der Inhalt des Rechts auf die Heimat Wer im geltenden Völkerrecht nach einem Recht auf die Heimat sucht, steht vor einer gewissen Anfangsschwierigkeit. Es gibt nämlich keinen Rechtssatz des Völkerrechts, in dem dieser Begriff verwendet wird. Gäbe es eine Datenbank, die alle Normen des Völkervertragsrechts und des Gewohnheitsrechts
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Dietrich Murswiek
enthielte, dann würde der Computer bei Eingabe des Suchbegriffs „Recht auf die Heimat" oder entsprechender fremdsprachlicher Ausdrücke „0 Treffer" melden. Könnten wir die Suche über das Völkerrecht hinaus auf sämtliche Rechtsnormen ausdehnen, erhielten wir positive Funde wohl nur im deutschen Landesverfassungsrecht 1. Wenn wir die Geltung des Rechts auf die Heimat im Völkerrecht aufspüren wollen, kommen wir also mit der Suche nach diesem Begriff nicht weiter. Wir müssen anders vorgehen. Wir müssen untersuchen, ob das, was wir uns juristisch als „Recht auf die Heimat" vorstellen, in geltenden Völkerrechtsnormen der Sache nach garantiert ist. Solche Untersuchungen sind vor allem in der deutschen Völkerrechtswissenschaft durchgeführt worden, und ich kann mich auf diese Untersuchungen beziehen. Wichtige Arbeiten stammen aus unserer „Studiengruppe für Politik und Völkerrecht", nämlich von Dieter Blumenwitz2 und Gilbert Gornig3 sowie von Otto Kimminich, dessen Standardwerk4 ganz besonders hervorzuheben ist. Um also prüfen zu können, welche Völkerrechtsnormen das Recht auf die Heimat oder Teilaspekte dieses Rechts implizit garantieren, müssen wir zunächstfragen, was wir sinnvollerweise in einem juristischen Sinne unter diesem Recht verstehen können. Was ist der mögliche Inhalt dieses Rechts?
1. Der Heimatbegriff
Zu klären ist zunächst, was man unter „Heimat" zu verstehen hat. „Heimat" ist ein vielschichtiger und emotionsbeladener Begriff, dessen vielfältige Facetten sich nicht sämtlich eignen, Gegenstand juristischer Garantien zu sein. Ist Heimat der Ort, der einem „lieb" und „wertvoll" ist5, der Ort, an dem man sich sozial und kulturell verwurzelt fühlt, an dem man ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit den dort lebenden Menschen hat, dann sind dies alles Gründe, die dafür sprechen, daß es ein Recht auf die Heimat gibt und daß dieses völkerrechtlich garantiert ist. Aber sie eignen sich schlecht für juristische Anknüpfungen, weil 1 Zu diesem Thema siehe das Referat von Christoph Degenhart, Das Recht auf die Heimat im deutschen Verfassungsrecht, in diesem Band, S. 65 ff. 2 Dieter Blumenwitz, Das Recht auf die Heimat, in: ders. (Hrsg.), Recht auf die Heimat im zusammenwachsenden Europa. Ein Grundrecht für nationale Minderheiten und Volksgruppen, 1995, S. 41 ff. 3 Gilbert Gornig, Das Recht auf die Heimat. Auch ein Beitrag zu Vertreibung und Enteignung im Völkerrecht, IFLA (Informationsdienst für Lastenausgleich, BVFG und anderes Kriegsfolgenrecht, Vermögensrückgabe und Entschädigung nach dem Einigungsvertrag) 1997, S. 121 ff. 4 Otto Kimminich, Das Recht auf die Heimat, 3. Aufl. 1989. 5 Vgl. Gornig (Fn. 3), S. 12.
Die völkerrechtliche Geltung eines „Rechts auf die Heimat"
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sie subjektiv und schwer überprüfbar sind und vielleicht auch nicht in jedem Einzelfall vorliegen müssen. Es gibt auch junge Menschen, die ihre Heimat hassen, die ausbrechen wollen und sich nach nichts mehr sehnen, als ihr Elternhaus und die als eng und bedrückend empfundene Umgebung der Kindheit hinter sich zu lassen. Ob ein Recht auf die Heimat besteht, kann nicht von solchen subjektiven Einstellungen und Befindlichkeiten abhängen. Die Rechtsordnung muß generalisieren und soweit wie möglich an objektiven Gegebenheiten anknüpfen. Im Falle der Heimat ist das die Beziehung zwischen Mensch und Raum. Als Heimat läßt sich das Gebiet beschreiben, in dem ein Mensch geboren und / oder aufgewachsen ist. Das allein reicht aber nicht aus, um „Heimat" zu kennzeichnen. Heimat umfaßt auch eine Beziehung zwischen dem Einzelnen und seiner sozialen Umgebung. Die Integration in eine Gruppe von Menschen, die am selben Ort leben, dieselbe Sprache sprechen und kulturell gleich geprägt sind, ist Bestandteil des Heimatbegriffs. Dies schließt nicht aus, daß es an einem Ort zwei oder mehrere Gruppen mit unterschiedlichen Sprachen und kulturellen Prägungen geben kann, für die alle dieser Ort Heimat ist. Aber wer - etwa als Kind von Flüchtlingen - in einemfremden Land geboren wird und dort aufwächst, wird dort fremd bleiben, solange er nicht in die zunächstfremde Sprache und fremde Kultur hineinwächst, sondern - in seiner Familie oder im Flüchtlingsghetto - der Sprache und Kultur der Eltern verhaftet bleibt. Versteht man also Heimat als durch soziale Verwurzelung geprägte Beziehung von Menschen zu einem bestimmten Raum, dann läßt sich ein Recht auf die Heimat im übrigen individualistisch oder gruppenbezogen konstruieren. Möglich ist es, jedem einzelnen ein solches Recht zuzusprechen, der an einem bestimmten Ort aufgewachsen und dort in seine soziale Umgebung integriert ist. Historisch entstanden ist die Idee eines Rechts auf die Heimat freilich aus den Erfahrungen von Massenvertreibungen, die nicht gegen Einzelmenschen, sondern gegen Gruppen von Menschen aufgrund ihrer ethnischen Besonderheit gerichtet waren. Das könnte dafür sprechen, ein Recht auf die Heimat als Recht von Gruppen zu konstruieren, die gemeinsame ethnische Merkmale haben und in ihrem traditionellen Siedlungsgebiet leben. Nur der Blick auf die konkreten Völkerrechtsnormen wird uns zeigen können, welche Lösung dem geltenden Völkerrecht entspricht.
2. Primär- und Sekundärrechte
Das Recht auf die Heimat läßt sich im Kern als die rechtlich garantierte Möglichkeit definieren, in der angestammten Heimat leben zu können. Dieses Recht kann sowohl individualbezogen als auch gruppenbezogen formuliert werden, als Recht des Einzelnen sowie als Recht eines Volkes oder einer Volks-
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Dietrich Murswiek
gruppe. Dieses Recht, in der Heimat zu bleiben, läßt sich als „Stammrecht"6 bezeichnen, um das herum sich weitere Rechte gruppieren und dieses absichern und ergänzen. Die Rechte, die das Leben in der Heimat garantieren oder absichern, sind die Primärrechte. Sekundäre Rechte dienen der Durchsetzung der primären Rechte und der Wiederherstellung des Rechts, nachdem es verletzt worden ist. Betrachten wir zunächst die primäre Ebene. Juristisch werden Freiheitsrechte in der Regel als Abwehrrechte gefaßt. Die Freiheit wird nicht als solche garantiert, sondern das Recht gewährleistet einen Anspruch darauf, in seiner Freiheit nicht beeinträchtigt zu werden. Das Recht auf die Heimat, das „positiv" gefaßt die Freiheit gewährleistet, in der Heimat zu bleiben und dort zu leben, ist in seiner „negativen", abwehrrechtlichen Fassung ein Anspruch auf Unterlassung von Vertreibungen, Deportationen, Zwangsumsiedlungen. Und diesem subjektiven Anspruch entspricht eine objektive Verpflichtung der Staaten. So gesehen, ist das Recht auf die Heimat nichts anderes als ein „positiv" formulierter Ausdruck des Verbots der Vertreibung. Das Recht, in der Heimat zu bleiben, schützt nicht lediglich die bloße körperliche Existenz in der angestammten Umgebung, sondern das Leben in der Heimat „in innerer und äußerer Freiheit"7: Es impliziert das Recht, keinem Vertreibungsdruck ausgesetzt zu werden. Es impliziert daher Unterlassungsansprüche gegen alle Maßnahmen und Verhaltensweisen, die darauf abzielen, das Leben in der Heimat zu erschweren und unerträglich zu machen, um so die Betroffenen zum Verlassen der Heimat zu bewegen. Auch das Recht, die eigene Staatsangehörigkeit zu behalten, also das Verbot der Ausbürgerung, kann als ergänzendes Recht dem primären Recht auf die Heimat zugeordnet werden; denn der Entzug der Staatsangehörigkeit ist häufig der erste Schritt, um jemanden zum Verlassen der Heimat zu veranlassen. Schließlich gehört auf die primäre Ebene noch das Recht, in die Heimat zurückzukehren, nachdem man sie freiwillig verlassen hat. Sekundärrechte bzw. sekundäre Pflichten sind alle Restitutionsrechte. Diese sind dann gegeben, wenn jemand rechtswidrig zum Verlassen seiner Heimat gezwungen wurde. Das zentrale Restitutionsrecht ist das Recht auf Rückkehr in die Heimat. Damit verbunden können sein das Recht auf Rückgabe des alten Eigentums und Besitzes, der Anspruch auf Wiederverleihung der entzogenen Staatsangehörigkeit oder z.B. das Gebot des Wiederaufbaus des nationalen Erbes8.
6 Christian Tomuschat, Das Recht auf die Heimat. Neue rechtliche Aspekte, in: FS Partsch, 1989, S. 183 (188). 7 F.H.E. W,; du Buy, Das Recht auf die Heimat, 1975, S. 83. 8 Vgl. UN SC-Res. 792 (1992) v. 30. November 1992.
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Sekundärrechte sind ferner Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche (auch für nicht Rückkehrwillige), insbesondere für zerstörtes oder entzogenes Eigentum. In Betracht kommen außerdem Leistungsansprüche (etwa auf Eingliederungshilfen), gegebenenfalls auch Minderheitenschutzrechte.
m . Die völkerrechtliche Verankerung des Rechts auf die Heimat Welche dieser Rechte sind nun in welcher Weise Bestandteile des geltenden Völkerrechts? Ich kann dies hier nicht in allen Einzelheiten darlegen und muß mich weitgehend auf die Begründungen beziehen, die in der völkerrechtlichen Literatur ausführlich gegeben worden sind9. Ich möchte zunächst auf die Regelungen im Kriegs- und im Friedensvölkerrecht eingehen, aus denen sich ein Verbot der Vertreibung oder Umsiedlung von Gruppen und Individuen ergibt (1., 2.). Sodann werde ich mich der Frage zuwenden, welche Rolle das Selbstbestimmungsrecht der Völker für das Recht auf die Heimat hat (3.) und gehe dann noch kurz auf das Minderheitenschutzrecht ein (4.).
1. Das Vertreibungsverbot im Kriegsvölkerrecht und im Völkerstrafrecht
Daß Vertreibungen von Volksgruppen und sogenannte „ethnische Säuberungen" rechtswidrig sein müssen, entspricht dem Rechtsgefühl und erscheint als Selbstverständlichkeit10. Wenn es im Völkerrecht der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dennoch keine explizite Normierung des Vertreibungsverbots gab, so lag das nicht an Interesselosigkeit oder Unmenschlichkeit jenes Völkerrechts, sondern zum einen daran, daß das Völkerrecht die Rechtsbeziehungen zwischen den Staaten regelte (und heute noch schwerpunktmäßig regelt) und das Verhalten des Staates gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen nicht Gegenstand des Völkerrechts war; zum anderen lag es daran, daß Vertreibungen und Deportationen, wie sie während des Zweiten Weltkriegs und danach sowie während des Stalinregimes vorgenommen wurden, in der Zeit des klassischen Völkerrechts nicht vorkamen. Es bestand insoweit kein Regelungsbedarf 11. Dennoch war das Vertreibungsverbot schon vor dem Zweiten Weltkrieg geltendes Völkerrecht. Unter Vertreibung versteht man die mit Gewalt oder sonstigen Zwangsmitteln bewirkte Aussiedlung der Bevölkerung aus ihrer Heimat. Charakteristisch dafür ist der behördliche Ausweisungsbefehl. Flucht liegt vor, 9 Ich verweise auf die oben zitierten Abhandlungen von Blumenwitz (Fn. 2), Gornig (Fn. 3), Kimminich (Fn. 4) und Tomuschat (Fn. 6). 10 Gornig (Fn. 3), S. 122 f. 11 Gornig (Fn. 3), S. 123; Blumenwitz (Fn. 2), S. 46.
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wenn die angestammte Bevölkerung auf sonstige Weise gezwungen wird, ihre Heimat zu verlassen12. Sie ist völkerrechtlich nicht anders als die Vertreibung zu behandeln, wenn der Staat für die Fluchtursachen verantwortlich ist, also selbst Druck ausübt oder nicht das Gebotene tut, um fluchtverursachende Taten von Privatpersonen, beispielsweise Gewalttaten von Privatmilizen, zu verhindern13. Der Begriff der Zwangsumsiedlung unterscheidet sich von dem der Vertreibung dadurch, daß den Betroffenen bei der Umsiedlung ein Zielgebiet zugewiesen wird. Auch für grenzüberschreitende Zwangsumsiedlungen gelten keine anderen Regelungen als für Vertreibungen. Sie werden deshalb im folgenden nicht besonders erwähnt. Für den Fall des Kriegszustandes läßt sich das Vertreibungsverbot aus der Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 190714 ableiten. Nach Art. 43 HLKO hat der Besetzende „nach Möglichkeit die öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten, und zwar ... unter Beachtung der Landesgesetze". Es ist mit dieser Vorschrift unvereinbar, die eingesessene Bevölkerung zu vertreiben. Das ist das Gegenteil von Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung15. Außerdem ist die Besatzungsmacht nach Art. 46 HLKO verpflichtet, Grundrechte der Bürger wie die Ehre und die Rechte der Familie, das Leben und das Privateigentum zu achten. Diese Rechte setzen voraus, daß die Bürger in ihrer Heimat wohnen bleiben können. Deshalb hat die Völkerrechtslehre zutreffend gefolgert, daß sich kaum ein gravierenderer Verstoß gegen den grundrechtlichen Status gem. der HLKO denken ließe, als wenn Personen von ihrem Wohnort vertrieben und zwangsweise in ein anderes Land gebracht würden16. Die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung gelten nach einhelliger Auffassung auch gewohnheitsrechtlich und binden daher alle Staaten17. Dies hat
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Zu den Begriffen z.B. Blumenwitz (Fn. 2), S. 43 f. Gornig (Fn. 3), S. 123. 14 RGBl. 1910, S. 132. 15 Vgl. Gornig {Fn. 3), S. 123. 16 Tomuschat (Fn. 6), S. 193 m.w.N.; vgl. auch Kimminich (Fn. 4), S.185 f. m.w.N. Ein indirektes Argument für ein Vertreibungsverbot kann auch aus Art. 55 HLKO abgeleitet werden. Danach hat der besetzende Staat sich nur als Verwalter und Nutznießer der öffentlichen Gebäude, Liegenschaften usw. zu betrachten, die sich in dem besetzten Gebiete befinden. Das spricht jedenfalls für den Geist, in dem die besetzten Gebiete verwaltet werden sollen, vgl. Gornig (Fn. 3), S. 123, der auch auf die „Martens'sehe Formel" in der Präambel zur HLKO hinweist. Danach bleiben bei Fehlen einer speziellen Regelung „die Bevölkerung und die Kriegführenden unter dem Schutze und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts [...], wie sie sich ergeben aus den unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens". 17 Tomuschat (Fn. 6), S. 193. 13
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der Internationale Militärgerichtshof von Nürnberg schon für die Zeit des Zweiten Weltkriegs festgestellt 18. Im 1943 beschlossenen Statut des Nürnberger Militärgerichtshofs wurden Deportationen von Angehörigen der Zivilbevölkerung als Kriegsverbrechen (Art. 6 b) bezeichnet. Außerdem ließen sich Vertreibungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach diesem Statut (Art. 6 c) qualifizieren, nämlich „unmenschliche Handlungen, begangen an irgendeiner Zivilbevölkerung" 19. Diese rechtliche Bewertung der Vertreibung entspricht auch dem heute geltenden Völkerstrafrecht. Sie ist in das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs von 1998 eingegangen, das die Vertreibung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7 Abs. 1 lit. d) sowie als Kriegsverbrechen (Art. 8 Abs. 2 lit. a vii, b viii und e viii) unter Strafe stellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich, wie nicht nur dieser Umstand zeigt, das Vertreibungsverbot verfestigt. In Art. 49 des IV. Genfer Abkommens vom 12. August 1949 zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten werden - mit eng begrenzten Ausnahmen - Einzel- oder Massenzwangsverschickungen sowie Verschleppungen „ohne Rücksicht auf deren Beweggrund untersagt". Diese Norm wird auch in der Praxis häufig geltend gemacht20; als grundlegende Bestimmung des Abkommens wird sie inzwischen als Völkergewohnheitsrecht angesehen21. Freilich gelten die Genfer Abkommen (mit Ausnahme des gemeinsamen Art. 3) nur für internationale Konflikte.
2. Das Vertreibungsverbot im Friedensvölkerrecht
Auch im Friedensvölkerrecht ist das Recht auf die Heimat aber heute verankert. Das Völkerrecht setzt nämlich voraus, daß jeder Staat verpflichtet ist, seine Staatsangehörigen auf seinem eigenen Staatsgebiet wohnen zu lassen22. Das folgt schon daraus, daß kein anderer Staat verpflichtet ist bzw. gezwungen werden kann, NichtStaatsangehörige dauerhaft aufzunehmen23. Die Verursachung grenzüberschreitender Flucht wird vom UN-Sicherheitsrat als Friedensbedro-
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Urteil vom 30. September 1946, Verhandlungsniederschriften, Bd. XXII, S. 466,
19 Vgl. z.B. Gornig (Fn. 3), S. 123. Deportationen wurden von der Anklage unter diesen Tatbestand subsumiert, vgl. die Nachweise bei Blumenwitz (Fn. 2), S. 47 f. 20 Beispiele bei Tomuschat (Fn. 6), S. 194. 21 Karin Oellers-Frahm, Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zur Verfolgung von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, ZaöRV 54 (1994), S. 416 (421). 22 Kimminich (Fn. 4), S. 122; Blumenwitz (Fn. 2), S. 48. Gornig (Fn. 3), S. 12.
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hung angesehen und kann mit Sanktionen nach dem VII. Kapitel der UN-Charta bekämpft werden24. Auch aus den völkerrechtlichen Konventionen zum Schutz der Menschenrechte ergeben sich Gesichtspunkte, mit denen sich das Recht auf die Heimat begründen läßt. Beispielsweise normiert Art. 12 Abs. 4 IPBPR, daß „niemand willkürlich des Rechtes beraubt werden darf, sein eigenes Land zu betreten". Daraus folgt zumindest ein Rückkehrrecht für diejenigen, die von der Regierung ihres eigenen Staates - z.B. als Angehörige einer ethnischen Minderheit - vertrieben worden sind25. Auch die Aberkennung der Staatsangehörigkeit steht der Anwendung dieser Bestimmung nicht entgegen26. Als fraglich wird dagegen angesehen, ob diese Bestimmung auch dann anwendbar ist, wenn die Vertreibung nach Annexion eines Gebiets erfolgt und der Staat, der jetzt die Gebietshoheit ausübt, nicht mehr der „eigene" Staat der Vertriebenen ist. Hier spricht der Wortlaut der Vorschrift eher gegen ihre Anwendbarkeit27. Daraus folgt aber nicht, daß die Vertreibung in diesem Falle rechtmäßig wäre, sondern lediglich, daß die Vertriebenen sich in einer solchen Konstellation nicht auf dieses spezielle Menschenrecht berufen könnten. Ausdrücklich verboten werden Kollektivausweisungen sowohl für Staatsangehörige (Art. 3 Abs. 1) als auch für Ausländer (Art. 4) durch das Vierte Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Dies impliziert ein Verbot entsprechender Vertreibungsmaßnahmen.
3. Insbesondere: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker
Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu einem gewohnheitsrechtlichen Prinzip erstarkt 28. Positivrechtlich geregelt ist es in Art. 1 der beiden UN-Menschenrechtspakte. Beide Pakte sind von rund 150 Staaten, also den weitaus meisten Staaten der Welt, ra-
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Vgl. UN SC-Res. 688 (1991) v. 4. April 1991 Irak/Kurden, UN SC-Res. 713 (1991) v. 24. September 1991 und UN SC-Res. 721 (1991) v. 26. November 1991 SFR Jugoslawien, UN SC-Res. 733 (1992) v. 20. Januar 1992 Somalia, UN SC-Res. 788 (1992) v. 19. November 1992 Liberia, UN SC-Res.841 (1993) v. 16. Juni 1993 Haiti, UN SC-Res. 918 (1994) v. 17. Mai 1994 Ruanda; Katja S. Ziegler, Fluchtverursachung als völkerrechtliches Delikt. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Herkunftsstaates für die Verursachung von Fluchtbewegungen, 2002. 25 Näher Tomuschat (Fn. 6), S. 190 ff. m. ausführlicher Argumentation gegen Zweifel, ob Art. 12 Abs. 4 IPBPR überhaupt auf Massenprobleme anwendbar sei. 26 Tomuschat (Fn. 6), S. 192. 27 Vgl. Tomuschat (Fn. 6), S. 192. 28 Vgl. z.B. Tomuschat (Fn. 6), S. 200; Karl Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, § 15 Rdnr. 778, [S. 337].
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tifiziert worden29. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker kann als einer der Grundbausteine des heutigen Völkerrechts angesehen werden. Was ergibt sich aus diesem Prinzip für das Recht auf die Heimat? Das Selbstbestimmungsrecht ist im Kern das Recht eines Volkes, über seinen politischen und territorialen Status selbst zu entscheiden. Aus dem Selbstbestimmungsrecht ergibt sich z.B. das Verbot von Annexionen30 ohne Zustimmung des betroffenen Volkes. Somit können erst recht nicht Vertreibungsmaßnahmen auf der Basis einer gegen das Selbstbestimmungsrecht gestützten Annexion rechtmäßig sein. Das Recht jedes Volkes, auf seinem eigenen Territorium zu leben, ist in dem Recht, über den eigenen politischen Status zu entscheiden, denknotwendig impliziert. Wie sollte ein Volk über seinen politischen Status entscheiden können, wenn es zuvor aus dem Territorium, auf das sich dieser Status bezieht, vertrieben worden ist? Somit ergibt sich eine klare Beziehung zwischen Selbstbestimmungsrecht und Recht auf die Heimat: Das Selbstbestimmungsrecht ist ein übergeordnetes Recht des Volkes. Dieses enthält unter anderem auch das Recht dieses Volkes, in seiner angestammten Heimat zu leben. Während die zuvor erwähnten menschenrechtlichen Verbürgungen des Rechts auf die Heimat als Individualrechte garantiert sind, handelt es sich beim Selbstbestimmungsrecht um ein Gruppenrecht, das dem Volk als Ganzem zusteht. Welche Konsequenzen sich im einzelnen aus dem Selbstbestimmungsrecht ergeben, kann oft nur im Hinblick auf bestimmte Verletzungshandlungen bestimmt werden. Wird nicht ein Volk als Ganzes aus seiner Heimat vertrieben, sondern lediglich Teile dieses Volkes - beispielsweise aus einem besetzten Teilgebiet dann liegt es nahe, das betroffene Teilvolk als durch das Selbstbestimmungsrecht berechtigt anzusehen und diesem Teil ein eigenes Restitutionsrecht zuzusprechen31. Dies wird durch die Resolutionspraxis der UN-Generalversammlung bestätigt, wie Tomuschat anhand vieler Beispiele gezeigt hat32. Ein besonders wichtiges Referenzgebiet ist hier die Palästina-Frage. Die Generalversammlung hat das Recht der palästinensischen Flüchtlinge, „to return to their homes and property" immer wieder hervorgehoben und als unabdingbar für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des palästinensischen Volkes bezeichnet. In immer 29
Stand: Juni 2004 [152 Staaten] (http://www.unhchr.ch/pdf/report.pdf ). Dieses ist auch mit dem Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten (territoriale Integrität) sowie mit dem Gewaltverbot nicht vereinbar, vgl. z.B. GA-Res. 2625 (XXV) - Friendly Relations; GA-Res. 3314 (XXIX) - Definition of Aggression; Kay Hailbronner, in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hg.), Völkerrecht, 3. Aufl. 2004, 3. Abschn. Rdnr. 130 (S. 193); Verdross /Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, § 478. 31 Vgl. Tomuschat (Fn. 6), S. 206 f. 32 Tomuschat (Fn. 6), S. 195 ff. 30
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neuen Resolutionen hat die Generalversammlung das Recht der Palästinenser, zu ihren Wohnstätten und zu ihrem Eigentum zurückzukehren, in den Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker gestellt und als unveräußerliches Recht bekräftigt 33. Auch im Zypern-Konflikt hat die Generalversammlung immer wieder ein Rückkehrrecht der Zyprioten griechischer Volkszugehörigkeit postuliert34. Entsprechendes gilt für Resolutionen zu Kambodscha und zu Afghanistan 35. Diese Praxis bringt eine Rechtsüberzeugung der großen Mehrheit aller Staaten und der Organe der UN über die inhaltliche Reichweite des Selbstbestimmungsrechts zum Ausdruck36. Das Recht auf Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen in ihre Heimat ist also nach diesem Verständnis Bestandteil des Selbstbestimmungsrechts des Volkes. Das Rückkehrrecht als Sekundärrecht aber setzt die Existenz des Primärrechts, nämlich des Rechts, in seiner Heimat zu bleiben und dort zu leben, notwendig voraus. Damit bestätigt die Praxis der Vereinten Nationen die rechtliche Existenz des Rechts auf die Heimat. Tomuschat faßt seine Untersuchung der UN-Praxis wie folgt zusammen: „Es sind drei einfache Regeln, welche [...] immer wieder in den Entschließungen von Generalversammlung, Sicherheitsrat und Menschenrechtskommission zum Ausdruck kommen. Eine Bevölkerung aus ihrem angestammten Siedlungsgebiet zu vertreiben oder sie zur Flucht zu nötigen, ist unzulässig. Haben Menschen ihre Heimat verlassen, sei es aufgrund unmittelbar auf sie ausgeübten Zwanges, sei es unter dem Druck von Kriegsereignissen, so steht ihnen das Recht der Rückkehr zu. Es widerspricht dem Völkerrecht, wenn die Besatzungsmacht das durch Flucht oder Vertreibung entstandene Vakuum durch neue Bewohner, insbesondere solche ihrer eigenen Staatsangehörigkeit, auffüllt. Faßt man diese rechtlichen Aussagen zusammen, so stellen sie in ihrer gegenseitigen Verknüpfung nichts anderes dar, als was man inhaltlich unter einem Recht auf Heimat verstehen kann. Vorausgesetzt wird eine Verbindung des Menschen mit seiner 33 Vgl. GA-Res. 3236 (XXIX) v. 22. November 1974; weitere Nachw. bei Tomuschat (Fn. 6), S. 195 ff. 34 Dazu näher m. Nachw. Tomuschat (Fn. 6), S. 197 f. 35 Dazu näher m. Nachw. Tomuschat (Fn. 6), S. 198 f. 36 Tomuschat (Fn. 6), S. 205. - Auch in den 90er Jahren wurde in den Resolutionen zu den Balkan-Konflikten immer wieder das Rückkehrrecht der Flüchtlinge und Vertriebenen betont, regelmäßig ohne Angabe einer Rechtsgrundlage, vgl. z.B. UN SC-Res. 1120 (1997) v. 14. Juli 1997 Kroatien; UN SC-Res. 1199 (1998) v. 23. September 1998 Kosovo; UN SC-Res. 1203 (1998) v. 24. Oktober 1998 Kosovo; UN SC-Res. 1244 (1999) v. 10. Juni 1999 Kosovo, sowie das in Dayton beschlossene und am 14. Dezember 1995 in Paris unterzeichnete General Framework Agreement for Peace in Bosnia und Herzegovina, Annex 7: Agreement on Refugees and Displaced Persons, 35 ILM 75 (1996); zum Kosovo: Interim Agreement for Peace and Self-Government in Kosovo vom 23. Februar 1999, Rambouillet, Frankreich, Kapitel 4b Abs. 3, http://jurist.law.pitt. edu/ramb.htm.
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angestammten Umgebung, die rechtlichen Schutz verdient. Dieses Recht auf Verbleib am Ort der Vorfahren wird als solches nicht eigens hervorgehoben, es bildet aber die eigentliche logische Prämisse für die drei Regeln [...]." 37 Angesprochen wird hier ein wichtiger Aspekt, der über das Vertreibungsverbot und sein sekundäres Gegenstück, das Rückkehrrecht, hinausgeht, nämlich das Verbot, durch demographische Maßnahmen, insbesondere durch Neuansiedlung von Personen anderer Staatsangehörigkeit oder anderer ethnischer Zugehörigkeit im Vertreibungsgebiet die Rückkehr der Vertriebenen zu verhindern oder zu erschweren38. Nach Art. 8 Abs. 2 lit. b viii des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs ist es ein Kriegsverbrechen, wenn eine Besatzungsmacht einen Teil ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet überführt und dort ansiedelt. Allgemein läßt sich daraus folgern, daß es verboten ist, Maßnahmen zu ergreifen, die die Verwirklichung des Rechts auf Rückkehr in die Heimat faktisch unmöglich machen bzw. hierauf abzielen.
4. Insbesondere: Das Minderheitenschutzrecht
Nur kurz hinweisen möchte ich auf den völkerrechtlichen Minderheitenschutz. Soweit es völkerrechtliche Regeln zum Schutz ethnischer Minderheiten gibt39, setzen diese das Recht der geschützten Minderheiten auf Existenz in ihrem angestammten Siedlungsgebiet notwendig voraus. Mit ihnen ist für die betreffenden Minderheiten daher immer ein Recht auf die Heimat verbunden, und sie gestalten dieses Recht konkreter aus40.
IV. Zu den Sekundärrechten Das zentrale Sekundärrecht zum Recht auf die Heimat ist, wie gesagt, das Rückkehrrecht. Das Rückkehrrecht ist eine besondere Ausprägung des allge37
Tomuschat (Fn. 6), S. 204. Vgl. näher Tomuschat (Fn. 6), S. 198 f. m. Nachw. entsprechender Resolutionen der Generalversammlung. 39 Dazu z.B. Dieter Blumenwitz, Internationale Schutzmechanismen zur Durchsetzung von Minderheiten- und Volksgruppenrechten, 1997; Dieter Blumenwitz, Minderheiten» und Volksgruppenrecht. Aktuelle Entwicklung, 1992; Blumenwitz / Gornig / Murswiek (Hrsg.), Ein Jahrhundert Minderheiten- und Volksgruppenschutz, 2001; Blumenwitz / Gornig (Hrsg.), Minderheiten- und Volksgruppenrechte in Theorie und Praxis, 1993. 40 Zum Beispiel Südtirol vgl. das Referat von Christoph Pan, die Südtiroler Autonomie als konkrete Ausformung des Rechts auf die Heimat, in diesem Band, S. 149 ff. 38
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meinen Restitutionsrechts. Dieses ist im allgemeinen Völkerrecht verankert und stellt keine Besonderheit des Rechts auf die Heimat dar. Völkerrechtswidrige Handlungen (Delikte) haben generell die Pflicht zur Wiedergutmachung zur Folge41. Dem entspricht der Restitutionsanspruch des Verletzten. Dieser Anspruch ist primär auf Naturalrestitution gerichtet, im Falle der Verletzung des Rechts auf die Heimat also auf Rückkehr. Allerdings sind Flüchtlinge und Vertriebene völkerrechtlich nicht verpflichtet, von ihrem Rückkehrrecht Gebrauch zu machen. Können oder wollen sie nicht zurückkehren, kommt Schadensersatz in Geld in Betracht42. Zur Naturalrestitution gehört auch die Rückgabe von im Zusammenhang mit der Vertreibung entzogenem oder bei der Flucht zurückgelassenem Eigentum. Ist dies nicht möglich, muß eine Entschädigung in Geld geleistet werden43. Enteignungen sind im übrigen kein Spezifikum des Rechts auf die Heimat. Sie sind im Völkerrecht zwar nicht generell verboten. Enteignungen fremder Staatsangehöriger müssen jedoch einem spezifischen öffentlichen Zweck dienen, dürfen nicht willkürlich sein und nur gegen angemessene Entschädigimg vorgenommen werden44. Enteignungen eigener Staatsangehöriger waren früher völkerrechtlich irrelevant, müssen sich heute aber an den internationalen Menschenrechten messen lassen, dürfen demnach ebenfalls nicht willkürlich sein. Die Enteignung von Menschen, die wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit vertrieben wurden, dient nie einem spezifischen öffentlichen Zweck und ist in jedem Fall diskriminierend und mit den Menschenrechten unvereinbar 45.
V. Rechtfertigung von Vertreibungen? Verstoßen Vertreibungen generell gegen den Tatbestand geltender Völkerrechtsnormen, so bleibt zufragen, ob sie unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt sein können. Ein völkerrechtliches Delikt liegt ja nicht vor, wenn die tatbestandlich völkerrechtswidrige Handlung auf einen anerkannten Rechtfertigungsgrund gestützt werden kann.
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Auf die Streitfrage, ob völkerrechtliche Haftung Schuld voraussetzt (vgl. dazu z.B. Meinhard Schröder , in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Aufl. 2004, 7. Abschn. Rdnr. 12, S. 543) braucht hier nicht eingegangen zu werden, da schuldlose Vertreibungen bzw. Vertreibungen, für die der betreffende Staat nicht verantwortlich ist, kaum vorstellbar sind. Zur Wiedergutmachungspflicht z.B. Seidl-Hohenveldern / Stein , Völkerrecht, 10. Aufl. 2000, § 81. 42 Blumenwitz ( Fn. 2), S. 56. 43 Vgl. z.B. Gornig (Fn. 3), S. 126. 44 Vgl. z.B. Gornig (Fn. 3), S. 125. 45 Vgl. z.B. Gornig (Fn. 3), S. 125.
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Durch Notwehr könnten Vertreibungsmaßnahmen nur dann gerechtfertigt sein, wenn ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf den Vertreiberstaat vorläge und die Vertreibungsmaßnahme ein geeignetes und erforderliches Verteidigungsmittel wäre. Dies kann man sich praktisch kaum vorstellen, doch läßt sich eine solche Situation gedanklich nicht völlig ausschließen. Die Vertreibung müßte dann jedenfalls nach Beendigung des Angriffs und Wiederherstellung des Friedens rückgängig gemacht werden. Ein weiterer völkerrechtlicher Rechtfertigungsgrund ist die Repressalie. Auch im Kriegsvölkerrecht ist aber der menschenrechtliche Mindeststandard zu wahren, zu dem auch das Vertreibungsverbot gehört46. Im übrigen dürfen Repressalien nur eingesetzt werden, um das rechtmäßige Verhalten des Gegners zu erzwingen. Sie dürfen nicht mit Bestrafungsmaßnahmen verwechselt werden. Schon aus diesem Grunde konnten die Vertreibungen der Deutschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten nicht als Repressalien gerechtfertigt werden47. Als Rechtfertigung für Zwangsumsiedlungen kommen Umsiedlungsverträge in Betracht48. Diese sind zwar unter dem Aspekt der Souveränität der beteiligten Staaten unproblematisch, doch dürften sie mit den Menschenrechten der Betroffenen unvereinbar sein und ohne Zustimmung des Volkes auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker verletzen. Auch als Kollektivbestrafung der Bevölkerung für einen von ihrem Staat geführten Angriffskrieg oder für andere Verbrechen läßt sich die Vertreibung nicht rechtfertigen. Strafe setzt auch im Völkerrecht individuelle Schuld voraus. Eine Kollektivbestrafung ohne Schuld der Betroffenen ist mit den Menschenrechten unvereinbar49. Schließlich ergibt sich ein Rechtfertigungsgrund auch nicht aus dem Umstand, daß der Staat, dessen Angehörige von einem anderen Staat vertrieben werden, zuvor vergleichbares (oder noch schlimmeres) Unrecht begangen hatte. Wer Opfer einer Rechtverletzung geworden ist, ist deshalb nicht berechtigt, nun seinerseits Rechtsverletzungen zu begehen50. Generell läßt sich somit sagen, daß Vertreibungen kaum je rechtfertigungsfähig sein können. 46
Vgl. Blumenwitz (Fn. 2), S. 55. Vgl. Blumenwitz (Fn. 2), S. 55; Gornig (Fn. 3), S. 124. 48 Das Potsdamer Abkommen kommt aus verschiedenen Gründen als die Vertreibung rechtfertigender Umsiedlungsvertrag nicht in Betracht; der wichtigste Grund ist, daß Deutschland an diesem „Abkommen" nicht beteiligt war. Näher dazu Gornig (Fn. 3), S. 124; Blumenwitz (Fn. 2), S. 54. 49 Blumenwitz (Fn. 2), S. 55. 50 Vgl. Gornig (Fn. 3), S. 124. 47
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V I . Konfliktlagen und zeitliche Dimension Das Recht auf die Heimat ist also im Prinzip im Völkerrecht gut abgesichert. Die praktische Durchsetzbarkeit hängt freilich - wie so oft im Völkerrecht von Umständen ab, die jenseits rechtlicher Regelungen liegen, vor allem von den politischen Machtverhältnissen. Im übrigen gibt es Aspekte des Rechts auf die Heimat, die weniger klar geregelt und schwer lösbar sind. Sie betreffen vor allem die zeitliche Dimension dieses Rechts sowie den Konflikt mit konkurrierenden Heimatrechten. Zur zeitlichen Dimension sei angemerkt, daß das Heimatrecht als Individualrecht nur denjenigen Individuen zustehen kann, die selbst mit dem betreffenden Gebiet verbunden sind oder waren. Kinder von Vertriebenen haben also, wenn sie im Aufiiahmestaat aufgewachsen sind, grundsätzlich kein eigenes Heimatrecht im Vertreibungsgebiet51. Sie haben ihre Heimat regelmäßig im Aufiiahmestaat, nämlich dann, wenn sie dort integriert sind. Etwas anderes könnte möglicherweise gelten, wenn sie in Flüchtlingslagern leben, wo eine Integration in die Gesellschaft des Aufhahmestaates nicht möglich ist und die persönliche Identität durch die Kultur und die Eigenheiten der auf die Heimat im Herkunftsstaat ausgerichteten Flüchtlingsgemeinschaft bestimmt ist. Das Rückkehrrecht ist nicht vererblich, so daß dieses sich im Laufe der Zeit erledigen kann52. Vererblich können demgegenüber Entschädigungsansprüche sein. Was für Individualansprüche gilt, muß aber nicht für Gruppenansprüche gelten. Das Rückkehrrecht steht ja nicht nur den betroffenen Individuen zu, sondern auch der betroffenen Volksgruppe. Deshalb läßt sich die Auffassung vertreten, daß diese ihr Rückkehrrecht behält, solange sie als ihrer Identität bewußte Gruppe existiert und solange der Territorialstatus des Vertreibungsgebiets nicht in Übereinstimmung mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker in der Weise geändert worden ist, daß ein rechtliches Band zwischen diesem Territorium und der vertriebenen Gruppe nicht mehr besteht. Die Existenz der vertriebenen Volksgruppe ist nicht abhängig vom Überleben der Generation, die noch im Vertreibungsgebiet aufgewachsen ist. Freilich wird das Gruppenbewußtsein regelmäßig im Laufe der Zeit verloren gehen, wenn die Angehörigen der Gruppe im Aufiiahmestaat integriert sind. Das Rückkehrrecht stößt auf Probleme, wenn im Vertreibungsgebiet eine neue Bevölkerung ansässig geworden ist. Zwar muß das Heimatrecht der Vertriebenen prinzipiell Vorrang haben, weil es sonst durch rechtswidrige Sied-
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Vgl. Gornig (Fn. 3), S. 125 f. Vgl. Gornig (Fn. 3), S. 126.
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lungsmaßnahmen vereitelt werden könnte53. Dennoch spricht einiges dafür, daß im Laufe der Zeit die neu angesiedelte Bevölkerung ein eigenes Heimatrecht erwirbt. Die Lösung kann dann nicht darin bestehen, daß eines der konkurrierenden Heimatrechte sich einseitig durchsetzt. Es würde neues Unrecht geschaffen, wenn die derzeit in den Vertreibungsgebieten lebende Bevölkerung weichen müßte, und es würde fortbestehendes Unrecht perpetuiert, wenn man den Vertriebenen mit Hinweis auf die Rechte der jetzt in ihrer Heimat lebenden Menschen das Rückkehrrecht abspräche. Es muß in solchen Fällen eine Lösung gesucht werden, die möglichst den Interessen beider Gruppen gerecht wird 54 . Je länger die Zeit der Vertreibung dauert, desto stärker werden die Durchsetzungsmöglichkeiten der neuen Siedler. Unter den Vertriebenen wird es immer weniger geben, die noch zurückkehren wollen. Und wenn sie es wollen, wird dies wegen ihrer geringen Zahl keine großen Probleme machen.
VOL. Schlußbemerkung: Das Recht auf die Heimat als Aufgabe Das Recht auf die Heimat ist also ein Recht, dessen Verletzung zwar ein völkerrechtliches Delikt ist und sogar ein Verbrechen im Sinne des Völkerstrafrechts sein kann, das jedoch dazu tendiert, sich im Laufe der Zeit sozusagen aufzulösen, wenn seine Verwirklichung nicht gelingt und der politische Wille zu seiner Durchsetzung nachläßt. Was bleibt, sind dann noch vermögensrechtliche Ansprüche, deren Realisierung aber ebenfalls von politischen Machtverhältnissen und vom politischen Durchsetzungswillen abhängt. Für die deutschen Heimatvertriebenen bietet die politische Lage keinen Grund, sich Hoffnungen zu machen. Wer noch in seine alte Heimat zurückkehren will, wird dies im Rahmen der Europäischen Union wohl können55. Er wird dann aber in ein ihmfremd gewordenes Land gehen. Die praktisch wohl letzte Chance, in der Vermögens- und Entschädigungsfrage zugunsten der deutschen Vertriebenen etwas zu bewegen, dürften die Verhandlungen über die Aufnahme Polens und Tschechiens in die Europäische Union gewesen sein56. Hier hatte Deutschland mit seiner Vetomöglichkeit einen einmaligen Hebel in der Hand. Diese Chance wurde von der Bundesregierung nicht ergriffen. Es mag übergeordnete außenpolitische Gründe geben, aus denen man es für richtig halten kann, daß keine vermögensrechtlichen Forderungen gestellt wur53
Tomuschat (Fn. 6), S. 208. Gornig (Fn. 3), S. 126; Blumenwitz (Fn. 2), S. 56. 55 Vgl. zur Freizügigkeit und zur Niederlassungsfreiheit das Referat von Heinrich Wilms, Das Recht auf die Heimat im Recht der Europäischen Union, in diesem Band, S. 51 ff. 56 Vgl. Blumenwitz (Fn. 2), S. 61. 54
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den. Wenn die Regierung dieser Auffassung ist57, dann wäre es eine Frage der Konsequenz und Fairneß gegenüber den Vertriebenen gewesen, jetzt eine förmliche Verzichtserklärung abzugeben und die Vertriebenen aus der deutschen Staatskasse zu entschädigen. Ein ewiges „Offenhalten" der vermögensrechtlichen Ansprüche ohne die politische Bereitschaft, sie durchzusetzen, läuft darauf hinaus, sie preiszugeben, ohne die Verantwortung dafür zu übernehmen. Im übrigen ist es kein gutes Zeichen für die weitere Entwicklung des Völkerrechts und der Europäischen Union, daß jetzt Staaten in die Europäische Union aufgenommen werden, die darauf beharren, daß die Vertreibung der Deutschen rechtmäßig gewesen sei. Der Beitritt hätte davon abhängig gemacht werden müssen, daß die Vertreiberstaaten ein klares Bekenntnis zur Rechtswidrigkeit der Vertreibung abgeben. Jetzt steht die Europäische Union vor einem großen Glaubwürdigkeitsproblem, wenn sie künftig einmal wieder gegen „ethnische Säuberungen" und Vertreibungsverbrechen vorgehen oder gar militärisch intervenieren will. Wenn wir uns hier mit dem Recht auf die Heimat beschäftigen, dann können wir es aber nicht damit bewenden lassen, das Unrecht festzustellen und zu beklagen, das den deutschen Heimatvertriebenen geschehen und das bis heute nicht beseitigt worden ist. Wir richten den Blick in die Zukunft. Wir bringen die Erfahrung des Leids der Vertreibung in die Entwicklung des Völkerrechts und der internationalen Politik ein. Unsere Arbeit am Recht auf die Heimat ist ein Beitrag dazu, daß es keine weiteren Vertreibungen mehr gibt.
Zusammenfassung Das Recht auf die Heimat läßt sich im Kern als die rechtlich garantierte Möglichkeit definieren, in der angestammten Heimat leben zu können. In seiner „negativen", abwehrrechtlichen Fassung ist es ein Recht auf Unterlassung von Vertreibungen, Deportationen, Zwangsumsiedlungen. Es impliziert das Recht, keinem Vertreibungsdruck ausgesetzt zu werden. Diese primären Rechte werden durch sekundäre Rechte ergänzt, die der Durchsetzung beziehungsweise Wiederherstellung des Rechts dienen. Das wichtigste Restitutionsrecht ist das Rückkehrrecht der Vertriebenen. Weitere Sekundärrechte sind das Recht auf Rückgabe entzogenen oder bei der Flucht zurückgelassenen Eigentums oder das Recht auf Entschädigung für die Verletzung des Eigentums oder anderer Rechtsgüter. Das Recht auf die Heimat ist ein Oberbegriff, der alle diese Rechte umfaßt. Alle diese Rechte sind Bestandteile des geltenden Völkerrechts. Rechtsgrundlagen für das Vertreibungsverbot finden sich sowohl im Kriegsvölkerrecht als auch im Selbstbestimmungsrecht der Völker und in den Menschen57
Vgl. auch das Grußwort von Klaus Pohle, in diesem Band, S. 7 f.
Die völkerrechtliche Geltung eines „Rechts auf die Heimat"
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rechten sowie im Völkerstrafrecht. Das Vertreibungsverbot und die aus ihm folgenden Sekundärrechte gelten auch gewohnheitsrechtlich. - Wird im Siedlungsgebiet einer vertriebenen ethnischen Gruppe eine andere Volksgruppe angesiedelt, so ist dies völkerrechtswidrig. Dennoch kann für diese Gruppe im Laufe der Zeit dort ein Heimatrecht entstehen. Dann muß versucht werden, einen schonenden Ausgleich zwischen den konfligierenden Heimatrechten herbeizuführen.
Abstract Dietrich Murswiek: The Right to One's Homeland as a Rule of Public International Law, in: Das Recht auf die Heimat. Ed. by Gilbert H. Gornig and Dietrich Murswiek (Berlin 2005), pp. 17-35. In essence, the right to one's homeland {Recht auf die Heimat) can be defined as the guaranteed possibility to abide in the country of one's birth. As a 'negative' right, it offers protection from displacement, deportation and forced removal and implies the right not to be exposed to the pressure of displacement. These primary rights are complemented by secondary rights which serve to implement or, respectively, restitute, the right to one's homeland. The most important restitution right is the right of displaced persons to return. Further secondary rights are the right of restitution of property of which displaced persons were deprived or which they had to leave behind or the right to compensation for violation of property or other objects of legal protection. The right to one's homeland is an umbrella term which comprises all theserights. All these rights are part of established international law. Legal bases for the prohibition of displacement can be found in the international law of war, the international law of self-determination, the human rights as well as international criminal law. The prohibition of displacement and consequential secondary rights are also valid in international customary law. - If another ethnic group is settled in the settlement area of a displaced ethnic minority, this is a violation of international law. However, this new settlement can, in due course, lead to a right to their homeland for the new settlers. In this case, a careful balance of the conflicting rights to homeland will have to be achieved.
Das Recht auf die Heimat und das Internationale Flüchtlingsrecht Von Günter Renner Heimatrecht und Flüchtlingsrecht im Angesicht der bevorstehenden Ost-/ Südost-Erweiterung der Europäischen Union - schon diese Skizzierung des Themas verdeutlicht die rechtlichen und politischen, aber auch die räumlichen und zeitlichen Ausmaße des mir gestellten Themas. Wenn das Recht auf die Heimat und der Internationale Flüchtlingsschutz anläßlich der regionalen Erweiterung eines Staatenverbundes eigener Art, wie ihn die EU derzeit (noch) darstellt, einer gemeinsamen Betrachtung unterzogen werden sollen, dann gewinnt diese Aufgabe zunächst einmal wegen der historischen Dimension der Erweiterung des geeinten Europas einen besonderen Reiz. Während die Union bisher ganz in der Konsequenz des Kalten Krieges - ehemalige Feindstaaten des Zweiten Weltkriegs aus der Westhälfte des Kontinents miteinander vereint hatte, treten nunmehr erstmals Staaten bei, die über ihre Kriegsteilnahme hinaus auch mit Vertreibungsmaßnahmen an der Neuordnung Europas nach Kriegsende beteiligt waren. Damit sind sie auf der Ebene des Völkerrechts in zweifacher Hinsicht involviert: als ehemalige Kriegs- wie als Vertreibungsmächte. Daher lenkt gerade die jetzt bevorstehende Erweiterung der Union den Blick auf zwei völkerrechtliche Bereiche, die sonst nicht viel mit einander gemein haben und selten in ihrem Verhältnis zu einander untersucht werden. Nicht nur in politischer Hinsicht bietet also die jetzige Erweiterung des Hauses Europa eine bemerkenswerte Besonderheit. Um mich meinem Thema auf der Grundlage feststehender Grundsätze zu nähern, werde ich versuchen, zunächst das Recht auf die Heimat, dessen Grundlagen und Wirkungen wir heute Mittag bereits kennen gelernt haben, noch einmal problembezogen zu skizzieren. Sodann werde ich mich dem internationalen Flüchtlingsschutz, seinen Voraussetzungen und Folgen gerade im Verhältnis zwischen West- und Osteuropa, zuwenden. Schließlich will ich Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Einrichtungen in den Blick nehmen und wenn möglich Beziehungen zu der EU-Erweiterung herstellen.
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I. Recht auf die Heimat Wenn das Selbstbestimmungsrecht der Völker nach dem heutigen Stand des Völkerrechts das „tragende Legitimationsprinzip der gesamten Völkerrechtsordnung" darstellt1, so verdient auch das Recht auf die Heimat eine ähnlich fundamentale Position. Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist dadurch gekennzeichnet, daß es sich hier nicht um ein klassisches Recht des Einzelnen, sondern um ein gebietsbezogenes Gruppenrecht handelt, das mit seiner äußeren Dimension zwangsläufig in ein Spannungsfeld zur territorialen Integrität der Staaten gerät2. Ungeachtet dieses Konfliktpotentials gehört zum Selbstbestimmungsrecht das Siedlungsgebiet eines Volkes. Unter diesen Umständen bliebe die Selbstbestimmung ohne ein Recht auf die Heimat letztlich inhalts- und folgenlos 3. Infolgedessen können Umsiedlungen und Vertreibungen je nach ihren Grundlagen, Zweckrichtungen und sonstigen Umständen das Recht auf die Heimat als Bestandteil oder Ausfluß des Selbstbestimmungsrechts berühren. Eine Beeinträchtigung kann sich aber auch durch eine gezielte Ansiedlung von Angehörigen eines anderen Volkes ergeben. Dabei bleibt das Selbstbestimmungsrecht immer (nur) ein kollektives Recht des Volkes, weder beruht es auf individuellen Rechten des Einzelnen, noch bringt es solche Individualrechte hervor. Die Frage der Teilhabe des Einzelnen an dem Gruppenrecht soll hier ebenso wenig erörtert werden wie der Charakter des Rechts auf die Heimat als Gruppen- oder als Einzelrecht. Die Antworten hierauf sollen den anderen Referaten vorbehalten bleiben, die sich unmittelbar damit befassen. Angesichts der in diesem Frühjahr unmittelbar bevorstehenden Osterweiterung stellt sich am Anschluß an diese völkerrechtliche Betrachtung sogleich die Frage nach der Existenz von Rechten auf Selbstbestimmung und auf die Heimat auf nationaler Ebene. Dabei fällt der Blick auch auf die fast ein halbes Jahrhundert alte Vorschrift des § 25 StAngRegG4, der ein Heimatrecht zu verbriefen scheint, garantiert dieser doch, von der gegenwärtigen Politik und Wissenschaft kaum noch bemerkt: „Das Heimatrecht der Vertriebenen und die sich aus ihm künftig ergebenden Regelungen ihrer Staatsangehörigkeit werden durch die auf Grund dieses Gesetzes abgegebenen Erklärungen nicht berührt."
1
Daniel Thürer, BDGV 34 (1995), 15. Dazu Knut Ipsen, Völkerrecht, 4. Aufl., 1999, Kap. „Selbstbestimmungsrecht" Rn. 11. 3 Dazu vor allem Otto Kimminich, Das Recht auf die Heimat, 1989; wesentlich zurückhaltender noch Friedrich Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, I. Band, 1975, S. 76, 394. 4 Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 22. Februar 1955 (BGBl. I 65), zuletzt geändert durch Ges. vom 15. Juli 1999 (BGBl. I 1618). 2
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Schon die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift und der Zusammenhang mit Bundesvertriebenengesetz und Lastenausgleichsgesetz5 lassen Zweifel daran aufkommen, ob hier unter Heimatrecht das (damals noch nicht allgemein anerkannte) völkerrechtliche Recht auf die Heimat verstanden werden kann. Der Zusammenhang mit der Regelung der Staatsangehörigkeit deutet eher auf das Bestreben des deutschen Gesetzgebers hin, alle irgendwie denkbaren Folgen der Anwendung und Inanspruchnahme des StAngRegG für die Ansprüche auf Rückkehr in die angestammte Heimat und gegen den Entzug der dortigen Staatsangehörigkeit auszuschließen. Dies wird durch die Gesetzesbegründung bestätigt, die darauf abstellt, die endgültige Regelung insbesondere des Heimatund Rückkehrrechts solle einem Friedensvertrag oder sonstigen völkerrechtlichen Vereinbarungen vorbehalten bleiben6. Ob die Vorschrift des § 25 StAngRegG unmittelbare Rechtswirkungen für innerstaatliche Statusrechte entfalten soll und kann oder ob sie rein politischer Natur ist und allenfalls das Fehlen nachteiliger Rechtswirkungen deklaratorisch bestätigt7, mag hier dahinstehen. Mehr spricht für die Absicht des Gesetzgebers, ungewollte Wirkungen des StAngRegG für den Einzelnen im Allgemeinen ausdrücklich auszuschließen. Jedenfalls bleiben Bedenken dagegen bestehen, daß hier ein kollektives Recht der deutschen Volksgruppen in den Vertreibungsbieten gemeint war und geschützt werden sollte. Eine derartige rechtliche Bedeutung, insbesondere eine völkerrechtliche Verbindlichkeit gegenüber anderen Staaten konnte die Vorschrift jedenfalls nicht entfalten.
I I . Internationaler Schutz für Flüchtlinge Der Schutz des Flüchtlings im Völkerrecht ist Gegenstand eines Individualrechts, nicht eines Gruppenrechts8. Flüchtlingsrechte erwachsen nicht aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, sondern allein aus dem Einzelschicksal. Sie schützen den Einzelnen nicht als Teil eines Kollektivs, sondern als Individuum. Das Ziel besteht nicht in der Wiederherstellung einer bestimmten gebietsbezogenen Lebensgrundlage, sondern in dem Schutz vor (erstmaliger oder wiederholter) Verfolgung. Grund und Zweck des internationalen Flücht5
Dazu Michael Silagi, Vertreibung und Staatsangehörigkeit, 1999, S. 11 ff. BT-Drs. 2/849, S. 1 f. 7 Dazu Kay Hailbronner/Günter Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl., 2005, § 25 StAngRegG Rn. 2; Alexander N. Makarov/Hans v. Mangoldt, Dt. Staatsangehörigkeitsrecht, § 25 StAngRegG Rn. 3; Reinhard Marx, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl., 2003, §25 StAngRegG Rn. 1. 8 Dazu und zu Folgendem näher UNHCR (Hrsg.), Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979; Kay Hailbronner, Ausländerrecht, Art. 16a GG Rn. 37 ff., 48 ff.; Günter Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., 1999, Art. 16aGGRn. 5 ff., 119ff. 6
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lingsschutzes stehen nicht im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht eines Volkes oder einer sonstigen Personengruppe, sondern in der menschenrechtlichen Unversehrtheit einer Einzelperson. Allerdings wirkt sich die soziale Einbettung des Einzelnen in das Leben einer wie auch immer geprägten Gruppe auch im Flüchtlingsrecht in verschiedener Hinsicht aus. Auch beim Schutz von Flüchtlingen erweist sich deren kollektives Eingebundensein in staatlich wie außerstaatlich bestimmte Lebensräume und soziale Umgebungen. Der Schutz des Flüchtlings ist im internationalen Recht durch zahlreiche Übereinkommen anerkannt und abgesichert. In Europa spielt die Genfer Flüchtlingskonvention (GK 9 ) die wichtigste Rolle. Diese Konvention weist eine ähnliche Struktur auf wie die OAU-Konvention und die Cartagena Deklaration10 und kann daher ohne weiteres als der Verallgemeinerung zugängliches Beispiel herangezogen werden. Neben den durch diese Vertragswerke geschützten „politischen" Flüchtlingen sind noch die in der letzten Zeit allgemein so bezeichneten „humanitären" Flüchtlinge zu nennen, deren Schutz im Wesentlichen durch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK 11 ) gewährleistet wird. Ungeachtet der Unterschiede in Tatbeständen und Schutzumfang besteht aber auch insoweit eine so weitgehende strukturelle Übereinstimmung mit der GK, daß die Untersuchung auf dieses weltweit größte Flüchtlingsabkommen beschränkt werden kann. Im Hinblick auf einen Vergleich mit dem Recht auf die Heimat erscheint es angezeigt, Anlaß und Zweck des Schutzes, den begünstigten Personenkreis, das Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv sowie die Beziehung zu dem Territorium näher darzustellen.
1. Anlaß und Zweck des Flüchtlingsschutzes
Die GK gewährleistet ausländischen Flüchtlingen Schutz vor politischer Verfolgung. Sowohl die Flüchtlingsdefinition (Art. 1 A Nr. 2) als auch das Refoulement-Verbot (Art. 33 Abs. 1) knüpfen an die Verfolgung von Personen wegen deren Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Im ersteren Fall muß eine begründete Furcht vor derartigen Verfolgungsmaßnahmen bestehen, im letzteren Fall müssen Verfolgungsmaßnahmen des beschriebenen Zweckes wegen für Leben oder Freiheit drohen. 9 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, Ges. vom 1.9.1953 (BGBl. II 559); New Yorker Protokoll vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II 1293 u. 1970 II 194). 10 Dazu Kay Hailbronner, in: Wolfgang Beitz/Michael Wollenschläger, Handbuch des Asylrechts, 1980, S. 69 ff. 11 Vom 4. November 1950, Gesetz vom 7. August 1952, in Kraft seit 3. September 1953 (BGBl. 1952 II 685 u. 953, 1954 II 14).
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Der Flüchtlingsschutz greift also nicht als Reaktion oder Sanktion nach bereits erfolgten Verfolgungsmaßnahmen ein, sondern dient deren Verhinderung. Nicht die Kausalkette Verfolgung - Flucht - Aufnahme kennzeichnet den Schutz der GK, sondern deren Schutzmechanismus wird allein durch die Verfolgungsgefahr bei Einreise in den potentiellen Verfolgerstaat ausgelöst. Insofern unterscheidet sich der Flüchtlingsschutz von dem deutschen Asylrecht, das grundsätzlich auf der kausalen Reihenfolge Verfolgung - Flucht - Asyl aufbaut12. Anlaß des Schutzes ist allein die Schutzlosigkeit dessen, der in seinem Heimatstaat oder als Staatenloser im Staat seines letzten gewöhnlichen Aufenthalts ernsthaft Verfolgung befürchten muß. Schutz vor Abschiebung oder sonstiger Verbringung in diesen Staat wird ihm nicht gewährt, weil er dort in der Vergangenheit verfolgt worden ist, sondern damit er dort nicht in Zukunft verfolgt wird. Die GK gewährleistet weder die Wiederherstellung desfrüheren Zustands noch eine Wiedergutmachung oder Entschädigung. Sie verhindert lediglich den Zugriff des Verfolgerstaats und bietet dem Flüchtling die Grundlagen für ein verfolgungsfreies Leben im Aufhahmestaat. Das Ziel besteht also nicht in der Ermöglichung einer gefahrlosen Rückkehr in die Heimat, sondern in dem sicheren Schutz vor dieser Rückkehr und deren Folgen. Mit dem Verzicht auf Zurückweisung an der Grenze, auf Abschiebung und Rückschiebung sowie auf Auslieferung greift der Aufhahmestaat in die Personalhoheit des Heimatstaats ein. Der Schutz vor dem Zugriff des Verfolgerstaats entzieht diesem seinen Staatsangehörigen. Hier liegt das völkerrechtliche Problem: In dem Spannungsfeld zwischen Personalhoheit und Asylgewährung stoßen die Einflüsse und Machtbereiche, die Rechte- und Pflichtenkreise zweier Staaten aufeinander. Der aufnehmende Staat ist zur Aufnahme Fremder nicht verpflichtet, aber ausnahmsweise befugt; sein Handeln soll von dem anderen Staat respektiert werden13. Der Grund für diesen völkerrechtlich gebilligten Eingriff in die Personalhoheit des anderen Staats ist in dessen Weigerung oder Unwilligkeit oder Unfähigkeit zu sehen, seinen Schutzpflichten gegenüber seinen Staatsangehörigen nachzukommen. Insoweit ähnelt die Asylgewährung für politisch Verfolgte in gewisser Weise der Nichtauslieferung politischer Straftäter. Dabei wird dem Heimatstaat der Zugriff auf den eigenen Staatsangehörigen verwehrt, weil die von diesem beabsichtigte Strafverfolgung oder -Vollstreckung ausnahmsweise nicht gebilligt wird. Flüchtige Verbrecher werden im Allgemeinen dem Verfolgerstaat überstellt, nur bei politischen Straftätern verwehrt der andere Staat die Auslieferung
12
Vgl. BVerfGE 74, 51 = EZAR 200 Nr. 18; § 28 AsylVfG. Vgl. Berber (Fn. 3), S. 404 f.; nicht erwähnt bei Ipsen (Fn. 2); betr. die völkerrechtliche Pflicht zur Aufnahme eigener Staatsangehöriger vgl. Hailbronner/Renner (Fn. 7), 2005, Einl. E Rn. 80 ff. 13
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aufgrund des ihm zustehenden Ermessens14. Dies geschieht allerdings anders als im Flüchtlingsrecht nicht zur Verhinderung einer Gefährdung aus bestimmtem Anlaß, sondern mit Rücksicht auf die politische Motivation des Täters.
2. Begünstigter Personenkreis
Der Kreis der geschützten Personen wird durch den Anlaß, Grund oder Zweck der ihnen drohenden Verfolgungsgefahr bestimmt. Auch insoweit wirkt es sich aus, daß die GK nicht an ein vergangenes Verfolgungsgeschehen anknüpft, sondern eine künftige Verfolgungsgefährdung zu vermeiden sucht. Dabei muß es sich um Verfolgungsmaßnahmen handeln, die sich gegen die Rechtsgüter Leben oder Freiheit richten, eine gewisse Intensität aufweisen und dem Einzelnen in Ansehung bestimmter persönlicher Merkmale drohen. Zunächst einmal sind nur Verletzungshandlungen gegenüber bestimmten Rechtsgütern erfaßt, nämlich gegen Leben und Freiheit. Damit fällt nicht jede drohende Verletzung von Menschenrechten in den Schutzbereich der GK. Es wird auch nicht mittelbar der Standard der Grundrechte für eine Prüfung der Verfolgungsmaßnahmen herangezogen. Es geht nicht um einen Export der deutschen Grundrechte in dem Sinne, daß deren Gefährdung im Ausland flüchtlingsrechtlichen Schutz auslöst und die Abschiebung in den Heimatstaat hindert. Die bevorstehenden Angriffe müssen sich vielmehr gegen Leben oder Freiheit richten. Zu letzterer gehören außer der persönlichen Freiheit grundsätzlich auch die Menschenrechte auf freie Religionsausübimg und auf freie wirtschaftliche Betätigung. Insoweit ist nicht jede Beeinträchtigung, aber jedenfalls ein existentielles Minimum gegen Beeinträchtigungen geschützt. Hier wird die Verbindung zur Menschenwürde erkennbar, deren krasse Mißachtung im nationalsozialistischen Deutschland auch den Hintergrund für den deutschen Verfassungsgeber bei der Schaffung des Asylgrundrechts bildete. Die in Betracht kommenden Verfolgungsmaßnahmen werden vor allem durch die persönlichen Merkmale des Betroffenen bestimmt, durch die sie ausgelöst werden und auf die sie abzielen. Nicht jeder drohende Eingriff in Leben oder persönliche Freiheit genügt, dieser muß vielmehr aus den genannten Gründen erfolgen. Dabei kommt es nicht auf die subjektiven Motive des jeweils Handelnden an, sondern auf die objektiv gegebenen Gründe oder die verfolgten Zwecke. Geschützt sind die für den Staat unverfügbaren persönlichen Eigenschaften und Merkmale Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung und soziale Zugehörigkeit. Diese Merkmale sind nur teilweise unabänderlich, 14
Vgl. § 6 IRG und die zahlreichen Auslieferungsverträge; Nachweise bei Wolfgang Schomburg/Otto Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl., 1998, insbes. S. 419ff., 1063 ff.
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z.B. die Rasse. Ein Teil von ihnen kann dagegen gewechselt werden, wie z.B. religiöse und politische Überzeugung. Immer müssen aber die in Rede stehenden Verfolgungshandlungen den Einzelnen gerade wegen dieser persönlichen Eigenschaften treffen. Die Gefährdung von Leben oder Freiheit muß ihren Grund und ihren Zweck gerade in dem Zugriff auf diese Merkmale haben. Ohne dieses finale Moment fehlt es an der Rechtfertigung für den Flüchtlingsschutz derGK.
3. Individuum und Kollektiv
Nun kennzeichnen aber die genannten Merkmale im Allgemeinen gerade eine Vielzahl von Personen und nicht ein einziges Individuum. Sowohl Rasse, Religion und politische Überzeugung als auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nationalität oder sozialen Gruppe (besser: gesellschaftlichen Gruppe = social group) sind Merkmale, die jeweils einer ganzen Personengruppe eigen sind. Dies kommt nicht von ungefähr, lehrt doch die historische Erfahrung, daß sich „politische" Verfolgung in aller Regel nicht gegen Einzelpersonen wegen deren individuellen Besonderheiten richtet, sondern gegen Gruppen von Menschen. Zwar haben sich immer wieder Einzelpersonen durch ihren Einsatz für ihre politischen oder religiösen Ideale und Vorstellungen bei den Regierenden mißliebig gemacht und Verfolgung auf sich gezogen. Die während des Nationalsozialismus ins Ausland geflohenen deutschen Politiker geben ein einprägsames Zeugnis dafür. Der gegen den jüdischen Teil der Bevölkerung gerichtete Vernichtungsfeldzug gehört aber zu den historisch einzigartigen ethnischen Ausrottungsaktionen und verdeutlicht den überwiegend kollektiven Charakter politischer Verfolgung. Wenn in diesem Zusammenhang von Gruppenverfolgung gesprochen wird, so ist darunter keine besondere Verfolgungsart zu verstehen, sondern ein Hilfsmittel zur Feststellung einer Verfolgungssituation 15. Dieser Begriff drückt nur die Besonderheit aus, daß in einer bestimmten zeitlichen und örtlichen Situation alle oder nahezu alle Angehörigen einer Gruppe Verfolgungen ausgesetzt sind. Ist dies festgestellt, braucht das einzelne Gruppenmitglied lediglich seine Gruppenzugehörigkeit nachzuweisen, um eine Bedrohung mit Verfolgungsmaßnahmen geltend machen zu können. Wie die Gruppe im Einzelnen definiert wird, ist unerheblich. Sie muß nur dadurch gekennzeichnet sein, daß^alle ihr zugehörigen Personen eines der in der GK genannten persönlichen Merkmale aufwei-
15
Hailbronner Rn. 44 ff.
(Fn. 8), Art. 16a GG Rn. 127 ff.; Renner (Fn. 8), Art. 16a GG
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sen. Zusätzlich kann sie dadurch begrenzt sein, daß nur Gruppenzugehörige bestimmten Alters oder Geschlechts oder aus einer bestimmten Region erfaßt sind, z.B. wehrfähige Tamilen im Alter von 18 bis 20 Jahren oder männliche Homosexuelle im Iran oder Kurden in einer Notstandsprovinz der Osttürkei. Entscheidend ist allein, daß dem Verfolgerstaat die alleinige Definitionskompetenz dafür zufällt, gegen welche Gruppe sich die Verfolgungen richten sollen. Bei der sog. Gruppenverfolgung spielt es letztlich keine entscheidende Rolle, ob der Einzelne als Teil der Gruppe oder aber wegen seiner den anderen Gruppenzugehörigen ebenfalls eigenen Merkmale ethnischer, religiöser oder politischer Art betroffen ist. Immer ist dieses persönliche Merkmal Auslöser, Ziel und Zweck der Verfolgung, und immer ist aus flüchtlingsrechtlicher Sicht (nur) der Einzelne beeinträchtigt und nicht die Gruppe. Entsprechend individuell ist das Refoulement-Verbot der GK ausgestaltet: Nicht die Gruppe genießt den Abschiebungsschutz, sondern der einzelne Flüchtling. Der Einzelne wird nicht im Interesse des Erhalts seiner Gruppe geschützt, sondern um ihm persönlich drohende Gefahren abzuwenden. Es braucht sich keiner Verfolgtengruppe anzuschließen, sondern kann unabhängig von dem Schicksal der sonstigen Gruppenmitglieder den Schutz der Konvention in Anspruch nehmen.
4. Beziehung zu dem Territorium
Auch hinsichtlich der territorialen Beziehungen unterscheidet sich der Flüchtlingsschutz von dem Recht auf die Heimat. Während letzteres die Rückkehr in den gemeinsamen Siedlungsraum zum Ziel hat, besteht der Schutz der GK gerade darin, daß eine Rückkehr durch Aufnahme in einem anderen Staat vermieden wird. Flüchtlingsschutz wie Asylrecht lösen die Verbindungen zur Heimat auf, weil dort ein verfolgungsfreies Leben nicht gewährleistet werden kann. Dem Flüchtling wird in dem Aufiiahmestaat eine neue Heimat geschaffen, wenn auch nur vorübergehend für die Dauer der Verfolgungsgefahr. Der Vertriebene strebt dagegen an, seine alte Heimat auf Dauer zurückzugewinnen; er will nicht im Ausland verbleiben, weil gerade damit der Erfolg der Vertreibungsaktion gefestigt und verstetigt würde. Ungeachtet dessen sind die territorialen Verhältnisse auch im Flüchtlingsrecht von maßgeblicher Bedeutung, und zwar hinsichtlich der externen und der internen Fluchtalternative. Der völkerrechtlichen Grundlage der Asylgewährung und der Flüchtlingsaufhahme entsprechend fehlt es an der Notwendigkeit für Schutz und Aufnahme und damit auch an einer Rechtfertigung für die Beeinträchtigung der Personal-
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hoheit des Heimatstaats, wenn eine inländische Fluchtalternative besteht16. Beschränkt der Staat seine Verfolgungsmaßnahmen aus welchen Gründen auch immer auf einen bestimmten Teil des Staatsgebiets, während er in anderen Regionen von Verfolgungshandlungen absieht, so kommt er insgesamt gesehen seiner staatlichen Schutzpflicht nach. Eine zwingende Notwendigkeit zum Verlassen des Landes und zur Gewährung von Abschiebungsschutz für den verfolgten Staatsangehörigen in einem anderen Staat ist dann nicht zu erkennen. Der Heimatstaat bleibt für die Verfolgungsfreiheit seiner Staatsbürger verantwortlich, die Völkergemeinschaft hat keinen Anlaß zum Einschreiten durch Gewährung von Hilfe, auch wenn der Betroffene seine gewohnte Umgebung, ja seine Heimat aufgeben muß. Fallkonstellationen dieser Art sind nicht nur in einem vom Bundesverfassungsgericht so bezeichneten „mehrgesichtigen" Staat17 denkbar, der über kein für alle Bevölkerungsgruppen und Regionen einheitliches Regierungskonzept verfügt und daher nur in manchen Teilen seine an sich vorhandenen Verfolgungsabsichten verwirklicht. Abgesehen von diesem in sich gespaltenen Verfolgungsprogramm kann aber ein grundsätzlich überall verfolgungsbereiter Staat auch aus anderen Gründen von einer landesweiten Verfolgung absehen oder absehen müssen. Seine Gebietsgewalt kann mangels Durchsetzungskraft eingeschränkt sein oder aber mit Rücksicht auf regionale Machthaber zurückhaltend eingesetzt werden. Nicht nur die objektive Unfähigkeit oder Unwirksamkeit staatlicher Machtmittel kann dazu beitragen, daß nur ein Teil des Staatsgebiets von Verfolgungsmaßnahmen betroffen wird. Die regionale Begrenzung kann auch voluntative Ursachen haben, so etwa grundsätzliche staatspolitische Überlegungen in einem Vielvölkerstaat oder eher pragmatische und taktische Rücksichtnahmen auf die tatsächlichen Machtverhältnisse. Eine gänzlich andere Fallgestaltung liegt dem Konzept der anderweitigen Sicherheit zugrunde18. Hier geht es nicht um innerstaatliche Ausweich- und Fluchtmöglichkeiten, sondern um die Verteilung der Verantwortlichkeiten zwischen den in Betracht kommenden ausländischen Staaten und die entsprechende Beschränkung der Zufluchtmöglichkeiten für den Flüchtling. Diesem wird zwar im internationalen Flüchtlingsrecht die Wahl des Aufhahmestaats grundsätzlich frei gestellt; er darf sich den Erstaufriahmestaat aussuchen. Aber er darf nach der Aufnahme in einem Staat nicht „vagabundieren". Hat er in einem Staat Zuflucht gefunden, ist die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen durch andere Staaten entfallen. Mit der Aufnahme in einem Staat endet weder die Verfol16
Hailbronner (Fn. 8), Art. 16a GG Rn. 210 ff.; Renner (Fn. 8), Art. 16a GG Rn. 66 ff. 17 BVerfGE 80, 315 = EZAR 201 Nr. 20. 18 Hailbronner (Fn. 8), Art. 16a GG Rn. 229 ff.; Renner (Fn. 8), Art. 16a GG Rn. 89 ff.
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gungsgefahr noch die Flüchtlingseigenschaft, wohl aber die aktuelle Schutzbedürftigkeit. Diese Idee der externen Fluchtalternative liegt allen internationalen und nationalen Hilfs- und Aufhahmesystemen zugrunde. Sie beendet aber - dies sei hier nochmals betont - die Verfolgungsgefahr nicht endgültig und befreit daher andere Staaten nicht von ihrer Verpflichtung, ihrerseits von einer unmittelbaren oder mittelbaren Rückführung in den Verfolgerstaat abzusehen, falls sich der Flüchtling in ihrem Machtbereich aufhält. Die Voraussetzungen für die Annahme einer ausländischen Fluchtalternative sind ganz unterschiedlich ausgestaltet. Teilweise wird eine formelle Flüchtlingsanerkennung oder eine sonstige aktive Aufnahme in dem anderen Staat vorausgesetzt, teilweise genügt ein Aufenthalt bestimmter Dauer in einem Drittstaat ohne erkennbare Schwierigkeiten, teilweise wird es als ausreichend angesehen, wenn tatsächlich weder eine direkte noch eine Kettenabschiebung über weitere Staaten droht. Besonders einschneidend wirkt das deutsche Konzept der sicheren Drittstaaten nach Art. 16a Abs. 2 GG. Danach ist das Asylgrundrecht immer dann ausgeschlossen, wenn der Flüchtling auf seiner Reise einen Drittstaat berührt hat, in dem die Anwendung der GK und der EMRK sichergestellt ist. Die Feststellung einer derartigen Verfolgungssicherheit erfolgt durch den Bundesgesetzgeber in einem Verfahren der normativen Vergewisserung19. Der Nachweis, daß im Einzelfall eine Verfolgungssicherheit nicht bestand, ist grundsätzlich ausgeschlossen. Der derzeit innerhalb des EU-Rats beratene Kommissionsvorschlag für eine Asylrichtlinie sieht ein strengeres und genaueres normatives Verfahren vor und läßt den Gegenbeweis im Einzelfall grundsätzlich zu 20 . Welches Konzept sich letztlich in Europa durchsetzt, wird sich vor oder nach der EU-Erweiterung zeigen. Abgesehen von der grundsätzlichen Kritik an dem deutschen Modell der sicheren Drittstaaten ist darauf hinzuweisen, daß es weder rechtlich noch praktisch zu eindeutigen und einfachen Ergebnissen führt. Wirklich durchsetzbar ist es nämlich nur an der Grenze, wenn der Drittstaat zur Rückübernahme bereit ist. Hierzu kommt es aber weder bei Einreisen über die grüne oder blaue Grenze noch bei fehlenden Nachweisen für eine Durchreise durch den anderen Staat. Gelingt dem Flüchtling die Einreise, so kann er zwar an den Drittstaat überstellt werden, der Nachweis für dessen Verantwortlichkeit ist aber dann noch schwerer zu führen. Gelingt er nicht, kann zwar die Asylanerkennung abgelehnt werden, wenn die Einreise über einen sicheren Drittstaat nicht von dem Flüchtling
19
Dazu BVerfGE 94, 49 = EZAR 208 Nr. 7. Dazu Kay Hailbronner, Auswirkungen der Europäisierung des Asyl- und Flüchtlingsrechts auf das deutsche Recht, ZAR 2003, 299; Günter Renner, Europäische Mindestnormen für Asylverfahren, ZAR 2003, 88; Andreas Zimmermann, Anmerkungen zu Mindestnormen für Verfahren zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft ZAR 2003, 354. 20
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selbst ausgeschlossen wird. Es bleibt aber das Refoulement-Verbot der GK zu prüfen mit der Folge, daß eine Abschiebung in den Verfolgerstaat verboten ist, wenn dort eine Verfolgung droht. Ein davon abweichendes Verteilungssystem gilt in Kerneuropa zunächst aufgrund des Schengener Durchführungsübereinkommens 21, dann des Dubliner Übereinkommens22 und jetzt der VO/EG 343/2003 („Dublin Ii-Verordnung" 23). Hiernach findet eine innereuropäische Verteilung aufgrund von Kriterien statt, die eine Verantwortlichkeit des jeweiligen Staats für die Einreise über die Außengrenze indizieren. Auch dieses Regelwerk ist darauf ausgerichtet, eine externe Zufluchtsmöglichkeit zu finden und zu bestimmen. Anders als das Recht auf die Heimat geht es nicht um Rückführung, sondern um externen Schutz durch Aufnahme.
IQ. Ausblick nach Europa Ob das Recht auf die Heimat im künftig um einen Teil der ehemaligen Vertreibungsstaaten vergrößerten Europa leichter durchsetzbar sein wird als während und nach dem Kalten Krieg, soll von mir nicht weiter untersucht werden. Die ehedem zugunsten von Staatsangehörigen der Beitrittsländer ausgesprochenen Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen sind schon seit langem in sich zusammengefallen, seit diese Staaten Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eingeführt haben und den Schutz der Menschenrechte gewährleisten. Ein Relikt aus alter Zeit hat allerdings der deutsche Gesetzgeber noch bewahrt: Nach § 6 Abs. 1 BVFG wird weiterhin angenommen, daß ein deutscher Volkszugehöriger, der die baltischen Staaten verläßt, dazu in der Regel durch ethnisch bedingte Benachteiligungen veranlaßt wird 24 . Ungeachtet dessen wird die Herstellung der vollen Freizügigkeit innerhalb des erweiterten Europas am 1. Mai 2004 auch den heimatvertriebenen Deutschen gewährleisten, daß sie sich in den neuen Staaten frei wie Inländer bewegen, aufhalten und leben25 und damit tatsächlich 21
Vom 19. Juni 1990. Ges. vom 15. Juli 1993 (BGBl. 1993 II 1010 u. 1013), geändert durch Ges. vom 1. Juli 1997 (BGBl. 1 1606). 22 Vom 15. Juni 1990 (BGBl. 1994 II 791). 23 Verordnung des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat zuständig ist (ABl. L 50 vom 25. Februar 2003 S. 1); dazu Ryszard Piotrowicz, Dublin II und zukünftige Perspektiven eines gemeinsamen europäischen Asylrechts, ZAR 2003, 383; Birgit Schröder, Die EUVerordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003,126. 24 Vgl. dazu Wilfried Peters, Aussiedlerzuzug - Entwicklung und Perspektiven, ZAR 2003, 193. 25 Übergangsweise gibt es Beschränkungen nur für Arbeitnehmer und für Selbständige, wenn sie Arbeitskräfte aus ihrem Mitgliedstaat mitbringen; dazu Ansgar Fehrenba-
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Günter Renner
auch in ihre alte Heimat zurückkehren können. Sie können sich zwar hierfür nicht auf ihr aus der Vergangenheit herrührendes Recht auf die Heimat berufen, wohl aber auf das in die Zukunft gerichtete Freizügigkeitsrecht als Unionsbürger, das seit dem Amsterdamer Vertrag nicht mehr von der Teilnahme am Wirtschaftsverkehr abhängt, sondern unabhängig von ökonomischen Gründen jedem Europäer zusteht, der den Paß eines der Mitgliedstaaten besitzt (vgl. Art. 18 Abs. 1 EG).
Zusammenfassung Das in § 25 des Staatsangehörigkeitsregelungsgesetztes gewährleistete Heimatrecht der Vertriebenen entfaltet keine Verbindlichkeit gegenüber anderen Staaten. Der Schutz des Flüchtlings im Völkerrecht ist Gegenstand eines Individualrechts, nicht eines Gruppenrechts. Die Genfer Flüchtlingskonvention gewährleistet mit der Flüchtlingsdefinition und dem Refoulementverbot Schutz vor politischer Verfolgung im herkömmlichen weiten Sinne. Nicht die gefahrlose Rückkehr in den Heimatstaat ist garantiert, sondern umgekehrt Schutz vor einer riskanten Heimkehr. Im Zuge des Beitritts ehemaliger Vertreibungsstaaten zur Europäischen Union wird den deutschen Heimatvertriebenen tatsächlich ein gleichberechtigtes Leben in ihrer früheren Heimat möglich sein, nicht aufgrund eines Heimatrechts, sondern infolge der Freizügigkeit als Unionsbürger.
Abstract Günter Renner : The Right to One's Homeland and International Law for Refugees. In: Das Recht auf die Heimat. Ed. by Gilbert H. Gornig and Dietrich Murswiek (Berlin 2005), pp. 37-48. The right to one's homeland (Recht auf die Heimat ), as it is guaranteed in § 25 of the statute regulating citizenship (the German Staatsangehörigkeitsregelungsgesetz ), is not binding for other countries. In international law, the protection of the refugee is object of an individual right, not a group right. With its definition of the status of refugee and the prohibition of refoulement , the Geneva Convention for Refugees affords protection in the traditional, wider sense. It does not guarantee safe return to the home country, but rather protection from the dangers/risks of such a return. As countries where displacements occurred in the past become members of the European Union, German displaced persons eher, Die Freizügigkeitsregelungen im Rahmen der EU-Erweiterung und ihre ausländerrechtlichen Folgen, ZAR 2004, 22; Klaus Sieveking, Personenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheiten im Rahmen des Europa-Abkommens EG/Polen im Lichte des Beitritts zur EU, ZAR 2003, 342.
Das Recht auf die Heimat und das Internationale Flüchtlingsrecht
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will indeed be entitled to lead a life with equal rights in their former homeland; this right, however, is not founded on the right to one's homeland, but on the freedom of movement they enjoy as EU citizens.
Das Recht auf die Heimat im Recht der Europäischen Union Von Heinrich Wilms
I. Was ist Heimat? Zunächst stellt sich die Frage, was wir unter Heimat eigentlich verstehen dürfen. Am Anfang nahezu jeder Betrachtung über die Heimat steht das Definitionsproblem dieses Begriffs 1. Es gibt mehrere Möglichkeiten, sich dem Begriff anzunähern. Man kann den Begriff semantisch verstehen, wenn man zum Beispiel von der geistigen Heimat spricht; man kann den Begriff soziologisch, politisch oder eben auch juristisch fassen.
1. Die Heimat als RechtsbegrifT
Jedes juristische Eingrenzen des Begriffes setzt aber voraus, daß bereits ein soziologischer oder politischer Anknüpfungspunkt besteht2. Die Rechtswissenschaft beginnt nicht im leeren Raum, sie transformiert Bezeichnungen der realen Lebenswelt, indem sie an Vorgänge der realen Lebenswelt bestimmte Rechtsfolgen anknüpft. Wegen der mit einer Rechtsnorm verbundenen Rechtsfolge ist es unumgänglich notwendig, daß der Tatbestand an die Rechtsfolge anknüpft, also der aus der realen Lebenswelt entlehnte Begriff möglichst scharf umrissen wird. Das führt manchmal dazu, daß der aus der Lebenswelt entlehnte rechtliche Begriff nicht vollständig mit dem im alltäglichen Sprachgebrauch vorhandenen Begriff identisch ist. Der rechtliche Begriff der Heimat kann somit ein anderer sein, als der, den wir uns vorstellen, wenn wir im Alltagsleben über die Heimat sprechen. In jedem Fall schließt eine rechtliche Verortung des Begriffes aus, daß der Begriff rein subjektiv verstanden werden kann. Man könnte ja formulieren, daß jeder unter der Heimat etwas anderes versteht; für den einen ist es der Ort der 1
Otto Kimminich, Das Recht auf die Heimat, 1978, S. 12. Peter Schneider, Idee und Struktur eines kollektiven Rechts auf die Heimat, in: Kurt Rabl (Hrsg.), Das Recht auf die Heimat, 1965, S. 118. 2
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Geburt oder der Herkunftsort der Vorfahren, für den anderen ist es die Gegend, mit der er persönlich am meisten verbunden ist, und zwar aus rein subjektiven Beziehungen. Es kann also nicht hinreichend sein, daß ich einen Film, wie zum Beispiel „Jenseits von Afrika" sehe und dann behaupte: Dies ist die Welt, in der ich immer schon leben wollte, sie entspricht meinen inneren Lebensgefühlen; dies ist meine Heimat, auch wenn ich mich noch niemals dort befunden habe. Juristische Definitionsversuche des Begriffs Heimat finden sich in den Kommentaren zum Grundgesetz zu Art. 3 Abs. 3. So liest man im Bonner Kommentar lakonisch: „Die ,Heimaf ist die örtliche Herkunft des Menschen nach Geburt oder Ansässigkeit"3. Ebenso liegt auch bei Dürig und von Mangoldt/Klein der Schwerpunkt der Definition auf dem örtlichen Anknüpfungspunkt4. Auch das Bundesverfassungsgericht legt beim Begriff Heimat in Abgrenzung zu den Begriffen Abstammung und Herkunft den Schwerpunkt auf die örtliche Herkunft 5. Damit wäre eine subjektive Sicht auf den Begriff der Heimat völlig ausgeschlossen. Jedoch hat diese Rechtsprechung zwar Bedeutung für das Diskriminierungsverbot des Art. 3 GG, für eine Definition der Heimat, wie sie für den vorliegenden Beitrag notwendig wird, gibt sie jedoch nichts her6. Klar ist jedoch, daß eine radikal subjektive Sicht des Begriffes Heimat niemals rechtlich verortet oder gefaßt werden kann, und es geht - jedenfalls in dem hier behandelten Kontext - letztlich um die mögliche rechtliche Verortung des Begriffes der Heimat. Um den Begriff Heimat als Rechtsbegriff einbinden zu können, benötige ich also objektive oder zumindest objektivierbare Anknüpfungspunkte. Diese objektiven Anknüpfungspunkte können natürlich nicht willkürlich sein, sondern haben ihre Wurzel in allgemeinen Vorstellungen, die man mit dem Begriff Heimat verknüpft. Im Hinblick darauflassen sich zunächst bestimmte Bezüge finden, die assoziativ mit dem Begriff verbunden sind. Ohne aus diesen Begriffen zunächst rechtliche Konsequenzen zu ziehen, sind dies zum Beispiel: Abstammung, Herkunft, Geburtsort, Wohnort, Sprache, Geschichte. Wir finden also sehr schnell verobjektivierbare Verknüpfungen mit dem Begriff die Heimat. Aber wie sieht es aus, wenn man diese Verknüpfungen mit rechtlichen Fragen kombiniert? Was kann das Recht auf die Heimat also konkret beinhalten? Wenn es ein umfassendes Recht auf Aufenthalt, Niederlassung und Freizügigkeit gibt, kann dann ein Recht auf die Heimat noch einen rechtlichen Gehalt jenseits dieser ausdrücklichen Rechte umfassen? 3
Wolfgang Rüfher, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Dezember 2004, Art. 3, Rn 839. 4 Christian Starck, in: v. Mangoldt/Klein, 4. Auflage 1999, Art. 3 Rn 365; Rupert Scholz, in: Maunz/Dürig, Stand: Juni 1998, Art. 3 Abs. III Rn 75. 5 BVerfGE 9, 124 ff. (128). 6 Kimminich (Fn. 1), S. 15.
Das Recht auf die Heimat im Recht der Europäischen Union
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Kann ein Recht auf die Heimat eine subjektive Rechtsposition sein oder handelt es sich nicht vielmehr um einen besonderen Aspekt des Selbstbestimmungsrechts der Völker, der auch nur in Verbindung mit diesem Recht zutage tritt?
2. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker
a) Herleitung und Rechtsträgerschaft Das Selbstbestimmungsrecht der Völker hat sich nach dem zweiten Weltkrieg zu einem verbindlichen Rechtssatz entwickelt7, der in der Charta der Vereinten Nationen, sowie im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ausdrückliche Erwähnung findet und auch völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist8. Rechtsträger sind die Völker, wobei dieser Begriff nicht nur Staatsvölker, sondern auch Volksgruppen umfasst, also Völker im ethnischen Sinne9. Damit steht das Selbstbestimmungsrecht auch einem Träger zu, der im übrigen kein Völkerrechtssubjekt ist10. b) Inhalt Das Selbstbestimmungsrecht der Völker untergliedert sich in zwei große Bereiche. Zunächst ist der externe Aspekt zu nennen, der unter bestimmten Umständen eine Gebietsabspaltung von einem Staat, ein Sezessionsrecht gewährleistet. Dies wird hauptsächlich für Fälle der Dekolonisierung anerkannt11. Jedoch birgt eine uneingeschränkte Ausübung des Selbstbestimmungsrechts die Gefahr eines Gebietsverlusts für die betroffenen Staaten in sich. Aus Angst vor derartigen Ereignissen könnte die Existenz von Minderheiten geleugnet werden, um solche Vorkommnisse zu verhindern. Eine Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts auf Fälle, in denen die Volksgruppe unmittelbar in ihrer Existenz bedroht ist, würde andererseits eine völlige Aushöhlung dieses Rechts bedeu7 Jochen Hogrefe, Die rechtliche Stellung der deutschen Volksgruppe in Polen, 2003, S. 4 u. 5; Dieter Blumenwitz, Volksgruppen und Minderheiten, 1995, S. 63f. 8 Eibe Riedel, Gruppenrechte und kollektive Aspekte individueller Menschenrechte, in: Aktuelle Probleme des Menschenrechtsschutzes, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, 1993, Band 33, S. 56. 9 Dieter Blumenwitz, Minderheiten- und Volksgruppenrecht, 1992, S. 32; Otto Kimminich, Ansätze für ein europäisches Volksgruppenrecht, Archiv des Völkerrechts, Bd. 28 (1990), S. 1, 5; Dieter Kugelmann, Minderheitenschutz als Menschenrechtsschutz, Archiv des Völkerrechts, Bd. 39 (2001), S. 233 ff, (255). 10 Hogrefe (Fn. 7), S. 5. 11 Blumenwitz (Fn. 9), S. 70 f; Riedel (Fn. 8), S. 56.
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ten12. Es ergibt sich also eine Gratwanderung zwischen staatlicher Souveränität und ihrer Durchsetzung auf der einen, sowie dem Selbstbestimmungsrecht auf der anderen Seite. Weiterhin beinhaltet das Selbstbestimmungsrecht einen internen Aspekt. Für seine Ausübung ist nicht notwendigerweise eine Grenzänderung erforderlich. Ausreichend ist auch ein internes Selbstbestimmungsrecht, welches im Rahmen eines Autonomiestaates oder einer Föderalstruktur zum Tragen kommt13. Hierbei bleibt jedoch die Loyalitätspflicht gegenüber dem Wohnstaat der Volksgruppe bestehen, woraus sich dann gewisse Einschränkungen ergeben14. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker beinhaltet sowohl einen politischen Aspekt, der ihnen das Recht einräumt, frei über ihr Schicksal zu entscheiden, wie auch einen kulturellen Aspekt, der ihnen eine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung ohnefremde Beeinflussung von innen oder außen erlaubt15.
3. Das Recht auf die Heimat
Das Recht auf die Heimat ist eng verknüpft mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Damit das Selbstbestimmungsrecht in seinen verschiedenen Ausgestaltungen zum Tragen kommen kann, ist insbesondere ein Verbleib des Volkes in seiner Heimat notwendig16. Politische Selbstbestimmung impliziert notwendigerweise auch das Recht, gesicherten Aufenthalt in einem selbstgewählten Territorium zu nehmen17. Das Recht auf die Heimat stellt somit einen Teilaspekt des Selbstbestimmungsrechts der Völker dar 18. Die Heimat ist mehr als Niederlassungsrecht oder Diskriminierungsverbot. Sie hat vor allen Dingen nicht nur einen individuellen, sondern auch einen kollektiven Bezug19. Heimat ist ein Wert, der nicht nur für jeden Einzelnen einen hohen Stellenwert einnimmt, sondern gerade ganzen Völkergruppen gemeinsam ist. Heimat läßt sich stets individualistisch oder kollektiv verstehen20. Mit der
12
Hogrefe (Fn. 7), S. 6. Blumenwitz (Fn. 9), S. 123; Johannes Niewerth, Der kollektive und positive Schutz von Minderheiten und ihre Durchsetzung im Völkerrecht, 1996, S. 86 f. 14 Blumenwitz (Fn. 9), S. 34; Hogrefe (Fn. 7), S. 6. 15 Hogrefe (Fn. 7), S. 7. 16 Dieter Blumenwitz, Recht auf die Heimat im zusammenwachsenden Europa, 1995, S. 51. 17 Dietrich Murswiek, Die völkerrechtliche Geltung des Rechts auf die Heimat, in diesem Band, S. 17 ff. (III.3). n Hogrefe {Fn. 7), S. 8. X9 Kimminich {Fn. 1), S. 42. 20 Murswiek (Fn. 99), II.l. 13
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Heimat, von der wir stammen oder in die wir wollen, verbinden wir vor allen Dingen auch einen sozialen und kulturellen Zusammenhang mit Menschen eines ganz bestimmten Gebietes21. Allein ein geographischer Bezug kann es nicht sein. Die Heimat bedeutet auch ein Bewußtsein um Sitten, Riten und Gebräuche, um Sprache und Geschichte, um eine ganz bestimmte sozial-kulturelle Gemeinschaft, die man im Blick hat, wenn man an seinen eigenen, persönlichen Ursprung denkt. Eine Definition für „Heimat" müßte gewissermaßen dreidimensional angelegt sein. Der Begriff umfaßt die drei Komponenten Raum, Mensch und Zeit, deren Beziehungen zueinander das Wesen der Heimat ausmachen22. Das Recht auf die Heimat muß damit in jedem Fall auch einschließen, daß man an einem bestimmten Ort eine soziale und kulturelle Gemeinschaft herstellen kann, die in der Lage ist, diesen Kontext zu füllen. Die Heimat muß daher auch die Möglichkeit einschließen, eine bestimmte Sprache zu pflegen, auch wenn sie nicht die Sprache der Mehrheit des jeweiligen Ortes ist, eine bestimmte Kultur zu pflegen, sich zu organisieren, Schulen zu begründen, kurz: Die Selbstorganisationsfähigkeit einer sozialen Gemeinschaft, die sich darauf richtet, auch in kollektiver Hinsicht ein Dasein nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, zu akzeptieren und zu erlauben. Dies ist sehr viel mehr, als es ein bloß primär individualrechtlich verstandenes Niederlassungsrecht oder ein Diskriminierungsverbot gewähren kann. Ein Recht auf die Heimat bedeutet, weit über dieses Abwehrecht hinausgehend den Anspruch auf Selbstorganisation zu verwirklichen, die eine bestimmte sozial-kulturelle Gruppe in Anspruch nimmt. Freilich darf dieser Selbstorganisationsanspruch nicht ein lediglich behaupteter sein, sondern er muß ein Produkt objektivierbarer Kriterien sein, die einen solchen Selbstorganisationswunsch akzeptabel machen, wie eben die über Jahrhunderte tatsächlich existierende Heimat der Vertriebenen, die nun, obwohl sie sich nicht mehr in ihrem ursprünglichen geographischen Heimatgebiet befinden, diesen Selbstorganisationswunsch an jenem ursprünglichen Heimatort in Übereinstimmung mit den Rechtspositionen der Europäischen Union wieder aufleben lassen möchten. Das Recht auf die Heimat ist in dem hier verstandenen Sinn sowohl ein individualrechtliches als auch ein kollektiv ausübungsfähiges Recht, das aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker fließt 23.
21 Wolfgang Kretschmer, Heimatverlust und Heimatlosigkeit als Ursache psychischer Störungen, in: Kurt Rabl (Hg.), Das Recht auf die Heimat, 1965, S. 70. 22 Kimminich (Fn. 1), S. 26; Blumenwitz (Fn. 16), S. 41 f. 23 Nachweise bei Blumenwitz (Fn. 16); in verschiedenen Resolutionen der Vereinten Nationen wird das Recht auf die Heimat als Ausfluß des Selbstbestimmungsrechtes der Völker, zumeist im Zusammenhang mit dem Volk der Palästinenser anerkannt.
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I L Die Vertriebenen und das Selbstbestimmungsrecht der Völker In bezug auf die Vertriebenen gewinnt das Selbstbestimmungsrecht der Völker unter zwei besonderen Aspekten Bedeutung: dem völkerrechtlichen Annexionsverbot dem völkerrechtlichen Vertreibungsverbot. Vertreibungen und zwangsweise Umsiedlungen sind völkerrechtlich verboten24, und es herrscht Konsens über die Illegalität derartiger Maßnahmen. Murswiek weist in seinem Beitrag auf die Situation im Kosovo hin, die zu einer deutschen Beteiligung an einem Krieg führte. Damit wurde das Recht auf die Heimat als Wert anerkannt und verteidigt25. Zu der Rechtsidee im allgemeinen gehört auch die Wiederherstellung des rechtlichen Zustandes, der vor der Situation des Eingriffes in das Recht bestanden hat. Murswiek teilt hierbei die Rechtspositionen, die für ihn mit dem Recht auf Heimat verbunden sind in zwei große Gruppen. Das Recht in der Heimat zu verbleiben stellt das „Stammrecht" oder Primärrecht dar, was jedoch der Durchsetzung dieses Rechts dient, oder der Wiederherstellung nach einer Verletzung bezeichnet er als Sekundärrecht26. Das bedeutet, zum Annexionsverbot und zum Vertreibungsverbot gehört auch eine Rückdrängung der Annexion und eine Rückdrängung der Vertreibung, die sich als Sekundärrechte aus dem Primärrecht auf Heimat ergeben. Ist das Recht auf die Heimat einmal verletzt worden, so steht den Betroffenen ein Anspruch auf Rückkehr oder Ersatz der erlittenen Schäden zu27. Der Rechtsbegriff umfaßt die Wiederherstellung des Rechtszustandes. Für die Vertriebenen freilich ist es so, daß infolge der konkret abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge diese ursprüngliche Rechtsposition nicht mehr wiederhergestellt werden kann. Mittlerweile haben andere Menschengruppen ihre Heimat im in Rede stehenden Gebiet begründet. Eine Kollision zweier Heimatrechte kann nicht zugunsten nur einer Gruppe gelöst werden, da sonst neues Unrecht entstünde. Es muß eine vermittelnde Lösung gefunden werden28. Eine Rückführung ist deshalb oft rein faktisch ausgeschlossen29. Zwar faßt Tomuschat die UN-Praxis in drei Regeln zusammen, zunächst seien Vertreibungen verboten, Rückführungen
24 Blumenwitz (Fn. 16), S. 46; Kurt Rabl, in Kurt Rabl (Hrsg.), Zur Frage des Verbots von Massenzwangsaussiedlungen nach geltendem Völkerrecht, Das Recht auf die Heimat, 1965, S. 136. 25 Murswiek (Fn. 17), I. 26 Murswiek (Fn. 17), II. 2. 27 § 11 der GV. Res. 194 (III) vom 6.12.1971; ebenso: GV Res. 3089, C und D. 28 Murswiek (Fn. 17), VI. 29 Blumenwitz (Fn. 16), S. 58.
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zu akzeptieren und deren Vereitelung durch Ansiedlung neuer Gruppen zu verhindern30, jedoch lassen sich derartige Ereignisse kaum umkehren. Dann entsteht ein Anspruch auf Schadensersatz in Geld, soweit die Naturalrestitution scheitert, oder die Vertriebenen von ihrem Recht auf Rückkehr gar keinen Gebraucht machen wollen31. Anders verhält es sich unter Umständen mit dem völkerrechtswidrigen Enteignungen. Vermögensrechtliche Ansprüche auf privaten Besitz und Eigentum bleiben auch dann bestehen, wenn ein Anspruch auf Rücksiedlung scheitern muß32. Jedoch stimmt Murswiek in Bezug auf die Entschädigungsforderungen der Vertriebenen mit Blumenwitz33 darin überein, daß derartige Ansprüche nicht ewig bestehen bleiben können. Die praktisch wohl letzte Chance, etwas zugunsten der Vertrieben zu erreichen, wären die Beitrittsverhandlungen mit Tschechien und Polen gewesen. Hier hätte die Bundesrepublik durch ihr Vetorecht eine starke Position inne gehabt. Leider wurde diese Chance nicht genutzt34. Aber wenngleich auch die Umkehrung von Annexion und Vertreibung nicht mehr möglich ist, weil die konkrete Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland dies ausschließt, so gibt es möglicherweise rechtliche Surrogate, die ein Minus zu dieser Wiederherstellung des Rechtszustandes sein können, wie etwa die Akzeptanz eines erneuten Rechtes auf Selbstorganisation in den entsprechenden Gebieten. Es soll nunmehr der Frage nachgegangen werden, ob sich für derartige rechtliche Überlegungen Anknüpfungsmöglichkeiten im Recht der Europäischen Unionfinden lassen:
I I I . Mögliche Anknüpfungspunkte des Rechtes auf die Heimat im Primärrecht der Europäischen Union
1. Vorbemerkung
Nachfolgend sind alle Primärrechtsquellen der Europäischen Union untersucht worden. Das sind vor allem der Vertrag über die Europäische Union, der 30 Christian Tomuschat, Das Recht auf die Heimat. Neue rechtliche Aspekte, in: FS Partsch, 1989, S. 204. 31 Blumenwitz (Fn. 16), S. 56. 32 Dieter Blumenwitz, Das Offenhalten der Vermögensfrage in den deutschpolnischen Beziehungen, Forschungsergebnisse der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht, Bd. 13, 1992; Blumenwitz (Fn. 16), S. 56. 33 Blumenwitz (Fn. 16), S. 61. 34 Murswiek (Fn. 17), VII.
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Vertrag über die Europäische Gemeinschaft, die Charta der Grundrechte als geltende Primärrechtsquellen, darüber hinaus aber auch die Verfassung für Europa, um auch die zukünftigen Gestaltungen im Auge zu behalten. Zudem bedeutsam ist die Europäische Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten, auf deren Inhalt in dem Primärrecht der Europäischen Union ausdrücklich Bezug genommen wird, so in Art. 6 Abs. 2 EUV. Nirgendwo befindet sich in diesen Normenkatalogen eine ausdrückliche, das heißt wörtliche Verankerung eines Rechtes auf die Heimat. Freilich ist in diesem Zusammenhang anzumerken, daß auch in nahezu keiner Verfassung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und auch sonst nur ganz selten ein derartiges Recht ausdrücklich in Verfassungstexte aufgenommen wird. Soweit ich es übersehe, findet sich in den modernen Verfassungen lediglich im Grundgesetz, in Art. 3 Abs. 3 der Begriff Heimat überhaupt. Jedoch geht der Gehalt des Begriffes im hier verwendeten Kontext weit über seine Bedeutung im Grundgesetz hinaus35. Dort ist er zudem nicht als ein Recht auf die Heimat formuliert, sondern als ein Diskriminierungsverbot. Niemand darf wegen seiner Heimat verfolgt oder benachteiligt werden. Zumindest mittelbare Bezugspunkte aus dem Recht der Europäischen Union, aus denen sich Rückschlüsse ziehen lassen, wie man mit einem denkbaren Recht auf die Heimat umgeht, finden sich in folgenden Normen:
2. Vertrag über die Europäische Union Art. 6 Grundprinzipien der Europäischen Union (1)
(2)
(3) (4)
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Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedsstaaten gemeinsam. Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 04. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. Die Union achtet die nationale Identität Ihrer Mitgliedsstaaten. Die Union stattet sich mit den Mitteln aus, die zum Erreichen Ihrer Ziele und zur Durchführung Ihrer Politiken erforderlich sind.
Kimminich (Fn. 1), S. 15.
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Art. 49 Beitritt zur EU Jeder Europäische Staat, der die in Art. 6 Abs. 1 genannten Grundsätze achtet, kann beantragen, Mitglied der Union zu werden. [...]
3. Der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft Art. 12 Diskriminierungsverbot Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrags ist in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Der Rat kann nach dem Verfahren des Art. 251 Regelungen für das Verbot solcher Diskriminierungen erlassen. Art. 18 Freizügigkeit und Aufenthalt (1)
Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. [...]
Art. 39 Freizügigkeit der Arbeitnehmer (1) Innerhalb der Gemeinschaft ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet. (2) Sie umfaßt die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlungen der Arbeitnehmer der Mitgliedsstaaten im Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. (3) Sie gibt - vorbehaltlich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen - den Arbeitnehmern das Recht, (a) sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben; (b) sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen; (c) sich in einem Mitgliedsstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften einer Beschäftigung auszuüben; (d) nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates unter Bedingung zu verbleiben, welche die Kommission in Durchführungsverordnungen festlegt. (4) Dieser Artikel findet keine Anwendung auf die Beschäftigung in der Öffentlichen Verwaltung.
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Art. 43 Unbeschränkte Niederlassungsfreiheit Die Beschränkungen derfreien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. [...] Art. 44 Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit [...] (2) Der Rat und die Kommission erfüllen die Aufgaben, die Ihnen aufgrund der obigen Bestimmungen übertragen sind, indem sie insbesondere [...] (e) den Erwerb und die Nutzung von Grundbesitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats durch Angehörige eines anderen Mitgliedstaats ermöglichen, soweit hierdurch die Grundsätze des Art. 33 Abs. 2 nicht beeinträchtigt werden;
[...]
Art. 293 Gleichstellung der Staatsangehörigen Soweit erforderlich, leiten die Mitgliedstaaten untereinander Verhandlungen ein, um zugunsten ihrer Staatsangehörigen folgendes sicherzustellen: - Den Schutz der Personen sowie den Genuß einen Schutz der Rechte zu den Bedingungen, die jeder Staat seinen eigenen Angehörigen einräumt, [...] 4. Die europäische Charta der Grundrechte Art. 15 Berufsfreiheit und das Recht zu arbeiten [...] (3) Alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die Freiheit, in jedem Mitgliedstaat Arbeit zu suchen, zu arbeiten, sich niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbringen.
[...]
Art. 21 Nichtdiskriminierung (1) Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten.
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5. Die Verfassung für Europa Art. III - Deutsch 193 (1) Die Union stützt sich bei Ihrem Handeln auf ...die Achtung des Völkerrechts gemäß den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen. Art. III-Deutsch 193 II Die Union legt die gemeinsame Politik sowie Maßnahmen fest und führt diese durch und setzt sich für ein hohes Maß an Zusammenarbeit auf allen Gebieten der internationalen Beziehungen ein, um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte und die Grundsätze des Völkerrechts zu festigen und zu fördern. Art. III-Deutsch 223 II Die Maßnahmen der humanitären Hilfe werden im Einklang mit den Grundsätzen des humanitären Völkerrechts, insbesondere den Grundsätzen der Unparteilichkeit und der Nichtdiskriminierung durchgeführt 6. Die Europäische Konvention der Menschenrechte und ihre Geltung für die Europäische Union Art. 14 Diskriminierungsverbot Der Genuß der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten.
7. Erläuterungen Aus den Vorschriften der europäischen Gemeinschaft läßt sich somit nicht ausdrücklich ein Recht auf die Heimat in dem hier verstandenen Sinn entnehmen. Auch das europäische Primärrecht enthält lediglich Freiheitsgarantien und Diskriminierungsverbote, in denen sich, wie oben gezeigt, aber gerade nicht das Recht auf die Heimat erschöpft. Macht man sich Sinn und Ziel der Europäischen Gemeinschaften als Produkt einer ursprünglichen Wirtschaftsgemeinschaft klar und betrachtet man den historischen Kontext, insbesondere die Zukunftsgerichtetheit der Gemeinschaft, so ist dies auch nur logisch.
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Die Europäische Union ist keine Organisation, deren primäres Ziel die Beseitigung früheren Unrechtes ist, sei es nationalsozialistischen, kommunistischen oder postkommunistischen Ursprungs. Aus dem Kontext der einzelnen Rechtspositionen läßt sich ein Bild zeichnen, das geeignet ist, auch eine Position zu dem Recht auf die Heimat zu formulieren. Im einzelnen enthält das Recht der Europäischen Union: -
Das Verbot der Diskriminierung wegen der Herkunft, sei sie national oder sozial
-
Das Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit
-
Die generelle Niederlassungsfreiheit, auch unabhängig von wirtschaftlichen Inhalten
-
Einen Gleichstellungsanspruch im Verhältnis zu den Staatsangehörigen des jeweils anderen Staates.
Bezieht man in die Betrachtung die zukünftige Verfassung für Europa mit ein, so ergeben sich noch zusätzlich einige Aspekte zu der Akzeptanz völkerrechtlicher Grundsätze, die bisher nicht ausdrücklich im Primärrecht der Europäischen Union enthalten waren: Die Achtung der Grundsätze des Völkerrechts, insbesondere des humanitären Völkerrechts und der völkerrechtlichen Menschenrechte, sowie die Weiterentwicklung des Völkerrechts. Letzteres ist bisher nicht ausdrücklich Teil der Verträge der Union gewesen, ließ sich aber sicherlich auch unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften in die Verträge hinein deuten bzw. ihnen zugrunde legen. Jedenfalls in der zukünftigen Verfassung für Europa besteht eine Verpflichtung der Europäischen Union auf die Grundsätze des Völkerrechts und damit auch auf die Grundsätze des Selbstbestimmungsrechts der Völker, welches völkerrechtlich anerkannt ist36. Verbindet man diesen Gedanken mit dem Niederlassungsrecht, den Diskriminierungsverboten und den Gleichstellungsgrundsätzen, die die Nationalstaaten auch ihren Minderheiten gewähren, so ergeben sich meines Erachtens daraus durchaus auch Anknüpfungspunkte für das Recht auf die Heimat. Formuliert man das Recht auf die Heimat in dem hier verstandenen Kontext als einen Teil des Selbstbestimmungsrechtes der Völker, sich selbst zu organisieren, so wird dieses prinzipiell vorhandene Recht in der Europäischen Union
36
Nachweise oben in Fn. 7.
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durch Diskriminierungsverbote, Gleichstellungsansprüche und die Niederlassungsfreiheit ergänzt. Meines Erachtens erwächst damit naturgemäß auch das Recht einer Minderheit, sich in einem bestimmten geographischen Gebiet, das einmal ein sozialkulturelles Zentrum gewesen ist, nach den eigenen Vorstellungen zu organisieren und die eigene Kultur zu pflegen, kurz so etwas wie die Heimat zu organisieren. Da dies für die neue Inbesitznahme von der Heimat - was man zum Beispiel für Gastarbeiter sicherlich in Anspruch nehmen kann - gilt, so muß dies zu förderst und vor allem für diejenigen gelten, die zu Unrecht aus Ihrer angestammten Heimat vertrieben worden sind und deren geographische Heimat nunmehr in das juristische System der Europäischen Union hineingegliedert worden ist. Nachdem das territoriale und personale Element der Heimat für die Vertriebenen auseinander gerissen wurde, verbleibt ihnen nur die Möglichkeit, sich außerhalb der angestammten Heimat zu organisieren 37. Nach der hier vertretenen Ansicht läßt sich daher aus dem Europarecht in Verbindung mit den zu akzeptierenden Grundsätzen des Völkerrechts ein Recht auf die Heimat, als Selbstorganisationsrecht einer sozial-kulturellen Gemeinschaft in einem bestimmten Gebiet verstanden, ableiten. Adressat der Durchsetzung ist aber die Europäische Union.
I V . Die unterschiedliche Qualität der Völker- bzw. europarechtlichen Verankerung des Selbstbestimmungsrechts
Was ist nun der Unterschied dazu, daß auch das Völkerrecht selbst bereits das Selbstbestimmungsrecht der Völker verankert? Der Unterschied liegt in der rechtlichen Qualität von Völkerrecht und Europarecht. Das Europarecht ist vielfach die schlagkräftigere Rechtsordnung. Es eröffnet teilweise subjektive Klagerechte; es ist eine sanktionsbewährte Rechtsordnung, die teilweise sogar in Verbindung mit Schadensersatzgrundsätzen durchgesetzt werden kann.
V . Zusammenfassung und Ergebnis
1. Das Europarecht gibt keine ausdrückliche Gewährleistung des Rechtes auf die Heimat in dem hier verstandenen Sinn. 2. Das Europarecht gewährt Gleichbehandlungsgrundsätze, Diskriminierungsverbote, allgemeinen Grundrechtschutz und Niederlassungsfreiheit.
37
Schneider (Fn. 2), S. 111.
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Heinrich Wilms
3. Das Europarecht gewährt eine Verpflichtung zur Durchsetzung völkerrechtlicher Prinzipien, d.h. das Selbstbestimmungsrecht der Völker und damit mittelbar ein Recht auf die Heimat. 4. Das Europarecht ist prinzipiell zukunftsgerichtet und kein Restitutionsrecht für vergangenes Unrecht. 5. Schadensersatzansprüche und Eigentumsrechte hätte die Bundesrepublik Deutschland durchsetzen müssen. Aus dem Recht der Europäischen Union läßt sich hierfür nichts gewinnen.
Abstract
Heinrich Wilms : The Right to One's Homeland and European Law. In: Das Recht auf die Heimat. Ed. by Gilbert H. Gornig and Dietrich Murswiek (Berlin 2005), pp. 51-63. European Law does not explicitly guarantee the right to one's homeland (Recht auf die Heimat) in the sense in which it is understood here. Instead, European Law comprises the principles of equal treatment, non-discrimination, a general protection of fundamental rights and the freedom of establishment. It contains the obligation to implement principles of international law such as the right of self-determination, and thus, indirectly, the right to one's homeland. In principle, European Law is directed towards the future, it is not a restitution law for past injustice. Claims for compensation and property rights can only be enforced by the Federal Republic of Germany; such claims cannot be founded on European Law.
Das Recht auf die Heimat im deutschen Verfassungsrecht Von Christoph Degenhart
I. Recht auf Heimat im positiven Recht
1. Landesverfassungen
Im positiven deutschen Verfassungsrecht sind es nur zwei Landesverfassungen, die ein „Recht auf Heimat"1 ausdrücklich erwähnen. Es sind dies Landesverfassungen aus ganz unterschiedlichen Entstehungszeiträumen: zum einen die Verfassung des Landes Baden-Württemberg aus dem Jahr 1953, zum anderen die Verfassung des Freistaats Sachsen aus dem Jahr 1993. Nach Art. 2 Abs. 2 der Verfassung von Baden-Württemberg „bekennt" sich das Land zu einem Recht auf Heimat als einem unveräußerlichen Menschenrecht. Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 der Sächsischen Verfassung erkennt das Land das Recht auf die Heimat an.
2. Schweigen des Grundgesetzes
a) Entstehungsgeschichte Im Grundgesetz findet sich eine vergleichbare Bestimmung nicht. Im Parlamentarischen Rat war die Aufnahme eines Rechts auf Heimat in einem Artikel 1 a des Grundgesetzes erörtert worden2, dies durchaus im Blick auf die Ver1 Zum „Recht auf Heimat" s. aus dem aktuellen Schrifttum Volker Schimpff/Christoph J. Partsch, Renaissance des Rechts auf Heimat im nationalen und internationalen Recht?, LKV 1994, S. 47; Susanne Baer, Zum „Recht auf Heimat" Art. 11 GG und Umsiedlungen zugunsten des Braunkohlentagebaus, NVwZ 1997, S. 27; Christian Tomuschat, Das Recht auf Heimat. Neue rechtliche Aspekte, in: Festschrift Partsch, 1989, S. 183 ff.; Otto Kimminich, Das Recht auf Heimat, 3. Aufl. 1989; Detlef Merten, Recht auf Heimat, in: Evangelisches Staatslexikon, 1987, 3. Aufl., Sp. 1250 ff. 2 Zu den diesbezüglichen Beratungen im Parlamentarischen Rat s. Schimpff/Partsch (Fn. 1), S. 48.
Christoph Degenhart
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triebenen nach dem Zweiten Weltkrieg3. Daß der Antrag keine Mehrheit fand, lag vor allem daran, daß ein solches Recht als begrifflich nicht hinreichend klar definiert gesehen wurde, um Eingang in den Grundrechtsteil des Grundgesetzes zu finden - kennzeichnend für das Grundgesetz jedenfalls in seiner ursprünglichen Fassung ist ja die Knappheit und Präzision der textlichen Aussage, der Verzicht auf weit ausgreifende Programmatik und die Beschränkung auf unmittelbar rechtlich durchsetzbare Normen. In diese Beschränkung fügt sich die seinerzeit angestellte Erwägung, ein Recht auf Heimat bedürfe völkerrechtlicher Positivierung4. b) Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG und „ Heimat" als Rechtsbegriff Nur unter gleichsam negativen Vorzeichen wird der Begriff der Heimat im Grundgesetz erwähnt: als Anknüpfungspunkt für das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, wonach niemand u.a. wegen seiner Heimat und Herkunft benachteiligt werden darf. Im entstehungsgeschichtlichen Kontext ist dieser spezielle Gleichheitssatz besonders auf die Heimatvertriebenen bezogen5. Mit dem Begriff der Heimat ist in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG die örtliche Herkunft eines Menschen nach Geburt oder Ansässigkeit im Sinne der emotionalen Beziehung zu einem geographisch begrenzten, den Einzelnen mitprägenden Raum (Ort, Landschaft) gemeint6. So jedenfalls definiert die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den ja zunächst unbestimmten Rechtsbegriff der Heimat, der - anders als Begriffe wie Staatszugehörigkeit, Gemeindezugehörigkeit oder Wohnsitz - nicht normgeprägt ist. Ein Heimatrecht als Begriff des Kommunalrechts kennt die deutsche Rechtsordnung nicht oder jedenfalls nicht mehr - anders als etwa das Schweizer Recht, wo das Heimatrecht in einer Gemeinde, das u.a. ein Recht auf Fürsorge bei Bedürftigkeit umfaßt und auch Voraussetzung für den Erwerb der Staatsbürgerschaft ist, als Rechtsbegriff definiert ist und nicht an den tatsächlichen Wohnsitz, die Heimat im allgemeinen Sprachgebrauch anknüpft. Man kann das Heimatrecht einer Gemeinde besitzen, ohne dort geboren und ohne dort jemals ansässig gewesen zu sein. Eine derartige rechtliche Anknüpfung ist für das Grundgesetz nicht möglich - der Begriff der Heimat ist hier nicht normativrezeptiv, sondern faktisch-deskriptiv geprägt. Eben diese Auslegungsbedürftigkeit des Begriffs der Heimat erschwert auch die Begriffsbestimmung für ein
3 4 5 6
Vgl. Schimpff/Partsch (Fn. 1), S. 48 zum Antrag von Seebohm. S. auch dazu Schimpff/Partsch (Fn. 1), S. 48. Vgl. Lerke Osterloh, in: Sachs, GG, 3. Aufl. 2003, Art. 3 Rdnr. 295. Vgl. zuletzt BVerfGE 102, S. 41 (53).
Das Recht auf die Heimat im deutschen Verfassungsrecht
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Recht auf Heimat, soll es sich hierbei um keinen bloßen Programmsatz, keinen mehr oder minder unverbindlichen Appell handeln. Als „freiwillig gewählter, identitätsstiftender, soziokultureller und gesicherter Zusammenhang"7 bietet der Begriff gleichwohl Ansätze für eine rechtliche Konkretisierung - die vorzunehmen jedoch für das Grundgesetz sich in der bisherigen Verfassungsentwicklung offensichtlich kein dringender Anlaß ergab. Ebensowenig praktisch bedeutsam geworden sind Ansätze, das Recht auf Freizügigkeit in Art. 11 GG, also das Recht, Aufenthalt und Wohnsitz im Geltungsbereich des Grundgesetzes frei zu wählen, um eine negative Schutzdimension im Sinn eines Rechts, zu bleiben, also nicht fortziehen zu müssen, zu erweitern8.
3. E M R K
Während Art. 2 Abs. 2 der Baden-Württembergischen Verfassung vom Recht auf Heimat als einem unveräußerlichen Menschenrecht spricht, findet sich in der EMRK eine vergleichbare Gewährleistung nicht - jedenfalls nicht explizit. Die EMRK enthält insbesondere auch keine besonderen Garantien für Minderheiten9. Doch hat der EGMR für die Lebensweise einer Minderheit die Gewährleistung des Rechts auf Privatheit in Art. 8 EMRK herangezogen und diese Bestimmung insbesondere gegenüber Umsiedlungen in Ansatz gebracht. Konkret ging es hierbei um die großflächigen Braunkohlentagebaue, die die Umsiedlung einer Ortschaft in ihrer Gesamtheit notwendig machte. Es handelte sich um die Ortschaft Horno im Siedlungsgebiet der sorbischen Minderheit des Landes Brandenburg 10, für die ein Recht auf Heimat geltend gemacht wurde11. Im Ergebnis hat freilich der EGMR hierdurch bedingte Eingriffe als gerechtfertigt gesehen. Auch unabhängig von einer spezifischen Minderheitenproblematik will der Gerichtshof Art. 8 EMRK gegenüber Umsiedlungen zur Geltung bringen, betont die Schwere der damit verbundenen Eingriffe 12, die tiefgreifende Veränderung, die es bedeutet, aus seiner gewohnten Umgebung, seinen gesamten gewohnten Lebensumständen herausgerissen zu werden13. 7
So zusammenfassend Baer (Fn. 1), S. 30. Näher Baer (Fn. 1), S. 30 ff., die eine dahingehend negative Freizügigkeit gegenüber Umsiedlungen wie im Fall Homo bejaht; für ein Bleiberecht auf der Grundlage des Art. 11 GG auch Merten (Fn. 1), Sp. 1254 f. 9 EGMR, E.v. 25. Mai 2000 -Noack u.a../. Deutschland, LKV 2001, S. 69. 10 S. hierzu auch Baer (Fn. 1); zu den damit zusammenhängenden Rechtsfragen s. Christoph Degenhart, Rechtsfragen der Braunkohlenplanung für Brandenburg, 1996. 11 Vgl Baer {Yn. 1), S. 28 f. 12 S. dazu im Blick auf Art. 11 GG Baer (Fn. 1), S. 31 f. 13 EGMR LKV 2001, S. 69 (71). 8
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Der Straßburger Gerichtshof entnimmt damit dem Recht auf Privatheit in Art. 8 EMRK durchaus Gewährleistungsgehalte, die ein Recht auf Heimat konstituieren, die Wertungskriterien sind vergleichbar gelagert. Die EMRK aber hat auch verfassungsrechtlich Gewicht. Auf Gewährleistungen der EMRK ist auch bei der Frage nach einem Recht auf Heimat im Verfassungsrecht zurückzugreifen. Die EMRK gilt an sich in der Bundesrepublik als Konventionsstaat nur im Rang eines einfachen Bundesgesetzes, erlangt tatsächlich aber zusehends weit darüber hinausgehende Bedeutung. Als maßgebliche Rezeptionsquelle für Gemeinschaftsgrundrechte, der bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts entscheidende Bedeutung beizulegen ist, fungiert sie als Verbindungsglied zwischen gemeinschaftsrechtlicher und mitgliedstaatlicher Verfassungssphäre nach beiden Richtungen hin14. Hierbei ist sie insbesondere der Auslegung auch des mitgliedstaatlichen Verfassungsrechts zugrunde zu legen.
I I . Recht auf Heimat in den Landesverfassungen Baden-Württemberg und Sachsen
1. Sächsische Verfassung: Recht auf die Heimat; Braunkohlentagebaue und sorbische Minderheit
Ein positives Recht auf Heimat enthält demgegenüber, wie erwähnt, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 der Sächsischen Verfassung. Die Bestimmung findet sich im Grundlagenabschnitt der Landesverfassung. Artikel 5 befaßt sich mit dem Volk des Freistaates Sachsen, dem, so die Definition in Abs. 1 Satz 1, „Bürger deutscher, sorbischer und anderer Volkszugehörigkeit angehören." Unmittelbar hieran schließt sich die erwähnte Gewährleistung des Rechts auf Heimat an genauer: des Rechts auf die Heimat; denn es geht nicht darum, irgendwo ein Recht auf Heimat zur Geltung zu bringen, es geht nicht um irgendeine Heimat, sondern um die angestammte Heimat. Entstehungsgeschichtlich ist die Verfassungsgarantie also im Zusammenhang mit der Gewährleistung des Status vor allem der Einwohner sorbischer Volkszugehörigkeit zu sehen15. Der Zusammenhang mit einem Schutz von Minderheiten wird auch im Anschluß daran in Art. 5 Abs. 2 SächsVerf hergestellt, wonach das Land das Recht nationaler und ethnischer Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit auf Bewahrung ihrer Identität 14
Näher Christoph Degenhart, Grundrechtsinhalte und Grundrechtswirkungen im deutschen und europäischen Recht, in: Teoria del Diritto e dello Stato, 2002, S. 162 (166). 15 So auch im entstehungsgeschichtlichen Zusammenhang Harald Baumann-Hasske, in: Kunzmann/Haas/Baumann-Hasske, Die Verfassung des Freistaates Sachsen, 2. Aufl. 1997, Art. 5 Rdnr. 5.
Das Recht auf die Heimat im deutschen Verfassungsrecht
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anerkennt, während nach Abs. 3 in textlicher Abstufung die Interessen ausländischer Minderheiten „geachtet" werden. Dies entspricht der Beschränkung eines Rechts auf Heimat auf autochthone Minderheiten16. Das Recht auf Heimat in der Sächsischen Verfassung hat im übrigen auch einen sehr konkreten entstehungsgeschichtlichen Hintergrund. Anlaß für seine Aufnahme in den Verfassungstext war nicht zuletzt die Politik der Braunkohlentagebaue der DDR, durch die die sorbischen Siedlungsgebiete in besonderer Weise betroffen und die auch mit der der DDR-Staatsgewalt eigenen Rücksichtslosigkeit durchgeführt wurde. Kein vergleichbares Recht auf Heimat enthält allerdings die sonst programmatisch so reichhaltige Brandenburgische Verfassung, wo sich die Problematik der Braunkohlentagebaue in ähnlicher Weise stellt. Doch hat das Brandenburgische Verfassungsgericht in seinem zweiten Horno-Urteil 17 dem Schutz des angestammten Siedlungsgebiets der sorbischen Minderheit nach Art. 25 Abs. 1 der Brandenburgischen Verfassung eine ähnliche Schutzwirkung beigelegt. Art. 25 Abs. 1 also der Brandenburgischen Landesverfassung gewährt der sorbischen Minderheit einen Anspruch auf Pflege ihrer Sprache und auf Pflege ihres angestandenen Siedlungsgebietes.
2. Baden-Württemberg: Recht auf Heimat als unveräußerliches Menschenrecht
Demgegenüber ist das Bekenntnis zum Recht auf Heimat als einem unveräußerlichen Menschenrecht in der Baden-Württembergischen Verfassung entstehungsgeschichtlich noch ganz unter dem Eindruck der Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg zu sehen. Der historische Verfassungsgeber hat ihm offensichtlich hohen Stellenwert beigelegt. Immerhin findet sich die Bestimmung an prominenter Stelle im Grundlagenteil der Verfassung und hier im unmittelbaren Anschluß an die zentrale Verfassungsnorm des Art. 2 Abs. 1 der Landesverfassung, der die Grundrechte des Grundgesetzes in die Landesverfassung inkorporiert. Dies könnte für einen subjektiv-rechtlichen Gehalt des Rechts auf Heimat nach Art. 2 Abs. 2 der Baden-Württembergischen Landesverfassung sprechen. Neben der völkerrechtlich abgeleiteten, außengerichteten Komponente der landesverfassungsrechtlichen Gewährleistung verdient ein weiterer Aspekt Aufmerksamkeit, der als eine Art frühe Vorläuferbestimmung zu aktuellen Staatszielen des Umweltschutzes gedeutet werden könnte. Das Recht auf Hei16
Dietrich Murswiek, Schutz der Minderheiten in Deutschland, in: HStR VIII, 1995, § 201 Rdm. 41,43 ff. 17 BbgVerfG LKV 1998, S. 395.
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mat sollte auch Wirkung entfalten zugunsten der „Heimat und ihrer Naturschönheiten." Hier deutet sich eine weitere inhaltliche Komponente an: neben dem Schutz vor Vertreibung aus der Heimat ein Recht auf Erhaltung der Heimat, ein Abwehrrecht also gegenüber Veränderungen, das neben das Recht auf Verbleib in der angestammten Heimat tritt. Jedenfalls dieser Aspekt einer Abwehr von Eingriffen in die Gestalt der geprägten Umgebung scheint mir hier ein rechtsdogmatisch weiterführender Ansatz zu sein. Er wurde jedoch in der Folge nicht weiter entwickelt, es wurden hieraus keine konkreten Folgerungen gezogen. 3. Normcharakter und Verbindlichkeitsgehalt
Das Recht auf Heimat stand also auch insoweit nicht im Zentrum der interpretatorischen Bemühungen um das Landesverfassungsrecht und war insbesondere nicht Gegenstand konkreter Verfassungskonflikte, die zu verfassungsdogmatischer Klärung und zur Verfassungsentwicklung hätten beitragen können, was insbesondere den Schutzgehalt der einschlägigen landesverfassungsrechtlichen Normen betrifft. Überhaupt stand das Landesverfassungsrecht lange Zeit nicht im Zentrum der Verfassungsrechtswissenschaft. In letzter Zeit scheint es eine gewisse Renaissance zu erleben, wenngleich gegenüber seiner eigenständigen Gestaltungskraft Skepsis angezeigt erscheint, zumal die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts derartig unitarisierend wirkt, daß hier eigene Entwicklungen auf landesverfassungsrechtlicher Ebene ohnehin nur sehr geringe Entfaltungschancen haben. Der Charakter eines eigenständigen Landesgrundrechts wird den in Frage stehenden Bestimmungen sowohl der Baden-Württembergischen wie der Sächsischen Verfassung abgesprochen - obschon jedenfalls für die baden-württembergische Gewährleistung Wortlaut und systematische Stellung dafür zu sprechen scheinen. Doch als Minderheitenrecht ist das Recht auf Heimat ein primär gruppenbezogenes Recht, auf das das Grundrechtssystem des Grundgesetzes nicht zugeschnitten ist. Für die entsprechende Garantie der Sächsischen Verfassung folgt demgegenüber schon aus ihrer systematischen Stellung, daß hier kein Grundrecht, sondern eine Staatszielbestimmung gewollt ist, ein Recht also, das nicht unmittelbar einklagbar ist, den Staat aber zu seiner Verwirklichung verpflichtet. Als derartige Staatszielbestimmung, wenn nicht nur als mehr oder weniger unverbindlicher Programmsatz, wird auch die Garantie in der badenwürttembergischen Landesverfassung der Sache nach aufgefaßt - u.a. mit der ebenso schlichten wie pragmatischen Begründung, als ein Grundrecht wäre das Recht nach seinem Inhalt, nach seinem Ziel und gemessen an den rechtlichen Möglichkeiten des Adressaten nicht zu verwirklichen. Der systematisch korrekte Platz der Norm wird in einer völkerrechtlichen Konvention gesehen, da die Norm sich nach außen richte; u.a. auch aus diesem Grund wurde von der Aufnahme eines Rechts auf Heimat in das Grundgesetz Abstand genommen.
Das Recht auf die Heimat im deutschen Verfassungsrecht
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m . Aktueller Rechtsgehalt 1. Staatszielbestimmungen in den Landesverfassungen
Wird also den Gewährleistungen eines Rechts auf Heimat in den Landesverfassungen von Sachsen und Baden-Württemberg keine grundrechtliche Qualität beigemessen, so kann andererseits aus diesem fehlenden Grundrechtscharakter eines Rechts auf Heimat nicht gefolgert werden, die Norm entfalte keinerlei Rechtswirkungen, habe keine Rechtsverbindlichkeit. In der Tat dürfen Staatszielbestimmungen dieser und anderer Art nicht durchweg als bloße Verfassungslyrik mißverstanden werden. Auch derartige Bestimmungen haben wir in frühen Landesverfassungen. Aber Staatszielbestimmungen verpflichten ihre Adressaten doch jeweils nach ihren Möglichkeiten und im Rahmen ihrer Befugnisse zur Verwirklichung des Rechts beizutragen. Es kommt ihnen auch Ausstrahlungswirkung auf die gesamte Rechtsordnung zu, wobei sich hier in der Sächsischen Verfassung ein Zusammenhang findet. Art. 6 Abs. 2 der Sächsischen Verfassung trägt diesem Recht auf Heimat, wie es im vorhergehenden Artikel speziell für Minderheiten, aber nicht nur für sie, konstituiert wird, dahingehend Rechnung, daß die spezifischen Siedlungsbedürfiiisse der Minderheit im Rahmen der Raumordnung und Landesplanung zu berücksichtigen sind. In diesem Zusammenhang können dann Staatsziele durchaus subjektive Rechte begründen, dergestalt, daß sie in Auslegung anderweitiger Normen etwa im Normenkontrollverfahren herangezogen werden. Das Brandenburgische Verfassungsgericht hat eben diese Wirkung in bezug auf den Schutz des angestandenen Siedlungsgebietes Sorben anerkannt18. Auch wenn ein Recht auf Heimat, wie es die Sächsische Verfassung als Staatsziel gewährleistet, in der Brandenburgischen Landesverfassung nicht ausdrücklich enthalten ist, wurden vergleichbare Schutzgehalte aus den Gewährleistungen des Schutzes der sorbischen Minderheit in der Landesverfassung abgeleitet.
2. Minderheitenrechte und relativer Bestandsschutz - dargestellt am Beispiel der Braunkohlentagebaue im sorbischen Siedlungsgebiet
Dies war also die Problemkonstellation in den Fällen des Braunkohlenabbaus, bei der wohl erstmals in der Verfassungsentwicklung der Bundesrepublik entsprechende Normgehalte wirklich streitbefangen waren und zu konkreten Verfassungskonflikten, jedenfalls innerstaatlichen Verfassungskonflikten ge-
1
BbgVerfGLKV 1998, S. 395.
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führt haben. Dies macht es nun allerdings erforderlich, sich über die Tatbestandsmerkmale der einschlägigen landesverfassungsrechtlichen Normen nähere Gewißheit zu schaffen. Was den Begriff der Heimat betrifft, so kann man ihn der eingangs erwähnten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG 19 entnehmen. Heimat wäre dann also zu definieren als örtliche Herkunft nach Geburt oder Ansässigkeit im Sinn der emotionalen Beziehung zu einem geographisch begrenzten, den Einzelnen prägenden Raum. Der Begriff ist damit im Prinzip nicht so verstaubt, wie er lange Zeit dargestellt wurde, bedenkt man zudem, daß gerade diese Entwicklungen sich teilweise auch treffen mit der Vorstellung von einem Europa der Regionen. In Kategorien des Rechts handelt es sich zunächst um ein Volksgruppenrecht, dürfte aber doch auch Rechte des Einzelnen benennen, da von unserer Vorstellung des subjektiven Rechts aus gesehen, Rechte, die einer Gruppe als solcher zustehen, regelmäßig auch Rechte des Einzelnen vermitteln. Adressat entsprechender Gewährleistungen aus den Landesverfassungen ist die staatliche Gewalt des jeweiligen Landes. Was nun die konkreten Folgerungen, die konkreten Schutzwirkungen, die aus dem Recht abzuleiten sind, betrifft, so dürfte, soweit Landesverfassungen das Recht auf die Heimat gewährleisten, es dort eingreifen, wo staatliche Maßnahmen dazu zwingen, die Heimat zu verlassen. Es ist dies eine Fallgestaltung, die im positiven Recht des Grundgesetzes der Bundesrepublik zum Glück nicht anzutreffen ist. Die Entwicklungslinie eines Recht auf Heimat als Abwehrrecht gegen Eingriffe in die uns umgebende, räumlich prägende Umwelt - und in diesem Sinn Heimat - ist, wie dargelegt, nicht weiter verfolgt worden, da derartige Eingriffe anderweitig abgewehrt werden. Im Verfassungskonflikt und im Braunkohlenabbau in Brandenburg ging es nun letztlich in der Sache um dieses Recht auf Heimat, um Schutzerhaltung und Pflege als angestandenen Siedlungsgebietes. Hier wurde in der Tat ein Bestandsschutz der angestandenen Heimat vom Gericht im Ansatz gegenüber Eingriffen dann bejaht, wenn diese diskriminierend gegen Minderheiten wirken. Absoluter Bestandsschutz wird nicht gewährleistet, sondern eben nur ein Abwehrrecht gegen diskriminierende Eingriffe. Hier ergibt sich die Verbindungslinie zum Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Daraus wird auch deutlich, daß im Rechtsschutzsystem des Grundgesetzes an sich umfassender negatorischer abwehrender Rechtsschutz gegen Maßnahmen, sei es administrativer, sei es legislativer Natur, besteht, die den Einzelnen dazu zwingen, seine angestammte Heimat aufzugeben, die jene tiefgreifende Eingriffe der Lebensumstände des Einzelnen mit sich bringen, wie sie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ja in bezug auf das Recht auf Privatheit angenommen hat20. 19 20
S.o. I.2.b). S.o. 1.3.
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Soweit nun derartige Eingriffe sich speziell etwa gegen bestimmte Volksgruppen richten, soweit sie diskriminierend wirken in bezug auf Herkunft und Heimat, so gewährt hier das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG in Verbindung etwa mit dem Recht auf Schutz der Persönlichkeitsrechte, auch dem Eigentumsgrundrecht insgesamt, hinreichenden Schutz, deckt die möglichen Eingriffe hinreichend ab. Damit sind Eingriffe wie in der Braunkohlenplanung also nur dort möglich, wo sie wie anderweitig auch durch überwiegende öffentliche Interessen gerechtfertigt sind. Eine derartige Rechtfertigung ist ja durchaus vorstellbar. Es gibt gewisse Vorhaben, die im öffentlichen Interesse dringend erforderlich, aber so unmittelbar standortgebunden sind, daß sie ohne Eingriffe in die genannten Rechte, ohne Umsiedlungsmaßnahmen nicht verwirklicht werden können. Hier aber gewährt die strikte Bindung an Grundsätze der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG einen Bestandsschutz, der an sich dann letztlich im Ergebnis doch auf ein derartiges Recht auf Heimat hinauslaufen würde. Andererseits zeigt Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG aber auch die immanente Begrenzung derartiger Rechte auf. Auch das hat hier das Brandenburgische Verfassungsgericht näher dargelegt. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG besagt, daß niemand benachteiligt, aber auch nicht bevorzugt werden darf. Hier legt das Gericht nun dar 21, daß eben von diesen Umsiedlungsmaßnahmen sowohl Siedlungsgebiet der besonders geschützten sorbischen Minderheit als auch andere Gemeinden, andere Bereiche unterschiedslos in einer Weise betroffen waren, so daß hier auch nicht für einzeln Betroffene Sonderrechte begründet werden könnten. Damit wird auch zum Ausdruck gebracht, worum es in der Sache geht. Es geht vor allem darum, daß diskriminierende Eingriffe abgewehrt werden. Es besteht kein absoluter Bestandsschutz, aber Bestandsschutz gegen diskriminierende Eingriffe.
3. Negative Freizügigkeit und Recht auf Heimat?
Dies läßt auch hier ein spezifisches Recht auf Heimat, auch etwa als negative Dimension des Freizügigkeitsrechts des Art. 11 GG, als verzichtbar erscheinen. Es wurde in der Tat in Ansatz gebracht im Zusammenhang mit dem Verfassungskonflikt um die Braunkohlentagebaue, wurde auch hier nicht weiter verfolgt und kam beispielsweise im Zusammenhang mit der Garzweiler-Problematik, wo genau die gleiche Problematik sich im Rheinland stellte, nicht zum Tragen. Vom Brandenburgischen Verfassungsgericht wird das Recht auf Freizügigkeit in diesem Zusammenhang nicht erwähnt, ebensowenig vom Sächsischen Verfassungsgerichtshof, der die gleiche Thematik zu entscheiden hatte22.
21 22
BbgVerfG LKV 1998, S. 395 (398 ff.). SächsVerfGH SächsVBl 2000, S. 239.
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4. Minderheitenschutz in der egalitären Demokratie
Damit ist auch das typische Spannungsverhältnis angesprochen zwischen einerseits der egalitären Demokratie des Grundgesetzes und andererseits besonderen Rechten einzelner Volksgruppen oder Minderheiten, ein Spannungsverhältnis, das in den Verfassungsordnungen auch der europäischen Staaten durchaus unterschiedlich gelöst ist. Verfassungsordnungen, die sich strikt zum Grundsatz der einen und unteilbaren Nation bekennen, haben naturgemäß Schwierigkeiten damit, einzelne Volksgruppe überhaupt als Minderheiten zur Kenntnis zu nehmen23. Auch deshalb bietet das innerstaatliche Recht für Minderheiten beim Recht auf Heimat relativen, gegen Diskriminierung gerichteten, aber keinen absoluten Bestandsschutz.
I V . Grundgesetz und Völkerrecht Nicht beantwortet ist damit allerdings die Frage des Rechts auf Heimat in seiner sehr wohl noch mehr interessierenden völkerrechtlichen Dimension24, die hier jedoch nicht aufzuzeigen sind. Sie hat auch Bedeutung für die Frage, inwieweit eine völkerrechtliche Gewährleistung sich möglicherweise auf das innerstaatliche Verfassungsrecht auswirken könnte. Hier könnte etwa gefragt werden, ob nach innerstaatlichem Verfassungsrecht Ansatzpunkte bestehen könnten, um Direktiven für staatliches Handeln zu begründen - einklagbare Verfassungsrechte allerdings sind sicher jenseits der Grenze des aktuell dogmatisch darstellbaren Entwicklungsstandes. Die Aufnahme eines Rechts auf Heimat in das Grundgesetz war ja seiner Zeit abgelehnt worden aus der Erwägung heraus, es handele sich hier in erster Linie um einen Rechtssatz völkerrechtlicher Natur, der also in völkerrechtliche Regelwerke aufgenommen werden müßte. Die Rechtsordnung des Grundgesetzes könnte mithin hierzu wenig beitragen. Aus entstehungsgeschichtlicher Sicht und auf der Grundlage der seinerzeitigen Verfassungsdogmatik etwa bei Staatszielen war dies folgerichtig. Nun hat sich in der Zwischenzeit die Bedeutung des Grundgesetzes als Direktive für die Gesetzgebung für staatliches Handeln intensiviert. Die Vorstellung hat sich durchgesetzt, daß das Grundgesetz Ausstrahlungswirkung auf die gesamte, auch die innerstaatliche Rechtsordnung hat. Entsprechende Bestimmungen im Grundgesetz würden nach heutiger Verfassungsdogmatik durchaus bindende Leitlinien bezeichnen. Ob allerdings aus den punktuellen Aussagen des Grundgesetzes, etwa aus dessen Freiheitsrechten des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, weitergreifende Direkti-
23 24
Vgl. Murswiek (Fn. 16), Rdnr. 39. S. hierzu etwa Tomuschat (Fn. 1).
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ven abgeleitet werden können, erscheintfraglich. Alles in allem würden die einschlägigen Grundrechte wohl doch überstrapaziert. Ein anderer denkbarer Ansatz wäre etwa eine Rezeption über anerkannte Grundsätze des Völkerrechts in Art. 26 GG. Ob sich hieraus Bindungen verfassungsrechtlicher Natur ergeben könnten, erscheint wiederum fraglich. Ein Recht auf Heimat ist in verschiedenen internationalen Abkommen durchaus enthalten25, hat auch jedenfalls in den letzten Jahrzehnten die Praxis etwa der Menschenrechte der UN bestimmt. Ob ein derartiges Recht einen allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts darstellen kann, oder ob es insgesamt in seiner Existenz und seiner Tragweite noch zu umstritten ist, um als solcher Grundsatz zu gelten, scheint mir jedoch nicht hinreichend geklärt, um ein derartiges Recht über die Schiene des Art. 26 GG, wonach die allgemein anerkannten Grundsätze des Völkerrechts auch Bestandteil der Rechtsordnung der Bundesrepublik sind, in eben diese Rechtsordnung Eingang fmden zu lassen.
V. Bilanz Damit wird man also zusammenfassend festhalten dürfen, daß das Recht auf Heimat, soweit es nicht unmittelbar punktuell in Landesverfassungen garantiert ist, kein expliziter Inhalt des Verfassungsrechts ist, aber in seinen Wirkungen über verschiedene punktuelle Ansätze der Verfassung an sich vollinhaltlich abgedeckt werden kann. Insgesamt erscheint damit die Bilanz des positiven Verfassungsrechts, was jedenfalls die Wirkungen eines Rechts auf Heimat betrifft, zufriedenstellend. Das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, verstärkt etwa durch die Erwägungen, wie sie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte angestellt hat, dürfte eine insgesamt hinreichende Absicherung auch dort bieten, wo das positive Verfassungsrecht keine explizite Garantie etwa von Minderheitenrechten enthält. Ansätze dazu, seine außengerichtete Dimension in innerstaatliche Wirksamkeit zu transformieren, sind demgegenüber nicht in tragfähiger Weise darstellbar.
Zusammenfassung Im positiven deutschen Verfassungsrecht wird ein „Recht auf Heimat" ausdrücklich nur in der Verfassung des Landes Baden-Württemberg aus dem Jahr 1953 und in der Verfassung des Freistaats Sachsen aus dem Jahr 1993 erwähnt, nicht aber im Grundgesetz. Auch die EMRK enthält keine entsprechende Gewährleistung, doch sah der EGMR in bergbaubedingten Umsiedlungsmaßnah-
25
Vgl. Tomuschat (Fn. 1).
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Christoph Degenhart
men einen - im Ergebnis gerechtfertigten - Eingriff in das Recht auf Privatheit aus Art. 8 EMRK. Einen spezifischen Minderheitenschutz gewährt die Staatszielbestimmung der Sächsischen Verfassung. Das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, verstärkt etwa durch die Erwägungen, wie sie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte angestellt hat, bietet eine insgesamt hinreichende Absicherung durch relativen, nicht aber absoluten Bestandsschutz auch dort, wo das positive Verfassungsrecht keine explizite Garantie etwa von Minderheitenrechten enthält.
Abstract
Christoph Degenhart: The Right to One's Homeland and Constitutional Law, in: Das Recht auf die Heimat. Ed. by Gilbert H. Gornig and Dietrich Murswiek (Berlin 2005), pp. 65-76. In positive German constitutional law, a right to one's homeland (Recht auf die Heimat) is mentioned explicitly only in the Constitutions of Baden Württemberg (1953) and of the Free State of Saxony (1993), but not in the federal Grundgesetz. Neither does the European Convention on Human Rights provide a warranty to that effect. But the European Court of Human Rights found that forced removals necessitated by mining constitute an encroachment upon the right to respect for private and family life as stated in Article 8 of the Convention, an encroachment which was justified in that case. One of the objectives defined expressis verbis in the Saxonian Constitution is the protection of minorities. Reinforced by the ideas pronounced by the European Court of Human Rights, for example, the prohibition of discrimination (Grundgesetz , Art. 3 para. 3 clause 1), affords altogether sufficient - relative (but not absolute) - minority protection even where positive German constitutional law does not explicitly guarantee minority rights.
Die normative Ausgestaltung des Rechts auf die Heimat in der deutschen Gesetzgebung Von Michael Silagi
I. Einführung Im folgenden geht es unter II. zunächst darum, inwieweit das Recht der Heimatvertriebenen auf Rückkehr in ihre angestammte Heimat, wie es bereits in Art. 116 Abs. 1 GG angelegt ist, Niederschlag in bundesdeutschen Gesetzen gefunden hat. Dabei wird auf die Präambel zum Lastenausgleichsgesetz und § 25 StARegG hingewiesen und insbesondere die Entwicklung nachgezeichnet, die bei der Ausarbeitung des Bundesvertriebenengesetzes zur Reduzierung auf den kulturellen Aspekt des Rechts auf die angestammte Heimat in § 96 BVFG führte. Im anschließenden Teil III. wird dann dieser § 96 BVFG näher beleuchtet. Teil IV. widmet sich erstmals der Frage, ob sich aus dem in § 96 BVFG angelegten Recht der Heimatvertriebenen auf Wahrung ihrer kulturellen Identität ein Verbot der Auslieferung ostdeutscher Archivalien aus der Zeit bis 1945 an Polen ergibt und ob das Verhalten der bundesdeutschen Stellen anläßlich der umstrittenen Auslieferung der ostdeutschen katholischen Kirchenbücher an Polen im Jahr 2002 mit dem gesetzlichen Auftrag an Bund und Länder zur Wahrung der auf die Vertriebenen bezogenen Archivbestände vereinbar ist - es wird sich zeigen, daß dies nicht der Fall war und daß in Einklang mit den völkerrechtlichen Grundsätzen der Archivzuordnung bei Vertreibung der angestammten Bevölkerung, wie sie von der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen entwickelt wurden, die aus den Ostprovinzen Preußens vor 1945 in den Westen geretteten Archivbestände, einschließlich der Kirchenbücher, weiterhin in Deutschland aufzubewahren wären.
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Michael Silagi
I I . Der normative Niederschlag des Heimatrechts 1. Lastenausgleichsgesetz und Vertriebenengesetz
Das Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge trat am 5. Juni 1953 in Kraft 1. In diesem Gesetz fehlt zwar ein ausdrücklicher Hinweis auf das subjektive Recht der Vertriebenen und Flüchtlinge auf ihre angestammte Heimat bzw. auf Rückkehr dorthin, aber bereits im Jahr 1952, also vor der Verabschiedung des Bundesvertriebenengesetzes, beschloß der Deutsche Bundestag das Gesetz über den Lastenausgleich2, dem folgende Erklärung vorangestellt war: „In Anerkennung des Anspruchs der durch den Krieg und seine Folgen besonders betroffenen Bevölkerungsteile auf einen die Grundsätze der sozialen Gerechtigkeit und die volkswirtschaftlichen Möglichkeiten berücksichtigenden Ausgleich von Lasten und auf die zur Eingliederung der Geschädigten notwendige Hilfe sowie unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß die Gewährung und Annahme von Leistungen keinen Verzicht auf die Geltendmachung von Ansprüchen auf Rückgabe des von den Vertriebenen zurückgelassenen Vermögens bedeutet, hat der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates das nachstehende Gesetz beschlossen: [...]".
Beachtung verdient sowohl der Inhalt als auch die gewählte Form eines Vorspruchs, d.h. einer Präambel. Beim Lastenausgleichsgesetz handelte es sich, so Siedentopf und Huber in einem 1988 erschienenen Sammelband zum Phänomen des Gesetzesvorspruchs in der westlichen Welt, um einen der „wenigen, seltenen Fälle in den 50er und 60er Jahren"3, in denen in Deutschland ein einfaches Gesetz mit einer Präambel versehen worden war. Von der Präambel zum Grundgesetz abgesehen wird in dem zitierten Beitrag von Siedentopf/Huber kein weiteres bundesdeutsches Beispiel für einen Gesetzesvorspruch angeführt 4. Die eingangs zitierte begleitende Bemerkung zum Lastenausgleichsgesetz wurde übrigens im Jahr 1969 mit Wirkung vom 1. Juni 1970 noch ergänzt. Der Gesetzesbeschluß des Bundestags steht demnach seither unter dem eben zitierten „und unter dem weiteren ausdrücklichen Vorbehalt, daß die Gewährung und Annahme von Leistungen für Schäden im Sinne des Beweissicherungs- und Feststellungs-
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Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz - BVFG) vom 19. Mai 1953, BGBl. I, S. 201. 2 Gesetz über den Lastenausgleich (Lastenausgleichsgesetz - LAG) vom 14. August 1952, BGBl. I, S. 446. 3 Heinrich Siedentopf/Norbert Huber, Präambeln, Vorsprüche und Zweckbestimmungen in den Rechtsordnungen der westlichen Welt, in: Hermann Hill (Hrsg.), Gesetzesvorspruch (1988), S. 37 (46). 4 Ein anderes Beispiel wäre der Vorspruch zum Zweiten Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 17. Mai 1956 (BGBl. I, S. 431).
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gesetzes weder die Vermögensrechte des Geschädigten berühren noch einen Verzicht der unbeschränkten Vermögensrechte oder auf Ersatzleistungen enthalten"5. Eine Präambel mit deutlichem Hinweis auf das Heimatrecht der Vertriebenen sollte ursprünglich auch dem Vertriebenengesetz vorangestellt werden. So enthielt der am 26. November 1951 von der Bundesregierung dem Bundestag übersandte „Entwurf eines Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz)" 6 eine Vorbemerkung, die in der vom Bundesrat geringfügig modifizierten Fassung7 folgendermaßen lautete: „Im Zuge der Massenvertreibungen Deutscher aus ihrer seit Jahrhunderten angestammten Heimat und der Verdrängung freiheitlich gesinnter Deutscher aus den sowjetisch besetzten Gebieten Deutschlands mußten in den Ländern der Bundesrepublik und im Lande Berlin über 9 Millionen Vertriebene Zuflucht nehmen. Um einheitliche und wirksame Voraussetzungen für die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge in das politische, wirtschaftliche und soziale Leben der neuen Umgebung zu schaffen, hat der Bundestag unbeschadet des unverlierbaren Anspruchs8 der Heimatvertriebenen auf Rückkehr in die Heimat und auf den dort zurückgelassenen Besitz mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen: [...]". Nach der Beratung des Gesetzentwurfes schlug jedoch der Ausschuß für Heimatvertriebene am 1. Dezember 1952 eine Fassimg zur Abstimmung vor, in der die zunächst vorgesehene Präambel fehlte 9. Das Gesetz wurde am 19. Mai 1953 ohne Vorspruch verabschiedet. Auch die zitierte Präambel des Lastenausgleichsgesetzes scheint nach der Wende von 1989/1990 ihre Bedeutung verloren zu haben. Die Behandlung der SBZ-Bodenreform durch das im Einigungsvertrag 10 rezipierte DDR-Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen 11 steht jedenfalls in krassem Widerspruch zu dem im Jahr 1969 in den Vorspruch des Lastenausgleichsgesetzes eingefügten Vorbehalt betreffend Leistungen nach dem Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz12 - das letzte Wort hierüber ist im Frühjahr 2004 noch nicht ge-
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BGBl. 19691, S. 1232. Entwurf eines Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz) vom 12. Oktober 1951, BT-Drs. 1/2872, S. 5. 7 Ebenda, S.41. 8 In der von der Bundesregierung ursprünglich vorgelegten Fassung hatte es hier noch geheißen: „unter ausdrücklicher Anerkennung des unverlierbaren Anspruchs [...]". 9 BT-Drs. 1/3902, S. 19 ff. 10 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag vom 31. August 1990, BGBl. II, S. 889. 11 Vgl. EinigungsV Anl. II Kap. III Sachgeb. B Abschn. 1 Nr. 5 (eingefügt aufgrund der Vereinbarung vom 18. September 1990, BGBl. II, S. 1239); siehe dazu Michael Silagi, Die Unwirksamkeit der Festschreibung besatzungshoheitlicher Konfiskationen durch das Vermögensgesetz, in: IFLA Informationsdienst 42 (1993), S. 1 ff. 12 BGBl. 19691, S. 681. 6
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sprochen, entsprechende Verfahren sind noch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anhängig. So verwundert es nicht, daß die ganze Präambel - also auch der ursprüngliche, auf die Vertriebenen und das von ihnen zurückgelassene Vermögen bezogene Vorbehalt - bei der Neuverkündung des Lastenausgleichsgesetzes im Jahr 1993 gleichsam in Vergessenheit geraten zu sein schien, wurde sie doch im Bundesgesetzblatt schlichtweg unterschlagen13. Im Jahr 1995, zwei Jahre nach der Neuverkündung, sahen sich die Herausgeber des amtlichen Verlautbarungsblattes zu einer peinlichen Richtigstellung veranlaßt und holten die Präambel aus der Versenkung, indem sie deren Veröffentlichung nachholten und erklärten, sie sei dem Gesetzestext voranzustellen14. Inhaltlich hat also der Vorspruch zum Lastenausgleichsgesetz auch nach der Wende von 1989/90 nichts an seiner Rechtskraft eingebüßt. Der Lastenausgleich hat keinen Verzicht auf die Geltendmachung etwaiger Ansprüche auf Rückgabe „zurückgelassenen"15 Vermögens bedeutet. Auch die Festlegung der deutschen Grenzen im Jahr 1990 durch den Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland16 und den Grenzbestätigungsvertrag mit Polen17 sowie der deutsch-tschechoslowakische Nachbarschaftsvertrag 18 hatten nicht zur Folge, daß die einzelnen Vertriebenen ihre in der Präambel zum Lastenausgleichsgesetz festgehaltenen Ansprüche verloren hätten oder daß damit eine Verschlechterung der Vermögensposition eingetreten wäre. Dies hat auch der Kammerbeschluß des Zweiten Se13
Bekanntmachung des Lastenausgleichsgesetzes in der Fassung vom 2. Juni 1993, BGBl. I, S. 845. 14 Berichtigung der Neufassung des Lastenausgleichsgesetzes vom 14. Februar 1995, BGBl. I, S. 248, Nr. 1. Diese Berichtigung erfolgte allerdings erst aufgrund der verdienstvollen Intervention des am 29. Januar 2004 allzufrüh verstorbenen Vorsitzenden der Kulturstiftung, des Rechtsanwalts und Notars Dr. Reinold Schleifenbaum. 15 So die Formulierung von Abs. 2 der Präambel, die Hermann Raschhofer im Jahr 1956 folgendermaßen kommentierte: „Wir merken an, daß mit der Verwendung des Begriffes »zurückgelassenes Vermögen' eine bestimmte Rechtsauffassung verbunden ist. Es soll sich nicht um aufgegebenes, sondern an Ort und Stelle belassenes Vermögen handeln. Nach LAG ist das Rechtsband zwischen dem Vertriebenen und seinem zurückgelassenen Vermögen nicht zerschnitten, sondern besteht weiter. Das LAG bedeutet daher die Negation der These vom Verfall des Vertriebenenvermögens als ,Kriegsbeute\" Hermann Raschhofer, Die Vermögenskonfiskationen der Ostblockstaaten (1956), S. 19, Anm. 26; Hervorhebung im Original). 16 Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland (Zwei-plusVier-Vertrag) vom 12. September 1990, BGBl. II, S. 1318. 17 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen vom 14. November 1990 über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze, BGBl. 1991 II, S. 1328; vgl. die Entschließung des Deutschen Bundestags dazu vom 3. September 1991, BT-Drs. 12/1107. 18 Deutsch-Tschechoslowakischer Vertrag vom 27. Februar 1992 über gute Nachbarschaft undfreundschaftliche Zusammenarbeit, BGBl. 1992 II, S. 462; vgl. die Bundestagsentschließung hierzu vom 19. Mai 1992, BT-Drs. 12/2624.
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nats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Juni 1992 bestätigt, der von der Irrelevanz des deutsch-polnischen Vertragswerks für die rechtliche Bewertung der polnischen Enteignungen im Rahmen der Vertreibung ausgeht19. Die Tatsache, daß auch nach der Bereinigung des Lastenausgleichsgesetzes durch den Gesetzgeber des wiedervereinigten Deutschlands im Rahmen des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes20 dessen Präambel unverändert fortgalt, bestätigt dies.
2. § 25 StARegG als „Magna Charta" der Vertriebenen
a) Die Vorschrift
des § 25 StARegG
Während das Lastenausgleichsgesetz im Vorspruch eine Rechtsverwahrung hinsichtlich in der Heimat zurückgelassener Vermögenswerte enthielt, fehlte, wie gesagt, im Bundesvertriebenengesetz ein ausdrücklicher Hinweis auf das Heimatrecht. Die Eingliederung der Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland erfolgte aber trotzdem bloß „unter dem Vorbehalt ihrer Rückkehr in die verlorene Heimat"21, ja sie war geradezu als „Voraussetzung der Rückkehr" 22 gedacht, auch wenn nur einige Vorschriften des Bundesvertriebenengesetzes solches implizierten. Neben den Bestimmungen über die Vererbung des Vertriebenenstatus (§ 7 BVFG a.F.) gilt dies im besonderen für den Gesetzesauftrag zur Pflege des Kulturgutes des Vertreibungsgebietes (§ 96 BVFG) 23 , von dem in den folgenden Abschnitten näher zu handeln sein wird. Daß der Aufenthalt der heimatvertriebenen Volksdeutschen im Geltungsbereich des Grundgesetzes zunächst als vorläufig konzipiert war, folgt bereits aus Art. 116 Abs. 1 GG24: Soweit die Aufnahme von Heimatvertriebenen in der späteren Bundesrepublik, d.h. in den Westzonen, erfolgte, ging der Grundgesetzgeber 1949 davon aus, daß ihr staatsangehörigkeitsrechtlicher Status unge19 Kammerbeschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Juni 1992, NJW 1992, S. 3222 ff.; zur Irrelevanz der Ostverträge von 1970/73 für die Vermögensansprüche der Heimatvertriebenen vgl. Erich Hesse, Erläuterungen zum Gesetz über den Lastenausgleich, in: Das Deutsche Bundesrecht VII C 10 (Stand: 1988), S. 147 (154). 20 Siehe Art. 2 des Gesetzes zur Bereinigung von Kriegsfolgengesetzen vom 21. Dezember 1992 (KfbG), BGBl. I, S. 2094. 21 Heinrich Rogge, Vertreibung und Eingliederung im Spiegel des Rechts, in: Eugen Lemberg/Friedrich Edding (Hrsg.), Die Vertriebenen in Westdeutschland Bd. I (1959), S. 174 (233). 22 Theodor Oberländer, Zum Geleit, ebenda, S. V (VI). 23 Vgl. Rogge,, (Fn. 21), S. 233, mit Fn. 77. 24 Es geht in Art. 116 Abs. 1, 2. Alt. GG nur um die Umschreibung des Status der heimatvertriebenen Volksdeutschen, nicht um Reichsdeutsche, die aus ihrer angestammten Heimat vertrieben wurden, waren diese doch ohnehin deutsche Staatsangehörige.
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regelt war. Sie wurden im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG „Deutsche im Sinne des Grundgesetzes" ohne deutsche Staatsangehörigkeit25. Erst 1955 wurde diesem Personenkreis durch den Zweiten Teil des (Ersten) Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit ein weitgehender (lediglich unter dem Vorbehalt einer Sicherheitsklausel stehender) Einbürgerungsanspruch eingeräumt. Noch später erfolgte die Außerstreitsteilung der kollisions- und privatrechtlichen Gleichbehandlung der Statusdeutschen mit Staatsangehörigen26. Die im Bundesvertriebenengesetz nach Streichung der zitierten Präambel aus dem Gesetzentwurf unterbliebene explizite Festschreibung des Heimatrechts erfolgte dann im Jahr 1955 im Zusammenhang mit einer Schlußbestimmung des erwähnten (Ersten) Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit27. Hier war das Heimatrecht der Vertriebenen rechtsförmig festgehalten. Dieses Gesetz räumte den Heimatvertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit, die in Deutschland in den Grenzen von 1937 Aufnahme gefunden hatten und die gemäß Art. 116 Abs. 1 GG Deutsche im Sinne des Grundgesetzes geworden waren, das Recht ein, die deutsche Staatsangehörigkeit durch Abgabe einer entsprechenden Erklärung zu erwerben. Zu diesem Erklärungserwerb der Staatsangehörigkeit heißt es in § 25 StARegG: „Das Heimatrecht der Vertriebenen und die sich aus ihm künftig ergebenden Regelungen ihrer Staatsangehörigkeit werden durch die auf Grund dieses Gesetzes abgegebenen Erklärungen nicht berührt."
Nun wird § 25 StARegG in der Kommentarliteratur als eher politische Vorschrift qualifiziert, die nur „in losem Zusammenhang"28 mit dem übrigen Gesetz stehe und die für irgendwelche Fragen des Erwerbs und Verlusts der deutschen
25 Hingegen gab es in der SBZ/DDR keine Normierung der staatsangehörigkeitsrechtlichen Verhältnisse von Volksdeutschen Heimatvertriebenen. Soweit es sie in die SBZ verschlagen hatte, wurden sie, wenn auch bloß durch ausweisrechtliche Regelungen, im anderen deutschen Staat nicht nur wie, sondern als DDR-Deutsche behandelt. Vgl. Alexander MaJcarov/Hans v. Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl. (Stand: 1997=StAngR-Komm), § 2 StBG, Rn. 8, und - aus der Sicht der ehemaligen DDR - Gerhard Riege, Die Staatsbürgerschaft der DDR, 2. Aufl. (1986), S. 165 ff. 26 § 9 II Nr. 5 Familienrechtsänderungsgesetz vom 11. August 1961, BGBl. I, S. 1221; Gesetz über den ehelichen Güterstand von Vertriebenen und Flüchtlingen vom 4. August 1969, BGBl. I, S. 1067. 27 Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 22. Februar 1955, BGBl. I, S. 65; seit Verkündung des Zweiten Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 17. Mai 1956 (BGBl. I, S. 431) wird das Gesetz vom 22. Februar 1955 in der Regel als Erstes Staatsangehörigkeitsregelungsgesetz (1. StARegG) bezeichnet. 28 Alexander N. Makarov/Hans v. Mangoldt , (Fn. 25), § 25 StARegG, Rn. 3.
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Staatsangehörigkeit nach diesem Gesetz „keine Bedeutung" hätte29. Diese Geringschätzung des Stellenwerts von § 25 StARegG ist schwer nachvollziehbar. Schon bei der abschließenden Beratung des Gesetzes im Deutschen Bundestag am 21. Oktober 1954 stellte der SPD-Abgeordnete Hermann Schmitt aus Vockenhausen30 zum späteren § 25 StARegG fest, in der wiedergegebenen Vorschrift sei „gewissermaßen eine Magna Charta der Vertriebenen", „das unveränderliche Grundrecht der Heimatvertriebenen auf ihre Heimat"31 niedergelegt, woran auch die wenig prominente Stellung der Vorschrift nichts ändere: „Diese Bestimmung ist in die Übergangs- und Schlußbestimmungen hineingerückt. Das ist lediglich ein Technikum im Gesetz und soll nicht bedeuten - das möchte ich von dieser Stelle noch einmal ausdrücklich erklären - , daß wir dieses Grundrecht in den Übergangs- und Schlußbestimmungen sehen wollen. Es ist vielmehr gewissermaßen die Präambel des ganzen Gesetzes."32 Man darf wohl in § 25 StARegG zugleich den nachgeschobenen, obschon auf ein Minimum verkürzten Vorspruch zum Bundesvertriebenengesetz sehen. b) Zum Stellenwert des Vorbehalts Die konkrete Bedeutung des § 25 StARegG liegt darin, daß hier der Erklärungserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Heimatvertriebene als bloß vorläufig qualifiziert und damit sozusagen relativiert wird. Dazu sei Herbert Czaja zitiert, der bei der Beratung des Gesetzes im Bundestag zu dem auf seine Veranlassung hin vom Bundestagsausschuß für Heimatvertriebene einstimmig vorgeschlagenen § 25 StARegG33 ausgeführt hat: „Dieser Paragraph stellt eindeutig fest, daß dieses Gesetz nicht etwa einen stillen Verzicht auf das Heimatrecht und nicht ein Sichabfinden mit einer völkerrechtswidrigen
29 Ebenda. Besonders drastisch ist die Wertung von § 25 StARegG als eine „Vorschrift ausschließlich politischer Natur", die „keinerlei rechtliche Bedeutung für die im StAngR entscheidungserheblichen Fragen" habe, bei Reinhard Marx, Kommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht (1997), S. 528. Vgl. auch Matthias Lichter/Werner Hoffmann, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl. (1966), S. 315; Hansjörg Jellinek, Erläuterungen zum Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit, in: Das Deutsche Bundesrecht I D 21 (Stand: 1982), S. 5 (22). 30 Der im Jahr 1923 in Westdeutschland geborene Jurist, führender SPDInnenpolitiker und nachmals langjähriger Vorsitzender des Bundestagsinnenausschusses (1961-69) und Vizepräsident des Deutschen Bundestags von 1969 bis zu seinem Tod im August 1979, änderte später (1960) seinen Namen offiziell in Hermann SchmittVockenhausen. 31 BT-Prot., 2. WP, Bd. 21/2552 B (zu § 22a des Gesetzentwurfs, dem späteren §25). 32 Ebenda, 2552 C. 33 § 22a des Gesetzentwurfes, vgl. ebenda, 2553 B.
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Ausbürgerung bedeutet. Der deutsche Gesetzgeber kann zwar nicht [...] die doppelte Staatsangehörigkeit von sich aus feststellen, weil es ihm nicht möglich ist, die Staatsangehörigkeit eines anderen Landes zu konstatieren, und weil er es dem Völkerrecht und den Verträgen überläßt, die Vertreibung für rechtswidrig zu erklären [...]. Aber der deutsche Gesetzgeber wird sich hüten, durch eine Entscheidung über die Beseitigung des staatsbürgerlichen Notstands der Vertriebenen deren Heimatrecht zu schmälern oder zu gefährden." 34
Diese - man ist versucht zu sagen: authentische - Auslegung des § 25 StARegG durch Czaja widerlegt die erwähnte Minimierung der Bedeutung dieser Vorschrift im Schrifttum. Diejenigen Heimatvertriebenen, die als deutsche Volkszugehörige ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Deutschland Aufnahme gefunden hatten, konnten vielmehr auch nach einem Erklärungserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne vom § 25 StARegG nicht uneingeschränkt als Teil des deutschen Staatsvolkes angesehen werden35. Durch die uneingeschränkte Hereinnahme der Volksdeutschen Vertriebenen in die Staatsangehörigkeit wäre in der Tat die Zugehörigkeit zur alten Heimat und das Rückkehrrecht beeinträchtigt worden. Schon Hermann v. Mangoldt hat daher treffend zur Gruppe der Statusdeutschen in Art. 116 Abs. 1 GG bemerkt: „Über die Staatsangehörigkeit der ihr angehörenden Personen kann [...] erst im Zusammenhang mit einem Friedensvertrag generell entschieden werden."36 Ähnliche Probleme in Zusammenhang mit der 1955 ermöglichten Einbürgerung der Vertriebenen erkannte daher auch Schätzel in seiner Kommentierung zu § 25 StARegG37. Die Lösung der widersprechenden Interessen sah er durch die „Als-ob-Behandlung" im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG besser gelöst: Die Flüchtlinge waren nicht in die deutsche Staatsangehörigkeit aufgenommen worden, behielten ihren heimatlichen Status und sollten nur, solange sie in Deutschland waren, so behandelt werden, als ob sie deutsche Staatsangehörige wären. Sie waren also nur bevorzugte Gäste. Ihr alter Heimatstaat konnte ihnen nicht vorwerfen, daß sie sich um einefremde Staatsangehörigkeit bemüht und durch deren Erwerb die Heimatstaatsangehörigkeit verloren hätten. Die Antragseinbürgerung, welche das (Erste) Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vorsah, war für Schätzel aus folgendem Grund prekär: Nicht nur könnten die meisten Flüchtlinge, die ihre alte Heimatstaatsangehörigkeit noch besitzen, diese mit dem Antragserwerb der deutschen Staatsangehö34
Ebenda, 2553 B/C. So aber weitestgehend das Schrifttum und die Rechtsprechung. Vgl. etwa Makarov/v. Mangoldt , (Fn. 25), Art. 116 Rn. 14, der sich zu der Feststellung steigert, der Statusdeutsche sei „Mitglied des deutschen Staatsvolkes und auch Mitglied der deutschen Staatsnation als der Trägerin des Selbstbestimmungsrechts des deutschen Volkes". 36 Hermann v. Mangoldt , Das Bonner Grundgesetz (1953), S. 610. 37 Walter Schätzel, Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht, 2. Aufl. (1958), S. 314. 35
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rigkeit verlieren. Überdies wären „auch die Zwangsausbürgerungen in den östlichen Ländern [...] dadurch bis zu einem gewissen Grade legitimiert. Das rechtliche Band zur alten Heimat wird damit schwächer, der juristische Rückkehranspruch gefährdet." 38 Allerdings scheint die noch von Schätzel deutlich gesehene Problematik des Verhältnisses der Staatsangehörigkeit zum Heimatrecht der Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland alsbald ganz in Vergessenheit geraten zu sein; dies belegt besonders die uneingeschränkte Einbeziehung der statusdeutschen Heimatvertriebenen in das deutsche Staatsvolk durch das Bundesverfassungsgericht im Jahr 199039. c) Zur Bedeutung von § 25 StARegG nach der Wende von 1989/90 In Anbetracht der weitgehend bejahten Völkerrechtswidrigkeit der massenhaften Zwangsausbürgerungen40 bleibt aber auch nach Inkrafttreten des Vertrags vom 12. September 1990 über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland und dem wachsenden Unverständnis für § 25 StARegG als Korrolar zur, wenn auch gelockerten, Zugehörigkeit der vertriebenen Volksdeutschen zum jeweiligen Staatsvolk in ihren alten Siedlungsgebieten das unveräußerliche Recht auf die angestammte Heimat bestehen. Das „Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts" vom 15. Juli 1999 (StARG41) hat zwar mit Wirkung vom 1. August 1999 für Spätaussiedler die Einbürgerung unter dem Vorbehalt des § 25 StARegG abgeschafft, aber im übrigen das Staatsangehörigkeitsregelungsgesetz unberührt gelassen. Das gilt insbesondere auch für § 25 StARegG. Hinsichtlich der großen Zahl der vor dem 1. August 1999 auf der Grundlage des Staatsangehörigkeitsregelungsgesetzes eingebürgerten Volksdeutschen behält § 25 StARegG auch in Zukunft seine Bedeutung. Nur konzentriert sich nach der abschließenden Regelung vom 12. September 1990 die Bedeutung dieser Vorschrift auf die materielle Absi-
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Ebenda. In BVerfGE 83, 37 (Urteil vom 31. Oktober 1990) heißt es in Leitsatz 3 a): „Das Staatsvolk, von dem die Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, wird nach dem Grundgesetz von den Deutschen, also den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen nach Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellten Personen, gebildet." Ebenso schon BVerwGE 8, 340 (342). 40 Vgl. Alexander N. Makarov, Allgemeine Lehren des Staatsangehörigkeitsrechts, 2. Aufl. (1962), S. 75. 41 BGBl. I, S. 1618; zu den für Vertriebene und Spätaussiedler relevanten Neuerungen vgl. Michael Silagi, Der Status der Vertriebenen und Spätaussiedler nach § 7 StAG und § 40a StAG, ZAR 20 (2000), S. 3 ff. 39
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cherung der Darstellung und Bewahrung der kulturellen Besonderheiten der Vertriebenen nach Maßgabe von § 96 BVFG 42 .
H I . § 96 BVFG und der Förderanspruch der Vertriebenen
1. Zur Aktualität der Fragestellung
Der bereits erwähnte mit „Pflege des Kulturgutes der Vertriebenen und Flüchtlinge und Förderung der wissenschaftlichen Forschimg" überschriebene § 96 BVFG lautet folgendermaßen: „Bund und Länder haben entsprechend ihrer durch das Grundgesetz gegebenen Zuständigkeit das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewußtsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten, Archive, Museen und Bibliotheken zu sichern, zu ergänzen und auszuwerten sowie Einrichtungen des Kunstschaffens und der Ausbildung sicherzustellen und zufördern. Sie haben Wissenschaft und Forschung bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus der Vertreibung und der Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge ergeben, zu fördern. Die Bundesregierung berichtet jährlich über das von ihr Veranlaßte."
Dieser § 96 BVFG ist, wie gesagt, Ausdruck des rechtlich anerkannten Heimatrechts der Vertriebenen. Im Vollzug des § 96 BVFG setzte mit dem Machtwechsel im Bund von 1998 eine Neukonzipierung der Förderung durch den Bund ein43. Die bisher umgesetzten Pläne liefen im Ergebnis auf einen weitgehenden Abbau der materiellen Unterstützung derjenigen Institutionen hinaus, die nicht nur seit mehr als fünf Jahrzehnten das geistige Erbe der Deutschen aus dem Osten und Südosten pflegen, sondern - insbesondere seit der Wende von 1989/90 - zunehmend auchfreundschaftliche Bindungen zu den alten Heimatländern und Kontakte zu den in den Vertreibungsgebieten verbliebenen deutschen Minderheiten knüpfen 44. So stellte beispielsweise der Bund die institutionelle Förderung der beiden überregionalen Einrichtungen „Stiftung Ostdeutscher Kulturrat" und „Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen" zum 30. Juni 2000 vollständig ein45; generell ist eine Reorganisation nach „Regionen" vorge42 Vgl. dazu auch Hartmut Singbartl, 50 Jahre Bundesvertriebenengesetz, in: IFLA Informationsdienst 52 (2003), S. 85 (89). 43 Vgl. Walter Stratmann , Naumanns Kulturkonzept zu den Vertriebenen der Presse vorgestellt, DOD 41 (1999), Nr. 30 vom 30. Juli 1999, S. 1 f.; Neukonzeption der Förderung nach § 96 BVFG, BullBReg vom 20. September 2000. 44 Vgl. etwa Christof Dahm u.a., Aktualität und Perspektiven wissenschaftlicher Forschung im Rahmen des § 96 BVFG=Forum für Kultur und Politik, Heft 26 (1999); Göttinger Arbeitskreis (Hg.), 10 Jahre Institut für Deutschland- und Osteuropaforschung des Göttinger Arbeitskreises e.V.: Forschungs- und Publikationsbericht (2001). 45 BullBReg (Fn. 43), Nr. 2.
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sehen46, die historisch, politisch und geographisch gleichermaßen fragwürdig wäre. Ohne funktionierenden organisatorischen Rahmen ist eine sinnvolle Projektförderung kaum möglich47. Daher erscheint die eingeleitete Neuordnung nicht nur rechtspolitisch zweifelhaft; mit der vorgesehenen drastischen Kürzung der Mittel würde insgesamt der gesetzliche Förderauftrag „ausgehebelt"48. Im Bereich der institutionellen Förderung führt die Umsetzung des vorgelegten Konzepts - sollte es Bestand haben - zu einem Kahlschlag der in mehr als fünf Jahrzehnten gewachsenen organisatorischen Strukturen 49.
2. Zur Entstehung von § 96 BVFG
Der Entwurf der Bundesregierung für ein Bundesvertriebenengesetz50 enthielt noch keine Vorschrift über die kulturelle Förderung der Vertriebenen und Flüchtlinge. Vom Bundesratsausschuß für Flüchtlingsfragen wurde dann am 28. September 1951 in seiner 1. Koordinierenden Sitzung folgender § 32a für die „Pflege des Kulturguts der Vertriebenen und Flüchtlinge" vorgeschlagen51: „(1) Erhaltung und Weiterentwicklung des heimatlichen Kulturgutes der Vertriebenen und Flüchtlinge ist Aufgabe des Bundes und der Länder. Dazu gehören insbesondere: 1. die Förderung der wissenschaftlichen und kulturellen Bestrebungen der Vertriebenen und Flüchtlinge, die sich auf Geschichte, Kultur und Wirtschaft der Vertreibungsgebiete beziehen; 2. die Erhaltung des heimatlichen Kulturgutes im Bewußtsein der Vertriebenen und Flüchtlinge durch Berücksichtigung im Schulunterricht; 3. Sicherung, Ergänzung und Auswertung der Archive, Bibliotheken und ähnlicher Einrichtungen.
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Ebenda, Nr. 3.3. Zur Abgrenzung von institutioneller Förderung und Projektförderung vgl. Gerd Kirchhoff, Subventionen als Instrument der Lenkung und Koordinierung (1973), S. 43 ff. Zur Verwischung des Unterschieds in der Praxis und Annäherung an institutionelle Förderung bei regelmäßiger Projektförderumg bei derselben Kultureinrichtung vgl. Thomas Köstlin, Die Kulturhoheit des Bundes (1989), 191 f. 48 Stratmann, (Fn. 43), S. 1. 49 Vgl. neben dem Beitrag von Stratmann, (Fn. 43), auch die übrigen Beiträge zur Kulturförderung durch Bund und Länder in DOD 41 (1999), Nr. 30 vom 30. Juli 1999 (S. 3 und 4), sowie in DOD Nr. 32 vom 13. August 1999. 50 Entwurf eines Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz) vom 12. Oktober 1951, BT-Drs. 1/2872, S. 5 (wiedergegeben auch in BR-Drs. 630/51). 51 Vgl. BR-Drs. 630/10/51 vom 11. Oktober 1951, S. 24. 47
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(2) Aufgabe des Bundes und der Länder ist darüber hinaus, die Fortführung von in den Vertreibungsgebieten begonnenen wissenschaftlich wertvollen Forschungsarbeiten zu fördern (3) Soweit öffentliche Mittel für die wissenschaftliche Forschung und für kulturelle Aufgaben bereitgestellt werden, ist ein angemessener Teil für die in Abs. 1 und Abs. 2 genannten Maßnahmen zu verwenden."
Die beiden ersten Absätze des eben zitierten Vorschlags für einen § 32a wurden nicht nur vom Flüchtlingsausschuß getragen, sondern auch vom mitbeteiligten Innenausschuß des Bundesrates. Ein Abänderungsantrag NordrheinWestfalens regte an, in diesen beiden Absätzen jeweils nur von einer „Aufgabe der Länder" zu sprechen52. Generelle Vorbehalte gegen die Vorschrift kamen vom Finanzausschuß des Bundesrats, der sich für eine Streichung der Vorschrift aussprach53. Der Bundesrats-Rechtsausschuß machte verfassungsrechtliche Bedenken gegen die vom Flüchtlingsausschuß vorgeschlagene Regelung geltend54. Zwar ist nicht festgehalten, worauf diese verfassungsrechtlichen Vorbehalte des Rechtsausschusses beruhten - es fehlen ebenso nähere Spezifikationen zu den Einwänden des Finanzausschusses - , im weiteren Gesetzgebungsverfahren wurden aber alle Bedenken ausgeräumt. Dies geschah durch einen weiteren Änderungsantrag, der vom Land Niedersachsen vorgelegt wurde. Darin war folgender gestraffter § 32a BVFG vorgesehen: „Bund und Länder haben entsprechend ihrer durch das Grundgesetz gegebenen Zuständigkeiten das Kulturgut der Vertreibungsgebiete im Bewußtsein der Vertriebenen und des gesamten deutschen Volkes zu erhalten, Archive und Bibliotheken zu sichern, zu ergänzen und auszuwerten und die Aufgaben, die sich für Wissenschaft und Forschung aus der Vertreibung ergeben, zu erfüllen."
Dieser Antrag Niedersachsens ging auf einen Vorschlag der Kultusministerkonferenz zurück, die am 1. und 2. Oktober 1951 in Flensburg und Schleswig stattfand. Ihre Mitglieder konstituierten sich „für kurze Zeit als Kulturausschuß des Bundesrates"56. Der auf Anregung der KMK von Niedersachsen vorgelegten Fassung des § 32a BVFG hatten sämtliche Ausschüsse des Bundesrats zugestimmt57, und gegen sie bestanden „keine verfassungsrechtlichen Bedenken mehr" 58. Bei Inkrafttreten des Bundesvertriebenengesetzes am 5. Juni 1953
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Ebenda. Ebenda, S. 25. 54 Ebenda. 55 Ebenda, S. 24 f. 56 BR-Kulturausschuß Ku 36/51 Anlage III. 57 So Dr. Müller (Württemberg-Hohenzollern), BR-Prot. 70. Sitzung (12. Oktober 1951), S. 708 (A). 58 So der Berichterstatter des Bundesrats, Dr. Oberländer, ebenda, S. 701 (A). 53
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wurde § 32a des Bundesratsentwurfes als § 96 mit folgendem Wortlaut im Fünften Abschnitt des Gesetzes („Kultur, Forschung und Statistik") eingestellt59: ,3und und Länder haben entsprechend ihrer durch das Grundgesetz gegebenen Zuständigkeit das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewußtsein der Vertriebenen und Flüchtlinge und des gesamten deutschen Volkes zu erhalten sowie Archive und Bibliotheken zu sichern, zu ergänzen und auszuwerten. Sie haben Wissenschaft und Forschung bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus der Vertreibung und der Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge ergeben, zu fördern." § 96 BVFG (in der Fassung von 1953) unterschied sich also von § 32a des Bundesratsvorschlags lediglich durch geringfügige redaktionelle Änderungen und durch die Präzisierung in einem Punkt: Bund und Länder sollten natürlich nicht die Aufgaben von Wissenschaft und Forschung erfüllen (wie noch § 32a des Entwurfs formulierte), sondern Wissenschaft und Forschung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben fördern. Durch das Zweite Änderungsgesetz vom 22. Juli 1957 60 wurde § 96 BVFG dann auf Vorschlag des Bundestagsausschusses für Heimatvertriebene neugefaßt. Er hat seither - unverändert 61 - den bereits zitierten Wortlaut 62 .
3. § 96 BVFG und das kulturpolitische Umfeld der Entstehungszeit des Vertriebenengesetzes Die Regelung des § 96 BVFG stand keineswegs am Anfang kultureller Aktivitäten im Bereich der Vertriebenen; sie war also nicht als Grundlage und Ausgangspunkt für die Übernahme entsprechender Aufgaben durch Bund und Länder in das Vertriebenengesetz aufgenommen worden. Inhalt und Stellenwert des § 96 BVFG werden nur verständlich vor dem Hintergrund der im Jahr 1953 be59 Vgl. dazu eingehend Karl Heinz Gehrmann, Kulturpflege und Kulturpolitik, in: Lemberg/Edding, (Fn. 21), Bd. III (1959), S. 157 ff., insbesondere den Abschnitt 8 („Der § 96 des Bundesvertriebenengesetzes"), S. 183 ff. 60 BGBl. 19571, S. 1207. 61 Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Bereinigung von Kriegsfolgengesetzen vom 21. Dezember 1992 (KfbG), dessen Art. 1 mit Wirkung vom 1. Januar 1993 das Bundesvertriebenengesetz neu faßte, hat sich die Zahl der Abschnitte erhöht; § 96 bildet seither (mit § 97 BVFG) den Sechsten Abschnitt des Gesetzes. 62 Hier nochmals zu Erinnerung der aktuelle Wortlaut des § 96 BVFG: „Bund und Länder haben entsprechend ihrer durch das Grundgesetz gegebenen Zuständigkeit das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewußtsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten, Archive, Museen und Bibliotheken zu sichern, zu ergänzen und auszuwerten sowie Einrichtungen des Kunstschaffens und der Ausbildung sicherzustellen und zufördern. Sie haben Wissenschaft und Forschung bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus der Vertreibung und der Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge ergeben, zufördern. Die Bundesregierung berichtet jährlich über das von ihr Veranlaßte."
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reits intensiv betriebenen Kulturarbeit der Vertriebenen selber. Diese hatte bereits lange vor der Errichtung der Bundesrepublik eingesetzt. Im Herbst 1949 kam es dann sogar zu einer entsprechenden Vereinbarung der beiden damals bestehenden Dachverbände der Vertriebenen. Die Vertriebenen in Deutschland waren nämlich zunächst in zwei großen Verbänden organisiert, den „Vereinigten ostdeutschen Landsmannschaften" und dem „Zentralverband vertriebener Deutscher"63, die sich erst 1958 zum Bund der Vertriebenen (BdV) zusammenschlossen. Im „Göttinger Abkommen" vom 20. November 1949 zwischen diesen beiden Verbänden wurden die kulturellen Aufgaben den Landsmannschaften zugewiesen64. Träger der Kulturarbeit waren also 1953 in erster Linie die Landsmannschaften 65, und vom zeitgenössischen Schrifttum wurde daher die Regelung des § 96 BVFG ausschließlich in Zusammenhang mit der damals intensiv betriebenen Kulturarbeit der Vertriebenenverbände und der im Rahmen dieser Verbände gegründeten Arbeitskreise gesehen66. Daran hat auch die oben zitierte Neufassung des § 96 BVFG aus dem Jahr 1957 nichts geändert. Mit ihr wurde der Bereich des § 96 BVFG lediglich ausgeweitet: Der Kreis der zu fördernden Einrichtungen der Vertriebenenverbände wurde vergrößert, und es wurde ausdrücklich normiert, daß die Kulturleistungen der Heimatvertriebenen auch im Bewußtsein des Auslands zu erhalten seien; insgesamt waren neben dem konservatorischen Aspekt der Wahrung stärker die zukunftsgerichteten Aufgaben der Kulturförderung herausgearbeitet67. Damit hatte „der Gesetzgeber durch den § 96 BVFG Bund und Länder zur Erhaltung und Vermittlung der ostdeutschen Kultur [...] verpflichtet." 68 Dieser Verpflichtung kam jedenfalls der Bund bis zur eingangs angesprochenen Neuregelung der Förderung auch nach. Die von der Bundesregierung gemäß § 96 Satz 3 BVFG vorgelegten Berichte über das von ihr Veranlaßte belegen dies. § 96 BVFG zielte auf die Förderung der Kultureinrichtungen und der wissenschaftlichen Einrichtungen der Vertriebenen. Diese Fokussierung des § 96
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Zur Organisation der Vertriebenen und zum Nebeneinander von Vereinigten ostdeutscher Landsmannschaften (VOL) - später: Verband der Landsmannschaften (VdL) und Zentralverband vertriebener Deutscher - später: Bund vertriebener Deutscher (BvD) - vgl. Max Hildebert Boehm, Gruppenbildung und Organisationswesen, in: Lemberg/Edding, (Fn. 21), Bd. I (1959), S. 521 (531 ff.). 64 Ebenda, S. 535. 65 Gehrmann, (Fn. 59), S. 170 ff. 66 Ebenda. 67 Ebenda, S. 187. 68 So Klaus Weigelt, Vorwort, in: ders. (Hg.), Flucht und Vertreibung in der Nachkriegsliteratur: Formen ostdeutscher Kulturförderung (1986), S. 7.
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BVFG entspricht aber nicht bloß dem Willen des historischen Gesetzgebers, sondern folgt zwingend aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben für eine bundesgesetzliche Regelung von Förderung von Kulturgut. Die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers ist persönlich und sachlich auf die Vertriebenen samt ihren Organisationen beschränkt. Ihnen hat demnach auch in Zukunft nicht bloß ein Teil, sondern die gesamte Förderung nach § 96 BVFG zuzukommen, denn im Grundgesetz findet sich kein Kompetenztitel für eine generelle bundesgesetzliche Regelung der Kulturförderung (sei es durch den Bund oder die Länder). Lediglich in Hinblick auf die Kulturförderung der Vertriebenen räumt Art. 74 Abs. 1 Nr. 6 GG dem Bund die Gesetzgebungskompetenz ein. Entstehung und Zweck des § 96 BVFG lassen also bei einer verfassungskonformen Interpretation lediglich eine Förderung von Organisationen und Kultureinrichtungen der Vertriebenen zu. Anhaltspunkt für eine angemessene Höhe der Gesamtförderung nach § 96 BVFG durch Bund und Länder wäre der Betrag, der von der Wende von 1989/90 bis zum Beginn der Neuordnung der Förderung den geförderten Institutionen zugeflossen ist.
4. § 96 BVFG als Ausdruck des Heimatrechts
Auch nach der Tilgung der Präambel aus dem Entwurf für ein Bundesvertriebenengesetz erfolgte die Eingliederung der Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland, wie schon ausgeführt, bloß unter dem Vorbehalt ihrer Rückkehr in die angestammte Heimat. Dieser Vorbehalt der Rückkehr hat, so Heinrich Rogge, insbesondere im Gesetzesauftrag zur Pflege des Kulturgutes des Vertreibungsgebietes, also in § 96 BVFG, seinen Ausdruck gefunden 69. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks in den Jahren 1989/90 und dem Abschluß des Zwei-plus-Vier-Vertrags erlangte der Gesetzesauftrag aus § 96 BVFG einen noch höheren Stellenwert als zuvor. Die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland ließ nämlich nicht den von Hermann v. Mangoldt angesprochenen Eventualfall einer vertraglichen Regelung des Heimatrechts70 eintreten. Zwar schrieb Art. 1 des Zwei-plus-Vier-Vertrags den Gebietsumfang des vereinten Deutschlands fest, der demnach die ostdeutschen Vertreibungsgebiete nicht mehr umfaßte, aber ein Verzicht auf das Heimatrecht und das Rückkehrrecht der reichsdeutschen oder der Volksdeutschen Vertriebenen oder auf ihre Ansprüche auf Rückgabe des in der Heimat zurückgelassenen Vermögens war damit nicht impliziert und kann auch nicht in die in der Folge des Zwei-plus69
So Rogge, (Fn. 21), S. 233, mit Fn. 77. Hier nochmal das Zitat zur Erinnerung: „Über die Staatsangehörigkeit der ihr angehörenden Personen kann [...] erst im Zusammenhang mit einem Friedensvertrag generell entschieden werden." v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz (1953), S. 610. 70
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Vier-Vertrags geschlossenen Vereinbarungen mit der Sowjetunion, Polen und der CSFR hineingelesen werden71. Genausowenig wie die Festlegung der deutschen Ostgrenze im Jahr 1990 eine Vermögensverschlechterung der Vertriebenen zur Folge hatte, blieb auch deren Recht auf die angestammte Heimat davon unberührt. Das folgt schon daraus, daß es sich dabei um einen allgemein anerkannten Grundsatz des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 GG handeln dürfte, dem innerstaatlich Vorrang vor den Gesetzen zukommt. Von Völkerrechts wegen kommt diesem Grundsatz wohl ius-cogens-Charakter zu, so daß bei Inkrafttreten des Zwei-plus-VierVertrags und der Vereinbarungen mit den östlichen Nachbarn abweichende Vereinbarungen auch im zwischenstaatlichen Bereich nichtig wären. Jedenfalls blieb § 25 StARegG von der Regelung des Zwei-plus-Vier-Vertrags und vom Grenzvertrag mit Polen unberührt, denn diese Bestimmung stellte weiterhin (bis zum 1. August 1999) den Staatsangehörigkeitserwerb der Aussiedler (seit 1993 der Spätaussiedler) unter den zitierten Vorbehalt. Allerdings stand mit Inkrafttreten der abschließenden Regelung in bezug auf Deutschland fest, daß es zu einer vertraglichen Regelung über das Heimatrecht der Vertriebenen im Sinne des § 25 StARegG nicht mehr kommen würde. Als normatives Substrat des Rechts auf die Heimat blieb damit allein die uneingeschränkte Möglichkeit der Stärkung des ideellen Zugehörigkeitsgefühls zur angestammten Heimat und damit einer Pflege und Förderung der Vertriebenenkultur; die Bedeutung des Heimatrechts reduzierte sich weitgehend auf die materielle Absicherung der Darstellung und Bewahrung der kulturellen Besonderheiten der Vertriebenen im Sinne und nach Maßgabe des § 96 BVFG. Dieser normativen Absicherung kommt daher, so Geißler treffend im Jahr 1995, für die Bewahrung der Eigenart der Vertriebenen eine besondere Funktion gerade deshalb zu, „da ihr die räumliche Grundlage entzogen ist" 72 . Bedeutung und Stellenwert von § 96 BVFG, dieser, so Hartmut Singbartl, „nachhaltigsten, in ihrer Dimension gar nicht zu überschätzenden"73 Vorschrift des BVFG haben also in den Jahren nach 1990 stark zugenommen. Gegen eine Aushöhlung des Gebots der Pflege des Kulturgutes und der Förderung der wissenschaftlichen Forschung nach § 96 BVFG bestehen, dies sei nochmals festgehalten, gerade wegen des in der Folge der Umwälzungen von 1989/90 geänderten Stellenwertes der Kulturforderung für das Recht der Vertriebenen und ihrer Abkömmlinge auf die angestammte Heimat Bedenken. Bedeutung und Stellenwert von § 96 BVFG haben in den Jahren nach 1990 aber 71
So auch der bereits erwähnte Kammerbeschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Juni 1992, NJW 1992, S. 3222 ff. 72 Birgit Geißler , Kunstförderung nach Grundgesetz und Recht der EG (1995), S. 101. 73 Singbartl , (Fn. 42), S. 88.
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noch aus einem anderen Grunde zugenommen: Die Kulturarbeit der Vertriebenen kann seit dem 3. Oktober 1990 erstmals auch in den fünf neuen Bundesländern gefördert und ausgebaut werden74. Der besondere rechtliche Stellenwert der Erweiterung des Förderauftrags nach § 96 BVFG seit dem Beitritt der DDR zumfreien Teil Deutschlands, wird bekräftigt durch die entsprechende Regelung im Einigungsvertrag, dessen Parteien diese Vorschrift besonders festgeschrieben haben. Das Bundesvertriebenengesetz insgesamt gehörte zu den Materien, welche in die DDR nicht umfassend und uneingeschränkt übernommen wurden. Einer bayerischen Initiative ist es aber zu verdanken, daß als einzige BVFG-Vorschrift § 96 BVFG uneingeschränkt ins Beitrittsgebiet übernommen wurde75. § 96 BVFG samt seinem rechtlichen Gehalt ist damit vom bundesdeutschen Gesetzgeber - zudem mit der qualifizierten Mehrheit nach Art. 79 Abs. 2 GG - im Zustimmungsgesetz zum Einigungsvertrag festgeschrieben. Auch deshalb wären die eingangs geschilderten Eingriffe der zuständigen Bundesstellen in die überkommene, gewachsene Kulturförderung oder eine Aufhebung von § 96 BVFG ziemlich prekär 76. § 96 BVFG genießt damit erhöhte Bestandskraft aufgrund der Achtung des unveräußerlichen Rechts der Vertriebenen auf ihre angestammte Heimat, dessen normatives Substrat seit der Wende von 1989/90 gerade die Kultur- und Erinnerungsarbeit ist. Daß eine Aushöhlung dieser Vorschrift unzulässig ist, belegt auch deren ausdrückliche Festschreibung im Einigungsvertrag. Sieht man die erhöhte Bestandskraft des § 96 BVFG unter dem Vorbehalt der clausula rebus sie stantibus, so wäre eine Änderung des Wortlauts des § 96 BVFG derzeit und in der absehbaren Zukunft nur insoweit möglich, als Förderungsadressaten und -intensität unangetastet bleiben.
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Dies wird auch in der vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung an der Wende zum Jahr 1997 herausgegebenen Broschüre mit dem Titel „Sofördert der Bund Kunst & Kultur", S. 37, hervorgehoben. 75 Darauf weist Singbartl, (Fn. 42), S. 88, hin. Dr. Singbartl, Ministerialdirigent im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, war an den Verhandlungen zum Einigungsvertrag selber beteiligt. 76 Vgl. zum folgenden auch Michael Silagi, Der Förderauftrag nach § 96 BVFG und die Problematik seiner faktischen Aushöhlung durch die Bundesregierung, in: IFLA Informationsdienst 48 (1999), S. 121 ff.
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IV. § 96 BVFG und die Zuordnung von ostdeutschem Archivgut 77 1. Problemstellung
Aus aktuellem Anlaß soll untersucht werden, ob sich nicht aus dem Völkerrecht und aus dem in § 96 BVFG angelegten Recht der Heimatvertriebenen auf Wahrung ihrer kulturellen Identität ein deutscher Anspruch auf Archivbestände, unter Einschluß der Kirchenbücher, ergibt, die bis 1945 aus den Ostprovinzen Preußens in den Westen gerettet worden waren. Zwischen Deutschland und Polen umstritten blieb seit 1945 vor allem die Zuordnung der Archive des Deutschen Ordens und des Altpreußischen Herzogtums, die vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem Osten Preußens in das Gebiet der späteren Westzonen verlagert worden waren. Die polnische Seite sah in diesen Beständen genuin polnisches Archivgut, welches von den Deutschen aus den „wiedergewonnenen"78 polnischen Westgebieten verschleppt worden war. Im Gegensatz dazu unterschied bereits im Jahr 1947 C.A.F. Meekings, der Archives Officer der British Control Commission for Germany, korrekt zwischen ,/egelrechten Rückerstattungen" (also Revindikationen) von Archiven, die sich im Jahr 1939 in polnischem Besitz befunden hatten, und Beständen, die an Polen „ausgeliefert" werden sollten, weil sie sich auf die seit 1945 polnisch verwaltete Gebiete „beziehen"79, wie etwa die Archive des Deutschen Ordens und des Altpreußischen Herzogtums, deren Herausgabe an Polen die britischen Besatzungsmacht dann auch verhinderte 80. Polen setzte sich überdies für die Übergabe kirchlicher
77 Zum folgenden vgl. auch die Referate in Sektion III des 72. Deutschen Archivtages in Cottbus (2001), die sich mit dem Thema „Archivbestände unter den politischen und juristischen Folgen von Krieg und Herrschaftswechseln" befaßten; veröffentlicht in: Der Archivar, Beiband 7 (2002), S. 135 ff. 78 So die Formulierung in der deutschen Zusammenfassung von Wladyslaw Stepniak, Misja Adama Stebelskiego [Adam Stebelskis Mission: Die Revindikation von polnischen Archivalien aus Deutschland (1945-1949)], Warschau, Lodz 1989, S. 76 ff. Stebelski, von dem das Buch handelt, war nach 1945 Direktor des Hauptstaatsarchivs in Warschau; zu seiner Tätigkeit in Deutschland vgl. C.A.F. Meekings, Rückgabe von Archiven an Polen, Der Archivar 1 (1947/48), 71 (74). Diese Sprachregelung ist mit der Wende von 1989/90 keineswegs verschwunden: Auf polnischer Seite findet sich noch im Jahr 2000 die Formulierung, man habe die Freie Stadt Danzig, Emsland und die Masuren, Nieder- und Oberschlesien, das Lebuser Land sowie Hinterpommern „zurückerlangt"; so Tomasz Brzözka, Deutsche Personenstandsbücher und Personenstandseinträge von Deutschen in Polen, 1898-1945 (2000), Einleitung, S. 6. (Herausgeber des Bandes ist der Verband der Standesbeamten der Republik Polen.) 79 Meekings, (Fn. 78). 80 Eine kriegsrechtliche Qualifikation der Vorgänge wäre abwegig; Ostpreußen war kein von Deutschland besetzes Gebiet. Anders wohl Leopold Auer, Restitution of Removed Records Following War, in: Proceedings of the International Conferences of the Round Table on Archives XXIX CITRA - Mexico 1993, XXX CITRA - Thessaloniki
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Matrikeln ein, und im Jahr 2002 mußten dann die heimatvertriebenen ostdeutschen Katholiken aus der Presse erfahren, daß ihre in den Westen geretteten Kirchenbücher nach Polen übergeben worden waren81. Das lebhafte publizistische Echo auf diese Aktion ist Beleg für das anhaltende, ja wachsende deutsche Interesse nicht nur an historischen Archiven, sondern auch am Schicksal der ostdeutschen Familienbücher.
2. Zum Archivgut der ostdeutschen Vertreibungsgebiete
Für die von Völkerrechts wegen gebotene Zuordnung von Archivgut in den Abtretungsgebieten Ostdeutschlands wäre jeweils zunächst zu prüfen, ob es sich um „staatliche" oder aber um „sonstige", d.h. private Archive handelt. Soweit es sich um staatliche Archive handelt, kann zur Beurteilung der korrekten Zuordnung der Archivbestände des Abtretungsgebietes auf die Regelungen in der Wiener Konvention vom 8. April 1983 über Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden von Staaten82 zurückgegriffen werden, auch wenn diese Konvention (die im weiteren als „WK 83" zitiert wird) noch nicht in Kraft getreten ist 83 . Auf den ersten Blick scheint es sich bei den ostdeutschen Kirchenbüchern nicht um „staatliches" Archivgut zu handeln; die am Ende des Zweiten Weltkriegs in den Westen geretteten katholischen (wie auch die evangelischen) Kirchenbücher befanden sich in kirchlichem Eigentum. Eine Qualifizierung der Kirchenbücher als „nicht-staatlich" griffe aber trotzdem zu kurz. Die ausschließlich kirchenrechtliche Einordnung der Kirchenbücher wäre aus folgendem Grund äußerst fragwürdig: Bis 1874/76 wurden in Preußen für Christen 1994, XXXI CITRA - Washington 1995 [zitiert wird nach der englischen Fassung, deren Paginierung geringfügig von derfranzösischen abweicht], Dordrecht 1998, S. 172 (176), der bei der Behandlung des Themas „Restitution of Removed Records Following War" auch das Königsberger Archiv anführt. 81 Siehe dazu Rudolf Berti, Man verliert, was man verloren gibt, Folge 1 in: Kulturpolitische Korrespondenz (KK) Nr. 1163 (2003), S. 2 ff., Folge 2 in: KK Nr. 1164 (2003), S. 2 ff. 82 Vienna Convention on Succession of States in Respect of State Property, Archives and Debts (vom 8. April 1983), Text in: International Legal Materials (ILM) 22 (1983), S. 306 ff.; eine (ost-)deutsche Übersetzung, der im weiteren gefolgt wird, findet sich bei Walter Poeggel/Rolf Meißner (Leitung), Staatennachfolge im Völkerrecht, Ost-Berlin 1986, Anlage, S. 156 ff. 83 Das Übereinkommen tritt nach Hinterlegung der fünfzehnten Ratifikations- oder Beitrittsurkunde in Kraft. Bis Anfang 2004 waren ihm erst sechs Staaten beigetreten, so daß sein Inkrafttreten derzeit noch nicht abzusehen ist. Bemerkenswerterweise handelt es sich bei den bisherigen Vertragsparteien um Kroatien, Mazedonien und Slowenien sowie Estland, Georgien und die Ukraine, also um Staaten, die als Sukkzessoren Jugoslawiens bzw. der Sowjetunion an den Regelungen besonders interessiert sind. Vgl. Multilateral Treaties as Deposited with the Secretary General, http://www.untreaty. un.org.
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keine weltlichen Standesregister geführt. Seit 1794 besaßen aber die kirchlichen Matrikeln den Status öffentlich-rechtlicher Urkunden84. Daher erschiene es angemessener, die Pfarrer, welche die Kirchenregister geführt haben, als mit der staatlichen Funktion der zivilen Beurkundung betraut oder beliehen anzusehen85. Entsprechend wären die katholischen (und die evangelischen) Kirchenbücher aufgrund ihres öffentlich-rechtlichen Charakters als staatliche Archivalien zu qualifizieren. Die generelle Problematik einer Einstufung von Kirchenregistern als nicht-staatlich hat übrigens ein Bericht der UNESCO bereits im Jahr 1978 hervorgehoben: „In discussions of archival claims a distinction is sometimes made between public and private archives. This is a legal distinction that not only differs substantially from State to State, but that has undergone change from time to time in the same State. Furthermore, in some States, archives that were once regarded as private have been or are now accorded the status of official records, for example, church registers of births, marriages and deaths that have been used to establish citizenship rights or eligibility for certain public benefits." 86 Mit einer solchen Qualifizierung der Kirchenbücher als öffentlich-rechtlich, steht ihrer Subsumtion unter den Archivbegriff des § 96 B VFG nichts im Wege, und es kann für die Beurteilung der Zuordnung der erwähnten, zwischen Polen und Deutschland strittigen Archivbestände insgesamt auf die Regelungen der die Wiener Konvention vom 8. April 1983 über Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden von Staaten zurückgegriffen werden. Diese Konvention wurde im Rahmen der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen (ILC) ausgearbeitet. Sonderberichterstatter war der algerischen Völkerrechtler Mohammed Bedjaoui, nachmals Richter und zeitweise Präsident am Internationalen Gerichtshof in Den Haag87. Vor seiner Ernennung zum ILC-Mitglied war Bedjaoui algerischer Justizminister und zeitweise Botschafter seines Landes in Paris, und in diesen beiden Funktionen mußte er sich jeweils auch konkret mit Aspekten der Auseinandersetzung mit Frankreich um das archivalische Erbe
84 Brzözka, (Fn. 78), S. 5; vgl. auch Hartmut Sander, Zur Rechtsproblematik der katholischen Ostkirchenbücher, Der Archivar 56 (2003), 43, wonach die Kirchenbücher zwar „kirchliches Eigentum" seien, „aber die Kirchbücher sind nicht nur Kirchengut, sondern auch Kulturgut und insofern eingeschränktes Eigentum". 85 Vgl. dazu Benl, (Fn. 81), (KK 1164), S. 2: „Die Kirchenbuchführung stellte also nicht bloß die Buchung geistlicher Amtshandlungen dar, sie war ebenso ein Teil der landesherrlichen, staatlichen Polizeiverwaltung." 86 Report [20C/102] of the Director-General on the study regarding problems involved in the transfer of documentsfrom archives in the territory of certain countries to the country of their origin, in: CITRA 1993-95, S. 235 [238]. 87 Zu Werk und Person Bedjaouis siehe Emile Yakpo/Tahar Boumedra (Hrsg.), Liber Amicorum Judge Mohammed Bedjaoui (1999), S. 2-45.
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Algeriens beschäftigen 88. Dabei ist wohl sein Gespür für die besondere Problematik der Zuordnung von Archiven im Sukzessionsfall geschärft worden. Sofern die betreffenden Staaten nicht etwas anderes vereinbaren, bestimmt Art. 27 Abs. 2 WK 83 für den Fall der Gebietsabtretung (Zession) folgendes: Wenn ein Teil des Territoriums eines Staates von diesem Staat einem anderen Staat übertragen wird, so a) soll der Teil der Staatsarchive des Vorgängerstaates, der für eine normale Verwaltung des Territoriums, auf das sich die Staatennachfolge bezieht, dem Staat zur Verfügung stehen sollte, dem das betreffende Territorium übertragen wurde, auf den Nachfolgestaat übergehen; und b) soll der Teil der Staatsarchive des Vorgängerstaates, der nicht durch Unterabsatz (a) erfaßt wird und „ausschließlich oder hauptsächlich" das Territorium betrifft, auf das sich die Staatennachfolge bezieht, auf den Nachfolgestaat übergehen. Wenn wir den Gebietübergang der Ostgebiete von Deutschland an Polen als Zession bewerten, so scheint zunächst Art. 27 WK 83 einschlägig zu sein. Für die endgültige Zuordnung von Verwaltungsarchiven in Vertreibungsgebieten kann allerdings die Konvention von 1983 - man könnte sagen: naturgemäß keine Regeln aufstellen. Entsprechend ihrem Art. 3 findet sie nämlich nur „auf die Auswirkungen einer Staatennachfolge Anwendung, die im Einklang mit dem Völkerrecht und insbesondere mit den in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Prinzipien des Völkerrechts eintritt." Vertreibung steht aber nie im Einklang mit dem Völkerrecht. Für die vorliegende Untersuchung ist zudem wichtig, daß Bedjaoui den Sonderfall der Vertreibung durchaus gesehen hat. Sowohl Bedjaoui als auch - ihm folgend - die ELC haben im Falle der Vertreibung oder auch nur der Auswanderung der Mehrheit der angestammten Bevölkerung aus dem Abtretungsgebiet in den Altstaat Art. 27 WK 83 für unanwendbar gehalten. Dies wird durch einen eher unscheinbaren Vorbehalt bei der Begründung Bedjaouis für die in Art. 27 89 gefundene Regelung deutlich. Zunächst wird betont, „State archives which were situated in the transferred territory, such as the archives constituted locally by the predecessor State for the purpose of administering the part of the territory in
88 Marco Mozzati, La battaglia degli archivi, in: La modemizzazione in Asia e Africa. Problemi di storia e problemi di método. Studi offerti a Giorgio Borsa (1989), S. 213 (240, Anm. 51): „Per queste ragioni", so das Fazit von Mozzati, „Bedjaoui é da considerare uno dei protagonisti della 'battaglia degli archivi'". 89 In der endgültigen Numerierung.
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question, must pass to the successor State."90 Dies sei selbst dann noch angemessen, wenn einige oder viele Bewohner des Abtretungsgebiets für den Vorgängerstaat optierten und abwanderten91, doch sei dann folgendes zu berücksichtigen: „The State archives that were situated in the transferred territory, such as taxation records or records of births, marriages and deaths, concern these transplanted inhabitants. It will then be for the predecessor State to ask the successor State for all facilities such as microfilming, in order to obtain the archives necessary for administrative operations relating to the evacuated nationals. In no case, however, inasmuch as it is a minority of the inhabitants which emigrates, may the successor State be deprived of the archives necessary for administrative operations relating to the majority of the population which stays in the transferred territory." 92 Bei Vertreibung der Bevölkerungsmehrheit, ja sogar bei deren freiwilligen Option für den bisherigen Heimatstaat und folgenden Abwanderung soll also Art. 27 WK 83 nicht gelten. Entscheidend ist hier der eben zitierte, mit „inasmuch" eingeleitete Vorbehalt Bedjaouis, dem die ILC in ihrem Bericht wörtlich gefolgt ist93. In einer derartigen Situation fallen also entgegen Art. 27 WK 83 „the archives necessary for administrative operations relating to the evacuated nationals"94 nicht an den Nachfolgestaat. Auch die Arbeitsgruppe des weltweiten Dachverbands der Archivare, des Internationalen Archivrats (International Council on Archives/ICA), verlangt in ihrer Stellungnahme zur WK 8395, bei der Zuordnung der Archive im Zessionsfall die Abwanderung der Bevölkerung eines zedierten Gebietes in den Vorgängerstaat zu berücksichtigen: „In cases where, in the process of change of sovereignty, a significant part of the population leaves the territory of the successor State and settles in the territory of the predecessor State, this fact shall be taken into account when negotiating the succession of States in respect of archives"96.
90 Mohammed Bedjaoui, Eleventh report on succession in respect of matters other than treaties, Yearbook of the International Law Commission (YBILC) 1979, II, 1, S. 107 (Hervorhebungim Original). 91 „This is the obvious, wise and equitable solution. It may happen, however, that in consequence of the transfer of a part of one State's territory, some or many of the inhabitants, preferring to retain their nationality, leave that territory and settle in the other part of the territory, which remains under the sovereignty of the predecessor State." (Ebenda) 92 Ebenda. 93 Report of the ILC on the work of its 33rd session, YBILC 1981, II, 2, S. 42. 94 Bedjaoui, (Fn. 90), S. 107. 95 Professional Advice formulated in 1983 on the Vienna Convention on Succession of States in Respect of State Property, Archives and Debts, Part III, State archives (art. 19 to 31), in: CITRA 1993-1995, S. 250-255. 96 Ebenda, S. 254.
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3. Konsequenzen für die Zuordnung ostdeutscher historischer Archive
Bei den beiden Archiven des Deutschen Ordens und des Altpreußischen Herzogtums handelt es sich um „historische Archive". Auf deren Zuordnung treffen die Erwägungen, mit denen die ILC ihren Vorbehalt für den besonderen Fall einer Vertreibung der angestammten Bevölkerung aus dem Abtretungsgebiet begründet, zwar nicht im selben Maße zu wie auf Verwaltungsarchive, doch gebietet bei historischen Archiven der Grundsatz der Rücksichtnahme auf das Recht der Völker der beteiligten Staaten auf Entwicklung, auf Information über ihre Geschichte und auf ihr kulturelles Erbe die Zuordnung zu Deutschland. Allerdings waren die im Preußischen Staatsarchiv in Königsberg aufbewahrten Bestände des Deutschen Ordens und des Altpreußischen Herzogtums bereits im Jahr 1944 von dort in andere Teile Preußens verlegt worden, also lange vor Eintritt der Staatennachfolge. Zunächst wäre also zu prüfen, ob diese Verlegung im Verhältnis zu den möglichen Nachfolgestaaten (neben Polen käme noch die UdSSR/Rußland in Frage) als „suspekt" zu qualifizieren wäre, denn nur dann könnte Polen überhaupt auf diesen Archivbestand Ansprüche aus der Staatennachfolge geltend machen. Art. 26 WK 83 97 enthält zwar ein an den Vorgängerstaat gerichtetes Verbot rechtsmißbräuchlicher Verfügungen während der sog. „période suspecte"98, also im zeitlichen Umfeld einer Staatennachfolge, es gibt aber keinen völkerrechtlichen Grundsatz, der es einem Staat verbieten würde, historische Archive innerhalb seines souveränen Gebietes in eine andere Sammelstätte zu verlegen99. Dies gilt in diesem Fall schon deshalb, weil die Aufbewahrung gerade im Staatsarchiv Königsberg ihrerseits eher zufällig war. Überdies kann hinsichtlich der preußischen Gebiete östlich von Oder und Neiße eine „période suspecte" im Sinne von Art. 26 WK 83 gar nicht angenommen werden, erfolgte doch die 97
Art. 26 WK 83 lautet: „Für den Zweck der Erfüllung der Bestimmungen der Artikel im vorliegenden Teil soll der Vorgängerstaat alle Maßnahmen ergreifen, um Beschädigung oder Zerstörung von Staatsarchiven, die in Übereinstimmung mit diesen Bestimmungen auf den Nachfolgestaat übergehen, zu verhindern." Zu Art. 26 WK 83 siehe Michael Silagi, Staatennachfolge und Archive in: Arch. Ztschr. 85 (2003), S. 9 (49-52). 98 Grundsätzlich zum Begriff der „période suspecte" im Recht der Staatennachfolge vgl. Michael Silagi, Staatsuntergang und Staatennachfolge (1996), S. 231 fif. 99 Dies betont auch Herbert Kraus, Völkerrechtliches Gutachten, in: H. Kraus/Erich Weise, Zwei Gutachten über die Archive des Deutschen Ordens sowie des altpreußischen Herzogtums (als Ms. gedruckt) Göttingen 1949, S. 10 f. (Nr. 12). Anders Stepniak, (Fn. 78), S. 76, wonach wertvolle Archivalien aus den „wiedergewonnenen Gebieten" ins Innere Deutschlands „verschleppt" worden seien, und - noch im Jahr 1998! die Generaldirektorin der polnischen Archive, Daria Nalecz, in ihrem Beitrag „Polish archives after the partition of the State", Archives et Bibliothèques de Belgique 69 (1998), S. 65 (73).
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Verlegung der Archivbestände lange vor demfrühestmöglichen Zeitpunkt eines Erlöschens der deutschen Verwaltungskompetenz über den Einzugsbereich des Staatsarchivs Königsberg und über Königsberg selber - im Jahr 1944 geschah dies zweifellos nicht in Hinblick auf die damals ja noch unvorhersehbare Entwicklung nach dem 8. Mai 1945 bzw. dem 3. Oktober 1990. Aber selbst wenn unterstellt würde, die Sicherung dieser Bestände und ihre Fortschaffung in westliche Provinzen Preußens sei während einer „période suspecte" erfolgt, hätte die Rückführung in das heutige Polen (oder nach Königsberg) aus anderen Gründen zu unterbleiben: Die Archive des Deutschen Ordens und des Altpreußischen Herzogtums sind nämlich von historischer und kultureller Bedeutung nicht nur für die vertriebene Bevölkerung der Ostgebiete, sondern für das ganze deutsche Volk. Die Zuordnung der beiden genannten historischen Archivsammlungen zu Deutschland ist also vom Übergang der Verwaltungskompetenz in den Ostgebieten und von der im Jahr 1990 vollzogenen Gebietsabtretung nicht berührt. Das Schicksal der Archive bei Staatennachfolge wurde vom Sonderberichterstatter Bedjaoui in der Konvention ja gerade deshalb gesondert vom übrigen staatlichen Eigentum geregelt, weil ihnen als Teil des kulturellen Erbes ein besonderer Stellenwert zukommt100.
4. Konsequenzen für die Zuordnung ostdeutscher Registraturen und Kirchenbücher
Auf Verwaltungsarchive treffen die zitierten Vorbehalte der ILC für den besonderen Fall einer Vertreibung der angestammten Bevölkerung aus dem Abtretungsgebiet uneingeschränkt zu. Im Falle der deutschen Ostgebiete geht es dabei um zwei Bestände, einmal um Registraturgut aus ostdeutschen Standesämtern, zum anderen um besagte Kirchenbücher. Der größere Teil des Registraturgutes der ostdeutschen Standesämter war bei der Vertreibung der Deutschen im Osten geblieben. Vor Kriegsende waren jedoch in bescheidenem Umfang standesamtliche Register aus den Vertreibungsgebieten in den Westen gerettet worden. Sie wurden im Standesamt I in Berlin (West), teilweise auch im Standesamt I in Berlin (Ost) aufbewahrt 101. An diesem nach Berlin geschafften Material war man nach 1945 in Warschau offensichtlich nicht sonderlich interessiert. Nur so erklärt es sich, daß derjenige Teil 100
Auf diesen Aspekt für eine Sonderbehandlung der Archive im Vergleich zum sonstigen Staatseigentum weist Bedjaoui, (Fn. 90), ausdrücklich hin. 101 Verlag für Standesamtswesen (Hrsg.), Standesamtsregister und Personenstandsbücher der Ostgebiete im Standesamt I in Berlin. Gesamtverzeichnis für die ehemaligen deutschen Ostgebiete, die besetzten Gebiete und das Generalgouvernement (1992). Nach dem 3. Oktober 1990 wurde der Gesamtbestand vom wiedervereinigten Standesamt I in Berlin fortgeführt (Wolfgang Schütz, Vorwort, ebenda, S. V).
Die normative Ausgestaltung des Rechts auf die Heimat
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dieser Bestände, welcher bis zur Wende von 1989/90 in Ost-Berlin lagerte 1250 laufende Meter an Standesamtsregistern und Personenstandsbüchern aus 1300 ehemaligen ostdeutschen Standesämtern102 nicht von der DDR an Polen herausgegeben wurde. Polen hat andererseits weder vor noch nach 1990 das in den ostdeutschen Standesämtern zurückgelassene Registraturgut an Deutschland übergeben. Dabei hatte Herbert Kraus bereits 1949 festgestellt, dieses sei „für die nunmehr dort tätigen Behörden und in diesen Gebieten wohnhaften Menschen von keiner aktuellen Relevanz; aber [es] ist in vielfacher Hinsicht (z.B. für Familienstand, Vorstrafen, Ausweis über bestandene Prüfungen usw. usw.) für die Behörden der Aufhahmeländer und die Vertriebenen selbst von wesentlicher Bedeutung"103 und sei daher an den Vorgängerstaat herauszugeben. Auch nach den von Bedjaoui in Übereinstimmung mit der UN-Völkerrechtskommission aufgestellten, von der Arbeitsgruppe des Internationalen Archivrats im Jahr 1983 bestätigten Grundsätzen hätten diese Archivalien an den Aufhahmestaat der Vertriebenen, also an Deutschland, zu fallen. Immerhin gelang es dem Verlag für Standesamtswesen im Jahr 2000, ein Verzeichnis der in Polen einschließlich der ehemaligen deutschen Ostgebiete zurückgelassenen und dort aufbewahrten deutschen Standesregister und Personenstandsbücher zusammenzustellen104. Im Frühjahr 2002 wurden, wie erwähnt, 3361 ostdeutsche Kirchenbücher, welche am Ende des Zweiten Weltkrieg in den Westen gelangt waren und im bischöflichen Zentralarchiv in Regensburg aufbewahrt wurden, an die nunmehr polnischen Heimatdiözesen übergeben105. Diese Transaktion erfolgte aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem deutschen und dem polnischen Episkopat vom August 2001. Kirchlicherseits hat man das damit begründet, daß die Kirchenbücher nach dem ius ecclesiasticum weiterhin im Eigentum der rechtlich fortbestehenden katholischen Pfarreien im Osten stünden und als Kirchengut den (allerdings erst seit 1992) zuständigen polnischen Bistümern übergeben würden. Eine Abgabe der im Evangelischen Zentralarchiv in Berlin verwahrten Kirchenbücher aus den historischen deutschen Ostgebieten ist nicht beabsichtigt. Eigentümer dieser Kirchenbücher waren die jeweiligen evangelischen Kirchengemeinden in den ostdeutschen Kirchenprovinzen der damaligen Evangelischen 102
Vgl. Schütz,, Vorwort, ebenda, S. V. Kraus, (Fn. 99), S. 9 (Nr. 8); ähnlich Hermann Kownatzki, „Grenzen des Provenienzsystems", Arch. Ztschr. 47 (1951), S. 217 f. 104 Deutsche Personenstandsbücher und Personenstandseinträge von Deutschen in Polen 1898-1945 (2000); dieses bereits erwähnte Verzeichnis ergänzt das Gesamtverzeichnis des Verlags für Standesamtswesen aus dem Jahr 1992. 105 Vgl. dazu Rudolf Zewell, Kirchenbücher sind weg, Rheinischer Merkur 2002, Nr. 25, S. S. 4; Camilla Weber, Zu den ehemals im Bischöflichen Zentralarchiv Regensburg verwahrten katholischen Ostkirchenbüchern, in: Der Archivar 56 (2003), 41 ff. 103
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Kirche der altpreußischen Union. Sie sind, so der sicherlich besser nachvollziehbare Rechtstandpunkt der Evangelischen Kirche, durch die Vertreibung der Gemeindemitglieder untergegangen. Ihr in der Bundesrepublik Deutschland gelegenes Eigentum ist auf die Evangelische Kirche der Union, die Rechtsnachfolgerin der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union, übergegangen, so daß „keine Ansprüche auf sie erhoben werden können, wie es die Konferenz der polnischen katholischen Bischöfe für die 3361 Kirchenbücher getan hat" 106 . Von Völkerrechts wegen war und ist die Abgabe von Kirchenbüchern aus den Vertreibungsgebieten an Polen nicht geboten; der evangelische Standpunkt ist folgerichtig. Dies gilt um so mehr, als es, wie oben dargelegt, abwegig wäre, die Kirchenbücher als bloße nicht-staatliche Urkunden zu qualifizieren. Wenn es sich aber bei diesem Bestand um quasi-staatliche Archivalien handelt, so hätte eher Deutschland von Polen die Herausgabe von solchem Archivgut verlangen können, das von den bis 1945 deutschen Kirchengemeinden stammte und damals zurückgelassen wurde. Dies gilt gleichermaßen für katholische wie für evangelische Kirchenbücher, und entsprechendes gilt auch für die in den Ostgebieten zurückgelassenen Standesamtsakten aus der Zeit bis 1945. Trotzdem haben, soweit ersichtlich, weder die Bundesrepublik Deutschland noch der Freistaat Bayern gegen die Herausgabe der katholischen Kirchenbücher an Polen protestiert. In Hinblick auf den Auftrag des § 96 BVFG an Bund und Länder, „Archive, Museen und Bibliotheken zu sichern", ist dieses Verhalten zumindest problematisch.
Zusammenfassung Bereits im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 war das Recht der Heimatvertriebenen auf Rückkehr in die Vertreibungsgebiete angelegt (Art. 116 Abs. 1 GG). Der kulturelle Aspekt dieses Rechts hat durch das Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge vom 19. Mai 1953 eine besondere gesetzliche Ausprägung erfahren. Nach § 96 BVFG haben Bund und Länder entsprechend ihrer durch das Grundgesetz gegebenen Zuständigkeit das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewußtsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten, Archive, Museen und Bibliotheken zu sichern, zu ergänzen und auszuwerten sowie Einrichtungen des Kunstschaffens und der Ausbildung sicherzustellen und zu fordern. Sie haben Wissenschaft und Forschung bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus der Vertreibung und der Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge ergeben, zu fördern. Gerade 106 So der Leiter des Evangelischen Zentralarchivs in Berlin, Dr. Hartmut Sander, in seinem instruktiven Leserbrief in der Frankfurter Allgemeinen vom 17. September 2001.
Die normative Ausgestaltung des Rechts auf die Heimat
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seit der Wende von 1989/90 und dem Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland kommt der kulturellen Dimension des Rechts auf die Heimat und damit § 96 BVFG für die Bewahrung der Eigenart der Vertriebenen eine besonders wichtige Funktion zu.
Abstract Michael Silagi : The Right to One's Homeland in German Legislation, in: Das Recht auf die Heimat. Ed. by Gilbert H. Gornig and Dietrich Murswiek (Berlin 2005), pp. 77-103. As early as May 1949, the German Basic Law (Grundgesetz) implied the right to repatriation of ethnic Germans who had been displacedfrom the Eastern territories at the end of the Second World War. In 1953, the cultural implications of this right were expressed in the law regulating the affairs of expellees and refugees (Bundesvertriebenengesetz, BVFG). According to § 96 of this law, federal authorities as well as the Länder were to preserve the cultural heritage of expelled Germans, including archives, museums and libraries. After German reunification and the treaty on final settlement with regard to Germany concluded September 12, 1990, § 96 BVFG and the cultural implications of the right to return have become even more important for the preservation of the cultural identity of those Germans and their descendants whose birthplaces are situated outside reunified Germany.
Die Reprivatisierung des Eigentums in Polen Von Tina de Vries
I. Einleitung Das Thema behandelt die Frage, ob es einen Anspruch auf die Rückübertragung des Vermögens/des Eigentums, das in Folge der kommunistischen Enteignungen eingezogen wurde, gibt. Der Begriff der Enteignung ist insofern hier mißverständlich, als es sich in der Regel nicht um Enteignungen handelte, denen eine Entschädigung gegenüber gestellt wurde, sondern um entschädigungslose Konfiskationen. Dabei geht es zum einen um die Frage, ob eine gesetzliche Regelung für die Rückübertragung vorhanden ist und wenn nicht, ob eine gesetzliche Regelung vor dem Hintergrund der geltenden oder einerfrüheren Verfassung verfassungsrechtlich geboten ist. In Polen gibt es bisher keine allgemeine gesetzliche Regelung zur Frage der Rückübertragung, insofern kommt es entscheidend auf die verfassungsrechtliche Frage an. Auch ist in Polen eine partielle Rückübertragung durch die Gerichte erfolgt. In einem ersten Teil werden die Ereignisse, die zu den Enteignungen geführt haben, in einem geschichtlichen Überblick geschildert, anschließend werden die wichtigsten Enteignungen behandelt. In einem nächsten Abschnitt wird dann der Frage nach der Praxis der Reprivatisierung in Polen nachgegangen und schließlich die verfassungsrechtliche Frage nach der Gebotenheit einer Rückübertragung vor dem Hintergrund der einschlägigen polnischen Verfassungsgerichtsentscheidungen dargestellt.
I I . Die Enteignungen
1. Die geschichtliche Entwicklung Polens bis zur Entstehung des kommunistischen Staates
Die Enteignungsdekrete wurden vom Polnischen Komitee der Volksbefreiung erlassen. Im Folgenden soll daher kurz dargestellt werden, wie dieses Komitee eigentlich entstand.
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Während des Krieges war der polnische Staat nicht untergegangen, er existierte vielmehr im Untergrund fort und wurde durch die Exilregierung in London repräsentiert, die auch durch die Sowjetunion diplomatisch anerkannt wurde. Die Beziehungen Polens zur SU verschlechterten sich allerdings dramatisch, als am 25. April 1943 die Sowjetunion die Anerkennung der Londoner Exilregierung zurückzog, unter dem Vorwand, daß sich die polnische Exilregierung an das internationale Komitee des Roten Kreuzes mit dem Antrag gewandt hatte, die deutsche Entdeckung von Gräbern polnischer Offiziere in Katyn zu erforschen 1. In Polen selbst wurde bereits im Jahre 1942 die polnische Arbeiterpartei durch aus der Sowjetunion zurückgekehrte Polen gegründet, die im Untergrund arbeitete und gegen die Deutschen kämpfte. Sie erkannte die Exilregierung in London nicht an. Im Jahre 1943 erarbeitete sie erstmals ein Manifest, das die Punkte enthielt, auf denen sich nach dem Krieg die Politik Polens stützen sollte. Es waren dies eine entschädigungslose Bodenreform, die Verstaatlichung der Industrie und eine enge Anbindung in der Außenpolitik an die Sowjetunion2. In der Sowjetunion nahm im Jahre 1943 der Verein polnischer Patrioten seine Tätigkeit auf. Dieser wurde auf Initiative polnischer Kommunisten mit der Approbation der Sowjetunion gegründet und übernahm, da die diplomatischen Beziehungen zur Londoner Exilregierung abgebrochen waren, die Aufgabe der Repräsentation der Interessen des polnischen Volkes3. Er bemühte sich die Fürsorgeaufgaben wahrzunehmen, die bis dahin die polnische Botschaft in Moskau wahrgenommen hatte. Der Verein polnischer Patrioten handelte aber auch politisch. Sein Programm deckte sich mit dem der polnischen Arbeiterpartei, die im Land agierte. Ende 1943 schuf die polnische Arbeiterpartei eine Organstruktur, die nach der Befreiung die Macht in Polen übernehmen sollte. Am 1. Januar 1944 wurde der Landesvolksrat gegründet. Dieser sollte nach dem Krieg die Funktion eines Parlaments erfüllen. Der Führer des Landesvolksrats wurde Boleslaw Bierut. Der Landesvolksrat gründete Gebiets-, Woiwodschafts-, Gemeinde- und Kreisnationalräte, die allerdings hauptsächlich auf dem Papier vorhanden waren4. Diese Räte sollten nach dem Einmarsch der roten Armee in Polen die kommunistische Machtausübung sichern. Sie wurden nur von einem äußerst kleinen Teil der Bevölkerung unterstützt. Dieser Verband wurde aber von dem Verein polni-
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Michal Pietrzak, Druga Rzeczpospolita, in Historia ustroju i prawa polskiego, Juliusz Bardach, Bogustaw Lesnodorski, Michal Pietrzak, (Hrsg.), Warschau 1994, S. 461— 644 (620). 2 Pietrzak (Fn. 1), S. 619. 3 Pietrzak (Fn. 1), S. 620. 4 Pietrzak (Fn. 1), S. 621.
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scher Patrioten in Moskau anerkannt, der in ihm den wahren Repräsentanten des polnischen Volkes sah5. Im März 1944 begab sich eine Delegation des Landesvolksrats nach Moskau, um über die späteren Grundsätze der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion zu verhandeln und Kontakt zum Verein polnischer Patrioten aufzunehmen. Als Ergebnis wurde in einem Gespräch mit Stalin festgestellt, daß offizielle Beziehungen zum Landesvolksrat hergestellt werden sollten, sobald die sowjetische Armee in Polen einmarschiert wäre, und er dort berufen würde6. Am 21. Juli 1944 entstand aus dem Verein der polnischen Patrioten und dem Landesvolksrat in Moskau das Polnische Komitee der Volksbefreiung (PKWN), das allein die von der Sowjetunion abhängigen politischen Gruppierungen repräsentierte. Dies Komitee sollte die Funktion einer Regierung wahrnehmen7. Am 22. Juli 1944 überschritt die rote Armee die Ribbentrop-Molotov-Linie, am nächsten Tag verkündete Radio Moskau die Bildung des Polnischen Komitees der Volksbefreiung in Chelm, der dieser Linie am nächsten gelegenen Stadt. Das Polnische Komitee der Volksbefreiung nahm wenig später seinen Sitz in Lublin und wurde allgemein als das Lubliner Komitee bekannt8. Der Einfluß und die Handlungsmöglichkeiten des Polnischen Komitees der Volksbefreiung hing vom militärischen Standort der Sowjetarmee ab, die auf dem Gebiet Polens militärisch handelte. Am 26. Juli 1944 wurde zwischen der Regierung der Sowjetunion und dem Polnischen Komitee der Volksbefreiung eine Erklärung unterzeichnet, in der festgelegt wurde, daß die russische Regierung das Polnische Komitee der Volksbefreiung als alleinige Organisation ansah, die berechtigt sei auf dem Gebiet Polens einen Staatsapparat zu bilden. Am 31. Dezember 1944 erließ das Polnische Komitee der Volksbefreiung ein Dekret zur Gründung einer neuen Übergangsregierung. Ab dem 1. Januar 1945 bezeichnete sich das Polnische Komitee der Volksbefreiung als Übergangsregierung 9. Im Abkommen von Jalta im Februar 1945 wurde schließlich beschlossen, daß eine Übergangsregierung gebildet werden sollte, die auf eine breitere demokratische Grundlage gestellt werden sollte, an der die demokratischen Führer aus Polen selbst und aus dem Ausland beteiligt werden sollten. Letztlich blieb aber die Zusammensetzung der Übergangsregierung gleich. So wurde am 28. Juni 1945 offiziell die Bildung der Übergangsregierung verkündet. Die westlichen Mächte erkannten die neue 5
Krystyna Marek, Identity and Continuity of States in Public International Law, 2. Aufl., Genf 1968, S. 454. 6 Pietrzak(Fn. 1), S. 621. 7 Roman Kwiecin, To£samo£6 i ciagloSci prawnomi^dzynarodowa panstwa polskiego, Panstwo i Prawo, 1998, Heft 8, S. 13-25 (21). 8 Marek (Fn. 5), S. 454. 9 Marek (Fn. 5), S. 455.
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Regierung an, und zogen gleichzeitig ihre Anerkennung für die Emigrationsregierung zurück.
2. Der Umfang der Enteignungen im kommunistischen Polen
In Polen wurde das private Eigentum entsprechend der kommunistischen Ideologie möglichst weitgehend in Volkseigentum umgewandelt. Dies geschah durch Maßnahmen, die als Enteignungen bezeichnet wurden. Den Enteignungen wurde aber meist keine Entschädigungsregelung gegenübergestellt. Bereits während bzw. kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde mit den Enteignungen begonnen. Die Enteignungen der ersten Zeit erfolgten in der Regel durch Dekrete des Komitees der Volksbefreiung. Die Enteignungen erfolgten dabei in Bezug auf verschiedene Eigentumsgegenstände oder verschiedene Personenkreise die enteignet werden sollten. Die wichtigsten Enteignungen wurden hinsichtlich der Landwirtschaft und des Bodens durch das Dekret des polnischen Komitees der Volksbefreiung über die Bodenreform vom 6. September 194410 vorgenommen. Durch die Bodenreform wurden landwirtschaftliche Betriebe, die eine Gesamtfläche von 100 ha bzw. eine landwirtschaftliche Nutzfläche von 50 ha überschritten, entschädigungslos enteignet. Es handelte sich dabei um Legalenteignungen. Gemäß § 5 der Rechtsverordnung des Ministers für Landwirtschaft und Landwirtschaftsreformen vom 1. März 1945 mußte allerdings die Verwaltungsbehörde entscheiden, ob eine Liegenschaft unter den Tatbestand des Art. 2 Abs. le des Dekrets fällt, d.h. feststellen, ob die Enteignungsgröße erreicht wurde. Diese Feststellung hatte lediglich deklaratorische Bedeutung11. Die Grundstücke, die auf dem Gebiet der Stadt Warschau gelegen waren, wurden durch das Dekret vom 26. Oktober 1945 über das Eigentum und die Nutzung des Bodens auf dem Gebiet der Stadt Warschau12 entschädigungslos enteignet. Durch das Dekret vom 7. März 1948 über die Enteignung des Vermögens, das für Gemeinwohlzwecke während des Krieges im Zeitraum von 1939 bis 1945 eingezogen wurde,13 wurden die bereits im Besitz des Staates befindlichen Vermögensgegenstände einbehalten. Schließlich erfolgte die Enteignung der Wälder durch das Dekret des Komitees der Volksbefreiung vom 12. Dezember 1944 über die Übernahme einiger Wälder in Staatseigentum14. 10 Dz. U. 1945 Nr. 3, Pos. 13. Vgl. auch Peter Mohlek, Reprivatisierungsmöglichkeiten in Polen, Osteuropa Recht, 1994, S. 255. 11 Mohlek {Fn. 10), S. 254, m.w.N. 12 Dz. U. 1945, Nr. 50, Pos. 279. 13 Dz. U. 1948, Nr. 20, Pos. 138. 14 Dz. U. 1948, Nr. 57, Pos. 456.
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Die Enteignung des Vermögens der deutschen Minderheit bzw. der Grundstücke in den vormals deutschen Gebieten regelte das Dekret über verlassenes und aufgegebenes Vermögen vom 6. Mai 194515, ergänzt durch das Dekret über verlassenes und deutsches Vermögen vom 8. März 194616 und das Dekret über die landwirtschaftliche Ordnung und die Besiedelung der wieder gewonnenen Gebiete und der ehemaligen freien Stadt Danzig vom 6. September 194617. Durch die Dekrete über das verlassene und deutsche Vermögen wurde das deutsche Vermögen zunächst in die Verwaltung des Staates gestellt. Durch das zweite Dekret ging das gesamte deutsche Vermögen ex lege und entschädigungslos in Staatsbesitz über. Das verlassene Vermögen, d.h. ein solches, das sich infolge der Kriegsereignisse nicht im Besitz der Eigentümer befand, ging gemäß Art. 2 des Dekrets in das Eigentum des Staates über. Ausgeschlossen war allerdings von dieser Legalenteignung das Eigentum von Personen, die einer von den Deutschen verfolgten Nationalität angehörten. Gemäß Art. 15 des Dekrets konnte bis zum Ende des Jahres 1947 ein Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes bei den Behörden geltend gemacht werden. Allerdings nur insoweit dieser Besitz nicht nach anderen Vorschriften auch enteignet worden wäre. Die Enteignungen bezüglich des Vermögens der Angehörigen der ukrainischen Minderheit regelte das Dekret vom 27. Juli 1949 über die Übernahme durch den Staat von landwirtschaftlichen Liegenschaften in einigen Landkreisen der Wojewodschaften Bialystok, Lublin, Rzeszow und Krakau, die sich nicht im Gewahrsam der Eigentümer befinden 18. Aufgrund dieses Dekretes enteigneten die Landkreisbehörden Grundstücke, die den Angehörigen der ukrainischen Nationalität gehörten und die im Zuge der „Operation Weichsel" umgesiedelt worden waren. Die Verstaatlichung der Industrie fand ihren Auftakt in dem Dekret vom 3. Februar 1946 über die Übernahme der Grundzweige der Volkswirtschaft in Staatseigentum19. Durch dieses Dekret wurden Betriebe, die mehr als 50 Arbeitnehmer pro Schicht beschäftigten, enteignet. Hierbei handelte es sich wiederum wie bei den Enteignungen der Agrarreform um Legalenteignungen. Auch hier hatte die Entscheidung des Ministers, ob ein Betrieb die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllte, lediglich deklaratorische Bedeutung. Weiter wurden spezielle Branchen explizit zur Enteignung bestimmt, z.B. die Banken durch Dekret vom 25. Oktober 1948 über die Bankreform 20. Weiterhin wurde die Verstaatlichung auf das Dekret über die Staatsverwaltung vom 16. Dezember 15 16 17 18 19 20
Dz. U. Dz. U. Dz. U. Dz. U. Dz. U. Dz. U.
1945, Nr. 25, Pos. 97. 1946, Nr. 13, Pos. 87. 1946, Nr. 49, Pos. 279. 1949, Nr. 46, Pos. 339. 1946, Nr. 3, Pos. 71. 1948, Nr. 52, Pos. 412.
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1918 gestützt, das durch das Gesetz über die Regelung der Rechtslage des unter staatlicher Verwaltung stehenden Vermögens vom 25. Februar 1958 bestätigt wurde und die Übernahme eines großen Teils der Wirtschaftsbetriebe unter staatliche Zwangsverwaltung bedeutete. Viele Betriebe wurden daneben nach dem Dekret vom 16. Dezember 1918 über die staatliche Zwangsverwaltung21 und dem Gesetz vom 25. Februar 1958 über die Regulierung der Rechtslage des unter staatlicher Verwaltung stehenden Vermögens22 enteignet. Gemäß Art. 1 Abs. 3 des Dekrets von 1918 konnte die Zwangsverwaltung für gewerbliche Unternehmen angeordnet werden, deren Weiterbetrieb oder Inbetriebsetzung im Staatsinteresse lag. Dies setzte den Stillstand oder die Gefahrdung des Betriebes voraus. In der Praxis wurden diese Voraussetzungen jedoch mißachtet. Es wurde fast jeder Betrieb als gefährdet angesehen und das staatliche Interesse am Weiterbetrieb bejaht. Durch Gesetz vom 25. Februar 1958 wurde diese gesetzeswidrige Praxis schließlich sanktioniert. Nach Art. 2 dieses Gesetzes gingen die unter staatlicher Verwaltung stehenden Betriebe ex lege in das Staatseigentum über. Daneben erfolgten einzelne Enteignungen der Kirchen, der Apotheken, Banken und des privaten Eigentums für soziale Bedürfhisse. Die Aufzählung der Enteignungsmaßnahmen hier ist keinesfalls abschließend, es wurden auch Enteignungen ganz ohne Rechtsgrundlage durchgeführt, die Konfiszierung des Vermögens wurde besonders von 1944 bis 1956 als Nebenstrafe durch Strafurteil verhängt, weitere Enteignungen erfolgten aufgrund des Gesetzes zur Bewirtschaftung des Bodens und der Enteignungen. Dabei wurden die Enteignungsvorschriften oftmals extensiv ausgelegt und eine Entschädigung wurde auch dort wo sie qua Gesetz vorgeschrieben war, nicht gewährt. Als im Jahre 1989 die politische Wende eintrat, war die Industrie fast vollständig verstaatlicht. Der private Sektor erwirtschaftete 1989 nur 19,2 % des polnischen Nationaleinkommens, zieht man den Anteil der Genossenschaften ab, so ist der Anteil der privaten Wirtschaftstätigkeit noch geringer. Verteilt auf die einzelnen Branchen ergibt sich das folgende Bild. In der Industrie waren 7,4 % privat, im Baugewerbe 21,9 % , im Transportwesen 5,9 %, in der Kommunalwirtschaft 20 %, im Binnenhandel 4,8 %. Allein in der Landwirtschaft betrug der private Anteil 70,7 % 2 3 , da in Polen die Kollektivierung nicht vollständig durchgeführt wurde.
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Dz. U. 1918, Nr. 21 Pos. 67. Dz. U. 1958, Nr. 11 Pos. 37. 23 Daniel Wetstein, Konzepte, Methoden und Perspektiven des polnischen Privatisierungsprozesses, Rostocker Arbeitspapiere zu Wirtschaftsentwicklung und Human Resource Development, Nr. 3, Rostock 1996, S. 1 m.w.N. 22
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3. Die Ausgangs$ituation, durch die die Rückübertragung des ehemals enteigneten Vermögens möglich wurde
Nach den Verhandlungen des runden Tisches 1989 erfolgte ein einvernehmlicher Übergang der Macht. In der geschichtlichen Entwicklung wurde nach 1989 unmittelbar an die Verfassung der Volksrepublik Polen angeknüpft. Es wurde die Verfassung von 1952 in der Form wie sie bis 1989 galt, nämlich mit späteren Änderungen des Jahres 1976 und auch den Reformen des Jahres 1981 und 1985 weiterhin angewandt. Sie wurde im Jahre 1989 wesentlichen Änderungen unterzogen, das Rechtsstaats-, Sozialstaats- und Demokratieprinzip wurde eingeführt und es wurde 1992 die kleine Verfassung erlassen, die Regelungen über die Staatsorganisation enthielt. Im Wesentlichen wurde aber hier nicht erneut an die Rechtskraft der Vorkriegsverfassungen angeknüpft, sondern die Geltung der sozialistischen Verfassung, die in wesentlichen Teilen u.a. im Grundrechtsbereich fort galt, nicht in Frage gestellt. Der Grund für die Wahl der Verfassungskontinuität mag in der politischen These von der sich selbst beschränkenden Revolution24 begründet gewesen sein. Nach dieser These galt, daß es bei allen Veränderungen am Rande des Sowjetimperiums um den Wiederaufbau der Bürgergesellschaft ginge, nicht um den direkten Kampf mit der Staatsgewalt. Jeder Schritt auf dem Weg zu einer neuen Ordnung sei mit der bestehenden auszuhandeln, womit die Kontinuität im Wandel gewahrt blieb. Auch wenn diese Politik ursprünglich geopolitische Gründe gehabt hatte, hätten einige Vertreter der demokratischen Opposition sie später normativ aufgefaßt 25. Augenscheinlich bewirkte die verfassungsmäßige Veränderung der selbstbeschränkenden Revolution, daß die Gewalt nicht ausuferte und ein massiver Abbau von Rechten verhindert wurde26. Das wichtigste an den schriftlichen Verfassungen der alten Regime nach deren Niedergang war, daß sie relativ eindeutige Änderungsklauseln besaßen, die erlaubten aus fiktiven Verfassungen, wirkliche zu machen27.
IQ. Die Praxis der Entschädigung in Polen In Polen ist eine lückenlose gesetzliche Regelung des Bereichs der Rückübertragung von enteignetem Vermögen bisher nicht erfolgt. Gesetzliche Regelungen existieren bislang lediglich für den Bereich der Rückübertragung des
24 Andrew Arrato, Bruch oder Kontinuität, Verfassungsdebatten in den neuen Demokratien, Transit, Europäische Revue, 1995, S. 6- 22, S. 9. 25 Arrato (Fn. 24), S. 9. 26 Arrato (Fn. 24), S. 10. 27 Arrato (Fn. 24), S. 11.
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Vermögens der verschiedenen Kirchen und Religionsgemeinschaften, sowie für das Vermögen der Gewerkschaften. Ein allgemeines Gesetz zur Rückübertragung ist bislang gescheitert und es sind momentan keine Bemühungen seitens des Gesetzgebers ersichtlich, einen erneuten Vorstoß in Richtung auf ein solches allgemeines Gesetz zu unternehmen. Allerdings ist im Moment ein Gesetzentwurf für ein partielles Entschädigungsgesetz für die Enteigneten, die aus den Gebieten jenseits des Bugs nach Polen „umgesiedelt" wurden im Gespräch. Daneben befinden sich in einzelnen Gesetzen ansatzweise Regelungen für eine Bevorzugung der Alteigentümer, wobei diese Regelungen jedoch vereinzelt sind und keine Ansatzpunkte für eine allgemeine Rückübertragung liefern. Der Großteil der Betroffenen ist auf die Geltendmachung der Ansprüche auf Restitution vor den Gerichten verwiesen.
1. Die gesetzliche Regelung zur Rückgabe des Vermögens der Kirchen und der Gewerkschaften
Echte gesetzliche Rückübertragungsregeln, d.h. solche, die die Rückgabe des enteigneten Eigentums oder die Entschädigung regeln sowie das Verhältnis der Alteigentümer zu den neuen Besitzern, sind nur für den Bereich der Kirchen und der Gewerkschaften vorhanden. Bereits 1989 erhielten die römischkatholische und die griechisch-katholische Kirche aufgrund der Art. 60 ff. des Gesetzes über die Beziehungen der Volksrepublik Polen zur katholischen Kirche von 1989 ihr Vermögen zurück. Diese Kirchen erhalten hiernach ihr Vermögen als Eigentum, wenn sie zu einem bestimmten Stichtag Besitz an diesen Vermögensgegenständen hatten, vorher Eigentümer waren und ihnen dieses Eigentum aufgrund bestimmter, im Einzelnen im Gesetz aufgeführter Enteignungsgesetze, entzogen wurde. Andere Vermögensgegenstände, die sich nicht in ihrem Besitz befinden, können sie von den Besitzern heraus verlangen, wenn ihnen das Eigentum aufgrund bestimmter Gesetze entzogen wurde. Über die Ansprüche entscheidet eine Vermögenskommission, die nach § 62 des Gesetzes gebildet wird und zur Hälfte aus Vertretern des Episkopats, zur Hälfte aus Mitgliedern des Amts für Glaubensangelegenheiten besteht. Ansprüche konnten nur bis zu zwei Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes vorgebracht werden. Später wurden für die anderen Religionsgemeinschaften wie z.B. die evangelischen Kirchen und die jüdischen Gemeindeverbände aufgrund separater Gesetze ebenfalls entsprechende Rückübertragungsregeln geschaffen. 1994 trat das Gesetz über die Beziehung des Staates zur evangelisch-augsburgischen Kirche in der Republik Polen in Kraft 28, 1997 wurde durch die Änderung des Gesetzes über die Freiheit des Gewissens und des Bekenntnisses sowie verschiedener an28
Dz. U. 1994, Nr. 73, Pos. 323.
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derer Gesetze29 eine Regelung in das Gesetz über die Freiheit des Gewissens und des Bekenntnisses aufgenommen, nach der auch alle übrigen Glaubensgemeinschaften und Kirchen, für deren Status bisher ein Gesetz fehlte, Ansprüche auf die Rückgabe ihres enteigneten Vermögens geltend machen können. Die Regelungen in den einzelnen Gesetzen entsprechen im Wesentlichen den Regelungen, wie sie für die katholische Kirche gelten. Es wurden auch hier Kommissionen gebildet. Die Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen für bisher nicht geregelte Fälle lief am 31. Dezember 1998 aus. Die Gewerkschaften und sonstige gesellschaftliche Organisationen erhielten ihr Vermögen, das ihnen aufgrund der Verhängung des Kriegsrechts 1981 entzogen worden war, aufgrund des Gesetzes vom 25. Oktober 1990 über die Rückgabe des Vermögens, das die Gewerkschaften und gesellschaftlichen Organisationen in Folge der Einführung des Kriegszustands verloren hatten, wieder 30. Gemäß Art. 2 Abs. 3 dieses Gesetzes wandelte sich der Rückgabeanspruch in einen Anspruch auf Entschädigung, soweit das Vermögen untergegangen war. In bestimmten Gesetzen lassen sich Ansätze zu einer Bevorzugung von Alteigentümern finden. Art. 23 des Gesetzes über die Bewirtschaftung des Bodens31 bevorzugt die Alteigentümer beim Verkauf von staatlichen Grundstükken. Das Gesetz sieht jedoch nicht die unentgeltliche Rückgabe der Grundstükke an die Alteigentümer vor, sondern nur eine Bevorzugung bei der Auswahl der Kaufinteressenten. Die Alteigentümer müssen ihre Grundstücke zum selben Preis erwerben, den auch die übrigen Bewerber zahlen müssen. Auch Art. 6 Abs. 1 des Gesetzes über die Umgestaltung des ewigen Nießbrauchs in Eigentum32 bevorzugt die ehemaligen Eigentümer. Bestimmte Personengruppen, die vormals ihr Vermögen verloren haben, haben das Recht von den Gemeinden zu fordern, daß ihr Recht auf Erbnießbrauch an Grundstücken, unentgeltlich in das Eigentumsrecht umwandelt wird. Die Personengruppen, die die unentgeltliche Übertragung des Eigentums fordern können, sind zum einen diejenigen, denen das Grundstück in ewigen Nießbrauch übergeben wurde, weil sie ihr Vermögen in Folge des Krieges von 1939 bis 1945 verloren haben und ihr Eigentum in den Gebieten zurückgelassen haben, die gegenwärtig nicht in das Gebiet des polnischen Staates fallen (Art. 6 Abs. 1 Nr. 1), sowie diejenigen, die aufgrund von völkerrechtlichen Abkommen, die der polnische Staat abgeschlossen hat, ein Äquivalent für ihr im Ausland zurückgelassenes Vermögen erhalten sollten und der Wert dieses Vermögens die Gebühr, die in Art. 4 des 29 30 31 32
Dz. U. 1997, Nr. 59, Pos. 375. Einheitlicher Text in Dz. U. 1996, Nr. 143, Pos. 661. Dz. U. 1997, Nr. 115, Pos. 741. Dz. U. 1999, Nr. 65, Pos. 746.
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Gesetzes genannt wird, übersteigt (Art. 6 Abs. 1 Nr. 2), sowie diejenigen, denen der ewige Nießbrauch an Grundstücken in Zusammenhang mit einer Enteignung, die nach 1949 und vor dem 1. August 1985 vorgenommen wurde, eingeräumt wurde (Art. 6 Abs. 1 Nr. 3), sowie diejenigen, denen der ewige Nießbrauch im Ausgleich für die Entziehung des Vermögens zu Gunsten des Fiskus aufgrund irgendeines Titels vor dem 5. Dezember 1990 eingeräumt wurde (Art. 6 Abs. 1 Nr. 3a), sowie diejenigen, denen als vorläufigen Eigentümern oder ihren Rechtsnachfolgern das Recht auf ewigen Nießbrauch oder das Recht auf Bebauung aufgrund des Art. 7 des Dekrets vom 26. Oktober 1945 über das Eigentum und die Nutzung des Bodens im Gebiet der Stadt Warschau eingeräumt wurde, wobei der Termin der Einräumung dieses Rechts unerheblich ist (Art. 6 Abs. 1 Nr. 6).
2. Die gesetzgeberischen Vorschläge hinsichtlich eines allgemeinen Gesetzes zur Rückübertragung des Vermögens an andere Enteignete
Seit 1989 wurden Überlegungen zu einem allgemeinen Reprivatisierungsgesetz angestellt33. Aufgrund der wechselnden politischen Mehrheiten kam es jedoch bisher nicht zur Verabschiedung eines neuen Gesetzes. Zuletzt versprach der Gesetzentwurf der Regierung Buzek vom 20. September 1999 über die Reprivatisierung der Immobilien und einiger beweglicher Sachen von natürlichen Personen, die durch den Staat oder die Gemeinde der Hauptstadt Warschau enteignet wurden34, eine abschließende Regelung der Reprivatisierung. Der Gesetzentwurf sah vor, daß nur polnische Staatsangehörige zur Entschädigung berechtigt sein sollten. Dabei mußte die polnische Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Enteignung vorhanden gewesen sein und zum Stichmonat im Dezember 1999. Die Erben der vormaligen Eigentümer konnten nach Art. 3 Nr. 5 des Entwurfes auch Ansprüche geltend machen. Auch für die Erben galt das Erfordernis, des Innehabens der polnischen Staatsangehörigkeit. Voraussetzung des Anspruchs sollte entweder sein, daß eine Enteignung aufgrund eines Rechtsakts erfolgte, der im Katalog des Art. 2 des Entwurfs aufgeführt war, oder daß das Vermögen allgemein durch den Staat in den Jahren 1944 bis 1962 ohne Rechtsgrundlage oder unter deutlicher Verletzung der Vorschriften konfisziert worden war. Entschädigt werden sollten auch Enteignungsmaßnahmen, die nach dem 1. September 1939 von der deutschen Okkupationsmacht durchgeführt worden waren, wenn das enteignete Vermögen anschließend vom polnischen Staat übernommen worden war. Als Rechtsfolge sah der Entwurf die 33 Ergänzend hierzu, Tina de Vries, Die Eigentumsgarantie in Polen, WGO 2000, S. 173-182(180). 34 Druk Sejmowy Nr. 1360 vom 20. September 1999.
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Rückgabe des Vermögens oder die Zahlung einer Entschädigung vor. Es sollte jedoch nur jeweils die Hälfte des Wertes ersetzt werden. Die Auszahlung der Entschädigung sollte in Reprivatisierungsbons erfolgen. In verschiedenen Fällen war die Rückgabe ausgeschlossen, z.B. generell die Rückgabe von Wäldern oder bestimmten Kulturdenkmälern, die in einem Anhang zum Gesetz aufgezählt wurden. Die Rückgabe sollte in einigen Fällen nur zeitlich verzögert erfolgen, wenn bestimmte staatliche Institutionen wie Krankenhäuser oder Schulen im Besitz der Immobilie waren. Besonders kontrovers bei diesem Entwurf wurde die Frage nach der Höhe der Entschädigung diskutiert. Für die Organisationen der ehemaligen Eigentümer war die Rückgabe nur der Hälfte des Werts der enteigneten Immobilie zu gering, während die Gegner des Entwurfs bereits die Rückgabe des hälftigen Wertes aufgrund der schlechten Haushaltslage für ausgeschlossen hielten. Daneben war die Frage, ob Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs der Besitz der polnischen Staatsangehörigkeit zum Stichmonat Dezember 1999 sein sollte, besonders strittig. Am 5. Mai 2001 scheiterte der Gesetzentwurf wegen des Vetos des polnischen Präsidenten endgültig.
3. Die Rückübertragung in der Rechtsprechung der polnischen Gerichte
Bislang bleibt den Alteigentümern mangels einer gesetzlichen Rückgaberegelung nur der Weg vor die Gerichte, um ihre Ansprüche auf Rückübereignung durchzusetzen. In der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte haben sich bestimmte Fallgruppen zu den Enteignungen entwickelt. Nach Art. 156 VwVfG sind Verwaltungsakte nichtig, wenn sie ohne Rechtsgrundlage bzw. unter grober Verletzung der Rechtsgrundlage ergangen sind. Sie entfalten jedoch im polnischen Recht Tatbestandswirkung und müssen durch die zuständige Verwaltung bzw. das Verwaltungsgericht aufgehoben werden. Diese Fallgruppe erfaßt alle Fälle, in denen die Enteignung durchgeführt wurde, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen der Enteignung nicht vorlagen. Dies ist z.B. in dem Fall gegeben, daß ein Betrieb enteignet wurde, der weniger als 50 Arbeiter pro Schicht35 beschäftigte. Man kann in diesen Fällen den deklaratorischen Verwaltungsakt anfechten, der erforderlich war, um festzulegen, daß der Betrieb die nach dem Gesetz vorgesehene Größe erreichte. Der Antrag auf die Feststellung der Nichtigkeit des Enteignungsverwaltungsakts muß bei der Verwaltung - dem Woiwoden oder dem zuständigen Minister - gestellt werden.
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Die Grenzgröße, nach der Enteignungen durch das Dekret über die Übernahme der Grundzweige der Volkswirtschaft in Staatseigentum vom 3. Februar 1946 zulässig war.
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Eine grobe Verletzung des geltenden Rechts ist nach der Rechtsprechung des Hauptverwaltungsgerichts jede Rechtsverletzung, sofern sie Rechtsfolgen nach sich zieht, die mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren sind36. Jedoch ist nach Art. 156 § 2 VwVfG die Feststellung der Nichtigkeit ausgeschlossen, wenn die Entscheidung unumkehrbare Rechtsfolgen nach sich gezogen hat. Der Begriff der unumkehrbaren Rechtsfolge wird von den Verwaltungsgerichten dahingehend ausgelegt, daß nur die unmittelbaren Rechtsfolgen eines Verwaltungsakts hierunter fallen, nicht dagegen Ereignisse, die lediglich in einem kausalen Verhältnis zu dem Verwaltungsakt stehen37. Für die Möglichkeit der Beseitigung der Rechtsfolgen kommt es nach Ansicht der Rechtsprechung darauf an, ob bestimmte Rechtswirkungen durch kompetenzgerechtes Verwaltungshandeln herbeigeführt werden können oder nicht. Die tatsächlich vorhandene Möglichkeit der Wiederherstellung ist dagegen unerheblich38. Die Zerstörung eines nationalisierten Bauwerks verhindert somit nicht die Feststellung der Nichtigkeit der Enteignung. Eine unumkehrbare Rechtsfolge ist jedoch dann anzunehmen, wenn ein Dritter aufgrund eines Vertrages ein zuvor nationalisiertes Vermögensobjekt gutgläubig erworben hat 39 . Durch die Übertragung des Eigentums auf die Kommunen bzw. auf die Staatsunternehmen im Rahmen der Umgestaltung des Eigentums Anfang der 90er Jahre wurden die Rechte der Alteigentümer nicht berührt, da diese juristischen Personen nur unbeschadet der Rechte Dritter das Eigentum erhielten40. Ist die Feststellung der Nichtigkeit nach Art. 156 § 2 VwVfG unzulässig, weil eine unumkehrbare Rechtsfolge vorliegt, so kann der Kläger Schadensersatz nach Art. 160 § 1 VwVfG beantragen41. Die Haftung ist verschuldensunabhängig, der Schadensersatz ist auf Geldleistung und auf die tatsächlich eingetretene Minderung des Vermögens beschränkt. Die Fallgruppe der Nichtigkeit der Enteignungsentscheidung nach Art. 156 VwVfG ist die praktisch bedeutsamste Fallgruppe der Rückerstattung. Spricht die zuständige Verwaltungsbehörde die Nichtigkeit nach Art. 156 VwVfG Polen nicht aus, oder greift der gegenwärtige Besitzer die Entscheidung an, gelangt die Frage vor das Verwaltungsgericht. Entscheidet das Verwaltungsgericht in der Sache zugunsten des ehemaligen Eigentümers, so kann der Besitzer jedoch weiterhin die Herausgabe verweigern. Er kann bestimmte
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Janusz Borkowski, Barbara Adamiak, Kodeks post^powania administracyjnego, Kommentarz, Warszawa 1996, Art. 156 Anm. 5. 37 Mohlek (Fn. 10), Fn. 1, S. 264 f. m.w.N. 38 Beschluss des OG vom 28.5.1992, Orzecznictwo S^du Najwyzszego Izba Cywilna (nachfolgend OSNIC), 1992, Pos. 211. 39 OSNIC, 1992, Pos. 211. 40 Mohlek (Fn. 10), S. 264, vergleiche dazu aber die Rechtsprechung des VerfGH. 41 OSNIC 1989, S. 29.
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Einwände im zivilgerichtlichen Verfahren vorbringen. Zunächst kann der Besitzer vor den Zivilgerichten geltend machen, daß er das Gebäude mittlerweile durch Ersitzung gemäß Art. 172 § 1 Zivilgesetzbuchs erworben hat. Gemäß Art. 172 § 1 des Zivilgesetzbuchs erwirbt man eine Sache durch Ersitzung, wenn man sie 20 Jahre kontinuierlich im Eigenbesitz gehabt hat und gutgläubig ist, oder nach 30 Jahren, wenn man nicht im guten Glauben war. Es ist jedoch gefestigte Rechtsprechung des Obersten Gerichts, daß die Entscheidung der Verwaltung über die Nichtigkeit des Verwaltungsakts eine ex tunc Wirkung entfaltet und daß der Zeitraum des Besitzes nicht zur Errechnung der erforderlichen Ersitzungszeit hinzugezählt werden darf. 42 In weiteren Verfahren kann der Besitzer sämtliche Ansprüche aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis geltend machen. Dies hat zur Folge, daß der Staat, der meist im Besitz der Immobilie ist, die Herausgabe jahrelang verschleppen kann. Während der Jahre 1944 bis 1956 verhängten die Gerichte häufig als Nebenstrafe die Konfiszierung des Vermögens. Im Falle der Aufhebung der alten Verurteilung infolge einer außerordentlichen Revision oder nach Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgt die Rückgabe des eingezogenen Vermögens nach Art. 168 und 169 Strafvollstreckungsgesetzbuch. Gemäß Art. 69 Abs. 1 des Gesetzes über die Enteignung und die Bewirtschaftung des Bodens von 198543, bzw. gemäß Art. 137 des Gesetzes über die Bewirtschaftung des Bodens von 1997 kann ein enteignetes Grundstück heraus verlangt werden, wenn es für den Zweck der Enteignung entbehrlich geworden ist. Der Rückgabeanspruch erstreckt sich auch auf die während der Geltung des EnteignungsG vom 12. März 1958 veräußerten Liegenschaften, wenn der Abschluß des Kaufvertrages unter dem Druck einer drohenden Enteignung erfolgte 44. Dagegen werden die nach dem Gesetz von 1985 erfolgten Verkäufe, die Enteignungen gleichkamen, nicht berücksichtigt. Die Rückgabe kann allerdings unter der Voraussetzung, daß die enteignete Liegenschaft für die Zwecke, zu denen sie enteignet wurde, entbehrlich geworden ist, nur dann zurückgegeben werden, wenn sie sich weiterhin im Besitz des Fiskus oder einer Gemeinde befindet. Die Rückgabe ist jedoch ausgeschlossen, wenn sich das Grundstück im Besitz eines Dritten befindet. Als Dritter gelten auch Staatsunternehmen45. Es ist im Ergebnis somit festzustellen, daß eine allgemeine Rückgabe aufgrund gesetzlicher Bestimmungen in Polen nicht erfolgt. Somit stellt sich die 42
Orzecznictwo S^döw Polskich (nachfolgend OSP), 1993, 7-8, S. 153; OSNCP 1994,3, S. 49. 43 Dz. U. 1985, Nr. 22 Pos. 99; mittlerweile wurde dieses Gesetz durch das Gesetz über die Bewirtschaftung der Grundstücke vom 21.8.97, Dz. U. 1997, Nr. 115, Pos. 741 aufgehoben und ersetzt. Gleichlautende Vorschriften befinden sich jetzt in Art. 136 ff. dieses Gesetzes. 44 OSNIC 1985 Pos. 124, 1992, Pos. 56. 45 MohlekQFn. 10), S. 272 f.
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Frage, ob unter der geltenden Verfassung ein Anspruch auf Rückübertragung besteht oder ob i m Gegenteil die Verfassung die Rückübertragung im Gesetzeswege sogar verbietet.
4. Die Rückübertragung in der Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichts Bereits die in den Jahren 1989 bis 1997 geltende, geänderte Verfassung von 1952 regelte das Eigentum an mehreren Stellen: Das Eigentum war an einzelnen Stellen garantiert, zum einen in Art. 6 und 7 und in Art. 91 der Verfassung von 1952 geregelt und in Art. 70, 71 der kleinen Verfassung. Art. 6 (der geänderten Verfassung von 1952): Die Republik Polen gewährleistet die wirtschaftliche Handlungsfreiheit ungeachtet der Eigentumsform; diese Freiheit darf lediglich durch Gesetz eingeschränkt werden. Art. 7 (der geänderten Verfassung von 1952): Die Republik Polen schützt das Eigentum und das Erbrecht und gewährleistet den vollen Schutz des persönlichen Eigentums. Die Enteignung ist nur zu öffentlichen Zwecken und gegen gerechte Entschädigung zulässig. Art. 91 (der geänderten Verfassung von 1952): Jeder Bürger der Republik Polen ist verpflichtet, das gesellschaftliche Eigentum zu schützen und es als unerschütterliche Grundlage der Entwicklung des Staates, als Quelle des Reichtums und der Kraft des Vaterlandes zu festigen. Art. 70 Nr. 3 (der kleinen Verfassung): Das einer Einheit der örtlichen Selbstverwaltung zustehende Eigentumsrecht und andere Vermögensrechte sind Gemeindegut. Die polnische Verfassung aus dem Jahr 1997 regelt das Eigentum ebenfalls an mehreren Stellen. Art. 21: 1. Die Republik Polen schützt das Eigentum und das Erbrecht 2. Eine Enteignung ist nur dann zulässig, wenn sie zu öffentlichen Zwecken und gegen gerechte Entschädigung durchgeführt wird. Art. 64: Jedermann hat das Recht auf Eigentum und andere Vermögensrechte sowie das Erbrecht. 2. Das Eigentum, andere Vermögensrechte und das Erbrecht unterstehen dem für alle gleichen rechtlichen Schutz. Das Eigentum darf nur im Gesetzeswege und nur soweit eingeschränkt werden, daß das Wesen des Eigentumsrechts nicht verletzt wird. Art. 165: Einheiten der örtlichen Selbstverwaltung sind juristische Personen. Ihnen stehen das Eigentumsrecht und andere Vermögensrechte zu.
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Der Schutzumfang des Eigentumsrechts in der polnischen Verfassimg ist mit dem durch Art. 14 GG gewährten durchaus vergleichbar. Allerdings wird in der polnischen Verfassung auch den Gemeinden das Eigentumsrecht gewährt. Der polnische Verfassungsgerichtshof (VerfGH) entschied in einer Vielzahl von Fällen allgemein zur Rückübertragung - genauer gesagt - zur Vereinbarkeit einer gesetzlich geregelten Reprivatisierung mit der gegenwärtig geltenden Verfassung. In einer ersten Entscheidung begründet er die Zulässigkeit der Möglichkeit der Reprivatisierung mit dem axiologischen Hintergrund des Systemwechsels von 1989. Dabei bedeutet die Axiologie der Verfassung im Wesentlichen das gleiche wie die Werteordnungstheorie des BVerfG. Es geht dabei um die Werte, die den einzelnen Verfassungsbestimmungen zugrunde liegen. In einer weiteren Entscheidung aus dem gleichen Jahr46 wird im Zusammenhang mit dem Entzug des Eigentums einer kommunalen Gebietskörperschaft ausgeführt, daß solche Eingriffe (Entzug des Eigentums einer Kommune ohne Entschädigung zum Zwecke der Wiedergutmachung) keine Enteignungen seien, da die Einnahme des gegenteiligen Standpunktes dazu führen würde, daß insbesondere die Zulässigkeit solcher Bedingungen der Eigentumsumgestaltung, wie die teilweise Privatisierung oder Reprivatisierung des öffentliche Vermögens (das den staatlichen und kommunalen Rechtspersonen gehört) - unter unäquivalenten Bedingungen - verneint würde. Die Zulässigkeit einer solchen gesetzlichen Regelung aufgrund der axiologischen Grundlagen der gegenwärtigen Verfassungsordnung würde dagegen keine Zweifel wecken47. In einer weiteren Entscheidimg aus dem Jahr 199648 betont das Verfassungsgericht nochmals ausdrücklich, daß die Reprivatisierung eines der offiziell angenommenen Postulate des gesellschaftlichen Umbruchs sei, obwohl ihr Umfang, ihre Grundsätze und Formen ein kontroverses Problem darstellen würden, dessen Lösung hauptsächlich von politischen Entscheidungen abhängig sei. Das Verfassungsgericht erläutert, daß die Idee der Reprivatisierung sich nach 1989 auf die Überzeugung gründen würde, daß die Eigentumsänderungen der vorherigen Gesellschaftsordnung (seit den 40er bis zu den 80er Jahren) besonders, wenn sie den Charakter von erzwungenen, und ohne eine Entschädigung zuerkennenden Enteignungen hatten, nicht in Übereinstimmung mit den allgemein anerkannten Standards des Eigentumsschutzes gewesen wären, die insbesondere erforderten, daß jede Enteignung mit wichtigen öffentlichen Zielen gerechtfertigt werden müsse und daß das Recht auf eine gerechte Entschädigung gewährt werden müsse49. Das Verfassungsgericht äußert sich hierzu in der gleichen Entscheidung an anderer Stel46 Orzecznictwo Trybunahi Konstytucyjnego (nachfolgend OTK), 1996 Bd. I, Pos. 10, Orz. Z dnia 9.1.1996, (K 18/95), S. 37. 47 OTK 1996 Bd. I, Pos. 10, Orz. Z dnia 9.1.1996 (K 18/95), S. 37. 48 OTK 1996 Bd. I Pos. 20, Orz Z dnia 18.6.1996 (W. 19/95), S. 288. 49 Ebd.
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le 50 dahingehend, daß das Problem der Wiedergutmachung für die Eigentümer, denen widerrechtlich ihr Eigentum vor dem Jahr 1990 entzogen wurde, bisher durch den Gesetzgeber nicht generell gelöst worden sei, jedoch könne man in der Gesetzgebung, die nach dem Jahr 1989 aufgestellt wurde, Vorschriften finden, die - mit einem begrenzten Wirkungskreis - eine Tendenz zur Reprivatisierung erkennen lassen würden und die ein Instrument der Abrechnung mit der Gesetzgebung und der Praxis der Vergangenheit seien. Das Verfassungsgericht würde generell eine Tendenz zur Reprivatisierung feststellen, die sich in offiziellen Äußerungen und in zahlreichen Gesetzgebungsinitiativen ausdrücken würden, in der Praxis der Verwaltungsorgane und der Gerichte durch die Auflockerung - auf Grund der entsprechenden Verfahrensvorschriften - der in der Vergangenheit unter Verletzung des Rechts ergangenen Entscheidungen und Urteile, die die Verletzung des Eigentums zur Folge hatten51. In einer Entscheidung aus dem Jahr 200052 nahm das Verfassungsgericht erneut zur Reprivatisierung Stellung. Es ging hier um die Verfassungsgemäßheit eines Gesetzes, das die unentgeltliche Umgestaltung des Erbnießbrauchs in ein volles Eigentumsrecht an gemeindlichen Grundstücken anordnete, was als ein Teilbereich der Massenprivatisierung bzw. als Teil der Reprivatisierung in Bezug auf einen bestimmten Personenkreis (nämlich die Enteigneten die aus den polnischen Ostgebieten kamen) vom Gesetzgeber gedacht war. Der VerfGH stellte zunächst einen Eingriff in den Schutzbereich der Garantie des Eigentums der Gemeinden fest. Hinsichtlich der Rechtfertigung des Eingriffs führte es aus, daß die Zulässigkeit der Verminderung der Vermögensrechte, die den Einheiten der territorialen Selbstverwaltung zusteht, schon mehrmals Gegenstand von Verfassungsgerichtsentscheidungen gewesen sei. Aufgrund des spezifischen Status des kommunalen Vermögens, unterliege sein Schutz einer eigenen Modifikation, daher müßten die Gemeinden mit der Begrenzung der ihnen zuerkannten Vermögensrechte rechnen, sooft dies die Ordnung der Hinterlassenschaften der VRP an die neuen Systembedingungen erfordere. Man könne nicht die Fakten aus dem Blick verlieren, daß die Gemeinden, in der Folge der Zerschlagung des einheitlichen staatlichen Eigentumsfonds mit ihrem Vermögen ausgestattet worden wären. Dieser Fonds stelle die finanzielle Deckung für alle Reformen dar. Die Chronologie der Ereignisse, die Kommunalisierung des staatlichen Vermögens, die Ausstattung der staatlichen Unternehmen mit ihrem Vermögen, die Ausstattung der Genossenschaften, die Reprivatisierung usw., würden in gewissem Sinne eine Folge der Ereignisse darstellen, die nicht im rechtlichen Bereich liegen, solchen wie dem Hinwegfegen der ökonomischen oder politischen Konzeption. Alle diese Veränderungen könne man nicht nur 50 51 52
OTK 1996, Bd. I, Pos. 20, Orz. Z dnia 18.6.1996, (W 19/95), S. 288. Ebd. OTK, Wyrok z dnia 12.4.2000, Sign K. 8/98.
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aus dem Grunde ablehnen, daß die Verwaltungsreform, deren Folge die Parzellierung des staatlichen Vermögens gewesen sei, zeitlichfrüher erfolgte als andere Reformen. Die Einheiten der territorialen Selbstverwaltung müßten also mit der Notwendigkeit der Tragung eines Teils der Kosten der Reformen rechnen, obwohl die Ingerenz in die den Gemeinden zuerkannten Vermögensberechtigungen um so vorsichtiger vorgenommen werden müßte, je weiter entfernt sie von dem Grenzdatum des 27. Mai 1990 liege53. Diese Entscheidung ist insofern interessant, als sie den zeitlichen Faktor in die Argumentation einführt. In einer weiteren Entscheidimg aus dem Jahr 2001 lehnte der VerfGH hingegen die Belastung der Genossenschaften mit den Kosten der Reprivatisierung ab. Hinsichtlich des Eigentumsschutzes des Eigentums der Genossenschaften (die ebenfalls im Wege der Kommerzialisierung ihre Eigentumspositionen erworben hatten), stellte das Gericht fest, daß hier der vollständige Schutz des inzwischen privaten Eigentums dieser Rechtssubjekte angenommen werden müsse54. Ein Entzug des Eigentums dieser privaten Genossenschaften stellt eine Enteignung dar, der eine Entschädigungsregelung gegenüber gestellt werden muß. In dieser Entscheidung führt der VerfGH im obiter dictum aus, daß der Gesetzgeber das Recht habe, Mittel zu ergreifen, die darauf zielten, die Folgen der in der Vergangenheit erfolgten Verletzungen von Rechten und Freiheiten des Einzelnen umzukehren. Natürlich müsse sich die Realisierung dieses Ziels im Rahmen von Art. 31 Abs. 3 der Verf. (der Eigentumsgarantie der Verf.) halten, d.h. es dürfe nicht zu einer unbegründeten oder übermäßigen Begrenzung der Rechte und Freiheiten anderer Personen führen 55. Nach der Rechtsprechung des VerfGH allgemein zur Reprivatisierung kann man somit Folgendes schlußfolgern: Die Reprivatisierung durch Gesetz ist verfassungsrechtlich nicht verboten. Vielmehr steht insbesondere die Garantie des Eigentums der Gemeinden, die in der Vielzahl der Fälle im Besitz der enteigneten Grundstücke stehen, einem Reprivatisierungsgesetz nicht entgegen. Hier gibt es aber die zeitliche Verfestigung der ursprünglich mit den Ansprüchen der ehemals Enteigneten belasteten Rückübertragungsansprüche. Je später eine Reprivatisierung durch Gesetz erfolgt, um so eher muß sie auch Entschädigungsregelungen für die Gemeinden bereithalten. In bezug auf die Reprivatisierung des Vermögens, das sich in privaten Händen befindet, würde bei der Rückübertragung eine Enteignung erfolgen und somit eine Entschädigungsregelung erforderlich sein. Dem polnischen Verfassungsgericht lag im Jahre 2001 erstmals eine Verfassungsbeschwerde eines nach dem Dekret über die Bodenreform von 1944 ent53 54 55
OTK, Wyrok z dnia 12.4.2000, Sign. K 8/98. OTK, Wyrok z dnia 29.5.2001, Sign. K. 5/01. OTK, Wyrok z dnia 29.5.2001, Sign. K 5/01.
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eigneten Beschwerdeführers vor 56 . Die Beschwerdeführerin beantragte festzustellen, daß Art. 2 Abs. 1 lit. e des Dekrets des Polnischen Komitees der Volksbefreiung vom 6. September 1944 über die Durchführung der Bodenreform unvereinbar mit Art. 2 und 21 sowie Art. 64 und 32 der Verfassimg von 1997 sei. Dabei ging es in diesem Fall nicht darum, daß die damalige Entscheidung aufgrund des Dekretes nichtig sei, weil die erforderliche Größe, die für die Enteignung erforderlich sei, unterschritten war, mithin die Voraussetzungen des Dekrets nicht vorlagen. Das Verwaltungsverfahren und die anschließenden Gerichtsverfahren der Beschwerdeführerin blieben deswegen auch ohne Erfolg. Ihre Verfassungsbeschwerde begründete die Beschwerdeführerin mit den Argumenten, daß die Bodenreform nicht nur die Enteignung des Bodens umfaßte, sondern auch das Inventar. Somit sei Ziel der Enteignung nicht nur die Bodenreform gewesen, sondern auch die Liquidierung der feindlichen Klasse der Grundbesitzer, womit das Dekret die damals geltenden Art. 95, 96, 99 sowie 121 der Verfassung vom März 1921 verletzt hätte57. Des Weiteren argumentierte die Beschwerdeführerin, daß die genannte Vorschrift des Dekrets nicht mit den Art. 2, 21 Abs. 1, 32 sowie Art. 64 der Verfassung von 1997 in Übereinstimmung stünde58. Außerdem trug sie vor, daß das polnische Nationale Befreiungskomitee keine Gesetzgebungsbefugnisse gehabt hätte, da es nicht durch kompetente Verfassungsorgane berufen worden sei59. Der Generalstaatsanwalt, der in Polen bei allen Verfahren vor dem Verfassungsgericht beteiligt ist, führte für die Gegenseite aus, daß das Dekret über die Bodenreform in den Jahren 1944 bis 1989 im Range der Verfassung galt, da sowohl der Titel des Dekrets wie auch der Inhalt daraufhinweise, daß es diesen Rang gehabt habe60. Der Generalstaatsanwalt unterstrich, daß die Enteignung unmittelbar durch das Dekret erfolgte, das somit durch die einmalige Anwendung konsumiert wurde. Würde man die Unvereinbarkeit der streitbefangenen Vorschrift mit der Verfassung annehmen, würde dies praktisch bedeuten, daß die materiell-rechtlichen Folgen einer Vorschrift, die vor fünfzig Jahren eingetreten wären, aufgehoben würden61. Der Generalstaatsanwalt räumte ein, daß eine Enteignung nach Art. 2 des Dekrets unzweifelhaft mit den genannten Artikeln der Verfassung von 1997 in Widerspruch stünde, da hierdurch eine Ent-
56
OTK, Postanowienie z dnia 28.10.2001, Sign. SK 5/01, OTK 2001, Bd. III, Pos. 90, S. 407 ff. 57 OTK, a.a.O., S.410f. 58 OTK, a.a.O., S.410f. 59 OTK, a.a.O., S. 410. 60 OTK, a.a.O., S.410. 61 OTK, a.a.O., S. 411.
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eignung ohne gerechte Entschädigung durchgeführt worden sei62. Diese Feststellung führe allerdings nicht zu dem Ergebnis, daß Art. 2 des Dekrets verfassungswidrig wäre. Man müsse vielmehr die Zeit berücksichtigen, in der das Dekret galt und die Tatsache, daß die Bodenreform abgeschlossen sei63. Der Generalstaatsanwalt unterstrich, daß das Dekret vor dem Inkrafttreten der Verfassung von 1997 galt und vor den Verfassungsänderungen des Jahres 1989, in denen in Polen das Demokratie- und Rechtstaatsprinzip eingeführt wurde. Die Anerkennung der Verfassungswidrigkeit des Dekrets würde die Möglichkeit der Aufhebung von fünfzig Jahre zurückliegenden Folgen bewirken und somit eine Rückwirkung darstellen. In der vorliegenden Sache würde es daher zu einer Kollision zwischen dem Verfassungsgebot des Eigentumsschutzes und dem Grundsatz der Rechtssicherheit und dem Vertrauen in das Recht kommen64. In diesem Fall müsse dem letzteren Grundsatz Vorrang eingeräumt werden. Deswegen sei Art. 2 des Dekrets mit den genannten Artikeln der Verfassung von 1997 vereinbar 65. Das Verfassungsgericht beschloß, die Sache einzustellen. Zunächst nahm es allerdings zu dem Vorwurf der Beschwerdeführerin Stellung, daß das Dekret des polnischen nationalen Befreiungskomitees von einem verfassungsrechtlich unzuständigen Organ in Kraft gesetzt worden sei. Es führte aus, daß das Verfassungsgericht auf dem Standpunkt stünde, daß die Frage der Legalität des Handelns der Staatsmacht, die Polen im Jahre 1944 aufgezwungen worden sei, heute zur Sphäre der historischen und politischen Bewertungen gehöre. Diese Bewertungen könnten heute nicht unmittelbar auf die Sphäre der Gestaltung der damaligen Rechtsbeziehungen übertragen werden66. Das Fehlen der verfassungsrechtlichen Legitimation solcher Organe, wie des Polnischen Komitees der Volksbefreiung und die ebenfalls zweifelhafte Legitimität der später existierenden Organe, könne keine Konsequenzen dergestalt nach sich ziehen, daß die Tatsache ignoriert werde, daß sie effektiv die Staatsgewalt ausübten. Die Normativakte dieser Organe waren die Grundlage für individuelle Entscheidungen, die u.a. die Eigentumsstruktur in der Landwirtschaft prägten und ebenfalls die Rechtsbeziehungen auf anderen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens. Der Zeitablauf, der aus der Sicht des Rechts nicht unbedeutsam sei, hätte diesen Beziehungen Dauerhaftigkeit verliehen und heute seien sie die wirtschaftliche und gesellschaftliche Grundlage der Existenz eines bedeutenden Teils der polnischen Gesellschaft 67. 62 63 64 65 66 67
OTK, a.a.O., S. OTK, a.a.O., S. OTK, a.a.O., S. OTK, a.a.O., S. OTK, a.a.O., S. OTK, a.a.O., S.
413. 414. 414. 415. 417. 417.
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Das Verfassungsgericht stellte schließlich das Verfahren aufgrund von Art. 39 des VerfGG ein. Nach Art. 39 Abs. 1 Pkt. 3 des VerfGG unterliege das Verfahren der Einstellung, wenn die in Frage stehende Vorschrift ihre Rechtskraft vor der Entscheidung des Verfassungsgerichts verliert. Nach Art. 39 Abs. 3 muß der VerfGH allerdings dennoch entscheiden, wenn zwar die Geltung des Normativakts erloschen ist, aber ein Urteil zum Schutz der Rechte und Freiheiten der Verfassung notwendig ist. Zunächst nahm der VerfGH an, daß die Geltung des Dekrets erloschen sei. Das Problem läge darin, ob die in Frage stehende Vorschrift des Dekrets als eine Vorschrift angesehen werden könne, die noch am Tag der Entscheidung des Verfassungsgerichts verbindlich sei und ob eventuell Art. 39 Abs. 3 des VerfGG angewendet werden müsse, der bestimmt, daß Art. 39 Abs. 1 Pkt. 3 nicht angewandt wird, wenn ein Urteils über einen Normativakt, der seine Geltung vor der Entscheidung des Verfassungsgerichts verloren hat, notwendig ist, zum Schutz der Freiheiten und Rechte der Verfassung 68. Der VerfGH führt weiter aus, daß er seine bisherige Rechtsprechung aufrechterhalte, nach der eine Vorschrift im Rechtssystem existierte, solange auf ihrer Grundlage individuelle Rechtsanwendungsakte getroffen werden oder getroffen werden könnten. Somit erlösche die Geltungskraft einer Vorschrift als Voraussetzung der Einstellung eines Verfahrens vor dem Verfassungsgericht erst dann, wenn die Vorschrift überhaupt nicht mehr, in irgendeiner tatsächlichen Situation, angewandt werden könne69. Er begründete die Nichtgeltung des Dekrets damit, daß obwohl das Dekret über die Agrarreform zwar nicht formell aufgehoben wurde, jedoch festgestellt werden müsse, daß es durch die einmalige Anwendung erloschen sei, da die Vorschrift nicht mehr angewandt werden könne, d.h., daß auf ihrer Grundlage keine Grundstücke mehr in das Eigentum des Fiskus übernommen werden könnten70, da die Übernahme des Bodens in das Eigentum des Fiskus zum Zwecke der Bodenreform eine einmalige Operation gewesen sei, die in ihrer zeitlichen Geltung begrenzt gewesen war, die auf der Übernahme des Eigentums am gesamten Bodens beruhte, und in einem bestimmten Moment dem Art. 2 des Dekrets unterfiel und die Vorschrift nicht die Größe von landwirtschaftlichen Grundstücken, die im Privateigentum verbleiben sollten, regelte, was zur Folge hätte, daß die Überschreitung dieser Grenze, die automatische Übernahme des Grundstücks in das Staatseigentum auch in der Zukunft, bedeuten solle71. Der VerfGH gelangt also zu der Folgerung, daß das Dekret an seinem ersten Geltungstag ex lege vollzogen wurde. Dies beträfe allerdings nur die Gebiete, 68 69 70 71
OTK, a.a.O, S. OTK, a.a.0, S. OTK, a.a.O, S. OTK, a.a.O, S.
419. 420. 420 421.
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die zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens zum polnischen Staatsgebiet gehört hätten. In den übrigen Gebieten sei es dagegen erst später in Kraft getreten, nämlich durch die Geltung von Art. 4 des Dekrets über die Verwaltung auf den erworbenen Gebieten, das am 27. Oktober 1945 in Kraft trat 72. Das Verfassungsgericht nimmt auch zu dem Punkt Stellung, ob das Dekret weiterhin normative Kraft entfaltet, weil es die Entscheidungsgrundlage für eine Vielzahl von Verwaltungsverfahren sei, u.a. auch die Entscheidungsgrundlage des streitbefangenen Falles. Das Verfassungsgericht führt aus, daß allerdings berücksichtigt werden müsse, daß in diesen Verfahren die Vorschrift nicht angewandt würde, weil es nicht die Entscheidungsgrundlage für diese Fälle darstellte. Die Entscheidungen berührten nicht das Wesen der Sache, wie die Übernahme des landwirtschaftlichen Grundes im Verfahren des Dekrets, sondern die Unwirksamkeit der (deklaratorischen) Entscheidungen, die im Zuge des Verfahrens der Übernahme der landwirtschaftlichen Immobilien in den Fiskus getroffen wurden. Die objektive Nennung dieser Vorschrift in den Entscheidungen des Landwirtschaftsministers und in dem Urteil des Hauptverwaltungsgerichts, das die Klage (im vorliegenden Fall) abwies, bedeute nicht die Anwendung des Dekrets bei der Entscheidung der Sache, sondern habe mittelbaren Charakter und diene der Bewertung, ob die Vorschrift im Verfahren der Übernahme einer konkreten Immobilie angewandt oder nicht angewandt worden sei, als eine Art Grundlage, ob es dabei zu einer deutlichen Verletzung des Rechts gekommen sei. Somit kommt das Verfassungsgericht zu dem Ergebnis, daß die Geltungskraft des Art. 2 des Dekrets i.S. von Art. 39 Abs. 1 Pkt. 3 des VerfGG erloschen sei73. Weiter prüfte der VerfGH die Anwendbarkeit von Art. 39 Abs. 3 VerfGG, nach dem eine Verfassungsgerichtshofsentscheidung über eine nicht mehr gültige Rechtsnorm getroffen werden muß, wenn die Entscheidung für den Schutz der Freiheiten und Rechte der Verfassung notwendig ist. Im Ergebnis lehnt er die Anwendung aber ab. Er führt aus, daß bei der Erwägung dieser Frage die Gründe berücksichtigt würden, die für den Schutz der verfassungsmäßigen Rechte Bedeutung haben, die aus dem Gerechtigkeitsgefühl fließen. Dies seien solche Werte, wie die Dauerhaftigkeit und die Sicherheit der Rechtsbeziehungen. Es würde auch die Mechanismen der Umsetzung der Urteile des VerfGHs über die Verfassungswidrigkeit von Normativakten berücksichtigen, wie sie sich aus der Verfassung und dem einfachen Gesetz ergeben74. Die Durchführung der Bodenreform hätte eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Notwendigkeit dargestellt, vor der die II. Republik an der Schwelle ihrer Unabhängig72 73 74
OTK, a.a.O., S. 421. OTK, a.a.O., S.421. OTK, a.a.O., S. 423.
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keit gestanden hätte. Die Langsamkeit mit der diese Reform in dem 20 Jahre dauernden Zwischenkriegszeitraum durchgeführt worden sei, wäre die Folge der unzureichenden Finanzmittel des Staates und der Furcht vor einer Destabilisierung der wirtschaftlichen Struktur in der Landwirtschaft gewesen. Die Einsicht in die Notwendigkeit der Änderung der landwirtschaftlichen Eigentumsstruktur, hätte Ausdruck in allen Programmen zur gesellschaftlichen Änderung, die jegliche politische Lager während des Kriegs formuliert hätten, gefunden. Das Dekret des Polnischen Komitees der Volksbefreiung über die Durchführung der Bodenreform hätte jedoch nicht nur zu einer Änderung in der landwirtschaftlichen Eigentumsstruktur geführt, sondern hätte, durch seinen Umfang und durch seine Durchführung, den polnischen Grundbesitz als gesellschaftliche Gruppe und als eine Kategorie von Produzenten vernichtet, die eine bestimmte Funktion in der ökonomischen Struktur des Landes erfüllt hätten. Unter den damaligen Bedingungen wäre dies eine von vielen Handlungen, die auf die Schwächung des Widerstands der Gesellschaft gegen das aufoktroyierte, gesellschaftliche System und die ihm zugrunde liegende Ideologie zielte. Es gälte zu berücksichtigen, daß dieser Art von Handlungen, Begrenzungen und Repressionen nicht nur der Grundbesitz, sondern auch andere gesellschaftliche Schichten, Umfelder und Berufe unterlagen75. Nach Ablauf von 50 Jahren seit der Zeit der Durchführung der Bodenreform seien die Veränderungen mit gesellschaftlichem und sozialen Charakter unumkehrbar geworden. Weder gesellschaftliche noch rechtliche Gründe erlaubten die Wiederherstellung des vorherigen Zustands. Das Dekret über die Durchführung der Bodenreform wäre ein Akt gewesen, aufgrund dessen landwirtschaftlicher Boden in einer bestimmten Größe in das Eigentum des Fiskus übernommen wurde. Die Annahme der Verfassungswidrigkeit der Bodenreform durch das Verfassungsgericht, würde die Grundlage für die Wiederaufnahme der Verfahren in den Sachen der Übernahme des landwirtschaftlichen Bodens in den Fiskus schaffen. Es müsse jedoch berücksichtigt werden, daß die Nutznießer des Dekrets ihre Rechtstitel nicht aufgrund des Dekrets erhielten, sondern aufgrund von anderen Rechtsakten. Das Dekret hätte nur die staatlichen Bodenfonds geschaffen, aus denen die Zuteilung an bestimmte Personen erfolgte. Die gegenseitige Beziehung zwischen den Akten, die die Grundlage für die Entziehung des Bodens und ihre Übergabe darstellten und den Rechtsinstrumenten, die dem Verfassungsgericht zur Ausübung seiner verfassungsgemäßen Kompetenzen zur Verfügung stünden, erlaubten es nicht, eine Lösung zu konstruieren, die die Rechte der Personen, denen das Eigentum entzogen wurde, mit den rechtmäßig erworbenen Rechten der Nutznießer der Agrarreform ausgleichen könne76.
75 76
OTK, a.a.O., S. 425. OTK, a.a.O., S. 425.
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Die Entscheidung des VerfGHs kann man zusammenfassend als eine auf sehr formalistische Argumente gestützte Form des judicial seif restraints bezeichnen. Die Argumentation des Gerichts wurde in vier abweichenden Meinungen abgelehnt. Insbesondere der Verfassungsrichter Garlicki äußerte sich zu den Argumenten, die das Verfassungsgericht anführte, kritisch. Die Annahme des Verfassungsgerichts, daß die Geltung des Dekrets mit der einmaligen Anwendung erloschen sei, veranlaßte ihn zu der Äußerung, daß dann ein Gesetz durch das die Verstaatlichung von Autos mit Motoren, die eine Größe von 2.000 cm3 überschreiten, entschädigungslos vorgenommen würde, nur an dem Tag des Inkrafttretens gelten würde und anschließend sofort die Geltungskraft erlöschen würde77. Er ist der Ansicht, daß ein Gesetz so lange wenigstens eine Grundgeltung entfalte, als auf seiner Grundlage Entscheidungen gefällt werden78. Allerdings kommt auch Garlicki in seiner abweichenden Meinung zu dem Ergebnis, daß durch den Zeitablauf und den Schutz der erworbenen Rechte und die Unabänderlichkeit der Entwicklungen in der polnischen Landwirtschaft das Dekret die Verfassung nicht verletzt79. Der Verfassungsrichter Zdyb kritisiert in seiner abweichenden Meinung zunächst ebenfalls die formale Argumentation des Gerichts. Er nimmt allerdings auch zu den inhaltlichen Fragen Stellung. Hier geht er davon aus, daß das Dekret über die Bodenreform zunächst rechtswidrig war, es allerdings durch die spätere Gesetzgebung, die auf die entstandene landwirtschaftliche Ordnung Bezug nahm, legalisiert wurde80. Er ist der Meinung, daß der VerfGH allerdings, selbst wenn es die Illegitimität der Dekrete des Polnischen Nationalen Befreiungskomitees festgestellt hätte, nicht die Aufhebung der Folgen dieses Dekrets anordnen könnte. Dies sei zum einen allein Aufgabe des Gesetzgebers zum anderen würde hier ein Konflikt von Verfassungswerten entstehen, der zugunsten der Werte der anderen Seite zu entscheiden sei81. Der Ansicht des VerfGH ist im Ergebnis zuzustimmen. In einer Demokratie sind bestimmte Aufgaben dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber vorbehalten. Dies sind vor allem solche wesentlichen Aufgaben, die auch in der Bevölkerung kontrovers diskutiert werden. In diesem Fall wäre die Kompetenz des VerfGH überschritten gewesen, wenn es die Rückübertragung des enteigneten Grundstücks angeordnet hätte. Im Ergebnis war der Rückzug auf den judicial seif restraint in diesem Fall für den polnischen VerfGH geboten.
77 78 79 80 81
OTK, a.a.O., S.431. OTK, a.a.O., S.431. OTK, a.a.O., S. 434. OTK, a.a.O., S. 444 ff. OTK, a.a.O., S. 448.
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Schlußbemerkung Die Frage der Reprivatisierung ist in Polen auch 15 Jahre nach dem Fall des Kommunismus nicht gelöst. Im Moment wird im Gesetzgebungsverfahren allein die Frage nach der Entschädigung der aus den polnischen Ostgebieten vertriebenen Personen behandelt, wobei hier keine volle Entschädigung vorgesehen ist. Die Gerichte schaffen durch ihre ständige Rechtsprechung zum Teil eine Lösung in der Frage der Rückübertragung des konfiszierten Eigentums. Allerdings sind hier die Fallgruppen, in denen eine Entschädigung gewährt wird, eng umrissen. Die gesellschaftliche Akzeptanz für eine Rückübertragung nimmt bereits seit geraumer Zeit ab. Auch die Argumentation des Verfassungsgerichts hinsichtlich der sich verfestigenden Ansprüche der Gemeinden auf ihr Eigentum und der hierdurch entstehenden Pflicht für den Gesetzgeber Vermögensverluste der Gemeinden durch die Rückübertragung zu entschädigen, machen eine allgemeine gesetzliche Regelung der Rückübertragung eher unwahrscheinlicher.
Zusammenfassung Die Reprivatisierung bedeutet die Rückgabe des durch die Kommunisten enteigneten Vermögens an die ehemaligem Eigentümer. In Polen wurden die meisten Enteignungsdekrete durch das Polnische Komitee der Volksbefreiung verabschiedet. Dieses Komitee wurde von der Sowjetunion gesteuert und besaß keine verfassungsrechtliche Legitimation. Die kommunistischen Enteignungen erfolgten in Bezug auf verschiedene Wirtschaftsbranchen und in Bezug auf bestimmte Eigentümergruppen. Im Jahre 1989 wurde eine Reprivatisierung durch Gesetz nur hinsichtlich der Kirchen und der Gewerkschaften durchgeführt. Ein allgemeines Reprivatisierungsgesetz scheiterte. Für Privatpersonen ist es in gewissem Maße möglich, ihre Ansprüche gerichtlich durchzusetzen. Dies in der Regel dann, wenn gegen das Gesetz, das die Enteignung vorsah, verstoßen wurde. Der Verfassungsgerichtshof entschied zu dieser Frage, daß es in der Kompetenz des polnischen Gesetzgebers liegt, ein Reprivatisierungsgesetz zu verabschieden. Dabei hat er allerdings zu berücksichtigen, daß das Eigentumsrecht der Gemeinden, die im Besitz der enteigneten Immobilien sind, obwohl anfänglich mit den Rückübereignungsansprüchen belastet, zu einem Vollrecht des Eigentums durch Zeitablauf erstarken kann. Dies bedeutet, daß eine Reprivatisierung, je später sie durchgeführt wird, um so eher eine volle Entschädigung für die Gemeinden vorsehen muß, deren Eigentum durch die Reprivatisierung geschmälert würde. Das Verfassungsgericht entschied außerdem in einer Entscheidung zur Bodenreform, daß eine Verletzung der Verfassung durch das Bodenreformdekret selbst nicht stattgefunden habe und daß keine Rückgabe erfolgen könne. Es gründete seine Entscheidung auf eine formale Begründung. Im Ergebnis ist dieser Entscheidung - auch aus Gründen des judicial seif restraint zuzustimmen.
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Abstract Tina de Fries: Reprivatisation of Property in Poland, in: Das Recht auf die Heimat. Ed. by Gilbert H. Gornig, and Dietrich Murswiek (Berlin 2005), pp. 105-129. Re-privatisation means the restitution of property expropriated by the communist regimes to its former owners. In Poland most expropriation decrees were enacted by the Polish Committee of National Liberation, which, dominated by the Soviet Union, was not legitimate. The communist expropriations affected selected branches of the industry and specific groups of private owners. In 1989 only churches and trade unions benefited from decrees of re-privatisation, while a general re-privatisation bill failed. Private individuals may to a certain extent assert their restitution claims before Polish Courts. As a rule, this becomes possible when the seizures occurred in violation of the relevant expropriation law. According to a ruling of the Polish Constitutional Tribunal, it is within the jurisdiction of the legislator to pass a re-privatisation bill. Any restitution policy ought to take into account that property rights of local communities in possession of nationalised property may, although initially encumbered with claims to retransfer ownership, in due course, mature to full property rights. This means that, the later an act of re-privatisation is carried out, the more likely it is that local communities become eligible for full compensation. In another case the Constitutional Tribunal held that the Decree on Agricultural Reform did not violate the Constitution; as a consequence, property seized in accordance with this decree was not be returned. The result of the Court's decision, which was based on formal reasons, merits approval, not least because it respects the principle of judicial self-restraint.
Die vermögensrechtlichen Ansprüche der zypriotischen Heimatvertriebenen - unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Von Dieter Blumenwitz f
Neben den Deutschen waren vor allem Griechen und Türken die Opfer der zwangsweisen Umsiedlungen des 20. Jahrhunderts. Mit einem zwangsweisen griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch wurde das leidvolle Kapitel der Vertreibung von Volksgruppen aus ihrer angestammten Heimat zu Beginn des 20. Jahrhunderts eröffnet 1; die Vertreibung von griechischen und türkischen Zyprioten 2 stand zu Beginn dieses Jahrhunderts im Mittelpunkt der Tagesord1 Die Balkankriege 1912/13 führten zu einem gegenseitigenfreiwilligen Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und Bulgarien. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs folgte 1923 der erste große zwangsweise Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei. Grundlage war der Lausanner Friedensvertrag und das griechisch-türkische Abkommen über den Austausch von Minderheiten vom 30. Januar 1923, aufgrund dessen 1,5 Millionen Griechen türkischer Staatsangehörigkeit gezwungen waren, ihre angestammte Heimat in Kleinasien zu verlassen (bzw. daran gehindert wurden, zu ihrer Heimstätte zurückzukehren); umgekehrt mußten 0,4 Millionen ethnische Türken Griechenland verlassen und wurden in der Türkei neu angesiedelt. Der britische Außenminister Lord Curzon, der an der Lausanner Konferenz teilnahm, warnte vor den verhängnisvollen Konsequenzen, die die Schaffung dieses Präzedenzfalles nach sich ziehen könnte - nicht zu Unrecht, wie der weitere Verlauf der Geschichte erweisen sollte. Vgl. Dieter Blumenwitz, Flucht und Vertreibung (1987); vgl. Alfred-Maurice Zayas, Population, Expulsion and Transfer, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, Bd. 3 (1997), S. 1062. S. a. den die Konflikte zwischen Griechenland und Bulgarien bereinigenden Friedensvertrag von Neuilly vom 27. Nov. 1919 mit seinen Minderheitenschutzbestimmungen; ferner Georgi P. Genov, Le traité du paix Neuilly au point de vue du droit international public et privé (1927). 2 Der im Londoner Memorandum vom 19. Februar 1959 konzipierte dualistische (griechisch-türkische) Staatsaufbau für Zypern ließ sich in der Praxis nicht umsetzen. Bürgerkriegsähnliche Kampfhandlungen führten bereits zu Beginn der 60er-Jahre zur räumlichen Trennung der „ineinander gesiedelten" Volksgruppen. Die EnosisBestrebungen und ein von der festlandsgriechischen Militärjunta und ihrem Geheimdienst inszenierter Putsch gegen den Präsidenten des Inselstaates, Erzbischof Makarios, veranlaßten die Türkei im Sommer 1974 zur militärischen Intervention. 36,4 % des Territoriums Zyperns wurden von türkischen Truppen besetzt. Im Zuge der Besetzung kam es zu den üblicherweise mit ethnischer Säuberung verbundenen Menschenrechtsverlet-
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nung bei den Bemühungen um die Lösung der politischen Probleme der Mittelmeerinsel im Vorfeld der Osterweiterung der Europäischen Union 3 . Mehr als andere Flüchtlingsprobleme haben Griechen und Türken in den vergangenen Jahren die Völkerrechtswissenschaft 4 und die internationalen Gerichte beschäftigt. Der 1997/98 vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof entschiedene Loizidou-Fall zählt zu den wichtigsten Dokumenten des modernen internationalen Flüchtlingsrechts 5.
I . Das politisch-rechtliche Umfeld der Loizidou-Entscheidung Die Loizidou-Entscheidung und ihre Umsetzung ist eingebettet in den griechisch-tiirkischen Zypernkonflikt und reflektiert das Spannungsverhältnis zwischen einer von der Staatengemeinschaft verordneten Nichtanerkennungspolitik und der Notwendigkeit, sich mit einem seit drei Jahrzehnten existenten, zumindest staatsähnlichen Gemeinwesen, der Turkish Republic of Northern Cyprus (TRNC), zu arrangieren. Seit 1974 sichern UN-Streitkräfte die Pufferzone zwischen Nord- und Südzypern entlang der sog. „green line". 1975 wurde im Nordteil der Türkische Föderierte Staat Zypern ausgerufen, am 15. November 1983 die unabhängige
zungen, nämlich zur Ermordung von Zivilisten, Vergewaltigung von Frauen, Verschleppung, Konfiskation von Eigentum. Etwa 180.000 griechische Zyprioten flohen aus dem Norden in den Südteil der Insel bzw. wurden umgesiedelt; umgekehrt kamen ca. 40.000 türkische Zyprioten, die im Südteil beheimatet waren, in den Nordteil, ca. 2.000 Schicksale blieben ungeklärt. 3 Bereits am 4. Juli 1990 überreichte die Republik Zypern offiziell ihren Antrag auf EG-Vollmitgliedschaft, vgl. AdG 1990, S. 34, 682, und ES 1990, Z 156; vgl. a. Presseund Informationsamt der Republik Zypern (Hrsg.), Cyprus - The Way to Full EGMembership, Nikosia 1991. 4 Vgl. James H. Wolfe, in: Proceedings of the American Society of International Law 78 (1984), S. 108: „The Cyprus question uncompasses a wide range of issues in public international law ..."; ferner Präsident George Vassilou, in: Die Zeit v. 20. März 1992, S. 13: „Es geht nicht nur um Zypern, sondern um völkerrechtliche Prinzipien, um Grundsatzfragen des Zusammenlebens von Volksgruppen." 5 Vgl. im einzelnen: Loizidou vs. Turkey, Introduction of Application 22. Juli 1989, Hearing before Commission on admissibility 11. Januar 1991; Decision by Commission on admissibility 7. März 1991; Hearing before Commission of witnesses 9./10. Juni 1992, Hearing before Commission on merits 4. Dezember 1992, Adoption of Report by Commission 8. Juli 1993, Application refered to Court by Cyprus Government 9. Nov. 1993, Hearing before the Court of Preliminary Objections 23. März 1995, Judgement by Court of Preliminary Objections 23. März 1995, Hearing before the Court on merits 25. September 1995, Hearing before the Court of Article 50 27. November 1997, Judgement by Court on Article 50 (satisfaction to the injured party) 28. Juli 1998. Zu den besonderen Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Entscheidung s. The Loizidou Case. A Dead-End, Ministry of Foreign Affairs, Ankara, Mai 1999.
Die vermögensrechtlichen Ansprüche der zypriotischen Heimatvertriebenen Türkische Republik Nordzypern (TRNC), deren völkerrechtliche Existenz in zahlreichen internationalen Entschließungen in Abrede gestellt wird 6 . Auf der anderen Seite wird immer wieder daraufhingewiesen, daß die Spaltung der Insel nur durch „bi-communal" und „bi-zonal" Abkommen überwunden werden kann, daß der Schlüssel zur Lösung des Problems sowohl im Süden als auch im Norden der Insel zu suchen ist. Dies setzt Gespräche auf gleicher Ebene zwischen der legitimen Regierung in Nikosia und der nicht anerkannten TRNC voraus 7 und impliziert, daß es sowohl im Süden als auch im Norden Opfer einer politischen Entwicklung, die zur Trennung der beiden Volksgruppen führte, gibt 8 . Auch wenn die internationale Gemeinschaft der neuen Ordnung im 6 Die Proklamation eines nordzypriotischen Staates konterte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 18. November 1983 mit der Resolution 541 (1983), mit der die Staatsgründung bedauert und alle Staaten zu einer Nichtanerkennungspolitik gegenüber der TRNC aufgerufen wurden: „The Security Council... 1. Deplores the declaration of the Turkish Cypriot authorities of the purported secession of part of the Republic of Cyprus; 2. Considers the declaration ... as legally invalid and calls for its withdrawal;... 6. Calls upon all States to respect the sovereignty, independence, territorial integrity and non-alignment of the Republic of Cyprus; 7. Calls upon all States not to recognize any Cypriot State other than the Republic of Cyprus." Diese Resolution wurde mehrfach bestätigt. Vgl. z.B. SR Res 550 (1984) vom 11. Mai 1984 aus Anlaß des Austausches von Botschaftern zwischen der Türkei und der TRNC; alle Staaten wurden aufgerufen, „not to recognize the purported State of the Turkish Republic of Northern Cyprus' set up by secessionist acts and calls upon them not to facilitate or in any way assist the aforesaid secessionist entity." Im November 1983 entschied der Ministerrat des Europarats, daß er die Regierung der Republik Zypern weiterhin als die einzig rechtmäßige Regierung Zyperns ansehe und rief dazu auf, die Souveränität, Unabhängigkeit, territoriale Integrität und Einheit der Republik Zypern zu wahren. Am 16. November 1983 gab die Europäische Gemeinschaft eineförmliche Stellungnahme ab, in der sie die nordzypriotische Unabhängigkeitserklärung zurückwies und der zypriotischen Zentralregierung ihre uneingeschränkte Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der staatlichen Einheit Zyperns zusicherte. Schließlich forderten auch die Regierungschefs der Commonwealth-Staaten auf ihrem Treffen in Neu-Delhi (23. bis 29. November 1983) die Mitgliedstaaten zur Nichtanerkennung der TRNC auf und beriefen sich dabei auf SR Res. 541. 7 Vgl. Hugo J. Gobbi, Contemporary Cyprus, Tel Aviv 1998, S. 103-109; Clement H. QQM, The Cyprus Imbroglio, Huntington (1998), S. 91-117; femer UN SecretaiyGeneral's Report on Cyprus of November, 1992 (S/24830), hierzu Michael Moran, Sovereignty Divided. Essays on the international dimensions of the Cyprus problem, Nicosia 1998, S. 71-77. 8 Vgl. Thomas Oppermann , Cyprus, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, Vol. I, Amsterdam 1992, 925; Zaim M. Neczigil, The Cyprus Question and the Turkish Position in International Law, Oxford 1989, p. 91; ASME-
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Nordteil der Insel die internationale Anerkennung versagt, so ist doch die Pufferzone, die den Norden vom Süden trennt, international anerkannt und Gegenstand laufender Berichterstattung durch den UN-Generalsekretär 9. Die Staatenpraxis behandelt die Waffenstillstandslinie von 1974 heute als eine auch völkerrechtlich beachtliche internationale Demarkationslinie, die sowohl für den Nordteil als auch für den Süden der Insel bedeutsam ist 10 . Es liegt deshalb nahe, die TRNC als lokales De-facto-Regime und damit zumindest als ein partielles Subjekt des Völkerrechts zu behandeln11.
Humanitas e.V., Bericht der Kommission des Europarates über Menschenrechte auf Zypern 1974, § 102. 9 Dem UN-Generalsekretär geht es hierbei in erster Linie um den Abbau von Spannungen zwischen den beiden Volksgruppen und die Aufrechterhaltung des Friedens auf der Insel, vgl. z.B. Report S/20663 vom 31. Mai 1989 und S/21010 vom 7. Dezember 1989, vgl. Matthias Z Karddi/Dieter S. Lutz, Außen- und Sicherheitspolitik, in: KlausDetlev Grothusen, Winfried Steffani, Peter Zervakis (Hrsg.), Südosteuropa-Handbuch, Bd. VIII Zypern, S. 136-140 („United Nations Forces in Cyprus"). 10 Vgl. die Friendly Relations Declaration of the United Nations General Assembly of 25 October 1970 (Res. 2625 (XXV) „every State likewise has the duty to refrain from the threat or use of force to violate international lines of demarcation." Art. 1 der Definition of aggression adopted by the General Assembly in Res. 3314 (XXIX) of 14 December 1974 enthält den ausdrücklichen Hinweis, daß der Begriff „State" benützt wird „without prejudice to questions of recognition or whether a State is a member of the United Nations". S. a. Tozum Bahcheli, Domestic Political Developments, in: KlausDetlev Grothusen, Winfried Steffani, Peter Zervakis (Hrsg.), Südosteuropa-Handbuch, Band VII Zypern, Göttingen 1998, S. 113-123. 11 Vgl. Necati E. Ertekün, The Cyprus Dispute, 2. Aufl. 1984; Dieter Blumenwitz, The legal status of Greek Cypriots and Turkish Cypriots as parties of a future agreement for Cyprus, in: Necuti M. Ertekün (Hrsg.), The Status of the Two Peoples in Cyprus. Legal Opinions, 2. Aufl. 1997, S. 85-95; Gerd von Laffert, Die völkerrechtliche Lage des geteilten Zypern und Fragen seiner staatlichen Reorganisation, in: Dieter Blumenwitz (Hrsg.), Schriften zum Staats- und Völkerrecht, Bd. 59, Frankfurt a.M. 1995, S. 85141; Stephan Anstötz, Perspektiven zur staatlichen Neuordnung Zyperns, in: Dieter Blumenwitz (Hrsg.), Schriften zum Staats- und Völkerrecht, Bd. 103, Frankfurt a.M. 2003. S.a. Jochen A. Fr owein, De Facto Régime, in: R. Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, Bd. 1 (1992), S. 966 ff. Die eigenständige Verwaltungs- und Gesetzgebungskompetenz der TRNC ist demgemäß von auswärtigen Gerichten und auch von der Europäischen Menschenrechtskommission anerkannt worden; vgl. Hesperides Hotels Ltd. and Another vs. Acegan Turkish Holidays Ltd. and Another (1977) 3 Weekly Law Reports 656 (Court of Appeal), und Polly Peck International Pec. vs. Asil Nadir and Others (1992) 2 All England Reports 238 (Court of Appeal); ferner: Case of Chrysostomos and Papachrysostomos vs. Turkey, Report of the Commission of 8 July 1993, §§ 143-170 und Resolution DH (95) 245 of 19 October 1995.
Die vermögensrechtlichen Ansprüche der zypriotischen Heimatvertriebenen
I L Sachverhalt und Jurisdiktion des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs Die Namensgeberin der neuen Rechtsprechung, Frau Titina Loizidou, wuchs im nördlichen Teil der Insel Zypern auf und besaß dort auch Grundeigentum. Sie lebte jedoch bei der Teilung der Insel mit ihrer Familie im Süden. Frau Loizidou gründete dort die Fraueninitiative „Women Walk Home" (Frauen kehren zurück in die Heimat), die das Recht aller vertriebenen griechischen Zyprioten, zu ihrer Heimstätte zurückzukehren, für sich in Anspruch nahm. Ca. 2.000 demonstrierende Frauen überquerten demgemäß im Bereich der Städte Lymbia/Akincilar am 19. März 1989 die Pufferzone, für die ein allgemeines Demonstrationsverbot gilt, um Spannungen im Grenzbereich zwischen Nord und Süd abzubauen. Die Demonstration wurde von türkisch-zypriotischen Polizeikräften aufgelöst, die auch Frau Loizidou vorübergehend festnahmen und erst nach ca. 10 Stunden wieder entließen12. Frau Loizidou erhob am 22. Juli 1989 Menschenrechtsbeschwerde gegen die Türkei und machte geltend, daß ihre Festnahme gegen die Artikel 3 und 5 EMRK 13 , die Verweigerung des Zugangs zu ihrem Besitz in Nordzypern gegen Art. 8 EMRK und Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls14 verstieße. Gerade der zuletzt genannte Beschwerdepunkt sollte Anlaß zu grundsätzlichen Erwägungen geben. Frau Loizidou trug vor, daß ihr Recht, zu ihrer Heimstätte und zu ihrem Vermögen zurückzukehren („right to return to home and property"), in der türkischen Besatzungszone im Nordteil der Insel anhaltend und auch gegenwärtig noch andauernd verletzt werde und daß die Türkei für diese Eigentumsverletzung völkerrechtlich verantwortlich sei15. Dieser Sicht der Dinge widersprach die türkische Regierung. Sie berief sich in erster Linie darauf, daß dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof bereits ratione temporis die Zuständigkeit fehle, den Fall Loizidou zu überprüfen 16. Gem. Art. 46 EMRK steht es den Vertragsstaaten nämlich offen - und die Türkei hat in ihrer Erklärung vom 22. Januar 1990 von dieser Möglichkeit Ge12
Vgl. Report of 31 May 1989 of the Secretary-General of the United Nations (Security Council document S/20663) on the United Nations Operation in Cyprus at paragraph 11. 13 Art. 3 EMRK untersagt die unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung („inhuman or degrading punishment or treatment"), Art. 5 EMRK gewährt das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit („liberty and security of person"). 14 Art. 8 EMRK gebietet die Achtung der privaten Sphäre, insbesondere der Wohnung („right to respect home"); Art. 1 1. Zusatzprotokoll schützt das Eigentum („peaceful enjoyment of possessions"). 15 Vgl. European Court of Human Rights, Case of Loizidou vs. Turkey (merits) 40/1993/435/514 Judgement, § 30. 16 Ibid.
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brauch gemacht - , die Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit auf Umstände zu beschränken, die sich nach der Hinterlegung der Erklärung ereignen 17. Demgemäß konnte der Gerichtshof im Fall Loizidou nur behauptete Rechtsverletzungen überprüfen, die sich nach dem 22. Januar 1990 ereigneten. Nach türkischer Darstellung begann der die Beschwerdeführerin belastende Eigentumsentzug bereits im Jahre 1974 und verfestigte sich zu einer umfassenden und unwiderruflichen Enteignung geraume Zeit vor dem Stichtag des 22. Januar 1990, nämlich durch das Inkrafttreten des Art. 159 Abs. 1 lit. b der Verfassung der TRNC 1 8 am 7. Mai 1985. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Enteignung im Rahmen von Art. 1 1. Zusatzprotokoll EMRK sei deshalb dem Gerichtshof ratione temporis versagt 19.
D I . Die Erkenntnisse des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs hinsichtlich des Vertriebenenvermögens In seinen Entscheidungen zur Eigentumsfrage negierte Straßburg die eigenständige Existenz der TRNC. Die Kommission und der Gerichtshof gelangten unter Berufung auf die oben angefühlte Resolutionspraxis zur Nichtanerkennung Nordzyperns 20 - zu der Überzeugung, daß die Beschwerdeführerin ihr Ei-
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Vgl. Art. 46 Abs. 2 EMRK; die Erklärungen können „unter Beschränkung auf einen bestimmten Zeitraum abgegeben werden". 18 Die einschlägige Vorschrift lautet: „All immovable properties, buildings and installations which were found abandoned on 13 February 1975 when the Turkish Federated State of Cyprus was proclaimed ... shall be the property of the TRNC ...." 19 Die türkische Erklärung vom 22. Januar 1990 erhebt neben dem - zulässigen Vorbehalt ratione temporis noch einen solchen ratione materiae: Nur Hoheitsakte, die innerhalb der nationalen Grenzen der Türkei ergehen, sollen der Gerichtsbarkeit des EMRGH unterliegen. Hierzu Juliane Kokott/Beate Rudolf, Loizidou vs. Turkey. 310 Eur. Ct. H.R. (ser. A). European Court of Human Rights, March 23, 1995; in: American Journal of International Law Vol. 90 (1996), S. 89-102; Hans-Konrad Ress, Die Zulässigkeit territorialer Beschränkungen bei der Anerkennung der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Vol. 56 (1996), S. 427-438; Robin C. À. White, Interference with Property Rights in Northern Cyprus, European Law Review 1997, S. 374-380. Sollte in der TRNC nicht zypriotische, sondern türkische Staatsgewalt ausgeübt worden sein, könnte sich die Türkei nicht darauf berufen, daß türkische Hoheitsakte, die außerhalb des Staatsgebietes der Türkei ergehen, nicht der Kontrolle durch den EMRGH unterliegen. Die EMRK sieht nicht vor, daß die gem. Art. 1 EMRK umfassende Bindung der Herrschaftsgewalt der Vertragsstaaten durch andere als in der Konvention ausdrücklich benannte Vorbehalte, gelockert werden könnte. 20 Vgl. oben Anm. 6. Die Bedeutsamkeit dieser - politischen - Erklärungen für die Auslegung der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle leitet der Gerichtshof aus Art. 31 Abs. 3 lit. c der Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23. Mai 1969 her, wonach jede
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gentum an in Nordzypern belegenen Grundstücken durch die in Art. 159 der nordzypriotischen Verfassung getroffene Regelung nicht verloren hat. Im Sinne der Straßburger Rechtsprechung zum Eigentumsbegriff konnte sich die Beschwerdeführerin auf vorhandenes Eigentum („existing possession") berufen, im Gegensatz zur bloßen Hoffnung darauf, daß das Weiterbestehen eines früheren Eigentumsrechts, das über einen längeren Zeitraum nicht wirksam ausgeübt werden konnte, anerkannt wird 21. Der Fall Loizidou unterscheidet sich in diesem Punkt deutlich von den deutschen Heimatvertriebenen und ihren Ansprüchen auf Rückgabe oder Entschädigung ihres in den Vertreibungsgebieten nach Kriegsende völkerrechtswidrig konfiszierten Privateigentums. Unterschiede ergeben sich aber auch hinsichtlich der sog. Weidlich-Rechtsprechung in bezug auf die ebenfalls völkerrechtswidrigen Enteignungen in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands. 1. Hinsichtlich der Beschwerden deutscher Heimatvertriebener gegen die Verträge von Moskau, Warschau und Prag, die sich gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der in den Ostverträgen implizit dokumentierten Hinnahme der mit der Vertreibung unmittelbar verbundenen Vermögenskonfiskation richteten, entschied die Kommission in ständiger Rechtsprechung, daß das von den Beschwerdeführern geltend gemachte Eigentum infolge der Konfiskation durch die sowjetischen, polnischen bzw. tschechoslowakischen Behörden seit 30 Jahren nicht mehr effektiv ausgeübt werden konnte. Eine adäquate Kausalität zwischen dem mit der Beschwerde angegriffenen Akt (die Ratifikation der Verträge durch die Bundesrepublik Deutschland) und dem Verlust des beanspruchten Rechts sei deshalb nicht nachweisbar22. Forderungen seien nur dann „Eigentum" i. S. d. Art. 1 1. Zusatzprotokoll, wenn der Beschwerdeführer vorbringen kann, er habe zumindest eine „berechtigte Hoffnung", daß sie sich realisieren lassen23. Die Entziehung von Eigentumsrechten erscheint hier grundsätzlich als eine einmalige Handlung, die, wenn vollendet, keine rechtswidrige Dauerwirkung hervorbringt. Daß die Entziehung von Eigentumsrechten oder anderer dinglieinschlägige Völkerrechtsregel, die in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbar ist, heranzuziehen ist. 21 S. hierzu die Kommissionsentscheidungen vom 10. Juli 1975, E 6742/74, DR 3, S. 98; vom 4. Oktober 1977, E 7655/76, 7656/76, 7657/76, DR 12, 111 und vom 4. März 1996, E 19048/91, 19049/91, 19342/92, 19549/92, EuGRZ 1996, S. 386. Vgl. grundsätzlich zum Eigentumsschutz gem. (1.) Zusatzprotokoll Wolfgang Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Aufl. (1996), S. 764 ff.; Matthias Hartwig, Der Eigentumsschutz nach Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK, in: Rabeis Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, Bd. 63 (1999), S. 561 ff. 22 Wer einen Eingriff in sein Eigentum rüge, müsse dartun, daß ein solches Recht existiere, Entscheidung vom 14. Oktober 1976 E 7694/76 DR 12, S. 131. 23 Die Hoffnung darauf, daß das Weiterbestehen einesfrüheren Eigentumsrechts anerkannt werde, das über einen langen Zeitraum nicht wirksam habe ausgeübt werden können, ist nicht als Eigentum i.S.d. 1. Zusatzprotokolls anzusehen. Entscheidung vom 4. Oktober 1977, E 7655/76; 7656/76; 7657/76, DR 12, S. 111.
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eher Rechte eine einmalige Handlung ist und nicht die Dauerwirkung einer Rechtsentziehung hervorbringt, ist auch der prozeßentscheidende Punkt in den Beschwerden gegen den deutsch-deutschen Einigungsvertrag, mit dem die Bundesrepublik Deutschland die (völkerrechtswidrigen) Konfiskationen durch die sowjetische Besatzungsmacht bestätigt24. 2. Wer auf der Grundlage des Art. 1 1. Zusatzprotokoll einen Eingriff in sein Eigentum rüge, müsse darlegen, daß ein solches Recht noch bestehe. Gem. Art. 1 Abs. 1 1. Zusatzprotokoll ist Eigentumsentzug nur unter Beachtung der „durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen" möglich. Es liegt nahe, daß die allgemeinen Grundsätze des völkerrechtlichen Enteignungsrechts nicht nur für den Eingriff in das Eigentum unter der Herrschaft der Konvention gelten, sondern auch hinsichtlich aller maßgeblichen Vorfragen, insbesondere der Frage, ob der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des behaupteten Eingriffs noch Eigentümer war oder das Eigentum bereits verloren hatte. Die Kommission25 durfte es deshalb bei den besatzungshoheitlichen Enteignungen, die Verfolgungscharakter hatten, nicht dahingestellt sein lassen, ob die gemäß der Haager Landkriegsordnung völkerrechtswidrigen Enteignungen als nichtig anzusehen sind oder ob sie - mangels unmittelbarer Anwendungsfähigkeit - den Opfern keinerlei eigenständige Rechte einräumen; nur durch die Klärung dieser Frage kann der Beschwerdeführer seine „existing possession", sein noch bestehendes Eigentum bzw. die Hoffnung, dieses wieder zu erlangen, darlegen. Beides ist die Grundlage der behaupteten aktuellen Beeinträchtigung seines Eigentums. Allein der Umstand, daß das Eigentum dem Beschwerdeführer vor langer Zeit faktisch entzogen wurde, vermag den Rechtsverlust noch nicht zu begründen26. Unmaßgeblich sollte auch die Rechtsauffassung des das Eigentum beeinträchtigenden Staates über den Fortbestand des Eigentums sein27. Die Bundesregierung beruft sich z.B. in ihren Äußerungen gegenüber der Kommission regelmäßig auf das deutsche internationale Enteignungsrecht, wonach die Enteignung eines anderen Staates immer als wirksam anzuerkennen ist, wenn die Grenzen seiner territorialen Souveränität eingehalten wurden28. Daß in 24
Vgl. Application No. 19048/91 (Weidlich), No. 19049/91 (Hasenkamp), No. 19342/92 (Golf), No. 19549/92 (Klausser), No. 18890/91 (Mayer). S. 11 der Entscheidung vom 4. März 1996 (Fn. 21). 26 So die Kommission (Fn. 21), S. 12: „The applicants' properties were expropriated a long time ago and the applicants have been unable for decades to exercise any owners' rights in respect of the properties concerned." 27 So aber die Kommission (Fn. 21), S. 12: „It appears that in the German legal order these expropriations were being considered as legally valid even before the conclusion of the Unification Treaty". Die Kommission übernahm hier ungeprüft die Behauptung der Bundesregierung, „under German international expropriation law, the taking of property carried out by another State is always to be considered effective if the State concerned has remained within its powers, i. e. within its territorial sovereignty." 28 Vgl. oben Anm. 27.
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Deutschland jeder ausländische Hoheitsakt am nationalen und internationalen ordre public zu messen ist (vgl. Art. 6 EGBGB i.V.m. Art. 25 GG), wird verschwiegen. Hinsichtlich der besatzungshoheitlichen Enteignungen im anderen Teil Deutschlands muß sich die Bundesregierung fragen lassen, warum sie den Eingriff ins Eigentum akzeptiert, nicht aber z.B. die staatsangehörigkeitsrechtlichen Entscheidungen (DDR-Staatsbürgerschaft), die in einem noch weit größeren Maße auf die an sich zu respektierende eigenstaatliche (personale) Souveränität des auswärtigen Gemeinwesens deutete. 3. Die in der SBZ entschädigungslos enteigneten Deutschen unterlagen 2005 erneut vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof 29. Diesmal ging es nicht um die Enteignung in den Jahren 1945 - 1949, sondern um die dürftige nachträgliche Entschädigung, die die Betroffenen nach der Wiedervereinigung von der Bundesrepublik Deutschland, die hinsichtlich des konfiszierten Vermögens die Rechtsnachfolge der untergegangenen DDR angetreten hat, erhalten sollen. Vermögen, die nach 1945 von der Besatzungsmacht völkerrechtswidrig enteignet wurden und sich nun wieder in deutscher Verfügungsgewalt befinden, werden nur nach „sozialstaatlichen" Gesichtspunkten entschädigt. Die Betroffenen erhalten demgemäß - in Einzelfällen - weniger als 1 % der Verkehrswertentschädigung. Im Gegensatz zu den Alteigentümern schützt der Europäische Menschenrechtsgerichtshof das Eigentum der DDR-Neusiedler30. Diese erhielten durch das „Modrow"-Gesetz über die Rechte der Eigentümer vom 15. März 1990 großzügig bürgerlich-rechtliches Eigentum an dem vergesellschafteten Konfiskationsgut. Das Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 14. Juli 1992 versagte dieser Eigentumsübertragung durch die Noch-DDR in den Fällen die Anerkennung, in denen der Erwerber sich nicht in der Landwirtschaft betätigte. Der Gerichtshof stellte fest, daß die Neusiedler 1990 die Position von Grundeigentümern erlangt hatten, die entschädigungslos nicht mehr entzogen werden durfte 31. Fazit: Die Bundesregierung hat den Einigungsvertrag im Hinblick auf
29 Vgl. European Court of Human Rights, Grand Chamber, Decision as to the Admissibility of Applications nos. 71916/01, 71917/01 and 10260/02 (von Maltzan et al v. Germany. 30 Vgl. Chamber Judgment in the Case of Jahn and others vs. Germany (application nos 46720/99, 72203/01 and 72552/01) vom 22. Januar 2004. Die Bundesregierung hat gegen diese Entscheidung die Große Kammer angerufen. 31 Vgl. die Brumärescu-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, Case of Brumärescu vs. Romania (Application no. 28342/95). Nach der Wende hob Rumänien die Enteignungsgesetze auf. Instanzgerichte restituierten demgemäß Opfern von Konfiskation ihr Eigentum. Generalstaatsanwalt und höchstrechtliche Rechtsprechung stellten später klar, daß die Aufhebung der Enteignungsgesetze die Gültigkeit der einzelnen Enteignungsmaßnahmen nicht berührt und nicht berühren kann. Gleichwohl stellte der Gerichtshof fest, daß der Beschwerdeführer kurzfristig wie ein Eigentümer verfügen konnte
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den grundgesetzlich gebotenen Eigentumsschutz nicht mit dem erforderlichen Nachdruck ausgehandelt. 4. Die Stellungnahmen der Bundesregierung zum konfiszierten Vertriebenenvermögen sind nicht frei von Widersprüchen. Während die Bundesregierung den beschwerdeführenden Heimatvertriebenen in Straßburg sowohl jede „existing possession" als auch die Inhaber von „valuable assets, including claims" absprach, unterstrich sie im innenpolitischen Streit um den Ausgleich mit den östlichen Nachbarn die „Offenheit der Vermögensfragen": Auch in offiziellen Erklärungen ging die Bundesregierung von der „Rückgabe oder Entschädigung enteigneter Vermögenswerte" der Heimatvertriebenen aus - allein die Zeit für „konkrete Verhandlungen" sei noch nicht gekommen32. 5. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte 2001 Gelegenheit, sich abschließend mit der Vorfragenproblematik der vermögensrechtlichen Folgen von Flucht und Vertreibung auseinanderzusetzen. Der Fürst von und zu Liechtenstein führte Menschenrechtsbeschwerde gegen die Bundesrepublik33 wegen der Einbeziehung seines in der damaligen Tschechoslowakei konfiszierten Privatvermögens in das Nachkriegsreparationsregime (Art. 3 VI. Teil des vom wiedervereinigten Deutschland „nachzubefolgenden" Überleitungsvertrages) durch die deutschen Gerichte34. Auch hier versuchte die Bundesregierung, sich der Bindung an das 1. Zusatzprotokoll mit dem Argument zu entziehen, der Beschwerdeführer habe bereits 1945 alle Vermögenswerten Rechte an der streitbefangenen Sache eingebüßt, was spätere Eingriffe der Bundesrepublik Deutschland ausschließe. Demgemäß rechtfertigte die Beschwerdeerwiderung der Bundesregierung vom 29. Oktober 199935 die Konfiskation auch neutralen liechtensteinischen Vermögens durch das BeneS-Dekret Nr. 12 vom 21. Juni 1945. Der Schriftsatz stützte die rassistische Begründung der Präsidialdekrete36, wonach jeder, der deutsch sprach, Volksdeutscher und jeder Volksdeutsche unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit - Feind der tschechischen und slowakischen Nation war.
und deshalb ein vermögenswertes Recht erlangt hatte, das ihm nur unter Beachtung des Art.l 1. ZProt. entzogen werden konnte. 32 Vgl. z.B. Bundesminister des Auswärtigen, Karlsruher Rede vom 4. September 1993, Pressemitteilung Nr. 1105/93, S. 10. S.a. Dieter Blumenwitz , Die deutschtschechische Erklärung vom 21. Januar 1997, in: Archiv des Völkerrechts, Bd. 36 (1998), S. 19 ff. (32 ff.). 33 Vgl. Individualbeschwerde Nr. 42527/98, Fürst Hans-Adam II von Liechtenstein gegen Bundesrepublik Deutschland. 34 Vgl. den den innerstaatlichen Rechtsweg erschöpfenden Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Januar 1998, AVR, Bd. 36 (1998), S. 198 ff. 35 I V M-9470/2-4 E (1951) - 6 A 0003/99. 36 Ibid, S. 13 ff.
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Mit Beschluß vom 6. Juni 2000 erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Beschwerde des Fürsten von Liechtenstein gegen die Bundesrepublik für zulässig37 und überwies den Fall gem. Art. 30 EMRK zur Entscheidung über die Begründetheit an die Große Kammer (Grand Chamber). Überraschend bestätigte der Gerichtshof die Zulässigkeit der Beschwerde in allen Punkten: -
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Rechtsverweigerung („denial of justice", Art. 6 EMRK) der deutschen Gerichte in Verbindung mit Klagestopp und Einwendungsverzicht des nachzubefolgenden Art. 3 VI. Teil Überleitungsvertrag Verletzung des rechtlichen Gehörs („fair trial", Art. 6 EMRK) in Zusammenhang mit dem Zustandekommen des umstrittenen Notenwechsels vom 27./28. September 1990 Verletzung des Eigentums („enjoyment of possessions", Art. 1 Zusatzprotokoll No. 1) durch die Aushändigung des in der Bundesrepublik Deutschland sequestrierten Bildes an die tschechische Seite Diskriminierung bei der Entschädigungsregelung (Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 1 Zusatzprotokoll No. 1) durch die Beschränkung des deutschen Reparationsschädengesetzes auf Inländer.
Um so größer war die Enttäuschung all derer, die von Nachkriegskonfiskationen betroffen waren, als die Große Kammer des Gerichtshofes im Sommer 2002 die Loizidou-Rechtsprechung nicht fortführte, sondern Deutschland von seiner Verantwortlichkeit gem. Art. 1 EMRK in allen Fragen der alliierten Nachkriegsordnung dispensierte38: Obgleich nach Art. 7 Zwei-Plus-Vier-Vertrag ein voll souveräner Staat39, darf Deutschland weiterhin den „Vorteil, nicht ganz souverän zu sein" für sich in Anspruch nehmen40. Das Fürstentum Liechtenstein verklagte Deutschland 2001 zudem vor dem Internationalen Gerichtshof. Es führte in Den Haag Beschwerde darüber, daß Staatsorgane der Bundesrepublik neutrales liechtensteinisches Vermögen quasi als deutsches Auslandsvermögen behandeln und in das Reparationsregime einbeziehen. Mit Urteil vom 10. Februar 2005 erklärte sich der Internationale Gerichtshof wegen fehlender Gerichtsbarkeit ratione temporis für unzuständig41. 37 European Court of Human Rights - Fourth Section - Decision as to the Admissibility of Application no. 42527/98. 38 Vgl. deutsche Übersetzung in EuGRZ 2001, S. 466. 39 BGBl. 1990 II S. 1318; das vereinte Deutschland hat demgemäß „volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten". 40 Vgl. hierzu Dieter Blumenwitz, Die Liechtenstein-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in: AVR, Bd. 40 (2002), S. 215 ff. 41 Vgl. International Court of Justice, Case concerning Certain Property (Liechtenstein vs. Germany), Preliminary Objections. Vgl. hierzu Tobias H. Irmscher, Anmerkung zur Liechtenstein-Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs, in: AVR, Bd. 43 (2005), H. 3 (i.E.).
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6. Für zahllose Vertriebene, die in der alten Heimat ihr Vermögen verloren haben, ist der Fall Loizidou bis auf weiteres der einzige Lichtblick in der internationalen Rechtsprechung: Auch wenn die Beschwerdeführerin im Loizidou-Fall ihr im Nordteil der Insel belegenes Grundvermögen seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr nutzen oder veräußern konnte und sie faktisch ihre Stellung als Eigentümerin bereits eingebüßt hatte, als die Türkei dem 1. Zusatzprotokoll beitrat und sich in bezug auf Individualbeschwerden der Gerichtsbarkeit des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs unterwarf 42, ging der Gerichtshof in den nordzypriotischen Vertreibungsfällen von unberührt fortbestehendem Eigentum der Betroffenen aus und bestätigte seine Gerichtsbarkeit sowohl ratione temporis als auch ratione personae. Die Begründung der Gerichtsbarkeit ist allerdings nicht frei von Zweifeln. a) Zur Frage des Vermögensverlustes der griechischen Siedler in Nordzypern äußerte sich die türkische Seite wie folgt: „The process of 'the taking' of property in Northern Cyprus started in 1975 andripened into an irreversible expropriation by virtue of Article 159 of the TRNC Constitution of 7 May 1985"43. Der Gerichtshof entnahm dieser, was den genauen Zeitpunkt der Enteignung anbelangt, nicht ganz eindeutigen türkischen Erklärung, daß die Betroffenen nach türkischer Auffassung - ihr Eigentum zumindest nicht vor dem 7. Mai 1985 verloren haben44. Der Gerichtshof konzentrierte sich dann ganz auf die Frage des Eigentumsentzugs durch Art. 159 der Verfassung der TRNC und ließ dessen Rechtswirksamkeit an der gegenüber der TRNC international verfolgten Nichtanerkennungspolitik scheitern. Damit fehlte es nach den Feststellungen des Gerichtshofs an einer wirksamen Enteignung. Die Vorenthaltung des Vertriebeneneigentums durch die türkisch/nordzypriotische Seite erscheint demgemäß als eine fortlaufende Eigentumsverletzung, die seit dem türkischen Beitritt zum 1. Zusatzprotokoll und zum Individualbeschwerdeverfahren der Jurisdiktion des Gerichtshofs unterliegt. b) Das methodische Vorgehen des Gerichtshofs läßt einige Fragen unbeantwortet. Muß nicht der Gerichtshof, wenn er der nordzypriotischen Hoheitsgewalt die Kompetenz abspricht, Eigentum zu ordnen, die enteignenden Eingriffe der allseits anerkannten türkischen Staatsgewalt zurechnen? Die TRNC kann entweder ein lokales De-facto-Regime oder ein türkisches Marionettenregime 42 18. Mai 1954 (Datum des türkischen Beitritts); 22. Januar 1990 (Datum der Unterwerfungserklärung). 43 Loizidou, (Fn. 15), § 35. 44 Vgl. Loizidou, (Fn. 15), § 42: „The formulation of this assertion suggests that in the Turkish Government's view the applicant had not lost ownership of the land before 7 May 1985; if it should be understood differently, the Turkish Government has failed to clarify in what manner the loss of ownership occurred before that date."
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sein. War die Enteignung am 7. Mai 1985 kein autochthon nordzypriotischer Akt, dann kann sie nur als eine Ausübung türkischer Staatsgewalt gewertet werden mit der Folge, daß der unter türkischer Herrschaft 1975 einsetzende Prozeß des „taking of property" spätestens am 7. Mai 1985 - ebenfalls unter türkischer Verantwortung - seinen Abschluß gefunden hatte und die Betroffenen nunmehr ohne „existing possession" vor den Schranken des Gerichtshofs stünden. Rechnet man der Türkei die Beeinträchtigung eines noch fortbestehenden Eigentums in Nordzypern zu, so wäre auch die entscheidende Vorfrage, nämlich die Wirksamkeit der Enteignung des betroffenen Vermögens, aus türkischer Sicht zu beantworten gewesen. c) Sachgerecht erscheint die autonome Anknüpfung der Vorfrage nach dem Fortbestand des Eigentums („existing possession"). Bei der Anknüpfung an die Rechtsauffassung des wegen Eigentumsverletzung in Anspruch genommenen Staates kann der mutmaßliche Rechtsbrecher sich sehr leicht seiner Verantwortung aus Art. 1 Abs. 11. Zusatzprotokoll dadurch entziehen, daß er dem Beschwerdeführer das verletzte oder nicht ausreichend geschützte Recht gänzlich abspricht. Bei der autonomen Anknüpfung hat sich der Gerichtshof gem. Art. 1 Abs 1. Zusatzprotokoll in erster Linie am Völkerrecht zu orientieren. Nicht jede Enteignung, die die Schranken der territorialen Souveränität des enteignenden Staates respektiert (Act of State Theory), ist völkerrechtskonform. Bereits der Umstand, daß der Eigentumsentzug nicht oder nicht ausreichend entschädigt wurde, berechtigte zu Zweifeln an der Gültigkeit des Hoheitsaktes. Im Hinblick auf das Vertreibungsverbot erscheint bedeutsam, daß die Konfiskation des Vermögens der betroffenen Bevölkerung ein wichtiges Element, meist sogar integrierender Bestandteil erzwungener Bevölkerungsüberführung ist. Diese wiederum verletzt als „ethnische Säuberung" das Diskriminierungsverbot aus rassischen oder ethnischen Gründen45. Als Überführung im großen Rahmen erfüllt sie den Tatbestand eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit46. Die erzwungene Bevölkerungsüberführung kann schließlich auch unter die VölkermordKonvention fallen 47.
45 Vgl. Art. 1, 2 und 7 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 2 und 26 Internationaler Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte. 46 Vgl. Londoner Vertrag von 1945 zur Schaffung des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals und die Statuten der internationalen Kriegsverbrechertribunale für das ehemalige Jugoslawien (Art. 5) und für Ruanda (Art. 9), femer Art. 18 Draft Code of Crimes against the Peace and Security of Mankind, wonach „willkürliche Deportationen oder zwangsweise Überführung von Bevölkerungsgruppen" Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind, „wenn sie systematisch oder in großem Rahmen durchgeführt werden und von einer Regierung veranlaßt oder geleitet werden". 47 Vgl. Prosecutor vs. Karadzic and Mladic, IT -95-18-A, S. 4; Prosecutor vs. Nicolic, IT 2-R 61, Abschnitt 34. Entscheidend ist der subjektive Tatbestand. Der Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 30. April 1999 - J StR 215/98) hat den Tatbestand des Völkermordes in Fällen bejaht, in denen der Angeklagte in der Absicht, „die durch Reli-
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Die zwangsweise Massenüberführung bewirkt die völkerrechtliche Verantwortlichkeit jedes betroffenen Staates48. Als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord verjährt die Vertreibung nicht, so daß der Faktor Zeit, der in der Vertriebenenrechtsprechung der Kommission mehrfach angesprochen wurde, zumindest hier keine Rolle spielen kann. Ein Staat, der durch zwangsweise Massenüberführung zwingende Normen des allgemeinen Völkerrechts verletzt, ist dazu verpflichtet, vollständige Wiedergutmachung zu leisten und wenn die rechtswidrige Handlung andauert - dieses Verhalten zu beenden. Hieraus resultiert das Recht betroffener Personen, in ihr Heimatland, zu ihrer Wohnstätte und zu ihrem Vermögen zurückzukehren 49. Jeder Versuch, eine Situation, die sich aus einer erzwungenen Bevölkerungsüberführung oder ethnischen Säuberung ergibt, durch gesetzliche oder andere Maßnahmen, die die Rückkehr vertriebener Personen verbieten oder faktisch unmöglich machen, aufrecht zu erhalten, ist völkerrechtswidrig 50.
gion und Volkstum bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören" handelte. Schutzobjekt des Art. II Genozid-Konvention ist die soziale Existenz der verfolgten nationalen, rassischen, religiösen oder durch ihr Volkstum bestimmten Gruppen. 48 Vgl. Art. 1 und 3 ILC-E Staatenverantwortlichkeit. Das am 14. Dezember 1995 in Paris unterzeichnete Friedensabkommen von Dayton (s. Intern. Legal Materials 1996, S. 198 ff.) stellt als Rahmenabkommen für den Frieden in Bosnien-Herzegowina in Art. VII unmißverständlich fest, daß „the observance of human rights and the protection of refugees and displaced persons are of vital importance in achieving a lasting peace". Das im Anhang 7 geregelte „Agreement on Refugees and Displaced Persons" stellt in Art. 18 die Rechte der Flüchtlinge und Vertriebenen an die Spitze. Im einzelnen werden garantiert: das Recht auf freie Rückkehr, das Recht auf Wiedererlangung des Eigentums, falls dies nicht möglich ist, auf Entschädigung. Vgl. Ziffer 1: „All refugees and displaced persons have therightfreely to return to their homes of origin. They shall have the right to have restored to them property of which they were deprived in the course of hostilities since 1991 and to be compensated for any property that cannot be restored to them ... Hierzu P.C. Szasz, The protection of Human Rights through the Dayton/Paris Peace Agreement on Bosnia, in: American Journal of International Law 1996, S. 306 ff. Agreement on Refugees and Displaced Persons, Text: International Legal Materials 1996, S. 136 ff. Vgl. zu dieser Regelung: European Journal of International Law 1996, S. 193 ff.; Hans-Joachim Heintze , Menschen- und flüchtlingsrechtliche Bestimmungen im Dayton-Abkommen und das Rückkehrrecht für Bürgerkriegsflüchtlinge, in: AWR No. 1-2 (1997), S. 44 ff.; Alberto Ackermann , Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit fluchtverursachender Staaten, Baden-Baden 1997, S. 69, 276 ff.; Eric Rosand, The Right to Compensation in Bosnia, in: Cornell International Law Journal, Bd. 33 (2000), S. 113 ff. 49 Dieter Blumenwitz, Das Friedensabkommen von Dayton und die völkerrechtliche Verantwortung fluchtverursachender Staaten, in: AWR 1998/4, S. 138 ff. (141 ff.). 50 Vgl. George Abi-Saab/Dieter Blumenwitz/James Crawford/ John R Dugardl C topher Greenwood/Gerhard Hafner!F. Orrego-VicunafAlain Pellet/H. Schermer tian Tomuschat , Opinion - Legal issues arisingfrom Certain Population Transfers and Displacements on the Territoiy of the Republic of Cyprus in the Period since 20 July 1974.
Die vermögensrechtlichen Ansprüche der zypriotischen Heimatvertriebenen
I V . Die Auswirkungen der Vertriebenenproblematik auf die EU-Mitgliedschaft Zyperns Der Plan einer „umfassenden Regelung des Zypernproblems" des Generalsekretärs der UNO vom 26. Februar 200351 ist am „Nein" der griechischen Bevölkerungsgruppe in der Volksabstimmung vom 20. April 2004 gescheitert. Folglich konnte am 1. Mai 2004 Zypern nur als geteilter Staat der Europäischen Union beitreten52. Mit seiner Regelung der Vertreibungsproblematik, vor allem ihrer vermögensrechtlichen Folgen, ist der Zypern-Plan von UN-Generalsekretär Annan gleichwohl ein wichtiges Dokument bei der Suche nach Regelungen zur Bewältigung „ethnischer Säuberungen". 1. Bereits im Vorfeld der Zyperngespräche gab die Türkei im Juni 2003 die Zusage, an Frau Loizidou $ 900.000 Entschädigung dafür zu bezahlen, daß diese ihr Grundstück im Nordteil der Insel seit 1974 nicht nutzen konnte. Die Türkei lenkte ein, obgleich ihrer Auffassung nach der unabhängige Staat Nordzypern (Turkish Republic of Northern Cyprus) allein die völkerrechtliche Verantwortung für die Eigentumsverletzung trug. Die Türkei gab aber keinerlei Zusagen hinsichtlich der weiteren rund 3.000 Klagen zyperngriechischer Flüchtlinge, die Entschädigung wie Frau Loizidou verlangen. Der UN-Zypernplan regelte in einem umfangreichen Anhang VII alle Vermögensfragen 53 auf der Grundlage von Restitution und Entschädigung. Ein förmliches Schreiben an den Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sollte zugleich sicherstellen, daß die vertraglich getroffenen Regelungen Vorrang vor der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs genießen, was letztlich zu einer Entlassung der Türkei aus ihrer vom Gerichtshof festgestellten völkerrechtlichen Verantwortung führt. 2. Die demographischen Veränderungen auf der Insel waren mehrfach Gegenstand der Sorge des Europarates. Von den ca. 120.000 Inseltürken wanderte nach 1974 ca. ein Drittel ins Ausland ab; Einwanderer aus Anatolien wurden im Nordteil der Insel nach und nach naturalisiert. In einer Entschließung vom 51
Vgl. Basis for a Comprehensive Settlement of the Cyprus Problem. Second Revised UN Plan, 26 February 2003, www.pio.gov.cy; hierzu Peter Pernthaler , europa ethnica 2003/01, S. 18 ff. S. a. „The Comprehensive Settlement of the Cyprus Problem", 31 March 2004, das bei den abschließenden Verhandlungen in Bürgenstock (Schweiz) scheiterte. 52 Der fortbestehenden faktischen Teilung der Insel trägt das EU-Protocol No. 10 on Cyprus Rechnung. Art. 1 Abs. 1 bestimmt: „The application of the acquis shall be suspended in those areas of the Republic of Cyprus in which the government of the Republic of Cyprus does not exercise effective control." Art. 3 Abs. 1 stellt fest: „Nothing in this Protocol shall preclude measures with a view to promoting the economic development of the areas referred in Article 1." 53 Annex VII „Treatment of Property effected by Events since 1963".
146
Dieter Blumenwitz
24. Juni 2003 spricht sich der Europarat für einefriedliche Verhandlungslösung und gegen Massenausweisungen aus. Die türkische „Kolonialisierung" soll beendet und ein Fonds zur Finanzierung der freiwilligen Rückkehr türkischer Siedler in die Türkei eingerichtet werden. Der UN-Friedensplan sah Einschränkungen für die Rückkehr griechischer Vertriebener in den türkischen Norden vor. Die Rücksiedelung sollte in den nächsten 15 Jahren nur nach festgelegten Quoten erfolgen. Dies war einer der Hauptgründe für die Ablehnimg des Abkommens durch die griechische Volksgruppe. Zudem hätten sich Konflikte mit der gemeinschaftsrechtlich verbürgten Freizügigkeit ergeben. 3. Nicht minder komplex sind die rechtlichen und politischen Grundlagen des vorerst gescheiterten Annan-Planes. Er geht von der Tatsache aus, daß es gegenwärtig keine homogene Nation, kein einheitliches Volk von Zypern gibt, das ein nationales Selbstbestimmungsrecht für das gesamte Gemeinwesen der Insel ausüben könnte. Daher sind sowohl die griechisch-zypriotische Gemeinschaft und die türkisch-zypriotische Gemeinschaft Subjekte des Selbstbestimmungsrechts der Völker in Zypern. Keine der beiden ethnischen Gruppen ist berechtigt, das Selbstbestimmungsrecht der anderen Volksgruppe auszuüben oder auszuschalten. Die Souveränität des gemäß der alten Verfassimg von 1960 zweigliedrigen Bundesstaats ist nach wie vor durch die Londoner und Züricher Gründungs- und Garantieverträge von 1959 zugunsten der türkisch-zypriotischen Minderheit beschränkt. Die Teilung von Insel und Bevölkerung ist rechtswidrig, kann aber wegen ihrer langen Faktizität nicht einfach ungeschehen gemacht werden. Im Sinne des UN-Friedensplanes müssen sowohl eine neue Verfassung geschaffen, als auch die Gründungs- und Garantieverträge zwischen den seinerzeitigen Partnern neu formuliert werden54. Vorbedingung für eine verfassungsmäßige Wiedervereinigung unter einem neuen föderalen System ist demgemäß die vertragsmäßige Einigung der beiden Volksgruppen, die alle wesentlichen Elemente der künftigen Bundesverfassung bindend klärt. Wie bei der deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990 wäre zunächst ein völkerrechtliches Regime von Verträgen zwischen den Teilstaaten und den Garantiemächten anzustreben. Was für Deutschland der Zwei-PlusVier-Prozeß war, wären für Zypern Zwei-Plus-Drei-Verträge, Abkommen zwischen den beiden Volksgruppen und den Garantiemächten Türkei, Griechenland und England. Dieser Weg ist vorerst an der Angst der griechischen Seite vor einer „Enthellenisierung" der Insel gescheitert. Eine Mitschuld trägt aber auch die Europäische Union, die vor 10 Jahren das Wagnis einging, mit der geteilten Insel den Beitritt zu verhandeln - ohne diesen von der Lösung der komplexen Probleme abhängig zu machen. 54
Vgl. Peter Pernthaler (Fn. 51), S. 19.
Die vermögensrechtlichen Ansprüche der zypriotischen Heimatvertriebenen
Abstract Dieter Blumenwitz: Property Claims of Cypriotic Displaced Persons - with Special Reference to the Jurisprudence of the European Court of Human Rights. In: Das Recht auf die Heimat. Ed. by Gilbert H. Gornig and Dietrich Murswiek (Berlin 2005), pp. 131-146. Difficult legal issues have arisenfrom forced removals and displacements on the Territory of the Republic of Cyprus following the Turkish occupation of northern Cyprus on 20 July 1974. International lawyers have to deal with the right of displaced persons to return, their right to their homes and properties located in the areas from which they were displaced. They are faced with issues relating to the legality of compulsory global exchange of properties of displaced persons, and with property rights being replaced by individual rights to compensation. The decision of the European Court of Human Rights in the Loizidou case clearly recognizes the right of a person to choose to maintain their property rights rather than being restricted to compensation for their loss. Article 1 of Protocol No. I provides that no one shall be deprived of his possessions except in the public interest and subject to the conditions provided for by law and by the general principles of international law. This requires that any taking of property must conform with international law. Forced population transfers, effected on a discriminatory basis and carried out on a large scale, are in conflict with international law and it is unlawful to seek to maintain a situation which is the result of forced population transfers or ethnic cleansing, using legal or other measures to prohibit the return of the displaced population. Where people have been unlawfully displaced on a large scale, compulsory exchanges of property belonging to affected persons are unlawful if their purpose is to legitimise a situation which is the result of forced population transfers or „ethnic cleansing".
Die Südtirolautonomie als konkrete Ausformung des Rechts auf die Heimat Von Christoph Pan
I. Einleitung: Das Recht auf die Heimat Friede ist bekanntlich mehr als die Abwesenheit von Krieg. Genauso ist das Recht auf die Heimat mehr als nur das Recht, nicht vertrieben zu werden. Das Recht auf Heimat erschöpft sich auch nicht -
im Aufenthaltsrecht in Form des Verbots von Einzel- oder Kollektivausweisung, Deportation, Verschleppung, Zwangsverschickung und dergleichen mehr, oder
-
im Recht auf Freizügigkeit nausgehend spezifisch
-
im Rückkehrrecht, wie es z.B. für die massenhaften Flüchtlings- und Vertriebenenströme am Balkan nach den kriegerischen Ereignissen der 90er Jahre gefordert wurde,1
und freie Wahl des Wohnsitzes, oder darüber hi-
sondern das Recht auf die Heimat enthält darüber hinaus ein umfassendes Existenz» und Identitätsrecht, und zwar 1. im Sinne des inneren Selbstbestimmungsrechts vor allem das Recht einer Volksgruppe, in ihrem angestammten Siedlungsgebiet in Freiheit die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu gestalten, und 2. im Sinne des modernen Minderheitenschutzes auch das existentielle Recht einer Volksgruppe auf Erhaltung und Entfaltung ihrer Identität. Es versteht sich von selbst, daß das Recht auf die Heimat sowohl als Individualrecht als auch als Gruppenrecht ausgeübt werden kann, d.h. von Individuen einzeln oder gemeinsam mit anderen. Dafür gibt es jedenfalls mehrere konkrete Anwendungsfälle in Europa, darunter auch Südtirol, wo das Recht auf die Hei-
1 UNO, Eide-Bericht zum Minderheitenschutz, Empfehlungen 1993, Pkt. 23: „...Bevölkerungen, die während Perioden ethnischen Konflikts zur Flucht gez wurden, sollen Anspruch haben auf Rückkehr..." (inoffizielle Übersetzung).
Christoph a
150
mat im oben genannten extensiven Sinn in Form von Autonomie erfolgreich umgesetzt werden konnte.
n . Der Fall Südtirol Südtirol, dessen offizielle Bezeichnung auch „Autonome Provinz Bozen" lautet, kam als ein Teil des vormaligen Kaiserreichs Österreich 1919 zu Italien. Gegenwärtig ist Südtirol eine von mehr als 100 Provinzen Italiens, deren Bevölkerung knapp eine halbe Million beträgt (0,8 % der Bevölkerung Italiens). Südtirols Fläche beläuft sich auf rd. 7.400 km2 (2,5 % der Gesamtfläche Italiens). Die Einwohner sind zu zwei Dritteln (64 %) muttersprachlich Deutsche, zu einem Viertel (25 %) Italiener, zu 4 % Ladiner (Rätoromanen) und zu 7 % andere (Einwanderer). Nach der Annexion Südtirols durch Italien wurden die Südtiroler, d.h. die angestammten Volksgruppen der Deutschen und Ladiner, ihres Rechts auf die Heimat beraubt, und zwar in zweifacher Hinsicht, nämlich physisch und psychisch: -
Physisch, indem das faschistische Regime durch organisierte Massenzuwanderung aus Italien die einheimische Bevölkerung unterwanderte.
-
Psychisch, indem es durch Zwangsmaßnahmen der Assimilation (Verbot des Gebrauchs der Muttersprache und der deutschsprachigen Schulen, Italianisierung der Orts- und Personennamen etc.) auch die Identität zu nehmen trachtete.
Diese Politik gipfelte schließlich im Umsiedlungsabkommen von 1939 zwischen Hitler und Mussolini, das die endgültige Aussiedlung der Südtiroler zum Inhalt hatte.2 Der Fall von Stalingrad setzte zwar der Umsiedlungsaktion 1943 ein Ende, doch waren bis dahin etwa 75.000 Personen deutscher oder ladinischer Muttersprache, d.h. ein Drittel der autochthonen Bevölkerung „Heim ins Reich" geholt worden. Von 1945 bis 1955 konnten etwa 21.000 davon, meist unter Verlust ihrer Habe, wieder zurückkehren, so daß sich der Vertreibungs-
2
1939 sollten die Südtiroler „optieren", und zwar für Deutschland, um als „Volksdeutsche" „heim ins Reich" geholt zu werden. Wer nicht für Deutschland optierte, sollte südlich des Po umgesiedelt werden. Rund 90 % optierten für Deutschland. Wenn sie schon die Heimat verlassen mußten, so die überwiegende Meinung, und nur die Wahl zwischen zwei autoritären Systemen bestand, nämlich zwischen Nationalsozialismus und Faschismus, welch letzteren sie bereits schmerzlich und zur Genüge kennen gelernt hatten, dann erschien ihnen die deutsche Variante als das kleinere Übel, weil es ihnen wenigstens weder Sprache noch Identität nahm.
Die Südtirolautonomie als konkrete Ausformung des Rechts auf die Heimat
151
Verlust auf etwa 53.500 Personen bezifferte, was etwa einem Viertel der ursprünglichen Bevölkerung entspricht.3 Bevölkerungsentwicklung in Südtirol4 Gesamt-
Sprachgruppen
Volkszahlung
Italiener
Deutsche
Ladiner
Bevölkerung
1910
7.339
2.9 %
223.913
89.0%
9.429
3.8 %
251.451
100.0
1921
27.048
10.6 %
193.271
75.9%
9.910
3.9%
254.735
101.3
1961
128.271
34.3 %
232.717
62.2%
12.594
3.4 %
373.863
148.7
1971
137.759
33.3 %
260.351
62.9%
15.456
3.7 %
414.041
164.7
1981
123.695
28.7 %
279.544
64.9 %
17.736
4.1 %
430.568
171.2
1991
116.914
26.5%
287.503
65.3 %
18.434
4.2%
440.508
175.0
2001
113.494
24.6%
296.461
64.4%
18.736
4.1 %
460.635
183.2
Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Hoffnungen der Südtiroler auf eine Grenzrevision sich als illusorisch erwiesen, wurde unter dem Druck der Alliierten 1946 in Paris ein Abkommen zwischen Österreich und Italien getroffen, welches den Südtirolern eine Autonomie zusicherte.5 1948 kam es zur Errichtung der ersten Südtirolautonomie durch Italien, doch entsprach diese nicht den Erwartungen der Südtiroler, war sie doch nicht geeignet, den in Gang befindlichen Überfremdungsprozeß zu stoppen. Denn das Recht der Südtiroler auf die Heimat war weiterhin schwer beeinträchtigt durch -
anhaltende Zuwanderung aus Altitalien,
-
exzessive Privilegierung der italienischen Sprachgruppe im sozialen Wohnbau, in der Zuteilung der Stellen im öffentlichen Dienst, im Sprachgebrauch,
-
Abwanderung der jungen Südtiroler ins benachbarte deutschsprachige Ausland (Österreich, Deutschland, Schweiz) mangels beruflicher Perspektiven in der Heimat. 3
Näheres dazu vgl. Adolf Leidlmair, Bevölkerung und Wirtschaft in Südtirol, Innsbruck 1958, S. 77 ff 4 Autonome Provinz Bozen, Landesinstitut für Statistik: Statistisches Jahrbuch für Südtirol 2002, S. 108. 5 Der Text des sogenannten Pariser Vertrages findet sich in englischer und französischer Originalfassung sowie in deutscher Übersetzung in: Autonome Provinz Bozen, Südtirol Handbuch, Bozen 2003, S. 28-31.
152
Christoph Pan
Es kam zu jahrelangen politischen Auseinandersetzungen bis Österreich, als Italiens Vertragspartner von Paris und Schutzmacht der Südtiroler, die Südtirolfrage 1960 vor die UNO brachte. Diese forderte Italien in zwei Resolutionen 1960 und 1961 auf, 6 die Südtirolfrage auf bilateralem Wege mit Österreich friedlich zu lösen. Schließlich, nachdem es 1961 zu Sprengstoffanschlägen der Südtiroler gekommen war, um die internationale Aufmerksamkeit auf ihr Problem zu lenken, reagierte Italien 1961 mit der Einsetzung einer Kommission, in welcher alle beteiligten Parteien vertreten waren. Diese sogenannte 19er Kommission erarbeitete Vorschläge (1961 bis 1964), welche durch bilaterale Verhandlungen auf Außenminister- und Expertenebene in ein „Paket" genanntes Bündel von 137 konkreten Maßnahmen verwandelt und anschließend schrittweise umgesetzt wurden. Der Umsetzungsprozeß begann 1971 und dauerte bis 1992. Dann erklärte Österreich bei den Vereinten Nationen den Südtirolstreit als endgültig beigelegt. Südtirols zweite Autonomie wurde offiziell mit einem Verfassungsgesetz eingeführt und trat Anfang 1972 in Kraft. 7 In diesem (zweiten) Autonomiestatut wurden Südtirol eine Reihe von autonomen Wirkungsbereichen übertragen, die mittels eines eigenen Lokalparlaments („Landtag") gesetzlich geregelt und mittels eines eigenen Exekutivorgans („Landesregierung") mit dazugehörender Verwaltungsstruktur ausgeübt werden. Am 9. November 2001 trat schließlich in Italien eine Verfassungsreform in Kraft, welche auch der Südtirolautonomie einige Verbesserungen brachte, so daß man von einer dritten Autonomie sprechen kann. Das Neue gegenüber der zweiten Autonomie war -
die verfassungsrechtliche Verankerung des Namens „Südtirol",
-
der Wegfall des römischen Sichtvermerks auf Landesgesetze,
-
der Wegfall der Verpflichtung Südtirols, sich in der Gesetzgebung an wirtschaftlich-soziale Reformgesetze des Staates halten zu müssen,
-
die Streichung der Kontrollfunktion des Regierungskommissars aus der Verfassung,
-
die Erweiterung der primären Zuständigkeiten um Handel, Industrie, Lehrlingswesen, Gewässer,
6
UN Resolution 1497 (XV) 909th plenary meeting, 31 October 1960; UN Resolution 1661 (XVI) 1067th plenary meeting, 28 November 1961. 7 Verfassungsgesetz Nr.l vom 10. November 1971, in Kraft getreten am 5. Januar 1972.
Die Südtirolautonomie als konkrete Ausformung des Rechts auf die Heimat
-
153
die Erweiterung der sekundären Zuständigkeiten um internationale Beziehungen, Transportnetze, Energie, Forschung, Ernährung, Flugplätze und Außenhandel.
Bei den autonomen Wirkungsbereichen gibt es eine dreistufige Zuständigkeit, nämlich 1. die volle (primäre) Zuständigkeit, 2. die Teil- (sekundäre) Zuständigkeit und 3. die ergänzende (tertiäre) Zuständigkeit. Im ersten Fall sind die autonomen Wirkungsbereiche lediglich • durch die Verfassung, • die Grundsätze der italienischen Rechtsordnung, • die internationalen Verpflichtungen und • die nationalen Interessen begrenzt,8 im zweiten Fall legen zusätzlich Staatsgesetze einen äußeren Rahmen fest 9 und im dritten Fall können in bestimmten einzelnen Bereichen die Staatsgesetze durch Landesgesetze ergänzt werden.10
m . Ergebnisse der Südtirolautonomie Tatsächlich kann nach über drei Jahrzehnten des Auf- und Ausbaus der Südtirolautonomie zusammenfassend festgestellt werden, daß ihr Hauptzweck, nämlich der Schutz der deutschen und der ladinischen Volksgruppe in ihrem angestammten Siedlungsgebiet wesentlich erreicht wurde, ohne die in Südtirol - inzwischen in zweiter bzw. dritter Generation - als Minderheit in der Minderheit beheimateten Italiener im Genuß der allgemein anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu schmälern. Hier einige wesentliche Ergebnisse im einzelnen:
8 Primäre Zuständigkeit besitzt Südtirol u.a. in den Bereichen Kultur, Raumordnung, Landschaftsschutz, Gewässer, geförderter Wohnbau, Messen und Märkte, Bergbau, Landwirtschaft, Jagd, Fischerei, Industrie, Handwerk, Handel, Fremdenverkehr, öffentliche Fürsorge, Berufsausbildung, Lehrlingswesen, Kindergärten. 9 Sekundäre Zuständigkeit besitzt Südtirol u.a. in den Bereichen internationale Beziehungen, Schule, Forschung, Gesundheitswesen, Ernährung, Sport, Energie, Außenhandel, Transportnetze, Flugplätze, Ortspolizei. 10 Tertiäre Zuständigkeit besitzt Südtirol z.B. in der Arbeitsvermittlung.
154
Christoph Pan
•
Deutsch ist als Amtssprache in allen öffentlichen Ämtern dem Italienischen gleichgestellt, zudem ist Ladinisch im kompakten ladinischen Siedlungsgebiet11 auf Kommunalebene als Verwaltungssprache den beiden anderen Landessprachen gleichgestellt. Es gibt somit drei Amtsprachen, und zwar Italienisch als nationale , Deutsch als regionale und Ladinisch als lokale Amtssprache,
•
Die Verteilung wichtiger Ressourcen wie z.B. der Stellen im öffentlichen Dienst, der Mittel für die Kultur oder für den sozialen Wohnbau richtet sich nach dem Bevölkerungsanteil der drei Sprachgruppen und unterliegt somit einem Proporzsystem .
•
Die Identitätssicherung der Sprachgruppen beruht maßgeblich auf einem Schulsystem , das für jede der drei Sprachgruppen eine eigene Variante enthält. Diese gewährleistet den Schulunterricht in der Muttersprache und das Erlernen der jeweiligen anderen Sprache(n) als Zweitsprache(n).
•
Dank eines Studientitelabkommens zwischen Österreich und Italien aus dem Jahr 1955 können die Angehörigen der deutschen Sprachgruppe ihre Universitätsausbildung muttersprachlich in Österreich absolvieren.
•
In Südtirol können die deutschsprachigen Rundjunkprogramme 12 aus dem Ausland empfangen werden, es gibt auch ein eigenes deutschsprachiges öffentliches Rundfunkprogramm; dasselbe gilt, wenn auch in wesentlich reduzierterem Umfang, für das Ladinische.
•
Dazu kommt ein äußerst reiches und aktives Netz an kulturellen Vereinen, die an die Tausende zählen, was im Hinblick auf die rd. 320.000 Personen umfassende deutsche und ladinische Volksgruppe, die sich zusammen in der Größenordnung nur eines einzigen Stadtteils einer beliebigen Metropole befinden, erstaunlich dicht ist.
•
Südtirol besitzt sodann eine blühende Wirtschaft, die im wesentlichen auf drei Säulen ruht: auf der Landwirtschaft, dem produzierenden Gewerbe und dem Dienstleistungsbereich. Während ganz Europa mit der Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat, konnte Südtirol diese mit Hilfe des Instruments der Autonomie bereits seit mehr als einem Jahrzehnt beseitigen. Das Prokopfeinkommen in Südtirol ist deutlich höher als der nationale Durchschnitt in Italien und lag 2003 bei 27.200 Euro. 13 Der am 4. März im Südtiroler Landtag beschlossene Landeshaushalt 2004 be-
11
D.h. in acht von insgesamt 116 Gemeinden. Unter Rundfunk sind Hörfunk und Femsehen zu verstehen. 13 Wirtschaftsforschungsinstitut der Handels-, Industrie-, Handwerks- und Landwirtschaftskammer Bozen: Starke Wirtschaft - starkes Land. Südtirols Wirtschaft im Überblick, S. 3. 12
Die Südtirolautonomie als konkrete Ausformung des Rechts auf die Heimat
155
trägt rd. 4.400 Mio. Euro, was zehn Prozent des Steueraufkommens des Landes Südtirol entspricht, welche laut Autonomiestatut die finanzielle Grundlage der Südtirolautonomie darstellen. Natürlich gibt es auch Probleme, die noch nicht geregelt oder noch zu regeln sind, z.B. die Frage der Ortsnamengebung (Toponomastik). Auch die neue politische Gruppierung der Parteien Italiens in zwei Blöcke, nämlich Links und Rechts, unter Wegfall der politischen Mitte, ist mit neuen Herausforderungen für den Bestand und die Fortentwicklung der Autonomie verbunden.
IV. Erfolgsfaktoren der Südtirolautonomie Es gibt mehrere Faktoren, die maßgeblich zu den positiven Erfahrungen der Südtirolautonomie beigetragen haben. Diese sind u.a.: 1. Das Konsensverfahren bei der konkreten Umsetzung der einzelnen 137 Paketmaßnahmen,14 in welches nach Art. 107 Autonomiestatut die Vertreter des Staates und aller Sprachgruppen Südtirols einbezogen sind (12er und 6er Kommission). Diese Methode ist enorm wichtig, weil sie verhindert, daß ein langfristig angelegter Prozeß des Volksgruppenschutzes im letzten Glied der Kette, nämlich bei der konkreten Umsetzung, durch einseitige Majorisierung von Seiten der Mehrheitsbevölkerung ad absurdum geführt wird. Dieses Verfahren ist zwar zeitaufwendig (im Falle Südtirols hat es von 1971 bis 1992, also 22 Jahre gedauert!), aber durch kein anderes Verfahren ersetzbar. Die lange Dauer ist allerdings nicht nur dem Verfahren selbst, sondern vor allem dem häufigen Regierungswechsel in Italien zuzuschreiben.15 2. Die behutsame und langfristig angelegte Art der Umsetzung des Stellenproporzes im öffentlichen Dienst unter Verzicht auf harte Maßnahmen wie Entlassungen oder völlige Aufhahmesperre für eine Gruppe. Der öffentliche Dienst, wozu neben Staats-, Landes- oder Gemeindeverwaltungen z.B. auch Eisenbahn, Krankenhäuser oder Schulen zählen, war unter dem Faschismus fast ausschließlich, nämlich zu über 90 %, eine Domäne der Italiener geworden, und sollte nun in angemessener Weise auch den beiden anderen Sprachgruppen geöffnet werden. 14 Davon 97 mit Abänderung des Autonomiestatuts von 1948 mittels Verfassungsgesetz, 8 mit Durchführungsbestimmungen zum Autonomiestatut, 15 mit einfachem Staatsgesetz, 9 mit Verwaltungsverordnungen, der Rest mit Verwaltungsakten. 15 Am 10. Juli 1997 fand die konstituierende Sitzung der bei Paketabschluß eingesetzten 137er Kommission statt (so benannt, weil sie in der Paketmaßnahme 137 vorgesehen ist). Ihre Aufgabe ist die Begleitung der Autonomie als eine Art „Ideenschmiede für die Autonomie" und sie ist bei Änderungen des Autonomiestatuts zwingend anzuhören.
156
Christoph Pan
Um nicht altes Unrecht mit neuem zu vergelten, wurde die Einführung des Proporzsystems zur Behebung dieser eklatanten ethnischen Asymmetrie auf 30 Jahre, also auf die Zeitspanne einer Generation, angelegt. Damit wurden unzumutbare Härtefälle vermieden, denn es konnten keine Entlassungen vorgenommen werden und der Anteil der Deutschen und Ladiner konnte nur durch eine überproportionale Neubesetzung der im natürlichen Weg wie z.B. durch Pensionierung frei gewordenen Stellen angehoben werden. 3. Die institutionelle Zweisprachigkeit, d.h. alle öffentlichen Einrichtungen sind verpflichtet zweisprachig zu sein, im ladinischen Siedlungsgebiet sogar dreisprachig. Dies bedeutet, daß die Angehörigen der italienischen und der deutschen Sprachgruppe im Verkehr mit den öffentlichen Behörden ihre Muttersprache gebrauchen können. Den Ladinern ist dies allerdings nur in ihrem Kernsiedlungsgebiet gewährleistet. Konkret bedeutet dies, daß in Südtirol zumindest alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst, das sind 16 % aller Beschäftigten, zweisprachig, und in geringem Ausmaß auch dreisprachig, sein müssen, damit die institutionelle Zweisprachigkeit funktionieren kann.16 Die Kenntnis der Zweitsprache ist bei den Angehörigen der drei Sprachgruppen in verschieden hohem Umfang vertreten: am höchsten ist sie bei den Ladinern, die in der Regel dreisprachig sind, etwas weniger hoch liegt sie bei den Deutschen und mit Abstand an dritter Stelle folgen die Italiener. Diese Unterschiede sind bedingt durch die Bedeutung einer Sprache (gemessen an der Sprecherzahl17 und an ihrer internationalen Funktion18), durch den politischen Status einer Sprache,19 durch den Grad der Komplexität ihrer Struktur und die damit verbundene Schwierigkeit ihrer Erlernung, aber vor allem auch durch die individuelle Motivation zur Erlernung der Zweitsprache, welche bei den Ladinern am ausgeprägtesten und bei den Italienern am geringsten ist. Daher bedarf es einer zusätzlichen finanziellen Motivation in Form einer Zwei- oder Drei-
16
2001 betrug die Gesamtzahl der Beschäftigten 216.300, wovon 34.447 auf den öffentlichen Dienst entfielen, was 7,5 % der Einwohner entspricht (Autonome Provinz Bozen, Landesinstitut für Statistik: Statistisches Jahrbuch für Südtirol 2002, S. 179 ff.). 17 Mit rd. 90 Mio. muttersprachlichen Sprechern ist Deutsch nach Russisch (rd. 122 Mio.) die größte Sprache Europas, Italienisch folgt mit 56 Mio. Sprechern erst an 6. Stelle (nach Türkisch mit 62 Mio., Englisch mit 58,8 Mio. und Französisch mit 58,5 Mio. Verglichen damit ist die Sprecherzahl der Alpenromanen mit rd. 620.000 sehr klein (Christoph Pan/Beate Sibylle Pfeil, National Minorities in Europe. Ethnos vol. 63, Vienna 2003, S. 11). 18 Bei der EU ist z.B. Deutsch als dritte Arbeitssprache nach Englisch und Französisch weit bedeutender als Italienisch. 19 Als nationale Amtssprache besitzt Italienisch in Südtirol einen höheren Status als Deutsch, das nur auf regionaler Ebene als Amtssprache fungiert, oder Ladinisch, das nur eine lokale Amtssprache ist.
Die Südtirolautonomie als konkrete Ausformung des Rechts auf die Heimat
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sprachigkeitszulage in der Höhe von rd. 10 % der Lohnsumme je zusätzliche Sprache, welche in der öffentlichen Verwaltung eingeführt wurde. In der Wirtschaft dagegen sorgt das eiserne Gesetz des Marktes für die Gewährleistung der Zweisprachigkeit.20 4. Die Problematik der rollenspezifischen Verhaltensmaximen: Die letztlich aus der Autonomie resultierenden Doppelrollen bzw. Mehrfachrollen der Sprachgruppen Südtirols stellen ein viel zu wenig beachtetes Phänomen dar, 21 welches anscheinend widersprüchliche Anforderungen an das Rollenverhalten begründet. Eine Minderheit kann es sich z.B. nicht leisten, mit ihren Schutzrechten allzu großzügig umzugehen, denn dies wäre Verschwendung, sie muß vielmehr mit ihrem kulturellen Kapital extrem sparsam haushalten. Eine Mehrheit hingegen muß großzügig sein und kann sich dieses auch leisten, ohne sich selbst kulturell zu gefährden. Die Mehrheitsrolle erfordert immer wieder Großzügigkeit im Umgang mit der lokalen Minderheit, und zwar eine Großzügigkeit, die sich die Minderheit nicht leisten kann, ohne sich selbst preiszugeben. Mal ist die eine, mal ist die andere Verhaltensweise gefragt, jeweils an der richtigen Stelle und am richtigen Ort. Dies besser unterscheiden zu lernen, d.h. das jeweils rollenspezifische Verhalten konsequenter zu beachten, ist im Interesse eines reibungslosen Zusammenlebens mehrerer Sprachgruppen von größter Bedeutung. 5. Auf den ersten Blick mag es vielleicht überraschen, daß auch die italienische Sprachgruppe Südtirols in die Problematik des Minderheitenschutzes einzubeziehen ist, wo doch die Italiener der Titularnation Italiens angehören, die als nationale Mehrheit keinerlei Minderheitenschutz benötigt. Aber als lokale Minderheit in Südtirol wird sie zu einer sogenannten „Minderheit in der Minderheit" und damit zum Subjekt des Minderheitenschutzes mit dem Rechtsanspruch, daß die Südtirolautonomie sie keinesfalls im Genuß der allgemein anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten benachteiligen darf.
20 Die Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit ist v. a. auch in der Privatwirtschaft Südtirols eine unverzichtbare Notwendigkeit, zwar nicht de jure, aber um so mehr de facto. Dies hat zugleich den Schutz der einheimischen Arbeitskräfte vor der Konkurrenz von außerhalb zur Folge, der mit dem Gleichheitsgrundsatz der EU vereinbar ist. 21 Doppelrollen sind gegeben, wenn die Deutschen eine nationale Minderheit in Italien und gleichzeitig eine 2/3-Mehrheit im autonomen Südtirol sind, während die Italiener als Angehörige der Titularnation Italiens der nationalen Mehrheit angehören und innerhalb Südtirols eine lokale Minderheit von rd. 25 % darstellen. Darüber hinaus werden in der Faktorenanalyse Mehrfachrollen erkennbar z.B. bei der Stadt Bozen: sie ist die (zu rd. 73 %) mehrheitlich italienischsprachige Landeshauptstadt des (zu rd. 64 %) mehrheitlich deutschsprachigen autonomen Südtirol im (zu 94 %) mehrheitlich italienischsprachigen Italien.
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Christoph Pan
V. Autonomierecht und Europarecht Seit geraumer Zeit gibt es Kräfte in Brüssel, welche die EU-Kommission veranlassen möchten gegen Italien ein Verfahren einzuleiten wegen des Proporz-Systems im Rahmen der Südtirolautonomie. Der Proporz gilt zu Recht als ein wesentlicher Grundpfeiler der Südtirolautonomie, er setzt jedoch voraus, daß die Zugehörigkeit der Einwohner Südtirols zu den drei vom Autonomiestatut anerkannten Sprachgruppen korrekt erfaßt werden kann. Trifft dies nicht zu, dann entfällt mit dem objektiven Kriterium auch die Grundlage für eine „gerechte" Verteilung, das Recht des Stärkeren käme wieder zum Vorschein und die Autonomie wäre in wesentlichen Teilen ad absurdum geführt. Die Gegnerschaft zur Autonomie in Südtirol ist so alt wie diese selbst, sie konnte aber ihre Erfolgsgeschichte nicht verhindern. Mit der Durchsetzung des Autonomiegedankens änderten sich jedoch die Angriffsziele, nämlich von Direktangriffen auf die Autonomie zu umgeleiteten Angriffen auf deren Grundsäulen wie Proporz, Zweisprachigkeitspflicht oder Unterricht in der Muttersprache, und dann weiter zu Angriffen auf bestimmte Voraussetzungen derselben wie z.B. auf die Sprachgruppenerklärung. 22 Gleichzeitig wandelten sich die Angriffe von ursprünglich offener politischer Gegnerschaft zu mehr verdeckten Formen der Auseinandersetzung wie z.B. die gegenwärtige Infragestellung der Vereinbarkeit der Südtirolautonomie mit dem Europarecht. Es überrascht nicht, daß das Südtiroler Autonomierecht, das ursprünglich nur mit dem italienischen Staats- und Verfassungsrecht abzustimmen war, weil es die EU noch nicht gab, nun, da es diese gibt, auch mit dem EU-Recht in Einklang stehen muß. Damit weitet sich die ursprüngliche Auseinandersetzung zwischen Bozen, Wien und Rom nun auch auf Brüssel aus, aber genau so wie zwischen Bozen, Wien und Rom ein Ausgleich zu finden war, wird ein solcher auch zwischen Bozen-Rom-Wien auf der einen Seite und Brüssel auf der anderen Seite zu suchen sein. Wenn Bozen an Autonomie, Proporz und Sprachgruppenerklärung festhält, ohne das Nichtdiskriminierungsgebot, das Gleichheitsprinzip, die Freizügigkeit, das Gebot der Verhältnismäßigkeit oder die Erfordernisse des Datenschutzes in Frage zu stellen, dann dürfte ein solches Vorgehen rechtlich durchsetzbar sein, was nicht ausschließt, daß verfahrenstechnische Einzelheiten noch modifiziert werden könnten. Der Umstand, daß das EU-Recht bisher weder Minderheiten noch Minderheitenrecht kennt, macht allerdings den Ausgleich zwischen Autonomierecht und Europarecht zum Neuland und eben
22
Vgl. dazu Karl Zeller, Volkszählung und Sprachgruppenzugehörigkeit in Südtirol. Völker-, verfassungs- und europarechtliche Aspekte. Gutachten erstellt im Auftrag der Südtiroler Volkspartei. Bozen 1991.
Die Südtirolautonomie als konkrete Ausformung des Rechts auf die Heimat
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nicht gerade leichter. So wird Südtirol eben einmal mehr seiner Vorreiterrolle im europäischer Minderheitenschutz gerecht werden müssen.
VI. Zusammenfassendes Ergebnis Die Südtirolautonomie war und ist ein Erfolg, wenn ihre Ergebnisse am Anspruch gemessen werden, daß sie der angestammten Bevölkerung das Recht auf die Heimat in umfassender Weise zu gewährleisten vermag. Immerhin war sie in der Lage, die in sie gesetzten Erwartungen aller beteiligten Parteien zu erfüllen, wobei nicht weniger als 4 Parteien direkt betroffen waren, nämlich 1. die in Südtirol traditionell beheimateten Volksgruppen, 2. die Angehörigen der nationalen Mehrheit, die in Südtirol eine Minderheit in der Minderheit bilden, 3. der Wohnsitzstaat Italien und 4. der Schutzstaat Österreich. Als 5. Partei tritt nun auch die EU mit dem Gemeinschaftsrecht hinzu. Die Südtirolautonomie auf der Grundlage des Zweiten Autonomiestatuts hat tatsächlich ermöglicht, •
daß die beiden Volksgruppen der Deutschen und Ladiner in Südtirol ihre jeweilige Identität und die Existenzmöglichkeiten in der angestammten Heimat wahren und weiterentwickeln konnten,
•
ohne daß die in Südtirol lebenden Italiener im Genuß ihrer Menschenrechte und Grundfreiheiten geschmälert bzw. in ihrem inzwischen erworbenen Heimatrecht verletzt wurden,
•
daß Italien als Wohnsitzstaat seine territoriale ten konnte und
•
Österreich als Schutzstaat seinen kulturellen und sprachlichen Besitzstand auch außerhalb seiner Landesgrenzen weitestgehend bewahrt hat.
Integrität unangetastet erhal-
Dazu kommt, daß •
die Vereinbarkeit von Autonomierecht und Europarecht möglicherweise in einem Verfahren beim EuGH zu klären ist, wie die aktuelle Auseinandersetzung zwischen Bozen und Brüssel wegen des Modus der Sprachgruppenerklärung zeigt.
Mit diesem bisher überwiegend positiven Befund kann die Südtirolautonomie als Prototyp für analoge Konfliktfälle in Europa gelten. In diesem Sinne legte auch das Ministerkomitee des Europarates ein wichtiges Zeugnis über den
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Christoph Pan
Erfolgscharakter der Südtirolautonomie ab, als es trotz der extremen Zurückhaltung, die es bezüglich Autonomie stets zu üben pflegt, nicht umhin konnte in der Entschließung vom 3. Juli 2002 festzustellen, daß Italien mit dem Minderheitenschutz in Südtirol ein empfehlenswertes Niveau erreicht hat.23 Abstract Christoph Pan: The South Tyrolean Autonomy as a Practical Example for the Successful Implementation of the Right to One's Homeland, in: Das Recht auf die Heimat. Ed. by Gilbert H. Gornig and Dietrich Murswiek (Berlin 2005), pp. 149-160. The right to one's homeland (Recht auf die Heimat) is not limited to the mere right of abode, the right to liberty of movement and residence or even the right to return, as requested for refugees and expellees. It also provides an extensive right of existence and identity. In terms of the right of internal selfdetermination, the right to one's homeland affords a national or ethnic minority the right to freely pursue their economic, social and cultural development, and further, in terms of modern minority protection, the fundamental right to preserve and develop their own identity. In Europe, there are several cases where/in which this has been applied, one of which is South Tyrol, where the right to one's homeland has been implemented successfully through autonomy. On the basis of the justified expectations of the parties concerned, the South Tyrolean autonomy of 1972 can be considered a success because this autonomy has in fact made it possible 1. for the German-speaking and Ladin minorities to maintain and develop their own identities and opportunities of existence in their country of birth. 2. for the Italians living as 'minority within the minority' to fully enjoy their human rights andfreedoms as well as their right of homeland. 3. for the Italian home-state to preserve its territorial integrity. 4. for the Austrian kin-state to preserve most of its cultural and linguistic assets in South Tyrol, i.e. on foreign territory. Das Ministerkomitee des Europarates hat in einer Resolution vom 3. Juli 2002 über die Umsetzung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten in Italien (ResCMN(2002)10, Pkt.l, zweiter Bindestrich) u.a. die positive Wirkung dieses Proporzsystems hervorgehoben: „Italien hat sehr lobenswerte Anstrengungen in mehreren Bereichen einschließlich Schule, Medien und wirksame Mitbestimmung der deutschsprachigen, ladinischen,französischsprachigen und slowenischen Minderheiten unternommen, die in den Regionen leben, welche eine besondere Autonomie genießen. ... und das System, welches öffentliche Stellen in der Provinz Bozen [Südtirol] streng nach dem [zahlenmäßigen] Ausmaß der italienischen, deutschsprachigen und ladinischen Gemeinschaften zuweist, hat dazu beigetragen, die Mitbestimmung dieser Gruppen wirksamer zu gestalten..
Die Südtirolautonomie als konkrete Ausformung des Rechts auf die Heimat
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These preliminary positive results are complemented by the insight into the compatibility of the right of autonomy with European law, a compatibility which still has to be borne out by the European Court of Justice in Luxembourg.
Nachruf auf Dieter Blumenwitz Am 2. April 2005 ist Professor Dr. jur. Dr. h.c. mult. Dieter Blumenwitz, Ordinarius für Völkerrecht, allgemeine Staatslehre, deutsches und bayerisches Staatsrecht und politische Wissenschaften an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, nach schwerer Krankheit verstorben. Dieter Blumenwitz wurde 1939 in Regensburg geboren. An die Schulzeit, die er unter anderem auch an der Highschool in Pasadena (Kalifornien) verbrachte, an der er den Highschool-Abschluß erwarb, schloß sich das Studium der Rechte an der Universität München an, und - zeitlich weitgehend parallel - ein Studium der Politischen Wissenschaften, ebenfalls in München, an der Hochschule für Politik. Zwischen den beiden Staatsprüfungen - 1962 und 1967 - wurde Dieter Blumenwitz 1965 an der Ludwig-Maximilians-Universität München bei Friedrich Berber promoviert. Die Schrift mit dem Titel „Die Grundlagen eines Friedensvertrages mit Deutschland - Ein völkerrechtlicher Beitrag zur künftigen Deutschlandpolitik" war mehr als nur eine Doktorarbeit; sie war auch programmatischer Ausdruck zukünftiger Forschungsinteressen und sie ist noch heute Beleg eines politischen und rechtlichen Weitblicks, der im historisch einmaligen Prozeß der deutschen Wiedervereinigung Aufgabe und Erfüllung gefunden hat. Nach der Promotion arbeitete Dieter Blumenwitz am von Murad Ferid geleiteten Münchner Institut für Rechtsvergleichung. Schon 1970 - mit 30 Jahren habilitierte er sich bei Friedrich Berber mit einer Arbeit über den Schutz innerstaatlicher Rechtsgemeinschaften beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge; erteilt wurde ihm die venia legendi für die Fächer Öffentliches Recht, insbesondere Völkerrecht und Internationales Privatrecht. Wie schon die Doktorarbeit, so verdeutlicht auch die Habilitationsschrift nicht allein das Ergebnis vorangegangener wissenschaftlicher Befassung. Vielmehr gehörte das Kernthema dieser Untersuchung, der Bundesstaat in all seiner rechtlichen und politischen Vielgestaltigkeit, auch später zu seinen zentralen Forschungsgebieten. Von 1972 bis 1976 war Dieter Blumenwitz Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere Völkerrecht und Europarecht, an der Universität Augsburg. Im Jahre 1975 erreichte ihn sowohl ein Ruf an die Freie Universität Berlin als auch an die Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Er entschied sich für die Julius-Maximilians-Universität, an der er die Nachfolge von Friedrich August Freiherr von der Heydte auf dem Lehrstuhl für Völkerrecht, allgemeine Staatslehre, deutsches und bayerisches Staatsrecht und politische Wis-
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Nachruf auf Dieter Blumenwitz
senschaften antrat. Dieser Universität gehörte er bis zu seinem Tod an. Von 1974 bis 1976 in Augsburg sowie von 1988 bis 1990 in Würzburg bekleidete Dieter Blumenwitz das Amt des Dekans. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte waren das Völkerrecht und das Verfassungsrecht. Mehr als 30 Monographien sowie weit über 250 Aufsätze sind die Früchte eines unermüdlichen Forschergeistes, dem es immer darum ging, das Verständnis für das Völkerrecht als zwischenstaatlicher Friedensordnung zu wecken und zu bewahren. Nachhaltig beeinflußte er mit seinen staats- und völkerrechtlichen Abhandlungen die Diskussion zur Rechtslage Deutschlands, bevor die Wiedervereinigung Deutschlands auf der Agenda der internationalen Politik stand. Als einer von wenigen Rechtswissenschaftlern hatte er die deutsche Wiedervereinigung schon lange vor 1989/90 in seinen Schriften konzeptionell vorbereitet. Und auch an der staatsrechtlichen Gestaltung des Wiedervereinigungsprozesses beteiligte er sich mit grundlegenden staats- und völkerrechtlichen Beiträgen. Weitere Forschungs- und Publikationsschwerpunkte bildeten der völkerrechtliche Schutz von Volksgruppen und Minderheiten, die Entwicklung rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturen in Südamerika und Osteuropa sowie das vergleichende Verfassungsrecht. Als Berater und Prozeßvertreter deutscher und ausländischer Staatsorgane sowie als Gutachter bot sich zudem regelmäßig die Möglichkeit, die Erträge der Völker- und verfassungsrechtlichen Forschung in die Rechtspraxis einzubringen. So war er schon 1973 Prozeßbevollmächtigter des Freistaates Bayern im Grundvertragsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht; 1977/78 vertrat er die Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag im Verfassungsstreit über die Wehrpflichtnovelle; 1993/94 folgte gleichfalls vor dem Bundesverfassungsgericht die Prozeßvertretung für die Bundesregierung im Awacs-Verfahren. Und in den letzten Jahren war es der „Liechtensteiner Bilderstreit", in dessen Rahmen er sowohl vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als auch vor dem Internationalen Gerichtshof plädierte. Das Mitwirken in der Rechtspraxis beschränkte sich aber keineswegs auf die Bereiche des Völker- und Verfassungsrechts. Mehrere Jahre amtierte er auch als Vorsitzender sowohl des Bundesschiedsamtes für die Kassenzahnärztliche Versorgung als auch des Landesschiedsamtes für Zahntechniker in Bayern. Überdies war Dieter Blumenwitz Mitglied in mehreren weiteren nationalen und internationalen Schiedsgerichten. Einen besonderen Stellenwert besaß für ihn überdies die verfassungsrechtliche Begleitung der Demokratisierungsprozesse etwa in Namibia, in Russland, aber auch in Südamerika. Zahlreiche Vortragsreisen in die Vereinigten Staaten von Amerika, nach Kanada, Südamerika, Afrika und Asien bezeugen zudem das hohe wissenschaftliche Ansehen, das Dieter Blumenwitz auch im Ausland genossen hat und das seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die in zehn Sprachen erschienen sind, auch weiterhin genießen werden.
Nachruf auf Dieter Blumenwitz
Für Dieter Blumenwitz gehörte es zum akademischen Selbstverständnis, über die Grenzen der Rechtswissenschaft hinaus auch in andere Wissenschaftsbereiche hineinzuwirken und deren Erkenntnisse in die rechtswissenschaftliche Forschung und Lehre zu integrieren. Deshalb engagierte er sich u.a. über dreißig Jahre als Lehrbereichsvertreter für Internationale Politik an der Hochschule für Politik in München, wo er auch das Amt eines Senators und schließlich des Prorektors ausübte. Außerdem war er von 1986 bis 2004 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Die Förderung junger Wissenschaftler war Dieter Blumenwitz immer ein besonderes Anliegen. Er führte drei Schüler zur Habilitation und betreute erfolgreich mehr als 130 Doktoranden. In Anerkennung seiner wissenschaftlichen Verdienste erhielt Dieter Blumenwitz höchste nationale und internationale Auszeichnungen, darunter das Bundesverdienstkreuz, den Bayerischen Verdienstorden, die Verfassungsmedaille des Freistaates Bayern, den Orden al Mérito de Chile und den Orden Communidad der Republik Venezuela. Er war zweifacher Ehrendoktor, und er war Professor honoris causa an der Universitas Libera Ucrainensis. Persönlichkeit und wissenschaftliches Selbstverständnis bildeten bei Dieter Blumenwitz eine Einheit. Das eine läßt sich vom andern nicht trennen. Dazu gehörte die Aufrichtigkeit und Unerschrockenheit, mit der er seine staats- und völkerrechtlichen Überzeugungen auch dann in der Öffentlichkeit vertrat, wenn andere schwiegen oder in die Deckung tagespolitisch opportuner Ansichten flüchteten. Die Studiengruppe Politik und Völkerrecht verliert mit Dieter Blumenwitz ihren jahrzehntelangen Gestalter und Förderer, einen international anerkannten und geachteten Völkerrechtler, dessen wissenschaftliches Gesamtwerk über die Grenzen Deutschlands hinaus auch zukünftig über den besonderen Stellenwert des Völkerrechts in der Arbeit der Studiengruppe beredtes Zeugnis geben wird, aber auch eine Persönlichkeit, deren Geradlinigkeit und Liebenswürdigkeit im täglichen Miteinander unvergessen bleibt. Gilbert H. Gornig Dietrich Murswiek
Nachruf auf Boris Meissner Boris Meissner ist am 10. September 2003 in Köln gestorben. Er wurde 1915 im russischen Pskow, der alten Hansestadt Pleskau, südlich des Peipus-Sees nahe der estnisch-russischen Grenze, geboren. Seine Vorfahren standen in Diensten der Zaren. Er studierte Rechts- und Wirtschaftswissenschaften im estnischen Dorpart. Die Promotion erfolgte dann allerdings erst nach seiner Assistentenzeit an der Universität Hamburg. Boris Meissner promovierte 1955 mit einer über die deutschen Grenzen hinaus beachteten und geschätzten Arbeit über „Die Sowjetunion, die baltischen Staaten und das Völkerrecht". Am Ende seines Schaffens, nach dem Zerfall des Ostblocks, wandte er sich dann nochmals intensiver dem Baltikum zu, als es galt, dort Aufbauarbeit zu leisten. Zunächst trat Boris Meissner in den auswärtigen Dienst der sich konstituierenden Bundesrepublik Deutschland. Er war 1955 Mitglied der deutschen Delegation, die Adenauer nach Moskau begleitete. Über diese vielleicht wichtigste Mission der Bundesrepublik unmittelbar nach Abschluß des Deutschlandvertrags - sie sollte die Befreiung der in der Sowjetunion zurückgehaltenen deutschen Kriegsgefangenen und Zivilinternierten bewirken - berichtete Boris Meissner anschaulich in seinem Beitrag für die Festschrift für Konrad Adenauer1. Diese Arbeit ist auch heute noch lesenswert, nicht nur für Historiker, sondern auch für Politiker. Sie zeigt, wie Außenpolitik konzipiert werden muß eine Kunst, die im Zeitalter des globalen Populismus in Vergessenheit zu geraten scheint. 1959 folgte der Ruf auf den Lehrstuhl für Ostrecht in Kiel, 1964 wurde Meissner Direktor des Instituts für Ostrecht an der Universität Köln, wo er bereits 1961 das Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien begründet hatte. Mit dem Ost-West-Arbeitskreis im nahegelegenen Bonn bot Meissner Diplomaten, Wissenschaftlern und Journalisten ein fruchtbares Gesprächsforum. In den sich anbahnenden Epochen von Koexistenz und Entspannung erwiesen sich Meissners Beobachtungen der sowjetischen Führungsspitze, die auf intensivem Studium sowjetischer Quellen beruhten, letzten Endes als solider als die Interpretationen seiner sich progressiv wähnenden Wi-
1 Boris Meissner, Adenauer und die Sowjetunion von 1955 bis 1959, in: Dieter Blumenwitz / Klaus Gotto / Hans Maier / Konrad Repgen / Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Konrad Adenauer und seine Zeit, Band II: Beiträge der Wissenschaft, Deutsche VerlagsAnstalt Stuttgart 1976.
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Nachruf auf Boris Meissner
dersacher. Für Boris Meissner waren Unfreiheit, die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker, Verstöße gegen die Menschen- und Gruppenrechte eindeutige, durch keine Theorie zu beschönigende Tatsachen. Boris Meissner war ein Autor von unerschöpflicher Arbeitskraft, eine leibhaftige Datenbank für alle Bereiche der Sowjetunion und ein begnadeter Organisator von Konferenzen und Projekten. Hiervon konnten vor allem auch die Studiengruppe für Politik und Völkerrecht und die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen nachhaltig profitieren. Erwähnt seien nur die von ihm mitgestaltete Reihe „Das Potsdamer Abkommen und die Deutschlandfrage" 2, die „blaue Reihe", die von ihm mitherausgegebenen „Staats- und völkerrechtlichen Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht", in denen die kenntnisreichen Vorträge, die er in unserem Kreis gehalten hat, abgedruckt sind3 und der 1995 erschienene Band „Die Sowjetunion und Deutschland von Jalta bis zur Wiedervereinigung" aus der Reihe „Forschungsergebnisse der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht." 4 Boris Meissner war nicht nur ein Segen für die gesamte Ostrechtswissenschaft, er war ein unermüdlicher Ratgeber und Helfer der deutschen Vertriebenen, er war ein großmütiger Kollege und Mitstreiter, dessen Vermächtnis die Studiengruppe für Politik und Völkerrecht und die Arbeit der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen weiterhin prägen wird. Dieter Blumenwitz t Gilbert H. Gornig Dietrich Murswiek
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Vgl. z.B. Boris Meissner, Die Frage des Friedensvertrages mit Deutschland vom Potsdamer Abkommen bis zu den Ostverträgen, in: Dieter Blumenwitz / Otto Kimminich / Boris Meissner / Theodor Veiter / Gottfried Zieger (Hrsg.), Das Potsdamer Abkommen und die Deutschlandfrage, II. Teil: Berliner Deklaration und Sonderfragen, Wien 1987, S. 25-55. 3 Vgl. z.B. Boris Meissner, Jalta und die Teilung Europas, in: Dieter Blumenwitz / Boris Meissner, Die Überwindung der europäischen Teilung und die deutsche Frage, Staats- und völkerrechtliche Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht Bd. 4, Köln 1986, S. 13-33. 4 Boris Meissner, Die Sowjetunion und Deutschland von Jalta bis zur Wiedervereinigung, Forschungsergebnisse der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht, herausgegeben von der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt, Köln 1995.
Nachruf auf Remold Schleifenbaum Die organisatorische Vorbereitung der Tagung „Das Recht auf die Heimat", deren Beiträge dieser Band dokumentiert, hat Dr. Reinold Schleifenbaum, der Vorstandsvorsitzende der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, mit demselben Engagement unterstützt, wie die Organisation vieler anderer Tagungen zuvor, diesmal freilich schon gezeichnet durch seine schwere Erkrankung. Bis in seine letzten Tage hinein wirkte er an den Vorbereitungen mit. Die Tagung im März 2004 konnte er nicht mehr erleben; er starb am 19. Januar 2004. Reinold Schleifenbaum, geboren in Siegen am 26. März 1935, hatte Rechtswissenschaften in Tübingen studiert und mit einer Arbeit zum US-Gesellschaftsrecht promoviert. Seit 1965 war er als Rechtsanwalt, seit 1969 zugleich als Notar tätig. Politisch hatte Schleifenbaum sich schon als Student im Rahmen der „Vereine deutscher Studenten" für die Belange des deutschen Volkes und für die Wiedervereinigung engagiert. Dieses Engagement für Deutschland als Ganzes brachte ihn später nicht nur politisch, sondern auch in seiner beruflichjuristischen Tätigkeit in Kontakt zu den deutschen Heimatvertriebenen. Als Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Steuerrecht hat er in Fragen des Staatsangehörigkeitsrechts, des Vertriebenenrechts und des Enteignungsrechts Tätigkeitsschwerpunkte entwickelt. In vielfältiger Hinsicht hat er die Vertriebenen rechtsberatend unterstützt. Die Arbeit der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht hat Reinold Schleifenbaum seit langem mit großem Interesse verfolgt und mit anregenden Diskussionsbeiträgen bereichert. Seit 1993 war er Vorstandsvorsitzender der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen. In dieser Funktion war er für die Organisation vielfältiger Tagungen zur ostdeutschen Kultur und Geschichte sowie auch der völkerrechtlichen Tagungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht verantwortlich. Sein unermüdlicher Einsatz, seinefreundliche Präsenz und sein unerschütterlicher Optimismus werden uns fehlen. Hans-Günter Parplies
Die Autoren
Prof. Dr. Dr. b.c. mult. Dieter Blumenwitz f Persönliche Angaben
Dieter Blumenwitz (1939 - 2005): Studium der Politischen Wissenschaften und der Rechtswissenschaften. Promotion (1965) und Habilitation (1970) für die Fächer Öffentliches Recht, insbesondere Völkerrecht und Internationales Privatrecht. 1972 Berufimg auf den Lehrstuhl für Öffentliches Recht insbes. Völkerrecht und Europarecht an die Universität Augsburg; 1976 Berufung auf den Lehrstuhl für Völkerrecht, allgemeine Staatslehre, deutsches und bayerisches Staatsrecht und politische Wissenschaften an die Universität Würzburg, Prorektor und Lehrbeauftragter für den Lehrbereich Internationale Politik an der Hochschule für Politik in München. Forschungsschwerpunkte
Völkerrecht und Menschenrechte, insbesondere der Schutz von Nationalitäten, Volksgruppen und Minderheiten; vergleichendes Verfassungsrecht; Verhältnis von nationalem Recht, Völkerrecht und Europarecht; Entwicklung rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturen in Entwicklungsländern und den Ländern Osteuropas; Gewaltverbot und humanitäre Intervention. Auswahlbibliographie
Grundlagen eines Friedensvertrages mit Deutschland, 1966; Der Schutz innerstaatlicher Rechtsgemeinschaften beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge, 1972; Feindstaatenklauseln, 1972; Flucht und Vertreibung, 1987; Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, Teil I, 1992; Intertemporales und interlokales Verfassungskollisionsrecht, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. IX, 1997; Stabilitätspakt für Europa (m. Burkhard Schöbener), 1997; Fälle und Lösungen zum Völkerrecht, 2001; Rechtsgutachten über die Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944-1948, 2002; Einführung in das angloamerikanische Recht, 7. Aufl., 2003.
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Die Autoren * *
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Prof. Dr. Christoph Degenhart Persönliche Angaben
Christoph Degenhart (geb. 1949): Studium der Rechtswissenschaft; 1975 Promotion an der Ludwig-Maximilians-Universität München; 1980 Habilitation an der Ludwig-Maximilians-Universität München; 1981 Professor für Öffentliches Recht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster; seit 1992 ordentlicher Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Leipzig, Direktor des Instituts für Rundfunkrecht; seit 1998 sachverständiges Mitglied des Medienrats der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien; seit 1993 stellvertretendes Mitglied des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs.
Forschungsschwerpunkte
Staatsrecht und Grundrechte; Baurecht; Bergrecht; Medienrecht. Auswahlbibliographie
Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976; Kernenergierecht - Schwerpunkte, Entscheidungsstrukturen, Entwicklungslinien, 1980; Staatsrecht I / Staatsorganisationsrecht, 1.-20. Aufl. 1984-2004; Rechtsfragen der Braunkohlenplanung für Brandenburg, 1996; Sächsische Bauordnung, Kommentar, Herausgeber und Autor, 1999 ff.; Der Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der digitalen Welt, 2001; Kommentierung zu Art. 5 Abs. 1 und 2 GG in: Bonner Kommentar, 1988/1999/2005. Kontaktadresse
Prof. Dr. Christoph Degenhart Universität Leipzig Juristenfakultät Burgstr. 27 04109 Leipzig / Deutschland Tel.: 03 41 /97-3510, -351 91 Fax: 03 41 /97-351 99 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.uni-leipzig.de/degenhart/
Die Autoren * *
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Prof. Dr. Dietrich Murswiek Persönliche Angaben Dietrich Murswiek (geb. 1948): Studium der Rechtswissenschaft; 1978 Promotion an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; 1984 Habilitation an der Universität Saarbrücken; 1986 Professur für Öffentliches Recht an der GeorgAugust-Universität Göttingen; seit 1990 Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht, Deutsches und Internationales Umweltrecht an der Albert-LudwigsUniversität Freiburg; 1995-1997 Dekan an der Rechtwissenschaftlichen Fakultät; Geschäftsführender Direktor des Instituts für Öffentliches Recht.
Forschungsschwerpunkte
Verfassungsrecht und -theorie; Umweltrecht; Völkerrecht. Auswahlbibliographie
Die verfassunggebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1978; Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985; Umweltschutz als Staatszweck, 1995; Peaceful Change. Ein Völkerrechtsprinzip?, 1998; Das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes und die Grenzen der Verfassungsänderung. Zur Frage nach der Verfassungswidrigkeit der wiedervereinigungsbedingten Grundgesetzänderungen, 1999. Kontaktadresse
Prof. Dr. Dietrich Murswiek Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Öffentliches Recht D-79085 Freiburg / Deutschland Tel.: 07 61/203-2237, -2241 Fax: 07 61/203-2240 E-Mail: [email protected] Internet: www.jura.uni-freiburg.de * *
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Die Autoren
Prof. Dr. Christoph Pan Persönliche Angaben
Christoph Pan (geb. 1938); Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften; 1960 Lizentiat und 1964 Promotion an der Universität Fribourg, Schweiz; 1971 Habiliation für politische Soziologie an der Universität Innsbruck, Österreich; 1980 außerordentlicher Professor am Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Leopold Franzens-Universität Innsbruck; Hochschullehrer an den Universitäten Innsbruck (1971-2000) und Salzburg (1974-79). Seit 1961 Leiter des Südtiroler Volksgruppen-Instituts in Bozen, Italien; Zusammenarbeit mit internationalen Nichtregierungsorganisationen, zahlreiche Studien- und Vortragsreisen u. a. in Asien, Afrika, Indien, Russland, USA, Südamerika. Als Minderheitenexperte seit 1993 über 150 Vorträge in über 30 Staaten Europas. Forschungsschwerpunkte
Demokratie-, Konflikt-, Automomie- und Volksgruppenforschung. Auswahlbibliographie
Südtirol als volkliches Problem. Grundriß einer Südtiroler Ethno-Soziologie, 1971; Hochschulpolitik in Südtirol aus bildungssoziologischer Perspektive, 1975; Sozialer Wandel in Südtirol, 1985; Nordkorea - Die ideologische und soziologische Basis, 1992; Grundrechte der europäischen Volksgruppen / Fundamental Rights of Ethnic Groups in Europe / Droits Fondamentaux des Groupes Ethniques Européens / Diritti Fondamentali dei Gruppi Etnici in Europa / Az Eurôpai Népcsoportok Alapvetö Jogai (zusammen mit Felix Ermacora et alii), 1993; Quellensammlung zum Entwurf einer Charta der Volksgruppenrechte / Collection of Sources to the Draft of a Charter of Rights for Ethnic Groups, 1994; Volksgruppenschutz in Europa / Protection of Ethnic Groups in Europe / Protection des Groupes Ethniques en Europe / Tutela dei Gruppi Etnici in Europa (zusammen mit F. Ermacora et alii), 1995; Die Volksgruppen in Europa. Ein Handbuch (zusammen mit B.S. Pfeil), 2000; Minderheitenrechte in Europa. Handbuch der europäischen Volksgruppen, Bd. 2 (zusammen mit B.S. Pfeil), 2002; National Minorities in Europe. Handbook (zusammen mit B.S. Pfeil), 2003; Le minoranze in Europa. Manuale (zusammen mit B.S. Pfeil), 2003.
Die Autoren
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Kontaktadresse
Univ.-Prof. Dr. Christoph Pan Südtiroler Volksgruppen-Institut Lauben 9 1-39100 Bozen/ITALIEN Tel.: +39-0471-978 703 Fax: +39-0471-980 427 E-Mail: [email protected] Internet: www.svi-bz.org * *
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Prof. Dr. Günter Renner Persönliche Angaben
Günter Renner (geb. 1939 in Schlesien): Jurastudium in Berlin und Frankfurt am Main; Referendarausbildung in Hessen; Richter von 1969 bis 2004 in der Straf-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit, seit 1987 als Senatsvorsitzender am VGH Kassel; Wiss. Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht und am Bundesverwaltungsgericht; Promotion bei Prof. Dr. Kimminich in Regensburg; Honorarprofessor an der Philipps-Universität Marburg. Auswahlbibliographie
Ausländerrecht in Deutschland, 1998; Staatsangehörigkeitsrecht (mit Prof. Dr. Hailbronner), 4. Aufl. 2005; Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005 (im Erscheinen); Mitherausgeber der Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik. Kontaktadresse
Prof. Dr. Günter Renner Falkenkopfweg 1 34212 Melsungen Tel/Fax: 0 56 61/88 04 E-Mail: [email protected] Internet: www.migrationsrecht.net * *
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Die Autoren
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Prof- Dr. Dr. Michael Silagi Persönliche Angaben
Michael Silagi (geb. 1948): 1967-74 Studium der Rechtswissenschaft, Anglistik, Klassischen Philologie und Amerikanistik an der Universität München; 1973 Promotion zum Dr. phil., 1977 Promotion zum Dr. jur.; seit 1979 wissenschaftlicher Angestellter und 1996 Habilitation an der Juristischen Fakultät der Universität Göttingen; seit 2001 apl. Prof. Forschungsschwerpunkte
Völkerrecht; Geschichte und Rechtslage Deutschlands seit 1945; Vertriebenenrecht; Deutsches und ausländisches Staatsangehörigkeitsrecht. Auswahlbibliographie
Von Deutsch-Südwest zu Namibia: Wesen und Wandlungen des völkerrechtlichen Mandats (1977). Staatsuntergang und Staatennachfolge (1996); Vertreibung und Staatsangehörigkeit (1999); Henry George and Europe: The Farreaching Impact and Effect of the Ideas of the American Social Philosopher
(2000). Kontaktadresse
Prof. Dr. Dr. Michael Silagi Institut für Völkerrecht Platz der Göttinger Sieben 5 37073 Göttingen Tel: 05 51/39-4734, -4661 Fax: 05 51/39-4767 * *
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Die Autoren
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Rechtsanwältin Tina de Vries Persönliche Angaben
Tina de Vries (geb. 1966); 1986-92 Studium der Rechtswissenschaft; Forschungsaufenthalt 1993-1995 in Polen, 1998-2003 an der EUV Frankfurt/Oder, seit 2003 Referentin für polnisches Recht am Institut für Ostrecht München e.V. Forschungsschwerpunkte
Polnisches Recht. Auswahlbibliographie
Slownik prawa i gospodarki polsko-niemiecki / Rechts- und Wirtschaftswörterbuch Polnisch - Deutsch, Warschau 2003 (zusammen mit B. Banaszak, M. Jablonski und M. Krzymuski, Justiz in Polen (forost-Arbeitspapier), München 2004; Rahmenbedingungen für ausländische Investitionen in Polen, Arbeitspapiere und Materialien der Forschungsstelle Osteuropa, Bd. 23, Wirtschaft und Außenpolitik im Osten Europas, J. Bürgers, S. Fischer, J. Fruchtmann, H. Pleines (Red.), Bremen 2000, S. 24-29; Die Eigentumsgarantie in Polen, WGO, 2000, S. 173-181; Stand und Probleme der Restitution in Polen, WGO, 2001, S. 249-262; Rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen des kommunalen Wohnungswesens in Deutschland und Polen, Kooperationsprojekte zur nachhaltigen Entwicklung von Wohnungsbeständen in deutschen und polnischen Städten, IZPL Posen, TU Cottbus, 2002, S. 54-67; Polnisches Raumordnungs- und Bauplanungsrecht, WiRO 2002, S. 295-300. Kontaktadresse
RA Tina de Vries Wissenschaftliche Referentin für Polen Institut für Ostrecht München e.V. Tegernseer Landstr. 161 81539 München Tel: 089/286 774-0 Fax: 089/286 774- 10 E-Mail: [email protected] Internet: www.ostrecht.de * *
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Die Autoren
Prof. Dr. Heinrich Wilms Persönliche Angaben
Heinrich Wilms (geb. 1959): Studium der Rechtswissenschaften und Philosophie; 1992 Promotion und 1995 Habilitation an der Universität zu Köln; 1996 Professor für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie, Völker- und Europarecht an der Universität Konstanz; 1999 bis 2001 Studiendekan und Fachbereichsprecher; 2003 Gründung des Forschungsbereichs für Europäisches Medienrecht; 2005 Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Medienrecht an der Zeppelin University Friedrichshafen. Forschungsschwerpunkte
Staatsrecht, Rechtsphilosophie und Verfassungsgeschichte, Europarecht, Medien- und Telekommunikationsrecht, Steuerrecht. Auswahlbibliographie
Ausländische Einwirkungen auf die Entstehung des Grundgesetzes, 1999; Vorschläge, Entwürfe und in Kraft getretene Fassungen des Grundgesetzes von 1949-1999 - Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1933 - Dokumente - Band III/2, 2001; Die religionsphilosophischen Grundlagen der Glaubensgemeinschaft der Rosenkreuzer und ihr verfassungsrechtlicher Schutz, 2001; Grenzüberschreitende Lotterietätigkeit in der Europäischen Gemeinschaft, 2001; Die zulässige Höhe der Datenkosten nach dem Telekommunikationsgesetz und die mangelhafte Umsetzung der Europäischen Sprachtelefondienstrichtlinie in Deutschland, 2003. Kontaktadresse
Dr. Heinrich Wilms Zeppelin University Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Medienrecht Am Seemooser Horn 88045 Friedrichshafen Tel.: 07541-6009-1351 Fax: 07541-6009-1399 E-Mail: [email protected]
Sachregister / Index
Abkommen zwischen Österreich und Italien 151 Abwanderung 98,151 Afghanistan 28 Amtssprache 154 -
lokale 154
-
nationale 154
-
regionale 154
Archiv des Altpreußischen Herzogtums 94 f., 99 f.
Diskriminierung 59 ff., 74,141 Diskriminierungsverbot 52, 54 f., 58 f., 61 ff., 143 Dreisprachigkeitszulage s. Zweisprachigkeitszulage Eigentum 23, 28, 30, 34, 57, 100 ff., 105 ff., 135 ff. Eigentumsgarantie 73,121 Eigentumsrechte 137
Archiv des Deutschen Ordens 94, 99 f.
Einigungsvertrag 79, 93,138 f.
Archivbestände 77, 94 ff.
EMRK 40, 46, 67 f., 75 f., 135, 141
Aufenthaltsrecht 149
-
Ausbürgerung 84 f.
Enteignung 30, 57, 81, 105, 108 ff., 136 ff.
-
Verbot der 22
Aussiedlung 23 -
der Südtiroler 150
-
1. Zusatzprotokoll 136 ff.
besatzungshoheitliche 138 f.
Entschädigung 23, 30, 32, 34, 41, 57, 105, 110, 112 ff., 139 f., 145
Autonome Provinz Bozen 150
ethnische Säuberungen 19,23, 34, 143
Autonomie 150 ff.
EU-Erweiterung 37, 46
Autonomierecht 158 f.
EU-Kommission 158 Europäische Union 33 f., 58, 62 f., 146
BeneS-Dekrete 140 Beschwerde s. Menschenrechtsbeschwerde
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 67 f., 72, 75, 77, 80, 132, 135 f., 139 ff.
Bodenreform 79, 106, 108, 121 ff.
Europarecht 63 f., 158 f.
Bundesregierung 33, 79, 86 f., 91, 140 ff., 164
Existenzrecht 149
BVFG
Flucht 23,25, 28, 30, 34, 41, 140
-
-
§96 86, 89 ff.
Ursachen 24
Fluchtalternative Datenschutz 158
-
ausländische 44, 46 f.
Deportation 22 ff., 149
-
inländische 44 f.
180
Sachregister / Index
Flüchtlingsrecht 33, 39 f., 42, 44 f., 132
Mehrheitsrolle 157
Freizügigkeit 47 f., 52 f., 59, 67, 73, 146, 149, 158
Menschenrechtsbeschwerde 135 ff.
Gleichheitsprinzip 158
-
Göttinger Abkommen 90 Grundgesetz 91, 102 f., 140
Minderheitenschutz 29, 74, 76, 149, 157, 159
-
Muttersprache 19, 150,156
Art. 116 Abs. 1 77,82,84,102
Gruppenverfolgung 43 f.
Minderheit 26, 29, 53, 60 ff., 68 ff., 87, 109, 148, 157 f.
-
Minderheit in der 153, 157, 159
Unterricht in der 154, 158
Haager Landkriegsordnung 24, 138
Nachkriegsreparationen 140
Heimat 17 ff., 24, 27 f., 29, 32 f., 39, 41, 45, 48, 51 f., 54 f., 58, 63, 66, 70, 72 f., 77, 79, 81, 83 ff., 131, 135, 142, 152, 159
Nichtauslieferung 41
-
Recht auf die 17 ff., 37 ff., 51 ff., 65 ff., 77 ff., 149 ff.
Nichtdiskriminierungsgebot s. Diskriminierungsverbot Nordzypern s. Türkische Nordzypern (TRNC)
Heimatrecht s. Heimat, Recht auf die
öffentlicher Dienst 154
humanitäre Intervention 18, 171
-
Republik
Stellenproporz im 155
ordre public 139 Identitätsrecht 149
Ortsnamengebung 155
-
Österreich 150 ff.
Recht der Volksgruppen auf Erhaltung und Entfaltung ihrer Identität 149
Internationaler Gerichtshof 96 Internationaler Militärgerichtshof 25 Italien 150 ff.
Palästina 27 Polnisches Komitee der Volksbefreiung 105, 107 f., 122 f., 126, 128 Primärrechte 22, 28, 56
Kambodscha 29 Kirchenbücher 77, 94 ff., 100 ff. Kollektivausweisungen 26 Konfiskation 105, 137 f., 140 f., 143 Kosovo 18, 56 Kriegsverbrechen 25, 29 kulturelle Identität -
Recht auf Wahrung 77, 94
kulturelle Vereine 154 kultureller Besitzstand 159 Liechtenstein 140 f. Loizidou 132,135 ff.
Privateigentum 24, 124, 137 Privilegierung 151 Proporzsystem 154 Rechtsverweigerung 141 Restitution 30, 57, 112, 145 Restitutionsanspruch 30 Restitutionsrecht 22, 27, 29, 34, 64 rollenspezifische Verhaltensmaximen 157 Rückkehr -
Recht auf 26, 28 ff., 39, 84, 92,149
Rückkehrrecht s. Rückkehr, Recht auf
Sachregister / Index Rückübertragung 105, 111 f., 114 f., 117 ff., 127 f.
-
Regierungskommissar 152
-
Sprachgruppenerklärung 158
-
gerichtliche 105,115 ff.
-
Steueraufkommen 155
-
gesetzliche 105,111 ff.
-
Rundfunkprogramme 154 Schutzmacht 152
-
Volksgruppe -
deutsche 153 f., 159
-
ladinische 153 f., 159
Zuständigkeiten
Schutzstaat
-
-
-
sekundär 153
-
tertiär 153
Österreich 159
Sekundärrechte 21 ff., 28 f., 34 f., 56 Selbstbestimmungsrecht 23, 26 ff., 38, 40, 53 f., 56, 62 ff., 146 -
inneres 149
Sicherheit -
anderweitige 45
Sprache 19, 21, 52, 55, 60 f., 69, 150, 154, 156 f., 164 Sprachgruppen 156 -
Doppelrollen bzw. Mehrfachrollen der 157
sprachlicher Besitzstand 159
primär 153
territoriale Integrität 159 Türkei 44,135,142 f., 145 f. Türkische Republik Nordzypern (TRNC) 133,142 f., 145 Turkish Republic of Northern Cyprus (TRNC) s. Türkische Republik Nordzypern (TRNC) Umsiedlungsabkommen 150 UNO 145, 152
Stammrecht 22, 56 StARegG -
§25 77, 81 ff.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit 25, 143 f.
Studientitelabkommen zwischen Österreich und Italien 154
-
Südtirol 150 ff.
Verhältnismäßigkeit 73, 158 Vermögen 33, 60 f., 78 ff., 92, 95 f., 105, 108fif., 135 ff.
-
6er-Kommission 155
-
12er-Kommission 155
-
19er-Kommission 152
- Autonomie -
erste 151
- zweite 152 -
dritte 152
- Autonomiestatut 152 - Konsensverfahren 155 -
Landeshaushalt 155
- Landesregierung 152 -
Landtag 152
- -„Paket" 152
Verfolgung 39 ff., 138 politische 40, 43, 48
Vertreibung 17 f., 21 ff., 37 f., 44, 56 f., 69 f., 77, 79, 81, 84, 86, 88, 97 f., 100, 102, 131, 137, 140, 142, 144 -
Rechtfertigung von 30 f.
Vertreibungsdruck 22, 34 Vertreibungsverbot 23fif., 56, 143 Vertreibungsverbrechen 34 Vertriebene 18, 26, 28 ff., 38, 44, 47 f., 55fif., 63, 66, 77fif., 101 ff., 135, 137, 140, 142, 144,146, 149
182
Sachregister / Index
Völkerrecht 19 ff., 38 f., 41, 44, 48, 56, 62 f., 66, 70, 74 f., 84, 92, 94 f., 97, 99, 102,133 f., 137 f., 143 f., 146 völkerrechtliche Verantwortlichkeit 45 ff., 135,145
Wohnsitz 66 f. -
Recht auf freie Wahl des 149
Wohnsitzstaat -
Italien 159
Volksgruppe 18, 23, 32, 35, 53 f., 73 f. -
deutsche 39,153 f., 159
Zuwanderung 150 f.
-
ladinische 153 f., 159
Zwangsumsiedlung 22, 24, 31, 34
-
Recht auf Erhaltung und Entfaltung der Identität 149
Zweisprachigkeit 157 -
institutionelle 156
Zweisprachigkeitszulage 157 Wiedergutmachung 30,41, 119 f., 144
Zweitsprache 156
Wiener Konvention vom 8. April 1983 über Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden von Staaten 95 ff.
Zypern 29, 132, 135 ff.