Die Schule als Heimat 9783486748536, 9783486748529


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Die Schule als Heimat
 9783486748536, 9783486748529

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Die Schule als Heimat Von

Hans Braun Motto: „Das Leiden war schon oft die Hohe Schule eines Volkes."

München 1922

Druck und Verlag von R. Oldenbourg

Dieses Sdiriftdien isi eine Beantwortung der vom Bildungsausschuß des B.-L.-V. gestellten Aufgabe: „Die Heimatkunde als Fadi und Unterrichtsgrundsatz an der Schule meines Wirkungsortes “ Kennwort: „Audi Einer“

1.

Erschüttert von den täglichen Erfahrungen, in denen sich heute jedem einzelnen von uns das furchtbare Schicksal unseres ganzen Volkes eröffnet, können wir uns nur mit Mühe von den großen Zeitsragen abwenden, um der kleinen, alltäglichen Schularbeit Anteilnahme zu schenken. Das Thema wurde gestellt, als man, nach unserem nationalen Zusammenbruch, an den Ausbau zu denken begann; die Antwort tritt nach 6/4 Jahren unter den Zeichen eines Niedergangs, den man selbst damals nicht kannte, an die Öffentlichkeit. Heute, wo das Leben der Heimat in Frage steht, verblaßt das Interesse an Dingen, die ihre sichere Existenz voraussetzen. In dem Gewühl der Leidenschaften, die in der allgemeinen Zeitnot doppelte Nahrung finden, läuft eine einzelne Kultursrage Gefahr, mit bitterem Hohn oder mit dem tötenden Lächeln des Leichtsinns verspottet zu werden, und selbst diejenigen, die nach Rettung durch Tat ausschauen, werden antworten, dazu bedürfe es größerer Kräfte als einer Erziehungsidee. Gleichwohl ehrt es unseren Stand, wenn er den Zeit­ mächten eine sittliche Idee, die für die Zukunft zu Hoffnungen berechtigt, nicht kraftlos opfert und in einer bitterernsten Gegenwart für kommende Zeiten arbeitet. Lehrer sind be­ rufene Diener der Zukunft. Sie dürfen, während sie das Gewesene an seinen Früchten beobachten, die Folgerungen in der Grundlegung des Kommenden verwerten und den größeren Ruhm ernten, in -er Stille etwas geleistet zu haben,

wo sich andere um die zweifelhafte Ehre des Parteisieges streiten. Was sie als Menschen sind, bestimmt den Wert ihrer beruflichen Tätigkeit, und in dem Grade, in dem sie als Zeit­ genossen die Macht einer aufbauenden Idee empfinden, er­ wächst ihnen die Überzeugungskraft, durch die sie als Lehrer wirken. Erfassen wir als Stand die Ausgabe, der großen, sittlichen Idee der Heimatbindung zu dienen, so kann eben darin die Zeitnot unsere Kraftquelle sein; denn wir finden als Lehrer die schulischen Mittel ihrer Verwirklichung, wenn wir diese Verwirklichung als Zeitgenossen, als Bürger unserer unglücklichen Heimat herbeisehnen. Mangelt uns als Menschen das innere Hinschauen, dann verdienen wir als Lehrer, was die Spötter über das Heimatprinzip sagen. Lange, ehe unser Zusammenbruch äußerlich sichtbar wurde, sahen ihn weitschauende Köpfe kommen, weil wir innerlich als Volk verarmt waren, ehe wir es nach außen als Nation wurden. Unsere innere Schwäche machte uns besiegbar, und das Gold, das nicht in wahre Werte umgemünzt war, schuf uns die Neider. Jetzt werden wir Sklaven sein, solange wir innerlich schwach bleiben, und hier wurzelt die Idee der Heimatkunde. Wie immer sich im letzten Falle je nach der persönlichen Stellung die politische Ansicht des einzelnen gestaltete — in weit höherem Grade Tochter des Vergangenen als Mutter der Zukunft —, so werden wenige jene folgen­ schwere ethische Verarmung, die unseren Fall ermöglichte, bezweifeln können, und wer alle Parteiprogramme verwirft, wird im Blick aus das Gemeinsame wünschen, daß der Deutsche wieder inneren Halt gewinne. Dürfen wir glauben, daß die Heimat diesen Halt bieten kann, dann hat es einen Sinn, an die Folgerungen im Schulleben zu denken. Der Wille, durch unsere Arbeit dem kommenden Menschen einen Kraft­ boden unter die Füße zu geben, berechtigt uns, die Aufmerk­ samkeit von Mitmenschen zu beanspruchen, die unter schwerer

Sorge leiden. Er allein ermöglicht es uns, eine Schulsrage zu bedenken, während die Lebensfrage schlechthin gebieterisch unser Interesse beansprucht. — Einer Neigung zur Übersichtlichkeit folgend, stelle ich

meinen Ausführungen ihre Grundlinien voran:

a) Der Heimatcharakter der Schule als Voraussetzung des Heimatkundeunterrichts, b) Stunden unmittelbaren Heimaterlebens, c) planmäßige Heimatkunde: Arbeiten im Dienste der Heimatersorschung durch die Kinder, d) Führung zum bewußten Heimaterleben. Die Punkte stellen zugleich die gewünschte Entwicklung des Heimatbewußtseins dar. 2.

Die einzig wirksame Lebensschule ist das Leben selber. Nicht, indem wir über das Leben reden, sondern während wir seine Kräfte fühlen, seine Stimmungen durchkosten, seine Schläge erdulden und seine Geschenke empfangen, bildet sich unser Wille und unsere Lebensempsindung. Das (vielleicht unbewußte) Sichzuhausefühlen bedeutet für die Fruchtbar­ keit des Heimaterlebens mehr als das Wissen um einzelne Dinge und Geschehnisse in diesem Hause, und wer nur auf Erkenntnisse bauen wollte, würde, so wichtig diese sind, die tiefere Quelle des Lebens, die echte Bodenständigkeit, über­ sehen. Um eine Sache können wir wissen, wenn wir ihr sernstehen; viele Beobachtungen sprechen sogar dafür, daß erst das Entfernen die größere Möglichkeit der klaren Er­ kenntnis mit sich bringt. Praktische Lebensverhältnisse unserer Vaterstadt sehen wir schärfer umrissen, wenn wir aus einem fremden Gemeinwesen zu ihr zurückkehren. Aber das Fruch­ tende, die Lebendigkeit, der Reichtum im Erleben eignet dem naiven Heimatbewuhtsein in einem höheren Grade, einem

Zustand, in dem wir die Schwächen, ja das Komische, das jeder Menschengemeinschaft anhastet, übersehen und für die Heimat handeln, weil wir in ihr leben. Mag der Weltreisende das Typische der Heimat schärfer, sachlicher erkennen, ver­ bunden ist er ihrer Lebensgemeinschaft sicher weniger als der unwissendere Heimatmensch. Der Charakter des Heimatlichen ist nicht etwas Geo­ graphisches, sondern ein Lebensverhältnis. Zur Heimat er­ ziehen heißt, dieses Lebensverhältnis in seinen verschiedenen Möglichkeiten anbahnen. Das Naturgegebene am Anfang ist das unbewußte Heimatleben des Kindes. Die pädagogische Idee, die sich des älteren Wortes „Hei­ matkunde" bedient, um zeitgemäß ein Werbewort zu besitzen, scheint mir nicht so sehr eine Reform im Methodischen des Unterrichts als eine Wandlung im Erzieherischen anzustreben. Ihr Kern wuchs nicht im Schulleben, sondern im großen Volksgeschehen. Sie wurde zur pädagogischen Idee, weil sie sich auf dem Gebiet des Staatslebens als soziale Idee zur Ergebnislosigkeit verurteilt sah. Weil man die unheilvollen Folgen der Heimatentfremdung, der Entwurzelung weiter Dolkskreise erlebte, aber in der Wirrnis eines vergifteten Parteikampfes auf keine Erfolge mehr hoffen darf, kommt man nach alter Praxis zur Schule und will dem jungen Geschlecht den heimatlichen Nährboden geben, den ein älteres endgültig verloren hat. Aber damit ist der erziehliche Charakter solcher „Heimat­ kunde", ist ihre Verankerung im Allgemein-Menschlichen (statt im Nur-Intellektuellen) bestimmt, und über ihre Wege reden wir nicht nur als Schulmänner, sondern auch als Deutsche, die ihrer Jugend den Reichtum der Heimat schenken wollen. Es handelt sich um die Anbahnung eines Lebens­ verhältnisses zur Heimat, in dem freilich das Heimatwissen eine unbestritten große Rolle spielt, ohne aber als das Ganze,

die glückliche Heimatbindung, zu gelten. Ich sehe die Frage der Heimatkunde als eine Erziehungsfrage an und halte es für notwendig, daß der Weg einer gesunden Entwicklung von der unbewußten Heimatempsindung des vorschulpslichtigen Kindes zum bewußten Heimaterleben des Erwachsenen ge­ funden wird. Der Heimatcharakter der Volksschule erscheint mir in dieser Entwicklungsreihe unentbehrlich. Aus seiner ersten, raumengsten Heimat, der Familie, kommt das Kind zu uns. In dem Raum, den es jetzt betritt, und unter den Menschen, die es hier vorfindet, verlebt es künftig die besten Stunden des Tages, beschäftigt sich mit dem, was ihm hier geboten wird, und unterliegt den Einflüssen, denen es sich hier widerstandslos ausgesetzt sieht. Diese Um­ stände kennzeichnen die Schule als zweite natürliche Heimat des Kindes. Heimat ist eine Schule, in der sich das Kind gern aushält, die seine kleinen Bedürfnisse kennt und achtet, seinem geistigen Werden einen natürlichen Boden abgibt, in der es vor allem jeden Morgen einen geliebten Lehrer vor­ findet. In der Schule als Mensch (nicht als Schüler) üble Erfahrungen machen, heißt bei einem Kinde, dessen kleinem Sinneskreis die größere Umgebung noch schweigt, die Heimat hart empfinden, und dieser Eindruck, durch tägliche Wieder­ holung verstärkt, muh eine spätere, bewußte Heimatbindung aufs stärkste bedrohen. Wer vermag einer Gesellschaft Liebe entgegenzubringen, die nur Übles für ihn bereit hält? Wie könnte man hoffen, bei Kindern, die ausschließlich ihrer naiven Empfindung leben, mit einem Bündel Heimatbegrisse oder durch den Vortrag einiger Heimatdichtungen einen Ein­ druck wirkungslos zu machen, der aus dem unmittelbaren Erleben hervorging? Wie ganz anders muß eine Schule wirken, die in ihrem (naiv hingenommenen) Verhältnis als Heimat empfunden wird und in der Heimatbegrisse und Heimatdichtungen aus einer freien Empfindung heraus-

wachsen, statt einer quälenden gegenüberzustehen. Der Heimatcharakter der Schule ist aus dem Entwicklungsgang des Heimatmenschen nicht wegzudenken. Wodurch anders wird eine Mutter zur besten Erzieherin als durch die Wärme ihrer Neigung und die Erfinderkraft ihres Muttertums. Freilich sind auch wir Lehrer Menschen und müssen mensch­ lich handeln. Wir werden Kindern votzustehen haben, deren Natur es uns schwer macht, ihnen einen Platz in unserem Persönlichsten einzuräumen. Wir werden, wo man uns einen innigen Ton im Umgang mit den Kindern anrät oder gar befiehlt, einen starken Widerwillen sprechen lassen, weil auch wir unsere Neigung nur verschenken, nicht erzwingen lassen wollen. Wir werden sehr bald die Gefahr einer un­ wahren Empfindung bekämpfen und das Verlogene dem Spott preisgeben. Aber alles das sind doch wohl nur Er­ scheinungen, die sich an äußeren Anlässen aufstauen. Don einer wahren Empfindung spricht man am wenigsten; wenn also viele außerhalb des Schulzimmers schweigen, so beweist das nicht, daß sie hinter ihrer Schultüre die Empfindung ablehnen. Steht der Heimatcharakter der Schule jenseits der Grenzen des zu Befehlenden, so stützt er sich auf das natürliche Menschentum, aus eine innere Befähigung zum Erziehen, ohne die ein Lehrer ein unglücklicher Mensch auf falschem Posten werden muß.

3.

Dars ich in diesem Zusammenhang von eigenen kleinen Erfahrungen sprechen, so erwähne ich folgendes aus der Praxis: Ein Anfang: Ich war mit einer ersten Klasse zum erstenmal allein. Die neuen Akten lagen verstaut aus dem Katheder. Die letzte Mutter war sortgegangen. Die Knaben saßen in den Bänken, verschüchtert, still, geduckt, einige mutig, andere

dem Weinen nahe, alle erwartend, was jetzt geschehen würde. Die Hilflosigkeit zitterte in ihren Herzen. Ohne um das Getriebe der Welt zu wissen, empfanden sie, daß die Fremde Freude und Wohlbefinden, aber auch Schmerz und Qual bereithalten kann und ein schwacher Mensch fürchtet mehr, als er hofft. Die paar Sekunden, in denen es jetzt mäuschenstill war, bargen, das bedachte ich wohl, den Keim der kommenden Schuljahre. Durch eine strenge Miene konnte ich den Grund­ stein einer scharfen Klassendisziplin legen und muhte später leichtes Spiel haben (in Sachen der äußeren Ordnung), wenn ich jetzt die erste Unruhe energisch zurückwies. Aber damit war verbunden, daß ich das Gefühl des Übelerwartens zu dem Eindruck des Übelerfahrens zusammenballte. Die Hoff­ nung wäre geschwunden. Die Furcht hätte sich bestätigt. Mein Schulraum wäre ein Ort geworden, den man lieber im Rücken weih, als vor Augen sieht. Ich schaute sie alle der Reihe nach an. Unsere Augen trafen sich. Vielleicht spielte ein leises Lächeln um meinen Mund, ohne daß ich es wußte. Da brach plötzlich die ganze Schar in ein helles Gelächter aus. Eine elementare Kraft befreite sich in diesem Lachen. Jetzt konnte meine Schule Heimat werden. Die kleinen Unterrichtszwischenzeiten, die durch die Er­ müdung gefordert werden, benutze ich, neben der Arbeit das zwanglose Leben zu seinem Recht kommen zu lassen. Wer eine Neuigkeit während des Unterrichtes verschweigen mußte, darf sie jetzt aussprechen. Die Beobachtung Erwachsener lehrte mich, daß sie einen Besuch, der gestattete, aus dem eigenen Denken und Empfinden heraus zu plaudern, sehr unterhaltend sanden, während der Zwang, sich der Denkweise anderer unterzuordnen, meist einen Eindruck des Mißbe­ hagens hinterließ. Bei Kindern findet sich diese Erscheinung in höherem Grade, und sie sind sehr dankbar dafür, ihre kleinen

Angelegenheiten ausplaudern zu dürfen. Die kurze Ruhezeit zwischen zwei Unterrichtsstunden bietet die äußere Möglich­ keit. Außerdem dürfen jetzt Wünsche und Mängel zur Sprache gebracht werden. Einem Liebebedürftigen kraule ich das Haar; der Fleißige erhält seinen Schwammerl aus die Tafel gezeichnet. Ein gelöster Verband wird erneuert, ein ge­ brochener Federhalter notdürftig wiederhergestellt. Die natür­ liche Hilflosigkeit kleiner Kinder erhöht für sie den Wert äußerer Hilfe, und ein schneller, geschickter Handgriff macht den größten Eindruck aus sie (wenn sie das einzelne auch rasch vergessen). Kein Lobspruch der Heimat leistet soviel als das Mitleid, das einem Hungrigen Brot schenkt. Die Viertelstunde vor Beginn des Unterrichtes verbringen wir meist enggedrängt auf dem Katheder, wobei an besonderen Tagen der Bravste aus den Schoß sitzen darf. Wir lassen einen Kreisel tanzen, schauen ein Bilderbuch an, begucken ein Häuschen, eine Zeichnung, einen Hampelmann oder lassen uns etwas erzählen. Kreisel, Buch und Kasperl stammen von den Kindern, die gern ihren augenblicklichen Lieblings­ besitz herzeigen und stolz aus mein Pult legen, was sonst zum Schaden des Unterrichts in den Taschen rumort. Ein ander­ mal zeichne ich vor den Kinderaugen aus die Tafel eines lobenswerten Schülers, wobei alle zuschauen und ihre Be­ merkungen laut werden lassen dürfen. Das Kluge tut seine Wirkung, das Dumme wird verlacht. Der Platz ist eng. Die Buben kleben mehr aneinander, als sie stehen. Aber gerade dadurch entsteht der Eindruck des Zusammengehörens. Gehen wir (3 Minuten vor 8 Uhr) auseinander, so bleibt doch eine Erinnerung zurück, und was ich als Lehrer im Unterricht spreche, sage ich als der Freund, der beim Kasperlzeichnen mitlachte, der den Kreise! am besten drehte und den kleinen Heini, weil er die Wunde am Fuß hat, aus den Schoß nahm. Die Kinder fühlen sich zu Hause

und lassen sich vertrauend leiten, weil sie zu einem Widerstand keine Ursache haben. Vielleicht bei allen Menschen entscheidet nicht der objektive Wissensbesitz eines Lehrenden, ob und wieviel sie von ihm lernen, sondern die Empfindung, mit der sie ihm gegenüberstehen.

Das Fröhlichsein begeistert die Kinder am meisten für einen Aufenthaltsort. (Übrigens auch uns Erwachsene!) Die Er­ innerung an heitere Stunden läßt sie schneller zur Schule eilen, und dieses Erwarten rundet durch seine Empfindungs­ stärke den kindlichen Eindruck der Schulheimat. Wirklicher Humor macht den Unterricht doppelt fruchtbar. Das Spiel in der Pause soll zu herzlichem Lachen anregen. Auf die Schul- und die Schülertafeln zeichne ich nach Möglichkeit farbige, humorvolle Bildchen, deren Vorlagen ich mir aller­ dings bei Gelegenheit sammeln muh, da ich meine zeich­ nerische Begabung nur durch solche Narkotika aus einen zivilisierten Anstrich bändigen kann. Gute Scherzworte der Kinder belache ich von Herzen, auch wenn sie meine eigene Person treffen. Mit einer lustigen Geschichte beschließe ich den Unterricht lieber als mit einem harten Scheltwort. Die Arbeit läßt sich doch des öfteren so einteilen, daß sie bei gutem Fleiß um %4 Uhr erledigt ist; dann sitzen die Bürschchen ruhig-erwartungsvoll, und irgendeine humorvolle Gestalt aus dem Reich der Kinderdichtung — der Däumling, der Kasperl, der Kaminkehrer, das tapfere Schneiderlein — tut seine Wirkung. Fröhlich gehen wir auseinander, und die Schule entschwindet in einem Eindruck, der das gute Erwarten be­ günstigt, mit dem die Kinder am Morgen zur Schule kommen sollen.

Die mütterliche Art von Verkehr zwischen Lehrer und Kind wird von den Knaben frühzeitig gemieden. Alles Zärtliche, ja das Hilfebringende beginnen sie stolz abzulehnen.

Aber wenn die Mittel der Unterklasse unbrauchbar werden, erwachsen dem Dienst der Heimatschule neue Kräfte. Wir stehen vor einem Wechsel der Form; die Heimatempfindung braucht darunter nicht zu leiden. Dürsten wir nicht überzeugt sein, daß sich in solchen Wandlungen eine Empfindung zu höheren Graden entwickelt, wie könnten wir hoffen, daß aus dem Heimatgefühl eines Kindes die Heimathingabe eines Erwachsenen, ein um soviel reicheres und tieferes Erleben, hervorgehen könnte? Der acht- und neunjährige Knabe will seine Kraft zeigen. Ohne großen erzieherischen Einfluß gelassen, beginnt jetzt seine Neigung zum Raufen, von der ihn keine Ermahnung und Strafe, nicht selten aber die Führung in ein Gebiet, wo er seine Kraft üben kann, abzubringen vermag. Die Aus-gestaltung des Schulzimmers zu einem angenehmen Aufenthaltsraum, mit gemeindlichen Mitteln in Zukunft doppelt unmöglich, bietet eine Gelegenheit. Zieht man am 1. Mai ein, so zeigt das Klassenzimmer meist ein kahles Aussehen, und nur die Nägel (oder gar Löcher) an den Wänden ver­ raten, daß die ausgezogene Klasse nicht so trostlos gewohnt hat. Jetzt sind Kräfte notwendig, und Kinder, durch Er­ ziehung auf diese Bahn gestellt, säumen selten, den Raum im Kindessinne wohnlich zu machen. Gelingt es ihnen, so erscheint ihnen der Schulraum wertvoller, und sie lernen durch Erfahrung, daß eine Heimat kein gedeckter Tisch, aber ein selbstgedeckter Tisch eine Heimat ist. In dem rückwärtigen, freien Raum wird ein Tisch auf­ gestellt oder eine Schultafel quergelegt. Das gibt einen Ausstellungsplah. Es ist hier zu sehen, was die Kinder oder auch ein kinderfreundlicher Vater zu Hause gebastelt haben: ein Haus, eine Brücke, eine Eisenbahn, ein Wegweiser, ein Papierstern u. v. a. Als Material dienen Papier, Holz, Kork, Gummi, Gips, Knetmasse. Außerdem wird zur Ansicht aus-

gelegt, was Natur und Stadtleben bieten und die Kinder, durch den Heimatkundeunterricht angeregt, herbeitragen: ein Herbstblatt, ein Totenkäser, ein Fuchsschwanz, ein abgeslachter Kieselstein, ein Schmetterling, eine Kastanienblüte,' — eine Schraube, ein Schuh, ein Ziegelstein, ein Pinsel, ein Hufeisen, ein elektrischer Drücker u. dgl. Auch Kinderzeichnungen werden ausgestellt, die besten sogar als Wandschmuck verwendet. Dem ost gebrauchten Satz, für die Jugend sei das Beste gerade gut genug, stehe ich in Bildsachen nur mit halbem Vertrauen gegenüber. Ich glaube, Bildwerke von hohem künstlerischen Wert können an Schul­ wänden nicht erfüllen, was man sich von ihnen verspricht, weil zu einem Bild auch ein Auge gehört, das seine Qualität erschauen kann. Daraus folgert natürlich nicht, daß unsere Schulhäuser wieder dem Mittelmäßigen geöffnet werden sollen; ich denke vielmehr an das Kindertümliche. Für das Kind eignet sich in vieler Hinsicht die Kunst des Kindes. Das Verwandte in Zeichner und Beschauer schafft die Möglichkeit der Wirkung. Ich halte es für ein erfolgloses Beginnen, den Geschmack dadurch zu bilden, daß man dem Kind, dem An­ fänger, sofort die Gabe des Künstlers, des Weitvorgeschrittenen vor Augen stellt; vielmehr, meine ich, müßte man durch eine naturgemäße Entwicklung jene Reise allmählich zu gewinnen trachten, die erst den fähigen Beschauer ausmacht. In dieser Entwicklung spielt das Anschauen der Kinderkunst eine Stufe. Einige praktisch angebrachte Leisten geben einen Wechselrah­ men, und was man dort sieht, bereichert das Schaumaterial der Kinder und das Wissen des Lehrers um die Reife seiner Schüler. Blumen an den Fenstern zu ziehen, ist so altbekannt als schön und praktisch. Ein Glas mit Kaulquappen, ebenfalls dort aus­ gestellt, führte uns einmal auf eine interessante Art eine Lebens­ gemeinschaft vor, die ein Klassenschüler mit einer Blechbüchse aus dem Hartmannshoser Moortümpel ausgefischt hatte.

Langsam füllt sich das Schulzimmer, und die Kinder haben es morgens oder während der Pause eilig, alle „Tagesneuig­ keiten" zu beobachten. Der Schulsaal wird als solcher viel­ sagend. Dabei liefert die Heimat nur einen verschwindenden Teil ihres Reichtums und der Hinweis auf ihre größere Fülle ist naheliegend. Fragen werden jetzt gestellt und vieles ge­ legentlich erfahren und tiefer erfaßt, was dem planmäßigen Unterricht entgehen muh. In das Schulleben kommt Reiz und Behaglichkeit durch die reichere Bewegung; denn glück­ liche Bewegung ist es, was eine Heimat liebenswert macht. Je mehr wir lernen (nicht auf Befehl, sondern aus innerer Lust) rings um uns zu schauen, desto lauter wird die Heimat sprechen, und als Beschenkte fühlen wir uns ihrem Dienste verpflichtet. Unsere erste Montag-Morgenstunde („Fragestunde") ge­ hört dem Leben schlechthin, nicht einem bestimmten Fach. Hier erzählt der einzelne, was er in letzter Zeit an allgemein­ interessierenden Dingen gesehen oder erlebt hat. Es wird gefragt, was man nur zur Hälfte verstand, und auf solche Art lebt das jeweilige, vielleicht alltägliche, aber jedenfalls wirk­ liche Heimatgeschehen unter uns. Der unmittelbare Eindruck gibt den Dingen die wirkungsvollste Plastik. Die Lebens­ praxis kommt gegenüber dem Schulwissen zu ihrem Recht, und das Unterrichtliche zeigt sich in seinem natürlichen Ver­ hältnis: „Du mußt einmal in dieser praktischen Welt leben und bestehen." Vom einzelnen werden möglichst viele Be­ obachtungen angeführt, und während ich versuche, in Ursache und Wirkung des Geschehens möglichst vorzudringen, suche ich seine Stellung im Gesamtleben zu veranschaulichen. Ich nenne noch einige Themen, die gefragt wurden: Die Feuer­ probe vom letzten Samstag, der Kurzschluß bei der Trambahn, das gestürzte Wagenpferd, die Prozession, das Oktobersest, der Totenwagen, das Kinderspiel, Auseisen aus dem Kanal,

ein Rennen auf der Reitwiese, der Gendarm und die Obst­ frau, Mondfinsternis, Gibt es ein Christkind? — Die farbige Skizze wäre eine Unterstützung, die ich leider nicht im ge­ wünschten Matze beherrsche. In den Oberklassen läßt sich wieder ein inneres Verhältnis zu den Knaben gewinnen, weil sie jetzt die Zeit des Abrückens hinter sich haben. Das Bevormunden verachten sie; aber sie sind selbständig genug, um sich dessen bewußt zu sein und nicht mehr unter dem unklaren Gefühl der Übergangsjahre zu

leiden. Ich spreche der Ansicht das Wort, daß der Lehrer frühzeitig ein freundschaftliches Verhältnis mit den Knaben annehmen soll, sobald es ihm nur durch die Reife der Knaben geboten wird. Er erringt damit jene Achtung (sobald die Schüler die Kraft des Persönlichen in ihrem Lehrer erfahren haben), die freiwillig mehr gibt, als eine erzwungene Autorität erkämpfen kann. Sie vermag die jugendliche Begeisterung, die erste Stufe des menschlichen Selbstbewußtseins, dem Dienst der Heimatidee zu verpflichten. An die Stelle des engen Schulraums tritt jetzt die größere Heimat; die Klasse wird zur Gemeinde, zu einem Heimat­ verband, der sich täglich versammelt, in dem sich der einzelne bewegt, für den er tätig ist, nicht aus streng abgewogenen Gründen, sondern naiv dem Sein folgend. Es ist so. Warum, fragt selten ein junger Mensch aus sich heraus. Eine Klasse hat, wie jede Gemeinde, allgemeine Bedürfnisse. Sie braucht Ordnung, Reinlichkeit, Materialverwaltung. Durch Geschlos­ senheit verschafft sie sich Vorteile, ebenso durch ihren Spar­ sinn. Das Gegenteil rächt sich an der Gemeinde und am Mitglied. Warum soll eine Klasse nicht wie jede Gemeinde unter einer Verwaltung leben? Ich habe mit der Selbstverwaltung der Oberklasse gute Erfahrungen gemacht. Die Knaben wählten drei Führer und

übertrugen jedem einen Hauptposten. Der eine sorgte für Ordnung, der zweite leitete das Sparwesen, das wir der Städtischen Sparkasse abguckten, der dritte versah unser Material, warnte auch Außenseiter und übernahm bei all­ gemeinen Anliegen den Posten eines Sprechers. Es wurden weder Schwätzer noch Hohlköpfe, die sich mitunter durch äußere Aufmachung vorzudrängen wissen, gewählt, vielmehr kamen lebendige, kluge Burschen in „Amt und Würde". Eine andere Sache, die ich nicht erwartet hatte, war auch die, daß „man" sich von den Gewählten lieber beanstanden ließ als von mir. Natürlich verlief die Verwaltung nicht reibungslos. Einzelne versuchten die Freiheit zu mißbrauchen; hin und wieder gab es unter den Knaben Auseinandersetzungen. Aber die wenigen Mängel traten später seltener hervor, und mein Eingreifen wurde in den wenigsten Fällen nötig. Eigenartig war die Beobachtung, daß mindestens viele, wo nicht alle Knaben jetzt plötzlich Lebensgrundsätze forderten, die vorher immer nur ich allein vertreten hatte. Um ihre gegenseitige Forderung durchzusetzen, mußten sie aber wohl oder übel selbst tun, was sie früher nicht getan hatten, und es ergab sich so in manchem ein erziehlicher Erfolg. Amt verpflichtet, auch wenn man es noch nicht innehat, sondern nur erstrebt. Übrigens höre ich,

daß die beobachteten Mängel auch in den Verwaltungen politischer Gemeinden entdeckt werden können, und bin der Überzeugung, daß es für den Heranwachsenden Menschen besser ist, frühzeitig die natürlichen Schranken seines Gemein­ wirkens (und auch die Pflichten desselben) zu empfinden, als die Fesseln einer absoluten Lehrerautorität zu tragen, die ihm immer mehr oder weniger willkürlich erscheinen und in ihm den Wahn erzeugen, er wäre frei, sobald er nur die Schule verlasse. Die Art des Verkehrs, anfangs ungewohnt und oft täppisch, gab mit der Zeit der Klasse eine Geschlossen­ heit, die dem einzelnen beim Baden, auf Ausflügen, durch

Museumsbesuche, Ausstellungen und einem Bücherverleih, abgesehen von kleinen Geschenken für die Armen, wohlge­ schätzte Vorteile einbrachte. Auch ahnte man, wie wichtig es für jeden ist, der Intelligenz anderer gegenüber bestehen zu können. Als ich die Schüler nach Jahren wieder traf, durfte ich hören, daß sie über praktische Lebensverhältnisse manches gesunde Urteil gewonnen hatten und den Schwätzern, die sich an Junge heranmachen, weil sie von den Alten in ihrer wahren Natur erkannt werden, nicht so leicht verfielen als andere, die jene Ver-„führer" als Autorität jetzt so ernst nahmen als ehemals ihre Lehrer. Ein Vorzug der Klassengemeinde, der verdient, noch besonders hervorgehoben zu werden, sind neue Möglichkeiten im Geistigen: der Bücherverleih und der Besuch von Kon­ zerten oder Bühnendarbietungen. Meist findet sich eine Reihe von Mitschülern, die ein Buch oder auch mehrere Bücher besitzen. Gewöhnlich verbieten die Eltern aus bekannten Gründen das Ausleihen. Schafft sich die Klassengemeinde eine Einrichtung, die diese Mängel ausschaltet, so kommen die Bücher in mehr Hände, statt „ausgelesen" bei einem ein­ zigen Schüler zu verstauben. Eine gut verwaltete, geachtete Klassensparkasse bietet die Möglichkeit, im Jahr eine Klassiker­ vorstellung oder ein Meisterkonzert zu hören. Während unser Unterricht in den Oberklassen fast aus­ schließlich auf Wissen und Können hinschaut, vollzieht die Natur in den Knaben Wandlungen, die elementar das Körper­ liche betonen. Eine Macht beginnt zu sprechen, die wir nur dann außer acht lassen dürfen, wenn wir uns auf das Fest­ stellen von Schülerleistungen beschränken. Aus dem Leben ist sie nicht wegzudenken, und wo in einer Schule vom Leben geredet werden darf, ersteht eines Tages diese eine Frage. Sie unterdrücken heißt, — andere antworten lassen. Un­ zweifelhaft widerstreitet aber das Gefühl einem KlassenBraun, Die Schule als Heimat.

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gespräch, und während wir befürchten, durch Schweigen dem einen Schüler zu schaden, haben wir Grund zu dem Zweifel, ob nicht bei einem anderen gerade das Reden die verderbliche Lust aufruft Diesen Zwiespalt, der das Wissen um das große Geheimnis schätzt und fürchtet, löst wohl am besten das gute Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler, das eine wohlbe­ dachte Aussprache unter vier Augen ermöglicht. Hier kann alles auf den Charakter des Knaben eingestellt werden; ein geschulter Blick verrät uns auch den rechten Zeitpunkt. Wir können schweigen, wo die Natur noch nicht spricht, und zugleich führen, wo sie es uns, als Erziehern, gebietet. Wir dürfen dem Taktempfinden folgen, dessen feinere Schattierungen der Klasse gegenüber ohnmächtig sind, weil 50 Gleichalterige als keine 50 Gleichartigen antworten. Endlich möchte ich noch den Klassen-Elternabenden ein Wort reden. Sie eröffnen uns einigen Einfluß auf die geistige Familienheimat der Kinder und besitzen also wohl Bedeutung für eine Schule, die das Heimatempfinden pflegen will. Jeden ersten Montag des Monats versammeln wir uns abends %7 Uhr im Klassenzimmer, teilweise zu Vorträgen, zum anderen Teil zu praktischen Vorführungen. Woher sollen Eltern nur das einfachste, pädagogische Rüstzeug erhalten haben? Sie erziehen allesamt nach ihrem „gesunden Haus­ verstand", der nach dem Lob, das ihm von manchen Seiten gesungen wird, weiß Gott Rousseau, Pestalozzi, Herbart und überhaupt sämtliche Pädagogen überflüssig erscheinen läfet1). Wie man mit Kindern lernt; was für Spiele man sie treiben läßt; nach welcher Art man einen Spaziergang mit ihnen unternimmt; was man an Kindern beobachten soll; welche Formen im Umgang man zweckmäßig einhält — dies und vieles andere, durch eine leichtverständliche Einführung in die wichtigsten Grundsätze der Psychologie gestützt, gestaltet

T) Leider nur im Sinne eitler Selbstbespiegelung.

gewiß manche häusliche Erziehung anders und gibt den Eltern, die oft ihre Kinder nach der Tagesmühe als Last empfinden, ein Stück Familiensinn wieder, das sie entbehren, solange sie nicht recht wissen, was sie im Geistigen mit den ' Kindern betreiben sollen. Zur Frage der Heimatkunde füge ich einige einschlägige Themen an: 1. Die Familie als Heimat des Kindes (1. Schuljahr). a) Unsere Zeit und ihre Anforderungen an uns Er­ wachsene. b) Die Stellung des Kindes. c) Der Wert des natürlichen Verstandes zur Pflege der Familien-Kinderheimat. (Beobachtungen an tat­ sächlichen Verhältnissen!) d) Was noch not tut. Einrichtung der Elternabende. e) Die Kinderheimat — für uns in dieser trostlosen Zeit eine Stätte der Erholung und Freude. 2. Wie spiele und lerne ich mit meinem Kind? (1. Klasse). a) Die gebräuchlichsten Spielsachen. Erfahrungen. Ein Problem? b) Die Voraussetzungen beim Kind. c) Beobachtungen mit guten Spielen nach dieser Er­ kenntnis. d) Was ist also ein minderwertiges Spielzeug? e) Bedeutung des Spielens als Vorstufe des Lernens. f) Erstes Lernen. 3. Was heißt bei einem Kind, mit Hinblick auf das Lernen, anschauen, vorstellen, wissen, denken, phantasieren? (1. u. 2. Schuljahr). 4. Das kindliche Gemüts- und Willensleben und seine Förderung durch eine gute, häusliche Erziehung (2. u. 3. Schuljahr). 5. Sachlicher Vortrag: Unser Neuhausen (3.‘ Schuljahr). 2*

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6. 7. 8. 9.

Heimatspaziergänge mit Kindern (3. u. 4. Schuljahr). Deutschland und sein Nachwuchs (Oberklasse). Berufsberatung (Oberklasse). Heimatwandern (Oberklasse).

4. In der Fülle der kleinen, unscheinbaren Erziehungs­ handlungen verkörpert sich die Idee der Pflege einer unbe­ wußten Heimatbindung. Nur der Stärke des Eindrucks nach unterscheiden sich von ihnen die Stunden unmittelbaren Heimaterlebens, einzelne Höhepunkte, wo jene Handlungen eine Linie durch den Alltag darstellen. Sie stehen außerhalb des lehrplanmäßigen Unterrichts und empfangen Kraft und Wert wesentlich und unmittelbar vom augenblicklichen Heimat­ leben. Sie dienen der Fruchtbarmachung einer Gelegenheit, nutzen also die Macht der Heimat, nicht den (in anderer Hinsicht gewiß wertvollen) Zwang eines Lehrganges. Ich rechne dazu das Märchenerzählen, das Festefeiern, den Um­ gang mit der Natur u. a. m. Märchen setzen ein Gefühl der Ruhe voraus. Wo man wohlig geborgen sitzt, wo die Umgebung die Sinne wenig anreizt und der Ärger und die Erregung über alltägliche Vorkommnisse zerflossen ist, da kann man Märchen erzählen und hören. Helles Licht ist bei Kindern meist hinderlich. Straßenlärm kann ein Märchen unmöglich machen. Eben darum, weil es Ruhe, ja Behaglichkeit vorausseht, dient das Märchen der Heimempfindung. Ich meine, man sollte Märchen nicht vorlesen. Gewiß wird in den meisten Fällen des freien Vorsprechens die wunderbare Sprachsorm der Märchenmeister Einbuße erleiden; aber dafür eignen dem gesprochenen Märchen die großen Vorteile der freien Rede. Ich handle so: Ehe ich beginne, ist es im Schulzimmer einige Augenblicke ganz still. In dieser Zeitspanne suche ich mich

in die Anfangssituation des Märchens zu versenken, so daß ich möglichst jeden Gegenstand des Zimmers, jede Pflanze der Landschaft, jeden Zug aus den Menschengesichtern wahr­ nehme. Bin ich nun Zuschauer unter Zwergen, am könig­ lichen Hof oder im Hexenhaus, dann beginne ich zu sagen, was ich sehe. Die Handlung des Märchens ist mir (und doch wohl jedem Lehrer) so geläufig, daß ich leicht unter den Erscheinungen auswähle, was für die Folge von Bedeutung ist. Indem ich jetzt lebendig, d. h. phantasie-wirklich, der Handlung zuschaue, erzähle ich als Chronist unter Gebrauch von Gebärden und Sprachwendungen, die den Kindern ver­ traut sind. Ich finde den Wert und den Erfolg solchen Vor­ trags jedesmal abhängig von dem Grad der augenblicklichen Fähigkeit, mich in die Märchenumgebung zu versetzen, und von einer gewissen Leichtigkeit der Technik, die ich als erlern­ bar (durch Übung) ansehe. In manchen Fällen glückt es, auch einen äußeren Sinnesreiz zu verwerten: das Schneien, die Dämmerung, den Sturm o. a. Sind unsere Märchen sehr oft eine Vergoldung heimatlicher Naturvorgänge, so bietet die Wirklichkeit einen wirkungsvollen Hintergrund für die Dichtung. Der Nikolaus, das Christkind, der Osterhas gucken wohl in die meisten Unterklassen. Ich erzähle, „wie es bei uns war". Drei Wochen vor dem Nikolaustag nahm ich meinen besten Schüler aus die Seite und sagte ihm in aller Heim­ lichkeit meinen Plan. Seine Eltern sorgten für die Aus­ rüstung; einige Mütter füllten ihm den Sack. An dem be­ wußten Nachmittag ging immer die Frage um,pb der Nikolaus zu uns käme. Ungeduld, halb Angst, halb Freude, gärte in den 50 Kinderkörperchen. Ich antwortete jedesmal dasselbe, soviel ich wüßte, wäre er im Schulhaus, ob er uns besuche, sei ungewiß. Schließlich ließ ich mich herbei, Ausschau zu halten, was ich unter der Bedingung tat, daß sich alle mäus­ chenstill verhielten. Das taten sie denn mit Auszeichnung,

während ich mich vergewisserte. Und ich kam mit der Nach­ richt, den Nikolaus gesehen zu haben, im übrigen müßten wir uns gedulden; ich wolle einstweilen eine Geschichte er­ zählen. Das war die einzig mögliche Beschäftigung. Ich sprach von armen Kindern, sieben armen Kindern eines Schneiders, die am Nikolausabend zu Hause spielten: Hans und Lene, Karl und August, Grete und Anna und die kleine Susl, alle sieben wohlbekannte Kindergestalten. Stücklein um Stücklein erfand ich, was ich nur immer wußte, daß solche Kinder zu Hause spielen. Schließlich ließ ich die Mädels ihre Puppen aus Holz und Wollflecken, die Knaben ihre Glas­ scherben und Kittstücke unwillig beiseitelegen. Die Frage brach durch: „Kommt der Nikolaus zu uns?" Den Schneider ließ ich antworten: „Hat sich was. Der kommt nur zu den Reichen. An solchen Baracken geht er hübsch brav vorüber." „Aber der Herr Lehrer hat erzählt, daß er gerade zu den Armen kommt." „Ja, der Herr Lehrer! Der hat gut er­ zählen," „Der Herr Lehrer lügt nicht." „Sag ich auch nicht." „Und wo ist Mutter? Die hat gesagt, sie ließe ihn herein, wenn einer käme." „Mutter muß abliesern." Die Kinder begannen wieder ihr Spiel; aber keines wurde fröhlich dabei. Es dunkelte. Man hörte von ferne ein Glöcklein (das man im Augenblick auch jetzt im Schulhaus vernahm). Die Kinder sprangen alle in die Höhe. Keines sagte ein Wort. Man hörte die alte Schwarzwälderuhr ticken. Dann ging das Läuten vorüber und wurde wieder schwächer und verklang schließlich in der Ferne. Der Nikolaus kam nicht. Die Kinder hockten in der Stube und hätten am liebsten geweint. Da ging un­ erwartet die Türe aus----------- an dieser Stelle der Erzählung öffnete sich unsere Schultüre und ein kleiner, weißer Nikolaus mit langem Bart und goldenem Krummstab kam herein. Nichts regte sich. Nikolaus fragte, ob die Kinder brav seien. Aller Augen hingen an mir. „Ja," sagte ich, „es sind wohl

etliche da (und diese bekamen große, fragende Augen), aber sie werden sich jetzt vornehmen, in Zukunft auch anständig und ordentlich zu sein." (Ich hörte meine Sünder, deren Namen ich verschwieg, jetzt ausschnaufen.) Dann sprach der Nikolaus in guten Versen etwas Ernstes vom Leben und was Lustiges zum Lachen, und pardauz l leerte er den Sack auf eine bereitgelegte Schultafel. Dann ging er langsam hinaus, während er mir noch auftrug, die Braven zu belohnen und jene andern zu ermahnen, daß er wiederkommen werde. Die Verteilung hat bis in die anbrechende Dunkelheit gedauert. „Herr Lehrer!" „Herr Lehrer!" Christkind und Osterhase kommen im Familienkreis. Aber man wartet aus sie auch während der Schulzeit, und darum zeichnen wir jedesmal Wartekalender, ich auf eine Schultafel, die Kinder aus Papier. 14 Felder erhalten Nummern in verkehrter Reihenfolge; jeden Tag wird eine Zahl durch ein Bild erseht, und man hat Freude am neuen Bild und an der verminderten Zahl in einem. Den Weihnachtskalender fülle ich gern mit Vogeldarstellungen, die Ostertafel mit Blumen­ zeichnungen. Die Blumen (-Vorlagen) wurden von den Schülern in der Natur draußen gesucht, und sie lernten, sich in der auserstehenden Natur tüchtig umzusehen. Ich konnte beobachten, daß die Eindrücke, an Weihnacht und Ostern gewonnen, auch später noch gut zur Verfügung standen. In dem Jahr, an das ich augenblicklich denke, zeichneten wir: zu Weihnacht Specht, Kuckuck, Amsel, Rotkehlchen, Bachstelze, Buchfink, Taube, Sperling, Lerche, Schwalbe, Goldfasan, Blaumeise, Eisvogel und Nachtigall — zu Ostern: echte Schneeglöckchen, Frühlingsknotenblume, Huflattich, Crocus, männliche und weibliche Weidenblüten, Erlenkätzchen, März­ veilchen, Anemone, Schneeheide, Gänseblümchen und Hya­ zinthe. Die letzten zwei Felder gaben Raum für den Oster­ hasen.

Ich habe auch unsere zwei Münchener Gemeindeseste (wie schade, daß es nur zwei sind 1): das Oktoberfest und den Schässlertanz, nicht spurlos vorübergehen lassen. Dem Ok­ toberfest schenkten wir eine Nachmittagsstunde. Jeder durfte mitbringen, was sich eignete; eine Zeichnung, und die Phan­ tasie ersetzte das Mangelnde. Licht und Farbe, Schaukel und Reitpferd, Kasperl und Trompetenblasen, Luftballon, Leb­ kuchenherz, Fahnen, Bretzen, Glückshafen — die Helle Freude an diesen Dingen ist eine echte Münchener Freude, das Fest ist ein Münchener Stolz, den ein verlogener Intellektualismus nicht wegärgern kann, und ich sehe nicht ein, warum eine solche Heimatsreude unterdrückt werden soll. Etwa deshalb, weil sich Leute dabei betrinken? Wir haben manchen Festtag gefeiert, aus dessen Verlauf wir stolz sein dürfen, obwohl auch bei diesen Gelegenheiten ein Teil des Publikums dem Alkohol frönte. Vollends die alte Musik zum Schässlertanz ist ein Stück Münchener Heimattum, geeignet, das frohe Gefühl der Zu­ sammengehörigkeit zu wecken. Ich fuhr eines Tages mit der Trambahn und sah um mich infolge- der Zeitstimmung lauter ernste, ja vergrämte Gesichter. Mürrisch tat der Schaffner seine schwere Arbeit. Plötzlich hörte man Musik; der Wagen blieb stehen; alle hoben die Köpfe. Die Schäffler zogen mit Musik vorüber. Plötzlich kam jetzt in manches Auge ein leb­ hafterer Glanz, legte sich um jeden Mund ein Lächeln. Man fühlte es, daß sich etwas Münchnerisches in jedem unter uns regte, und ein Herr auf der Plattform, der halblaut sagte: „Die Schäffler!", gab mit diesem an sich nichtssagenden Wort der allgemeinen Stimmung Ausdruck; denn er wollte wohl sagen: „Unsere Schäffler!" Meinen Kindern habe ich an dem vorbestimmten Tag eine Geschichte aus der Zeit der großen Münchener Pestnot erzählt (möglichst in bekannten Typen und Redewendungen),

und an der Stelle, wo nach vielem Gram und Sterben die Leute neugierig aus den Häusern hervorkamen, bloß weil die mutigen Schäffler tanzten, brach ich meine Erzählung ab; wir gingen, noch mit der Stimmung im Herzen, zum Schau­ platz eines wirklichen Schäfflertanzes, und es wurde ein rechtes Heimaterlebnis.

Wenn an einem Wintertag die Schneewolken plump und dunkelgrau am Himmel hängen, dann sage ich: „Wenn das und das gelernt ist, dann bauen wir einen Schneemann." Bis der Schnee in gehöriger Stärke draußen im Hof liegt, ist „das und das" gelernt. (Bis auf den Berühmten, den es in jeder Klasse gibt!) Ein ganzer Nachmittag gehört dann unserem Schneesest. Schnee kann für den Menschen ein wunderlieber Heimatbesitz werden, wenn er ihn nur erst kennt. Ich baue den großen Straßenkehrer, den wir jeden Morgen vor unserem Schulhaus sehen. Zuerst helfen alle, Schneekugeln herbeizuschassen. Bis ich aber dann den Straßenkehrer daraus zurechtkriege, bauen die Knaben in kleinen Gruppen nach eigener Phantasie. Bin ich zu Ende, wird meine Schöpfung von allen Seiten beguckt, und wenn es uns vor lauter Herumstehen und Denken in die Hände friert, eröffnen wir die langerwartete Schlacht. Das muß hin- und herschwirren, und alle müssen recht fröhlich sein. Es wird wohl geschehen, daß zuletzt der unglückliche Schneemann unser Zielpunkt wird. Was schadet es? Die Lust am Schnee — das ist's, was die Kerle erfahren sollen, damit sie später den Schnee sehen: auf einem weiten Feld, zwischen dem unter knorrigen Weiden winterliches Bachwasser gurgelt, hinter dem sich im nebligen Doralpendämmer eine Dorsheimat duckt — Schnee in den Alpen, groß, erhaben, bewunderungs­ würdig — Schnee in der Gestaltung als ausziehende Wolke, wo ihn so wenig Menschen wirklich kennen, oder als Winterrest

im März und April, hinter schweren Ackerschollen, wo wir ihn aus dem eigentümlichen Reiz unserer Vorfrühlingsland­ schaft nicht wegdenken wollen. Und welch herrliche Gabe ist der Schneebruder, der Rauh­ reif. Eine Heimatschule darf da nicht hinter den Ofen kriechen und die Eigenschaften des Winters zerreden; die muß hinaus aufs Schneefeld, in den Rauhreifwald und mit Auge und Ohr, Bewegung und Frohsinn, ja mit Lunge und Tastsinn echten Gewinn einheimsen. Und wiederum, wenn sie aus der Winterschönheit heimkommt, winkt ihr jetzt, aus dem behag­ lich-warmen Raum, ein wahres Erleben entgegen: das Er­ zählen eines Wintermärchens oder das Anhören eines großen Heimatgeschehens, wie etwa der Sendlinger Weihnacht. Auch unsere wundervollen, klaren Winternächte sollten wir nicht vergessen. Wer je draußen aus verschneiten Feldern in die tiefe Unendlichkeit hineinsah, ein gebundener Mensch in grenzenloser Einsamkeit des Raumes, wer die Stadt oder das Dorf erdgefesselt, aber still und friedlich unter dem klaren Nachthimmel sand, der sagt nicht mehr, Kinder, junge, sinnliche Seelen, würden nichts empfinden von dieser Herrlichkeit. Die Elternabende geben die äußere Möglichkeit: Habe ich zuerst (im Zusammenhang mit den Vorträgen) in passenden Lehr­ einheiten das Lernen des Kindes den Eltern gezeigt, so führe ich jetzt die Kinder noch eine Viertelstunde in den Schulhof, um sie das Sein des Sternenhimmels schauen zu lassen. Nicht von Sternnamen und Sternbildem würde ich reden, sondern schweigend die Sterne sprechen lassen. Auch unser Himmel ist ein Stück Heimat, und es sind nicht immer falsche Pathetiker, die im Anblick der Raumlosigkeit Trost suchen. Der Frühling kommt über uns nordische Menschen mit solcher Gewalt, daß selbst „strenge" Lehrer Maifeste abhalten. Was ist für uns natürlicher als ein richtiges Frühlingsfestl Aber der Charakter des Tages soll nicht durch botanische

Exkursionen oder Aussatzahnungen verdorben werden. Dieses glückliche Heute gehört ganz dem Frühlingserleben, dem Atmen in der neuen Luft, dem Wärmen in der neuen Sonne, dem Schauen in das erwachende Leben, dem Wandern, Spielen, Schnabulieren, Plaudem, Lachen und Singen. Noch die Müdigkeit am Abend, dieses eigene Erschöpftsein von unserem Frühlingsatem, mag uns erfreuen. Fm Sommer schafft einen bleibenden Heimateindruck ähnlicher Art das Baden. Setzt man, vielleicht um 5 Uhr, eine tägliche Badestunde an, so kommen immer einige, mit der Zeit sicher viele Schüler. Vielleicht kann die Sparkasse die Armen hie und da unterstützen. Baden, Schwimmen, Tauchen, Tumen, Sonnen, Spielen gründen ein natürliches Verhältnis zum Heimatsommer. Das Wasser wird uns so lieb als aus anderem Weg der Schnee, das Feld, das Moor, der Wald, das Gebirge. Der Schwimmer ist im Naturgenuß reicher als der hilflose Pattler am schmalen User unserer schönen Seen. Zu den Stunden unmittelbaren Heimaterlebens rechne ich auch die nationalen Gedenktage. Die Heimatschule wird den Todestag eines großen deutschen Künstlers, Denkers oder Staatsmannes ehren, einen wirklichen Nationaltag festlich begehen und den Funken, der in solchen Stunden aussprühen kann, sehr hoch einschätzen. Aber das scheint mir der Kern der Sache zu sein, daß eben ein echter Funke aufsprüht. Verschiedene Verhältnisse bringen die Gefahr, daß der leben­ dige Kem des Tages lediglich mit gekonnten Musikstücken, halbpassenden Gedichten und schönklingenden Worten ver­ brämt wird und die Teilnehmer innerlich unangesprochen bleiben. Das ist der Grund, warum viele solche Feiern ablehnen. Zweifellos gehört nun Können und Kraft dazu, vom herkömmlichen Programm ins Persönliche vorzustohen; aber nur dieser Vorstoß kann die äußere Feier zum Erlebnis

erhöhen, weil alles wahre Erleben allein vom Persönlichen, Unmittelbaren, Lebendigen ausgeht. Beethoven, Schubert, Bismarck, Kant, Dürer feiern, heißt, in diesem Augenblick dem Menschen und Künstler einen Weg zu den Kindergemütern bahnen. Daß Mozart in einem Massengrab beerdigt wurde; wo Hans Sachs das Schusterhandwerk erlernte; wann Bis­ marck seinen Abschied nahm, ist für uns Erwachsene interessant, den Kindern besagt es wenig. Und sie sollten doch vor allem das Bedeutsame in diesen Männern kennenlernen: die Ge­ walt, mit der Bismarck das Reich schuf und hielt, das mensch­ lich-heitere Lächeln der Kunst Haydns, die elementare Ton­ sprache Beethovens, die Leidenschaft in den Schillerdichtungen, den Sinnenreichtum Goethes, diese Menschlichkeiten in der Vollendung „unserer" Meister. Die schönste Ehrung dieser Männer besteht darin, dem Sinn ihrer Gedankenwelt, der geballten Kraft ihrer Kunst neue Herzen und Ohren zu öffnen, und nur eine Rede, die zu den Schöpfungen hinführt, voll­ endet den Wert der Feier. Das Hinreißende, Bewunderns­ werte liegt in den Werken, die gesprochen oder gesungen oder gezeigt werden; unsere wesentliche Ausgabe wäre, diesem Reden und Musizieren und Zeigen die Sinne der Kinder zu öffnen. Schulen mit einer größeren Zahl von Lehrern und Lehrerinnen erfreuen sich des Vorteils, für das Verschiedene in Kunst und Wissen jeweils eine Kraft zu finden, die aus privater Beschäftigung schöpfen kann. Nicht so sehr die Rednergabe eines Einzelnen, als das Menschlich-Verstehende verschiedener Lehrpersonen auf verschiedenen Gebieten ver­ bürgt die Wirkung, die nur dem Echten zukommt. Ich schließe die kurze Reihe der besprochenen Stunden unmittelbaren Heimaterlebens mit dem Gedanken an ein Kindergrab. Stirbt in einer Klasse ein Kind, so tritt damit für viele der Tod zum erstenmal in ihre Nähe. Das ist gewiß ein Erlebnis, das über einer unterrichtlichen Verwertung

steht. Aber wer Erziehung als Bildung des Menschen an den Bindungen seines eigenen Lebens auffaßt, wer durch Geschehnisse (statt durch Worte) das große Rätsel des Lebens empfinden lassen will, der darf vor einem Grabe an Erziehung denken. Ein Stück Heimatumgebung sinkt hier unter die Erde; der große Heimatvernichter sitzt aus dem leer gewordenen Platz in der Schule. Mit einem eigenartigen Erstaunen in den Augen gingen meine Klassenkinder an einem kalten Wintertag hinter dem Sarg her, in dem der kleine Otto Sagmüller, unser Otto Sagmüller, lag. Still gingen sie den Weg zwischen Gräbern. Franz und Heini legten den Kranz auf den Erdhügel. Der Herr Religionslehrer, den viele zum erstenmal bei diesem Amte sahen, sprach bekannte Worte, die doch so ganz anders klangen als in der Religionsstunde. „Gedenke, o Mensch...“ Die Kinder sahen eine Mutter in ihrem tiefen Schmerze weinen und hörten die Steine in die Tiefe poltern. Ich redete ein paar Worte von dem lustigen Otto, wie er unter uns spielte und lernte, wie wir ihn alle Tage gesehen hatten und wie er uns ein lieber Kamerad war. Wir wollten ihn nie vergessen und jetzt daran denken, daß ihn das Christkind, aus das er so sehnlich wartete, nun drei Tage vor Weihnachten in den großen Himmelssaal geholt habe. Die wenigen Worte verklangen nicht ungehört. Die Tatsachen redeten. Heimat, Jugend, Tod, Liebe und Schmerz, sind das nicht verschiedene Seiten des einen großen Rätsels „Leben", das auch wir nur anfühlen und niemals verstehen können?

5.

Wenn ich nun erst zur planmäßigen Heimatkunde (als Unterrichtsfach) komme, so mag das vielleicht manchem Leser reichlich spät erscheinen. Allein ich glaube, daß der beste Er-

folg der Heimatkunde nicht durch eine neu zu erfindende Unterrichtsmethode, sondern durch die Kraft des eigenen Empfindens, von dessen Auswirkung bisher die Rede war, geboten wird. Indem wir unser Interesse den Voraus­ setzungen des Unterrichtlich-Intellektuellen, dem Boden, zu­ wenden, führen wir der Verstandesarbeit, dem wurzelnden Organismus, die besten Kräfte zu. Aus dem Untergrund des Heimaterlebens wächst die Möglichkeit des Heimatforschens und -wissens. Das Fühlen, Leiden und Freuen in und mit der Heimat verleiht der Verstandesarbeit die Kraft des inneren Wollens. Eine Heimat, die unser Empfinden und Wollen beschäftigt, interessiert uns in ihren alltäglichen und außergewöhnlichen Funktionen; erst in ihr findet der Gegen­ stand das suchende Auge, das allein zu erkennen vermag. Der möglichen Beschuldigung, ich möchte, um einer Mode zu opfern, vom Verstandesmäßigen weg zu weit ins Gefühls­ betonte (-Verschwommene!) hinüberpendeln, wünschte ich an dieser Stelle erwidern zu dürfen, daß ich gerade um des Vorstellungslebens willen die unbewußte Empfindung an­ spreche, weil ich klare Begriffe nur erwarte, wo Empfinden und Wollen die Kraft zur Gewinnung dieser Begriffe bieten. Aller Sachunterricht, der seine Ergebnisse durch unmittel­ bare Erfahrung zu erreichen sucht, ist zunächst wesentlich Heimatkunde. Mag er später, auf Bereits-Erworbenem fußend, die sachlichen Kreise in Zeit und Raum weiter dehnen, das grundlegende Wissen erwirbt er immer nur an Dingen der Heimat und weder in den ersten Schuljahren, wo die Heimat noch zu groß ist, um erfaßt zu werden, noch in den letzten Schulklassen, in denen von amerikanischen Riesen­ städten, von germanischer Geschichte, von Lichtbrechung und Säurenwirkung die Rede sein wird, kann auf den Anschauungs­ stoff der Heimat verzichtet werden. Ja, er soll sich dem werdenden Heimatbürger als ein Besitz offenbaren, der nie

ausgeschöpft werden kann, weil er um so reicher gibt, je mehr man von ihm nimmt, und nur demjenigen schweigt, der nichtsahnend und arm daran vorüberläust. Womit sich die Kinder kleiden und was sie essen und trinken, spielt eine Rolle im Heimatleben. Der Weg, den sie gehen, die Dinge, mit denen sie spielen, alles, was sie beschäftigt und was sie fürchten, ist ein Stück Heimat. Selbst Frohsinn und Angst ist von den Dingen und Erscheinungen der Heimat abhängig, und wo immer unsere Kinder schauen und horchen, staunen und ge­ nießen, springen und lachen und weinen, quillt dieses Leben aus dem Stofflichen der Heimat. Also wird es die Heimat­ schule sehr oft mit den Dingen der Heimat zu tun haben. Heißen wir es Anschauungsunterricht, Heimatkunde, Heimat­ geschichte, -Naturgeschichte, -sorschung — der Sinn bleibt der­ selbe, und nur die Reife des Kindes bedingt jeweils Eigenart und Tiefe der Betrachtung. Gleichwohl glaube ich, in dieser Abhandlung nur von der Heimatkunde im engeren Sinne ausführlicher schreiben, in den verwandten Fächern mich aber auf einige Einzelheiten beschränken zu dürfen, so zunächst im Anschauungsunterricht auf Materialkunde, Werkunterricht, Erzählen und Zeichnen. Die Materialkunde gibt jedem Kind ein Stück des zu behandelnden Gegenstandes in die Hand. Ich denke dabei an Holz, Eisen, Papier, Glas, Wasser, Steine, Kohlen, Erde. Zunächst beobachtet es nach freiem Ermessen, dann wird gemeinsam untersucht: Farbe, Gestalt, Reiben an der Wange! Versuche zu biegen! Lasse fallen! Halte gegen das Licht! Wiege aus der Handfläche! Es lassen sich zumeist erstaunlich viele Beobachtungen finden, die in ihrer Gesamtheit das Einzelding von der Gattung unterscheiden und gleichzeitig das Geschlossene der Gattung gegenüber Ähnlichem hervorheben (ohne daß die Begriffe Individuum und Gattung geprägt werden). Es kommt immer wesentlich aus den In-

Haltreichtum der Arbeit und die vielartige Beschäftigung der Sinne an. Sind die Eigenschaften entdeckt und sprachlich festgehalten, so kommt meist noch die Frage: Woher kam dieses Ding? Diese Frage entführt bei den angeführten Dingen nicht zu weit, und ich beantworte sie in der Regel mit einer Erzählung. Gerne leite ich die Schüler unmittelbar vom Schulsaal weg: „Wenn wir jetzt unsere Mützen nehmen wollten und gingen fort, zum Schulhaus hinaus, am Krämerladen nebenan vor­ über, dann über den großen Platz da vorne, wo die Trambahn fährt, dann die lange Nymphenburgerstratze hinaus, dann kämen wir an das Dantebad. Kennt ihr das Dantebad? Gut; aber wir gehen vorbei. Wir marschieren immer weiter auf der breiten Straße. Die Häuser werden allmählich weniger, wir kommen an Wiesen vorbei und dann an Feldern, auf denen die Kartoffeln wachsen, die beim Krämer verkauft werden. Und dann kommt der Wald. Du warst gewiß schon im Wald. Was hast du gesehen? Ja, von diesen Dingen wollen wir ein andermal ganz genau sprechen. Ich will euch nun erzählen, was die Holzarbeiter draußen tun...“ In dieser Erzählung schildere ich nicht ausschließlich die Holzgewinnung, sondern rede auch davon, was die Arbeiter in den Arbeits­ pausen betreiben, rede von der Brotzeit, von der Tabakspfeife, vom Speck (im Winter!), um das Bild lebendig zu erhalten. Wir begleiten das Holz bis zu seiner Verbrennung in der Küche der Mutter, wobei ich immer bedacht bin, das Heimat­ liche, d. h. die Eigenart unserer Holznutzung und die dabei üblichen Handreichungen und Gebräuche zu gestalten. Mund­ artliche Redewendungen, soweit sie nicht anstößig sind, dürfen von den Kindern gerufen werden. Sie zeigen damit ihre innere Anteilnahme. An die Frage des Woher schließt sich das Wohin an und geleitet uns in Werkstätten und vor Schuldinge, die bis jetzt

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gar nicht so eingehend beachtet wurden. Wir entdecken, wie der Katheder gemacht ist, die Schultafel, die Türe, der Fenster­ rahmen usw. Der Werkunterricht erweitert den gewonnenen An­ schauungsbesitz um jene Vorstellungen, die man nur durch Beschäftigung mit dem Material gewinnt. Die Tätigkeit der Handwerker klärt er in wesentlichen Stücken. Die Klasse verarbeitet in kleinen Gruppen von 10 oder 12 Schülern Gips, Ton, Holz, Lehm, Papier. Zur Frage des Lehrplans im Werkunterricht erscheint es mir wünschenswert, daß der gedruckte, vorgeschriebene Plan eine große Reihe erprobter Themen anführe, unter denen der Klaßlehrer beliebig aus­ wählen darf. Zur Heimat-Stoffanschauung füge ich die geistige An­ schauung des Heimatlebens, indem ich Handlungen aus dem öffentlichen oder doch allgemeiner interessierenden Leben erzählend vor die Einbildungskraft der Schüler hinstelle. Von einem nachfolgenden, vielleicht gar langatmigen Lehrgespräch halte ich wenig, um so mehr von der Klarheit und Anschauungs­ kraft der Erzählung. Als Themen nenne ich, nur um zu zeigen, was ich hier sachlich meine: Wie unsere Straße gereinigt wird. Eine Trambahn fährt aus dem Depot. Was ein Plakatankleber arbeitet. Wie es in einem Krämerladen vormittags 10 Uhr aussieht. Vom Postwagen. Eine Kindetause. Hiezu die Ausführung eines Beispiels: „Der alte Mann". „Ihr kennt den langen Gartenzaun draußen an der Frundsbergstraße. Letzthin waren einmal Stallhasen dahinter zu sehen, und unser Ernstl ist zum Mittagessen nicht heimge­ gangen, weil er immer diesen Hasen zugesehen hat. Am Ende des Gartenzaunes ist eine Türe; darüber hängt ein Schild. Wer hat schon gelesen, was daraus steht? Ja, so heißt es: Jakob Binder, Gärtner. Hinter dem Zaun ist eine Gärtnerei, und sie gehört dem Herrn Jakob Binder. Was ich nun erzähle, Braun, Die Schule als Heimat.

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ist schon vor 20 Jahren gewesen. Ihr wart damals noch gar nicht auf der Welt. Da war auch schon ein Zaun, aller­ dings einer, der inzwischen einmal abgefault und durch den jetzigen ersetzt ist, und auf dem Schild oben stand: Gärtnerei von Josef Lederer. Von diesem Herrn Josef Lederer will ich euch jetzt erzählen." Ich lasse nun einen gesunden Mann von 50 Jahren in seinem Garten arbeiten, seine Kunden be­ dienen, begleite ihn dorthin, wo alles gedeiht und er darob froh lächelt, und vor andere Stellen, wo ihm das Ungeziefer Schaden zufügt. Dann schauen wir in seine Stube zu einer rüstigen Hausfrau und einer fleißigen Tochter. Ich erzähle kleine Episoden aus dem Familienleben — Sonntagmorgen, Geburtstag — mit der Absicht, daß die Schüler mit den drei Menschen bekannter werden und ihnen ihre Teilnahme zu­ wenden. Nun erzähle ich von dem Unglück, das über diesen Mann kam: zuerst durch den Häuserbau über seinen Garten, dann durch seine Erkrankung, schließlich durch den Tod von Mutter und Tochter, die sich zuviel angestrengt hatten. Von diesen Fällen werden nicht lediglich die Endtatsachen gesagt, sondern der Verlauf geschildert, wobei die Schüler hoffen, wie der Mann hoffte, und wie er enttäuscht werden. Nun sehen wir den Mann gebückt gehen und verstehen, warum sein Haar weiß geworden ist. Wir hören, daß er'noch ein paar Jahre in seinem Garten arbeitete, mühselig, freudlos. Dann verkauft er seinen Besitz an einen Herrn Jakob Binder, der jünger und mutiger ist, und zieht in das Spital am Dom Pedroplatz. „Kinder," sage ich jetzt, „wenn ihr am Morgen die Frundsbergstraße geht, dann seht ihr gewiß manchmal einen alten Mann, der vom Spital herunterkommt. Er hat einen alten Mantel an, eine Kappe auf dem weißen Haar, stützt sich mit der einen Hand aus einen Stock und trägt in der anderen ein Suppenschüsselchen. Sein Gesicht ist voll Runzeln, seine Augen schauen meist aus den Boden. Das ist

der alte Herr Lederer. Er war sein Lebtag im Freien und hält es darum im Spitalztmmerchen nicht aus. Irgendwo arbeitet er um ein paar Mark, nicht wegen des Verdienstes, sondern um in der Lust zu sein und die Hände zu rühren. Letzthin haben ihn die bösen Buben immer geneckt. Sie kamen von hinten angeschlichen, zupften ihn am Ärmel und liefen weg. Wie soll sie der alte Mann einholen? Das tut ihm wohl recht weh. Man hat die Kerle dafür richtig gesträst, und das verdienen sie. Wenn ihr den alten Mann wieder einmal seht — nicht wahr, ihr werdet freundlich zu ihm sein. Das freut ihn — und euch, wenn ihr's erst getan habt." — Im Zeichnen beginne ich früh damit, an die Stelle des Umrisses die Fläche zu setzen. Gedächtniszeichnungen lasse ich nicht mehr fertigen, seit ich weiß, welche geringe Leistungs­ fähigkeit hierin wir Erwachsene besitzen. Der Heimatgegen­ stand wird genau angeschaut und in einer Flächendarstellung durch Wischen mit dem Finger wiedergegeben. Ich bezwecke damit den Eindruck des Gegenständlichen und das Erfassen der Masse nach Form und Gewicht. Bezüglich der Zeit habe ich es praktisch befunden, die Zwischenzeiten auszunutzen. In den Fällen, in denen Klassenaufgaben von den einzelnen Schülern in verschiedener Zeitdauer gelöst werden; wenn der eine oder andere vor Unterrichtsbeginn nicht zum Katheder heraus kommt; wenn ich aus dem Zimmer gerufen werde, zeichnen die Knaben ohne jedesmalige Aufforderung. Das ergibt, sofern das Geleistete auch beachtet wird, eine nicht gering zu schätzende Übung. Ich lasse aus Anraten dieser theoretischen Darstellung noch praktische Beispiele folgen. Obwohl ich der Ansicht bin, daß im Erziehen und Unterrichten zumeist das am besten wirkt, was man aus sich selbst herausarbeitet, mag doch die An­ führung einer gestalteten Praxis den Vorzug der Klarheit besitzen und mein Gefühl, das sich sträubt, anderen die Über3

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führung des Ideellen in die einzelne Schularbeit vorzumachen, täuscht mich wohl. Jedenfalls ist es nicht von der Hand zu weisen, daß sich eine Idee erst in ihrer Verwirklichung als Wert oder Unwert zeigt.

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1. Materialkunde: Papier. Vor einigen Tagen deutete ich an, daß wir bald mit dem Hestschreiben beginnen wollten. Nun kommen schon täglich einige und zeigen, was sie zu Hause eigenwillig aus Papier schrieben. Ich weise eine Arbeit vor: „Seht Kinder, der Franzl schreibt bereits zu Hause aus Papier." Das löst einen Sturm aus. „Ich auch." „Ich auch, Herr Lehrer." „Herr Lehrer, ich habe schon fünf Seiten ins Heft geschrieben." Andere rufen dazwischen, daß sie heute beginnen wollten, und die Schweigenden ducken den Kopf oder ballen die Hände, haben leuchtende Augen und denken gewiß, sie wollten der Mutter ein Stück Papier abbetteln. „Ja, Kinder, so leicht ist aber das Papierbeschreiben nicht." — „Das wird so dick, Herr Lehrer." „Das gibt so Fasern." „Nun paßt auf, wir wollen uns heute einmal das Papier genau ansehen. Viel­ leicht gelingt es uns dann auch besser." „Ordner!" Auf diesen Rus treten sechs Knaben heraus. Jeder versorgt bei derartigen Anlässen vier Bänke — acht Schüler mit Material. Heute gibt es Schreibpapier, Fließ­ papier, Zeitungspapier und Pappe, von jeder Art für jeden Schüler ein Stück oder ein Blatt. Das Material wird in die Griffelrinne gelegt. „Schreibpapier!" — „Herr Lehrer, das ist weiß." „Das ist glatt." „Das ist gerade." „Das ist so, so..." — „Nun, wie kann man da sagen?" — „weich". — „Du meinst wohl auch glatt. Weich ist eine teigige Birne. So ist das Papier nicht." — „Das Papier kann man biegen." „Am Rand sind

so Dinger. Da ist es gerade." — „Wo ist es gerade? Wo sind die Dinger? Wie heißt man sie? (Fasern.) Nun paßt auf, was wir tun. Fahre mit dem Zeigefinger leise über das Papier! Fahre mit dem Papier über deine Wange! Gleite mit dem glatten Rand über deinen Finger; so! Was fühlst du? Was siehst du? Biege das Blatt ab! Drücke die ab­ gebogene Stelle. Nimm das Blatt wieder auseinander. Was siehst du? Das nennt man einen Falz. (Wort!) Halte dein Blatt gegen das Licht. Bringe den ausgestreckten Finger hinter das Blatt. Was siehst du? (Wort „durchscheinen".) Knittere das Blatt zusammen! Streife es wieder aus! Was siehst du?" So behandle ich die vier Papierarten, immer beachtend, daß die Kinder sich möglichst viel selbst beschäftigen und ihre Sinne gebrauchen. Begriffwörter werden festgehalten, ohne darüber viel Zeit zu verlieren. Lieber sitzt für diesmal das Wort nicht so gut, als daß bei Mitschülern Langeweile auf­ kommt. Der Begriff kehrt ja bei anderer Gelegenheit wieder. Schließlich vergleiche ich. „Das Fließpapier hat viele Fasern." — „Herr Lehrer, die stehen so weg." „Die sieht man." — „Zupfe eine mit dem Fingernagel weg! Nun schau das Schreibpapier an! Siehst du auch Fasernd — „Ja, Herr Lehrer." — „Vorher hast du sie nicht gesehen. Diese Fasern sind geleimt. Das Fließpapier ist nicht geleimt. Wer hat bereits eine Feder dabei? Fahre mit der Spitze über das Schreibpapier! Über das Fließpapier! Siehst du, darum muß man obacht geben. Ich werde euch sagen, wie man die Feder hält, damit keine Fasern hängen bleiben. Schau nun das Zeitungspapier daraufhin an! Die Pappe! Tauche die Feder in Tinte und halte sie einige Zeit auf die Zei­ tung ! Auf die Pappe, auf das Fließpapier, auf das Schreib­ papier! Warum wird das Zeitungspapier das schlechteste sein? Es genügt, es muß billig sein."

Ein andermal bringen die Kinder von zu Hause Papier­ arten mit Wir beobachten alles. Briefmarken, Papier­ servietten ... 2. Handarbeit: Der Hampelmann. „Kinder, gestern habe ich etwas gesehen, das muß ich euch erzählen. Ich habe einen Onkel." — „Ich auch. Ich auch." — „Schon gut, Kinder. Also bei dem Onkel war ich gestern zu Besuch. Als ich hereinkam, lies mir schon der kleine Fritz entgegen, der beim Grohvater wohnt. Der Fritz ist so alt wie ihr. And was meint ihr, daß er in der Hand trug? Nein, ihr könnt es nicht wissen." — „Ein Pferd." „Ein Bilderbuch." „Ein Karussell." — „Er trug einen Hampel­ mann. Einen schönen Hampelmann mit roten Backen und einer gelben Hose. Fritz sagte gleich: Den hab' ich mir selbst gemacht. Was, sag' ich, den hast du gefertigt? Der ist aber so schön wie einer aus dem Laden. Fritz lacht übers ganze Gesicht und erzählt mir gleich, wie er alles gemacht hat. Und was meint ihr, Buben, wenn wir uns auch solche Hampel­ männer ansertigen wollten? Jeder einen für sich; aber einen schönen!" Na, das Hallo kann sich jedermann denken. „Aber, Buben", sage ich, „wenn wir Hampelmänner machen, dann müssen es auch ordentliche sein. Manchmal gibt es Knaben, die möchten in zwei Minuten fertig sein. Solche Arbeiten sind aber nicht schön." Die Begeisterung verspricht alles. „Gut. Bringt heute nachmittag einmal Pappdeckel mit, dann wollen wir damit beginnen. Jetzt wollen wir einige Zeichnungen von der Arbeit auf der Tafel üben." Tafel­ zeichnen. Einzelkorrektur. Nachmittags werden Pappdeckel verteilt, sodann die Teile ausgezeichnet. ZuHause darf das Ausschneiden erledigt werden; ich besorge bis zum anderen Tag die Drahtstückchen. Andern Tags steche ich in die Teile die nötigen Berbindungslöcher,

und die Kinder formen die Drahtösen

führen sie ein

und verbinden die Enden. In einer weiteren Arbeitsstunde werden die Hampelmänner bemalt. Gut ausgefallene Stücke dürfen in der Klasse ausgestellt werden.

3. Beobachtung: Einkellern.

„Wer heute früh durch die Schulstraße gegangen ist, der hat einen Wagen gesehen." — „Ja." „Ja, Herr Lehrer, den hab' ich gesehen." „Da ist hinten ein Stück von einer Sau herausgehängt." „Da war ein kleines Schwänze! daran." — „Wohin ist das Tier gefahren worden? Ich habe aber noch einen anderen Wagen gesehen, einen großen." — „Der ist dort drüben vor einem Haus gestanden." — „Ja, den meine ich. Was war aus dem Wagen? Wohin ist der Torf gekommen? Wie hat man das besorgt? Was hat man benutzt? Hast du dir das Brett angesehen? Die Körbe? Die Schaufel? Manches ist daneben auf die Straße gefallen." — „Da muh man zusammenkehren." — „Hast du dir ein Stück Torf beguckt? Ich will euch morgen eins aus meinem Keller mit­ bringen. Hast du den Fuhrmann angeschaut? Woher kommt der Tors?" Kurze Erzählung der Torfgewinnung. „Warum kellert man gerade jetzt Torf em? Was haben wir vom Herbst schon alles gehört?" Von den Tieren? Von den Pflanzen? Der Mensch ist auch nicht untätig im Herbst. Wir wollen nun einmal bedenken, was er alles in seinem Keller einsammelt für den strengen Winter. Dinge zum Schutz gegen Kälte.

Nahrungsmittel. Art der Verwahrung. Kartoffeln, Kraut, Obst. Bereits gelagerte Nahrungsmittel: Eier, eingekochtes Obst.

4. Am Obstwagen.

... So und nun wollen wir einmal Obstfrau spielen. Mein Pult hier ist der Obstkarren. Wer macht die Obstfrau? Den Einkäufer? Was muß die Obstfrau aus dem Wagen haben? Eine Wage. Wie sieht sie aus? Was braucht sie dazu? Was liegt noch auf dem Wagen? Ein Stoß Düten. Wir wollen nächstens einmal selbst Düten kleben. Verschiedene Form der Düten. Was hat die Frau noch aus dem Wagen? Ihre Geldbörse? Nein, Herr Lehrer, da hat sie eine Tasche anhängen. Oder sie hat eine Zigarrenschachtel. Da tut sie alles Geld hinein. Die Frau hat aus dem Wagen eine schwarze Tafel; da steht droben, was das Sach kostet, g. B. Äpfel, Pfd. 3,50 M. Zwetschgen Pfd. 3,20 M. Sie hat noch eine schwarze Tafel. Darauf steht, wie die Frau heißt. Und wo sie wohnt. Z. B.? Marie Zirngibl, Glockenbach 4. Herr Lehrer, diese Tafel hängt unten an der Seite vom Wagen. „Ja, Kinder, nun habt ihr viel gesagt. Aber die Hauptsache vergeht ihr: das Obst." Allgemeines Erstaunen. „Welches Obst verkauft die Frau?" Wie sehen die Äpfel aus, die Birnen, die Zwetschgen; das gute Obst, das schlechtere? Woher kommen die Flecken? Dieses Obst kann man nicht ausheben. Warum? So, nun können wir mit dem Spiel beginnen. Ich will einmal selbst einkausen. (Karl, ein witziger, geriebener Münch­ ner Junge spielt die Obstfrau.) Ich gehe von der Türe her zum Katheder und bleibe stehen, als beschaute ich Obst. Karl: Grüß Gott, schöner Herr, kaufen S' mir was ab l Ich: Nun, was gibt's heut, Frau? Karl: Schöne Äpfel hätt' ich noch, Herr; ganz tadellose Äpfel, da schauen S' bloß amal. Das ist ein Apferl. Ich: Was kosten denn die Birn da? Karl: Dös sind ganz seine Dirn, Herr. Birn. Wieviel kriegen wir denn? 40

Wunderschöne

Ich: Geben Sie mir ein Pfund. Karl: Ist recht. Ein Pfund. (Handbewegungen l Ludwig kommt.) Ludwig: Was kosten denn die Äpfel, Frau? Karl: Dös find schöne Äpfel, Herr. Da schauen S'bloß amal. (Zu mir.) So, Herr, da haben S' ein Pfund Birn. (Geldgebärde.) 3,80 M. Ja. Stimmt. Ludwig: Ist das auch ein guter Apfel? Karl: Wenn ich's Ihnen sag'. Ein' andern Apfel verkauf' ich gamicht. Ludwig: Geben S' mir ein halbes Pfund. Karl (zu mir): Grüß Gott, Herr. (Zu Ludwig) Ist recht, Herr. Was täten S' denn brauchen, Frau? Georg: Ich hätt' gern Orangen. Ludwig: Die hab' ich nicht, Frau. Die gibt's jetzt nicht. Da müssen S' in ein' Laden gehen. Grüß Gott, Herr. Franz: Was kosten denn die Birn, Frau? Karl: 3,80 M. Franz: Geben S' mir zwei Pfund. (Wiegen. Zahlen.) Karl: So, Herr. Haben Sie's nicht kleiner? Franz: Nein. Karl: Und ich hab's auch nicht. Ich: Warten S', Frau, ich kann wechseln. Wieviel haben S' denn? Karl: 100 M. Ich (hinzählend): 10, 20, 30, 40, 45, 50 M. Und 50 M. ist 100. Karl: Dank schön, Herr.

5. Neubau. I. „Buben, nun bin ich bei dem Herrn Baumeister gewesen. Ihr habt das kleine Holzhaus schon gesehen, das im Eck, gleich hinter dem Bretterzaun steht. Dort drinnen hab' ich ihn ge-

troffen. Da hat er einen großen Tisch mit dem Bauplan. Bauplan, das ist die Zeichnung, die zeigt, wie alles an dem neuen Haus aussehen soll. Der Herr Baumeister will uns seinen Bau zeigen. Wir dürfen kommen. Die Zeit sagt er mir noch." Wir müssen uns einige Zeit gedulden. Die Kinder fragen immer wieder. Endlich kommt der Tag. Schon die Straße, die wir durchwandern müssen, ehe wir zum Neubau kommen, zeigt uns Spuren der ansahrenden Wagen. Einmal rollt ein Ziegelsuhrwerk an uns vorbei. Wir beobachten die Pferde, den Knecht, den Wagen, die Lagerung der Steine. An der Ecke, wo der Blick frei wird, bleiben wir stehen. Von hier aus kann man den ganzen Bauplatz überschauen. Unwillkürlich beachtet man zuerst den Zaun, die hohen Stan­ gen, die Rohmauern. Bei genauerem Zusehen gibt es aber noch viel mehr zu sehen. Langsam treten wir näher. Am Zauntor erwartet uns schon der Baumeister. Er ist wohl ein Kinderfreund und es macht ihm sichtlich Vergnügen, uns sein Werk zu zeigen. Er sagt erst einige Mahnungen; dann stapft er davon, wir hinten nach. Da ich eine Hilfskraft gebeten habe, mitzukommen, so treffen auf einen Erwachsenen nur 15 Knaben. Das bewährt sich.

Eine volle Stunde steigen wir nun aus dem Bauplatz umher. Der Tag ist gut gewählt. Wir sehen noch Erdarbeiten, daneben aber auch das Errichten des Zementstockes und das Aufsetzen der ersten Ziegelmauern. Im Hof stehen wir neben dem Kalksaß, vor dem Sandhaufen, an dem Mörtel bereitet wird, vor dem Traggestell, an dem Steinträger ihre Kraxen aufladen. Wir können schon den Keller besuchen und die feuchte Lust atmen. Wir steigen über die Lattenstiege hinauf und schauen den Maurern zu. Wir erleben eine Brotzeit und treffen einen Installateur, der bereits am Neubau zu arbeiten

hat. Nur wenn wir den Maler, den Schlosser, den Zimmer­ mann sehen wollen, müssen wir ein andermal wiederkommen. II. Zu Hause: Eine erste, allgemeine Besprechung des Gesehenen. III. Einzelbehandlung mit Verwendung von Arbeits­ unterricht: Von den Ziegelsteinen. Mörtelbereitung. Sand­ betrachtung. Steintragen. Was der Maurer tut, der Bau­ meister. Werkzeuge. Anfertigung eines Tragbockes aus Kistchenholz. Formen und Brennen von Ziegelsteinen aus Lehm. Zeichnerische Darstellung des Aussetzens der Steine beim Mauern:

Einiges vom Dachstuhl. Hvlzmvdell. Ev. Besuch einer Werkstatt. 6. Sandspielplatz. „Kinder, nehmt die Mützen, wir gehen heute zum Sand­ spielplatz. Aber ihr müßt mir versprechen, daß ihr...“ „Ja, Herr Lehrer. Wir sind ordentlich." Am Spielplatz teilen wir uns in kleine Gruppen, deren jede für sich arbeiten darf. Plan und Ausführung bleibt jeder Gruppe überlassen. Ich achte zunächst, daß überall ein ruhiger „Betrieb eröffnet" wird. Dann gehe ich von Gruppe zu Gruppe und unterhalte mich mit den Kindern. 1; Gruppe: „Was macht ihr denn da?" — „Eine Burg, Herr Lehrer." — „Ja, habt ihr denn schon einmal eine Burg gesehen?" — „Der Maxl hat eine schöne zu Hause." „Die hab' ich vom Christkind bekommen." — „Und die wollt ihr nachbauen?" — „Ja, Herr Lehrer."— „Na, da will ich sehen." 2. Gruppe: „Und was bastelt ihr?" — „Einen Berg, Herr Lehrer, durch den die Eisenbahn durchgeht." „Die Eisenbahn geht doch nicht." — „Ganz gut, die fährt." — „Und außen

ist ein Graben; da mutz eine Brücke darübergebaut sein." „Ich hab' schon einmal einen solchen Berg gesehen. Bei uns aus dem Land, wenn wir da hinfahren, da muß der Zug durch einen Berg. Das ist fein. Da wird es ganz finster. Einmal haben wir die Fenster nicht zugemacht. Da ist der Rauch herein und hernach waren wir alle schwarz." Ich sehe ein wenig bei der Arbeit zu. 3. Gruppe: Herr Lehrer, wir bauen eine Stadt. 4. Gruppe: Wir bauen eine Kirche.

Ich lasse erst einmal einige Zeit vergehen. Dann beginne ich meine Wanderung wieder. Das Bild der Schülertätigkeit ist jetzt nicht selten ein anderes als in der Stube beim Lernen. Mancher ist geweckt, der dort oft teilnahmslos in der Bank sitzt; mancher „gute" Schüler zeigt hier Nervosität, ja Unge­ schicklichkeit. Während ich umhergehe, ist mir dies die Haupt­ sache, datz bei jeder Gruppe reges Leben herrscht. Hie und da gibt es einen kleinen Streit, der aber bald geschlichtet ist.

1. Gruppe: „Na, nun ist ja die Burg schon ordentlich vorwärts gekommen. Das ist wohl ein Berg, worauf sie steht? Und das hier?" — „Ist das große Haus!" — „Was für ein großes Haus?" — „Das in der Mitte der Burg." „Da wohnten die Burgmänner darin!" — „Ganz richtig. Die wollten schöne, große Zimmer haben. Aber dann gibt's auch ein Dienerhaus." — „Das steht hier." „Das müssen wir noch bauen. Und einen Turm auch noch. Und eine Fahne!" — „Hier, Kinder, hab' ich ein wenig Papier dabei. Vielleicht könnt ihr aus dem Holzstäbchen da und dem Papier eine Fahne basteln.

2. Gruppe: „Und wie geht es euch mit dem Berg?" — „Ja, Herr Lehrer, das Loch fällt immer ein." — „Wie habt ihr es dann gemacht? Nun paßt auf. Trag du einmal Wasser herbei. So. Und nun drücke mit dem Brett hier den Berg

fest! Nun wollen wir langsam durchbohren. Wir könnten's auch noch anders versuchen: Den Berg flach drücken, dann die Rinne eingraben, dann etwas querüber legen und nun den Berg vollends aufsehen. Wie werden es denn die Leute beim echten Berg fertiggebracht haben?" — „Herr Lehrer, da muß man sprengen." Ich erzähle einiges. Interessant ist auch der Bau und die Ausschmückung des Turmes.

3. Gruppe: „Wie weit ist eure Stadt schon gediehen? Was ist denn dies?" — „Das ist so etwas, wie in der... straße steht." „Das ist ein Denkmal, Herr Lehrer." — „Ach so, ganz richtig. An wen erinnert euer Denkmals Das ist ihnen neu. Ich rede von Denkmälern, natürlich ganz kindlich. „Das hier ist wohl die Stadtkirche— „Und hier wohnen die Leute." „Das ist ein Schulhaus, Herr Lehrer." — „Mhm, darum ist es so groß." — „Da müssen viele Kinder hinein­ gehen." — „Und wollt ihr die Kinder auch hereinspazieren lassen?" — „Da nehmen wir Sandkörnchen. Das sind die vielen Kinder." Die Stadt bekommt mit der Zeit noch ein Krankenhaus und eine Kaserne. (Beide im Schulviertel!) 4. Gruppe: „Das ist aber nicht unsere Neuhauser Kirche, Kinder, was ihr baut." — „Das ist eine Kirche vom Land. Da ist der Friedhof ringsherum." — „Und das hier sind Gräber." — „Was soll der Grashalm, der da an der Mauer steckt? — „Das ist ein Strauch." Die Kinder arbeiten nun am Turm ... Die Zeit enteilt viel zu schnell. Schade, daß wir bald wieder zu anderer Arbeit in die Schule zurück müssen. Das Sandbauen ist sehr beliebt und macht die Kinder für manches hellhörig.

Aus dem Heimweg beobachten wir noch den Maler, der eben den Zaun der Anlage frisch streicht.

7. Bauernhof. (Material: Ausschneidebogen 9,50 M. Pappdeckel als Unter­ lage, SO X SO cm — 7 M. Klebstoff 2 M. Weißes Papier und kleine Holzstückchen 3 M. Außerdem Moos, Sand, kleine Kräuter, Flechten. Zündholzschachtel.)

Kinder, die nächste Woche wollen wir einmal einen ganzen Bauernhof zusammenbasteln; jeden Tag soll etwas daran geschehen. Ihr dürft auch daran mitarbeiten; aber natürlich kann ich nur ganz schöne Arbeiten hineinstellen." — „Was denn, Herr Lehrers — „Das sehen wir schon während der Arbeit." Aus die quergelegte Schultasel oder den Klassentisch wird die Pappe als Unterlage gelegt. „So Kinder, was soll nun alles gebaut werden? Das sind also vielerlei Sachen; die stellt der Bauer nicht aufs Geratewohl nebeneinander." — „Er stellt sie im Kreis." „Im Viereck." „In der Mitte ist der Hof." — „Ganz gut. Nun wollen wir mit dem Blaustift anzeichnen, wie die Häuser zu stehen kommen. Und hier heraußen führt eine Fahrstraße vorbei; hier soll die Einfahrt sein; dieser Teil gibt eine Wiese. Wir tun uns da leichter als der Bauer. Wir zeichnen mit dem Blaustift. Das kann der Bauer draußen nicht tun." „Herr Lehrer, da zeichnet man mit der Hacke." „Da kann man eine Schnur spannen." „Oder Hölzer in den Boden stecken." „Ich hab' einmal Männer gesehen, die haben so Latten gehabt, rote und weiße und schwarze." — „Die werden wahrscheinlich «ine Straße ab­ gemessen haben. Wir können nun gleich beginnen. Erst wollen wir das Wohnhaus bauen."

Ich schneide nun aus, falze, passe zusammen, klebe und setze den Hof ein. Während dieser Arbeit stehen die Knaben rings um die Tafel, und wir unterhalten uns: über das Aus­ sehen des Bauernhauses, seine Altane, sein Türmchen, seine

Fensterläden, zugleich auch über unser Material und das zweckmäßige Arbeiten. Kleine Handgriffe, wie das Umbiegen der Klebränder, dürfen mitunter von (stillen l) Schülern besorgt werden, mit dem Hintergedanken, alle Kinder möchten zu häuslichen, sauberen Klebarbeiten angeregt werden. Von hier kehrt das Gespräch wieder in das darzustellende Leben zurück, zum echten Bauernhof. Kleine Schilderungen erweisen die Herkunft der engen Fensterchen, des Glockenturmes, des gemalten Haussegens. (Interesse am eigenen Haus.) Jeden Tag verbringen wir eine halbe Stunde vor dem Modell und fügen etwas Neues ein: Pferdestall, Rinderstall, Schweinestall, Scheune, Remise, Düngerstätte, Taubenhaus, Hundehütte, Fahrstraße, Wiese, Pappelgruppe mit Kreuz, schließlich den Hausgarten, einiges Mobiliar usw. So steht jedesmal das einzelne im Mittelpunkt des Interesses, gibt Anlaß zur Besprechung und gliedert sich doch ins Ganze und in das Leben auf dem Hofe ein. Zugleich erfahren die Schüler, was es heißt, solide arbeiten. Sie lernen den Wert des Gediegeneren gegenüber dem Halben kennen. 8. Krämerladen. Alle paar Tage kommt einer vor Schulbeginn gesprungen: Herr Lehrer, darf ich was mitbringen? Das ist bald ein Stein, ein Laubfrosch, eine Muschel, ein Kasperl, bald ein Geschichten­ buch, ein Malbuch, ein Kalender. Heute ist'ö ein Krämerladen. „Was Bub, einen ganzen Kaufladen willst du hereinschleppen?" — „Ich hab' ihn zu Weihnachten bekommen." — „Du kannst ihn ja gar nicht tragen." — „O, das kann ich. Der Ludwig hilft mir." Sie bringen also einen Kaufladen. Die Mutter hat ihn sorgfältig verpackt. Der Ludwig hat auch noch einiges in der Schultasche verwahrt. Die Kinderhälse strecken sich, ah, ah; aber der Kaufladen verschwindet unter -em Pult. Erst muß

noch tüchtig gerechnet und geschrieben werden. Als ob... Na jo, man weiß Bescheid. Endlich ist es so weit. Das verpackte Ungetüm erscheint wieder und entpuppt sich: ein großer, weißgetäfelter Laden mit Verkausstisch, zwei großen Schränken und einer Stellage. Die Kinder stehen um das Pult, alle wollen zugleich reden, und das ist mir immer das liebste. Ich brauche bloß die äußere Ordnung zu erhalten, das Sehens- und Wissenswerte fördern die Knaben alles zutage. Neigt sich das Gespräch, das ich möglichst so lenke, daß das Praktische, Bedeutende, Lebendige hervortritt, einem Ende entgegen, dann werden die Einrichtungsgegenstände aus der Mappe des kleinen Ludwig vorgeholt: eine Wage, Gewichte, eine Kasse, Fässer, Säcke, Kisten, Flaschen, Töpfe. Das gibt neuerdings viel zu reden. Und dann sage ich: Kinder, guckt einmal bis morgen in einen echten Krämerladen und erzählt morgen, was ihr gesehen habt. Ich hoffe nur eben, daß die Krämerin keine Griesgrämerin ist, sonst geht es übel. Das Wesentliche, was ich herausschäle: der Inhalt des Begriffes „Handeln"; der Reichtum an Nahrungsmitteln, den die Natur dem Menschen bietet. Wäre nicht alles so teuer, so könnte man Jucker, Zimt, Nelken, Mehl, Essig in jede Kinderhand geben. Aber... 9. Gewitter. Wir lesen eben die schöne Geschichte „Da schickt der Herr den Jockel aus". Es ist heiß im Schulsaal und darum ver­ ständlich, daß sich der Jockel ins Korn legt und schläft. Da huscht plötzlich ein Schatten über die Bänke, dann brennen wieder die Sonnenslecken. Der Schatten kehrt wieder. Er bleibt. Die Helle leuchtet nicht aus. Es wird noch dunkler. „Kinder," sag' ich, „schlagt das Buch zu. Wir schauen zum Fenster hinaus." Das tun sie immer gern.

„Ah, Herr Lehrer! Ahl" „Was siehst bu?“ Zwanzig Singer auf einmal. „Ich sehe eine schwarze Wolke." Aber nicht nur das. Der Rauch vom Nachbarhaus drückt sich wie ein Dieb übers Dach. Die Wäsche vor einem Balkon knattert. Ein Baum biegt sich zur Seite. Eine Schwalbe saust noch über den Boden hin. Die Wolke verändert sich ständig. Hinter ihr drängen dunkle Klumpen nach. Ein fahlgelber Schleier zieht sich über das matte Graublau. Ein Blitz leuchtet. Alle Kinder erschrecken. „Ein Gewitter, Herr Lehrer." — Der letzte blaue Himmelssleck verschwindet. Kleine Wolkenfetzen jagen darüber hin. Bumrumbum, rollt der Donner. „Das ist noch weit weg." — „So, woran kennst du das?" — „Ich hab' bis neun gezählt." Das ist den meisten noch neu. Ich erkläre ihnen, daß man, zwischen Blitz und Donner zählend, die Entfernung berechnen kann. Das nächste Mal wollen es alle versuchen. Aber als es wieder blitzt, denkt die Hälfte nicht mehr daran. „Herr Lehrer, jetzt ist die Wolke so gelb." Kaum gesagt, rasselt ein Hagelkorn gegen die Scheibe, ein Vorbote, dem bald eine Armee nachtrommelt. Das gibt einen Spaß, wie die Eiskugeln hüpfen. „Bei uns zu Hause waren einmal die Hagelkörner so groß wie ein Kops." — „Das ist wieder unser Franz, der übertreibt ja jedesmal. Ein Kopf, sagst du?" — „Eine Faust." — „Aha." Haarscharf steht eine Sekunde lang ein neuer Wetterstrahl. Der Donner schlägt grell sogleich hintennach. Die Kinder erbleichen. Kein Laut regt sich im Zimmer. „Schaut einmal zur Decke hinauf!" In dem Raum über der Fensterhöhe lagert eine eigene Dunkelheit. And die Gesichter aller Kinder sind bleich. Das ermuntert wieder. Aber sogleich folgt Licht und Donner­ schlag, draußen fallen die Schlossen in schrägen Linien, im Hof steht schon eine hohe Pfütze mit unzähligen Wellenkreisen. „Herr Lehrer, dort hinten wird es hell!" Im Westen sehen wir wirklich einen goldgelben Streifen, und man erkennt Braun, Die Schule als Heimat.

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deutlich den Sonnenschein. Aus dem Hagel wird Platzregen, der an unsere Scheiben rennt und in eiligen Tropsenbahnen absinkt. Aber die größere Wucht ist schon vorüber. Zwischen Blitz und Donner vergrößert sich die Pause; die Knaben beginnen jetzt eifrig das Zählen. Und aus einmal huscht der erste Sonnenstrahl ins Zimmer. Alle Kinder lachen. Ich öffne das Fenster. Eine köstliche Lust dringt herein. Auf dem Baum im Garten pulsiert sich ein Vogel; wir schauen ihm bewegungslos zu. In den Nachbarhäusern zeigen sich Menschen, die zum Fenster heraus nach dem Himmel gucken... „Das Feuer brennt den Prügel nun, Der Prügel schlägt den Ochsen nun, Der Ochse säuft das Wasser nun, Das Wasser löscht das Feuer nun, Das Feuer brennt den Pudel nun, Der Pudel beißt ..."

10. Heimleben: Die Mutter.

Da drüben in der Straße neben dem Bäckerladen weiß ich ein Haus mit einem großen Hof. Dort ist eine Stallung. Und über der Stallung wohnen auch noch Leute. Ganz oben unterm Dach sind noch zwei Stübchen, und von der Frau, die dort wohnt, will ich euch erzählen. An der Wand hängt eine Kuckucksuhr und schlägt eben sechsmal. Draußen wird es schon finster. Die. Frau sitzt vor der Nähmaschine und arbeitet. Sie ist arm. Darum wohnt sie da heroben und zudem über einem Stall. Sie muß Hemden nähen, daß sie etwas verdient. Mit dem Fuß treibt sie die Maschine und mit der Hand ordnet sie den Stoff, daß er richtig unter die Nadel kommt. Don Zeit zu Zeit schaut die Frau auf die Uhr, weil ihr Bub, der Ludwigl, der gerade so alt ist wie ihr, schon lange von der Straße heraufkommen sollte. Er war von der Schule

gekommen, hatte sein Brot gegessen und dann gebettelt, ob er nicht noch ein wenig auf der Straße spielen dürfe. Bis y26 Uhr, hatte die Mutter gesagt. Nun war es schon 6 Uhr, und der Ludwig! kam nicht. Langsam rückte der Uhrenzeiger vor: Tick, tack, tick, tack. Die Mutter wurde traurig, weil ihr Kind unfolgsam war. Sie zündete eine Lampe an, um zur Arbeit besser zu sehen. Dann rasselte die Maschine wieder, und die Mutter saß gebeugt und arbeitete und dachte an den Knaben. Aus einmal siel ihr ein, es könnte ihm etwas passiert sein: er könne überfahren worden oder auch nur hingefallen sein. Vielleicht liege er irgendwo und niemand wüßte, wem das Kind ge­ höre. O nein, sagte sie sich. Es ist ihm nichts passiert. Er folgt nur nicht. Und sie überlegte, wie sie ihn dafür strafen werde. Nun kam eine Arbeit, bei der sie recht obacht geben mußte, und darum vergaß sie kurze Zeit das Kind. Aber dann sah sie wieder von der Maschine aus; es war jetzt schon %7 Uhr. Die Mutter ging zum Fenster, aber es war draußen schon so dunkel, daß sie nichts mehr sah. Nun wurde ihre Angst sehr groß. Sie sagte: „Nein, so böse ist er nicht, es ist ihm doch etwas begegnet." Und wenngleich sie mit der Arbeit noch lange nicht fertig war, ließ sie alles liegen und ging in die Kammer, um den Mantel anzuziehen. Sie wollte ihr Kind suchen. Als sie eben vor dem Schrank stand, ging die Wohnungs­ türe aus, und der Ludwig! kam von der Straße herauf. Er hatte solange gespielt. Sein Kopf war ganz rot vor lauter Erregung. Aber jetzt im Herausgehen bekam er doch Angst, und er schaute seine Mutter von der Seite an. „Wo steckst du so lange?" sagte sie. „Der Leonhard ist auch nicht heim­ gegangen." „Und daß du es mir versprochen hast, daran denkst du nicht." Darauf antwortete Ludwig! nicht. Er setzte sich

4*

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aus einen Stuhl und sah immer vor sich hin, während die Mutter auf ihn einredete, daß er doch folgen solle. Merkwürdigerweise blieb er den ganzen Abend dort sitzen. Als er um 8 Uhr zu Bett ging, kam es an den Tag, warum. Seine Hose hatte einen langen, langen Riß, und den wollte er nicht sehen lassen. „Was hast du mit deiner Hose getan?" fragte die Mutter, und es klang sehr traurig. Eine neue Hose kostet viel Geld, so viel, daß es die Frau nicht bezahlen konnte. Ludwig! weinte. Als die Kuckucksuhr 11 Uhr nachts schlug, arbeitete die Frau noch immer. Ludwig! lag schon lange im Bett und schlief fest. Vielleicht träumte ihm schon etwas recht Schönes. Aber seine Mutter durste nicht schlafen, obwohl sie auch sehr müde war. Sie mußte noch nähen, um soviel Geld zu ver­ dienen, als das Essen und die Wohnung kostet. — Endlich war sie fertig. Ihre Augen taten ihr weh, und die Füße und Hände waren müde. Sie lehnte sich im Stuhl zurück. Gern wäre sie zu Bett gegangen. Aber nun mußte noch die Hose geflickt werden. Und die brave Mutter nahm noch einmal Nadel und Faden und besserte den Schaden aus. Sie mußte eine halbe Stunde daran flicken. Und dann ging sie in die Kammer, wo Ludwig! schlief, sah ihm ins Gesicht, beugte sich über ihn und küßte ihn auf die Stirne. Ist Ludwig! ein braves Kind, wenn er morgen wieder nicht folgt? Aussätzchen. 1. Gestern ging ich in die Schule. Da kam der Wind. Er trug meine Mütze fort. Hahaha. 2. Neben der Schule ist eine Wiese. Dort sahen wir heute einen Ziegenbock. Er wurde an einer Schnur geführt und hatte einen weißen Bart.

3. Karl hat einen Laubfrosch in die Schule gebracht. Er satz in einem Glas. Unten war Moos und darauf stand eine Leiter. Der Frosch hat ein breites Maul. Damit schnappt er die Fliegen. 4. Wir schreiben das erste Mal in das Heft. Huh. Meine Feder ist spitzig. Ob ich einen Klecks mache? 5. Der Regen. Am Nachmittag wurde es auf einmal finster. Wir sahen zum Himmel hinauf. Dort flog eine schwarze Wolke. Dann sielen die schweren Tropfen. Am Fenster gab es lange Rinnen. 6. Weitere Themen: die Tulpe, der Obstwagen, der Schmet­ terling. Die Maurer. Die Osterferien.

Derartige Aussätzchen werden kurz entwickelt und aus­ wendig niedergeschrieben. Je nach dem Stand der Schüler­ reife dürfen die Ersten beginnen, kleine Veränderungen vor­ zunehmen, aber nur nach eigener Beobachtung. Ein Erfolg im Deutschen scheint mir die Stosfgewinnung in der Heimat­ betrachtung vorauszusetzen.

Soweit Einiges zur Praxis der Unterklassen. Ich kehre zur theoretischen Darlegung zurück. Hat der Anschauungsunterricht vorgearbeitet, so tritt in der Mittelklasse die Heimatkunde eigentlich nicht als neues Fach auf, sondern ändert nur die Form, insofern sie, dem Psychologischen folgend, vom ausschließlichen Sinnesreiz zur planmäßigen Erforschung vorrückt. Wo der Anschauungs­ unterricht beliebig wählte, um ganz dem Grad der Anschau­ ungsmöglichkeit zu gehorchen, beugt sich die Heimatkunde als zielbewußte Heimatersorschung (durch die Kinder) der äußeren Anordnung der Dinge. Bei ihr spielt die Frage der lehrplan­ mäßigen Stossanordnung eine größere Rolle und ich glaube meine Stellung hierin am besten zu charakterisieren, indem ich die Stossolge anführe:

3. Schuljahr. I. 1. Unser Nachbar — das Feuerwehrhaus. Erste Beobachtungen: Äußeres, Vorgänge.

2.

3.

4.

II. 5.

Erzählung von einem Brand. Bedürfnisse. Zweiter Besuch: Das Innere. Die Geräte. Die Ausrüstung. Erzählung, wie es früher war. Grundwasser. Eimer­ wanderung vom Kanal her. Zeichnen. Die Wiese aus der anderen Seite des Schulhauses. Besuch und Untersuchung. Erde, Steine, Gras, Blumen. Spiele. Gefundene Gegenstände. Eine Mutter und ihre Kinder. Das Karussell. Die Ziege. Beobachtung von Sonnenwirkungen. Nachbarn der Wiese. Neben der Wiese das große Mietshaus. Äußere Er­ scheinung. Läden. Wohnungen. Hof. Hinterhaus. Balköne. Beim Krämer. Versorgung des Hauses mit Wasser, Strom, Gas. Fremde Personen im Haus: Briefträger, Milchmädchen, Zeitungsfrau, Waschfrau, Zugeherin, Hausierer, Bettler. Unser Häuserkomplex. Hausnummern. Straßen. Läden: Milchgeschäft, Metzger, Bäcker, Haarschneider, Buchbinder. Faustskizze. Der Rotkreuzplatz. Unterschied zwischen Straße und Platz. Entstehung des Platzes. Verkehrslinien. Beobachtungen: Die Gruppe der alten Häuser, ein Rest aus früherer Zeit. Das Jagdschloß. Wirtschaft „Zum Jagdschlöhl." Moderne Häuser. Kaufhaus. Eisenhandlung. Apotheke. Denkmäler.

Verkehr: Trambahn, Auto, Radler, Handkarren, Hausiererwagen, Lastfuhrwerke, Milch- und Gärtner­ wagen aus Moosach, Eisfuhrwerke. Leichenwagen (zum Friedhof).' Sanitätsauto (ins Rote Kreuz). Post. Zeitungsverkäufer. Wie der Rotkreuzplatz gepflastert wird (gelegentliche Beobachtung). Die verschiedenen Arten der Pflaste­ rung in den Straßen, die vom Rotkreuzplatz weg­ führen. Leute, die man aus dem Rotkreuzplatz beobachten kann: Kaminkehrer, Briefträger, Postillon, Tele­ graphenarbeiter, Milchmädels, Trambahner, Feuer­ wehrmänner, Dienstmädchen, Gasbedienstete, Schutz­ leute, Packträger, Autolenker, Hausierer, Rote Radler, Totenmänner, Sanitätöleute, Krankenschwestern,Weg­ macher, Schlosser, Laternenanzünder, Plakatankleber, Zeitungsträger — Lehrer, Geistliche, Ärzte — Kinder, Spitalinsassen.

6. Ein Ilnglückssall. Das Rote Kreuz. 7. Eine alte Dorfstrahe (Winthirstraße). Kurze Dar­ stellung des alten Neuhausen. Die alte Kirche. Der alte Friedhof. Andere Dorsreste. Der kurfürstliche Fahrweg (Nymphenburgerstraße).

8. Die Neuhauser Pflanzenwelt, beobachtet in den An­ lagen, Vorgärten, Blumenläden, Privatwohnungen. Die Wiesenpflanzen Huflattich, Gänseblümchen, Gün­ sel, Taubnessel, Bocksbart, Glockenblumen, Wegerich, Salbei, Primel, Wegwarte. Gräser. 9. Die Neuhauser Tierwelt, beobachtet auf der Straße, in den Anlagen, Gärten, Häusern, auf Bäumen, Telephondrähten, Wiesen, im Kanal: Fliege, Hund, Katze, Pferd, Sperling, Schwalbe, Grille, Regen-

wurm, Fische, Schmetterlinge. — Die Amsel im Garten des Hauses Lachnerstraße Nr. 18. Der Streit zwischen den Buchfinken um ein Quartier in der Kanalumgebung. Beobachtungen über die Schatten­ linien in den Anlagen. 10. Unter dem Boden von Neuhausen: Wasserleitung, Gas, elektrischer Strom. Schienenunterlage. III. 11. Anlage eines Neuhauser Wanderungsplanes, der Rotkreuzplah als Ausgangspunkt genommen (Bedeutung des Platzes).

12. Wanderung und Beobachtung:

a) Nach Süden: Donnersbergerstraße. Eisenbahn. Hauptwerkstätten. b) Nach Mesten: Winthirplatz. Dillen. Heimgärten. c) Nach Nordwesten: Nymphenburgerstraße aus­ wärts. Kanal, Pfarrkirchen (kath. u. prot.), Heilig­ geistspital, Waisenhaus, Privatklinik, LudwigFerdinand-Anstalt, Schulhaus am Dom Pedro­ platz, Eiswerk. d) Nach Nordosten: Leonrodstraße. Kaserne. Reichs­ wehr. e) Nach Osten: Nymphenburgerstraße einwärts. Post, Landshuter Allee (alte Eisenbahnlinie), Trambahn­ depot. Blutenburgstraße als Entlastung (viele Privatwohnungen, Krämer, Milchgeschäfte, Bäcke­ reien, Konsumverein).

IV. 13. Die Arbeit in Neuhausen. Bedarf an Lebensmitteln und Arbeitsmaterial. Gegenseitige Abhängigkeit der Menschen. Neuhausen als Vorstadt. 14. Die Neuhauser Kinder: Spielplätze, Schulhäuser, Spiele, Sprache.

15. Die nächste Umgebung von Neuhausen: Nymphen­ burg, Schloß — Gern, Brauerei, Bad — Moosach, Friedhof, Gaswerke. — Die Heide und das Moor. 4. Schuljahr. München.

I. 1. Auf dem Weg von Neuhausen in die Stadt. Benno­ kirche, Marsplatz, Löwenbrauerei. 2. Der Bahnhofsplatz. a) Einrichtung eines Bahnhofes. Ankunft und Ab­ fahrt eines Zuges. Das Leben im Bahnhof: Schalter, am Fahrplan, beim Portier, Wirtschaft, Automat, Telephon, Post, Passagierguthalle, Sani­ tätswache, Polizei, Verkäufer. b) Das Leben auf dem Bahnhofplatz: Hotelwagen, Auto, Droschken, Kofferträger, Packträger, Aus­ kunstsstellen, Handkarren, Reklamewesen, Fahnen­ masten, Normaluhr, Trambahnlinien, Verkehrs­ ordner. c) Gebäude am Bahnhofplatz: Warenhaus. Tele­ graphenamt. Hotels. d) Bedeutung eines Bahnhofes für seine Umgebung: Geschäftslage, Art der Passanten, Verkehr. Handel wird gefördert. Wenig Privatwohnungen. Diese in kleinen Seitenstraßen. 3. Der Karlsplatz als der größte Verkehrsplah Münchens. 4. Der Marienplah als alter Stadtmittelpunkt. Seine Umgebung: Rathaus, Dom, Peterskirche, Peters­ berg!, Stadtbach, Residenz, Nationaltheater, Spar­ kasse, Markt usw. Bilder aus der Vergangenheit. 5. Die Maximiliansstraße, eine „vornehme" Straße. 6. Leben und Treiben in der Stadt: Handel, Gewerbe,

Verkehr.— Lehranstalten. Akademie der Wissenschaft. (Michaelökirche!) Odeon. II. 7. Die Anlage der Stadt München: Altstadt, Haupt­ verkehrswege, Gruppierung der Vorstädte. Die Isar in ihrer Bedeutung und Ausnutzung. Trambahn­ linien. 8. Einiges von den Vorstädten. 9. Iusammensassende Betrachtung: a) Wie ist in einer Stadt gesorgt für Nahrung, Kleidung, Wohnung, Reinlichkeit, Behütung vor Feuer, Wasser und Krankheit. Unternehmen im Dienste der Fugend, des Alters, der Wissenschaft, der Kunst. b) Was nimmt die Stadt von außen. Verbindung mit Land c) Was gibt sie nach außen. und Reich. Altbayern. III. 10. Ein Dorf: Neuried. Das Würmtal. Beobachtungen an Bodengestalt, Bodenbeschaffenheit, Wasserverhältnissen, Pflanzen- und Tierwelt. Mensch, Verkehr, Nutzbarmachung des Bodens. 11. An der Isar bis Großhesselohe. Einfache geologische Betrachtungen. Folgerungen. 12. An der Isar bis Wolfratshausen. Tölz. 13. An der Isar abwärts bis Freising. 14. Auf einem Turm der Stadt München. Rundsicht. Begriff, Ebene! Wald, Feld, Wiese, Wasser, Moor, Heide, Hügel, Berge. 15. Vnzelbehandlung: Im Isarwinkel. Mittenwald (Gebirgsleben). Gegend von Wolfratshausen (Vorland). Gegend von Dachau (Moorland). Gegend von Plattling (fruchtbares Niederland).

16. Übersicht und Anregung zur Erforschung des bayeri­

schen Heimatlandes. Die Ideen, die dieser Stoffanordnung zugrunde liegen, ergeben sich aus der Anordnung von selbst. Sie bestimmen auch die Methode des Heimatkundeunterrichtes, die wesentlich mit den Begriffen suchen, schauen, erforschen, sesthalten und mitleben gekennzeichnet werden kann. Nicht der Lehrer zwingt durch eine jedesmalige Zielangabe die Schüler, ein bestimmtes Gebiet zu bedenken, sondern der Stoff selbst veranlaßt eine Beschäftigung mit ihm. Die Aufgabe des Lehrenden in Hinsicht auf den Stoffweg besteht am Anfang darin, den Schüler gleichsam auf die Spur zu setzen, im weiteren Verlaus aber nur im Bestimmen des Zeitmaßes. Die ganze Heimaterforschung soll der Schüler als eine ge­ bundene Kette erleben und er soll aus der Kraft dieses Er­ lebens heraus trachten, das Nächstfolgende für sich zu beobach­ ten, während noch in der Klassenarbeit von dem Vorher­ gehenden die Rede ist. Das neue Thema will von den Schülern erzwungen, nicht vom Lehrer diktiert sein.

Der Ablauf der einzelnen Themenarbeit, natürlich wesent­ lich vom Stoff bestimmt, vollzieht sich im allgemeinen so: Während noch von einzelnen Dingen auf der Wiese (dem Vorthema) gesprochen wird, entdecken die Knaben den Krämerladen neben der Wiese. Ich deute an, daß dieser Laden unser nächstes Beobachtungsseld sein wird und die Schüler schauen sich gelegentlich der Einkäufe für die Mutter dott um. Eine Vorbesprechung faßt zusammen und lenkt unsere Aufmerksamkeit endgültig auf den Laden. Es kommt dabei vor allem darauf an, in welcher Stärke sich die Kinder für das neue Thema interessieren. Ich will den Eindruck haben, daß ich zügeln, nicht ziehen muß. Nun kommt der gruppenweise Besuch des Krämerladens und endlich das

Eingehen aus die Einzelheit. Neigen sich die Einzelbetrach­ tungen dem Ende entgegen,, so darf das folgende Thema, der Hof im Miethaus, genannt werden. Heimatkunde ist wesentlich Anschauungsunterricht und die kleinen Einzeldinge sollen soviel als möglich ins Klahzimmer gebracht, ja in jede Schülerhand gelegt werden. Die Gewichte der Krämerin, der Zuckersack, die Seife, das Werkzeug des Schreiners nebenan, das Bodenmaterial der Wiese u. ä. wird auf solche Art genau untersucht. Die Heimatkunde der 3. Klasse beschränkt sich aus Neuhausen, um im einzelnen tief graben zu können. Die Kinder sollen vor allem lernen, von der Oberflächlichkeit weg zu möglichst vielen und klaren Einzel­ vorstellungen und zu dem Vermögen, sie an neuen Gegen­ ständen selbst zu gewinnen, gelangen. Ist nun das Nächst­ liegende nicht immer das leichtest Faßbare, so kann das Unverständliche dort leicht ausgeschaltet werden, weil die Heimat eine Überfülle des Verständlichen bietet. Wir müssen nur die Fähigkeit erwerben, dort, wo wir Erwachsene fertige Urteile besitzen, vom kindlichen Standpunkt aus ein Problem zu sehen. Übrigens zeigen sich bei genauem Zusehen unsere fertigen Urteile nicht immer so makellos begründet als wir es meinen. Die Materialkunde, von den Unterklassen her fortgesetzt, beobachtet Stein, Holz, Messing, Kohle, Kupfer, Nickel, Eisen, Filz, Wasser, Fett, Teer, Sand, Erde, Porzellan, Ton, Gips, Seegras, Heu, Roßhaar, Federn, Blech, Horn und geht dem Individuellen (im Gegensatz zum Typischen), wo es sich leicht faßlich zeigt, nicht aus dem Wege. Sie sieht also das Fichten­ holz unserer Sandböden, den Eichenbestand des Würmtals, die Grobkohle von Hausham, den Kies der Isar, die Federn unserer Hühner, die wasserliebende Pflanzenwelt des Moores. Sie verwendet Brenngläser zur Vergrößerung, Papierstreisen als Maße, Eisen zum Erproben der Härte, Zündholzschachteln

zum Wiegen; möglicherweise verfügt eine Klasse auch über einige Scheren. Wo es möglich ist, wird die Materialver­ wertung nachgeahmt, indem man z. B. Gipsscheiben oder Ziegelsteine herstellt, Hefte bindet, Blumen düngt oder die Straßenpflasterung nachahmt. Handlungen, die nicht unmittelbar beobachtet werden können, zeige ich auch auf dieser Stufe in Erzählungen: Ein Kellerbrand. Wie der Schuster Reinhosd zu seiner Ziege kam. Das Unglück aus dem Karussell. Wie der Schreiner Wachinger sein Holz kauft. Aus dem Fischmarkt in Hamburg (Fischhandlung Nymphenburgerstraße). Morgens 6 Uhr in der Großmarkthalle. Der Neuhauser Pfingstlümmel (alter Brauch). Wie in Neuhausen die Dampstrambahn lies. Aus der Pferdebahn. Die Wolsratshauser Bevölkerung während des Hochwassers. Die Explosion im Haushamer Bergwerk. Ein Beispiel: Zwei kleine Handwerksmeister. (4. Klasse. Gebirgsdorf): Ich erzähle von zwei Knaben, die ich in Wirk­ lichkeit kannte. (Vordringen ins Persönliche!) Beide gehen aus dem Mittelstand hervor. Eharakteristik des Mittelstandes in einem Gebirgsdorf. Durch kleine Episoden werden die Schüler mit den Knaben vertraut und sehen den Charakter, aus dem später das Handwerk gewählt wird. Wir beobachten die Berufswahl, nachdem die Knaben die letzte Volksschul­ klasse besuchten. Der Eine entscheidet sich für Gärtnerei, der Andere will Uhrmacher werden. Wir begleiten sie in die Lehr­ stätten und ich erzähle einiges von dem Leben, das sie dort vorfinden. Anstrengungen sind nötig. Die Lehrlinge erleben Unangenehmes, machen aber im Können Fortschritte. Sie leisten endlich ihre Gesellenprüfung, wir finden sie bei einem neuen Meister wieder und hören von den Plänen, die sich die jungen Leute jetzt aushecken. Der Uhrmacher geht zur weiteren Ausbildung in die Stadt (Einfluß der Stadt auf das Land); der Gärtner lernt in Franken weiter. Schließlich

wollen sich beide selbständig machen und kehren zurück. Nun gilt es viele Mühe ertragen, viel denken, rechnen, arbeiten. Der Uhrmacher kauft ein kleines Geschäft (Ersparnisse) von dem alten Dorfuhrmacher, der nicht mehr recht arbeiten kann. Der Gärtner pachtet ein Stück Land. Er muß dabei die Natur nützen und darum manches Lehrgeld zahlen. Nun heißt es für beide, tagsüber arbeiten und abends noch schreiben und rechnen. Sie suchen Kundschaften zu erwerben — Reklame! Gute Ware ist die beste Empfehlung —; sie müssen ein Ver­ hältnis zur Gemeinde unterhalten. Der Uhrmacher leidet darunter, daß viele Leute teuere Reparaturen oder Neukäuse in der Stedt erledigen. Der Gärtner hat Glück: es werden viele Dil'.en gebaut und er bekommt die Gartenanlage und den Verandenschmuck. Schließlich mündet die Betrachtung wieder in das Dorfleben. Der Gedanke, für solche Erzählungen die Werke unserer Heimatdichter zu verwerten, liegt nahe. Tatsächlich werden uns Stieler, Rosegger, Stifter u. a. die besten Dienste leisten können. Einen Nachteil fand ich aber im Umfang der Bücher, mitunter auch in der Handlung, die mehr das Besondere als das Alltägliche, von dem aber die Heimatkunde spricht, be­ vorzugt. Heimatdichtungen lese ich deshalb lieber dann vor, wenn es sich um Heimatempsindung statt um Heimatwissen handelt. Bei dem Abschnitt „Vorlesestunden" komme ich darauf zurück. Dem heimatkundlichen Zeichnen dienen die genannten kleinen Heimatgegenstände als Vorlage: das Salzfaß, die Tischglocke, das Wasserschaff, der Laternenpfahl u. a. tn.; zeigen die Schüler jedoch Lust, so lasse ich auch „landschaftern": Die Neuhauser Dorfkirche. Die Winthirschule. Ein Baum am Kanal. Die Brücke. Die Gegenstände werden nach ein­ gehendem Schauen abgezeichnet. Gedächtniszeichnen halte ich auch aus dieser Stufe noch für zu schwer, gm Planzeichnen

sind die Veranlagungen der Kinder sehr unterschiedlich. Mit Rücksicht daraus verlange ich nur die Faustskizze von allen Knaben, den Laus eines Flusses, die Lage und Grundgliede­ rung einer Stadt, die Richtung eines Höhenzuges. Die gut Veranlagten möchte ich aber nicht auf dieser Stufe stehen lassen und gebe ihnen also Gelegenheit, Pläne genauer auezusühren. Die Teilung: Gruppe der Planzeichner und Gruppe der Eegenstandzeichner erwies sich als praktisch. Das heißt natürlich nicht, daß die Begabten nur Pläne zeichnen. Zum Heimataufsah erwähne ich, daß ich ihn bereits am Ende des ersten Schuljahres als Zweisätzer beginne. Wir sprechen: „Dor dem Fenster sitzt eine Taube. Sie pickt unsere Körner aus." Oder: „Heute ist es kalt. Ich ziehe die Haube über die Ohren." Im zweiten Schuljahr wird daraus ein Drei- und Viersätzer, bereits mit dem Bestreben, beim Bild­ mäßigen die Hauptmerkmale, bei Handlungen die geschlossene Folge zu gewinnen. Die einzelne Übung nimmt höchstens zwei Tage in Anspruch, wird sie (auswendig) geschrieben, vier Tage. Ich suche durch zahlreiche Übungen zu wirken. Auch die Wortwahl soll Gewohnheit dec Schüler werden, ebenso das Überlesen und Verbessern. So vorbereitet beginnt in der 3. Klasse der Aufsatzunterricht, eine Fortsetzung der Übungen, wobei dem Könner ebensoviele Freiheiten in Wortund Satzwahl eingeräumt werden, als seine Reife verträgt. Der freie Aussatz wird gern gesehen und gefördert. Zu Zeichnen und Aufsatz gesellt sich noch das häusliche Basteln und das Sammeln als Ausdruck des Heimatforschens. Daß die Ergebnisse in der Klasse ausgestellt werden, ist bereits erwähnt. Ich nenne noch einige Schülerarbeiten: Ein Marterl, eine Bachbrücke, einen Melkkübel, eine Axt, ein Lehmhäuschen, ein Torfwagen, ein Spazierstock, ein Dergkreuz, ein Maibaum, eine Kirchweihfahne, ein B'scheidtuch, ein Wasserrad, ein Rechen, eine Sense, eine Peitsche, ein Floß u. a. m.

Soll nun auch aus dieser Stufe Praxis dargestellt werden, so steht man sogleich vor einer Entscheidung: den ganzen Lehrplan in Praxis zu zeigen oder nur ganz wenig, nur Ver­ einzeltes herauszugreisen, gch wähle das letztere, weil es nicht Sinn dieser Schrift sein kann, ihren Nahmen ins größte Format der einzelnen Frage auszudehnen. Dabei verhehle ich mir nicht, daß es wünschenswert wäre, wenn jemand den Heimatstoff nach den hier niedergelegten Ansichten zusammen­ tragen würde. * Die Wiese. Kinder, heute unternehmen wir eine Forschungsreise, und zwar beobachten wir die Wiese neben unserem Schulhaus. Paßt auf: Wir teilen uns in Gruppen. Es mögen immer drei oder vier zusammengehen. Gut. Wir sind also zwölf Gruppen. Jede Gruppe durchsucht die Wiese für sich, und zwar soll das, was man findet, genau angesehen werden. Angeschaut werden Steine, Schachteln, Pflanzen; vielleicht findet ihr auch Tiere. Nun, wir werden ja sehen. Aber jede Gruppe muh hernach erzählen können. Unten überschaue ich alle Gruppen. Natürlich bricht irgendwo der Schabernack hervor. Er läßt sich aber schlichten. Überall auf der Wiese hocken einzelne Trios; alle finden

irgend etwas zu beschauen. Der eine oder andere kommt hergesprungen, ich leite ihn aber möglichst schnell zur Be­ obachtung zurück. Normale Kinder werden durch das Finden immer angeregt, nicht selten-ganz ausschließlich für die eine Sache begeistert, so daß sie etwas anderes nicht mehr hören, gch gehe von einer Gruppe zur andern, helfe mitentdecken, rege an, laß mir erzählen. Schließlich kehren wir ins Klaßzimmer zurück, wobei Einzelnes mitgenommen werden darf. Derlei legen wir dann auf unseren Beobachtungstisch und nun wird erzählt.

1. „Herr Lehrer, diesen Stein haben wir neben der Schul­ mauer gefunden." — „Lag nur der eine da? Habt ihr die anderen auch angeschaut? Was habt ihr daran entdeckt? Lagen alle Steine obenauf? Welche lagen unten? Wie sahen diese aus? Wie tief mutztet ihr graben?' Die mit­ gebrachten Steine gehen von Hand zu Hand. Alle Beobach­ tungen werden ausgesprochen. (Wörter!) „Wie denkt ihr, datz der Steinhaufen aus die Wiese kam? Hast du schon einen Steinwagen gesehen? Hast du beobachtet, wie abgeladen wurde? Erzähle!" Weil wir nun alle gerade an solch ein Fuhrwerk denken, erzähle ich von den Sandbänken in der Isar, vom Verladen, von der Einrichtung einer Winde. (Zeichnen!) Warum wurde der Kies hergesahren? Das bringt uns auf die Wegausbesserung und aus die verschiedene Art der Herstellung von Futzsteigen und Fahrstraßen. Hier droht eine starke Abbiegung bei dem Thema Straßenwalze. Ich suche, mich nicht allzulange damit aufzuhalten und vertröste lieber aus den Tag, an dem wir eine Walze beobachten können. Kies. „Wurde aller Kies hergefahren? Woher kamen die dunklen, nassen Steine?' — „Herr Lehrer, bei uns im Heimgarten sind auch immer Steine. Ich und mein Bruder, wir müssen sie jeden Sonntag heraustlauben." — „Wie kommen die hinein?' — „Die wachsen." — „Glaubt ihr, datz Steine wachsen wie das Gras?" So komme ich daraus zu sprechen, daß unser ganzer Boden voll Steine liegt, daß man hineingraben könne, wo man wolle, und jedes­ mal aus Steine treffen würde. Kiesboden; Anregung, eine Sandgrube anzuschauen. Verwendung des Kieses zur Stratzenbeschotterung, zum Hausbau. Verwendung des Sandes zu Hause bei der Mutter. 2. 12. Gruppe: Ein Büschel Löwenzahn, an der Schul­ mauer gewachsen. Ein Graebüschel. Eine Schachtel voll Erde. Braun, Die Schule als Heimat.

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Ein Käfer. Die alte Hollerstaude. Der Ziegenbock. Eine alte Blechbüchse. Ein Ziegelstein usw. Da läßt sich gar viel sehen, und das geweckte Interesse frägt sich in viele Heimat­ verhältnisse hinein.

2. Der Küchenbalkon. „Herr Lehrer, ich habe auch einen Küchenbalkon gesehen." „Und eine Klopfstange." „Und die eiserne Stiege zur Wasch­ küche." „Und die Kehrichttonnen." „Und die Dachrinne mit dem Rohr." — „Nun wollen wir einmal zunächst an den Küchenbalkon denken. Wer von euch hat zu Hause einen Küchenbalkon?" (Hätten sich wenig Kinder gemeldet, wäre das Thema übergangen worden). „Wozu braucht die Mutter den Balkon? Warum stellt sie die Kohlenkiste hinaus? Natür­ lich mutz man die Kiste fest verschlietzen." — „Wir haben ein Wachstuch darüber." — „Wozu nützt das? Warum?" — „Wir haben so ein Gestell draußen... Das hat mein Vater gemacht. An einem Sonntag, aus einer Holzkiste." — „Wie hat er das Gestell gezimmert? Wozu benötigt man es?" — „Da sind oben noch zwei Schrauben daran. Da kann man die Vorhang­ stange einhängen." — „Woraus ist die Stange? Der Vor­ hang? Welches Muster hat der Vorhang? Die Stange kann man größer und kleiner machen, wie?" — „Bei uns geht rings um den Balkon ein Gitter." „Bei uns auch." — „Natür­ lich, sonst fällt man ja in den Hof." — „Nein, das meine ich nicht. Oben her, da ist ein Gitter, das ist so breit, da kann man was hinstellen." — „Was? Warum?" — „Bei uns ist vor dem Balkon eine Wäschaushänge." — „Wie ist die ge­ fertigt? Hast du die Schrauben und Eisenstangen schon angesehen? Wie hängt die Schnur? Wie befestigt die Mutter ihre Wäsche, daß diese nicht in den Hof fällt?" — „Unser Balkon ist letzthin frisch gestrichen worden." — „Erzähle." Andere Knaben haben auch beobachtet, wie Eisen gestrichen

wird. Das gibt also allerlei Erwähnenswertes vom Maler­ gewerbe. Und noch etwas kommt: „Wir haben auf dem Balkon unseren Hansel." „Wir haben den Käfig an die Mauer ge­ hängt, daß die Katze nicht hinkann." — „Warum? Erzähle?" Der Balkon im Winter. 3. Das Kaufhaus. Zn der Nähe unserer Schule ist ein Kaufhaus. Der Besitzer ist ein freundlicher Mann, und wir dürfen in einer ruhigen Stunde an all den vielen Sachen vorbeigehen. Auch in das Bureau dürfen wir hineinschauen und an die Kasse und an den Einwickelstand. Das ist allerdings für eine halbe Stunde fast zuviel. Aber es schadet ja nichts, wenn der einzelne nicht alles sieht. Er merkt doch das Wesentliche: Hier hat ein Mann einen großen Laden „voll Sach", das für ihn von den Ladnerinnen verkauft wird. „Herr Lehrer, wo hat denn der Mann das alles her?" Einige wollen nicht recht glauben, daß dem kleinen, dicken Herrn, der mit uns gegangen ist, wirklich alles gehört. Andere denken, er habe alles geschenkt bekommen. Langsam, indem ich erzähle, wie die Kasperln in der Fabrik gemacht, hieher geschickt und an den Mann verkauft wurden, der sie nun teurer wieder ver­ kauft, begreifen die Kinder das Wesen dieser Handelschast. Dabei gibt es von der Fabrik zu reden, von der Bahn, vom Geschäftsauto, vom Ausgeher. Die Wörter gebe ich nicht (Verkauf, Einkauf, Gewinn und Verlust), das Wesentliche ist mir das Begreifen des einfachen Vorgangs.

Wir haben auch schon einmal einen Bäckerladen beobachtet, unter dem in der Backstube die Semmeln gebacken wurden, durch die Kellertüre herauskamen und hier im Laden sogleich von der Frau Bäckermeister verkauft wurden. Das gibt einen einfachen Vergleich: Kleingewerbe — Großhandel. 5*

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4. Denkmal. „Ihr fragt mich, Kinder, was die große eiserne Figur da drüben in den Anlagen bedeutet." — „Das ist ein Denkmal." — „Was für ein Denkmals Schweigen. Da muß ich euch etwas erzählen, sonst begreift ihr das nicht." „Ihr seid jetzt neun Jahre alt. Euer Vater ist vielleicht 40 Jahre alt, euer Großvater 70." — „Herr Lehrer, mein Großvater ist 71 Jahre alt." „Mein Großvater ist schon gestorben." — „Nun denk einmal: der Großvater war nicht immer so alt, hatte nicht immer weiße Haare und mußte nicht immer an einem Stock gehen. Der war auch einmal jung und tonnte umherspringen wie ihr und hat damals wohl auch ganz anders ausgesehen. Vielleicht fragst du ihn, ob er noch ein Bild von damals hat. Aber nun noch was anderes: Nicht bloß dein Vater sieht jetzt anders aus, auch unser Neuhausen.war nicht das gleiche. Die vielen großen Häuser ständen noch nicht; da gab es keine Trambahn und kein Auto; auch unser Schulhaus war gar nicht da. Vorne am Rotkreuzplah stehen noch kleine Häuschen, drüben, wo man zu den Wiesen hinausgeht: das waren die damaligen Häuser, und die kleine Kirche mit dem Friedhof in der Winthirstraße, das war die Neuhauser Dorfkirche. Aber die Menschen lebten damals in vielem gerade wie heute: es gab alte Leute und junge, große und kleine, böse und brave. Die Frauen kauften beim Krämer und kochten zu Hause, und der Vater ging in die Arbeit. Nur gab es damals auch noch Bauern bei uns, die Getreide und Kartoffel anbauten, ernteten und verkauften. Nun denken wir uns, wir lebten auch in einem solch kleinen Häuschen mit mehreren Leuten. Es ist eben Sommer; die Kinder spielen auf den Wiesen, und die großen Leute müssen sich plagen, sitzen aber abends noch ein Stündchen im Garten, trinken ihr Bier und ziehen sich einen großen Rettich aus dem Boden.

Da sagt eines Tages der Vater, der eben die Zeitung gelesen hat und die Brille von den Augen nimmt: „Kinder, ich weiß nicht...“ „Was weißt du denn nicht." „Mir gefällt die Sache gar nicht mehr." „Welche Sachet „Die mit den Franzosen." „Ach Gott," sagt die Mutter, „die Zeitung muß halt auch was zu schreiben haben." Aber ein paar Tage später fragt sie selber: „Steht nichts in der Zeitung, wie es aus­ sieht^ Der Vater zuckt nur die Achseln. Und nun reden bald alle Leute davon. Die Franzosen! Gibt es einen Krieg oder nicht? Bald kommt der Frg, der jetzt 27 Jahre alt ist, heim und sagt: „Vater, du wirst sehen, es geht los", so daß die Schwestern zu weinen beginnen. Bald kommt der Sepp, der 23 jährige, dec voriges Jahr von den Soldaten kam, nach Hause und meint, es gäbe ja doch keinen Krieg. Und eines Tages stehen alle Leute auf der Straße und reden aufgeregt miteinander, aber niemand weiß etwas. Da galoppiert auf einem Pferd ein Mann ins Dorf. Das Pferd schwitzt und schäumt. Der Mann hält aus dem Dorfplatz, bläst ein Signal aus der Trompete und verliest etwas, das die meisten nicht hören und doch alle verstehen: Jetzt ist Krieg mit den Franzosen. Der Irg und der Sepp kommen zusammen heim. Zu Hause wissen sie schon alles. Die Mutter fällt dem Sepp um den Hals und weint. Der muß gleich fort in den Kampf. Alles ist erregt. Alle reden. Niemand horcht. Sepp verpackt Einiges in einem Koffer. Man redet hin und her, was er alles mitnehmen soll, aber er weiß schon, was er mitnehmen darf und kann. Am 3. Tag marschiert er fort in eine Kaserne. Viele Blumen und gutes Ehsach haben sie ihm mitgegeben und lange haben ihm alle nachgesehen. Als Soldat kommt er noch einmal, dann fährt er ganz fort, nach Frankreich in die Schlachten, wo so viele Menschen sterben. Alle zu Hause weinen, auch -er Vater.

Und nach 14 Tagen muß auch der zweite fort, der Irg. In dem Haus reden sie jetzt wenig. Aber sie denken: wie wird es ihnen gehen? Wo werden sie jetzt sein, vielleicht in einem großen Kamps. Alle Tage wartet man aus die Zeitung, wie es draußen geht. Und alle die vielen Soldaten, die sortzogen, sind brav und tapfer und kämpfen, und der Feind kommt nicht in unser Land. Er wird immer weiter in sein eigenes Land hinein­ getrieben und dort besiegt. „Schon wieder einen Sieg l" sagt der Vater und liest aus der Zeitung vor, wie gut alles für uns ging. Aber die Mutter, die hinten am Ofen kocht, sagt nur: „Mein Gott, ob von unseren Buben auch einer dabei war?" Solche Zeit dauert ein ganzes Jahr. Da ist endlich der Feind besiegt. Der Krieg geht zu Ende, und die Soldaten dürfen wieder heim. Das gibt eine Freude, wenn sie kommen! Da müssen die Blumen die Straße schmücken; man will den Soldaten etwas schenken; die Mutter kocht das Beste für sie und die Schwestern können es gar nicht mehr erwarten. „Kinder," sagt der Vater, „ihr seid ja närrisch." Derweilen laufen ihm selbst ein paar Tränen vor lauter Freude über die Wange herunter. Der Tag kommt. Der Sepp kommt nicht mehr. In einer großen Schlacht hat ihn ein Franzose in den Kopf geschossen, daß er tot liegen blieb. Sie haben ihn drüben begraben und auf der Stelle, wo er liegt, ein Kreuz mit seinem Helm in den Boden gesteckt. Der Irg kommt. Aber die Freude ist nun nicht mehr so groß. Man denkt immer an den toten Sepp. Die Mutter weint. Und es ist wieder eine Zeit vorüber. Da sieht man auf dem Rotkreuzplah vorne die großen, eisernen Figuren. Viele Leute stehen davor, eine Musik spielt traurige Weisen, ein

Mann hält eine Rede, alle denken an die braven Neuhauser Soldaten, die, wie der Sepp, nicht mehr heimgekommen sind. Die alten Häuslein sind verschwunden. Von den Menschen leben nur mehr wenige. Aber die Erinnerung, das Denk­ mal, ist geblieben. Wir denken, wenn wir jetzt davorstehen, an die braven Soldaten, die damals gestorben sind.

5. Vom Roten Kreuz. „Hinter dem Denkmal kommt ein Haus, Herr Lehrer, und dann wieder eins. Das ist das Rote Kreuz." — „Weiht du auch, welchen Zweck dieses Haus hat?" — „Da sind die kranken Menschen darin." „Oben ist so was Rundes, da ist ein rotes Kreuz hineingemalt." — „Gut, ich will euch einmal heute von diesem Haus erzählen." „Jetzt ist gerade wieder die grohe Schusserzeit. Ihr habt auch alle Taschen voll. Ja, ich weiß schon l Laßt sie nur brav drin. Vorige Woche haben nun zwei Knaben vorne in der Nymphenburgerstraße geschustert. Dort steht aus der Straße, neben dem Randstein, ein Sandkasten. Dort haben sie in den Boden ein Grübchen gegraben." — „Ein Kacherl l Herr Lehrer!" — „Und dann haben sie an dem Sandkasten angeschussert. Die Spanne hat einen Schuster gewonnen, der Zusammenschlag fünfe, das Kacherl zehn. Nun hatte ein Knabe auch einen schönen Glasschusser, so einen, bei dem in der Mitte rote Linien eingegvssen sind. Den hat er aber nie genommen, damit er ihn nicht verspielt. Und die anderen wollten den Glasschusser gewinnen. Nach einiger Zeit hatte der Knabe alle Schusser verspielt bis auf den gläsernen. Den trug er noch in der Tasche und wollte nun heimgehen. Da sagte ein anderer: „Wenn du mit dem Glasschusser ins Kacherl triffst, gewinnst du 20." „Hollah. 20 Schuster. 20 Schusser auf einmal. Wenn ich aber nicht hineintrefse?" „Dann gehört er mir. Aber mit

dem schweren Schusser ist's ja leichter." Er überlegte. Dani» sagte er: „Ich will." Der andere legte 20 Schusser auf den Boden. Er ging an den Sandkasten und schaute von dort zum Grübchen, schwenkte den Arm und versuchte, wie fest er wohl anschlagen müsse. Aus einmal gab's den leichten Knall, der Glasschusser rollte, gerade auf das Kacherl zu. Aber er rollte langsam. Es sah aus, als bliebe er gerade vorher noch stehen. Die Knaben sahen angespannt aus den Schusser. Kugelt er vollends hinein oder nicht? Noch ein Ruck, noch einer, noch... And jetzt fällt er wirklich vollends in das Grübchen. Da macht der Knabe vor Freude einen Sprung rückwärts und juchzt hell auf und taumelt gerade in ein Auto hinein, das die Straße herrennt. Der Autolenker drückt auf die Hupe und will den Wagen herumreißen, da ist es schon geschehen. Das Kind ist überfahren. Der Wagen steht. Der Knabe schreit. Alle Leute laufen herbei. Der Autolenker springt herab vom Wagen. Ein Schutzmann kommt. Es gibt einen großen Knäuel. Dann tragen sie den Knaben in einen Hausgang, jemand tele­ phoniert. And dann kommen die Sanitäter, legen den Verunglückten aus eine Bahre, schieben die Bahre in den Wagen... bim.. fahren sie mit ihm fort. Wohin? Sie fahren ihn in das Haus mit dem roten Kreuz. Dort wird er in ein Bett gelegt; die Kleider kommen alle herunter; das Blut wird weggewaschen und der Doktor kommt und schaut, was fehlt. Und wenn nun innen im Körper etwas zerrissen ist, dann muß das Kind in einen Saal gefahren werden. Dort ist alles schon vorbereitet. Dort wird der Kranke eingeschläfert. Der Doktor schneidet den Körper auf und näht das Zerrissene wieder zusammen. Er wickelt dann außen Binden um die Wunde und nun legt man den

Kranken in sein Bett und beobachtet die nächsten Tage und Wochen, wie die Sache heilt. Nun wird der Knabe wieder gesund und nach vier Wochen kann er vielleicht heim zur Mutter. Glaubst du, daß der wieder aus der Straße Schusser spielt? Erzählungen der Kinder von Krankenbesuchen. 6. Vor der Plakattasel. „Plakattasel? Kinder, da müssen wir zuerst an etwas anderes denken. Wer von euch kann Klavier spielen? Wie lange spielst du? Woraus spielst du? Welche Stücke? Seht, Kinder, unser Peter spielt schon Klavier. Aber er muß es erst richtig lernen. Das Spiel ist sehr schwer. Warum lernt man nun überhaupt so etwas Schweres? Ganz recht, weil es schön ist. Man freut sich, wenn jemand gut spielt. Nun gibt es aber Leute, die spielen ganz besonders schön, so schön, wie es überhaupt nur zehn oder fünf oder gar nur zwei im ganzen Land können. Einen solchen Mann heißt man einen Künstler. Wenn nun der spielt, da möchten viele Leute zu­ horchen. Aber in seiner Wohnung haben so viele nicht Platz. Drum spielt der Künstler in einem großen Saal. Da sitzen dann viele hundert Menschen, horchen zu und freuen sich. Aber der Mann spielt nicht jeden Tag. Der spielt bei uns in München vielleicht im ganzen Jahr nur einmal. Nun muß man wissen, wann er spielt, und wo. Vielleicht könnte man einen Mann herumschicken, der es in der ganzen Stadt ausruft. Aber seht ihr, das macht man praktisch. Man druckt große Zettel und klebt die an und jetzt können es alle Leute lesen. So geht es aber nicht bloß bei dem Künstler. Wir wollen einmal zur Plakattasel an der Nymphenburgerstrahe gehen und schauen, was dort alles zu lesen ist." II. Gang zur Tafel. Betrachtung.

III. Besprechung zu Hause, indem man ein Plakat an die Tafel zeichnet und die Schüler mitzeichnen läßt. Ich erwähne alles, z. B.: Konzertagentur Otto Bauer, Maximilians­ straße 5. — Vier Jahreszeiten. — Montag, 5. März 1922, abends %8 Uhr. — Klavierkonzert Josef Pembaur. — Programm. Schubert. Beethoven. — 9t. 9C., Buchdruckerei. IV. Plakatinstitut. Plakatankleber. Farbe der Plakate. Bilder. Kunst. Leute vor der Plakattafel. 7. Post. Ein Knabe erzählt mir, daß sein Vater heute fortgefahren ist, weil er in Regensburg sechs Wochen arbeitet. Ich benütze schnell die Gelegenheit. Ernst erzählt uns, wie sein Vater sortsuhr. „So," sage ich, „nun kann unser Ernst mit seinem Vater nicht mehr reden. Das ist doch sehr schade."— „Aber er kann einen Brief schreiben, Herr Lehrer!" — „Ja, das kann er. Richt wahr, das ist praktisch. Aber was muß er nun alles tun, wenn er einen Brief schreibt? Was braucht er zunächst? Was noch? Was schreibt er am Anfang? Als Überschrift? Run erzählt er

alles, was er weiß. Dann schreibt er seinen Namen hin. Was muß nun geschehen? Und weiter? Warum eine Marke aufkleben? Wie sieht die Marke aus? Wo bekommt man sie? Wohin klebt man sie? Aus die Briefrückseite muß auch noch etwas geschrieben werden. Warum? So, nun wirst Ernst seinen Bries in den Briefkasten. Er ist fertig. Was geschieht aber mit dem Bries? Wer holt ihn ab? Wie entleert der Bote den Kasten? Warum radelt er? Wie sieht das Rad aus? Was geschieht nun in der Post mit dem Brief?... So begleiten wir den Brief bis zum Empfang durch den Vater. Was die Schüler nicht mehr wissen, erzähle ich. Aus diesem Wege ergibt sich die große Zahl von Menschen, die mit dem Bries zu tun haben: Abholer, Sortierer, Post74

fahrer, Packmeister, Postfahrer in Regensburg, ebenda der Sortierer, der Briefträger. Die Kinder lernen begreifen, daß diese Arbeit bezahlt werden mutz, auch das Auto- und Eisenbahnfähren. Sinn der Briefmarke. Eine Neuigkeit führt zum Gebrauch von Telephon, Telegraph. Der Vater schickt Geld an die Mutter. Die Mutter sendet ihm ein Wäschepaket. II. Besuch der Post an der Nymphenburgerstraße. Brief­ markensammlung.

8. Verkehrsplatz.

Eine Wanderung führte uns in den großen Hauptbahnhof. Nun stehen wir an einer ruhigen Stelle in dem Säulengang am Bahnhofplatz und schauen auf das Leben und Treiben. Was es da alles zu sehen gibt für Kinder, die schauen gelernt haben. Noch schöner wär's oben auf dem Dach. Aber es war nicht möglich. Man glaubt es kaum, daß es viele Kinder gibt, die als geborene Großstädter mit acht Jahren den Bahnhvfplatz noch nicht gesehen haben. Es ist aber so. Wenn ich da über den Platz nur in der Schule zu reden begonnen hätte! Neuig­ keiten gibt es für jeden.

Da ich wieder meinen Schulamtsbewerber installiert habe, muh jeder nur 18 frqgenden Schülern antworten. Das geht eben noch.

Und zu Hause geht es an ein Erzählen: vom Schutzmann zu Pferd, vom Auto, von der Trambahn, den Kofferträgern, den Radlern, Handkarren, Fahnenstangen, vom Kaufhaus Tietz, vom Telegraphenamt. Menschen werden geschildert, die erschrocken zur Seite sprangen, die vom Fug kamen, zum Zug gingen. Und ich knüpfe an, warum gerade diese genannten Häuser 75

am Dahnhvfplatz stehen? Warum saft keine Wohnhäuser? Warum man so viel Reklame sieht? Wir schauen uns auch den Rotkreuzplatz noch einmal an und entdecken seinen Verkehr und die Tatsache, daß die Dank und das Kaufhaus hier stehen und das kleine Milchgeschäft in der Seitenstraße betrieben wird.

9. Dorfleben. „Sehr geehrter Herr Kollege t Ich komme heute, obgleich Ihnen ein Unbekannter, mit einem eigentümlichen Wunsch zu Ihnen. Ich bin Lehrer in der Stadt und habe 40 Kinder zu unterrichten und soll ihnen nun etwas vom Landleben erzählen. Sie als Lehrer werden mich verstehen, wenn ich befürchte, daß solches Erzählen wenig fruchten wird. Da­ bei: Ehrlich, unter uns! Ich bin selbst ein geborener Groß­ städter und kenne zwar aus den seligen Hamsterzeiten her manche Bauernpraxis. Aber ob ich nicht doch manches erzählen würde, worüber mich eines Ihrer Bauernbüblein mit Recht verlachen dürfte? Darum bin ich auf den Gedanken gekommen, daß alles klarer und klüger geschehen könne, wenn wir ein richtiges Dorf besuchen könnten. Und weil nun heute die Bahnver­ hältnisse eine große Rolle spielen und außerdem Ihr Dors wunderschön liegt, so recht ein Typ der Landheimat, so sind Sie das Opfer geworden, an das ich mich mit der. Bitte um Einlaß wende. Darf ich Sie mit meinen Rangen besuchen? Ich würde es sehr hoch schätzen, wenn Sie uns beim Schauen behilflich wären. Ich denke an die Besichtigung eines Bauern­ hofes, der Kirche, der Schule, der Felder... Sie wissen ja besser, was für uns sehenswert ist. Vielleicht können wir die Kinder von Stadt und Land vereinen. Glauben Sie nicht, daß dies einen eigentümlichen

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Gedankenaustausch gibt, der vielleicht gar nicht so übel ist, vorab in unserer Zeit, wo ein Deutscher über den andern schimpft, ohne ihn zu kennen?

Mit kolleg. Gruß Ihrer Antwort entgegensehend ..... Noch einmal: ehrlich! Ich habe diesen Versuch noch nicht unternommen. Aber ich würde mir viel von ihm versprechen. Jedenfalls gewinnen die Kinder vom Dorsleben einen be­ stimmten Eindruck, auch von Sprache und Menschenart. Und wenn man hoffen dürfte, daß man in dasselbe Dors einige Male wiederkehren dürste, daß sich die Kinder einander Briefe schrieben... Tor. Immer hoffst du noch.

Aussätzchen zur Heimatkunde. 1. Kaulquappen. 2. Der Regenbogen. 3. An der Tram­ bahn. 4. Im Botanischen Garten. 5. Fahrt in die Ferien­ kolonie. 6. Die Feuerwehr. 7. Das Kaufhaus. 8. Straßen­ reinigung. 9. Die Fischhandlung. 10. Im Isartal. 11. Das Schneeglöckchen. Ein Beispiel: (Die Aussätze sind jetzt 5-, 6- und 7-Sätzer, und die Schüler dürfen selbst immer mehr Selbständiges einfügen in das Klassenmuster). 12. Der Autoreifen. Gestern ist ein Auto aus der Stadt herausgekommen. Bei der Apotheke wollte es um die Ecke biegen. Im Augenblick gab es einen furchtbaren Knall. Einige Leute meinten, man habe geschossen. Ein Reisen war geplatzt. Aber hinten am Wagen war ein Reserverad auf­ geschnallt. Dieses wurde befestigt und die Fahrt ging weiter. Erst zu Hause wird der geplatzte Reisen geflickt. ♦

Eine leider umstrittene Angelegenheit ist der Heimatkundeunterricht in den Oberklassen. Gewiß bedrängt der Stoff anderer Fächer und wäre nichts einseitiger, als den Sach­ unterricht auf das Heimatliche zu beschränken (wie es auch schon gefordert wurde). Die Zeit mit ihren Geboten würde das Ansinnen der Lächerlichkeit preisgeben. Aber das recht­ fertigt nicht, gegenteilig die Heimatkunde ganz auszuschließen, jetzt, wo in den Kindern erst die Fähigkeit zur persönlichen Heimatbetrachtung erwächst. Je klarer die Heimatkunde in den Oberklassen gewonnene Ergebnisse vertieft und bereichert, desto sicherer wird der übrige Sachunterricht seine Einsichten aufbauen können, und ihn hier und dort zugunsten der Heimat­ kunde stofflich beschneiden, heißt nicht, ihn schädigen, sondern verbessern, weil das Weiterabliegende immer noch gesehen, eine versäumte Grundlage aber nur schwer nachgeholt werden kann. Ich schreibe zunächst wieder vom Stofs der Heimatkunde in Oberklassen (5. bis 8. Jahr). A. Erforschung einzelner Heimatgebiete. Das Würmtal. Die Amper zwischen Ammersee und Fürstenfeldbruck. Das Seengebiet zwischen beiden Tälern. Übergang in die Mvorlandschast. Das Dachauer Hinterland. Die Garchinger Heide. Die Zsarauen. Die Lehmzunge bei Föhring. Das Getreideland im Osten Münchens. Der Ebersberger Forst. Das Gebiet der Osterseen. Kohlenlager in Oberbayern. Die Schlierseer Berge. Alte Städte: Augsburg, Freising, Erding, Rosenheim, Berchtesgaden.

B. Beobachtung der Heimat im Hinblick auf

Vorkommen und Verwendbarkeit von Naturprodukten (Landwirtschaft, Bergbau, Forstwirtschaft, Industrie (Wasserkräfte)); Entstehung und Entwicklung von Dörfern, Märkten, Städten (Verwaltung, Verkehr); Wissenschaft und Kunst. C. Was bedeutet für uns die heimatliche Natur? Aufenthalt im Wald, im Moor, an den Seen. Wandern. Sport. Einführung in die Selbstforschung. Naturdenkmäler. Natur und Kunst in der Wohnung zu Hause.

D. Unser Neuhausen: Geologisches, in Verbindung mit Naturgeschichte und Botanik: Hochterrasse. Lehmselder. Hartmannshofer Wald. Was man bei der Erundgrabung der Bennokirche fand. Höhenzahlen: Laim 527, Nymphenburg 516, Fasanerie 489. Moor! Botanisches aus dem Allacher Wald. Was wir in einem Tümpel hinter dem Zollhaus an der Maria Wardstraße finden? Alpenpflanzen auf unseren Wiesen: Primel, Stein­ brech, Glockenblume, Ehrenpreis. Hereinragen von Moorpflanzen: Birke, Mehlprimel, Trollblume, Natternzunge, Enzian, Fettkraut. Geschichte: Hochäcker in der Nähe des Nymphenburger Kanals. Hügelgräber in Menzing und Hartmannshofen, aus der Bronzezeit.

Die Heide zwischen Isar und Würm. („Alte Heide" in Oderwiesenfeld.) Der Name Heidecker in Neuhausen. Bewohner der Heide. Kelten, Römer, Bajuwaren, Mischvolk, Wandermönche. Die wahrscheinliche Gestalt des alten „Huasum". Das Huasum-Geschlecht ist eines der fünf alten baju­ warischen Königsgeschlechter. Der Salzweg. Eine alte Aufzeichnung aus dem Jahre 788. Der Ungarneinsall 955. Späterer Aufbau von Niuwenhusen. Der Mönchsbruder Winthir aus Schäftlarn, ein Säumer um 1150. Predigten. Wirken. Aner­ kennung. Verehrung. Grab am alten Kirchlein bis ins 17. Jahrh. Denkmal, Denkfaule, Winthirstraße und -platz. In Maria Eich Winthiraltar. Fest am 29. Dezember. Die Geschichte des alten Hauserhofes bis Ende des 19. Jahrh. Jetzt: Wirtschaft „Zum alten Hauser­ hos". Sparverein: Die „Hauser". Niuwenhusen als Edelsitz 1164, wechselt wiederholt den Herrn: Schäftlarn, Freising, verschiedene Ge­ schlechter. 1276 wird die Schwaige gebaut. Nymphenburg, jetzt Wirtschaft. Das Aufblühen Münchens. 1362 tritt in Neuhausen zum erstenmal ein Münchner Bürger öffentlich hervor. 1315 gibt es in München eine Neuhauser­ strahe und ein Neuhausertor. Das Landwirtschasrsleben Neuhausens im 15. und 16. Jahrh. Meistersingerzeit: Die Neuhauser Blumbesuchsgründe. Die protestantische Religion in Neuhausen.

Die Entwicklung des folgende Gestalt:

Jagdschlosses.

1601

hat

es

1720 Gründung der Fasanerie. Später verlegt nach Hartmannshosen. 1921 ausgelassen. Iagdgelage. Einführung des Kaffees als Getränk. Jetzige Gestalt -es Schlosses. Bild an der Ostseite.

Der Brand Neuhausens 1705. Ein Knabe hatte Feuer in einer Scheune gelegt. Von der Kirche fielen die Glocken. Kein Wasser. Karl Theodorstiftung. Neuaufbau. 1728 wird durch Türken der Kanal gebaut. Ursprüng­ licher Plan: Wasserweg von Nymphenburg zur Residenz. Nymphenburg als Schloß. Nymphenburger Porzellan. Nymphenburger Straße. Einfluß des kurfürstlichen Hofes auf Neuhausen. 1796 General Moreau in Nymphenburg. Entführung von Kunstschähen. Braun, Die Schule als Heimat.

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Plan von Neuhausen.

a b c d e f g h i k l

— = — — ----= — — = — =

Kanal, östlicher Kessel, Allee nach Nymphenburg, Dorfstraße, Kirche mit Friedhof, Altes Schulhaus, Gasthaus, Schmiede, Zagdgebäube, Hauserhof, Zagdschlöhchen,

Villa, Wirtshaus zum Zagdschlößl, Neues Schulhaus, Apotheke, Bahnwärterhaus, Wirtshaus „Burgfrieden", Winthirsäule, Fußweg zum Eisernen Steg (jetzt Donnersberger-Brücke), u — Eisenbahn nach Landshut, v = Kleinhäusler.

m n o p qu r s t

— — — = — — = =

1801 Napoleon im Schloß. Gardespalier bis zur Residenz. 1801 Das Marsfeld. Seine Bedeutung als Grenze. Exerzierplatz. Der Galgenberg der Münchner. Neuhausen um 1800. Pfarrei Sendling. Landwirt­ schaft. Gemeindebürger. Anlage der Eisenbahn nach Freising. (Landshuter Allee.) Neuhausen um 1870. (Siehe Karte.) Neuhauser Familiennamen: Recht. Guielmo (Ita­ liener!) Hauser. Sambuga. Miller. Ruffini (Italiener!) Stellwagen vom „Burgfrieden" (r)—„Sterngarten". Kleiner gelber Wagen mit einem Pferd. Kostete 10 Pf. Der Kamps um die Selbständigkeit. Einverleibung 1. Januar 1890. Folgen der Einverleibung. Was wir heute noch vom alten Neuhausen sehen? Das jetzige Neuhausen im Verband der Großstadt.

E. München als unsere Heimatstadt. Stadtplan. Das Leben in einer Großstadt. F. Natur und Geschichte.Bayerns. Soweit der Stofs zur Heimatkunde in Oberklassen. Die Fülle kann nicht mehr erschrecken lassen, wenn ich erinnere, daß vier Jahre zur Verfügung stehen und nochmal hinzufüge, daß ich dafür eintrete, ein Stossplan solle eine Auswahl erlauben und keine restlos auszusührende Einheit darstellen. Zweckmäßig füge ich hier Ausblicke vom Heimatkunde­ unterricht aus die übrigen Sachgebiete an, die das wertvolle Wirken der Idee als Unterrichtsgrundsatz zeigen. Die Erd­ kunde wird, sofern man ihre Ergebnisse verstanden, nicht eingeprägt sehen will, die Heimatsorschung gar nicht ent-

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behren können. Bestimmen gewisse Gesetze — oder doch Zusammenhänge, — deren Ansangsglied zumeist im Geolo­ gischen liegt, die Erscheinungen des organischen Lebens und damit auch die der menschlichen Gesellschaft, so mutz es für die Gewinnung erdkundlicher Vorstellungen aus fremden Ländern von grötztem Vorteil sein, das Wesen dieser Bin­ dungen in der heimischen Welt gesehen und verfolgt zu haben. Es ist unnötig, hier noch vom Einzelnen zu sprechen, von der Bedeutung der Bodenschichtung, des Wassers, des Klimas u. a. Ähnlich vermag auch die deutsche Wirtschaftsgeographie

unserer 8. Klasse ihre Ergebnisse besser herauszuarbeiten, wenn sechs Schuljahre heraus das Wirtschaftsleben der eigenen Gemeinde, der Zelle im Verhältnis zum Staat, in bestimmten, klaren Verhältnissen angesehen wurde. Die Geschichte findet für ihre Themen eine reiche An­ schauungswelt in der Heimat vor. Ein kurzes Durchblättern des Lehrplans zeigt uns schon: Reihengräber in Menzing, Elefantenzähne im Sandgrund an der Loristratze, (Archäolo­ gisches Museum in der Neuhaüserstraße,) Pfahlbau auf der Roseninsel, (Deutsches Museum,) Römerwall bei Grünwald, Römerstratze durch den Forstenriederpark, Christianisierung — St. Winthir. Das Kloster Schäftlarn, gotischer und romani­ scher Baustil, llngotn — Brand des Hauserhoses. Entstehung und Entwicklung der Städte, Zünfte, Märkte usw. — München, Meistersingerzeit — Blumbesuchsgründe, Reformation — Iesuitentolleg St. Michael. Schweden in München und Neuhausen. Französischer Einslutz — Feste in Nymphenburg und im Iagdschlötzl. Rokoko, Barock, Renaissance. Napoleon in Nymphenburg... Dabei ist sicher nur die Hälfte beachtet, so das Schlößchen der Agnes Bernauer in Laim, der Bau der Frauenkirche durch Gangkofer, die Einführung von Er­ findungen in München noch ungenannt. Ich möchte nicht jener Richtung, die unsere ganze Geschichte aus den heimat-

lichen Anschauungsstoff gründen und dort, wo er nichts bietet, schweigen will, das Wort reden; aber zweifellos fördert die Heimatforschung als Klassenarbeit viel Wertvolles zutage, was der Wortgeschichtsunterricht, im Gegensatz zum Augen­ geschichtsunterricht, übersah. Wieviele Klassen besuchten früher die Iohanniskirche in der Sendlingerstrahe oder den .Museumsbau in der Prornenadestraßel Daß der Naturgeschichtsunterricht durch das Heimatprinzip gewinnt, bedarf ebenfalls keiner Begründung; muß doch das Heimatschauen aus alle unsere bekannten Tiere und Pflanzen treffen und, während das Auge die Erscheinungen festhält, dem Verstand die Wirkung von Wasser, Licht, Erde, Lust, Wind, organischer Umgebung und Menschennähe zeigen. Nenne ich aber erst den Naturgeschichtsunterricht einen wert­ vollen, der den Schüler in ein Verhältnis der Anteilnahme zu den heimatlichen Pflanzen und Tieren setzt, so daß er das Kommen und Gehen, Blühen und Fruchten beobachtet (wo er früher nur mit dem Stock oder dem Stiefelabsatz zu zerstören wußte), dann rückt die Bedeutung der Heimat­ forschung erst ins rechte Licht. Chemie und Physik werden aus dem heimatlichen Naturund Wirtschaftsleben Anregung und Erkenntnisse erzielen können und die Gesundheitslehre wird schwerlich die Be­ gründung ihrer Forderungen durch Hinweise aus Natur und Klima unserer Hochebene entbehren können. (Haushaltelehre der Mädchen!) Fürchtete ich nicht, Selbstverständliches schreiben zu müssen, so ließe sich im Sprachunterricht (Mundart, Sprachreste, Wortfamilien, Familierüramen, Wortwandlungen. Aufsatz), im Rechnen (als Wissen um Größenverhältnisse), im Zeichnen (Raumkunst, Naturgestalt, Gedächtniezeichnen), im Singen, noch Wertvolles anführen. Immerhin genügt das Wenige, um die Idee der Heimatkunde als Prinzip zu kennzeichnen;

der volle Wert des Grundsatzes offenbart sich schließlich immer nur durch seine Verwirklichung. Ich hoffe, in den wenigen Unterrichtsbeispielen das Not­ wendige über Methode in der Oberklasse im folgenden zu sagen. Lediglich zur Frage des Kartenzeichnens möchte ich noch Einiges erwähnen, ehe ich zum letzten Punkt der Betrach­ tung fortschreite. Eine Heimatkunde, die den Kindern lediglich ein Karten­ bild einprägt, kommt heute wohl nicht mehr in Frage. Ander­ seits aber versäumt ein Unterricht, der den Schülern die äußere Gestalt ihrer Heimat, die Lage und Entfernung der Flüsse, Wälder, Höhenzüge und Wohnorte, kurz ein Karten­ bild, nicht bis zur sicheren Beherrschung einprägt, zweifellos, die Grundlagen der späteren Forschung zu legen. Abgesehen von den Forderungen des praktischen Lebens, die dem eigenen Vorteil dienen, ist im geistigen Leben für den, der seine Heimat wandernd erleben will, ein Überblick nötiger Vorbesih. Unsere schulentlassenen Kinder sollten darum wissen, wo Murnau, Prien, Staltach, wo Eib- und Simsee, wo Rotwand und Heuberg, wo unsere schönsten Dörfer, alten Kirchen, unsere Moore zu finden sind. Ohne Karte sollten sie die Entfernungen in rohen Zahlen beherrschen, die Verkehrsmöglichkeiten kennen und Fahrzeit und -preis errechnen können. Durch wieder­ holtes Kartenzeichnen läßt sich das erreichen. Am Ende einer Einzelbehandlung steht die Karte. Aber ich begnüge mich nicht damit, sie (an der Schultafel) wochenlang zu zeigen, vielmehr muß sie von den Schülern immer wieder gezeichnet werden, am praktischsten aus altes Papier. Anfänglich geht die Arbeit langsam vorwärts, um genau auszufallen; beim oftmaligen Zeichnen stellt sich die Fertigkeit ein. Die Mittel­ klasse zeichnet das bekannte, einfach gehaltene Kartenbild von Südbayern, die Oberklassen bauen in Einzelbehandlungen die Teile aus, so daß der Schüler der 8. Klasse schließlich in

der Lage ist, von Bayern oder wenigstens von Südbayern eine gute, natürlich nicht vollständige Karte aus dem Ge­ dächtnis zu zeichnen, d. h. das Kartenbild gedächtnismäßig zu beherrschen. Der Rechenunterricht liefert die Fertigkeit im'Handhaben eines Maßstabes, so daß sich Entsernungsund Preisberechnung von selbst ergeben. Gewiß ist diese Fähigkeit nicht das Ziel, sondern die Vor­ aussetzung. Weiß der Schüler, was er im Gebiet der Osterseen, im Hinterland Dachaus, im Forst, am Chiemsee, in der Heide, im Mangfalltal, auf der Hochriß an genußreichen Tagen erleben kann; besitzt er die Fertigkeit, solche Ausflüge zu planen; will er die Heimat aus Wanderungen seinem Einblick eröffnen: dann ist das größere Ziel der Heimatkunde erreicht, die Anbahnung eines Lebensverhältnisses zur Heimat. Weiter­ hin haben nicht wir die Gewalt, sondern die Heimat. Mag aus dem Wollen das Finden, aus dem Finden aber Liebe, Treue, Anhänglichkeit und Arbeitsfreude hervorgehen. Dieses Wirken dürfen wir unserem Heimatland überlassen; unsere Aufgabe ist es, vorzubereiten, damit das Leben schaffen kann. Zu kurzer Beleuchtung der Methode erzähle ich wieder aus der Praxis.

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1. Rast. Unsere Fußwanderung hat uns auf die Aussichtsterrasse des Dachauer Schloßgartens geführt. Wir schauen ins Ge­ birge hinein, wir sehen die Großstadt, das Moor im Osten, wir schauen nach Norden hinaus, wo das weite Flachland langsam unseren Blicken entschwindet. Im Anblick alles dessen reden wir von dem und jenem, was aus dem Unterricht in Geschichte, Erdkunde, Geologie ins Gedächtnis zurückkehrt, zwanglos, nicht von mir gerufen. Wir suchen zwischen Baum­ wipfeln die Türme des Freisinger Domes, beobachten Hof

und Land des kleinen Moorbauern, Schloß und modernes Einfamilienhaus der Gesellschaft. Ein ungeheurer Himmel wölbt sich über uns und wir glauben, die Kugelgestalt der Erde im Fernblick erkennen zu können. Ich deute in die Richtung nach der Stadt und frage: Wer findet unser Schulhaus? Niemand. Das Schulhaus, das uns so viel bedeutet, wo wir die meisten Tage zubringen, wo auch in diesem Augenblick 1000 Kinder lernen, versinkt angesichts dieser Überschau ins Kleine, Unsichtbare. Die Knaben stehen im engen Knäuel um mich. „Kinder l Ich weiß nicht, ob es euch auch so zumute ist wie mir. Aber es kommt mir vor, als wäre es da heraußen viel schöner als in der Schule, weil alles viel größer, weiter, freundlicher ist; als gehörten wir zu diesem Land und als müßten wir uns recht freuen, daß dieses weite Land vor uns und dieser Himmel und diese Berge und dort die Stadt und die Wälder und alles unsere Heimat ist. Seht, das gehört alles uns, nicht dem Geld nach, aber nach der Freude, die man darin erleben kann. Da wandert man, da sieht man ein ganzes Leben lang immer wieder etwas Neues, Interessantes, da scheint die Sonne so behaglich und atmet sich die Lust so gut. Hier ist es schön im Sommer, wenn alles blüht und wächst; im Herbst, wenn die Bäume die bunten Farben tragen; vielleicht noch schöner im Winter, wenn aus dem Land die große Schneedecke liegt und an diesen Parkbäumen der Rauhfrost glitzert, oder gar im Frühling beim neuen Grün und der neuen Sonne. Nicht wahr! Darauf kommt es doch an, daß es uns dort, wo wir sind, gefällt, und hier kann es uns gut gefallen. Wenn ich bloß da hinüberschaue zu dem dunklen Streifen: das sind die Isarauen, die wir auch einmal besuchen werden. Oder dort im Süden das Glitzernde, ein See.^ Wir sitzen zumeist dort drinnen in dem Haus, das man jetzt gar nicht einmal sieht. Das ist gut. Denn im engen

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Raum kann man so recht lernen, arbeiten. Da können wir alles überdenken und können