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German Pages 334 [335] Year 2023
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 552
Das Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB
Von
Annalena Schneider
Duncker & Humblot · Berlin
ANNALENA SCHNEIDER
Das Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 552
Das Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB
Von
Annalena Schneider
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover hat diese Arbeit im Jahre 2021 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI Books GmbH, Leck Printed in Germany
ISSN 0720-7387 ISBN 978-3-428-18705-8 (Print) ISBN 978-3-428-58705-6 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Meinem geliebten Vater, dem ich alles zu verdanken habe
Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Immaterialgüterrecht und ITRecht bei Herrn Prof. Dr. Eichelberger, LL.M.oec. Mein besonderer Dank gilt daher Herrn Prof. Dr. Eichelberger für die gute und geduldige Betreuung dieser Arbeit. Seine konstruktiven Anmerkungen und Ideen haben entscheidend zum Gelingen meiner Arbeit beigetragen. Ebenfalls herzlich bedanken möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. Meder für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens und dessen rasche Erstellung. Zudem möchte ich mich bei der Dr. Giesing Stiftung und dem Vorsitzenden Herrn Michael Krebs für die konstruktive und angenehme Zusammenarbeit und die Übernahme der Druckkosten bedanken. Zu verdanken habe ich diese Arbeit – wie schon mein ganzes Studium – meiner Familie und meinen Freunden. Ohne meinen Vater, Rudi Schäfer, ohne meinen Ehemann Zacharias-Alexis Schneider, ohne meinen Bruder, Tim-Bastian Schäfer, ohne meine Oma, Hannelore Naumann, ohne meine Freundin, Janini, ohne die besten Freunde der Welt und ohne ihr Verständnis und ihre Ermutigung, hätte ich diesen langen Weg nicht gehen können. Nicht zuletzt möchte ich mich bei Familie Jagau bedanken, die mich zu dieser Arbeit erst ermutigt hat. Hannover, im November 2022
Annalena Schneider
Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB – Eine erste Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Beweggründe für die Einführung des Hinterbliebenengeldes . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Die Kritik an einer fehlenden Anspruchsgrundlage für ein Angehörigenschmerzensgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2. Der Umsetzungsdruck auf europäischer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Der Einfluss von Großereignissen auf die Einführung des Hinterbliebenengeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 4. Die Konkretisierung eines „Angehörigenschmerzensgeldes“ durch die Entwürfe des bayerischen Staatsministeriums der Justiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Der erste Entwurf des bayerischen Staatsministeriums der Justiz im Jahr 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Der zweite Entwurf des bayerischen Staatsministeriums der Justiz im Jahr 2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 II. Die Nichtberücksichtigung eines Angehörigenschmerzensgeldes durch das 2. SchadÄndG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 III. Das Hinterbliebenengeld im System des Deliktsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Die Struktur der §§ 844, 845 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 a) Der Anspruch des Dritten auf Ersatz der Beerdigungskosten gem. § 844 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 aa) Der Verpflichtete als Anspruchsteller gem. § 844 Abs. 1 BGB . . . . . . 48 bb) Die Höhe der gem. § 844 Abs. 1 BGB zu ersetzenden Beerdigungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 b) Der Anspruch des Dritten auf entgangenen Unterhalt gem. § 844 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 c) Der Anspruch des Dritten wegen entgangener Dienste gem. § 845 BGB 50 2. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
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Inhaltsverzeichnis IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB – die Anspruchsvoraussetzungen auf haftungsbegründender und haftungsausfüllender Ebene . . . . . . . . . . 52 1. Die Voraussetzungen des Hinterbliebenengeldes gem. § 844 Abs. 3 BGB . . . 52 a) Der haftungsbegründende Tatbestand des § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . 53 aa) Das Bestehen einer Ersatzpflicht gegenüber dem Getöteten . . . . . . . . 53 (1) Rechtsgutsverletzung und haftungsbegründende Kausalität . . . . . . 54 (2) Verschulden: Mitverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 bb) Die Anspruchsberechtigung gem. § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . 55 (1) Die Bedeutung des Angehörigenbegriffs in verschiedenen Gesetzestexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 (a) Der Angehörigenbegriff im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (b) Der Angehörigenbegriff im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (2) Die Familie als Kern der Angehörigeneigenschaft . . . . . . . . . . . . . 60 (3) Der Personenkreis der Verwandten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 (4) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 cc) Das besondere persönliche Näheverhältnis als haftungsbegründende Voraussetzung gem. § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 (1) Der Wortlaut von „besonderes persönliches Näheverhältnis“ gem. § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (2) Die teleologische Einordnung des Begriffs „besonderes persönliches Näheverhältnis“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (3) Die Konkretisierung des Begriffs „besonderes persönliches Näheverhältnis“ für nicht privilegierte Personenkreise . . . . . . . . . . . . . . 68 (a) Die Haushaltsgemeinschaft als Kriterium für ein besonderes persönliches Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . 68 (b) Die Heranziehung der Kriterien zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft für das Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB . . 70 (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (4) Die funktionale Betrachtung zur Feststellung eines Näheverhältnisses gem. § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 (6) Die Vermutungsregelung in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB und ihre Widerlegbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 (a) Das besondere persönliche Näheverhältnis als gesetzliche Vermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 (b) Sekundäre Darlegungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (7) Der Zeitpunkt des Vorliegens eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (8) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 b) Der haftungsausfüllende Tatbestand des § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . 81 aa) Das seelisches Leid als Schaden gem. § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . 81
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bb) Angemessene Entschädigung als Rechtsfolge gem. § 844 Abs. 3 BGB 84 (1) Orientierung an der Höhe der immateriellen Entschädigungsbeträge für Schockschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (2) Orientierung an den Bemessungsfaktoren des immateriellen Schadensersatzes gem. § 253 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (3) Das Näheverhältnis als Bemessungsfaktor für eine Entschädigung gem. § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 4. Vererbbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 6. Das Verhältnis zur Schockschaden-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Der Begriff des Schockschadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Die Orientierung an der Schockschaden-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . 93 c) Die Haftung für immateriellen Schadensersatz bei Schockschäden . . . . . . 95 d) Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aufgrund eines Schockschadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 aa) Das Vorliegen einer erheblichen Gesundheitsverletzung gem. § 823 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 bb) Angemessenes Verhältnis zwischen Schock und Anlass . . . . . . . . . . . 97 cc) Anspruchsteller ist naher Angehöriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 dd) Der Umfang des immateriellen Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 e) Die fehlende Vergleichbarkeit zwischen Schockschadensersatz und Hinterbliebenengeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 f) Konsequenzen für das Verhältnis Schockschadensersatz/Hinterbliebenengeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 C. Der immaterielle Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. Die historische Entwicklung des immateriellen Schadensersatzes . . . . . . . . . . . 105 1. Die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden vor der Entstehung des BGB . . . . 106 2. Der immaterielle Schadensersatz nach Entstehung des BGB . . . . . . . . . . . . . 107 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 III. Überblick über das System des immateriellen Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . 111 1. Die Begriffe Schmerzensgeld und immaterieller Schadensersatzanspruch . . . 111 2. Die systematische Stellung des immateriellen Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3. Die Bemessung des immateriellen Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Die Bestimmung des immateriellen Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
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Inhaltsverzeichnis b) Die haftungsausfüllende Funktion des immateriellen Schadensersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 aa) Die Entwicklung der Funktionsbestimmung des immateriellen Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (1) Die Ablösung des Strafcharakters durch die Genugtuungsfunktion 122 (2) Die Genugtuungsfunktion des immateriellen Schadensersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (3) Die Präventionsfunktion des immateriellen Schadensersatzrechts 126 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 bb) Die Schadensanfälligkeit des Geschädigten als Bemessungskriterium 130 cc) Das Mitverschulden des Verletzten als Bemessungskriterium . . . . . . . 130 dd) Das Verschulden des Schädigers als Bemessungskriterium . . . . . . . . . 131 ee) Der Anlass der Verletzungshandlung als Bemessungskriterium . . . . . . 132 ff) Die Vermögensverhältnisse des Geschädigten als Bemessungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 gg) Die Vermögensverhältnisse des Schädigers als Bemessungskriterium 133 hh) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 c) Die Heranziehung von Vergleichsrechtsprechung für die Bemessung der immateriellen Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 4. Die Vererbbarkeit des immateriellen Schadensersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . 139 a) Die ursprüngliche Regelung zum Ausschluss der Vererbbarkeit . . . . . . . . . 139 b) Die Bejahung der Vererbbarkeit des immateriellen Schadensersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 5. Die Rechtsgutsbezogenheit des immateriellen Schadensersatzanspruchs . . . . 140 6. Der Anspruch bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Abgrenzung zum immateriellen Schadensersatz gem. § 253 Abs. 2 BGB . . . . . . 140 a) Die engen Anforderungen der Rechtsprechung an eine Entschädigung aufgrund einer Persönlichkeitsrechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Die Vererbbarkeit des Anspruchs aufgrund einer Persönlichkeitsrechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 c) Der Anspruch aufgrund einer Persönlichkeitsrechtsverletzung als Anspruch sui generis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 d) Die Bestimmung des immateriellen Schadens bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 e) Die Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit als Verletzung des Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 7. Reformbestrebungen vor dem 2. SchadÄndG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 8. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 IV. Das 2. SchadÄndG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Der erste Entwurf zum 2. SchadÄndG aus dem Jahr 1998 . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Der zweite Entwurf zum SchadÄndG aus dem Jahr 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . 156
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3. Die Einführung des § 253 Abs. 2 BGB durch das 2. SchadÄndG . . . . . . . . . . 158 4. Der Einfluss der Neuregelung des § 253 Abs. 2 BGB auf die Funktion des immateriellen Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 5. Reformbestrebungen vs. Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 6. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 7. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 D. Das neue Hinterbliebenengeld vor dem Hintergrund des immateriellen Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 I. Die Rechtsnatur des Hinterbliebenengeldes unter Berücksichtigung des immateriellen Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Das Hinterbliebenengeld als eigenständige Anspruchsgrundlage . . . . . . . . . . 168 2. Die fehlende Rechtsgutsbezogenheit des Hinterbliebenengeldes . . . . . . . . . . 171 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 II. Die Bemessung der Entschädigung des Hinterbliebenengeldes unter Berücksichtigung des immateriellen Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Die Erforderlichkeit der Funktionsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 2. Die Relevanz der Ausgleichsfunktion für das Hinterbliebenengeld auf haftungsbegründender Ebene (Haftungsgrund) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 a) Differenzierung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 b) Die Persönlichkeitsrechtsverletzung des Hinterbliebenen als Haftungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 c) Der Ausgleich seelischen Leids als Haftungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 d) Die Relevanz des durch § 823 BGB geschützten Rechtsguts Leben . . . . . 178 e) Der Rechtsfortsetzungsgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 3. Die Relevanz der Ausgleichsfunktion für das Hinterbliebenengeld auf haftungsausfüllender Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 4. Die Relevanz der Genugtuungsfunktion für das Hinterbliebenengeld auf haftungsausfüllender Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 5. Die Relevanz der Präventionsfunktion für das Hinterbliebenengeld auf haftungsausfüllender Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 7. Die Berücksichtigung des Haftungsgrundes auf haftungsausfüllender Ebene 190 a) Leben als geschütztes Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) „Das Leben als Schaden“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 aa) Anspruch der Eltern aufgrund des „Kindes als Schaden“ . . . . . . . . . . . 192 bb) Der Anspruch des Kindes aufgrund der eigenen Existenz . . . . . . . . . . 193 cc) Anspruch wegen „erlittenem Leben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
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Inhaltsverzeichnis dd) Die Relevanz der Frage nach dem „Leben als Schaden“ für das Hinterbliebenengeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 c) Die Schadensbemessung unter Berücksichtigung des Todeseintritts . . . . . 198 aa) Die Pauschalierung des Entschädigungsbetrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 bb) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 8. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 III. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes unter Berücksichtigung des immateriellen Schadensersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 1. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes unter Berücksichtigung des Arzthaftungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Der Behandlungsvertrag im Arzthaftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 aa) Der Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient . . . . . . . . . . . . . . . 206 bb) Der Behandlungsvertrag zwischen Krankenhausträger und Patient . . . 207 (1) Totaler Krankenhausaufnahmevertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (2) Gespaltener Krankenhausaufnahmevertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (3) Totaler Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag . . . . . 209 b) Die fehlende Relevanz der Nichtberücksichtigung der vertraglichen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 aa) Die vertragliche Haftung für den Erfüllungsgehilfen . . . . . . . . . . . . . . 209 bb) Die deliktsrechtliche Haftung für den Verrichtungsgehilfen . . . . . . . . 210 (1) Die Weisungsgebundenheit des Verrichtungsgehilfen . . . . . . . . . . 211 (2) Die Entlastungsmöglichkeit des Geschäftsherrn . . . . . . . . . . . . . . . 212 (3) Besondere Beweislastregelungen für den Behandlungsvertrag gem. § 630a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes unter Berücksichtigung des Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 a) Der Haftungsausschluss gem. § 104 SGB VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 b) Anwendbarkeit des Haftungsausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 d) Verbleibender Anwendungsbereich im Dienstvertragsrecht . . . . . . . . . . . . 222 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
E. Die Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB auf haftungsbegründender und haftungsausfüllender Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 I. Restriktive Auslegung der Voraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . 228 1. Die Durchbrechung des haftungsrechtlichen Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2. § 844 Abs. 3 BGB als eigenständige Anspruchsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . 231 3. Die Beschränkung der Hinterbliebenengeldentschädigung auf den Ausgleich des Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
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4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 II. Die Voraussetzungen gem. § 844 Abs. 3 BGB auf haftungsbegründender Ebene 234 1. Der Tod als haftungsbegründende oder haftungsausfüllende Voraussetzung des § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 a) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 aa) Differenzierung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 bb) Prozessuale Bedeutung der Differenzierung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 cc) Der Tod als haftungsausfüllende Voraussetzung des § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Meinungsstand zum Tod als haftungsbegründende oder haftungsausfüllende Voraussetzung des § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 aa) Der Tod als haftungsausfüllende Voraussetzung des § 844 Abs. 3 BGB 239 bb) Der Tod als haftungsbegründende Voraussetzung des § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 aa) Sinn und Zweck der § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 241 bb) Abgrenzung der Ersatzpflicht von den haftungsbegründenden Voraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 cc) Kritik an prozessualer Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 e) Konsequenzen für den Zeitpunkt des Vorliegens des Näheverhältnisses . . 243 f) Konsequenzen für die Verjährung des Hinterbliebenengeldanspruchs . . . . 244 g) Konsequenzen für die haftungsbegründende Kausalität im Arzthaftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 h) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 2. Die Feststellung der Anspruchsberechtigung gem. § 844 Abs. 3 BGB im dreistufigen System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Die Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 247 aa) Ehegatten und Lebenspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 bb) Kinder und Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 b) Die Feststellung des besonderen persönlichen Näheverhältnisses außerhalb der Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 250 aa) Drei-Stufen-Prüfung zur Feststellung eines besonderen Näheverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 bb) Personenkreis (Stufe 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (1) Geschwister und Großeltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (2) Nichteheliche Lebensgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (3) Patchwork-Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (4) Andere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
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Inhaltsverzeichnis cc) Geeignete Kriterien für Personen außerhalb der Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB (Stufe 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (1) Haushaltsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (2) Die Dauer der Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (3) Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 (4) Die gemeinsame Sorge und das Sorgeverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . 261 (a) Die gemeinsame Sorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (b) Das Sorgeverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 dd) Funktionale Betrachtung (Stufe 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 ee) Tabellarische Darstellung zu den nicht privilegierten Personenkreisen 265 ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 3. Der Nasciturus im System des Hinterbliebenengeldanspruchs . . . . . . . . . . . . 269 a) Die Anspruchsberechtigung des Nasciturus gem. § 844 Abs. 3 BGB . . . . . 270 aa) Der zivilrechtliche Schutz des Nasciturus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 bb) Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB zwischen Nasciturus und Getötetem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 cc) Seelisches Leid des neugeborenen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 dd) Die Einbeziehung des Nasciturus in den Schutzbereich des Hinterbliebenengeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 b) Die Anspruchsberechtigung im Falle der Tötung des Nasciturus gem. § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 4. Die Vererbbarkeit des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 III. Die Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung gem. § 844 Abs. 3 BGB auf haftungsausfüllender Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 1. Die Berücksichtigung des Verhältnisses zum Schockschaden bei der Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 a) Von der Schockschaden-Rechtsprechung abzugrenzender Haftungsgrund 284 b) Der Einfluss auf die Bemessung der Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 2. Keine Berücksichtigung der Bemessungskriterien zum immateriellen Schadensersatz bei der Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung . . . . . . 287 a) Der Umfang des seelischen Leids als Bemessungskriterium . . . . . . . . . . . 287 b) Die Schadensanfälligkeit des Geschädigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 c) Das Mitverschulden des Verletzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 d) Der Anlass der Verletzungshandlung und das Verschulden des Schädigers 290
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e) Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Geschädigten und Schädigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 3. Das besondere persönliche Näheverhältnis als ausschließliche Bemessungsgrundlage für die Hinterbliebenengeldentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 a) Die das Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB begründenden Kriterien als Bemessungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 aa) Finanzielle Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 bb) Die Dauer der Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 cc) Die Haushaltsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 dd) Die gemeinsame Sorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 ee) Die funktionale Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 b) Die Festsetzung von Ausgangsbeträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 aa) Die Bedeutung des Personenkreises für die Bemessung . . . . . . . . . . . . 299 bb) Eltern und Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 cc) Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 dd) Geschwister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 ee) Nichteheliche Lebensgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 ff) Andere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 gg) Die vorgeschlagenen Ausgangsbeträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 IV. Der Vorschlag für einen Fragebogen als Hilfestellung zur Feststellung der Anspruchsberechtigung gem. § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 I. Kein immaterieller Schadensersatzanspruch i. S. d. § 253 Abs. 2 BGB . . . . . . . . 308 II. Das Näheverhältnis als anspruchsbegründende Voraussetzung gem. § 844 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 III. Das Näheverhältnis als Bemessungsgrundlage auf haftungsausfüllender Ebene 311 IV. Vorschlag zur Festsetzung von Ausgangsbeträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Internetquellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
A. Einführung I. Problemstellung Für den fremdverursachten Verlust eines nahestehenden Menschen sah die deutsche Zivilrechtsordnung bisher nur den Ausgleich materieller Einbußen1 eines Angehörigen vor. Die von Angehörigen empfundene Trauer hat zivilrechtlich bis zur Rechtsänderung keine Berücksichtigung gefunden, wenn die Trauer nicht das Ausmaß einer Gesundheitsverletzung gem. § 823 Abs. 1 BGB erreichte. Fast alle übrigen europäischen Rechtsordnungen gewähren bereits seit einigen Jahren ein „Angehörigenschmerzensgeld“.2 Im Jahr 2017 ist durch das Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld § 844 Abs. 3 BGB in das deutsche Deliktsrecht eingefügt worden.3 Durch § 844 Abs. 3 BGB wird dem Hinterbliebenen, der zu dem Getöteteten in einem besonderen persönlichen Näherverhältnis stand, ein Anspruch gegen den Ersatzpflichtigen auf angemessene Entschädigung für sein erlittenes Leid gewährt. Schon dem Wortlaut der Neuregelung lässt sich die Parallele zum immateriellen Schadensersatz entnehmen: Eine „billige Entschädigung“ sieht auch § 253 Abs. 2 BGB vor, die als zentrale Vorschrift immateriellen Schadensersatz gewährt.4 Ist das subjektive Wohlbefinden aufgrund einer Rechtsgutsverletzung i. S. d. § 253 Abs. 2 BGB beeinträchtigt, kann eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden. Fehlt es an einer Rechtsgutsverletzung gem. § 253 Abs. 2 BGB, greift der in § 253 Abs. 1 BGB normierte Grundsatz, dass immaterielle Schäden nicht durch Geld auszugleichen sind.5 Das BGB gewährt nur ausnahmsweise den Ausgleich eines immateriellen Schadens.6 Würde man das durch § 844 Abs. 3 BGB auszugleichende seelische Leid als Gefühlsschaden einordnen, kann in dem Hinterbliebenengeld ebenfalls eine Entschädigung für einen immateriellen Schaden gesehen werden. Die Besonderheit stellt hierbei nicht die Qualifizierung des seelischen Leids als immaterieller Schaden 1 Vgl. gem. § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB die Beerdigungskosten und die Unterhaltsleistungen. 2 Huber, in: NZV 2012, S. 5. 3 BGBl. I, S. 2421. 4 Vgl. darüber hinaus § 651n Abs. 2 BGB bei aufgewendeter Urlaubszeit. 5 MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 1. 6 Vgl. § 253 Abs. 2 BGB bei Verletzung der genannten Rechtsgüter und § 651n Abs. 2 BGB bei aufgewendeter Urlaubszeit.
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A. Einführung
dar: Entscheidend ist, dass der immaterielle Schaden nach bisher geltendem Recht auf einer Rechtsgutsverletzung beruhen muss. Ein bloßer „Gefühlsschaden“7 ist nach deutschem Zivilrecht nicht ersatzfähig. Für eine immaterielle Entschädigung gem. § 844 Abs. 3 BGB stellt sich deshalb die Frage, worauf sich der immaterielle Schaden bezieht oder ob es an einer Rechtsgutsverletzung ausnahmsweise sogar fehlt. Von dem Schutzcharakter des § 844 Abs. 3 BGB hängt zudem das Verhältnis zwischen den Entschädigungen gem. § 844 Abs. 3 BGB und gem. § 253 Abs. 2 BGB ab. Besondere Relevanz hat die Frage aufgrund der anhaltenden Diskussion über die Beurteilung und Bemessung einer Geldentschädigung bei immateriellen Schäden im deutschen Zivilrecht. Zwar bestimmt § 253 Abs. 2 BGB ausdrücklich, welche Verletzungen für den Geschädigten einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz auslösen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein immaterieller Schaden vorliegt und in welchem Umfang ein Anspruch auf Entschädigung zu gewähren ist, ist aber bis heute umstritten. Die dem immateriellen Schaden zugrunde liegende Rechtsgutsverletzung stellt deshalb eine entscheidende Rechtfertigung für eine Entschädigung in Geld dar.8 Es ist deshalb zu klären, wodurch sich der Ersatz eines immateriellen Schadens im Rahmen des Hinterbliebenengeldes rechtfertigen lässt. In diesem Zusammenhang sind die vom Deutschen Richterbund geäußerten Bedenken zur Einführung des Gesetzes für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld einzubeziehen: „Ein Anspruch auf Entschädigung für immaterielle Schäden Hinterbliebener führt zu einer nicht wünschenswerten Kommerzialisierung persönlicher Schicksalsschläge, für die die Rechtsordnung keinen angemessen Ausgleich schaffen kann.“9
Ob das Hinterbliebenengeld überhaupt einen Ausgleich für einen immateriellen Schaden bezweckt, bildet einen grundlegenden Unterschuchungsschwerpunkt der vorliegenden Arbeit. Die unter Umständen fehlende Rechtsgutsverletzung und das seelische Leid als möglicher Schaden gem. § 844 Abs. 3 BGB könnten eine Beurteilung des Hinterbliebenengeldes als eine dem deutschen Schadensersatzrecht unbekannte, neue Anspruchsgrundlage rechtfertigen. Würde man zu dem Ergebnis kommen, dass der Hinterbliebene selbst keine Rechtsgutsverletzung erlitten hat, kann dieser nur als
7 Der Gefühlsschaden als immaterieller Schaden, der zwar eine psychische Beeinträchtigung bedeutet, das Ausmaß der Körperverletzung aber nicht erreicht (Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 132; Stiegler, Schmerzengeld für Schock- und Trauerschäden, S. 12; Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 52). 8 Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 98; Jauernig/Teichmann, § 253 BGB Rn. 2. 9 Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld, S. 1.
I. Problemstellung
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mittelbar Verletzter einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens durch das seelische Leid geltend machen. Wenn eine Rechtsgutsverletzung des Hinterbliebenen fehlt, führt dies zu der Frage, welche Bedeutung der Tötung des Verletzten durch den Schädiger zukommt. Bisher kennt das deutsche Zivilrecht keine Haftung für den auf einer Tötung beruhenden immateriellen Schaden.10 Eine Kompensation für den Verlust menschlichen Lebens scheidet jedoch grundsätzlich aus, hierfür wäre eine Entscheidung über den Wert des Lebens erforderlich.11 Die durch den Gesetzgeber neu geschaffene Vorschrift wirft weitere Fragen auf: Schon die Voraussetzungen, die für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld vorliegen müssen, hat der Gesetzgeber nicht abschließend definiert. Der Gesetzgeber lässt insbesondere offen, welche Hinterbliebenen gem. § 844 Abs. 3 BGB anspruchsberechtigt sind und was unter einer angemessenen Entschädigung gem. § 844 Abs. 3 BGB zu verstehen ist. Zwar sind ausfüllungsbedürftige Wertbegriffe charakteristisch für die Normen des BGB.12 Im Schuldrecht und im Familienrecht soll die Verwendung von normativen Begriffen zur Verwirklichung von materieller Gerechtigkeit und zur Verpflichtung zu sozialem Ausgleich beitragen.13 Schon das Ziel, „entwicklungsfähiges Recht“ zu schaffen, rechtfertigt eine ausfüllungsbedürftige Rechtssetzung.14 Neben der Frage, welche Anspruchsvoraussetzungen den ausfüllungsbedürftigen Begriffen einer Norm zu entnehmen sind, besteht bei dem Ersatz immaterieller Schäden aber die Besonderheit, dass schon der zu ersetzende immaterielle Schaden an sich nicht definiert ist. So wird auch die Frage nach der möglichen und zulässigen Rechtsfolge auf der Grundlage eines immateriellen Schadens durch den Gesetzgeber offen gelassen. Durch den Tatbestand des besonderen persönlichen Näheverhältnisses i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB und die Rechtsfolge einer angemessenen Entschädigung bedient sich der Gesetzgeber damit unbestimmter Rechtsbegriffe, die der Konkretisierung bedürfen.15 Zu berücksichtigen ist dabei der den Gerichten eingeräumte Ermessensspielraum. Auch wenn das Hinterbliebenengeld bereits vor 3 Jahren in Kraft getreten ist, gibt es
10 Vgl. zu der fehlenden zivilrechtlichen Haftung bei Tötung: Verhandlungen des 45. DJT: Gutachten, Stoll, Bd. I/1, S. 145, 146; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 192; Schramm, Haftung für Tötung, S. 13 ff. 11 MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 105; vgl. zum Wert des Lebens in Kap. D. 12 Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 36. 13 Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 47. 14 Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 339. 15 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 45.
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bisher wenige veröffentlichte Gerichtsentscheidungen, die sich mit den Voraussetzungen für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld näher auseinandersetzen.16 Die Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen hängt deshalb entscheidend davon ab, wie sich der Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB in das schadensersatzrechtliche System einordnet. Es ist von Bedeutung, welcher vorrangige Normzweck dem Hinterbliebenengeld zukommt. Danach richtet sich sowohl die Auslegung der Anspruchsvoraussetzungen, als auch die Bemessung der Entschädigung.17 Die Neuregelung des Hinterbliebenengeldes ist in die deliktsrechtliche Norm des § 844 BGB eingefügt worden. Fraglich ist, ob das Hinterbliebenengeld deshalb auch dem System des Deliktsrechts folgt. Dies würde dazu führen, dass die Erkenntnisse zu Sinn und Zweck sowie Anspruchsvoraussetzungen des neuen Hinterbliebenengeldes mithilfe der Ausgestaltung einer deliktischen Haftungsnorm gewonnen werden könnten. Entscheidend wäre dann die Differenzierung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Ebene.
II. Ziel der Untersuchung Aufgrund der besonderen Ausgestaltung des Hinterbliebenengeldes ist es wesentliches Ziel dieser Arbeit, die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB zu definieren. Die Konkretisierung der Voraussetzungen dient der einheitlichen Rechtsanwendung des Hinterbliebenengeldes. Die Neuregelung ist durch die Einfügung in § 844 BGB im System des Deliktsrechts verortet worden. Es wird deshalb zu klären sein, ob der Anspruch auf Hinterbliebenengeld den Grundsätzen des Deliktsrechts folgt. Wenn sich das Hinterbliebenengeld in das deliktsrechtliche System einfügen sollte, müssen die Voraussetzungen auf haftungsbegründender und haftungsausfüllender Ebene bestimmt werden. Ist das seelische Leid i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB als immaterieller Schaden anzusehen, bedarf es der Konkretisierung, unter welchen konkreten Voraussetzungen seelisches Leid anzunehmen ist. Die Bewertung des immateriellen Schadens wird in besonderem Maße durch subjektive Empfindungen beeinflusst,18 sodass der haftungsausfüllende Tatbestand näher definiert werden müsste. Hierfür kommt es auf die Stellung und Funktion des Hinterbliebenengeldanspruchs im System des Scha16
Vgl. aber LG Tübingen Urt. v. 17. 05. 2019 – 3 O 108/18, DAR 2019, 468, das sich zur Funktion und der Bemessung des Hinterbliebenengeldes äußert. 17 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 39; Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 453. 18 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 53.
III. Gang der Untersuchung
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densersatzrechts an. Es ist zu klären, ob die Entschädigung gem. § 844 Abs. 3 BGB den Grundsätzen des immateriellen Schadensersatzes gem. § 253 Abs. 2 BGB folgt. Wenn die Grundsätze des immateriellen Schadensersatzes auf den Anspruch auf Hinterbliebenengeld nicht übertragen werden können, müssen Kriterien bestimmt werden, nach denen sich die anspruchsbegründenden und anspruchsausfüllenden Voraussetzungen des Hinterbliebenengeldes richten. Im Rahmen des haftungsausfüllenden Tatbestands kommt es entscheidend darauf an, wie der Umfang des immateriellen Schadens zu bestimmen ist und welche weiteren Faktoren die Höhe der Entschädigung beeinflussen können.
III. Gang der Untersuchung Im zweiten Kapitel (B.) erfolgt zunächst ein Überblick über die Beweggründe für die Einführung des neuen Hinterbliebenengeldanspruchs in § 844 Abs. 3 BGB. Die Diskussion zum „Angehörigenschmerzensgeld“19 sowie die Gründe für die Ablehnung eines solchen Anspruchs bis zur Einführung des Hinterbliebenengeldes im Jahr 2017 sind dabei ebenfalls zu berücksichtigen. Anschließend sind anhand der Gesetzesbegründung die Voraussetzungen des Hinterbliebenengeldanspruchs zu bestimmen. Gleichzeitig ist aufzuzeigen, welche offenen Fragen sich hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen ergeben. Für den ausfüllungsbedürftigen Begriff des Näheverhältnisses werden Überlegungen dazu angestellt, welche Personenkreise als Anspruchsteller in Betracht kommen und wodurch sich das Näheverhältnis auszeichnet. Bevor die Voraussetzungen gem. § 844 Abs. 3 BGB näher zu konkretisieren sind, erfolgt in Kapitel C. eine Auseinandersetzung mit dem immateriellen Schadensersatz gem. § 253 Abs. 2 BGB. Aufgrund der Entschädigung für erlittenes seelisches Leid ist davon auszugehen, dass auch das Hinterbliebenengeld einen immateriellen Schaden ausgleichen will. Es bleibt deshalb zu klären, inwiefern sich die Voraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB nach den Voraussetzungen gem. § 253 Abs. 2 BGB richten. Dabei ist auch die Reform des immateriellen Schadensersatzrechts im Jahr 2002 einzubeziehen, bei der der Vorschlag zum Angehörigenschmerzensgeld nicht weiter verfolgt wurde.20
19 In Kap. B. wird der Begriff „Angehörigenschmerzensgeld“ verwendet, da die Diskussion über einen solchen Anspruch in der deutschen Rechtsordnung bis zur Einführung des Hinterbliebenengeldes unter dieser Bezeichnung geführt wurde (vgl. „Einführung eines Anspruchs auf Angehörigenschmerzensgeld“, Hoppenstedt, in: ZRP 2015, S. 18; „Kein Angehörigenschmerzensgeld“, MüKoBGB/Wagner, § 844, 2019, Rn. 3 ff.; „Schockschaden und Angehörigenschmerzensgeld: Neues vom BGH und Gesetzgeber“, Zwickel, in: NZV 2015, S. 214). 20 Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 14/7752.
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A. Einführung
In Kapitel D. wird der Anspruch auf Hinterbliebenengeld unter Heranziehung der Grundsätze zum immateriellen Schadensersatz gem. § 253 Abs. 3 BGB näher untersucht. Durch die in Kapitel C. und D. gewonnenen Erkenntnisse sind in Kapitel E. die Anspruchsvoraussetzungen gem. § 844 Abs. 3 BGB zu konkretisieren. Dabei ist zwischen den haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Voraussetzungen zu differenzieren. Der ausfüllungsbedürftige Begriff des Näheverhältnisses steht dabei im Vordergrund. Kapitel F. schließt die Arbeit schließlich mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Arbeit ab.
B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB – Eine erste Bestandsaufnahme Das Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld ist am 21. Juli 2017 im Bundesgesetzblatt1 verkündet worden und seit dem 22. Juli 2017 in Kraft.2 § 844 BGB ist um folgenden Absatz 3 ergänzt worden: (3) Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.
Um eine Einordnung der Neuregelung des Hinterbliebenengelds in das deutsche Schadensersatzrecht zu ermöglichen, ist eine Auseinandersetzung mit der gesetzgeberischen Umsetzung des Hinterbliebenengeldes erforderlich. Hierfür sind neben den Bestrebungen in der Vergangenheit insbesondere die Gesetzesmaterialien3 und Literaturstimmen zum neuen Gesetz zur Einführung des Hinterbliebenengeldes zu untersuchen.
1
BGBl. S. 2421. BGBl. S. 2424, Art. 12. 3 Im Folgenden wird auf den Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD v. 07. 03. 2017, BT-Drs. 18/11397 Bezug genommen, sofern kein ausdrücklicher Hinweis auf einen anderen Gesetzesentwurf erfolgt. Der Text des Gesetzesentwurfs und die Begründung sind gleichlautend mit dem Text des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung v. 22. 03. 2017, BTDrs. 18/11615. Durch die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz v. 17. 05. 2017, BT-Drs. 18/12421 ist der Gesetzesentwurf BT-Drs. 18/ 11615 für erledigt und der Gesetzesentwurf BT-Drs. 18/11397 für angenommen erklärt worden. Der Inhalt und die Begründung des Referentenentwurfes des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz wurden fast identisch in BT-Drs. 18/11397 übernommen, BTDrs. 18/11397 sieht eine zusätzliche Änderung in § 15 AtomG vor, wonach gem. § 15 Abs. 3 AtomG die Deckungsvorsorge zur Erfüllung von Ansprüchen auf Hinterbliebenengeld nur herangezogen werden darf, wenn dadurch nicht die Deckung der Ersatzansprüche sonstiger Geschädigter beeinträchtigt wird. 2
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
I. Beweggründe für die Einführung des Hinterbliebenengeldes Auch wenn der deutsche Gesetzgeber insbesondere durch den europäischen Druck zur Einführung des Hinterbliebenengeldes veranlasst wurde,4 haben weitere Impulse die Einführung eines Anspruchs für Hinterbliebene vorangetrieben.
1. Die Kritik an einer fehlenden Anspruchsgrundlage für ein Angehörigenschmerzensgeld In der rechtswissenschaftlichen5 und rechtspolitischen6 Diskussion war die Frage nach einem „Angehörigenschmerzensgeld“7 schon vor der Einführung des neuen Hinterbliebenengeldes Gegenstand von kontroversen Auseinandersetzungen. Sowohl die Einführung als auch die Ausgestaltung eines Angehörigenschmerzensgeldes sind bis zur Einführung des Hinterbliebenengeldes im Jahr 2017 beständig und anhaltend diskutiert worden.8 Einer der ersten Vorschläge, der inhaltlich dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld ähnelt, enthält ein von Hans Stoll für den 45. Deutschen Juristentag9 im Jahr 1964 erstelltes Gutachten, das die Erforderlichkeit einer Neuregelung für die Ersatzpflicht immaterieller Schäden untersuchte.10 Darin spricht sich Stoll – unter Betonung der Erforderlichkeit einer Entschädigung für erlittenes Leid, die unabhängig davon bestehen solle, ob der Angehörige auch die Voraussetzungen für den Ersatz eines Vermögensschadens erfüllt – für einen Entschädigungsanspruch eines Angehörigen für „erlittene Unbill“ aus.11 Im Vordergrund des Gutachtens aus 1964 stand jedoch die grundsätzliche Einführung eines Anspruchs auf Ersatz des immateriellen Schadens, sodass die spezielle Forderung nach einer angemessenen Entschädigung für Angehörige ohne nähere Ausgestaltung blieb.12 4
BT-Drs. 18/11397, S. 8; Huber, in: NZV 2012, S. 5; Janssen, in: ZRP 2003, S. 156. Diederichsen, in: DAR 2011, S. 122; Hoppenstedt, in: ZRP 2015, S. 18; Huber, in: NZV 2012, S. 5; Janssen, in: ZRP 2003, S. 156; Kuhn, in: SVR 2012, S. 288; Schubert, in: Karlsruher Forum 2016, S. 33 f.; Schwintowski, in: VUR 2016, S. 18; Wiedemann/Spelsberg-Korspeter, in: NZV 2012, S. 471; Zwickel, in: NZV 2015, S. 214. 6 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD 18. Legislaturperiode v. 27. 11. 2013, S. 102; „Angehörige wollen Schmerzensgeld einklagen“, in Deutschlandfunk v. 17. 03. 2016; „Unwürdiges Geschacher um Familienentschädigung“ in Welt v. 23. 07. 2015. 7 Vgl. „Schockschaden und Angehörigenschmerzensgeld: Neues vom BGH und Gesetzgeber“, Hoppenstedt, in: ZRP 2015, S. 18; „Kein Angehörigenschmerzensgeld“, MüKoBGB/ Wagner, 2019, § 844 Rn. 3 ff.; „Einführung eines Anspruchs auf Angehörigenschmerzensgeld“, Zwickel, in: NZV 2015, S. 214. 8 Hoppenstedt, in: ZRP 2015, S. 18; Huber, in: NZV 2012, S. 5; Janssen, in: ZRP 2003, S. 156; Weller/Rentsch/Thomale, in: NJW 2015, S. 1909; Zwickel, in: NZV 2015, S. 214. 9 Der Deutsche Juristentag wird im Folgenden mit DJT abgekürzt. 10 Verhandlungen des 45 DJT: Gutachten, Stoll, Bd. I/1, S. 145. 11 Verhandlungen des 45 DJT: Gutachten, Stoll, Bd. I/1, S. 145, 146. 12 Verhandlungen des 45 DJT: Gutachten, Stoll, Bd. I/1, S. 163. 5
I. Beweggründe für die Einführung des Hinterbliebenengeldes
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Der 15. Deutsche Verkehrsgerichtstag 1977 thematisierte zwar ein konkretes Angehörigenschmerzensgeld, lehnte immateriellen Schadensersatz für Angehörige aber noch mehrheitlich ab.13 Ein Angehörigenschmerzensgeld sei zwar rechtlich realisierbar, es würden aber keine überzeugenden Argumente für eine solche Reform sprechen.14 Ausschlaggebend war dabei die ablehnende Haltung, dass psychisches Leid keine Gesundheitsbeeinträchtigung darstelle und der Schmerz der Angehörigen deshalb nicht in Geld fassbar sei.15 Trotz der ausdrücklichen Ablehnung im Jahr 1977 hatte das bayerische Staatsministerium im Jahr 1988 einen Vorentwurf zur Einführung eines Angehörigenschmerzensgeldes erarbeitet, das Justizministerium lehnte den Vorschlag aber ab.16 Die Reform des Schadensersatzrechts im Jahr 200217, die eine Ausweitung des immateriellen Schadensersatzes zum Gegenstand hatte, erteilte dem Angehörigenschmerzensgeld eine Absage. In der Literatur aber hat die Diskussion um das Angehörigenschmerzensgeld nach der Änderung des Schadensersatzrechts in 2002 an Intensität gewonnen.18 Zuvor stand die Ausweitung des immateriellen Schadensersatzanspruchs auf die Gefährdungs- und Vertragshaftung im Vordergrund, sodass die Frage nach einem speziellen Anspruch für Angehörige zunächst eine untergeordnete Rolle spielte.19 Bevor die konkrete Ausgestaltung eines Angehörigenschmerzensgeldes durch die bayerischen Gesetzesentwürfe erfolgte, fand die Diskussion ihren vorläufigen Abschluss mit dem Gutachten von Gerhard Wagner zum 66. DJT im Jahr 2006, der sich mit der Entwicklung des Schadensersatzrechts befasste und auch die Einführung des Angehörigenschmerzensgeldes zum Gegenstand hatte.20 Die Einführung eines Angehörigenschmerzensgeldes hätte zwar keine Priorität, würde aber zur Harmonisierung der europäischen Rechtsordnungen beitragen.21 Wagner schlägt in diesem Gutachten deshalb die Ergänzung des § 844 BGB durch einen dritten Absatz vor.22 13
Hertel, in: 15. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 174; Moog, in: VersR 1978, S. 304. Hertel, in: 15. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 175. 15 Hertel, in: 15. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 176, 177. 16 Huber, in: NZV 1998, S. 345 (351); Schramm, Haftung für Tötung, S. 407; Staudinger, in: 50. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 22. 17 Auf das 2. Schadensersatzrechtsänderungsgesetz aus 2002 wird in Kap. C. näher eingegangen. 18 Hoppenstedt, in: ZRP 2015, S. 18; Huber, in: NZV 2012, S. 5; Janssen, in: ZRP 2003, S. 156; Schramm, Haftung für Tötung, S. 407; Weller/Rentsch/Thomale, in: NJW 2015, S. 1909; Zwickel, in: NZV 2015, S. 214. 19 Bollweg, in: NZV 2000, S. 185; Deutsch, in: ZRP 1998, S. 291; Deutsch, in: ZRP 2001, S. 351; Kürschner, in: NZV 1995, S. 6. 20 Verhandlungen des 66. DJT: Gutachten, Wagner, Bd. I S. A 65; Schramm, Haftung für Tötung, S. 407. 21 Verhandlungen des 66. DJT: Gutachten, Wagner, Bd. I S. A 65. 22 Verhandlungen des 66. DJT: Gutachten, Wagner, Bd. I S. A 65. 14
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
Anders als Stoll, sieht Wagner die Einführung eines solchen Schmerzensgeldes zwar kritischer, hält die vorgebrachten Einwände aber für vermeidbar.23 Zwar sei der Ausgleich eines immateriellen Schadens durch das Angehörigenschmerzensgeld nicht möglich, eine Einmalzahlung würde aber den Übergang für den Hinterbliebenen erleichtern. Zudem sei es widersprüchlich, dass § 844 BGB nur den Ersatz von materiellen Schäden für Dritte vorsehe.24 Dennoch sprach sich auch auf dem 66. DJT noch eine knappe Mehrheit gegen die Einführung eines Angehörigenschmerzensgeldes aus.25 Im Jahr 2012 sprach der 50. Deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar eine Empfehlung für einen Entschädigungsanspruch naher Angehöriger aus.26 Als Symbol für Mitgefühl und aus Gründen der Genugtuung solle Ehe- und Lebenspartnern sowie Eltern und Kindern ein gesetzlicher Entschädigungsanspruch im Fall der fremdverursachten Tötung zustehen. Die Bemessung der Anspruchshöhe sei den Gerichten überlassen.27 Im Rahmen der Vorträge und Referate, die die Empfehlung beinhalteten, wurden unterschiedliche Ansätze vorgeschlagen. Eine Verortung des Entschädigungsanspruchs in § 844 BGB (oder als § 844a BGB-E) wurde mehrfach vertreten.28 Für möglich gehalten wurde aber auch eine richterrechtliche Alternative, bei der ein solcher Entschädigungsanspruch als sonstiges Recht i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB aus dem gem. Art. 1 i. V. m. Art. 6 GG grundrechtlich geschützten Kernbereich der Familie herzuleiten wäre.29 Daneben wurde verlangt, dass die Anspruchsberechtigung für den Ersatz von Schockschäden weniger strengen Voraussetzungen unterliegen sollte.30 Dieses beträfe die Substantiierungslast hinsichtlich der Gesundheitsschädigung, für die auch keine zu hohen Anforderungen an die Kausalität bestehen dürften.31 Auffallend an der verkehrsgerichtlichen Diskussion war aber die grundlegende Kritik, die an einer Entschädigung für Angehörige geäußert wurde: Aufgrund der fehlenden Rechtsgutsverletzung könne ein solcher Anspruch nicht im Deliktsrecht verankert werden, eine Entschädigung durch zivilrechtliche Vorschriften sei problematisch.32 Dies widerspräche dem im Deliktsrecht geltenden Tatbestandsprinzip, eine Anknüpfung an die Tötung ohne eigene Gesundheitsverletzung sei ein 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32
Verhandlungen des 66. DJT: Gutachten, Wagner, Bd. I S. A 64. Verhandlungen des 66. DJT: Gutachten, Wagner, Bd. I S. A 65. Verhandlungen des 66. DJT: Gutachten, Wagner, Bd. II/1 S. L 90. Empfehlung des Arbeitskreises I des 50. Deutschen Verkehrsgerichtstags 2012. Empfehlung des Arbeitskreises I des 50. Deutschen Verkehrsgerichtstags 2012. Reidel, in: 50. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 29. Reidel, in: 50. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 27. Reidel, in: 50. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 29. Reidel, in: 50. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 26. Reidel, in: 50. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 10.
I. Beweggründe für die Einführung des Hinterbliebenengeldes
29
„Fremdkörper im deutschen Deliktsrecht.“33 Zudem sei anderen europäischen Rechtsordnungen ebenfalls keine geeignete Ausgestaltung für einen solchen Anspruch gelungen, die in Griechenland34 beispielsweise gewährten Beträge seien deutlich zu hoch.35 In den Jahren 2012 und 2015 legte das bayerische Justizministerium Diskussionsentwürfe vor, die konkrete Vorschläge für die gesetzliche Gestaltung des Angehörigenschmerzensgeldes enthielten.36 Die bayerischen Entwürfe trugen dazu bei, dass sich die Diskussion in der folgenden Zeit weiter auf die konkrete Ausgestaltung eines Entschädigungsanspruchs für Angehörige konzentrierte. Im Kern ging es um Fragen wie die Beschränkung des Angehörigenschmerzensgeldes auf Todesfälle, den Kreis der Anspruchsberechtigten und die Geeignetheit von Pauschalbeträgen.37 Die Grundlage für das neue Gesetz zum Hinterbliebenengeld schaffte der Koalitionsvertrag der 18. Wahlperiode vom 14. Dezember 2013 zwischen CDU, CSU und SPD, der vorsah, dass Angehörigen für erlittenes Leid ein selbstständiger Entschädigungsanspruch zustehen soll.38 Darauf folgte am 7. März 2017 der hier zitierte Gesetzesentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD.39 Am 22. Juli 2017 ist die neu eingefügte Regelung des § 844 Abs. 3 BGB in Kraft getreten.40
33
Reidel, in: 50. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 8. Die griechischen Gerichte sprächen als „Schmerzensgeld“ Kindern bei verunglückten Eltern Beträge in Höhe von jeweils 40.000 bis 150.000 Euro pro Elternteil zu, Eltern bei verunglückten Kindern 40.000 bis 95.000 Euro, Geschwistern 10.000 bis 70.000 Euro, Großeltern jeweils 15.000 bis 45.000 Euro, Enkelkindern jeweils 5.000 bis 30.000 Euro, Eheleuten 40.000 bis 80.000 Euro zu (Absatzis, in: DAR 2009, S. 573 (576)). Laut Absatzis würden diese Angaben aus Urteilen stammen, die in „Band 2007“ der Zeitschrift Epitheorisi Sygkoinoniakou Dikaiou stammen (Absatzis, in: DAR 2009, S. 573 (576)). 35 Reidel, in: 50. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 8. 36 Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Rechtsstellung der Angehörigen von Unfallopfern, Bayerisches Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Stand: 15. Februar 2012; Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Rechtsstellung der Angehörigen von Unfallopfern und zur Änderung des § 1374 Absatz 2 BGB. Auf die Entwürfe wird in diesem Kapitel noch näher eingegangen. 37 Hoppenstedt, in: ZRP 2015, S. 18; Huber, in: NZV 2012, S. 5; Janssen, in: ZRP 2003, S. 156; Weller/Rentsch/Thomale, in: NJW 2015, S. 1909; Zwickel, in: NZV 2015, S. 214. 38 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD 18. Legislaturperiode v. 27. 11. 2013, S. 102. 39 BT-Drs. 18/11397. 40 Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld v. 17. 07. 2017, BGBl. 2017 I 2421. 34
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
2. Der Umsetzungsdruck auf europäischer Ebene Die Gesetzgebung und Rechtsprechung in anderen europäischen Rechtsordnungen41 zu immateriellen Ansprüchen von Angehörigen haben die Entstehung des Gesetzes zur Einführung eines Hinterbliebenengeldes in Deutschland wesentlich beeinflusst. So wird die Einführung des § 844 Abs. 3 BGB durch die Gesetzesbegründung und Literatur mit der Anpassung des deutschen Rechts an andere europäische Rechtsordnungen begründet.42 In Europa wird Angehörigen überwiegend eine über die erlittene Körperverletzung hinausgehende Entschädigung gewährt.43 Die Länder des romanischen Rechtskreises Frankreich, Spanien, Italien, Belgien und Portugal bejahen einen Anspruch auf Angehörigenschmerzensgeld.44 Im Jahr 2011 wurde von fast allen europäischen Ländern ein „Schockschaden-Schmerzensgeld45 mit Krankheitswert“ anerkannt, viele europäische Rechtsordnungen46 bejahten zu diesem Zeitpunkt schon ein „Trauerschmerzensgeld ohne Krankheitswert“.47 Entweder ist eine ausdrückliche Regelung in der einzelnen Rechtsordnung vorhanden, oder der Anspruch wird durch richterliche Rechtsfortbildung begründet.48 Während in Österreich Trauerschmerzensgeld jahrelang abgelehnt wurde, entschied der Oberste Gerichtshof49 in Österreich im Jahr 2001 anders. Durch die Bejahung einer Analogie zu vorhandenen Vorschriften erkannte der OGH den „Seelenschmerz“ als ersatzfähigen Schaden an. Es wurde aber gefordert, dass der
41 In unterschiedlichem Umfang wird in folgenden europäischen Rechtsordnungen ein „Angehörigenschmerzensgeld“ gewährt: Belgien, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Kroatien, Luxemburg, Norwegen, Polen, Portugal, Österreich, Schottland, Schweiz, Serbien, Slowenien, Spanien, Schweden, Türkei, Ungarn; vgl. Nachweise in Deutsch, in: ZRP 1998, S. 291; Huber, in: NZV 2012, S. 5 (6); Janssen, in: ZRP 2003, S. 156; Kadner Graziano, Europäisches Deliktsrecht, S. 13, Stand: 2003; Kauert/Mebs/Schmidt, Kausalität: forensische Medizin, S. 257; Koziol, in: Tort and Insurance Law 2003, S. 203 (205); Kuhn, in: SVR 2012, S. 288 (289); Odersky, Schmerzensgeld bei Tötung naher Angehöriger, S. 19, 28; Stoll, Haftungsfolgen, S. 360; Wagner, in: JZ 2004, S. 319 (325). 42 BT-Drs. 18/11397, S. 8; Hoppenstedt/Stern, in: ZRP 2015, S. 18 (20); Janssen, in: ZRP 2003, S. 156 (157); Kuhn, in: SVR 2012, S. 288; Staudinger, in: NJW 2006, S. 2433 (2435); Zwickel, in: NZV 2015, S. 214 (216). 43 Die Darstellung der rechtlichen Behandlung der Entschädigung für Angehörige in anderen europäischen Ländern erfolgt beispielhaft ohne Anspruch auf Vollständigkeit. 44 Huber, in: NZV 2012, S. 5 (7); Janssen, in: ZRP 2003, S. 156. 45 Die Begrifflichkeiten stammen aus dem österreichischen Schadensersatzrecht, vgl. Danzl, in: 200 Jahre ABGB, S. 1636. 46 Vgl. dazu Fn. 61. 47 Danzl, in: 200 Jahre ABGB, S. 1665. 48 Huber, in: NZV 2012, S. 5 (6). 49 Der Oberste Gerichtshof in Österreich wird im Folgenden OGH abgekürzt.
I. Beweggründe für die Einführung des Hinterbliebenengeldes
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Schädiger vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt haben musste.50 In Frankreich, Belgien und Luxemburg existieren deliktische Generalklauseln, auf dessen Grundlage die Rechtsprechung einen Anspruch anerkennt. Hier wird ein Anspruch auch im Falle einer schweren Verletzung eines Angehörigen bejaht. In den Kreis der Anspruchsberechtigten fallen auch faktische Familienangehörige wie Lebensgefährten.51 In Schottland und Irland ist das Angehörigenschmerzensgeld gesetzlich verankert. Dafür sind die Anspruchsvoraussetzungen meistens strenger. Auch in osteuropäischen Ländern hat das Angehörigenschmerzensgeld auf verschiedenem Weg Einzug erhalten.52 Dabei bestehen insbesondere große Unterschiede hinsichtlich des Anspruchsumfangs und den materiellen Voraussetzungen:53 Während viele europäische Länder Entschädigungssummen in Höhe von 5.000 Euro bis 30.000 Euro zusprechen,54 bejaht Italien auch Entschädigungssummen in Höhe von 100.000 Euro.55 Die häufigsten Unterschiede bestehen für den Kreis der Anspruchsberechtigten: Während beispielsweise die Schweiz nur engen Familienangehörigen einen Anspruch gewährt, bejahen die französische und italienische Rechtsprechung auch Ansprüche für „Pflegekinder“ und „Lebensgefährten“ als „faktische Familienangehörige“.56 Ein Blick auf das europäische Ausland zeigt, dass hier Leid und erlittene Trauer schadensersatzrechtlich berücksichtigt und als ersatzfähiger Schaden anerkannt werden. Der Anwendungsbereich wird in einigen Ländern erheblich dadurch erweitert, dass Angehörige bereits im Falle einer schweren Verletzung Entschädigungen erhalten. Nicht zuletzt haben auch die Bemühungen um ein europäisches Privatrecht das deutsche Gesetzesvorhaben vorangetrieben. Zu nennen sind die Arbeiten im Rahmen des Projekts eines Gemeinsamen Referenzrahmens im Auftrag der EU-Kommission57 aus dem Jahr 2009 (Draft Common Frame of Reference (DCFR)).58 Das Projekt beinhaltet ein Regelwerk, das das Vertrags- und Vermögensrecht der EU-Mitgliedstaaten darstellt und diese einem Vergleich zugänglich macht.59 Dieses Re50
OGH Urt. v. 16. 05. 2001 – 2 Ob 84/01v, NZV 2002, 26. Janssen, in: ZRP 2003, S. 156. 52 Janssen, in: ZRP 2003, S. 156. 53 Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass die genannten Beträge womöglich auch eine Entschädigung für die entstandenen materiellen Schäden beinhalten. Je nach den gesetzlich vorgesehenen Anspruchsvoraussetzungen könnte die Rechtsfolge den Ersatz der materiellen und immateriellen Schäden erfassen. 54 Huber, in: NZV 2012, S. 5 (9). 55 Höke, in: NZV 2014, S. 1; Schultzky, in: VersR 2011, S. 857. 56 Kadner, in: ZEuP 2002, S. 834; Kuhn, in: SVR 2012, S. 288. 57 BeckOGK/Wendland Rom I-VO Artikel 3 Rn. 89. 58 Jansen/Zimmermann, in: NJW 2009, S. 3401; MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 554. 59 Jansen/Zimmermann, in: NJW 2009, S. 3401; Schulte-Nölke, in: NJW 2009, S. 2161. 51
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gelwerk ist bisher aber nicht als rechtsverbindlich durch die europäischen Mitgliedstaaten erklärt worden.60 Der Entwurf ist Teil der rechtspolitischen Diskussion über die Harmonisierung der Privatrechte, die für die meisten Rechtsordnungen eine erhebliche Haftungsausweitung bedeuten würde. Die Verwirklichung einer Vereinheitlichung der europäischen Haftungssysteme ist nicht zuletzt aufgrund des Brexit in naher Zukunft unwahrscheinlich.61 Der Entwurf eines gemeinsamen Referenzrahmens bestätigt aber, dass eine Regelung für Angehörige allgemein anerkannt und begrüßt wird.62 Der 50. Deutsche Verkehrsgerichtstag nahm den DCFR Entwurf zum Anlass, das Für und Wider für ein Angehörigenschmerzensgeld zu diskutieren.63 Das VI. Buch des DCFR, das Vorschläge zur außervertraglichen Haftung enthält, beschäftigt sich mit dem „rechtlich relevanten Schaden“ und versucht sich dabei an der Bestimmung des Vermögens- und des Nichtvermögensschadens. Dabei enthält Art. VI.-2:202 DCFR den Fiktionstatbestand64, dass schon bei Personenschäden ein Anspruch für diejenigen, die in einem besonderen Näheverhältnis zu dem Verletzten stehen, begründet sein soll65: „Non-economic loss caused to a natural person as a result of another’s personal injury or death is legally relevant damage if at the time of injury that person is in a particulary close personal relationship to the injured person.“
Einen solchen Vorschlag enthalten auch schon die Principles of European Tort Law (PETL) in Art. 10-301 PETL:66 „(1) … Non-peciuniary damage can also be the subject of compensation for persons having a close relationship with a victim suffering a fatal or very serious non-fatal injury.“
Die nicht rechtsverbindliche Zusammenstellung gemeinsamer VertragsrechtGrundsätze wurde von der European Group Law in Kooperation mit dem European Centre of Tort and Insurance Law im Jahr 2005 veröffentlicht. Hierbei handelt es sich ebenfalls um ein europäisches Rechtsvereinheitlichungsprojekt.67 Beide Vorschläge sind tatbestandlich weit gefasst: Personenschäden sind ausreichend, um bei nahestehenden Personen einen Nichtvermögensschaden zu begründen. Zudem ist die
60
MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 115. MüKoBGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 113; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 115. 62 Born, in: NZV 2012, S. 118. 63 Vgl. Empfehlungen des Arbeitskreises I des 50. DVT. 64 So zumindest von Schulte-Nölke, in: NJW 2009, S. 2161 bezeichnet. 65 MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 554. 66 Schultzky, in: VersR 2011, S. 857; in englischer und deutscher Sprache abrufbar unter http://www.egtl.org/. 67 BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 199; Jansen bezeichnet die European Group on Tort Law als „gedanklichen Rahmen für künftige Diskussionen zum europäischen Haftungsrecht“, Jansen, in: RabelsZ 2006, S. 736 (752). 61
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Anspruchsberechtigung nur dahingehend eingeschränkt, dass eine persönliche Beziehung zum Zeitpunkt der Verletzung vorgelegen haben muss. Die genannten europäischen Rechtsvereinheitlichungsprojekte haben ebenfalls einen Beitrag zur Einführung des neuen Hinterbliebenengeldes im deutschen Recht geleistet. 3. Der Einfluss von Großereignissen auf die Einführung des Hinterbliebenengeldes Bereits den 20. Jahrestag hat das Zugunglück in Eschede vom 3. Juni 1998 mit 101 Todesopfern hinter sich gelassen.68 Der Zug war aufgrund defekter Radreifen entgleist. Der Sprecher der Selbsthilfe Eschede, der anlässlich des 10. Jahrestages des Zugunglücks sprach, bezeichnete die von der Deutschen Bahn AG freiwillig gezahlte Entschädigung in Höhe von 30.000 Mark je Todesopfer als „Beleidigung“ für die Beteiligten im Vergleich zum Schaden und den angefallenen Ausgaben wie den Prozesskosten.69 Es wurden zahlreiche Klagen durch Angehörige wegen immateriellen Ansprüchen gegen die Deutsche Bahn AG erhoben. Der Bundesrat hatte als Reaktion auf das Unglück im gleichen Jahr noch eine Entschließung zur Einführung eines Entschädigungsanspruchs in Fällen der Gefährdungshaftung veröffentlicht.70 Die rechtspolitische Debatte wurde durch das Unglück vorangetrieben. Besonders eindrücklich in der jüngsten Vergangenheit zu dieser Diskussion beigetragen haben Unfallereignisse, die sich außerhalb des deutschen Rechtsraums ereignet haben. So stürzte am 25. Juli 2000 die von einer deutschen Reederei gecharterte Concorde der Air France auf dem Weg von Paris nach New York mit 96 deutschen Fluggästen ab.71 Insgesamt kamen 113 Personen ums Leben. Für die Forderungen der Hinterbliebenen war zunächst zu klären, welches Recht hier zur Anwendung kommen konnte. Gem. Art. 40 EGBGB wurde das Tatortprinzip angewendet, wonach Ansprüche aus unerlaubter Handlung dem Recht des Landes folgen müssen, in dem das schädigende Ereignis stattgefunden hat.72 Die Anwendung des französischen Rechts zeigte auf, dass deutschen Angehörigen nun eine Entschädigung zugesprochen werden konnte, die es so im deutschen Recht nicht gab. Zudem wurde erwogen, aufgrund der Beteiligung US-amerikanischer Unternehmen,73 Klagen vor den amerikanischen Gerichten zu erheben, umso höhere Schadensersatzsummen zu erstreiten.74 68
Gedenken an Zugunglück in Eschede, ZDF v. 03. 06. 2018. Zugunglück von Eschede, die Trauer der Hinterbliebenen, Kölner Stadt-Anzeiger v. 03. 06. 2018; Schmerzensgeld als Beleidigung, Süddeutsche Zeitung v. 11. 05. 2010. 70 BR-Drs. 554/98. 71 Concorde-Absturz: 113 Menschen sterben bei Absturz nahe Paris, Welt. 72 Jeinsen, in: VersR 2002, S. 30. 73 Beteiligt war z. B. die amerikanische Fluggesellschaft Continental Airlines (Die Amerikaner schuldig, die Franzosen nicht, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 06. 12. 2010). 69
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Der German Wings-Absturz aus dem Jahr 2015 wird immer wieder als Auslöser für die Einführung des Hinterbliebenengeldes genannt.75 Die Maschine war am 24. März 2015 in den französischen Alpen absichtlich zum Zweck eines vermutlichen Suizids des Piloten abgestürzt.76 Die Deutsche Lufthansa AG leistete an jede Familie der Opfer 50.000 Euro Soforthilfe und eine Entschädigung in Höhe von 10.000 Euro. Zudem wurde eine Entschädigung in Höhe von 25.000 Euro als Entschädigung der Verstorbenen an die Erben gezahlt.77 Dabei handelte es sich um den Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aufgrund der unerlaubten Handlung des Piloten, der in der Person des Passagiers entstanden war und mit dessen Tod auf den Angehörigen als Erben übergegangen war. Die Deutsche Lufthansa AG (wie auch damals die Deutsche Bahn AG im Rahmen des Unglücks von Eschede), beruft sich darauf, dass die Zahlungen deutlich über der gesetzlichen Entschädigungspflicht liegen würden.78 Dagegen kritisieren die Angehörigen gegenüber der Deutschen Lufthansa AG, dass kein ausreichendes Schuldeingeständnis erfolgt sei und keine ausreichenden Zahlungen geleistet worden seien.79 Medien berichten zudem über die Haftungssummen, die für US-Passagiere möglich seien.80 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Unternehmen tatsächlich nicht verpflichtet waren, solche Soforthilfen an Angehörige zu zahlen. Es besteht zwar grundsätzlich die Verpflichtung zur Zahlung des für den Passagier entstandenen Schadensersatzanspruchs an die Erben. Die unmittelbar an die Angehörigen gerichteten Zahlungen sind aber auf freiwilliger Basis erfolgt. Die Kritik der Angehörigen beruht deshalb auf der fehlenden gesetzlichen Grundlage, durch die eigene Ansprüche der Angehörigen möglich gewesen wären. Daraufhin sah der Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2013 vor, dass eine Regelung zur Verbesserung des Schutzes von Angehörigen einzuführen sei.81 Das German Wings-Unglück brachte sodann den zweiten Gesetzesvorschlag des bayerischen Staatsministeriums der Justiz hervor.82 Anhand des Vorschlags des bayerischen Ministeriums wurde diskutiert, ob ein Anspruch auf Angehörigenschmerzensgeld
74 Biehler, Auswärtige Gewalt, S. 274; Jeinsen, in: VersR 2002, S. 30; laut der Presse wurde jedenfalls Klage in den USA für Angehörige erhoben, vgl. Angehörige der Concorde-Opfer erhalten Entschädigung, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 07. 04. 2001. 75 Bredemeyer, in: ZEV 2017, S. 690; Huber, in: NZV 2019, S. 321 (330); Steenbuck, in: r+s 2017, S. 449; Luckey, in: FS Huber, 2020, S. 356 (351). 76 Hinterbliebene von Germanwings-Absturz erweitern Klage, Tagesspiegel v. 07. 01. 2019. 77 Hinterbliebene von Germanwings-Absturz erweitern Klage, Tagesspiegel v. 07. 01. 2019. 78 Hinterbliebene von Germanwings-Absturz erweitern Klage, Tagesspiegel v. 07. 01. 2019. 79 Hinterbliebene von Germanwings-Absturz erweitern Klage, Tagesspiegel v. 07. 01. 2019. 80 Für US-Opfer werden 4,1 Millionen Euro gezahlt, Welt v. 03. 04. 2015. 81 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD 18. Legislaturperiode v. 27. 11. 2013, S. 102. 82 Bredemeyer, in: ZEV 2017, S. 690.
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auf die Fälle der verschuldensabhängigen Haftung zu begrenzen sei.83 Der Nachweis über das tatsächliche Verschulden des Co-Piloten, seine Verschuldensfähigkeit sowie die Zurechnung seines Handelns der Fluggesellschaft gegenüber, sei schwierig und würde viel Zeit in Anspruch nehmen.84 Die nationalen Unterschiede der Anspruchsmöglichkeiten Angehöriger werden deutlich, wenn sich ein Unglücksfall im Ausland ereignet und internationale Unternehmen involviert sind. Der dadurch verursachte öffentliche Druck in den Medien hat die Einführung der Neuregelung des § 844 Abs. 3 BGB maßgeblich beeinflusst. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch der politische und öffentliche Umgang mit den Folgen von terroristischen Gewalttaten in den letzten Jahren. Die Bedrohung hat durch die steigende Zahl an Menschen, die dem Terrorismus zum Opfer gefallen sind, zugenommen. Die Jahre 2004, 2005, 2011 und 2016 werden als „schwarze Jahre in Europas jüngster Terror-Geschichte“ bezeichnet.85 Am 19. Dezember 2016 raste der Täter mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin. Dabei wurden 11 Menschen getötet.86 Daraufhin wurde am 8. März 2017 Kurt Beck zum Beauftragten der Bundesregierung für die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz ernannt.87 Beck verschaffte sich seitdem regelmäßig Gehör in der Öffentlichkeit und wurde immer wieder mit seiner Forderung nach höheren Entschädigungen und der Verbesserung der Situation von Angehörigen der Opfer des Attentats zitiert.88 Im Rahmen der Diskussion stehen aber die sozialrechtlichen Ansprüche des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) und die Leistungen der Verkehrsopferhilfe im Vordergrund. Die Angehörigen sollen durch staatliche Leistungen besser abgesichert werden.89 Gegenstand dieser Entschädigungen sind weder Vermögensschäden, noch immaterieller Schadensersatz. Das OEG greift nicht nur bei terroristischen Gewalttaten ein. Vielmehr soll das Gesetz einem allgemeinen Aufopferungsanspruch entsprechen, der Ausfluss des Sozialstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 1 GG ist.90 83 Für die Einbeziehung der Gefährdungshaftung vgl. Staudinger, in: DAR 2012, S. 280 (283); Zwickel, in: NZV 2015, S. 214 (217). 84 Interview im Spiegel v. 15. 07. 2015, in dem sich Prof. Kadner Graziano zu dem Vorhaben in Bezug auf das German-Wings-Unglück äußert. 85 Die vergessenen Jahre des Terrors, www.watson.ch v. 26. 03. 2016; Attacken auf Europas Metropolen, Spiegel v. 04. 06. 2017. 86 Berlin gedenkt der Opfer von Breitscheidplatz, Spiegel v. 19. 12. 2018. 87 Abschlussbericht des Bundesbeauftragten für die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz, Stand: November 2017. 88 Kurt Beck fordert höhere Entschädigungen nach Terroranschlägen, Tagesspiegel v. 13. 12. 2017; Beauftragter Beck will für Opfer mehr Hilfen, Handelsblatt v. 02. 12. 2017. 89 Abschlussbericht des Bundesbeauftragten für die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz, Stand: November 2017. 90 BSG Urt. v. 16. 12. 2014 – B 9 V 1/13 R, WM 2015, 1212.
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Voraussetzung ist ein vorsätzlicher, tätlicher, rechtswidriger Angriff, der die Gesundheit schädigt, § 1 Abs. 1 OEG. Ersetzt werden insbesondere die Kosten für die Heilbehandlung, einkommensunabhängige Rentenleistungen und einkommensabhängige Leistungen mit Lohnersatzfunktion.91 Auch wenn dabei nicht der zivilrechtliche Anspruch des Angehörigen im Vordergrund steht, hat die öffentliche Diskussion zur Sensibilisierung für das Thema des verbesserten Opferschutzes beigetragen, für den auch die Erweiterung des zivilrechtlichen Schutzes von Bedeutung ist. 4. Die Konkretisierung eines „Angehörigenschmerzensgeldes“ durch die Entwürfe des bayerischen Staatsministeriums der Justiz Am 15. Februar 2012 legte das Bayerische Staatsministerium der Justiz einen Diskussionsentwurf zum Gesetz zur Verbesserung der zivilrechtlichen Rechtstellung der Angehörigen von Unfallopfern vor.92 Der Entwurf enthielt die erste konkrete Ausgestaltung und stimmt in wesentlichen Punkten mit der in 2017 eingeführten Neuregelung in § 844 Abs. 3 BGB überein. Dennoch hatte der Entwurf keinen Erfolg. Dies ist vor dem Hintergrund zu berücksichtigen, dass schon 5 Jahre (bzw. 2 Jahre nach dem zweiten bayerischen Entwurf) später die vorgeschlagene Gesetzesänderung tatsächlich auf Bundesebene verabschiedet wurde. a) Der erste Entwurf des bayerischen Staatsministeriums der Justiz im Jahr 2012 Die Begründung des ersten Gesetzesentwurfs im Jahr 2012 entspricht der in der Vergangenheit vorgebrachten Kritik durch die Literatur und Politik über die (vor dem 22. Juli 2017) geltende Gesetzeslage.93 Ziel der Gesetzesänderung soll die Verbesserung der Rechtsstellung der Angehörigen von Unfallopfern sein.94 Die Angehörigen würden nach geltendem Recht keinen ausreichenden Ausgleich für das Leid über den Verlust des Verstorbenen erhalten. Der durch die Rechtsprechung entwickelte Ersatzanspruch für Schockschäden könne nur unter den strengen Voraussetzungen einer eigenen Rechtsgutsverletzung geltend gemacht werden, sodass für eine Vielzahl der Angehörigen eine Ersatzmöglichkeit bei fremdverursachter Tötung 91
Plagemann/Petri-Kramer, § 34 Rn. 106 ff. Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Rechtsstellung der Angehörigen von Unfallopfern, Bayerisches Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Stand: 15. Februar 2012. 93 Huber, in: NZV 2012, S. 5; Janssen, in: ZRP 2003, S. 156; Kuhn, in: SVR 2012, S. 288; Stiegler, Schmerzengeld für Schock- und Trauerschäden, S. 13; zur fehlenden Haftung für Tötung vgl. Schramm, Haftung für Tötung, S. 36 ff. 94 Begründung Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Rechtsstellung der Angehörigen von Unfallopfern, Bayerisches Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Stand: 15. Februar 2012, S. 1 ff. 92
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eines Angehörigen fehle. Betont wird die gesetzlich lückenhaft geregelte Entschädigung für immaterielle Schäden.95 Laut Begründung sei die Ausgestaltung des Anspruchs in den anderen europäischen Rechtsordnungen zwar sehr unterschiedlich erfolgt, die Berücksichtigung eines Angehörigenschmerzensgeldes müsse aber auch Eingang in die deutsche Rechtsordnung finden.96 Zur Verbesserung der Rechtsstellung sei es laut Begründung aber auch erforderlich, dass der Anwendungsbereich des § 844 Abs. 2 BGB erweitert wird.97 Ersatzfähig gem. § 844 Abs. 2 BGB sind materielle Schäden nur für die Angehörigen, die kraft Gesetzes gegenüber der getöteten Person unterhaltsberechtigt waren. Dies sollte ausweislich des Diskussionsentwurfs insofern angepasst werden, als dass auch vertraglich unterhaltsberechtigte Personen einen Anspruch gem. § 844 Abs. 2 BGB geltend machen können.98 Dadurch sei dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse neben der Ehe andere Formen des Zusammenlebens hervorbringen würden, für die keine familienrechtliche Unterhaltspflicht geregelt sei.99 So sieht der Entwurf zunächst vor, dass in § 844 Abs. 2 BGB die Wörter „kraft Gesetzes“ gestrichen werden. Aus den untenstehenden Spezialgesetzen, die die gleiche Regelung wie § 844 Abs. 2 BGB enthalten, sollen die Wörter ebenfalls gestrichen werden. Im Anschluss an § 844 BGB bestimmt der Entwurf die Einfügung eines § 844a BGB-E „Ersatzansprüche nächster Angehöriger wegen immaterieller Schäden“ im Bürgerlichen Gesetzbuch mit folgendem Inhalt: „(1) Im Falle der Tötung oder einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit mit schweren Dauerfolgen hat der Ersatzpflichtige auch nächsten Angehörigen des Verletzten, denen infolge seiner Tötung oder Verletzung ein Schaden entstanden ist, eine billige Entschädigung in Geld zu leisten.“ „(2) Nächste Angehörige im Sinne des Absatz 1 sind 1. der Ehegatte, sofern nicht ein Fall des § 1933 S. 1 oder S. 2 vorliegt, 2. der Lebenspartner im Sinne des § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die eingetragene Lebenspartnerschaft, sofern nicht ein Fall des § 10 Abs. 2 S. 1 dieses Gesetzes vorliegt, 3. die Eltern, 4. die Kinder.“
Die in Spezialgesetzen geregelte Gefährdungshaftung sollte um die folgende Formulierung ergänzt werden: 95 96 97 98 99
Begründung Diskussionsentwurf a. a. O., S. 1 ff. Begründung Diskussionsentwurf a. a. O., S. 3. Begründung Diskussionsentwurf a. a. O., S. 6. Begründung Diskussionsentwurf a. a. O., S. 6. Begründung Diskussionsentwurf a. a. O., S. 5.
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB „Im Falle der Tötung oder einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit mit schweren Dauerfolgen hat der Ersatzpflichtige auch nächsten Angehörigen des Verletzten im Sinne des § 844a Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, denen infolge seiner Tötung oder Verletzung ein Schaden entstanden ist, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld zu leisten.“
Dieser Absatz sollte laut Entwurf im Straßenverkehrsgesetz, Haftpflichtgesetz, Luftverkehrsgesetz, Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln, Atomgesetz, Umwelthaftungsgesetz, Gentechnikgesetz und im Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte eingefügt werden. Dies ist als Ausdruck der Neufassung des § 253 BGB im Jahr 2002100 zu verstehen, wonach nun auch bei Gefährdungshaftung immaterieller Schadensersatz gewährt wird. Mit Blick auf die hierzu kontrovers geführte Diskussion enthält der Entwurf als entscheidende Anspruchserleichterung, dass eine Ersatzberechtigung des mittelbar geschädigten Angehörigen auch bei schwerer, fremdverursachter Verletzung des unmittelbar Geschädigten besteht.101 Die Empfehlung des 50. Deutschen Verkehrsgerichtstages beschränkte sich hingegen auf die Ersatzmöglichkeiten bei fremdverursachter Tötung.102 Beide Vorschläge sehen aber vor, dass nur nahe Angehörige (Ehegatte, Lebenspartner, Eltern und Kinder) ersatzberechtigt sein sollen. Als Rechtsfolge des § 844a BGB-E ist eine billige Entschädigung in Geld vorgesehen, für dessen Höhe auf die allgemeinen Grundsätze für immateriellen Schadensersatz verwiesen wird. Die Höhe der Entschädigung sei durch die Gerichte einzelfallbezogen festzulegen. Zu berücksichtigen seien insbesondere der Verschuldensgrad und ein etwaiges Mitverschulden des Verletzten oder Getöteten.103 Einen Anhaltspunkt könnten laut Begründung zumindest auch die im Rahmen der Schockschaden-Rechtsprechung104 zugesprochenen Beträge bieten.105 In der Begründung wird weiter betont, dass es nicht um die Kommerzialisierung des erlittenen Verlusts gehen solle. Die Entschädigungszahlung solle nicht den Zweck verfolgen, ein Menschenleben aufzuwiegen oder den persönlichen Verlust auszugleichen.106 Ziel sei weder die Kommerzialisierung menschlichen Lebens, 100 BGBl. I, S. 2674, Zweites Gesetz zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19. 07. 2002. 101 Begründung Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Rechtsstellung der Angehörigen von Unfallopfern, Bayerisches Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Stand: 15. Februar 2012, S. 10. 102 Arbeitskreis I des 50. Deutschen Verkehrsgerichtstages. 103 Begründung Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Rechtsstellung der Angehörigen von Unfallopfern, Bayerisches Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Stand: 15. Februar 2012, S. 15, 16. 104 Vgl. näher zum immateriellen Schadensersatz bei Schockschäden in Kap. B. IV. 6. 105 Begründung Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Rechtsstellung der Angehörigen von Unfallopfern, Bayerisches Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Stand: 15. Februar 2012, S. 10. 106 Begründung Diskussionsentwurf a. a. O., S. 11.
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noch des seelischen Leids. Im Vordergrund stehe die Anerkennung und Solidarität mit dem Leid der Angehörigen.107 Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) äußerte sich kritisch zum bayerischen Gesetzesvorschlag. Befürchtet wurde ein enormer Anstieg an Versicherungsfällen und damit eine finanzielle Mehrbelastung, die eine Erhöhung der Versicherungsprämien erforderlich machen würde.108 Problematisch wurde auch die Ausdehnung des § 844 Abs. 2 BGB auf vertraglich vereinbarte Unterhaltspflichten gesehen, denn nach Ansicht der GDV sei diesbezüglich primär eine Modernisierung des Unterhaltsrechts vorzunehmen.109 Die Bedenken des GDV waren zu erwarten. Die Stellungnahme führte aber auch rechtsdogmatische Einwände gegen den Entwurf an. Es würde gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz im Deliktsrecht verstoßen, die Ausnahme in § 844 BGB zu erweitern. 110 b) Der zweite Entwurf des bayerischen Staatsministeriums der Justiz im Jahr 2015 Durch den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Rechtsstellung der Angehörigen von Unfallopfern und zur Änderung des § 1374 Abs. 2 BGB hat das bayerische Justizministerium 2015 einen erneuten Vorstoß für die angestrebte Gesetzesänderung gewagt. Anlass war nicht zuletzt das bereits 2013 im Koalitionsvertrag formulierte Ziel, die Anspruchssituation von Angehörigen verbessern zu wollen.111 Aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmungen mit der Gesetzeslage seit dem 21. Juli 2017 ist der zweite Diskussionsentwurf des bayerischen Justizministeriums zum Angehörigenschmerzensgeld aus dem Jahr 2015 ebenfalls von Bedeutung. Die wesentliche Änderung im Vergleich zum ersten Diskussionsentwurf ist die Streichung der Anspruchsberechtigung des Angehörigen auch im Falle fremdverursachter schwerer Verletzung. Hinzugekommen ist der Vorschlag einer Änderung des § 1374 Abs. 2 BGB.112 Der bayerische Entwurf sieht eine Erweiterung des Anwendungsbereichs durch die Einfügung 107 Begründung Diskussionsentwurf a. a. O., S. 11; ebenso Verh. D. BT, 18. Wahlp., S. 22190. 108 Stellungnahme der GDV zum Diskussionsentwurf des bayerischen Staatsministeriums vom 15. Februar 2012, S. 2. 109 Stellungnahme GDV a. a. O., S. 9. 110 Stellungnahme GDV a. a. O., S. 7. 111 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD 18. Legislaturperiode v. 27. 11. 2013, S. 102. 112 „(2) Vermögen, das ein Ehegatte nach Eintritt des Güterstands von Todes wegen oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht, durch Schenkung oder als Ausstattung erwirbt, wird nach
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB „oder als billige Entschädigung in Geld wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist“,
in § 1374 Abs. 2 BGB113 vor.114 Laut Begründung sei es nicht geboten den Ehegatten an einem solchen Anspruch der „eng mit dessen persönlichem Lebensschicksal verbunden ist“, teilhaben zu lassen.115 Auch der zweite Entwurf sieht eine Streichung der Wörter „kraft Gesetzes“ in § 844 Abs. 2 BGB vor. Die Formulierung des einzufügenden § 844a BGB-E wurde entsprechend angepasst, sodass die im ersten Entwurf enthaltene Formulierung „Verletzung des Körpers oder der Gesundheit mit schweren Dauerfolgen“ in Absatz 1 gestrichen wurde. Ergänzt wurde „vorsätzliche oder fahrlässige“ Tötung. § 844a Abs. 2 BGB-E entspricht dem ersten Entwurf. In den Spezialgesetzen wurden – dem ersten Entwurf entsprechend – ebenfalls die Wörter „kraft Gesetzes“ gestrichen, sofern eine dem § 844 Abs. 2 BGB entsprechende Formulierung besteht. Entscheidend ist aber, dass der Entwurf aus 2015 für die Spezialgesetze keine Einfügung für einen Ersatzanspruch eines Angehörigen wegen immaterieller Schäden vorsieht. Während im ersten Entwurf aus 2012 noch durch eine kurze, aber nachvollziehbare Begründung ein Entschädigungsanspruch auch bei Gefährdungshaftung durch Einfügung einer entsprechenden Regelung in den Spezialgesetzen vorgesehen wurde, schweigt der zweite Entwurf zur Streichung dieser Einfügung.116 Begründet wurde die Einfügung in den Spezialgesetzen im ersten Entwurf mit der bewussten
Abzug der Verbindlichkeiten dem Anfangsvermögen hinzugerechnet, soweit es nicht den Umständen nach zu den Einkünften zu rechnen ist.“ 113 Ein Entschädigungsanspruch für immaterielle Schäden, der nach Eintritt des gesetzlichen Güterstands einer der beiden Ehegatten erhalten hat, fällt nach geltendem Recht in den Zugewinnausgleich. § 1374 Abs. 2 BGB zählt abschließend auf, welches Vermögen dem Anfangsvermögen des Ehegatten zuzurechnen ist. Es wird überwiegend angenommen, dass § 1374 Abs. 2 BGB nicht analog auch auf anderes Vermögen wie Ansprüche aus Schmerzensgeld anzuwenden ist (BeckOK BGB/Scheller/Sprink, BGB § 1374 Rn. 34; MüKoBGB/ Koch, § 1374 Rn. 21). 114 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Rechtsstellung der Angehörigen von Unfallopfern und zur Änderung des § 1374 Abs. 2 BGB, Stand: 01. 01. 2015, S. 4. 115 Entwurf a. a. O., S. 6. 116 „(…) Vor diesem Hintergrund wird zum einen im allgemeinen Deliktsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein neuer § 844a eingefügt, zum anderen jeweils in den spezialgesetzlich geregelten Fällen der Gefährdungshaftung eine entsprechende Regel geschaffen.“, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Rechtsstellung der Angehörigen von Unfallopfern und zur Änderung des § 1374 Abs. 2 BGB, Stand: 01. 01. 2015, S. 5.
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Ausweitung der immateriellen Ersatzansprüche bei der Neufassung des § 253 BGB, die hier fortgesetzt werden würde.117 Die Begründung zur Einfügung des § 844a BGB-E deckt sich mit den Motiven des ersten Entwurfs aus 2012. Auch die Erweiterung des § 844 Abs. 2 BGB wird in gleicher Weise wie 2012 argumentiert. Zu der neuen Beschränkung des Entschädigungsanspruchs auf Fälle der Tötung des Angehörigen, äußert sich der zweite Entwurf nicht. Die beiden Gesetzesentwürfe aus Bayern sind sich aber bereits in vielen Punkten einig. Es soll einen Entschädigungsanspruch für Angehörige und das von ihnen aufgrund einer Schädigungshandlung erlittene Leid geben. Dieses wird in beiden Entwürfen nur für enge Angehörige wie Ehepartner, Lebenspartner, Kinder und Eltern vorgesehen. Ein solcher Anspruch soll im Deliktsrecht neben den schon bestehenden Ansprüchen mittelbar Verletzter verortet werden (§ 844a BGB-E). Beide Entwürfe zielen auf eine Erweiterung des 844 Abs. 2 BGB ab, indem auch vertragliche Unterhaltspflichten des Getöteten zu berücksichtigen sind. Insgesamt liegt dem zweiten Entwurf aus 2015 im Vergleich zum ersten Entwurf aus 2012 ein eingeschränkter Anwendungsbereich zugrunde, da ein Anspruch weder bei schwerer Verletzung des Angehörigen noch bei Verwirklichung eines Gefährdungstatbestandes durch den Schädiger aus einem der Spezialgesetze (z. B. Straßenverkehrsgesetz) möglich sein soll. Beide Entwürfe haben der Literatur in den darauffolgenden Jahren ausreichend Anlass gegeben, über eine geeignete Regelung für ein Angehörigenschmerzensgeld zu diskutieren.118 Die deutlichste Kritik erfährt der in den Entwürfen vorgesehene Kreis der Anspruchsberechtigten: Es entspräche nicht der Lebenswirklichkeit, für die Anspruchsberechtigung allein auf die formale familienrechtliche Position abzustellen, vielmehr sei die tatsächliche Beziehung zu dem Getöteten ausschlaggebend. Zumindest die nichteheliche Lebensgemeinschaft müsse bei der Anspruchsberechtigung Berücksichtigung finden.119 Die Literatur ist sich in weiten Teilen einig, dass auch im Rahmen der Gefährdungshaftung ein Anspruch auf Angehörigenschmerzensgeld vorzusehen ist.120 Die beiden Diskussionsentwürfe haben eine wesentliche Grundlage für die endgültige Fassung des Hinterbliebenengeldes geschaffen. Das Hinterbliebenengeld ist – wie in den Diskussionsentwürfen vorgesehen – als Neuregelung im Deliktsrecht aufgenommen worden und an die Formulierung des immateriellen Schadensersatzes gem. § 253 BGB angelehnt worden. Dennoch waren im Rahmen der Diskussions117
Entwurf a. a. O., S. 5. Fischer, in: VersR 2016, S. 1155; Hoppenstedt/Stern, in: ZRP 2015, S. 18. 119 Kuhn, in: SVR 2012, S. 288; Staudinger, in: DAR 2012, S. 280; a. A.: Hoppenstedt/ Stern, in: ZRP 2015, S. 18; Zwickel, in: NZV 2015, S. 214. 120 Fischer, in: VersR 2016, S. 1155; Huber, in: NZV 2012, S. 5; Staudinger, in: NJW 2006, S. 2433; Staudinger, in: DAR 2012, S. 280; Zwickel, in: NZV 2015, S. 214. 118
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
entwürfe noch viele Fragen offen, die auch nach Einführung des Gesetzes zum Hinterbliebenengeld im Jahr 2017 noch unbeantwortet geblieben sind. 5. Ergebnis Die vorstehenden Erwägungen haben gezeigt, dass der Weg zur Einführung einer Entschädigungsregelung für Angehörige lang und nicht voraussehbar war. Es gab zahlreiche kontrovers geführte Diskussionen rechtlicher, politischer und gesellschaftlicher Natur, bis heute besteht Uneinigkeit über die Notwendigkeit und Geeignetheit einer zivilrechtlichen Anspruchsgrundlage für Angehörige und andere Hinterbliebene in Bezug auf immaterielle Schäden. Für die Einführung des nun in Kraft getretenen Gesetzes haben unterschiedliche Faktoren und Ereignisse in der Vergangenheit eine Rolle gespielt. Nicht zuletzt der Druck durch das europäische Ausland hat die Einführung eines Anspruchs beschleunigt. Die anhaltende rechtspolitische Diskussion hat sich dem Thema immer wieder angenommen und Forderungen sowie konkrete Vorschläge aufgezeigt. Dies führte zu den Gesetzgebungsvorschlägen des bayerischen Justizministeriums, das gleich zwei Gesetzesentwürfe für ein Angehörigenschmerzensgeld hervorbrachte. Auch außerhalb der Politik hat sich die Öffentlichkeit aufgrund einschneidender Großunfälle verbunden mit einer Vielzahl von Personenschäden mit der Frage einer Verbesserung der Stellung von Hinterbliebenen beschäftigt. Der Gesetzgeber hatte zunächst den Eindruck erweckt, als hätte er sich im Jahr 2002 zum Zeitpunkt des 2. SchadÄndG bewusst gegen die Einführung eines Angehörigenschmerzensgeldes entschieden. Dennoch wurde das Gesetz zum Hinterbliebenengeld nun konsequent umgesetzt. Für den persönlich Betroffenen erschien es unverständlich, dass seine Anspruchsmöglichkeit davon abhängt in welchem Land sich der Unfall ereignet hat. Die Literatur hat jedoch immer wieder betont, dass sich eine Gesetzesänderung nicht allein durch das Verhalten des europäischen Auslands rechtfertigen ließe. In der Anpassung an das europäische Recht ist aber zumindest auch eine Absicherung für das deutsche Haftungs- und Wirtschaftssystem zu sehen, indem durch die Gewährung eines eigenen Anspruchs auf nationaler Ebene die Risiken selbst kalkuliert werden können. Dennoch ist auch der wachsende gesellschaftspolitische Druck nicht zu unterschätzen. Im Zuge des gesellschaftlichen Wandels und der Konfrontation mit Terror und anderen Konflikten ist das Ausmaß an Unglücksereignissen gestiegen.
II. Die Nichtberücksichtigung eines Angehörigenschmerzensgeldes durch das 2. SchadÄndG Das Zweite Schadensersatzrechtsänderungsgesetz (2. SchadÄndG) vom 1. Januar 2002 hat zu der bisher bedeutendsten Reform des deutschen Schadensersatz-
II. Die Nichtberücksichtigung eines Angehörigenschmerzensgeldes
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rechts geführt.121 Der Gesetzgeber hat sich dabei ausführlich mit der Funktion des immateriellen Schadensersatzes auseinandergesetzt. Sowohl für die inhaltliche als auch für die zeitliche Entstehung der jüngsten Neuregelung zum immateriellen Schadensersatz ist ein Blick auf die Hintergründe der Gesetzesänderung in 2002 zu werfen. Möglicherweise wurde die Einführung eines Anspruchs für mittelbar Betroffene im Jahr 2002 bewusst nicht verfolgt oder es wurde einem solchen Anspruch schlichtweg keine Relevanz beigemessen.122 Bei der Entstehung des 2. SchadÄndG wurde das gesetzgeberische Ziel formuliert, durch Änderungen im Rahmen des Schadensausgleichs eine Verbesserung des Opferschutzes zu erzielen.123 Das deutsche Schadensersatzrecht habe im Wesentlichen seit 1900 keine Änderung und keine Weiterentwicklung erfahren, sodass insbesondere die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden reformbedürftig sei.124 Ziel der Gesetzesänderung in 2002 war insbesondere die Einführung eines allgemeinen immateriellen Schadensersatzanspruchs.125 Ist ein Haftungstatbestand aus Delikt, Gefährdung oder Vertrag erfüllt, sollte von nun an ein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz möglich sein. Bei Verletzung von Körper, Gesundheit, Freiheit und sexueller Selbstbestimmung, sei immaterieller Schadensersatz denkbar. Daraus folgte die Einfügung des § 253 Abs. 2 BGB durch das 2. SchadÄndG. Der Tatbestand ist auf die genannten Rechtsgüter beschränkt.126 Neu war die systematische Verschiebung des immateriellen Schadensersatzes: Der im Deliktsrecht in § 847 BGB verortete Inhalt wurde nun durch die Ergänzung des § 253 BGB in die allgemeinen Vorschriften integriert. Die Neuregelung war das Ergebnis jahrelanger Diskussionen über die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden. Insbesondere die Erstreckung des immateriellen Schadensersatzes auf die verschuldensunabhängige Haftung wurde für erforderlich gehalten.127 Der Gesetzgeber hatte sich aber gleichzeitig das Ziel gesetzt, durch die erweiterte Haftung keine übermäßige Belastung der Versicherungen herbeizuführen.128 Im Vordergrund stand die Erhöhung des Ausgleichs für Personenschäden. Um die Entschädigungsleistungen zu finanzieren, wurde die Begrenzung der Entschä-
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Huber, Fragen der Schadensberechnung, S. 394. Auf die Änderungen, Neuerungen und die mit dem 2. SchadÄndG verfolgten gesetzgeberischen Ziele wird in Kap. C. näher eingegangen. 123 Müller, in: VersR 2003, S. 1. 124 BT-Drucks. 14/7752, S. 11. 125 Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 14/7752, S. 1, Stand: 07. 12. 2001. 126 Bollweg/Hellmann, Das neue Schadensersatzrecht, S. 56. 127 BT-Drs. 14/7752, Stand: 07. 12. 2001, S. 14. 128 BT-Drs. 14/7752, Stand: 07. 12. 2001, S. 25. 122
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
digung im Sachschadenbereich vorgeschlagen.129 Als Grund für die Anpassungen hatte der Gesetzgeber in erster Linie die Haftung im Straßenverkehr vor Augen.130 Sowohl die Diskussionen im Vorfeld als auch die konkreten Äußerungen zu der Gesetzesänderung in 2002 beschränkten sich aber auf die Frage des immateriellen Schadensersatzes für den unmittelbar durch Delikt, Gefährdung oder Vertrag verletzten Anspruchsberechtigten. In der Begründung des Gesetzesentwurfs des 2. SchadÄndG ist kein Anhaltspunkt für einen immateriellen Entschädigungsanspruch auch für einen Angehörigen zu finden.131 Die angestrebten Änderungen bezogen sich auf einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz, sofern der Geschädigte unmittelbar in den in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgütern verletzt worden ist. Für die Berücksichtigung eines Anspruchs für Angehörige fehlte es an der Auseinandersetzung mit der Frage, ob die durch einen Schädiger verursachte Tötung einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz eines Dritten auslösen kann. Laut Gesetzesbegründung könne die zivilrechtliche Ausgestaltung eines Anspruchs bei Persönlichkeitsrechtsverletzung im Rahmen des 2. SchadÄndG „nicht geleistet“ werden.132 Die Anordnung einer Rechtsfolge bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung würde nicht ausreichen, erforderlich sei eine umfassende zivilrechtliche Regelung.133 Der Gesetzgeber grenzt die Geldentschädigung bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung damit vom immateriellen Schadensersatzanspruch gem. § 253 Abs. 2 BGB bewusst ab. Die Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzung war damit nicht Gegenstand des 2. SchadÄndG. Ein mögliches Angehörigenschmerzensgeld wird durch den Gesetzesentwurf nicht erwähnt. Entscheidendes Ziel des 2. SchadÄndG war die Verbesserung des Opferschutzes durch einen erweiterten Entschädigungsanspruch bei Personenschäden.134 Zudem war durch die vorgenommene Streichung des § 847 BGB und die Einfügung des § 839a BGB sowie die Einbeziehung der Gefährdungshaftung nicht nur das allgemeine Schadensrecht sondern auch die deliktsrechtliche Haftung unmittelbar betroffen.135 Gerade im Rahmen der Straßenverkehrshaftung könnte eine Entschädigung für Angehörige eine wesentliche Rolle spielen und weitreichende Folgen haben. 129
Bollweg/Hellmann, Das neue Schadensersatzrecht, S. 23; Dressler, in: DAR 1996, S. 81; Scheffen, in: ZRP 1999, S. 189. 130 Bollweg/Hellmann, Das neue Schadensersatzrecht, S. 21. 131 BT-Drs. 14/7752; auch in dem Gesetzesentwurf aus dem Jahr 1998 zum 2. SchadÄndG wird ein Angehörigenschmerzensgeld nicht thematisiert, BT-Drs. 13/10435. 132 BT-Drs. 14/7752, Stand: 07. 12. 2001, S. 25. 133 BT-Drs. 14/7752, Stand: 07. 12. 2001, S. 25. 134 BT-Drs. 14/7752, S. 14. 135 Wagner spricht von einer bewussten Ausklammerung des Deliktsrechts, vgl. MüKoBGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 107.
III. Das Hinterbliebenengeld im System des Deliktsrechts
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Vor diesem Hintergrund ist daher anzunehmen, dass der Gesetzgeber im Rahmen des 2. SchadÄndG ein Angehörigenschmerzensgeld bewusst nicht regeln wollte. Trotz der Priorisierung anderer schadensersatzrechtlicher Themen hatte das Angehörigenschmerzensgeld – wie bereits oben dargestellt – bereits öffentliche und gesellschaftliche Aufmerksamkeit auch auf europäischer Ebene gewonnen, sodass eine Auseinandersetzung mit einem Angehörigenschmerzensgeld im Rahmen des 2. SchadÄndG zu erwarten gewesen wäre. Es wurde deshalb kritisiert, dass der Gesetzgeber zu dieser Frage keine Stellung bezogen hat.136 Nach wie vor bestanden aber erhebliche Zweifel an der Bejahung einer Entschädigung bei psychischen Beeinträchtigungen.137 Im Rahmen des 2. SchadÄndG hatte der Gesetzgeber das Angehörigenschmerzensgeld deshalb vorerst nicht berücksichtigt. Der Fokus des 2. SchadÄndG auf den immateriellen Schadensersatzanspruch des unmittelbar Verletzten bringt die erforderliche Unterscheidung zwischen dem immateriellen Schadensersatz gem. § 253 Abs. 2 BGB und dem Anspruch des Hinterbliebenen als Dritten zum Ausdruck.138
III. Das Hinterbliebenengeld im System des Deliktsrechts Die Vorschriften § 844 BGB und § 845 BGB stellen im Gefüge des Deliktsrechts eine Ausnahme dar. Das Deliktsrecht sieht grundsätzlich keine Entschädigung für mittelbare Verletzungen der durch § 823 BGB geschützten Rechtsgüter vor.139 Dies ist auf das im Deliktsrecht geltende Tatbestandsprinzip zurückzuführen.140 Der deutsche Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die zu schützenden Rechtsgüter durch den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB klar zu umgrenzen. Die Frage, welche individuellen Rechte in den Schutzbereich des Deliktsrechts fallen, soll nicht allein dem Gericht überlassen werden.141 Aus der Aufzählung in § 823 Abs. 1 BGB ergibt sich die gesetzgeberische Entscheidung, dass das Deliktsrecht die Rechtsgüter Freiheit, Leben, Eigentum, Körper, Gesundheit und sonstige absolute Rechte schützt. Das Vermögen unterfällt nicht dem deliktsrechtlichen Schutz.142 Dieses im Deliktsrecht geltende Tatbestandsprinzip hat zur Folge, dass nur der Rechtsgutsinhaber selbst, der unmittelbar in seinen Rechten verletzt worden ist, Anspruchsteller sein 136 Diederichsen, in: VersR 2005, S. 433, die aber meint, dass dies den schadensersatzrechtlichen Grundsätzen entspräche; Janssen, in: ZRP 2003, S. 156; Schultzky, in: VersR 2011, S. 857. 137 Dressler, in: DAR 1996, S. 81; Müller, in: VersR 1995, S. 489. 138 Hierzu näher in Kap. C. und D. 139 BGH Urt. v. 19. 06. 1952 – III ZR 295/51, NJW 1952, 1249; LG Augsburg Urt. v. 10. 01. 1967 – 3 O 221/66, NJW 1967, 1513; BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 3. 140 Gebauer, Vertragliche Haftung, S. 110; Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 546. 141 Schramm, Haftung für Tötung, S. 20. 142 Picker, in: ZfPW 2015, S. 385 (389); Peukert, Güterzuordnung als Rechtsprinzip, S. 245; Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 198.
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
kann. Nach diesem Grundsatz kann die Verletzung des Lebens i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB keine haftungsrechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen, weil es mit dem Tod des Rechtsgutsinhabers an einem rechtsfähigen Anspruchsteller fehlt.143 § 844 BGB weicht deshalb vom deliktsrechtlichen Tatbestandsprinzip ab und ersetzt zumindest Drittschäden, die auf der Lebensverletzung beruhen. Durch den Tod des unmittelbar Verletzten, ist die mit dem Tatbestandsprinzip bezweckte „Abgrenzung der Rechtskreise“144 nicht möglich, weshalb die Schadensabwicklung, die grundsätzlich zwischen Verletztem und Schädiger durchzuführen ist, ausnahmsweise durch den Dritten gegenüber dem Schädiger vorzunehmen ist.145 Aufgrund der fehlenden unmittelbaren Rechtsgutsverletzung, sind materielle Schäden durch einen Dritten aber nur in begrenztem Umfang gem. §§ 844, 845 BGB ersatzfähig. 1. Die Struktur der §§ 844, 845 BGB Die bereits geltende Ausnahme vom Unmittelbarkeitsgrundsatz in § 844 BGB hat den Gesetzgeber dazu veranlasst, auch das Hinterbliebenengeld in § 844 BGB zu verorten.146 § 844 BGB besteht mit seinen Absätzen 1147 und 2148 im System der außervertraglichen Haftung seit Inkrafttreten des BGB am 1. Januar 1900 fast unverändert.149 Bis heute unterliegen die Ansprüche Dritter strengen Voraussetzungen: Analogien oder eine Erweiterung des Anwendungsbereichs wurden vom Gesetzgeber und der Rechtsprechung abgelehnt.150 Verursacht eine unerlaubte Handlung aus §§ 823 bis 826 BGB die Tötung des Verletzten, soll der Schädiger demjenigen zum Ersatz verpflichtet bleiben, der kraft 143
Schramm, Haftung für Tötung, S. 22; Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 203. Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 265; Schramm, Haftung für Tötung, S. 22; Peukert, Güterzuordnung als Rechtsprinzip, S. 242. 145 Schramm, Haftung für Tötung, S. 22. 146 BT-Drs. 18/11397, S. 8. 147 „(1) Im Falle der Tötung hat der Ersatzpflichtige die Kosten der Beerdigung demjenigen zu ersetzen, welchem die Verpflichtung obliegt, diese Kosten zu tragen.“ 148 „(2) Stand der Getötete zur Zeit der Verletzung zu einem Dritten in einem Verhältnis, vermöge dessen er diesem gegenüber kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war oder unterhaltspflichtig werden konnte, und ist dem Dritten infolge der Tötung das Recht auf den Unterhalt entzogen, so hat der Ersatzpflichtige dem Dritten durch Entrichtung einer Geldrente insoweit Schadensersatz zu leisten, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen sein würde; die Vorschriften des § 843 Abs. 2 bis 4 finden entsprechende Anwendung. Die Ersatzpflicht tritt auch dann ein, wenn der Dritte zur Zeit der Verletzung gezeugt, aber noch nicht geboren war.“ 149 MüKoBGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 106. 150 OLG Koblenz Beschl. v. 24. 11. 1981 – 12 W 505/81, FamRZ 1982, 175; LG Bielefeld Urt. v. 29. 10. 2009 – 6 O 262/09, ZMR 2010, 687; Schulze/Staudinger, § 844 BGB Rn. 1; Staudinger, in: DAR 2012, S. 280 (281); zur Beschränkung auf gesetzliche Unterhaltspflichten vgl. Frank, in: FS Stoll, S. 146 f. 144
III. Das Hinterbliebenengeld im System des Deliktsrechts
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Gesetzes Ansprüche gegen den Getöteten gehabt hätte. Gemeint sind unterhaltsberechtigte Angehörige des Getöteten. Gem. § 1615 Abs. 1 BGB erlischt der Unterhaltsanspruch des Unterhaltsberechtigten mit dem Tod des Verpflichteten. Darüber hinaus ist der Unterhaltsberechtigte gem. § 1615 Abs. 2 BGB verpflichtet, die Beerdigungskosten zu tragen, soweit diese nicht von dem Erben zu erlangen sind. Durch § 844 BGB steht demzufolge nur mittelbar geschädigten Dritten ein Ersatzanspruch zu, damit der Schädiger im Falle der Tötung nicht frei von seiner Ersatzpflicht wird. Der Tod des Erblassers schließt die Schadensbilanz ab, eine mögliche Weiterentwicklung des Schadens bleibt unbeachtlich.151 Können aufgrund des Todes des Erblassers Erträge aus dessen Erwerbsfähigkeit oder Arbeitskraft nicht mehr realisiert werden, stellt dies keinen Schaden des Erblassers dar, der auf die Erben übergeht.152 Ein Schadensersatzanspruch des Erblassers wird nur dann begründet, wenn der Schaden auch beim Fortleben des Erblassers entstanden wäre und dann hätte vom Schädiger ersetzt werden müssen.153 Die ausbleibende Unterhaltszahlung stellt allerdings erst aufgrund der Tötung des Unterhaltsverpflichteten einen Schaden dar. Vermögensschäden, die zwar nach dem Tod des Erblassers entstehen, an den Vermögensschaden des Erblassers aber anknüpfen, würden ohne die Anspruchsmöglichkeit durch einen Dritten daher ersatzlos bleiben. Darüber hinaus dient der Anspruch gerade dazu, dem Angehörigen die aus dem Tod des Verletzten resultierenden Vermögenseinbußen zu ersetzen.154 Dennoch handelt es sich bei § 844 BGB um einen selbstständigen Anspruch des Dritten, der unmittelbar in seiner Person entsteht.155 Deshalb muss sich der Dritte auch die eigene Mitverantwortlichkeit gem. § 254 BGB bei Entstehung des Schadens anrechnen lassen. So besteht auch für den Dritten eine Schadensminderungsobliegenheit gem. § 254 Abs. 2 BGB, die insbesondere die Obliegenheit umfassen kann, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen.156 Aufgrund der Akzessorietät des Anspruchs des Dritten zu dem des Verletzten, muss sich der Dritte gem. § 846 BGB auch ein Mitverschulden des Verletzten i. S. d. § 254 BGB entgegenhalten lassen. Voraussetzung für § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB ist die Verantwortlichkeit des Schädigers für den Tod des Geschädigten. Der Tod muss dem Schädiger zurechenbar sein. Zum einen kann die unmittelbare Verletzung des Rechtsguts Leben im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität bejaht werden. Eine Zurechnung ist aber auch 151 BGH Urt. v. 21. 11. 2000 – VI ZR 231/99, NJW 2001, 971; BGH Urt. 22. 06. 2004 – VI ZR 112/03, NJW 2004, 2849. 152 BGH Urt. 22. 06. 2004 – VI ZR 112/03, NJW 2004, 2849; MüKoBGB/Leipold, § 1922 Rn. 75. 153 MüKoBGB/Leipold, § 1922 Rn. 75; BeckOGK/Preuß, BGB § 1922 Rn. 210. 154 BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 5. 155 Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, § 844 BGB Rn. 3. 156 BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 7; MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 60.
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
dann möglich, wenn der Tod des Geschädigten im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität auf der Verletzung des Geschädigten beruht.157 Dies ist nach den allgemeinen Grundsätzen der Adäquanz und dem Schutzzweck der Verhaltenspflicht zu bestimmen.158 Daher ist es für das Verschulden ausreichend, dass sich aus der Verletzungshandlung eine Pflichtverletzung ergibt.159 a) Der Anspruch des Dritten auf Ersatz der Beerdigungskosten gem. § 844 Abs. 1 BGB Neben dem neuen Hinterbliebenengeldanspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB kann der Dritte gem. § 844 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Ersatz der Beerdigungskosten und gem. § 844 Abs. 2 BGB auf Ersatz wegen entgangenen Unterhalts geltend machen. Für einen Anspruch gem. § 844 Abs. 1 BGB bedarf es neben der Verantwortlichkeit des Schädigers für den Tod einer Ersatzberechtigung des Anspruchstellers. Der Schädiger hat die Beerdigungskosten des Getöteten gem. § 844 Abs. 1 BGB zu tragen. aa) Der Verpflichtete als Anspruchsteller gem. § 844 Abs. 1 BGB Gemäß § 844 Abs. 1 BGB steht der Anspruch auf Ersatz der Beerdigungskosten demjenigen zu, der zur Tragung der Beerdigungskosten verpflichtet ist. Damit erfasst § 844 Abs. 1 BGB – anders als § 844 Abs. 2 BGB – nicht nur Verpflichtete durch gesetzliche Anordnung.160 Die rein tatsächliche Übernahme der Beerdigungskosten ist jedoch nicht ausreichend.161 Diesen Anspruch kann derjenige geltend machen, der durch Gesetz, aus öffentlich-rechtlichen Verwaltungsvorschriften162 oder durch Rechtsgeschäft verpflichtet ist, die Beerdigungskosten zu tragen.163 Im Regelfall sind die Beerdigungskosten von dem Erben oder Unterhaltsverpflichteten zu tragen, §§ 1968, 1615 Abs. 2 BGB. Nur dann, wenn die Kostenübernahme durch einen Erben nicht möglich ist, trägt der Unterhaltsverpflichtete gem. § 1615 Abs. 2 BGB die Beerdigungskosten.164 Der Ehepartner schuldet vor den Verwandten Unterhalt und damit auch die Beerdigungskosten gem. §§ 1608, 1360a i. V. m. § 1615 Abs. 2 BGB. Dies gilt genauso für 157
Vgl. zu der hierzu vertretenen Kritik in Kap. B. IV. 1. MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 14. 159 BGH Urt. v. 13. 02. 1996 – VI ZR 318/94, NJW 1996, 1674. 160 Möglich ist auch die Verpflichtung aus Rechtsgeschäft, vgl. MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 18. 161 Schramm, Haftung für Tötung, S. 101; MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 18. 162 BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 43; Staudinger/Röthel, 2015, § 844 BGB Rn. 49. 163 MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 16. 164 BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 42; Schulze/Staudinger, § 844 BGB Rn. 3. 158
III. Das Hinterbliebenengeld im System des Deliktsrechts
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den Lebenspartner gem. § 5 LPartG165 i. V. m. § 1360a i. V. m. § 1615 Abs. 2 BGB. Ist der Ehegatte nicht zur Unterhaltsleistung imstande, sind die in gerader ab- und aufsteigender Linie miteinander Verwandten verpflichtet, §§ 1601, 1606 BGB. Subsidiär kommt zudem die Verpflichtung eines Beschenkten gem. § 528 Abs. 1 S. 3 i. V. m. § 1615 Abs. 2 BGB aufgrund Notbedarfs des Schenkers in Betracht.166 bb) Die Höhe der gem. § 844 Abs. 1 BGB zu ersetzenden Beerdigungskosten Die Höhe richtet sich nach den Kosten für eine adäquate Beerdigung, zu der neben der Leichenbestattung auch die organisatorischen Aufwendungen sowie eine Beerdigungsfeier gehören.167 Dabei richtet sich die Angemessenheit nach dem sozialen Umfeld und den Umständen, in denen der Getötete gelebt hat.168 An dieser Maßgabe hat auch die Modifizierung des § 1968 BGB nichts geändert, nach der es seit dem 1. Januar 1999 nicht mehr die Kosten einer „standesgemäßen“ Beerdigung heißt.169 Dabei ist der erkennbare Wille des Verstorbenen zu berücksichtigen.170 b) Der Anspruch des Dritten auf entgangenen Unterhalt gem. § 844 Abs. 2 BGB Gem. § 844 Abs. 2 BGB erhält der Angehörige Ersatz für einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch, der ihm gegenüber dem Geschädigten zustehen würde, wenn dieser nicht durch die Handlung des Schädigers gestorben wäre. Es handelt sich also um einen Schadensersatzanspruch.171 Ersatzberechtigt gem. § 844 Abs. 2 BGB aufgrund gesetzlicher Unterhaltspflicht sind (geschiedene) Ehegatten (§ 1360 BGB), Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft (§ 5 LPartG), Verwandte in gerader Linie (§§ 1601 ff. BGB) und Eltern eines Kindes (§ 1615l BGB). Die Aufzählung ist nicht abschließend. Zwischen Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, für Stief- und Pflegekinder oder Verlobte lassen sich keine gesetzlichen Unterhaltspflichten statuieren. Dies gilt auch dann, wenn auf tatsächliche Weise Unterhalt gewährt und dies vertraglich vereinbart wurde.172 Die Ansprüche eines verarmten Schenkers aus § 528 BGB gegen den 165
Dies gilt gem. § 1 S. 2 LPartG nur noch für Lebenspartnerschaften, die vor dem 1. Oktober 2017 begründet worden sind. 166 MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 17. 167 BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 54. 168 BGH Urt. v. 20. 09. 1973 – III ZR 148/71, NJW 1973, 2103; BGH Urt. v. 04. 04. 1989 – VI ZR 97/88; BeckOGK/Grüner, BGB § 1968 Rn. 41. 169 BT-Drucks. 12/3803, S. 79, mit der Begründung, dass es sich um eine redaktionelle Änderung handele. 170 Staudinger/Kunz, 2020, § 1968 BGB Rn. 7. 171 Staudinger/Röthel, 2015, § 844 BGB Rn. 71. 172 BGH Urt. v. 24. 06. 1969 – VI ZR 66/67, NJW 1969, 2007.
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
Geschädigten können daher zu keiner Anspruchsentstehung gem. § 844 Abs. 2 BGB führen. Die Beschränkung auf gesetzlich Unterhaltsberechtigte stößt schon lange auf Kritik. Dies entspräche nicht mehr den Anforderungen an die Gesellschaft, da die Ehe nur eine von vielen Arten des Zusammenlebens sei.173 Gefordert wird ein erweiterter Anwendungsbereich des § 844 Abs. 2 BGB: Verlangt wird zum einen, dass auch vertraglich Unterhaltsberechtigte von § 844 Abs. 2 BGB erfasst sein sollen.174 Darüber hinaus wird vertreten, dass auch Mitglieder einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die Leistungen nur aufgrund eines tatsächlichen Verhältnisses erhalten haben, ersatzberechtigt sein sollen.175 Exemplarisch zu nennen ist der verstorbene Stiefvater, der aus einem rein faktischen Verhältnis heraus Unterhaltsleistungen an sein Stiefkind getätigt hat. Gegen den Ersatz von Zahlungen, die der Stiefvater gegenüber dem Stiefkind auf freiwilliger Basis geleistet hat, wird angeführt, dass solche Leistungen zu Lebzeiten aufgrund der Freiwilligkeit jederzeit hätten eingestellt werden können, sodass unklar bleibe, für welchen Zeitraum nach der Tötung des Unterhaltsleistenden Ersatz durch den Schädiger erfolgen solle.176 Die Beschränkung auf die gesetzliche Unterhaltspflicht zugunsten der Rechtssicherheit hat bis heute Bestand.177 Durch den Schädiger ist eine wiederkehrende Geldrente zu entrichten, deren Höhe mithilfe einer Prognose ermittelt wird. Dabei ist zu beurteilen, wie sich die Unterhaltsbeziehungen zwischen dem Unterhaltsberechtigten und dem verstorbenen Verpflichteten entwickelt hätten, wenn das die Tötung verursachte Ereignis nicht eingetreten wäre.178 Die Höhe dieser Rente richtet sich nach dem Betrag, den der Unterhaltsverpflichtete gegenüber dem Unterhaltsberechtigten hätte aufwenden müssen. Es wird ein fiktiver Unterhaltsprozess zugrunde gelegt.179 c) Der Anspruch des Dritten wegen entgangener Dienste gem. § 845 BGB Auch der Anspruch des Dritten gem. § 845 BGB durchbricht den Unmittelbarkeitsgrundsatz und gewährt einen Anspruch für entgangene Dienste, zu denen der Verletzte kraft Gesetzes in dessen Hauswesen oder Gewerbe verpflichtet war.180 173
MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 27. So auch der bayerische Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Rechtsstellung der Angehörigen von Unfallopfern, Stand: 15. Februar 2012, S. 1. 175 Staudinger, in: 50. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 15. 176 MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 30. 177 BGH Urt. v. 25. 04. 2006 – VI ZR 114/05, r+s 2006, 519; Staudinger, in: 50. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 14; Frank, in: FS Stoll, S. 175. 178 Diederichsen, in: NJW 2013, S. 641 (642); Stickelbrock, Richterliches Ermessen im Zivilprozess, S. 287. 179 Staudinger/Röthel, 2015, § 844 BGB Rn. 98. 180 MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 1; BeckOK BGB/Spindler, BGB § 845 Rn. 1. 174
III. Das Hinterbliebenengeld im System des Deliktsrechts
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Anders als § 844 BGB sieht § 845 BGB einen Schadensersatzanspruch aber auch bei Verletzung des Körpers oder der Gesundheit des kraft Gesetzes zur Dienstleistung Verpflichteten vor.181 Die Vorschrift des § 845 BGB hat aufgrund des gesellschaftlichen Wandels an Bedeutung verloren, ursprünglich ging es um die Pflicht der Familienangehörigen zur Mithilfe im Haushalt und im Betrieb.182 Heute beschränkt sich der Anwendungsbereich auf die gesetzliche Dienstleistungspflicht des Kindes („Hauskind“183), solange dieses gem. § 1619 BGB dem elterlichen Hausstand angehört und von den Eltern erzogen und unterhalten wird.184 2. Zwischenergebnis §§ 844, 845 BGB gewähren Angehörigen als Dritten eigene Ansprüche auf Entschädigung für die Beerdigungskosten, entgangenen Unterhalt und entgangene Dienste. Ersatzfähig waren bis zur Einführung des neuen Hinterbliebenengeldes in § 844 Abs. 3 BGB ausschließlich materielle Schäden. Dem Dritten stehen durch §§ 844, 845 BGB eigene Ansprüche zu, obwohl dieser keine eigene Rechtsgutsverletzung durch die schädigende Handlung des Anspruchsgegners erlitten hat. Aufgrund der fehlenden Unmittelbarkeit werden die Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlagen restriktiv ausgelegt. Die Rechtsprechung betont, dass Dritten nur ausnahmsweise gem. § 844 BGB ein eigener Anspruch zustehe.185 So beschränkt sich die Anspruchsberechtigung für die Unterhaltszahlungen gem. § 844 Abs. 2 BGB auf familienrechtlich begründete Unterhaltszahlungen.186 Für die Festsetzung eines Ersatzanspruchs gem. § 844 Abs. 2 BGB bei freiwillig geleistetem Unterhalt fehle es an einer sicheren Prognose hinsichtlich der künftigen Entwicklung der freiwilligen Leistungen. Aus diesem Grund fallen auch nichteheliche Lebensgemeinschaften nicht in den Anwendungsbereich des § 844 Abs. 2 BGB. Von der strengen Auslegung des Unterhaltsanspruchs haben sich Gesetzgebung und Rechtsprechung nicht gelöst, obwohl es sich bei dem zu zahlenden Unterhalt um einen materiellen Schaden handelt, dessen tatsächliches Vorliegen überprüft werden kann.
181
Frank, in: FS Stoll, S. 152. BeckOK BGB/Spindler, BGB § 845 Rn. 1. 183 Fuchs/Pauker/Baumgärtner, Deliktsrecht, S. 222; BeckOK BGB/Spindler, BGB § 845 Vor Rn. 1. 184 BGH Urt. v. 06. 11. 1990 – VI ZR 37/90, NJW 1991, 1226; BeckOGK/Eichelberger, BGB § 845 Rn. 12. 185 BGH Urt. v. 04. 11. 2003 – VI ZR 346/02, DAR 2004, 79. 186 BGH Urt. v. 24. 06. 1969 – VI ZR 66/67, NJW 1969, 2007; BGH Urt. v. 06. 12. 1983 – VI ZR 2/82, NJW 1984, 977; OLG Frankfurt Urt. v. 29. 06. 1983 – 7 U 267/82, VersR 1984, 449. 182
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB – die Anspruchsvoraussetzungen auf haftungsbegründender und haftungsausfüllender Ebene Der Inhalt des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB beruht auf dem Referentenentwurf des Justizministeriums vom 23. Dezember 2016 und dem Gesetzesentwurf des Bundestags vom 7. März 2017.187 Unter bestimmten Voraussetzungen sieht § 844 Abs. 3 BGB einen Anspruch auf Entschädigung für Hinterbliebene vor. Hierfür muss eine Tötung durch unerlaubte Handlung vorliegen, dem Hinterbliebenen muss seelisches Leid zugefügt worden sein und er muss zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis gestanden haben. Bei Vorliegen der Voraussetzungen ist dem Hinterbliebenen eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Aufgrund der systematischen Stellung des Hinterbliebenengeldes im Deliktsrecht ist für die Frage der Anspruchsvoraussetzungen gem. § 844 Abs. 3 BGB dem deliktsrechtlichen Haftungstatbestand zu folgen.188 § 844 Abs. 3 BGB gewährt ebenso wie § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB Ersatz für den Schaden eines Dritten.189 Schon der Wortlaut des neuen Hinterbliebenengeldes reiht sich in die bisherigen Bestimmungen des § 844 BGB ein: Anspruchsgegner ist gem § 844 Abs. 3 BGB der Ersatzpflichtige. Diese Ersatzpflicht bezieht sich auf die Haftung des Schädigers gem. §§ 823 ff. BGB, dieser muss gegenüber dem unmittelbar verletzten Primäropfer den Haftungstatbestand des § 823 BGB erfüllt haben. Der haftungsbegründende und auch der haftungsausfüllende Tatbestand des § 844 Abs. 3 BGB enthalten aber ausfüllungsbedürftige Voraussetzungen. Diese sind zunächst anhand der Gesetzesbegründung und der hierzu erfolgten Stellungnahmen zu bestimmen, aber auch anhand der Literatur aus den vergangenen Jahren, dessen Vorschläge teilweise durch § 844 Abs. 3 BGB umgesetzt wurden. 1. Die Voraussetzungen des Hinterbliebenengeldes gem. § 844 Abs. 3 BGB Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld setzen sich aus den in § 844 Abs. 3 BGB genannten Voraussetzungen und den die Ersatzpflicht begründenden Voraussetzungen der außervertraglichen Haftung zusammen.190 Hinsichtlich der Voraussetzung einer bestehenden Ersatzpflicht aufgrund des eingetretenen Todes des Opfers folgt die Anspruchsgrundlage191 des § 844 Abs. 3 BGB 187 BT-Drs. 18/11397, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld, der inhaltlich identisch ist mit dem Regierungsentwurf. 188 Vgl. zur persönlichen Haftung im Deliktsrecht Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 20 ff. 189 Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2644). 190 BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 200. 191 Zum Hinterbliebenengeld als eigenständige Anspruchsgrundlage vgl. Kap. E.
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
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den Voraussetzungen von § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB. § 844 Abs. 3 BGB enthält auf haftungsbegründender Ebene darüber hinausgehende Anspruchsvoraussetzungen. Zudem besteht der Schaden bei § 844 Abs. 3 BGB nicht in einem materiellen Schaden.192 Die Regelungen in Nebengesetzen, die eine Gefährdungshaftung begründen, enthalten eine eigene Regelung zum Anspruch auf Hinterbliebenengeld.193 Während sich das Hinterbliebenengeld einerseits in das deliktsrechtliche System einordnet lässt, da auch § 844 Abs. 1 und Abs. 2 Schadensersatz für einen Dritten aufgrund der Tötung vorsehen, unterscheidet sich § 844 Abs. 3 BGB durch den Ersatz eines immateriellen Schadens. a) Der haftungsbegründende Tatbestand des § 844 Abs. 3 BGB Für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld bedarf es einem Dreipersonenverhältnis, bestehend aus Schädiger, Primärverletztem194 und dem Hinterbliebenen.195 aa) Das Bestehen einer Ersatzpflicht gegenüber dem Getöteten Für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld muss eine Ersatzpflicht des Anspruchsgegners gegenüber dem Getöteten als Primärverletzter bestehen. Nur wenn diese Haftung begründet werden kann, liegt die für § 844 BGB erforderliche Ersatzpflicht vor. Während die haftungsbegründende Voraussetzung des besonderen persönlichen Näheverhältnisses im Verhältnis zwischen dem getöteten Opfer und dem Hinterbliebenen196 als Anspruchsteller vorliegen muss, bezieht sich die für § 844 Abs. 3 BGB erforderliche Ersatzpflicht des Anspruchsgegners auf die Haftung zwischen dem Schädiger und dem Primärverletzten. Die Einordnung des Hinterbliebenengeldes als § 844 Abs. 3 BGB legt es nahe, hier den gleichen Anwendungsbereich wie für § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB anzunehmen.197 Danach bezieht sich die Ersatzpflicht auf die deliktische Haftung gem. §§ 823 ff. BGB. Vom Anwendungsbereich der Absätze 1 und 2 des § 844 BGB erfasst sind auch §§ 831, 832 BGB sowie die Billigkeitshaftung gem. § 829 BGB, die Tierhalterhaftung gem. § 833 S. 1 BGB, die Haftung des Grundstückbesitzers gem. §§ 834 – 836 BGB und die Amtshaftung gem. § 839 BGB.198 Die in Spezialgesetzen geregelte Gefährdungshaftung enthält eigene Anspruchsgrundlagen mit dem Inhalt von § 844 192
Näher hierzu vgl. Kap. B. IV. 1. c). Vgl. § 86 Abs. 3 AMG, § 32 Abs. 4 S. 5, 6 GenTG, § 7 Abs. 3 ProdHaftG, § 12 Abs. 3 UmweltHG, § 10 Abs. 3 StVG, § 5 Abs. 3 HaftPflG, § 28 Abs. 3 AtomG, § 35 Abs. 3 LuftVG. 194 Der Primärverletzte wird im Folgenden auch Verletzter und Getöteter genannt. 195 Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (403). 196 Der Hinterbliebene wird im Folgenden auch Dritter und Anspruchsteller genannt. 197 BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 200. 198 MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 8. 193
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
BGB. Die vertragliche Haftung wird vom Hinterbliebenengeld laut Gesetzesbegründung nicht erfasst.199 Für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld müssen daher neben den besonderen Voraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB die deliktsrechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen einer Ersatzpflicht gem. §§ 823 ff. BGB vorliegen.200 (1) Rechtsgutsverletzung und haftungsbegründende Kausalität Der Schädiger als Anspruchsgegner muss durch eine unerlaubte Handlung ein Rechtsgut des Primärverletzten gem. § 823 Abs. 1 BGB verletzt haben.201 Dieses bedeutet für einen Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB die kausale, objektiv-zurechenbare Verursachung des Todes als Verletzungserfolg durch menschliches Verhalten.202 Zu den anspruchsbegründenden unerlaubten Handlungen zählen sowohl solche gem. § 823 Abs. 1 BGB als auch Schutzgesetzverletzungen gem. § 823 Abs. 2 BGB sowie alle gem. §§ 831 bis 836 und 839 BGB tatbestandlichen Handlungen.203 Dabei sind die Voraussetzungen der haftungsbegründenden Kausalität,204 insbesondere die Einschränkung durch den Schutzzweck zu beachten.205 (2) Verschulden: Mitverantwortlichkeit Für das Vorliegen der Ersatzpflicht als haftungsbegründende Voraussetzungen gem. § 844 Abs. 3 BGB muss der Anspruchsgegner die Rechtsgutsverletzung vorsätzlich oder fahrlässig verursacht haben.206 Das Verschulden bezieht sich auf den Haftungstatbestand,207 sodass es im Rahmen von § 844 Abs. 3 BGB auf die Tötung des Verletzten als Rechtsgutsverletzung ankommt, sofern der Tod als haftungsbegründende Voraussetzung anzusehen ist.208 Es gelten die Regelungen zur Deliktsfähigkeit (§§ 827, 828 BGB) und zur Gesamtschuld (§ 840 BGB).209 Die Gesetzesbegründung weist ausdrücklich darauf hin, dass ein Mitverschulden des Getöteten gem. § 846 BGB bei der Geltendmachung des 199 BT-Drs. 18/11397; MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 100; a. A.: Verh. D. BT, 18. Wahlp., S. 22192. 200 Jaeger, in: VersR 2017, S. 1041 (1051). 201 BT-Drs. 18/11397, S. 13. 202 Soergel/Spickhoff, § 823 BGB Rn. 1. 203 BT-Drs. 18/11397, S. 13. 204 Vgl. zu der Frage, ob der Eintritt des Todes eine haftungsbegründende Voraussetzung darstellt, Kap. E. 205 Umstr., inwiefern die Adäquanz als normatives Zurechnungskriterium im Rahmen der Haftungsbegründung heranzuziehen ist, für eine Berücksichtigung: Staudinger/Schiemann, 2017, § 249 BGB Rn. 23; a. A.: MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 73. 206 MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 28. 207 MüKoBGB/Grundmann, § 276 Rn. 52. 208 Vgl. zur Tötung als haftungsbegründende Voraussetzung in Kap. E. 209 BT-Drs. 18/11397, S. 12
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
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Hinterbliebenengeldes zu berücksichtigen sei.210 Dabei sei aber keine Quotelung nach Mitverschuldensanteilen vorzunehmen, sondern wie beim immateriellen Schadensersatz das Mitverschulden als bei der Bemessung des Anspruchs zu berücksichtigender Umstand einzubeziehen.211 Denkbar sei z. B. die anspruchsmindernde Berücksichtigung der Verletzung der Aufsichtspflicht der Eltern von getöteten Kindern.212 Ist der Verletzte bei einem Verkehrsunfall getötet worden, sei auch die vom Getöteten zu verantwortende Betriebsgefahr zu berücksichtigen.213 In Betracht kommt zudem die Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Hinterbliebenen als Anspruchsteller.214 Das Mitverschulden des Hinterbliebenen richtet sich unmittelbar nach § 254 BGB.215 Durch § 844 Abs. 3 BGB steht dem Hinterbliebenen ein eigener, eigenständiger Anspruch zu, sodass ihn die Schadensminderungsobliegenheit gem. § 254 Abs. 2 BGB trifft.216 Zweifelhaft ist jedoch, ob die Schadensminderungsobliegenheit für den Hinterbliebenen praktische Relevanz hat. bb) Die Anspruchsberechtigung gem. § 844 Abs. 3 BGB Gemäß § 844 Abs. 3 S. 1 BGB haben „Hinterbliebene“ einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung in Geld. Einen solchen Anspruch haben nur die Hinterbliebenen, die zum Zeitpunkt der Verletzung zu dem Getöteten in einem „besonderen persönlichen Näheverhältnis“ standen. Gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB wird ein besonderes persönliches Näheverhältnis für den Ehegatten, den Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten vermutet. Für einen Anspruchsteller besteht ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB also nur dann, wenn dieser Hinterbliebener mit einem besonderen persönlichen Näheverhältnis zu dem Getöteten ist. Der Gesetzgeber macht damit deutlich, dass die bisherige gesetzliche Verwendung des Hinterbliebenenbegriffs nicht auf das Hinterbliebenengeld übertragbar ist.217 Anders als der Begriff Angehörige, bringt die Bezeichnung Hinterbliebene zum Ausdruck, dass die dem An210
BT-Drs. 18/11397, S. 12, 15; so auch Bredemeyer, in: ZEV 2017, S. 690. Huber, in: JuS 2018, S. 744; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, § 844 Rn. 241. 212 Huber, in: JuS 2018, S. 744. 213 BT-Drs. 18/11397, S. 12; Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401; Jaeger, in: VersR 2017, S. 1041. 214 Bredemeyer, in: ZEV 2017, S. 690 (693); für § 844 BGB allgemein vgl. MüKoBGB/ Wagner, § 846 Rn. 7; BeckOGK/Eichelberger, BGB § 846 Rn. 24, hierbei würde sich das Mitverschulden aber nur nach § 254 BGB richten. 215 BeckOGK/Eichelberger, BGB § 846 Rn. 24. 216 Staudinger/Röthel, 2015, § 844 BGB Rn. 5. 217 BT-Drs. 18/11397, S. 13. 211
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
spruchsteller nahe stehende Person verstorben ist.218 Bei dem besonderen persönlichen Näheverhältnis handelt es sich aber um eine auslegungsbedürftige Anspruchsvoraussetzung. Zunächst ist deshalb ein Überblick über die möglichen anspruchsberechtigten Personenkreise zu geben. Gesetzgebung und Rechtsprechung verwenden für die verschiedenen Personenkreise unterschiedliche Oberbegriffe wie die Familie219, die Familienangehörigen220, die Verwandten221 und die Angehörigen222, die jedoch je nach Sachzusammenhang unterschiedlich weit gefasst sind.223 (1) Die Bedeutung des Angehörigenbegriffs in verschiedenen Gesetzestexten Die wissenschaftliche Diskussion vor der Einführung des neuen Hinterbliebenengeldes hatte die Frage unter dem „Angehörigenschmerzensgeld“ diskutiert.224 Der Begriff Angehörige wird in unterschiedlichen Gesetzen und Normen verwendet.225 Auch im BGB tauchen die Angehörigen in unterschiedlichen Normen auf.226 Eine einheitliche Begriffsbestimmung existiert für Angehörige im BGB nicht. Je nach Normzweck ist die Bedeutung der Angehörigen unterschiedlich weit auszulegen. Der Gesetzesentwurf zu § 844 Abs. 3 BGB spricht von „nahen Angehörigen“.227 Auch die Rechtsprechung zu den sog. Schockschäden knüpft die Anspruchsberechtigung an „nahe Angehörige“ als Dritte.228 Es ist diskutiert worden, ob es auf das Näheverhältnis oder ein familienrechtliches Statusverhältnis ankommt.229 Ehegatten, Eltern und Kinder werden jedenfalls einheitlich als nahe Angehörige im Sinne der Schockschaden-Rechtsprechung230 beurteilt.231
218
Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (404). Vgl. zum Begriff der Familie in Kap. B. IV. 1. b) bb) (2). 220 Vgl. zu den Familienangehörigen im BGB Kap. B. IV. 1. b) bb) (1). 221 Vgl. zu den Verwandten in Kap. B. IV. 1. b) bb) (3). 222 Vgl. zur Bedeutung der Angehörigen gem. § 11 StGB Kap. B. IV. 1. b) bb) (1) (a). 223 MüKoBGB/Wellenhofer, § 1589 Rn. 1 – 5. 224 Vgl. „Schockschaden und Angehörigenschmerzensgeld: Neues vom BGH und Gesetzgeber“, Hoppenstedt, in: ZRP 2015, S. 18; „Kein Angehörigenschmerzensgeld“, MüKoBGB/Wagner, 2019, § 844 Rn. 3 ff.; „Einführung eines Anspruchs auf Angehörigenschmerzensgeld“, Zwickel, in: NZV 2015, S. 214. 225 Z. B. in Art. 104 Abs. 4 GG, § 52 Abs. 1 StPO, § 65 Abs. 1 BBG, § 19 Abs. 5 AGG, § 15 Abs. 1 AO, § 4 Abs. 1 TPG. Die Aufzählung ist nicht abschließend und auch die Darstellung der verschiedenen Angehörigenbegriffe erfolgt nur beispielhaft. 226 Vgl. z. B. §§ 530 Abs. 1, 573 Abs. 2, 1847 BGB. 227 BT-Drs. 18/11397, S. 1. 228 BGH Urt. v. 27. 01. 2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451; BGH Urt. v. 10. 02. 2015 – VI ZR 8/14, r+s 2015, 260. 229 Schramm, Haftung für Tötung, S. 156; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 219. 230 Näheres zur Schockschaden-Rechtsprechung vgl. Kap. B. IV. 4. 231 Berz/Burmann/Heß/Burmann Rn. 19; Stiegler, Schmerzengeld für Schock- und Trauerschäden, S. 39. 219
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
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Trotz fehlender Legaldefinition setzen verschiedene Gesetze die Bedeutung der Angehörigen voraus. Es wird von Familienangehörigen232, nahen Angehörigen233 und Haushaltsangehörigen234 gesprochen. Die nachfolgenden Ausführungen stellen nur einen Ausschnitt dar, es erfolgt keine abschließende Darstellung des Angehörigenbegriffs in den verschiedenen Gesetzestexten.235 (a) Der Angehörigenbegriff im Strafrecht Im Strafrecht ist der Angehörigenbegriff in § 11 StGB236 legal definiert und erfasst gem. § 11 Abs. 1 Nr. 1a StGB Verwandte und Verschwägerte gerader Linie, den Ehegatten, den Lebenspartner, den Verlobten sowie Ehegatten, Lebenspartner und Geschwister der Ehegatten oder Lebenspartner sowie gem. § 11 Abs. 1 Nr. 1b StGB Pflegeeltern und Pflegekinder. Hierfür ist es gem. § 11 Abs. 1 Nr. 1a StGB unerheblich, ob die Beziehung noch besteht oder die Verwandtschaft inzwischen erloschen ist. Der BGH setzt für den Status des Verlobten ein auf einem ernstlich gemeinten Willensentschluss beruhendes Eheversprechen voraus.237 Der strafrechtliche Angehörigenbegriff geht sowohl über das verfassungs- und zivilrechtliche Verständnis von der Familie als auch über den zivilrechtlichen Verwandtschaftsbegriff hinaus.238 Während gem. § 1755 Abs. 1 BGB im Falle der Adoption das Verwandtschaftsverhältnis zu den bisherigen Verwandten erlischt,
232 Gem. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB besteht ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses, wenn ein Familienangehöriger oder ein Haushaltsangehöriger die Wohnung benötigt. In § 10 Abs. 1 SGB V werden als Familienangehörige der Ehegatte, der Lebenspartner und die Kinder benannt, die in der Familienversicherung mitversichert sind. 233 Gem. § 3 PflegeZG sind Beschäftigte von der Arbeit vollständig oder teilweise freizustellen, wenn diese einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen pflegen. 234 Gem. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB besteht ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses, wenn ein Familienangehöriger oder ein Haushaltsangehöriger die Wohnung benötigt. 235 Der Angehörigenbegriff wird z. B. in Art. 104 Abs. 4 GG, § 52 Abs. 1 StPO, § 65 Abs. 1 BBG, § 19 Abs. 5 AGG, § 15 Abs. 1 AO, § 4 Abs. 1 TPG verwendet. Die Aufzählung ist nicht abschließend und auch die Darstellung der verschiedenen Angehörigenbegriffe erfolgt nur beispielhaft. 236 „(1) Im Sinne dieses Gesetzes ist 1. Angehöriger: wer zu den folgenden Personen gehört: a) Verwandte und Verschwägerte gerader Linie, der Ehegatte, der Lebenspartner, der Verlobte, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner der Geschwister, Geschwister der Ehegatten oder Lebenspartner, und zwar auch dann, wenn die Ehe oder die Lebenspartnerschaft, welche die Beziehung begründet hat, nicht mehr besteht oder wenn die Verwandtschaft oder Schwägerschaft erloschen ist, b) Pflegeeltern und Pflegekinder (…)“. 237 BGH Urt. v. 12. 07. 1979 – 4 StR 204/79, NJW 1979, 2055. 238 Schramm, Ehe und Familie im Strafrecht, S. 296.
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
erfasst § 11 StGB auch diese Verwandten als Angehörige.239 Keine Angehörigen i. S. d. § 11 StGB sind jedoch nichteheliche Lebensgemeinschaften.240 (b) Der Angehörigenbegriff im Zivilrecht Aufgrund der fehlenden Legaldefinition im Zivilrecht bedienen sich Literatur und Rechtsprechung vereinzelt der Bedeutung der Angehörigen in § 11 StGB.241 § 11 StGB könne in Verbindung mit einem bestehenden Näheverhältnis als Orientierung für die Bestimmung eines „nahen Angehörigen“ gem. § 530 Abs. 1 BGB242 dienen.243 Danach stünde die persönliche und nicht die familienrechtliche Beziehung im Vordergrund.244 Darüber hinaus findet sich der Angehörigenbegriff in den mietrechtlichen Vorschriften wieder. Gem. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB hat der Vermieter ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses, wenn der Vermieter die Räume für seine „Familienangehörigen“ oder „Angehörige seines Haushalts“ benötigt. Darunter sollen engste Familienmitglieder wie Kinder, Eltern und Geschwister sowie sonstige Verwandte gerader Linie, wie Enkelkinder und Großeltern fallen. Für entfernte Verwandte fordert der BGH eine konkrete persönliche oder soziale Bindung zwischen Vermieter und seinem Angehörigen, Nichten und Neffen bewertet die Rechtsprechung aber noch als Familienangehörige.245 Dabei weist der BGH darauf hin, dass sich dieses nicht aus dem Wortlaut des § 573 BGB ergebe. Vielmehr resultiere die Bewertung aus der Rechtsordnung und der Privilegierung von Familienangehörigen in anderen Normen.246 Bei engen Verwandtschaftsverhältnissen bedürfe es für das Privileg keinem Nachweis über eine enge soziale Bindung. Sodann zieht der BGH in seinem Urteil zu Nichten und Neffen einen Vergleich zum Zeugnisverweigerungsrecht in § 383 ZPO.247 Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft fallen unter Haushaltsangehörige gem. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB.248 239
Schramm, Ehe und Familie im Strafrecht, S. 296. Lackner/Kühl/Heger, § 11 StGB Rn. 2; MüKoStGB/Radtke, § 11 Rn. 13; NK-StGB/ Saliger, § 11 StGB Rn. 11; a. A.: Schramm, Ehe und Familie im Strafrecht, S. 297. 241 MüKoBGB/Koch, § 530 Rn. 5. 242 „(1) Eine Schenkung kann widerrufen werden, wenn sich der Beschenkte durch eine schwere Verfehlung gegen den Schenker oder einen nahen Angehörigen des Schenkers groben Undanks schuldig macht.“ 243 MüKoBGB/Koch, § 530 Rn. 5; kritisch dazu vgl. BeckOGK/Harke, BGB § 530 Rn. 13. 244 BeckOGK/Harke, BGB § 530 Rn. 13. Für den strafrechtlichen Angehörigenbegriff ist zu berücksichtigen, dass die Anforderungen an die Klarstellungsfunktion aus Gründen des rechtsstaatlichen Anspruchs auf Rechtssicherheit deutlich höher als im Zivilrecht sind (MaunzDürig/Remmert Art. 103 GG Rn. 7). Das Gleiche gilt für den Angehörigenbegriff in Art. 104 Abs. 4 GG (Maunz-Dürig/Mehde Art. 104 GG Rn. 171). 245 BGH Urt. v. 27. 01. 2010 – VIII ZR 159/09, NZM 2010, 271; Kritik daran vgl. Wiek, in: WuM 2010, S. 119. 246 BGH Urt. v. 27. 01. 2010 – VIII ZR 159/09, NZM 2010, 271. 247 BGH Urt. v. 27. 01. 2010 – VIII ZR 159/09, NZM 2010, 271. 248 MüKoBGB/Häublein, § 573 Rn. 98. 240
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
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§ 563 Abs. 2 S. 2 BGB249 setzt ebenfalls einen Familienangehörigen voraus, der bei Tod des Vermieters in das Mietverhältnis eintritt, soweit nicht der Ehegatte oder Lebenspartner eintritt. Anders als in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, setzt § 563 Abs. 2 S. 2 BGB einen gemeinsamen Haushalt der Familienangehörigen voraus. Die gemeinsame Haushaltsführung ist aber nur für Familienangehörige Voraussetzung, die nicht gem. § 563 Abs. 2 S. 1 BGB Kinder oder gem. § 563 Abs. 2 S. 2 BGB Ehegatten oder Lebenspartner sind.250 Liegt ein gemeinsamer Haushalt vor, können auch rechtliche Verwandte, Pflegekinder und Verlobte Familienangehörige i. S. d. § 563 Abs. 2 S. 1 BGB sein.251 Darüber hinaus können gem. § 563 Abs. 2 S. 3 BGB auch andere Personen in das Mietverhältnis eintreten, wenn ein auf Dauer angelegter gemeinsamer Haushalt mit dem Mieter geführt wurde. Für das Merkmal Dauer kommt es auf die Vorstellungen der Partner an.252 Hierdurch wird insbesondere nichtehelichen Lebensgemeinschaften ein Eintrittsrecht gewährt.253 Laut Gesetzesbegründung seien bloße Haushalts- und Wohngemeinschaften nicht erfasst, vielmehr käme es auf die Intensität der Beziehung an.254 Zur Vermeidung von Rechtsmissbrauch bedürfe es objektiven und nachprüfbaren Kriterien, da es an einem Nachweis wie einer Urkunde gerade fehlt.255 Der Personenkreis der Familienangehörigen gem. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist zugunsten des zu schützenden Mieters enger auszulegen als der gem. § 563 Abs. 2 S. 2 BGB.256 Der Gesetzgeber hat auch bei der Einschränkung des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots auf den Angehörigenbegriff zurückgegriffen. Zu den in § 19 Abs. 5 AGG257 genannten Angehörigen führt der Gesetzesentwurf aus, dass damit Mitglieder des engeren Familienkreises, also Eltern, Kinder, Ehe- und Lebenspartner und Geschwister erfasst seien.258 Damit sei der Begriff deckungsgleich mit den Familienangehörigen im Sinne der mietrechtlichen Vorschrift des § 573 Abs. 2 Nr. 2 249 „(2) Leben in dem gemeinsamen Haushalt Kinder des Mieters, treten diese mit dem Tod des Mieters in das Mietverhältnis ein, wenn nicht der Ehegatte oder Lebenspartner eintritt. Andere Familienangehörige, die mit dem Mieter einen gemeinsamen Haushalt führen, treten mit dem Tod des Mieters in das Mietverhältnis ein, wenn nicht der Ehegatte oder der Lebenspartner eintritt. Dasselbe gilt für Personen, die mit dem Mieter einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt führen.“ 250 MüKoBGB/Häublein, § 563 Rn. 13. 251 BGH Beschl. v. 13. 01. 1993 – VIII ARZ 6/92, NJW 1993, 999. 252 MüKoBGB/Häublein, § 563 Rn. 13. 253 BGH Beschl. v. 13. 01. 1993 – VIII ARZ 6/92, NJW 1993, 999; BT-Drs. 14/4553, S. 61. 254 BT-Drs. 14/4553, S. 61. 255 BT-Drs. 14/4553, S. 61. 256 Leszczenski, Rückforderung schwiegerelterlicher Zuwendungen, S. 111. 257 „(5) Die Vorschriften dieses Abschnitts finden keine Anwendung auf zivilrechtliche Schuldverhältnisse, bei denen ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis der Parteien oder ihrer Angehörigen begründet wird. (…).“ 258 BT-Drs. 16/1780, S. 43.
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
BGB259.260 Bei der Übertragung des Angehörigenbegriffs in § 573 BGB auf § 19 AGG ist zu berücksichtigen, dass die durch § 573 BGB verfolgten Interessen des Vermieters weniger schwer wiegen als der Anspruch auf das Verbot der Benachteiligung nach dem AGG. Losgelöst vom Normzweck wird bei der Auslegung der einzelnen Angehörigenbegriffe stets das tatsächlich bestehende Näheverhältnis berücksichtigt. Geht es um andere als nahe stehende Familienmitglieder, wird eine solche Nähebeziehung sogar vorausgesetzt.261 Dennoch stellen die familienrechtlichen Strukturen zunächst den Ausgangspunkt der Angehörigeneigenschaft dar. (2) Die Familie als Kern der Angehörigeneigenschaft Die Begriffe Familie und Angehörige können zwar den gleichen Personenkreis umfassen, der Begriff Angehörige ist aber grundsätzlich weiter gefasst.262 Der Familienbegriff ist weder durch das Grundgesetz noch durch familienrechtliche Vorschriften definiert.263 Das Verständnis der Familie im BGB ist je nach Vorschrift unterschiedlich. Viele familienrechtliche Bestimmungen264 beziehen sich auf die Kleinfamilie als Hausgemeinschaft zwischen Eltern und Kindern.265 Für die Unterhaltspflicht zwischen Verwandten gem. §§ 1601 ff. BGB und die gesetzliche Erbfolge gem. §§ 1924 ff. BGB wird die Großfamilie als Gemeinschaft aller Blutsverwandten zugrunde gelegt.266 Der Familie und Ehe kommt über Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlicher Schutz zu.267 Ursprünglich galt die Familie als durch die Ehe begründet mit der Absicht eine Lebensgemeinschaft für die aus der Ehe resultierenden Kinder zu bilden.268 Unter Familie können auch nicht Blutsverwandte, wie Stief-, Adoptiv- und Pflegekinder 259 „(2) Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt insbesondere vor, wenn (…) 2. der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt (…).“ 260 BT-Drs. 16/1780, S. 43; MüKoAGG/Thüsing, § 19 Rn. 111. 261 BGH Urt. v. 27. 01. 2010 – VIII ZR 159/09, NZM 2010, 271. 262 MüKoBGB/Koch Einl FamR Rn. 48. 263 BGB-RGRK/Böckermann, Vor § 1589 Rn. 9; Hilbig-Lugani, Staat – Familie – Individuum, S. 10. 264 Bestimmungen über das Eherecht (§§ 1297 – 1588 BGB), Rechtsverhältnis zwischen Kindern und Eltern (§§ 1616 ff. BGB), vgl. Schlüter, Familienrecht, Rn. 1. 265 Schlüter, Familienrecht, Rn. 1. 266 Schlüter, Familienrecht, Rn. 1. 267 MüKoBGB/Wellenhofer, § 1589 Rn. 5. 268 BVerfG Beschl. v. 31. 05. 1978 – 1 BvR 683/77, NJW 1978, 2289; Maunz-Dürig/Badura Art. 6 GG Rn. 60; Nomos/Diwell Art. 6 GG Rn. 26. Der sozialversicherungsrechtliche Familienbegriff stellt ebenfalls auf das Kindschaftsverhältnis ab. Es wird aber verlangt, dass es sich um Ehegatten und ihre unterhaltsberechtigten Kinder oder solche Kinder handelt, die den Kindern der Ehegatten nach sozialrechtlichen Vorschriften gleichgestellt sind (KasselerKomm/ Gürtner, § 303 SGB VI Rn. 18).
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
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fallen.269 Die Familie ist auch für die Gemeinschaft zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern zu bejahen.270 Bei fehlender Ehe im Rahmen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft bezieht sich der Familienbegriff auf das Verhältnis zwischen nichtverheiratetem Vater oder nichtverheirateter Mutter und dem Kind.271 Eine nichteheliche Lebensgemeinschaft kann also eine Familie im verfassungsrechtlichen Sinne darstellen, wenn aus dieser Partnerschaft Kinder hervorgegangen sind.272 Die Ehe oder nichteheliche Lebensgemeinschaft als solches reicht für die Begründung einer Familie nicht aus.273 Je nach Sachzusammenhang kommt eine Erweiterung des verfassungsrechtlichen Familienbegriffs auf die Großfamilie in Betracht.274 Das BVerfG hat in seinen Entscheidungen auf die familiäre Verbundenheit abgestellt und die Einbindung der Großeltern in familiäre Strukturen bejaht. Die Großeltern seien daher grundsätzlich vom Schutzbereich des Art. 6 I GG erfasst.275 Zu berücksichtigen ist aber, dass in beiden zu entscheidenden Fällen eine Haushaltsgemeinschaft zwischen Großmutter und Enkelkind bestand.276 Der soziale Wandel hat dazu geführt, dass neben der biologischen, auch die soziale Verbundenheit ausschlaggebend geworden ist und damit für das Bestehen einer Familie nicht zwingend die Gemeinschaft verheirateter Eltern mit ihren Kindern vorausgesetzt wird.277 Im Fokus steht aber das Verhältnis zwischen ehelichen, nichtehelichen, oder angenommenen Kindern und ihren Eltern.278 (3) Der Personenkreis der Verwandten Das Gesetz definiert Verwandtschaft durch das Vorliegen eines Verwandtschaftsverhältnisses. Die auf der Abstammung beruhenden Verwandten werden in Linien und Verwandtschaftsgrade eingeteilt. Gemäß § 1589 Abs. 1 S. 1 BGB sind Personen, deren eine von der anderen abstammt, in gerader Linie verwandt. Personen, die nicht in gerader Linie verwandt sind aber von derselben dritten Person abstammen, sind gem. § 1589 Abs. 1 S. 2 BGB in der Seitenlinie verwandt. Damit 269
BVerfG Beschl. v. 30. 06. 1964 – 1 BvL 16-25/62, NJW 1964, 1563; Mangoldt/Klein/ Starck/Robbers Art. 6 GG Rn. 77; BeckOK GG/Uhle GG Art. 6 Rn. 15. 270 BVerfG Beschl. v. 05. 02. 1981 – 2 BvR 646/80, NJW 1981, 1943; BeckOK GG/Uhle GG Art. 6 Rn. 19. 271 Maunz-Dürig/Badura Art. 6 GG Rn. 60; BeckOK GG/Uhle GG Art. 6 Rn. 16; HGR/ Steiner, § 108 Rn. 43. 272 Vgl. zur „faktischen Eltern-Kind-Beziehung“: BeckOGK/Uhle GG Art. 6 Rn. 16; BVerfG Urt. v. 19. 02. 2013 – 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, NJW 2013, 847. 273 Mangoldt/Klein/Starck/Robbers Art. 6 GG Rn. 78; BeckOK GG/Uhle GG Art. 6 Rn. 18. 274 BK/Seiler Art. 6 GG Rn. 81; BeckOK GG/Uhle GG Art. 6 Rn. 14a. 275 BVerfG Beschl. v. 24. 06. 2014 – 1 BvR 2926/13, NJW 2014, 2853; BVerfG Beschl v. 27. 08. 2014 – 1 BvR 1467/14, FamRZ, 1841; Maunz-Dürig/Badura Art. 6 GG Rn. 19. 276 BVerfG Beschl. v. 24. 06. 2014 – 1 BvR 2926/13, NJW 2014, 2853; BVerfG Beschl v. 27. 08. 2014 – 1 BvR 1467/14, FamRZ, 1841. 277 BK/Seiler Art. 6 GG Rn. 74; BeckOK GG/Uhle Art. 6 Rn. 16. 278 MüKoBGB/Wellenhofer, § 1589 Rn. 5.
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
enthält Absatz 1 die auf Abstammung beruhende genetische Verwandtschaft. Diese wird als Verwandtschaft im engeren Sinne bezeichnet.279 § 1590 BGB enthält die durch die Eheschließung entstehende Verwandtschaft mit den Verwandten des Ehegatten.280 Darüber hinaus ordnet das Gesetz in § 1754 BGB die Begründung eines Verwandtschaftsverhältnisses für die Annahme eines Kindes im Rahmen des Adoptionsrechts an. Ein gesetzlich vorgesehenes Verwandtschaftsverhältnis entsteht danach nicht nur durch Abstammung, der Begriff der Verwandtschaft erfasst auch die rechtlichen Verwandten ohne Abstammung (Verwandtschaft im weiteren Sinne).281 Der Verwandtschaftsbegriff gilt im BGB einheitlich.282 (4) Zusammenfassung Rechtliche Kollektiva
Erfasste Personengruppen
Familie i. S. d. Art. 6 GG – Eltern/Kinder – Stief-/Pflege/Adoptivkinder – Großeltern Enge Verwandtschaft gem. § 1589 BGB
– Eltern/Kinder – Großeltern/Enkelkinder – Geschwister – – Nichte/Neffe – Tante/Onkel
Rechtliche Verwandtschaft gem. §§ 1590, 1754 BGB
– Familie des/-r Ehegatten/-in – Enge Verwandtschaft im Falle der Adoption
Familienangehörige i. S. d. § 573 BGB
– Enge Verwandtschaft – Ehegatte/-in/Lebenspartner/-in
Angehörige gem. § 11 StGB
– Enge und rechtliche Verwandtschaft – Ehegatte/-in/Lebenspartner/-in – Verlobte/-r
279
Rechtsprechungs-Nachweis BVerfG Beschl. v. 30. 06. 1964 – 1 BvL 16 – 25/62, NJW 1964, 1563; BVerfG Beschl. v. 24. 06. 2014 – 1 BvR 2926/13, NJW 2014, 2853
BGH, Urt. v. 27. 01. 2010 – VIII ZR 159/09, NJW 2010, 1290; BGH Urt. v. 09. 07. 2003 – VIII ZR 276/02, NJW 2003, 2604
BeckOGK/Haßfurter, BGB § 1589 Rn. 5. Wagner/Schütze/Diewald, Sozialwissenschaftliche Beiträge zu einem vernachlässigten Thema, S. 63; MüKoBGB/Wellenhofer, § 1589 Rn. 1. 281 MüKoBGB/Wellenhofer, § 1589 Rn. 7. 282 MüKoBGB/Wellenhofer, § 1589 Rn. 2. 280
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
63
Das besondere persönliche Näheverhältnis als anspruchsbegründende Voraussetzung gem. § 844 Abs. 3 BGB bringt zum Ausdruck, dass es für die Hinterbliebeneneigenschaft vorrangig auf das tatsächliche Verhältnis zwischen dem Getöteten und dem Anspruchsteller ankommen soll. Aus der Familien- oder Verwandtschaftszugehörigkeit des Anspruchstellers ergibt sich deshalb nicht automatisch eine Anspruchsberechtigung. Die Hinterbliebeneneigenschaft gem. § 844 Abs. 3 BGB ist ohne bestimmte familienrechtliche Bindung möglich. Gemäß der Vermutung in 844 Abs. 3 S. 2 BGB werden aber gerade die persönlichen Beziehungen privilegiert, die auf einer formalen Position beruhen. Diese Personenkreise sind durch § 844 Abs. 3 S. 2 BGB konkret bestimmt. Deshalb stellt sich die Frage, welche weiteren Personenkreise regelmäßig einen Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB geltend machen können. Hierfür ist es schon aufgrund des gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB privilegierten Personenkreises naheliegend, zunächst auf die formale Position des Anspruchstellers abzustellen. Zumindest gibt die formale Position eine erste Hilfestellung für die Frage eines Näheverhältnisses. In den vorstehenden Ausführungen war deshalb die Frage relevant, welche Personenkreise von den Begriffen Angehörige, Familie und Verwandte erfasst sind. Eine Aussage darüber, ob diese Personenkreise tatsächlich durch ihre formale Position die Feststellung des Näheverhältnisses erleichtern können, lässt sich hierdurch noch nicht treffen. Für den in verschiedenen Gesetzestexten verwendeten Begriff der Angehörigen kann keine einheitliche Bedeutung bestimmt werden, diese richtet sich vielmehr nach dem jeweiligen Normzweck.283 Die Übersicht bringt zum Ausdruck, dass grundsätzlich die Großfamilie, die Kleinfamilie, die engen Verwandten und die rechtlichen Verwandten Angehörige gemäß des straf- oder zivilrechtlichen Angehörigenbegriffs darstellen können. Zu den engen Verwandten zählen auch alle Verwandten in Seitenlinien, sodass auch Tanten, Onkel, Nichten und Neffen enge Verwandte im zivilrechtlichen Sinne sind. Hier kann die formale Position wenig Auskunft über das Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 geben, da die Verwandtschaft einen weiten Personenkreis erfasst. Die Bedeutung der Familie wird bereits durch den privilegierten Personenkreis gem § 844 Abs. 3 S. 2 BGB zum Ausdruck gebracht. Im Vordergrund steht die schützenswerte Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern.284 Auch wenn der Begriff durch die Rechtsprechung weiterentwickelt wurde, liegt der Fokus auf der Frage, welche Kinder mit welchen Bezugspersonen eine Familie begründen. Das im Vordergrund stehende Verhältnis zwischen Kindern und ihren Eltern kann für die Frage von Bedeutung sein, inwiefern auch Patchwork-Familien als Anspruchsteller gem. § 844 Abs. 3 BGB in Betracht kommen.
283 284
Leszczenski, Rückforderung schwiegerelterlicher Zuwendungen, S. 117. Maunz-Dürig/Badura Art. 6 GG Rn. 60; Nomos/Diwell Art. 6 GG Rn. 26.
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
Die Übersicht verdeutlicht darüber hinaus, dass die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft keine Verwandten, keine Familienmitglieder und auch keine Angehörigen sind. Etwas anderes ergibt sich nur für das Verhältnis zwischen Kind und Elternteil aus einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft.285 Auch wenn eine formale Verbundenheit des Anspruchstellers mit dem Getöteten nicht erforderlich ist, wird dies den Regelfall darstellen: Auf der ersten Stufe wird zu klären sein, in welchem formalen Verhältnis der Anspruchsteller zu dem Getöteten stand. Davon wird abhängen welche Anforderungen an die zweite Stufe, das besondere, persönliche Näheverhältnis zu stellen sind. Klarheit gibt hier bisher nur die in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB verankerte Vermutungsregelung. Danach ist die zweite Stufe bei Ehepartnern, Lebenspartnern, Kindern und Eltern des Getöteten solange nicht gesondert zu prüfen, wie keine Anhaltspunkte für das Gegenteil des vermuteten Näheverhältnisses bestehen. Für weitere Überlegungen steht zwar nicht der Angehörigenbegriff im Vordergrund. Die Verwendung des Begriffs in anderen Gesetzen und Normen hat aber gezeigt, dass damit in jeweils unterschiedlichem und streitigem Umfang die Familie und Verwandten einer Person erfasst werden sollen. Gelingt bei der Frage der Anspruchsberechtigung auf 1. Stufe die Zuordnung zu einem Personenkreis der Angehörigen, Verwandten oder Familie, könnte dadurch eine erleichterte Feststellung auf 2. Stufe ermöglicht werden. Die Frage nach dem Personenkreis hat deshalb keine eigenständige Bedeutung, sondern ist im Rahmen der Prüfung des besonderen persönlichen Näheverhältnisses zu berücksichtigen. Die Darstellung hat jedoch gezeigt, dass zahlreiche Personenkreise unter die Begriffe Angehörige, Verwandte und Familie fallen. Daraus ergibt sich, dass nicht jede formale Position Rückschlüsse für das besondere persönliche Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB zulässt. cc) Das besondere persönliche Näheverhältnis als haftungsbegründende Voraussetzung gem. § 844 Abs. 3 BGB Das besondere persönliche Näheverhältnis zwischen Hinterbliebenem und Getötetem stellt die haftungsbegründende Voraussetzung des § 844 Abs. 3 BGB dar. Der Anspruchsberechtigte muss zum Zeitpunkt der Verletzung mit dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis gestanden haben. Trotz der Berücksichtigung besonderer Personenkreise auf Stufe 1, entscheidet deshalb Stufe 2 über die Anspruchsberechtigung. Ein fehlendes Näheverhältnis auf Stufe 2 führt unabhängig von den Feststellungen auf Stufe 1 zur fehlenden Anspruchsberechtigung. Der Gesetzesentwurf nimmt hinsichtlich der gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB anspruchsberechtigten Personen eine Positivabgrenzung vor, indem nahe Familienangehörige „regelmäßig“ zum Kreis der Anspruchsberechtigten gehören sollen: Der 285
Mangoldt/Klein/Starck/Robbers Art. 6 GG Rn. 78; BeckOK GG/Uhle GG Art. 6 Rn. 18.
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
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Ehegatte, der Lebenspartner, die Eltern und die Kinder des Getöteten.286 Für diese Angehörigen sieht Satz 2 der Regelung eine widerlegbare Vermutung eines persönlichen Näheverhältnisses vor. Der Gesetzesentwurf weist aber ausdrücklich darauf hin, dass ein solches Näheverhältnis auch für andere Personen bestanden haben kann, der Kreis der genannten Anspruchsberechtigten ist also nicht abschließend. Diese müssten jedoch die ein Näheverhältnis begründenden Umstände darlegen und ggf. beweisen.287 Für eine Anspruchsberechtigung außerhalb von Satz 2 ist es laut Gesetzesentwurf entscheidend, welche Intensität die „tatsächlich gelebte soziale Beziehung“ hatte.288 Die Verbundenheit zwischen Getötetem und Anspruchsteller müsse der Verbindung zwischen Getötetem und einem in Satz 2 genannten Angehörigen entsprechen. Als Beispiele für Anspruchsberechtigte aufgrund eines nach den Umständen festgestellten Näheverhältnisses nennt die Gesetzesbegründung Partner einer eheoder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft, Verlobte, Stief- und Pflegekinder und Geschwister des Getöteten.289 Bei diesen Personen handelt es sich nach zivil- und familienrechtlichen Vorschriften um den Kreis der „Familienangehörigen im weitesten Sinne“.290 Anspruchsberechtigt werden in der Regel mehr als eine Person sein. Im Rahmen der Kostenschätzung geht der Regierungsentwurf von durchschnittlich vier anspruchsberechtigten Angehörigen aus.291 (1) Der Wortlaut von „besonderes persönliches Näheverhältnis“ gem. § 844 Abs. 3 BGB Das besondere persönliche Näheverhältnis stellt einen ausfüllungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriff292 dar. Der Gesetzgeber hat bewusst eine Formulierung gewählt, die flexibel auf verschiedene Sachverhalte passt. Deshalb ist zunächst anhand des Wortlauts der mögliche Personenkreis der Anspruchsberechtigten zu ermitteln. Die Bedeutung des Wortlauts, die das weiteste Verständnis vom besonderen persönlichen Näheverhältnis zulässt, stellt zugleich die Grenze des Anwendungsbereichs dieser Anspruchsvoraussetzung dar.293
286
BT-Drs. 18/11397, S. 12. BT-Drs. 18/11397, S. 12. 288 BT-Drs. 18/11397, S. 15. 289 BT-Drs. 18/11397, S. 13. 290 MüKoBGB/Wellenhofer, § 1589 Rn. 1. 291 BT-Drs. 18/11397, S. 11. 292 Vgl. zum unbestimmten Rechtsbegriff: Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, S. 35 ff. 293 Heyder, Juristische Schlussformen in der Rechtsfortbildung, S. 23. 287
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
Der Gesetzesentwurf betont, dass sich die Anspruchsberechtigung des Hinterbliebenengeldes nicht nach der Bedeutung der Begriffe in anderen gesetzlichen Regelungen richtet.294 Der Ausdruck Näheverhältnis setzt voraus, dass sich der Getötete und der Anspruchsteller nahe standen. Diese Nähe könnte sich aufgrund des Begriffes „persönlich“ auf die emotionale Bindung zwischen Getötetem und Hinterbliebenem beziehen. Das Näheverhältnis sagt aber nichts darüber aus, inwiefern diese emotionale Bindung von beiden Personen gleichermaßen eng empfunden werden muss. So kann der Vater eines Sohnes eine enge emotionale Bindung empfinden, während der Sohn selbst eine emotionale Bindung z. B. aufgrund von räumlicher Distanz bei getrennt lebenden Eltern nur eingeschränkt wahrnimmt. Die gleiche Frage stellt sich bei Neugeborenen oder beim Nasciturus, das aufgrund der unerlaubten Handlung nicht lebend auf die Welt kommt.295 Der Begriff „Nähe“ kann darüber hinaus eine räumliche Nähe bedeuten. Neben der räumlichen und emotionalen Nähe ist denkbar, die Nähe auf den Grad der Verwandtschaft zu beziehen, also dass z. B. nahe Verwandte erfasst sein sollen. Dem wiederum widerspricht das geforderte „persönliche“ Näheverhältnis, sodass die Verwandtschaft die Anspruchsberechtigung dann nicht begründen kann, wenn zwischen den nahen Verwandten keine persönliche Beziehung besteht. Eine persönliche Beziehung kann jedoch auch auf unterschiedliche Art und Weise in Erscheinung treten: Möglich ist der ausschließliche Kontakt aus der Ferne über Kommunikationsmittel, regelmäßige Treffen oder das gemeinsame Wohnen. Hinzu kommt aber die Hervorhebung des Näheverhältnisses durch den Begriff „besonders“. Das Näheverhältnis muss nicht nur persönlich, sondern auch noch besonders sein. Hierdurch wird eine weitere Aussonderung der Anspruchsberechtigten vorgenommen, indem von den nahestehenden Personen nur die besonders nahe stehenden Personen anspruchsberechtigt sind. Auch wenn hier wieder zunächst an die Familie zu denken ist, kann dieses qualifizierte Näheverhältnis grundsätzlich für jeden Personenkreis eine Anspruchsberechtigung begründen. Die Formulierung „besonderes“ persönliches Näheverhältnis bringt aber zum Ausdruck, dass an das Beispiel Freund als Anspruchsteller strenge Voraussetzungen zu stellen sind, die über Freundschaften der Sozialsphäre hinausgehen.296 Laut Gesetzesbegründung müsse die Verbundenheit zwischen dem Getöteten und dem Anspruchsteller dem gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB vermuteten Näheverhältnis entsprechen.297 Die „persönliche Verbundenheit“ ist bereits aus dem strafrechtlichen Bereich bekannt. So kann es für die Frage einer Garantenstellung des Täters im Rahmen eines Unterlassungsdelikts gem. § 13 StGB auf eine „enge persönliche 294 295 296 297
BT-Drs. 18/11397, S. 14. Vgl. dazu Kap. E. Wagner, in: NJW 2017, S. 2641. BT-Drs. 18/11397, S. 13.
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Verbundenheit“ ankommen.298 Die strafrechtliche Literatur lässt das Vorliegen einer Freundschaft oder Liebesbeziehung für eine enge persönliche Verbundenheit nicht ausreichen, vielmehr müsse eine familienrechtliche Obhutspflicht bestehen.299 Die Bedeutung im Strafrecht kann aber nur in sehr eingeschränktem Maße herangezogen werden, da dieses aus Gründen der Rechtssicherheit möglichst klarstellende und abschließende Gesetzestexte fassen muss. (2) Die teleologische Einordnung des Begriffs „besonderes persönliches Näheverhältnis“ Für die Frage, wonach das besondere persönliche Näheverhältnis zu bestimmen ist, ist der durch den Gesetzgeber mit dem Hinterbliebenengeld verfolgte Zweck zu berücksichtigen.300 Die Neuregelung in § 844 Abs. 3 BGB orientiert sich bewusst an der persönlichen Beziehung zwischen zwei Personen, für die keinerlei formale Bindung vorliegen muss.301 Dadurch will der Gesetzgeber auf unterschiedliche und neu entstandene Formen des Zusammenlebens reagieren. Zwischen den Jahren 2004 und 2014 sind in Deutschland rund 450.000 Lebensgemeinschaften hinzugekommen, gleichzeitig gibt es 1,6 Millionen weniger Ehen als 10 Jahre zuvor.302 Neben der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist auch die Zahl der alleinstehenden Personen auf 18 Millionen im Jahr 2014 gewachsen.303 Dies führt dazu, dass andere Personen als der eigene Partner und die eigene Familie Vertrauenspersonen sein können und daher im Rahmen der Hinterbliebenenentschädigung zu berücksichtigen sind. Die Gesetzesbegründung selbst nennt die Patchwork-Familie als Konstellation, bei der es an der formal familienrechtlichen Beziehung fehlen kann.304 Mitglieder dieser Familie sind nicht automatisch anspruchsberechtigt, sollen aber durch den Nachweis der persönlichen Beziehung ebenfalls einen Anspruch geltend machen können. Durch die Formulierung des besonderen persönlichen Näheverhältnisses wird deshalb Rücksicht auf persönliche Beziehungen genommen, die nicht zwingend durch Abstammung, Ehe oder ein anderes rechtliches Verhältnis begründet sind.
298
Schönke/Schröder/Bosch, § 13 StGB Rn. 17. Schönke/Schröder/Bosch, § 13 StGB Rn. 17. 300 Vgl. zum unbestimmten Rechtsbegriff: Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, S. 35 ff.; zu den teleologischen Auslegungskriterien vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 153 ff. 301 BT-Drs. 18/11397, S. 14. 302 Familie, Lebensformen und Kinder, Auszug aus dem Datenreport 2016, Statistisches Bundesamt, S. 44. 303 Die Zahl der Alleinstehenden ist zwischen 2004 und 2014 um 16 % gestiegen, vgl. Familie, Lebensformen und Kinder, Auszug aus dem Datenreport 2016, Statistisches Bundesamt, S. 43. 304 BT-Drs. 18/11397, S. 16. 299
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
Der Gesetzgeber bringt durch die Vermutungsregelung in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB jedoch auch zum Ausdruck, dass eine ausufernde Haftung durch die Heranziehung der Maßstäbe Familie und Verwandte verhindert werden soll. (3) Die Konkretisierung des Begriffs „besonderes persönliches Näheverhältnis“ für nicht privilegierte Personenkreise Für die Anspruchsberechtigung von Personen, die nicht von der Vermutungsregelung in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB erfasst sind, bedarf es Kriterien305, nach denen sich das besondere persönliche Näheverhältnis bestimmen lässt. Der Begriff „besonderes persönliches Näheverhältnis“ bedarf einer Ausfüllung.306 Außerhalb der Vermutungsregelung des § 844 Abs. 3 S. 2 BGB stehende Personen müssen nachweisen, dass ein solches besonderes persönliches Näheverhältnis bestanden hat. Es wird daher zu Recht gefordert, dies für die außerhalb der Vermutungsregelung stehenden Personengruppen anhand objektiv feststellbarer Kriterien zu begründen.307 Auch wenn die tatsächliche Beziehung für das Näheverhältnis ausschlaggebend ist, kann die formale Position des Anspruchstellers auch außerhalb der Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 2 S. 2 BGB nicht unberücksichtigt bleiben. Deshalb ist auf Stufe 1 eine Zuordnung des Anspruchstellers zu einem Personenkreis vorzunehmen. Die möglichen Personenkreise wurden in diesem Kapitel bereits ausgeführt. Im Vordergrund steht auf Stufe 2 die Feststellung eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses gem. § 844 Abs. 3 BGB anhand von verschiedenen Hilfskriterien.308 Auch hier wird die formale Position (Stufe 1) eine wesentliche Rolle spielen, da die Vermutungsregelung in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB zum Ausdruck bringt, dass ein Näheverhältnis aufgrund der formalen Position regelmäßig anzunehmen ist. Zunächst sind mögliche Kriterien herauzustellen, bevor diese auf ihre Geeignetheit zu überprüfen sind. (a) Die Haushaltsgemeinschaft als Kriterium für ein besonderes persönliches Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB Als mögliche Faktoren für die Konkretisierung der unbestimmten Voraussetzung „besonderes persönliches Näheverhältnis“ kommen die häusliche Gemeinschaft und die finanzielle Abhängigkeit in Betracht. Ob ein Kriterium für die Feststellung eines Näheverhältnisses geeignet ist, hängt entscheidend davon ab, ob sich der dem Kri305 Der Begriff Kriterien wird hier neben dem Begriff Indizien verwendet. Zwar geht es zunächst um die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB, Relevanz haben diese Kriterien dann aber insbesondere als Indizien im zivilrechtlichen Prozess. 306 Zum unbestimmten Rechtsbegriff vgl. Stickelbrock, Richterliches Ermessen im Zivilprozess, S. 36 ff. 307 Katzenmeier, in: JZ 2017, S. 869. 308 Vgl. zu den Hilfskriterien in Kap. E. II.
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terium zugrunde liegende Umstand möglichst einfach nachweisen lässt und deshalb vom Gericht entsprechend berücksichtigt werden kann.309 Die häusliche Gemeinschaft und die finanzielle Abhängigkeit würden nachweisbare Tatsachen darstellen. Darüber hinaus wird aber zu beurteilen sein, ob solche Kriterien auf ein besonderes persönliches Näheverhältnis schließen lassen. Da es insbesondere um eine Gemeinschaft geht, in der neben dem Zusammenwohnen auch ein gemeinsamer Haushalt geführt wird, ist für das Näheverhältnis auf die Haushaltsgemeinschaft abzustellen.310 Zwar beinhaltet eine Haushaltsgemeinschaft nicht automatisch auch das Bestehen von finanzieller Abhängigkeit. Die gemeinsame Haushaltsführung legt aber zumindest eine finanzielle Verbundenheit zwischen den Mitgliedern der Haushaltsgemeinschaft nahe. Die Kriterien kommen aber auch getrennt voneinander als das Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB begründende Faktoren in Frage. Als Reaktion auf den Gesetzesentwurf wurde erwogen, das Bestehen einer häuslichen Gemeinschaft als Indiz in den Gesetzestext aufzunehmen. Dennoch soll auch ohne Vorliegen einer häuslichen Gemeinschaft eine Anspruchsberechtigung möglich sein.311 Das VVG bedient sich seit der Reform des Versicherungsvertragsrechts im Jahr 2008 des Kriteriums der häuslichen Gemeinschaft. Gemäß § 67 Abs. 2 VVG a. F. war nur der in häuslicher Gemeinschaft lebende Familienangehörige von der Inanspruchnahme ausgenommen. Seit der Reform und der Neuregelung in § 86 Abs. 3 VVG312 kommt es für die Privilegierung nur darauf an, dass der Versicherungsnehmer und der in Anspruch Genommene in einer häuslichen Gemeinschaft leben. Eine Familienzugehörigkeit ist nicht mehr erforderlich. Auch die wirtschaftlichen Beziehungen untereinander sind unerheblich.313 Es soll gerade der Partner geschützt werden, der mit dem Versicherungsnehmer in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebt.314 Verlangt wird aber eine auf Dauer angelegte „Gemeinschaft der
309 Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch die Ausschüsse Zivilrecht und Verkehrsrecht, Stand: 23. 12. 2016, S. 8; Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2644). 310 Vgl. näher zur Haushaltsgemeinschaft als Indiz Kap. E. II. 2. b) cc). Die häusliche Gemeinschaft und die Haushaltsgemeinschaft werden i. d. R. synonym verwendet, vgl. von Koppenfels-Spies, S. 20; Pardey, Berechnung von Personenschäden, Rn. 1592. 311 Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch die Ausschüsse Zivilrecht und Verkehrsrecht, Stand: 23. 12. 2016, S. 8, so auch die Anmerkungen des ADAC für nichteheliche Lebensgemeinschaften, Stand: 16. 01. 2017, S. 2. 312 „(3) Richtet sich der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen eine Person, mit der er bei Eintritt des Schadens in häuslicher Gemeinschaft lebt, kann der Übergang nach Absatz 1 nicht geltend gemacht werden, es sei denn, diese Person hat den Schaden vorsätzlich verursacht.“ 313 Prölss/Martin/Armbrüster, § 86 VVG Rn. 91. 314 Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner, § 86 VVG Rn. 51; MüKoVVG/Segger, § 86 Rn. 187.
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
Wirtschaftsführung“.315 Indizien sollen gemeinsame Mahlzeiten oder ein gemeinsam genutztes Wohnzimmer sein.316 Auch hier muss die persönliche Beziehung mit der Familienzugehörigkeit vergleichbar sein.317 Darüber hinaus könnte schon die finanzielle Unterstützung des einen Partners durch den anderen ein geeignetes Kriterium darstellen.318 Gemeinsame Bankkonten, gemeinsames Eigentum an einer Immobilie oder die Einbeziehung im Rahmen von Versicherungen können Anhaltspunkte für finanzielle Verantwortung gegenüber dem Partner sein.319 Die Kriterien der häuslichen Gemeinschaft und der finanziellen Abhängigkeiten können z. B. als Anhaltspunkte dafür dienen, ein Näheverhältnis bei einer Partnerschaft in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zu bejahen. (b) Die Heranziehung der Kriterien zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft für das Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB Der Gesetzesentwurf zum Hinterbliebenengeld nennt die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft als mögliche Anspruchsteller gem. § 844 Abs. 3 BGB.320 Es stellt sich sodann die Frage, welche Beweisanforderungen an einen Anspruchsberechtigten zu stellen sind, der sich in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit dem Getöteten befand, ohne dass auch eine häusliche Gemeinschaft bestand. Die häusliche Gemeinschaft kann jedenfalls losgelöst kein Näheverhältnis begründen, da eine solche auch aus beispielsweise öffentlich-rechtlicher Verpflichtung heraus bestehen kann.321 Die nichteheliche Lebensgemeinschaft wird zwar in vielen Gesetzesnormen als Lebensform berücksichtigt, hat selbst aber bisher keinen Eingang in das Gesetz gefunden. Unter welchen Voraussetzungen eine nichteheliche Lebensgemeinschaft vorliegt, ist gesetzlich nicht festgelegt. So formuliert die Rechtsprechung eine eheähnliche Lebensgemeinschaft als eine Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in
315
Prölss/Martin/Armbrüster, § 86 VVG Rn. 91. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner, § 86 VVG Rn. 52, der zudem das Säubern der Schmutzwäsche, das Befinden persönlicher Gegenstände in der Wohnung und die finanzielle Beteiligung an den Kosten des Haushalts nennt. 317 MüKoVVG/Segger, § 86 Rn. 199. 318 Wagner, in: NJW 2017, S. 2641. 319 Mergler/Zink/Gerenkamp, § 7 SGB II Rn. 36. 320 BT-Drs. 18/11397, S. 13. 321 MüKoStGB/Hohmann, § 247 Rn. 7. 316
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
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einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen.322 Der gesellschaftliche Trend führt zu einer stetig wachsenden Akzeptanz der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, was zugleich zu dem Bedürfnis der Berücksichtigung im Rechtssystem führt.323 Das Sozialrecht bejaht für eine nichteheliche Lebensgemeinschaft eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3c, Abs. 3a SGB II: „Personen, die mit dem Hilfebedürftigen als Partner in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenleben, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.“ „Ein wechselseitiger Wille (…) wird vermutet, wenn Partner 1. länger als ein Jahr zusammenleben, 2. mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, 3. Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen, oder 4. befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.“
Die sozialrechtlichen Vermutungsregelungen zur Bejahung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft können geeignete Kriterien darstellen, um außerhalb des Rechtsinstituts der Ehe einen Maßstab zu bestimmen, nach dem ein besonderes, persönliches Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB auch für nichteheliche Partnerschaften bejaht werden kann. Für die Bejahung einer Bedarfsgemeinschaft ist es unerheblich, ob das im Haushalt lebende Kind ein gemeinsames Kind der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist.324 Gemäß der Vermutungsregelung in § 7 Abs. 3a SGB II müsste das im Haushalt lebende Kind aber ein gemeinsames Kind der nichtehelichen Lebensgemeinschaft sein. Die Vermutung besteht bereits dann, wenn eines der 4 Merkmale bejaht werden kann.325 Leben die Partner also eine kürzere Zeit als 1 Jahr zusammen, kann die Vermutung dennoch bestehen, wenn ein gemeinsames Kind mit im Haushalt lebt. Die vorliegenden sozialrechtlichen Vorschriften sind bewusst offen formuliert, um auch gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften zu erfassen.326 Eine Orientierung an diesen Kriterien kann möglicherweise auch für die Feststellung eines Näheverhältnisses gem. § 844 Abs. 3 BGB zu sachgerechten Ergebnissen führen. Auch das Sozialrecht stellt auf die Vergleichbarkeit der Lebensgemeinschaft mit nicht getrennt lebenden Ehegatten ab.327 Haushaltsführung, Kinderbetreuung und Freizeitplanung gehören zu den Angelegenheiten, wofür innerhalb 322 323 324 325 326 327
BVerfG Urt. v. 17. 11. 1992 – 1 BvL 8/87, NJW 1993, 643. Stintzing, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 53 ff. BeckOK SGB II/Mushoff, SGB II § 7 Rn. 90. Eicher/Luik/Becker, § 7 SGB II Rn. 121; Gagel/Mushoff, § 7 SGB II Rn. 96a. BSG Urt. v. 23. 08. 2012 @ B 4 AS 34/12 R, NJW 2013, 957. Mergler/Zink/Gerenkamp, § 7 SGB II Rn. 30.
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
einer „Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft“328 Sorge getragen werden soll.329 Die Vorschrift nennt vier Merkmale, durch die auf den inneren Willen der Partner geschlossen werden kann. Auffallend ist dabei insbesondere der Maßstab des einjährigen Zusammenlebens, das für eine Bedarfsgemeinschaft ausreichen soll. Das BSG verlangt darüber hinaus das „Wirtschaften aus einem Topf.“330 Andererseits ist das Zusammenwohnen Voraussetzung, um überhaupt eine Partnerschaft im Sinne des SGB II zu begründen.331 Die durch das SGB II entwickelten Kriterien sind grundsätzlich geeignet als Indizien zur Feststellung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft herangezogen zu werden. Die rechtliche Fassung der Lebensgemeinschaft außerhalb der Ehe ist nach wie vor uneinheitlich, sodass geeignete Kriterien im Rahmen der Einzelfallbetrachtung erforderlich sind. Zu berücksichtigen ist aber Sinn und Zweck des § 7 SGB II, der als zentrale Norm im SGB II die Leistungsberechtigung für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts regelt.332 Bei der nichtehelichen Lebensgemeinschaft geht es in § 7 Abs. 3 SGB II um die Feststellung einer Bedarfsgemeinschaft, nach der sich die Berechnung der Hilfebedürftigkeit richtet.333 Im Vordergrund steht die Ermittlung der Hilfebedürftigkeit für die Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung. Die Frage nach der Hilfebedürftigkeit ist nicht vergleichbar mit der Frage nach einem bestehenden Näheverhältnis für einen Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB.334 Die Hilfebedürftigkeit bezieht sich auf finanzielle und materielle Bedürfnisse, während sich das Näheverhältnis auf die persönliche Beziehung bezieht. Jedoch wird im SGB II das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft auch von subjektiven Merkmalen abhängig gemacht, indem die Partner einer Bedarfsgemeinschaft den Willen für wechselseitige Verantwortung haben sollen. Die hierfür entwickelten objektiven Vermutungstatbestände sind deshalb trotz anderer Zweckverfolgung im Sozialrecht geeignet, als allgemeine Kriterien für eine nichteheliche Lebensgemeinschaft herangezogen zu werden.
328
BVerfG Urt. v. 17. 11. 1992 – 1 BvL 8/87, NJW 1993, 643, da sich das Sozialrecht nach der Bezeichnung des BVerfG richtet. 329 LSG Sachsen-Anhalt Beschl. v. 17. 11. 2009 – L 5 AS 385/09 B ER, BeckRS 2009, 74465; Mergler/Zink/Gerenkamp, § 7 SGB II Rn. 30. 330 BSG Urt. v. 23. 08. 2012 – B 4 AS 34/12 R, NJW 2013, 957; BSG Urt. v. 01. 12. 2016 – B 14 AS 21/15 R, NJW 2017, 2302. 331 Mergler/Zink/Gerenkamp, § 7 SGB II Rn. 30. 332 Eicher/Luik/Becker, § 7 SGB II Rn. 1. 333 Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann/Knickrehm, § 7 SGB II Rn. 9. 334 So auch Bredemeyer, in: ZEV 2017, S. 690 (691).
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
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(c) Zwischenergebnis Die häusliche Gemeinschaft und die finanzielle Abhängigkeit stellen geeignete Anknüpfungspunkte dar, um gemeinsam mit weiteren Kriterien und unter Berücksichtigung der formalen Position ein besonderes persönliches Näheverhältnis zu begründen. Es wird noch zu klären sein, welches Gewicht diesen Faktoren bei der Überprüfung eines Näheverhältnisses zukommt. Die in § 7 SGB II normierten Kriterien zur Bedarfsgemeinschaft sind nur eingeschränkt geeignet, bei der Frage nach einem Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB berücksichtigt zu werden. Die Hilfebedürftigkeit gem. § 7 SGB II stellt die entscheidende Anspruchsvoraussetzung dar, um Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu beziehen. Die Frage nach der Hilfebedürftigkeit beruht auf dem grundlegenden Ziel der Existenzsicherug durch Gewährung von Sozialleistungen.335 Das Hinterbliebenengeld gewährt eine Entschädigung für seelisches Leid aufgrund der fremdverursachten Tötung einer nahestehenden Person. Der Hilfebedürftigkeit und dem Näheverhältnis fehlt es damit schon an einer geeigneten Vergleichsgrundlage. Das Kriterium der finanziellen Abhängigkeit im Rahmen eines Anspruchs gem. § 844 Abs. 3 BGB dient lediglich dazu, die Frage nach einem besonderen persönlichen Näheverhältnis zu beantworten. Die finanziellen Verhältnisse des Anspruchstellers und des Getöteten haben dabei jedoch keine eigenständige Bedeutung. Möglich bleibt aber die Berücksichtigung einzelner subjektiver Kriterien zur Bedarfsgemeinschaft in § 7 Abs. 3 SGB II, z. B. bei der Prüfung des Vorliegens einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. (4) Die funktionale Betrachtung zur Feststellung eines Näheverhältnisses gem. § 844 Abs. 3 BGB Neben der Heranziehung der sozialrechtlichen und versicherungsrechtlichen Kriterien wird für die Frage nach einer Anspruchsberechtigung außerhalb der Vermutungsregelung in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB eine funktionale Betrachtung vorgeschlagen.336 Danach seien Personen anspruchsberechtigt, wenn sie funktional die Position der von der Vermutungsregelung erfassten Personen innehaben.337 Eine Anspruchsberechtigung könne dann auch für Großeltern vorliegen, die ihre Enkelkinder aufziehen.338 Die funktionale Betrachtung knüpft an die formale Position des Anspruchstellers als objektiver Anhaltspunkt an. Die Beurteilung der Beziehung anhand des privilegierten Personenkreises als Bewertungsmaßstab ermöglicht eine einheitliche Herangehensweise, ohne die individuellen Umstände des Einzelfalls außer Acht zu lassen. Jedoch ist dabei auch zu berücksichtigen, dass die funktionale Betrachtung losgelöst von der formalen Position des Anspruchstellers und den das Näheverhältnis begründenden Kriterien nicht geeignet ist eine Aussage für das 335 336 337 338
Gagel/Knickrehm, § 1 SGB II Rn. 2. BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 208. BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 208. BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 208.
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
Vorliegen eines Näheverhältnisses zu treffen. Die funktionale Betrachtung kann lediglich herangezogen werden, um eine bereits aus den Kriterien für das Näheverhältnis gewonnene positive Bilanz in Form einer Gesamtbetrachtung zu bestätigen. (5) Zwischenergebnis Sowohl das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft, als auch die Begründung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft stellen geeignete Kriterien dar, um das besondere persönliche Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB begründen zu können.339 Auch wenn der Gesetzesentwurf betont, dass es auf die tatsächliche Beziehung zwischen Anspruchsteller und Getötetem ankommen soll, bedarf es objektiv feststellbarer Kriterien, um die anspruchsbegründende Voraussetzung des Näheverhältnisses gem. § 844 Abs. 3 BGB einheitlich feststellen zu können. Die Haushaltsgemeinschaft beinhaltet die finanzielle Abhängigkeit, die gesondert als Kriterium für eine enge Beziehung in Betracht kommt. Je nach Einzelfall werden die Kriterien unterschiedlich zu gewichten sein. Die funktionale Betrachtung ermöglicht eine Gesamtbetrachtung im Hinblick auf das Vorliegen eines Näheverhältnisses gem. § 844 Abs. 3 BGB außerhalb des privilegierten Personenkreises gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB. Darüber hinaus ermöglicht eine solche Gesamtbetrachtung die Berücksichtigung besonderer Umstände, die durch die Kriterien zur Feststellung eines Näheverhältnisses nicht ausreichend gewichtet werden können. Wenn z. B. die Großmutter mit dem Enkelkind in einer Haushaltsgemeinschaft zusammen lebt und auch die Sorge für das Enkelkind trägt, kommt durch das Vorliegen der Hilfskriterien noch nicht abschließend zum Ausdruck, dass unter Umständen die Großmutter die fehlenden Eltern des Kindes ersetzt. Der Großmutter könnte also funktional die Rolle eines Elternteils zukommen. (6) Die Vermutungsregelung in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB und ihre Widerlegbarkeit Gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB wird das nach § 844 Abs. 3 S. 1 BGB geforderte besondere persönliche Näheverhältnis für Ehepartner, Lebenspartner, Kinder und Eltern des Getöteten vermutet. Auf den ersten Blick umfasst die Vermutungsregelung damit den unterhaltsberechtigten Personenkreis im Sinne des § 844 Abs. 2 BGB.340 Anspruchsberechtigt gem. § 844 Abs. 2 BGB sind aber auch Adoptivkinder, ge-
339 Als weiteres Indiz für ein Näheverhältnis werden testamentarische Regelungen vorgeschlagen. In der Einsetzung als Erbe ohne erb- oder familienrechtliche Verbindung, könne eine besondere Beziehung gesehen werden, vgl. Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401. Schon die unterschiedlichen Motive (vgl. zu den Motiven „Gerechtigkeit, Angst, Macht, Versorgen und Erziehen“: Jonas/Jonas, Konfliktfrei vererben, Rn. 8), aus denen heraus Vermögensbestandteile vererbt werden, lassen jedoch an der Indizwirkung bei Zuwendungen im Wege des Testaments zweifeln. 340 Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401.
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
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trenntlebende Ehegatten und u. U. auch Ehegatten nach der Scheidung.341 Angesichts der unterschiedlichen Zielrichtungen, die der Unterhaltsanspruch gem. § 844 Abs. 2 und der Entschädigungsanspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB verfolgen, kann für den Geltungsbereich der Vermutungswirkung nicht uneingeschränkt auf den Personenkreis des § 844 Abs. 2 BGB zurückgegriffen werden. Hinsichtlich der Vermutungsregelung für Ehegatten meint diese auch die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern, die durch das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts342 in Deutschland eingeführt wurde. Mangels gesetzlicher Regelungen ist davon auszugehen, dass das Eherecht des BGB ausnahmslos ebenfalls für die Ehe zwischen zwei gleichgeschlechtlichen Partnern gilt.343 Aus der Formulierung geht nicht klar hervor, welche Personen mit Lebenspartner gemeint sind. Da der Gesetzesentwurf aber an verschiedenen Stellen von der Vermutung für die formalen Familienangehörigen spricht, ist davon auszugehen, dass mit Lebenspartnern solche nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz gemeint sind.344 Der privilegierte Personenkreis gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB steht damit eindeutig fest. Fraglich ist aber, unter welchen Voraussetzungen die Vermutung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB widerlegt werden kann. Der Deutsche Richterbund hält aus diesem Grund die Privilegierung einer bestimmten Personengruppe für nicht sachgerecht, es werden Beweisschwierigkeiten für den Schädiger hinsichtlich der Widerlegung der Vermutung gesehen.345 (a) Das besondere persönliche Näheverhältnis als gesetzliche Vermutung Bei § 844 Abs. 3 S. 2 BGB handelt es sich laut Gesetzesbegründung um eine gesetzliche Vermutung gem. § 292 ZPO.346 Für Ehepartner, Lebenspartner, Kinder und Eltern des Getöteten wird das geforderte Näheverhältnis vermutet. Aus § 292 ZPO ergibt sich, dass gesetzliche Vermutungen widerlegt werden können. Für das besondere persönliche Näheverhältnis des Ehegatten bedarf es deswegen keines Beweises, der Anspruchsgegner kann aber den Beweis des Gegenteils führen.347 Eine Erschütterung der vermuteten Tatsache genügt zur Widerlegung dagegen nicht.348 Der gesetzlich vermutete Umstand darf nicht nur in Zweifel gezogen werden. Der 341
MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 24. BGBl. 2787. Das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts ist am 1. Oktober 2017 in Kraft getreten. 343 BeckOGK/Erbarth, BGB § 1353 Rn. 25. 344 So auch Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (405). Allerdings können gem. § 1 LPartG seit dem 30. September 2017 keine Lebenspartnerschaften mehr neu begründet werden. 345 Stellungnahme des Deutschen Richterbundes, Stand: Januar 2017, S. 3. 346 BT-Drs. 18/11397, S. 14. 347 MüKoZPO/Prütting, § 292 Rn. 5; Saenger/Saenger, § 292 ZPO Rn. 8; BeckOK ZPO/ Bacher, ZPO § 292 Rn. 10. 348 BAG Urt. v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 516/11, NZA 2013, 559; BeckOK ZPO/Bacher, ZPO § 292 Rn. 10; MüKoBGB/Lorenz, § 477 Rn. 27. 342
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
Schädiger als Gegenpartei müsste das Gericht voll von der Wahrheit eines fehlenden Näheverhältnisses als gem. § 844 Abs. 3 BGB vermutete Tatsache überzeugen.349 Hierfür bedarf es eines Nachweises darüber, dass die das Näheverhältnis begründenden Tatsachen nicht vorliegen.350 Heranzuziehen sind deshalb die das Näheverhältnis begründenden Kriterien, dessen Nichtvorliegen der Schädiger zu beweisen hat. Die Beweislast, die in vielen Fällen die Versicherung treffen wird, führt dazu, dass der Beweis des Gegenteils wohl nur in den Fällen gelingen wird, in denen das Fehlen des Näheverhältnisses offensichtlich und für jedermann erkennbar ist.351 Die Gesetzesbegründung setzt für die Entkräftung voraus, dass „nur noch ein formales familienrechtliches Band“ bestehe.352 Vorgeschlagen wird zudem, dass eine solche Widerlegung bei getrenntlebenden Ehegatten, die die Voraussetzungen des § 1933 BGB353 erfüllen, möglich sei.354 Danach müssten die Voraussetzungen für die Scheidung einer Ehe vorgelegen haben und der Getötete müsste die Scheidung beantragt oder dieser zugestimmt haben. Aufgrund der Anknüpfung an ein besonderes Näheverhältnis ist es konsequent, dass auch für enge Familienangehörige die Anspruchsberechtigung versagt werden kann. Weil der Gesetzgeber aber bei der Neuregelung auf eine Einzelfallbetrachtung abstellt, gilt das Gleiche für den Fall getrennt lebender Ehegatten. Auch hier wäre zu klären ob die Einreichung der Scheidung ausreichend ist um ein besonderes, persönliches Näheverhältnis zu widerlegen. Dabei ist zu bedenken, dass gerade bei Ehepartnern, die gemeinsame Kinder haben, womöglich unabhängig vom Getrenntleben eine lebenslange Verbundenheit bestehen kann. Die Vermutungsregelung, die sich auf einen engen Personenkreis beschränkt, führt zugleich zu einem strengen Beweismaßstab für die übrigen Personenkreise.355 Dies ist aufgrund der Nichtberücksichtigung in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB für Geschwister des Getöteten problematisch. Während Vieles dafür spricht selbst volljährige Geschwister im Regelfall zu den Anspruchsberechtigten zu zählen, so müssen doch zumindest minderjährige Geschwister ohne einen umfangreichen Nachweis eine Anspruchsberechtigung begründen können.356 Bei minderjährigen 349
BAG Urt. v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 516/11, NZA 2013, 559; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rn. 431. 350 MüKoZPO/Prütting, § 292 Rn. 25. 351 Ebenso Luckey, in: FS Huber, 2020, S. 357 (351). 352 BT-Drs. 18/11397, S. 15. 353 „Das Erbrecht des überlebenden Ehegatten sowie das Recht auf den Voraus ist ausgeschlossen, wenn zur Zeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren und der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hatte. Das Gleiche gilt, wenn der Erblasser berechtigt war, die Aufhebung der Ehe zu beantragen, und den Antrag gestellt hatte. (…)“. 354 BT-Drs. 18/11397, S. 15. Das Gleiche soll für Lebenspartner nach dem LPartG gelten. 355 So auch BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 209. 356 Ebenso Lang/Bucka, in: DAR 2020, S. 445 (447).
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
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Kindern wird es jedenfalls möglich sein durch das Zusammenleben in einem Haushalt die Anspruchsberechtigung zu begründen. Im Falle geschiedener Eltern ist zum Beispiel denkbar, dass die Kinder in getrennten Haushalten leben. Selbst wenn es aber zu einer Trennung der Haushalte kommt, haben die Geschwister in der Regel für eine gewisse Dauer zusammen gelebt. Unabhängig vom Zusammenleben der Geschwister bedarf es einer besonderen Begründung für das Fehlen einer besonderen familiären und emotionalen Bindung zwischen den Geschwistern, die häufig gerade in schwierigen Beziehungskonstellationen eine Schicksalsgemeinschaft darstellen. Laut des statistischen Bundesamts lebt im Jahr 2010 der größte Teil der minderjährigen Kinder bei ihren verheirateten Eltern, sodass in diesen Fällen jedenfalls unproblematisch ein Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB angenommen werden kann.357 Hinzu kommt, dass 38 % der Söhne und 21 % der Töchter im Alter von 25 Jahren noch im elterlichen Haushalt leben.358Auch in diesem Stadium wird ein besonders persönliches Näheverhältnis ohne weiteres anzunehmen sein. Kommt es zu einer Scheidung der verheirateten Eltern, verbleibt in 94 % der Fälle das Sorgerecht für minderjährige Kinder bei beiden Elternteilen.359 Auch in diesen Fällen kommt eine Widerlegung der Vermutung des Näheverhältnisses kaum in Betracht. (b) Sekundäre Darlegungslast Der Anspruchsgegner wird Schwierigkeiten haben, den Beweis des Gegenteils im Prozess zu führen. Laut Gesetzesbegründung soll die Widerlegbarkeit der gesetzlichen Vermutung in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB aber grundsätzlich möglich sein.360 Es stellt sich deshalb die Frage, ob den Anspruchsteller, der gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB zum privilegierten Personenkreis gehört, doch eine Vortragsobliegenheit treffen soll, wenn der Anspruchsgegner das besondere persönliche Näheverhältnis bestreitet. Die Ausgangstatsache, an die die Schlussfolgerung des Gerichts anknüpft, ist im Rahmen des § 844 Abs. 3 BGB die formale Rechtsposition als Elternteil, Kind oder Ehepartner. Macht also eine der in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB genannten Personen einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld geltend, wird ein besonderes persönliches Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB vermutet. Das besondere persönliche Näheverhältnis stellt die entscheidende Anspruchsvoraussetzung des Hinterbliebenengeldes dar. So ermöglicht die Vermutungsregelung einem eng begrenzten Personenkreis eine erleichterte Geltendmachung des Hinterbliebenengeldanspruchs, indem das besondere persönliche Näheverhältnis nicht mit hohem Aufwand begründet werden muss. Durch die gesetzliche Vermutung trifft die Partei weder die
357 358
S. 43. 359
S. 10. 360
Wie leben Kinder in Deutschland, Statistisches Bundesamt, Stand: 3. August 2011, S. 9. Wie leben Kinder in Deutschland, Statistisches Bundesamt, Stand: 3. August 2011, Wie leben Kinder in Deutschland, Statistisches Bundesamt, Stand: 3. August 2011, BT-Drs. 18/11397, S. 14.
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
Beweis-, noch die Darlegungslast für die vermutete Tatsache.361 Der Schädiger als Anspruchsgegner müsste den Gegenbeweis des Nichtvorliegens des vermuteten Näheverhältnisses führen.362 Zu beweisen wäre laut Gesetzesbegründung das Vorliegen eines nur noch „formalen familienrechtlichen Bandes“ oder das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Scheidung.363 Für den Anspruchsgegner ist aber der Wissensvorsprung des Anspruchstellers problematisch: Gerade die Frage eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses betrifft die Privatsphäre des Anspruchstellers, in die der Anspruchsgegner keinen Einblick hat. Man könnte deshalb erwägen, dem Anspruchsteller als Gegner der beweisbelasteten Partei aufgrund der besseren Kenntnisse der für das Näheverhältnis relevanten Umstände eine sekundäre Darlegungslast aufzuerlegen.364 Der Anspruchsteller dürfte dann die vom Anspruchsgegner behauptete „Zerrüttung“ der Beziehung nicht einfach nur bestreiten, sondern müsste darlegen, weshalb das vom Anspruchsgegner behauptete fehlende Näheverhältnis doch vorliege.365 Würde man eine sekundäre Darlegungslast für den Anspruchsteller annehmen, würde bei fehlendem substantiiertem Bestreiten § 138 Abs. 3 ZPO mit der Folge greifen, dass das Bestreiten der Behauptung des Anspruchstellers als unbeachtlich angesehen werden würde.366 Dies dürfte aber nicht dazu führen, dass der Anspruchsteller letztendlich doch ein besonderes persönliches Näheverhältnis beweisen müsste und damit die Privilegierung in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB leer laufen würde. Dabei ist insbesondere der Sinn und Zweck der gesetzlichen Vermutung in § 844 Abs. 3 BGB zu berücksichtigen. Die Antragsteller, die eine formale Position aufweisen, sollen gerade nicht darlegungs- und beweisbelastet sein.367 Dem steht die „Beweisnot“ des Anspruchsgegners gegenüber, der ohne eine Darlegungspflicht des Anspruchstellers kaum eine Möglichkeit hat, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Dies könnte dem Grundsatz der Waffengleichheit im Zivilprozess widersprechen.368 Als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips ist eine gleichmäßige Verteilung des Risikos des Verfahrensausgangs durch die formelle Gleichheit der prozessualen Rechte und Befugnisse geboten.369 Hierzu zähle laut BVerfG auch eine faire Handhabung des Beweisrechts, insbesondere der Beweislastregeln.370 Auch wenn die Auferlegung der Darlegungslast den Antragsteller nicht in gleichem Maße belasten würde wie die Beweislast, die den privilegierten Personenkreis 361
Musielak/Voit/Huber, § 292 ZPO Rn. 4. Vgl. MüKoZPO/Prütting, § 292 ZPO Rn. 25; Stein/Jonas/Thole, § 292 ZPO Rn. 21. 363 BT-Drs. 18/11397, S. 14. 364 Vgl. BGH Urt. v. 17. 01. 2008 – III ZR 239/06, NJW 2008, 982. 365 Jäckel, Das Beweisrecht der ZPO, Rn. 36 366 Ahrens, in: Karlsruher Forum 2008, S. 18. 367 BT-Drs. 18/11397, S. 14. 368 BGH Urt. v. 14. 03. 1978 – VI ZR 213/76, NJW 1978, 1681. 369 BVerfG Beschl. v. 25. 07. 1979 – 2 BvR 878/74, NJW 1979, 1925; MüKoZPO/Lindacher/Hau, ZPO § 50 Rn. 10. 370 BVerfG Beschl. v. 25. 07. 1979 – 2 BvR 878/74, NJW 1979, 1925. 362
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
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gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB ausdrücklich nicht treffen soll, ist auch eine detaillierte Tatsachendarstellung im Rahmen des Prozesses durch den Antragsteller grundsätzlich nicht zu fordern. Der Sinn und Zweck des Hinterbliebenengeldes, der auch in der Vermutungsregelung in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB zum Ausdruck kommt, spricht gegen eine Verlagerung der Darlegungslast. Einer Mutter oder einem Vater soll es gerade erspart bleiben, Erläuterungen zu dem besonderen Verhältnis zwischen ihnen und ihrem verstorbenen Kind machen zu müssen. Es stellt sich die Frage, welche Tatsachen Eltern in einer solchen Situation vortragen sollten. Das Gleiche gilt für Kinder, die ihre Eltern verlieren. Allenfalls zwischen Eheleuten ist es denkbar, dass aufgrund einer im Raum stehenden Trennung Ausführungen zu den tatsächlichen Verhältnissen erforderlich werden könnten. Im Einzelfall kann demnach ein substantiierter Tatsachenvortrag durch den Anspruchsteller geboten sein. (7) Der Zeitpunkt des Vorliegens eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses Das besondere persönliche Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB ist die anspruchsbegründende Voraussetzung des Hinterbliebenengeldes. Der haftungsbegründende Tatbestand ist erst erfüllt, wenn das Näheverhältnis bejaht werden kann. Laut Gesetzesentwurf zum Hinterbliebenengeld soll es für das Vorliegen eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses nur auf den Zeitpunkt der Körperverletzung ankommen, wenn der Tod und die Körperverletzung zeitlich auseinanderfallen.371 Dies hätte zur Folge, dass ein Näheverhältnis in dem Zeitraum zwischen Körperverletzung und Todeseintritt nicht neu begründet werden könnte. Folgt man der Gesetzesbegründung, könnte trotz der tatsächlichen Umstände keine Anspruchsberechtigung begründet werden, wenn sich ein Näheverhältnis erst in der Zeit zwischen Körperverletzung und Tod verfestigt. Dies würde bedeuten, dass auch das Näheverhältnis zum Zeitpunkt des Eintritts der Körperverletzung vorliegen müsste. Auf das Näheverhältnis zum Zeitpunkt des Todeseintritts käme es dann nicht mehr an. Zugleich würde eine Zerrüttung des Näheverhältnisses in diesem Zeitraum außer Betracht bleiben. Die praktische Relevanz einer solchen Konstellation besteht insoweit, als dass eine mögliche schwere Erkrankung des später Versterbenden eine Pflegebedürftigtkeit auslösen kann, die womöglich durch die Unterstützung einer einzigen Person bewerkstelligt wird.372 Solche Extremsituationen können gerade auf zwischenmenschliche Beziehungen erhebliche Auswirkungen haben. Möglicherweise hat der Gesetzgeber zur Vermeidung einer ausufernden Haftung bewusst für diesen Zeitraum keine Anspruchsentstehung vorsehen wollen. Andererseits würde dies bedeuten, dass die Frage des Todeseintritts als „Folgeschaden“ im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität zu behandeln wäre. Ob der Tod des Primärverletzten als haftungsausfüllende oder haftungsbegründende Voraussetzung anzusehen ist, hängt mit der Frage des Haftungsgrundes des Hinterbliebenengeldes
371 372
BT-Drs. 18/11397, S. 13. A. A.: BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 210. Vgl. auch das Beispiel von BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 210.
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
zusammen, sodass die Funktion im Sinne des Haftungsgrundes zunächst zu untersuchen ist.373 (8) Zusammenfassung Mit der Ausweitung der Anspruchsberechtigung durch das Abstellen auf ein Näheverhältnis hat sich der Gesetzgeber deutlich von den bayerischen Gesetzesentwürfen entfernt. Während die bayerischen Entwürfe die Anspruchsberechtigung auf nahe Angehörige, also Ehegatten, Lebenspartner, Eltern und Kinder durch abschließende Aufzählung beschränkt hatten, gilt für die nahen Angehörigen nun eine Vermutungsregelung, andere Personen können aber grundsätzlich auch anspruchsberechtigt sein. Durch das Erfordernis des besonderen persönlichen Näheverhältnisses stellt der Gesetzgeber auf die tatsächlichen Umstände ab. Weil der Anspruch das erlittene Leid durch den Tod einer nahestehenden Person entschädigen soll, kann es nicht auf die rein formalrechtliche Position des Anspruchstellers ankommen. Jedoch bleibt fraglich, ob dieses Ziel nicht auch durch ein erweitertes Verständnis der nahe Angehörigen, Familie und Verwandten hätte erreicht werden können. Das Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB stellt einen unbestimmten, ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriff dar. Trotz neuer, alternativer Lebensformen und der Verschiebung von Familienstrukturen, die der Gesetzgeber durch die flexible Formulierung in § 844 Abs. 3 BGB erfassen will, ist die bedeutende Anzahl an „klassischen Familien“ zu berücksichtigen. 69 Prozent der Familien mit Kind waren im Jahr 2014 Ehepaare.374 Damit kann die Vermutungsregelung des § 844 Abs. 3 S. 2 BGB eine Vielzahl der Haftungsfälle abdecken. Darüber hinaus werden aber auch „Verwandte und Bekannte“ einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld geltend machen. Neben den objektiven Kriterien, die sich vor allem auf die tatsächlichen Gegebenheiten beziehen und zumindest eine Hilfestellung bei der Ermittlung des Näheverhältnisses sein können, ist der rechtlich verwendete Angehörigenbegriff damit weiterhin relevant. Nicht zuletzt der Trend, dass auch für die jüngere Generation der Stellenwert für die Familie wieder wächst,375 sorgt dafür, dass die bereits durch Gesetz und Rechtsprechung berücksichtigten persönlichen Bindungen im Vordergrund stehen. Sowohl Versicherungen als auch die Rechtsprechung werden daher ihrer Entscheidung über eine Anspruchsberechtigung die gleichen objektiven Kriterien zugrunde legen, die in das Zivilrecht bereits Eingang gefunden haben. Auch dadurch lassen sich zwar Abgrenzungsprobleme im Einzelfall nicht vermeiden. Durch die Bestimmung und Eingrenzung von geeigneten Kriterien zur Feststellung 373
Zur Frage des Todeseintritts als haftungsbegründende Voraussetzung vgl. näher Kap. E. Familie, Lebensformen und Kinder, Auszug aus dem Datenreport 2016, Statistisches Bundesamt, S. 52. 375 Familie, Lebensformen und Kinder, Auszug aus dem Datenreport 2016, Statistisches Bundesamt, S. 77. 374
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
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des Näheverhältnisses lässt sich der Kreis der Anspruchsberechtigten aber in gewissem Umfang steuern. Ziel ist die Feststellung des Näheverhältnisses, ohne zunächst das Privatleben des Anspruchstellers und des Getöteten zu analysieren. Die Berücksichtigung der Familien- oder Angehörigenzugehörigkeit des Anspruchstellers ist deshalb auch außerhalb des privilegierten Personenkreises gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB von Bedeutung.376 Ist eine Einordnung des Hinterbliebenen in einen Personenkreis erfolgt, empfiehlt es sich, von dieser Feststellung die Anforderungen an das besondere persönliche Näheverhältnis abhängig zu machen. Die Zuordnung zu einem Personenkreis wie enge Familie oder Verwandte kann eine Begründungserleichterung auf zweiter Stufe bedeuten. Gleichzeitig aber bleibt ausreichend Begründungs- und Entscheidungsspielraum für die Frage des besonderen Näheverhältnisses. Zudem kann die Einordnung auf erster Stufe die Vermutungswirkung des § 844 Abs. 3 S. 2 BGB auslösen, wodurch sich die 2. Stufe insoweit erledigt, als dass die Vermutung nicht widerlegt werden kann. Es kann jedenfalls nicht unberücksichtigt bleiben, dass für einen Freund nicht der gleiche Begründungsmaßstab gelten kann, wie für Geschwister, mit denen man sich u. U. 18 Jahre ein Zimmer im gleichen Haushalt geteilt hat. b) Der haftungsausfüllende Tatbestand des § 844 Abs. 3 BGB Im Rahmen des haftungsausfüllenden Tatbestands ist der Ursachenzusammenhang zwischen Rechtsgutsverletzung und eingetretenem Schaden zu prüfen.377 Dabei muss sich im Schaden das Risiko der Rechtsgutsverletzung verwirklicht haben.378 Im haftungsausfüllenden Tatbestand werden auch die Art und der Umfang des Schadens geprüft.379 Hierbei ist streng zwischen der eingetretenen Rechtsgutsverletzung und dem Schaden zu differenzieren.380 aa) Das seelisches Leid als Schaden gem. § 844 Abs. 3 BGB Gem. § 844 Abs. 3 BGB erhält der Hinterbliebene eine Entschädigung für das ihm zugefügte Leid. Schon aus dem Wortlaut der Regelung ergibt sich, dass sich das dem Hinterbliebenen zugefügte Leid aus dem bestehenden persönlichen Näheverhältnis ergibt. Laut Gesetzesentwurf wurde der Begriff des seelischen Leids im Gesetz 376 Vgl. Hoppenstedt/Stern, in: ZRP 2015, S. 18 (20); Wiedemann/Spelsberg-Korspeter, in: NZV 2012, S. 471 (473), wonach eine Beschränkung des Anspruchs auf nahe Familienangehörige vorzunehmen sei. 377 Wendehorst, Anspruch und Ausgleich, S. 82; Roussos, Schaden und Folgeschaden, S. 31. 378 Wendehorst, Anspruch und Ausgleich, S. 88. 379 Roussos, Schaden und Folgeschaden, S. 31. 380 Roussos, Schaden und Folgeschaden, S. 31 ff.; zur Bezeichnung als Verletzungsschaden und Folgeschaden vgl. Wendehorst, Anspruch und Ausgleich, S. 84 ff.
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
bewusst nicht eingeschränkt und auch kein Mindestmaß vorgesehen.381 Der Gesetzesentwurf verweist damit auf die Schockschaden-Rechtsprechung und den strengen Maßstab für das Vorliegen eines „Schockschadens“382. Jedoch bezieht sich der „Schock“ im Rahmen der Schockschaden-Rechtsprechung auf die Gesundheitsverletzung, die eingetreten sein muss.383 Der sog. Schockschaden ergibt sich erst aus der eingetretenen Gesundheitsverletzung, nämlich dem Schock mit Krankheitswert. Weder aus dem Gesetzestext des § 844 Abs. 3 BGB noch aus der Gesetzesbegründung wird deutlich, ob das seelische Leid des Hinterbliebenen die Rechtsgutsverletzung als haftungsbegründende Voraussetzung oder den Schaden als haftungsausfüllende Voraussetzung meint. Einerseits formuliert der Gesetzesentwurf im Zusammenhang mit dem Ersatz von Schockschäden, seelisches Leid müsse über die erfahrungsgemäßen gesundheitlichen Beeinträchtigungen beim Verlust eines Angehörigen hinausgehen.384 Andererseits sei beim Hinterbliebenengeld eine Entschädigung für das seelische Leid zu leisten.385 § 844 Abs. 3 BGB enthält keine Vorgaben dazu, welches Maß an seelischem Leid vorliegen muss. Vielmehr geht der Gesetzgeber davon aus, dass bei dem Verlust einer nahestehenden Person seelisches Leid empfunden wird. Die Verletzung eines eigenen Rechtsguts des Hinterbliebenen wird gerade nicht vorausgesetzt. Sowohl für eine mögliche Gesundheitsverletzung als auch für eine zumindest denkbare Persönlichkeitsrechtsverletzung386 müsste aber ein bestimmbares Maß an seelischem Leid vorliegen. Die Schockschaden-Rechtsprechung zeigt, wie problematisch die Einordnung eines Schocks als Gesundheitsverletzung ist.387 Die Feststellung einer psychischen Gesundheitsbeeinträchtigung ist nicht immer anhand objektivierter Voraussetzungen möglich, sodass das Risiko der Manipulierbarkeit besteht.388 Zwar kann das seelische Leid eine Gesundheitsbeeinträchtigung hervorgerufen haben, dies ist aber nicht zwingend. Der Gesetzgeber setzt im Deliktsrecht auf „klar umrissene
381
BT-Drs. 18/11397, S. 14. Im Folgenden wird der Begriff „Schockschaden“ zwar weiter verwendet, aber hervorgehoben (Kursivdruck), weil es sich dabei gerade nicht um einen Schaden im Sinne des Schadensersatzrechts handelt, sondern um die Gesundheitsverletzung als Rechtsgutsverletzung. 383 Grundlegend BGH Urt. v. 11. 05. 1971 – VI ZR 78/70, NJW 1971, 1883; Jaeger, in: VersR 2017, S. 1041 (1045); MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 150. Vgl. näher zur SchockschadenRechtsprechung Kap. B. IV. 384 BT-Drs. 18/11397, S. 8. 385 BT-Drs. 18/11397, S. 8. 386 Vgl. zu der These, durch das Leid könne das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt worden sein: Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, 2005. Vgl. dazu auch Kap D. II. 2. b). 387 Vgl. zur „Erheblichkeitsschwelle“ (MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 216), mit der die Rspr. die Bejahung einer Gesundheitsverletzung begrenzen will (BGH Urt. v. 12. 11. 1985 – VI ZR 103/84, NJW 1986, 777; BGH Urt. v. 10. 02. 2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246). 388 MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 216. 382
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
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Tatbestände“.389 Das seelische Leid ist deshalb auf haftungsausfüllender Ebene als Schadensvoraussetzung einzuordnen.390 Durch das besondere persönliche Näheverhältnis zwischen dem Getöteten und dem Hinterbliebenen wird das seelische Leid laut Gesetzesbegründung indiziert.391 Ausnahmsweise ist die Indizwirkung zu verneinen. Zum einen ist denkbar, dass beim Hinterbliebenen erst gar kein seelisches Leid eingetreten ist. Der Nachweis hierfür dürfte aber regelmäßig nicht gelingen. Anders ist es zu beurteilen, wenn der Hinterbliebene nicht in der Lage dazu ist seelisches Leid zu empfinden. Der Gesetzesentwurf formuliert, der Hinterbliebene müsse den Tod des Getöteten als Verlust empfinden.392 So wird teilweise vertreten, dass der Hinterbliebene dazu in der Lage sein müsse, seelisches Leid überhaupt zu empfinden.393 Als Empfindungsfähigkeit formuliert der BGH die Wahrnehmung und intellektuelle Verarbeitung über rein vegetative Funktionen hinaus.394 Dies spräche dafür, dass es an dem Schadenseintritt dann fehlt, wenn der Hinterbliebene aus psychischen oder tatsächlichen Gründen außerstande ist Emotionen zu empfinden. Orientiert man sich dabei an der Rechtsprechung zum immateriellen Schadensersatz, dann kann es hierauf zumindest dann nicht ankommen, wenn der Wegfall der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit auf dem Schadensereignis beruht.395 Die Ausgleichsfunktion des immateriellen Schadensersatzes umfasse auch die Beeinträchtigung der Persönlichkeit, die durch den Verlust der Empfindungsfähigkeit verursacht würde. Der BGH hatte sich mit seinem Urteil im Jahr 1993 von seiner bisherigen Rechtsprechung verabschiedet, wonach der Wegfall der Empfindungsfähigkeit nur zu einer geringen symbolischen immateriellen Entschädigung führen sollte.396 Durch die Heranziehung der Rechtsprechung zum immateriellen Schadensersatz lässt sich aber keine Aussage für die Situation treffen, dass der Hinterbliebene schon vor Eintritt des schädigenden Ereignisses in der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit erheblich (oder ganz) eingeschränkt ist. Die zweite Konstellation, in der die Kausalität zwischen dem Verlust und dem seelischen Leid fehlen könnte, ist ein nicht ausschließlich auf dem Verlust des Getöteten beruhendes seelisches Leid. Aufgrund der fehlenden Mindestanforderungen an das seelische Leid ist aber in den meisten Konstellationen davon auszugehen, dass das seelische Leid zumindest auch auf der Tötung beruht. Wie sehr das 389 BGH Urt. v. 10. 02. 2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246; BGH Urt. v. 21. 05. 2019 – VI ZR 299/17, NJW 2019, 2387; Canaris, in: Laudatio und Festvortrag für Egon Lorenz, S. 27. 390 So auch Steenbuck, in: r+s 2017, S. 449 (454). 391 BT-Drs. 18/11397, S. 14. 392 BT-Drs. 18/11397, S. 14. 393 Steenbuck, in: r+s 2017, S. 449 (451); Walter, in: MedR 2018, S. 213 (216). 394 BGH Urt. v. 22. 06. 1982 – VI ZR 247/80, NJW 1982, 2123. 395 BGH Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91, NJW 1993, 781. 396 BGH Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74, NJW 1976, 1147; BGH Urt. v. 22. 06. 1982 – VI ZR 247/80, NJW 1982, 2123.
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vorhandene Leid dann auf dem Verlust beruht, ist aufgrund des nicht erforderlichen Mindestmaßes für das Vorliegen eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld zunächst nicht entscheidend. Hier wird erneut die Relevanz der Bejahung eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses deutlich: Liegt ein solches vor, wird das seelische Leid indiziert.397 In dem Näheverhältnis wird die Ursache in dem Verlust des Getöteten gesehen, solange keine andere, atypische Ursache398 dargelegt wird. bb) Angemessene Entschädigung als Rechtsfolge gem. § 844 Abs. 3 BGB Liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld vor, hat der Hinterbliebene gem. § 844 Abs. 3 BGB Anspruch auf eine „angemessene Entschädigung.“ Wie hoch die angemessene Entschädigung sein soll, normiert das Gesetz nicht und wird damit den Gerichten überlassen.399 Der Gesetzesentwurf betont, dass die Bemessung nicht durch die Bewertung des menschlichen Lebens erfolgen könne, entschädigt werden sollen die seelischen Nachteile.400 Die konkrete Bemessung der Entschädigungshöhe wird in das Schätzungsermessen der Gerichte gestellt, die Darlegungs- und Beweisanforderungen richten sich nach § 287 ZPO.401 Neben der Voraussetzung einer angemessenen Entschädigung ist bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldanspruchs die Inkommensurabilität immaterieller Schäden zu berücksichtigen.402 Anders als beim immateriellen Schadensersatzanspruch gem. § 253 Abs. 2 BGB kann für die Bemessung des seelischen Schmerzes nicht oder nur eingeschränkt die Rechtsgutsverletzung des Anspruchstellers berücksichtigt werden.403 397 Prozessrechtlich ist bei der Widerlegung der Indizwirkung die Möglichkeit des primafacie Beweises zu berücksichtigen. Der prima-facie Beweis ist gesetzlich nicht geregelt aber durch Rechtsprechung und Literatur anerkannt. Die Beweisführungslast hinsichtlich des Kausalzusammenhangs wird durch den Beweis des ersten Anscheins erleichtert. Dabei wird aus bestimmten Tatsachen auf bestimmte Ursachen kraft tatsächlicher Erfahrungssätze geschlossen. Liegt ein besonderes persönliches Näheverhältnis vor, ist nach allgemeiner Lebenserfahrung davon auszugehen, dass der Hinterbliebene Trauer bei Verlust der nahestehenden Person empfindet (vgl. BGH Urt. v. 10. 07. 1956 – VI ZR 199/55 (KG), NJW 1956, 1638; BGH Urt. v. 30. 04. 1991 – VI ZR 178/90, NJW 1991, 1948; Laufs/Kern/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 107 Rn. 3 ff.; MüKoRom-I-VO/Spellenberg Art. 18 Rn. 26; Steenbuck, in: r+s 2017, S. 449 (454); Stein/Jonas/Thole, § 286 ZPO Rn. 213 ff. 398 Laufs/Kern/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 107 Rn. 5. 399 Pauschalbeträge werden durch die Gesetzesbegründung abgelehnt, vgl. Verh. D. BT, 18. Wahlp., S. 22191. 400 BT-Drs. 18/11397, S. 14; vgl. zur Wrongful-Life Problematik Kap. D. II. 401 BT-Drs. 18/11397, S. 14; Verh. D. BT, 18. Wahlp., S. 22197. 402 Zur Inkommensurabilität von immateriellen Schäden ausführlich vgl. Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 201 ff. Siehe auch Kap. C. III. bezogen auf den immateriellen Schadensersatz gem. § 253 Abs. 2 BGB. 403 Vgl. zur Berücksichtigung der Rechtsgutsverletzung bei seelischen Schäden gem. § 253 Abs. 2 BGB: OLG Nürnberg Urt. v. 23. 12. 2015 – 12 U 1263/14, NJW-RR 2016, 593; OLG
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
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(1) Orientierung an der Höhe der immateriellen Entschädigungsbeträge für Schockschäden Laut Gesetzesbegründung „kann“ die Rechtsprechung zu Schockschäden als Orientierung herangezogen werden. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld setze aber gerade keine außergewöhnliche körperliche Beeinträchtigung voraus, was berücksichtigt werden müsse.404 Sollten gleichzeitig die Voraussetzungen für einen Anspruch aufgrund eines Schockschadens vorliegen sieht die Literatur in der Untergrenze des Betrags für Schockschäden den höchst möglichen Betrag für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld.405 Zudem wird für eine Anrechnung des Hinterbliebenengeldes auf die Entschädigung für einen Schockschaden plädiert, jedenfalls wenn durch die Entschädigung der gleiche Zweck verfolgt werden würde.406 Der immaterielle Schadensersatz beim Schockschaden ist auf den Ausgleich der aufgrund der Körperverletzung eingetretenen Schmerzen gerichtet. Der zu schaffende Ausgleich durch das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB bezieht sich auf das seelische Leid, das auf dem Verlust der nahestehenden Person beruht. Inwiefern die für den Schockschaden geltenden Bemessungsgrundsätze auf die Hinterbliebenengeldentschädigung übertragbar sind, hängt deshalb entscheidend von der Funktion des Hinterbliebenengeldes ab.407 (2) Orientierung an den Bemessungsfaktoren des immateriellen Schadensersatzes gem. § 253 Abs. 2 BGB Die Rechtsfolge einer „angemessenen“ Entschädigung entspricht der Rechtsfolge in § 253 Abs. 2 BGB, die eine „billige“ Entschädigung anordnet. Der BGH sieht in der „billigen Entschädigung“ ein Synonym zu einer „angemessenen Entschädigung“.408 Bei der Bemessung habe der Tatrichter alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.409 Laut BGH würde dies aber nicht auch für die Gewichtung der einzelnen Umstände gelten, Höhe und Maß der Lebensbeeinträchtigung würden dabei im Vordergrund stehen.410 Düsseldorf Urt. v. 28. 03. 2019 – 1 U 66/18, NJW 2019, 2700; Burmann/Heß/Hühnermann/ Jahnke/Jahnke, § 253 BGB Rn. 18. 404 BT-Drs. 18/11397, S. 14. 405 Balke, in: SVR 2018, S. 207 (210); Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2645); Walter, in: MedR 2018, S. 213 (217). 406 Bredemeyer, in: ZEV 2017, S. 690 (692). So auch BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 227, wonach auch die immaterielle Einbuße beim Schockschaden nicht mit der des Hinterbliebenengeldes übereinstimmen müsse. Vgl. näher zum Verhältnis zum Schockschadensersatz in Kap. B. 407 Vgl. zur Funktion des Hinterbliebenengeldes in Kap. D. II. 408 BGH Beschl. v. 16. 09. 2016 – VGS 1/16, NZV 2017, 179. 409 BGH Beschl. v. 16. 09. 2016 – VGS 1/16, NZV 2017, 179. 410 Ausschlaggebend seien Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen, vgl. BGH Beschl. v. 16. 09. 2016 – VGS 1/16, NZV 2017, 179.
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
Diese Grundsätze würden laut Gesetzesbegründung auch für das Hinterbliebenengeld gelten.411 Bei den nachstehenden Erwägungen ist aber zu bedenken, dass sich der BGH bei der Billigkeit oder Angemessenheit der Entschädigung auf den immateriellen Schadensersatz und auf seine Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion bezogen hat.412 Diese Grundsätze sind deshalb nicht zwingend auf das Hinterbliebenengeld übertragbar.413 Im Vordergrund steht hier nicht das Ausmaß des seelischen Leids, sondern das besondere Näheverhältnis.414 Die Literatur orientiert sich für weitere geeignete Bemessungskriterien des Hinterbliebenengeldes an den Grundsätzen zum immateriellen Schadensersatz.415 Insbesondere auf den Grad des Verschuldens soll es auch für die Bemessung des Hinterbliebenengeldes ankommen.416 Leicht fahrlässiges, grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten des Schädigers könnten eine Minderung oder Erhöhung des Entschädigungsanspruchs rechtfertigen. Denkbar sei ein „Basisschmerzensgeld“, welches im Falle grober oder einfacher Fahrlässigkeit entsprechend nach unten oder oben korrigiert wird.417 Nur wenn das Hinterbliebenengeld zumindest auch aus Gründen der Genugtuung gewährt werden würde, ließe sich eine Differenzierung zwischen Verschuldens- und Gefährdungshaftung rechtfertigen.418 Verfolgt das Hinterbliebenengeld ausschließlich das Ziel des Ausgleichs, kann die vom Sühnegedanken getragene Differenzierung je nach Verschuldensgrad des Schädigers nicht berücksichtigt werden.419 Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation ist bereits im Rahmen des immateriellen Schadensersatzes kritisiert worden.420 Denkbar ist sowohl die anspruchsmindernde Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse im Hinblick auf eine „unbillige Härte“ für den Schädiger, als auch die anspruchserhöhende Berücksichtigung aufgrund der schlechten finanziellen Situation des Geschädigten.421 411
BT-Drs. 18/11397, S. 14. BGH Beschl. v. 16. 09. 2016 – VGS 1/16, NZV 2017, S. 179. 413 Vgl. zur Funktion des Hinterbliebenengeldes Kap. D. II. 414 Vgl. so auch Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (410). 415 Balke, in: SVR 2018, S. 207 (209); Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (409); Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2645); Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (409). 416 BGH Beschl. v. 16. 09. 2016 – VGS 1/16, NZV 2017, 179; OLG Düsseldorf Urt. v. 28. 03. 2019 – 1 U 66/18, NJW 2019, 2700; Lorenz, in: Karlsruher Forum 2016, S. 17. 417 Wagner, in: NJW 2002, S. 2049 (2054). 418 Vgl. so für den immateriellen Schadensersatz: Rackow, in: NStZ 2018, S. 25; Staudinger/Schiemann, 2017, § 253 BGB Rn. 31. 419 Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 143; Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 152. 420 MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 38. 421 BGH, Beschl. v. 11. 05. 2017 @ 2 StR 324/14, NStZ 2018, 25; ablehnend vgl. Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 245. 412
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
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Der BGH hält daran zwar für einen Anspruch aus § 253 Abs. 2 BGB fest.422 Innerhalb der Senate herrscht aber Uneinigkeit, der 2. Strafsenat hat verfassungsrechtliche Bedenken geäußert.423 Ob die wirtschaftliche Situation des Geschädigten für eine Berücksichtigung bei der Bemessung der Entschädigung spricht, sei nur anhand des tatsächlichen Wirtschaftens erkennbar. Die Beurteilung der finanziellen Verhältnisse würde eine Beweisaufnahme hinsichtlich des Lebensstils erforderlich machen. Dies lasse sich nicht mit dem verfassungsrechtlich geschützten privaten Lebensbereich des Geschädigten vereinbaren.424 Aus Sicht des BGH müssten die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Einzelfall „ein besonderes Gepräge“ geben, z. B. bei der Verletzung einer „armen Partei durch einen vermögenden Schädiger“.425 Die Berücksichtigung soll aber zukünftig nur ausnahmsweise bei deutlich erkennbarem Gefälle erfolgen.426 Möglich ist auch ein Einfluss auf die Entschädigung durch das Verhalten des Schädigers bei der Schadensregulierung.427 Anspruchserhöhend würde es sich dabei auswirken, wenn der Schädiger (bzw. der Haftpflichtversicherer) trotz Kenntnis der eigenen Gefährdungs- oder Verletzungshandlung, den Rechtsstreit unbegründet hinauszögert.428 Dies soll dem Anreiz der Versicherung entgegenwirken, verzögert zu reagieren um so womöglich den Anspruchsteller davon abzuhalten, den Anspruch weiterzuverfolgen.429 Zweifelhaft ist dabei die Vereinbarkeit mit den gesetzgeberischen Zielen des Deliktsrechts.430 Das Verhalten des Schädigers oder Versicherers ist daher nicht ohne die zusätzliche seelische Belastung des Verletzten zu betrachten.431 Hierfür müsste nachgewiesen werden, dass dem Hinterbliebenen durch die Verzögerung zusätzliche seelische Beeinträchtigungen zugefügt wurden. (3) Das Näheverhältnis als Bemessungsfaktor für eine Entschädigung gem. § 844 Abs. 3 BGB Aufgrund des ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffs der Angemessenheit bemüht sich die Literatur um geeignete Kriterien für die Bemessung der Entschädigungshöhe.432 422 BGH Urt. v. 16. 02. 1993 – VI ZR 29/92, NJW 1993, 1531; BGH Beschl. v. 11. 05. 2017 – 2 StR 324/14, NStZ 2018, 25. 423 Vgl. Anfragebeschluss v. 8. 10. 2014 – 2 StR 137/14 + 337/14, r+s 2015, 94. 424 Anfragebeschluss v. 8. 10. 2014 – 2 StR 137/14, r+s 2015, 94. 425 BGH Beschl. v. 16. 09. 2016 – VGS 1/16, NZV 2017, 179. 426 BGH, Beschl. v. 11. 05. 2017 @ 2 StR 324/14, NStZ 2018, 25; BGH Beschl. v. 11. 05. 2017 – 2 StR 137/14, NStZ-RR 2015, 382. 427 BeckOK BGB/Spindler, BGB § 253 Rn. 48. 428 BeckOK BGB/Spindler, BGB § 253 Rn. 48. 429 MüKoBGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 37. 430 Lorenz, in: Karlsruher Forum 2016, S. 21 f.; MüKoBGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 37. 431 BeckOK BGB/Spindler, BGB § 253 Rn. 48; MüKoBGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 37. 432 Balke, in: SVR 2018, S. 207 (209); Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 410 (410).
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
Im Fokus stünde die Berücksichtigung des konkreten Näheverhältnisses.433 Das Näheverhältnis stellt die entscheidende Anspruchsvoraussetzung des § 844 Abs. 3 BGB dar, sodass die Berücksichtigung des konkreten Näheverhältnisses im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität angezeigt sein könnte. Die Intensität der Beziehung zwischen Anspruchsteller und Getötetem könnte dann auch die Höhe der Entschädigung beeinflussen. Es ist zu überlegen, die Kriterien zur Begründung des Näheverhältnisses als Bemessungsfaktoren heranzuziehen. Darüber hinaus sind mithilfe der Vermutungsregelung in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB möglicherweise Personengruppen zu bilden, aus denen sich unterschiedliche Geldbeträge je nach Näheverhältnis ergeben können. Es liegt nahe, einem Anspruchsteller, der zum privilegierten Personenkreis gem. § 844 Abs. 2 S. 2 BGB zählt, eine höhere Entschädigung zu gewähren als einem Freund, für den ausnahmsweise ein Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB bejaht werden kann. Die Anforderungen an die Bejahung eines Näheverhältnisses sind bei Personenkreisen, denen es an der formalen Position fehlt, hoch. An entschädigungserhöhende Faktoren sind erst recht strenge Voraussetzungen zu knüpfen. Im Ergebnis geht es um die Frage, welche Intensität die persönliche Beziehung aufweist. So kann es für die Bemessung einen Unterschied machen, ob der Hinterbliebene und der Getötete in einer Haushaltsgemeinschaft zusammengelebt haben.434 Aber auch die weiteren für ein Näheverhältnis relevanten Umstände wie die finanzielle Abhängigkeit, die Dauer der Beziehung oder die gemeinsame Verantwortung für einen Dritten können sich auf die Höhe der Entschädigung auswirken. Daneben könnte in die Bemessung der Entschädigung mit einbezogen werden, dass der Getötete bereits ein höheres Alter erreicht hatte und die Hinterbliebenen daher mit dem Tod des Angehörigen in absehbarer Zeit hätten rechnen müssen.435 So wird für eine angemessene Entschädigung im Rahmen des Hinterbliebenengeldes gem. § 844 Abs. 3 BGB beispielhaft der Umstand genannt, dass Eltern ihr Kind begraben müssten. Hierbei sei ein höherer Betrag anzusetzen als für Kinder, dessen Eltern sterben.436 Hieran wird deutlich, dass die Heranziehung des Näheverhältnisses im Rahmen der Bemessung zu Abgrenzungsschwierigkeiten im Hinblick auf die Vermeidung der 433
Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (410); Steenbuck, in: r+s 2017, S. 449 (552), Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2645), wonach bei Verlust eines Kindes, Ehegatten oder Lebenspartners die Untergrenze von 10.000 Euro angemessen sei und bei Geschwistern in Höhe von 5.000 Euro. Das OLG Köln sieht in dem Betrag von 10.000 Euro eine Orientierungshilfe, der unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls höher und niedriger ausfallen könne (OLG Köln Urt. v. 05. 05. 2022 – 18 U 168/21, BeckRS 2022, 10167; ebenso OLG Schleswig Urt. v. 23. 02. 2021 – 7 U 149/20, DAR 2021, 332; OLG Koblenz Beschl. v. 31. 08. 2020 – 12 U 870/20, NJW 2021, 168, 169; LG München Urt. v. 17. 05. 2019 – 12 O 4540/18, SVR 2020, 274). 434 Steenbuck, in: r+s 2017, S. 449 (552). 435 OLG Saarbrücken Beschl. v. 12. 03. 2015 – 4 U 187/13, MDR 2015, 647. 436 Balke, in: SVR 2018, S. 207 (210); Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2645).
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Bewertung des Lebens führen kann. Die Entschädigung lässt sich gerade nicht daran messen, für welche Person der Tod schlimmer ist als für eine andere Person.437 (4) Zwischenergebnis Die Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung hängt entscheidend von der haftungsbegründenden, als auch von der haftungsausfüllenden Funktion des Hinterbliebenengeldes gem. § 844 Abs. 3 BGB ab.438 Für die Bemessung der Entschädigung beim immateriellen Schadensersatzanspruch gem. § 253 Abs. 2 BGB spielt der Genugtuungsgedanke eine entscheidende Rolle, sodass an der Übertragung der Bemessungsfaktoren auf die Hinterbliebenengeldentschädigung zu zweifeln ist. Auch wenn der immaterielle Schadensersatz aufgrund eines Schockschadens und der Anspruch auf Hinterbliebenengeld auf unterschiedlichen Haftungsgründen beruhen, können die Entschädigungsbeträge beim Vorliegen eines Schockschadens zur Orientierung bei der Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung herangezogen werden. Hierfür ist es von Bedeutung, dass die Diskussion zur Einführung eines Angehörigenschmerzensgeldes nicht zuletzt durch die Kritik an den strengen Voraussetzungen der Entschädigung bei Schockschäden ausgelöst wurde.439 Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB wird von einem Dritten geltend gemacht, der selbst keine Rechtsgutsverletzung erlitten hat. Die anspruchsbegründende Voraussetzung ist damit das besondere persönliche Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB. Der Umfang des gem. § 844 Abs. 3 BGB eingetretenen Schadens in Form von seelischem Leid kann nicht anhand der Rechtsgutsverletzung als Beeinträchtigung auf haftungsbegründender Ebene bestimmt werden. Die Einbeziehung des besonderen persönlichen Näheverhältnisses auch im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität erscheint daher sachgerecht. Erforderlich ist aber die Bemessung anhand objektiver Kriterien, um eine Bewertung des Verlusts der nahestehenden Person zu vermeiden. 2. Zwischenergebnis Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB begründet einen Anspruch eines Dritten als Hinterbliebener ohne eigene Rechtsgutsverletzung. Das besondere persönliche Näheverhältnis stellt die entscheidende und dem Schadensersatzrecht bisher unbekannte neue Voraussetzung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld dar. Anders als bei einem Anspruch des Dritten gem. § 844 Abs. 1 und 2 BGB beruht die Anspruchsberechtigung für das Hinterbliebenengeld nicht zwingend auf einer rechtlichen Position des Anspruchstellers. Auf haftungsausfüllender Ebene steht 437
Vgl. zur Wrongful-Life-Problematik Kap. D. II. Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2645). Vgl. näher zur Funktion des Hinterbliebenengeldes Kap. D. II. 439 Hoppenstedt/Stern, in: ZRP 2015, S. 18; Janssen, in: ZRP 2003, S. 156; Kuhn, in: SVR 2012, S. 288. 438
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
dem Hinterbliebenen für das ihm zugefügte seelische Leid eine „angemessene“ Entschädigung zu. Insbesondere für die Fragen, unter welchen Voraussetzungen ein besonderes pesönliches Näheverhältnis vorliegt und in welcher Höhe dem Hinterbliebenen eine Entschädigung zusteht, hängt davon ab, welche Rechtsnatur dem Hinterbliebenengeld zukommt. 3. Verjährung Die Gesetzesbegründung sieht für die Verjährung des Hinterbliebenengeldanspruchs die Anwendung der allgemeinen Verjährungsvorschriften im Schadensersatzrecht vor:440 Bei vorsätzlicher Tötung unterliegt der Anspruch der dreißigjährigen Verjährungsfrist gem. § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Hat der Schädiger ohne Vorsatz gehandelt, findet die regelmäßige Verjährung von drei Jahren gem. § 195 BGB oder die absolute Verjährung gem. § 199 Abs. 2 BGB Anwendung. Für den Beginn der Verjährungsfrist ist gem. § 199 Abs. 1 BGB auf den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld abzustellen. Der Anspruch entsteht, wenn dieser gerichtlich durch den Anspruchsteller geltend gemacht werden kann.441 Dies ist der Fall, wenn alle anspruchsbegründenden Tatsachen verwirklicht worden sind.442 Laut Gesetzesbegründung entsteht der Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB bereits mit Zufügung der Körperverletzung.443 Die Gesetzesbegründung verweist dabei auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1996, nach der der Schadensersatzanspruch gem. § 844 Abs. 2 BGB schon mit Verletzung des Unterhaltspflichtigen auf den Sozialhilfeträger übergehe.444 Nach Ansicht des BGH sei der Eintritt des Todes eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität. Für die Frage der Unterhaltsberechtigung führt dies zu gerechten Ergebnissen, da ansonsten die Gefahr bestünde, dass Unterhaltsberechtigungen zwischen der eingetretenen Körperverletzung und dem Eintritt des Todes absichtlich herbeigeführt werden.445 Vorausgesetzt wird aber nur die Unterhaltsberechtigung zum Zeitpunkt der Körperverletzung. Im Verletzungszeitpunkt muss aber noch keine konkrete Unterhaltspflicht bestehen. Damit soll den sich nachträglich ändernden Umständen Rechnung getragen werden, z. B. wenn die erforderliche Bedürftigkeit446 erst nach der Verletzung eintritt447 oder der Getötete erst später leistungsfähig geworden wäre.448 Für den Zeitpunkt des Verjährungsbe440
BT-Drs. 18/11397, S. 12. BGH Urt. v. 19. 12. 1990 – VIII ARZ 5/90, NJW 1991, 836. 442 BeckOGK/Piekenbrock, BGB § 199 Rn. 16. 443 BT-Drs. 18/11397, S. 13. 444 BGH Urt. v. 13. 02. 1996 – VI ZR 318/94, NZV 1996, S. 229. 445 BGH Urt. v. 13. 02. 1996 – VI ZR 318/94, NZV 1996, S. 229; MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 30. 446 Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, § 844 BGB Rn. 35. 447 BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 78. 448 Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, § 844 BGB Rn. 34. 441
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ginns beim Hinterbliebenengeld kommt es demnach darauf an, ob der Eintritt des Todes als haftungsbegründende Voraussetzung anzusehen ist.449 4. Vererbbarkeit Nach der Gesetzesbegründung ist der Anspruch auf Hinterbliebenengeld nicht höchstpersönlich und deshalb übertragbar und vererbbar.450 Dies entspricht zunächst dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebrachten Willen, das Hinterbliebenengeld wie einen Schadensersatzanspruch zu behandeln. Schadensersatzansprüche sind grundsätzlich vererbbar.451 Dies wird insbesondere mit der Streichung des § 847 Abs. 1 S. 2 BGB452 a. F. begründet.453 Gem. § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a. F. war der Anspruch auf billige Entschädigung wegen der Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder im Falle der Freiheitsentziehung nur dann vererbbar, wenn der Anspruch vor Eintritt des Todes des Erblassers durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden war.454 Durch die Streichung hatte der Gesetzgeber die Vererbbarkeit und Übertragbarkeit des immateriellen Schadensersatzes bereits ab dem Zeitpunkt der Verletzungshandlung bezweckt. Es solle nicht vom Zufall abhängen, ob der Schädiger haften muss.455 Der immaterielle Schadensersatz ist inzwischen in § 253 BGB geregelt ist und gilt damit nicht nur für unerlaubte Handlungen, sondern auch für die Gefährdungs- und Vertragshaftung.456 Ist sowohl der Haftungstatbestand als auch der Schaden bereits zu Lebzeiten des Erblassers erfüllt, ist der Anspruch in der Person des Erblassers entstanden und geht so im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den Erben über.457 Möglich ist aber auch, dass der Schaden erst nach dem Tod des Erblassers eintritt. Grundsätzlich wird es für die Vererbbarkeit des Schadensersatzanspruchs als ausreichend angesehen, dass der haftungsbegründende Tatbestand durch den Schädiger verwirklicht worden ist.458 Dies kann aus Sicht der Rechtsprechung allerdings nicht ohne weiteres auf einen Entschädigungsanspruch wegen der Verletzung eines Persönlichkeitsrechts übertragen werden. Im Jahr 2014 hat der BGH entschieden, dass der Anspruch auf 449
Vgl. hierzu Kap. E. BT-Drs. 18/11397, S. 12; BeckOK BGB/Spindler, BGB § 844 Rn. 45; Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2646). 451 MüKoBGB/Leipold, § 1922 Rn. 73 ff.; Jauernig/Stürner, § 1922 BGB Rn. 2. 452 Gesetz zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches und anderer Gesetze v. 14. März 1990, BGBl. I 1990, S. 478. 453 Staudinger/Schiemann, 2017, § 253 BGB Rn. 48. 454 BT-Drs. 11/4415, S. 1. 455 BT-Drs. 11/4415, S. 4. 456 MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 2; H. Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 440. 457 MüKoBGB/Leipold, § 1922 Rn. 74; Jauernig/Stürner, § 1922 BGB Rn. 1, 2. 458 MüKoBGB/Leipold, § 1922 Rn. 74. 450
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
Geldentschädigung wegen Persönlichkeitsverletzung grundsätzlich nicht vererbbar sei.459 Der BGH argumentiert, dass schon vor der Streichung des § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a. F. ein Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts abgelehnt wurde. Der Anspruch sei an den Charakter der berechtigten Person gebunden und sei daher als höchstpersönlich zu bewerten.460 Die Entschädigung bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung trage dem Gedanken der Genugtuung Rechnung.461 Dieses Ziel könne nicht mehr erreicht werden, wenn der Verletzte verstirbt. Der Anspruch sei nur dann vererbbar, wenn dieser zu Lebzeiten des Verletzten rechtskräftig zuerkannt wurde, die An- oder Rechtshängigkeit des Anspruchs reichen laut BGH ebenfalls nicht aus.462 Durch die Wirkung der Rechtskraft würde die bezweckte Genugtuung eintreten. Der BGH wiederholt in einem weiteren Urteil aus dem Jahr 2017 die Bedeutung der Genugtuungsfunktion bei Verletzung eines Persönlichkeitsrechts.463 Die Vererbbarkeit wird von der Frage der Genugtuungsfunktion des Anspruchs abhängig gemacht. Die vorstehenden Erwägungen zur Vererbbarkeit des Anspruchs auf Entschädigung wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung können auch für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB relevant sein.464 Jedoch wird schon die Ablehnung der Vererbbarkeit des immateriellen Schadensersatzes bei Persönlichkeitsrechtsverletzung zu Recht kritisiert,465 denn auch der immaterielle Schadensersatzanspruch gem. § 253 Abs. 2 BGB ist vererbbar, obwohl eine Genugtuungsfunktion teilweise angenommen wird.466 Bei Bejahung der Vererbbarkeit des Hinterbliebenengeldanspruchs kann dies konsequenterweise eine Mehrheit von Ansprüchen in einer Person zur Folge haben: Versterben der Vater und die Mutter eines Kindes467 aufgrund eines Schadensereignisses, wobei ein Elternteil aber noch eine gewisse Zeit überlebt, steht dem Kind womöglich sowohl der eigene Anspruch auf Hinterbliebenengeld, als auch der Anspruch des später versterbenden Elternteils zu.
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BGH Urt. v. 29. 04. 2014 – VI ZR 246/12, GRUR 2014, 702. BGH Urt. v. 29. 04. 2014 – VI ZR 246/12, GRUR 2014, 702. 461 BGH Urt. v. 29. 04. 2014 – VI ZR 246/12, GRUR 2014, 702. 462 BGH Urt. v. 29. 04. 2014 – VI ZR 246/12, GRUR 2014, 702 (705); BGH Urt. v. 23. 05. 2017 – VI ZR 261/16, NJW 2017, 3004. 463 BGH Urt. v. 23. 05. 2017 – VI ZR 261/16, NJW 2017, 3004. 464 Bredemeyer, in: ZEV 2017, S. 690 (693); Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (413). 465 Spickhoff, in: Karlsruher Forum 2016, S. 109. 466 BGH Urt. v. 29. 11. 1994 – VI ZR 93/94, r+s 1995, 97; Burmann/Heß/Hühnermann/ Jahnke/Jahnke, § 253 BGB Rn. 32 ff.; zur fehlenden Genugtuungsfunktion bei Gefährdungshaftung vgl. OLG Celle Beschl. v. 23. 01. 2004 – 14 W 51/03, NJW 2004, 1185. 467 Unabhängig von der Vererbbarkeit stellt sich bei sterbenden Eltern die Frage, inwiefern das Versterben mehrerer Angehöriger nur anspruchserhöhend zu berücksichtigen ist oder zwei unabhängige Ansprüche gegen den Schädiger entstehen. Vgl. hierzu Kap. E. 460
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
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5. Zwischenergebnis Die Verjährung und die Vererbbarkeit eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld hängen davon ab, ob die Grundsätze des immateriellen Schadensersatzanspruchs gem. § 253 Abs. 2 BGB auf das Hinterbliebenengeld zu übertragen sind. Für den Beginn der Verjährung wird es darauf ankommen, ob auch im Rahmen des § 844 Abs. 3 BGB schon die dem Tod vorgelagerte Körperverletzung als haftungsbegründende Voraussetzung genügt. In diesem Fall wäre für den Verjährungsbeginn der Zeitpunkt der Körperverletzung maßgeblich. Hieran bestehen aber Zweifel, sodass der Todeseintritt als Zeitpunkt des Verjährungsbeginns in Betracht zu ziehen ist. Die Vererbbarkeit des Hinterbliebenengeldanspruchs kann erst nach Bestimmung der Funktion des Hinterbliebenengeldes beurteilt werden. Nur dann, wenn dem Hinterbliebenengeld auch eine der Genugtuungsfunktion entsprechende Funktion zukäme, könnte die Vererbbarkeit in Zweifel gezogen werden. Andernfalls ist von der Vererbbarkeit des Hinterbliebenengeldanspruchs auszugehen. 6. Das Verhältnis zur Schockschaden-Rechtsprechung a) Der Begriff des Schockschadens Die Bezeichnung Schockschaden ist irreführend, weil die Rechtsprechung mit dem Schockschaden keinen Schaden im Sinne eines Schadens auf haftungsausfüllender Ebene meint, der gem. §§ 249 ff. BGB ersatzfähig ist. Der Schockschaden meint vielmehr die Rechtsgutsverletzung auf haftungsbegründender Ebene, auf der kausal ein eingetretener materieller oder immaterieller Schaden beruhen kann. Es geht also um die Frage, ob der erlittene Schock zu einer Körper- oder Gesundheitsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB geführt hat und damit eine Haftung begründet werden kann. b) Die Orientierung an der Schockschaden-Rechtsprechung Die Gesetzesbegründung zum Hinterbliebenengeld bringt zum Ausdruck, dass die Ansprüche, die Hinterbliebenen aufgrund eines Schockschadens468 zustehen können, durch das neue Hinterbliebenengeld erweitert werden sollen. So orientieren sich die Voraussetzungen der Neuregelung gem. § 844 Abs. 3 BGB an den zu den Schockschäden entwickelten Grundsätzen.469 Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld sei subsidiär gegenüber einem Anspruch aufgrund eines Schockschadens. Liegen sowohl die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Ersatz des Schockschadens als 468 Die Bezeichnung als Schockschaden ist durch die Rechtsprechung für die durch die Nachricht vom tödlichen Unfall eines Angehörigen ausgelöste seelische Erschütterung entwickelt worden, vgl. grundlegend BGH Urt. v. 11. 05. 1971 – VI ZR 78/70, NJW 1971, 1883; LG Frankfurt Urt. v. 28. 03. 1969 – 2/12 O 50/67, NJW 1969, 2286. 469 BT-Drs. 18/11397, S. 8, 12.
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
auch für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld vor, sei laut Gesetzesbegründung kein Hinterbliebenengeld, sondern nur ein immaterieller Entschädigungsbetrag zu gewähren.470 Die Höhe der Hinterbliebenenentschädigung selbst soll hinter der Anspruchshöhe für Schockschäden zurückbleiben.471 Die Heranziehung der Grundsätze zum Schockschaden durch die Gesetzesbegründung spricht für eine Vergleichbarkeit der beiden Anspruchsgrundlagen. An der Gleichartigkeit beider Ansprüche ist jedoch zu zweifeln. Ein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz für einen Dritten als mittelbar Geschädigten kam bis zur Neuregelung in § 844 Abs. 3 BGB nicht in Betracht. Ersatzfähig waren nur materielle Schäden in Form von Beerdigungskosten und Unterhaltszahlungen gem. § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB. Für einen eigenen immateriellen Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB muss der Angehörige in einem der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgüter verletzt worden sein. Die Schockschaden-Rechtsprechung bezieht sich auf einen materiellen oder immateriellen Schadensersatzanspruch gem. §§ 249 ff. BGB. Trotz der durch die Rechtsprechung entwickelten besonderen Voraussetzungen für die Ersatzfähigkeit eines Schockschadens, meint der Schockschaden eine von § 823 Abs. 1 BGB erfasste Gesundheitsverletzung, die einen immateriellen Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB begründen kann und damit durch die Vorschriften des BGB umfassend geregelt ist. Dennoch setzt der neue Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 durch die Entschädigung seelischen Leids gerade an der Ersatzfähigkeit des Schadens an, der im Rahmen des Schockschadens nicht ersetzt werden kann, wenn keine Gesundheitsverletzung i. S. § 823 Abs. 1 BGB aufgrund des erlittenen Schocks vorliegt.472 § 844 Abs. 3 BGB setzt gerade keine Körper- oder Gesundheitsverletzung des Hinterbliebenen voraus. Das Verhältnis zwischen der immateriellen Entschädigung für Schockschäden und dem Hinterbliebenengeld ist sowohl für die Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung relevant, als auch für die Frage ob der Anspruch auf Hinterbliebenengeld unabhängig von einem Anspruch aufgrund eines Schockschadens besteht. Die Voraussetzungen für den Ersatz eines Schockschadens sind daher zu berücksichtigen.
470 „(…) geht der Anspruch auf Ersatz des Schockschadens dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld vor, bzw. letztgenannter geht in erstgenanntem auf“, BT-Drs. 18/11397, S. 12. 471 BT-Drs. 18/11397, S. 14. 472 Vgl. jüngst BGH Urt. v. 21. 05. 2019 – VI ZR 299/17, NJW 2019, 2387.
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c) Die Haftung für immateriellen Schadensersatz bei Schockschäden Die Ausgangssituation für die Frage nach der Ersatzfähigkeit eines Schockschadens ist das Miterleben eines schweren Unfalls, der Anblick der Unfallfolgen oder die Nachricht vom Unfalls eines Angehörigen.473 Der Angehörige als Dritter muss dadurch miterleben, wie ein Angehöriger schwer verletzt oder getötet wird.474 Auch wenn der Angehörige des Geschädigten nicht unmittelbar am Unfall-/Schadensereignis beteiligt ist, kann die seelische Erschütterung so erheblich sein, dass eine Beeinträchtigung mit Krankheitswert und damit ein Schockschaden bejaht werden kann.475 Für die Reaktion, die der Angehörige durch das Miterleben des Unfalls oder durch die Unfallnachricht zeigt, stellt sich die Frage, ob der Angehörige bloße Trauer empfindet oder darüber hinaus einen Schock erleidet, der als Gesundheitsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB zu qualifizieren ist.476 Nicht relevant sind dabei die möglichen Schadensersatzansprüche aufgrund materieller Schäden. Im Vordergrund steht der auf einem Schock oder Trauer beruhende immaterielle Schaden, den der Angehörige aufgrund des Miterlebens des Unfallgeschehens erlitten hat. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass sich der Begriff „Schockschaden“ in den folgenden Ausführungen auf die Rechtsgutsverletzung in Form einer Gesundheitsverletzung bezieht und nicht auf den Schaden im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität. Die hierzu entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze beruhen auf der schwierigen Abgrenzung zwischen einem reinen Gefühlsschaden und einer psychischen Beeinträchtigung mit Krankheitswert im Zusammenhang mit dem Risiko einer ausufernden Haftung.477 Für die nachstehenden Ausführungen bleiben mögliche vertragliche oder vertragsähnliche Verbindungen zwischen dem Angehörigen und dem Schädiger außer Betracht. Es wird unterstellt, dass die einzige Verbindung zwischen Angehörigem und Schädiger das schädigende Ereignis darstellt.
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Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 259 ff.; Staudinger/Schiemann, 2017, § 249 BGB Rn. 43. 474 Kauert/Mebs/Schmidt, Kausalität: forensische Medizin, S. 255; Lübbe, Kausalität und Zurechnung, S. 20. 475 Kauert/Mebs/Schmidt, Kausalität: forensische Medizin, S. 269; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 214. 476 Zu unterscheiden ist zwischen dem Schock- und Trauerschaden, vgl. Stiegler, Schmerzengeld für Schock- und Trauerschäden, S. 11. 477 Stiegler, Schmerzengeld für Schock- und Trauerschäden, S. 12; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 218.
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
d) Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aufgrund eines Schockschadens Dem Angehörigen steht gem. § 823 Abs. 1 i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB ein eigener Anspruch auf immateriellen Schadensersatz zu, wenn das Miterleben des Unfalls, der Anblick der Unfallverfolgen oder die Nachricht hiervon einen Schockschaden mit Krankheitswert auslöst.478 Die Rechtsprechung beurteilt den beim Angehörigen hervorgerufenen Schock als Umstand, der grundsätzlich zum allgemeinen Lebensrisiko gehöre und eine dadurch verursachte Gesundheitsverletzung daher nur unter einschränkenden Voraussetzungen ersatzfähig sei.479 Die durch die Rechtsprechung entwickelten Einschränkungen beziehen sich im Wesentlichen auf drei zusätzliche Voraussetzungen:480 Die Gesundheitsverletzung müsse ein gewisses Maß an seelischer Trauer überschreiten, es muss eine angemessene Schock-Anlass-Reaktion vorliegen und der Anspruchsteller muss ein naher Angehöriger des Verletzten sein.481 aa) Das Vorliegen einer erheblichen Gesundheitsverletzung gem. § 823 Abs. 1 BGB Der Angehörige müsste als „Zweitgeschädigter“482 infolge der Verletzung des Primärgeschädigten eine eigene Gesundheitsverletzung gem. § 823 Abs. 1 BGB erlitten haben. Die Gesundheitsverletzung stellt auf das Funktioneren der inneren Lebensvorgänge ab.483 Umstritten ist, welcher Grad an Beeinträchtigung der Gesundheit erreicht werden muss, um eine Gesundheitsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB anzunehmen.484 Eine Gesundheitsverletzung kann durch eine psychisch vermittelte Störung der physischen Lebensvorgänge vorliegen.485 Die psychisch vermittelte Gesundheitsbeeinträchtigung muss aber laut Rechtsprechung eine nach der Verkehrsauffassung pathologisch fassbare Gesundheitsverletzung darstellen um von § 823 Abs. 1 BGB erfasst zu sein.486 478 Kauert/Mebs/Schmidt, Kausalität: forensische Medizin, S. 269; Karner, in: Karlsruher Forum 2016, S. 92; Staudinger/Schiemann, 2017, § 249 BGB Rn. 43. 479 BGH Urt. v. 22. 05. 2007 – VI ZR 17/06, NJW 2007, 2764; OLG Köln Urt. v. 29. 07. 1999 – 1 U 27/99, NJW-RR 2000, 760. 480 Schramm, Haftung für Tötung, S. 148 ff.; Staudinger/Schiemann, 2017, § 249 BGB Rn. 45. 481 Barnert, Der eingebildete Dritte, S. 225; Staudinger/Schiemann, 2017, § 249 BGB Rn. 45. 482 Vgl. Formulierung von Stiegler, Schmerzengeld für Schock- und Trauerschäden, S. 11. 483 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 111; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 204. 484 MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 204, 218. 485 BGH Urt. v. 17. 12. 1968, VI ZR 210/67, VersR 1969, 373; BGH Urt. v. 05. 02. 1985 – VI ZR 198/83, NJW 1985, 1390; BGH Urt. v. 06. 06. 1989 – VI ZR 241/88, NJW 1989, 2616. 486 BGH Urt. v. 04. 04. 1989 – VI ZR 97/88, NJW 1989, 2317; BGH Urt. v. 21. 05. 2019 – VI ZR 299/17, r+s 2019, 478.
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Hinzu kommt vorliegend die Besonderheit, dass die psychische Beeinträchtigung als Reaktion auf ein Schadensereignis ausgelöst wird. Die Rechtsprechung setzt in solchen Fällen einschränkende Voraussetzungen für einen Anspruch des Angehörigen voraus.487 Dabei muss die Beeinträchtigung das übliche Maß überschreiten, das bei Miterleben des Unfalls oder Erhalt der Nachricht vom Tod des Angehörigen erfahrungsgemäß eintritt.488 Dies soll laut BGH selbst dann gelten, wenn die Trauer von Störungen der physiologischen Abläufe begleitet wird.489 Der BGH betont das gesetzgeberische Ziel, die Haftung auf festgelegte Tatbestände des § 823 I BGB zu beschränken.490 Das Erleiden eines Schocks gehöre zunächst zum allgemeinen Lebensrisiko, sodass nicht jede Beeinträchtigung vom Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB umfasst sei.491 Dies ist insoweit nachvollziehbar, als dass bei jedem Unfall zunächst davon auszugehen ist, dass Angehörige tiefe Trauer empfinden. Der BGH berücksichtigt für die Frage einer Gesundheitsverletzung den Umstand, ob der Angehörige die Beeinträchtigungen aufgrund des Miterlebens des Unfalls oder durch die Unfallnachricht erlitten hat. Anhand der verschiedenen Entscheidungen des BGH zu Schockschäden wird deutlich, dass die Einstufung als Gesundheitsverletzung eine Einzelfallentscheidung erfordert, bei der wiederkehrende Kriterien zu berücksichtigen sind. So betont der BGH, dass es einen Unterschied machen müsse, ob der Angehörige durch das Unfallgeschehen selbst einen Schock davonträgt, oder dieser erst durch den Erhalt der Unfallnachricht ausgelöst wird.492 Für diese von der Rechtsprechung entwickelte Erheblichkeitsschwelle besteht jedoch kein Bedürfnis.493 Es fehlt an einem sachlichen Grund, bei einer psychisch verursachten Gesundheitsbeeinträchtigung restriktivere Vorgaben als bei einer physisch verursachten Gesundheitsbeeinträchtigung vorzusehen.494 Das Vorliegen einer Gesundheitsverletzung hängt nicht von der Art der Verursachung ab.495 bb) Angemessenes Verhältnis zwischen Schock und Anlass Darüber hinaus setzt die Rechtsprechung ein angemessenes Verhältnis zwischen Anlass und Reaktion voraus: Der Schock, den der Angehörige erleidet, muss 487
BGH Urt. v. 11. 05. 1971 – VI ZR 78/70, NJW 1971, 1883. BGH Urt. v. 11. 05. 1971 – VI ZR 78/70, NJW 1971, 1883; BGH Urt. v. 06. 02. 2007 – VI ZR 55/06, VersR 2007, 803. 489 BGH Urt. v. 27. 10. 2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451. 490 BGH Urt. v. 31. 01. 1984 – VI ZR 56/82, NJW 1984, 1405; BGH Urt. v. 27. 10. 2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451. 491 Staudinger/Schiemann, 2017, § 249 BGB Rn. 45. 492 BGH Urt. v. 27. 10. 2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451. 493 Staudinger/Schiemann, 2017, § 249 BGB Rn. 46; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 218. 494 MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 151. 495 Staudinger/Schiemann, 2017, § 249 BGB Rn. 44, 46. 488
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
nachvollziehbar aufgrund des eingetretenen Ereignisses erscheinen.496 Der Anlass muss geeignet sein, bei einem durchschnittlich Empfindenden eine entsprechende Erschütterung auszulösen.497 Für die Frage, ob die Reaktion des Angehörigen verständlich in Bezug auf ihren Anlass war, hängt der Maßstab von dem Kriterium der Nähebeziehung zwischen Primärverletztem und Drittem ab.498 cc) Anspruchsteller ist naher Angehöriger Demnach kommt es für die Verhältnismäßigkeit der Reaktion auf eine psychische Beeinträchtigung bei einem nahen Angehörigen des Geschädigten an.499 Erfasst sind nächste Angehörige und auch obhutspflichtige Personen wie Blindenführer oder Krankenschwestern.500 Nicht erforderlich ist ein familienrechtlicher Status.501 Neben Kindern,502 Ehegatten503 und Eltern504 hat die Rechtsprechung aber bisher nur einer Verlobten einen immateriellen Schadensersatzanspruch aufgrund eines Schockschadens zugesprochen.505 dd) Der Umfang des immateriellen Schadens Liegen die Voraussetzungen des haftungsbegründenden Tatbestandes vor, kann der Dritte neben den Heilungskosten Ersatz in Form einer immateriellen Entschädigung beanspruchen.506 Dabei hängt der Umfang des zu ersetzenden Schadens davon ab, wie der Dritte mit der seelischen Erschütterung umgeht, wie lange die Beeinträchtigungen anhalten, und in welchem Ausmaß der Dritte das Leiden wahrnimmt.507 Umstände, die für sich genommen keine Rechtsgutsverletzung begründen würden, müssen bei der Bemessung des immateriellen Schadensersatzes 496
BGH Urt. v. 21. 05. 2019 – VI ZR 299/17, r+s 2019, 478; Staudinger/Schiemann, 2017, § 249 Rn. 45, 1998. 497 Staudinger/Schiemann, 2017, § 249 BGB Rn. 45. 498 Schramm, Haftung für Tötung, S. 158. 499 BGH Urt. v. 20. 03. 2012 – VI ZR 114/11, NJW 2012, 1730; BGH Urt. v. 27. 01. 2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451; Staudinger/Schiemann, 2017, § 249 Rn. 45; MüKoBGB/ Wagner, § 823 Rn. 219. Vgl. zur Kritik des Angehörigenprivilegs Staudinger/Schiemann, 2017, § 249 BGB Rn. 46. 500 LG Frankfurt Urt. v. 28. 03. 1969 – 2/12 O 50/67, NJW 1970, 515. 501 Stiegler, Schmerzengeld für Schock- und Trauerschäden, S. 48; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 219. 502 OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 06. 09. 2017 – 6 U 216/16, NJW-RR 2018, 599. 503 OLG Karlsruhe Urt. v. 18. 10. 2011 – 1 U 28/11, NJW 2012, 41. 504 OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 19. 07. 2012 – 1 U 32/12, NJW 2013, 140. 505 LG Frankfurt a. M. Urt. v. 28. 03. 1969 – 2/12 O 50/67, NJW 1969, 2286. 506 MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 156. 507 BGH Urt. v. 10. 02. 2015 – VI ZR 8/14, r+s 2015, 260; OLG Nürnberg Urt. v. 01. 08. 1995 – 3 U 468/95, NJW 1996, 367.
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nicht berücksichtigt werden: So hat der BGH zwar die Ersatzfähigkeit für die aus einem posttraumatischen Belastungssyndrom entstandene Magersucht bejaht, damit verbundene Schlafstörungen und weitere Nebenwirkungen wurden bei der Bemessungshöhe aber nicht berücksichtigt.508 e) Die fehlende Vergleichbarkeit zwischen Schockschadensersatz und Hinterbliebenengeld Auch wenn der Schock des Dritten durch den Verlust des Angehörigen verursacht wird, handelt es sich beim immateriellen Schadensersatzanspruch aufgrund eines Schockschadens und dem Hinterbliebenengeld um zwei unterschiedliche Anspruchsgrundlagen, die auf unterschiedlichen Haftungsgründen beruhen.509 Beide Ansprüche werden aus unterschiedlichen Gründen gewährt. Selbst wenn die immaterielle Entschädigung bei einem Schockschaden auf der Trauer um den Angehörigen beruht, lässt sich der immaterielle Schadensersatz auf eine Gesundheitsverletzung gem. § 823 Abs. 1 BGB stützen. Hätte der Angehörige nur die erfahrungsgemäß zu erwartende Trauer erlitten, so würde ihm auch keine immaterielle Entschädigung aufgrund eines Schockschadens zustehen. Zwar kann der Hinterbliebenengeldanspruch Entschädigung für Haftungsfälle gewähren, bei denen die Voraussetzungen für den Ersatz eines Schockschadens nicht vorliegen. Das Hinterbliebenengeld entschädigt gerade den Trauerschaden, der vom Schockschaden abzugrenzen ist. Bei beiden Ansprüchen handelt es sich aber um eigenständige Anspruchsgrundlagen, die unabhängig voneinander bestehen.510 Die Begründung der beiden Ansprüche unterliegt deshalb auch unterschiedlichen Voraussetzungen:511 Bei der Heranziehung der Schockschaden-Rechtsprechung im Rahmen des Hinterbliebenengeldes wird regelmäßig nicht berücksichtigt, dass der ersatzfähige Schockschaden auf einer eigenen Gesundheitsverletzung des Angehörigen beruht. Trotz der durch die Rechtsprechung entwickelten normativen Einschränkungen handelt es sich um einen gesetzlich vorgesehenen immateriellen Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 1 i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB.512 Die normativen Anforderungen beruhen nicht zuletzt auf der zunächst zurückhaltenden Anerkennung einer psychischen Erkrankung als Gesundheitsverletzung.513 Der Angehörige ist bei der 508
BGH Urt. v. 10. 02. 2015 – VI ZR 8/14, r+s 2015, 260. Vgl. näher zur fehlenden Vergleichbarkeit in Kap. E. III.; vgl. zum Haftungsgrund als Funktion des Hinterbliebenengeldes auf haftungsbegründender Ebene in Kap D. II. 2. 510 BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 226 f. Vgl. zur Rechtsnatur des Hinterbliebenengeldes Kap. D. I. 511 Bredemeyer, in: ZEV 2017, S. 690. 512 Staudinger/Schiemann, 2017, § 249 BGB Rn. 44. 513 Staudinger/Schiemann, 2017, § 249 BGB Rn. 44; Staudinger, in: DAR 2012, S. 280 (283). 509
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
Inanspruchnahme des Geschädigten aufgrund einer eigenen Gesundheitsverletzung in Form des Schockschadens kein Dritter im Sinne des Hinterbliebenengeldes, bei dem es dem Dritten gerade an einer eigenen Rechtsgutsverletzung fehlt. Das Hinterbliebenengeld entschädigt seelisches Leid, das als Schaden aufgrund des Verlusts der nahestehenden getöteten Person eingetreten ist. Während sich die Frage nach der Gesundheitsverletzung bei einem Schockschaden auf haftungsbegründender Ebene stellt, ist das seelische Leid für die haftungsausfüllende Kausalität relevant, vorausgesetzt wird kein Mindestmaß. Zudem wird das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB – anders als die immaterielle Entschädigung bei Schockschäden – nur im Falle der Tötung der nahestehenden Person gewährt. f) Konsequenzen für das Verhältnis Schockschadensersatz/Hinterbliebenengeld Wird eine i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB nahestehende Person getötet und trägt der Hinterbliebene durch das Miterleben des Unfalls oder durch die Unfallnachricht eine psychische Erkrankung davon, liegen sowohl ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB als auch ein Anspruch aus § 844 Abs. 3 BGB vor. Es ergeben sich zwei voneinander unabhängige Entschädigungsbeträge. Das Hinterbliebenengeld beruht auf dem Verlust der nahestehenden Person. Weil der Verlust im Vordergrund steht, wird sich auch die Bemessung des Entschädigungsbetrags an der Intensität der Nähebeziehung orientieren. Beim Schockschaden bemisst sich die Entschädigung anhand des Krankheitswerts und der daraus resultierenden Nachteile. Würde man also bei Vorliegen der Voraussetzungen für beide Ansprüche nur eine Entschädigung für den Schockschaden gewähren, kann die Trauer über den Verlust bei der Anspruchshöhe nicht genügend berücksichtigt werden.514 Selbst wenn man die Berücksichtigung der Trauer über den Verlust im Rahmen der Bemessung des Schockschadens zulassen würde, müsste dies eine bedeutende Erhöhung des Entschädigungsbetrags zur Folge haben, um der selbstständigen Anspruchsqualität des Hinterbliebenengeldes ausreichend Rechnung zu tragen. Die fehlende Vergleichbarkeit der beiden Ansprüche und die nicht bestehende Möglichkeit der Anrechnung des Hinterbliebenengeldes hindert das Gericht nicht daran, eine begründete Entschädigung aufgrund eines Schockschadens bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes zu berücksichtigen. Es ist in Erwägung zu ziehen, dass das Hinterbliebenengeld nicht weit über dem Entschädigungsbetrag für den Schockschaden liegen kann, da eine eigene Rechtsgutsverletzung des Hinterbliebenen nicht vorausgesetzt wird. Es könnte die Erwägung naheliegen, in Zukunft 514
A. A.: LG Tübingen Urt. v. 17. 05. 2019 – 3 O 108/18, DAR 2019, 468, wonach der immaterielle Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB das zugefügte Leid mitumfasse und konsumieren würde. Dabei zitiert das LG Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2645), der aber gerade meint, dass das Schmerzensgeld da einsetze, wo die Höchstgrenze des Hinterbliebenengeldes erreicht sei.
IV. Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
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bei der Gewährung der immateriellen Entschädigung für einen Schockschaden anspruchsmindernd die Entschädigung der Trauer durch das Hinterbliebenengeld zu berücksichtigen. Zweifelhaft ist jedoch die Gewährung einer verringerten Hinterbliebenengeldentschädigung aufgrund einer möglicherweise durch die Entschädigung bei einem Schockschaden bereits berücksichtigten Trauer. Durch die Voraussetzung einer Beeinträchtigung mit Krankheitswert, die über die bloße Trauer hinausgeht, kann bei Bejahung einer Gesundheitsverletzung die Trauer inkludiert sein. Wird die Entschädigung für den erlittenen Schockschaden allein anhand der durch die Gesundheitsverletzung verursachten immateriellen Beeinträchtigung bemessen, fehlt es an einem Ausgleich der erlittenen Trauer, die neben der Gesundheitsverletzung empfunden wird. Etwas anderes kann sich aus der Bejahung der Genugtuungsfunktion des immateriellen Schadensersatzanspruchs gem. § 253 Abs. 2 BGB ergeben.515 Wenn die Entschädigung aufgrund des Schockschadens über den Ausgleich der durch die Gesundheitsverletzung verursachten Beeinträchtigung hinausgehen kann, ist auch eine Berücksichtigung der empfundenen Trauer denkbar. Mithilfe der Genugtuungsfunktion ist eine Entschädigung allein schon aufgrund des Eingriffs in die Integrität der Rechte des Geschädigten gewährt worden.516 Ob bei der Bemessung der Entschädigung für einen Schockschaden der Genugtuungsfunktion eigenständige Bedeutung zukommt, wird regelmäßig nicht feststellbar sein. Auch die Differenzierung zwischen dem Ausgleich der immateriellen Beeinträchtigung, die durch die Gesundheitsverletzung verursacht worden ist, und der damit eng zusammenhängenden empfundenen Trauer ist nicht oder nur schwer zu bestimmen. Die durch die Rechtsprechung vorgenommene bewusste Abgrenzung des Schockschadens vom Angehörigenschmerzensgeld und das Bemühen um eine Haftungsbegrenzung sprechen gegen die eigenständige Berücksichtigung der Trauer als bemessungserhöhender Umstand. Darüber hinaus ist die Einführung des Hinterbliebenengeldes zu berücksichtigen, dessen Ziel die Entschädigung für das seelische Leid aufgrund des Verlusts ist. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Anspruch auf Hinterbliebenengeld ausschließlich für den Fall eingeführt wurde, dass aufgrund einer fehlenden Gesundheitsverletzung kein Schockschaden bejaht werden kann. Für die Gewährung des Hinterbliebenengeldes wird aber keine besondere Art der Verursachung vorausgesetzt, sodass ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld auch außerhalb einer Beteiligung an einem Unfallgeschehen bestehen kann. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes geht deutlich über Unfallsituationen hinaus, sodass das Hinterbliebenengeld unabhängig vom immateriellen Schadensersatz aufgrund eines Schockschadens zu behandeln ist.
515
III.
Vgl. zur Genugtuungsfunktion des immateriellen Schadensersatzanspruchs in Kap. C.
516 BGH Beschl. v. 16. 09. 2016 – VGS 1/16, NJOZ 2017, 746; MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 13.
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B. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB
V. Ergebnis Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB ist die gesetzgeberische Antwort auf die langjährige Diskussion zu einem fehlenden Angehörigenschmerzensgeld im deutschen Recht. Neben dem wachsenden Bedürfnis die Angleichung der europäischen Rechtsordnungen voranzutreiben, wurde die Haftung für Schockschäden zunehmend als unzureichend angesehen, wenn Angehörige durch eine unerlaubte Handlung getötet werden. Die mediale Aufmerksamkeit bei Unglücksfällen mit zahlreichen Getöteten beschleunigte die Umsetzung eines neuen Gesetzes. Die hier erfolgte Vorstellung des Gesetzes zum Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB bringt zum Ausdruck, dass der Inhalt und die Bedeutung der Anspruchsvoraussetzungen noch nicht hinreichend konkretisiert sind. Dies hat der Gesetzgeber den Gerichten durch die Einräumung von Ermessen überlassen. Neben der Frage zu welchen Personen unter welchen Voraussetzungen ein besonderes persönliches Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB besteht, ist insbesondere die Bemessung der Entschädigung offen geblieben. Auch wenn der Gesetzgeber die Berücksichtigung der Umstände im Einzelfall fordert, sind Bemessungsgrundsätze erforderlich, die Transparenz und Rechtssicherheit in unterschiedlichen Fallkonstellationen ermöglichen. Aufgrund des zum Ausdruck gebrachten gesetzgeberischen Willens, seelisches Leid zu entschädigen, stellt sich die Frage nach der Bedeutung des Hinterbliebenengeldes im Zusammenhang mit dem immateriellen Schadensersatz. Die Trauer als seelischer Schaden stellt zwar einen immateriellen Schaden dar. Dadurch ist aber noch keine Aussage über die Rechtsnatur des Hinterbliebenengeldanspruchs getroffen. Ungeklärt ist auch, ob das Hinterbliebenengeld nach den Grundsätzen zum immateriellen Schadensersatz zu behandeln ist.
C. Der immaterielle Schadensersatz I. Einführung Das Schadensersatzrecht erfasst das Haftungs- und das Schadensrecht. Das Haftungsrecht beinhaltet die Begründung eines Anspruchs auf Schadensersatz,1 während sich das Schadensrecht auf die Haftungsausfüllung bezieht.2 Die Vorschriften der §§ 249 ff. BGB regeln dabei Inhalt und Umfang der Schadensersatzpflicht und damit die Haftungsausfüllung.3 Dem Ausgleichsgedanken folgend soll der Geschädigte durch die Rechtsfolge des Schadensersatzes grundsätzlich so gestellt werden soll, wie er ohne schädigende Handlung stehen würde, § 249 BGB.4 Der Ausgleich konzentriert sich auf das Interesse des Geschädigten.5 Hierfür bedarf es der Bestimmung eines ersatzfähigen Schadens.6 Dafür hat der Gesetzgeber durch die Regelung in § 253 BGB die Grundsatzentscheidung getroffen, dass grundsätzlich Vermögensschäden ersatzfähig sind. Seit Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs legt der Gesetzgeber den Begriff des Vermögensschadens zugrunde.7 Der immaterielle Schaden wird deshalb als Schaden definiert, der kein Vermögensschaden ist.8 Diese ausfüllungsbedürftige Definition prägt den immateriellen Schaden. Sowohl die Frage, ob ein immaterieller Schaden überhaupt ersatzfähig ist, in welchem Umfang, als auch nach welchen Voraussetzungen, war bis heute keiner abschließenden Klärung zugänglich.9 Die Entwicklung des immateriellen Schadens, der sich in einem stetigen Wandel befindet, ist vor diesem Hintergrund kritisch zu betrachten. Auch die Einführung des Hinterbliebenengeldes, das in verschiedener Weise als
1 Die Schadensersatzansprüche ergeben sich dabei aus Vertrags- und Deliktsrecht sowie aus der Gefährdungshaftung (H. Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Rechts, S. 164). 2 H. Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Rechts, S. 164. 3 MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 1. 4 Müller, Punitive Damages, S. 72; Seibt, Zivilrechtlicher Ausgleich ökologischer Schäden, S. 216. 5 Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 218; Müller, Punitive Damages, S. 72. 6 Müller, Punitive Damages, S. 73. 7 Jauernig/Teichmann, Vor § 249 BGB Rn. 3 ff.; MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 24 f.; BeckOK BGB/Flume, BGB § 249 Rn. 170 ff. 8 Ady, Immaterielle Einbußen, S. 7; Pardey, Berechnung von Personenschäden, S. 50 Rn. 8 ff. Zur positiven Beschreibung des immateriellen Schadens vgl. Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 537 ff. 9 Ady, Immaterielle Einbußen, S. 5; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 218, S. 53 ff.
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C. Der immaterielle Schadensersatz
„immaterieller Schadensersatz“10, „Entschädigungsanspruch“11, „Hinterbliebenenentschädigung“12 bezeichnet worden ist, prägt diese Fortentwicklung. Unabhängig von der Rechtsnatur des Hinterbliebenengeldes stellt die Einführung eines solchen Entschädigungsanspruchs eine Erweiterung des immateriellen Schadensrechts dar. Denn bisher hat sich der Ersatz immaterieller Schäden im BGB (mit einer Ausnahme im Reisevertragsrecht)13 innerhalb des § 253 BGB abgespielt. Das neue Hinterbliebenengeld konstituiert zugunsten des Hinterbliebenen einen Anspruch für erlittenes seelisches Leid. Losgelöst von den weiteren Voraussetzungen der Neuregelung besteht durch den als seelisches Leid bezeichneten Nachteil des Anspruchstellers eine deutliche Parallele zu den bisher auf der Grundlage des § 253 BGB14 gewährten immateriellen Schadensersatzansprüchen. Zu entschädigen ist ebenfalls ein „Gefühlsschaden“.15 Ziel dieses Kapitels ist deshalb die Gegenüberstellung des immateriellen Schadensersatzes gem. § 253 BGB mit dem Hinterbliebenengeld, die im Ergebnis aufzeigt, ob und inwieweit sich die Anspruchsvoraussetzungen des Hinterbliebenengeldes an denen des immateriellen Schadensersatzes orientieren können. Als immaterieller Schaden i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB ist das seelische Leid zugrunde zu legen. Zwar ist hierbei die Grenze der Auslegung des neuen Gesetzes zum Hinterbliebenengeld durch Wortlaut und Systematik zu beachten.16 Aufgrund des unbestimmten Rechtsbegriffs der „angemessenen“ Entschädigung gem. § 844 Abs. 3 BGB ist aber insbesondere auf Ebene der Haftungsausfüllung eine Konkretisierung möglich und notwendig. Auch wenn das Hinterbliebenengeld ebenfalls eine Entschädigung für einen immateriellen Schaden vorsieht, kann für das Hinterbliebe10
Steenbuck, in: r+s 2017, S. 449 (453); Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2644). Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2644). 12 Spickhoff/Spickhoff, § 253 BGB Rn. 24. 13 Vgl. § 651n Abs. 2 BGB. 14 § 253 BGB stellt keine eigene Anspruchsgrundlage dar (Schulze/Schulze, § 253 BGB Rn. 13; jurisPK-BGB/Vieweg/Lorz, § 253 BGB Rn. 23) und meint im Folgenden deshalb eine schadensbegründende Norm in Verbindung mit § 253 BGB (Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 11). 15 Der Gefühlsschaden als immaterieller Schaden, der zwar eine psychische Beeinträchtigung bedeutet, das Ausmaß der Körperverletzung aber nicht erreicht (Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 132; Stiegler, Schmerzengeld für Schock- und Trauerschäden, S. 12; Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 52). Vgl. auch die österreichische Rspr., die Gefühlsschäden ebenfalls als eine Beeinträchtigung behandelt, die zu keiner eigenen gesundheitlichen Beeinträchtigung geführt hat: OGH Urt. v. 16. 05. 2001 – 2 Ob 84/01 v, NZV 2002, 26; OGH Urt. v. 09. 09. 2008 – 10 Ob 81/08x, IPRax 2009, 524; den Gefühlsschaden als immateriellen Schaden ablehnend: Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 49 ff. 16 Zum Gesetzeswortlaut als äußerste Grenze zulässiger Auslegung vgl. Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 204 ff.; Schoppmeyer, Juristische Methode als Lebensaufgabe, S. 283 f. Zur Systematik als Auslegungsmethode vgl. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 56 ff. 11
II. Die historische Entwicklung des immateriellen Schadensersatzes
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nengeld eine vom immateriellen Schadensersatz gem. § 253 Abs. 2 BGB abweichende Auslegung geboten sein. Die Gegenüberstellung erfolgt durch die Darstellung des immateriellen Schadens und die anschließende Bezugnahme des Hinterbliebenengeldes auf die wesentlichen Merkmale und Voraussetzungen des immateriellen Schadensersatzes. Gegenstand der Untersuchung ist dabei der immaterielle Schadensersatzanspruch,17 der auf haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Voraussetzungen beruht. Der Fokus liegt dabei aber auf der Betrachtung des immateriellen Schadens auf haftungsausfüllender Ebene. Die vorliegende Darstellung beschränkt sich auf den zivilrechtlichen immateriellen Schadensersatzanspruch gem. § 253 BGB,18 sodass außerhalb des BGB liegende Entschädigungsansprüche19 außer Betracht bleiben. In den Blick genommen wird der immaterielle Schadensersatzanspruch gem. § 253 Abs. 2 BGB. Die Darstellung des Anspruchs bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfolgt nur im Rahmen der für das Hinterbliebenengeld relevanten Bereiche.20
II. Die historische Entwicklung des immateriellen Schadensersatzes Die Ersatzfähigkeit eines immateriellen Schadens wurde bei Entstehung des BGB im Jahr 1900 noch weitgehend abgelehnt. Auch wenn die bis 2002 geltende immaterielle Schadensersatzregelung des § 847 BGB a. F. schon bei Entstehung des BGB existierte, wurden Gefühlsschäden nicht anerkannt. Vor diesem Hintergrund ist es von Bedeutung, welche Motive den Gesetzgeber bei der Entstehung eines eigenen Anwendungsbereichs des immateriellen Schadens geleitet haben.21
17 Gemeint ist damit im Folgenden eine Anspruchsgrundlage in Verbindung mit der haftungsausfüllenden Norm des § 253 Abs. 2 BGB, vgl. dazu auch Kap C. III. 1. 18 § 651n Abs. 2 BGB, der neben § 253 Abs. 2 im BGB Geldentschädigung bei immateriellen Schäden gewährt, bleibt ebenfalls außer Betracht. 19 Ansprüche auf Geldentschädigung bei immateriellen Schäden außerhalb des BGB: § 15 Abs. 2 AGG (s. dazu Bierkamp, Das Diskriminierungsverbot im Arbeitsrecht, 2008), § 87 S. 2 AMG, § 29 Abs. 2 AtG, §§ 43, 45 BEG, § 52 Abs. 2 BPolG, § 83 Abs. 2 BDSG, § 32 Abs. 5 S. 2 GenTG, § 6 S. 2 HPflG, § 36 S. 2 LuftVG, § 8 S. 2 ProdHaftG, § 7 Abs. 3 StrEG, § 11 S. 2 StVG, § 13 S. 2 UmweltHG, § 97 Abs. 2 S. 4 UrhG und Art. 5 Abs. 5 EMRK. 20 S. dazu: Hoppe, Persönlichkeitsschutz durch Haftungsrecht, Berlin 2001; Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen durch Medien, Tübingen 2002. 21 Die historische Entwicklung des immateriellen Schadens wird vorliegend nur in Ansätzen nachvollzogen. Das neue Hinterbliebenengeld steht im Fokus der vorliegenden Arbeit, sodass sich die Darstellung des immateriellen Schadensersatzes auf die für das Hinterbliebenengeld relevanten Punkte beschränken muss. Die Entwicklung der Funktion des immateriellen Schadensersatzes, wird im Rahmen der Funktion dargestellt.
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C. Der immaterielle Schadensersatz
1. Die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden vor der Entstehung des BGB Das zivilrechtliche Schadensersatzrecht wurde vor Entstehung des BGB durch das Strafrecht geprägt.22 Das römische Recht hat zunächst nicht zwischen Strafe und zivilrechtlicher Ersatzpflicht differenziert.23 Delikte wurden nicht durch öffentliche Strafen verfolgt, sondern in Form von Privatstrafklagen.24 Wirft man einen Blick auf die historische Entwicklung der Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden im römisch antiken Recht, sind die deliktischen Klagen actio legis Aquiliae25 und actio iniuriarum26 hervorzuheben.27 Beide Klageinstrumente waren im alten römischen Recht reine Strafklagen.28 Diese gewannen durch die Rezeption des römischen Rechts an Bedeutung.29 In der klassischen Zeit wurden die Privatstrafklagen auch für die Zahlung von Schadensersatz eingesetzt.30 Durch die actio iniuriarum konnte der Geschädigte Entschädigung für physische Schmerzen oder Ehrverletzungen verlangen.31 Die Rechtsfolge der „poena“ enthielt dabei seit der klassischen Zeit auch einen Betrag für den erlittenen materiellen Schaden.32 Der Betrag des Bußgeldes setzte sich aus der Zahlung eines Schadens22
Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 280. Dreier, Kompensation und Prävention, S. 517; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 281. 24 Dreier, Kompensation und Prävention, S. 517; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 282. 25 Seit dem 17. Jahrhundert existierte diese als Generalklausel für Schadensersatzansprüche bei Vermögensschäden (Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 57; Walter, Geschichte des Anspruchs auf Schmerzensgeld, S. 72), später wurde diese über ihren eigentlichen Anwendungsbereich hinaus auch bei Körperverletzungen geltend gemacht. 26 Tatbestandsvoraussetzung hierfür war eine „injuria“ als Verletzung einer Person. Der Betrag für eine solche Verletzung wurde durch den Richter geschätzt (Ady, Immaterielle Einbußen, S. 9). Die Schreibweise orientiert sich an: Walter, Geschichte des Anspruchs auf immateriellen Schadensersatz bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs, München 2004. 27 Immenhauser, Das Dogma von Vertrag und Delikt, S. 205; Wittmann, Die Körperverletzung an Freien, S. 62. 28 Walter, Geschichte des Anspruchs auf Schmerzensgeld, S. 71. 29 Degenhart, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, S. 16. 30 Sog. gemischte Bußklagen, „actiones mixtae“, vgl. Walter, Geschichte des Anspruchs auf Schmerzensgeld, S. 70. 31 Vgl. die „actio mixta“, Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 14; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 281; Kaufmann, in: AcP Bd. 162, S. 421; Rohmann, Die Vererblichkeit des Schmerzensgeldanspruches, S. 19; Walter, Geschichte des Anspruchs auf Schmerzensgeld, S. 49. 32 Becker, Persönlichkeitsrecht, S. 208; Walter, Geschichte des Anspruchs auf Schmerzensgeld, S. 70. 23
II. Die historische Entwicklung des immateriellen Schadensersatzes
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ersatzes und der Bestrafung des Schädigers zusammen, weshalb in der Geldbuße auch ein dem immateriellen Schaden ähnlicher Ersatz gesehen werden konnte.33 Aufgrund der Bestrebungen zur Etablierung einer staatlichen Strafverfolgung entwickelten sich die Bußen im Mittelalter zu bloßen Strafen.34 Seit dem 12. Jahrhundert fand die Trennung zwischen Zivilrechtsklagen und Strafen Eingang in den deutschen Rechtskreis mit dem Ergebnis eines eigenen Schadensersatzrechts.35 Nach Entstehung des Schadensersatzrechts wurde ein immaterieller Schadensersatz mit dem Argument des ausreichenden Schutzes durch die Verhängung von Strafen abgelehnt.36 Im 18. und 19. Jahrhundert wuchs die Akzeptanz eines Anspruchs auf immateriellen Schadensersatz aber stetig.37 Der Ersatz immaterieller Schäden erforderte zunächst noch einen hohen Begründungsaufwand und die Rechtsnatur der Entschädigung war offen.38 Große Kodifikationen des 19. Jahrhunderts legten die Definition des Vermögensschadens zugrunde.39 Die Bestimmung des Schadens anhand der Verletzung von Rechtsgütern wurde entwickelt. Eine weitere Differenzierung zwischen Vermögens- oder Nichtvermögensschäden erfolgte aber nicht.40 Eine Hürde für die Anerkennung des immateriellen Schadensersatzes war bis zur Entstehung des BGB die Verknüpfung der strafrechtlichen Verfolgung mit der Schadensersatzpflicht.41 2. Der immaterielle Schadensersatz nach Entstehung des BGB Trotz wissenschaftlicher Diskussion haben die Verfasser des BGB die Entschädigung immaterieller Interessen aus rechtspolitischen Gründen grundsätzlich abgelehnt: 33
Degenhart, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, S. 11. Ady, Immaterielle Einbußen, S. 12; Rohmann, Die Vererblichkeit des Schmerzensgeldanspruches, S. 19; Walter, Geschichte des Anspruchs auf Schmerzensgeld, S. 56. Die Verfolgung der Straftaten durch ein staatliches Gewaltmonopol führte zur Zurückdrängung der privaten Sanktionierung (Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 50). 35 Degenhart, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, S. 15; Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 15. 36 Ady, Immaterielle Einbußen, S. 14; Walter, Geschichte des Anspruchs auf Schmerzensgeld, S. 70 ff. 37 Kern, in: AcP 191, S. 247 (256). 38 Kern, in: AcP 191, S. 247 (256). 39 Walter, Geschichte des Anspruchs auf Schmerzensgeld, S. 348; zur Entwicklung des Schmerzensgeldes im 19. Jh. vgl. Göthel, in: AcP 205, S. 36. 40 Walter, Geschichte des Anspruchs auf Schmerzensgeld, S. 348. 41 Degenhart, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, S. 11. 34
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C. Der immaterielle Schadensersatz
„Es widerstrebe der herrschenden Volksauffassung, die immateriellen Lebensgüter auf gleiche Linie mit den Vermögensgütern zu stellen und einen idealen Schaden mit Geld aufzuwiegen. Das BGB dürfte diesen zumal in besseren Kreisen vertretenen Anschauungen sich nicht entgegenstellen und das gegenteilige Prinzip einführen.“42
Die deliktische Verletzung würde durch das Strafgesetzbuch und die Vorschriften zur Buße genügend Berücksichtigung finden.43 Zudem sollte verhindert werden, dass dem Richter bei der Bemessung des Schadens ein zu großer eigener Beurteilungsspielraum zukam.44 Dennoch fand der immaterielle Schaden als Ausnahmevorschrift durch § 847 BGB45 a. F. und § 1300 BGB46 a. F. Einzug in das am 1. Januar 1900 in Kraft getretene Bürgerliche Gesetzbuch. § 1300 BGB a. F. regelte eine billige Entschädigung bei Rücktritt des Verlobten vom Verlöbnis. Die Einführung des § 847 a. F. BGB war durch die Regelung des § 231 StGB47 a. F. motiviert: Wenn die strafrechtliche Möglichkeit bestehe, eine über den Vermögensschaden hinausgehende Entschädigung zu zahlen, müsse diese auch im Zivilrecht bestehen.48 Das im Jahr 1872 in Kraft getretene Strafgesetzbuch49 enthielt in § 231 StGB a. F. die Regelung, dass in Fällen der Ehrverletzung oder Körperverletzung ausnahmsweise neben der Strafe eine Buße zu zahlen sei. Schon vor dem BGB war der immaterielle Schaden in deutschen Rechtskreisen bekannt, weshalb man sich über eine Entschädigung der Nachteile infolge von Körperverletzungen einig war.50 Für das Zivilrecht ausgenommen war aber weiterhin eine Entschädigung für Ehrverletzungen, da die actio injuriarum nach 42
Kaufmann, in: AcP Bd. 162, S. 421. BGB-RGRK/Kreft, § 847 Rn. 4. 44 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 16; Walter, Geschichte des Anspruchs auf Schmerzensgeld, S. 397. 45 § 847 Abs. 1 S. 2 BGB ist durch das am 01. 07. 1990 in Kraft getretene Gesetz v. 14. 03. 1990 (BGBl. S. 478) aufgehoben worden, vgl. Staudinger/BGB-Synopse 1896 – 2005, 2006, § 847 BGB. 46 § 1300 BGB ist am 1. Juli 1998 durch EheschlRG aufgehoben worden (vgl. Staudinger/ BGB-Synopse 1896 – 2005, 2006, § 1300 BGB). 47 § 231 StGB ist im Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich (RStGB) am 1. Januar 1872 in Kraft getreten (RGBl. S. 127): „In allen Fällen der Körperverletzung kann auf Verlangen des Verletzten neben der Strafe auf eine an denselben zu erlegende Buße bis zum Betrage von zweitausend Thalern erkannt werden. Eine erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruches aus. Für diese Buße haften die zu derselben Verurtheilten als Gesammtschuldner.“ § 231 StGB wurde durch Art. 323 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974, BGBl. S. 469 aufgehoben. 48 Degenhart, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, S. 26; Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 20; BGB-RGRK/Kreft, § 847 Rn. 5; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 16; Stoll, Haftungsfolgen, S. 59. 49 Inkrafttreten des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich (RStGB) (RGBl. S. 127), das durch das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz v. 4. August 1953, BGBl. 1953 I S. 735, als Strafgesetzbuch neu bekannt gemacht wurde. 50 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 16. 43
II. Die historische Entwicklung des immateriellen Schadensersatzes
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Auffassung des deutschen Gesetzgebers rein strafrechtlicher Rechtsnatur sei.51 § 847 BGB a. F. stellte damit eine Ausnahme i. S. d. § 253 BGB dar, nach der eine Entschädigung für einen immateriellen Schaden nur in den durch das Gesetz besonders geregelten Fällen gefordert werden konnte. Dies waren die Körper-, Gesundheitsund Freiheitsverletzungen. Nach Inkrafttreten des BGB akzeptierte die Rechtsprechung die Gewährung von immaterieller Entschädigung unter Berücksichtigung der Einzelumstände.52 Daran schloss sich eine bis heute anhaltende Diskussion über die Funktion des immateriellen Schadensersatzes und die daraus resultierenden Bemessungskriterien an.53 Bei Entstehung des BGB war eine Entschädigung für reine Gefühlsschäden mit Ausnahme des § 1300 BGB a. F. aufgrund der fehlenden Überprüfbarkeit ausgeschlossen.54 Der Entschädigungsanspruch gem. § 847 BGB a. F. bezog sich ausschließlich auf die deliktische Verschuldens- und Gefährdungshaftung sowie die Billigkeitshaftung gem. § 829 BGB.55 So musste der immaterielle Schaden stets auf einer dem Schädiger zurechenbaren Verletzung beruhen.56 Eine vertragliche Haftung für immaterielle Schäden war bis 2002 nicht gesetzlich geregelt. Durch § 651f Abs. 2 BGB a. F.57 und § 611a BGB58 a. F.59 kamen aber für das Reisevertragsrecht und das Arbeitsrecht seit 1979 und 1980 Regelungen hinzu, die es erstmals ermöglichten eine Entschädigung für einen immateriellen Schaden unabhängig von der Rechtsgutsverletzung zu erhalten.60 51
Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 21. Vgl. RG Urt. v. 07. 04. 1932 – VI 496/31, RGZ 136, 60, in dem bei der Bemessung der immateriellen Entschädigung das grobe Verschulden berücksichtigt wurde; Degenhart, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, S. 29. 53 Degenhart, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, S. 29 ff. 54 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 18. 55 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 86; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 18. 56 Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 52 f. 57 „(2) Wird die Reise vereitelt oder erheblich beeinträchtigt, so kann der Reisende auch wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen.“ An die Stelle des § 651f Abs. 2 BGB a. F. ist § 651n Abs. 2 BGB durch das Dritte Gesetz zur Änderung reiserechtlicher Vorschriften v. 17. Juli 2017, BGBl. I S. 2394 getreten. 58 „(2) Verstößt der Arbeitgeber gegen das in Absatz 1 geregelte Benachteiligungsverbot bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses, so kann der hierdurch benachteiligte Bewerber eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen; ein Anspruch auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses besteht nicht.“ § 611a BGB a. F. wurde durch das Gesetz zur Umsetzung Europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung v. 14. August 2016, BGBl. I S. 1897 aufgehoben. 59 Vgl. Staudinger/BGB-Synopse 1896 – 2005, 2006, §§ 651f, 611a BGB. 60 Ohliger, Die Ausweitung des Schmerzensgeldes ohne Bagatellschwelle, S. 17; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 19. 52
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C. Der immaterielle Schadensersatz
3. Zwischenergebnis Auch wenn der immaterielle Schadensersatzanspruch gem. § 847 BGB a. F. schon im Jahr 1900 Eingang in das BGB gefunden hatte, wurde die Regelung zunächst als Gegenstück zur strafrechtlich geregelten Buße behandelt. Die Aufgabenverteilung zwischen dem Zivil- und Strafrecht war noch nicht geklärt.61 Das Schadensersatzrecht stand noch am Anfang und eine Abgrenzung vom Vermögensschaden fiel schwer.62 Die heute noch an vielen Stellen vorhandene Zurückhaltung bei immateriellen Schäden kann deshalb auf die Entstehung und anfängliche Ablehnung des immateriellen Schadensersatzes im Jahr 1900 zurückgeführt werden. Ein Kritikpunkt bei der Einführung einer Entschädigungsnorm war der nicht gewollte Entscheidungsspielraum des Gerichts.63 Mit Blick auf die Ausformung des heutigen immateriellen Schadensersatzrechts ist die Ausübung von Ermessen durch den Richter hinsichtlich der Bestimmung und Höhe des immateriellen Schadens nicht mehr wegzudenken.64 Dennoch spielt die Frage nach dem Umfang des Ermessensspielraums, der dem einzelnen Richter zustehen soll, auch heute noch eine erhebliche Rolle. Aufgrund des unbestimmten Rechtsbegriffs der „billigen Entschädigung“65 ist es Aufgabe des Richters, durch die Subsumtion des einzelnen Sachverhalts die billige Entschädigung zu konkretisieren. Dabei übt der Richter Ermessen hinsichtlich der Höhe der immateriellen Entschädigung aus.66 Trotz der seit Entstehung des BGB geäußerten Kritik an der Regelung des § 847 BGB a. F. verwundert es, dass die Regelung bis 2002 Bestand haben konnte. Dies zeigt, dass sich der Gesetzgeber schwergetan hat, den Anwendungsbereich des immateriellen Schadens auszuweiten und weiter zu entwickeln. Die im Jahr 2002 vorgenommenen Gesetzesänderungen zum immateriellen Schadensersatz sind deshalb von besonderer Bedeutung. Aber auch die historisch bedingte Zurückhaltung des Gesetzgebers gegenüber der Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden ist in den nachfolgenden Erwägungen zu berücksichtigen.
61
Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 45; Walter, Geschichte des Anspruchs auf Schmerzensgeld, S. 397. 62 Walter, Geschichte des Anspruchs auf Schmerzensgeld, S. 399. 63 Walter, Geschichte des Anspruchs auf Schmerzensgeld, S. 397. 64 Zur Betonung des Ermessensspielraums des Richters bzgl. einer angemessenen Entschädigung vgl. BGH Urt. v. 10. 04. 1954 – VI ZR 61/53, NJW 1954, 1034; BGH Urt. v. 30. 04. 1996 – VI ZR 55/95, NJW 1996, 2425. 65 Vgl. § 253 Abs. 2 BGB. 66 Benkendorff, Schmerzensgeld außerhalb des Schadensersatzrechts, S. 70; vgl. Stickelbrock, Richterliches Ermessen im Zivilprozess, S. 249, die eine Ermessensausübung verneint, es würde eine Befugnis zur Schadensschätzung gem. § 287 ZPO bestehen.
III. Überblick über das System des immateriellen Schadensersatzes
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III. Überblick über das System des immateriellen Schadensersatzes Der immaterielle Schadensersatz stellt die Entschädigung für einen Nichtvermögensschaden dar.67 Die Ausschließlichkeit der Vorschrift des § 253 BGB im BGB im Hinblick auf die Gewährung immateriellen Schadensersatzes bringt die Zurückhaltung des Gesetzgebers verbunden mit der komplexen Frage nach der Bedeutung des immateriellen Schadens zum Ausdruck. 1. Die Begriffe Schmerzensgeld und immaterieller Schadensersatzanspruch Auch wenn das Gesetz selbst den Begriff des „Schmerzensgeldes“ nicht kennt, wird bei dem Ausgleich von immateriellen Schäden gegenüber dem Verletzten allgemein von einem „Anspruch auf Schmerzensgeld“ gesprochen.68 Der Begriff ist auf die Bußen aus dem 14. und 15. Jahrhundert zurückzuführen und bildet die verschiedenen immateriellen Schäden heute nicht mehr vollständig ab.69 Inzwischen können immaterielle Schäden über Schmerzen und Leiden hinausgehen.70 Auch wenn es sich bei § 253 Abs. 2 BGB um eine haftungsausfüllende Norm handelt, wird aus Gründen der Praktikabilität allgemein von einem „immateriellen Schadensersatzanspruch gem. § 253 Abs. 2 BGB“ gesprochen. Dies meint dann in der folgenden Darstellung eine haftungsbegründende Anspruchsgrundlage in Verbindung mit der haftungsausfüllenden Norm des § 253 BGB. 2. Die systematische Stellung des immateriellen Schadens Der Begriff des Schadens wird im BGB als allgemeiner Begriff verstanden, der seit dem 19. Jahrhundert sowohl materielle, als auch immaterielle Schäden erfasst.71 § 253 BGB bezieht sich auf den immateriellen Schaden und beschränkt die Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden. Gem. § 253 Abs. 1 BGB sollen diese nur in den gesetzlich genannten Ausnahmen und den in § 253 Abs. 2 BGB genannten Fällen entschädigt werden. Das Gesetz sieht damit immaterielle Schäden grundsätzlich als nicht ersatzfähig an.
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MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 4. Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 8; vgl. Schubert, in: Karlsruher Forum 2016, S. 5, „gebräuchlich aber unpassend“; Walter, Geschichte des Anspruchs auf Schmerzensgeld, S. 47. 69 Schramm, Haftung für Tötung, S. 239; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 14. 70 Schubert, in: Karlsruher Forum 2016, S. 6. 71 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 10; Walter, Geschichte des Anspruchs auf Schmerzensgeld, S. 51. 68
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C. Der immaterielle Schadensersatz
§ 253 Abs. 2 BGB existiert erst seit dem 1. August 2002 und entspricht der Regelung des inzwischen weggefallenen § 847 BGB a. F. § 253 Abs. 2 BGB sieht eine billige Entschädigung in Geld vor, für einen Schaden, der kein Vermögensschaden ist, wenn eines der genannten Rechtsgüter körperliche Integrität, Freiheit oder sexuelle Selbstbestimmung verletzt ist. Neben der auf der Verletzung beruhenden Haftungsnorm, bedarf es in diesen Fällen für einen immateriellen Schadensersatzanspruch keiner gesonderten Anspruchsgrundlage. Die Naturalrestitution in § 249 BGB unterscheidet zunächst nicht zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschäden.72 Naturalrestitution kann auch hinsichtlich des immateriellen Schadens verlangt werden. Dies findet häufig keine Erwähnung, sodass der Ersatz des immateriellen Schadens (im Sinne der Naturalrestitution) und die Entschädigung des immateriellen Schadens gleichbedeutend verwendet werden. Die Entschädigung betrifft aber nur den Ersatz durch Geld.73 § 253 Abs. 1 BGB schließt grundsätzlich nur die Kompensation des Nichtvermögensschadens in Geld aus.74 Der Ausschluss der Entschädigung bezieht sich auf § 251 BGB.75 Die Restitution bleibt aber möglich.76 Ziel ist dabei die Wiederherstellung des hypothetischen Zustands der bestünde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre.77 Die Wiederherstellung des Zustands ist bei Nichtvermögensschäden oft aber nur eingeschränkt möglich, da dies meist nur für die Zukunft erreicht werden kann.78 Gem. § 249 Abs. 2 BGB kann zwar bei der Verletzung einer Person oder bei der Beschädigung einer Sache auch der für die Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag verlangt werden.79 So hat der Schädiger bei einer Körperverletzung regelmäßig die Kosten der Heilbehandlung gem. § 249 Abs. 2 BGB zu ersetzen, weil andernfalls nach dem Grundsatz der Naturalrestitution der Schädiger selbst die Heilbehandlung schulden würde.80 Dieser Geldbetrag beschränkt sich aber auf die
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Nichtvermögensschaden und immaterieller Schaden sind hier gleichbedeutend zu verstehen, vgl. Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 11. 73 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 11, 13, wonach der Begriff Entschädigung einen „doppelten Inhalt“ hätte, zum einen im Schadensersatzrecht als Kompensation des Schadens in Geld, zum anderen als Abgrenzung vom Schadensersatzrecht als Anspruch sui generis. 74 Reich/Schmitz, Einführung in das Bürgerliche Recht, S. 132; MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 321; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 28. 75 BeckOK BGB/Flume, BGB § 249 Rn. 75. 76 BeckOK BGB/Flume, BGB § 249 Rn. 75. 77 Schulze/Schulze, § 249 BGB Rn. 4. 78 Schramm, Haftung für Tötung, S. 29; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 30; Schulze/Schulze, § 249 BGB Rn. 4; Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 26: z. B. eine ehrverletzende Äußerung kann aber widerrufen werden. 79 Im Einzelfall kann auch die Naturalrestitution gem. § 249 Abs. 1 BGB auf einen Geldbetrag gerichtet sein: BeckOK BGB/Flume, BGB § 249 Rn. 57. 80 MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 336.
III. Überblick über das System des immateriellen Schadensersatzes
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Restitution, sodass die Beeinträchtigung bzw. Fortwirkung der körperlichen Beeinträchtigung durch diesen Geldbetrag nicht entschädigt wird.81 Kommt also eine Restitution für diesen Schaden gem. § 249 Abs. 1 BGB nicht in Betracht, bleibt nur der immaterielle Schadensersatzanspruch gem. § 253 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einer Anspruchsgrundlage, sofern kein Gesetz gem. § 253 Abs. 1 BGB eine Entschädigung ausdrücklich vorsieht.82 3. Die Bemessung des immateriellen Schadens Neben der Frage worin der immaterielle Schaden bestehen kann, sind die Kriterien die im Rahmen der Bemessung der Entschädigung zugrunde zu legen sind nicht endgültig geklärt. Trotz des Versuchs durch die Funktionsbestimmung auf geeignete Bemessungskriterien zu schließen, beruhen die angewendeten Kriterien bis heute auf Vergleichsrechtsprechung.83 Der immaterielle Schadensersatzanspruch ist durch die Einfügung in § 253 Abs. 2 BGB in das allgemeine Schadensrecht eingeordnet worden. Daher gelten für den Ersatz immaterieller Schäden auch die Grundprinzipien des allgemeinen Schadensrechts.84 Danach soll der Ersatz den Ausgleich erlittener Nachteile schaffen.85 Andererseits ordnet § 253 Abs. 2 BGB an, dass eine „billige“ Entschädigung zu zahlen sei. Zunächst ist hierbei zwischen eingetretener Rechtsgutsverletzung, dem daraus resultierenden Schaden und der auf dem Schaden beruhenden Entschädigung zu unterscheiden: „Liegt eine Rechtsgutsverletzung vor? Wenn ja, welcher immaterieller Schaden resultiert dann aus der Rechtsgutsverletzung? Und schließlich, wie lässt sich dieser Schaden in Geld quantifizieren?“86
Die gem. § 253 Abs. 2 BGB ersatzfähigen Nachteile stellen den immateriellen Schaden dar, der auf einer Verletzung der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgüter beruht. Hat der Verletzte eine Körperverletzung erlitten, stellen die durch die Körperverletzung verursachten Schmerzen den immateriellen Schaden dar. Sodann ist zwischen dem ausgleichsfähigen Schaden und der billigen Entschädigung in Geld zu differenzieren. Denn die Entschädigung beruht auf dem immateriellen Schaden und gerade nicht auf der Rechtsgutsverletzung. Die Höhe der Entschädigung ist deshalb zu bemessen und muss nicht mit dem Umfang des Schadens übereinstim81 Vgl. Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 119, der diesen Schaden als „äußeren immateriellen Verletzungsfolgeschaden“ bezeichnet. 82 BeckOK BGB/Flume, BGB § 249 Rn. 78; Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 119. 83 OLG Celle Urt. v. 05. 08. 1999 – 14 U 209/98, OLGR Celle 2000, 35; OLG Düsseldorf Urt. v. 25. 06. 2013 – I-1 U 193/12, NJOZ 2014, 645; von Mayenburg, Die Bemessung des Inkommensurablen, S. 49. 84 von Mayenburg, Die Bemessung des Inkommensurablen, S. 26. 85 MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 8. 86 Schweipert, Implizite Vorurteile im Entscheidungsprozess, S. 210.
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C. Der immaterielle Schadensersatz
men: Die Rechtsfolge einer „billigen“ Entschädigung überlässt als Öffnungsklausel den Gerichten die Bestimmung geeigneter Bemessungsfaktoren.87 Fehlt es einem auf einem subjektiven Empfinden beruhenden Schaden gerade an der objektiven Messbarkeit,88 kann die Entschädigung nicht ausschließlich durch den Ausgleich der Beeinträchtigung erfolgen. Sofern gerade die negative Veränderung der Gefühlslage den zu ersetzenden Schaden darstellt, muss es auf weitere Faktoren ankommen.89 Hier kann nur eine Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände erfolgen, die durch den bloßen Ausgleich nicht zwingend erreicht werden kann.90 Der BGH begründet dies mit der Erweiterung der Ausgleichsfunktion um die Genugtuungsfunktion, wenn es um einen Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Schadens geht.91 Durch das Ziel der Wiedergutmachung sei der immaterielle Schadensersatzanspruch sowohl auf der Ebene des Schadens als auch auf der Ebene der Anspruchsbemessung subjektiv beeinflusst.92 Im Rahmen der Rechtsprechung zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen beispielsweise, betont der BGH das Ziel der Prävention, wenn Verletzungen aus Gewinnerzielungsabsicht erfolgen.93 Bevor der Umfang der Entschädigung zu bestimmen ist, ist der Umfang des immateriellen Schadens festzustellen.94 Sodann ist der eingetretene Schaden mit ähnlichen Schadensfällen zu vergleichen.95 Um dann aber der Anforderung der billigen Entschädigung ausreichend nachzukommen, sind die Umstände des Einzelfalls mit einzubeziehen. Welche Umstände das sein können hängt wiederum vom Normzweck, also der Funktion des immateriellen Schadensersatzes ab.96 Mögliche Bemessungsfaktoren knüpfen daher notwendigerweise an die dem immateriellen Schadensersatz gem. § 253 BGB zugrundeliegende Funktion an.
87 Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 239; Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 126; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 221. 88 Gozzi, Der Anspruch iure proprio, S. 28; Müller, in: VersR 2000, 797; Schramm, Haftung für Tötung, S. 38. 89 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 37. 90 Benkendorff, Schmerzensgeld außerhalb des Schadensersatzrechts, S. 70; Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 27. 91 BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149. 92 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 26; Pardey, Berechnung von Personenschäden, S. 510. 93 BGH Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94, GRUR 1995, 224. 94 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 72; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 224 f. 95 von Mayenburg, Die Bemessung des Inkommensurablen, S. 27; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 224. 96 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 234.
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a) Die Bestimmung des immateriellen Schadens Die Bestimmung des immateriellen Schadens erfolgt häufig nicht getrennt von der Feststellung der eingetretenen Verletzung auf haftungsbegründender Ebene.97 Dabei ist der Umfang des immateriellen Schadens für die Angemessenheit der Entschädigung von Bedeutung. Eine einheitliche Definition des immateriellen Schadens gibt es nicht. In der Literatur wurden verschiedene Versuche unternommen den immateriellen Schaden genauer zu bestimmen.98 Statt einer Positivdefinition wird häufig auf eine Negativabgrenzung zum materiellen Schaden zurückgegriffen.99 Mit der Frage, worin der immaterielle Schaden zu sehen ist, geht die Frage einher, welche billige Entschädigung aus dem immateriellen Schaden resultiert. Gerade der Entscheidungsspielraum, der den Gerichten durch den unbestimmten Rechtsbegriff der Billigkeit zugesprochen wurde, macht es erforderlich, auf erster Stufe den immateriellen Schaden zu bestimmen. Man ist sich insoweit einig, als dass die in dem Begriff „Schmerzensgeld“ enthaltenen Schmerzen den immateriellen Schaden nur unvollkommen beschreiben.100 Dennoch kann dem Begriff Schmerzensgeld nicht abgesprochen werden, dass er die innere Gefühlslage des Verletzten erfasst, die zumindest einen wesentlichen Teil des immateriellen Schadens ausmacht.101 Genannt werden daher körperliche und seelische Schmerzen, seelische Unlustgefühle, das „seelische Unbill“102 oder das gekränkte Ehr- oder Selbstgefühl.103 Während der physische Schmerz z. B. bei einem Armbruch bei jeder Person ähnlich eintritt, fällt die psychische Verarbeitung dieses Schmerzes individuell aus.104 Die Schwierigkeit der Entschädigung eines solchen Schadens liegt auf der Hand: Ein Gefühl als erlittener Nachteil kann nicht oder kaum durch einen Vermögenswert ausgeglichen werden. Es
97 Die Höhe des Schmerzensgeldes wird anhand des Verletzungsbildes festgelegt: „Schmerzensgeld für die erlittene Verletzung“, vgl. OLG München Urt. v. 24. 02. 2017 – 10 U 3261/16, r+s 2017, 383; OLG Düsseldorf Urt. v. 13. 11. 2018 – I-1 U 67/17, BeckRS 2018, 38629; „Schmerzensgeld aufgrund einer Köperverletzung“, vgl. LG Bochum Urt. v. 29. 10. 2015 – I-2 O 574/12, VersR 2016, 611. 98 Ady, Immaterielle Einbußen, S. 23; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 11 ff. 99 Ady, Immaterielle Einbußen, S. 23; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 46. 100 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 33; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 13. 101 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 33; vgl. zur Ablehnung eines Gefühlsschadens als immaterieller Schaden Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 49 ff. 102 von Hein, Das Günstigkeitsprinzip, S. 310; Verhandlungen des 45 DJT: Gutachten, Stoll, Bd. I/1, S. 128. 103 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 33; MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 9; Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 48. 104 Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 80.
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C. Der immaterielle Schadensersatz
fehlt schon an der Möglichkeit der subjektiven Nachvollziehbarkeit.105 Aus diesen Gründen wurde gefordert, dass der immaterielle Schaden Einbußen an Vermögenswerten zur Folge hat.106 Nach der Kommerzialisierungstheorie ist ein Schaden zu bejahen, wenn für den auszugleichenden Nachteil ein Markt besteht.107 Mit dem Kriterium der Kommerzialisierung soll der Anwendungsbereich der Vermögensschäden erweitert werden, um durch die Negativabgrenzung den Nichtvermögensschaden weiter einzugrenzen.108 Hierbei geht es aber allenfalls um subjektiv-wirtschaftliche Schäden, wie entgangene Nutzungen und Gebrauchsnachteile.109 Legt man also den subjektiven Schadensbegriff zugrunde, gelten die subjektiv erlittenen physischen und psychischen Schmerzen als immaterieller Schaden.110 Dagegen wendet Lorenz zwar zu Recht ein, dass die Bestimmung des immateriellen Schadens als Bezugspunkt der Entschädigung bestimmbar sein müsse, welches bei Gefühlen wegen der fehlenden äußeren Verletzungen nicht möglich sei.111 Auch die Stimmen in der Literatur, die die erlittenen Schmerzen als Gefühlsschaden anerkennen,112 sehen die Schwierigkeit, dass die subjektive Prägung zu einem unterschiedlichen, nicht nachvollziehbaren Schadensausmaß führt.113 Zudem bereitet die Feststellung eines subjektiven Schadens dann Schwierigkeiten, wenn die Verletzung die Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit des Verletzten zerstört hat.114 Zunächst ging der BGH davon aus, dass es in solchen Fällen 105
Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 49; Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 44. 106 Die „Beeinträchtigung der erstrebten Erholung als immaterieller Wert, der zugleich eine Beeinträchtigung der Vermögensaufwendungen“ darstelle: BGH Urt. v. 07. 05. 1956 – II ZR 243/54, NJW 1956, 1234; zur Frage, ob der vorübergehende Verlust des Wohngebrauchs einen immateriellen oder materiellen Schaden darstellt: BGH Beschl. v. 09. 07. 1986 – GSZ 1/86, NJW 1987, 50; Schulze/Schulze, § 253 BGB Rn. 2; kritisch vgl. Staudinger/Schiemann, 2017, § 253 BGB Rn. 16. 107 Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 32; von Mayenburg, Die Bemessung des Inkommensurablen, S. 25; es wird auch von der Inkommensurabilität gesprochen, vgl. Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 25. 108 von Mayenburg, Die Bemessung des Inkommensurablen, S. 25; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 45. 109 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 35 ff.; eingehend zu entgangenen Nutzungen und Gebrauchsvorteilen auch im Rahmen immaterieller Schäden vgl. Würthwein, Schadensersatz für Verlust der Nutzungsmöglichkeit, S. 57 ff. 110 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 154. 111 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 52. 112 Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 132; Stiegler, Schmerzengeld für Schock- und Trauerschäden, S. 12; Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 52. 113 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 54; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 154; Stiegler, Schmerzengeld für Schock- und Trauerschäden, S. 13; Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 52. 114 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 34; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 47.
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nur eine Entschädigung aus Symbolzwecken geben könne, da der Verletzte keine Schmerzen empfinde.115 Aufgrund der fast totalen Zerstörung ihrer Persönlichkeit könne die Anspruchstellerin den Zusammenhang zwischen der Entschädigungszahlung und ihrem Schaden nicht erfassen, ihr persönliches Befinden sei weder subjektiv noch objektiv in der Lage, Unterstützung durch eine Entschädigung entgegenzunehmen. Die Genugtuungsfunktion und der darin enthaltene Charakter der Buße würde aber eine zumindest symbolische Wiedergutmachung erforderlich machen. Der BGH korrigierte seine Entscheidung aber dahingehend, dass durch die Zerstörung der Wahrnehmungs- und Empfindungsunfähigkeit und der damit einhergehenden „Einbuße an der Persönlichkeit“ ein immaterieller Schaden doch bestehen würde.116 Dieser bestünde eben nicht in seelischen Schmerzen, sondern in der Einbuße personaler Qualität.117 Damit hat der BGH eine neue Fallgruppe geschaffen, ohne den Gefühlsschaden als immateriellen Schaden anzuzweifeln. Unklar bleibt, ob damit die Entschädigung aus der Rechtsgutsverletzung hergeleitet wird ohne einen Schaden weiter zu bestimmen,118 oder ob in der Beeinträchtigung der Persönlichkeit eine eigene Fallgruppe des immateriellen Schadens zu sehen ist.119 Für die weitergehende Untersuchung wird die durch die Rechtsprechung und überwiegende Literatur120 vertretene Annahme eines immateriellen Schadens bei Beeinträchtigungen in der Lebensführung sowie bei Schmerzen und Leiden zugrunde gelegt. Der subjektive Schadensbegriff kann insoweit beibehalten werden, als dass dennoch die Schadensfeststellung anhand objektiver Kriterien erfolgen kann.121 So könnten die Art und Schwere der Rechtsgutsverletzung Ansätze für den Umfang des immateriellen Schadens bieten.122 Es wäre danach zu fragen, wie ein durchschnittlicher Mensch bei der speziellen Rechtsgutsverletzung Leid erfahren würde.123
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BGH Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74, NJW 1976, 1147. BGH Urt. v. 16. 02. 1993 – VI ZR 29/92, r+s 1993, 180. 117 So die Bezeichnung durch BGH Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91, NJW 1993, 781. 118 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 158. 119 Vgl. zur Anerkennung des allg. Persönlichkeitsrechts Kap. C. III. 6. 120 Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 79 ff.; MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 9; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 50 ff.; Stoll, Haftungsfolgen, S. 345. 121 Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 64, der eine „objektive Maßstabsperson“ zugrunde legt; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 155, S. 234 f.; a. A. Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 396. 122 Rohde, Haftung und Kompensation bei Straßenverkehrsunfällen, S. 212; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 155. 123 „Denkbar ist einen empirischen gesellschaftlichen Konsens als Maßstab anzulegen, der im „Einzelfall einer normativen Korrektur bedarf“, vgl. Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 77; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 155. 116
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C. Der immaterielle Schadensersatz
Es bleibt festzuhalten, dass auch das Hinterbliebenengeld mit der Voraussetzung des seelischen Leids einen Schaden in Form von einer Beeinträchtigung der inneren Gefühlslage voraussetzt. b) Die haftungsausfüllende Funktion des immateriellen Schadensersatzanspruchs Für die Funktion des Schadensersatzrechts sind die Funktion des Haftungsrechts als Haftungsbegründung und die Funktion des Schadensrechts als Haftungsausfüllung zu berücksichtigen.124 Der Zweck des Haftungsrechts ist relevant für die Frage, ob die Anerkennung eines bestimmten Anspruchs mit den Zielvorstellungen des Schadensersatzrechts übereinstimmt.125 Für die Hinterbliebenengeldentschädigung ist dafür zu fragen, ob ein solcher Anspruch den Zielen des Deliktsrechts entspricht. Die Grundentscheidung dazu ist durch die gesetzliche Verankerung des Anspruchs in § 844 Abs. 3 BGB getroffen worden. Im Fokus steht deshalb die haftungsausfüllende Ebene des Hinterbliebenengeldanspruchs: Entscheidend ist die Bestimmung einer Funktion, die eine Grundaussage über den Umfang des Schadens und die Höhe der Entschädigung trifft. Das Hinterbliebenengeld ist auf haftungsausfüllender Ebene unter Einhaltung des Rechtsstaatsprinzips gem. Art. 20 Abs. 3 GG näher auszugestalten. Die Rechtfertigung der Bemessung der Entschädigung durch die dem Anspruch zugrundeliegende Funktion stellt eine geeignete Legitimationsgrundlage dar.126 Anhand der Funktion als Maßstab können objektive Kriterien formuliert werden, die zur Rechtssicherheit beitragen und an denen sich das Gericht im Rahmen seiner Ermessensentscheidung orientieren kann. Die Funktion der immateriellen Entschädigung gem. § 253 Abs. 2 BGB lässt mögliche Rückschlüsse für die haftungsausfüllende Funktion des Hinterbliebenengelds zu. Auch für den immateriellen Schaden gilt der im Schadensrecht bestehende Grundsatz der Totalreparation. Danach hat der Schädiger grundsätzlich den gesamten Schaden, der durch das schädigende Ereignis eingetreten ist, zu ersetzen. Davon wird für die Mitverantwortlichkeit des Verletzten gem. § 254 BGB abgewichen.127 Die Totalreparation betrifft den Umfang des zu ersetzenden Schadens. Dieses Prinzip beruht wiederum auf dem Zweck des Schadensersatzrechts, die durch den Schädiger erlittenen Nachteile auszugleichen.128 So entspricht es zunächst auch dem Sinn und Zweck des § 253 Abs. 2 BGB einen Ausgleich für den immateriellen Schaden zu schaffen. Das schadensersatzrechtliche Ziel des Ausgleiches kann aber 124
Schramm, Haftung für Tötung, S. 204; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 148. 125 Schramm, Haftung für Tötung, S. 204. 126 Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 55; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 236. 127 BeckOK BGB/Flume, BGB § 249 Rn. 43; Gregor, Das Bereicherungsverbot, S. 2. 128 Schulze/Schulze, Vor §§ 249 ff. Rn. 10.
III. Überblick über das System des immateriellen Schadensersatzes
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nicht gleichermaßen auf immaterielle Schäden übertragen werden: Aufgrund der bereits schwierigen Bestimmung des immateriellen Schadens ist der Ausgleich des Nichtvermögensschadens nicht ohne weiteres möglich. Die Entschädigung in Geld kann bei einem Vermögensschaden einen gleichwertigen Ersatz ermöglichen. Dem immateriellen Schaden fehlt es dafür an der Objektivierbarkeit, die eine Berechnung des Schadens ermöglicht.129 Die Beeinträchtigung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens soll durch entsprechende „Annehmlichkeiten“130 ausgeglichen werden.131 Die Formulierung dient allerdings nur der Zweckbeschreibung, der Geschädigte ist frei in der Verwendung des Geldes.132 Neben den Fällen, in denen durch das schädigende Ereignis die Empfindungs- und Wahrnehmungsfähigkeit des Verletzten zerstört worden ist, ist ein solcher Ausgleich auch bei besonders wohlhabenden Verletzten nicht zu erreichen. Es ist deshalb auch nicht auf die Kosten abzustellen, die für die Verschaffung von positiver Lebensfreude erforderlich wären.133 Vielmehr stellt die Rechtsprechung auf den Umfang des Schadens ab, indem Dauer und Intensität der Schmerzen sowie Leiden und Entstellungen berücksichtigt werden.134 Wie dargestellt, soll sich der Umfang des Schadens wiederum nach der Rechtsgutsverletzung richten.135 Dies führt aber dazu, dass die Ausgleichsfunktion entweder durch normative Wertungen ergänzt werden muss oder weitere Funktionen eine Rolle spielen, die den zu gewährenden Ausgleich näher bestimmen können. Wie der Ausgleich zu erreichen ist und ob neben dem Ausgleich als Hauptfunktion136 weitere Funktionen erforderlich sind um einen sachgerechten Interessenausgleich zu erreichen, ist bis heute umstritten.137 129
Stoll, Haftungsfolgen, S. 171. BGH Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74, NJW 1976, 1147. 131 MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 10; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 151; Köndgen, Haftpflichtfunktionen, spricht von „Quasi-Naturalrestitution“, vgl. S. 81. 132 MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 10; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 153. 133 Vgl. Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 154, 177, der gewollte Ausgleich durch Verschaffung von Annehmlichkeiten stelle eine ungeeignete „Metapher“ dar, weil der darin enthaltene Gedanke der Naturalrestitution bei immateriellen Schäden schlichtweg nicht möglich sei. 134 BGH Urt. v. 04. 11. 2004 – III ZR 361/03, NJW 2005, 58, in dem die Entschädigung von der fehlenden Dauer der beeinträchtigenden Behandlung abhängig gemacht wird; ebenso: OLG Saarbrücken Urt. v. 27. 02. 2007 – 4 U 470/06, SVR 2007, 341; OLG Saarbrücken Urt. v. 28. 02. 2013 – 4 U 587/10, NJW-RR 2013, 1112; vgl. dazu L. Schäfer, Die Bemessungsmethoden, S. 68 ff. 135 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 153. 136 Stoll, Haftungsfolgen, S. 184. 137 Für eine Genugtuungsfunktion: grundlegend BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, MDR 1956, 19; BGH Urt. v. 29. 11. 1994 – VI ZR 93/94, NJW 1995, 781; BGH Urt. v. 16. 09. 2016 – VGS 1/16, NZV 2017, 179; Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 161; MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 13; offen gelassen von Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 193; als selbstständige Funktion ablehnend: Lorenz, Immaterieller 130
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C. Der immaterielle Schadensersatz
Seit der Entscheidung des BGH im Jahr 1955,138 ist anerkannt, dass dem Entschädigungsanspruch des § 253 Abs. 2 BGB auch eine Genugtuungsfunktion zukommen soll. Bis heute ist unklar, welche konkrete Bedeutung dem Begriff der Genugtuung als Funktion des immateriellen Schadensersatzes zu entnehmen ist.139 Eine gesetzliche Definition gibt es und gab es nicht. Ursprünglich stammt der Begriff aus dem schweizerischen Recht, der den Ersatz für immaterielle Schäden beschreibt.140 Die Einordnung als Genugtuungsfunktion wurde in der Literatur sowohl als „glücklich“141, aber auch als auf „archaischer Entwicklungsstufe“142 stehend bewertet. Die Literatur spricht von Kränkungen und verletztem Rechtsgefühl, das durch die immaterielle Entschädigung besänftigt werden soll, um dem Verletzten dadurch Genugtuung zu verschaffen.143 Bewusst wurden zunächst keine Begriffe wie Buße oder Sühne verwendet, um die grundsätzlich gewollte Abgrenzung zum Strafrecht beizubehalten.144 Der BGH hat schon in seiner Entscheidung im Jahr 1955 darauf abgestellt, dass es bei der Genugtuung gerade um die durch die schädigende Handlung entstandene Beziehung und die damit einhergehende Verantwortung zwischen Schädiger und Verletztem ginge.145 Das Hauptmotiv für die Heranziehung der Genugtuung war die fehlende Ausgleichsmöglichkeit bei immateriellen Schäden. Weitgehend einig sind sich Literatur und Rechtsprechung insoweit, als dass das Ziel des Ausgleiches im Vordergrund steht.146 Umstritten ist aber seit Heranziehung der Genugtuungsfunktion, ob diese als eine in der Ausgleichsfunktion enthaltene Wertung oder vielmehr als eigenständige Funktion mit möglichen pönalen Ele-
Schaden, S. 111; von Mayenburg, Die Bemessung des Inkommensurablen, S. 91. Vgl. zur Präventionsfunktion bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen: BGH Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94, NJW 1995, 861; BGH Urt. v. 05. 12. 1995 – VI ZR 332/9, GRUR 1996, 373; BVerfG Beschl. v. 08. 03. 2000 – 1 BvR 1127/96, GRUR 2000, 249. 138 BGH Beschl. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149. 139 „Wiederherstellung des gestörten Gleichgewichts“, „Besänftigung des verletzten Rechtsgefühls“, vgl. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, S. 474; Jhering, Der Kampf ums Recht, S. 38; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 182; L. Schäfer, Die Bemessungsmehoden, S. 54. 140 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, S. 573, Rn. 907; Honsell, in: VersR 1974, S. 205. 141 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, S. 573 Rn. 907; Deutsch, in: ZRP 1998, S. 291 (292). 142 Honsell, in: VersR 1974, S. 205. 143 Degenhart, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, S. 44; Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 144; Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 232; Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 77. 144 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, S. 573, Rn. 907. 145 BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149. 146 Benkendorff, Schmerzensgeld außerhalb des Schadensersatzrechts, S. 55; Hauer, Die Haftungsrelevanz der Haftpflichtversicherung, S. 104; Schramm, Haftung für Tötung, S. 214.
III. Überblick über das System des immateriellen Schadensersatzes
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menten zu bewerten ist.147 Jedenfalls ist ihr durch die Entscheidung des BGH im Jahr 1955 eigenständige Bedeutung zugekommen, die zugleich neue Diskussionen über das pönale Element im Zivilrecht ausgelöst hat. Gerade die Nähe zum Strafrecht führt immer wieder zur Kritisierung des Genugtuungsgedankens. Auch die Strafe verfolge das Ziel der Genugtuung, sodass keine klare Trennung zwischen Zivil- und Strafrecht möglich sei. Zudem sei die Genugtuung zu unbestimmt und die daraus folgenden Konsequenzen für den Umfang des Schadens und die Bemessung der Entschädigung nicht eindeutig feststellbar.148 Ebenso wie beim Ausgleichsgedanken kann keine objektive Bestimmung des Schadensumfangs erfolgen, da das verletzte Rechtsgefühl und das Bedürfnis nach Rache unterschiedlich individuell ausfielen.149 Die historische Entwicklung zeigt, dass der Genugtuungsfunktion in der Vergangenheit unterschiedliche Relevanz zukam und dem 2. SchadÄndG unter Umständen eine neue Bewertung in Bezug auf die Genugtuungsfunktion zu entnehmen ist.150 Dies ist für die vorliegende Darstellung von Bedeutung, weil auch für die Funktion des Hinterbliebenengeldes Überlegungen zum Genugtuungsgedanken angestellt werden.151 Es werden deshalb der mögliche Inhalt und die Grenzen einer Genugtuungsfunktion anhand der bisherigen Diskussion zum immateriellen Schadensersatz nachvollzogen. Im Vordergrund stehen die aufgrund der Genugtuung entwickelten Bemessungsfaktoren und ihre Berechtigung. aa) Die Entwicklung der Funktionsbestimmung des immateriellen Schadensersatzes So wie sich der Anwendungsbereich und die Akzeptanz von immateriellen Schäden seit Entstehung des BGB verändert haben, wurde durch die Rechtsprechung und die Literatur auch die Funktion der Entschädigung für immaterielle Schäden unterschiedlich beurteilt. Die historische Entwicklung zeigt, dass seit der Entstehung des BGB Uneinigkeit über die Rechtsnatur des immateriellen Schadensersatzanspruchs herrscht. Veränderungen wie die Anerkennung der Vererbbarkeit des immateriellen Schadensersatzanspruchs im Jahr 1990 unter Betonung des höchstpersönlichen 147
Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, S. 574, spricht von „schadensfern und sanktionsnah“; Honsell, in: VersR 1974, S. 205, der in der Genugtuung das „Abkaufen der Rache des Verletzten durch Bußgeld“ sieht; Degenhart, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, S. 32; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 459; Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 38 spricht von „Reflexwirkung“. 148 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 187 ff.; Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 78; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 187 ff. 149 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 187. 150 von Mayenburg, Die Bemessung des Inkommensurablen, S. 32. 151 Burmann/Jahnke, in: NZV 2018, S. 401 (410); Balke, in: SVR 2018, S. 207 (210); Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2642).
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C. Der immaterielle Schadensersatz
Charakters des immateriellen Ersatzanspruchs,152 können vorliegend für die Bestimmung der Rechtsnatur von Bedeutung sein. Die Rechtsprechung betont, dass die Höhe des immateriellen Schadens nicht allein anhand des Umfangs bestimmt werden könne.153 Der Ausgleich als alleinstehendes Funktionskriterium im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität wird also überwiegend abgelehnt. (1) Die Ablösung des Strafcharakters durch die Genugtuungsfunktion Die historische Entwicklung hat gezeigt, dass der immaterielle Schadensersatz seine Ursprünge in den Privatstrafklagen des römischen Rechts hat. Inwiefern der Ersatz immaterieller Schäden nach wie vor Pönalisierungstendenzen aufweist, wird diskutiert.154 Als Ausgangspunkt ist die Ablehnung der Straffunktion durch die Gesetzgebung und Rechtsprechung aufgrund der angestrebten Trennung zwischen Straf- und Zivilrecht zu sehen.155 Obwohl sich auch der BGH zunächst klar gegen eine strafrechtliche Funktion im Zusammenhang mit dem immateriellen Ersatzanspruch aussprach,156 brachte die Etablierung der sog. Genugtuungsfunktion eine neue Periode der lebhaften wissenschaftlichen Diskussion über Rache, Sühne und Buße im Zusammenhang mit dem Anspruch auf immateriellen Schadensersatz hervor.157 In diesem Zusammenhang ist die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1952 zu nennen.158 Dabei ging es um die Frage, welche Umstände bei der Bemessung einer immateriellen Entschädigung nach § 847 BGB a. F. zu berücksichtigen sind. Der BGH lehnte die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Schädigers ab. Die 152
BT-Drs. 11/4415, S. 4. BGH Urt. v. 05. 03. 1962 – VI ZR 61/62, NJW 1963, 904; BGH Urt. v. 05. 03. 1963 – VI ZR 55/62, GRUR 1963, 490. 154 Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 575; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 505; Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 131; Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 14; vgl. Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 97 ff., S. 120, „Repönalisierung des Schadensersatzrechts“ durch die Genugtuungsfunktion. 155 Degenhart, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, S. 28; Stoll, Haftungsfolgen, S. 64. Vgl. dazu auch die historische Entwicklung des immateriellen Schadensersatzes in Kap. C. 156 BGH Urt. v. 29. 09. 1952 – III ZR 340/51, NJW 1953, 99. 157 BGH Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74, NJW 1976, 1147, in dem der BGH formuliert, dass ein „nicht notwendig pönaler, feiner Sühnegedanke“ eine Wiedergutmachung fordere; so auch OLG Schleswig Urt. v. 22. 10. 1987 – 5 U 88/86, NJW 1998, 569; OLG Köln Beschl. v. 14. 11. 1991 – 2 W 186/91, NJW-RR 1992, 221; Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 120; Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 149; Stoll, Haftungsfolgen, S. 210. Den Sühnegedanken ablehnend: Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 129; Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 95 ff. 158 BGH Urt. v. 29. 09. 1952 – III ZR 340/51, NJW 1953, 99. 153
III. Überblick über das System des immateriellen Schadensersatzes
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Umstände, die bei der Bemessung der Entschädigung zu berücksichtigen seien, hingen von Sinn und Zweck des § 847 BGB a. F. ab. Die Vermögensverhältnisse könnten nur dann Berücksichtigung finden, wenn der Vorschrift des § 847 BGB a. F. eine strafrechtliche Funktion zukäme. Dies lehnt der BGH insbesondere aufgrund der systematischen Stellung des § 847 BGB a. F. ab. Die Vorschrift sei in den Rechtsfolgen unerlaubter Handlungen verortet, dessen Nachteile auch in immateriellen Interessen bestehen könnten. Für den Ersatz immaterieller Schäden stehe der Ausgleich der Nachteile für den Geschädigten im Vordergrund. Der BGH kritisiert die bisher ungenügende Auseinandersetzung mit der Funktion des immateriellen Schadensersatzes. In seiner Entscheidung lässt der BGH aber offen, ob das Bemessungskriterium des Verschuldens des Schädigers mit der Funktion des immateriellen Schadensersatzes vereinbar ist. Der BGH relativierte seine Auffassung schon 3 Jahre später: Laut BGH käme § 847 BGB a. F. eine Doppelfunktion zu. Danach stelle § 847 BGB a. F. einen immateriellen Ersatzanspruch eigener Art dar, der neben der Ausgleichsfunktion dem Genugtuungsgedanken Rechnung tragen solle.159 Bei der Bemessung der Entschädigungshöhe seien sowohl die wirtschaftlichen Verhältnisse beider Seiten sowie der Verschuldensgrad des Schädigers zu berücksichtigen. Der BGH betont in seiner Entscheidung aber, dass der Entschädigung für immaterielle Schäden ausdrücklich kein Strafcharakter zukomme. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass bei immateriellen Schäden zur Schadensbemessung nicht allein auf den Umfang des Schadens abgestellt werden könne. Auch wenn die Ausgleichsfunktion im Vordergrund stehe, könne diese allein nicht die Höhe des immateriellen Schadens bestimmen. Gerade bei psychischen Störungen sei ein Ausgleich gar nicht möglich. Es gäbe keine Möglichkeit den Schaden streng rechnerisch festzulegen. Auch ohne unmittelbaren Strafcharakter schwinge in der immateriellen Entschädigung „etwas vom Charakter der Buße mit“.160 Der BGH führt die Rechtsgeschichte an, die den Schadensersatz aus dem ursprünglichen Strafrecht heraus entwickelt habe. Die Genugtuungsfunktion würde dabei auf die persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Verletztem abstellen, die durch das schädigende Ereignis verursacht worden ist. Aus diesen Gründen sei ein solcher Anspruch des Verletzten auch nicht vererbbar oder übertragbar. Deshalb könne es im Einzelfall ein zu berücksichtigender Umstand sein, Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zugunsten des Verletzten zu berücksichtigen. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse wird aber betont, dass die schlechte finanzielle Situation des Schädigers nicht dazu führen könne, dass der Verletzte keine Entschädigung erhält.161 159
BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, NJW 1955, 1675. BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, NJW 1955, 1675; OLG Hamm Urt. v. 11. 07. 1991 – 6 U 9/91, juris; OLG Köln Urt. v. 14. 11. 1991 – 2 W 186/91, NJW-RR 1992, 221; OLG Stuttgart Urt. v. 02. 05. 1994 – 20 U 69/94, NJW 1994, 3016. Den Sühnegedanken ablehnend: BGH Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91, BGHZ 120, 1 – 9; OLG Oldenburg Urt. v. 08. 07. 2015 – 5 U 28/15, r+s 2016, 366. 161 BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, NJW 1955, 1675. 160
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C. Der immaterielle Schadensersatz
Der Gedanke der Sühne wird bis heute von der Rechtsprechung im Rahmen der Bemessung der immateriellen Entschädigung berücksichtigt.162 (2) Die Genugtuungsfunktion des immateriellen Schadensersatzanspruchs Seit der Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1955163 wird dem immateriellen Schadensersatz eine Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion zugesprochen.164 Weil das Gesetz eine „billige Entschädigung“ fordere, könne der Ausgleichszweck nicht allein maßgeblich für die Entschädigung sein. Immaterielle Schäden ließen sich nicht in Geld ausdrücken, sodass der Ausgleichszweck nur einen groben Anhaltspunkt geben könnte. Durch die Genugtuungsfunktion würde die durch den Schadensfall hervorgerufene Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem zum Ausdruck kommen. Zu berücksichtigen seien jeweils die besonderen Umstände des Falles.165 In erster Linie käme es dabei auf die Betrachtung der objektiven Beeinträchtigung an, sodass Schwerstschäden als auch bloße Bagatellschäden einer besonderen Berücksichtigung bei der Höhe der Entschädigung bedürften.166 Das Verschulden soll je nach Schwere auf beiden Seiten Beachtung finden, die Vermögensverhältnisse ebenfalls. Sollte aber ein hoher Grad an Verschulden vorliegen, trete wiederum die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse zurück.167 Schon seit dem Inkrafttreten des BGB sind zahlreiche Versuche unternommen worden, die Bedeutung der Genugtuungsfunktion näher zu umschreiben.168 Immer wieder wird von der Verletzung und der Besänftigung des Rechtsgefühls gesprochen.169 Die Besänftigung des Rechtsgefühls geschehe durch „symbolische Versöhnung unter den Parteien“170 oder durch „Anerkennung der Persönlichkeit des Verletzten“.171 Dem Verletzten solle durch die Entschädigung zu einem „Gegensieg“ verholfen werden, um ihn wieder auf „eine Stufe oberhalb des Schädigers“ zu stellen.172 162 Brandenburgisches OLG Urt. v. 16. 04. 2019 – 3 U 8/18, juris; LG Verden Beschl. v. 24. 06. 2015 – 1 T 41/15, juris; a. A.: OLG Köln Urt. v. 29. 05. 2018 – I-15 U 64/17, juris; LG München Urt. v. 25. 06. 2018 – 9 O 5656/17, juris. 163 BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, NJW 1955, 1675. 164 Vgl. zu den jüngsten Entscheidungen BGH Urt. v. 07. 11. 2019 – III ZR 17/19, MDR 2020, 96; OLG Celle Urt. v. 19. 02. 2020 – 14 U 69/19, NJW-RR 2020, 407. 165 BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, NJW 1955, 1675. 166 Müller, in: VersR 1993, S. 909. 167 BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, NJW 1955, 1675. 168 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 180. 169 Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 85; L. Schäfer, Die Bemessungsmethoden, S. 55. 170 Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 126; Knöpfel, in: AcP 155, S. 135 (154). 171 Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 85. 172 Ady, Immaterielle Einbußen, S. 113.
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Umstritten ist dabei, ob die Besänftigung ohne den Sühnegedanken erreicht werden kann.173 Der zivilrechtliche Schadensersatzanspruch und die öffentliche Strafe sind grundsätzlich streng zu unterscheiden.174 Dennoch hat der BGH durch seine Entscheidung der Diskussion über pönale Elemente neuen Aufwind gegeben: Trotz Betonung der Ausgleichsfunktion, schwinge bei der Entschädigung immaterieller Schäden noch etwas vom Charakter der Buße mit. Die Genugtuungsfunktion wurde deshalb insbesondere aufgrund ihres strafrechtlichen Charakters kritisiert.175 Gefordert wird die Beschränkung auf die Ausgleichsfunktion und die Zurückdrängung der Genugtuungsfunktion.176 Angesichts der Relevanz der Genugtuungsfunktion für einen immateriellen Anspruch bei Verletzung eines Persönlichkeitsrechts erhielt die Doppelfunktion aber im Laufe der Zeit Zuspruch.177 Nachdem das Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht i. S. d. § 823 BGB durch die sog. Leserbrief-Entscheidung178 anerkannt worden war, folgte darauf auch die Bejahung eines Anspruchs auf Ersatz des immateriellen Schadens bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen.179 Der BGH formulierte den immateriellen Ersatzanspruch als Anspruch eigener Art und nahm damit dogmatisch eine Unterscheidung vom Schadensersatzrecht vor.180 Die Notwendigkeit der Genugtuungsverschaffung bei Persönlichkeitsverletzungen wurde betont.181 Die Theorie von der Doppelfunktion des immateriellen Schadensersatzanspruchs blieb im Wesentlichen Grundlage der Rechtsprechung zu immateriellen Schäden bis zur Schadensersatzrechtsreform im Jahr 2002.182 Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass durch die Bejahung einer Doppelfunktion der Ermessenspielraum des einzelnen Richters ausgedehnt worden war.183 Der unbestimmte Begriff der 173 Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 125; Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 95. 174 Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 131. 175 Benkendorff, Schmerzensgeld außerhalb des Schadensersatzrechts, S. 53; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 456, 459; Fuchs/Pauker/Baumgärtner, Deliktsrecht, S. 147; Müller, in: VersR 1993, S. 909, spricht von „Rückschritt“ durch den Beschluss des BGH. 176 Canaris, in: FS Deutsch, 1999, S. 104 ff.; Müller, in: VersR 1993, S. 909; Stoll, Haftungsfolgen, S. 204. 177 Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 457; Keller, Ein Konzept zur Umsetzung der Ausgleichsfunktion, S. 20, 40. 178 BGH Urt. v. 25. 05. 1954 – I ZR 211/53, GRUR 1955, 197. 179 BGH Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56, NJW 1958, 827. 180 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 3. 181 Urteilsanm. v. Larenz, in: NJW 1958, S. 827. 182 Benkendorff, Schmerzensgeld außerhalb des Schadensersatzrechts, S. 52; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 456; H. Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 437. 183 Benkendorff, Schmerzensgeld außerhalb des Schadensersatzrechts, S. 52; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 45.
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C. Der immaterielle Schadensersatz
Genugtuung hat es dem Gericht ermöglicht, eine eigene Billigkeitsrechtsprechung zu entwickeln.184 Trotz der ursprünglichen Befürchtung, dem Richter zu viel Ermessensspielraum zu überlassen, hatte sich der BGH dafür ausgesprochen, bestimmte Umstände, „die dem Einzelfall sein Gepräge geben“185 zu berücksichtigen. Der Vorschlag, die Bemessung der Entschädigung durch die Bestimmung von sog. Rahmenbeträgen zu vereinfachen, würde die Freiheit des Richters zu sehr einengen.186 Die Literatur und Rechtsprechung waren sich zwar einig, dass die Ausgleichsfunktion für die Bemessung der Höhe einer immateriellen Entschädigung nur eingeschränkt herangezogen werden kann. Inwiefern die Inkommensurabilität immaterieller Schäden aber die Heranziehung der Genugtuungsfunktion erforderlich macht, ist bis heute umstritten.187 So werden auch bei der Bemessung unterschiedliche Umstände durch die Rechtsprechung berücksichtigt. Die Rechtsprechung orientiert sich insbesondere an bereits ausgeurteilten Entschädigungsbeträgen.188 (3) Die Präventionsfunktion des immateriellen Schadensersatzrechts Auch eine Präventionsfunktion wird im Rahmen des Schadensersatzrechts diskutiert.189 Prävention meint dabei allgemein die Verhaltenssteuerung zur Vermeidung eines bestimmten Zustandes.190 Der Präventionsgedanke kann als Haftungsgrund und als Funktion auf haftungsausfüllender Ebene eine Rolle spielen. So wird diskutiert, ob dem Deliktsrecht als Haftungsrecht eine Präventionsfunktion zukommt.191 Die vorliegende Untersuchung befasst sich aber mit dem immateriellen Schaden auf haftungsausfüllender Ebene, sodass Gegenstand der Überlegungen die Präventionsfunktion des im Schadensrecht192 verankerten immateriellen Schadensersatzes ist. 184
Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 458. BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, NJW 1955, 1675. 186 BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, NJW 1955, 1675. 187 Eine Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes bejahend: Jauernig/Teichmann, § 253 BGB Rn. 2; Spickhoff/Spickhoff, Medizinrecht, § 249 BGB Rn. 19; OLG Nürnberg Urt. v. 20. 08. 2020 – 13 U 1187/20, NJW 2020, 3603; ablehnend: Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 184; Lorenz, in: Karlsruher Forum 2016, S. 15; Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 117. 188 Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 458. 189 Ady, Immaterielle Einbußen, S. 114 ff.; Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 113 ff.; Schramm, Haftung für Tötung, S. 217 ff.; Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 258 ff. 190 Schramm, Haftung für Tötung, S. 218. 191 Köndgen/von Randow, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 123; Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 256; vgl. MüKoBGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 46 f., wonach die Präventionsfunktion als einzige Funktion in der Lage sei, die „normative Einheit des Deliktsrechts“ zu wahren. 192 Vgl. zur Terminologie Schadensrecht auf haftungsausfüllender Ebene: H. Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 164 f. 185
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Die Annahme einer Präventionsfunktion des Schadensrechts zielt darauf ab, dass die durch das Haftungsrecht angeordnete Rechtsfolge den Schädiger anhalten soll, eine Belastung mit einem Schadensersatzanspruch zu vermeiden.193 Die Präventionswirkung bezieht sich hierbei also auf die haftungsausfüllenden Voraussetzungen, die die Rechtsfolge auslösen.194 Hierfür müsste der zur Verhinderung des Schadensfalls erforderliche Aufwand aber geringer sein, als die Nachteile durch die Entstehung der Schadensersatzpflicht.195 Dies wiederum setzt ein rational vorausschauendes Denken voraus, das gerade bei fahrlässigen Verkehrsunfällen im Straßenverkehr aufgrund der akuten Gefahrensituation nur eingeschränkt möglich ist. Hier fehlt es aufgrund der spontanen Reaktion an einem Steuerungssignal durch das Haftungs- und Schadensrecht.196 Die Präventionsfunktion ist deshalb nur in bestimmten Fallgruppen überhaupt denkbar.197 Für das Handeln von Wirtschaftsunternehmen, in denen überlegte, rationale Entscheidungen getroffen werden, aber auch bei vorsätzlichen Schädigungen kann Prävention durch die Anordnung der Haftungsfolgen erreicht werden.198 Neben der Frage nach der Effektivität der Präventionswirkung199 lässt sich die begrenzte Anerkennung der Präventionsfunktion mit der Nähe zum Strafrecht erklären.200 Um den Schädiger von einem bestimmten Verhalten durch Abschreckung abzuhalten, bedarf es im Rahmen des Schadensersatzes höherer Schadensersatzsummen.201 Dies könnte aber gleichzeitig zu einer Bestrafung des Schädigers führen, wenn die Ersatzpflicht über den Ausgleich hinausgeht.202 Eine „Sanktion mit spezialund generalpräventiver Zielsetzung, die zudem der Sühne dient“ könnte durch den Präventionsgedanken erreicht werden.203 193
Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 113. Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 113; Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 258. 195 Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 113; Dreier, Kompensation und Prävention, S. 132. 196 Schramm, Haftung für Tötung, S. 230, S. 276; a. A.: Lüttringhaus/Korch, in: VersR 2019, S. 973 (978), wonach die Steuerung des Verhaltens im Straßenverkehr über den Umweg der Pflichthaftpflichtversicherung erreicht werden würde. 197 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 197. 198 Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 114. 199 Schramm, Haftung für Tötung, S. 315; als „Nebeneffekt“ bezeichnet; Schubert, in: Karlsruher Forum 2016, S. 15; die Präventionsfunktion ablehnend vgl. Kötz, in: FS Steindorff, S. 643; MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 9; Canaris, in: FS Deutsch, 1999, S. 85. Vgl. zur Befürwortung der Präventionsfunktion bei Persönlichkeitsrechtsverletzung BGH Urt. v. 05. 10. 2004 – VI ZR 255/03, NJW 2005, 215; BGH Urt. v. 17. 12. 2013 – VI ZR 211/12, NJW 2014, 2029. 200 Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 509. 201 Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 115. 202 Dreier, Kompensation und Prävention, S. 517; Schramm, Haftung für Tötung, S. 238. 203 Bohn, Der Sanktionsgedanke, S. 33; Schramm, Haftung für Tötung, S. 237. 194
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C. Der immaterielle Schadensersatz
Im 19. Jahrhundert wurde die Trennung zwischen Schadensersatz und Strafe damit begründet, dass „die Strafe dem Täter zuleide geschehe und der Ersatz dem Verletzten zuliebe“.204 Zudem könne Schadensersatz nicht Folge von Unrecht sein, weshalb Schadensersatz und Strafe nicht im unmittelbaren Verhältnis zueinander stünden.205 Die Frage nach strafrechtlichen Elementen im Deliktsrecht ist naheliegend, weil eine Verurteilung nach dem Strafgesetzbuch in den meisten Fällen auch eine Schadensersatzpflicht nach dem Deliktsrecht verursacht.206 Sowohl das Straf- als auch das Deliktsrecht setzen eine schuldhaft und rechtswidrig verursachte Rechtsgutsverletzung durch den Schädiger voraus. Zudem besteht die Haftung nach dem Deliktsrecht ebenfalls ohne vertragliche Sonderbeziehung. Das Deliktsrecht fordert darüber hinaus zwar einen Schaden. Immer dann, wenn aber die Höhe des Schadens nicht konkret beziffert werden kann, stellt sich das Problem der Zielsetzung der Haftung. Beim Ersatz von immateriellen Schäden können Haftungsgrund und Schadenshöhe nur eingeschränkt durch die Ausgleichsfunktion begründet werden. Die Frage nach pönalen Elementen stellt sich deshalb auf Rechtsfolgenseite, da hier über die Kompensation hinausgehende Bemessungsfaktoren eine Rolle spielen könnten. Beispielhaft können hier die Berücksichtigung von Billigkeits- und Zumutbarkeitserwägungen beim Verschuldensmaßstab oder bei den Vermögensverhältnissen des Schädigers genannt werden.207 Die Präventionswirkung geht aber im Wesentlichen von den strafrechtlichen Vorschriften aus. Durch das Strafrecht können vor Eintritt einer Schädigung ordnungsrechtliche Vorschriften Verhaltenspflichten normieren.208 Das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehungen zwischen zwei Bürgern, die ihre Interessen selbst bestimmen und ausgleichen sollen.209 Die Strafe dient dem Schutz des Gemeinwohls und der Gewährung der Rechtsordnung.210 Im Strafrecht sind die Tatbestände abschließend geregelt, die mit Strafe bedroht sind. Eine Strafe über diese Tatbestände hinaus ist gem. § 1 StGB nicht zulässig. Dies wird durch Art. 103 Abs. 2 GG und den Grundsatz „nulla poena sine lege“ verfassungsrechtlich gewährleistet.211 An solchen Tatbeständen fehlt es dem Zivilrecht.212 Es kann auch nicht jedes Verhalten, das verschuldet worden ist, der Anordnung einer Strafe ausgesetzt sein. 204
Stoll, Haftungsfolgen, S. 59. Stoll, Haftungsfolgen, S. 59. 206 Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 409; Schramm, Haftung für Tötung, S. 238. 207 Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 441 f.; Horter, Der Strafgedanke im Bürgerlichen Recht, S. 107. 208 Schramm, Haftung für Tötung, S. 315. 209 De Wall, privatrechtliche Vorschriften im Verwaltungsrecht, S. 7. 210 Stoll, Haftungsfolgen, S. 55. 211 BeckOK GG/Radtke GG Art. 103 Rn. 18; Dreier/Schultze-Fielitz Art. 103 GG Rn. 1 ff. 212 Horter, Der Strafgedanke im Bürgerlichen Recht, S. 4. 205
III. Überblick über das System des immateriellen Schadensersatzes
129
Während gerade im Deliktsrecht die allgemeine Handlungsfreiheit stets als Leitgedanke Berücksichtigung finden muss, steht im Strafrecht der Rechtsgüterschutz im Vordergrund.213 Eine selbstständige Funktion wird deshalb auch für die Rechtsfolgenseite gem. § 253 Abs. 2 BGB überwiegend abgelehnt.214 Teilweise wird die Präventionsfunktion aber als „allgemeine Nebenfunktion“ gesehen.215 Für den Entschädigungsanspruch aufgrund der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat die Rechtsprechung eine eigenständige Präventionsfunktion anerkannt.216 (4) Zwischenergebnis Anhand der Funktionsbestimmung kann beurteilt werden, welche Umstände bei der Bemessung der immateriellen Entschädigung zu berücksichtigen sind.217 Im Hinblick auf das Hinterbliebenengeld als Entschädigungsanspruch für einen immateriellen Schaden ist es daher unerlässlich, die dem immateriellen Ersatzanspruch gem. § 253 Abs. 2 BGB zugrunde gelegten Kriterien zu betrachten. Dies gilt unabhängig davon, welche Rechtsnatur dem Hinterbliebenengeld letztendlich zukommt. Die im Rahmen des immateriellen Schadensersatzes geäußerte Kritik an der Genugtuungsfunktion ist auch für die Frage, ob durch das Hinterbliebenengeld Genugtuung verschafft werden kann, zu berücksichtigen. Bei den nachstehenden Ausführungen gilt es zu beachten, dass zwischen dem Umfang des immateriellen Schadens und der Höhe der Entschädigung zu differenzieren ist. Zwar ist bei materiellen Schäden denkbar, dass der Umfang des eingetretenen Schadens dem durch den Schädiger zu zahlenden Geldbetrag entspricht. Aufgrund der Inkommensurabilität von immateriellen Schäden, ist aber streng zwischen dem Umfang des eingetretenen Nichtvermögensschadens und der Höhe der zu zahlenden Entschädigung zu unterscheiden. Die Bemessungskriterien beziehen sich im Folgenden auf Faktoren, die die Höhe der Entschädigung beeinflussen können.
213 Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 61; Roxin/Arzt/Tiedemann, Einführung in das Strafrecht, S. 3. 214 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 197; Lorenz, in: Karlsruher Forum 2016, S. 15; MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 14. 215 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 197; Schramm, Haftung für Tötung, S. 228; Amelung, Der Schutz der Privatheit, S. 352. 216 BGH Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94, NJW 1995, 86. 217 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 49.
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C. Der immaterielle Schadensersatz
bb) Die Schadensanfälligkeit des Geschädigten als Bemessungskriterium Als mögliches Bemessungskriterium kann zudem die Anfälligkeit des Verletzten als Ausdruck des Genugtuungsgedankens berücksichtigt werden.218 Der BGH nimmt im Einzelfall eine Korrektur mithilfe des Billigkeitsgedanken vor: Im Rahmen der Billigkeit könne berücksichtigt werden, dass die eingetretene Gesundheitsbeeinträchtigung Folge der besonderen Anfälligkeit des Verletzten sei. Der BGH geht davon aus, dass die Bemessung anhand des Grades der Verursachung durch den Unfall einerseits und durch die bereits vorhandene Schadensanlage andererseits getrennt beurteilt werden kann.219 Laut BGH ist der Grad der Verursachung ebenfalls Ausdruck der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion.220 Da eine von der Bemessung des Vermögensschadens abweichende Beurteilung vorgenommen wird, kann diese jedoch streng genommen gerade nicht auf der Ausgleichsfunktion gestützt werden. Die geringere Entschädigung soll laut Rechtsprechung auf Billigkeitserwägungen beruhen, die bei der Gewährung eines materiellen Schadens keine Relevanz haben. Auf den Genugtuungsgedanken bezogen nimmt der BGH somit an, dass in dem Umfang keine Genugtuung erreicht werden könne, in dem der Schädiger den Schaden nicht verursacht hat. Das Bedürfnis nach Genugtuung für den Geschädigten sei also durch die Schadensanfälligkeit geringer und müsse deshalb bei der Bemessung entschädigungsmindernd221 berücksichtigt werden. Der BGH ruft aber durch seine Entscheidungen insoweit Unsicherheit hervor, als dass die Schadensanfälligkeit nicht generell zu berücksichtigen sei.222 cc) Das Mitverschulden des Verletzten als Bemessungskriterium Wie auch für Vermögensschäden kommt grundsätzlich eine Anspruchsminderung wegen Mitverschulden des Geschädigten gem. § 254 BGB in Betracht. Eine quotenmäßige Verteilung der Verursachungsbeiträge wie beim Vermögensschaden erfolgt nicht. Die Frage eines Mitverschuldens fließt beim immateriellen Schaden in
218 BGH Urteil v. 05. 11. 1996 – VI ZR 275/95, NJW 1997, 455; OLG Hamm Beschl. v. 15. 03. 2018 – 7 U 4/18, NJW-RR 2018, 1181; Schulze/Schulze, § 253 BGB Rn. 20; BeckOK BGB/Spindler, BGB § 253 Rn. 38. 219 BGH Urt. v. 19. 12. 1969 – VI ZR 111/68, VersR 1970, 281; BGH Urt. v. 22. 09. 1981 – VI ZR 144/79, NJW 1982, 168. 220 BGH Urt. v. 16. 11. 1961 – III ZR 189/60, NJW 1962, 243. 221 So die Formulierung von Grunsky, in: EWiR 1997, S. 105. 222 Vgl. BGH Urt. v. 16. 11. 1961 – III ZR 189/60, NJW 1962, 243, indem der BGH die allein durch den Unfall verursachten Beschwerden von der Konstitution des Geschädigten abgegrenzt hat; vgl. BGH Urt. v. 05. 11. 1996 – VI ZR 275/95, NJW 1997, 455, indem Vorschäden keine Berücksichtigung finden sollten, weil der Unfall zwar „nicht auf einen gesunden, aber doch beschwerdefreien Menschen“ traf; vgl. KG Berlin Urt. v. 26. 03. 2015 – 22 U 143/13, VersR 2015, 1441, indem die Minderung für nicht angemessen gehalten wird, weil die Vorerkrankung bis zum Unfall unbemerkt geblieben sei.
III. Überblick über das System des immateriellen Schadensersatzes
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die allgemeinen Erwägungen zur Bemessung ohne konkret ermittelte Quote ein.223 Die Berücksichtigung wird bei einem erheblichen Mitverschulden sowohl auf dem fehlenden Ausgleichs- als auch auf dem fehlenden Genugtuungszweck gestützt.224 dd) Das Verschulden des Schädigers als Bemessungskriterium Die Berücksichtigung des Verschuldensgrades des Schädigers ist Ausdruck des Genugtuungsgedankens.225 Das verletzte Rechtsgefühl ist bei einer durch den Schädiger grob fahrlässig verursachten Verletzung anders zu bewerten als bei einem leicht fahrlässigen Vorgehen, das auf einem für den Verletzten womöglich nachvollziehbaren Versehen beruht.226 Ein besonderer Verschuldensvorwurf könnte sich deshalb erhöhend auf die Entschädigung auswirken. Aufgrund der unterschiedlichen Bewertung des verletzten Rechtsgefühls ist zu erwägen, die Berücksichtigung des Verschuldens auf die Ausgleichsfunktion zu stützen.227 Dem ist aber entgegenzuhalten, dass das verletzte Rechtsgefühl als immaterieller Schaden ohne den Genugtuungsgedanken nicht als ersatzfähiger Schaden zur Verfügung stünde. Nach dem Ausgleichsgedanken sind nur die unmittelbar durch die Verletzung eingetretenen Nachteile auszugleichen. Da diese aufgrund des subjektiven Charakters nicht ausgleichsfähig sind, bedient sich die Genugtuungsfunktion dem Gedanken der Wiedergutmachung durch „Besänftigung des verletzten Rechtsgefühls“.228 Im Rahmen des immateriellen Schadensersatzes gem. § 253 Abs. 2 BGB ist hinsichtlich der Berücksichtigung des Verschuldensgrades Zurückhaltung geboten. Ist die Genugtuung nicht als Zweck des immateriellen Schadensersatzes zu erachten, ist die Berücksichtigung des Verschuldens des Schädigers auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen und vorsätzliche Handlungen beschränkt.229 Die Berücksichtigung des Verschuldens führt dazu, dass die verfolgte Angleichung der Verschuldensund Gefährdungshaftung leer läuft, da für die Bemessung der Entschädigung der Beweis des Verschuldens erforderlich ist.230 223
OLG Frankfurt Urt. v. 25. 04. 2017 – 10 U 173/15, NJW-RR 2017, 1055; OLG München Urt. v. 19. 05. 2017 – 10 U 4256/16, NJW 2017 2838; LG Paderborn Urt. v. 12. 10. 1989 – 1 S 197/89, NJW 1990, 260, in der das Gericht dem Liebhaber die immaterielle Entschädigung als „Eindringling in die Ehe“ versagt hat. 224 LG Paderborn Urt. v. 12. 10. 1989 – 1 S 197/89, NJW 1990, 260; Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 247; Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 54. 225 Jaeger, in: FS Lorenz, S. 379; Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 360; Schubert, Leistungsstörungen. Umfang und Art des Schadenersatzes, S. 310. 226 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 249. 227 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 249. 228 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 249. 229 Vgl. OLG Celle Beschl. v. 23. 01. 2004 – 14 W 51/03, NJW 2004, 1185, das trotz ablehnender Haltung ggü. der Genugtuungsfunktion bei grober Fahrlässigkeit eine andere Bemessung für angemessen hält; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 228. 230 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 228.
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C. Der immaterielle Schadensersatz
Vorgeschlagen wird darüber hinaus eine grundsätzliche Haftungsabstufung für die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung.231 Auch hier würde wieder zwischen Verschuldens- und Gefährdungshaftung differenziert werden. In der Rechtsprechung ist die Berücksichtigung des Verschuldens bisher nicht ausdrücklich als Bemessungsfaktor herangezogen worden. Vielmehr stützt die Rechtsprechung solche Erwägungen allgemein auf dem Genugtuungsgedanken.232 ee) Der Anlass der Verletzungshandlung als Bemessungskriterium Neben dem Verschulden wird der Anlass der Verletzungshandlung als „verbitternder Genugtuungsfaktor“ überlegt.233 Trotz gleichem Verschuldensvorwurf, könnten Handlungen ein unterschiedliches Gepräge mit sich bringen.234 Laut BGH mache es einen Unterschied, ob eine Handlung zur Befriedigung von Vergnügen oder aus Gründen der Notwendigkeit, z. B. im Rahmen der Berufsausübung, vorgenommen wird. Darüber hinaus weist der BGH ausdrücklich darauf hin, dass im Rahmen der Entschädigung differenziert werden müsse wenn der Schädiger die unerlaubte Handlung bei einer Tätigkeit begeht, die eigentlich nur auf einer Gefälligkeit gegenüber dem Geschädigten beruht, wie die Mitnahme im Auto und darauf ein Verkehrsunfall folgt.235 Etwas anderes müsste sich bei der Schädigung eines fremden Dritten ergeben. ff) Die Vermögensverhältnisse des Geschädigten als Bemessungskriterium Die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Geschädigten kommt zunächst sowohl entschädigungsmindernd als auch entschädigungserhöhend in Betracht. Würde man darauf abstellen, dass dem Verletzten durch die Entschädigung Annehmlichkeiten verschafft werden sollen, könnte die Entschädigung seinen 231 von Mayenburg, Die Bemessung des Inkommensurablen, S. 37; MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 49; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 251; a. A.: Hentschel, in: NZV 2002, S. 433 (437); Wagner, in: NJW 2002, S. 2049 (2054). Vgl. zur „dreifachen“ Verschuldensabstufung bei Fahrlässigkeit im österreichischen Arbeitsrecht Otto, in: Otto/Schwarze/Krause, S. 545 ff. 232 BGH Beschl. v. 16. 09. 2016 – VGS 1/16, NZV 2017, 179, in dem der BGH ausdrücklich das Verschulden aufgrund der besonderen Bedeutung der Genugtuungsfunktion berücksichtigt; Degenhart, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, S. 54 spricht von „verbitternden Genugtuungsfaktoren“; OLG München Urt. v. 19. 05. 2017 – 10 U 4256/16, NJW 2017, 2838, das die Genugtuungsfunktion gerade wegen fehlendem Verschulden „zurücktreten“ lässt. 233 Degenhart, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, S. 56; Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 125. 234 BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149. 235 BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149; vgl. auch BGH Urt. v. 10. 03. 1970 – VI ZR 145/68, NJW 1970, 1037, in dem die Genugtuungsfunktion aufgrund der Gefälligkeitsfahrt unter Freunden zurücktreten müsse.
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Zweck verfehlen, wenn der Verletzte besonders wohlhabend ist und daher selbst in der Lage ist sich sämtliche Annehmlichkeiten zu verschaffen. Denkbar ist aber auch eine höhere Entschädigung bei einer wohlhabenderen Person, damit sich diese die gewohnten Annehmlichkeiten verschaffen kann. Dies wiederum betrifft aber den Umfang des Schadens, nämlich die mögliche Einbuße an Lebensfreude. Soweit es um die Frage geht, welche finanziellen Mittel erforderlich sind, um die Einbuße an Lebensfreude zu kompensieren, betrifft dies den Ausgleichsgedanken, der Berücksichtigung von Genugtuung bedarf es dafür nicht.236 Die Rechtsprechung lehnt die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Geschädigten zwar nicht grundsätzlich ab,237 besondere Beachtung findet dieser Umstand aber nicht. Im Einzelfall soll es laut BGH auf ein erhebliches Missverhältnis zwischen der wirtschaftlichen Situation des Schädigers und des Geschädigten ankommen.238 Die wirtschaftlichen Verhältnisse müssten dem Einzelfall sein besonderes Gepräge geben. Dabei käme es dann gerade auf die Genugtuungsfunktion an, die in den Vordergrund träte.239 Hierin ist deutlich ein Sanktionszweck zu erkennen, da gerade die fehlende Möglichkeit der Wiedergutmachung durch die Belastung des Schädigers mit einer Entschädigung ausgeglichen wird.240 gg) Die Vermögensverhältnisse des Schädigers als Bemessungskriterium Die Vermögensverhältnisse des Schädigers wiederum finden durch die Rechtsprechung Berücksichtigung. In Frage kommen die anspruchserhöhende Berücksichtigung bei günstigen Vermögensverhältnissen des Schädigers und die anspruchsmindernde Berücksichtigung241 bei einer finanziell schlechten Situation des Schädigers. Eine Anspruchserhöhung soll aber nicht dazu führen, dass eine über den Schadensausgleich hinausgehende Entschädigung gewährt wird.242 Es kommt in erster Linie darauf an, inwiefern die finanziellen Umstände eine Herabsetzung der Entschädigung rechtfertigen.243 Der Ausgleichsgedanke dürfe laut BGH nicht dazu führen, dass der Schädiger durch die Ausgleichspflicht in Not gerate.244 236
Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 245. BGH Beschl. v. 16. 09. 2016 – VGS 1/16, NZV 2017, 179. 238 BGH Beschl. v. 16. 09. 2016 – VGS 1/16, NZV 2017, 179, jedenfalls für den Fall, dass der Verletzte die „arme“ Partei ist und ein wirtschaftliches Gefälle zum vermögenden Schädiger bestehe. 239 BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149. 240 Degenhart, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, S. 58. 241 OLG Düsseldorf Urt. v. 18. Juni 2007 – I-1 U 278/06, DAR 2007, 704; a. A.: Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 164. 242 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 151; MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 51; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 247. 243 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 150. 244 BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149; BGH Beschl. v. 16. 09. 2016 – VGS 1/16, NZV 2017, 179. 237
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C. Der immaterielle Schadensersatz
Der BGH knüpft die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse an den Verschuldensgrad. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit könne die schlechte wirtschaftliche Situation des Geschädigten nicht berücksichtigt werden.245 Zwischen dem Verschulden des Geschädigten, dem Anlass der Tat und der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers sieht der BGH einen unmittelbaren Zusammenhang, wobei die wirtschaftlichen Verhältnisse je nach Erheblichkeit der anderen beiden Kriterien zu berücksichtigen seien.246 Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind danach als nachrangiges Bemessungskriterium zu verstehen.247 Befürchtet wird die „Taxierung des Schmerzensgeldes nach sozialen Klassen“.248 Auch Teile der Literatur sehen in der Berücksichtigung eine unzulässige Ungleichbehandlung sowohl der Schädiger als auch der Geschädigten.249 In der jüngeren strafrechtlichen BGH-Rechtsprechung wurde deshalb die Korrektur der Bemessung der Entschädigung dahingehend verlangt, dass die Vermögensverhältnisse des Schädigers und des Geschädigten nicht mehr berücksichtigt werden dürften.250 Der 3. Strafsenat jedoch hat sich im Jahr 2015 ausdrücklich für die Genugtuungsfunktion und deshalb für die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Schädigers ausgesprochen.251 Der „minderbemittelte Straftäter“ dürfe nicht auf die „Pfändungsgrenze“ verwiesen werden, während der „Millionär mit einem allenfalls symbolischen Wert“ davonkomme.252 Der große Senat des BGH hat eine Einschränkung der Bemessungskriterien schließlich abgelehnt und sich für die grundsätzliche Möglichkeit der Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse ausgesprochen.253 Begründet wird dies zunächst mit der Funktion des Billigkeitsgedankens, der es verbiete, bestimmte Umstände des Einzelfalls bei der Berücksichtigung auszu245 BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149; BGH Urt. v. 05. 03. 2015 – 3 ARs 29/14, NZV 2016, 289; a. A.: OLG Stuttgart Urt. v. 01. 08. 1997 – 2 U 75/97, NJW-RR 1998, 534. 246 BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149. 247 OLG Frankfurt Urt. v. 09. 09. 2004 – 12 U 116/03, BeckRS 2004, 18486, in dem nochmal betont wird, dass die Vermögensverhältnisse Berücksichtigung finden könnten, aber nicht müssten; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 247. 248 BGH Beschl. v. 08. 10. 2014 – 2 StR 137/14, BeckRS 2017, 118209; ablehnend wegen der Ungleichbehandlung vgl. Degenhart, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, S. 61; Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 154. 249 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 155 ff.; Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 153. 250 BGH Beschl. v. 08. 10. 2014 – 2 StR 137/14, BeckRS 2017, 118209; BGH Beschl. v. 29. 12. 2014 – 2 StR 211/14, NStZ 2015, 354; a. A.: BGH Beschl. v. 05. 03. 2015 – 3 ARs 29/14, NZV 2016, 289. 251 BGH Beschl. v. 05. 03. 2015 – 3 ARs 29/14, NZV 2016, 289. 252 BGH Beschl. v. 05. 03. 2015 – 3 ARs 29/14, NZV 2016, 289, der 3. Strafsenat lehnt aber auch die Berücksichtigung der Verhältnisse des Geschädigten ab. 253 BGH Beschl. v. 16. 09. 2016 – VGS 1/16, NZV 2017, 179.
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schließen.254 Der BGH hält in der Entscheidung aber auch an der Genugtuungsfunktion fest, die der Nichtberücksichtigung widersprechen würde. Die zu berücksichtigenden Umstände könnten aber unterschiedlich gewichtet werden. Im Rahmen des Vermögens könnte auch das Bestehen einer Haftpflichtversicherung zu berücksichtigen sein.255 Unklar ist, ob diese zu einer Anspruchserhöhung führen kann oder ob dadurch nur eine Minderung der Entschädigung wegen schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse ausgeschlossen werden soll.256 Vor diesem Hintergrund ist die Bemessung anhand der Vermögensverhältnisse zu hinterfragen, da der Bestand und die Berücksichtigung einer Haftpflichtversicherung die wirtschaftliche Situation des Geschädigten unerheblich macht.257 Es bleibt aber die mögliche Inanspruchnahme des Schadensersatzpflichtigen ohne Haftpflichtversicherung.258 Die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Geschädigten stellt bei der Bemessung der Entschädigung gem. § 253 Abs. 2 BGB jedenfalls im Zusammenhang mit weiteren Umständen des Einzelfalls ein anerkanntes Bemessungskriterium dar. Trotz vorhandener Bemessungskriterien fehlt es aber an einem Ausgangspunkt für die Bemessung der Entschädigung. Die Feststellung eines anspruchserhöhenden oder anspruchsmindernden Umstands kann die Bemessung der Entschädigung nur insoweit beeinflussen, als dass ein geeigneter Ausgangswert vorliegt, der erhöht oder herabgesetzt werden kann. Zwar entspricht es dem System des Schadensersatzrechts, dass grundsätzlich nur der Betrag zu gewähren ist, der für den Ausgleich des eingetretenen Schadens erforderlich ist. Dieser „Basisbetrag“ kann aber bei einem immateriellen Schaden nicht ohne Weiteres bestimmt werden.259 Der BGH verneint die Existenz einer „an sich-Entschädigung“,260 nach der durch die Bemessungsfaktoren nur das Ausmaß des Schadens korrigiert werden würde. Dies hätte Einfluss auf die Entschädigung, die dem Anspruchsteller „an sich“ zustehe.261 Laut BGH ergibt sich der Entschädigungsbetrag erst aus der Berücksichtigung aller Umstän-
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BGH Beschl. v. 16. 09. 2016 – VGS 1/16, NZV 2017, 179. BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149; BGH Urt. v. 01. 02. 1966 – VI ZR 24/65, VersR 1966, 561; OLG Hamm Urt. v. 02. 04. 2008 – 13 U 133/07, VersR 2008, 1410; a. A.: BGH Beschl. v. 08. 10. 2014 – 2 StR 137/14, BeckRS 2017, 118209. 256 Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 65. 257 Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 57. 258 Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (413). 259 Deshalb ist Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 151, S. 123 auch nur eingeschränkt zuzustimmen, dass die Anspruchserhöhung nicht über den Ausgleichsbetrag hinausgehen darf. Der Ausgleichsbetrag steht nicht fest und kann auch nicht allein anhand des Schadens bestimmt werden, sodass der Ausgleichs- und Genugtuungsgedanke nur in die Bemessung einfließen können. 260 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 125. 261 BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149. 255
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C. Der immaterielle Schadensersatz
de.262 Ohne Heranziehung aller nicht wertneutralen Umstände könne die Entschädigung gar nicht erst ermittelt werden. Dem ist insoweit zu folgen, als dass es für die Bestimmung eines Basisbetrags an einem unmittelbaren Anknüpfungspunkt fehlt und deshalb auf die Bemessungskriterien zurückzugreifen ist. Da die eingetretene Rechtsgutsverletzung aber häufig eine geeignete objektive Vergleichsgrundlage darstellt, ist eine Berücksichtigung der einzelnen Umstände anhand eines durch die Rechtsgutsverletzung bestimmten Betrags denkbar.263 hh) Zwischenergebnis Trotz allgemeiner Bemessungsfaktoren ist kein einheitlicher Maßstab für die Bemessung der Entschädigungshöhe erkennbar. Auch die entwickelten Bemessungskriterien haben bisher nur eingeschränkt dazu beitragen können, die fehlende Messbarkeit eines immateriellen Schadens zu überwinden. Aufgrund der fehlenden Möglichkeit des Ausgleiches eines immateriellen Schadens fehlt es schon an einem Anknüpfungspunkt für die Festsetzung eines Entschädigungsbetrags. Hinsichtlich der Bemessungskriterien ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung diese häufig nur im Rahmen von allgemeinen Billigkeitserwägungen berücksichtigt, ohne dass den Bemessungskriterien einzeln anspruchserhöhende oder anspruchsmindernde Bedeutung beigemessen wird. Selbst bei einem Mitverschulden des Geschädigten wird gerade keine Quotelung vorgenommen, sondern dieses wird ebenfalls im Rahmen der Billigkeit berücksichtigt. Um sich aber der gesetzlich gewollten Rechtsfolge einer Entschädigung in Geld anzunähern, sind die durch die Rechtsprechung entwickelten Bemessungskriterien dennoch unerlässlich. Die Bemessungskriterien selbst wiederum beruhen auf der Funktion der Entschädigungsnorm und damit auf der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion. Kriterien wie das Verschulden des Geschädigten oder der zu berücksichtigende Anlass der Verletzungshandlung finden ihre Legitimationsgrundlage in der Genugtuungsfunktion. Die Funktion des Anspruchs lässt aber nicht nur Rückschlüsse auf geeignete Bemessungskriterien zu, sondern kann darüber hinaus die Gewichtung eines Bemessungsfaktors begründen. Bis heute stützt die Rechtsprechung die Bemessung der Entschädigung auch auf der Genugtuungsfunktion. Bei der Frage welche Rolle das Verschulden des Schädigers für die Höhe der Entschädigung spielen darf, besteht Uneinigkeit über den Inhalt der Genugtuungsfunktion. Wird der wohlhabende Schädiger als anspruchs262
BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149; dazu ausführlich vgl. Keller, Ein Konzept zur Umsetzung der Ausgleichsfunktion, S. 42. 263 Ähnlich Deister, in: FS Bergmann, S. 5, der von einem Basisbetrag ausgehend vom Verletzungsbild und Verschuldensgrad ausgeht; vgl. Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 174, der eine erste Festsetzung anhand der Schwere der Verletzung und einer an sich angemessenen Entschädigung vorschlägt.
III. Überblick über das System des immateriellen Schadensersatzes
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erhöhendes Kriterium herangezogen, stellt sich die Frage ob die Genugtuungsfunktion ohne den Gedanken der Sanktion auskommt. Die auf der Genugtuungsfunktion beruhenden Bemessungskriterien, die für den immateriellen Schadensersatzanspruch gem. § 253 Abs. 2 BGB entwickelt wurden, können auch für das Hinterbliebenengeld relevant sein. Unabhängig von der Rechtsnatur des neuen Hinterbliebenengeldes werden die hier dargestellten Bemessungsschwierigkeiten auf die neue Anspruchsnorm übertragbar sein. Die hier dargestellten Grundsätze müssen im Rahmen des Hinterbliebenengeldes berücksichtigt werden und auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden. Es wird zu klären sein ob aufgrund der besonderen Voraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB eine Konkretisierung des Bemessungsmaßstabs möglich ist. Würde man vom immateriellen Ersatzanspruch gem. § 253 Abs. 2 BGB ausgehen, müsste auch für das Hinterbliebenengeld zunächst der Umfang des Schadens bestimmt werden. Der Umfang des erlittenen Leids i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB kann jedoch nicht uneingeschränkt an Art und Umfang der Rechtsgutsverletzung des Getöteten bestimmt werden. Die Unbestimmtheit des § 253 Abs. 2 BGB ist darauf zurückzuführen, dass der Anspruch als allgemeiner immaterieller Schadensersatzanspruch für die Geltendmachung aller immaterieller Schäden dient. Um einen solchen Anspruch handelt es sich beim neuen Hinterbliebenengeld nicht. Es ist nicht auszuschließen, dass für die spezielle Neuregelung als Anspruch eigener Art näher zu bestimmende Kriterien herangezogen werden können und müssen. c) Die Heranziehung von Vergleichsrechtsprechung für die Bemessung der immateriellen Entschädigung Neben der Funktionsbestimmung orientiert sich das Gericht zur Bemessung der Entschädigung an bereits gerichtlich entschiedenen Fällen, die mit dem vorliegenden Fall vergleichbar sind.264 Während die aus der Funktionsbestimmung resultierenden Bemessungskriterien gerade dem individuellen Einzelfall gerecht werden sollen, streben die Schmerzensgeldtabellen eine Vereinheitlichung der immateriellen Entschädigungen an.265 Die Auswertung solcher Vergleichsurteile erfolgt durch Schmerzensgelddatenbanken und Schmerzensgeldtabellen. Trotz fehlender gesetzlicher Bindung266 ist die Heranziehung durch das Gericht allgemein anerkannt.267 Die 264 von Mayenburg, Die Bemessung des Inkommensurablen, S. 49; Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 139 ff. 265 Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 139. 266 Staudinger, in: NJW 2006, S. 2433 (2434). 267 BGH Urt. v. 18. 11. 1969 – VI ZR 81/68, VersR 1979, 134; OLG Celle Urt. v. 7. 11. 2006 – 14 U 234/05, BeckRS 2007, 335; OLG München Urt. v. 30. 07. 2010 – 10 U 2930/10, BeckRS 2010, 19125; OLG München Urt. v. 24. 11. 2017 – 10 U 952/17, NJW-Spezial 2018,11; OLG Oldenburg Beschl. v. 16. 03. 2018 – 13 U 77/17, BeckRS 2018, 11487; OLG München Urt. v.
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C. Der immaterielle Schadensersatz
Rechtsprechung betont aber zugleich, dass wirtschaftliche Entwicklungen, wie das Problem der Geldentwertung oder veränderte gesellschaftliche Wertvorstellungen eine Abweichung von den Vergleichsfällen rechtfertigen.268 Damit begründet die Rechtsprechung in neueren Entscheidungen, dass in Vergleichsentscheidungen bei gravierenden Verletzungen inzwischen eine höhere Entschädigung festzusetzen sei.269 Es handele sich gerade nicht um „gerichtliche Präjudizen“, sondern um eine Orientierungshilfe.270 Sollte im Rahmen der Bemessung auf eine Vergleichsentscheidung verwiesen werden, müsse die Fallähnlichkeit zunächst festgestellt werden. Dazu gehören z. B. Alter, Geschlecht, Beruf, Vorschädigung, Empfindlichkeit, Einkommen und Vermögensverhältnisse des Geschädigten, sowie Verschulden, Einkommen, Vermögensverhältnisse und Versicherung des Schädigers.271 Die Schmerzensgeldtabelle enthält zunächst nur Hinweise zum Sachverhalt, die Auswahl der bemessungsrelevanten Fakten sowie die Entschädigungssumme.272 Der Volltext der Entscheidung steht trotz juristischer Fachdatenbanken nicht immer zur Verfügung. Die Sammlung dieser Entscheidungen erfolgt durch private Anbieter, wobei aber nicht transparent ist, welche Entscheidungen nach welchem Muster in die Sammlung aufgenommen werden. Es besteht daher die Gefahr, dass „spektakuläre“ Entscheidungen berücksichtigt werden, obwohl die Orientierung an durchschnittlichen Entscheidungen geeigneter erscheint.273 Kritisiert wird zudem, dass nicht erkennbar sei in welchem Bereich sich die unerlaubte Handlung ereignet hat.274 Trotz der Bedenken, die bei der Berücksichtigung von Schmerzensgeldtabellen bestehen,275 bleibt es bei der Anwendung der Sammlungen durch die Gerichte.276 Die Gefahr von pauschalen Ergebnissen durch die Heranziehung von Schmerzensgeldtabellen kann jedenfalls solange eingeschränkt werden, als dass die der Vergleichsentscheidung zugrunde liegenden Bemessungsfaktoren der Vergleichsent12. 10. 2018 – 10 U 1905/17, NJW-Spezial 2018, 714; Brandenburgisches OLG Urt. v. 20. 06. 2019 – 12 U 143/18 –, BeckRS 2019, 14211; LG München Urt. v. 25. 06. 2018 – 9 O 5656/17, BeckRS 2018, 41102; von Mayenburg, Die Bemessung des Inkommensurablen, S. 49; a. A.: OLG Frankfurt 18. 10. 2018 – 22 U 97/16, NJW 2019, 442. 268 OLG München Beschl. v. 19. 09. 2005 – 1 U 2640/05, MedR 2006, 211; OLG München Urt. v. 24. 11. 2017 – 10 U 952/17, NJW-Spezial 2018, 11. 269 OLG München Urt. v. 27. 10. 2006 – 10 U 3345/06, BeckRS 2006, 12835; OLG München Urt. v. 13. 08. 2010 – 10 U 3928/09, BeckRS 2010, 20532. 270 OLG München Urt. v. 24. 11. 2017 – 10 U 952/17, NJW-Spezial 2018, 11. 271 OLG München Urt. v. 19. 06. 2009 – 10 U 5757/08, BeckRS 2009, 16640. 272 von Mayenburg, Die Bemessung des Inkommensurablen, S. 55. 273 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 175; von Mayenburg, Die Bemessung des Inkommensurablen, S. 60; dies sei bei hohen Geldentschädigungen wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts so gewesen. 274 von Mayenburg, Die Bemessung des Inkommensurablen, S. 60. 275 von Mayenburg, Die Bemessung des Inkommensurablen, S. 60; Schubert, in: Karlsruher Forum 2016, S. 25. 276 OLG Celle Urt. v. 11. 11. 2020 – 14 U 71/20, BeckRS 2020, 30605; OLG Celle Urt. v. 04. 11. 2020 – 14 U 81/20, BeckRS 2020, 30103; OLG München Urt. v. 23. 01. 2020 – 1 U 2237/ 17, VersR 2020, 1191.
III. Überblick über das System des immateriellen Schadensersatzes
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scheidung bekannt sind und sich das Gericht mit allen zu berücksichtigenden Faktoren für den konkreten Einzelfall auseinandersetzt. Zumindest die „äußeren immateriellen Verletzungs- und Verletzungsfolgeschäden“277 können anhand vergleichbarer Fälle beurteilt werden. 4. Die Vererbbarkeit des immateriellen Schadensersatzanspruchs Die einzige Veränderung, die § 847 BGB a. F. erfuhr, war die Streichung von § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a. F. im Jahr 1990, der die Übertragbarkeit und die Vererbbarkeit des Anspruchs ausschloss. a) Die ursprüngliche Regelung zum Ausschluss der Vererbbarkeit Der immaterielle Schadensersatzanspruch war nach dieser Regelung nur dann vererbbar oder übertragbar, wenn der Anspruch durch Vertrag anerkannt worden war oder durch das Opfer bzw. seinen Bevollmächtigten rechtshängig gemacht wurde. Ein Teil der Literatur war der Ansicht, dass sich aus der Übertragbarkeit bzw. Unübertragbarkeit auch Aussagen über die Rechtsnatur des immateriellen Schadensersatzes machen ließen.278 Der BGH hingegen hatte in seiner Entscheidung im Jahr 1961 zunächst entschieden, dass die Vererbbarkeit des immateriellen Schadensersatzanspruchs ausgeschlossen sei und zwar unabhängig davon, welche Funktion man für den immateriellen Schadensersatz annähme.279 Bei einer reinen Ausgleichsfunktion würden bei Versterben des Verletzten die beeinträchtigten persönlichen Güter nicht mehr bestehen, sodass der Ausgleich nicht mehr möglich sei. Für die Genugtuung sei die persönliche Beziehung zwischen Verletztem und Schädiger maßgeblich, sodass auch hier nur dem Verletzten eine Entschädigung zustehen könne. Der BGH hatte damals den höchstpersönlichen Charakter des immateriellen Schadensersatzes betont. b) Die Bejahung der Vererbbarkeit des immateriellen Schadensersatzanspruchs Der Regierungsentwurf begründete die Streichung des § 847 Abs. 1 S. 2 BGB a. F. mit der unzumutbaren Situation, dass sich Angehörige eines Verletzten, der womöglich schwerste Verletzungen davon getragen hat und möglicherweise in Lebensgefahr schwebt, gleichzeitig um die rechtlichen Belange des Verletzten kümmern müssen damit die Ansprüche bei einem möglichen Todeseintritt nicht verfallen. Als mögliche Alternative nennt der Gesetzesentwurf die Schaffung eines eigenen Anspruchs der Angehörigen auf immaterielle Entschädigung, ohne dass diese eine 277
Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 174, 176. Degenhart, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, S. 36; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 449. 279 BGH Urt. v. 14. 03. 1961 – VI ZR 146/60, NJW 1961, 1575. 278
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C. Der immaterielle Schadensersatz
eigene Körperverletzung erlitten haben müssen.280 Die Bejahung der Übertragbarkeit und Vererbbarkeit wurde aber aufgrund der Anknüpfung an den ursprünglichen Anspruch des Verletzten vorgezogen.281 Damit könne die Höchstpersönlichkeit des Anspruchs erhalten bleiben. Hiervon weicht die Rechtsprechung für die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ab, indem hier die Vererbbarkeit eines immateriellen Schadensersatzanspruchs gem. § 823 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG aus diesen Gründen nicht möglich sein soll.282 5. Die Rechtsgutsbezogenheit des immateriellen Schadensersatzanspruchs Eine Entschädigung wird grundsätzlich nicht ohne das Vorliegen einer Verletzung des in § 253 Abs. 2 BGB geschützten Rechts gewährt.283 Gem. § 253 Abs. 2 BGB muss eine Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung vorliegen. Ein Gefühlsschaden284 stellt also nur dann einen zu ersetzenden Schaden dar, wenn dieser auf einer Rechtsgutsverletzung beruht. Der Verlust des Lebens wird nicht durch § 253 Abs. 2 BGB geschützt. Der Gesetzgeber habe sich bewusst gegen die Ersatzfähigkeit des Lebens ausgesprochen: „Der Verletzte hat die durch seinen Tod zerstörte Persönlichkeit entschädigungslos hinzunehmen.“285 Für einen immateriellen Ersatzanspruch, der auf die Erben übergeht, muss der Getötete vor dem Eintritt des Todes tatsächlich Schmerzen und Qualen empfunden haben. Der Wert des Lebens sei gem. § 253 Abs. 2 BGB nicht entschädigungsfähig.286 6. Der Anspruch bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Abgrenzung zum immateriellen Schadensersatz gem. § 253 Abs. 2 BGB Auch wenn die Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf verfassungsrechtlicher Grundlage erfolgt ist287 und sich der zivilrechtlichen Anspruch auf Ersatz eines immateriellen Schadens außerhalb des immateriellen Schadensersatzes 280
BT-Drs. 11/4415, S. 2. BT-Drs. 11/4415, S. 2. 282 BGH Urt. v. 20. 03. 1968 – I ZR 44/66, BGHZ 50, 133; BGH Urt. v. 24. 03. 2011 – IX ZR 180/10, BGHZ 189, 65; BGH Urt. v. 19. 04. 2014 – VI ZR 246/12, CR 2014, 602. 283 Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, S. 16. Zur abschließenden Aufzählung in § 253 Abs. 2 BGB vgl. MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 27 f. 284 Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 132; Stiegler, Schmerzengeld für Schock- und Trauerschäden, S. 12; Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 52. 285 BGH Urt. v. 12. 05. 1998 – VI ZR 182/97, BGHZ 138, 388; OLG Düsseldorf Urt. v. 11. 03. 1996 – 1 U 52/95, NZW 1996, 318. 286 Schramm, Haftung für Tötung, S. 22 ff.; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 61 ff.; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 192. 287 BVerfG Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65, VersR 1973, 1132. 281
III. Überblick über das System des immateriellen Schadensersatzes
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gem. § 253 Abs. 2 BGB abspielt, können Überlegungen, die im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfolgt sind relevant für die Einordnung des neuen Hinterbliebenengeldes sein. Die Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als sonstiges Recht i. S. d. § 823 I BGB und die Gewährung einer Entschädigung für einen immateriellen Schaden bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts war ein durch die Rechtsprechung herbeigeführter Wandel mit erheblichen Auswirkungen.288 Durch die sogenannte Leserbrief-Entscheidung im Jahr 1954 sprach sich der BGH erstmals für das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus, dessen Verletzung danach eine unerlaubte Handlung i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB begründen könne.289 Der Entscheidung lag das Schreiben eines Anwalts zugrunde, der im Auftrag seines Mandanten ein Schreiben an die Wochenzeitung mit der Aufforderung zur Berichtigung eines vorher erschienenen Beitrags richtete. Die Wochenzeitung veröffentlichte nur Teile dieses Schreibens unter der Rubrik Leserbriefe. Laut BGH dürften private Aufzeichnungen nur in der durch den Verfasser gebilligten Weise veröffentlich werden, was der BGH mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht begründet.290 Weitere Konkretisierungen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht erfolgen in dieser Entscheidung nicht. Voraussetzung für die Erweiterung des Anwendungsbereichs des immateriellen Schadens war die Grundentscheidung durch die Rechtsprechung, dass das Recht zur freien Selbstbestimmung der Persönlichkeit verfassungsrechtlich zu gewährleisten sei.291 Der BGH und auch das Bundesverfassungsgericht leiten das allgemeine Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB aus dem Schutzauftrag aus Art. 1 und Art. 2 GG ab.292 Begründet wird dies mit der Gewährleistung eines vollumfänglichen Schutzes, der nur durch die Geltung auch auf zivilrechtlicher Ebene erreichbar sei.293 Geschützt werde die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch den Schutz des Privat- und Familienlebens und der Schutz der menschlichen Würde.294 Inzwischen gibt es zahlreiche Regelungen in Spezialgesetzen, die Ausdruck des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes sind: das Recht zum Gebrauch eines Namens (§ 12 BGB) sowie strafrechtliche Bestimmungen zum Datenschutz, Briefgeheimnis und Nachstellungen.295 288
BGH Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56, NJW 1958, 827. BGH Urt. v. 25. 05. 1954 – I ZR 211/53, GRUR 1955, 197. 290 BGH Urt. v. 25. 05. 1954 – I ZR 211/53, GRUR 1955, 197. 291 Larenz, in: NJW 1958, S. 827. 292 MüKoBGB/Rixecker Anhang zu § 12 BGB Rn. 2. 293 MüKoBGB/Rixecker Anhang zu § 12 BGB Rn. 4. Zur mittelbaren Drittwirkung: BVerfG Urt. v. 15. 01. 1958 – 1 BvR 400/51, GRUR 1958, 254. 294 BGH Urt. v. 08. 05. 1956 – I ZR 62/54, GRUR 1956, 427; BVerfG Beschl. v. 08. 03. 2000 – 1 BvR 1127/96, ZUM 2000, 947. 295 Neunhoeffer, Das Presseprivileg im Datenschutzrecht, S. 201; MüKoBGB/Rixecker Anhang zu § 12 BGB Rn. 3. 289
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C. Der immaterielle Schadensersatz
Auf die Leserbrief-Entscheidung folgten zwei Entscheidungen des BGH, in denen die Verfolgung kommerzieller Interessen durch Persönlichkeitsrechtsverletzung im Vordergrund stand.296 In der Herrenreiter-Entscheidung ging es um die unbefugte Veröffentlichung eines Bildes des Verletzten.297 Aus Sicht des BGH kam es in dem konkreten Fall entscheidend darauf an, dass der Verletzte zu keinem Zeitpunkt in die Verwendung des Bildes eingewilligt hätte. Laut BGH könne deshalb keine wirtschaftliche Einbuße festgestellt werden. Die Bestimmung des immateriellen Schadens erfolgt durch die Verneinung eines materiellen Schadens. Der BGH betont die Wiedergutmachung des widerrechtlichen Eingriffs in das Recht am eigenen Bild. Durch den Gedanken der Genugtuung könne man alle Umstände des Einzelfalles in die Bemessung einfließen lassen, was hier die gute gesellschaftliche Stellung und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers sowie die Art des Produktes als Potenzmittel seien.298 Die Entscheidung benennt den konkreten immateriellen Schaden nicht, sondern bejaht diesen automatisch aufgrund der eingetretenen Persönlichkeitsrechtsverletzung, dessen Schutz nur durch die Entschädigung des immateriellen Schadens erfolgen könne. Die Anerkennung des richterrechtlich entwickelten Persönlichkeitsrechts beruht nicht zuletzt darauf, dass auch das Bundesverfassungsgericht die Existenz des Persönlichkeitsrechts als „Weiterführung des geschriebenen Gesetzes“ anerkannt hat.299 Darüber hinaus entnimmt Ebert300 der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch Hinweise im Hinblick auf die Rechtsnatur des Anspruchs bei Persönlichkeitsrechtsverletzung.301 Das Bundesverfassungsgericht würde überwiegend von „Schadensersatz“ oder „Sanktion“ sprechen, während der BGH stets den Begriff „Entschädigung“ verwendet habe.302 Neben der Ausstrahlung der Grundrechte auf das Privatrecht habe das Bundesverfassungsgericht damit zum Ausdruck gebracht, dass der Ausgleichsgedanke nicht ausreicht, um den Wertungen der Grundrechte ausreichend Geltung im Zivilrecht zu verschaffen.303 Allerdings geht das Bundesverfassungsgericht in der besagten Entscheidung davon aus, dass der Sanktionscharakter auch dem immateriellen Schadensersatz gem. § 847 BGB a. F. anhafte. Jedenfalls steht das Ziel der Sanktion im Vordergrund, auch wenn das Gericht am Ende der Entscheidung betont, es ginge trotz pönaler 296 BGH Urt. v. 08. 05. 1956 – I ZR 62/54, GRUR 1956, 427; BGH Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56, NJW 1958, 827. 297 BGH Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56, NJW 1958, 827, in der ein Herrenreiter auf einem Plakat für ein pharmazeutisches Präparat (sexuelles Stärkungsmittel) abgebildet wurde, ohne dass dieser eingewilligt hatte. 298 BGH Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56, NJW 1958, 827. 299 BVerfG Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65, GRUR 1974, 44. 300 Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 504 f. 301 So die von Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 504 f., übernommenen Formulierungen des BVerfG. 302 Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 504 f. 303 Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 505.
III. Überblick über das System des immateriellen Schadensersatzes
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Elemente nicht um Strafe. Es wird ausdrücklich eine adäquate Sanktion für die immaterielle Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts gefordert.304 a) Die engen Anforderungen der Rechtsprechung an eine Entschädigung aufgrund einer Persönlichkeitsrechtsverletzung In der darauf folgenden Rechtsprechung des BGH werden strengere Voraussetzungen an die Bejahung eines solchen Anspruchs auf Entschädigung festgelegt.305 Eine Genugtuung sei dann erforderlich, wenn die Schwere der Verletzung oder die Schwere des Verschuldens diese erfordern würden.306 In der Caroline I-Entscheidung führt der BGH weiter aus, dass die Schwere der Verletzung von der Schwere und Tragweite des Eingriffs, von Anlass und Beweggrund des Handelnden, vom Grad des Verschuldens und der Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung abhinge.307 Hier differenziert der BGH nicht mehr zwischen der Verletzung und dem Verschulden, sondern spricht von einem schwerwiegenden Eingriff.308 b) Die Vererbbarkeit des Anspruchs aufgrund einer Persönlichkeitsrechtsverletzung Lange Zeit blieb offen, ob der Anspruch wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts übertragbar und vererbbar ist. In seiner Mephisto-Entscheidung309 hatte der BGH klargestellt, dass das Persönlichkeitsrecht – abgesehen von seinen vermögenswerten Bestandteilen – unübertragbar und unvererblich sei. Der BGH knüpfte damit an eine Entscheidung aus dem Jahr 1956 an, indem er dem Schutz durch das Persönlichkeitsrecht auch materielle Interessen unterstellte.310 Dieser wirtschaftliche Wert beruhe gerade auf Bekanntheit und Ansehen in der Öffentlichkeit. So ging es in der sog. Marlene-Dietrich-Entscheidung311 um die klagende Tochter und Alleinerbin der Schauspielerin Marlene Dietrich. Das beklagte Unternehmen nutzte den Namen und ein Bild der verstorbenen Schauspielerin zur Vermarktung und Produktion eines Kfz-Sondermodells sowie für MerchandisingArtikel. Die Klägerin machte einen Anspruch aus postmortalem Persönlichkeitsrecht geltend. 304
BVerfG Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65, GRUR 1974, 44. BGH Urt. v. 11. 04. 1989 – VI ZR 293/88, NJW 1989, 2941; BGH Urt. v. 05. 12. 1995 – VI ZR 332/94, NJW 1996, 984. 306 BGH Urt. v. 19. 09. 1961 – VI ZR 259/60, NJW 1961, 2059. 307 BGH Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94, GRUR 1995, 224. 308 BGH Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94, GRUR 1995, 224; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 495. 309 BGH Urt. v. 20. 03. 1968 – I ZR 44/66, GRUR 1968, 552. 310 BGH Urt. v. 08. 05. 1956 – I ZR 62/54, GRUR 1956, 427; BGH Urt. v. 01. 12. 1999 – I ZR 49/97, GRUR 2000, 709. 311 BGH Urt. v. 01. 12. 1999 – I ZR 49/97, GRUR 2000, 709. 305
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C. Der immaterielle Schadensersatz
Die anspruchsablehnende Begründung des BGH ist unbefriedigend. Genannt wird ein besonderes Schutzbedürfnis, dass die Vererbbarkeit der vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts erforderlich machen würde. Es ginge insbesondere um den Schutz vor kommerzieller Nutzung von Name, Bildnis und sonstigen Persönlichkeitsmerkmalen der verstorbenen Person. Offen gelassen wird die Übertragbarkeit unter Lebenden.312 Die ideellen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts seien aber unzweifelhaft an die Person gebunden, sodass diese nicht vererbt werden könnten. In einer jüngeren Entscheidung macht der BGH die fehlende Vererbbarkeit des Persönlichkeitsrechts vom Sinn und Zweck des Entschädigungsanspruchs abhängig.313 Der Genugtuungsgedanke präge den Entschädigungsanspruch und könne nach dem Tod des Verletzten nicht mehr umgesetzt werden. Das Ziel der Genugtuung hätte bei einem Anspruch wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung eine deutlich höhere Relevanz als bei einem Anspruch aus § 253 Abs. 2 BGB, weshalb eine unterschiedliche Behandlung beider Ansprüche gerechtfertigt sei. c) Der Anspruch aufgrund einer Persönlichkeitsrechtsverletzung als Anspruch sui generis Während der BGH den immateriellen Anspruch zunächst aus einer analogen Anwendung des § 847 BGB a. F. hergeleitet hatte, entschied der BGH in seiner Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1994, dass der aus der Persönlichkeitsrechtsverletzung folgende Entschädigungsanspruch auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und Art. 2 GG zurückzuführen sei und nicht auf § 847 BGB a. F. beruhe. Es handele sich vielmehr um einen immateriellen Schadensersatzanspruch „sui generis“.314 Ohne diese Zubilligung würden Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen ohne Sanktion bleiben, sodass die Gewährung einer Entschädigung zum Schutz der Persönlichkeit erforderlich sei.315 In der Entscheidung ging es um ein ausgedachtes Exklusiv-Interview, das die Klägerin Caroline von Monaco unter anderem in ihrem Recht auf Selbstbestimmung ihres Erscheinungsbilds verletzt habe. Der BGH betont im Rahmen der Bemessung die Berücksichtigung der Präventionsfunktion, wenn der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht aus Gründen der Gewinnerzielung erfolgte.316 Kritisiert wurde die fehlende verfassungsrechtlich gebotene Notwendigkeit aufgrund des Schutzauftrags aus Art. 1 und Art. 2 GG einen Entschädigungsanspruch zu
312
BGH Urt. v. 01. 12. 1999 – I ZR 49/97, GRUR 2000, 709. BGH Urt. v. 29. 04. 2014 – VI ZR 246/12, GRUR 2014, 702, woran der BGH festhält, vgl. BGH Urt. v. 29. 11. 2016 – VI ZR 530/15, NJW 2017, 800. 314 BGH Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94, GRUR 1995, 224. 315 BGH Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56, NJW 1958, 827. 316 BGH Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94, GRUR 1995, 224. 313
III. Überblick über das System des immateriellen Schadensersatzes
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schaffen.317 Anstelle der verfassungsrechtlichen Herleitung des Anspruchs wurde die Schaffung eines eigenen gesetzlichen Entschädigungsanspruchs gefordert.318 Im Jahr 2000 betonte das Bundesverfassungsgericht dann den bestehenden Unterschied zwischen dem immateriellen Schadensersatz gem. § 847 BGB a. F. und einer Entschädigung wegen einer Persönlichkeitsverletzung:319 Danach sei es verfassungsrechtlich gerechtfertigt die Höhe der Entschädigung bei einem Verkehrsunfall anders zu bemessen als bei der Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Dem Urteil lag ein Verkehrsunfall zugrunde, bei dem drei Kinder aufgrund von grob fahrlässigem Verhalten eines Dritten ums Leben gekommen waren. Die Eltern erhielten aufgrund eines erlittenen Schockschadens Entschädigung i. H. v. 70.000 DM und 40.000 DM. Gerügt wurde eine Ungleichbehandlung gegenüber Opfern von Persönlichkeitsrechtsverletzungen, denen eine Entschädigung von bis zu 150.000 DM zugesprochen worden war.320 Das Bundesverfassungsgericht begründete die unterschiedliche Bemessung mit der Differenzierung zwischen der Entschädigung gem. § 847 BGB a. F. und einer Entschädigung wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung, dessen Ersatz auf dem Schutzauftrag aus Art. 1 und Art. 2 GG beruhe. Bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung würde die Verletzung oft vorsätzlich und aufgrund kommerzieller Interessen vorgenommen. Sofern die Persönlichkeitsverletzung aufgrund von Gewinnerzielungsabsicht erfolgt ist, bestünde Anlass dem durch Prävention entgegenzuwirken. Ein „Hemmeffekt“ könnte bei Verletzungen der Würde und Ehre eines Menschen deshalb nur durch die Entschädigung des immateriellen Schadens erreicht werden. Ein solcher Präventionszweck könnte im Straßenverkehr nicht auf gleiche Weise erreicht werden, da ein potenzieller Unfallverursacher durch eine höhere Entschädigung nicht dazu veranlasst werden würde, die Sorgfaltsanforderungen im Straßenverkehr einzuhalten. Dafür spräche zudem die Übernahme der Kosten durch die Haftpflichtversicherung. Das Ziel der Prävention stellt nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts einen erhöhenden Bemessungsfaktor dar.321 Das Bundesverfassungsgericht folgt mit seiner Entscheidung dem BGH, der schon in der Caroline von Monaco-Entscheidung im Jahr 1995 die besondere Bedeutung der Präventionsfunktion bei Persönlichkeitsverletzungen hervorgehoben hat.322 Voraussetzung soll dabei die Gewinnerzielungsabsicht sein, damit im Sinne
317
Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 84. Klüber, Persönlichkeitsschutz und Kommerzialisierung, S. 33; Schramm, Haftung für Tötung, S. 32 f.; Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 46. 319 BVerfG Beschl. v. 08. 03. 2000 – 1 BvR 1127/96, ZUM 2000, 947. 320 BVerfG Beschl. v. 08. 03. 2000 – 1 BvR 1127/96, ZUM 2000, 947; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 505. 321 BVerfG Beschl. v. 08. 03. 2000 – 1 BvR 1127/96, ZUM 2000, 947. 322 BGH Urt. v. 05. 12. 1995 – VI ZR 332/94, NJW 1996, 984. 318
146
C. Der immaterielle Schadensersatz
der Prävention durch die Verpflichtung zur Entschädigung eine Gewinnabschöpfung erfolgen kann.323 Dem wird entgegengesetzt, dass es keiner zusätzlichen Funktion bedürfe, um die fehlende Messbarkeit des immateriellen Schadens zu überwinden. Bei der Bemessung seien vielmehr besondere Umstände zu berücksichtigen, die die Ausgleichsfunktion ergänzen.324 Die Genugtuungs- und Präventionsfunktion könnten aber gerade die Berücksichtigung subjektiver Umstände rechtfertigen.325 d) Die Bestimmung des immateriellen Schadens bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung Trotz Anerkennung eines Entschädigungsanspruchs bei Verletzung eines Persönlichkeitsrechts ist fraglich, worin der immaterielle Schaden besteht. Der BGH äußert sich nicht dazu, wie konkret die Anforderungen an einen solchen aus der Persönlichkeitsrechtsverletzung resultierenden immateriellen Schaden sind.326 Anders als bei der Feststellung einer Rechtsgutsverletzung gem. § 253 Abs. 2 BGB besteht bei der Entschädigung aufgrund einer Persönlichkeitsrechtsverletzung bereits die erste Hürde darin, die Beeinträchtigung der Persönlichkeit als Rechtsgutsverletzung festzustellen. Hinzu kommen die Nachweisschwierigkeiten für einen immateriellen Schaden, wie z. B. der Nachweis über eine Ansehensminderung.327 An den Nachweis seien deshalb geringe Anforderungen zu stellen.328 Wegen § 287 ZPO genüge der Nachweis, dass die Handlung geeignet war, eine Beeinträchtigung herbeizuführen.329 Dem ist aber entgegenzuhalten, dass die Bemessung der Entschädigung zumindest auch von der Bestimmung des Schadens abhängt.330 Nicht überzeugend ist jedenfalls die Gleichstellung von Rechtsgutsverletzung und Schaden.331 Wie bereits dargestellt, soll neben der Rechtsgutsverletzung auch der eingetretene immaterielle Schaden Orientierung für die Bemessung der Entschädigung 323
BVerfG Beschl. v. 08. 03. 2000 – 1 BvR 1127/96, ZUM 2000, 947. Stoll, Haftungsfolgen, S. 203, der schon die Genugtuungsfunktion für nicht erforderlich hält; Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 99. 325 Dreier, Kompensation und Prävention, S. 95; Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 99. 326 Betont werden nur die Genugtuungsfunktion und die Umstände des Einzelfalls, vgl. BGH Urt. v. 19. 09. 1961 – VI ZR 259/60, NJW 1961, 2059; BGH Urt. v. 17. 03. 1970 – VI ZR 151/68, NJW 1970, 1077; ebenso vgl. Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 58 f. 327 Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 59, 61, es könne nur durch das „Auslösen geistiger Prozesse“ auf die Persönlichkeit eingewirkt werden. 328 Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 59. 329 Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 60. 330 Zum immateriellen Schaden als Bezugspunkt für Bemessungskriterien vgl. Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 72 ff. 331 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 53 f.; Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 61 f. 324
III. Überblick über das System des immateriellen Schadensersatzes
147
geben. Die fehlende Bestimmung der konkret eingetretenen Beeinträchtigung der Persönlichkeit würde zudem dazu führen, dass die Ausgleichsfunktion nicht nur einschränkend, sondern gar nicht mehr zum Tragen kommen könnte. Es würde gerade an dem auszugleichenden Schaden fehlen, der strafrechtliche Charakter würde erneut in den Vordergrund treten. e) Die Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit als Verletzung des Persönlichkeitsrechts Seit das allgemeine Persönlichkeitsrecht anerkannt ist, können die Rechtsgüter Körper und Gesundheit als „Ausprägung eines umfassenden Persönlichkeitsschutzes“ gesehen werden.332 Der BGH hatte zunächst angenommen, dass einem Geschädigten, der durch seine Verletzungen so erhebliche Schädigungen an Köper und Gesundheit erlitten hat, dass auch die Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit zerstört wurde, kein oder nur ein geminderter Anspruch in Form einer symbolischen Entschädigung zustehen würde.333 Die durch die Entschädigung immaterieller Schäden bezweckte Genugtuung könne der Verletzte nicht empfinden.334 Im Jahr 1992 hat der BGH dann entschieden, dass in solchen Fällen schon durch die Verletzung der freien Entfaltung der Persönlichkeit eine qualifizierte Verletzung vorliegen würde.335 Die aus einer Beeinträchtigung des Körpers oder der Gesundheit resultierenden immateriellen Schäden seien nicht nur körperliche oder seelische Schmerzen, sondern auch die „Einbuße der Persönlichkeit durch den Verlust personaler Qualität“.336 Zu schützen sei die Würde des Menschen als Bestandteil der Persönlichkeit.337 Zunächst bestand die Verletzung dabei aber für den Körper und die Gesundheit des Geschädigten, die zur Wahrnehmungs- und Empfindungsunfähigkeit geführt hat. Die Bejahung eines Anspruchs gem. § 847 BGB a. F. könnte damit auch auf Billigkeitsgesichtspunkten beruhen.338 Für die vorliegende Darstellung ist aber vielmehr entscheidend, dass der BGH damit erneut das zwingende Erfordernis der Genugtuungsfunktion für die Begründung eines Entschädigungsanspruchs wegen eines immateriellen Schadens betont.
332
MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 195. BGH Urt. v.16. 12. 1975 – VI ZR 175/74, NJW 1976, 1147; BGH Urt. v. 22. 06. 1982 – VI ZR 247/80, NJW 1983, 2123. 334 BGH Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74, NJW 1976, 1147. 335 BGH Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91, NJW 1993, 781. 336 BGH Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91, NJW 1993, 781. 337 Deutsch, in: NJW 1993, S. 781 (784). 338 Deutsch, in: NJW 1993, S. 781 (784). 333
148
C. Der immaterielle Schadensersatz
f) Zwischenergebnis Der Ersatz des immateriellen Schadens bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist weder mit der Entschädigung gem. § 253 BGB noch mit dem neuen Hinterbliebenengeld gleichzusetzen. Es bleibt die gemeinsame Rechtsfolge, dass ein immaterieller Schaden zu ersetzen ist. Die Verletzung des Persönlichkeitsrechts stellt aber keine Rechtsgutsverletzung i. S. d. § 253 Abs. 2 BGB dar. Die Gewährung des Hinterbliebenengeldes setzt keine eigene Rechtsgutsverletzung des Anspruchstellers voraus. Die bestehenden Unterschiede zwischen den immateriellen Entschädigungsansprüchen auf haftungsbegründender Ebene lassen Rückschlüsse auf eine unterschiedliche Bemessung der Entschädigungshöhe zu.339 Wenn man sich den Sachverhalt der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung aus dem Jahr 2000 vor Augen hält, erscheint es zunächst schwer nachvollziehbar, dass eine das Ehrgefühl verletzende Handlung eine erheblich höhere Entschädigung zur Folge haben soll als die Entschädigung für Eltern, die durch einen grob fahrlässig verursachten Verkehrsunfall drei Kinder verloren haben. Auf den ersten Blick erscheint es naheliegend, einen auf einer Gesundheitsverletzung beruhenden immateriellen Schaden höher zu bewerten als eine auf Richterrecht beruhende Persönlichkeitsrechtsverletzung. Der BGH und das Bundesverfassungsgericht haben dabei aber das Präventionsziel als ausschlaggebendes Bemessungskriterium aufgrund der Verfolgung kommerzieller Interessen bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts herangezogen. Der Präventionszweck würde bei einer Gesundheitsverletzung aufgrund eines Straßenverkehrsunfalls keine Wirkung erzielen können. Bei der Verletzung des Persönlichkeitsrechts ginge es aber gerade um die „rücksichtslose Zwangskommerzialisierung“.340 Deswegen führe der Präventionsgedanke zu einem Anspruch auf eine höhere Geldentschädigung. Dies könnte im Umkehrschluss bedeuten, dass die Genugtuungsfunktion bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen eine untergeordnete Rolle spielt. Würde man nämlich das Ziel der Genugtuung verfolgen, ließe sich eine unterschiedliche Behandlung der Ehrverletzung und der Gesundheitsverletzung nicht ohne Weiteres rechtfertigen. Die durch das Bundesverfassungsgericht hervorgehobene Bedeutung der Prävention unterstreicht die Einordnung der Persönlichkeitsrechtsverletzung als immaterieller Schadensersatzanspruch sui generis.341 Das Bundesverfassungsgericht folgt mit seiner Entscheidung der Rechtsprechung des BGH, der den Präventionszweck bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen bejaht und führt dazu aus, dass die Ausgleichsfunktion ggf. hinter der Präventionsfunktion zurücktreten müsse.342 Es würde aber zu weit gehen, die Präventionsfunktion wegen
339 340 341 342
Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 73. BGH Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94, GRUR 1995, 224. Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 88. BGH Urt. v. 05. 12. 1995 – VI ZR 332/94, NJW 1996, 984.
III. Überblick über das System des immateriellen Schadensersatzes
149
der Erwägungen zur Persönlichkeitsrechtsverletzung als Funktion im Schadensersatzrecht anzuerkennen.343 Diese Überlegungen zeigen, dass der Straßenverkehrsunfall und die ehrverletzende Handlung aufgrund des unterschiedlichen Haftungsgrundes nicht vergleichbar sind und deshalb der ersten und zweiten Betrachtung die Vergleichsgrundlage fehlt. Unabhängig von der Frage nach der Funktion beider Ansprüche beruht der Anspruch wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung auf verfassungsrechtlicher Grundlage. Der Anspruch aufgrund einer Persönlichkeitsrechtsverletzung als Anspruch sui generis fällt damit aus der Systematik des immateriellen Schadensersatzes gem. § 253 BGB heraus. Dies könnte für das Hinterbliebenengeld ebenfalls gelten. Fest steht, dass schon aufgrund der für die Entschädigung gem. § 253 Abs. 2 BGB nicht zu berücksichtigenden Präventionsfunktion unterschiedliche Kriterien bei der Bemessung der Entschädigung gem. § 253 Abs. 2 BGB und Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG heranzuziehen sind. Dennoch bleibt es bei der schadensersatzrechtlichen Grundlage des Ausgleiches. Auch der Genugtuungsgedanke liegt beiden Entschädigungsansprüchen zugrunde, sodass hier gleiche Kriterien mit unterschiedlicher Gewichtung anzuwenden sind. 7. Reformbestrebungen vor dem 2. SchadÄndG Auch wenn die anfängliche Ablehnung der immateriellen Schäden immer weiter abnahm, blieb genug Raum für Kritik an der Regelung des § 847 BGB a. F.344 Man war sich einig, dass die Bestimmung und der Umfang des immateriellen Schadens nicht bestimmbar seien.345 Diskussions- und Reformbedarf bestanden insbesondere für die Frage, inwiefern der immaterielle Schadensersatzanspruch auch für die Vertrags- und Gefährdungshaftung gelten sollte.346 Die Gefährdungshaftung verfolgt (anders als die Verschuldenshaftung) die gerechte Verteilung von Unglücksschäden.347 Bei der Gefährdungshaftung muss ausnahmsweise derjenige haften, der schon die bloße Gefahr (z. B. Betriebsgefahr) geschaffen hat.348 343
Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 92. Verhandlungen des 45 DJT: Gutachten, Stoll, Bd. I/1, S. 37, nennt den Rechtsschutz durch Ausgleich ideeller Schäden „entmutigend“, es bestünde keine einheitliche Konzeption. 345 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 49. 346 Bollweg, in: 38. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 95 f.; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, S. 565; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 457. 347 Kürschner, in: NZV 1995, S. 6 (7); Makowsky, Der Einfluss von Versicherungsschutz auf die außervertragliche Haftung, S. 21. Zum Begriff der „Unglücksschäden“ bei Gefährdungshaftung: Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, S. 75, „Die Verteilung des Zufallsschadens aus Unglückstatbeständen durch Betriebe, Anlagen, Geräte und Hilfspersonen“. 348 Kürschner, in: NZV 1995, S. 6 (7); Makowsky, Der Einfluss von Versicherungsschutz auf die außervertragliche Haftung, S. 21. 344
150
C. Der immaterielle Schadensersatz
Kontrovers diskutiert wurde dabei die Bedeutung der Genugtuungsfunktion, die bei einer Ausweitung auf die Gefährdungshaftung zurücktreten müsse.349 Für die Anwendbarkeit des immateriellen Ersatzanspruchs auch bei der Verwirklichung einer Haftungsnorm durch Gefährdung, sei die Funktion auf den Ausgleich beschränkt.350 Dies sei aber insofern unproblematisch, als dass die Ausgleichsfunktion zukünftig auch weiter in den Vordergrund rücken solle und z. B. durch die Tierhalterhaftung bereits die Gewährung von immaterieller Entschädigung allein aufgrund der Ausgleichsfunktion gewährt werden würde.351 Im Jahr 1967 wurde schließlich ein Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zu einem Gesetz zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften erarbeitet, nach dem auch bei anderen Gefährdungshaftungen als der Tierhalterhaftung ein Ausgleich immaterieller Interessen möglich sein sollte.352 Zudem sah der Entwurf vor, den durch die Rechtsprechung anerkannten Anspruch auf immaterielle Entschädigung bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts353 gesetzlich aufzunehmen.354 Darüber hinaus stand eine Reduktionsklausel zur Diskussion, nach der das Gericht berechtigt sein sollte eine außergewöhnlich hohe Ersatzpflicht einzuschränken, wenn diese für den Schädiger zu unbilligen Ergebnissen führen würde.355 Laut Entwurf sei dies aber dann nicht möglich, wenn der Schädiger vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat.356 Hierin ist die rechtliche Gestaltung einer Haftungsabstufung je nach Verschuldensgrad zu sehen, die aus Billigkeitsgründen vom Prinzip der Totalreparation abweicht.357 Dies hat Hohloch in seinem Gutachten 1981 für das Bundesjustizministerium ebenfalls aufgegriffen, die Kom-
349 Nach Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 225, 226, könnten auch die einzelnen von der Rechtsprechung herangezogenen Bemessungskriterien bei einer Ausweitung auf die Gefährdungshaftung keine Rolle mehr spielen, da auch diese darauf beruhen würden, dass der Schädiger eine „rechtswidrige und schuldhaft unerlaubte, wenn nicht gar eine vorsätzliche, böswillige, gewissenlose oder strafbare Handlung“ begangen hat; Stoll, in: DAR 1968, S. 303 (304). 350 Kötz, in: VersR 1982, S. 624; Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 226; von Mayenburg, in: VersR 2002, S. 279. Zur Ausgleichsfunktion bei Verkehrsdelikten vgl. OLG Frankfurt Urt. v. 09. 06. 1992 – 27 (14) U 325/90, VersR 1993, 1033; OLG Celle Beschl. v. 23. 01. 2004 – 14 W 51/03, VersR 2005, 91. 351 Bollweg, in: 38. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 96; Kürschner, in: NZV 1995, S. 6 (7). 352 Deutsch, in: JZ 1968, S. 721. 353 Das Persönlichkeitsrecht meint in der vorliegenden Arbeit das durch Richterrecht entwickelte allgemeine Persönlichkeitsrecht. 354 MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 548. 355 MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 548. 356 MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 548. 357 Vgl. insbesondere Finke, Die Minderung der Schadensersatzpflicht in Europa, S. 28, 83 ff.
III. Überblick über das System des immateriellen Schadensersatzes
151
mission des 2. SchadÄndG hatte diese Vorschläge in ihrem Abschlussbericht aber nicht aufgenommen.358 Über die Ausgestaltung des immateriellen Schadensersatzanspruchs bei Gefährdungshaftung herrschte Uneinigkeit. Das fehlende Verschulden sollte bei der Anspruchsgewährung Berücksichtigung finden. Deshalb wurde zum einen gefordert, dass ein Anspruch nur bei erheblichen Personenschäden bestehen soll.359 Sodann könne auf dieser Schwelle aufbauend im Rahmen der Bemessung das Verschulden entsprechend berücksichtigt werden.360 Zum anderen wurde gefordert, dass es für einen immateriellen Ersatzanspruch bei Gefährdungshaftung einer schwerwiegenden und dauerhaften Beschädigung bedürfe.361 Für die Ausweitung der Entschädigung auch im Rahmen der Vertragshaftung wurde vorgebracht, dass dies zumindest bei der im Rahmen der Vertragsausführung eingetretenen Verletzung von Rechtsgütern gem. § 823 Abs. 1 BGB gelten müsste.362 Hier würde lediglich an die Stelle der unerlaubten Handlung die vertragliche Pflichtverletzung treten.363 Der Vertrag würde beide Parteien zu besonderer Sorgfalt verpflichten, sodass eine Pflichtverletzung mit einer Rechtsgutsverletzung als Folge erst recht eine Haftung auslösen müsse.364 Weitaus umstrittener war aber die Frage, inwiefern Entschädigung auch in den Fällen gewährt werden könnte, in denen keines der in § 847 BGB a. F. genannten Rechtsgüter verletzt wurde, sondern lediglich die „Verletzung eines Lebensbereichs.“365 In der Diskussion ging es um Interessen, die als Leistung dem Vertrag zugrunde gelegt wurden. Beispielhaft wurde häufig der Anspruch auf Entschädigung wegen vertanen Urlaubs genannt.366 Dem wurde entgegengehalten, dass die Vertragsparteien eine Vertragsstrafe vereinbaren könnten.367 Zudem wurde eine ausufernde Haftung für immaterielle Schäden befürchtet und der Ausnahmecharakter des § 847 BGB a. F. hervorgehoben.368 Erhebliche Kritik wurde zudem an der fehlenden Regelung zum allgemeinen Persönlichkeitsschutz geäußert.369 Trotz Anerkennung durch die Rechtsprechung wurden Transparenz und die gesetzliche Verankerung aus Rechtsstaatlichkeitsge358 Hohloch, in: Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, S. 375 ff. 359 Bollweg, in: 38. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 96. 360 Bollweg, in: 38. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 98. 361 Dornwald, in: 38. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 107. 362 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 226. 363 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 226. 364 Stoll, Haftungsfolgen, S. 38. 365 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 227; auch „äußerer Lebensgenuss“ bezeichnet, vgl. Braschos, S. 47. 366 Wagner, Das neue Schadensersatzrecht, S. 38. 367 Thüsing, in: VersR 2001, S. 285 (286). 368 Thüsing, in: VersR 2001, S. 285 (288). 369 Verhandlungen des 45 DJT: Gutachten, Stoll, Bd. I/1, S. 40 ff.
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C. Der immaterielle Schadensersatz
sichtspunkten gefordert.370 Die Unterschiedlichkeit der beiden Ansprüche sei hervorzuheben.371 Nicht zuletzt wurde die fehlende Sanktionsmöglichkeit bei unmittelbarer Tötung eines Verletzten durch unerlaubte Handlung kritisch gewürdigt. Formuliert wurde ein sog. Angehörigenschmerzensgeld, wonach Angehörigen von Verletzten oder Getöteten ein eigener immaterieller Schadensersatzanspruch zustehen soll.372 Aufgrund der Zuerkennung der Ersatzansprüche in § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB für nahe Angehörige sei es widersprüchlich keinen immateriellen Schadensersatz vorzusehen.373 Zudem wäre eine Anpassung an die übrigen europäischen Rechtsordnungen geboten, da für die Nichtregelung kein Grund bestünde.374 Kritik wurde auch hinsichtlich der Höhe der bisher zuerkannten Entschädigungsbeträge geäußert.375 Diese seien gerade bei Körperverletzungen im Vergleich zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu niedrig bemessen.376 Es dürfe dabei nicht zu einem Vergleich der Rechtsgüter kommen.377 Der Fokus der Reformbestrebungen lag bis zuletzt auf der Ausdehnung des immateriellen Schadensersatzes auf Ansprüche aufgrund einer Gefährdungshaftung.378 Oft wurde zugleich die Vertragshaftung genannt, ohne dass hier aber genauer differenziert wurde.379 Die Ausweitung der Vertragshaftung hatte insofern nicht die gleiche Relevanz wie die Diskussion um die Gefährdungshaftung, da viele Vertragsverletzungen bereits durch die deliktische Haftung abgedeckt waren.380 8. Ergebnis Die ablehnende Haltung gegenüber der Anerkennung immaterieller Schäden hat im Laufe der Zeit aufgrund der fortschreitenden Kommerzialisierung im Zivilrecht381 370
Verhandlungen des 45 DJT: Gutachten, Stoll, Bd. I/1, S. 1 ff. Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 73. 372 Huber, in: NZV 1998, S. 345 (353); Kadner Graziano, in: ZEuP 1996, S. 135 (153); a. A.: Müller, in: VersR 1995, S. 489; Müller, in: VersR 1998, S. 1181. 373 Staudinger, in: NJW 2006, S. 2433 (2435). 374 Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 462; Kadner Graziano, in: ZEuP 1996, S. 135 (153). 375 Stoll, in: DAR 1968, S. 303 (307); Jaeger, in: VersR 1996, S. 1177. 376 Stoll, in: DAR 1968, S. 303 (307). 377 Stoll, in: DAR 1968, S. 303 (307). 378 Bollweg, in: NZV 2000, S. 185; Deutsch, in: ZRP 2001, S. 351; Kötz, in: VersR 1982, S. 624; Küppersbusch, in: VersR 1982, S. 618; von Mayenburg, in: VersR 2002, S. 278. 379 Deutsch, in: ZRP 2001, S. 351; Freise, in: VersR 2001, S. 539; Karczewski, in: VersR 2001, S. 1070; von Mayenburg, in: VersR 2002, S. 278. 380 von Mayenburg, in: VersR 2002, S. 278. Nähere Ausführungen zur Vertragshaftung vgl. Kap. D. III. 381 Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 685. 371
III. Überblick über das System des immateriellen Schadensersatzes
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abgenommen. Gegenstand der Diskussionen war nicht mehr die Frage ob ein immaterieller Schaden entschädigungsfähig ist, sondern welche immateriellen Schäden unter welchen Voraussetzungen eine Entschädigungspflicht auslösen. Worin ein immaterieller Schaden zu sehen ist stellt dabei nach wie vor die größte Hürde dar. Aufgrund der schwierigen Bestimmung des immateriellen Schadens und der daraus resultierenden Bemessungsschwierigkeiten eines solchen Schadens suchten Rechtsprechung und Literatur einen Weg, geeignete Bemessungsansätze durch die Funktionsbestimmung der Entschädigung immaterieller Schäden zu entwickeln. Es bestand Einigkeit darüber, dass der immaterielle Schaden nach dem Grundsatz des Ausgleiches zu entschädigen ist. Darüber hinaus war aber streitig, inwiefern die Funktion des immateriellen Schadensersatzes ausschließlich anhand des Ausgleichsgedankens zu bestimmen ist, oder ob es zur Feststellung der Höhe der Entschädigung einer Erweiterung des Funktionsverständnisses bedarf. Die Genugtuungsfunktion ist dabei immer wieder diskutiert worden. Daneben standen der Präventionsgedanke und darüber hinausgehende pönale Elemente der immateriellen Entschädigung im Raum. Die durch die Rechtsprechung beständig vertretene Doppelfunktion des immateriellen Schadensersatzes wurde zunehmend kritisiert und die Zurückdrängung der Genugtuungsfunktion gefordert. Das immaterielle Schadensersatzrecht erfuhr eine relevante Ausweitung durch die Anerkennung eines immateriellen Schadens durch die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die nähere Untersuchung des immateriellen Schadens bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen hat gezeigt, dass die Rechtsnatur dieses Entschädigungsanspruchs als Anspruch „sui generis“ auf den ersten Blick Parallelen zum neuen Hinterbliebenengeld aufweisen könnte. Obwohl § 847 BGB a. F. als allgemeiner immaterieller Schadensersatzanspruch galt, wurde der immaterielle Schaden wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung unabhängig vom bestehenden immateriellen Schadensersatzanspruch behandelt. Auch wenn im Rahmen der Persönlichkeitsrechtsverletzung inzwischen eine Entschädigung zu Symbolzwecken abgelehnt wird,382 können die Überlegungen für das Hinterbliebenengeld einbezogen werden. Eine nur symbolische Entschädigung könnte im Rahmen des Hinterbliebenengeldes auf der fehlenden Rechtsgutsverletzung des Anspruchstellers beruhen. Die Urteilsbegründung im Rahmen der Persönlichkeitsrechtsverletzung383 führt hierbei die fehlende Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit an. Dies ist zwar nicht zwingend auf den Anspruchsteller des Hinterbliebenengeldes übertragbar, der in den meisten Fällen Leid für den Verlust empfindet. Der Anspruchsteller hat aber keine Rechtsgutsverletzung erlitten, auf der das Leid beruht.
382
BGH Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91, r+s 1993, 56, wonach es auf die Zerstörung der Persönlichkeit ankomme. 383 BGH Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74, NJW 1976, 1147; BGH Urt. v. 22. 06. 1982 – VI ZR 247/80, NJW 1983, 2123.
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C. Der immaterielle Schadensersatz
Der Bedeutungsgehalt der Genugtuungsfunktion ist schon im Rahmen des immateriellen Schadensersatzanspruchs zweifelhaft. Der Bezug zu strafrechtlichen Elementen ist sichtbar. Neben der umstrittenen Behandlung des immateriellen Schadens ist auch sein Anwendungsbereich Kritik ausgesetzt gewesen: Durch das 2. SchadÄndG und die Einführung des § 253 Abs. 2 BGB wurde der allgemeine Anspruch auf immateriellen Schadensersatz deshalb auch auf die Vertrags- und Gefährdungshaftung ausgeweitet. Ausgehend von der bisherigen Darstellung wird es bei der Auseinandersetzung mit dem 2. SchadÄndG eine wesentliche Rolle spielen, welche Intention der Gesetzgeber hinsichtlich der Funktion des immateriellen Schadens insbesondere in Bezug auf die Genugtuungsfunktion gezeigt hat. Es wird aber bereits deutlich, dass das Hinterbliebenengeld neben den allgemeinen immateriellen Schadensersatzanspruch und die Entschädigung bei Persönlichkeitsverletzung tritt. Anders als bisher stehen nun die fehlende Rechtsgutsverletzung des Anspruchstellers und die Berücksichtigung des Rechtsguts Leben im Fokus.
IV. Das 2. SchadÄndG Nachdem die Reformbestrebungen zunächst keinen Erfolg hatten und auch das Gesetz zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Jahr 1990 lediglich die Streichung des Satzes 2 in § 847 BGB a. F. vorsah, folgte das „Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften“, das am 1. August 2002 in Kraft getreten ist.384 Dadurch wurde die Entschädigung von immateriellen Schäden grundlegend neu geregelt. Ein Anspruch war nun unabhängig vom Haftungsgrund möglich.385 Das 2. SchadÄndG enthielt aber nicht nur Neuerungen im Hinblick auf den Ersatz immaterieller Schäden, das Gesetz sah z. B. auch die Umkehr der Beweislast für den Fehlerbereichsnachweis im Arzneimittelgesetz vor.386 Im Folgenden wird die Darstellung auf die Neuerungen zum immateriellen Schadensersatz beschränkt. 1. Der erste Entwurf zum 2. SchadÄndG aus dem Jahr 1998 Einen ersten Entwurf zu einem Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, wurde im Jahr 1998 gefasst387: 384 BGBl. I S. 2674, Zweites Gesetz zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19. 07. 2002. 385 Ady, Immaterielle Einbußen, S. 96; Wagner, Das neue Schadensersatzrecht, S. 135. 386 Wagner, Das neue Schadensersatzrecht, S. 21. 387 BT-Drs. 13/10435.
IV. Das 2. SchadÄndG
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„(2) Ist in besonderen gesetzlichen Vorschriften vorgesehen, daß ohne Verschulden wegen eines Körper- oder Gesundheitsschadens Schadensersatz zu leisten ist, so kann der Verletzte im Falle einer schwerwiegenden und dauerhaften Beschädigung wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen. Die Vorschriften über den Umfang der Haftung nach diesen Gesetzen bleiben hierdurch unberührt.“
Der erste Entwurf wurde als Reaktion auf das am 3. Juni 1998 in Eschede geschehene ICE-Unglück, bei dem eine Entgleisung zum Tod von 101 Menschen führte, interpretiert.388 Neben einer Modifikation der Schadensberechnung in § 249 BGB und einzelnen Änderungen im Straßenverkehrs- und Arzneimittelrecht sieht der Entwurf Änderungen für den immateriellen Schadensersatz vor.389 Der Anwendungsbereich des immateriellen Schadensersatzes in § 847 BGB a. F., der bisher nur für unerlaubte Handlungen bei Verschulden galt, sollte eine Erweiterung erfahren. Vorgesehen war die Streichung des § 847 BGB a. F.390 und die Verortung der immateriellen Entschädigung im Allgemeinen Teil des Schuldrechts als Absatz 2 in § 253 BGB. Nach dem Entwurf besteht ein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz bei Rechtsgutsverletzungen auch gegenüber demjenigen, der ohne Verschulden wegen Schadensersatzes haften muss. Darüber hinaus enthielt der Entwurf des § 253 Abs. 2 BGB eine Bagatellgrenze. Danach soll immaterieller Schadensersatz bei Verschuldenshaftung nur dann gewährt werden, wenn es sich nicht um einen geringfügigen Schaden handelte. Der Entwurf wurde in der 13. Legislaturperiode nicht weiter verfolgt.391 Für den Ersatz eines immateriellen Schadens bei der Gefährdungshaftung wird in der Entwurfsfassung des § 253 Abs. 2 BGB eine „schwerwiegende und dauerhafte Beschädigung“ gefordert. Dies wird neben dem ökonomischen Hintergrund mit der fehlenden Genugtuungsfunktion im Falle der Gefährdungshaftung begründet.392 Die Genugtuungsfunktion beinhalte neben dem Ausgleich erlittener Schäden die „Aufgabe einer Sanktion für ein regelwidriges vorwerfbares Verhalten“. Ohne Verschuldensvoraussetzung könne diese Funktion nicht erreicht werden.393 Die Dauerhaftigkeit soll eine immaterielle Entschädigung für den Fall ausschließen, dass die Verletzung unmittelbar zum Tod des Verletzten führt. Eine solche ordnet der erste Entwurf für die Verschuldenshaftung nicht an.394 Auch dies wird mit
388 von Mayenburg, in: VersR 2002, S. 278; schon zuvor Anstoß durch die Arzneimittelhaftung und die sog. Contergan-Fälle (vgl. Wagner, in: NJW 2002, S. 2049). 389 Müller, in: ZRP 1998, S. 258. 390 Die Regelung des § 847 Abs. 2 BGB a. F. findet sich seit dem 01. 08. 2002 in § 825 BGB wieder. 391 Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 24. 392 BT-Drs. 13/10435, S. 11. 393 BT-Drs. 13/10435, S. 11. 394 Müller, in: ZRP 1998, S. 258.
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C. Der immaterielle Schadensersatz
der fehlenden Möglichkeit der Genugtuung beim Ausgleich immaterieller Schäden durch Gefährdungshaftung begründet.395 Einig war sich die Literatur insoweit, als dass die Schaffung einer Bagatellgrenze weiteren Spielraum für den Richter schaffen würde.396 Kritisiert wurde die fehlende Ausdehnung des immateriellen Entschädigungsanspruchs auch bei vertraglicher Haftung.397 2. Der zweite Entwurf zum SchadÄndG aus dem Jahr 2001 Die durch die am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Akteure geäußerte Kritik sowie die Kurzfristigkeit der Gesetzesvorlage ließen den ersten Entwurf zum 2. SchadÄndG scheitern.398 Im Dezember 2001 kam es zu einem zweiten Entwurf zum 2. SchadÄndG.399 Bis auf die zunächst aufgenommene Bagatellgrenze entspricht der Entwurf der heutigen Regelung des § 253 Abs. 2 BGB. Nach wenigen Änderungen trat das Gesetz am 1. August 2002 in Kraft.400 Laut Gesetzesentwurf verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, „das Schadensersatzrecht heutigen Verhältnissen und Wertvorstellungen“ anzupassen, was nicht zuletzt auf dem technischen Fortschritt beruhen würde.401 Das BGB würde seit 1900 nahezu unverändert fortbestehen, sodass wesentliche Grundentscheidungen neu überdacht werden müssten. Nach diesem Entwurf sollte durch die Einfügung des Absatzes 2 in § 253 BGB die Haftung für immaterielle Schäden über das verschuldensabhängige Deliktsrecht hinaus auch auf die Vertrags- und Gefährdungshaftung ausgeweitet werden. Anders als im ersten Entwurf aus dem Jahr 1998 betont der Gesetzesentwurf nun, dass der immaterielle Schadensersatz bisher nur für die außervertragliche Verschuldenshaftung gelte. Der zweite Entwurf erweitert den Anwendungsbereich des immateriellen Schadensersatzes deshalb auf die Vertragshaftung. Folgende Einfügung sieht der Entwurf für § 253 BGB a. F. vor: „Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden, wenn 395
BT-Drs. 13/10435, S. 12, 17; Müller, in: ZRP 1998, S. 258 (261) kritisiert diese Differenzierung zwischen Verschuldens- und Gefährdungshaftung und plädiert hinsichtlich der Haftungseinschränkung für eine Formulierung im Sinne der Bagatellschäden, um so zu vermeiden, dass Schockschäden bei der Gefährdungshaftung aufgrund des Kriteriums der Dauerhaftigkeit nicht ausgleichsfähig seien. 396 Huber, in: DAR 2000, S. 20 (28); Müller, in: VersR 1998, S. 1181; von Mayenburg, in: VersR 2002, S. 278; Scheffen, in: ZRP 1999, S. 189. 397 Huber, in: DAR 2000, S. 20 (29). 398 Müller, in: VersR 2003, S. 1. 399 BT-Drs. 14/7752. 400 BGBl. I S. 2680. 401 BT-Drs. 14/7752, S. 11.
IV. Das 2. SchadÄndG
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1. die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt wurde oder 2. der Schaden unter Berücksichtigung seiner Art und Dauer nicht unerheblich ist.“
Für die Gesetze, die eine verschuldensunabhängige Haftung anordnen,402 sieht der Entwurf folgende Einfügung vor: „Wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann nach Maßgabe des § 253 Abs. 2 BGB auch eine billige Entschädigung in Geld verlangt werden.“
Zunächst enthielt § 253 Abs. 2 BGB dabei noch die aus dem ersten Entwurf bekannte Bagatellgrenze, nach der ein immaterieller Ersatzanspruch nur bei vorsätzlicher Haftung oder Schäden, die nach ihrer Art und Dauer nicht geringfügig sind, bestehen sollte. Am 20. März 2002 wurde die Einschränkung in § 253 Abs. 2 BGB durch Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses wieder gestrichen. Dies wurde damit begründet, dass die Richter durch die Voraussetzung einer billigen Entschädigung genügend Entscheidungsspielraum hätten, geringfügige Schäden einzuschränken.403 Nach der Streichung unterlag der Entwurf des § 253 Abs. 2 BGB den gleichen Voraussetzungen wie die außervertragliche Verschuldenshaftung. Laut Begründung trage dies der bezweckten Angleichung an europäische Nachbarrechtsordnungen Rechnung.404 Die Ausweitung auf die Gefährdungshaftung wird im Entwurf im Wesentlichen durch sonst bestehende Haftungslücken begründet. Wichtige Bereiche, wie das Arzneimittelgesetz, das Produkthaftungsgesetz, das Umwelthaftungsgesetz und das Straßenverkehrsgesetz, seien bei der Entschädigung immaterieller Schäden zu berücksichtigen.405 Zudem würde der Gesetzgeber durch die Ausdehnung auf die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung die Bedeutung der Ausgleichsfunktion hervorheben.406 Als Zweckmäßigkeitsgedanke sei zu berücksichtigen, dass die Gefährdungshaftung in weiten Teilen durch die Deliktshaftung überlagert und damit die Funktion der Gefährdungshaftung, die objektive Risikozuweisung, außer Kraft gesetzt werden würde. Die Ausweitung auch auf die Vertragshaftung begründet der Entwurf mit dem Wertungswiderspruch, der bestehen würde, wenn es für den Geschädigten vom Haftungsgrund abhängen würde, ob ein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz besteht.407 Der umfassende Opferschutz stelle das vordergründige Ziel der Haf402 Straßenverkehrsgesetz, Haftpflichtgesetz, Luftverkehrsgesetz, Gentechnikgesetz, Produkthaftungsgesetz, Umwelthaftungsgesetz, Bundesgrenzschutzgesetz, Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, Atomgesetz. 403 Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 25. 404 Vgl. zum „Angehörigenschmerzensgeld“ in anderen europäischen Rechtsordnungen Fn. 61. 405 BT-Drs. 14/7752, S. 14. 406 BT-Drs. 14/7752, S. 15. 407 BT-Drs. 14/7752, S. 14.
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C. Der immaterielle Schadensersatz
tungserweiterung dar. Trotz der Genugtuungsfunktion des immateriellen Schadensersatzes stünde die Ausgleichsfunktion im Vordergrund. Bei der Bemessung der immateriellen Entschädigung im Verschuldensfalle könne die Genugtuungsfunktion im Einzelfall herangezogen werden.408 In Zukunft sei dadurch die ergänzende Anwendung des Deliktsrechts nicht mehr nötig, die Haftung für Behandlungsfehler beispielsweise könnte nun über die vertragliche Haftung abgewickelt werden.409 Der Gesetzesentwurf hat sich laut der Begründung bewusst gegen die Aufnahme des Persönlichkeitsrechts im Rechtsgutskatalog der Neuregelung entschieden. Das Persönlichkeitsrecht und der daraus entstehende Entschädigungsanspruch würden ausdrücklich weiterhin anerkannt. Allerdings würde es sich dabei um ein nicht der immateriellen Schadensersatzregelung entsprechendes Recht handeln, dies ergebe sich aus dem Schutzauftrag aus Artikel 1 und 2 Abs. 1 GG.410 Die Gesetzesbegründung betont hinsichtlich der Höhe der Entschädigung, dass die Angemessenheit der Entschädigung „originäre Aufgabe der Gerichte“ sei.411 3. Die Einführung des § 253 Abs. 2 BGB durch das 2. SchadÄndG Das Zweite Schadensrechtsänderungsgesetz trat am 1. August 2002 in Kraft:412 Eine Vielzahl bereits bestehender Gesetze wurde dabei punktuell verändert.413 Im Fokus stand die Einfügung eines zweiten Absatzes in § 253 BGB a. F.: „(2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.“
§ 253 BGB a. F. ist als Absatz 1 beibehalten worden. Der Entwurf aus 2001 wurde übernommen, allerdings ohne die Einschränkung einer vorsätzlichen Begehung oder eines nicht unerheblichen Schadens. Damit ist die Bagatellschwelle ganz weggefallen. Die speziellen Gesetze, die eine Gefährdungshaftung vorsehen, wurden entsprechend ergänzt: „In diesem Fall kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangt werden.“414
Damit wurde die Möglichkeit des Ersatzes immaterieller Schäden unabhängig vom Haftungsgrund geschaffen, weshalb der Anspruch bei immateriellen Schäden 408 409 410 411 412 413 414
BT-Drs. 14/7752, S. 15. BT-Drs. 14/7752, S. 15. BT-Drs. 14/7752, S. 25. BT-Drs. 14/7752, S. 26. BGBl. I S. 2674. Wagner, Das neue Schadensersatzrecht, S. 5. Vgl. zu den verschiedenen Regelungen Fn. 555.
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von nun an im Allgemeinen Teil des BGB geregelt wurde. § 847 BGB a. F. wurde deshalb gestrichen.
4. Der Einfluss der Neuregelung des § 253 Abs. 2 BGB auf die Funktion des immateriellen Schadensersatzes Der Gesetzgeber bejaht in seinem Gesetzesentwurf ausdrücklich die grundsätzliche Existenz der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion im Hinblick auf einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz.415 Dennoch betont der zweite Gesetzesentwurf, dass die Schaffung einer Entschädigung für immaterielle Schäden bei der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung auf der vorrangigen Ausgleichsfunktion des immateriellen Schadensersatzes beruhe. Die Genugtuungsfunktion könne bei der Verschuldenshaftung im Rahmen der Bemessung der Entschädigung im Einzelfall herangezogen werden. Die Tendenz, der Genugtuungsfunktion so wenig Bedeutung wie möglich beizumessen, kommt auch darin zum Ausdruck, dass der zweite Gesetzesentwurf im Gegensatz zum ersten Gesetzesentwurf auf die „schwerwiegende und dauerhafte Beschädigung“ im Rahmen der Gefährdungshaftung verzichtet hat. Diese sollte laut Begründung des ersten Entwurfs die fehlende Möglichkeit der Verschaffung von Genugtuung bei der Gefährdungshaftung ausgleichen. Der Gesetzgeber bringt durch den zweiten Entwurf zum Ausdruck, dass der Ausgleich als entscheidender Zweck des immateriellen Schadensersatzes angesehen wird, sodass keine besonderen Kriterien für die fehlende Genugtuung vorzusehen sind. Die Zurückdrängung der Genugtuungsfunktion ist auch in der Streichung der Bagatellgrenze erkennbar, die sowohl im ersten Entwurf als auch zu Anfang im zweiten Entwurf enthalten war. Bei dem gleichen Schaden kann es vom Vorsatz des Schädigers abhängen, ob dem Verletzten eine Entschädigung zusteht oder nicht. Gemeint ist damit nicht die haftungsbegründende Voraussetzung des Verschuldens bei Verschuldenshaftung. Vielmehr setzt die Bagatellgrenze eine zusätzliche Berücksichtigung des Verschuldens auf haftungsausfüllender Ebene voraus. Schon auf den ersten Blick scheint hiermit die Bestrafung des vorsätzlich handelnden Täters bezweckt zu sein.416 Auch wenn die Bagatellgrenze insbesondere mit der Verringerung der Kosten für die Versicherten und der Verhinderung einer ausufernden Haftung begründet wird,417 kann die Streichung der Bagatellgrenze zumindest auch als Entscheidung gegen eine Verschuldensabstufung und der damit korrespondierenden „Bestrafung“ des Schädigers gesehen werden. Die Entstehungsgeschichte des 2. SchadÄndG bringt zum Ausdruck, dass nicht mehr zwingend von der bisher anerkannten Doppelfunktion des immateriellen 415 416 417
BT-Drs. 14/7752, S. 14. von Mayenburg, in: VersR 2002, S. 278. BT-Drs. 13/10435; BT-Drs. 14/7752.
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C. Der immaterielle Schadensersatz
Schadensersatzes auszugehen ist.418 Dies würde dafür sprechen, dass seit dem 2. SchadÄndG insbesondere die Schwere und Dauer der immateriellen Beeinträchtigung als objektive Faktoren zu berücksichtigen sind.419 Nicht deutlich wird, ob sich der Gesetzgeber damit bewusst gegen die Existenz der Genugtuungsfunktion aussprechen wollte oder ob dessen Zurückdrängung auf der Erklärungsnot beruhte, dass nun auch bei verschuldensunabhängiger Haftung ein Anspruch auf Entschädigung immaterieller Schäden möglich ist. Wenn die Gesetzesbegründung annimmt, dass zumindest bei der Anspruchshöhe die Genugtuungsfunktion zu berücksichtigen sei, so ist dies doch ein klares Bekenntnis, dass für die Entschädigung gem. § 253 Abs. 2 BGB an dem Einfluss durch Genugtuung weiterhin festgehalten wird. Dafür spricht auch der besonders hervorgehobene Opferschutz, der durch das 2. SchadÄndG verbessert werden sollte. Die grundsätzliche Anerkennung einer Entschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, bei der die hohen Beträge auf dem Genugtuungsgedanken beruhen, zeigt ebenfalls, dass der Gesetzgeber von der Existenz der Genugtuungsfunktion ausgeht.420 Nicht geklärt ist dabei, ob die Entschädigung bei Verschuldenshaftung deshalb grundsätzlich höher ausfallen soll als bei der verschuldensunabhängigen Haftung und damit doch wieder die Frage des Verschuldens über die Höhe der Entschädigung entscheidet. Dies sollte gerade durch die Angleichung der Verschuldens- und Gefährdungshaftung vereinfacht werden.421
5. Reformbestrebungen vs. Umsetzung Viele der geforderten Reformvorschläge wurden durch die Einfügung des neuen Absatzes 2 in § 253 BGB am 19. Juli 2002 umgesetzt. Jahrzehntelang hatten Literaturstimmen gefordert, den Anspruch auf immateriellen Schadensersatz in § 847 BGB a. F. aus dem Deliktsrecht herauszunehmen und ihn auf die Gefährdungs- und Vertragshaftung auszuweiten. Durch die neue Einordnung des Entschädigungsanspruchs in § 253 BGB ist der Gesetzgeber dieser Forderung nachgekommen. Allerdings hat der Gesetzgeber die in der Literatur diskutierten Einschränkungen der Gewährung bei Verwirklichung eines Gefährdungstatbestandes nicht umgesetzt. Trotz der Einschränkungen, die die beiden Gesetzesentwürfe in 1998 und 2001 vorsahen, hat sich der Gesetzgeber gegen eine Unterscheidung zwischen einem Anspruch bei Verschuldens- oder Gefährdungshaftung entschieden. Damit waren sowohl die geforderte Dauerhaftigkeit des Schadens als auch die vorgeschlagene Bagatellschwelle aus der Welt geschafft. 418 419 420 421
Deutsch, in: ZRP 1998, S. 291 (294). von Mayenburg, in: VersR 2002, S. 278; Diederichsen, in: VersR 2005, S. 433. Körner, in: NJW 2000, S. 241 (246). Wagner, in: NJW 2002, S. 2049 (2054).
IV. Das 2. SchadÄndG
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Der geforderten Ausweitung des immateriellen Schadensersatzanspruchs auf die Vertragshaftung ist der Gesetzgeber durch das 2. SchadÄndG nur teilweise nachgekommen. Die neue Regelung in § 253 Abs. 2 BGB erfasst weiterhin nur solche Ansprüche aus vertraglicher Haftung, die auf einer Verletzung der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgüter beruhen. Die Neuerung ist damit von geringer Bedeutung, da in solchen Fällen regelmäßig auch ein Anspruch aus Deliktsrecht vorliegt.422 Zu berücksichtigen ist aber das vermutete Vertretenmüssen gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB, das sich von den Voraussetzungen des Verschuldens gem. § 823 BGB unterscheidet. Auswirkungen kann die Ausdehnung auch auf die Garantiehaftung und die Zurechnung des Gehilfen haben.423 Eine gesetzliche Anordnung eines Anspruchs auf immaterielle Entschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzung hat das 2. SchadÄndG nicht vorgesehen. Dies wurde auch bereits in den Entwürfen aufgrund des besonderen Charakters eines solchen Anspruchs abgelehnt. Der Gesetzgeber behandelt den Anspruch aufgrund einer Persönlichkeitsrechtsverletzung aber als anerkannten Anspruch, der neben dem immateriellen Schadensersatzanspruch steht. Beachtlich ist, dass der Gesetzgeber an der grundsätzlichen, bereits seit 1900 bestehenden Formulierung der Entschädigung von immateriellen Schäden nichts geändert hat. Zu ersetzen ist weiterhin der Schaden, der kein Vermögensschaden ist, als billige Entschädigung in Geld. Trotz langanhaltender, zahlreicher Kritik an der Unbestimmtheit der Regelung des § 847 BGB a. F., blieb es bei der Negativabgrenzung zum Vermögensschaden und bei der Entschädigung, die anhand von Billigkeitsgesichtspunkten zu bemessen ist. Hier wurde durch die Literatur der größte Reformbedarf gesehen. Das zuvor teilweise geforderte Angehörigenschmerzensgeld wurde durch das 2. SchadÄndG nicht eingeführt, die Gesetzesbegründung setzt sich mit einem etwaigen Anspruch auch nicht auseinander. 6. Kritik Das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften hat nicht alle zuvor geäußerten Reformvorschläge aufgegriffen und stieß damit auf Kritik.424 Der Eintritt des Todes blieb weiterhin entschädigungslos und ein sog. Angehörigenschmerzensgeld, wie es zu diesem Zeitpunkt schon in anderen europäischen Rechtsordnungen existierte,425 wurde nicht eingeführt.426 Vorgeschlagen wurde die 422
Wagner, Das neue Schadensersatzrecht, S. 39. Wagner, Das neue Schadensersatzrecht, S. 40. 424 Diederichsen, in: VersR 2005, S. 433; Müller, in: VersR 2003, S. 1; Staudinger, in: NJW 2006, S. 2433 (2435 f.). 425 In unterschiedlichem Umfang wird in folgenden europäischen Rechtsordnungen ein „Angehörigenschmerzensgeld“ gewährt: Belgien, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, 423
162
C. Der immaterielle Schadensersatz
Einfügung eines solchen Anspruchs in § 844 BGB.427 Hier bestehe bereits eine Ausnahme vom Unmittelbarkeitsgrundsatz, sodass einem Angehörigenschmerzensgeld nichts im Wege stünde. Die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als zivilrechtlicher Entschädigungsanspruch ist durch das 2. SchadÄndG ebenfalls nicht aufgegriffen worden.428 Die Entwurfsbegründung des 2. SchadÄndG war übereinstimmend mit dem BVerfG429 der Auffassung, dass der Anspruch bei einer allgemeinen Persönlichkeitsrechtsverletzung verfassungsrechtlichen Ursprungs sei.430 Aufgrund des neuen Anwendungsbereichs des immateriellen Schadensersatzes bei Gefährdungshaftung wurde hinterfragt, inwiefern Haftungsprivilegierungen wie §§ 104, 105 SGB VII im Arbeitsrecht in Bezug auf den immateriellen Schadensersatz Bestand haben könnten.431 7. Zwischenergebnis Das 2. SchadÄndG hat für den Ersatz immaterieller Schäden erstmals eine Änderung bereitgehalten, die angesichts der bereits seit 1900 bestehenden Regelung in § 847 BGB a. F. eine bedeutende Erneuerung darstellt. Die Erweiterung des immateriellen Schadensersatzanspruchs auf die Gefährdungshaftung hatte sich in den davorliegenden Jahren angekündigt und brachte damit keine überraschende Neuerung. Dennoch hat die Erweiterung des Anwendungsbereichs durch das 2. SchadÄndG zu einer steigenden Relevanz der Ersatzfähigkeit von immateriellen Schäden beigetragen. Die vor der 2. SchadÄndG geforderte Einführung eines Angehörigenschmerzensgeldes stand sowohl im Rahmen der Reformvorschläge und der damit verbunKroatien, Luxemburg, Norwegen, Polen, Portugal, Österreich, Schottland, Schweiz, Serbien, Slowenien, Spanien, Schweden, Türkei, Ungarn; vgl. Nachweise in Deutsch, in: ZRP 1998, S. 291; Huber, in: NZV 2012, S. 5 (6); Janssen, in: ZRP 2003, S. 156; Kadner Graziano, Europäisches Deliktsrecht, S. 13, Stand: 2003; Kauert/Mebs/Schmidt, Kausalität: forensische Medizin, S. 257; Koziol, Die Tötung im Schadensersatzrecht, S. 205; Kuhn, in: SVR 2012, S. 288 (289); Odersky, Schmerzensgeld bei Tötung naher Angehöriger, S. 19, 28; Stoll, Haftungsfolgen, S. 360; Wagner, in: JZ 2004, S. 319 (325). 426 Müller, in: VersR 2003, S. 1, die offen lässt, ob dies ein Versäumnis des Gesetzgebers darstellt; so auch Diederichsen, in: VersR 2005, S. 433; kritisch aber Staudinger, in: NJW 2006, S. 2433 (2435 f.). 427 Staudinger, in: NJW 2006, S. 2433 (2436). 428 Vgl. Kritik durch von Mayenburg, in: VersR 2002, S. 278; offen gelassen durch Müller, in: VersR 2003, S. 1. 429 BVerfG Urt. v. 08. 03. 2000 – 1 BVR 1127/96, ZUM 2000, 947. 430 BT-Drs. 14/7752, S. 25; Müller, in: VersR 2003, S. 1. 431 Diederichsen, in: VersR 2005, S. 433.
IV. Das 2. SchadÄndG
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denen Kritik an der bestehenden Regelung zum immateriellen Schadensersatz als auch im Rahmen der Umsetzung des 2. SchadÄndG nicht im Vordergrund. Dies ist aber zumindest auch darauf zurückzuführen, dass andere Reformbestrebungen schon über einen langen Zeitraum als überfällig empfunden wurden und die Auswirkungen des Anwendungsbereichs des immateriellen Schadensersatzes durch die Ausweitung auf die Gefährdungshaftung einen weitaus größeren Einschnitt bedeuteten. Der Gesetzgeber betont im Rahmen des 2. SchadÄndG, dass die Genugtuungsfunktion neben der Ausgleichsfunktion nur eine untergeordnete Rolle spielen soll.432 Damit werden auch die fehlenden Auswirkungen durch die Erweiterung des immateriellen Schadensersatzes auf die Gefährdungshaftung begründet. Zumindest bei der Bemessung der Entschädigung aber müssten sich dadurch Änderungen durch die Zurückdrängung der Genugtuungsfunktion ergeben. Das Verschulden könnte dann nicht mehr als Bemessungskriterium herangezogen werden.433 Die Berücksichtigung des Verschuldens im Rahmen der Gefährdungshaftung würde der angestrebten Vereinfachung zuwiderlaufen, bei Verwirklichung eines Gefährdungstatbestands den verschuldensabhängigen Anspruch nicht mehr prüfen zu müssen.434 Dabei könnte man jedoch auch überlegen, ob Genugtuung nicht auch im Rahmen der Gefährdungshaftung erreicht werden kann.435 Nicht nur die Sanktionierung der Verantwortlichkeit des Schädigers, sondern auch die Befriedigung der als ungerecht empfundenen Schmerzen des Geschädigten auf haftungsausfüllender Ebene kann auf dem über den Ausgleich hinausgehenden Gedanken der Genugtuung beruhen. Die Genugtuung hat zumindest auch die „Stärkung der Moral des Individuums“ zum Ziel, damit bei dem Geschädigten nicht das Empfinden bleibt durch die Rechtsordnung schutzlos dazustehen.436 Dem ist aber entgegen zu halten, dass eine objektivierte Betrachtung im Rahmen eines zu schaffenden Ausgleichs eine der Rechtssicherheit dienende Lösung darstellt. Die objektiven Kriterien, anhand derer die Schwere der Beeinträchtigung festzustellen ist, bleiben dabei aber unbestimmt. Sollte die durch den Gesetzgeber angestrebte Zurückdrängung der Genugtuungsfunktion des immateriellen Schadensersatzanspruchs weiterverfolgt werden, sind die bei der Bemessung heranzuziehenden Kriterien grundsätzlich neu zu überdenken. Zunächst hat der Gesetzgeber durch das 2. SchadÄndG aber zum Ausdruck gebracht, dass er die Genugtuungsfunktion grundsätzlich weiter anerkennt.
432
BT-Drs. 14/7752, S. 15. Anders Wagner, Das neue Schadensersatzrecht, S. 37 f., der die Berücksichtigung von Vorsatz damit begründet, dass sich ein Delikt für den Schädiger nicht lohnen dürfe. 434 Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 463; Wagner, Das neue Schadensersatzrecht, S. 36. 435 A. A.: Degenhart, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, S. 91 f. 436 Degenhart, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, S. 44. 433
164
C. Der immaterielle Schadensersatz
V. Ergebnis Der Anspruch auf Entschädigung wegen eines immateriellen Schadens führte schon vor der Entstehung des BGB zu kontroversen Diskussionen. Allerdings fanden diese zunächst im Bereich des Strafrechts im Zusammenhang mit privaten Strafklagen statt. Erst die Einführung des Entschädigungsanspruchs in das BGB im Jahr 1900 hat die grundsätzliche Anerkennung von immateriellen Schäden im Zivilrecht zur Folge gehabt. Der strafrechtliche Ursprung hat immer wieder zu der Überlegung geführt, inwiefern die Entschädigung immaterieller Schäden pönale Elemente enthält, die zumindest im Rahmen der Bemessung der Entschädigung zu berücksichtigen sind. Rechtsprechung und Literatur haben sich aber weitestgehend von Elementen der Strafe im Zivilrecht distanziert. Wie der immaterielle Schaden und sein Umfang zu bestimmen sind und welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben können hat sich aus der Regelung in § 847 BGB a. F. nicht ergeben. Umso beachtlicher ist es, dass die grundlegende Reform des immateriellen Schadensersatzes im Jahr 2002 durch das 2. SchadÄndG hierzu kaum neue Erkenntnisse geliefert hat. Der immaterielle Schaden, sein Umfang und die daraus resultierende Entschädigung sind weitestgehend durch die Rechtsprechung entwickelt worden. Sowohl die Regelung des § 847 BGB a. F. als auch § 253 Abs. 2 BGB enthalten durch die Gewährung einer „billigen“ Entschädigung einen unbestimmten Rechtsbegriff, der das Einfallstor für einzelfallabhängige Erwägungen darstellt. Dies hat letztendlich dazu geführt, dass die Ermittlung der Entschädigung nicht den Grundsätzen des materiellen Schadens gefolgt ist. Sowohl der Ersatz des materiellen Schadens als auch der des immateriellen Schadens ersetzen zwar im Sinne des Ausgleiches den eingetretenen Schaden. Bei immateriellen Schäden ist der Ausgleich in Geld aber kaum möglich. Aufgrund der schwierigen Bestimmung des immateriellen Schadens hat die Rechtsprechung als Legitimationsgrundlage für Billigkeitserwägungen die Genugtuungsfunktion entwickelt. Bis heute wird an dem Genugtuungsgedanken allerdings Kritik geübt und die Bemessung der Entschädigung anhand objektiver Kriterien gefordert. Die Gesetzesbegründung zum Anspruch auf Hinterbliebenengeld stützt den Sinn und Zweck der Norm neben dem Ausgleichsgedanken auch auf die „Anerkennung“ seelischen Leids, worin jedenfalls auch der Genugtuungsgedanke enthalten sein kann. Die Bedeutung der Genugtuungsfunktion im Rahmen der Entschädigungsansprüche gem. § 253 Abs. 2 BGB und Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ist daher von besonderer Bedeutung für die kritische Überprüfung der Funktion des Hinterbliebenengeldes. Der Gesetzgeber hat der Genugtuungsfunktion durch das 2. SchadÄndG wenig Bedeutung beigemessen. Weil die Entschädigung von Persönlichkeitsrechtsverlet-
V. Ergebnis
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zungen im Rahmen des 2. SchadÄndG außen vorgelassen wurde, sah der Gesetzgeber nur einen schmalen Anwendungsbereich für die Genugtuungsfunktion. Der Genugtuungsgedanke soll bei einem Anspruch wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung eine größere Bedeutung haben als beim Anspruch auf immateriellen Schadensersatz. Aus diesem Grund wurde die Entschädigung immaterieller Schäden wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung in die vorliegende Darstellung mit einbezogen. Wenn die Genugtuungsfunktion als Begründung dafür herangezogen wird, dass eine Entschädigung für immaterielle Interessen bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht vererbbar sein soll, ist es möglich, dass diese Begründung auch im Rahmen des neuen Hinterbliebenengeldes heranzuziehen ist.437 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Gesetzesbegründung die Höchstpersönlichkeit des Hinterbliebenengeldanspruchs verneint und die Vererbbarkeit und Übertragbarkeit des Hinterbliebenengeldes bejaht.438 Neben der Frage, welche Funktion für das Hinterbliebenengeld im Vordergrund steht, bleibt die Frage, welche Erkenntnisse aus dieser Feststellung gewonnen werden können und inwieweit davon die Voraussetzungen der Geltendmachung des Anspruchs abhängen können. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass eine Wiederbelebung und Fortsetzung der Genugtuungsfunktion durch das Hinterbliebenengeld grundsätzlich möglich ist. Eine mögliche Genugtuungsfunktion könnte dann auch Einfluss auf die Bemessung der Entschädigungshöhe haben. Wenn also im Rahmen des Entschädigungsanspruchs aus Art. 1 und Art. 2 GG auf die besondere Bedeutung der Genugtuungsfunktion abgestellt wird, stellt sich weiterhin die Frage, ob auch das neue Hinterbliebenengeld als ein Anspruch sui generis verstanden werden kann. Die Rechtsprechung hat die Art des Anspruchs als Begründung dafür herangezogen, dass eine deutlich höhere Entschädigung gewährt werden könnte. Denkbar ist zwar, dass das Persönlichkeitsrecht des Hinterbliebenen für einen Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB von Bedeutung ist.439 Der durch die Rechtsprechung entwickelte Anspruch wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung bleibt hiervon aber unberührt. Dennoch können einzelne Erwägungen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht für das neue Hinterbliebenengeld relevant sein. Unabhängig von der Gesetzesbegründung zeigt die Darstellung des immateriellen Entschädigungsanspruchs aus § 253 BGB zunächst, dass das neue Hinterbliebenengeld an den immateriellen Schadensersatz aus § 253 Abs. 2 BGB angelehnt 437
Bredemeyer, in: ZEV 2017, S. 690 (693); Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (413), die eine Vererbbarkeit und Übertragbarkeit des Hinterbliebenengeldanspruchs mit dieser Begründung ablehnen. 438 BT-Drs. 18/11397, S. 13. 439 Vgl. hierzu Kap. D. I.
166
C. Der immaterielle Schadensersatz
worden ist. Dies ist naheliegend, da auch das Hinterbliebenengeld einen zivilrechtlichen Ersatzanspruch aufgrund eines immateriellen Schadens beinhaltet. Sowohl vor als auch nach der Reform im Jahr 2000 blieb es bei dem Ausnahmecharakter des Entschädigungsanspruchs in § 253 Abs. 2 BGB mit restriktivem Anwendungsbereich.440 § 253 Abs. 2 BGB ist abhängig von der Verwirklichung eines haftungsbegründenden Tatbestands und stellt damit keine eigene Anspruchsgrundlage dar.441 Auch wenn in dem durch § 844 Abs. 3 BGB geforderten seelischen Leid ein immaterieller Schaden zu sehen ist, sagt dies noch nichts über die Rechtsnatur des Anspruchs aus. Trotz eines immateriellen Schadens muss § 844 Abs. 3 BGB keinen immateriellen Schadensersatzanspruch i. S. d. § 253 Abs. 2 BGB darstellen, mit der möglichen Konsequenz, dass die für § 253 Abs. 2 BGB geltenden Bemessungskriterien nicht auf das Hinterbliebenengeld übertragbar sind.442 Dass die Bestimmung des immateriellen Schadens sowohl durch Rechtsprechung als auch Literatur kaum Beachtung findet, kann für die vorliegende Arbeit dahinstehen. Durch die Einführung des neuen Hinterbliebenengeldes ist gesetzlich bestimmt, dass eine Entschädigung für erlittenes Leid gewährt wird. Es ist daher nicht Gegenstand der Arbeit, inwiefern ein Gefühlsschaden tatsächlich ein geeigneter immaterieller Schaden sein kann. Zumindest wird es im Rahmen des neuen Hinterbliebenengeldes aber darauf ankommen, ob der Umfang des Schadens, hier des erlittenen Leids, die Bemessung der Entschädigung beeinflussen kann.
440 441 442
BeckOK BGB/Spindler, BGB § 253 Vor Rn. 1. MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 16; BeckOK BGB/Spindler, BGB § 253 Rn. 7. Hierauf wird in Kap. E. III. 2. näher eingegangen.
D. Das neue Hinterbliebenengeld vor dem Hintergrund des immateriellen Schadensersatzes Zur Konkretisierung der Voraussetzungen des neuen Anspruchs auf Hinterbliebenengeld kommt die Heranziehung der Voraussetzungen des Anspruchs auf Entschädigung für immaterielle Schäden gem. § 253 Abs. 2 BGB in Betracht. Ebenfalls denkbar ist die Anknüpfung an die durch die Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen eines Anspruchs bei Persönlichkeitsverletzung. Hierfür muss aber zunächst überprüft werden, inwiefern das neue Hinterbliebenengeld mit den bereits bestehenden Ansprüchen vergleichbar ist. Auch wenn das Hinterbliebenengeld eine eigene Anspruchsgrundlage darstellt, gewährt § 844 Abs. 3 BGB ebenfalls Ersatz für einen eingetretenen immateriellen Schaden. Vor diesem Hintergrund kann eine Gegenüberstellung des immateriellen Schadensersatzes und des Hinterbliebenengeldes angezeigt sein. Dabei ist der Wille des Gesetzgebers, der insbesondere durch das 2. SchadÄndG zum Ausdruck gekommen ist, zu berücksichtigen.
I. Die Rechtsnatur des Hinterbliebenengeldes unter Berücksichtigung des immateriellen Schadensersatzes Möglicherweise lässt sich die Frage nach der Rechtsnatur des Hinterbliebenengeldes durch eine Gegenüberstellung mit dem immateriellen Schadensersatz gem. § 253 Abs. 2 BGB beantworten. Die Rechtsnatur meint hierbei die Anspruchsqualität und die systematische Stellung des Hinterbliebenengeldes im BGB. Das Hinterbliebenengeld ist in das Deliktsrecht integriert worden und nicht in die haftungsausfüllenden Normen der §§ 249 ff. BGB. Auch wenn dies nicht zwingend aus systematischen Gründen erfolgt sein muss, sondern schlichtweg eine pragmatische Entscheidung des Gesetzgebers gewesen sein kann, enthält das Hinterbliebenengeld Neuerungen, die weder in das Deliktsrecht noch in das Schadensrecht der §§ 249 ff. BGB passen. Dies könnte dafür sprechen, dass es sich bei dem immateriellen Schadensersatz gem. § 253 Abs. 2 BGB und dem Hinterbliebenengeld um voneinander unabhängige Anspruchsgrundlagen mit unterschiedlichen Voraussetzungen handelt. Weil sich der Gesetzgeber aber in den letzten 100 Jahren gerade mit der Ersatzfähigkeit von immateriellen Schäden schwer getan hat, ist das Hinterbliebenengeld vor dem Hintergrund der bisher entwickelten Grundsätze zu immateriellen Schäden zu beleuchten. Dies kann zu dem Ergebnis führen, dass das Hinterbliebe-
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
nengeld eigenen Grundsätzen folgt, die eine Abgrenzung von der Entschädigung immaterieller Schäden im Sinne des § 253 Abs. 2 BGB erforderlich machen. 1. Das Hinterbliebenengeld als eigenständige Anspruchsgrundlage Anders als der immaterielle Schadensersatzanspruch gem. § 253 Abs. 2 BGB könnte das Hinterbliebenengeld als eigenständige Anspruchsgrundlage zu qualifizieren sein. Denn § 253 Abs. 2 BGB stellt für sich genommen keine Anspruchsgrundlage dar.1 Es fehlt der Haftungsgrund. Durch den Haftungsgrund wird der Anspruch des Berechtigten begründet.2 Die §§ 249 ff. BGB bestimmen den Umfang der Schadensersatzpflicht ohne dass die Haftung an sich durch die Normen begründet wird.3 Nur wenn der Tatbestand einer haftungsbegründenden Norm verwirklicht worden ist und dabei eines der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgüter verletzt wurde, besteht auch ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens.4 Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 253 Abs. 2 BGB, der eine bestehende Verpflichtung zum Schadensersatz voraussetzt.5 Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB ordnet ebenfalls die Ersatzfähigkeit eines immateriellen Schadens an. Denkbar ist deshalb, in dem Hinterbliebenengeld einen weiteren immateriellen Schadensersatzanspruch im Sinne des § 253 Abs. 2 BGB zu sehen.6 Anders als bei § 253 Abs. 2 BGB handelt es sich bei § 844 Abs. 3 BGB aber nicht um eine haftungsausfüllende Norm: § 844 Abs. 3 BGB setzt zwar die Schadensersatzpflicht des Schädigers gegenüber dem Geschädigten voraus. Die Rechtsfolge von § 844 Abs. 3 BGB knüpft aber nicht an den haftungsbegründenden Tatbestand zwischen Schädiger und Geschädigtem an. Das Bestehen einer Ersatzpflicht für den Schädiger gegenüber dem Primärverletzten stellt nur eine haftungsbegründende Voraussetzung des Anspruchs aus § 844 Abs. 3 BGB dar.7 Neben der Ersatzpflicht setzt der haftungsbegründende Tatbestand des § 844 Abs. 3 BGB ein besonderes persönliches Näheverhältnis zwischen Primärverletztem und dem Hinterbliebenen als Anspruchsberechtigter voraus. Ist der 1
Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 10 f., der § 253 Abs. 2 BGB als „Schadensposten“ bezeichnet; MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 15; Schulze/Schulze, § 253 BGB Rn. 13. 2 Gebauer, Hypothetische Kausalität und Haftungsgrund, S. 12, der sich aber mit der über die Anspruchsgrundlage hinausgehenden Bedeutung des Haftungsgrundes auseinandersetzt; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 218, S. 9. 3 MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 1; Rohde, Haftung und Kompensation bei Straßenverkehrsunfällen, S. 153; Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 25. 4 Staudinger/Schiemann, 2017, § 253 BGB Rn. 20 f. 5 MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 16. 6 Balke, in: SVR 2018, S. 207 (208): Das Hinterbliebenengeld sei ausdrücklich kein Anspruch „sui generis“, vgl. Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (413); Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2642). Das Hinterbliebenengeld als Schadensersatz ablehnend: Schwab, in: DAR 2018, S. 284 (285). 7 Vgl. dazu in Kap. B. IV. 1. a) cc).
I. Die Rechtsnatur des Hinterbliebenengeldes
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haftungsbegründende Tatbestand erfüllt, ist der Anspruch des Hinterbliebenen als Dritter, der keine eigene Rechtsgutsverletzung erlitten hat, begründet. Das Bestehen einer Ersatzpflicht allein begründet keine Anspruchsberechtigung des Dritten, sodass eine in § 844 Abs. 3 BGB nur geregelte Rechtsfolge8 in Verbindung mit der Ersatzpflicht gegenüber dem Getöteten keinen Anspruch des Hinterbliebenen begründen könnte. Der Haftungsgrund des Hinterbliebenengeldes beruht auf der Tötung des Primärverletzten und dem Näheverhältnis zwischen Primärverletztem und Anspruchsteller. Anders als bei § 253 Abs. 2 BGB setzt sich § 844 Abs. 3 BGB deshalb aus einem eigenen haftungsbegründenden sowie haftungsausfüllenden Tatbestand zusammen. § 253 Abs. 2 BGB ordnet für eine selbstständige Anspruchsgrundlage, die einen materiellen Schaden ersetzt, den Ersatz auch des immateriellen Schadens an. § 844 Abs. 3 BGB hingegen ordnet den Ersatz des immateriellen Schadens gegenüber einem Dritten an, dem ohne die Anordnung in § 844 Abs. 3 BGB kein Anspruch zustehen würde. Zwar bestehen die weiteren möglichen Ansprüche des Hinterbliebenen aus § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB auf Ersatz eines materiellen Schadens, diese bestehen aber jeweils unabhängig voneinander, sodass für einen Anspruch aus § 844 Abs. 3 BGB kein Anspruch gem. § 844 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB vorliegen muss. Gleiches gilt bereits für § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB, bei denen es sich um originäre und selbstständige Anspruchsgrundlagen handelt.9 § 844 BGB bewirkt ausnahmsweise eine Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten.10 Diese Ausnahme war bis zur Einführung des § 844 Abs. 3 BGB auf den Ersatz von Vermögensschäden begrenzt. Durch das neue Hinterbliebenengeld können Hinterbliebene als Dritte ausnahmsweise auch einen immateriellen Schaden bei bestehender Ersatzpflicht zwischen Schädiger und Primärverletztem geltend machen. § 844 Abs. 3 BGB stellt daher eine eigene Anspruchsgrundlage dar. Größere Relevanz hat aber die Frage, inwiefern das Hinterbliebenengeld eine vom Schadensersatzrecht losgelöste Anspruchsnorm darstellt, die sich trotz der Voraussetzung eines immateriellen Schadens nicht in das System des immateriellen Schadensersatzrechts einfügt. Eine Abgrenzung vom immateriellen Schadensersatzrecht gem. § 253 Abs. 2 BGB ist bereits durch die zum Anspruch auf Entschädigung bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung entwickelte Rechtsprechung erfolgt, da auch hier das Ergebnis ein vom immateriellen Schadensersatzanspruch in § 253 Abs. 2 BGB unabhängiger Anspruch sui generis war.11 Hier wurde die Einordnung des Entschädigungsanspruchs in das System des § 253 BGB schon aufgrund der Verletzung des Persönlichkeitsrechts als besonderes, nicht von § 253 Abs. 2 BGB erfasstes 8
Huber, in: FS Schwintowski, S. 942 formuliert „eine von einer Haftungsnorm abgeleitete Anspruchsgrundlage“; so für § 253 Abs. 2 BGB formuliert, vgl. Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 11. 9 Burmann/Jahnke, in: NZV 2012, S. 11 (12); Schulze/Staudinger, § 844 BGB Rn. 1. 10 Staudinger/Röthel, 2015, § 844 BGB Rn. 3. 11 BGH Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94, GRUR 1995, 224.
170
D. Das neue Hinterbliebenengeld
Rechtsgut verneint, sodass eine Abgrenzung zu § 253 Abs. 2 BGB bei fehlender Rechtsgutsverletzung des Anspruchstellers gem. § 844 Abs. 3 BGB naheliegend erscheint. Neben der eigenen Anspruchsqualität die das Hinterbliebenengeld aufweist, ist die fehlende Rechtsgutsbezogenheit der Hinterbliebenenentschädigung als entscheidende Diskrepanz zwischen § 253 Abs. 2 BGB und § 844 Abs. 3 BGB zu sehen. Der haftungsbegründende Tatbestand des § 844 Abs. 3 BGB setzt zwar den Tod des Primärverletzten voraus. Eine eigene Rechtsgutsverletzung des Hinterbliebenen als gem. § 844 Abs. 3 BGB anspruchsberechtigte Person wird aber nicht vorausgesetzt. Aufgrund der fehlenden Rechtsgutsverletzung beim Anspruchsteller enthält § 844 Abs. 3 BGB die Indikation seelischen Leids. Durch die konkrete Bestimmung des immateriellen Schadens als seelisches Leid ist § 844 Abs. 3 BGB auf einen bestimmten Umstand konkretisiert, während § 253 Abs. 2 BGB grundsätzlich jeden ersatzfähigen immateriellen Schaden erfasst. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB ist aus diesen Gründen als eigenständige Anspruchsgrundlage anzuerkennen, die sich trotz möglicher Parallelen nicht in das System des immateriellen Schadensersatzrechts einfügt.12 Für die Konkretisierung der Voraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB ist der immaterielle Schadensersatzanspruch aber dennoch als „Anspruchstyp“13 insoweit zur Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen heranzuziehen, als dass die Unterschiede zwischen beiden Entschädigungsansprüchen dem nicht entgegenstehen. Die Beurteilung als eigenständige Anspruchsgrundlage kann insbesondere in Bezug auf die Höhe der Entschädigung relevant werden. Die Differenzierung zum immateriellen Schadensersatz gem. § 253 Abs. 2 BGB kann einen abweichenden Ermessensspielraum eröffnen. Das Ermessen beim Anspruch auf Ersatz des immateriellen
12 Balke, in: SVR 2018, S. 207 (210); Jaeger, in: VersR 2017, S. 1041 (1048, 1056), wonach das Hinterbliebenengeld eine neue, selbstständige Anspruchsgrundlage darstellen könne, die dann nichts mehr mit dem bisherigen immateriellen Schadensersatz zu tun habe, jedenfalls sei das nicht abwegig. Jaeger bezieht sich auf eine Stellungnahme und einen Zeitungsartikel von dem SPD-Abgeordneten Johannes Fechner, der sich im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens ausdrücklich für die eigenständige Entwicklung des Hinterbliebenengeldanspruchs ausspricht und Beträge zwischen 30.000 und 60.0000 Euro für angemessen hält. Etwas anderes könnte sich aus der Berücksichtigung des Mitverschuldens des Getöteten gem. § 846 BGB ergeben (BT-Drs. 18/11397, S. 18; Huber, in: FS Schwintowski, S. 942), wobei sich dies auch aus einem grundsätzlichen Wertungswiderspruch ergeben kann, dass der Schädiger dem Hinterbliebenen nicht in größerem Umfang als dem Getöten haften dürfe (MüKoBGB/Wagner, § 846 Rn. 1; vgl. auch zu einem Mitverschulden des Hinterbliebenen Huber, in: FS Schwintowski, S. 944; vgl. dazu auch Kap. E. III.); a. A.: Karner, in: Karlsruher Forum 2016, S. 91 f. 13 A. A. Huber/Kadner Graziano/Luckey/Huber, Hinterbliebenengeld, S. 33, der aufgrund der eigenständigen Anspruchsgrundlage des Hinterbliebenengeldes gerade den fehlenden Anspruchstyp problematisiert.
I. Die Rechtsnatur des Hinterbliebenengeldes
171
Schadens ist inzwischen in weiten Teilen durch bestehende Vergleichsrechtsprechung und durch die Orientierung an Schmerzensgeldtabellen „reduziert“.14 Die Abgrenzung der Anspruchsqualität des Hinterbliebenengeldes vom immateriellen Schadensersatz ist bei der Konkretisierung der Voraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB sowie bei der Bemessung der Entschädigungshöhe zu berücksichtigen. 2. Die fehlende Rechtsgutsbezogenheit des Hinterbliebenengeldes Für einen Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden bedarf es grundsätzlich einer Verletzung eines in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsguts.15 Die hiermit verbundene Unmittelbarkeit der Rechtsgutsverletzung wird grundsätzlich auch im Rahmen des Ersatzes materieller Schäden gefordert mit den in §§ 844, 845 BGB normierten Ausnahmen. Danach erhalten Dritte eine Ersatzmöglichkeit für materielle Schäden, obwohl es an einer unmittelbaren Verletzung fehlt. Dies stellt einen der entscheidenden Unterschiede zwischen § 253 Abs. 2 BGB und dem neuen Hinterbliebenengeld dar. Wenn die Voraussetzungen einer Entschädigung gem. § 253 Abs. 2 BGB berücksichtigt werden, ist dies zwingend vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Entschädigungspflicht nur durch unmittelbare Rechtsgutsverletzung ausgelöst werden kann.16 Auf der anderen Seite muss beim Hinterbliebenengeld die fehlende Rechtsgutsverletzung des Anspruchstellers berücksichtigt werden. Trotz der Bestimmungs- und Bemessungsschwierigkeiten bei immateriellen Schäden findet hier eine Ausweitung der Ersatzmöglichkeit auch auf mittelbare Verletzungen statt. Mit Blick auf die Anspruchsvoraussetzungen des Hinterbliebenengeldes kann dies womöglich eine restriktive Auslegung rechtfertigen. Die Bemessung des immateriellen Schadens hängt insbesondere auch von der Art und Schwere der Rechtsgutsverletzung ab.17 Die Rechtsgutsverletzung stellt im Rahmen des immateriellen Schadens bisher einen objektiven Maßstab dar, anhand dessen sich trotz subjektiver Kriterien die Ersatzfähigkeit und auch die Höhe des immateriellen Schadens rechtfertigen lassen. Mit Blick auf den Anspruchsteller fehlt dieser objektive Anhaltspunkt in Form einer unmittelbaren Rechtsgutsverletzung beim Ersatz immaterieller Schäden durch das Hinterbliebenengeld. Der immaterielle Schaden als Gefühlsschaden, der schon seit seiner Anerkennung auf Kritik stößt, lässt sich noch schwieriger erfassen, wenn der Haftungsgrund, auf dem der Ge-
14
Vgl. dazu Kap. C. III. 3. Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, S. 16; zur abschließenden Aufzählung in § 253 Abs. 2 BGB vgl. MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 27 f. 16 Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, S. 16; zur abschließenden Aufzählung in § 253 Abs. 2 BGB vgl. MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 27 f. 17 Rohde, Haftung und Kompensation bei Straßenverkehrsunfällen, S. 212; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 155. 15
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
fühlsschaden18 beruht, fehlt. Bei einem Anspruch auf Hinterbliebenengeld liegt aber jedenfalls die Rechtsgutsverletzung eines Dritten vor.19 3. Zwischenergebnis Das Hinterbliebenengeld stellt eine eigenständige Anspruchsgrundlage dar, die anders als § 253 Abs. 2 BGB als haftungsausfüllende Norm eine eigene, selbstständige Anspruchsgrundlage mit haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Voraussetzungen darstellt. Während der immaterielle Schadensersatzanspruch gem. § 253 Abs. 2 BGB eine eigene Rechtsgutsverletzung des Anspruchstellers voraussetzt, bedarf es für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld keiner eigenen Rechtsgutsverletzung des Hinterbliebenen. Auch wenn die für den immateriellen Schadensersatz geltenden Grundsätze damit nicht uneingeschränkt auf das Hinterbliebenengeld übertragen werden können, ist beiden Anspruchsgrundlagen die Entschädigung eines immateriellen Schadens gemeinsam. Unter Berücksichtigung der eigenen Anspruchsqualität des Hinterbliebenengeldes bedarf es der Klärung, ob die für die Bemessung der immateriellen Entschädigung bei § 253 Abs. 2 BGB entwickelten Kriterien bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes herangezogen werden können.
II. Die Bemessung der Entschädigung des Hinterbliebenengeldes unter Berücksichtigung des immateriellen Schadensersatzes Für den immateriellen Schadensersatz ist bereits die Bedeutung der Funktion für die Bemessung der Entschädigung dargestellt worden. Das Hinterbliebenengeld ersetzt ebenfalls einen inkommensurablen Schaden.20 Der Gesetzesentwurf sieht das seelische Leid des Hinterbliebenen als indiziert an, wenn ein besonderes persönliches Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB bejaht werden kann.21 Dies dient aber allein dem Zweck, dem Hinterbliebenen die Begründung eines Anspruchs zu erleichtern.22 Während bei einem immateriellen Entschädigungsanspruch aufgrund eines Schockschadens schon die Bejahung einer Rechtsgutsverletzung eine Hürde darstellt, ist ein Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB bei einem besonderen persönlichen Näheverhältnis grundsätzlich gegeben.23 Dadurch ist aber noch keine Aussage 18 Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 132; Stiegler, Schmerzengeld für Schock- und Trauerschäden, S. 12; Witzleb, Geldansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen, S. 52. 19 Es wird zu klären sein, inwiefern sich dem Rechtsgut Leben ein objektiver Hinweis entnehmen lässt. 20 Vgl. zum seelischen Leid als Schaden Kap. B. IV. 1. c). 21 BT-Drs. 18/11397, S. 14. 22 Gesetzesentwurf d. Bundesregierung, S. 15 f., Stand: 27. 01. 2017. 23 Steenbuck, in: r+s 2017, S. 449 (451).
II. Die Bemessung der Entschädigung des Hinterbliebenengeldes
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über die Höhe der Entschädigung getroffen, da das seelische Leid nur das Vorliegen eines Schadens begründet. Ein Entschädigungsbetrag ist gesetzlich nicht vorgegeben, § 844 Abs. 3 BGB sieht als Rechtsfolge eine „angemessene Entschädigung in Geld“ vor. Zur Konkretisierung der Bemessung der Hinterbliebenenentschädigung kann es daher angezeigt sein, ebenfalls die Bestimmung einer Funktion anzustreben. Im Fokus steht dabei die Ausgleichsfunktion des Schadensersatzrechts, die unter Umständen auch für die Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung zu sachgerechten Ergebnissen führt. Bevor für das Hinterbliebenengeld überprüft wird, inwiefern die der Genugtuungsfunktion des immateriellen Schadensersatzanspruchs zugrunde gelegten Bemessungskriterien auf das Hinterbliebenengeld übertragbar sind, ist zu überlegen inwiefern dem Hinterbliebenengeld eine Genugtuungsfunktion überhaupt zugesprochen werden kann oder ob der Sinn und Zweck des Hinterbliebenengeldes einschränkend auszulegen ist. Ist eine Genugtuungsfunktion für die Hinterbliebenenentschädigung zu verneinen, muss möglicherweise eine neue Funktion formuliert werden. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass der Tatbestand des § 844 Abs. 3 BGB (anders als bei § 253 Abs. 2 BGB) durch die Anspruchsvoraussetzung des besonderen persönlichen Näheverhältnisses bereits zu berücksichtigende Umstände enthält. Dennoch bedarf die Angemessenheit der Entschädigung gem. § 844 Abs. 3 BGB als unbestimmter Rechtsbegriff24 einer Legitimation.25 1. Die Erforderlichkeit der Funktionsbestimmung Zunächst ist festzustellen, ob es für das Hinterbliebenengeld überhaupt der Bestimmung einer Funktion bedarf. Fraglich ist, inwiefern die Funktionsbestimmung für das Hinterbliebenengeld relevant ist. Wenn das Hinterbliebenengeld doch gerade nicht der Rechtsnatur des immateriellen Schadensersatzes folgt, besteht für eine Funktion womöglich kein Bedarf. Auch wenn zwischen der Funktion auf haftungsbegründender und haftungsausfüllender Ebene zu unterscheiden ist,26 kommt es für das Hinterbliebenengeld insbesondere auf die nähere Bestimmung der Haftungsausfüllung an, da (unabhängig von der Rechtsnatur) ebenfalls Entschädigung für einen immateriellen und damit schwer messbaren Schaden gewährt wird. Während die Funktion im Rahmen der Haftungsbegründung eher den Schutzzweck der Norm betrifft, dient die Bestimmung der Funktion innerhalb der Haftungsausfüllung der Ausgestaltung der Schadens-
24 „Angemessen“ als unbestimmter Rechtsbegriff vgl. Stickelbrock, Richterliches Ermessen im Zivilprozess, S. 249. 25 Vgl. zur Funktion als Legitimationsgrundlage Kap. C. III. 3. b). 26 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 204.
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
bemessung.27 Wie bereits dargestellt, geht es um die Festlegung von Bemessungskriterien, die anhand der Funktion zu bestimmen sind. Gegen das Bedürfnis nach einer konkreten Funktionsbestimmung sprechen zunächst die genannten Voraussetzungen, die für die Gewährung eines Hinterbliebenengeldes vorliegen müssen. Anders als im Rahmen des immateriellen Schadensersatzes gem. § 253 Abs. 2 BGB, liegt durch die Voraussetzung des besonderen persönlichen Näheverhältnisses eine Anspruchsvoraussetzung vor, die bestimmt ist. Allerdings betrifft dies zunächst nur den Haftungsgrund und damit die Haftungsbegründung. Darüber hinaus indiziert § 844 Abs. 3 BGB das Bestehen von seelischem Leid bei Tötung einer nahestehenden Person. Neben dem Haftungsgrund ist damit auch schon der Schaden bestimmt worden. Die Norm sieht aber ein Einfallstor vor: zu gewähren ist eine angemessene Entschädigung, § 844 Abs. 3 S. 1 BGB. Die Höhe der Entschädigung ist damit variabel und hängt von einzelnen Umständen ab. Diese Umstände müssen durch geeignete Bemessungskriterien aufgefangen werden, um so eine transparente und rechtssichere Anwendung der Anspruchsnorm zu gewährleisten. Im Hinblick auf die Inkommensurabilität immaterieller Schäden und aufgrund des unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Entschädigung in § 844 Abs. 3 BGB ist das als Anspruchsvoraussetzung formulierte besondere, persönliche Näheverhältnis als Wertungsgrundlage zu sehen. Das Hinterbliebenengeld hat sich dabei an dem Ziel der Anerkennung der Rechte des Hinterbliebenen zu orientieren.28 2. Die Relevanz der Ausgleichsfunktion für das Hinterbliebenengeld auf haftungsbegründender Ebene (Haftungsgrund) Ziel des Schadensersatzrechts ist grundsätzlich der Ausgleich von Schäden.29 Die Frage nach der Ausgleichsfunktion stellt sich deshalb auch für das Hinterbliebenengeld als eigenständige Anspruchsgrundlage. Nach der Gesetzesbegründung soll das Hinterbliebenengeld grundsätzlich „keinen Ausgleich für den Verlust des Lebens“ darstellen.30 Hiermit hat die Entwurfsbegründung der Ausgleichsfunktion aber nicht insgesamt eine Absage erteilt.31 Die Gesetzesbegründung will zunächst nur klarstellen, dass auch durch die Neuregelung grundsätzlich keine Bewertung des Lebens erfolgen solle. Es stellt sich deshalb die Frage, worauf sich der Ausgleichszweck konkret bezieht. Grundsätzlich wird als 27
Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 205. Vgl. Formulierung zur Funktion der ausgleichenden Gerechtigkeit, Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 584. Schubert sieht die ausgleichende Gerechtigkeit aber als Konkretisierung der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzrechts an. 29 Jaeger, in: VersR 1999, S. 1441; Müller, Punitive Damages, S. 72; MüKoBGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 43. 30 BT-Drs. 18/11397, S. 8. 31 So aber Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (410). 28
II. Die Bemessung der Entschädigung des Hinterbliebenengeldes
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Rechtsfolge eines Schadensersatzanspruchs der Ausgleich des eingetretenen Schadens bezweckt. Damit bestimmt die Ausgleichsfunktion zunächst den Inhalt des Ersatzes.32 Auch für das Hinterbliebenengeld ist auf Rechtsfolgenseite das Ziel im Ausgleich des seelischen Leids zu sehen.33 a) Differenzierung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Funktion Für die Frage, welche Umstände bei der Bestimmung des ersatzfähigen immateriellen Schadens zu berücksichtigen sind, ist auf den normativen Zweck des Haftungsrechts abzustellen.34 Weil das Ausgleichsprinzip nicht dazu führen darf, dass jeder Schaden ersatzfähig ist, entscheidet der Haftungsgrund über die Ausgleichsmöglichkeit eines eingetretenen Schadens.35 Erforderlich ist deshalb grundsätzlich die Differenzierung zwischen der Funktion des Haftungsrechts und der Funktion des Schadensrechts.36 Während die Funktion auf haftungsausfüllender Ebene als Legitimationsgrundlage für die Bemessung der Entschädigung dient, beschränkt der Zweck der Norm als Haftungsgrund die Haftung auf bestimmte auszugleichende Schäden.37 Erst wenn feststeht, ob es sich um einen vom Normzweck erfassten ersatzfähigen Schaden handelt, kann durch den Ausgleichszweck die Entschädigungshöhe bestimmt werden. § 253 Abs. 2 BGB als haftungsausfüllende Norm für den Ersatz immaterieller Schäden gilt für die Schadensersatznormen der Delikts-, Gefährdungsund Vertragshaftung, sodass auf haftungsbegründender Ebene die Verletzung eines Rechtsguts als die immaterielle Entschädigung auslösende Anspruchsvoraussetzung erforderlich ist.38 b) Die Persönlichkeitsrechtsverletzung des Hinterbliebenen als Haftungsgrund In den bisherigen Ausführungen wurde bereits betont, dass der Hinterbliebene als Anspruchsteller des Hinterbliebenengeldanspruchs gem. § 844 Abs. 3 BGB keine eigene Rechtsgutsverletzung erlitten hat. Es ist aber die Überlegung anzustellen, ob in der aufgrund des Verlusts erlittenen Trauer des Hinterbliebenen eine eigene Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gesehen werden kann. Könnte 32
Ehlgen, Probabilistische Proportionalhaftung, S. 70. Jaeger, in: VersR 2017, S. 1041 (1042); Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2645). 34 Jaeger, in: VersR 2017, S. 1041. 35 Ehlgen, Probabilistische Proportionalhaftung, S. 70. 36 Vgl. zur Funktionsunterscheidung Kap. D. II. 37 Ady, Immaterielle Einbußen, S. 93; Diederichsen, in: VersR 2005, S. 433; vgl. zur Bemessung einer Geldentschädigung durch die Genugtuungsfunktion: OLG Stuttgart Urt. v. 12. 12. 2011 – 10 U 106/11, VersR 2012, 329. 38 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 22. 33
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
eine solche Verletzung bejaht werden, würde der Haftungsgrund des Hinterbliebenengeldes jedenfalls auch den Ausgleich der erlittenen Persönlichkeitsrechtsverletzung erfassen. Zudem könnte die Eigenart des Hinterbliebenengeldanspruchs nicht auf die fehlende Rechtsgutsbezogenheit gestützt werden. Hierfür ist zu fragen, inwiefern die durch den Tod der nahe stehenden Person verursachte Trauer das Persönlichkeitsrecht des Hinterbliebenen beeinträchtigt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG tritt neben die Freiheitsrechte wie die Gewissens- oder Meinungsfreiheit und schützt vor Eingriffen in die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen.39 Der Inhalt des geschützten Rechts ist aber durch das BVerfG und den BGH nicht abschließend umschrieben. Als Schutzgüter anerkannt sind die Privat-, Geheim- und Intimsphäre.40 Im Zusammenhang mit erlittener Trauer sind Entscheidungen dazu ergangen, dass Angehörige z. B. von Verbrechensopfern aufgrund ihres Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf die Achtung der eigenen Trauer hätten, die nicht zum Gegenstand öffentlicher Berichterstattung gemacht werden dürfe. Der Angehörige habe das Recht mit seiner Trauer für sich zu bleiben.41 Allerdings liegt den hierzu ergangenen Entscheidungen der Sachverhalt zugrunde, dass die Angehörigen durch die öffentliche Berichterstattung an der persönlichen Trauer gehindert wurden. Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts wird angenommen, weil der Hinterbliebene im Zusammenhang mit der Berichterstattung steht.42 Im Vordergrund steht dabei der Schutz der Privatsphäre. Ein solches Schutzbedürfnis besteht bei der Erzeugung von Trauer durch die Tötung nicht. Die Trauer ist für sich genommen nicht vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfasst.43 Daneben kommt aber der Verlust der zwischenmenschlichen Beziehung zwischen den sich nahe stehenden Personen als vom Persönlichkeitsrecht geschütztes Gut in Betracht. Durch den Verlust der nahe stehenden Person können die eigene Persönlichkeitsentwicklung und auch die geplante Lebensführung berührt sein.44 Hierfür bedürfte es aber der Feststellung, inwiefern die Trauer tatsächlich solche negativen Folgen verursacht hat. Hieran sind hohe Anforderungen zu stellen.45 Ein Anspruch aufgrund einer Persönlichkeitsrechtsverletzung setzt einen schwerwiegenden Eingriff voraus, der regelmäßig mit grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Verhalten 39
BVerfG Beschl. v. 13. 05. 1986 – 1 BvR1542/84, FamRZ 1986, 769; BVerfG Beschl. v. 31. 01. 1989 – 1 BvL 17/87, FamRZ 1989, 255. 40 BVerfG Beschl. v. 03. 06. 1980 – 1 BvR 185/77, VersR 1980, 1154. 41 LG Köln Urt. v. 07. 10. 2009 – 28 O 263/09, ZUM-RD 2010, 565; LG Frankfurt Urt. v. 25. 06. 2013 – 16 S 251/12, NJW-RR 2014, 159. Die Persönlichkeitsrechtsverletzung ablehnend: OLG Hamburg Urt. v. 28. 09. 2004 – 7 U 33/04, ZUM 2005, 168. 42 Schramm, Haftung für Tötung, S. 322; Stiegler, Schmerzengeld für Schock- und Trauerschäden, S. 14. 43 Schramm, Haftung für Tötung, S. 322. 44 Schramm, Haftung für Tötung, S. 323. 45 A. A. Schramm, Haftung für Tötung, S. 323, die auch eine unterhalb des Schockschadens erlittene Trauer als Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts ansieht.
II. Die Bemessung der Entschädigung des Hinterbliebenengeldes
177
einhergeht.46 Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes umfasst dagegen auch fahrlässig verursachte Schadensereignisse, die den Tod des Verletzten zur Folge haben. Würde man eine Persönlichkeitsrechtsverletzung infolge des Verlustes und der Trauer annehmen, würde dies einen eigenen Entschädigungsanspruch gem. Art. 2 i. V. m. Art 1 I GG rechtfertigen, sodass es keiner weiteren Anspruchsgrundlage bedurft hätte. Zudem kann das dem Entschädigungsanspruch bei Persönlichkeitsverletzung zugesprochene Präventionsziel47 bei Entschädigung des Verlustes nicht erreicht werden.48 Etwas anderes wäre nur denkbar, wenn die Entschädigungssummen bei Gewährung eines Hinterbliebenengeldes hoch bemessen werden würden. Auch wenn der Anspruch auf Entschädigung aufgrund einer Persönlichkeitsverletzung allgemein anerkannt ist,49 ist auf den Schutz nur dann zurückzugreifen, wenn keine andere Ausgleichsmöglichkeit besteht.50 Der Subsidiaritätsgrundsatz bezieht sich zwar auf den Entschädigungsanspruch aus Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG. Dieser beruht aber allein auf dem Persönlichkeitsrecht, das durch die Rechtsprechung entwickelt worden ist und aufgrund seinem weiten Anwendungsbereich nur unter strengen Voraussetzungen Schutz gewährt.51 Der Rückgriff auf das Persönlichkeitsrecht im Rahmen des Hinterbliebenengeldes ist abzulehnen, da im Vordergrund der Schutz des Lebens des Primärverletzten steht. Die Tötung eines Menschen durch Verletzung des Rechtsguts Lebens führt erst dazu, dass der Hinterbliebene einen Verlust erleidet, der seelisches Leid hervorruft. Der Hinterbliebene ist durch den Schutz des Lebens ebenfalls mittelbar geschützt.52 Eine durch § 844 Abs. 3 BGB ersatzfähige Persönlichkeitsrechtsverletzung des Hinterbliebenen aufgrund der erlittenen Trauer ist deshalb abzulehnen. c) Der Ausgleich seelischen Leids als Haftungsgrund Weil es an einer eigenen Rechtsgutsverletzung des Anspruchstellers fehlt, stellt sich die Frage, welcher besondere Haftungsgrund dem Hinterbliebenengeld zugrundeliegt. Voraussetzung für die Begründung der Haftung gem. § 844 Abs. 3 BGB 46
BGH Urt. v. 12. 12. 1995 – VI ZR 223/94, NJW 1996, 985; OLG Karlsruhe Urt. v. 07. 04. 2006 – 14 U 134/05, NJW-RR 2006, 987; Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, S. 52; Wendelstein, Kollisionsrechtliche Probleme der Telemedizin, S. 90. 47 BGH Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94, NJW 1995, 861; BGH Urt. v. 17. 12. 2013 – VI ZR 211/12, NJW 2014, 2029; MüKoBGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 46. 48 Schramm, Haftung für Tötung, S. 335. 49 BGH Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56, NJW 1958, 827; BVerfG Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65, VersR 1973, 1132. 50 Wendelstein, Kollisionsrechtliche Probleme der Telemedizin, S. 90. 51 Wendelstein, Kollisionsrechtliche Probleme der Telemedizin, S. 90. 52 Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 231; Schramm, Haftung für Tötung, S. 335.
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
ist zwar der Eintritt des Todes der nahen stehenden Person. Der Getötete ist aber mit Eintritt des Todes kein möglicher Rechtsgutsinhaber mehr, sodass ein unmittelbar auf der Lebensverletzung beruhender Anspruch nicht in Betracht kommt.53 Denkbar ist die Ausweitung der Ausgleichsfunktion auch auf den Normzweck mit der Folge, dass ein Haftungsgrund nicht konstruiert werden muss. Hierfür spricht die fehlende Rechtsgutsbezogenheit als Anknüpfungspunkt, sodass der Ausgleich seelischen Leids als zentrale Funktion der Hinterbliebenengeldnorm gesehen werden könnte. Das Schadensersatzrecht bejaht auch für die haftungsbegründenden Normen die Funktion des Ausgleichs der erlittenen Nachteile.54 Dies führt dazu, dass nicht nur auf die Dauer und Intensität des Schadens und damit auf das Ausmaß des Leidens abgestellt wird, sondern auch auf die Schwere und Intensität der Rechtsgutsverletzung.55 Andererseits wird das Ziel des Ausgleichs der am Rechtsgut Leben eingetretenen Verletzung nicht gerecht.56 Der Fokus auf das seelische Leid hätte zudem zur Folge, dass eine objektive Bewertung des seelischen Leids als Schaden dem Normzweck des Hinterbliebenengeldes nicht genügend Rechnung tragen würde.57 Der haftungsbegründende und haftungsausfüllende Tatbestand des § 844 Abs. 3 BGB haben das Näheverhältnis als objektiven Maßstab zu berücksichtigen. Nur wenn der Normzweck bei der mittelbaren Berücksichtigung des Lebensschutzes durch die Gewährung eines Anspruchs für Hinterbliebene ansetzt, ist eine objektive Betrachtung des Schadens möglich. Würde das seelische Leid im Vordergrund stehen, käme es primär auf die psychische Verfassung des Hinterbliebenen an.58 Dies würde zugleich eine genaue Bemessung des seelischen Gefühlsschadens erforderlich machen. d) Die Relevanz des durch § 823 BGB geschützten Rechtsguts Leben Grundsätzlich wird durch § 823 Abs. 1 BGB im Deliktsrecht das Rechtsgut Leben geschützt.
53 Schramm, Haftung für Tötung, S. 22; Wolf, Bereicherungsausgleich bei Eingriffen in höchstpersönliche Rechtsgüter, S. 395. 54 MüKoBGB/Oetker, § 249 Rn. 8. 55 BGH Urt. v. 15. 01. 1991 – VI ZR 163/90, NZV 1991, 150; BGH Urt. v. 12. 05. 1998 – VI ZR 182-97, NJW 1998, 2741; OLG Naumburg Beschl. v. 07. 03. 2005 – 12 W 118/04, NZV 2005, 530. Zur Ausgleichsfunktion des immateriellen Schadensersatzrechts vgl. Kap. C. III. 56 So allgemein formuliert Schramm, Haftung für Tötung, S. 257. 57 Vgl. zu der hier vertretenen Auffassung einer objektiven Bewertung des Schadens, Kap. E. III. 58 Schramm, Haftung für Tötung, S. 319.
II. Die Bemessung der Entschädigung des Hinterbliebenengeldes
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So besteht ein Unterlassungsanspruch gem. §§ 823, 1004 BGB sowie die Möglichkeit der Notwehr zur Verteidigung des Lebens.59 Dem Rechtsgutsinhaber steht jedoch kein Anspruch auf Schadensersatz zu, ihm fehlt es ab dem Zeitpunkt der Tötung an der erforderlichen Rechtsfähigkeit. Aufgrund der Tötung kommt der Anspruch erst gar nicht zustande, sodass ein solcher Anspruch auch nicht vererbt werden kann.60 Dies hat der BGH dadurch zum Ausdruck gebracht, dass der Erbe in engen Grenzen einen Anspruch des später Verstorbenen auf immateriellen Schadensersatz aufgrund einer Körperverletzung geltend machen kann, wenn diese von der Beeinträchtigung durch den Tod abgrenzbar ist.61 In diesem Fall käme ein Anspruch gem. § 823 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB wegen einer schuldhaft verursachten Körperverletzung in Betracht. Ersatzfähig sind die aus der Körperverletzung resultierenden Schäden, dessen Geltendmachung durch den Erben möglich ist. Voraussetzung ist, dass der Anspruch bis zum Zeitpunkt des Todes entstanden ist. Seit 1990 gehört dazu auch der immaterielle Schaden. Ein solcher „Anspruch des Getöteten“ wird aber gerade nicht aufgrund der Verletzung seines Rechtsguts Leben, sondern aufgrund der Verletzung von Körper und Gesundheit begründet. Tritt der Tod des Verletzten unmittelbar ein, fehlt es an der Person, für die der Anspruch entstehen kann. Zudem regelt § 253 Abs. 2 BGB nicht die Ersatzfähigkeit von immateriellen Schäden aufgrund der Verletzung des Lebens. Im Deliktsrecht spielt das Rechtsgut Leben damit eine untergeordnete Rolle.62 Auch wenn für die Lebensverletzung selbst kein Ausgleich möglich ist, kommt die Kompensation der aus der Lebensverletzung resultierenden Nachteile in Betracht. Fraglich ist deshalb, ob der neue Anspruch auf Hinterbliebenengeld nicht zumindest auch den Ausgleich der Lebensverletzung bezwecken will. Der Verlust des Lebens ist zwar grundsätzlich nicht ausgleichsfähig, da der Wert des menschlichen Lebens nicht in Geld messbar ist.63 Es kommt aber ein mittelbarer Lebensschutz64 durch die Anerkennung der Beendigung des Näheverhältnisses in Betracht. Nur dann, wenn ein Näheverhältnis vor Eintritt des Todes begründet worden ist, kommt ein Ausgleich des Schadens in Form von seelischem Leid in Betracht. Der Zweck lässt sich als mittelbarer Lebensschutz oder als Anerkennung des beendeten Näheverhältnisses umschreiben. Dies könnte aber zu dem Ergebnis führen, dass die Entschädigung für die Hinterbliebenen besonders hoch ausfallen müsste, weil diese mittelbar als Ausgleich für den Tod erfolgt.
59 Schramm, Haftung für Tötung, S. 22; Bodewig, Der Rückruf fehlerhafter Produkte, S. 339. 60 Schramm, Haftung für Tötung, S. 22. 61 BGH Urt. v. 12. 05. 1998 – VI ZR 182-97, NJW 1998, 2741. 62 Jauernig/Teichmann, § 823 BGB Rn. 2; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 192. 63 MüKoStGB/Erb, § 34 Rn. 143; Jansen, in: Karlsruher Forum 2016, S. 118. 64 Formulierung vgl. Schramm, Haftung für Tötung, S. 421.
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
e) Der Rechtsfortsetzungsgedanke Eine der Strafe nahe stehende Bewertung des Haftungsgrundes ließe sich vermeiden,65 indem man das Ziel des Rechtsgüterschutzes betont, ohne dass aus dieser Rechtsgutsverletzung unmittelbar ein Schaden resultieren muss. Durch die Entschädigung des seelischen Leids des Hinterbliebenen erfolgt der Ausgleich eines Schadens, der nicht unmittelbar auf der eingetretenen Rechtsgutverletzung beruht. Die in der vorliegenden Arbeit dargestellte Inkommensurabilität des immateriellen Schadens gem. § 253 Abs. 2 BGB und die Ausgestaltung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB haben gezeigt, dass es für den Sinn und Zweck des Hinterbliebenengeldes auf haftungsbegründender Ebene nicht auf den Gefühlsschaden ankommt. Vielmehr ist zu überlegen, das Rechtsgut Leben im Rahmen des Haftungsgrunds des Hinterbliebenengeldes als Anknüpfungspunkt des zu schaffenden Ausgleichs zu sehen.66 Der Ausgleichsgedanke wäre dabei normativ auszulegen, indem die Verletzung des Lebens im Wege der Rechtsfortsetzung auszugleichen ist. In der Gewährung eines Hinterbliebenengeldes könnte die Fortsetzung des Rechtsschutzes zu sehen sein, der dem Getöteten nicht mehr zugutekommen kann.67 Der Gedanke der Rechtsfortsetzung steht für die Weiterverfolgung einer Rechtsgutsverletzung durch die Gewährung eines sekundären Schadensersatzanspruchs. Das Ziel der Rechtsfortsetzung ist aus der Perspektive des Verletzten zu beurteilen, sodass keine pönalen Elemente verfolgt werden.68 Der Ersatzanspruch wird dabei als „sekundäres Recht“69 aufgrund der eingetretenen Rechtsgutsverletzung geltend gemacht.70 In dem Gedanken der Rechtsfortsetzung ist deshalb der Gerechtigkeitsgrund für den Ausgleich des erlittenen Unrechts zu sehen.71 Diese normative Wertung steht im Einklang mit dem gesetzlich verankerten Grundsatz der vorrangigen Naturalrestitution.72 Der Grundsatz der Naturalherstellung, der ebenso für den Ausgleich des immateriellen Schadens zu beachten ist, beruht gerade auf dem Vorrang der Rechtsgüter.73 Erst wenn ein Ausgleich durch Wiederherstellung des
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Schramm, Haftung für Tötung, S. 206. Lorenz, in: Karlsruher Forum 2016, S. 118. 67 Vgl. ausführlich zum Rechtsfortsetzungsgedanken der Ausgleichsfunktion Schramm, S. 256 ff., 319, 421. 68 So formuliert von Schramm, Haftung für Tötung, S. 256 ff.; Gebauer, Hypothetische Kausalität und Haftungsgrund, S. 256 f. 69 Gebauer, Hypothetische Kausalität und Haftungsgrund, S. 257. 70 Ebenso Stoll, Haftungsfolgen, S. 190. 71 Gebauer, Hypothetische Kausalität und Haftungsgrund, S. 266. 72 Schiemann, Argumente und Prinzipien bei der Fortbildung des Schadensrechts, S. 205; Stoll, Haftungsfolgen, S. 191. 73 Schiemann, Argumente und Prinzipien bei der Fortbildung des Schadensrechts, S. 206. 66
II. Die Bemessung der Entschädigung des Hinterbliebenengeldes
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verletzten Rechtsguts nicht möglich ist, kommt eine Kompensation durch Geld in Betracht: „Der ganze Gedanke der Naturalherstellung ist kein spezifisch schadensrechtlicher Gedanke: er ist vielmehr ein aus der Rechtsdurchsetzung stammender Gedanke: Die Grenzverschiebung zwischen Naturalherstellung und Geldersatz ist im Wesentlichen eine Grenzverschiebung – nicht innerhalb der Schadensverfolgung, sondern zwischen schadensund rechtsdurchsetzender Rechtsverfolgung.“74
Legt man dem Verhältnis zwischen Naturalrestitution und Geldersatz den Rechtsfortsetzungsgedanken zu Grunde, ist auch die Fortsetzung des Rechtsfortsetzungsgedanken im Rahmen des Hinterbliebenengeldes konsequent: Für den Getöteten ist weder Naturalersatz noch Geldersatz möglich, sodass eine Grenzverschiebung zugunsten des verletzten Rechtsguts Lebens vorzunehmen ist. Ausnahmsweise darf der Dritte unter den Voraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB das Recht des Getöteten verfolgen, obwohl lediglich eine Rechtsgutsverletzung vorliegt, die diesen sekundären Ersatzanspruch rechtfertigt.75 Die Bedeutung und der Vorrang des Rechtsgüterschutzes als wesentlicher Gedanke des Ausgleichsgedankens gebieten es hier aber, die Rechtsfortsetzung über die Geldkompensation hinaus auf die Anspruchsverfolgung durch den Dritten auszuweiten. Im Rahmen des Hinterbliebenengeldanspruchs erfolgen die Bestimmung und der Ausgleich des Schadens auf Ebene der Haftungsausfüllung, der Rechtsgüterschutz stellt lediglich die Legitimationsgrundlage des Anspruches dar. Der Gedanke der Rechtsfortsetzung stellt für das Ziel des Ausgleiches auf haftungsbegründender Ebene sicher, dass kein unmittelbarer Ausgleich für die eingetretene Verletzung des menschlichen Lebens angestrebt wird. Die Lebensverletzung wird vielmehr mittelbar durch die Gewährung eines Anspruchs für den Hinterbliebenen berücksichtigt. Wenn man in der Tötung des Primärverletzten eine haftungsbegründende Voraussetzung gem. § 844 Abs. 3 BGB anerkennt, ist der Ausgleich dieser Rechtsgutsverletzung gerade nicht Bestandteil des haftungsausfüllenden Tatbestands und der Bemessung des Schadens. Der Schaden ist gem. § 844 Abs. 3 BGB in dem seelischen Leid des Hinterbliebenen zu sehen. Durch die Bestimmung des Schadens als seelisches Leid wird die Anknüpfung an den Wert des Lebens verhindert.76 Es wird vermieden, dass in der Verletzung des Lebens nicht nur eine Rechtsgutsverletzung sondern darüber hinaus auch ein „Lebensschaden“77 gesehen wird.78 An der Differenzierung aber auch an der Bestimmung einer Rechtsgutsverletzung und eines Schadens ist festzuhalten, es ist kein per-se Schaden zu konstruieren. Der 74
Degenkolb, in: AcP 76, S. 76. Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 163. 76 So allgemein formuliert auch Schramm, Haftung für Tötung, S. 421. 77 Vgl. zur Formulierung Schramm, Haftung für Tötung, S. 263. Vgl. zu den Grundsätzen des „per se Schadens“ Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 572 ff.; vgl. zur Kritik am „per se Schaden“ Schubert, in: Karlsruher Forum 2016, S. 133. 78 Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 578. 75
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
Gedanke beruht auf dem Problem von nicht wiederherstellbaren Verletzungen, bei denen in der Verletzung zugleich der Schaden als sog. per-se Schaden gesehen wird.79 Per-se Personenschäden sollen alle nicht restituierbaren Verletzungen der physischen und psychischen Integrität sein.80 Anlass für diese Überlegung war die Versagung von immateriellem Schadensersatz bei Verletzten, die aufgrund der Verletzung ihre Wahrnehmungsfähigkeit verloren hatten oder aus anderen Gründen nicht unter körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen litten.81 In diesen Fällen könne aufgrund des fehlenden immateriellen Schadens ein per-se Schaden angenommen werden.82 Hierdurch wird der Ersatz des immateriellen Schadens erweitert, indem die Beeinträchtigung in der Person an sich erfasst wird.83 Die Grundsätze zum per-se Schaden haben sich aufgrund der Unvereinbarkeit mit den schadensersatzrechtlichen Grundsätzen nicht durchgesetzt.84 Auch im Rahmen des Hinterbliebenengeldes ist kein per-se Schaden anzunehmen. Die Anerkennung eines per-se Schadens würde dazu führen, dass kein konkreter Schaden vorliegen müsste, sondern das Vorliegen einer Rechtsgutsverletzung ausreichend wäre.85 Hierdurch käme es zu einer Ungleichbehandlung zwischen materiellen und immateriellen Schäden mit der Folge, dass die Bejahung eines per-se Schadens den Schädiger über den Ausgleich hinaus sanktionieren würde.86 Zudem wird durch die Ausgleichsfunktion als Haftungsgrund des Hinterbliebenengeldes keine weitere Schadenskategorie wie der per-se Schaden erforderlich. Der Schaden i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB wird durch das seelische Leid konkret benannt. Davon zu unterscheiden ist aber das Erfordernis einer objektiven Bewertung des Schadens.87 Durch die Annahme einer Ausgleichsfunktion des Hinterbliebenengeldes auf haftungsbegründender Ebene, die durch den Rechtsfortsetzungsgedanken konkretisiert wird, besteht die Möglichkeit, den Schaden des Hinterbliebenen auf haftungsausfüllender Ebene durch eine objektive Bewertung festzustellen. Ausdruck 79 Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 577; Schubert, in: Karlsruher Forum 2016, S. 133; Schramm, Haftung für Tötung, S. 263. 80 Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 577; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 51. 81 BGH Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74, NJW 1976, 1147; BGH Urt. v. 22. 06. 1982 – VI ZR 247/80, NJW 1982, 2123. 82 Schubert, in: Karlsruher Forum 2016, S. 133; Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 582; Schramm, Haftung für Tötung, S. 260. 83 Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 577; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 51. 84 Schramm, Haftung für Tötung, S. 263; Schubert, in: Karlsruher Forum 2016, S. 133. 85 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 51. 86 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 53. 87 Müller, Punitive Damages, S. 80; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 159.
II. Die Bemessung der Entschädigung des Hinterbliebenengeldes
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der Rechtsfortsetzung ist die haftungsbegründende Voraussetzung des Näheverhältnisses, auf das im Sinne des Rechtsfortsetzungsgedankens auch für die Bestimmung des Umfangs des Schadens zurückgegriffen werden kann. Damit wird eine Anknüpfung an das negative Empfinden des Hinterbliebenen vermieden: Der Grundsatz der Totalreparation des Schadensrechts lässt sich auf den Ersatz immaterieller Schäden nicht übertragen.88 Das neue Hinterbliebenengeld bedarf rechtssicherer und durchgängig anwendbarer Anspruchsvoraussetzungen. Auch dies spricht dafür, auf die Bejahung des besonderen persönlichen Näheverhältnisses abzustellen.89 Um der Inkommensurabilität immaterieller Schäden wie dem seelischen Leid Rechnung zu tragen, liefert das besondere persönliche Näheverhältnis die geeignete Anspruchsvoraussetzung. Sollte der Anspruchsteller eine besondere psychische Reaktion aufgrund des Todes zeigen, bleibt neben dem Hinterbliebenengeld der Anspruch auf immateriellen Schadensersatz wegen eines Schockschadens. Der Anspruch aufgrund eines eingetretenen Schockschadens zeigt gerade die unterschiedliche Zielrichtung der beiden Anspruchsgrundlagen: Beim Schockschaden steht die Beeinträchtigung, die Krankheitswert erreicht hat, im Vordergrund. Beim Hinterbliebenengeld liegt der Schwerpunkt auf dem ursprünglich vorhandenen und nun durch den Tod beendeten Näheverhältnis, das durch eine Entschädigung im Sinne der Rechtsfortsetzung Anerkennung erfahren soll. f) Zwischenergebnis Auch wenn auf haftungsbegründender und haftungsausfüllender Ebene der Ausgleich im Vordergrund steht, ist zu differenzieren. Das Ziel des haftungsausfüllenden Tatbestands gem. § 844 Abs. 3 BGB ist jedenfalls auch im Ausgleich des seelischen Leids zu sehen. Der Ausgleich seelischen Leids kann aber nicht auch als eigenständiger Haftungsgrund des Hinterbliebenengeldes gesehen werden. Vielmehr bedarf es einer mit der Rechtsgutsverletzung vergleichbaren Legitimationsgrundlage, auf der der Ausgleich des seelischen Leids beruht. Das seelische Leid stellt einen immateriellen Schaden dar, dessen Umfang aufgrund seiner Inkommensurabilität anhand objektiver Kriterien zu bestimmen ist. Eine Rechtsgutsverletzung des Hinterbliebenen kann hierfür jedoch nicht herangezogen werden, da nur der Primärverletzte in seinem Rechtsgut Leben verletzt worden ist. Die Verletzung des Rechtsguts Leben stellt aber eine haftungsbegründende Voraussetzung gem. § 844 Abs. 3 BGB dar, die den Kern des Haftungsgrunds betrifft. Aus diesem Grund kommt auch keine Persönlichkeitsverletzung des Hinterbliebenen aufgrund des Verlusts oder der Trauer in Betracht. Gegenüber dem Getöteten ist kein Ausgleich für die erlittene Verletzung mehr möglich, sodass der 88 89
LAG Nürnberg Urt. v. 09. 06. 2017 – 7 Sa 231/16, NZA 2017, 522. Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (410).
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
Hinterbliebene als besonders nahestehende Person anstelle des Getöteten einen Anspruch aufgrund der Lebensverletzung geltend machen kann. Der Schutz des Rechtsguts Leben lässt sich dadurch fortsetzen, ohne dass die zivilrechtlichen Grundsätze zur Rechtsfähigkeit und zur Bewertung des Lebens durchbrochen werden müssen. Der mittelbare Schutz des Lebens durch den Ausgleichsgedanken stellt die haftungsbegründende Funktion des Hinterbliebenengeldes dar. Auf haftungsausfüllender Ebene bedarf es aber unter Umständen einer weiteren Funktion, um dieser Bemessungskriterien zu entnehmen. In Betracht kommen hierfür die Genugtuungs- und Präventionsfunktion. 3. Die Relevanz der Ausgleichsfunktion für das Hinterbliebenengeld auf haftungsausfüllender Ebene Bereits in Kapitel B. ist das seelische Leid als immaterieller Schaden des Hinterbliebenengeldes gem. § 844 Abs. 3 BGB eingeordnet worden. Schon aus dem Wortlaut des § 844 Abs. 3 BGB ergibt sich, dass der Hinterbliebene „für das zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld“ erhalten soll. Auch wenn das Hinterbliebenengeld eine eigenständige, vom immateriellen Schadensersatz unabhängige Anspruchsgrundlage darstellt, fügt sich der Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB in das System des Schadensrechts ein, sodass zunächst ein Ausgleich der erlittenen Nachteile bezweckt ist. Von einer Ausgleichsfunktion des Hinterbliebenengeldes ist deshalb auch auf haftungsausfüllender Ebene auszugehen.90 Welche Konsequenzen und Bemessungskriterien sich aus dem Ziel des Ausgleichs seelischen Leids ergeben, hängt von der Frage ab, ob und welche weitere Funktion dem Hinterbliebenengeld auf haftungsausfüllender Ebene zukommt. 4. Die Relevanz der Genugtuungsfunktion für das Hinterbliebenengeld auf haftungsausfüllender Ebene Für die Konkretisierung der Bemessung der Hinterbliebenenentschädigung ist die Frage von Bedeutung, ob dem Hinterbliebenengeld neben der Ausgleichsfunktion auch eine Genugtuungsfunktion zukommt.91 Auch wenn durch den immateriellen Schadensersatz gem. § 253 Abs. 2 BGB und das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB zwei voneinander abweichende Anspruchsgrundlagen vorliegen, spricht dies für sich genommen noch nicht gegen eine Genugtuungsfunktion der Hinterbliebenenentschädigung. 90
Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 257; Huber/Kadner Graziano/Luckey/Huber, Hinterbliebenengeld, Rn. 149; Jaeger, in: VersR 2017, S. 321 (325). 91 Eine Genugtuungsfunktion des Hinterbliebenengeldes bejahend LG Leipzig Urt. v. 08. 11. 2019 – 05 O 758/19, BeckRS 2019, 50107; LG Tübingen Urt. v. 17. 05. 2019 – 3 O 108/ 18, NZV 2019, S. 626; Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 259; Bredemeyer, in: ZEV 2017, S. 690 (692).
II. Die Bemessung der Entschädigung des Hinterbliebenengeldes
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Die Gesetzesbegründung zum Hinterbliebenengeld spricht von einer „Anerkennung“ des seelischen Leids durch den Entschädigungsanspruch.92 Auch wenn der Inhalt der Genugtuungsfunktion nicht eindeutig ist,93 könnte die bezweckte Anerkennung zunächst nach einer mit der Genugtuung übereinstimmenden Zielrichtung verstanden werden: Wenn die empfundenen Schmerzen schon nicht ausgeglichen werden können, so soll dem Geschädigten aber zumindest eine andere Zufriedenstellung ermöglicht werden.94 Das Ziel, durch das Hinterbliebenengeld ein Zeichen der Anerkennung zu setzen, kann aber ebenso für einen von der Genugtuungsfunktion losgelösten symbolischen Zweck des Hinterbliebenengeldes sprechen: Der Hinterbliebene soll durch einen symbolischen Geldbetrag Unterstützung erfahren. Es soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die weitreichenden Folgen eines Unfalls vom Gesetzgeber gesehen wurden und die einzelne Situation des Hinterbliebenen berücksichtigt wird. Diese Anerkennung soll sich in dem Geldbetrag widerspiegeln. Die Berücksichtigung durch den Staat schlägt sich in der Schaffung des neuen Entschädigungsanspruchs nieder, die Zahlungspflicht trifft aber den Schädiger. Zweifelhaft ist deshalb, ob sich die durch die Gesetzesbegründung formulierte Anerkennung auf den Gesetzgeber oder auf den Schädiger bezieht. Damit würde die Anerkennung wesentlich weniger bezwecken, als im Rahmen des Genugtuungsgedankens beabsichtigt ist. Auch wenn der Genugtuungsfunktion teilweise eine Garantiefunktion95 in Form von Anerkennung des Geschädigten durch die Rechtsordnung zugesprochen wird, kommt die Genugtuungsfunktion nicht ohne die Einbeziehung subjektiver Umstände aus. Eine symbolische Anerkennung durch Zahlung eines bestimmten Geldbetrags würde keinen Raum für subjektive Erwägungen im Rahmen der Genugtuung lassen: Für einen symbolischen Betrag kann es keine Rolle spielen in welchen wirtschaftlichen Verhältnissen der Schädiger oder der Anspruchsteller leben. Das Setzen eines Zeichens in Form einer symbolischen Entschädigung könnte zudem für einen Geldbetrag in Form eines Pauschalbetrags sprechen.96 Dabei ist allerdings der Wille des Gesetzgebers zu berücksichtigen, der in § 844 Abs. 3 BGB eine angemessene Entschädigung gewährt, womit zugleich ein Entscheidungsspielraum des Richters durch Berücksichtigung einzelner Umstände eröffnet wird. Die Bezeichnung als Anerkennung im Gesetzesentwurf ist dabei zunächst nur als ein Hinweis für eine mögliche Funktion des Hinterbliebenengeldes zu verstehen.
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BT-Drs. 18/11615, S. 1; BT-Drs. 18/11397, S. 10. Zur Kritik an der Genugtuungsfunktion vgl. Schubert, in: Karlsruher Forum 2016, S. 12; Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 157; Jaeger, in: FS Lorenz 2004, S. 377 ff. 94 Der Gesetzesentwurf spricht auch von einer „Befriedungsfunktion“, vgl. BT-Drs. 18/ 11615, S. 8. 95 Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 85. 96 Für eine pauschale Bemessung vgl. Baumgärtel/Laumen/Prütting/Luckey, § 844 BGB Rn. 18. 93
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
Zweifel an der Übertragung der Genugtuungsfunktion des immateriellen Schadensersatzes auf das Hinterbliebenengeld bestehen insoweit, als dass dem Genugtuungsgedanken die persönliche Beziehung zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten zugrunde gelegt wird. Durch das schädigende Ereignis hat der Schädiger diese Beziehung geschaffen und sich damit gegenüber dem Geschädigten verpflichtet, Wiedergutmachung zu leisten.97 Eine solche persönliche Beziehung ist zu dem Anspruchsteller des Hinterbliebenengeldes gerade nicht entstanden. Zwischen dem Schädiger und Hinterbliebenen besteht keinerlei Verbindung, allenfalls mittelbar aufgrund des durch den Schädiger verursachten Verlusts. Im Vordergrund des Hinterbliebenengeldes steht gerade die Beziehung zwischen dem Getöteten und Hinterbliebenen. Hinzu kommt, dass der Anspruch auf Hinterbliebenengeld auch im Rahmen der Gefährdungshaftung gilt.98 Die mit der Genugtuung bezweckte Berücksichtigung des vorwerfbaren Verhaltens des Schädigers ist auf die Verschuldenshaftung beschränkt.99 Auch wenn man unter dem Genugtuungsgedanken „nur“ die Besänftigung des Rechtsgefühls versteht, bedarf es der Genugtuung nicht, wenn kein Unrecht verschuldet worden ist.100 Andernfalls müsste der gleiche immaterielle Schaden, je nach Verschuldens- oder Gefährdungshaftung unterschiedlich bewertet und damit auch unterschiedlich bemessen werden.101 Die Gefährdungshaftung steht aber vielmehr gleichberechtigt neben der Verschuldenshaftung.102 Hinzu kommt der fehlende Zweck der Genugtuung, wenn das Hinterbliebenengeld durch die Haftpflichtversicherung gezahlt wird.103 Nicht zuletzt ist die Genugtuungsfunktion aufgrund ihrer Ungenauigkeiten und der sich daraus ergebenden Unsicherheiten abzulehnen.104 Die Bestimmung des Genugtuungsziels ist nicht eindeutig, sodass auch die Bemessungskriterien nicht abschließend feststehen.105 Die Grenzziehung zwischen Genugtuung und Strafe gelingt nicht vollständig. So würde der Vorschlag, die Entschädigung anhand des
97
Vgl. Ady, Immaterielle Einbußen, S. 110. Huber, in: VersR 2020, S. 385 (389). 99 Huber/Kadner Graziano/Luckey/Huber, Hinterbliebenengeld, Rn. 148; Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 121. 100 L. Schäfer, Die Bemessungsmethoden, S. 59. 101 Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 129. 102 Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 130. 103 Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 260, die aber eine Deckung durch die Haftpflichtversicherung für einen Hinterbliebenengeldanspruch nach den geltenden Vereinbarungen verneint; Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 119. 104 Staudinger, in: DAR 2019, S. 601 (602); Steenbuck, in: r+s 2017, S. 449 (451); a. A.: Bergmann, Hinterbliebenengeld, S. 38, 171. 105 Lorenz, in: Karlsruher Forum 2016, S. 12. 98
II. Die Bemessung der Entschädigung des Hinterbliebenengeldes
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Genugtuungsgedankens bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Verhalten zu erhöhen,106 das Ziel der Sühne verfolgen und ist deshalb abzulehnen. Der Genugtuungsgedanke beruht auf dem Problem, dass immaterielle Schäden nicht wie materielle Schäden als Wiedergutmachung in Geld ausgeglichen werden können. So soll die Genugtuungsfunktion im Rahmen des immateriellen Schadensersatzes immer dann greifen, wenn ein Ausgleich nicht möglich oder nicht ausreichend ist.107 Folgt man aber der Auffassung, dass die Ausgleichsfunktion nicht nur die Naturalrestitution im eigentlichen Sinne erfasst, bedarf es der Genugtuungsfunktion nicht.108 Der immaterielle Schaden ist inkommensurabel, weshalb die Ausgleichsfunktion nicht ohne normative Wertung auskommt.109 Die Entschädigung in Geld ist dabei als „universeller Wertvertreter“110 zu betrachten. Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass auf haftungsausfüllender Ebene eine Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung in Betracht kommt, die sich nicht am konkreten Leid des Hinterbliebenen orientiert.111 Auch wenn einzelfallabhängige Umstände zu berücksichtigen sind, müssen sich diese nicht zwingend auf das konkret erlittene Leid des Hinterbliebenen beziehen. Würde man aber eine Genugtuungsfunktion des Hinterbliebenengeldes im Rahmen der Bemessung annehmen, würde dies die Überprüfung des konkreten Leids voraussetzen, weil andernfalls kaum feststellbar ist, wie für den einzelnen Anspruchsteller Genugtuung erreicht werden kann. Es ist deutlich geworden, dass schon für den immateriellen Schadensersatzanspruch erhebliche Bedenken hinsichtlich einer Genugtuungsfunktion bestehen. Erst recht ist aufgrund der fehlenden Rechtsgutsverletzung des Hinterbliebenen und dem sich daraus ergebenden Ausnahmecharakter des Hinterbliebenengeldes eine Genugtuungsfunktion abzulehnen. 5. Die Relevanz der Präventionsfunktion für das Hinterbliebenengeld auf haftungsausfüllender Ebene Nach Ansicht des Landgerichts Tübingen sind die Funktionen des immateriellen Schadensersatzes analog auf das Hinterbliebenengeld anzuwenden, sodass im Einzelfall auch der Präventionsgedanke bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes
106 107 108 109 110 111
Huber/Kadner Graziano/Huber, Hinterbliebenengeld, Rn. 150. Ady, Immaterielle Einbußen, S. 110 ff. Lorenz, in: Karlsruher Forum 2016, S. 13. Schramm, Haftung für Tötung, S. 262. Lorenz, in: Karlsruher Forum 2016, S. 13. Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (410).
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
berücksichtigt werden könne.112 In der Entscheidung des LG Tübingen selbst wird die Präventionsfunktion nicht herangezogen. An einer Präventionsfunktion des Hinterbliebenengeldes bestehen erhebliche Zweifel. Die durch das Hinterbliebenengeld bestehende Entschädigungspflicht kann zwar eine Steuerung des Verhaltens des Schädigers nicht ausschließen. Die Rechtsfolge wird aber in der Regel das Verhalten des Schädigers nicht beeinflussen. Das Hinterbliebenengeld greift nur bei Tötung des Geschädigten. Sollte der Schädiger in der Lage sein eine bewusste Entscheidung zu treffen, würde diese auf der Kalkulation strafrechtlicher Konsequenzen beruhen. Gerade bei vorhersehbaren Risiken wie der Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit entspricht es nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Schädiger ein bestimmtes Verhalten unterlässt, um zivilrechtliche Haftungsfolgen zu vermeiden. Das Hinterbliebenengeld schafft auf haftungsausfüllender Ebene Ausgleich für seelisches Leid, sodass sich hier eine von den strafrechtlichen Folgen abweichende Wertung ergibt. Wenn schon eine Präventionswirkung durch die zivilrechtlichen Haftungsfolgen insgesamt zweifelhaft ist, dann kann erst recht nicht angenommen werden, dass der Schädiger Konsequenzen aufgrund des Hinterbliebenengeldanspruchs eines Dritten einkalkuliert. Hinzu kommt, dass die durch die Präventionsfunktion bezweckte Verhaltenssteuerung nur bei schuldhaftem Handeln in Betracht kommt, der Schädiger haftet aber für das Hinterbliebenengeld auch im Rahmen der Gefährdungshaftung.113 Die durch die Präventionsfunktion bezweckte Verhaltenssteuerung bezieht sich auf den Schädiger, der zur Vorbeugung zukünftiger Rechtsverletzungen abgeschreckt werden soll.114 Bei der Ausgleichs- und auch der Genugtuungsfunktion hingegen steht der Geschädigte im Vordergrund.115 Schon der Wortlaut des Anspruchs auf Hinterbliebenengeldes bringt zum Ausdruck, dass eine Entschädigung aufgrund des erlittenen Leids des Hinterbliebenen zu gewähren ist. Im Mittelpunkt steht deshalb der Hinterbliebene als Anspruchsteller. Im Rahmen der Ausgleichsfunktion ist zwar auch der Primärverletzte zu berücksichtigen. Zwischen dem Hinterbliebenen und dem Schädiger besteht aber erst durch die Ansprüche gem. § 844 BGB eine Verbindung, sodass Anknüpfungspunkt des Hinterbliebenengeldes jedenfalls nicht der Schädiger ist. Zudem könnte die Anerkennung der Prävention als eigenständige Funktion bei der Bemessung der Entschädigung dazu führen, dass die Ausgleichsfunktion auf haftungsausfüllender Ebene nur eingeschränkt Berücksichtigung finden würde: Die mit der Präventionsfunktion bezweckte Abschreckung zur Vorbeugung weiterer 112 LG Tübingen Urt. v. 17. 05. 2019 – 3 O 108/18, DAR 2019, 468; ebenso Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 259. 113 Lorenz, in: Karlsruher Forum 2016, S. 15. 114 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 196. 115 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 196.
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Verletzungen kann unter Umständen hohe Entschädigungsbeträge erforderlich machen, wobei das Risiko besteht, dass die Entschädigung über dem tatsächlich eingetretenen Schaden liegt.116 Dies würde zu einer mit dem Zivilrecht unvereinbaren Privatstrafe führen.117 Im Rahmen der Persönlichkeitsrechtsverletzungen hält die Rechtsprechung eine Erhöhung der Entschädigung für gerechtfertigt, in Fällen der rücksichtslosen Zwangskommerzialisierung mit Gewinnerzielungsabsicht müsse die Geldentschädigung zu einer fühlbaren Geldentschädigung verpflichten.118 Auch die Anerkennung des Präventionsgedankens bei immateriellen Schäden aufgrund einer Persönlichkeitsrechtsverletzung kann nicht auf die Entschädigung gem. § 844 Abs. 3 BGB übertragen werden. Die Entschädigung beruht auf dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und nicht auf einer zivilrechtlichen Anspruchsgrundlage. Zudem wird das Präventionsziel bei der Verletzung des Persönlichkeitsrechts mit der Zwangskommerzialisierung der Persönlichkeit begründet, wobei sich die Bemessung der Entschädigung anhand der hohen Gewinne orientieren müsse, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen.119 Das Hinterbliebenengeld entschädigt das auf der Tötung beruhende Leid, sodass hier wirtschaftliche Vorteile nicht relevant sind. Eine Präventionsfunktion des Hinterbliebenengeldes auf haftungsausfüllender Ebene ist demnach abzulehnen. 6. Zwischenergebnis Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB verfolgt auf haftungsbegründender und haftungsausfüllender Ebene das Ziel des Ausgleichs. Eine über den Ausgleich hinausgehende Präventionsfunktion des Hinterbliebenengeldanspruchs ist aufgrund der fehlenden Effektivität und der strafrechtlichen Rechtsfolgen abzulehnen. Eine Genugtuungsfunktion kommt dem Hinterbliebenengeldanspruch ebenfalls nicht zu, der Anspruchsteller gem. § 844 Abs. 3 BGB ist als Hinterbliebener Dritter und nicht unmittelbar an dem Verhältnis zwischen dem Schädiger und Verletzten beteiligt. Dies bedeutet nicht zwingend, dass auf Grundlage der Genugtuungsfunktion entwickelte Bemessungskriterien nicht auch im Rahmen der Hinterbliebenenentschädigung Berücksichtigung finden können. Der Bemessungsmaßstab wird aber regelmäßig durch die Funktionsbestimmung gerechtfertigt.
116 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 198, 201; Lorenz, in: Karlsruher Forum 2016, S. 15. 117 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 199; Lorenz, in: Karlsruher Forum 2016, S. 15; Schramm, Haftung für Tötung, S. 237. 118 BGH Urt. v. 05. 12. 1995 – VI ZR 332/94, NJW 1996, 984; BGH Urt. v. 05. 10. 2004 – VI ZR 255/03, NJW 2005, 214; BGH Urt. v. 17. 12. 2013 – VI ZR 211/12, NJW 2014, 2029. 119 Lorenz, in: Karlsruher Forum 2016, S. 16; Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 162; BGH Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94, GRUR 1995, 224.
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7. Die Berücksichtigung des Haftungsgrundes auf haftungsausfüllender Ebene In der rechtswissenschaftlichen Diskussion ist man sich einig, dass das Rechtsgut Leben keiner Bewertung durch den Rechtsstaat unterzogen werden darf.120 Wie hoch das Interesse eines Menschen daran ist, weiter zu leben und wie „lebenswert“121 ein Leben ist, solle der rechtlichen und gerichtlichen Entscheidung entzogen sein.122 Weitaus problematischer ist aber die Frage, inwiefern dem Leben ein finanzieller Wert gegenübergestellt werden kann.123 Dies wird erneut zu der Frage führen, ob einem Anspruch aufgrund einer Tötung eine andere Funktion als die des Ausgleiches zukommen muss. Es ist kritisch zu überprüfen, inwiefern die Berücksichtigung der Lebensverletzung ohne eine Kommerzialisierung des Todes auf haftungsbegründender Ebene berücksichtigt werden kann. Ein Anspruch des Getöteten aufgrund der Verletzung des Rechtsguts Leben i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB besteht zwar nicht. Den Hinterbliebenen bleibt aber oft ein in der Person des Getöteten entstandener Anspruch, den sie erben. Hat der Getötete durch die schädigende Handlung eine Körperverletzung erlitten, ist ein Anspruch des Getöteten auf Ersatz des immateriellen Schadens gem. § 253 Abs. 2 BGB entstanden, der aufgrund der Streichung des § 847 Abs. 2 BGB a. F. auch vererbbar ist.124 An einem vererbbaren Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens kann es jedoch fehlen, wenn die immaterielle Beeinträchtigung aufgrund des kurz darauf folgenden Todes nicht als vom Sterbevorgang abzugrenzende Beeinträchtigung bewertet werden kann.125 a) Leben als geschütztes Rechtsgut Der immaterielle Schadensersatz in § 253 Abs. 2 BGB sieht das Leben als Rechtsgutsverletzung nicht vor. Dies stand bisher mit der einseitigen Begründung fest, dass das Rechtsgut Leben vom Ersatz des immateriellen Schadens gem. § 253 Abs. 2 nicht erfasst sei, da die Grundkonzeption des BGB dies nicht vorgesehen
120 Welti, Behinderung und Rehabilitation im sozialen Rechtsstaat, S. 562; vgl. zum Verbot der Differenzierung nach Lebenswert gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG: Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 314 ff.; Picker, Schadensersatz für das unerwünschte eigene Leben, S. 86. 121 BGH Urt. v. 18. 01. 1983 – VI ZR 114/81, NJW 1983, 1371, wonach „die Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland aus gutem Grund kein rechtlich relevantes Urteil über den Lebenswert fremden Lebens erlaube“. 122 Jüngst BGH Urt. v. 02. 04. 2019 – VI ZR 13/18, NJW 2919, 1741; NK-StGB/Neumann, § 34 StGB Rn. 17; Picker, Schadensersatz für das unerwünschte eigene Leben, S. 26. 123 Schramm, Haftung für Tötung, S. 388. 124 MüKoBGB/Leipold, § 1922 Rn. 73. 125 BGH Urt. v. 12. 05. 1998 – VI ZR 182/97, NJW 1998, 2741.
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habe.126 Weder für den Tod noch für die Verkürzung der Lebenserwartung sähe der Gesetzgeber eine Entschädigung vor.127 Dies ist als „Tötung zum Nulltarif“ kritisiert worden.128 Es würde ein falscher „wohlfahrtswidriger Anreiz“ dadurch gesetzt werden, dass der Schädiger besser davon kommt, wenn der Verletzte stirbt, als wenn dieser mit schweren Verletzungen überlebt.129 § 823 Abs. 1 BGB nennt auch das Leben als geschütztes Rechtsgut, sodass eine Haftung bei Verletzung des Lebens durch Tötung grundsätzlich besteht. Dabei ergeben sich wenige Ansprüche aus dem Rechtsgüterschutz des § 823 Abs. 1 BGB:130 Vor dem Tod entstandene Behandlungskosten beruhen auf der Verletzung des Körpers.131 Sollte der Getötete also zunächst eine Körperverletzung erlitten haben, können Erben nach dem Tod des Verletzten diese Ansprüche i. S. d. § 1922 BGB geltend machen.132 Die fehlende Haftung ist insoweit konsequent, als dass man an dem Unmittelbarkeitsgrundsatz des Deliktsrechts festhält:133 Durch die Durchbrechung des Tatbestandsprinzips in den §§ 844 ff. BGB besteht ein Anspruch der Hinterbliebenen auf Ersatz der materiellen Schäden in Form von Beerdigungs- und Unterhaltskosten. Darüber hinaus hat der Dritte nur dann einen Anspruch gegen den Schädiger, wenn eines seiner in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgüter verletzt worden ist.134 Für das neue Hinterbliebenengeld sind nun zwei Besonderheiten zu berücksichtigen: Einerseits wird als Rechtsgutsverletzung die Tötung für die Entschädigung eines immateriellen Schadens vorausgesetzt. Andererseits handelt es sich um die Rechtsgutsverletzung eines Dritten.135 Es wird also keine eigene Rechtsgutsverletzung vorausgesetzt.136 Während also der Eintritt des Todes beim Verletzten 126 BGH Urteil v. 12. 05. 1998 – VI ZR 182/97, NJW 1998, 2741; Müller, in: NJW 2002, S. 697 (706). 127 BGH Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74, NJW 1976, 1147; BGH Urt. v. 12. 05. 1998 – VI ZR 182/97, NJW 1998, 2741. 128 Adams, Ökonomische Analyse der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, S. 174 ff.; Diederichsen, in: DAR 2011, S. 122 (124); Blaschczok, in: Präventivwirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktionen, S. 164. 129 Adams, Ökonomische Analyse der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, S. 177. 130 JurisPK/Lange, § 823 BGB Rn. 4. 131 BeckOGK/Spindler, BGB § 823 Rn. 103. 132 OLG Bremen Urt. v. 16. 03. 2012 – 3 U 6/12, NJW-RR 2012, 858; Staudinger/Hager, 2017, § 823 BGB Rn. B 2. 133 MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 28. 134 Pflüger, Schmerzensgeld für Angehörige, S. 16. Zur abschließenden Aufzählung in § 253 Abs. 2 BGB vgl. MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 27 f. 135 Es muss ein Haftungstatbestand zwischen dem Schädiger und Getöteten verwirklicht worden sein: Als Haftungstatbestände kommen eine Verschuldenshaftung gem. § 823 Abs. 1, Abs. 2, 831, 832, 833, 836 BGB, die Gefährdungshaftung und auch die Amts- und Staatshaftung gem. § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG in Betracht (vgl. Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2644)). 136 „Die Haftungsvoraussetzungen müssen im Verhältnis zum Primäropfer vorliegen“, Wagner, in: NJW 2017, S. 1641 (1644).
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
gefordert wird, muss dem Anspruchsteller ein eigener Schaden in Form von seelischem Leid entstanden sein. Dies widerspricht der Systematik des Anspruchs in § 253 Abs. 2 BGB, der zum einen nur immaterielle Schäden ersetzt, die unmittelbar auf einer Rechtsgutsverletzung beruhen und zum anderen aus diesem Grund auch nicht das Leben als geschütztes Rechtsgut erfasst. b) „Das Leben als Schaden“137 Schwierigkeiten bestehen bei der Differenzierung zwischen dem geschützten Rechtsgut Leben und der Frage, inwiefern ein Leben bzw. die Tötung einen Schaden darstellen kann. Dies zeigt sich besonders deutlich im Arzthaftungsrecht, in der schon der ärztliche Heileingriff an sich die Körperverletzung darstellen soll.138 Dies führt dazu, dass die zu „Wrongful-Life“139 und zu „erlittenem Leben“140 ergangenen Entscheidungen daran anknüpfen, inwiefern das Leben einen Schaden darstellen kann.141 Dass das Hinterbliebenengeld (abweichend von § 253 Abs. 2 BGB) für die Rechtsgutsverletzung Leben auch einen immateriellen Schaden ersetzt ist zwar neu. Die daraus resultierende Problematik spielt sich aber ebenfalls im Rahmen des Schadens ab. In beiden Fällen stellen Schmerzen und Leiden den immateriellen Schaden dar, die zum einen auf der Tötung und zum anderen auf dem nicht gewollten Leben beruhen. Der Bewertung des menschlichen Lebens vorgelagert ist die Frage, ob ein Menschenleben überhaupt ein Schaden sein kann. aa) Anspruch der Eltern aufgrund des „Kindes als Schaden“142 Die Rechtsprechung hat sich im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags wiederholt mit der Frage auseinandergesetzt, inwiefern der behandelnde Arzt haftet, wenn ein Kind aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers auf die Welt kommt, das ohne diesen Fehler nicht auf die Welt gekommen wäre.143 Dabei ging es unter anderem um eine fehlende Aufklärung über vorgeburtliche Schäden oder das 137 Vgl. Bach, in: NJW 2019, S. 1915: „Das Leben ist kein Schaden“; Leitmeier, in: NJW 2020, S. 2844: „Neubewertung des ,Lebens als Schaden‘?“. 138 Laufs/Kern/Rehborn/Kern, § 6 Rn. 32; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 1073. 139 Es wird von der „Wrongful-Life“-Rechtsprechung gesprochen, weil es zunächst um die Frage nach Ansprüchen des Kindes aufgrund der eigenen Existenz geht. Die Bezeichnung. „wrongful birth“ meint dann die Ansprüche der Eltern aufgrund des geborenen Kindes (Deutsch, in: NJW 1993, S. 2361 (2362); BeckOGK BGB/Spindler, BGB § 823 Rn. 1032 ff., Rn. 1046 ff.). Vorliegend wird die gesamte Thematik unter „Wrongful-Life“ behandelt. 140 BGH Urt. v. 02. 04. 2019 – VI ZR 13/18, NJW 2019, 1741. 141 BGH Urt. v. 18. 01. 1983 – VI ZR 114/81, NJW 1983, 1371; BGH Urt. v. 02. 04. 2019 – VI ZR 13/18, NJW 2019, 1741. 142 Katzenmeier/Knetsch, in: FS Deutsch, 2009, S. 248. 143 Müller, in: NJW 2003, S. 697.
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schuldhafte Verkennen einer Schädigung durch den behandelnden Arzt.144 Zu klären war die Frage, ob den Eltern ein Schadensersatzanspruch auf Kindesunterhalt zusteht, wenn das Kind schwer behindert geboren wird und die Mutter bei Kenntnis der vorgeburtlichen Schäden das Kind abgetrieben hätte.145 Hier musste aber auch im Rahmen der hypothetischen Kausalität für die Bejahung eines Schadensersatzanspruchs berücksichtigt werden, ob ein Schwangerschaftsabbruch den strafrechtlichen Vorschriften entsprochen hätte.146 In der bekannten „Wrongful Life“-Entscheidung war die Besonderheit, dass die Eltern des Kindes einen Anspruch mit der Begründung geltend machten, dass dieses besser nicht zur Welt gekommen wäre. Der BGH betont, dass der Schaden in dem Unterhaltsmehraufwand zu sehen sei und verneint aber einen Anspruch des Kindes selbst. Hierfür bedürfe es einer Bewertung des Lebens, das das behinderte Kind nun führt. Als höchstrangiges Rechtsgut sei das Leben in jedem Fall erhaltungswürdig.147 Der Mensch habe das Leben so hinzunehmen. Es stehe ihm kein Anspruch auf Verhütung oder Vernichtung zu.148 bb) Der Anspruch des Kindes aufgrund der eigenen Existenz Die Rechtsprechung lehnt einen eigenen Anspruch des mit einer Behinderung geborenen Kindes ab.149 Der BGH150 hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem das Kind seit der Geburt unter schweren gesundheitlichen Schäden leidet, weil die Mutter in der Schwangerschaft an Röteln erkrankte. Es wird geltend gemacht, dass ein Abbruch der Schwangerschaft nur unterblieben sei, weil der behandelnde Arzt schuldhaft die Rötelerkrankung nicht erkannt hatte. Für das Kind wurde als Schaden
144 BGH Urt. v. 18. 01. 1983 – VI ZR 114/81, NJW 1983, 1371; BGH Urt. v. 22. 11. 1983 – VI ZR 85/82, NJW 1984, 658; BGH Urt. v. 18. 06. 2002 – VI ZR 136/01, NJW 2002, 2636. Wichtige Fallgruppen: Die fehlgeschlagene Sterilisation, der unterlassene oder falsche Hinweis auf die Versagerquote bei einem sterilisierenden Eingriff, der missglückte erlaubte Schwangerschaftsabbruch und die bei der pränatalen Diagnostik pflichtwidrig nicht als Möglichkeit eröffnete zulässige Abtreibung (Katzenmeier/Knetsch, in: FS Deutsch, 2009, S. 248). 145 OLG Düsseldorf Urt. v. 14. 07. 1994 – 8 U 48/93, VersR 1995, 1498; Wagner, in: NJW 2002, S. 3379. 146 Müller, in: NJW 2002, S. 697 (700). 147 BGH Urt. v. 18. 03. 1980 – VI ZR 105/78, NJW 1980, 1450; BGH Urt. v. 18. 01. 1983 – VI ZR 114/81, NJW 1983, 1371; BGH Urt. v. 22. 11. 1983 – VI ZR 85/82, NJW 1984, 658; BGH Urt. v. 18. 06. 2002 – VI ZR 136/01, NJW 2002, 2636. 148 Zu Recht wird dieser Argumentation entgegen gehalten, dass die Bestimmung des Schadens durch den erhöhten Unterhaltsaufwand, vor dem Hintergrund der gesetzlichen Unterhaltspflicht der Eltern zweifelhaft ist und dies wohl eher der Begründungsnot Abhilfe schaffen soll, die Eltern aufgrund der Behinderung des Kindes finanziell zu unterstützen (so auch Roth, in: NJW 1994, S. 2402 (2404)). 149 OLG Düsseldorf Urt. v. 14. 07. 1994 – 8 U 48/93, VersR 1995, 1498; BGH Urt. v. 18. 01. 1983 – VI ZR 114/81, NJW 1983, 1371. 150 BGH Urt. v. 18. 01. 1983 – VI ZR 114/81, NJW 1983, 1371; zum Sachverhalt näher OLG München Urt. v. 27. 02. 1981 – 5 U 2993/80, NJW 1981, 2012 (Vorinstanz).
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eine Beeinträchtigung bis zur „Grenze des Lebensunwerten“ geltend gemacht.151 Ob aufgrund der Alternative der Nicht-Existenz ein Schaden in dem Leben gesehen werden kann, könne keiner rechtlichen Wertung unterzogen werden. Ein Schaden sei auch nicht mit einem normativen Schadensbegriff anzunehmen, hierfür fehle es schon an einer Rechtsgutsverletzung. Die Versagung von Ansprüchen des Kindes ist mit Blick auf die Ansprüche der Eltern kritisiert worden. Wenn das Leben als geschütztes Rechtsgut bei Ansprüchen der Eltern als disponibles Rechtsgut behandelt werde, müsse dies auch für die Ansprüche der Eltern gelten.152 Zudem wird die unzureichende Versorgung des Kindes betont, für den Fall, dass die unterhaltspflichtigen Eltern versterben. cc) Anspruch wegen „erlittenem Leben“ Eine neue Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2019 beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern „erlittenes Leben“ als Schaden anzusehen ist.153 Der Entscheidung lag die Situation zugrunde, dass der Vater des Klägers über eine PEG-Sonde154 künstlich ernährt worden war. Der Sohn hat einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz des verstorbenen Vaters geltend gemacht, weil eine solche Behandlung als lebensverlängernde Maßnahme nicht indiziert gewesen sei und dem Vater durch die Behandlung weitere Schmerzen und Leiden bereitet worden seien. Das Gericht hat einen Behandlungsfehler darin erkannt, dass der behandelnde Arzt den Betreuer des Vaters nicht darüber aufgeklärt habe, dass ein über die reine Lebenserhaltung hinausgehendes Therapieziel nicht mehr erreichbar sei, um dann die Fortsetzung oder den Abbruch der künstlichen Ernährung besprechen zu können. Weil die Ernährung über die PEG-Sonde aber schon über einen längeren Zeitraum erfolgte, könne die Ursächlichkeit für die tatsächliche Entscheidung über den Abbruch der künstlichen Ernährung nicht festgestellt werden. Das OLG München155 hatte zunächst einen ersatzfähigen Schaden bejaht: Dieser sei in der aus einer Pflichtverletzung resultierenden Lebens- und Leidensverlängerung zu sehen. Es würde andernfalls ein Wertungswiderspruch vorliegen, wenn dem ausgebliebenen Tod als „Erlösung“ keine Schadensqualität zukäme, aber eine lebenserhaltende Maßnahme wie die Magensonde als einwilligungsbedürftigen Eingriff in die körperliche Integrität ansehe.156 151 BGH Urt. v. 18. 01. 1983 – VI ZR 114/81, NJW 1983, 1371; zum Sachverhalt näher OLG München Urt. v. 27. 02. 1981 – 5 U 2993/80, NJW 1981, 2012 (Vorinstanz). 152 Laufs, in: NJW 1998, S. 796 (797). 153 BGH Urt. v. 02. 04. 2019 – VI ZR 13/18, NJW 2019, 1741. 154 Ein häufiger medizinischer Eingriff mit etwa 140.000 Fällen pro Jahr in Deutschland ist die künstliche Ernährung mithilfe einer perkutanen endoskopisch kontrollierten Gastrostomie (PEG-Sonde) (Bartmann, Sterben und Überleben mit der PEG-Sonde, Deutsches Ärzteblatt 2001, 98). 155 OLG München Urt. v. 21. 12. 2017 – 1 U 454/17, FamRZ 2018, 723 (Vorinstanz). 156 OLG München Urt. v. 21. 12. 2017 – 1 U 454/17, FamRZ 2018, 723 (Vorinstanz).
II. Die Bemessung der Entschädigung des Hinterbliebenengeldes
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Der BGH hat den durch das OLG München zugesprochenen Anspruch auf Schmerzensgeld und insbesondere den vom OLG München bejahten Schaden ausdrücklich verneint.157 Die Gegenüberstellung des Weiterlebens mit krankheitsbedingten Leiden und dem Tod sei aufgrund des höchstrangigen Rechtsguts Leben nicht möglich. Abweichend von der Frage eines kindlichen Schadensersatzanspruchs im Rahmen der „Wrongful-Life“-Rechtsprechung, bei der sich die Frage stellt inwieweit das Leben des Kindes „unwert“ sei, müsse hier die Frage entschieden werden, ob die Fortsetzung der künstlichen Ernährung oder das Zulassen des Sterbens seinem Wohl besser gedient hätte.158 Der BGH sieht den wesentlichen Unterschied zur „Wrongful-Life“-Rechtsprechung darin, dass einem Menschen – anders als dem Nasciturus – grundsätzlich zustehe, selbstbestimmt über den Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme zu entscheiden.159 Würde man an der allgemeinen Auffassung der Rechtsprechung festhalten, müsste das Leben als höchstrangiges Rechtsgut stets der Vorrang eingeräumt werden. Für die Frage ob das Zulassen des Sterbens dem Wohl des Patienten dient, ist die Bewertung des Lebens mit künstlicher Ernährung erforderlich. Darüber hinaus kann der Entscheidung nicht eindeutig entnommen werden, worin der immaterielle Schaden gesehen wird. Zwar geht es um die Leiden und Schmerzen, die der Patient erlitten hat. Für einen immateriellen Schaden gem. § 253 Abs. 2 BGB müssten nach bisheriger Gesetzeslage, die Schmerzen und Leiden aber auf einer Körper- oder Gesundheitsverletzung beruhen, die wiederum durch eine Verletzungshandlung des Schädigers herbeigeführt worden sein muss. Vorliegend ist für die Bestimmung des Schadens aber maßgeblich, ob die Schmerzen oder Leiden einen Schaden darstellen, weil aufgrund fehlender Aufklärung und Beratung der Abbruch der künstlichen Ernährung nicht in Erwägung gezogen wurde. Der körperliche Zustand des Patienten hat sich durch die Verletzungshandlung des behandelnden Arztes nicht verschlechtert. Entscheidend für die Bestimmung eines Schadens ist also, ob der schon bestehende schlechte Gesundheitszustand des Patienten durch die Verletzungshandlung verlängert wurde. Dabei kann aber das Leiden für sich betrachtet nicht den Schaden darstellen, weil dieses nicht auf der unterlassenen Aufklärung beruht. Der unterstellte Behandlungsfehler hat dazu geführt, dass das Leiden verlängert wurde. Diese Verlängerung betrifft die Fortsetzung oder Beendigung des Lebens und kann deshalb nicht zur Bestimmung eines Schadens herangezogen werden. Deshalb weist der BGH zu Recht darauf hin, dass es gerade an einem vom Leben zu trennenden Schaden wie der Unterhaltspflicht als Schaden der Eltern fehlt.160 Allerdings lässt der BGH offen, ob „mit dem eigenen Dasein“ wirtschaftliche Belastungen verbunden 157
BGH Urt. v. 02. 04. 2019 – VI ZR 13/18, NJW 2019, 1741. Vgl. BGH Urt. v. 02. 04. 2019 – VI ZR 13/18, NJW 2019, 1741, formuliert den Unterschied so, dass es einmal um den „Beginn“ des leidensbehafteten Lebens geht, und einmal um das „leidensbehaftete Weiterleben“. 159 Vgl. BGH Urt. v. 02. 04. 2019 – VI ZR 13/18, NJW 2019, 1741, der Mensch hätte einen „Abwehranspruch gegen lebensverlängernde Maßnahmen“. 160 BGH Urt. v. 02. 04. 2019 – VI ZR 13/18, NJW 2019, 1741. 158
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
sein können und verneint schon den Schutzzweckzusammenhang zwischen der verletzten Norm und dem materiellen Schaden.161 Wenn Rechtsprechung und Literatur herausstellen, dass das Leben keiner Bewertung unterzogen werden dürfe und es deshalb allein auf den Unterhaltsschaden der Mutter ankomme, ist fraglich, ob dann auch ein immaterieller Schaden aufgrund der Existenz des Kindes denkbar ist. Hier stößt die Entschädigungsfähigkeit immaterieller Schäden an seine Grenzen: Die Gewährung eines immateriellen Schadensersatzes zugunsten der Mutter dafür, dass ihr Kind auf die Welt gekommen ist, widerspricht verfassungsrechtlichen und normativen Wertungen.162 Dies entspricht der Überzeugung der Literatur und Rechtsprechung, sodass auch bei einer immateriellen Entschädigung für das Weiterleben grundsätzlich nichts anderes gelten kann.163 dd) Die Relevanz der Frage nach dem „Leben als Schaden“ für das Hinterbliebenengeld Die beschriebene Wertungsgrenze, bei der das Zivilrecht streng den verfassungsrechtlichen Vorgaben folgt, kann nicht unmittelbar auf eine Entschädigung für seelisches Leid aufgrund eines Verlusts im Rahmen des Hinterbliebenengeldes übertragen werden. Das Hinterbliebenengeld setzt als Schaden das seelische Leid des Hinterbliebenen voraus.164 Die für die „Wrongful Life“-Rechtsprechung bedeutende Frage nach dem „Leben als Schaden“ stellt sich hier nicht. Ob die Beurteilung zulässig ist, wie lebenswert ein Leben ist und ob ein Leben unterschiedlich lebenswert sein kann, stellt aber auch für das Hinterbliebenengeld eine zentrale Fragestellung dar. Der Hinterbliebene i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB erleidet keine eigene Rechtsgutsverletzung, sodass es auf die Tötung des Primärverletzten als haftungsbegründende Voraussetzung ankommt. Die Verletzung des geschützten Rechtsguts Leben kann nicht unmittelbar kompensiert werden. Zu entschädigen ist gem. § 844 Abs. 3 BGB deshalb das seelische Leid, das durch den Tod eines Verletzten verursacht worden ist. Auch wenn es auf das Ausmaß des seelischen Leids nicht ankommen soll, bedarf es einer Berechnungsgrundlage für die Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung. Wenn nicht auf das Ausmaß des seelichen Leids abzustellen ist, liegt es nahe 161
BGH Urt. v. 02. 04. 2019 – VI ZR 13/18, NJW 2019, 1741. BVerfG Urt. v. 25.02.975 – 1 BvF 1 – 6/74, NJW 1975, 563; BVerfG Urt. v. 28. 05. 1993 – 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92, NJW 1993, 1751; BGH Urt. v. 27. 06. 1995 – VI ZR 32/94, NJW 1995, 2407. 163 BVerfG Urt. v. 25. 02. 1975 – 1 BvF 1 – 6/74, NJW 1975, 563; BGH Urt. v. 18. 03. 1980 – VI ZR 247/78, NJW 1980, 1452; BGH Urt. v. 18. 03. 1980 – VI ZR 105/78, NJW 1980, 1450; BGH Urt. v. 27. 06. 1995 – VI ZR 32/94, NJW 1995, 2407; Bach, in: NJW 2019, S. 1915; Deutsch, in: NJW 1993, S. 2361 (2362). 164 Vgl. zum seelischen Leid als Schaden im Rahmen der Voraussetzungen von § 844 Abs. 3 BGB Kap. B. IV. 162
II. Die Bemessung der Entschädigung des Hinterbliebenengeldes
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auf die Beeinträchtigung abzustellen, die auszugleichen ist. Dies meint auf haftungsbegründender Ebene die Rechtsgutsverletzung. Das Hinterbliebenengeld setzt die Verletzung des Rechtsguts Leben voraus. Es stellt sich nun die Frage, wie sich die Höhe der Entschädigung an dem Tod des Primäropfers orientieren soll. Das Gericht könnte sich fragen, unter welchen Umständen der Tod beim Verletzten eingetreten ist. Der Tod könnte zeitlich unmittelbar nach der Verletzung eingetreten sein oder erst viele qualvolle Tage oder Wochen nach dem schädigenden Ereignis („Wie qualvoll war der Tod?“). Denkbar ist die Berücksichtigung der Lebensumstände, aus denen der Getötete herausgerissen wurde. Möglicherweise hinterlässt der Getötete mehrere Kinder und eine Ehefrau. Der Getötete könnte aber auch zurückgezogen und allein gelebt haben („Welche privaten Auswirkungen hat der Tod?“). Nicht zuletzt könnte das Gericht das Alter des Verstorbenen berücksichtigen („Wie lange hatte der Getötete noch zu leben?“). All diese Erwägungen würden die Frage betreffen, wie viel das einzelne Leben wert war und sind deshalb insgesamt abzulehnen. Zwar bedarf es für die Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld keines bestimmten Ausmaßes an seelischem Leid. Man könnte aber erwägen, das seelische Leid zumindest als Bemessungsgrundlage für die Entschädigung heranzuziehen. Wie „groß“ das seelische Leid des Hinterbliebenen tatsächlich ist, kann aufgrund von subjektiven Empfindungen schwer zu bestimmen sein. Für die Höhe der Entschädigung käme es deshalb auf weitere Bemessungskriterien an.165 Dies würde aber ebenfalls zu der kritischen Frage führen, inwiefern eine rechtliche Beurteilung über das menschliche Leben möglich ist: Das seelische Leid kann davon abhängig sein, unter welchen Umständen die nahe stehende Person gestorben ist, wie eng die Bindung zu dem Getöteten war, oder wie viel gemeinsame Zeit dem Hinterbliebenen mit dem Getöteten noch geblieben wäre ohne die fremdverursachte Tötung. Auch diese Überlegungen führen zu der Frage: „Wie schlimm ist es im konkreten Fall, dass der Verletzte gestorben ist?“. Sowohl die Beurteilung der Rechtsgutsverletzung Leben, als auch die Beurteilung des seelischen Leids führen zu den gleichen problematischen Fragestellungen aus unterschiedlicher Perspektive: „Wie schlimm ist der Tod für die Person des Getöteten? Wie schlimm ist der Tod für die Person des Hinterbliebenen?“
Die vorstehenden Überelegungen zeigen, dass eine Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung ohne Berücksichtigung des verletzten Rechtsguts Leben problematisch ist. Denn der Verlust des Getöteten ist Bedingung für den Eintritt des immateriellen Schadens.166 Auch wenn es im Rahmen des Hinterbliebenengeldes also nicht um die Frage nach dem Leben als Schaden geht, spielt die Berücksichtung des Wertes, der einem menschlichen Leben zukommt, eine bedeutende Rolle.
165 Vgl. zu dem Erfordernis von Bemessungskriterien bei immateriellen Schäden in Kap. C. III. 3. b). 166 Vgl. zu den Voraussetzungen des Hinterbliebenengeldes Kap. B. IV.
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
c) Die Schadensbemessung unter Berücksichtigung des Todeseintritts Auch wenn das seelische Leid als kausaler Schaden aufgrund des Todes des Primäropfers festgestellt worden ist, stellt sich daran anschließend die Frage, wie das seelische Leid als Schaden konkret zu bemessen ist. Weil die Wiederherstellung des Zustandes, der vor dem schadensbegründenden Ereignis geherrscht hat nicht möglich ist, ist ein Ausgleich durch Geld zu erreichen. Dieser Grundsatz des Ausgleiches führt zunächst dazu, dass es allein auf den Ausgleich des seelischen Leids ankommen würde. Daraus lassen sich aber keine Erkenntnisse für die Bemessung der Entschädigung gewinnen. Deshalb ist, wie dargestellt, auf weitere Funktionen einer solchen Entschädigung abzustellen. Unabhängig von der Funktion, die für die Bemessung der Hinterbliebenenentschädigung als geeignet anzusehen ist, muss die Bemessung der Entschädigung das schadensbegründende Ereignis einbeziehen.167 Es muss berücksichtigt werden, dass sich das seelische Leid auf die Tötung eines Menschen bezieht. Dies führt unweigerlich zu Formulierungsschwierigkeiten: Ist im Rahmen der Bemessung zu fragen, wie stark aufgrund eines Verlustes gelitten werden kann? Muss es eine Rolle spielen, wie alt der Getötete war, mit der kaum zu formulierenden Folge, dass bei der Tötung von alten Menschen kein gleich empfundenes Leid wie bei einem besonders jungen versterbenden Menschen angenommen werden kann?168 Müsste es berücksichtigt werden, dass der Getötete u. U. schon vorher unter einer besonders schweren Krankheit litt und deshalb keine hohe Lebenserwartung hatte? All dies führt unweigerlich zu einer Bewertung der Tötung und ihrer Bedeutung, die sie für den Hinterbliebenen hat. In Bezug auf die oben genannten Fälle, in denen es um einen Schaden durch Entstehung oder Fortsetzung des Lebens geht, liegt dem Hinterbliebenengeld grundsätzlich eine andere Wertung zugrunde: Der Verlust des Lebens ist ohne verfassungsrechtliche Bedenken grundsätzlich als negatives, leidvolles Ereignis anzusehen. Bei der Bemessung des Schadens stellt sich aber gerade nicht die Frage, ob es besser wäre, wenn der Mensch nicht auf die Welt gekommen wäre oder ob er früher sterben sollte, sondern ob es nicht besser sei, dass der Mensch weiterlebt, statt zu sterben. Es soll also aus lebensbejahender Perspektive heraus ein Schaden bestehen, wenn es an der Möglichkeit fehlt, das Leben fortzusetzen. Dies entspricht auch der schon lange geäußerten Forderung, dass die Tötung eines Menschen im Rahmen der Schadensersatzhaftung nicht ohne haftungsrechtliche Folgen bleiben könne.169 Wenn aber streng an dem Verbot der Bewertung des Lebens festgehalten werden soll, dürfte es auch bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes nicht darauf ankommen, wie 167 Vgl. auch Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 216 f., wonach der Haftungsgrund die Funktion der Entschädigung und damit auch die Bemessung beeinflusse. 168 So sieht die Tabelle des Landgerichts Rom für die Bemessung der Entschädigung aufgrund der Tötung eines Angehörigen im italienischen Recht eine Herabsetzung der Entschädigungshöhe vor, umso älter die verstorbene Person ist, vgl. Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 254. 169 Schramm, Haftung für Tötung, S. 22; MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 1.
II. Die Bemessung der Entschädigung des Hinterbliebenengeldes
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viel das Leben des Getöteten „wert“ war. Die Berücksichtigung der Tötung als schadensbegründendes Ereignis würde jedoch zu einer Beurteilung der Todesumstände führen. aa) Die Pauschalierung des Entschädigungsbetrags Etwas Anderes würde sich ergeben, wenn man einen pauschalierten Betrag festlegt, der nur die Tötung an sich für das verursachte seelische Leid berücksichtigt, ohne im Einzelfall die Umstände der Tötung und eine Prognose des weiteren Lebens zu Grunde zu legen.170 Wenn doch gerade ein Ausgleich oder die Wiedergutmachung des verlorenen Lebens nicht möglich sind, könnte das Hinterbliebenengeld immer noch vor dem Hintergrund einer bloß symbolischen Entschädigung gesehen werden.171 Durch eine Entschädigung in Form eines Pauschalbetrags könnte die Bemessung eines Gefühlsschadens verhindert werden.172 Darüber hinaus wäre die Frage entbehrlich, inwiefern die Lebensverletzung bei der Bemessung des Schadens berücksichtigt werden müsste.173 Ist man der Ansicht, dass keine über den Ausgleich hinausgehende Funktion des Entschädigungsanspruchs bei der Bemessung zu berücksichtigen ist, könnte eine einheitliche Bemessung der Entschädigung konsequent sein, da ein Ausgleich im schadensrechtlichen Sinne nur eingeschränkt verwirklicht werden kann. Eine solche „Schematisierung“ für die Bemessung der immateriellen Entschädigung lehnt Köndgen ab. Eine derart weitgehende Vereinheitlichung ignoriere die Besonderheiten des immateriellen Schadens: Zwischen einer Gehirnerschütterung und einer Querschnittslähmung lägen „Welten“, die durch eine „grobe Schematisierung“ nicht überbrückt werden könnten, „ohne den Ausgleich psychischer Einbußen ,zu pervertieren‘“.174 Köndgen sieht eine Möglichkeit der Vereinheitlichung in der Beschränkung der bemessungsrelevanten persönlichen Kriterien. Es sei dann ein objektivierter Maßstab anzulegen, der durch „subjektive Faktoren aufgelockert“ werden würde.175 Auch wenn zu Recht gefordert wird, dass die Entschädigung für einen immateriellen Schaden eine objektive Bemessungsgrundlage benötigt, geht die Festsetzung eines Pauschalbetrags zu weit.176 Durch das dem Gericht eingeräumte Ermessen bei 170
So auch der Vorschlag von Luckey, in: FS Huber, 2020, S. 358 (351); vgl. allgemein für das Schmerzensgeld: Ahrens, in: Karslruher Forum 2016, S. 73. 171 Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (412). 172 Vgl. Ahrens, in: Karslruher Forum 2016, S. 73. 173 Vgl. zur Problematik der „Bewertung des Lebens“ in Kap. D. II. 7. b). 174 Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 139, 140. 175 Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 141; vgl. zur objektiven Bewertung des Schadens in Kap. E. III. 176 So auch Schramm, Haftung für Tötung, S. 410; Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 139, 140.
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
der Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung („angemessene Entschädigung“) hat der Gesetzgeber eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass eine Einzelfallbetrachtung zu erfolgen hat.177 Zudem bedarf es für eine Objektivierung des Entschädigungsmaßstabs nicht zwingend einem Pauschalbetrag, der mit dem Gedanken der Einzelfallgerechtigkeit178 schwer vereinbar ist. bb) Zwischenergebnis Durch das neue Hinterbliebenengeld existiert erstmalig ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens bei Verletzung des Rechtsguts Leben. Die Rechtsgutsbezogenheit des § 253 Abs. 2 BGB fehlt aber beim Hinterbliebenengeld, weil es sich um einen Anspruch eines Dritten handelt, der keine eigene Rechtsgutsverletzung erlitten hat. Die Einbeziehung des Rechtsguts Leben hat zunächst keine besonderen Konsequenzen, weil bereits durch die Schaffung des Anspruchs in § 844 BGB die Tötung einen Anspruch des Dritten begründet. Neu ist dabei nur der Ersatz auch eines immateriellen Schadens. Sowohl die fehlende Rechtsgutsverletzung des Anspruchstellers als auch der auf der Tötung beruhende immaterielle Schaden haben Auswirkungen auf die Bemessung der Hinterbliebenenentschädigung. Im Rahmen des immateriellen Schadensersatzes gem. § 253 Abs. 2 BGB soll gerade die Rechtsgutsverletzung als objektives Kriterium Hinweise für die Bemessung der Entschädigung liefern.179 Für die Bemessung der Hinterbliebenenentschädigung kann jedenfalls keine eigene Rechtsgutsverletzung des Anspruchstellers berücksichtigt werden. Darüber hinaus betont die Gesetzesbegründung zum Hinterbliebenengeld, dass es nicht um die Kompensation für die Zerstörung eines Menschenlebens gehen soll.180 Die vorherige Darstellung hat gezeigt, dass der eingetretene Tod des Primärverletzten bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes nicht bzw. nur eingeschränkt berücksichtigt werden kann. Die Höhe des Hinterbliebenengeldes kann nicht von der Bewertung des Todes abhängen. Dabei darf es weder eine Rolle spielen, unter welchen Umständen der Primärverletzte zu Tode gekommen ist, noch welche Bedeutung der Tod für die Hinterbliebenen, insbesondere für den Anspruchsteller hat. Auch die Einbeziehung von Umständen der fremdverursachten Tötung, z. B. inwiefern der Schädiger fahrlässig, von Reue erfüllt oder leichtsinnig und gleichgültig die Tötung verursacht hat, würde in den Grenzbereich der verfassungsrechtsrechtswidrigen Bewertung des Lebens bzw. des Verlusts des Lebens fallen. 177 BeckOGK/Brand, BGB § 249 Rn. 310; Schramm, Haftung für Tötung, S. 489; LG Osnabrück Urt. v. 09. 01. 2019 – 3 KLs 4/18, SVR 2020, 139. 178 Hoppenstedt/Stern, in: ZRP 2015, S. 18 (20); zur Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit als „integrale Bestandteile eines Rechtsstaates“: Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 258; L. Schäfer, Die Bemessungsmethoden, S. 126. 179 Rohde, Haftung und Kompensation bei Straßenverkehrsunfällen, S. 212; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 155. 180 BT-Drs. 18/11397, S. 8.
II. Die Bemessung der Entschädigung des Hinterbliebenengeldes
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Weil § 844 BGB aber die Begründung eines Haftungstatbestands durch den Schädiger voraussetzt, kann die Tötung des Primärverletzten als schadensbegründendes Ereignis bei der Bemessung des Schadens nicht unberücksichtigt bleiben. Die haftungsbegründende Voraussetzung des besonderen persönlichen Näheverhältnisses zwischen Primärverletztem und Hinterbliebenem ist Ausdruck des Verlustes, den der Hinterbliebene durch den Tod erlitten hat. Das Näheverhältnis trägt der Berücksichtigung des Todeseintritts, der Anlass für den Anspruch des Hinterbliebenen auf Hinterbliebenengeld ist, ausreichend Rechnung. Das Hinterbliebenengeld beruht zwar auf der Tötung des Angehörigen, der haftungsbegründende Tatbestand enthält aber gerade deshalb die besondere Voraussetzung des Näheverhältnisses, um die Diskrepanz zwischen der fehlenden Ausgleichsmöglichkeit für den Tod und der Rechtfertigung eines Anspruchs des Hinterbliebenen aufzulösen. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld entschädigt deshalb ausschließlich das seelische Leid des Hinterbliebenen, das auf der durch den Tod beendeten Nähebeziehung beruht. Dies stimmt mit dem bereits dargestellten Ergebnis überein, dass die Funktion des haftungsausfüllenden Tatbestands des Hinterbliebenengeldes allein auf den Ausgleich des seelischen Leids des Hinterbliebenen gerichtet ist. Auch wenn der Haftungsgrund des Hinterbliebenengeldes auf haftungsbegründender Ebene in dem Tod des Primärverletzten zu sehen ist, wurde bereits festgestellt, dass sich der Ausgleichsgedanke in dem ursprünglichen Näheverhältnis zwischen Getötetem und Hinterbliebenen fortsetzt. Der Ausgleich des Todes ist damit weder auf haftungsbegründender, noch auf haftungsausfüllender Ebene möglich und auch nicht bezweckt. 8. Zwischenergebnis Die vorstehenden Überlegungen haben zwar gezeigt, dass die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Funktion des Hinterbliebenengeldes ausschließlich auf dem Ausgleichsgedanken beruhen. Aufgrund der Anspruchsvoraussetzung des Todeseintritts einer nahestehenden Person gem. § 844 Abs. 3 BGB bedurfte es aber einer Konkretisierung der Bedeutung der Ausgleichsfunktion für das Hinterbliebenengeld. Auch wenn der Ausgleich einer Beeinträchtigung eines geschützten Rechtsgutes und eines eingetretenen Schadens im Vordergrund stehen, bedarf es für das Hinterbliebenengeld einer normativen Wertung der Ausgleichsfunktion. Ohne die Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Ausgleiches bliebe es dabei, dass gegenüber dem Getöteten selbst die Lebensverletzung nicht ausgeglichen werden kann und ein Ausgleich des Todes deshalb grundsätzlich nicht möglich ist. Der Anlass für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld ist aber gerade der Tod eines Dritten, der durch einen Schädiger verursacht worden ist. Durch den Ausgleich des seelischen Leids auf haftungsausfüllender Ebene kann aber dem Ausgleichsgedanken in Bezug auf den Tod als Haftunsgrund ebenfalls Rechnung getragen werden. Auch wenn ein unmittelbarer Ausgleich in Geld für eine Lebensverletzung weiterhin ausgeschlossen bleibt, kann der Umstand der Tötung durch den Ausgleich gegenüber
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
dem Hinterbliebenen berücksichtigt werden. Aufgrund dieser Wertung bedarf es auch keiner zusätzlichen Funktion des Hinterbliebenengeldes.
III. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes unter Berücksichtigung des immateriellen Schadensersatzes Das neue Hinterbliebenengeld wurde im Deliktsrecht verortet und setzt die Verwirklichung eines verschuldensabhängigen Haftungstatbestands gem. §§ 823 ff. BGB voraus.181 Die Gefährdungshaftung wurde ebenfalls um die Regelung der Hinterbliebenenentschädigung ergänzt.182 Durch die systematische Einordnung des Hinterbliebenengeldes in das Deliktsrecht und die einzelnen speziellen Hinterbliebenengeldregelungen im Bereich der Gefährdungshaftung ist der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes für die vertragliche Haftung nicht eröffnet.183 Die Gesetzesbegründung betont den fehlenden Anwendungsbereich bei der Vertragshaftung.184 Ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld auch bei vertraglicher Haftung sei nicht erforderlich, da der Hinterbliebene meistens schon gar nicht in den Schutzbereich des Vertragsverhältnisses einbezogen sei.185 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass es für § 844 Abs. 3 BGB der Verwirklichung eines Haftungstatbestandes zwischen Getötetem und Schädiger bedarf. Ohne das schadensbegründende Ereignis gegenüber dem Geschädigten stünde dem Hinterbliebenen kein Anspruch zu. Der Hinterbliebene ist an dem durch die Verletzungshandlung entstehenden Schuldverhältnis zwischen Schädiger und Getötetem zunächst nicht beteiligt und wird erst durch die gesetzliche Anordnung einbezogen. Ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld bei einem Vertragsverhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Getöteten könnte deshalb ebenso gesetzlich angeordnet werden. Der Gesetzgeber hat sich gegen einen Verweis auf die Vertragshaftung entschieden, sodass ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld im Rahmen der Vertragshaftung grundsätzlich nicht besteht. Die Frage nach einer analogen Anwendung auf die Vertragshaftung stellt sich aufgrund des erkennbaren gesetzgeberischen Willens nicht.186 181
Vgl. dazu Kap. B. IV. 1. a) aa). Die gesetzlichen Gefährdungshaftungen haben jeweils eine Regelung zur Hinterbliebenenentschädigung aufgenommen, zudem Anwendung Hinterbliebenengeld auf Bergschadenshaftung über § 117 BBergG (vgl. Gesetzesentwurf d. Bundesregierung, S. 9, Stand: 27. 01. 2017); vgl. zur Aufzählung Fn. 213. 183 Eine Ausnahme wird nur für die Passagierschadenshaftung im Luftverkehr vorgesehen, § 35 Abs. 3 LuftVG gewährt nun einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld und findet i. V. m. § 49 LuftVG Anwendung auf die Haftung aus Beförderungsvertrag. Hierfür wird die fehlende deliktische Anspruchsmöglichkeit aufgrund des Ausschlusses allgemeiner deliktischer Ansprüche nach nationalem Recht im Luftverkehr angeführt (vgl. BT-Drs. 18/11397, S. 9). 184 Gesetzesentwurf d. Bundesregierung, S. 9, Stand: 27. 01. 2017; BT-Drs. 18/11397, S. 9. 185 Gesetzesentwurf d. Bundesregierung, S. 9, Stand: 27. 01. 2017; BT-Drs. 18/11397, S. 9. 186 BT-Drs. 18/11397, S. 9. 182
III. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes
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Vor dem Hintergrund des 2. SchadÄndG wirft der Ausschluss der Vertragshaftung die Frage auf, inwiefern dies den neueren gesetzgeberischen Zielen und der angestrebten Angleichung des Delikts- und Vertragsrechts entspricht.187 Die Ausweitung des immateriellen Schadensersatzes auf die Gefährdungs- und Vertragshaftung durch das 2. SchadÄndG gilt als bedeutende Reform im deutschen Zivilrecht.188 Die haftungsausfüllende Anordnung immateriellen Schadensersatzes wurde fortan im allgemeinen Teil des Schadensersatzrechts verortet und nicht mehr im Deliktsrecht geregelt. Durch die Neuregelung in § 253 Abs. 2 BGB konnte der immaterielle Schadensersatz nun durch die Verschuldens-, Gefährdungs- und Vertragshaftung geltend gemacht werden. Laut Gesetzesentwurf zum 2. SchadÄndG soll der Ersatz des immateriellen Schadens dem Verletzten unabhängig vom Haftungsgrund zustehen.189 Der Gesetzgeber sieht den Hinterbliebenen zwar durch den Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes als ausreichend geschützt an.190 Es ist jedoch zu untersuchen ob der Gesetzgeber beim Hinterbliebenengeld und dem damit bezweckten Opferschutz Konstellationen übersehen hat, in denen die fehlende vertragliche Haftung einen „sachlich nicht gerechtfertigten Bruch in der Rechtsordnung“ darstellt.191 1. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes unter Berücksichtigung des Arzthaftungsrechts Ob sich tatsächlich Konsequenzen aus dem Ausschluss der Hinterbliebenenentschädigung bei Vertragshaftung ergeben, ist im Bereich des Arzthaftungsrechts zu untersuchen. Die Kritik an der fehlenden Vertragshaftung wurde insbesondere mit dem Arzthaftungsrecht begründet.192 Laut Gesetzesbegründung würden Hinterbliebene als Dritte regelmäßig nicht in den Schutzbereich des Vertrags fallen, es läge also kein Vertrag zugunsten Dritter vor.193 Die fehlende Schutzwirkung zugunsten Dritter überzeugt jedoch nicht, weil der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB die Anspruchsberechtigung des Dritten anordnet. Würde die Vertragshaftung in den Anwendungs187 Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (403); Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 800; Slizyk, Handbuch Schmerzensgeld, Rn. 346; Huber/Kadner Graziano/Luckey/Huber, Hinterbliebenengeld, S. 38 ff.; Jaeger, in: NJW 2017, S. 1041; Steenbuck, in: r+s 2017, S. 449 (450); Stellungnahme d. DAV v. 23. 12. 2016, S. 9. 188 Huber, Fragen der Schadensberechnung, S. 406; Müller, in: VersR 2003, S. 1 (4). 189 BT-Drs. 14/7752, S. 14. 190 Ref-E, S. 9; Reg-E, S. 9; BT-Drs. 18/11397, S. 9. 191 Bayer, in: MedR 2018, S. 947 (948). 192 Hier sei eine besondere Anspruchsgrundlage für ein Hinterbliebenengeld aufgrund der besonderen Beweislastverteilung erforderlich, vgl. Jaeger, in: VersR 2017, S. 1041. 193 BT-Drs. 18/11397, S. 9.
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
bereich des Hinterbliebenengeldes fallen, bedürfte es aufgrund der Anspruchsgrundlage des Hinterbliebenengeldes keiner besonderen Schutzwirkung eines Vertrags zugunsten eines Dritten. Zu untersuchen ist aber, ob sich durch die auf die Delikts- und Gefährdungshaftung beschränkte Anwendung des Hinterbliebenengeldes eine Schutzlücke ergibt, die der Gesetzgeber durch die Erweiterung auf die Vertragshaftung schließen könnte. Grundsätzlich besteht zwischen der Haftung aus Vertrag und Delikt Anspruchskonkurrenz, sodass beide Ansprüche nebeneinander Anwendung finden.194 Das Deliktsrecht und das Vertragsrecht stehen grundsätzlich „gleichwertig“195 nebeneinander. Für beide Haftungsordnungen ist die Haftungsausfüllung in §§ 249 ff. BGB geregelt.196 Entscheidend ist deshalb die Verwirklichung des Tatbestands beider Haftungsordnungen. Die fehlende Gewährung von Hinterbliebenengeld im Rahmen der Vertragshaftung wirkt sich nur dann aus, wenn sich die vertragliche und die deliktische Haftung in den Voraussetzungen der Haftungsbegründung unterscheiden. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld setzt gem. § 844 Abs. 3 BGB zunächst eine Ersatzpflicht voraus. Diese Ersatzpflicht ergibt sich aus einer bestehenden Haftung des Schädigers aus Delikt oder Gefährdung. Der Schädiger müsste den haftungsbegründenden Tatbestand erfüllt haben, der eine Ersatzpflicht auslösen würde. Für die vertragliche Haftung im Arzthaftungsrecht ist zu untersuchen, ob die Voraussetzungen zur Verwirklichung des haftungsbegründenden Tatbestands mit den Voraussetzungen des haftungsbegründenden Tatbestands bei der Delikts- und Gefährdungshaftung übereinstimmen. Es ist deshalb ein Überblick über die Vertragskonstellationen zwischen Patient, Arzt und Krankenhaus zu geben. Zu berücksichtigen sind dabei aber die unterschiedlichen Prinzipien, auf denen die Vertrags- und die Deliktshaftung beruhen.197 Während die Parteien durch einen Vertrag freiwillig Verbindlichkeiten eingehen, schützt die deliktische Haftung allgemein die Rechtsgüter Dritter.198 Für den Fall einer Haftungslücke könnte deshalb auch ein durch die vertragliche Haftung verfolgter Schutzzweck unterschiedliche Ergebnisse rechtfertigen. a) Der Behandlungsvertrag im Arzthaftungsrecht Der Arztvertrag als privatrechtlicher Vertrag zwischen Arzt und Patient regelt Ansprüche, Pflichten und Obliegenheiten des Arztes und des Patienten.199
194 Brieskorn, Vertragshaftung und responsabilité contractuelle, S. 222; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 81. 195 BGH Urt. v. 28. 04. 1953 – I ZR 47/52, NJW 1953, 1180. 196 Brieskorn, Vertragshaftung und responsabilité contractuelle, S. 222. 197 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 80. 198 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 80, 81. 199 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, S. 77.
III. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes
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Der Behandlungsvertrag wurde im Jahr 2013 durch die Einfügung des § 630a BGB im Rahmen des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten gesetzlich normiert.200 Neben § 630a BGB wurden § 630b – h BGB zur Etablierung des vertragsärztlichen Haftungssystems ergänzt. Der Behandlungsvertrag stellt eine spezielle Form des Dienstvertrags dar. § 630a Abs. 1 BGB regelt die Hauptleistungspflichten der Vertragsparteien. Durch den Behandlungsvertrag verpflichtet sich eine Partei zur medizinischen Behandlung des Patienten.201 Geschuldet wird die sorgfältige Behandlung durch den Behandelnden, nicht der Behandlungserfolg.202 Ausgangspunkt muss im Hinblick auf einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld der Eintritt des Todes nach einem ärztlichen Behandlungsfehler sein. Für einen Schadensersatzanspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB aufgrund eines Behandlungsvertrags bedarf es einer Pflichtverletzung, einem Schaden und der Kausalität.203 Der Behandlungsfehler kann insbesondere darin bestehen, dass bei der ärztlichen Behandlung der zum Zeitpunkt der Behandlung bestehende medizinische Standard nicht eingehalten wurde und sich der gesundheitliche Zustand des Patienten dadurch nicht verbessert, verschlechtert oder Nebenfolgen eintreten.204 Die Pflichtverletzung durch den Behandelnden kann bei der Anamnese, der Diagnose, der Prophylaxe, der Therapie oder der Nachsorge erfolgen.205 Nach dem weiten Behandlungsfehlerbegriff ist danach zu fragen, „ob der Arzt unter Einsatz der von ihm zu fordernden medizinischen Kenntnisse und Erfahrungen im konkreten Fall vertretbare Entscheidungen über die diagnostischen sowie therapeutischen Maßnahmen getroffen und diese Maßnahmen sorgfältig durchgeführt hat.“206
Gem. § 630a Abs. 2 BGB hat die Behandlung nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen. Der durch den behandelnden Arzt einzuhaltende Behandlungsmaßstab orientiert sich nicht an den individuellen Fähigkeiten des Arztes.207 Der Maßstab richtet sich vielmehr nach der Verkehrsanschauung und nach dem Erwartungshorizont des durchschnittlichen Patienten, der einen Arzt aufsucht.208 Die objektive Betrachtung 200
Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten v. 26. 02. 2013 (Patientenrechtegesetz), BGBl. S. 277. 201 Die Behandlung kann auch aus kosmetischen Zwecken erfolgen, vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 17. 202 MüKoBGB/Wagner, § 630a Rn. 4. 203 MüKoBGB/Wagner, § 630a Rn. 106. 204 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 276; MüKoBGB/Wagner, § 630a Rn. 102. 205 Altwein, Der ärztliche Behandlungsfehler, S. 4; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 276. 206 BGH Urt. v. 10. 03. 1987 – VI ZR 88/86, NJW 1987, 2291; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 277. 207 BGH Urt. v. 06. 05. 2003 – VI ZR 259/02, NJW 2003, 2311. 208 BGH Urt. v. 29. 01. 1991 – VI ZR 206/90, NJW 1991, 1535.
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
unterscheidet sich aber je nach Verkehrskreis, sodass von Fachärzten der Facharztstandard einzuhalten ist.209 Die Parteien können gem. § 630a Abs. 2 BGB aber abweichende Standards vereinbaren. aa) Der Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient Bei der Behandlung des Patienten durch einen niedergelassenen Arzt ist grundsätzlich der Inhaber der Arztpraxis Vertragspartner.210 Durch die Übernahme der Behandlung entsteht zwischen dem gesetzlich versicherten Patienten und dem zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Arzt gem. § 76 Abs. 4 SGB V ein privatrechtlicher Vertrag.211 Durch diesen Vertrag wird zugleich das Verhältnis zwischen Arzt, Patient, Krankenkasse und kassenärztlicher Versorgung auf privatrechtlicher Ebene geregelt.212 Deshalb richtet sich der Honoraranspruch des Arztes unmittelbar gegen die Krankenversicherung.213 Der niedergelassene Arzt haftet für eigene schuldhafte Pflichtverletzungen und die seines Praxispersonals.214 Schließt der Behandelnde einen Behandlungsvertrag mit einem gesetzlich versicherten Patienten ab, hat der durch den Behandlungsvertrag verpflichtete Arzt einen sozialrechtlichen Vergütungsanspruch gegen die Kassenärztliche Vereinigung215 (KV).216 Dieser Anspruch tritt an die Stelle des vertraglichen Honoraranspruchs.217 Der Patient kann sich bei dem Arzt auch unter dem Hinweis in Behandlung begeben, dass eine private Krankenversicherung besteht. Der Patient bringt dadurch zum Ausdruck, dass er damit einverstanden ist, als Selbstzahler untersucht und behandelt zu werden.218 Als Privatpatient schuldet der Patient dem Arzt aus dem Behandlungsvertrag gem. § 630a Abs. 1 BGB das Honorar.219
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BT-Drs. 17/10488, S. 19; MüKoBGB/Wagner, § 630a Rn. 117. Laufs/Katzenmeier/Lipp/Lipp, Arztrecht, S. 66 Rn. 3. Vgl. zur fehlenden Vertragsbeziehung ggü. dem durch den behandelnden Arzt bestellten Urlaubsvertreter: BGH Urt. v. 16. 05. 2000 – VI ZR 321/98, NJW 2000, 2737. 211 Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, Rn. A 455. 212 Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, Rn. A 463. 213 Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, Rn. A 465. 214 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 103. 215 Dies ergibt sich für die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzte aus § 87b Abs. 1 SGB V. 216 Laufs/Katzenmeier/Lipp/Lipp, Arztrecht, S. 93 Rn. 52; MüKoBGB/Wagner, § 630a Rn. 16. 217 Laufs/Katzenmeier/Lipp/Lipp, Arztrecht, S. 93 Rn. 52. 218 Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, Rn. A 436. 219 Laufs/Katzenmeier/Lipp/Lipp, Arztrecht, S. 89 Rn. 43; MüKoBGB/Wagner, § 630a Rn. 15. 210
III. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes
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bb) Der Behandlungsvertrag zwischen Krankenhausträger und Patient Bei der stationären Behandlung eines Patienten im Krankenhaus sind drei verschiedene Vertragskonstellationen denkbar: der totale Krankenhausaufnahmevertrag, der gespaltene Krankenhausaufnahmevertrag und der totale Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag. Behandelt das Krankenhaus einen gesetzlich versicherten Patienten stationär, erwirbt der Krankenhausträger gem. §§ 108, 109 SGB V einen sozialrechtlichen Anspruch auf Vergütung gegen die Krankenkasse.220 Sofern das Krankenhaus eine ambulante Behandlung anbietet, kommt die Vertragsbeziehung zwischen dem Patienten und dem Betreiber der Ambulanz zustande.221 Der an der kassenärztlichen Versorgung beteiligte Chefarzt erhält seine Vergütung gem. §§ 116, 120 i. V. m. § 87b SGB V von der kassenärztlichen Vereinigung, die gem. § 85 Abs. 1 SGB V einen selbstständigen Zahlungsanspruch gegen die Krankenkasse hat.222 (1) Totaler Krankenhausaufnahmevertrag Im Rahmen des totalen Krankenhausvertrags verpflichtet sich der Krankenhausträger gegenüber dem Patienten alle Leistungen einschließlich der ärztlichen Versorgung zu erbringen.223 Der Patient ist nur gegenüber dem Krankenhausträger eine vertragliche Beziehung eingegangen.224 Der behandelnde Arzt ist Erfüllungsgehilfe gem. § 278 BGB und in Bezug auf deliktische Ansprüche Verrichtungsgehilfe i. S. d. § 831 BGB.225 Für die angestellten Ärzte, die nicht Chefärzte oder Chefarztvertreter sind, gilt der Entlastungsbeweis gem. § 831 BGB.226 Beauftragt das Krankenhaus einen externen, selbstliquidierenden Arzt, wird dieser kein Erfüllungsoder Verrichtungsgehilfe des Krankenhauses.227 Vielmehr kommt ein weiterer Behandlungsvertrag zwischen dem Patienten und dem vermittelten Arzt zustande.228 Ein weiterer Vertrag kommt ebenfalls zustande, wenn der Krankenhausträger einen Konsiliararzt hinzuzieht.229 Der Konsiliarius230 ist in der Regel kein Erfüllungsge220
Laufs/Katzenmeier/Lipp/Lipp, Arztrecht, S. 93 Rn. 52. Dies kann der Chefarzt oder der Krankenhausträger sein, vgl. BGH Urt. v. 28. 04. 1987 – VI ZR 171/86, NJW 1987, 2289; Laufs/Katzenmeier/Lipp/Lipp, Arztrecht, S. 68 Rn. 6. 222 Becker/Kingreen/Scholz, § 85 SGB V Rn. 3. 223 Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, Rn. K 132. 224 Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, Rn. K 132b. 225 Bzw. als Chefarzt Organ gem. §§ 31, 89 BGB, vgl. Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, Rn. K 136. 226 Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, Rn. K 138. 227 Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, Rn. K 140a. Vgl. BGH Urt. v. 14. 07. 1992 – VI ZR 214/91, wo es um die Haftung einer niedergelassenen Kinderärztin ging, die bei einem Neugeborenen eine Vorsorgeuntersuchung vornimmt, während die Mutter und das Kind von dem im Krankenhaus als Belegarzt tätigen Gynäkologen behandelt werden. Der BGH bejaht einen eigenständigen Behandlungsvertrag mit der niedergelassenen Kinderärztin. 228 Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, Rn. K 140a. 229 Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, Rn. 140d. 221
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
hilfe des Krankenhausträgers.231 Zwischen ihm und dem Patienten kommt ein eigenes Vertragsverhältnis zustande, wenn der behandelnde Arzt den Patienten überweist.232 Dabei handelt der behandelnde Arzt als Stellvertreter des Patienten, der zu den medizinisch erforderlichen Untersuchungen konkludent durch den Patienten bevollmächtigt ist.233 Wenn der Krankenhausträger den Konsiliararzt aber zur Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten gegenüber dem Patienten hinzuzieht, weil es dem Krankenhaus an eigenem, fachkundigem ärztlichen Personal fehlt, haftet der Krankenhausträger gegenüber dem Patienten für den Konsiliararzt als Erfüllungsgehilfe gem. § 278 BGB.234 Wird der Konsiliararzt im Rahmen des totalen Krankenhausaufnahmevertrags235 zugezogen und durch den Krankenhausträger bezahlt, ist der Konsiliararzt zwar Erfüllungsgehilfe, nicht aber auch Verrichtungsgehilfe des Krankenhausträgers gem. § 831 BGB.236 Der Konsiliararzt sei nach Ansicht des BGH nicht mit einem nachgeordneten ärztlichen Mitarbeiter gleichzustellen und sei auch nicht in den Betrieb der Klinik eingebunden. Deshalb fehle es an der für § 831 BGB erforderlichen Weisungsabhängigkeit.237 Sofern zwischen dem Patienten und dem Konsiliararzt kein eigener Vertrag besteht, haftet der Krankenhausträger für den Konsiliararzt deshalb nur im Rahmen des Krankenhausaufnahmevertrags. (2) Gespaltener Krankenhausaufnahmevertrag Darüber hinaus besteht die Möglichkeit eines gespaltenen Arzt-KrankenhausVertrags, bei dem der Patient zwei Verträge abschließt.238 Dabei übernimmt das Krankenhaus nur die medizinische und pflegerische Betreuung als Leistungspflicht, zur ärztlichen Behandlung verpflichtet sich der selbst liquidationsberechtigte sog. Belegarzt gem. § 121 Abs. 2 SGB V.239 In dieser Konstellation wird der Arzt nicht als 230 Gem. Nr. 60 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ist ein Konsiliararzt jeder liquidationsberechtigte Arzt, der sich in unmittelbarem Zusammenhang in persönlichem Kontakt mit einem Patienten und seiner Erkrankung befasst hat (Quaas/Zuck/Clemens/Quaas, Medizinrecht, § 16 Rn. 142). 231 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 103. 232 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 103. 233 BGH Urt. v. 14. 01. 2010 – III ZR 188/09, NJW 2010, 1200; Laufs/Kern/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 44 Rn. 20. 234 BGH Urt. v. 21. 01. 2014 – VI ZR 78/13, NJW-RR 2014, 1051. 235 Der totale Krankenhausaufnahmevertrag stellt den Regelfall des Vertrags zwischen Krankenhausträger und Patient dar und beinhaltet die Allgemeinen Krankenhausleistungen gem. §§ 1, 2 KHEntgG (Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 116 Rn. 39). 236 BGH Urt. v. 15. 03. 1990 – 14 U 38/87, MedR 1991, 143. 237 BGH Urt. v. 15. 03. 1990 – 14 U 38/87, MedR 1991, 143. 238 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 106. 239 „(2) Belegärzte im Sinne dieses Gesetzbuchs sind nicht am Krankenhaus angestellte Vertragsärzte, die berechtigt sind, ihre Patienten (Belegpatienten) im Krankenhaus unter Inanspruchnahme der hierfür bereitgestellten Dienste, Einrichtungen und Mittel vollstationär oder teilstationär zu behandeln, ohne hierfür vom Krankenhaus eine Vergütung zu erhalten.“; BeckOGK/Walter, BGB § 630a Rn. 50.
III. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes
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Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfe des Krankenhausträgers tätig, da der Arzt selbstständiger Vertragspartner wird.240 Der Belegarzt haftet zudem für die Tätigkeit der ihm in seinem Fachgebiet nachgeordneten Ärzte sowie der handlungsbezogenen Tätigkeiten des nichtärztlichen Personals.241 (3) Totaler Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag Bei dem Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag verpflichtet sich der Krankenhausträger zu allen medizinischen und pflegerischen Leistungen sowie der ärztlichen Behandlung selbst.242 Zusätzlich verpflichtet sich ein liquidationsberechtigter Krankenhausarzt zur persönlichen Behandlung des Patienten. Für Fehler des Arztes, der mit dem Patienten einen Arztzusatzvertrag abschließt, haften der Krankenhausträger und der behandelnde Arzt gesamtschuldnerisch.243 b) Die fehlende Relevanz der Nichtberücksichtigung der vertraglichen Haftung Für das Arzthaftungsrecht stellt sich nun die Frage, welche Auswirkungen es haben kann, wenn der Behandelnde bei einem Behandlungsfehler nur aus deliktsrechtlichen Vorschriften haftet. Der fehlende Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes im Vertragsrecht hat keine Relevanz, wenn der Schutzumfang aufgrund der deliktischen Haftung identisch ist. aa) Die vertragliche Haftung für den Erfüllungsgehilfen Zunächst ist auf den im Krankenhaus angestellten Arzt abzustellen. Wegen des totalen Krankenhausaufnahmevertrags wird hier in der Regel das Krankenhaus Partei des Behandlungsvertrags.244 Der Patient tritt nur gegenüber dem Krankenhausträger in vertragliche Beziehung, sodass das Krankenhaus auch die Durchführung der ärztlichen Behandlung schuldet, die durch die im Krankenhaus angestellten Ärzte erbracht wird.245 Ist dem Arzt ein Behandlungsfehler unterlaufen, kann der Patient das Krankenhaus aus dem Behandlungsvertrag in Anspruch nehmen, da der Arzt als Erfüllungsgehilfe des Krankenhausträgers gem. § 278 BGB tätig wird.246 Für eine 240
Bauch/Bruch/Heberer/Jähne, Behandlungsfehler und Haftpflicht in der Viszeralchirurgie, S. 9. 241 Große Feldhaus, Arzt und Recht bei Fehlern und Irrtümern, S. 168. 242 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 108. 243 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 108. 244 MüKoBGB/Wagner, Vor § 630a Rn. 30. Möglich ist zudem ein totaler Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag, vgl. Beyerle, Rechtsfragen medizinischer Qualitätskontrolle, S. 14; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, S. 213. 245 Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, S. 213. 246 Deutsch, in: NJW 2000, S. 1745 (1748); Jauernig/Stadler, § 278 BGB Rn. 16.
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
Zurechnung gem. § 278 BGB kommt es darauf an, welcher Vertragspartner für die Erfüllung der Verbindlichkeit tätig geworden ist.247 Beim gespaltenen Krankenhausvertrag, bei dem auch ein Belegarztvertrag mit dem Patienten besteht, ist der Belegarzt selbstständiger Vertragspartner, der die Behandlung zur Erfüllung der eigenen vertraglichen Pflichten durchführt.248 Der Belegarzt ist deshalb kein Erfüllungsgehilfe des Krankenhausträgers. Dieser haftet aber unter Umständen gem. § 278 BGB für die Leistungen nachgeordneter Krankenhausärzte, die auf seine Veranlassung hin bei der Behandlung in demselben Fachgebiet tätig werden.249 Eine Zurechnung ist auch für die Tätigkeit der vom Belegarzt angestellten Hilfspersonen sowie die Urlaubsvertretung möglich.250 Delegierte oder assistierende Ärzte sind grundsätzlich Erfüllungsgehilfen, wenn kein eigener Behandlungsvertrag mit dem Patienten geschlossen wurde.251 Der behandelnde Arzt ist bei einem Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag im Rahmen des Krankenhausaufnahmevertrags Erfüllungsgehilfe des Krankenhausträgers, im Rahmen der Wahlleistung haftet auch der selbstliquidierungsberechtigte Arzt.252 Anders aber als beim gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrag haftet hier neben dem Arzt der Krankenhausträger.253 bb) Die deliktsrechtliche Haftung für den Verrichtungsgehilfen Darüber hinaus kommt die deliktische Haftung des Krankenhausträgers für an der Behandlungsmaßnahme beteiligte Personen gem. § 831 BGB in Betracht. Für die Frage, ob eine Haftung gem. § 831 BGB besteht, sind der Geschäftsherr und der Verrichtungsgehilfe gem. 831 Abs. 1 BGB zu bestimmen. Hierfür ist die Zuordnung des Verantwortungsbereichs erforderlich. Dies wiederum ist nicht ohne die Bestimmung des Pflichtenkreises möglich, sodass die für den Erfüllungsgehilfen geltenden Grundsätze weitgehend auch für den Verrichtungsgehilfen gem. § 831 BGB gelten.254
247
Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, S. 91 Rn. 130. Deutsch, in: NJW 2000, S. 1745 (1747); Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, S. 93 Rn. 134. 249 Deutsch, in: NJW 2000, S. 1745 (1747); Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, S. 93 Rn. 135. 250 Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, S. 93 Rn. 134. 251 Anders soll es im Bereich der Chefarztambulanz sein, vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 615. 252 Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, S. 99 Rn. 143. 253 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 613. 254 Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, S. 102 Rn. 148; BeckOGK/Schaub, BGB § 278 Rn. 59, wonach die Zurechnung gem. § 278 BGB bei eigenständig tätigen Ärzten aber weiter reichen würde. 248
III. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes
211
Deshalb haftet das Krankenhaus grundsätzlich gem. § 831 BGB für im Krankenhaus angestellte Ärzte wie Oberärzte und Assistenzärzte. Bei leitenden Ärzten ergibt sich die Haftung des Krankenhausträgers aus der Organhaftung gem. §§ 823, 31, 89 BGB.255 Die Organhaftung gem. §§ 31, 30, 89 BGB sieht jedoch keine Entlastungsmöglichkeit vor. Im Rahmen des gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrags sowie beim Krankenhausvertrag mit Arztzusatzvertrag ist der Chefarzt kein Verrichtungsgehilfe des Krankenhauses.256 Der Arzt wird in beiden Fällen aufgrund eines eigenständigen Vertrags mit dem Patienten tätig. Die deliktsrechtliche Haftung für den Verrichtungsgehilfen unterscheidet sich in zwei Punkten von der vertraglichen Haftung für den Erfüllungsgehilfen: Zum einen muss der Verrichtungsgehilfe weisungsgebunden sein.257 Zum anderen besteht im Rahmen der Haftung gem. § 831 BGB die Entlastungsmöglichkeit für den Geschäftsherrn. (1) Die Weisungsgebundenheit des Verrichtungsgehilfen Laut BGH ist es für die Eigenschaft als Verrichtungsgehilfe gem. § 831 BGB entscheidend, dass die Tätigkeit in einer organisatorisch abhängigen Stellung vorgenommen wird, Voraussetzung ist die Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit.258 Der Erfüllungsgehilfe gem. § 278 kann auch ein selbstständiges, eigenverantwortlich handelndes Unternehmen sein, auf eine Weisungsgebundenheit oder Abhängigkeit kommt es nicht an.259 Der Anwendungsbereich der Haftung gem. § 831 BGB ist deshalb kleiner als bei der Haftung aus Vertrag über die Zurechnung gem. § 278 BGB. Der vertraglichen Haftung kann bei der Heranziehung eines Konsiliararztes eigenständige Bedeutung zukommen, wenn der Konsiliararzt im Rahmen der Erfüllung der vertraglichen Verbindlichkeiten des Krankenhausträgers tätig wird und deshalb eine Haftung des Krankenhausträgers für den Konsiliararzt als Erfüllungsgehilfe möglich ist. Sollte es bei den vertraglich geschuldeten Leistungen des Krankenhausträgers und des Belegarztes zu Überschneidungen kommen, ist für die Zurechnung die konkrete Zuordnung der Leistungspflicht zu einem der beiden
255
BGH Urt. v. 22. 04. 1980 – VI ZR 121/78, NJW 1980, 1901; OLG Köln Urt. v. 23. 10. 2002 – 5 U 4/02, NJOZ 2003, 684; Beyerle, Rechtsfragen medizinischer Qualitätskontrolle, S. 14. 256 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 613; Matusche-Beckmann, Das Organisationsverschulden, S. 181. 257 Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, S. 102 Rn. 148. 258 BGH Urt. v. 12. 06. 1997 – I ZR 36-95, NJW-RR 1998, 250; BGH Urt. v. 10. 12. 2013 – VI ZR 534/12, NJW-RR 2014, 614; BGH Urt. v. 02. 12. 2014 – VI ZR 520/13, BeckRS 2015, 555. 259 BGH Urt. v. 06. 11. 2012 – VI ZR 174/11, NJW-RR 2013, 1011.
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
Vertragspartner erforderlich.260 Für die Hinzuziehung des Konsiliararztes aufgrund fehlendem fachkundigen Personal hat der BGH die Haftung des Krankenhausträgers für die Arztfehler des Konsiliararztes gem. § 278 BGB bejaht.261 Der Konsiliararzt tritt aber regelmäßig in ein eigenes Behandlungsverhältnis zu dem Patienten, weil die Behandlung nicht vom Krankenhaus abgedeckt ist.262 Eine deliktsrechtliche Haftung für den Konsiliararzt als Verrichtungsgehilfe gem. § 831 BGB scheidet wegen der fehlenden Weisungsgebundenheit aus.263 Ebenso haftet der weisungsfrei arbeitende leitende Chefarzt als Organ und ist kein Verrichtungsgehilfe. Die Mitglieder einer Gemeinschaftspraxis untereinander sind zwar mangels Weisungsgebundenheit keine Verrichtungsgehilfen, es ergibt sich aber eine Haftung gem. § 31 BGB bei BGB-Gesellschaften.264 (2) Die Entlastungsmöglichkeit des Geschäftsherrn Das Verschulden des Geschäftsherrn wird zwar vermutet, gem. § 831 Abs. 1 S. 2 BGB hat der Geschäftsherr aber die Möglichkeit des Entlastungsbeweises. Der Geschäftsherr muss nachweisen, dass er bei der Auswahl, der Leitung und der Überwachung des Verrichtungsgehilfen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat. An den Entlastungsbeweis gem. § 831 Abs. 1 S. 2 BGB werden durch die Gerichte hohe Anforderungen gestellt, weil es um die Gefahr für Leib und Leben geht.265 Insbesondere bei der Überwachung von Assistenzärzten, die noch nicht über die Qualifikation des Facharztes verfügen, sieht die Rechtsprechung die Überwachung durch einen entsprechenden Facharzt als erforderlich an.266 Sollte sich der Geschäftsherr, hier der Krankenhausträger, aber exkulpieren können, haftet der Krankenhausträger nur vertraglich aus dem Behandlungsvertrag, sodass kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld geltend gemacht werden kann. Aufgrund der Exkulpationsmöglichkeit des Geschäftsherrn gem. § 831 BGB267 kann die Geltendmachung eines Anspruchs aus § 280 BGB günstiger sein. Im Rahmen des § 280 BGB wird das Verschulden gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet, sodass sich der Schuldner das Verschulden des Erfüllungsgehilfen zurechnen lassen muss. Die 260
MüKoBGB/Heinemeyer, § 420 Rn. 11. BGH Urt. v. 21. 01. 2014 – VI ZR 78/13, VersR 2014, 374. 262 BeckOGK/Schaub, BGB § 278 Rn. 59.3. 263 OLG Stuttgart Urt. v. 15. 03. 1990 – 14 U 38/87, MedR 1991, 143. 264 OLG Köln Urt. v. 01. 08. 1990 – 27 U 35/90, VersR 1990, 101; Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, S. 103 Rn. 149. 265 Laufs/Katzenmeier/Lipp/Katzenmeier, Arztrecht, S. 455 Rn. 21; es sei noch kein Fall zugunsten des Krankenhauses entschieden worden, vgl. Pflüger, Krankenhaushaftung und Organisationsverschulden, S. 50 ff. 266 BGH Urt. v. 15. 06. 1993 – VI ZR 175/92, NJW 1993, 2989. 267 Während § 831 BGB trotz pflichtwidrigem Verhalten des Verrichtungsgehilfen eine Exkulpation bei ordnungsgemäßem Verhalten des Geschäftsherrn ermöglicht, haftet der Schuldner im Rahmen der Vertragshaftung gem. § 278 BGB für das Verschulden des Erfüllungsgehilfen (MüKoBGB/Grundmann, § 278 Rn. 50). 261
III. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes
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Beweislast für das Verschulden liegt hier also beim Anspruchsgegner, während diese bei § 831 BGB den Anspruchsteller trifft.268 Der Patient kann den Arzt aber persönlich aus deliktischer Haftung gem. § 823 BGB in Anspruch nehmen. Jedoch ist an der gleichen Werthaltigkeit dieses Anspruchs gerade im Hinblick auf die Zahlungsfähigkeit des Arztes zu zweifeln.269 Aufgrund der hohen Anforderungen an die Exkulpation des Krankenhausträgers,270 können keine erheblichen Unterschiede der Anspruchsqualität zwischen einem vertraglichen und einem deliktischen Anspruch des Patienten festgestellt werden.271 Etwas anderes ergibt sich auch nicht bei Bestehen eines gespaltenen Vertragsverhältnisses, wenn der Patient z. B. durch einen Belegarzt behandelt wurde. Ein durch den Belegarzt verursachter Behandlungsfehler kann dem Krankenhaus in der Regel weder vertraglich noch deliktisch zugerechnet werden, da die ärztliche Behandlungspflicht nicht vom Krankenhausvertrag umfasst ist.272 (3) Besondere Beweislastregelungen für den Behandlungsvertrag gem. § 630a BGB Während diese Erwägungen zunächst auf andere Rechtsgebiete übertragbar sind, gelten im Arzthaftungsrecht besondere Beweislastregelungen bei bestehendem Behandlungsvertrag. Liegt ein Behandlungsvertrag zwischen Patient und Behandelndem vor, ergibt sich ein Anspruch des Patienten aufgrund eines Behandlungsfehlers aus § 280 Abs. 1 BGB.273 Die Besonderheiten bestehen hier nicht bei den Anspruchsvoraussetzungen, sondern bei der schwierigen Bestimmung einer Verletzung, die kausal durch einen Behandlungsfehler verursacht worden ist.274 Trotz Vorliegen einer Pflichtverletzung, die durch den Behandlungsfehler vorliegt, kann in vielen Fällen nicht ausgeschlossen werden, dass die Gesundheitsverletzung auch ohne die Pflichtverletzung eingetreten 268
Jauernig/Teichmann, § 831 BGB Rn. 16; MüKoBGB/Wagner, § 831 Rn. 51. Bayer, in: MedR 2018, S. 947 (948); BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 201. In der Praxis kann die persönliche Entschädigungspflicht des Arztes jedoch auch durch die Betriebshaftpflichtversicherungen der Krankenhausträger abgedeckt sein (Bayer, in: MedR 2018, S. 947 (950)). Für die persönliche Haftung eines Arztes aufgrund von Fehlverhalten des Pflegepersonals kommt es bei fehlender vertraglicher Haftung wieder darauf an, dass der Arzt medizinische Aufgaben an Pflegepersonal delegiert hat und so ein Organisationsverschulden gem. § 831 BGB gegeben ist (MüKoBGB/Wagner, § 630a Rn. 107). 270 Beyerle, Rechtsfragen medizinischer Qualitätskontrolle, S. 14; Pflüger, Krankenhaushaftung und Organisationsverschulden, S. 60. Zu den Organisationsmaßnahmen des Krankenhausträgers vgl. Schmola/Rapp, Compliance, Governance und Risikomanagement im Krankenhaus, S. 379 ff. 271 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 800. 272 Beyerle, Rechtsfragen medizinischer Qualitätskontrolle, S. 15; Pflüger, Krankenhaushaftung und Organisationsverschulden, S. 60. 273 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 161; MüKoBGB/Wagner, § 630h Rn. 11. 274 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 162; MüKoBGB/Wagner, § 630h Rn. 12. 269
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
wäre.275 Aufgrund dieser Nachweisschwierigkeiten hat der Gesetzgeber § 630h BGB eingefügt. Gem. § 630h Abs. 1 BGB wird ein Behandlungsfehler vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat. Liegt ein grober Behandlungsfehler vor, wird die Ursächlichkeit zwischen Behandlungsfehler und Verletzung gem. § 630h Abs. 5 BGB vermutet. Die Beweislast des Patienten soll durch die Regelungen erleichtert werden, um damit der sowohl für den Patienten als auch für den Anwalt komplexen Materie der Medizin Rechnung zu tragen.276 Wären die Beweiserleichterungen auf die Haftung aus Behandlungsvertrag beschränkt, hätte dies Konsequenzen für die Geltendmachung des Hinterbliebenengeldes. Die besonderen Regelungen zur Beweislast in § 630h BGB beruhen aber im Wesentlichen auf der im Rahmen des Deliktsrechts entwickelten Rechtsprechung.277 Die Voraussetzungen der Arzthaftung wurden anhand der Anspruchsgrundlage gem. § 823 Abs. 1 BGB entwickelt.278 So hat der BGH schon vor der Kodifikation des Behandlungsvertrags die Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler anerkannt.279 Grundsätzlich gelten die Beweislastregelungen des § 630h BGB daher auch im Rahmen des Deliktsrechts.280 Zweifelhaft ist jedoch, ob die Beweiserleichterungen bei der Gewährung von Hinterbliebenengeld außer Betracht bleiben müssen.281 Dies würde dazu führen, dass ein Anspruch des Hinterbliebenen gem. § 844 Abs. 3 BGB bei einem durch den Arzt verursachten Behandlungsfehler mit Todesfolge nur unter erheblichen Beweisschwierigkeiten geltend gemacht werden könnte. Hierfür könnte der beabsichtigte Ausschluss der Vertragshaftung für die Hinterbliebenenentschädigung gem. § 844 Abs. 3 BGB sprechen.282 Nimmt man an, dass die Beweiserleichterung gem. § 630h BGB auf der Enttäuschung des schutzbedürftigen Vertrauens in den Arzt beruht, erscheint die Nichtanwendung des § 630h BGB bei einem Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB interessengerecht: der Hinterbliebene hat dem Arzt kein Vertrauen entgegengebracht, das enttäuscht werden konnte.283 Dies widerspricht aber der Systematik und dem Sinn und Zweck des Anspruchs gem. § 844 Abs. 3 BGB. Vorausgesetzt wird eine bestehende Haftung des Anspruchsgegners gegenüber dem Getöteten. Die Beweiserleichterung wirkt sich auf das Verhältnis zwischen dem 275
MüKoBGB/Wagner, § 630h Rn. 42. BT-Drs. 17/10488, S. 9; MüKoBGB/Wagner, § 630h Rn. 10. 277 BT-Drs. 17/10488, S. 28; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 800; Emmerich, BGBSchuldrecht, S. 288. 278 MüKoBGB/Wagner, Vor § 630a Rn. 12. 279 BGH Urt. v. 27. 04. 2004 – VI ZR 34/03, VersR 2004, 909; BGH Urt. v. 08. 01. 2008 – VI ZR 118/06, NJW 2008, 1304. 280 MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 1072; kritisch vgl. Schiemann, in: GesR 2018, S. 69 (73, 74). 281 Für die Unanwendbarkeit des § 630h BGB innerhalb des § 844 Abs. 3 BGB: Schiemann, in: GesR, S. 69 (75). 282 Schiemann, in: GesR 2018, S. 69 (74). 283 Schiemann, in: GesR 2018, S. 69 (75). 276
III. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes
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Schädiger und dem Getöteten aus. Der Getötete ist der Patient, dessen Vertrauen in den Arzt enttäuscht wurde. Auf dieses Verhältnis kommt es für einen Anspruch aus § 844 Abs. 3 BGB zunächst an, weil ohne bestehende Ersatzpflicht des Anspruchsgegners auch kein Anspruch des Hinterbliebenen besteht. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck des Hinterbliebenengeldes, das dem Hinterbliebenen aufgrund des erlittenen Verlustes eine Entschädigung zur Verfügung stellt. Die bezweckte Anerkennung wird durch die Schädigung des Anspruchsgegners ausgelöst, sodass der Krankenhausträger oder der Arzt als Schädiger die Anwendung des § 630h BGB verbunden mit einem Anspruch des Hinterbliebenen gem. § 844 Abs. 3 BGB hinnehmen muss. c) Zwischenergebnis Für die Frage einer Haftungslücke durch den Ausschluss eines Hinterbliebenengeldanspruchs bei vertraglicher Haftung ist in erster Linie die durch den Gesetzgeber angestrebte Angleichung des Delikts- und Vertragsrechts gerade im Bereich des Arzthaftungsrechts zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund erscheint es zunächst widersprüchlich, dass der Gesetzgeber nicht auch bei der Haftung aus Vertrag einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld gewährt. Die Darstellung des Arzthaftungsrechts hat aber gezeigt, dass der weitgehende Gleichlauf des Vertragsund Deliktsrechts im Arzthaftungsrecht keine relevante Haftungslücke aufgrund einer über das Deliktsrecht hinausgehenden vertraglichen Haftung befürchten lässt.284 Zwar können die Anforderungen an eine vertragliche Haftung weniger hoch sein.285 Die deliktsrechtliche Haftung reicht bei der Zurechnung von Hilfspersonen im Einzelfall nicht so weit wie die vertragliche Haftung: Der Erfüllungsgehilfe muss weder weisungsgebunden gewesen sein, noch kann sich der Verpflichtete exkulpieren. Dies betrifft aber vor allem den für die Erfüllung von Verbindlichkeiten hinzugezogenen Konsiliararzt, der in diesem speziellen Fall zwar Erfüllungsgehilfe aber kein Verrichtungsgehilfe ist. Die Exkulpationsmöglichkeit bei der deliktischen Haftung besteht aufgrund der hohen Sorgfaltsanforderungen in der Praxis nur in seltenen Fällen. Insbesondere die Anforderungen an die Organisationspflichten des Krankenhausträgers i. S. d. § 831 BGB im Arzthaftungsrecht sind hoch, sodass grundsätzlich von einer Anspruchsmöglichkeit gegenüber dem Krankenhausträger auszugehen ist.286 Zudem hat der Gesetzgeber den fehlenden Anspruch auf Hinterbliebenengeld bei vertraglicher Haftung gesehen und bewusst nicht geregelt. 284 So auch MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 100, wonach die in § 630h BGB kodifizierten Beweiserleichterungen im Rahmen der Rechtsprechung zu § 823 Abs. 1 BGB entwickelt worden seien; ebenso Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2643). 285 Schneider, Neue Behandlungsmethoden im Arzthaftungsrecht, S. 63. 286 Beyerle, Rechtsfragen medizinischer Qualitätskontrolle, S. 14; Goldbach, Risikomanagementsysteme im Krankenhaus, S. 29; Pflüger, Krankenhaushaftung und Organisationsverschulden, S. 60.
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
Zu berücksichtigen ist auch, dass das Hinterbliebenengeld als eigenständige Anspruchsgrundlage nicht zwingend den Reformzielen des 2. SchadÄndG zum immateriellen Schadensersatz entsprechen muss. 2. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes unter Berücksichtigung des Arbeitsrechts Die Gesetzesbegründung sieht vor, dass das Hinterbliebenengeld im Dienstvertragsrecht ausnahmsweise Berücksichtigung finden soll. Dies bleibt zunächst die einzige Ausnahme bei vertraglicher Haftung im BGB.287 Es wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass § 618 Abs. 3 BGB auch auf § 844 Abs. 3 BGB Anwendung finden soll.288 Gem. § 618 Abs. 3 BGB finden im Rahmen des Dienstvertrags die §§ 842 – 846 BGB auf Schadensersatzansprüche des Dienstverpflichteten gegenüber dem Dienstberechtigten Anwendung. Dies hätte zur Folge, dass bei dienstvertraglichen Schadensersatzansprüchen auch ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld in Betracht kommt. Ein Blick in das Arbeitsrecht lohnt sich vor dem Hintergrund, dass der Arbeitsvertrag den nun auch gesetzlich geregelten Hauptanwendungsfall des Dienstvertrags darstellt.289 Der weitreichende Haftungsausschluss im Arbeitsrecht könnte eine Rückausnahme für die Vertragshaftung bedeuten. Damit wäre auch im Arbeitsrecht der Rückgriff auf die Haftung aus Delikt erforderlich. Dies hängt von der Anwendung des Haftungsausschlusses für Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei Arbeitsunfällen ab. Sodann ist festzustellen, ob eine solche Rückausnahme im Arbeitsrecht dazu führt, dass trotz des Verweises in § 618 Abs. 3 BGB kein Anwendungsbereich für das Hinterbliebenengeld bei vertraglicher Haftung bleibt. Hierfür ist herauszuarbeiten, welche Fälle neben dem Arbeitsrecht von § 816 Abs. 3 BGB erfasst sein können. a) Der Haftungsausschluss gem. § 104 SGB VII Der Verweis in § 618 Abs. 3 BGB gilt aufgrund des Haftungsausschlusses in § 104 SGB VII nicht für die Haftung des Arbeitgebers bei einem Arbeitsunfall. § 611a BGB regelt neuerdings speziell den Arbeitsvertrag. Dennoch stellt der Arbeitsvertrag einen Unterfall des Dienstvertrags dar, sodass die Vorschriften zum Dienstvertrag überwiegend auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sind. Demnach ist auch § 618 BGB grundsätzlich auf Arbeitsverträge anwendbar.290 Gem. § 104 Abs. 1 287
Im HGB besteht darüber hinaus die Ausnahme des § 62 Abs. 2 HGB. Einen solchen Verweis enthält auch § 62 Abs. 2 HGB, auf den hier nicht näher eingegangen werden soll; BT-Drs. 18/11397, S. 9. 289 Staudinger/Richardi/Fischinger, 2020, Vorbem. § 611a BGB Rn. 4. 290 BeckOK BGB/Fuchs/Baumgärtner, BGB § 618 Rn. 4; ErfK/Roloff, § 618 BGB Rn. 3; BeckOGK/Witschen, BGB § 618 Rn. 68. 288
III. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes
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SGB VII ist ein Anspruch des Arbeitnehmers oder des Hinterbliebenen oder Angehörigen gegen den Arbeitgeber wegen eines Personenschadens aber bei einem Arbeits- oder Wegeunfall ausgeschlossen. Einen solchen Haftungsausschluss sieht § 105 Abs. 1 SGB VII auch für die Haftung eines Arbeitnehmers gegenüber einem anderen Arbeitnehmer im selben Betrieb vor. § 104 SGB VII gehört zum Recht der gesetzlichen Unfallversicherung. Diese dient dem Schutz der Versicherten vor Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten.291 Gem. § 150 SGB VII ist der Arbeitgeber als Unternehmer verpflichtet, die Beiträge für die gesetzliche Unfallversicherung zu zahlen. Für den Arbeitnehmer ist die gesetzliche Unfallversicherung beitragsfrei. In der gesetzlichen Unfallversicherung ist gem. § 2 SGB VII jeder versichert, der nichtselbstständige Arbeit verrichtet.292 Neben den präventiven Arbeitsschutzmaßnahmen, stehen einem Arbeitnehmer gegen die gesetzliche Unfallversicherung Entschädigungsansprüche im Versicherungsfall zu. Ein Versicherungsfall besteht gem. § 7 Abs. 1 SGB VII bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Tritt dieser ein, haben die Versicherten unter anderem einen Anspruch auf Verletztengeld, Abfindungen und Leistungen an Hinterbliebene im Falle des Todes des Versicherten. Aufgrund der Finanzierung der gesetzlichen Unfallversicherung durch den Arbeitgeber sieht das Gesetz den Haftungsausschluss des Arbeitgebers für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche in § 104 SGB VII vor. Der Entschädigungsanspruch gegen die gesetzliche Unfallversicherung tritt an die Stelle des Schadensersatzanspruchs gegen den Arbeitgeber, ohne dass ein Schadensersatzprozess zwischen den arbeitsvertraglichen Parteien das Verhältnis belastet.293 Die Wahrung des Betriebsfriedens stellt dabei einen wesentlichen Zweck der Haftungsprivilegierungen in §§ 104 ff. SGB VII dar. Der abstrakte Schadensausgleich durch die Unfallversicherung orientiert sich an der Erwerbsfähigkeit.294 Ob die Entschädigung des immateriellen Schadens durch die Verletztenrente erfasst wird, ist umstritten.295 Unabhängig davon, ob die Verletztenrente eine solche Entschädigung umfasst, ist man sich weitgehend einig, dass der immaterielle Schaden vom Haftungsausschluss in § 104 SGB V II erfasst ist.296
291
Küttner/Griese/Seidel/Schlegel, Rn. 15. ErfK/Rolfs, § 2 SGB VII Rn. 3; BeckOK SGB VII/Wietfeld, SGB VII § 2 Rn. 4. 293 BVerfG Urt. v. 07. 11. 1972 – 1 BvL 4 u. 17/71, NJW 1973, 502. 294 ErfK/Rolfs, § 104 SGB VII Rn. 2; BeckOK SGB VII/Stelljes, SGB VII § 104 Rn. 4. 295 ErfK/Rolfs, § 104 SGB VII Rn. 2 verneint Ausgleich des immateriellen Schadens durch Unfallversicherung; a. A.: Fischinger, in: NZS 2014, S. 721. 296 Becker/Franke/Molkentin/Grüner, § 104 SGB VII Rn. 25; ErfK/Rolfs, § 104 SGB VII Rn. 15; Eichenhofer/Wenner/Waltermann, § 104 SGB VII Rn. 18. Zur Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses auch von immateriellen Schadensersatzansprüchen vgl. BVerfG Urt. v. 07. 11. 1972 – 1 BvL 4 u. 17/71, NJW 1973, 502. 292
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Der Ausschluss umfasst danach den Ersatz materieller und immaterieller Schäden.297 Zudem umfasst der Haftungsausschluss auch die Ansprüche Dritter gem. § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB.298 b) Anwendbarkeit des Haftungsausschlusses Der Sinn und Zweck des Haftungsausschlusses gem. § 104 SGB VII kann für eine Anwendung auch in Bezug auf das Hinterbliebenengeld sprechen. Aufgrund der Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2007 zum Haftungsausschluss für einen erlittenen Schockschaden ergibt sich zunächst nichts anderes:299 Der BGH hatte in seiner Entscheidung einen Haftungsausschluss für einen immateriellen Schadensersatzanspruch eines Angehörigen des Versicherten aufgrund eines Schockschadens infolge eines Arbeitsunfalls verneint.300 Laut BGH erfasse die Haftungsbegrenzung des § 105 SGB VII keine eigene Gesundheitsverletzung eines Angehörigen. Da der Angehörige nicht zum Kreis der Versicherten zähle, würde die eigene Beteiligung an einem Arbeitsunfall mit der Folge einer eigenen Körperverletzung zu einem Schadensersatzanspruch des Angehörigen führen, ohne dass dieser Anspruch einem Ausschluss unterliege. Zudem wird angeführt, dass im Falle der Tötung des versicherten Arbeitnehmers, unfallversicherungsrechtliche Ansprüche der Hinterbliebenen und Angehörigen bestünden, die gerade nicht ausgeschlossen seien weil sie allein auf der Verletzung des versicherten Arbeitnehmers beruhen würden. Diese Ansprüche würden an die Stelle der §§ 844, 845 BGB treten. Ein Haftungsausschluss käme danach aber nicht in Betracht, wenn eine Kompensation durch unfallversicherungsrechtliche Leistungen nicht möglich sei, weil die Versicherung für den eingetretenen Schaden gar keine Leistungen vorsieht. Folgt man dieser Begründung, würde dies gegen einen Haftungsausschluss im Hinblick auf das Hinterbliebenengeld sprechen. § 844 Abs. 3 BGB beruht gerade auf der Tötung des Verletzten. Zudem wird ein solcher Anspruch nicht durch unfallversicherungsrechtliche Leistungen kompensiert. Für die Frage der Anwendbarkeit des Haftungsausschlusses auf das Hinterbliebenengeld kann der Anspruch aufgrund eines erlittenen Schockschadens nicht vergleichsweise herangezogen werden, da es sich um zwei unabhängig voneinander bestehende Ansprüche handelt, die auf unterschiedlichen Haftungsgründen301 beruhen.302 Richtigerweise stellt der BGH303 auf 297
BGH Urt. v. 06. 02. 2007 – VI ZR 55/06, NJW-RR 2007, 1395. BAG Urt. v. 28. 05. 1989 – 8 AZR 240/87, NJW 1989, 2838. 299 BGH Urt. v. 06. 02. 2007 – VI ZR 55/06, NJW-RR 2007, 1395; so auch Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (408). 300 BGH Urt. v. 06. 02. 2007 – VI ZR 55/06, NJW-RR 2007, 1395. 301 Vgl. Begriff Haftungsgrund bei Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 470: „Der Haftungsgrund gibt an, warum und unter welchen Voraussetzungen die Rechtsordnung die eine Partei schützt (…)“. 302 Witschen, in: JZ 2018, S. 490. 303 BGH Urt. v. 06. 02. 2007 – VI ZR 55/06, NJW-RR 2007, 1395. 298
III. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes
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die eigene Gesundheitsverletzung des Angehörigen ab. Eine eigene Rechtsgutsverletzung ist für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld gerade nicht erforderlich. Zweifelhaft ist allerdings, ob eine ausreichende Kompensation durch unfallversicherungsrechtlichen Ansprüche auch für das Hinterbliebenengeld erfolgt. Die Literatur304 begründet den Ausschluss des Hinterbliebenengeldes bei einem Arbeitsunfall mit der Gefährdung des Betriebsfriedens, die bei einer Hinterbliebenenentschädigung zu befürchten wäre. Auseinandersetzungen z. B. zu dem Vorliegen eines Mitverschuldens des Getöteten würden dem Sinn und Zweck der Haftungsprivilegierung der §§ 104, 105 SGB VII zuwiderlaufen. Allerdings kann die Wahrung des Betriebsfriedens für einen Anspruch des Hinterbliebenen nur eine untergeordnete Rolle spielen.305 Der Hinterbliebene arbeitet nicht im Betrieb, sodass hier kein für die Zukunft gestörtes Arbeitsverhältnis zu befürchten ist. Andere Stimmen stellen auf den Wortlaut des § 104 SGB VII ab, der Angehörige und Hinterbliebene als Anspruchsinhaber erfassen würde.306 Zudem würde die Systematik des § 844 Abs. 3 BGB für eine Anwendbarkeit des Haftungsausschlusses sprechen, da auch § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB vom Haftungsausschluss erfasst seien. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass das Hinterbliebenengeld nach der hier vertretenen Auffassung einen von den Ansprüchen der Absätze 1 und 2 des § 844 BGB abzugrenzenden Anspruch darstellt. Zwar handelt es sich bei dem Hinterbliebenengeld auch um einen Anspruch eines Dritten, zu entschädigen ist aber ein immaterieller Schaden aufgrund erlittenen Leids. Nach wie vor wird die Frage, inwiefern immaterieller Schadensersatz überhaupt in den Haftungsausschluss des § 104 SGB VII fällt und ob die ursprünglich dazu ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu noch den aktuellen Gegebenheiten entspricht, nicht einheitlich beantwortet.307 Der Unterschied zum materiellen Schadensersatz besteht darin, dass der immaterielle Schaden ausgeschlossen wird, obwohl dieser nicht – jedenfalls nicht in gleichem Umfang – durch die Unfallversicherung entschädigt wird. Etwas anderes gilt wiederum für Entschädigungsansprüche wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung, die aufgrund des kollektivrechtlichen Charakters der Unfallversicherung nicht vom Haftungsausschluss erfasst seien.308 Der Ausschluss immaterieller Schäden wird damit begründet, dass eine Kompensation durch Leistungen erfolge, die über den materiellen Ausgleich hinausginge.309 Die abstrakte Schadensberechnung würde dazu führen,
304
Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (408). BGH Urt. v. 06. 02. 2007 – VI ZR 55/06, NJW-RR 2007, 1395. 306 Witschen, in: JZ 2018, S. 490. 307 Vgl. Kritik zum Festhalten an BVerfG-Entscheidung: Fuchs/Pauker/Baumgärtner, Deliktsrecht, S. 367; Fuhlrott, in: NZS 2007, S. 237; Küttner/Griese, Rn. 9. 308 OLG Zweibrücken Urt. v. 06. 05. 1997 – 6 U 1/97, NJW 1998, 995. 309 BVerfG Urt. v. 07. 11. 1972 – 1 BvL 17/71, NJW 1973, 502. 305
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dass der Versicherte Vorteile erhalte, die höher als der konkrete Schaden seien. Zudem sei der Arbeitgeber vor doppelter Inanspruchnahme zu schützen.310 Das Urteil des BVerfG stammt aus dem Jahr 1972 und liegt damit weit vor der Reform des immateriellen Schadensersatzes durch das 2. SchadÄndG. Durch die Reform hat die Entschädigung immaterieller Schäden an Bedeutung gewonnen. Die steigende Relevanz der Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden bietet zwar Anlass, die verfassungsrechtliche Bewertung des Haftungsausschlusses neu zu überdenken. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass das BVerfG auf die Existenz zwei verschiedener Ordnungssysteme und die Erforderlichkeit des Ausschlusses zivilrechtlicher Ansprüche abstellt. Es soll gerade keine zivilrechtliche Haftpflicht des Arbeitgebers bestehen, die grundsätzlich auch den Ersatz immaterieller Schäden umfasst. Durch den Ausschluss werde der Finanzierung der gesetzlichen Unfallversicherung durch den Arbeitgeber Rechnung getragen. Der Bedeutungszuwachs des immateriellen Schadensersatzes ändert also unter Umständen nichts an der grundsätzlichen Differenzierung zwischen der zivilrechtlichen Ersatzpflicht und der Leistungen durch die Unfallversicherung. Dem widerspricht es allerdings, dass ein Entschädigungsanspruch wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht gem. § 104 SGB VII ausgeschlossen sein soll. Durch die neuere Entwicklung des immateriellen Schadensersatzes könnte eine Neubewertung des Haftungsausschlusses erforderlich sein.311 Es ist deshalb zu überlegen, inwiefern das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aufnehmen müsste, um den Ausschluss zivilrechtlicher Ansprüche auch in Zukunft rechtfertigen zu können. De lege lata ist aufgrund des Ordnungssystems der Unfallversicherung von der Anwendbarkeit des Haftungsausschlusses auch auf immaterielle Schäden auszugehen.312 Daran schließt sich die Frage an, ob dies zugleich ein Indiz für die Anwendbarkeit des Haftungsausschlusses auch auf das Hinterbliebenengeld sein kann. Zwar ist der Auffassung zu folgen, dass der Anspruch auf Hinterbliebenengeld zunächst auf haftungsbegründender Ebene die Verwirklichung des Tatbestands von § 823 Abs. 1 BGB313 voraussetzt.314 Für einen Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB sind aber auch im haftungsbegründenden Tatbestand weitere Voraussetzungen wie die Tötung des Verletzten und ein besonderes persönliches Näheverhältnis erforderlich. Der Schlussfolgerung, dass das Hinterbliebenengeld letztendlich auf § 823 BGB
310
BVerfG Urt. v. 07. 11. 1972 – 1 BvL 17/71, NJW 1973, 502. Fuhlrott, in: NZS 2007, S. 237 (242). 312 So im Ergebnis auch Fuhlrott, in: NZS 2007, S. 237 (242). 313 § 823 Abs. 1 BGB wird beispielhaft genannt. Als Haftungstatbestände kommen eine Verschuldenshaftung gem. § 823 Abs. 1, Abs. 2, 831, 832, 833, 836 BGB, die Gefährdungshaftung und auch die Amts- und Staatshaftung gem. § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG in Betracht (vgl. Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2644)). 314 Lang/Bucka, in: DAR 2020, S. 445 (451); Witschen, in: JZ 2018, S. 490. 311
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beruhen und nur die Haftungsausfüllung modifizieren würde, ist deshalb nicht zu folgen. Auch wenn die Argumente der systematischen Stellung des Hinterbliebenengeldes und die Heranziehung der Rechtsprechung zum Schockschaden nicht überzeugen, ist nach Sinn und Zweck des Haftungsausschlusses von einer Anwendbarkeit auch auf den Anspruch auf Hinterbliebenengeld auszugehen.315 Die aktuelle Gesetzeslage entspricht der Rechtsprechung des BVerfG zu immateriellen Schadensersatzansprüchen aus dem Jahr 1972. Unabhängig davon, ob das Hinterbliebenengeld mit immateriellen Schadensersatzansprüchen vergleichbar ist, trifft die Argumentation des BVerfG auch auf das Hinterbliebenengeld zu: Zivilrechtliche Haftungsansprüche gegen den Arbeitgeber sind auszuschließen und durch die Kompensation der gesetzlichen Unfallversicherung gerechtfertigt. Im Verhältnis zur zivilrechtlichen Haftung können dem Arbeitnehmer und seinen Hinterbliebenen daraus Vor- oder Nachteile entstehen, die der Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsverhältnisses hinzunehmen hat. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Schadensersatzanspruchs bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen ergibt sich auch hieraus kein unmittelbarer Widerspruch. Die gesetzliche Unfallversicherung regelt explizit in § 64 SGB VII ein Sterbegeld für Hinterbliebene und zwar unabhängig von den entstandenen Kosten.316 Da die gesetzliche Unfallversicherung gerade aufgrund der besonderen „Gefahrengemeinschaft“ zwischen Unternehmer und Beschäftigten geschaffen wurde, um damit das Vertrauens-, aber auch das Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber genügend zu berücksichtigen, erscheint es unbillig, dass der Arbeitgeber neben der Finanzierung des Sterbegelds, auch ein Hinterbliebenengeld zu zahlen hat. Diese Unbilligkeit besteht nicht bei vorsätzlichem Verhalten des Arbeitgebers, das aber von § 104 SGB VII ausgenommen ist. Der Gesetzgeber kann tätig werden und einen vergleichbaren Anspruch der Hinterbliebenen gegen die gesetzliche Unfallversicherung einführen. Eine Vertiefung dieser Frage weist für die vorliegende Arbeit jedoch keine Relevanz auf. Die Bejahung des Haftungsausschlusses führt gem. § 104 SGB VII zu einer Rückausnahme von § 618 Abs. 3 BGB, mit dem Ergebnis, dass das Hinterbliebenengeld im Bereich des Arbeitsrechts keine Anwendung findet. c) Zwischenergebnis Die Systematik des Haftungsausschlusses gem. § 104 SGB spricht dafür, einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld im Rahmen der arbeitsvertraglichen Haftung ebenfalls auszuschließen.317 Die Begründung zur Versagung des Haftungsaus315
So im Ergebnis auch Witschen, in: JZ 2018, S. 490 (495). Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann/Holtstraeter, § 64 SGB VII Rn. 2. 317 Im Ergebnis auch BGH Urt. v. 08. 02. 2022 – VI ZR 3/21, juris, wobei der Argumentation, den Hinterbliebenen solle nach dem Regelungszweck der §§ 104, 105 SGB VII die 316
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
schlusses bei Schockschäden kann aufgrund der fehlenden Rechtsgutsverletzung beim Hinterbliebenengeld nicht übertragen werden. d) Verbleibender Anwendungsbereich im Dienstvertragsrecht Neben dem Arbeitsverhältnis kann auch ein freies, selbstständiges Dienstverhältnis Gegenstand eines Dienstvertrags gem. § 611 BGB sein.318 Vertragspartei sind dabei oft Freiberufler wie Anwälte, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater.319 Die Vorschrift des § 618 BGB stellt insbesondere eine Ausprägung der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht dar und soll den Dienstleistenden vor Gefahren für Leib und Leben schützen.320 Aufgrund des weitreichenden Haftungsausschlusses in § 104 SGB VIII und des gesetzlich geregelten Arbeitsschutzes ist die praktische Bedeutung der Vorschrift des § 618 BGB als gering einzustufen.321 Erfüllt der Dienstberechtigte die gem. § 618 Abs. 1 und Abs. 2 BGB normierten Pflichten zu Schutzmaßnahmen gegenüber dem Verpflichteten nicht, ist der Dienstberechtigte schadensersatzpflichtig. Der Umfang eines solchen Anspruchs richtet sich nach den allgemeinen schadensrechtlichen Vorschriften gem. §§ 249 ff. BGB.322 § 618 Abs. 3 BGB enthält einen Rechtsfolgenverweis, nach dem die §§ 842 – 846 BGB Anwendung auf die Verpflichtung zum Schadensersatz finden. In Betracht kommen dabei insbesondere mögliche Ansprüche Dritter bei Tötung des Dienstverpflicheteten gem. § 844 BGB.323 Regelmäßig bleibt es bei der vertraglichen Haftung gem. § 618 Abs. 1 und Abs. 2 BGB, ohne dass sich durch den Verweis auf die deliktsrechtlichen Vorschriften in § 618 Abs. 3 BGB eine Modifikation des Schadensersatzes ergibt.324 Durch den Verweis in § 618 Abs. 3 BGB kann ausnahmsweise ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld bei vertraglicher Haftung bestehen. Aufgrund des arbeitsrechtlichen Haftungsausschlusses gem. § 104 SGB VII, der auch für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld anzunehmen ist, stellt sich die Frage
Befassung mit einem etwaigen Mitverschulden des Verstorbenen erspart werden, nicht gefolgt werden kann. Schon die Geltendmachung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB ist nicht ohne eine Auseinandersetzung mit einem möglichen Mitverschulden des Getöteten möglich. 318 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 2. 319 MüKoBGB/Spinner, § 611 Rn. 9; der Arztvertrag ist durch die §§ 630a ff. BGB inzwischen eigenständig geregelt. Weitere Konstellationen nennt Staudinger/Latzel, 2020, § 611 BGB Rn. 534 ff.: Inkassovertrag, Schiedsrichtervertrag, Internatsvertrag, Architektenvertrag, Pflegevertrag über häusliche Pflege etc. 320 MüKoBGB/Henssler, § 618 Rn. 1; ErfK/Roloff, § 618 BGB Rn. 2. 321 MüKoBGB/Henssler, § 618 Rn. 6; BeckOGK/Witschen, BGB § 618 Rn. 1. 322 MüKoBGB/Henssler, § 618 Rn. 103; Staudinger/Oetker, 2022, § 618 BGB Rn. 280. 323 Staudinger/Oetker, 2022, § 618 BGB Rn. 303; MüKoBGB/Henssler, § 618 Rn. 103. 324 Staudinger/Oetker, 2022, § 618 BGB Rn. 304.
III. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes
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nach dem verbleibenden Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes im Dienstvertragsrecht aufgrund des Verweises in § 618 Abs. 3 BGB. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass der Haftungsausschluss gem. § 104 SGB VII auch nicht den vorsätzlich herbeigeführten Arbeitsunfall erfasst. Dabei haftet der Unternehmer auch über § 278 BGB für das vorsätzliche Verhalten von Erfüllungsgehilfen.325 Zudem entfällt die Haftung auch nicht bei einem Arbeitsunfall auf einem gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 4 SGB VII versicherten Weg. Dies betrifft Wege, die mit der Arbeitstätigkeit zusammenhängen, aber noch nicht innerhalb des innerbetrieblichen Organisations- und Funktionsbereichs liegen, also z. B. der Weg zur Arbeitsstätte und zurück.326 Begründet wird dies mit der fehlenden Gefahrengemeinschaft, da es sich dabei nicht um vom Unternehmer verursachte Gefahrenquellen handelt.327 Damit bleibt grundsätzlich auch im Arbeitsrecht ein Anwendungsbereich für das Hinterbliebenengeld. Im Jahr 2017 gab es laut DGUV ca. 190.000 meldepflichtige Wegeunfälle in der gewerblichen Wirtschaft.328 Die Zahl der tödlichen Wegeunfälle ist von 311 auf 280 gesunken, sodass einem möglichen Hinterbliebenengeld hier jedoch kaum eine praktische Relevanz zukommt.329 Im Fokus können damit nur vertragliche Schadensersatzansprüche im Rahmen von Dienstverträgen, die keine Arbeitsverträge sind, stehen. 3. Ergebnis Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes ist durch den Ausschluss der vertraglichen Haftung nur unerheblich eingeschränkt. In den Bereichen des Arzthaftungs- und Medizinrechts besteht kaum ein Bedürfnis nach einer Ausweitung auf die vertragliche Haftung. Das Arzthaftungsrecht unterliegt einem stetigen Wandel, sodass ein Rückgriff auf das Deliktsrecht zu anderen Ergebnissen führen könnte. Solange die Haftung aus Behandlungsvertrag und die deliktische Haftung aber parallel laufen, kann keine relevante Haftungslücke festgestellt werden. Etwas anderes ergibt sich nur dann, wenn dem Anspruchsgegner der Exkulpationsnachweis gem. § 831 Abs. 1 S. 2 BGB gelingen sollte und dadurch ein Hinterbliebenengeld versagt werden muss. Im Bereich des Arbeitsrechts ergibt sich die Besonderheit, dass sogar ausnahmsweise ein Hinterbliebenengeld im Rahmen der vertraglichen Haftung aufgrund des Verweises in § 618 Abs. 3 BGB gewährt werden könnte, wenn der Haftungsausschluss gem. § 104 SGB VII keine Anwendung finden würde. Die vorste325
Staudinger/Oetker, 2022, § 618 BGB Rn. 362. KassKomm/Ricke, § 104 SGB VII Rn. 13; ErfK/Rolfs, § 8 SGB VII Rn. 12. 327 KassKomm/Ricke, § 104 SGB VII Rn. 13. 328 Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Arbeits- und Wegeunfallgeschehen, www.dguv.de. 329 Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Arbeits- und Wegeunfallgeschehen, www.dguv.de. 326
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
hende Darstellung kommt aber zu dem Ergebnis, dass auch im Rahmen der arbeitsvertraglichen Haftung grundsätzlich kein Hinterbliebenengeld zu gewähren ist. Auch wenn hier keine erschöpfende Untersuchung möglicher Haftungslücken durch die fehlende vertragliche Haftung erfolgen kann, zeigen das Arzthaftungs- und das Arbeitsrecht exemplarisch, dass die Kritik des fehlenden Anwendungsbereichs bei Vertragshaftung geringe Relevanz aufweist. Hinzu kommt, dass aufgrund des eigenständigen Anspruchscharakters des Hinterbliebenengeldes ein Gleichlauf von Delikts- und Vertragsrecht nicht zwingend zu bezwecken ist.
IV. Ergebnis Der immaterielle Schadensersatz steht in einem Spannungsverhältnis zwischen rechtspolitischen Bedenken, die eine ausufernde Haftung befürchten und dem wachsenden Bedürfnis immaterielle Werte zu schützen. Die Bedeutung von immateriellen Schäden steht nicht abschließend fest und wird durch gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen beeinflusst und fortentwickelt. Beide Positionen beeinflussen den Anwendungsbereich und den Umfang des immateriellen Schadens.330 Die Ausnahmeregelegung des § 847 BGB a. F. hat zunächst die restriktive Haltung des Gesetzgebers gegenüber immateriellen Schäden zum Ausdruck gebracht. Die Nähe zum Strafrecht durch pönale Elemente war zu überwinden. Durch das 2. SchadÄndG hat der immaterielle Schadensersatzanspruch Eingang in das Schadensersatzrecht gefunden. Anders als § 847 BGB a. F. wurde der immaterielle Schadensersatz nun neben der Deliktshaftung auch auf die Vertragsund Gefährdungshaftung ausgeweitet. Die Neuregelung des § 253 Abs. 2 BGB sieht einen Entschädigungsanspruch für immaterielle Schäden bei eingetretener Rechtsgutsverletzung vor. Der Ersatz eines Gefühlsschadens als immaterieller Schaden stellt die Gerichte bis heute vor die Herausforderung eine angemessene Entschädigung der Höhe nach festzulegen. Auch wenn der Nachteil auf einer Rechtsgutsverletzung beruht, kann der schadensersatzrechtliche Grundsatz der Totalreparation den Umfang des eingetretenen Schadens nicht abschließend bemessen. Die sog. Inkommensurabilität von immateriellen Schäden hat deshalb weiterhin Relevanz, da aufgrund des bestehenden Ermessensspielraums unterschiedliche Entschädigungsbeiträge das Ergebnis allgemeiner Billigkeitserwägungen sind. Trotz des beabsichtigten Entscheidungsspielraums der Gerichte bemühen sich Rechtsprechung und Literatur schon seit der Entstehung des BGB geeignete Bemessungsgrundsätze zu entwickeln, um damit eine einheitliche und transparente Anwendung der Entschädigungsnorm gem. § 253 BGB zu ermöglichen. Diese Legitimationsgrundlage soll durch die Bestimmung der Funktion des immateriellen Schadensersatzes geschaffen werden. Sowohl über die Funktion des immateriellen Schadensersatzes, als auch über die daraus resultierenden Bemessungskriterien besteht bis heute Uneinigkeit, 330
Schernitzky, Immaterieller Schadensersatz, Einleitung.
IV. Ergebnis
225
weshalb sich das Gericht zu großen Teilen an der Vergleichsrechtsprechung orientiert. Während zum einen an dem Ausgleichsgedanken des Schadensersatzrechts festgehalten wird und nur eine weite Auslegung des Ausgleichsgrundsatzes gefordert wird, ziehen Literatur und Rechtsprechung überwiegend die Genugtuungsfunktion ergänzend heran. Das 2. SchadÄndG hat zwar die Ausgleichsfunktion betont, die Doppelfunktion wurde aber nicht aufgegeben. Die aktuelle Rechtsprechung zeigt aber, dass die Bemessungskriterien nicht einheitlich berücksichtigt werden, weil gleichzeitig erhebliche Kritik an diesen geäußert wird.331 Das 2. SchadÄndG hat ein Hinterbliebenengeld oder Angehörigenschmerzensgeld außen vor gelassen, was neben der Vorrangigkeit anderer Neuerungen auch an der Betonung der Ausgleichsfunktion gelegen haben könnte. Neben der Frage der Bemessung der Entschädigung hat der immaterielle Schadensersatz durch die Anerkennung eines immateriellen Schadens bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine erhebliche Erweiterung erfahren. Diese Entwicklung wurde in der vorliegenden Arbeit Bedeutung beigemessen, weil sich für das allgemeine Persönlichkeitsrecht die Frage gestellt hat, inwiefern sich dieses in das System des immateriellen Schadensersatzes gem. § 253 BGB einordnet, mit dem bedeutenden durch die Rechtsprechung geschaffenen Ergebnis, dass es sich dabei um einen auf verfassungsrechtlicher Grundlage bestehenden Anspruch sui generis handelt. Diese Frage stellt sich nun auch für das Hinterbliebenengeld, für das zu untersuchen war, inwiefern dieses in das System des immateriellen Schadensersatzes einzuordnen ist oder ebenfalls einer neuen, anderen Anspruchskategorie folgt. Die besondere Ausgestaltung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts führt aber zu einer isolierten Stellung im Zivilrecht, an der auch das Hinterbliebenengeld nichts ändert und deshalb klarzustellen ist, dass jedenfalls keine Ansprüche gleicher Rechtsnatur vorliegen. Vielmehr geht es zunächst allein um die Parallele, ob auch das Hinterbliebenengeld eine Entschädigung immaterieller Schäden außerhalb des Anwendungsbereichs von § 253 BGB vorsieht. Der Gesetzgeber hat durch die Formulierung des § 844 Abs. 3 BGB und auch im Rahmen der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Entschädigung für einen immateriellen Schaden handeln soll, der unter Berücksichtigung der Genugtuungsfunktion zu bemessen sei. Die vorliegende Darstellung führt zu dem Ergebnis, dass das seelische Leid zwar grundsätzlich als Gefühlsschaden im Sinne eines immateriellen Schadens zu bewerten ist. Anders als der immaterielle Schadensersatzanspruch in § 253 Abs. 2 BGB ist das Hinterbliebenengeld aber als neue, eigenständige Anspruchsgrundlage zu bewerten, die sich nicht ohne Weiteres in das bestehende System des immateriellen Schadensersatzrechts einfügt. Als ausschlaggebend wird dafür die fehlende Rechts331 Vgl. zur Kritik an fehlenden Kriterien für die Berücksichtigung wirtschaftlicher Verhältnisse des Schädigers/Geschädigten: BGH Beschl. v. 14. 04. 2016 – 2 StR 137/14, 2 StR 337/ 14, BeckRS 2016, 12304.
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D. Das neue Hinterbliebenengeld
gutsverletzung des Anspruchstellers bei Geltendmachung des Anspruchs aus § 844 Abs. 3 BGB gesehen. Zwar ist Voraussetzung gem. § 844 Abs. 3 BGB, dass der Verletzte getötet worden ist. Der Anspruchsteller ist aber ein Dritter, nämlich der Hinterbliebene. Diesem wird aufgrund des besonderen persönlichen Näheverhältnisses zwar das Empfinden seelischen Leids unterstellt. Hierbei handelt es sich aber gerade nicht um eine die Gesundheitsverletzung unterschreitende, haftungsbegründende Voraussetzung, sondern um den durch das Näheverhältnis indizierten Schaden. Die im immateriellen Schadensersatzrecht vorausgesetzte unmittelbare Rechtsgutsbezogenheit fehlt. Hieraus folgt für das Hinterbliebenengeld die Konsequenz, dass die Bestimmung des Umfangs des eingetretenen Schadens und damit auch die Bemessung der Entschädigung nicht von einer haftungsbegründenden Rechtsgutsverletzung abhängig gemacht werden können. Damit fehlt dem Hinterbliebenengeld ein entscheidender objektiver Maßstab, sodass eine andere Bewertungsgrundlage benötigt wird. Zwar ist nicht auszuschließen, dass auf die gem. § 844 Abs. 3 BGB vorausgesetzte Tötung des Verletzten als haftungsbegründende Voraussetzung zurückgegriffen werden kann. Hier fehlen aber zunächst Ansätze, wie die Verletzung des fremden Rechtsguts Leben berücksichtigt werden kann, ohne sich über die verfassungsrechtlich gebotene Disponibilität des Rechtsguts Lebens hinwegzusetzen. Es kommt zum einen in Betracht, den Tod des Verletzten rein objektiv als Haftungsgrund anzusehen. Die Tötung könnte als objektiver Maßstab dienen, der dann doch eine Bestimmung des Schadensumfangs zulässt. Zum anderen kommt die Berücksichtigung des Todes auf der Ebene der Haftungsausfüllung in Betracht. Man könnte sogar so weit gehen, dass in der Tötung die Rechtsgutsverletzung zu sehen ist, die dem Schaden des Hinterbliebenen zuzurechnen ist und deshalb wie eine eigene Rechtsgutsverletzung des Hinterbliebenen zu behandeln ist. Dies würde der geäußerten Kritik Rechnung tragen, dass die Tötung selbst im Zivilrecht bisher ohne Konsequenzen geblieben ist.332 Im Fokus stünde dann nicht das erlittene Leid und die Anspruchsmöglichkeit eines Dritten, sondern die Einbeziehung der Tötung in den Rechtsgüterschutz. Dies wiederum müsste sich insofern auf die Höhe einer solchen Entschädigung auswirken, als dass dem Hinterbliebenengeld mit dem Ziel, trotz Tötung eine Ersatzpflicht vorzusehen, eine andere Relevanz zukommt, als wenn es allein um die seelischen Nachteile eines Dritten geht. Dies könnte aber aufgrund hoher Beträge zu einer Kommerzialisierung des Todes führen, was zwingend zu vermeiden ist. Nach der hier vertretenen Auffassung ist das verletzte Rechtsgut Leben deshalb nicht unmittelbar heranzuziehen. Im Wege der Rechtsfortsetzung ist nach Sinn und Zweck des Hinterbliebenengeldes mittelbarer Lebensschutz zu erreichen, indem der Hinterbliebene anstelle des Getöteten einen sekundären Anspruch erhält, für den das Näheverhältnis zum Hinterbliebenen Anspruchsvoraussetzung als Ausdruck der Lebensverletzung ist. 332 H. Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 456; Schramm, Haftung für Tötung, S. 78 ff.
IV. Ergebnis
227
Es hat sich herausgestellt, dass die Hinterbliebeneneigenschaft, die ein besonderes persönliches Näheverhältnis voraussetzt das entscheidende Kriterium für einen Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB darstellt. Während die Bemessung der Entschädigung zwar die Rechtsfolgenseite betrifft und das Näheverhältnis die haftungsbegründende Voraussetzung gem. § 844 Abs. 3 BGB darstellt, ist die Einbeziehung der Hinterbliebeneneigenschaft auch in die Bemessung zu erwägen. Wegen der Parallelen zum immateriellen Schadensersatz war zu überprüfen, inwiefern die fehlende Ausweitung des Hinterbliebenengeldes auch auf die Vertragshaftung relevante Haftungslücken verursacht. Auch wenn Konstellationen denkbar sind, in denen die fehlende Vertragshaftung unterschiedliche Haftungsergebnisse bringen kann, konnte im Arzthaftungs- und Arbeitsrecht keine Haftungslücke von besonderer Relevanz festgestellt werden. Der im Schadensersatzrecht geforderte Gleichlauf von Delikts- und Vertragshaftung spielt jedoch für das Hinterbliebenengeld wegen der unterschiedlichen Rechtsnatur nur eine eingeschränkte Rolle. Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass das Hinterbliebenengeld aufgrund seiner eigenen Rechtsnatur anderen Grundsätzen folgt als der immaterielle Schadensersatz im Rahmen des § 253 BGB. Dies hat zur Folge, dass die Anspruchsvoraussetzungen und die Bemessungskriterien für das Hinterbliebenengeld erst noch bestimmt werden müssen. Eine Orientierung an den Voraussetzungen des immateriellen Schadensersatzes bleibt dennoch möglich, soweit die Besonderheiten des Hinterbliebenengeldes in Bezug auf die fehlende Rechtsgutsbezogenheit dem nicht entgegenstehen.
E. Die Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB auf haftungsbegründender und haftungsausfüllender Ebene Eine erste Bestandsaufnahme des neuen Anspruchs auf Hinterbliebenengeld in Kapitel B. hat gezeigt, dass die Entschädigung eines immateriellen Schadens in § 844 Abs. 3 BGB im Vordergrund steht. Aus diesem Grund ist das Hinterbliebenengeld in Kapitel C. dem immateriellen Schadensersatz gem. § 253 Abs. 2 BGB gegenüber gestellt worden. Die kritische Auseinandersetzung mit diesen beiden immateriellen Entschädigungsansprüchen in Kapitel C. und D. hat gezeigt, dass das Hinterbliebenengeld eigenen Voraussetzungen folgt. Mithilfe der in Kapitel D. gewonnenen Erkenntnisse sind die Voraussetzungen des Hinterbliebenengeldes gem. § 844 Abs. 3 BGB zu konkretisieren.
I. Restriktive Auslegung der Voraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB Die Darstellung des Hinterbliebenengeldanspruchs in Kapitel B. erfolgte anhand der Gesetzesmaterialien. Hier wurde neben der Berücksichtigung historischer Gesetzesmaterialien vornehmlich der Gesetzesentwurf zum Hinterbliebenengeld vom 7. März 2017 auf Hinweise zur Konkretisierung der Voraussetzungen des neu eingeführten § 844 Abs. 3 BGB untersucht.1 Die Voraussetzungen, unter denen ein Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB und damit eine Anspruchsberechtigung bejaht werden kann, ließ der Gesetzgeber indes weitestgehend offen. Die Gesetzesbegründung hebt die nahen Familienangehörigen, die auch von der Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB erfasst werden, besonders hervor und stellt für ein Näheverhältnis außerhalb der Vermutungsregelung auf die Intensität der tatsächlich gelebten Beziehung ab. Die Intensität der Beziehung müsse mit dem Näheverhältnis zu Familienangehörigen vergleichbar sein.2 Das gem. § 844 Abs. 3 BGB erforderliche besondere persönliche Näheverhältnis ist die zentrale, ausfüllungsbedürftige3 Voraussetzung des Hinterbliebenengeldes.
1
Vgl. dazu Kap. B. IV. BT-Drs. 18/11397, S. 13. 3 Vgl. zur Formulierung des „ausfüllungsbedürftigen Maßstabs“ bei Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 48. 2
I. Restriktive Auslegung der Voraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
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Die erforderliche Konkretisierung4 des Näheverhältnisses orientiert sich daran, ob dem Hinterbliebenengeld ein Ausnahmecharakter zukommt. Würde man § 844 Abs. 3 BGB als Ausnahmevorschrift einordnen, wäre eine restriktive Auslegung der Anspruchsvoraussetzungen gerechtfertigt. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes bedürfte dann ebenfalls einer Einschränkung.5 Zwar haben die Kapitel C. und D. bereits zum Ausdruck gebracht, dass das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB nicht der Systematik des immateriellen Schadensersatzes folgt. Die Bewertung des § 844 Abs. 3 BGB als Ausnahmevorschrift ergibt sich aber nicht automatisch aus der Verneinung eines immateriellen Schadensersatzanspruchs. Eine Ausnahmevorschrift ist grundsätzlich dann anzunehmen, wenn die Norm eine Regel oder einen Grundsatz durchbricht, weil der Gesetzgeber die Durchführung der Regel im Einzelfall für unangebracht hält.6 Dies ist für das Hinterbliebenengeld anhand des normativen Gehalts von § 844 Abs. 3 BGB zunächst zu bestimmen.7 1. Die Durchbrechung des haftungsrechtlichen Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch § 844 Abs. 3 BGB Eine restriktive Auslegung des Hinterbliebenengeldes könnte insbesondere aufgrund der Durchbrechung des haftungsrechtlichen8 Unmittelbarkeitsgrundsatzes9 anzunehmen sein.10 Das Deliktsrecht unterscheidet durch die Anwendung des Tatbestandsprinzips zwischen Haftungsbegründung und Haftungsausfüllung.11 Grundsätzlich muss eine Rechtsgutsverletzung beim Anspruchsteller eingetreten sein. Die Rechtsgutverletzung und der daraus resultierende Schaden müssen bei einer identischen Person eintreten.12 Die Rechtsprechung hat für § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB regelmäßig betont, mittelbar Geschädigte könnten nur ausnahmsweise Ansprüche geltend machen.13 Danach stünde grundsätzlich nur dem durch eine unerlaubte Handlung un4
Schillig, Konkretisierungskompetenz und Konkretisierungsmethoden, S. 150. Vgl. kritisch zum restriktiven Anwendungsbereich Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 176; vgl. zum Begriff der restriktiven Auslegung Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 174 f.; Zerres, Einführung in das Zivilrecht, S. 29. 6 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 176. 7 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 210, der den Rückschluss für problematisch hält, dass eine Ausnahmevorschrift einen restriktiven Anwendungsbereich erfordere. 8 Vgl. zu der Begriffsunterscheidung Haftungs-, Schadens- und Schadensersatzrecht in H. Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 164 f. 9 BeckOGK/Brand, BGB § 249 Rn. 241. 10 Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 98. 11 Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 547. 12 Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 547. 13 BGH Urt. v. 19. 06. 1952 – III ZR 295/51, NJW 1952, 1249; LG Augsburg Urt. v. 10. 01. 1967 – 3 O 221/66, NJW 1967, 1513. 5
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
mittelbar Geschädigten ein Schadensersatzanspruch zu. Der BGH begründet die Haftungsbegrenzung für Dritte mit der fehlenden Verletzung eines Rechtsguts i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB, es liege nur eine Vermögensbeschädigung vor.14 Verhindert werden müsse eine „Umgestaltung der gesetzlichen Haftungsgrundlagen des Rechts der unerlaubten Handlungen an Stelle des vom deutschen Gesetzgeber angenommenen Systems der spezialisierten Haftungstatbestände“.15
Der Ausnahmecharakter der Ansprüche aus § 844 BGB wird regelmäßig betont.16 Dies wird auch an der durch die Rechtsprechung abgelehnten Ausweitung des Anspruches gem. § 844 Abs. 2 BGB auf vertragliche und freiwillig gezahlte Unterhaltsleistungen deutlich.17 Der Gesetzgeber habe nur eine Anspruchsberechtigung im Falle einer gesetzlichen Unterhaltspflicht des Getöteten vorgesehen und damit bewusst andere Personenkreise von der Regelung in § 844 Abs. 2 BGB ausgenommen.18 Wenn schon die Ersatzfähigkeit materieller Schäden Dritter gem. § 844 BGB bewusst begrenzt wurde, war nach bisheriger Vorstellung erst recht kein Raum für immaterielle Schäden Dritter.19 Einen solchen Anspruch des Dritten sieht nun auch § 844 Abs. 3 BGB vor. Auch wenn durch § 844 BGB bereits eine Ausnahme zum Unmittelbarkeitsgrundsatz vorliegt, galt die Ausnahme bis zur Neuregelung in § 844 Abs. 3 BGB nur für Vermögensschäden. Nun gewährt § 844 Abs. 3 BGB Dritten auch Ersatz für einen immateriellen Schaden in Form von seelischem Leid. Der Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift § 844 BGB ist damit um den Ersatz von immateriellen Schäden erweitert worden. Die Besonderheit liegt darin, dass der Unmittelbarkeitsgrundsatz durch das Hinterbliebenengeld in zweifacher Weise durchbrochen wird: Wie die bereits in § 844 BGB normierten Ausnahmen, sieht § 844 Abs. 3 BGB eine Entschädigung für einen Dritten vor, der selbst keine Rechtsgutsverletzung erlitten hat. Viel bedeutender ist aber die Durchbrechung des speziell für den immateriellen Schadensersatz gem. § 253 Abs. 2 BGB ebenfalls geltenden Unmittelbarkeitsgrundsatz auf haftungsbegründender Ebene: Durch das Hinterbliebenengeld wird das auch für § 253 Abs. 2 BGB geltende Tatbestandsprinzip20 durchbrochen, indem erstmalig ein Anspruchsteller Entschädigung für einen immateriellen Schaden verlangen kann, ohne selbst in einem der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgüter verletzt worden zu sein. Hinzu kommt, dass § 253 Abs. 2 BGB die Verletzung des Lebens nicht als geschütztes Rechtsgut erfasst. 14
BGH Urt. v. 19. 06. 1952 – III ZR 295/51, NJW 1952, 1249. BGH Urt. v. 19. 06. 1952 – III ZR 295/51, NJW 1952, 1249. 16 BGH Urt. v. 04. 11. 2003 – VI ZR 346/02, DAR 2004, 79. 17 BGH Urt. v. 24. 06. 1969 – VI ZR 66/67, NJW 1969, 2007; BGH Urt. v. 06. 12. 1983 – VI ZR 2/82, NJW 1984, 977; OLG Frankfurt Urt. v. 29. 06. 1983 – 7 U 267/82, VersR 1984, 449. 18 OLG Frankfurt Urt. v. 29. 06. 1983 – 7 U 267/82, VersR 1984, 449. 19 Vgl. ebenso Schramm, Haftung für Tötung, S. 37. 20 Schramm, Haftung für Tötung, S. 20. 15
I. Restriktive Auslegung der Voraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
231
Für den Ausgleich immaterieller Schäden gem. § 253 Abs. 2 BGB ist grundsätzlich die Verletzung eines personenbezogenen Rechtsguts erforderlich.21 Von § 253 Abs. 2 BGB erfasst sind die Rechtsgüter Körper, Gesundheit, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung. Die Rechtsgutsverletzung stellt den gesetzlich bestimmten Anknüpfungspunkt dar.22 Zwar ist das Rechtsgut Leben i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB des Getöteten verletzt worden. Das seelische Leid beruht unmittelbar kausal auf dem Tod des Hinterbliebenen. Die Tötung des Hinterbliebenen liegt aber außerhalb des Rechtskreises des Hinterbliebenen und folgt damit nicht dem Tatbestandsprinzip.23 Die Rechtsgutsbezogenheit ist im immateriellen Schadensersatz gem. § 253 Abs. 2 BGB noch strenger, indem nur bestimmte Rechtsgutsverletzungen erfasst werden. Das Rechtsgut Leben ist nicht vom Anwendungsbereich des immateriellen Schadensersatzes gem. § 253 Abs. 2 BGB erfasst. Auch für die Bestimmung des immateriellen Schadensumfangs fehlt es deshalb an der Beeinträchtigung des Anspruchstellers als Bezugspunkt.24 Hinzu kommt die fehlende Anknüpfungsmöglichkeit an die fremde Rechtsgutsverletzung Leben, da sich die Bewertung des Lebens oder des Todes verbietet.25 Nicht nur, dass durch § 844 Abs. 3 BGB die Haftung für immaterielle Schäden erweitert wird, darüber hinaus wird eine immaterielle Entschädigung für einen Anspruchsteller ohne Rechtsgutsverletzung gewährt. Diese Besonderheiten rechtfertigen das Ziel, Ausgleich durch Rechtsfortsetzung in Bezug auf die Tötung zu erreichen. Durch die Rechtsfortsetzung kommt es zwar auf die Person des Hinterbliebenen an, dieser kann seinen eigenen Anspruch aber nur aus abgeleitetem Recht geltend machen, weil es an der eigenen Rechtsgutsverletzung fehlt. 2. § 844 Abs. 3 BGB als eigenständige Anspruchsgrundlage Schon in Kapitel B. ist das Verhältnis zwischen einem Anspruch aufgrund eines Schockschadens und dem neuen Hinterbliebenengeldanspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB thematisiert worden.26 Beide Ansprüche stehen nebeneinander und gewähren einen Entschädigungsanspruch beim Vorliegen unterschiedlicher Anspruchsvoraussetzungen. Diese können in der gleichen Person entstehen. Für die Geltendma21 Ehlgen, Probabilistische Proportionalhaftung, S. 156; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 61, 147. 22 Schramm, Haftung für Tötung, S. 37; vgl. ausführlich zum immateriellen Schadensersatz in Kap. C. III. 23 Schramm, Haftung für Tötung, S. 23. 24 Vgl. zur Berücksichtigung der Rechtsgutsverletzung bei der Bemessung des immateriellen Schadensersatzes in Kap. C. III. 3. 25 Vgl. zu „Wrongful Life“ Kap. D. II. 7. 26 Vgl. dazu Kapitel B. IV. 4.
232
E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
chung eines Schockschadens durch den überlebenden Hinterbliebenen bedarf es einer eigenen Rechtsgutsverletzung in Form einer psychischen Beeinträchtigung mit Krankheitswert.27 Die durch die Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an die Gesundheitsbeeinträchtigung führen im Vergleich zum Hinterbliebenengeld zu einem eingeschränkten Anwendungsbereich. Für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB muss der Hinterbliebene keine eigene Rechtsgutsverletzung erlitten haben. Es kommt allein auf den Tod des Primärverletzten und das Näheverhältnis zu dem Getöteten an. Der Sinn und Zweck des Hinterbliebenengeldes liegt jedoch nicht in der Gewährung eines Anspruchs in den Fällen, in denen ein Schockschaden nicht begründet werden kann. Neben möglichen materiellen Schäden liegt bei der Bejahung eines Schockschadens ein immaterieller Schadensersatzanspruch gem. § 253 Abs. 2 BGB vor, der den durch die gesundheitliche Beeinträchtigung entstehenden immateriellen Schaden ersetzen will. Der Haftungsgrund stellt hier die Verletzung des Rechtsguts Gesundheit dar.28 Anknüpfungspunkt für die Gewährung eines Hinterbliebenengeldes gem. § 844 Abs. 3 BGB ist die Tötung einer nahe stehenden Person. Durch die Begrenzung des Anwendungsbereichs des Hinterbliebenengeldes ist zwar auch dem Risiko der ausufernden Haftung aufgrund psychischer Beeinträchtigungen entgegenzuwirken. Schon aus diesem Grund ist eine restriktive Anwendung des Hinterbliebenengeldes im Hinblick auf die Entschädigungshöhe geboten. Ein Anspruch auf immaterielle Hinterbliebenengeldentschädigung besteht aber unabhängig von einem immateriellen Schadensersatzanspruch aufgrund eines Schockschadens.29 Sollten dem Anspruchsteller beide Ansprüche zustehen, sind unverhältnismäßig hohe Entschädigungssummen zu vermeiden.30 Aufgrund der verschiedenen Zielrichtungen des Hinterbliebenengeld- und des Schockschadenanspruchs ist der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB sowohl in seinen Anspruchsvoraussetzungen als auch in seinem Anwendungsbereich restriktiv auszulegen. 3. Die Beschränkung der Hinterbliebenengeldentschädigung auf den Ausgleich des Schadens Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB beinhaltet die Entschädigung eines immateriellen Schadens, der aufgrund seiner Inkommensurabilität eines nor27
Grundlegend BGH Urt. v. 11. 05. 1971 – VI ZR 78/70, NJW 1971, 1883; MüKoBGB/ Oetker, § 249 Rn. 150; Jaeger, in: VersR 2017, S. 1041 (1045). Vgl. näher zur SchockschadenRechtsprechung Kap. B. IV. 4. 28 Vgl. zur Schockschaden-Rechtsprechung schon in Kap. B. IV. 4. 29 A. A. OLG Düsseldorf Urt. v. 15. 12. 2020 – 1 U 35/20, VersR 2021, 322. 30 Vgl. hierzu ebenfalls Kap. E. III. 1.
I. Restriktive Auslegung der Voraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
233
mativen Maßstabs bedarf.31 Dem Hinterbliebenengeld kommt auf haftungsbegründender und haftungsausfüllender Ebene die Funktion des Ausgleiches zu.32 Die für den immateriellen Schadensersatz diskutierte Genugtuungsfunktion ist für das Hinterbliebenengeld abzulehnen.33 Dies führt dazu, dass auf haftungsausfüllender Ebene die Höhe der Entschädigung gem. § 844 Abs. 3 BGB durch den Ausgleich des immateriellen Schadens begrenzt ist. Dies entspricht dem allgemeinen Ausgleichsgedanken des Schadensersatzrechts. Für die Bemessung der Entschädigung können deshalb nur solche Umstände berücksichtigt werden, die Einfluss auf das Ausmaß des seelischen Leids haben. 4. Zwischenergebnis Zu konkretisieren sind insbesondere das besondere persönliche Näheverhältnis als anspruchsbegründende Voraussetzung gem. § 844 Abs. 3 BGB sowie die Angemessenheit der Entschädigung. Sowohl bei der Bestimmung des Näheverhältnisses, als auch bei der Bemessung der Entschädigung, ist eine restriktive Haltung geboten. Das Hinterbliebenengeld verfolgt auf haftungsbegründender Ebene das Ziel, den durch den Schädiger verursachten Tod durch Rechtsfortsetzung34 auszugleichen. An die Rechtsgutsverletzung Leben kann nur aufgrund des Rechtsfortsetzungsgedankens angeknüpft werden. Dieser Haftungsgrund des Hinterbliebenengeldes erfordert aus zwei wesentlichen Gründen eine restriktive Anwendung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld: Zum einen ist der Tod grundsätzlich nicht ausgleichsfähig und zum anderen widerspricht es dem deliktsrechtlichen Unmittelbarkeitsgrundsatz, einen Anspruch ohne eigene Rechtsgutsverletzung anzuerkennen. Trotz der bereits bestehenden Ausnahme in § 844 BGB als Anspruch eines Dritten, bringt die Rechtsprechung zum Ersatz von Schockschäden zum Ausdruck, dass immaterielle Beeinträchtigungen grundsätzlich auf einer eigenen Rechtsgutsverletzung beruhen müssen. Aufgrund dessen ist die Einordnung des Hinterbliebenengeldes in das System des immateriellen Schadensersatzes gem. § 253 Abs. 2 BGB in Kapitel D. verneint worden. Die Durchbrechung des schadensersatzrechtlichen Grundsatzes, die von den Schockschäden zu unterscheidende Zielrichtung und die Beschränkung der Entschädigung auf den Ausgleich, charakterisieren das Hinterbliebenengeld als Ausnahmevorschrift, die eine einschränkende Auslegung in Bezug auf die anspruchsbegründenden Voraussetzungen und die Bemessung der Entschädigung auf haftungsausfüllender Ebene erforderlich machen. 31 Vgl. zum Problem des fehlenden Bemessungsmaßstabs: von Mayenburg, Die Bemessung des Inkommensurablen, S. 98 ff. 32 Vgl. ausführlich zur Funktion des Hinterbliebenengeldes in Kap. D. II. 33 Vgl. hierzu ausführlich in Kap. D. II. 34 Vgl. zum Rechtsfortsetzungsgedanken Kap. D. II.
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
II. Die Voraussetzungen gem. § 844 Abs. 3 BGB auf haftungsbegründender Ebene Anhand der in Kapitel C. und D. gewonnenen Ergebnisse können einzelne, bereits in der Bestandsaufnahme in Kapitel B. genannten Voraussetzungen für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld konkretisiert werden. Als wesentliches Ergebnis aus Kapitel C. und D. ist der aus der fehlenden Rechtsgutsverletzung resultierende Ausnahmecharakter der Norm in § 844 Abs. 3 BGB hervorgegangen, der die restriktive Anwendung des Hinterbliebenengeldanspruchs zur Folge hat. Der strenge Anwendungsbereich wirkt sich insbesondere auf die Anforderungen an das Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB aus, das als anspruchsbegründende Voraussetzung über die Anspruchsberechtigung des Hinterbliebenen entscheidet. 1. Der Tod als haftungsbegründende oder haftungsausfüllende Voraussetzung des § 844 Abs. 3 BGB Ein Anspruch des Hinterbliebenen gem. § 844 Abs. 3 BGB besteht unstreitig lediglich dann, wenn auch der Tod des Primärverletzten eingetreten ist. Bereits in Kapitel B. wurde dargestellt, dass der Schädiger als Anspruchsgegner gegenüber dem Primärverletzten aufgrund einer Rechtsgutsverletzung gem. §§ 823 ff. BGB schadensersatzpflichtig sein muss. Es muss eine Ersatzpflicht des Schädigers gegenüber dem Verletzten bestehen. Gem. § 823 Abs. 1 BGB sind aber auch die Rechtsgüter Körper und Gesundheit geschützt. Eine Ersatzpflicht des Schädigers gem. § 823 Abs. 1 BGB kommt – unabhängig vom Verletzungserfolg Tod – also bereits bei einer Körperverletzung in Betracht. Dagegen erfordert der Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB den Tod des Primärverletzten. Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes erfasst gerade keine schweren Verletzungen des Primärverletzten. Fraglich ist jedoch, ob es für den haftungsbegründenden Tatbestand des § 844 Abs. 3 BGB ausreichend ist, dass der Geschädigte zunächst in seinem Rechtsgut Körper verletzt worden ist und später der Tod eintritt oder ob die Verletzung des Rechtsguts Leben bereits eine haftungsbegründende Voraussetzung darstellt. Verursacht der Schädiger durch die unerlaubte Handlung unmittelbar den Tod des Primärverletzten, ist das Rechtsgut Leben verletzt und der haftungsbegründende Tatbestand unproblematisch erfüllt. a) Problemstellung Problematisch wird die Frage nach einer bestehenden Ersatzpflicht aber, wenn durch die unerlaubte Handlung zunächst nur eine Verletzung von Körper oder Gesundheit verursacht worden ist und der Tod erst nach einem zeitlichen Abstand
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
235
eintritt.35 Die Verletzungshandlung des Schädigers kann dazu führen, dass der Tod des Verletzten nicht sofort eintritt, sondern diesem eine Körperverletzung und eine Zeit der Erkrankung vorausgehen.36 Der Tod tritt dann erst als mittelbare Folge der unerlaubten Handlung ein. Es stellt sich die Frage, welche Anforderungen an den Ursachenzusammenhang zwischen der Körperverletzung und dem Tod zu stellen sind, wenn der Tod erst getrennt von der Körperverletzung eintritt. Auch wenn das Opfer kurz nach den schweren Verletzungen verstirbt, kann sich die Frage nach dem Ursachenzusammenhang stellen, wenn zwischen Körperverletzung und Todeseintritt eine weitere mögliche Ursache hinzutritt.37 aa) Differenzierung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Ebene Bei zeitlicher Distanz zwischen dem Eintritt der Körperverletzung und dem Eintritt des Todes oder bei mehreren möglichen Todesursachen stellt sich die Frage, ob der haftungsbegründende Tatbestand des § 844 Abs. 3 BGB bereits aufgrund der Körperverletzung erfüllt ist. Auf haftungsbegründender Ebene bedürfte es dann zunächst der Kausalität zwischen der Verletzungshandlung und der Körperverletzung. Im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität käme es dann auf die Zurechnung des Todes zur Körperverletzung an.38 Die schadensersatzrechtliche Anspruchsgrundlage setzt sich aus einem Haftungsund einem Schadenstatbestand zusammen.39 Begründet wird die Haftung durch die Verletzung des geschützten Rechtsguts.40 Auf Ebene des Haftungstatbestands bedarf es deshalb der Kausalität zwischen dem schädigenden Verhalten und dem Verletzungserfolg (haftungsbegründende Kausalität).41 Das für die Verschuldenshaftung erforderliche Verschulden muss sich auf den haftungsbegründenden Tatbestand beziehen, also auf die Verletzungshandlung, den Verletzungserfolg und die haftungsbegründende Kausalität.42 35
So auch Jaeger, in: VersR 2017, S. 1041 (1051). MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 30. 37 BGH Urt. v. 30. 01. 1973 – VI ZR 14/72, NJW 1973, 993. Der Entscheidung lag der Fall zugrunde, dass sich das Fahrzeug des Opfers überschlug, wodurch das Opfer auf die Fahrbahn geschleudert und verletzt wurde. Fraglich war, ob die Verletzungen bereits geeignet waren, den Tod des Opfers herbeizuführen, oder ob erst das Überrollen durch einen Omnibus die tödlichen Verletzungen herbeigeführt hat. 38 MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 14. 39 Stoll, Haftungsfolgen im Bürgerlichen Recht, S. 392. 40 Stoll, Haftungsfolgen im Bürgerlichen Recht, S. 393. 41 Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 77; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 125. 42 Jauernig/Teichmann, § 823 BGB Rn. 58. 36
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Für den Schadenstatbestand kommt es auf die Kausalität zwischen dem Verletzungserfolg und dem eingetretenen Schaden an (haftungsausfüllende Kausalität). Das Verschulden muss sich nicht auf den haftungsausfüllenden Tatbestand erstrecken.43 Würde man den Tod materiell-rechtlich als haftungsbegründende Voraussetzung des § 844 Abs. 3 BGB einordnen, müsste sich das Verschulden auch auf den Tod beziehen. Ließe man die Körperverletzung auf haftungsbegründender Ebene genügen, würde auf haftungsausfüllender Ebene die Zurechnung des Todes ausschließlich durch die Adäquanz und den Schutzweck der Norm begrenzt werden.44 Die Körperverletzung wäre dann als Erstschädigung und der Tod als Folgeschaden zu qualifizieren.45 bb) Prozessuale Bedeutung der Differenzierung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität Die Differenzierung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität ist auf prozessualer Ebene für die Darlegungs- und Beweisanforderungen von Belang. Geht es im Prozess um eine Frage der haftungsbegründenden Kausalität, gelten die allgemeinen Beweisregeln und die Grundsätze des § 286 ZPO.46 Die haftungsausfüllende Kausalität dagegen unterliegt der richterlichen Schadensschätzung gem. § 287 ZPO. Gem. § 287 Abs. 1 ZPO darf das Gericht über die Entstehung und den Umfang des Schadens unter Würdigung aller Umstände entscheiden. Insoweit unterscheidet sich § 287 ZPO zunächst nicht von § 286 ZPO.47 Anders als bei § 286 ZPO muss das Gericht im Rahmen des § 287 ZPO aber nicht zu der Überzeugung gelangen, ob eine Tatsache wahr oder unwahr ist.48 Im Unterschied zu § 286 ZPO sieht § 287 ZPO eine Beweismaßreduzierung auf die „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ vor.49 Diese Wahrscheinlichkeit hat der Geschädigte durch Ausgangs- bzw. Anknüpfungstatsachen50 darzulegen. Gem. § 287 ZPO steht dem Gericht ein Schätzungsermessen51
43
Jauernig/Teichmann, § 823 BGB Rn. 58; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 127. BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 39. 45 BGH Urt. v. 12. 02. 2008 – VI ZR 221/06, NJW 2008, 1381; BGH Urt. v. 29. 01. 2019 – VI ZR 113/17, NJW 2019, 2092; Staudinger/Schiemann, 2017, Vorbem zu §§ 249 ff. BGB Rn. 101; vgl. zur Primärverletzung und Sekundärschaden auch Ullenboom, in: Urteilsanm. in NJW 2019, S. 2092 (2095). 46 MüKoZPO/Prütting, § 287 Rn. 10. 47 Saenger/Saenger, § 287 ZPO Rn. 14. 48 Saenger/Saenger, § 287 ZPO Rn. 14. 49 MüKoZPO/Prütting, § 287 Rn. 17. 50 BGH Urt. v. 15. 03. 1988 – VI ZR 81/87, NJW 1988, 3016. 51 Vgl. zum Schätzungsermessen Dreier, Kompensation und Prävention, S. 325 ff. 44
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
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zu, welches das Gericht auf Grundlage von Anknüpfungstatsachen ausübt.52 Der Darlegungs- und Beweismaßstab wird erleichtert, damit die Durchsetzung eines materiell begründeten Anspruchs nicht an den prozessualen Anforderungen scheitert.53 Mithilfe dieser Beweiserleichterung ist zu ermitteln, ob der Schaden kausal auf der Rechtsgutsverletzung beruht und ob sich aus der eingetretenen Rechtsgutsverletzung weitere Folgeschäden ergeben haben.54 Die Feststellung von Tatsachen, die sich auf die Anspruchsvoraussetzungen beziehen, erfolgt also je nach haftungsbegründender oder haftungsausfüllender Voraussetzung nach dem Beweismaßstab des § 286 ZPO oder § 287 ZPO. cc) Der Tod als haftungsausfüllende Voraussetzung des § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB Den Ansprüchen gem. § 844 Abs. 1 BGB auf Ersatz der Beerdigungskosten, gem. § 844 Abs. 2 BGB auf Ersatz des Unterhaltsschadens sowie gem. § 844 Abs. 3 BGB auf Entschädigung seelischen Leids ist die Voraussetzung der Verantwortlichkeit des Schädigers für den Tod des Verletzten gemeinsam.55 Dabei kann der Tod aber sowohl als haftungsbegründende oder als haftungsausfüllende Voraussetzung beurteilt werden: Verursacht der Schädiger unmittelbar den Tod des Verletzten, stellt die Verletzung des Lebens die haftungsbegründende Rechtsgutsverletzung dar. Liegen die Körperverletzung und der dem Schädiger zurechenbare Tod zeitlich auseinander, bestehen zunächst zwei mögliche Anknüpfungspunkte für eine Rechtsgutsverletzung. Die Körperverletzung oder der Tod könnten als haftungsbegründende Rechtsgutsverletzung anzusehen sein. Es stellt sich die Frage, ob der Tod zum Haftungstatbestand gehört und deshalb eine haftungsbegründende Voraussetzung darstellt. Relevant wird diese Frage für den materiell-rechtlichen Bezugspunkt des Verschuldens und den prozessrechtlichen Beweismaßstab. Für einen Anspruch gem. § 844 Abs. 2 BGB kommt es darauf an, dass der Getötete „zur Zeit der Verletzung“ gegenüber dem Dritten in einem Verhältnis stand, in dem er diesem gegenüber unterhaltspflichtig war. Der Unterhaltsanspruch muss im Zeitpunkt des Verletzungserfolgs bestanden haben.56
52
Musielak/Voit/Foerste, § 287 ZPO Rn. 7; Saenger/Saenger, § 287 ZPO Rn. 14. MüKoZPO/Prütting, § 287 Rn. 1; Saenger/Saenger, § 287 ZPO Rn. 1. 54 BGH Urt. v. 22. 09. 1992 – VI ZR 293/91, NJW 1992, 3298; BGH Urt. v. 13. 02. 1996 – VI ZR 318/94, NJW 1996, 1674; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, § 844 Rn. 204; MüKoZPO/ Prütting, § 287 Rn. 13; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 70. Vgl. zur Problematik, inwiefern eine eigene Primärverletzung mit dem Maßstab des § 286 ZPO vorliegt oder ein auf der Rechtsgutsverletzung beruhender „Folgeschaden“: BGH Urt. v. 29. 01. 2019 – VI ZR 113/17, NJW 2019, 2092; vgl. zur Kritik der Verlagerung der Verletzung in die haftungsausfüllende Kausalität Stoll, in: AcP 176, 145 (181). 55 MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 14. 56 MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 30. 53
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Wenn dem Tod eine Körperverletzung und eine Zeit der Erkrankung vorausgehen, wird eine mit dem Eintritt der Körperverletzung vollendete Haftungsbegründung vertreten.57 Aufgrund der Auswirkungen, die die Unterscheidung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität auf die prozessual rechtlichen Beweisanforderungen hat, lassen es Literatur und Rechtsprechung im Rahmen des haftungsbegründenden Tatbestands des § 844 Abs. 1 und 2 BGB genügen, wenn eine Körperverletzung kausal auf der Verletzungshandlung des Schädigers beruht.58 Laut BGH gehöre der Tod als Folge zur haftungsausfüllenden Kausalität.59 Deshalb müsse sich auch das Verschulden des Schädigers allein auf die Körperverletzung beziehen.60 Hierfür spräche auch, dass der Anspruch des Unterhaltsberechtigten nicht mehr durch Verzicht oder Vergleich beeinträchtigt werden könne.61 Dem Urteil des BGH aus dem Jahr 1996 liegt ein Verkehrsunfall zugrunde, bei dem die Unterhaltsberechtigte im April 1983 verletzt worden war und im Juli 1983 aufgrund der Verletzungen verstarb. Zuvor hatte der BGH über einen Fall zu entscheiden, bei dem der Schädiger dem Verletzten zwei Faustschläge versetzt hatte.62 Der Verletzte blieb bewusstlos liegen und starb durch den Riss einer bestehenden Gefäßausdehnung (Aneurysma). Das rechtsmedizinische Gutachten hatte ergeben, dass sich der Riss des Aneurysmas auch ohne Gewalteinwirkung jederzeit aufgrund der krankhaften Gefäßerweiterung hätte ereignen können. Laut BGH könne den Kausalitätsproblemen zwischen Körperverletzung und Todesfolge durch den erleichterten Beweismaßstab des § 287 ZPO abgeholfen werden, für den Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität genüge eine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Nur für die Kausalität zwischen schädigendem Verhalten und der Körperverletzung als Rechtsgutsverletzung käme es auf die strengen Beweisanforderungen des § 286 ZPO an.63 Der durch die Faustschläge verursachte Riss des Aneurysmas stellt laut BGH die haftungsbegründende Rechtsgutsverletzung dar. Die Todesfolge ist danach als haftungsausfüllende Voraussetzung anzusehen. Nach Ansicht des BGH unterliegt also der Nachweis des Haftungsgrundes dem strengen Beweismaßstab des § 286 ZPO. Zu prüfen sei hierfür der Zusammenhang zwischen dem schädigenden Verhalten und der Körperverletzung als Rechtsguts57
MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 30. BGH Urt. v. 22. 09. 1992 – VI ZR 293/91, NJW 1992, 3298; BGH Urt. v. 13. 02. 1996 – VI ZR 318/94, NJW 1996, 1674; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, § 844 BGB Rn. 203 ff.; MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 30; BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 85; Staudinger/Röthel, 2015, § 844 BGB Rn. 77. 59 BGH Urt. v. 13. 02. 1996 – VI ZR 318/94, NJW 1996, 1674. 60 BGH Urt. v. 13. 02. 1996 – VI ZR 318/94, NJW 1996, 1674. 61 BGH Urt. v. 13. 02. 1996 – VI ZR 318/94, NJW 1996, 1674. 62 BGH Urt. v. 22. 09. 1992 – VI ZR 293/91, NJW 1992, 3298. 63 BGH Urt. v. 22. 09. 1992 – VI ZR 293/91, NJW 1992, 3298. 58
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
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verletzung.64 Der Kausalzusammenhang zwischen der Rechtsgutsverletzung und dem eingetretenen Schaden ließe sich als haftungsausfüllende Kausalität unter dem erleichterten Beweismaßstab des § 287 ZPO nachweisen. Die Anknüpfung der Unterhaltsberechtigung an den Zeitpunkt der Körperverletzung und der Tod als haftungsausfüllende Voraussetzung haben in der Literatur Zustimmung gefunden.65 b) Meinungsstand zum Tod als haftungsbegründende oder haftungsausfüllende Voraussetzung des § 844 Abs. 3 BGB Auch das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB setzt die Verantwortlichkeit des Schädigers für den Tod des Verletzten voraus. Es stellt sich deshalb auch hier die Frage nach dem Tod als haftungsbegründende oder haftungsausfüllende Voraussetzung. aa) Der Tod als haftungsausfüllende Voraussetzung des § 844 Abs. 3 BGB Die Gesetzesbegründung und die Literatur lassen es für die haftungsbegründende Kausalität des § 844 Abs. 3 BGB genügen, dass eine Körperverletzung beim Getöteten verursacht wurde.66 Art. 229 EGBGB wurde deshalb mit der Einführung des § 844 Abs. 3 BGB der Paragraph 43 angefügt, der vorsieht, dass § 844 Abs. 3 BGB nur für nach dem 22. Juli 2017 eingetretene Verletzungen, die den Tod verursacht haben, gilt. Die haftungsbegründende Kausalität für die Bejahung einer Ersatzpflicht könnte deshalb bereits bei einer kausal durch die unerlaubte Handlung verursachten Körperoder Gesundheitsverletzung angenommen werden. Im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität ist danach zu prüfen, ob der Tod auf der Körperverletzung beruht. Laut Gesetzesbegründung zum Hinterbliebenengeld sei es ausreichend, dass der Getötete als Rechtsgutsverletzung eine Körperverletzung erleidet und der Tod als mittelbare Folge mit zeitlicher Verzögerung eintritt.67
64
BGH Urt. v. 22. 09. 1992 – VI ZR 293/91, NJW 1992, 3298. BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 85 f.; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/ Jahnke, § 844 BGB Rn. 20; MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 30; Staudinger/Röthel, 2015, § 844 BGB Rn. 77. 66 BT-Drs. 18/11397, S. 13; BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 204, 210; MüKoBGB/Wagner, § 844 Rn. 98; Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (403); Bergmann, Hinterbliebenengeld, S. 250. 67 BT-Drs. 18/11397, S. 13. 65
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Nach der durch die Gesetzesbegründung vertretenen Lösung müsste sich also – ebenfalls wie bei § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB – das Verschulden nur auf die begangene Körperverletzung beziehen, während der Verursachungszusammenhang zwischen Körperverletzung und Tod prozessrechtlich dem erleichterten Beweismaßstab gem. § 287 ZPO unterläge. Hat der Schädiger fahrlässig i. S. d. § 276 BGB gehandelt, würde der Schädiger dem Hinterbliebenen nach dieser Lösung schon dann haften, wenn für den Schädiger nur die Körperverletzung voraussehbar und vermeidbar war,68 der Fahrlässigkeitsvorwurf müsste sich nicht auch auf den Eintritt des Todes beziehen. Der Hinterbliebene könnte einen Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB zwar nur bei Eintritt des Todes des Verletzten geltend machen, es würde aber genügen, wenn der Schädiger eine Körperverletzung schuldhaft herbeigeführt hätte. Der Tod wäre nach dieser Lösung erst im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität zu berücksichtigen. Tritt der Tod erst einige Zeit später als die Körperverletzung ein, würde nach dieser Auffassung der erleichterte Beweismaßstab des § 287 ZPO über den strengen Kausalitätsnachweis hinweg helfen. Die Todesfolge müsste nur mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf der durch den Schädiger verursachten Körperverletzung beruhen. bb) Der Tod als haftungsbegründende Voraussetzung des § 844 Abs. 3 BGB Gem. § 844 Abs. 3 BGB besteht der Anspruch des Hinterbliebenen nur bei Tötung des Verletzten. Es ist deshalb zu überlegen, ob die Feststellung des Todeseintritts bereits als haftungsbegründende Voraussetzung anzusehen ist. Dies würde bedeuten, dass sich der Fahrlässigkeitsvorwurf auch auf die Todesfolge beziehen müsste, wenn der Schädiger fahrlässig i. S. d. § 276 BGB gehandelt hat. Es würde nicht genügen, wenn für den Schädiger die zunächst eingetretene Körperverletzung voraussehbar und vermeidbar war. Zudem könnte für den prozessualen Nachweis der Kausalität zwischen der Körperverletzung und der Todesfolge nicht auf den erleichterten Beweismaßstab des § 287 ZPO zurückgegriffen werden, der Tod müsste mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch die schädigende Handlung gem. § 286 ZPO verursacht worden sein. c) Stellungnahme Der Tod ist nach der hier vertretenen Auffassung als haftungsbegründende Voraussetzung des § 844 Abs. 3 BGB anzusehen. Es widerspricht den schadensersatzrechtlichen Grundsätzen, den Todeseintritt als Voraussetzung der haftungsausfüllenden Kausalität zu behandeln. 68
Jauernig/Stadler, § 276 BGB Rn. 19, 23; Jauernig/Teichmann, § 823 BGB Rn. 58.
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
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Der haftungsbegründende Verletzungserfolg kann sich nur auf die Verletzung eines Rechtsguts beziehen, das in den Schutzbereich der schadensersatzrechtlichen Anspruchsgrundlage fällt. In der Körperverletzung ist aber gerade kein Verletzungserfolg i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB zu sehen. Der Schutzbereich des § 844 Abs. 3 BGB umfasst nicht die bloße Körper- oder Gesundheitsverletzung. aa) Sinn und Zweck der § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB Dass die Rechtsprechung im Rahmen der Unterhaltsansprüche gem. § 844 Abs. 2 BGB auf den Zeitpunkt der Körperverletzung abstellt, hat keine Auswirkungen auf die Voraussetzungen gem. § 844 Abs. 3 BGB. Während gem. § 844 Abs. 2 BGB das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht anspruchsbegründende Voraussetzung ist, kommt es für einen Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB auf ein tatsächlich bestehendes Näheverhältnis an. Eine Übertragung der Grundsätze ist aufgrund der fehlenden Vergleichbarkeit zwischen gesetzlicher, berechenbarer Unterhaltspflicht und einem tatsächlichen Näheverhältnis nicht angezeigt. § 844 Abs. 2 BGB ersetzt den durch die Tötung entzogenen Unterhalt und sieht damit Ersatz für einen vermögensmäßigen Nachteil vor. Gem. § 2 Abs. 1 SGB XII wird keine Sozialhilfe gewährt, wenn sich der Anspruchsteller durch sein Einkommen oder Vermögen selbst helfen kann, gem. § 2 Abs. 2 SGB XII bleiben Unterhaltspflichten unberührt. Der Vorrang der individuellen Selbsthilfe vor der Gemeinschaftshilfe ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf öffentliche Fürsorge.69 Das Selbsthilfegebot wird aufgrund der „bedarfs- und bedürftigkeitsbezogenen Sozialleistung“ hervorgehoben.70 Die Sozialhilfe soll „das letzte Netz sozioökonomischer Sicherung“ darstellen.71 Dem Selbsthilfegebot entsprechend kann es im öffentlichen Interesse liegen, dass der Unterhaltsberechtigte durch die zivilrechtliche Inanspruchnahme des Schädigers keine staatliche Hilfe in Anspruch nehmen muss. Diesem Bedürfnis entspricht es, den Anspruch auf Ersatz des Unterhaltsschadens gem. § 844 Abs. 2 BGB nicht an unüberwindbaren Anspruchsvoraussetzungen oder an der fehlenden Nachweisbarkeit der Verursachung scheitern zu lassen. So setzt ein Anspruch gem. § 844 Abs. 2 BGB zum einen noch keine konkrete Unterhaltspflicht zum Zeitpunkt der Verletzung voraus.72 Zum anderen führt die Einordnung des Todes als haftungsausfüllende Voraussetzung zu der Beweiserleichterung des § 287 ZPO. Dies entspricht dem mit § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB verfolgten Ziel, einen zivilrechtlichen Ausgleich für die Beerdigungskosten und den Unterhaltsschaden zu ermöglichen. 69 70 71 72
Schulte, in: NJW 1989, S. 1241 (1242); Mrozynski/Mrozynski, § 9 SGB I Rn. 30. BeckOK/Groth, § 2 SGB XII Rn. 1. Grube/Wahrendorf/Flint/Deckers, § 2 SGB XII Rn. 2. BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 85.
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Diese Zielrichtung entspricht aber nicht dem Sinn und Zweck des Hinterbliebenengeldes gem. § 844 Abs. 3 BGB. Auszugleichen ist kein materieller Schaden, der ohne zivilrechtlichen Anspruch womöglich durch staatliche Unterstützung aufgefangen werden würde. Das Hinterbliebenengeld entschädigt das seelische Leid des Dritten, weil die Lebensverletzung gegenüber dem eigentlich Verletzten nicht mehr kompensiert werden kann. Der Haftungsgrund des Anspruchs gem. § 844 Abs. 3 BGB stellt die durch den Schädiger verursachte Tötung dar.73 bb) Abgrenzung der Ersatzpflicht von den haftungsbegründenden Voraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB Für die Begründung eines Anspruchs gem. § 844 Abs. 3 BGB ist die Differenzierung zwischen der zu prüfenden Ersatzpflicht im Verhältnis Schädiger und Getöteter und der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen im Verhältnis Schädiger und Hinterbliebener zu beachten: Einerseits muss die Ersatzpflicht des Schädigers bestehen, andererseits muss der Tod als zusätzliche haftungsbegründende Voraussetzung des § 844 Abs. 3 BGB eingetreten sein. Der haftungsbegründende Tatbestand des § 844 Abs. 3 BGB umfasst den Eintritt des Todes des Primärverletzten. Dies ist konsequent, weil § 823 Abs. 1 BGB und § 844 Abs. 3 BGB zwei unterschiedliche Haftungstatbestände darstellen, die auf unterschiedlichen haftungsbegründenden Voraussetzungen beruhen. § 823 Abs. 1 BGB schützt die Rechtsgüter Körper und Gesundheit, sodass eine Körperverletzung einen geeigneten Verletzungserfolg darstellen kann. Die Rechtsgüter Körper und Gesundheit werden aber gerade nicht von § 844 Abs. 3 BGB erfasst, geschützt ist ausschließlich das Rechtsgut Leben. Gerade vor dem Hintergrund des hier vertretenen restriktiven Anwendungsbereichs des Hinterbliebenengeldes kann ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld nur dann begründet werden, wenn sich das Verschulden des Schädigers auch auf den Todeseintritt bezieht, sodass die Todesfolge zumindest vorhersehbar gewesen sein muss.74 cc) Kritik an prozessualer Umsetzung Auch auf prozessualer Ebene entspricht es dem Sinn und Zweck der Beweismaßregelungen der §§ 286, 287 ZPO, den Eintritt des Todes den strengeren Beweisanforderungen des § 286 ZPO zu unterstellen. Schiemann führt für die Funktion des § 287 ZPO (in zutreffender Weise) aus, dass es gerade nicht um die Verlagerung der Haftung ginge, sondern bei „feststehenden Haftungsvoraussetzungen“ die „genaue Berechnung der wirtschaftlichen Folgen“ zu 73 Vgl. zum Rechtsfortsetzungsgedanken und der Ausgleichsfunktion des Hinterbliebenengeldes in Kap. D. II. 2. 74 BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 39.
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
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vermeiden sei, indem mit Schätzungen gearbeitet wird.75 Für die richterliche Würdigung im Rahmen des § 287 ZPO geht es um die Anspruchshöhe und bei § 286 ZPO um den Haftungsgrund. Der Tod als Haftungsgrund ist deshalb bereits im haftungsbegründenden Tatbestand festzustellen. Der Eintritt des Todes unterliegt deshalb auch dem strengen Beweismaßstab des § 286 ZPO. Für einen Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB bleibt es der erhöhten Beweisanforderung an die Kausalität zwischen der Verletzungshandlung und dem Tod als allein geschütztes Rechtsgut des § 844 Abs. 3 BGB. Dies wird dem Ausnahmecharakter des Hinterbliebenengeldanspruchs gerecht. Es entspricht dem hier vertretenen restriktiven Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes, dass ein Anspruch nur dann als bewiesen anzusehen ist, wenn das Gericht die Verursachung des Todes durch den Schädiger „für wahr“76 erachtet. d) Ergebnis Aufgrund der Ausgleichsfunktion des Hinterbliebenengeldes stellt der Tod eine haftungsbegründende Voraussetzung gem. § 844 Abs. 3 BGB dar. Weil ein unmittelbarer Ausgleich der Verletzung des Rechtsguts Leben nicht möglich ist, entschädigt § 844 Abs. 3 BGB das seelische Leid des Hinterbliebenen.77 Aus diesem Grund muss der Schädiger auch den Tod verschuldet haben. Dies hat die prozessrechtliche Konsequenz, dass der Verursachungszusammenhang zwischen Körperverletzung und Tod dem strengen Beweismaßstab des § 286 ZPO unterliegt. Unter Berücksichtigung des restriktiven Anwendungsbereichs des Hinterbliebenengeldes führt dies zu sachgerechten Ergebnissen. e) Konsequenzen für den Zeitpunkt des Vorliegens des Näheverhältnisses Die vorstehenden Ausführungen kommen zu dem Ergebnis, dass der haftungsbegründende Tatbestand des § 844 Abs. 3 BGB erst mit Eintritt des Todes erfüllt ist. Der Tod muss kausal auf der unerlaubten Handlung des Schädigers beruhen.78 Ein Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB besteht gerade nicht bei Vorliegen einer schweren Körperverletzung, sodass der Tod anspruchsbegründende Voraussetzung ist. Für das besondere persönliche Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB kann es deshalb nur auf den Zeitpunkt des Todeseintritts ankommen. Dies entspricht dem gesetzgeberischen Ziel, die tatsächliche Beziehung zwischen dem Getöteten und dem Anspruchsteller zu berücksichtigen. Sollte der Tod des Verletzten also erst einige Zeit 75 76 77 78
Staudinger/Schiemann, 2017, Vorbem zu §§ 249 ff. BGB Rn. 101. MüKoZPO/Prütting, § 286 Rn. 34. Vgl. zur Ausgleichsfunktion und dem Rechtsfortsetzungsgedanken in Kap. D. II. 2. Vgl. hierzu ausführlich Kap. E. II.
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
nach dem schädigenden Ereignis eintreten, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, zum Zeitpunkt des Todeseintritts zwischen dem Getöteten und dem Hinterbliebenen ein besonderes persönliches Näheverhältnis anzunehmen, obwohl dieses zum Zeitpunkt der Verletzung noch nicht den Anforderungen an ein Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB genügt hätte. Der Zeitraum zwischen Verletzung und Tod ist aber nicht gesondert zu beurteilen, sodass in der Regel eine Betrachtung der Gesamtumstände nur dann ein Näheverhältnis zulassen wird, wenn dieses auch schon im Zeitpunkt der Verletzung hätte angenommen werden können. Ausnahmsweise sind besondere Umstände denkbar, die aufgrund der durch das Schadensereignis eingetretenen „Extremsituation“ die Intensivierung einer Nähebeziehung i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB begründen können. Mit Blick auf die das Näheverhältnis begründenen Kriterien könnte berücksichtigt werden, dass ein Hinterbliebener seit des Unfalls die Pflege des später Verstorbenen übernommen hat. Dies allein kann aber nur ein bereits bestehendes enges Verhältnis oder eine relevante formale Position in tatsächlicher Hinsicht verstärken. Auch wenn hier der Nachweis Schwierigkeiten bereiten wird, ist auch der umgekehrte Fall denkbar, dass eine Beziehung in dem Zeitraum zwischen Verletzung und Tod nicht mehr die gleiche Intensität aufweist. Dem wird aber regelmäßig das für das Näheverhältnis relevante Kriterium der Dauer der Beziehung entgegenstehen, da ein Näheverhältnis, das viele Jahre oder schon immer besteht, in den wenigsten Fällen durch den im Verhältnis kurzen Zeitraum zwischen Verletzung und Tötung zerrüttet wird. Zu befürchten ist auch kein erhöhtes Risiko für eine manipulierte Geltendmachung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld, da einem Anspruchsteller, der zum Zeitpunkt der Verletzung noch kein Näheverhältnis zu dem Getöteten hatte, der Nachweis nicht gelingen wird, dass ein besonderes persönliches Näheverhältnis in der Zwischenzeit eingetreten ist. f) Konsequenzen für die Verjährung des Hinterbliebenengeldanspruchs79 Der Todeseintritt als haftungsbegründende Voraussetzung gem. § 844 Abs. 3 BGB wirkt sich auch auf den Zeitpunkt des Verjährungsbeginns aus. Die für § 844 Abs. 2 BGB geltenden Grundsätze zur haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Kausalität können nicht ohne weiteres auf § 844 Abs. 3 BGB übertragen werden. Für das Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB kommt es auf den Zeitpunkt des Todes des Verletzten an, da erst mit dem Eintritt des Todes der haftungsbegründende Tatbestand erfüllt ist. Zudem geht es bei dem Anspruch auf Hinterbliebenengeld um tatsächliche Umstände, die sich bei zeitlicher Distanz zwischen der eintretenden Körperverletzung und dem Todeseintritt ändern können. Die Unterhaltspflicht und das Näheverhältnis sind daher nicht vergleichbar. Das Risiko einer bewussten Manipulation zur Erlangung eines Anspruchs gem. § 844
79
Vgl. schon zur Verjährung in Kap. B. IV. 2.
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
245
Abs. 3 BGB ist schon angesichts der übersichtlichen Höhe der Hinterbliebenengeldentschädigung auszuschließen. Für die Entstehung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB wird daher auf den Zeitpunkt des Todeseintritts als haftungsbegründende Voraussetzung abgestellt.80 Mit Entstehung des Anspruchs und Kenntnis bzw. fahrlässiger Unkenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen beginnt auch die Verjährung des Anspruchs gem. § 199 Abs. 1 BGB zu laufen.81 Der Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs fällt grundsätzlich mit dem Zeitpunkt der Fälligkeit zusammen.82 Ein Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB kann nicht vor Eintritt des Todes fällig sein, da dieser zum Zeitpunkt der Körperverletzung zwar vorhersehbar, aber jedenfalls nicht „feststehend“83 ist. Der Eintritt des Todes ist im Rahmen des § 844 Abs. 3 BGB Bestandteil des haftungsbegründenden Tatbestands, sodass der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gar nicht erst entsteht, bevor nicht der Tod des Primärverletzten eingetreten ist. g) Konsequenzen für die haftungsbegründende Kausalität im Arzthaftungsrecht Fraglich ist, ob dieses Ergebnis auch ohne weiteres auf den Bereich des Arzthaftungsrechts zu übertragen ist. Danach müsste der behandelnde Arzt durch die unerlaubte Handlung den Tod des Patienten als Primärverletzter verursacht haben. Nach der hier vertretenen Lösung reicht es für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld gerade nicht aus, dass der Arzt zunächst eine Körperverletzung des Patienten herbeigeführt hat. Vielmehr muss schon als Primärschaden der Tod des Patienten eingetreten sein, damit der haftungsbegründende Tatbestand des § 844 Abs. 3 BGB und damit ein Anspruch des Hinterbliebenen bejaht werden kann. Die Feststellung der haftungsbegründenden Kausalität im Arzthaftungsrecht erfolgt für die vertragliche und die deliktische Haftung gleichermaßen nach der Differenzierung zwischen Primär- und Sekundärschaden.84 Trotz der irreführenden Bezeichnung als Primärschaden führt diese Differenzierung zu sachgerechten Ergebnissen. Die Rechtsgutsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB meint im Rahmen der deliktischen Haftung des behandelnden Arztes den von der Rechtsprechung als Primärschaden bezeich-
80 Vgl. zu den haftungsbegründenden Voraussetzungen des § 844 Abs. 3 Kap. E. II. A. A.: Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (412); BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 225, wonach es aber für die Fälligkeit auf den Eintritt des Todes ankäme. 81 Bredemeyer, in: ZEV 2017, S. 690 (693); BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 225. 82 MüKoBGB/Grothe, § 199 Rn. 4; jurisPK/Lakkis, § 199 BGB Rn. 5; Staudinger/Peters/ Jakoby, 2019, § 199 BGB Rn. 2 f. 83 BGH Urt. v. 08. 11. 2016 – VI ZR 200/15, NZG 2017, 753 (755); Burmann/Heß/ Hühnermann/Jahnke/Jahnke, § 844 BGB Rn. 273. 84 Hausch, Der grobe Behandlungsfehler, S. 52; MüKoBGB/Wagner, § 630a Rn. 106.
246
E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
neten Verletzungserfolg.85 Der „erste Verletzungserfolg“ ist als Verletzung des Rechtsguts der haftungsbegründenden Kausalität zuzuordnen.86 Dafür muss der Anspruchsteller also beweisen können, dass der Tod mit einem „brauchbaren Grad an Gewissheit“ auf dem Behandlungsfehler des Arztes beruht.87 Trotz der möglichen Beweisschwierigkeiten, kann aufgrund der restriktiven Anwendung des § 844 Abs. 3 BGB, der gerade für den eingetretenen Tod eine Entschädigung gewährt, nichts anderes gelten. Zudem führt dies zugunsten des Anspruchstellers dazu, dass sich bei einem groben Behandlungsfehler die nach der Rechtsprechung vertretene Beweislastumkehr auch auf den Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Tod bezieht. h) Zwischenergebnis Der Todeseintritt als nur haftungsausfüllende Voraussetzung ist abzulehnen. Anders als beim immateriellen Schadensersatz besteht ein Anspruch des Hinterbliebenen als Dritter nur, wenn die nahe stehende Person durch die unerlaubte Handlung des Schädigers getötet worden ist. Eine schwere Körperverletzung ist nicht ausreichend. Konsequenterweise muss dies dazu führen, dass der Tod als haftungsbegründende Voraussetzung anzusehen ist. Dies wirkt sich auf die Voraussetzung des besonderen persönlichen Näheverhältnisses aus, das zum Zeitpunkt des Todeseintritts vorliegen muss. Für den Beginn der Verjährungsfrist kommt es ebenfalls auf den Todeszeitpunkt an. Im Bereich des Arzthaftungsrechts ist bereits als Primärschaden der Eintritt des Todes zu verlangen. 2. Die Feststellung der Anspruchsberechtigung gem. § 844 Abs. 3 BGB im dreistufigen System Auch wenn sich die Anspruchsberechtigung gem. § 844 Abs. 3 BGB allein aus dem Vorliegen eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses ergibt, bedarf es einer möglichst einheitlichen Vorgehensweise zur Feststellung des Näheverhältnisses. Dieses setzt zwar keine formale Position des Anspruchstellers als Hinterbliebener voraus, es hat sich aber gezeigt, dass das Näheverhältnis in der Regel im Zusammenhang mit der Familienangehörigkeit steht.88 Nachfolgend sind die Vor85 BGH Urt. v. 24. 06. 1986 – VI ZR 21/85, NJW 1987, 705; Achtmann, Der Schutz des Probanden, S. 118. 86 BGH Urt. v. 24. 06. 1986 – VI ZR 21/85, NJW 1987, 705. 87 BGH Urt. v. 12. 02. 2008 – VI ZR 221/06, NJW 2008, 1381; BGH Urt. v. 04. 11. 2003 – VI ZR 28/03, NJW 2004, 777. 88 In Kapitel B. sind die möglichen anspruchsberechtigten Personenkreise bereits genannt worden. So hat das LG Limburg ein Näheverhältnis zwischen der Ehegatten zweier Geschwister abgelehnt und dabei betont, dass diese weder verwandt, noch verschwägert seien (LG Limburg Urt. v. 22. 03. 2019 – 2 O 177/18).
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
247
aussetzungen zu konkretisieren, unter denen die jeweiligen Personenkreise ein Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB geltend machen können. Zum einen sind Umstände zu formulieren, unter denen die in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB genannten Personenkreise ausnahmsweise nicht anspruchsberechtigt sein könnten. Im Vordergrund steht aber die Entwicklung von Kriterien, die das Näheverhältnis für die nicht privilegierten Personenkreise i. S. d. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB begründen können. a) Die Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB89 Für Ehepartner, Lebenspartner, Kinder und Eltern des Getöteten besteht aufgrund der gesetzlichen Vermutung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB grundsätzlich eine Anspruchsberechtigung. Eine Widerlegung dieser Vermutung ist aber möglich. Hierfür bedarf es der Feststellung, dass das Verhältnis zwischen Getötetem und Anspruchsteller nie bestand oder eine so erhebliche Zerrüttung erfahren hat, dass die formal bestehende Familienzugehörigkeit ausnahmsweise keine reale Beziehung hervorgebracht hat. Die Widerlegbarkeit der in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB vorgesehenen Vermutung ist nur unter engen Voraussetzungen anzunehmen, da die Vermutungsregelung eine geeignete Möglichkeit darstellt, anhand von objektiven Kriterien die Anspruchsberechtigung festzustellen. aa) Ehegatten und Lebenspartner An einem besonderen persönlichen Näheverhältnis kann es zwischen Ehegatten insbesondere dann fehlen, wenn diese getrennt leben und die Scheidung der Ehe anstreben. Die Gesetzesbegründung orientiert sich hierbei an den Voraussetzungen des Ausschlusses des Ehegattenerbrechts.90 Gem. § 1933 BGB müssen für den Ausschluss die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben sein und der Erblasser muss die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt haben. Die Ehe müsste hierfür gem. § 1565 BGB gescheitert sein. Gem. § 1565 BGB ist die Ehe gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen. Hierfür müssen die Ehegatten zunächst gem. § 1565 Abs. 2 BGB ein Jahr getrennt leben. Das Scheitern der Ehe wird gem. § 1566 BGB vermutet, wenn die Ehegatten seit einem Jahr getrennt leben und beide Ehegatten die Scheidung beantragen oder der jeweils andere Ehegatte der Scheidung zustimmt. Vermutet wird das Scheitern der Ehe darüber hinaus, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben. Die rechtlichen Voraussetzungen an die Scheidung einer Ehe gem. § 1933 i. V. m. § 1565 BGB sind auch im Rahmen des § 844 Abs. 3 BGB anzuwenden, sodass ein vermutetes Näheverhältnis widerlegt werden kann, wenn die Voraussetzungen für 89
(6). 90
Vgl. schon zur Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB in Kap. B. IV. 1. a) cc) BT-Drs. 18/11397, S. 15.
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
eine Scheidung vorliegen. Allerdings ist eine Widerlegung nicht automatisch durch die Voraussetzungen der Scheidung gegeben. Wie bereits dargestellt, gibt es für das Bestehen eines Näheverhältnisses keine formalen und rechtlichen Vorgaben, in erster Linie ist auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen. So kann ein Näheverhältnis auch bei geschiedenen Ehegatten vorliegen.91 Wenn die Ehegatten gemeinsame Kinder haben und durch die Scheidung eine Unterhaltspflicht eines geschiedenen Teils entsteht, besteht sowohl eine finanzielle Abhängigkeit des einen Teils, als auch eine besondere langfristige Verbindung durch die gemeinsame Verantwortung und Sorge für die gemeinsamen Kinder. Trotz des restriktiven Anwendungsbereichs des Hinterbliebenengelds ist zunächst davon auszugehen, dass geschiedene Ehegatten mit gemeinsamen Kindern ein engeres Verhältnis zueinander haben als alle Personengruppen außerhalb der Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB. Andererseits kann zwischen bloß getrenntlebenden Ehegatten ein so zerrüttetes Verhältnis bestehen, dass es den rechtlichen Voraussetzungen für die Scheidung nicht mehr bedarf. Auch wenn dies wiederum Nachweisschwierigkeiten für die Widerlegung der Vermutung bedeutet, wäre eine Beschränkung der Widerlegung auf die rechtlichen Scheidungsvoraussetzungen zu eng. Für die Dauer des Getrenntlebens der Ehegatten ist eine Orientierung an § 1565 Abs. 2 BGB aber sinnvoll, sodass diese zumindest ein Jahr getrennt voneinander leben müssen, damit ein Näheverhältnis verneint werden kann. Zwar ist denkbar, dass eine Ehe auch schon vor Ablauf eines Jahres als gescheitert anzusehen ist. Sollte die Ehe aber nicht nur von kurzer Dauer gewesen sein, bedarf es einer gewissen Zeit, um von einer ernstlich gemeinten Trennung ausgehen zu können. Gem. § 1567 Abs. 1 S. 2 BGB kann ein Getrenntleben der Ehegatten auch dann angenommen werden, wenn die Ehegatten „innerhalb der ehelichen Wohnung getrennt leben“. Auch wenn die räumliche Trennung also ein Indiz für das Getrenntleben darstellen kann, ist ein Scheitern der Ehe i. S. d. § 1565 BGB nicht aufgrund einer gemeinsam bewohnten Wohnung abzulehnen. Neben den formalen Voraussetzungen an das Scheitern einer Ehe können Begleitumstände die Annahme stützen. So kann eine neue Beziehung zu einem anderen Partner ein Indiz für eine gescheiterte Ehe darstellen.92
91
Huber, in: VersR 2020, S. 385 (387) bestätigt dies jedenfalls für in Trennung lebende Eheleute, erst bei einer „völligen Entfremdung“ sei ein Näheverhältnis abzulehnen. 92 LG Traunstein Urt. v. 11. 02. 2020 – 1 O 1047/19, NZV 2020, 467. Zu berücksichtigen wäre aber auch die gewisse finanzielle Abhängigkeit zwischen den Ehegatten gewesen, die auch eine gemeinsame Tochter hatten. Andererseits war die Scheidung bereits beantragt gewesen und der Ehemann befand sich in einer neuen Beziehung.
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
249
bb) Kinder und Eltern An eine Widerlegung des Näheverhältnisses zwischen Kindern und Eltern sind strenge Anforderungen zu stellen. Hierfür ist es nicht ausreichend, dass das Näheverhältnis subjektiv einseitig abgelehnt wird. Gemeint sind damit z. B. Kinder in unterschiedlichen Entwicklungsphasen, die im jugendlichen Alter Konflikte mit ihren Eltern haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass solche Konflikte ganz unterschiedlicher Art und Intensität sein können, die im Extremfall zu einer räumlichen Trennung zwischen dem Kind und dem Vater und/oder der Mutter führen können. Während das Kind das Verhältnis also womöglich als zerrüttet ansehen würde, ändert dies im Regelfall nichts an der emotionalen Bindung, die Eltern und Kinder gegenseitig für gewöhnlich empfinden. Die Vermutung in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB bringt zum Ausdruck, dass die formale Position besondere Bedeutung für die Frage eines Näheverhältnisses hat. Das Vorliegen eines Näheverhältnisses kann deshalb nicht von der Perspektive abhängen. Sollte das Näheverhältnis auf einer Seite nicht als solches empfunden werden, ist von einer Verneinung eines Anspruchs für beide Seiten auszugehen. Offensichtlich hat der Anspruchsteller, der kein besonderes Näheverhältnis zu dem Getöteten gelebt hat, keinen Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB. War es der Getötete, der zu dem Anspruchsteller kein besonderes persönliches Näheverhältnis empfunden hat, ist dies schwer festzustellen. Beispielhaft ist aber an Ehegatten zu denken, bei denen der überlebende Ehegatte zu Lebzeiten des verstorbenen Ehegatten einen schweren Vertrauensbruch beging, weshalb der verstorbene Ehegatte die Trennung beabsichtigte. Der überlebende Ehegatte hielt aber unter Umständen unverändert an der Beziehung fest, sodass eine Trennung nicht seinem Willen entsprochen hätte. Sofern dies gerichtlich überprüfbar ist, ist dem überlebenden Ehegatten in diesem Fall kein Anspruch zu gewähren. Es bestünde das Risiko einer ausufernden Haftung auf Hinterbliebenengeld, wenn ein einseitiges Näheverhältnis genüge. Hierbei sind wiederum die subjektiven Merkmale einer Bedarfsgemeinschaft gem. § 7 Abs. 3a SGB II heranzuziehen, wonach es gerade auf einen „wechselseitigen Willen“ ankommt. Bei einem einseitig empfundenen besonderen persönlichen Näheverhältnis liegen die haftungsbegründenen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld demnach nicht vor. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob ein Näheverhältnis auch zwischen Kindern im Erwachsenenalter und ihren Eltern vermutet werden kann. Hiervon ist auszugehen, da zwar die Abhängigkeit des Kindes in der Regel endet, die persönliche Beziehung aber unverändert bleibt. Dies gilt auch für die räumliche Trennung zwischen Eltern und Kindern, wenn diese noch nicht volljährig sind, beispielsweise im Zuge der Trennung der Eltern. 17 Prozent der minderjährigen Kinder in Deutschland haben im Jahr 2017 bei einem alleinerziehenden Elternteil gelebt.93 Hier wäre es verfehlt einem Vater, der sein Kind nur alle zwei Wochenenden sieht, das 93
Familie, Lebensformen und Kinder, Auszug aus dem Datenreport 2018, S. 61.
250
E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Näheverhältnis abzusprechen. Das LG Osnabrück hat das Näheverhältnis zwischen Vater und Sohn deshalb zu Recht bejaht, obwohl sich die Eltern trennten, als der Sohn 2 Jahre alt war und es aufgrund der räumlichen Trennung seitdem keine „gelebte Vater-Sohn-Beziehung“ mehr gab und 4 Jahre kein Kontakt stattfand.94 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass an die Widerlegung der Vermutung höhere Anforderungen zu stellen sind, als an den Nachweis eines Näheverhältnisses bei nicht gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB privilegierten Personen. Die Widerlegung der Vermutungsregelung ist als Ausnahme zu betrachten, da sie einen erheblichen Erforschungsaufwand bedeutet.95 Vielmehr ist der Vorschlag zu begrüßen, schon aus Gründen des Familienfriedens allen Kindern den gleichen Entschädigungsbetrag zuzusprechen.96 Für volljährige Kinder und ihre Eltern kann sich unter Umständen etwas Anderes ergeben, wenn jahrelang kein Kontakt bestanden hat. Eine Widerlegung ist auch dann ohne weiteres denkbar, wenn das Kind nie bei seinen Eltern aufgewachsen ist.97 b) Die Feststellung des besonderen persönlichen Näheverhältnisses außerhalb der Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB Gem. § 844 Abs. 3 BGB kann grundsätzlich jede Person gem. § 844 Abs. 3 BGB anspruchsberechtigt sein. Erforderlich sind deshalb allgemeingültige Kriterien, die eine Prüfung des besonderen persönlichen Näheverhältnisses ermöglichen. Nur so kann eine einheitliche Rechtsanwendung gewährleistet werden. Auch wenn das Bestehen eines Näheverhältnisses nicht auf bestimmte Personenkreise begrenzt ist, sind für die systematische Prüfung einer Anspruchsberechtigung Personenkreise zu bilden, um die Kriterien für die verschiedenen Personenkreise auf ihre Geeignetheit hin zu prüfen. Darüber hinaus können die Kriterien für die Anspruchsberechtigung weiter konkretisiert werden, indem eine Gewichtung der Kriterien je nach Personenkreis erfolgt. Aufgrund der Schwierigkeit, das Näheverhältnis anhand von objektiven Kriterien zu bestimmen, ist die Art des Personenkreises bereits als erster Prüfungsschritt für die Frage nach einem Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB anzusehen. Für eine objektive Bewertung der Anspruchsberechtigung ist eine DreiStufen-Prüfung vorzunehmen, die auf Stufe 1 die formale Position des Anspruchstellers feststellt und bewertet, auf Stufe 2 die für eine persönliche Beziehung erforderlichen Kriterien prüft und auf Stufe 3 eine Gesamtbetrachtung in Form einer funktionalen Betrachtung vornimmt. Diese Drei-Stufen-Prüfung ist nicht allein anhand objektiver Kriterien möglich. So ist insbesondere auf Stufe 3 eine wertende Betrachtung erforderlich. Dennoch ermöglicht die Prüfung in 3 Schritten eine für eine Vielzahl von Fällen vergleichbare Vorgehensweise. Neben der Frage, welche 94
LG Osnabrück Urt. v. 09. 01. 2019 – 3 KLs/710 Js 55274/17, juris. So auch Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (405). 96 Huber, in: VersR 2020, S. 385 (392); Jaeger, in: jM 2020, S. 12 (14). 97 Vgl. zur Verwirkung des Elternunterhalts bei Zurücklassen des Kindes bei Großeltern BGH Urt. v. 19. 05. 2004 – XII ZR 304/02, NJW 2004, 3109. 95
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
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Bedeutung die einzelnen Kriterien für die verschiedenen Personenkreise haben, ist die Qualität der einzelnen Kriterien zu beurteilen. aa) Drei-Stufen-Prüfung zur Feststellung eines besonderen Näheverhältnisses Die Prüfung, ob ein besonderes Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB und damit eine Anspruchsberechtigung besteht, wird mit dem Ziel der möglichst einheitlichen Rechtsanwendung in drei Schritten vorgeschlagen. Aufgrund der Vermutungsregelung in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB ist für Eltern, Kinder und Ehegatten grundsätzlich von einem besonderen persönlichen Näheverhältnis auszugehen, sodass sich die DreiStufen-Prüfung auf alle möglichen Anspruchsteller bezieht, die nicht zum privilegierten Personenkreis gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB gehören. Die vorgeschlagene Prüfung bestimmt auf Stufe 1 den Personenkreis, zu dem der Anspruchsteller gehört. Auf Stufe 2 ist die Beziehung zu dem Getöteten anhand eines einheitlichen Kriterienkatalogs zu bewerten. Diese Bewertung wird durch die Art des festgestellten Personenkreises auf Stufe 1 beeinflusst. Besondere, einzelfallabhängige Umstände, die auf Stufe 1 und 2 keine Berücksichtigung gefunden haben, sind auf Stufe 3 im Rahmen einer Gesamtbetrachtung in die Bewertung einzubeziehen. bb) Personenkreis (Stufe 1) Außerhalb der durch die Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB genannten Personen kommen im Wesentlichen die Geschwister, Großeltern, die Partner aus einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die Familienmitglieder aus einer Patchwork-Familie sowie Freunde98 als weitere Personenkreise in Betracht. Denkbar sind im Einzelfall zwar zahlreiche weitere Personengruppen. Die Einordnung einzelner Personen in ausgewählte Personenkreise ermöglicht jedoch die Bestimmung objektiv messbarer Kriterien, um möglichst eine einheitliche und rechtssichere Gewährung des Hinterbliebenengeldes zu erreichen. (1) Geschwister und Großeltern Geschwister sind gem. § 1589 BGB Verwandte 2. Grades. Es hätte nahegelegen, auch Geschwister in die Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB aufzunehmen.99 Trotz der fehlenden Privilegierung durch die Vermutung ist die Position als Schwester oder Bruder auf Stufe 1 bedeutend, sodass die Anforderungen an die Kriterien auf Stufe 2 niedriger sind.100 Bei der Adoption eines Kindes erlangt dieses gem. § 1754 BGB die rechtliche Stellung eines gemeinschaftlichen Kindes, sodass hier keine Unterschiede bestehen. 98 Der Personenkreis, der Freunde erfasst, wird als „Andere“ bezeichnet, um hier eine flexible Zuordnung auch untypischer Beziehungskonstellationen zu ermöglichen. 99 Vgl. dazu schon in Kap. B. IV. 1. a) cc) (6). 100 So auch Huber/Kadner Graziano/Luckey/Huber, Hinterbliebenengeld, S. 47.
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Stiefgeschwister sind unter den Personenkreis der Patchwork-Familie zu subsumieren. Möglicherweise lernen sich die Stiefgeschwister erst im Laufe ihres Lebens kennen und haben unter Umständen auch nicht oder nur eine kurze Zeit in einem Haushalt zusammengelebt, weshalb hier ein strengerer Maßstab anzulegen ist, der aber durch entsprechende Indizien ebenso zu einer Bejahung des Näheverhältnisses führen kann. Trotz der hohen Einstufung des Geschwisterverhältnisses auf Stufe 1 bedarf es grundsätzlich weiterer Indizien auf Stufe 2. Zunächst ist aber eine weitere Privilegierung vorzunehmen: Für minderjährige Geschwister ist das Näheverhältnis auf Stufe 1 zu vermuten, sodass Stufe 2 nur dann zu prüfen ist, wenn Tatsachen den Rückschluss zulassen, dass das Näheverhältnis widerlegt werden kann. Trotz des gebotenen restriktiven Anwendungsbereichs des Hinterbliebenengeldes ist diese Privilegierung aus Gründen der Rechtssicherheit verhältnismäßig. Im Jahr 2016 haben 81 Prozent der zehnjährigen Kinder in Deutschland mit Geschwistern zusammen in einem Haushalt gelebt.101 Durch die Privilegierung auf Stufe 1 können daher viele Konstellationen eindeutig erfasst werden. Eine Prüfung auf Stufe 2, inwiefern sich Geschwister in einem gemeinsamen Haushalt tatsächlich gut verstehen, führt zu widersprüchlichen und nicht gewollten Ergebnissen. Dies gilt auch dann, wenn Geschwister z. B. aufgrund einer Trennung der Eltern räumlich getrennt voneinander leben. Gerade durch die Trennung der Eltern kann sich zwischen Geschwistern trotz räumlicher Trennung eine Schicksalsgemeinschaft entwickeln, die eine Bejahung des Näheverhältnisses rechtfertigt.102 Es ist nicht nachvollziehbar, die Verhältnisse der privilegierten Personen untereinander (zwischen Ehegatten, zwischen Eltern und Kind) durch die Vermutungsregelung des § 844 Abs. 3 S. 2 BGB zu erfassen und dabei das Verhältnis zwischen Geschwistern außer Betracht zu lassen. Etwas anderes kann sich nur daraus ergeben, dass die Geschwister zu keinem Zeitpunkt zusammen gelebt haben. Hier müssen weitere Indizien wie das Bestehen und die Häufigkeit des Kontaktes einbezogen werden. Für volljährige Geschwister kann zwar auf Stufe 1 keine Vermutung für ein Näheverhältnis angenommen werden. Die persönliche, berufliche und soziale Entwicklung, die Jugendliche und junge Erwachsene durchlaufen, kann zu unterschiedlichen Wegen der Geschwister führen, die zu räumlicher, aber auch persönlicher Distanz führen können. Hierfür können bereits zwei Jahre ohne Kontakt genügen, wenn sich die Geschwister nachweislich zerstritten haben oder der Kontakt
101 Die Mehrheit der Kinder wächst mit Geschwistern auf, Pressemitteilung Nr. 128 v. 09. 04. 2018, Destatis, Statistisches Bundesamt. 102 Vgl. zur emotionalen Nähe trotz des Getrenntlebens: Ergebnisse der Studie „Generationenübergreifende Zeitverwendung: Großeltern, Eltern, Enkel“ des deutschen Jugendinstituts, S. 10 ff.
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
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aus anderen Gründen nicht gewollt ist.103 Auf der anderen Seite kann ein nur loser Kontakt als fehlendes Indiz auf Stufe 2 durch die funktionale Betrachtung auf Stufe 3 ausgeglichen werden: Die Geschwister können durch andere Ereignisse oder Handlungen nachweisen, dass eine enge Bindung, die sich durch Unterstützung und Fürsorge auszeichnet, besteht und deshalb ein familiäres Verhältnis bejaht werden kann. Für die Großeltern kommt keine Privilegierung auf Stufe 1 in Betracht und auch die formale Position kann die Prüfung auf Stufe 2 nicht erleichtern. Vielmehr kommt es wie auch bei Freunden auf Stufe 2 auf das Vorliegen von Indizien an. Die Großeltern leben in den meisten Fällen nicht mit ihren Enkelkindern zusammen und führen auch keinen gemeinsamen Haushalt.104 Dennoch ist gerade bei minderjährigen Enkelkindern ein besonderes Näheverhältnis möglich, wenn die Großeltern ihr Enkelkind regelmäßig betreuen, weil z. B. beide Elternteile erwerbstätig sind.105 Hinzu tritt häufig auch eine finanzielle Unterstützung der Enkelkinder durch ihre Großeltern.106 Dies kann auch für volljährige Enkelkinder gelten, insbesondere kann sich die finanzielle Unterstützung auf die Ausbildung oder das Studium des Enkelkindes erstrecken. (2) Nichteheliche Lebensgemeinschaft107 Die nichteheliche Lebensgemeinschaft108 wird als nicht durch § 844 Abs. 3 S. 2 BGB privilegierter Personenkreis eine wesentliche Rolle bei der Frage nach einer Anspruchsberechtigung für das Hinterbliebenengeld spielen. Auch wenn die nichteheliche Lebensgemeinschaft gesetzlich nicht verankert ist, wird diese durch die Rechtsprechung109, Gesetzgebung110 und Literatur111 anerkannt. 103
(451).
„Nur noch formal bestehendes Familienband“, vgl. Steenbuck, in: r+s 2017, S. 449
104 7 % der minderjährigen Enkelkinder wohnen mit ihren Großeltern in einem Haushalt, vgl. Ergebnisse der Studie „Generationenübergreifende Zeitverwendung: Großeltern, Eltern, Enkel“ des deutschen Jugendinstituts, S. 10 ff. 105 Ergebnisse der Studie „Generationenübergreifende Zeitverwendung: Großeltern, Eltern, Enkel“ des deutschen Jugendinstituts, S. 11. 106 Ergebnisse der Studie „Generationenübergreifende Zeitverwendung: Großeltern, Eltern, Enkel“ des deutschen Jugendinstituts, S. 11. 107 Vgl. zur rechtlichen Beurteilung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft: Staudinger/ Mankowski, 2010, Anhang zu Art. 13 EGBGB Rn. 43; Schlüter, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 5; Schwab, Familie und Staat, FamRZ 2007, S. 1; Pardey, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft im Versicherungs- und Verkehrsrecht, ZfSch 2007, S. 243. 108 Die nichteheliche Lebensgemeinschaft und die eheähnliche Lebensgemeinschaft werden hier gleichbedeutend behandelt (Creifelds/Fuchs Eheähnliche Gemeinschaft). A. A.: Jaeger, in: VersR 2017, S. 1041 (1053). Zudem erfasst die nichteheliche Lebensgemeinschaft gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften sowie lebenspartnerähnliche Lebensgemeinschaften. 109 Vgl. zum Altersruhesitz für die nichteheliche Lebensgemeinschaft BGH Urt. v. 06. 10. 2003, NJW 2004, 5; vgl. zum Ausgleichsanspruch für geleistete Finanzierungsbeiträge zum
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Bei der nichtehelichen Lebensgemeinschaft besteht die formale Position nicht kraft Gesetzes. Es bedarf vielmehr erst der Feststellung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Die Kriterien zur Feststellung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft beinhalten die hier für die Stufe 2 vorgesehenen Indizien für ein besonderes Näheverhältnis. Bei der Bejahung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft wird ein Näheverhältnis deshalb ebenso wie bei minderjährigen Geschwistern auf Stufe 1 vermutet, sodass die Stufe 2 nur zu prüfen ist, wenn Tatsachen vorliegen, die eine Widerlegung der Vermutung rechtfertigen. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft ist auf eine gemeinsame Lebensführung und auf Dauer sowie Ausschließlichkeit angelegt.112 Wie bereits in Kapitel B. dargestellt, sind für die Feststellung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft die in § 7 Abs. 3a SGB II genannten Kriterien für eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft gem. § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II heranzuziehen. Diese wird vermutet, wenn die Partner länger als ein Jahr zusammenleben, mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen. Für die Bejahung einer Bedarfsgemeinschaft i. S. d. SGB II genügt es, wenn nur ein Kriterium erfüllt ist.113 Durch das Kriterium muss aber gem. § 7 Abs. 3a SGB II zum Ausdruck kommen, dass die Personen einen wechselseitigen Willen haben, Verantwortung füreinander zu tragen und für einander einzustehen. Diese Kriterien bilden im Wesentlichen auch die für das Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB vorgeschlagenen Kriterien ab, weshalb für die nichteheliche Lebensgemeinschaft die Stufe 2 entfällt. Für Verlobte ist in der Regel auch zunächst eine nichteheliche Lebensgemeinschaft festzustellen, die regelmäßig vorliegen wird. Trennen sich die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist davon auszugehen, dass dann kein Näheverhältnis mehr begründet werden kann. Anders ist die Situation zu beurteilen, wenn aus dieser Lebensgemeinschaft gemeinsame Kinder hervorgegangen sind.
Eigenheim BGH Urt. v. 25. 09. 1997 – II ZR 269/96; vgl. zur Wohnberechtigungsbescheinigung für eine nichteheliche Lebensgemeinschaft BVerwG Urt. v. 05. 07. 1985 – 8 C 22/83, NJW 1986, 738. 110 Vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II; § 122 BSHG enthielt sogar die Bezeichnung „eheähnliche Gemeinschaft“, die Norm ist aber am 31. Dezember 2004 außer Kraft getreten. 111 Rauscher, Familienrecht, 2008; Schlüter, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft, 1981; Scherpe/Yassari, Die Rechtstellung nichtehelicher Lebensgemeinschaften, 2005; Stintzing, Nichteheliche Lebensgemeinschaft und rechtliche Regelung – Ein Widerspruch?, 1992; Neue Rechtsprechung zur Anwendung des Familienprivilegs auf die nichteheliche Lebensgemeinschaft, Dahm, in: NZV 2008, S. 280; die nichteheliche Lebensgemeinschaft im Zivilrecht, Diederichsen, in: NJW 1983, S. 1017; die nichteheliche Lebensgemeinschaft im Versicherungs- und Vertragsrecht, Pardey, in: ZfSch 2007, S. 243. 112 Diederichsen, in: NJW 1983, S. 1017 (1018). 113 Sauer/Sauer, § 7 SGB II Rn. 25 d.
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
255
(3) Patchwork-Familie Eine Stieffamilie, die auch Patchwork-Familie genannt wird,114 ist in verschiedenen Konstellationen denkbar. Alle Mitglieder dieser Patchwork-Familie können grundsätzlich in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB zueinander stehen. Häufig leben in einer Patchwork-Familie leibliche und nicht leibliche Kinder beider Partner zusammen in einem Haushalt, sodass die Partner die Rolle der Eltern als auch der Stiefeltern einnehmen. Hierbei spricht man von einer „zusammengesetzten Stieffamilie“115. Bringen beide Partner leibliche Kinder in die Familie ein und besteht zudem ein gemeinsames Kind des Stiefelternpaares, spricht man von einer „komplexen Stieffamilie“.116 Für eine Patchwork-Familie bedarf es jedenfalls zwei zusammenlebenden Partnern mit einem Kind, das nur von einem der zusammenlebenden Partner abstammt.117 Bei nicht verheirateten Paaren wird sich zunächst die Frage nach einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft stellen. Die Bejahung eines Näheverhältnisses bei Näheverhältnissen innerhalb einer Patchwork-Familie wird entscheidend vom Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft abhängen. Hat eine Mutter zwei leibliche Kinder, von denen ein Kind mit in die neu gegründete Haushaltsgemeinschaft einzieht, während das zweite Kind bereits volljährig ist und allein wohnt, bedürfte es für ein besonderes persönliches Näheverhältnis zwischen dem volljährigen Kind und dem Stiefvater oder den Stiefgeschwistern weiterer Kriterien. Andererseits kann es für das Verhältnis zwischen einem Kind und dem Partner der leiblichen Mutter des Kindes nicht auf eine gemeinsame Haushaltsführung, sondern nur auf das gemeinsame Zusammenleben in einer Wohnung ankommen, da ein gemeinsamer Haushalt mit dem Kind zumindest nicht üblich ist.118 Eine Haushaltsgemeinschaft ist daher nur zwischen den Lebenspartnern zu prüfen, wobei dies in der Regel schon für die Bejahung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft erfolgt ist. Auch bei der Patchwork-Familie besteht eine quasi-formal-rechtliche Position, wenn die Mitglieder der Patchwork-Familie die gleiche Rolle119 wahrnehmen wie bei der leiblichen Familie. Deshalb wird es für einzelne Personen in einer Patchwork-Familie auf Stufe 3 ankommen, in der die Patchwork-Familie der leiblichen Familie funktional gleichgestellt wird. So muss aus der Perspektive des Kindes, das mit der leiblichen
114 Hausmann, in: DNotZ 2011, S. 602 (603); Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 11 Rn. 8. 115 Hausmann, in: DNotZ 2011, S. 602 (603). 116 Hausmann, in: DNotZ 2011, S. 602 (603). 117 Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 11 Rn. 10. 118 Vgl. auch BeckOGK/Wendtland, BGB § 563 Rn. 8. 119 Dies meint hier Vater, Mutter, Kind.
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Mutter zusammenlebt, der Partner als sozialer Elternteil120 anzusehen sein. Auch wenn der funktionalen Betrachtung hier besondere Bedeutung zukommen kann, sind hier die individuellen Umstände entscheidend. So können z. B. die Kinder eines Partners bereits ausgezogen sein, sodass sich zwischen den Kindern der jeweiligen Partner nie eine persönliche Bindung entwickelt hat und deshalb keine funktionale Betrachtung als Geschwister in Betracht kommt. (4) Andere Um eine ausufernde Haftung des Schädigers zu vermeiden, ist für den Personenkreis Andere auf Stufe 1 zunächst kein besonderes Näheverhältnis anzunehmen. Zu weit würde dies den Kreis der Anspruchsberechtigten ziehen, wenn jeder Freund oder Bekannte des Getöteten einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld geltend machen könnte. Der Personenkreis Andere stellt vielmehr einen Auffangtatbestand dar, falls sich der Anspruchsteller ausnahmsweise nicht in die übrigen Personenkreise einordnen lässt. In Betracht kommen hierfür auch entferntere Verwandte wie die Cousine oder der Onkel.121 Für ein Näheverhältnis kommt es dann aber entscheidend auf die Dauer der Beziehung sowie auf die räumliche und soziale Nähe durch Kontaktmöglichkeiten an. Auch hier würde eine Haushaltsgemeinschaft ein gewichtiges Indiz für ein Näheverhältnis darstellen. Beispielhaft nennt die Literatur Personen wie der „beste Freund“122, die „Nanny“123, der geschiedene Ehepartner124. Die Literatur ist in ihren beispielhaften Nennungen aber ebenfalls zurückhaltend und stellt überwiegend auf Kriterien ab, die für Freundschaften in der Regel nicht zutreffen werden.125 Die Beurteilung des Näheverhältnisses durch das Drei-Stufen-System bringt für den Personenkreis Andere auf Stufe 1 zum Ausdruck, dass die Stufen 2 und 3 besonders zu gewichten sind und Stufe 1 keine Aussage für ein Näheverhältnis treffen kann. (5) Zwischenergebnis Bei Geschwistern und innerhalb von nichtehelichen Lebensgemeinschaften ist der besonderen Bedeutung neben den privilegierten Anspruchsberechtigten Rechnung zu tragen: Für minderjährige Geschwister ist das besondere persönliche Näheverhältnis ebenfalls zu vermuten und eine Überprüfung auf Stufe 2 nur bei besonderen Umständen erforderlich. Das Vorliegen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft führt zu einer Vermutungswirkung für das besondere persönliche Nä120
So Hausmann, in: DNotZ 2011, S. 602 (603). Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2644). 122 BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 209. 123 Huber/Kadner Graziano/Luckey/Huber, Hinterbliebenengeld, S. 48. 124 Jaeger, in: VersR 2017, S. 1041 (1053). 125 Vgl. Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2644), der zwar Nichten/Neffen/Enkel/Tante nennt, darüber hinaus aber nur den gemeinsamen Haushalt oder die finanzielle Unterstützung beispielhaft nennt. 121
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
257
heverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB, einer Prüfung auf Stufe 2 bedarf es ebenfalls nicht. Insbesondere für Personen, die nicht unter die drei genannten Personenkreise fallen, wird die Überprüfung anhand geeigneter Kriterien auf Stufe 2 über die Anspruchsberechtigung gem. § 844 Abs. 3 BGB entscheiden. cc) Geeignete Kriterien für Personen außerhalb der Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB (Stufe 2) Im Rahmen der Drei-Stufen-Prüfung liegt es nahe, dass es entscheidend auf Stufe 2 ankommt, auf der anhand geeigneter Hilfskriterien eine vorhandene Nähebeziehung festzustellen ist. Durch Kriterien, die zusammenwirken, ist der Schluss auf ein besonderes persönliches Näheverhältnis möglich.126 Mithilfe von Tatsachen, die sich nicht unmittelbar aus dem Tatbestand ergeben, kann das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals festgestellt werden.127 So kann der Vortrag von Indizien im zivilrechtlichen Prozess die Schlussfolgerung zulassen, dass die behauptete Tatsache wahr ist.128 Die Beweiskraft des Indizes ergibt sich aus der Lebenserfahrung.129 Sollte die Einzelfallbetrachtung zu einem anderen Ergebnis kommen, entspricht es dem durch das Ermessen des Gerichts zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willen dieser den Vorzug zu gewähren. Ob der Einzelfall einer anderen Bewertung bedarf, kann insbesondere auf Stufe 3 noch einmal überprüft werden.130 Für die in der Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 3 BGB genannten Personen kann das Fehlen solcher Kriterien zur Widerlegung der Vermutung führen. (1) Haushaltsgemeinschaft Um soziale Beziehungen, die rechtlich nicht verankert sind, ebenfalls einzubeziehen, stellt die Haushaltsgemeinschaft ein geeignetes objektives Kriterium dar, um das Näheverhältnis festzustellen. Die Wandlung des Familienangehörigenprivilegs zum Haushaltsangehörigenprivileg131 in § 86 Abs. 3 VVG132 zeigt die Relevanz, die 126
Huber, in: VersR 2020, S. 385 (387). BGH Beschl. v. 09. 02. 1998 – II ZB 15-97, NJW 1998, 1870; Pantle/Kreissl, Die Praxis des Zivilprozesses, S. 134 Rn. 314. 128 MüKoZPO/Prütting, § 284 Rn. 42; Schellhammer, Die Arbeitsmethode des Zivilrichters, S. 262 Rn. 422. 129 Schellhammer, Die Arbeitsmethode des Zivilrichters, S. 262 Rn. 423. 130 Vgl. dazu Kap. E. III. 3. 131 § 67 Abs. 2 VVG a. F., der am 31. 12. 2007 außer Kraft getreten ist, sah den Regressausschluss nur für in häuslicher Gemeinschaft lebende Familienangehörige vor. 132 „(3) Richtet sich der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen eine Person, mit der er bei Eintritt des Schadens in häuslicher Gemeinschaft lebt, kann der Übergang nach Absatz 1 nicht geltend gemacht werden, es sei denn, diese Person hat den Schaden vorsätzlich verursacht.“ 127
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
der Haushaltsangehörigkeit zugesprochen wird. In der Haushaltsgemeinschaft ist deshalb ein wichtigstes Indiz für ein Näheverhältnis zu sehen.133 Die Voraussetzung der formellen Familienzugehörigkeit wird beim Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB auch nicht gefordert. Für die Frage, ob eine bestehende Haushaltsgemeinschaft ein Indiz für das erforderliche Näheverhältnis sein kann, ist zu differenzieren. In der Haushaltsgemeinschaft enthalten ist die bloße Wohngemeinschaft, die sich aus wirtschaftlichen und praktischen Gründen nur für das gemeinsame Wohnen zusammengeschlossen hat.134 Die Wohngemeinschaft hat zwar nicht die gleiche Indizwirkung, dennoch ist diese als Bestandteil der Haushaltsgemeinschaft geeignet, ein Kriterium für das Näheverhältnis zu liefern. Darüber hinaus werden aber weitere Kriterien für ein besonderes persönliches Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB erforderlich sein. Die Haushaltsgemeinschaft kann ein aussagekräftiges Indiz für das Näheverhältnis darstellen, wenn das gemeinsame Zusammenleben in einem Haushalt auf der persönlichen Beziehung beruht. Das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft zwischen zwei Personen drückt neben der räumlichen Nähe auch eine gewisse Übernahme von Verantwortung und Interesse für die andere Person aus, da durch den gemeinsamen Haushalt möglicherweise gemeinsame Entscheidungen getroffen werden und persönliche, für Außenstehende nicht zugängliche Gegenstände und Räumlichkeiten geteilt werden. Die Kriterien für das Haushaltsangehörigenprivileg in § 86 Abs. 3 VVG können im Rahmen des Hinterbliebenengeldes für das Kriterium der Haushaltsgemeinschaft entsprechend herangezogen werden. Eine Haushaltsgemeinschaft geht damit über eine Wohngemeinschaft hinaus. Erforderlich ist vielmehr ein gemeinsames Wirtschaften.135 Es muss ein gemeinsamer Hausstand bestehen, der durch gemeinsame Mittelaufbringung entstanden ist.136 Über das gemeinsame Wohnen hinaus kommt es auf das arbeitsteilige Zusammenwirken bei der Lebensführung an.137 Die Lebensführung umfasst Verrichtungen wie Einkaufen, die Anschaffung von Haushaltsgegenständen, die Verwaltung des Einkommens sowie die Versorgung und Pflege bei Krankheit.138 Nicht erforderlich ist
133
(406). 134
Ebenso Bredemeyer, in: ZEV, S. 690 (691); Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401
Z. B. studentische Wohngemeinschaft, Pflegewohngemeinschaft. Eine solche ist für die Anspruchsberechtigung nicht ausreichend, vgl. Huber, in: VersR 2020, S. 385 (388). 135 Vgl. schon in Kap. B. IV. 1.; Eicher/Luik/Mecke, § 9 SGB II Rn. 87; Mrozynski/Mrozynski, § 19a SGB I Rn. 25. Der gemeinsame Einkauf von Grundnahrungsmitteln aus einer gemeinsamen Haushaltskasse soll für eine Wirtschaftsgemeinschaft noch nicht ausreichend sein (BSG Urt. v. 27. 01. 2009 – B 14 AS 6/08 R, NZS 2009, 681; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 24. 01. 2014 – L 34 AS 615/11, BeckRS 2014, 68000). 136 Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, § 86 VVG Rn. 109. 137 BeckOGK/Wendtland, BGB § 563 Rn. 8. 138 BeckOGK/Wendtland, BGB § 563 Rn. 8.
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
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die finanzielle Beteiligung am Haushalt in gleichen Anteilen.139 Vielmehr wird eine Haushaltsgemeinschaft auf sozialrechtlicher Ebene gerade dann angenommen, wenn der Angehörige einen Teil seines Bedarfs durch die in der gleichen Wohnung lebende Person deckt.140 An dieser Stelle lässt sich aber die sozialrechtliche Bedeutung der Haushaltsgemeinschaft nicht übertragen, da im Sozialrecht die Hilfebedürftigkeit im Vordergrund steht.141 Die Indizien, die das VVG für die Feststellung einer Haushaltsgemeinschaft heranzieht sind zum Teil sehr speziell und erfordern eine aufwendige Darlegung.142 Die Berücksichtigung der Dauer des Zusammenwohnens, die finanzielle Beteiligung am Haushalt und auch die in der gemeinsamen Wohnung befindlichen persönlichen Gegenstände143 sind aber als geeignete und nachweisbare Kriterien auch für die Haushaltsgemeinschaft im Rahmen des Hinterbliebenengeldes denkbar. Eine gewisse finanzielle Abhängigkeit ist also schon im Rahmen der Haushaltsgemeinschaft festzustellen, die finanzielle Gebundenheit kann aber deutlich über den gemeinsamen Haushalt hinausgehen. Denkbar ist z. B. auch die finanzielle Unterstützung des volljährigen Kindes, das aber inzwischen in seiner eigenen Wohnung wohnt. Dann liegt zwar keine Haushaltsgemeinschaft vor, die finanzielle Abhängigkeit des Kindes von den Eltern spricht aber für ein Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB. Eine Haushaltsgemeinschaft lässt sich bejahen, wenn in dem Haushalt Kinder versorgt werden.144 Nicht erforderlich ist eine geschlechtliche Beziehung.145 (2) Die Dauer der Beziehung Die Dauer der Beziehung zwischen dem Getöteten und dem Anspruchsteller ist ein geeignetes Kriterium um in Verbindung mit weiteren Kriterien auf ein Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB zu schließen. Allerdings lässt sich die maßgebliche Dauer nicht einheitlich festlegen, vielmehr muss die Dauer im Zusammenhang mit weiteren Umständen berücksichtigt werden. Dabei ist eine Orientierung an den durch das BSG entwickelten Grundsätzen denkbar, wonach die durch § 1566 Abs. 2 BGB146 aufgestellte unwiderlegbare Vermutung für das Scheitern 139
BeckOGK/Wendtland, BGB § 563 Rn. 8. Eicher/Luik/Mecke, § 9 SGB II Rn. 88. 141 Ebenso wenig kann die Verwendung des Begriffs Haushaltsgemeinschaft im Rahmen der Verbleibensanordnung gem. § 1682 BGB übertragen werden. 142 Als Indizien herangezogen werden die gemeinsame Einnahme von Mahlzeiten, das Bestehen eines gemeinsamen Wohnzimmers, in dem Fernsehabende gemeinsam verabredet werden, das Säubern der Schmutzwäsche in einer Waschmaschne (vgl. Rüffer/Halbach/ Schimikowski/Muschner, § 86 VVG Rn. 52). 143 Vgl. Aufzählung der Indizien Rüffer/Halbach/Schimikowski/Muschner, § 86 VVG Rn. 52. 144 Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, § 86 VVG Rn. 109. 145 Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, § 86 VVG Rn. 111. 146 „§ 1566 Vermutung für das Scheitern 140
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
einer Ehe nach 3 Jahren herangezogen werden könnte.147 Hieraus könnte auch für den umgekehrten Fall geschlossen werden, dass eine dreijährige Beziehung eine genügende Ernsthaftigkeit und Kontinuität aufweist.148 Gerade für die nichteheliche Lebensgemeinschaft weist ein solcher Richtwert ein geeignetes Kriterium für die Bestimmung des Näheverhältnisses auf. Dies kann jedoch nicht ohne weiteres auf ein freundschaftliches Verhältnis übertragen werden. Bestehen andere Indizien wie eine Haushaltsgemeinschaft, kann eine Dauer ab 3 Jahren zugunsten des Näheverhältnisses berücksichtigt werden. Die Begründung eines Näheverhältnisses zwischen zwei Freunden unterliegt hohen Anforderungen, da die Bedeutung einer Freundschaft sehr unterschiedlich verstanden und gelebt wird. Ein Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB zu jedem Freund, den der Getötete hatte, würde bedeuten, dass eine unüberschaubare Anzahl an anspruchsberechtigten Personen Hinterbliebenengeld geltend machen könnte. Es bedarf daher weiteren Kriterien, die ein besonderes Näheverhältnis begründen können. Auch hier kommt es auf eine über die gewöhnliche Freundschaft hinausgehende Beziehung an, die sich aufgrund von besonderen Umständen von anderen freundschaftlichen Beziehungen unterscheidet. Ergibt z. B. die funktionale Betrachtung ein geschwisterähnliches Verhältnis, kann das Kriterium der Dauer der Beziehung die persönliche Bindung hervorheben. Die Dauer der Freundschaft kann für sich genommen jedoch noch kein Näheverhältnis begründen. (3) Kommunikation Ein weiterer Anknüpfungspunkt für die Frage der Intensität des Näheverhältnisses kann die Art und Weise sowie die Häufigkeit der Kommunikation zwischen dem Getöteten und der nahestehenden Person darstellen. Der allgemeine Begriff Kommunikation meint den tatsächlichen Umgang und die Kontaktaufnahme zwischen dem Getöteten und dem Anspruchsteller. Auf dieses Kriterium kommt es insbesondere dann an, wenn keine Haushaltsgemeinschaft vorliegt. Darüber hinaus erlangt die Kommunikation Relevanz, wenn die sich nahestehenden Personen auch nicht oder nur temporär zusammenleben. Hierbei kommt es darauf an, wie die fehlende örtliche Nähe durch andere Arten der Kommunikation ausgeglichen werden kann. Zu nennen sind dabei das gemeinsame Verleben von Feiertagen, Wochenenden und Urlaub149 sowie der alltägliche Kontakt durch das Telefon oder Internet.150 Das Telefonieren, das Schreiben von E-Mails oder die (…) (2) Es wird unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe gescheitert ist, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben.“ 147 BSG Urt. v. 29. 04. 1998 – B 7 AL 56/97 R, NZS 1998, 581; LSG Bayern Beschl. v. 21. 03. 2007 – L 11 B 998/06 AS ER, BeckRS 2009, 63714. 148 BSG Urt. v. 29. 04. 1998 – B 7 AL 56/97 R, NZS 1998, 581; LSG Bayern Beschl. v. 21. 03. 2007 – L 11 B 998/06 AS ER, BeckRS 2009, 63714. 149 OLG Brandenburg Beschl. v. 30. 01. 2017 – 13 UF 244/14, NJOZ 2017, 1076. 150 Das OLG hat hier anhand der Facebook-Einträge die gemeinsamen Aktivitäten nachvollzogen, OLG Brandenburg Beschl. v. 30. 01. 2017 – 13 UF 244/14, NJOZ 2017, 1076.
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
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Kontaktaufnahme über soziale Netzwerke kann zudem als tatsächlich stattgefundene Kommunikation zwischen den nahe stehenden Personen nachgewiesen werden. Dennoch ist dabei zu berücksichtigen, dass die Art und Häufigkeit der Kommunikation als Kriterium nur insoweit geeignet ist, als dass eine persönliche Beziehung bereits aus anderen Gründen angenommen werden kann. Sollte dem ständigen Kontakt trotz örtlicher Distanz eine besondere Bedeutung zukommen, ist auch darauf abzustellen, worüber sich die nahestehenden Personen austauschen. Hierdurch kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob im Wege der Kommunikationsmöglichkeiten eine gegenseitige Unterstützung und Begleitung im alltäglichen Leben stattfindet. (4) Die gemeinsame Sorge und das Sorgeverhältnis Ein Näheverhältnis lässt sich sowohl durch die gemeinsame Sorge, als auch durch das Verhältnis zwischen dem Betreuenden und dem Betreuten begründen. (a) Die gemeinsame Sorge Haben zwei Personen gemeinsam die Sorge für ein Kind oder einen Angehörigen übernommen, indem ihnen die Erziehung oder die Pflege obliegt, kann dieses ebenfalls ein gewichtiges Indiz für ein besonderes persönliches Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB zwischen diesen beiden Personen darstellen. In den meisten Fällen wird hierbei aber zugleich eine Haushaltsgemeinschaft oder darüber hinaus eine nichteheliche Lebensgemeinschaft vorliegen. Besteht die gemeinsame Sorge im Rahmen einer bestehenden Ehe, greift das Privileg des § 844 Abs. 3 S. 2 BGB. Die gemeinsame Sorge für Kinder kann auf einer Ehe, einer Sorgeerklärung oder einer gerichtlichen Übertragung beruhen.151 Diese besteht bei der Trennung oder Scheidung der Eltern fort.152 Im Rahmen der gemeinsamen Sorge für Kinder kommt es nicht darauf an, dass es sich um gemeinsame oder eigene Kinder handelt. Entscheidend ist, dass ein gemeinsames Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis gegenüber dem Kind besteht.153 Die gemeinsame Sorge in Bezug auf Kinder kann gerade dann ein relevantes Kriterium darstellen, wenn sich Eltern scheiden lassen. Im Rahmen der Ausführungen zu dem Familienprivileg gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB wurde bereits darauf hingewiesen, dass eine Scheidung nicht automatisch zur Verneinung eines Näheverhältnisses zwischen den Ehegatten führen muss. Gerade die gemeinsame Betreuung und Sorge für Kinder lässt die Begründung eines Näheverhältnisses zu. Trotz Aufhebung der gemeinsamen Sorge im rechtlichen Sinne kann ein Näheverhältnis fortbestehen, wenn weiterhin die gemeinsame Sorge im tatsächlichen Sinne er151 152 153
MüKoBGB/Huber, § 1629 Rn. 75. MüKoBGB/Huber, § 1629 Rn. 75. Vgl. so im Sozialversicherungsrecht KassKomm/Gürtner, § 56 SGB VI Rn. 14.
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
folgt.154 § 1671 Abs. 1 BGB sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass getrenntlebende Eltern die Alleinsorge beantragen können, wenn der jeweils andere Elternteil gem. § 1671 Abs. 1 Nr. 1 BGB zustimmt oder gem. § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB die Alleinsorge dem Kindeswohl am besten entspricht. Erhält ein Elternteil beispielsweise die Alleinsorge, weil das Elternteil die überwiegende Zeit mit dem Kind zusammenlebt und deshalb die wesentlichen Entscheidungen in Bezug auf das Kind trifft, kann die Alleinsorge dem Wohl des Kindes entsprechen. Die Aufhebung der gemeinsamen Sorge erfolgt hier möglicherweise nur aus praktischen Erwägungen. Dennoch kann sich das andere Elternteil in bestimmten Angelegenheiten in der Weise einbringen, als dass sich beide Elternteile gegenseitig aufeinander verlassen und somit gemeinsam für das Wohl des Kindes sorgen. Die gemeinsame Sorge im rechtlichen Sinn kann demnach ein Indiz für ein Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB darstellen. Umgekehrt spricht aber das Nichtvorliegen der gemeinsamen Sorge im rechtlichen Sinn nicht gegen das Vorliegen eines Näheverhältnisses. Dass es auf die gemeinsame Sorge in tatsächlicher Hinsicht ankommt, wird auch bei Patchwork-Familien in verschiedenen Konstellationen deutlich. Zu denken ist an den neuen Partner eines getrennt lebenden Elternteils. Zieht der neue Partner in die Wohnung des Elternteils, in der auch das Kind lebt, ist in der Regel davon auszugehen, dass der neue Partner gemeinsam mit dem Elternteil die Sorge für das in der Wohnung lebende Kind übernimmt. Die sich daraus ergebende Haushaltsgemeinschaft und die gemeinsame Sorge für ein Kind stellen gewichtige Indizien für das Vorliegen eines Näheverhältnisses dar. Eine nichteheliche Lebensgemeinschaft und damit ein Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB kann unter diesen Umständen gegebenenfalls auch schon nach kürzerer Dauer angenommen werden. Die gemeinsame Sorge für erwachsene Personen, die aus gesundheitlichen oder altersbedingten Gründen pflegebedürftig sind, ist zwar als Kriterium denkbar. Übernehmen zwei Personen privat die gemeinsame Pflege einer pflegebedürftigen Person und beruht diese Pflege nicht auf einer rechtlichen Verpflichtung, wird dies auf einer besonderen Beziehung zwischen den pflegenden Personen beruhen, sodass die gemeinsame Sorge nur ein weiteres Indiz darstellt. Sollte die pflegebedürftige Person durch Angehörige zu Haus gepflegt werden, indem gemeinsam die Haushaltsführung, die Nachtpflege und darüber hinausgehende regelmäßig zu erfüllende Angelegenheiten übernommen werden, kommt die gemeinsame Sorge aber jedenfalls als Kriterium in Betracht. Darüber hinaus werden aber regelmäßig andere Indizien wie eine Haushaltsgemeinschaft oder die formale Position als Angehöriger relevant sein.
154
Böllert/Peter, Sozialer Wandel, S. 137.
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
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(b) Das Sorgeverhältnis Davon zu unterscheiden ist das Näheverhältnis zwischen der betreuenden und der betreuten Person. Im Wesentlichen zu unterscheiden sind hier das Sorgeverhältnis zwischen einem Kind und einem Elternteil oder einem anderen Erziehungsberechtigten sowie das Betreuungsverhältnis zwischen einem Betreuer oder Pfleger und einer hilfsbedürftigen Person. Ein Näheverhältnis aufgrund eines Betreuungs- oder Sorgeverhältnisses kommt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht in Betracht. Das Sorgeverhältnis zwischen dem Kind und der betreuenden Person ist dann von Bedeutung, wenn die formale Position der betreuenden Person nicht oder nur eingeschränkt für ein Näheverhältnis spricht. Hierbei ist z. B. an Patchwork-Familien zu denken. Auch hier kommt es in erster Linie auf die Sorge in tatsächlicher Hinsicht an. Als erziehungsberechtigt ist dabei i. S. d. § 7 SGB VIII Abs. 1 Nr. 6 SGB VIII jede volljährige Person anzusehen, die aufgrund einer Vereinbarung mit dem Personensorgeberechtigten nicht nur vorübergehend und nicht nur für einzelne Verrichtungen Aufgaben der Personensorge wahrnimmt. Dies können damit auch erwachsene Haushaltsangehörige sein, die in Erziehungsaufgaben mit einbezogen sind.155 Nicht erfasst sind nach dieser Begriffsbestimmung Personen, die nur vorübergehend an der Erziehung teilnehmen oder nur Einzelaufgaben wahrnehmen.156 Die Erziehungsberechtigung i. S. d. § 7 SGB VIII ist als Sorgeverhältnis für die Begründung eines Näheverhältnisses geeignet. Bei Betreuungsverhältnissen zwischen volljährigen Personen, die auf einer vertraglichen oder rechtlichen Verpflichtung der betreuenden Person beruhen, besteht nur geringe Indizwirkung. Das gem. § 1896 BGB durch gerichtliche Bestellung bestehende Betreuungsverhältnis kann zwar als Kriterium ein Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB begründen. Dies kann aber nicht für Berufsbetreuungen gelten, sondern nur für nahestehende Personen, die die Betreuung als Ehrenamtsoder Angehörigenbetreuung ausüben.157 Ein das Näheverhältnis begründendes Kriterium kann sich auch aus dem Bevollmächtigungsverhältnis ergeben, wenn ein Bevollmächtigter aufgrund privater Fürsorge die Angelegenheiten des Betreuten regelt, weil eine Betreuung gem. § 1896 Abs. 2 BGB nicht erforderlich ist.158 Da es aber auch für das Sorgeverhältnis auf die tatsächlichen Umstände ankommt, kann sich ein Indiz für ein Näheverhältnis schon daraus ergeben, dass eine Person freiwillig und aus persönlicher Verbundenheit eine andere hilfsbedürftige Person pflegt. Diese Pflege ist in verschiedenen Formen denkbar, in Betracht kommen die Haushaltsführung, die Erledigung finanzieller und behördlicher Angelegenheiten, die 155 So die Begriffsbestimmung für den Erziehungsberechtigten i. S. d. § 7 SGB VIII, hierzu seien im Haushalt lebende Verwandte, Stiefelternteile, Lebenspartner und auch der Heimerzieher zu zählen, vgl. MüKoSGB VIII/Tillmanns, § 7 Rn. 5. 156 Beispielhaft genannt werden der Nachhilfelehrer und der Therapeut, vgl. MüKoSGB VIII/Tillmanns, § 7 Rn. 5. 157 BeckOGK/Schmidt-Recla, BGB § 1896 Rn. 17. 158 MüKoBGB/Schneider, § 1896 Rn. 50.
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
medizinische Versorgung und die körperliche Pflege. Diese Formen der Pflege kommen als Kriterium für ein Näheverhältnis zwischen der pflegenden und der gepflegten Person in Betracht, sofern die Pflegetätigkeit – in Anlehnung an die Erziehungsberechtigung – nicht nur vorübergehend und in nachweisbarer Regelmäßigkeit ausgeübt wird. (5) Zwischenergebnis Für eine Anspruchsberechtigung von nicht gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB privilegierten Personen kommt es entscheidend auf das Vorliegen von geeigneten Kriterien an, die auf Stufe 2 festzustellen sind. Die Kriterien der Haushaltsgemeinschaft und die Dauer der Beziehung stellen dabei gewichtige Indizien für die Annahme eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses dar. Für das Vorliegen eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses müssen aber regelmäßig mehrere der dargestellten Kriterien gemeinsam vorliegen. dd) Funktionale Betrachtung (Stufe 3) Der Gesetzesentwurf zum Hinterbliebenengeld betont, dass Personen, die nicht von der Vermutungsregelung des § 844 Abs. 3 S. 2 BGB erfasst werden, nur dann ein Näheverhältnis begründen könnten, wenn die Beziehung zum Getöteten eine Intensität aufweist, die mit der zwischen den in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB privilegierten Personen vergleichbar ist.159 Offen bleibt dabei, wodurch sich die Intensität der in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB genannten Beziehungen auszeichnet. Dies spricht für eine auf objektive Kriterien beschränkte funktionale Betrachtung.160 Ein Indiz für das Näheverhältnis könnte danach die „persönlich-familiäre Position“ des Anspruchstellers sein, die „funktional“ vergleichbar mit den in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB privilegierten Personen sein müsste.161 Der Anspruchsteller muss die Position einnehmen, die eigentlich eine der in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB genannten Personen innehat. Deshalb können Großeltern, die anstelle der Eltern das Enkelkind großziehen und damit funktional die Rolle der gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB privilegierten Eltern einnehmen,162 ein besonderes Näheverhältnis begründen und sind damit Hinterbliebene i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB. Dies ermöglicht die Berücksichtigung einer besonderen Beziehung, der es aufgrund der fehlenden formalen Position an Indizwirkung fehlt. Die Erforderlichkeit des Vergleichs mit einem privilegierten Personenkreis erscheint aufgrund des gebotenen restriktiven Anwendungsbereichs des Hinterbliebenengeldanspruchs sachgerecht. 159
BT-Drs. 18/11397, S. 13. BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 208. 161 BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 208. 162 Vgl. BVerfG Beschl. v. 27. 08. 2014 – 1 BvR 1467/14, FamRZ 2014, 1841, wonach die Großeltern aufgrund ihrer familiären Bindung und der Einbindung in familiäre Strukturen bevorzugt als Vormund zu bestellen seien, wenn den Eltern die elterliche Sorge entzogen ist. 160
3
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1
Geschwister
Großeltern
Patchwork-Familie
Nichteheliche Lebensgemeinschaft
Andere
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(„Stufe 2“)
Gemeinsamer Haushalt
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(„Stufe 2“)
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(„Stufe 2“)
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-
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1
(„Stufe 2“)
Finanzielle Dauer der Kommunikation Abhängigkeit Beziehung
1: Besonderes persönliches Näheverhältnis unwahrscheinlich 2: Besonderes persönliches Näheverhältnis durch weitere Indizien möglich 3: Besonderes persönliches Näheverhältnis wahrscheinlich - : Das Kriterium stellt für den Personenkreis keine geeignete Hilfstatsache dar
2
3
(„Stufe 2“)
(„Stufe 1“)
Gewichtung der Hilfstatsache
Zusammenwohnen
Formale Position
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(„Stufe 3“)
Funktionale Betrachtung
3
(„Stufe 2“)
Gemeinsame Sorge
ee) Tabellarische Darstellung zu den nicht privilegierten Personenkreisen
15
23
20
17
21
Summe
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene 265
266
E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Die tabellarische Darstellung zur Prüfung eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses für die Personenkreise außerhalb der Vermutung des § 844 Abs. 3 S. 2 BGB soll einen Überblick darüber geben, wie Gerichte oder auch Versicherungen anhand von objektiven Anhaltspunkten eine einzelfallgerechte Lösung entwickeln können.163 Die tabellarische Darstellung stellt dabei aber nur einen Ausschnitt aus den möglichen zu berücksichtigenden Umständen dar. Zudem bezieht sich die Darstellung nur auf solche Personenkreise, die nicht von der Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB erfasst werden. Die formale Position gibt auf Stufe 1 zunächst Auskunft darüber, welcher Begründungsaufwand auf der Stufe 2 noch erforderlich ist. Hier wird bereits deutlich, dass ein besonderes persönliches Näheverhältnis zwischen Freunden weiteren, gewichtigen Kriterien bedarf, da es an jeglicher formalrechtlichen Position fehlt. Bei Geschwistern hingegen, die im Regelfall mindestens 18 Jahre zusammen aufgewachsen sind, ist ein Näheverhältnis von vorneherein wahrscheinlicher. Je nach Bedeutung der Position, die der Hinterbliebene hat, erhalten die Kriterien164 Relevanz. Bei Geschwistern beispielsweise, weist die formale Position schon ein erhebliches Indiz für die Bejahung eines Näheverhältnisses auf. Deshalb sind jedenfalls minderjährige Geschwister mit dem privilegierten Personenkreis gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB gleichzusetzen. Unabhängig vom Personenkreis auf Stufe 1, können aber auch nicht alle Kriterien für gleich bedeutend erachtet werden. So gibt die Kommunikation nur in bestimmten Konstellationen Aufschluss über das Näheverhältnis. Führen der Getötete und der Hinterbliebene eine Fernbeziehung, kann es auf die Intensivität und den Umfang der geführten Kommunikation durch soziale Netzwerke und das Telefon ankommen. Wohnen Geschwister zusammen in einem Haushalt hat die Frage nach der Kommunikation über soziale Netzwerke keine weitere Relevanz. Die in der Tabelle dargestellten Personenkreise sind bereits weit gefasst, sodass man bei Personen, die diesen Gruppen nicht zugeordnet werden können, zu einer Verneinung des Näheverhältnisses kommen wird. Offen formuliert ist dabei insbesondere der Personen-
163
Dass die Orientierung an einer Tabelle mit Punktesystem denkbar ist, zeigen Tabellen in anderen europäischen Rechtsordnungen wie die Bemessung des Nichtvermögensschadens infolge der Tötung eines Angehörigen des Landgerichts Rom, die sich an den objektiven Bemessungskriterien der Mailänder Tabelle orientiert, vgl. Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 254. Die verschiedenen Bemessungskriterien werden mit einer unterschiedlichen Punkteanzahl bewertet und pro Jahr ein Ausgangswert für einen Punkt festgelegt (z. B. 2019: 9.806,70 Euro). In Spanien existiert ein Tabellensystem („Baremo“), das seit 2016 durch das Gesetz über die zivilrechtliche Haftung und Versicherung im Kraftfahrzeuverkehr (LRCSCVM) ausführlich geregelt wurde. Bei Angehörigen für den Fall eines tödlichen Unfalls hängt die Höhe des Schadensersatzes vom verwandtschaftlichen Verhältnis zum Opfer ab, vgl. L. Schäfer, Die Bemessungsmethoden, S. 164. 164 Die hier dargestellten Kriterien haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit: Möglich sind weitere Kriterien, nach denen das Näheverhältnis beurteilt werden kann.
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
267
kreis „Andere“, der als Einfallstor für alle Personen steht, die keine formale Verbindung zum Getöteten aufweisen können.165 Deshalb ist bei diesem Personenkreis auch von einem besonders hohen Begründungsaufwand und einer besonders restriktiven Haltung bei der Bejahung eines Näheverhältnisses auszugehen. Nach der Bewertung auf Stufe 1 und Stufe 2, sollte auf Stufe 3 abschließend gefragt werden, ob das Näheverhältnis einem typischen Näheverhältnis der in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB genannten Personen gleichkommt. Es erfolgt eine funktionale Betrachtung166, in der die Position des Hinterbliebenen mit den in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB privilegierten Personen verglichen wird. In der tabellarischen Darstellung wird eine Wahrscheinlichkeit für die Feststellung eines Näheverhältnisses je nach Personenkreis angegeben. Zum einen die Wahrscheinlichkeit aufgrund der formalen Position und zum anderen unter Berücksichtigung der möglichen Kriterien. Die Wahrscheinlichkeit, ein besonderes persönliches Näheverhältnis zu begründen, ist für die nichteheliche Lebensgemeinschaft am höchsten. Dies erscheint vor dem Hintergrund sachgerecht, dass die gesellschaftliche Entwicklung inzwischen häufig ein eheähnliches Leben im Rahmen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft vorsieht.167 Anders als bei den anderen Personenkreisen bedarf es bei der nichtehelichen Lebensgemeinschaft bereits auf Stufe 1 einer Bewertung. Liegt eine nichteheliche Lebensgemeinschaft vor, kann auf Stufe 3 eine mit Ehegatten vergleichbare Position angenommen werden, sodass es keiner weiteren Kriterien auf Stufe 2 bedarf.168 Für den Personenkreis „Andere“ kann zunächst nur die Einschätzung des Hinterbliebenen herangezogen werden, sodass es hier im Wesentlichen nur auf Stufe 2 ankommt. Bei einem Freund z. B. als weiterer Hinterbliebener ist die Wahrscheinlichkeit eines Näheverhältnisses i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB zunächst gering einzustufen. Die tabellarische Darstellung ist eine Anlehnung an die existierenden Schmerzensgeldtabellen und bringt insbesondere zwei wesentliche Erkenntnisse zum Vorschein: Zum einen bleibt es bei der Bedeutung der formalen Position, die der Anspruchsteller als Hinterbliebener hat. Freundschaften als besonderes persönliches Näheverhältnis werden sich schwer begründen lassen und sind auf Ausnahmefälle zu beschränken. Die Freundschaft müsste sich dafür deutlich von allen anderen Freundschaften abheben. Zum anderen können die genannten Kriterien ebenso gut für die Bemessung des Hinterbliebenengeldes geeignet sein. 165
S. 48 f. 166
Vgl. z. B. zur Nanny: Huber/Kadner Graziano/Luckey/Huber, Hinterbliebenengeld,
„(…) Personen, die in Bezug auf den Getöteten funktional die persönlich-familiäre Position von Personen nach S. 2 einnehmen“, BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 208. 167 Laut Pressebericht Nr. 24 v. 13. 06. 2017 waren es im Jahr 2015 2,8 Millionen nichteheliche Lebensgemeinschaften, Destatis, Statistisches Bundesamt. 168 Huber/Kadner Graziano/Luckey/Huber, Hinterbliebenengeld, S. 48.
268
E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
ff) Zwischenergebnis Zur Feststellung eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses gem. § 844 Abs. 3 BGB bietet sich eine differenzierende Prüfung wie die hier vorgeschlagene Drei-Stufen-Prüfung an. Der Gesetzgeber sieht ausdrücklich vor, dass ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld auch ohne formale Position des Anspruchstellers möglich sein soll. Zudem ist aufgrund des unbestimmten Rechtsbegriffs des besonderen persönlichen Näheverhältnisses und der Öffnungsklausel einer „angemessenen“ Entschädigung die Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls gewollt. Um dieser gesetzgeberischen Wertung gerecht zu werden, ist die formale Position auf Stufe 1 zwar einzubeziehen, anhand von Stufe 2 sind aber zusätzlich alle individuellen Umstände des jeweiligen Falles mithilfe der entwickelten Kriterien einzuordnen. Zugunsten der Einzelfallgerechtigkeit kann dieses Ergebnis bei besonderen Umständen, die auf Stufe 2 keine Berücksichtigung finden konnten, auf Stufe 3 korrigiert werden. c) Ergebnis Das besondere persönliche Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB, das über die Hinterbliebeneneigenschaft des Anspruchstellers entscheidet, ist ein unbestimmter und subjektiv geprägter Rechtsbegriff, der zu konkretisieren ist. Ob ein besonderes persönliches Näheverhältnis vorliegt, beruht in erster Linie auf subjektiven Kriterien, die nicht ohne weiteres gerichtlich überprüfbar sind. Aufgrund der subjektiven Empfindungen, auf denen persönliche Beziehungen beruhen, ist bei der Bejahung eines Näheverhältnisses Zurückhaltung geboten. Auch wenn das besondere persönliche Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB die anspruchsbegründende Voraussetzung für eine Hinterbliebenengeldentschädigung darstellt, kommt es in erster Linie auf die formale Position des Anspruchstellers an. Neben den in der Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB genannten Personen sind insbesondere Geschwister und die nichteheliche Lebensgemeinschaft zu nennen, die in der Regel durch ihre formale Position ebenfalls ein Näheverhältnis begründen werden können. Für nicht verwandte und nicht in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebende Personen wird der Nachweis für ein Näheverhältnis in den meisten Fällen schwer zu führen sein. Hinsichtlich der vorgeschlagenen Kriterien spielt die Haushaltsgemeinschaft eine wesentliche Rolle, weil hierdurch sowohl die räumliche und private Nähe als auch eine gemeinsame Wirtschaftsführung zum Ausdruck kommt. Sowohl für die Personengruppen, als auch für die objektiven Hilfskriterien lassen sich Grundsätze aus dem Sozialrecht wie z. B. zur Bedarfsgemeinschaft übertragen, da die in § 7 SGB II genannte Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft ebenfalls ein Näheverhältnis voraussetzt. Für die Widerlegung eines in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB vermuteten Näheverhältnisses ist ein strenger Maßstab anzulegen, da der Gesetzgeber durch die gesetzliche
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
269
Vermutungswirkung die bewusste Entscheidung getroffen hat, dass die formale Position als objektive Eigenschaft ausreicht, um ein Näheverhältnis zu bejahen. Dies entspricht auch dem Haftungsgrund des Hinterbliebenengeldes, einen Entschädigungsanspruch im Sinne des Rechtsfortsetzungsgedankens für die eingetretene Lebensverletzung zu ermöglichen. Da die Lebensverletzung aber keiner subjektiven Bewertung zugänglich ist, folgt die Vermutungsregelung dem Sinn und Zweck der Haftungsbegründung. Zugunsten einer möglichst objektiven Bewertung des Näheverhältnisses gem. § 844 Abs. 3 BGB ist die fehlende Anwendbarkeit der Vermutungsregelung auch auf Geschwister zu kritisieren. Die tabellarische Darstellung ermöglicht es trotz der Berücksichtigung einzelner Umstände zu einer möglichst einheitlichen Feststellung eines Näheverhältnisses zu gelangen. Der vorliegende Vorschlag eines Stufensystems dient dem Ziel, durch systematisches Vorgehen eine möglichst objektive, einheitliche und gerechte Anwendung des Hinterbliebenengeldanspruchs zu gewährleisten, da der Gesetzgeber durch die Vorgabe des Näheverhältnisses einen unbestimmten und auf tatsächliche Umstände abstellenden Rechtsbegriff verwendet hat, der aufgrund des betroffenen Rechtsguts Leben, der nur mittelbaren Verletzung des Anspruchstellers und der Inkommensurabilität immaterieller Schäden nicht allein nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden kann. Das vorgeschlagene Stufensystem gibt zwar die Ermittlung eines Näheverhältnisses vor, um so wiederkehrende Fragen und Konstellationen zu bündeln, gleichzeitig lässt der Vorschlag aber im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit genügend Abweichungs- und Ergänzungsmöglichkeiten. 3. Der Nasciturus im System des Hinterbliebenengeldanspruchs Im Rahmen der Anspruchsberechtigung gem. § 844 Abs. 3 BGB stellt sich zudem die Frage, wie der Nasciturus zu behandeln ist. Die Geltendmachung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB setzt gem. § 1 BGB Rechtsfähigkeit voraus.169 Rechtsfähigkeit meint dabei die Fähigkeit, Inhaber von Rechten und Pflichten zu sein.170 Gem. § 1 BGB beginnt die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Vollendung der Geburt. Der Nasciturus171 wird deshalb grundsätzlich erst mit Vollendung der Geburt rechtsfähig.172 Gem. § 844 Abs. 2 S. 2 BGB tritt die Ersatzpflicht allerdings auch dann ein, wenn der Dritte zum Zeitpunkt der Verletzung zwar gezeugt, aber noch nicht geboren 169 Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (404); Bredemeyer, in: ZEV 2017, S. 690 (693); Lang/Bucka, in: DAR 2020, S. 445 (447). 170 BeckOGK/Behme, BGB § 1 Rn. 1; Jauernig/Mansel, § 1 BGB Rn. 1; MüKoBGB/ Spickhoff, § 1 Rn. 6. 171 Verstanden wird darunter ein ungeborenes, selbstständiges menschliches Wesen, das eine erzeugte aber noch nicht geborene Leibesfrucht darstellt. „Embryo“ und „Fötus“ stellen medizinische Unterbegriffe dar (Zeising, Der Nasciturus im Zivilverfahren, S. 1). 172 BeckOGK/Behme, BGB § 1 Rn. 19.
270
E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
war. Für den Unterhaltsanspruch gem. § 844 Abs. 2 BGB besteht damit eine Anspruchsberechtigung des Nasciturus. Bestimmte Rechte des Nasciturus können demnach auch schon vor der Geburt begründet werden.173 So kommt auch für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB eine Anspruchsberechtigung des Nasciturus in Betracht. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob der durch eine unerlaubte Handlung verursachte Tod eines Nasciturus eine Haftung gem. § 844 Abs. 3 BGB begründen kann. a) Die Anspruchsberechtigung des Nasciturus gem. § 844 Abs. 3 BGB Eine mögliche Anspruchsberechtigung des Nasciturus meint die Entstehung eines eigenen Anspruchs auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB mit Vollendung der Geburt. Fraglich ist, ob durch die Tötung einer dem Nasciturus nahestehenden Person vor Vollendung der Geburt ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld begründet werden kann. Hiergegen bestehen begründete Bedenken, da zum einen zweifelhaft ist, ob ein Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB zwischen dem Getöteten und dem Nasciturus möglich ist. Selbst wenn man ein Näheverhältnis annähme, stellt sich die Frage, ob das neugeborene Kind seelisches Leid empfinden kann oder ein solches sogar ausnahmsweise durch das bestehende Näheverhältnis indiziert sein könnte. Neben dem Vorliegen der haftungsbegründenden Voraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB ist zu untersuchen, ob der Nasciturus von dem Schutzzweck des Hinterbliebenengeldes erfasst ist. aa) Der zivilrechtliche Schutz des Nasciturus Die Leibesfrucht ist vor Vollendung der Geburt gem. § 1 BGB nicht rechtsfähig. Daraus allein ergibt sich aber nicht zwingend die Antwort auf die Frage, ob auch für den Nasciturus zivilrechtliche Ansprüche entstehen können. Unter Umständen ist zwischen der Rechtsfähigkeit und der Verletzungsfähigkeit zu differenzieren.174 Auch wenn ein Mensch erst mit Vollendung der Geburt Inhaber von Rechten und Pflichten wird, stellt sich die Frage, ob Ansprüche aufgrund eine fremdverursachten Schädigung nicht auch schon vor Vollendung der Geburt begründet werden könnten. § 823 Abs. 1 BGB setzt die Verletzung eines „anderen“ voraus. Der Wortlaut legt nahe, dass die Haftung des Schädigers die Verletzung des Rechts eines Anderen voraussetzt.175 Dennoch werden dem Nasciturus im Zivilrecht passive Rechte zuerkannt.176 Dies wird entweder mit einer „extensiven Interpretation“ des Tatbestandsmerkmals „ein anderer“ oder mit der Differenzierung zwischen einer Ver173
Vgl. die Rechte des Nasciturus im Einzelnen BeckOGK/Behme, BGB § 1 Rn. 23 – 26.1. Staudinger/Hager, 2017, § 823 BGB Rn. B 42. 175 Schulze/Staudinger, § 823 BGB Rn. 9; Staudinger/Hager, 2017, § 823 BGB Rn. B 3. 176 §§ 1, 844 Abs. 2 S. 2, 1923 Abs. 2 BGB, § 10 Abs. 2 S. 2 StVG, vgl. Burmann/Heß/ Hühnermann/Jahnke/Jahnke, § 844 BGB Rn. 113, 195. 174
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
271
letzung im Rechtssinn und einer Verletzung im natürlichen Sinn gerechtfertigt.177 Hierzu ist insbesondere auch der Anspruch gem. § 844 Abs. 2 S. 2 BGB zu zählen, wonach dem Nasciturus bei Tötung seines Unterhaltspflichtigen ein Ersatzanspruch wegen entzogenen Unterhalts zusteht. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung einen Schadensersatzanspruch für den Fall anerkannt, dass der Nasciturus vor Vollendung der Geburt durch einen Dritten in seinen Rechtsgütern verletzt wird.178 Für einen Anspruch des Nasciturus aus § 823 Abs. 1 BGB begründet der BGH, dass der Rechtsgüterschutz durch § 823 Abs. 1 BGB zu erweitern sei, indem der Anspruch des Nasciturus schon vor Vollendung der Geburt begründet werden kann.179 Die Verletzung des Nasciturus durch den Schädiger würde deshalb mit der Vollendung der Geburt zur Verletzung des neugeborenen Kindes werden.180 Hierbei käme es aber auf den Schaden an, den das zur Welt gekommene Kind erleidet.181 Die Leibesfrucht sei identisch mit dem geborenen Kind und dazu bestimmt, als Mensch ins Leben zu treten. Das bürgerliche Recht würde das ungeborene Leben in zahlreichen Sonderbestimmungen schützen, sodass das werdende Leben auch haftungsrechtlich als verletzungsfähig zu behandeln sei. Ein lebend geborenes Kind sei als krank zu bezeichnen, wenn „(…) das Kind nicht die Gesundheit empfangen hat, die von Schöpfung und Natur für den lebenden Organismus eines Menschen vorausgegeben ist. (…)“182
Im Deliktsrecht wird dem ungeborenen Leben damit in Bezug auf Gesundheitsverletzungen der gleiche Schutz eingeräumt wie dem bereits geborenen Menschen.183 Die bisherige Anerkennung von zivilrechtlichen Ansprüchen des Nasciturus im Zivilrecht ist aber nicht ohne Weiteres auf den Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB übertragbar. Eine Anspruchsberechtigung des Nasciturus aufgrund des Verlusts eines Elternteils ergibt sich weder aus der Anspruchsberechtigung bei Unterhaltsschäden gem. § 844 Abs. 2 S. 2 BGB,184 noch aus der durch die Rechtsprechung angenommenen Aktivlegitimation bei Schockschäden.185 177
Fikentscher, Schuldrecht, S. 614; Staudinger/Hager, 2017, § 823 BGB Rn. B 42; Saerbeck, Beginn und Ende des Lebens, S. 56. 178 Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, § 844 BGB Rn. 116. 179 BGH Urt. v. 11. 01. 1972 – VI ZR 46/71, NJW 1972, 1126. Vgl. die Rechte des Nasciturus im Einzelnen BeckOGK/Behme, BGB § 1 Rn. 23 – 26.1. 180 BGH Urt. v. 11. 01. 1972 – VI ZR 46/71, NJW 1972, 1126. 181 BGH Urt. v. 11. 01. 1972 – VI ZR 46/71, NJW 1972, 1126. 182 BGH Urt. v. 14. 06. 1951 – III ZR 156/50O, BeckRS 1951, 31204755; BGH Urt. v. 20. 12. 1952 – II ZR 141/51, BGHZ 8, 243. 183 Zeising, Der Nasciturus im Zivilverfahren, S. 10. 184 So aber Huber/Kadner Graziano/Luckey/Huber, Hinterbliebenengeld, S. 44.
272
E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Die Aktivlegitimation eines Nasciturus wegen eines Schockschadens war Gegenstand einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1985, in der die mittelbare Schädigung der Leibesfrucht infolge einer psychischen Beeinträchtigung der Mutter bejaht wurde. Die Mutter hatte aufgrund der Nachricht von dem schweren Verkehrsunfall des Mannes einen Schock erlitten, der zu einer Minderdurchblutung der Placenta geführt hatte.186 Der Nasciturus litt von Geburt an unter einem Hirnschaden, der zu einer schweren körperlichen und geistigen Behinderung geführt hatte. Die Anspruchsberechtigung in dem durch den BGH entschiedenen Fall beruht jedoch auf einer vom Schock losgelösten körperlichen und gesundheitlichen Beeinträchtigung des Nasciturus. Zudem betraf die Entscheidung des BGH allein die Grundsätze der Zurechnung, die nicht auf den Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB übertragbar sind: Der BGH setzt sich mit der Frage auseinander, ob die durch die psychisch vermittelte Verletzung der Mutter hervorgerufene Beeinträchtigung der Leibesfrucht noch innerhalb des haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhangs liegt.187 Den Schockschaden hatte die Mutter und nicht der Nasciturus erlitten. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs des Unterhaltsanspruchs gem. § 844 Abs. 2 S. 2 BGB bringt zwar die gesetzgeberische Entscheidung zum Ausdruck, dass im Grundsatz auch der im Verletzungszeitpunkt gezeugte, aber noch nicht geborene Nasciturus anspruchsberechtigt für entgehenden Unterhalt ist. An einer solchen ausdrücklichen Bestimmung fehlt es aber für das Hinterbliebenengeld. Aufgrund der abweichenden Rechtsfolge einer immateriellen Entschädigung in § 844 Abs. 3 BGB kann der Anwendungsbereich des Unterhaltsanspruchs gem. § 844 Abs. 2 BGB nicht ohne weiteres auf das Hinterbliebenengeld übertragen werden. Während das Näheverhältnis als anspruchsbegründende Voraussetzung des Hinterbliebenengeldes auch rein tatsächliche Umstände ohne rechtliche Grundlage erfassen kann, beruht die mit der Vollendung der Geburt eintretende Unterhaltspflicht auf gesetzlichen Vorschriften. Zudem ist der Unterhaltsschaden als materieller Schaden eindeutig bezifferbar, während über das seelische Leid zum Zeitpunkt der Vollendung der Geburt im Verletzungszeitpunkt keine Angaben gemacht werden können. bb) Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB zwischen Nasciturus und Getötetem Der im Deliktsrecht bereits gewährte Schutz des Nasciturus wirft die Frage auf, ob sich dieser Schutz auch auf den Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB erstreckt. Für die Frage nach der Anspruchsberechtigung des Nasciturus kommt es darauf an, ob sich der haftungsbegründende Tatbestand des § 844 Abs. 3 BGB vor dem 185 186 187
BGH Urt. v. 05. 02. 1985 – VI ZR 198/83, NJW 1985, 1390. BGH Urt. v. 05. 02. 1985 – VI ZR 198/83, NJW 1985, 1390. BGH Urt. v. 05. 02. 1985 – VI ZR 198/83, NJW 1985, 1390.
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
273
Zeitpunkt der Vollendung der Geburt verwirklichen lässt. Die Rechtsprechung bejaht einen deliktsrechtlichen Anspruch des Nasciturus, wenn die Haftung begründet worden ist und mit der Geburt des Kindes auch der auf der Rechtsgutsverletzung beruhende Schaden eintritt.188 Gem. § 844 Abs. 3 BGB müsste ein besonderes persönliches Näheverhältnis zwischen dem Getöteten und dem Nasciturus bestanden haben. Es ist bereits ausgeführt worden, dass ein einseitiges Näheverhältnis für einen Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB grundsätzlich nicht genügt.189 Das Näheverhältnis muss zum Zeitpunkt der Verletzung vorgelegen haben. Fraglich ist deshalb, ob schon vor Vollendung der Geburt des Kindes ein Näheverhältnis angenommen werden kann. Hier könnte dem Nasciturus die Vermutungsregelung des § 844 Abs. 3 S. 2 BGB zugutekommen, wonach ein Näheverhältnis jedenfalls zu den Eltern bejaht werden könnte. Praktische Bedeutung hat die Frage insbesondere für den Vater, da die Mutter190 vor der Vollendung der Geburt gestorben sein müsste, damit es auf das Näheverhältnis zwischen Mutter und Nasciturus ankäme. Ein Näheverhältnis setzt jedoch grundsätzlich die Beziehung zwischen zwei lebenden Menschen voraus. Auch wenn man dabei die Ausführungen der Rechtsprechung berücksichtigt, nach denen der Nasciturus identisch mit dem später geborenen Kind sei, meint das Näheverhältnis keine rein formale Position, die automatisch mit der Geburt eintritt oder bereits vorher vorhanden ist. Die tatsächlich gelebte, persönliche Beziehung soll im Vordergrund stehen. cc) Seelisches Leid des neugeborenen Kindes Ließe man ein Näheverhältnis zwischen dem Nasciturus und dem Getöteten aufgrund der Vermutungsregelung in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB zu, stellte sich jedoch die Frage, ob mit Vollendung der Geburt seelisches Leid beim neugeborenen Kind als Schaden gem. § 844 Abs. 3 BGB festgestellt werden kann. Hiergegen könnte die fehlende Wahrnehmungsfähigkeit des neugeborenen Kindes sprechen, das unter Umständen den Verlust des Elternteils nicht versteht und deshalb auch keine Trauer empfindet. Der BGH hat in Fällen schwerster Hirnverletzung des Geschädigten, der dadurch seine geistigen Fähigkeiten und wesentlichen Sinnesempfindungen verloren hat, einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aufgrund der schadensbedingten
188 BGH Urt. v. 20. 12. 1952 – II ZR 141/51, NJW 1953, 417; BGH Urt. v. 11. 01. 1972 – VI ZR 46/71, NJW 1972, 1126. 189 Vgl. dazu Kap. E. II. 2. a) bb). 190 Vgl. zu der umstrittenen Frage, ob der Tod im Rechtssinn mit Eintritt des Hirntods anzunehmen ist: MüKoBGB/Spickhoff, § 1 Rn. 20; Staudinger/Hager, 2017, § 823 BGB Rn. B 1.
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Zerstörung der Persönlichkeit bejaht.191 Die hierzu ergangene Rechtsprechung kann allerdings für das neugeborene Kind nicht herangezogen werden, da das eingeschränkte Bewusstsein im Hinblick auf die Tötung eines Elternteils nicht auf eine Schädigung durch den Ersatzpflichtigen zurückzuführen ist, sondern nur auf dem gewöhnlichen Entwicklungsstand eines Neugeborenen beruht. Darüber hinaus fehlt es einem Neugeborenen nicht gänzlich an Empfindungs- und Wahrnehmungsfähigkeit.192 Mit der Vollendung der Geburt könnte man davon auszugehen, dass das geborene Kind in der Lage ist, negative Empfindungen aufgrund des Verlusts wahrzunehmen. Auch wenn ein neugeborenes Kind ebenso wie ein Kleinkind den Verlust des Elternteils nicht in gleicher Weise wie eine erwachsene Person wahrnimmt, bemerkt das Kind womöglich das Fehlen der Bezugsperson. Es ist aber dennoch zweifelhaft, ob solche negativen Empfindungen vom Schutzzweck des § 844 Abs. 3 BGB umfasst sind. Würde man die Fähigkeit des Nasciturus, seelisches Leid zu empfinden annehmen, käme eine Anspruchsberechtigung in Betracht: Abzustellen wäre dann allein auf die formale Position des Nasciturus als Kind des Getöteten. Das Kind des Getöteten gehört zum privilegierten Personenkreis gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB, sodass das Abstellen allein auf die formale Position möglich erscheint. Das seelische Leid wäre dann ab dem Zeitpunkt der Vollendung der Geburt als indiziert anzusehen.193 Das seelische Leid ist anhand von objektiven Kriterien festzustellen.194 Die objektive Bewertung erfolgt durch die Beurteilung des Näheverhältnisses. Aufgrund der objektiven Bewertung des seelischen Leids bedarf es keiner konkreten Verhaltensweisen, die auf ein seelisches Leid schließen lassen. Kann ein Näheverhältnis bejaht werden, ist das Vorliegen von seelischem Leid anzunehmen, ohne dass es auf eine bestimmte Erscheinungsform ankommt.195 dd) Die Einbeziehung des Nasciturus in den Schutzbereich des Hinterbliebenengeldes Neben den Voraussetzungen des Anspruchs gem. § 844 Abs. 3 BGB müsste es dem Sinn und Zweck der Anspruchsnorm entsprechen, dass auch der Nasciturus vom Anwendungsbereich erfasst wird. Auch wenn auf Rechtsfolgenseite der Ausgleich des seelischen Leids bezweckt wird, schützt § 844 Abs. 3 BGB mittelbar das 191
BGH Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91, NJW 1993, 781; OLG Düsseldorf Urt. v. 15. 06. 2000 – 8 U 147/99, VersR 2001, 1384. Vgl. zur früheren Rspr. des BGH aufgrund fehlender Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit: Kap. C. III. 3. 192 Vgl. zum Schmerzempfinden und der Leidensfähigkeit eines Fötus: Dolderer, Menschenwürde und Spätabbruch, S. 12 ff., hierbei geht es aber um physische Schmerzen. 193 Vgl. so auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/11397, S. 14. 194 Dazu näher Kap. E. III. 3. 195 Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2645), der formuliert, dass die Nähebeziehung zum verstorbenen Elternteil psychologisch und sozial vorgegeben sei; a. A.: Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (411); Steenbruck, in: r+s 2017, S. 449 (451).
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
275
Leben.196 Hierfür könnte es angezeigt sein, den Anwendungsbereich um den Schutz des ungeborenen Lebens zu erweitern, indem der Schutz des Lebens vorverlagert wird.197 Zu fragen ist deshalb, ob die beim Getöteten eingetretene Rechtsgutsverletzung ausreichend ist, um einen vorverlagerten Schutz zugunsten des ungeborenen Kindes durch § 844 Abs. 3 BGB vorzusehen. Der Haftungsgrund des Hinterbliebenengeldes wird in dieser Untersuchung in dem in der Ausgleichsfunktion enthaltenen Gedanken der Rechtsfortsetzung gesehen.198 Der Ausgleich der Verletzung Leben ist nicht möglich, sodass sich der Schutz des Lebens in dem Anspruch des Hinterbliebenen fortsetzt. Dieser mittelbare Lebensschutz würde zwar eingeschränkt werden, wenn der Anspruch für einen Nasciturus versagt werden würde. Einen Anspruch aufgrund der Lebensverletzung können aber andere Hinterbliebene geltend machen, sodass der Lebensschutz durch die Versagung der Anspruchsberechtigung des Nasciturus jedenfalls nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Die Frage, welcher Schutzumfang dem Nasciturus im Zivilrecht zukommt, hat für die Anspruchsberechtigung des Nasciturus in Bezug auf das Hinterbliebenengeld keine Relevanz. Anders als im Rahmen des deliktsrechtlichen Schutzes gem. § 823 Abs. 1 BGB, fehlt es beim Hinterbliebenengeldanspruch an einer Beeinträchtigung des Nasciturus. Zu schützen ist primär der Getötete und nicht der Anspruchsteller. Zudem kann das Hinterbliebenengeld nur abstrakt einen Ausgleich für die Tötung durch die Berücksichtigung des Hinterbliebenen leisten. Die Bedeutung des zivilrechtlichen Ausgleiches ist nicht vergleichbar mit dem grundrechtlich gewährleisteten Schutz des Lebens sowie des ungeborenen Lebens.199 ee) Zwischenergebnis Schon die Frage, ob ein Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB zwischen dem Getöteten und einem Nasciturus vorliegen kann, konnte nicht zweifelsfrei beantwortet werden. Ein Schaden in Form von seelischem Leid kann für den Nasciturus nur dann angenommen werden, wenn der Schaden objektiv anhand des Näheverhältnisses bejaht wird. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass keine konkreten Anforderungen an die Wahrnehmungsfähigkeit zu stellen sind, um seelisches Leid zu bejahen, sodass der Eintritt eines Schadens zum Zeitpunkt der Vollendung der Geburt und bei Vorliegen eines Näheverhältnisses denkbar ist. Allerdings ist eine Ausweitung des Hinterbliebenengeldanspruchs auch auf den Nasciturus nicht vom
196
Vgl. zur Ausgleichsfunktion des Hinterbliebenengeldes Kap. D. II. Vgl. so für den Anspruch des Nasciturus gem. § 823 Abs. 1 BGB Schulze/Staudinger, § 823 BGB Rn. 9. 198 Vgl. näher dazu Kap. D. II. 199 Schramm, Haftung für Tötung, S. 317 f. 197
276
E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Schutzzweck des Ausgleichs gedeckt, sodass eine Anspruchsberechtigung des Nasciturus gem. § 844 Abs. 3 BGB abzulehnen ist.200 b) Die Anspruchsberechtigung im Falle der Tötung des Nasciturus gem. § 844 Abs. 3 BGB Auch an einem Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB aufgrund der Tötung einer Leibesfrucht bestehen Bedenken.201 Die Rechtsprechung erkennt den Nasciturus als „anderer“ i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB an.202 Der haftungsbegründende Tatbestand des § 844 Abs. 3 BGB setzt das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ersatzpflicht gegenüber dem Getöteten voraus. Laut Rechtsprechung wäre der Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB durch die Tötung des Nasciturus aufgrund einer unerlaubten Handlung erfüllt. Die für § 844 Abs. 3 BGB erforderliche Ersatzpflicht würde damit vorliegen. Dabei stützt der BGH seine Begründung aber insbesondere auf der Verletzung des Nasciturus, der zu einem späteren Zeitpunkt lebend geboren wird. Die Rechtsprechung bezieht sich auf den Eintritt eines Schadens nach Vollendung der Geburt. Es sei ausreichend, dass der Nasciturus zunächst eine Verletzung im natürlichen Sinne erleide und erst bei Geburt auch eine Verletzung im Rechtssinne vorliege.203 Zu dieser Verletzung im Rechtssinne kommt es aber nicht, wenn der Nasciturus bereits vor Vollendung der Geburt verstirbt. So wird auch der Schadensersatzanspruch des Nasciturus gem. § 823 Abs. 1 BGB mit der Einschränkung bejaht, dass der Anspruch für den Nasciturus erst mit Vollendung seiner Geburt entsteht. Wird der Nasciturus aufgrund der Tötung nicht lebend geboren, tritt die Rechtsfähigkeit des Nasciturus nicht ein.204 Dies entspricht der Begründung für den deliktsrechtlichen Schutz des Nasciturus, dass die Leibesfrucht mit dem menschlichen Leben identisch sei. Durch die Tötung des Nasciturus kann das menschliche Leben jedoch nicht entstehen. 200 Ebenso OLG München Urt. v. 05. 08. 2021 – 24 U 5354/20; Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 244, wonach die Anspruchsberechtigung des Nasciturus, schwer geistig Behinderter, Kleinkinder und Säuglingen aufgrund der fehlenden Wahrnehmungsfähigkeit abzulehnen sei. Der Umstand, dass ein Kind als Halb-/Vollwaise aufwächst, sei ein andersartiges Leid im Sinne eines „Existenzschadens“, der nicht über § 844 Abs. 3 BGB ersatzfähig sei; Bredemeyer, in: ZEV 2017, S. 690 (693); Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/ Jahnke, § 844 BGB Rn. 143; Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (406); Lang/Bucka, in: DAR 2020, S. 445 (447); Steenbuck, in: r+s 2017, S. 449 (451). A. A.: Huber, in: FS Schwintowski, S. 920 (941); Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2645). 201 Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, § 844 BGB Rn. 195; a. A.: Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 245; Huber/Kadner Graziano/Huber, Hinterbliebengeld, S. 45. 202 BGH Urt. v. 20. 12. 1952 – II ZR 141/51, NJW 1953, 417. 203 Staudinger/Hager, 2017, § 823 BGB Rn. B 42. 204 BeckOGK/Behme, BGB § 1 Rn. 19; BGH Urt. v. 11. 01. 1972 – VI ZR 46/71, NJW 1972, 1126; BGH Urt. v. 03. 05. 1995 – XII ZR 29/94, NJW 1995, 2028.
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
277
Wenn der Nasciturus durch die Verletzungshandlung eine Körper- oder Gesundheitsverletzung davongetragen hat, die erst nach seiner Geburt zum Tod führt, kommt es für die Beurteilung des Nasciturus auf die haftungsbegründenden Voraussetzungen gem. § 844 Abs. 3 BGB an. Würde man den haftungsbegründenden Tatbestand schon mit der Körperverletzung als erfüllt ansehen, wäre zu entscheiden, ob auch bei einem Nasciturus die Körperverletzung bejaht werden kann und der Schädiger deshalb gem. § 844 Abs. 3 BGB haftet. Nach der hier vertretenen Auffassung ist der haftungsbegründende Tatbestand des § 844 Abs. 3 BGB aber erst mit Eintritt des Todes erfüllt, sodass es auf die frühere Körperverletzung nicht ankommt.205 Wenn der Tod erst nach Vollendung der Geburt eintritt, stellt sich die Frage nach der Haftung für den Nasciturus nicht. Es besteht dann ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB aufgrund der Tötung eines Kindes. Zu berücksichtigen ist aber auch hier der Sinn und Zweck des Hinterbliebenengeldes gem. § 844 Abs. 3 BGB. Die Begründung, mit der eine Anspruchsberechtigung des Nasciturus abgelehnt wurde, könnte im Falle der Tötung des Nasciturus für das Bedürfnis einer Erweiterung des Anwendungsbereichs des Hinterbliebenengeldes sprechen. Nach Sinn und Zweck des Hinterbliebenengeldes kommt es auf die Verletzung des Getöteten an, der in diesem Fall der Nasciturus wäre. Der deliktsrechtlich gewährte Schutz des Nasciturus im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB, der aus dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz des ungeborenen Lebens gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG resultiert, könnte einen mittelbar gewährleisteten Lebensschutz auch durch § 844 Abs. 3 BGB erforderlich machen. Verfassungsrechtlich wird der Nasciturus als Schutzgut des menschlichen Lebens angesehen.206 Laut Bundesverfassungsgericht müsse die Rechtsordnung deshalb ein eigenes Lebensrecht des ungeborenen Lebens gewährleisten: „(…) Jedenfalls in der so bestimmten Zeit der Schwangerschaft handelt es sich bei dem Ungeborenen um individuelles, in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben, das im Prozeß des Wachsens und Sich-Entfaltens sich nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt. (…).207
Grundsätzlich kann der verfassungsrechtlich garantierte Schutz des ungeborenen Lebens zwar auch durch das Zivilrecht erreicht werden.208 Insbesondere im Strafrecht existiert aber bereits ein hohes Schutzniveau durch Strafandrohungen bei Gefährdung von Leib und Leben.209 Speziell das ungeborene Leben wird im Strafrecht durch § 218 StGB geschützt, wonach der Schwangerschaftsabbruch unter 205
Vgl. hierzu Kap. E. II. Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 GG Rn. 27. 207 BVerfG Urt. v. 25. 02. 1975 – 1 BvF 1 6/74, NJW 1975, 573; BVerfG Urt. v. 28. 05. 1993 – 2 BvF 2/90, NJW 1993, 1751. 208 Staudinger/Hager, 2017, § 823 BGB Rn. B 42. 209 Schramm, Haftung für Tötung, S. 310. 206
278
E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Strafe gestellt wird. So beziehen sich auch die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zum ungeborenen Leben auf Schutzvorkehrungen durch strafrechtliche Sanktionen, um der Schutzpflicht vorrangig durch die Verhinderung der Lebensverletzung nachzukommen.210 Der Schutz durch einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch ist deshalb sowohl im Hinblick auf das menschliche Leben als auch für das ungeborene Leben nicht zwingend geboten.211 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass es sich bei einem Entschädigungsanspruch wie § 844 Abs. 3 BGB nur um nachträglichen zivilrechtlichen Rechtsschutz handelt.212 Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Hinterbliebenengeldanspruchs ist daher aus den gleichen Gründen wie für die Frage der Anspruchsberechtigung des Nasciturus abzulehnen. Der Tötung des Primärverletzten wird mithilfe der Anerkennung des Hinterbliebenen durch ein Hinterbliebenengeld Rechnung getragen. Zum Schutz des menschlichen Lebens kann der Hinterbliebenengeldanspruch nur einen Beitrag leisten, der nicht mit dem verfassungsrechtlichen Schutzumfang zu vergleichen ist. Wenn schon durch das Hinterbliebenengeld nur mittelbarer Lebensschutz ermöglich wird, erstreckt sich der Schutz erst recht nicht auch auf das ungeborene Leben. Eine Erweiterung des Anspruchs gem. § 844 Abs. 3 BGB auf den getöteten Nasciturus würde zudem der restriktiven Anwendung des Hinterbliebenengeldes widersprechen. Getöteter i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB kann deshalb kein Nasciturus sein.213 c) Zwischenergebnis Der Haftungsgrund des Hinterbliebenengeldes spricht für einen restriktiven Anwendungsbereich der selbstständigen Anspruchsgrundlage.214 Nach der hier vorgenommenen Wertung begründet § 844 Abs. 3 BGB nur deshalb einen Anspruch des Hinterbliebenen, weil dem Getöteten selbst aufgrund der Lebensverletzung kein Anspruch und damit kein Ausgleich mehr zustehen kann. Diese Auslegung der dem Schadensersatzrecht zugrunde liegenden Ausgleichsfunktion führt dazu, dass ein Hinterbliebenengeldanspruch des Nasciturus selbst und auch ein Hinterbliebenen210
Vgl. zur Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs: BVerfG Urt. v. 25. 02. 1975 – 1 BvF 1 6/74, NJW 1975, 573; BVerfG Urt. v. 28. 05. 1993 – 2 BvF 2/90, NJW 1993, 1751. 211 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Umfang der Schutzpflicht gem. Art. 2 Abs. 2 GG würde im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu weit führen, vgl. aber zum Erfordernis eines Schadensersatzanspruchs zum Schutz des Lebens Schramm, Haftung für Tötung, S. 315 ff. 212 Vgl. Schramm, Haftung für Tötung, S. 311. 213 A. A.: Bergmann, Hinterbliebenengeld, S. 108, von der „Tötung eines Menschen“ sei auch der Nasciturus erfasst, hierfür spräche der Zweck des Hinterbliebenengeldes, da es andernfalls vom Zufall abhänge, ob Hinterbliebenengeld gewährt werden kann, wenn die Tötung nach der Geburt des Kindes erfolgte. 214 Vgl. dazu Kap. E. I.
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
279
geldanspruch aufgrund der Tötung eines Nasciturs nach Sinn und Zweck des Hinterbliebenengeldes abzulehnen sind. 4. Die Vererbbarkeit des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld ist nicht höchstpersönlich und deshalb übertragbar und vererbbar.215 Wie beim immateriellen Schadensersatzanspruch auch ist eine vertragliche Anerkennung oder Rechtshängigkeit des Anspruchs zu Lebzeiten des Erblassers nicht erforderlich.216 Dem Hinterbliebenengeld kommt keine Genugtuungsfunktion zu. Die Frage, inwiefern der Zweck der Genugtuung bei Geltendmachung durch den Erben noch erreicht werden kann, ist für das Hinterbliebenengeld nicht relevant. Erforderlich ist die Verwirklichung des haftungsbegründenden Tatbestands von § 844 Abs. 3 BGB zu Lebzeiten des Erblassers. Dies hätte zur Folge, dass Kinder, die bei einem Unfall ihre Eltern verloren haben, nicht nur selbst einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld geltend machen können, sondern zusätzlich noch den Hinterbliebenengeldanspruch der Eltern erben, die selbst einen Hinterbliebenengeldanspruch aufgrund des Verlustes des anderen Ehegatten gehabt hätten.217 Im Ergebnis wären dann drei Hinterbliebenengeldansprüche des Kindes gegen den Schädiger möglich: zwei eigene Ansprüche aufgrund der Tötung beider Elternteile und ein geerbter Anspruch des Elternteils, das noch gelebt hat, als das erste Elternteil gestorben ist. Dies ist insofern konsequent, als dass dem Kind ebenso ein Schaden entstanden ist wie dem verstorbenen Ehegatten. Allerdings hat dies zur Folge, dass zwei Hinterbliebenengeldansprüche auf der gleichen Rechtsgutsverletzung beruhen: sowohl der Anspruch des Vaters bzw. der Mutter als auch einer der beiden Ansprüche des Kindes beruhen auf der Tötung des Vaters bzw. der Mutter. Zum anderen hat der Vater aufgrund der möglicherweise kurzen Zeit bis zum eigenen Tod seelisches Leid aufgrund der getöteten Ehefrau in tatsächlicher Hinsicht nicht empfunden. Bei konsequenter Berücksichtigung des Näheverhältnisses müssen dem Kind aber alle drei Ansprüche auf Hinterbliebenengeld zustehen. Der geerbte Anspruch beruht auf dem Verlust des Ehegatten, sodass der Erblasser zum Getöteten ein anderes Näheverhältnis aufweisen kann als das erbende Kind. Das Gleiche gilt für die beiden voneinander zu unterscheidenden Näheverhältnisse gegenüber den Elternteilen. 215 So auch BT-Drs. 18/11397, S. 12; BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 224; MüKoBGB/Leipold, § 1922 Rn. 76; BeckOGK/Preuß, BGB § 1922 Rn. 208; BeckOK BGB/ Spindler, BGB § 844 Rn. 45; Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2646). 216 Steenbuck, in: r+s 2017, S. 449 (452); Wagner, in: NJW 2017, S. 2641 (2646); a. A.: Balke, in: SVR 2018, S. 207 (211); Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (413). Vgl. zum immateriellen Schadensersatzanspruch MüKoBGB/Leipold, § 1922 Rn. 73. 217 BeckOGK/Eichelberger, BGB § 844 Rn. 224.
280
E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Auf haftungsausfüllender Ebene wird der Ausgleich des seelischen Leids bezweckt, sodass das Leid der einzelnen nahestehenden Person zu berücksichtigen ist. Ein anderes Ergebnis ist nur denkbar, wenn man für die Feststellung des Schadens i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB auf die tatsächliche Beeinträchtigung des Erblassers abstellen würde. Dann könnte sich die Dauer der Beeinträchtigung negativ auf die Bemessung der Entschädigung auswirken.218 Der BGH hatte in seiner Entscheidung einen immateriellen Entschädigungsanspruch des Verstorbenen abgelehnt, weil die immaterielle Beeinträchtigung durch die Körperverletzung nicht von dem alsbald eingetretenen Tod abgrenzbar war. Die Körperverletzung stellte in dieser Konstellation das Zwischenstadium bis zum Tod dar.219 Die Entscheidung des BGH kann aber nicht auf den Anspruch auf immaterielle Entschädigung aus § 844 Abs. 3 BGB übertragen werden. Hier kann sich zwar auch in Einzelfällen die Frage stellen, in welchem Ausmaß der Erblasser bis zum Eintritt des Todes tatsächlich seelisches Leid erlitten hat, wenn der Eintritt des Todes in kurzem zeitlichen Abstand auf den Tod der nahestehenden Person folgte. Das seelische Leid ist aber als haftungsausfüllende Voraussetzung des § 844 Abs. 3 BGB mit Eintritt des Todes als indiziert anzusehen.220 Darüber hinaus ist die Bemessung der Entschädigung gem. § 844 Abs. 3 BGB nicht anhand des konkret eingetretenen Schadens vorzunehmen, Maßstab ist das Näheverhältnis zwischen der getöteten Person und dem Erblasser. Etwas Anderes könnte sich nur daraus ergeben, dass der Gesetzgeber die Gewährung der verschiedenen Hinterbliebenengeldentschädigungen an das Kind nicht gesehen und deshalb nicht beabsichtigt hat. Man könnte etwa eine teleologische Reduktion dahingehend erwägen, dass ein Kind, dessen Eltern nacheinander sterben, für beide Elternteile nur einen eigenen Hinterbliebenengeldanspruch und nicht zwei Ansprüche geltend machen darf. Denkbar wäre hierbei eine Erhöhung der Entschädigung aufgrund eines ausnahmsweise hohen Schadensumfangs, weil beide Elternteile gestorben sind. Dies würde jedoch im Ergebnis dazu führen, dass das Kind regelmäßig eine geringere Entschädigung erhält, als wenn drei nebeneinanderstehende Hinterbliebenengeldansprüche geltend gemacht werden. Haftungsgrund des § 844 Abs. 3 BGB ist der Ausgleich der Lebensverletzung, die unabhängig davon eintritt, für welche Zeitspanne der Hinterbliebene seelisches Leid empfindet. Auf haftungsausfüllender Ebene ist der Ausgleich des seelischen Leids bezweckt, das je nach Näheverhältnis unterschiedlich zu beurteilen ist. Es ist nicht ersichtlich, weshalb mehrere Hinterbliebene aufgrund der Tötung einer Person jeder einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld haben sollen, während der Hinterbliebene, der zwei nahestehende Personen verliert, auf einen Anspruch zu beschränken ist.
218 Vgl. so für den immateriellen Schadensersatz: BGH Urt. v. 12. 05. 1998 – VI ZR 182/97, NJW 1998, 2741. 219 BGH Urt. v. 12. 05. 1998 – VI ZR 182/97, NJW 1998, 2741. 220 Vgl. dazu bereits in Kap. B. IV.
II. Die Voraussetzungen auf haftungsbegründender Ebene
281
Darüber hinaus bejaht auch die Gesetzesbegründung die Vererbbarkeit des Hinterbliebenengeldanspruchs.221 Der Sinn und Zweck des Hinterbliebenengeldes gibt daher keinen Anlass für eine teleologische Reduktion bei mehreren Hinterbliebenengeldansprüchen eines Anspruchstellers. Dies führt im Ergebnis dazu, dass ein Kind u. U. einen Anspruch des Erblassers auf Hinterbliebenengeld und selbst zwei Ansprüche aufgrund der verstorbenen Eltern geltend machen kann, diese drei Ansprüche sind zu addieren.222 Das Addieren führt keinen den Ausgleich übersteigenden Entschädigungsbetrag herbei, da sich die Grenze des Ausgleichs auf den jeweiligen auszugleichenden Schaden bezieht. Darüber hinaus ist die hier vorgeschlagene Maßgabe zu berücksichtigen, dass die Höhe der einzelnen Entschädigung gem. § 844 Abs. 3 BGB den Betrag für einen erlittenen Schockschaden in der Regel unterschreitet. Die Summierung der Ansprüche führt damit zu keinem widersprüchlichen Ergebnis. 5. Zwischenergebnis Die in Kapitel E. I. dargestellten Besonderheiten des Hinterbliebenengeldanspruchs als Anspruch eines Dritten auf immaterielle Entschädigung haben die Konkretisierung der anspruchsbegründenden Voraussetzungen gem. § 844 Abs. 3 BGB unter besonderer Berücksichtigung des gebotenen restriktiven Anwendungsbereichs erforderlich gemacht. Zunächst ist der Eintritt des Todes der nahestehenden Person als haftungsbegründende Voraussetzung gem. § 844 Abs. 3 BGB bewertet worden. Zudem bedarf es einer systematischen Prüfung des besonderen persönlichen Näheverhältnisses i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB als entscheidende Anspruchsvoraussetzung auf haftungsbegründender Ebene. Die grundlegenden Kriterien dieser Prüfung müssen geeignet sein, trotz Berücksichtigung individueller Umstände für möglichst viele verschiedene Anspruchssituationen ein gerechtes und einheitliches Ergebnis zu erreichen. Dies kann durch die hier vorgeschlagene Drei-Stufen-Prüfung gewährleistet werden. Nicht zuletzt aufgrund der dem Hinterbliebenengeld zugrunde liegenden Lebensverletzung und dem damit verbundenen Risiko der Bewertung von Leben, sind Ansprüche eines Nasciturus sowie Ansprüche aufgrund der Tötung eines Nasciturus abzulehnen.
221
BT-Drs. 18/11397, S. 12. Ebenso Huber/Kadner Graziano/Luckey/Huber, Hinterbliebenengeld, S. 50; Bergmann, Hinterbliebenengeld, S. 206; a. A.: Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (413). 222
282
E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
III. Die Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung gem. § 844 Abs. 3 BGB auf haftungsausfüllender Ebene Für die Funktion des Hinterbliebenengeldes auf haftungsausfüllender Ebene ist allein der Ausgleichsgedanke heranzuziehen.223 Im Fokus steht auf haftungsausfüllender Ebene der Ausgleich des seelischen Leids. Das durch § 823 Abs. 1 BGB geschützte Rechtsgut Leben erfährt durch die Anordnung der Hinterbliebenenentschädigung als Rechtsfolge zumindest mittelbaren Lebensschutz, ohne dass hierbei eine Bewertung des Lebens erfolgt.224 Trotz der Inkommensurabilität von Gefühlsschäden kann im Sinne des Ausgleichsgedanken keine Rechtsgutsverletzung des Anspruchstellers bei der Bemessung herangezogen werden. Durch die Schaffung des Anspruchs in § 844 Abs. 3 BGB hat der Gesetzgeber zunächst nur die bereits getroffene Grundentscheidung fortgesetzt, dass die Tötung eines Menschen auch zivilrechtliche Rechtsfolgen haben kann.225 Aufgrund des Todeseintritts besteht keine ausgleichsfähige Beeinträchtigung des Getöteten mehr. Die Beendigung des zu Lebzeiten bestehenden Näheverhältnisses ist aber unmittelbare Folge der Verletzung des Rechtsguts Leben. Es bedarf deshalb für einen solchen Anspruch keiner konstruierten Verletzung eines Rechtsguts des Hinterbliebenen, da sich in seiner Person lediglich die Verletzung des Getöteten fortsetzt und durch das fehlende Näheverhältnis und die damit verbundene Trauer zum Ausdruck kommt. Dies führt dazu, dass zwar auf haftungsbegründender und haftungsausfüllender Ebene der Ausgleich im Vordergrund steht. Weil der Ausgleich im Rahmen der Haftungsbegründung aber nur durch Rechtsfortsetzung erreicht werden kann, ist der Ausgleich des seelischen Leids auf haftungsausfüllender Ebene nicht am Ausgleich des beeinträchtigten Rechtsguts festzumachen. Außerhalb der Ausnahmeregelung des Hinterbliebenengeldes gilt der Unmittelbarkeitsgrundsatz des Deliktsrechts, sodass die Bemessung des seelischen Leids Einschränkungen unterliegt. Zur Bemessung kann deshalb ausschließlich das besondere persönliche Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB herangezogen werden. Dem Hinterbliebenengeld kommt gerade keine Genugtuungs- oder Präventionsfunktion zu, sodass die Bemessungsgrundsätze des immateriellen Schadensersatzrechts nicht übertragbar sind. Dies ist Ausdruck des Hinterbliebenengelds als Anspruch sui generis, der sich für den Umfang des eingetretenen Schadens ausschließlich anhand des Näheverhältnisses orientieren kann. Zudem stellt dies die Folge der fehlenden Rechtsgutsverletzung als Maßstab der Beeinträchtigung und der gerade nicht erforderlichen Krankheitswertgrenze für die Bestimmung von seelischem Leid dar. Sobald sich das seelische Leid beim Hinterbliebenen durch psychische oder physische Störungen äußert, fällt der Hinterbliebene aufgrund der eigenen Rechtsgutsverletzung in den Schutzbereich des § 823 BGB. Wenn es also für 223
Vgl. dazu im Einzelnen Kap. D. II. 3. So formuliert durch Schramm, Haftung für Tötung, S. 421. 225 BeckOK BGB/Förster, BGB § 823 Rn. 106; Schramm, Haftung für Tötung, S. 22 ff.; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 165. 224
III. Hinterbliebenengeldentschädigung auf haftungsausfüllender Ebene
283
den Umfang des seelischen Leids i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB nicht vorrangig auf das Vorliegen eines Krankheitswerts ankommt, fehlt es an Kriterien, die eine Differenzierung des erlittenen seelischen Leids ermöglichen. Unzulässig ist die Beurteilung der konkreten Bedeutung des Verlusts für den Hinterbliebenen. Eine solche Beurteilung würde zu einer Bewertung des Verlusts und damit zu einer Bewertung des Lebens führen. Durch die Anknüpfung an das Näheverhältnis ist eine Berücksichtigung der Rechtsgutsverletzung Leben möglich, ohne dass eine konkrete Bewertung des Verlustes erfolgt. Gleichzeitig kann damit die Inkommensurabilität von Gefühlsschäden berücksichtigt werden, in dem keine Überlegungen z. B. zum Ausgleich von entgangener Lebensfreude angestellt werden, sondern das Näheverhältnis als objektiver Maßstab herangezogen wird, um einen Ausgleich für die Beendigung des Näheverhältnisses zu erreichen. Hierfür ist an eine ähnliche Gruppenbildung226 wie bei den Schmerzensgeldtabellen zu denken, die die verschiedenen Erscheinungsformen einer Beziehung zum Inhalt hat. Für die verschiedenen Beziehungsformen sind Ausgangswerte zu nennen, von denen je nach den einzelnen Umständen abgewichen werden kann. Hierbei handelt es sich gerade nicht um Pauschalbeträge, der Gesetzgeber sieht für § 844 Abs. 3 BGB ausdrücklich eine Ermessensentscheidung vor. Die Entschädigungspflicht umfasst einen Betrag, der zur Beseitigung der entstandenen Nachteile erforderlich ist.227 Der beim Anspruch gem. § 844 Abs. 3 BGB eingetretene Nachteil in Form von seelischem Leid ist anhand des Näheverhältnisses zu beurteilen. Das Näheverhältnis entscheidet über den Umfang des seelischen Leids und damit über den Umfang des immateriellen Schadens. Zwar ist grundsätzlich zwischen der Bestimmung des Umfangs des immateriellen Schadens und der Entschädigung, die unter Umständen weitere Faktoren berücksichtigt, zu unterscheiden.228 Die Angemessenheit der Entschädigung ist dabei im Sinne der Billigkeit gem. § 253 Abs. 2 BGB als Öffnungsklausel zu verstehen, die grundsätzlich die Berücksichtigung weiterer Umstände zulässt. Diese bedürfen aber einer eigenständigen Begründung.229 Weil dem Hinterbliebenengeld aber gerade keine Genugtuungsfunktion zukommt, bildet die Höhe des Schadens die Obergrenze für die Höhe der Entschädigung.230 Anhand des Näheverhältnisses ist allein der immaterielle Schaden in Form von seelischem Leid zu bewerten. Je nach Qualität des Näheverhältnisses, kann die Höhe des Schadens aber variieren. Weitere, über das Näheverhältnis hinausgehende Bemessungskriterien können nur dann berücksichtigt werden, wenn sich diese auf 226
S. 55. 227
So der Vorschlag von Huber/Kadner Graziano/Luckey/Huber, Hinterbliebenengeld,
Jaeger, in: FS Lorenz, S. 377. Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 73. 229 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 128, 144; Müller, Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 43. 230 So auch für den immateriellen Schadensersatz, vgl. Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 126. 228
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
die Höhe des Schadens auswirken, da sich die Höhe der Entschädigung ausschließlich nach der Höhe des Schadens richtet. Die durch § 844 Abs. 3 BGB vorausgesetzte Angemessenheit der Entschädigung wird durch die Bestimmung des Schadens anhand des Näheverhältnisses ausreichend berücksichtigt: Der Ausgleich eines immateriellen Schadens ist nicht ohne weiteres möglich, sodass die Einbeziehung des Näheverhältnisses eine geeignete Möglichkeit darstellt, der Objektivierung des immateriellen Schadens einerseits und der Berücksichtigung von individuellen Umständen andererseits gerecht zu werden. Ob neben dem Näheverhältnis weitere Umstände zu berücksichtigen sind, die im Sinne des Ausgleichsgedankens zu einer Erhöhung oder Verringerung der Entschädigung führen, ist im Folgenden zu untersuchen. 1. Die Berücksichtigung des Verhältnisses zum Schockschaden bei der Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung Das Verhältnis zwischen dem neuen Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB und dem immateriellen Schadensersatzanspruch aufgrund eines Schockschadens gem. § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB hat Relevanz für die Bemessung der Entschädigung des Hinterbliebenengeldes. Aufgrund der durch § 844 Abs. 3 BGB bestehenden eigenständigen Anspruchsgrundlage für den Ausgleich seelischen Leids ist auch eine vom Schockschaden zunächst unabhängige Bemessung der Entschädigung vorzunehmen. Allerdings ist die Rechtsprechung zu Schockschäden bei der Bemessung zu berücksichtigen, da die für Schockschäden gewährten Entschädigungsbeträge einen ersten Anhaltspunkt liefern können.231 Für eine Berücksichtigung der Entschädigungsbeträge ist aber zu klären, inwiefern die Hinterbliebenengeldentschädigung hinter der immateriellen Entschädigung gem. § 253 Abs. 2 BGB zurückbleibt oder ob ein verschärfter Haftungsgrund des Hinterbliebenengeldes höhere Entschädigungsbeträge erfordert. a) Von der Schockschaden-Rechtsprechung abzugrenzender Haftungsgrund Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB steht nach den bisherigen Erkenntnissen neben einem Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aufgrund eines Schockschadens.232 Durch die verschiedenen Zielrichtungen dieser beiden Ansprüche besteht nicht die Gefahr einer Doppelentschädigung.233 Der Ersatz für einen Schockschaden durch die eigene Rechtsgutsverletzung des Hinterbliebenen 231
Vgl. so auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/11397, S. 11. Vgl. dazu in Kap. E. I. 2.; so auch Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 276; Staudinger, in: DAR 2019, S. 601 (602). A. A.: Burmann/Jahnke, in: NZV 2017, S. 401 (407); Lang/Bucka, in: DAR 2020, S. 445 (450); Steenbuck, in: r+s 2017, S. 449 (452). 233 So die Bezeichnung durch Huber/Kadner Graziano/Luckey/Huber, Hinterbliebenengeld, S. 72. 232
III. Hinterbliebenengeldentschädigung auf haftungsausfüllender Ebene
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beruht auf einem anderen Haftungsgrund. Im Rahmen des Schockschadens ist die eigene Körper- und Gesundheitsverletzung des Hinterbliebenen ersatzfähig. Der immaterielle Schaden beruht auf den Schmerzen und Leiden, die durch die körperliche Beeinträchtigung des Hinterbliebenen hervorgerufen wurden.234 Das Hinterbliebenengeld entschädigt das seelische Leid, das auf dem Verlust des Getöteten als Haftungsgrund beruht. Von unterschiedlichen Zielrichtungen beider Ansprüche kann nur dann ausgegangen werden, wenn die Entschädigung aufgrund eines Schockschadens nicht auch das seelische Leid aufgrund des Verlusts mit entschädigt. Die Anforderungen an die Ersatzfähigkeit eines Schockschadens sprechen jedoch nicht zwingend gegen eine Berücksichtigung der durch den Tod verursachten Trauer.235 Eine Berücksichtigung der Trauer bei der Berechnung des Schockschadens würde dazu führen, dass der Anspruch auf Hinterbliebenengeld nicht eigenständig daneben stehen könnte, sondern im Sinne des Ausgleichsgedankens eine Anrechnung in Höhe der schon durch den Schockschaden berücksichtigten Trauer erfolgen müsste. Aufgrund der Voraussetzung einer Körper- oder Gesundheitsverletzung liegt es zumindest nahe, dass auch nur die hierfür wesentlichen Beeinträchtigungen des Schockgeschädigten berücksichtigt werden. In der Entscheidung aus dem Jahr 2015 formuliert der BGH, dass bei der Bemessung der immateriellen Entschädigung solche Umstände nicht zu berücksichtigen seien, die die Haftung nicht begründen können.236 Wenn bei dem Hinterbliebenen also eine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert festgestellt werden kann und dem Hinterbliebenen dadurch ein immaterieller Schadensersatzanspruch aufgrund einer eigenen Körper- und Gesundheitsverletzung zusteht, könne die Entschädigungshöhe nicht die gem. § 823 Abs. 1 BGB nicht ersatzfähigen Beeinträchtigungen berücksichtigen.237 Dem ist aber entgegenzuhalten, dass die Heranziehung der Genugtuungsfunktion im Rahmen des immateriellen Schadensersatzes aufgrund eines erlittenen Schockschadens dazu führen kann, dass auf diesem Weg auch die erlittene Trauer Berücksichtigung findet.238 Aufgrund des eigenständigen Charakters des Hinterbliebenengeldes kann dem Risiko einer doppelten Berücksichtigung von Trauer nur im Rahmen der Bemessung der beiden Entschädigungsbeträge begegnet werden. b) Der Einfluss auf die Bemessung der Entschädigung Das Hinterbliebenengeld setzt auf haftungsbegründender Ebene die Tötung eines nahestehenden Menschen voraus. Anknüpfungspunkt ist damit zunächst das 234 235 236 237 238
Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 276. Vgl. ablehnend MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn. 189. BGH Urt. v. 10. 02. 2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, S. 2246. BGH Urt. v. 10. 02. 2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, S. 2246. Vgl. hierzu bereits in Kap. B. IV.
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Rechtsgut Leben. Der Anspruch aufgrund eines Schockschadens knüpft an das Rechtsgut Körper und Gesundheit an. Es ist deshalb nicht fernliegend, aufgrund der Bedeutung des Rechtsguts Leben an eine besonders hohe Entschädigung zu denken. Aus Kapitel D. ist jedoch hervorgegangen, dass auf haftungsausfüllender Ebene ausschließlich der Ausgleich seelischen Leids bezweckt ist. Die Bemessung der Entschädigung erfolgt auf haftungsausfüllender Ebene und bemisst gerade nicht den eingetretenen Verlust eines Menschenlebens. Für den Ausgleich des seelischen Leids gem. § 844 Abs. 3 BGB ist es von besonderer Bedeutung, dass es an einer eigenen Rechtsgutsverletzung des Hinterbliebenen fehlt. Das seelische Leid als Schaden kann also nicht anhand einer eingetretenen Verletzung beurteilt werden. Die Verletzung des Rechtsguts Leben betrifft einen Dritten und ist einer Beurteilung nicht zugänglich. Auch wenn für den immateriellen Schadensersatz aufgrund eines Schockschadens und auch für das Hinterbliebenengeld der Schaden in immaterieller Form aufgrund seelischen Leids besteht, beruht die Ersatzfähigkeit des seelischen Leids beim Hinterbliebenengeld auf bloßer Rechtsfortsetzung.239 Der immaterielle Entschädigungsanspruch aufgrund eines Schockschadens beruht auf der eigenen Beeinträchtigung des Hinterbliebenen. Die fehlende Rechtsgutsbezogenheit beim Hinterbliebenengeld ist bei der Bemessung der Entschädigung entsprechend zu berücksichtigen, sodass die gem. § 844 Abs. 3 BGB zu gewährenden Beträge hinter den Entschädigungsbeträgen bei Schockschäden in der Regel zurückbleiben sollten.240 Damit ist zumindest die durchschnittliche Höhe der Entschädigung aufgrund eines Schockschadens bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes als Maßstab zu berücksichtigen.241 Bei der Bemessung der Entschädigung aufgrund eines Schockschadens ist die erlittene Trauer, die für sich genommen keine eigene Gesundheitsbeeinträchtigung begründen kann, nicht zu berücksichtigen.242 Der Ausgleich bei erlittenem Schockschaden und der Ausgleich gem. § 844 Abs. 3 BGB beruhen auf verschiedenen Haftungsgründen, aus denen unterschiedliche Schäden resultieren. Selbst wenn die Bemessung des Schockschadens auf Grundlage der Genugtuungsfunktion erfolgt, berührt dies nicht den Anspruchsinhalt des Hinterbliebenengeldes. Dem Hinterbliebenengeldanspruch kommt keine Genugtuungsfunktion zu, sodass die im Rahmen des Schockschadens zu berücksichtigenden Umstände nicht mit den Umständen im Rahmen des Hinterbliebenengeldes übereinstimmen können.
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Vgl. hierzu die Ausgleichsfunktion in Kap. D. II. 2. LG Wiesbaden Urt. v. 23. 10. 2018 – 3 O 219/18, SVR 2020, S. 142, spricht von „Obergrenze“. 241 LG München Urt. v. 17. 05. 2019 – 12 O 4540/18, SVR 2020, S. 247; LG Leipzig Urt. v. 08. 11. 2019 – 05 O 758/19, BeckRS 2019, 50107; LG Wiesbaden Urt. v. 23. 10. 2018 – 3 O 219/ 18, SVR 2020, S. 142. 242 So auch Jaeger, in: jM 2020, S. 12 (14); Bergmann, Hinterbliebenengeld, S. 237. 240
III. Hinterbliebenengeldentschädigung auf haftungsausfüllender Ebene
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2. Keine Berücksichtigung der Bemessungskriterien zum immateriellen Schadensersatz bei der Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung Die Ablehnung einer Genugtuungsfunktion für das Hinterbliebenengeld legt den Schluss nahe, dass die über den Ausgleich hinausgehenden Bemessungskriterien im Rahmen des immateriellen Schadensersatzes gem. § 253 Abs. 2 BGB überwiegend nicht für die Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung gem. § 844 Abs. 3 BGB heranzuziehen sind. a) Der Umfang des seelischen Leids als Bemessungskriterium Die angestrebte objektive Bewertung des Schadens im Rahmen des Hinterbliebenengeldes wirft zunächst die Frage auf, ob dadurch die Berücksichtigung des Umfangs des seelischen Leids als Bemessungskriterium ausgeschlossen ist. Inwiefern der Hinterbliebene unabhängig vom Näheverhältnis in besonderem Maße seelisches Leid davongetragen hat, kann im Rahmen des Hinterbliebenengeldes nicht berücksichtigt werden. Individuelle physische oder psychische Schmerzen oder Leiden bleiben außer Betracht.243 Daraus ergibt sich, dass der Umfang des Schadens nicht mit dem konkret eingetretenen Schaden übereinstimmt.244 Bei der objektiven Bewertung des Schadens besteht die Gefahr, dass bei Nichtberücksichtigung der individuellen Schmerzen und Leiden Rechtsgutsverletzung und Schaden im Sinne des per se Schadens gleichgestellt werden. Erforderlich sei deshalb eine negative Gefühlsbilanz.245 Diese Gefahr besteht durch die Orientierung an der Anspruchsvoraussetzung des besonderen persönlichen Näheverhältnisses für die Bestimmung der Entschädigung gem. § 844 Abs. 3 BGB nicht. Das Näheverhältnis ist der Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Schadensumfangs gem. § 844 Abs. 3 BGB. Die Bewertung des Näheverhältnisses zwischen dem Getöteten und dem Hinterbliebenen entscheidet aufgrund der Inkommensurabilität von Gefühlsschäden zugleich über den Umfang des eingetretenen Schadens. Es besteht also die Möglichkeit, dass trotz unerlaubter Handlung des Schädigers und der dadurch verursachten Tötung kein Schaden beim Hinterbliebenen eingetreten ist. Das negative Empfinden als Ausgangspunkt für einen Gefühlsschaden wird durch die Prüfung des Näheverhältnisses ersetzt. Sollte ein Näheverhältnis zum Zeitpunkt des Todeseintritts bejaht werden können, ist zwar auch das Vorliegen eines Schadens in Form von seelischem Leid zu bejahen. Der Umfang des seelischen Leids hängt aber 243 Im Allgemeinen für die objektive Bewertung des Schadens vgl. Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 162; vgl. zum „objektiv interpretierten Ausgleichsbegriff“ Giesen, in: JZ 1993, S. 519 (520), der aber die Rechtfertigung hierfür in den Einbußen der Persönlichkeit sieht. 244 Vgl. zur objektiven Bewertung des Schadens: Müller, Punitive Damages, S. 80; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 161 f. 245 Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 162.
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
von der Eigenart des Näheverhältnisses ab. Hier können sich Unterschiede aufgrund der Art des Personenkreises ergeben, denkbar ist aber auch eine Korrektur des vorläufigen Betrags anhand einzelner Kriterien, die das Näheverhältnis bestimmen. Dies steht im Einklang mit der Inkommensurabilität von Gefühlsschäden und der fehlenden eigenen Rechtsgutsverletzung des Hinterbliebenen. Verhindert werden zudem Nachweisschwierigkeiten, es ist gerade nicht zu erforschen, in welcher Form und in welchem Ausmaß der Hinterbliebene um den Getöteten trauert. Andernfalls wären langwierige Prozesse denkbar, in denen der Hinterbliebene womöglich darlegen müsste, weshalb ihn kein Mitverschulden an dem eingetretenen Schaden trifft, weil er sich z. B. nicht in psychotherapeutische Behandlung begeben hat.246 Liegt aber seelisches Leid in Form von einer psychischen Beeinträchtigung und damit eine Gesundheitsverletzung vor, kann der Hinterbliebene einen immateriellen Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB aufgrund eines Schockschadens geltend machen. b) Die Schadensanfälligkeit des Geschädigten Beim immateriellen Schadensersatz gem. § 253 Abs. 2 BGB ist aufgrund des Billigkeitsgedankens die Schadensanfälligkeit des Geschädigten schadensmindernd zu berücksichtigen. Eine mögliche schlechte Konstitution des Geschädigten kann den Schadensumfang erhöhen.247 Für die Frage, in welcher Höhe Genugtuung für den Geschädigten erreicht werden kann, ist es von Bedeutung, mit welchem Grad der Verursachung die schädigende Handlung zu den Leiden des Verletzten beigetragen hat.248 Bei der Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung kommt eine gesonderte schadensmindernde Berücksichtigung einer bereits bestehenden Beeinträchtigung beim Anspruchsteller nicht in Betracht. Möglicherweise leidet der Hinterbliebene unter starken Depressionen, die nach außen erkennbare erhebliche seelische Leiden zur Folge haben. Der Schädiger darf dabei im Sinne des Ausgleichgedankens nur für den durch ihn verursachten Schaden haften. Es kommt also nur auf die zusätzliche Verschlechterung durch das Verhalten des Schädigers an.249 Die Beschränkung der Entschädigung auf den tatsächlichen Ausgleich wird durch die Anknüpfung an das Näheverhältnis gewährleistet. Mögliche psychische Vorerkrankungen bleiben bei der Beurteilung über den Umfang des seelischen Leids außen vor. Es würde dem Ziel der Bewertung des Schadens anhand objektiver Kriterien zuwiderlaufen, wenn man über das Kriterium der Schadensanfälligkeit den eingetretenen Schaden daraufhin prüft, ob die Beeinträchtigung der Lebensführung schon 246
Huber, in: VersR 2020, S. 385 (393). Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 239. 248 BGH Urt. v. 05. 11. 1996 – VI ZR 275/95, NJW 1997, 455; OLG Hamm Beschl. v. 13. 04. 2018 – 7 U 4/18, NJW-Spezial 2018, 489. 249 BeckOK BGB/Spindler, BGB § 253 Rn. 37. 247
III. Hinterbliebenengeldentschädigung auf haftungsausfüllender Ebene
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vor dem Tod vorlag. Hierfür wäre wieder die Bestimmung des Umfangs der negativen Gefühle beim Hinterbliebenen erforderlich. Durch die Bemessung der Entschädigung anhand des Näheverhältnisses wird vermieden, dass der Schädiger einen größeren Schaden ersetzen muss, als durch ihn verursacht wurde. Sollte sich der Hinterbliebene in einem schlechten seelischen Zustand befinden, ist je nach Näheverhältnis davon auszugehen, dass sich dieser Zustand durch den Tod verschlechtert. Nur diese negative Veränderung ist ausgleichspflichtig. Aus diesen Gründen kann auch die Konstitution des Getöteten nicht schadensmindernd berücksichtigt werden. Der für § 844 Abs. 3 BGB erforderliche Schaden verringert sich nicht dadurch, dass der Getötete womöglich unter einer schweren Erkrankung litt und die Verletzungshandlung deshalb zum Tod geführt hat, während ein gesunder Mensch womöglich nur eine Körperverletzung davongetragen hätte. Hier stellt sich die Frage, inwiefern der Eintritt des Todes kausal auf der unerlaubten Handlung des Schädigers beruht. Wenn aber trotz Vorerkrankung der Tod nicht ohne die Handlung des Schädigers eingetreten wäre, wirkt sich die Konstitution des Getöteten nicht auf den Schaden des Hinterbliebenen aus. Aufgrund der gebotenen Zurückhaltung bei der Bemessung der Entschädigung wird der Schädiger hierdurch auch nicht unangemessen benachteiligt. Die Schadensanfälligkeit des Getöteten als auch des Hinterbliebenen stellen keine eigenständigen zu berücksichtigenden Bemessungskriterien dar. Davon zu unterscheiden ist die Situation, dass der Hinterbliebene nicht in der Lage ist, Empfindungen so wahrzunehmen wie es der Fähigkeit eines durchschnittlich gesunden Menschen entspricht.250 Für die Frage nach einem Anspruch auf Hinterbliebenengeld geht es um einen Anspruchsteller, der schon vor Eintritt des schädigenden Ereignisses in seiner Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit eingeschränkt war.251 Zweifelhaft ist, ob ein Ausgleich möglich ist, wenn eine Verschlechterung des seelischen Zustands aufgrund der fehlenden Wahrnehmungsund Empfindungsfähigkeit gar nicht möglich ist. Im Rahmen des Hinterbliebenengeldes wird eine Entschädigung nicht aus Gründen der Genugtuung gewährt.252 Wenn die Verursachung der Wahrnehmungs- und Empfindungsunfähigkeit nicht auf einer Handlung des Schädigers beruht, kann auch die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts keinen Anspruch rechtfertigen.253 Dieses Problem stellt sich aber nur beim vollständigen Fehlen dieser Fähigkeiten, da es für das Hinterbliebenengeld nicht auf den Umfang der Wahrnehmung des seelischen Leids durch den Hinterbliebenen ankommt. Die Feststellung einer vollständigen Empfindungsunfähigkeit 250
Filthaut/Piontek/Kayser/Piontek, § 5 HPflG Rn. 65. Zum Anspruch auf immateriellen Schadensersatz bei weitgehendem Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit durch die Verursachung des Schädigers vgl. BGH Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74, NJW 1976, 1447; BGH Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91, NJW 1993, 781. 252 Vgl. dazu Kap. D. II. 253 BGH Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91, r+s 1993, 56. 251
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
wird kaum gelingen, da die Wahrnehmung des Verlusts auf verschiedene Weisen erfolgen kann. Allein das Fehlen regelmäßiger Besuche durch den Getöteten kann dazu führen, dass der Hinterbliebene die Veränderung bemerkt und auf die ihm mögliche Art und Weise verarbeitet.254 Sollte die Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit deutlich eingeschränkt, jedoch nicht vollständig fehlen, kann der Verlust der nahe stehenden Person aufgrund des Empfindens für das besondere Näheverhältnis die Bejahung von seelischem Leid rechtfertigen. c) Das Mitverschulden des Verletzten Anders kann es sich aber für die Berücksichtigung des Mitverschuldens des Getöteten darstellen. Dieses Bemessungskriterium beruht auf dem Ausgleichs- und dem Genugtuungsgedanken. Der Ausgleich für den entstandenen Nachteil kann nur in dem Umfang erfolgen, in dem der Nachteil nicht auch ohne die Verursachung des Schädigers eingetreten wäre. Wäre der Getötete allein für sein Versterben verantwortlich, würde es an der Verletzung des Rechtsguts Leben durch einen Dritten fehlen, sodass die entstandenen Schäden nicht ausgleichsfähig sind. Es ist deshalb allein aus dem Ausgleichsgedanken heraus sachgerecht, den Entschädigungsbetrag um den Mitverschuldensanteil des Getöteten i. S. d. § 254 Abs. 1 BGB zu kürzen,255 weil sich der Verursachungsbeitrag des Schädigers um den Mitverschuldensanteil verringert. Aus dem fehlenden Ersatzanspruch des Getöteten aufgrund der Tötung ergibt sich nichts anderes. Wie bereits dargestellt, dient der Anspruch des Hinterbliebenen gerade der Fortsetzung der Rechte, die der Getötete nicht mehr geltend machen kann. Dieses Ziel ist nur eingeschränkt gerechtfertigt, wenn der Getötete die Verletzung des Rechtsguts Lebens selbst mit verursacht hat. Grundsätzlich kommt auch die schadensmindernde Berücksichtigung des Mitverschuldens des Hinterbliebenen als Anspruchsinhaber gem. § 254 Abs. 2 BGB in Betracht, ein solches hat jedoch nur geringe praktische Bedeutung. d) Der Anlass der Verletzungshandlung und das Verschulden des Schädigers Das Verschulden des Schädigers als Ausdruck des Genugtuungsgedankens256 könnte dafür sprechen, ein solches bei der Bemessung der Hinterbliebenenentschädigung nicht zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung des Verschuldens bedarf einer besonderen Begründung, weil sich das Verschulden als Bemessungsfaktor beim immateriellen Schadensersatz nicht automatisch aus der Bezeichnung „billige 254 So führt Huber/Kadner Graziano/Luckey/Huber, Hinterbliebenengeld, S. 58, demente Personen als Beispiel an, die dennoch ein Gefühl für das „Abhandenkommen“ hätten. 255 Behr, Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld, S. 260. 256 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 144; BGH Beschl. v. 06. 07. 1955 – GSZ 1/55, VersR 1955, 615; OLG Saarbrücken Urt. v. 26. 02. 2015 – 4 U 26/14, NJW-RR 2015, 1119; OLG Oldenburg Urt. v. 09. 06. 2015 – 2 U 105/14, VersR 2016, 741.
III. Hinterbliebenengeldentschädigung auf haftungsausfüllender Ebene
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Entschädigung“ gem. § 253 Abs. 2 BGB ergibt.257 Unter Heranziehung der Genugtuungsfunktion im Rahmen des immateriellen Schadensersatzes kann es gerechtfertigt sein, die Entschädigung bei fahrlässigem Verhalten herabzusetzen, weil die für den Schädiger bezweckte Genugtuung nicht in gleichem Maße erreicht werden kann wie bei vorsätzlichem Schädigerverhalten.258 Eine ohne den Gedanken der Genugtuung berücksichtigende Erhöhung der Entschädigung aufgrund des Verschuldensgrades kommt nicht in Betracht.259 Grundsätzlich beeinflusst das Verschulden des Schädigers deshalb nicht die Höhe der Hinterbliebenengeldentschädigung. Auch der Anlass der Verletzungshandlung als Bemessungsfaktor im Rahmen des immateriellen Schadensersatzanspruchs ist Ausdruck des Genugtuungsgedankens.260 Sowohl der Haftungsgrund als auch die Haftungsausfüllung des Hinterbliebenengeldes sind auf die Ausgleichsfunktion gerichtet, eine Qualifizierung der Handlungen je nach Gepräge ist vom Ausgleichszweck nicht gedeckt. e) Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Geschädigten und Schädigers Für die billige Entschädigung des immateriellen Schadensersatzes gem. § 253 Abs. 2 BGB wird die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Schädigers diskutiert.261 Unabhängig davon, dass die Berücksichtigung auch für eine Entschädigung gem. § 253 Abs. 2 BGB kritisiert wird,262 kommt eine Berücksichtigung bei der Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung nicht in Betracht. Die finanzielle Situation des Schädigers steht in keinem Zusammenhang mit dem Umfang des eingetretenen Schadens, sodass das Ziel des Ausgleiches keine Berücksichtigung zulässt. Indirekt können aber die Vermögensverhältnisse des Hinterbliebenen berücksichtigt werden, indem die finanzielle Abhängigkeit ein mögliches Indiz für das Bestehen eines Näheverhältnisses zwischen dem Getöteten und dem Hinterbliebenen darstellt. Die Öffnungsfunktion der Rechtsfolge einer angemessenen Entschädigung gem. § 844 Abs. 3 BGB führt dazu, dass neben dem Umfang des immateriellen Schadens grundsätzlich weitere Umstände berücksichtigt werden können. Die als 257
Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 144. OLG Saarbrücken Urt. v. 26. 02. 2015 – 4 U 26/14, NJW-RR 2015, 1119. 259 Denkbar ist die Berücksichtigung im Rahmen der Ausgleichsfunktion nur, wenn man eine Persönlichkeitsrechtsverletzung des Geschädigten annehmen würde: Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 249 ff. 260 Vgl. hierzu Kap. C. III. 3. b) ee); Degenhart, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, S. 56; Erm, Vorteilsanrechnung beim Schmerzensgeld, S. 125. 261 MüKoBGB/Oetker, § 253 Rn. 51; Jauernig/Teichmann, § 253 BGB Rn. 4. 262 Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 153; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 248. 258
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Kriterium geeignete finanzielle Abhängigkeit kann deshalb darüber hinaus auch Einfluss auf die Bemessung der Entschädigungshöhe des Hinterbliebenengeldes haben. Allerdings ist dabei die Grenze der Entschädigung in Höhe des Ausgleichs zu beachten. Insbesondere ist dabei zu berücksichtigen, dass dem Hinterbliebenen der durch den Tod entgehende Unterhalt gem. § 844 Abs. 2 BGB unabhängig von einem Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB ersetzt wird. Bei der finanziellen Abhängigkeit als Kriterium für ein besonderes persönliches Näheverhältnis geht es nicht um konkrete finanzielle Einbußen, sondern um die negative Veränderung, die aufgrund der bisherigen finanziellen Abhängigkeit mit dem Tod der nahestehenden Person eintritt. Weil das Näheverhältnis den Umfang des immateriellen Schadens in Form von seelischem Leid bestimmt und die finanzielle Abhängigkeit ein Kriterium des Näheverhältnisses darstellt, ist die Berücksichtigung der finanziellen Abhängigkeit geeignet, einen geringeren oder höheren Umfang des eingetretenen immateriellen Schadens in Form von seelischem Leid anzunehmen. Ausgehend von einem Grundbetrag263 für einen bestimmten Personenkreis, kann von diesem Betrag nach oben oder unten abgewichen werden. Der Einfluss der finanziellen Verhältnisse des Hinterbliebenen auf die Bemessung der Entschädigung wirkt sich aber nur durch die Bewertung als Indiz für das Näheverhältnis aus. Die finanziellen Verhältnisse des Hinterbliebenen haben nicht per se Einfluss auf die Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung. 3. Das besondere persönliche Näheverhältnis als ausschließliche Bemessungsgrundlage für die Hinterbliebenengeldentschädigung Durch die Anknüpfung an das Näheverhältnis kann der Umfang des Schadens nach oben oder unten korrigiert werden. Dies widerspricht nicht dem Ziel, den Umfang des Schadens in Form von seelischem Leid objektiv zu bestimmen. Eine objektive Bewertung des Schadens soll gerade nicht dazu führen, dass ein pauschaler Schaden angenommen wird. Ziel ist die Konkretisierung des Schadens und damit die Bemessung der Entschädigungshöhe anhand von objektiven Kriterien. Aufgrund der Ausgleichsfunktion des Hinterbliebenengeldes auf haftungsausfüllender Ebene wird durch den Umfang des Schadens zugleich die Höhe der Entschädigung bestimmt. Aber auch die Beurteilung des Näheverhältnisses darf nicht zu einer Abwägung über den Wert des menschlichen Lebens führen. Bewertungsgrundlage ist dabei nicht die Frage, für welche nahestehende Person der Verlust des Getöteten am Schlimmsten ist. Zu berücksichtigen ist allein die Qualität und Intensität der Beziehung im Vergleich zu anderen Personenkreisen und Beziehungen. So kann z. B. die Dauer einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht nur ein Näheverhältnis begründen, sondern auch Hinweise auf die Intensität des Näheverhältnisses und 263 Vgl. so auch der Vorschlag für den immateriellen Schadensersatz, L. Schäfer, Die Bemessungsmethoden, S. 218.
III. Hinterbliebenengeldentschädigung auf haftungsausfüllender Ebene
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damit auf den Umfang des seelischen Leids als Schaden geben. Wenn der Getötete und der Hinterbliebene bereits seit über 30 Jahren in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammenleben, hat die Dauer der Beziehung ein so erhebliches Gewicht, dass ein erhöhter Schadensumfang und damit einhergehend eine erhöhte Entschädigung anzunehmen ist. Dagegen kann sich das hohe Alter eines Getöteten aufgrund der Überlegung, dass der Hinterbliebene in naher Zukunft mit dem Tod hätte rechnen müssen, nicht schadensmindernd auswirken. Dies würde bedeuten, dass dem Wert des Lebens einer älteren Person weniger Wert beigemessen werden würde als dem Leben eines jüngeren Menschen, der verstirbt. a) Die das Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB begründenden Kriterien als Bemessungskriterien Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB sieht als Rechtsfolge eine angemessene Entschädigung vor. Dies ermöglicht die Berücksichtigung besonderer Umstände bei der Bestimmung des Schadensumfangs.264 Dabei ist zum einen zu vermeiden, dass eine über den Ausgleich hinausgehende Entschädigung gewährt wird. Zum anderen sind aufgrund der Inkommensurabilität immaterieller Schäden und der restriktiven Auslegung des Hinterbliebenengeldes objektive Kriterien erforderlich, um den Schaden zu bemessen. Es bietet sich deshalb an, von der Ausgestaltung des Näheverhältnisses auch die Höhe des Schadens abhängig zu machen. Die das Näheverhältnis begründenden Kriterien, insbesondere auch der Personenkreis, können sich schadensmindernd oder schadenserhöhend auswirken. Nur so gelingt die Bestimmung eines objektiven Schadens, dessen Umfang anhand der Kriterien zum Näheverhältnis festzulegen ist. Der Umfang des Schadens entspricht aufgrund der ausschließlichen Ausgleichsfunktion zugleich der maximalen Höhe der Entschädigung. Wenn sich ein Kriterium schadensmindernd oder schadenserhöhend auswirkt, betrifft dies die Höhe des Schadens und zugleich die Höhe der Entschädigung. Die Heranziehung der das Näheverhältnis begründenden Kriterien ist jedoch in der Regel nur möglich, um ausnahmsweise eine Erhöhung des Schadensumfangs anzunehmen. Weil nicht alle genannten Kriterien vorliegen müssen um ein Näheverhältnis zu begründen, kann das Fehlen eines Kriteriums nur beschränkt einen verringerten Schadensumfang rechtfertigen. Für eine nichteheliche Lebensgemeinschaft z. B. kann es sich nicht schadensmindernd auswirken, dass diese keine gemeinsamen Kinder hat. Grundsätzlich können die Kriterien zum Näheverhältnis auch den Umfang des Schadens bei einem Anspruchsteller des privilegierten Personenkreises gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB beeinflussen. Bei Eltern und Kindern beispielsweise ist aber nicht auf die Dauer der Beziehung abzustellen, da hier schon eine Bindung bereits vor 264 So für die „billige“ Entschädigung gem. § 253 Abs. 2 BGB: Jauernig/Teichmann, § 253 BGB Rn. 4; Schulze/Schulze, § 253 BGB Rn. 20.
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Geburt des Kindes angenommen werden kann.265 Es wäre wertungswidersprüchlich für ein 15-jähriges Kind einen niedrigeren Schadensumfang anzunehmen als für ein 10-jähriges Kind. Die Dauer der Beziehung ist hier nicht wie bei einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft steuerbar. Bei den privilegierten Personenkreisen wird die wesentliche Aussage bereits durch ihre formale Position getroffen, sodass das Ermessen in Bezug auf die Bemessung zwar nicht auf Null reduziert ist, hier aber aufgrund der durch die Vermutungsregelung schon angenommenen starken Bindung hohe Anforderungen an eine Korrektur des Entschädigungsbetrags nach unten oder oben zu stellen sind. Haben Eltern und Kinder aber z. B. nie in einer Haushaltsgemeinschaft zusammen gelebt, ist dies ein Umstand, der sich regelmäßig negativ auf den Schadensumfang auswirken wird. Höhere Relevanz haben die Bemessungskriterien für die nicht privilegierten Personenkreise, weil hier durch die formale Position nur eingeschränkt Informationen über die Intensität der Beziehung vorhanden sind. Auch wenn die Möglichkeit bestehen muss, zerrüttete Familienverhältnisse vom Hinterbliebenengeld auszunehmen bzw. einzuschränken, ist der formalen Position besondere Bedeutung beizumessen. Im Sinne der objektiven Bewertung des Schadens müssen auch die Bemessungskriterien einen objektiven Bewertungsmaßstab zugrunde legen. Diese Objektivierung kann nicht jeden einzelnen Umstand berücksichtigen, sodass das Erwachsenenalter eines Kindes den Schadensumfang bei Verlust eines Elternteils zwar nicht herabsetzen kann. Anhand des Kriteriums der „Kommunikation“ kann aber beurteilt werden, ob sich die persönliche Beziehung über die Zeit gelockert hat.266 Durch die Konzentration auf das Näheverhältnis sollen die bemessungsrelevanten persönlichen Faktoren reduziert werden, um eine möglichst einheitliche Bemessung zu erreichen. Es ist dabei ein „objektivierender Maßstab anzulegen, der nur durch einige wenige subjektive Faktoren aufgelockert wird“.267 aa) Finanzielle Abhängigkeit Bei der finanziellen Abhängigkeit als Bemessungskriterium müssen die dem Hinterbliebenen entstehenden materiellen Einbußen außer Betracht bleiben, da diese bereits durch § 844 Abs. 1 und Abs. 2 BGB ersetzt werden. Zu berücksichtigen sind dabei nicht konkrete Beträge, die der Hinterbliebene nicht mehr vom Getöteten erhält, sondern die sich aus dem Tod und der fehlenden finanziellen Unterstützung folgenden tatsächlichen Umstände für den Hinterbliebenen. Damit sich diese aber 265 Vgl. z. B. Brisch/Hellbrügge, Kinder ohne Bindung, passim; Levend/Janus, Bindung beginnt vor der Geburt, passim. 266 Vgl. für das Alter des Kindes als Bemessungskriterium Huber/Kadner Graziano/Luckey/ Huber, Hinterbliebenengeld, S. 173. 267 Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 141, bei der Frage nach einer Vereinfachung der Bemessung der immateriellen Entschädigung.
III. Hinterbliebenengeldentschädigung auf haftungsausfüllender Ebene
295
schadenserhöhend auswirken, muss es sich um Umstände handeln, die nicht jeder Hinterbliebene nach allgemeiner Lebenserfahrung in einer solchen Situation erfährt. Im Vordergrund steht dabei nicht das Maß an finanziellen Einbußen, sondern die Abhängigkeit des Hinterbliebenen vom Getöteten, die auch durch eine finanzielle Unterstützung zum Ausdruck kommen kann. Als Beispiel sei der überlebende Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft genannt, der gezwungen ist, das ursprünglich gemeinsam bewohnte Haus und die gewohnte Umgebung zu verlassen, weil das eigene Einkommen nicht für die Unterhaltung des Hauses reicht, ein Testament aufgrund des plötzlichen Tods nicht existiert und das Eigentum am Haus den Erben zugutekommt. Für eine schadenserhöhende Bemessung in dieser Situation kommt es nur auf die durch den Tod zum Vorschein tretende Abhängigkeit des Hinterbliebenen vom Getöteten an. Nicht zu berücksichtigen sind konkrete Beträge, die auf den Hinterbliebenen aufgrund der erforderlichen Veränderungen zukommen. Es wird deutlich, dass die finanzielle Abhängigkeit nur in seltenen Fällen dazu geeignet ist, die Bestimmung des Schadensumfangs zu beeinflussen. Fernliegend ist zudem die Annahme eines verringerten Schadensumfangs aufgrund fehlender finanzieller Abhängigkeit. bb) Die Dauer der Beziehung Die Dauer der Beziehung spielt insbesondere für die nicht privilegierten Personenkreise eine Rolle. Aber auch für die Ehe kann eine besonders lange Dauer schadenserhöhend zu berücksichtigen sein.268 Hieran sind höhere Anforderungen zu stellen als bei der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, weil für die Ehe grundsätzlich schon die formale Position einen höheren Schaden begründet. Umgekehrt kommt z. B. für das Verhältnis zwischen Elternteil und Kind keine verringerte Entschädigung in Betracht, wenn das Verhältnis aufgrund des Alters des Kindes noch nicht so lange besteht.269 Für minderjährige Geschwister, die ebenfalls als privilegierter Personenkreis zu behandeln sind, hat die Dauer der Beziehung auch aufgrund der fehlenden Einwirkungsmöglichkeit keinen Einfluss auf die Höhe der Entschädigung. Bei einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft kann die lange Dauer der Beziehung, die jedenfalls bei einer bereits seit 20 Jahren bestehenden Lebensgemeinschaft anzunehmen ist, den Schadensumfang erhöhen.270 Wenn ausnahmsweise im Rahmen des Personenkreises Freunde ein Näheverhältnis gem. § 844 268
LG Tübingen, Urt. v. 17. 05. 2019 (3 O 108/18), NZV 2019, 626. So aber das LG Tübingen Urt. v. 17. 05. 2019 (3 O 108/18), NZV 2019, 626, wonach die Entschädigung für die Kinder mit der Begründung niedriger bemessen wurde, dass die Kinder mit ihren Eltern nicht so lange zusammen gelebt hätten wie die Eltern. 270 Vgl. LSG Baden-Württemberg Urt. v. 01. 10. 2015 – L 7 SO 118/14, NWB 2016, 1342, das in der über 40 Jahre andauernden eheähnlichen Lebensgemeinschaft ein Indiz für eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft i. S. d. § 7 Abs. 3 SGB II gesehen hat; vgl. NaveHerz, in: FPR 2001, S. 3 (6), der eine über 10 Jahre andauernde nichteheliche Lebensgemeinschaft als selten ansieht. 269
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Abs. 3 BGB angenommen werden kann, wird die Dauer der Beziehung schon für die Begründung des Näheverhältnisses von hoher Relevanz sein. Zweifelhaft kann deshalb sein, die Dauer der Freundschaft zusätzlich noch entschädigungserhöhend zu berücksichtigen. Die verhältnismäßig kurze Dauer der Beziehung kann sich jedenfalls entschädigungsmindernd auswirken. cc) Die Haushaltsgemeinschaft Anders als die Dauer der Beziehung und die finanzielle Abhängigkeit eines Hinterbliebenen vom Getöteten stellt die Haushaltsgemeinschaft ein nur eingeschränkt geeignetes Bemessungskriterium dar. Durch die Indizwirkung für ein Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB wird das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft ausreichend berücksichtigt. Möglicherweise kann aber die Dauer der Haushaltsgemeinschaft Auswirkungen auf die Bemessung der Entschädigung haben. Zu nennen ist das Beispiel, dass die Großeltern schon kurz nach der Geburt die Sorge für das Enkelkind übernommen haben und dann bis zum 18. Lebensjahr des Enkelkindes gemeinsam in einer Haushaltsgemeinschaft gelebt haben. Das Näheverhältnis ist hier schon aufgrund der Bedeutung der funktionalen Stellung der Großeltern als Eltern zu bejahen. Die lange Zeit der gemeinsamen Haushaltsgemeinschaft könnte in diesem Fall einen entschädigungserhöhenden Faktor darstellen. Denkbar sind auch die durch § 844 Abs. 2 S. 2 BGB privilegierten Ehepartner, die nicht in einer Haushaltsgemeinschaft zusammenleben. Im Zusammenhang mit weiteren Umständen kann die Annahme für eine gelockerte Beziehung bestehen, sodass sich auch hier die fehlende Haushaltsgemeinschaft entschädigungsmindernd auswirken kann. In den meisten übrigen Fällen wird allerdings die Dauer der Beziehung als Bemessungsfaktor ausschlaggebend sein. dd) Die gemeinsame Sorge Insbesondere für die nicht privilegierten Personenkreise kann die gemeinsame Sorge für eine andere Person einen schadenserhöhenden Faktor darstellen. Bei Personenkreisen, die durch ihre fehlende formale Position durch andere Kriterien auf Stufe 2 ein Näheverhältnis nachweisen müssen, kann die gemeinsame Sorge z. B. für ein Kind ein bedeutendes Indiz darstellen. Kümmern sich möglicherweise zwei Freunde um ein Kind, die nicht in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammenleben, ist die Beziehung aufgrund der funktionalen Betrachtung auf Stufe 3 mit einer Ehe oder nichtehelichen Lebensgemeinschaft vergleichbar. Die Relevanz des Kriteriums trifft aber noch keine Aussage über die Geeignetheit als Bemessungsfaktor. Angesichts des für Freunde niedrig angesetzten Ausgangsbetrags271 ist eine Erhöhung des Schadenumfangs und damit eine Erhöhung der Entschädigung
271
Vgl. zum Vorschlag eines Ausgangsbetrags Kap. E. III. 3. b).
III. Hinterbliebenengeldentschädigung auf haftungsausfüllender Ebene
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aufgrund der Vergleichbarkeit mit einer auf einer formalen Position beruhenden Nähebeziehung denkbar. Eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ist unproblematisch auch bei Beziehungen in einer Haushaltsgemeinschaft ohne Kind anzunehmen. Trägt die nichteheliche Lebensgemeinschaft darüber hinaus gemeinsam Verantwortung für ein Kind, kann sich dies positiv auf die Entschädigungshöhe auswirken. Eine Herabsetzung der Entschädigung aufgrund der fehlenden gemeinsamen Sorge wäre die konsequente Folge. Auch wenn das Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB für Ehepartner vermutet wird, kann z. B. die Alleinsorge eines einzelnen Ehepartners für ein Kind einen verringerten Entschädigungsbetrag rechtfertigen. Neben der Sorge für leibliche Kinder oder Pflegekinder kommt die Betreuung von behinderten, kranken und alten Familienmitgliedern in Betracht. Für Geschwister wirkt es sich positiv aus, wenn diese ein Familienmitglied gemeinsam pflegen. Auch das Pflege- oder Sorgeverhältnis kann für privilegierte und nichtprivilegierte Personenkreise gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB als entschädigungserhöhendes Bemessungskriterium herangezogen werden. Die freiwillige Pflege oder Sorge für eine andere Person stellt kein der persönlichen Beziehung zugrundeliegendes Kriterium dar, sodass die Übernahme der Verantwortung einerseits und die persönliche Abhängigkeit andererseits für ein besonders ausgeprägtes persönliches Verhältnis sprechen. Eine Minderung der Entschädigung bei fehlender gemeinsamer Sorge oder fehlendem Sorge- oder Pflegeverhältnis ist abzulehnen. Bei der gemeinsamen Sorge handelt es sich um einen besonderen Umstand, der regelmäßig nicht die Grundlage des Näheverhältnisses betrifft, sondern vielmehr zu den wesentlichen Kriterien wie der Dauer einer Beziehung hinzutritt. ee) Die funktionale Betrachtung Die funktionale Betrachtung, die bei der Begründung des Näheverhältnisses auf Stufe 3 eine Gesamtbetrachtung vornimmt, kann auch als Auffangkriterium für die Bemessung verstanden werden. Sollte die besondere Stellung des Hinterbliebenen ausnahmsweise von der generalisierenden Betrachtung abweichende Entschädigungsbeträge rechtfertigen, ist dies durch die funktionale Betrachtung möglich. Hat eine Großmutter fast 30 Jahre ihr Enkelkind großgezogen, ist im Rahmen der funktionalen Betrachtung die Funktion mindestens eines Elternteils durch die Großmutter hervorzuheben. Soweit dies nicht bereits durch die anderen Bemessungskriterien schadenserhöhend berücksichtigt worden ist,272 besteht durch die funktionale Betrachtung eine weitere Korrekturmöglichkeit. Eine Herabsetzung der Entschädigung aufgrund der funktionalen Betrachtung kommt insbesondere für die privilegierten Personenkreise gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB in Betracht, wenn die Beziehung ausnahmsweise nicht mehr der formalen Position entspricht, ein Nähe272 Die beschriebenen Umstände könnten sich z. B. durch die Dauer der Haushaltsgemeinschaft oder das Sorgeverhältnis bereits entschädigungserhöhend ausgewirkt haben.
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
verhältnis aber noch bejaht werden kann. Für eine Verringerung des Schadensumfangs werden die einzelnen Kriterien für sich genommen nicht ausreichen, ausnahmsweise ist ein verringerter Schadensumfang aber aufgrund der besonderen funktionalen Betrachtung denkbar. b) Die Festsetzung von Ausgangsbeträgen273 Durch die Einordnung der möglichen Anspruchsberechtigten gem. § 844 Abs. 3 BGB in Personenkreise und durch die Bestimmung der wesentlichen Kriterien für ein Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB wird der Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen und damit dem Ziel der Vereinheitlichung des Anwendungsbereichs von § 844 Abs. 3 BGB Rechnung getragen. Durch die Übertragung der Grundsätze für die Bestimmung eines Näheverhältnisses auf haftungsbegründender Ebene auch auf die Bestimmung des Schadensumfangs auf haftungsausfüllende Ebene, wird der grundsätzlich bestehenden Inkommensurabilität von immateriellen Schäden entgegengewirkt. Gleichzeitig wird die erforderliche Würdigung des Einzelfalls berücksichtigt und der objektiven Bewertung des Schadens kommt zugleich eine individuelle Komponente zu.274 Durch die schematische Einordnung in Personenkreise und die Beurteilung der Bedeutung der einzelnen Kriterien für die verschiedenen Personenkreise besteht die Möglichkeit die Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung noch weiter zu vereinheitlichen. So wie die Schmerzensgeldtabellen beim immateriellen Schadensersatz Richtwerte für die richterliche Schätzung vorsehen, werden für das Hinterbliebenengeld Ausgangsbeträge275 je nach Personenkreis vorgeschlagen. Die Überlegung eines Ausgangsbetrags bezweckt die Schaffung eines „Ankers“276, der durch das Bestehen von Vergleichswerten einen ersten Anhaltspunkt für die konkrete Bemessung des Schadens bietet. Der Begriff Ausgangsbetrag soll zum Ausdruck bringen, dass es sich hierbei keinesfalls um einen feststehenden Betrag handelt. Erforderlich ist vielmehr die Ausübung des richterlichen Schätzungsermessens, indem der Richter den Ausgangsbetrag gem. § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO seiner freien richterlichen Würdigung zugrunde legt. § 287 ZPO spricht nur von der Höhe des Schadens, sodass davon nicht automatisch auch die Festsetzung der Geldentschädigung erfasst ist.277 Es ist daher zweifelhaft, ob auch die billige Entschädigung vom Schätzungsermessen 273 Oder auch Basisbetrag genannt, vgl. Kadner Graziano, Europäisches Deliktsrecht, S. 172 f. 274 Vgl. so die Formulierung bei Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 139. 275 Vgl. Vorschlag von L. Schäfer, Die Bemessungsmethoden, S. 215, für einen „Grundbetrag“ im immateriellen Schadensersatzrecht, vgl. Huber/Kadner Graziano/Luckey/Huber, S. 172 f., der für das Hinterbliebenengeld einen „Basisbetrag“ vorschlägt, vgl. BeckOGK/ Walter, StVG § 10 Rn. 26, der von einem „Richtwert“ spricht. 276 So Lüttringhaus/Korch, in: VersR 2019, S. 973 (980). 277 Vgl. zur Kritik daran Lorenz, Immaterieller Schaden, S. 54.
III. Hinterbliebenengeldentschädigung auf haftungsausfüllender Ebene
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des Gerichts gem. § 287 ZPO erfasst ist.278 Für den Anspruch auf Hinterbliebenengeld kommt es insofern nicht auf die Unterscheidung an, als dass die Höhe des Schadens auch der Höhe der Entschädigung entspricht, da ein über den Ausgleich hinausgehender Geldbetrag nicht möglich ist.279 Die Festsetzung von Ausgangsbeträgen führt nicht zu einer Pauschalierung der Entschädigung, da die Beträge entsprechend der Bemessungskriterien korrigiert werden können. Durch die Festlegung von Ausgangsbeträgen sind die Ziele der Rechtsanwendungsgleichheit280 und der Effektivität der Rechtspflege zu verfolgen. Gleichzeitig ermöglichen die dem Näheverhältnis zugrundeliegenden Bemessungskriterien Einzelfallgerechtigkeit. Die Korrektur der Ausgangsbeträge richtet sich aber ausschließlich nach dem Umfang des eingetretenen Schadens in Form von seelischem Leid. Nur dann, wenn die ein Näheverhältnis begründenden Kriterien einen ausnahmsweise erhöhten oder verminderten Schaden ergeben, ist die Höhe der Entschädigung und damit die Höhe des Ausgangsbetrags entsprechend anzupassen. aa) Die Bedeutung des Personenkreises für die Bemessung Die Bestimmung des Personenkreises ist für die Begründung des erforderlichen Näheverhältnisses gem. § 844 Abs. 3 BGB auf Stufe 1 zu prüfen. Nach der formalen Position richten sich auch Erforderlichkeit und Umfang der Hilfskriterien für die Begründung eines Näheverhältnisses. Auch auf die Bemessung der Entschädigung gem. § 844 Abs. 3 BGB kann die Art des Personenkreises Einfluss haben. Die über das Näheverhältnis entscheidenden Hilfskriterien sind zwar als Bemessungsfaktoren heranzuziehen. Für den gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB privilegierten Personenkreis ist aber schon aufgrund der formalen Position eine höhere Entschädigung anzusetzen. Dies entspricht dem Ziel, das seelische Leid gem. § 844 Abs. 3 BGB als objektiven Schaden zu bestimmen, indem auch auf haftungsausfüllender Ebene allein anhand des Näheverhältnisses die Entschädigungshöhe zu bemessen ist. Aus Gründen der Rechtssicherheit könnte es geboten sein, für alle von der Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB erfassten Personen den gleichen Ausgangsbetrag festzulegen. Dem steht auch nicht der gesetzgeberische Wille gegen Pauschalbeträge entgegen. Eine individuell durch das Gericht zu bemessende Entschädigung ist schon aufgrund der Möglichkeit einer Anpassung durch Aufwertung nach dem Verbraucherpreisindex geboten.281 Darüber hinaus wäre dadurch eine individuelle Beurteilung im Sinne einer angemessenen Entschädigung nicht möglich. Andererseits würde dies der Inkommensurabilität immaterieller Gefühlsschäden gerecht werden und verhindern, dass letztendlich doch eine Bewertung des seelischen Leids erfolgen muss. Durch die Vermutungsregelung hat der Gesetzgeber 278 279 280 281
Bejahend MüKoZPO/Prütting, § 287 Rn. 16. Vgl. zur Ausgleichsfunktion des Hinterbliebenengeldes in Kap. D. II. Vgl. zur Rechtsanwendungsgleichheit Schladebach, in: NVwZ 2018, S. 1241. Huber/Kadner Graziano/Luckey/Huber, Hinterbliebenengeld, S. 55.
300
E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
bereits zum Ausdruck gebracht, dass bestimmte Personenkreise besonderes seelisches Leid aufgrund des Verlustes erleiden. Eine Differenzierung innerhalb des Personenkreises gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB würde es nahelegen, dass Eltern, die ihr minderjähriges Kind verlieren, einen höheren Entschädigungsbetrag als Ausgleich für ihr seelisches Leid benötigen, als ein junger Witwe.282 Eine solche qualitative Unterscheidung nach der Bedeutung des Todes für den Hinterbliebenen führt zwangsläufig zu einer Bewertung, wie viel das Leben im konkreten Fall wert war. Dies lässt sich vermeiden, indem man ausschließlich auf das Näheverhältnis als Bezugspunkt abstellt. Dennoch kann aber ein Näheverhältnis zwischen Ehegatten anders als das zwischen Eltern und Kindern zu qualifizieren sein, auch wenn beide Personenkreise von der Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB erfasst werden. Um der vom Gesetz vorgesehenen Einzelbetrachtung gerecht zu werden, ist eine unterschiedliche Einstufung des privilegierten Personenkreises vorzunehmen. Diese Entschädigungsbeträge können durch die das Näheverhältnis begründenden Kriterien angepasst werden. Ist also beispielsweise ein Ehepaar über 30 Jahre verheiratet und besteht dazu noch eine besondere finanzielle Abhängigkeit, kann unter Umständen ein erhöhter Entschädigungsbetrag in Betracht kommen. Der höchste Betrag ist für die Beziehung zwischen Eltern und Kindern vorzusehen, weil hierin grundsätzlich die engste Bindung zu sehen ist. Hierbei ist aber nicht danach zu differenzieren, ob Eltern ihr Kind verlieren oder ob Kinder ihre Eltern verlieren. Dies würde wieder die Frage nach dem Wert des Verlustes aufwerfen. Es ist dabei ausschließlich festzustellen, dass für Eltern oder Kinder der höchste Entschädigungsbetrag zu gewähren ist. Es ist keine Unterscheidung zwischen Vater oder Mutter vorzunehmen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die für die Bestimmung eines Näheverhältnisses anzuwendenden Hilfskriterien ausnahmsweise einen abweichenden Betrag rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn das Kind mit einem Elternteil nicht in einer Haushaltsgemeinschaft gelebt hat. Dem höchsten Betrag für Eltern und Kinder folgen die Ehepartner. Für die Frage, inwiefern der Betrag für Eltern und Kinder von denen für Ehegatten abweichen sollte, ist allein auf die persönliche Beziehung abzustellen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Eltern und Kinder bereits von Anfang an rechtlich gem. §§ 1589 ff. BGB und tatsächlich miteinander verbunden sind, während sich Ehepartner erst im Laufe ihres Lebens kennenlernen, eine persönliche Bindung aufbauen und sich dann auch für eine rechtliche Bindung entscheiden. Trotz der Bejahung eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses ist der Entschädigungsbetrag für einen Anspruchsteller außerhalb des privilegierten Personenkreises niedriger anzusetzen. Auch hier sind Abweichungen nach unten und oben durch die Berücksichtigung der Hilfskriterien zur Begründung eines Näheverhältnisses möglich.
282 Vgl. Huber/Kadner Graziano/Luckey/Huber, Hinterbliebenengeld, S. 56, die den Verlust von Kindern durch die Eltern als „Ausgangspunkt“ für die höchste Betroffenheit festlegt.
III. Hinterbliebenengeldentschädigung auf haftungsausfüllender Ebene
301
Unabhängig vom Personenkreis ist bei der Bejahung eines Näheverhältnisses gem. § 844 Abs. 3 BGB ein Entschädigungsbetrag in Höhe von 5.000 Euro aber nicht zu unterschreiten.283 Kann das Näheverhältnis als anspruchsbegründende Voraussetzung bejaht werden, ist das seelische Leid indiziert, sodass eine Bemessung des Schadens mit einem Mindestbetrag in Höhe von 5.000 Euro angemessen erscheint. bb) Eltern und Kinder Für die Eltern-Kind-Beziehung ist der höchste Ausgangsbetrag festzulegen. Aufgrund der Beurteilung der Beziehung unterscheidet sich der Betrag nicht danach ob ein Elternteil oder ein Kind Anspruchsteller ist. So kann der Verlust eines minderjährigen Kindes284 nicht per se einen größeren Schadensumfang begründen als der Verlust eines Elternteils. Auch wenn der durchschnittliche Betrag für den Ersatz von Schockschäden laut Gesetzesbegründung (10.000 Euro) nicht überschritten werden soll,285 ist für das Eltern-Kind-Verhältnis ein Betrag von 20.000 Euro anzusetzen.286 Aus der Gesetzesbegründung geht nicht hervor woraus sich dieser durchschnittliche Betrag ergibt. Zu nennen ist hier die Gewährung eines immateriellen Schadensersatzes durch das OLG Frankfurt in Höhe von 100.000 Euro aufgrund eines Schockschadens durch das Miterleben des Todes des Ehemannes.287 Zwar weist das OLG Frankfurt darauf hin, dass dieser Betrag über den bisher gewährten Beträgen für Schockschäden läge.288 Aber auch schon zuvor wurden für gesundheitliche Beeinträchtigungen aufgrund des Miterlebens des Todes eines Angehörigen Beträge in Höhe von 55.000 Euro289, 20.000 Euro290 oder 15.000 Euro291 gezahlt. Die hohen Entschädigungssummen lassen sich durch das Miterleben des Unfalls begründen.292 Der Gesetzesbegründung ist insofern zu folgen, als dass die Entschädigungsbeträge beim Hinterbliebenengeld grundsätzlich hinter den Beträgen für einen erlittenen Schockschaden zurückstehen 283
Ebenso Huber, in: VersR 2020, S. 385 (392). Vgl. Huber/Kadner Graziano/Luckey/Huber, Hinterbliebenengeld, S. 172, der dies und den Verlust des Ehepartners als „am schmerzlichsten“ formuliert. 285 BT-Drs. 18/11397, S. 11. 286 Das LG Dessau hat dem Vater als Hinterbliebenen aufgrund des getöteten Sohnes ein Hinterbliebenengeld i. H. v. 20.000 Euro zugesprochen (LG Dessau-Roßlau Urt. v. 22. 10. 2021 – 4 O 220/20, BeckRS 2021, 50025), das LG Leipzig je Elternteil 15.000 Euro (LG Leipzig Urt. v. 08. 11. 2019 – 05 O 758/19). Das LG Osnabrück hat dem Vater nur einen Betrag von 2.000 Euro zugesprochen (LG Osnabrück Urt. v. 09. 01. 2019 – 3 KLs 4/18, SVR 2020, 139). 287 OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 06. 09. 2017 – 6 U 216/16, NJW-RR 2018, 599. 288 OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 06. 09. 2017 – 6 U 216/16, NJW-RR 2018, 599. 289 OLG Koblenz Urt. v. 05. 06. 2003 – 5 U 219/03, NJW-RR 2003, 1722. 290 BGH Urt. v. 18. 07. 2006 – X ZR 142/05, NJW 2006, 3268; LG Köln Urt. v. 28. 08. 2003 – 8 O 17/03, LSK 2004, 040669. 291 OLG Frankfurt Urt. v. 11. 03. 2004 – 26 U 28/98, BeckRS 2008, 16029. 292 OLG Koblenz Urt. v. 05. 06. 2003 – 5 U 219/03, NJW-RR 2003, 1722; OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 06. 09. 2017 – 6 U 216/16, NJW-RR 2018, 599. 284
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
müssen. Die Anerkennung und der Ausgleich des seelischen Leids, das in dem nach allgemeiner Lebenserfahrung zu erwartenden Umfang bei Verlust einer nahe stehenden Person des Hinterbliebenen vorliegt, kann nicht auf einer Stufe mit der Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit stehen.293 Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Hinterbliebene mit einem über das normale Maß hinausgehenden erlittenen Leid zusätzlich eine immaterielle Entschädigung aufgrund eines Schockschadens geltend machen kann. Zudem soll ein zu hoher Entschädigungsbetrag als Hinterbliebenengeld nicht dazu führen, dass die Entschädigungsbeträge bei Schockschäden steigen. Die vom LG Osnabrück vorgeschlagene Größenordnung i. H. v. 20 Prozent der Schockschaden-Entschädigung ist aber aufgrund der schon im unteren Bereich angesiedelten Schockschadenbeträge abzulehnen.294 Als Ausgangsbetrag wird für die Eltern-Kind-Beziehung deshalb ein Betrag in Höhe von 20.000 Euro vorgeschlagen, der aufgrund der Bemessungskriterien niedriger oder höher bemessen werden kann. Dies wird durch den in diesem Kapitel vorgeschlagenen Korrekturrahmen dargestellt, wonach für Eltern und Kinder eine Erhöhung oder Herabsetzung des Schadensumfangs in Höhe von bis zu 5.000 Euro möglich ist. Sollte der Schaden im Einzelfall geringer zu bewerten sein erscheint es sachgerecht, dass der für Ehegatten anzusetzende Ausgangsbetrag nicht unterschritten wird. Ein Ausgangsbetrag in dieser Höhe ermöglicht dennoch eine Orientierung an den unteren Schockschadenbeträgen, da eine Summe von 20.000 Euro nur im Rahmen der Eltern-Kind-Beziehung in Betracht kommt und für die anderen Personenkreise genügend Raum für gestaffelte Entschädigungshöhen bleibt.295 Zudem ist bei Eltern und Kindern als Anspruchsteller zu berücksichtigen, dass hier insbesondere eine Herabsetzung des Schadensumfangs in Betracht kommt, da der formalen Position von Kindern und Eltern bereits durch den Ausgangsbetrag entsprechende Bedeutung beigemessen wird. cc) Ehegatten Für die Beziehung der Ehegatten stellt sich die Frage ob hier ein niedrigerer Betrag als für die Eltern-Kind-Beziehung anzusetzen ist. Die ist zu bejahen. Die Beziehung zwischen Ehegatten beruht auf einer erst im Laufe des Lebens eingegangenen Beziehung, die durch die Eheschließung formalen Charakter erhalten hat. Dennoch ist die Beziehung zwischen Ehepartnern neben der Eltern-Kind-Beziehung als die bedeutsamste persönliche Beziehung zwischen zwei Personen zu qualifizieren. Als Ausgangsbetrag ist hier ein Betrag in Höhe von 15.000 Euro anzusetzen. Auch bei Ehegatten wird die formale Position und die damit verbundene Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB schon stark gewichtet, sodass eine 293 294 295
BeckOGK/Walter, StVG § 10 Rn. 27. LG Osnabrück Urt. v. 09. 01. 2019 – 3 KLs/710 Js 55274/17, juris. BT-Drs. 18/11397, S. 11.
III. Hinterbliebenengeldentschädigung auf haftungsausfüllender Ebene
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Herabsetzung des Betrags wahrscheinlicher ist. Bei einem ausnahmsweise größeren Schadensumfang ist der Ausgangsbetrag für Eltern und Kinder nicht zu überschreiten. Dies trägt der eigenen Bindung zwischen Eltern und Kindern Rechnung. dd) Geschwister Der Personenkreis der Geschwister wurde zwar durch den Gesetzgeber nicht in die Vermutungsregelung gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB aufgenommen. Aufgrund der formalen Position sind aber zumindest minderjährige Geschwister zunächst auf der Ebene der privilegierten Personenkreise gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB anzusehen, sodass hier ein Ausgangsbetrag in Höhe von 10.000 Euro festzusetzen ist. Damit wird zum einen der gesetzgeberische Wille berücksichtigt, dass Geschwister nicht dem privilegierten Personenkreis gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB angehören sollen. Zum anderen wird hierdurch die formale Position der Geschwister hervorgehoben. Für Geschwister haben die Bemessungskriterien zugleich einen höheren Einfluss auf den Schadensumfang. Aufgrund der hier hohen Gewichtung des Näheverhältnisses zwischen Geschwistern sind insbesondere Gründe für eine Verringerung des Schadensumfangs möglich. Zu denken ist hier insbesondere an erwachsene Geschwister, die schon seit einer nicht unerheblichen Zeit wenig oder keinen Kontakt mehr gepflegt haben. Hier kommt aber aufgrund der formalen Position als objektivierter Maßstab dennoch ein Hinterbliebenengeld in Betracht, sofern das Näheverhältnis z. B. aufgrund einer langen Zeit in häuslicher Gemeinschaft bejaht wurde. Der Mindestbetrag in Höhe von 5.000 Euro ist bei Bejahung eines Näheverhältnisses nicht zu unterschreiten. Eine Erhöhung der Entschädigung aufgrund des Schadensumfangs kommt bis zur Höhe des Ausgangsbetrags für Ehegatten in Betracht, da die Bindung zwischen Geschwistern auf der familiären Verbundenheit beruht und die formale Position hier besonders zu gewichten ist. ee) Nichteheliche Lebensgemeinschaft Die nichteheliche Lebensgemeinschaft, die in vielen Fällen hinsichtlich der tatsächlich gelebten Beziehung mit der Ehe vergleichbar sein wird, ist ebenfalls ein Ausgangsbetrag in Höhe von 10.000 Euro anzusetzen. Aufgrund der fehlenden formalen Position, ist ein Ausgangsbetrag unterhalb der Ehegatten vorzusehen. Dennoch ist durch den Ausgangsbetrag eine Differenzierung von dem Personenkreis der weiteren Hinterbliebenen zum Ausdruck zu bringen. Eine Anpassung des vorgeschlagenen Betrags ist aber auch für die nichteheliche Lebensgemeinschaft nach oben oder unten in Höhe von bis zu 5.000 Euro möglich.
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E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
ff) Andere Für Hinterbliebene, die nicht in den privilegierten Personenkreis gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB fallen und keine Geschwister oder nichteheliche Lebensgemeinschaft sind, ist ein Ausgangsbetrag in Höhe von 5.000 Euro anzusetzen. Es wird dabei zu berücksichtigen sein, dass das Näheverhältnis jedenfalls bejaht worden ist und damit der schwierige Nachweis darüber erbracht worden ist, dass ein besonderes persönliches Näheverhältnis vorliegt. Es ist deshalb nicht nur eine symbolische Entschädigungssumme zu gewähren. Der Ausgangsbetrag ist niedrig anzusetzen um dem restriktiven Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes gerecht zu werden. Da aber ein Näheverhältnis nach den oben dargestellten Kriterien bejaht worden ist, sollte der Mindestbetrag in Höhe von 5.000 Euro nicht unterschritten werden, eine Erhöhung kommt aber ausnahmsweise in Höhe von bis zu 5.000 Euro in Betracht. gg) Die vorgeschlagenen Ausgangsbeträge Personenkreis
Ausgangsbetrag
Korrekturrahmen
Eltern und Kinder
20.000 Euro
+/– 5.000 Euro
Ehegatten
15.000 Euro
+/– 5.000 Euro
Nichteheliche Lebensgemeinschaft
10.000 Euro
+/– 5.000 Euro
Geschwister
10.000 Euro
+ 10.000 Euro/– 5.000 Euro
Andere
5.000 Euro
+ 5.000 Euro
IV. Der Vorschlag für einen Fragebogen als Hilfestellung zur Feststellung der Anspruchsberechtigung gem. § 844 Abs. 3 BGB296 Die Stellungnahme des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft vom 23. Dezember 2016297 hat eine Lösung gefordert, die Rechtssicherheit und Regulierungssicherheit bedeutet.298 Der Vorschlag für einen Fragebogen soll der Herausforderung begegnen, der die Haftpflichtversicherungen durch die Bestimmung der Entschädigungshöhe anhand des Näheverhältnisses ausgesetzt sind sowie dem Bedürfnis Rechnung tragen, die Entschädigungssummen ohne gerichtliche Auseinandersetzung zu regulieren.299 Der Haftpflichtversicherer kann anhand von 296
Vgl. den Vorschlag von Balke, in: SVR 2018, S. 207 (209). Stellungnahme des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zum Referentenentwurf des Gesetzes zum Hinterbliebenengeld v. 23. 12. 2016. 298 Stellungnahme GDV v. 23. 12. 2016, S. 5. 299 BeckOGK/Walter, StVG § 10 Rn. 26. 297
IV. Fragebogen als Hilfestellung zur Feststellung der Anspruchsberechtigung
305
Einzelnachweisen überprüfen, ob ein erforderliches Näheverhältnis bestand, sodass die Angaben des Anspruchsinhabers erforderlich sind. Hierbei wäre direkt zu Beginn zu klären, in welche Personenkategorie der Anspruchsinhaber fällt. Anhand der Feststellung des Personenkreises kann jedenfalls für die privilegierten Personen gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB auf den hier vorgeschlagenen Ausgangsbetrag zurückgegriffen werden, da dieser zum einen die Versicherungen nicht übermäßig belastet und zum anderen ausreichend Berücksichtigung der Einzelfallumstände zulässt. Die vom GDV genannte Schockschadenregulierung in Höhe von 3.000 – 5.000 Euro, die laut Stellungnahme für das Hinterbliebenengeld zu hoch seien,300 lässt keinen Bemessungsspielraum für die Hinterbliebenengeldentschädigung.
300
Stellungnahme GDV v. 23. 12. 2016, S. 7.
306
E. Konkretisierung der Anspruchsvoraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB
Unser Zeichen:
Fragebogen zur Überprüfung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld In dem folgenden Fragebogen wird anhand einiger Fragen das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld überprüft. Dies soll Ihnen ermöglichen, möglichst direkt das Ihnen zustehende Hinterbliebenengeld in Anspruch nehmen zu können, ohne dass wir Ihnen ausführliche Nachweispflichten auferlegen müssen. Wir bitten Sie deshalb, wahrheitsgemäß und vollständig zu antworten. Wir behalten uns dennoch vor, entsprechende Nachweise anzufordern, sofern dies erforderlich ist. Vielen Dank.
Name: Datum:
Frage 1: Personenkreis
Stand Ihnen der Verstorbene als Elternteil, Kind oder Ehepartner nahe? Wenn ja, bitte nennen Sie Ihr Verwandtschaftsverhältnis. Die Fragen 2-5 sind von Ihnen nicht zu beantworten. Ja, als: Nein. Für Eltern, Kinder und Ehegatten des Verstorbenen sind die Fragen 2 bis 6 nicht zu beantworten. Frage 2: Für Geschwister
Nur falls Frage 1. verneint wurde: Sind Sie ein Geschwisterteil des Verstorbenen? Die Fragen 3-5 sind von Ihnen nicht zu beantworten. Ja. Nein.
1
IV. Fragebogen als Hilfestellung zur Feststellung der Anspruchsberechtigung
307
Für Geschwister des Verstorbenen sind die Fragen 3 bis 6 nicht zu beantworten. Frage 3: Sonstige Beziehung
Nur, falls Frage 1. und Frage 2. verneint wurden: In welcher Beziehung standen Sie zu dem Getöteten? (Platz für eine Freitext Antwort)
Frage 4: Sonstige Beziehung Wie lange standen Sie bereits mit dem Getöteten in der in Frage 3 genannten Beziehung? (Platz für eine Freitext Antwort)
Frage 5: Umstände innerhalb der Nähebeziehung Bitte kreuzen Sie folgende, für die bis zum Tod des Verstorbenen zutreffenden Umstände an:
Gemeinsame Sorge für eine dritte Person (Kind, kranke, ältere Personen) Gemeinsamer Haushalt (Haushaltsgemeinschaft) Gemeinsame Haushaltskasse Gemeinsame Nutzung des Hausrats Gegenseitige finanzielle Unterstützung in Bezug auf Haushaltsangelegenheiten (Einkauf von Lebensmitteln, sonstige Neuanschaffungen) Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung (Wohngemeinschaft) Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung ohne weitere Personen Gemeinsame Aktivitäten (Freizeit, Urlaub) Finanzielle Unterstützung durch den Getöteten Dauer der persönlichen Beziehung von mindestens 5 Jahren Frage 6: Sonstige Beziehung Bitte beschreiben Sie (höchstens 10 Sätze), aus welchen Gründen Sie dem Verstorbenen besonders nahestanden. Dies ist optional! Vielen Dank. (Platz für eine Freitext Antwort)
2
F. Zusammenfassung Das Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB als neuartige, dem deutschen Schadensersatzrecht bisher unbekannte Anspruchsgrundlage erfordert eigene Anspruchsvoraussetzungen, die sich im Wesentlichen nicht mit den Voraussetzungen für einen immateriellen Schadensersatzanspruch gem. § 253 Abs. 2 BGB – insbesondere auch nicht mit den Voraussetzungen für den Ersatz eines Schockschadens – decken.1
I. Kein immaterieller Schadensersatzanspruch i. S. d. § 253 Abs. 2 BGB Der Anspruch auf immateriellen Schadensersatz gem. § 253 Abs. 2 BGB setzt eine Verletzung der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgüter voraus. Nach dieser Beeinträchtigung richtet sich die Höhe des Schadens und beeinflusst damit auch die Festsetzung der Entschädigung. Die Höhe der Entschädigung wird zudem durch eine dem immateriellen Schadensersatz zugesprochene Genugtuungsfunktion beeinflusst, die durch die Rechtsprechung entwickelte Bemessungskriterien zum Ausdruck kommt.2 Die Höhe des Schadens und der Entschädigung können beim Hinterbliebenengeld nicht anhand der Rechtsgutsverletzung bestimmt werden. Zudem ist eine Genugtuungsfunktion des Hinterbliebenengeldanspruchs abzulehnen. Auch der immaterielle Schaden unterliegt dem Schadensausgleich als Teil des Rechtsgüterschutzes.3 Zudem ist das Funktionsverständnis der Genugtuung unbestimmt und nicht abschließend geklärt. Sowohl die Rechtsgutsverletzung als auch die auf der Genugtuung beruhenden Kriterien können zur Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung nicht herangezogen werden. Es bedarf deshalb neuer, vom immateriellen Schadensersatz losgelöster Kriterien zur Festsetzung des Entschädigungsbetrags. Parallel zum Hinterbliebenengeld ist im Rahmen des Schockschadensersatzes der Ausgleich für die Trauer über den Verlust eines Menschen möglich.4 Ein Anspruch 1 2 3 4
IV. 4.
Vgl. zur Rechtsnatur des Hinterbliebenengeldes in Kap. D. I. Vgl. zum immateriellen Schadensersatz gem. § 253 Abs. 2 BGB in Kap. C. Schubert, in: Karlsruher Forum 2016, S. 13. Vgl. zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Ersatz des Schockschadens in Kap. B.
II. Das Näheverhältnis als anspruchsbegründende Voraussetzung
309
auf immateriellen Schadensersatz aufgrund eines Schockschadens stellt aber ebenfalls einen immateriellen Schadensersatzanspruch gem. § 253 Abs. 2 BGB dar, der eine Rechtsgutsverletzung voraussetzt. Die Trauer oder der Schock über den Unfall einer nahe stehenden Person muss über das übliche Maß hinausgehen und Krankheitswert erreichen. In diesen Fällen ist eine Gesundheitsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB zu bejahen, sodass die trauernde Person als Anspruchsteller unmittelbar eine eigene Verletzung erleidet. Die Haftung beruht in diesem Fall auf der Körperverletzung des Anspruchstellers, während die Haftung beim Hinterbliebenengeld auf der Lebensverletzung des Dritten beruht. Auch wenn die Ursache für den Schockschaden ebenfalls auf der Trauer beruht, bezieht sich der Ausgleich im Rahmen des § 253 Abs. 2 BGB auf die Schmerzen und Leiden, die durch die Körper- oder Gesundheitsverletzung des Schockgeschädigten verursacht werden. Deshalb beinhaltet der ersatzfähige Schockschaden nur die Verletzung mit Krankheitswert und nicht die bloße Trauer. Der immaterielle Schaden beim Hinterbliebenengeld ist gerade das seelische Leid. Der Gesetzgeber hat sich nach der hier vertretenen Auffassung bewusst für einen vom Schockschaden unabhängigen Anspruch auf Hinterbliebenengeld entschieden. Die beiden Ansprüche stehen deshalb nebeneinander.5 Aufgrund der schwierigen Bemessung des seelischen Leids in Geld können die beim Schockschaden gezahlten Beträge aber als Orientierung herangezogen werden. Es entspricht dem Sinn und Zweck des Hinterbliebenengeldes, dass die Hinterbliebenengeldentschädigung aufgrund der fehlenden Rechtsgutsverletzung in der Regel hinter den Beträgen für Schockschäden zurückbleibt.6
II. Das Näheverhältnis als anspruchsbegründende Voraussetzung gem. § 844 Abs. 3 BGB Auch wenn das Hinterbliebenengeld eigenen Anspruchsvoraussetzungen folgt, ist der Anspruch durch die Einfügung in § 844 BGB im Deliktsrecht verortet worden, sodass auch § 844 Abs. 3 BGB als deliktsrechtliche Anspruchsgrundlage zu behandeln ist: Für die Begründung eines Anspruchs müssen die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität vorliegen. Der Umstand der fehlenden Rechtsgutsverletzung führt zunächst dazu, dass der haftungsbegründende Tatbestand nicht durch die Kausalität zwischen unerlaubter Handlung und Rechtsgutsverletzung verwirklicht werden kann. Vielmehr muss der Tod des Primärverletzten kausal auf der unerlaubten Handlung des Schädigers beruhen. 5 Vgl. zum Verhältnis des Hinterbliebenengeldanspruchs zum Schockschadensersatz in Kap. B. IV. 4. 6 Vgl. zu den Bemessungsfaktoren beim Hinterbliebenengeld in Kap. E. III.
310
F. Zusammenfassung
Das durch § 844 Abs. 3 BGB vorausgesetzte besondere persönliche Näheverhältnis zwischen dem Getöteten und dem Hinterbliebenen stellt die ausschlaggebende Anspruchsvoraussetzung auf haftungsbegründender und haftungsausfüllender Ebene dar.7 Das Näheverhältnis ist als Äquivalent zur fehlenden Rechtsgutsverletzung zu sehen, da es den Anspruch eines mittelbar betroffenen Dritten rechtfertigt, der durch den Tod des Primärverletzten seine Nähebeziehung einbüßt. Auf haftungsbegründender Ebene ist das besondere persönliche Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB anhand von objektiven Kriterien festzustellen, um eine möglichst einheitliche Gewährung des Anspruchs gewährleisten zu können. Auch wenn das Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB voraussetzt, dass die tatsächliche Beziehung ein Näheverhältnis begründet, ist die formale Position des Anspruchstellers als wesentliches Kriterium für die Begründung des Näheverhältnisses zu bewerten. Sowohl die Bestimmung der Personenkreise, die als Anspruchsteller in Betracht kommen, als auch die dem Näheverhältnis zugrunde liegenden Kriterien haben gezeigt, dass regelmäßig die Familie und weitere Verwandte anspruchsberechtigt sein werden. Es erscheint deshalb sachgerecht, von der Relevanz der formalen Position des Anspruchstellers die weiteren Anforderungen an das Näheverhältnis abhängig zu machen.8 Als Hilfskriterien zur Feststellung eines Näheverhältnisses sind die verschiedenen bereits im Gesetz und in der Rechtsprechung genannten Überlegungen auf ihre Geeignetheit hin überprüft worden. Dabei sind die Gesetzesbegründung und Literatur zum Hinterbliebenengeld sowie die gesetzlich in anderen Normen festgelegten Kriterien berücksichtigt worden. Darüber hinaus sind die durch die Rechtsprechung entwickelten Merkmale zur Feststellung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft als geeignete Anhaltspunkte bewertet worden. Den das Näheverhältnis begründenden Kriterien kommt bei der Frage nach einem Näheverhältnis unterschiedliche Bedeutung zu. Die Relevanz des Kriteriums hängt zunächst von der formalen Position des Anspruchstellers ab. Der Personenkreis der Geschwister und der Personenkreis der nichtehelichen Lebensgemeinschaft hätte nach hier vertretener Auffassung ebenfalls in den privilegierten Personenkreis gem. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB aufgenommen werden sollen.9 Für diese beiden Personenkreise stellt die formale Position deshalb bereits ein gewichtiges Indiz für ein anspruchsbegründendes Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB dar. Insbesondere Geschwister sind vergleichbar mit den in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB privilegierten Personen, sodass für minderjährige Geschwister ein Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. BGB aufgrund der formalen Position bereits angenommen werden kann und an weitere Kriterien keine hohen Anforderungen zu stellen sind. Auch wenn z. B. Tanten und Onkel enge Verwandte gem. § 1589 Abs. 1 BGB sind, kann die formale Position hier nur eingeschränkt als Kriterium für das Näheverhältnis herangezogen werden. Fehlt beispielsweise bei einem Freund die formale 7 8 9
Vgl. zum Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB in Kap. E. III. 3. Vgl. zur formalen Position des Anspruchstellers auf Stufe 1 in Kap. E. II. 2. b) bb). Ebenso Stellungnahme Bundesrat BT-Drs. 11/11615, S. 8.
III. Näheverhältnis als Bemessungsgrundlage auf haftungsausfüllender Ebene
311
Position, kommt den objektiven Kriterien erhebliche Bedeutung zu, sodass möglichst viele der Kriterien eindeutig vorliegen müssen.10 Die Feststellung des Näheverhältnisses anhand von objektiven Kriterien darf jedoch nicht dazu führen, dass individuelle Einzelumstände keine Berücksichtigung finden. Aufgrund des restriktiven Anwendungsbereichs des Hinterbliebenengeldes müssen diese Einzelumstände aber geeignet sein, ausnahmsweise ein abweichendes Ergebnis zu rechtfertigen. Anhand einer Gesamtbetrachtung11 ist das durch die verschiedenen Kriterien erzielte Ergebnis zu überprüfen und ggf. zu korrigieren.
III. Das Näheverhältnis als Bemessungsgrundlage auf haftungsausfüllender Ebene Die Rechtsgutsverletzung kann auch bei der Bemessung des immateriellen Schadens nicht als Bemessungsfaktor berücksichtigt werden. Für die Bemessung der Hinterbliebenengeldentschädigung kommt es deshalb entscheidend auf die Funktion des Hinterbliebenengeldes auf haftungsbegründender und haftungsausfüllender Ebene an. Während sich die haftungsausfüllende Kausalität ausschließlich auf den Ausgleich seelischen Leids bezieht, erfordert der haftungsbegründende Tatbestand eine andere Bewertung aufgrund der fehlenden Rechtsgutsverletzung des Anspruchstellers. Es fehlt an der unmittelbaren Beeinträchtigung des Hinterbliebenen, auf die sich der Ausgleich beziehen kann. Der Primärverletzte hat jedoch eine Verletzung seines Rechtsguts Leben i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB erlitten. Durch den Tod kann die Beeinträchtigung des Primärverletzten nicht mehr ausgeglichen werden, sodass der Ausgleich durch die Entschädigung für den Hinterbliebenen erreicht wird. Das verletzte Recht des Getöteten setzt sich beim Hinterbliebenen als Anspruch auf Entschädigung für den Verlust fort. Deshalb bezweckt im Ergebnis auch der Haftungsgrund des Hinterbliebenengeldes auf haftungsbegründender Ebene den Ausgleich der Rechtsgutsverletzung. Die Ausschließlichkeit des Ausgleichs als Ziel des Hinterbliebenengeldes hat zur Folge, dass die Entschädigung durch die Grenze des Ausgleichs beschränkt ist. Die Entschädigung kann nur in der Höhe gewährt werden, die für den Ausgleich des immateriellen Schadens erforderlich ist. Wenn aber der Ausgleich des seelischen Leids im Vordergrund steht, besteht für die Bestimmung des Schadensumfangs das Problem einer geeigneten Bemessungsgrundlage, anhand der man das seelische Leid bestimmen kann. Eine Beeinträchtigung in Form von einer Rechtsgutsverletzung als Anknüpfungspunkt fehlt. Hinzu kommt die Inkommensurabilität immaterieller Schäden, dessen Nachteil nicht in Geld messbar ist.12 10 11 12
Vgl. zum Vorschlag einer 3-stufigen Prüfung des Näheverhältnisses in Kap. E. II. Vgl. als „funktionale Betrachtung auf Stufe 3“ bezeichnet, in Kap. E. III. 3. a) ee). Vgl. zum immateriellen Schadensersatz gem. § 253 Abs. 2 BGB in Kap. C.
312
F. Zusammenfassung
Aus diesen Gründen ist die Höhe des Schadens anhand von objektiven Kriterien zu bestimmen. Aufgrund der Ausgleichsfunktion entspricht die Höhe des Schadens auch der Höhe der Entschädigung. Da der Haftungsgrund des § 844 Abs. 3 BGB auf dem Rechtsfortsetzungsgedanken beruht, steht das durch den Tod beendete Näheverhältnis i. S. d. § 844 Abs. 3 BGB im Vordergrund. Es erscheint sachgerecht, die für das Näheverhältnis herangezogenen Kriterien auch als Bemessungskriterien auf haftungsausfüllender Ebene heranzuziehen. Dies entspricht auch dem Bedürfnis nach einem restriktiven Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes aufgrund der fehlenden Rechtsgutsverletzung als Anknüpfungspunkt. Die Höhe des Schadens wird durch eine objektive Bewertung des Schadens erreicht, indem es nicht auf das Ausmaß der negativen Gefühle ankommt, sondern auf die Intensität des Näheverhältnisses. Damit entscheidet die Art des Näheverhältnisses über den Umfang des Schadens in Form von seelischem Leid.13 Dabei ist aber ein etwaiges Mitverschulden des Getöteten gem. § 846 BGB entsprechend zu berücksichtigen. Hat der Getötete die Schädigung mit Todesfolge mitverursacht, wirkt sich dies auf den Umfang des Schadens aus. Ausnahmsweise ist ein um den Verursachungsbeitrag verringerter Schadensumfang zu bestimmen, welches sich im Rahmen des Hinterbliebenengeldes entsprechend auf die Höhe der Entschädigung auswirkt. Entscheidend ist, dass sich auch das Mitverschulden i. S. d. § 254 BGB auf den Umfang des Schadens und nicht auf die Höhe der Entschädigung auswirkt. Andernfalls müsste auch für das Hinterbliebenengeld zwischen der Höhe des Schadens und der Höhe der Entschädigung differenziert werden. Die objektiven Kriterien bieten einen Orientierungsmaßstab und tragen zu einer transparenten und vorhersehbaren Gewährung des Hinterbliebenengeldes bei, ohne dass eine schematische Bemessung erfolgt.
IV. Vorschlag zur Festsetzung von Ausgangsbeträgen Die vorstehende Untersuchung hat gezeigt, dass die Verknüpfung zwischen der formalen Position des Anspruchstellers und den das Näheverhältnis charakterisierenden Umständen zu sachgerechten Ergebnissen führen kann. Deshalb kann die Festsetzung von Ausgangsbeträgen ebenfalls zu einer einheitlichen Gewährung des Hinterbliebenengeldes ohne das Risiko einer ausufernden Haftung beitragen. Das Vorliegen objektiver, das Näheverhältnis begründender Kriterien kann eine Erhöhung des Schadensumfangs rechtfertigen. Dabei stellt der Ausgleich des Schadens die Obergrenze für die Höhe der Entschädigung dar. Eine höhere Bemessung der Entschädigung ist deshalb nur möglich, wenn die das Näheverhältnis begründenden Umstände ausnahmsweise einen erhöhten Schadensumfang bedeuten. Es wird betont, dass ein solcher Ausgangsbetrag nicht auf der Bewertung des seelischen Leids je nach Verlust beruht, sondern vielmehr die formale Position und die Einordung in 13
Vgl. hierzu ausführlich Kapitel E. III. 3.
IV. Vorschlag zur Festsetzung von Ausgangsbeträgen
313
einen festgelegten Personenkreis den Ausgangsbetrag bestimmen. Allerdings erfordert die Festsetzung eines solchen Ausgangsbetrags eine bundeseinheitliche Regelung, damit unterschiedliche Entwicklungen und Maßstäbe verhindert werden würden. Der in dieser Arbeit aufgeworfene Vorschlag wäre entbehrlich gewesen, wenn der Gesetzgeber die Norm des Hinterbliebenengeldes konkreter ausgestaltet hätte. Die damit bezweckte Einzelfallgerechtigkeit kann aufgrund der Tötung des Verletzten nicht mehr erreicht werden. Die Inkommensurabilität seelischen Leids kann durch den in § 844 Abs. 3 BGB eingeräumten erheblichen richterlichen Ermessensspielraum nicht überwunden werden. Auch wenn bei starren Pauschalbeträgen Zurückhaltung geboten ist, hätte die Nennung von Entschädigungsbeträgen und anspruchsberechtigten Personenkreisen eine bedeutende Vereinfachung für die Gewährung der Hinterbliebenengeldentschädigung ermöglicht. Das deutsche Schadensersatzrecht kennt zwar keine pauschalen Entschädigungsbeträge, der Sinn und Zweck des Hinterbliebenengeldes mit seinem restriktiven Anwendungsbereich lässt eine gesetzliche Vorgabe aber zu. Dies zeigen auch andere europäische Rechtsordnungen, die Entschädigungsbeträge für trauernde Hinterbliebene gesetzlich vorsehen.14 Die vorliegende Arbeit hat für die zu Anfang geäußerte These ergeben, dass ein Ausgleich seelischen Leids ohne eine Kommerzialisierung von Schicksalsschlägen grundsätzlich möglich ist.15 Die gesetzliche Ausgestaltung des Hinterbliebenengeldes lässt eine objektive Bewertung des Schadens und damit auch der Entschädigung zu. Der Inkommensurabilität von immateriellen Schäden wird durch die objektive Bewertung entgegengetreten mit der Folge, dass ein angemessener Ausgleich für seelisches Leid möglich ist. Das Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB bietet eine objektive Bemessungsgrundlage, die gleichzeitig dem Anspruch auf eine angemessene Entschädigung gerecht wird. Nicht nur der Anspruch auf Hinterbliebenengeld erfordert für einen angemessenen Ausgleich immaterieller Schäden eine Weiterentwicklung der Ausgleichsfunktion.
14
So z. B. in der Schweiz oder in Irland, wo zumindest eine Höchstgrenze gesetzlich festgelegt ist (Huber, in: NZV 2012, S. 5 (9); Schultzky, in: VersR 2011, S. 857 (858); Scheffen, in: NZV 1995, S. 218 (219). 15 Vgl. in Kapitel A., Einführung.
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Stichwortverzeichnis Angehörige 56 ff. Angehörigenschmerzensgeld 26 ff. Anspruchsgrundlage 168, 231 Arbeitsrecht 216 ff. Arzthaftungsrecht 203 ff. Ausgangsbeträge 298 ff. Ausgleichsfunktion 174 ff. Behandlungsvertrag 204 ff. Bemessung 85, 113, 130 ff., 172, 198, 282 ff. Bemessungsfaktoren 85 Deliktsrecht Ehe
45, 210
247, 302
Familie 60, 255 Funktionale Betrachtung
Leben
178, 190, 192
Mitverschulden
130, 290
Näheverhältnis 64 ff., 87, 243, 250, 272, 292, 309 Nasciturus 269 ff. Nichteheliche Lebensgemeinschaft 70, 253, 303 Patchwork Familie 255 Pauschalbetrag 185, 199 Persönlichkeitsrecht 140, 175 Prävention 126, 187 Reformbestrebungen
297
Genugtuungsfunktion 124, 184 Geschwister 251, 303 Gesetzliche Vermutung 75 Großeltern 251 Haftungsausfüllende Kausalität 52, 81, 118, 175, 237, 282, 311 Haftungsbegründende Kausalität 53, 64, 174, 234, 240, 245 Haushaltsgemeinschaft 68, 257, 296 Hinterbliebene 56 Immaterieller Schadensersatz Indizien 68, 252 Kinder 192, 249, 273, 301 Körperverletzung 20, 70, 237
111 ff.
149, 160
Schadensanfälligkeit 130, 288 Schmerzensgeld 111 Schockschaden 85, 93 ff., 284 Seelisches Leid 81, 273 Tod
234
Vererbbarkeit 91, 139, 143, 279 Verjährung 90, 244 Verwandte 61 Wahrnehmungsfähigkeit/Empfindungsfähigkeit 147 Zweites Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften 42, 149, 154, 158