Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung [1 ed.] 9783428442584, 9783428042586


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Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung [1 ed.]
 9783428442584, 9783428042586

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MICHAEL

FRENZEL

Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung

Schriften zum ö f f e n t l i c h e n Band 354

Recht

Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung

Von

Dr. Michael Frenzel

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten © 1978 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1978 bel Buchdruckerei Richard Schröter, Berlin 61 Printed i n Germany I S B N 3 428 04258 1

Meinen Eltern

Vorwort Diese Schrift hat der rechtswissenschaftlichen Abteilung der RuhrUniversität Bochum i m Februar 1978 als Dissertation vorgelegen und wurde von ihr unverändert angenommen. Das Manuskript wurde i m Oktober 1977 abgeschlossen, so daß Rechtsprechung und Literatur nur bis zu diesem Zeitpunkt berücksichtigt werden konnten. Herrn Prof. Dr. Schmidt-Aßmann, Universität Bochum, von dem die Anregung zu dieser Arbeit ausging, danke ich für die freundliche Unterstützung und stetige Diskussionshilfe, die er m i r gewährt hat. Dank sage ich auch dem Rheinischen Sparkassen- und Giroverband, der den Druck dieser Arbeit finanziell ermöglicht hat. Schließlich gilt mein Dank Herrn Ministerialrat a. D. Professor Dr. J. Broermann, der sich freundlicherweise bereit erklärte, die Arbeit in die Schriftenreihe zum öffentlichen Recht aufzunehmen. Duisburg, i m August 1978 Michael Frenzel

Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG

öffentliches Interesse und Enteignungsrecht

19

I. T E I L

Die historische Entwicklung der Gemeinwohlklausel als Enteignungsvoraussetzung

22

Erstes Kapitel Die enteignungsrechtliche Gemeinwohlklausel i m Enteignungsrecht des bürgerlich liberalen Rechtsstaates des 19. Jahrhunderts A. Die Verfassungsgrundlagen der Enteignung I. Die m i t t e l - u n d süddeutschen Verfassungsverbürgungen I I . Die Verfassungslage i n Preußen

25 25 26

B. Das Enteignungs- u n d Gemeinwohlverständnis des Gesetzgebers I. Enteignungsrechtliche Spezialregelungen I I . Die Vereinheitlichung des Enteignungsrechts durch die allgemeinen Enteignungsgesetze Bayerns u n d Preußens 1. Das Enteignungsbild des bayrischen Zwangsabtretungsgesetzes 2. Das preußische Enteignungsgesetz v o n 1874 I I I . Der „klassische" Enteignungsbegriff

Zweites

25

28 29 31 32 34 36

Kapitel

Der Begriff des öffentlichen Interesses i m Enteignungsrecht der Weimarer Republik

39

1. Abschnitt: Die begriffsbildende Funktion des Gesetzgebers

40

A . Verfassungsrechtliche Normierungen der Gemeinwohlklausel

40

I. Das enteignungsrechtliche Gemeinwohlbild der Weimarer Reichsverfassung I I . Die Gemeinwohlklausel i n den Landesverfassungen

40 44

10

nsverzeichnis

Β . Konkretisierungen des Gemeinwohltatbestandes i n den Reichs- u n d Landesenteignungsgesetzen 46 I. Enteignungsregelungen zur Bewältigung der unmittelbaren Kriegsfolgen

47

I I . Enteignungen auf dem Gebiet des Wohnungswesens u n d des Städtebaus 1. Eigentumseingriffe i m Rahmen der Wohnungszwangswirtschaft 2. Heimstätten u n d städtische Siedlungsgesetzgebung 3. Baurechtliche Enteignungsregelungen

50 50 51 55

2. Abschnitt: Die Gemeinwohlklausel i m Spiegel der Rechtsprechung . . .

58

A. Der Ausbau des Rechtsschutzes gegenüber Eigentumseingriffen des Gesetzgebers

59

B. Die Gemeinwohljudikatur

62 Zusammenfassung

Die historischen Leitlinien des enteignungsrechtlichen öffentlichen Interesses

66

II. TEIL

Hauptprobleme der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlklausel im sozialen Rechtsstaat der Gegenwart Vorbemerkung: Der Stellenwert des öffentlichen Interesses als Enteignungsvoraussetzung i m modernen Enteignungsrecht

68 68

Erstes Kapitel Die privatnützige Enteignung

72

1. Abschnitt: Wirtschaftsbegünstigende Enteignungen 1. Unterabschnitt:

Enteignungen

zugunsten

öffentlicher

75 Unternehmen

A. Das Enteignungsrecht öffentlicher Verkehrsunternehmen I. Die Eisenbahnrechtliche Enteignung I I . Enteignung zugunsten öffentlicher Nahverkehrsunternehmen I I I . Enteignung zu Zwecken der Z i v i l l u f t f a h r t B. Enteignung zugunsten öffentlicher Versorgungsunternehmen I. Die Energiewirtschaftliche Enteignung

77 77 77 81 82 86 86

I I . Enteignung zu Zwecken der öffentlichen Wasserversorgung 1. Die landesrechtlichen Enteignungsregelungen zugunsten öffentlicher Wasserversorgungsunternehmen 2. Die Durchleitungs-Zwangsrechte zugunsten öffentlicher V e r sorgungsunternehmen

90

93

Zusammenfassung: Das Enteignungsrecht öffentlicher Unternehmen . . . .

95

92

nsverzeichnis 2. Unterabschnitt: nehmen

Enteignungen

zugunsten privatwirtschaftlicher

Unter97

A. Die öffentliche Bedeutung privater enteignungsrechtliche Relevanz

Wirtschaftstätigkeit

und

ihre

I. Z u r Gemeinwohlbedeutung privater Wirtschaftsunternehmen

97

I I . Enteignungsrechtliche Konsequenzen

99

B. Die gesetzliche Interessengewichtung: Wirtschaftsbegünstigende eignungen i m Spiegel der Gesetzgebung I. Die strukturverbessernde setzes

Enteignung

97

des

Ent-

Kohleanpassungsge-

101 101

I I . Die Zwangslizenz als Sonderform der Wirtschaftsbegünstigenden Enteignung 106 C. Verfassungsrechtliche Bezüge einer Enteignung zugunsten Wirtschaftsunternehmen

privater

I. Der verfassungsrechtliche Grobrahmen

109 109

1. Die wirtschaftslenkende F u n k t i o n der Enteignung

109

2. Verfassungsrechtliche Konsequenzen

110

I I . Abwägungserhebliche Einzelbelange

111

1. Die bestandssichernden „privaten" Belange

111

2. Die enteignungsrelevanten öffentlichen Interessen am W i r t schaftsgeschehen 113 a) Die gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen der unternehmensbegünstigenden Enteignung 114 b) Die Enteignung als Instrument sektoraler oder regionaler Strukturpolitik 119 I I I . Die öffentlichen Bindungen des enteignungsbegünstigten Privaten 127 1. Die Sicherungsmittel

128

2. Einzelne typische Sicherungszwecke

132

2. Abschnitt: Die privatnützige Enteignung als Instrument einer aktiven Sozialpolitik 133 1. Unterabschnitt: Der Grundtypus Bodenrecht der Nachkriegszeit

der privatnützigen

Enteignung

im

136

A. Das Enteignungsbild der Aufbaugesetze u n d des Baulandbeschaffungsgesetzes 136 I. Die Regelungen der Aufbaugesetze I I . Die privatnützige Enteignung i m Baulandbeschaffungsgesetz

136 138

nsverzeichnis

12

Β . Der enteignungsrechtliche Direkterwerb i m B B a u G

141

I. Die planungsrechtlichen Bindungen des Enteignungszwecks

142

1. Die privatnützige Enteignung als Konsequenz der Plankonzeption des B B a u G 142 2. Umsetzung i n einzelne Planaussagen

143

I I . Die Konkretisierung des Enteignungszwecks i m Enteignungsverfahren 146

2. Unterabschnitt: eignungstyp

Die transitorische

Enteignung

als eigenständiger

A. Die nutzungsvorbereitende, technische F u n k t i o n der Enteignung I. Die Enteignung BBauG

zur

plangemäßen

I I . Die technische Zielsetzung der StBauFG

transitorischen

Nutzungsvorbereitung

transitorischen

Ent-

Enteignung

B. Die eigentumsstreuende F u n k t i o n der transitorischen Enteignung I. Entwicklungsgeschichte

im im

148

150 150 152 156 156

I I . Die eigentumsstreuende transitorische Enteignung i m geltenden Bodenrecht 157 1. Die Rechtslage i m StBauFG

157

2. Die Rechtslage nach der Novellierung des B B a u G

160

I I I . Verfassungsfragen der eigentumsstreuenden Enteignung

163

C. Die transitorische Enteignung als Instrument kommunaler Bodenvorratswirtschaft 165 I. Die Bodenbevorratung nach dem StBauFG

166

1. Die Rechtslage i m Sanierungsgebiet

166

2. Die Rechtslage i m Entwicklungsbereich

168

I I . Die Übertragung der Regelungen des StBauFG auf das allgemeine Städtebaurecht 169 D. Die transitorische Enteignung als Instrument der Bodenwertabschöpfung 173 I. Ansätze einer partiellen Bodenwertabschöpfung i m Enteignungsrecht des B B a u G 174 1. Die entschädigungsrechtliche Komponente der l i m i t i e r t e n B o denwertabschöpfung 175 2. Die veräußerungsrechtliche Komponente

177

nsverzeichnis I I . Die transitorische Enteignung als Abschöpfungsinstrument i n der Systematik des StBauFG 178 1. Anwendungsbereich

178

a) Die räumlichen Grenzen der Durchgangsenteignung

179

b) Die zeitlichen Abschöpfungsschranken

181

c) Die abzuschöpfenden Wertsteigerungen

182

2. Verfassungsfragen der abschöpfenden, transitorischen Enteignung 186 a) Die allgemeinen Verfassungsgrenzen der Bodenwertabschöpfung 186 b) Transitorische Enteignung u n d Gemeinwohlklausel

Zweites

190

Kapitel

Das öffeniliche Interesse als Voraussetzung der städtebaulichen Aufopferungsenteignung

193

1. Abschnitt: Begriff und Funktion der städtebaulichen Aufopferungsenteignung i m BBauG 193 2. Abschnitt: Die Planenteignung in der städtebaulichen Praxis

196

A. Strukturen der Planenteignung

198

I. Die enteignungsrechtlichen Mischtatbestände der §§ 40, 42 B B a u G 198 1. Die nutzungsbeschränkende W i r k u n g der Planaussagen

198

a) Die objektiven Grundlagen der Enteignung

199

b) Subjektive Enteignungskomponente

201

2. Die V o r w i r k u n g der Administrativenteignung i n den Planaussagen der §§ 40 u n d 42 B B a u G 205 I I . Die engeren Planenteignungstatbestände der §§ 43, 44 B B a u G . . 210 1. Enteignend wirkende planerische Bindungen f ü r Bepflanzungen (§ 43 BBauG) 210 2. Planenteignung durch Änderung oder Aufhebung einer zulässigen Nutzung (§ 44 BBauG) 212 a) Eingriffsobjekt

213

b) Eingriffstatbestand

215

B. Die Zulässigkeit enteignend wirkender Planaussagen

219

I. Z u r Prognose der Enteignungsqualität planerischer Festsetzungen 220

14

nsverzeichnis I I . Planungsermessen u n d A r t . 14 Abs. 3 S. 1 GG 1. Zulässigkeit der städtebaulichen Aufopferungsenteignung

224 225

a) Allgemeinwohlintentionalität

226

b) Übermaßverbot

228

2. Zulässigkeit der „vorwirkenden" Administrativenteignung

234

Zusammenfassende Thesen

236

Literaturverzeichnis

241

Abkürzungsverzeichnis

a. Α., Α. Α. a. F. Abg. ABl. AcP ALR Allg.EisenbG a. M. AöR AS AufbG bad. bad.-württ. BaulbeschG BauNVO BauR bay. BayVBl BayVerfGH BB BBauBl. BBauG Bd. Begr. Beschl. BGB BGBl BGH BGHZ BK Bl. BlfGWB BLG BR. BR.-Drucks. brem. BROG BRS BT.-Drucks. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BVerwVfG DB DJT DÖV DRWiss. DVB1. DWW

= = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = =

anderer Ansicht alte Fassung Abgeordneter Amtsblatt Archiv f ü r civilistische Praxis Allgemeines Landrecht Allgemeines Eisenbahngesetz anderer Meinung Archiv des öffentlichen Rechts Amtliche Sammlung Aufbaugesetz badisch baden-württembergisch Baulandbeschaffungsgesetz Baunutzungsverordnung Baurecht bayerisch Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof Der Betriebsberater Bundesbaublatt Bundesbaugesetz Band Begründung Beschluß Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs i n Zivilsachen Bonner Kommentar Blatt Blätter f ü r Grundstücks-, Bau- u n d Wohnungsrecht Bundesleistungsgesetz Bundesrat Drucksache des Bundesrates bremisch Raumordnungsgesetz des Bundes Baurechtssammlung Drucksache des Bundestages Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des B V e r f G Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundesverwaltungsverfahrensgesetz Der Betrieb Deutscher Juristentag Die öffentliche V e r w a l t u n g Deutsche Rechtswissenschaft Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Wohnungswirtschaft

16

Abkürzungsverzeichnis

= E = EnergG = EnteigG = Entw. = FischersZ = FluchtlG = G = GewArch = Gewos = Ges.Bl. = GG = GRUB = GS. = GVB1 = H. = hambg. = HdDStR = HdwbKommWiss. = HdwbR = HdwbStaatsWiss. == HdwbSVR = hess. = h. M . = i. V. m. = JöR = JR = JuS = JW = JZ Komm. Entw. BBauG = = krit. = LM

LuftVG LuftVZO LWG MDR Minbl. MittPat. m. w . N. nds. NJW N W , nw. o. J. OLG OVG OVGE PatG PBefG Pr., pr. PrVBl. Rdnr. Reg.-Bez. Reg.Entw. RG RGZ RHG ReichsArbBl rhpf. Rspr.

= = = = = = = = = = =

= = = = = = = = = = = = = = = =

Entscheidung Energiewirtschaftsgesetz Enteignungsgesetz Entwurf Fischers Zeitschrift Fluchtliniengesetz Gesetz Gewerbearchiv Gesellschaft f ü r Wohnungs- u n d Siedlungswesen e.V. Gesetzesblatt Grundgesetz Gewerblicher Rechtsschutz u n d Urheberrecht Gesetzessammlung Gesetz- u n d Verordnungsblatt Heft hamburger Handbuch des Deutschen Staatsrechts Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften Handwörterbuch der Rechtswissenschaften Handwörterbuch der Staatswissenschaften Handwörterbuch des Sächsischen Verwaltungsrechts hessisch herrschende Meinung i n Verbindung m i t Jahrbuch des öffentlichen Rechts Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung E n t w u r f eines Bundesbaugesetzes kritisch Nachschlagewert des B G H , hrsg. v o n Lindemaier, M ö h r i n g u. a. Luftverkehrsgesetz Luftverkehrszulassungsordnung Landeswassergesetz Monatsschrift f ü r deutsches Recht Ministerialblatt Mitteüungen v o m Verband Deutscher Patentanwälte m i t weiteren Nachweisen niedersächsisch Neue Juristische Wochenschrift Nordrhein-Westfalen, nordrhein-westfälisch ohne Angabe des Erscheinungsjahres Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Entscheidungssammlung des Oberverwaltungsgerichts Patentgesetz Personenbeförderungsgesetz Preußen, preußisch Preußisches Verwaltungsblatt Randnummer Regierungsbezirk Regierungsentwurf Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts i n Zivilsachen Reichsheimstättengesetz Reichsarbeitsblatt rheinland-pfälzisch Rechtsprechung

Abkürzungs Verzeichnis schl.-holst. SKV sog. StabG StBauFG std. Rspr. StGH Sten. Prot. Urt. VerfGH VerwArch. VerwR. VerwRspr. VG VGH VO Vorbem. VR WDStRL VwGO WHG WiR WM WRV ZfB ZfW

zstw ZLW

17

schleswig-holsteinisch Staats- u n d K o m m u n a l v e r w a l t u n g = sogenannt = Stabilitätsgesetz = Städtebauförderungsgesetz = ständige Rechtsprechung = Staatsgerichtshof = Stenographische Protokolle = Urteil = Verfassungsgerichtshof = Verwaltungsarchiv = Verwaltungsrecht = Verwaltungsrechtsprechung = Verwaltungsgericht = Verwaltungsgerichtshof = Verordnung = Vorbemerkung = Vermessungsrecht = Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer = Verwaltungsgerichtsordnung = Wasserhaushaltsgesetz = Wirtschaftsrecht = Wertpapiermitteilungen = Weimarer Reichsverfassung = Zeitschrift f ü r Bergrecht = Zeitschrift f ü r Wasserrecht SS Zeitschrift f ü r die gesamte Staatswissenschaft = Zeitschrift f ü r L u f t f a h r t u n d Weltraumrechtsfragen = =

EINLEITUNG

öffentliches Interesse u n d Enteignungsrecht Der Begriff des öffentlichen Interesses ist seit seiner „Renaissance" Mitte der sechziger Jahre Gegenstand zahlreicher Untersuchungen gewesen 1 . Sondert man die nationalökonomischen 2 , historischen 3 , politologischen 4 oder philosophischen 5 Deutungsversuche aus, so verbleibt auch i m Felde des öffentlichen Interesses als juristisches Problem eine kaum überschaubare Materialfülle 6 , die den aufmerksamen Betrachter an die „süffisante" 7 Bemerkung Luhmanns8 denken läßt, daß jede Begriffsbestimmung zwar ebensoviel Anteilnahme wie das Erklettern der Eigernordwand erwecke, nicht aber die gleichen Erfolgschancen habe. Ähnliche Risiken birgt der Versuch, das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung faßbarer zu machen. Die ständig wachsenden Aufgaben des modernen Staates haben auch die Zahl der enteignungsrechtlichen Eingriffszwecke erheblich steigen lassen. Einen Eindruck von der ganzen Breite des heutigen Enteignungsrechts vermittelt die Kommentierung Kimminichs 9, der eine bunte Palette möglicher Enteignungstatbestände aufzeigt, die von bau- und planungsrechtlichen Eingriffsvarianten über natur- oder landschaftsschutzrechtlich motivierte Eingriffe bis zu wirtschaftslenkenden Maßnahmen reicht. Die vorliegende Untersuchung versucht der Gefahr, sich i n einer bloßen typisierenden Aufzählung zulässiger Enteignungszwecke zu verlieren, ι Z u m rechtspolitischen H i n t e r g r u n d der Wiederbelebung der Gemeinwohldiskussion i n den sechziger Jahren Stolleis, VerwArch. Bd. 65, 1, 6. 2 Vgl. etwa Schaeder, Gemeinwohl u n d öffentliches Interesse i m Recht der globalen Wirtschafts- u n d Finanzplanung, i n : W o h l der Allgemeinheit u n d öffentliche Interessen, S. 92 f. m. w . N. s Z u r Problemgeschichte vgl. vor allem Habermas, S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, S. 8 f.; vorher schon Smend, Z u m Problem des öffentlichen u n d der Öffentlichkeit, i n : Festschrift f ü r W. Jellinek, S. 11 ff. 4 Fraenkel, Deutschland u n d die westlichen Demokratien, S. 40 f.; ders., Der Pluralismus als Strukturelement der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie, Verhandlungen des 45. D J T , Bd. I I , Β 5 ff. 5 Henkel, Einführung i n die Rechtsphilosophie, S. 364 ff., 371 ff. β Eindrucksvoll dokumentiert v o n Häberle, Öffentliches Interesse, S. 33 ff. 7 So Stolleis, VerwArch. Bd. 65, 1. β Luhmann, Besprechung v o n G. Schubert, The Public Interest, i n : Der Staat, Bd. 1, S. 372 f. ® I n B K , A r t . 14 Rdnr. 138 ff.



20

Einleitung: öffentliches Interesse und Enteignungsrecht

dadurch zu entgehen, daß sie auf eine Rundumschau verzichtet, die wegen der Fülle des Materials zudem zwangsläufig lückenhaft bleiben müßte 1 0 . Statt dessen n i m m t sie ausgewählte Probleme der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlklausel i m sozialen Rechtsstaat der Gegenwart i n den Blick, von denen w i r meinen, daß sie modellhaft den Wandel des Enteignungsverständnisses unter dem Grundgesetz wiederspiegeln. Damit ist die Verfassungsordnung, genauer, das soziale Eigentums- und Enteignungsverständnis des A r t . 14 GG angesprochen, welches i n der Tat Fixpunkt der folgenden Überlegungen ist. I m Zusammenhang m i t dem i n A r t . 14 Abs. 3 GG normierten Enteignungsinstitut beruft sich die Verfassung gleich zweimal auf das Gemeinwohl: Z u m einen, indem sie die Enteignungsentschädigung von der gerechten Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten abhängig macht; zum anderen, indem sie die Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zuläßt. Während die entschädigungsrechtliche Gemeinwohlklausel wiederholt Gegenstand von Untersuchungen gewesen ist 1 1 , ist das öffentliche Interesse als Eingriffsvoraussetzung bislang recht stiefmütterlich behandelt worden 1 2 . Hier setzt die Arbeit an, angeregt durch die schon i m Hamburger Deichurteil des Bundesverfassungsgerichts 13 formulierte und i m Rückenteignungsbeschluß 14 jüngst bekräftigte Erkenntnis, daß die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes primär als Bestandsgarantie und erst i n zweiter Linie als Wertgarantie zu verstehen sei. Die Untersuchung gliedert sich vor diesem Hintergrund i n zwei Teile. I m ersten Teil w i r d versucht, die historischen Leitbilder offenzulegen, die das enteignungsrechtliche Gemeinwohlverständnis bis heute nachhaltig prägen. Der zweite Teil der Arbeit geht unter dem Generaltitel der „privatnützigen" Enteignung zuerst einem Enteignungsphänomen nach, das i n den Wirtschaftsbegünstigenden Enteignungen einerseits wie der akzentuiert sozialstaatlich motivierten transitorischen Enteignung andererseits seinen wohl konträrsten Ausdruck findet. Untersucht w i r d 10

Einen solchen betont deskriptiven Ansatz f ü r das Schweizer Enteignungsrecht w ä h l t Blanc , Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 35 bis 73. 11 Opfermann, Die Enteignungsentschädigung nach dem Grundgesetz, S. 30 ff.; 99ff.; Hauke, Das Interessenabwägungsgebot nach A r t . 14 Abs. 3 S. 3 G G bei der Bestimmung der Enteignungsentschädigung, S. 1 f. ; Rüfner, Die Berücksichtigung der Interessen der Allgemeinheit bei der Bemessung der Enteignungsentschädigung, i n : Festschrift f ü r U. Scheuner, Z u m 70. Geburtstag, 1973, S. 511 f.; Dietlein, D Ö V 1973, 258 ff.; Bielenberg, DVB1. 1974, 113 ff. 12 Ansätze bei Schulte, Eigentum u n d öffentliches Interesse, S. 85 bis 92. « U r t e i l v o m 18.12.1968 = BVerfGE 24, 367 ff. " V o m 12.11.1974 = BVerfGE 38, 175 = N J W 1975, 37 = D Ö V 1975, 312 m i t A n m . Kimminich = W M 1974, 1178 = BauR 1975, 51.

Einleitung: öffentliches Interesse und Enteignungsrecht dann das Institut der städtebaulichen Aufopferungsenteignung, w e i l sich m i t i h m i n der Verschmelzung von Plan und Enteignung ein eigenständiger Enteignungstyp herausgebildet hat, der unter dem Aspekt der Eingriffszulässigkeit eine Reihe ungeklärter Fragen aufwirft.

I. T E I L

D i e historische Entwicklung der Gemeinwohlklausel als Enteignungsvoraussetzung Der Begriff des öffentlichen Interesses als Enteignungsvoraussetzung kann wie das Enteignungsinstitut eine lange, wechselvolle Geschichte vorweisen 1 . Die ersten urkundlich bezeugten Zwangsabtretungen von Grundeigentum für das „gemeine Wohl" lassen sich bis i n die aufblühenden Städte des Mittelalters zurückverfolgen 2 . Auch spätere Berichte belegen, daß der zwangsweise Entzug von Grund und Boden der vorstaatlichen Epoche nicht fremd war 3 . Freilich ähneln diese Zwangserwerbsvorgänge unserem heutigen Enteignungsbild nur äußerlich, so daß der historische Rückblick diese Epoche aussparen kann: I m Patrimonialstaat stellte sich die Staatsgewalt noch als ein Bündel von subjektiven Hoheitsrechten und Regalien dar, die in ihrem Rang prinzipiell den Rechten des einzelnen gleichgesetzt waren 4 . I n ihrem Kern basierte sie auf dem Obereigentum des Grundherrn, dem bis ins achtzehnte Jahrhundert hinein eine dingliche Berechtigung am Grundeigentum der i h m Herrschaftsunterworfenen zugesprochen wurde 5 . Der zwangsweise Grundstücksentzug auf Grund eines solchen persönlichen Titels 1 Z u den historischen Wurzeln des Enteignungsinstitutes vgl. Layer, Principien des Enteignungsrechts, S. 64 f.; Grünhut, Das Enteignungsrecht, S. 12 f.; G. Meyer, Das Recht der Expropriation, S. 91 f.; Stödter, Entschädigung, S. 52 ff.; Meyer / Thiel / Frohberg, Enteignung von Grundeigentum, S. 19 f.; Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S. 80 f.; Janssen, A n spruch auf Entschädigung bei Aufopferung u n d Enteignung, S. 21 f.; SchmidtAßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 211; Haas, System der öffentlich-rechtlichen Entschädigungspflichten, S. 14 f.; Dittus / Zinkahn, BaulbeschG, Einl., S. 25 ff. 2 I n der mittelalterlichen Stadt bildet sich als Gewohnheitsrecht heraus, daß die Stadtgemeinde berechtigt ist, sich eines Hauses innerhalb der Stadtgrenzen „zeu irer n o d t t u r f f t zu unterwinden", hierzu Stobbe ! Lehmann, Handbuch des deutschen Privatrechts, Bd. 2, S. 508 A n m . 10; Lay er, P r i n cipien des Enteignungsrechts, S. 104. 3 So etwa die i n einer U r k u n d e v o m 21. Nov. 1376 bezeugte Landabtretung zwecks Anlegung eines Kanals, abgedr. bei Lay er, Principien des Enteignungsrechts, S. 128. 4 Dazu Erichsen, Verfassungs- u n d verwaltungsrechtsgeschichtliche G r u n d lagen, S. 20; Häfelin, Rechtspersönlichkeit, S. 18, 19. δ Stein, Verwaltungslehre, Bd. 7, S. 176; Häberlin, AcP Bd. 39, S. 31 ff.

I. Teil: Die historische Entwicklung der Gemeinwohlklausel

23

hat m i t dem modernen Enteignungsverständnis deshalb noch nichts gemein. Erst i m Laufe des 17. Jahrhunderts löste sich die Staatsgewalt aus ihrer Verdinglichung und entwickelte sich zu einer eigenständigen öffentlich-rechtlichen Gewalt 6 . Damit war ein Grundstein für die Entwicklung des modernen Enteignungsrechts gelegt. Doch erst als der nun drohenden Allmacht des Fürsten m i t den iura quaesita neue, naturrechtlich fundierte Schranken entgegengestellt wurden 7 , zu denen auch das Eigentum zählte 8 , waren i m Gegenstreit von hoheitlicher Gewalt und Eigentum die strukturellen Voraussetzungen für die Entwicklung des modernen Enteignungsbildes geschaffen. Wenn die historische Rückschau diese Epoche gleichwohl nur flüchtig streift, so deshalb, w e i l auch i n dem Zeitalter des landesherrlichen Absolutismus sich ein eigenständiges Rechtsinstitut der Enteignung nicht ausbildete 9 . Zwangseingriffe des Landesherrn i n das Eigentum waren Ausfluß der i h m generell zuerkannten Möglichkeit, auf Grund des jus eminens auch die wohlerworbenen Rechte des einzelnen zu durchbrechen 10 . Das ius eminens entwickelte sich i n der Folgezeit zum generellen Herrschaftstitel des absoluten Monarchen, begünstigt auch dadurch, daß das „allgemeine Beste" als Voraussetzung dieser Herrschaftsmacht i n seiner wohlfahrtsstaatlichen, absolutistischen Auffüllung diese Macht nicht ernsthaft eingrenzen konnte 1 1 . Das öffentliche Interesse an dem Zwangseingriff war ebenso total wie das Staatszweckverständnis des absoluten Staates und entzieht sich deshalb jeder sinnvollen Kategorisierung. A n dieser äußerlichen Schrankenlosigkeit der Eigentumseingriffe haben auch die landrechtlichen Kodifikationen des aufgeklärten Absolutismus nichts abzuändern vermocht 12 . Erwähnenswert sind sie i n diesem Zusammenhang gleichwohl deshalb, weil sie i m Bereich des Eigentums den Versuch unternahmen, durch die Kodifikation von Eingriffsvoraussetzungen Eingriffe voraussehbarer zu machen 18 . I n den 6

Mitteis / Lieb erich, Rechtsgeschichte, S. 168, 169. Dazu Häberlin, Staatsrecht, Bd. 2, S. 296 f.; Moser, Untertanen, 1. Buch, 7. Cap., §§ 2 f., 6 f. 8 Z u m naturrechtlichen Fundament des Eigentums plastisch Bluntschli, Staatslehre, S. 287, 289: „Der Staat schafft das Eigentum nicht u n d erhält es nicht, er darf es daher auch nicht nehmen." » Häberlin, AcP Bd. 39, S. 35. 10 Hierzu umfassend Erichsen, Verfassungs- u n d verwaltungsrechtsgeschichtliche Grundlagen, S. 40, 52. 11 Erichsen, ebd., S. 40; zur absolutistischen A u f f ü l l u n g des Geweinwohlbegriffs auch Häberle, öffentliches Interesse, S. 25, 26. 12 Hierzu Layer, Principien des Enteignungsrechts, S. 131. 13 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 391 bis 394; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 227 ff. 7

24

I. Teil: Die historische Entwicklung der Gemeinwohlklausel

Kodifikationen offenbart sich das Staatsverständnis des aufgeklärten Absolutismus, der die Freiheit und das Eigentum des einzelnen nicht durch verfassungsrechtliche Gewährleistungen absichern, sondern durch eine „innere" Bindung des Monarchen an den „wohlfahrtsstaatlichen" Staatszweck garantieren wollte 1 4 . I n sich bleibt das Enteignungsbild der landrechtlichen Regelungen freilich widersprüchlich. Dies gilt für die Bestimmungen des preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 ebenso wie für das bayerische Landrecht von 175615, das i m süddeutschen Raum die Rechtsentwicklung maßgeblich beeinflußte. Denn neben dem Aufopferungsgedanken, wie ihn §§ 74, 75 Einl A L R beispielhaft formulierten, kannten die Landrechte das Institut des Zwangskaufs, „nach dem der Staat jemanden zum Verkaufe seiner Sache zu zwingen nur alsdann berechtigt ist, wenn dies zum Wohle des gemeinen Wesens notwendig ist" 1 6 . Die Konstruktion des einseitig hoheitlichen Aufopferungseingriffs i n das Eigentum stand neben der zivilrechtlichen Zwangskaufskonstruktion, wobei die Grenzen zwischen beiden verflossen. Wissenschaftlich ausreichend durchdacht und i n feste Begriffe gefügt begegnet uns das Enteignungsinstitut erst zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Übergang vom absoluten Staat zum bürgerlich-liberalen Rechtsstaat stellte auch die Enteignung auf ein neues, verfassungsrechtliches Fundament. Zugleich gab die industrielle Revolution zu einer Vielzahl von Enteignungen Anlaß, so daß sich Rechtslehre wie Verwaltungspraxis m i t einer Fülle von Enteignungsfällen konfrontiert sahen. Verfassungs- wie einfach-gesetzliche Enteignungsvoraussetzungen prägten ein eigenständiges Gemeinwohlbild, welches i n zahlreichen Einzelschattierungen bis heute nachwirkt, so daß eine historische Analyse, wieweit i n unserem modernen enteignungsrechtlichen Gemeinwohlverständnis historisch Leitbilder fortwirken, sinnvollerweise hier anzusetzen hat.

14 Conrad, Grundlagen, S. 35 gibt einen der Kronprinzenvorträge v o n Svarez, dem Schöpfer des preußischen Allgemeinen Landrechts wieder, bei dem dieser ausgeführt hat, daß nach dem Staatsverständnis des aufgeklärten Absolutismus eine ausdrückliche B i n d u n g des Monarchen an das Gemeinw o h l entbehrlich sei, „da der Regent selbst, w e n n er richtige Begriffe hat, keine Interessen haben kann, welche von denen des Volkes verschieden oder denselben entgegengesetzt wären". 15 Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis v o m 2. Januar 1756. « § 4 1 1 1 A L R ; ähnlich § 2 Th. I V Cap. 3 des Codex Maximilianeus B a v a r i cus Civilis: „ I m übrigen k a n n auch niemand z u m Verkauf gezwungen — oder v o n dem Verkauf w i d e r W i l l e n abgehalten, mindern an einen gewissen Ort damit gebunden werden, ausgenommen soweit es die Landes- u n d PolizeyOrdnung u m des gemeinen Besten w i l l e n also erfordert."

Erstes Kapitel

Die enteignungsrechtliche Gemeinwohlklausel i m Enteignungsrecht des bürgerlich liberalen Rechtsstaates des 19. Jahrhunderts A. Die Verfassungsgrundlagen der Enteignung M i t dem Sieg der bürgerlich-liberalen Verfassungsbewegung fanden Eigentum und Enteignung Aufnahme i n die Verfassungsurkunden der deutschen Einzelstaaten. Den Anfang machten die Verfassungen der süd- und mitteldeutschen Staaten, die bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts i n ihren Enteignungsregelungen das öffentliche Wohl zum Rechtsgrund der Enteignung erhoben 1 . Erst 1850 postulierte auch die preußische Verfassungsurkunde für die norddeutschen Staaten einen verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz, zu dem auch die eingrenzende Enteignungsvoraussetzung des öffentlichen Wohls zählte. Da die Reichsverfassung von 1871 auf eine reichseinheitliche Eigentumsverbürgung verzichtete, sollten die Verfassungen der Einzelstaaten das Enteignungsverständnis bis zu Erlaß der Weimarer Reichsverfassung prägen. I . Die mittel- und süddeutschen Verfassungsverbürgungen

Die Entwicklung der verfassungsrechtlichen Enteignungsvoraussetzungen i n den mittel- und süddeutschen Staaten vollzog sich i n zwei Schüben. I n der ersten Phase bis 1830 verstanden die Verfassungsurkunden den enteignungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff als eine von der monarchischen Exekutivgewalt souverän aufzufüllende Eingriffsvoraussetzung 2 . Die Enteignungsklauseln entfalteten damit i m Vergleich zum vorkonstitutionellen Rechtszustand zwar keine gesteigerte bestandsschützende Funktion, sicherten immerhin aber die Entschädigungsverpflichtung verfassungskräftig ab. Als Beispiel k a n n etwa § 14 Abs. 4 der Verfassungsurkunde f ü r das Großherzogtum Baden v o m 22. August 1818 gelten». H i e r i n hieß es, daß niemand 1

Umfassend hierzu Layer, Principien des Enteignungsrechts, S. 148, 149. Dazu auch Grünhut, Das Enteignungsrecht, S. 56, F N 1. 3 Abgedr. bei Hub er, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 157. 2

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I . 1. Kap.: Die Gemeinwohlklausel i m Enteignungsrecht des 19. Jh.s

gezwungen werden kann, „sein Eigentum zu öffentlichen Zwecken abzugeben, als nach Beratung u n d Entscheidung des Staatsministeriums u n d nach v o r gängiger Entschädigung". Ganz ähnlich formulierte §30 der Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg v o m 25. September 18194, nachdem niemand gezwungen werden konnte, „sein Eigenthum u n d andere Hechte f ü r allgemeine Staats- oder Corporationszwecke abzutreten, als nachdem der Geheime Rat über die Notwendigkeit entschieden hat". Schließlich t r a f auch die Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern v o m 26. M a i 18185 eine weitgehend parallele Regelung, indem sie anordnete, daß niemand gezwungen werden kann, „sein Privateigentum selbst f ü r öffentliche Zwecke abzutreten, als nach förmlicher Entscheidung des versammelten Staatsrathes u n d nach vor gängiger Entschädigung". E r s t die i n e i n e r z w e i t e n Phase nach d e r J u l i r e v o l u t i o n v o n 1830 verkündeten Verfassungen der mitteldeutschen Staaten brachen i n i h r e n Eigentumsverbürgungen m i t dem Enteignungsmonopol der Verwaltung. Dies geschah a u f z w e i W e g e n : E i n m a l , i n d e m sie e i n e n Gesetzesvorb e h a l t f ü r E i g e n t u m s e i n g r i f f e a u f s t e l l t e n , so daß ü b e r diesen W e g die M i t w i r k u n g des i n d e n gesetzgebenden K a m m e r n r e p r ä s e n t i e r t e n B ü r g e r t u m s g e w ä h r l e i s t e t w a r . Z u m a n d e r e n v e r t r a u t e n sie a u f „ v e r f a s s u n g s u n m i t t e l b a r e " K o n k r e t i s i e r u n g e n der G e m e i n w o h l k l a u s e l , d i e b e r e i t s a u f d e r Verfassungsebene d e n E n t s c h e i d u n g s r a u m d e r m o n a r chischen E x e k u t i v g e w a l t e i n e n g e n sollten. F ü r den ersten Weg stand § 32 der Verfassungsurkunde f ü r das K u r f ü r stentum Hessen v o m 5.1.1831 e . E r bestimmte, „daß das Eigenthum u n d sonstige Rechte u n d Gerechtsame für die Zwecke des Staates oder einer Gemeinde, oder Person, welche Rechte derselben ausüben, n u r i n den durch die Gesetze bestimmten Fälle u n d Formen . . . i n Anspruch genommen werden". F ü r die zweite Variante können die Verfassungsurkunden der Fürstentümer Sachsen-Altenburg v o m 29.4.1831 u n d die von Sachsen-Meiningen v o m 23. 8.1829 als Beispiele gelten?. Sie ließen eine Enteignung f ü r „wesentliche Staats- u n d Kommunalzwecke" zu u n d enthielten eine exemplarische A u f zählung der wichtigsten Enteignungstatbestände. Aufgegriffen wurde diese Technik i n den später erlassenen Landesenteignungsgesetzen, die die Voraussetzungen der Enteignung enumerativ u n d damit abschließend aufführten, u m so die Enteignungsbehörden m a x i m a l zu binden 8 . I I . Die Verfassungslage in Preußen D i e R e c h t s e n t w i c k l u n g i n P r e u ß e n n a h m eine andere R i c h t u n g 9 . A r t . 9 d e r Preußischen V e r f a s s u n g s u r k u n d e v o m 31.1. 1850 1 0 b e s c h r ä n k t e sich 4

Ebd., S. 174. ß Ebd., S. 141. β Abgedr. bei Huber, ebd., S. 224. 7 Wiedergegeben bei Layer, Principien des Enteignungsrechts, S. 149. 8 Dazu i m einzelnen unten I, 1. Kap., B. 9 Umfassend hierzu Hub er, Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 57, 62 ff.; Rönne, Das Staatsrecht der preußischen Monarchie, Bd. 1 (1856), S. 327 f. 10 Pr. GS. S. 17.

Α . Die Verfassungsgrundlagen der Enteignung

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d a m i t , das „ ö f f e n t l i c h e W o h l " pauschal z u r E n t e i g n u n g s v o r a u s s e t z u n g z u erheben, ohne d e n G e h a l t d e r G e m e i n w o h l k l a u s e l z u e r l ä u t e r n . V o n B e d e u t u n g w a r das i n S. 2 f o r m u l i e r t e E n t e i g n u n g s p r i n z i p , daß das E i g e n t u m „ n u r aus G r ü n d e n des ö f f e n t l i c h e n W o h l s . . n a c h M a ß g a b e des Gesetzes entzogen oder b e s c h r ä n k t w e r d e n d u r f t e f r e i l i c h deshalb, w e i l es als r e c h t l i c h b i n d e n d e D i r e k t i v e f ü r d e n Gesetzgeber v e r s t a n d e n wurde, Administrativenteignungen n u r i m „öffentlichen W o h l e " zuzulassen 1 1 . Z u d e m las m a n aus i h m d e n A u f t r a g z u e i n e r k ü n f t i g e n , a l l gemeinen Expropriationsgesetzgebung ab12. E m i n e n t praktisch w u r d e diese D i r e k t i v e d a d u r c h , daß A r t . 9 S. 2 d e r V e r f a s s u n g z u g l e i c h e i n e n Gesetzesvorbehalt f ü r E i n z e l e i n g r i f f e der V e r w a l t u n g i n das E i g e n t u m p o s t u l i e r t e , d e r diese a n die G e m e i n w o h l v o r s t e l l u n g e n des Gesetzgebers b a n d 1 3 . D i e nachfolgende E x p r o p r i a t i o n s g e s e t z g e b u n g gab n i c h t n u r d e m zeitgemäßen, e n t e i g n u n g s r e c h t l i c h e n G e m e i n w o h l v e r s t ä n d n i s b e r e d s a m A u s d r u c k , s o n d e r n ebnete z u g l e i c h d e n W e g f ü r e i n i n der V e r fassung n o c h o f f e n gebliebenes, neues E n t e i g n u n g s b i l d 1 4 . Bis w e i t i n die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein dominierte i n der Staatsrechtswissenschaft die Auffassung, daß die Enteignung rechtsdogmatisch als Zwangskauf zu konstruieren sei 1 *, obwohl sich m i t der Abhandlung Labands 16 über die Rechtsnatur der Expropriation die Stimmen mehrten, die i n i h r einen einseitigen, öffentlich-rechtlichen A k t erblickten 1 7 . Rönne18 stellte i n seinem Staatsrechtslehrbuch 1856 zu dem Enteignungsbegriff der preußischen Verfassung ausdrücklich klar, daß dieser nicht die Fälle der Eigentumsaufopferung, sondern die der Zwangsabtretung abdeckte. Noch 1864 ging der E n t w u r f eines preußischen allgemeinen Expropriationsgesetzes 19 i n §35 von der K o n s t r u k t i o n des Zwangskaufs aus, so daß zur M i t t e des 19. J a h r hunderts ein öffentlich-rechtlicher Enteignungsbegriff nicht diagnostiziert werden k a n n 2 0 . Der aus den landrechtlichen Regelungen fortwirkende zweiu Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 168; Oppenhoff, Ressortverhältnis, S. 56; Arndt, Kommentar zur preußischen Verfassung, S. 103 f. 12 Anschütz, Verfassungsurkunde. 13 So zutreffend Rönne, Das Staatsrecht der preußischen Monarchie, Bd. 1 (1856), S. 331; zur Bejahung des Gesetzesvorbehalts i n der staats- u n d verwaltungsrechtlichen L i t e r a t u r des 19. Jh. auch Erichsen, Verfassungs- u n d verwaltungsgeschichtliche Grundlagen, S. 148 ff. m i t zahlreichen Nachweisen. 14 Hierzu i m einzelnen I , 1. Kap., Β I I I . is Häberlin, A c P Bd. 39, S. 200; Beseler, Deutsches Privatrecht, §92, 14; Förster, Preußisches Privatrecht, § 131; Gerber, Deutsches Privatrecht, § 174 b ; kritisch hierzu Grünhut, Das Enteignungsrecht, S. 178. iß A c P Bd. 52 (1869), S. 171, 172. 17 G. Meyer, Das Recht der Expropriation, S. 190; Thiel, Das Expropriationsrecht u n d das Expropriationsverfahren, S. 4; Roesler, Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts, §195, S. 463; v. Roland, Z u r Theorie u n d Praxis des deutschen Enteignungsrechts, S. 35; Scheicher, Rechtswirkungen der E n t eignung, S. 15 f. 18 Das Staatsrecht der preußischen Monarchie, Bd. 1 (1856), S. 329, 331. 19 Preuß. Justiz u. M i n b l . 1864, S. 337. 20 So aber Meyer / Thiel / Frohberg, Enteignung v o n Grundeigentum, S. 23.

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I. 1. Kap.: Die Gemeinwohlklausel im Enteignungsrecht des 19. Jh.s

spurige Enteignungsbegriff wurde endgültig erst m i t dem U r t e i l des Reichsgerichts v o m 9.5.1905 überwunden, welches sich m i t einer eingehenden u n d erschöpfenden Begründung f ü r die öffentlich-rechtliche N a t u r der Enteignung entschied 21 .

Die starken Impulse, die von der Enteignungsklausel der preußischen Verfassung auf eine künftige Expropriationsgesetzgebung ausgingen, blieben gegenüber dem unmittelbar i n das Eigentum eingreifenden Gesetzgeber allerdings ohne Wirkung. I n den Verfassungsberatungen war deutlich geworden, daß die Eigentumsgewährleistung gegenüber der gesetzgebenden Gewalt, die vom Monarchen und den nach A r t . 62, 63 der Verfassung beteiligten Kammern gemeinsam ausgeübt wurde, keine W i r k u n g entfalten sollte 22 . Damit stand sowohl der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff zur Disposition des Gesetzgebers, der den Eigentumsschutz nach Belieben erweitern oder verengen konnte 2 5 , wie auch der unmittelbare legislative Eingriff unbeschränkt zulässig blieb 2 4 . Für den Gesetzgeber war, wie Anschütz 25 i n treffender Umkehrung der Eigentumsgewährleistungsformel des A r t . 9 S. 1 kommentierte, „das Eigentum nicht unverletzlich". Diese offene Flanke des Eigentumsschutzes sollte erst später geschlossen werden. B. Das Enteignungs- und Gemeinwohlverständnis des Gesetzgebers I n einer Fülle von Enteignungsregelungen verdeutlichte der bürgerlich-liberale Staat sein Enteignungsbild. Die verstärkt i n den dreißiger Jahren des Jahrhunderts einsetzende Gesetzgebungswelle t r u g der rapide vorwärtsschreitenden Entwicklung Deutschlands zum Industriestaat Rechnung 26 . Der Landbedarf der öffentlichen Hand konkurrierte m i t dem Landbedarf Privater, die für ihre expandierenden Unternehmen auf den zwangsweisen Grundstückserwerb angewiesen waren. Neben speziellen Enteignungsgesetzen für einzelne, technische Enteignungszwecke (I) ergingen allgemeine Expropriationsgesetze (II), die gemeinsam Enteignungsbegriff und Enteignungsbild dieser Epoche prägten (III). 21 RGZ 61, 102 ff. Z w a r hatte sich das Reichsgericht schon vorher v e r einzelt f ü r eine öffentlich-rechtliche Qualifikation der Enteignung ausgesprochen (Urt. v o m 2.12.1884 = RGZ 12, 402; U r t . v o m 22.11.1890 = Gruchots Beitr. 25, 1971), diese Ansicht jedoch i n Entscheidungen anderer Senate wieder korrigiert; vgl. R G Z 18, 341; RGZ 35, 306; RGZ 24, 232. 22 Stenogr. Bericht der I K a m m e r 1849 - 50, Bd. 2, S. 668, 669. 2 3 Rönne (s. oben Fn. 18), S. 328. 24 Hierzu auch Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 110. 25 Verfassungsurkunde, S. 161. 26 Z u diesen Entwicklungen Lütge, Sozial- u n d Wirtschaftsgeschichte, S. 427 ff.

Β . Das Enteignungs- u n d Gemeinwohlverständnis des Gesetzgebers

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I . Enteignungsrechtliche Spezialregelungen I n i h r e n spezialgesetzlich f o r m u l i e r t e n T a t b e s t ä n d e n e r w i e s sich d i e E n t e i g n u n g als e i n s t a r k technisch ausgerichtetes Bodenbeschaffungsi n s t r u m e n t 2 7 . D i e E n t e i g n u n g v o n M o b i l i e n spielte n u r eine u n t e r g e o r d n e t e R o l l e , w i e sie ü b e r h a u p t z u r F o r t e n t w i c k l u n g des E n t e i g n u n g s rechts n u r w e n i g b e i g e t r a g e n h a t 2 8 . F ä c h e r t m a n die e i n z e l n e n E n t e i g nungszwecke auf, so s i n d als r e p r ä s e n t a t i v f ü r das E n t e i g n u n g s r e c h t j e n e r Epoche d i e j e n i g e n E i n g r i f f e z u nennen, d i e F l ä c h e n f ü r d e n A u s b a u der V e r k e h r s i n f r a s t r u k t u r bereitstellen. Enteignungen zur Anlage, E r w e i t e r u n g u n d V e r ä n d e r u n g v o n Wegen, Straße, P l ä t z e n o d e r K a n ä len, H ä f e n w i e F l u ß b e t t e n s i n d Beispiele dieser d o m i n i e r e n d e n M o t i v a t i o n . E i n e entscheidende R o l l e f ü r das E n t e i g n u n g s r e c h t h a b e n z u d e m die E n t e i g n u n g e n f ü r Eisenbahnzwecke gespielt, die z u m T e i l schon v o r I n k r a f t t r e t e n der Verfassungsverbürgungen ergingen. (1) Nachhaltig beeinflußt worden ist die Enteignungsdiskussion insbesondere von den Regelungen des preußischen Fluchtliniengesetzes v o m 2. J u l i 1875 29 . Dieses beschränkte sich freilich nicht auf bloße verkehrstechnische Ziele, sondern n a h m i n sich schon städtebauliche Zwecke a u f 3 0 . V o n Interesse ist der Enteignungstatbestand des Fluchtliniengesetzes deshalb, w e i l er als erster Vorläufer der planakzessorischen Enteignung des B B a u G gelten kann. Denn § 11 des Gesetzes gewährte den Gemeinden das Recht „die durch die festgesetzten Straßenfluchtlinien f ü r Straßen u n d Plätze bestimmte G r u n d fläche dem Eigenthümer zu entziehen". E i n Enteignungsrecht f ü r Bauland an Straßen gewährte das Fluchtliniengesetz allerdings nicht. § 13 grenzte den Enteignungstatbestand weiter auf die Fälle der Substanzbeeinträchtigungen e i n 3 1 , indem er n u r dann Entschädigung gewährte, „ w e n n die zu Straßen u n d Plätzen bestimmten Grundflächen auf Verlangen der Gemeinde f ü r den öffentlichen Verkehr abgetreten werden" (Abs. 1 Nr. 2) oder „ w e n n die Straßen- oder Baufluchtlinie vorhandene Gebäude t r i f f t u n d das Grundstück bis zur neuen Fluchtlinie von Gebäuden freigelegt w i r d " (Abs. 1 Nr. 2) 3 2 . Der Gesetzgeber schnitt damit Entschädigungsansprüche ab, die die Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals aus einer A r t städtebaulichen Aufopferungsenteignung gewährte, die ihre Rechtsgrundlage i n §§74, 75 E i n l A L R i. V. m. A r t . 9 der Preußischen Verfassung fand u n d Entschädigungsansprüche schon bei lediglich nutzungsbeschränkenden Fluchtlinienfestsetzungen kannte33.

27 Ä h n l i c h Klidkovic, Die Enteignung, ein dem Grundeigentum u n d der Bodenbeschaffung zugeordnetes Rechtsinstitut, i n : DR Wiss. Bd. 5, 137 f. 28 Grünhut, Das Enteignungsrecht, S. 74. 2® Pr. GS. S. 561. 30 Z u der darin zum Ausdruck kommenden zeitgenössischen städtebaulichen Konzeption, die überwiegend v o m Straßenbau her denkt, Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 23. si Ebd., S. 26. 32 Z u den Tatbestandsvarianten i m einzelnen v. Strauss u. Thomey / Sass, Straßen- u n d Baufluchtengesetz, § 13. 33 Entscheidungen des Pr. Obertribunals Bd. 53, 35; 56, 21; 80, 34.

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1 . Kap.: Die Gemeinwohlklausel im Enteignungsrecht des 19. Jh.s

(2) Unter den Enteignungsregelungen zum B a u v o n Wasserstraßen verdient das relativ spät erlassene preußische Wasserstraßengesetz v o m 1.4. 190534 besondere Beachtung. Seine Enteignungsregelung ist das Hauptbeispiel f ü r einen i n der zeitgenössischen Enteignungsliteratur als „Zonenenteignung" diskutierten Enteignungstypss. Darunter verstand m a n zunächst die technische Enteignungsvariante, i n einem einheitlichen Verfahren ganze Grundstücksstreifen zu erwerben. Das sächsische Allgemeine Baugesetz v o m 1. J u l i 1900 (GVB1 S. 381 ff.) hatte i n § 68 schon vorher diese Möglichkeit eingeführt 3 6 . Solange die „Zonenexpropriation" v o n sanitäts- oder feuerpolizeilichen Gründen getragen wurde, wie dies etwa i m Rahmen von „Flächensanierungen" ganzer Wohnquartiere vorkam, stand i h r Gemeinwohlbezug außer Frage 3 ?. Anlaß, an der Zulässigkeit dieses Enteignungstyps zu zweifeln, gaben erst die m i t i h r zugleich verfolgten, bodenpolitischen Ziele. Diese bestanden p r i m ä r darin, die Bodenwertsteigerungen abzuschöpfen, die sich von dem Enteignungsvorhaben ausstrahlend auf Nachbargrundstücken ergaben 3 8 . Daneben eröffnete die Zonenenteignung die Möglichkeit einer begrenzten Bodenvorratshaltung 3 9 . Rechtstechnisch konnten diese Ziele dadurch v e r w i r k l i c h t werden, daß die Enteignung auf eine weitere Zone ausgedehnt wurde, als es das konkrete Unternehmen notwendig machte. H a t t e n sich während der Beratungen des preußischen Fluchtliniengesetzes noch die Bedenken durchsetzen können, daß eine solche wertabschöpfende Enteignung wegen ihrer fiskalischen M o t i v a t i o n gegen die enteignungsrechtliche Gemeinwohlklausel verstoße 4 0 , schien m a n n u n eine solche Zonenexpropriation m i t dem Gemeinwohlbegriff des A r t . 9 der preußischen Verfassung für v e r einbar zu h a l t e n 4 1 . § 16 des preußischen Wasserstraßengesetzes ließ zu, dem Staat i n einer Zone von einem Kilometer beiderseits der K a n a l m i t t e l l i n i e das Enteignungsrecht zu verleihen, um, w i e es i n den Gesetzesberatungen plastisch hieß, zu verhindern, „daß die Spekulation sich dieser Grundstücke bemächtige" 4 2 . M i t dieser bodenpolitischen M o t i v a t i o n w a r zum erstenmal das streng technische Enteignungsbild durchbrochen. (3) Repräsentativ für den Stand der Enteignungsdiskussion des 19. J a h r hunderts i n einem ganz anderen Sinne w a r schließlich der Enteignungstatbestand des § 8 Preußischen Eisenbahngesetzes 43 , der durch § 23 Abs. 1 des Enteignungsgesetzes v o m 11. J u n i 1874 44 i n das nachkonstitutionelle Recht 34

Pr. GS. S. 179. 5 Hierzu Bredt, Die Zonenenteignung, S. 172 ff.; v. Rohland, Z u r Theorie und Praxis des deutschen Enteignungsrechts, S. 22; Grünhut, Das Enteignungsrecht, S. 83; Lay er, Principien des Enteignungsrechts, S. 371; Fleiner, Vorteilsausgleichung, S. 108; Emerich, „Zonenenteignung", i n : H d w b K o m m Wiss., Bd. 4, S. 601 ff. se Dazu Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 32. s? Fleiner, Vorteüsausgleichung, S. 109, 110. 38 O. Mayer, Verwaltungsrecht, Bd. 2, S. 10; v. Rohland, Enteignungsrecht, S. 22; Neumann, Annalen 1886, S. 405. 39 Hierzu W. Jellinek, Verwaltungsrecht (1931), S. 405. 40 O. Mayer, Verwaltungsrecht, Bd. 2, S. 10; v. Rohland, Enteignungsrecht, S. 22; Neumann, Annalen 1886, S. 405. 41 Hierzu W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 405. 42 So die bei O. Mayer, Verwaltungsrecht, Bd. 2, S. 12 Fn. 23 wiedergegebene Begründung bei den parlamentarischen Beratungen des Gesetzes. 43 V o m 3. November 1838, Pr. GS. S. 505. 44 Pr. GS. S. 221. 3

Β. Das Enteignungs- und Gemeinwohlverständnis des Gesetzgebers

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einfloß. Gemeinsam m i t ähnlichen, eisenbahnrechtlichen Regelungen i n anderen Einzelstaaten 4 5 legte er die Basis dafür, daß die Grundstücksenteignung von Anfang an auch zugunsten Privater möglich war 4 «. Die Erwägung, daß die Eisenbahn eine öffentliche Verkehrsstraße u n d Transportanstalt ist, deren Anlage u n d Betrieb i n besonders hohem Grade i m öffentlichen Wohle liegt, hatte dahin geführt, den privaten Eisenbahnunternehmer von dem Veräußerungswillen der Grundeigentümer unabhängig zu stellen u n d i h m das Recht der Enteignung zu g e w ä h r e n * 7 . Sein Enteignungsrecht erstreckte sich nach § 8 Nr. 5 des Eisenbahngesetzes „auf den G r u n d u n d Boden f ü r alle (sonstigen) Anlagen, welche zu dem Behufe, damit die B a h n als eine öffentliche Straße zur allgemeinen Benutzung dienen könnte, nötig oder infolge der Bahn-Anlage i m öffentlichen Interesse erforderlich sind". Ursprünglich verstand m a n die Verleihung des Enteignungsrechts, die regelmäßig m i t der Konzessionierung des Unternehmens Hand i n H a n d ging, als echte Übertragung von Hoheitsgewalt, wobei lediglich umstritten war, ob das Enteignungsrecht v o m Staat an den Privaten abgetreten 4 8 oder bloß zur Ausübung überlassen sei 4 9 . Erst später setzte sich die bis heute fortwirkende Auffassung durch, daß das Enteignungsrecht des Privaten als Enteignungsantragsrecht zu verstehen sei, der Unternehmer durch die Verleihung ein subjektiv-öffentliches Recht auf Durchführung der Enteignung gegenüber der Enteignungsbehörde erhalte 5 0 . I n der Verkoppelung von Konzessionierung u n d Enteignungsrecht des Privaten lag der Schlüssel für das Verständnis dieser privatnützigen Enteignungsvariante i m 19. Jahrhundert, die, w i e Bullinger treffend herausstellt 5 1 , streng genommen gar nicht privatnützig war, da sie den konzessionierten Privaten als beliehenen Träger öffentlicher Gewalt begünstigte. Erst nachdem dieses J u n k t i m gefallen war, galt es, eine neue E r k l ä r u n g f ü r dieses Enteignungsphänomen zu finden, was freilich bis heute nicht befriedigend gelungen i s t 5 2 . I I . Die Vereinheitlichung des Enteignungsredits durch die allgemeinen Enteignungsgesetze Bayerns und Preußens

Die Fülle der Enteignungsregelungen i n den deutschen Einzelstaaten, die Grünhut 1873 zu der Feststellung veranlaßte, daß es ein „ w a h r haftig kaleidoscopartiges B i l d ist, welches uns der Zustand des gegenwärtigen i n Deutschland und Österreich befindlichen Enteignungsrechts 45 Überblick bei G. Meyer, Das Recht der Expropriation, S. 143, 146 f., 156; Grünhut, Das Enteignungsrecht, S. 57 f. 46 Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, i n : Der Staat, Bd. 1, S. 449, 461. 47 Eger, Eisenbahnrecht, Bd. 1, S. 321. 48 I n diesem Sinne etwa Rönne, Das Staatsrecht der preußischen Monarchie, Bd. 2, S. 107; Thiel, Das Expropriationsrecht u n d das Expropriationsverfahren, S. 17. 49 Eger, Das Gesetz über die Enteignung v o n Grundeigentum, Bd. 1, S. 49; Loebell, Das Preußische Enteignungsgesetz, S. 15 f.; G. Meyer, Das Recht der Expropriation, S. 261. 59 Scheicher, K o m m e n t a r zum sächsischen Enteignungsgesetz, S. 41 ; Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl., S. 309; G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 253. 51 Die Enteignung zugunsten Privater, S. 466. 52 Hierzu i m einzelnen i m I I . Teil, 1. Kap.

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I. 1. Kap.: Die Gemeinwohlklausel im Enteignungsrecht des 19. Jh.s

darbietet" 5 3 , ließ eine Rechtsvereinheitlichung zumindest innerhalb der Länder immer dringender erscheinen 54 . Erste Versuche, das Rechtsinstit u t der Enteignung einheitlich und umfassend zu ordnen, setzten bereits ab 1830 i n den mittel- und süddeutschen Staaten ein 5 5 . I n Preußen verzögerte die heftig geführte Diskussion i n den gesetzgebenden Kammern das Gesetzgebungsverfahren erheblich, so daß erst 1874 der Auftrag des A r t . 9 der Verfassungsurkunde, ein einheitliches Enteignungsgesetz zu schaffen, erfüllt wurde 6 6 . I n ihrer Technik, das öffentliche Interesse als Enteignungsvoraussetzung zu konkretisieren, folgten die Gesetzeswerke zwei unterschiedlichen Grundmustern: Während ein Teil der mittel- und süddeutschen Gesetzeswerke die Voraussetzungen der Enteignung enumerativ und damit abschließend aufführte 5 7 , um über diesen Weg die Garantie des Eigentums gegenüber der Exekutivgewalt zu stärken, betrauten andere ein hoch anzusiedelndes staatliches Organ m i t der Ausfüllung der generell formulierten Gemeinwohlklausel. Beispielhaft für den ersten Weg ist das bayrische Zwangsabtretungsgesetz von 1837 58 ; repräsentativ für den zweiten das preußische Enteignungsgesetz von 187459. 1. Das Enteignungsbild

des bayrischen

Zwangsabtretungsgesetzes

Die Enteignungstatbestände des bayrischen Zwangsabtretungsgesetzes reflektierten das schon kennengelernte technische Enteignungsverständnis jener Epoche mustergültig. Die Bedeutung dieses Gesetzes lag darin, daß es die möglichen Enteignungszwecke übersichtlich bündelte und damit das Enteignungsverfahren m i t einem hohen Grad an Rechtssicherheit ausstattete. A r t . 1 des Zwangsabtretungsgesetzes ließ eine Enteignung n u r f ü r folgende Unternehmen zu: 1. Z u r Erbauung von Festungen oder sonstigen Vorkehrungen zu LandesDefensions- u n d Fortiflkations-Zwecken, insbesondere auch M i l i t ä r Etablissements; 2. Erbauung oder Erweiterung von Kirchen, öffentlichen Schulhäusern, Spitälern, K r a n k e n - u n d Irrenhäusern; 63 Grünhut, Das Enteignungsrecht, S. 65. Dazu Eger, Das Gesetz über die Enteignung v o n Grundeigentum, Bd. 2, S. 579; Seydel, Enteignung von Grundeigentum, S. 7. 55 Grünhut, Das Enteignungsrecht, S. 64. δβ Rönne, Das Staatsrecht der preußischen Monarchie, Bd. 2, S. 101. 57 So bezeichnen etwa die Enteignungsgesetze v o n Sachsen-Meiningen, Sachsen-Koburg u n d Gotha, Schwerin-Sonderhausen u n d A n h a l t die E n t eignungsgründe i n Spezialklauseln; Nachweise bei Henle, Zwangsenteignung, S. 23. es Ges.Bl. S. 109. «· Pr. GS. S. 221. 54

Β. Das Enteignungs- und Gemeinwohlverständnis des Gesetzgebers

33

3. Herstellung neuer oder Erweiterung schon bestehender Gottesäcker; 4. Regelung des Laufes u n d Schiffbarmachung von Strömen u n d Flüssen; 5. Anlegung neuer u n d Erweiterung, A b k ü r z u n g oder Ebenung schon bestehender Staats-, Kreis- u n d Bezirksstraßen; 6. Herstellung öffentlicher Wasserleitungen; 7. Austrocknung schädlicher Sümpfe i n der Nähe von Ortschaften; 8. Beschützung einer Gegend vor Überschwemmung; 9. Erbauung v o n öffentlichen Kanälen, Schleußen u n d Brücken; 10. Erbauung öffentlicher Häfen oder Vergrößerung schon vorhandener; 11. Errichtung v o n Eisenbahnen zur Beförderung des inneren oder äußeren Handels u n d Verkehrs; 12. Aufstellung von Telegraphen z u m Dienste des Staates; 13. Vorkehrung zu wesentlich notwendigen Sanitäts- oder Sicherheitspolizeilichen Zwecken, insbesondere 14. Schirmung der Kunstschätze u n d wissenschaftlichen Sammlungen des Staates vor Feuers- oder anderer Gefahr.

Flankiert wurde dieser breitflächig angelegte Enteignungskatalog von der zusätzlich zu prüfenden Frage, ob das konkrete Enteignungsvorhaben „öffentliche, notwendige und gemeinnützige Zwecke" verfolgte 6 0 . Die Klausel grenzte primär das Enteignungsrecht Privater ein, indem sie eine Enteignung zu ihren Gunsten nur dann gestattete, wenn aus dem Enteignungsvorhaben neben Privatvorteilen zugleich Vorteile für die Allgemeinheit flössen 61 . Enteignungsvorhaben der öffentlichen Hand, die der Katalog des A r t . 1 abdeckte, sollten dagegen ohne weiteres vor dem Gemeinwohlerfordernis Bestand haben 62 . Die hier sichtbar werdende Tendenz, die privatnützige Enteignung nur unter strengen rechtlichen Kautelen zuzulassen, griff das Gesetz i n A r t . I V auf. N u r solche Private konnten eine Enteignung i n Anspruch nehmen, „denen von der Regierung unter Bedingungen, welche die Erreichung des Zwecks und seiner Gemeinnützigkeit sichern, die Ausführung einzelner i n A r t . I aufgezählter Unternehmungen eingeräumt w i r d " 6 3 . M i t dieser Verknüpfung von Enteignungsrecht und hoheitlicher Bindung des Privaten war ein weiterer Weg aufgezeigt, wie dem Mißbrauch des Enteignungsrechts durch Private vorgebeugt werden konnte. Die moderne Enteignungsdogmatik w i r d sich an i h n erinnern können, wenn sie nach Verfahrensgestaltungen sucht, das Enteignungsrecht Privater rechtlich zu bändigen. Insgesamt kann das bayerische Zwangsabtretungsgesetz als seinerzeit gelungener Versuch gelten, durch streng formulierte EingriffsvorausHierzu Heule, Zwangsenteignung, S. 71; Seufert, nungsrecht, S. 43. Heule, Zwangsenteignung, S. 71. 62 Seufert, Bayrisches Enteignungsrecht, S. 44. «3 Hierzu Seufert, ebd., S. 44. 3 Frenzel

Bayerisches Enteig-

34

I. 1. Kap.: Die Gemeinwohlklausel im Enteignungsrecht des 19. Jh.s

Setzungen das Privateigentum willkürlichen Zugriffen der Exekutive zu entziehen. Verstärkt wurden die rechtsstaatlichen Impulse noch dadurch, daß das Gesetz m i t der Einleitung des Enteignungs ver fahr ens die jeweils zuständige Kreisregierung betraute, gegen deren Entscheidung Berufung an den versammelten Staatsrat eröffnet war (Art. I Ziff. A a). Als das Verwaltungsgerichtshofgesetz vom 8. August 187864 die Berufungsinstanz auf den Verwaltungsgerichtshof verlagerte und damit Rechtsschutz auch zu der Frage eröffnete, ob das „betreffende Unternehmen vom gemeinen Nutzen erfordert werde und ob die A b tretung oder Belastung des angesprochenen Eigenthums zur zweckmäßigen Verwirklichung des Unternehmens notwendig sei" (Art. 8 Ziff. 10), war eine weitere zentrale rechtsstaatliche Forderung erfüllt. Die Mängel des Enteignungsgesetzes zeigten sich erst später: Der Preis für den hohen Grad an Rechtssicherheit, den das Enumerationsprinzip verbürgte, waren wenig flexible Enteigungstatbestände 65 . Zeigte sich ein Bedürfnis nach neuen Eingriffsmöglichkeiten, hatte der Gesetzgeber auf den Plan zu treten. M i t den seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ständig steigenden Anforderungen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens konnte dieser freilich nur schwer Schritt halten. Eine Lösung wurde i n dem Ersatz des Enumerationsprinzips durch eine generelle Gemeinwohlklausel gesucht, verwirklicht worden sind solche Forderungen jedoch erst i n jüngster Zeit 6 6 . 2. Das preußische Enteignungsgesetz

von 1874

I m Vergleich zu den rechtsstaatlichen Sicherungen des bayerischen Zwangsabtretungsgesetzes fällt das preußische Enteignungsgesetz vom 11. J u n i 1874 weit zurück. I n den Gesetzesberatungen w a r der Vorschlag, die Enteignungsgründe enumerativ aufzuführen ebenso wie die vorgeschlagene spezialgesetzliche Regelung jedes einzelnen Enteignungsfalls auf Ablehnung gestoßen 67 . Statt dessen entschied sich der Gesetzgeber für eine generelle Formulierung der Enteignungsvoraussetzungen, indem er i n § 1 anordnete, daß das Grundeigentum „nur aus Gründen des öffentlichen Wohls für ein Unternehmen, dessen Ausführung e* GVB1 S. 369. Dazu Seufert, Bayrisches Enteignungsrecht, S. 43. 66 Vgl. A r t . 1 des Bayrischen Gesetzes über die entschädigungspflichtige Enteignung (BayEG) v o m 11. Nov. 1974 (GVB1 S. 610), das neben der Gemeinwohlvoraussetzung n u r noch beispielhaft mögliche Enteignungszwecke aufzählt. Vorläufer w a r das Gesetz über die Enteignung aus Gründen des Gemeinwohls (GEG) v o m 1. 8.1933 i. d. F. v o m 9.12.1943 (GVB1 1944, 1), das Enteignungen neben den Tatbeständen des Zwangsabtretungsgesetzes auch aus „anderen" Gründen des Gemeinwohls zuließ. e? Den Gang der Gesetzesberatungen gibt Eger, Das Gesetz über die E n t eignung v o n Grundeigentum, Bd. 1, S. 20 ausführlich wieder. 65

Β. Das Enteignungs- und Gemeinwohlverständnis des Gesetzgebers

35

die Ausübung des Enteignungsrechts erfordert . . . " entzogen oder beschränkt werden durfte. Symptomatisch für den Rückschlag, den die bürgerlich-liberale Strömung i m letzten Drittel des 19. Jahrhunderts i m Reich wie i n Preußen hinnehmen mußte 6 8 , war die Delegation des Enteignungsrechts durch § 2 des Gesetzes an den Monarchen. Die Bestimmung, die die Verleihung des Enteignungsrechts durch königliche Verordnung vorsah, knüpfte eng an die vorkonstitutionelle Tradition an. Nach wie vor blieb es der „freien Entschließung" 69 des Landesherrn überlassen, ob ein Enteignungsvorhaben i m öffentlichen Wohl lag. Die i n den Gesetzesberatungen beispielhaft aufgezeigten, technischen Enteignungszwecke, die inhaltlich dem Enteignungskatalog des bayerischen Zwangsabtretungsgesetzes glichen, gaben hierbei nur unverbindliche Richtpunkte ab 7 0 . I n seinem repräsentativen Kommentar bekannte sich Eger 71 ganz offen zu dieser vorkonstitutionellen Tradition, indem er ausführte, daß auch bisher dem Landesherrn diese Befugnis zugestanden hat und „nach dieser Richtung hin w o h l kaum je eine Klage laut geworden ist". Streng genommen blieb damit i n diesem Punkt eine der zentralen Forderungen des bürgerlich-liberalen Rechtsstaates unerfüllt, nach der Eigentumseingriffe dem Belieben des Monarchen entzogen und i n die Entscheidung des Gesetzgebers zu stellen waren 7 2 . Wenn das preußische Enteignungsgesetz trotz dieses rechtsstaatlichen Mankos nachhaltig fortgewirkt hat 7 3 , so liegt dies i n den beispielhaft geordneten Verfahrensbestimmungen des dritten Teils begründet. I n dem dreigestuften engeren Enteigungsverfahren 74 stellte die Verleihung des Enteignungsrechts durch königliche Verordnung nur den ersten Schritt dar. Umgesetzt und parzellenscharf gefaßt wurde das generelle Gemeinwohlurteil erst auf einer zweiten sich anschließenden Stufe, dem enteignungsrechtlichen Planfeststellungsverfahren (§ 19, 20 EnteigG) 75 . Dieses baute i n der Tat das rechtsstaatliche Defizit dadurch es Z u m Einfluß des altpreußischen Konservativismus auf das Staatsleben Härtung, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 295. ββ Eger, Das Gesetz über die Enteignung von Grundeigentum, Bd. 1, S. 37; Loebell, Das Preußische Enteignungsgesetz, S. 27; Seydel, Enteignung v o n Grundeigentum, S. 23. 70 Ausführlich Eger, Das Gesetz über die Enteignung v o n Grundeigentum, S. 20, 21. Ebd., S. 36. 72 Z u diesem „ W i l l k ü r v e r b o t " Rönne, Das Staatsrecht der preußischen Monarchie, Bd. 1, S. 329. 73 Z u r Weitergeltung Meyer / Thiel / Frohb erg, Enteignung v o n G r u n d eigentum, S. 24. 74 So Koffka, Enteignung, § 1 Nr. 10; anders Meyer / Thiel / Frohberg, ebd., S. 45, der einschließlich der Entschädigungsfeststellung vier Verfahrensstadien unterscheiden w i l l . 75 Hierzu Loebell, Das Preußische Enteignungsgesetz, S. 100.

3*

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I. 1. Kap.: Die Gemeinwohlklausel im Enteignungsrecht des 19. Jh.s

ab, daß i n seinem Rahmen auch die privaten und individuellen Interessen der potentiell Enteignungsbetroffenen ausführlich zur Erörterung anstanden 76 . Damit war ein Weg gewiesen, offene Gemeinwohlklauseln durch die Verfahrensbeteiligung Betroffener schärfere Konturen zu geben 77 . Die rechtsübertragend wirkende Enteignungserklärung vollzog lediglich i n einem letzten Schritt den Eigentumswechsel (§§ 32, 33 EnteigG). I I I . Der „klassische" Enteignungsbegriff

Parallel zu der Überwindung der Zwangskaufstheorie kristallisierte sich aus den Enteignungsgesetzen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ein eigenständiger Enteignungsbegriff, der i m nachhinein als „klassisch" gekennzeichnet worden ist 7 8 . Als Enteignung sollte er n u r diejenigen Eigentumseingriffe abdecken, durch die Grundeigentum durch gesetzlich zugelassenen Verwaltungsakt an ein aus öffentlichen Gründen begünstigtes Unternehmen übereignet wurde 7 9 . Damit fielen Mobiliarenteignungen 80 , Eingriffe i n Rechte, Beschränkungen von Grundeigentum wie gesetzliche Eingriffe aus dem Enteignungsinstitut aus. Seine bis i n die Weimarer Zeit nachwirkende Sprengkraft lag darin, daß er begriffsverengend auch auf die verfassungsrechtlichen Enteignungsklauseln ausstrahlte und damit den Eigentumsschutz der Verfassungen erheblich verkürzte 8 1 . Ob dieser Enteignungsbegriff allerdings das zeitgenössische Enteignungsbild korrekt wiedergibt, oder ob er nur Resultat einer nachträglichen, sinnverengenden Interpretation ist, die Entschädigungsansprüche möglichst umfassend ausschließen w i l l , kann heute nicht mehr m i t letzter Sicherheit beurteilt werden 8 2 . Für die letzte Annahme spricht immerhin, daß die zeitgenössische Lehre einen derart gefügten Enteignungsbegriff nur i n Details kannte: 76 Z u dieser eigentumssichernden F u n k t i o n der Verfahrensregelung E g er, Das Gesetz über die Enteignung v o n Grundeigentum, Bd. 2, S. 1. 77 Z u r Technik, Gemeinwohlklauseln i m Verfahren zu konkretisieren (ex processu salus publica) Häberle, öffentliches Interesse, S. 87. 78 So ersichtlich zuerst v o n W. Jellinek, Verwaltungsrecht (1929), S. 388: Aus der Zeit der Neuordnung hatten sich die allgemeinen Enteignungsgesetze der Länder fast unverändert i n die heutige Zeit hinübergerettet. M a n k a n n die i n ihnen geregelte Enteignung als die klassische Enteignung bezeichnen . . . ; aus der jüngeren L i t e r a t u r vgl. etwa W. Weber, N J W 1950, 401; Dürig, J Z 1954, 4; Meyer / Thiel / Frohberg, Enteignung v o n Grundeigentum, S. 25; Giese, Enteignung, S. 9; Kimminich, B K , A r t . 14 Rdnr. 15. Aus der Rechtsprechung vgl. Β G H Z 6, 276. 7 ® Wolff / Bachof, VerwR., Bd. 1, § 62 I I a. so Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S.94. 81 Hierzu auch Hub er, Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 110. 82 Kritisch zur Existenz eines solchen klassischen Enteignungsbegriffs auch Schneider, VerwArch. Bd. 58, 301, 356.

Β. Das Enteignungs- und Gemeinwohlverständnis des Gesetzgebers

37

Zutreffend ist, das u n m i t t e l b a r gesetzliche Eingriffe dem Enteignungsverständnis des 19. Jhds. widersprachen 8 3 . Hieraus freilich ableiten zu wollen, daß eine Enteignung begriffsnotwendig durch Verwaltungsakt vollzogen werden mußte, verbietet sich schon deshalb, w e i l die Diskussion u m den z i v i l - oder öffentlich-rechtlichen Charakter der Enteignung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts keineswegs endgültig abgeschlossen w a r * 4 . Richtig ist, daß eine Enteignung n u r zugunsten eines konkreten öffentlichen Unternehmens zulässig w a r 8 5 . Wie gezeigt, verstand m a n hierunter i n erster L i n i e technische Enteignungsvorhaben, obwohl i n Ansätzen dieses E n t eignungsbild schon u m bodenpolitische Aspekte angereichert wurde. Eine Beschränkung der Enteignung auf die Tatbestände des Landentzugs ist dem Enteignungsrecht jener Zeit dagegen fremd. I n i h r e m w e i t überwiegenden Teil rechnete die zeitgenössische Lehre auch eine Enteignung von Mobilien dem Enteignungsbegriff zu8«. Rechte waren freilich n u r insoweit taugliches Enteignungsobjekt, als sie an der zu enteignenden Sache zugunsten d r i t t e r Personen hafteten, w o f ü r Servituten u n d Reallasten beispielhaft genannt w u r d e n oder sie wie Grunddienstbarkeiten der enteigneten Sache selbst zustanden 8 7 . Obligatorische Rechte schieden ohne weiteres als Enteignungsobjekte aus 8 8 . Schließlich spiegelt auch die Voraussetzung, daß die Enteignung begrifflich stets eine Übereignung beinhalte, das Enteignungsbild der Landesenteignungsgesetze n u r verzerrt wieder. Diese rechneten zur Enteignung nicht n u r den Entzug, sondern auch die Beschränkung von Grundeigentum 8 9 . Die sinnverengende Interpretation der Eigentumsgarantie des A r t . 9 der preußischen Verfassung durch Anschütz 9 * 1 , der dieses restriktive M e r k m a l von dort i n die Enteignungsdiskussion einbrachte, w a r deutlich rechtspolitisch m o t i v i e r t u n d entwertete i m Ergebnis die verfassungsrechtliche Eigentumsgewährleistung.

Für das moderne Enteignungsrecht ist der „klassische" Enteignungsbegriff nur noch eine rechtshistorische Kategorie 9 1 . Unter Herrschaft der Weimarer Reichsverfassung ist er i n einem übergreifenden Prozeß von Rechtslehre, Rechtsprechung und Gesetzgebung überwunden wor83

Das Staatsrecht der preußischen Monarchie, Bd. 1, S. 329 F N 2. Vgl. schon oben A I I . 85 Z u diesem technischen Unternehmensbegriff auch O. Mayer, V e r w a l tungsrecht, Bd. 2, S. 1 f. 8 « So etwa Scheicher, Rechtswirkungen der Enteignung, S. 3; Grünhut, Das Enteignungsrecht, S. 73; Thiel, Das Expropriationsrecht u n d das E x propriationsverfahren, S. 12; Bluntschli, Staatsrecht, S. 227; G. Meyer, Das Recht der Expropriation, S. 263; Gerber, Deutsches Privatrecht, § 1 7 4 b ; a. A . Roesler, Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts, S. 463 u n d v. Rohland, Enteignungsrecht, S. 1, 16. 87 Grünhut, Das Enteignungsrecht, S. 75. 88 G. Meyer, Das Recht der Expropriation, S. 2. 89 So etwa § 1 Preuß. EnteigG (Nachw. oben Fn. 59); § 1 des Sächsischen EnteigG v o m 24. 6.1902 (GVB1 S. 153); § 1 Abs. 1 des Badischen Enteignungsgesetzes v o m 26. 6.1899 (GVB1 S. 359). 90 Verfassungsurkunde, S. 165. 91 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 94; Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S. 84 f. 84

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I. 1. Kap.: Die Gemeinwohlklausel im Enteignungsrecht des 19. Jh.s

den und hat einem neuen Enteignungsverständnis Platz machen müssen. Nachgewirkt hat die Fiktion eines „klassich" strukturierten Enteigungsbegriffs freilich bis i n die jüngere Zeit, wie die Diskussion u m die Rückkehr zum klassischen Enteigungsbegriff um 1950 zeigt 92 .

92 W. Weber, N J W 1950, 402; Ipsen, W D S t R L 10, S.93f., 121; J Z 1954, 9 Fn. 31; Ridder, Enteignung u n d Sozialisierung, S. 128 f.

Düng,

Zweites Kapitel

Der Begriff des öffentlichen Interesses i m Enteignungsrecht der Weimarer Republik I m Verlauf des ersten Weltkrieges veränderten sich die ökonomischen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen, die das technische Verständnis der enteignungsrechtlichen Allgemeinwohlklausel i m 19. Jahrhundert geprägt hatten. Die wirtschaftliche Notlage, i n die das Reich durch Krieg und Inflation kam und die über die ersten Nachkriegs jähr e hinaus die Weimarer Republik i n ihren politischen Grundlagen erschütterte, ließ eine Rückkehr zu den liberalen Prinzipien einer freien Verkehrswirtschaft nicht zu 1 . Wirtschaftliche und soziale Not zwangen Reich und Länder, i n die bestehende Güterordnung i n einem bisher nicht gekannten Maße einzugreifen 2 . Diese heftigen, äußeren Erschütterungen der Eigentumsordnung blieben nicht ohne Rückwirkungen auf das Eigentumsverständnis, welches einen tiefgreifenden Wandel durchmachte®. Ausgelöst durch die wirtschaftliche Notlage, vor allem aber i m Gefolge der Novemberrevolution von 1918 erhoben sich allenthalben die Forderungen nach einer Umformung der Eigentumsverfassung, die i n den Sozialisierungsbestrebungen ihren stärksten, i n den Forderungen nach einer sozialen Begrenzung des Eigentums ihren schwächsten Ausdruck fanden 4 . I n ihrer Summe veränderten äußere und innere E i n w i r kungen den traditionellen Gehalt der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlklausel und gaben dem Enteignungsinstitut i n der Weimarer Zeit ein neues Gesicht. Als Motor dieser E n t w i c k l u n g erwiesen sich gleichermaßen Gesetzgebung, Rechtsprechung wie Lehre. I n einem sich vielfältig überlagernden Prozeß bereiteten sie einem veränderten Gemeinwohl- u n d Enteignungsbild den Weg. Begriffsbildende F u n k t i o n k a m vor allem dem Gesetzgeber i m Reich u n d i n den Ländern zu, dem die Nachkriegsverfassungen durch ihre zurück1 Vgl. dazu Kossei, Die Entwicklung des Enteignungsbegriffs, S. 10, 11; Stödter, Entschädigung, S. 118 f.; Kutscher, Die Enteignung, S. 65, 66. 2 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, A r t . 153 A n m . 8. * Scheuner, Schutz des Eigentums, S. 31; ders., Verfassungsschutz des Eigentums, S. 87, 88; Stödter, Entschädigung, S. 118, 121, 141, 142; Kirchheimer, Die Grenzen der Enteignung, S. 29. 4 Scheuner, Schutz des Eigentums, S. 32.

40

1.

Kap. Die Gemeinwohlklausel im Enteignungsrecht

haltende Formulierung der Gemeinwohlklausel weitgehend freien R a u m gewährten 5 . Daß auch die Gerichte sich an der Konkretisierung der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlklausel beteiligten, w a r dagegen neu. Der klassische Standpunkt des liberalen Zeitalters u m die M i t t e des 19. J a h r hunderts, daß der Gesetzgeber volle Freiheit u n d Souveränität gegenüber dem Eigentum genoß, hatte bislang jede richterliche K o n t r o l l e der Eingriffsakte des Gesetzgebers ausgeschlossen 6 .

Erster Abschnitt

Die begriffsbildende Funktion des Gesetzgebers A. Verfassungsrechtliche Normierungen der Gemeinwohlklausel Die deutsche Revolution vom November 1918 beseitigte die bisher geltenden Verfassungen des Reichs und der Länder, die die Grundlage der alten staatlichen Ordnung bildeten 7 . Die verfassungsrechtlichen Ausprägungen des Enteignungsinstituts waren damit außer K r a f t gesetzt. Doch schon am 11. August 19198 wurde die neue Reichsverfassung verkündet, die i n ihrem Grundrechtsteil die verfassungsrechtlichen Enteignungsvoraussetzungen neu ordnete. I n den folgenden zwei Jahren formulierten auch ein Teil der nachrevolutionären Landesverfassungen das Rechtsinstitut der Enteignung neu 9 , so daß das neue Enteignungsb i l d i n seinem Grundraster vorlag. I . Das enteigmingsrechtliche Gemeinwohlbild der Weimarer Reichsverfassung

Anders als die Bismarcksche Verfassung von 1871, die auf eine verfassungsrechtliche Gewährleistung des Eigentums verzichtet hatte, 5 Die begriffsbildende F u n k t i o n des Gesetzgebers w i r d zutreffend erkannt v o n W. Jellinek, Verwaltungsrecht (1931), S. 409; Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, S. 314; Krückmann, Enteignung u n d Einziehung, S. 5. 6 Vgl. Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S. 91, 92. 7 Vgl. W. Jellinek, JöR Bd. 9, S. 4 ff.; Härtung, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 281 f.; Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reiches, E i n leitung, S. 1 f. 8 R G B l Nr. 152, S. 1383 ff. 9 Z u den Grundrechtsverbürgungen der nach der Staatsumwälzung erlassenen Verfassungsur künden vgl. insgesamt Wenzel, i n : HdDStR Bd. 1 S. 617 Fn, 54t

1. Abschn.: Α. Das Gemeinwohlbild der Verfassungen

41

regelte die Verfassung von Weimar i n A r t . 153 Eigentumsgewährleistung und Enteignung. Gemeinsam m i t A r t . 155, der i m wesentlichen bodenreformerisches Gedankengut zum Inhalt hatte 1 0 und der SozialisierungsVorschrift des A r t . 156 konstituierte die Verfassung i n diesen Vorschriften den Kern einer neuen Eigentumsordnung. N u r die Gesamtschau dieser Verfassungsnormen gibt A n t w o r t auf die Frage, welches enteignungsrechtliche Gemeinwohlverständnis der Verfassung zugrunde lag. Grundtenor des i n der Verfassung ausgestalteten Eigentumsbildes war es, das Eigentum unter dem Zeichen einer gesteigerten sozialen Inpflichtnahme neu zu ordnen 11 . Dieser Tenor prägte auch den Gehalt der Gemeinwohlklausel: Bereits i n der Eigentumsgewährleistungsformel des A r t . 153 Abs. 1 klingt ein solches gewandeltes Eigentumsverständnis an. Zwar stellte A r t . 153 Abs. 1 S. 1 das Privateigentum m i t der Formulierung, das Eigentum werde „gewährleistet" ausdrücklich unter den Schutz der Verfassung. Die bewußte Abkehr von den hergebrachten „Unverletzlichkeitsformeln", wie sie die Eigentums verbürgungen der vorangegangenen Epoche gekannt hatten, war jedoch ein sicheres Indiz, daß die Weimarer Verfassung den Eigentumsschutz i m Vergleich zu den Eigentumsvorstellungen des 19. Jahrhunderts reduzieren wollte. I n den Beratungen des verfassungsgebenden Ausschusses, der die noch i m zweiten und dritten Entwurf der Reichsverfassung enthaltenen Unverletzlichkeitsformeln 1 2 durch den Terminus Gewährleistung ersetzt hatte, war dieser Wille wiederholt dokumentiert worden 1 3 . I n der Enteignungsklausel des A r t . 153 Abs. 2 setzte sich diese Tendenz fort 1 4 . I m Wortlaut zwar noch ganz den traditionellen Enteig10 Vgl. Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 45; Erman, Grundrechte u n d Grundpflichten, Bd. 3, S. 287. 11 Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S. 88; Buschke , Die G r u n d rechte der Weimarer Verfassung, S. 105 ff.; Stödter, Entschädigung, S. 142 f. 12 §26 des zweiten Entwurfs ( E n t w u r f Preuß) formulierte: Eine E n t eignung k a n n n u r zum W o h l der Allgemeinheit auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. (Abgedr. bei Triepel, Quellensammlung, S. 10, 12.) Ebenso formulierte A r t . 37 des d r i t t e n E n t w u r f s : Das Eigentum ist unverletzlich. Eine Enteignung k a n n n u r zum W o h l der Allgemeinheit gegen E n t schädigung auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden (Triepel, ebd., S. 17, 21). 13 Berichte u n d Protokolle des 8. verfassungsgebenden Ausschusses, S. 386. I n die gleiche Richtung zielten die Äußerungen der Abgeordneten Braun, Heinze, Burlage u n d Veidt i n der Nationalversammlung, die ausdrücklich den verminderten Eigentumsschutz, gemessen an den Verfassungen des 19. Jahrhunderts, betonen (Protokoll der Nationalversammlung, Bd. 3, S. 1772, 1775; Bd. 6, S.4278; Bd. 3, S. 1743-1753; Bd. 3, S. 1746). 14 A r t . 153 Abs. 3, der als Richtschnur u n d Programm f ü r künftige Regelungen durch den Gesetzgeber gedacht w a r , artikulierte die gewollte

42

I. . Kap. Die Gemeinwohlklausel i m Enteignungsrecht

n u n g s k l a u s e l n v e r h a f t e t , b r a c h sie i n e n g e m Z u s a m m e n w i r k e n

mit

A r t . 155 A b s . 2 S. 1 d e r V e r f a s s u n g g l e i c h w o h l das ü b e r l i e f e r t e G e m e i n w o h l b i l d a u f u n d eröffnete neue E i n g r i f f s m ö g l i c h k e i t e n . A r t . 153 Abs. 2 S. 1 stellte zwei Erfordernisse für die Enteignung auf: E i n E i n g r i f f w a r n u r zum Wohle der Allgemeinheit u n d auf gesetzlicher G r u n d lage zulässig. Daß der Reichsverfassung trotz dieses herkömmlichen Enteignungsmusters ein verändertes Gemeinwohlverständnis zu Grunde lag, zeigte A r t . 155 Abs. 2 S. 1 der Verfassung an, der für den Bereich des Bodenrechts die Gemeinwohlklausel verfassungsunmittelbar konkretisierte. A r t . 155 Abs. 2 S. 1 ließ zu, Grundbesitz zu enteignen, dessen Erwerb zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses, zur Förderung der Siedlung u n d Urbarmachung oder zur Hebung der Landwirtschaft notwendig war 1 *. Diese Enteignungsmöglichkeit t r u g den sozial- u n d bodenpolitischen Anliegen der Bodenreformbewegung jener Jahre Rechnung, die nach einer staatlich gelenkten u n d überwachten Verteilung u n d Nutzung des Bodens gerufen hatte 1 6 . Als legitime, enteignungsrechtliche Interessen w i r k t e n die sozial- u n d bodenpolitischen Z i e l setzungen auf das Gemeinwohlverständnis des A r t . 153 Abs. 2 zurück u n d stellten die nachfolgende Enteignungsgesetzgebung auf eine feste G r u n d lage 1 7 . Gesetze, die zur Wohnungsbeschaffung, zu Siedlungs-, U r b a r m a chungs- oder landwirtschaftlichen Zwecken ein Enteignungsrecht statuierten, dienten k ü n f t i g k r a f t Verfassung dem Gemeinwohl. D i e i n A r t . 155 A b s . 2 S. 1 g e n a n n t e n E n t e i g n u n g s g r ü n d e w a r e n i m V e r g l e i c h z u d e n ü b e r l i e f e r t e n , i n d e n Landesenteignungsgesetzen ausg e p r ä g t e n E n t e i g n u n g s z w e c k e n n e u a r t i g . D e r Verfassungsgeber gab m i t i h n e n z u e r k e n n e n , daß er die E n t e i g n u n g n i c h t a u f ö f f e n t l i c h e U n t e r n e h m e n i m engeren technischen S i n n w i e E i s e n b a h n - oder S t r a ß e n b a u b e s c h r ä n k e n w o l l t e , s o n d e r n a u f jedes g e m e i n n ü t z i g e V o r h a b e n e r s t r e c k t e 1 8 . A r t . 155 als p o s i t i v - r e c h t l i c h e r A u s d r u c k eines n e u e n G e m e i n w o h l v e r s t ä n d n i s s e s v e r b o t so jede R ü c k k e h r z u j e n e m v e r e n g t e n G e m e i n w o h l b i l d , das die Rechtswissenschaft z u m E n d e des 19. J a h r h u n derts aus d e n Landesenteignungsgesetzen a b g e l e i t e t h a t t e 1 9 . soziale Verpflichtung des Eigentums auch an anderer Stelle deutlich: „Eigent u m verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein f ü r das Gemeine Beste." " Hierzu Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reiches, A r t . 155 A n m . 1. 16 Z u dem Einfluß der Bodenreformbewegung auf die Verfassungsberatungen Erman, Grundrechte u n d Grundpflichten, Bd. 3, S. 287; Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 45. 17 Dannbeck, Reichsenteignungsrecht, S. 116; Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung, §155 A n m . 4; Erman, Grundrechte u n d Grundpflichten, S. 302. 18 So ausdrücklich Erman, Grundrechte u n d Grundpflichten, S. 304. 19 Die zentrale Bedeutung der i n A r t . 155 Abs. 2 S. 1 geregelten Enteignungstatbestände f ü r die Gemeinwohlklausel der Weimarer Verfassung w i r d i m zeitgenössischen Schrifttum schon f r ü h erkannt. Giese, Reichsverfassung (2. Aufl.), A r t . 153 A n m . 5 u n d Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung, A r t . 153 A n m . 4 verweisen i n ihren Kommentierungen der Gemeinwohlklausel ausdrücklich auf A r t . 155 Abs. 2. Scheicher, Grundrechte u n d Grundpflichten, Bd. 3, S. 222 u n d Wolff, Reichsverfassung u n d Eigentum, S. 14 lehnen ihre Allgemeinwohlbegriffe ersichtlich an die Formulierung des A r t . 155 an.

1. Abschn.: Α. Das Gemeinwohlbild der Verfassungen

43

Die prinzipiell weite Fassung der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlklausel hatte freilich zur Folge, daß die Grenze zu dem i n A r t . 156 f o r m u lierten Sozialisierungsinstitut v e r s c h w a m m 2 « ) . A r t . 156 eröffnete dem Reich die Möglichkeit, „durch Gesetz, unbeschadet der Entschädigung i n sinngemäßer Anwendung der für die Enteignung geltenden Bestimmungen, f ü r die Vergesellschaftung geeignete private wirtschaftliche Unternehmungen i n Gemeineigentum zu überführen". Die K l ä r u n g der i n der Verfassung unbeantwortet gebliebene Frage, ob die Sozialisierung nach A r t . 156 ein Spezialfall des allgemeinen Enteignungsinstituts war, w a r von weittragend praktischer Bedeutung. Eine uneingeschränkte Bejahung der Frage hätte bedeutet, daß der Rechtsgedanke der Sozialisierung als verfassungsrechtlich anerkanntes „öffentliches Interesse" auch i n anderen als i n den i n A r t . 156 vorgezeichneten Fällen eine Enteignung legitimiert hätte. Eine Überführung allen privaten Hauseigentums i n gemeinwirtschaftliche V e r w a l t u n g wäre dann beispielhaft v o n A r t . 153 Abs. 2 abgedeckt worden. Die Formulierung i n A r t . 156, daß die Sozialisierung „ i n sinngemäßer Anwendung der f ü r die Enteignung geltenden Vorschriften" durchgeführt werden sollte, schien f ü r die These zu sprechen, die Sozialisierung als Enteignungsfall aufzufassen 21 . Das Schrifttum, das die für den Begriff des öffentlichen Interesses bedeutsame Abgrenzungsfrage n u r vereinzelt aufgriff, postulierte jedoch einen entscheidenden Unterschied: Die i n A r t . 156 vorgesehene expropriative Sozialisierung sollte lediglich an die eine Voraussetzung anknüpfen, daß das privatwirtschaftliche Unternehmen zur Vergesellschaftung geeignet w a r 2 2 . A r t . 156 schuf demnach die Möglichkeit einer E n t eignung, auch w e n n i m konkreten F a l l Zweifel darüber bestanden, ob die Maßnahme dem allgemeinen Wohle diente 2 3 . Diese Differenzierung entkoppelte den enteignungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff v o n dem Rechtsgedanken der Sozialisierung. Der i n A r t . 156 fixierte Sozialisierungsgedanke w a r nicht als verfassungsunmittelbare Konkretisierung des Gemeinwohlbegriffs zu verstehen, der einen Rückschluß auf den Gehalt der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlklausel gestattet h ä t t e 2 4 . D e r R a h m e n , i n d e m sich Gesetzgeber u n d Rechtsprechung b e i d e r K o n k r e t i s i e r u n g des e n t e i g n u n g s r e c h t l i c h e n G e m e i n w o h l b e g r i f f s b e w e g e n k o n n t e n , w a r d a m i t i n d e r V e r f a s s u n g v o r gezeichnet. A r t . 153 spiegelte d e u t l i c h d e n W i l l e n des Verfassungsgebers w i d e r , e i n v e r m i n dertes M a ß a n E i g e n t u m s s c h u t z u n d k o r r e s p o n d i e r e n d e i n M e h r a n Z u g r i f f s m ö g l i c h k e i t e n zu n o r m i e r e n . A r t . 155 A b s . 2 s t e l l t e k l a r , daß eine E n t e i g n u n g f ü r jedes g e m e i n n ü t z i g e V o r h a b e n zulässig sein m u ß t e . E i n e G r e n z e w a r n u r d o r t zu ziehen, w o z u m Z w e c k e d e r S o z i a l i s i e r u n g E i g e n t u m entzogen w e r d e n sollte. 2 ° Vgl. Friedliebender, Grundrechte u n d Grundpflichten, Bd. 3, S. 322 f.; Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reiches, A r t . 155 A n m . 1 f. 21 So w o h l Friedlaender, Grundrechte u n d Grundpflichten, Bd. 3, S. 322 f.; Anschütz, Verfassung des deutschen Reiches, A r t . 155 A n m . 1 f. 22 Vgl. Dannbeck, Reichsenteignungsrecht, S. 115; Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung, A r t . 156 A n m . 3 b ; Scheicher, Grundrechte u n d Grundpflichten, Bd. 3, S. 227. 23 Dannbeck, Reichsenteignungsrecht, S. 115. 24 So w o h l Furier, VerwArch. Bd. 33, 399.

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1.

Kap. Die Gemeinwohlklausel im Enteignungsrecht I I . Die Gemeinwohlklausel in den Landesverfassungen

Die Grundrechte, die i n den alten Landesverfassungsurkunden einen breiten Raum einnahmen, hatten i n der Reichsverfassung eine umfassende Regelung erfahren, so daß die meisten Länder darauf verzichteten, Grundrechtsgewährleistungen i n ihre Verfassungen aufzunehmen 2 5 . Nur i n wenigen Landesverfassungen finden sich daher Eigentumsgewährleistungs- und Enteignungsbestimmungen. Da A r t . 153 Abs. 2 S. 1 der W R V für den Landesgesetzgeber verbindlich die Voraussetzungen der Enteignung formuliert hatte 2 6 , kam den in den Landesverfassungen normierten Enteignungsvoraussetzungen vor allem eine klarstellende, die reichsrechtlichen Enteignungsgrundsätze bestätigende und interpretierende Funktion zu 2 7 . Den i n der Reichsverfassung begründeten Schutz des Eigentums konnten die Landesverfassungen allenfalls gegenüber dem Landesgesetzgeber verstärken, nicht jedoch unter das Maß des reichsverfassungsrechtlichen Schutzes herabdrücken 28 . I m wesentlichen wiederholt wurden die reichsverfassungsrechtlich geltenden Enteignungsgrundsätze i n den Verfassungsurkunden der Freistaaten Bayern 2 9 , Oldenburg 3 0 und Mecklenburg-Schwerin 31 . Deutlicher als i n der Reichsverfassung zeichnete sich dagegen das gewandelte, die Sozialpflichtigkeit des Eigentums betonende Eigentumsverständnis i n den Verfassungsurkunden von Baden 3 2 und Württemberg 3 3 ab, die deshalb i m folgenden auszugsweise wiedergegeben werden: § 14 Abs. 1 der badischen Verfassungsurkunde verzichtete, die Unverletzlichkeit oder Gewährleistung des Eigentums zu postulieren, sondern beschränkte sich m i t der folgenden Formel: „Das Eigentum steht unter dem Schutze der Verfassung. Es ist beschränkt durch die Rücksicht auf die gemeinwirtschaftlichen Interessen." Absatz 2 formulierte das Rechtsinstitut der 25 Dazu Wenzel, i n HdDStR Bd. 1, S. 617; Wittmayer, Weimarer Reichsverfassung, S. 174 f. 26 Nach A r t . 13 der Reichs Verfassung brach Reichsrecht Landesrecht, so daß Landesverfassungs- w i e Gesetzesrecht, das den Grundsätzen des A r t . 153 widersprach, nichtig w a r ; vgl. Dannbeck, Reichsenteignungsrecht, S. 2; Scheicher, FischersZ Bd. 60, 138. 27 Z u r Gültigkeit sachlich übereinstimmenden Landes- u n d Reichsrechts vgl. Hensel, i n HdDStR Bd. 2, S. 321 Fn. 19; Stier-Somlo, Staatsrecht, Bd. 1, S. 380; Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reiches, A r t . 13, A n m . 3 d. 2 » Vgl. Scheicher, Grundrechte u n d Grundpflichten, Bd. 3, S. 247. 2 » V o m 14. August 1919, GVB1 S. 531 ff. 80 V o m 17. J u n i 1919, Ges.Bl. f ü r den Freistaat Oldenburg, Landesteil Oldenburg, 11. Bd., 46. Stück; abgedr. i n JöR Bd. 10, S. 420 ff. si V o m 17. M a i 1920; Regbl. S. 539; abgedr. i n JöR Bd. 10, S. 341. 32 Gesetz, die badische Verfassung betr. v o m 21. März 1919 = GVB1 S. 279; abgedr. auch i n JöR Bd. 9, S. 196 f. 33 V o m 25. September 1919, abgedr. i n JöR Bd. 10, S. 280 f.

1. Abschn.: Α. Das Gemeinwohlbild der Verfassungen

45

Enteignung: „Niemand k a n n gezwungen werden, sein Eigentum zu öffentlichen Zwecken abzugeben, als nach Entscheidung des Staatsministeriums und gegen Entschädigung . . . Das nähere bestimmt das Enteignungsgesetz." Anders als i n der Reichsverfassung wurde i n der badischen Verfassungsurkunde m i t dem Staatsministerium ausdrücklich die m i t der Konkretisierung der öffentlichen Zwecke betraute Stelle benannt. Neu w a r auch die Möglichkeit des Abs. 3, Privateigentum zum Zwecke der Bewirtschaftung f ü r die Allgemeinheit zu entziehen: „Ob u n d unter welchen Voraussetzungen Privateigentum zum Zwecke der Bewirtschaftung f ü r die Allgemeinheit dem Eigentümer ganz oder teilweise entzogen werden kann, w i r d durch Gesetz b e s t i m m t 3 4 . " Das i n Abs. 3 geschaffene Rechtsinstitut entsprach am ehesten der i n A r t . 156 der Reichsverfassung normierten Sozialisierungsmöglichkeit, dehnte jedoch den Kreis der möglichen Eingriffsobjekte v o n „geeigneten privatwirtschaftlichen Unternehmen" auf das gesamte Privateigentum aus. Da die Gemeinwohlklausel i n A r t . 153 W R V gerade nicht Eigentumseingriffe zum Zwecke der Sozialisierung, d . h . Bewirtschaftung f ü r die Allgemeinheit, umfassen sollte, mußte die Wirksamkeit des Abs. 3 zweifelhaft sein. Einzelheiten über die Regelung der Enteignung u n d Entziehung z u m Zwecke der Bewirtschaftung blieb Spezialgesetzen vorbehalten, die nach Abs. 4 der für Verfassungsänderungen vorgesehenen Zweidrittelmehrheit bedurften u n d damit zumindest eine starke verfahrensmäßige Sicherung des Eigentums schufen. Die Möglichkeit Privateigentum zu vergesellschaften, eröffnete auch die Württembergische Verfassung, die sich eng an dem badischen V o r b i l d orientierte. Deutlicher als i n der badischen Verfassung w i r d die Begriffsidentität zwischen „Vergesellschaftung" u n d „Entziehung" von Privateigentum z u m Zwecke der Bewirtschaftung blieben Spezialgesetzen vorbehalten, die nach Abs. 1 formulierte: „Die Vergesellschaftung der Wirtschaft nach den Besonderheiten ihrer Zweige u n d nach dem Stand ihrer E n t w i c k l u n g ist Aufgabe des Staates u n d der sonstigen öffentlichen Körperschaften." Abs. 2, der sich unmittelbar auf Abs. 1 bezog, f u h r fort: „Ob u n d unter welchen Voraussetzungen Privateigentum zum Zwecke der Bewirtschaftung für die A l l g e meinheit beschränkt oder entzogen werden kann, w i r d durch Gesetz bestimmt." Das von der Sozialisierung zu trennende Enteignungsinstitut wurde hingegen i n der Verfassung nicht allgemein geregelt. § 60 Abs. 1 ordnete n u r i n deutlicher Parallele zu der bodenreformerischen Bestimmung des A r t . 155 Abs. 2 W R V einen Sonderfall der Enteignung: „Soweit der Großgrundbesitz volkswirtschaftlich schädlich ist, ist er vor allem zur Gründung ländlicher Heimstätten u n d zur Erweiterung mittlerer u n d kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe aufzuteilen, w e n n nötig i m Weg der Enteignung. Das Nähere w i r d durch Gesetz bestimmt." Voraussetzungen u n d Umfang der Enteignung i m allgemeinen richtet sich so nach A r t . 153 der Reichsverfassung.

Die Landesverfassungsbestimmungen bestätigen, wie der Überblick zeigt, durchweg die i n A r t . 153 WRV fixierten Enteignungsgrundsätze, ohne die Reichweite des i n der Reichsverfassung angelegten Eigentumsschutzes zu erweitern. Die praktische Bedeutung der Eigentumsformel i n den Verfassungsurkunden der Länder war zudem deshalb gering, w e i l kontrovers blieb, 34 Vgl. dazu Koellreutter, JöR Bd. 9, S. 191.

Die neue staatsrechtliche Gestaltung i n Baden,

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I. . Kap. Die Gemeinwohlklausel im Enteignungsrecht

ob Wiederholungen von Reichsverfassungsbestimmungen nicht wegen der Sperrfunktion der Reichsregelung nichtig waren 3 5 . B . Konkretisierungen des Gemeinwohltatbestandes i n den Reichs- u n d Landesenteignungsgesetzen

Die Reichsverfassung hatte den materiellen Rahmen vorgegeben, den der Gesetzgeber bei der Konkretisierung des enteignungsrechtlichen Gemeinwohltatbestandes ausfüllen konnte. Das i n der Verfassung zu Tage getretene, neue Gemeinwohlverständnis rechtfertigte eine Enteignung zum Zwecke jedes „gemeinnützigen Vorhabens". Aufgabe vor allem des Reichsgesetzgebers blieb es, i m einzelnen zu bestimmen, welche Zwecke eine Enteignung legitimierten. A r t . 7 Ziff. 12 i. V. m. A r t . 12 Abs. 1 S. 1 unterstellte das Enteignungsrecht der konkurrierenden Gesetzgebung des Reiches, so daß die Länder das Recht der Gesetzgebung nur hatten, solange und soweit das Reich von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch machte 36 . Die Fülle der alsbald ergehenden Enteignungsgesetze des Reiches sollte den Ländern nur noch wenig Spielraum zu einer eigenständigen Enteignungsgesetzgebung lassen 37 . Die Enteignungsgesetze der Weimarer Zeit lassen nicht nur einen Rückschluß auf das Gemeinwohlverständnis des Gesetzgebers zu, sondern spiegeln auch sein Verständnis des Enteignungsbegriffs wieder. Da ein rechtseinheitlicher Enteignungsbegriff nicht existiere, k a m der Enteignungsgesetzgebung auch insofern begriffsbildende Bedeutung zu 3 8 . Das reichhaltige Gesetzgebungsmaterial des Reiches und der Länder läßt wenige typische Enteignungszwecke erkennen, die zugleich die Hauptaufgaben reflektieren, die der Weimarer Staat zur Überwindung der wirtschaftlichen und sozialen Not zu bewältigen hatte. Aus ihnen sollen zwei Gruppen herausgegriffen werden, die die Fortentwicklung des Enteignungs- und Gemeinwohlverständnisses repräsentieren: Einmal die Enteignungsregelungen der unmittelbaren Nachkriegsjahre, die bestimmt waren von dem Zweck, die wirtschaftliche Demobilmachung und den Übergang von der Kriegs- i n die Nachkriegswirtschaft zu ordnen. Sie rückten zuerst von dem technischen Enteignungsbild des 19. Jahrhunderts ab und brachten sozial- wie wirtschaftspolitische Zielsetzungen i n das Enteignungsinstitut ein. Verfestigt hat sich dies neue 35 So Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reiches, A r t . 14 A n m . 3 d ; Wenzel, i n HdDStR Bd. 1, S. 617; a. A . Hensel, i n HdDStR Bd. 2, S. 321 Fn. 19; Stier-Somlo, Staatsrecht, Bd. 1, S. 380. 3® Vgl. auch Dannbeck, Reichsenteignungsrecht, S. 2. 37 Hierzu Quecke / Bussmann, Reichsenteignungsrecht, S. 11. 38 Stödter, Entschädigung, S. 22.

1. Abschn.:

. Reichs- und Landesenteignungsgesetze

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Enteignungsverständnis auf dem Felde der wohnungs- wie städtebaulich motivierten Enteignungen, die nachhaltig bis i n das moderne Städtebaurecht fortwirkten und deshalb als zweites von Interesse sind. Ausgeklammert werden die agrarwirtschaftlichen Enteignungen 39 , die die sozial- und bodenpolitischen Ziele des städtischen Raumes auch i n den ländlichen Bereich übertrugen und insofern keine prinzipiell neuen Enteignungszwecke setzten. Nicht näher behandelt werden schließlich auch die zahlreichen Enteignungstatbestände, die der weitere Ausbau der Verkehrsinfrastruktur m i t sich brachte 40 , weil i n ihnen das technische Enteignungsbild des 19. Jahrhunderts weitgehend fortlebte. I . Enteignungsregelungen zur Bewältigung der unmittelbaren Kriegsfolgen

Unmittelbar nach Inkrafttreten der Reichsverfassung machte das Reich von seiner Enteignungsbefugnis nach A r t . 7 Ziff. 12 der W R V Gebrauch. I n Ausführung des Versailler Vertrages erließ es das „Gesetz über Enteignungen und Entschädigungen aus Anlaß des Friedensvertrages zwischen Deutschland und den alliierten und assoziierten Mächten" 4 1 , i n dem sich das neue Verständnis des Enteignungsinstitutes zum erstenmal i n einem Nachkriegsgesetz manifestierte. Die Generalklausel des § 1 ermächtigte die Reichsregierung, „Gegenstände, welche auf Grund des Friedensvertrages oder ergänzender Abkommen den alliierten und assoziierten Regierungen . . . zu übertragen sind, für das Reich zu enteignen". Die Enteignungen wurden legitimiert durch den Zweck, die Verpflichtungen aus dem Versailler Vertrag zu erfüllen. Ein konkretes öffentliches Unternehmen i. S. der Landesenteignungsgesetze der Vorkriegszeit war dies nicht. Auch die durch § 1 erfaßten, möglichen Enteignungsobjekte widersprachen dem Vorkriegsbild der Enteignung. Enteignungsgegenstand i. S. d. § 1 konnten nicht nur körperliche Gegenstände, sondern auch obligatorische Rechte sein 42 . § 2 verdeutlichte dies, indem er von der zu enteignenden Sache oder dem zu enteignenden Recht sprach. Das bereits i n der Kriegsgesetzgebung von 1914-1918 sichtbar gewordene 43 und hier verfestigte neue B i l d der Enteignung umfaßte auch die Enteignung unmittelbar durch Gesetz. § 8 wies darauf 8» Übersichtlich Quecke / Bussmann, Reichsenteignungsrecht, S. 325 f. 40 Ebd., S. 360. 41 V o m 31. August 1919, R G B l S. 1527. Ergänzt durch das Ausführungsgesetz zum Friedensvertrag v o m gleichen Tag, R G B l S. 1530. 42 So auch die amtliche Begründung i n den Verhandlungen der Nationalversammlung, Bd. 338 Anl.Nr. 894, S. 851; vgl. auch Dochow, Pr. V e r w b l . 44, 390. 43 Hierzu Waldecker, Kriegsenteignung, S. 3 ff.; Stödter, Entschädigimg, S. 118.

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1.

Kap. Die Gemeinwohlklausel i m Enteignungsrecht

h i n , daß E n t s c h ä d i g u n g a u c h g e w ä h r t w e r d e n sollte, w e n n d i e E n t e i g n u n g u n m i t t e l b a r i n d e m F r i e d e n s v e r t r a g ausgesprochen w u r d e . D a d e r Friedensvertrag durch Z u s t i m m u n g der Nationalversammlung m i t form e l l e r Gesetzeskraft ausgestattet w o r d e n w a r , w a r e n die i n i h m angeordneten Enteignungen Eingriffe durch Gestz44. Die Enteignung erfolgte z u d e m ohne besonderes V e r f a h r e n u n d k o n n t e auch d u r c h ö f f e n t l i c h e B e k a n n t m a c h u n g v o l l z o g e n w e r d e n (§ 2 ) 4 5 . D i e i m Gesetz v o m 31. A u g u s t 1919 zuerst i n E r s c h e i n u n g getretene A u f l ö s u n g d e r h e r k ö m m l i c h e n E n t e i g n u n g s s t r u k t u r e n setzte sich i n d e n reichsrechtlichen B e w i r t s c h a f t u n g s v e r o r d n u n g e n d e r J a h r e 1919 b i s 1921 fort. Ziel der Verordnungen war, die Versorgung der Bevölkerung m i t allen notwendigen Wirtschaftsgütern zu sichern. Z u diesem Zweck sahen sie die Gründung von zentralen staatlichen Versorgungsstellen vor, an die die bewirtschafteten Güter abzuliefern waren. K a m der Verpflichtete der Lieferpflicht nicht nach, konnten die Güter enteignet werden. Beispielhaft f ü r diese Bestimmung w a r § 16 Abs. 1 der Verordnung über die Ablieferung v o n Häuten, Fellen u n d L e d e r 4 6 . Danach konnte i m Falle nicht fristgerechter oder nicht ordnungsgemäßer Lieferung der veranlagten Leder- oder Schuhmenge die Reichslederstelle enteignend eingreifen. Ganz ähnliche Enteignungsmöglichkeiten waren vorgesehen f ü r Mineralölprodukte 4 7 , f ü r Rohteer 4 8 , f ü r Eisenprodukte 4 9 , für Zucker 5 0 , Herbstkartoffeln 5 1 oder Getreide 5 2 . Der gemeinnützige Zweck, der die Enteignung i n allen Fällen rechtfertigte, w a r die Sicherung der Versorgung aller Bevölkerungsteile. Die Verordnungen rückten nicht n u r von dem überlieferten B i l d der Enteignungszwecke ab. Wie schon die Notverordnungen der Kriegsjahre kannten auch sie die E n t 44

Dazu Stödter, Entschädigung, S. 118, 119. So schon § 4 der V O über Rückgabe der i n Belgien u n d Frankreich weggenommenen Betriebseinrichtungen v o m 1. Febr. 1919, R G B l S. 143; § 3 der V O betreffend die i n neutralen Häfen befindlichen i n deutschen Eigentum stehenden Nothafenladungen v o m 13. J u n i 1919, R G B l S. 511; §7 der VO über Rückgabe der aus Belgien u n d Frankreich entfernten Maschinen v o m 28. März 1919, R G B l S. 349. 46 Verordnung über die Erhebung einer infolge der Aufhebung der Höchstpreise f ü r Häute, Felle u n d Leder zu leistenden Abgabe v o m 26. Februar 1920, R G B l S. 264. 47 A r t . I I der Bekanntmachung über die Beschaffung u n d den Höchstpreis von Leichtöl, Rohbenzol, T u l u o l v o m 17. M a i 1919, R G B l S. 465. 48 § 15 der Verordnung über die Regelung der Teerwirtschaft v o m 7. J u n i 1920, R G B l S. 1156. 49 § 11 Abs. 6 der Verordnung zur Regelung der Eisenwirtschaft v o m 1. A p r i l 1920, R G B l S. 435. 50 § 21 der Verordnung über den Verkehr m i t Zucker v o m 30. September 1920, R G B l S. 1725. 51 §5 der Verordnung über die Versorgung m i t Herbstkartoffeln aus der Ernte 1920 v o m 21. M a i 1920, R G B l S. 1056. 52 Vgl. ζ. B. die Reichsgetreideordnung f ü r die Ernte 1920, §§ 43 - 48, R G B l S. 1028; § 21 des Gesetzes über die Regelung des Verkehrs m i t Getreide v o m 21. J u n i 1921, R G B l S. 737. 45

1. Abschn. : B. Reichs- u n d Landesenteignungsgesetze

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eignung von Forderungen 65 *. Gemeinsam w a r zudem allen Enteignungen ein stark vereinfachtes Verfahren. Regelmäßig genügte zur Durchführung der Enteignung ein bloßer schriftlicher Bescheid 54 . Rechtsschutz gegen die behördliche Entscheidimg, ob die Enteignung i m konkreten F a l l zulässig war, wurde nicht gewährt, während Streitigkeiten über die Höhe der Entschädigung i m Einzelfall den ordentlichen Gerichten zugewiesen w a r e n 6 5 . D i e A u f l ö s u n g des h e r k ö m m l i c h e n E n t e i g n u n g s m u s t e r s i n j e n e n e r s t e n N a c h k r i e g s j a h r e n g i n g so w e i t , daß d e r Gesetzgeber E i g e n t u m s e i n g r i f f e n , die als S a n k t i o n e n gedacht w a r e n , E n t e i g n u n g s c h a r a k t e r zuerkannte. I n der begrifflichen V e r w i r r u n g u n d Unsicherheit, die die E n t e i g n u n g s g e s e t z g e b u n g d e r ersten N a c h k r i e g s j ä h r e kennzeichnete, m a n i f e s t i e r t e sich m i t a l l e r D e u t l i c h k e i t d i e Z e r s t ö r u n g d e r ü b e r l i e ferten dogmatischen Enteignungsgrundlagen 56. E i n Musterbeispiel f ü r die Gleichsetzung von Enteignung u n d Einziehung durch den Gesetzgeber lieferte die Reichsverordnung über den Verkehr m i t Zucker 5 7 . §21 Abs. 3 regelte die Sanktion bei einem Verstoß gegen die bestehenden Bewirtschaf tungsvorschrif ten w i e folgt: „Handelt ein Unternehmer den nach Abs. 1 u n d 2 aufgestellten Grundsätzen u n d Bedingungen bei der Verwendung des Zuckers zuwider, so k a n n vorbehaltlich der Vorschrift i n § 33 Abs. 2 der Kommunalverband seine Zuckervorräte ohne Entgelt enteignen." Der Verstoß gegen die Bewirtschaftungsvorschriften w a r darüber hinaus strafbar. §33 Abs. 2, auf den §21 verwies, stellte heraus, daß neben der Strafe, „die Gegenstände (der Straftat) eingezogen werden können, ohne Unterschied, ob sie dem Täter gehören oder nicht." D a m i t w a r e n aber genau jene Zuckervorräte erfaßt, die nach § 21 enteignet werden sollten 5 8 . D i e Enteignungsgesetze u n d -Verordnungen d e r e r s t e n N a c h k r i e g s jahre bildeten den ersten Schritt zu einem neuen G e m e i n w o h l - u n d E n t e i g n u n g s v e r s t ä n d n i s . O b w o h l sie n u r als Ü b e r g a n g s v o r s c h r i f t e n a n g e l e g t w a r e n , f ö r d e r t e n sie dennoch e i n neues V e r s t ä n d n i s des E n t e i g n u n g s i n s t i t u t e s n a c h h a l t i g d a d u r c h , daß sie d i e ü b e r l i e f e r t e n E n t e i g nungskategorien rückhaltlos i n Frage stellten. D a m i t w u r d e neuen E n t w i c k l u n g s m ö g l i c h k e i t e n R a u m gegeben. 58 Vgl. § 4 Nr. 2 der Verordnung betreffend Maßnahmen gegenüber Betriebsabbrüchen u n d Stillegungen v o m 8. November 1920, R G B l S. 1901; vgl. auch § 15 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 des Reichsausgleichsgesetzes v o m 24. A p r i l 1920, R G B l S. 598. 54 Vgl. etwa § 27 der Verordnung v o m 27. August 1919, R G B l S. 1488. 55 Vgl. § 4 Abs. 4 der Verordnung v o m 27. August 1919, R G B l S. 1488. Eine Sonderregelung t r a f § 7 Abs. 2 des Gesetzes über Enteignungen u n d Entschädigungen aus Anlaß des Friedensvertrages v o m 31. August 1919, R G B l S. 1527. Danach w a r das Reichswirtschaftsgericht, ein besonderes V e r waltungsgericht des Reiches, zuständig über die Entschädigungsfrage zu befinden. 56 So auch Stödter, Entschädigung, S. 122, 123. 57 V o m 30. September 1920, R G B l 1719. 58 Vgl. noch die Verordnung über die Enteignung u n d vorläufige Sicherstellung v o n Betriebsstoffen v o m 27. August 1919, R G B l S. 1488.

4 Fremei

50

I. . Kap. Die Gemeinwohlklausel im Enteignungsrecht II. Enteignungen auf dem Gebiet des Wohnungswesens und des Städtebaus

Stabilisiert hat sich das neue Enteignungs- und Gemeinwohlverständnis vor allem auf dem Gebiet des Wohnungswesens und des Städtebaus. Damit blieb auch i n der Nachkriegszeit das Schicksal des Enteignungsinstitutes eng m i t Fragen der Bodenordnung verknüpft 5 9 . Als Folge des verlorenen Krieges machte sich i m gesamten Reich bald eine krasse Wohnungsnot bemerkbar. I n den Kriegsjahren war der Wohnungsbau weitgehend zum Erliegen gekommen. Die Rückkehr der Kriegsteilnehmer und die Rückwanderung von tausenden Auslandsdeutschen aus den Kolonien, dem Baltikum und den abgetretenen Gebietsteilen steigerte den Wohnungsfehlbestand 60 . Der Zwangseingriff i n das bestehende Wohnungseigentum erschien ebenso unabweisbar wie die Enteignung von Grundeigentum zur Erschließung und Nutzung von neuem Bauland. Die Erkenntnis, daß der Staat die Verantwortung für eine plangemäße und den menschlichen Bedürfnissen angepaßte Erschließung und Nutzung des Baugeländes trug, gab zu weiteren städtebaulichen Enteignungen Anlaß 6 1 . 1. Eigentumseingriffe

im Rahmen der Wohnungszwangswirtschaft

Die Zwangsbewirtschaftung des zur Verfügung stehenden Wohnraums mußte das erste M i t t e l sein, um die gröbste Wohnungsnot durch eine gerechtere Verteilung des bestehenden Wohnraums zu lindern. Das Wohnungsmangelgesetz vom 26. J u l i 192362 stellte den staatlichen Behörden ein gefächertes Instrumentarium von Zwangsrechten zur Verfügimg, bezeichnete diese jedoch nicht als Enteignungen. I m M i t t e l p u n k t der gesetzlichen Regelung stand das Rechtsinstitut der Zwangsmiete. § 4 des Gesetzes erlaubte dem Mieteinigungsamt, einen M i e t vertrag zwangsweise zwischen Wohnungssuchenden u n d Verfügungsberechtigten abzuschließen. Daß der Gesetzgeber die Zwangsmiete nicht als E n t eignungsmaßnahme auffaßte, verdeutlichte § 6 des Wohnungsmangelgesetzes. D a r i n unterschied der Gesetzgeber zwischen der i n § 4 bezeichneten A n ordnung u n d Eingriffen i n die Unverletzlichkeit des Eigentums. Dies hat das Reichsgericht freilich nicht gehindert, i m nachhinein auch die Zwangsmiete als Enteignung einzustufen 6 3 . Den obersten Landesbehörden räumte das Wohnungsmangelgesetz die Befugnis ein, durch landesgesetzliche Ausführungsbestimmungen auch andere Maßnahmen gegen den Wohnungsmangel zu treffen. Die Landesverordnun59

Vgl. auch Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 47. eo Lutz, Wohnungsnotrecht u n d Enteignung, S. 22, 23. 61 Vgl. Evers, Bauleitplanung, Sanierung u n d Stadtentwicklung, S. 16. «2 R G B l 1923 T e i l I, S. 754. «3 Vgl. RGZ 102, 165; 105, 253; 111, 226; 112, 191.

1. Abschn.: Β. Reichs- und Landesenteignungsgesetze

61

gen zur Bekämpfung des Wohnungsmangels eröffneten vor allem die i m Wohnungsmangelgesetz unbekannte Möglichkeit, Wohnraum zu beschlagnahmen. Auch die Wohnungsbeschlagnahme wurde von der auf Ausdehnung des Rechtsschutzes u n d der Entschädigungspflicht bedachten Rechtsprechung als Enteignung qualifiziert 6 4 . Die Wirkungen der Wohnungsbeschlagnahme ähnelten i n der T a t sehr einer Enteignungsmaßnahme. § 12 Abs. 1 der bayerischen Verordnung über Maßnahmen gegen Wohnungsmangel i n B a y e r n 6 5 bestimmte, „daß m i t der Eröffnung der Beschlagnahmeverfügung die Verfügungsberechtigten die Befugnis verlieren, über die beschlagnahmten Räume zu verfügen". Die Beschlagnahme blieb nach § 12 Abs. 2 auch dem Rechtsnachfolger des V e r fügungsberechtigten gegenüber wirksam. § 10 der Verordnung bezeichnete dann auch die Beschlagnahme als Eingriff i n die Unverletzlichkeit des Eigentums66.

2. Heimstätten

und städtische Siedlungsgesetzgebung

Die nachhaltigste Änderung des Enteignungsinstitutes vollzog sich auf dem Gebiet der Heimstätten- und Siedlungsgesetzgebung. Die Enteignung wurde zusätzlich zum Instrument der Sozialpolitik, welches zum einen der Umschichtung des Grundbesitzes innerhalb des Volkes dienen sollte 67 , zum anderen aber auch half, die soziale Not aus Arbeitslosigkeit und Inflation zu mildern. Die sozial- und wohnungspolitische Konzeption, die der Heimstätten- und Siedlungsgesetzgebung zugrunde lag, hatte bereits zum Teil i n A r t . 155 der Reichsverfassung Niederschlag gefunden 68 . Nach A r t . 155 Abs. 1 sollte jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte gesichert werden. Abs. 2 erlaubte zu diesem Zweck die Enteignung von Grundbesitz, dessen Erwerb zur Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses nötig war. Die Verordnung zur Behebung der dringendsten Wohnungsnot (BehebungsVO) war die erste reichsrechtliche Vorschrift, die nach dem Inkrafttreten der Verfassung eine Änderung des Bodenrechts m i t dem Ziel der Schaffung und Erhaltung ländlicher und städtischer Heimstätten bezweckte 69 . 64 Scheicher, Grundrechte u n d Grundpflichten, Bd. 3, S. 213 u n d die dort zitierte Entscheidung des Reichsgerichtes v o m 7. J u l i 1922. es V o m 18. August 1926, GVB1 S. 1926. 66 Vgl. noch die Regelung der Wohnraumbeschlagnahme i n §§4 f. der sächsischen Landesverordnung über Maßnahmen gegen den Wohnungsmangel v o m 16. M a i 1927, GS. S. 89. 6 ? Dies galt v o r allem f ü r die ländliche Siedlungsgesetzgebung; vgl. Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 47. es Vgl. dazu Scheicher, Grundrechte u n d Grundpflichten, Bd. 3, S. 293 f. 6 » Ursprünglich erlassen a m 15.1.1919, R G B l S. 69; geändert u n d neu



52

I. . Kap. Die Gemeinwohlklausel im Enteignungsrecht

§ 1 i. V. m. § 2 der Verordnung verpflichteten die Landeszentralbehörden i n Gebieten, i n denen ein dringendes Bedürfnis nach K l e i n - u n d M i t t e l w o h nungen bestand, Bezirkswohnkommissare zu bestellen, die den B a u geeigneter K l e i n - u n d Mittelwohnungen fördern sollten. I n § 3 S. 1 w a r das E n t eignungsrecht des Bezirkswohnungskommissars wie folgt geregelt: „Steht f ü r K l e i n - u n d Mittelwohnungen B a u - u n d Gartenland i n passender Lage zu angemessenem Preise nicht zur Verfügung, so ist der Bezirkswohnungskommisar befugt, geeignete Grundstücke gegen angemessene Entschädigung zu enteignen." Das Enteignungsrecht der BehebungsVO erstreckte sich, w i e ein nichtveröffentlichter Erlaß des Reichsarbeitsministers 7 ® klarstellte, auch auf das zur Erschließung des Baugeländes erforderliche Land. § 10 der V e r ordnung ergänzte die Enteignung von Bauland u m die Möglichkeit, dringend benötigtes Baumaterial i m Enteignungswege zu beschaffen. Die Enteignung von Baugelände oder Baumaterial nach der BehebungsVO w a r u l t i m a ratio. Sie stand daher unter dem Vorbehalt, daß zuvor der Versuch des freihändigen Erwerbs zu angemessenen Preisen fehlgeschlagen sein mußte (§3 S. 1; § 10 S. 1). Ohne V o r b i l d i m alten Recht w a r die Bestellung eineiT Zwangserbbaurechts auf A n t r a g des Eigentümers, die § 5 anstelle der völligen Entziehung des Eigentums erlaubte. §5 w a r als Schutzvorschrift zugunsten des durch die Enteignung betroffenen Eigentümers gedacht, dem die Substanz seines Eigentums erhalten blieb u n d der an Stelle der Kapitalentschädigung eine dauernde Rente e r h i e l t 7 1 . Der Verordnungsgeber qualifizierte die Bestellung des Zwangserbbaurechts als besonderen F a l l der Enteignung, w i e die i m Gesetzestext gewählte Wendung „ a n Stelle der völligen Entziehimg des Eigentums" verdeutlicht 7 «. Schon das preußische Enteignungsgesetz hatte die Belastung eines G r u n d stücks m i t einer Dienstbarkeit als Enteignung gekennzeichnet 73 . Dagegen differenzierte der Gesetzgeber i n dem sich anschließenden § 6 zwischen dem Rechtsinstitut der Enteignung u n d dem bisher unbekannten I n s t i t u t der Zwangspacht. § 6 formulierte, daß „ a n Stelle der Enteignung" zur Bereitstellung des f ü r Behelfsbauten nötigen Geländes der Bezirkswohnungskommissar eine Zwangspachtung aussprechen konnte. Das Rechtsinstitut der Zwangspacht diente dem begrenzten Zweck, obdachlose Familien i n Baracken oder sonstigen Leichtbauten unterzubringen 7 4 . Auch i n späteren Enteignungsvorschriften stellte der Gesetzgeber die Enteignung i n deutlichen Gegensatz zur Zwangspacht u n d dokumentierte damit, daß er die Zwangspachtverfügung nicht als Enteignungsmaßnahme auffaßte 7 5 .

bekannt gemacht durch den Reichsarbeitsminister als Verordnung zur Behebung der dringendsten Wohnungsnot v o m 9.12.1919, R G B l S. 1968. 70 Erlaß des Reichsarbeitsministers v o m 26. 6.1930 — I X C 3 Nr. 6387/30 — ; abgedr. bei Quecke / Bussmann, Reichsenteignungsrecht, S. 175. 71 Quecke / Bussmann, Reichsenteignungsrecht, S. 179. 72 Vgl. auch den W o r t l a u t des A r t . 1 des bayerischen Ansiedlungsgesetzes v o m 3. A p r i l 1919, GVB1 S. 117, das ausdrücklich formulierte: „Die E n t eignung umfaßt auch die Beschwerung m i t einem Erbbaurecht oder einer Dienstbarkeit." 73 Vgl. Eger, Preußisches Enteignungsgesetz, § 2 A n m . 15, S. 38. 74 Quecke / Bussmann, Reichsenteignungsrecht, S. 180. 75 Vgl. § 24 des Reichssiedlungsgesetzes v o m 11.8.1919 (RGBl S. 1429). Die Zwangspacht ist erst von der Rechtsprechung als entschädigungspflichtige

1. Abschn.:

. Reichs- und Landesenteignungsgesetze

53

Einen enteignungsrechtlichen Sonderfall regelte schließlich § 11 der BehebungsVO. Danach konnte der Bezirkswohnungskommissar stillgelegte Neubauten, i n denen Wohnungen vorgesehen waren, zugunsten der Gemeinde enteignen. Dem Kommissar stand die Enteignungsbefugnis zu, w e n n die Bauarbeiten länger als sechs Monate ruhten u n d die Gemeinde bereit u n d i n der Lage war, den Bau unverzüglich bezugsfähig herzustellen. § 11 sollte vor allem i n den Inflations] ahren von besonderer praktischer Bedeutung werden, als die Geldentwertung die Finanzierung weiterer Bauarbeiten v e r eitelte. Den Enteignungsvorschriften der Behebungsverordnung w a r gemeinsam, daß sie die Inanspruchnahme des Eigentums ohne besonderes Verfahren durch formlosen Bescheid an den Eigentümer gestatten (§ 4 Abs. 2). Der Bescheid, der die Zulässigkeit der Enteignung aussprach, w a r zudem nach § 4 Abs. 3 unanfechtbar.

Die Behebungsverordnung erlangte für Enteignungen auf dem Gebiet der Heimstätten und Siedlungsenteignung besondere Bedeutung, da ihre Vorschriften auf Enteignungen zur Begründung und Vergrößerung von Heimstätten nach dem Heimstättengesetz 76 , zur Beschaffung von Land für Zwecke der Kleinsiedlung 7 7 sowie zur Landbeschaffung nach Maßgabe der Beamtensiedlungsverordnung 78 entsprechende A n wendung fanden. Das Reichsheimstättengesetz 79 (RHG) realisierte den bodenreformerischen Heimstättengedanken, den A r t . 155 WRV an den Anfang seines bodenreformerischen Programms gestellt hatte 8 0 . Das Gesetz traf jedoch keine selbständige Enteignungsregelung, sondern verwies i n § 28 auf die Enteignungsvorschriften, die für Zwecke des Kleinwohnungsbaus Enteignungen vorsahen 81 . Voraussetzung für die entsprechende Anwendung dieser Normen war nur, daß die Enteignung der Begründung oder Vergrößerung von Heimstätten diente. Das Heimstättengesetz unterschied Wohn- und Wirtschaftsheimstätten. Einfamilienhäuser m i t Nutzgärten wies es als Wohnheimstätten aus, während landwirtschaftliche Enteignung qualifiziert worden, vgl. R G U r t e i l v o m 15.1.1935 — I I I 183/34 — zit. nach Quecke / Bussmann, Reichsenteignungsrecht, S. 184; U r t e i l des L G B e r l i n v o m 24.10.1933 — 202.0.181/32 —, mitgeteilt bei Quecke I Bussmann, ebd. ™ V o m 20. M a i 1920, R G B l I S. 1291. 77 Nach Maßgabe der d r i t t e n Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft u n d Finanzen u n d zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen. V o m 6. Oktober 1931, R G B l I S. 537. ™ V o m 11. 2.1924, R G B l I S. 53. 7 ® Nachw. Fn. 76. 80 Vgl. Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 47. 81 Folgende Enteignungsvorschriften kamen i n Betracht: — BehebungsVO v o m 9.12.1919 (vgl. oben Fn. 69) — Festungsenteignungsgesetz v o m 27.4.1920, R G B l I S. 697. — D r i t t e NotVO des Reichspräsidenten v o m 6.10.1931, I V . Teil, K a p i t e l I I I , R G B l I S. 537. — Ödlandverordnung v o m 13. 2.1924, R G B l I S. 111. — Reichssiedlungsgesetz v o m 11. August 1919, R G B l I S. 1429.

54

I. . Kap. Die Gemeinwohlklausel im Enteignungsrecht

oder gärtnerische Anwesen, zu deren Bewirtschaftung eine Familie keiner ständigen Arbeitskraft bedurfte, Wirtschaftsheimstätten bildeten. Enteignungsunternehmer waren das Reich, die Länder, die Gemeinden oder Gemeindeverbände als Ausgeber der Heimstätten 8 2 . Abweichend ließ § 5 des Preußischen Ausführungsgesetzes zum Heimstättengesetz eine Enteignung zugunsten des Heimstättenbewerbers zu, wenn dies der Ausgeber, der die Enteignung eingeleitet hatte, beantragte 83 . Wurde die Eigenschaft als Heimstätte innerhalb einer Frist von zehn Jahren gelöscht und entfiel damit der die Enteignung rechtfertigende Zweck, stand dem früheren Eigentümer nach § 34 RHG ein Wiederkaufsrecht zu. Die Enteignung nach dem Reichsheimstättengesetz wich insofern von dem herkömmlichen Enteignungsmuster der Landesenteignungsgesetze des 19. Jahrhunderts ab, als eine „Ubereignung" auf den Enteignungsunternehmer nicht mehr stattfand 8 4 . I m Heimstättenrecht blieb das genommene Gut nicht i n der Hand eines Trägers öffentlicher Verwaltung, um dort einem abgegrenzten Stück dieser Verwaltung zu dienen, sondern ging durch Vermittlung des Enteignungsunternehmers auf den privaten Heimstättenbewerber über. Die Rechtswissenschaften des 19. Jahrhunderts hatte Enteignungen nach dem preußischen Ansiedlungsgesetz 85 von 1886, die diesem Muster entsprachen, mangels Übereignung an den Enteignungsunternehmer nicht als Enteignung qualifiziert 8 6 . Die einschneidensten Vorschriften, die die Reichsgesetzgebung für die Entziehung von Grundeigentum kannte, enthielt die dritte Notverordnung des Reichspräsidenten vom 6. Oktober 193 1 8 7 . Die Verordnung wollte i n erster Linie den Bau von Kleinsiedlungen i n der Umgebung von Städten und größeren Industriegemeinden fördern 8 8 . Die „vorstädtische Kleinsiedlung" war als Wohn- und Wirtschaftsstätte konzipiert, die den Siedlern die Selbstversorgung m i t Gartenerzeugnissen und Erträgen aus der Kleintierzucht ermöglichte 89 . Den sozialpolitischen Bezug der durch die Notverordnung eröffneten Enteignungsmöglichkeiten ver82

Vgl. Quecke Ί Bussmann, Reichsenteignungsrecht, S. 191. V o m 18.1.1924 (Pr. GS. S. 49). Stödter, Entschädigung, S. 119. es Pr. GS. S. 311. 88 O. Mayer, Verwaltungsrecht, Bd. 2, S. 20; Guba,. i n FischersZ Bd. 53, S. 8. 87 I V . Teil (Wohnungs- u n d Siedlungswesen) K a p i t e l I I der d r i t t e n V e r ordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung v o n Wirtschaft u n d Finanzen u n d zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen v o m 6. Oktober 1931, R G B l I S. 537. 88 Daneben diente die Verordnung auch der Förderung landwirtschaftlicher Siedlungen (§§ 5 - 8 ) sowie der Bereitstellung von Kleingärten. 89 Vgl. Quecke / Bussmann, Reichsenteignungsrecht, S. 196. 88

1. Abschn.:

. Reichs- u n d Landesenteignungsgesetze

55

d e u t l i c h t e diese i n i h r e r e i n l e i t e n d e n V o r s c h r i f t : D i e i n z w i s c h e n a u f m e h r als v i e r e i n h a l b M i l l i o n e n angewachsene E r w e r b s l o s e n z a h l sollte vermindert u n d den Erwerbslosen der Lebensunterhalt erleichtert werden90. Z u diesem Zweck ermächtigte § 11 der Verordnung den zu bestellenden Reichskommissar f ü r Kleinsiedlungen „geeignete Grundstücke gegen angemessene Entschädigung zu enteignen", falls das benötigte L a n d i n passender Lage zu angemessenem Preis nicht zur Verfügung stand. § 11 S. 2 schrieb vor, daß „durch Enteignung zunächst L a n d der öffentlichen Körperschaften i n Anspruch zu nehmen ist, soweit es nicht f ü r dringenden öffentlichen Bedarf benötigt w i r d " . Die Regel, Eigentum des Staates für öffentliche Zwecke i n Anspruch zu nehmen, es sei denn, daß ein berechtigtes, höherrangiges I n teresse des Staates die Erhaltung des Eigentums gebot, entsprach der i m neunzehnten Jahrhundert ausgebildeten Anschauung 9 *. Ausgeschlossen w a r nach § 11 dagegen die Enteignung privater landwirtschaftlicher u n d gärtnerischer Familienbetriebe, da diese zur Versorgung der Bevölkerung selbst unentbehrlich waren. § 14 erlaubte schließlich die Enteignung obligatorischer Rechte u n d a r t i k u lierte insofern das i n den Bewirtschaftungsvorschriften zuerst i n Erscheinung getretene neue Enteignungsverständnis. Der Reichskommissar f ü r K l e i n siedlungen konnte gemäß § 14 „Pacht- u n d Nutzungsrechte gegen angemessene Entschädigung aufheben". Nutzungsrechte i. S. des § 14 sollten n u r obligatorische Rechte sein, w e i l dingliche Rechte unmittelbar nach § 11 enteignet werden konnten. Die Vorschrift regelte den Fall, daß der Siedler oder Siedlungsunternehmer das Grundstück freihändig erworben hatte u n d auf den Erwerber Verpflichtungen aus einem Vertragsverhältnis übergegangen waren. Das w a r bei M i e t - oder Pachtverhältnissen nach §§ 571, 578 u n d 581 B G B möglich, w e n n das vermietete oder verpachtete Grundstück nach der Überlassung an den Mieter oder Pächter veräußert worden w a r 9 2 . Die hohe Priorität, die der Verordnungsgeber der Schaffung von v o r städtischen Kleinsiedlungen einräumte, führte dazu, daß die Enteignung sowohl nach dem formlosen Verfahren der Behebungsverordnung stattfand, als auch jegliche Nachprüfung der von der Verwaltungsbehörde festzusetzenden Entschädigung i m Rechtsweg oder Verwaltungsweg entfiel.

3. Baurechtliche

Enteignungsregelungen

I n d e r H e i m s t ä t t e n - u n d Siedlungsgesetzgebung h a t t e die s o z i a l p o l i tisch m o t i v i e r t e E n t e i g n u n g i h r e n s t ä r k s t e n A u s d r u c k gefunden. D i e i n e i n e r l e t z t e n Gesetzgebungsphase e r g a n g e n e n b a u r e c h t l i c h e n E n t e i g n u n g s r e g e l u n g e n d r ä n g t e n diese E n t e i g n u n g s z w e c k e z u g u n s t e n e i n e r w i e d e r s t ä r k e r technisch ausgerichteten, s t ä d t e b a u l i c h e n E n t e i g n u n g 99

Ebd. Vgl. Grünhut, Das Enteignungsrecht, S. 75; G. Meyer, Das Recht der Expropriation, S. 262; v. Rohland, Theorie u n d Praxis des deutschen E n t eignungsrechts, S. 18. 92 Quecke / Bussmann, Reichsenteignungsrecht, S. 76 f., 207. 91

56

1.

Kap. Die Gemeinwohlklausel i m Enteignungsrecht

zurück® 5 . P a r a l l e l z u d e r n u r z ö g e r n d v o r a n s c h r e i t e n d e n A u s f o r m u n g eines eigenständigen, s t ä d t e b a u l i c h e n Planungsrechts® 4 b i l d e t e sich d i e E n t e i g n u n g z u m I n s t r u m e n t aus, das d e n b o d e n r e c h t l i c h e n V o l l z u g d e r P l a n k o n z e p t i o n sicherstellen sollte. I n dieser F u n k t i o n n a h m sie T e i l a n d e n noch s t a r k technisch geprägten, s t ä d t e b a u l i c h e n P l a n u n g s z i e l e n , d i e inhaltlich den Eingriff legitimierten. M i t der Verkoppelung v o n P l a n u n d Enteignung w a r endgültig der E n t e i g n u n g s t y p gefunden, d e r i n d e r planakzessorischen E n t e i g n u n g des h e u t i g e n S t ä d t e b a u r e c h t s f o r t l e b t , h i e r f r e i l i c h d u r c h d i e sozialstaatlichen Zielsetzungen moderner städtebaulicher P l a n u n g geprägt wird95. 1. I n ihrem Ursprung hatte sich die planakzessorische Enteignung bis zur preußischen Fluchtliniengesetzgebung zurückverfolgen lassen 9 6 . Das preußische Wohngesetz v o m 9.3.1918 9 7 führte schon vor I n k r a f t t r e t e n der Reichsverfassung diese E n t w i c k l u n g fort, indem er das Fluchtliniengesetz u m neue Eingriffsmöglichkeiten erweiterte. Fluchtlinien konnten n u n auch f ü r Gartenanlagen, Spiel- u n d Erholungsplätze festgesetzt werden, die nach § 11 des geänderten Gesetzes i m Enteignungsweg erworben w e r den konnten. § 13 a erlaubte den Gemeinden zudem, Grundstücke zu enteignen, die wegen ihrer geringen Größe oder ungünstigen Gestaltung nicht mehr bebaubar waren. 2. Beispielhaft ordnete die Novelle des sächsischen Baugesetzes v o m 20.7. 1932*8 die planakzessorische Enteignung. §67 des Baugesetzes stellte die F u n k t i o n der Enteignung als Instrument einer plangemäßen Landbeschaffung nunmehr deutlich heraus. Die Verleihung des Enteignungsrechts w a r danach auf A n t r a g i n folgenden Fällen zulässig: a) zur Anlegung, Verbreiterung oder sonstigen Veränderung von planmäßig festgestellten oder dem inneren Ortsverkehr dienenden öffentlichen Verkehrsflächen (Straßen, Plätzen u n d selbständigen Fußwegen) einschließlich der dazugehörigen Brücken, b) zur Anlegung oder Veränderung v o n planmäßig festgestellten F r e i flächen, 98 Z u dieser rückläufigen Entwicklung zum Ende der Weimarer Zeit Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 48. 94 Sowohl der E n t w u r f eines preußischen Städtebaugesetzes (Staatsratsdrucksache Nr. 209, 1926; Staatsratsdrucksache Nr. 48, 1929) w i e der eines Reichsstädtebaugesetzes (ReichsArbBl 19301, S. 30 ff.; überarbeitete Fassung ReichsArbBl 19311, S. 266) scheiterten i n den parlamentarischen Beratungen, so daß das B a u - u n d Bodenrecht landesrechtlich zersplittert blieb; vgl. etwa das württembergische Gesetz über die Erschließung von Bauland durch Umlegung u n d Grenzlegung v o m 18.2.1926, GegBL S. 43; Thüringische B a u verordnung v o m 2.9.1930, GS. S. 187; Bayr. Gesetz über die Erschließung von Baugelände v o m 4. 7.1923, GVB1 S. 273. 95 Z u m sozialstaatlichen Bezug städtebaulicher Planung des B B a u G Schmidt-Aßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, § 1 Rdnr. 168. 9 · Vgl. oben I. T e i l 1. Kap. Β . I. 97 Pr. GS. S. 23; hierzu auch Evers, Bauleitplanung, Sanierung u n d Stadtentwicklung, S. 16. w GS. 5,133t

1. Abschn.:

. Reichs- u n d L a n d e s n t e i g n u n g s g e s t z e

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c) z u m B a u u n d zur Unterhaltung von öffentlichen Entwässerungs- u n d Kläranlagen, sowie zum Anschluß der einzelnen Grundstücke an eine öffentliche Entwässerungsanlage der eigenen oder einer benachbarten Gemeinde. d) zur Ergänzung oder Verschmelzung unbebaubarer Grundstücksflächen. § 67 verwies zur Durchführung der Enteignung auf § 1 des sächsischen Enteignungsgesetzes 99 , der eine Enteignung zuließ, w e n n sie „ f ü r ein dem öffentlichen Nutzen gewidmetes Unternehmen notwendig" war. Die Prüfung der Notwendigkeit umfaßte grundsätzlich die Fragen, ob der Enteignungszweck ohne Zwangseingriff realisierbar w a r u n d ob das Grundeigentum freihändig zu angemessenen Preisen erworben werden k o n n t e 1 0 0 . Soweit sich der Enteignungsantrag allerdings auf Grundeigentum beschränkte, das nach einem festgestellten Bebauungs- oder Fluchtlinienplan f ü r öffentliche V e r kehrs· oder Freiflächen bestimmt war, galt nach § 67 die Notwendigkeit der Enteignung ohne weitere Prüfung als nachgewiesen. I n i h r e m A n w e n d u n g s b e r e i c h b l i e b d i e planakzessorische E n t e i g n i m g des sächsischen Baugesetzes n a c h diesem B i l d a l l e r d i n g s n o c h e n g b e grenzt. L a n g e n i c h t a l l e Planaussagen des Gesetzes r e c h t f e r t i g t e n die Enteignung101. Keine Enteignungen sollten zudem die Nutzungsb e s c h r ä n k u n g e n auslösen, d i e u n m i t t e l b a r aus d e n Planaussagen r e s u l t i e r e n . W e d e r d e m sächsischen Baugesetz n o c h d e n zeitgenössischen B a u - oder Bodengesetzen d e r a n d e r e n L ä n d e r i s t d a m i t j e n e r E n t e i g n u n g s t y p b e k a n n t , d e r nach m o d e r n e r W e r t u n g als s t ä d t e b a u l i c h e A u f o p f e r u n g s e n t e i g n u n g bezeichnet w i r d 1 0 2 . Die ablehnende H a l t u n g des Gesetzgebers zu diesem Enteignungstyp geriet freilich durch die Rechtsprechung des Reichsgerichtes, das den Enteignungsbegriff i n mehreren Richtungen erweiterte, erheblich ins Wanken. I n zwei grundlegenden Entscheidungen hatte das Gericht auch Freiflächenausweisungen als Enteignungen qualifiziert, die nach A r t . 153 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung eine Entschädigungspflicht der Gemeinde auslösten 1 0 3 . Die i n den Bauordnungen der Länder angeordneten, n u n als Enteignung qualifizierten Baubeschränkungen gerieten damit i n Gefahr, wegen der fehlenden Entschädigungsregelung gegen A r t . 153 Abs. 2 der Reichs Verfassung zu v e r stoßen u n d deshalb nichtig zu sein 1 0 4 . Die erhebliche Rechtsunsicherheit, die 99

V o m 24. 6.1902, GVB1 S. 153. Vgl. Scheicher, Kommentar zum sächsischen Enteignungsgesetz, § 1, S. 138. 101 Z u m Gehalt der Bebauungs- u n d Ortserweiterungspläne des sächsischen Baugesetzes vgl. v. d. Mosel, H d w B des sächsischen Verwaltungsrechts, Bd. 1, A r t i k e l „Bauwesen", Sp. 240; Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 30, 54, 55. 102 z u r Entwicklung der Aufopferungsenteignung auch Bielenberg, in: Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, Vorb. § § 4 0 - 4 4 Rdnr. 83. 100

103 So zuerst i m „ B e t h k e " - U r t e i l v o m 28. 2.1930 = RGZ 128, 18 zu § 13 des Preußischen Fluchtliniengesetzes von 1875 sowie i m U r t e i l v o m 3.3.1931 = RGZ 132, 69 zu einer ähnlichen Rechtsgestaltung nach mecklenburgischen Recht. 104 Z u dem die Bodenrechtsdiskussion der Weimarer Zeit prägenden Pro-

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I. . Kap. Die Gemeinwohlklausel im Enteignungsrecht

diese Rechtsprechung für das gemeindliche Planungsinstrumentarium m i t sich brachte, rief den Reichsgesetzgeber auf den Plan, da n u r er befugt war, die Entschädigung gesetzlich auszuschließen. I n § 1 der zweiten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft u n d F i n a n z e n 1 0 5 tat der Gesetzgeber den von den Gemeinden lang ersehnten Schritt. § 1 bestimmte, daß f ü r Enteignungen auf dem Gebiet des Städtebaus „insbesondere der Planung, Fluchtlinien (Baulinien)-festsetzung . . . die gemäß landesrechtlicher Vorschriften vollzogen werden, nach Maßgabe der §§ 2 bis 5 Entschädigung gewährt w i r d " . § 2 schloß sich an u n d formulierte, daß für Enteignungen auf dem Gebiet des Städtebaus eine Entschädigung n u r zu leisten war, „ w e n n u n d soweit dies i n den i n § 1 S. 1 genannten landesrechtlichen Vorschriften vorgesehen ist". D a m i t hatte der Gesetzgeber nachträglich durch die Übernahme des von der Rechtsprechung vorgezeichneten Enteignungstyps die Landesgesetzgebung sanktioniert 1 0 6 .

Zweiter Abschnitt

Die Gemeinwohlklausel im Spiegel der Rechtsprechung Die Enteignungsgesetzgebung der Weimarer Republik hatte einem neuen, sozialeren Eigentums- und Enteignungsverständnis Raum geschaffen und damit die Konsequenz aus den veränderten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen gezogen. I m Umfeld der Enteignung bedeutete dies, daß Privateigentum in weit stärkerem Maße als i m bürgerlich-liberalen Rechtsstaat zur Disposition des Gesetzgebers stand. Die Reaktion auf dieses veränderte Enteignungsbild ließ nicht lange auf sich warten: Schon früh läßt sich i n der Weimarer Zeit eine breite, gegenläufige Bewegung feststellen, die nach einer Intensivierung des Eigentumsschutzes rief 1 0 7 . I m Reichsgericht fand sie diejenige Institution, die ihre Interessen wirksam umsetzte. Aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung kristallisierte sich i n der Folgezeit ein neuer Enteignungsbegriff, der bestimmt war von der Tendenz, möglichst lückenlos Eigentumseingriffe unter die Entschädigungsklausel des Art. 153 Abs. 2 S. 3 der Verfassung zu stellen. Diese betont entschädigungsrechtliche Sicht, die die Eigentumsgarantie als Vermögensgarantie begriff, verblem der baurechtlichen Eigentumsbeschränkungen vgl. W. Jellinek, Gutachten zum 36. DJT, S. 303; Bertram, VerwArch. Bd. 35, 411; Städter, E n t schädigung, S. 132 m. w. N. 105 Sechster Teil, K a p i t e l I I I v o m 5. 6.1931, R G B l I S. 279, 309. 106 Quecke / Bussmann, Reichsenteignungsrecht, S. 232. 107 M. Wolff, Reichsverfassung u n d Eigentum (1923), S. 13, 14; Triepel, Goldbilanzenverordnung, S. 25; ders., AöR 39, 456 ff. Z u diesen Strömungen auch Diester, Enteignung u n d Entschädigung, S. 38; Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 255. Kritisch zu der zeitgenössischen Entwicklung Kirchheimer, Die Grenzen der Enteignung, S. 43.

2. Abschn. : A. Rechtsschutz gegenüber dem Enteignungsgesetzgeber

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sperrte freilich den Blick auf deren bestandsschützende Funktion. Das Reichsgericht nahm i n Kauf, daß sich m i t der Erweiterung des Enteignungsbegriffs um neue Eingriffsvarianten zugleich die Eingriffszwecke vermehrten. So führte dann die auf gesteigerten Eigentumsschutz bedachte Rechtsprechung dazu, daß zwar die vermögensrechtliche Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Eigentumsgewährleistung gestärkt, ihre eingriffshemmende, bestandssichernde W i r k u n g jedoch abgebaut wurde. I n der enteignungsrechtlichen Gemeinwohljudikatur des Reichsgerichts kreuzen sich zwei Entwicklungslinien die gemeinsam zu sehen sind, u m diese Rechtsprechung zu verstehen. Die eine zeichnet die Diskussion u m das richterliche Prüfungsrecht nach, genauer, ob die Gerichte generell befugt waren, Reichs- bzw. Landesgesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen* 0 8 . H a n d i n Hand damit lief die Diskussion u m den verfassungsrechtlichen K o n trollmaßstab, der an Eigentumseingriffe anzulegen w a r u n d i n seiner Dichte unmittelbar von der Definition des Enteignungsbegriffs i n A r t . 153 W R V abh i n g 1 0 0 . Die Gemeinwohljudikatur des Reichsgerichts ist gleichsam n u r Nebenprodukt dieser Rechtsprechung, hat aber das Enteignungsverständnis nachhaltig beeinflußt.

A. Der Ausbau des Rechtsschutzes gegenüber Eigentumseingriffen des Gesetzgebers Die gewandelte Rolle des Gesetzgebers i n Weimar, der nicht mehr der auf möglichst lückenlosen Eigentumsschutz bedachte bürgerlichliberale Gesetzgeber des 19. Jahrhunderts w a r 1 1 0 , ließ die schon i n den letzten Jahren des Kaiserreichs begonnene Diskussion u m die Reichweite des richterlichen Prüfungsrechts v o l l Wiederaufleben 111 . I m 19. Jahrhundert war der Rechtsschutz gegen Eigentumseingriffe des Gesetzgebers prinzipiell ausgeschlossen gewesen 112 . Weder stand den Gerichten das Recht zu, ordnungsgemäß verkündete Reichsgesetze an der Reichsverfassung noch Landesgesetze an den Landesverfassungen zu messen 113 . Diese Souveränität des Gesetzgebers resultierte aus einem Verfassungsverständnis, welches gesetzgeberische Tätigkeit allein dem 108

Hierzu Kubler, Der deutsche Richter u n d das demokratische Gesetz, AcP 162 (1963), S. 104 f. 100 Dazu Stödter, Entschädigung, S. 112. 110 Z u dem veränderten rechtspolitischen H i n t e r g r u n d Kirchheimer, Die Grenzen der Enteignung, S. 43; Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 255. 111 Den A b l a u f der Diskussion gibt Kubier (s. oben Fn. 108), S. 104, 110 f. ausführlich wieder. 112 Dazu Meyer / Anschütz, Staatsrecht, S. 739 ff. 118 Ebd., S. 743. I h r Recht, i m Range unter dem Reichsrecht stehende, landesrechtliche Normen auf ihre Reichsgesetzmäßigkeit zu prüfen, wurde für das Enteignungsrecht nicht praktisch, da die Bismarcksche Verfassung von 1871 keine Enteignungsnorm als Prüfungsmaß stab bereithielt.

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I. . Kap. Die Gemeinwohlklausel im Enteignungsrecht

politischen Handeln zurechnen wollte und damit der richterlichen Uberprüfung entzog 114 . Die nun einsetzende Diskussion 115 stellte dieses Verfassungsverständnis umfassend i n Frage, l i t t allerdings darunter, daß sowohl die Reichs- 116 wie die Landesverfassungen 117 das richterliche Prüfungsrecht offen gelassen hatten. Vor dem Hintergrund dieser ungeklärten Verfassungslage kam deshalb die Entscheidung des Reichsgerichtes i m Frühjahr 1921 um so überraschender, welches für sich i n Anspruch nahm, die formelle und materielle Rechtmäßigkeit von Gesetzen anhand der Verfassung nachzuprüfen 118 . Die Urteilsbegründung, das ein solches Prüfungsrecht der bisherigen Rechtsprechungstradition entspräche 11®, veranlaßte Jellinek ganz offen von einem „judiziellen Märchen" zu sprechen 120 . Den einmal eingeschlagenen Weg hat dies freilich nicht hemmen können, so daß wenig später eine Prüfungskompetenz in ständiger reichsgerichtlicher Rechtsprechung vertreten 1 2 1 und von dort auch i n die Rechtsprechung der Landesgerichte einfloß 122 . Freiheits- und Eigentumsgewährleistungen der Verfassungen zogen nun dem Gesetzgeber Schranken, die ihm die Gerichte bei seiner gesetzgeberischen Tätigkeit entgegenhalten konnten. Das neu gewonnene, richterliche Prüfungsrecht legte allerdings nur einen Grundstein für einen effektiven Eigentumsschutz. Offen blieb zunächst noch, welcher materielle Prüfungsmaßstab an Eigentumseingriffe anzulegen war. Die restriktive Interpretation des verfassungsrechtlichen Enteignungsbegriffs des 19. Jahrhunderts, der i m Kern unmittelbare gesetzliche Eigentumseingriffe wie bloße Rechtsbeschränkungen ausklammerte, 114 Hierzu Rönne, Preußisches Staatsrecht, Bd. 2, § 94; Zachariä, Bd. 1, § 51, S. 114 ff.

Staatsrecht,

115 Einen Überblick über den n u r noch rechtshistorisch interessierenden Streitstand gibt Hippel, i n Anschütz / Thoma, HdDStR Bd. 2, S. 554, 556 m i t zahlreichen weiteren Nachweisen. u« Der Verfassungsausschuß hatte bei der Diskussion des A r t . 102 der WRV, nachdem die Richter unabhängig u n d n u r dem Gesetz unterworfen sein sollten, das richterliche Prüfungsrecht w o h l angesprochen, auf eine Festlegung aber bewußt verzichtet; Protokoll des 8. Ausschusses, S. 486; Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reiches, A r t . 70, A n m . 4. 117 Nachweise bei Hippel (s. oben Fn. 115), S. 559.

" β U r t e i l v o m 28. 4.1921 = RGZ 102, 161. « · RGZ 103, 164. 120 w . Jellinek, Das Märchen von der Überprüfung verfassungswidriger Reichsgesetze durch das Reichsgericht, J W 1925, 454; ders., W D S t R L 2, S. 38. 121 RGZ 114, 33; 124, 183; 128, 165; 129, 146. 122 U r t e i l des Bay. Obersten Landesgerichts v o m 20.3.1926 = D J Z 1925, Sp. 903 f.; U r t e i l des hambg. O V G v o m 17.1.1927 = J W 1927, 1288; U r t e i l des hessischen V G H v o m 22.11.1927 = V G H E 8, 74; U r t e i l des preußischen OVG, PrOVGE 81, 384.

2. Abschn. : A. Rechtsschutz gegenüber dem Enteignungsgesetzgeber

61

verkürzte den Rechtsschutz um diese Punkte 1 2 3 . Erst die Ausdehnung des Enteignungsbegriffs, die schon bald nach Inkrafttreten der Reichsverfassung i n einem übergreifenden Prozeß von Rechtsprechung und Lehre vorangetrieben wurde, verstärkte die gerichtlich kontrollierbare Bindung des Gesetzgebers an die verfassungsrechtlichen Enteignungsvoraussetzungen. Der Prozeß, der wiederholt ausführlich dargestellt worden i s t 1 2 4 , so daß deshalb eine kurze Skizze genügt, lief vor allem i n drei Richtungen ab: E i n m a l w u r d e n Vermögenswerte Rechte aller A r t , insbesondere Forderungen als Enteignungsgegenstand a n e r k a n n t 1 2 5 . Da das Eingriffsobjekt der E n t eignung n u n nicht mehr auf Sacheigentum zu begrenzen war, fiel zudem die damit eng gekoppelte Enteignungsvoraussetzung weg, daß eine Enteignung stets die Überführung von Sachgütern auf ein konkretes, gemeinnütziges Unternehmen voraussetze 12*. I n einer langjährigen Spruchpraxis erstreckte das Reichsgericht den Enteignungsbegriff auf wirtschaftlich untragbare Belastungen oder Beschränkungen des Eigentums, w i e sie ζ. B. aus der A u s weisung eines Grundstücks i m Fluchtlinienplan als Freifläche 1 2 7 oder der Eintragung eines Grundstücks i n eine Denkmalsliste 1 2 8 resultieren. A l s Enteignung erschien daher schon jeder Eingriff i n die dem Eigentümer nach §903 B G B zustehende Befugnis, ohne daß es darauf ankam, ob das entzogene Recht zwangsweise auf einen D r i t t e n übertragen w u r d e 1 2 9 . Die w o h l wichtigste Änderung i m Enteignungsverständnis von Rechtsprechung u n d L i t e r a t u r w a r die Ausdehnung des Enteignungsbegriffs auf unmittelbare gesetzliche Eingriffe 1* 0. D a m i t w a r erreicht, daß der Gesetz128 z u r Existenz 1. Kap., Β I I I .

dieses

„klassischen

Enteignungsbegriffs"

schon

oben

124 Dazu C. Schmitt, J W 1929, 495; Stödter, Entschädigung, S. 112; Scheicher, Grundrechte u n d Grundpflichten, Bd. 3, S. 197 ff.; Kirchheimer, Die Grenzen der Enteignung, S. 35 f.; Scheuner, Schutz des Eigentums, S. 37 f.; W. Weber, Eigentum u n d Enteignung, S. 338 f.; Kutscher, Enteignung, S. 65 ff. 12 ® Zuerst i n der Entscheidung des RGZ v o m 1. 3.1924 = RGZ 107, 375; RGZ v. 13.12.1924 = RGZ 109, 320; RGZ v. 3.7.1925 = RGZ 111, 224 ff. sowie RGZ v. 4.11.1925 = RGZ 111, 320. I n der L i t e r a t u r w u r d e die Ansicht zuerst i n den Beitrag Martin Wolffs, Reichsverfassung u n d Eigentum, S. 28 ff. noch ohne Begründung formuliert; vgl. auch Triepel, Goldbilanzen Verordnung, S. 16; Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reichs, S. 607; Arndt, Reichsverfassung (3. Aufl.), S. 384; Giese, Reichsverfassung (6. Aufl.), S. 392. 126 Giese, Enteignung u n d Entschädigung, S. 11; Diester, Enteignung u n d Entschädigung, S. 39, 40; Kirchheimer, Die Grenzen der Enteignung, S. 45 f. 127

Vgl. die beiden Fluchtlinienurteile des 3. Senats des R G v o m 28. Januar 1930 = RGZ 128, 18 sowie v o m 3. März 1931 = R G Z 132, 69. 128 U r t e i l des R G v o m 11. März 1927 = R G Z 116, 268. 129 RGZ 116, 268. 189 Vgl. RGZ U r t e i l v. 18.11.1921 = RGZ 103, 200; U r t e i l v o m 7.7.1922 = RGZ 105, 259; U r t e i l v o m 30.12.1924 = RGZ 109, 217; U r t e i l v o m 4.11.1925 = RGZ 111, 325; M. Wolff, Reichsverfassung u n d Eigentum, S. 21; Triepel, Goldbilanzenverordnung, S. 16; Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reiches, 3./4. Aufl., A r t . 153 A n m . 6; Leibholz, Gleichheit v o r dem Gesetz, S. 34, 35; Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung (3. Aufl.), A r t . 153 A n m . 3; Scheicher, FischersZ Bd. 60, S. 137 ff., 148.

62

I. . Kap. Die Gemeinwohlklausel i m Enteignungsrecht

geber auch dann an die verfassungsrechtlichen Enteignungsvoraussetzungen gebunden wurde, w e n n er unmittelbar k r a f t Gesetzes i n das Privateigentum eingriff. Die bislang bestehende Souveränität des Gesetzgebers gegenüber dem Privateigentum existierte k ü n f t i g nicht mehr. F ü r den Landesgesetzgeber, der anders als der Reichsgesetzgeber nach A r t . 153 Abs. 2 der Reichsverfassung die Enteignungsentschädigung nicht durch Gesetz ausschließen konnte, bestand n u n bei unmittelbaren gesetzlichen Eigentumseingriffen zwingend eine Entschädigungspflicht 1 3 1 . Freilich w a r f die Erweiterung des Enteignungsbegriffs auf unmittelbare gesetzliche Eigentumseingriffe i n der Folge ein bislang unbekanntes Abgrenzungsproblem auf: Rechtsprechung u n d L i t e r a t u r w u r d e n zur Auseinandersetzung m i t der Frage genötigt, w a n n das eingreifende Gesetz lediglich I n h a l t u n d Schranken des Eigentums i. s. d. A r t . 153 Abs. 1 S. 2 konkretisierte 1 3 2 . D i e w e i t e F a s s u n g des E n t e i g n u n g s b e g r i f f s r e a l i s i e r t e die lückenlose B i n d u n g des Gesetzgebers a n d i e verfassungsrechtlichen E n t e i g n u n g s voraussetzungen. J e d e r als E n t e i g n u n g q u a l i f i z i e r t e E i n g r i f f des Gesetzgebers m u ß t e sich n u n a n d e n G e m e i n w o h l k l a u s e l n d e r V e r f a s s u n g e n messen l a s s e n 1 3 3 . D a m i t w u r d e d e r G e m e i n w o h l r e c h t s p r e c h u n g , d i e d e n B e g r i f f des ö f f e n t l i c h e n Interesses k o n k r e t i s i e r t e , e i n w e i t e s B e t ä t i gungsfeld eröffnet. B. D i e G e m e i n w o h l j u d i k a t u r V o n d e r n e u g e w o n n e n e n F r e i h e i t , Reichs- als auch Landesgesetze a u f i h r e V e r f a s s u n g s m ä ß i g k e i t zu ü b e r p r ü f e n , m a c h t e n d i e G e r i c h t e b a l d Gebrauch. Schon f r ü h schien i n d e r Rechtsprechung des Reichsgerichtes d i e Tendenz d u r c h , m i t d e m t r a d i t i o n e l l e n , a n d e n L a n d e s e n t e i g n u n g s gesetzen des 19. J a h r h u n d e r t s o r i e n t i e r t e n G e m e i n w o h l v e r s t ä n d n i s z u brechen. B e r e i t s d e n e r s t e n U r t e i l e n des Reichsgerichts z u m E n t e i g n u n g s begriff der W e i m a r e r Verfassung lag ein verändertes Verständnis der G e m e i n w o h l k l a u s e l z u g r u n d e , ohne daß dies i m m e r d e u t l i c h z u Tage trat: 131 Dieses m i t der Ausdehnung des Enteignungsbegriffs mitverfolgte Ziel a r t i k u l i e r t deutlich M. Wolff , Reichsverfassung u n d Eigentum, S. 21, der den „Schutz gegen den konfiskationslüsternden Landesgesetzgeber" erstrebt. 132 v g l . hierzu Pieper, Die Möglichkeit der Abgrenzung entschädigungsloser von entschädigungspflichtigen Eingriffen i n das Eigentum nach A r t . 153 WRV, S. 4 ff., 30 ff. 133 Eine gerichtliche Kontrolle der verwaltungsbehördlichen Gemeinwohlkonkretisierung blieb dagegen auch während der Weimarer Zeit weitgehend ausgeschlossen. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung leistete daher keinen eigenständigen Beitrag zur Konkretisierung des Gemeinwohlbildes; zum Umfang des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes i n jener Zeit vgl. Stier-Somlo / Elster, H d w b R Bd. 2 (1927), S. 274; W. Jellinek, Verwaltungsrecht (1931), S. 406; v.d. Mosel, H d w B des sächsischen Verwaltungsrechts, Bd. 1, S. 510.

2. Abschn.: Β. Die Gemeinwohljudikatur

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(1) I n der auch für das richterliche Prüfungsrecht zentralen Entscheidung vom 28. 4.1921 134 qualifizierte das Reichsgericht die Zwangszuweisung von Wohnraum als entschädigungspflichtige Enteignung. Die Beseitigung des Wohnungsmangels war kein nach A r t und Umfang bestimmtes konkretes Unternehmen wie Eisenbahn- oder Straßenbau, sondern eine allgemeinere, die Enteignung rechtfertigende Zielvorstellung 1 3 5 . Auch i n den folgenden höchstrichterlichen Entscheidungen zur Wohnungsbeschlagnahme ging das Gericht stillschweigend davon aus, daß die Zwangszuweisung von Wohnraum eine zulässige Enteignungsmaßnahme darstellte 1 3 6 . Damit verstand es das die Enteignung rechtfertigende öffentliche Unternehmen nicht mehr als ein durch seinen besonderen Zweck gekennzeichnetes und abgegrenztes Stück öffentlicher Verwaltung i m Sinne Otto Mayers 137, sondern als schlechthin gemeinnütziges Vorhaben, wie es Martin Wolff in seiner Festschrift geraume Zeit vorher bereits formuliert hatte 1 3 8 . (2) I m Urteil vom 18. November 1921 139 arbeitete das Reichsgericht sein enteignungsrechtliches Gemeinwohlverständnis noch schärfer heraus. Z u beurteilen war die Frage, ob ein Lippesches Landesgesetz, welches eine Rente des Landesfürsten aus dem Dominalvermögen für erloschen erklärt hatte, eine Enteignung zum Wohl der Allgemeinheit anordnete 140 . Das Reichsgericht verneinte das öffentliche Interesse an dem als Enteignung qualifizierten gesetzlichen Eingriff und formulierte als fortan geltenden Grundsatz, daß der in A r t . 153 der Reichsverfassung erforderliche Nutzen für die Allgemeinheit über den durch die vorgenommene Rechtsentziehung an sich und ohne weiteres erreichten Vorteile hinausgehen und außerhalb dieses Vorteils stehen muß 1 4 1 . Der Grundsatz stellte einmal klar, daß der durch die Enteignung erlangte unmittelbare fiskalische Vorteil, der in der Ersparung der Rentenzahlung lag, keine Enteignung legitimierte 1 4 2 . Zum anderen sollte durch die 134 RGZ 102, 161, 165. 135 Stödter, Entschädigung, S. 124, 125. 13° Vgl. RGZ 105, 251; 108, 253; 111, 224; 191; Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, S. 315; Stödter, Entschädigung, S. 123, 223. 137 O. Mayer, Verwaltungsrecht, Bd. 2, S. 1 f. iss m . Wolff , Reichsverfassung u n d Eigentum, S. 14; ähnlich auch Triepel, Goldbilanzenverordnung, S. 24; Kirchheimer, Die Grenzen der Enteignung, S. 46; Scheicher, Grundrechte u n d Grundpflichten, Bd. 3, S. 222. i3ö RGZ 103, 200 (202). 140 Z u r vermögensrechtlichen Auseinandersetzung m i t den regierenden Fürstenhäusern vgl. auch Koellreutter, HdDStR, Bd. 1, S. 139 u n d ders. i n DJZ 1926, Sp. 109 ff. ι « RGZ 103, 202; vgl. auch RGZ 139, 9. 142 A n dem Dogma, das die Entziehung eines Vermögenswerten Rechtes

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I. . Kap. Die Gemeinwohlklausel im Enteignungsrecht

Betonung des „erreichten Vorteils" herausgehoben werden, daß ein die Enteignung rechtfertigendes öffentliches Interesse einen realen Vorteil voraussetzte, den die Enteignungsmaßnahme dem Allgemeinwohl brachte 1 4 3 . Das „gemeinnützliche Vorhaben" 1 4 4 wie die Durchführung der Wohnungszwangswirtschaft oder die Behebung der Wohnungsnot mußte demnach durch die Enteignungsmaßnahme konkret gefördert werden, u m eine Enteignung zu legitimieren. (3) I n einem letzten Schritt distanzierte sich die Rechtsprechung jedoch auch von dieser, die Allgemeinwohlklausel verengenden Vorstellung. Ausreichend für eine Enteignung i m Interesse der Allgemeinheit sollte nun die abstrakte Tendenz des Hoheitsaktes sein, dem Gesamtinteresse zu dienen, ohne daß wie bisher ein konkreter Vorteil für das Allgemeinwohl erforderlich w a r 1 4 5 . Dieser Schritt stand i n engem Zusammenhang m i t einem strukturellen Wandel des Enteignungsinstituts, das sich, von der Rechtsprechung initiiert, von einem Güterbeschaffungsvorgang zu einem allgemeinen, alle staatlichen Eingriffe i n Vermögenswerte Privatrechte abdeckendes Rechtsinstitut veränderte. Diese strukturell verursachte Verschiebung der Enteignungszwecke kann besonders deutlich an der Entscheidung des Reichsgerichts vom 8. Dezember 1923 abgelesen werden 1 4 6 . Das Reichsgericht hatte die Rechtsgültigkeit einer Reichsverordnung zu überprüfen, durch die die bisher von einer Entschädigungspflicht ausgenommen, privilegierten Abdeckereien verpflichtet wurden, f ü r die abgelieferten Tiere nunmehr Entschädigung zu leisten. Z i e l der Verordnung w a r es, zu verhindern, daß Tierkadaver wegen ihres Wertes den Abdeckereien v o r enthalten wurden. Die Beseitigung des auf altem Recht beruhenden Privilegs 1 4 ? w u r d e v o m Reichsgericht als Enteignung qualifiziert, die i m Interesse einer möglichst umfassenden, unschädlichen Beseitigung von Tierkadavern u n d damit zur Vermeidung von Seuchengefahr v o m Allgemeinwohl gedeckt sei 1 4 8 . I n der Entscheidung verschmelzen das bisher rechtssystematisch getrennte Aufopferungsinstitut m i t dem Enteignungsinstitut nach A r t . 153 WRV. Dies entsprach der i n der Rechtsprechung u n d Schrifttum festzustellenden Teni m rein fiskalischen Interesse nicht zulässig sei, hielt die Rechtsprechung auch i n späteren Entscheidungen fest; vgl. RGZ 135, 123; U r t e i l L G B e r l i n v. 8. 5.1924 = J W 1924, 1548. 143 Hierzu auch Janssen, Aufopferung u n d Enteignung, S. 168; Stödter, Entschädigung, S.223, 224. 144 Scheicher, ebd. (Fn. 138) S. 222. 14 ® Janssen, ebd., S. 168. 14 « RGZ 107, 377 f. 147 Das R G erwähnte m i t keinem Wort, daß das öffentlich-rechtliche P r i v i leg nicht unter den Schutz des A r t . 153 W R V fiel. Erst i m Jahre 1930 (RGZ 129, 246) spricht sich das R G i n einem grundsätzlichen U r t e i l gegen eine Ausdehnung des Enteignungsobjekts auf subjektive öffentliche Rechte aus; hierzu auch Stödter, Entschädigung, S. 161. 1 4 8 RGZ 107, 381.

2. Abschn. : B. Die Gemeinwohljudikatur

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denz, die Enteignung nach A r t . 153 W R V zu einem umfassenden öffentlichrechtlichen Entschädigungsinstitut auszubauen, neben dem §75 E i n l A L R keine selbständige Bedeutung mehr haben sollte 1 4 9 . Die v o m R G i n ständiger Rspr. vertretene Ansicht, ein Aufopferungseingriff zum Wohle der A l l gemeinheit setze lediglich die I n t e n t i o n voraus, dem Gesamtinteresse zu nützen, mußte bei der Vermengung von Enteignungs- u n d Aufopferungsbegriff auch den Sinngehalt der enteignungsrechtlichen Allgemeinwohlklausel prägen 1 6 0 . M i t diesem l e t z t e n S c h r i t t h a t t e sich d i e e n t e i g n u n g s r e c h t l i c h e G e m e i n w o h l k l a u s e l i n eine a l l g e m e i n e , d e m G e m e i n w o h l dienende Z i e l setzung verflüchtigt 161. Eine Enteignung z u m „ W o h l e der A l l g e m e i n h e i t " setzte n i c h t m e h r v o r a u s , daß e i n r e a l e r V o r t e i l a u f Seiten des Staates e r z i e l t w u r d e . Diese neue Sicht der G e m e i n w o h l k l a u s e l sollte v o m Reichsgericht a l s b a l d i n s t ä n d i g e r Rechtsprechung v e r f e s t i g t w e r d e n 1 5 2 .

149 Z u der Frage, i n w i e w e i t § 75 E i n l A L R durch A r t . 153 W R V aufgehoben worden w a r vgl. Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reiches, A r t . 153 A n m . 15; C. Schmitt, J W 1929, 496; Scheuner, J W 1932, 2796; Stödter, E n t schädigung, S. 239, 240; R G 126, 361; 137, 167; 135, 310. 150 Vgl. zur Rspr. des R G Gruch-Beitr. Bd. 41, S. 179-183; RGZ 57, 217; RGZ 79, 427 = J W 1912, 879; RGZ 26, 269; weiter Janssen, Aufopferung u n d Enteignung, S. 112. 151 w. Weber, Eigentum u n d Enteignung, S. 340. 152

RGZ 109, 310 ff.; 116, 228 ff.; 150, 13 f.; S t G H i n RGZ 124, Anh. S. 19, 33.

5 Frenzel

Zusammenfassung

Die historischen Leitlinien des enteignungsrechtlichen öffentlichen Interesses M i t dem Inkrafttreten der Verfassungsverbürgungen i n den deutschen Einzelstaaten des 19. Jahrhunderts w i r d das Enteignungsrecht auf ein festes Fundament gestellt. Gemeinwohlerfordernis wie Gesetzesvorbehalt sind tragende Elemente der verfassungsrechtlichen Enteignungsklauseln, die i n diesen Grundstrukturen bis i n das moderne Enteignungsrecht fortwirken. Ihre Bindungswirkung ist allerdings gering, da sie weder Enteignungsbegriff noch Gemeinwohlgehalt, sieht man i n den letzten Punkten von einem Teil der süd- und mitteldeutschen Verfassungen ab, näher aufschlüsseln. Damit bleibt den Landesgesetzgebern ein weiter Freiheitsspielraum, ihr Enteignungsverständnis umzusetzen. Die verstärkt i m zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts einsetzende Expropriationsgesetzgebung prägt ein stark technisches Enteignungsbild, i n dem sich die seinerzeit aktuellen staatlichen Aufgaben abzeichnen: Durch die Verleihung des Enteignungsrechts an private w i e staatliche Stellen soll der expandierenden wirtschaftlichen Entwicklung Raum geschaffen werden; Private können nun den Landbedarf zum Ausbau ihrer Wirtschaftsunternehmen zwangsweise decken, während die öffentliche Hand die infrastrukturellen Voraussetzungen für eine rasche Industrialisierung schafft. Enteignungen zum Bau von Eisenbahnen, Straßen oder Kanälen sind wahllos herausgegriffene Beispiele einer Enteignungsgesetzgebung, die die enteignungsrechtliche Gemeinwohlklausel auf konkrete, technische Unternehmen verengt und bodenoder sozialpolitische Zielsetzung nur ansatzweise zuläßt. Erst unter Geltung der Weimarer Reichsverfassung führen Gesetzgeber und Rechtsprechung Gemeinwohl- wie Enteignungsverständnis aus der begrifflichen Enge des 19. Jahrhunderts heraus. I n einem sich vielfältig überschneidenden Prozeß zeichnen sie ein neues Enteignungsbild. Ihre Angriffsrichtung ist freilich unterschiedlich. Dem Gesetzgeber geht es primär darum, seine sozialpolitischen Vorstellungen auch über das Enteignungsinstrumentarium durchzusetzen. Die veränderten politischen, ökonomischen wie sozialen Verhältnisse lassen die Enteignung zum sozial- und wirtschaftspolitischen Lenkungsinstrument mutieren, das immer dann zum Zuge kommt, wenn das

Zusammenfassung

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freie Spiel der Kräfte zu sozial unerträglichen Ergebnissen führt. I n der Heimstätten- und Siedlungsgesetzgebung der zwanziger Jahre setzt sich das sozialpolitische Verständnis der Enteignung am stärksten durch und w i r d erst i n den letzten Jahren der Weimarer Republik von einem wieder stärker verwaltungstechnisch motivierten, städtebaulichen Enteignungsverständnis zurückgedrängt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat diesen Prozeß nicht hemmen können. I h r Anliegen ist es, die vermehrten Eingriffsmöglichkeiten entschädigungsrechtlich aufzufangen, so daß sie die eingriffshemmende Funktion der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlklausel aus dem Blick verliert. Die von i h r vorangetriebene Auflösung des Enteignungsbegriffs führt dazu, daß m i t der Verschmelzung von klassischer Aufopferung und Enteignung die Gemeinwohlklausel ihre Konturen verliert. A m Ende der Weimarer Zeit deckt sie alle Eigentumseingriffe des Staates ab, die nicht schlechthin unvernünftig sind; sie fließt ein i n die generelle, dem staatlichen Handeln zuzuerkennende Gemeinwohlvermutung. Damit hat die historische Entwicklung des Enteignungs- und Gemeinwohlbegriffs den Punkt erreicht, an den Rechtsprechung und Lehre der Nachkriegs jähre unmittelbar anknüpfen werden. Die totalitäre Auffüllung auch der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlklausel unter Herrschaft der Nationalsozialisten ist ein bloßes Zwischenspiel geblieben, welches m i t dem Zusammenbruch des Dritten Reiches beendet ist. Die historische Untersuchung kann deshalb an dieser Stelle eine Zäsur machen und soll, soweit sie für das Verständnis des modernen Enteignungsbildes wichtig ist, problemorientiert für die Zeit nach 1945 an den heutigen Rechtszustand herangeführt werden. Deutlich gemacht werden sollte, daß sich der enteignungsrechtliche Gemeinwohlbegriff i n einem kontinuierlichen Prozeß von einem engen technischen zu einem u m fassenden Begriff fortentwickelt hat, i n dem gleichermaßen soziale, wirtschafts- wie bodenpolitische Zielsetzungen verschmelzen. Die aktuelle Enteignungsdiskussion, die sich m i t einem wieder vermehrt sozialwie bodenpolitisch ausgerichteten Enteignungsverständnis auseinanderzusetzen hat, w i r d zu beachten haben, daß diese Enteignungsziele i n der Kontinuität der historischen Entwicklung stehen und daher dem Enteignungsrecht nicht wesensfremd sind.



II. TEIL

Hauptprobleme der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlklausel i m sozialen Rechtsstaat der Gegenwart Vorbemerkung Der Stellenwert des öffentlichen Interesses als Enteignungsvoraussetzung im modernen Enteignungsrecht Die rechtsgeschichtliche Rückschau hat Kontinuität und Wandel der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlklausel zugleich aufgezeigt. I n einer langen Tradition steht die Formulierung der Enteignungsvoraussetzung, die sich i n Begriffen wie „gemeines Bestes", „öffentliches Wohl", „Wohl der Allgemeinheit" oder schlicht „öffentliches Interesse" nur äußerlich unterscheidet 1 . Gewandelt hat sich der Gehalt der Klausel, die i m 19. Jahrhundert von liberalen Ordnungsvorstellungen geprägt, i n der Weimarer Zeit zwar sozialstaatlich angereichert, doch erst unter dem Grundgesetz i m Lichte des sozialen Rechtsstaates auszulegen ist, zu dem sich das Grundgesetz explizit bekennt 2 . Gewandelt hat sich auch die Funktion der Klausel, die anders als unter der Weimarer Reichsverfassung heute nicht mehr entschädigungsrechtlich überspielt werden darf, sondern i n ihrer eingriffshemmenden W i r k u n g freizulegen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat i n seinem Hamburger Deich-Urteil 3 diese bestandsschützende Funktion des enteignungsrechtlichen öffentlichen Interesses scharf herausgearbeitet und auf den Zusammenhang von personaler Freiheit und Eigentumsgarantie hingewiesen, ohne daß diese Sicht freilich i n der modernen Enteignungsdiskussion bislang gebührend Niederschlag gefunden hat. I n ihrer nach wie vor betont ent1 Z u r synonymen Verwendung dieser Klauseln i m Enteignungsrecht Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 416. 2 Das Verhältnis v o n Rechts- u n d Sozialstaatsprinzip der Verfassung, die nicht als A n t i n o m i e sondern als sich ergänzende Prinzipien zu verstehen sind, ist freilich nach w i e v o r nicht gänzlich geklärt, vgl. hierzu Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 185. Grundlegend auch Forsthoff, V V D S t R L 12, S. 8 ff.; Huber, Rechtsstaat u n d Sozialstaat i n der modernen Industriegesellschaft, i n : ders., Nationalstaat u n d Verfassungsstaat, S. 249 f. s V o m 18.12.1968 = BVerfGE 24, 367 (396, 400). Eigentumsstabüisierende Tendenzen zeigt auch der Rückenteignungsbeschluß des B V e r f G v o m 12.11. 1974 = BVerfGE 38, 175 = D Ö V 1975, 314 m i t Anm. Kimminich.

II. Teil: Hauptprobleme der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlklausel 69 schädigungsrechtlichen Ausrichtung 4 erweckt sie vielmehr den Eindruck, daß i n i h r die klassische Maxime des 19. Jahrhunderts vom „dulde und liquidiere" unterschwellig fortlebt 5 . I m 19. Jahrhundert erschien die entschädigungsrechtliche Kompensation des Enteignungseingriffs noch erträglich, w e i l zum einen über einen weitgehend noch funktionsfähigen Bodenmarkt der Eigentumsverlust leichter als heute abzugleichen w a r 6 ; zum anderen aber auch die volle Verkehrswertentschädigung die hierfür benötigten M i t t e l garantierte 7 . Hinzu traten die nur rudimentär ausgebauten Rechtsschutzmöglichkeiten gegenüber Eigentumseingriffen von Gesetzgeber und Verwaltung, so daß der entschädigungsrechtliche Ausgleich als der gangbare Ausweg erschien 8 . Unter geänderten sozialen, ökonomischen aber auch verfassungsrechtlichen Vorzeichen vermag die Enteignungsentschädigung eine solche, die Eingriffsschwelle senkende Kompensation jedoch nicht mehr zu leisten. Dies hat i m einzelnen vielerlei Gründe: Verschoben haben sich die Verhältnisse am Bodenmarkt, der verstärkt i n den städtischen Ballungsräumen unter einem chronischen Nachfrageüberhang leidet 9 . Den Betroffenen einer Grundstücksenteignung, die i m Mittelpunkt dieser Arbeit steht, w i r d es daher schwer fallen, geeigneten Grundstücksersatz zu erlangen. Selbst wenn dies möglich ist, oder sie ausnahmsweise i n Land entschädigt werden 1 0 , ist dadurch der Eingriff nicht neutralisiert. I m ländlichen wie i m städtischen Raum ist das Grundeigentum i n ein Geflecht sozialer Bindungen eingespannt, die i n der jüngeren Bodenrechtsdiskussion unter dem Stichwort „Sozialgefüge" zunehmend an Bedeutung gewinnen 1 1 . Diese zwischen Eigentümern, aber auch zwischen Mietern und Pächtern der enteignungsbedrohten Grundstücke und Dritten gewachsenen sozialen Strukturen, die zur Lebensfähigkeit einer Stadt entscheiden beitragen, werden durch den Grundstücksentzug gefährdet. Sie 4 Repräsentativ etwa die Kommentierungen des A r t . 14 Abs. 3 G G durch Kimminich, B K , A r t . 14 Rdnr. 267 f., 285 ff., der i m Gegensatz zu den E n t schädigungsregelungen der Eingriffsvoraussetzung n u r wenig Raum gewährt; ähnlich Maunz / Dürig / Herzog, GG, A r t . 14 Rdnr. 109 u n d Hamann / Lenz, GG, A r t . 14 A n m . 9. 5 Hierzu Bender, Staatshaftungsrecht, Rdnr. 4. 6 Z u der freilich schon zu Ende des 19. Jahrhunderts festzustellenden V e r knappung des städtischen Grundbesitzes Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 36 f. 7 Z u r Ausprägung der Verkehrswertentschädigung i m Enteignungsrecht des 19. Jahrhunderts Schmidt-Aßmann, ebd., S. 264, 265. 8 BVerfGE 24, 367, 400. 9 Kritische Bestandsaufnahme bei Bielenberg, Empfehlen sich . . . Β 87 f.; Schumann, Steuerliche Maßnahmen zur Verbesserung des Bodenmarktes, i n : Gerechtigkeit i n der Industriegesellschaft, S. 257 f. 10 Z u dem Ausnahmecharakter der Landentschädigung i m geltenden E n t eignungsrecht Schmidt-Aßmann / Frenzel, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, § 99 Rdnr. 2. 11 Hierzu Zens, Stadt als sozialer Raum, S t r u k t u r 1972, 49 f.

II. Teil: Hauptprobleme der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlklausel sind ein wichtiges Beispiel dafür, daß ein Enteignungsobjekt i n seiner konkreten, sozialen Einbettung nur beschränkt fungibel sein kann. I n Fluß ist auch das Dogma, daß sich die Enteignungsentschädigung stets an dem am M a r k t orientierten Verkehrswert auszurichten habe 12 . Das Grundgesetz, das i n A r t . 14 Abs. 3 S. 3 für die Entschädigungsbemessung auf eine gerechte Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des einzelnen verweist, läßt Raum für eine unter dem M a r k t wert bleibende Entschädigung 13 . Sollten sich künftig die Forderungen nach einer Aktivierung dieser Abwägungsklausel i n Rechtslehre wie Praxis stärker durchsetzen 14 , w i r d auch deshalb der bestandsschützenden Funktion der Eigentumsgarantie ein größeres Gewicht zuwachsen. Gewandelt hat sich vor allem aber die verfassungsrechtliche Eigentumsordnung, die anders als i n der Weimarer Verfassung Teil einer wertgebundenen Ordnung ist 1 5 . I n der Gesamtheit der Gesetzgebung, Rechtsprechung wie vollziehende Gewalt bindenden Grundrechten konstituiert das Grundgesetz den sozialen Rechtsstaat 16 . Bei aller A m b i valenz dieses Begriffs zeichnen dieses Staatsverständnis zwei Grundfunktionen aus, die auch auf die Eigentumsordnung und damit das Verständnis der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlklausel rückwirken: Der rechtsstaatlich verfaßte Sozialstaat w i l l m i t rechtsstaatlichen M i t t e l n ebenso die Freiheit verbürgen, wie er Mißstände abwehren und Gegensätze i m sozialen Ordnungsgefüge ausgleichen w i l l 1 7 . Unter dem Lichte dieser Grundziele erschöpft sich die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes i n ihrer personenhaften Bezogenheit 18 nicht darin, einen Freiheitsraum für eigenverantwortliche Betätigung einzuräumen. Das Grundgesetz steht, wie Erwin Stein 19 deutlich herausgearbeitet hat, der aus dem Eigentum fließenden individuellen Freiheit zugleich kritisch gegenüber, w e i l diese die Gefahr des Mißbrauchs i n hohem Maße i n sich trägt. Die enteignungsrechtliche Gemeinwohlklausel i n ihrer freiheitssichernden, abwehrenden Funktion zu aktualisieren, wie dies i m folgenden für zwei neuralgische Enteignungstypen geschehen soll, 12 Nachweis Fn. 7. Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 273, 282; dezidiert Böckenförde, Eigentum, Sozialbindung des Eigentums, Enteignung, i n : Gerechtigkeit i n der Industriegesellschaft, S. 215, 218 f. 14 Schulthes, Die Höhe der Enteignungsentschädigung, S. 76 ff.; Ernst / Bonczek, Z u r Reform des städtischen Bodenrechts, S. 21 ff.; Bielenberg, Empfehlen sich . . . , B. 82. 15 Erwin Stein, Z u r Wandlung des Eigentumsbegriffs, i n : Festschrift f ü r Gebhard Müller, S. 503, 517 f. 16 Z u diesem Verfassungsprinzip vgl. schon Nachweise Fn. 2. 17 Stein (s. oben Fn. 15), S. 517. « BVerfGE 24, 400. i® Ebd., S. 518,

II. Teil: Hauptprobleme der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlklausel 71 bedeutet deshalb nicht, einseitig die Eigentumsinteressen i n den Vordergrund zu rücken. Versucht w i r d vielmehr, auch innerhalb der bestandsschützenden Dimension der Eigentumsgewährleistung die Spannung zwischen dem einzelnen und dem Staat, zwischen Freiheit der Sachherrschaft und sozialer Verpflichtung des Eigentums angemessen auszubalancieren; ein Ausgleich, der entschädigungsrechtlich nicht „erkauft" werden kann 2 0 .

20 Battis , Erwerbsschutz durch Aufopferungsentschädigung, S. 66 f. weist deshalb zu Recht darauf hin, daß i m Rechtsstaat das „dulde u n d liquidiere" keine sinnvolle M a x i m e ist.

Erstes

Kapitel

Die privatnützige Enteignung D e r B e g r i f f d e r „ p r i v a t n ü t z i g e n " E n t e i g n u n g 1 beschreibt e i n e n t e i g nungsrechtliches P h ä n o m e n , dessen rechtliche S c h r a n k e n t r o t z e i n e r l a n g e n T r a d i t i o n 2 b i s h e u t e n i c h t b e f r i e d i g e n d ausgeforscht sind. B e t r a c h t e t m a n die g e g e n w ä r t i g e V e r w a l t u n g s - w i e Gesetzgebungsp r a x i s , so d r ä n g t sich d i e F e s t s t e l l u n g auf, daß der v o r m e h r als a n d e r t h a l b J a h r z e h n t e n f o r m u l i e r t e A u f r u f Bullingers 3, d i e i m Z e i c h e n des Sozialstaates a u s w u c h e r n d e E n t e i g n u n g z u g u n s t e n P r i v a t e r z u b ä n d i gen, u n g e h ö r t v e r h a l l t ist. Schon eine erste D u r c h s i c h t d e r L a n d e s gesetz-, V e r o r d n u n g s - oder A m t s b l ä t t e r b e w e i s t , daß d i e E x e k u t i v e nach w i e v o r rege v o n d e n E n t e i g n u n g s e r m ä c h t i g u n g e n G e b r a u c h m a c h t , d i e i h r a l l g e m e i n oder k o n k r e t a u c h die E n t e i g n u n g z u g u n s t e n P r i v a t e r gestatten. So weist etwa das A m t s b l a t t f ü r den Regierungsbezirk Düsseldorf i n den letzten Jahrgängen eine Fülle privatnütziger Enteignungen aus. Es w u r d e n u. a. bei folgenden Vorhaben eine Enteignung f ü r zulässig e r k l ä r t : Z u m Bau, Betrieb u n d zur Unterhaltung einer Erdgasleitung v o n Emmerich nach Praest auf G r u n d des § 11 EnergG v o m 13. Dez. 1935, R G B l I , S. 1451 zugunsten der Thyssengas G m b H i n Duisburg-Hamborn (Amtsblatt v o m 28. A p r i l 1977, S. 152, Ziff. 329); z u m Betrieb einer Stahlrohrleitung zwecks Transport v o n Raffineriegasen zugunsten der Esso-AG i n H a m b u r g nach §§ 1, 2 des Gesetzes über die Enteignung v o n Grundeigentum v o m 11. J u n i 1874, PrGS. N W , S. 47 (Amtsblatt v o m 3. Febr. 1977, S. 37, 38, Ziff. 70); zum B a u u n d Betrieb eines Kernkraftwerkes nebst allen zum sicheren Betrieb des Kernkraftwerkes erforderlichen Nebenanlagen zugunsten der Schnell-Brüter-Kernkraftwerksgesellschaft m.b.H. auf G r u n d des § 11 EnergG (Amtsblatt v o m 18. Januar 1973, S. 15, Ziff. 21). Privatnützige Enteignungen zum B a u u n d Betrieb v o n Wasserleitungen (Bekanntmachung i n Enteignungssachen v o m 12. J u n i 1976, G V N W 1976, S. 2) oder Wasserkraftwerken (Bekanntmachung i n Enteignungssachen v o m 4. J u n i 1974, G V N W 1974, S. 193) ergänzen das Bild. Bedenkt m a n zudem, daß der weitaus größere T e i l der Enteignungen zugunsten Privater nicht i n den Gesetz- u n d Verordnungsblättern p u b l i k w i r d , da häufig dem Privaten das Enteignungsrecht nicht ausdrücklich verliehen w e r 1

Die Terminologie ist nicht einheitlich. A l s Synonym w i r d häufig auch die Wendung Enteignung zugunsten Privater gebraucht, vgl. etwa Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, i n : Der Staat, Bd. 1, S. 448 ff. 2 Z u den rechtshistorischen Wurzeln des Instituts vgl. schon oben I . T e i l , 1. Kap., Β I. 3 Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S. 455.

II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung den muß, sondern schon unmittelbar k r a f t Gesetzes zusteht, w i r d die A k t u a l i tät dieses Hechtsinstituts offenbar. Das jüngste Beispiel, das auch der Gesetzgeber einer Intensivierung der privatnützigen Enteignung nicht abweisend gegenübersteht, bietet die Novellierung des § 89 B B a u G 4 . Die Novelle rückt w e i t deutlicher als i n der V e r gangenheit das eigentumspolitische Ziel der Reprivatisierungsregelung des B B a u G i n den Vordergrund, Grundeigentum zugunsten sozial schwacher Schichten breit zu streuen 5 .

Die Selbstverständlichkeit, m i t der Enteignungslehre 6 wie Rechtsprechung 7 diese Entwicklung zur Kenntnis nehmen, verwundert. Nach dem Wortlaut der klassischen Gemeinwohlformel, wie sie A r t . 14 Abs. 3 S. 1 GG verfassungskräftig verankert, ist die Enteignung nur zum Wohl der Allgemeinheit zulässig. Reine Privatinteressen, mögen sie noch so gewichtig sein, können also eine Enteignung nicht rechtfertigen 8 . Enteignungslehre wie Judikatur helfen sich über den strengen Wortlaut des A r t . 14 Abs. 3 GG jedoch dadurch hinweg, daß sie zwar dem Grundsatz zustimmen, eine Enteignung zugunsten privater Interessen sei ausgeschlossen, diese jedoch ausnahmsweise dann zulassen wollen, wenn der Eingriff nicht nur i m privaten, sondern zugleich i m öffentlichen Interesse stehe 9 . Die gängige Formel von der Koinzidenz 1 0 privater und öffentlicher Interessen vermag jedoch schlüssig die Zulässigkeit der privatnützigen Enteignung nicht zu erklären. Sie beschreibt lediglich das Ergebnis eines Transformationsprozesses, m i t dem sich der Staat bislang private Interessen zu eigen gemacht, sie zu enteignungsrechtlich relevanten öffentlichen Interessen umgewertet h a t Daß an einem enteignungslegitimierenden Vorhaben zugleich Private interessiert bleiben, 4

I n der Neufassung v o m 18. August 1976, B G B l I , S. 2221. Z u der eigentumsstreuenden Tendenz des § 89 B B a u G i n f o r m a t i v die Begründung des 15. BT.-Ausschusses, BT.-Drucks. 7/4793, S. 16. 6 Warnend allerdings Forsthoff, Z u r Lage des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes, i n : Festgabe f ü r Theodor Maunz, S. 99 f. 7 I n jüngerer Zeit ist k e i n U r t e i l bekannt geworden, daß die Zulässigkeit der privatnützigen Enteignung kritisch befragt hätte. A u s der älteren Rspr. vgl. v o r allem die Urteile des B V e r w G v. 8.12.1953 = B V e r w G E 1, S. 42; O V G Koblenz, A S Bd. 7, S.209; O L G Neustadt N J W 1952, 1417; Hess. V G H M D R 1950, 375; Bad. StGH, U r t e i l v o m 3.7.1950 = VerwRspr. Bd. 2, S. 411, 416, die allesamt die Zulässigkeit einer privatnützigen Enteignung bejahen. s Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S. 450. » I n diesem Sinne Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S. 91; Meyer / Thiel / Frohberg, Enteignung von Grundeigentum, S. 50; Schack, B B 1961, 74, 76; Loeing, B B 1950, 644; Hamann, B B 1967, 1258 f.; Huber, W i r t schaftsverwaltungsrecht, Bd. 2, S. 60; ähnlich auch Kimminich, B K , A r t . 14 Rdnr.270; Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S.451; W.Weber, Eigentum u n d Enteignung, S. 381. 10 Z u diesem Terminus Häberle, öffentliches Interesse, S. 532. Schulte, Eigentum u n d öffentliches Interesse, S. 91, spricht von der Kongruenz staatlicher u n d privater Interessen. 5

74

II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

ist kein typischer, allein auf die privatnützige Enteignung zugeschnittener Befund. Auch sonst stehen sich oftmals öffentliche und private Interessen nicht konträr gegenüber, sondern überlagern sich mannigfach 11 . Man muß sich daher von der nur deskriptiven Koinzidensformel lösen und nach den Kriterien forschen, die die Umwertung privater zu enteignungsrechtlichen öffentlichen Interressen bestimmen, u m tieferen Zugang zum Problem der privatnützigen Enteignung zu erlangen 12 . Erst eine solche prozeßhafte Sicht öffnet den Blick dafür, daß die Frage nach den Grenzen der privatnützigen Enteignung eingebunden ist i n die umfassendere Fragestellung, die der oft festgestellte aktuell stattfindende Prozeß der Verschmelzung privater und öffentlicher Interessenbereiche aufwirft 1 3 . Die Problemfelder, die die Diskussion des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft prägen, zeichnen auf das Enteignungsrecht transponiert damit auch den Gang der folgenden Untersuchung vor. Einmal w i r d Klage geführt, daß die Besetzung des „neutralen" Staates durch private, außerstaatliche Gruppierungen die Freiheit des einzelnen bedrohe 14 . Wie weit die privatnützige Enteignung zum Instrument nichtstaatlicher Gruppierungen werden darf, die ihre Sonderinteressen als öffentliche Interessen deklariert gegenüber anderen, nicht privilegierten privaten Gruppierungen, einzelnen oder dem Staat durchzusetzen vermögen, w i r d am Beispiel der Wirtschaftsbegünstigenden Enteignungsakte zu untersuchen sein. Darüber darf jedoch nicht vergessen werden, daß es andererseits der expandierende Verwaltungs- und Sozialstaat selbst ist, der durch die „Verstaatlichung" bislang privater Reservatbereiche zunehmend die Freiheitssphäre des einzelnen tangiert 1 5 . I m Enteignungsrecht zeigt sich diese Tendenz i n dem Ausbau der privatnützigen Enteignung zum Instrument einer aktiv verstandenen Sozialpolitik, wie man es exemplarisch i m Bereich der Bodeneigentumsordnung beobachten kann.

u Evers, JuS 1962, 87 ff., 92 ff.; Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 93 f.; Häberle, öffentliches Interesse, S.532f.; ähnlich schon G. Jellinek, System der subjectiven öffentlichen Rechte, S. 114 f. 12 Z u diesem methodischen Ansatz vgl. auch Leisner, D Ö V 1970, 217, 221. 13 Eine zusammenfassende Schau der inzwischen unübersehbar gewordenen Diskussionsbeiträge gibt Stolleis, öffentliche Interessen als juristisches Problem, VerwArch. Bd. 65 (1974), 23 f. 14 Plastisch Läufer, JuS 1975, 689 f., der die Frage a u f w i r f t , inwieweit Sonderinteressen n u r deswegen m i t dem Gesamtinteresse identisch erklärt w e r den, u m ihnen v o n daher rechtliche w i e politische Durchschlagskraft zu v e r leihen. 15 Forsthoff, Z u r Lage des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes, i n : Festgabe f ü r Theodor Maunz, S. 99 f.

1. Abschn.: Wirtschaftsbegünstigende Enteignungen

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Erster Abschnitt

Wirtschaftsbegünstigende Enteignungen Als exponiert privatnützig erweisen sich i n der Enteignungspraxis diejenigen Enteignungen, die ausschließlich ein privatrechtlich verfaßtes, wirtschaftliches Unternehmen begünstigen. Sie sind es, die die Frage nach dem Gemeinwohlbezug „privater" Wirtschaftstätigkeit unausweichlich stellen und ein klares Bekenntnis verlangen, wie die Grenze zwischen öffentlichem und privatem Interesse zu verlaufen hat. Die Beispiele solcher, von Huber lß „Wirtschaftsbegünstigende Enteignungen" getaufter Eingriffe sind Legion: Hierzu sind nicht nur Enteignungen zum Zwecke der Ansiedlung, der Kapazitätserweiterung oder der Standortverbesserung industrieller Großunternehmen zu zählen 17 , sondern i m gleichen Maße Enteignungen zum Bau von Gas-, Wasseroder Elektrizitätswerken zugunsten privatrechtlich organisierter Versorgungsunternehmen 18 . Enteignungen zum Bau einer Aethylen-Gasleitung zugunsten eines chemischen Produktionsbetriebes 19 , Enteignungen zum Bau von Pipelines zugunsten von ölgesellschaften 20 oder zum Bau einer Privatbahn durch eine Privatbahngesellschaft 21 runden das B i l d ab. Hinter der gemeinsamen, privatrechtlichen Organisationsform der begünstigten Wirtschaftsunternehmen verbirgt sich allerdings ein enteignungsrechtlich relevanter Unterschied, der scharf herauszustellen ist. Begünstigte dieser Enteignungspraxis können sowohl öffentliche als auch private Unternehmen sein. Während zumindest über die groben K o n t u r e n des Begriffs „Wirtschaftsunternehmen" K l a r h e i t besteht 2 2 , w i r d das Begriffspaar öffentlich u n d p r i v a t i n diesem Zusammenhang i n den unterschiedlichsten Nuancierungen gebraucht 2 3 . Wirtschaftsunternehmen meint i m folgenden eine organisatorische 16 Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 2, S. 60. 17 Hamann, B B 1957, 1258 f.; Schack, B B 1961, 74, 76; Ettner, D B 1964, 943; Huber, ebd., S. 60. is Beispiele bei Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S. 449, 450; Schach, B B 1961, 76. 19 A m t s b l a t t f ü r den Reg.-Bez. Düsseldorf, 1973, S. 323 Ziff. 688. 20 Dazu Bullinger, Die Mineralölfernleitungen, S. 38 f. 21 Meyer / Thiel / Frohberg, Enteignung v o n Grundeigentum, S. 50. 22 Vgl. Farhe, öffentliche Bedeutung privater Wirtschaftsunternehmen u n d Sozialpflichtigkeit des Eigentums, S. 4; Burger, öffentliche Unternehmen i m Privatrechtsverkehr, S. 17; Junher, öffentlich-rechtliche Unternehmertätigkeit, S. 21 f. 23 Anschaulich Burger, öffentliche Unternehmen i m Privatrechtsverkehr, S. 19.

76

II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

Einheit, die dazu bestimmt ist, unter Einsatz von immateriellen u n d materiellen M i t t e l n bestimmten wirtschaftlichen Zwecken w i e Handel, Prod u k t i o n oder Verkehr zu dienen 2 4 . Das A t t r i b u t öffentlich soll üblicherweise herausstellen, daß der Inhaber des Unternehmens die öffentliche H a n d i s t 2 5 , öffentliche Unternehmen sind danach solche, die sich auf G r u n d ihrer öffentlich-rechtlichen Organisation unmittelbar oder über eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft mittelbar i m Eigentum der öffentlichen Hand befinden 2 «. Anders akzentuieren jene Stimmen den Begriff öffentliches Unternehmen, die neben der Trägerschaft der öffentlichen H a n d zusätzlich fordern, daß das Unternehmen einen öffentlichen Zweck e r f ü l l t 2 7 oder gar „allgemeinzugänglich" 2 ^ sein soll. Die enteignungsrechtliche Fragestellung nach dem Gemeinwohlbezug „ p r i v a t e r " Unternehmenstätigkeit legt es nahe, eine dritte Begriffsbestimmung 2 9 heranzuziehen: Ist die Wirtschaftstätigkeit des Unternehmens ausdrücklich einem öffentlichen Zweck verpflichtet, kann die Analyse des Enteignungsrechts dieser Unternehmen unmittelbar an den „eingestifteten" 3 0 öffentlichen Zweck anknüpfen. Unter enteignungsrechtlicher Perspektive sollen daher als „öffentliche Unternehmen" diejenigen verstanden werden, die unbeschadet der Hechtsnatur ihres Trägers eine besondere öffentliche F u n k t i o n i m Wirtschaftsorganismus wahrnehmen 3 1 . F o r m w i e I n h a l t der „Widmungsakte", durch die der Staat privatwirtschaftliche Tätigkeit auf das Gemeinwohl verpflichtet, vermögen einen wichtigen Rückschluß auf die Mechanismen zu geben, die i n diesem Teilbereich die U m w e r t u n g privater zu öffentlichen Interessen bestimmen. A l s p r i v a t wirtschaftliche Unternehmen sollen hingegen solche verstanden werden, die neben ihrer erwerbswirtschaftlichen Zielsetzung keinen direkten Gemeinwohlbezug aufweisen. F ü r sie stellt sich die Frage, welche Gemeinwohlbedeutung privatwirtschaftliche Unternehmenstätigkeit i m Gesamtgefüge der staatlichen Ordnung aufweisen muß, u m eine Enteignung zu rechtfertigen.

2 * Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 2, S. 471; Farke, öffentliche Bedeutung privater Wirtschaftsunternehmen . . . , S. 4. 25 Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 514, 515; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 472; Püttner, Das öffentliche Unternehmen, S.45f.; Farke, ö f f e n t liche Bedeutung privater Wirtschaftsunternehmen . . . , S. 4, 5; Rüfner, Formen öffentlicher V e r w a l t u n g i m Bereich der Wirtschaft, S. 142. 2 6 Burger, öffentliche Unternehmen i m Privatrechtsverkehr, S. 20. 27 Badura, Das Verwaltungsmonopol, S. 248; Junker, öffentlich-rechtliche Unternehmertätigkeit, S. 31; Burger, öffentliche Unternehmen i m P r i v a t rechtsverkehr, S. 22. 2 ® Fischerhof, D Ö V 1957, 306 f. 29 Dazu Röttgen, Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, S. 591 f.; Wenger, Die öffentliche Unternehmung, S. 565. 39 So plastisch Röttgen, Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, S. 601. 31 Ä h n l i c h Vogel, öffentliche Wirtschaftseinheiten i n privater Hand, S. 211 ff., 230 f. Ausgeklammert bleibt i m folgenden allerdings die W i r t schaftstätigkeit der öffentlichen Hand i n öffentlich-rechtlichen Organisationsformen. Enteignungen zugunsten öffentlich-rechtlich organisierter W i r t schaftsunternehmen sind eingebettet i n die generelle Gemeinwohlverpflichtung der Verwaltung, welche sie unter dem Aspekt der „privatnützigen" Enteignung weitgehend uninteressant machen; ähnlich Bullinger, Die E n t eignung zugunsten Privater, S. 457.

1. Abschn., . Unterabschn. : Enteignungsrecht

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Unternehmen

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1. Unterabschnitt: Enteignungen zugunsten öffentlicher Unternehmen Als Prototypen privatrechtlich organisierter, öffentlicher Unternehmen, die als Enteignungsbegünstigte i n Erscheinung treten, können öffentliche Verkehrs- und Versorgungsbetriebe gelten. A n ihnen lassen sich die gewachsenen Strukturen und Techniken der privatnützigen Enteignung beispielhaft ablesen. A . Das Enteignungsrecht öffentlicher

Verkehrsunternehmen

I . Die Eisenbahnrechtliche Enteignung

Das klassische Beispiel einer privatnützigen Enteignung, bei der der begünstigte Unternehmer „ i n den Dienst" 3 2 spezieller öffentlicher Zwecke gestellt wird, ist die eisenbahnrechtliche Enteignung, wie sie i n den Landeseisenbahngesetzen fortlebt 3 ®. Die Landeseisenbahngesetze regeln neben dem Allgemeinen Eisenbahngesetz des Bundes 34 die Rechtsverhältnisse der nicht zum Netz der Deutschen Bundesbahn gehörenden Eisenbahnen des öffentlichen Verkehrs und der Anschlußbahnen 35 . I m Gegensatz zu der Deutschen Bundesbahn als Staatsbahn sind diese Bahnen regelmäßig privatrechtlich organisiert und betreiben ein Gewerbe, soweit sie nicht ausnahmsweise i n der Verwaltung eines öffentlichen Trägers, etwa eines Kommunalverbandes, stehen 36 . Repräsentativ für die Enteignungstechnik der Landeseisenbahngesetze ist die Regelung des § 15 Abs. 1 EisenbahnG NW. „ M i t der Verleihung des Eisenbahnunternehmungsrechtes", heißt es dort, „erhält der Unterau So Vogel, öffentliche Wirtschaftseinheiten i n privater Hand, S. 30 f. i n enger Anlehnung an Ipsen, Gesetzliche Indienstnahme Privater f ü r V e r w a l tungsaufgaben, i n : Festgabe f ü r Erich Kaufmann, S. 141 ff. 33 Vgl. etwa § 17 des Schleswig-Holsteinischen Eisenbahngesetzes v o m 8.12. 1956, GVB1S. 193; §16 Niedersächsisches Eisenbahngesetz v o m 16.4.1957, GVB1 S. 39; §15 Nordrhein-Westfälisches Eisenbahngesetz v o m 5.2.1957, GVB1 S. 11. 34 V o m 29. März 1951, B G B l I S. 225. 35 öffentlich sind Eisenbahnen nach der Legaldefinition des § 2 AllgEisenbG, die jedermann nach ihrer Zweckbestimmung benutzen kann. Eisenbahnen des nicht-öffentlichen Verkehrs, die w i e Betriebsbahnen, Hafenbahnen etc. n u r einem bestimmten Interessenkreis dienen, jedoch Anschluß an das öffentliche Gleisnetz haben, zählen zu den Anschlußbahnen. Diese sind nicht konzessionspflichtig, vgl. i m einzelnen den Überblick bei Haustein, Die Eisenbahnen i m deutschen öffentlichen Recht, S. 24. 3€ Ebd., S. 63. Z u der organisationsrechtlichen Ausgestaltung der Deutschen Bundesbahn, die nach § 1 BundesbahnG als nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Bundes verwaltet w i r d , vgl. i m einzelnen Wolff / Bachof, V e r w R Band 2, § 98 I I b 2.

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

nehmer das Recht, die Enteignung i m Rahmen des nach §§ 13 und 14 festgestellten Plans zu verlangen. Eine besondere Feststellung der Zulässigkeit der Enteignung bedarf es nicht." Der Gesetzeswortlaut verknüpft damit das Enteignungsrecht des Unternehmers m i t dessen Betriebskonzession, dem Eisenbahnunternehmungsrecht 37 . Enteignungsrecht heißt allerdings auch hier nur, daß dem privaten Eisenbahnunternehmer ein Enteignungsantragsrecht i n dem zum Bau und Betrieb der Bahn erforderlichen Umfange eingeräumt w i r d 3 8 . A k t i v e r Träger des Enteignungsverfahrens ist die i n den einschlägigen Landesenteignungsgesetzen bestimmte Enteignungsbehörde, auf die Eisenbahngesetze Bezug nehmen 3 9 . Die Verleihung des Eisenbahnunternehmungsrechts ersetzt m i t anderen Worten generell und vorweg für alle Enteignungen zu Eisenbahnzwecken die enteignungsrechtliche Zulässigkeitserklärung, wie sie die Landesenteignungsgesetze regelmäßig an den Anfang des Enteignungsverfahrens stellen 4 0 ; sie indiziert die Allgemeinwohldienlichkeit der privatnützigen Enteignung 4 1 . Die inhaltliche Verkoppelung von Eisenbahnunternehmungs- und Enteignungsrecht ist nicht neu, sondern wurzelt i n dem Enteignungsverständnis des 19. Jahrhunderts, auf das man sich rückbesinnen muß, u m den Sinn dieser Konstruktion zu erschließen 42 . Die Konzessionierung des Eisenbahnunternehmers wurde i n der Enteignungstheorie jener Epoche als Rechtsakt verstanden, der dem Unternehmer den Status eines Beliehenen einräumte 4 3 . Als Träger öffentlicher Verwaltung, der staatliche Aufgaben 4 4 i n mittelbarer Staatsverwaltung erfüllte, erkannte 37 Z u r Rechtsnatur des Eisenbahnunternehmungsrechts vgl. Haustein, Die Eisenbahnen i m deutschen öffentlichen Recht, S. 71 f. 38 Vogel, öffentliche Wirtschaftseinheiten i n privater Hand, S. 43; Haustein, Die Eisenbahnen i m deutschen öffentlichen Recht, S. 65; Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S. 462 f.; ähnlich schon Eger, Preußisches Enteignungsgesetz, Band 1, S. 4. 39 Vgl. etwa § 15 Abs. 5 des Nordrhein-Westfälischen Eisenbahngesetzes. 40 So etwa § 2 des Gesetzes über die Enteignung v o n Grundeigentum v o m 11. J u n i 1874, Pr.GS.NW S. 74; weitere Nachweise bei Haustein, Die Eisenbahnen i m deutschen öffentlichen Recht, S. 311. 41 Räumlich w i e sachlich konkretisiert w i r d das Enteignungsrecht des U n ternehmers auf einer zweiten Verfahrensstufe durch das eisenbahnrechtliche Planfeststellungsverfahren (§§ 13, 14 EisenbahnG NW), das als verbindliche Enteignungsgrundlage (§ 15 Abs. 2 EisenbahnG NW) schließlich i n das f ö r m liche Enteignungsverfahren nach Maßgabe des Landesenteignungsgesetzes einfließt. 42 Ä h n l i c h Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S. 460 f. Z u der ständigen Enteignungspraxis i n Preußen anschaulich Fritsch, Das deutsche Eisenbahnrecht, S. 95, 96. 43 Konzessionierimg u n d Beleihung bildeten ein untrennbar verwobenes Rechtsinstitut; hierzu W. Jellinek, Verwaltungsrecht (1948), S. 562 ff.; Merk, Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 793 ff.; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Band 1, S. 548 ff.

1. Abschn., . Unterabschn. : Enteignungsrecht

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Unternehmen

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man dem Unternehmer für den übertragenen Aufgabenbereich zugleich ein korrespondierendes Enteignungsrecht zu 4 5 . Streng genommen verlor durch die Verknüpfung von Beleihung und Enteignungsbefugnis, wie sie über die eisenbahnrechtliche Enteignung hinaus bald zur Voraussetzung jeder privatnützigen Enteignung erhoben wurden 4 6 , die Enteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen ihren privatnützigen Charakter 4 7 . Enteignungsbegünstigter war nicht der Unternehmer als Privater, sondern i m Rahmen der beliehenen Aufgaben der Unternehmer als Träger öffentlicher Gewalt. So war es nur konsequent, wenn Schelcher i n seinem Kommentar zum sächsischen Enteignungsgesetz 48 um die Jahrhundertwende diese Rechtsentwicklung wörtlich dahingehend zusammenfassen konnte, „daß öffentliche Unternehmungen Privater, für welche das Enteignungsrecht begehrt wird, ohne besondere Konzessionierung überhaupt nicht denkbar sind". Der Wandel, den die Rechtsfigur des Beliehenen i n der Rechtslehre seitdem durchgemacht hat, läßt eine Einstufung des konzessionierten öffentlichen Eisenbahnunternehmers als Beliehener heute nur noch schwerlich zu 4 9 . Denn zu der selbständigen Wahrnehmung materiell öffentlicher Aufgaben durch ein Privatrechtssubjekt 5 0 muß dieses zumindest schlicht hoheitliche Kompetenzen wahrnehmen, damit beide charakteristischen Merkmale einer Beleihung bejaht werden können 6 1 . 44 Z u m Unterschied von staatlichen u n d öffentlichen Aufgaben vgl. Peters, öffentliche u n d staatliche Aufgaben, i n : Festschrift f ü r Nipperdey, B a n d 2, S. 878, 879: Staatliche Aufgaben sind solche, die i m Wege der mittelbaren oder unmittelbaren Staatsverwaltung erfüllt werden. 45 Ä h n l i c h O. Meyer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 2, S. 5, 9; G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 523. 46 Dies k l i n g t schon bei Häberlin, AcP 39 (1856), S. 153 an; zur Rechtsentwicklung ausführlich Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S. 465 f. 47 So zu recht schon Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S. 461. 48 Kommentar z u m sächsischen Enteignungsgesetz, S. 145. 49 Z u r inhaltlichen Abgrenzung von Beleihung u n d Konzession, wonach die Betriebskonzession dem Unternehmer lediglich gestattet, eine v o m Staat monopolisierte Tätigkeit auszuüben, vgl. Badura, Das Verwaltungsmonopol, S. 258 f.; Stern, AÖR84, S. 153 ff.; Vogel, öffentliche Wirtschaftseinheiten i n privater Hand, S. 83. I n f o r m a t i v zur Rechtsfigur des Beliehenen auch Michaelis, Der Beliehene, S. 4; Terrahe, Die Beleihung, S. 2; Mennacher, Die Rechtsstellung der Hoheitsträger des Privatrechts, S. 8 ff.; Kauther, Private als Träger v o n öffentlichen Einrichtungen, S. 77 f. 50 M i t diesem M e r k m a l begnügt sich die heute k a u m noch vertretene sog. „Aufgabentheorie"; Nachweise bei Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, B a n d 1, S.533; Bachof, AÖR83, S.242; O.Meyer, Verwaltungsrecht, B a n d 2 , S.95, 244; Nebinger, Verwaltungsrecht A T , S. 13, 20. si Zutreffend Wolff /Bachof, VerwR, B a n d 2 , § 1 0 4 I I b ; Steiner, JuS 1969, 69, 71; ders., öffentliche V e r w a l t u n g durch Private, D Ö V 1970, 526 ff.; Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 206.

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I I . 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

A n d e m l e t z t e n M e r k m a l m a n g e l t es aber d e m E i s e n b a h n u n t e r n e h m e r , d e r b e i m B a u u n d B e t r i e b d e r B a h n b i s a u f die i h m ü b e r t r a g e n e b a h n p o l i z e i l i c h e n Befugnisse ausschließlich p r i v a t r e c h t l i c h a g i e r t 5 2 . D e r v e r ä n d e r t e rechtliche R a h m e n , d e r d i e E n t e i g n u n g z u g u n s t e n des U n t e r nehmers zur „echten" privatnützigen Enteignung verwandelt hat, hat i m ü b r i g e n a b e r d e n z u t r e f f e n d e n K e r n d e r F e s t s t e l l u n g Scheichers u n b e r ü h r t gelassen: N a c h w i e v o r f i n d e t das E n t e i g n u n g s r e c h t des E i s e n b a h n u n t e r n e h m e r s seine R e c h t f e r t i g u n g w i e G r e n z e i n d e m m a t e riell-rechtlichen öffentlichen Aufgabenkreis, der i h m m i t der V e r l e i h u n g des U n t e r n e h m u n g s r e c h t s ü b e r t r a g e n w i r d 5 * . § 4 Allg.EisenbG bestätigt diese öffentliche F u n k t i o n der privaten Eisenbahnunternehmen m i t der Wendung, daß es zu den Aufgaben des öffentlichen Eisenbahnverkehrs gehöre, das Schienennetz „entsprechend den Anforderungen des Verkehrs auszubauen u n d zum Wohle der Allgemeinheit zu ergänzen, sowie den Reise- u n d Güterverkehr i n Übereinstimmung m i t den Verkehrsbedürfnissen zu bedienen u n d auszubauen". M i t der Übertragung dieser öffentlichen Aufgabe k n ü p f t der Staat zugleich ein enges B a n d öffentlichrechtlicher K o n t r o l l - u n d Lenkungsbefugnisse zu dem Unternehmen, die die Gemeinwohlfunktion der unternehmerischen Tätigkeit auf Dauer sicherstellen sollen 5 4 . Hierzu zählt die den Unternehmen obliegende Betriebspflicht, die sie verpflichten, die B a h n nebst Zubehör zu bauen, ordnungsgemäß zu unterhalten, zu erneuern u n d den Betrieb während der Dauer der Verleihung ordnungsgemäß aufrechtzuerhalten (§§ 16, 21 Abs. 1 EisenbahnG NW). Hierzu ist gleichermaßen ihre Beförderungspflicht zu zählen, nach der sie i m Rahmen ihrer Möglichkeiten jeden A n t r a g zur Beförderung v o n Personen oder Sachen auszuführen haben, soweit dies nicht i m Einzelfall unzumutbar ist (§ 452 H G B ; §§ 3, 9, 53, 54 EVO). Dazu w i r d m a n schließlich die Tarifpflicht rechnen müssen, die sie anhält, allgemeine Beförderungstarife aufzustellen (§6 EVO) u n d sie nach der Genehmigung durch die zuständigen Landesbehörden zu veröffentlichen. Die Beachtung dieser Pflichten w i r d durch eine umfassende staatliche Aufsicht überwacht (§ 28 Abs. 1 EisenbahnG NW). I n ihrer Gesamtheit begründen diese K o n t r o l l - u n d Lenkungsrechte einen engen, öffentlich-rechtlichen Funktionszusammenhang zwischen Staat u n d P r i v a t e n 5 5 , durch den der Private „ i n den Dienst" öffentlicher V e r w a l t u n g gestellt 5 6 u n d i n den danach gebotenen Umfang auch m i t dem Enteignungsrecht ausgestattet w i r d .

52 Haustein, Die Eisenbahnen i m deutschen öffentlichen Recht, S. 64. Z u der ausnahmsweisen Beleihung m i t bahnpolizeilichen Befugnissen vgl. Wolff , VerwR, Band 3, § 123 I I e. 53 Ähnlich Haustein, Die Eisenbahnen i m deutschen öffentlichen Recht, S. 64. 54 Hierzu Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S. 471. 55 Haustein, Die Eisenbahnen i m deutschen öffentlichen Recht, S. 64; Burger, öffentliche Unternehmen i m Privatrechtsverkehr, S. 22. 5 β Ähnlich Vogel, öffentliche Wirtschaftseinheiten i n p r i v a t e r Hand, S. 33 ff.

1. Abschn., 1. Unterabschn.: Enteignungsrecht öffentl. Unternehmen

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I I . Enteignung zugunsten öffentlicher Nahverkehrsunternehmen

I n ihren Strukturen eng m i t der eisenbahnrechtlichen Enteignung verwandt ist die Enteignung zur Errichtung von Straßenbahn- und Obusanlagen, wie sie § 31 Abs. 1 bis 3 PBefG 5 7 normativ ausformt. Den zentralen Nachweis, daß die Enteignung zugunsten öffentlicher Nahverkehrsunternehmen dem Gemeinwohl dient, führt § 31 Abs. 1 PBefG 5 8 . Er bestimmt, daß zur Errichtung von Straßenbahn- wie Obusanlagen 59 eines Unternehmens die Enteignung zulässig ist, soweit das Enteignungsvorhaben sich nach einem durchzuführenden Planfeststellungsverfahren als notwendig erweist 6 0 . Einer besonderen Feststellung der Zulässigkeit der Enteignung i n dem nach Landesrecht durchzuführenden förmlichen Enteignungsverfahren bedarf es auch hier nicht (§31 Abs. 1 S. 2 PBefG), Die Enteignungsregelung des PBefG bekräftigt den Befund, daß das Enteignungsrecht öffentlicher Unternehmen als natürliches Korrelat der ihnen übertragenen öffentlichen Aufgaben zu verstehen ist. Unbeschadet der regelmäßig privatrechtlichen Form, i n der Nahverkehrsunternehmen organisiert sind, ist ihre Tätigkeit materiellen öffentlichen Interessen verpflichtet: Die Errichtung und der Betrieb von Straßenbahnen und Obussen dient, wie der Betrieb von Eisenbahnen, dem öffentlichen Verkehrsinteresse. Auch das PBefG erschöpft sich nicht darin, den P r i vaten lediglich abstrakt auf das Gemeinwohl zu verpflichten (§ 8 PBefG), sondern konkretisiert ihre Pflichtigkeit durch ein engmaschiges Netz von Kontroll- und Aufsichtsmöglichkeiten. Genehmigungspflicht (§9 Abs. 1 Nr. 1 PBefG); Betriebspflicht (§21 PBefG); Beförderungspflicht (§ 22 PBefG) wie Tarifpflicht (§ 39 Abs. 2 und 6 PBefG), deren Erfüllung durch eine umfassende Staatsaufsicht überwacht werden (§ 54 PBefG), entziehen i n ihrer Summe grundlegende Unternehmensentscheidungen der privaten Disposition und überantworten sie staatlicher Mitwirkung. Das enteignungsbegünstigte Verkehrsunternehmen w i r d eingebunden i n materiell-öffentliche Verwaltungstätigkeit, ohne daß sich diese B i n dungen zu Formen mittelbarer Staatsverwaltung steigern 61 . «7 V o m 21. März 1961, B G B l I S. 241. 58 Dazu auch Bidinger, Personenbeförderungsrecht, § 3 1 zu Abs. 1. 59 § 41 Abs. 1 PBefG verweist f ü r die Errichtung der B a u - u n d Betriebsanlagen von Obussen u. a. auf die Enteignungsregelung des § 31 PBefG. 60 Das Planfeststellungsverfahren k a n n nach § 28 Abs. 3 PBefG durch A u s weisung der benötigten Verkehrsflächen i n einem Bebauungsplan (§ 9 Abs. 1 Nr. 11 BBauG) ersetzt werden; die förmliche Enteignung der benötigten Flächen ist dann nach den Regeln der §§85 ff. B B a u G abzuwickeln; zum Verhältnis v o n privilegierter Fach- u n d Bebauungsplanung, vgl. auch Bielenberg, i n Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, § 9 Rdnr. 46. ei Dazu Vogel, öffentliche Wirtschaftseinheiten i n p r i v a t e r Hand, S. 110; Badura, Das Verwaltungsmonopol, S. 249. 6 Frenzel

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung I I I . Enteignung zu Zwecken der Zivilluftfahrt

I n ihrer verfahrensrechtlichen Ausgestaltung wesentlich komplexer, i n den Grundstrukturen aber ähnlich angelegt wie die zuvor untersuchten privatnützigen Enteignungen ist die Enteignung zugunsten Zwecken der Zivilluftfahrt. Sedes materiae ist §28 L u f t V G 6 2 , der in seinem Abs. 1 schlicht bestimmt, daß die Enteignung für Zwecke der Zivilluftfahrt zulässig ist. Abs. 2 knüpft daran an und verweist für das Enteignungsverfahren auf die Vorschriften des Landbeschaffungsgesetzes 63 . Bemerkenswert ist hierbei die Regelung des Enteignungsantragsrechts, welches abweichend vom Landbeschaffungsgesetz nicht ausschließlich der Bund, sondern i n den Worten des Gesetzes (§ 28 Abs. 2 Nr. 2 LuftVG) jeder besitzt, „der die Enteignung zu seinen Gunsten erstrebt". Das Gesetz trägt m i t dieser Variante dem Umstand Rechnung, daß das Enteignungsverfahren zum Bau von Flugplätzen oder zur Sicherung ihres Betriebes, Zwecke, die die Regelung des § 28 Abs. 1 L u f t V G vorrangig i m Auge hat 6 4 , durchgängig von privatrechtlich verfaßten Gesellschaften betrieben w i r d 6 5 . Auch die Enteignung zu Zwekken der Zivilluftfahrt erweist sich i n ihrem Kern als privatnützig. I n seinem Verfahren weicht das Luftverkehrs gesetz allerdings von dem bislang vorgefundenen Enteignungsmuster ab, da es auf eine ausdrückliche Verleihung des Enteignungsrechts an den Privaten verzichtet und statt dessen unmittelbar kraft Gesetzes die Enteignungszulässigkeit festlegt 66 . Gleichwohl ist das Enteignungsantragsrecht des Privaten materiell eng m i t der i h m zu erteilenden Luftverkehrsgenehmigung nach § 6 L u f t V G verknüpft, welcher zwar nicht dem Wortlaut nach eine Verleihung des Enteignungsantragsrechts parallel geht 6 7 , die aber inhaltlich das enteignungsrechtliche Gemeinwohlurteil i n ihren Grundzügen vorwegnimmt. Gesetzessystematisch findet dieser Zusammenhang i n § 28 Abs. 2 Nr. 4 L u f t V G Ausdruck, der die Enteignung an das l u f t rechtliche Planfeststellungsverfahren nach §§ 8 bis 10 L u f t V G anbindet, i n welches wiederum aber wesentliche Inhalte der Genehmigungsurkunde einfließen 68 . Bereits i m Genehmigungsverfahren werden die w V o m 4. November 1968, B G B l I S. 1113. «3 V o m 23. Februar 1967, B G B l I S. 134. 64 Ä h n l i c h Schleicher / Reymann / Abraham, Das Recht der L u f t f a h r t , §28 L u f t V G , A n m . 3; Beine / Lohmann, Luftverkehrsrecht, S. 35. es Anteilseigner sind zumindest bei Flughäfen (zu der Differenzierung von Flughafen-Landeplatz u n d Segelfluggelände vgl. § 6 L u f t V G ) durchweg Bund, Länder oder Gemeinde; vgl. Schleicher / Reymann / Abraham, Das Recht der L u f t f a h r t , § 6 L u f t V G , A n m . 10. 66 Dazu Hofmann, Luftverkehrsgesetz, § 28 Rdnr. 6. 67 Z u dieser Verfahrensgestaltung oben zur eisenbahnrechtlichen Enteignung.

1. Abschn., . Unterabschn.: Enteignungsrecht

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Unternehmen

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Weichen gestellt, ob die vom Flugplatzunternehmer begehrte Enteignung von Gelände zum Bau wie Betrieb des Flugplatzes zum Wohl der Allgemeinheit geboten ist. Die Struktureigenheit der luftrechtlichen Unternehmergenehmigung, die Konzession 69 wie Planungsentscheidung 7 0 zugleich ist, verleiht dem Gemeinwohlurteil hierbei i n doppelter Weise konkrete Gestalt: (1) Als Institut des Wirtschaftsverwaltungsrechts gewährt die Genehmigung dem Unternehmer das subjektive öffentliche Recht, den i n der Urkunde beschriebenen Flugplatz nach Maßgabe der Vorschriften des L u f t V G und seiner Durchführungsvorschriften anzulegen und zu betreiben 7 1 . I n ihrer materiellrechtlichen W i r k u n g unterscheidet sich allerdings die Genehmigung von sog. Verkehrsflughäfen und -landeplätzen grundlegend von der Genehmigung zum Bau und Betrieb von Sonderflughäfen, Sonderlandeplätzen wie Segelfluggelände 72 , was unter enteignungsrechtlichem Aspekt unmittelbar bedeutsam wird. Nur die Verkehrsflughäfen wie -landeplätze 73 dienen dem Gemeingebrauch der Luftfahrt, so daß auf ihnen grundsätzlich jedermann starten und landen kann (§§ 38 Abs. 2 Nr. 1; 49 Abs. 2 LuftVZO) 7 4 . A n ihrem Ausbau und Betrieb besteht ein öffentliches Verkehrsinteresse, da sie die Funktion besitzen, den öffentlichen Luftverkehr sicher und zuverlässig zu bedienen 75 . A u f Sonderflughäfen wie -landeplätzen ist das Recht auf A b flug und Landung dagegen von vornherein auf einen bestimmten Benutzerkreis beschränkt 76 ; ebenso wie Segelfluggelände nur einer begrenzten Nutzung offensteht 77 . Diese unterschiedliche Bedeutung der 68 Z u der zeitlich gestuften Entscheidung über die Zulassung der Flugplatzanlage vgl. Badura, BayVB11976, 515 f.; Hof mann, Luftverkehrsgesetz, § 8 Rdnr. 4; Beine / Lohmann, Z L W 1965, 106. 60 Wolff / Bachof, VerwR, Bd. 2, §104 I d 2; B G H , U r t e i l v o m 27.10.1972 = DVB11974, 558. 70 Badura, B a y V B l 1976, S. 515. 71 Beine / Lohmann, Luftverkehrsrecht, S. 16; Hof mann, Luftverkehrsgesetz, § 6 Rdnr. 57. 72 Z u den Unterscheidungen vgl. auch Hofmann, Luftverkehrsgesetz, § 6 Rdnr. 3 - 8 . 73 §49 L u f t V Z O bestimmt Landeplätze als Flugplätze, die nach A r t u n d Umfang des vorgesehenen Flugbetriebs einer Sicherung durch einen B a u schutzbereich nach § 12 L u f t V G nicht bedürfen. 74 Hof mann, Luftverkehrsgesetz, § 6 Rdnr. 4; Schleicher / Rey mann / Abraham, Das Redit der L u f t f a h r t , § 6 A n m . 3. 75 Hierzu auch Ossenbühl, DVB11974, 541, 542; Bull, Staatsauf gaben nach dem Grundgesetz, S. 267; Hof mann, Luftverkehrsgesetz, § 6 A n m . 25. 70 Der Sonderzweck k a n n öffentlich oder p r i v a t sein, w i e die Beispiele Bundeswehrflughafen einerseits u n d Industrieflughafen andererseits zeigen, vgl. Hofmann, Luftverkehrsgesetz, § 6 Rdnr. 4. 77 Segelfluggelände dient allein dem Start u n d der Landung von Segelflugzeugen oder Motorseglern, die nicht selbständig starten (§ 54 LuftVZO).

β*

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

Flugplätze für den öffentlichen Luftverkehr rechtfertigt es, allein i n der Genehmigung zum Bau und Betrieb eines Verkehrsflughafens wie -landeplatzes die Übertragung materiell öffentlicher Aufgaben an den privaten Unternehmer zu erblicken 78 , dem durch ein dichtmaschiges Netz gesetzlicher Pflichten die Sorge u m die Sicherung des binnenländischen Luftverkehrs überantwortet w i r d 7 9 . Betriebspflicht (§ 45 Abs. 1 S. 1 LuftVZO); Benutzungsordnung 80 (§43 LuftZVO) wie eine breit gefächerte staatliche Aufsicht 8 1 , die die Ordnungsmäßigkeit des Flughafenbetriebs ständig überwacht, knüpfen auch hier ein enges öffentlichrechtliches Band zwischen Flughafenunternehmer und Staat, welches diesen i n den Dienst öffentlicher Verwaltungstätigkeit stellt, ohne ihn jedoch zum Beliehenen zu machen 82 . Die Konsequenzen für das Enteignungsrecht privater Flugplatzunternehmer liegen nahe, w i r d das Enteignungsrecht „öffentlicher Unternehmen" wie hier als Korrelat der dem Privaten übertragenen öffentlichen Aufgabe verstanden, „öffentliche" Flughafen- oder -landeplatzunternehmen können eine Enteignung nach § 28 L u f t V G i n dem U m fang begehren, i n dem dies zur Erfüllung der ihnen übertragenen öffentlichen Aufgaben notwendig w i r d 8 3 . Zweifelhaft erscheint dann aber, ob § 28 L u f t V G eine Enteignung auch zum Bau von solchen Flughäfen deckt, die einem einzelnen privaten Sonderzweck dienen 84 . Industrieunternehmen, die Flughäfen zu Erprobungs- oder Schulungszwecken benötigen, sind schwerlich m i t der Wahrnehmung öffentlicher Verkehrsinteressen betraut, so daß ihrer Tätigkeit unter luftverkehrsrechtlichen Aspekt kein korrespondierender Gemeinwohlbezug zur 7

® Hofmann, Luftverkehrsgesetz, § 6 Rdnr. 37. Bull, Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 267. 80 Dazu Schleicher / Reymann / Abraham, Das Recht der L u f t f a h r t , § 6 A n m . 19. ei Ossenbühl, DVB1 1974, 542. 82 Α. A . sind Ruhwedel, B B 1965, 1093; Schleicher / Reymann / Abraham, Das Recht der L u f t f a h r t , § 6 A n m . 19 u n d Ossenbühl, DVB11974, 542, die den Flughafenunternehmer als Beliehenen einstufen wollen. Auch hier gilt jedoch, daß die bloße Übertragung öffentlicher Aufgaben auf ein Privatrechtssubj e k t nicht ausreicht, u m i h m den Status eines Beliehenen zu geben, w e n n dieser nicht zugleich nach außen h i n hoheitlich tätig w i r d . Nach außen h i n handelt der Flughafenunternehmer jedoch ausschließlich privatrechtlich, nicht aber schlicht hoheitlich verwaltend, so daß daran eine Qualifikation als Beliehener scheitert; vgl. i n diesem Sinne auch das U r t e i l des B G H v o m 27.10. 1972 = DVB11974, 558; Hof mann, Luftverkehrsgesetz, § 6 Rdnr. 37. Ossenbühl (DVB11974, 541) unterliegt insoweit einem Zirkelschluß, als er aus der Qualifikation des Flughafenunternehmers als Beliehener die Möglichkeit schlicht hoheitlichen Handelns ableitet. 83 So i n der Tat Schleicher / Reymann / Abraham, Das Recht der L u f t f a h r t , § 6 A n m . 3. 84 Z u m Begriff des Sonderflughafens vgl. noch Schleicher l Reymann / AbrahamDas Recht der L u f t f a h r t , § 6 A n m . 4. 79

1. Abschn., . Unterabschn.: Enteignungsrecht

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Unternehmen

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Seite steht 85 . Z u bezweifeln ist schließlich, ob § 28 L u f t V G eine Enteignung zur Anlage von Segelfluggelände zuläßt. Auch dem Halter von Segelfluggelände w i r d m i t der Konzessionierung des Segelflugbetriebs keine Aufgabe öffentlicher Verwaltung überwiesen 86 . Der „private" Charakter des Segelflugbetriebes w i r d durch § 58 Abs. 1 LuftVZO unterstrichen, wonach Segelflugplätze weder einer Betriebspflicht unterliegen, noch eine staatliche Aufsicht über sie stattfindet? 7 . (2) Die dem Privaten erteilte Unternehmergenehmigung erschöpft sich nicht i n ihrer gewerberechtlichen Bedeutung, sondern hat zugleich einen stark planungsrechtlichen Einschlag®8. Bereits i m Genehmigungsverfahren ist zu prüfen, ob der ins Auge gefaßte Standort die Erfordernisse der Raumordnung, der Landesplanung wie des Städtebaus angemessen berücksichtigt 89 . Neben diesem gesamtplanerischen Einschlag zeigt die Genehmigung eines Verkehrsflughafens deutliche fachplanerische Züge, soweit § 6 Abs. 3 L u f t V G bestimmt, daß diese Genehmigung zu versagen ist, wenn durch die Anlegung und den Betrieb des beauftragten Flughafens die öffentlichen Interessen i n unangemessener Weise beeinträchtigt werden 9 0 . Diese planerischen Elemente bringen i n die Entscheidung über die Unternehmergenehmigung einen Bereich gesamt- wie fachplanerischen Planungsermessens ein, welches dem enteignungsrechtlichen Gemeinwohlurteil bereits auf der Genehmigungsstufe weitgehend konkrete Gestalt verleiht 9 1 . Die i n die Untergenehmigung vorverlegte Standortentscheidung w i r d unter gesamtplanerischem Aspekt p r i m ä r von den Erfordernissen der Raumordnung w i e Landesplanung eingegrenzt 9 2 . Die gesamtplanerischen Vorgaben w i r k e n sich i n erster L i n i e auf die Beurteilung des v o m Unternehmer ins Auge gefaßten Standorts aus u n d bestimmen darüber, ob das enteignungsträchtige Vorhaben unter diesen Gesichtspunkten der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlklausel gerecht w i r d . Parzellenscharf w i r d der Standort allerdings erst i m luftrechtlichen Planfeststellungsverfahren konkretisiert, i n 86 Z u prüfen bleibt allerdings, ob die Enteignung nicht aus allgemeineren, wirtschafts- oder strukturfördernden Gründen nach Maßgabe allgemeiner Landesenteignungsgesetze zulässig ist; zur „engeren" privatwirtschaftsbegünstigenden Enteignung vgl. unten i m 2. Unterabschnitt. «β I n diesem Sinne ausdrücklich Ruhwedel, B B 1965, 1093. 87 Dazu Schleicher / Reymann l Abraham, Das Recht der L u f t f a h r t , § 6 A n m . 19. 88 Badura, B a y V B l 1976, 515. 89 Z u der speziellen Raumordnungsklausel des § 6 Abs. 2 S. 1 L u f t V G vgl. Forsthoff / Blümel, Raumordnungsrecht u n d Fachplanungsrecht, S. 114 ff. 90 Badura, B a y V B l 1976, S. 515. Z u den fachplanerischen Erwägungen w i r d man auch die Beurteilung der flugtechnischen Eignung des Geländes nach §6 Abs. 2 S. 2 L u f t V G w i e die Überprüfung rechnen müssen, ob durch den Flugbetrieb die öffentliche Sicherheit u n d Ordnung gefährdet w i r d . 9 1 Ebd. 92 Dazu i m einzelnen Hofmann, Luftverkehrsgesetz, § 6 Rdnr. 11 - 22.

86

II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

dem dann auch die A u s w i r k u n g e n der Planfeststellung auf die Rechte Planbetroffener unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu prüfen i s t 9 3 . Das fachplanerische Element der Unternehmergenehmigung umfaßt die verkehrspolitische u n d -wirtschaftliche Beurteilung des geplanten Vorhabens. Flugtechnische Eignung des Betriebes 9 4 , Vereinbarkeit des F l u g betriebs m i t der öffentlichen Sicherheit u n d O r d n u n g 9 5 w i e Übereinstimmung m i t den öffentlichen Verkehrsinteressen speziell bei der Genehmigung eines Verkehrsflughafens 9 6 sind Einzelpunkte der Prüfung, die auch dem enteignungsrechtlichen Allgemeinwohlurteil inhaltlich Gestalt geben.

B. Enteignung zugunsten öffentlicher

Versorgungsunternehmen

Neben öffentlichen Verkehrsunternehmen sind vor allem Unternehmen der Energie- und Wasserversorgung zum Bau ihrer Anlagen auf ein Enteignungsrecht angewiesen. Für die Errichtung von Kraft-, Gasund Wasserwerken wie für die Verlegung von oberirdischen und unterirdischen Versorgungsleitungen benötigen sie i n aller Regel Flächen erheblichen Ausmaßes, die freihändig zu angemessenen Bedingungen oft nur langwierig oder gar nicht erworben werden können 9 7 . Energiewirtschafts- wie Wasserrecht tragen dem Rechnung, indem sie Unternehmen der öffentlichen Versorgung durch ein auf ihre speziellen Unternehmenszwecke zugeschnittenes Enteignungsrecht begünstigen. I . Die Energiewirtschaftliche Enteignung

Eine Enteignung für Zwecke der „öffentlichen Energieversorgung" läßt § 11 Abs. 1 und 2 EnergG 9 8 zu. Die Kommentarliteratur 9 9 zählt nach gefestigter Anschauung hierzu nicht nur die Errichtung von stromerzeugenden wie -verteilenden Anlagen, sondern bezieht i n die energiewirtschaftlichen Zwecke der Enteignung auch den Bau von Hilfsanlagen ein, die wie Reparaturstätten, Kohletransportbahnen und Verwaltungsgebäuden nur mittelbar der Energieerzeugung oder -Verteilung dienen 1 0 0 . Enteignungsantragsberechtigt sind nach der ratio des EnergG, 93

Badura, B a y V B l 1976, S. 519. Hof mann, Luftverkehrsgesetz, § 6 Rdnr. 23. 95 Ebd., § 6 Rdnr. 24. 96 Schleicher / Reymann / Abraham, Das Recht der L u f t f a h r t , § 6 A n m . 17. 97 Z u r Raumrelevanz von Versorgungsunternehmen anschaulich Evers, Das Recht der Energieversorgung, S. 65; Ladewig, Die Energieversorgungsunternehmen i n der Raumordnung, S. 1; Keller, Enteignung f ü r Zwecke der öffentlichen Energieversorgung, S. 29. 98 V o m 13. Dezember 1935; als Bundesrecht fortgeltend nach A r t . 123 Abs. 1, 125 Ziff. 1 i . V . m . A r t . 74 Ziff. 11 G G ; dazu auch Keller, Enteignung f ü r Zwecke der öffentlichen Energieversorgung, S. 28. 99 Eiser / Riederer / Obernolte, Energiewirtschaftsrecht, §11 A n m . 4 c; Fischerhof, Energierecht, S. 374; Keller, Enteignung f ü r Zwecke der öffentlichen Energieversorgung, S. 65. 94

1. Abschn., . Unterabschn.: Enteignungsrecht

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Unternehmen

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welches durch eine Reihe von wirtschaftlichen Vergünstigungen den Trägern der Energieversorgung die Erfüllung der von ihnen wahrgenommenen Versorgungsaufgabe erleichtern w i l l , alle öffentlichen Energieversorgungsunternehmen 101 . Nach der Legaldefinition des §2 Abs. 1 S. 1 EnergG sind dies alle Unternehmen und Betriebe, die „ohne Rücksicht auf Rechtsformen und Eigentumsverhältnisse andere m i t elektrischer Energie oder Gas versorgen oder Betriebe dieser A r t verw a l t e n " 1 0 2 . Die privatwirtschaftliche Verfassung der Energiewirtschaft, die sich als Teil der gewerblichen Wirtschaft begreift, verleiht i n der Enteignungspraxis auch der Enteignung zugunsten öffentlicher Energieversorgungsunternehmen einen betont privatnützigen Charakter 1 0 3 . I n ihren Konturen bleibt das Enteignungsrecht öffentlicher Energieversorgungsunternehmen, wie es § 11 EnergG formuliert, allerdings noch diffus. Konkrete Gestalt erhält es erst i n dem zweistufig ausgeformten Enteignungsverfahren, welches § 11 Abs. 1 und 2 EnergG hintereinanderschaltet 104 . Das EnergG greift ähnlich wie die zuvor untersuchten Enteignungsgrundlagen damit auf die bewährte Enteignungstechnik des PreußEnteigG zurück, kompliziert diese allerdings dadurch, daß es i m einzelnen offen läßt, auf welcher Verfahrensstufe fach- wie gesamtplanerische Elemente des enteignungsrechtlichen Zulässigkeitsurteils zu prüfen sind 1 0 5 : (1) A u f der ersten Stufe des Enteignungsverfahrens w i r d festgestellt, ob die Zwangsenteignung oder Zwangsbelastung zugunsten des Versorgungsunternehmens dem Grunde nach zulässig ist. Der nach §11 Abs. 1 EnergG von der obersten Energieaufsichtsbehörde vollzogene Verfahrensabschnitt ersetzt die Verleihung des Enteignungsrechts, wie 100 I n diesem Sinne schon Fergg, Die Zwangsenteignung i n Bayern, zu A r t . I A Ziff. 16 des Bayr. Zwangsabtretungsgesetzes v o m 13.8.1910 (GVB1 S. 621), der die Zwangsabtretung ausdrücklich auch auf Nebenanlagen zu Elektrizitätswerken ausdehnte; hierzu auch Eiser / Rieder er / Obernolte, Energiewirtschaftsrecht, § 11 A n m . 4 c. 101 Z u den wirtschaftlichen w i e wettbewerbsrechtlichrechtlichen Vergünstigungen vgl. i m einzelnen Evers, Das Recht der Energieversorgung, S. 65. 102 I m Geltungsbereich eines Bebauungsplanes ist die Enteignung jedoch nicht i m Verfahren nach § 11 EnergG, sondern nach den Vorschriften der §§ 85 ff. BBauG zu beantragen, was n u r dann Aussicht auf Erfolg hat, w e n n i m Bebauungsplan Flächen f ü r Versorgungsanlagen oder Leitungen festgesetzt sind. 103 I n der Unternehmensform dominieren die gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen, vgl. i m einzelnen Evers, Das Recht der Energieversorgung, S. 34. io* Dazu Ladewig, Die Energieversorgungsunternehmen i n der Raumordnung, S. 80 f. 1Q 5 Z u dem umstrittenen Verhältnis v o n § 11 Abs. 1 u n d 2 EnergG vgl. Ladewig, Die Energieversorgungsunternehmen i n der Raumordnung, S. 80 bis 86; Eiser / Rieder er / Obernolte, Energiewirtschaftsrecht, Vorb. zu §§8 und 9 EnergG, A n m . 4 a.

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I I . 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

sie § 2 P r e u ß E n t e i g G k e n n t 1 0 6 . A u f g a b e d e r Energieaufsichtsbehörde i n d i e s e m ersten V e r f a h r e n s a b s c h n i t t i s t es, u n t e r fachbezogenen, e n e r g i e w i r t s c h a f t l i c h e n G e s i c h t s p u n k t e n z u k l ä r e n , ob d e r A n t r a g s t e l l e r e i n E n e r g i e v e r s o r g u n g s u n t e r n e h m e n ist, dessen V e r h a l t e n Zwecken der öffentlichen Energieversorgung u n d d a m i t der A l l g e m e i n h e i t d i e n t 1 0 7 . A u c h i m E n e r g i e w i r t s c h a f t s r e c h t k o r r e s p o n d i e r t also das d e m P r i v a t e n „verliehene" Enteignungsrecht inhaltlich eng m i t der i h m übertragenen ö f f e n t l i c h e n V e r s o r g u n g s a u f g a b e . S o w e i t der P r i v a t e A u f g a b e n d e r ö f f e n t l i c h e n E n e r g i e v e r s o r g u n g e r f ü l l t , k a n n er n a c h d e m W i l l e n des E n e r g G f ü r a l l e i m Z u s a m m e n h a n g seines V o r h a b e n s n o t w e n d i g w e r d e n d e n E n t e i g n u n g s f ä l l e d i e E n t e i g n u n g z u seinen G u n s t e n v e r langen108. Unproblematisch ist die Gemeinwohlrelevanz „ p r i v a t e r " Energieversorgung, w e n n sie innerhalb eines Versorgungsgebietes einer unbegrenzten Vielzahl von Abnehmern zugute kommt. Das EnergG u n t e r w i r f t Energieversorgungsunternehmen, die der allgemein zugänglichen Versorgung dienen, engen Bindungen, die den Gemeinwohlbezug privatwirtschaftlicher Versorgungstätigkeit gesetzlich absichern 1 0 9 . Hierzu zählt v o r allem anderen die Pflicht, i n den Grenzen des wirtschaftlich Zumutbaren jedermann zu allgemeinen Bedingungen u n d allgemeinen Tarifpreisen anzuschließen u n d zu versorgen (§ 6 Abs. 1 EnergG) 1 1 0 . Versorgungs- u n d Tarifpflicht werden flankiert v o n staatlichen Kontrollbefugnissen 1 1 1 , die i n ihrer Summe den Einfluß des Staates auf das Wirtschaftsgeschehen i m Unternehmen sicherstellen w o l l e n 1 1 2 . ιοβ Darge / Melchinger / Rumpf, Energierecht 1. Teil, §11 A n m . 6 a; Seufert, Bayrisches Enteignungsrecht, S. 290; Ladewig, Die Energieversorgungsunternehmen i n der Raumordnung, S. 82; Evers, Das Recht der Energieversorgung, S. 67. 197 Eiser / Rieder er / Ob emolte, Energiewirtschaftsrecht, Vorb. zu §§ 8 u n d 9 EnergG, A n m . 4 a. 198 Z u r sachlichen Reichweite der Verleihung des Enteignungsrechts nach § 11 Abs. 1 vgl. Eiser / Rieder er / Obernolte, ebd. 199 Ä h n l i c h Evers, Das Recht der Energieversorgung, S. 66. 119 Z u der d a m i t i m Zusammenhang stehenden Ermächtigung des §7 EnergG, die Vertrags- u n d Preisgestaltung hoheitlich zu regeln, Evers, Das Recht der Energieversorgung, S. 127 f. 111 Hierzu zählen das i m Rahmen der energierechtlichen Investitionskontrolle bestehende Beanstandungs- u n d Untersagungsrecht des § 4 Abs. 2; die Genehmigungsregelung bei Betriebsaufnahme i n §5 Abs. 1; die Anordnungsbefugnis zur Anschluß- u n d Versorgungspflicht nach § 6 Abs. 4 sowie die Vorschriften zur Betriebsuntersagung nach §§ 8 u n d 9 u n d die Befugnisse auf dem Gebiet der technischen Sicherheit nach § 13 Abs. 2 EnergG; vgl. i m einzelnen Eiser / Riederer / Obernolte, Energiewirtschaftsrecht, § 1 A n m . 3 b. 112 Diese Inpflichtnahme der Energieversorgungsunternehmen hat dazu geführt, daß auch sie als Beliehene qualifiziert worden sind; so etwa Friesenhahn, Grundgesetz u n d Energiewirtschaft, E L W 5 7 , 12 (14); ähnlich Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, B a n d i , S.535, 553ff. Der generelle Einwand, daß die Übertragung materieller öffentlicher Aufgaben auf einen Privaten nicht hinreicht, u m i h m den Status eines Beliehenen zu geben steht auch i m Energiewirtschaftsrecht einer solchen Einstufung entgegen; i m Ergebnis ähnlich Evers, Das Recht der Energieversorgung, S. 61 m. w . N.

1. Abschn., . Unterabschn.: Enteignungsrecht

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Unternehmen

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Schwieriger ist hingegen das Enteignungsrecht derjenigen Unternehmen zu beurteilen, die n u r einen engen Kreis regelmäßig industrieller Abnehmer oder gar n u r einen einzigen versorgen. Evers 113 bezweifelt das Enteignungsrecht solcher Unternehmen m i t der Begründung, daß solche Versorgungsanlagen i n aller Regel n u r private wirtschaftliche Interessen fördern. Diese restriktive Auslegung k o l l i d i e r t i n ihren Konsequenzen aber m i t der energiewirtschaftlichen Zielsetzung des Gesetzes, welches i m Interesse einer sicheren und billigen Energieversorgung die Energiewirtschaft möglichst lückenlos unter staatliche K o n t r o l l e stellen w i l l 1 1 4 . Eine Qualifikation dieser U n t e r nehmen als ausschließlich private Wirtschaftssubjekte w ü r d e sie weitgehend der staatlichen K o n t r o l l e entrücken, was wegen der Interdependenzen der Versorgungsbedingungen i m öffentlichen Netz u n d i n der sog. Großverteilung nicht hingenommen werden k a n n 1 1 5 . Auch Unternehmen, die n u r der V e r sorgung eines v o n vornherein bestimmten Abnehmerkreises dienen, sind daher als „öffentliche" Energieversorgungsunternehmen i. S. d. §2 Abs. 2 EnergG einzustufen u n d insofern enteignungsantragsberechtigt 1 1 6 . Ausgeschlossen ist eine Enteignung dagegen zugunsten v o n Unternehmen, die nicht f ü r andere, sondern allein f ü r den Eigenbedarf Energie erzeugen 1 1 7 . Diese Unternehmen unterliegen nach den Vorschriften der EnergG n u r einer beschränkten energierechtlichen Aufsicht, was das mangelnde öffentliche Interesse an dieser A r t von Energieversorgung bekundet. W e i l der B a u w i e Betrieb von Eigenversorgungsanlagen regelmäßig n u r der Förderung privater Interessen dient, w i r d diesen Unternehmen auch ein Enteignungsrecht nach Maßgabe der Landesenteignungsgesetze v e r w e h r t sein 1 1 8 . (2) E r s t i m z w e i t e n V e r f a h r e n s a b s c h n i t t w i r d der k o n k r e t e U m f a n g der E n t e i g n u n g b e s t i m m t 1 1 9 . F ü r d i e D u r c h f ü h r u n g des E n t e i g n u n g s v e r fahrens v e r w e i s t § 11 A b s . 2 E n e r g G a u f d i e l a n d e s r e c h t l i c h e n E n t e i g nungsgesetze, d i e r e g e l m ä ß i g P l a n f e s t s t e l l u n g s v e r f a h r e n , Entschädig u n g s f e s t s t e l l u n g w i e V o l l z i e h u n g d e r E n t e i g n u n g als einzelne V e r f a h rensabschnitte t r e n n e n 1 2 0 . Z u s t ä n d i g b l e i b t a l l e r d i n g s auch i n diesem z w e i t e n V e r f a h r e n s a b s c h n i t t die Energieaufsichtsbehörde des j e w e i l i g e n L a n d e s 1 2 1 , die d a m i t die e n e r g i e w i r t s c h a f t l i c h e F a c h p l a n u n g m i t a n d e 113

Das Recht der Energieversorgung, S. 66. Z u diesem engen inhaltlichen Zusammenhang des Enteignungsrechts des Privaten m i t den Kontrollmöglichkeiten des Staates Keller, Enteignung f ü r Zwecke der öffentlichen Energieversorgung, S. 61. 115 So auch Evers, Das Recht der Energieversorgung, S. 59. 116 Ä h n l i c h Eiser ! Riederer ! Obernolte, Energiewirtschaftsrecht, Vorb. zu §§ 8 u n d 9 EnergG, A n m . 3. 117 Baer-Henny, Die stromwirtschaftliche Betätigung industrieller Eigenanlagen aus öffentlich-rechtlicher Sicht, S. 166 f. 118 Evers, Das Recht der Energieversorgung, S. 67. 119 Ä h n l i c h Ladewig, Die Energieversorgungsunternehmen i n der R a u m ordnung, S. 84; Evers, Das Recht der Energieversorgung, S. 67; Eiser ! Rieder er ! Obernolte, Energiewirtschaftsrecht, § 11 A n m . 5 d) 2. 120 Vgl. etwa § 15 ff. PreußEnteigG v o m 11. J u n i 1874. 121 § 11 Abs. 2 EnergG gilt als Bundesrecht weiter, m i t der Folge, daß an die Stelle des vormals zuständigen Reichswirtschaftsministers die nach L a n desrecht berufene Energieaufsichtsbehörde getreten ist; vgl. U r t e i l des B V e r w G v o m 7.6.1967 = B a y V B l 1968, 99; Beschl. des B V e r w G v. 11.2.1969 114

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

ren, i m Enteignungsverfahren zu beachtenden öffentlichen wie privaten Belangen abzustimmen vermag 1 2 2 . Rechtstechnisch vollzieht sich die Erörterung wie Abwägung der enteignungsrelevanten Interessen i m enteignungsrechtlichen Planfeststellungsverfahren, das wegen der Raumrelevanz der energiewirtschaftlichen Vorhaben vor allem die landesplanerischen Richtlinien zu beachten hat 1 2 3 . I m Planfeststellungsbeschluß, der regelmäßig den konkreten Gegenstand der Enteignung, die Größe und Grenze des abzutretenden Grundbesitzes, die A r t und den Umfang der aufzuerlegenden Beschränkungen wie die Anlagen, zu deren Errichtung und Unterhaltung der Unternehmer verpflichtet ist, festlegt, erhält das enteignungsrechtliche Zulässigkeitsurteil konkrete Gestalt 1 2 4 . I I . Enteignung zu Zwecken der öffentlichen Wasserversorgung

Enteignungsrechtlich von Interesse sind schließlich diejenigen Zwangseingriffe, m i t denen Unternehmen der öffentlichen Wasserversorgung ihren Landbedarf zum Bau und Betrieb von Wasserversorgungsanlagen decken 125 . Ähnlich wie i m energiewirtschaftlichen Bereich dominieren i m Bereich der öffentlichen Wasserversorgung privatrechtlich strukturierte Versorgungsunternehmen, die m i t der Aufgabe betraut sind, i m Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit die Allgemeinheit m i t T r i n k - und Brauchwasser zu versorgen 126 . Begünstigt von einer Enteignungspraxis, wie sie die Landeswassergesetze zu Zwecken der öffentlichen Wasserversorgung zulassen, werden also regelmäßig Private. Auch sie sind, sofern sie Versorgungsaufgaben wahrnehmen, durch ein enges Geflecht öffentlich-rechtlicher Bindungen „ i n den Dienst" öffentlicher Verwaltung gestellt und insoweit zur Enteignung berechtigt. Anders als i m Energie- oder Verkehrsrecht mangelt es i m Wasserrecht aber an gesetzlichen Regelungen, die die öffentlichen Wasserversorgungsi n R . B e i l 1970, 6; dazu auch Eiser / Riederer / Obernolte, Energiewirtschaftsrecht, § 11 A n m . 5 b). 122 Dazu Ladewig, Die Energievesorgungsunternehmen i n der Raumordnung, S. 84. 123 Ebd. ι 2 4 Eiser / Riederer / Obernolte, Energiewirtschaftsrecht, § 11 A n m . 5 d) 2. 125 Entsorgungs-, d . h . Abwasseranlagen u n d Leitungen werden dagegen duchweg i n der Regie der öffentlichen H a n d betrieben, so daß sich eine E n t eignung zu diesen Zwecken regelmäßig nicht als privatnützig darstellt. 126 „öffentliche" Wasserversorgungsunternehmen sind nach der Legaldefinition der Verwaltungsrichtlinien zum Ersten T e i l des Investitionshilfegesetzes (BAnz 1952 Nr. 171, S. 2), auf die die Kommentierungen mangels einer Legaldefinition i m W H G oder den L W G zurückgreifen, solche U n t e r nehmen, „die i m Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit einen unbestimmten Kreis von Personen oder Betriebe innerhalb eines Gebietes m i t Wasser versorgen", vgl. dazu Burghartz, W H G , §6 A n m . 4; ähnlich Rehder, Niedersächsisches Wassergesetz, § 8 Rdnr. 4.

1. Abschn., . Unterabschn.: Enteignungsrecht

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Unternehmen

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unternehmen ausdrücklich Aufgaben öffentlicher Daseinsvorsorge u n d damit dem Gemeinwohl verpflichten. Die V e r w a l t u n g sichert sich ihren Einfluß auf die öffentliche Wasserversorgung vielmehr m i t Hilfe sog. Wege- w i e Wasserkonzessionsverträge, die rechtlich zwar nicht unbedenklich 1 2 7 , gleichwohl aber fester Bestandteil der Verwaltungspraxis geworden u n d als solche nicht mehr hinwegzudenken s i n d 1 2 8 . Sie sind ein interessantes Beispiel dafür, w i e durch vertragliche Bindungen die Gemeinwohlrelevanz privatwirtschaftlicher Unternehmertätigkeit gesichert werden kann. Wasserversorgungsunternehmen, die zum B a u ihrer öffentliche Wege anschneidenden Transportleitungen sowohl einer wegerechtlichen Sondernutzungserlaubnis w i e einer E i n w i l l i g u n g der öffentlichen H a n d als Wegeeigentümer bedürfen, sind i n ihrer Wirtschaftstätigkeit i n hohem Maße von der Erteilung dieser Genehmigungen abhängig. Die öffentliche V e r w a l t u n g nutzt diese Abhängigkeit, u m über Verleihungsbedingungen w i e über privatrechtliche Vereinbarungen Einfluß auf die Versorgungstätigkeit zu erlangen. Typischer I n h a l t solcher, i n einem einheitlichen „Konzessionsvertrag" zusammengefaßter öffentlichrechtlicher Nebenbestimmungen w i e privatrechtlicher Abreden sind neben der eigentlichen Benutzungsklausel, m i t der die Gemeinde dem Versorgungsunternehmen die Benutzung der Gemeindewege gestattet, Kontrahierungs-, Betriebs-, Aufsichts-, w i e T a r i f k l a u s e l n 1 2 9 . So sichert die Kontrahierungsklausel die Öffentlichkeit der Wasserversorgung, da sie die Unternehmen verpflichtet, Wasser an jedermann innerhalb des Gemeindebezirks i m Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit zu liefern. I n der Betriebsklausel verpflichtet sich das Versorgungsunternehmen, den Betrieb zu errichten w i e die Betriebsanlagen einschließlich des Leitungsnetzes i n einem leistungsfähigen u n d betriebssicheren Zustand zu erhalten. Aufsichts- u n d Kontrollmöglichkeiten über Leistungsfähigkeit w i e Betriebssicherheit des Versorgungsunternehmens eröffnet die Aufsichtsklausel. Über Tarifklauseln erlangt die öffentliche V e r w a l t u n g schließlich Einfluß auf die Preise w i e Lieferbedingungen des U n t e r nehmens. Zusätzliche K o n t r o l l - w i e Aufsichtsmöglichkeiten werden zudem durch die Abhängigkeit der Versorgungsunternehmen von einer wasserhaushaltsrechtlichen Genehmigung (Erlaubnis oder B e w i l l i g u n g nach §§ 8, 9 W H G ) 1 3 0 zur eigentlichen Trinkwassergewinnung eröffnet. Auch diese Genehmigungen können m i t Benutzungsbedingungen u n d Auflagen (§4 WHG) gekoppelt werden, die die Gemeinwohlverträglichkeit der Wassernutzung absichern. Einer administrativen Aufsicht w i e Lenkung der eigentlichen V e r sorgung, w i e sie p r i m ä r die privatrechtlichen Abreden gestatten, sind allerdings i m Wasserhaushaltsrecht enge Grenzen gesetzt. Die spezifische Zielsetzung des W H G , das die m i t der Gewässerbenutzung u n m i t t e l b a r v e r bundenen Beeinträchtigungen verhüten w i e ausgleichen w i l l , verbietet es, über wasserrechtliche Nebenbestimmungen wirtschafts- u n d sozialpolitische Ziele anzusteuern 1 3 1 . 127 Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 1, S. 566 sieht i n der Koppelung der wege- w i e wasserrechtlichen Genehmigungspflicht m i t betriebsrechtlichen Kontrollrechten einen typischen F a l l des détournement de pouvoir, der durch langandauernde Verwaltungsausübung allerdings legalisiert sei. iss Ebd. 129 z u r Vermengung öffentlich-rechtlicher u n d privatrechtlicher Bestimmungen i n den Konzessionsverträgen wie zum typischen I n h a l t dieser V e r träge allgemein vgl. i m einzelnen Huber, ebd., S. 573, 574. 180 Dazu Burghartz, W H G , §4 A n m . 2; Gieseke / Wiedemann, Rdnr. 2 f.; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 565 f.

WHG, §4

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II. .Kap.: Die privatnützige Enteignung

I n ihrer Summe knüpfen wege-, wasser- w i e privatrechtliche Verpflichtungen ein enges Band zwischen öffentlicher V e r w a l t u n g u n d Versorgungsunternehmen u n d stellen die strikte Ausrichtung der Unternehmensziele auf das Gemeinwohl sicher. 1. Die landesrechtlichen zugunsten öffentlicher

Enteignungsregelungen Wasserversorgungsunternehmen

Untersucht man vor diesem Hintergrund die spezialgesetzlichen Enteignungsregelungen zugunsten öffentlicher Wasserversorgungsunternehmen, so springt ins Auge, daß nur die Landeswassergesetze von Nordrhein-Westfalen 1 3 2 und Bayern 1 3 3 expressis verbis eine Enteignung zu Zwecken der öffentlichen Wasserversorgung gestatten. Bemerkenswert ist allerdings, daß die Landeswassergesetze zu diesem Enteignungszweck nicht nur die Enteignung zum Bau von Wassergewinnungsoder Wasserspeicherungsanlagen rechnen, sondern auch die Enteignungen abdecken, die zum Bau von Wassertransportleitungen über fremde Grundstücke erforderlich werden. Die Landeswassergesetze der übrigen Bundesländer begründen für diesen Zweck lediglich Durchleitungsrechte, deren enteignungsrechtliche Natur zudem umstritten ist 1 3 4 . Die offenen Formulierungen des nordrhein-westfälischen wie bayerischen Landeswassergesetzes, die den Enteignungszweck „öffentliche Wasserversorgung" i m einzelnen nicht näher konkretisieren, lassen den Enteignungsbehörden einen weiten Spielraum. Gestalt erhält das Enteignungsrecht öffentlicher Wasserversorgungsunternehmen auch i n diesem Zusammenhang erst dann, wenn man sich auf die Maxime besinnt, das „öffentliche Unternehmen" nur i n dem Maße enteignungsbefugt sind, i n dem ihnen der Staat öffentliche Versorgungsaufgaben überantwortet hat. Da es die meisten Landeswassergesetze an einer spezialgesetzlichen Enteignungsregelung zugunsten öffentlicher Versorgungsunternehmen fehlen lassen, grenzt diese Maxime das Enteignungsrecht der Unternehmen erst recht dann ein, wenn sie sich m i t ihrem Vorhaben auf allgemeine Enteignungsregelungen berufen. (a) Das nordrhein-westfälische L W G folgt i n der Formulierung des Enteignungstatbestandes i n § 45 Abs. 6 L W G der schon aus dem Energiewirtschaftsrecht bekannten zweistufigen Enteignungstechnik. I n einem ersten Schritt stellt die oberste Wasserbehörde die Zulässigkeit der Enteignung fest, „soweit sie für Zwecke der öffentlichen Wasserversorgung" erforderlich ist. Die Feststellung ersetzt die Verleihung 131

Ä h n l i c h Gieseke / Wiedemann , § 4 Rdnr. 5. V o m 22. M a i 1962, GV N W S. 235. * 3 3 V o m 26. J u l i 1962, GVB1 S. 143. 134 Dazu Schulte, Z u m Wesen der Zwangsrechte u n d der Ausgleichung, Z f W 1966, S. 72, 75; Burghartz, L W G , § 85 A n m . 1. 132

1. Abschn., . Unterabschn.: Enteignungsrecht

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Unternehmen

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des Enteignungsrechts, wie sie beispielsweise § 2 PreußEnteigG 1 3 5 kennt. Aufgabe der Wasserbehörde i n diesem Verfahrensabschnitt ist es, sorgfältig zu prüfen, ob das die Enteignung begehrende Unternehmen tatsächlich m i t öffentlichen Versorgungsaufgaben betraut ist. Die wegewie wasserrechtlichen Konzessionsverträge vermögen hierbei sicheren Aufschluß über die Gemeinwohlrelevanz privater Versorgungstätigkeit zu geben. Wasserwerke, die ausschließlich der Versorgung einzelner Industriebetriebe m i t Betriebswasser dienen, w i r d man so mangels öffentlicher Versorgungsaufgaben 136 kein Enteignungsrecht zugestehen. Räumlich fixiert w i r d das Enteignungsvorhaben erst i n dem sich anschließenden Planfeststellungsverfahren nach §§14 ff. PreußEnteigG, auf den § 45 Abs. 6 L W G verweist. Die zuständige Enteignungsbehörde prüft i n einem zweiten Verfahrensschritt, inwieweit der enteignungsrechtliche Eingriff tatsächlich zur Realisierung des geplanten Vorhabens erforderlich ist. (b) Auch das bayerische Wassergesetz ordnet die Enteignung „ i m Interesse der Wasserversorgung" (Art. 72 Abs. 1) zweistufig 137 . Vor Durchführung des Enteignungsverfahrens hat die Landesregierung die prinzipielle Gemeinwohldienlichkeit des Enteignungsvorhabens zu prüfen, um bei einem positiven Ergebnis das eigentliche Enteignungsverfahren durch Weisung zu eröffnen (Art. 86 Abs. 1 LWG). Gesondert herausgestellt zu werden verdient die Enteignungsregelung des bayer. LWG, w e i l sie i n § 72 Abs. 2 die Voraussetzungen einer Enteignung zugunsten Privater nur unter strengen Kautelen zuläßt. Der Unternehmer hat offenzulegen und notfalls durch Sicherungsleistung zu bekräftigen, daß er sowohl M i t t e l für die Entschädigung wie für die Durchführung des Enteignungsvorhabens besitzt. Gemeinsam m i t dem Rückenteignungsanspruch des A r t . 72 Abs. 4 L W G hat der Gesetzgeber damit w i r k sam sichergestellt, daß der Private sein Enteignungsrecht nicht zweckentfremdet einsetzt 138 . 2. Die Durchleitungs-Zwangsrechte zugunsten öffentlicher Versorgungsunternehmen öffentliche Wasserversorgungsunternehmen können ihren Versorgungsauftrag nur dann optimal erfüllen, wenn sie über ein möglichst breit gefächertes Leitungsnetz verfügen. Sie müssen i n der Lage sein, ihre Versorgungsleitungen notfalls auch gegen den Willen der Betroffenen über fremde Grundstücke zu führen. 136 Burghartz, W H G , § 45 A n m . 6. !36 Dazu Rehder, Niedersächsisches Wassergesetz, § 8 Rdnr. 4. 137 Dazu Sievers, Wasserrecht, S. 372. 138

Dazu auch Bullinger,

Die Enteignung zugunsten Privater, S. 469.

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

I m Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, der das benötigte Gelände als Versorgungsfläche (§ 9 Abs. 1 Nr. 12 BBauG) ausweist oder für ein Leitungsrecht (§ 9 Abs. 1 Nr. 21 BBauG) vorsieht 1 3 9 , bereitet der Bau von Transportleitungen keine grundsätzlichen Probleme. Die Unternehmen können sich hier die erforderlichen Flächen oder Leitungsrechte „planakzessorisch" m i t Hilfe der städtebaulichen Administrativenteignung beschaffen, wie sie das BBauG i n den i n ihrer Technik bewährten Vorschriften der §§85 ff., 104 f. BBauG an die Hand gibt. Schwieriger liegen die Dinge dagegen, wenn Leitungstrassen nicht in einem Bebauungsplan ausgewiesen sind, w e i l sie wie Fernleitungen etwa i m unbeplanten Außenbereich fremde Grundstücke kreuzen oder es planerisch nicht erforderlich war, sie festzulegen 140 . Fast allen Landeswassergesetzen 141 sind zwar sog. Durchleitungszwangsrechte bekannt, die den Grundeigentümer verpflichten, die auf seinem Grundstücke verlegten Versorgungsleitungen zu dulden. Die enteignungsrechtlich atypische Formulierung als Duldungstatbestände hat nun allerdings dazu geführt, ihnen primär die Bedeutung nachbarrechtlicher Kollisionsvorschriften zuzuschreiben, m i t denen sie i n der Tat eine gewisse Ähnlichkeit teilen 1 4 2 . Eine genauere Analyse der Zwangsrechte erweist jedoch, daß sie i n ihrem Kern betont enteignungsrechtlicher Natur sind und allenfalls sekundär i m nachbarrechtlichen Verhältnis w i r k e n 1 4 3 : ι» 9 Die regelmäßig unterirdisch geführten Transportleitungen sind als Versorgungsflächen festzusetzen, w e n n der Ausdehnung u n d der Intensität der Inanspruchnahme nach eine private Nutzung der Oberfläche nicht mehr i n Betracht kommt. I n den übrigen Fällen sind Leitungsrechte f ü r u n t e r irdische Anlagen auszuweisen; Bielenberg, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, §9 Rdnr. 53; Geizer, Bauplanungsrecht, Rdnr. 134 f., 154 f. 140 E i n Bedürfnis, die Versorgungsflächen oder Leitungsrechte i m Bebauungsplan auszuweisen, k a n n insbesondere dann entfallen, w e n n die Grundstückseigentümer schon auf G r u n d anderweitiger Duldungspflichten die Leitungen hinzunehmen haben; Bielenberg, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, § 9 Rdnr. 53. Soweit die nachfolgend dargestellten wasserrechtlichen Durchleitungs-Zwangsrechte Grundeigentümer zur D u l d u n g vor allem unterirdisch angelegter öffentlicher Versorgungsleitungen verpflichten, gehen sie der planerischen Ausweisung regelmäßig v o r ; dazu auch Halstenberg, Die Versorgungswirtschaft i m Städtebaurecht, S. 18. 141 Vgl. §88 Abs. 2 des Wassergesetzes f ü r Baden-Württemberg i. d. F. v o m 26. A p r i l 1976, G B l S. 369; §124 des Bremischen Wassergesetzes v o m 13.3.1962, G B l S. 59; §93 des Landeswassergesetzes v o n Rheinland-Pfalz v o m 1. August 1960, GVB1 S. 153; §83 Abs. 1 des Hessischen Wassergesetzes v o m 6. J u n i 1960; GVB1 S. 69; § 87 Abs. 1 des Saarländischen Wassergesetzes v o m 28. J u n i 1960, A B l . S. 511; § 75 Abs. 1 des Wassergesetzes von SchleswigHolstein v o m 7. J u n i 1971, GVB1 S. 327. 142 So etwa Burghartz, L W G , § 85 A n m . 1 ; Rehder, Niedersächsisches Wassergesetz, § 125 A n m . 1. 143 Dazu ausführlich Schulte, Eigentum u n d öffentliches Interesse, S. 268; dersZfW 1966, S. 76 f., der ihnen eine nachbar- w i e enteignungsrechtliche Doppeinalur zuerkennen w i l l .

1. Abschn., . Unterabschn.: Enteignungsrecht

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Unternehmen

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Als repräsentativ f ü r die Formulierungen der Landeswassergesetze k a n n etwa § 125 des niedersächsischen L W G gelten. „ Z u r Wasserversorgung" heißt es dort u. a., „ k a n n der Unternehmer . . . von den Eigentümern der betroffenen Grundstücke u n d Gewässer verlangen, daß sie das ober- u n d unterirdische Durchleiten von Wasser u n d Abwasser i n geschlossenen wasserdichten L e i tungen u n d die Unterhaltung der Leitungen gegen Entschädigung dulden". Eingeschränkt ist die Duldungspflicht nach § 127 nsLWG, der stellvertretend f ü r parallele Regelungen anderer L W G steht, allerdings f ü r Gebäude, H o f räume, Betriebsgrundstücke, Gärten, Parkanlagen u n d Friedhöfe. N u r ausnahmsweise k a n n über solche Grundstücke „aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit" das unterirdische Durchleiten v o n Wasser u n d Abwasser zugelassen werden. Eine Begründung v o n Durchleitungs-Zwangsrechten w i r d damit nicht n u r i m Verhältnis benachbarter Grundeigentümer erlaubt. Antragsberechtigt ist nach dem W o r t l a u t des Gesetzes jeder Unternehmer, der Wasserversorgungsanlagen betreibt. Die Durchleitungsrechte zugunsten v o n Unternehmen der Wasserversorgung dienen also nicht der nachbarrechtlich erwünschten optimalen Ausnutzbarkeit aneinandergrenzender Grundstücke. Sie sind vielmehr Kollisionsregeln, die das öffentliche Interesse an einer gesicherten Wasserversorgung den Interessen der betroffenen Grundeigentümer vorgehen lassen. Sie sind damit materielle Enteignungsregelungen 1 4 4 . A l s E n t e i g n u n g s t a t b e s t a n d i s t das D u r c h l e i t u n g s z w a n g s r e c h t a n d e n verfassungsrechtlichen E n t e i g n u n g s v o r a u s s e t z u n g e n des A r t . 14 A b s . 3 S. 1 G G z u m e s s e n 1 4 5 . P r i v a t w i r t s c h a f t l i c h e V e r s o r g u n g s u n t e r n e h m e n , die Zwangsrechte begründen wollen, müssen die Gemeinwohldienlichk e i t i h r e r V e r s o r g u n g s t ä t i g k e i t nachweisen. D e r N a c h w e i s i s t n i c h t n u r z u f ü h r e n , w e n n sie m i t i h r e n L e i t u n g e n q u a l i f i z i e r t g e n u t z t e G r u n d stücke schneiden, w i e sie § 127 nds. L W G r e p r ä s e n t a t i v a u f z ä h l t . E r i s t v i e l m e h r f ü r a l l e L e i t u n g e n ü b e r fremdes G r u n d e i g e n t u m z u f o r d e r n . A u c h das D u r c h l e i t u n g s - Z w a n g s r e c h t ö f f e n t l i c h e r V e r s o r g u n g s u n t e r n e h m e n k o r r e s p o n d i e r t w i e das i h n e n e i n g e r ä u m t e klassische E n t e i g nungsrecht inhaltlich eng m i t der i h n e n übertragenen Versorgungsaufgabe: N u r s o w e i t sie T r ä g e r ö f f e n t l i c h e r V e r s o r g u n g s a u f g a b e n sind, s i n d sie z w a n g s b e f u g t . Zusammenfassung: Das Enteignungsrecht öffentlicher U n t e r n e h m e n Das E n t e i g n u n g s r e c h t ö f f e n t l i c h e r U n t e r n e h m e n h a t sich als K o r r e l a t d e r i h n e n ü b e r t r a g e n e n ö f f e n t l i c h e n A u f g a b e erwiesen. Sie s i n d n u r i n d e m M a ß e e n t e i g n u n g s b e f u g t , i n d e m i h n e n der S t a a t m a t e r i e l l - ö f f e n t liche A u f g a b e n ü b e r a n t w o r t e t h a t . I m U m k r e i s d e r klassischen Daseins144

Schulte, Z f W 1966, S. 77. Z u beachten, ist zudem das verfassungsrechtliche Übermaß verbot, das m i t seinen Einzelkomponenten der Geeignetheit, Verhältnismäßigkeit u n d Erforderlichkeit die konkrete Trassenführung bestimmt; dazu Schulte, Z f W 1966, S. 78. 145

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

Vorsorge, i n dem die untersuchten privatrechtlichen Verkehrs- oder Versorgungsunternehmen tätig sind, fällt der Nachweis der Gemeinwohlrelevanz privater Wirtschaftstätigkeit leicht. Die infrastrukturelle Ausstattung eines Gebietes m i t Verkehrs- oder Versorgungseinrichtungen, die die „privatnützige" Enteignung legitimiert, ist dem traditionellen Bereich öffentlicher Daseinsvorsorge zuzurechnen, für den der Staat schon früh seine Verantwortung bejaht h a t 1 4 6 . Das elementare Interesse des Staates an den privatrechtlich organisierten wie handelnden Wirtschaftsunternehmen w i r d konkret sichtbar i n einem engmaschigen Netz staatlicher Lenkungs- und Aufsichtsbefugnisse, das Gesetzgeber wie Verwaltung zwischen Staat und Wirtschaftsunternehmen knüpfen. Der Staat gewinnt so positiv gestaltenden Einfluß auf die Tarife, er legt den Unternehmen eine Betriebspflicht auf, er nimmt Einfluß auf die technische Betriebsführung. Lenkungs- wie Aufsichtsbefugnisse werden rechtstechnisch unmittelbar durch Gesetz, durch Verwaltungsakt aber auch über vertragliche Bindungen angesteuert. I n ihrer Gesamtheit entziehen sie grundlegende Unternehmensentscheidungen privater Dispositionen und überantworten sie dem Staat; sie erst nehmen den Privaten „ i n den Dienst" öffentlicher Verwaltung, ohne i h n allerdings i n die staatliche Verwaltungsorganisation einzugliedern. Unter enteignungsrechtlichem Aspekt sind die Bindungen p r i vater Wirtschaftstätigkeit aus zweifachem Grunde interessant: Sie indizieren den Gemeinwohlbezug der Unternehmensziele, stellen zugleich aber auch wirksam sicher, daß der Private sein Enteignungsrecht nicht „zweckentfremdet" einsetzt. Trotz dieser engen Anbindung an die Ziele öffentlicher Verwaltung bleibt die Wirtschaftsfähigkeit i n ihrem K e r n jedoch privatnützig: Motor und Anreiz privater Wirtschaftsfähigkeit i m Feld öffentlicher Daseinsvorsorge bleibt die Gewinnerwartung, die allenfalls dann zurücktritt, wenn der Staat sich privatrechtlicher Organisationsformen bedient, um Leistungen zu erbringen 1 4 7 . Gemeinwohlauftrag und Gewinnorientierung stehen insofern nebeneinander, ohne daß der eine die andere notwendig ausschließt.

ΐ4β Dazu Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 240 f. 147

Vgl. Rüfner, Formen öffentlicher V e r w a l t u n g i m Bereich der Wirtschaft, S. 144 f., 148.

1. Abschn., 2. Unterabschn. : Enteignungsrecht privater Unternehmen

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2. Unterabschnitt: Enteignungen zugunsten privatwirtschaftlicher Unternehmen A . D i e öffentliche Bedeutung privater Wirtschaftstätigkeit und ihre enteignungsrechtliche Relevanz

Anders als die eingangs untersuchten öffentlichen Unternehmen werden privatwirtschaftliche Unternehmen weder durch Gesetz, Verwaltungsakt noch über vertragliche Bindungen ausdrücklich i n den Dienst öffentlicher Verwaltung gestellt 1 4 8 . Ihnen fehlt es an jenem konkret verdichteten Gemeinwohlauftrag, der die Enteignung zugunsten öffentlicher Unternehmen erst legitimiert hat, was jedoch weder Schrifttum 1 4 9 noch vereinzelt auch die Rechtsprechung 150 davon abhalten konnte, die Enteignung auch zugunsten solcher Unternehmen stets zuzulassen. A u f die Frage, welche öffentlichen Interessen diese wirtschaftsbegünstigenden Enteignungen legitimieren würden, antwortet das Schrifttum m i t einer bunten Palette möglicher Enteignungsgründe: Ziele der Kapazitätserweiterung, der Produktivitätssteigerung oder der Steigerung des Sozialprodukts werden i n einem Atemzug m i t Gründen der Arbeitsplatzbeschaffung oder -Sicherung oder gar der volkswirtschaftlichen Bedeutung des Unternehmens genannt 1 5 1 . Letztlich müssen damit die weiteren ökonomischen, sozialen wie politischen Bezüge, die jeder privaten Wirtschaftstätigkeit immanent sind und die m i t zunehmender Größe eines Unternehmens an Intensität gewinnen, zur Begründimg der Enteignung herhalten 1 5 2 . I . Zur Gemeinwohlbedeutung privater Wirtschaftsunternehmen

Die periodisch wiederaufflackernde Diskussion um die öffentliche Bedeutung privater Wirtschaftsunternehmen 153 ist trotz aller Bemühungen 148 z u r deflatorischen Unterscheidung v o n öffentlichen u n d p r i v a t w i r t schaftlichen Unternehmen vgl. schon oben 1. Abschnitt, Fn. 22 f. 149 Vgl, Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 2, S. 60; Stengel , Die Grundstücksenteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen, S. 30 f.; Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S. 85; Hamann, B B 1957, 12581; ders., Kommentar zum Grundgesetz, A r t . 14 A n m . 39; Ettner, D B 1964, 493; Meyer / Thiel / Frohberg, Enteignung von Grundeigentum, S. 50, 51; i n formativ auch W. Weber, Eigentum u n d Enteignung, S. 340, 380, 381; von Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, A r t . 14 A n m . V I I 6; Haberkorn, Enteignung zugunsten privater Industrieunternehmen, SKV1961, 170 f. 1 5 0 O V G Koblenz, A S 7, 209; B V e r w G 1, 43; a . A . O V G Rheinland-Pfalz, ZfB 100, 214 f. ist Dazu i m einzelnen Hub er, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 2, S. 60; Hamann, B B 1957, 1259; Schulte, Eigentum u n d öfentliches Interesse, S. 92; Seufert, Bayrisches Enteignungsrecht, S. 231. 1 5 2 Einen Überblick über die Versuche, die „überprivate Erheblichkeit" (Krüger, Planung V, S. 21) privater Wirtschaftsunternehmen begrifflich zu 7 Frenzel

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I I . 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

ü b e r eine grobe S y s t e m a t i s i e r u n g m ö g l i c h e r G e m e i n w o h l b e z ü g e , w i e sie schon Krüger 154 vorgab, nicht hinausgekommen. Den tieferen G r u n d h i e r f ü r w i r d m a n i m M a n g e l e i n e r verfassungsrechtlich v o r g e p r ä g t e n S t a a t s a u f g a b e n l e h r e zu suchen h a b e n 1 5 5 , d i e es erst e r m ö g l i c h e n w ü r d e , die öffentliche Bedeutung privatwirtschaftlichen Handelns an einem gesicherten M a ß s t a b z u messen. Z w a r i s t d e r V e r f a s s u n g des sozialen Rechtsstaates p r i v a t e W i r t s c h a f t s t ä t i g k e i t n i c h t g l e i c h g ü l t i g 1 5 6 , da i m g e g e n w ä r t i g e n S t a a t n i c h t n u r das soziale Schicksal a l l e r Menschen, s o n d e r n auch d i e L e i s t u n g s f ä h i g k e i t des Staates selbst v o m F l o r i e r e n d e r W i r t s c h a f t a b h ä n g t 1 5 7 . D i e d e m S t a a t u n s t r i t t i g zugesprochene Ges a m t v e r a n t w o r t u n g f ü r das F u n k t i o n i e r e n d e r W i r t s c h a f t 1 5 8 findet i n den Einzelbestimmungen der Verfassung 159 jedoch n u r u n v o l l k o m m e n A u s d r u c k u n d v e r m a g e b e n s o w e n i g w i e das z u r S t ü t z e herangezogene S o z i a l s t a a t s p r i n z i p 1 6 0 e i n Raster abzugeben, u m p r i v a t e W i r t s c h a f t s t ä t i g k e i t i m E i n z e l f a l l m a t e r i e l l einzustufen. Krüger 161 spricht größeren Wirtschaftseinheiten vor allem unter drei Aspekten öffentliche Bedeutung zu: Neben ihrer allgemein-politischen Bedeutung, denen m i t ihrer geballten ökonomischen auch reale politische Macht zuwächst 1 6 2 , sollen sie vorrangig als Leistungsträger v o n erheblichem Gewicht f ü r die Allgemeinheit sein. I m Vordergrund steht i h r ökonomischer Öffentlichkeitsbezug 163, der sich aus der gesamtwirtschaftlichen oder regionalen Bedeutung f ü r die Versorgung der Bevölkerung, aus der A r t der produzierten Güter (Güter der Daseinsvorsorge, Schlüsselindustrie) oder aus der beherrschenden Marktstellung des Unternehmens ergeben kann. Neben erfassen gibt Farke, öffentliche Bedeutung privater Wirtschaftsunternehmen u n d Sozialpflichtigkeit des Eigentums, S. 15 ff. " 3 Jüngst Saladin, W D S t R L 35 (1977), S. 7 ff. Allgemeine Staatslehre, S. 407 ff.; ähnlich Farke, öffentliche Bedeutung privater Wirtschaftsunternehmen u n d Sozialpflichtigkeit des Eigentums, S. 11 f.; Baller stedt, Untersuchungen zur Reform des Unternehmensrechts, Bericht der Studienkommission des DJT, T e i l I , S. 24 ff. 155 Z u Möglichkeiten u n d Methoden einer Staatsaufgabenlehre Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 3 f. iß« Forsthoff ! Bachof, W D S t R L 12, S.8ff., 37 ff.; Huber, Rechtsstaat u n d Sozialstaat i n der modernen Industriegesellschaft, S. 249; Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 250 f. 157 Dazu noch Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, i n : von Münch, Bes.VerwR., S. 276. «β ipsen, Planung I I , S.87; Wagner, W D S t R L 27, S.81f.; Rinck, W i r t schaftsrecht, S. 76; Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 116 f., 144. im Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 252 zählt hierzu etwa A r t . 109, A r t . 104 a Abs. 4; A r t . 73 Nr. 4 u n d 5 sowie A r t . 74 Nr. 11, 11 a, 15 bis 18, 19 a bis 23 GG. 160 Ebd., S. 250; Huber, Rechtsstaat u n d Sozialstaat i n der modernen Industriegesellschaft, S. 249; Badura, D Ö V 1968, 446; Barion, D Ö V 1970, 15. 161 Allgemeine Staatslehre, S. 407 ff. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 412 ff.; ders., i n : Planung V , S. 21 ff. 163 Dazu auch Farke, öffentliche Bedeutung privater Wirtschaftsunternehmen u n d Sozialpflichtigkeit des Eigentums, S. 12.

1. Abschn., 2. Unterabschn.: Enteignungsrecht privater Unternehmen

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ihrer wirtschaftlichen Bedeutung erfüllen Wirtschaftsunternehmen wichtige soziale Funktionen, w e n n sie als Anbieter v o n Arbeitsplätzen die materielle Existenz oft größerer Bevölkerungsteile einer Stadt oder Region sichern u n d so zu einem Faktor gesellschaftlicher Integration der Bevölkerung w e r d e n 1 6 4 . Arbeitsplatzerhaltung w i e Schaffung ist i m sozialen Rechtsstaat keine ausschließliche private Angelegenheit, sondern hat unmittelbar öffentliche Bedeutung 1 6 5 . Die allgemein-politischen, ökonomischen w i e sozialen Ausstrahlungen privatwirtschaftlicher Unternehmen bilden i n ihrer Summe das reale Substrat dessen, was unter der öffentlichen Bedeutung privater Wirtschaftsunternehmen gemeinhin verstanden w i r d . I I . Enteignungsrechtliche Konsequenzen

Der Befund, daß auch privatwirtschaftliche Unternehmen eine verfassungsrechtlich anerkannte öffentliche Funktion innehaben, darf nicht zu dem Fehlschluß verleiten, daß ihnen schon deshalb ein Enteignungsrecht zusteht. Wer das Enteignungsrecht privater Wirtschaftseinheiten aus ihrer wie immer gearteten öffentlichen Bedeutung leichthin ableiten w i l l 1 6 6 , verkennt, daß auf der breiten Skala denkbarer öffentlicher Interessen die Marke des enteignungsrechtlich erheblichen Interesses sich nicht notwendig m i t der deckt, die die Verfassung privater Wirtschaftstätigkeit zuweist. I n der enteignungsrechtlichen Kommentarl i t e r a t u r 1 6 7 wie Rechtsprechung 168 w i r d dieser Sachverhalt losgelöst vom Einzelfall m i t der zum Standard gewordenen Formel umschrieben, daß nicht jedes öffentliches Interesse identisch sei m i t dem Wohl der A l l gemeinheit; erst ein gesteigertes, sachlich objektives öffentliches Interesse könne dem Wohl der Allgemeinheit i. S. d. A r t . 14 Abs. 3 GG entsprechen und den harten Enteignungseingriff rechtfertigen. Der Erkenntniswert der Formel ist wie der der Gemeinwohlklausel selbst allerdings gering. Sie verweist auf eine materielle Wertskala öffentlicher Interessen, an der es der Verfassung i n weiten Bereichen jedoch 164

Ebd., S. 14, 83. les Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 586 f.; Bull, Die Staatsauf gaben nach dem Grundgesetz, S. 260; Scheuner, i n : Die staatliche E i n w i r k u n g auf die Wirtschaft, S. 66. 166 So aber Hamann, B B 1957,1258 f.; ähnlich w o h l auch Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 2, S. 23, 60; Schack, B B 1961, 74, 76; Scheuner, V e r fassungsschutz des Eigentums, S. 85 Fn. 50; Seufert, Bayrisches Enteignungsrecht, S. 231. 16 ? Kimminich, B K , A r t . 14 Rdnr. 272; Schulte, Eigentum u n d öffentliches Interesse, S. 85 f.; Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S. 94 f.; Wilhelm, D Ö V 1965, 400; v. Mangoldt / Klein, GG, A r t . 14 A n m . V I I 6; Meyer! Thiel / Frohberg, Enteignung v o n Grundeigentum, S. 50; Schack, B B 1961, 75; W. Weber, Eigentum u n d Enteignung, S. 382; Maunz / Dürig / Herzog, GG, A r t . 14 Rdnr. 110. 16 ® U r t e i l des Bad. S t G H v o m 3.7.1950 = VerwRspr. 2, S.411 (416); O V G Rheinland-Pfalz, Z f B 100, 214 ff.; O V G Koblenz, U r t . v o m 29.1.1959 = A S Bd. 7, S. 201 (207) = D Ö V 1960, 315; ähnlich das B V e r f G i m Beschluß v o m 12.11.1974 = BVerfGE 38, 175.



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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

mangelt 1 6 9 . Allenfalls von den elementaren staatlichen Aufgaben, wie sie i m Bereich der Verkehrs- und Versorgungstätigkeit wahrgenommen werden, w i r d man sagen können, daß sie von sachlich gesteigerter, objektiver Bedeutung für das Gemeinwohl sind 1 7 0 , was der Staat durch ein Geflecht von Aufsichts- und Lenkungsbefugnissen zudem unmißverständlich bekundet hat 1 7 1 . Weit schwieriger bleibt es dagegen, außerhalb des engen Kernbereichs elementarer staatlicher Agenden das öffentliche Interesse an privater Wirtschaftstätigkeit zu gewichten. Die lockeren verfassungsrechtlichen Bezüge, die private Wirtschaftstätigkeit i m Kontext der nur ansatzweise erkennbaren Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes auszeichnet 172 , verbieten jede pauschale Lösung i m Sinne einer generellen Prävalenz oder Nachrangigkeit der Unternehmensinteressen hierbei von selbst. Nur eine differenzierende, auf den Einzelfall abstellende und damit abwägende Lösung kann der sachlich-systematischen Funktion der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlklausel als „offene Konfliktregel" gerecht werden 1 7 3 : I n der Sache besagt sie nichts anderes, als daß i m Einzelfall abzuwägen ist, in welcher Situation die Belange der Allgemeinheit nach der Verfassung als so stark gelten, daß die individuellen Interessen des Eigentümers zurücktreten müssen 174 . Die materielle Gewichtung der Interessen, die von den Wirtschaftsunternehmen zur Begründung der Enteignung ins Feld geführt werden, verschmilzt i n der Abwägungsklausel des A r t . 14 Abs. 3 S. 1 GG m i t dem eigentlichen Abwägungsvorgang zu einem einheitlichen Prozeß; gleich einem System kommunizierender Röhren verbindet sie private und öffentliche Interessen miteinander und bringt sie zum Ausgleich. Der vorgegebene formale Rahmen entbindet allerdings nicht von der Notwendigkeit, i h n materiell aufzufüllen. Dies kann nur gelingen, indem diejenigen Kräfte und Spannungen aufgezeigt werden, die auf der Seite des Enteignungsbegehrenden wie des potentiell Betroffenen für oder gegen den Zwangseingriff sprechen. A u f einen ersten Hinweis sollen hierbei diejenigen Enteignungsgesetze untersucht werden, die eine Wirtschaftsbegünstigende Enteignung ausdrücklich zulassen. Als geronnene Abwägungen könnten sie Aufschluß darüber geben, wie der 169 Hierzu Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 114, 115. Dazu Schnur, Gemeinwohl u n d öffentliche Interessen i n den Verfassungen u n d den Gesetzen des sozialen Rechtsstaates, i n : W o h l der Allgemeinheit u n d öffentliche Interessen, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 39, S. 57 (69). 171 Z u r I n d i z w i r k u n g der Aufsichts- u n d Lenkungsbefugnisse vgl. auch Ossenbühl, W D S t R L 29, S. 204 L S 5. 172 Dazu Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 275, 277; Klein, Die T e i l nahme des Staates a m wirtschaftlichen Wettbewerb, S. 98 ff. 173 Treffend Schnur, Gemeinwohl i n den Verfassungen u n d den Gesetzen, S. 70, 71. 174 Kimminich, B K , A r t . 14 Rdnr. 267 f. 170

1. Abschn., 2. Unterabschn.: Enteignungsrecht privater Unternehmen 101 vorrangig zur Konkretisierung der verfassungsmäßigen Ordnung berufene Gesetzgeber 175 die Interessen gewichtet hat (sub Β). Hält man sich zudem vor Augen, daß die Verfassung zwar keine pauschale Großformel bereithält, die das öffentliche Interesse an wirtschaftsbegünstigenden Enteignungen abschließend definiert, ihr andererseits aber private Wirtschaftstätigkeit nicht gänzlich gleichgültig ist, so erscheint ein Versuch, inhaltliche Maßstäbe zur Lösung einzelner Konfliktslagen auch unmittelbar aus der Verfassung abzuleiten, nicht von vornherein aussichtslos (sub C). B. Die gesetzliche Interessengewichtung: Wirtschaftsbegünstigende Enteignungen i m Spiegel der Gesetzgebung Sichtet man Bundes- wie Landesgesetzgebung auf privatwirtschaftsbegünstigende Enteignungsregelungen, so ist freilich festzustellen, daß diese, sieht man zunächst von den primär städtebaulich motivierten Enteignungsregelungen des BBauG ab, rare Ausnahmefälle sind. Regelmäßig greifen die Enteignungsbehörden auf die generellen Gemeinwohlklauseln der Landesenteignungsgesetze zurück, u m zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen den Enteignungseingriff anzuordnen 176 . U m so größeres Interesse ist daher den Enteignungstatbeständen des Kohleanpassungsgesetzes 177 und des Patentgesetzes 178 entgegenzubringen, die beispielhaft aufzeigen, welche Funktion wirtschaftsbegünstigende Enteignungsakte unter der Wirtschaftsordnung des Grundgesetzes erfüllen können. I . Die strukturverbessernde Enteignung des Kohleanpassungsgesetzes

Eigenart des Kohleanpassungsgesetzes ist es, die privatnützige Enteignung bewußt als wirtschafts- und strukturpolitisches M i t t e l einzusetzen. Trotz der zeitlich beschränkten Geltungsdauer des Gesetzes 179 verdient die A r t , wie der Gesetzgeber wirtschaftspolitische Zielsetzungen m i t dem Enteignungsinstitut verknüpft, als über den Einzelfall hinausweisend Beachtung. 175 Aufschlußreich zur „Qualifikations-Kompetenz" des Gesetzgebers Martens, öffentlich als Rechtsbegriff, S. 186 f. 176 Vgl. etwa die Anordnung des Enteignungsverfahrens zugunsten der Esso-AG H a m b u r g auf G r u n d der §§ 1, 2 des Gesetzes über die Enteignung von Grundeigentum v o m 11. J u n i 1874 (Pr. GS. N W S. 47) z u m B a u einer Stahlrohrleitung zwecks Beförderung v o n Raffineriegasen, A m t s b l a t t des Reg.-Bez. Münster v o m 29. Januar 1977, Nr. 4, S. 33. 177 Gesetz zur Anpassung u n d Gesundung des deutschen Steinkohlebergbaus u n d der deutschen Steinkohlebergbaubetriebe v o m 15. M a i 1968, B G B l I S. 365 (KohleG). 17 8 I n der Fassung v o m 2. Januar 1968, B G B l I S. 2. i™ Nach § 24 t r i t t das Gesetz am 31.12.1977 außer kraft.

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

Eingebettet i n die generelle Zielsetzung des Kohleanpassungsgesetzes bezwecken dessen Enteignungsvorschriften, die Wirtschaftsstruktur der Steinkohlenbergbaugebiete zu verbessern, u m so tiefgreifende soziale und wirtschaftliche Schäden i n den betroffenen Regionen abzuwenden 1 8 0 . Als vorrangig stuft die Gesetzesbegründung das Ziel ein, neue Arbeitsplätze zu schaffen 181 . Realer Hintergrund der gesetzlichen Bemühungen, m i t Hilfe forcierter Wirtschaftsförderungsmaßnahmen die Monostruktur i m Ruhrkohlegebiet abzubauen, war die latente Strukturkrise i m Steinkohlebergbau der sechziger Jahre. A l l e i n i n den Jahren 1957 -1968 verringerte sich die Zahl der Schachtanlagen drastisch von 173 auf 87 1 8 2 . Trotz Schrumpfung und eingeschränkter Kohleförderung stiegen jedoch die Haldenbestände ständig, was weitere Zechenschließungen nach sich zog 1 8 3 . Sollte diese Strukturkrise i m Steinkohlebergbau, von dem i n ihrer Existenz über zwei Millionen Menschen unmittelbar oder mittelbar abhingen, nicht zu einem sozial wie wirtschaftspolitisch verhängnisvollen Flächenbrand ausufern, war der Staat aufgerufen, lenkend und planend einzugreifen 184 . Das wirtschaftspolitische Instrumentarium des KohleG einschließlich der privatnützigen Enteignung ist damit direkter Ausdruck jener Verantwortung, die der Staat für den Erhalt einer funktionsfähigen Volkswirtschaft trägt und zu der er sich hier aus aktuellem Anlaß explizit bekennen mußte 1 8 5 . Die gesetzlich fixierten Enteignungsvoraussetzuneen des KohleG spiegeln diese wirtschaftspolitische Motivation deutlich wieder. Das öffentliche Interesse an der strukturverbessernden Enteignung t r i t t als Konglomerat strukturpolitischer, volkswirtschaftlicher wie raumordnerischer Gesichtspunkte konkret i n Erscheinung: I m einzelnen ist nach dem W o r t l a u t des § 33 Abs. 1 K o h l e G eine Enteignung n u r zulässig, „ w e n n sie f ü r die Errichtung oder Erweiterung des Betriebes eines Unternehmens der gewerblichen Wirtschaft (Vorhaben) erforderlich ist und 1. das Vorhaben geeignet ist, die Wirtschaftsstruktur der Steinkohlenbergbaugebiete, namentlich ihrer v o n Zechenstillegungen betroffenen Teile zu verbessern oder ihre Wirtschaftskraft zu stärken . . . 2. das Vorhaben volkswirtschaftlich

besonders förderungswürdig

ist,

180 Dazu Westermann, Enteignung, S. 659, 661 ; Farke, öffentliche Bedeutimg privater Wirtschaftsunternehmen u n d Sozialpflichtigkeit des Eigentums, S. 104. 181 BT-Drucks. V/2078, S. 18. 182 Z u den Strukturdaten vgl. i m einzelnen die amtl. Begründung zum KohleG, BT-Drucks. V/2078, S. 16. iss I n f o r m a t i v zu den wirtschaftlichen Ursachen der Krise Haase, Formen regionaler Wirtschaftsförderung i m Zusammenhang m i t der Gründung der Ruhrkohle AG, S. 2 f.

i 8 4 Dazu auch Seidler, Rechtsschutz bei staatlicher Wirtschaftsplanung, S. 46. iss Ä h n l i c h Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 271/272.

1. Abschn., 2. Unterabschn.: Enteignungsrecht privater Unternehmen 103 3. eine gesicherte Finanzierung des Vorhabens glaubhaft gemacht ist u n d 4. das Vorhaben den Zielen der Raumordnung u n d Landesplanung geordneten städtebaulichen Entwicklung entspricht.

sowie der

§ 33 des KohleG, der das öffentliche Interesse abschließend konkretisieren w i l l 1 8 6 , beschränkt sich freilich darauf, eine generell-abstrakte Interessenbewertung vorzunehmen 1 8 7 , ohne die volkswirtschaftlichen und strukturpolitischen Ziele zu präzisieren. I m Ansatz zu Recht haben deshalb Schulte 188 und Farke 189 Zweifel angemeldet, ob diese Interessenbewertung hinreichend konkret sei, u m vor dem Hintergrund des rechtsstaatlichen Bestimmtheitserfordernis 190 eine Enteignung rechtfertigen zu können. Leuchtet man jedoch die EnteigungsVoraussetzungen des § 33 Abs. 1 Ziff. 1 - 4 i m einzelnen näher aus, erweist sich bald, daß sich die struktur- und raumordnerischen Vorstellungen des Gesetzgebers sehr w o h l zu einem hinreichend konkreten Rahmen verdichten lassen, an dem sich die Enteignungsbehörde orientieren kann: Eine erste, wenngleich auch grobe regional-räumliche Abgrenzung der Enteignung kann m i t Hilfe des § 1 Abs. 3 Ziff. 2 KohleG gewonnen werden. Er grenzt den Geltungsbereich des KohleG ein, indem er auf eine Anlage zum Gesetz verweist, die die zum Ruhrkohlegebiet gehörenden Gemeinden ausweist. Das zu enteignende Grundstück und damit das anzusiedelnde oder zu erweiternde Unternehmen muß zwingend i n dem vom Gesetz erfaßten Steinkohlebergbaugebiet liegen. Das Gesetz schließt folglich Enteignungen außerhalb dieses Raumes aus, selbst wenn von dort angesiedelten Wirtschaftsunternehmen strukturfördernde Wirkungen auf das Ruhr kohlengebiet ausstrahlen 191 . Auch die in § 33 Abs. 1 Ziff. 1 des Gesetzes angesprochenen regionalplanerischen Ziele, die Wirtschaftsstruktur oder Wirtschaftskraft der Steinkohlebergbaugebiete zu verbessern, lassen sich entgegen der Mei186 I n dem Verweisungskatalog des §35 KohleG, der zur Durchführung der Enteignung i m übrigen auf die Vorschriften des B B a u G verweist, fehlt der Hinweis auf § 87 Abs. 1 BBauG, der ein konkretes öffentliches Interesse an der Enteignung verlangt; dazu Schulte, Eigentum u n d öffentliches I n t e r esse, S. 94 u n d Westermann, Enteignung, S. 661 f., 671. 187 Farke, öffentliche Bedeutung privater Wirtschaftsunternehmen u n d Sozialpflichtigkeit des Eigentums, S. 110. 188 Eigentum u n d öffentliches Interesse, S. 94, 97 Fn. 79. 189 Ebd. (Fn. 187); zu den Begriffen des K o h l e G weiter auch Seidler, Rechtsschutz bei staatlicher Wirtschaftsplanung, S. 46 ff. Z u m rechtsstaatlichen Gebot der N o r m k l a r h e i t u n d Justiziabilität der Gesetze vgl. Schmidt-Bleib treu / Klein, GG, A r t . 20 A n m . 11; weiter auch BVerfGE 17, 106 ff. (313 f.); 21, 73 ff. (79 f.). 191 Westermann, Enteignung, S. 663.

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

nung Schultes 192 hinreichend konkretisieren. Welche Unternehmen an welchem Standort zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur anzusiedeln sind, ist auf der Grundlage des Gebietsentwicklungsplans des Ruhrsiedlungsverbandes 1966 193 , der nach wie vor Geltung besitzt, von dem Bundesbeauftragten für den Steinkohlenbergbau i m Einvernehmen m i t der von der jeweiligen Landesregierung bestimmten Stelle zu ermitteln 1 9 4 . Da die Schwäche der Steinkohlenbergbaugebiete i n ihrer Monostruktur liegt, kommt nach der Aussage des Gebietsentwicklungsplans Ruhr von 1966 vor allem die Ansiedlung kapitalintensiver Betriebe der Verarbeitungsindustrie i n Betracht 1 9 5 . Der optimale Standort des anzusiedelnden Unternehmens ist durch eine sorgfältige Analyse der Wirtschaftsstruktur der betroffenen Zonen zu ermitteln. Das voraussichtliche Investitionsvolumen des Unternehmens, die Zahl der neu geschaffenen Arbeitsplätze wie der zu erwartende Einkommensfluß sind etwa Eckdaten, die in das statistische Material über die vorhandene Wirtschaftsstruktur einzubauen sind, u m so die vorhandene oder fehlende Eignung zur Strukturverbesserung festzustellen 196 . Zuzugeben ist allerdings, daß die i n Ziff. 2 aufgestellte Voraussetzung, das Unternehmen müsse volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig sein, neben der Eignung zur Strukturverbesserung kaum m i t eigenem Gehalt zu füllen ist 197 ". Denn was die Wirtschaftsstruktur und Wirtschaftskraft fördert, w i r d schon u m dieser W i r k u n g w i l l e n volkswirtschaftlich förderungswürdig sein. Man w i r d daher der Ansicht zustimmen müssen, die in Ziff. 2 lediglich eine Klarstellung i n dem Sinne erblickt, daß neben der Verbesserung der Wirtschaftsstruktur der betreffenden Region zusätzliche Impulse auch auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung durch die Ansiedlung oder Erweiterung des Unternehmens ausgehen müssen 198 . 192 Eigentum u n d öffentliches Interesse, S. 94; dazu auch Westermann, Enteignung, S. 666. 193 Vgl. dazu Schmitz, Der Gebietsentwicklungsplan f ü r das Ruhrgebiet als Grundlage f ü r ein mittelfristiges Infrastrukturprogramm, Raum u n d Siedl u n g 1968, S. 167 ff. i 9 * Die amtl. Begründung BT.-Drucks. V/2078, S. 23 stellt klar, daß der Bundesbeauftragte diese Enteignungsvoraussetzungen selbständig zu prüfen hat; anders aber Westermann, Enteignung, S. 670 u n d 674 A n m . 9, der die Bescheinigung des Bundesbeauftragten als bloße Verfahrensvoraussetzung wertet. 195 Gebietsentwicklungsplan R u h r 1966, S. 34; ähnlich der nicht w i r k s a m gewordene E n t w u r f zum Gebietsentwicklungsplan regionale I n f r a s t r u k t u r 1972, S. 29 ff. 196 Z u r Konkretisierung i m einzelnen vgl. noch Westermann, Enteignung, S. 666. 197 Z u diesem komplexen Programmbegriff, der auch i n § 1 Abs. 4 I n vestitionszulagenG 1969 auftaucht ( B G B l I S. 1211), Schmidt-Aßmann, W D S t R L 34, S. 225 Fn. 115.

1. Abschn., 2. Unterabschn.: Enteignungsrecht privater Unternehmen 105 Keine grundsätzlichen Schwierigkeiten gibt dagegen die i n § 33 Ziff. 4 aufgestellte Raumordnungsklausel auf. Für das Gebiet des Siedlungsverbandes Ruhrkohlengebiet lag zur Zeit des Inkrafttretens des KohleG eine geschlossene Kette von Planungen vor: Für das Land NRW das Landesentwicklungsprogramm vom 7. August 1964 199 und der Landesentwicklungsplan I vom 28. November 1966 200 ; für das Verbandsgebiet der Gebietsentwicklungsplan 1966 201 , für die einzelnen Gemeinden zudem regelmäßig auch Flächennutzungs- und Bebauungspläne. Die an diesen planungsrechtlichen Vorgaben auszurichtende Prüfung, ob das Enteignungsvorhaben den Zielen der Raumordnung und Landesplanung entspricht, intendiert auch die Frage, welche raumordnerischen Auswirkungen eine geplante Betriebsverlagerung auf eine benachbarte Region hat 2 0 2 . Die nach § 33 Abs. 2 Ziff. 2 zuständige Behörde hat deshalb zusätzlich abzuwägen, wie sich eine geplante Betriebsverlagerung in den betroffenen Nachbarregionen auswirkt 2 0 3 . Alles i n allem können die Enteignungsvoraussetzungen des § 33 Abs. 1 KohleG damit hinreichend präzise gefaßt werden, um vor dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitserfordernis, dem jede Eingriffsgrundlage genügen muß, bestehen zu können 2 0 4 . Auch i m Enteignungsrecht muß der Gesetzgeber vor komplexeren Regelungsmaterien regelmäßig kapitulieren und sich damit begnügen, den Wertungsrahmen abzustekken, den die Enteignungsbehörde i m Einzelfall auffüllt 2 0 5 . Nicht zu verkennen ist, daß ihr damit weitgehende Entscheidungs- und Gestaltungsbefugnisse auf Kosten der Legislative delegiert werden 2 0 6 . Dies ist freilich hinzunehmen, solange es dem Gesetzgeber nicht gelingt, komplexe 198

I n diesem Sinne Westermann, Enteignung, S. 669. Z u den Schwierigkeiten, den komplexen Begriff konkrete Gestalt zu geben Seidler, Rechtsschutz bei staatlicher Wirtschaftsplanung, S. 51; vgl. auch das U r t e i l des OVG Münster v o m 9.4.1972 = GewArch 1974, 244 ff. zu § 1 Abs. 1 I n vestitionszulagenG. i " M i n b l . N W S. 1205. 200 M i n b l . N W S. 2260. 201 Gebietsentwicklungsplan 1966 des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk, Schriftenreihe des SVR Nr. 5, Essen 1966. 202 Dazu Westermann, Enteignung, S. 668. 2 03 Ebd., S. 669. 204 Farke, öffentliche Bedeutung privater Wirtschaftsunternehmen u n d Sozialpflichtigkeit des Eigentums, S. 56 weist zu Recht darauf hin, daß die Unbestimmtheit einer N o r m einen sehr deutlichen Grad erreichen muß, u m m i t rechtsstaatlichen Grundsätzen ernsthaft i n K o n f l i k t zu geraten. 205 Dazu Seidler, Rechtsschutz bei staatlicher Wirtschaftsplanung, S. 51, 52; Schmidt-Aßmann, W D S t R L 34, S. 254 f.; Martens, ö f f e n t l i c h als Rechtsbegriff, S. 192 ff.; Farke, öffentliche Bedeutung privater Wirtschaftsunternehmen . . . , S. 21. 206 Seidler, Rechtsschutz bei staatlicher Wirtschaftsplanung, S. 51; SchmidtAßmann, W D S t R L 34, S. 256.

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

Zielsetzungen i n konkretisierbare Rechtsnormen zu fassen, ohne daß die Regelung an sachlich gebotener Flexibilität einbüßt. Immerhin bedeutet die Enteignungstechnik des KohleG ein erster Schritt, die m i t der Enteignung zugunsten privatwirtschaftlicher Unternehmen verfolgten wirtschaftspolitischen Zielsetzungen faßbarer zu machen: I m Zusammenhang des KohleG gewinnen die struktur- und volkswirtschaftlichen Zielsetzungen Gestalt, indem das Gesetz auf Struktur- wie Raumordnungspläne 207 Bezug nimmt, die außerhalb des eigentlichen Enteignungsverfahrens die verfolgten wirtschaftspolitischen Vorstellungen konkretisieren. I L Die Zwangslizenz als Sonderform der wirtschaftsbegünstigenden Enteignung

I n ihrer volkswirtschaftlichen Zielsetzung ähnelt die Zwangslizenzerteilung nach § 15 Abs. 1 Patentgesetz (PatG) 2 0 8 der wirtschaftsbegünstigenden Enteignung 2 0 9 , wenngleich zunächst befremdet, daß sie enteignungsrechtlich atypisch durch ein Gericht vollzogen w i r d 2 1 0 . Genauer betrachtet w i r d das Patentgericht bei ihrer Erteilung jedoch nicht materiell rechtsprechend tätig, sondern n i m m t administrative Aufgaben wahr, indem es an Stelle des zur Lizenzerteilung üblicherweise berufenen Patentamtes das Vermögenswerte Verwertungsrecht an einer Erfindung dem bisherigen Rechtsinhaber entzieht und auf einen neuen Inhaber überträgt 2 1 1 . Dies ist der Sache nach privatnützige Enteignung, die diejenigen wirtschaftlichen Unternehmen begünstigt, die als Empfänger der Zwangslizenz M i t t e l besitzen, das Patent wirtschaftlich zu verwerten 2 1 2 . Die wirtschaftspolitische Motivation des Zwangseingriffs w i r d allerdings aus dem Gesetzeswortlaut des § 15 Abs. 1 PatG nicht ohne weiteres deutlich. Das Gesetz begnügt sich damit, als Enteignungsvoraussetzung schlicht ein öffentliches Interesse an der Benutzung des Patents durch einen Dritten zu verlangen: „Weigert sich der Patentinhaber", 207 Z u r Interdependenz raumordnerischer u n d wirtschaftspolitischer Maßnahmen noch Seidenfus, Sektorale Wirtschaftspolitik, i n : K o m p e n d i u m der Volkswirtschaftslehre, Bd. 2, S. 287 ff. 208 ι . d. F. v o m 2. Januar 1968, B G B l I S. 2. 20» So ausdrücklich Schulze, Die Zwangslizenz, S. 14; auch Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S. 475. 210 Dazu Lindenmaier / Zeunert, PatG § 15 Rdnr. 13. Regelmäßig sperrt der Rechtsgedanke des § 839 Abs. 2 S. 1 B G B die Annahme einer Enteignung durch materiellen Richterspruch, hierzu Bender, Staatshaftungsrecht Rdnr. 28 unter Hinweis auf Β G H Z 50, 14 (19 ff.). 211 Z u r Abgrenzung der materiellen Staatstätigkeiten Rechtsprechung und V e r w a l t u n g Wolff / Bachof, VerwR., Bd. 1, § 19. 212 Z u den Begünstigten der Zwangslizenzerteilung Lindenmaier / Zeunert, § 15 PatG Rdnr. 4.

1. Abschn., 2. Unterabschn. : Enteignungsrecht privater Unternehmen

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h e i ß t es i n d e r F o r m u l i e r u n g des § 15 A b s . 1 S. 1, „ d i e B e n u t z u n g d e r E r f i n d u n g e i n e m a n d e r e n z u gestatten, d e r sich e r b i e t e t , eine angemessene V e r g ü t u n g z u zahlen, so i s t diesem d i e B e f u g n i s z u r B e n u t z u n g zuzusprechen (Zwangslizenz), wenn die Erlaubnis im öffentlichen Interesse g e b o t e n i s t " . B e r e i t s das Reichsgericht h a t f r e i l i c h i n e i n e r m a t e r i a l r e i c h e n Rechtsprechung z u m P a t G k e i n e Z w e i f e l d a r a n gelassen, daß a u c h die Z w a n g s l i z e n z e r t e i l u n g e i n w i r t s c h a f t s p o l i t i s c h e s I n s t r u m e n t sei, m i t d e m v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e n F e h l e n t w i c k l u n g e n gegengesteuert w e r d e n s o l l e n 2 1 3 . T r o t z der v e r ä n d e r t e n w i r t s c h a f t l i c h e n u n d sozialen R a h m e n b e d i n g u n g e n v e r m a g diese R e c h t s p r e c h u n g i n i h r e n G r u n d z ü g e n auch h e u t e noch w i c h t i g e n A u f s c h l u ß ü b e r d i e v o l k s w i r t schaftliche F u n k t i o n dieser S o n d e r f o r m e i n e r p r i v a t n ü t z i g e n E n t e i g n u n g zu geben214: Die volkswirtschaftlichen Belange, die letztlich die Zwangslizenzerteilung rechtfertigen sollen, resultieren i n ihrer Summe aus den wirtschaftlichen u n d sozialpolitischen Folgen, die eine mangelnde Auswertung des Patents nach sich ziehen könnte. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist das öffentliche Interesse stets bejaht worden, w e n n der alte Patentinhaber den inländischen Bedarf i n einem bestimmten Wirtschaftsbereich nicht befriedigen w o l l t e oder k o n n t e 2 1 5 . Dies w i r d auch heute zumindest dann zu gelten h a b e n 2 1 6 , w e n n durch die Verweigerung der Patentauswertung die Grundversorgung der Bevölkerung gefährdet wäre, da es zu den elementaren Aufgaben des Staates gehört, die Versorgung der Bevölkerung m i t den lebensnotwendigen Gütern sicherzustellen 2 1 7 . Fraglich erscheint dagegen, ob nach w i e vor eine Verbesserung der Handelsbilanz, die eine Auswertung des Patents nach sich ziehen würde, als legitimes öffentliches Interesse eine Enteignung rechtfertigen k a n n 2 1 8 . I n Zeiten dramatischer, wirtschaftlicher Einbrüche mag jede Maßnahme, die sich positiv stimulierend auf die Außenhandelsbilanz auswirkt, wegen ihrer konjunkturfördernden Rückwirkungen i m öffentlichen Interesse liegen u n d von solchem Gewicht sein, daß sie selbst den Enteignungseingriff rechtf e r t i g t 2 1 9 . I n einer stabilen Volkswirtschaft ist die Steigerung der E x p o r t überschüsse n u r ein denkbares wirtschaftspolitisches Ziel, dessen Gewicht n u r i m K o n t e x t der jeweiligen k o n j u n k t u r e l l e n Situationen u n d v o r dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen, w i e sie das S t a b G 2 2 0 213

Dazu auch Lindenmaier / Zeunert, PatG § 15 Rdnr. 1, 8 ff. Ä h n l i c h Horn, Das öffentliche Interesse an Zwangslizenzen, Mitt.Pat. 1970, 184 f.; Schade, Mitt.Pat. 1964, 101 f. 215 Vgl. etwa RGZ 93, 50 = GRUR 1919, 152; U r t e i l des R G v o m 18.1.1936 = GRUR 1936, 604, 606. 216 Horn, Das öffentliche Interesse an Zwangslizenzen, S. 185. 217 Dazu Bull, Die Staatsaufgaben nach dem GG, S. 250 f., 260. 218 So aber Horn, Das öffentliche Interesse an Zwangslizenzen. 219 Erst v o r dem realen wirtschaftlichen H i n t e r g r u n d der zwanziger Jahre w i r d die Rechtsprechung des Reichsgerichts i n diesem P u n k t verständlich, vgl. R G GRUR 1928, 705, 709. 229 V o m 8. J u n i 1969, B G B l I S. 582. § 1 des StabG nennt neben dem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht die Stabilität des Preisniveaus, einen 214

108

II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

umreißt, beurteilt werden kann. Nach w i e vor w i r d allerdings auch k ü n f t i g die Ersparnis teurer Rohstoffeinfuhren 2 2 1 eine Zwangslizenz rechtfertigen. Die latente Energie- u n d Rohstoffverknappung der letzten Jahre hat die empfindliche Abhängigkeit der Volkswirtschaft v o n den natürlichen Ressourcen bewußt gemacht, so daß zur Vermeidung gesamtwirtschaftlicher Krisen durchaus aus diesem G r u n d ein Zwangseingriff geboten sein kann. Tragendes sozialpolitisches M o t i v bei der Erteilung einer Zwangslizenz w a r stets, eine drohende regionale oder sektorale Arbeitslosigkeit zu v e r meiden 2 2 2 . Auch dieser sozialpolitische Gesichtspunkt ist w e i t e r h i n aktuell u n d trägt die Enteignung voll. Unter der Geltung des Grundgesetzes ist es das Sozialstaatsprinzip, daß den Staat zur Sicherung der Arbeitsplätze v e r pflichtet u n d bei einer groben Störung des Arbeitsmarktes seine V e r a n t w o r tung a k t u a l i s i e r t 2 2 8 .

Das entscheidende Manko der patentrechtlichen Enteignung ist trotz dieser Präjudizien darin zu sehen, daß die wirtschaftspolitischen Motive, die den Enteignungseingriff rechtfertigen, weitgehend abstrakt bleiben und damit einen weiten Spielraum eröffnen. Deshalb sind die von Bullinger 224 geforderten verfahrensrechtlichen Sicherungen gegen einen Mißbrauch der privatnützigen Enteignung hier besonders angebracht. Das Patentgesetz beugt dieser Gefahr selbst i n zweifacher Weise vor: Einmal, i n dem es vorschreibt, daß die Entscheidung i n einem gerichtlichen Verfahren erfolgt, um so ein Höchstmaß an Objektivität zu sichern. Welche strengen Maßstäbe das Patentgericht an das öffentliche Interesse anlegt, zeigt die Tatsache, daß von 1949 bis 1973 w o h l neunzehn Anträge auf Erteilung einer Zwangslizenz behandelt, aber keine einzige erteilt worden ist 2 2 5 . Als zusätzliche Sicherung gegen einen Mißbrauch der Zwangslizenz eröffnet § 15 Abs. 3 3 . 1 PatG zum zweiten die Möglichkeit, die Zwangslizenz eingeschränkt zu erteilen wie von Bedingungen abhängig zu machen. Nach Bullinger 226 muß das Patentgericht von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, u m so das öffentliche Interesse an der Auswertung des Patents auf Dauer zu sichern.

hohen Beschäftigungsstand w i e ein stetiges u n d angemessenes Wirtschaftswachstum als weitere Eckpunkte des „magischen Vierecks", dazu Möller, StabG § 1 u n d unten S. 148 f. 221 So schon R G Z 102, 214. 222 Vgl. RGZ 113, 115; RGZ 142, 223 = GRUR 1934, 246. 223 Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 260. 224 Die Enteignung zugunsten Privater, S. 475 ff. 225 Nachweise bei Lindenmaier / Zeunert, PatG § 15 Rdnr. 2. 22β Ebd. (s. oben Fn. 224).

1. Abschn., 2. Unterabschn.: Enteignungsrecht privater Unternehmen 109 C. Verfassungsrechtliche Bezüge einer Enteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen I . Der verfassungsrechtliche Grobrahmen

1. Die wirtschaftslenkende

Funktion

der Enteignung

Die Enteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen hat sich i n ihren spezialgesetzlichen Ausprägungen als Instrument erwiesen, das Fehlentwicklungen des Wirtschaftsgeschehens gegensteuern wie aktuelle eingetretene Störungen korrigieren soll. W i r f t man einen Blick über den engen Kreis der untersuchten Beispiele hinaus auf die Enteignungspraxis der Landesenteignungsgesetze, so verfestigt sich der gewonnene Eindruck zu einem abgerundeten Bild: Ob die Enteignung i m einzelnen für die Verlegung von Mineralölfernleitungen begehrt w i r d 2 2 7 , ob sie der Schaffung von Arbeitsplätzen d i e n t 2 2 8 oder ob sie die Wirtschaftsstruktur einer geschwächten Region stärken soll 2 2 9 , allen Eingriffsvarianten ist gemeinsam, daß zu ihrer Rechtfertigung volkswirtschaftliche Motive ins Feld geführt werden 2 3 0 . I n dieser akzentuiert wirtschaftspolitischen Funktion ist die Enteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen unter wirtschaftsverwaltungsrechtlichem Blickwinkel der breiten Palette von wirtschaftslenkenden Maßnahmen zuzurechnen, m i t der der Staat nach eigenen wirtschafts- wie sozialpolitischen Zielsetzungen den Wirtschaftsablauf beeinflussen w i l l 2 3 1 . Sie nimmt als mittelbares Lenkungsinstrument 2 3 2 indirekt auf das W i r t schaftsgeschehen Einfluß, indem sie i n ihrer dominierenden Form, der Landenteignung, die enteignungsbegünstigten Unternehmen erst i n Stand setzt, ihre Produktions-, Betriebs- wie Transporteinrichtungen auch gegen den Widerstand betroffener Grundeigentümer anzulegen oder zu erweitern; sie fördert den Ausbau der wirtschaftlichen Strukturen auch um des Preises eines Eingriffs i n fremdes Grundeigentum. 227 Dazu Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S. 449, 450. 228 Beispiele bei Stengel , Die Grundstücksenteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen, S. 40. 229 Ebd., S. 42. 230 Ubersichtlich Stengel , ebd., S. 39 f. 231 Z u m Begriff der Wirtschaftslenkung als Summe der Maßnahmen, m i t denen der Staat den Wirtschaftsablauf beeinflussen w i l l : Hub er, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 2, S. 179 f.; Scheuner, V V D S t R L 11, S. 1 ff.; Ehlermann, Wirtschaftslenkung, S. 9; Badura, Das Verwaltungsmonopol, S. 292; Klein, Teilnahme des Staates a m Wettbewerb, S. 43 f.; Körb er, öffentlich-rechtliche Entschädigung u n d Wirtschaftslenkung, S. 4. 232 Mittelbar ist sie insofern, als sie auf das Lenkungsobjekt „Wirtschaftsgeschehen" n u r i n d i r e k t über die Begünstigung privater Wirtschaftsunternehmen Einfluß n i m m t . Der unmittelbare E i n g r i f f i n den Grundstücksmarkt verfolgt tendenziell keine selbständigen marktkorrigierenden Ziele, w i e dies

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I I . 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung 2. Verfassungsrechtliche

Konsequenzen

Diese i n d e r e n t e i g n u n g s r e c h t l i c h e n L i t e r a t u r k a u m beachtete F u n k t i o n d e r u n t e r n e h m e n s b e g ü n s t i g e n d e n E n t e i g n u n g als w i r t s c h a f t s l e n kendes I n s t r u m e n t l ä ß t eine erste verfassungsrechtliche F o l g e r u n g z u : N u r i n d e m Maße, i n d e m d e r S t a a t v e r f a s s u n g s r e c h t l i c h u n b e d e n k l i c h i n das Wirtschaftsgeschehen l e n k e n d e i n g r e i f e n d a r f , k a n n a u c h d i e wirtschaftspolitisch motivierte Enteignung zugunsten privater W i r t s c h a f t s u n t e r n e h m e n zulässig sein 2 ® 5 . D a m i t b e s t ä t i g t sich d i e anfangs angestellte Ü b e r l e g u n g 2 3 4 , daß d i e ä u ß e r e n G r e n z e n dieses E n t e i g n u n g s t y p s deckungsgleich m i t d e r G r e n z z i e h u n g v e r l a u f e n , d i e d i e V e r f a s s u n g s o r d n u n g s t a a t l i c h e r I n t e r v e n t i o n i n das Wirtschaftsgeschehen ü b e r h a u p t setzt. Die Frage, bis zu welchen Grenzen der Staat die Wirtschaft lenkend beeinflussen darf oder gar muß, w a r Gegenstand des v o r allem i n der ersten Hälfte der fünfziger Jahre geführten Streites u m das Wirtschaftsverfassungsr e c h t 2 3 5 . Die dabei vertretenen gegensätzlichen Positionen w u r d e n abgesteckt einerseits durch die Thesen Nipper deys™, der die soziale Marktwirtschaft über die Freiheitsgrundrechte des A r t . 2 Abs. 1, A r t . 12 G G verfassungsrechtlich institutionalisieren w o l l t e u n d d a m i t i m Prinzip n u r marktkonforme Steuerungsmittel zuließ, andererseits v o n der These Krügers 2* 7, daß der Staat zwar nach Maßgabe der Verfassung okassionell u n d pragmatisch i n das Wirtschaftsgeschehen eingreifen, sich dabei aber nicht auf ein bestimmtes Wirtschaftsgeschehen festlegen dürfe. Das B V e r f G hat i n seinem U r t e i l z u m Investitionshilfegesetz 2 3 8 beiden Positionen eine Absage erteilt. Die seitdem verbindliche Formel von der „wirtschaftspolitischen N e u t r a l i t ä t " des G r u n d gesetzes betont, daß der Gesetzgeber jede i h m sachgemäß erscheinende W i r t schaftspolitik verfolgen darf, sofern er dabei die bundesstaatliche Kompetenzverteilung, den sozial- w i e rechtsstaatlichen Verfassungsauftrag w i e die

etwa bei der städtebaulichen Enteignung des B B a u G u n d des StBauFG der F a l l ist; zu den Kategorien mittelbare u n d unmittelbare L e n k u n g vgl. noch Körb er, öffentlich-rechtliche Entschädigung u n d Wirtschaftslenkung, S. 9, 10 m. w . N. 233 I m Ansatz ähnlich jedoch Stengel, Die Grundstücksenteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen, S. 39 f.; ebenso Zacher, Staatliche W i r t schaftsförderung i n der Bundesrepublik Deutschland, W i R 1972, 185, 198, der die privatnützige Enteignung expressis verbis zu den möglichen wirtschaftsfordernden Maßnahmen „zu Lasten D r i t t e r " zählt; so auch Westermann, Enteignung, S. 659, 663. 234 Vgl. oben 2. Unterabschnitt, Α . I I . 235 Vgl. etwa Hub er, D Ö V 1956, 97 ff., 172 ff., 200 ff.; Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft u n d Grundgesetz, S. 9 ff., 13; Ehmke, Wirtschaft u n d V e r fassung, S. 7 ff.; Vogel iWiebel, B K , A r t . 109 Rdnr. 99; Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 276; Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 261. 236 Soziale Marktwirtschaft u n d Grundgesetz, S. 19 f. 237 V o n der reinen Marktwirtschaft zur gemischten Wirtschaftsverfassung, S. 15 f. 238 BVerfGE 4, 7, 17 f.

1. Abschn., 2. Unterabschn. : Enteignungsrecht privater Unternehmen

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grundrechtlichen Gewährleistungen beachtet 2 3 9 . Ausgeschlossen v o n der Verfassung werden lediglich die extremen Wirtschaftsformen eines ungebundenen Liberalismus einerseits, w e i l dieser m i t dem Sozialstaatsprinzip nicht zu vereinbaren sei, w i e einer Zentralverwaltungswirtschaft andererseits, da dieser die Gewährleistungen des A r t . 2 Abs. 1, A r t . 12 w i e A r t . 14 G G entgegenstehen 240 . Innerhalb dieses zugegeben groben Rahmens ist die Z u lässigkeit wirtschaftslenkender Maßnahmen nicht pauschal auszuloten. Der i n das Spiel der freien K r ä f t e intervenierende Staat hat vielmehr i m j e weiligen Einzelfall abzuwägen, ob die Anforderungen einer sozialstaatlichen (Wirtschafts-)Ordnung den verfassungsrechtlich gebotenen Freiheitsschutz außer K r a f t setzen k ö n n e n 2 4 1 .

Die gestellte Frage, welche materiellen Grenzen die Verfassung w i r t schaftslenkenden Maßnahmen und damit auch der unternehmensbegünstigenden Enteignung setzt, kann mangels eines ausgeprägten wirtschaftsverfassungsrechtlichen Ordnungsbildes daher nicht m i t fertigen Antworten rechnen. Allenfalls großangelegte Enteignungen, die zur Durchsetzung eines zentral konzipierten und gelenkten Wirtschaftskonzepts einseitig bestimmte Branchen zu Lasten anderer benachteiligen würden, verstießen ohne weiteres gegen die Verfassung. Gleichwohl ist die Erkenntnis, daß die Zulässigkeit von Lenkungsmaßnahmen nur differenziert, unter Einbeziehung aller grundrechtlich tangierten Positionen ermittelt werden kann, für die Enteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen nicht ohne Belang: Sie lenkt die A u f merksamkeit auf die abwägungserheblichen Einzelbelange der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlklausel 2 4 2 , die weit komplexer als i m Normalfall einer Enteignung nicht nur die gegenüberstehenden Interessen von Grundeigentümer und Enteignungsbegünstigen zu involvieren, sondern hier auch die Auswirkungen auf die bestehenden W i r t schaftsstrukturen einzurechnen hat. I I . Abwägungserhebliche Einzelbelange

1. Die bestandssichernden

„privaten"

Belange

Besonderes Gewicht ist den i n die enteignungsrechtliche Abwägung einzustellenden privaten Belangen zuzumessen. Z u dem Bestandsschutzinteresse des enteignungsbedrohten Grundeigentümers gesellen sich wegen der potentiellen D r i t t w i r k u n g der unternehmensbegünstigenden Enteignung auf andere private Wirtschaftssubjekte regelmäßig schüt280

Dazu auch Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 277. Vogel / Wiehel, B K , A r t . 109 Rdnr. 99; Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 261 m. w . N. 241 Dazu Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 261 unter Hinweis auf BVerfGE 29, 221, 235; 10, 354, 370 f. 242 Z u m enteignungsrechtlichen Abwägungsgebot des A r t . 14 Abs. 3 S. 1 G G vgl. Kimminich, B K , A r t . 14 Rdnr. 267. 24

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

zenswerte Drittinteressen 2 4 3 . Denn die staatliche Förderung eines einzelnen Wirtschaftsunternehmens, sei es auch m i t dem M i t t e l der Enteignung, verzerrt die marktwirtschaftlichen Regeln; sie ist geeignet die Wettbewerbsbedingungen einseitig zu ändern und damit Benachteiligungen Dritter auszulösen. Soweit die Benachteiligungen nur die Chancengleichheit i m Wettbewerb oder die Wettbewerbsfreiheit tangieren, i n Grundrechtsbereichen gesprochen also A r t . 3 Abs. 1 bzw. A r t . 2 Abs. 1 GG berührt werden 2 4 4 , vermögen Drittinteressen freilich nicht als enteignungsrechtlich relevante Belange den eigentumsrechtlichen Bestandsschutz zu vermehren. Eine Enteignung zugunsten eines privaten Wirtschaftsunternehmens kann allerdings auch die Eigentumsgrundrechte der nichtbegünstigten „Wettbewerber" i n Mitleidenschaft ziehen 245 . Denkbar ist dies ζ. B. wenn „standortbegünstigte" Unternehmen besser und billiger produzieren und damit konkurrierende Unternehmen vom M a r k t i n einer existenzgefährdenden oder ruinösen Weise verdrängen 2 4 6 . Diese eigentumsrelevanten Streuwirkungen der unternehmensbegünstigenden Enteignung, die m i t zunehmender Größe des begünstigten Unternehmens zwangsläufig wachsen, sind bei der Gewichtung der gegen den Eingriff sprechenden Belange sorgfältig zu beachten und vermögen unter Rechtmäßigkeitsgesichtspunkten die Eingriffsschwelle auch zugunsten des unmittelbar Enteignungsbedrohten zu erhöhen 247 .

243 Zuleeg, Subventionskontrolle durch Konkurrentenklage, S. 87 macht für die i n ihrer wirtschaftsfördernden Zielsetzung vergleichbare Subvention zu Recht darauf aufmerksam, daß die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen n u r durch eine umfassende Abwägung aller beteiligten Belange, also auch der potentiell Drittbetroffenen, ermittelt werden kann. 244 Vertrags- u n d Wettbewerbsfreiheit werden von den herrschenden v e r fassungsrechtlichen Stimmen dem Schutz des A r t . 2 Abs. 1 G G unterstellt, vgl. Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft u n d Grundgesetz, S. 28, 29; Scholz, D Ö V 1975, 136; B G H Z 23, 365; B V e r w G E 17, 306, 309; kritisch dazu jüngst Schenke, Gesetzesvorbehalt u n d Pressesubventionen, i n : Der Staat, B a n d 15 (1976), S. 553, 561. 245 So für das Subventionswesen Götz, Recht der Wirtschaftssubvention, S. 274 f.; Zuleeg, Subventionskontrolle durch Konkurrentenklage, S. 79; a k zentuiert Scholz, Wirtschaftsaufsicht u n d subjektiver Konkurrentenschutz, S. 175; Klenke, Wirtschaftssubventionen u n d Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG, S. 132 f.; ablehnend Zacher, W D S t R L 25, S.3081, 368 f. m i t der Begründung, daß die Drittbeeinträchtigung regelmäßig k e i n finaler Eingriff i n das Eigentum darstelle. 24β So Götz, Recht der Wirtschaftssubvention, S. 274; i m einzelnen ist i m Subventionswesen hierzu vieles noch ungeklärt. Klenke, Wirtschaftssubventionen u n d Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG, S. 148 w i l l den Schutz des A r t . 14 GG schon dann greifen lassen, w e n n Subventionsmaßnahmen eine Veränderung der Möglichkeit bewirken, sich a m M a r k t zu behaupten. 247 Daß belastende Nebenwirkungen eines Eingriffs, die sich i n der rechtlichen Sphäre eines D r i t t e n auswirken, auf die Rechtswidrigkeit des E i n griffsaktes rückwirken, hat Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen i m Bereich

1. Abschn., 2. Unterabschn.: Enteignungsrecht privater Unternehmen 113 Die erkennbare Parallelität i n den Zielsetzungen von wirtschaftsfördernder Enteignung und Subventionierung als i n diesem Punkt vergleichbare mittelbare Wirtschaftslenkungsinstrumente läßt eine weitere Feststellung zu: Wie die Subventionierung 2 4 8 muß auch die Förderung eines einzelnen Wirtschaftsunternehmens zu Lasten anderer Privater m i t dem M i t t e l der Enteignung als Fremdkörper i n einem Wirtschaftssystem erscheinen, das auf der prinzipiellen Gleichordnung privater Wirtschaftstätigkeit basiert und diese untereinander auf den freien M a r k t verweist 2 4 9 . Wie die Subventionierung kann deshalb auch die Enteignung i n ihrem K e r n nur M i t t e l sein, um Disproportionalitäten 2 5 0 der Produktionssphäre auf einem M a r k t abzugleichen, der i m übrigen dem freien Wettbewerb unterliegt und zumindest i n seinem Kernelement, der Privatautonomie, durch A r t . 14 GG institutionell abgesichert w i r d 2 5 1 . Dem Schutz des Eigentums gegenüber einer eingreifenden Verwaltung wie dem Gesetzgeber muß daher ein besonderes Gewicht zukommen, das nur ausnahmsweise von überwiegenden, w i r t schaftspolitischen Interessen neutralisiert werden kann. Sonst mutiert die hier untersuchte, Wirtschaftsbegünstigende Enteignung zu einem Instrument, m i t dem wirtschaftlich mächtige und damit volkswirtschaftlich bedeutsame Unternehmen zu Lasten anderer Privater planmäßig Staatsgewalt okkupieren und die Hegeln des Wettbewerbs eigennützig außer K r a f t setzen 252 . 2. Die enteignungsrelevanten öffentlichen Interessen am Wirtschaftsgeschehen Fächert man vor diesem Hintergrund die denkbaren wirtschaftspolitischen Motivationen i m einzelnen auf, die i n der Lage sind, die Bestandsgarantie des A r t . 14 GG zu durchbrechen, so lassen sich auch m i t Blick auf die untersuchten Enteignungsregelungen zwei grundlegende der Grundrechte, S. 25 f. unter dem Stichwort „effektbezogener Grundrechtsschutz" an H a n d von Beispielen deutlich gemacht. Auch dem Verwaltungsprozeßrecht ist jene Konstellation nicht fremd, bei der der Adressat des Verwaltungsaktes Grundrechtsbeeinträchtigungen einer gerichtlichen Nachprüfung zuführt, die n u r als Folge des gegen i h n gerichteten Aktes bei D r i t t e n eintreten, was Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 59, 67 veranlaßt hat, insoweit von einer eingeschränkten Popularklage zu sprechen. Nicht zu verkennen ist allerdings, daß damit die Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG neben ihrer individuellen Bezogenheit einen stark objektivierenden Akzent erhält. 248 Dazu Ipsen, öffentliche Subventionierung Privater, S. 41 ; Stern, ö f f e n t liche Subventionierung Privater, i n : Scheuner, Die Staatliche E i n w i r k u n g auf die Wirtschaft, S. 335 f. 249 Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 270. 250 Stern, öffentliche Subventionierung Privater, S. 351. 251 Dazu Maunz / Dürig / Herzog, GG, A r t . 14 Rdnr. 8. 252 Z u diesen Gefahren auch Leisner, D Ö V 1970, 217 f. 8 Frenzel

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

Motivationsstränge denken: Einmal ist die Enteignung als Steuerungsinstrument konzipiert, das auf das globale Wirtschaftsgeschehen abzielt (a). Zum anderen, und hierin ist die eigentliche Domäne dieses Enteignungstyps zu erblicken, w i r d sie m i t sektoral oder regional begrenzten, wirtschaftspolitischen Zielen eingesetzt, die die Interessen einzelner Wirtschaftsbranchen oder -räume punktuell fördern soll (b). a) Die gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen der unternehmensbegünstigenden Enteignung Gesamtwirtschaftliche Zielsetzungen von hohem Stellenwert gibt die Verfassung i n A r t . 104 a Abs. 4, A r t . 109 Abs. 2 wie A r t . 115 S. 2 GG vor. Als sachlich umfassendstes Gebot verpflichtet dabei A r t . 109 Abs. 2 GG die staatliche HaushaltsWirtschaft auf das Ziel des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts", das i n A r t . 104 a Abs. 4 zugleich zum Maßstab für Finanzhilfen des Bundes, wie i n A r t . 115 S. 2 GG zur Richtschnur staatlicher Kreditaufnahme erhoben w i r d 2 5 3 . Vor allen ökonomischen Explikationen besagt dieser wirtschaftsverfassungsrechtlich zentrale Begriff, daß das Grundgesetz den Interessenausgleich zwischen den am Wirtschaftsgeschehen beteiligten Gruppen nicht der Automatik des Marktes überlassen w i l l , sondern i n deutlicher Absage an jeden klassischen Wirtschaftsliberalismus die Herstellung dieses Ausgleichs als eine Aufgabe des Gemeinwesens ansieht 2 5 4 . Freilich ist das wirtschaftspolitische Postulat des A r t . 109 Abs. 2 GG zu grob strukturiert, um unmittelbar Rückschlüsse auf die Zulässigkeit einer unternehmensbegünstigenden Enteignung zuzulassen. Hinzu kommt, daß unter instrumentalen Aspekten die Verfassung hier nur haushaltswirtschaftliche Konjunktursteuerungsmittel avisiert, gesamtwirtschaftlich auswirkende Einzele ingriffe jedoch ausspart 255 . Umgesetzt und damit verbindliche Leitlinie für alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen des Staates w i r d das Verfassungspostulat erst durch das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 256 . Das StabG ist als Aktionsmodell globaler Wirtschaftssteuerung konzipiert 2 5 7 , das nicht nur m i t konjunkturell greifenden geld- wie finanzpolitischen Instrumenten regulierend i n den W i r t schaftsablauf eingreifen soll, sondern schlechthin staatliche wirtschafts253 Dazu Vogel / Wiebel, B K , A r t . 109 Rdnr. 80; Stern / Münch / Hansmeyer, StabG, Einf. A I I u. Β I I I 2 c; Bull, Die Staatsauf gaben nach dem Grundgesetz, S. 256. 254 Vogel / Wiebel, B K , A r t . 109 Rdnr. 84, 93, 95. 255 Stern / Münch / Hansmeyer, StabG, § 1 A n m . I I 1. 25β B G B l I S. 582. 257 Stern / Münch / Hansmeyer, StabG, § 1 Einf. C I V .

1. Abschn., 2. Unterabschn. : Enteignungsrecht privater Unternehmen 115 politische Aktivitäten an seine Zielvorstellungen bindet 2 5 8 . I n § 1 StabG hat der Gesetzgeber damit das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zum generellen wirtschaftspolitischen Ziel erhoben und zugleich i n Unterziele aufgefächert, an denen sich staatliches wirtschaftslenkendes Handeln messen lassen muß 2 5 9 . Wenn gesamtwirtschaftliche Zielsetzungen denkbar sind, die eine wirtschaftslenkende Enteignung zugunsten p r i vater Unternehmen legitimieren, dann w i r d man sie hier zu suchen haben. (1) Preisniveaustabilität, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, hoher Beschäftigungsstand Von den vier Teilzielen des magischen Vierecks 260 , Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und stetiges, angemessenes Wirtschaftswachstum lassen sich die Ziele Preisniveaustabilität, außenwirtschaftliches Gleichgewicht wie hoher Beschäftigungsstand wegen ihres überwiegend „makroökonomischen Charakters" ohne weiteres aus dem Katalog möglicher, enteignungsrelevanter Zwecke aussondern 261 . So ist es weitgehend ausgeschlossen, daß sich die Förderung eines einzelnen Unternehmens m i t dem M i t t e l der Enteignung nachweislich dämpfend auf inflatorische Prozesse auswirkt. Die Wahrung des Preisniveaus als des Verhältnisses zwischen monetärer Nachfrage und gesamtem potentiellen Angebot 2 6 2 hängt vielmehr von einer Vielzahl komplexer, volkswirtschaftlicher Faktoren ab, unter denen die Vermehrung des Warenangebots, wie sie sich allenfalls über eine durch Enteignung ermöglichte Produktionssteigerung erreichen ließe, nur eine Variable ist 2 6 a . Die unter dem Stichwort „importierte Inflation" geführte aktuelle Diskussion über den Einfluß von internationalen Preissteigerungen auf die Preisstruktur des Binnenmarktes 2 6 4 ist das beste Beispiel dafür, wie wenig die Volkswirtschaftslehre bislang Klarheit über die Ursachen von Preissteigerungen hat schaffen können.

Z u m Begriff der Globalsteuerung, der m a k r o - w i e mikroökonomisch wirkende staatliche Interventionen i n das Wirtschaftsgeschehen abdeckt Stern, Grundfragen der globalen Wirtschaftssteuerung, S. 3 f. 259 v g l , i m einzelnen noch Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 278, 279. 2€0 Z u r H e r k u n f t des Begriffs Stern ! Münch ! Hansmeyer, StabG, § 1 A n m . I I ; Vogel / Wiebel, B K , Art.109 Rdnr. 63. 261 Ä h n l i c h Nowotny, Regionalökonomie, S. 57. 2β2 Stern / Münch / Hansmeyer, StabG, § 1 A n m . I I I 1 b. 263 Hierzu v. Arnim, Volkswirtschaftspolitik, S. 142. v g l . etwa Stützel, Ist die schleichende Inflation durch monetäre M a ß nahme zu beeinflussen?, Beihefte der K o n j u n k t u r p o l i t i k , H e f t 7, 1960, S. 10 ff.

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

Ähnliche Überlegungen sind zu den Zielen „außenwirtschaftliches Gleichgewicht" wie „hoher Beschäftigungsstand" angebracht. Das herkömmlicherweise m i t dem Gleichgewicht der Zahlungsbilanzen erklärte Z i e l 2 6 5 , ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu sichern, ist volkswirtschaftlich zu komplex, als daß es sich m i t der notwendig punktuell ansetzenden unternehmensbegünstigenden Enteignung wirksam ansteuern ließe. Ebensowenig läßt sich der Gesamtarbeitsmarkt, auf den konjunkturelle, saisonale wie strukturelle Faktoren einwirken 2 6 6 , über die Begünstigung eines einzelnen Unternehmens spürbar beeinflussen. Eine auch nur grobe Wirkungsanalyse, die nachwiese, daß gerade der durch Enteignung ermöglichte Ausbau eines Wirtschaftsunternehmens zum Gleichgewicht der Zahlungsbilanz oder zu einem hohen Beschäftigungsstand beitragen könne, ist kaum möglich. Soll die enteignungsrechtliche Abwägung nicht bare Dezision sein, müssen die i n die A b wägung einzustellenden „Gemeinwohlziele" aber zumindest soweit operational sein, daß ein Wirkungszusammenhang zwischen ihnen und der Enteignung nachzuweisen ist 2 6 7 . Komplexe, wirtschaftspolitische Zielsetzungen, die von einer Vielzahl veränderlicher Faktoren abhängen, diskreditieren deshalb Einzeleingriffe und lassen allenfalls global ansetzende Steuerungsmittel zu. (2) Sicherung des Wirtschaftswachstums Unter gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten sollen aber allgemeine volkswirtschaftliche Erwägungen wie die Steigerung des Sozialprodukts oder eine Erhöhung des Wirtschaftspotentials die Landenteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen rechtfertigen 268 . Das StabG bündelt diese Motive in dem Gebot staatlicher Wirtschaftspolitik, für ein stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum zu sorgen 269 . Das Wachstumsziel ist eines der ältesten wirtschaftspolitischen Ziele, wel265

Dazu Stern / Münch / Hansmeyer, StabG, § 1 A n m . I I 3. 26β v. Arnim, Volks Wirtschaftspolitik, S. 146. 267 Z u m Erfordernis der Operationalisierung von Planungszielen als Ausfluß eines rechtsstaatlichen „Meßbarkeitsgebotes" Hoppe, Hechtsschutz bei der P l a nung von Straßen u n d anderen Verkehrsanlagen, Rdnr. 170; ders., DVB11974, 641, 645; Storbeck, Zielkonfliktsysteme als Ansatz zur rationalen Gesellschaftspolitik, i n : Z u r Theorie der allgemeinen u n d regionalen Planung, S. 61 ff. Nichts anderes meint i m übrigen Schulte, Eigentum u n d öffentliches Interesse, S. 88 f., w e n n er als unabdingbare Voraussetzung einer Enteignung ein „konkretes" öffentliches Interesse fordert. 268 i n diesem Sinn ausdrücklich Hamann, B B 1957, 1259; ablehnend dagegen Stengel , Die Grundstücksenteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen, S. 44, 45. 2«ö Stern / Münch / Hansmeyer, StabG, § 1 A n m . 4 a; Möller, StabG, § 1 Rdnr. 12; ausführlich zur Geschichte des Wachstumsziels Woll, Wachstum als Z i e l der Wirtschaftspolitik, S. 5 ff.

1. Abschn., 2. Unterabschn.: Enteignungsrecht privater Unternehmen 117 ches explizit wohl erstmals i m Merkantilismus auftaucht und dort sowohl staatlicher Machtentfaltung wie der „allgemeinen Wohlfahrt" nutzen soll 2 7 0 . Bezeichnend für die Totalität dieser Zielsetzung unter der Herrschaft einer merkantilistischen Wirtschaftsauffassung ist, daß sie ohne weiteres eine Zwangsabtretung von Grundeigentum zugunsten desjenigen Privaten intendiert, der die optimalste Nutzung des Grundstücks verspricht. Eine vom 20. Mai 1722 datierende österreichische Enteignungsverordnung, die die Abtretung von Grundeigentum an eine orientalische Handels-Compagnie zur Errichtung von Schiffsbau-, Segelund Flaggenmanufakturen anordnet, gibt hierfür ein plastisches Beispiel 2 7 1 . Unter der Wertordnung des Grundgesetzes ist eine wesentlich nüchternere Einschätzung des Wachstumsziels angebracht 272 . Obwohl unbestritten ist, daß wirtschaftliches Wachstum notwendige Voraussetzung einer weiteren Verbesserung des Lebensstandards 27® wie einer gerechten Beteiligung aller Menschen am Wohlstand der Nation ist 2 7 4 , mehren sich die Stimmen, die auf die negativen Externeffekte hinweisen, die m i t einer ungezügelten Wachstumspolitik einhergehen und die gegen die Vorteile aufzurechnen sind 2 7 5 . I n einer Verfassungsordnung, die i n ihren Mittelpunkt den Schutz des einzelnen stellt, können diese Externeffekte nicht unberücksichtigt bleiben. Es leuchtet daher ein, daß weder die Erhöhung des Produktionspotentials noch der Zuwachs des realen Bruttosozialprodukts aussagefähig für die allgemeine Wohlfahrtsentwicklung sein können, solange nicht zugleich die Schäden („social costs")27® bilanziert werden, die i m Gefolge des Wirtschaftswachstums i n der sozialen wie natürlichen Umwelt eintreten. Schon aus diesem Grund ist die These, daß jede staatliche, wachstumsfördernde Maßnahme dem Wohl der Allgemeinheit dient, grob vereinfachend und in dieser Undifferenziertheit kaum tragfähig 2 7 7 . Noch weniger vermag sie zu überzeugen, wenn sie zur Grundlage eines Enteignungsrechts privater Wirtschaftsunternehmen erhoben wird, weil diese zur Erhöhung des Wirtschaftspotentials oder einer Steigerung des *70 Stern / Münch ! Hansmeyer, StabG, § 1 A n m . 4 a. 271 Nachgewiesen bei Layer, Principien des Enteignungsrechts, S. 134. 272 Ähnlich Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Gundgesetz, S. 260. 2 ™ Woil, Wachstum als Ziel der Wirtschaftspolitik, S. 13ff.; Stern!Münch! Hansmeyer, StabG, § 1 A n m . I I I 4 a. 274 Vogel ! Wiebel, B K , A r t . 109 Rdnr. 84. 275 Eindringlich insbesondere Dennis und Donella Meadows , Zahn, Milling, Die Grenzen des Wachstums, Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, S. 3 ff. 276 Z u dem Terminus auch Berg, Theoretische Grundlagen einer wachstumsorientierten regionalen Wirtschaftspolitik, S. 50 f. 277 I n diese Richtung aber Hamann, B B 1957, 1259.

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

Sozialprodukts beitragen 2 7 8 . Konsequent gehandhabt hieße das nämlich, daß eine Enteignung schon deshalb zulässig wäre, w e i l das Enteignungsobjekt in der Hand des begünstigten Eigentümers einen höheren Ertrag erbringt als i n der Hand des bisherigen Eigentümers 2 7 9 . Ein solch allgemeiner Enteignungszweck würde den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz aber i m K e r n treffen, da er Eigentum generell um die Möglichkeit verkürzte, es nach eigenem Belieben zu nutzen 2 8 0 . Allgemeine volkswirtschaftliche Erwägungen, wie die Erhöhung des Wirtschaftspotentials oder die Steigerung des Sozialproduktes rechtfertigen eine Enteignung deshalb nicht. Das gewonnene Ergebnis schließt allerdings differenziertere A r g u mentationen nicht aus, die die Notwendigkeit einer „wachstumsfördernden Enteignung" für einzelne volkswirtschaftliche Schlüsselbranchen nachzuweisen versuchen. Hierzu w i r d man jene Enteignungen rechnen müssen, die die Gewinnung oder den Transport volkswirtschaftlich wichtiger Rohstoffe ermöglichen sollen. Als klassisches Beispiel hierfür kann die bergrechtliche Grundabtretung gelten, die, sofern sie materiell-rechtlich eine Enteignung darstellt 2 8 1 , regelmäßig m i t der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der geförderten Rohstoffe begründet w i r d 2 8 2 . Jüngere Beispiele bieten schließlich die zahlreichen Enteignungen für die Verlegung von Mineralölfernleitungen 2 8 3 , die m i t der zentralen Bedeutung des Energieträgers Erdöl für das wirtschaftliche Wachstum legitimiert werden 2 8 4 . Eine solche partielle, auf einzelne Wirtschaftsbranchen bezogene gesamtwirtschaftliche Argumentation überzeugt jedoch nur dann, wenn ihr — wie oben gesehen — eine möglichst präzise Wirkungsanalyse vorausgeht, die die wachstumsfördernden- oder stabilisierenden Effekte der Enteignung möglichen gesamtgesellschaft278

Ebd. So zu Recht Stengel , Die Grundstücksenteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen, S. 44. Dem bergrechtlichen Schrifttum ist i n der Tat eine solche Begründung der bergrechtlichen Enteignung nicht fremd, vgl. Müller-Erzbach, Das Bergrecht Preußens u n d des weiteren Deutschlands, S. 305. 289 Z u diesem Gehalt der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie Kimminich, B K , A r t . 14 Rdnr. 92, 93. 281 I n diesem Zusammenhang k a n n auf die kontroversen Meinungen zur Rechtsnatur der bergrechtlichen Grundabtretung n u r hingewiesen werden, die historisch bedingt i m bergrechtlichen Schrifttum oft n u r als eigentumsbeschränkende Maßnahme klassifiziert w i r d , vgl. i m einzelnen Voelkel, Z f B 51, 54 f.; Westhoff, ZfB46, 45; Brassert / Gottschalf, Allgemeines Berggesetz f ü r die Preußischen Staaten, S. 485. 282 Stengel, Die Grundstücksenteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen, S. 61. 283 Nachweise bei Stengel, ebd., S. 88; Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S.450. 284 Hierzu Bullinger, Die Mineralölfernleitungen, S. 38 f. 279

1. Abschn., 2. Unterabschn.: Enteignungsrecht privater Unternehmen 119 liehen Nachteilen gegenüberstellt. Auch hier läßt die Vielzahl der zu beachtenden, wertungsabhängigen Faktoren eine mathematisch exakte Kosten-Nutzen-Analyse nicht zu, sondern ermöglicht nur den Wertungsrahmen transparenter zu machen, der dem enteignungsrechtlichen Gemeinwohlurteil meßbar Gestalt gibt. b) Die Enteignung als Instrument sektoraler oder regionaler Strukturpolitik Eine dem Sozialstaatsauftrag der Verfassung verpflichtete W i r t schaftspolitik darf sich nicht i n der Abwehr gesamtwirtschaftlicher Störungen erschöpfen, sondern hat sich auch bei der Beseitigung regional oder sektoral begrenzter Störungen des Wirtschaftsgeschehens zu bewähren 2 8 5 . I n dem breit angelegten Instrumentarium staatlicher regionaler oder sektoraler S t r u k t u r p o l i t i k 2 8 6 n i m m t die unternehmensbegünstigende Enteignung als „drittbelastende Förderungsmaßnahme" 287 einen traditionellen Platz ein, was bislang allerdings nur vereinzelt erkannt worden ist 2 8 8 . Ein Blick auf die Ziele, die i n einzelnen Regionen oder Wirtschaftszweigen staatliche Wirtschaftspolitik prägen, verspricht daher Rückschlüsse über die Grenzen der unternehmensbegünstigenden Enteignung als regionales oder sektorales Wirtschaftssteuerungsinstrument. Ähnlich wie zu den gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen ist freilich festzustellen, daß die Verfassung nur lückenhaft Aussagen darüber trifft, inwieweit staatliche Wirtschaftspolitik die partiellen Interessen einzelner Wirtschaftsräume oder Wirtschaftszweige wahrzunehmen hat 2 8 9 . Als eine Ausnahme ist A r t . 74 Nr. 17 GG zu nennen, der drei Felder sektoraler Strukturpolitik herausgreift 2 9 0 . Als förderungswürdig werden die land- und forstwirtschaftliche Erzeugung, die Ein- und Ausfuhr dieser Erzeugnisse wie die Hochsee- und Küstenfischerei genannt 2 9 1 . Praktisch wichtige Hauptfelder sektoraler Strukturpolitik, die i n der Vergangenheit Gegenstand intensiver staatlicher Maßnahmen waren, 285 Ä h n l i c h Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 270 f. 286 Dazu Schmidt, Wirtschaftspolitik u n d Verfassung, S. 117 f.; Nowotny, Regionalökonomie, S. 60 f.; Waterkamp, Interventionsstaat u n d Planung, S. 69 f. 287 So Zacher, Staatliche Wirtschaftsförderung, S. 198. 288 Anders aber Zacher, ebd.; i m Ansatz auch Stengel, Die Grundstücksenteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen, S. 40 ff. 289 Ä h n l i c h Schmidt, Rechtsfragen der regionalen S t r u k t u r p o l i t i k , AÖR99 (1974), S. 529, 532. 290 Dazu auch Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 271, 273. 291 Z u r Ausführung des i n A r t . 74 Nr. 17 aufgegebenen Förderungsauftrags vgl. i m einzelnen Bull, ebd., S. 271 m i t zahlreichen einzelgesetzlichen Nachweisen.

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wie die Verbesserung der Wirtschaftsstruktur der Steinkohlebergbaugebiete oder der Abbau von Überkapazitäten i m Bereich der Mühlenwirtschaft 2 9 2 , bleiben jedoch unerwähnt. Auch läßt die Verfassung jeden Hinweis auf die M i t t e l sektoraler Wirtschaftspolitik vermissen. Das B i l d wiederholt sich für die regionale Wirtschaftspolitik. Auch hier vermögen Kompetenzbestimmungen wie A r t . 72 Abs. 2 Nr. 3 2 9 a oder A r t . 91 a GG das verfassungsrechtliche Defizit nicht abzugleichen, welches auch eine unterhalb der gesamtwirtschaftlichen Ebene ansetzende Wirtschaftspolitik damit vorfindet. Konkrete Vorstellungen über die Aufgaben sektoraler oder regionaler Wirtschaftspolitik sind erst auf der Ebene des einfachen Gesetzgebers anzutreffen, der den diffusen sozialstaatlichen Gestaltungsauftrag i n diesem wirtschaftspolitischen Feld Gestalt verliehen hat. A m weitesten fortgeschritten ist der gesetzliche Zielfindungsprozeß i m regionalwirtschaftlichen Bereich, in dem das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" 2 9 4 Voraussetzungen und Aufgaben regionaler Wirtschaftsförderung präzisiert. Eine vergleichbare umfassende Regelung sektoraler Strukturpolitik fehlt, wobei diese freilich wohl deshalb entbehrlich erscheint, w e i l i n breiten Bereichen regionale und sektorale Strukturpolitik ohnehin nicht zu trennen sind 2 9 5 . Markante, akzentuiert sektoral ansetzende Beispiele staatlicher Strukturpolitik bieten das schon oben angeführte Kohleanpassungsgesetz 296 wie das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" 297 . Ohne daß bislang damit ein abgerundetes Ziel-Mittel-System staatlicher Strukturpolitik erkennbar wird, lassen sich jedoch zwei grundlegende Motive regionaler wie sektoraler Wirtschaftspolitik aus der Fülle der Einzelregelungen, auf die i n diesem Zusammenhang nur verwiesen werden kann 2 9 8 , herausfiltrieren: Primär soll staatliche Struk292 Gesetz über die Errichtung, Inbetriebnahme, Verlegung, Erweiterung u n d Finanzierung der Stillegung von M ü h l e n v o m 27.6.1956 i. d. F. der Bek. v o m 9. 6.1959 ( B G B l I S. 282). 293 Dazu Schmidt, Rechtsfragen der regionalen S t r u k t u r p o l i t i k , S. 532. 294 V o m 6. Oktober 1969, B G B l I S. 1861; geändert durch das Gesetz zur Förderung des Zonenrandgebietes v o m 5. August 1971 ( B G B l I S. 1273) w i e durch das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgaben v o m 23. Dezember 1971 ( B G B l I S. 2140). 295 Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 270. 296 V o m 15. 5.1968 ( B G B l I S. 365). 207 V o m 3. 9.1969 ( B G B l I S. 1573); dazu Pruns, D Ö V 1973, 217. 298 Vgl. i m einzelnen die ausführlichen Nachweise bei Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 270, 271 Fn. 31 bis 35; infomativ auch Schmidt, W i r t schaftspolitik u n d Verfassung, S. 117 ff. zu einzelnen strukturpolitischen Gesetzen,

1. Abschn., 2. Unterabschn.: Enteignungsrecht privater Unternehmen 121 turpolitik die Wirtschaftskraft einzelner Wirtschaftsregionen oder -zweige stärken und damit das gesamtwirtschaftliche Wachstumsziel auch auf dieser Ebene durchsetzen 299 . Eng verknüpft damit ist ihr sozialpolitisches Ziel, regionaler oder sektoraler Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken, wie es das Vollbeschäftigungsgebot i m gesamtwirtschaftlichen Raum vorschreibt 3 0 0 . Exakt beide Motive werden aber zur Begründung der unternehmensbegünstigenden Enteignung ins Feld geführt 3 0 1 und sind auf ihre enteignungsrechtliche Durchschlagskraft zu untersuchen. (1) Erhaltung und Verbesserung regionaler wie sektoraler Wirtschaftsstrukturen Daß die Erhaltung und Verbesserung regionaler wie sektoraler W i r t schaftsstrukturen wegen ihres wachstumsstabilisierenden und -fördernden Effekts zu den sozialstaatlichen, wirtschaftspolitischen Aufgaben der Verfassung zählt, ist schon oben gezeigt worden 3 0 2 . Während die Komplexität der gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge aber nur in begrenztem Maße Aussagen darüber zuläßt, inwieweit die privatnützige Enteignung auch taugliches M i t t e l ist, zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum beizutragen, müssen Aussagen i n den überschaubaren Feldern von regionalem und sektoralem Wachstum leichter fallen. I n der Tat bemüht sich die junge Disziplin der Regionalökonomie 303 , die zwischen Raumordnungs- und Volkswirtschaftslehre anzusiedeln ist, um ein Instrumentarium, m i t dem regionale wie sektorale Wachstumsprozesse exakter als bislang analysiert und prognostiziert werden können 8 0 4 . Ihre Bemühungen sind zu berücksichtigen, um dem wirtschaftspolitischen Lenkungsinstrumentarium i n der Region eine rationale Grundlage zu geben 305 . Für die unternehmensbegünstigende Landent299 Insofern typisch § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen I n f r a s t r u k t u r , Nachw. Fn. 294. eoo Grundsätze der sektoralen u n d regionalen S t r u k t u r p o l i t i k , BT.-Drucks. V/1469, S. 2, 5; dazu auch Waterkamp, Interventionsstaat u n d Planung, S. 60. Nowotny, Regionalökonomie, S. 57 f. stellt gar ein „magisches Viereck" regionaler Wirtschaftsziele auf u n d zählt hierzu regionale Vollbeschäftigung, optimales Wirtschaftswachstum, regionale Wohlstandsparität u n d optimale räumliche Struktur. soi Stengel , Die Grundstücksenteignung zugunsten p r i v a t e r Wirtschaftsunternehmen, S. 40, 42; Seufert, Bayrisches Enteignungsrecht, S. 231. 302 Dazu oben 2. Unterabschnitt, C I . 303 I n s t r u k t i v m i t weiterführender L i t e r a t u r Nowotny, Regionalökonomie, S. 9 ff. 304 Ebd., S. 41 f. 305 Z u dem wirtschaftspolitischen Rationalitätsgebot, welches jenseits der normativ vorgegebenen wirtschaftspolitischen Grundziele ein i n sich geschlossenes Ziel-Mittel-System staatlicher Lenkungsmaßnahmen gebietet, ν. Arnim, Volkswirtschaftspolitik, S. 38; Waterkamp, Investitionsstaat u n d Planung, S. 19 f.

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

eignung als stringentes Lenkungsinstrument können ihre Aussagen gleich dreifach interessant werden: Einmal kann sie dem Urteil, ob die Wirtschaftsstruktur einzelner Regionen oder Branchen tatsächlich geschwächt, eine strukturverbessernde Enteignung daher erforderlich ist, eine sicherere Grundlage geben (a). Zweitens vermag sie rationale Maßstäbe bei der Beurteilung vorzugeben, ob die Enteignung zugunsten eines bestimmten Wirtschaftsunternehmens wachstumsfördernde Effekte zeigt, das enteignungsbegünstige Unternehmen m i t anderen Worten eine volkswirtschaftliche Schlüsselfunktion innehat (b). Schließlich vermag sie die A n t w o r t darauf erleichtern, ob das Unternehmen derart standortgebunden ist, daß es auf die Enteignung gerade des begehrten Grundstücks angewiesen ist (c). (a) Auch m i t sektoral oder regional eingegrenzten Zielen muß die Förderung einzelner Wirtschaftsunternehmen i n einer Wettbewerbswirtschaft eine seltene Ausnahme bleiben 3 0 6 . Das Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen I n f r a s t r u k t u r " 3 0 7 formuliert deshalb i n § 1 Abs. 2 folgerichtig, daß Förderungsmaßnahmen (nur) i n Gebieten durchgeführt werden, deren Wirtschaftskraft erheblich unter dem Bundesdurchschnitt liegt oder erheblich darunter abzusinken droht oder i n denen Wirtschaftszweige vorherrschen, die vom Strukturwandel i n einer Weise betroffen oder bedroht sind, daß negative Rückwirkungen auf das Gebiet i n erheblichem Umfang eingetreten oder absehbar sind. Diese restriktiven Leitsätze staatlicher Förderungspolitik begrenzen nicht nur den Einsatz des i n diesem Gesetz vorgesehenen finanziellen Instrumentariums, sondern können als genereller Maßstab für wachstumsstabilisierende oder fördernde Maßnahmen i m System einer freien Wettbewerbswirtschaft gelten. Nur erhebliche Einbrüche i n die Wirtschaftsstruktur einer Region oder Branche können deshalb auch den Einsatz der unternehmensbegünstigenden Enteignung als strukturstabilisierendes Instrument rechtfertigen. Zur wirtschaftslenkenden Korrektur regionaler oder sektoraler W i r t schaftsstrukturen instantiell berufen ist vorrangig der Gesetzgeber, an den sich der sozialstaatliche Auftrag auch i m Bereich der Wirtschaft primär richtet 3 0 8 . Seine wirtschaftspolitische Entscheidung, eine W i r t schaftsregion oder einen Wirtschaftszweig zu stärken, bedarf allerdings i n hohem Maße einer Umsetzung durch Regierung wie Verwaltung, da die Vielfalt der strukturrelevanten Faktoren einer gesetzlichen Rege-

306 Ähnlich Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 270. 307 Nachw. Fn. 294. 308 Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, A r t . 20 Rdnr. 20.

1. Abschn., 2. Unterabschn.: Enteignungsrecht privater Unternehmen 123 lung Grenzen setzt 3 0 9 . Hier setzt die eigentliche Aufgabe der Regionalökonomie ein, die nicht nur die wirtschaftspolitische Entscheidung des Gesetzgebers transparenter machen kann, sondern auf der Basis struktureller Wirtschaftsanalysen wie Prognosen ein ins einzelne gehendes Ziel-Mittel-System staatlicher Lenkungsaktivitäten entwickeln muß, i n dem die unternehmensbegünstigende Enteignung ihren Platz findet 310. Die Wirtschaftsgesetzgebung der Vergangenheit hat diesen Weg behutsam eingeschlagen, indem sie staatliche Förderungsmaßnahmen etwa an Rahmenpläne anband 3 1 1 , die Ziele und M i t t e l staatlicher Förderungspolitik aufeinander abstimmten. Schon i m Kontext solcher Vorgaben sind auch die Konflikte auszubalancieren, die zwischen dem Wachstumsziel und möglichen konkurrierenden gesamtwirtschaftlichen 312 aber auch sozialen 313 Zielen auftreten können 3 1 4 . Je konkreter k ü n f t i g wirtschaftspolitische Ziele i n Strukturpläne umgesetzt werden können, desto konkreter lassen sich Grundlagen w i e Grenzen der strukturverbessernden, unternehmensbegünstigenden Enteignung i n Zukunft bestimmen. (b) Steht die generelle Förderungsbedürftigkeit einzelner Wirtschaftsregionen oder -zweige fest, bedarf es zusätzlicher Überlegungen, ob gerade die Förderung des konkreten, ins Auge gefaßten Unternehmens m i t dem M i t t e l der Enteignung zur Strukturverbesserung beiträgt. Da die unternehmensbegünstigende Enteignung notwendig punktuell, „mikroökonomisch" ansetzt 315 , setzen wachstumsfördernde Effekte regelmäßig voraus, daß das begünstigte Unternehmen eine Schlüsselfunktion i n der Regionalwirtschaft oder dem betroffenen Wirtschaftszweig innehat. Regionalökonomische Wachstumsmodelle* 16 , die die 309 z u r begrenzten Normierbarkeit komplexer Verwaltungsentscheidungen Schmidt-Aßmann, W D S t R L 34, S. 254. aio Z u den erst am Anfang stehenden, tastenden Versuchen, m i t H i l f e v o n Kosten-Nutzen oder Nutzwertanalysen Verwaltungsentscheidungen transparenter zu machen Eckhoff, Nutzen-Kosten-Analyse u n d Nutzwertanalyse als vollständige Entscheidungshilfe, Raumforschung u n d Raumordnung, 1973, 93 ff. Skeptisch zu der Übertragbarkeit solcher wirtschaftswissenschaftlicher Methoden Schmidt-Aßmann, W D S t R L 34, S. 259. su Vgl. etwa §§ 4, 5 des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen I n f r a s t r u k t u r " , Nachw. Fn. 71; Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der A g r a r s t r u k t u r u n d des Küstenschutzes" für den Zeitraum 1973 bis 1976, BT.-Drucks. 7/61 m i t Ergänzung BT.-Drucks. 7/480. 312 Hierzu Schmidt, Rechtsfragen der regionalen S t r u k t u r p o l i t i k , AÖR99, S. 534. 313 Z u der gebotenen sozialen Ertrags- u n d Aufwandsrechnung v. Arnim, Volkswirtschaftspolitik, S. 39. 814 Dem tragen die strukturpolitischen Rahmenpläne i m übrigen über die inkorporierten Raumordnungsklauseln regelmäßig Rechnung; vgl. etwa §2 des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Förderung der regionalen I n frastruktur". 315 Ä h n l i c h Nowotny, Regionalökonomie, S. 63 f ü r Ansiedlungshilfen.

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

Rolle einzelner „dynamischer Industrien" i n Wirtschaftsräumen analysieren, vermögen hierfür wichtige Anhaltspunkte zu geben 317 . Aufschluß kann i n diesem Zusammenhang auch die reichhaltige Rechtsprechung zu dem Begriff der „volkswirtschaftlich besonderen Förderungswürdigkeit" bieten, wie er u. a. i n § 32 Abs. 2 Nr. 1 K o h l G 3 1 8 oder § 1 Abs. 4 I n v Z u l G 3 1 9 auftaucht und dort die Eignung des zu fördernden Vorhabens zur Strukturverbesserung umschreibt 3 2 0 . I h r Verdienst ist es, herausgestellt zu haben, daß die Eignung zur Strukturverbesserung nur durch eine Gesamtschau aller förderungsbedingten Effekte beurteilt werden kann, so daß negative gesamt- wie regionalwirtschaftliche Externeffekte bei einer optimierenden Abwägung die Förderungswürdigkeit ausschließen 321 . Nichts anderes gilt für die unternehmensbegünstigende Enteignung, deren drittbelastende Auswirkungen auf mögliche Konkurrenten sorgfältig zu beachten sind und die i m Einzelfall die Enteignung diskreditieren können. (c) Schließlich muß das enteignungsbegünstigte Unternehmen unter räumlichen Aspekten auf den konkret begehrten Standort angewiesen sein, damit die Enteignung der konkreten Flächen zulässig ist. Steht die Erweiterung oder der Ausbau bestehender Wirtschaftsunternehmen i n Frage, w i r d die Zahl möglicher Alternativerweiterungsflächen regelmäßig klein sein, da betriebswirtschaftlich sinnvoll oft nur ein bestimmtes Areal i n Betracht kommt. Die Entscheidung, daß die unternehmensbegünstigende Enteignung zur Verbesserung regionaler oder sektoraler Wirtschaftsstrukturen erforderlich ist, impliziert aber die Wahl des betriebswirtschaftlich geeigneten Standortes 322 , da nur so der Eingriff seine strukturverbessernde Wirkung voll entfalten kann 3 2 3 . Schwieriger ist i m Rahmen von Neuansiedlungen die Standortfrage zu entscheiden. sie Dazu Nowotny, ebd., S. 34. 317 Ebd., S. 35. 318 Nachw. Fn. 177. 319 V o m 18. 9.1969, B G B l I S. 1211. 320 v g l . i m einzelnen O V G Münster, U r t e i l v o m 9. 4.1973 = GewArch 1974, 244 ff.; U r t e i l v o m 26.3.1976 = DVB11976, 681; U r t e i l v o m 26.3.1976 = DVB11976, 682; B V e r w G U r t . v o m 7.5.1975 = DVB11975, 723 ff.; umfassend auch Heinze, Die Formel „volkswirtschaftlich förderungswürdig" als Richtmaß staatlicher Wirtschaftslenkung, W i R 1972, 267 f.; Tettinger, Z u r volkswirtschaftlich besonderen Förderungswürdigkeit privater Investitionen i m Steinkohlebergbaugebiet, W i R 1974, 87 ff.; zur S t r u k t u r des Begriffes „ v o l k s wirtschaftlich besonders förderungswürdig" vgl. noch Schmidt-Aßmann, W D S t R L 34, S. 255. Mi Heinze, Die Formel „volkswirtschaftlich förderungswürdig" als Richtmaß staatlicher Wirtschaftslenkung, W i R 1972, S. 275. 322 Z u den betriebswirtschaftlichen Auswahlkriterien, die die W a h l des optimalen Standortes bestimmen Nowotny, Regionalökonomie, S. 11 f. Z u r standortplanerischen Wirtschaftsstruktur jüngst auch Guthsmuths, Raumordnung u n d Landesplanung als M i t t e l der Wirtschaftspolitik, Wirtschaft und V e r w a l t u n g 1/77, S. 13.

1. Abschn., 2. Unterabschn.: Enteignungsrecht privater Unternehmen 125 Entscheidungshilfe vermag hierbei die makroökonomische Standorttheorie zu geben, die die wirtschaftlichen Wirkungen, die sich für einzelne Regionen aus der Standortentscheidung ergeben, analysiert 3 2 4 und damit sowohl planerischen Vorgaben wie der Standortentscheidung i m Rahmen enteignungsrechtlicher Planfeststellungsverfahren eine rationale Grundlage geben kann. (2) Beseitigung regionaler oder sektoraler Arbeitslosigkeit Zu den Motiven staatlicher Strukturpolitik zählt neben dem Wachstumsziel i n besonderem Maße das Ziel, Arbeitsplätze zu erhalten wie zu schaffen 325 . Daß es auch als Enteigungszweck einen traditionell hohen Stellenwert besitzt, belegen eine Fülle von konkreten Enteignungsfällen 3 2 6 , bei denen eine erst durch Enteignung ermöglichte Ansiedlung oder Erweiterung von Unternehmen Arbeitsplätze geschaffen hat. Wie alle wirtschaftspolitischen Detailziele ist die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen kein aus sich heraus lebendes Grundziel 3 2 7 , sondern stützt sich auf wohlfahrtsökonomische wie sozialpolitische Wertungen 3 2 8 . Realer, historischer Hintergrund seiner hohen Einschätzung ist die latente Wirtschaftskrise in der Weimarer Republik, die allzudeutlich vor Augen geführt hat, daß größere Einbrüche i n den Beschäftigungsstand zu sozial unerträglichen Folgen für die einzelnen wie für die Allgemeinheit führen; seit jenen Jahren werden Beschaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen durchweg als enteignungslegitimierende, öffentliche Interessen anerkannt 3 2 9 . 323 Die neuere Enteignungspraxis trägt dem Rechnung, indem sie die V e r leihung des Enteignungsrechts m i t der parzellenscharfen Standortentscheidung koppelt u n d so dem regelmäßig folgenden enteignungsrechtlichen P l a n feststellungsverfahren vorgreift, dazu auch Runderlaß des InnenMin. N W , Minbl. 1960, S.2346; Mattheis, NJW1963, 1804 f. 324 Dazu Nowotny, Regionalökonomie, S. 13 f. 325 Bull, Die Staatsauf gaben nach dem Grundgesetz, S. 260; Krüger, A l l gemeine Staatslehre, S. 586 f. 32β Stengel, Die Grundstücksenteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen, S. 40 f.; zur Vorkriegsrechtsprechung ausführlich Giese ! Heyland, Fischers Ζ 1930, 243; weiter O V G Koblenz, U r t . v. 29.2.1959, AS RH-Pf. 7, 201 = D Ö V 1960, 315. 327 Z u den wirtschaftspolitischen Grundzielen Giersch, Wirtschaftspolitik, S. 26; v.Arnim, Volkswirtschaftspolitik, S. 38. 328 Z u ähnlichen Überlegungen i m Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen des Stabilitätsgesetzes Stern / Münch / Hansmeyer, StabG, § 1 A n m . 3; Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 390. »29 Die herausragenden gesetzgeberischen Beispiele hierfür sind § 1 des preuß. Gesetzes über ein vereinfachtes Enteignungsverfahren v o m 26.7.1922 (GS S. 211), der ein beschleunigtes Enteignungsverfahren anordnet, w e n n dies aus Gründen des Gemeinwohls, insbesondere zur Beseitigimg oder A b w e n -

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II. . Kap.: Die privatnützige Enteignung

I n der Tat sind wirtschafte- und sozialpolitische Verantwortungen des Staates i n seiner Sorge u m sichere Arbeitsplätze weitgehend deckungsgleich. Dies verleiht diesem Enteignungsmotiv die i h m eigene Durchschlagskraft, entbindet allerdings nicht von der Notwendigkeit nachzuprüfen, inwieweit gerade das Vorhaben des enteignungsbegünstigten Unternehmens dazu beiträgt, strukturellen oder regionalen Arbeitsplatzmangel abzubauen 330 . Hierbei gilt es, eine Reihe von Detailfragen zu beantworten: — Schwierigkeiten bereitet bereits eine A n t w o r t auf die Ausgangsfrage, i n welchem Maße der Beschäftigungsstand i n einer Region oder einem Wirtschaftszweig abgesunken sein muß, u m von sektoraler oder regionaler Arbeitslosigkeit sprechen zu können, arbeitsmarktintensive Enteignungsmaßnahmen deshalb dem Grunde nach erforderlich sind. Die Volkswirtschaftslehre hält zwar m i t der sog. Arbeitslosenquote, die das Verhältnis zwischen der Zahl der Erwerbslosen und der Zahl der abhängigen Erwerbspersonen definiert 3 3 1 , einen brauchbaren formalen Maßstab bereit, um den Beschäftigungsstand auch einer Region oder eines Wirtschaftszweiges zu messen 332 . Welche Arbeitslosenquote jedoch Arbeitslosigkeit signalisiert, vermögen nur w i r t schaftspolitische Vorgaben zu beantworten, die nicht ein für allemal feststehen, sondern von zeitgebundenen politischen Wertungen abhängen. Einen wichtigen Anhaltspunkt bieten die i m jährlichen W i r t schaftsbericht des Bundeswirtschaftsministers zum Ausdruck kommenden Daten, die i n den letzten Jahren eine Quote von 0,8 °/o als hohen Beschäftigungsstand werten 3 3 3 . — Z u bedenken ist weiter, ob die Begünstigung des einzelnen Unternehmens ein geeignetes M i t t e l ist, sektoraler oder regionaler Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken 334 . Ein Urteil w i r d hier deshalb erschwert, dung größerer Arbeitslosigkeit erforderlich ist. Auch das bayerische Gesetz über die Enteignung zur Beschaffung von Arbeitsgelegenheit v o m 1. 8.1933 (GVB1 S. 217) sah ausdrücklich eine Enteignung zur Arbeitsplatzbeschaffung vor. I n den Nachkriegs j ä h r e n ist allerdings zu beobachten, daß die Rechtsprechung n u r zurückhaltend die Beschaffung von Arbeitsplätzen als E n t eignungszweck anerkennt (vgl. etwa O V G Koblenz, U r t . v o m 29.1.1959, AS Rh.Pf. 7, 201 = D Ö V 1960, 315). V o r dem H i n t e r g r u n d des i n den fünfziger u n d sechziger Jahren herrschenden Arbeitsplatzüberangebots k a n n dies nicht verwundern; der i n jüngster Vergangenheit festzustellende A r b e i t s m a r k t einbruch läßt k ü n f t i g abweichende Wertungen erwarten. 330 Ä h n l i c h O V G Koblenz, s. Fn. 329. 331 Dazu Stern / Münch / Hansmeyer, StabG, § 1 A n m . 2 c; v. Arnim, V o l k s wirtschaftspolitik, S. 146. 332 Z u den Ungenauigkeiten dieses Maßstabs vgl. allerdings Stern / Münch / Hansmeyer, StabG, § 1 A n m . 2 c. 333 Nachweise bei Stern / Münch / Hansmeyer, ebd. 334 Z u r Überprüfung wirtschaftspolitischer Maßnahmen auf ihre Geeignetheit auch v. Arnim, Volkswirtschaftspolitik, S. 41.

1. Abschn., 2. Unterabschn.: Enteignungsrecht privater Unternehmen 127 weil auch auf regional oder sektoral begrenzten Teilarbeitsmärkten unterschiedliche Ursachen von Arbeitslosigkeit wie saisonelle oder konjunkturelle Einflüsse zusammentreffen 335 . Spürbare Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt werden zudem nur von solchen Erweiterungs- wie Ansiedlungsvorhaben ausgehen, die eine größere Zahl von Arbeitsplätzen schaffen, ohne daß feste Richtzahlen genannt werden können 3 3 6 . — Zentrale Fragen sind schließlich die nach der Erforderlichkeit wie Angemessenheit des Enteignungseingriffs als M i t t e l der Arbeitsmarktp o l i t i k 3 3 7 . Falls betroffene Arbeitnehmer auf andere Arbeitsplätze ausweichen können, kann es an der Erforderlichkeit der Enteignung fehlen 3 3 8 . Die begrenzte fachliche wie räumliche Mobilität von Arbeitnehmern setzt allerdings Ausweichmöglichkeiten enge Grenzen, zumal ein Abwandern von Arbeitskräften regional wie sektoral unerwünscht sein kann 3 3 9 . Schließlich ist die Angemessenheit des Enteignungseingriffs durch eine eingehende Wirkungsanalyse sicherzustellen. Diese hat nicht nur die voraussehbaren „externen" Auswirkungen auf das betroffene Grundeigentum zu ermitteln, sondern auch die möglichen „internen" wirtschaftlichen Nachteile zu bilanzieren, die aus der Begünstigung eines einzelnen Unternehmens erwachsen können. Hierzu gehören einmal Nebenwirkungen i n der Sphäre des enteignungsbegünstigten Unternehmens selbst, das ζ. B. die durch die Enteignung geschaffenen Arbeitsplätze über Rationalisierungsmaßnahmen i n anderen Unternehmenszweigen ausgleicht. Hierzu gehören aber auch, wie schon i n anderem Zusammenhang gesehen 340 , Streuwirkungen i n der Sphäre von Konkurrenten, deren Arbeitsplatzangebot durch den Wettbewerbsvorteil des begünstigten Unternehmens möglicherweise gefährdet ist. I I L Die öffentlichen Bindungen des enteignungsbegünstigten Privaten

Das bislang gewonnene B i l d vom Enteignungsrecht privater W i r t schaftsunternehmen bliebe lückenhaft, würden nicht zumindest skizzenhaft die hoheitlichen Bindungen aufgezeigt, die sicherstellen müssen, daß der Private sein Enteignungsrecht nicht zweckentfremdet ein335 Dazu i m einzelnen Preiser, Nationalökonomie i m Dienste der W i r t schaftspolitik, S. 76 ff. 336 Ebenso Stengel , Die Grundstücksenteignung zugunsten privater W i r t schaftsunternehmen, S. 40. 337 Z u r Geltung des Übermaßverbotes i m Enteignungsrecht Kimminich, B K , A r t . 14 Rdnr. 277 bis 279; allgemein auch Lerche, Übermaß u n d Verfassungsrecht, S. 19 f. 33 8 Ä h n l i c h auch O V G Koblenz, U r t . v. 29.1.1959 = A S Rh.Pf. 7, 201. 33 » Z u den Wanderungsbewegungen auf dem Arbeitsmarkt, Nowotny, Regionalökonomie, S. 47, 48. wo v g l . i m einzelnen oben 2.Unterabschnitt, C I L

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

setzt 3 4 1 . Denn anders als Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung einschließlich der anfangs untersuchten „öffentlichen Unternehmen" bieten die primär auf ihren eigenen Vorteil bedachte Privatunternehmen nicht ohne weiteres die Gewähr dafür, daß das Enteignungsobjekt i m öffentlichen Interesse verwendet w i r d 3 4 2 . Die verfassungsrechtliche Ermächtigung des A r t . 14 Abs. 3 S. 1 GG legitimiert aber den Eigentumseingriff nicht schon deshalb, w e i l er tendenziell öffentliche Zwecke verfolgt, sondern fordert unabdingbar, daß der Enteignungszweck auch realisiert w i r d 3 4 3 . Gesetzgeber wie Enteignungsbehörden haben deshalb Sorge zu tragen, daß der durch eine Enteignung begünstigte private Unternehmer durch verfahrensrechtliche Sicherungen zur Erfüllung des Enteignungszwecks angehalten w i r d 3 4 4 . 1. Die Sicherungsmittel Als wohl gängigstes Sicherungsmittel ist dem Enteignungsrecht seit seinen Anfängen ein Rückerwerbsrecht des Enteignungsbetroffenen bekannt 3 4 5 . Dieses Institut, das i n der Enteignungstheorie i n unterschiedlichsten rechtsdogmatischen Konstruktionen 3 4 6 auftaucht, erfüllt i n einem repressive wie präventive Sicherungsfunktionen: Repressiv w i r k t 341

Eine detailliertere Untersuchung der p r i m ä r verfahrensrechtlichen F r a gen muß i m Rahmen dieser Untersuchung dahinstehen; weiterführend v o r allem Stummer, Die öffentliche Zweckbindung der enteigneten Sache, S. 125 f., 143 f.; Stengel, Die Grundstücksenteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen, S. 48 ff.; Huber, ZSchwR 1965, 3 9 - 7 2 ; Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S. 448; zu diesem K o m p l e x auch schon Lay er, P r i n cipien des Enteignungsrechts, S. 286 f., 299. 342 Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S. 477; Stengel, Die Grundstücksenteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen, S. 48. 343 Das für die jüngere Enteignungsdogmatik grundlegende Hambg.-DeichU r t e i l des Bundesverfassungsgerichs v o m 18.12.1968 (BVerfGE 24, 367 f., 407 = D Ö V 1969, 102 ff.) hat dies i n deutlicher A b k e h r zu der Rechtsprechung des Reichsgerichts (vgl. etwa RGZ 107, 370 f., 375; R G Z 111, 320 f., 326; R G Z 139, 6 f., 9 -10), das die bloße Gemeinwohlintentionalität des Eingriffs als ausreichend erachtete, klargestellt. I m sog. Rückenteignungsbeschluß v o m 12.11.1974 — 1 B r R 32/68 — = BVerfGE 38, 175 = N J W 1975, 37 = D Ö V 1975, 312 m i t A n m . Kimminich hat das B V e r f G diese Ansicht jüngst wieder bekräftigt; dazu auch Schmidt-Aßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, § 102 Rdnr. 7. m Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S. 477; Stummer, Die öffentliche Zweckbindung der enteigneten Sache, S. 20, weist zu Recht darauf hin, daß diese Sicherungspflicht sich unmittelbar aus A r t . 14 Abs. 3 S. 1 ergibt. 34 5 Z u r historischen E n t w i c k l u n g dieses Instituts vgl. i m einzelnen SchmidtAßmann, ebd. (s. oben Fn. 343) § 102 Rdnr. 5. 34 6 Ältere Enteignungsgesetze (vgl. A r t . 12 Abs. 4 des B a y Z A G v o m 7.11. 1937, GVB1 S. 109; §59 des Bad. Enteignungsgesetzes v o m 24.12.1908, GVB1 S. 703) kleiden die Rückerwerbsmöglichkeit regelmäßig i n die F o r m p r i v a t rechtlicher Rückgabeverlangen; ähnliche Gedanken liegen auch dem Wiederkaufsrecht des § 21 Reichssiedlungsgesetz v o m 11.8.1919 (RGBl S. 1429) u n d dem Vorkaufsrecht bei Teilenteignung nach §57 des Preußischen Enteig-

1. Abschn., 2. Unterabschn.: Enteignungsrecht privater Unternehmen 129 es insofern, als nach Ablauf einer spezialgesetzlich bestimmten Frist fehlgeschlagene Enteignungen rückabzuwickeln sind. Präventive W i r kungen zeigt es i n einem erheblichen Druck auf den Enteignungsbegünstigten, der den Enteignungszweck erfüllen muß, w i l l er nicht Gefahr laufen, die i n einem regelmäßig langwierigen Enteignungsverfahren erzielten Vorteile wieder zu verlieren 3 4 7 . Der Rückenteignungsbeschluß des BVerfG 3 4 8 , der das Rückerwerbsrecht losgelöst von ausdrücklichen gesetzlichen Normierungen unmittelbar aus A r t . 14 GG folgert 3 4 9 , hat zwar auch diese Präventivfunktion verfassungsrechtlich gestärkt 3 5 0 . Als aktiv gestalterisches M i t t e l einer Wirtschaftsverwaltung, die die unternehmensbegünstigende Enteignung als wirtschaftslenkendes M i t t e l einsetzt 3 5 1 , sind enteignungsrechtliche Rückerwerbsrechte allerdings nach wie vor weitgehend ungeeignet, da sie nur vom Enteignungsbetroffenen, nicht aber von hoheitlicher Hand geltend gemacht werden können 3 5 2 . Gesetzgeber wie Enteignungsbehörde haben daher daneben nach eigenen Möglichkeiten zu suchen, u m den privaten Enteignungsbegünstigen an den Enteignungszweck zu binden. Vorgeschlagen w i r d zu diesem Zweck einmal, den Enteignungsakt m i t Nebenbestimmungen zu versehen 353 , zum anderen w i r d eine vertragliche Absicherung des Enteignungszwecks diskutiert 3 5 4 . (a) Ob und welche belastende Nebenbestimmungen zur Sicherung des Enteignungszwecks zulässig sind, kann weitgehend als ungeklärt gelten, nungsgesetzes v o m 11.6.1874 (Pr.GS. S. 221 ff.) zugrunde. §51 BaulbeschG ging demgegenüber von einem öffentlich-rechtlichen Rückgabeanspruch aus u n d hat von dort als „Rückenteignung" Eingang i n § 102 des B B a u G v o m 23.6. 1960 gefunden; vgl. i m einzelnen auch Brügelmann / Pohl, BBauG, §102 A n m . I ; Schmidt-Aßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, §102 Rdnr. 5. 347 So zutreffend Stummer, Die öffentliche Zweckbindung der enteigneten Sache, S. 195. 348 Nachw. Fn. 343. 349 Anders noch die weitaus herrschende L i t e r a t u r v o r Erlaß des Beschlusses; vgl. etwa Maunz / Dürig I Herzog, GG, A r t . 14 Rdnr. 12; Wolff, VerwR, Bd. 3, §158 I I I a 5; Hamann/Lenz, Grundgesetz, A r t . 14 A n m . Β 12. 3ßo Dies auch deshalb, w e i l die v o m Bundesverfassungsgericht angedeutete dogmatische K o n s t r u k t i o n des Rückabwicklungsvorgangs als „Kehrseite" des originären Enteignungsaktes, der n u r eine dem Enteignungsobjekt anhaftende Pflicht konkretisiert, sich auch gegen private Enteignungsbegünstigte richten kann, ohne daß es notwendig einer spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf; dazu Schmidt-Aßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, § 102 Rdnr. 12. 351 Dazu i m einzelnen oben 2.Unterabschnitt, C I . 352 i m Ergebnis auch Stengel, Die Grundstücksenteignung zugunsten p r i vater Wirtschaftsunternehmen, S. 49. 353 Dazu Stummer, Die öffentliche Zweckbindung der enteigneten Sache, S. 142 f.; Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S. 477; Stengel, Die Grundstücksenteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen, S. 50, 51. 354 Stummer, Die öffentliche Zweckbindung der enteigneten Sache, S. 157; Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S. 477. 9 Frenzel

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

zumal der Gesetzgeber selbst nur i n wenigen älteren Enteignungsgesetzen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat 3 5 5 . Pauschale A n t worten, die die unterschiedlichen verfahrensrechtlichen Ausgestaltungen der Enteignungen außer Betracht lassen 356 , führen nicht weiter. Grob gerastert sind vielmehr zwei verfahrensrechtliche Stadien denkbar, bei denen die Sicherung des Enteignungszwecks mittels Nebenbestimmungen ansetzen kann: Ansatzpunkt wäre einmal die Verleihung des Enteignungsrechts an den Privaten, wie sie vor allem älteren Enteignungsgesetzen bekannt ist und die der Sache nach das Enteignungsantragsrecht des Privaten begründet 3 5 7 . Sofern der Verleihungsakt, der regelmäßig von den obersten Landesbehörden ausgesprochen wird, i n die Form eines begünstigenden Verwaltungsaktes gekleidet w i r d 3 5 8 , kann dieser auch bedingt oder befristet wie unter Auflagen oder Widerrufsvorbehalt erteilt werden. Für die Zulässigkeit solcher Nebenbestimmungen spricht, daß der Begünstigte auf die Verleihung des Enteignungsrechts keinen Rechtsanspruch hat 3 5 9 , die Verleihung nach den allgemeinen Regeln der Verwaltungsverfahrensgesetze von Bund und Ländern deshalb auch eingeschränkt erteilt werden kann 3 6 0 . Nebenbestimmungen können aber auch dem rechtsübertragenden Enteignungsakt hinzugefügt werden, was immer dann allein möglich ist, wenn dem Privaten bereits unmittelbar kraft Gesetzes ein Enteignungsrecht zuerkannt w i r d 3 6 1 . Als privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt ist die den Eigentumswechsel aussprechende Enteignung i m Interesse der Rechtssicherheit und Klarheit allerdings bedingungsfeindlich 3 6 2 , so daß als zulässige Nebenbestimmung die Festsetzung von Auflagen verbleibt. Diese sind freilich selbst dann zulässig, wenn man dem Privaten einen Rechtsanspruch auf Durchführung der Enteignung zu3ss Vgl. etwa A r t . 4 Abs. 1 S.2 b a y r . Z A G v o m 17. Nov. 1837, G B l S.109; A r t . 105 des bayr. GEG v o m 1.8.1933, GVB1 S.217; § 2 Abs. 3 Satz 2 des württembergischen Enteignungsgesetzes v o m 20.12.1888. 356 So aber Stummer, Die öffentliche Zweckbindung der enteigneten Sache, S. 143 f. 357 z . B . §2 Abs. 1 preuß.EnteigG v o m 11.6.1874 (Pr.GS S. 231 ff.); dazu Meyer / Thiel / Frohberg, Enteignung v o n Grundeigentum, S. 63. Der begünstigte Private erlangt durch die Verleihung n u r das Recht, die Durchführung der Enteignung von der zuständigen Enteignungsbehörde zu verlangen, der eigentliche Enteignungsakt folgt erst i n einem späteren Verfahrensabschnitt. 358 Z u r nicht unbestrittenen rechtlichen Qualifikation des Verleihungsaktes als V A vgl. Meyer / Thiel / Frohberg, ebd., S. 65. 359 Zutreffend Stengel, Die Grundstücksenteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen, S. 50. 86° Vgl. etwa § 36 Abs. 2 B V e r w V f G v o m 25. M a i 1976, B G B l I S. 1749. se1 So die modenen Enteignungsgesetze, vgl. etwa §§85 ff. B B a u G v o m 18. August 1976, B G B l I S. 2221. 362 Zutreffend Franssen, Über bedingungsfeindliche Verwaltungsakte, S. 144.

1. Abschn., 2. Unterabschn.: Enteignungsrecht privater Unternehmen 131 erkennt 3 6 3 , da sie lediglich sicherstellen sollen, daß der Enteignungszweck als Voraussetzung der Enteignung tatsächlich erfüllt w i r d 3 6 4 . (b) Wesentlich flexibler gestaltet sich der Handlungsspielraum der Verwaltung, wenn sie statt der eng auf den Enteignungszweck fixierten Nebenbestimmungen auf vertragliche Vereinbarungen zurückgreift, u m den Enteignungsbegünstigten an die m i t der Enteignung verfolgten Zielsetzungen zu binden 3 6 5 . Dem Enteignungsrecht ist diese Praxis nicht unbekannt, wie zahlreiche ältere wie jüngere Beispiele belegen 366 . Typischer Inhalt solcher Vereinbarungen ist, daß die Enteignungsbehörde die rechtsübertragende Enteignungsanordnung davon abhängig macht, daß der Begünstigte das verfolgte wirtschaftspolitische Ziel erfüllt, indem er etwa die vorgesehenen Investitionen vornimmt oder Arbeitsplätze i n der gewünschten Zahl schafft 367 . Die Zulässigkeit solcher, dem Gegenstand nach öffentlich-rechtlichen Verträge bedarf allerdings unter dem Licht der Verwaltungsverfahrensgesetze noch einer sorgfältigen Ausleuchtung, da diese das öffentlich-rechtliche Vertragsrecht auf neue Grundlagen gestellt haben 3 6 8 . Der zum Teil geltend gemachte generelle Einwand, ein solch subordinationsrechtlicher Vertrag sei als Handlungsform der Verwaltung schlechthin unzulässig, vermag jedenfalls künftig nicht mehr zu überzeugen 369 . Als öffentlich-rechtlicher Austauschvertrag, der nach § 56 BVerwVerfG bzw. den wortlaut363 I n diesem Sinne etwa Schrödter, BBauG, § 108 Kdnr. 3 f ü r die Enteignung des BBauG; ähnlich auch O L G Saarbrücken v o m 29. 5.1972 — 3 U B I 1/70 — = DVB1 1974, 131; Schlichter / Stich / Tittel, BBauG, §105 Rdnr. 110; differenzierend Dyong, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, §108 Rdnr. 10, der darauf hinweist, daß zwar bei der Frage, ob die Enteignung zugunsten eines Privaten erfolgt, k e i n Ermessensspielraum besteht, w o h l aber bei Beurteilung der Frage, welcher Antragsteller begünstigt ist. Z u m Ganzen noch Stummer, Die öffentliche Zweckbindung der enteigneten Sache, S. 143. 364 Auch eine Auflage k a n n Garant für die E r f ü l l u n g der gesetzlichen Voraussetzungen eines VA's sein; vgl. Meyer / Borgs, VerwVerfG, §36 Rdnr. 21. 365 Zutreffend Stummer, Die öffentliche Zweckbindung der enteigneten Sache, S. 157. 366 Stengel, Die Grundstücksenteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen, S. 50, weist darauf hin, daß v o r Erlaß des Energiewirtschaftsgesetzes bei Enteignungen zugunsten von Energieversorgungsunternehmen die Unterzeichnung eines sog. Verpflichtungsscheines, i n dem sich der U n t e r nehmer u. a. zur Versorgung der Allgemeinheit verpflichtet, üblich w a r ; dazu auch Eiser ! Rieder er ! Sieder, Energiewirtschaftsrecht, §11 A n m . 30. V e r pflichtungserklärungen ähnlicher A r t sind i n jüngerer Zeit bei der Enteignung zu Verlegung von Ölfernleitungen anzutreffen, vgl. i m einzelnen Stengel, ebd., S. 50 Fn. 158; S. 89 Fn. 31. 367 Das O V G Koblenz, U r t . v o m 29.1.1959 = D Ö V 1960, 315 hat u. a. auch wegen Fehlens einer entsprechenden Verpflichtung eine Enteignung zur Beschaffung von Arbeitsplätzen f ü r unzulässig erachtet. 368 Dazu Meyer / Borgs, VerwVerfG, § 54 Rdnr. 1. 36fl So aber noch Stummer, Die öffentliche Zweckbindung der enteigneten Sache, S. 160. 9·

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

gleichen Verfahrensbestimmungen der Landesverwaltungsverfahrensgesetze zu beurteilen ist, hängt der zulässige Inhalt solcher vertraglichen Vereinbarungen nicht zuletzt davon ab, ob dem Begünstigten ein Anspruch auf den Enteignungsakt zugestanden w i r d oder nicht 3 7 0 . 2. Einzelne typische Sicherungszwecke Nachzutragen bleiben die materiellen Sicherungszwecke, die sich an den vielfältigen Aufgaben orientieren müssen, die die privatnützige Enteignung als wirtschaftspolitisches Instrument erfüllen soll. I n ihrer zentralen Funktion als Instrument regionaler oder sektoraler W i r t schaftsförderung kann die Enteignung ihr gesetztes Ziel etwa nur dann erreichen, wenn sichergestellt wird, daß der Enteignungsbegünstigte die Kapazität des Unternehmens voll ausnützt, keine dem vorgegebene Betriebszweck widersprechenden Betriebsvorgänge einleitet und den Betrieb zumindest während einer bestimmten Dauer kontinuierlich fortführt 3 7 1 . Praktisch realisiert werden kann diese Bindung privater Wirtschaftstätigkeit über eine Betriebspflicht, die zeitlich so zu bemessen ist, daß die wirtschaftsfördernden Effekte der Enteignung gewährleistet sind. Taugliche Steuerungsinstrumente sind weiterhin sog. Kontingentierungsklauseln m, die der Enteignung als Instrument regionaler oder sektoraler Arbeitsplatzbeschaffung Nachdruck verschaffen. Sie verpflichten den Privaten, nach Fertigstellung des Unternehmens eine bestimmte Anzahl von Arbeitsplätzen zu schaffen. Verfolgte die Enteignung das Ziel, volkswirtschaftlich wichtige Güter bereitzustellen, können Kontingentierungsklauseln auch ein Mindestkontingent zu produzierender Güter oder Waren festlegen 373 . Anschluß-, Versorgungsund Zulassungspflichten sind schließlich weitere Beispiele möglicher Bindungen, falls die Enteignung bezweckte, die Versorgung bestimmter Bevölkerungsteile oder Wirtschaftsbranchen m i t Rohstoffen zu garantieren 3 7 4 . I n ihrer Gesamtheit konkretisieren diese, m i t dem Enteignungsrecht des Privaten notwendig einhergehende Pflichten dessen Gemeinwohlbindungen. Soweit der Enteignungszweck reicht, verliert er sein Privatsein und w i r d i n den Dienst öffentlicher Verwaltung gestellt 3 7 5 . 370 Z u den Grenzen öffentlich-rechtlicher Austauschverträge vgl. i m einzelnen Meyer / Borgs, VerwVerfG, § 56 Rdnr. 3 f. 371 Stummer, Die öffentliche Zweckbindimg der enteigneten Sache, S. 162; Stengel, Die Grundstücksenteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen, S. 50. 372 Stummer, Die öffentliche Zweckbindung der enteigneten Sache, S. 165. 373 Ebd. 374 Anschlußpflichten sind häufig bei Mineralölfernleitungen geboten, dazu Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S. 477. 37ß Ebd.

2. Abschn. : Enteignung als Instrument einer aktiven Sozialpolitik

133

Zweiter Abschnitt

Die privatnützige Enteignung als Instrument einer aktiven Sozialpolitik Das Bekenntnis des Bonner Grundgesetzes zum Sozialstaat eröffnet der privatnützigen Enteignung ein zweites Feld, das dem bürgerlich liberalen Enteignungsrecht des 19. Jahrhunderts i n dieser Ausdehnung verschlossen war. Die Enteignung w i r d zum sozialpolitischen Instrument ausgebaut, welche das Ziel verfolgt, die Eigentumsordnung aktiv zu gestalten. Potentiell Begünstigte einer so verstandenen Enteignungspraxis, die der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlklausel einen eigenen, unverwechselbaren Gehalt verleiht, sollen primär diejenigen Bevölkerungsgruppen sein, die dem Marktgeschehen oftmals hilflos gegenüberstehen, also nicht die privaten Wirtschaftssubjekte, die ohnehin am Markt dominieren 3 7 6 . Wenn auch die Voraussage Ipsens 377 unerfüllt geblieben ist, der 1951 prognostizierte, daß das Sozialstaatsprinzip weitreichende Auswirkungen auf die Eigentumsverfassung bis h i n zu einer Neu- und Andersgestaltung der Eigentumsordnung entfalten würde, so haben die sozialstaatlichen Impulse der Verfassung doch das bürgerlich-liberale Eigentumsverständnis nachhaltig erschüttert 378 . Der nicht abgeschlossene, sondern i m steten Fluß befindliche Wandel der Eigentumsverfassung vollzieht sich i n doppelter Weise: Zum einen über die Sozialstaatsklausel des A r t . 14 Abs. 1 S. 2 GG 3 7 9 , zum anderen aber auch über die enteignungsrechtliche Gemeinwohlklausel des A r t . 14 Abs. 3 S. 1 GG, auf die die verfassungsrechtliche Sozialstaatsklausel begriffsprägend rückw i r k t . Freilich hat dieser Wandel auch warnende Stimmen ausgelöst. So sah sich Bullinger 380 m i t Blick auf die Enteignungsvoraussetzungen veranlaßt, vor der starken Ausweitung des öffentlichen Interesses, die der moderne Sozialstaat m i t sich bringt, zu warnen, w e i l diese Entwicklung zu einer Schrankenlosigkeit der Enteignung, speziell der Enteigne Insofern unterscheidet sich dieser Enteignungstyp von der anfangs untersuchten Wirtschaftsbegünstigenden Enteignung, obwohl auch diese letztlich 377 sozialstaatlich motiviert ist. Ipsen, W D S t R L 10, S. 74 ff. 378

Ebenso Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 212. 379 Forsthoff s E i n w a n d ( W D S t R L 12, S. 28), daß das Sozialstaatsprinzip schon deshalb nicht auf die Eigentumsverfassung e i n w i r k e n könne, w e i l A r t . 14 G G eine spezielle Sozialstaatsklausel aufweise, überzeugt nicht, da ein unterschiedlicher Regelungsgehalt v o n Sozialstaatsgrundsatz u n d Sozialstaatsklausel i n bezug auf die Eigentumsverfassung nicht erkennbar w i r d . 3

80 I n : Die Enteignung zugunsten Privater, S. 452.

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

nung zugunsten Privater führen würde. Die i n jüngerer Zeit laut werdenden Stimmen, die eine akute Krise des Eigentums zu erkennen glauben 3 8 1 , bestätigen, daß Bullingers Anliegen, sozialstaatlich bedingte Eigentumseingriffe durch schärfere rechtliche Konturen faßbar zu machen, nicht nur für die engeren Wirtschaftsbegünstigenden Enteignungen, sondern auch i n diesem Enteignungsfeld nach wie vor aktuell ist. Ablesen läßt sich der Wandel der Eigentumsverfassung modellhaft i m Bereich des Grundeigentums, auf das sich die Aktivitäten des Gesetzgebers i n den Nachkriegsjahren aus gutem Grund konzentrierten und welches bis heute Prüfstein einer sozialen Eigentumsordnung geblieben ist. Aktuellen Anstoß gab die Aufgabe, einen Wohnungsfehlbestand abzubauen, der bei Inkrafttreten des Grundgesetzes eine Größe von fünf Millionen erreicht hatte 3 8 2 . Die Beseitigung des Wohnraumdefizits war ein sozialpolitisches Problem ersten Ranges, das durch den Mangel an Bauland weiter verschärft wurde. Schon früh erkannte man, daß die boden- wie wohnungspolitischen Probleme nur durch ein Bündel bodenordnerischer Maßnahmen wirksam bekämpft werden konnten, unter denen der Baulandenteignung ein hervorragender Platz zukommen sollte 3 8 3 . Nach Uberwindung der gröbsten Wohnungsnot gesellten sich zunehmend städtebauliche Motive zu den Enteignungszwecken, galt es nun i m Interesse des einzelnen, eine gesunde städtebauliche Umwelt zu schaffen 384 . Da der Nachkriegsgesetzgeber der privaten Initiative beim Wiederaufbau der zerstörten Städte besondere Bedeutung zumaß, er, wie WoZZm a n n 3 8 5 kritisch anmerkt, auf die Mobilisierung privaten Kapitals vertraute, kamen von Anfang an nicht nur die öffentliche Hand, sondern gerade auch private Bauwillige als potentiell Begünstigte einer städtebaulichen Enteignung i n Betracht. Die gesellschaftspolitische Grundentscheidung für eine freie Marktwirtschaft, die prinzipiell auch den Bodenmarkt nicht ausklammert 3 8 6 , verstärkt allerdings zugleich die Position möglicher enteignungsbedrohter Grundeigentümer und erzeugt 381 Vgl. etwa W.Weber, i n : Festschrift f ü r K a r l Michaelis, 1972, S.316; Sendler, D Ö V 1974, 73 (74); Klein, Die Grundrechte i m demokratischen Staat, S. 79; Forsthoff, Z u r Lage des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes, S. 99 f. 382 I n f o r m a t i v Dittus / Zinkahn, BaulbeschG, Einleitung, S. 25. 3S3 Dazu auch Dittus, Bauamt u n d Gemeindebau, 1952, 338; ders., i n : Dittus / Zinkahn, BaulbeschG, Einleitung, S. 36, 37. 384 Z u dem betont sozialstaatlichen Impuls städtebaulicher Maßnahmen Werner, Verfassung, Rechtsgefühl u n d Städtebau, i n : Entwicklungsgesetze der Stadt, S. 28. 385 Städtebauförderungsgesetz — f ü r wen?, i n : Leviathan Bd. 2 (1974), S. 221. 3ββ Dazu Bielenberg, Empfehlen sich . . . , Β 88.

2. Abschn. : Enteignung als Instrument einer aktiven Sozialpolitik

135

e i n eigenartiges S p a n n u n g s f e l d zwischen e i g e n t u m s b e w a h r e n d e n sozialstaatlichen n a c h V e r ä n d e r u n g d r ä n g e n d e n I m p u l s e n , die

und

abzu-

gleichen die eigentliche A u f g a b e d e r G e m e i n w o h l k l a u s e l ist. Rechtstechnisch b i l d e n sich z w e i T y p e n p r i v a t n ü t z i g e r E n t e i g n u n g e n i m B e r e i c h d e r B o d e n o r d n u n g heraus, d i e i m f o l g e n d e n e i n g e h e n d u n t e r s u c h t w e r d e n sollen: M i t d e m e i n e n e r w i r b t d e r p r i v a t e B a u w i l l i g e k r a f t staatlicher V e r m i t t l u n g u n m i t t e l b a r v o n dem Enteignungsbetroffenen, ohne daß also d e r enteignende S t a a t selbst das G r u n d e i g e n t u m e r w i r b t . E n t e i g n u n g s r e c h t l i c h i n t e r e s s a n t e r als dieser D i r e k t e r w e r b des Enteignungsbegünstigten ist ein zweiter Enteignungstyp, der i m nachf o l g e n d e n als t r a n s i t o r i s c h e E n t e i g n u n g bezeichnet w e r d e n s o l l 3 8 7 . Ä u ß e r l i c h zeichnet e r sich d a d u r c h aus, daß b e i i h m d e r enteignende S t a a t zunächst selbst das G r u n d e i g e n t u m e r w i r b t , u m es erst anschließ e n d w e i t e r z u v e r ä u ß e r n . I n h a l t l i c h aber s i n d es d i e erst h i n t e r d e m e i g e n t l i c h e n technischen E n t e i g n u n g s v o r g a n g l i e g e n d e n e i g e n t u m s - w i e b o d e n p o l i t i s c h e n V e r ä u ß e r u n g s z i e l e , die sich v o n d e m E n t e i g n u n g s zweck n i c h t i s o l i e r e n lassen u n d diesen T y p u s besonders i n t e r e s s a n t machen. Eine erstaunliche Konstanz weist dagegen die privatnützige Enteignung von Mobilien auf, die diesen Enteignungstyp f ü r eine eingehende Untersuchung uninteressant erscheinen l ä ß t 3 8 8 . V o n den Sicherstellungsgesetzen der N o t standsgesetzgebung 389 über die Bewirtschaftungsvorschriften des ersten oder zweiten Weltkrieges läßt sich eine gerade L i n i e zu jenen landrechtlichen Regelungen zurückverfolgen, die den Zwangskauf von Getreide oder „ a n deren Victualien" i n Zeiten gemeiner Not anordnen 3 9 0 . Die privatnützige Enteignung v o n Mobilien, insbesondere v o n Lebensmitteln u n d anderen Verbrauchs- oder Gebrauchsgütern blieb stets auf Fälle des „inneren" oder „äußeren" Notstandes beschränkt. Dieses statische Verständnis der M o b i l i a r enteignung beruht auf der N a t u r des Enteignungsobjekts: A l s vertretbare Sachen sind Verbrauchs- oder Gebrauchsgüter i n normalen Zeiten leicht über einen M a r k t zu beschaffen, der w e i t weniger störanfällig ist als der Bodenm a r k t 3 9 1 . Erst w e n n infolge kollektiver Notfälle dieser M a r k t insgesamt 387 So i n Anlehnung an Forsthoff, Zur Lage des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes, S. 99. 388 Die sozial motivierte Enteignung v o n M o b i l i e n rückte n u r f ü r eine kurze Zeit i n den B r e n n p u n k t des enteignungsrechtlichen Interesses. A l s Schrittmacher eines neuen, sozialeren Eigentumsverständnisses entfaltete sie i n den Enteignungsregelungen der früheren Weimarer Zeit ihre eigentliche begriffsprägende Bedeutung, die i h r i n der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg nicht mehr zukam. 389 v g l . etwa § 1 Abs. 1, § 3 Ernährungssicherstellungsgesetz v o m 24.8.1965, B G B l I S. 938; §§ 1 ff. Wirtschaftssicherstellungsgesetz v o m 24.8.1965, B G B l I S. 920; § 1 Abs. 1 u n d 2 Verkehrssicherstellungsgesetz v o m 24.8.1965, B G B l I S. 927. 390

Vgl. Kreitmayr, Anmerkungen, Bd. I V 2. Cap. § 2. Z u den gegenwärtigen Bodenmarktproblemen vgl. Scharriberg, Bodenspekulation oder sozialer Städtebau?, i n : Gerechtigkeit i n der Industriegesellschaft, S. 191 f. 391

136

I I . 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

funktionsunfähig w i r d , w i r d auch der enteignungsrechtliche Erwerb Mobilien unausweichlich 3 9 2 .

von

1. Unterabschnitt: Der Grundtypus der privatnützigen Enteignung im Bodenrecht der Nachkriegszeit D e r e n t e i g n u n g s r e c h t l i c h e „ D i r e k t e r w e r b " des p r i v a t e n B a u w i l l i g e n als G r u n d t y p u s d e r p r i v a t n ü t z i g e n E n t e i g n u n g f i n d e t seinen ersten gesetzlichen N i e d e r s c h l a g i n d e n A u f b a u g e s e t z e n d e r L ä n d e r 3 9 3 . Das B a u l a n d b e s c h a f f u n g s g e s e t z 3 9 4 ü b e r n i m m t dieses R e c h t s i n s t i t u t , v e r f e i n e r t u n d p r ä z i s i e r t es jedoch i n w e s e n t l i c h e n P u n k t e n . V o n d o r t findet es E i n g a n g i n das B B a u G 3 9 5 , w o es seine h e u t e v e r b i n d l i c h e , typische Ausprägung erfährt 396. A . Das Enteignungsbild der A u f b a u gesetze u n d des Baulandbeschaffungsgesetzes I . Die Regelungen der Aufbaugesetze I n b r e i t e r F r o n t n a h m e n zuerst die L ä n d e r i n i h r e n A u f b a u g e s e t z e n das P r o b l e m d e r B a u l a n d b e s c h a f f u n g i n A n g r i f f . B i s a u f das W ü r t t e m bergische G e s e t z 3 9 7 e r ö f f n e t e n a l l e R e g e l u n g e n m i t fast g l e i c h l a u t e n d e m W o r t l a u t auch d i e E n t e i g n u n g z u g u n s t e n p r i v a t e r B a u w i l l i g e r . „Die Enteignung kann", so bestimmte § 45 Abs. 2 A u f b G n w . 3 9 8 beispielhaft, „zugunsten der Gemeinde oder eines D r i t t e n erfolgen, der die A u f b a u maßnahme durchführen soll". N u r das hessische Aufbaugesetz 3 9 0 stellte den besonderen Charakter der privatnützigen Enteignung heraus. Nach § 13 S. 3 w a r eine Enteignung zugunsten natürlicher oder juristischer Personen 392 § 2 Abs. 2 Wirtschaftssicherstellungsgesetz läßt dementsprechend w i r t schaftslenkende Maßnahmen erst dann zu, „ w e n n i h r Zweck nicht durch marktgerechte Maßnahme erreicht werden k a n n " . 393 v g l . dazu den Überblick bei Dittus / Zinkahn, BaulbeschG, Einleitung S. 29. 394 V o m 3. August 1953, B G B l I S. 720. 39 « V o m 23. J u n i 1960, B G B l I S. 342; abgeändert durch die Novelle v o m 18. August 1976, B G B l I S. 2221. 39 6 Das Städtebauförderungsgesetz modifiziert die privatnützige Enteignung i n i h r e m Grundtypus n u r unwesentlich, während es f ü r die transitorische Enteignung neue Akzente setzt, vgl. noch unten i m 2. Unterabschnitt. 397 württemberg-Badisches Gesetz N r . 329 v o m 18.8.1948; RegB11948; Nr. 16, S. 127. 398 Nordrhein-Westfälisches Gesetz über Maßnahmen z u m A u f b a u i n den Gemeinden v o m 29.4.1950; GVB1 N r . 20, S.78. 399 Gesetz über den A u f b a u der Städte u n d Dörfer des Landes Hessen v o m 29.10.1948, GVOB11948, Nr. 25, S. 139.

2. Abschn., 1. Unterabschn. : Bodenrecht

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„ n u r i m öffentlichen Interesse auf G r u n d eines Beschlusses der Gemeindevertretung bzw. des Kreistages zulässig". Diese qualifizierten Voraussetzungen sollten einem möglichen Mißbrauch des Enteignungsrechts durch Private vorbeugen. Konsequent n a h m § 13 S. 2 gemeinnützige Wohnungsbauunternehmen u n d andere juristische Personen m i t Mehrheitsbeteiligung der öffentlichen H a n d von dieser Zustimmungspflicht aus. Bei diesen U n t e r nehmen garantierte der gemeinnützige oder öffentliche Zweck, daß das Enteignungsrecht nicht mißbraucht w u r d e 4 0 0 .

I n ihren gesetzlichen Einzelausprägungen bot die privatnützige Enteignung ein verwirrendes Bild. Trotz der gemeinsamen sozial- und wohnungspolitischen Motivation unterschieden sich schon die gesetzlich vertypten Enteignungszwecke erheblich untereinander. Während das nw. A u f b G 4 0 1 ebenso wie das nds. 4 0 2 und das hambg. A u f b G 4 0 3 die Enteignung für allgemeine Zwecke des Wohnungsbaus eröffneten, beschränkte sich das schl.-holst. A u f b G 4 0 4 sowie das hess. A u f b G 4 0 5 auf Enteignungen für Zwecke des Klein- und Mittelwohnungsbaus. Eine Enteignung zur Anlage gewerblicher Bauten bezogen § 12 Abs. 1 hess. AufbG; § 50 Abs. 1 hambg. AufbG, § 49 schl.-holst. AufbG sowie § 45 nw. AufbG ein. Nur ein Teil dieser Enteignungsregelungen verwies dabei ausdrücklich auf die enteignungsrechtliche Gemeinwohlklausel, wie sie A r t . 14 Abs. 3 nach Inkrafttreten des Grundgesetzes bundesweit postulierte. Viele erschöpften sich i n der Aufzählung des speziellen Enteignungszwecks, ohne freilich die verfassungskräftige Gemeinwohlvoraussetzung derogieren zu können. Auch den Kreis der Grundstücke, die für eine Enteignung i n Betracht kamen, zogen die Aufbaugesetze unterschiedlich weit. Während eine Reihe von Aufbaugesetzen die Enteignung i m Bereich förmlich festgestellter Durchführungs- oder Bebauungspläne 406 oder zumindest förmlich genehmigter Einzelvorhaben zuließen 407 , sahen andere keine Bereichsbeschränkung v o r 4 0 8 . Schließlich differierten auch die gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen, die die Ent400 z u r Einbindung öffentlicher Unternehmen i n die generelle Gemeinwohlverpflichtung der V e r w a l t u n g vgl. Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S. 457. 401

§§ 45, 51 (Nachw. Fn. 398). 402 § 47 Abs. 2 des Niedersächsischen Gesetzes zur Durchführung der Ortsplanung u n d des Aufbaus i n den Gemeinden v o m 9.5.1949; GVOB11949, Nr. 24, S. 107. 403 § 50 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufbau der Hansestadt H a m b u r g v o m 11.4.1949, GVOB11949, N r . 12, S. 45. 404 § 49 Abs. 1 des Schleswig-Holsteinischen Gesetzes über den A u f b a u i n den schleswig-holsteinischen Gemeinden v o m 21.5.1949, N r . 15, S. 93. 4 °δ § 12 Abs. 1 (Nachw. Fn. 399). 4 °6 §§14, 45 n w . A u f b G ; §§15, 47 I I nds.AufbG; §§12, 15, 491 schl.-holst. A u f b G ; §§15, 501 hambg.AufbG; §§23, 491 rhpf.AufbG. ™ § 14 nds.; § 14 schl.-holst.; § 14 hambg.; § 22 rhpfl.AufbG. 408 §§ 23 bad.; § 12 hess.; § 29 w ü r t t b . A u f b G .

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

eignungsbehörden bei der Nichterfüllung des Enteignungszwecks anordnen konnten. N u r vier Aufbaugesetze kannten einen Rückübereignungsanspruch des Enteigneten gegen den Begünstigten 4 0 9 , wenn dieser den Enteignungszweck innerhalb einer bestimmten Frist, die zwischen ein und fünf Jahren schwankte, nicht erfüllte. Bei allen Unterschieden i m einzelnen ließ die privatnützige Enteignung der Aufbaugesetze zumindest ein gemeinsames Grundmuster erkennen: Der private Enteignungsbegünstigte erwarb das Bauland stets unmittelbar von dem enteignungsbetroffenen Grundeigentümer. Ein Durchgangsenteignungsrecht der öffentlichen Hand, u m die technischen oder rechtlichen Voraussetzungen der Bebauung zu schaffen, w a r den Aufbaugesetzen fremd. Technische Hindernisse für eine Bebauung waren statt dessen von dem Grundeigentümer selbst auszuräumen. Zu diesem Zweck konnte er durch Freilegungsgebote 410 verpflichtet werden, Grundstücke für eine Bebauung vorzubereiten. Instandsetzungsund Baugebote m i t dem Inhalt, zerstörte Gebäude wiederherzustellen, Baulücken zu schließen oder unbebaute Grundstücke zu bebauen ergänzten das bodenordnerische Instrumentarium der Gemeinden 4 1 1 , erwiesen sich jedoch in ihrer praktischen Handhabung als zu starr. I I . Die privatnützige Enteignung i m Baulandbeschaffungsgesetz

Das i n den Aufbaugesetzen der Länder zersplitterte enteignungsrechtliche Instrumentarium ließ schon bald Stimmen laut werden, die eine materiell- wie verfahrensrechtliche Vereinheitlichung forderten 4 1 2 . Ein erster Versuch, die Baulandenteignung i m Ersten Wohnungsbaugesetz bundeseinheitlich zu verankern, schlug jedoch fehl. Auch der Referentenentwurf für ein Bundesbaugesetz, der die Baulandenteignung i n ein umfassenderes Bodenordnungsinstrumentarium einbinden wollte, scheiterte bereits i m parlamentarischen Vorfeld 41 ®. U m der drängenden Notwendigkeit nach einem tauglichen Enteignungsinstrument gleichwohl gerecht zu werden, beschränkte sich der Gesetzgeber daher zunächst darauf, die materiellen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen der Baulandenteignung i m Baulandbeschaffungsgesetz vom 19. 8.1953 vorweg zu regeln. 409 Vgl. §§46 Abs. 8, 49 Abs. 5 schl.-holst.; § 12 Abs. 3 hess.; 57 rhpf.AufbG. «ο Vgl. §56 nds. A u f b G ; §47 hess. A u f b G ; §61 rhpf. A u f b G ; dazu auch Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 214. 411 Vgl. §§ 52, 53 hess. A u f b G ; §§ 66, 67 schl.-holst. AufbG. 412 Dazu Dittus / Zinkahn, BaulbeschG, Einleitung, S. 35 sowie die D e n k schrift des Deutschen Volksheimstättenwerkes zur Gesetzgebung über die Baulandbeschaffung, Bielefeld 1951. «3 Ebd.

2. Abschn., 1. Unterabschn.: Bodenrecht

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Das Baulandbeschaffungsgesetz stellt seine sozialstaatliche Motivation i n der Zielbestimmung des § 1 unmißverständlich heraus. M i t dem Ziel, Bauland i m Wege der Enteignung zu beschaffen, verbindet § 1 Abs. 1 als die herausragende Zielbestimmung drei weitere Enteignungszwecke: — Förderung des Wohnungsbaus — Verbindung breiter Volksschichten m i t dem Grund und Boden — Verwirklichung einer geordneten Bebauung. Daneben kennt das BaulbeschG die sekundäre 414 Ersatzland- 4 1 5 und Ersatzrechtsenteignung 416 , die sich wie die enteignungsrechtlichen Spezialinstitute der Rechtsbereinigung bei Bauten auf fremden Boden (§ 56) und der Rückenteignung bei Nichterfüllung des Enteignungszweckes (§ 51) nicht ohne weiteres unter die Ziele des § 1 Abs. 1 einordnen lassen 417 . Von besonderem Interesse ist die Zwecktrias des § 1 Abs. 1, welche die Privatnützigkeit der Enteignung unmittelbar offenlegt. Auch das BaulbeschG geht i n § 6 Abs. 1 S. 1 zunächst von der Gleichberechtigung aller Antragsteller aus. Die Enteignung beantragen können daher private Bauwillige, Industrieunternehmen, freie und gemeinnützige Wohnungsunternehmen sowie Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts 418 . Indem das Gesetz jedoch i n § 1 die Förderung des Wohnungsbaus und die Verbindung breiter Volksschichten m i t dem Grund und Boden als sozialpolitisches Ziel herausstellt, wertet es die Eigentumsbildung auf breiter Basis wie die Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses durch Errichtung eines Eigenheimes als sein besonderes Anliegen und w i l l gerade deshalb dem privaten Bauwilligen den Zugang zum Bauland eröffnen 4 1 9 . Die privatnützige Enteignung i n ihrem Grundtypus ist nach der Intention des Gesetzgebers die zentrale sozialpolitisch motivierte Rechtsfigur des BaulbeschG und nicht nur periphäre Randerscheinung eines i m übrigen auf die öffentliche Hand als Begünstigten zugeschnittenen Eingriffsinstrumentariums. I m einzelnen stehen die drei Zwecke des § 1 Abs. 1 freilich nicht gleichrangig nebeneinander. Wie die Motive belegen, ist Hauptanliegen des Gesetzes, den Wohnungsbau zu f ö r d e r n 4 2 0 . Die Verringerung der Wohnungs414

Z u der ins B B a u G übernommenen Terminologie vgl. Meyer ! Stich I Tittel, B B a u G (1966), v o r § 85 Rdnr. 4. 4 *5 § 2 Buchst, d., § 8. 4 *e § 15 Abs. 3. 417 Dittus / Zinkahn, BaulbeschG, § 1 A n m . I I . 418 Dittus / Zinkahn, BaulbeschG, § 6 Rdnr. I I 2. Dittus / Zinkahn, BaulbeschG, § 6 A n m . 11. 420 Vgl. die bei Dittus / Zinkahn, BaulbeschG, Einleitung S. 64, 65 wiedergegebenen Beratungen des 36. BT-Ausschusses; zum Verhältnis der Ziele untereinander siehe auch Pathe, BaulbeschG, § 1 Anm. 11.

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

not ist die vorrangige sozialpolitische Aufgabe, die gelöst werden soll. Vor allem zu diesem Zweck können Grundstücke zum B a u v o n W o h n - u n d gemischt genutzten Gebäuden (§2 Buchst, a); zum B a u v o n Heimstätten m i t Gartenland (§ 2 Buchst, a u n d b) u n d Kleinsiedlungen (§ 2 Buchst, a u n d b, § 55 Abs. 2) sowie zur Errichtung von Nebenanlagen (§ 2 Buchst, b) enteignet werden. Ernst daneben u n d nicht isoliert verfolgt der Gesetzgeber nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 die v o n bodenreformerischen Gedanken 4 2 * getragene Absicht, „breite Volksschichten m i t dem G r u n d u n d Boden zu verbinden". Diese schillernde Zielbestimmung, die erst nachträglich aus dem E n t w u r f der CDU-CSU F r a k t i o n i n das Gesetz übernommen w u r d e 4 2 2 , gibt der Baulandbeschaffung über ihre technische u n d soziale F u n k t i o n hinaus einen eigenen eigentumspolitischen Akzent. Über die Notwendigkeit des Tages hinaus, Bauland bereitzustellen, soll eine möglichst breite Streuung privaten G r u n d besitzes die I n s t i t u t i o n des Grundeigentums selbst sichern helfen 4 2 3 . Als eine klare Absage an virulente Sozialisierungstendenzen der Nachkriegs jähre stellt das BaulbeschG die Weichen f ü r eine künftige „ m a r k t k o n f o r m e " Lösung des Wohnungsproblems. Die Enteignung des BaulbeschG w i r d damit, so paradox es erscheinen mag, zum eigentumssichernden Instrument, die eigentumsnegierenden Strömungen entgegenwirken w i l l 4 2 4 . Demgegenüber hat die dritte Zielbestimmung des BaulbeschG mehr technische Bedeutung. A l s „Vorweggesetz" verzichtet das BaulbeschG dedaillierte planungsrechtliche Regelungen aufzustellen u n d schreibt statt dessen global vor, daß die Enteignungsmaßnahmen stets den Rahmen einer geordneten Bebauung zu wahren haben. U m städtebauliche Fehlentwicklungen zu v e r hindern, ist i n Ausführung dieses Ziels eine Enteignung n u r zulässig, w e n n die beabsichtigte Verwendung des Grundstücks i n „Fluchtlinienplänen, Bebauungsplänen oder ähnlichen, förmlich festgestellten städtebaulichen Plänen vorgesehen ist" (§ 3 Abs. 2 Ziff. a). Die B i n d u n g der städtebaulichen Enteignung an einen Bauleitplan bleibt jedoch i m BaulbeschG noch fragmentarisch. Weder ist die Enteignung zu allen Nutzungsmöglichkeiten eröffnet, die I n h a l t der Bauleitpläne sind, noch w i r d die Voraussetzung der Planakzessorietät lückenlos durchgehalten. Liegen städtebauliche Leitpläne nicht vor, reicht es i m Einzelfall aus, daß die f ü r die Ortsplanung zuständige Aufsichtsbehörde die Vereinbarkeit der Enteignung m i t einer geordneten städtebaulichen E n t w i c k l u n g feststellt (§ 3 Abs. 2 Ziff. b). Schließlich trägt a u d i das BaulbeschG dem Anliegen Rechnung, einem möglichen Mißbrauch des Enteignungsrechts durch Private vorzubeugen, einem Anliegen, das wegen der exponierten F u n k t i o n der privatnützigen Enteignung i m BaulbeschG besonders gerechtfertigt ist. § 6 Abs. 2 läßt i n diesem Zusammenhang eine erneute Enteignung zu, w e n n binnen eines Jahres nicht ernsthaft m i t der Bebauung des Grundstücks begonnen w u r d e ; § 51 gewährte dem früheren Eigentümer aus dem gleichen G r u n d auch einen Rückenteignungsanspruch.

421

Siehe dazu auch Peters, Die Bodenreform, S. 74. E n t w u r f eines Gesetzes zur Beschaffung von Bauland der Bundestagsfraktion der CDU/CSU v o m 5. 6.1971; BT.-Drucks. 1/2300. 423 Dittus / Zinkahn, BaulbeschG, § 1 A n m . I I 4 u n d Einleitung, S. 48. 424 Vgl. dazu auch Werner, DVB1. 1954, 44 f. 422

2. Abschn., 1. Unterabschn.: Bodenrecht

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B. D e r enteignungsrechtliche D i r e k t e r w e r b i m B B a u G

Ihre typische Ausprägung erfährt die sozialstaatlich motivierte, privatnützige Enteignung i m BBauG vom 23. Juni I960 4 2 5 . Die Novellierung des BauBG von 1976 426 hat i m Bereich der Enteignungsvoraussetzungen nur Randkorrekturen gebracht, die grundlegende Konzeption der städtebaulichen Enteignung i m übrigen aber unberührt gelassen 427 . Auch künftig n i m m t deshalb die Enteignung in dem bodenpolitischen Instrumentarium des BBauG einen zentralen Platz ein und bleibt wie dieses dem sozialstaatlichen Ziel verpflichtet, eine geordnete städtebauliche Entwicklung zu verwirklichen 4 2 8 . I n ihren Einzelzielsetzungen, wie sie § 85 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 i. V. m. § 87 BBauG postulieren, hebt sich die Enteignung des BBauG deutlich von ihren Vorgängerregelungen ab. Diente die Enteignung des BaulbeschG noch vorrangig Wohnungsbauzwecken, ist die Enteignung nun als umgreifendes städtebauliches M i t t e l konzipiert, das städtebauliche Maßnahmen und Bauten jeder A r t ermöglichen soll 4 2 9 . Innerhalb des Zielkatalogs des § 85 Abs. 1 BBauG verdient dabei die planakzessorische Enteignung des § 85 Abs. 1 Nr. 1 als der praktisch wichtigste Enteignungstatbestand besondere Beachtung 430 . Daneben kommt den weiteren Enteignungsvarianten nur untergeordnete Bedeutung zu, so daß sie i m folgenden weitgehend unberücksichtigt bleiben können 4 3 1 . Planakzessorisch heißt die Enteignungsregelung des § 85 Abs. 1 Nr. 1 deshalb, w e i l das Gesetz eine Enteignung hier zuläßt, „ u m entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans ein Grundstück zu nutzen oder eine solche Nutzung vorzubereiten". Soweit § 87 Abs. 3 BBauG die Fälle der nutzungsvorbereitenden Enteignung den Gemeinden reserviert, verfolgen Enteignungen zugunsten privater Bauwilliger primär den Zweck, 425 B G B l I S. 341. 42β V o m 18. August 1976, B G B l I S. 2221. 427 Erwähnenswert ist die Erweiterung des Enteignungskatalogs durch § 85 Abs. 1 Nr. 5 BBauG, der k ü n f t i g eine Enteignung zu städtebaulichen Erhaltungszwecken nach Maßgabe des § 39 h Abs. 1, 3 u n d 4 B B a u G zuläßt; dazu Schmidt-Aßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, § 85 Rdnr. 34. Die Novelle hat zudem die einschränkenden Voraussetzungen des § 87 Abs. 2 B B a u G α. F. auf ein sachgerechtes Maß reduziert; vgl. dazu i m einzelnen Zinkahn, Die Ausgestaltung des Vorkaufs- u n d Enteignungsinstrumentariums i n der Bundesbaugesetznovelle, i n : Sten. Prot, der 33. Sitzung des Ausschusses f ü r Raumordnung, Bauwesen u n d Städtebau v o m 12. November 1974, S. 85 f., 88. 428 So schon die amtl. Begründung zum E n t w u r f des B B a u G 1960, B T . Drucks. III/336, S. 86. 42» I n diesem Sinne auch Peters, Die Bodenreform, S. 74. 430 Hierzu auch Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 216. 431 I n diesem Sinne auch Ernst / Bonczek, Z u r Reform des städtischen Bodenrechts, S. 19.

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

die i m Bebauungsplan vorgezeichnete Nutzung zu verwirklichen. Spezialgesetzliche Enteignungsklausel des § 85 Abs. 1 Nr. 1 BBauG, Bebauungsplanverfahren und darauf aufbauendes, administratives Enteignungsverfahren markieren auch hierbei die einzelnen Stufen enteignungsrechtlicher Gemeinwohlkonkretisierung 4 3 2 . Da sich der Gesetzgeber i n § 85 Abs. 1 Nr. 1 BBauG freilich damit begnügt hat, Bauleitplanverfahren und administratives Enteignungsverfahren funktionell zu verknüpfen, sind es eigentlich nur die beiden letzten Verfahrensstufen, die dem Gemeinwohlurteil i m konkreten Enteignungsfall inhaltlich Gestalt geben. I. Die planungsrechtlichen Bindungen des Enteignungszwecks

1. Die privatnützige Enteignung als Konsequenz der Plankonzeption des BBauG Die enge inhaltliche Bindung der Enteignung an den Bebauungsplan verleiht der privatnützigen Enteignung des BBauG schon auf der ersten Verfahrensstufe die ihr eigenen charakteristischen Züge. Sie ist einmal vor dem Hintergrund der Plankonzeption des Bundesbaugesetzes deshalb notwendig privatnützig, weil auch nach der Novellierung Bauleitplanung dem Typus nach „Bereitstellungsplanung" 4 3 3 geblieben ist. Das heißt, daß die Gemeinden auch künftig i m K e r n darauf beschränkt bleiben, den räumlichen Ordnungsrahmen der erstrebten städtebaulichen Entwicklung aufzustellen und zu gewährleisten, während es Aufgabe der Privaten ist, durch eigenbestimmte Bau- und Investitionsentscheidungen wesentliche Teile des Rahmens auszufüllen 434 . Drohen plangemäße Bau- und Investitionsabsichten an mangelndem Bauland zu scheitern, ist es auf dem Boden dieser Planungskonzeption nur konsequent, daß das Gesetz den privaten Nutzungswilligen auch den Grunderwerb durch Enteignung eröffnet. Diese Folgerung ist für das BBauG so selbstverständlich, daß es in seinen Enteignungsvorschriften die Möglichkeit der privatnützigen Enteignung nicht besonders herausstellt; i n dieser prinzipiellen Gleichwertigkeit von öffentlicher und privater Initiative liegt zudem der eigentliche Grund, daß sie sich i n ihren äußeren Erscheinungsbildern so weitgehend gleichen.

432 Z u den unterschiedlichen Modellen enteignungsrechtlicher Gemeinwohlkonkretisierung innerhalb w i e außerhalb des B B a u G vgl. Schmidt-Aßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, §85 Rdnr. 1 bis 4. 433 So schon Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurecht, S. 216 zum B B a u G v o n 1960; zu dem beibehaltenen P r i m a t der P r i v a t i n i t i a t i v e i n der novellierten Fassung des Gesetzes ders., N J W 1976, 1913. 434 Dazu noch Wollmann, Städtebauförderungsgesetz f ü r wen?, S. 199, 203.

2. Abschn., 1. Unterabschn.: Bodenrecht

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Die inhaltliche Koppelung der Enteignung an die Aussagen des Bebauungsplanes prägt die privatnützige Enteignung noch i n einer zweiten Hinsicht: Sie ist zugleich sozialstaatliche Enteignung par excellence, denn Bauleitpläne werden nicht u m ihrer selbst Willen aufgestellt, sondern sollen nach dem programmatischen Hauptleitsatz des § 1 Abs. 6 S. 1 BBauG eine geordnete städtebauliche Entwicklung und „eine dem Wohl der Allgemeinheit entsprechende, sozialgerechte Bodennutzung gewährleisten wie dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern" 4 3 5 . I m Mittelpunkt des i n § 1 Abs. 6 angedeuteten städtebaulichen Leitbildes stehen die Bedürfnisse der i n der örtlichen Gemeinschaft lebenden Menschen; Bauleitpläne und die darauf basierenden Planverwirklichungsinstrumente sind also direkter Ausdruck der sozialstaatlichen Forderung, durch gestaltende Eingriffe i m städtebaulichen Raum ein gesundes Sozialgefüge und Daseinsmöglichkeiten für alle zu schaffen 436 . 2. Umsetzung in einzelne Planaussagen Das BBauG beläßt es nicht bei der programmatischen Aussage des § 1 Abs. 6 S. 1, sondern schlüsselt seine Vorstellung eines sozialen Städtebaus in dem breit gefächerten Leitsatzkatalog des § 1 Abs. 6 S. 2 weiter auf 4 3 7 . Da die planakzessorische Enteignung über den Bebauungsplan an diesen Zielsetzungen teilnimmt, geben sie auch Aufschluß über die zulässigerweise m i t der Enteignung verfolgten weiteren Ziele. Freilich schlägt die aus der städtebaulichen Aufgabe der Bauleitplanung folgende Sperre 4 3 8 auch auf das Planverwirklichungsinstrument Enteignung durch: So wenig Bauleitplanung zum Instrument zentraler Gesellschaftsplanung umfunktioniert werden darf, so wenig darf die planakzessorische Enteignung losgelöst von boden-, räum- und siedlungsstrukturellen Bezügen sozialpolitische Ziele ansteuern. Trotz dieser Bindung an städtebauliche Aufgaben bleibt der Gemeinde wegen der häufigen Raumrelevanz sozialpolitischer Probleme ein weiter Handlungsspielraum, der es ermöglicht, Bauleitplanung wie darauf aufbauende Enteignung als Instrument einer aktiven Sozialpolitik zu begreifen. Plastisch w i r d dies aus den Einzelzielsetzungen des § 1 Abs. 6 S. 2 BBauG. Anknüpfend an den Terminus „sozialgerechte Bodenordnung" rechnet das Gesetz zu diesem Ziel u. a., gesunde W o h n - u n d Arbeitsverhältnisse sicherzustellen, den sozialen u n d k u l t u r e l l e n Bedürfnissen der Bevölkerung Rech435 Dazu Schmidt-Aßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, B B a u G § 1 Rdnr. 168. 43β Werner, Verfassung, Rechtsgefühl u n d Städtebau, S. 27 f. 4 37 Vgl. i m einzelnen Schmidt-Aßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, B B a u G § 1 Rdnr. 173 f. 438 Ebd., Rdnr. 171.

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

nung zu tragen, die Belange v o n hilfsbedürftigen Personen zu berücksichtigen oder f ü r eine Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung zu sorg e n 4 3 9 . Gerade die letzte Zielbestimmung erlangt enteignungsrechtliche Relevanz, w e n n die Enteignung i m Vollzug der Plankonzeption somit legitimerweise als eigentumsstreuendes Instrument eingesetzt w i r d 4 4 0 . Auch das Ziel, f ü r eine „menschenwürdige U m w e l t " zu sorgen, hat einen eminent sozialstaatlichen Bezug. Die Erhaltung u n d Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, Naturschutz- u n d Landschaftspflege w i e die Gestaltung des Orts- u n d Landschaftsbildes erfüllen allesamt raumrelevante sozialstaatliche Forderungen 4 4 1 .

Konkret umgesetzt und zur verbindlichen Grundlage späterer Enteignungsakte werden die sozialstaatlichen Planungsziele allerdings erst i n den planerischen Festsetzungen, wie sie § 9 Abs. 1 BBauG i. V. m. § 1 ff. BauNVO inhaltlich spezifizieren. Rechtstechnisch vollzieht sich der Umwertungsprozeß i n dem Abwägungsvorgang, wie i h n § 1 Abs. 7 BBauG m i t dem Gebot, bei der Aufstellung von Bauleitplänen öffentliche und private Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen, umreißt 4 4 2 . Während sich der Begriff „private Belange" i n erster Linie auf den Inhalt des Grundeigentums der i m Planbereich gelegenen Grundstücke bezieht, umfassen die öffentlichen Belange eben die sozialstaatlichen Planungsziele, die ausschnittsweise oben benannt worden sind 4 4 3 . Kurz: Abwägen heißt deshalb für den Planungsträger immer, den Freiheitsraum des einzelnen i m Bereich der Eigentumsordnung m i t den sozialstaatlichen Belangen der Allgemeinheit gerecht a b zugleichen 444 . I n dem Abwägungsvorgang transformiert der Planungsträger auch die an einer bestimmten Nutzung interessierten privaten zu öffentlichen Interessen und legt damit den Grundstein für das spätere enteignungsrechtliche Gemeinwohlurteil der Enteignungsbehörde 446 . Daher dienen 43 » Z u r Systematik der Leitsätze des § 1 Abs. 6 B B a u G ausführlich Geizer, Bauplanungsrecht Rdnr. 22 f.; Hoppe, BauR 1970, 15 f. 440 Z u der verfassungsrechtlichen Problematik einer eigentumsstreuenden Enteignung unter dem Lichte des A r t . 14 Abs. 3 S. 1 G G vgl. unten 2. U n t e r abschnitt B. I I I . 44 * Ä h n l i c h Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 224 f. 442 Die Abwägungsklausel eröffnet den Gemeinden einen weiten Bereich planerischer Gestaltungsfreiheit, auf deren verfassungsrechtlichen Begrenzung durch das Übermaßverbot i m Zusammenhang der engeren Planenteignungstatbestände der §§ 40 ff. B B a u G eingegangen werden soll, vgl. unten 2. Kap. 443 Grundlegend zur S t r u k t u r des Abwägungsgebotes Hoppe, DVB1. 1964, 1651; Geizer, Bauplanungsrecht, Rdnr. 33; Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 85. 444 Ä h n l i c h Papier, DVB1. 1975, 461, 465. 445 Z u der schwierigen Frage, i n w i e w e i t i m einzelnen die Festsetzungen des Bebauungsplans das nachfolgende enteignungsrechtliche Gemeinwohlurteil indizieren vgl. unten 2. Kap., 2. Abschnitt, Β . I I .

2. Abschn., 1. Unterabschn.: Bodenrecht

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auch die Festsetzungen, die „privaten" Bau- und Investitionsabsichten entgegenkommen und deshalb Grundlage der späteren privatnützigen Enteignung werden, den öffentlichen Belangen städtebaulicher Planung, sofern sie nur abwägungsfehlerfrei zustande gekommen sind 4 4 6 . I m einzelnen finden sich akzentuiert sozialstaatliche Planausweisungen, die sozial schwächere Bevölkerungsgruppen begünstigen wollen, v o r allem i n § 9 Abs. 1 Nr. 6 bis 8. So folgt die Ausweisung von Flächen, die für die Bebauung m i t Familienheimen vorgesehen sind, den sozialpolitischen I n t e n tionen des Zweiten Wohnungsbaugesetzes, familiengerechte Wohnstätten zu schaffen 4 4 7 . Sofern i n der Gemeinde ein Bedürfnis nach dieser Wohnform besteht, ist bei i m übrigen ordnungsgemäßer Abwägung k e i n G r u n d ersichtlich, weshalb eine solche sozialstaatlich legitimierte Festsetzung nicht auch f ü r Privatgrundstücke i n Betracht k o m m t 4 4 8 . Zielen des sozialen Wohnungsbaus dienen auch die Flächen, auf denen nach den Richtlinien des sozialen Wohnungsbaus förderungsfähige Gebäude errichtet werden können (§ 9 Abs. 1 Nr. 7 BBauG). Allerdings werden bei dieser Festsetzung ebenso w i e bei den Flächen f ü r Personengruppen m i t besonderem Wohnbedarf (Nr. 8 ) 4 4 9 die sozialpolitischen Adressaten n u r mittelbar begünstigt, was jedoch nichts verschlägt, da die unmittelbar begünstigten Wohnungsbauträger die sozialen Vorteile weitergeben müssen. I m Kerne privatnützig sind auch die Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 9. Hierzu sind auch i n der novellierten Fassung diejenigen Flächen zu rechnen, die w i e Parkhäuser zugleich erwerbswirtschaftlichen Zielen eines p r i v a ten Trägers dienen 4 5 0 . Da bei ihnen die Gefahr besteht, daß ihre städtebaulich-soziale F u n k t i o n von den erwerbswirtschaftlichen Zielen der Privaten verdrängt w i r d , läßt der Gesetzgeber solche Festsetzungen n u r unter der strengen Voraussetzung zu, daß besondere städtebauliche Gründe den N u t zungszweck erfordern 4 5 1 . Ohne dieses streng zu handhabende Erfordernis würde die planerische Festsetzung m i t ihren Rechtsfolgen nicht v o m Gemeinw o h l getragen werden u n d bereits auf der Planungsstufe i n K o n f l i k t zur Eigentumsgarantie geraten 4 5 2 . 446

Z u den Abwägungsfehlern jüngst Hoppe, Planung u n d Pläne i n der verfassungsgerichtlichen Kontrolle, i n : Bundesverfassungsgericht u n d G r u n d gesetz, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 1, S. 663 f. ; ders., DVB1. 1977, 136. 447 Zweites Wohnungsbaugesetz (Wohnungsbau- u n d Familienheimgesetz) v o m 27. 6.1956 ( B G B l I S. 523) i. d. F. v o m 1. 9.1976 ( B G B l I S. 2673). 448 Α. A . aber Geizer, Bauplanungsrecht, Rdnr. 118. Daß bereits die Festsetzung enteignende W i r k u n g e n zeigt (zur städtebaulichen Planenteignung vgl. i m einzelnen unten 2. Kap., 2. Abschnitt) oder auf ihrer Grundlage eine förmliche Enteignung notwendig w i r d , spricht bei Beachtung des Gemeinwohlprinzips gerade nicht gegen die Festsetzung, sondern löst lediglich E n t schädigungspflichten aus. 449 Die durch die Novelle eingefügte Ausweisung trägt v o r allem dem Gedanken der Sozialplanung nach § 13 a B B a u G Rechnung u n d schafft die Voraussetzung, planungsbetroffene, sozialschwächere Bevölkerungsgruppen anderweitig i m Gemeindegebiet unterzubringen, vgl. auch die amtl. Begründung zur BBauG-Novelle, BT.-Drucks. 7/2496, S. 39, 40. 450 Dazu i m einzelnen auch BT.-Drucks. 7/2496, S. 40; ähnlich auch Schlichter / Stich / Tittel, BBauG, § 9 Rdnr. 13. 451 Schlichter l Stich / Tittel, ebd. 452 Brügelmann / Pohl, BBauG, § 9 Anm. I I 2 h. 10 Frenzel

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

Abseits der speziellen Festsetzungen w i r k e n die sozialstaatlichen Leitsätze städtebaulicher Planung selbstverständlich auch auf die allgemeinen Festsetzungen des Bebauungsplanes, d. h. auf die festzusetzende A r t u n d das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise nebst den überbaubaren Grundstücksflächen u n d die Mindestgröße, Mindestbreite w i e Mindesttiefe von Baugrundstücken ein. So w i r d sich etwa die Festsetzung der Mindestgröße von G r u n d stücken auch an dem Ziel zu orientieren haben, eine breitere Eigentumsstreuung zu f ö r d e r n 4 5 3 . I I . Die Konkretisierung des Enteignungszwecks i m Enteignungsverfahren

Legt der Bebauungsplan die planerische Basis des nachfolgenden enteignungsrechtlichen Gemeinwohlurteils fest, so ist es die Aufgabe des administrativen Enteignungsverfahrens nach §104 ff. BBauG, die Zulässigkeit der Enteignung i m konkreten Einzelfall orts- und zeitbezogen zu bestimmen. Inwieweit allerdings i m Ergebnis die planerische A b wägung auch das enteignungsrechtliche Gemeinwohlurteil präjudiziert, ist eine nach wie vor umstrittene Frage, die i m Zusammenhang der engeren Planenteignungstatbestände untersucht werden soll 4 5 4 . Hier genügt es zunächst festzuhalten, daß das BBauG äußerlich von zwei getrennten Verfahrensabschnitten ausgeht, d. h. einerseits zwischen planerischer Abwägung, die die Gesamtbelange des Planungsbereichs einrechnen muß und andererseits zwischen dem einzelfallbezogenen, enteignungsrechtlichen Gemeinwohlurteil unterscheidet 455 . § 87 Abs. 1 BBauG bringt diese einzelfallbezogene Perspektive unmißverständlich zum Ausdruck, i n dem er formuliert, daß eine Enteignung im einzelnen Fall nur zulässig ist, wenn das Wohl der Allgemeinheit sie erfordert und der Enteignungszweck auf andere zumutbare Weise nicht erreicht werden kann. Diese für das administrative Enteignungsverfahren zentrale, materielle Regelung wiederholt somit die verfassungsrechtliche Enteignungsschranke des A r t . 14 Abs. 3 S. 1 GG, verknüpft sie aber zugleich inhaltlich m i t dem verfassungskräftigen Übermaßverbot, das damit zum eigentlichen Gegenstand der behördlichen Gemeinwohlprüfung auch bei der privatnützigen Enteignung w i r d 4 5 6 : Neben § 87 Abs. 1 und 2 hat das BBauG i n § 92 weitere Richtpunkte vorgegeben, wie es das Übermaßverbot i n seinen Einzelausprägungen versteht 4 5 7 . Keine Schwierigkeiten bereitet der Wortlaut des § 92 Abs. 2, 453

Ä h n l i c h Geizer, Bauplanungsrecht, Rdnr. 100. « 4 Siehe unten 2. Kap., 2. Abschnitt, Β . I I . 455 Dazu auch Schütz / Frohberg, BBauG, §87 A n m . 3; Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 109; Bielenberg, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, Vorb. § § 4 0 - 4 4 Rdnr. 142. Plan- u n d Planvollzug sind freilich insoweit verbunden, als ein fehlerhafter Bebauungsplan auch die Enteignung infiziert, Schütz / Frohberg, BBauG, § 1 A n m . 6. «β Ähnlich Brügelmann / Pohl, BBauG, § 87 Anm. 1 1 e bb.

2. Abschn., 1. Unterabschn.: Bodenrecht

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der die Enteignung räumlich wie modal begrenzt, indem er die Frage der Teilflächenenteignung und des Voll- und Teilrechtsentzugs abschließend regelt 4 5 8 . Schwieriger ist die i n § 87 Abs. 1 enthaltene Frage nach der Subsidiarität der Enteignung gegenüber anderen, bodenordnenden Maßnahmen zu beurteilen 4 5 9 . Der B G H hat i n einem jüngeren Urteil an der strengen Subsidiarität der Enteignung gegenüber der Umlegung festgehalten 460 , obwohl die Verwandtschaft der Bodenordnungsinstrumente, die sich oftmals nur durch ihre technische Ausgestaltung, nicht aber durch das Maß der Rechtsbeeinträchtigung unterscheiden, ein A b rücken von dem strengen Subsidiaritätsgrundsatz nahegelegt 461 . Der durch die Bundesbaugesetznovelle eingefügte § 87 Abs. 4 weist i n die gleiche Richtung, indem er ausdrücklich zuläßt, daß Enteignung und die Plangebote der §§ 39 a ff. nebeneinander stehen können 4 6 2 . Weitere Prüfpunkte unter dem Aspekt des Übermaßverbotes finden sich i n § 87 Abs. 2 BBauG. Die Enteignung als „ultima ratio" fordert, daß sich der private Antragsteller vorab u m den freihändigen Erwerb des zu enteignenden Grundstücks zu angemessenen Bedingungen bemüht hat 4 6 3 . Von Bedeutung speziell für die privatnützige Enteignung ist zudem die Klausel des Abs. 2 S. 2, die verlangt, daß der Antragsteller die baldige Verwirklichung des Enteignungszwecks glaubhaft macht 4 6 4 . Sie w i l l der Gefahr eines Mißbrauchs des Enteignungsrechts entgegenwirken, die bei Privaten größer erscheint als bei der generell auf das Gemeinwohl verpflichteten öffentlichen Hand 4 6 5 . Zu den Tatsachen, die glaubhaft zu machen sind, zählt vor allem die Finanzkraft und Kreditwürdigkeit des Antragstellers 4 6 6 . Ohne daß dies ausdrücklich i n den Enteignungsregelungen des BBauG anklingt, fordert das Übermaßverbot schließlich auch eine Beurteilung 457 Z u den Einzelausprägungen siehe i m einzelnen Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 219 f.; Schrödter, BBauG, §87 Rdnr. 3 u. 4; Schütz / Frohberg, BBauG, §87 A n m . I I I 2; Schlichter / Stich / Tittel, B B a u G § 87 Rdnr. 2 f. 458 Dazu Schlichter / Stich / Tittel, BBauG, § 92 Rdnr. 1. 45» v g l . i m einzelnen Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 221. «ο U r t . v o m 11.11.1976 — I I I ZR 114/75 —. 461 Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 221, der zudem darauf hinweist, daß die A n w e n d u n g des geringeren Mittels dem durch die Maßnahme Begünstigten zumutbar sein muß. 462 Anders freilich Schlichter / Stich / Tittel, BBauG, § 87 Rdnr. 22, der die Planverwirklichungsgebote der Enteignung vorgehen lassen w i l l . 463 Z u den Tatbestandsmerkmalen dieser Klausel vgl. i m einzelnen Schlichter / Stich / Tittel, BBauG, § 87 Rdnr. 14. 464 Dazu auch Schütz / Frohberg, BBauG, §87 A n m . V I . 465 Ä h n l i c h Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, S. 474. 466 Schlichter / Stich / Tittel, BBauG, § 87 Rdnr. 18.

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

des Enteignungsvorhabens unter temporärem Aspekt. Notwendig ist, daß das Wohl der Allgemeinheit den Planvollzug durch Enteignung i m konkreten Zeitpunkt erfordert 4 6 7 . Denkbar ist in diesem Zusammenhang nicht nur, daß die Enteignung zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht erforderlich ist, sondern andererseits auch, daß der Bebauungsplan trotz Rechtswirksamkeit „veraltet" und nicht mehr Grundlage einer Enteignung werden darf, w e i l die Gemeinde erkennbar von der ursprünglichen Plankonzeption abgerückt ist 4 6 8 . Alles i n allem verleihen die Einzelausprägungen des Ubermaßverbotes dem Allgemeinwohlurteil der Enteignungsbehörde auf dieser letzten Konkretisierungsstufe die notwendige Schärfe, wobei freilich nicht zu verkennen ist, daß Inhalt und Richtung der privatnützigen Enteignung bereits auf der Planebene vorgezeichnet sind.

2. Unterabschnitt: Die transitorische Enteignung als eigenständiger Enteignungstyp Von aktuellem enteignungsrechtlichen Interesse ist ein zweiter „ p r i vatnütziger" Enteignungstyp, der gemeinhin als transitorische oder Durchgangsenteignung bezeichnet w i r d 4 6 9 . Eigenart dieses Enteignungstyps, der über das BaulbeschG 470 i n die neuere Baulandgesetzgebung Eingang gefunden hat, ist es, daß der Private erst i n einem zweiten A k t das Grundeigentum erwirbt. Dem eigentlichen Grunderwerb des Privaten vorgeschaltet ist der enteignungsrechtliche Zwischenerwerb der Gemeinde, die vor der Weiterveräußerung die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für eine sinnvolle städtebauliche Nutzung des Grundstücks schafft 471 . Sowohl das B B a u G als auch das StBauFG unterscheiden i n ihren Einzelregelungen zwar äußerlich scharf zwischen dem vorgängigen enteignungsrechtlichen E r w e r b der Gemeinde u n d der nachfolgenden Weiterveräußerung an die privaten Nutzungswilligen. I n h a l t l i c h sind jedoch Enteignungs- u n d Privatisierungsvorschriften eng miteinander v e r k n ü p f t 4 7 2 . i m B B a u G bestimmen die §§ 85 Abs. 1 Nr. 1 u n d 2 i. V. m. § 87 Abs. 3, daß Enteignungen 467 So erst jüngst wieder der BGH, U r t e i l v o m 19.2.1976 — I I I ZR 147/ 74 — = BauR 1976, S. 273; vgl. weiter Brügelmann / Pohl, BBauG, §87 A n m . 1 1 g cc; Blümel, D Ö V 1965, 297 (300), Fn. 29. 468 Ä h n l i c h O L G Hamburg, U r t . v o m 25. 6.1963 — 1 U 43 63 — = hambg. Grundeigentum 1963, 315. 469 Forsthoff, Z u r Lage des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes, S. 99 f.; Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 218. 470 §6 Abs. 3; vgl. dazu Dittus / Zinkahn, BaulbeschG, § 6 A n m . 11. 471 Dazu auch Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 217 bis 219. 472 So auch die amtliche Begründung zur Novellierung des §89 BBauG, BT.-Drucks. 7/4794, S. 16.

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

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m i t dem Ziel, eine „plangemäße bauliche Nutzung vorzubereiten" oder „ u n bebaute oder geringfügig bebaute Grundstücke einer baulichen Nutzung zuzuführen", n u r zugunsten der Gemeinde zulässig sind. § 89 schließt daran an u n d regelt i m einzelnen die Modalitäten, die die Gemeinde bei der pflichtgemäßen Weiterveräußerung an Private zu beachten hat 4 ™. Auch das StBauFG räumt dem Enteignungserwerb u n d der nachfolgenden Wiederveräußerung selbständige Tatbestände ein. F ü r Enteignungen i m Sanierungsgebiet w i e i m Entwicklungsbereich sehen die §§22, 57 Abs. 3 StBauFG erleichterte Enteignungsvoraussetzungen v o r ; §§25, 59 StBauFG regeln die korrespondierenden Veräußerungspflichten.

Unter dem Aspekt der Eingriffszulässigkeit ist dieser Enteignungstyp deshalb interessant, w e i l die hinter dem eigentlichen Enteignungszweck liegenden Veräußerungsziele der Gemeinde einen i m Vergleich zum „traditionellen" städtebaulichen Enteignungsinstitut ungleich größeren boden- wie eigentumspolitischen Spielraum eröffnen. Enteignungs- und Veräußerungsziele kumulieren und prägen ein um neue Eingriffsmöglichkeiten erweitertes Enteignungsbild 4 7 4 . A u f Grenzen stößt dieser Prozeß allerdings dort, wo die Sperrklausel des § 85 Abs. 1 BBauG tangiert wird, die den vorgängigen Enteignungserwerb i n ihrer planakzessorischen Variante an die städtebaulichen Zielsetzungen bindet, die über den Bebauungsplan legitimerweise i n die Enteignung einfließen dürfen 4 7 5 . Wegen der planersetzenden F u n k t i o n 4 7 6 des § 34 BBauG w i r k t diese Schranke mittelbar auch auf die Enteignungen i n diesem Bereich ein. Entsprechend variierend stellen sich die zulässigerweise verfolgten Einzelziele der transitorischen Enteignung i m allgemeinen städtebaulichen Bereich des BBauG wie i n den Problemgebieten des StBauFG dar, da hier wie dort unterschiedliche städtebauliche Konzeptionen verfolgt werden. Inwieweit daher die transitorische Enteignung zum Instrument einer breiten Eigentumsstreuung, einer gemeindlichen Bodenbevorratung wie einer Bodenwertabschöpfung mutieren darf, w i r d vor dem Hintergrund der jeweils verfolgten, städtebaulichen Konzeption zu beurteilen sein. I n ihrer Summe spiegeln diese, über die Veräußerungsregelung auf den Enteignungserwerb rückwirkenden Zwecksetzungen freilich am klarsten den sozialstaatlichen Wandel des Enteignungsinstitutes wieder, werfen jedoch zugleich die Frage auf, ob dies neue Enteignungsbild verfassungsrechtlich noch zu tolerieren ist 4 7 7 . 4

™ Vgl. i m einzelnen Schrödter, BBauG, § 89 Rdnr. 1. Ähnlich Ernst, Sonderdruck der Zeitschrift f ü r Vermessungswesen, 1966, 7 ff. 475 Z u dieser Sperrklausel des § 85 Abs. 1 BBauG, die eine städtebauliche Enteignung „ n u r " zu den i m Gesetz aufgeführten Zwecken zuläßt, ausführlich Schmidt-Aßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, §85 Rdnr. 5. V o n diesen Bindungen an § 85 Abs. 1 B B a u G befreit allerdings das StBauFG i n § 57 Abs. 3 die Enteignung i m Entwicklungsbereich. 476 Dazu Schlichter / Stich / Tittel, BBauG, § 34 Rdnr. 1. 477 Hierzu auch Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 294. 474

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung A . D i e nutzungsvorbereitende, technische F u n k t i o n der transitorischen Enteignung

I m Vordergrund der i m BBauG wie i m StBauFG vertypten transitorischen Enteignung steht freilich zunächst das Ziel, die technischen Voraussetzungen für eine plangemäße, städtebauliche Nutzung der enteigneten Grundstücke zu schaffen. Doch schon i n der Akzentuierung dieser Zielsetzung lassen die einzelnen Tatbestände Unterschiede erkennen: I . Die Enteignung zur plangemäßen Nutzungsvorbereitung i m BBauG

Das BBauG stellt i n § 85 Abs. 1 Nr. 1 die Enteignung, u m Grundstücke auf eine plangemäße Nutzung vorzubereiten, als eigenständige Tatbestandsvariante neben die Enteignung zum Zweck der plangemäßen Nutzung 4 7 8 . Die Enteignung zur Vorbereitung der plangemäßen N u t zung, die sich eng an die Regelung des § 6 Abs. 3 BaulbeschG anlehnt 4 7 9 , w i l l primär die Aufschließung größerer zusammenhängender Flächen durch die Gemeinde ermöglichen 480 . Sie ist auf die Fälle zugeschnitten, i n denen die tatsächliche Beschaffenheit oder der rechtliche Zuschnitt der Grundstücke eine plangemäße Nutzung durch Private nicht ohne weiteres zuläßt 4 8 1 . Z u den nutzungsvorbereitenden Maßnahmen der Gemeinden zählen daher zum einen alle Vorbereitungsmaßnahmen tatsächlicher A r t wie Erschließung, Rodung, Enttrümmerung 4 8 2 . Nicht unbestritten ist dagegen, ob die Gemeinde auch enteignen darf, u m Grundstücken den rechtlichen Zuschnitt zu geben, ohne den ihre Nutzung entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplanes nicht zulässig wäre. Der i n der Kommentarliteratur von Schütz / Frohberg 483 erhobene Einwand, eine rechtliche Neuordnung m i t den M i t t e l n der transitorischen Enteignung scheitere am Grundsatz der Subsidiarität der Enteignung, da dafür das BBauG das Rechtsinstitut der Umlegung stelle, vermag jedoch schwerlich zu überzeugen. Der verfassungskräftige Subsidiaritätsgrundsatz, der eine Enteignung dann verbietet, wenn das m i t i h r verfolgte Ziel durch weniger beeinträchtigende Maßnahmen erreicht werden kann 4 8 4 , orientiert sich an dem „klassischen" Enteigne v g l . dazu Brügelmann / Pohl, BBauG, §85 A n m . 2 d a a ; Schlichter / Stich / Tittel, BBauG, § 85 Rdnr. 11; Schrödter, BBauG, § 85 Rdnr. 2. ne Dazu Dittus / Zinkahn, BaulbeschG, § 6 A n m . 11. 480 So die amtliche Begründung des Reg.Entw. 1960; BT.-Drucks. 336 zu § 98, S. 89. 481 Ä h n l i c h Schlichter I Stich I Tittel, BBauG, §85 Rdnr. 11. 482 Brügelmann / Pohl, BBauG, § 85 A n m . 2 d) bb). 483 BBauG, § 85 A n m . I I 4. 484 Dazu Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 221; Stich, B B 1965, 107 ff.

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

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nungsinstitut, bei dem der Enteignungsbegünstigte das Enteignungsobjekt endgültig erwirbt. Da die transitorische Enteignung zum Zweck der rechtlichen Neuordnung i n vielem Umlegung oder Grenzregelung näher steht als jenem Enteignungsbild, kann der Subsidiaritätsgrundsatz hier nur beschränkt greifen 4 8 5 . Während die Enteignung zur plangemäßen Nutzung von jedem N u t zungswilligen beantragt werden kann, gleichgültig ob er privaten oder öffentlich-rechtlichen Status besitzt, ist eine Enteignung zur Nutzungsvorbereitung nach § 87 Abs. 3 allerdings nur zugunsten der Gemeinde möglich. Dieses Neuordnungsprivileg der Gemeinde spiegelt sich i m Wortlaut des § 87 Abs. 3 nur unvollkommen wieder, da der Gesetzestext ein ausschließliches Enteignungsrecht der Gemeinde nur i n den Fällen zu begründen scheint, i n denen die Gemeinde Grundstücke auf eine bauliche Nutzung vorbereiten w i l l 4 8 6 . Wie die Gesetzesmaterialien jedoch belegen, hat der Gesetzgeber aus redaktionellen Gründen die ursprünglich i n selbständigen Tatbeständen geregelte Enteignung zur Vorbereitung der i m Bebauungsplan festgesetzten Nutzung (§98 des Reg.-Entw.) 4 8 7 m i t der Enteignung zur bebauungsplanmäßigen baulichen Nutzung durch Dritte (§ 99 des Reg.-Entw.) 4 8 8 i n § 87 Abs. 3 zusammengefaßt. Infolge der Typenvermengung ist i n § 87 Abs. 3 nur noch von der Vorbereitung zur baulichen Nutzung die Rede, obwohl § 98 des Reg.Entw. ein Enteignungsprivileg der Gemeinde i n allen Fällen der plangemäßen Nutzungsvorbereitung begründen wollte und der Gesetzgeber diese inhaltliche Konzeption unverändert beibehalten h a t 4 8 9 . Der Erwerbstatbestand des § 85 Abs. 1 Nr. 1 BBauG erweist sich dam i t als wirksames Instrument i n der Hand der Gemeinden, u m durch tatsächliche wie rechtliche Neuordnungsmaßnahmen die Voraussetzungen für eine plangemäße Nutzung des Gemeindegebietes zu schaffen. Denkbar ist, daß er i n dieser technischen Funktion k ü n f t i g an Bedeutung gewinnt, da die strengen Voraussetzungen, die § 87 Abs. 2 BBauG bisher an die Enteignung gestellt hat, durch die Novellierung des BBauG 4 9 0 modifiziert worden sind. Ohne daß es des Nachweises zwingender städtebaulicher Gründe i. S. d. § 88 BBauG bedarf, w i r d die Ge485 Dazu Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 221; i m Ergebnis auch Schlichter / Stich / Tittel, BBauG, §85 Rdnr. 11; Brügelmann / Pohl, BBauG, § 85 A n m . 2 d) bb). 486 So ausdrücklich Brügelmann / Pohl, BBauG, §87 A n m . I I I ; a.A., jedoch ohne Begründung Schlichter / Stich / Tittel, BBauG, §85 Rdnr. 11 u n d §87 Rdnr. 20. 487 BT.-Drucks. 3/336, S. 25/26. 488 BT.-Drucks. 3/336, S. 26. 48» v g l . BT.-Drucks. 3/1794 zu § 97, S. 19. ωό V o m 18. August 1976, B G B l I S. 2221.

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I I . 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

m e i n d e k ü n f t i g schon d a n n G r u n d s t ü c k e z u r N u t z u n g s v o r b e r e i t u n g e n t e i g n e n d ü r f e n , w e n n sie sich e r n s t h a f t u m d e n f r e i h ä n d i g e n E r w e r b d e r G r u n d s t ü c k e z u angemessenen B e d i n g u n g e n b e m ü h t h a t u n d sie g l a u b h a f t m a c h e n k a n n , daß sie d i e G r u n d s t ü c k e i n n e r h a l b e i n e r angemessenen F r i s t r e c h t l i c h oder tatsächlich n e u o r d n e t 4 9 1 . Während § 85 Abs. 1 Nr. 1 als zulässigen Enteignungszweck die plangemäße Nutzungsvorbereitung i n den Vordergrund stellt, hat die Durchgangsenteignung nach § 85 Abs. 1 Nr. 2 2. A l t . vorrangig eine nutzungszuführende, v e r teilende F u n k t i o n 4 9 2 . § 85 Abs. 1 Nr. 2 läßt eine Enteignung innerhalb des Zusammenhangs bebauter Ortsteile zu, u m unbebaute oder geringfügig bebaute Grundstücke „einer baulichen Nutzung zuzuführen". Diese Alternative hat v o r allem bereits erschlossene Baulücken i m Auge, die die Gemeinde an sich zieht, u m sie rechtlich w i e tatsächlich unverändert an B a u w i l l i g e weiterzugeben 4 9 3 . Primärer Enteignungszweck ist hier, das Grundstück einem Nutzungswilligen zuzuführen, nicht aber die technische Nutzungsvorbereitung, auch w e n n der W o r t l a u t des § 85 Abs. 1 Nr. 2 rechtlich oder tatsächlich Vorbereitungsmaßnahmen nicht ausschließt 4 9 4 . Ob freilich i n jedem F a l l ein die Enteignung legitimierendes gesteigertes öffentliches Interesse an der Schließung von Baulücken besteht, w e i l sie eine Neuerschließung an anderer Stelle erspart, ist anders als i n der Aufbauphase nach dem 2. Weltkrieg heute nicht mehr zweifelsfrei 4 9 5 . Jede zusätzliche Bautätigkeit i m nichtbeplanten Bereich k a n n die gemeindlichen Entwicklungsziele gefährden, so daß die Gemeinde i m Einzelfall auf dem H i n t e r g r u n d ihrer Stadtentwicklungsziele sorgfältig abzuwägen hat, ob sie die Bautätigkeit i n nichtbeplanten Bereichen zusätzlich fördern w i l l . Π . Die technische Zielsetzung der transitorischen Enteignung i m StBauFG A u c h i m S t B a u F G verfolgt der enteignungsrechtliche Durchgangse r w e r b v o r d e r h a n d technische, n u t z u n g s v o r b e r e i t e n d e w i e n u t z u n g s z u f ü h r e n d e Z w e c k e . D i e spezifischen s t ä d t e b a u l i c h e n Z i e l s e t z u n g e n , d i e d i e G e m e i n d e i n d e n s t ä d t e b a u l i c h e n P r o b l e m g e b i e t e n v e r f o l g t , geben dieser technischen Z i e l s e t z u n g i m e i n z e l n e n a l l e r d i n g s e i n u n t e r s c h i e d liches G e w i c h t : (1) I m S a n i e r u n g s b e r e i c h s o l l d e r e n t e i g n u n g s r e c h t l i c h e G r u n d e r w e r b i n d e r T a t p r i m ä r d i e tatsächlichen o d e r r e c h t l i c h e n N e u o r d n u n g s m a ß n a h m e n erleichtern, die die Gemeinde i m Zuge der Sanierung durchf ü h r t 4 9 6 . W i e i m B B a u G s t e h t h i e r also d i e technische F u n k t i o n i m V o r 49

1 Vgl. § 87 Abs. 2 der B B a u G Novelle. Schlichter / Stich / Tittel, BBauG, § 85 Rdnr. 19. 493 Dazu Schütz / Frohberg, BBauG, §85 A n m . I I I 5; Brügelmann / Pohl, BBauG, § 85 A n m . 3 a. 494 Schlichter / Stich / Tittel, BBauG, § 85 Rdnr. 19. 495 So aber Brügelmann / Pohl, BBauG, §85 A n m . 3 d unter Hinweis auf ein U r t e i l des B V e r w G v o m 29.11.1956 = DVB1. 1957, 247 z u m BaulbeschG. 49 e Dazu Dieterich / Farenholtz, StBauFG, S. 122. 492

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

153

dergrund. Da i m Zuge der Sanierung regelmäßig alte Bausubstanz i m größeren Stile modernisiert oder beseitigt werden muß, ist es für eine zügige Durchführung der Sanierungsaufgabe vorteilhaft, daß die Gemeinde möglichst viele Sanierungsgrundstücke i n ihre Hand bek o m m t 4 9 7 . Besondere Bedeutung kommt der Enteignung deshalb dann zu, wenn die Gemeinde sich zur Flächensanierung entschließt 498 . Soll auf einem größeren Areal die Bebauung abgeräumt und Erschließungsanlagen verbessert oder neu angelegt werden, ist für eine rasche Realisierung des Sanierungsvorhabens das Eigentum der Gemeinde an der gesamten Fläche unabdingbar. Scheitert der freihändige Erwerb, kann die Gemeinde wie i m allgemeinen städtebaulichen Bereich auch i m Sanierungsgebiet die Enteignung der gesamten Fläche i n einem einheitlichen Verfahren entsprechend § 108 Abs. 3 BBauG betreiben. Überhaupt finden nach § 86 Abs. 1 StBauFG die Vorschriften des fünften Teils des B B a u G grundsätzlich auch auf Enteignungen i m Rahmen städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen Anwendung49°. Das StBauFG erleichtert jedoch i n einer Reihe von Punkten die Enteignimg i m Sanierungsbereich. Wichtig i n diesem Zusammenhang ist einmal, daß § 22 Abs. 1 StBauFG die unwiderlegbare V e r m u t u n g aufstellt, daß eine Enteignung i m Sanierungsgebiet stets aus zwingenden städtebaulichen Gründen i. S. d. § 88 B B a u G erforderlich i s t 5 0 0 . Eine Enteignung ist dann schon zulässig, w e n n die Gemeinde sich ernsthaft u m den freihändigen E r w e r b des Grundstücks bemüht hat u n d die Enteignung zudem v o m Allgemeinwohl erfordert w i r d . Auch die Enteignung i m Sanierungsgebiet ist i m übrigen planakzessorisch, so daß die i m Sanierungsbebauungsplan getroffenen Festsetzungen Grundlagen des Gemeinwohlurteils s i n d 5 0 1 . Wichtig f ü r eine zügige Durchführung der Sanier u n g ist weiter, daß das Enteignungsverfahren bereits v o r Rechtsverbindlichkeit des Bebauungsplans eingeleitet werden kann. Durch die Novellierung des § 109 B B a u G folgt diese Verfahrensvereinfachung allerdings k ü n f t i g schon aus den allgemeinen enteignungsrechtlichen Regelungen des BBauG, so daß der Gesetzgeber die entsprechende Regelung i n §22 Abs. 4 StBauFG a. F. streichen k o n n t e 5 0 2 .

(2) Anders als i m Sanierungsgebiet, i n dem die Durchgangsenteignung i n ihrer nutzungsvorbereitenden Funktion weitgehend dem Enteignungsbild des BBauG gleicht, stellt das StBauFG i m Entwicklungsbereich nach §§ 53 ff. StBauFG die eigentumspolitische Zielsetzung der Neuordnungsmaßnahmen eindeutig i n den Vordergrund 5 0 3 . Neben der technischen Aufgabe des Entwicklungsträgers, die Grundstücke neuzu497 Dazu Dieterich / Farenholtz, StBauFG, S. 122. 4ö8 Z u r Flächensanierung vgl. Dieterich / Farenholtz,

StBauFG, S. 24.

4ö» Dazu Bielenberg, StBauFG, § 22 Rdnr. 1. 500 Bielenberg, StBauFG, § 22 Rdnr. 22. soi Z u r indiziellen W i r k u n g planerischer Aussagen f ü r das enteignungsrechtliche Gemeinwohlurteil vgl. unten 2. Kap., 2. Abschnitt, Β . I I . 502 v g l . BT.-Drucks. 7/4793, S. 55. 5 °3 So ausdrücklich Bielenberg, Bodenwertabschöpfung, S. 91.

StBauFG E i n l . B , Rdnr. 138;

Gaentzsch,

154

II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

ordnen, zu erschließen und notwendige Infrastruktureinrichtungen zu schaffen, kommt hier dem Ziel, Grundeigentum für weite Kreise der Bevölkerung zu begründen, a priori besondere Bedeutung zu. Dieser unterschiedliche Akzent der städtebaulichen Ziele i m Sanierungsgebiet einerseits und i m Entwicklungsbereich andererseits erklärt sich aus den dort vorzufindenden, unterschiedlichen Eigentums- und Sozialstrukturen: Während i n den innerstädtischen Sanierungsgebieten das Grundeigentum regelmäßig breit gestreut ist, werden Entwicklungsmaßnahmen m i t dem Ziele, neue Orte oder Ortsteile zu schaffen, regelmäßig auf „grünen Wiesen" realisiert, die in der Hand nur weniger privater Grundeigentümer sind 5 0 4 . U m eine wirtschaftliche und soziale Struktur zu schaffen, durch die die Lebensfähigkeit des neuen städtebaulichen Gebildes auf Dauer gewährleistet wird, ist eine breite Eigentumsstreuung nach Abschluß der Entwicklungsmaßnahmen hier unumgänglich 5 0 5 . Zuvor muß allerdings die Gemeinde das neuzuordnende Gebiet i n ihre Hand bekommen. § 54 Abs. 3 StBauFG verpflichtet sie deshalb zum Erwerb des Grundeigentums i m gesamten Entwicklungsbereich 506 . Scheitert ein freihändiger Erwerb, ist es vor dem Hintergrund dieser städtebaulichen Konzeption nur konsequent, daß eine Enteignung der benötigten Flächen unter wesentlich vereinfachten Voraussetzungen zulässig ist. Enteignungsgrundlage ist insoweit § 57 Abs. 3 StBauFG, der lediglich voraussetzt, daß der Antragsteller sich ernsthaft um den freihändigen Erwerb des Grundstücks bemüht hat, ohne daß ein Bebauungsplan oder die i n §§ 85, 87 ff. BBauG i m einzelnen normierten Voraussetzungen vorliegen müssen 507 . Den verfassungsrechtlichen Gemeinwohlvorbehalt wie das gleichfalls verfassungsrechtlich abgesicherte Übermaßverbot hat § 57 Abs. 3 allerdings nicht derogieren können 5 0 8 . Das OVG Lüneburg 5 0 9 hat vielmehr erst jüngst klargestellt, daß i m H i n blick auf die Grunderwerbspflicht der Gemeinde und die unmittelbar daran anschließenden erleichterten Enteignungsmöglichkeiten bereits bei Erlaß der Entwicklungsbereichsverordnung nach § 53 Abs. 1 Nr. 2 StBauFG die Enteignungsvoraussetzungen des A r t . 14 Abs. 3 S. 1 GG vorliegen müssen. Diese „antizipierte" Prüfung der Enteignungsvoraussetzungen i m Planungsstadium erscheint angesichts der Konnexität von 504 Vgl. dazu Dieterich / Farentholtz, StBauFG, S. 168 f.; Bielenberg, StBauFG, Einl. Β Rdnr. 134. 505 Ä h n l i c h Bielenberg, StBauFG, Vorbem. §§ 53 - 63 Rdnr. 5. 506 Dazu Bielenberg, StBauFG, § 54 Rdnr. 13 f. 507 Vgl. i m einzelnen Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 252. 508 v g l . Schmidt-Aßmann, ebd.; Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 89; Meyer, AöR 1972, S. 12 ff.; Bielenberg, StBauFG, § 57 Rdnr. 17. 500 Beschluß v o m 5. November 1975 — I C 3/74 — = N J W 1976, 2281 = BRS 29 Nr. 21 = SchlHA 1976, 126.

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

155

Entwicklungsbereichsfestlegung und nachfolgendem Grunderwerb geboten 5 1 0 ; die Entscheidung darüber, ob die EnteignungsVoraussetzungen vorliegen, muß bereits bei Erlaß der Entwicklungsbereichsverordnung fallen, da andernfalls der Eigentumsschutz der Betroffenen leerläuft. Konkret heißt das, daß bei Einbeziehung einzelner Grundstücke durch die Bereichsverordnung zu prüfen ist, ob vor dem Hintergrund der i m Bereich verfolgten Städtebaukonzeption die Bereichsbegrenzung vom Gemeinwohl erfordert w i r d ; inhaltlicher Maßstab w i r d auch hier das enteignungsrechtliche Übermaßverbot i n seinen Einzelausprägungen sein 5 1 1 . I n diesem Sinne ist deshalb auch der Ansicht Recht zu geben, daß das öffentliche Interesse als Enteignungsvoraussetzung i m Entwicklungsbereich regelmäßig durch die dort verfolgten, i n die Entwicklungsbereichsverordnung eingeflossenen Entwicklungsziele indiziert w i r d 5 1 2 . Da § 1 Abs. 6 StBauFG zu diesen Zielen vorrangig eine breite Eigentumsstreuung rechnet, kann einer Ausweitung des Entwicklungsbereichs, u m die zu schaffende Eigentumsstruktur sinnvoll abzurunden, nicht entgegengehalten werden, sie verfolge eigentumsumschichtende Tendenzen und verstoße deshalb gegen A r t . 14 Abs. 3 S. 1 GG 5 1 3 . Das eigentumspolitische Postulat des StBauFG prägt insofern nicht nur den Veräußerungsvorgang 514 , sondern w i r k t bereits i m Erwerbsstadium auf diesen ein; eine breitere Eigentumsstreuung ist ein legitimer Nebenzweck 5 1 5 des Erwerbsvorgangs und kann lediglich nicht isoliert den Grunderwerb i m Entwicklungsbereich legitimieren. Damit rückt m i t dem Ziel, die Eigentumsstruktur i m Entwicklungsbereich zu verändern eine zweite, eigentumspolitische Zielsetzung der transitorischen Enteignung i n den Vordergrund. Sie sprengt das technische B i l d der Durchgangsenteignung und eröffnet i h r i m städtebaulichen Bereich neue Dimensionen. I h r soll i m folgenden als erstes Aufmerksamkeit geschenkt werden, da die Novelle des BBauG dieser Zielsetzung auch i m allgemeinen Städtebaurecht verstärkt Geltung verschafft hat und damit 510 Z u dem Verhältnis von Bebauungsplan u n d nachfolgendem Enteignungsverfahren vgl. i m einzelnen i m 2. Kapitel, 2. Abschnitt, Α. I I . 511 Z u r Reduktion der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlprüfung auf die Einzelausprägungen des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots schon oben zu Fn. 456. 5 1 2 So Bielenberg, StBauFG, § 57 Rdnr. 15, 16. Ä h n l i c h Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 90; anscheinend enger das O V G Lüneburg (Fn. 509), das die Eigentumsumstrukturierung i m E n t wicklungsbereich lediglich als hinzunehmende Folge der Bodenordnungsmaßnahme wertet. 514 Z u m Einfluß des eigentumspolitischen Postulats des § 1 Abs. 6 auf den sich anschließenden Veräußerungsvorgang vgl. Schmidt- Aßmann / Frenzel, § 89 Rdnr. 21. 515 Z u r Unterscheidung von enteignungsrechtlichem H a u p t - u n d Nebenzweck v o n bloßen Nebenfolgen Schmidt-Aßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, § 85 Rdnr. 11.

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

die Entwicklungslinie wieder aufgreift, die sich schon i m Enteignungsrecht der Weimarer Zeit abzeichnete. B. D i e eigentumsstreuende F u n k t i o n der transitorischen Enteignung I . Entwicklungsgeschichte

Die transitorische Enteignung als Instrument der Eigentumsstreuung ist kein neues Phänomen, sondern knüpft an bodenreformerische Vorstellungen an, wie sie bereits A r t . 155 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung postuliert hatte. I n der Siedlungs- und Heimstättengesetzgebung jener Jahre trat dieser eigentumspolitische Bezug der Enteignung zuerst deutlich hervor 5 1 6 . Die Enteignung wurde zum Instrument, das auch auf eine gerechtere Verteilung des Grundeigentums zielte 5 1 7 . Das Städtebaurecht der Nachkriegszeit griff diesen Gedanken auf, band i h n aber zunächst stärker an seine städtebaulichen Zielsetzungen. Eine breite Streuung des Grundeigentums, wie sie zuerst das BaulbeschG, später auch das BBauG und das StBauFG i n unterschiedlichen Nuancierungen anstrebten, sollte primär die Entwicklung gesunder wirtschaftlicher und sozialer Siedlungsstrukturen fördern: (1) Das BaulbeschG stellte i n § 1 Abs. 1 das eigentumspolitische Ziel, breitere Volksschichten m i t dem Grund und Boden zu verbinden, an den Anfang. Als Teil einer umfassenden sozialpolitischen Aktion, die die vom Krieg entwurzelten Bevölkerungsteile integrieren wollte, eröffnete es einem weiten Kreis von Bauwilligen den Zugang zum Grundeigentum 5 1 8 . Jeder, der w i l l i g und fähig war, Wohnbebauung zu errichten, konnte den Rückerwerb des zuvor von der Gemeinde baureif gemachten Geländes beantragen. Die sozialpolitische Intention des Gesetzes verbot es, bei der Wiederveräußerung die Alteigentümer zu p r i v i legieren. Bewarben sich mehrere Bauwillige, hatte die Gemeinde vielmehr denjenigen zu bevorzugen, der noch kein Grundeigentum besaß (§ 6 Abs. 1 S. 2). (2) I m BBauG vom 23. J u n i 1960 trat diese eigentumspolitische Zielsetzung zunächst zurück, wurde jedoch nicht aufgegeben. Auch das BBauG bekannte sich schon i n § 1 Abs. 4 S. 3 seiner ursprünglichen Fassung zur Eigentumsbildung i m Wohnungswesen als eines der materiellen Ziele der Bauleitplanung 5 1 9 . Für den wichtigsten Enteignungsfall, daß die Gemeinde Grundstücke zur baulichen Nutzungsvorberei516

Vgl. Erman, Grundrechte u n d Grundpflichten, Bd. 3, S. 285. Dazu auch Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 219. 51 8 Vgl. Dittus f Zinkahn, BaulbeschG, Einleitung T e i l B S. 48 u n d § 6 A n m . V14. 519 Dazu Schütz / Frohberg, BBauG, § 1 A n m . I I I 1 e. 517

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

157

t u n g enteignete, schrieb d i e P r i v a t i s i e r u n g s r e g e l u n g des § 89 A b s . 1 S. 2 n u n jedoch v o r , daß zunächst der f r ü h e r e E i g e n t ü m e r z u berücksichtigen w a r 5 2 0 . I n h a l t u n d Reichweite dieser Restitutionspflicht ließ das B B a u G freilich offen. Dies galt einmal f ü r die Frage, ob eine Anbletungspflicht der Gemeinde bestand, zum zweiten aber auch f ü r den Umfang dieser P f l i c h t 5 2 1 . Gegen die herrschende L e h r e 5 2 2 , die eine Anbletungspflicht bejahte, wurde i n der K o m m e n t a r l i t e r a t u r zu Recht eingewandt, daß der Enteignete i n der Regel die vorgesehene Verwendung des Grundstücks aus dem Enteignungsverfahren kannte oder zumindest durch Einsicht i n den Bebauungsplan erfahren konnte, so daß eine besondere Hinweispflicht nicht erforderlich erschien 5 2 3 . Die Entstehungsgeschichte des §89 sprach dafür, auch den Umfang der Reprivatisierungspflicht r e s t r i k t i v zu fassen 5 2 4 . Der Regierungsentwurf sah zunächst n u r eine „angemessene" Berücksichtigung der früheren Eigentümer vor. Diese Einschränkung wurde Opfer einer redaktionellen Umstellung durch den federführenden Ausschuß, ohne daß dem eine veränderte i n h a l t liche Konzeption zugrundelag 5 2 5 . Außer den vorgesehenen Gemeinbedarfs-, G r ü n - u n d Verkehrsflächen durfte die Gemeinde daher auch einen angemessenen Flächenanteil von der Rückübertragung ausklammern, u m diesen anderen Nutzungswilligen zuzuführen. I I . Die eigentumsstreuende transitorische Enteignung i m geltenden Bodenrecht 1. Die Rechtslage

im

StBauFG

E r s t das S t B a u F G h a t d i e e i g e n t u m s p o l i t i s c h e Z i e l s e t z u n g , G r u n d eigentum f ü r breitere Bevölkerungsschichten zu begründen, wieder s t ä r k e r b e t o n t 5 2 6 . Dieses Z i e l i s t a l l e r d i n g s a u c h i m S t B a u F G n i c h t Selbstzweck, s o n d e r n e i n g e b u n d e n i n die umfassenden s t ä d t e b a u l i c h e n Ziele, d i e die G e m e i n d e m i t d e n S a n i e r u n g s - oder E n t w i c k l u n g s m a ß n a h m e n v e r f o l g t 5 2 7 . M i t B l i c k a u f die u n t e r s c h i e d l i c h e s t ä d t e b a u l i c h e Ausgangssituation v o n Sanierungsgebiet u n d Entwicklungsbereich 528 520

§ 89 Abs. 2 BBauG, dem die Enteignung nach § 85 Abs. 1 Nr. 2 vorausging, kannte dagegen keine Privilegierung der Alteigentümer, da die E n t eignungsbehörde bereits i m Enteignungsverfahren geprüft hatte, ob der bisherige Eigentümer die zulässige bauliche Nutzung selbst vornehmen w o l l t e u n d konnte; vgl. auch Brügelmann / Pohl, BBauG, § 89 A n m . I I I 3 b. 521 Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 219. 522 Meyer / Stich / Tittel, BBauG, §89 Rdnr. 2; Schütz / Frohberg, BBauG, §89 A n m . 115; Schrödter, BBauG, §89 Rdnr. 3. 523 Brügelmann / Pohl, BBauG, § 89 A n m . I I 8. 524 Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 219. 525 Vgl. BT.-Drucks. III/1794, S. 19 f. zu § 98 a. 526 Vgl. dazu Bielenberg, StBauFG, Einl. Β Rdnr. 134. 527 Dazu erst jüngst O V G Lüneburg, Beschluß v o m 5.11.1975 = N J W 1976, S. 2281 f ü r den Entwicklungsbereich. 528 Bielenberg, StBauFG, Einl. Β Rdnr. 134.

158

II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

räumt das Gesetz der eigentumspolitischen Zielsetzung dort einen i m einzelnen unterschiedlichen Rang ein: (a) I m Sanierungsgebiet kommt dieser eigentumspolitischen Zielsetzung nur nachgeordnete Bedeutung zu. Hier dominieren bei der Veräußerung der zuvor enteigneten Grundstücke die früheren Grundeigentümer 6 2 9 , die einen Anspruch auf Verschaffung von Ersatz i n Grundeigentum oder entsprechenden Surrogaten haben. Denn § 25 StBauFG, der die Regeln über die Restitution des Grundeigentums i m Sanierungsgebiet auch für den Fall des vorgängigen enteignungsrechtlichen Erwerbs 5 3 0 näher erläutert, verpflichtet die Gemeinde zweifelsfrei, bei der Veräußerung vorrangig die früheren Grundeigentümer zu berücksichtigen 5 3 1 . Er greift damit die Zielbestimmung des § 1 Abs. 5 StBauFG auf, welches diese Eigentumskonzeption bereits eingangs des Gesetzes festschreibt. Unter den Alteigentümern sind dabei zunächst diejenigen zu bedenken, die kein sonstiges Grundeigentum oder solches nur i n geringem Umfang besitzen oder die eigengenutzten Wohn- oder Geschäftsräume i m Zuge der Sanierung aufgeben müssen. Voraussetzung für die Reprivatisierung ist allerdings, daß die früheren Grundeigentümer bereit und i n der Lage sind, die Bebauung so durchzuführen, wie es dem Sanierungszweck entspricht. Auch i m Rahmen der engeren Reprivatisierung geht der Sanierungszweck dem Erhalt der bestehenden Eigentumsstruktur v o r 5 3 2 . Erst dann, wenn der Gemeinde Grundstücke nach Befriedigung der Reprivatisierungsberechtigten verbleiben, kommen gebietsexterne Bauwillige zum Zuge. Die allgemeine Privatisierungsklausel des § 25 Abs. 2 S. 5, die erst auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses i n den Gesetzesentwurf aufgenommen worden ist 5 3 3 , läßt der Gemeinde einen weiten Ermessensspielraum. A n wen sie veräußert, w i r d maßgeblich von dem jeweiligen Sanierungsziel bestimmt werden, wie er i m Bebauungsplan planerisch verdichtet ist 5 3 4 . Der enteignungsrechtliche Durchgangserwerb erweist sich damit insgesamt gesehen i m Sanierungsgebiet nur als bedingt taugliches Instru529 Dieterich / Farenholtz, StBauFG, S. 143. 530 § 25 StBauFG sieht darüberhinaus vor, daß die Gemeinden auch solche Grundstücke zu veräußern hat, die sich nach der förmlichen Festlegung des Sanierungsgebiets freihändig oder i m Rahmen einer Umlegung erworben hat. Die transitorische Enteignung ist damit n u r ein M i t t e l unter anderen, u m die eigentumspolitischen Ziele der Gemeinde i m Sanierungsgebiet zu realisieren. 531 Bielenberg, StBauFG, § 25 Rdnr. 21 f. 532 s t e h t der Sanierungszweck einer Reprivatisierung entgegen u n d vergibt deshalb die Gemeinde an Dritte, muß sie den früheren Grundeigentümer allerdings nach § 25 Abs. 8 StBauFG Ersatz außerhalb des Sanierungsgebietes anbieten; vgl. dazu auch Bielenberg, StBauFG, § 25 Rdnr. 58. 533 Vgl. BT.-Drucks. VI/2442, Anlage Nr. 1 zu b. 534 Bielenberg, StBauFG, § 25 Rdnr. 29.

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

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ment, um eine breitere Streuung des Grundeigentums zu erzielen. Zum einen w i r k t die stark verfestigte Rechtsposition der früheren Grundeigentümer einer breiteren Schichtung des Grundeigentums i m Sanierungsgebiet entgegen. Die Sanierungspraxis hat zum anderen gezeigt, daß die relativ hohen Verkehrswerte, die sich nach der Durchführung der Sanierung ergeben, gerade diejenigen Bevölkerungsschichten von einem Eigentumserwerb abschrecken, die bevorzugter Adressat der allgemeinen Privatisierungsklausel des § 25 Abs. 2 S. 5 StBauFG sind 5 3 6 . Die Gemeinde w i r d nur dann wirksam der Gefahr begegnen können, daß sich das Grundeigentum i n den Händen weniger kapitalkräftiger Interessenten konzentriert, wenn sie verstärkt von der ihr i n § 25 Abs. 3 StBauFG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht, statt des Volleigentums die dort angesprochenen Eigentumssurrogate zu vergeben. § 25 Abs. 3 StBauFG läßt der Gemeinde trotz des neu eingefügten Verweises auf § 89 Abs. 3 BBauG auch künftig Spielraum, bei der Veräußerung diejenige Rechtsform zu wählen, m i t der der Sanierungszweck sachdienlich und wirtschaftlich erreicht werden kann 5 3 6 . Erst über diesen Weg w i r d es breiteren Bevölkerungskreisen k ü n f t i g auch w i r t schaftlich möglich sein, Beteiligungen am Grund und Boden zu erwerben. (b) I m Entwicklungsbereich ist die rechtliche Ausgangssituation externer Bauwilliger dagegen u m ein Vielfaches günstiger. Eine Veräußerungspflicht der Gemeinde besteht hier nicht nur gegenüber denjenigen, die Grundeigentum i m Entwicklungsbereich verloren haben, sondern nach § 59 Abs. 2 StBauFG auch unmittelbar gegenüber „weiten Kreisen der Bevölkerung" 5 3 7 . Die Alteigentümer sind nur vorrangig Berechtigte innerhalb der weiten Kreise der Bevölkerung, denen das Gesetz jedoch ebensowenig wie diesen einen Rechtsanspruch auf Zuteilung bestimmter Grundstücke oder Grundstückswerte zuerkennt. Solche Ansprüche scheitern schon daran, daß sie i m Entwicklungsbereich der Höhe nach völlig unbestimmt bleiben. Denn anders als i m Sanierungsgebiet hat der Gesetzgeber i n § 59 StBauFG bewußt darauf verzichtet, eine dem § 25 Abs. 4 StBauFG entsprechende Klausel aufzunehmen, die dem A n spruch des früheren Grundeigentümers i m Sanierungsgebiet wertmäßig Konturen verleiht 5 3 8 . Da Entwicklungsmaßnahmen durchweg i n unbebauten oder nur wenig bebauten Gebieten durchgeführt werden, die i n der Hand eines 535 So m i t Recht Dieterich / Farenholtz, StBauFG, S. 143. 536 Z u § 25 Abs. 3 StBauFG a. F. Bielenberg, StBauFG, Rdnr. 34. Z u § 89 Abs. 3 vgl. Schmidt-Aßmann / Frenzel, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, § 89 Rdnr. 68. 537 Dazu Dieterich / Farenholtz, StBauFG, S. 200 f. ss» Dazu Bielenberg, StBauFG, § 59 Rdnr. 10.

160

II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

einzigen oder weniger Grundeigentümer sind, würde i n der Tat eine strenge Reprivatisierungsverpflichtung wie i m Sanierungsgebiet hier zu wirtschaftlich und sozial unerwünschten einseitigen städtebaulichen Strukturen führen. Ob und i n welcher Höhe die früheren Eigentümer oder Dritte bei der Privatisierung bedacht werden, steht somit i m weiten Auswahlermessen der Gemeinde 539 . Wie i m Sanierungsgebiet kann sie auch i m Entwicklungsbereich statt des Volleigentums Grundstückssurrogate vergeben, um damit die Erwerbschancen kapitalschwacher Bauwilliger zu vergrößern 5 4 0 . Auch i m Entwicklungsbereich hat die Gemeinde sich bei der Veräußerung der erworbenen Grundstücke allerdings primär von den Entwicklungszielen leiten zu lassen 541 . Da § 1 Abs. 6 StBauFG zu diesen Zielen jedoch expressis verbis auch das Ziel zählt, Grundeigent u m für weite Kreise der Bevölkerung zu begründen, w i r d die Gemeinde auch über diesen Weg verpflichtet, für eine sozialgerechte Eigentumsverteilung zu sorgen 542 . Damit gewinnt die transitorische Enteignung i m Entwicklungsbereich eine neue Qualität. Sie ist nicht mehr schlichte Durchgangsenteignung, an deren Endpunkt die weitgehende Restauration der alten Eigentumsstrukturen steht, sondern zielt primär darauf ab, eine den Entwicklungszielen angepaßte, sinnvolle Neustrukturierung des Gemeindegebietes zu realisieren. 2. Die Rechtslage nach der Novellierung

des BBauG

Das eigentumspolitische Postulat des StBauFG, Grundeigentum für weite Kreise der Bevölkerung zu begründen, hat auch die Diskussion um eine Reform des allgemeinen Städtebaurechts inhaltlich mitbestimmt 5 4 3 . § 89 BBauG, der am Ende einer langwierigen parlamentarischen Prozedur diese eigentumspolitische Zielsetzung punktuell für das Enteignungsrecht verfestigt 5 4 4 , orientiert sich deshalb i n den Grundzügen an den Regelungen der §§ 25 und 59 StBauFG 5 4 5 . Stärker als i m Sonderrecht des StBauFG dominiert i m allgemeinen Städtebaurecht allerdings auch künftig der frühere Grundeigentümer, wenn die Ge539 Dazu auch Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 256. 540 v g l . § 59 Abs. 2 S. 3 StBauFG. 541 Bielenberg, StBauFG, § 59 Rdnr. 12. 542 Bielenberg, StBauFG, § 59 Rdnr. 13. 543 Bielenberg, Empfehlen sich . . . , Β 78, 79. 544 Anders noch die amtl. Begründung z u m Reg.Entw., BT.-Drucks. 7/2496, S. 58. 545 Eine dem § 89 B B a u G weitgehend parallele Regelung t r i f f t i m übrigen der § 26 B B a u G f ü r das gemeindliche Vorkaufsrecht, dazu Schlichter / Stich / Tittel, § 26 Rdnr. 1.

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

161

m e i n d e die z u v o r e n t e i g n e t e n G r u n d s t ü c k e v e r ä u ß e r t . D i e gesetzgeberische E n t s c h e i d u n g f ü r d e n w e i t g e h e n d e n E r h a l t d e r E i g e n t u m s s t r u k t u r e n i m a l l g e m e i n e n s t ä d t e b a u l i c h e n Bereich, d i e i m L a u f e der p a r l a mentarischen Beratungen zunehmend deutlicher w u r d e 5 4 6 , relativiert das e i g e n t u m s p o l i t i s c h e B e k e n n t n i s des § 89 A b s . 2 B B a u G d a m i t z w a r i n e r h e b l i c h e m Maße. I n s u m m a h a t die N e u f a s s u n g des § 89 B B a u G i m V e r g l e i c h z u r a l t e n Fassung j e d o c h auch d e n e i g e n t u m s p o l i t i s c h e n Spielraum der Gemeinde i m allgemeinen städtebaulichen Bereich erweitert. §89 Abs. 2 BBauG, der dem Wortlaut des §59 Abs. 2 StBauFG nachgebildet ist, verpflichtet die Gemeinde, die enteigneten Grundstücke „nach Maßgabe der Ziele u n d Zwecke des Bebauungsplanes unter Berücksichtigung weiter Kreise der Bevölkerung an Bauwillige zu veräußern". Vorrangig berechtigt sind nach S. 2 die früheren Grundeigentümer. Deren Rechtsposition w i r d entscheidend dadurch gestärkt, daß ihnen §89 Abs. 4 ausdrücklich einen Reprivatisierungsanspruch zuerkennt, w ä h rend ein bezifferbarer Individualanspruch D r i t t e r fehlt 5 4 ?. H i n z u t r i t t , daß die L i m i t i e r u n g des Reprivatisierungsanspruchs auf den Wert, den das hergegebene Grundstück besaß, durch die Streichung des §96 a des R e g . - E n t w . 5 4 8 ihre ursprüngliche Bedeutimg verloren hat. §96 a sah vor, die Verkehrswertentschädigung u m die entwicklungsbedingten Wertsteigerungen zu kürzen. Erst eine solche Begrenzung des Reprivatisierungsanspruchs auf die Höhe der l i m i t i e r t e n Verkehrswertentschädigung hätte bei der Veräußerung verstärkt auch D r i t t e z u m Zuge kommen lassen, da der Gemeinde wegen der i h r zuwachsenden Wertsteigerungen erst dann ein nennenswerter Flächenüberschuß verblieben wäre. Die bestehenden Eigentumsstrukturen werden schließlich i m allgemeinen städtebaulichen Bereich dadurch verfestigt, daß § 89 Abs. 3 B B a u G eine v e r bindliche Rangfolge aufstellt, i n welcher Rechtsform die Gemeinde die enteigneten Grundstücke zu veräußern hat. B e i der W a h l der i n Betracht k o m menden Rechtsformen, die § 89 Abs. 3 S. 1 N r . 1 bis 5 deutlich abstuft, hat sie grundsätzlich die Wünsche der Reprivatisierungs- wie der Privatisierungs54β v g l . BT.-Drucks. 7/2496 zu Nr. 44 (§89), S.58; Stellungnahme des B u n desrates BT.-Drucks. 7/2496 zu Nr. 44 (§ 89 Abs. 3 u n d 4), S. 79; BT.-Drucks. 7/ 4793 zu Nr. 44 (§ 89), S. 42; BT.-Drucks. 7/5059 zu A r t . 1 Nr. 53 (§ 89 Abs. 3), S. 9. 547 Z u den damit aufgeworfenen schwierigen Rechtsschutzfragen vgl. Bielenberg, StBauFG, §25 Rdnr. 59 f.; §59 Rdnr. 21 sowie Dieterich / Farenholtz, StBauFG, S. 145 zu der insoweit parallelen Problematik des StBauFG. Bielenberg (StBauFG, § 25 Rdnr. 59) geht zu Recht davon aus, daß die V e r äußerungspflicht ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis konstituiert. Während der bezifferbare Reprivatisierungsanspruch verwaltungsgerichtlich durchsetzbar sei, könne nicht privilegierten D r i t t e n allenfalls ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zuerkannt werden. Die abweichende Ansicht v o n Dieterich / Farenholtz, StBauFG, S. 145, der sowohl Alteigentümer w i e D r i t t e auf die kommunalaufsichtsbehördliche K o n t r o l l e der Veräußerungspflicht verweist, überzeugt nicht. Das v o n ihnen herangezogene U r t e i l des B V e r w G (E 14, 65 ff.) zu § 74 Abs. 1 B V F G ist auf die Reprivatisierungsverpflichtung des § 89 B B a u G nicht übertragbar. Denn anders als § 74 Abs. 1 B V F G erkennt diese Vorschrift ausdrücklich einen öffentlich-rechtlichen A n spruch des früheren Grundeigentümers an. 548 BT.-Drucks. 7/2496, S. 19. 11 Frenzel

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

berechtigten zu beachten 5 4 9 . Der Wunsch, Volleigentum, Erbbaurechte oder Rechte nach dem Wohnungseigentumsgesetz zu begründen, genießt Vorrang vor den i n Abs. 3 S. 1 Nr. 3 bis 5 genannten Eigentumssurrogaten 5 5 0 . Damit geht § 89 Abs. 3 B B a u G i n diesem P u n k t hinter die korrespondierenden V o r schriften des StBauFG zurück. Anders als i m StBauFG w i r d der Gemeinde eine Beteiligung breiterer Bevölkerungsschichten a m Grundeigentum durch die Vergabe von Grundstückssurrogaten einseitig k a u m möglich sein. N u r dann, w e n n die Zahl der zur Verfügung stehenden Grundstücke nicht ausreicht, die Wünsche nach Gewährung von Volleigentum, Erbbaurechten oder Rechten nach dem Wohnungseigentumsgesetz zu befriedigen, k a n n die Gemeinde nach § 89 Abs. 3 S. 4 unter diesen Rechten die Rechtsform wählen, m i t der eine größere Z a h l von Personen bedacht werden kann.

Trotz dieser präzisen Vergaberichtlinien, die die früheren Grundeigentümer privilegieren, bleibt der Gemeinde dann ein Ermessensspielraum, wenn die m i t den Bebauungs- oder Sozialplänen verfolgten Ziele eine andere Verteilung des Grundeigentums erforderlich machen. Denn § 89 Abs. 1 S. 2 BBauG schreibt vor, daß ein Grundstück „nach Maßgabe der Ziele und Zwecke des Bebauungsplanes" zu veräußern ist. Diese hier sichtbar werdende Leitfunktion des Bebauungsplanes 551 für den VeräußerungsVorgang ist i n dieser Akzentuierung neu; sie schafft den Gemeinden Raum über entsprechende Festsetzungen des Bebauungsplanes auch eine städtebauliche erwünschte breitere Verteilung des Grundeigentums anzusteuern. Freilich ist sie i n ihrer planerischen Gestaltungsfreiheit nicht unbeschränkt, sondern hat das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BBauG zu beachten 552 . Z u den i n den Abwägungsvorgang einzustellenden Belangen zählt das Gesetz aber auch die Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung, so daß der Bebauungsplan eine solche Eigentumspolitik nicht sperrt. Aufgegriffen und umgesetzt w i r d die Leitfunktion des Bebauungsplanes i n der Veräußerungsregelung des § 89 BBauG gleich dreifach: Während § 89 Abs. 1 S. 2 BBauG die Gemeinde berechtigt, die Rangfolge von Reprivatisierungs- und Privatisierungsberechtigten zu durchbrechen, erstreckt § 89 Abs. 3 S. 5 BBauG die Dominanz des Bebauungsplans auch auf die Wahl der Veräußerungsform. Die dort vorzufindende „städtebauliche Auffangklausel" 5 5 3 ermöglicht, eine den Zielen des Bebauungsplans adäquate Veräußerungsform zu wählen, ohne die Wün549 Vgl. dazu Bielenberg, i n Sten. Prot, des 15. BT.-Ausschusses v o m 28.1. 1976, Nr. 75, S. 36; Schmidt-Aßmann / Frenzel, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, § 89 Rdnr. 37 f. 550 I n diesem Sinne auch das Sten. Prot, des 15. BT.-Ausschusses v o m 3.10.1975, Nr. 62, S. 13. 551 Dazu Schmidt-Aßmann / Frenzel, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, § 89 Rdnr. 21. 552 Z u den S t r u k t u r e n des Abwägungsgebotes Schmidt-Aßmann, in: Ernst/ Z i n k a h n / Bielenberg, § 1 Rdnr. 302 ff. 553 Ebd., § 89 Rdnr. 58, 59.

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

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sehe der Berechtigten erfüllen zu müssen. Voraussetzung ist allerdings auch hier, daß die i m Bebauungsplan klar niedergelegten städtebaulichen Ziele m i t den Veräußerungswünschen der Berechtigten kollidieren, eine plangemäße Nutzung an einer wunschgemäßen Veräußerung also scheitern müßte 5 5 4 . Als dritter und letzter Ausdruck der Herrschaft des Bebauungsplanes über den Veräußerungsvorgang berechtigt § 89 Abs. 5 BBauG schließlich die Gemeinde, über den Kreis der nach Abs. 2 zu berücksichtigenden Personen auch an andere zu veräußern 6 5 5 . Während § 89 Abs. 2 S. 1 BBauG der Gemeinde also Wahlfreiheit zwischen Reprivatisierungs- und Privatisierungsberechtigten einräumt, eröffnet Abs. 5 unter städtebaulichen Gesichtspunkten die Vergabe an Dritte. Einer tiefgreifenden Umschichtung des Grundeigentums, die die bisherigen Grundeigentümer endgültig depossedieren würde, baut das Gesetz freilich auch hier vor. Denn werden frühere Eigentümer bei der Veräußerung übergangen, verpflichtet Abs. 5 S. 2 die Gemeinde, Sorge zu tragen, daß ihnen andere Grundstücke oder Rechte i m Gemeindegebiet angeboten werden. Eine strenge gerichtliche Kontrolle der Vergabepraxis, wie sie die Kommentarliteratur zu den korrespondierenden Regelungen des StBauFG v e r t r i t t 5 5 6 und von der auch der Gesetzgeber bei den Beratungen des § 89 ausging 5 5 7 , w i r d ein übriges tun, damit nicht eine i m Einzelfall städtebaulich durchaus gebotene Umstrukturierung der Eigentumsverhältnisse umschlägt i n eine entmachtende Eigentumsumschichtung. Ι Π . Verfassungsfragen der eigentumsstreuenden Enteignung

Nach alledem bleibt für verfassungsrechtliche Zweifel an der Zulässigkeit der transitorischen Enteignung derart, sie würde einer Eigentumsumschichtung Tür und Tor öffnen 5 5 8 , kein Raum mehr. Die p r i v i legierte Stellung der Alteigentümer i m allgemeinen städtebaulichen Bereich des BBauG wie i m Sanierungsgebiet des StBauFG beraubt einem solchen V o r w u r f bereits die tatsächliche Grundlage. Hier läuft auch der Einwand fehl, BBauG oder StBauFG würden eine kommunale Bestimmungsgewalt über die Eigentumsverteilung schaffen, A r t und Ausmaß der danach möglichen Eigentumspolitik aber nicht m i t hinrei«54 Ebd. 555 I n f o r m a t i v dazu das Sten. Prot, des 15. Bundestagsausschusses 11. Februar 1976, Nr. 76, S. 24, 25.

vom

556 Vgl. schon oben Fn. 547; Bielenberg, StBauFG, §25 Rdnr. 61, 62; §59 Rdnr. 21 - 23. 557 Vgl. Sten. Prot, des 15. Ausschusses v o m 28.1.1976, Nr. 75, S. 37. 658 I n dieser Richtung äußert vor allem Forsthoff, Z u r Lage des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes, i n : Festgabe für Theodor Maunz, S. 89, 98 - 101 Bedenken, vgl. noch ders. i n D W W 1971, 76.

11·

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

chender Genauigkeit und Berechenbarkeit festlegen 569 . §25 StBauFG wie § 89 BBauG gehen von einer deutlichen Rangfolge der bei der Veräußerung zu berücksichtigenden Interessen aus; Orientierungspunkte der Reprivatisierungs- wie der Privatisierungsentscheidung sind die städtebaulichen Ziele der Gemeinde. Allenfalls i m Entwicklungsbereich, wo das StBauFG dem Entwicklungsträger einen weiten Handlungsspielraum zuerkennt, stellt sich ernsthaft die Frage nach den Verfassungsgrenzen einer die Eigentumsstruktur umgestaltenden Enteignung 5 6 0 . Denn hier hat der notfalls durch Enteignung erfolgende Grunderwerb der Gemeinde vorrangig das Ziel, eine andere Eigentumsstruktur zu schaffen® 61. Verfassungswidrig wäre eine solche umverteilende Enteignung dann, wenn die enteignungsrechtliche Gemeinwohlklausel des A r t . 14 Abs. 3 S. 1 GG schlechthin eine breitere Eigentumsstreuung m i t dem M i t t e l der Enteignung ausschlösse: Das klassische Dogma, die enteignungsrechtliche Gemeinwohlklausel verbiete, unter dem Titel der Enteignung soziale Umschichtungs- und Despossedierungsvorgänge zu vollziehen, vermag die Verfassungswidrigkeit der transitorischen Enteignung jedoch nicht zu begründen 6 6 2 . Das Dogma, das die Enteignungsrechtsprechung des Reichsgerichts den „Fürstenenteignungen" der frühen Weimarer Jahre entgegenstellte und das von dort Eingang i n das neuere Enteignungsrecht gefunden hat, hatte nur solche Enteignungen i m Auge, die sich i n dem politisch ausgerichteten Umschichtungsmotiv erschöpften 663 . Entschädigungsrechtlicher Hintergrund dieser Rechtsprechung war zudem A r t . 153 WRV, der eine Legalenteignung zuließ, so daß eine restriktive Interpretation der Gemeinwohlklausel u m so dringlicher erschien. Selbst wenn das Reichsgericht i n diesen Fällen das konkrete Umschichtungsmotiv mißbilligte, erkannte es i m übrigen an, daß eine Eigentumsumschichtung durchaus von einem Sachzweck des öffentlichen Wohls legitimiert sein könne 0 6 4 . Aus diesem Grund sind die Enteignungsregelungen des Reichsheimstätten- oder des Reichssiedlungsgesetzes verfassungsrechtlich niemals ernsthaft angezweifelt worden, obwohl sie sich eine Umstrukturierung des städtischen wie ländlichen Grundeigentums zum Ziel gesetzt hatten 5 6 5 . Die städtebaulichen wie wohnungspolitischen Ziele legitimie55» So f ü r die Novellierung des B B a u G Badura, i n : Sten. Prot, des 15. B T . Ausschusses v o m 12. November 1974, Nr. 33, S. 60. 560 Dazu auch Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 90. sei Ebd., S. 91. 562 Z u diesem Dogma, vgl. W. Weber, Eigentum u n d Enteignung, S. 313; Kaiser, Staat u n d Privateigentum, S. 46; Kimminich, B K , A r t . 14 Rdnr. 125. 563 Aufschlußreich insoweit RGZ 103, 202; RGZ 139, 9. 564 v g l . Triepel, Goldbilanzenverordnung, S. 383; Krückmann, Enteignung u n d Einziehung, S. 9; Weber, Eigentum u n d Enteignung, S. 383. 565 v g l . oben I . T e i l , 2. Kap., 1. Abschnitt, B . I I .

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

165

ren schon unter Geltung der Weimarer Reichsverfassung eine tendenziell umverteilende Enteignung. Erst recht kann nach moderner Wertung die eigentumsstreuende Zielsetzung der transitorischen Enteignung i m Entwicklungsbereich des StBauFG vor der verfassungsrechtlichen Gemeinwohlklausel bestehen. Z u m einen handelt es sich bei ihr schon u m keine echte Vermögensumverteilung i m Sinne des klassischen Dogmas, da der frühere Eigentümer für den Wertverlust entschädigt w i r d und der neue Eigentümer das Grundstück zum Verkehrswert e r w i r b t 5 6 6 . Z u m anderen dürfen jene Wandlungen i m enteignungsrechtlichen Gemeinwohlverständnis nicht unberücksichtigt bleiben, die unter dem Gebot des sozialstaatlichen Raumgestaltungsauftrags 567 den Bereich der städtebaulichen Enteignung erweitert haben 5 6 8 . Das StBauFG, das diesen Sozialstaatsauftrag konkretisiert 5 6 9 , räumt den Gemeinden i m Entwicklungsbereich eine bewußt weite Bestimmungsgewalt über die Eigentumsverteilung und -gestaltung ein. N u r wenn sie die dort regelmäßig anzutreffenden einseitigen Eigentumsstrukturen notfalls auch zwangsweise zu verändern vermag, kann ein auf Dauer lebensfähiges örtliches Gemeinwesen entstehen 579 . Dieser enge städtebaulich-sozialstaatliche Bezug indiziert die Gemeinwohldienlichkeit der transitorischen Enteignung i m Entwicklungsbereich und macht auch sie i m Ergebnis verfassungsrechtlich unangreifbar. C. D i e transitorische Enteignung als Instrument k o m m u n a l e r Bodenvorratswirtschaft

Die streng gefaßten Veräußerungspflichten i m geltenden Städtebaurecht begrenzen zugleich den kommunalen Handlungsspielraum für eine sinnvolle kommunale Bodenvorratswirtschaft 5 7 1 m i t dem M i t t e l der transitorischen Enteignung. Allerdings zeichnet sich i m modernen Städtebaurecht auch i n diesem Punkt ein deutlicher Wandel ab. Die allzu strenge Absage des BaulbeschG 572 wie des B B a u G 5 7 3 an jede kommunale Bodenvorratshaltung hat i m StBauFG einer flexibleren Haltung Platz gemacht und ist von der Novellierung des BBauG übernommen worden. Der Gesetzgeber hat sich damit auf Dauer nicht der Erkenntnis 566

So zu Recht Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 91, Fn. 156. Dazu Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 63, 149. see v g l . auch Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S.91, 92. 567

569

I n diesem Sinne auch Meyer, AöR 1972, S. 12 ff., 27. Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 92; vgl. auch Wolff / Bachof, VerwR., Bd. 1, § 6 2 I X a. 571 Vgl. zu diesem Zusammenhang Bielenberg, StBauFG, Einl. Β Rdnr. 141. 572 Vgl. Dittus / Zinkahn, BaulbeschG, § 6 A n m . 13 c. 573 i. d. F. v o m 23. J u n i 1960; vgl. Meyer / Stich / Tittel, BBauG, 1966, § 89 Rdnr. 1. 57 9

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

verschließen können, daß ein angemessener kommunaler Bodenfonds für eine elastische, den Bedürfnissen des modernen Städtebaus angepaßte Bodenpolitik unabdingbar ist 5 7 4 . Ablesen läßt sich der Wandel im Enteignungsrecht an jenen Vorbehaltsklauseln, die die Gemeinden von der Veräußerung zuvor enteigneter Grundstücke befreien. Sie wirken zurück auf den einheitlichen Durchgangserwerbsvorgang und bereichern insoweit das B i l d der Durchgangsenteignung u m einen neuen Akzent. Angepaßt an die unterschiedlichen städtebaulichen Zielsetzungen von StBauFG und BBauG zeigt eine kommunale Bodenvorratspolitik dort freilich unterschiedliche Züge: I . Die Bodenbevorratung nach dem StBauFG

1. Die Rechtslage im Sanierungsgebiet I m Sanierungsgebiet darf die Gemeinde nach § 25 Abs. 1 StBauFG nur solche Grundstücke von der Veräußerung ausnehmen, die als Gemeindebedarfs-, als Verkehrs-, Versorgungs- wie Grünflächen i n einem Bebauungsplan festgesetzt sind oder als Austauschland oder zur Entschädigung i n Land benötigt werden. Soweit die künftige Nutzung der zurückbehaltenen Flächen i n einem Bebauungsplan ausgewiesen ist, bleibt der Gemeinde allerdings wenig Raum für eine längerfristig konzipierte Vorratswirtschaft. Für einen kommunalen Bodenvorratsfond i m Sanierungsgebiet kommen daher primär Flächen i n Betracht, die als Austausch- oder Ersatzlandgrundstücke für Sanierungszwecke benötigt werden 5 7 6 . Ob und i n welchem Umfang die Gemeinde solche Flächen von der Veräußerung ausnehmen darf, läßt das Gesetz weitgehend offen. § 25 Abs. 1 S. 2 StBauFG räumt den Gemeinden einen weiten Prognosespielraum i n der zentralen Frage ein, i n welchem Umfang künftig Austausch- oder Entschädigungsgelände zu Sanierungszwecken benötigt werden. Dies erscheint zunächst nicht unbedenklich, da die Gemeinde durch eine entsprechend großzügige Reservierung von Austausch- oder Ersatzlandflächen i m Ergebnis ihre Veräußerungspfücht unterlaufen ß74 Z u den städtebaulichen Notwendigkeiten einer angemessenen Bodenvorratswirtschaft vgl. Bonczek, HdwbKommWiss. Praxis, Bd. 3, S. 98; Schmidt, ebd., S. 118 f.; Bielenberg, Empfehlen sich . . . Β 93. 575 Daß eine Bodenbevorratung i m Sanierungsgebiet vorrangig wiederum Sanierungszwecken dienen soll, stellt § 25 Abs. 1 StBauFG nicht ausdrücklich heraus. Der bederführende 14. Ausschuß hat dies jedoch i n seinen Beratungen ausdrücklich betont. Nach i h m soll eine Bodenbevorratung i m Sanierungsgebiet p r i m ä r dazu dienen, Grundstücke f ü r Umsiedlungen bereitzuhalten, w e n n i n absehbarer Zeit weitere Sanierungen i m Gemeindegebiet durchgeführt werden sollen; BT.-Drucks. VI/2204 zu § 25, S. 13, 14. Z u r Bevorratung i m Sanierungsgebiet f ü r Vorhaben außerhalb v o n Sanierungsbereichen vgl. unten zu Fn. 582.

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

167

könnte. I n den parlamentarischen Beratungen ist der m i t dem E n t w u r f des S t B a u F G befaßte 14. Ausschuß jedoch dieser G e f a h r e n t g e g e n g e t r e t e n 5 7 6 . E r h a t , w e n n auch n i c h t i m Gesetzestext s e l b s t 5 7 7 , so doch i m L a u f e d e r B e r a t u n g e n herausgestellt, daß erst e i n sachgerechter und in gewissem Umfang konkretisierter Bedarf 578 eine entsprechende V o r r a t s h a l t u n g r e c h t f e r t i g t . D i e F o r m e l steckt t r o t z d e r i h r e i g e n e n W e i t e d e n R a h m e n f ü r eine B o d e n b e v o r r a t u n g i m S a n i e r u n g s g e b i e t nach z w e i S e i t e n a b : Z u m e i n e n i s t es d e r G e m e i n d e v e r w e h r t , G r u n d s t ü c k e a l l e i n m i t d e r B e h a u p t u n g z u r ü c k z u h a l t e n , sie i r g e n d w a n n e i n m a l z u b e n ö t i gen. E i n e G r u n d s t ü c k s p o l i t i k f ü r z u k ü n f t i g e , z u r Z e i t noch n i c h t k o n kretisierte Nutzungen ist d a m i t unzulässig579. D i e F o r m e l v e r b i e t e t es aber auch, v o n d e n G e m e i n d e n eine e x a k t e A u f r e c h n u n g der b e n ö t i g t e n F l ä c h e n z u v e r l a n g e n . H i e r z u w ä r e sie erst n a c h A b w i c k l u n g des E n t s c h ä d i g u n g s - oder G r u n d s t ü c k s t a u s c h v e r f a h rens i n d e r L a g e , w a s i m E r g e b n i s eine B o d e n b e v o r r a t u n g u n m ö g l i c h machen würde. I n der städtebaulichen Praxis w i r d sich der verbleibende Prognosespielr a u m noch weiter verdichten lassen. I m einzelnen ist zu unterscheiden, ob die Gemeinde Austausch- oder Ersatzflächen f ü r Vorhaben innerhalb oder außerhalb von Sanierungsgebieten zurückhält: 1. Sollen die Austausch- oder Ersatzgrundstücke f ü r städtebauliche Vorhaben innerhalb von Sanierungsgebieten reserviert werden, hängt die Genauigkeit der Voraussage davon ab, ob die Flächen für Vorhaben i m gleichen oder i n einem anderen Sanierungsgebiet verwendet werden sollen. a) W i l l die Gemeinde die zurückbehaltenen Austausch- oder Ersatzgrundstücke i m gleichen Sanierungsgebiet verwenden, w i r d sie ihre Bedarfsprognose auf relativ sicheren Planaussagen gründen können. Da die Wiederveräußerung der enteigneten Flächen erst i n einem späten Sanierungsstadium fällig w i r d , werden zu diesem Z e i t p u n k t die rechtskräftigen Bebauungspläne f ü r das Sanierungsgebiet vorliegen. Diese werden der Prognose künftiger Austausch- oder Entschädigungsleistungen einen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad verleihen. b) Weit risikoreicher bleibt dagegen die Bedarfsprognose der Gemeinde, w e n n sie Grundstücke zurückhält, u m sie f ü r weitere Sanierungsvorhaben i m Gemeindegebiet einzusetzen. Daß auch diese Fallkonstellation von § 25 Abs. 1 StBauFG erfaßt werden soll, hat der Ausschuß i n seinen Beratungen unmißverständlich klargestellt 5 8 0 . Eine hinreichend k o n 576 Z u dem Gang der Ausschußberatungen vgl. BT.-Drucks. VI/2204 zu § 25 u n d Bielenberg, StBauFG, § 25 Rdnr. 6. 577 Der A n t r a g der CDU/CSU, die i n den Ausschußberatungen herausgearbeitete Konkretisierung i n den Gesetzestext selbst aufzunehmen, ist von der Ausschußmehrheit als entbehrlich abgelehnt worden; vgl. Ausschußbericht, Drucks. VI/2204, zu § 25 S. 13. 5 ™ BT.-Drucks. VI/2204, ebd. 57 9 Bielenberg, StBauFG, § 59 Rdnr. 17. 580 Z u dieser Alternative vgl. auch den Ausschußbericht, BT.-Drucks. V I / 2204, zu § 25, S. 13.

168

I I . 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung krete Bedarfsschätzung w i r d hier erst möglich sein, w e n n zumindest das künftige Sanierungsgebiet förmlich festgelegt ist. Z u diesem Z e i t p u n k t w i r d regelmäßig das Neuordnungskonzept f ü r das zu ordnende Gebiet vorliegen, welches nicht n u r Vorstellungen über die künftige Flächennutzung i m Sanierungsgebiet beinhaltet, sondern auch detaillierte Rechtsmodelle f ü r eine künftige Neuordnung aufstellt 5 8 1 .

2. Der W o r t l a u t des § 25 schließt nicht aus, daß Austausch- oder Entschädigungsland f ü r die Inanspruchnahme solcher Grundstücke zurückbehalten w i r d , die außerhalb eines Sanierungsgebietes öffentlichen oder anderen planungsgemäßen Zwecken zugeführt werden sollen 6 8 2 . H i e r gibt die V o r gabe der künftigen Nutzung i m Flächennutzungsplan einen hinreichend konkreten A n h a l t f ü r die Nutzungsabsichten der Gemeinde, so daß auf dieser Gundlage eine Bodenbevorratung als zulässig zu erachten ist. Aufs ganze gesehen läßt sich das Bevorratungsrecht der Gemeinde i m Sanierungsgebiet damit hinreichend konkret bestimmen, so daß eine Mißbrauchsgefahr nicht mehr erkennbar ist.

2. Die Rechtslage

im

Entwicklungsbereich

I m E n t w i c k l u n g s b e r e i c h r ä u m t § 59 A b s . 1 S t B a u F G d e n G e m e i n d e n e i n e n noch w e i t e r g e h e n d e n S p i e l r a u m f ü r eine B o d e n b e v o r r a t u n g ein. D i e G e m e i n d e n k ö n n e n n i c h t n u r die b e n ö t i g t e n A u s t a u s c h - oder E r s a t z l a n d g r u n d s t ü c k e v o n e i n e r V e r ä u ß e r u n g a u s k l a m m e r n 6 8 3 , s o n d e r n auch G r u n d s t ü c k e , d i e sie f ü r „ s o n s t i g e ö f f e n t l i c h e Z w e c k e " i m E n t w i c k l u n g s b e r e i c h v e r w e n d e n w o l l e n . Besondere B e a c h t u n g v e r d i e n t dieses l e t z t e T a t b e s t a n d s m e r k m a l , das i m Gesetz n e b e n d e n G e m e i n d e b e d a r f s - , G r ü n - , V e r k e h r s - oder Freiflächen gesondert a u f g e f ü h r t ist. Das Gesetz e r l a u b t d e r G e m e i n d e i m E n t w i c k l u n g s b e r e i c h auch solche G r u n d s t ü c k e f ü r „öffentliche Z w e c k e " 5 8 4 zurückzuhalten, die nicht i n einem Bebauu n g s p l a n oder F l ä c h e n n u t z u n g s p l a n ausgewiesen s i n d 5 8 5 . D a m i t i s t es i h r möglich, Grundstücke über einen längeren Z e i t r a u m f ü r i m einz e l n e n noch n i c h t absehbare N u t z u n g e n z u b e v o r r a t e n . D i e L a n g f r i s t i g k e i t d e r E n t w i c k l u n g s m a ß n a h m e n lassen dieses v o n d e n B i n d u n g e n a n die B a u l e i t p l a n u n g gänzlich befreite Bevorratungsrecht nicht unangemessen erscheinen. 58 i I n f o r m a t i v die Darstellung bei Dieterich / Farenholtz, StBauFG, S. 64, 71. E i n anschauliches Beispiel aus der Sanierungspraxis gibt das Gewos-Gutachten über die vorbereitenden Untersuchungen zur Stadterneuerung Duisburg-Hochfeld, Januar 1976 — unveröffentlicht — S. 195 f.; zu dem Problemkomplex insgesamt auch Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 68. 682 Bielenberg, StBauFG, § 25 Rdnr. 20. 583 Diese Tatbestandsmerkmale der Vorbehaltsklausel sind wie die des § 25 Abs. 1 S. 2 StBauFG auszulegen, vgl. Bielenberg, StBauFG, § 59 Rdnr. 6. 584 Der öffentliche Zweck k a n n auch v o n einem Privaten realisiert werden, vgl. Bielenberg, StBauFG, § 25 Rdnr. 19. 585 Dieterich / Farenholtz, StBauFG, S. 200; Bielenberg, StBauFG, §59 Rdnr. 9.

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

169

I L Die Übertragung der Regelungen des StBauFG auf das allgemeine Städtebaurecht

I n dem Forderungskatalog, den Wissenschaft und Praxis an eine Reform des allgemeinen Städtebaurechts stellten, hat die Forderung nach einer an den städtebaulichen Entwicklungszielen orientierten, gemeindlichen Bodenvorratspolitik einen vorderen Platz eingenommen 6 8 6 . Ein angemessener, kommunaler Bodenfonds sollte den grundstückspolitischen Spielraum der Gemeinden auch außerhalb von Sanierungsgebieten oder Entwicklungsbereichen erweitern und sie von einem nur noch als bedingt funktionsfähig gewerteten Bodenmarkt unabhängiger machen 687 . Die Revision der bisherigen Rechtspraxis erschien u m so dringender, da der Gesetzgeber des B B a u G v o n 1960 gegen eine Bodenvorratspolitik bewußt Stellung bezogen h a t t e 6 8 8 . Dies ließ sich i m Enteignungsrecht 5 8 9 sowohl an der starren zweijährigen Privatisierungsfrist des § 89 Abs. 1 u n d 2 B B a u G α. F. ablesen, zeigte sich aber auch an der engen Vorbehaltsklausel des §89 Abs. 1 B B a u G α. F., nach der die Gemeinde n u r Grundstücke v o n der V e r äußerung ausnehmen durfte, die i m Bebauungsplan als Gemeinbedarfs-, Verkehrs-, Versorgungs- oder Grünflächen ausgewiesen waren. Insgesamt w a r es i h r damit unmöglich, einen zunächst nicht zweckbestimmten Bodenvorrat anzulegen 5 9 0 .

Bei der Novellierung der Enteignungsvorschriften des BBauG griff der Gesetzgeber die Reform vor Stellungen auf, erfüllte jedoch nicht i n allen Punkten die zunächst i n i h n gesetzten Erwartungen. § 89 Abs. 1 BBauG, der die Vorbehaltsklauseln des § 25 Abs. 1 StBauFG 6 9 1 i n das allgemeine Städtebaurecht transferiert, ermöglicht durch zwei Neuerungen künftig eine begrenzte Bodenvorratspolitik auch m i t dem Instrument der Enteignung: Z u m einen zieht § 89 Abs. 1 S. 2 BBauG den Kreis der enteigneten Grundstücke, die von der Veräußerungspflicht ausgenommen sind, weiter als bisher. Das Gesetz nimmt Grundstücke von der Veräußerung aus, die für öffentliche Zwecke, für beabsichtigte städtebauliche Maßnahmen als Austauschland oder zur Entschädigung i n Land benötigt werden. Die Auslegung dieser Vorbehaltsklauseln kann sich auf §25 58 β Bielenberg, Empfehlen sich . . . Β 13; ders.: Reform des Städtebaurechts, S. 37 f.; Böckenförde, Eigentum, Sozialbindung des Eigentums, Enteignung, S. 231. 587 Bielenberg, Empfehlen sich . . . , Β 93. 588 Bielenberg, Empfehlen sich . . . , Β 13. Gleiches gilt f ü r das BaulbeschG, vgl. Dittus / Zinkahn, BaulbeschG, § 6 A n m . 13 c. 58 ® Die gleiche Tendenz w i r d i n der gesetzlichen Ausgestaltung des V o r kaufsrechts (§ 26) sichtbar; vgl. BT.-Drucks. 7/4793, S. 38. 5 »o Vgl. Brügelmann / Pohl, BBauG, § 89 A n m . I a. A m t l . Begründung zum Reg.Entw. der B B a u G Nov., BT.-Drucks. 7/ 4793, S. 33.

170

II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

Abs. 1 S. 2 StBauFG stützen, dessen Klauseln sie weitgehend entsprechen. Austausch- oder Ersatzlandgrundstücke kann die Gemeinde daher auch i m allgemeinen städtebaulichen Bereich nicht allein m i t der Behauptung zurückhalten, sie irgendwann einmal zu benötigen 5 9 2 . Wie im StBauFG ist zu fordern, daß die Gemeinde einen sachgerechten und in gewissem Umfang bereits konkretisierten Bedarf anmeldet. I n welchem Maße künftige Vorhaben, für die Austausch- oder Ersatzland benötigt werden, planerisch verdichtet sein müssen, hat der Gesetzgeber allerdings auch i m BBauG offengelassen 593 . Einen Hinweis gibt freilich die amtliche Begründung zur Novellierung des § 26 BBauG 5 9 4 , der die Veräußerungspflicht nach Ausübung des Vorkaufsrechts ausgestaltet und auf den die Begründung zu § 89 unmißverständlich Bezug n i m m t 5 9 5 . Der Gesetzgeber hat i n diesem Zusammenhang ausdrücklich betont, daß die beabsichtigten städtebaulichen Maßnahmen, für die Grundstücke als Austauschland oder zur Entschädigung von der Veräußerung ausgenommen werden, sich aus dem konkreten Bedarf der Gemeinde auf der Grundlage der städtebaulichen Entwicklung ergeben müssen. Da die städtebaulichen Entwicklungsziele räumlich zuerst i m Flächennutzungsplan umgesetzt werden, w i r d auch der künftige Bedarf an Austausch- oder Entschädigungsland erst auf einer solchen planerischen Grundlage m i t hinreichender Sicherheit prognostizierbar sein 5 9 6 . Diese vorgeschlagenen Bedarfsorientierungen am Flächennutzungsplan sichert der Gemeinde einen ausreichenden zeitlichen Spielraum für eine flexible Grundstückspolitik, steckt aber zugleich die Grenzen einer kommunalen Bodenbevorratung notwendig konkret ab 5 9 7 . Keine Auslegungsschwierigkeiten bereitet dagegen der durch die Novellierung neu aufgenommene Vorbehalt, daß auch solche Grundstücke von der Veräußerung ausgenommen sind, die für öffentliche Zwecke benötigt werden. Für diese Grundstücke stellt der Ausschußbericht klar, daß damit nur öffentliche Zwecke i m Zusammenhang m i t der Durchführung des Bebauungsplans gemeint sind 5 9 8 . Dieser Hinweis 692

Vgl. zur Regelung des StBauFG Bielenberg, StBauFG, § 25 Rdnr. 6; Dieterich / Farenholtz, StBauFG, S. 143. * 9 3 Z u r K r i t i k vgl. Badura, i n : Sten. Prot, des 15. BT.-Ausschusses, Nr. 33, S. 61. 594 BT.-Drucks. 7/2496 zu Nr. 22 (§ 26), S. 46. 595 Vgl. BT.-Drucks. 7/2496 zu Nr. 44, S. 58. δ9 β Nicht erforderlich ist auch i m Rahmen des BBauG, daß der Austauschoder Entschädigungsfall, f ü r den L a n d zurückbehalten w i r d , bereits konkret eingetreten ist. § 25 a B B a u G t r i f f t f ü r das Vorkaufsrecht i n einem solchen F a l l eine eigenständige Ausnahmeregelung, vgl. BT.-Drucks. 7/4793 zu Nr. 21 (§ 25 a, S. 33). 597 Die Bedenken Baduras, i n : Sten. Prot, des 15. BT.-Ausschusses, Nr. 33, S. 61, die Novellierung des B B a u G bliebe i n diesem P u n k t zu unbestimmt, sind damit zugleich ausgeräumt.

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

171

w a r w i c h t i g , da die F o r m e l „ G r u n d s t ü c k f ü r ö f f e n t l i c h e Z w e c k e " , die i n § 25 S t B a u F G n i c h t e n t h a l t e n ist, zu M i ß v e r s t ä n d n i s s e n A n l a ß geben k ö n n t e . D e n n § 59 A b s . 2 S t B a u F G b e f r e i t die G e m e i n d e v o n der V e r ä u ß e r u n g v o n G r u n d s t ü c k e n i m E n t w i c k l u n g s b e r e i c h , d i e f ü r „sonstige ö f f e n t l i c h e Z w e c k e " b e n ö t i g t w e r d e n , w i l l h i e r aber w o h l k ü n f t i g e G r u n d s t ü c k s n u t z u n g e n erfassen, die noch n i c h t i n e i n e m B e b a u u n g s oder F l ä c h e n n u t z u n g s p l a n k o n k r e t i s i e r t s i n d 5 9 9 . N o c h i n e i n e m z w e i t e n P u n k t b e g ü n s t i g t § 89 A b s . 1 B B a u G eine l ä n g e r f r i s t i g e G r u n d s t ü c k s b e v o r r a t u n g d u r c h die G e m e i n d e n . § 89 A b s . 1 S. 1 B B a u G e n t b i n d e t d i e G e m e i n d e n v o n d e r V e r ä u ß e r u n g z u v o r e n t e i g n e t e r G r u n d s t ü c k e , w e n n sie f ü r diese A u s t a u s c h g r u n d s t ü c k e , E r s a t z l a n d oder G r u n d s t ü c k s s u r r o g a t e i. S. d. § 1 0 1 A b s . 1 N r . 1 B B a u G gel e i s t e t haben. D i e G e m e i n d e n k ö n n e n d a n n die e n t e i g n e t e n G r u n d s t ü c k e i h r e m B o d e n v o r r a t s f o n d z u f ü h r e n , ohne gegen i h r e V e r ä u ß e r u n g s p f l i c h t zu verstoßen. D i e K l a u s e l sichert d e n B e s t a n d eines e i n m a l e x i s t e n t e n B o d e n v o r r a t s 6 0 0 , e r l a u b t aber n i c h t e i n e n solchen z u b e g r ü n d e n oder zu e r w e i t e r n u n d i s t deshalb f ü r eine a k t i v e B o d e n b e v o r r a t u n g n u r v o n geringem praktischen Wert. Dagegen b r i n g t die Neuregelung der Veräußerungsfristen den Gemeinden nicht den zunächst erhofften zeitlichen Spielraum. Ursprünglich sah der Regierungsentwurf zur Novellierung des § 89 Abs. 1 B B a u G vor, die zu starren Fristen des § 89 Abs. 1 u n d 2 B B a u G a. F. ersatzlos zu streichen« 01 . Der 15. Ausschuß hat jedoch i n seinen Beratungen einvernehmlich den Zusatz eingefügt, daß die enteigneten Grundstücke schon dann zu veräußern sind, wenn der m i t ihrem E r w e r b verfolgte Zweck v e r w i r k l i c h t werden k a n n 6 0 2 . Die Fristsetzung engt den zeitlichen Bewegungsraum der Gemeinden i m V e r gleich zur früheren Regelung deutlich e i n 6 0 3 . Denn k ü n f t i g sind sie verpflichtet, die enteigneten Grundstücke schon zu dem frühest möglichen Zeitpunkt zu veräußern, i n dem die vorbereitenden Maßnahmen abgeschlossen sind u n d die bauliche Nutzung durch Private möglich ist. Die Zweijahresfrist, die § 89 Abs. 1 B B a u G a. F. den Gemeinden zusätzlich zu der i m Enteignungsbeschluß eingeräumten Verwendungsfrist zubilligte, ist weggefallen. I n Z u k u n f t w i r d die Enteignungsbehörde m i t der Verwendungsfrist, innerhalb der G r u n d stücke auf eine Bebauung vorzubereiten oder einer baulichen Nutzung zuzuführen sind, auch den äußersten zeitlichen Rahmen f ü r eine Veräußerung bindend vorgegeben 6 0 4 . 598 v g l . BT.-Drucks. 7/4793, S. 16. 599 Bielenberg, StBauFG, §59 Rdnr. 9; a. A . zur Regelung des StBauFG anscheinend Gehrmann, StBauFG, § 59 A n m . 1. 600 Z u der parallelen Klausel des § 25 Abs. 1 StBauFG vgl. Bielenberg, StBauFG, § 25 Rdnr. 5 u n d § 59 Rdnr. 5. 6 ° i Vgl. BT.-Drucks. 7/2496 S. 18. eo2 BT.-Drucks. 7/4793 zu N u m m e r 44 (§89) S. 42; informativ insoweit auch ias Sten. Prot, des 15. BT.-Ausschusses v o m 3. Oktober 1975, Nr. 62, S. 5 f. 603

Ä h n l i c h Gaentzsch, i n : Sten. Prot, des 15. BT.-Ausschusses, ebd., S. 6. Bei der Festsetzung dieser Frist bleibt der Enteignungsbehörde wenig Spielraum, da eine Enteignung n u r zulässig ist, w e n n der damit verfolgte 604

172

II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

Insgesamt gesehen eröffnet § 89 Abs. 1 BBauG den Gemeinden künft i g die Möglichkeit, eine angemessene gemeindliche Bodenvorratspolitik auch i m allgemeinen städtebaulichen Bereich zu betreiben. Rechtstechnisch geschieht dies nicht durch eine direkte Erweiterung des Enteignungskatalogs des § 85 Abs. 1 BBauG, sondern mittelbar über die Veräußerungsregelung des § 89 Abs. 1 BBauG. Auch hier ist allerdings nicht zu verkennen, daß die abgeschwächte Veräußerungspflicht indirekt erweiternd auf die Eingriffsmöglichkeiten rückwirkt; Enteignungserwerb und Veräußerungsvorgang verschmelzen zu einem einheitlichen Rechtsinstitut und sind als solches zu bewerten 6 0 5 . § 85 BBauG sperrt eine solche Anreicherung der zulässigen Enteignungszwecke nicht, denn i n ihrer strikten städtebaulichen Ausrichtung ist eine sachangemessene Bodenvorratspolitik ein legitimer öffentlicher Belang, der über die planerische Abwägung i n den Bebauungsplan einfließen darf und von dort als Nebenzweck auf die Enteignung rückwirkt. I n diesem Zusammenwirken von Enteignung und Veräußerungstatbestand erweitert §89 Abs. 2 BBauG trotz der verschärften Fristenregelung den bodenpolitischen Spielraum der Gemeinde durch die nun zulässige Bevorratung von Austausch- und Entschädigungsland i m Vergleich zu früher nicht unerheblich. Ob die Gemeinden diesen Spielraum ausschöpfen werden, w i r d i n der kommunalen Praxis allerdings wesentlich dadurch bestimmt werden, inwieweit eine längerfristige Bevorratung finanzierbar ist. Die auch künftig am Verkehrswert orientierten Grunderwerbskosten 606 wie die Kapitalkosten einer längerfristig konzepierten Vorratswirtschaft setzen einer großzügigen Bodenbevorratung finanzielle Grenzen, welche um so enger werden, je mehr der Investitionsspielraum der Gemeinden abnimmt. Verfassungsrechtlich ist die i m Enteignungsrecht des BBauG abgesteckte, kommunale Bodenvorratspolitik dagegen nicht angreifbar 6 0 7 . Beurteilungsmaßstab ist die enteignungsrechtliche Gemeinwohlklausel, die auf den einheitlichen Durchgangserwerbsvorgang zu beziehen ist und eine Enteignung von Grundstücken, die als Austausch- und Entschädigungsland zurückgehalten werden, nicht deshalb verbietet, w e i l zwischen Enteignungserwerb und Zweckverwirklichimg eine längere Zweck i n absehbarer Zeit zu realisieren ist, vgl. Dyong, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, § 114 Rdnr. 1. Unangemessene, v o m Enteignungszweck nicht gedeckte Fristen darf die Enteignungsbehörde nicht festsetzen. 605 Ebenso Badura, i n : Sten. Prot, des 15. BT.-Ausschusses, Nr. 33, S. 61, der insofern zutreffend von einer Erweiterung des Eingriffstatbestandes spricht. eoe §96 a des Reg.Entw. (BT.-Drucks. 7/2496, S. 19, 58; BT.-Drucks. 7/4793, S. 106) der die Entschädigung u m die entwicklungsbedingten Wertsteigerungen reduzieren wollte, ist i m Vermittlungsausschuß gescheitert. 607 Ebenso Badura, i n : Sten. Prot, des 15. BT.-Ausschusses v o m 12. November 1974, Nr. 33, S. 61.

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

173

Zeitspanne vergeht. Hierin eine versteckte Kommunalisierung des Grund und Boden zu erblicken, ist verfehlt 6 0 8 . Ziel der Enteignung zur Bodenbevorratung ist es nicht, ein auf Dauer angelegtes kommunales Obereigentum zu begründen 6 0 9 . Die Enteignung zur Bodenbevorratung dient, wie § 89 Abs. 1 BBauG sicherstellt, vielmehr konkreten städtebaulichen Belangen, die auch i n diesem Fall das enteignungsrechtliche Gemeinwohlurteil tragen. D . D i e transitorische Enteignung als Instrument der Bodenwertabschöpfung

Von besonderer bodenpolitischer Brisanz ist eine letzte Funktion der transitorischen Enteignung: Neben ihren bodenordnenden und nutzungsregulierenden Zielen dient sie auch als bodenmarktlenkendes Instrument, m i t dem planungs- und maßnahmebedingte Bodenwertsteigerungen abgeschöpft werden können 6 1 0 . Sie soll die Funktionsfähigkeit des Bodenmarktes sichern helfen 6 1 1 , unverdiente Wertzuwächse abschöpfen 612 sowie zur Finanzierung öffentlicher Planungen und Investitionen beitragen 6 1 3 . I n dieser jüngsten Erweiterung der Enteignungsdimensionen spiegelt sich der Wandel, den das Enteignungsinstitut und m i t i h m die Gemeinwohlklausel i m Bereich des Bodenrechts durchgemacht hat, modellhaft wieder: Von einem primär technischen Instrument, das der Landbeschaffung zugunsten öffentlicher Unternehmen diente, hat die Enteignung sich zu einem universellen Instrument fortentwickelt, m i t dem der Gesetzgeber gleichermaßen technische und bodenpolitische wie ökonomische und soziale Motivationen verfolgt 6 1 4 . Allerdings ist diese Entwicklung i m geltenden Bodenrecht unterschiedlich weit fortgeschritten. I m StBauFG ist die transitorische Enteignung integrierter Bestandteil eines breit gefächerten Abschöpfungsinstrumentariums, welches planungs- und entwicklungsbedingte Wertsteigeeos Ä h n l i c h Bielenberg, Empfehlen sich . . . , Β 93. 6°ö Ob eine v o n den konkreten städtebaulichen Notwendigkeiten gelöste Kommunalisierung des städtischen G r u n d u n d Bodens v o n der Allgemeinwohlklausel des A r t . 14 gedeckt würde, w i e Peters, Die Bodenreform, S. 75 behauptet, k a n n deshalb dahinstehen. 610 Dazu auch Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 36, 96 f.; SchmidtAßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 254; Bielenberg, Empfehlen sich . . . , Β 47 u n d 97 f. 611 Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 27. «12 Haman, Bodenwert u n d Stadtplanung, S. 9 ff.; Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 296. «13 Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 28. 614 Z u diesem Wandel der Gemeinwohlklausel schon Ernst, BBauBl. 1953, 206 ff., 208, 210; ähnlich Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 211.

174

II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

rungen vom Inhalt des dort ausgestalteten Grundeigentums ausklammert 6 1 5 . Dagegen läßt das BBauG nur eine partielle Wertabschöpfung über den enteignungsrechtlichen Durchgangserwerb zu. M i t dem Scheitern der Reformbemühungen um einen allgemeinen Bodenwertausgleich ist auch die transitorische Enteignung als umfassendes Wertabschöpfungsinstrument obsolet geworden. Auch i n Zukunft werden damit i m Bereich des Bodenrechts zwei Gesetze m i t unterschiedlicher eigentumspolitischer und enteignungsrechtlicher Konzeption nebeneinander stehen 6 1 6 : I . Ansätze einer partiellen Bodenwertabschöpfung i m Enteignungsrecht des BBauG

Das BBauG beschränkt die Abschöpfung planungsbedingter Wertsteigerungen i m Kern auf solche Wertzuwächse, die i n der Zeit zwischen Enteignungserwerb und Veräußerung eintreten. Freilich darf auch künftig nicht deswegen zur transitorischen Enteignung gegriffen werden, um Bodenwerte abzuschöpfen. Anders als i m StBauFG hat sich der Gesetzgeber des BBauG letztlich gegen eine umfassende Abschöpfung entschieden, so daß die Planwertabschöpfung weder i n den planerischen Abwägungsvorgang noch von dort i n die Enteignung als legitimes öffentliches Interesse einfließen darf. Sie ist deshalb nur Nebenfolge 617 eines i m übrigen städtebaulich motivierten Durchgangserwerbs, hat als solche aber wegen ihrer engen sachlichen und zeitlichen Begrenzung Bestand vor dem verfassungsrechtlichen Ubermaßverbot. Denn streng genommen sind die abzuschöpfenden Wertsteigerungen weniger auf öffentliche Planungsmaßnahmen als auf jene Plandurchführungsinitiativen der öffentlichen Hand zurückzuführen, die die spätere Nutzung durch Private vorbereiten (Erschließung, Neuparzellierung etc.) 618 . Dieser enge zeitliche wie sachliche Zusammenhang zwischen den Neuordnungsmaßnahmen der Gemeinde und den zu beobachtenden Preissteigerungen i m Neuordnungsgebiet lassen hier nicht jene Zweifel an der Kausalität von öffentlicher Initiative und Bodenwertsteigerungen aufkommen, die wegen der Vielzahl der bodenpreisbildenden Faktoren auch unter dem Aspekt des Ubermaßverbots gegen eine umfassende eie Bielenberg, DVB1 1974, 113, 115; ähnlich Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 40 f. 616 Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 227 hält dies auf Dauer unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebots für bedenklich; ähnlich Dyong, D Ö V 1972, 446; Opfermann, Zeitschrift f ü r Rechtspolitik 1972, 195. «π Ebenso Schmidt-Aßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, §85 Rdnr. 13. 618 Z u r technischen F u n k t i o n der transistorischen Enteignung oben zu Fn. 478.

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung Abschöpfung planungsbedingter worden sind 6 1 9 .

Wertsteigerungen

geltend

175 gemacht

Der gesetzliche Rahmen der sowohl zeitlich wie sachlich limitierten Bodenwertabschöpfung w i r d von den Entschädigungsvorschriften der §§ 93, 95 BBauG zur einen, von der Regelung der Veräußerungspflicht i n § 89 BBauG zur anderen Seite hin abgesteckt. Zwischen den dort gesetzlich fixierten Eingangs- und Ausgangswerten w i r d sich i m Einzelfall der über den Durchgangserwerb abzuschöpfende Betrag einzupendeln haben: 1. Die entschädigungsrechtliche Komponente der limitierten Bodenwertabschöpfung Auch künftig w i r d die Gemeinde die Entschädigung nach dem Verkehrswert des Enteignungsobjekts zu bemessen haben 6 2 0 . K r i t i k hat eine extensive Entschädigungspraxis i n der Vergangenheit vor allem deshalb provoziert, weil i n die Enteignungsentschädigung auch solche Wertsteigerungen einfließen, die durch öffentliche Planungsmaßnahmen initiiert worden sind 6 2 1 . Der jüngste gesetzgeberische Versuch, planungs- und entwicklungsbedingte Wertzuwächse über die durch § 95 Abs. 2 erfaßten Steigerungen hinaus aus der Entschädigung auszuklammern, ist jedoch i n den parlamentarischen Beratungen erneut gescheitert 622 . §96 a des Reg.-Entw. eines novellierten B B a u G 6 2 3 sah spiegelbildlich zu den Abschöpfungsregelungen der §§ 135 a ff. des Entwurfs i n diesem Zusammenhang vor, daß 50 °/o der infolge der E n t w i c k l u n g oder Neugestaltung eines Gebietes eintretenden Wertsteigerungen bei der Bemessung der Enteignungsentschädigung unberücksichtigt bleiben sollten. §96 a hatte dabei den „ a l l gemeinen Planungsgewinn"& 2 4 i m Auge, d . h . diejenige Spanne, u m die die 619 Der Terminus planungsbedingte Wertsteigerungen impliziert, das ein kausaler Zusammenhang zwischen öffentlicher Planung u n d Bodenwertsteigerung besteht. Da eine Vielfalt von Faktoren w i e inflationäre Preisentwicklung, private Investitionen oder allgemeine k o n j u n k t u r e l l e E n t w i c k lung auf die Bodenpreise einwirken, ist i m Einzelfall der planungsbedingte Wertanteil n u r schwer zu ermitteln, vgl. dazu Engelken, D Ö V 1974, 361 ff.; ders., D Ö V 1976, 8. 620 Z u m Umfang der Verkehrswertentschädigung i m einzelnen vgl. SchmidtAßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, §95 Rdnr. 2 ff.; Just / Brückner, Verkehrswert, S. 12 ff.; Kröner, Eigentumsgarantie, S. 89 ff. 621 Bielenberg, Empfehlen sich . . . , Β 94; Ernst / Bonczek, Z u r Reform des städtischen Bodenrechts, S. 21, 22; Peters, Die Bodenreform, S. 76. β22 v g l , dazu den Bericht zur A n r u f u n g des Vermittlungsausschusses, B T . Drucks. 7/5059, S. 6. 023 Vgl. BT.-Drucks. 7/2496, S. 19 sowie die modifizierte Fassung des 15. A u s schusses, BT.-Drucks. 7/4393, S. 106. β24 Zu diesem Terminus Schmidt-Aßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, § 95 Rdnr. 81.

176

II.

. K a p . : Die privatnützige Enteignung

Bodenpreise i m Planungsbereich gegenüber dem gesamtgemeindlichen Niveau steigen. Der konjunkturbedingte allgemeine Bodenwertzuwachs auf dem gesamtgemeindlichen Grundstücksmarkt sollte ebenso w i e ein inflationärer allgemeiner Preisanstieg dem Eigentümer weiterhin zufließen 6 2 5 . Wie die Begründung des federführenden 15. Ausschusses h e r v o r h o b 6 2 6 , ließ § 96 a i m übrigen die Entschädigungsregeln der §§ 95 u n d 96 unberührt. Soweit daher bei der Festsetzung der Entschädigung nach § 95 Abs. 2 Nr. 1 B B a u G a. F. Werte nicht zu berücksichtigen waren, sollte es auch k ü n f t i g dabei verbleiben. D a m i t besteht die eigentumspolitische Diskrepanz zwischen der E n t s c h ä d i g u n g s r e g e l u n g des § 23 A b s . 2 S t B a u F G , d e r a l l g e m e i n e P l a n u n g s gewinne schlechthin ausklammert u n d der Entschädigungskonzeption des B B a u G a u c h k ü n f t i g f o r t 6 2 7 . Sie b l e i b t , solange d e r Gesetzgeber d i e unterschiedlichen Regelungen nicht zu harmonisieren vermag, auf D a u e r n u r d a n n e r t r ä g l i c h , w e n n es g e l i n g t , ü b e r eine A k t i v i e r u n g der A b w ä g u n g s k l a u s e l des A r t . 14 A b s . 3 auch d i e E n t e i g n u n g s e n t s c h ä d i g u n g des B B a u G u m d i e p l a n u n g s b e d i n g t e n W e r t a n t e i l e z u r e d u z i e r e n . P o s i t i v r e c h t l i c h e r A n s a t z p u n k t f ü r eine solche i s o l i e r t e entschädigungsrechtliche L ö s u n g d e r B o d e n w e r t p r o b l e m a t i k i s t das i n § 95 A b s . 2 N r . 2 B B a u G n o r m a t i v v e r f e s t i g t e I n s t i t u t der e n t e i g n u n g s r e c h t l i c h e n V o r w i r k u n g 6 2 8 : Es e r m ö g l i c h t e schon i n d e r V e r g a n g e n h e i t , W e r t ä n d e r u n g e n aus d e r E n t e i g n u n g s e n t s c h ä d i g u n g a u s z u k l a m m e r n , d i e i n f o l g e d e r b e v o r s t e h e n d e n E n t e i g n u n g e i n g e t r e t e n w a r e n , auch w e n n diese n i c h t a u f spekulativen E r w a r t u n g e n 6 2 9 , sondern auf realverdichteten Nutzungsabsichten b e r u h t e n 6 3 0 . § 95 A b s . 2 N r . 2 setzt jedoch v o r a u s , daß zwischen 625 Nach § 135 c Abs. 1 S. 1 des Reg.Entw. zur Novellierung des B B a u G i n der v o m 15. Ausschuß geänderten Fassung sollte der Stichtag f ü r die Berechnung des Eingangs- u n d Ausgangswertes der Tag sein, an dem die nach dem Bebauungsplan vorgesehene Nutzung zulässig wurde. Nach §96 a Abs. 1 des E n t w . w a r dieser Stichtag grds. auch f ü r die Berechnung der Enteignungsentschädigung maßgebend. Bis zu diesem Tag sollte das G r u n d stück an der allgemeinen k o n j u n k t u r e l l e n u n d inflationären Preisentwickl u n g teilnehmen. 626 BT.-Drucks. 7/4793, zu Nummer 46 (§ 96 a), S. 53. 62 7 Vgl. Schmidt-Aßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, §93 Rdnr. 91 ; ders., Grundfragen des Städtebaurechts, S. 273 ff. 628 Vgl. dazu Schmidt-Aßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, §93 Rdnr. 77 f.; ders., Grundfragen des Städtebaurechts, S. 2731; Schütz! Frohberg, BBauG, §95 A n m . I I I 2; Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 35 f. 629 Spekulative Wertsteigerungen, die auf bloßen Hoffnungen u n d E r wartungen einer künftigen planungsrechtlichen Nutzungsänderung beruhen, sind schon bislang nicht I n h a l t des „gesunden Verkehrs wertes" gewesen; vgl. Büchs, Entschädigung, S. 194 f.; Dittus, JuS 1964, 308 ff.; SchmidtAßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, §95 Rdnr. 13. Der durch die Novellierung des B B a u G neu hinzugekommene § 95 Abs. 2 Nr. 1 gibt dem n u n auch normativen Ausdruck; vgl. auch die Begründung des 15. Ausschusses, BT.-Drucks. 7/4793 zu Nr. 45 (§ 95), S. 43. 630 v g l . die i m einzelnen bei Schmidt-Aßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, § 93 Rdnr. 88 f. herausgearbeiteten Fallgruppen, bei denen eine Reduzierung der Enteignungsentschädigung bislang möglich war.

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

177

vorbereitender Planung und nachfolgender Enteignung ein hohes Maß an Konnexität besteht 6 3 1 . Der Vor Wirkungsgrundsatz schließt nur dann planungsbedingte Wertsteigerungen von der Enteignungsentschädigung aus, wenn bereits i n den vorbereitenden Planungen die Enteignung als „sichere Folge" 6 3 2 durchscheint, was jedoch wegen des lockeren Zusammenhangs von öffentlicher „Bereitstellungsplanung" 6 3 3 und Plandurchführungsinitiative bislang nur selten der Fall w a r 6 3 4 . Hier w i r d die Umwertung des bislang restriktiv gehandhabten Vorwirkungsgrundsatzes ansetzen können, da m i t der Novellierung des BBauG Planungsund öffentliche Plandurchführungsinitiative näher zusammengerückt sind 6 3 5 . Sichtbar w i r d dies i n den Plandurchsetzungsgeboten der §§ 39 a ff. BBauG, das den Gemeinden zum Teil das bislang vermißte Plandurchführungsinstrumentarium an die Hand gibt 6 3 6 . Damit rücken aber auch Planung und Enteignung zumindest i n den Fällen zusammen, i n denen die Gemeinde ähnlich wie i m StBauFG städtebauliche Maßnahmen von der Vorbereitung über die Planung bis zur Planrealisierung h i n als Gesamtmaßnahme betreibt 6 3 7 . Enteignungsbehörden und Gerichte werden deshalb künftig sorgfältig abzuwägen haben, ob nicht bereits i n einem frühen Stadium der Bauleitplanung eine Enteignung vorwirkt, weil tatsächlicher oder rechtlicher Zustand des Plangebiets vorbereitende Maßnahmen der Gemeinde unabdingbar erscheinen lassen. 2. Die veräußerungsrechtliche

Komponente

Praktikabel w i r d die Abschöpfung planungs- und maßnahmebedingter Bodenwertsteigerungen m i t dem M i t t e l der transitorischen Enteignung erst durch die Veräußerungsregel des § 89 BBauG, die insoweit das notwendige Pendant der Entschädigungsregelung ist. I m Gegensatz zu der ursprünglichen Fassung enthält § 89 BBauG i n der novellierten Fassung keine Klausel mehr, daß die Gemeinde die erworbenen Grundstücke zwar unter Berücksichtigung ihrer Aufwendungen, jedoch ohne Gewinn zu veräußern hat 6 3 8 . Damit ist für die Gemeinden der Weg frei, 631 v g l . dazu Pagendarm, W M 1972, 2 ff.; Kulenkamp, N J W 1974, 836 ff.; Schmidt-Aßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, §93 Rdnr. 86, 87. β32 Schmidt-Aßmann, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, § 93 Rdnr. 91 u n d § 95 Rdnr. 81. 633

Z u diesem Charakter der Bauleitplanung, vgl. schon oben zu Fn. 433. Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 38. 635 Vgl. den Bericht des 15. BT.-Ausschusses, BT.-Drucks. 7/4793, S. 10. ese Siehe i m einzelnen Schlichter / Stich / Tittel, BBauG, § 39 a Rdnr. 1. 637 Dazu auch Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 164. 638 § 89 Abs. 1 u n d 2 a. F. ließen bislang n u r eine kostenorientierte A b schöpfung zu, vgl. Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 35. 634

1 Frenzel

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

die baureifen Grundstücke zum Neuordnungswert zu veräußern 6 3 9 . Uber den Veräußerungspreis können daher die Wertsteigerungen abgeschöpft werden, die durch die rechtliche und tatsächliche Neuordnung des Planungsgebiets bedingt sind und die regelmäßig über die bloßen Kosten der Ordnungsmaßnahmen hinausgehen 640 . Zugleich eröffnet § 89 BBauG die Chance, künftig auch diejenigen planungsbedingten Wertsteigerungen bei der Veräußerung zu realisieren, die zuvor aus der Verkehrsentschädigung ausgeklammert worden sind. I I . Die transitorische Enteignung als Abschöpfungsinstrument in der Systematik des StBauFG

1. Anwendungsbereich Erwies sich die transitorische Enteignung i n ihrer wertabschöpfenden Funktion i m BBauG nur als Randerscheinung eines i m übrigen anderen Zielen verpflichteten Bodenordnungsinstrumentariums, ist sie StBauFG zu einem zentralen Abschöpfungsinstrument ausgebaut, m i t dem planungs· und maßnahmebedingte Wertsteigerungen v o l l abgeschöpft werden können. Wie i m BBauG w i r d die Abschöpfung rechtstechnisch durch das Zusammenspiel von reduziertem Entschädigungs- und vollem Veräußerungswert möglich, erreicht hier aber deshalb ganz andere Größenordnungen, w e i l § 23 Abs. 2 StBauFG sanierungsbedingte Werterhöhungen aus der Enteignungsentschädigung schlechthin ausklammert 6 4 1 . Interessanter als dieser quantitative Unterschied zum BBauG ist unter Eingriff sgesichtspunkten freilich ein qualitativer: Die Abschöpfung von Bodenwerten ist i m StBauFG nicht nur beiläufige Nebenfolge des Durchgangserwerbs, sondern gezielt einsetzbarer Enteignungszweck, wenn dieser auch weder i m Sanierungsgebiet noch i m Entwicklungsbereich isoliert angestrebt werden darf, sondern stets eine, die Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahme begleitende und den dort verfolgten städtebaulichen Zwecken dienende Maßnahme ist 6 4 2 . Zutreffend kann man insofern von einem die Enteignung zusätzlich legitimierenden es® Die i n den öffentlichen Anhörungen erhobenen Einwände (vgl. Sten. Prot, des 15. BT.-Ausschusses Nr. 34, v o m 13. November 1974) sind i n diesem P u n k t erfolglos geblieben. Weder der federführende 15. Ausschuß noch der Vermittlungsausschuß hat eine L i m i t i e r u n g des Verkaufspreises befürwortet, wobei freilich u n k l a r bleibt, ob die damit eröffnete Abschöpfungsmöglichkeit i n ihren Konsequenzen übersehen worden ist. β 4 0 Darauf weist Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 34, zutreffend hin. 641 Z u r abzuschöpfenden Differenz v o n entschädigungsrechtlichem E i n gangswert u n d dem aus der Neuordnung resultierenden Veräußerungswert (§ 25 Abs. 6 StBauFG) vgl. unter 1 c. 642 Zutreffend Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 87.

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

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Nebenzweck sprechen 645 . Dieses u m die Abschöpfungsfunktion angereicherte Enteignungsbild ist direkter Ausfluß der i m StBauFG verfolgten bodenpolitischen Konzeption; u m die Erschwernisse und Hemmnisse auszuräumen, die sich aus einer ungezügelten Preisentwicklung i m Sanierungsgebiet wie i m Entwicklungsbereich für die Realisierung einer gerechten Sozial- und Bodenordnung ergeben, bezweckt das Gesetz durch ein aufeinander abgestimmtes System von Vorschriften die Abschöpfung sanierungs- wie entwicklungsbedingter Wertsteigerungen 6 4 4 . Neben der schon erwähnten entschädigungsrechtlichen Grundregel des §23 Abs. 2 StBauFG, die über §59 Abs. 1 Nr. 6 StBauFG auch die Verkehrswertentschädigung i m Entwicklungsbereich reduziert, ist tragender Pfeiler dieses Systems die Ausgleichsbetragsregelung des §41 Abs. 4 bis 10 StBauFG 6 4 5 . Sie verlangt sanierungs- und entwicklungsbedingte Wertsteigerungen auch den Eigentümern ab, die ihre Grundstücke behalten durften. I n seiner Gesamtheit kann dieses System als sicherer Anhalt gewertet werden, daß das StBauFG die Bodenwertabschöpfung als ein legitimes Anliegen begreift. Daher vermag über Sanierungssatzung und -bebauungsplan das Abschöpfungsmotiv als zulässiger öffentlicher Belang auch die Zulässigkeitsvoraussetzung der i m Sanierungsgebiet planakzessorischen Enteignung aufzufüllen; i m Entwicklungsbereich, i n dem die Enteignung ohnehin von den Voraussetzungen der §§ 85 ff. BBauG befreit ist, w i r k t es unmittelbar auf das enteignungsrechtliche Gemeinwohlurteil ein. Vor diesem Hintergrund ist die wertabschöpfende transitorische Enteignung i m Sanierungsgebiet wie i m Entwicklungsbereich 646 i n ihren Konturen zugeschnitten auf die dort zu beobachtenden städtebaulichen Besonderheiten 647 . Diese w i r k e n sich gleich dreifach eingrenzend auf die Enteignung aus: a) Die räumlichen Grenzen der Durchgangsenteignung Unter räumlichen Aspekt w i r d die transitorische Enteignung i m Sanierungsgebiet begrenzt durch den Geltungsbereich des Bebauungsplans, der Grundlage der planakzessorischen Enteignung i m Sanierungsgebiet ist 6 4 8 . Der Bebauungsplan „überlagert" die m i t der förm643 Z u m Unterschied v o n H a u p t - u n d Nebenzwecken Schmidt-Aßmann, in: Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, § 85 Rdnr. 11, 12. 644 Bielenberg, StBauFG, Einl. Β Rdnr. 96 f., 98. 645 v g l . i m einzelnen Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 100 ff. 646 Ausgeklammert w i r d i m folgenden die Enteignung i n Ersatz- u n d E r gänzungsgebieten nach § 11 StBauFG, der w i e die Enteignung i n den Anpassungsgebieten nach § 62 StBauFG n u r marginale Bedeutung zukommt. «47 z u m „Sonderrechtscharakter" des StBauFG Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 57. 1

180

II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

liehen Festlegung des Sanierungsgebiets getroffene Grundentscheidung, welche Grundstücke i n das Sanierungsgebiet und damit i n das Abschöpfungssystem des StBauFG einbezogen werden sollen 6 4 9 . Sind bei der förmlichen Festlegung einzelne Grundstücke aus dem Gebiet ganz oder teilweise ausgenommen worden (§ 3 Abs. 1 S. 2 StBauFG) 6 5 0 , scheiden sie allerdings auch als Abschöpfungsobjekt für die transitorische Enteignung aus. I m Entwicklungsbereich entscheidet dagegen bereits die räumliche Abgrenzung des förmlich festgelegten Bereichs, wie sie hier die jeweilige Rechtsverordnung t r i f f t (§ 53 Abs. I ) 6 5 1 , über den räumlichen A n wendungsbereich der abschöpfenden Enteignung. Da die Enteignung i m Entwicklungsbereich nicht planakzessorisch ist, ist hier ein Bebauungsplan nicht vonnöten 6 5 2 . Entscheidend für die räumliche Ausdehnung der transitorischen Enteignung ist damit letztlich die konkrete Abgrenzung des Sanierungsgebiets oder Entwicklungsbereichs. Das StBauFG selbst gibt dabei Richtpunkte vor, an der sich die Abgrenzung orientieren kann: I n beiden Fällen bestimmt das Gesetz, daß das Gebiet bzw. der Bereich so zu begrenzen ist, daß sich die Sanierung bzw. Entwicklung zweckmäßig durchführen läßt (§§ 3 Abs. 1 S. 2; 53 Abs. 2 S. I ) 6 5 3 . Dem Entscheidungsträger w i r d bei der Abgrenzung des Sanierungsgebietes wie des Entwicklungsbereiches damit ein weiter Handlungsspielraum zuerkannt, der wegen der vielschichtigen technischen, wirtschaftlichen und soziologischen Faktoren, von denen die städtebaulichen Maßnahmen i n den Problemgebieten bestimmt werden, unabdingbar erscheint 654 , i m Entwicklungsbereich freilich dadurch drastisch eingeengt wird, als A r t . 14 Abs. 3 S. 1 GG bereits bei Erlaß der Bereichsverordnung zu prüfen ist 6 5 5 . I n der städtebaulichen Praxis führen Gebiets- w i e Bereichsfestlegungen i m m e r dann zu Kontroversen m i t den betoffenen Grundeigentümern, wenn Grundstücke allein zu dem Zweck einbezogen werden, Sanierungs- oder Entwicklungsvorteile abzuschöpfen, die von benachbarten Grundstücken ausstrahlend sich hier ergeben 6 5 6 . Streng genommen ist i m Sanierungsgebiet freilich eine solche „isolierte" Wertabschöpfung m i t dem Instrument der 648 Z u m Bebauungsplanverfahren i m Sanierungsgebiet noch Dietrich / Farenholtz, StBauFG, S. 141. 649 Dazu auch Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 70. 659 Vgl. Bielenberg, StBauFG, § 3 Rdnr. 16. β " Dazu Dieterich / Farenholtz, StBauFG, S. 192. 652 Gehrmann, StBauFG, § 57 zu Absatz 3. 653 Vgl. Bielenberg, StBauFG, § 3 Rdnr. 15, 16. 654 Ä h n l i c h Bielenberg, StBauFG, § 3 Rdnr. 15. 655 OVG Lüneburg v o m 5.11.1975 = N J W 1976, 2281 = BRS 29 Nr. 21. 656 Dazu Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 70; Bielenberg, StBauFG, §3 Rdnr. 16.

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

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Durchgangsenteignung nicht realisierbar 6 5 7 . Denn dort können wegen der weiterbestehenden Bindung an die Enteignungsvoraussetzung des § 85 Abs. 1 Nr. 1 B B a u G n u r solche enteigneten Grundstücke unter Abschöpfung des Gewinns wiederveräußert werden, die zuvor einer plangemäßen Nutzung zugef ü h r t worden s i n d 6 5 8 ; die Bodenwertabschöpfung ist hier notwendig eine i m m e r die bodenordnende Maßnahme begleitender Nebenzweck. N u r f ü r den E n t w i c k lungsbereich, i n dem die von den Fesseln der §§ 85, 87 ff. B B a u G befreite E n t eignung das zentrale Abschöpfungsinstrument ist, stellt sich das Problem einer isolierten Wertabschöpfung über den enteignungsrechtlichen Durchgangserwerb, w e n n Grundstücke allein zur Wertabschöpfung dem Entwicklungsbereich zugeschlagen werden sollen. Eine streng auf das einzelne Grundstück fixierte Betrachtungsweise könnte hier i n der Tat zum Ergebnis kommen, daß die Wertabschöpfung isoliertes Ziel, also Hauptzweck der bereits m i t der Festlegung der Bereichsverordnung beginnenden Enteignung sei, i n dieser A k zentuierung aber gegen die städtebauliche Grundmotivation des StBauFG verstoße 6 5 9 . Ob unter dem P r i m a t des auch i m Entwicklungsbereich p r i m ä r städtebaulich aufgefüllten Gemeinwohlerfordernisses ein einzelnes G r u n d stück dem Bereich zugeschlagen werden darf, k a n n jedoch nicht isoliert beurteilt werden, sondern hat den gesamten Entwicklungsbereich m i t den dort verfolgten Zielsetzungen i m Auge zu behalten: Z u den Zielen, die m i t der förmlichen Festlegung des Entwicklungsbereichs verfolgt werden, zählt das Gesetz auch das Ziel, über das M i t t e l der i m Bereich eröffneten Wertabschöpfung zur Finanzierung der städtebaulichen Maßnahmen beizutragen 6 6 0 . Stellt die Gemeinde daher bei ihrer Entscheidung, welche Grundstücke einbezogen werden sollen, auch auf die wertsteigernden Auswirkungen v o n E n t wicklungsmaßnahmen ab, so ist dies solange k e i n sachfremder, von den städtebaulichen Zielen nicht gedeckter Gesichtspunkt, solange die abzuschöpfenden Wertsteigerungen unmittelbare Folge der Entwicklungsmaßnahmen i m Gesamtgebiet s i n d 6 6 1 . Die durch die Entwicklungsmaßnahmen erzielte Gesamtverbesserung eines Gebietes, an der auch Grundstücke t e i l haben können, auf denen selbst keine Maßnahmen durchgeführt worden sind, rechtfertigt schließlich die Einbeziehung solcher Grundstücke auch unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebotes 662 .

b) Die zeitlichen Abschöpfungsschranken Z u der räumlichen Begrenzung t r i t t eine zeitliche. Uber den Durchgangserwerb lassen sich i m Sanierungsgebiet wie i m Entwicklungs65 7 Die Gemeinde k a n n hier eine solche Wertabschöpfung n u r über den Ausgleichsbetrag nach §41 StBauFG realisieren, zu der dann parallelen Problematik vgl. Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 68 ff. ess Die transitorische Enteignung bei der Sanierung erfolgt ausschließlich zu dem Zweck, Grundstücke der planmäßigen Nutzung zuzuführen; vgl. Lange/Pohl, StBauFG, §22 Fn. 28; Bielenberg, StBauFG, §22 Rdnr. 2. 659 Das OVG Lüneburg (Fn. 655) hat diese Zweckbindung der Enteignung auch i m Entwicklungsbereich unmißverständlich betont. 66 0 Gaentzsch, Boden wert abschöpf ung, S. 70, 71. 661 Ähnlich Gaentzsch, Β odenwert abschöpf ung, S. 71. Mittelbare Vorteile, die nicht abgeschöpft werden dürfen, sind nach Gaentzsch z . B . die W e r t erhöhungen, die allein durch die Verbesserung des Lagewertes eines G r u n d stücks, das i n der Nähe zu einem neu geordneten Gebiet liegt, entstehen. 662 Darauf weist m i t Recht Bielenberg, StBauFG, § 3 Rdnr. 16, hin.

182

II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

bereich prinzipiell nur Bodenwertsteigerungen abschöpfen, die bis zum Zeitpunkt der Veräußerung eingetreten sind. Eine vordere zeitliche Grenze ist der Abschöpfung dagegen nicht gesetzt. M i t dem Veräußerungspreis werden alle i n Erwartung der Maßnahmen und alle durch die Vorbereitung der Maßnahmen entstandenen Wertsteigerungen abgeschöpft, unabhängig, wann sie entstanden sind 6 0 3 . Für die Verwaltungspraxis wie für den betroffenen Grundeigentümer unbefriedigend ist allerdings, daß sanierungs- oder entwicklungsbedingte Wertsteigerungen nach der Veräußerung des Grundstücks u. U. eine nochmalige Abschöpfung m i t dem M i t t e l des Ausgleichsbetrages (§ 41 StBauFG) notwendig machen 664 . Solche Wertsteigerungen können ihre Ursache i n Ordnungsmaßnahmen haben, die der Veräußerung nachfolgen, was bei abschnittsweise realisierten Sanierungs- oder Entwicklungsvorhaben häufig der Fall sein wird. Hier kann nur eine großzügige Handhabung des § 23 S. 4 der W e r t V O 6 6 5 weiterhelfen, die es ermöglicht, auch bei nicht abgeschlossenen Maßnahmen die i n der Planung vorgesehenen Änderungen sowie sonstige sanierungs- und entwicklungsbedingte künftige Wertverbesserungen bereits bei der Festlegung des Veräußerungswertes zu berücksichtigen. c) Die abzuschöpfenden Wertsteigerungen Materiell erfaßt die Abschöpfung über den enteignungsrechtlichen Durchgangserwerb nur die sanierungs- oder entwicklungsbedingten Werterhöhungen 6 6 6 . §§ 25 Abs. 6 und 59 Abs. 5 StBauFG schreiben die Veräußerung der von der Gemeinde erworbenen Grundstücke zu dem Verkehrswert vor, der sich durch die rechtliche und tatsächliche Neuordnung des Sanierungsgebietes bzw. Entwicklungsbereiches ergibt. 663 Der Gesetzgeber hat bewußt auf einen vorderen Bewertungsstichtag verzichtet, da nicht auszuschließen ist, daß auch v o r diesem n u r w i l l k ü r lich zu bestimmenden Stichtag sanierungs- u n d entwicklungsbedingte W e r t steigerungen entstehen, vgl. dazu auch Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 72/73 m. w . N. «64 Dazu auch Seele, Ausgleichsbetrag bei Sanierung m i t Umlegung, V R 1972, 421 ff. Der Ausgleichsbetrag als abschließendes Wertabschöpfungsinstrument erfaßt alle Grundstücke i m förmlich festgelegten Gebiet, gleichgültig, ob sie von einem Durchgangserwerb betroffen w a r e n oder nicht. §41 Abs. 6 Nr. 1, Abs. 7 StBauFG schreiben allerdings vor, daß bereits bei der V e r äußerung abgeschöpfte Bodenwertanteile auf den Ausgleichsbetrag angerechnet werden, so daß i n der Praxis oft ein Ausgleichsbetrag überhaupt entfällt; vgl. dazu auch Dieterich / Farenholtz, StBauFG, S. 136; Bielenberg, StBauFG, § 16 Rdnr. 13 u n d § 41 Rdnr. 36. 665 Verordnung über Grundsätze f ü r die E r m i t t l u n g des Verkehrswertes von Grundstücken v o m 15. August 1972, B G B l I S. 1417. «66 Dazu ausführlich Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 74 f.

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung V e r s t ä n d l i c h w i r d das A b s c h ö p f u n g s s y s t e m erst i m Z u s a m m e n h a n g d e r entschädigungsrechtlichen G r u n d r e g e l des § 23 A b s . 2 S t B a u F G , ü b e r § 57 A b s . 1 N r . 6 S t B a u F G auch f ü r d e n E n t w i c k l u n g s b e r e i c h Nach i h r bleiben bei der Bemessung der Entschädigungsleistung

183 mit die gilt. die

W e r t e r h ö h u n g e n , d i e l e d i g l i c h d u r c h d i e A u s s i c h t a u f eine S a n i e r u n g , d u r c h i h r e V o r b e r e i t u n g u n d i h r e D u r c h f ü h r u n g e i n g e t r e t e n sind, g r u n d sätzlich u n b e r ü c k s i c h t i g t 6 6 7 . D i e D i f f e r e n z zwischen dieser g e m i n d e r t e n V e r k e h r s w e r t e n t s c h ä d i g u n g u n d d e m i n §§ 25 A b s . 6, 59 A b s . 5 S t B a u F G erfaßten Neuordnungswert ist der W e r t , der über die transitorische E n t e i g n u n g abgeschöpft w i r d . Die Bewertungspraxis sieht sich allerdings trotz der theoretischen Schärfe der Abschöpfungsformel m i t einer Reihe v o n Problemen konfontiert, die aus der Fülle u n d Unüberschaubarkeit möglicher wertsteigernder Faktoren resultieren: 1. Dies güt vor allem f ü r die präzise E r m i t t l u n g des sog. Eingangswertes, w i e i h n §23 Abs. 2 StBauFG voraussetzt. Darunter w i r d der Wert des Grundstücks zu einem Z e i t p u n k t verstanden, i n dem die Sanierungs- oder Entwicklungsmaßnahmen noch nicht i n Aussicht standen, also die G r u n d stückswerte weder durch die Sanierung bzw. E n t w i c k l u n g selbst noch durch die E r w a r t u n g solcher Maßnahmen beeinflußt s i n d 6 6 8 . Schon die F i x i e r u n g des damit maßgeblichen Zeitpunktes stellt den m i t der Bewert u n g betrauten Gutachterausschuß 6 6 9 v o r Schwierigkeiten, da das StBauFG auf einen konkreten Bewertungsstichtag verzichtet hat. Diese i n den p a r lamentarischen Beratungen sehr kontrovers diskutierte Entscheidimg des Gesetzgebers 670 k a n n freilich nicht i m nachhinein dadurch korrigiert w e r den, daß m a n contra legem verlangt, die Sanierungsaussicht i. S. d. §23 StBauFG müsse durch Beschlüsse der Gemeinde hinreichend k o n k r e t i siert sein, eine Abschöpfung könne m i t h i n erst ab diesem Z e i t p u n k t i n Frage k o m m e n 6 7 1 . Die verbleibende Rechtsunsicherheit w i r d m a n i n K a u f zu nehmen haben, da n u r eine flexible Handhabung des Abschöpfungsinstrumentariums sicherstellt, daß die zu unterschiedlichsten Zeitpunkten auf den Bodenmarkt einwirkenden Sanierungs- u n d Entwicklungserwartungen gleichmäßig abgeschöpft w e r d e n 6 7 2 . Allenfalls würde, worauf Schmidt-Aßmann h i n w e i s t 6 7 3 , ein w e i t rückverlagerter Stichtag spekulative 667 Z u r Reichweite u n d den verfassungsrechtlichen Problemen der E n t schädigungsregelung i m einzelnen vgl. Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 279 ff. 668 Dazu ausführlich Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 76. 669 Vgl. § 23 Abs. 3 StBauFG. 670 Vgl. die öffentliche A n h ö r u n g der Sachverständigen Forsthoff u n d Tiemann durch den 14. BT.-Ausschuß v o m 10.12.1970, Sten.Prot. N r . 28; B T . Drucks. VI/510, S. 58 f. u n d BT.-Drucks. V I 510, S.58f.; BT.-Drucks. VI/434, §65. 671 So aber Giehl, B a y V B l 1973, 309, 310. 67 2 Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 73, meldet gegen die vorgeschlagenen Bewertungsstichtage m i t Recht Bedenken aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebot an, da sich Sanierungs- u n d Entwicklungserwartungen nicht gleichmäßig u n d gleichzeitig auswirken, d. h. p a r t i e l l auch v o r diesen Stichtagen eintreten, dann aber nicht abgeschöpft werden würden. 673 Grundfragen des Städtebaurechts, S.283.

184

II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

Werterhöhungen m i t Sicherheit ausklammern können. I n der Bewertungspraxis w i r d das Bewertungsproblem zudem dadurch entschärft, daß nach § 21 Abs. 3 der W e r t V O 6 7 4 neben dem mangels geeigneten Zahlenmaterials k a u m möglichen zeitlichen Preisvergleich auch ein „territorialer" V e r gleich möglich i s t 6 7 5 . Der m i t der Bewertung betraute Gutachterausschuß w i r d danach etwa versuchen, Vergleichspreise aus vergleichbaren Gebieten heranzuziehen, die sanierungsbedürftig sind, bei denen aber eine Sanierung noch nicht i n Aussicht steht. Gestalt gewinnt der Eingangsw e r t weiter durch § 23 Abs. 2 StBauFG selbst. Die Vorschrift k l a m m e r t i m Ergebnis diejenigen Werterhöhungen von der Abschöpfung aus, die der Betroffene durch zulässigerweise gemachte eigene Aufwendungen b e w i r k t hat 67 ® w i e auch allgemeine Wertsteigerungen („allgemeine Wertverhältnisse" i. S. d. § 23 Abs. 2 S. 2) auf G r u n d veränderter Preis- u n d Währungsverhältnisse auf dem Grundstücksmarkt 6 7 7 . Ausgeklammert werden ebenfalls Wertsteigerungen, die auf G r u n d v o n Bebauungsplänen oder einer allgemeinen Baulanderwartung entstanden waren, bevor Sanierungsoder Entwicklungsmaßnahmen i n Aussicht standen 6 7 8 . Die Wertabschöpfung des StBauFG erweist sich i n diesen Punkten als streng maßnahmeu n d sachbezogene Abschöpfung, aus der ein allgemeiner Grundsatz, daß planungsbedingte Wertsteigerungen schlechthin abzuschöpfen sind, nicht abgeleitet werden darf. Das StBauFG schließt Planungsgewinne nicht generell, sondern n u r Gewinne aus sanierungs- oder entwicklungsbedingten Maßnahmen aus6™. V o n erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung f ü r den Eigentümer ist vor allem, daß sein Grundstück weiter an der k o n j u n k t u r e l l e n E n t w i c k l u n g teilhat. Die durch allgemeinwirtschaftliche Ursachen bedingte u n d von den Sanierungs- bzw. Entwicklungsmaßnahmen v ö l l i g losgelösten k o n j u n k t u r e l l e n Wertsteigerung seines G r u n d stücks kommen dem Eigentümer w e i t e r h i n v o l l zugute 6 8 6 . Sie sind der Entschädigungsleistung ungeschmälert zugrundezulegen. I n der Bewertungspraxis w i r k t sich das so aus, daß die Vergleichspreise, an der sich der Eingangswert zu orientieren hat (§21 Abs. 3 WertVO), entsprechend der E n t w i c k l u n g der allgemeinen Preis- u n d Währungsverhältnisse am Ort fortzuschreiben s i n d 6 8 1 . 2. Die E r m i t t l u n g des Neuordnungswertes, zu dem die Veräußerung erfolgt, w i r d demgegenüber i n vielem leichter f a l l e n 6 8 2 . Qualitätsverbessernde Ordnungsmaßnahmen u n d wertverbessernde Neuplanung sind insgesamt zu berücksichtigen. Das StBauFG geht i m Sanierungsgebiet w i e i m E n t 674

V o m 15. August 1972, vgl. Nachw. Fn. 665. Z u den Schwierigkeiten Wertentwicklungen zurückzuverfolgen vgl. Hintzsche, B l f G B W 1972, 205, 206; Bielenberg, StBauFG, §23 Rdnr. 17, 18. 676 F ü r die Zeit nach der förmlichen Festlegung ist zur Beurteilung der Zulässigkeit von Aufwendungen § 15 Abs. 1, 2 StBauFG heranzuziehen; dazu auch Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 280; Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 78, 81. 675

67 7 678

Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 76. Ebd., S. 77; ähnlich Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts,

S. 280. 67 9 Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 281. 686 Ebd., S. 280. 681 Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 77 Fn. 95. 682 Dazu auch Dieterich / Farenholtz, StBauFG, S. 146, 147.

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

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Wicklungsbereich m i t Recht davon aus, daß Plan u n d Plandurchführung eine den Bodenwert bestimmende Größe sind. Der ursächliche Zusammenhang von Bodenordnungsmaßnahmen u n d Bodenwertsteigerungen, der die Abschöpfung rechtfertigt, w i r d hier v e r m i t t e l t durch ein breit gefächertes, bodenrechtliches Instrumentarium, das gemeindliche Planung u n d Plandurchführungsinitiative als einheitlichen Vorgang erscheinen läßt683. F ü r die konkrete Bewertung gibt §23 WertVO eine Reihe von Orientierungspunkten vor, welche wertbestimmenden Eigenschaften u n d M e r k male anzurechnen sind. I m einzelnen werden dies etwa die S t r u k t u r des Gebiets, die Lage des Grundstücks, die Entwicklungsstufe, A r t u n d Maß der baulichen Nutzung, die Grundstücksgestalt sowie sonstige Ertragsverhältnisse sein. Der Neuordnungswert w i r d schließlich auch durch den Erschließungszustand des Grundstücks wesentlich beeinflußt. Die Wertabschöpfung ersetzt die Erhebung eines Erschließungsbeitrages 6 8 4 , geht allerdings inhaltlich weiter, da die Wertsteigerung u n d nicht n u r die reinen Kosten i n Rechnung gestellt werden. Die schwierige Frage, ob auch B o denwertsteigerungen infolge einer Bebauung i n den Neuordnungswert eingehen« 85 , hat für die Abschöpfung über den enteignungsrechtlichen Durchgangserwerb k a u m Bedeutimg, da die Veräußerung grundsätzlich vor der Bebauung der Grundstücke zu erfolgen h a t 6 8 6 , solche Wertsteigerungen daher allenfalls als Erwartungsanteile zu Buche schlagen 6 8 7 . A u f s Ganze gesehen h a t sich d i e t r a n s i t o r i s c h e E n t e i g n u n g als M i t t e l d e r B o d e n w e r t a b s c h ö p f u n g b i s l a n g b e w ä h r t . Sie i s t e i n taugliches I n s t r u m e n t , m i t d e m v o r a l l e m v e r h i n d e r t w e r d e n k a n n , daß sanier u n g s · oder e n t w i c k l u n g s b e d i n g t e E r w a r t u n g s w e r t e die D u r c h f ü h r u n g d e r s t ä d t e b a u l i c h e n M a ß n a h m e n selbst erschweren oder g a r u n m ö g l i c h m a c h e n 6 8 8 . D a n e b e n t r ä g t sie a u c h z u r F i n a n z i e r u n g d e r s t ä d t b a u l i c h e n V o r h a b e n b e i u n d e n t l a s t e t d a m i t die H a u s h a l t e v o n B u n d u n d G e m e i n d e n 6 8 9 . A l l e n f a l l s R a n d k o r r e k t u r e n s i n d angebracht. F ü r d i e G e m e i n d e w i e f ü r die b e t r o f f e n e n E i g e n t ü m e r u n e r f r e u l i c h ist die u. U . n o t w e n d i g werdende zweimalige Abschöpfung über den enteignungsrechtlichen D u r c h g a n g s e r w e r b einerseits u n d d i e E r h e b u n g des Ausgleichsbetrages 683

Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 323. Vgl. §§ 6 Abs. 7, 57 Abs. 1 Nr. 2 StBauFG. 685 Dazu Seele, V R 1972, 421 ff., 427; Bielenberg, StBauFG, §41 Rdnr. 14; Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 81 f. 686 Vgl. § 25 Abs. 2 S. 3; § 59 Abs. 2, 3 StBauFG. 687 I m Rahmen des § 23 S. 4 WertVO ist eine Anrechnung der Bodenwertsteigerung infolge der Bebauung allerdings geboten. Sanierungs- oder entwicklungsbedingte Bodenwertsteigerungen lassen sich k a u m i n ihre einzelnen Anteile (Planungs-, Ordnungs-, Baumaßnahmen) aufteilen; vgl. Bielenberg, StBauFG, § 41 Rdnr. 14. 688 Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 57, 71; Bielenberg, Empfehlen sich . . . , Β 95. 689 Die Tauglichkeit als Finanzierungsinstrument w i r d allerdings dadurch gemindert, daß die Gemeinden die Kosten der Ordnungsmaßnahmen regelmäßig vorfinanzieren müssen, vgl. Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 140. 684

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

andererseits. Auch die Frage eines praktikablen Bewertungsstichtages w i r d wegen der verbliebenen Unsicherheiten neu zu überdenken sein. 2. Verfassungsfragen transitorischen

der abschöpfenden, Enteignung

Die Bodenwertabschöpfung m i t dem M i t t e l der transitorischen Enteignung ist, wie das Abschöpfungssystem des StBauFG überhaupt, vor verfassungsrechtlichen Angriffen nicht verschont geblieben 690 . Soweit dabei die Abschöpfung sanierungs- oder entwicklungsbedingter Wertsteigerungen schlechthin i n Frage gestellt wird, richten sich die Angriffe auch gegen die transitorische Enteignung, die als ein Abschöpfungsinstrument i n das Ausgleichssystem des StBauFG untrennbar integriert ist (a). Daneben w i r d die Verfassungsmäßigkeit der wertabschöpfenden transitorischen Enteignung auch unter instrumentalen Aspekten i n Frage gestellt. Hier w i r d eingewandt, daß eine Enteignung als Abschöpfungsinstrument nicht mehr dem verfassungsmäßigen Enteignungsbild entspräche (b). a) Die allgemeinen Verfassungsgrenzen der Bodenwertabschöpfung Das breitgefächerte Abschöpfungsinstrumentarium, das das Städtebauförderungsgesetz den Gemeinden i m Sanierungsgebiet wie i m Entwicklungsbereich an die Hand gibt, muß primär vor der Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG Bestand haben. Hierzu hat Bielenberg 691 m i t Recht darauf hingewiesen, daß die verfassungsrechtliche Problematik der Bodenwertabschöpfung i m StBauFG i n A r t . 14 Abs. 1 S. 2 GG zu verorten ist. Der Gesetzgeber des StBauFG hat ein i n sich geschlossenes, einheitliches Abschöpfungssystem geschaffen, das alle Grundstücke i n gleicher Situation m i t gleicher W i r k u n g erfaßt 6 9 2 . Die reduzierte Entschädigungsleistung des § 23 Abs. 2 StBauFG, die über die eigentlichen Enteignungsfälle hinaus den gesamten Grundstücksmarkt i n Sanierungs- oder Entwicklungsgebieten einem steuerbaren Preissystem u n t e r w i r f t 6 9 3 , w i r d spiegelbildlich ergänzt durch die Erhebung des Ausgleichsbetrages nach § 41 Abs. 4 StbauFG 6 9 4 . Beide Regelungen konstituieren ein Abschöpfungssystem, welches insgesamt Sanierungs- oder Ent6°° So vor allem Engelken, D Ö V 1974, 403 f.; ders., D Ö V 1976, 8; weiter Schlez, D W W , 1974, 52, 53. Die Verfassungsmäßigkeit bejaht Söfker, DVB1 1975, 467. DVB11974, 113, 115; ähnlich Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 40 f. 692 Bielenberg, DVB11971, 441, 444. 693 Z u r zentralen Bedeutung des §23 Abs. 2 StBauFG vgl. Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 279. 694 Bielenberg, DVB11971, 441 u n d DVB11974, 115.

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

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W i c k l u n g s v o r t e i l e v o m I n h a l t des i m S t B a u F G n ä h e r ausgestalteten G r u n d e i g e n t u m s a u s k l a m m e r t ; I n h a l t u n d G r e n z e n des G r u n d e i g e n t u m s i. S. d. A r t . 14 A b s . 1 S. 2 G G w e r d e n n ä h e r b e s t i m m t . D a das S t B a u F G v o n e i n e r „ i s o l i e r t e n " entschädigungsrechtlichen L ö s u n g A b s t a n d gen o m m e n h a t , b e d a r f es auch n i c h t e i n e r A k t i v i e r u n g der A b w ä g u n g s k l a u s e l des A r t . 14 A b s . 3 S. 3 G G , u m die R e d u z i e r u n g d e r E n t s c h ä d i gungsleistung zu l e g i t i m i e r e n 6 9 5 . Bereits auf der Vorstufe sind durch B e s t i m m u n g des E i g e n t u m s i n h a l t s S a n i e r u n g s - oder E n t w i c k l u n g s v o r t e i l e ausgeschlossen w o r d e n , die so v o n v o r n h e r e i n n i c h t z u r v e r f a s sungsmäßigen E n t s c h ä d i g u n g g e h ö r e n k ö n n e n 6 9 6 . I n i h r e m K e r n r e d u z i e r t sich d i e verfassungsrechtliche P r o b l e m a t i k d e r B o d e n w e r t a b s c h ö p f u n g i m S t B a u F G d a h e r a u f d i e Frage, ob die V e r k ü r z u n g des G r u n d e i g e n t u m s u m d i e S a n i e r u n g s - o d e r E n t w i c k l u n g s v o r t e i l e eine n o c h zulässige I n h a l t s - u n d S c h r a n k e n b e s t i m m u n g d u r c h d e n Gesetzgeber i s t oder ob dieser seinen G e s t a l t u n g s s p i e l r a u m b e r e i t s ü b e r s c h r i t t e n h a t 6 9 7 . D a m i t ist eine F ü l l e s c h w i e r i g e r B e w e r t u n g s f r a g e n angesprochen, d i e i m f o l g e n d e n n u r k u r z s k i z z i e r t w e r d e n sollen: Ausgangspunkt der Überlegungen ist, daß die Verfassung den Gesetzgeber bei der E r f ü l l u n g des i h m i n A r t . 14 Abs. 1 S. 2 erteilten Auftrages einen weiten Gestaltungsbereich e i n r ä u m t 6 9 8 . I n h a l t u n d Schranken des Eigentums zu bestimmen heißt i n eine geläufige Formel gekleidet, den Freiheitsr a u m des einzelnen i m Bereich der Eigentumsordnung u n d die Belange der Allgemeinheit i n einen gerechten Ausgleich zu b r i n g e n 6 9 9 . Das B V e r f G hat i n seiner Rechtsprechung eine Reihe von Abwägungskriterien vorgegeben, die für die verfassungsrechtliche Beurteilung des Bodenwertabschöpfungssystems i m einzelnen dienstbar gemacht werden können: 1. Verbindliche Richtschnur bei der Konkretisierung einer gerechten Bodenordnung ist A r t . 14 Abs. 2 G G 7 0 0 . Das Sozialstaatsprinzip entfaltet damit auch unmittelbare Bedeutung f ü r die Reichweite der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie 7 6 1 . Da die Abschöpfung spekulativer Sanie695 Z u solchen Überlegungen Söfker, DVB11975, 467; Dietlein, D Ö V 1973, 258, 260 f. 696 Ebenso Schmidt-Aßmann, DVB11972, 627, 632; Söfker, DVB11975, 467, 469; Dietlein, D Ö V 1973, 258, 260; Gewos-Gutachten, Verfassimg — Städtebau — Bodenrecht, Rdnr. 41 ff. 697 Die Bodenwertabschöpfung wäre solchenfalls rechtswidrig u n d damit unzulässig. A r t . 14 Abs. 3 GG, der bei Überschreiten des Gestaltungsspielraums regelmäßig einen enteignungsrechtlichen Ausgleichsanspruch auslöst, ist i n diesem Zusammenhang irrelevant, da es sinnlos wäre, eine Wertabschöpfung durch eine Entschädigungsleistung kompensieren zu wollen; vgl. Klein, D Ö V 1973, 433 ff., 439; ähnlich Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 40 f. 698 Dazu Leibholz / Rinck, Grundgesetz, A r t . 14 Rdnr. 9; Kimminich, BK, A r t . 14 Rdnr. 29; B V e r f G 21, 73, 83. 699 B V e r f G 25, 117 unter Hinweis auf B V e r f G 21, 83. TOO B V e r f G 25,117.

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

rungs- oder Entwicklungsvorteile dazu beiträgt, gesunde städtische Strukturen entstehen zu lassen, steht ihre sozialstaatliche Legitimation außer Z w e i f e l 7 0 2 . Der Gesetzgeber k a n n daher prinzipiell solche „sozialinadäquaten" Wertsteigerungen aus dem Schutzbereich des Eigentums ausklammern, zumal es sich hier erst u m künftige, nicht durch Leistung des Eigentümers hervorgebrachte Werterhöhungen handelt, die als Vermögenszuwachs der weitreichenden Disposition des Gesetzgebers unterliegen 7 0 3 . 2. Allerdings bedeutet diese weite, sozialstaatliche Regelungsbefugnis des Gesetzgebers i m Bereich des Bodenrechts nicht, daß er frei v o n jeglichen Schranken wäre. Jede gesetzliche Inhalts- u n d Schrankenbestimmung muß, wie das BVerfG i n einer Reihe von Entscheidungen unmißverständlich herausgearbeitet hat, „die grundlegende Wertentscheidung des GG zugunsten des Privateigentums" beachten 7 0 4 . Eine Abschöpfungsregelung für k ü n f t i g entstehende Boden werte w ü r d e jedoch n u r dann die damit angesprochene Institutsgarantie des A r t . 14 Abs. 1 S. 1 G G 7 0 5 tangieren, wenn sie faktisch die freie Verfügbarkeit über Grundeigentum aufheben oder generell konfiskatorisch w i r k e n würde. Wegen des räumlich aber auch sachlich 7 0 6 begrenzten Umfanges der Wertabschöpfung i m StBauFG scheidet ein solcher Nichtigkeitsgrund freilich ohne weiteres aus. Ernster zu nehmen sind allerdings die Grenzen, die dem Wertabschöpfungssystem aus der verfassungsmäßigen Ordnung i m ü b r i g e n 7 0 7 , hier insbesondere aus dem allgemeinen Gleichheitssatz, dem Verhältnismäßigkeitsprinzip sowie dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz gezogen sind: a) Der allgemeine Gleichheitssatz des A r t . 3 GG w i r d einmal unter dem Gesichtspunkt tangiert, daß n u r i m Sanierungs- u n d Entwicklungsbereich, nicht aber i n den übrigen Gebieten bislang Bodenwertsteigerungen abgeschöpft werden. Diese gebietsexterne 708 Ungleichbehandlung ist i m Ergebnis jedoch gerechtfertigt, da die Situationsbedingtheit 761 Daher ist es unschädlich, w e n n die I n h a l t s - u n d Schrankenbestimmung nach A r t . 14 Abs. 1 S. 2 regelmäßig m i t der Sozialbindung nach A r t . 14 Abs. 2 GG zusammengefaßt w i r d , da beide Rechtsinstitute gleichlautenden G r u n d sätzen unterliegen; vgl. Kimminich, B K , A r t . 14 Rdnr. 37; ähnlich Breuer, Die Bodennutzung i m Konflikt, S. 47. 702 v g l . zum sozialstaatlichen I n h a l t städtebaulicher Zielsetzungen Werner, Verfassung, Rechtsgefühl u n d Städtebau, S. 27. Z u r sozialstaatlichen Legitimation speziell der Bodenwertabschöpfung des StBauFG siehe Bielenberg, DVB1 1974, 115. Das B V e r f G hat die preisrechtliche Regelung des § 9 Abs. I Nr. 3 des Grundstücksverkehrsgesetzes v o m 28. 7.1961 ( B G B l I S. 1091) ganz ähnlich unter Hinweis auf die sozialstaatliche Zielsetzung des Gesetzes toleriert. 763 Dazu Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 50; B G H N J W 1974, 637. 704 v g l . etwa B V e r f G 1, 276; 4, 240; 14, 278; 18, 132; 21, 155; 26, 222; 34, 136. 705 Dazu Kimminich, B K , A r t . 14 Rdnr. 26. 706 Dazu oben zu Fn. 648 f.; zu beachten ist hier besonders, daß die A b schöpfung des StBauFG streng maßnahmebezogen ist, d . h . Bodenwerterhöhungen, die auf Leistungen des Eigentümers oder auf der allgemeinen k o n j u n k t u r e l l e n E n t w i c k l u n g beruhen, unangetastet bleiben.

707 Dazu Leibholz / Rinck, Grundgesetz, A r t . 14 Rdnr. 9; Kimminich, BK, A r t . 14 Rdnr. 30. 708 Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 283; Gaentzsch, Bodenwertschöpfung, S. 85.

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

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von Sanierungs- u n d Entwicklungsgebieten einerseits u n d den „ n o r malen" Gebieten andererseits sehr unterschiedlich ist, es daher regelmäßig an vergleichbaren Tatbeständen m a n g e l t 7 0 9 . I m Sanierungsgebiet oder Entwicklungsbereich selbst ist zum anderen die gebietsinterne Gleichbehandlung der Eigentümer dadurch gesichert, daß eine Wertabschöpfung i n jedem F a l l zum Zuge kommt, gleichgültig ob der Eigentümer sein Grundstück behält (vgl. §41 Abs. 4 StBauFG) oder veräußert (§ 23 Abs. 2 S t B a u F G ) 7 1 0 . b) Schließlich hat der Gesetzgeber auch nicht jene Grenzen überschritten, die der verfassungskräftige Grundsatz der Verhältnismäßigkeit jeder gesetzlichen Inhalts- u n d Schrankenbestimmung setzt 7 1 1 . Wie die städtebauliche Praxis beweist, ist das Abschöpfungsinstrumentarium des StBauFG prinzipiell geeignet, die Funktionsfähigkeit des Bodenmarktes i n Sanierungsgebieten oder Entwicklungsbereichen aufrechtzuerhalten. Es trägt auch als Finanzierungsinstrument dazu bei, die Sanierungs- oder Entwicklungsvorhaben zügig durchzuführen, selbst w e n n die Gemeinde zur V o r - und Zwischenfinanzierung gezwungen ist712. Auch der Einwand, daß die kombinierte beitrags- u n d entschädigungsrechtliche Lösung der Bodenwert abschöpf ung nicht erforderlich ist, d . h . ein weniger gravierend eingreifender Abschöpfungsmodus denkbar sei, dringt nicht durch. Selbst w e n n die neuerdings avisierten steuerrechtlichen Lösungen eine i m einzelnen gleich geeignete, aber flexiblere u n d schonendere Abschöpfung zuließen 7 1 3 , hat der Gesetzgeber m i t der W a h l des konkreten Abschöpfungsverfahrens nicht seinen eigenverantwortlichen Entscheidungsraum überschritten. Denn gerade i m Bereich wirtschaftslenkender u n d steuerpolitischer Maßnahmen ist dem Gesetzgeber ein weiter Entscheidungsspielraum zuzuerkennen 7 1 4 . Die konkret gewählte wirtschaftslenkende M a ß n a h m e 7 1 5 ist nicht deshalb schon verfassungswidrig, w e i l auch andere zur Erreichung des v o m Gesetzgeber verfolgten Zieles möglich aber besser geeignet gewesen w ä r e n 7 1 6 . Auch ist die Abschöpfung von Sanierungs- oder Entwicklungsvorteilen nicht grob unangemessen. Sie hat weder erdrosselnde W i r k u n g i n dem Sinne, daß sie die einzelnen Grundstückseigentümer zur V e r 709

Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 283. Ebd., S. 284. 711 Z u den Einzelausprägungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes u n d seine Transformation auf A r t . 14 Abs. 1 S. 2 G G vgl. B V e r f G 25, 117 f.; 26, 222 u n d Leibholz / Rinck, GG, A r t . 14 A n m . 9. 712 Gaentzsch, Bodenwertschöpfung, S. 140 f., 177 meldet aber aus diesem G r u n d Zweifel an der Geeignetheit als Finanzierungsinstrument an. 713 Z u den steuerrechtlichen Lösungsvorschlägen i n f o r m a t i v der Bericht u n d A n t r a g des 15. BT.-Ausschusses, BT.-Drucks. 7/4793, S. 18 f. 714 Z u diesem Spielraum auch Stuer, DVB11974, 314, 319; B V e r f G N J W 1971, 1255; B V e r f G 30, 250 (264). Z u r A n w e n d u n g des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf komplexe gesetzgeberische Entscheidungen vgl. auch Papier, DVB1 1975, 461 ff., 465; Schmidt, N J W 1975, 1756; Hoppe, DVB11975, 692 f. 715 Z u m m a r k t - u n d damit wirtschaftslenkenden Charakter der Bodenwertabschöpfung vgl. Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 280. 716 B V e r f G 29, 402 („Konjunkturzuschlag"). 710

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I I . 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung äußerung zwingt, noch l a h m t sie insgesamt den Grundstücksmarkt i n den betroffenen Gebieten 7 1 7 . Insgesamt hält sich das Bodenwertabschöpfungssystem damit i n den Grenzen, die der Grundsatz der V e r hältnismäßigkeit einer gesetzlichen I n h a l t s - u n d Schrankenziehung des Eigentums setzt. c) Nach alledem bleibt ein letzter E i n w a n d : Fraglich ist, ob das A b schöpfungssystem dem rechtsstaatlichen Erfordernis der Bestimmtheit entspricht 7 1 8 . I m Bereich des Abgabenwesens bedeutet dieser G r u n d satz, daß der Pflichtige die auf i h n entfallende Abgabe grundsätzlich vorausberechnen k a n n 7 1 9 . Zweifel sind i n diesem P u n k t deshalb a n gebracht, w e i l das StBauFG auf einen Bewertungsstichtag verzichtet hat 72 ®, der Umfang der Abschöpfung damit weitgehend unbestimmt bleibt. Allerdings nötigt der Bestimmtheitsgrundsatz den Gesetzgeber nicht, die exakte Höhe der Abgaben i m Gesetz festzulegen 7 2 1 . A u s reichend ist etwa die Angabe der Bemessungs- oder Bewertungsgrundlagen, die dann von den jeweils zuständigen Verwaltungsbehörden zu konkretisieren sind. Auch hier w i r d m a n dem Gesetzgeber einen u m so weiteren Spielraum bei der Fassung der Tatbestände einräumen müssen, je komplexer der zu erfassende Vorgang i s t 7 2 2 . Die zu u n t e r schiedlichen Zeitpunkten an unterschiedlichen Grundstücken eintretenden sanierungs- oder entwicklungsbedingten Wertsteigerungen entziehen sich weitgehend einer schematisierenden Regelung, so daß auch unter diesem Gesichtspunkt die Abschöpfungsregelung als verfassungskonform erachtet werden m u ß 7 2 3 .

b) T r a n s i t o r i s c h e E n t e i g n u n g u n d G e m e i n w o h l k l a u s e l N e b e n d e n verfassungsrechtlichen B e d e n k e n gegen eine B o d e n w e r t abschöpfung schlechthin, d i e sich i n i h r e m m a t e r i e l l e n K e r n a u c h gegen d i e t r a n s i t o r i s c h e E n t e i g n u n g als A b s c h ö p f u n g s i n s t r u m e n t w e n d e n , w i r d d i e transitorische, w e r t a b s c h ö p f e n d e E n t e i g n u n g a u c h m i t spezifisch e n t e i g n u n g s r e c h t l i c h e n A r g u m e n t e n a n g e g r i f f e n . D a d i e W e r t e , d i e ü b e r d i e t r a n s i t o r i s c h e E n t s c h e i d u n g abgeschöpft w e r d e n , a u c h z u r Finanzierung der städtebaulichen M a ß n a h m e n beitragen sollen724, w i r d 717

Dazu Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 54. Z u diesem Prinzip allgemein Leibholz / Rinck, GG, A r t . 20 Rdnr. 24 f.; Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 152 ff.; Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 53 f. 71 » Vgl. etwa B V e r f G 34, 366; 19, 257 f ü r Steuern i . S . d . § 1 AO. 720 Vgl. auch Ernst, Gutachten, S. 32; Kimminich, Gutachten, S. 57; SchmidtAßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 283. 721 Leibholz / Rinck, GG, A r t . 20 Rdnr. 24. 722 Dies hat das B V e r w G i n dem Erschließungsbeitragsfall ( B V e r w G 36, 155, 156) deutlich ausgesprochen. Die Bestimmtheit gesetzlicher Normen ist demnach k e i n Selbstwert. E i n Höchstmaß an errechenbarer Bestimmtheit ist etwa dann nicht mehr möglich, w e n n unter der Formalisierung u n d Schematisierung der gesetzlichen Tatbestände die F l e x i b i l i t ä t der Regelung leiden würde. 723 Dazu auch Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 54; Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 283. 718

2. Abschn., 2. Unterabschn. : Transitorische Enteignung

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im Ansatz zu Recht bezweifelt, ob diese fiskalische Zielsetzung der Enteignung m i t dem Gemein wohl Verständnis des A r t . 14 Abs. 3 GG übereinstimmt 7 2 6 . Erfolg kann jenen Bedenken allerdings nur dann beschieden sein, wenn zum einen die Gemeinwohlklausel des A r t . 14 Abs. 3 tatsächlich fiskalische Interessen ausschlösse, zugleich die Zielsetzung der transitorischen Enteignung aber auch als fiskalisch zu qualifizieren wäre. Beides muß jedoch bezweifelt werden: 1. Dies gilt zunächst f ü r die These, enteignungsrechtliche „öffentliche" I n teressen u n d fiskalische Interessen ständen i n unvereinbarem Gegensatz 7 2 6 . Diese oft verkürzt wiedergegebene These liegt weder dem „ k l a s sischen" Enteignungsrecht des 19. J a h r h u n d e r t s 7 2 7 noch dem Gemeinwohlverständnis des Grundgesetzes i n dieser Absolutheit zugrunde. So hat die entwicklungsgeschichtliche Untersuchimg gezeigt, daß auch dem E n t eignungsrecht des 19. Jahrhunderts eine fiskalisch motivierte Eneignung nicht fremd war, w e n n n u r die öffentliche Zielsetzung d o m i n i e r t e 7 2 8 . Schon kurz nach I n k r a f t t r e t e n des Grundgesetzes hat der B a d S t G H diese differenzierende Sicht bestätigt 7 2 9 . A l l e i n die „bloße" Vermehrung des öffentlichen Vermögens verfehlt danach das Gemeinwohlgebot der E n t eignung. Verfolgt die Enteignung dagegen ein über die Bereicherung der öffentlichen H a n d hinausgehendes selbständiges Ziel, ist sie zulässig. I n ihrem K e r n schließt die Gemeinwohlklausel des A r t . 14 Abs. 3 m i t h i n n u r solche Enteignungen aus, die sich i n der Vermögensverschiebung zugunsten der öffentlichen H a n d erschöpfen 7 3 9 . Da die Wertabschöpfung niemals alleiniger Zweck der Enteignung ist, die transitorische Enteignung vielmehr p r i m ä r bodenordnenden Charakter h a t 7 3 1 , verstößt sie schon deshalb nicht gegen die richtig verstandene Gemeinwohlklausel. 2. Zweifelhaft ist darüber hinaus, ob die Abschöpfung v o n Sanierungs- oder entwicklungsbedingten Wertsteigerungen w i r k l i c h zu fiskalischen Zwecken e r f o l g t 7 3 2 . Denn primäres Ziel des Abschöpfungsinstrumentariums ist es, über eine Regulierung des Bodenmarktes die städtebaulichen Maßnahmen selbst zu ermöglichen 7 3 3 . Neben diesen marktregulierenden Tendenzen 724 Z u r F u n k t i o n der Bodenwertabschöpfung als Finanzierungsinstrument vgl. oben zu Fn. 689 u n d Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S. 140 f. 725 So Forsthoff, D W W 1971, 76 ff. 726 Vgl. Weber, Eigentum u n d Enteignung, S. 392. 727 Oben I. Teü, 1. Kap., Β I . 728 So etwa i n der „Zonenenteignung" des § 16 des Preuß.WasserstrG. v o m 1.4.1905, der eine Vielfalt fiskalischer u n d öffentlicher M o t i v e zugrunde lag; ähnlich Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 254. 729 U r t e i l v o m 7.3.1950, VerwRspr. Bd. 2 Nr. 96; dazu auch Kimminich, B K , A r t . 14 Rdnr. 125, 126. 739 Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 254. 73 * Zutreffend Gaentzsch, Bodenwertabschöpfung, S.90; der darauf h i n weist, daß i n erster L i n i e f ü r die Wertabschöpfimg das Rechtsinstitut des Ausgleichsbetrages zur Verfügung steht, die Durchgangsenteignung daher zum Zweck der Wertabschöpfung streng genommen nicht zwingend ist. 732 Ä h n l i c h Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 255. 7 33 Dazu oben zu Fn. 641.

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II. 1. Kap.: Die privatnützige Enteignung

k o m m t dem eigentlichen fiskalischen M o t i v allenfalls ein untergeordneter Rang zu. I n der städtebaulichen W i r k l i c h k e i t verliert zudem die Bodenwertabschöpfung als Finanzierungsinstrument zunehmend an Bedeutung, da die abgeschöpften Beträge regelmäßig n u r Bruchteile der entstehenden Kosten abdecken 7 3 4 . Nicht übersehen werden darf schließlich, daß §48 StBauFG zumindest f ü r das Sanierungsgebiet die Verteilung eines event u e l l verbleibenden Überschusses an die Grundeigentümer anordnet 7 3 5 . Eine „Bereicherung" der öffentlichen H a n d w i r d damit w i r k s a m ausgeschlossen. Sieht man so die wertabschöpfende, transitorische Enteignung i n ihrer städtebaulichen Wirklichkeit, k a n n der V o r w u r f , sie diene einer „Bereicherung" der öffentlichen Hand, nicht aufrechterhalten werden.

734 Z u den Erfahrungen der Praxis aufschlußreich das Planspiel zum E n t w u r f eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbaugesetzes, Sten. Prot. Nr. 31 des 15.-BT.-Ausschusses v o m 5. Nov. 1974, S. 20. 735 v g l . Bielenberg, StBauFG, § 48 Rdnr. 2.

Zweites

Kapitel

Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der städtebaulichen Aufopferungsenteignung Erster Abschnitt

Begriff und Funktion der städtebaulichen Aufopferungsenteignung im BBauG Neben der Enteignung als Güterbeschaffungsvorgang, m i t dem der Staat Grundstücke, bewegliche Sachen oder Rechte zwangsweise für ein konkretes, dem öffentlichen Wohl dienendes Unternehmen i n Anspruch nimmt 1 , kennt das moderne Enteignungsrecht eine zweite Kategorie von Eigentumseingriffen, für die Werner Weber 2 den Begriff Aufopferungsenteignung geprägt hat. Der Terminus kennzeichnet präzise die Struktureigenheiten dieses eigenständigen Enteignungstyps: I n i h m vermischen sich Merkmale des technischen, auf Eigentumsübertragung gerichteten Enteignungsmodells m i t Merkmalen des Aufopferungsinstitutes, dem nicht das B i l d eines zwangsweise bedingten Rechtssubjektswechsels zugrunde liegt, sondern das hoheitlich erzwungene Opfer unabhängig von dadurch ausgelösten Vermögensverschiebungen ausgleichen will®. Eine Aufopferungsenteignung sollen danach solche hoheitlichen Akte bewirken, die das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum i n seiner Ausnutzbarkeit beschränken, ohne daß die Beschränkung m i t der Begründung von beschränkten Rechten zugunsten eines Dritten einhergeht 4 . Während die Enteignung i m technischen Sinn dadurch gekennzeichnet ist, daß regelmäßig der Verwendungszweck des enteigneten Gegenstandes geändert w i r d und die Übertragung des Rechts 1

Z u diesem oft zu Unrecht als „klassisch" gekennzeichneten Enteignungsbegriff vgl. i m einzelnen oben I . Teil, 1. Kap., Β I I I . 2 Eigentum u n d Enteignung, S. 350 f. » Z u r Rechtsfigur der öffentl.-rechtl. Aufopferung vgl. Bender, Staatshaftungsrecht, Rdnr. 113 f.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 73 ff.; Janssen, Der Anspruch auf Entschädigung bei Aufopferung u n d Enteignung, S. 40 f. 4 Vgl. Weber, Eigentum u n d Enteignung, S. 350; Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 339; Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 262; Kimminich, B K , A r t . 14 Rdnr. 120. 13 Frenzel

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I I . 2. Kap.: Städtebauliche Aufopferungsenteignung

oder eines T e i l r e c h t s a u f e i n e n D r i t t e n s t a t t f i n d e t 5 , w e r d e n b e i d e r A u f o p f e r u n g s e n t e i g n u n g d a m i t bloße N u t z u n g s m ö g l i c h k e i t e n entzogen®. Hechtshistorisch ist das Verständnis von bloßen Eigentumsbeschränkungen als Enteignung noch j u n g 7 . Wie der historische Rückblick gezeigt hat, haben erst unter Geltung des A r t . 153 W R V die Rechtsprechung u n d Lehre den Enteignungsbegriff der Reichsverfassung auch auf solche Eigentumsbeschränkungen erweitert, die vordem allenfalls als Aufopferungsfälle Ersatzansprüche nach den gewohnheitsrechtlich weitergeltenden §§ 75, 76 P r A L R ausgelöst hatten®. Wegweisend f ü r die rechtskategoriale Verschmelzung von Enteignungs- u n d Aufopferungstatbeständen i n der Zeit nach dem ersten Weltkrieg w a r die Rechtsprechung des Reichsgerichtes zu den baurechtlichen Eigentumsbeschränkungen 9 . Die durch öffentlich-rechtliche Dauerbeschränkungen der Bodennutzung ausgelösten Planungsschäden w u r d e n zum H a u p t repräsentanten des neuen Instituts der Aufopferungsenteignung 1 0 . Das B B a u G l e g t i n seinen §§ 40 - 44 d i e p l a n e r i s c h e n Festsetzungen fest, d i e geeignet sind, eine entschädigungspflichtige A u f o p f e r u n g s e n t e i g n u n g auszulösen 1 1 . T r o t z d e r v e r s t ä r k t e n Resonanz, d i e d i e I d e e eines v o n E n t e i g n u n g s g r u n d s ä t z e n losgelösten Ersatzes v o n Planschäden aus V e r t r a u e n s s c h u t z g e s i c h t s p u n k t e n i n § 39 j w i e i n § 44 A b s . 5 b i s 7 des Gesetzes g e f u n d e n h a t , b l e i b t auch n a c h d e r N o v e l l i e r u n g des Gesetzes d i e P l a n e n t s c h ä d i g u n g i m K e r n a n A r t . 14 G G o r i e n t i e r t 1 2 . D e r Gesetzgeber h a t m i t d e r gesetzlichen T y p i s i e r u n g d e r Planschäden u n t e r e n t e i g n u n g s r e c h t l i c h e n G e s i c h t s p u n k t e n p r i m ä r der F o r d e r i m g d e r J u n k t i m k l a u s e l des A r t . 14 A b s . 3 S. 2 G G gerecht w e r d e n w o l l e n 1 3 . A u f o p f e r u n g s e i n g r i f f e d u r c h B e b a u u n g s p l ä n e s i n d d a m i t n a c h d e r gesetzgeberischen K o n z e p t i o n E i n g r i f f e „ a u f G r u n d eines Gesetzes", f ü r d i e das B B a u G als E i n g r i f f s e r m ä c h t i g u n g d i e n a c h A r t . 14 A b s . 3 S. 2 G G gebotene E n t s c h ä d i g u n g s r e g e l u n g b e r e i t s t e l l e n w i l l 1 4 . 5 Vgl. Brügelmann / Pohl, BBauG, Einf. V v o r § 87, S. 7. β Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 262. 7 Vgl. i m einzelnen oben I . Teil, 2. Kap., 1. Abschnitt, Β I I 3. β Hierzu i m einzelnen Meyer / Thiel / Frohberg, Enteignung von G r u n d eigentum, S. 23. 9 Insbesondere R G Z 116, 268 -— Galgenberg — sowie R G Z 128, 18 — Bethke U r t e i l —. 10 Dazu auch Bielenberg, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, Vorbem. §§ 40 - 44 Rdnr. 83 f. 11 Daneben kennt das B B a u G i n den §§ 18, 21 Abs. 2 sowie i n § 28 weitere Fälle von enteignenden Eingriffen aus Gründen u n d zur Sicherung der P l a nung (vgl. Bielenberg, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, Vorbem. §§ 40 - 44 Rdnr. 1), die jedoch n u r v o n marginaler Bedeutung sind. Das StBauF G hat auf eine eigenständige Regelung des Planschadensrechts verzichtet u n d verweist i n § 23 i m wesentlichen auf die Regelungen des BBauG. 12 Z u m Vertrauensschutzgedanken als eigenständige Grundlage eines P l a n gewährungsanspruchs Oldiges, Grundlagen eines Plangewährleistungsrechts, S. 179 ff. So die amtliche Begründung des Gesetzentwurfs, vgl. BT.-Drucks. zu 1794, § 32, S. 12.

1. Abschn.: Begriff und Funktion

195

Neben dieser entschädigungsrechtlichen Funktion soll den Vorschriften der §§ 40 - 44 unter dem Aspekt des A r t . 14 GG auch eine eingriffshemmende, bestandschützende Funktion zukommen, die i m Zusammenhang dieser Arbeit interessiert. Der Bundesgesetzgeber wollte m i t der gesetzlichen Vertypung der städtebaulichen Aufopferungsenteignung zugleich festlegen, welche enteignenden Eingriffe durch Planungsmaßnahmen grundsätzlich zulässig sind 1 5 . Dies ist i h m allerdings nur unvollkommen gelungen, da über die Typisierung möglicher Eingriffsfälle hinaus den Normen selbst kein Hinweis zu entnehmen ist, welche materiellen Enteignungsvoraussetzungen für enteignend wirkende Bebauungspläne gelten sollen 16 . Auch i n der rechtswissenschaftlichen Diskussion w i r d diesem Aspekt der städtebaulichen Aufopferungsenteignung nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt 17 . Daß die Zulässigkeit öffentlich-rechtlicher Dauerbeschränkungen der Bodennutzung primär unter entschädigungsrechtlichem Aspekt diskutiert wird, vermag nicht zu verwundern. Schon das Reichsgericht hatte die bestandschützende Funktion der Allgemeinwohlklausel nivelliert und für die Aufopferungsenteignung schließlich jede „vernünftige Erwägung des Gesetzgebers" als ausreichende Legitimation erachtet 18 . Wurde der Betroffene nur ausreichend entschädigt, w a r der Eingriff regelmäßig hinzunehmen 19 . Das auf diesem rechtshistorischen Boden gewachsene Verständnis der Eigentumsgarantie als primäre Wertgarantie bedarf unter Geltung der grundgesetzlichen Eigentumsgewährleistung auch für die Aufopferungsenteignung einer deutlichen Korrektur 2 0 . Die Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG ist i n erster Linie als Bestandsgarantie konzipiert 2 1 , die erst 14 Ä h n l i c h Bielenberg, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, Vorbem. § § 4 0 - 4 4 Rdnr. 1; Schrödter, BBauG, §40 Rdnr. 2. Die Novellierung des §44 BBauG, der n u n lückenlos alle durch § 40 - 43 nicht erfaßten Planenteignungen entschädigungsrechtlich auffängt, hat die Bedenken gegenstandslos gemacht, daß jeder Bebauungsplan, der über die i n §§ 40 ff. B B a u G α. F. getroffene Regelung hinausgeht, als Enteignung auf „ G r u n d eines Gesetzes" wegen der dann fehlenden Entschädigungsregelung gegen die J u n k t i m k l a u s e l des A r t . 14 Abs. 3 S. 3 G G verstößt; dazu Schrödter, BBauG, § 44 Rdnr. 8. iß Vgl. BT.-Drucks. I I I / z u 1794, S. 12; ähnlich das Gewos-Gutachten, Der Entschädigungsausschluß nach § 44 Abs. 1 S. 2 BBauG, S. 13. 16 s o treffend Bielenberg, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, Vorb. §§ 40 - 44 Rdnr. 142. 17 Symptomatisch etwa Brügelmann, i n : Brügelmann / Pohl, BBauG, der i n seiner Kommentierung der §§ 40 ff. auf den Aspekt der Eingriffszulässigkeit der planerischen Festsetzungen n u r a m Rande eingeht. is Wegweisend R G Z 107, 375; vgl. i m einzelnen oben I . T e ü , 2. Kap., 2. A b schnitt, B. ι® Z u der Reduktion der Eigentumsgarantie auf ihre werterhaltende F u n k t i o n plastisch auch Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 102. «ο Ä h n l i c h Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 102. 2i So ausdrücklich das B V e r f G i n E 31, 229 (239); vgl. auch BVerfGE24, 367 (400f.); 35, 348 (361); Kimminich, B K , A r t . 14 Rdnr.93.

13*

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II. 2. Kap.: Städtebauliche Aufopferungsenteignung

dann i n eine Wertgarantie umschlägt, wenn der Eigentumseingriff i m öffentlichen Interesse unvermeidlich ist. Auch für die Aufopferungsenteignung gilt es, diese Einsicht zu aktualisieren und die Grenzen aufzuzeigen, die die enteignungsrechtliche Gemeinwohlklausel enteignend wirkenden Planaussagen setzt.

Zweiter Abschnitt

Die Planenteignung in der städtebaulichen Praxis Untersucht man unter dem Aspekt der Eingriffszulässigkeit die Erscheinungsformen der Planenteignung i m BBauG, wie sie i n den §§ 40 bis 44 BBauG vertypt sind, so ist festzustellen, daß die Normen selbst einen Hinweis auf die bei einer Planenteignung zu beachtenden Eingriffsvoraussetzungen vermissen lassen. Zwar verweist § 44 a Abs. 1 für die Ubernahmeansprüche auch auf die materiellen Voraussetzungen der Enteignung i m Ersten Abschnitt des Fünften Teils. Die Vorschrift gilt jedoch n u r i m Rahmen des Entschädigungsverfahrens, so daß i h r für die Zulässigkeit des Planenteignungsakts nichts zu entnehmen ist 2 2 . I m übrigen erklärt § 44 b Abs. 2 für die Fälle, i n denen der Planeingriff eine Geldentschädigung auslöst, nur die Entschädigungsvorschriften des zweiten Abschnitts i m fünften Teil des BBauG, nicht aber die Enteignungsvoraussetzungen des ersten Abschnitts für anwendbar. Die Enthaltsamkeit des Gesetzgebers läßt R a u m f ü r zwei konträre G r u n d positionen zu der Frage der Eingriffszulässigkeit planerischer Enteignungen. Die eine zeichnet sich dadurch aus, daß sie die Gemeinde bei ihrer Planung nicht an die strengen Voraussetzungen des A r t . 14 Abs. 3 S. 1 G G i. V. m. §§ 85 ff. B B a u G binden w i l l , w e n n Festsetzungen erfolgen, die enteignende W i r k u n gen zeigen 2 3 . Z u r Begründung w i r d regelmäßig die unterschiedliche Interessenlage bei der Enteignung einerseits u n d der Aufstellung des Bebauungsplans andererseits ins Feld geführt. Die f ü r die Zulässigkeit der Enteignung geltenden, i n A r t . 14 Abs. 3 S. 1 G G verfassungsrechtlich f i x i e r t e n Grundsätze sollen danach auf den zweipoligen Gegensatz von p r i v a t e m Eigentümerinteresse u n d isolierten öffentlichem Interesse an der Enteignung zugeschnitten 22 Ä h n l i c h Bielenberg, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, Vorb. §§40 bis 44 Rdnr. 142 f ü r das B B a u G a. F. 23 Grundlegend B G H U r t . v o m 22.9.1966 = N J W 1967, 103 = W M 1966, 1209 = M D R 1967, 31; B G H U r t . v o m 15. 6.1967 — Waldfriedhof — N J W 1967, 2305; B V e r w G U r t . v o m 30.4.1969 = D Ö V 1969, 64 = DVB1 1969, 697; vgl. auch die Darstellung bei Schrödter, BBauG, § 40 Rdnr. 13 a sowie Bielenberg, i n : Ernst / Z i n k a h n / Bielenberg, Vorb. §§ 40 - 44 Rdnr. 142.

2. Abschn. : Städtebauliche Praxis

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sein. I m Planungsstadium soll es dagegen u m den Ausgleich mehr oder w e n i ger zahlreicher, i n i h r e m Verhältnis zueinander komplexer Interessen gehen, so daß dieser Ansicht nach die f ü r die Enteignung geltenden Grundsätze auf die Planenteignung nicht übertragbar sind 2 4 . Die Konsequenzen f ü r den Rechtschutz des Planbetroffenen sind mißlich, der sich nicht auf die Entschädigung verweisen lassen w i l l , sondern durch die Einlegung von Rechtsmitteln versucht, den Aufopferungseingriff zu F a l l zu bringen 2 5 . Weder k a n n er den enteignend w i r k e n d e n Bebauungsplan m i t dem Hinweis bekämpfen, die enteigend wirkende Festsetzung werde v o m W o h l der Allgemeinheit nicht gefordert, noch k a n n er i n einem eventuell nachfolgenden förmlichen Enteignungs verfahr en die Festsetzung nachträglich am Maßstab des A r t . 14 Abs. 3 S. 1 G G messen lassen, da die Rechtsprechung insofern von einer grundsätzlichen Bindungswirkung des Bebauungsplans ausgeht 2 6 . Die gegensätzliche Position geht deshalb von der These aus, daß die E n t eignungsvoraussetzungen, w i e sie A r t . 14 Abs. 3 S. 1 GG verfassungskräftig betont, schon i m Planungsstadium zu beachten sind 2 7 . Dieser v o n der Verfassung gebotene, konsequente Ansatz leidet allerdings darunter, daß er die Gemeinwohlklausel des A r t . 14 Abs. 3 S. 1 G G inhaltlich m i t den i n § 85 ff. B B a u G ausgeprägten Enteignungsgrundsätzen gleichsetzt 2 8 . Das Planungsermessen der Gemeinde wäre danach durch A r t . 14 Abs. 3 S. 1 GG i. V. m. § 85 ff. B B a u G weitgehend eingeschränkt 2 9 . M i t den i h m zu Gebote stehenden Rechtsschutzm i t t e l n könnte der Eigentümer zugleich die Rechtsgültigkeit des Bebauungsplans an den Rechtmäßigkeitsmaßstäben der Administrativenteignung messen lassen u n d damit i m Falle der Rechtswidrigkeit der Festsetzungen regelmäßig den gesamten Bebauungsplan zunichte machen 3 0 . B e i d e Lösungsansätze k ö n n e n i n i h r e r A u s s c h l i e ß l i c h k e i t n i c h t b e f r i e digen. G e g e n b e i d e m u ß zunächst e i n g e w a n d t w e r d e n , daß sie d i e P l a n e n t e i g n u n g d e r §§ 40 ff. B B a u G als e i n e n geschlossenen P r o b l e m k o m p l e x betrachten, ohne z w i s c h e n d e n e i n z e l n e n T a t b e s t a n d s v a r i a n t e n d e r §§ 40 ff. B B a u G g e n ü g e n d z u d i f f e r e n z i e r e n 3 1 . B e i d e Lösungsansätze v e r s ä u m e n z u d e m danach z u fragen, ob A r t . 14 A b s . 3 S. 1 G G n i c h t e i n e r flexiblen, d e n S t r u k t u r e i g e n h e i t e n des P l a n u n g s a k t e s angemessenen 24

B V e r w G v. 30. 4.1969, ebd. Z u dem hier n u r a m Rande interessierenden prozessualen Aspekt vgl. Blümel, D Ö V 1965, 297 m i t weiteren zahlreichen Nachweisen; Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S.216 Fn.64; Bielenberg, i n : E r n s t / Z i n k a h n / Bielenberg, BBauG, Vorb. §§ 40 - 44 Rdnr. 142. 2