Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bei relativen Antragsdelikten [1 ed.] 9783428582815, 9783428182817

Die Arbeit beleuchtet das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung in seiner Gesamtheit. Im ersten Teil de

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Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bei relativen Antragsdelikten [1 ed.]
 9783428582815, 9783428182817

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Schriften zum Strafrecht Band 372

Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bei relativen Antragsdelikten

Von

Martin Linke

Duncker & Humblot · Berlin

MARTIN LINKE

Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bei relativen Antragsdelikten

Schriften zum Strafrecht Band 372

Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bei relativen Antragsdelikten

Von

Martin Linke

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-18281-7 (Print) ISBN 978-3-428-58281-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im Wintersemester 2020/2021 von der Juristi­ schen Fakultät der Universität Potsdam als Dissertation angenommen wor­ den. Mein größter Dank gilt zunächst Herrn Professor Dr. Wolfgang Mitsch, der nicht nur ohne zu zögern mein Dissertationsvorhaben betreut hat, son­ dern mir auch während der Entstehung dieser Arbeit stets mit Rat und Tat zur Seite stand. Die Mitarbeit an seinem Lehrstuhl förderte stets mein Inte­ resse am wissenschaftlichen Arbeiten. Die Fertigstellung dieser Untersuchung ist nicht zuletzt auch dem Freiraum zu verdanken, der mir zur Erstellung der Dissertation gewährt worden ist. Weiterhin danke ich Professor Dr. Georg Steinberg für die Erstellung des Zweitgutachtens sehr. Ferner gilt es insbesondere Herrn Rechtsanwalt und Fachanwalt für Straf­ recht Steffen Voigt zu danken. Erst das Praktikum in seiner Kanzlei führte mich überhaupt zu diesem Thema. Mein Dank gilt darüber hinaus allen, die mir während der Entstehung der Arbeit für Gespräche und Ratschläge zur Seite standen. Rechtsprechung und Literatur finden sich zumeist auf dem Stand vom 01.08.2020. Vereinzelt konnte auch später erschienene Literatur noch ver­ arbeitet werden. Potsdam, im Februar 2021

Martin Linke

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel

Einleitende Ausführungen 

29

§ 1 Einleitung und Schwerpunkte der Dissertation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 B. Schwerpunkte und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I. Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 II. Zum Aufbau der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 III. Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 C. Die zu untersuchenden Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 I. Bedarf es überhaupt einer Beschäftigung mit den inhaltlichen Kriterien des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafver­ folgung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 II. Ist der herrschende methodische Ansatz geeignet, den Begriff des besonderen öffentlichen Interesses auszulegen? . . . . . . . . . . . 36 III. Wie wird ermittelt, ob ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 IV. In welchem Verhältnis steht das relative Antragsdelikt zur Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen? . . . . . . . . . . . . . 37 § 2 Das relative Antragsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 A. Die Systematik des relativen Antragsdelikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 B. Das „besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung“ . . . . . . . . 39 I. Die Entstehung der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. Die Vorgängerregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Probleme der bis zur VO geltenden gesetzlichen Normierung  40 a) Der Streit um den Begriff des „Berufsfahrers“ . . . . . . . . . 40 aa) Die extensive Auslegung des Begriffs „Berufsfahrer“ durch das Reichsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 bb) Widerstand durch Rechtslehre und die unteren Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 b) Hinderliches Antragserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3. Die Neufassung des § 232 I StGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 4. Die Terminologie der relativen Antragsdelikte heute . . . . . . . . 46 II. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 C. Relative Antragsdelikte im deutschen Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

10 Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel

Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung in der heutigen Rechtspraxis nebst Kritik 

49

§ 3 Handhabung durch Staatsanwaltschaft und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . 49 A. Die staatsanwaltschaftliche Erklärung über das besondere öffentliche Interesse oder das Verfolgungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 I. Inhaltliche Auslegung des Begriffs „besonderes öffentliches Interesse“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 II. Form der Erklärung über das besondere öffentliche Interesse . . . . 51 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Konkludente Annahme eines besonderen öffentlichen Inte­ resses durch Anklageerhebung wegen eines Offizialdelikts? . . 52 3. Maßgeblich: Das Vorstellungsbild des Staatsanwalts . . . . . . . . 53 III. Frist der Erklärung über das besondere öffentliche Interesse . . . . 54 IV. Bindung an eine einmal abgegebene Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . 54 V. Rechtsfolgen nachträglicher Verneinung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 VI. Kontrolle der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung . . . . . . . . . . 56 B. Handhabung durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 § 4 Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Prozessvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Form der Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Frist der Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Nachträgliche Verneinung des besonderen öffentlichen Interesses . . . . . E. Inhaltliche Auslegung des Begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Gerichtliche Überprüfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zustimmung zur Versagung gerichtlicher Kontrolle . . . . . . . . . . . II. Anerkennung gerichtlicher Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Umfang der gerichtlichen Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Volle gerichtliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Willkürkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsweg  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kontrolle im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG . . . . . . . . 2. Durch das mit der Sache befasste Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Der maßgebliche Ausgangspunkt der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60 60 60 61 62 62 63 63 63 63 63 66 67 67 67 68 68 68

Inhaltsverzeichnis11 3. Kapitel

Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata 

69

§ 5 Die Charakterisierung des besonderen öffentlichen Interessesan der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 A. Die Prozessvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 I. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Die Staatsanwaltschaftliche Erklärung über das Verfolgungs­ interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2. Das besondere öffentliche Interesse selbst als Prozessvoraus­ setzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 II. Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Der Begriff der Prozessvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3. Theoretische Varianten der Prozessvoraussetzungen . . . . . . . . 71 4. Keine Abhängigkeit von der gerichtlichen Überprüfbarkeit . . 72 5. Zum Ansatz Vogels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 6. Die „wirksame“ Erklärung der Staatsanwaltschaft als Pro­ zessvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Gegenstand der staatsanwaltschaftlichen Erklärung . . . . . . 73 b) Wirksamkeit der staatsanwaltschaftlichen Erklärung . . . . . 74 aa) Einigkeit hinsichtlich eines formellen Aktes . . . . . . . . 74 bb) Erfordernis eines tatsächlich bestehenden besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung? . . . . . 74 (1) Einstufige oder zweistufige Struktur der Verfol­ gungsregelung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 (2) Die Funktion des besonderen öffentlichen Inte­ resses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (a) Ermöglichung amtlicher Strafverfolgung . . . . 77 (b) Begrenzung der amtlichen Strafverfolgung . . 78 (c) Schutz vor Strafverfolgung? . . . . . . . . . . . . . . 80 (d) Schutz des Verletzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (3) Die innergesetzliche Systematik des relativen Antragsdelikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (4) Möglichkeit, dass ein unbestimmter Rechtsbe­ griff maßgeblich ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 cc) Ergebnis zum materiellen Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 B. Die Rechtsnatur des besonderen öffentlichen Interesses an der Straf­ verfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 I. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses als Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . 84

12 Inhaltsverzeichnis 2. Das besondere öffentliche Interesse als unbestimmter Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 II. Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Prämisse: grundsätzliche Geltung der verwaltungsrechtlichen Rechtsinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Das besondere öffentliche Interesse als Ermessensbegriff oder als unbestimmter Rechtsbegriff  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 a) Bedeutung der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 b) Voraussetzungen des Ermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 c) Tatbestandsermessen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 d) Vergleich mit der besonderen Bedeutung des Falls im Rahmen des § 24 I Ziff. 3 GVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 § 6 Zur Frage der gerichtlichen Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, wegen des besonderen öffentlichen Interesses sei ein Einschreiten von Amts wegen geboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 A. Zur Unüberprüfbarkeit des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 I. Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 II. Zur Unüberprüfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 1. BGHSt 16, 225 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Weitere Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 a) Der systematische Vergleich mit §§ 153, 153a StPO . . . . . 95 b) Der Wille des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 B. Die gerichtliche Kontrolle des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 I. Überblick über die gerichtliche Kontrolle unbestimmter Rechts­ begriffe im Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Grundsatz: volle gerichtliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Unbestimmte Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum . . 101 b) Koppelungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 II. Die Verfolgungsregelung des relativen Antragsdelikts unter dem Blickwinkel verwaltungsrechtlicher Kontrollmaßstäbe . . . . . . . . . 102 1. Das besondere öffentliche Interesse als unbestimmter Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 c) Der Beurteilungsspielraum im Strafverfahren . . . . . . . . . . 104 aa) Anerkennung von Beurteilungsspielräumen durch die Rechtsprechung und einen Teil der Literatur . . . . . . . 104 bb) Einwände gegen Beurteilungsspielräume im Straf­ verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

Inhaltsverzeichnis13 cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 dd) Das besondere öffentliche Interesse als unbestimmter Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum? . . . . . . . . . . 107 (1) Zur Begründung des BGH  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (2) Überprüfung anhand der anerkannten Fallgruppen  109 (a) Kein Automatismus zwischen unbestimmtem Rechtsbegriff und Beurteilungsspielraum . . . . 109 (b) Letztentscheidungskompetenz der Behörde . . 109 (c) Besonderer Beurteilungssachverstand und unwiederholbare Handlung . . . . . . . . . . . . . . . 110 (d) Bindungswirkung der RiStBV? . . . . . . . . . . . 110 ee) Ergebnis zum Bestehen eines Beurteilungsspielraums  112 d) Fazit zur Anerkennung von Beurteilungsspielräumen im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Die Koppelungsvorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Die Struktur der Koppelungsvorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Die Verfolgungsregelung relativer Antragsdelikte als Koppelungsvorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 c) Konsequenz dieser Struktur im Hinblick auf die gericht­ liche Überprüfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3. Zwischenergebnis für die Kontrolle nach verwaltungsrecht­ lichen Maßstäben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 III. Strafrechtsautonome eingeschränkte Kontrollkompetenz . . . . . . . . 115 IV. Ergebnis zur gerichtlichen Kontrolle des besonderen öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 C. Zur gerichtlichen Kontrolle der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung . 117 I. Verfolgungspflicht oder Einräumung von Verfolgungsermessen bei einem bestehenden besonderen öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 a) Wortlautauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Systematische Vergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 aa) Systematischer Vergleich mit §§ 153, 153a StPO . . . . 119 bb) Systematischer Vergleich mit § 376 StPO . . . . . . . . . . 120 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 c) Offizial- und Legalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 aa) Relative Antragsdelikte und das Offizialprinzip . . . . . 122 bb) Relative Antragsdelikte und das Legalitätsprinzip . . . 123 (1) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (2) Ausnahmen vom Verfolgungszwang (Opportuni­ tätsprinzip) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

14 Inhaltsverzeichnis (3) Relative Antragsdelikte als Ausprägung des Opportunitätsprinzips? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das besondere öffentliche Interesse als bereits alle rele­ vanten Umstände umfassender Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zur verfassungskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Das mit der Kontrolle befasste Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Die Kontrolle des besonderen öffentlichen Interesses in den einzelnen Verfahrensstadien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das staatsanwaltschaftliche Verfahren – Das Ermittlungsverfah­ ren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das gerichtliche Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Hauptverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Rechtsmittelverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 7 Konsequenz für weitere Umstände des Allgemeinen Teils . . . . . . . . . . . . . . A. Keine „Erklärung über das besondere öffentliche Interesse“ . . . . . . . . . B. Formfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Teilbarkeit der amtsseitigen Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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124 125 125 125 126 126

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§ 8 Folgen des Wegfalls der Prozessvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 A. Zur Bedeutung des § 156 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 B. Freispruch oder Einstellung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 § 9 Zur Reichweite des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfol­ gung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 A. Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 B. Die Reichweite des Strafantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 C. Grundsätzliche Übertragbarkeit auf das besondere öffentliche Interesse  139 D. Besonderheiten hinsichtlich des besonderen öffentlichen Interesses . . . . 139 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 § 10 Das Verhältnis zum gestellten Strafantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bedeutung der Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

140 140 141 141 142 143

Inhaltsverzeichnis15 4. Kapitel

Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses 

144

§ 11 Die Notwendigkeit einer begrifflichen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 § 12 Darstellung der Methode der derzeitigen Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Rechtsquellen der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Ansätze zur Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses . . . . . . . I. Definitionsversuch von H. Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Verständnis nach H. Vogel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Ansatz Homanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die materielle Auslegung im heutigen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . V. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145 145 146 146 146 147 148 152

§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“ als Ausle­ gungsbasis für das besondere öffentliche Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 A. Exkurs: Entstehung der Frage nach dem Verhältnis der Begriffe zuein­ ander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 B. Ableitung eines Stufenverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I. „Besonderes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 II. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 C. Überprüfung des Verhältnisses der Begriffe zueinander . . . . . . . . . . . . . 157 I. Überprüfung anhand der Zielrichtung der jeweiligen Begriffe . . . 157 1. Zielrichtung des besonderen öffentlichen Interesses . . . . . . . . 157 2. Zielrichtung des öffentlichen Interesses bei §§ 153, 153a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 3. Zielrichtung des öffentlichen Interesses in § 376 StPO . . . . . . 159 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 II. Anhand des Bezugspunktes der jeweiligen Norm . . . . . . . . . . . . . 160 1. Bezugspunkt des besonderen öffentlichen Interesses . . . . . . . . 160 2. Bezugspunkt des öffentlichen Interesses im Sinne der §§ 153, 153a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 3. Der Bezugspunkt des öffentlichen Interesses im Sinne des § 376 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 III. Anhand des Anwendungsbereichs der jeweiligen Norm . . . . . . . . 162 1. Anwendungsbereich des besonderen öffentlichen Interesses . . 162 2. Anwendungsbereich des öffentlichen Interesses in §§ 153, 153a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Anwendungsbereich des öffentlichen Interesses in § 376 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 a) Die einzelnen Privatklagedelikte, die zugleich relative Antragsdelikte sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

16 Inhaltsverzeichnis b) Erste Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 IV. Anhand der inhaltlichen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung . . 166 a) Das besondere öffentliche Interesse im Rahmen des § 182 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Das besondere öffentliche Interesse im Rahmen des § 183 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 c) Das besondere öffentliche Interesse im Rahmen des § 184i StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 d) Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfol­ gung im Rahmen der §§ 201a I, II, 202a, 202b, 202d StGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 e) Das besondere öffentliche Interesse im Rahmen der §§ 223, 229 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 aa) Kriterien zur Körperverletzung allgemein . . . . . . . . . . 169 bb) Spezielle Anwendungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (1) Gewalt in der Familie, insb. Kindesmissbrauch . . 171 (2) Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung von Körperverletzungen im Straßenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (3) Das besondere öffentliche Interesse an der Straf­ verfolgung von Körperverletzungen im Sport . . . 174 (4) Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung im Arztstrafrecht . . . . . . . . . . . . . 175 f) Das besondere öffentliche Interesse im Rahmen des § 235 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 g) Das besondere öffentliche Interesse im Rahmen des § 238 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 h) §§ 242, 246, 248c, 257, 259, 263, 263a, 265a, 266, 266b jeweils i. V. m. § 248a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 aa) Aspekte speziell bezüglich §§ 242, 246 i. V. m. 248a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 bb) Deliktsspezifische Aspekte der auf § 248a StGB verweisenden Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (1) § 248c StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (2) § 257 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (3) § 259 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (4) § 263 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (5) § 263a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (6) § 265a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (7) § 266 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (8) § 266b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

Inhaltsverzeichnis17 i) Das besondere öffentliche Interesse im Rahmen des § 299 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 aa) Nr. 242a RiStBV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 bb) Weitere Aspekte nach Auffassung der Literatur . . . . . 183 j) Das besondere öffentliche Interesse bei §§ 303, 303a I, 303a II, 303b I–III StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 k) Das besondere öffentliche Interesse bei den Delikten des Nebenstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 aa) Das besondere öffentliche Interesse im Rahmen der §§ 17, 18, 19 UWG a. F., § 23 GeschGehG . . . . . . . . 186 (1) Hinweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 (2) Nr. 260a RiStBV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 (3) Auffassungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . 187 bb) Das besondere öffentliche Interesse im Rahmen der §§ 142 IV PatentG, 25 IV GebrMG, 10 IV HalblSchG, 39 IV SortenSchG, 143 IV, 143a II i. V. m. 143 IV MarkenG, 51 IV, 65 II DesignG, 106, 107, 108 UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (1) Nr. 261a RiStBV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (2) Weitere Auffassungen zu den Strafvorschriften des UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (a) Das besondere öffentliche Interesse nach Heghmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (b) Das besondere öffentliche Interesse nach Heinrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (c) Das besondere öffentliche Interesse nach Hildebrandt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 l) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 2. Das öffentliche Interesse in §§ 153, 153a StPO . . . . . . . . . . . . 192 a) Gleiches Begriffsverständnis in §§ 153, 153a StPO  . . . . . 192 b) Inhaltliche Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 aa) Eigenständige Bedeutung des Merkmals „öffent­ liches Interesse“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 bb) Das Verhältnis des Schuldmerkmals zum öffent­ lichen Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 cc) Zum Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (1) Die Strafzwecke als Auslegungsaspekte . . . . . . . . 195 (a) Einzelheiten zum Strafzweck der Spezialprä­ vention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (b) Einzelheiten zum Strafzweck der General­ prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (2) Außerhalb der Strafzwecke liegende Umstände . . 199

18 Inhaltsverzeichnis

3.

4.

5. D. Ergebnis

(a) Interesse an der Herbeiführung einer gericht­ lichen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (b) Das Interesse der Allgemeinheit an der Klärung der konkreten Straftat . . . . . . . . . . . . 201 (c) Die Tat erregt Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . 201 (d) Die Beachtlichkeit von Verletzteninteressen . 202 (3) Das öffentliche Interesse nach Ansicht der Autoren, die es nicht mit den Strafzwecken gleichsetzen bzw. das Merkmal ablehnen . . . . . . . 203 (4) Umstände, die das öffentliche Interesse entfallen lassen können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Das öffentliche Interesse in § 376 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 a) Begriffsidentität in §§ 153, 153a StPO und § 376 StPO? . 204 b) Das öffentliche Interesse nach Maßgabe der RiStBV . . . . 205 aa) Das öffentliche Interesse nach Maßgabe der Nr. 86 RiStBV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 bb) Das öffentliche Interesse nach Nr. 233 RiStBV . . . . . 207 cc) Das öffentliche Interesse nach Nr. 260 RiStBV . . . . . 208 dd) Das öffentliche Interesse nach Nr. 261 RiStBV . . . . . 208 c) Allgemeine Kriterien unabhängig von den RiStBV . . . . . . 210 d) Das öffentliche Interesse nach Maßgabe des § 376 StPO bei Privatklagedelikten, die nicht in den RiStBV genannt werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 e) Fazit zu den RiStBV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Vergleichende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 a) Das Verhältnis des öffentlichen Interesses im Sinne der §§ 153, 153a StPO zu dem des § 376 StPO . . . . . . . . . . . . 212 b) Das besondere öffentliche Interesse im Verhältnis zum öffentlichen Interesse nach §§ 153, 153a StPO . . . . . . . . . 213 c) Das besondere öffentliche Interesse im Verhältnis zum öffentlichen Interesse nach § 376 StPO . . . . . . . . . . . . . . . 215 Ablehnung der einen Unterschied verneinenden Auffassung . . 217 zur Überprüfung des herrschenden Verständnisses . . . . . . . . . . 218

§ 14 Eigener Lösungsvorschlag zur inhaltlichen Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Rahmenbedingungen für die Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Öffentliches Interesse“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Besonderes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „An der Strafverfolgung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

219 220 220 220 222 223 225

Inhaltsverzeichnis19 II.

Der eigenständige Anwendungsbereich des besonderen öffent­ lichen Interesses bei relativen Antragsdelikten  . . . . . . . . . . . . . . . 225 1. § 182 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 2. § 183 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 3. § 184i StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 4. §§ 201, 202a, 202b, 202d StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 5. § 230 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 6. § 235 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 7. § 238 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 8. § 248a StGB und die auf diese Norm verweisenden Delikte . 228 a) § 248a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 b) §§ 248c II, 248a III StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 c) §§ 257 IV 2, 248a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 d) §§ 259 II, 248a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 e) §§ 263 IV, 248a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 f) §§ 266 II, 248a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 g) §§ 266b II, 248a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 h) Das Merkmal der Geringwertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 9. § 299 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 10. §§ 303, 303a, 303b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 11. §§ 17, 18, 19 UWG a. F., § 23 GeschGehG . . . . . . . . . . . . . . . 233 12. § 142 IV PatentG, § 25 IV GebrauchsMG, § 10 IV HalbleiterSchG, § 39 IV SortenSchG . . . . . . . . . . . . . 233 13. §§ 51, 65 DesignG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 14. §§ 143, 143a MarkenG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 15. §§ 106, 107, 108, 108b UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 16. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 17. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 III. Die Systematik des relativen Antragsdelikts . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1. Der Wortlaut der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. Das Verständnis des besonderen öffentlichen Interesses als Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 3. Vorrang übergeordneter Interessen gegenüber Individualinte­ ressen im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 4. These: Das besondere öffentliche Interesse als Überwindung des Antragserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 IV. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 B. Der Strafantrag als Verständnisgrundlage für die inhaltliche Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung . . . . . . . . 239 I. Vorzüge eines solchen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 II. Die Kritik an der Konstruktion des relativen Antragsdelikts . . . . . 241 1. Der Kritikpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 2. Bemerkungen zur Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

20 Inhaltsverzeichnis 3. Die prozessuale Situation des aussagepflichtigen Verletzten de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 4. Alternativen zur Ausgestaltung als relatives Antragsdelikt? . . 242 a) Umwandlung in ein absolutes Antragsdelikt . . . . . . . . . . . 242 b) Zeugnisverweigerungsrecht für Verletzte . . . . . . . . . . . . . . 243 c) Einführung eines Widerspruchsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 aa) Bereits existierendes Widerspruchsrecht . . . . . . . . . . . 244 bb) Sachgrund für das Widerspruchsrecht . . . . . . . . . . . . . 244 cc) Möglichkeit einer Einführung eines Widerspruchs­ rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 dd) Kritik an der Konstruktion des Widerspruchsrechts . . 245 ee) Konsequenz des Widerspruchsrechts . . . . . . . . . . . . . . 246 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 C. Das Strafantragserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 I. Überwiegende Akzeptanz des Strafantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 II. Die Sachgründe für das Antragserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Einheitliche Zweckbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 a) Versöhnung und Verzeihung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 b) Rechtsfrieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 c) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 d) Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 2. Die einzelnen Sachgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 a) Die Tat berührt die Allgemeinheit nicht oder nur wenig . . 251 b) Schutz der Familie sowie Rücksichtnahme auf Intim­ sphäre und Geheimhaltungsinteresse des Verletzten . . . . . 252 c) Schutz des Geheimhaltungsinteresses im wirtschaftlichen Bereich sowie Filterfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 d) Fazit zu den Zwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 e) Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 f) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 III. Das Strafantragserfordernis als Recht des Verletzten . . . . . . . . . . . 258 D. Die Überwindung des Strafantragserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 I. Historische Stütze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 II. Folgerungen aus der Existenz absoluter Antragsdelikte . . . . . . . . . 259 III. Die Auswirkungen der gesetzgeberischen Entscheidung, grund­ sätzlich am Strafantragserfordernis festzuhalten . . . . . . . . . . . . . . 260 1. Die Beachtlichkeit des Willens des Strafantragsberechtigten . 260 2. Kein besonderes öffentliches Interesse anhand der §§ 77 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 IV. Der Aussagegehalt des Strafantrags und des besonderen öffent­ lichen Interesses  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Der Aussagegehalt des gestellten Strafantrags . . . . . . . . . . . . . 262 2. Der Aussagegehalt des unterbliebenen Strafantrags . . . . . . . . . 262

Inhaltsverzeichnis21 a) „Unterlassen“ der Stellung eines Strafantrags . . . . . . . . . . 262 b) Der unbeeinflusst unterlassene Strafantrag . . . . . . . . . . . . . 263 c) Unterlassene Strafantragstellung infolge willensbeugen­ der Einwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 3. Der Aussagegehalt des besonderen öffentlichen Interesses . . . 264 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 5. Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 V. Die Auswirkungen der Tatbestandsbezogenheit des Strafantrags . 265 VI. Die Überwindung der einzelnen Sachgründe des Strafantrags­ erfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 1. Mangelndes Interesse der Allgemeinheit an der Strafverfol­ gung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 a) Die Tat verliert ihren Charakter als Bagatelle . . . . . . . . . . 266 b) Die Bagatelldelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 c) Umstände, die eine Tat zur Bagatelle machen . . . . . . . . . . 266 d) Überwindung des Bagatellcharakters . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 aa) Orientierung an den strafzumessungsrelevanten Umständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 bb) Erfolgsunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 cc) Handlungsunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 dd) Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 ee) Die Verwirklichung besonders schwerer Fälle . . . . . . 272 e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Zur Überwindung des Schutzzwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 3. Wegfall der ratio des Antragserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . 274 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 VII. Die Begründung des besonderen öffentlichen Interesses anhand einschüchternder Einwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 VIII. Notwendigkeit der Verknüpfung der tauglichen Aspekte mit dem Willen des Verletzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 E. Die Ermittlung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafver­ folgung anhand einer Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 I. Vorzüge eines solchen Vorgehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 II. Ermittlung des Abwägungsmaterials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 III. Die Gewichtung der einzelnen Aspekte innerhalb des Abwä­ gungsmaterials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 1. Die Gewichtung der Belange des Verletzten . . . . . . . . . . . . . . 278 a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 b) Spezielle Parameter für die Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . 279 aa) Willensbeugende Beeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 bb) Verzeihung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (1) Verzeihung und Rechtsfrieden . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (2) Rechtsfrieden und Körperverletzungen im Sport . 282

22 Inhaltsverzeichnis 2. Die Gewichtung der Belange der Strafverfolgung . . . . . . . . . . 283 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 4. Keine Kongruenz zwischen Strafzumessungsaspekten und besonderem öffentlichen Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 5. Abwägungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 a) Beispiel 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 b) Beispiel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 c) Beispiel 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 d) Beispiel 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 F. Überprüfung der Methode im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 G. Verallgemeinerungsfähigkeit des Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 H. Weiterer Vorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 5. Kapitel

Relatives Antragsdelikt und Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen 

290

§ 15 Relatives Antragsdelikt und Einstellung des Verfahrens aus Opportunitäts­ gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 A. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 16.10.1970 als Verbild­ lichung der Problemhaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 B. Meinungsstand zur Verfahrenseinstellung bei bestehendem besonderem öffentlichem Interesse an der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 I. Sowohl § 153 StPO als auch § 153a StPO ist anwendbar . . . . . . . 291 II. §§ 153, 153a StPO sind unanwendbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 III. § 153 StPO ist nicht anwendbar, § 153a StPO ist anwendbar . . . . 291 C. Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 I. Der Wortlaut der Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 II. Das relative Antragsdelikt im System des staatlichen Strafverfol­ gungsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 III. Kriminalpolitische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 IV. Verfahrenseinstellung bei Vorliegen eines Strafantrags . . . . . . . . . 295 V. Entscheidung zugunsten der vermittelnden Auffassung . . . . . . . . . 295 1. Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 2. Grundsätzliche Anwendbarkeit und Einzelfallentscheidung . . 295 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

Inhaltsverzeichnis23 6. Kapitel

Zusammenfassung und Ausblick 

297

§ 16 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 A. Zusammenfassung des Allgemeinen Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 B. Zusammenfassung des Besonderen Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 § 17 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 § 18 Die Ausgestaltung de lege ferenda – Festlegung auf das tatsächliche Bestehen eines besonderen öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

Abkürzungsverzeichnis 2. WiKG Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität a. A. andere Ansicht Abs. Absatz Abt. Abteilung a. F. alte Fassung AG Amtsgericht AK-StPO Alternativkommentar zur Strafprozessordnung Allg. Allgemein/Allgemeines Anm. Anmerkung APR Allgemeines Preußisches Landrecht ArchCrimR Archiv des Criminalrechts A/R/R Achenbach/Ransiek/Rönnau Art. Artikel AT Allgemeiner Teil Aufl. Auflage AVO Ausführungsverordnung BÄO Bundesärzteordnung BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht BayObLGSt Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen BayVGH Bayerischer Verwaltungsgerichtshof BbgPolG Brandenburgisches Polizeigesetz Bd. Band BeckOK-GVG Beck’scher Onlinkekommentar zum Gerichtsverfassungsgesetz BeckOK-StGB Beck’scher Onlinekommentar zum Strafgesetzbuch BeckOK-StPO Besck’scher Onlinkekommentar zur Strafprozessordnung BeckOK-UrhR Beck’scher Onlinekommentar zum Urheberrecht BeckOK-VwGO Beck’scher Onlinekommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung BeckOK-VwVfG Beck’scher Onlinekommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz BeckRS Beck Rechtsprechung BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. I. Bundesgesetzblatt I BGH Bundesgerichtshof

Abkürzungsverzeichnis25 BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen bspw. beispielsweise BT Besonderer Teil BT-Drs. Bundestags-Drucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bzw. beziehungsweise CR Computer und Recht DAR Deutsches Autorecht DB Der Betrieb DDR Deutsche Demokratische Republik ders. derselbe DesignG Designgesetz DFB Deutscher Fußballbund DJ Deutsche Justiz DÖV Die öffentliche Verwaltung DR Deutsches Recht DRechtspfl Deutsche Rechtspflege DRiZ Deutsche Richterzeitung DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt EGGVG Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz EGStGB Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Einf. Einführung Einl. Einleitung E/R/S/T Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis E-StGB Entwurf zum Strafgesetzbuch EU Europäische Union EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft f. folgend ff. folgende F/G/K/R Freisler/Grau/Krug/Rietzsch Fn. Fußnote FS Festschrift GA Goltdammer’s Archiv für Strafrecht GebrMG Gebrauchsmustergesetz GeschGehG Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen

26 Abkürzungsverzeichnis GeschmMG Gesetz über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen GG Grundgesetz G/J/W Graf/Jäger/Wittig GmS-OGB Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes G/N-UWG Götting/Nordemann Kommentar zum Gesetz gegen den unlaute­ ren Wettbewerb GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GS Gedächtnisschrift GVG Gerichtsverfassungsgesetz h.A. herrschende Auffassung HalblSchG Gesetz über den Schutz der Topographien von mikroelektroni­ schen Halbleitererzeugnissen h. M. herrschende Meinung HRRS Onlinezeitschrift für höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht HS Halbsatz i. V. m. in Verbindung mit JA Juristische Arbeitsblätter JGG Jugendgerichtsgesetz JMinBlNRW Justizministerialblatt für Nordrhein-Westfalen JR Juristische Rundschau Jura Juristische Ausbildung JuS Juristische Schulung JW Juristische Wochenschrift JZ Juristenzeitung Kap. Kapitel K/B/F-UWG Köhler/Bornkamm/Feddersen Kommentar zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb KG Kammergericht KJ Kritische Justiz KK-OWiG Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten KK-StPO Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung K/M/R-StPO Kleinknecht/Müller/Reitberger Kommentar zur Strafprozessord­ nung krit. kritisch KUG Kunsturhebergesetz LG Landgericht lit. litera LK-StGB Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch LR-StPO Löwe/Rosenberg Kommentar zur Strafprozessordnung

Abkürzungsverzeichnis27 MarkenG Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen M/D-GG Maunz/Dürig Kommentar zum Grundgesetz MDR Monatsschrift für deutsches Recht M/G-WiStrR Momsen/Grützner Wirtschaftsstrafrecht MiStra Mitteilungen in Strafsachen M/R-StGB Matt/Renzikowski Kommentar zum Strafgesetzbuch MüKo-StGB Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch MüKo-StPO Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung MüKo-SVR Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht m. w. N. mit weiteren Nachweisen NJ Neue Justiz NJOZ Neue juristische Onlinezeitung NJW Neue Juristische Wochenschrift NKGesStrR Nomos Kommentar Gesamtes Strafrecht NK-GVR Nomos Kommentar Gesamtes Verkehrsrecht NK-StGB Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch Nr. Nummer NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-RR Neue Zeitschrift für Strafrecht Rechtsprechungs-Report NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht OBG Ordnungsbehördengesetz des Landes Brandenburg OLG Oberlandesgericht OLGSt Entscheidungen des Oberlandesgerichts in Strafsachen PatG Patentgesetz PrPG Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie RAO Reichsabgabenordnung Rdnr. Randnummer RG Reichsgericht RGBl. I. Reichsgesetzblatt I RGSt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen R/H-StPO Radtke/Hohmann Kommentar zur Strafprozessordnung RiStBV Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren RStV Rundfunkstaatsvertrag S. Seite/Satz S/B/S-VwVfG Stelkens/Bonk/Sachs Kommentar zum Verwaltungsverfahrens­ gesetz SchöffG Schöffengericht

28 Abkürzungsverzeichnis SGB Sozialgesetzbuch SK-StGB Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch SK-StPO Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung SortG Sortenschutzgesetz Sp. Spalte S/S/B-VwGO Schoch/Schneider/Bier Kommentar zur Verwaltungsgerichtsord­ nung S/S-StGB Schönke/Schröder Kommentar zum Strafgesetzbuch S/S/W-StGB Satzger/Schluckebier/Widmaier Kommentar zum Strafgesetz­ buch S/S/W-StPO Satzger/Schluckebier/Widmaier Kommentar zur Strafprozess­ ordnung StGB Strafgesetzbuch StGB-Schweiz Schweizerisches Strafgesetzbuch StPÄG Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichts­ verfassungsgesetzes StPO Strafprozessordnung StraFo Strafverteidiger Forum StrRG Strafrechtsreformgesetz st. Rspr. ständige Rechtsprechung StV Strafverteidiger StVG Straßenverkehrsgesetz u. a. unter anderem UrhG Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte Urt. Urteil UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb v. vom/von Var. Variante VerwR Verwaltungsrecht VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof vgl. vergleiche VO Verordnung VRS Verkehrsrechtssammlung VwGO Verwaltungsgerichtsordnung W/B-UrhR Wandtke/Bullinger Urheberrecht wistra Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

1. Kapitel

Einleitende Ausführungen § 1 Einleitung und Schwerpunkte der Dissertation A. Einleitung Strafverfolgung ist Aufgabe des Staates. Die Strafverfolgungsbehörden sind verpflichtet, strafbare Handlungen von Amts wegen zu verfolgen und gegebenenfalls die öffentliche Klage zu erheben.1 Gesetzlich verankert ist das Legalitätsprinzip in §§ 152 II, 170 I StPO.2 Auf den Willen des Verletz­ ten kommt es dabei nicht an.3 Es gibt jedoch auch die Möglichkeit, grund­ sätzlich seitens des durch die Tat Verletzten4, auf die Frage nach der Durch­ führung eines Strafverfahrens, Einfluss zu nehmen. Unterschieden werden die Offizial- und die Strafantragsdelikte. Strafantragsdelikte werden im deutschen Strafrecht nur dann verfolgt, wenn der Berechtigte einen Straf­ antrag stellt.5 Die §§ 77 ff. StGB sowie § 158 StPO enthalten die gesetzlichen Regelungen des Strafantragsrechts.6 Nach heute herrschender Meinung ist im Strafantrag, ungeachtet seiner Kodifizierung im materiellen Strafrecht, eine Prozessvoraussetzung und somit eine Regelung des formellen Rechts zu se­ hen.7 1  Zipf/Laue,

in: Maurach/Zipf/Gössel, AT, § 75 Rdnr. 4. Strafprozessrecht Rdnr. 17. 3  Jescheck/Weigend, AT S. 907; Bosch, Jura 2013, 368; Rosenau, in: S/S/W-StGB, § 77 Rdnr. 1. 4  Gelegentlich treffen die jeweiligen Antragsdelikte Regelungen, bei denen neben dem Verletzten auch andere Strafantragsberechtigte existieren, bspw. § 301 II StGB. 5  Ähnlich wie die Strafantragsdelikte werden die so genannten Ermächtigungs­ delikte gehandhabt, bei denen eine Strafverfolgung nur mit Ermächtigung des Be­ rechtigten stattfindet. 6  Die Berechtigung des Strafantrages und dessen Rechtsnatur sind seit jeher Ge­ genstand wissenschaftlicher Diskussionen. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang insb. auf Brähmer, Wesen und Funktion des Strafantrages, 1984; Lichtner, Die his­ torische Begründung des Strafantragsrechts und seine Berechtigung heute, 1981; ­M.-K. Meyer, Zur Rechtsnatur und Funktion des Strafantrags 1984. 7  Die Rechtsprechung sieht den Strafantrag von Beginn an als Institut des formel­ len Rechts, siehe dazu die umfangreichen Rechtsprechungsnachweise bei Schmid, in: LK-StGB, 12. Aufl., Vor § 77 ff. Fn. 12. Auch der Gesetzgeber hegt keine Zweifel an 2  Beulke/Swoboda,

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1. Kap.: Einleitende Ausführungen

Innerhalb der Antragsdelikte gibt es streng genommen drei Gruppen. Zu­ nächst solche, bei denen der Strafantrag zwingende Voraussetzung für die Verfolgbarkeit der Tat ist.8 Eine zweite Gruppe existiert in der Form, in der die Verfolgung grundsätzlich nur auf Antrag stattfindet, sofern bestimmte weitere Umstände vorliegen. Hierzu zählen zum Beispiel §§ 292 I und 293 StGB, die gemäß § 294 StGB nur dann auf Antrag verfolgt werden, wenn die Tat von einem Angehörigen oder an einem Ort begangen worden ist, an dem der Täter die Jagd oder die Fischerei in beschränktem Umfang ausüben durf­ te.9 Eine Sonderposition nehmen die Antragsdelikte der dritten Gruppe – die relativen Antragsdelikte10 – ein. Kennzeichnend hierfür ist, dass auch diese Taten grundsätzlich nur auf Antrag verfolgt werden. Eine Ausnahme besteht, wenn „die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Inte­ resses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält“. Sie enthalten also zwei alternative Strafverfolgungsvoraussetzungen.11 Sieht man sich die Entwicklung des Strafgesetzbuchs der letzten Jahre und Jahrzehnte an, fällt auf, dass diese Formulierung immer häufiger Einzug in das deutsche Strafrecht hält. Diese dritte Gruppe von Antragsdelikten ist vielschichtig problembehaftet und im wissenschaftlichen Diskurs hinsichtlich ihrer Daseinsberechtigung umstritten.12 Das größte Problem besteht hierbei im zweiten Halbsatz des relativen Antragsdelikts. Während es zum Strafantrag gesetzliche Vorgaben der prozessrechtlichen Natur des Strafantrags. Bei den Arbeiten zu einem Entwurf des Strafgesetzbuchs 1962 legte er seinem Entwurf ohne weitere Auseinandersetzung die prozessrechtliche Natur zugrunde, E-StGB 1962 S. 252. 8  Sogenannte absolute Antragsdelikte; im StGB sind das § 123, § 145a, §§ 185 ff., § 201 I, II, § 202, § 203, § 204, §§ 242, 246, 259, 263, 263a, 265a, 266 je i. V. m. § 247, § 248b, § 248c III, IV, § 288, § 289, § 355 StGB. 9  So auch bei § 257 IV 1, § 323a III StGB. 10  Umstritten, aber nicht von Bedeutung, ist die Bezeichnung dieser Deliktskatego­ rie. Im Schrifttum finden sich verschiedene Bezeichnungen, wie etwa „eingeschränkte Antragsdelikte“, so Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, 2001, „bedingte Antrags­ delikte“, so Mitsch, in: MüKo-StGB, Vor § 77 Rdnr. 2; „eingeschränkte Offizial­ delikte“, so Bosch, Jura 2013, 368, 370; „unechte Antragsdelikte“, so Zielinski, in: GS-Kaufmann, 875, 885; „relative Offizialdelikte“, so Wolter, in: SK-StGB, Vor § 77 Rdnr. 1. Die wie hier favorisierte Bezeichnung als relatives Antragsdelikt findet sich bspw. bei Reinbacher, in: Leitner/Rosenau, § 51 DesignG Rdnr. 33; Brähmer, Wesen und Funktion, S. 143; Geerds, JZ 1984, 786, 788 und Dannecker, in: NK-StGB, § 299 Rdnr. 146. 11  Zöller, in: Anwalt-Kommentar StGB, § 230 Rdnr. 1. 12  Es gibt sowohl gänzliche Ablehnung dieser Konstruktion, bspw. Brähmer, We­ sen und Funktion des Strafantrages, S. 176, 178; Geerds, JZ 1984, 786, 788, als auch Forderungen, diese Konstruktion verstärkt zu nutzen, indem eine Regelung für das besondere öffentliche Interesse im Allgemeinen Teil des StGB getroffen wird, so Rieß, Gutachten C 70 Rdnr. 98.



§ 1 Einleitung und Schwerpunkte der Dissertation31

sowie reichlich Literatur und Rechtsprechung gibt, fehlt es bei der Möglich­ keit amtlichen Einschreitens bereits an gesetzlich normierten Vorgaben. Am 2. April 1940 wurde die „Verordnung zur Änderung der Strafvor­ schriften über fahrlässige Tötung, Körperverletzung und Flucht bei Verkehrs­ unfällen“ erlassen.13 Durch diese fand die Passage „es sei denn, dass sie Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten erachtet“14 Einzug in das deutsche Strafrecht. Diese Vorschrift ist der Beginn des relati­ ven Antragsdeliktes im deutschen Strafrecht in der Gestalt, wie es auch heute vielfach existiert. Mit diesem zweiten Halbsatz, insbesondere mit dem „besonderen öffent­ lichen Interesse an der Strafverfolgung“, beschäftigt sich die vorliegende Untersuchung.

B. Schwerpunkte und Gang der Untersuchung I. Eingrenzung Der Untersuchung liegt die Regelung der relativen Antragsdelikte de lege lata zugrunde. Hierbei soll es allein um das Verständnis der derzeitigen Rechtslage gehen. Ausgespart werden jedoch nicht die kritische Stellung­ nahme zur gesetzlichen Regelung mit dem Vorschlag, de lege ferenda, eine andere gesetzliche Formulierung zu wählen. Eine Bewertung der relativen Antragsdelikte hinsichtlich ihrer Existenzberechtigung erfolgt nicht. Darüber hinaus erfolgt keine kriminalpolitische Analyse, welche Delikte – unerheb­ lich ob de lege lata oder ferenda – als relative Antragsdelikte ausgestaltet sein sollten. Diese Frage ist in erster Linie vom Gesetzgeber zu beantworten. Ihm ist es zu überlassen, ob und welche Straftatbestände nicht als Offizial­ delikte zu klassifizieren sind. II. Zum Aufbau der Untersuchung Die Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel. Innerhalb dieses einleitenden Ka­ pitels wird die Konstruktion des relativen Antragsdelikts vorgestellt, ihre 13  Siehe dazu auch H. Fischer, Die Erklärung des öffentlichen Interesses durch die Staatsanwaltschaft nach § 232 Abs. 1 StGB und §§ 376, 377 StPO, 1967. 14  Eine sprachliche Änderung dieser Passage hat durch das Inkrafttreten des EGStGB stattgefunden: Aus „erachtet“ wurde „hält“. Eine Begründung für die sprachliche Umgestaltung gibt BT-Drs. 7/550 nicht.

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1. Kap.: Einleitende Ausführungen

historische Entwicklung aufgezeigt und die einzelnen relativen Antragsde­ likte im heutigen Strafrecht benannt. Das zweite Kapitel dient der Darstellung der Rechtspraxis im Umgang mit dem besonderen öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung. Hierbei geht es vornehmlich darum, was die Staatsanwaltschaft, an die sich die Formulie­ rung der relativen Antragsdelikte richtet, bei der Rechtsanwendung zu beach­ ten hat. Es schließt sich eine Erarbeitung der Kritikpunkte an, die seitens des Schrifttums an der Rechtspraxis geäußert werden. Ein erster Schwerpunkt wird – im dritten Kapitel – in der Darstellung und Würdigung der Aspekte gesetzt, die zusammengefasst als allgemeiner Teil des besonderen öffentlichen Interesses angesehen werden kann. Darunter fallen all jene Elemente, die nicht der inhaltlichen Auslegung des Begriffs zugehörig sind. Wissenschaftlich sind schon mehrfach Fragen nach der Rechtsnatur des besonderen öffentlichen Interesses und dessen gerichtlicher Überprüfbarkeit untersucht worden15 sowie die formellen Aspekte16 der Strafverfolgung von Amts wegen bei relativen Antragsdelikten. Ein erneutes Eingehen auf diese Umstände ist notwendig, um ein rundes Gesamtbild des Themas „besonderes öffentliches Interesse“ zu liefern. Weiterhin werden die gefundenen Ergebnisse der zitierten Quellen nicht immer für zutreffend er­ achtet. Zudem soll mit der Untersuchung des allgemeinen Teils das Funda­ ment für die Notwendigkeit der Befassung mit der inhaltlichen Auslegung geschaffen werden. Nur dann, wenn es tatsächlich auf ein besonderes öffent­ liches Interesse ankommt, ist eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Begriffs erforderlich. Begonnen wird mit der Erörterung der umstrittenen Frage, worin innerhalb der amtlichen Verfolgungsvariante die Prozessvoraus­ setzung zu sehen ist. Anschließend wird die Rechtsnatur des Begriffs des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung thematisiert. Diese Frage bildet den Ausgangspunkt für die sachgerechte Beantwortung der Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit des besonderen öffentlichen Interes­ ses. In diesem Zusammenhang soll auch darauf eingegangen werden, wie sich Fehler seitens der Strafverfolgungsbehörden und der Gerichte auswir­ ken. So stellt sich die Frage, welche Konsequenzen es hat, wenn ein beson­ deres öffentliches Interesse zu Unrecht angenommen oder zu Unrecht als nicht gegeben angesehen wird. Daraufhin wird aufgezeigt, welche Auswir­ kungen die bis dahin gefundenen Ergebnisse auf das Erfordernis der staats­ 15  H. Vogel, Das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung und seine prozessuale Bedeutung, 1966; Kalsbach, Die gerichtliche Nachprüfung von Maßnahmen der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren, 1967; Winnen, eingeschränkte Antragsdelikte, 2000. 16  Speziell zur „Erklärung“ siehe H. Fischer, Die Erklärung des öffentlichen Inte­ resses durch die Staatsanwaltschaft nach § 232 Abs. 1 StGB und §§ 376, 377 StPO, 1967.



§ 1 Einleitung und Schwerpunkte der Dissertation33

anwaltschaftlichen Erklärung haben. Weiterhin wird der Frage nachgegangen, welche Reichweite das besondere öffentliche Interesse hat. Relevant ist die Frage vor allem dann, wenn innerhalb einer prozessualen Tat mehrere rela­ tive Antragsdelikte begangen werden. Hierbei muss gefragt werden: Bedarf es einer Feststellung des besonderen öffentlichen Interesses für jedes einzelne Delikt? Oder kann mit einer Erklärung für sämtliche auftretende Delikte festgestellt werden, dass an der Verfolgung der Tat ein besonderes öffentli­ ches Interesse besteht? Was bisher fast gänzlich fehlt, ist eine aktuelle und umfassende wissen­ schaftliche Untersuchung der materiellen Auslegung des „besonderen öffent­ lichen Interesses an der Strafverfolgung“.17 Dieser Themenkomplex wird das Kernstück der Abhandlung darstellen und das vierte Kapitel ausmachen. Als aktueller Forschungsstand lässt sich festhalten, dass sich die Wissenschaft nur vereinzelt mit dem materiellen Bedeutungsgehalt befasst. H. Fischer un­ ternahm als erster den Versuch, das besondere öffentliche Interesse einer Definition zuzuführen. In seiner Dissertation aus dem Jahre 1967 führt er aus: Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung im Sinne des § 232 I StGB ist also gleichzusetzen dem Verlangen der Allgemeinheit oder unbestimmter Gruppen von Personen oder von Einzelpersonen, wenn deren Gefährdung oder Verletzung auf die Allgemeinheit ausstrahlt, nach Aufrechterhaltung der durch die Rechtsordnung garantierten Rechte und nach Verfolgung von Übergriffen auf die geschützte Rechtssphäre, ein Verlangen, das nach objektiven Maßstäben gemessen an den Bedürfnissen, Zwecken und Zielen staatlichen Strafens im Vergleich mit den Individualinteressen des Verletzten als vordringlich und bedeutungsvoll er­ scheint.18

Weitere Definitionsversuche hat es in der Folgezeit nicht gegeben. Etwas ausführlicher hat sich zunächst H. Vogel mit dieser Thematik befasst.19 An­ fang der 1970er Jahre hat sich auch Homann mit dem besonderen öffentli­ chen Interesse beschäftigt, indem er versuchte, den Begriff des öffentlichen Interesses, losgelöst von Einzelbeispielen, anhand eines generellen Maßstabs auszulegen.20 Beachtet werden muss, dass zu der Zeit als H. Fischer diese Definition erstellt hat und Homann sowie H. Vogel ihre Arbeiten verfasst 17  H. Fischer und H. Vogel widmen sich in ihren Dissertationen dieser Thematik. Da diese Monographien aber aus den 1960er Jahren stammen und die damals einzig dazu existierende Norm § 232 StGB a. F. war, ist zu untersuchen, inwiefern sich dies­ bezüglich, durch die Erweiterung der Anzahl der relativen Antragsdelikte, Änderun­ gen ergeben haben. 18  H. Fischer, Die Erklärung, S. 39. 19  H. Vogel, Das öffentliche Interesse, 1966. 20  Homann, Der Begriff des „öffentlichen Interesses“ in den §§ 376, 153 StPO und 232 StGB, 1971.

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1. Kap.: Einleitende Ausführungen

haben, mit § 232 StGB a. F. lediglich ein einziges relatives Antragsdelikt existierte. Die heute herrschende Meinung geht davon aus, dass eine starre Definition des besonderen öffentlichen Interesses nicht möglich ist. Das wird zwar nicht explizit so ausgeführt, folgt aber aus der allgemeinen Auffassung, der zufolge es Umstände gibt, die für das Vorliegen eines besonderen öffent­ lichen Interesses sprechen und solche, die dagegensprechen. Von der Un­ möglichkeit einer starren Definition wird in dieser Untersuchung ausgegan­ gen. Zentrales Anliegen des vierten Kapitels ist es, eine Methode zu entwi­ ckeln, anhand derer festgestellt werden kann, ob an der Verfolgung einer konkreten Tat ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Für einen Teil der relativen Antragsdelikte finden sich in den RiStBV21 Hinweise dafür, wann ein besonderes öffentliches Interesse anzunehmen ist. Bei den RiStBV handelt es sich um verwaltungsinterne Vorschriften, die Bindungswirkung für die Staatsanwaltschaft entfalten, denen aber keine Ge­ setzeskraft zukommt.22 Bei allen anderen relativen Antragsdelikten fehlen jegliche Anhaltspunkte für die Handhabung des besonderen öffentlichen Interesses. Zumeist geben zwar die Gesetzesbegründungen einige Hinweise, jedoch nicht immer.23 So­ weit ersichtlich gibt es zudem keine Gerichtsentscheidung, die sich mit den inhaltlichen Kriterien auseinandersetzt.24 Es bleibt daher zumeist nur der Rückgriff auf (Kommentar-)Literatur. Innerhalb dieser kommt es in aller Regel nur zu Auflistungen einzelner Aspekte, die zum Vorliegen eines beson­ deren öffentlichen Interesses führen sollen. Hierbei werden keine weiterge­ henden Überlegungen angestellt, weswegen gerade diese Umstände ein sol­ ches begründen sollen. Es mangelt an einem Auslegungsfundament. Es wird erörtert, wonach sich nach derzeitigem Meinungsstand bemisst, ob ein besonderes öffentliches Interesse vorliegt. In begrifflicher Hinsicht wird nach h. M. eine Abgrenzung zum „öffentlichen Interesse“, wie es in den §§ 153, 153a, 376 StPO vorkommt, vorgenommen und eine graduelle Abstu­ fung vertreten. Dieses Verständnis wird überprüft und im Ergebnis als unzu­ treffend verworfen. 21  Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren; am 1.1.1977 tra­ ten sie bundeseinheitlich in Kraft. 22  Graf, in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, RiStBV Einf. Rdnr. 3. 23  Für die jüngst eingefügte Vorschrift des § 184i StGB enthalten die Gesetzesma­ terialen keinen Auslegungsansatz für das besondere öffentliche Interesse, BT-Drs. 18/9097 S.  30 f. 24  Auch das Urteil des LG München I StV 1990, 400 kann nicht dazu zählen, da lediglich die Kriterien der RiStBV angewendet werden. Dass die Rechtsprechung dazu keine Informationen liefert, liegt an der derzeit gängigen Handhabung des be­ sonderen öffentlichen Interesses als gerichtlich nicht nachprüfbare Ermessensent­ scheidung der Staatsanwaltschaft.



§ 1 Einleitung und Schwerpunkte der Dissertation35

Im Anschluss daran erfolgt die Ausarbeitung eines eigenen Ansatzes zur Auslegung des Begriffs „besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfol­ gung“. Die anfangs vorzunehmende Wortlautauslegung ist wenig ergiebig. Den ersten wichtigen Anhaltspunkt bildet dabei lediglich der Bezugspunkt „an der Strafverfolgung“, aus dem sich ergibt, dass außerstrafrechtliche Um­ stände nicht zur Begründung eines besonderen öffentlichen Interesses heran­ zuziehen sind. Ausgearbeitet wird ferner der eigenständige Anwendungsbereich der rela­ tiven Antragsdelikte. Die Abgrenzung zu Offizialdelikten verdeutlicht, wel­ che Umstände dem Gesetzgeber als so gravierend erscheinen, dass es zur Zulässigkeit der Verfolgung keiner weiteren Voraussetzungen bedarf. Das Strafantragserfordernis wird der maßgebliche Anknüpfungspunkt zur Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses sein. Die Hürde des feh­ lenden Strafantrags gilt es zu überwinden, demnach muss sich – nach hier vertretener Auffassung – der Begriff auch an diesem Erfordernis orientieren. In Auseinandersetzung mit den einzelnen Parametern, insbesondere der Sachgründe des Strafantrags, wird erarbeitet, wann das Strafantragserforder­ nis überwunden werden kann und eine Strafverfolgung von Amts wegen möglich erscheint. Dabei wird davon ausgegangen, dass das Vorliegen dieser Umstände für sich genommen nicht für das Bestehen des besonderen öffentlichen Interes­ ses ausreicht. Erst die Auseinandersetzung mit dem Willen des Verletzten ermöglicht eine sachgerechte Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen oder Nichtvorliegen des besonderen öffentlichen Interesses. Das fünfte Kapitel wird die praxisrelevante Frage beleuchten, ob und in­ wieweit eine Verfahrenseinstellung nach Maßgabe der §§ 153, 153a StPO in Betracht kommt, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafver­ folgung besteht. III. Methodisches Vorgehen In methodischer Hinsicht folgt die Arbeit insbesondere den üblichen Aus­ legungsmethoden. Im Rahmen des Allgemeinen Teils wird ein wesentlicher Baustein sein zu ergründen, wie sich die amtsseitige Verfolgungsvariante charakterisieren lässt und ob eine gerichtliche Kontrolle stattzufinden hat. Das Schrifttum und die Rechtsprechung argumentieren in dieser Hinsicht häufig unter Heranziehung verwaltungsrechtlicher Rechtsinstitute. Das macht es erforderlich, den Begriff auch unter dem Blickwinkel verwaltungsrecht­ licher Dogmatik zu beleuchten.

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1. Kap.: Einleitende Ausführungen

Im Besonderen Teil erfolgt insbesondere ein Vorgehen anhand gesetzessys­ tematischer Argumentation. Gesetzesübergreifend, wobei es maßgeblich auf das StGB und die StPO ankommt, werden Argumentationsmuster angewen­ det, um zu einer sauberen, mit dem Gesetz vereinbaren Lösung zu gelangen.

C. Die zu untersuchenden Fragen Basierend auf den Schwerpunkten ergeben sich folgende Fragen, die mit der vorliegenden Untersuchung beantwortet werden sollen. I. Bedarf es überhaupt einer Beschäftigung mit den inhaltlichen Kriterien des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung? Diese im Allgemeinen Teil angesiedelte Fragstellung wird dann bejahend zu beantworten sein, wenn sich herausstellt, dass es für die Legitimation der amtlichen Strafverfolgung eines tatsächlich bestehenden besonderen öffent­ lichen Interesses an der Strafverfolgung bedarf. Hierzu müssen die Parameter untersucht werden, die mit dieser Frage in Zusammenhang stehen. Das sind die Aspekte der Funktion des besonderen öffentlichen Interesses, seiner Rechtsnatur sowie der gerichtlichen Überprüfbarkeit. II. Ist der herrschende methodische Ansatz geeignet, den Begriff des besonderen öffentlichen Interesses auszulegen? In diesem Abschnitt wird untersucht, ob sich das besondere öffentliche Interesse als ein gegenüber dem Begriff des öffentlichen Interesses gesteiger­ ter Rechtsbegriff verstehen lässt, wie es die herrschende Meinung annimmt. III. Wie wird ermittelt, ob ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht? Die Beantwortung dieser Frage stellt das Herzstück des eigenen Ansatzes zur Begriffsauslegung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafver­ folgung dar. Fraglich ist, wie im konkreten Fall ermittelt wird, ob an der Verfolgung einer Tat ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Vorge­ schlagen wird, in jedem Fall eine Abwägung vorzunehmen, wobei zum einen die einer Strafverfolgung entgegenstehenden Belange des Verletzten und zum anderen die tauglichen Umstände der Strafverfolgung zueinander ins Verhält­ nis gesetzt werden.



§ 2 Das relative Antragsdelikt 37

IV. In welchem Verhältnis steht das relative Antragsdelikt zur Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen? Zum Abschluss der Untersuchung wird die Frage aufgeworfen und erör­ tert, wie es sich auf die Verfahrenseinstellung nach §§ 153, 153a StPO aus­ wirkt, dass ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung be­ steht.

§ 2 Das relative Antragsdelikt Bevor die Auseinandersetzung mit dem besonderen öffentlichen Interesse beginnt, soll im Folgenden zunächst dargestellt werden, mit welchen Delik­ ten im Rahmen der vorliegenden Untersuchung gearbeitet wird. Das sind die relativen Antragsdelikte. Um im Bereich der Kapitel des Allgemeinen und Besonderen Teils des besonderen öffentlichen Interesses stets zu wissen, welcher Bezug zum materiellen Strafrecht besteht, geht es hier um die Dar­ stellung des relativen Antragsdelikts als Regelungskonstrukt. Aufgezeigt wird die Systematik, woran sich ein geschichtlicher Teil anschließt, in dem kurz25 erläutert wird, wie es dazu gekommen ist, die Überwindung des Straf­ antragserfordernisses dergestalt zu regeln, wie es der Gesetzgeber getan hat. Hieran schließt sich ein Überblick über diejenigen Straftaten des materiellen Strafrechts an, bei denen das besondere öffentliche Interesse eine Rolle spie­ len kann.

A. Die Systematik des relativen Antragsdelikts Der weit überwiegende Teil der Strafvorschriften sind Offizialdelikte. Ihre Verfolgung erfolgt von Amts wegen. Im Gegensatz dazu stehen die absoluten Antragsdelikte. Bei ihnen ist ein wirksamer Strafantrag des Strafantragsbe­ rechtigten unersetzbare Voraussetzung der Strafverfolgung. Es obliegt ihm zu entscheiden, ob er durch das Stellen des Antrags die Strafverfolgung ermög­ lichen möchte oder nicht. Er ist lediglich an die §§ 77–77d StGB, § 158 StPO gebunden.26 Wenn das „besondere öffentliche Interesse an der Strafver­ 25  Die historischen Umstände bilden keinen Schwerpunkt der Darstellung. Hin­ sichtlich dieser Frage sei insbesondere auf Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, S.  20 ff. verwiesen. 26  Umstritten ist hierbei, ob das Strafantragsrecht missbraucht werden kann und – sofern man dies anerkennt – welche Konsequenzen daraus zu ziehen wären. Nach zutreffender Auffassung findet eine Missbrauchskontrolle nicht statt, um die freie Entscheidungsbefugnis des Strafantragsberechtigten nicht zu unterlaufen, siehe dazu Wolter, in: SK-StGB, § 77 Rdnr. 20a. Für eine Missbrauchsmöglichkeit bspw. Naucke, in: FS-Mayer, 565.

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1. Kap.: Einleitende Ausführungen

folgung“ nur im Rahmen der relativen Antragsdelikte auftaucht, muss zu­ nächst verdeutlicht werden, was das relative Antragsdelikt überhaupt kenn­ zeichnet. „Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfol­ gungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafver­ folgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.“ Weitergehende gesetzliche Normierungen bestehen nicht. Bei ihnen han­ delt es sich daher um Straftaten, die in zweifacher Weise einer Strafverfol­ gung zugänglich sind; entweder aufgrund eines gestellten Strafantrages oder wenn die Strafverfolgungsbehörde ein Einschreiten wegen des besonderen öffentlichen Interesses für geboten hält. Liegen beide Voraussetzungen nicht vor, kann die Tat – obwohl Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld und ggf. sonstige Voraussetzungen der Strafbarkeit vorliegen – überhaupt nicht straf­ rechtlich verfolgt werden. Daraus folgt, dass die relativen Antragsdelikte in ihrer Regelung zwei verschiedene Prozessvoraussetzungen enthalten. Wäh­ rend beim Strafantrag heute dessen Charakter als Prozessvoraussetzung kaum noch in Zweifel gestellt wird, existiert seit jeher Streit darüber, worin inner­ halb der amtsseitigen Strafverfolgungsvariante die Verfahrensvoraussetzung zu erblicken ist. Das relative Antragsdelikt nimmt – wie in der Einleitung erwähnt – eine Sonderstellung im Strafrecht ein. Die amtliche Verfolgungsmöglichkeit im zweiten Halbsatz der betreffenden Normen wird charakterisiert als „Sonder­ vorschrift eigenen Art“.27 Das staatliche Verfolgungsinteresse ist bei den relativen Antragsdelikten höher als bei absoluten Antragsdelikten, da der ­ Strafantrag nicht absolut zwingend für die Strafverfolgung ist. Auf der ande­ ren Seite ist das staatliche Verfolgungsinteresse geringer als bei originären Offizialdelikten, da nicht in jedem Fall von Amts wegen eingeschritten wer­ den darf. Das relative Antragsdelikt als Konstruktion beinhaltet daher keine mate­ riell-rechtlichen Besonderheiten, sondern stellt lediglich ein prozessrecht­ liches Konstrukt dar. Das besondere öffentliche Interesse als Verfahrensrege­ lung ist unabhängig von der Beurteilung der Strafbarkeit. Im deutschsprachigen Raum ist das relative Antragsdelikt in dieser Form ein Unikum. Die Strafgesetzbücher Österreichs und der Schweiz kennen diese Konstruktion nicht. Im Strafgesetzbuch der Schweiz bspw. existiert im Bereich der Körperverletzungen ebenfalls ein abgestuftes Konzept hinsicht­ lich der Notwendigkeit der Strafverfolgung. Allerdings wird die Verfolgung abseits des Strafantrags nicht durch einen ausfüllungsbedürftigen Begriff wie 27  So das KG VRS 18, 352, 353 und das OLG Celle GA 1961, 214, 215 jeweils für § 232 StGB a. F.



§ 2 Das relative Antragsdelikt 39

den des besonderen öffentlichen Interesses ermöglicht, sondern anhand kon­ kreter Umstände.28 Lediglich in der DDR hat es vergleichbare Delikte gege­ ben. Dort war in § 2 StGB-DDR ebenfalls das grundsätzliche Antragserfor­ dernis zur Verfolgung bestimmter Taten normiert. Allerdings war auch in diesen Fällen der Strafantrag entbehrlich, wenn an der Verfolgung ein öffent­ liches Interesse bestanden hat.

B. Das „besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung“ I. Die Entstehung der Norm Das Reichsstrafgesetzbuch in seiner Fassung vom 15.5.1871 hat den Pas­ sus „besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung“ nicht ge­ kannt.29 Erstmals Einzug hat die hier zu untersuchende Textpassage im Jahre 1940 gehalten, als § 232 StGB a. F. durch Art. I Ziffer 3 der „Verordnung zur Än­ derung der Strafvorschriften über fahrlässige Tötung, Körperverletzung und Flucht bei Verkehrsunfällen“30 neugefasst wurde. 1. Die Vorgängerregelung

Bis zu diesem Zeitpunkt hat § 232 I StGB folgenden Wortlaut gehabt: Die Verfolgung leichter vorsätzlicher, sowie aller durch Fahrlässigkeit verursachter Körperverletzungen (§§ 223, 230) tritt nur auf Antrag ein, insofern nicht die Kör­ perverletzung mit Übertretung einer Amts-, Berufs- oder Gewerbspflicht begangen worden ist.

28  So wird die einfache Körperverletzung gemäß Art. 123 I 1 StGB-Schweiz nur auf Antrag verfolgt. Wann eine Strafverfolgung von Amts wegen stattfindet, ist in Art. 123 II StGB-Schweiz geregelt. Für die fahrlässige Körperverletzung wird eine strafantragsunabhängige Strafverfolgung angeordnet, wenn eine schwere Schädigung vorliegt, Art. 125 II StGB-Schweiz. Es gibt also nur die Möglichkeiten Antragsdelikt oder Offizialdelikt. 29  Auch die früheren Partikular-Strafgesetzbücher, denen relative Antragsdelikte nicht fremd waren, nutzten die Formulierung des besonderen öffentlichen Interesses nicht, um vom Erfordernis des Strafantrages abzusehen. Beispielhaft sei hier Art. 300 des StGB für das Königreich Württemberg von 1839 genannt, wonach von Amts we­ gen zu verfahren war, wenn die Tat unter Umständen begangen wurde, die ein öffent­ liches Ärgernis erregten. Das öffentliche Ärgernis als Voraussetzung der amtlichen Verfolgung fand sich in mehreren Vorschriften, so bspw. in § 361 StGB Baden oder schon in Art. 1060 APR. Zur historischen Entwicklung der relativen Antragsdelikte siehe auch Winnen, S.  20 ff. 30  Verordnung vom 2.4.1940, RGBl. I, S. 606.

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1. Kap.: Einleitende Ausführungen

Eine Ausnahme vom grundsätzlichen Erfordernis eines Strafantrags hat also schon zuvor bestanden. Notwendig zur Zulässigkeit einer strafantrags­ unabhängigen Strafverfolgung ist die Übertretung einer Amts-, Berufs- oder Gewerbspflicht gewesen. Eine Übertretung einer solchen Pflicht hat nach § 222 II StGB a. F. vorgelegen, wenn der Täter die Aufmerksamkeit, zu wel­ cher er, vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders verpflich­ tet war, nicht beachtet hat.31 Der Norm lag der Gedanke zugrunde, dass denjenigen, die sich anderen wegen deren beruflicher Tätigkeit anvertrauen, erhöhter Schutz vor den hieraus resultierenden Gefahren zukommen müs­ se.32 Die bis zur Reform geltende Fassung wurde in Anbetracht der zunehmen­ den Motorisierung des Straßenverkehrs aus mehreren Gründen für unzurei­ chend erachtet. Damit einhergehend hat das Anwendungsfeld der fahrlässigen Tötungen und Körperverletzungen in einem weit überwiegenden Anteil Taten im Straßenverkehr betroffen.33 Welche Gründe genau dafür gesorgt haben, dass eine Reform der Strafverfolgungsvoraussetzung für erforderlich gehal­ ten wurde, soll im Folgenden erörtert werden. 2. Probleme der bis zur VO geltenden gesetzlichen Normierung

a) Der Streit um den Begriff des „Berufsfahrers“ Eine mögliche Voraussetzung für die strafantragsunabhängige Strafverfol­ gung der leichten vorsätzlichen sowie der fahrlässigen Körperverletzung ist die Übertretung einer Berufspflicht gewesen.34 Einer der wesentlichen Anlasspunkte für die Reform des Antragserforder­ nisses ist der Streit um die Frage gewesen, was unter dem Begriff des „Berufsfahrers“35 bzw. „Berufskraftfahrers“ zu verstehen gewesen ist.36 Die Parteien des Streits sind damals nicht – wie heute zumeist – die Rechtspre­ chung und das Schrifttum gewesen. Gegenübergestanden haben sich stattdes­ sen das Reichsgericht auf der einen Seite und die Literatur sowie die unteren 31  Ebermayer, in: LK-StGB, (4. Aufl.) § 222 Anm. 10. Die in § 232 StGB genannte Übertretung war gleichbedeutend mit der Formulierung in § 222 StGB, Ebermayer, in: LK-StGB (4. Aufl.), § 232 Anm. 2; Schwarze, Commentar, § 232 S. 577. 32  OLG Hamm JW 1930, 2081; Rietzsch, DJ 1940, 532, 533; F/G/K/R, Bd. I S. 325. 33  Schneble, DJ 1939, 85. 34  Die Verletzung einer Amts- oder Gewerbspflicht sorgte zwar ebenso dafür, dass das Antragserfordernis entfiel. Sie waren aber in der Rechtspraxis von geringer Be­ deutung. 35  Vgl. hierzu auch Winnen, S.  30 ff.; Riebow, DJ 1939, 88. 36  Siehe dazu die amtliche Begründung zu dieser Verordnung, DJ 1940, 508.



§ 2 Das relative Antragsdelikt 41

Gerichte auf der anderen Seite.37 § 232 StGB a. F. hat eine Sonderbehandlung des Berufsfahrers in zweifacher Hinsicht vorgesehen. Zum einen bedurfte es zu seiner Strafverfolgung keines Strafantrages und zum anderen erwartete den Täter die erhöhte Strafandrohung des § 230 II StGB.38 Die Unterschei­ dung zwischen einfacher Fahrlässigkeit und solcher unter Berufspflichtver­ letzung hat zu einer „grotesken Entwicklung“ des Begriffs „Berufsfahrer“ geführt.39 aa) Die extensive Auslegung des Begriffs „Berufsfahrer“ durch das Reichsgericht Das Reichsgericht hat in ständiger Rechtsprechung eine weite Auslegung des Begriffes vertreten, welche mit voranschreitender Zeit immer weiter aus­ gedehnt wurde. Voraussetzung der Anwendung der strafschärfenden Norm des § 230 II StGB ist nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts lediglich eine Tätigkeit gewesen, für die der Täter durch sein Amt, sein Gewerbe oder seinen Beruf eine bessere Einsicht und Sachkunde erlangt hat als andere.40 Die Pflicht zur erhöhten Aufmerksamkeit hat sich nach Auffassung des Reichsgerichts be­ reits daraus ergeben, dass das Gewerbe betrieben bzw. der Beruf ausgeübt wurde.41 Es hat für die Anwendung der amtlichen Verfolgung nicht verlangt, dass die konkrete Handlung gerade in dem jeweils vorliegenden Fall eine Berufs- oder Gewerbshandlung gewesen ist.42 Ebenso hat der Begriff des Gewerbes einer weiten Auslegung unterlegen, indem das Reichsgericht zum Gewerbe neben den begrifflich erforderlichen Handlungen auch Hilfs- und Nebenverrichtungen gezählt hat, die den Betrieb (un-)mittelbar gefördert haben.43 Das Reichsgericht ist sogar so weit gegangen, auch beim „Luxusfahrer“ die Pflicht zur besonderen Aufmerksamkeit anzunehmen. Es hat diese An­ nahme damit begründet, dass die Pflicht zur erhöhten Aufmerksamkeit den

hierzu Schneble, DJ 1939, 85. Die Erklärung, S. 2. Während im Anwendungsfeld des § 230 StGB a. F. der Strafrahmen Geldstrafe bis 900 Mark oder Gefängnis bis zu 2 Jahren vorsah, ordnete § 230 II StGB a. F. an, dass die Strafe auf 3 Jahre Gefängnis erhöht werden konnte. 39  So F/G/K/R, Bd. I S. 325. 40  RGSt 59, 269, 270; RGSt 64, 430 f. 41  RGSt 64, 430. 42  RGSt 59, 269, 270. 43  RGSt 34, 65, 66. 37  Siehe

38  H. Fischer,

42

1. Kap.: Einleitende Ausführungen

Luxusfahrer nicht weniger treffe als den gewerblichen Fahrer.44 Weiterhin hat das Reichsgericht mit dem gesunden Volksempfinden argumentiert. Es sei nicht nachvollziehbar, weswegen derjenige, der für seinen Broterwerb mit dem Fahrzeug unterwegs sei, schwerere Strafvorschriften zu beachten habe als derjenige, der das Fahrzeug nur zu seinem außerberuflichen Vergnügen bediene.45 Damit ist der Weg frei gewesen, in nahezu allen Fällen unabhän­ gig vom Vorliegen eines Strafantrages einzuschreiten.46 bb) Widerstand durch Rechtslehre und die unteren Gerichte Demgegenüber hat der Begriff des Berufsfahrers von den unteren Gerich­ ten und dem Schrifttum eine engere Auslegung erfahren. Verlangt wurde ih­ rerseits in Anbetracht des Wortlautes der Norm – der für sich genommen keine eindeutige Klärung der Streitfrage zugelassen hat47 – ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der jeweiligen Amts-, Berufs- oder Gewerbspflicht und der besonderen Sorgfaltspflicht.48 Die Anzahl der Gerichte, die sich ge­ gen die Rechtsprechung des Reichsgerichts gestellt haben, war beachtlich. Nicht nur Amts49- und Landgerichte50, sondern auch Oberlandesgerichte51 haben sich geweigert, der extensiven Auslegung des Reichsgerichts beizu­ pflichten. Das OLG Hamm hat den Anwendungsbereich dergestalt eingeschränkt, dass die „besondere“52 Aufmerksamkeit nicht bei jeder Tätigkeit, die irgend­ wie mit der Berufsausübung zu tun gehabt hat, zur Entstehung gelangen ­solle.53 Bei Nebenverrichtungen, die mit der Spezifikation des betreffenden Berufs nicht in Zusammenhang stehen, treffe der Zweck der Norm, vor den daraus folgenden Gefahren zu schützen, nicht zu. Maßgeblich sei vielmehr die Zugehörigkeit der betreffenden Tätigkeit zum Amt, Gewerbe oder Beruf.54 44  RG

JW 1939, 280. JW 1939, 549. 46  F/G/K/R, Bd. I S. 326; siehe auch Riebow, DJ 1939, 87, 88 mit weiteren Bei­ spielen, die nach der Argumentation des Reichsgerichts unter den Begriff des Berufs­ fahrers zu subsumieren wären. 47  Schneble, DJ 1939, 85. 48  Barnstedt, DR 1939, 1414, 1415. 49  AG Alzenau JW 1937, 3021. 50  SchöffG Cottbus JW 1938, 2664; LG Berlin DRechtspfl. 1938, 73; LG Ham­ burg JW 1939, 403. 51  OLG Dresden JW 1928, 422; OLG Hamm JW 1930, 2081; JW 1938, 580; OLG Hamburg JW 1938, 2892; OLG Oldenburg DR 1939, 1066. 52  Hervorhebung im Originalurteil vorkommend. 53  OLG Hamm JW 1930, 2081. 54  OLG Hamm JW 1930, 2081. 45  RG



§ 2 Das relative Antragsdelikt 43

Das OLG Dresden hat sogar mit einer Aussage des Reichsgerichts argumen­ tiert, wonach für die Anwendung des § 230 II StGB a. F. wesentlich sei, dass die Tätigkeit ihrer Art nach in den Kreis der Berufshandlungen fiele.55 Das OLG hat dieses Erfordernis dann nicht als erfüllt angesehen, wenn der Betref­ fende lediglich selten Fahrten unternehme, selbst wenn diese geschäftlicher Natur seien, da nicht ersichtlich sei, weswegen ihm dadurch eine bessere Sachkunde eigen sei als demjenigen, der zu Vergnügungszwecken fahre.56 Daneben wurde im Schrifttum die Entgeltlichkeit der Tätigkeit verlangt, um die strafantragsunabhängige Verfolgung und den höheren Strafrahmen eingreifen zu lassen.57 Der Rechtsprechung des Reichsgerichts ist zudem vorgeworfen worden, durch eine für das Volk unverständliche Gesetzesauslegung dem gesunden Volksempfinden nicht gerecht zu werden.58 In der Literatur wurde darauf hingewiesen, dass als Konsequenz der sehr weiten Auslegung durch das Reichsgericht sogar derjenige als Berufskraftfahrer anzusehen sein müsse, der Wasserflöhe aus Tümpeln holt und diese in einer Zierfischhandlung ver­ kauft.59 Die Folge der unterschiedlichen Auslegung innerhalb der Rechtsprechung ist die Entstehung von Rechtsungleichheit und Rechtsunsicherheit gewesen.60 b) Hinderliches Antragserfordernis Das Erfordernis eines Strafantrages für diejenigen Fälle der (fahrlässigen) Körperverletzung, bei denen die strafschärfenden Umstände nicht hinzuge­ treten sind, hat dem Staat die Möglichkeit genommen, die Strafverfolgung zu betreiben, wenn ein solcher nicht gestellt wurde. Der Verletzte konnte frei entscheiden, wie er verfährt. Diese Entscheidungsfreiheit hat natürlich auch die Möglichkeit unliebsamer Praktiken eröffnet. Dem Staat waren beispiels­ weise in Fällen, in denen dem Verletzten der Strafantrag „abgekauft“ worden ist, die Hände gebunden, da keine Möglichkeit bestanden hat, von Amts wegen einzuschreiten.61 Daran hat auch ein noch so hohes Strafbedürfnis nichts geändert. 55  So

RGSt 59, 259, 260. Dresden JW 1928, 422; JW 1928, 422 ff. Hierbei handelt es sich um zwei verschiedene Urteile zweier unterschiedlicher Strafsenate. 57  Peters, JW 1930, 2081. 58  Barnstedt, DR 1939, 1414, 1415. 59  So und mit weiteren Beispielen Riebow, DJ 1939, 87, 88. 60  Rietzsch, DJ 1940, 532 f.; siehe zur Auseinandersetzung bis 1928 auch Merkel, JW 1928, 422 ff. 61  Rietzsch, DJ 1940, 532, 533, F/G/K/R Bd. I S. 326. 56  OLG

44

1. Kap.: Einleitende Ausführungen

Diesem Hindernis62 ist vom Reichsgericht durch seine Rechtsprechung der extensiven Auslegung des Berufsfahrerbegriffs begegnet und die Strafverfol­ gung so in vielen Fällen ermöglicht worden.63 Begrenzt gewesen ist diese Möglichkeit jedoch weiterhin auf die qualifizierten Fälle. Wenn selbst bei (sehr) weiter Auslegung kein solcher vorgelegen hat, konnte die Staatsan­ waltschaft nicht von Amts wegen vorgehen, denn es ist beim strikten An­ tragserfordernis geblieben. Ein weiterer in diesem Zusammenhang beachtlicher Umstand ist das poli­ tische System dieser Zeit. Der Einfluss des Privaten auf die Frage, ob eine Bestrafung des Täters zu erfolgen habe, sei mit autoritärem Staatsdenken nicht zu vereinbaren.64 Die Position des Verletzten, mit der unterlassenen Stellung eines Strafantrages das Strafverfahren zu verhindern, sei zu stark.65 Künftig werde es – so Freisler – in einer Gesamtreform dazu kommen, eine Befreiung von der „zwingenden Gewalt“ des Strafantrages zu erreichen.66 Eingetreten ist dieser Wunsch Freislers indes nicht. Hinzu ist gekommen, dass die Frage, wann eine Sühne von Amts wegen herbeigeführt werden musste, unter dem nationalsozialistischen Rechtsden­ ken in ein neues Blickfeld gestellt worden ist. Maßgeblich ist nunmehr das „Sühneverlangen der Volksgemeinschaft“ gewesen und nicht länger der staatliche Strafanspruch aus dem Ordnungsdenken.67 Ein solches Verständnis ist mit der Möglichkeit der Entscheidung des Einzelnen, ob die Tat verfolgt werden soll oder nicht, offensichtlich nicht vereinbar gewesen. Zudem ist moniert worden, dass die Sonderbehandlung des Nichtberufsfahrers den Be­ dürfnissen der Praxis und den Grundsätzen nationalsozialistischer Rechtspre­ chung zuwiderlaufe.68 Die Gesetzesbegründung nennt diesen Aspekt nicht ausdrücklich als Grund für die Neufassung. Dass es sich hierbei dennoch um einen Umstand handelt, der zumindest auch Einfluss auf die Gesetzgebung gehabt hat, kann ange­ sichts der vorstehenden Ausführungen zu diesem Thema nicht in Zweifel gezogen werden.

62  Auf diesen Aspekt geht Winnen nicht ein. Er beschränkt seine Darstellung dar­ auf, die Rechtsprechung des Reichsgerichts als (einzigen) Ausgangspunkt für die Neufassung anzusehen. 63  H. Fischer, Die Erklärung, S. 2. 64  Henkel, ZStW 56 (1937), 227, 234. 65  Henkel, ZStW 56 (1937), 227, 235. 66  Freisler, DJ 1940, 525, 531. 67  F/G/K/R, Bd. I S. 325 f. 68  Riebow, DJ 1939, 87 f.



§ 2 Das relative Antragsdelikt 45

c) Fazit Wenn auch der Schwerpunkt für die Neufassung gewiss in dem Streit um den Berufsfahrer zu betrachten ist, darf der Aspekt, der damals gegenwärti­ gen politischen Situation, die Einfluss auf das Verständnis des Strafrechts genommen hat, nicht außer Acht gelassen werden.69 3. Die Neufassung des § 232 I StGB a. F.

Im Zuge der genannten Verordnung hat § 232 I StGB eine Umformulie­ rung erfahren und folgenden Wortlaut bekommen: „Die Verfolgung leichter vorsätzlicher sowie aller durch Fahrlässigkeit verursach­ ter Körperverletzungen (§§ 223, 230) tritt nur auf Antrag ein, es sei denn, daß70 die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten erachtet.“

Mit dem besonderen öffentlichen Interesse hat der Gesetzgeber einen Ter­ minus, der bislang so überhaupt nicht und in der StPO nur in ähnlicher Form zu finden war71, in das Strafgesetzbuch implementiert. Obwohl durch die Neufassung die Möglichkeit, von Amts wegen einzuschreiten, erweitert wor­ den ist, hat der Gesetzgeber dennoch grundsätzlich am Erfordernis eines Strafantrages festgehalten.72 Diese Entscheidung basiert auf der Erwägung, nicht alle fahrlässigen Körperverletzungen, insb. solche mit unterer Schuldund Folgenschwere, von Amts wegen verfolgen zu können.73 Die Neufassung hat die Strafverfolgung ohne Strafantrag nun aber nicht länger nur bei den Körperverletzungen unter Übertretung einer Amts-, Be­ rufs- oder Gewerbspflicht ermöglicht, sondern generell in allen Fällen (fahr­ lässiger) Körperverletzung. An die Stelle der Voraussetzung der Übertretung einer Amts-, Berufs- oder Gewerbspflicht ist nun das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung getreten. Die Sonderbehandlung des Berufs­ fahrers ist hierdurch in beiderlei Hinsicht beendet worden.74 Zugleich wurde der unterschiedliche Strafrahmen aufgehoben; für fahrlässige Körperverlet­ zungen hat es nunmehr einen einheitlichen Strafrahmen gegeben. Die Frage, 69  Siehe zum Einfluss des Nationalsozialismus auf das Verständnis der Verfol­ gungsregelung erneut unten, S. 96 ff. 70  Sofern hier und im Folgenden die alte Rechtschreibung verwendet wird, ist dies Zitaten oder der amtlichen Gesetzesbezeichnung geschuldet. 71  In den §§ 153 I Satz 1 und 376 StPO. 72  Die Gesetzesbegründung nennt ausdrücklich, dass grundsätzlich ein Strafantrag erforderlich sein soll, DJ 1940, 508. 73  Barnstedt, DR 1940, 899, 900. 74  Barnstedt, DR 1940, 899, 900.

46

1. Kap.: Einleitende Ausführungen

ob ein Bedürfnis der Bestrafung vorliege, solle nach einer Auffassung im Schrifttum unnachprüfbar in die Kompetenz des Staatsanwalts gestellt wer­ den.75 Dieses Verständnis korrespondiert mit der im Schrifttum geäußerten Stärkung der Kompetenzen der Staatsanwaltschaft.76 4. Die Terminologie der relativen Antragsdelikte heute

Im Wesentlichen haben die relativen Antragsdelikte den Wortlaut, der erst­ mals durch die 1940 ergangene Verordnung eingeführt wurde, beibehalten. Eine redaktionelle Änderung ist durch das EGStGB erfolgt, das mit Wirkung zum 1.1.1975 in Kraft getreten ist.77 Aus „erachtet“ ist „hält“ geworden; eine Änderung, die in Bezug auf die Auslegung und Handhabung der relativen Antragsdelikte indes ohne Folgen geblieben ist. Es verwundert daher nicht, dass in der Gesetzesbegründung zum EGStGB78 keine Ausführungen dazu vorliegen, weswegen diese Änderung vorgenommen worden ist. II. Fazit Die Neuregelung in Gestalt einer flexibleren, da unbestimmteren, Ausge­ staltung ersetzt die Möglichkeit, die betreffenden Delikte bei Übertretung einer Amts-, Berufs- oder Gewerbspflicht unabhängig vom Strafantrag zu verfolgen. Rechtssicherheit ist insofern geschaffen worden, als dass für alle Fälle fahrlässiger Körperverletzung eine einheitliche Regelung hinsichtlich Strafrahmen und Verfolgungsvoraussetzungen getroffen worden ist. Ein As­ pekt, der hierbei nicht vergessen werden darf, ist der, dass die Regelung in nationalsozialistischer Zeit geschaffen worden ist. Wie sich gezeigt hat, sollte das nationalsozialistische Denken, insbesondere im Bereich der Frage, wann eine Strafe herbeizuführen ist, maßgeblichen Einfluss auf die Auslegung des relativen Antragsdelikts haben.

C. Relative Antragsdelikte im deutschen Strafrecht Relative Antragsdelikte finden sich im deutschen Strafrecht an vielen Stel­ len. Im Strafgesetzbuch: –– Sexueller Missbrauch von Jugendlichen, § 182 V StGB. 75  Freisler,

DJ 1940, 525, 531. diesem Aspekt siehe insbesondere Winnen, S.  24 ff. 77  BGBl. I 1974, 469. 78  BT-Drs. 7/550. 76  Zu



§ 2 Das relative Antragsdelikt 47

–– Exhibitionistische Handlungen, § 183 II StGB. –– Sexuelle Belästigung, § 184i III StGB. –– Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, § 205 I 2 i. V. m. § 201a StGB. –– Verletzung des Briefgeheimnisses, § 205 I 2 i. V. m. § 202 StGB. –– Datenhehlerei, § 205 I 2 i. V. m. § 202d StGB. –– Körperverletzung und fahrlässige Körperverletzung, § 230 StGB. –– Entziehung Minderjähriger, § 235 VII StGB. –– Nachstellung, § 238 IV StGB. –– Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen in § 248a i. V. m. §§ 242, 246 StGB. –– Entziehung elektrischer Energie, § 248c III i. V. m. § 248a StGB. –– Begünstigung, § 257 IV 2 i. V. m. § 248a StGB. –– Hehlerei, § 259 II i. V. m. § 248a StGB. –– Betrug, § 263 IV i. V. m. § 248a StGB. –– Computerbetrug, § 263a II i. V. m. § 248a StGB. –– Erschleichen von Leistungen, § 265a II i. V. m. § 248a StGB. –– Untreue, § 266 II i. V. m. § 248a StGB. –– Mißbrauch von Scheck- und Kreditkarten, § 266b II i. V. m. § 248a StGB. –– Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, § 301 I i. V. m. § 299 StGB. –– Sachbeschädigung, § 303c i. V. m. § 303 StGB. –– Datenveränderung, § 303c i. V. m. § 303a I, II StGB. –– Computersabotage, § 303c i. V. m. § 303b I–III StGB. –– Vollrausch, § 323a StGB, sofern die zugrunde liegende Tat ein relatives Antragsdelikt ist, § 323a III StGB. Nicht nur im Strafgesetzbuch, sondern auch im Nebenstrafrecht finden sich an verschiedenen Stellen relative Antragsdelikte. –– In der Strafvorschrift des § 10 I HalblSchG, § 10 IV HalblSchG. –– Unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke, § 109 i. V. m. § 106 UrhG. –– Unzulässiges Anbringen der Urheberbezeichnung, § 109 i.  V.  m. § 107 UrhG. –– Unerlaubte Eingriffe in verwandte Schutzrechte, § 109 i. V. m. § 108 UrhG.

48

1. Kap.: Einleitende Ausführungen

–– Unerlaubte Eingriffe in technische Schutzmaßnahmen und zur Rechte­ wahrnehmung erforderliche Informationen, § 109 i. V. m. § 108b UrhG. –– In der Strafvorschrift des § 142 I PatG, § 142 IV PatG. –– Strafbare Kennzeichenverletzung, § 143 I MarkenG, § 143 IV MarkenG. –– Strafbare Verletzung der Gemeinschaftsmarke, § 143 I MarkenG, § 143a II i. V. m. § 143 IV MarkenG. –– § 23 VIII GeschGehG. –– In der Strafvorschrift des § 51 I DesignG, § 51 IV DesignG. –– Strafbare Verletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters, § 65 I ­DesignG, § 65 II i. V. m. § 51 IV DesignG. –– In der Strafvorschrift des § 25 I GebrMG, § 25 IV GebrMG. –– In der Strafvorschrift des § 39 I SortenSchG, § 39 IV SortenSchG. –– Bei der presserechtlichen Verantwortung nach Maßgabe des jeweiligen Landespressegesetzes.

2. Kapitel

Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung in der heutigen Rechtspraxis nebst Kritik Bevor im Einzelnen auf die allgemeinen Parameter des besonderen öffent­ lichen Interesses eingegangen wird, soll zunächst dargestellt werden, wie mit der amtlichen Verfolgungsvariante in der Rechtspraxis umgegangen wird, um ein Gefühl dafür zu vermitteln, welche tatsächliche Bedeutung dem Merkmal des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung zukommt. Durch die Darstellung wird sich zeigen, dass ihm in der Wirklichkeit nicht der Stellenwert zuerkannt wird, der ihm laut Gesetz eigentlich gebührt. Einzugehen ist hierbei auf zwei Perspektiven: zum einen auf die der Staatsanwaltschaft und zum anderen auf die der Rechtsprechung. Der Groß­ teil der Darstellung bezieht sich auf die Handhabung durch die Staatsanwalt­ schaft. Das liegt daran, dass nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtspre­ chung den Gerichten keine materielle Kontrollbefugnis hinsichtlich des be­ sonderen öffentlichen Interesses zukommen soll und sich die Gerichte daher nur in begrenztem Umfang mit dem besonderen öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung befassen (müssen).

§ 3 Handhabung durch Staatsanwaltschaft und Rechtsprechung Die Strafverfolgungsbehörde darf ein relatives Antragsdelikt dem Wortlaut nach dann ohne Strafantrag verfolgen, wenn sie wegen des besonderen öf­ fentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts we­ gen für geboten hält.

A. Die staatsanwaltschaftliche Erklärung über das besondere öffentliche Interesse oder das Verfolgungsinteresse In der Rechtspraxis wird als Voraussetzung für die Strafverfolgung von Amts wegen gefordert, dass die Staatsanwaltschaft erklären muss, an der

50

2. Kap.: Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung

Strafverfolgung bestehe ein besonderes öffentliches Interesse.1 Hierbei ist bisweilen eine nicht ganz einheitliche Terminologie anzutreffen. Abweichend wird formuliert, dass die Staatsanwaltschaft ihr Verfolgungsinteresse bekun­ den müsse.2 In der Rechtsprechung wird beides vorgefunden. Gemeint ist in jedem Fall jedoch dasselbe. Das liegt daran, dass die Norm als einstufige Regelung angesehen wird. Die im Folgenden genutzte Terminologie orientiert sich an der Rechts­ praxis. Dass sie für zutreffend erachtet wird, soll damit nicht zum Ausdruck gebracht werden. I. Inhaltliche Auslegung des Begriffs „besonderes öffentliches Interesse“ Bei der Beantwortung der Frage, ob im betreffenden Fall ein besonderes öffentliches Interesse anzunehmen sein soll, bedient sich der Staatsanwalt der – für ihn verbindlichen3 – RiStBV, sofern für das in Rede stehende rela­ tive Antragsdelikt dort Anhaltspunkte für die Auslegung enthalten sind. Durch die RiStBV wird die Ermessensentscheidung, die der Staatsanwalt in dieser Hinsicht zu treffen haben soll, konkretisiert. Hinweise für die An­ nahme des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung finden sich in den RiStBV an folgenden Stellen: –– Nr. 234 RiStBV für die Körperverletzung und die fahrlässige Körperver­ letzung. –– ­Nr. 235 RiStBV für den Spezialfall der Kindesmisshandlung. –– ­ Nr. 242a RiStBV für die Bestechlichkeit und Bestechung im geschäft­ lichen Verkehr. –– ­Nr. 243 III RiStBV für den Spezialfall der Körperverletzung im Straßen­ verkehr. –– ­Nr. 260a RiStBV für die Strafvorschriften der §§ 17 bis 19 UWG a. F.4 –– ­Nr. 261a RiStBV für die Strafvorschriften des UrhG und des gewerblichen Rechtsschutzes. 1  OLG Celle GA 1961, 214, 215; BGH NStZ-RR 2013, 349; BGH StraFo 2015, 127; OLG Brandenburg StraFo 2015, 127; BGH StraFo 2017, 338; BGH BeckRS 2016, 10103 Rdnr. 3. 2  BGHSt 16, 225. 231 spricht von der Erklärung über das Verfolgungsinteresse. 3  Graf, in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, RiStBV Einf. Rdnr. 3. 4  Die §§ 17–19 UWG wurde mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung vom 18. April 2019 gestrichen, siehe BGBl. I S. 466.



§ 3 Handhabung durch Staatsanwaltschaft und Rechtsprechung 51

Liegt ein relatives Antragsdelikt vor, für das sich in den RiStBV keine Anhaltspunkte für die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses finden, stellt sich auch für den Staatsanwalt die Frage, wann er ein solches anzunehmen hat.5 II. Form der Erklärung über das besondere öffentliche Interesse 1. Allgemeines

Bei der Erklärung des besonderen öffentlichen Interesses ist die Staatsan­ waltschaft in der Rechtspraxis an keine Form gebunden.6 Daher kann sie diese Erklärung auch konkludent abgeben.7 In Betracht kommt hierbei vor allem die Vornahme von Prozesshandlungen.8 Beispiele aus der Rechtsprechung: Eine konkludente Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses wird angenommen, wenn die Anklageerhebung auf ein relatives Antragsdelikt er­ streckt wird.9 Nach Auffassung des OLG Oldenburg soll eine konkludente Erklärung, es bestehe ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung, auch darin zu sehen sein, dass die Staatsanwaltschaft in der Berufungsbegründung eine höhere Strafe fordert.10 Das OLG Düsseldorf geht von einer konkludenten Bejahung aus, wenn der Staatsanwalt in seinem Schlussvortrag lediglich die Verurteilung wegen eines Antragsdelikts beantragt.11 Stellt der Generalbundesanwalt im Revisionsverfahren nach Maßgabe des § 349 II StPO einen Verwerfungsantrag, soll dies ebenfalls als eine solche

5  Dass sich in den RiStBV nicht für alle relativen Antragsdelikte Hinweise für die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses finden, macht eine vertiefte Erör­ terung der materiellen Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses, wie sie im besonderen Teil der Untersuchung erfolgt, umso erforderlicher. 6  BGHSt 6, 282, 284 f.; BGHSt 16, 225, 228 f.; OLG Düsseldorf OLGSt StGB § 230 Nr. 9. 7  BGHSt 6, 282, 284; BayObLG NJW 1990, 461, 462; BGH NStZ-RR 2013, 349; offen gelassen von BGH BeckRS 2016, 10818 Rdnr. 27. 8  BGH StraFo 2017, 338. 9  BGH NJW 1964, 1630; BGH StraFo 2016, 212; offen gelassen von BGH, BeckRS 2014, 9984. 10  OLG Oldenburg StraFo 2008, 510. 11  OLG Düsseldorf OLGSt StGB § 230 Nr. 9 S. 2; so auch BayObLG NJW 1990, 461, 462.

52

2. Kap.: Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung

konkludente Annahme des besonderen öffentlichen Interesses anzusehen sein.12 Umgekehrt soll nach Auffassung des BGH keine konkludente Verneinung des besonderen öffentlichen Interesses gegeben sein, wenn die Staatsanwalt­ schaft auf den gerichtlichen Hinweis, es komme anstelle einer Verurteilung nach § 224 StGB eine Verurteilung wegen § 223 StGB in Betracht, zuvor keine Stellungnahme abgegeben hat.13 Nicht ausreichend ist dem BGH zu­ folge die bloße Nennung des § 230 StGB in der Anklageschrift.14 Beachtet werden muss, dass ungeachtet dieser Rechtsprechung in Nr. 110 II lit. d) RiStBV in formeller Hinsicht eine ausdrückliche Erklärung in der Anklage­ schrift vorgesehen ist. 2. Konkludente Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses durch Anklageerhebung wegen eines Offizialdelikts?

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob in der Anklageerhebung auf Grundlage eines Qualifikationstatbestands zugleich die Erklärung enthal­ ten ist, dass an der Verfolgung des Grundtatbestands ein besonderes öffentli­ ches Interesse bestehe. Beispiel: Die Staatsanwaltschaft erhebt die öffentliche Klage wegen einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 StGB. In der Hauptverhandlung stellt sich heraus, dass der Qualifikationstatbestand nicht einschlägig ist. Eine Erklärung der Staatsanwaltschaft über das Verfolgungsinteresse hat nicht stattgefunden. Das RG hat in solchen Fällen angenommen, dass bei der Anklage einer gefährlichen Körperverletzung ein besonderes öffentliches Interesse solange als erklärt anzusehen sei, wie nicht die Staatsanwaltschaft etwas Gegenteili­ ges kundgebe.15 Der BGH folgt dieser Rechtsprechung nicht. Die Anklage einer gefähr­ lichen Körperverletzung umfasse nicht zugleich die Aussage, an der Verfol­ gung einer einfachen Körperverletzung bestehe ein besonderes öffentliches Interesse.16 Im Rahmen dieser Fallgestaltung nimmt der BGH also eine Ausnahme zur ansonsten formfreien Möglichkeit der Erklärung des besonde­ 12  BGH

NJW 2001, 836 (insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 46, 225). StraFo 2012, 67; BGH BeckRS 1975, 00228. 14  Für § 232 StGB a. F. BGH vom 1.8.1978 – 5 StR 547/78 zitiert nach Schäfer, in: LR-StPO (24. Aufl.), Einl. Kap. 12 Rdnr. 123. 15  RGSt 75, 341, 342; RGSt 76, 3, 8; RGSt 77, 350, 356 f. 16  BGH NJW 2001, 836; BGH StV 2015, 699; so ausdrücklich auch OLG Bran­ denburg StraFo 2015, 127; OLG Oldenburg StraFo 2008, 510. 13  BGH



§ 3 Handhabung durch Staatsanwaltschaft und Rechtsprechung 53

ren öffentlichen Interesses an. Auch das OLG Düsseldorf verneint eine kon­ kludente Annahme des besonderen öffentlichen Interesses in einem solchen Fall. Zur Begründung führt es an, dass durch die Erhebung der Anklage wegen eines Offizialdelikts kein Raum für eine Ermessensentscheidung sei.17 In den Entscheidungen wird dabei nicht auf die Frage eingegangen, ob es in Anbetracht des § 155 II StPO einer Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses in solchen Konstellationen überhaupt noch bedarf. Eine ausdrückliche Erklärung fordert auch Nr. 234 II RiStBV, wonach der Staatsanwalt erklären soll, dass er ein Einschreiten von Amts wegen für ge­ boten hält, wenn zwar wegen eines Offizialdelikts Anklage erhoben werde, es aber in Betracht kommt, dass nur eine Verurteilung nach § 230 StGB er­ folgen werde. 3. Maßgeblich: Das Vorstellungsbild des Staatsanwalts

Von Bedeutung für die Möglichkeit der konkludenten Behandlung des be­ sonderen öffentlichen Interesses ist das Vorstellungsbild des Staatsanwalts. Hält die Staatsanwaltschaft irrig einen Strafantrag für gegeben, soll eine Anklageerhebung oder der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls nicht dazu führen, dass die Staatsanwaltschaft konkludent ein besonderes öffentliches Interesse bejahe.18 Andersherum soll eine konkludente Bejahung vorliegen, wenn im Bewusstsein, dass kein Strafantrag gestellt worden ist, eine Anklage erhoben oder ein Strafbefehl beantragt wird.19 In einer neueren Entscheidung weist der BGH darauf hin, dass von einer konkludenten Erklärung eines be­ sonderen öffentlichen Interesses nicht ausgegangen werden kann, wenn nahe­ liegt, dass die Staatsanwaltschaft die Norm, die ein solches verlangt – im konkreten Fall § 248a StGB – nicht für einschlägig erachtet hat.20 Dies hat auch Auswirkungen für die ansonsten formfreie Möglichkeit der Erklärung. Das OLG Brandenburg verneint die konkludente Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses für den Fall, dass der Staatsanwalt im Berufungsver­ fahren eine Geldstrafe fordert, wobei er weiterhin davon ausgeht, § 248a StGB gelange nicht zur Anwendung.21 Unschädlich ist es dem BGH zufolge bei einer ausdrücklichen Erklärung jedoch, wenn das „öffentliche Interesse an der Strafverfolgung“ bejaht wird, aber anzunehmen sei, dass es sich um einen Schreibfehler handele und das 17  OLG

Düsseldorf OLGSt StGB § 230 Nr. 9 S. 2. Beschl. v. 22.6.1994 – 2 StR 292/94 Rdnr. 3, juris; siehe auch BGH NJW 1989, 595 f. (insoweit nicht abgedruckt in: BGHSt 35, 325). 19  Vogel, in: LK-StGB, § 248a Rdnr. 12. 20  BGH BeckRS 2016, 10103; siehe auch BGH StraFo 2015, 127. 21  OLG Brandenburg StraFo 2015, 127, 128. 18  BGH,

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2. Kap.: Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung

„besondere öffentliche Interesse“ gemeint sei. Maßgeblich sei eine Ausle­ gung dessen, was die Staatsanwaltschaft erklären wollte.22 Falsa demonstra­ tio non nocet.23 III. Frist der Erklärung über das besondere öffentliche Interesse Ebenso wie die Staatsanwaltschaft an keine Form gebunden ist, so ist sie auch in zeitlicher Hinsicht nach herrschender Meinung an keine Frist gebun­ den.24 Die einzige zu beachtende zeitliche Grenze hierbei sei die der Verfol­ gungsverjährung.25 Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens kann die Erklärung somit erfolgen. Die Staatsanwaltschaft ist daher auch dazu berechtigt, noch in der Revi­ sionsinstanz zu erklären, dass an der Verfolgung ein besonderes öffentliches Interesse bestehe.26 Trotz nicht zu beachtender Fristen, soll die Bejahung dann aber nicht mehr in Betracht kommen, wenn die Verneinung des beson­ deren öffentlichen Interesses zu einer Einstellung nach § 260 III StPO, zu einem Freispruch oder zur Ausscheidung des betreffenden Tatvorwurfs durch Urteil geführt hat.27 IV. Bindung an eine einmal abgegebene Erklärung Ein weiterer in diesem Zusammenhang relevanter Punkt ist die Frage, ob und inwieweit die Staatsanwaltschaft an eine einmal von ihr abgegebene Erklärung gebunden ist. Hierbei wird ebenfalls eine weite Auslegung vertre­ ten, nach der die Staatsanwaltschaft an ihre Erklärung bis zum rechtskräfti­ gen Abschluss des Verfahrens nicht gebunden sein soll.28 Auch eine mehr­ fache Kompetenz zur Umentscheidung wird ihr im Grundsatz zuerkannt, was damit begründet wird, dass sich die maßgeblichen Umstände im Laufe des 22  BGH StraFo 2016, 212. Dass diese Frage vom BGH zu entscheiden war zeigt, wie wichtig es ist, Klarheit darüber zu haben, was der Staatsanwalt mit seinen Äuße­ rungen erklärt. 23  Daher ist auch im Fall von LG Zweibrücken StV 2000, 553 davon auszugehen, dass trotz der Bezeichnung „öffentliches Interesse an der Strafverfolgung“ das beson­ dere öffentliche Interesse gemeint ist. 24  BGHSt 6, 282, 285. 25  Hirsch, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 18; Engländer, in: M/R-StGB, § 230 Rdnr. 4. 26  BGHSt 6, 282, 285; BGH BeckRS 2011, 25601; OLG Düsseldorf BeckRS 2003, 30311711; BGH, BeckRS 2014, 09984. 27  Athing, in: MüKo-SVR, § 230 StGB Rdnr. 24 m. w. N. 28  OLG Hamburg NStZ 1986, 81.



§ 3 Handhabung durch Staatsanwaltschaft und Rechtsprechung 55

Verfahrens ändern können.29 Dabei soll nicht nur die positive Erklärung, sondern auch die Rücknahme der Erklärung zulässig sein.30 Letztere sei auch grundsätzlich konkludent möglich, wovon aber nicht auszugehen sein soll, wenn sich die Staatsanwaltschaft auf den gerichtlichen Hinweis, es komme eine Verurteilung nur wegen § 223 StGB in Betracht, nicht erkläre.31 Als ausreichend für eine konkludente Verneinung wurde es jedoch angesehen, dass der Staatsanwalt im Plädoyer den Anklagevorwurf der Körperverletzung fallen ließ.32 Die Rechtsprechung schränkt aber die Befugnis zur Umentscheidung ein. Die Möglichkeit, auch noch in der Revisionsinstanz zu erklären, die Staats­ anwaltschaft halte ein Einschreiten von Amts wegen für geboten, habe zur Voraussetzung, dass bis zu diesem Zeitpunkt keine Erklärung seitens der Staatsanwaltschaft abgegeben worden sei.33 Es sei daher nicht möglich, mit der Revision das besondere öffentliche Interesse zu bejahen, wenn die Ver­ neinung desselben durch den Sitzungsvertreter dazu führte, dass das ange­ fochtene Urteil erging.34 V. Rechtsfolgen nachträglicher Verneinung Kommt der Staatsanwalt im Hauptverfahren zu der Erkenntnis, an der Verfolgung des betreffenden relativen Antragsdelikts bestehe kein besonderes öffentliches Interesse (mehr), stellt sich die Frage, welche Konsequenz das nach sich zieht. Da in der Rechtspraxis keine Trennung zwischen dem besonderen öffent­ lichen Interesse und der Entscheidung über das Gebotensein amtlicher Straf­ verfolgung vorgenommen wird, entfällt mit der Rücknahme der Erklärung die Prozessvoraussetzung. Kann das Verfahren nicht durch einen Strafantrag am Leben gehalten werden, ist das Verfahren einzustellen.35 Je nachdem, ob man sich zur Zeit der Rücknahme innerhalb oder außerhalb der Hauptver­ handlung befindet, erfolgt die Einstellung entweder nach § 260 III StPO (wenn innerhalb) oder nach § 206a I StPO (wenn außerhalb). Stuttgart JR 1953, 348; Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 43. hierbei soll eine konkludente Rücknahme möglich sein, indem im Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft der betreffende Anklagevorwurf fallengelassen wird, OLG Düsseldorf NJW 1970, 1054. 31  BGH MDR 1975, 367. 32  OLG Düsseldorf NJW 1970, 1054. 33  BGHSt 19, 377, 381. 34  BGHSt 19, 377, 381 f. 35  BGHSt 19, 377, 380 f.; KG NJW 1961, 569, 570; OLG Düsseldorf NJW 1970, 1054. 29  OLG

30  Auch

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2. Kap.: Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung

Im Gegensatz zur Rechtsfolge eines zurückgenommenen Strafantrags wird nicht diskutiert, ob ein Vorrang des Freispruchs vor der Einstellung besteht, wenn das Verfahren so weit fortgeschritten ist, dass ein Freispruch bei Be­ endigung des Hauptverfahrens abzusehen ist. VI. Kontrolle der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung Eine der zentralen Problemstellungen im Zusammenhang mit dem beson­ deren öffentlichen Interesse ist die Frage nach der Kompetenz der Rechtspre­ chung, die staatsanwaltschaftliche Entscheidung zu überprüfen. Die – soweit ersichtlich – erste Entscheidung zu dieser Frage stammt vom 18.7.l940, ist mithin kurz nachdem der Wortlaut des damaligen § 232 I StGB seine Neu­ fassung erhielt, ergangen. Das RG hat dort ausgeführt, dass das Revisionsge­ richt nicht befugt sei, nachzuprüfen, ob die Staatsanwaltschaft mit Recht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung angenommen ha­ be.36 Die Rechtsprechung des RG wird in diesem Punkt auch von der heutigen Rechtsprechung für zutreffend gehalten. Der BGH ist der Auffassung, dass der klare Wortlaut des Gesetzes das Gericht an die staatsanwaltschaftliche Entscheidung binde37; eine Umdeutung des Wortlauts dergestalt, dass das objektive Bestehen eines besonderen öffentlichen Interesses die Prozess­ voraussetzung bilde, würde die Wortlautgrenze überschreiten.38 Die Ent­ scheidung darüber, ob ein besonderes öffentliches Interesse an der Verfolgung bestehe, liege allein im Ermessen der Staatsanwaltschaft, ein Prüfungsrecht komme dem Gericht nicht zu.39 Dem folgt auch das BayObLG und argumentiert zudem mit Zweck der Norm, den es darin sieht, weder dem Beschuldigten noch dem Verletzten besondere Rechte gegenüber dem staatlichen Strafanspruch einzuräumen, sondern eine Ausnahme vom Legalitätsprinzip zuzulassen.40 Weiterhin wird die Versagung gerichtlicher Nachprüfung damit begründet, dass durch die Erklärung der Staatsanwaltschaft nicht in die Rechte des Beschuldigten oder des Verletzten eingegriffen werde41, da der Beschuldigte mit der Verwirk­ 36  RG

DJ 1940, 1013, 1014. 16, 225, 231; so auch das OLG Stuttgart JR 1953, 348. 38  BGHSt 16, 225, 231; dieses Urteil erging auf den Vorlagebeschluss des OLG Bremen MDR 1961, 167. 39  OLG Stuttgart JR 1953, 348; die Unüberprüfbarkeit wurde aus der Formulie­ rung der amtlichen Begründung geschlossen, die von einer „Ermächtigung“ sprach, so H. Fischer, Die Erklärung S. 124. 40  BayObLG NJW 1991, 1765, 1766. 41  BGHSt 16, 225, 228. 37  BGHSt



§ 3 Handhabung durch Staatsanwaltschaft und Rechtsprechung 57

lichung der jeweiligen Straftat den staatlichen Strafanspruch gegen sich be­ gründet habe.42 Auch aus Art. 19 IV GG soll sich dem BGH zufolge keine Notwendigkeit einer gerichtlichen Überprüfung ergeben. Begründet wird dies damit, dass Art. 19 IV GG keine Rechte gewähre, sondern die Existenz von Rechten bereits voraussetze.43 Stelle die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach § 170 II StPO ein, könne zudem im Wege des Klageerzwingungsverfah­ rens nicht geltend gemacht werden, dass die Staatsanwaltschaft zu Unrecht davon ausgegangen sei, an der Verfolgung der Tat bestehe kein besonderes öffentliches Interesse.44 Neben der Versagung der Kontrolle im Wege der ordentlichen Gerichtsbarkeit wird auch eine Kontrolle im Wege der Verwal­ tungsgerichtsbarkeit abgelehnt.45 Die dargestellte Rechtsprechung unterliegt der Billigung des BVerfG. Es steht auf dem Standpunkt, dass eine gerichtliche Überprüfbarkeit des beson­ deren öffentlichen Interesses „grundsätzlich“ nicht stattzufinden habe, lässt dabei aber ausdrücklich offen, ob dies auch für eine Willkürkontrolle zu gelten hat.46 Eine gerichtliche Überprüfung in diesem Zusammenhang findet nur inso­ weit statt, als dass überprüft wird, ob die Staatsanwaltschaft eine einzelfall­ bezogene Entscheidung getroffen hat.47 Das einzige Rechtsschutzinstrument, auf das zurückgegriffen werden kann, ist die Dienstaufsichtsbeschwerde.48

B. Handhabung durch die Rechtsprechung Hält die Staatsanwaltschaft wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten, stellt sich die Frage, wie das Gericht mit dem besonderen öffentlichen Interesse umgeht. Den ersten Kontakt mit dem besonderen öffentlichen Interesse hat das Gericht regelmäßig im Zwischenverfahren, wenn es um die Entscheidung über Eröffnung oder Nichteröffnung des Hauptverfahrens geht, § 199 StPO. Das Gericht prüft in diesem Zusammenhang aber nur, ob die Staatsanwalt­ schaft eine Erklärung über das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Inte­ resses abgegeben hat, da lediglich in dieser Erklärung über das Verfolgungs­ 42  OLG

Hamburg NStZ 1986, 81. 16, 225, 230. 44  Graalmann-Scheerer, in: LR-StPO, § 172 Rdnr. 16. 45  BVerwG NJW 1959, 448, 449 f. 46  BVerfGE 51, 176, 187. 47  OLG Köln NJW 1952, 1307. 48  Zöller, in: Anwalt-Kommentar-StGB, § 230 Rdnr. 15. 43  BGHSt

58

2. Kap.: Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung

interesse die Prozessvoraussetzung der amtlichen Verfolgung der relativen Antragsdelikte gesehen wird.49 Diese Prüfung findet naturgemäß nur statt, wenn es auf das besondere öffentliche Interesse ankommt. Wird die Anklage unter dem Gesichtspunkt eines Offizialdelikts erhoben und stellt sich später heraus, dass nur eine Verurteilung wegen eines relativen Antragsdelikts in Betracht kommt, kann eine Überprüfung dieser Verfahrensvoraussetzung im Zwischenverfahren nicht erfolgen. Kommt von vornherein nur ein relatives Antragsdelikt in Betracht, wird durch die Anklageerhebung angenommen, dass die Staatsanwaltschaft konkludent ein besonderes öffentliches Interesse bejaht hat, sodass das Gericht in dieser Hinsicht nichts prüfen muss. Seit jeher steht die (höchstrichterliche) Rechtsprechung auf dem Stand­ punkt, dass die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses im Ermes­ sen der Staatsanwaltschaft50 liege und keiner gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen ist.51 Zur inhaltlichen Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses stellt das Gericht daher keinerlei Überlegungen an.52 Das gilt so­ wohl für das erkennende Gericht als auch für das Revisionsgericht. Das Re­ visionsgericht prüft nach herrschender Meinung zunächst auch das Vorliegen der Verfahrensvoraussetzungen.53 Es ermittelt also nur, ob die Staatsanwalt­ schaft ihr Verfolgungsinteresse bekundet hat. Es findet daher auf Ebene der Rechtsprechung keine Überprüfung dahingehend statt, ob die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, von Amts wegen einzuschreiten, auch auf einem be­ sonderen öffentlichen Interesse beruht. Lediglich in einer Entscheidung wendet sich das LG München I gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung und prüft das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses selbst unter Anwendung der Kriterien der RiStBV.54 Das OLG Bremen kam Anfang der 1960er Jahre zu dem Ergebnis, dass die Erklärung des Verfolgungsinteresses rechtlich als Justizverwaltungsakt zu werten sei und daher nur wirksam ergehen könne, wenn ein schriftlicher Bescheid an den Verletzten und den Beschuldigten zugestellt werde.55 Indes 49  BGHSt

16, 225, 231. Stuttgart JR 1953, 348; BVerwG NJW 1959, 448, 449. 51  So erstmals zur Norm seit der Neufassung RG DJ 1940, 1013, übernommen von BGHSt 16, 225, 230 f. 52  Daher verwundert es nicht, dass sich in der (höchstrichterlichen) Rechtspre­ chung keine Entscheidungen finden, die sich mit der Frage befassen, wann vom Vor­ liegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung auszugehen ist. 53  Franke, in: LR-StPO, § 352 Rdnr. 3; BGHSt 6, 304, 306; OLG Celle NStZ 1983, 233; abweichend Meyer-Goßner/Schmitt, der insoweit zwischen Befassungsund Bestrafungsverboten differenziert, Einl. Rdnr. 150. 54  So das LG München I StV 1990, 400. 55  Vorlagebeschluss des OLG Bremen MDR 1961, 167. 50  OLG



§ 3 Handhabung durch Staatsanwaltschaft und Rechtsprechung 59

wird in dem Vorlagebeschluss lediglich gefordert, dass ein Bescheid bekannt­ gegeben wird, nicht auch, dass inhaltlich dargelegt wird, woraus sich das besondere öffentliche Interesse ergibt. Die rechtliche Einordnung als Justiz­ verwaltungsakt mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen ist vom BGH, dem diese Frage vorgelegt wurde, als unzutreffend angesehen worden.56 Wenn sich das Gericht mit der inhaltlichen Auslegung befasst, wendet es die RiStBV an, anderweitige Überlegungen treten nicht auf. Abgesehen von der vereinzelt gebliebenen Rechtsprechung des LG München I kommt es nur darauf an, ob die Staatsanwaltschaft ihr Verfolgungsinteresse bekundet – nicht dagegen ob dieses auch tatsächlich auf einem bestehenden besonderen öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung beruht.

C. Ergebnis In der Rechtspraxis ist nicht entscheidend, ob an der Verfolgung ein be­ sonderes öffentliches Interesse besteht, sondern lediglich, dass seitens der Staatsanwaltschaft ein solches erklärt wird. Nachgeprüft wird diese Entschei­ dung nicht. Eine Begründung, welche Umstände nach Auffassung der Staats­ anwaltschaft zur Annahme des besonderen öffentlichen Interesses führen, ist daher in der Rechtspraxis nicht erforderlich. Die Staatsanwaltschaft kann – in den Grenzen der für sie verbindlichen RiStBV – nach ihrem Belieben das besondere öffentliche Interesse verneinen oder bejahen. Voraussetzung für eine wirksame Erklärung ist jedoch, dass sich der Staatsanwalt überhaupt Gedanken über das besondere öffentliche Interesse macht. Diese Gedanken müssen dabei nicht inhaltlicher Natur sein. Vielmehr bedarf es nur des Bewusstseins, dass Normen einschlägig sind, bei denen es auf ein besonderes öffentliches Interesse ankommt. Wenn die Rechtsprechung die Möglichkeit einer konkludenten Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses durch Vornahme von Prozesshandlun­ gen anerkennt, besteht folgendes Problem: Offen bleibt, was der Staatsanwalt mit der Prozesshandlung erklärt. Deutbar wäre es anzunehmen, er erkläre, ein Einschreiten von Amts wegen sei geboten oder ein besonderes öffent­ liches Interesse sei gegeben. Auf eine Beantwortung dieser Frage kommt es wegen der Anwendungspraxis nicht an. Diese Problematik entsteht deshalb, weil in der Rechtspraxis die gesetzliche Regelung der Strafverfolgung als einstufig gehandhabt wird.

56  BGHSt

16, 225, 230.

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2. Kap.: Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung

§ 4 Kritik Die soeben dargestellte Handhabung des besonderen öffentlichen Interes­ ses durch die Rechtspraxis ist in verschiedener Weise Kritik ausgesetzt. Diese bezieht sich weit überwiegend auf die formellen Aspekte der Voraus­ setzungen der Strafverfolgung von Amts wegen.

A. Die Prozessvoraussetzung Ein erster anzutreffender Kritikpunkt ist eine von der Rechtsprechung ab­ weichende Auffassung hinsichtlich der Prozessvoraussetzung des relativen Antragsdelikts. Ein nicht geringer Teil des Schrifttums sieht nicht die staats­ anwaltschaftliche Bekundung des besonderen öffentlichen Interesses, sondern das tatsächliche Bestehen eines solchen als eigentliche Prozessvoraussetzung an.57

B. Form der Erklärung Daneben werden gegen eine formlose Annahme des besonderen öffent­ lichen Interesses Bedenken hervorgebracht. Die Kritik stammt überwiegend von Vertretern der Auffassung, das besondere öffentliche Interesse selbst sei die Prozessvoraussetzung und daher eine gerichtliche Überprüfbarkeit der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung über das besondere öffentliche Inte­ resse anzuerkennen.58 Die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Erklärung begründet das OLG Stuttgart – ohne eine gerichtliche Überprüfung anzuer­ kennen – hierbei mit dem strengeren Charakter des besonderen öffentlichen Interesses im Gegensatz zu § 376 StPO, wo ohne Weiteres eine formfreie Erklärung möglich sei.59 Kohlhaas verlangt eine ausdrückliche Erklärung immer dann, wenn das Gericht der Auffassung der Staatsanwaltschaft hin­ sichtlich des schweren Delikts nicht folgt.60

57  Vgl. statt vieler nur Vogel, NJW 1961, 761, 762; Sternberg-Lieben, in: S/SStGB, § 230 Rdnr. 3; Hirsch, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 15 f. 58  Paeffgen/Böse, in: NK-StGB, § 230 Rdnr. 35; aus der früheren Rechtsprechung für ein Formerfordernis OLG Bremen NJW 1961, 144 (dagegen dann BGHSt 16, 225, 230); Winnen, verlangt eine schriftliche Begründung des besonderen öffentlichen Interesses, auch wenn er nicht im Bestehen des besonderen öffentlichen Interesses die Prozessvoraussetzung sieht, Eingeschränkte Antragsdelikte S. 182; OLG Stuttgart JR 1953, 349. 59  OLG Stuttgart JR 1953, 349. 60  Kohlhaas, NJW 1956, 1188, 1189.



§ 4 Kritik 61

Auch die Anklageerhebung als konkludente Bejahung des besonderen öf­ fentlichen Interesses anzusehen, unterliegt Kritik. Folgte man der Auffassung, die Annahme des besonderen öffentlichen Interesses sei eine Ermessensent­ scheidung, bestünde das Problem, dass allein in der Erhebung der öffent­ lichen Klage keine Ermessensausübung zu sehen sei.61 Anhänger der Auffassung, die Bejahung des besonderen öffentlichen Inte­ resses stelle einen Justizverwaltungsakt dar, fordern zum Teil in formeller Hinsicht einen schriftlichen, dem Beschuldigten und dem Verletzten zuzu­ stellenden Bescheid.62

C. Frist der Erklärung In zeitlicher Hinsicht wird vertreten, dass nach Anklageerhebung ein Ein­ schreiten nicht mehr erfolgen könne, da die Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt nicht mehr „einschreite“, sondern durch die Anklageerhebung be­ reits eingeschritten sei.63 Daneben wird die Sorge geäußert, durch die feh­ lende Frist sei es ohne Weiteres möglich, das Verfahren am Leben zu erhal­ ten, wenn erst später auffalle, dass kein Strafantrag gestellt worden ist.64 Das könne zur Umgehung der gesetzlichen Voraussetzung des Strafantrags­ rechts führen. Weiterhin wird die Möglichkeit einer nachträglichen Bejahung auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs kritisiert. Maßgeblich sei in diesem Zusammenhang die Motivation der Staatsanwaltschaft, das besondere öffentliche Interesse zu bejahen. Als rechtsmissbräuchlich wird die Bejahung unter dem Aspekt der Vermeidung einer ungünstigen Kostenund Auslagenentscheidung angesehen.65 Zudem soll dann von einem Rechts­ missbrauch auszugehen sein, wenn das besondere öffentliche Interesse im Haupt- oder Revisionsverfahren bejaht wird, ohne dass Umstände hinzutre­ ten, die auch vor Anklageerhebung die Annahme eines besonderen öffent­ lichen Interesses gerechtfertigt hätten.66

61  Athing,

in: MüKo-StVR, § 230 Rdnr. 20. Bremen MDR 1961, 167, 168. 63  Vogel, NJW 1961, 761, 762. 64  Paeffgen/Böse, in: NK-StGB, § 230 Rdnr. 36. 65  Roggan, StraFo 2013, 231, 234. 66  Roggan, StraFo 2013, 231, 234. 62  OLG

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2. Kap.: Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung

D. Nachträgliche Verneinung des besonderen öffentlichen Interesses Die Möglichkeit, die Erklärung über das besondere öffentliche Interesse im Nachhinein zu widerrufen, ist im Grundsatz anerkannt, über die Folgen besteht indes keine Einigkeit. Nach einer Auffassung, die insbesondere von der früheren Rechtsprechung vertreten worden ist, könne eine einmal abge­ gebene Erklärung zwar zurückgenommen werden.67 Die weitere Verfolgung der Tat sei anschließend aber nicht ausgeschlossen. Vielmehr solle die Rück­ nahme der Erklärung als Zustimmung zur Verfahrenseinstellung zu werten sein.68 Zudem soll eine Änderung der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung nach Klageerhebung für das Gericht nicht bindend sein.69 Andernfalls würde dafür gesorgt, dass die Staatsanwaltschaft zur Herrin des Verfahrens werde70, obwohl sie nur die Herrin des Ermittlungsverfahrens sei.71

E. Inhaltliche Auslegung des Begriffs Während die Rechtsprechung sich nicht zur inhaltlichen Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses äußert, finden sich in der Literatur an manchen Stellen Ausführungen zu der Frage, wann vom Vorliegen eines be­ sonderen öffentliches Interesses auszugehen ist.72 Vielfach wird sich jedoch darauf beschränkt zu sagen, dass das besondere öffentliche Interesse nur in Ausnahmefällen zu bejahen sein soll73 bzw. dessen Annahme nur bei er­ schwerenden Umständen zu rechtfertigen sei.74 Konkrete Anhaltspunkte werden selten genannt.75

67  RGSt 77, 72, 74; OLG Bremen, JZ 1956, 663; a. A. Oehler, JZ 1956, 630, 631 sowie aus neuerer Zeit Winnen, S. 189. 68  OLG Karlsruhe VRS 15, 356; OLG Bremen, JZ 1956, 663; Oehler, JZ 1956, 630, 631. 69  Mitsch, JA 2014, 1, 3. 70  So die Kritik von Hirsch, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 16. 71  Hellmann, Strafprozessrecht, Rdnr. 75. 72  Ausführlich hierzu S. 166 ff. 73  Engländer, in: M/R-StGB, § 230 Rdnr. 2. 74  Eckl, JR 1975, 99, 100; Rebmann, DAR 1978, 303, 304. 75  Heghmanns, NStZ 1991, 112, 116 liefert konkrete Aspekte, die seiner Auffas­ sung nach ein besonderes öffentliches Interesse im Bereich des Urheberstrafrechts begründen sollen; ausführlicher in Bezug auf die Körperverletzung Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 25 ff.



§ 4 Kritik 63

F. Gerichtliche Überprüfbarkeit Das mitunter zentrale Thema rund um das besondere öffentliche Interesse ist die Frage nach der gerichtlichen Überprüfbarkeit der staatsanwaltschaft­ lichen Entscheidung. Es verwundert daher nicht, dass sich die Literatur schwerpunktmäßig mit dieser Thematik auseinandersetzt.76 I. Zustimmung zur Versagung gerichtlicher Kontrolle Die Auffassung der Rechtsprechung, keine gerichtliche Überprüfbarkeit zuzulassen, findet auch im Schrifttum Anhänger.77 Hilger führt aus, dass das Privatklageverfahren eine Ausnahme zum Legalitätsprinzip darstellt und das (besondere) öffentliche Interesse die Rückkehr zur Regel des Legalitätsprin­ zips beinhalte, das – mit Ausnahme des Klageerzwingungsverfahrens – kei­ ner gerichtlichen Kontrolle unterliegt.78 Daher könne auch die Annahme des besonderen öffentlichen Interesses keiner Kontrolle unterliegen.79 II. Anerkennung gerichtlicher Kontrolle Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte hat sich ein umfangreiches Meinungs­ spektrum gebildet, das die Haltung der Rechtsprechung, keine gerichtliche Kontrolle anzuerkennen, ablehnend bewertet. Differenzen zwischen den ein­ zelnen Auffassungen bestehen dabei hauptsächlich bei der Frage, in welchem Umfang auf welchem Wege eine gerichtliche Kontrolle stattzufinden habe. III. Umfang der gerichtlichen Kontrolle 1. Volle gerichtliche Kontrolle

Einer im Schrifttum häufig anzutreffenden Auffassung zufolge, unterliegt das besondere öffentliche Interesse der uneingeschränkten gerichtlichen Kon­ 76  Hierzu bspw. Kröpil, DRiZ 1986, 19; ders., NJW 1992, 654; Strubel/Sprenger, NJW 1972, 1734; Heinrich, NStZ 1996, 110; Thierfelder, NJW 1961, 1101; ders., NJW 1962, 116; ders., DVBl. 1961, 119; Roggan, StraFo 2013, 231, 232; Keller, GA 1983, 497; zur gerichtlichen Kontrolle speziell des öffentlichen Interesses im Rahmen des § 376 StPO Husmann, MDR 1988, 727, 728 f.; umfassend auch Kalsbach, Die gerichtliche Nachprüfung, S. 31 ff. 77  Aus früherer Zeit bereits H. Fischer, Die Erklärung, S. 137; Oehler, JZ 1956, 630; siehe auch Fischer, § 230 Rdnr. 3; Zöller, in: Anwalt-Kommentar-StGB, § 230 Rdnr. 15. 78  Hilger, in: LR-StPO, § 376 Rdnr. 15. 79  Hilger, in: LR-StPO, § 376 Rdnr. 15.

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2. Kap.: Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung

trolle. Die Auffassung des BGH im Hinblick auf die gänzliche Ablehnung gerichtlicher Kontrolle ist vielfacher Kritik ausgesetzt. So wird eingewandt, der BGH verkenne, dass die für Art. 19 IV GG benötigten Rechte im Gleich­ behandlungsgrundsatz und im Anspruch des Bürgers auf Überprüfung von Ermessensfehlgebrauch zu sehen seien.80 Der Wortlaut der relativen Antrags­ delikte spreche von „verfolgen“, wohingegen die übrigen strafrechtlichen Tatbestände von „bestrafen“ sprechen.81 Adressat der Formulierung in den relativen Antragsdelikten sei die Staatsanwaltschaft, die bei Bejahung eines besonderen öffentlichen Interesses zur Verfolgung verpflichtet sei; aus der Formulierung der Norm könne eine gerichtliche Bindung an die Haltung der Staatsanwaltschaft gerade nicht entnommen werden.82 Zum Wortlaut wird zudem ausgeführt, dass er es jedenfalls nicht verbiete, dass der Richter die von der Staatsanwaltschaft geschaffene Prozessvoraussetzung auf ihre mate­ rielle Richtigkeit hin überprüft.83 Zudem entspreche die Bindung an die Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht dem Regelungssystem der StPO, da das Gericht grundsätzlich nicht an Anträge und Auffassungen der Staatsan­ waltschaft gebunden sei.84 Daneben wird zur Begründung angeführt, dass die Rechtsprechung im Zusammenhang mit §§ 24 I Nr. 3, 74 GVG seit jeher auf dem Standpunkt stehe, dass das Gericht die „besondere Bedeutung der Straf­ sache“ nachprüfen könne und im Vergleich hierzu keine andere Behandlung gerechtfertigt erschiene. Der Umstand, ob eine Tat abgeurteilt werde, sei für den Betroffenen nicht weniger wichtig als die Frage, welches Gericht sie abzuurteilen habe.85 Weiterhin wird kritisiert, dass die gänzliche Versagung gerichtlicher Kon­ trolle Missbrauch nicht verhindern könne.86 Zudem bestehe die Gefahr, dass

80  Havekost,

DAR 1977, 289, 290. NJW 1992, 654, 655. 82  Kröpil, NJW 1992, 654, 655. 83  So H. Vogel, Das öffentliche Interesse, S. 304 f. 84  Kröpil, NJW 1992, 654, 655. 85  LG München I StV 1990, 400; Hirsch, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 16; auch Sternberg-Lieben, in: S/S-StGB, § 230 Rdnr. 3 nutzen diese Argumentation und begründen das damit, dass kein sachlicher Grund dafür bestehe, die gerichtliche Kon­ trolle bzgl. der Zuständigkeit und der Aburteilung der Tat unterschiedlich zu handha­ ben; dagegen Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 16, der damit argumentiert, dass auch die Auffassung, die gerichtliche Nachprüfung bzgl. §§ 24 I 3, 74 GVG ebenso falsch sein könne. Gegen die Argumentation anhand der §§ 24 I 3, 74 GVG auch H. Fischer, Die Erklärung, S. 130 f. 86  v. Weber, MDR 1963, 169, 170; in diese Richtung im Hinblick auf § 182 StGB auch Kusch/Mössle, NJW 1994, 1504, 1507, die als Beispiel die Missbilligung der Beziehung der Tochter zu einem Jungen anführen und als Ausdruck der Missbilligung einen Strafantrag stellen. 81  Kröpil,



§ 4 Kritik 65

das grundsätzliche Antragserfordernis unterlaufen werde87, wenn die Straf­ verfolgungsbehörden ohne jede Grenzen entscheiden können, ob sie ein be­ sonderes öffentliches Interesse annehmen oder nicht.88 Die gesetzgeberische Entscheidung, am grundsätzlichen Antragserfordernis festzuhalten89, müsse hier ebenso beachtet werden. Hinzu komme, dass die einzige Möglichkeit, sich gegen das besondere öffentliche Interesse zu wehren, in der Dienstauf­ sichtsbeschwerde bestehe, die in der Praxis allerdings sinnlos sei.90 Verdeut­ licht werde die Notwendigkeit einer eigenständigen gerichtlichen Beurtei­ lung, ob ein besonderes öffentliches Interesse besteht, wenn für die Entschei­ dung der Staatsanwaltschaft, einzuschreiten, kein vernünftiger Anhaltspunkt bestehe. Einen solchen Fall stellt OLG Hamburg NStZ 1986, 81 dar.91 Gegenstand der Entscheidung ist ein Ermittlungsverfahren wegen eines Verkehrsunfalls gewesen. Die Ermittlungen sind zeitnah eingestellt worden, da kein Strafantrag gestellt und das besondere öffentliche Interesse verneint worden ist. Als der Betroffene gegen den ergangenen Bußgeldbescheid Ein­ spruch eingelegt hat, hat die Staatsanwaltschaft plötzlich das besondere öf­ fentliche Interesse ohne Hinzutreten neuer tatsächlicher Aspekte bejaht. Die Möglichkeit gerichtlicher Überprüfung wird auch aus folgender Über­ legung heraus zuerkannt:92 Sofern man mit der herrschenden Auffassung im Schrifttum das besondere öffentliche Interesse als unbestimmten Rechtsbe­ griff ansehe93, folge daraus die grundsätzlich volle gerichtliche Überprüfbar­ keit.94 Von diesem Grundsatz existieren Ausnahmen im Anwendungsfeld eines gerichtsfreien Beurteilungsspielraums.95 Bei der Beantwortung der Frage, ob das besondere öffentliche Interesse vorliegt oder nicht, handele es sich aber weder um eine wissenschaftliche Beurteilung noch um eine Prog­

87  Hirsch,

in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 16. in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 16. 89  Zustimmend zur Beibehaltung in der zeitgenössischen Literatur Barnstedt, DR 1940, 899, 900. 90  So Kastenbauer, in: NK-GVR, § 230 StGB Rdnr. 13. 91  Siehe dazu auch die Anmerkung von Fricke, MDR 1990, 684; gegen ihn Witt, MDR 1990, 1086; auch Fahl thematisiert diesen Fall in seiner Habilitationsschrift zum Rechtsmissbrauch im Strafprozess, siehe Fahl, Rechtsmissbrauch, S. 95. 92  Hierzu Kröpil, NJW 1992, 654, 655 f. 93  Zur Frage der Rechtsnatur siehe S. 84 ff. 94  In der verwaltungsrechtlichen und der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung ist die vollumfängliche gerichtliche Nachprüfung unbestimmter Rechtsbegriffe aner­ kannt, siehe dazu die Nachweise zur Rechtsprechung bei Decker, in: BeckOK-VwGO, § 114 Rdnr. 33 sowie bei Schmidt-Aßmann, in: M/D-GG, Art. 19 Rdnr. 183. 95  Für einen Beurteilungsspielraum Lüke, JuS 1961, 205, 211; Kalsbach, Die ge­ richtliche Nachprüfung, S. 50; Heinrich, NStZ 1996, 110, 114. 88  Hirsch,

66

2. Kap.: Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung

noseentscheidung, sodass kein Beurteilungsspielraum in Betracht komme.96 Kröpil begründet das Zugeständnis voller gerichtlicher Überprüfung zudem mit dem Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht, das so ausge­ staltet sei, dass dem Gericht die letztendlich entscheidende Funktion zukom­ me.97 Ließe man es zu, dass stets die Haltung der Staatsanwaltschaft maßgeblich sei, wäre die Staatsanwaltschaft die Herrin des Verfahrens, indem sie jeder­ zeit für das Gericht bindend das besondere öffentliche Interesse wieder ver­ neinen könnte.98 2. Willkürkontrolle

In der Literatur finden sich Stimmen, die dem Gericht eine Kontrolle des besonderen öffentlichen Interesses dergestalt zugestehen, dass dessen An­ nahme auf Willkür hin überprüft werden dürfe.99 Aus Art. 19 IV GG ergebe sich die Notwendigkeit, Entscheidungen, die die Staatsanwaltschaft in eige­ ner Zuständigkeit treffen kann, zumindest im Hinblick auf willkürliches Handeln zu kontrollieren.100 Liege ein objektiv willkürliches Verhalten vor, könne dem Beschuldigten, der einen Anspruch auf ein rechtsstaatliches Ver­ fahren hat, nicht mit dem Argument der Rechtsschutz verwehrt werden, der Gesetzgeber habe der Staatsanwaltschaft einen gerichtlich nicht zu überprü­ fenden Freiraum eröffnet.101 Im Falle einer solchen willkürlichen Annahme des besonderen öffentlichen Interesses soll es als nicht vorliegend anzusehen sein.102 Ein willkürliches Abweichen der ständig geübten Praxis soll dann vorliegen, wenn objektiv nicht nachvollziehbar von den Vorgaben der RiStBV abgewichen werde.103 Eine umfassende Kontrolle könne auch deshalb nicht anzuerkennen sein, da andernfalls der Staatsanwaltschaft die ihr durch das Gesetz geschaffene Kompetenz genommen werde.104

96  Kröpil,

DRiZ 1986, 19, 20. NJW 1992, 654, 656. 98  Hirsch, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 16. 99  Vogel, in: LK-StGB, § 248a Rdnr. 12; Hörnle, in: LK-StGB; § 183 Rdnr. 7; Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 49 ff.; Rogall, in: SK-StGB, § 301 Rdnr. 7. 100  Heinrich, NStZ 1996, 110, 115. 101  So Heinrich, NStZ 1996, 110, 113. 102  Hörnle, in: LK-StGB, § 183 Rdnr. 7. 103  Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 174. 104  Rogall, in: SK-StGB, § 301 Rdnr. 7. 97  Kröpil,



§ 4 Kritik 67

IV. Rechtsweg Auch auf welchem Wege die gerichtliche Kontrolle stattzufinden habe, ist umstritten. Einigkeit besteht allein dahingehend, nicht im Verwaltungsrechts­ weg gegen die staatsanwaltschaftliche Entscheidung vorgehen zu können.105 1. Kontrolle im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG

Aus der Rechtsprechung hat sich insbesondere das OLG Bremen Auf­ merksamkeit verschafft, indem es eine gerichtliche Kontrolle im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG befürwortete. In seinem Vorlagebeschluss106 führte es aus, dass die Feststellung des staatlichen Verfolgungsinteresses als Justizverwaltungsakt zu bewerten und daher eine solche Überprüfbarkeit notwendig sei.107 Auch in der Literatur der 1960er und 1970er Jahre finden sich Stimmen, die eine Überprüfbarkeit im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG für richtig gehalten haben. Die Zulässigkeit gerichtlicher Kontrolle erfolge aus der Möglichkeit des Beschuldigten, in seinem Recht auf Gleich­ behandlung verletzt zu sein, wobei das Gericht aber nicht nachprüfen könne, ob an der Verfolgung der Tat wirklich ein besonderes öffentliches Interesse bestehe.108 Zuständig für die Entscheidung über den Antrag wäre dann ge­ mäß § 25 I EGGVG ein Senat am zuständigen OLG. Heinrich hält die Regelung der §§ 23 ff. EGGVG nicht direkt für anwend­ bar, da es sich beim Ermittlungsverfahren nicht um ein selbstständiges Ver­ waltungsverfahren handele.109 Da für ihn eine gerichtliche Überprüfung zwingend notwendig erscheint, jedoch keine der anerkannten Rechtwege in­ frage komme, plädiert er für einen Rechtsschutz analog §§ 23 ff. EGGVG.110 2. Durch das mit der Sache befasste Gericht

Mehrheitlich wird davon ausgegangen, eine gerichtliche Kontrolle habe durch das mit der Sache befasste Gericht zu erfolgen. Diese Folgerung ist jedenfalls logische Konsequenz der Auffassung, das besondere öffentliche Interesse selbst sei die Prozessvoraussetzung, da das mit der Hauptsache befasste Gericht das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen von Amts wegen

105  BVerwG

NJW 1959, 448 f. Bremen MDR 1961, 167. 107  OLG Bremen MDR 1961, 167, 168. 108  Strubel/Sprenger, NJW 1972, 1734, 1737. 109  Heinrich, NStZ 1996, 110, 114. 110  Heinrich, NStZ 1996, 110, 115. 106  OLG

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2. Kap.: Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung

zu prüfen hat.111 Aber auch die Vertreter der Auffassung, bei der staatsan­ waltschaftlichen Entscheidung handle es sich um die Prozessvoraussetzung und nicht das besondere öffentliche Interesse, billigen die Kontrollkompetenz dem mit der Hauptsache befassten Gericht zu;112 Gleiches gilt für die Vertre­ ter der Kontrolle in Willkürfällen.113 3. Ergebnis

Einigkeit besteht dahingehend, dass die gerichtliche Kontrolle durch die ordentliche Gerichtsbarkeit zu erfolgen habe – lediglich das Verfahren und die Zuständigkeit werden unterschiedlich beurteilt. Die Vertreter, die eine Kontrolle im Wege der direkten Anwendung der §§ 23 ff. EGGVG favorisie­ ren, sind indes seit geraumer Zeit verstummt. In der jüngeren Literatur findet sich kein Vertreter mehr.114 Man kann die Anerkennung gerichtlicher Kontrolle mittlerweile durchaus als im Schrifttum herrschend bezeichnen. Umstritten ist lediglich, in wel­ chem Umfang eine solche Kontrolle stattzufinden hat.

G. Der maßgebliche Ausgangspunkt der Kritik Die Kritikpunkte an der derzeitigen Handhabung fußen zumeist auf einem von der Rechtsprechung abweichenden Gesetzesverständnis sowie der Frage nach der Prozessvoraussetzung der relativen Antragsdelikte und der Rechts­ natur des besonderen öffentlichen Interesses selbst. Je nachdem, ob ein sol­ ches Interesse tatsächlich vorliegen muss, werden unterschiedliche Folgerun­ gen gezogen.

H. Fazit Während die Rechtspraxis eine pragmatische Handhabung vornimmt, überwiegt im Schrifttum die Missbilligung dieser Praxis, insbesondere im Rahmen der Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit.

111  Kühne,

in: LR-StPO (26. Aufl.), Einl. Abschn. K Rdnr. 42. in: MüKo-StGB; § 230 Rdnr. 52; Winnen, Eingeschränkte Antragsde­

112  Hardtung

likte, S. 176. 113  Momsen-Pflanz/Momsen, in: S/S/W-StGB, § 230 Rdnr. 3. 114  Die „jüngste“ Veröffentlichung dieser Auffassung stammt von Strubel/Sprenger, NJW 1972, 1734, 1737.

3. Kapitel

Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata Ausgangspunkt für die sachgerechte Stellungnahme zur von der Literatur geübten Kritik an der Rechtspraxis ist die Erörterung der entscheidenden Aspekte, die das Fundament der Kritik bilden. Hierzu gehören, wie bereits erwähnt, die Frage nach der Prozessvoraussetzung innerhalb der amtlichen Verfolgungsmöglichkeit und die Frage nach der Rechtsnatur des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung.

§ 5 Die Charakterisierung des besonderen öffentlichen Interessesan der Strafverfolgung A. Die Prozessvoraussetzung I. Meinungsstand 1. Die Staatsanwaltschaftliche Erklärung über das Verfolgungsinteresse

Nach herkömmlicher und gefestigter Rechtsprechung kann die Staatsan­ waltschaft das relative Antragsdelikt dann von Amts wegen verfolgen, wenn sie erklärt, dass ein Verfolgungsinteresse ihrerseits bestehe.1 Auf das tat­ sächliche Bestehen eines besonderen öffentlichen Interesses komme es hin­ gegen nicht an. Der BGH argumentiert hierbei mit dem Wortlaut der Norm. Eine Umdeutung des Wortlautes dergestalt, dass es auf das besondere öffent­ liche Interesse selbst ankomme, sei nicht möglich.2 Zudem sei gerade vom Gesetzgeber gewollt, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft als für die Überwindung des Verfahrenshindernisses des fehlenden Strafantrags anzuse­ hen.3

1  BGHSt

16, 225, 231. 16, 225, 231. 3  Popp, in: LK-StGB, § 230 Rdnr. 17. 2  BGHSt

70

3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata 2. Das besondere öffentliche Interesse selbst als Prozessvoraussetzung

Gut 20 Jahre hat niemand in der Strafrechtswissenschaft die Auffassung der Rechtsprechung infrage gestellt. Das hat sich Anfang der 1960er Jahre geändert. Seit Vogel in der NJW 1961, 761 die Auffassung vertreten hat, dass das besondere öffentliche Interesse selbst die Prozessvoraussetzung darstelle und nicht die Erklärung der Staatsanwaltschaft hierüber, hat dieses Verständ­ nis in der darauffolgenden Zeit an Anhängern gewonnen.4 Kennzeichnend für ein solches Verständnis ist der pragmatische Ansatz, dass ein besonderes öffentliches Interesse lediglich entweder bestehen oder nicht bestehen kön­ ne.5 Nur darauf komme es an. Einen eigenen „Entschließungsakt“6 seitens der Staatsanwaltschaft gebe es nicht. Für ein Ermessen auf Ebene des beson­ deren öffentlichen Interesses bleibt dieser Auffassung nach kein Platz.7 Im Ermessen der Staatsanwaltschaft könne lediglich die Frage stehen, ob bei dessen Vorliegen eingeschritten werde oder nicht.8 Dass der Gesetzgeber durch seine Wortwahl eher der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung und nicht dem objektiven Bestehen des besonderen öffentlichen Interesses den Charakter als Prozessvoraussetzung zusprach, sei mit den damaligen politi­ schen Verhältnissen zu erklären.9 Dem besonderen öffentlichen Interesse kommt nach diesem Verständnis eine konstitutive Bedeutung zu. Es ist das zentrale Element, welches die staatliche Verfolgungstätigkeit zu legitimieren vermag. II. Eigene Auffassung 1. Das Problem

Bei der Beschäftigung mit der Frage taucht zunächst ein Problem auf, welches aus der genutzten Terminologie im Umgang mit dem besonderen öffentlichen Interesse resultiert. Wenn von „Bejahung des besonderen öffent­ 4  Schröder,

290.

in: S/S-StGB (12. Aufl.), § 232 Rdnr. 3, Havekost, DAR 1977, 289,

5  Diese – so von Hirsch genannte – „Verfahrensvoraussetzungstheorie“ (Hirsch, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 16) wird in der Literatur bspw. vertreten von Sternberg/Lieben, in: S/S-StGB, § 230 Rdnr. 3; Wolters, in: SK-StGB, § 230 Rdnr. 4; Paeffgen/Böse, in: NK-StGB, § 230 Rdnr. 15. 6  So Vogel, NJW 1961, 761, 762. 7  Hirsch, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 16; Havekost, DAR 1977, 289, 290. 8  Havekost, DAR 1977, 289, 290; M.-K. Meyer, Rechtsnatur und Funktion, S. 44. 9  Schröder, in: S/S-StGB (17. Aufl.), § 232 Anm. 3.



§ 5 Die Charakterisierung des besonderen öffentlichen Interesses 71

lichen Interesses“ gesprochen wird, weicht das, was gemeint wird, von dem ab, was gesagt wird. Gemeint ist die Rechtsfolgenseite der Regelung, die Frage nach dem Gebotensein amtlichen Einschreitens. Gesagt wird, dass die Staatsanwaltschaft den Begriff des besonderen öffentlichen Interesses beja­ hen oder verneinen könne und es nur darauf ankäme. Diese Vermengung ist Konsequenz eines einstufigen Verständnisses der Prozessvoraussetzung.10 2. Der Begriff der Prozessvoraussetzung

Die Strafprozessordnung selbst nennt den Begriff „Prozessvoraussetzung“ nicht. In den §§ 206a I, 260 III, 304 IV 2 Nr. 2, 467 III 2 Nr. 2 StPO wird lediglich von Verfahrenshindernissen gesprochen.11 Der Terminus der Pro­ zessvoraussetzung ist dennoch anerkannt. Prozessvoraussetzungen werden definiert als diejenigen Umstände, von deren Vorliegen es abhängt, dass in einem Verfahren eine Sachentscheidung ergehen darf.12 Die maßgebliche Frage im hier zu untersuchenden Kontext lautet also, wann die Strafverfol­ gung von Amts wegen bei relativen Antragsdelikten zulässig ist bzw. von welchen Voraussetzungen es abhängt, dass eine gerichtliche Sachentschei­ dung erfolgen kann. 3. Theoretische Varianten der Prozessvoraussetzungen

Dem Wortlaut der relativen Antragsdelikte lassen sich zunächst einmal zwei Merkmale entnehmen, die die Frage der Prozessvoraussetzung betreffen können.13 Zum einen kann man auf die staatsanwaltschaftliche Entscheidung, ein Einschreiten von Amts wegen sei geboten, abstellen. Demnach hat das besondere öffentliche Interesse keine unmittelbare Wirkung auf die Frage nach der Zulässigkeit der Strafverfolgung. Auf der anderen Seite kann man das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung als eigentliche Prozessvoraussetzung ansehen. Maßgeblich für die Zulässigkeit des Strafverfahrens ist dann dessen tatsächliches Vorlie­ gen. Es ergibt sich jedoch auch eine dritte Variante. Der Gesetzeswortlaut lässt es zu, ein Verständnis anzulegen, demzufolge es ebenfalls auf die staatsan­ waltschaftliche Erklärung des Verfolgungsinteresses ankommt, deren Recht­ 10  Hierzu

unten S. 75 ff. hierzu Kudlich, in: MüKo-StPO, Einl. Rdnr. 352 ff. 12  BGHSt 10, 74, 75; Radtke, in: R/H-StPO, Einleitung, Rdnr. 47; Kragler, DB 1982, 98; umfassend Volk, Prozessvoraussetzungen, 1978. 13  Überblick auch bei Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 158 ff., der in diesem Zusammenhang zugleich die Rechtsnatur einbezieht. 11  Siehe

72

3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

mäßigkeit jedoch in materieller Hinsicht von einem tatsächlich bestehenden besonderen öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung abhängt.14 Diese Möglichkeit kann allerdings nur dann in Betracht kommen, wenn man die Regelung in zwei Teile untergliedert – in das besondere öffentliche Interesse einerseits und die Entscheidung, ein Einschreiten ist geboten, anderseits. 4. Keine Abhängigkeit von der gerichtlichen Überprüfbarkeit

Winnen untersucht in seiner Monographie, ob die Frage nach der Prozess­ voraussetzung verbunden ist mit der der gerichtlichen Überprüfbarkeit des besonderen öffentlichen Interesses. Wenn es sich um eine nicht überprüfbare Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft handele, ergebe sich daraus, dass allein ihre Aussage maßgeblich und somit als Prozessvoraussetzung anzusehen sei.15 Jedoch kann eine solche Abhängigkeit nicht anerkannt werden. Richtig ist, dass Prozessvoraussetzungen einer Kontrolle von Amts wegen unterliegen.16 Die gerichtliche Kontrollpflicht ist jedoch Konsequenz der Einordnung eines Umstands als Prozessvoraussetzung, nicht deren Voraussetzung.17 Zudem fußt die Auffassung, eine solche Abhängigkeit könne bestehen, auf einem einstufigen Verständnis der Verfolgungsregelung, bei dem entweder ein be­ sonderes öffentliches Interesse bestehen oder erklärt werden muss. Vorzugswürdig ist es daher, die beiden Aspekte isoliert zu betrachten, zu­ mal im Rahmen der gerichtlichen Überprüfbarkeit weitere dogmatische Fra­ gestellungen auftauchen. 5. Zum Ansatz Vogels

Wie oben dargestellt, existiert eine Vielzahl an Stimmen, die auf dem Standpunkt steht, das objektive Vorliegen eines besonderen öffentlichen Inte­ resses selbst sei die Prozessvoraussetzung. Ausgangspunkt dieser Auffassung ist eine andere Deutung der Regelung über die Verfolgung. Vogel liest den Wortlaut folgendermaßen: „Die Verfolgung leichter vorsätzlicher sowie aller durch Fahrlässigkeit verursachter Körperverletzungen (§§ 223, 230 StGB) 14  Diese dritte Möglichkeit fehlt in der Auflistung bei Winnen, was daran liegen dürfte, dass er ebenfalls davon ausgeht, es gebe eine Erklärung über das besondere öffentliche Interesse. Im Sinne dieser dritten Variante wird die Prozessvoraussetzung von H. Vogel, Das öffentliche Interesse, S. 302 ff. verstanden. 15  Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 161 f. 16  Kühne, in: LR-StPO (26. Aufl.), Einl. Abschn. K Rdnr. 42. 17  Hirsch, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 16.



§ 5 Die Charakterisierung des besonderen öffentlichen Interesses 73

tritt nur auf Antrag an, es sei denn, daß ein besonderes öffentliches Interesse besteht.“18 Diese Umdeutung muss sich dem Einwand des BGH19 stellen: Mit dem Wortlaut der relativen Antragsdelikte de lege lata ist diese Lesart nicht ver­ einbar20, da sie eine gesetzlich jedenfalls dem Wortlaut nach ableitbare („für geboten hält“) Entscheidungsbefugnis gänzlich außer Acht lässt. Der Wort­ laut müsste durch den Gesetzgeber angepasst werden, so er denn das beson­ dere öffentliche Interesse als eigentliche Prozessvoraussetzung anerkennen will. Daraus ergibt sich zunächst allerdings nur, dass die staatsanwaltschaftliche Entscheidung als Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der Prozessvoraus­ setzung anzusehen ist. Aus der Ablehnung der zuvor dargestellten Lesart er­ gibt sich indes nicht und soll auch nicht gefolgert werden, dass das besondere öffentliche Interesse bei der Beurteilung der Prozessvoraussetzung keinen (entscheidenden) eigenständigen Gehalt aufweist. 6. Die „wirksame“ Erklärung der Staatsanwaltschaft als Prozessvoraussetzung

Zuzustimmen ist daher zunächst der Auffassung, die in der Erklärung der Staatsanwaltschaft die eigentliche Prozessvoraussetzung sieht.21 In BGHSt 16, 225, 231 wird ausgeführt, dass die Prozessvoraussetzung des § 232 StGB a. F. ohne Strafantrag darin besteht, dass die Staatsanwaltschaft wirksam ihr Verfolgungsinteresse erklärt. Die zentrale Frage ist also, wann diese Erklärung wirksam ist. Dies hängt davon ab, ob lediglich ein formeller Akt zu fordern ist oder ob es tatsächlich eines bestehenden besonderen öffent­ lichen Interesses bedarf.22 a) Gegenstand der staatsanwaltschaftlichen Erklärung In diesem Zusammenhang bedarf es zunächst der Etablierung einer saube­ ren Terminologie; diejenige der Rechtspraxis wurde bereits an früherer Stelle kritisiert. Uneinigkeit besteht dahingehend nämlich darüber, was überhaupt Gegenstand der staatsanwaltschaftlichen Erklärung ist. Hierzu wurde schon ausgeführt, dass in der Rechtspraxis zum Teil gesagt wird, die Staatsanwalt­ 18  Vogel,

NJW 1961, 761, 763. 16, 225, 231. 20  A. A. Sternberg-Lieben, in: S/S-StGB, § 230 Rdnr. 3. 21  Siehe statt vieler nur M.-K. Meyer, Rechtsnatur und Funktion, S. 42. 22  Siehe hierzu auch M.-K. Meyer, Rechtsnatur und Funktion, S. 43 ff. 19  BGHSt

74

3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

schaft müsse ein besonderes öffentliches Interesse bejahen. Diese Formulie­ rung findet sich auch vielfach in der Literatur.23 Das ist jedoch nicht korrekt, da die Staatsanwaltschaft ausweislich des Wortlautes nicht das besondere öffentliche Interesse erklären oder bejahen, sondern dass sie ein Einschreiten von Amts wegen für geboten halten muss. Gegenstand der Erklärung muss also sein: Ein Einschreiten von Amts wegen wird für geboten gehalten. b) Wirksamkeit der staatsanwaltschaftlichen Erklärung aa) Einigkeit hinsichtlich eines formellen Aktes Hierbei gehen der BGH und die einhellige Auffassung im Schrifttum da­ von aus, dass eine wirksame Erklärung in jedem Fall einen formellen Akt voraussetzt. Die Staatsanwaltschaft muss kenntlich machen, dass sie ein ­besonderes öffentliches Interesse bejaht, bzw. je nach Terminologie das Ver­ folgungsinteresse bejaht oder ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. An dem Erfordernis eines formellen Aktes ist festzuhalten, da andern­ falls nicht erkennbar sein kann, ob die Staatsanwaltschaft das relative An­ tragsdelikt verfolgen will oder nicht. Diese Erklärung besteht in tatsächlicher Hinsicht schlicht darin, dass sie das Ermittlungsverfahren durchführt. bb) Erfordernis eines tatsächlich bestehenden besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung? Fraglich und das zentrale Problem ist nun, ob sich die Prozessvorausset­ zung in diesem formellen Akt erschöpft. Nach derzeitiger Rechtspraxis und – auch verfassungsgerichtlich – gebilligter Rechtsprechung hat das besondere öffentliche Interesse keinen materiellen Gehalt, da es nicht tatsächlich vorlie­ gen muss. Ob die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse be­ jahen oder ein Einschreiten von Amts wegen für geboten halten muss, bedeu­ tet im Ergebnis keinen Unterschied. Wie oben angedeutet, besteht jedoch die Möglichkeit, der staatsanwaltschaftlichen Erklärung einen materiellen Inhalt in Gestalt eines tatsächlich bestehenden besonderen öffentlichen Interesses abzufordern. Dies herauszufinden ist Gegenstand dieses Abschnitts. Zur Beantwortung dieser Frage muss die Struktur des bspw. § 230 I 1 2. HS StGB beachtet wer­ den.

23  Eisele, in: S/S-StGB, § 205 Rdnr. 4; Valerius, in: BeckOK-StGB, § 235 Rdnr. 23; Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 168.



§ 5 Die Charakterisierung des besonderen öffentlichen Interesses 75

(1) Einstufige oder zweistufige Struktur der Verfolgungsregelung? Für die Beantwortung ist zunächst zu untersuchen, was sich dem Wortlaut der relativen Antragsdelikte entnehmen lässt. Ausgangspunkt ist hierbei das Festhalten an der grundsätzlichen Struktur einer Rechtsnorm, die zwischen Tatbestand und Rechtsfolge unterscheidet.24 Zum Teil wird die Entscheidung der Staatsanwaltschaft – und nicht ein tatsächlich bestehendes besonderes öffentliches Interesse – zunächst mit dem Argument für maßgeblich gehalten, dass eine Zweistufigkeit der Norm – also eine Aufteilung in das besondere öffentliche Interesse einerseits und die Ent­ scheidung über die Gebotenheit amtlichen Einschreitens andererseits – nicht vom Gesetzgeber gewollt gewesen ist.25 Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich hierfür keine Stütze. Es wird keine konkrete Aussage darüber getroffen, ob es auf die staatsanwaltschaft­ liche Erklärung oder ein bestehendes besonderes öffentliches Interesse an­ kommen soll.26 Die amtliche Begründung gibt diesbezüglich lediglich den Gesetzeswortlaut wieder.27 Anschließend werden Umstände aufgelistet, die nach Auffassung des Gesetzgebers dazu führen, dass ein Einschreiten gebo­ ten ist.28 Auch das zeitgenössische Schrifttum trennt sprachlich zwischen diesen beiden Umständen. Rietzsch führt hierzu aus: „Die Verordnung eröffnet aber der Strafverfolgungsbehörde die Möglichkeit, von Amts wegen einzuschreiten, wenn ein Strafantrag nicht vorliegt. Voraussetzung hierfür ist, daß die Strafverfolgungsbehörde „ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung“ feststellt und deshalb ein Einschreiten von Amts wegen für geboten erachtet.“29

Weiterhin wird die Zweistufigkeit mit dem Hinweis abgelehnt, es liege sprachlich fern anzunehmen, die Regelung sei so zu verstehen, dass das be­ sondere öffentliche Interesse bestehen und daraufhin die Staatsanwaltschaft eine Entscheidung treffen müsse.30 Es wäre dem Gesetzgeber theoretisch ein Leichtes gewesen, sprachlich die Frage nach den Verfolgungsvoraussetzungen in die Hände der Staatsanwalt­ schaft zu legen. Allerdings war er aus systematischen Gründen daran gehin­ 24  Detterbeck, Allg. VerwR, § 8 Rdnr. 311; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 251. 25  Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 11; Popp, in: LK-StGB, § 230 Rdnr. 17. 26  Siehe hierzu auch H. Vogel, Das öffentliche Interesse, S. 304. 27  DJ 1940, 508. 28  DJ 1940, 508. 29  Rietzsch, DJ 1940, 532, 534. 30  Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 14.

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

dert, allein eine voraussetzungslose Ermessensregelung zu treffen. Das ergibt sich aus der Ausführungsverordnung zur VO vom 2.4.1940. Es musste ein Begriff gewählt werden, der nicht in Konflikt zur Regelung des § 376 StPO steht.31 Die Einführung eines abgrenzenden Begriffs, der mit solchen Um­ ständen auszufüllen sein soll, die über § 376 StPO hinausgehen, spricht für eine eigenständige Bedeutung des besonderen öffentlichen Interesses. Sprachlich und historisch lässt sich eine einstufige Regelung nicht mit Si­ cherheit ableiten. Für eine Zweistufigkeit streitet aber gerade, dass sich dem Wortlaut nach die Entscheidungsgewalt der Staatsanwaltschaft nur auf den Rechtsfolgenteil der Regelung bezieht. Gleiches gilt in Bezug auf die übliche Struktur von Rechtsnormen, die zwischen Tatbestand und Rechtsfolge unter­ scheidet. Auf Ebene des Tatbestands findet sich das besondere öffentliche Interesse und auf der Rechtsfolgenseite die Befugnis der Staatsanwaltschaft, ein Einschreiten von Amts wegen für geboten halten zu können. Weit größere Bedeutung hat die Auseinandersetzung mit dem Willen des Gesetzgebers für die Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit. Für die Bin­ nengestaltung der Norm selbst ist dieser Umstand nicht aussagekräftig. Daher wird auf diesen Punkt an späterer Stelle vertieft eingegangen.32 Ein weit gewichtigeres Argument für eine zweistufige Regelung findet sich aber auch selbst in den betreffenden Normen; im Wort „wegen“. Aus diesem folgt, dass das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Inter­ esses an der Strafverfolgung die Bedingung dafür ist, dass die Staatsanwalt­ schaft überhaupt einschreiten darf. Das Gesetz fordert einen Kausalzusam­ menhang zwischen dem besonderen öffentlichen Interesse und der Entschei­ dung der Staatsanwaltschaft. Denn „wegen“ bedeutet das Herstellen eines ursächlichen Zusammenhangs.33 Dieser Zusammenhang wird im Strafge­ setzbuch an verschiedenen Stellen benutzt. So betrifft bspw. § 20 StGB die Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen. Allein diese Umstände sind es, die zu einer dort normierten Schuldunfähigkeit führen. Verdeutlichen lässt sich dies auch anhand der Regelung des § 24 I 1 Nr. 3 GVG, wo die amtsge­ richtliche Zuständigkeit entfällt, wenn die Staatsanwaltschaft wegen be­ stimmter Umstände die Anklage am Landgericht erhebt. In beiden Fällen ist das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen die Bedingung dafür, Rechtsfol­ gen auslösen zu können. Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung ist im Rahmen der relativen Antragsdelikte eine Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der staatsanwaltschaftlichen Erklärung. 31  DJ

1940, 509. S.  96 ff. 33  Duden in 8 Bänden, Band 8, S. 3862 Stichwort „wegen“. 32  Unten,



§ 5 Die Charakterisierung des besonderen öffentlichen Interesses 77

Dass der Wortlaut der Norm die Ausgangsbasis für die Gesetzesauslegung darstellt, entspricht der ganz herrschenden Meinung.34 Ebenso anerkannt ist, dass man nicht wörtlich an der Norm kleben bleiben darf, sondern den noch möglichen Wortsinn als Grenze zulässiger Auslegung heranzuziehen hat. Gemessen daran ist keines der beiden Verständnisse zwingend, jedoch die Einteilung als zweistufige Regelung naheliegender. Neben der Wortlautauslegung ist auch die Frage nach Sinn und Zweck der Norm relevant. Zu untersuchen ist daher, welche Funktion dem Element des „besonderen öffentlichen Interesses“ zukommt. (2) Die Funktion des besonderen öffentlichen Interesses (a) Ermöglichung amtlicher Strafverfolgung Unmittelbar aus dem Wortlaut der relativen Antragsdelikte ergibt sich, dass das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung eine Voraus­ setzung dafür ist, dass die Tat unabhängig vom Vorliegen eines Strafantrages verfolgt werden kann. Das besondere öffentliche Interesse kann also den Strafantrag ersetzen35 und betrifft das „Ob“ der Strafverfolgung von Amts wegen.36 Da die Tat auch aufgrund eines Strafantrages verfolgt werden kann, ent­ scheidet das besondere öffentliche Interesse aber nicht über die generelle Verfolgbarkeit der Tat37, sondern nur darüber, ob die Staatsanwaltschaft sie verfolgen darf bzw. muss.38 Insofern werden die Befugnisse des Staates zur Strafverfolgung gegenüber den absoluten Antragsdelikten erweitert. Liegt kein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung vor, hängt das Schicksal der Verfolgung davon ab, ob es sich bei dem betreffenden relativen Antragsdelikt um ein Privatklagedelikt handelt oder nicht. Im ersten Fall kann die Tat nur dann von Amts wegen verfolgt werden, wenn ein Straf­ antrag gestellt und an der Erhebung der öffentlichen Klage ein einfaches statt vieler Dannecker, in: LK-StGB (12. Aufl.), § 1 Rdnr. 300 m. w. N. MDR 1977, 246, 247; Hilger, in: LR-StPO, § 376 Rdnr. 20. Die bei­ den Modalitäten der Strafverfolgung sind einander als Verfahrensvoraussetzung gleich­ wertig, Mitsch, in: MüKo-StGB, Vor § 77 Rdnr. 2. 36  Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 22. 37  Anders liegt es bei den absoluten Antragsdelikten, wo der Strafantrag unver­ zichtbar für die generelle Verfolgbarkeit der Tat ist. 38  Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, ob die Staatsanwaltschaft beim Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses ein Verfolgungsermessen hat oder ob das besondere öffentliche Interesse dafür sorgt, dass eine gebundene Entscheidung vorliegt und verfolgt werden muss; dazu unten S. 117 ff. 34  Vgl.

35  BayObLG

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

­ ffentliches Interesse besteht, § 376 StPO.39 Diejenigen relativen Antrags­ ö delikte, die keine Privatklagedelikte sind, was insbesondere auf diejenigen zutrifft, die im Zusammenhang mit § 248a StGB stehen, werden nach Stel­ lung eines Strafantrages stets von Amts wegen verfolgt. Zur Erhebung der öffentlichen Klage bedarf es keines öffentlichen Interesses im Sinne des § 376 StPO. (b) Begrenzung der amtlichen Strafverfolgung Die Möglichkeit, relative Antragsdelikte auch unabhängig vom Strafantrag zu verfolgen, erweitert die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden. Durch das vorgesehene Erfordernis eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung wird diese Erweiterung jedoch zugleich eingeschränkt. Denn es darf nicht in jedem Fall auf den Strafantrag verzichtet werden, sondern nur dann, wenn an der Strafverfolgung ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Andernfalls wäre dieses Merkmal in der Gesetzesumschreibung überflüssig und hätte keinen eigenständigen Anwendungsbereich. Aus dem Wortlaut folgen daher zwei Aspekte. Erstens darf die Staatsanwaltschaft ohne das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses ein Einschreiten nicht für geboten halten; mithin ist die Strafverfolgung von Amts wegen ohne ein bestehendes besonderes öffentliches Interesse unzulässig. Aus der Gesetzes­ formulierung folgt daneben zudem zweitens, dass ein Einschreiten von Amts wegen ausschließlich mit einem besonderen öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung für geboten gehalten werden kann; nicht aus anderen Grün­ den. Hält sie ein Einschreiten aus anderen Erwägungen heraus für notwendig, bedarf es eines Strafantrags. Durch dieses Erfordernis wird die Rechtspflege vor der Befassung mit unbedeutenden Strafverfahren geschützt, also entlastet.40 Zudem bedeutet die Beschränkung der Verfolgungsmöglichkeit auf Fälle, an deren Verfolgung ein besonderes öffentliches Interesse besteht, auch die Rücksichtnahme auf die gesetzgeberische Entscheidung, am Grundsatz des Strafantragserforder­ nisses festzuhalten.41 Weil die Möglichkeit existiert, die betreffende Tat auch unabhängig vom Willen des Verletzten zu verfolgen, ist es geboten, gesetzlich eine Schwelle anzusetzen, die die Anforderungen an die Zulässig­ keit der strafantragsunabhängigen Strafverfolgung festsetzt. Sieht man es als zutreffend an, als Prozessvoraussetzung lediglich den formellen Akt der 39  So

bspw. bei §§ 223, 229, 240, 299 StGB. BGH erkennt diese Funktion jedenfalls bei § 153 StPO an, BGHSt 16, 225, 229. Dass diese Funktion auch im Bereich des besonderen öffentlichen Interes­ ses Geltung beansprucht, wird sich nicht leugnen lassen. 41  Dieses Festhalten betont auch die Gesetzesbegründung, DJ 1940, 508. 40  Der



§ 5 Die Charakterisierung des besonderen öffentlichen Interesses 79

Staatsanwaltschaft anzuerkennen, resultiert daraus eine Gefahr für die Be­ achtung des grundsätzlichen Antragserfordernisses.42 Die Ausführungsver­ ordnung zur VO vom 2.4.1940 spricht im Zusammenhang mit dem besonde­ ren öffentlichen Interesse von einer Ausnahmeregelung.43 Ausdrücklich er­ wähnt wird hierbei jedoch nur das Verhältnis zu § 376 StPO. Die Norm for­ derte seinerzeit bereits ein „öffentliches Interesse“.44 Ableiten lässt sich im Zusammenspiel mit dem ausdrücklichen Festhalten am Antragserfordernis dennoch, dass das besondere öffentliche Interesse einen eigenständigen Ge­ halt haben muss, um diesen Grundsatz nicht zu unterlaufen und eine Abgren­ zung der Begriffe zu ermöglichen. Auch zu jener Zeit hat die Frage, unter welchen Voraussetzungen entweder auf einen Strafantrag verzichtet werden kann oder ob er erforderlich ist, davon abgehangen, ob lediglich ein öffent­ liches Interesse im Sinne des § 376 StPO oder ein besonderes öffentliches Interesse vorliegt. Daneben findet eine weitere Einschränkung durch das Merkmal „an der Strafverfolgung“ statt. Das Gesetz ordnet hier an, dass nicht jegliche beson­ deren öffentlichen Interessen ausreichen, um die amtliche Verfolgung zu ge­ statten, sondern nur solche der Strafverfolgung. Die Gesetzesbegründung geht auf diesen Punkt nicht gesondert ein. Dem Gesetzgeber ist es – wie gezeigt – darum gegangen, das Strafantragserforder­ nis zu lockern und eine einheitliche Verfolgungsregelung zu schaffen. Dass er durch seine sprachliche Gestaltung der Norm tatsächlich zwar die Mög­ lichkeit zum Einschreiten, aber auch zeitgleich die Begrenzung der Strafver­ folgungsbefugnis geschaffen hat, muss anerkannt werden. Im Gegensatz zur Ausführungsverordnung, die das Erfordernis eines „besonderen“ öffentlichen Interesses hervorhebt, geht die amtliche Begründung nicht auf einen gegen­ über dem öffentlichen Interesse anderen Maßstab ein. Beließe man es dabei, dass die Staatsanwaltschaft selbst darüber zu ent­ scheiden habe, ob ein besonderes öffentliches Interesses bestehe und erblickte man nur in dessen Bejahung die Prozessvoraussetzung unter Verzicht auf dessen tatsächliches Vorliegen, so ergebe sich, dass das besondere öffentliche Interesse, obwohl es im Gesetz gefordert wird, keinen eigenständigen be­ grenzenden Gehalt hätte.

42  M.-K. Meyer, 43  Zum

Rechtsnatur und Funktion, S. 43. Verhältnis des besonderen öffentlichen Interesses zum Strafantrag siehe

S.  239 ff. 44  DJ 1940, 509.

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

(c) Schutz vor Strafverfolgung? Der BGH steht auf dem Standpunkt, die Staatsanwaltschaft greife durch ihre Erklärung nicht in die Rechte des Beschuldigten ein, da dieser mit der schuldhaften Verwirklichung des Tatbestandes den staatlichen Strafanspruch gegen sich begründe.45 Die in § 232 StGB a. F. normierten Voraussetzungen für die Verfolgung der Tat dienen lediglich staatlichen Interessen46 und hät­ ten nicht den Zweck, den Beschuldigten vor der Überziehung mit einem Strafverfahren zu schützen.47 Selbiges wird auch für den Strafantrag vertre­ ten. Das Interesse des Täters, von der Strafverfolgung verschont zu bleiben, sei kein beachtlicher Aspekt.48 Diese Auffassung des BGH ist im Ergebnis unzutreffend. Ob ein Strafan­ spruch entstanden ist, steht erst mit rechtskräftigem Abschluss des Strafver­ fahrens fest.49 Zuvor gilt uneingeschränkt die Unschuldsvermutung. Das besondere öffentliche Interesse muss aber zu einem Zeitpunkt vorliegen, zu dem über den Strafanspruch noch keine Aussage getroffen werden kann. Selbst wenn man anerkennen würde, dass ein staatlicher Strafanspruch be­ reits mit schuldhafter Verwirklichung des Tatbestandes begründet wird, folgt daraus nicht, dass die Bestrafung des Täters zulässig ist. Nimmt man an, dass immer dann, sobald sich jemand strafbar gemacht hat, auch ohne Weiteres die Bestrafung desjenigen zulässig wäre, ließe sich das Antragsdelikt nicht erklären. Denn bei diesem ist ohne Strafantrag keine strafrechtliche Sanktion möglich, daran ändert auch ein bestehender Strafanspruch nichts. Auch wenn der Strafantrag nicht dem Schutz des Täters vor Strafverfolgung dient, be­ wirkt sein Fehlen dennoch faktisch diesen Schutz. Ob die Voraussetzungen der relativen Antragdelikte den Schutz des Beschuldigten vor Strafverfolgung bezwecken oder nicht, kann dahinstehen, da jedenfalls ohne diese zusätzliche Voraussetzung keine Rechtmäßigkeit des Strafausspruchs vorliegt. Die Nor­ men der relativen Antragsdelikte normieren nämlich ausdrücklich, wann eine Strafe erfolgen darf – eben nur dann, wenn die Verfolgung der Tat im beson­ deren öffentlichen Interesse liegt. Beim relativen Antragsdelikt ist die rechtswidrige und schuldhafte Ver­ wirklichung eines gesetzlichen Tatbestands zwar notwendige, aber nicht 45  BGHSt

16, 225, 228. NJW 1991, 1765, 1766. 47  BGHSt 16, 225, 228; BayObLG NJW 1991, 1765, 1766; vgl. auch Hörnle, in: LK-StGB, § 183 Rdnr. 7. 48  Greger/Weingarten, in: LK-StGB, Vor §§ 77–77e Rdnr. 3; RGSt 24, 427, 428 „ausnahmslos im Interesse des (Verletzten)“. 49  LG Aachen, JZ 1970, 507, 520: „Zweck des Strafverfahrens ist die Prüfung des staatlichen Strafanspruchs (…)“. 46  BayObLG



§ 5 Die Charakterisierung des besonderen öffentlichen Interesses 81

hinreichende Bedingung dafür, dass die Verhängung einer Strafe rechtmäßig ist. Selbst wenn man mit dem BGH vertritt, dass hierdurch ein staatlicher Strafanspruch besteht, ist dessen Bestehen nicht gleichzusetzen mit dessen Durchsetzbarkeit. Im Ergebnis schützt das Erfordernis eines besonderen öffentlichen Interes­ ses jedenfalls faktisch den Beschuldigten vor dem Strafverfahren.50 (d) Schutz des Verletzten Daneben ist auch zu fragen, ob das besondere öffentliche Interesse den Interessen des Verletzten dient. Die Rechtsprechung verneint dies.51 Die Verneinung des Schutzes des Verletzten ist unzutreffend. Dem Verletzten wird es durch das grundsätzliche Antragserfordernis primär in sein Belieben gestellt, ob er einen Strafantrag stellt oder nicht. Die Strafverfolgung von Amts wegen ist geeignet, sich über diese Entscheidungsbefugnis hinwegzu­ setzen. Indem diese Möglichkeit jedoch nicht immer gewährt wird, sondern von der Voraussetzung des besonderen öffentlichen Interesses abhängig ge­ macht wird, lässt sich folgern, dass dieses Erfordernis auch dem Schutz der Entscheidungsfreiheit des Strafantragsberechtigten dient. Die Rechtsprechung betrachtet die Perspektive des strafantragsberechtigten Verletzten nicht hin­ reichend. Insbesondere wird seitens der Rechtsprechung des BayObLG ver­ kannt, dass das Strafantragserfordernis bei relativen Antragsdelikten zum Teil explizit den schützenswerten Belangen des Verletzten dient.52 Dem BGH kann dieser Vorwurf hingegen nicht gemacht werden. Im Jahre 1961, als die das besondere öffentliche Interesse betreffende Grundsatzentschei­ dung erging53, betraf der Zweck des Strafantrags im Kontext der relativen Antragsdelikte noch nicht den Schutz des Verletzten. (e) Fazit Wenn auch an keiner Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen wird, kommt dem Element des besonderen öffentlichen Interesses eine Begrenzungsfunk­ tion für die Strafverfolgungsbefugnisse bei relativen Antragsdelikten zu. Neben dem Wortlaut ist dies ein gewichtiges Argument dafür, dem besonde­ ren öffentlichen Interesse einen tatsächlichen Regelungsgehalt beizumessen und die Strafverfolgung nur für zulässig zu erachten, wenn diese tatsächlich 50  Zutreffend Thierfelder, NJW 1962, 116; Winnen bezeichnet dies als „Rechtsre­ flex des objektiven (öffentlichen) Strafrechts“, Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 173. 51  BGHSt 16, 225, 228; BayObLG NJW 1991, 1765, 1766. 52  So bei §§ 182, 184i, 205 StGB, ausführlicher hierzu S. 252 ff. 53  BGHSt 16, 225.

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Verstärkt wird dies durch Aner­ kennung eines Schutzzwecks des Strafantrags, welcher durch die Ermögli­ chung amtlicher Strafverfolgung beeinträchtigt wird. (3) Die innergesetzliche Systematik des relativen Antragsdelikts Einer Betrachtung bedarf auch die Systematik des relativen Antragsdelikts insgesamt. Hierzu wurde bereits ausgeführt, dass die Normen zwei alterna­ tive Strafverfolgungsvoraussetzungen enthalten. Inhaltlich muss der Strafan­ trag dabei lediglich das Verlangen des Antragstellers nach Strafverfolgung ausdrücken.54 Beachtet werden müssen darüber hinaus lediglich die gesetz­ lichen Vorgaben der §§ 77 ff. StGB und § 158 StPO. Es bedarf keiner Darle­ gung von Gründen, aus denen sich das Strafverlangen ergibt.55 Das ist bei der amtlichen Verfolgung relativer Antragsdelikte anders. Das Gesetz fordert als Grundlage für die Entscheidung einzuschreiten ein besonderes öffent­ liches Interesse an der Strafverfolgung. Die Strafverfolgungsbehörden müs­ sen sich grundsätzlich nicht dafür rechtfertigen, dass sie Straftaten verfolgen. Hierbei handelt es sich um die Erfüllung der ihnen zugewiesenen Aufgabe. Anderes gilt aber, wenn das Gesetz selbst eine solche Pflicht auferlegt. Das ist hier bei den relativen Antragsdelikten durch das Erfordernis eines beson­ deren öffentlichen Interesses geschehen. Wenn Winnen danach fragt, ob im Vorliegen des besonderen öffentlichen Interesses oder in der staatsanwaltschaftlichen Erklärung die Prozessvoraus­ setzung zu sehen ist56, übersieht er, dass beide Aspekte derart kombiniert werden können und müssen, dass als Prozessvoraussetzung die Erklärung der Staatsanwaltschaft über das Verfolgungsinteresse bedingt durch ein bestehen­ des besonderes öffentliches Interesse anzusehen ist. Daher ist auch H. Vogel zuzustimmen, wenn er der Erklärung der Staatsanwaltschaft formelle und materielle Elemente entnimmt.57 (4) Möglichkeit, dass ein unbestimmter Rechtsbegriff maßgeblich ist Winnen wirft zudem die Frage auf, ob ein unbestimmter Rechtsbegriff, wie der des besonderen öffentlichen Interesses, überhaupt als Prozessvorausset­ 54  Greger/Weingarten,

in: LK-StGB, § 77 Rdnr. 13. GA 1983, 497, 513; für eine Begrenzung der Strafverfolgung anhand objektiver Kriterien anstatt einer willkürlichen Möglichkeit, über das Strafverfahren zu entscheiden Jescheck/Weigend, AT S. 907. 56  Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 160 ff. 57  H. Vogel, Das öffentliche Interesse, S. 303. 55  Keller,



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zung angesehen werden kann.58 Zwar wird hier die Auffassung, nach der das besondere öffentliche Interesse selbst die Prozessvoraussetzung ist, de lege lata nicht geteilt, dennoch stellt sich dieselbe Frage, weil es ebenfalls auf das tatsächliche Bestehen eines besonderen öffentlichen Interesses an­ kommt, um die Strafverfolgung zu legitimieren. Zweifel an der Tauglichkeit könnten wegen der bestehenden Schwierigkeiten in Bezug auf die begriff­ liche Handhabung gehegt werden. Die Scheu vor Schwierigkeiten der Ausle­ gung des Begriffs darf allerdings nicht dazu führen, dass sie gemieden wird. Auch bei der Voraussetzung der Verhandlungsfähigkeit kann es sehr schwie­ rig sein festzustellen, ob sie im konkreten Fall gegeben ist.59 Dennoch ist deren tatsächliches Vorliegen, was einer Kontrolle auch durch das Revisions­ gericht unterliegt60, Prozessvoraussetzung.61 cc) Ergebnis zum materiellen Gehalt Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung muss tatsäch­ lich bestehen. Die hiergegen eingebrachten Einwände können nicht überzeu­ gen. c) Ergebnis Es hat sich gezeigt, dass Wortlaut, Systematik und Zweck dafür sprechen, ein besonderes öffentliches Interesse als Rechtmäßigkeitskriterium für die amtliche Strafverfolgung anzusehen. Allein diese Lesart bezieht den Wort­ laut, der, entgegen der Auffassung Hardtungs, aus zwei Elementen besteht, vollständig ein.62 Als Ergebnis ist, hinsichtlich der Frage nach der Prozess­ voraussetzung, daher festzuhalten, dass es sich bei dem besonderen öffent­ lichen Interesse um ein Rechtmäßigkeitselement der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung, ein Einschreiten von Amts wegen sei geboten, handelt. Zu­ 58  Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 168. Beantwortet wird die Frage von ihm nicht. 59  Exemplarisch sei BGH BeckRS 1998, 31094053 genannt, wo dem Revisions­ gericht als Erkenntnisquellen für die Beurteilungen 3 medizinische Gutachten und das angegriffene Urteil dienten. 60  BGH BeckRS 2016, 17118. 61  Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 21 Rdnr. 11; a.  A. Meyer-Goßner, Prozessvoraussetzungen, S. 37: Prozesshindernis bei Verhandlungsunfähigkeit; im Ergebnis bedeutet das für die hiesige Untersuchung keinen Unterschied. 62  Für eine Zweiteilung zu Recht auch H. Fischer, Die Erklärung, S. 25; wohl auch Lüke, JuS 1961, 205, 209, der zwischen dem formalen Akt der Anklageerhebung und der außerhalb des Verfahrens liegenden Entscheidung über das besondere öffent­ liche Interesse differenziert.

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

stimmung verdient daher H. Vogel, der die Erklärung der Staatsanwaltschaft ebenfalls in formelle und materielle Elemente unterteilt.63 Ob diese Zwei­ teilung sinnvoll ist, lässt sich allerdings bestreiten. Aus praktischen Gründen ist es gewiss einfacher, die Norm einem einheitlichen Verständnis zu unter­ ziehen und lediglich ein Element zu verlangen. Zudem ergeben sich durch die Auslegung als zweistufige Regelung schwierige Konsequenzen, vor allem im Hinblick auf die Frage nach der gerichtlichen Überprüfbarkeit.64

B. Die Rechtsnatur des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung Geklärt werden konnte in einem ersten Schritt, dass es sich beim besonde­ ren öffentlichen Interesse um ein Rechtmäßigkeitselement der staatsanwalt­ schaftlichen Entscheidung handelt. In einem zweiten Schritt wird der Frage nachgegangen, ob der Staatsanwaltschaft bei der Beurteilung des besonderen öffentlichen Interesses ein Ermessen gewährt wird oder ob es sich hierbei um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, den die Staatsanwaltschaft auszu­ legen hat. Gegenstand dieses Abschnitts ist lediglich die dogmatische Be­ trachtung. Zu etwaigen Konsequenzen, die sich insbesondere für den Bereich der gerichtlichen Kontrolle ergeben, wird in einem späteren Abschnitt Stel­ lung bezogen. I. Meinungsstand 1. Die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses als Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft

Nach herrschender Meinung steht die Bejahung oder Verneinung des be­ sonderen öffentlichen Interesses im (pflichtgemäßen65) Ermessen der Staats­ anwaltschaft.66 Sie allein entscheidet darüber, ob sie das besondere öffent­ liche Interesse an der Strafverfolgung annimmt oder nicht. Ein erstes grundsätzliches Problem in diesem Zusammenhang ist die schon erwähnte uneinheitliche Terminologie. Wenn gesagt wird, die Staatsanwalt­ schaft habe ein Ermessen dahingehend, ob sie das besondere öffentliche In­ 63  H. Vogel,

Das öffentliche Interesse, S. 303. dazu unten, S. 91 ff. 65  Zöller, in: Anwalt-Kommentar-StGB, § 230 Rdnr. 8. 66  RGSt 77, 72, 73; BayObLG NJW 1991, 1765 f.; OLG Stuttgart JR 1953, 348; Lüke, JuS 1961, 205, 209; Görcke, ZStW 73 (1961), 561, 600; Bosch, in: S/S, § 248a Rdnr. 23; Momsen-Pflanz/Momsen, in: S/S/W-StGB, § 230 Rdnr. 3; Etter, CR 1989, 115, 120; für ein freies Ermessen Oehler, JZ 1956, 630. 64  Siehe



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teresse bejaht, ist nämlich nicht klar, was damit gemeint ist. Hat die Staats­ anwaltschaft ein Ermessen bei der Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses oder hinsichtlich der Annahme der Verfolgungsvoraussetzung? Letzteres liegt nahe, da vielfach gesagt wird, die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses sei die Prozessvoraussetzung. Wegen der Unklarheit hierüber wird zunächst die Frage nach der Ermessensgewährung im Hinblick auf den Begriff des besonderen öffentlichen Interesses beleuchtet und später auf die Frage nach der Ermessensgewährung bei bestehendem besonderem öffentlichem Interesse eingegangen. Vom Vorliegen einer Ermessensentscheidung gehen augenscheinlich auch die RiStBV aus. In Nr. 243 III 2 RiStBV wird explizit ausgeführt, dass es sich bei der Beurteilung des besonderen öffentlichen Interesses um eine Er­ messensentscheidung handeln soll. Eine eigene Deutung vertritt Keller. Für ihn stellt das besondere öffent­ liche Interesse selbst die Prozessvoraussetzung dar. Er leitet aus dem Wort­ laut der relativen Antragsdelikte aber ab, dass der Staatsanwaltschaft bei der Beurteilung des besonderen öffentlichen Interesses ein Ermessen zukommt.67 Hierbei ist zu beachten, dass Keller die Auffassung vertritt, ein Ermessen könne auch auf Ebene des Tatbestands bestehen.68 2. Das besondere öffentliche Interesse als unbestimmter Rechtsbegriff

Vor allem Vertreter der Auffassung, das besondere öffentliche Interesse selbst sei die Prozessvoraussetzung, sehen das besondere öffentliche Inte­ resse nicht als Ermessensbegriff, sondern als unbestimmten Rechtsbegriff an.69 Auch das Bundesverfassungsgericht steht auf diesem Standpunkt.70 Dies wird zum einen mit der im Verwaltungsrecht anzutreffenden herr­ schenden Meinung begründet, nach der Ermessen nur auf der Rechtsfol­ genseite einer Regelung bestehen könne71, wohingegen auf Tatbestandsseite unbestimmte Rechtsbegriffe anzufinden seien.72 Die Staatsanwaltschaft habe in Bezug auf das besondere öffentliche Interesse „über einen unbestimmten Gesetzesbegriff zu entscheiden und nicht hinsichtlich der Rechtsfolge Ermes­ sen auszuüben“.73 67  Keller,

GA 1983, 497, 520. GA 1983, 497, 516. 69  Vgl. statt vieler Vogel, NJW 1961, 761, 762. 70  BVerfGE 50, 205, 216. 71  BVerwGE 99, 74, 76; Detterbeck, Allg. VerwR, § 8 Rdnr. 312; Sachs, in: S/B/ S-VwVfG, § 40 Rdnr. 32; Maurer/Waldhoff, Allg. VerwR, § 7 Rdnr. 7. 72  Maurer/Waldhoff, Allg. VerwR, § 7 Rdnr. 26; Kröpil, NJW 1992, 654, 655. 73  So Kröpil, DRiZ 1986, 19. 68  Keller,

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

Innerhalb der Auffassungen, die das besondere öffentliche Interesse als unbestimmten Rechtsbegriff ansehen, gibt es wiederum zwei Strömungen. Sie unterscheiden sich dahingehend, ob der Staatsanwaltschaft bei der Ausle­ gung des besonderen öffentlichen Interesses ein Beurteilungsspielraum zu­ steht74 oder ob das Gericht vollumfänglich nachzuprüfen habe, ob ein be­ sonderes öffentliches Interesse besteht, es sich mithin um einen unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum handelt.75 Diese Frage bedarf an dieser Stelle aber keiner Erörterung. Einzugehen ist hierauf im Rahmen der gerichtlichen Überprüfbarkeit, da sich die Beantwortung dieser Frage ledig­ lich dort auswirkt.76 Vielmehr genügt zum hiesigen Zeitpunkt die Feststel­ lung, dass sich das Meinungsspektrum auf zwei wesentliche Auffassungen erstreckt: Die Deutung als Ermessensbegriff und die Deutung als unbestimm­ ter Rechtsbegriff. II. Eigene Auffassung 1. Prämisse: grundsätzliche Geltung der verwaltungsrechtlichen Rechtsinstitute

Die bereits an mancher Stelle auftauchenden Begriffe „Ermessen“, „unbe­ stimmter Rechtsbegriff“ und „Beurteilungsspielraum“ entstammen dem Ver­ waltungsrecht. In der Literatur ist man – sofern sich dazu geäußert wird – vorsichtig und meint, man könne nicht einfach Aspekte, die für das verwal­ tungsgerichtliche Verfahren rechtens seien, in den Strafprozess übertragen.77 Im Rahmen dieser Untersuchung kann der Frage, ob und inwieweit verwal­ tungsrechtliche Termini uneingeschränkt auch im Strafverfahren inhaltlich gleichermaßen auszulegen sind, nicht vertieft nachgegangen werden.78 Aus­ gegangen wird daher von der Prämisse, dass eine solche Anwendung grund­ sätzlich möglich ist. Dieser Ausgangspunkt fußt zunächst darauf, dass die Begriffe in sprachlich identischer Weise auch im Straf(verfahrens)recht ge­ nutzt werden. Auch die Rechtsprechung zieht Parallelen zum Verwaltungs­ recht.79 Nirgends ist die Rede von strafrechtsspezifischen Ermessens- oder Beurteilungsspielräumen. Auch unter dem Aspekt der Einheit der Rechtsord­ nung ist eine Übertragbarkeit anzuerkennen. 74  Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 175; Kalsbach, Die gerichtliche Nach­ prüfung, S. 50; Lüke, JuS 1961, 205, 211. 75  So insb. Vogel, NJW 1961, 761, 762 sowie H. Vogel, Das öffentliche Interesse, S. 221. 76  Dazu unten, S. 102 ff. 77  Vogel, NJW 1961, 761, 763. 78  Siehe hierzu Kappe, GA 1960, 357; speziell zum Beurteilungsspielraum Störmer, ZStW 108 (1996), 494; Schmidt, NJ 2008, 390. 79  BGH NJW 1989, 96, 97.



§ 5 Die Charakterisierung des besonderen öffentlichen Interesses 87 2. Das besondere öffentliche Interesse als Ermessensbegriff oder als unbestimmter Rechtsbegriff

a) Bedeutung der Unterscheidung Die Beantwortung der Frage, ob es sich bei einem Begriff um einen Er­ messensbegriff oder unbestimmten Rechtsbegriff handelt80, hat Auswirkun­ gen darauf, inwieweit die Entscheidung der Behörde einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Gewährt das Gesetz der Behörde Ermessen, beschränkt sich die Befugnis der Gerichte – im Verwaltungsrecht – auf die Kontrolle über die Einhaltung dieser Vorgaben, § 114 S. 1 VwGO. Geprüft wird mithin nur, ob die Behörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.81 Die Überprü­ fung lediglich im Hinblick auf Ermessensfehler wird auch im Strafverfah­ rensrecht für zutreffend erachtet, wenn das Gesetz Ermessen gewährt. Als Beispiel sei § 59 I StPO genannt. Dem Gericht kommt hier hinsichtlich der Notwendigkeit einer Vereidigung Ermessen zu. In Bezug auf die gerichtliche Überprüfbarkeit in der Revision wird eine eingeschränkte Überprüfbarkeit angenommen, die sich auf die Überprüfung von Ermessensfehlern be­ schränkt.82 Das (Revisions-)Gericht kann in diesen Fällen nicht die Ermes­ sensentscheidung der Behörde bzw. des Tatgerichts durch eine eigene er­ setzen.83 Handelt es sich dagegen um einen unbestimmten Rechtsbegriff, unterliegt dieser grundsätzlich einer vollumfänglichen gerichtlichen Kon­ trolle84, sodass die Entscheidung über die behördliche Auslegung des Be­ griffs durch das Gericht korrigiert werden kann. Dies gilt auch im Strafver­ fahren. Das BVerfG hat bspw. in einer die Anordnungskompetenz der Durch­ suchung betreffenden Entscheidung klargestellt, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der „Gefahr im Verzug“ in § 105 I 1 StPO einer uneinge­ schränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt.85 Im Ergebnis dient die Abgrenzung daher der Feststellung, inwieweit dem Gericht die Kontrolle der behördlichen Entscheidung zugestanden wird.

80  Mit dieser Frage setzt sich auch H. Vogel intensiv auseinander, Das öffentliche Interesse, S. 1 ff; siehe auch Kalsbach, Die gerichtliche Nachprüfung S. 31 ff. 81  Decker, in: BeckOK-VwGO, § 114 Rdnr. 26. 82  Slawik, in: KK-StPO, § 59 Rdnr. 14 m. w. N. 83  Decker, in: BeckOK-VwGO, § 114 Rdnr. 26. 84  Detterbeck, Allg. VerwR, Rdnr. 354. 85  BVerfGE 103, 142, 156 ff.; hierzu insbesondere Neumann, in: FS-Hassemer, 143.

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

b) Voraussetzungen des Ermessens Eine Voraussetzung für die Annahme einer Ermächtigung zur Ermessens­ ausübung ist zunächst, dass eine solche im Gesetz vorgesehen wird; sie muss sich aus der jeweiligen Norm ergeben.86 In der Regel geschieht dies durch Formulierungen wie „kann“, „darf“, „ist befugt“.87 In der Regelung der rela­ tiven Antragsdelikte findet sich die Formulierung „für geboten hält“. Dies entspricht dem Sinn nach einer Ermächtigung zu einer Ermessensentschei­ dung. Allerdings muss der Bezugspunkt beachtet werden. Nach herrschender Meinung betrifft das Ermessen stets die Rechtsfolgenseite der Norm.88 Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen wird die zuständige Behörde befugt, aus mehreren Handlungsweisen zu wählen89, wobei für das Ermessen kennzeichnend ist, dass – egal wie sie sich entscheidet – rechtmäßig gehan­ delt wird. Für die Regelung der Verfolgung relativer Antragsdelikte bedeutet dies, dass das besondere öffentliche Interesse die Rechtsfolgenseite der Re­ gelung darstellen müsste. Das ist aber nicht der Fall. Wie dargelegt wurde, befindet sich unter Heranziehung der allgemeinen Struktur von Rechtsnor­ men das besondere öffentliche Interesse auf Tatbestandsseite, nicht auf Ebene der Rechtsfolge. Im Fall der Beurteilung des besonderen öffentlichen Interesses geht es zudem nicht um die Auswahl zwischen Handlungsalternativen90, sondern um die inhaltliche Auslegung eines Begriffs. Würde man das Bestehen eines besonderen öffentlichen Interesses als Rechtsfolge ansehen, stünde man – unter Beachtung der herkömmlichen Struktur von Rechtsnormen – vor der Frage, worin der Tatbestand bestünde. Einen solchen gäbe es nicht. Aufgrund derselben Tatsachenlage sowohl die Möglichkeit einzuräumen, entweder ein besonderes öffentliches Interesse anzunehmen oder nicht, ist nicht möglich. Vogel weist mit Recht darauf hin, dass ein besonderes öffent­ liches Interesse entweder nur bestehen oder nicht bestehen könne.91 Die Erkenntnis, dass es nur ein richtiges Ergebnis geben kann, ist gerade kenn­ zeichnend für den unbestimmten Rechtsbegriff.92 Für ein Ermessen bleibt hierbei kein Raum; vielmehr kann die Auswertung der Umstände nur dafür 86  Maurer/Waldhoff,

Allg. VerwR, § 7 Rdnr. 9. Allg. VerwR, Rdnr. 319. 88  BayVGH NJW 1955,845, 846; Maurer/Waldhoff, Allg. VerwR, § 7 Rdnr. 7; Aschke, in: BeckOK-VwVfG § 40 Rdnr. 4. 89  Detterbeck, Allg. VerwR, Rdnr. 315. 90  Zutreffend Vogel, NJW 1961, 761, 762. 91  Vogel, NJW 1961, 761, 762. 92  Maurer/Waldhoff, Allg. VerwR, § 7 Rdnr. 29; Sachs, in: S/B/S-VwVfG, § 40 Rdnr. 147. 87  Detterbeck,



§ 5 Die Charakterisierung des besonderen öffentlichen Interesses 89

sorgen, dass im Ergebnis ein besonderes öffentliches Interesse vorliegt oder eben nicht. Ob eine staatliche Reaktion in Form eines Strafverfahrens not­ wendig ist, muss anhand objektiver Kriterien beurteilt werden und nicht an­ hand einer subjektiven Meinung eines ermittelnden Staatsanwalts. Nach der zutreffenden herrschenden Meinung handelt es sich beim Begriff des öffent­ lichen Interesses um einen unbestimmten Rechtsbegriff.93 Dies für den Be­ griff des besonderen öffentlichen Interesses anders zu deuten, überzeugt nicht. Zutreffend führt Vogel aus: „Mag dem Gesetzgeber im Jahre 1940 auch eine ‚autoritative‘ und ‚unnachprüfba­ re‘ Ermessensentscheidung vorgeschwebt haben, so hat er – jedenfalls nach heuti­ ger Erkenntnis – mit dem Begriff des besonderen öffentlichen Interesses in Wahr­ heit einen unbestimmten Rechtsbegriff geschaffen. Das allein ist maßgebend.“94

Eine Ausgestaltung als Ermessensbegriff folgt auch nicht aus der Geset­ zesbegründung. Wenn der Gesetzgeber von „ermächtigt“ spricht, bedeutet das lediglich, dass eine Strafverfolgung unabhängig vom Strafantrag zulässig ist; nicht aber, dass die Staatsanwaltschaft mit einem Ermessen im Rahmen der Voraussetzungen ausgestattet ist.95 c) Tatbestandsermessen? Ein anderer Ansatz im Verwaltungsrecht geht abweichend von der herr­ schenden Meinung davon aus, dass auch auf Ebene des Tatbestands Ermes­ sen eingeräumt werden könne. Methodisch wird in solchen Fällen die An­ wendung auslegungsbedürftiger unbestimmter Rechtsbegriffe einer Ermes­ sensausübung gleichgestellt.96 Auch auf Ebene des Tatbestands Ermessen zu gewähren, wird in der verwaltungsrechtlichen Wissenschaft von mancher Seite gefordert.97 Nach Beuermann soll ein solches Tatbestandsermessen jedenfalls dann anzunehmen sein, wenn es sich bei der betreffenden Norm um eine Koppelungsvorschrift handelt. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass auf Tatbestandsebene unbestimmte Rechtsbegriffe vorliegen und auf Rechtsfolgenseite die Ermächtigung zu einer Ermessensentscheidung einge­ räumt wird.98 Eine solche Struktur liegt mit der amtsseitigen Verfolgungs­ 93  Pfeiffer, StPO, § 376 Rdnr. 1; Hilger, in: LR-StPO, § 376 Rdnr. 1; Kulhanek, in: K/M/R-StPO 93. EL (August 2019), § 376 Rdnr. 1; Merz, in: R/H-StPO, § 376 Rdnr. 2; BVerfGE 50, 205, 216; BVerfGE 51, 176, 183. 94  Vogel, NJW 1961, 761, 763. 95  A. A. Kalsbach, Die gerichtliche Überprüfung, S. 31. 96  Siehe hierzu Smeddinck, DÖV 1998, 370; Beuermann, Intendiertes Ermessen, S. 152. 97  Smeddinck, DÖV 1998, 370. 98  Aschke, in: BeckOK-VwVfG, § 40 Rdnr. 42.

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

regelung bei relativen Antragsdelikten vor. Jedoch bestehen in der Wissen­ schaft vielfach Bedenken gegen die Anerkennung eines Tatbestandsermes­ sens99 und auch das BVerwG vertritt in ständiger Rechtsprechung – von einer Ausnahme abgesehen100 – keine Ermessensgewährung auf Tatbestands­ seite101, sondern behandelt die Begriffe, ihrer Zuordnung entsprechend, ge­ trennt. Für das besondere öffentliche Interesse wird die Idee des Tatbestand­ sermessens von Keller vertreten.102 Die von ihm als neuere Ermessenslehre bezeichnete Vorgehensweise, die in der Rechtsprechung nur ganz vereinzelt auftritt und sich auch im herrschenden Schrifttum nicht durchzusetzen ver­ mochte, bildet keine konsensfähige Grundlage für die Auseinandersetzung. Gegen die Anerkennung eines solchen Tatbestandsermessens lässt sich an­ führen, dass sie den Zweck der Unterscheidung, der in der Kompetenzab­ grenzung zwischen Behörde und Gericht gesehen wird, unterläuft.103 Dem folgend wird auch hier davon ausgegangen, dass auf Ebene des Tatbestands keine Ermessensausübung möglich ist. d) Vergleich mit der besonderen Bedeutung des Falls im Rahmen des § 24 I Ziff. 3 GVG Während die Rechtsnatur des besonderen öffentlichen Interesses umstritten ist, herrscht Einigkeit darüber, dass es sich bei der „besonderen Bedeutung des Falls“ in § 24 I Ziff. 2 GVG um einen unbestimmten Rechtsbegriff han­ delt.104 Danach entfällt die erstinstanzliche Zuständigkeit des Amtsgerichts, wenn die Staatsanwaltschaft wegen (…) der besonderen Bedeutung des Falls Anklage beim Landgericht erhebt. Auch wenn Hardtung zutreffend ausführt, dass das besondere öffentliche Interesse und die besondere Bedeutung des Falls unterschiedliche Regelungsziele haben105, kann das lediglich für die Frage nach der gerichtlichen Überprüfbarkeit von Bedeutung sein, nicht aber für die Einordnung der Rechtsnatur als unbestimmter Rechtsbegriff.

99  Siehe nur Maurer/Waldhoff, Allg. VerwR, § 7 Rdnr. 55 ff.; vgl. auch Aschke, in: BeckOK-VwVfG, § 40 Rdnr. 45. 100  BVerwGE 39, 355, 362 ff. 101  Vgl. die Nachweise bei Aschke, in: BeckOK-VwVfG, § 40 Rdnr. 44.1. 102  Keller, GA 1983, 497, 516. 103  So Aschke, in: BeckOK-VwVfG, § 40 Rdnr. 45. 104  BT-Drs. 15/1976, S. 19; BVerfGE 9, 223, 229; Spiess, in: S/S/W-StPO, § 24 GVG Rdnr. 7; Eschelbach, in: BeckOK-GVG, § 24 GVG Rdnr. 16; Siolek, in: LRStPO, § 24 GVG Rdnr. 17. 105  Hardtung, in: MüKo-StGB; § 230 Rdnr. 16; a.  A. Sternberg-Lieben, in: S/SStGB, § 230 Rdnr. 3.



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft91

III. Ergebnis Als zutreffend ist somit die Auffassung anzusehen, die den Begriff des besonderen öffentlichen Interesses als unbestimmten Rechtsbegriff ansieht. Nur diese Deutung wird der Normstruktur gerecht. Die Auffassung der Rechtsprechung, wonach die Bejahung des besonderen öffentlichen Interes­ ses im Ermessen der Staatsanwaltschaft stehe, könnte mit der vom BGH genutzten Terminologie zu erklären sein. Das ändert jedoch nichts daran, dass es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der einer Ermes­ sensausübung unzugänglich ist.

§ 6 Zur Frage der gerichtlichen Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, wegen des besonderen öffentlichen Interesses sei ein Einschreiten von Amts wegen geboten Nachdem festgehalten wurde, dass es sich bei dem besonderen öffent­ lichen Interesse um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, stellt sich nun die Frage, ob und – wenn ja – inwieweit das besondere öffentliche Inte­ resse einer gerichtlichen Überprüfbarkeit unterliegt. Zunächst soll die Position der Rechtsprechung, die für eine Unüberprüf­ barkeit des besonderen öffentlichen Interesses einsteht, beleuchtet werden. Hierbei wird sich zeigen, dass die von der Rechtsprechung vorgebrachten Argumente nicht überzeugen können und eine Versagung der gerichtlichen Kontrolle nicht haltbar ist. Im Ergebnis bedeutet dies zunächst einmal nur, dass eine gerichtliche Kontrolle anzuerkennen ist. Darüber hinaus bedarf es aufgrund der hier vertretenen Auffassung der Erörterung der Frage, inwie­ weit die auf dem besonderen öffentlichen Interesse basierende Entscheidung der Staatsanwaltschaft gerichtlicher Kontrolle unterliegt. Nach welchen Maß­ stäben sich diese richtet und auf welchem Rechtsweg die Kontrolle stattzu­ finden hat, ist Gegenstand der sich daran anschließenden Erörterungen.

A. Zur Unüberprüfbarkeit des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung Im Rahmen der Darstellung der Rechtspraxis und der vorgebrachten Kritik an dieser ist ausgeführt worden, womit die Rechtsprechung ihre These der Versagung gerichtlicher Kontrolle begründet und welche Argumente ihr sei­ tens des Schrifttums entgegengehalten werden. Ziel dieser Ausarbeitung ist es nun, die Position der Unüberprüfbarkeit zu beleuchten.

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

I. Das Problem Problematisch ist in diesem Zusammenhang zunächst das hier aufgestellte Verständnis der Verfolgungsregelung. Wenn sich in Rechtsprechung und Li­ teratur mit der Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit beschäftigt wird, fußt die Argumentation auf dem jeweils vertretenen Verständnis, worin die Pro­ zessvoraussetzung zu sehen ist. Die folgende Untersuchung der Rechtspre­ chung zur Unüberprüfbarkeit des besonderen öffentlichen Interesses erfolgt daher nicht streng getrennt zwischen dem Begriff des besonderen öffentli­ chen Interesses und der staatsanwaltschaftlichen Erklärung, sondern beleuch­ tet gebündelt die gegen eine gerichtliche Überprüfbarkeit der Prozessvoraus­ setzung vorgebrachten Argumente. II. Zur Unüberprüfbarkeit 1. BGHSt 16, 225

Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Entscheidung des BGH, die auf den Vorlagebeschluss des OLG Bremen106 ergangen ist.107 Diese setzt sich mit der Problematik am intensivsten auseinander und soll daher Maßstab für die folgende Untersuchung sein. Zunächst führt der BGH aus, der Beschuldigte habe durch die Verwirk­ lichung des Tatbestands den staatlichen Strafanspruch gegen sich begründet. Die Normierung der Verfolgungsvoraussetzung habe nicht den Zweck, den Beschuldigten vor dem Strafverfahren zu schützen.108 Hierzu wurde bereits an früherer Stelle ausgeführt, dass die Existenz des Strafanspruchs vom Er­ gebnis des Hauptverfahrens abhängt, das besondere öffentliche Interesse aber vorliegen muss, bevor über den Strafanspruch entschieden wird.109 Daher verfängt dieses Argument nicht. Daneben versagt der BGH eine Kontrolle mit dem Argument, einer sol­ chen bedürfe es nicht, da die Prozessvoraussetzung lediglich in der staatsan­ waltschaftlichen Erklärung des Verfolgungsinteresses liege.110 Dass diese Auffassung des BGH unzutreffend ist, wurde dargelegt. Das besondere öf­ fentliche Interesse gehört als materielles Element zur staatsanwaltschaftlichen Erklärung, dass ein Einschreiten von Amts wegen geboten ist. 106  OLG

Bremen MDR 1961, 167. 16, 225. 108  BGHSt 16, 225, 228 f. 109  Siehe hierzu oben, S. 80 f. 110  BGHSt 16, 225, 231. 107  BGHSt



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft93

Ferner folge aus der Gesetzesfassung eine Bindung des Gerichts an die staatsanwaltschaftliche Erklärung, sodass eine gerichtliche Überprüfung nicht anzunehmen sei.111 Diese Annahme kann aus folgenden Gründen nicht über­ zeugen. Zunächst wurde herausgearbeitet, dass es sich bei der Verfahrensre­ gelung de lege lata um eine zweistufige Regelung handelt, bei der lediglich hinsichtlich der Rechtsfolgenseite – also in Bezug auf die Frage nach dem Gebotensein amtlichen Einschreitens – eine Entscheidungskompetenz der Staatsanwaltschaft anzunehmen sein könnte, nicht hingegen bei dem den Tatbestand bildenden besonderen öffentlichen Interesse. Daneben wäre eine solche Bindungswirkung abzulehnen, da sie dem Regelungssystem der Straf­ prozessordung zuwiderläuft. Mit Ausnahme des § 120 III 1 StPO gibt es keine Regelungen, die dem Gericht eine Bindung an staatsanwaltschaftliche Entscheidungen auferlegen.112 Die Staatsanwaltschaft wird mit dieser Proble­ matik in der Regel im Ermittlungsverfahren konfrontiert. Da sie es ist, die die Strafverfolgung betreibt, ist es konsequent, dass sich die Normen der re­ lativen Antragsdelikte an sie richten. Wer sollte die Frage nach der Verfol­ gungsbedürftigkeit in diesem Verfahrensstadium beurteilen, wenn nicht die Staatsanwaltschaft?113 Die Annahme einer Letztentscheidungskompetenz in Bezug auf das besondere öffentliche Interesse ist hingegen irrig. Zunächst besagt die betreffende Vorschrift lediglich, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die Strafverfolgung erfolgen kann.114 Über eine Bin­ dungswirkung sagt der Wortlaut nichts aus.115 § 206 StPO normiert, dass das Gericht bei seiner Entscheidung an Anträge der Staatsanwaltschaft nicht gebunden ist. Im Zwischenverfahren wird sei­ tens des Gerichts überprüft, ob die von der Staatsanwaltschaft angenomme­ nen Verdachtsmomente tatsächlich vorliegen.116 Hierzu gehört auch die Überprüfung des Vorliegens der Verfahrensvoraussetzungen.117 Zwar wird allgemein angenommen, die Entscheidung über das besondere öffentliche Interesse binde dennoch das Gericht.118 Generalisierend soll eine Bindung immer dann anzunehmen sein, wenn es sich um eine unüberprüfbare Ent­ scheidung der Staatsanwaltschaft handelt.119 Dieser Ausgangspunkt ist für die hiesige Beurteilung jedoch ungeeignet, da dies zu einem Zirkelschluss 111  BGHSt

16, 225, 230. hierzu Kröpil, NJW 1992, 654, 655. 113  So zutreffend Havekost, DAR 1977, 289, 290. 114  Kröpil, NJW 1992, 645, 656. 115  Kröpil, DRiZ 1986, 19, 20. 116  Beulke/Swoboda, Rdnr. 352. 117  Ritscher, in: BeckOK-StPO, § 203 Rdnr. 8. 118  Meyer-Goßner/Schmitt, § 206 Rdnr. 1; Stuckenberg, in: LR-StPO, § 206 Rdnr. 3. 119  Reinhart, in: R/H-StPO, § 206 Rdnr. 1. 112  Siehe

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

führen würde. Das Ergebnis der Frage nach der gerichtlichen Überprüfbar­ keit kann lediglich im Anschluss zur Beantwortung der Frage nach der ge­ richtlichen Bindung herangezogen werden. Weiterhin folgt aus der Feststellung, dass der Beschuldigte durch die Her­ stellung der Verfolgbarkeit der Tat keine Verletzung in eigenen Rechten er­ leide, sodass Art. 19 IV GG nicht einschlägig sei, nicht die Unüberprüfbarkeit des besonderen öffentlichen Interesses. Das lässt sich anhand zweier Aspekte begründen. Zunächst wird nur einseitig die Perspektive des Beschuldigten betrachtet. Kommt das besondere öffentliche Interesse nur zum Tragen, wenn kein Strafantrag gestellt worden ist, sind es aber vornehmlich Interessen des Verletzten, die durch die Verfolgung betroffen sind. Der Zweck der Norm besteht nicht lediglich in der Erweiterung der Verfolgungskompetenzen der Staatsanwaltschaft. Die Argumentation vernachlässigt die Perspektive des Verletzten und den differenzierenden Charakter des Strafantragserfordernis­ ses. Die Argumentation einer mangelnden Verletzung in eigenen Rechten und der daraus resultierenden Verweigerung des Rechtsschutzes anhand von Art. 19 IV GG würde – damit sie zutreffend sein kann – voraussetzen, dass Rechtsschutz im Strafprozess überhaupt eine Verletzung in eigenen Rechten verlangt. Dem wird mit dem Hinweis darauf entgegengetreten, dass es bei der gerichtlichen Kontrolle um die Justizförmigkeit des Verfahrens an sich geht und nicht um die Verletzung in eigenen Rechten.120 Zudem lässt sich anführen, dass alle Prozessvoraussetzungen mittelbar Schutz vor ungerecht­ fertigter Inanspruchnahme durch die Strafjustiz gewähren.121 Der BGH begründet die Unüberprüfbarkeit weiterhin damit, dass sich diese aus dem Ermessenscharakter der Entscheidung ergebe. Bei der paralle­ len Vorschrift des § 153 StPO werde ebenfalls nicht angenommen, dass eine gerichtliche Überprüfbarkeit des „öffentlichen Interesses“ stattzufinden ha­ be.122 Das ist im Ergebnis nicht überzeugend. Selbst wenn man anerkennen würde, dass es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, folgt daraus nicht die Versagung gerichtlicher Kontrolle. Ermessensentscheidungen unter­ liegen jedenfalls im Hinblick auf Ermessensfehler einer Überprüfung durch das Gericht.123 Dem Bürger steht ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu.124 Zudem ist ein direkter Vergleich zwischen dem besonde­ ren öffentlichen Interesse und dem öffentlichen Interesse nicht unproblema­ tisch, da zwei verschiedene Situationen betroffen sind und das (Nicht-)Vor­ liegen des jeweiligen Elements verschiedene Konsequenzen nach sich zieht. Keller, GA 1983, 497, 515. Richterliche Gewalt, S. 124. 122  BGHSt 16, 225, 231 m. w. N. 123  Havekost, DAR 1977, 298, 290; Thierfelder, NJW 1962, 116. 124  So die st. Rspr. des BVerfG, siehe BVerfGE 27, 297, 307 f; 60, 16, 41 f. 120  So

121  Steinberg,



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft95 2. Weitere Gründe

a) Der systematische Vergleich mit §§ 153, 153a StPO Darüber hinaus wird eine gerichtliche Kontrolle mit dem systematischen Argument abgelehnt, dass das Gericht in Fällen der §§ 153 II, 153a StPO nicht allein über die Verfahrenseinstellung entscheiden könne; es bedürfe der Zustimmung der Staatsanwaltschaft. Erst Recht könne das Gericht deshalb nicht allein über die grundsätzliche Verfolgbarkeit entscheiden.125 Ob dies ein Anwendungsfall des Erst-Recht-Schlusses sein kann, erscheint fragwür­ dig. Kennzeichnend für einen solchen ist das Argument, dass etwas, das für das Schwächere gelte, erst recht für das Stärkere gelten müsse. Dies würde ein Stufenverhältnis zwischen Zulässigkeit der Strafverfolgung und Verfah­ rensbeendigung voraussetzen. Es besteht eine parallele Problematik zum im Absatz zuvor Gesagten. Es handelt sich bei beiden Fällen um unterschied­ liche Situationen mit eigenen Voraussetzungen und Regeln. Insbesondere der Umstand, dass es bei der Frage nach der Zulässigkeit des Strafverfahrens um eine Verfahrensvoraussetzung geht, erschwert eine solche Argumentation. Weiterhin folgt aus dieser Argumentation selbst nicht viel. Aus § 153 I 1 StPO lässt sich ableiten, dass die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfah­ ren – obwohl sie dessen Herrin ist – grundsätzlich nicht allein über die Frage nach der Verfahrenseinstellung entscheiden kann. Nun lässt sich einwenden, dass sie es in Fällen des § 153 I 2 StPO unter den dort genannten Umständen darf, zumal alle relativen Antragsdelikte solche ohne erhöhten Mindeststraf­ rahmen und somit theoretisch einer Anwendung des § 153 I 2 StPO zugäng­ lich sind. Hierzu ist zu bemerken, dass das besondere öffentliche Interesse und § 153 I 2 StPO nicht miteinander in Einklang gebracht werden kön­ nen126, da § 153 StPO bei bestehendem besonderem öffentlichem Interesse nicht anwendbar ist. Das folgt bereits daraus, dass es sprachlich widersprüch­ lich wäre zu sagen, an der Strafverfolgung besteht ein besonderes öffent­ liches Interesse, jedoch nach § 153 StPO von der Verfolgung abgesehen werden kann, weil an der Strafverfolgung kein öffentliches Interesse be­ steht.127 Weiterhin gab es zur Zeit der Schaffung des § 232 StGB a. F. den § 153a StPO nicht und § 153 StPO war so ausgestaltet, dass eine Anwendung keine Friktionen zwischen den Begriffen hervorrief.

125  So Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 13; Popp, in: LK-StGB, § 230 Rdnr. 18. 126  A. A. Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 23. 127  Siehe zum Verhältnis der relativen Antragsdelikte zur Einstellung aus Opportu­ nitätsgründen S.  290 ff.

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

b) Der Wille des Gesetzgebers Darüber hinaus spreche der gesetzgeberische Wille dafür, die Entscheidung über die Verfolgung allein der Staatsanwaltschaft zu überlassen.128 Die Posi­ tion wird im Zusammenspiel mit der Wortlautauslegung mit dem Argument begründet, dass durch die Einbettung des Passus „wegen des besonderen öf­ fentlichen Interesses“ in den Halbsatz, in dem es auf die Haltung der Staats­ anwaltschaft ankomme, folge, dass es auch bei der Beurteilung des besonde­ ren öffentlichen Interesses auf deren Entscheidung ankomme.129 Bezogen auf die Gesetzesbegründung hält auch Kalsbach die Entscheidung des Staatsan­ walts allein für maßgeblich, was er aus dem Terminus „ermächtigt“ ablei­ tet.130 Die Argumentation anhand des gesetzgeberischen Willens kann in ihrer Gesamtheit jedoch nicht überzeugen. Zwar kommt dem Willen des Gesetzge­ bers bei der Gesetzesauslegung eine wesentliche Funktion zu. Abgesehen von den tatsächlichen Schwierigkeiten, den Willen des Gesetzgebers zu er­ mitteln, wenn in den Gesetzesmaterialien nur einzelne Personen am konkre­ ten Gesetzesentwurf beteiligt sind, verliert diese Auslegungsmethode mit zunehmendem Alter des Gesetzes an Bedeutung.131 Die Argumentation be­ schränkt sich jedoch auf einen starren Verweis auf den subjektiven Willen. Gänzlich vernachlässigt wird hierbei der historische Kontext, in dem die Norm entstand. Die Überantwortung der Entscheidung allein auf den Staats­ anwalt ist vorrangig mit dem politischen Zeitgeist zu erklären. Eine auf dem historischen Willen fußende Argumentation berücksichtigt nicht die Stellung der Staatsanwaltschaft im Dritten Reich, insbesondere deren Machtstellung gegenüber den Gerichten. Die Unüberprüfbarkeit der staatsanwaltschaftli­ chen Entscheidung wurde auch im zeitgenössischen Schrifttum nicht anhand sachlicher Argumentation hergeleitet, sondern schlicht postuliert132 und vom Reichsgericht ohne Argumentation übernommen. Seinerzeit war es das so genannte „Neue Strafrecht“, durchzogen mit nationalsozialistischen Grund­ anschauungen, welches den Maßstab für alle weiteren straf- und strafverfah­ rensrechtlichen Fragen bildete.133 Ein zu klärender Umstand war hierbei das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Gericht. Innerhalb der Sitzungen der 128  Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 11; Winnen, Eingeschränkte Antrags­ delikte, S. 175; Popp, in: LK-StGB, § 230 Rdnr. 17. 129  Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 11. 130  Kalsbach, Die gerichtliche Nachprüfung, S. 31. 131  Puppe, Kleine Schule, S. 145. 132  Freisler, DJ 1940, 535, 531; Rietzsch, DJ 1940, 532, 534. 133  Im Vorwort des Entwurfs eines Strafgesetzbuchs Juli 1936 fand sich folgende Passage: „Überzeugt, daß das deutsche Strafrecht von nationalsozialistischer Grund­ anschauung durchdrungen sein muss“, abgedruckt in: Regge/Schubert, II. Abt. Band 1, 1. Teil, S. 343.



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft97

Strafrechtskommission wurde in diesem Zusammenhang moniert, die Kon­ trolle der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeiten zeuge von Misstrauen gegen­ über dieser Behörde.134 Die Befugnisse der Staatsanwaltschaft sind zur Zeit des Nationalsozialismus gestärkt worden. Winnen stellt diesen Machtzuwachs der Staatsanwaltschaft in der Zeit des Dritten Reiches überblicksartig dar.135 Verfolgt man den schrittweisen Anstieg der Kompetenzen der Staatsanwalt­ schaft wird auch ersichtlich, weswegen die Gesetzesbegründung über die Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit keine Aussage enthält. Es ist keine Neuerung gewesen, bestimmte Verfahrensweisen in das Ermessen der Staats­ anwaltschaft zu stellen. Richter hatten Haftbefehle zu erlassen, wenn die Staatsanwaltschaft sie beantragt haben.136 Im Jahre 1935 wurde das Strafver­ fahrensrecht dahingehend geändert, dass eine gerichtliche Voruntersuchung nur noch dann stattfand, wenn die Staatanwaltschaft eine solche nach ihrem Ermessen für erforderlich gehalten hat.137 Für die Frage der Legitimität der Strafverfolgung ist ein wesentlicher Ge­ sichtspunkt die Notwendigkeit der Verfolgung des konkreten Delikts aus dem Blickwinkel des gesunden Volksempfindens gewesen. Der Einfluss des Ein­ zelnen auf die Durchführung des Strafverfahrens hat als untragbar gegol­ ten.138 Entwürfe zu Strafgesetzbüchern haben den Wegfall des Strafantrags als Prozessvoraussetzung vorgesehen.139 Daraus sollte jedoch nicht die ab­ solute Verfolgungspflicht resultieren. Vielmehr hat den Entwürfen vorge­ schwebt, dass der Verletzte vor der Entscheidung über die Verfolgbarkeit der Tat anzuhören sein soll. So lautete § 420 IV StGB-E Februar 1936, der die Verfolgung von leichten vorsätzlichen Körperverletzungen zum Gegenstand gehabt hat: „Über die Verfolgung der Tat wird erst nach Anhörung des Ver­ letzten entschieden.“ Im Rahmen dieser Anhörungen ist es dem Verletzten möglich gewesen, den Wunsch zu äußern, von der Verfolgung der Tat abzu­ sehen. Dies hat aber – im Gegensatz zu den absoluten Antragsdelikten – keine Bindungswirkung für die Staatsanwaltschaft zur Folge gehabt. Gegen­ wärtig ist stattdessen die Vorstellung gewesen, der Wille des Verletzten könne 134  Siehe das Protokoll zur Sitzung der Großen Strafrechtskommission vom 14. Dezember 1936, Seite 7 des Protokolls, abgedruckt in: Regge/Schubert, III. Abtei­ lung, Band 2, 1. Teil, S. 9; siehe auch Henkel, ZStW 56 (1937), 227, 228. 135  Hierzu und im Folgenden Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 24 ff. 136  Müller, in: Reifner/Sonnen, S. 61. 137  Art. 4 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Strafverfahrens und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 28.06.1935, RGBl. I, S. 846. 138  Siehe bspw. die Begründung zu § 413 II StGB im Entwurf von 1936, in: Regge/Schubert, III. Abteilung, Band 1 2. Teil, S. 249; Henkel, ZStW 56 (1937), 227, 234. 139  Die Regelungen im Allgemeinen Teil des StGB wurden bspw. in den Entwür­ fen der Jahre 1933, 1934 und 1935 nicht übernommen.

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

den Staatsanwalt nicht binden.140 Trotz Widerspruchs sollte eine Strafverfol­ gung daher nicht ausgeschlossen werden. Allerdings hat es Vorstöße gegeben, Fälle, in denen der Verletzte keine Verfolgung gewünscht hat, der Staatsan­ walt aber schon, zur Entscheidung dem Reichsjustizminister vorzulegen.141 Umgekehrt ist dafür eingetreten worden, den Staatsanwalt bei einem gestell­ ten Strafantrag nicht zum Einschreiten zu verpflichten. Es ist erwogen wor­ den, den Staatsanwalt nach der Stellung des Strafantrags eine Abwägung der für und gegen die Strafverfolgung sprechenden Umstände vornehmen zu lassen.142 Die Verfolgung der Tat sollte – so § 15 I des Entwurfs zum Straf­ verfahrensrecht 1936 – im Ermessen der Staatsanwaltschaft liegen, wenn sie vom Standpunkt der Volksgemeinschaft aus geboten war.143 Die Bewertung des schlichten Hinweises auf den Willen des Gesetzgebers als für die Auslegung maßgeblich verböte es jedoch, das Gesetz an moderne rechtspolitische Neuerungen anzupassen.144 Insbesondere dann, wenn sich zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes und dem maßgeblichen Beurtei­ lungszeitpunkt die Rechtssauffassungen geändert haben, verliert die histori­ sche Argumentation an Überzeugungskraft.145 Bereits an früherer Stelle wurde dargelegt, dass das relative Antragsdelikt nicht lediglich der Erweite­ rung der staatsanwaltschaftlichen Befugnisse dient. Der Strafantrag ist nicht mehr den Kritikpunkten ausgesetzt, die zur Zeit des Nationalsozialismus vorgebracht worden sind. Damit konterkariert die Argumentation mit dem Willen des historischen Gesetzgebers die Tendenzen moderner Strafgesetzge­ bung, in bestimmten Fällen trotz Schaffung eines relativen Antragsdelikts die primäre Entscheidung beim Verletzten zu belassen. Weiterhin besteht heute keine derart starke Stellung der Staatsanwaltschaft gegenüber den Gerichten. Haftbefehle können zwar von ihr beantragt wer­ den, erlassen kann sie indes nur der Richter, § 114 I StPO. Die Staatsanwalt­ schaft hat keine Wahlfreiheit mehr hinsichtlich des sachlich zuständigen Gerichts. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass der Vergleich mit der gerichtlichen Überprüfbarkeit des Merkmals der besonderen Bedeutung 140  Siehe bspw. die Begründung zu § 19 des Entwurfs zu einer Strafverfahrensord­ nung, in: Regge/Schubert, III. Abteilung, Band 1 S. 393 f. 141  Siehe hierzu Antrag Nr. B 37 vom 30.10.1935 der Unterkommission XXXV, in: Regge/Schubert, II. Abteilung, Band 2, 4. Teil, S. 654. 142  Begründung zu § 19 des Entwurfs zu einer Strafverfahrensordnung, in: Regge/ Schubert, III. Abteilung, Band 1 S. 393 f. 143  Entwurf einer Strafverfahrensordnung und einer Friedensrichterordnung, Erste Lesung 1936/1937, abgedruckt in: Regge/Schubert, Strafverfahrensrecht III. Abtei­ lung, Band 2, 1. Teil, S. 104, 109. 144  Kritisch zur Argumentation mit dem subjektiven Willen des Gesetzgebers ­Hecker, in: S/S-StGB, § 1 Rdnr. 41 f. 145  Puppe, Kleine Schule, S. 145.



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft99

des Falls in § 24 I Nr. 3 GVG nicht als Argument für die gerichtliche Über­ prüfbarkeit des besonderen öffentlichen Interesses heranzuziehen ist. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass diese Frage wegen des Justizgrund­ rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 I 2 GG) von erhöhter verfas­ sungsrechtlicher Relevanz ist.146 Zudem könne die Anerkennung umfassender gerichtlicher Kontrolle unzutreffend sein. Daher lasse sich anhand des § 24 I Nr. 3 GVG keine Prüfkompetenz ableiten.147 Auch in der Folgezeit ist der Gesetzgeber bei der Schaffung relativer An­ tragsdelikte in den Begründungen nie auf die Vergangenheit der Verfolgungs­ regelung eingegangen. III. Ergebnis Festhalten lässt sich somit, dass die vorgebrachten Argumente für die Ver­ sagung gerichtlicher Kontrolle des besonderen öffentlichen Interesses nicht greifen können. Auch wenn sich die hier besonders interessierenden strafan­ tragsbezogenen Änderungen letztlich nicht durchsetzen konnten, überwiegt die Erkenntnis, dass eine am Willen des Gesetzgebers orientierte Auslegung keine überzeugende Argumentationsgrundlage sein kann. Zu bemerken ist jedoch, dass allein die Tatsache, dass die Norm aus der Zeit des Nationalso­ zialismus stammt, nicht dazu führt, dass sie im heutigen Strafrecht überhaupt keine Beachtung mehr verdient. Sie ist einer an rechtsstaatlichen Grundsät­ zen ausgerichteten Auslegung zugänglich. Wenn gesagt wird, für die Verfolgbarkeit der Tat komme es lediglich dar­ auf an, dass die Staatsanwaltschaft ein Einschreiten für geboten hält148, bleibt offen, weswegen dem Gericht die Prüfung des Umstands verwehrt sein soll, anhand dessen die Staatsanwaltschaft ihre Entscheidung zu treffen hat, wenn zugleich – richtigerweise – gesagt wird, dass lediglich das besondere öffent­ liche Interesse die Grundlage für die Entscheidung der Staatsanwaltschaft sein kann.149 Die Gründe, anhand derer die gerichtliche Überprüfung abge­ lehnt wird, greifen im Ergebnis nicht.

146  Hardtung,

in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 16. in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 16. 148  Popp, in: LK-StGB, § 230 Rdnr. 17. 149  Popp, in: LK-StGB, § 230 Rdnr. 13. 147  Hardtung,

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

B. Die gerichtliche Kontrolle des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung Im Folgenden wird erörtert, auf welche Weise die Gerichte das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu überprüfen haben. Hierzu bieten sich zwei Wege an. Da der Begriff dem Verwaltungsrecht entstammt, ist es denkbar, dass zur Beurteilung der gerichtlichen Überprüfbarkeit auch grundsätzlich die Maßstäbe anzusetzen sind, die im Verwaltungsrecht gelten. Auf diese Parallele wird in der neueren Literatur selten näher eingegangen. Stattdessen wird vielfach mit verwaltungsrechtlichen Begriffe argumentiert, ohne dass ihre dogmatischen Konsequenzen bei der Beurteilung Berücksich­ tigung finden. Zunächst wird daher untersucht, in welcher Weise das beson­ dere öffentliche Interesse gemessen daran überprüft werden kann. Daneben gibt es Auffassungen, die zwar das besondere öffentliche Interesse als unbe­ stimmten Rechtsbegriff ansehen, die Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit aber strafrechtsautonom, losgelöst von verwaltungsrechtlichen Maßstäben, beurteilen wollen. I. Überblick über die gerichtliche Kontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe im Verwaltungsrecht 1. Grundsatz: volle gerichtliche Kontrolle

Unbestimmte Rechtsbegriffe unterliegen grundsätzlich der uneingeschränk­ ten gerichtlichen Kontrolle.150 Dies wird aus Art. 19 IV GG abgeleitet, der den Anspruch des Bürgers auf tatsächliche wirksame Kontrolle begründet.151 Die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe sei grundsätzlich Sache der Ge­ richte, nicht der Behörden. 2. Ausnahmen

Selbst wenn es sich bei dem betreffenden Begriff um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, gibt es Ausnahmen vom Grundsatz der uneinge­ schränkten gerichtlichen Kontrolle.

150  Ganz h. M., vgl. nur BVerfGE 29, 1, 21; Detterbeck, Allg. VerwR, Rdnr. 354, siehe auch die Nachweise bei Störmer, ZStW 108 (1996), 494, 498 Fn. 25; Zu Dis­ kussionen vor Erlass der VwGO siehe Beuermann, Intendiertes Ermessen, S. 131 f. 151  Decker, in: BeckOK-VwGO, § 114 Rdnr. 33.



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft101

a) Unbestimmte Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum Zunächst wird die gerichtliche Kontrollkompetenz eingeschränkt, wenn es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum han­ delt.152 In diesen Fällen beschränkt sich die gerichtliche Überprüfung darauf, ob die Entscheidung der Behörde im Rahmen der Grenzen dieses Spielraums lag153 oder ob der Behörde Beurteilungsfehler unterlaufen sind.154 Auch bei gegenteiliger Auffassung des Gerichts hinsichtlich der Auslegung ist die Ent­ scheidung der Behörde nicht als rechtswidrig anzusehen, wenn solche Fehler nicht vorliegen. b) Koppelungsvorschriften Eine weitere Ausnahme besteht nach teilweise vertretener Auffassung bei den sogenannten Koppelungsvorschriften. Diese sind dadurch gekennzeich­ net, dass auf Ebene des Tatbestands unbestimmte Rechtsbegriffe vorliegen und auf Rechtsfolgenseite der Behörde Ermessen eingeräumt wird.155 Wie mit dieser Kategorie umzugehen ist, hängt davon ab, ob der unbe­ stimmte Rechtsbegriff, um den es im Tatbestand geht, so ausgestaltet ist, dass eine von der Auslegung dessen unabhängige Ermessensentscheidung möglich ist oder nicht. Im ersteren Fall wird eine getrennte Kontrolle vorge­ nommen.156 Der unbestimmte Rechtsbegriff unterliegt der vollen gericht­ lichen Kontrolle, während die Ermessensentscheidung der Rechtsfolgenseite lediglich auf Ermessensfehler hin überprüft wird. Umstritten ist die Behandlung derjenigen Koppelungsvorschriften, die auf Ebene des Tatbestands unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden, die – sofern deren Voraussetzungen vorliegen – schon sämtliche relevanten Umstände enthalten, sodass keine Aspekte mehr verbleiben, die in einer nachfolgenden Ermessensentscheidung verwertet werden könnten. Praktisch wird die Er­ messensnorm dann zu einer Muss-Regelung; das Ermessen wird auf null ­reduziert.157

153, 36, 41; Detterbeck, Allg. VerwR, Rdnr. 355. in: BeckOK-VwGO, § 114 Rdnr. 35 m. w. N. 154  Beaucamp, JA 2012, 193, 194. 155  Aschke, in: BeckOK-VwVfG, § 40 Rdnr. 42; Seewald, Jura 1980, 175, 181. 156  BVerwGE 84, 86, 89 ff. 157  BVerwGE 18, 247, 251. 152  BVerwGE 153  Decker,

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

II. Die Verfolgungsregelung des relativen Antragsdelikts unter dem Blickwinkel verwaltungsrechtlicher Kontrollmaßstäbe Wie sich durch die Darstellung der Systematik gezeigt hat, vermag die Einstufung als unbestimmter Rechtsbegriff für sich genommen noch nichts Definitives über die gerichtliche Kontrollbefugnis auszusagen. Im Folgenden ist daher der Frage nachzugehen, ob im Kontext des besonderen öffentlichen Interesses eine der anerkannten Ausnahmen vorliegt und somit eine umfas­ sende gerichtliche Prüfung ausgeschlossen ist. 1. Das besondere öffentliche Interesse als unbestimmter Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum

a) Allgemeines Beurteilungsspielräume entstammen ebenso wie das Ermessen und der unbestimmte Rechtsbegriff dem Verwaltungsrecht. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegen und der Verwaltung einen eigenen Entscheidungsraum belassen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe mehrere Ergebnisse richtig sein können, sodass sich die gerichtliche Kon­ trolle auch nur darauf erstrecken könne, ob die Entscheidung der Behörde vertretbar war158 und die Kontrollkompetenz der Gerichte nicht über die Bindung der Behörde an das materielle Recht hinausgehen könne.159 Ein solcher Beurteilungsspielraum ist dabei aber nicht bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs selbst angesiedelt, sondern lediglich bei der Rechtsanwendung, also der Frage, ob der zu beurteilende Lebenssachverhalt dem unbestimmten Rechtsbegriff unterfällt oder nicht.160 Bei der Frage nach Gewährung von Beurteilungsspielräumen geht es um die Verteilung der Kompetenzen von Behörde und Verwaltungsgerichtsbarkeit.161 Liegt ein Be­ urteilungsspielraum vor, hat die Behörde die Letztentscheidungskompe­ tenz.162 Wenn zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen mit und ohne Beurteilungs­ spielraum unterschieden wird, stehen die beiden Möglichkeiten in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis. Hierbei ist es im Verwaltungsrecht so, dass im BVerfG MDR 1984, 284; Detterbeck, Allg. VerwR, Rdnr, 355. 129, 1, 22. 160  Papier, in: Isensee/Kirchhof, (1. Aufl.), Band VI, § 154 Rdnr. 63 f. 161  Pieroth/Kremm, JuS 1995, 780 m. w. N. 162  BVerwGE 153, 129, 138. 158  Vgl.

159  BVerfGE



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft103

Grundsatz unbestimmte Rechtsbegriffe voll gerichtlich überprüfbar sind, also keine Beurteilungsspielräume bestehen und der gerichtlichen Kontrolle ent­ zogene Beurteilungsspielräume als Ausnahme anzusehen sind.163 Ob es sich bei einem unbestimmten Rechtsbegriff um einen solchen mit oder ohne Beurteilungsspielraum handelt, lässt sich nicht ohne Weiteres be­ antworten. Die Einräumung eines solchen bedarf nach der Rechtsprechung des BVerwG wegen der grundsätzlichen gerichtlichen Überprüfbarkeit des behördlichen Tätigwerdens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einer besonderen Rechtfertigung.164 Dabei wird betont, dass die gesetzgeberische Entscheidung, unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden, für sich genom­ men nicht dazu führt, dass stets auch ein Beurteilungsspielraum anzunehmen ist.165 Vielmehr muss durch Auslegung ermittelt werden, ob die Verwaltung ermächtigt wird, „abschließend darüber zu befinden, ob die durch einen un­ bestimmten Rechtsbegriff gekennzeichneten tatbestandlichen Voraussetzun­ gen vorliegen.“166 Diese Ermächtigung ergibt sich regelmäßig jedoch nicht aus dem Wortlaut, da dieser selbst nichts darüber aussagt.167 Die Anforderun­ gen, die das Bundesverfassungsgericht an das Vorhandensein eines Beurtei­ lungsspielraums stellt, sind hoch: „Unbestimmte Rechtsbegriffe können allerdings wegen hoher Komplexität oder besonderer Dynamik der geregelten Materie so vage und ihre Kontretisierung168 im Nachvollzug der Verwaltungsentscheidung so schwierig sein, daß die gericht­ liche Kontrolle an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stößt.“169

b) Fallgruppen In der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung und dem Schrifttum haben sich daher verschiedene Fallgruppen herausgebildet, bei denen von einem Beurteilungsspielraum der Behörde, der einer gerichtlichen Nachprüfung entzogen ist, auszugehen ist.170

163  Maurer/Waldhoff,

Allg. VerwR, § 7 Rdnr. 35. 153, 129, 138. 165  Maurer/Waldhoff, Allg. VerwR, § 7 Rdnr. 33 m. w. N. 166  BVerwGE 100, 221, 225; BVerwGE 94, 307, 309. 167  Kopp/Ramsauer, § 40 Rdnr. 72 m. w. N. 168  Schreibfehler in der Originalquelle, richtig wohl Konkretisierung. 169  BVerfGE 84, 34, 50. 170  Siehe hierzu insbesondere Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 125 ff.; siehe auch die Auflistung bei Decker, in: BeckOK-VwGO, § 114 Rdnr. 36 ff. sowie bei BVerwGE 61, 176, 185. 164  BVerwGE

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

Ein solcher findet sich zunächst bei Prüfungsentscheidungen im Schulund Hochschulwesen171, bei beamtenrechtlichen Beurteilungen172, bei Ent­ scheidungen von mit Sachverständigen besetzten Ausschüssen173 sowie bei Risikobewertungen und Prognoseentscheidungen.174 Bei Prüfungsentscheidungen ist die Annahme eines unüberprüfbaren Beur­ teilungsspielraums schon deshalb zweckmäßig, weil sich die Prüfungssitua­ tion vor Gericht nicht wiederholen lässt.175 Weiterhin kennzeichnend ist, dass es sich um solche Begriffe handelt, für deren Handhabung es eines bestimm­ ten Sachverstandes bedarf, über welchen das Gericht im Normalfall nicht verfügt. c) Der Beurteilungsspielraum im Strafverfahren Bevor sich mit der Frage, ob es sich beim besonderen öffentlichen Inte­ resse an der Strafverfolgung um einen unbestimmten Rechtsbegriff mit Beur­ teilungsspielraum handelt, auseinandergesetzt wird, soll kurz der Beurtei­ lungsspielraum im Strafverfahren vorgestellt werden. aa) Anerkennung von Beurteilungsspielräumen durch die Rechtsprechung und einen Teil der Literatur Von der Existenz unbestimmter Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum wird in der strafrechtlichen Rechtsprechung ohne nähere Begründung ausge­ gangen.176 Dies gilt zunächst für die Entscheidung darüber, ob ein Anfangs­ verdacht besteht.177 Auf diesem Standpunkt steht auch das BVerfG.178 So soll gelten, dass im Rahmen des Legalitätsprinzips die staatsanwaltschaftliche Entscheidung, die Anklage zu erheben, keine Ermessensentscheidung dar­ stellt,179 jedoch im Hinblick auf die Beurteilung des hinreichenden Tatver­ 171  St.

Rspr., siehe nur BVerfGE 84, 34, 50. 21, 127; 61, 176, 185 f., bezogen auf eine persönlichkeitsbezogene Eignungsprognose. 173  BVerwGE 12, 20, 27; 39, 197, 204; 59, 213, 215 (Eintragungsausschuss für die Architektenliste). 174  Hierzu BVerwGE 72, 300, 316 f.; siehe auch VG Schleswig NJW 1980, 1296, 1298. 175  Einzelheiten hierzu bei Decker, in: BeckOK-VwGO, § 114 Rdnr. 36a; Rolf Schmidt, Allg. VerwR, Rdnr. 285. 176  BVerfG MDR 1984, 284; BGH NJW 1970, 1543, 1544; BGH NStZ 1988, 510, 511. 177  Siehe Peters, in: MüKo-StPO, § 152 Rdnr. 49 m. w. N. 178  BVerfG, NStZ 1984, 228. 179  BGH NJW 1970, 1543, 1544. 172  BVerwGE



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft105

dachts – eines unbestimmten Rechtsbegriffs180 – der Staatsanwaltschaft ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist. Selbiges soll auch für den Tatverdacht gelten, der im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung erforderlich ist.181 Der BGH führt hierzu Folgendes aus: „Die Anwendung dieses unbestimmten Rechtsbegriffes erfordert im Einzelfall die Abwägung aller für die Entscheidung wesentlichen be- und entlastenden Umstände in Gestalt einer Gesamtschau. Deren Ergebnis hängt maßgeblich davon ab, welche Umstände der Staatsanwalt für wesentlich hält und welches Gewicht er den in die Abwägung einfließenden Sachverhaltselementen in ihrem Verhältnis zueinander beimißt. Diese die Gesamtschau prägenden Akzentuierungen ergeben sich nicht allein aus der Natur der Sache, sondern beruhen regelmäßig auch auf subjektiven, nicht näher verifizierbaren Wertungen des Abwägenden, wobei verschiedene Be­ trachter, ohne pflichtwidrig zu handeln, durchaus zu unterschiedlichen Lösungen gelangen können. Das spricht dafür, dem Staatsanwalt bei der Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens einen Spielraum der Würdigung und eine gewisse Freiheit bei der Bildung seiner Auffassung zu gewähren.“182

Verglichen mit den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Fallgruppen ist die Anerkennung eines Beurteilungsspielraumes durch die Rechtsprechung in diesen Bereichen jedenfalls nachvollziehbar, da es sich um eine Prognoseent­ scheidung handelt183 und bei solchen im Verwaltungsrecht die Anerkennung eines Beurteilungsspielraumes möglich ist. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich dann darauf, zu prüfen, ob die Entscheidung der Staatsanwaltschaft vertretbar gewesen ist184, was anzuneh­ men sein soll, wenn sie nicht willkürlich ergangen ist oder der Entscheidung eine grobe Fehlbeurteilung zugrunde gelegen hat.185 Im Bereich der Ein­ griffsmaßnahmen wird gefordert, dass die Gründe, aus denen sich nach Auf­ fassung der Strafverfolgungsbehörde die Voraussetzungen der Maßnahme ergeben, plausibel dargelegt werden müssen.186 Im Schrifttum wird ebenfalls zum Teil davon ausgegangen, dass der Staatsanwaltschaft bei bestimmten Fragestellungen ein Beurteilungsspiel­ raum zuzubilligen ist. Das soll beispielsweise – parallel zum BGH – für den

NJW 1970, 1543, 1544; Wohlers/Albrecht, in: SK-StPO, § 170 Rdnr. 28. 41, 30, 33. 182  BGH NStZ 1988, 510, 511. 183  Wohlers/Albrecht, in: SK-StPO, § 170 Rdnr. 28; Störmer, ZStW 108 (1996), 494, 510. 184  BGHSt 41, 30, 34. 185  Störmer, ZStW 108 (1996), 494, 496. 186  BGHSt 47, 362, 366 f. 180  BGH

181  BGHSt

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

Anfangsverdacht,187 für das Merkmal „wenn bestimmte Tatsachen den Ver­ dacht begründen“ im Sinne des § 100a I Nr. 1 StPO188 als auch für die Frage gelten, ob gemäß § 170 I StPO genügender Anlass zur Erhebung der öffent­ lichen Klage besteht.189 bb) Einwände gegen Beurteilungsspielräume im Strafverfahren Während ein Teil der Literatur ebenfalls davon ausgeht, dass Beurteilungs­ spielräume im Strafverfahren anzuerkennen sind190, gibt es demgegenüber viel Kritik bis hin zur gänzlichen Ablehnung. Eine erste Frage geht dahin, inwiefern die im Verwaltungsrecht entwickel­ ten Grundsätze im Strafverfahren überhaupt anwendbar sind. Moniert wird hierbei zunächst, dass sich Strafprozess und Verwaltungsprozess nicht ver­ gleichen ließen. Staatsanwalt und Ermittlungsrichter unterscheiden sich we­ gen ihrer besonderen verfahrensrechtlichen Funktion von Verwaltungsbehör­ den.191 Im Gegensatz zum Verwaltungsprozess gehe es beim Strafprozess nicht um die Kompetenzabgrenzung zwischen Gerichten und den Behörden. Das durch die Staatsanwaltschaft betriebene Ermittlungsverfahren ist im Ge­ gensatz zum behördlichen Verwaltungsverfahren kein eigenständiges Verfah­ ren, sondern bilde mit dem gerichtlichen Verfahren eine Einheit.192 Das letzte Wort hat im deutschen Strafverfahren das Gericht.193 Störmer194 hat sich mit der Problematik des Beurteilungsspielraums im Strafverfahren auseinander­ gesetzt. Trotz diverser Unterschiede zwischen Verwaltungs- und Strafprozess kommt er zu dem Ergebnis, dass sich die verwaltungsrechtliche Dogmatik in diesem Bereich auf den Strafprozess übertragen lasse.195 cc) Bewertung Bei der Auseinandersetzung mit der Problematik fällt zunächst auf, dass Gegenstand der gerichtlichen Entscheidungen stets Fragestellungen im Zu­ 187  Roxin/Schünemann,

Strafverfahrensrecht, § 39 Rdnr. 15. in: MüKo-StPO, § 100a Rdnr. 75. 189  Graalmann-Scheerer, in: LR-StPO, § 170 Rdnr. 17. 190  So wohl Meyer-Goßner/Schmitt, §  376 Rdnr. 7: „Spielraum“; ders. § 152 Rdnr. 4 m.w. N. zur Rechtsprechung; Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 173. 191  Schmidt, NJ 2008, 350, 351 ff. 192  Kröpil, DRiZ 1986, 19, 21. 193  Kröpil, DRiZ 1986, 19, 21. 194  Störmer, ZStW 108 (1996), 494. 195  Störmer, ZStW 108 (1996), 494, 509. 188  Günther,



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft107

sammenhang mit Anordnungen von Ermittlungsmaßnahmen oder einem be­ stimmten Verdachtsgrad sind. Anders als in der verwaltungsrechtlichen Judikatur lässt die Rechtspre­ chung eine tragfähige Begründung für die Anerkennung eines Beurteilungs­ spielraums vermissen. Auch in der Literatur wird kaum ausgeführt, woraus sich der Beurteilungsspielraum ergeben soll. Jedenfalls wird die Kasuistik der Fallgruppen, bei denen im Verwaltungsrecht ein Beurteilungsspielraum angenommen wird, von den Anhängern des Beurteilungsspielraums nicht zur Begründung herangezogen. Ungewiss bleibt somit, ob es sich um einen Be­ urteilungsspielraum im verwaltungsrechtlichen Sinne handelt, wenn im Kon­ text des Strafverfahrens von einem solchen gesprochen wird. Dass ein solcher gemeint ist, lässt sich zunächst damit begründen, dass allgemein vertreten wird, dass das Vorliegen eines Beurteilungsspielraumes dazu führt, dass die gerichtliche Kontrolle auf Überprüfbarkeit der Vertretbarkeit der staatsan­ waltschaftlichen Entscheidung beschränkt wird.196 Wenn die Rechtsfolgen aus dem Verwaltungsrecht übertragen werden, stellt sich die Frage, ob nicht auch zwingend dessen Voraussetzungen mit zu übertragen sind. Wenn sich in der Literatur mit der Frage auseinandergesetzt wird, ob ein Beurteilungs­ spielraum besteht, wird hinsichtlich der Vorgaben, die für dessen Annahme erfüllt sein müssen, zudem auf die verfassungsrechtliche Rechtsprechung Bezug genommen.197 Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass unbestimmte Rechtsbegriffe, sollen Beurteilungsspielräume anerkannt werden, auch im Strafverfahren verwaltungsrechtlichen Anforderungen genügen müssen. Da­ her erscheint es angebracht, anhand der im Verwaltungsrecht geläufigen ­Aspekte zu untersuchen, ob im Fall des besonderen öffentlichen Interesses ein solcher Beurteilungsspielraum vorliegt. Das entspricht dem verwaltungs­ gerichtlichen Kontrollmaßstab. Ob Beurteilungsspielräume im Strafverfahren insgesamt anzuerkennen sind, kann im hiesigen Kontext aber dann dahinstehen, wenn für das beson­ dere öffentliche Interesse festzuhalten ist, dass es sich zwar um einen unbe­ stimmten Rechtsbegriff handelt, jedoch der Staatsanwaltschaft kein Beurtei­ lungsspielraum zukommt. dd) Das besondere öffentliche Interesse als unbestimmter Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum? Fraglich ist daher, ob es sich auch beim Begriff des besonderen öffent­ lichen Interesses um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, bei dessen 196  Beulke,

197  Weßlau,

in: LR-StPO (26. Aufl.), § 152 Rdnr. 28; Schmidt, NJ 2008, 390, 392. in: SK-StPO (Stand Oktober 2000), § 152 Rdnr. 56.

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

Anwendung der Behörde ein Beurteilungsspielraum zusteht. Das wird von einem Teil der Literatur angenommen.198 Lüke führt aus, ein solcher Beurtei­ lungsspielraum sei in dem unbestimmten Rechtsbegriff des besonderen öf­ fentlichen Interesses enthalten.199 Winnen nimmt einen Beurteilungsspielraum an, um damit der, seiner Ansicht nach, allein der Staatsanwaltschaft übertra­ genen Aufgabe der Entscheidung über das besondere öffentliche Interesse, Rechnung zu tragen.200 Wegen der in der Literatur anzutreffenden Termino­ logie muss davon ausgegangen werden, dass auch der Beurteilungsspielraum nach Maßgabe des Verwaltungsrechts gemeint ist.201 Anzumerken ist dabei zunächst, dass das Vorhandensein eines Beurteilungsspielraums stets nur ­behauptet, aber nie belastbar hergeleitet und begründet wird. (1) Zur Begründung des BGH Oben wurde dargestellt, mit welchen Argumenten der BGH im Rahmen des Anfangsverdachts einen Beurteilungsspielraum der Staatsanwaltschaft anerkennt. Diese Begründung kann jedoch nicht überzeugen. Wenn der BGH ausführt, die Anwendung „dieses“ unbestimmten Rechtsbegriffs erfordere eine Gesamtschau aller wesentlichen Umstände, klingt das zwar ähnlich wie die Forderung, die in der Literatur zum Teil für die Annahme eines besonde­ ren öffentlichen Interesses erhoben wird.202 Es ist doch aber gerade das We­ sen eines jeden unbestimmten Rechtsbegriffs, dass er in hohem Maße kon­ kretisierungsbedürftig ist und seine Handhabung im Einzelfall sehr schwer sein kann.203 Dies führt nahezu zwingend dazu, dass über das Ergebnis die Meinungen auseinandergehen können. Das ändert jedoch nichts daran, dass es nach dem Gesetzessinn nur eine richtige Lösung geben kann – ein An­ fangsverdacht besteht oder eben nicht. Selbiges wurde oben für das beson­ dere öffentliche Interesse dargelegt; es kann entweder nur bestehen oder nicht. Mit den Ausführungen des BGH lässt sich ein Beurteilungsspielraum daher nicht begründen.

198  So bspw. Heinrich, NStZ 1996, 110, 113; Lüke, JuS 1961, 205, 211; Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 175. 199  Lüke, JuS 1961, 205, 211. 200  Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 175. 201  So auch Bernsmann, NStZ 1995, 510, 512. 202  Hirsch, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 7, nach dem eine Abwägung zwi­ schen dem ablehnenden Willen des Strafantragsberechtigten und den öffentlichen ­Interessen vorzunehmen sei. 203  Maurer/Waldhoff, Allg. VerwR, § 7 Rdnr. 29.



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft109

(2) Überprüfung anhand der anerkannten Fallgruppen Die begründungslose Annahme eines Beurteilungsspielraums durch den BGH kann schon deshalb nicht überzeugen, weil direkte Auswirkungen auf den Rechtsschutz bestehen. Daher bedarf es einer hinreichenden Begründung, auf welcher Basis ein Beurteilungsspielraum in Frage kommt. Überprüft werden soll im Folgenden, ob ein Beurteilungsspielraum für den Begriff des besonderen öffentlichen Interesses – gemessen an den anerkannten Fallgrup­ pen – anzuerkennen ist. (a) Kein Automatismus zwischen unbestimmtem Rechtsbegriff und Beurteilungsspielraum Ausgeführt wurde, dass die Verwendung eines unbestimmten Rechtsbe­ griffs nicht dazu führt, dass der Behörde bei der Rechtsanwendung stets ein Beurteilungsspielraum zur Seite steht. Unrichtig ist daher auch die Auffas­ sung des Bundesjustizministers, die er in der Stellungnahme im Rahmen des Falles mit dem Aktenzeichen 2 BvR 782/78 vertritt. Ausgeführt wird dort, dass die Verwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs dazu führe, dass der Staatsanwaltschaft ein Beurteilungsspielraum zugestanden wird.204 Dieser pauschale Schluss ist unzutreffend. Dass im Rahmen der Bestimmung des besonderen öffentlichen Interesses erhebliche Auslegungsschwierigkeiten bestehen (können), mag stimmen. Die hohe Unbestimmtheit einer Norm führt jedoch nicht ohne Weiteres zur Aner­ kennung eines Beurteilungsspielraums.205 (b) Letztentscheidungskompetenz der Behörde In Bezug auf das besondere öffentliche Interesse wird vertreten, dass eine solche Letztentscheidungskompetenz der Staatsanwaltschaft bestehe.206 Der BGH schließt aus dem Wortlaut eine Bindung des Gerichts an die staats­ 204  BVerfGE

51, 176, 181. in: BeckOK-VwVfG, § 40 Rdnr. 103; Die verwaltungsrechtliche Recht­ sprechung verneint Beurteilungsspielräume auch bei ähnlich unpräzisen Begriffen wie „Angemessenheit“ des Umfangs der Aufbringung der Mittel und der „Besonderheit“ der Belastung bei § 87 I 1 SGB XII. Siehe hierzu und zu weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung Aschke, in: BeckOK-VwVfG, § 40 Rdnr. 102.1. 206  Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 175, der sich allerdings mit den verwaltungsrechtlichen Begriffen nicht näher auseinandersetzt und stattdessen nur postuliert, ein solcher Beurteilungsspielraum bestehe; Thierfelder, DVBl. 1961, 119, 120; Lüke, JuS 1961, 205, 211. 205  Aschke,

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

anwaltschaftliche Entscheidung.207 Hierzu wurde bereits ausgeführt, dass eine Bindung der Gerichte an die Beurteilung des besonderen öffentlichen Interesses nicht anzuerkennen ist. (c) Besonderer Beurteilungssachverstand und unwiederholbare Handlung Auch handelt es sich, worauf Kröpil zutreffend hinweist, im Rahmen des besonderen öffentlichen Interesses weder um wissenschaftliche Beurteilun­ gen noch um Prognoseentscheidungen.208 Ein Kennzeichen für die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums ist zudem, dass die Behörde über eine besondere Sachkenntnis hinsichtlich des betreffenden Regelungsbereichs verfügt. Inwiefern das für die Staatsanwalt­ schaft hinsichtlich des besonderen öffentlichen Interesses gelten soll, er­ schließt sich nicht. Staatsanwaltschaft und Gericht sind beide in ihrer täg­ lichen Arbeit mit Voraussetzungen der Strafverfolgung befasst. Eine spezifi­ sche Sachkenntnis der Staatsanwaltschaft auf diesem Gebiet gibt es nicht. Selbst wenn dem so wäre, wird hieraus allein nicht der Schluss gezogen, es gäbe einen Beurteilungsspielraum.209 Dann kann das erst Recht nicht gelten, wenn ein solcher besonderer Sachverstand nicht anzunehmen ist. Generell erscheint keine derjenigen Fallgruppen einschlägig, die im Ver­ waltungsrecht für das Vorliegen eines Beurteilungsspielraumes entwickelt wurden.210 Selbst bei Begriffen, die dem besonderen öffentlichen Interesse ähnlich sind, hat das Bundesverwaltungsgericht einen Beurteilungsspielraum verneint. Namentlich gemeint sind die Begriffe „besonderer Einzelfall“ und „Gründe des öffentlichen Gesundheitsinteresses“ in § 3 III BÄO a. F.211 (d) Bindungswirkung der RiStBV? Fraglich ist, wie es sich auswirkt, dass die RiStBV dem Staatsanwalt Vor­ gaben machen, wie er mit dem besonderen öffentlichen Interesses umzuge­ hen hat. Eine Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch Verwal­

207  BGHSt

16, 225, 230. DRiZ 1986, 19, 20; ders. NJW1992, 654, 656. 209  Sachs, in: S/B/S-VwVfG, § 40 Rdnr. 208 m. w. N. 210  Störmer meint, allein das Vorliegen einer Fallgruppe rechtfertige noch nicht stets die Annahme eines Beurteilungsspielraums, ZStW 108 (1996), 494, 499. Unab­ hängig davon, ob diese Ansicht zutreffend ist, kann jedoch gesagt werden, dass dann jedenfalls kein Beurteilungsspielraum anzuerkennen ist, wenn keine der Fallgruppen vorliegt. 211  BVerwGE 45, 162, 164. 208  Kröpil



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft111

tungsvorschriften212 ist zulässig.213 Von einem Beurteilungsspielraum kann ausgegangen werden, wenn das Gesetz auf normkonkretisierende Verwal­ tungsvorschriften Bezug nimmt.214 Solche werden mit Bindungswirkung für die Gerichte in der verwaltungsrechtlichen Literatur für das Atom- sowie Umwelt- und Technikrecht angenommen.215 Selbst wenn man die RiStBV als eine solche normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift verstehen will, fehlt es jedenfalls an der Bezugnahme auf sie. Allein der Gesetzeswortlaut stellt keine hinreichende Bezugnahme dar. Die RiStBV sorgen also nicht dafür, dass ein solcher Beurteilungsspielraum existiert. Zudem gibt es viele unbe­ stimmte Rechtsbegriffe, deren Anwendung durch die Behörden durch Ver­ waltungsvorschriften konkretisiert wird. Beispielhaft sei hier der Anhang zum OBG216 genannt, der als Verwaltungsvorschrift bestimmte Begriffe des OBG konkretisiert, ohne dass die im OBG enthaltenen unbestimmten Rechts­ begriffe, allen voran der der Gefahr, zu solchen mit Beurteilungsspielraum werden. Darüber hinaus besteht eine Bindungswirkung der RiStBV grundsätzlich nur hinsichtlich der Staatsanwaltschaft, sofern sich nicht einige Vorschriften explizit an Gericht wenden, siehe die Einführung zu den RiStBV. Gerichte sind an für Behörden verbindliche Verwaltungsvorschriften grundsätzlich nicht gebunden.217 Verwaltungsvorschriften dienen lediglich der Vereinheit­ lichung der Rechtsanwendung; sie sind kein Außenrecht.218 Gerichte haben bei ihrer Entscheidung materielles Recht anzuwenden, wozu Verwaltungsvor­ schriften nicht zu zählen sind.219 Zur Untermauerung lässt sich die Rechtsprechung des BVerwG zum Rundfunkrecht anführen. Im Rahmen des § 46 RStV wird ausdrücklich eine Ermächtigung zum Richtlinienerlass zur Durchführung diverser Normen des RStV eingeräumt. Aber selbst diese ausdrückliche Ermächtigung führt nicht dazu, dass bei der Auslegung des § 7 III 1, 3 RStV ein Beurteilungsspielraum besteht.220 Im Kontext der RiStBV muss zudem beachtet werden, dass in den Gesetzen, die relative Antragsdelikte enthalten, keine Norm enthalten ist, die

212  Die RiStBV sind Verwaltungsvorschriften, Graf, in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, Einf. RiStBV Rdnr. 3. 213  Sachs, in: S/B/S-VwVfG, § 40 Rdnr. 154. 214  Schenke/Ruthig, in: Kopp/Schenke, § 114 Rdnr. 29 m. w. N. 215  Siehe hierzu Sachs, in: S/B/S-VwVfG, § 40 Rdnr. 216 f. 216  Ordnungsbehördengesetz des Landes Brandenburg. 217  BVerwGE 116, 332, 333. 218  Etter, CR 1989, 115, 120. 219  BVerwGE 116, 332, 333. 220  BVerwGE 153, 129, 138.

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

eine Richtlinienkompetenz vorsieht. Die gesetzliche Ausgestaltung spricht daher gegen die Anerkennung eines Beurteilungsspielraumes. ee) Ergebnis zum Bestehen eines Beurteilungsspielraums Ohne Weiteres lässt sich mithin die Begründung für die Anerkennung ei­ nes Beurteilungsspielraums im Zusammenhang mit dem besonderen öffent­ lichen Interesse an der Strafverfolgung nicht übertragen. Im Unterschied zum diskutierten Anwendungskreis geht es beim besonderen öffentlichen Interesse um eine Frage der Prozessvoraussetzung, nicht um Eingriffsbefugnisse. Zu Recht wird betont, dass bei einer so grundrechtsrelevanten Materie wie der Telekommunikationsüberwachung ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab nicht anzuerkennen sein kann.221 Wie oben erwähnt, liegt in der Beurteilung eines Verdachtsgrades eine Prognoseentscheidung, da es um Verurteilungs­ wahrscheinlichkeiten geht. Gegen die Anerkennung eines Beurteilungsspiel­ raums im Zusammenhang mit dem besonderen öffentlichen Interesse spricht insbesondere auch, dass von dessen Vorliegen die Zulässigkeit des Offizial­ verfahrens abhängen kann. Daher bedarf es besonderer Klarheit darüber, ob ein solches vorliegt oder nicht. Der Schluss von der Verwendung eines unbe­ stimmten Rechtsbegriffs auf die Einräumung eines Beurteilungsspielraums ist nicht richtig – dies gilt im Strafverfahren ebenso wie im Verwaltungsrecht. Ebenso sind die Fallgruppen, die für das Bestehen eines Beurteilungsspiel­ raums entwickelt worden sind, im Rahmen des besonderen öffentlichen Inte­ resses an der Strafverfolgung nicht gegeben. Beim besonderen öffentlichen Interesse handelt es sich daher um einen unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum der Staatsanwaltschaft.222 d) Fazit zur Anerkennung von Beurteilungsspielräumen im Strafverfahren Beim besonderen öffentlichen Interesse handelt es sich nicht um einen unbestimmten Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum. Die oben aufgewor­ fene grundsätzliche Frage nach der Anerkennung von Beurteilungsspielräu­ men im Strafverfahren bedarf somit keiner Entscheidung, da die Problem­ stellung im hier zu untersuchenden Kontext nicht von Relevanz ist.

221  Störmer, 222  So

StV 1995, 653, 658. schon zutreffend H. Vogel, Das öffentliche Interesse, S. 221.



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft113 2. Die Koppelungsvorschrift

Aus der Versagung einer Anerkennung eines Beurteilungsspielraumes wird zum Teil gefolgert, dass es allein wegen des Fehlens eines solchen bei einer umfänglichen Überprüfbarkeit verbleibt.223 Dieser Schluss ist jedoch zu vor­ schnell, da es nicht nur beim Beurteilungsspielraum zu Einschränkungen der gerichtlichen Kontrollbefugnis kommen kann. Eine weitere im Zusammenhang mit Problemen der gerichtlichen Überprü­ fung anzutreffende Konstruktion ist die der sog. Koppelungsvorschrift. a) Die Struktur der Koppelungsvorschrift Koppelungsvorschriften zeichnen sich in ihrer Struktur dadurch aus, dass sie unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessen miteinander derart verbinden, dass auf Ebene des Tatbestands ein unbestimmter Rechtsbegriff vorliegt und der Behörde auf Rechtsfolgenseite Ermessen gewährt wird. Diese Struktur findet sich im Verwaltungsrecht an vielen Stellen, allen voran in den polizei­ lichen Generalklauseln der Polizeigesetze der Bundesländer.224 b) Die Verfolgungsregelung relativer Antragsdelikte als Koppelungsvorschrift Dass auf Tatbestandsseite ein unbestimmter Rechtsbegriff vorliegt, wurde dargelegt. Voraussetzung für das Bestehen einer Koppelungsvorschrift ist nun gesetzestechnisch die Einräumung von Ermessen auf der Rechtsfolgen­ seite. Das ist auf den ersten Blick ersichtlich der Fall. Dafür spricht zunächst der Wortlaut. Voraussetzung für die Verfolgung ist nämlich, dass die Straf­ verfolgungsbehörde (…) ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Seiner Struktur nach entspricht das relative Antragsdelikt daher dieser Kop­ pelungsvorschrift. c) Konsequenz dieser Struktur im Hinblick auf die gerichtliche Überprüfbarkeit Wie diese Konstruktion in Bezug auf die gerichtliche Überprüfbarkeit zu behandeln ist, ist auch in der verwaltungsrechtlichen Wissenschaft umstrit­ ten.225 Ein Teil der Literatur und der Gemeinsame Senat der obersten Ge­ 223  Störmer,

ZStW 108 (1996), 494, 522. § 10 I BbgPolG. 225  Überblick bei Seewald, Jura 1980, 175, 181. 224  Bspw.

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

richtshöfe des Bundes wollen ein Ermessen auch auf Tatbestandsebene aner­ kennen.226 Der GmS-OGB führt konkret aus, dass der unbestimmte Rechts­ begriff in den Ermessensbereich „hineinragt“227. Demnach würde es sich um eine einheitliche Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft handeln, wobei sich das Ermessen auch auf den Umgang mit dem besonderen öffent­ lichen Interesse erstrecke und dann lediglich eine gerichtliche Prüfung nach Ermessensmaßstäben stattzufinden habe.228 Konsequenz dieser Auffassung wäre, dass das Gericht lediglich die Einhaltung der Grundsätze für die Er­ messensausübung zu überprüfen hätte.229 Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nimmt dagegen eine Trennung von Tatbestand und Rechtsfolge vor und beurteilt die Begriffe entsprechend der anerkannten Grundsätze.230 Demnach würde es grundsätz­ lich dabei bleiben, dass das besondere öffentliche Interesse voller gericht­ licher Kontrolle unterliegt und die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach Ermessensgrundsätzen überprüft wird. Diese Trennung erscheint vorzugswürdig. Die betreffende Entscheidung des GmS-OGB hat in der Wissenschaft viel Kritik hervorgerufen. Maurer nennt sie „dogmatisch schwerlich haltbar“231, zudem unterlaufe ein solches Verständnis die allgemeine Struktur von Rechtsnormen und die damit ver­ bundenen Konsequenzen.232 Weiterhin sei die Entscheidung spezifisch zu § 131 I RAO ergangen und nicht verallgemeinerungsfähig.233 § 131 RAO sei als Ermessensvorschrift konzipiert worden.234 Weiterhin erscheint die Tren­ nung deshalb erforderlich, da andernfalls nicht zu lösende Abgrenzungs­ schwierigkeiten entstehen. Denn die Frage, ob – wie vom GmS angenom­ men – eine solche unlösbare Trennung zwischen unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessensgewährung vorliegt, lässt sich nicht klären.235 Das Bundesver­

226  BVerwGE 39, 355, 366; aus der Literatur für die Anerkennung eines Tatbe­ standsermessens bspw. Beuermann, Intendiertes Ermessen. S. 152; für eine Anerken­ nung auch außerhalb der Koppelungsvorschriften Smeddinck, DÖV 1998, 370. 227  BVerwGE 39, 355, 366. 228  BVerwGE 39, 355, 369. 229  Die derzeitige Rechtspraxis, die von einer Ermessensentscheidung in Bezug auf das besondere öffentliche Interesse ausgeht, ist mit ihrer Unüberprüfbarkeit nicht haltbar. 230  BVerwGE 60, 355, 361; BVerwG NJW 1990, 1061, 1062; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 40 Rdnr. 24; Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rdnr. 32/33. 231  Maurer/Waldhoff, Allg. VerwR, § 7 Rdnr. 50. 232  Aschke, in: BeckOK-VwVfG, § 40 Rdnr. 45. 233  Maurer/Waldhoff, Allg. VerwR, § 7 Rdnr. 50. 234  BVerwGE 39, 355, 364. 235  So Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 114 Rdnr. 79.



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft115

waltungsgericht verfolgt diesen Ansatz auch in den später ergangenen Ent­ scheidungen nicht weiter. Da die in diesem Abschnitt zu untersuchende Frage lediglich die gericht­ liche Überprüfbarkeit des besonderen öffentlichen Interesses betrifft, bedarf es an dieser Stelle keiner weitergehenden Untersuchung, ob das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung eine Ermes­ sensausübung gewährt oder zu einer gebundenen Entscheidung der Staatsan­ waltschaft führt. d) Ergebnis Auch unter dem Blickwinkel der Koppelungsvorschrift verbleibt es bei der umfassenden gerichtlichen Kontrolle des besonderen öffentlichen Interesses. 3. Zwischenergebnis für die Kontrolle nach verwaltungsrechtlichen Maßstäben

Wie sich gezeigt hat, können die einzelnen Ansätze, die die gerichtliche Kontrolle einschränken, unter Zugrundelegung verwaltungsrechtlicher Maß­ stäbe, nicht überzeugen. Beim besonderen öffentlichen Interesse an der Straf­ verfolgung handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung der Staatsanwaltschaft kein Beurteilungsspielraum zukommt. Eine Einschränkung der gerichtlichen Kontrolle kann auch mit dem Kon­ strukt der Koppelungsvorschrift nicht begründet werden. III. Strafrechtsautonome eingeschränkte Kontrollkompetenz Abseits verwaltungsrechtlicher Maßstäbe wird dafür eingetreten, die Ent­ scheidungen der Staatsanwaltschaft, die zwar auf der Anwendung unbe­ stimmter Rechtsbegriffe basieren, welche ihr aber keinen Beurteilungsspiel­ raum zubilligen, dennoch nicht uneingeschränkt, sondern nur auf Vertretbar­ keit hin zu überprüfen.236 Dieser Vorschlag umfasst jedenfalls die Verdachtsund Ermittlungslage.237 Fraglich ist, ob dieser Vorschlag, unabhängig davon, ob er in der Sache überzeugen kann, auf das besondere öffentliche Interesse anzuwenden sein kann. Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung als davon um­ fasst anzusehen, erscheint jedoch unzutreffend. Zwar muss die Staatsanwalt­ 236  Schmidt, 237  Schmidt,

NJ 2008, 390, 392. NJ 2008, 390, 392.

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

schaft ermitteln, ob ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Dies ist jedoch nicht gleichzusetzen mit der Einschätzung eines Tatverdachts oder der Ermittlungslage als Grundlage für die Entscheidung über prozessuale Zwangsmaßnahmen. Beim besonderen öffentlichen Interesse handelt es sich um ein Element der Prozessvoraussetzung. Die von Schmidt vorgeschlagene Lösung differenziert zwischen den Verfahrensstadien. Im Ermittlungsverfah­ ren komme es auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft an und im Haupt­ verfahren treffe das erkennende Gericht selbst die Entscheidung.238 Es gelte dasselbe wie im Beschwerdeverfahren, wo eine vollständige Prüfung zu er­ folgen hat.239 Will man dem Ansatz Schmidts folgen, ergibt sich das Problem, dass die Kontrollkompetenz unter Umständen vom Zufall abhängt, je nach­ dem, ob das besondere öffentliche Interesse schon vor Anklageerhebung er­ forderlich ist oder nicht. Das kann maßgeblich von der Willkür des Straf­ antragsberechtigten abhängen. Stellt er vor Anklageerhebung ausdrücklich keinen Strafantrag, wäre die staatsanwaltschaftliche Entscheidung über das Einschreiten hinsichtlich des besonderen öffentlichen Intereses auf ihre Ver­ tretbarkeit hin zu untersuchen. Wird der Strafantrag im Hauptverfahren zu­ rückgenommen, müsste das Gericht selbst entscheiden. So könnte aufgrund derselben Tatsachenlage wieder unterschiedlich entschieden werden, obwohl nur eine Antwort richtig sein kann. Bei Prozessvoraussetzungen, von deren Vorliegen die Zulässigkeit des gesamten Strafverfahrens abhängt, muss ein strengerer Maßstab verlangt werden als bei prozessualen Ermittlungsbefug­ nissen.240 Diese Lösung hat zudem ein weiteres Problem. Insofern muss hier zur Begründung auf spätere Abschnitte Bezug genommen werden. Als Beispiel seien hier nur Nr. 233 und 234 RiStBV genannt. Beide Normen enthalten Anhaltspunkte für für die staatsanwaltschaftliche Beurteilung. Nr.  233 RiStBV betrifft das öffentliche Interesse i. S. des § 376 StPO und Nr. 234 RiStBV das besondere öffentliche Interesse i. S. des § 230 StGB. Je nach­ dem, welche der Normen vorliegt, muss entweder ein Strafantrag vorliegen oder ein solcher ist entbehrlich. Dies allein anhand einer Vertretbarkeitskon­ trolle der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung abzugrenzen, erscheint nicht sachgerecht, da somit wiederum das gesetzlich vorgesehene primäre Strafan­ tragserfordernis unterlaufen werden könnte. Auf das besondere öffentliche Interesse ist dieser Ansatzpunkt somit nicht anzuwenden. für das besondere öffentliche Interesse auch Mitsch, JA 2014, 1, 3. NJ 2008, 390, 392. 240  Dieser Aussage ließe sich zwar die hohe Grundrechtsrelevanz von Zwangs­ maßnahmen entgegenhalten. Im Ergebnis jedoch geht es bei Streitigkeiten im Bereich der Zwangsmaßnahmen regelmäßig lediglich um Fragen der Verwertbarkeit von Er­ kenntnissen. 238  So

239  Schmidt,



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft117

IV. Ergebnis zur gerichtlichen Kontrolle des besonderen öffentlichen Interesses Auch eine strafrechtsautonome Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle ist nicht anzuerkennen. Als Gesamtergebnis ist daher festzuhalten, dass das Ge­ richt eine umfassende Kontrollkompetenz hinsichtlich der Frage hat, ob ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht.

C. Zur gerichtlichen Kontrolle der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung Sieht man mit der hier vertretenen Auffassung die Prozessvoraussetzung als aus zwei Elementen bestehend an, ist die Feststellung, dass das besondere öffentliche Interesse vom Gericht umfassend zu prüfen ist, erst ein Zwi­ schenergebnis. Denn wenn dieses die Grundlage für die staatsanwaltschaft­ liche Entscheidung bildet, muss auch gefragt werden, wie die gerichtliche Kontrolle dieser auf dem Bestehen des besonderen öffentlichen Interesses basierenden Entscheidung auszusehen hat. Die Beantwortung dieser Frage hängt von der Rechtsnatur der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung ab. I. Verfolgungspflicht oder Einräumung von Verfolgungsermessen bei einem bestehenden besonderen öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung? Das besondere öffentliche Interesse muss vorliegen, um eine Strafverfol­ gung unabhängig vom Strafantrag zu legitimeren. Sein Vorliegen sorgt also dafür, dass die Staatsanwaltschaft befugt wird, ein Einschreiten von Amts wegen für geboten zu halten. Fraglich ist, welche Konsequenz sich daraus ergibt, dass ein besonderes öffentliches Interesse vorliegt. In Betracht kom­ men zwei Konsequenzen – die Gewährung eines Verfolgungsermessens und die Annahme einer zu einer Verfolgungspflicht führenden gebundenen Ent­ scheidung. Handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, beschränkt sich die Kompetenz des Gerichts auf die Überprüfung von Ermessensfehlern. Liegt dagegen eine Verfolgungspflicht vor, sobald das besondere öffentliche Interesse besteht, steht und fällt die Rechtmäßigkeit der staatsanwaltschaft­ lichen Entscheidung mit dem Vorliegen des besonderen öffentlichen Interes­ ses, sodass der Entscheidung selbst keine Relevanz mehr zukommt, sondern sie lediglich Konsequenz der Subsumtion ist.

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata 1. Meinungsstand

Nach einer Auffassung besteht keine Verfolgungspflicht, wenn ein beson­ deres öffentliches Interesse besteht. Die Staatsanwaltschaft entscheidet nach Ermessen, ob sie die Tat verfolgt.241 Gemäß der üblichen Folgen einer Er­ messensgewährung handelt die Staatsanwaltschaft daher rechtmäßig, unab­ hängig davon, ob sie die Verfolgung betreibt oder nicht. Ihr wird ein echtes Handlungsermessen eingeräumt. Die Gegenauffassung nimmt eine Verfolgungspflicht an, wenn an der Ver­ folgung der Tat ein besonderes öffentliches Interesse besteht.242 Das wird damit begründet, dass nach der Abwägung der für und gegen ein besonderes öffentliches Interesse sprechenden Umstände nichts mehr verbleibe, was ei­ ner Ermessensentscheidung zugänglich wäre.243 Daher könne nur die Ent­ scheidung, die Tat zu verfolgen, rechtmäßig sein. Zudem müsse man die Regelung des relativen Antragsdelikts verfassungskonform mit der Konse­ quenz auslegen, dass das Bestehen eines besonderen öffentlichen Interesses dazu führe, dass die Tat verfolgt werden müsse.244 2. Eigene Auffassung

a) Wortlautauslegung Die Norm selbst scheint auf Rechtsfolgenseite für eine Ermessensentschei­ dung zu sprechen, indem formuliert wird, dass ein Einschreiten für geboten gehalten werden muss. Dieses Verständnis liegt sogar nahe. Dann wäre das besondere öffentliche Interesse selbst zwar notwendige, jedoch nicht hinrei­ chende Bedingung für die Verfolgbarkeit des relativen Antragsdelikts. Aller­ dings ist dieses Verständnis nicht zwingend. Der Gesetzeswortlaut lässt sich auch so verstehen, dass ein positives Ergebnis beschrieben wird. Die Staats­ anwaltschaft hält immer dann ein Einschreiten von Amts wegen für geboten, wenn an der Strafverfolgung ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Diese Lesart wäre vergleichbar mit dem sog. intendierten Ermessen. Kenn­ zeichnend für dieses ist, dass die Ermessensentscheidung in eine bestimmte

241  H. Fischer, Die Erklärung, S. 25; Engländer, in: M/R-StGB, § 230 Rdnr. 3; Hirsch, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 11; wohl auch Wolters, in: S/S/W-StGB, § 184i Rdnr. 14. 242  Vogel, NJW 1961, 761, 763; Kröpil, NJW 1992, 654, 655; Winnen, Einge­ schränkte Antragsdelikte, S.  155 f. 243  Vogel, NJW 1961, 761, 763; Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 155 f. 244  BVerfGE 51, 176, 182.



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft119

Richtung gelenkt und die betreffende Norm als Soll-Vorschrift zu verstehen sein soll.245 Der Wortlaut ist daher nicht zwingend in eine Richtung zu interpretieren. Dennoch liegt die Einräumung eines Verfolgungsermessens näher. Eine ein­ deutige Entscheidung ist aber allein anhand des Wortlauts nicht möglich. b) Systematische Vergleiche aa) Systematischer Vergleich mit §§ 153, 153a StPO In systematischer Hinsicht kommt zunächst ein Vergleich mit §§ 153, 153a StPO in Betracht. Das Bestehen eines öffentlichen Interesses untersagt es der Staatsanwaltschaft, das Verfahren nach § 153 I StPO sanktionslos einzustel­ len. Es darf die Weiterverfolgung nicht ohne Weiteres unterlassen werden. Daraus ließe sich folgender Erst-Recht-Schluss ableiten: Wenn schon ein einfaches öffentliches Interesse das Unterlassen der Weiterverfolgung der Tat untersagt, müsste dies – unter Zugrundelegung der herrschenden Meinung, die ein graduelles Verhältnis der Begriffe zueinander annimmt – erst Recht für das besondere öffentliche Interesse gelten. Dieses Argument ist jedoch schwach, da es voraussetzt, dass zwischen dem öffentlichen Interesse und dem besonderen öffentlichen Interesse tatsächlich ein solches Stufenverhält­ nis besteht.246 Allerdings lässt sich Folgendes sagen: Das Vorliegen eines öffentlichen Interesses sorgt zwingend dafür, dass es einer staatlichen Reaktion bedarf; ein Untätigbleiben der Strafverfolgungsbehörden kommt nicht in Betracht. Unabhängig vom Verhältnis der Begriffe zueinander lässt es sich dann schwer rechtfertigen, die Verfolgung einer strafbaren Handlung gänzlich ins Ermes­ sen der Staatsanwaltschaft zu stellen, wenn Umstände vorliegen, die an an­ derer Stelle für eine Weiterverfolgungspflicht sorgen. Eine ähnliche Situation stellt die in der Wissenschaft umstrittene „mü­ ßige“247 Frage dar, ob die Staatsanwaltschaft ein Verfahren nach § 153 I StPO einzustellen hat oder einstellen kann, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesses an der Verfolgung besteht. Der Wortlaut der Norm scheint mit der Formulierung „kann“ für eine Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft zu sprechen. Aus dieser Formulierung wird in der Rechtsprechung des BGH und zum Teil in der

245  BVerwGE

105, 55, 57. zu dieser Frage unten S. 154 ff. 247  So die Formulierung von Radtke, in: R/H-StPO, § 153 Rdnr. 4. 246  Siehe

120

3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

­ iteratur eine Ermessensentscheidung abgeleitet.248 Daneben wird mit dem L Argument für ein Ermessen eingetreten, dass nur so der Begriff des öffent­ lichen Interesses von unpassenden Aspekten entlastet werden könne.249 Aber auch in diesem Rahmen wird darauf hingewiesen, dass mit der Aus­ legung der Begriffe der geringen Schuld und dem öffentlichen Interesse alle Aspekte, die die Frage der Einstellung betreffen, bereits verwertet werden und nichts übrig bleibe, was darüber hinaus einer Ermessensentscheidung zugänglich wäre.250 Anhand des systematischen Vergleichs mit den §§ 153, 153a StPO lässt sich für die hier relevante Frage daher nichts Zwingendes ableiten. bb) Systematischer Vergleich mit § 376 StPO Ebenso wie bei § 153 StPO ist im Rahmen des § 376 StPO umstritten, welche Konsequenz aus dem Vorliegen eines öffentlichen Interesses zu zie­ hen ist. Auch hier stehen sich die Auffassungen gegenüber, die entweder ein Verfolgungsermessen251 oder eine Verfolgungspflicht252 annehmen. Hierbei ist zunächst der von den relativen Antragsdelikten und § 153 StPO abweichende Wortlaut zu beachten. In § 376 StPO ist keine Rede davon, dass die Staatsanwaltschaft die öffentliche Klage erheben „kann“ oder die Erhe­ bung der öffentlichen Klage „für geboten halten“ muss. Vielmehr spricht der Wortlaut eindeutig dafür, eine Pflicht zur Erhebung der öffentlichen Klage anzunehmen. § 376 StPO formuliert deutlich, dass die öffentliche Klage er­ hoben wird, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt. Für eine solche Pflicht spricht auch, dass die Ausführungsverordnung zur VO vom 2.4.1940 explizit das Recht und die Pflicht des Staatsanwalts be­ nennt, bei einem öffentlichen Interesse im Falle eines Privatklagedelikts die öffentliche Klage zu erheben.253 Den Wortlaut ernst zu nehmen und eine Anklagepflicht bei bestehendem öffentlichem Interesse anzunehmen, findet auch historisch eine Stütze. Der Gesetzgeber hat sich bewusst dafür entschie­ 27, 275; Peters, in: MüKo-StPO, § 153 Rdnr. 7. Metzger, in: FS-Stöckel, 287, 292. 250  Magnus, GA 2012, 621, 623; Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 38 m. w. N.; Rieß, in: LR-StPO (25. Aufl.), § 153 Rdnr. 35; Heinitz, JZ 1963, 131, 133; Diemer, in: KK-StPO, § 153 Rdnr. 1. 251  Jofer, in: S/S/W-StPO, § 376 Rdnr. 1; Walther, in: KK-StPO, § 376 Rdnr. 1. 252  Kulhanek, in: K/M/R-StPO, 93. EL (August 2019), § 376 Rdnr. 1; Hilger, in: LR-StPO, § 376 Rdnr. 3; Valerius, in: BeckOK-StPO, § 376 Rdnr. 5, der aber der Staatsanwaltschaft ein Ermessen in Bezug auf das öffentliche Interesse zubilligt, § 376 Rdnr. 4; Pfeiffer-StPO, § 376 Rdnr. 3. 253  DJ 1940, 509. 248  BGHSt 249  So



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft121

den, der Staatsanwaltschaft keinen Spielraum zu lassen, sondern eine Ankla­ gepflicht zu schaffen.254 Denn auch an anderen Stellen besteht im Strafver­ fahrensrecht kein Anklageermessen.255 Eine Verpflichtung zur Anklage anzu­ nehmen, ist im Rahmen des § 376 StPO prozessrechtsdogmatisch zwingender als im Rahmen des § 153 StPO eine Verpflichtung zur Einstellung anzuer­ kennen. Würde man die Entscheidung der Staatsanwaltschaft – bei bestehendem besonderem öffentlichen Interesse einzuschreiten – als Ermessensentschei­ dung ansehen, ergebe sich folgende Konsequenz: Handelt es sich bei dem in Rede stehenden Delikt um ein Privatklagedelikt, hat die Staatsanwaltschaft die öffentliche Klage zu erheben, wenn Strafantrag gestellt wurde und ein öffentliches Interesse an der Erhebung der öffentlichen Klage besteht. Dage­ gen wäre es rechtmäßig, wenn die Staatsanwaltschaft die Verfolgung unter­ lässt, obwohl sogar ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfol­ gung besteht. Das wäre – jedenfalls unter Zugrundelegung des herrschenden Ansatzes – widersprüchlich und ist somit abzulehnen. Allerdings begegnet der Vergleich wiederum jenen Bedenken, die auch im vorherigen Abschnitt geäußert wurden. Eine Verfolgungspflicht erscheint indes aus einem anderen Aspekt heraus sachgerecht. Durch den Strafantrag gibt der Berechtigte zu verstehen, dass er Strafverfolgung wünscht. Das besondere öffentliche Interesse ist nur dann relevant, wenn es an einem Strafantrag fehlt. Kommt der Staatsanwalt zu dem Ergebnis, ein besonderes öffentliches Interesse liege vor, stellt er somit fest, eine von staatlicher Seite betriebene Strafverfolgung ist objektiv not­ wendig. Eine Verpflichtung zur Erhebung der öffentlichen Klage anzuneh­ men, obwohl der Verletzte auch im Wege des Privatklageverfahrens den staatlichen Strafanspruch durchsetzen könnte, aber nur ein Verfolgungser­ messen anzunehmen, obwohl die Notwendigkeit der Verfolgung auch ohne Strafantrag besteht, überzeugt nicht. Weiterhin lässt sich die Pflicht zur Anklageerhebung auch aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen öf­ ­ fentlicher Klage und Privatklage ableiten. Grundsätzlich wird die öffentliche Klage erhoben. Die Privatklage bildet einen Ausnahmefall, der das Legali­ tätsprinzip einschränkt. Das öffentliche Interesse bildet demgegenüber die Rückausnahme, also die Rückkehr zum Grundsatz. Daher bedarf es einer Verpflichtung zur Erhebung der öffentlichen Klage. Im Ergebnis lässt sich anhand des Vergleichs mit § 376 StPO eine Ver­ pflichtung zur Verfolgung bei bestehendem besonderem öffentlichem Inte­ 254  Siehe hierzu die Untersuchung von H. Vogel, Das öffentliche Interesse, S.  121 ff.; Hahn/Mugdan, Die gesamten Materialien, Band 3 Abt. 1 S. 672 f./1096. 255  BGHSt 15, 155, 159; Kircher, Die Privatklage, S. 153.

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

resse eher ableiten. Allerdings bestehen auch in diesem Zusammenhang Be­ denken. Zum einen würde wieder vorausgesetzt, dass das Verhältnis der Be­ griffe zueinander im Sinne der herrschenden Meinung zu verstehen ist. Dar­ über hinaus betreffen die Regelungen zwei verschiedene Situationen. Das besondere öffentliche Interesse ist maßgeblich für das Vorliegen einer ver­ folgbaren Tat im Sinne des § 152 II StPO, während das öffentliche Interesse im Rahmen des § 376 StPO lediglich die Verfolgung des betreffenden Privat­ klagedelikts im Offizialverfahren anstelle des Privatklageverfahrens betrifft. Diese Unterschiede erschweren direkte Schlüsse für das besondere öffent­ liche Interesse. cc) Ergebnis Anhand dieser systematischen Vergleiche lässt sich eine Verfolgungspflicht bei bestehendem besonderem öffentlichem Interesse nicht mit Sicherheit herleiten. c) Offizial- und Legalitätsprinzip Wortlaut und systematische Vergleiche brachten keine zwingenden Argu­ mente für die Entscheidung der Ausgangsfrage. Notwendig erscheint daher eine Auseinandersetzung mit zwei grundlegenden Maximen des deutschen Strafverfahrensrechts: Dem Offizialprinzip und dem Legalitätsprinzip. aa) Relative Antragsdelikte und das Offizialprinzip Dieses Prinzip des deutschen Strafverfahrensrechts legt die Zuständigkeit für die Strafverfolgung fest. Strafverfolgung ist eine staatliche Aufgabe, nicht die Aufgabe einzelner Bürger. Antragsdelikte sind insoweit Einschränkungen des Offizialprinzips256, als dass der Einzelne durch das Unterlassen einer Stellung des Strafantrags dafür sorgen kann, dass zwar Ermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft zulässig sind, allerdings kein sanktionsbehafteter Ab­ schluss des Verfahrens eintreten kann. Allerdings legt das Offizialprinzip lediglich die grundsätzliche Zuständig­ keit für die Strafverfolgung fest, sagt aber nichts darüber aus, ob eine Ver­ pflichtung zur Verfolgung besteht. Dies ist vielmehr eine Frage des Legali­ tätsprinzips.

256  Beulke/Swoboda,

Rdnr. 16; Krey, Private Ermittlungen, S. 31.



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft123

bb) Relative Antragsdelikte und das Legalitätsprinzip Konkret muss beantwortet werden, ob das Vorliegen eines Verfolgungser­ messens mit dem Legalitätsprinzip vereinbar sein kann. Die Übertragung des verwaltungsrechtlichen Ermessens in die hiesige Situation erscheint in dieser Hinsicht zweifelhaft. Denn im Verwaltungsrecht existiert kein Legalitätsprin­ zip als Maxime staatlichen Handelns. Es ist daher danach zu fragen, ob das Bestehen eines besonderen öffentlichen Interesses das Legalitätsprinzip der­ art berührt, dass allein das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses zu einer solchen Ermessensreduzierung führt, sodass lediglich die Verfolgung der Tat als rechtmäßige Handlung anzusehen wäre. Eine solche Ermessens­ reduzierung auf Null (bzw. Eins257) kennen auch bspw. das Baurecht und das Polizeirecht. So hat das BVerfG entschieden, dass trotz der gesetzlichen Formulierung des § 35 BauGB ein Vorhaben zu genehmigen ist, wenn öffent­ liche Belange nicht entgegenstehen, um Art. 14 GG gerecht zu werden. Ebenso ist nach der Rechtsprechung des BVerwG die Polizei zum Einschrei­ ten verpflichtet, wenn erhebliche Gefahren für wertvolle Rechtsgüter beste­ hen, auch wenn die Generalklauseln der Polizeigesetze Ermessen gewäh­ ren.258 (1) Grundsatz Im deutschen Strafverfahren hat die Staatsanwaltschaft das Monopol der Strafverfolgung und Anklage. § 170 I StPO normiert den Zwang zur An­ klage, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Ein Anklageermessen existiert nicht.259 Aus dieser Monopolstellung erwächst die Pflicht zur Verfolgung strafbarer Handlungen.260 § 152 II StPO regelt die grundsätzliche Pflicht, wegen aller verfolgbarer Taten einzuschreiten. Damit soll eine willkürfreie Strafverfolgung sichergestellt werden.261 (2) Ausnahmen vom Verfolgungszwang (Opportunitätsprinzip) Das Legalitätsprinzip gilt indes nicht uneingeschränkt. § 152 II StPO lässt Ausnahmen von der grundsätzlichen Verfolgungspflicht zu, sofern dies ge­ setzlich zugelassen ist. Die in Bezug genommenen gesetzlichen Ausnahmen

257  Pieroth/Schlink/Kniesel,

§ 10 Rdnr. 39. 11, 95, 97. 259  Meyer-Goßner, in: Löwe/Rosenberg (23. Aufl.), § 152 Rdnr. 12. 260  Beulke/Swoboda, Rdnr. 17. 261  Nestler, JA 2012, 88, 89. 258  BVerwGE

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

finden sich in den §§ 153 ff. StPO.262 Liegt eine verfolgbare Tat vor – deren Vorliegen ist Anwendungsvoraussetzung263 für die nachfolgende Frage der Verfolgungspflicht – ist die Verfahrensbeendigung auch ohne Anklage zuläs­ sig, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen der jeweiligen Norm vorliegen. Das Privatklageverfahren stellt eine Ausnahme zum Legalitätsprinzip dar.264 Insofern besteht jedenfalls eine Verbindung dann, wenn das betref­ fende relative Antragsdelikt zugleich Privatklagedelikt ist. Allerdings ist die Norm, auf die es dann ankommt, § 376 StPO und nicht die Verfolgungsrege­ lung im relativen Antragsdelikt. (3) Relative Antragsdelikte als Ausprägung des Opportunitätsprinzips? Die relativen Antragsdelikte werden zum Teil als Anwendungsfälle des Opportunitätsprinzips angesehen.265 Diese Einordnung ist jedoch zweifelhaft. Opportunitätserwägungen durchbrechen den Zwang der Strafverfolgung. Sie setzen jedoch das Bestehen einer verfolgbaren Tat voraus. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des § 152 II StPO. Auch im Ordnungswidrigkeitenrecht, wo das Opportunitätsprinzip als Regel gilt266, entscheiden Opportunitätsüber­ legungen nicht darüber, ob eine Ordnungswidrigkeit ahndbar ist, sondern ob eine an sich ahndbare Handlung auch tatsächlich verfolgt wird. Bereits aus der Struktur des § 152 II StPO ergibt sich, dass Opportunitäts­ erwägungen im Kontext der relativen Antragsdelikte keine Bedeutung haben können. Denn das Vorliegen entweder des Strafantrags oder des besonderen öffentlichen Interesses führt erst dazu, dass überhaupt eine verfolgbare Tat gegeben ist. Die Staatsanwaltschaft muss also bereits wegen des besonderen öffentlichen Interesses ein Einschreiten von Amts wegen für geboten halten, bevor sich die Frage nach dem Zwang der Weiterverfolgung stellt. Dies führt wieder zu dem Problem, dass sich aus dem isolierten Vorliegen des besonde­ ren öffentlichen Interesses keine Schlüsse auf einen Verfolgungszwang ablei­ ten lassen. Mithin ist § 152 II StPO kein Anhaltspunkt für die Einräumung eines Verfolgungsermessens bzw. -zwangs. 262  BGHSt 15, 155, 159; Überblick bei Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 152 Rdnr. 46. 263  Hier hätte die Auffassung, die das besondere öffentliche Interesse als alleinige Prozessvoraussetzung ansieht, keine Probleme. Bei einem bestehenden besonderen öffentlichen Interesse läge eine verfolgbare Tat vor. 264  Eb. Schmidt, Lehrkommentar Teil 2, § 152 Rdnr. 7; Senge/Walther, in: KKStPO, Vor §§ 374 ff. StPO, Rdnr. 5. 265  Pommer, Jura 2007, 662, 664; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 12 Rdnr. 12. 266  Mitsch, in: KK-OWiG, Einl. Rdnr. 152 m. w. N.



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft125

(4) Zwischenergebnis Der Wortlaut lässt keine eindeutige Aussage zu. Das Offizialprinzip regelt lediglich die Zuständigkeit der Strafverfolgung, beantwortet aber nicht die Frage nach der Pflicht zur Verfolgung. Das Legalitätsprinzip verpflichtet zur Verfolgung verfolgbarer Taten. Die einzelnen gesetzlichen Ausgestaltungen zur Begrenzung des Legalitätsprinzips finden sich vornehmlich in den §§  153 ff. StPO. d) Das besondere öffentliche Interesse als bereits alle relevanten Umstände umfassender Begriff Ein Verfolgungszwang könnte sich jedoch dann ergeben, wenn das beson­ dere öffentliche Interesse selbst das Ergebnis der Auswertung aller für die Frage der Zulässigkeit der amtlichen Strafverfolgung relevanten Umstände darstellt. So wie dies zu § 153 StPO vertreten wird267, wird auch im Rahmen der relativen Antragsdelikte für diese Lösung eingetreten.268 Dem ist zuzu­ stimmen. Zunächst hat sich gezeigt, dass die relativen Antragsdelikte nicht mit dem Opportunitätsprinzip in Verbindung zu bringen sind.269 Sofern also verfahrensökonomische Umstände die Frage nach der Weiterverfolgung einer Tat nach den §§ 153 ff. StPO bestimmen können, sind diese im Rahmen der Feststellung des besonderen öffentlichen Interesses nicht einzubeziehen, da es lediglich um die Herstellung einer verfolgbaren Tat geht. Das würde die Umstände, die in eine Ermessensentscheidung einzubeziehen wären, noch weiter einschränken. Zu Recht wird deshalb gesagt, dass alle für die Straf­ verfolgung relevanten Umstände bereits bei der Frage nach dem besonderen öffentlichen Interesse zu verwerten sind und anschließend keine Aspekte verbleiben, die für eine rechtmäßige Ermessensentscheidung heranzuziehen sein können.270 e) Zur verfassungskonformen Auslegung Ein weiterer zur Verfolgungspflicht bei bestehendem besonderem öffent­ lichem Interesse führender Umstand ist die Notwendigkeit einer verfassungs­ konformen Auslegung der Verfolgungsregelung. Die Feststellung, dass ein besonderes öffentliches Interesse vorliegt, enthält zugleich die Feststellung der objektiven Notwendigkeit der Strafverfolgung. Die Einräumung von nur Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 38 m. w. N. S.  155 f.; Keller, GA 1983, 497, 517. 269  So aber Keller, GA 1983, 497, 517. 270  Keller, GA 1983, 494, 517. 267  Siehe

268  Winnen,

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

Handlungsermessen wäre daher in systemwidriger Weise (§ 153a StPO ver­ bietet ein Absehen von der Verfolgung ohne staatliche Reaktion) geeignet, Ungleichbehandlungen zu legitimieren, obwohl bereits festgestellt wurde, dass ein Tätigwerden notwendig erscheint. II. Ergebnis

Nach zutreffender Deutung der Verfolgung relativer Antragsdelikte von Amts wegen, besteht somit ein Verfolgungszwang.271 Das besondere öffent­ liche Interesse enthält selbst alles, was für die Entscheidung über das Ein­ schreiten von Relevanz ist.272 Liegt es vor, muss eingeschritten werden; Er­ messen wird nicht gewährt. Systematische Vergleiche lassen sich auch ohne Streitentscheidungen verwerten. Wenn ein bestehendes öffentliches Interesse die sanktionslose Beendigung des Verfahrens verbietet, muss ein bestehendes besonderes273 öffentliches Interesse zur Pflicht der Verfolgung führen. Der Sache nach ist die Auffassung Vogels274, die vom BGH als nicht mit dem Wortlaut vereinbar275 angesehen wird, dennoch zutreffend. Als Gesamtergebnis lässt sich daher festhalten, dass das Gericht mit der Überprüfung des besonderen öffentlichen Interesses zwingend auch die Rechtmäßigkeit der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung überprüft. Man­ gels der Einräumung einer Ermessensentscheidung, kommt eine lediglich an Ermessensfehlern orientierte Überprüfbarkeit nicht in Betracht.

D. Das mit der Kontrolle befasste Gericht Nachdem festgestellt worden ist, dass eine umfassende gerichtliche Prü­ fung stattzufinden hat, stellt sich die Frage, wer für diese Kontrolle zuständig ist. In Betracht kommen zwei Möglichkeiten. Zum einen könnte stets das mit der Sache befasste Gericht zuständig sein, zum anderen eine Zuständigkeit des jeweiligen OLG. Letzteres dann, wenn die staatsanwaltschaftliche Ent­ scheidung als Justizverwaltungsakt zu werten wäre, wie es in den 1960er276 und 1970er277 Jahren zum Teil vertreten wurde. Dies würde voraussetzen, 271  So auch zutreffend Vogel, NJW 1961, 761, 763; Winnen, Eingeschränkte An­ tragsdelikte, S.  155 f. 272  H. Vogel, Das öffentliche Interesse, S. 221. 273  Über das Verhältnis der Begriffe zueinander sei an dieser Stelle keine Aussage getätigt. Siehe dazu unten, S. 154 ff. 274  Vogel, NJW 1961, 761, 763. 275  BGHSt 16, 225, 231. 276  OLG Bremen MDR 1961, 167, 168; Thierfelder, DVBl. 1961, 119, 120. 277  Strubel/Sprenger, NJW 1972, 1734, 1737.



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft127

dass strafprozessuale Vorgehensweisen überhaupt vom Anwendungsbereich der §§ 23 ff. EGGVG erfasst sind. Nach heute herrschender Meinung sind Prozesshandlungen, also solche, die der Einleitung, Durchführung und oder Gestaltung eines Ermittlungsverfahrens und des gerichtlichen Verfahrens dienen278, nicht vom Anwendungsbereich umfasst. Das liegt daran, dass die Rechtsschutzmaßnahmen hiergegen abschließend in der StPO enthalten sind und es somit einer Anwendung der §§ 23 ff. EGGVG nicht bedarf.279 Die Anwendung der §§ 23 ff. EGGVG ist mit Blick auf die bisherigen Ergebnisse und § 23 III EGGVG abzulehnen. Da es sich beim besonderen öffentlichen Interesse um ein Element der Prozessvoraussetzung handelt, welches von den jeweiligen Gerichten selbstständig zu prüfen ist, muss es bei der Zustän­ digkeit der ordentlichen Gerichte verbleiben und somit jedenfalls wegen der Subsidiaritätsklausel ein Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG ausscheiden. Zu­ ständig ist daher das jeweils mit der Sache befasste Gericht.

E. Die Kontrolle des besonderen öffentlichen Interesses in den einzelnen Verfahrensstadien I. Das staatsanwaltschaftliche Verfahren – Das Ermittlungsverfahren Ausweislich des Gesetzeswortlautes ist die Staatsanwaltschaft Adressat der Regelung des relativen Antragsdelikts. Sie hat – sofern erforderlich – zu er­ mitteln, ob an der Verfolgung des betreffenden relativen Antragsdeliktes ein besonderes öffentliches Interesse gegeben ist. Besteht ein solches nicht, hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren einzustellen. Es besteht dann ein Ver­ fahrenshindernis, sodass eine Einstellung nach § 170 II StPO zu erfolgen hat280, sofern die prozessuale Tat lediglich ein relatives Antragsdelikt um­ fasst. Gegen eine solche Einstellung ist grundsätzlich gemäß § 172 StPO das Klageerzwingungsverfahren zulässig, sofern es sich nicht um ein Privatkla­ gedelikt handelt. Gegen solche kann der Verletzte im Rahmen der Privatklage vorgehen, wenn die Staatsanwaltschaft den Verletzten auf den Privatklage­ weg verwiesen hat.281 Innerhalb des Antrags auf Klageerzwingung kann geltend gemacht werden, dass von der Staatsanwaltschaft zu Unrecht das Vorliegen der Verfahrensvoraussetzung abgelehnt wurde.282 Lehnt der Vorge­ 278  OLG Frankfurt a.  M., NStZ 2005, 13, 14; Hagemeier, in: R/H-StPO, § 23 EGGVG Rdnr. 8. 279  Siehe hierzu die Nachweise aus der Rspr. bei Böttcher, in: LR-StPO, § 23 EGGVG Rdnr. 53. 280  Meyer-Goßner/Schmitt, § 170 Rdnr. 1. 281  KG JR 1967, 392. 282  Graalmann-Scheerer, in: LR-StPO, § 172 Rdnr. 16.

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

setzte den Klageerzwingungsantrag ab, kann nach § 172 IV StPO eine ge­ richtliche Entscheidung beim Oberlandesgericht beantragt werden. Diese Möglichkeit besteht allerdings nur dann, wenn es sich gemäß § 172 II 3 StPO nicht um ein Privatklagedelikt handelt. Aus dem Bereich der relativen Antragsdelikte ist daher das Klageerzwingungsverfahren jedenfalls grund­ sätzlich nicht ausgeschlossen bei §§ 182 III, 183, 184i, 202d, 235 VII, 238, 248a (jeweils in Verbindung mit den auf diese Norm verweisenden Delikten), 303a, 303b StGB. Das OLG prüft das Vorliegen des hinreichenden Tatver­ dachts283, wozu auch die Prozessvoraussetzungen gehören.284 In diesem Fall muss das OLG also prüfen, ob das besondere öffentliche Interesse von der Staatsanwaltschaft zu Unrecht abgelehnt wurde. Allerdings ist hierbei zu beachten, dass zur Durchführung des Klageerzwingungsverfahrens der Ver­ letzte berechtigt ist. Dieser hat dadurch, dass er keinen Strafantrag gestellt hat, selbst den Grund dafür geschaffen, dass es auf die Frage des besonderen öffentlichen Interesses überhaupt ankommt. Unter dem Aspekt des venire contra factum proprium wäre die Zulässigkeit der Klageerzwingung wider­ sprüchlich. Unterlässt der Verletzte also den Strafantrag, kann nicht nach § 172 StPO mit dem Ziel verfahren werden festzustellen, dass zu Unrecht angenommen wurde, ein besonderes öffentliches Interesse liege nicht vor. Die Versagung der Initiierung des Klageerzwingungsverfahrens kann jedoch nur dann richtig sein, wenn das Verhalten des Verletzten wirklich wider­ sprüchlich wäre. Voraussetzung hierfür wäre die Schaffung eines Vertrau­ enstatbestands. Grundsätzlich möglich erscheint dies bspw. bei einem wirk­ samen Verzicht auf das Strafantragsrecht oder einer Rücknahme eines bereits gestellten Strafantrags. Das ist aber bspw. nicht anzunehmen, wenn der Strafantrag nicht gestellt wurde, weil der Täter den Verletzten durch Andro­ hung von nachteiligen Konsequenzen zur Unterlassung genötigt hat. Die Frage nach der (Un-)Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahrens muss da­ her am Einzelfall beurteilt werden. Auch § 130 StPO verdient hier Beachtung. Beantragt die Staatsanwalt­ schaft einen Haftbefehl in Bezug auf ein relatives Antragsdelikt, trifft § 130 StPO lediglich eine Regelung für den Strafantrag, gilt jedoch für alle beheb­ baren Verfahrenshindernisse.285 Gemäß den oben gefundenen Ergebnissen muss dann Folgendes gelten: Liegt kein Strafantrag vor und kann dieser auch nicht beigetrieben werden und beantragt die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl, muss der Ermittlungsrichter an dieser Stelle bereits das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung prüfen. Wenn die Untersuchungshaft zu unterbleiben hat, wenn die 283  Kretschmer,

in: R/H, § 172 Rdnr. 39. in: LR-StPO, § 172 Rdnr. 16. 285  Paeffgen, in: SK-StPO, § 130 Rdnr. 2. 284  Graalmann-Scheerer,



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft129 Stellung eines Strafantrags unwahrscheinlich ist, hat dies auch bei der Möglichkeit amtlicher Verfolgung zu gelten. Zwar ist die Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Prozessvoraussetzung nicht an die Strafantragsfrist gebunden. Ist es jedoch un­ wahrscheinlich, dass Umstände zutage treten, die ein besonderes öffentliches Inte­ resse begründen, hat der Haftbefehl ebenso zu unterbleiben.

II. Das gerichtliche Verfahren Das gerichtliche Verfahren umfasst drei Stadien. Aus der Einordnung des besonderen öffentlichen Interesses als Element der Prozessvoraussetzung er­ gibt sich für die einzelnen Verfahrensstadien Folgendes. 1. Das Zwischenverfahren

Im Zwischenverfahren entscheidet sich, ob die von der Staatsanwaltschaft erhobene Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen wird. Gemäß § 203 StPO wird die Eröffnung beschlossen, wenn nach den Er­ gebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig ist. In Bezug auf Prozessvoraussetzungen gilt, dass ein Wahrscheinlichkeitsurteil nicht genügt.286 Hierin zeigt sich deutlich das Dilemma der relativen Antragsdelikte. Es gilt, dass bei Zweifeln am Vorlie­ gen der Prozessvoraussetzungen die Eröffnung des Hauptverfahrens abzuleh­ nen ist.287 Bestehende Zweifel können aber im Freibeweisverfahren ausge­ räumt werden.288 Die Untersuchung zum besonderen öffentlichen Interesse hat ergeben, dass es als Element der Prozessvoraussetzung tatsächlich vorlie­ gen muss. Besteht daher im Zwischenverfahren kein besonderes öffentliches Interesse, ist die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen. Die Eröffnung kann auch nicht im Hinblick auf ein eventuell auftretendes besonderes öf­ fentliches Interesse beschlossen werden, da Wahrscheinlichkeitsurteile gerade nicht ausreichen. Das Gesetz eröffnet auch nicht die Möglichkeit, in dieser Weise vorzugehen. Der Wortlaut des § 203 StPO ist eindeutig. In diesem Zusammenhang muss beachtet werden, was im Rahmen der gerichtlichen Überprüfbarkeit festgehalten wurde. De lege lata hat eine gänz­ liche Überprüfung stattzufinden. Die herrschende Meinung, der zufolge das Gericht an die Äußerung der Staatsanwaltschaft im Hinblick auf das besondere öffentliche Interesse ge­ 286  Schneider, in: KK-StPO, §  203 Rdnr. 12; Seidl, in: K/M/R-StPO, 63. EL (Mai 2012), § 203 Rdnr. 20. 287  Seidl, in: K/M/R-StPO, 63. EL (Mai 2012), § 203 Rdnr. 20. 288  Reinhart, in: R/H-StPO, § 203 Rdnr. 3.

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

bunden ist und somit § 206 StPO nicht gilt289, kann nach den hier gefunde­ nen Ergebnissen nicht aufrechterhalten bleiben. Nimmt das Gericht entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft an, dass an der Verfolgung kein besonderes öffentliches Interesse besteht, kann die Staatsanwaltschaft gegen den Nichteröffnungsbeschluss nach Maßgabe des § 210 II StPO sofortige Beschwerde erheben. Das zuständige Beschwer­ degericht bestimmt sich nach den Regelungen des GVG.290 2. Das Hauptverfahren

Das besondere öffentliche Interesse kann in der Hauptverhandlung in ver­ schiedener Weise Bedeutung erlangen. Zur Auseinandersetzung mit ihm ge­ langt man nur, wenn es nicht bereits im Ermittlungs- oder Zwischenverfahren relevant wird. Zunächst ergibt sich die Möglichkeit, dass aufgrund eines Strafantrages und eines öffentlichen Interesses im Sinne des § 376 StPO die öffentliche Klage erhoben wurde und der Strafantrag innerhalb des Haupt­ verfahrens zurückgenommen wird. Damit wird dem Offizialverfahren der Boden entzogen und das Schicksal des Verfahrens hängt davon ab, ob die Staatsanwaltschaft wegen des besonderen öffentlichen Interesses agieren kann. Die Möglichkeit, auch im Hauptverfahren aufgrund des besonderen öffentlichen Interesses noch ein Einschreiten für geboten halten zu können, ist anerkannt und zutreffend.291 Ähnliches gilt, wenn wegen eines qualifizie­ renden Offizialdeliktes Anklage erhoben worden ist, sich der Qualifikations­ grund im Laufe des Verfahrens jedoch als nicht gegeben erweist.292 Das Gericht hat in diesen Fällen das Vorliegen des besonderen öffentlichen Inte­ resses zu prüfen, und – wenn es nach seiner Auffassung nicht besteht – nach § 206a oder § 260 III StPO das Verfahren einzustellen. 3. Das Rechtsmittelverfahren

a) Berufung Wird gegen ein amtsgerichtliches Urteil Berufung eingelegt, hat das Beru­ fungsgericht zunächst das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen zu prüfen.293 289  Meyer-Goßner/Schmitt, § 206 Rdnr. 1; Wenske, in: MüKo-StPO, § 206 Rdnr. 2; Stuckenberg, in: LR-StPO, § 206 Rdnr. 3. 290  Siehe hierzu Stuckenberg, in: LR-StPO, § 210 Rdnr. 26. 291  Siehe hierzu S. 133 ff. 292  So bspw., wenn § 224 StGB ausscheidet oder die Gewerbsmäßigkeit nach § 108a UrhG nicht gegeben ist. 293  Meyer-Goßner/Schmitt, § 327 Rdnr. 1.



§ 6 Gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft131

Es hat danach selbstständig darüber zu befinden, ob die Verfahrensvorausset­ zung vorliegt. Erklärt die Staatsanwaltschaft dies, muss das Gericht ebenso wie das erstinstanzliche Gericht prüfen, ob die Erklärung der Staatsanwalt­ schaft in materieller Hinsicht von einem besonderen öffentlichen Interesse getragen ist. b) Revision Das Revisionsgericht hat nach herrschender Meinung – ebenso wie das Berufungsgericht – zunächst von Amts wegen die Prozessvoraussetzungen zu prüfen.294 Dass auch im Revisionsverfahren seitens der Staatsanwaltschaft die Prozessvoraussetzung geschaffen werden kann295, entbindet das Gericht nicht von der umfassenden Prüfung des besonderen öffentlichen Interesses. Insofern kann diesbezüglich auf die Ausführungen zur Berufung verwiesen werden. Zu beachten ist § 358 I StPO in Fällen, in denen das Revisionsgericht die Sache zur erneuten Verhandlung zurückverweist. Demnach ist das Gericht, an das zurückverwiesen wird, an die Rechtsansicht des Revisionsgerichts gebunden. Stellt dieses fest, dass an der Verfolgung ein besonderes öffent­ liches Interesse besteht, ist das Gericht hieran gebunden und kann das Ver­ fahren nicht deshalb einstellen, weil seiner Ansicht nach kein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht.296 III. Fazit Im Ergebnis decken sich die Konsequenzen mit denen, die die Vertreter der Auffassung, das besondere öffentliche Interesse sei selbst die Prozess­ voraussetzung, ziehen. Sobald das Gericht mit dem besonderen öffentlichen Interesse in Kontakt tritt, muss es selbstständig die staatsanwaltschaftliche Erklärung auf ihre formelle und materielle Wirksamkeit prüfen – also insbe­ sondere darauf, ob tatsächlich ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Eine eigenständige Entscheidungskompetenz der Staatsanwaltschaft besteht hinsichtlich des besonderen öffentlichen Interesses nicht.

294  Franke, in: LR-StPO, § 352 Rdnr. 3, abweichend Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rdnr. 150, der zwischen Befassungs- und Bestrafungsverboten differenziert. 295  BGHSt 6, 282, 285. 296  Siehe hierzu Franke, in: LR-StPO, § 358 Rdnr. 4; Gericke, in: KK-StPO, § 358 Rdnr. 7.

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

§ 7 Konsequenz für weitere Umstände des Allgemeinen Teils Nachdem herausgestellt wurde, dass de lege lata das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung tatsächlich bestehen muss, dessen Bestehen uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegt und zur Pflicht zur Straf­ verfolgung führt, ist zu beleuchten, welche Konsequenzen die bisherigen Erkenntnisse für die weiteren Aspekte des Allgemeinen Teils haben.

A. Keine „Erklärung über das besondere öffentliche Interesse“ Im Rahmen der Darstellung der Rechtspraxis wurde gesagt, dass die Staatsanwaltschaft form- und fristlos das besondere öffentliche Interesse „er­ klären“ könne. Diese Auffassung kann aufgrund der bisherigen Ergebnisse nicht aufrechterhalten werden. Zunächst ist zu beachten, dass Gegenstand der staatsanwaltschaftlichen Erklärung – will sie die Strafverfolgung von Amts wegen durchführen – nur das Fürgebotenhalten der Verfolgung von Amts wegen sein kann, nicht aber das besondere öffentliche Interesse. Diesbezüg­ lich kann sie lediglich feststellen, dass es besteht und daraus die Konsequenz ziehen, von Amts wegen einzuschreiten. Verfehlt ist es somit, wenn gefordert wird, es bedürfe einer staatsanwaltschaftlichen Erklärung über das besondere öffentliche Interesse. Die Schlussfolgerungen haben daher die Erklärung der Staatsanwaltschaft über das Gebotensein amtlichen Einschreitens zum Ge­ genstand.

B. Formfragen Formloses und konkludentes Agieren kann im Bereich des besonderen ­ ffentlichen Interesses wegen der Zuerkennung gerichtlicher Kontrolle nicht ö angenommen werden. Wenn eine gerichtliche Überprüfung stattzufinden hat, muss es anhand von Begründungen auch möglich sein nachzuvollziehen, weswegen die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse als ge­ geben ansieht.297 Sofern die Staatsanwaltschaft Anklage wegen eines relati­ ven Antragsdelikts erhebt, muss sie kenntlich machen, woraus sich das be­ sondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung ergibt. Als Formerfor­ dernis sieht Nr. 110 II lit. d) RiStBV derzeit hinsichtlich der Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses lediglich eine ausdrückliche Erklärung vor. Diese Anordnung enthält jedoch keine Begründungspflicht, woraus sich das besondere öffentliche Interesse ergeben soll. 297  So

auch Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 181.



§ 7 Konsequenz für weitere Umstände des Allgemeinen Teils133

Unzutreffend ist es daher, wenn aus der Vornahme von Prozesshandlun­ gen, insbesondere durch Anklageerhebung, die Verfahrensvoraussetzung als gegeben angesehen wird. Selbst wenn man die hier erarbeitete Auslegung nicht vertritt, ergibt sich aus der Vornahme einer Prozesshandlung, vor allem aus einer Anklageerhebung, keine Ermessensausübung.298

C. Frist Es stellt sich die Frage, ob es für die Staatsanwaltschaft eine Frist gibt, binnen derer sie erklären muss, ein Einschreiten von Amts wegen sei gebo­ ten. Beispiel: A zeigt bei der Staatsanwaltschaft an, dass er von B körperlich misshandelt wurde. A stellt noch keinen Strafantrag. Er versäumt die Frist. Wenn nun das Ermittlungsverfahren aus irgendwelchen Gründen 8 Monate dauert, wäre es nicht sachgerecht, trotz verstrichener Strafantragsfrist die Verfolgung endgültig zu untersagen. Eine Befristung exakt parallel zur Straf­ antragsfrist wäre nicht angemessen. Im Gegensatz zur Strafantragstellung erfordert die Untersuchung des besonderen öffentlichen Interesses Ermitt­ lungsaufwand. Bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens muss eine staatsanwaltschaftliche Erklärung in jedem Fall zulässig sein. Da in systema­ tischer Hinsicht jedoch auch der Zweck der Strafantragsfrist beachtet werden muss, der darin besteht, den Zeitraum, in welchem Ungewissheit über die Zulässigkeit der Strafverfolgung herrscht, möglichst kurz zu halten,299 er­ scheint diese zeitliche Mindestgrenze angemessen. Dieser Zweck würde zwar bei zu großzügiger Handhabung der Frist der amtsseitigen Verfolgungsmög­ lichkeit umgangen, da aber die Ausgangsposition der Staatsanwaltschaft eine andere als die des Verletzten ist, ist eine unterschiedliche Behandlung ange­ zeigt. Ein Einwand in zeitlicher Hinsicht besteht, wie ausgeführt, dahingehend, dass gemeint wird, nach Anklageerhebung könne ein Einschreiten nicht mehr erfolgen, da die Staatsanwaltschaft durch die Anklageerhebung bereits eingeschritten sei.300 Hier muss Folgendes beachtet werden: In den Fällen, in denen der Gesetzgeber die Anwendung des § 232 StGB a. F. für möglich gehalten hat, ist die Rücknahme des Strafantrags grundsätzlich nicht mög­ lich gewesen. § 64 StGB a. F. ordnete an, dass eine Rücknahme des Strafan­ trags nur zulässig gewesen ist, wenn das Gesetz es ausdrücklich vorgesehen

298  Athing,

in: MüKo-StVR, § 230 Rdnr. 20. 71, 34, 39; Brähmer, Wesen und Funktion, S. 122. 300  So Vogel, NJW 1961, 761, 762. 299  RGSt

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3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

hat.301 Die Rücknahme des Strafantrages ist nach § 232 II StGB a. F. im Rahmen der Körperverletzung nur bei der Verletzung eines Angehörigen möglich gewesen.302 Die AVO ist davon ausgegangen, dass bei der Verlet­ zung von Angehörigen in der Regel kein besonderes öffentliches Interesse anzunehmen sei.303 Das heißt, die Problematik der Rücknahme des Strafan­ trags im Hauptverfahren ist mit der Strafverfolgung von Amts wegen grund­ sätzlich nicht in Berührung gekommen. Deshalb hat der Gesetzgeber das Wort „einschreiten“ wählen können, weil dieser Fall nicht im Rahmen des gesetzlich Möglichen gelegen hat.304 Da sich die gesetzliche Regelung inso­ fern geändert hat, als dass die Rücknahme des Strafantrags nunmehr nach Maßgabe des § 77d I 2 StGB bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluss zulässig ist, bedarf es bei der Handhabung des Wortes „einschreiten“ einer eher am Sinn und Zweck orientierten Auslegung. Die Staatsanwaltschaft muss in die Lage versetzt werden, auch im Hauptverfahren wegen des be­ sonderen öffentlichen Interesses ein Einschreiten von Amts wegen für gebo­ ten halten zu können. Daher kann die Kritik dahingehend gemessen an der heutigen gesetzlichen Ausgestaltung des Strafantragsrechts nicht mehr über­ zeugen. Die Möglichkeit, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens erklä­ ren zu können, ein Einschreiten von Amts wegen sei geboten, wird in der Literatur damit begründet, dass der Strafantrag ebenfalls bis zu diesem Mo­ ment zurückgenommen werden kann und es eines Ausgleichs dafür bedarf.305 Diese Auffassung ist zutreffend. Wenn die relativen Antragsdelikte zwei gleichwertige306 Prozessvoraussetzungen enthalten, müssen diese grundsätz­ lich auch weitestgehend parallel gehandhabt werden. Die Entscheidung des Gesetzgebers, notfalls auch ohne Strafantrag agieren zu können, kann auch aus folgendem Grunde keiner festen zeitlichen Grenze unterliegen. Wird ein Offizialdelikt angeklagt und stellt sich später heraus, es kommt lediglich ein relatives Antragsdelikt in Betracht, muss auf die veränderte Situation reagiert werden können. 301  § 64 StGB a. F. lautete: „Die Zurücknahme des Antrags ist nur in den gesetz­ lich besonders vorgesehenen Fällen und nur bis zur Verkündung eines auf Strafe lautenden Urteils möglich.“. 302  § 232 II StGB in der seit dem 2.4.1940 geltenden Fassung lautete: „Ist das Vergehen gegen einen Angehörigen verübt, so ist die Zurücknahme des Antrags zu­ lässig.“. 303  DJ 1940, 509. 304  Dass der Gesetzgeber den Fall, dass es erst im Hauptverfahren auf die Beurtei­ lung des besonderen öffentlichen Interesses ankommt, nicht sah, erkennt Vogel, NJW 1961, 761, 762 zutreffend. 305  Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 42. 306  Mitsch, in: MüKo-StGB, Vor § 77 Rdnr. 2.



§ 8 Folgen des Wegfalls der Prozessvoraussetzung135

Allerdings muss in diesem Fall beachtet werden, dass die letztgenannte Möglichkeit nur dann Anerkennung verdient, wenn im Zeitpunkt bspw. des Revisionsverfahrens die Problematik des besonderen öffentlichen Interesses aufkommt. Das (Haupt-)Verfahren kann nicht im Bewusstsein des derzeiti­ gen Fehlens des besonderen öffentlichen Interesses betrieben werden. An­ dernfalls befände sich das Verfahren in einem permanenten Schwebezustand.

D. Die Teilbarkeit der amtsseitigen Strafverfolgung Der Strafantrag kann sowohl in personeller Hinsicht wie auch in Bezug auf einzelne Taten geteilt werden. Will der Strafantragsberechtigte bspw. ei­ nen Täter explizit von der Strafverfolgung ausnehmen, steht es ihm frei, den Strafantrag nur gegen einen anderen Täter zu stellen. Diese Teilbarkeit ist im Rahmen des besonderen öffentlichen Interesses ebenfalls möglich. Allerdings entscheidet das Vorliegen des besonderen öf­ fentlichen Interesses darüber, welchem Beschuldigten gegenüber eine Straf­ verfolgung stattfindet. Während der Strafantragsberechtigte nicht an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden ist, gilt diese Bindung für den Staats­ anwalt.307 Weil das besondere öffentliche Interesse aber selbst dafür sorgt, dass klar ist, gegenüber welchen Tätern eine strafantragsunabhängige Straf­ verfolgung vorzunehmen ist, werden Friktionen in diesem Bereich vermie­ den.

§ 8 Folgen des Wegfalls der Prozessvoraussetzung A. Zur Bedeutung des § 156 StPO § 156 StPO untersagt die Rücknahme der öffentlichen Klage, sobald das Hauptverfahren eröffnet worden ist. Solange das Hauptverfahren also noch nicht eröffnet ist, kann die Staatsanwaltschaft über die Anklage disponieren. Diese Norm wird bisweilen zur Argumentation auch im Zusammenhang mit dem besonderen öffentlichen Interesse herangezogen.308 Winnen etwa steht auf dem Standpunkt, dass die Staatsanwaltschaft im Hauptverfahren das be­ sondere öffentliche Interesse nicht mehr verneinen könne.309 Zur Begründung stützt er sich zum einen auf Oehler, der davon ausgeht, Änderungen hinsicht­ lich des besonderen öffentlichen Interesses nach Erhebung der öffentlichen

307  Popp,

in: LK-StGB, § 230 Rdnr. 26 m. w. N. 77, 72, 74; OLG Bremen, JZ 1956, 663. 309  Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 189. 308  RGSt

136

3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

Klage seien nach §§ 153 III310, 156 StPO zu beurteilen.311 Ferner argumen­ tiert Winnen mit einem schutzwürdigen Interesse des Strafantragsberechtigten an der Aburteilung.312 Dem ist jedoch basierend auf den bisherigen Ergebnis­ sen zu widersprechen. Die Staatsanwaltschaft kann das besondere öffentliche Interesse im Hauptverfahren nicht mehr „verneinen“. Zum einen, weil das Gericht nach hier vertretener Auffassung ab Erhebung der öffentlichen Klage ohnehin nicht an die Auffassung der Staatsanwaltschaft gebunden ist. Zum anderen sind zwar das besondere öffentliche Interesse und die staatsanwalt­ schaftliche Entscheidung, ein Einschreiten von Amts wegen sei geboten, miteinander gekoppelt. Jedoch ist die Prozessvoraussetzung, entgegen Oehler, bei Wegfall des besonderen öffentlichen Interesses von Gesetzes wegen insgesamt hinfällig. Ohne besonderes öffentliches Interesse gibt es keine verfolgbare Tat mehr, die Grundlage des weiteren Verfahrens sein könnte. Die Argumentationsbasis unterscheidet sich daher grundlegend von derjeni­ gen Oehlers, der davon ausgeht, die spätere Verneinung des besonderen öf­ fentlichen Interesses sei nicht wie der Wegfall einer Prozessvoraussetzung zu beurteilen.313 Es besteht bereits keine dem § 156 StPO entsprechende Frage­ stellung im Hauptverfahren.

B. Freispruch oder Einstellung? Strittig ist zudem, wie sich der Wegfall einer Sachentscheidungsvorausset­ zung im Hauptverfahren auswirkt, wenn das Verfahren so weit fortgeschritten ist, dass bei Fortgang auf Freispruch zu erkennen wäre. Eine intensive Aus­ einandersetzung kann hier nicht geleistet werde. Daher sollen lediglich einige Bemerkungen zu dem Thema erfolgen.314 Folgt man strikt dem Gesetz, ist die Verfahrenseinstellung zwingend. Die Rechtsprechung nimmt dagegen den Vorrang des Freispruchs an, um dem Rehabilitationsinteresse des Angeklag­ ten Rechnung zu tragen.315 Der Vorrang des Freispruchs wird auch im Schrifttum überwiegend für zutreffend erachtet.316 Überzeugend ist dies aus prozessrechtsdogmatischer Sicht nicht, wenn man sich darauf beruft, dass ein Sachurteil nur ergehen kann, wenn die Sachurteilsvoraussetzungen gegeben 310  Jetzt

§ 153 II 1 StPO. JZ 1956, 630, 632. 312  Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 187. 313  Oehler, JZ 1956, 630, 632. 314  Siehe zu diesem Thema insbesondere Krack, Rehabilitierung, 2002, passim; Steinberg, Richterliche Gewalt, S. 117 ff., 172 f. 315  BGHSt 13, 268, 273; 20, 333, 335. 316  Ott, in: KK-StPO, §  260 Rdnr. 51; Eschelbach, in: BeckOK-StPO, § 260 Rdnr. 19. 311  Oehler,



§ 9 Reichweite des besonderen öffentl. Interesses an der Strafverfolgung137

sind.317 Für einen etwaigen Vorrang des Freispruchs fehlt es an einer gesetz­ lichen Anordnung. Das mag unbefriedigend sein, ist aber unvermeidlich. Bisweilen versucht man dem mit dem Argument zu begegnen, der Strafan­ trag sei nicht Verfahrens-, sondern lediglich Verurteilungsvoraussetzung.318 Das ist jedoch insofern unrichtig, als dass hiermit eine unterschiedliche Aus­ gestaltung der Sachentscheidungsvoraussetzungen postuliert wird, je nach­ dem, welches Ergebnis am Ende des Hauptverfahrens steht. Eine Aufspaltung in Verfahrens- und Verurteilungsvoraussetzung ist auch nicht erforderlich, denn sowohl freisprechende als auch verurteilende gerichtliche Entscheidun­ gen sind Sachurteile. Dieses Problem besteht parallel, wenn das besondere öffentliche Interesse im Laufe des Verfahrens entfällt, aber abzusehen ist, dass das Verfahren mit einem Freispruch enden würde. Zutreffend erscheint es, auch in diesen Fäl­ len das Verfahren einzustellen. Ebenso wie beim Strafantrag entfällt eine Verfahrensvoraussetzung. Mit dem Problem des Rehabilitierungsinteresses bei relativen Antragsdelikten hat sich insbesondere Krack befasst. Er kommt in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die Frage – gemessen an der derzeitigen Ausgestaltung des Strafantragsrechts – ebenso zu beantworten ist wie beim fehlenden Strafantrag.319

§ 9 Zur Reichweite des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung Den Gegenstand des Strafverfahrens bildet immer eine Tat im prozessua­ len Sinn.320 Das bedeutet, vom Verfahren umfasst ist das Verhalten des Be­ schuldigten, soweit es mit dem durch die Strafverfolgungsorgane bezeichne­ ten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen ein­ heitlichen Vorgang bildet und dessen getrennte Behandlung unnatürlich er­ schiene.321 Hinsichtlich der Reichweite des Bestehens eines besonderen öffentlichen Interesses stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob für alle relativen Antragsdelikte innerhalb einer einheitlichen prozessualen Tat das besondere öffentliche Interesse gemeinsam festgestellt werden kann oder

317  Streng dogmatisch Mitsch, in: MüKo-StGB, Vor § 77 Rdnr. 12 unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des früheren § 64 II StGB; a. A. Steinberg, Richterliche Gewalt, S. 172. 318  So Zielinski, in: GS-Kaufmann, 875, 882. 319  Krack, Rehabilitierung, S. 314 f. 320  Meyer-Goßner/Schmitt, § 264 Rdnr, 1. 321  BGHSt 35, 60, 62, Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht Rdnr. 513, hierzu auch Steinberg/Stam, Jura 2010, 907.

138

3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

ob es einer Feststellung hinsichtlich des jeweiligen relativen Antragsdelikts bedarf.

A. Konstellationen Die Frage kann sich in zwei Konstellationen stellen. Zum einen kann es innerhalb derselben prozessualen Tat zur Verwirklichung verschiedener rela­ tiver Antragsdelikte kommen. Beispiel 1: A schlägt dem B mit der Faust ins Gesicht und trifft dabei auch mit Eventualvorsatz dessen Brille, die daraufhin einen Bruch im Gestell er­ leidet. Daneben kann es um die mehrfache Verwirklichung eines relativen An­ tragsdelikts innerhalb der prozessualen Tat gehen. Hierbei sind wiederum zwei Bezugspunkte denkbar. Möglich ist es etwa, durch selbstständige Hand­ lungen das betreffende relative Antragsdelikt mehrfach zu begehen, anderer­ seits, dass durch dieselbe Handlung mehrere Geschädigte bestehen. Beispiel 2: A läuft mit einem Schraubendreher an einer Reihe stehender Autos vorbei. Er setzt am ersten Wagen den Schraubendreher auf den Lack und zerkratzt diesen. Dies wiederholt er bei den nachfolgenden fünf Fahrzeu­ gen. Der Entschluss, mehrere Autos zu zerkratzen, bestand von Anfang an. Beispiel 3: A schlägt die in einer Gruppe stehenden B, C und D jeweils mit der Faust ins Gesicht.

B. Die Reichweite des Strafantrags Betrachtet man die Fälle anhand der Prozessvoraussetzung des Strafan­ trags, ergeben sich für die Beurteilung keine Probleme. Nach herrschender Meinung erfasst der gestellte Strafantrag die gesamte prozessuale Tat.322 Ein solches Verständnis ist im Ergebnis zutreffend, bedarf aber einer präzisieren­ den Betrachtung. Denn aus dieser Aussage ergibt sich nicht, welcher Fall damit gemeint ist. Erst der dem Antragserfordernis zugrunde liegende Tatbe­ griff gibt Aufschluss. § 77 I StGB spricht von der „Tat“. Dem Strafantrags­ erfordernis liegt hierbei nicht der prozessuale, sondern der materielle Tatbe­ griff zugrunde.323 Daraus folgt, dass das Vorliegen des Strafantrages für jedes Antragsdelikt innerhalb der prozessualen Tat eigenständige Bedeutung hat.

322  OLG Hamm NStZ-RR 2012, 308; Greger/Weingarten, in: LK-StGB, § 77 Rdnr. 18; Wolter, in: SK-StGB, § 77 Rdnr. 17. 323  Mitsch, in: MüKo-StGB, Vor § 77 Rdnr. 18.



§ 9 Reichweite des besonderen öffentl. Interesses an der Strafverfolgung139

Der zugrunde liegende materielle Tatbegriff steht aber einer Strafantrag­ stellung für die gesamte prozessuale Tat mit allen in ihr vorkommenden An­ tragsdelikten nicht entgegen. Es ist daher möglich, den Strafantrag für alle Delikte innerhalb der gesamten prozessualen Tat zu stellen. Auf die Prozess­ voraussetzung des Strafantrags ist der Zweifelsgrundsatz anzuwenden, sodass im Zweifel zu gelten hat, dass ein Strafantrag nur bezogen auf die jeweilige konkrete Straftat gestellt wurde.324

C. Grundsätzliche Übertragbarkeit auf das besondere öffentliche Interesse Zutreffend ist es, auch die Feststellung des besonderen öffentlichen Inte­ resses für jedes relative Antragsdelikt separat zu fordern. Dies folgt aus der Gesetzessystematik. Da die relativen Antragsdelikte den Strafantrag und die amtliche Verfolgung in einem Satz zusammenhängend regeln, müssen die Regelungen zur Reichweite des Strafantrags konsequenter Weise auch für das besondere öffentliche Interesse gelten. Denn auch der amtlichen Ver­ folgungsmöglichkeit liegt ein tatbestandsbezogener Tatbegriff zugrunde. Das folgt daraus, dass die Möglichkeit, von Amts wegen einzuschreiten, spezi­ fisch für das jeweilige Antragsdelikt besteht.

D. Besonderheiten hinsichtlich des besonderen öffentlichen Interesses Eine einzige alle relativen Antragsdelikte umfassende Annahme eines be­ sonderen öffentlichen Interesses kann jedoch im Gegensatz dazu nicht aner­ kannt werden. Beim Strafantrag ist das deshalb unproblematisch, weil es nur auf den formellen Akt der Stellung des Strafantrages ankommt. Der Antrag­ steller muss lediglich seinen Wunsch nach Strafverfolgung zum Ausdruck bringen; weitergehende inhaltliche Anforderungen gibt es nicht. Beim beson­ deren öffentlichen Interesse bedarf es dagegen der Feststellung dessen für jedes Delikt separat, da die Tatbestandsbezogenheit dazu führt, dass je nach Delikt unterschiedliche Anforderungen an das besondere öffentliche Interesse zu stellen sind. Zutreffend wird in diesem Zusammenhang bspw. auf geset­ zessystematische Schranken für das besondere öffentliche Interesse verwie­ sen. Im Rahmen des § 248a StGB haben eventuelle Sachbeschädigungen keinen Einfluss auf das besondere öffentliche Interesse gerade an dem Dieb­ 324  So zutreffend BGH NStZ-RR 2013, 349. Im dort zu entscheidenden Sachver­ halt wurde ein besonderes öffentliches Interesse hinsichtlich einer Sachbeschädigung erklärt, nicht hingegen bezogen auf die Verfolgung eines Diebstahls; vgl. auch Greger/Weingarten, in: LK-StGB, Vor §§ 77–77e Rdnr. 10.

140

3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

stahl der geringwertigen Sache. Andernfalls würde das Antragserfordernis nach § 303c StGB umgangen.325 Die Staatsanwaltschaft ist dennoch nicht daran gehindert, eine solche alle Delikte umfassende Erklärung abzugeben, sofern das besondere öffentliche Interesse für jedes Delikt besteht. Diese wird dann allerdings vom Gericht auf Richtigkeit überprüft. Das besondere öffentliche Interesse bedarf daher einer Beurteilung für je­ des einzelne relative Antragsdelikt innerhalb der prozessualen Tat.

E. Ergebnis Anknüpfungspunkt für das besondere öffentliche Interesse ist der Tatbe­ griff im materiellen Sinn. Liegen innerhalb einer prozessualen Tat mehrere relative Antragsdelikte vor, bedarf es der Feststellung des besonderen öffent­ lichen Interesses für jedes relative Antragsdelikt gesondert. Diese Feststel­ lung gilt auch, wenn ein relatives Antragsdelikt mit einem Offizialdelikt in einer prozessualen Tat zusammentrifft.

§ 10 Das Verhältnis zum gestellten Strafantrag Das Gesetz nennt den Strafantrag und die Möglichkeit, von Amts wegen zu verfahren, in einem Satz. Fraglich ist daher, in welchem Verhältnis die beiden Optionen zueinander stehen. Im Zentrum der Untersuchung der hiesi­ gen Frage steht, ob die Staatsanwaltschaft auch dann im Wege der amtlichen Variante verfahren darf, wenn der Verletzte einen Strafantrag gestellt hat. In praktischer Hinsicht enthalten Urteile vielfach sowohl die Feststellung, dass ein Strafantrag form- und fristgerecht gestellt worden und zugleich die Staatsanwaltschaft wegen des besonderen öffentlichen Interesses ein Ein­ schreiten von Amts wegen für geboten gehalten hat.326

A. Meinungsstand Nach einer Auffassung kann die amtliche Verfolgung nur dann betrieben werden, wenn entweder ein wirksamer Strafantrag fehlt oder zurückgenom­ men wurde,327 bzw. der Antragsberechtigte auf sein Strafantragsrecht ver­ 325  Kindhäuser,

in: NK-StGB, § 248a Rdnr. 15. bspw. AG Döbeln Urt. v. 28.05.2013 2 Ls 463 js 37536/12 jug Rdnr. 26, wo sowohl ein wirksamer Strafantrag vorliegt als auch ein Einschreiten von Amts wegen für geboten gehalten wurde; ebenso AG Neu-Ulm Urt. v. 12.05.2014 1 Ls 332 js 6548/13 jug Rdnr. 24 (beide Urteile zitiert nach juris). 327  Sternberg-Lieben, in: S/S-StGB, § 230 Rdnr. 1. 326  Siehe



§ 10 Das Verhältnis zum gestellten Strafantrag141

zichtet hat.328 Ist ein wirksamer Strafantrag gestellt worden, müsse (bei den Privatklagedelikten) nach § 376 StPO verfahren werden.329 Beide Optionen können nicht nebeneinander bestehen.330 Nach anderer Auffassung folgt aus der Unabhängigkeit beider Varianten der Strafverfolgung, dass der Strafantrag und ein Einschreiten von Amts wegen nebeneinander vorliegen können.331 Das wird damit begründet, dass es sinnwidrig wäre, wenn sich die Staatsanwaltschaft nur auf ein einfaches öffentliches Interesse beschränken müsste und das besondere öffentliche In­ teresse erst bekunden dürfe, wenn der Strafantrag zurückgenommen worden ist.332 Zudem sei der Wortlaut nicht im Sinne der erstgenannten Auffassung zu verstehen.333 Aufgrund eines besonderen öffentlichen Interesses könne daher auch eingeschritten werden, wenn ein Strafantrag vorliegt, zumal die­ ser zurückgenommen werden kann.334

B. Eigene Auffassung I. Bedeutung der Frage Fraglich ist zunächst, ob diese Frage überhaupt zu Konsequenzen führt, die eine genauere Befassung hiermit erforderlich machen. Wenn die Frage im Raum steht, ob § 376 StPO eine gegenüber dem beson­ deren öffentlichen Interesse speziellere Regelung ist, kann dies nur dort gel­ ten, wo § 376 StPO überhaupt Anwendung findet. Also besteht keine Not­ wendigkeit mit der Auseinandersetzung, wenn es sich bei dem betreffenden Delikt nicht um ein Privatklagedelikt handelt. Eine eigenständige Bedeutung soll diese Frage haben, wenn es sich um ein Privatklagedelikt handelt und im Verfahren der Strafantrag zurückgenommen wird.335 Das ist richtig. Versagt man der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, bei gestelltem Strafantrag zusätzlich den Weg über das besondere öffentliche Interesse zu gehen, entfiele die Zulässigkeit der öffentlichen Klage, wenn das 328  Athing,

in: MüKO-SVR, § 230 StGB Rdnr. 14. in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 6; Paeffgen, in: NK-StGB, § 230 Rdnr. 28; Sternberg-Lieben, in: S/S, § 230 Rdnr. 1; Lackner/Kühl, § 230 Rdnr. 3. 330  Hierzu Popp, in: LK-StGB, § 230 Rdnr. 7. 331  Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 2; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 248a Rdnr. 13; Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 248a Rdnr. 12. 332  Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 2. 333  Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 2. 334  Kindhäuser, in: NK-StGB, § 248a Rdnr. 13. 335  Eschelbach, in: BeckOK-StGB, § 230 Rdnr. 4. 329  Hirsch,

142

3. Kap.: Die Auslegung des Allgemeinen Teils de lege lata

Verfahren ein Privatklagedelikt zum Gegenstand hat, nach Maßgabe des § 376 StPO die öffentliche Klage erhoben wurde und der Strafantrag zurück­ genommen wird. Dies folgt aus der Akzessorietät der öffentlichen Klage zum Strafantrag. Das Verfahren könnte dann nur weiter betrieben werden, wenn an der Verfolgung der Tat ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Ge­ steht man der Staatsanwaltschaft hingegen zu, von Beginn an, auch die amt­ liche Verfolgungsmöglichkeit anzuwenden, würde diese Hürde umgangen. Unabhängig davon, ob an der Verfolgung ein besonderes öffentliches Inte­ resse besteht oder die öffentliche Klage nach Maßgabe des § 376 StPO erho­ ben wird, hat der Verletzte in beiden Fällen nicht die Möglichkeit, im Wege der Privatklage vorzugehen. Insofern macht es für ihn keinen Unterschied, ob aufgrund des öffentlichen oder des besonderen öffentlichen Interesses agiert wird. Probleme in diesem Zusammenhang ergeben sich lediglich, wenn die Staatsanwaltschaft aufgrund eines besonderen öffentlichen Interesses von Amts wegen (ohne Strafantrag) agiert, sich im Laufe des Verfahrens aber die Gegebenheiten so ändern, dass ein besonderes öffentliches Interesse und ein öffentliches Interesse nunmehr entfallen. Ist nun die Strafantragsfrist verstri­ chen, besteht keine Möglichkeit mehr, die Sache weiter zu verfolgen. Ohne wirksamen Strafantrag kann aber (bei Privatklagedelikten) keine Privatklage durchgeführt werden.336 Da es aber um die Frage geht, welche Auswirkun­ gen ein gestellter Strafantrag hat, bedarf diese Problematik keiner Vertiefung. Die Frage könnte aber dann relevant werden, wenn in § 376 StPO, wie von einer Ansicht angenommen, eine Spezialregelung zu den relativen An­ tragsdelikten zu erblicken ist. Dann wäre die Frage immer noch ohne prak­ tisch bedeutsame Konsequenzen, aber die Gesetzessystematik verböte das Verfahren über das besondere öffentliche Interesse. Die Bedeutung erschöpft sich also darin, auf dogmatischer Weise zu be­ stimmen, ob bei Privatklagedelikten, denn nur bei solchen kommt § 376 StPO in Betracht, bei Vorliegen eines Strafantrages, nur nach § 376 StPO zu verfahren ist. II. Stellungnahme Handelt es sich um ein Privatklagedelikt und wird ein Strafantrag gestellt, muss nach § 376 StPO entschieden werden. Besteht ein öffentliches Interesse an der Erhebung der öffentlichen Klage, wird sie erhoben, da es sich um eine gebundene Entscheidung handelt. § 376 StPO ist lex specialis gegenüber dem besonderen öffentlichen Interesse. Das folgt daraus, dass § 376 StPO 336  BayObLGSt

1951, 452; Meyer-Goßner/Schmitt, § 374 Rdnr. 6.



§ 10 Das Verhältnis zum gestellten Strafantrag143

genau die Situation des gestellten Strafantrages bei Privatklagedelikten er­ fasst. Besteht dagegen kein öffentliches Interesse – so der anhand der Geset­ zessystematik ableitbare Regelfall337 – wird der Strafantragsteller auf den Privatklageweg verwiesen und das Offizialverfahren nach § 170 II StPO eingestellt. Die Strafverfolgung im Wege des besonderen öffentlichen Inter­ esses komme dann nicht in Betracht.338 Dass sich ein sachlicher Grund dafür, sich nach gestelltem Strafantrag auf das öffentliche Interesse zu beschränken und auf das besondere öffentliche Interesse erst zurückgreifen zu können, wenn im Verfahren der Strafantrag wegfällt339, nicht findet, ändert nichts daran, dass die Gesetzessystematik vorschreibt, wie zu verfahren ist, wenn ein Strafantrag gestellt worden ist. III. Ergebnis Die Frage, ob neben dem Strafantrag auch aufgrund eines besonderen öf­ fentlichen Interesses eingeschritten werden darf, hängt vom Charakter des zugrunde liegenden Delikts ab. Bei einem relativen Antragsdelikt, das zu­ gleich Privatklagedelikt ist, muss nach § 376 StPO wegen dessen Eigenschaft als lex specialis verfahren werden.

337  Hirsch,

ZStW 92 (1980), 218, 221. in: NK-StGB, § 301 Rdnr. 13. 339  So zu Recht Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 2. 338  Dannecker,

4. Kapitel

Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses Nachdem im vorangegangenen Kapitel die formellen Aspekte des beson­ deren öffentlichen Interesses beleuchtet worden sind, geht es in diesem Ka­ pitel um dessen inhaltliche Komponente.

§ 11 Die Notwendigkeit einer begrifflichen Auslegung Dass eine Beschäftigung mit der inhaltlichen Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses erforderlich ist, hat die bisherige Untersuchung ver­ deutlicht. Als Rechtmäßigkeitselement der staatsanwaltschaftlichen Erklä­ rung über das Verfolgungsinteresse ist das besondere öffentliche Interesse von entscheidender Bedeutung. Zudem hat sich gezeigt, dass das besondere öffentliche Interesse zwar die amtliche Strafverfolgung ermöglicht, zeit­ gleich aber auch begrenzt. Es sorgt daher für eine Einschränkung der staat­ lichen Befugnisse. Die Notwendigkeit einer Begriffsklärung ergibt sich zu­ dem vor allem daraus, dass dem Gericht eine vollumfängliche Prüfungskom­ petenz hinsichtlich der Annahme des besonderen öffentlichen Interesses zu­ steht. Antragsdelikte geben dem Antragsberechtigten die Möglichkeit, durch das Unterlassen der Stellung eines solchen Strafantrages auf die Schaffung der Verfahrensvoraussetzung zu verzichten.1 Die Konstruktion des relativen Antragsdelikts schränkt diese Möglichkeit ein. Es bedarf daher der Klärung, unter welchen Umständen das Strafantragsrecht des Verletzten überwunden werden kann. Daneben ist eine begriffliche Klarheit auch für diejenigen Delikte notwen­ dig, die zugleich relative Antragsdelikte und Privatklagedelikte, also solche Delikte, an deren Verfolgung von staatlicher Seite grundsätzlich kein Inte­ resse besteht2, sind. Ob ein öffentliches Interesse im Sinne des § 376 StPO oder ein besonderes öffentliches Interesse vorliegt, ist nämlich entscheidend 1  Mühlhaus, 2  Hirsch,

JZ 1952, 170. ZStW 92 (1980), 218, 221.



§ 12 Darstellung der Methode145

für die Frage, ob es zusätzlich eines Strafantrages seitens des Berechtigten bedarf oder ob ein solcher nicht notwendig ist.3 Beispiel: Beim Verlassen des Parkplatzes schaut A auf sein Mobiltelefon. Wegen der daraus entstehenden Ablenkung fährt er mit 10km/h den Passan­ ten B an, der gerade den Weg kreuzt. B stürzt und erleidet eine Unterarm­ fraktur. Welche Möglichkeiten bestehen im Hinblick auf die Strafverfolgung? Stellt B einen Strafantrag, wird das öffentliche Interesse nach § 376 StPO darüber entscheiden, ob die Tat im Wege der öffentlichen Klage verfolgt wird oder B die Privatklage erheben müsste. Stellt B keinen Strafantrag, be­ darf es eines besonderen öffentlichen Interesses, sofern die Staatsanwaltschaft einschreiten will. Die inhaltliche Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses ist vor dem Hintergrund eines etwaig zusätzlich erforderlichen ­ Strafantrags mithin unerlässlich. Daneben kommt dieser Frage auch im Rahmen der Verfahrenseinstellung nach den §§ 153, 153a StPO Bedeutung zu. Kann nach diesen Vorschriften verfahren werden, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Straf­ verfolgung besteht? Diese Frage wird den Abschluss der hiesigen Arbeit bilden und erörtert, sobald untersucht worden ist, wie das besondere öffent­ liche Interesse an der Strafverfolgung in inhaltlicher Hinsicht zu verstehen ist.

§ 12 Darstellung der Methode der derzeitigen Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses In einem ersten Schritt soll nicht dargelegt werden, wie der Begriff des besonderen öffentlichen Interesses nach derzeitigem Meinungsstand zu ver­ stehen ist. Vielmehr geht es zunächst darum, abstrakte Auslegungsversuche zu beleuchten und herauszustellen, wie sich in methodischer Hinsicht dem Begriffsverständnis genähert wird.

A. Rechtsquellen der Auslegung Das Strafgesetzbuch ordnet zwar an, dass die Strafverfolgung ein besonde­ res öffentliches Interesse voraussetzt, nennt aber selbst keine Hinweise, wann vom Vorliegen eines solchen auszugehen sein soll. Ebenso verhält es sich mit allen anderen Gesetzen. Auch existieren keine gerichtlichen Entscheidungen 3  So bei §§ 201a I, II, 223, 229, 299, 303 StGB, § 142 PatG, § 25 I GebrMG, § 10 I HalblSchG, § 39 I SortenSchG, §§ 143, 143a MarkenG, §§ 51 I, 65 I DesignG, §§ 106, 107, 108, 108b I, II UrhG; v. Weber, MDR 1963, 169.

146

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

zu dieser Fragestellung, was der Auffassung der Rechtsprechung in Bezug auf die gerichtliche Unüberprüfbarkeit des besonderen öffentlichen Interesses geschuldet ist. Anhaltspunkte, wann vom Bestehen eines besonderen öffent­ lichen Interesses auszugehen sein soll, finden sich zunächst partiell in den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV). Auch in den einschlägigen Gesetzesbegründungen finden sich zum Teil Ausführun­ gen zu dieser Frage.

B. Ansätze zur Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses I. Definitionsversuch von H. Fischer Als erster und einziger Autor unternahm es Helmut Fischer, den Begriff des besonderen öffentlichen Interesses zu definieren. Er kam in seiner Arbeit zu dem Ergebnis, dass ein besonderes öffentliches Interesse folgendermaßen zu verstehen sei: „Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung im Sinne des § 232 I StGB ist also gleichzusetzen dem Verlangen der Allgemeinheit oder unbestimmter Gruppen von Personen oder von Einzelpersonen, wenn deren Gefährdung oder Verletzung auf die Allgemeinheit ausstrahlt, nach Aufrechterhaltung der durch die Rechtsordnung garantierten Rechte und nach Verfolgung von Übergriffen auf die geschützte Rechtssphäre, ein Verlangen, das nach objektiven Maßstäben gemessen an den Bedürfnissen, Zwecken und Zielen staatlichen Strafens im Vergleich mit den Individualinteressen des Verletzten als vordringlich und bedeutungsvoll erscheint.“4

Diese Definition ist in der Literatur auf Kritik gestoßen. So kommt Untersteller zu dem Urteil, dass der Begriff zwar klarstelle, dass es sich bei den in Rede stehenden Interessen um Gemeininteressen handeln müsse, die Defini­ tion wegen der Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe aber nicht brauchbar sei.5 Auch Homann kritisiert diese Formulierung; es finde sich lediglich eine Ersetzung eines mehrdeutigen Begriffs durch andere auslegungsbedürftige Begriffe.6 II. Das Verständnis nach H. Vogel H. Vogel hat sich mit der Frage befasst, wie das besondere öffentliche In­ teresse zu verstehen sein soll. Auch zur Zeit seiner Dissertation bestand mit § 232 StGB lediglich im Rahmen der Körperverletzung ein relatives Antrags­ 4  H. Fischer,

Die Erklärung, S. 39. Der Begriff, S. 14. 6  Homann, Der Begriff, S. 17. 5  Untersteller,



§ 12 Darstellung der Methode147

delikt. Für H. Vogel waren für die Annahme des besonderen öffentlichen In­ teresses die außerordentliche Größe der Täterschuld oder der Tatfolgen ent­ scheidend.7 Aus den Gesetzesmaterialien folgert er, dass das „berechtigte Reaktionsbedürfnis der Allgemeinheit“ maßgeblich sein soll.8 Außerstraf­ rechtliche Interessen sollten seiner Auffassung nach nicht in der Lage sein, ein besonderes öffentliches Interesse zu begründen, wozu er verwaltungsbe­ hördliche Entscheidungen9 oder fiskalische Regressansprüche10 zählt. III. Der Ansatz Homanns Homann stellt in seiner Arbeit zunächst fest, dass bisherige Unternehmun­ gen, den Begriff des (besonderen) öffentlichen Interesses auszulegen, nicht erfolgversprechend gewesen sind.11 Die Aufstellung gewisser Kriterien führe seiner Auffassung nach in den meisten Fällen zu brauchbaren Ergebnissen, aber es fehle weiterhin an einem gemeinsamen Fundament des Begriffs, der auch bei Findung gewisser Kriterien bislang konturenlos bleibe.12 Der Ana­ lyse wird ein systematisches Vorgehen zugrundegelegt, wobei er zu dem Er­ gebnis kommt, dass Wortlaut und Systematik für die inhaltliche Auslegung nicht zu gebrauchen seien.13 Im Rahmen einer historischen Analyse des § 376 StPO wird herausgearbeitet, dass insbesondere solche Aspekte ein ­öffentliches Interesse im Sinne dieser Norm darstellen könnten, die den Ver­ letzteninteressen zuzuordnen seien. Für den Begriff des besonderen öffent­ lichen Interesses liefere eine historische Auslegung keine verwertbaren Er­ gebnisse.14 Homann verfolgt den Ansatz, den Begriff des öffentlichen und des beson­ deren öffentlichen Interesses anhand der Strafzwecke zu beleuchten.15 Für das besondere öffentliche Interesse stellt er fest, dass sich ein besonderes öffentliches Interesse nicht aus dem Genugtuungsinteresse des Verletzten er­ geben könne.16 Das folge – parallel zum öffentlichen Interesse nach § 376 StPO – daraus, dass auf Genugtuung verzichte, wer nicht die Privatklage

7  H. Vogel,

Das öffentliche Interesse, S. 217. Das öffentliche Interesse, S. 219. 9  H. Vogel, Das öffentliche Interesse, S. 217. 10  H. Vogel, Das öffentliche Interesse, S. 218 Fn. 313. 11  Homann, Der Begriff, S. 19. 12  Homann, Der Begriff, S. 26. 13  Homann, Der Begriff, S. 29. 14  Homann, Der Begriff, S. 37. 15  Homann, Der Begriff, S. 40. 16  Homann, Der Begriff, S. 86. 8  H. Vogel,

148

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

erhebe.17 Diese Ansicht lässt sich wie folgt begründen. Wer Genugtuung fordert, wird einen Strafantrag stellen. Allein das Genugtuungsinteresse des Verletzten kann aber auch im Privatklageweg verfolgt werden, es handelt sich nicht um ein öffentliches Interesse. Das wird vor dem Hintergrund ver­ ständlich, dass Homann – wie die herrschende Meinung heute – annimmt, zwischen dem öffentlichen Interesse und dem besonderen öffentlichen Inte­ resse bestehe lediglich ein gradueller Unterschied.18 Nach Ablehnung des Genugtuungsinteresses arbeitet Homann heraus, dass es zur Begründung des besonderen öffentlichen Interesses spezial- und gene­ ralpräventiver Aspekte bedürfe. Im Gegensatz zu § 376 StPO reiche es für das besondere öffentliche Interesse aber nicht aus, dass die Tat ihren (für das Privatklagedelikt grundsätzlich gegebenen) privaten Charakter verliere.19 Sowohl in general- als auch in spezialpräventiver Hinsicht sei entscheidend, dass sich die Körperverletzung20 durch bestimmte Umstände aus dem durchschnittlichen Maß nach oben abhebe.21 Seiner Auffassung nach seien insbesondere die Art der Begehung, das Ausmaß der Tat sowie die Tatfolgen zu berücksichtigen.22 Im Straßenverkehr – dem Hauptanwendungsfeld der fahrlässigen Körperverletzung – sei die Annahme eines besonderen öffent­ lichen Interesses vonnöten, um die Verkehrsteilnehmer dahingehend zu sen­ sibilisieren, dass über die allgemeine, dem Straßenverkehr innewohnende Gefährdungen hinausgehende Unvorsichtigkeit nicht hingenommen werde.23 Sowohl für die leichte vorsätzliche als auch für die fahrlässige Körperverlet­ zung seien einschlägige Vorstrafen ein wesentliches Element zur Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses.24 IV. Die materielle Auslegung im heutigen Schrifttum Bei Betrachtung der oben genannten Monographien sowie der strafpro­ zessrechtlichen Kommentarliteratur fällt auf, dass sich Ausführungen zum besonderen öffentlichen Interesse zunächst im Kontext des § 376 StPO fin­ den. Abseits dessen finden sich kaum systematische Analysen. Überwiegend wird versucht, das besondere öffentliche Interesse inhaltlich anhand einer Abgrenzung zum Begriff des öffentlichen Intereses auszufüllen. Die Erläute­ 17  Homann,

Der Begriff, S. 64. Der Begriff, S. 6; mit Verweis auf v. Weber, MDR 1963, 169. 19  Homann, Der Begriff, S. 87. 20  Damals war die Körperverletzung noch das einzige relative Antragsdelikt. 21  Homann, Der Begriff, S. 90. 22  Homann, Der Begriff, S. 87. 23  Homann, Der Begriff, S. 89. 24  Homann, Der Begriff, S. 90. 18  Homann,



§ 12 Darstellung der Methode149

rungen der einzelnen relativen Antragsdelikte in einschlägigen Kommentar­ werken erfolgen entweder nur unter Nennung des Erfordernisses des beson­ deren öffentlichen Interesses oder unter deliktsspezifischer Darstellung der für tauglich gehaltenen Aspekte.25 Bei der Lektüre von Literatur und Recht­ sprechung gewinnt man zudem bisweilen den Eindruck, dass die Ernsthaftig­ keit der Notwendigkeit einer Unterscheidung beider Termini nicht beachtet wird.26 Versuche, eine inhaltliche Abgrenzung anhand inhaltlicher Kriterien vorzu­ nehmen, sind vereinzelt geblieben und seit Jahrzehnten nicht mehr unter­ nommen worden.27 Partiell wird bereits geleugnet, dass zwischen beiden Begriffen überhaupt ein Unterschied bestehe;28 es komme vielmehr auf die Prüfung des Einzel­ falls an.29 Das wird zum Teil damit begründet, dass keine unterschiedliche Deutung gewollt, sondern lediglich die Gesetzesformulierung des § 232 StGB a. F. übernommen worden sei.30 Gegen Letzteres spricht allerdings be­ reits aus historischer Sicht die Ausführungsverordnung, die klar zwischen dem öffentlichen Interesse im Rahmen des § 376 StPO und dem besonderen öffentlichen Interesse unterscheidet.31 Weit überwiegend begnügt man sich mit der Feststellung, dass das beson­ dere öffentliche Interesse enger ist als der Begriff des öffentlichen Interes­ ses32 bzw. zwischen beiden Begriffen lediglich ein gradueller Unterschied bestehe33, wobei allgemein angenommen wird, dass die Annahme eines be­ 25  Siehe

hierzu umfassend unten, S. 166 ff. diversen Fällen findet sich die Aussage, dass zur amtlichen Verfolgung rela­ tiver Antragsdelikte ein „öffentliches Interesse“ nötig sei, es bedarf aber eines „be­ sonderen öffentlichen Interesses“, siehe bspw. BGHSt 6, 283, 284; Sternberg-Lieben, in: S/S-StGB, § 230 Rdnr. 3; Bosch, in: S/S-StGB, § 248a, Rdnr. 23 ff. Selbst das BVerfG spricht in seiner Überschrift zur Entscheidung in der NJW 1979, 1591 vom „öffentlichen“ Interesse, benennt es dann aber im Leitsatz korrekt. 27  Lediglich H. Fischer hat sich mit dieser Abgrenzung befasst, Die Erklärung, S. 39; Homann unternimmt in seiner Monographie eine inhaltliche Auslegung des öffentlichen Interesses im Sinne der §§ 153, 376 StPO und des § 230 StGB, schreibt über das Verhältnis der Begriffe zueinander allerdings nahezu nichts. 28  v. Weber, MDR 1963, 169; Mühlhaus, JZ 1952, 170; Etter, CR 1989, 115, 120. 29  Mühlhaus, JZ 1952, 170. 30  Rochlitz, Der strafrechtliche Schutz, S. 197 für § 109 UrhG. 31  DJ 1940, 509. 32  Merz, in: R/H-StPO, § 376 Rdnr. 2; Hirsch, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 9; Paeffgen, in: NK-StGB, § 230 Rdnr. 28; Jofer, in: S/S/W-StPO, § 376 Rdnr. 2; Metzger, in: FS-Stöckel, 287, 289. 33  Kauffmann, in: FS-Kleinknecht, 203, 206; Sternberg-Lieben, in: BeckOKUrhR, § 109 Rdnr. 12; Letzgus, in: FS-Rebmann, 277, 301; Heghmanns, in: Hand­ buch Strafverfahrensrecht, S. 416. 26  In

150

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

sonderen öffentlichen Interesses zugleich die Annahme eines öffentlichen Interesses im Sinne des § 376 StPO34 bzw. § 153 StPO35 begründe. Nach Ulsenheimer ist das besondere öffentliche Interesse „wesentlich strenger“ als das öffentliche Interesse.36 Ferner sollen dieselben Gesichtspunkte, die ein öffentliches Interesse im Sinne des § 376 StPO begründen, auch ein besonde­ res öffentliches Interesse begründen können, sofern eine höhere Intensität vorliege.37 Letzteres bedeutet im Ergebnis daher ebenfalls eine Zustimmung zum Stufenverhältnis. Teilweise wird die Frage nach dem Verhältnis zwischen den Begriffen auch gar nicht erörtert. Metzger, der sich in einem Beitrag mit dem öffentlichen Interesse befasst, lässt eine Abgrenzung beider Normen ausdrücklich offen und schließt sich ohne Weiteres der herrschenden Meinung an.38 Rieß verschließt sich der Abgrenzung ebenfalls, indem er in einem Beitrag die „diffizile Frage“ nach dem Verhältnis beider Begriffe nicht beantworten will.39 Auch Winnen, der sich in seiner Publikation speziell mit den – wie er sie nennt – eingeschränk­ ten Antragsdelikten befasst, untersucht dieses Konstrukt umfassend, sagt aber nichts in Bezug auf die inhaltliche Ausgestaltung des besonderen öffent­ lichen Interesse40 und dessen Verhältnis zum öffentlichen Interesse. V. Gravenreuth verschließt sich einer Klärung ebenfalls und will die Frage der Rechtsprechung überlassen.41 Seltener finden sich gehaltvolle und verwertbare Ausführungen zu dieser Frage. Nach Hilger unterscheide sich das besondere öffentliche Interesse vom öffentlichen Interesse im Rahmen des § 376 StPO lediglich dadurch, dass ersteres in der Lage sei, einen fehlenden Strafantrag zu ersetzen und somit 34  Jofer, in: S/S/W-StPO, § 376 Rdnr. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, § 376 Rdnr. 3; Kulhanek, in: K/M/R-StPO, 93. EL (August 2019), § 376 Rdnr. 6; Schwätzler, in: Anwalt-Kommentar-StPO, § 376 Rdnr. 3; Gerhold, Das System des Opferschutzes, S. 135; Heghmanns, NStZ 1991, 112, 116. 35  So Untersteller, Der Begriff, S. 13 m. w. N. 36  § 1 Rdnr. 244, vertritt dann allerdings mit Verweis auf v. Weber, MDR 1963, 169, dass eine Unterscheidung zum öffentlichen Interesse praktisch undurchführbar sei. 37  Sternberg-Lieben, in: BeckOK-UrhR, § 109 UrhG Rdnr. 12; Heghmanns, NStZ 1991, 112, 116; Homann, Der Begriff, S. 6. 38  Metzger, in: FS-Stöckel, 287, 289. 39  Rieß, NStZ 1981, 2, 10 Fn. 91. 40  Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, nennt lediglich auf S. 156 in Fn. 76 die inhaltlichen Kriterien nach Nr. 234, 243 RiStBV. 41  v. Gravenreuth, Das Plagiat, S. 152.



§ 12 Darstellung der Methode151

die Strafverfolgung gegen den Willen des Strafantragsberechtigten zu betrei­ ben.42 In der älteren Rechtsprechung findet sich eine differenzierte Befassung mit dieser Thematik. Das OLG Celle stellt fest, dass die Regelung der amtlichen Strafverfolgung bei relativen Antragsdelikten von allen sonstigen von der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren zu treffenden Entscheidungen abweicht. Die Bestimmung des § 376 StPO regele dabei etwas anderes.43 Seiner An­ sicht nach gehe die Sondernorm des (jetzt) § 230 StGB weiter, da sie keinen förmlichen Strafantrag voraussetze, sondern eine vom Verletztenwillen unab­ hängige Strafverfolgung ermögliche.44 Der Sache nach deckt sich dieses Verständnis mit der Aussage Hilgers. Einen eigenen Ansatz für die Abgrenzung liefert Roesen.45 Seiner Auffas­ sung zufolge geschehen Bestrafung und Strafvollstreckung immer im öffent­ lichen Interesse. Wenn das Gesetz das „öffentliche Interesse“ besonders her­ vorhebe, so bedeute das keinen Hinweis auf das regelmäßige öffentliche In­ teresse, sondern stets ein besonderes öffentliches Interesse. Daher liest er den § 23 III Nr. 1 StGB a. F.46 so, dass die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden könne, wenn das besondere öffentliche Interesse die Strafvollstre­ ckung gebiete. Unklar bleibt in den meisten Fällen, von welchem öffentlichen Interesse die Autoren bei ihren Untersuchungen ausgehen. Es liegt aber nahe, dass als Maßstab der Abgrenzung das öffentliche Interesse im Sinne des § 376 StPO angelegt wird, was daraus zu folgern ist, dass Darstellungen über das Ver­ hältnis des öffentlichen zum besonderen öffentlichen Interesse in der Kom­ mentarliteratur im Rahmen des § 376 StPO angesiedelt sind. Vereinzelt wird das Vorliegen des besonderen öffentlichen Interesses auch als Ergebnis eines Abwägungsvorgangs verstanden. In der Waagschale befin­ den sich dann auf der einen Seite die Gründe, derentwegen der Antrags­ berechtigte keine Strafverfolgung wünscht und auf der anderen Seite die Gründe, aus denen sich die Notwendigkeit einer Strafverfolgung ergeben 42  So Hilger, in: LR-StPO, § 376 Rdnr. 4; nach Hirsch, in: LK-StGB, § 230 Rdnr. 7 sind im Falle der Strafverfolgung gegen den Willen des Strafantragsberech­ tigten die Gründe des entgegenstehenden Willens und jede des öffentlichen Interesses gegeneinander abzuwägen. 43  OLG Celle GA 1961, 214, 215. 44  OLG Celle GA 1961, 214, 215. 45  Roesen, NJW 1954, 866. 46  § 23 III Nr. 1 StGB lautete bis zum 1.9.1970 (3) Strafaussetzung zur Bewäh­ rung darf nicht angeordnet werden, wenn1. das öffentliche Interesse die Vollstreckung der Strafe erfordert.

152

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

soll.47 In diese Richtung lässt sich auch die von H. Fischer entworfene Defi­ nition deuten. Es entspricht also der herrschenden Meinung, das besondere öffentliche Interesse als ein gegenüber dem öffentlichen Interesse gesteigertes Interesse anzusehen. Wenn eine Unterscheidung zwischen den Begriffen vorgenom­ men wird, dann dergestalt, dass das besondere öffentliche Interesse als enge­ rer Begriff verstanden wird, wobei die Terminologie im Einzelnen unter­ schiedlich ausfällt. Die inhaltliche Auslegung des Begriffs erfolgt zumeist anhand der Krite­ rien, die nach den RiStBV zur Annahme eines besonderen öffentlichen Inte­ resses führen sollen. Seltener finden sich auch systematische Argumentatio­ nen. So vertritt Hörnle eine restriktive Handhabung des Begriffs, um den Interessen des verletzten Minderjährigen Rechnung zu tragen.48 Hardtung tritt dafür ein, den Begriff anhand der Gesetzessystematik auszulegen.49 Es bestehe die Möglichkeit, den Wortlaut der relativen Antragsdelikte so zu deuten, dass das besondere öffentliche Interesse dadurch zu einem „besonde­ ren“ werde, dass die öffentlichen Interessen gegenüber den Interessen des Verletzten als vorrangig anzusehen seien.50 V. Kritik Monographische Versuche, das besondere öffentliche Interesse auszulegen, blieben bislang unbefriedigend. Zunächst erscheint fraglich, ob die damals aufgestellten Maßstäbe angesichts der heutigen Vielzahl relativer Antragsde­ likte überhaupt verallgemeinerungsfähig sind. Allen Autoren, die sich im Rahmen von Monographien speziell mit dem (besonderen) öffentlichen Inte­ resse befasst haben, ist gemein, dass lediglich im Rahmen der fahrlässigen und leichten vorsätzlichen Körperverletzung auf ein besonderes öffentliches Interesse einzugehen war.51 Während der Definitionsversuch von H. Fischer wegen der Unbestimmtheit der maßgeblichen Aspekte zu Recht in der Kritik steht, muss dies auch für die Ausarbeitung von H. Vogel gelten. Aspekte wie die außerordentliche Größe der Tatschuld oder das Reaktionsbedürfnis der Allgemeinheit sind wegen ihrer Unbestimmtheit als solche ebenso ungeeig­ net, da sie einer brauchbaren Auslegung kaum zugänglich sind. 47  Hirsch,

in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 7. in: LK-StGB, § 182 Rdnr. 77. 49  Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 25 ff. 50  Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 21. 51  Die Ausnahme hierzu bildet die Untersuchung von Untersteller aus dem Jahre 2015. 48  Hörnle,



§ 12 Darstellung der Methode153

Festzustellen ist ebenfalls, dass es weitgehend an einer nachvollziehbaren Methode fehlt, anhand derer der Begriff des besonderen öffentlichen Interes­ ses ausgelegt wird. Am ehesten zielführend ist in diesem Zusammenhang der Ansatz Homanns, der die bisherige Aufstellung von Einzelkriterien ablehnt und versucht, den Begriff systematisch zu beleuchten. Seine Ausführungen beruhen allerdings auf der Prämisse, dass die Begriffe des öffentlichen Inte­ resses und des besonderen öffentlichen Interesses in einem Stufenverhältnis zueinander stehen. Seine Kritik fehlender Methodik ist auch heute noch zu­ treffend. Die Gesetzesbegründungen und die RiStBV nennen ohne nachvoll­ ziehbares System Aspekte, die zum Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses führen sollen; offen bleibt, ob die dort genannten Umstände tat­ sächlich als tauglich anzusehen sind. Die systematischen Erwägungen, die in der Literatur vereinzelt anzutreffen sind, betreffen die jeweiligen Delikte; eine von einzelnen Delikten unabhängige methodische Auslegung erfolgt nicht. Das besondere öffentliche Interesse als Ergebnis einer Abwägung anzuse­ hen, führt in die richtige Richtung.52 Indes besteht hierbei das Problem, dass es bislang keinerlei nützliche Maßstäbe dafür gibt, wie eine solche Abwä­ gung vorzunehmen sein könnte. Ist der Wunsch nach Geheimhaltung dann weniger wert, wenn der primäre Zweck des Strafantrags nicht in diesem Umstand liegt? Welche Interessen des Staates sind wie zu gewichten? Sind höhere Schäden gewichtiger oder geringer zu gewichten als Vorstrafen? In welchem Verhältnis stehen Tatmotive zum ausdrücklichen Wunsch, die Tat nicht verfolgt zu wissen? Welche Gründe, aus denen sich der Geheimhal­ tungswunsch ergibt, sind wie zu ordnen? Ist das Betroffensein eines be­ stimmten Rechtsguts höher zu gewichten als die Scham des Tatverletzten, die er empfinden könnte, stellte er sich dem Verfahren? Ist es weniger gewichtig, wenn sich der Verletzte bewusst gegen einen Strafantrag entscheidet, weil er subjektiv kein derart großes Unrecht empfunden hat, als dass es aus seiner Sicht – also aus der Perspektive des am stärksten Betroffenen – eines Straf­ verfahrens bedürfe? Welche Bedeutung hat dann noch die gesetzlich veran­ kerte vorrangige Entscheidung des Verletzten? Hinzu kommt, dass unter Umständen ein Informationsdefizit vorliegen kann. Wie oben herausgearbeitet worden ist, bedarf im Rahmen der relativen Antragsdelikte nur die Verfahrensvoraussetzung im Zusammenhang mit dem besonderen öffentlichen Interesse einer Begründung. Hingegen kommt es beim Strafantrag nur auf dessen Vorliegen selbst an. Aus ihm muss sich nur ergeben, dass ein Verfolgungswunsch besteht. Aus welchen Motiven ein An­ trag (nicht) gestellt wird, muss der Verletzte nicht erklären. Es kann daher 52  Hierzu

unten, S. 276 ff.

154

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

vorkommen, dass die Staatsanwaltschaft über die Motivlage des Verletzten keine Kenntnis erlangen kann. Trotz der eben benannten Schwierigkeiten ist der Abwägungsvorgang ziel­ führend und soll im späteren Verlauf der Untersuchung als Methode zur Er­ mittlung des besonderen öffentlichen Interesses dienen. Bevor dies näher erläutert wird, soll jedoch der Frage nach dem Verhältnis des Begriffs „­ besonderes öffentliches Interesse“ zu dem des „öffentlichen Interesses“ nachgegangen werden.

§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“ als Auslegungsbasis für das besondere öffentliche Interesse Die Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses im Verhältnis zum öffentlichen Interesse entspricht dem Vorgehen der herrschenden Auffassung. In einem ersten Schritt soll daher überprüft werden, ob das öffentliche Inte­ resse, welches im hiesigen Kontext im Rahmen dreier Vorschriften (§§ 153, 153a, 376 StPO) zum Tragen kommt, tatsächlich als Verständnisfundament dafür dienen kann, den Begriff des besonderen öffentlichen Interesses inhalt­ lich auszulegen. Einzugehen ist hierbei auf drei Aspekte, die diese Frage betreffen. Zu­ nächst geht es um den Bezugspunkt des Begriffs im Kontext der jeweiligen Regelung. Eine vergleichbare Auslegung ist dabei umso eher möglich, je ähnlicher sich die Begriffe hinsichtlich des Regelungszwecks sind. Daneben muss auch der Anwendungsbereich der jeweiligen Norm untersucht und an­ hand dessen geprüft werden, ob sich hieraus Gehaltvolles für das Begriffs­ verständnis gewinnen lässt. Schließlich gilt es, auch anhand der inhaltlichen Auslegung des „öffentlichen Interesses“ zu prüfen, ob sich zwischen den Begriffen ein Stufenverhältnis feststellen lässt.

A. Exkurs: Entstehung der Frage nach dem Verhältnis der Begriffe zueinander Bevor jedoch die Frage nach dem Stufenverhältnis angegangen wird, soll kurz dargestellt werden, wie sich die Notwendigkeit der Beschäftigung mit dem Verhältnis der Begriffe zueinander im Laufe der Zeit entwickelt hat. Als die StPO in Kraft getreten ist, hat es lediglich im Rahmen des Privat­ klageverfahrens den Begriff des öffentlichen Interesses gegeben, damals noch normiert in § 416 StPO. Im Zuge der Emminger Verordnung ist mit § 153 StPO erstmals eine Norm für die Einstellung von Strafverfahren aus



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“155

Opportunitätsgründen geschaffen worden.53 § 153 I StPO hat die Verfolgung von Übertretungen im Grundsatz untersagt. Eine Ausnahme ist für Fälle ge­ schaffen worden, wenn an der Herbeiführung einer gerichtlichen Entschei­ dung ein öffentliches Interesse bestanden hat.54 Im Verhältnis zur Einstel­ lung aus Opportunitätsgründen hat es die Frage nach dem Verhältnis der Begriffe zueinander zur Zeit der Schaffung des § 232 StGB a. F. nicht gege­ ben. Die fahrlässige und leichte vorsätzliche Körperverletzung sind auch damals schon Vergehen gewesen. Auf ein öffentliches Interesse im Sinne der Opportunitätseinstellung ist es aber nur in Bezug auf Übertretungen ange­ kommen. Bei Vergehen ist eine Einstellung möglich gewesen, wenn die Schuld des Täters gering und die Folgen der Tat unbedeutend gewesen sind.55 Auch im Verhältnis zum öffentlichen Interesse im Sinne der Vor­ schriften zur Privatklage hat zu jener Zeit kein Problem des Verhältnisses einzelner Begriffe zueinander bestanden. § 232 StGB a. F. hat die Verfolgung von Amts wegen unter bestimmten Voraussetzungen gestattet, die nicht durch ein „öffentliches Interesse“ begrifflich beschrieben worden sind. Erst im Jahre 1940, als durch die VO vom 2.4.1940 § 232 StGB begrifflich derart umgestaltet worden ist, dass es nunmehr eines besonderen öffentlichen Inte­ resses bedurfte, ist es zu Fragen des Verhältnisses der Begriffe „öffentliches Interesse“ und „besonderes öffentliches Interesse“ gekommen. Relevant ist daher das Verhältnis des § 376 StPO zu § 232 StGB gewesen. In Bezug auf die Verfahrenseinstellung nach § 153 StPO hat die Proble­ matik des Verhältnisses der Begriffe zueinander mit dem „Gesetz zur Ände­ rung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes“ vom 19.12.196456 begonnen. § 153 StPO ist in diesem Zuge dergestalt umformu­ liert worden, als es nunmehr zur Einstellung eines Verfahrens, das ein Verge­ hen zum Gegenstand hatte, u. a. kein öffentliches Interesse an der Verfolgung bestehen durfte. Das Merkmal der geringen Tatfolgen ist ab diesem Zeitpunkt entfallen. Dass es zu Abgrenzungsfragen zwischen dem besonderen öffent­ lichen Interesse und dem in § 153 StPO genannten öffentlichen Interesse kommen könnte, ist dem Gesetzgeber offenbar nicht bewusst gewesen. Er spricht in seiner Begründung zum StPÄG 1964 das Verhältnis nicht an.57 Auch als im Jahre 1974 das EGStGB verabschiedet worden ist, ist der Gesetzgeber auf das Verhältnis der Begriffe zueinander nicht eingegangen. 53  In die StPO eingefügt durch die „Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege“ vom 04.01.1924, RGBl. I, S. 15. 54  Siehe zur Geschichte des § 153 StPO Krümpelmann, S.  202 ff. 55  Diese Fassung geht zurück auf die ursprüngliche Fassung, die § 153 StPO durch § 23 der Emminger Verordnung erhielt, RGBl. I 1924, S. 18. 56  BGBl. I S. 1064. 57  BT-Drs. IV/2459 S. 3.

156

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Neben § 153 StPO hat es ab Inkrafttreten nun auch § 153a StPO gegeben, der eine Einstellung unter Auflagen zugelassen hat, sofern diese geeignet gewesen sind, u. a. das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu besei­ tigen. Im Zusammenspiel der §§ 153, 153a StPO mit dem besonderen öffent­ lichen Interesse spricht der Gesetzgeber lediglich von einer Ergänzung der §§ 153, 153a StPO zur Regelung des § 248a StGB, der eine Möglichkeit amtlicher Strafverfolgung bei geringfügigen Vermögensdelikten vorgesehen hat und auch heute noch vorsieht.58 Augenscheinlich ist er davon ausgegan­ gen, dass die Normen harmonisch miteinander interagieren können. Das ist angesichts der gesetzgeberischen Intention im Umgang mit der Bagatellkri­ minalität auch nicht verwunderlich.

B. Ableitung eines Stufenverhältnisses I. „Besonderes“ Den Anknüpfungspunkt für das Verständnis eines graduellen Unterschieds bildet hierbei einzig der Wortlaut des relativen Antragsdelikts, in welchem von einem besonderen öffentlichen Interesse die Rede ist. Zum Verhältnis der Begriffe äußerte sich seiner Zeit das Reichsjustizministerium. Aus einer Ausführungsverordnung aus dem Jahre 1940, als das erste relative Antrags­ delikt des Strafgesetzbuchs geschaffen worden ist, geht hervor, dass durch das Merkmal „besonderes“ klargestellt werden sollte, dass es sich dabei um eine Ausnahme gegenüber dem öffentlichen Interesse nach § 376 StPO han­ deln soll, indem es über den Begriff des öffentlichen Interesses hinaus ge­ he.59 II. Kritik Für ein solches Verständnis spricht zunächst der allgemeine Sprachge­ brauch. Wenn jemand dazu angehalten wird, besondere Vorsicht walten zu lassen oder sich auf einen bestimmten Aspekt besonders zu konzentrieren, wird damit zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine gesteigerte Vorsicht bzw. Konzentration als gewöhnlich handelt. Allerdings ist solch ein Ver­ ständnis nicht allgemein zwingend. Das verdeutlicht bspw. die Systematik des Strafgesetzbuchs. Der Besondere Teil, in welchem die einzelnen Straftat­ bestände geregelt sind, enthält keine gegenüber den Regelungen des Allge­ meinen Teils intensiveren Anordnungen, sondern regelt etwas völlig anderes. 58  BT-Drs. 59  DJ

7/550 S. 202. 1940, 509.



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“157

Dass sich dem Wort „besonders“ nicht stets eine Steigerung entnehmen lässt, ergibt sich – strafrechtsspezifisch – auch aus einzelnen Überschriften im Besonderen Teil. Während nach § 243 StGB besonders schwere Fälle des Diebstahls erfasst sind, findet sich eine solche Formulierung bei Qualifika­ tionstatbeständen, die einen höheren Unrechtsgehalt haben als Regelbeispiele, nicht, siehe etwa §§ 226, 250 StGB. Dass die Umstände des § 243 StGB das Unrecht gegenüber dem allgemeinen Diebstahl erhöhen, wäre auch ohne den Zusatz „besonders“ hinreichend zum Ausdruck gekommen. Im Allgemeinen erscheint vielfach eine inhaltlose Nutzung des Wortes „besonders“. In vielen Zusammenhängen wird von besonderen Umständen gesprochen oder von besonderen Näheverhältnissen. Bei jeglicher Nutzung des Wortes müsste al­ lerdings auch eine Abgrenzung zum Allgemeinen stattfinden, sofern a) es überhaupt etwas Allgemeines gibt, von dem das betreffende Element abzu­ grenzen ist und b) tatsächlich stets eine graduelle Steigerung gemeint ist. Den Wortlaut als einzigen Anknüpfungspunkt für ein Stufenverhältnis an­ zunehmen, erscheint zwar potentiell möglich und führt zum gewünschten Ergebnis, ist jedoch methodisch unsauber. Eine rein am Wortlaut orientierte Auslegung vernachlässigt, dass es auch andere Methoden zu berücksichtigen gilt, um die Norm auszulegen wie bspw. Sinn und Zweck sowie Anwen­ dungsbereich.

C. Überprüfung des Verhältnisses der Begriffe zueinander Anknüpfend an die kritischen Bemerkungen, erfolgt nun eine Überprüfung des herrschenden Ansatzes durch eine eingehende Untersuchung der Frage, ob sich den Begriffen wirklich ein derartiges Stufenverhältnis entnehmen lässt und das öffentliche Interesse tatsächlich als Abgrenzungs- und Ausle­ gungsgrundlage für das besondere öffentliche Interesse dienen kann. I. Überprüfung anhand der Zielrichtung der jeweiligen Begriffe Zunächst gilt es herauszuarbeiten, welches Ziel der Begriff im Kontext der jeweiligen Norm verfolgt. Mit der Zielrichtung ist konkret gemeint, welche Aufgabe der Begriff in der Norm hat bzw. was mit ihm bezweckt wird. 1. Zielrichtung des besonderen öffentlichen Interesses

Bezüglich des Zwecks des besonderen öffentlichen Interesses kann auf die Ausführungen zur „Funktion des besonderen öffentlichen Interesses“ verwie­ sen werden.60 Zur Rekapitulation sei in Kürze dargestellt, dass der Zweck 60  Siehe

oben, S. 77 ff.

158

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

des besonderen öffentlichen Interesses zunächst darin besteht, eine vom Strafantrag unabhängige Verfolgung der relativen Antragsdelikte zu ermög­ lichen. Es betrifft nicht die Frage der gänzlichen Zulässigkeit der Strafverfol­ gung, sondern nur die Frage, ob eine Verfolgung von Seiten des Staates er­ folgt oder ob die Verfolgung von der Stellung eines Strafantrages abhängig ist. Daneben hat es die Funktion der Begrenzung der staatlichen Strafverfol­ gungsbefugnisse. 2. Zielrichtung des öffentlichen Interesses bei §§ 153, 153a StPO

Das Bestehen eines öffentlichen Interesses steht einer sanktionslosen Be­ endigung der Strafverfolgung entgegen. Im Gegensatz zum besonderen öf­ fentlichen Interesse hat es lediglich eine Bedeutung für die Frage, ob eine ohnehin verfolgbare Tat61 weiterverfolgt wird oder nicht. Für die Zulässig­ keit der Strafverfolgung ist das öffentliche Interesse nicht von Bedeutung. Das öffentliche Interesse entscheidet in den §§ 153, 153a StPO über das weitere Schicksal des Strafverfahrens. Während es bei § 153 StPO einer Ver­ fahrensbeendigung entgegensteht, ist es im Rahmen des § 153a StPO sogar eine zwingende Voraussetzung der Anwendbarkeit der Norm. Grundlage für die Beendigung des betreffenden Verfahrens unter Auflagen und Weisungen ist eben auch das Vorliegen eines öffentlichen Interesses. Die Möglichkeit der Einstellung des Verfahrens nach dieser Norm wird angesehen als ein vereinfachtes Verfahren im Bereich der kleineren und mittleren Kriminalität mit Beschleunigungs- und Entlastungseffekt.62 Der Gesetzgeber hielt eine solche Regelung für nötig, da es Fälle gebe, in denen eine sanktionslose Beendigung des Verfahrens nicht verantwortet werden könne.63 Wenn mit den Auflagen und Weisungen das öffentliche Interesse an der Verfolgung beseitigt werden könne, wird dies verstanden als ein milderes Mittel bei glei­ cher Eignung zur Verfolgung des Zwecks.64 Das öffentliche Interesse als zu beseitigendes Merkmal ist also das Kernstück der Regelung des § 153a StPO. Es entscheidet darüber, ob von einer weiteren Verfolgung des betreffenden Delikts abgesehen werden kann.

61  Die Frage nach einer Opportunitätseinstellung stellt sich nur, wenn keine Ver­ folgungshindernisse bestehen. 62  Kargl/Sinner, Jura 1998, 231. 63  BT-Drs. 7/550 S. 298. 64  F.-C. Schroeder, in: FS-Amelung, 126.



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“159 3. Zielrichtung des öffentlichen Interesses in § 376 StPO

Das öffentliche Interesse entscheidet im Rahmen des § 376 StPO dagegen weder über die Weiterverfolgung einer ohnehin verfolgbaren Tat noch über die Frage der Weiterverfolgung oder Verfahrensbeendigung, sondern nur über die Frage, auf welchem Wege die Tat verfolgt wird bzw. verfolgt wer­ den kann: im Offizialverfahren oder im Privatklageverfahren. Das OLG Düsseldorf führt hinsichtlich des Zwecks des öffentlichen Inte­ resses im Rahmen des § 376 StPO aus: „In (…) 376 StPO kommt dem Begriff des öffentlichen Interesses dagegen (im Gegensatz zu dem des § 153 StPO, M.L.) eine andere Bedeutung zu. Hier steht im Vordergrund, ob es der Verfolgung einer derartigen Tat im Offizialverfahren über­ haupt bedarf oder ob es nicht dem Verletzten überlassen bleiben kann, im Wege der Privatklage selbst gegen den Täter vorzugehen.“65

Ohne Strafantrag kann also selbst dann keine öffentliche Klage erhoben werden, wenn ein öffentliches Interesse daran besteht;66 § 376 StPO ist akzes­sorisch zum Strafantrag. Wird er zurückgenommen, entfällt auch die Möglichkeit der Staatsanwaltschaft, die Sache im Wege der öffentlichen Klage zu verfolgen.67 Mathematisch ausgedrückt gilt mithin Folgendes: Privatklagedelikt + Strafantrag + öffentliches Interesse = Erhebung der öffent­lichen Klage nach § 376 StPO 4. Ergebnis

Die Zielrichtungen der Begriffe sind unterschiedlicher Natur. Geht es beim besonderen öffentlichen Interesse um die Zulässigkeit öffentlicher Strafver­ folgung, unabhängig vom Vorliegen eines Strafantrags, behandelt das öffent­ liche Interesse im Sinne der §§ 153, 153a StPO die zeitlich grundsätzlich nachfolgende Frage nach der Notwendigkeit einer Weiterverfolgung. § 376 StPO betrifft hingegen die Frage, auf welchem Weg eine bestimmte Straftat zu verfolgen ist und betrifft nicht die Strafverfolgung als solche, sondern nur die Klageerhebung. Dass sich gleichlautende Begriffe unterschiedlich auslegen lassen (Relati­ vität der Rechtsbegriffe), wenn die Zielrichtungen divergieren, ist in der Rechtsprechung anerkannt. In frühen Entscheidungen hat der BGH dies für

65  OLG

Düsseldorf DAR 1970, 160. in: LR-StPO, § 376 Rdnr. 3. 67  So zutreffend H. Vogel, Das öffentliche Interesse, S. 302. 66  Hilger,

160

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

den Begriff des „Verletzten“ klargestellt.68 Auch im materiellen Strafrecht kommt es vor, dass gleichlautende Begriffe in verschiedenen Normen unter­ schiedlich ausgelegt werden. Das gilt etwa für den Begriff der „Wegnahme“, der in § 168 StGB nach allgemeiner Meinung anders auszulegen ist als in § 242 StGB.69 Gleiches gilt im Rahmen des Merkmals „verbreiten“. Wäh­ rend für ein Verbreiten im Sinne des § 33 KUG bereits die Weitergabe eines Bildnisses an eine Person genügt70, bedarf es zur Erfüllung dieser Variante in § 184c I Nr. 1 StGB eines Zugänglichmachens an einen nicht mehr bestimm­ baren Rezipientenkreis.71 Anhand der Zielrichtung des jeweiligen Begriffs lässt sich ein graduelles Verhältnis nicht ableiten. II. Anhand des Bezugspunktes der jeweiligen Norm Eine weitere Frage besteht darin, welchen Bezugspunkt die Begriffe in den jeweiligen Normen haben. Nach Homann haben die Begriffe den gleichen Bezugspunkt, weswegen eine gleiche Auslegung möglich und angezeigt sein soll. Dieses Verständnis ist jedoch zweifelhaft, da jedenfalls im Rahmen des § 376 StPO das Merkmal „an der Strafverfolgung“ nicht enthalten ist. Daher soll an dieser Stelle genauer auf diese Frage eingegangen werden. 1. Bezugspunkt des besonderen öffentlichen Interesses

Ausweislich des Wortlautes bezieht sich das besondere öffentliche Inter­ esse bei den relativen Antragsdelikten auf die Strafverfolgung. Außer Be­ tracht zu bleiben haben daher bei der Beurteilung sämtliche Umstände, die nicht mit der Strafverfolgung in Zusammenhang stehen. 2. Bezugspunkt des öffentlichen Interesses im Sinne der §§ 153, 153a StPO

Der Wortlaut der Normen der §§ 153, 153a StPO verlangt, dass (k)ein öf­ fentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Insofern besteht eine Übereinstimmung mit dem besonderen öffentlichen Interesse. Vielfach wird das Interesse an der Verfolgung indes umgedeutet in ein Interesse an der Bestrafung.72 Als Begründung wird angeführt, dass die Strafverfolgung kein

68  BGHSt

4, 202; 5, 85, 87. nur Bosch/Schittenhelm, in: S/S StGB, § 168 Rdnr. 4. 70  Specht, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 22 KUG Rdnr. 9. 71  Siehe hierzu Ziegler, in: BeckOK-StGB, § 184b Rdnr. 9 m. w. N. 69  Vgl.



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“161

Selbstzweck sei.73 Dieses Verständnis wird nicht allgemein geteilt. So wird eingewandt, eine solche Auslegung vernachlässige, dass die Tat- und Schuld­ feststellung sowie die entsprechende Bestrafung dem Gericht unterliegen.74 Das öffentliche Interesse sei daher schlicht das Interesse an der Durchfüh­ rung des öffentlichen Strafprozesses.75 Eine davon abweichende Deutung verkenne, dass die Strafzwecke erst dann eine Rolle spielen könnten, wenn die schuldhafte Begehung der Tat festgestellt sei.76 Zu prüfen sei in diesem Zusammenhang daher, ob durch den Verdachtsfall eine Rechtsfriedensstö­ rung ausgelöst wurde, die zur Notwendigkeit einer Durchführung eines Straf­ verfahrens führe.77 Nach wieder anderer Auffassung bedeutet das öffentliche Interesse an der Verfolgung das Interesse an einer Aburteilung in einem förmlichen Gerichts­ verfahren.78 Gegen die Präzisierung des Begriffs auf das öffentliche Interesse an einer Bestrafung spricht zudem, dass die Möglichkeit der Verhängung von Maß­ regeln dann nicht zur Annahme eines öffentlichen Interesses führen würde, da ein Täter dann nicht „bestraft“ wird. Genauer wäre es daher, von einem „öffentlichen Interesse an einer strafgerichtlichen Sanktion“ zu sprechen. Unabhängig davon, wie man das Merkmal des öffentlichen Interesses ver­ steht, besteht jedenfalls weitestgehend Einigkeit darüber, dass es sich auf die Verfahrensdurchführung mit dem Ziel der Herbeiführung einer strafrecht­ lichen Sanktion beziehen muss. 3. Der Bezugspunkt des öffentlichen Interesses im Sinne des § 376 StPO

Gemäß § 376 StPO wird wegen der Katalogtaten des § 374 StPO nur dann die öffentliche Klage statt der Verweisung auf den Privatklageweg erhoben, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt.79 Wie der Wortlaut vorgibt, soll

72  So bspw. Hanack, in: FS-Gallas, 339, 353; zum Teil auch als „Interesse an einer Bestrafung mit Schuldspruch oder Geldstrafe“ bezeichnet, so Münkel/Nutzinger, in: E/R/S/T, § 153 StPO, Rdnr. 29. 73  Rieß, in: LR-StPO (24. Aufl.), § 153 Rdnr. 25; Peters, in: MüKo-StPO, § 153 Rdnr. 28. 74  Trentmann, ZStW 128 (2016), 446, 477. 75  Trentmann, ZStW 128 (2016), 446, 474. 76  Weßlau, in: SK-StPO (4. Aufl), § 153 Rdnr. 20. 77  Weßlau, in: SK-StPO (4. Aufl.), § 153 Rdnr. 20. 78  Rieß, NStZ 981, 2, 10 Fn. 93; ihm folgend Metzger, in: FS-Stöckel, 287, 290. 79  Andernfalls darf sie die öffentliche Klage nicht erheben, Kulhanek, in: K/M/R StPO, 93. EL (August 2019), § 376 Rdnr. 1.

162

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

die Verfolgung im Wege der öffentlichen Klage die Ausnahme sein.80 Im Gegensatz zu den §§ 153, 153a StPO muss es sich nicht um ein öffentliches Interesse an der Verfolgung handeln. Der Wortlaut ist insofern eindeutig. „Dies“ stellt den Bezug zur Erhebung der öffentlichen Klage her. Er bezieht sich nicht auf das Bestrafungsinteresse, auch wenn dieses selbstverständlich nicht gänzlich fehlen darf.81 Maßgeblich ist – gemessen am Wortlaut der Norm daher, abweichend von der herrschenden Meinung – allein das öffent­ liche Interesse an der Erhebung der öffentlichen Klage. 4. Ergebnis

Die Bezugspunkte differieren hier lediglich zwischen § 376 StPO einer­ seits und dem besonderen öffentlichen Interesse und dem öffentlichen Inte­ resse nach §§ 153, 153a StPO andererseits. Letztere haben als Gemeinsam­ keit, dass es sich um die Strafverfolgung handeln muss, wie es auch anhand des Wortlauts ableitbar ist. Die Auseinandersetzung mit dem Bezugspunkt in Verbindung mit dem Wortlaut der Normen lässt das Verständnis der Begriffe im Sinne eines graduellen Unterschieds als möglich erscheinen. III. Anhand des Anwendungsbereichs der jeweiligen Norm Weiterhin soll der Anwendungsbereich des jeweiligen Begriffs untersucht werden, um zu überprüfen, ob sich hieraus Rückschlüsse auf das Verständnis der Begriffe zueinander ziehen lassen. 1. Anwendungsbereich des besonderen öffentlichen Interesses

Der Anwendungsbereich ist beschränkt auf die relativen Antragsdelikte. Bei ihnen handelt es sich stets zum Vergehen, die keine erhöhte Mindest­ strafandrohung haben. Bei originären Offizialdelikten und bei absoluten An­ tragsdelikten kommt ihm keine Bedeutung zu. In diversen Fällen findet sich das relative Antragsdelikt im Grundtatbestand einer Norm. Dann müssen die gesetzessystematischen Grenzen beachtet und der eigenständige Anwen­ dungsbereich des relativen Antragsdelikts im Gegensatz zu Offizialdelikten beachtet werden.82

80  Velten,

in: SK-StPO, § 376 Rdnr. 3. in: SK-StPO, § 376 Rdnr. 3. 82  Siehe im Einzelnen hierzu unten, S. 225 ff. 81  Velten,



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“163 2. Anwendungsbereich des öffentlichen Interesses in §§ 153, 153a StPO

Das öffentliche Interesse im Rahmen der §§ 153, 153a StPO ist hinsicht­ lich des Anwendungsbereichs nicht beschränkt auf Antragsdelikte. Vielmehr sind die §§ 153, 153a StPO hinsichtlich aller Vergehen anwendbar.83 Dabei spielt es auch für die Anwendbarkeit des § 153 StPO keine Rolle, ob es sich um ein Vergehen mit oder ohne erhöhte Mindeststrafe handelt. § 153 I 2 StPO verlangt die Zustimmung des für die Hauptverhandlung zuständigen Gerichts nur bei Vergehen, die eine erhöhte Mindeststrafe aufweisen, wie bspw. § 153 StGB oder § 224 StGB. Relative Antragsdelikte können daher grundsätzlich stets ohne gerichtliche Zustimmung eingestellt werden. Das gilt auch dann, wenn ein besonders schwerer Fall vorliegt, wie bspw. bei § 17 IV UWG a. F., da besonders schwere Fälle nicht zur Konsequenz haben, dass ein Vergehen mit erhöhter Mindeststrafandrohung vorliegt.84 Für eine zustimmungsfreie Einstellung bedarf es zusätzlich des Vorliegens lediglich geringer Tatfolgen. § 153a StPO geht über den Anwendungsbereich des § 153 StPO dahinge­ hend hinaus, als dass es nicht auf eine geringe Schuld ankommt, sondern die Schwere der Schuld einer Einstellung lediglich nicht entgegenstehen darf. Der Gesetzgeber verfolgt durch diese Ausgestaltung den Zweck, eine An­ wendung der Norm auch im Bereich der mittleren Kriminalität zuzulassen.85 Hinsichtlich der Delikte, auf die § 153a StPO anwendbar ist, deckt sich der Anwendungsbereich des öffentlichen Interesses mit dem des § 153 StPO. Aus dem Umstand, dass eine Einstellung auch im Bereich mittlerer Krimi­ nalität möglich ist, wird deutlich, dass bei Delikten, die zur Legitimation der Verfolgung keiner weiteren Umstände bedürfen, da sie Offizialdelikte sind, dennoch nicht stets ein öffentliches Interesse im Sinne der §§ 153, 153a StPO zur Entstehung gelangt. Daraus folgt, dass der Begriff des öffentlichen Interesses in diesen Normen einen weit größeren Anwendungsbereich hat und auch intensivere Gesetzesverstöße deren Anwendung nicht ausschließen. 3. Anwendungsbereich des öffentlichen Interesses in § 376 StPO

§ 374 II StPO nennt in einem abschließenden86 Katalog Delikte, die im Wege der Privatklage verfolgt werden können. Eine Verfolgung durch öffent­ liche Klage findet gemäß § 376 StPO nur statt, wenn dies im öffentlichen 83  Meyer-Goßner/Schmitt,

§ 153 Rdnr. 1. in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 50. 85  BT-Drs. 12/1217, S. 34. 86  Valerius, in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, § 374 Rdnr. 6. 84  Beulke,

164

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Interesse liegt. Daraus ergibt sich, dass bei den Privatklagedelikten das Feh­ len eines öffentlichen Interesses der Regelfall ist.87 Die Bedeutung des öffentlichen Interesses beschränkt sich also auf Privat­ klagedelikte. Hierbei handelt es sich um solche, die – jedenfalls der Grund­ idee nach – am ehesten im Zweipersonenverhältnis auftreten88 und die All­ gemeinheit wenig berühren.89 Es ist dem Gesetzgeber zudem darum gegan­ gen, Bagatellen aus dem Zwang staatlicher Verfolgung auszuklammern und das – damals uneingeschränkt geltende – Legalitätsprinzip zu entlasten.90 a) Die einzelnen Privatklagedelikte, die zugleich relative Antragsdelikte sind Aus dem Bereich der relativen Antragsdelikte ist § 376 StPO bei folgen­ den Delikten zu beachten: –– Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, § 201a I, II StGB. –– Körperverletzung, § 223 StGB91. –– Fahrlässige Körperverletzung, § 229 StGB92. –– Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, § 299 StGB. –– Sachbeschädigung, § 303 StGB. –– Verletzung von Geschäftsgeheimnissen, § 23 GeschGehG. –– § 142 I PatG. –– § 25 I GebrMG.

87  Hirsch, ZStW 92 (1980), 218, 221; a.  A. in Bezug auf die Taten nach den §§ 17–19 UWG a. F. Kragler, DB 1982, 98, 99. 88  Siehe auch die Gesetzesbegründung zur Einstufung der Nötigung als Privatkla­ gedelikt, BT-Drs. 18/11277, S. 38: „Fälle von Nachbarschafts- und sonstigen privaten Streitigkeiten“. 89  Mit Inkrafttreten der Strafprozessordnung gab es – geregelt in § 414 I StPO – lediglich 3 Privatklagedelikte: Beleidigung, leichte vorsätzliche Körperverletzung und fahrlässige Körperverletzung. 90  Gegen die Bezeichnung der Privatklagedelikte als Bagatellen Homann, Der Begriff, S. 40. 91  Durch das 6. StrRG von 1998 wurde die gefährliche Körperverletzung (damals § 223a StGB) aus dem Kreis der Privatklagedelikte gestrichen. (BT-Drs. 13/8587 verweist auf S. 54 auf die Kritik von Hirsch, in: LK-StGB 10. Aufl. § 223a Rdnr. 28, § 229 Rdnr. 33). 92  Für eine Abschaffung der fahrlässigen Körperverletzung als Privatklagedelikt Rieß, Gutachten C 76 Rdnr. 109 m. w. N.



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“165

–– § 10 HalblSchG. –– § 39 I SortSchG. –– Strafbare Kennzeichenverletzung, § 143 I MarkenG. –– Strafbare Verletzung der Gemeinschaftsmarke, § 143a I MarkenG. –– § 51 I DesignG. –– § 65 I DesignG. –– Unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke, § 106 UrhG. –– Unzulässiges Anbringen der Urheberbezeichnung, § 107 UrhG. –– Unerlaubte Eingriffe in verwandte Schutzrechte, § 108 UrhG. –– Unerlaubte Eingriffe in technische Schutzmaßnahmen und zur Rechtewah­ rung erforderliche Informationen, § 108b I, II UrhG. b) Erste Bemerkungen Auffällig ist hierbei, dass im Kreis der Privatklagedelikte keines der rela­ tiven Antragsdelikte enthalten ist, das mit § 248a StGB in Zusammenhang steht.93 Da diese mitunter als Paradebeispiel für Bagatellkriminalität angese­ hen werden können94, ist der ursprüngliche gesetzgeberische Zweck – wenn überhaupt – nur unvollständig erreicht. Aus der Nichteinbeziehung des § 248a StGB in den Kreis der Privatklagedelikte lässt sich folgern, dass an der Verfolgung von vermögensschädigenden Delikten grundsätzlich ein hö­ heres staatliches Verfolgungsinteresse besteht als an der Verfolgung derjeni­ gen relativen Antragsdelikte, die zugleich Privatklagedelikte sind. Denn bei den erstgenannten kommt es nicht auf das Vorliegen eines öffentlichen Inte­ resses an, um die Erhebung der öffentlichen Klage zu legitimieren. Auch für den Strafantragsberechtigten hat die Frage, ob das Delikt ein Privatklagedelikt ist oder nicht, Auswirkungen. In Fällen der Privatklagede­ likte kann er, wenn kein öffentliches Interesse vorliegt, selbst im Wege der Privatklage vorgehen. Dagegen kommt ihm diese Möglichkeit in allen Fällen der § 248a-Antragsdelikte nicht zugute. In Anknüpfung an die Ausführungen zur Grundidee der Privatklage muss für die Delikte im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes mittlerweile 93  Für

492.

die Einstufung des § 248a StGB als Privatklagedelikt Reichert, ZRP 1997,

94  Es gab sogar Bestrebungen, den Diebstahl geringwertiger Sachen als Ord­ nungswidrigkeit auszugestalten, siehe hierzu Baumann, JZ 1972, 1, 3; weitere Nach­ weise auch zu anderen Ansätzen bei Vogel, in: LK-StGB, Vor § 242 Rdnr. 46 Fn. 18.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

davon ausgegangen werden, dass dieser Grundgedanke nicht mehr zutreffend ist.95 War es früher vielleicht noch so, dass bei einer Urheberrechtsverletzung bei unerlaubter Vervielfältigung eines Buches der Wirkungskreis grundsätz­ lich auf Verleger und Täter begrenzt war, kann dies für moderne Medien nicht mehr angenommen werden. Als Beispiel seien illegale Uploads und Downloads im Internet genannt. Lädt A, ohne die Urheberrechte zu haben, einen Film auf eine Internetplattform, kann jedermann darauf zugreifen. Der Kreis der potentiellen Downloader ist nicht umgrenzbar. Von einer Privatan­ gelegenheit kann nicht gesprochen werden. Relevant wird dies vor allem, wenn der Täter diese Uploads nicht aus gewerbsmäßigen Gründen tätigt. Dann liegt ein relatives Antragsdelikt und zugleich ein Privatklagedelikt vor. 4. Ergebnis

Auch hinsichtlich des Anwendungsbereichs lässt sich ein Stufenverhältnis der Begriffe zueinander nicht herleiten. Zwar gibt es Überschneidungen, insbesondere im Hinblick auf relative Antragsdelikte und Privatklagedelikte, doch lässt sich daraus für das Verhältnis der Begriffe zueinander nichts ablei­ ten. IV. Anhand der inhaltlichen Auslegung Nachdem Zielrichtung, Bezugspunkt und Anwendungsbereich der jeweili­ gen Begriffe beleuchtet worden sind, erfolgt nachstehend eine Auseinander­ setzung mit der inhaltlichen Auslegung der Begriffe. 1. Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung

a) Das besondere öffentliche Interesse im Rahmen des § 182 StGB Wann ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung beste­ hen soll, wird nicht einheitlich beurteilt. Als Kriterien werden verschiedene Aspekte genannt. Zunächst soll ein solches anzunehmen sein, wenn nachhal­ tige Schäden beim Opfer eintreten.96 In diese Richtung geht auch die Vor­ 95  Ausführlich zu den historischen Begründungen für die Ausgestaltung der De­ likte des Wettbewerbsrechts als Privatklagedelikte Nestoruk, Strafrechtliche Aspekte, S.  175 ff. 96  Lederer, in: Anwalt-Kommentar-StGB, §  182 Rdnr.  36; Fischer, § 182 Rdnr. 23; Eisele, in: S/S-StGB, § 182 Rdnr. 20; einschränkend Eschelbach, in: M/RStGB, § 182 Rdnr. 22, der Auswirkungen auf die Reifeentwicklung fordert.



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“167

stellung des Gesetzgebers, wenn in der Gesetzesbegründung von nachteiligen Auswirkungen von einigem Ausmaß gesprochen wird.97 Daneben sollen auch ein rücksichtsloses und verwerfliches Handeln sowie einschlägige Vorstrafen zur Annahme eines besonderen öffentlichen Interes­ ses führen können.98 Nach einer restriktiveren Auffassung soll es dagegen nur dann anzuneh­ men sein, wenn das Vorgehen über einen Einzelfall hinausgehe und gefähr­ liche Ausmaße annehme, wie bspw. bei einem systematischen Ausnutzen der Machtposition des Täters und dem Missbrauch mehrerer Jugendlicher.99 Ausgeschlossen sein soll die Annahme eines solchen dagegen in Fällen, in denen nach § 182 VI StGB von der Verfolgung abgesehen werden könne.100 Auch der Umstand, dass das Opfer keinen Wert auf die Bestrafung lege, soll in entsprechender Anwendung der Nr. 234 I 2 RiStBV dazu führen, dass kein besonderes öffentliches Interesse vorliege.101 b) Das besondere öffentliche Interesse im Rahmen des § 183 StGB Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll das hauptsächliche Kriterium zur Beurteilung, ob ein besonderes öffentliches Interesse vorliegt, die Rück­ fallgefahr des Täters sein.102 Daneben soll auch die Annahme, der Täter werde sich nur unter dem Druck des Strafverfahrens einer Behandlung unter­ ziehen, ein solches begründen können103, ebenso Serientäterschaft104 und die Behandlungsbedürftigkeit des Beschuldigten.105 Weiterhin sollen besondere Folgen der Tat ebenfalls beachtlich sein106 oder dass vom Täter schwerere 97  BT-Drucks.

12/4584 S. 9. 12/4584 S. 9; Laue, in: NKGesStrR, § 182 Rdnr. 7; Lederer, in: Anwalt-Kommentar-StGB, § 182 Rdnr. 36; Fischer, § 182 Rdnr. 23; a. A. in Bezug auf das rücksichtslose und verwerfliche Vorgehen Hörnle, in: LK-StGB, § 182 Rdnr. 77. 99  Hörnle, in: LK-StGB, § 182 Rdnr. 77. 100  Renzikowski, in: MüKo-StGB, § 182 Rdnr. 87. 101  BT-Drs. 18/2601 S. 23. 102  BT-Drs. 6/3521 S. 55; Eisele, in: S/S-StGB, § 183 Rdnr. 8. 103  BT-Drs. 6/1552 S. 32; Laufhütte/Roggenbuck, in: LK-StGB, § 183 Rdnr. 7; ähnlich Heger, in: Lackner/Kühl-StGB, § 183 Rdnr. 6. 104  Eschelbach, in M/R-StGB, § 183 Rdnr. 10. 105  Ziegler, in: BeckOK-StGB, § 183 Rdnr. 15; Laue, in: NKGesStrR, § 183 Rdnr. 5. 106  Lederer, in: Anwalt-Kommentar-StGB, § 183 Rdnr. 18; Fischer, § 183 Rdnr. 9; Eisele, in: S/S-StGB, § 183 Rdnr. 8, wobei allerdings in keinem Fall gesagt wird, was unter „besonderen Folgen“ zu verstehen sein soll. 98  BT-Drucks.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Straftaten zu erwarten seien.107 Kein besonderes öffentliches Interesse soll dagegen mit Umständen begründet werden können, die bei der Verwirk­ lichung des gesetzlichen Tatbestandes nahezu zwingend gegeben sind.108 In Anlehnung an Nr. 234 Satz 1 RiStBV soll ein solches zudem anzuneh­ men sein, wenn dem Opfer wegen seiner persönlichen Beziehung zum Täter nicht zugemutet werden könne, einen Strafantrag zu stellen.109 Nach anderer Auffassung soll zur Beurteilung statt auf täterspezifische Aspekte eher auf Tatkriterien gesetzt werden.110 Nach wieder anderer Auffassung soll ein besonderes öffentliches Interesse nur anzunehmen sein, wenn die Strafwürdigkeit erheblich über dem bei § 183 StGB Üblichen liege, bspw. bei mehreren Taten oder erheblich beleidi­ genden oder einschüchternden Äußerungen sowie sexualbezogenen Berüh­ rungen.111 Beachtlich sein soll zudem das Interesse des Tatopfers, nicht erneut mit dem Täter und der Tat konfrontiert zu werden.112 c) Das besondere öffentliche Interesse im Rahmen des § 184i StGB Der Gesetzgeber enthält sich bei dieser sehr jungen Vorschrift einer Erklä­ rung, wann vom Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses auszuge­ hen sein soll. Er äußert sich lediglich dahingehend, dass die Verfolgung vorrangig von der Entscheidung des Opfers abhängen soll, wobei eine Aus­ nahme dann bestehe, wenn die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonde­ ren öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.113 Auch in der Literatur hierzu finden sich kaum Angaben. Vertreten wird lediglich, dass Nr. 234 I 2 RiStBV zu beachten sein soll.114 Zudem könne die amtliche Verfolgungsvariante lediglich bei beson­ ders schweren Fällen eine Rolle spielen.115 Demnach soll hier insbesondere Wert darauf gelegt werden, ob das Opfer Strafverfolgung wünscht oder nicht.

107  Horstkotte, JZ 1974, 84, 90m. w. N.; hiergegen Benz, Sexuell anstößiges Ver­ halten, S. 68 Fn. 135. 108  Lederer, in: Anwalt-Kommentar-StGB, § 183 Rdnr. 18. 109  Wolters, in: SK-StGB, § 183 Rdnr. 12. 110  Benz, Sexuell anstößiges Verhalten, S. 67 f. 111  Hörnle, in: MüKo-StGB, § 183 Rdnr. 28. 112  So Dehne-Niemann, HRRS 2018, 280, 285. 113  BT-Drs. 18/9097 S. 30 f. 114  Renzikowski, in: MüKo-StGB, § 184i Rdnr. 18 Fn. 41. 115  Bezjak, KJ 2016, 557, 568.



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“169

d) Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung im Rahmen der §§ 201a I, II, 202a, 202b, 202d StGB § 201a I, II StGB war ursprünglich ein absolutes Antragsdelikt. Ein beson­ deres öffentliches Interesse soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers vor allem dann anzunehmen sein, wenn es sich um Bildaufnahmen von unbeklei­ deten Kindern handele, die öffentlich zugänglich seien und bei denen auf­ grund der Umstände angenommen werden könne, dass das Zugänglichma­ chen zu vorwiegend sexuellen Zwecken erfolgt sei.116 Die Ausgestaltung als relatives Antragsdelikt wird zudem damit begründet, dass in den zuvor ge­ nannten Fällen die Ausgestaltung als Antragsdelikt nicht sachgerecht sei, da das Antragsrecht ob der zumeist nicht bekannten Kinder leerlaufen würde.117 Für den Bereich der §§ 201a ff. StGB sei ein besonderes öffentliches Inte­ resse generell dann anzunehmen, wenn Daten von Dritten betroffen seien, weil ihnen mangels Verletzteneigenschaft kein Antragsrecht zustehe.118 Spe­ ziell für § 202a StGB sei ein besonderes öffentliches Interesse anzunehmen, wenn durch die Tat ein hoher Schaden entstanden sei oder der Täter Bankoder Kreditkartendaten erbeute und entgeltlich veräußere.119 e) Das besondere öffentliche Interesse im Rahmen der §§ 223, 229 StGB aa) Kriterien zur Körperverletzung allgemein Bevor sich im Einzelnen den Spezialbereichen der Körperverletzung aus­ einandergesetzt wird, soll zunächst dargestellt werden, wann im Allgemeinen bei Körperverletzungen ein besonderes öffentliches Interesse gegeben sein soll. Einen ersten Anhaltspunkt dafür bietet Nr. 234 RiStBV. Nach Nr. 234 I 1 RiStBV soll ein solches namentlich dann anzunehmen sein, wenn der Täter einschlägig vorbestraft ist, roh oder besonders leichtfertig gehandelt hat, durch die Tat eine erhebliche Verletzung verursacht wurde oder dem Opfer wegen seiner persönlichen Beziehung zum Täter nicht zugemutet werden kann, Strafantrag zu stellen und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anlie­ gen der Allgemeinheit ist.

116  BT-Drs.

18/2601 S. 39. 18/2601 S. 39. 118  BT-Drs. 16/3656 S. 12; Altenhain, in: M/R-StGB, § 205 Rdnr. 2; Graf, in: MüKo-StGB, § 205 Rdnr. 1. 119  Graf, in: MüKo-StGB, § 205 Rdnr. 1. 117  BT-Drs.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Auch bei bestimmten Motivationen des Täters soll ein solches vorliegen können, namentlich bei rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonst men­ schenverachtenden Beweggründen, Nr. 234 I 1 RiStBV. Zudem muss die Strafverfolgung in jedem Fall ein gegenwärtiges Anlie­ gen der Allgemeinheit sein. Wann dies der Fall ist, soll sich nach Nr. 86 RiStBV richten. Dort wird der Begriff für das öffentliche Interesse im Sinne des § 376 StPO erläutert. Genannt werden das Ausmaß der Tat, die Rohheit oder Gefährlichkeit der Tat, die Gesinnungsaspekte, die auch Nr. 234 RiStBV nennt sowie die Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben. Nach Nr. 234 I 2 RiStBV gilt im Rahmen der Nr. 234 I 1 RiStBV die Re­ gelung der Nr. 235 III RiStBV entsprechend. Nach ihr gilt also für den Be­ reich der Körperverletzung, dass ein öffentliches Interesse entfallen kann, wenn sozialpädagogische, familientherapeuthische oder andere unterstüt­ zende Maßnahmen eingeleitet wurden und erfolgversprechend sind. Weiterhin soll gemäß Nr. 234 I 3 RiStBV der Umstand beachtlich sein, dass der Verletzte auf Bestrafung keinen Wert lege. Diesbezüglich wird ver­ treten, dass das Unterlassen der Strafantragstellung verdeutliche, dass der Antragsberechtigte an der Strafverfolgung kein Interesse habe.120 Zu beach­ ten sein soll in Bezug auf dieses Merkmal, dass es viele Situationen geben könne, in denen zwar kein Strafantrag gestellt werde, ein Bestrafungswunsch dennoch existiere, dieser aber aus bestimmten Gründen wie Angst, Ein­ schüchterung etc. nicht geäußert werde.121 Obwohl Nr. 261a RiStBV auf Verstöße im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes zugeschnitten ist, sollen nach einer Auffassung auch die dort genannten Kriterien (einschlägige Vorstrafen, das Drohen oder Eintreten ei­ nes erheblichen Schadens, die Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz des Verletzten, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Gesundheit der Ver­ braucher) zur Beurteilung des besonderen öffentlichen Interesses herangezo­ gen werden können.122 Nach Auffassung Hardtungs liege ein besonderes öffentliches Interesse an der Verfolgung der Körperverletzung immer in solchen Fällen vor, die von den Qualifikationstatbeständen erfasst sind, allgemein gesprochen in den Fällen, in denen die Tat die Interessen des Verletzten in besonderem Maße beeinträchtige.123 Daraus schließt er, dass die Gefährlichkeit, die Folgen und 120  Kreiner,

in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, RiStBV Nr. 234 Rdnr. 5. in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 32. 122  Engelstätter, in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, RiStBV Nr. 261a Rdnr. 2. 123  Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 27. 121  Hardtung,



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“171

die Schutzpflichtwidrigkeit die leitenden Aspekte darstellen, anhand derer das besondere öffentliche Interesse zu beurteilen sei.124 Stets soll zudem ein solches Interesse anzunehmen sein, wenn ein Fall des § 228 StGB vorliege, da die Allgemeinheit an der körperlichen Unversehrtheit interessiert sei und es auf den Willen des Verletzten gerade nicht ankomme.125 Weiterhin wird für das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses plädiert, wenn der Täter einer Berufsgruppe angehöre, die besonderes Vertrauen in Anspruch nimmt oder er gegen besondere Berufspflichten verstoßen habe.126 Abseits der Kriterien der RiStBV tritt Hardtung dafür ein, folgende As­ pekte als beachtlich anzusehen:127 die Anzahl der Taten, Wiederholungsge­ fahr, eine Tatbegehung im Rahmen eines Bereiches, der durch die Öffentlich­ keit bewacht sei, wie etwa in Vereinen oder Internaten sowie ein aus der Stellung des Beschuldigten oder des Opfers im öffentlichen Leben resultie­ rendes Medieninteresse. Zudem sollen die in Nr. 243 II RiStBV für den Straßenverkehr maßgeb­ lichen Aspekte auch außerhalb dessen zur Beurteilung herangezogen werden können, also Aspekte wie Rausch, Tatfolgen für den Beschuldigten und das Opfer sowie ein eventuelles Mitverschulden des Verletzten.128 bb) Spezielle Anwendungsfelder (1) Gewalt in der Familie, insb. Kindesmissbrauch Ein gesonderter Fall der Körperverletzung ist der der Gewalt in der Fami­ lie. Bezüglich des Kindesmissbrauchs als eigenständiger Bereich der Gewalt in der Familie finden sich auch in den RiStBV Anhaltspunkte für das beson­ dere öffentliche Interesse. Grundsätzlich soll ein solches nicht anzunehmen sein, wenn der Verletzte ein Angehöriger des Täters sei.129 Das solle jedenfalls dann gelten, wenn der Verletzte keinen Wert auf Bestrafung lege.130 Dagegen wird vertreten, dass 124  Hardtung,

in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 27. in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 33. 126  Engländer, in: M/R-StGB, § 230 Rdnr. 2; a. A. Hirsch, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 8; differenzierend Popp, in: LK-StGB, § 230 Rdnr. 10. 127  Siehe zur Aufzählung im Folgenden Hardtung, in: MüKo-StGB, §  230 Rdnr. 31. 128  Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 31. 129  Hirsch, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 8; so auch die amtliche Begrün­ dung, DJ 1940, 508. 130  Sternberg-Lieben, in: S/S-StGB, § 230 Rdnr. 5. 125  Hardtung,

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

eine solche restriktive Handhabung unbillig sei, denn Opferinteressen seien ein öffentliches Interesse.131 Vom Grundsatz, wonach bei einer Angehörigeneigenschaft des Verletzten ein besonderes öffentliches Interesse regelmäßig fehlt, besteht im Falle der Kindesmisshandlung eine gravierende Ausnahme. Nr. 235 II 1 RiStBV ord­ net an, dass in Fällen der Kindesmisshandlung das besondere öffentliche In­ teresse grundsätzlich zu bejahen sei. Nr. 235 II 2 RiStBV ergänzt, dass eine Verweisung auf den Privatklageweg in der Regel nicht angezeigt sei. An dieser Stelle sei bereits angemerkt, dass die RiStBV insofern nicht die Syste­ matik der Gesetze widerspiegeln. Das besondere öffentliche Interesse kommt bei der Frage, ob gemäß § 376 StPO auf den Privatklageweg verwiesen wird, nicht zum Tragen, da es dort lediglich um das „einfache“ öffentliche Inte­ resse an der Erhebung der öffentlichen Klage geht. Gemäß Nr. 235 III RiStBV könne ein öffentliches Interesse entfallen, wenn sozialpädagogische, familientherapeuthische oder sonstige Maßnahmen ein­ geleitet wurden und Erfolg versprechen. Die Regelung dient der Entschär­ fung des Konfliktes im Täter-Kind-Verhältnis.132 (2) D  as besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung von Körperverletzungen im Straßenverkehr Das Hauptanwendungsfeld der fahrlässigen Körperverletzung liegt im Straßenverkehr.133 Dabei wird zum Teil ohne Weiteres vom Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses ausgegangen.134 Der Spezialfall der Körperverletzung im Straßenverkehr ist auch in den RiStBV genannt. Nr. 243 III 1 RiStBV ordnet an, dass es keinen Grundsatz gebe, wonach bei einer im Straßenverkehr begangenen Körperverletzung das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung stets oder in der Regel zu bejahen sei.

131  Siehe weiterführend hierzu Paeffgen/Böse, in: NK-StGB, §  230 Rdnr. 34; Schneider, Körperliche Gewaltanwendung, S. 178 ff., 180. 132  Metzger, in: FS-Stöckel, 287, 293. 133  Einen Überblick über die Zahl der fahrlässigen Körperverletzungen im Stra­ ßenverkehr in den Jahren 2007–2010 findet sich bei Bönke, NZV 2012, 1, 2. Sie lag in jedem der Jahre jedenfalls im fünfstelligen Bereich. 134  Schmidhäuser, BT 1/24; Tröndle, DRiZ 1976, 129; siehe auch Preisendanz, DRiZ 1989, 366 mit Hinweisen auf die praktische Rechtsanwendung.



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“173

Nr. 243 III 2 RiStBV normiert präzisierend, dass bei der im Einzelfall135 zu treffenden Ermessensentscheidung136 das Maß der Pflichtwidrigkeit, ins­ besondere der vorangegangene Genuss von Alkohol oder anderer berau­ schender Mittel, die Tatfolgen für den Verletzten137 und den Täter, einschlä­ gige Vorbelastungen des Täters sowie ein Mitverschulden des Verletzten von besonderem Gewicht seien. Der Täter ist vorbelastet, wenn er einschlägig vorbestraft ist oder gegen ihn in nahe zurückliegender Zeit eine Einstellung nach § 153a StPO erfolgte.138 Gemäß ihrem Titel war der hauptsächliche Regelungsgegenstand der VO vom 2.4.1940 der Straßenverkehr. Da durch die Verordnung auch auf die zunehmende Motorisierung des Straßenverkehrs reagiert wurde, lohnt sich ein Blick in die amtliche Begründung, die auch Aspekte aufzählt, anhand derer ein besonderes öffentliches Interesse anzunehmen sein soll. Im Einzelnen werden folgende Aspekte genannt:139 –– einschlägige Vorstrafen des Täters, –– wenn sich eine besonders niedrige Gesinnung zeigt140, –– wenn sich der Täter trotz Trunkenheit ans Steuer setzt, –– die Verursachung ernster Folgen, wobei erhebliche Verletzungen mehrerer Personen sowie die Erregung in der Öffentlichkeit genannt sind. Verglichen mit der derzeit geltenden Regelung in Nr. 243 III 2 RiStBV zeigt sich, dass jedenfalls Genuss alkoholischer Mittel und die Verursachung ernster Folgen als Anhaltspunkte beibehalten worden sind; im Bereich der einschlägigen Vorstrafen ist eine Ausweitung erfolgt, da Vorbelastungen nicht zwangsläufig mit einer Verurteilung gleichzusetzen sind. Überwiegend wird auch in der Literatur das besondere öffentliche Inte­ resse mit den Aspekten der amtlichen Begründung und Nr. 243 RiStBV beur­

135  Siehe dazu auch OLG Köln NJW 1952, 1307, wobei das Urteil freilich lange vor Inkrafttreten der nun gültigen RiStBV erging. 136  Die Formulierung ist unzutreffend. Wie sich oben gezeigt hat, ist die Frage nach dem Vorliegen des besonderen öffentlichen Interesses keine Ermessensentschei­ dung. 137  Bereits bei Verletzungen mittleren Grades wird das besondere öffentliche Interesse fast immer bejaht, Leipold, in: Budewig/Gehrlein/Leipold, 25. Kap. IV ­ Rdnr. 104. 138  Eckl, JR 1975, 99, 100. 139  DJ 1940, 508. 140  Bezug genommen werden kann bei diesem Merkmal wohl auf die mangelnde Rücksichtnahme im Straßenverkehr und die grobe Missachtung der straßenverkehrs­ rechtlichen Normen.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

teilt.141 Daneben finden sich aber auch vor allem im älteren Schrifttum – teils nicht sonderlich präzise – anderslautende Ausführungen. Ein besonderes öf­ fentliches Interesse solle grundsätzlich nur dann vorliegen, wenn „erschwe­ rende Umstände“ gegeben seien.142 Diesbezüglich wird eine Anwendung der amtlichen Verfolgung nur für richtig gehalten, wenn erhebliche Folgen, grö­ ßeres Verschulden143 oder einschlägige Vorbelastungen vorliegen.144 Daneben sei auch der Umstand beachtlich, dass der Täter neben der Köperverletzung auch noch einen anderen schwereren Straftatbestand verwirklicht habe.145 Die Verursachung bloß leichter Verletzungen soll dagegen nicht ausreichen, um ein solches zu begründen.146 Letzteres gelte jedoch nicht, wenn es sich um leichtfertiges Handeln seitens des Täters handele.147 (3) D  as besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung von Körperverletzungen im Sport Sport ist allgegenwärtig und ein großer Teil des gesellschaftlichen Lebens. Auch hierbei kommt es zu Verhaltensweisen, die im Grundsatz durchaus auch einer strafrechtlichen Beurteilung zugänglich sind. Als besonderes Gebiet der Körperverletzungen ist daher fraglich, wann im Rahmen des ­ Sports vom Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses ausgegangen wird. Zum Teil wird angenommen, ein „öffentliches Interesse“148 an der Straf­ verfolgung liege dann vor, wenn die Schuld des Täters ein sportorientiertes Maß überschreite, was eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erfordere. Maßgebliche Aspekte seien hier insbesondere das Ausmaß der 141  Paeffgen/Böse, in: NK-StGB, § 230 Rdnr. 32 m. w. N. Der Aspekt des Genusses alkoholischer Getränke allein wird bereits als grob verkehrswidriges Verhalten ange­ sehen, so Sternberg-Lieben, in: S/S-StGB, § 230 Rdnr. 5. 142  Siehe bspw. Eckl, JR 1975, 99, 100; Rebmann, DAR 1978, 303, 304. 143  Nach einer Auffassung genügt leichte Fahrlässigkeit nicht, es bedarf der Leichtfertigkeit, so Havekost, DAR 1977, 289, 291. 144  Rebmann, DAR 1978, 303, 304. 145  Preisendanz, DRiZ 1989, 366, 367. Genannt werden hier das Fahren unter Al­ koholeinfluss (Verstoß ggf. gegen § 316 StGB), das Fahren ohne Fahrerlaubnis (straf­ bar gemäß § 21 StVG) sowie das Fehlen einer Haftpflichtversicherung (strafbar ge­ mäß § 6 Pflichtversicherungsgesetz). 146  Havekost, DAR 1977, 289 f. 147  Tröndle, DRiZ 1976, 129, 132. 148  Kauffmann in: FS-Kleinknecht, 203, 212. Ob in diesem Zusammenhang ein öffentliches oder ein besonderes öffentliches Interesse gemeint ist, lässt sich dem Beitrag nicht entnehmen. Weitergehende Ausführungen legen jedoch den Schluss nahe, dass das besondere öffentliche Interesse gemeint ist.



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“175

Rechtsverletzung, niedrige Beweggründe, Leichtfertigkeit sowie einschlägige Vorstrafen.149 Zu beachten soll jedoch stets sein, dass in der Regel der Rechtsfrieden durch sportinterne Strafen wiederhergestellt werde, die Strafverfolgung also kein Anliegen der Allgemeinheit mehr sei.150 Durch Sportverletzungen wird der Rechtsfrieden in der Regel aber überhaupt nicht tangiert, wie sich anhand der unzähligen Verletzungen im Sport zeigt.151 Etwas anderes gelte aber, wenn die sportrechtlichen Sanktionen nicht mehr schuldangemessen seien, was vor allem bei vorsätzlichen Straftaten, Rohheitsdelikten und besonders schweren Tatfolgen in Betracht kommen soll.152 Dagegen wird vertreten, dass Aspekte wie eine rohe Tat oder erhebliche Misshandlungen mangels ausreichender Bestimmtheit nicht als Anknüpfungspunkt für die Auslegung geeignet seien.153 Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass eine allgemeine Beurteilung nicht stattfinden könne, sondern immer die Eigenheiten des jeweiligen Sports berücksichtigt werden müssen.154 Doch auch nicht nur von Sportart zu Sport­ art sind andere Aspekte maßgeblich, sondern auch innerhalb einer Sportart. So sei bei Freundschaftsspielen ein anderer Maßstab anzulegen als beim Fi­ nale des DFB-Pokals.155 Staatliche Strafverfolgung komme zudem eher dann in Betracht, wenn Verletzungen im Profisport stattfänden, da es in diesem Bereich ein Millionenpublikum, eine fortgeschrittene Verrechtlichung sowie Vorbildfunktionen der Sportler gebe.156 (4) D  as besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung im Arztstrafrecht Im Bereich des Arztstrafrechts gewinnen vor allem Fälle der sog. Kunst­ fehler Bedeutung. An sich handelt es sich dabei um einfache Körperverlet­ zungen im Sinne des § 223 StGB. Eine gefährliche Körperverletzung scheidet zumeist jedenfalls hinsichtlich des ärztlichen Werkzeugs aus, da ihm keine für § 224 I Nr. 2 StGB notwendige Qualität zukommt, sofern es den ärztli­ chen Regeln entsprechend eingesetzt wird.157 149  Kauffmann,

in: FS-Kleinknecht, 203, 212. Der Sportunfall S. 201; Kauffmann, in: FS-Kleinknecht, 203, 211. 151  Schiffer, Die strafrechtliche Behandlung S. 21. 152  Kauffmann, in: FS-Kleinknecht, 203, 213. 153  Schiffer, Die strafrechtliche Behandlung S. 19. 154  Berkl, Der Sportunfall, S. 201. 155  Vgl. Schiffer, Die strafrechtliche Behandlung S. 19. 156  Berkl, Der Sportunfall, S. 201. 157  BGH NJW 1978, 1206; Lackner/Kühl, § 224 Rdnr. 5 m. w. N. 150  Berkl,

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Im Gegensatz zur normalen Körperverletzung muss hier bedacht werden, dass Ärzte Fachleute mit Spezialwissen sind. Die Tatbegehung durch eine bestimmte Tätergruppe ähnelt § 340 StGB. Die Pflichtverstöße – zumeist im Rahmen fahrlässiger Körperverletzungen – werden also durch approbierte Ärzte begangen. Allein dieser Umstand soll einer Auffassung zufolge zur Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses führen.158 Dagegen wird eingewandt, dass der Verstoß gegen Berufspflichten nicht ohne Weiteres zum Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses führe.159 Nicht anzuneh­ men soll es sein, wenn der Verletzte Schmerzensgeld erhalten oder zugespro­ chen bekommen habe160; ebenso, wenn zuvor Zivilprozesse geführt wurden und anschließend erst Strafanzeige erstattet worden sei.161 f) Das besondere öffentliche Interesse im Rahmen des § 235 StGB Eingeführt wurde die amtliche Verfolgungsmöglichkeit unabhängig vom Strafantrag „namentlich im Interesse des Kindes“162. Des Weiteren ist die alte Fassung, die als absolutes Antragsdelikt ausgestaltet war, als unbefriedi­ gend empfunden worden.163 Das besondere öffentliche Interesse soll nach dem Willen des Gesetzge­ bers bei einschlägigen Vorstrafen vorliegen sowie bei besonders rücksichts­ losem Verhalten des Täters gegenüber dem Minderjährigen/Kind und/oder seinen Eltern.164 Weiterhin soll ein solches anzunehmen sein, wenn Entfüh­ rungen ins Ausland stattfinden oder die Taten von Dritten begangen wer­ den.165 In Abgrenzung zum Offizialdelikt des § 235 IV Nr. 2 StGB soll ein beson­ deres öffentliches Interesse auch bei gewinnorientierten Vorhaben jenseits dieses Qualifikationstatbestands anzunehmen sein.166 Auch der zeitgleich 158  Günter, 159  So

DRiZ 1992, 96. Hirsch, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 8; a. A. Lackner/Kühl, § 230

Rdnr. 4. 160  Ulsenheimer, § 1 Rdnr. 241. 161  Günter, DRiZ 1992, 96, 97. 162  Also auch hier Schutz derer, die Verletzte sein können ohne Strafantrag stellen zu können? 163  BT-Drs. 13/8587 S. 24; Die Kritik bezog sich dabei auf die alte Gesetzesfas­ sung, die in besonders schweren Fällen des § 235 II StGB a. F. eine Freiheitsstrafe bis 10 Jahre vorsah und dennoch ein absolutes Antragsdelikt darstellte. 164  BT-Drs. 13/8587 S. 39. 165  BT-Drs. 13/8587 S. 25; BT-Drs. 13/7164 S. 25; Krehl, in: LK-StGB, § 235 Rdnr. 145. 166  Krehl, in: LK-StGB, § 235 Rdnr. 145; Sonnen, in: NK-StGB, § 235 Rdnr. 36.



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“177

bestehende Verdacht eines Offizialdelikts soll ein solches begründen kön­ nen.167 Daneben wurde das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung auch mit der enttäuschten Erwartung der Staatsanwaltschaft begründet, dass der Täter ohne den Druck des Strafverfahrens wieder nach Deutschland ein­ reisen würde.168 g) Das besondere öffentliche Interesse im Rahmen des § 238 StGB Die Möglichkeit der amtlichen Verfolgung wurde hier insbesondere ge­ schaffen, um den Bedenken entgegenzuwirken, die Staatsanwaltschaft werde den Strafantragsteller auf den Privatklageweg verweisen.169 Diese Bedenken können nun nicht mehr greifen, da § 238 StGB kein Privatklagedelikt mehr ist.170 Die Kriterien des besonderen öffentlichen Interesses werden hierbei zum Teil aus den Nr. 86, 234 RiStBV abgeleitet. So sollen einschlägige Vorstra­ fen, eine gravierende Tat, die Unzumutbarkeit der Strafantragstellung sowie die Vermutung, das Opfer stelle aus Angst keinen Strafantrag, ein besonderes öffentliches Interesse begründen können.171 Auch wenn das Opfer wegen Unterlegenheit gegenüber dem Täter keinen Strafantrag stelle, soll vom Vor­ liegen eines besonderen öffentlichen Interesses auszugehen sein.172 Nach anderer Auffassung soll es vorliegen können, wenn es um besonders gefähr­ liche oder zur Eskalation neigende Fälle gehe, die Tat den öffentlichen Frie­ den nachhaltig störe oder eine persönliche Abhängigkeit, Unterlegenheit oder Angst des Opfers gegeben seien.173 Maßgeblich auf den Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit der Strafantrag­ stellung stellt dabei die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ab, indem sie 167  Gribbohm,

in: LK-StGB (11. Aufl.), § 235 Rdnr. 144. Brandenburg, Urt. v. 20.6.2016 – (1) 53 Ss 25/16 (13/16) Rdnr. 18 – zi­ tiert nach juris. 169  BT-Drs. 16/3641 S. 9. 170  § 238 StGB wurde aus dem Katalog des § 374 StPO durch das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen vom 1.3.2017, BGBl. I S. 386 ge­ strichen. 171  Krehl, in: LK-StGB, § 238 Rdnr. 87 m.w.N.; den letzten Aspekt hervorhebend Eisele, in: S/S-StGB, § 238 Rdnr. 40; siehe auch Gerhold, Das System des Opfer­ schutzes, S. 136. 172  Gerhold, Das System des Opferschutzes, S. 136. 173  So Mosbacher, NStZ 2007, 665, 670, der sich auch gegen eine Erweiterung der RiStBV zu diesem Tatbestand ausspricht; auf diese Kriterien abstellend auch Gerhold, Das System, S. 136. 168  OLG

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

im Gesetzgebungsverfahren einen Änderungsantrag gestellt haben und dabei hinsichtlich des besonderen öffentlichen Interesses Folgendes ausführten: „(…), dass die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) dahinge­ hend ergänzt werden, dass das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfol­ gung insbesondere bei engen persönlichen Beziehungen oder bei einer sonstigen Unzumutbarkeit der Strafantragstellung durch das Opfer anzunehmen ist (…).“174

Eine Erweiterung der RiStBV hat sich letztlich nicht durchsetzen können, was auch daran gelegen hat, dass die Auffassung vertreten worden ist, die in den RiStBV befindlichen Vorschriften genügen, um in Fällen des § 238 StGB das (besondere) öffentliche Interesse hinreichend zu handhaben.175 Mangels einer Strafantragsübergangsklausel soll zudem dann ein besonde­ res öffentliches Interesse vorliegen können, wenn nach dem Tod des antrags­ berechtigten Verletzten ein Bedürfnis nach Strafverfolgung bestehe.176 Auch im Rahmen dieses Delikts wird für eine restriktive Handhabung des besonderen öffentlichen Interesses eingetreten. Der Gesetzgeber gehe näm­ lich davon aus, dass nur der Betroffene selbst Art, Umfang und Intensität der Handlung und deren Konsequenzen kennt und daher am besten einschätzen könne, ob er sich den durch das Strafverfahren entstehenden Belastungen stellen kann und will.177 Ein besonderes öffentliches Interesse könne dann ausgeschlossen sein, wenn es zwischen Täter und Opfer zu einer Verständigung/Versöhnung ge­ kommen sei und keine Wiederholungsgefahr bestehe.178 h) §§ 242, 246, 248c, 257, 259, 263, 263a, 265a, 266, 266b jeweils i. V. m. § 248a StGB aa) Aspekte speziell bezüglich §§ 242, 246 i. V. m. 248a StGB Der Gesetzgeber beschränkt sich in der Gesetzesbegründung darauf, dass er bei Neufassung des § 248a StGB durch die Ausgestaltung als relatives Antragsdelikt „besonderen Fallgestaltungen“ gerecht werden will.179 Was darunter zu verstehen sein soll, verrät der Gesetzgeber aber nicht. In der Li­

174  Siehe

dazu BT-Drs. 16/3641, S. 9. 16/70 S. 6953. 176  Mitsch, NJW 2007, 1237, 1241. 177  BT-Drs. 16/575 S. 8; Sonnen, in: NK-StGB, § 238 Rdnr. 53. 178  Gerhold, Das System des Opferschutzes, S. 136; hierzu auch Mitsch, NJW 2007, 1237, 1241. 179  BT-Drs. 7/550 S. 247. 175  BT-Plenarprotokolle



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“179

teratur wird ein besonderes öffentliches Interesse mit general- und spezial­ präventiven Umständen begründet.180 So soll ein solches bei Wiederholungstätern anzunehmen sein181 oder wenn eine erhebliche kriminelle Energie des Täters sichtbar werde.182 Hierzu soll zunächst die objektive Verwirklichung der Merkmale des § 243 StGB zählen, wobei gemäß § 243 II StGB die Anwendung der besonders schweren Fälle ausgeschlossen ist.183 Beruht die unterbliebene Stellung des Strafantrages auf Angst vor Nachteilen, soll ebenfalls ein besonderes öffentliches Interesse anzunehmen sein.184 Weiterhin wird ein solches angenommen, wenn Gegen­ stand der Anklage ein versuchter Diebstahl einer nicht geringwertigen Sache gewesen ist, sich im Verfahren aber herausstellt, dass ein vollendeter Dieb­ stahl einer geringwertigen Sache vorliege, die Antragsfrist aber abgelaufen sei.185 Auch die durch häufig auftretenden Ladendiebstahl einsetzenden Preiserhöhungen sollen ein besonderes öffentliches Interesse begründen kön­ nen.186 Die Generalprävention erfordere im Falle der Entwendung von für den Verletzten wichtigen Medikamenten die Erhebung der öffentlichen Klage.187 Selbiges soll gelten, wenn Tatobjekte wegen der Lokalgeschichte bedeutsam seien.188 Besteht dagegen lediglich ein Affektionsinteresse des Verletzten, wird al­ lein dieser Umstand überwiegend nicht als ausreichend angesehen.189 180  Hohmann, in: MüKo-StGB, §  248a Rdnr. 9; Vogel, in: LK-StGB, § 248a Rdnr. 12; Bosch, in: S/S-StGB, § 248a Rdnr. 25. 181  Kudlich, in: S/S/W-StGB, § 248 Rdnr. 12; Hohmann, in: MüKo-StGB, § 248a Rdnr. 9; Ruß, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 248a Rdnr. 11. 182  Eckl, JR 1975, 99, 100. 183  So Bosch, in: S/S-StGB, § 248a Rdnr. 25; Vogel, in: LK-StGB, § 248a Rdnr. 12; Fischer, § 248a Rdnr. 7; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 248a Rdnr. 14. 184  Vogel, in: LK-StGB, §  248a Rdnr. 12; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 248a Rdnr. 14. 185  Ruß, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 248a Rdnr. 11. 186  Metzger, in: FS-Stöckel, 287, 294; Hohmann, in: MüKo-StGB, § 248a Rdnr. 9 mit Verweis auf LG Osnabrück StV 1992, 325, 326, wo dies zwar nicht ausdrücklich genannt wird, sich das aber aus den Umständen ergibt. Der Strafantrag war in dorti­ gen Fall ausdrücklich zurückgenommen. Da am Ende eine Verurteilung stand, muss die Tat aufgrund der amtlichen Verfolgungsmöglichkeit stattgefunden haben; a. A. Vogel, in: LK-StGB, § 248a Rdnr. 12. 187  Metzger, in: FS-Stöckel, 287, 294. 188  Metzger, in: FS-Stöckel, 287, 294. 189  Vogel, in: LK-StGB, §  248a Rdnr. 12; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 248a Rdnr. 14; Bosch, in: S/S-StGB, § 248a Rdnr. 26; bejahend dagegen bspw. BT-Drs. 7/1261, S. 27.

180

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Das relative Antragserfordernis in § 248a StGB ist in neuerer Zeit in die Kritik geraten. In einem aktuellen Vorschlag zur Umgestaltung der Norm wird § 248a StGB wieder als absolutes Antragsdelikt ausgestaltet.190 Auch aus kriminalpolitischer Sicht ist die Ausgestaltung als relatives Antragsdelikt nicht schlüssig. Verdeutlich wird dies im Zusammenspiel mit den §§ 153, 153a StPO. Wenn die §§ 153, 153a StPO gerade der Entlastung der Justiz in Bagatellfällen dienen, ist es widersinnig, eine Verfahrensvoraussetzung zu etablieren, die eine Anwendung des § 153 StPO – der auf Bagatellkriminali­ tät zugeschnitten ist – ausschließt.191 bb) Deliktsspezifische Aspekte der auf § 248a StGB verweisenden Delikte Der Anwendungsbereich des § 248a StGB erstreckt sich abseits der §§ 242, 246 StGB kraft gesetzlicher Verweisung auch auf eine Vielzahl weiterer De­ likte. Das zentrale Merkmal bleibt die Geringwertigkeitsgrenze. Zu erörtern ist im Folgenden, inwieweit in Bezug auf die einzelnen Delikte auf diese zugeschnittene Aspekte bestehen, die das Vorliegen eines besonderen öffent­ lichen Interesses bedeuten sollen. (1) § 248c StGB Vertreten wird in diesem Zusammenhang, dass eine Aufladung von elek­ trischen Kleingeräten im Bereich der Sozialadäquanz ein besonderes öffent­ liches Interesse nicht begründen könne.192 (2) § 257 StGB Nach einer Auffassung soll in diesem Zusammenhang regelmäßig vom Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses auszugehen sein, wenn es sich um geringfügige Vorteile nichtvermögensmäßiger Art handele.193

190  Meier,

ZStW 129 (2017), 433, 446. unten, S. 290 ff. 192  Brodowski, ZJS 2010, 144, 147. 193  So wohl Hoyer, in: SK-StGB, § 257 Rdnr. 37; a. A. Altenhain, in: NK-StGB, § 257 Rdnr. 42. 191  Hierzu



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“181

(3) § 259 StGB In Bezug auf § 259 StGB finden sich – soweit ersichtlich – keine Ausfüh­ rungen zur Frage, wann dieses Delikt wegen des besonderen öffentlichen Interesses von Amts wegen verfolgt werden müsste. (4) § 263 StGB Auch im Rahmen des § 263 StGB soll trotz der Unanwendbarkeit der be­ sonders schweren Fälle ein besonderes öffentliches Interesse anzunehmen sein, wenn sie jedenfalls objektiv vorliegen.194 Das soll für § 263 III 2 Nr. 1,4 und 5 StGB gelten.195 Die anderen besonders schweren Fälle werden im Zusammenhang mit geringwertigen Vermögensschäden wohl nicht zur An­ wendung kommen können. (5) § 263a StGB Im Rahmen des § 263a StGB wird durch den Verweis auf § 263 IV StGB auch auf § 248a StGB verwiesen. Auch in diesem Rahmen ist also das maß­ gebliche Kriterium die Geringwertigkeit des Vermögensgegenstandes.196 Ein besonderes öffentliches Interesse soll hier anzunehmen sein, wenn mit einer EC-Karte mehrere geringwertige Beträge von mehreren Konten abgehoben wurden.197 (6) § 265a StGB Spezifisch in Bezug auf § 265a StGB wird vom Vorliegen eines beson­ deren öffentlichen Interesses ausgegangen, wenn öffentlichen Zwecken dienende Telekommunikationsanlagen missbraucht werden.198 Auch das ­ schlichte Schwarzfahren soll zum Vorliegen eines solchen führen können.199 Falkenbach will ein besonderes öffentliches Interesse zudem auch dann an­ nehmen, wenn der Strafantrag „aus unsachlichen Erwägungen“ nicht gestellt 194  Kindhäuser, in: NK-StGB, § 263 Rdnr. 404; Satzger, in: S/S/W-StGB, § 263 Rdnr. 370. 195  Tiedemann, in: LK-StGB, § 263 Rdnr. 305. 196  Waßmer, in: Leitner/Rosenau, § 263a StGB Rdnr. 100. 197  Satzger, in: S/S/W-StGB, § 263a Rdnr. 51; Tiedemann/Valerius, in: LK-StGB, § 263a Rdnr. 103; Wohlers/Mühlbauer, in: MüKo-StGB, § 263a Rdnr. 95. 198  Tiedemann, in: LK-StGB; § 265a Rdnr. 60; Falkenbach, Leistungserschlei­ chung, S. 101. 199  Wohlers/Mühlbauer, in: MüKo-StGB, § 265a Rdnr. 91.

182

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

worden ist.200 Zu Letzterem ist zu sagen, dass dieser Aspekt nur dann trag­ fähig sein kann, wenn die unlauteren Erwägungen von der Initiative des Tä­ ters ausgehen. (7) § 266 StGB In Bezug auf § 266 StGB finden sich – soweit ersichtlich – keine Ausfüh­ rungen zur Frage, wann dieses Delikt wegen des besonderen öffentlichen Interesses von Amts wegen verfolgt werden müsste. (8) § 266b StGB In Bezug auf § 266b StGB finden sich – soweit ersichtlich – keine Ausfüh­ rungen zur Frage, wann dieses Delikt wegen des besonderen öffentlichen Interesses von Amts wegen verfolgt werden müsste. i) Das besondere öffentliche Interesse im Rahmen des § 299 StGB aa) Nr. 242a RiStBV Ein besonderes öffentliches Interesse soll hiernach zunächst vorliegen, wenn der Täter einschlägige vermögensstrafrechtliche, insb. wirtschaftsstraf­ rechtliche Vorstrafen aufweise oder im Zusammenwirken mit Amtsträgern gehandelt habe. Zudem dann, wenn mehrere geschäftliche Betriebe betroffen seien, sich der betroffene Betrieb mehrheitlich in öffentlicher Hand befinde und dieser öffentliche Aufgabe wahrnehme, das Drohen oder Eintreten eines erheblichen Schadens sowie der Umstand, dass zureichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Antragsberechtigter aus Furcht vor wirtschaftlichen oder beruflichen Nachteilen einen Strafantrag nicht stelle.201 Das Merkmal des Zusammenwirkens mit einem Amtsträger soll in Abgrenzung zu den §§ 331 ff. StGB vor allem in besonderen Nähebeziehungen zwischen Täter und Behörde einschlägig sein, ohne dass ein öffentlich-rechtlicher Bestel­ lungsakt gegeben ist.202 Nr. 242a II RiStBV bestimmt weitergehend, dass in besonders schweren Fällen im Sinne des § 300 StGB das besondere öffentliche Interesse nur aus­

200  Falkenbach,

Leistungserschleichung, S. 100. auch Sahan, in: G/J/W, § 301 StGB, Rdnr. 9. 202  Temming, in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, RiStBV Nr. 242a Rdnr. 3. 201  So



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“183

nahmsweise verneint werden könne.203 Als besonders schweren Fall nennt § 300 I 2 Nr. 1 StGB zunächst den Bezug der Tat auf einen Vorteil großen Ausmaßes.204 Wann ein solches großes Ausmaß vorliegen soll, wird nicht einheitlich beurteilt. Nötig ist, dass der Wert des Vorteils erheblich über dem Durchschnitt erlangter Vorteile liegt.205 Die hierzu erforderlichen Wertgren­ zen variieren und reichen von 10.000 €206 bis 50.000 €207. Zusätzlich wird für erforderlich gehalten, dass die schulderhöhenden Umstände in besonderer Weise auch Allgemeininteressen betreffen müssen.208 Gemäß § 300 I 2 Nr. 2 StGB kommt als weiterer benannter besonders schwerer Fall das gewerbsmä­ ßige Handeln oder das Handeln als Mitglied einer Bande, die sich zur fortge­ setzten Begehung solcher Taten verbunden hat, in Betracht. Für Gewerbsmä­ ßigkeit kann schon die einzelne Tat genügen, wenn der Täter in der Absicht handelt, durch solche Taten auf unbestimmte Zeit Gewinne zu erzielen.209 Bei der Variante des bandenmäßigen210 Handelns bedarf es des Zusammen­ schlusses für die Begehung von Bestechungen bzw. Bestechlichkeiten im geschäftlichen Verkehr.211 bb) Weitere Aspekte nach Auffassung der Literatur Für nicht ausreichend wird erachtet, dass lediglich die tatsächliche Gewäh­ rung bzw. Annahme eines Vorteils vorliege.212 Weiterhin könne ein besonde­ res öffentliches Interesse nicht allein damit begründet werden, dass § 299 StGB dem Interesse der Allgemeinheit an einem unbeeinflussten Wettbewerb diene.213

203  Auch in der Literatur werden die besonders schweren Fälle als Anknüpfungs­ punkt für das besondere öffentliche Interesse für zutreffend gehalten, siehe bspw. Tiedemann, in: LK-StGB; § 301 Rdnr. 8; Fischer, § 301 Rdnr. 3. 204  Krit. dazu im Hinblick auf die betroffenen Rechtsgüter Heine/Eisele, in: S/SStGB, § 300 Rdnr. 3. 205  Momsen/Laudien, in: BeckOK-StGB, § 300 Rdnr. 2. 206  Rogall, in: SK-StGB, § 300 Rdnr. 6. 207  Eisele, in: S/S-StGB, § 300 Rdnr. 3, der jedenfalls 25.000 € als Untergrenze ansieht. 208  Fischer, § 301 Rdnr. 3. 209  Eisele, in: S/S-StGB, § 300 Rdnr. 4; Rosenau, in: S/S/W-StGB, § 300 Rdnr. 3. 210  Bandenmäßiges Handeln erfordert mindestens drei Personen, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstyps zu bege­ hen, BGH NStZ 2001, 421. 211  Eisele, in: S/S-StGB, § 300 Rdnr. 5. 212  Gaede, in: Leitner/Rosenau, § 301 Rdnr. 11. 213  Dannecker, in: NK-StGB, § 301 Rdnr. 7.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Zusammenfassend wird ausgeführt, dass ein besonderes öffentliches Inte­ resse vorliegen soll, wenn der konkrete Tatverdacht das Allgemeininteresse an der Strafverfolgung infolge eines erhöhten Strafbedürfnisses qualifiziert erscheinen lasse oder dem Strafantragberechtigten ein Strafantrag nicht zuzu­ muten sei.214 Gegen die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses soll eine nachträgliche Genehmigung sprechen.215 j) Das besondere öffentliche Interesse bei §§ 303, 303a I, 303a II, 303b I–III StGB In Fällen der Sachbeschädigungsdelikte soll ein besonderes öffentliches Interesse zunächst anzunehmen sein, wenn durch nötigende oder einschüch­ ternde Elemente verhindert worden ist, dass der Berechtigte einen Strafantrag stellt.216 Daher komme ein solches stets dann in Betracht, wenn die unterlas­ sene Antragstellung vermutlich auf mangelnder Entscheidungsfreiheit des Verletzten beruhe.217 Zum Teil wird vertreten, dass lediglich in solchen Fällen ein besonderes öffentliches Interesse anzunehmen sein soll.218 Gegen die freiverantwortliche Entscheidung, keinen Strafantrag zu stellen, soll demnach eine Strafverfol­ gung nicht zulässig sein.219 Dagegen ist nach herrschender Meinung auch dann eine Strafverfolgung von Amts wegen möglich, wenn auf das Stellen eines Strafantrages verzichtet oder der Strafverfolgung widersprochen wor­ den ist.220 Die Gesetzesbegründung geht ausdrücklich davon aus, dass hier eine Strafverfolgung auch gegen den Willen des Strafantragsberechtigten er­ folgen können soll.221 Weiterhin wird ein besonderes öffentliches Interesse angenommen, wenn eine empfindliche Beeinträchtigung des Rechtsfriedens oder des Sicherheits­ 214  Gaede, in: Leitner/Rosenau, § 301 Rdnr. 6; ähnlich wohl Rosenau, in: S/S/WStGB, § 301 Rdnr. 2, wenn er das besondere öffentliche Interesse annimmt, wenn die Belange der Allgemeinheit in besonderer Weise tangiert sind. 215  Rosenau, in: S/S/W-StGB, § 301 Rdnr. 2. 216  Heger, in: Lackner/Kühl-StGB, § 303c Rdnr. 2; Wieck-Noodt, in: MüKo-StGB, § 303c Rdnr. 7. Davon ging auch der Gesetzgeber aus, siehe dazu auch die Nach­ weise bei Zaczyk, in: NK-StGB, § 303c Rdnr. 9. 217  Saliger, in: S/S/W-StGB, § 303c Rdnr. 5. 218  Hoyer, in: SK-StGB, § 303c Rdnr. 1, dagegen Altenhain, in: M/R-StGB, § 303c Rdnr. 7. 219  Hoyer, in: SK-StGB, § 303c Rdnr. 7. 220  BGH, Urteil v. 17.01.1956 – 5 StR 535/55 bei Dallinger, MDR 1965, 270; Altenhain, in: M/R-StGB, § 303c Rdnr. 7. 221  BT-Drs. 10/308 S. 4.



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“185

gefühls der Bevölkerung verursacht worden ist.222 Als Indikatoren hierfür werden die Schadenshöhe oder eine Fallvielzahl angeführt.223 Einschlägig sei dieser Grund als Begründung des besonderen öffentlichen Interesses vor al­ lem bei Ausschreitungen im Zuge unfriedlicher Demonstrationen oder bei sonstigen Massenveranstaltungen wie Fußballspielen.224 Weiterhin wird vertreten, dass die Aspekte, die ein öffentliches Interesse im Sinne des § 376 StPO begründen sollen, auch zur Auslegung des beson­ deren öffentlichen Interesses heranzuziehen sein können, da ebenfalls auf öffentliche Interessen abzustellen sei.225 Ein Einschreiten von Amts wegen sei bei Graffiti-Fällen in der Regel geboten, da solche Taten den Rechtsfrie­ den nachhaltig stören sowie Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Rechts­ ordnung bestünden.226 Speziell in Bezug auf §§ 303a, 303b StGB soll vom Vorliegen eines be­ sonderen öffentlichen Interesses auszugehen sein, wenn das Vertrauen in die Zuverlässigkeit wichtiger Datenverarbeitung durch die Tat beeinträchtigt werde,227 eine Vielzahl von Opfern bestehe228 oder ein hoher wirtschaftlicher Schaden entstanden sei.229 Unter wichtigen Daten werden hier üblicherweise Forschungsergebnisse, Patientendaten oder Kundendaten verstanden.230 Für Fälle des § 303b II StGB wird hinsichtlich der Handhabung des beson­ deren öffentlichen Interesses vielfach nicht für eine zurückhaltende Ausle­ gung plädiert, da dies durch den besonderen Unrechtsgehalt und der daraus resultierenden Beeinträchtigung von Allgemeininteressen unangebracht wä­ re.231 Vom Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesse soll zudem auszugehen sein, wenn der Qualifikationstatbestand des § 303b II StGB oder ein in § 303b IV StGB genanntes Regelbeispiel gegeben sei.232 222  Hecker,

in: S/S-StGB, § 303c Rdnr. 6. in: MüKo-StGB, § 303c Rdnr. 7. 224  Saliger, in: S/S/W-StGB, § 303c Rdnr. 5; Wolff, in: LK-StGB, § 303c Rdnr. 13. 225  Wolf, Graffiti, S. 102. 226  Wolf, Graffiti, S. 102. 227  Heger, in: Lackner/Kühl-StGB, § 303c Rdnr. 2; Wieck-Noodt, in: MüKo-StGB, § 303c Rdnr. 7. 228  Hecker, in: S/S-StGB, §  303c Rdnr. 6; Altenhain, in: M/R-StGB, § 303c Rdnr. 7. 229  Zaczyk, in: NK-StGB, § 303c Rdnr. 11. Angenommen wurde ein besonderes öffentliches Interesse in einem Fall, in dem der Angeklagte den SIM-Lock mehrerer Handys aufhob, siehe AG Göttingen, Urt. v. 4.5.2011 – 62 Ds 51 Js 9946/10 = BeckRS 2011, 22591. 230  Hecker, in: S/S-StGB, § 303c Rdnr. 6. 231  Hecker, in: S/S-StGB, § 303c Rdnr. 6 m.w.N.; Saliger, in: S/S/W-StGB, § 303c Rdnr. 5; Wolff, in: LK-StGB, § 303c Rdnr. 13. 232  Bär, in: G/J/W, § 303b StGB Rdnr. 32. 223  Wieck-Noodt,

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Zum Teil wird die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses ab­ gelehnt, wenn lediglich generalpräventive Aspekte oder allgemeine Interes­ sen vorliegen, da die §§ 303 ff. StGB lediglich dem Schutz von Individual­ rechtsgütern dienen.233 k) Das besondere öffentliche Interesse bei den Delikten des Nebenstrafrechts aa) Das besondere öffentliche Interesse im Rahmen der §§ 17, 18, 19 UWG a. F., § 23 GeschGehG (1) Hinweis Die §§ 17–19 UWG sind aufgehoben worden. Nunmehr existiert mit § 23 GeschGehG eine Strafvorschrift, die ihnen nachfolgt. Die Norm entspricht im Wesentlichen den aufgehobenen Strafvorschriften.234 Weil der Gesetzge­ ber die Regelungen zur Strafverfolgung aus den Vorschriften des UWG ohne inhaltliche Abweichungen übernommen hat und übernehmen wollte235, wird das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung der nunmehr auf­ gehobenen Vorschriften dennoch dargestellt, weil eine parallele Auslegung wegen der Übernahme angezeigt ist. Von der Auslegung des besonderen öf­ fentlichen Interesses anhand der derzeitig noch geltenden Nr. 260a RiStBV wird auch in der Kommentierung zum § 23 GeschGehG ausgegangen.236 Der Gesetzgeber hat hier die Möglichkeit amtlichen Einschreitens geschaf­ fen, um dem öffentlichen Interesse an der Sicherung einer immer stärker auf die Sicherung von Know-How angewiesenen Gesellschaft einen höheren Stellenwert beizumessen.237 (2) Nr. 260a RiStBV Nr. 260a RiStBV liefert Anhaltspunkte für das besondere öffentliche Inter­ esse an der Strafverfolgung im Rahmen der §§ 17–19 UWG a. F. Maßgebend sollen hier wirtschaftsstrafrechtliche Vorstrafen, das Drohen oder Eintreten eines erheblichen Schadens, der Umstand, dass die Tat Teil eines gegen meh­ rere Unternehmen gerichteten Plans zur Ausspähung von Geschäfts- oder 233  Wieck-Noodt, 234  BT-Drs.

in: MüKo-StGB, § 303c Rdnr. 7. 19/4724, S. 40; BR-Drs. 382/18, S. 39; Dann/Markgraf, NJW 2019,

1774, 1778. 235  BT-Drs. 19/4724, S. 40. 236  Hohmann, in: MüKo-StGB, § 23 GeschGehG Rdnr. 177. 237  BT-Drs. 10/5058 S. 41.



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“187

Betriebsgeheimnissen ist oder der Verletzte in seiner wirtschaftlichen Exis­ tenz bedroht ist, sein. Damit wird auch mit Aspekten des Opferschutzes ein besonderes öffentliches Interesse begründet. Für Fälle des § 17 IV UWG a. F. bestimmt Nr. 260a II 1 RiStBV zudem, dass bei dessen Vorliegen nur ausnahmsweise das besondere öffentliche Inte­ resse verneint werden könne. Die besonders schweren Fälle des § 17 UWG a. F. umfassen gewerbsmäßiges Handeln, das Wissen, dass das Ge­ heimnis im Ausland verwertet werden soll sowie die Vornahme der Verwer­ tung eines zuvor beschafften Geheimnisses durch den Täter selbst. Dies soll auch in Fällen des § 18 UWG a. F. gelten, sofern der Täter davon ausgehe, dass das Geheimnis im Ausland verwertet werden soll oder er es selbst dort verwertet. Der Regelung liege der Gedanke zugrunde, dass die Verfolgungs­ möglichkeiten bei Auslandsbezug faktisch begrenzt seien und das öffentliche Interesse hierbei darin bestehe, dem Verletzten die schweren rechtlichen Schritte zu ersparen.238 (3) Auffassungen in der Literatur Auch in der Literatur wird zumeist auf die Aspekte der RiStBV zurückge­ griffen, wobei daneben zudem Aspekte wie bspw. gewerbsmäßiges Handeln und auftragsmäßige Industriespionage genannt werden.239 Verallgemeinernd wird ein besonderes öffentliches Interesse bei Besonderheiten des Täters oder dem Tatverhalten, besonders weitreichenden Tatfolgen oder einem be­ sonders sensiblen Tatobjekt angenommen.240 Nach einer engeren Auffassung soll ein besonderes öffentliches Interesse nur dann anzunehmen sein, wenn durch die Wirtschaftsspionage zugleich Allgemeininteressen wie bspw. Rüstungsfragen betroffen sind.241 Genau ent­ gegengesetzt will eine Auffassung das besondere öffentliche Interesse weit auslegen und lässt dabei jeden präventiven Aspekt, sowohl auf den Täter als auch bezogen auf die Allgemeinheit, ausreichen.242 In Bezug auf das besondere öffentliche Interesse im Rahmen der §§ 18, 19 a. F. UWG wird allgemein auf die Kriterien verwiesen, die auch für § 17 238  Metzger, in: FS-Stöckel, 287, 295. Metzger spricht in diesem Kontext zwar vom „öffentlichen Interesse“, aber es ist davon auszugehen, dass er das besondere öffentliche Interesse meint. 239  Brammsen, in: MüKo-Lauterkeitsrecht, § 17 UWG Rdnr. 165. 240  So Krell, in: G/J/W, § 17 UWG Rdnr. 85. 241  So Stier/Hasselblatt, in: G/N-UWG § 17 Rdnr. 81; Köhler, in: K/B/F-UWG § 17 Rdnr. 71. 242  So Heghmanns, in: M/G-WiStrR, Kap. 7 A. Teil 2 Rdnr. 36.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

UWG  a. F. gelten.243 Das liegt daran, dass Nr. 261a I RiStBV mit seinen Kriterien neben § 17 UWG a. F. auch die §§ 18, 19 UWG a. F. umfasst. bb) Das besondere öffentliche Interesse im Rahmen der §§ 142 IV PatentG, 25 IV GebrMG, 10 IV HalblSchG, 39 IV SortenSchG, 143 IV, 143a II i. V. m. 143 IV MarkenG, 51 IV, 65 II DesignG, 106, 107, 108 UrhG (1) Nr. 261a RiStBV Nr. 261a RiStBV regelt die Anforderungen, die an das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses im Rahmen der relativen Antragsdelikte des gewerblichen Rechtsschutzes zu stellen sein sollen. Genannt wird hier zunächst, dass sich aus einschlägigen Vorstrafen ein besonderes öffentliches Interesse ergeben können soll. Ferner soll ein solches anzunehmen sein, wenn ein erheblicher Schaden drohe oder eingetreten sei, der Verletzte durch die Tat in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht oder die öffentliche Sicherheit oder die Gesundheit der Verbraucher gefährdet sei.244 Weitere Aspekte werden auch in der Literatur nicht genannt. In der Regel wird lediglich auf die RiStBV verwiesen.245 Auch aus der Gesetzesbegrün­ dung zum PrPG geht lediglich hervor, dass durch die Installation der amt­ lichen Verfolgungsvariante die Möglichkeit geschaffen werden sollte, auch unabhängig vom Strafantrag zu agieren. Dies wurde unter dem Aspekt für notwendig erachtet, da aus diversen Gründen oftmals keine Strafanträge ge­ stellt würden.246 Wann dagegen ein Einschreiten von Amts wegen möglich sein soll, erläutert der Gesetzgeber nicht. Als Hauptproblem des Merkmals des Schadens wird es zum Teil angese­ hen, dass sich dieser häufig im Gegensatz zum Schaden bei Eigentums- und Vermögensdelikten nicht so gut beziffern lasse, was mit der Natur des imma­ teriellen Schadens begründet wird.247 Lediglich auf die Expektanzen des Rechteinhabers könne man abstellen, wobei das Problem aber darin liege, dass diese Erwerbsaussicht vage sei und nicht einmal im Rahmen des § 263 StGB geschützt werde.248 Vorgeschlagen wird zudem – unter Zugrundele­ Reinbacher, in: Leitner/Rosenau, § 18 UWG Rdnr. 20. in: Leitner/Rosenau, § 51 DesignG Rdnr. 33. 245  Siehe bspw. Zimmermann, in: G/J/W, § 10 HalblSchG, Rdnr. 44. 246  BT-Drs. 11/4792 S. 25. 247  Meier/Böhm, wistra 1992, 167, 168. 248  Meier/Böhm, wistra 1992, 167, 168. 243  Vgl.

244  Reinbacher



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“189

gung der Auffassung, das besondere öffentliche Interesse orientiere sich ebenfalls an den Aspekten der Strafzumessung im Sinne des § 46 II StGB – zu schauen, ob es sich noch um einen Durchschnittsfall handele. Ist das nicht mehr der Fall, was etwa bei einer (nicht starren) Grenze von 25–30 Exem­ plaren sein soll, liege kein besonderes öffentliches Interesse vor.249 (2) Weitere Auffassungen zu den Strafvorschriften des UrhG Mit Ausnahme des § 108a UrhG, welcher gewerbsmäßiges Handeln in den Fällen der §§ 106–108 UrhG erfasst, ist, wenn kein Strafantrag gestellt wurde, ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung erforder­ lich. Der Gesetzgeber hat die Umstellung zum relativen Antragsdelikt zeit­ gleich mit der Schaffung des § 108a UrhG eingeführt.250 Hinsichtlich der Lockerung des Antragserfordernisses ist aus der Gesetzesbegründung nur herzuleiten, dass die Handhabung solcher Fälle maßgeblich sei, bei denen typische Verhaltensweisen, involvierte Summen und krimineller Gehalt eine Rolle spielen.251 Die Verschärfung der Strafverfolgungsmöglichkeiten sollte insbesondere Fälle des Raubdrucks und des Musikdiebstahls erfassen.252 Nach einer Auffassung im Schrifttum wird vom Vorliegen eines solchen ausgegangen, wenn nicht nur eine Vielzahl illegaler Kopien angefertigt werde, sondern insbesondere bei Verbreitung bzw. öffentlichem Zugänglich­ machen aktueller Kinofilme etc.253 Stets anzunehmen sei es zudem dann, wenn der Täter zwar keine wirtschaftlichen Vorteile erziele, aber hohe Schä­ den verursache, indem bspw. erste illegale Veröffentlichungen im Internet erfolgen und somit weitere Verbreitungen ermöglicht werden.254 (a) Das besondere öffentliche Interesse nach Heghmanns Einen eigenständigen Katalog an Merkmalen, anhand derer ein besonderes öffentliches Interesse beurteilt werden soll, hat Heghmanns entwickelt. Ihm zufolge sollen die folgenden Aspekte ausschlaggebend sein.255 Zunächst komme ein besonderes öffentliches Interesse bei einer Tatbegehung durch Wiederholungstäter in Betracht; daneben in Fällen organisierten Handelns, etwa in Vereinen oder Computer-Clubs. Weiterhin könne ein solches bei ei­ 249  Meier/Böhm,

wistra 1992, 167, 168. 1985, S. 1137. 251  BT-Drs. 10/3360 S. 21. 252  Letzgus, in: FS-Rebmann, 277, 301. 253  Ruttke/Scharringhausen, in: Fromm/Nordemann, § 109 UrhG Rdnr. 17. 254  Ruttke/Scharringhausen, in: Fromm/Nordemann, § 109 UrhG Rdnr. 17. 255  Siehe zu den nachfolgenden Aspekten Heghmanns, NStZ 1991, 112, 116. 250  BGBl. I

190

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

ner Verbreitung mehrerer Programme gegen Entgelt angenommen werden sowie bei öffentlichem Anbieten ganzer Programmlisten, etwa in Zeitschrif­ ten. Zudem komme es bei einem privaten Tauschhandel in großem Stil, also beispielsweise bei Feststellung von überdurchschnittlich vielen Raubkopien, in Betracht, wobei Heghmanns davon ausgeht, dass ein Bestand von 100 raubkopierten (Spiel-)Programmen noch als normal zu anzusehen sei. Auch bei einer Verbreitung besonders wertvoller Programme sei die Annahme ei­ nes besonderen öffentlichen Interesses denkbar sowie schließlich beim Über­ winden tatsächlich einmal kopiergeschützter Software, soweit dies der Ver­ breitung dienen soll. Fälle aus der Rechtspraxis zeigen, dass ein besonderes öffentliches Interesse mit diesen Kriterien angenommen worden ist.256 Das Tauschen von Programmen unter Nutzern zum Selbstgebrauch soll dagegen grundsätzlich nicht genügen.257 (b) Das besondere öffentliche Interesse nach Heinrich Für die Annahme des besonderen öffentlichen Interesses bleibe nach Heinrich lediglich wenig Raum.258 Das wird mit folgender Überlegung begrün­ det259: Wenn schon für das öffentliche Interesse nach § 376 StPO im Bereich des Urheberstrafrechts nur ein Anwendungsfeld verbleibe, das jenseits des Pri­ vatbereichs, aber unterhalb der Gewerbsmäßigkeit liegt, ergebe sich für die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses noch weniger Raum.260 Nötig seien dazu Fälle, deren „Erscheinungsbild in krasser Weise von demje­ nigen des Durchschnittsdelikts abweicht“.261 Nimmt man die von Heghmanns entwickelten Kriterien als Ansatzpunkte, so soll das Vorliegen lediglich eines Merkmals nicht zur Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses füh­ ren.262

256  Vgl. AG Neumarkt, CR 1990, 406; AG Prüm, CR 1990, 406, 407; Hildebrandt, Die Strafvorschriften, S. 338. 257  Heghmanns, NStZ 1991, 112, 116. 258  Reinbacher, in: W/B-UrhR, § 109 Rdnr, 2. 259  Siehe zur folgenden Ausführung Heinrich, Die Strafbarkeit S. 329, 331 ff. 260  Auch Heinrich setzt daher voraus, dass zwischen den Begriffen ein Stufenver­ hältnis besteht. 261  Heinrich, Die Strafbarkeit S. 336. 262  Heinrich, Die Strafbarkeit S. 337.



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“191

(c) Das besondere öffentliche Interesse nach Hildebrandt Hildebrandt schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen von Heghmanns an, verneint aber im Gegensatz zu Heinrich das Erfordernis, dass mehrere Merkmale verwirklicht werden müssten.263 Das Merkmal der ein­ schlägigen Vorstrafen sei vor allem bei Jugendlichen vorsichtig zu handha­ ben, da es zu Bestrafungen im technischen Sinne gekommen sein müsse. Erforderlich wäre daher, dass tatsächlich Strafen ausgesprochen wurden. Zudem sei bei Zusammenschlüssen zu Vereinen zu fordern, dass diese sich zu diesem Zweck gegründet haben.264 Hinsichtlich der Auslegung der Merk­ male nach Nr. 261a RiStBV soll im Rahmen der Erheblichkeit des drohenden oder eingetretenen Schadens keine feste Grenze gesetzt werden. Vielmehr soll die Erheblichkeit durch die Opferperspektive bestimmt werden, sodass die Grenze desto höher anzusiedeln sei, je finanzkräftiger das betroffene Tat­ opfer ist.265 Das Merkmal des besonderen öffentlichen Interesses solle insge­ samt restriktiv ausgelegt werden, um der gesetzgeberischen Konzeption, eine allgemeine Kriminalisierung zu vermeiden, nicht zuwiderzulaufen. Zudem soll eine Wiedergutmachung im Wege einer nachträglichen vertraglichen Ei­ nigung gegen das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses spre­ chen.266 l) Zusammenfassung Verschiedenste Aspekte sollen es ermöglichen, die betreffende Tat unab­ hängig vom Strafantrag zu verfolgen. Die höchste Übereinstimmung hin­ sichtlich der das besondere öffentliche Interesse begründenden Merkmale liegt bei einschlägigen Vorstrafen und der Einschüchterung des Strafantrags­ berechtigten. Auch das Ausmaß der Rechtsverletzung, insbesondere die Er­ heblichkeit der Verletzungen oder im Nebenstrafrecht die drohende oder ein­ getretene Schadenshöhe werden als Begründungspunkte genommen. In di­ versen Bereichen wird die Vorrangigkeit der Entscheidung des Verletzten betont und das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses bezwei­ felt, wenn der Rechtsfrieden auf andere Weise wiederhergestellt bzw. wie­ derherzustellen ist. Damit wird die in der Literatur anzutreffende Forderung, das besondere öffentliche Interesse könne nur mit erschwerenden Umstän­ den angenommen werden, erfüllt. Deutlich wird durch die differenzierte Ausgestaltung zudem, dass es deliktsspezifische Unterschiede dahingehend 263  Hildebrandt,

Die Die 265  Hildebrandt, Die 266  Hildebrandt, Die 264  Hildebrandt,

Strafvorschriften, Strafvorschriften, Strafvorschriften, Strafvorschriften,

S. 338. S. 338 f. S. 339. S. 339.

192

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

gibt, wann eine Strafverfolgung von Amts wegen für erforderlich gehalten wird. Zu kritisieren ist die Auffassung, man könne ein besonderes öffentliches Interesse mit der Annahme rechtfertigen, dass andernfalls ein Strafantrags­ recht leerliefe.267 Fraglich ist in solchen Fällen, ob angesichts dieser Be­ fürchtungen eine Ausgestaltung als Antragsdelikt überhaupt sinnvoll ist oder nicht eher ein Offizialdelikt die bessere Alternative wäre. Die Begründung des besonderen öffentlichen Interesses anhand eines solchen Umstands fügt sich nicht in die Aspekte ein, die nach derzeitigem Verständnis zur Annahme dessen führen. 2. Das öffentliche Interesse in §§ 153, 153a StPO

a) Gleiches Begriffsverständnis in §§ 153, 153a StPO Für das Verständnis des Begriffs ist zu fragen, ob sich dieser in den beiden Normen identisch auslegen lässt. Das öffentliche Interesse im Rahmen des § 153a StPO wird nach herrschender Meinung begrifflich mit dem des § 153 StPO gleichgesetzt.268 Ausgangspunkt ist zunächst die Verknüpfung der Nor­ men. Besteht kein öffentliches Interesse, greift § 153 StPO; besteht es, greift § 153a StPO. Insofern liegt ein identisches Verständnis nahe. Ebenfalls spricht der gleiche Bezugspunkt dafür. Wenn § 153a StPO – ebenso wie das besondere öffentliche Interesse – von Strafverfolgung, § 153 StPO dagegen nur von Verfolgung spricht, lässt sich eine differierende Auslegung damit aber nicht begründen.269 Untermauert wird dies durch die obige Feststellung, dass die Bezugspunkte das strafrechtliche Verfahren sind. Hanack tritt einer gleichartigen Auslegung mit dem Argument entgegen, dass es bei § 153 StPO um die Frage geht, ob ein öffentliches Interesse be­ steht oder nicht, während § 153a StPO danach fragt, ob es beseitigt werden kann.270 Dem lässt sich wiederum der systematische Zusammenhang der Normen entgegenhalten. Die gesetzgeberisch gewollte Konzeption des Zu­ sammenspiels der Normen erreiche man nur bei gleichem Begriffsverständ­ nis.271

267  So aber BT-Drs. 16/3656 S. 12; Altenhain, in: M/R-StGB, § 205 Rdnr. 2; Graf, in: MüKo-StGB, § 205 Rdnr. 1. 268  Vgl. statt vieler Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153a Rdnr. 31. 269  Untersteller, Der Begriff, S. 49. 270  Hanack, in: FS-Gallas, 339, 353. 271  Zutreffend Untersteller, Der Begriff, S. 49.



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“193

Zu beachten ist hierbei, dass § 153a StPO nicht auf eine geringe Schuld abstellt, sondern die Schwere der Schuld lediglich einer Einstellung nicht entgegenstehen darf. Daraus wird zum Teil gefolgert, dass eine Einstellung nicht in Betracht komme, wenn besonders schwere Fälle vorlägen.272 Für die Frage des öffentlichen Interesses ist die der Schuld aber grundsätzlich, sofern man die Gesetzessystematik ernst nimmt, nicht von Bedeutung, da es sich um zwei Merkmale handelt, die kumulativ Bedeutung erlangen. Auszugehen ist im Ergebnis davon, dass der Begriff des öffentlichen Interesses in den §§ 153, 153a StPO gleich auszulegen ist. b) Inhaltliche Auslegung aa) Eigenständige Bedeutung des Merkmals „öffentliches Interesse“ Der erste Streitpunkt betrifft bereits die Frage, ob dem Merkmal des öf­ fentlichen Interesses im Rahmen dieser Norm überhaupt eine eigenständige Funktion zukommt. Vertreten wird, dass die von der überwiegenden Auffas­ sung herangezogenen Aspekte der General- und Spezialprävention schon solche der Schuld seien und dem Merkmal des öffentlichen Interesses keine eigenständige Funktion mehr zukomme.273 Dagegen wird eingewandt, dass das öffentliche Interesse im § 153a StPO Eckpunkt der dortigen Regelung sei.274 Einen eigenständigen Anwendungs­ bereich muss dieses Merkmal somit haben.275 Weiterhin ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm, dass das fehlende öffentliche Interesse zum Merkmal der geringen Schuld hinzutreten muss, sich der Gesetzgeber also von ihm eine gewisse Funktion verspricht. Das Merkmal des öffentlichen Interesses be­ zeichne spezielle Gesichtspunkte des Allgemeininteresses an der Durchset­ zung des staatlichen Strafanspruchs.276 bb) Das Verhältnis des Schuldmerkmals zum öffentlichen Interesse Auch wenn der Wortlaut des § 153 I StPO kumulativ fordert, dass die Schuld des Täters als gering anzusehen sein muss und kein öffentliches Inte­ 272  Scheinfeld,

in: FS-Herzberg, 843, 846. GA 1997, 404, 415. 274  Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 21; siehe auch BT-Drs. 12/1217, S. 34; Fezer, ZStW 106 (1994), 1, 31. 275  Siehe auch BR-Drs. 328/64. 276  Hanack, in: FS-Gallas, 339, 347. 273  M.-K. Meyer,

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

resse an der Verfolgung besteht, entspricht es dem herrschenden Verständnis, dass eine gänzlich trennscharfe Abgrenzung der Begriffe nicht möglich sei.277 Denn für die Auslegung des öffentlichen Interesses sollen wesentliche Fakto­ ren der Bemessung der Strafzumessungsschuld ebenfalls zu berücksichtigen sein.278 Die geringe Schuld wird mit der herrschenden Meinung als Strafzu­ messungsschuld im Sinne des § 46 StGB verstanden.279 Zudem wirke sich das Verschulden vielfach auf das Bedürfnis nach Generalprävention und so­ mit auf das öffentliche Interesse aus.280 Dennoch müssen aber beide Elemente gesondert erörtert werden.281 Das hindert jedoch nicht daran, eine gewisse wechselseitige Beeinflussung anzu­ nehmen, sodass bei einer gewissen Schuldschwere auch ein öffentliches Inte­ resse anzunehmen sein soll.282 cc) Zum Inhalt Das öffentliche Interesse ist nach zutreffender Auffassung ein unbestimm­ ter Rechtsbegriff.283 Wie er inhaltlich auszulegen ist, ist seit Schaffung der Einstellung aus Opportunitätsgründen Gegenstand wissenschaftlicher Diskus­ sion. Das Merkmal ist vielfältiger Kritik ausgesetzt.284 Das öffentliche Inte­ resse sei nicht messbar und stelle das Ergebnis der Summe sich widerstrei­ tender Interessen dar,285 bzw. sei es unklar und nicht hinreichend objektivier­ bar.286 Es ist aus neuerer Zeit insbesondere das Verdienst von Untersteller, sich mit der inhaltlichen Auslegung des Begriffs im Rahmen des § 153 StPO befasst zu haben. Die nachfolgenden Aussagen orientieren sich in Hinblick auf die Systematisierung vorwiegend an seiner Untersuchung.287 Allein die Frage, ob eine isolierte Betrachtung des Begriffs möglich ist oder ob sich Überschneidungen mit dem Schuldmerkmal ergeben, verdeut­ 277  Beulke,

in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 23 m. w. N. für § 153a StPO Fezer, ZStW 106 (1994), 1, 29 f. 279  Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 25, 27. 280  Metzger, in: FS-Stöckel, 287, 290. 281  Metzger, in: FS-Stöckel, 287, 291. 282  Fezer, ZStW 106 (1994), 21, 31. 283  M.-K. Meyer, GA 1997, 404; Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, § 152 Rdnr. 7; a. A. Peters, in: MüKo-StPO, § 153 Rdnr. 27. 284  So Rieß, NStZ 1982, 1, 8; „sehr weit“ wird der Begriff von Kulhanek, in: K/M/R StPO, 93. EL (August 2019), § 376 Rdnr. 1 genannt. 285  Schoreit, in: KK-StPO (6. Aufl.), § 153a Rdnr. 12. 286  Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 14 Rdnr. 6 Fn. 1. 287  Untersteller, Der Begriff „öffentliches Interesse“ in den §§ 153 StPO, 45 JGG, 2015. 278  So



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“195

licht die Komplexität dieser Begriffsauslegung. Diese Abgrenzungsfrage kann nicht Gegenstand dieser Abhandlung sein. Vielmehr muss als Prämisse festgesetzt werden, dass der Begriff, da er ein zusätzliches Merkmal bildet, einen eigenständigen Anwendungsbereich hat und einer inhaltlichen Ausge­ staltung zugänglich ist. (1) Die Strafzwecke als Auslegungsaspekte Weitgehend besteht im Schrifttum Einigkeit hinsichtlich der Auslegung des öffentlichen Interesses anhand der Strafzwecke.288 Ebenso besteht Einig­ keit dahingehend, dass lediglich die präventiven Strafzwecke heranzuziehen sind.289 Die Unbeachtlichkeit der Vergeltung im Rahmen des öffentlichen Interesses wird mit der systematischen Erwägung begründet, dass dieser As­ pekt die Schuldfrage und somit beim Merkmal „geringe Schuld“ (bzw. bei § 153a StPO bei der Schuldschwere) zu prüfen sei.290 Aber auch die Auslegung anhand der Strafzwecke wird nicht allgemein geteilt. Eine solche Vorgehensweise wird zum Teil mit der Begründung kriti­ siert, dass die Ungeeignetheit dieser Formeln zu widersprechenden Entschei­ dungen führe.291 Kunz führt als Beispiel an, dass beim Ladendiebstahl wegen der Häufigkeit solcher Delikte eine Verfolgung angezeigt sei, gleichzeitig aber wegen der Geringfügigkeit jedenfalls bei Ersttätern nach §§ 153, 153a StPO verfahren werden könne.292 Gegen ein solches Verständnis wird zudem eingewandt, dass Überlegungen zu den Strafzwecken erst dann eine Rolle spielen könnten, wenn die schuldhafte Tatbegehung gewiss sei.293 In Fällen des § 153 StPO bedürfe es aber keiner Feststellung einer schuldhaften Tatbe­ gehung. Das sage § 153 I StPO sehr deutlich, indem von einer hypotheti­ schen geringen Schuld gesprochen werde.294 Zudem wird kritisiert, dass auf diese Weise die präventiven Strafzwecke von der Schuldbewertung abge­ trennt werden, was straftheoretisch nicht überzeugend sei.295 288  Dieser Begründungsansatz geht zurück auf Hohmann, Der Begriff des öffent­ lichen Interesses in den §§ 376, 153 StPO und 232 StGB, 1971; siehe Magnus, GA 2012, 621, 623 m. w. N.; Beukelmann, in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, § 153 Rdnr. 20; Gercke, in: Anwalt-Kommentar-StPO, § 153 Rdnr. 5; Peters, in: MüKo-StPO, § 153 Rdnr. 29. 289  Rieß, NStZ 1981, 2, 8; Metzger, in: FS-Stöckel, 287, 288 m. w. N. 290  Untersteller, Der Begriff, S. 108 ff. 291  Kunz, Die Einstellung, S. 38 f. 292  Kunz, Die Einstellung, S. 39. 293  Weßlau, in: SK-StPO (4. Aufl.), § 153 Rdnr. 20. 294  BVerfGE 82, 106, 116; Meyer-Goßner/Schmitt, § 153 Rdnr. 3. 295  Weßlau, in: SK-StPO (4. Aufl.), § 153 Rdnr. 19.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

(a) Einzelheiten zum Strafzweck der Spezialprävention Hinsichtlich der spezialpräventiven Aspekte soll es darauf ankommen, ob dem Täter die Einstellung als Warnung dienen und ihn von weiteren Straf­ taten abhalten werde. Als gesetzliche Anknüpfungsunkte im materiellen Recht gelten hierbei die §§ 46 II a. E., 47 I 1. Var. und 56 I StGB.296 Das soll insbesondere dann zu verneinen sein, wenn der Täter vorbestraft sei.297 Ein öffentliches Interesse werde demnach anzunehmen sein, wenn bei einer Ein­ stellung ohne Auflagen damit zu rechnen sei, dass weitere Taten durch den Beschuldigten zu erwarten seien. Auch die Eigenschaft als Ersttäter könne daher der Einstellung entgegenstehen, wenn die Einstellung als Ermunterung für den Täter wirken würde oder wenn Wiederholungsgefahr bestehe.298 Im Rahmen der Auseinandersetzung mit den Vorbelastungen des Täters, muss nach Untersteller differenziert werden. Eine vorangegangene Einstel­ lung des Verfahrens nach § 153 StPO soll als Anknüpfungspunkt deshalb ausscheiden, weil der Schuldvorwurf nicht bestätigt sein muss und der Be­ schuldigte in Hinblick auf die Frage, ob nach § 153 StPO eingestellt wird, kein Mitspracherecht habe. Die Verfahrenseinstellung könne daher nicht zu seinen Lasten gehen.299 In diesem Zusammenhang wird auch die innere Einstellung des Täters problematisiert. Geläufig sind hierbei Formulierungen wie gesellschafts- oder rechtsfeindliche Gesinnung. Das öffentliche Interesse soll vorliegen, wenn die Einstellung des Täters auf Aspekten beruhe, die mit wesentlichen demo­ kratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringen seien.300 Der strafrechtlichen Würdigung solcher Gesinnungsmerkmale hat der Gesetzgeber jüngst verstärktes Gewicht beigemessen. Durch eine Geset­ zesänderung sind in § 46 StGB diverse Merkmale aufgenommen worden, die als relevant für die Strafzumessung angesehen werden.301 Diese decken sich mit den bereits im Rahmen von Nr. 234 I RiStBV genannten Aspekten.

296  Magnus,

GA 2012, 621, 623 f. in: SK-StPO, § 153 Rdnr. 21; Schäfer/Sander/van Gemmeren Praxis der Strafzumessung, Teil 2, Rdnr. 39; In diesem Fall sogar ein besonderes ­öffentliches Interesse annehmend Eckl, JR 1975, 99, 100. 298  Diemer, in: KK-StPO, § 153 Rdnr. 14. 299  Untersteller, Der Begriff, S. 131 f. 300  Siehe bspw. Peters, in: MüKo-StPO, § 153 Rdnr. 30; Pfordte, in: NK-GesStrR, § 153 StPO Rdnr. 3. 301  Gesetz v. 12.6.2015, BGBl. I, S. 925. 297  Weßlau/Deiters,



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“197

(b) Einzelheiten zum Strafzweck der Generalprävention Dagegen betreffen die generalpräventiven Aspekte die Belange der Allge­ meinheit. Hierbei geht es um die Abschreckung vor der Begehung von Straf­ taten und die Bekräftigung der Geltung von Normen302 bzw. um die Be­ stands- und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung.303 Der gesetzliche An­ knüpfungspunkt für die Generalprävention wird in den §§ 47 I 2. Var., 56 III, 59 I Nr. 3 StGB erblickt.304 Daneben geht es um den Erhalt sozialethischer Werte305 sowie um die Erhaltung der Rechtstreue der Bürger. Dieser Aspekt wird vor allem bei einer gewissen Häufigkeit gleichartiger Delikte zum Tra­ gen kommen.306 Im Bereich der Ladendiebstähle und der leichten Körperver­ letzungen könne sich das öffentliche Interesse ergeben, weil und wenn die betreffenden Delikte eine überproportionale Tendenz aufweisen, was anhand der Steigerungsraten der PKS zu ermitteln sei.307 Bisweilen wird in diesem Zusammenhang auch der Berücksichtigung der Belange des Verletzten Rechnung getragen.308 Ein öffentliches Interesse soll daher auch dann vorliegen können, wenn durch eine Nichtverfolgung die berechtigten Interessen des Verletzten beeinträchtigt werden würden309 bzw. die Interessen des Verletzten in besonders starker Weise verletzt wurden.310 Hierzu wird es auch zu zählen sein, wenn ein öffentliches Interesse mit der Verhinderung weiteren Schadens für den Verletzten begründet wird.311 Zunächst sollen die Tatfolgen ein zu beachtender Punkt im Rahmen der Generalprävention sein. Bis zur Neufassung im Jahre 1964 haben die Tatfol­ gen maßgeblichen Einfluss auf die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung gehabt. Weil das Merkmal aus dem Gesetz durch das „öffentliche Interesse“ ersetzt worden ist, wird zum Teil geschlossen, dass diesem Punkt nun keine

302  Lackner/Kühl-StGB,

§ 46 Rdnr. 28. AT, § 3 Rdnr. 16. 304  Magnus, GA 2012, 621, 624. 305  Dencker, JZ 1973, 144, 147 m. w. N. 306  Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 31. 307  Kühne, Strafprozessrecht, § 35 Rdnr. 588, Fn. 48. 308  Umstritten ist hierbei, ob es sich dabei um einen eigenständigen Strafzweck handelt. Nachweise hierzu bei Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 32 Fn. 100; ausführlicher hierzu S. 202 f. 309  Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 32; enger Kulhanek, in: K/M/RStPO, 89. EL (Februar 2019), § 153 Rdnr. 12, der die berechtigten Interessen nur bei besonders starken Beeinträchtigungen genügen lassen will; so auch Diemer, in: KKStPO, § 153 Rdnr. 15. 310  So Hellmann, Strafprozessrecht, Rdnr. 556. 311  Beulke/Fahl, NStZ 2001, 429. 303  Rengier,

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Bedeutung mehr zukomme.312 Dem wird jedoch zutreffend entgegengehal­ ten, dass die Neufassung keineswegs zu bedeuten hat, dass den Tatfolgen keine Relevanz mehr beigemessen wird. Vielmehr ist es lediglich um eine Umgestaltung derart gegangen, dass eine flexiblere Handhabung der Norm ermöglicht werden sollte.313 Als Anhaltspunkte für die Bestimmung der Tat­ folgen lässt sich bei Vermögensdelikten die Höhe des finanziellen Schadens heranziehen. Bei Körperverletzungsdelikten soll die Schwere der Verletzun­ gen maßgeblich sein. Beachtet werden muss hierbei der Umstand, dass we­ gen der prinzipiellen Anwendbarkeit des § 153 I StPO sogar in Fällen des § 222 StGB314 die Folgen allein nicht ausschlaggebend sein können. Für manche sind die Tatfolgen das zentrale Element der Bestimmung, ob ein öf­ fentliches Interesse anzunehmen sei.315 Gewisse Straftatbestände enthalten Sonderregeln für Personen, denen ein bestimmter Status zukommt. So stellt die Körperverletzung im Amt nach § 340 StGB einen Qualifikationstatbestand gegenüber dem § 223 StGB dar, der einschlägig sein kann, wenn der Täter Amtsträger ist. Manche Delikte schützen hingegen Personen mit einem solchen Status. So gibt es bspw. spe­ zielle Vorschriften, die Amtsträger während ihre Dienstausübung unter einen besonderen strafrechtlichen Schutz stellen, so etwa §§ 113, 114 StGB. Daraus lässt sich ableiten, dass das Strafgesetz bestimmten Personengrup­ pen eine besondere Behandlung zugutekommen lassen will. Fraglich ist nun, ob sich mit diesem Aspekt auch das öffentliche Interesse im Sinne der §§ 153, 153a StPO begründen lässt. Das wird zum Teil gänzlich abgelehnt.316 Andere wollen nur die Stellung des Täters im öffentlichen Leben als Aspekt des öffentlichen Interesses gelten lassen317; wieder andere die Stellung des Verletzten.318 Der erhöhte Unrechtsgehalt bei Taten von Personen im öffentlichen Leben wird aus generalpräventiver Sicht zur Begründung eines öffentlichen Interes­ ses als tauglich erachtet.319 Hierzu ist zweierlei zu sagen. Zunächst muss 312  M.-K. Meyer,

GA 1997, 404, 411. GA 2012, 621, 625. 314  Siehe OLG Hamm NJW 1965, 1820. 315  Krümpelmann, Die Bagatelldelikte, S. 210 ff.; Magnus, GA 2012, 621, 632. 316  Schöch, in: AK-StPO, § 153 Rdnr. 23; Gercke, in: Anwalt-Kommentar-StPO, § 153 Rdnr. 5; in Bezug auf die Stellung des Täters Schoreit, in: KK-StPO (6. Aufl.), § 153 Rdnr. 23; Beukelmann, in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, § 153 Rdnr. 21. 317  Diemer, in: KK-StPO, § 153 Rdnr. 14. 318  Meyer-Goßner/Schmitt, § 153 Rdnr. 7; Kulhanek, in: K/M/R-StPO, 89. EL (Fe­ bruar 2019), § 153 Rdnr. 12. 319  Hoven, JuS 2014, 975, 976. 313  Magnus,



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“199

beachtet werden, dass das Merkmal der Stellung im öffentlichen Leben we­ nig aussagekräftig dahingehend ist, in welche Richtung diese Stellung gehen muss. In der Literatur wird in Bezug auf diesen Aspekt jedenfalls gefordert, dass die Prominenz eines Menschen nicht dazu führen darf, dass ihm die Verfahrenseinstellung von Vornherein versagt bleibt.320 Weiterhin muss be­ achtet werden, dass der Gesellschaftsstatus nicht stets eine erhöhte Verant­ wortlichkeit für eigenes Handeln bedeutet.321 Wann dies der Fall ist, regeln nämlich in erster Linie die Gesetze selbst wie bspw. § 340 StGB. Nach Untersteller führt ein Angriff auf bestimmte Personen im öffentli­ chen Leben, welche dem Staat zuzurechnen sind, mittelbar zu einem Angriff auf den Staat selbst.322 Daraus resultiere seiner Ansicht nach ein größeres Bedürfnis der Allgemeinheit, die Normbestätigung durchzusetzen.323 Eine weitere Frage besteht dahingehend, ob ein besonders geringer Schuld­ grad dafür sorgen kann, dass ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung entfällt. Das Schrifttum nimmt dies vielfach an.324 Die Einbeziehung des Schuldaspekts im Rahmen des öffentlichen Interesses erscheint zwar system­ widrig, wird aber aus dem Gedanken heraus vorgenommen, dass das Merk­ mal „geringe Schuld“ selbst keine Abstufungen hinsichtlich des Grades der Schuld zulasse.325 Trotz der Notwendigkeit des Vorliegens beider Merkmale wurde bereits dargestellt, dass Überschneidungen zwischen den Begriffen nicht auszuschließen sind, weswegen eine Verortung von Schuldaspekten ­jedenfalls nicht von Vornherein ausgeschlossen ist. (2) Außerhalb der Strafzwecke liegende Umstände Umstritten ist, ob auch Umstände, die nicht den Sanktionszwecken zuge­ ordnet werden können, das öffentliche Interesse an der Verfolgung begründen können. Das wird zum Teil gänzlich abgelehnt.326 Andere wollen solche Umstände dann zulassen, wenn sie zumindest einen Zusammenhang zu den Strafzwecken aufweisen.327

320  Magnus,

GA 2012, 621, 634; Beulke/Fahl, NStZ 2001, 426, 429. GA 2012, 621, 634. 322  Untersteller, Der Begriff, S. 170. 323  Untersteller, Der Begriff, S. 170. 324  Schoreit, in: KK-StPO (6.  Aufl.), §  153 Rdnr.  21; Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 31; Gercke, in: Anwalt-Kommentar-StPO, § 153 Rdnr. 5. 325  Untersteller, Der Begriff, S. 204 f. 326  Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 33; Rieß, in: LR-StPO (24. Aufl.), § 153 Rdnr. 25. 327  Untersteller, Der Begriff, S. 182 ff. 321  Magnus,

200

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Innerhalb des Komplexes der außerstrafrechtlichen Aspekte haben sich verschiedene Fallgruppen gebildet, die für die Beurteilung eines öffentlichen Interesses von Bedeutung sein sollen. (a) Interesse an der Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung Das Interesse an der Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung aus reinen Rechtsgründen wird heute vielfach grundsätzlich nicht für ausreichend angesehen.328 Anderes hat ausdrücklich gegolten, als § 153 StPO 1924 durch § 23 der Emminger Verordnung329 geschaffen worden ist.330 Ein öffentliches Interesse war anfangs nur in § 153 I 1 StPO relevant. Übertretungen sind grundsätzlich nicht verfolgt worden, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen gewesen und die Folgen der Tat unbedeutend gewesen sind, es sei denn, dass ein öffentliches Interesse an der Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung bestanden hat. Ein solches ist bei Übertretungen dann ange­ nommen worden, wenn zur Beseitigung von Zweifeln über die Rechtsgültig­ keit der übertretenen Vorschrift eine grundsätzliche Entscheidung geboten erschien.331 Der Ungeeignetheit für die Annahme eines öffentlichen Interesses wird jedoch entgegen gehalten, dass es bei einem Verständnis des öffentlichen Interesses anhand der Präventionszwecke zwingend erforderlich sei, Klarheit über das Gesetzesverständnis zu haben.332 Eine Ausnahme wird auch von der ablehnenden Auffassung für das Inte­ resse an der Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung zugestanden, wenn das Maß der Schuld davon abhängt oder die Einbürgerung von Unge­ setzlichkeiten verhindert werden soll.333 Einschränkend wird nach einer Auffassung das Klärungsinteresse zugestanden, wenn es sich um außerge­ wöhnliche Einzelfälle handele.334 328  Meyer-Goßner/Schmitt, § 153 Rdnr. 8; Beukelmann, in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, § 153 Rdnr. 22; Rieß, NStZ 1981, 2, 8. 329  Verordnung über die Gerichtsverfassung und die Strafrechtspflege vom 4.1.1924, RGBl. I S. 15. 330  Zur Geschichte des § 153 StPO siehe auch Krümpelmann, S.  202 ff. 331  So Rosenberg, in: LR-StPO (17.Aufl.), § 153 Anm. 5 mit Verweis auf die Be­ kanntmachung des Bayerischen Justizministeriums vom 28.3.1924. 332  Metzger, in: FS-Stöckel, 287, 298. 333  Meyer-Goßner/Schmitt, § 153 Rdnr. 8; Kulhanek, in: K/M/R-StPO, 89. EL (Fe­ bruar 2019), § 153 Rdnr. 13; Diemer, in: KK-StPO, § 153 Rdnr. 15; Boxdorfer, NJW 1976, 317, enger wohl Hobe, in: FS-Leferenz, 629, 643. 334  So Diemer, in: KK-StPO, § 153 Rdnr. 16, allerdings ohne anzugeben, wann ein solch außergewöhnlicher Einzelfall anzunehmen sein soll.



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“201

Ein ebenfalls diesem Aspekt zuzuordnender Fall ist die Frage, ob ein öf­ fentliches Interesse damit begründet werden kann, dass im Falle einer Ver­ urteilung eine verwaltungsrechtliche Maßnahme, etwa zur Entziehung der Approbation als Arzt oder der Zulassung als Anwalt in Betracht kommt. Dieser Umstand wird überwiegend als ungeeignet angesehen. Begründet wird dies damit, dass es keine Aufgabe des Strafrechts sei, Entscheidungen von Verwaltungsbehörden vorzubereiten.335 (b) Das Interesse der Allgemeinheit an der Klärung der konkreten Straftat Auch dieser Umstand soll ein öffentliches Interesse begründen können, bspw. um einen kriminogenen Hintergrund zu klären.336 Nicht ausreichend für die Begründung des öffentlichen Interesses soll dabei aber sein, dass es sich bei dem Beschuldigten um eine prominente Person handelt.337 (c) Die Tat erregt Aufmerksamkeit Umstritten ist hierbei auch die Frage, inwieweit mediale Berichterstattun­ gen in die Beurteilung mit einzubeziehen sind. Nach einer Auffassung ist die Intensität der Berichterstattung als Indiz für das Vorliegen eines öffentlichen Interesses anzusehen.338 Allein dieser Umstand soll jedoch nach überwiegender Auffassung für die Annahme eines öffentlichen Interesses nicht ausreichen.339 Das „öffentliche Interesse“ dürfe begrifflich nicht mit einer „öffentlichen Interessiertheit“ gleichgesetzt werden.340 Der BGH hat in einer Entscheidung, die das öffent­ liche Interesse an der Strafvollstreckung betraf341, klargestellt, dass sich die­ ses nicht nach der medialen Berichterstattung bemesse.342 Die Ungeeignetheit wird damit begründet, dass der Zweck des § 153 StPO in der Einsparung von Ressourcen, Verfahrensbeschleunigung und Konzentration auf schwerer Kri­ minalität liege. Daher rechtfertige mediales Interesse für sich genommen die Verfahrensfortführung nicht.343 335  Homann,

Der Begriff, S. 106; Untersteller, Der Begriff, S. 198. § 153 Rdnr. 7. 337  Beukelmann in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, § 153 Rdnr. 21. 338  Diemer, in: KK-StPO, § 153 Rdnr. 15. 339  Beukelmann, in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, § 153 Rdnr. 21; Schöch, in: AK-StPO, § 153 Rdnr. 23. 340  Scheinfeld, in: FS-Herzberg, 843, 866; H. Fischer, Die Erklärung, S. 34. 341  § 23 III Ziff. 1 StGB a. F. setzte für eine Freilassung auf Bewährung u. a. vo­ raus, dass kein öffentliches Interesse an der Strafvollstreckung besteht. 342  BGHSt 20, 138, 140. 343  Peters, in: MüKo-StPO, § 153 Rdnr. 28. 336  Meyer-Goßner/Schmitt,

202

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

(d) Die Beachtlichkeit von Verletzteninteressen Inwieweit das Genugtuungsinteresse des Verletzten Berücksichtigung zu finden haben soll, ist umstritten. Zum Teil wird deren Relevanz anerkannt, indem in den Verletzteninteressen ein eigenständiger Strafzweck erblickt wird.344 Nach überwiegender Ansicht soll dieser Aspekt für die Annahme eines öffentlichen Interesses nicht ausreichen. Zur Begründung wird zunächst auf den Wortlaut verwiesen, der von einem öffentlichen Interesse spreche, wohingegen das Genugtuungsinteresse ein Privatinteresse darstellt. Privat­ interessen seien aber keine öffentlichen Interessen.345 An seine Grenzen stößt dieser Aspekt in jedem Fall bei Delikten, die keinen materiell Verletzten ha­ ben, wie etwa die Urkundenfälschung nach § 267 StGB. Das Fehlen eines Verletzten und daher das Fehlen eines möglichen Genugtuungsinteresses mindere das öffentliche Interesse.346 Aus systematischer Sicht wird zudem richtigerweise auf § 376 StPO verwiesen.347 Aus dem Antragserfordernis er­ gibt sich, dass das Genugtuungsinteresse des Strafantragsberechtigten zur Verfolgung des Antragsdelikts führt. Wenn nun § 376 StPO einen Strafantrag voraussetzt und erst dann relevant wird, ob die Erhebung der öffentlichen Klage im öffentlichen Interesse liegt, folgt daraus eindeutig, dass das Genug­ tuungsinteresse an sich kein öffentliches Interesse begründet.348 Daneben ist nach § 172 StPO das Klageerzwingungsverfahren ausgeschlossen, wenn eine Einstellung nach § 153 StPO erfolgte. Dadurch stellt der Gesetzgeber klar, dass ein Klageerzwingungsverfahren nicht damit begründet werden kann, dass der Verletzte aus Genugtuungsinteressen die Verfahrenseinstellung für falsch hält. Auch gemessen am Zweck der Strafverfolgung, der nicht in der Kompensation erlittenen Unrechts gesehen wird, ist die Beachtlichkeit des Genugtuungsinteresses als nicht geeignet anzusehen, ein öffentliches Inte­ resse zu begründen.349 Auch ein durch Rücknahme eines Strafantrages zum Ausdruck kommen­ des entfallenes Strafverfolgungsinteresse des Verletzten soll für die Beurtei­ lung des öffentlichen Interesses von Bedeutung sein.350 Hierbei ist jedoch fraglich, ob dieser Aspekt im Rahmen des § 153 StPO überhaupt Beachtung finden kann. Wird ein gestellter Strafantrag zurückgenommen, entfällt eine 344  Siehe

hierzu auch S. 197. Die Abschlußentscheidung, S. 150. 346  Magnus, GA 2012, 621, 634; Beulke/Fahl, NStZ 2001, 426, 429. 347  Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 32. 348  Siehe zum Genugtuungsinteresse im Rahmen des § 153 StPO auch Homann, Der Begriff, S. 75 f. 349  Weßlau/Deiters, in: SK-StPO, § 153 Rdnr. 23. 350  Rieß, Gutachten, C 19 Rdnr. 19. 345  Bohnert,



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“203

Verfahrensvoraussetzung und ein Verfahrenshindernis entsteht. Das führt zur Unanwendbarkeit des § 153 StPO.351 (3) D  as öffentliche Interesse nach Ansicht der Autoren, die es nicht mit den Strafzwecken gleichsetzen bzw. das Merkmal ablehnen Wie oben ausgeführt, wird die inhaltliche Auslegung des öffentlichen Inte­ resses anhand der general- und spezialpräventiven Strafzwecke nicht allge­ mein geteilt. Konsequenzen, die sich in Hinblick auf etwaige Abweichungen hinsichtlich der inhaltlichen Auslegung ergeben könnten, werden jedoch nicht gezogen. Es wird zum Teil dafür plädiert, auf das Merkmal des öffent­ lichen Interesses zu verzichten.352 Für die weitere Untersuchung kann diese Auffassung unbeachtet bleiben, da die Prämisse aufgestellt wurde, dass der Begriff des öffentlichen Interesses einen eigenständigen Gehalt haben müsse. (4) Umstände, die das öffentliche Interesse entfallen lassen können Neben Umständen, die ein öffentliches Interesse begründen können, gibt es auch solche, die dem Bestehen eines öffentlichen Interesses entgegenwir­ ken. Hierbei wird insbesondere ein Zeitablauf zwischen der Tat und ihrer Entdeckung angeführt.353 Hinsichtlich der überlangen Verfahrensdauer ist älterer Rechtsprechung zufolge eine Einstellung nach § 153 StPO möglich gewesen, sofern die überlange Dauer nicht vom Beschuldigten zu vertreten sei.354 Die neuere Rechtsprechung verortet diesen Punkt nicht mehr beim öffentlichen Interesse, sondern im Bereich der Strafzumessung.355 Die Ge­ genauffassung hält eine Reduktion der Schuld als auch des öffentlichen Inte­ resses für gegeben, sodass § 153 StPO zum Zuge kommen könne.356 Inwie­ weit diesen Aspekten im Rahmen der relativen Antragsdelikte begegnet werden kann, ist fraglich. Die überlange Verfahrensdauer erscheint im Be­ reich der Straftaten des Nebenstrafrechts plausibel; der Aspekt der Tatprovo­ kation dagegen kaum denkbar.

351  Beulke,

in: LR-StPO (26. Aufl.), § 152 Rdnr. 30. GA 1997, 404, 417. 353  Meyer-Goßner/Schmitt, § 153 Rdnr. 7. 354  BVerfG NJW 1984, 967; siehe hierzu auch LG Aachen, JZ 1970, 507, 519 f. 355  Dazu und Nachweise bei Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 34. 356  Bspw. Rieß, in: LR-StPO (24. Aufl.), § 153 Rdnr. 31. 352  M.-K. Meyer,

204

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

c) Zusammenfassung Die inhaltliche Auslegung des öffentlichen Interesses in den §§ 153, 153a StPO ist umstritten und hinsichtlich der tragfähigen Aspekte weit gefächert. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse anhand der Strafzwecke auszulegen sei. Was die inhaltliche Auslegung der jeweili­ gen Strafzwecke angeht, müssen jeweils Besonderheiten der Delikte – etwa im Wirtschaftsstrafrecht357 – beachtet werden. Inwiefern außerhalb der Straf­ zwecke liegende Umstände zur Annahme eines öffentlichen Interesses führen können, ist umstritten, kann hier jedoch nicht erschöpfend beantwortet wer­ den. Für die hiesige Untersuchung genügt die Darstellung der Auslegung des öffentlichen Interesses, um zu erörtern, ob sich hieraus das graduelle Verhält­ nis zum besonderen öffentlichen Interesse ableiten lässt. 3.Das öffentliche Interesse in § 376 StPO

a) Begriffsidentität in §§ 153, 153a StPO und § 376 StPO? In Bezug auf die Begriffe des öffentlichen Interesses wird mehrheitlich vertreten, dass sie gleich auszulegen seien.358 Zurückhaltender wird gelegent­ lich darauf hingewiesen, dass eine Auslegung des öffentlichen Interesses „im Wesentlichen“ mit der bei § 153 StPO übereinstimme359, auch wenn die un­ terschiedliche Zielrichtung des Begriffs beachtet werden müsse.360 Ausführ­ licher beschäftigt sich Untersteller mit dieser Frage, kommt im Ergebnis aber ebenfalls zur Vergleichbarkeit der Begriffe.361 Einer vom öffentlichen Inter­ esse nach § 153 StPO abweichenden Auslegung hält er entgegen, dass der in § 376 StPO mit dem öffentlichen Interesse verkörperte Zweck des öffent­ lichen Interesses, die Erhebung der öffentlichen Klage, mit dem des § 153 StPO übereinstimme.362 Nach anderer Auffassung könne eine gleiche Auslegung der Begriffe nicht vorgenommen werden.363 Dies wird mit der unterschiedlichen gesetzgeberi­ schen Konzeption begründet, wonach das Vorliegen eines öffentlichen Inte­ Münkel/Nutzinger, in: E/R/S/T, § 153 StPO Rdnr. 32 ff. in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, § 376 Rdnr. 3; Schwätzler, in: Anwalt-Kommentar-StPO, § 376 Rdnr. 2; Weber, NJW 1966, 1241; Metzger, in: FS-Stöckel, 287, 290; wohl auch Letzgus, in: FS-Rebmann, 277, 299. 359  Hilger, in: LR-StPO, § 376 Rdnr. 1. 360  So Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 30. 361  Untersteller, Der Begriff, S. 16 ff. 362  Untersteller, Der Begriff, S. 16. 363  Schoreit, in: KK-StPO (6. Aufl.), § 153 Rdnr. 21; zweifelnd auch Rieß, NStZ 1981, 2, 8. 357  Dazu

358  Valerius,



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“205

resses bei § 376 StPO als Ausnahme anzusehen sein soll, wohingegen das Vorliegen des öffentlichen Interesses im Rahmen des § 153 StPO der Regel­ fall sei.364 Weiterhin habe das Nichtvorliegen des öffentlichen Interesses un­ terschiedliche Konsequenzen. Im Rahmen des § 153 StPO unterbleibt jede Verfolgung, während bei Privatklagedelikten auch ohne öffentliches Interesse eine Verfolgung der Privatklagedelikte stattfinden kann.365 Eine abschließende Stellungnahme zu dieser Frage ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich, da auch die inhaltliche Auslegung der Begriffe hier­ für entscheidend ist. Anhand der Ausführungen zu Zweck und Anwendungs­ bereich der Begriffe erscheint es jedoch zweifelhaft, von einem identischen Inhalt der beiden Begriffe auszugehen. b) Das öffentliche Interesse nach Maßgabe der RiStBV aa) Das öffentliche Interesse nach Maßgabe der Nr. 86 RiStBV Aus der Systematik der RiStBV ergibt sich, dass Nr. 86 RiStBV für alle Privatklagedelikte gilt, während es in späteren Abschnitten auf die jeweiligen Delikte zugeschnittene Voraussetzungen gibt. Im Stil einer Generalklausel nennt Nr. 86 RiStBV für das Vorliegen eines öffentlichen Interesses folgende Voraussetzungen: Gemäß Nr. 86 I RiStBV müssen zunächst der Rechtsfrieden über den Le­ benskreis des Verletzten hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegen­ wärtiges Anliegen der Allgemeinheit sein. Das Wort „und“ verdeutlicht dabei, dass beide Elemente grundsätzlich366 gemeinsam vorliegen müssen. Unter dem Rechtsfrieden soll die Frage zu verstehen sein, ob die betreffende Per­ son selbst in der Lage sei, sich um ihre Konflikte zu kümmern.367 Das Merk­ mal der Störung des Rechtsfriedens über den Lebenskreis hinaus erfordert eine Außenwirkung. Diese soll dann vorliegen, wenn mehrere gleichartige Straftaten des Beschuldigten vorliegen oder die Tat ein weites Publikum er­ reiche wie bspw. Beleidigungen im Internet.368 An einer solchen soll es in der Regel fehlen, wenn an der Angelegenheit lediglich der Täter und das Opfer beteiligt seien.369

364  Schoreit,

in: KK-StPO (6. Aufl.), § 153 Rdnr. 21. GA 1997, 404, 412. 366  Kreiner, in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, RiStBV Nr. 86 Rdnr. 4. 367  Metzger in: FS-Stöckel, 287, 297. 368  Kreiner, in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, RiStBV Nr. 86 Rdnr. 5. 369  Kreiner, in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, RiStBV Nr. 86 Rdnr. 5. 365  M.-K. Meyer,

206

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Konkretisierend dafür, wann die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anlie­ gen der Allgemeinheit sein soll, nennt Nr. 86 II 1 Hs. 2 RiStBV das Ausmaß der Rechtsverletzung, die Rohheit oder Gefährlichkeit der Tat, rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe des Täters sowie die Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben. Dass die Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben ein öffentliches Interesse zu begründen vermag, wird zum Teil mit der Begründung kritisiert, dass das öffentliche Interesse sanktionsbezogen auszulegen sei und der genannte As­ pekt daher kein öffentliches Interesse begründen könne.370 Die Anwendbar­ keit des Merkmals wird bspw. in Bezug auf weit bekannte Sportler im Sport­ geschehen abgelehnt, da der Zweck des Aspekts in Nr. 86 RiStBV eher dem Schutz von Personen im politischen Leben diene als bspw. der „Schlagkraft der Nationalmannschaft“.371 Anhand der Gesetzessystematik folgt hinsichtlich dieses Aspekts zudem, dass die Eigenschaft als Amtsträger auf Täterseite im Rahmen der Körper­ verletzung dazu führt, dass ein Offizialdelikt vorliegt.372 Bei einer durch ei­ nen Amtsträger begangenen Körperverletzung kommt es also nicht auf die Beurteilung eines öffentlichen Interesses an. Dies gilt natürlich nur insoweit, als dass die Voraussetzungen des § 340 StGB tatsächlich vorliegen. Liegt keine über den Lebenskreis des Verletzten hinausgehende Störung des Rechtsfriedens vor, soll das öffentliche Interesse gemäß Nr. 86 II 2 RiStBV dann gegeben sein, wenn es dem Verletzten wegen seiner persön­ lichen Beziehung zum Täter nicht zugemutet werden kann, die Privatklage zu erheben373 und (kumulativ) die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anlie­ gen der Allgemeinheit ist. Die Unzumutbarkeit der Privatklage soll auch bei psychischen Belastungen, die durch das Täterverhalten hervorgerufen wur­ den, gegeben sein können.374 Fraglich bleibt, inwiefern Nr. 86 RiStBV konkretisierender Charakter hin­ sichtlich der §§ 153, 153a StPO zukommt. Nr. 86 RiStBV umfasst seiner

370  Stöckel, in: K/M/R StPO (Stand März 1998), § 376 Rdnr. 4, der nicht nur die Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben, sondern auch die Stellung des Be­ schuldigten als keinen maßgeblichen Punkt für die Annahme eines öffentlichen Inte­ resses ansieht. Kulhanek, in: K/M/R-StPO, 89. EL (Februar 2019), § 153 Rdnr. 12 erkennt die Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben dagegen als legitimen An­ knüpfungspunkt an. 371  So Schiffer, Die strafrechtliche Behandlung, S. 20. 372  § 340 StGB verweist nicht auf § 230 StGB. 373  So auch Rössner, in: NKGesStrR, § 376 StPO Rdnr. 2. 374  So für den mittlerweile nicht mehr als Privatklagedelikt ausgestalteten § 238 StGB Bartsch, ZJS 2017, 167, 170.



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“207

Überschrift nach nämlich nur das öffentliche Interesse bei Privatklagedelik­ ten, mithin in den Fällen des § 376 StPO.375 Verfahrensökonomische Aspekte sollen – im Gegensatz zu §§ 153, 153a StPO – im Rahmen der Beurteilung keine Berücksichtigung finden kön­ nen.376 bb) Das öffentliche Interesse nach Nr. 233 RiStBV Nr. 233 RiStBV betrifft das öffentliche Interesse bei Körperverletzungen. Ebenso wie in Nr. 86 II RiStBV wird auch hier die Rohheit der Tat als An­ haltspunkt angeführt. Zudem soll ein öffentliches Interesse dann gegeben sein, wenn eine erhebliche Misshandlung oder eine erhebliche Verletzung vorliege. Bei der Anwendung dieses Merkmals ist die Systematik der Körperverlet­ zungsdelikte zu beachten. Sofern auf die erhebliche Misshandlung und Ver­ letzung abgestellt wird, sind die Grenzen der §§ 224, 226, 226a StGB zu beachten. Sowohl die gefährliche als auch die schwere Körperverletzung sind Offizialdelikte und keine Privatklagedelikte377; bei ihnen kommt es auf das Vorliegen eines öffentlichen Interesses nicht an, um die öffentliche Klage zu erheben. Es stellt sich derselbe systematische Abgrenzungsaufwand wie beim besonderen öffentlichen Interesse. Das bedeutet, dass die in Nr. 233 RiStBV genannte „erhebliche Misshand­ lung“, unterhalb der Schwelle des § 224 StGB liegen muss und die „erhebli­ chen Verletzungen“ keine schweren Folgen im Sinne der §§ 226, 226a StGB sein dürfen. Nr. 233 verweist in S. 2 2. Halbsatz zudem auf Nr. 235 III RiStBV. Danach kann ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung entfallen, wenn sozial­ pädagogische, familientherapeuthische oder andere unterstützende Maßnah­ men eingeleitet wurden und erfolgversprechend erscheinen.

375  Für eine Auslegung des öffentlichen Interesses im Rahmen des § 153 StPO anhand der Nr. 86 II RiStBV siehe Schöch, in: AK StPO, § 153 Rdnr. 20; MeyerGoßner, in: LR-StPO (23. Aufl.), § 153 Rdnr. 18; gegen eine solche Auslegung ­M.-K. Meyer, GA 1997, 404, 411 ff. 376  Valerius, in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, § 376 Rdnr. 2; Hilger, in: LR-StPO, § 376 Rdnr. 1. 377  Die gefährliche Körperverletzung war bis zum 6. StrRG 1998 ein Privatklage­ delikt und in § 374 I Nr. 4 StPO aufgeführt, Lilie, in: LK-StGB. (11. Aufl.), § 224 Rdnr. 43.

208

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

cc) Das öffentliche Interesse nach Nr. 260 RiStBV Nr. 260 RiStBV ist hinsichtlich des Anwendungsbereichs Anhaltspunkt für das öffentliche Interesse an der Verfolgung der Delikte des § 299 StGB so­ wie der Straftaten nach §§ 16 UWG, 17–19 UWG a. F. Ein öffentliches Interesse bestehe bei dieser Norm regelmäßig dann, wenn eine nicht nur geringfügige Rechtsverletzung vorliege. Eine solche wird für Fälle des § 16 I UWG angenommen, wenn durch die unrichtigen Angaben ein erheblicher Teil der Verbraucher irregeführt werden könne.378 In Fällen des § 16 II UWG soll ein öffentliches Interesse vorliegen, wenn insgesamt ein hoher Schaden drohe, die Teilnehmer einen nicht unerheb­ lichen Beitrag zu leisten haben oder besonders schutzwürdig seien. Nr. 260 S. 3 RiStBV ordnet ergänzend an, dass nur dann, wenn der Verstoß leichter Art sei und die Interessen eines eng umgrenzten Personenkreises berührt werden, die Verweisung auf den Privatklageweg angebracht sein soll. Daraus folgt, dass ein öffentliches Interesse im Sinne des § 376 StPO anzu­ nehmen sein soll, wenn dieser Rahmen verlassen wird. dd) Das öffentliche Interesse nach Nr. 261 RiStBV Für viele Privatklagedelikte des Nebenstrafrechts benennt Nr. 261 S. 1 RiStBV für das Bestehen eines öffentlichen Interesses als Anhaltspunkt eine nicht nur geringfügige Schutzrechtsverletzung. Hierbei sollen das Ausmaß der Schutzrechtsverletzung, der eingetretene oder drohende wirtschaftliche Schaden und die vom Täter erstrebte Bereicherung zu berücksichtigen sein, Nr. 261 S. 2 RiStBV. Die Tauglichkeit der RiStBV-Kriterien wird im Bereich des Urheberstraf­ rechts bezweifelt. Mit den einzelnen Kriterien treten nämlich auch einige Pro­ bleme auf. So wird zum einen kritisiert, dass – im Zusammenspiel mit Nr. 86 II RiStBV – eine Auswirkung der Tat über den Lebenskreis des Verletzten ­hinaus selten vorliegen wird.379 Dagegen wird von einer Auffassung die Stö­ rung des Rechtsfriedens über den Lebenskreis des Verletzten hinaus bei Urhe­ berrechtsverstößen im Zusammenhang mit Tauschbörsen angenommen.380 Die Strafverfolgung sei ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit, wenn den Inhabern der Urheberrechte durch Tauschbörsen schwere Schäden zuge­ fügt würden und somit eine erhebliche Rechtsverletzung vorliege.381 378  Temming,

in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, RiStBV Nr. 260 Rdnr. 3. Die Strafbarkeit, S. 325; Meier/Böhm, wistra 1992, 166, 168. 380  Esser, GA 2010, 65, 69 f. 381  Esser, GA 2010, 65, 70. 379  Heinrich,



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“209

Eine Störung des Rechtsfriedens könne kaum angenommen werden, da im Regelfall die Öffentlichkeit von der Tatbegehung keine Notiz nehme.382 Wann ein Abweichen vom Durchschnittsfall vorliegt, bedürfe einer Einzel­ fallbetrachtung, die u. a. auch den Zeitraum der Tat einbeziehe. Auf dem Gebiet des Urheberstrafrechts müsse zudem insb. der jugendliche Täter Be­ achtung finden. Gerade Verstöße gegen das Urheberrecht seien jedoch De­ likte, bei denen Jugendliche einen gewissen Anteil an der Tätergruppe ha­ ben.383 Gemäß § 80 I 1 JGG ist gegen sie keine Privatklage möglich. Zudem sei bei Jugendlichen ein Raubkopieren zum Tausch ohne weitergehende Ab­ sicht der Bereicherung anzutreffen.384 Vom Vorliegen eines öffentlichen Inte­ resses solle nicht ausgegangen werden, wenn es sich um 25–30 Stücke han­ dele.385 Nach anderer Auffassung komme die Ablehnung des öffentlichen Interesses nur in Betracht, wenn im Bereich der Tauschbörsen keine porno­ graphischen Inhalte offeriert werden.386 Weiterhin könne der in Nr. 86 II 2 RiStBV genannte Ausnahmeumstand der Unzumutbarkeit der Antragstellung hier nicht weiterhelfen, da sich Urhe­ ber und Täter kaum kennen dürften.387 Ergänzend soll hier aus spezialprä­ ventiven Gründen auch eine einschlägige Vorbelastung ein öffentliches Inte­ resse begründen können.388 Auch die Quantifizierung des Schadens bereite hier größere Schwierigkei­ ten als bei den klassischen Vermögensdelikten, da die Schäden häufig imma­ terieller Natur seien.389 Zudem seien die Beweggründe des Täters – die in diesem Bereich vor al­ lem in Gestalt der Gewinnerzielung vorkommen – zwar als niedrig anzuse­ hen, aber das Ziel aller Täter, sodass dieses Merkmal für die Frage, ob ein öffentliches Interesse besteht oder nicht, ungeeignet sei.390 Um einen eigen­ ständigen Anwendungsbereich zu haben, müsse es sich um Fälle handeln, in denen der Täter nicht die Schwelle der Gewerbsmäßigkeit erreiche, da an­ dernfalls das Offizialdelikt des § 108a UrhG einschlägig sei.391 382  Heghmanns,

NStZ 1991, 112, 114. Die Strafbarkeit, S. 324. 384  Meier/Böhm, wistra 1992, 166, 168. 385  Meier/Böhm, wistra 1992, 166, 168; für eine Untergrenze von 50 Werken Hegh­manns, NStZ 1991, 112, 115. 386  Esser, GA 2010, 65, 70. 387  Heinrich, Die Strafbarkeit, S. 325. 388  Engelstätter, in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, RiStBV Nr. 261 Rdnr. 2. 389  Meier/Böhm, wistra 1992, 166, 168. 390  Meier/Böhm, wistra 1992, 166, 168; Heghmanns, NStZ 1991, 112, 114. 391  Heinrich, Die Strafbarkeit, S. 329. 383  Heinrich,

210

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

In der Vergangenheit ist die Praxis der Staatsanwaltschaft, routinemäßig das öffentliche Interesse zu verneinen und den Antragsteller auf den Privat­ klageweg zu verweisen, kritisiert worden.392 c) Allgemeine Kriterien unabhängig von den RiStBV Unabhängig von den RiStBV soll ein öffentliches Interesse auch aus ande­ ren Gründen gegeben sein können. Als solche werden die Häufigkeit der Begehung bestimmter Delikte, eine Wiederholungsgefahr sowie das Unver­ mögen zur Erhebung der Privatklage angeführt.393 Die öffentliche Klage solle stets dann erhoben werden, wenn es sich (im Rahmen der Körperverlet­ zung) um die Verletzung von Senioren, Kindern, Jugendlichen sowie solcher Menschen handele, deren Durchsetzungsvermögen gegenüber offiziellen ­Instanzen fraglich erscheine.394 Auch Aspekte des Opferschutzes sollen in die Bewertung des öffentlichen Interesses einfließen, da auch Bagatellen ein Opfer schwer belasten können, wenn sie gezielt und häufig erfolgen.395 Das Vorliegen eines öffentlichen Interesses soll auch im Rahmen des § 376 StPO zu bejahen sein, wenn die Durchsetzung des materiellen Strafanspruchs aus spezial- und/oder generalpräventiven Gründen geboten ist.396 Vertreten wird, dass ein öffentliches Interesse auch dann anzunehmen sein könne, wenn die Staatsanwaltschaft das Privatklagedelikt in der Hand behal­ ten wolle, um gegebenenfalls eine für den Beschuldigten günstige Einstel­ lung nach §§ 153, 153a StPO zu wählen.397 Diese Deutung wird vielfach für unzutreffend gehalten; die Belange des Beschuldigten an einer Verfahrens­ einstellung sollen ein öffentliches Interesse nicht begründen können;398 ist lediglich ein Sühnebedürfnis des Verletzten ersichtlich, soll ein öffentliches Interesse fehlen.399 Daher sei es auch nicht zutreffend, wenn bei einer Über­ leitung vom Ordnungswidrigkeitenverfahren zum Strafverfahren ohne neue

392  v. Gravenreuth,

GRUR 1983, 349, 353. in: LR-StPO, § 376 Rdnr. 2. 394  Velten, in: SK-StPO, § 376 Rdnr. 11. 395  Rössner, in: NKGesStrR § 376 StPO Rdnr. 2. 396  Schwätzler, in: Anwalt-Kommentar-StPO, § 376 Rdnr. 2, Hilger, in: LR-StPO, § 376 Rdnr. 1; Stöckel, in: K/M/R-StPO (Stand März 1998), § 376 Rdnr. 3. 397  Rieß, NStZ 1981, 1, 8; Hilger, in: LR-StPO, § 376 Rdnr. 2; zutreffend dagegen Velten, in: SK-StPO, § 376 Rdnr. 3 mit der Begründung, dass die Übernahme durch die Staatsanwaltschaft mit dem Ziel der Verurteilung erfolgen muss. 398  Valerius, in: BeckOK-StPO mit RiStBV und MiStra, § 376 Rdnr. 2; Merz, in: R/H-StPO, § 376 Rdnr. 2; Stöckel, in: K/M/R-StPO (Stand März 1998), § 376 Rdnr. 4. 399  Diemer, in: KK-StPO, § 153 Rdnr. 13. 393  Hilger,



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“211

Tatsachen mit den Interessen des Beschuldigten im Strafprozess, wie besse­ ren Beweisantragspositionen, argumentiert werde.400 Weiterhin soll die faire Behandlung aller Prozessbeteiligten eine Rolle spielen. Die öffentliche Klage sollte einer Auffassung nach dann erhoben werden, wenn abzusehen sei, dass die Hauptverhandlung zu weiteren Verun­ glimpfungen des Privatklägers führen werde.401 d) Das öffentliche Interesse nach Maßgabe des § 376 StPO bei Privatklagedelikten, die nicht in den RiStBV genannt werden Nicht zu allen Privatklagedelikten, die zugleich relative Antragsdelikte sind, finden sich Hinweise für das „einfache“ öffentliche Interesse in den RiStBV. Hierzu zählt aber nur noch die Sachbeschädigung nach § 303 StGB. Ein öffentliches Interesse – mit der Folge der Erhebung der öffentlichen Klage – soll hier vor allem dann vorliegen, wenn an der Sache ein Affek­ tionsinteresse bestand, die Sachbeschädigung Symbolwirkung in Gestalt ei­ ner Einschüchterung bzw. Verängstigung habe und wenn das Opfer nicht in der Lage sei, im Wege der Privatklage seine Belange durchzusetzen.402 e) Fazit zu den RiStBV Wie schon beim besonderen öffentlichen Interesse finden sich auch hier vielfach Aspekte, die die Schuldfrage und die Strafzumessung betreffen. Ge­ meinsamkeiten finden sich auch hinsichtlich der Voraussetzungen. Gemessen an der Zielrichtung des öffentlichen Interesses ist das kritisch zu sehen. Denn während es wegen des Regelungszwecks des öffentlichen Interesses im Rah­ men der §§ 153, 153a StPO um die Frage geht, ob eine strafgerichtliche Sanktion unterbleiben kann, ist im Rahmen des § 376 StPO nur bedeutsam, ob die Verfolgung des Täters durch Erhebung der öffentlichen Klage erfolgen muss oder ob es dem Berechtigten überlassen bleibt, selbst im Wege der Privatklage vorzugehen. Um Schuldaspekte kann es daher in diesem Kontext nicht gehen, da der staatliche Strafanspruch auch vom Privatkläger durchge­ setzt wird. Die Ausgestaltung als Privatklagedelikt verdeutlicht jedoch, dass der Gesetzgeber – insbesondere dadurch, dass er nicht unerhebliche Hürden für die Durchführung des Privatklageverfahrens ansetzt – in Kauf nimmt, dass kein Strafverfahren durchgeführt wird, denn die Durchführung der Pri­ vatklage steht im Ermessen des Privatklageberechtigten. aber Witt, MDR 1990, 1086. in: FS-Stöckel, 287, 290. 402  Velten, in: SK-StPO, § 376 Rdnr. 20 f. 400  So

401  Metzger,

212

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Verglichen mit dem Betonen der Opferschutzgesichtspunkte ist es als zu­ treffend zu werten, dass die Unzumutbarkeit der Privatklage zur Annahme eines öffentlichen Interesses führen soll.403 Nicht zielführend ist es, wenn Nr. 86 II 2 RiStBV die Beachtlichkeit der Unzumutbarkeit derart beschränkt, dass es auf Gründe der persönlichen Beziehung sowie auf eine fehlende Stö­ rung des Rechtsfriedens über den Lebenskreis des Verletzten hinaus ankom­ men soll. Die persönliche Beziehung zwischen Täter und Opfer darf im Lichte eines am Opferschutz orientierten Verständnisses nicht auf familiäre Verhältnisse begrenzt sein. So muss es bspw. auch im öffentlichen Interesse liegen, wenn ein Vorgesetzter Privatklagedelikte gegen seine Angestellten verübt und diese dann aus Angst vor Repressalien nicht selbst über den Weg der Privatklage dagegen vorgehen können. Fraglich ist in diesem Zusammenhang daher, ob auch berufliche Stellungen zu den persönlichen Beziehungen zu zählen sein können. Wortlaut und telos stehen einer Einbeziehung jedenfalls nicht im Wege. 4. Vergleichende Betrachtung

a) Das Verhältnis des öffentlichen Interesses im Sinne der §§ 153, 153a StPO zu dem des § 376 StPO Für eine inhaltlich jedenfalls ähnliche Auslegung der Begriffe des öffent­ lichen Interesses spricht zunächst, dass diejenigen Aspekte, die für die Beur­ teilung der Schuld und des Bedürfnisses nach Prävention heranzuziehen sind, geeignet sind, den gesetzgeberischen Gedanken für die Einstufung als Privat­ klagedelikt zu überwinden.404 Bei der Frage, ob ein öffentliches Interesse im Sinne der §§ 153, 153a StPO gegeben ist, kommt es auf die Belange des Einzelnen aber nach herr­ schendem Verständnis grundsätzlich nicht an.405 Das hat auch beim öffent­ lichen Interesse nach § 376 StPO zu gelten, wo durch das Erfordernis eines Strafantrages ohnehin ein Genugtuungsinteresse des Verletzten vorliegen muss, ohne dass dessen Vorliegen ohne Weiteres zur Annahme eines öffent­ lichen Interesses führt. Würde man mit der Gegenauffassung ein solches Genugtuungsinteresse als eigenständigen Strafzweck und somit als Begründungsaspekt des öffentlichen hierzu auch Rössner, in: AK-StPO, § 376 Rdnr. 2 f. NStZ 1991, 112, 114 f. 405  Vgl. hierzu Untersteller, Der Begriff, 182 ff. 403  Siehe

404  Heghmanns,



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“213

Interesses im Sinne der §§ 153, 153a StPO ansehen406, wäre für das Ver­ ständnis des öffentlichen Interesses im Sinne des § 376 StPO damit aber nichts gewonnen, da sich die Frage hiernach nicht stellt, wenn der Verletzte sein Interesse durch Stellung eines Strafantrages bekundet hat. Einer Klärung der Frage bedarf es daher nicht. Die Begriffe haben jedoch unterschiedliche Anwendungsbereiche. Da es nach § 376 StPO lediglich bei Privatklagedelikten auf das öffentliche Inte­ resse an der Erhebung der öffentlichen Klage ankommt, folgt daraus, dass dieses bei allen anderen Delikten von vornherein gegeben ist. Damit ist aber noch nicht klar, ob auch ein öffentliches Interesse im Sinne der §§ 153, 153a StPO besteht, da sich aus der Zusammenschau mit § 153 II StPO ergibt, dass auch Normen mit erhöhtem Mindeststrafmaß, also solchen, denen von vorn­ herein ein erhöhter Unrechtsgehalt innewohnt, einer Einstellung auch ohne Auflagen zugänglich sind. Zudem dürfen bei § 376 StPO keine verfahrensökonomischen Gesichts­ punkte in die Bewertung des öffentlichen Interesses einbezogen werden – anders als bei §§ 153, 153a StPO.407 Daneben sind einige Aspekte, die im Rahmen der Nr. 86 RiStBV zur Annahme eines öffentlichen Interesses führen sollen, für das öffentliche Interesse nach §§ 153, 153a StPO mangels präven­ tiver Wirkung nicht geeignet. Hierzu zählt bspw. die Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben.408 Im Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass das öffentliche Interesse im Sinne der § 153, 153a StPO nicht mit dem des § 376 StPO gleichzusetzen ist.409 b) Das besondere öffentliche Interesse im Verhältnis zum öffentlichen Interesse nach §§ 153, 153a StPO Zutreffend ist zunächst die Feststellung, dass beide Begriffe als Bezugs­ punkt die Strafverfolgung haben.410 Daraus wird zum Teil geschlossen, die Begriffe seien in inhaltlicher Sicht dergestalt vergleichbar, als dass es zur Annahme des besonderen öffentlichen Interesses auf dieselben Aspekte an­ komme, jedoch in einer höheren Intensität. In Konsequenz wird daher vertre­ 406  So bspw. Hörnle, JZ 2006, 950; in engen Grenzen auch Kulhanek, in: K/M/RStPO, 93. EL (August 2019), § 153 Rdnr. 12. 407  Rieß, in: LR-StPO (24. Aufl.). § 153 Rdnr. 26 f.; zurückhaltender Stöckel, in: K/M/R-StPO (Stand März1998), § 376 Rdnr. 2 „nur eine untergeordnete Rolle“. 408  Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 33 m. w. N. 409  So auch M.-K. Meyer, GA 1997, 404, 411 ff. 410  Untersteller, Der Begriff, S. 13.

214

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

ten, dass das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses stets auch zum Bestehen eines öffentlichen Interesses im Sinne der §§ 153, 153a StPO führt.411 Beachtet werden muss jedoch, dass sich Fragen des öffentlichen Interesses nach §§ 153, 153a StPO erst stellen können, wenn das Vorliegen eines be­ sonderen öffentlichen Interesses festgestellt und die Tat – de lege lata – durch eine entsprechende Erklärung seitens der Staatsanwaltschaft zu einer verfolg­ baren Tat gemacht wurde. Die Regelungen der §§ 153, 153a StPO betreffen nämlich die Frage nach dem öffentlichen Interesse an der Weiterverfolgung einer ohnehin verfolgbaren Tat.412 Daraus resultieren zwei unterschiedliche Beurteilungszeitpunkte für die Voraussetzungen der jeweiligen Normen. Dazu muss festgestellt werden, dass diverse Aspekte nicht derart in Ein­ klang zu bringen sind, dass sich ein Stufenverhältnis der Begriffe ableiten lässt. Hierzu zählt zunächst der Aspekt des Ausmaßes der Rechtsverletzung. Es hat sich gezeigt, dass selbst § 222 StGB einer Anwendung des § 153 StPO nicht im Wege steht. Wenn aber selbst der Tod als höchste Ausformung der Körperverletzung nicht zwingend zum Vorliegen eines öffentlichen Interesses führen soll, wie soll dann eine unterhalb dieser Schwelle liegende Verlet­ zung, die im Anwendungsbereich der einfachen vorsätzlichen Körperverlet­ zung zudem nicht die Qualifikationsmerkmale der §§ 226, 226a StGB errei­ chen darf, ein intensiveres besonderes öffentliches Interesse begründen kön­ nen? Zudem besteht nach derzeitigem Verständnis das besondere öffentliche Interesse zuvörderst auf solchen Umständen, die im Rahmen der §§ 153, 153a StPO den Schuldgehalt betreffen. Selbst wenn man nicht an einer strik­ ten Trennung der geringen Schuld vom öffentlichen Interesse festhält, sind die schuldbetreffenden Umstände nicht im Merkmal des öffentlichen Interes­ ses zu verorten. Generalisierend bedeutet die Anerkennung eines Stufenverhältnisses, dass an die prinzipielle Zulässigkeit der Strafverfolgung höhere Anforderungen zu stellen wären als an die Frage, ob eine an sich zulässige Strafverfolgung nach Maßgabe des § 153 StPO beendet werden kann. Ein graduelles Verhältnis der Begriffe anzunehmen, erscheint daher nicht überzeugend.

411  Untersteller, 412  Hardtung,

Der Begriff, S. 13. in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 23.



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“215

c) Das besondere öffentliche Interesse im Verhältnis zum öffentlichen Interesse nach § 376 StPO Der zumeist angeführte Abgrenzungspunkt zum besonderen öffentlichen Interesse ist das öffentliche Interesse nach § 376 StPO. So war auch seiner­ zeit die Intention des Gesetzgebers.413 Vergleicht man die Aspekte, die ein öffentliches Interesse im Sinne des § 376 StPO begründen sollen mit denen, die ein besonderes öffentliches Interesse begründen sollen, fällt vielerlei auf. Insbesondere existieren vielfach Überschneidungen, was für die Auffassung sprechen könnte, es bestehe ein gradueller Unterschied. Sowohl bei Nr. 86 RiStBV als auch bei Nr. 234 RiStBV taucht der Aspekt der Tatbegehung aus rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen men­ schenverachtenden Motiven auf. Daraus kann geschlossen werden, dass die­ ser Aspekt für sich genommen nicht geeignet sein soll, ein besonderes öf­ fentliches Interesse zu begründen, es bedarf zusätzlicher Elemente. Ebenso besteht eine Überschneidung hinsichtlich der rohen Tat sowie der Erheblich­ keit der Verletzungen. Allerdings ist aus systematischer Sicht unverständlich, welcher Stellenwert dem Merkmal des gegenwärtigen Anliegens der Allgemeinheit zukommt. Bei Nr. 86 RiStBV wird es mit dem Ausmaß der Rechtsverletzung, der Rohheit oder Gefährlichkeit der Tat, rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenverachtenden Motiven begründet. Dagegen sollen beim besonderen öffentlichen Interesse diese Aspekte zusätzlich erfordern, dass die Strafver­ folgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist. Es muss daher einen anderen inhaltlichen Bedeutungsgehalt haben als beim öffentlichen Interesse. Man muss sich stets vergegenwärtigen, dass die Zuordnung zum besonde­ ren öffentlichen Interesse oder zum öffentlichen Interesse nach § 376 StPO dafür sorgt, dass entweder eine strikte Akzessorietät zum Strafantrag besteht oder eben dieser nicht erforderlich ist. Das zeigt jedoch, dass die Tauglich­ keit dieser Aspekte zur Begriffsbestimmung nicht gegeben ist. Der maßgeb­ liche Unterschied zwischen den Begriffen wird zumeist bei einschlägigen Vorstrafen oder dem Ausmaß der Rechtsverletzung angenommen. Wie sich gezeigt hat, gibt es jedoch nach derzeitigem Verständnis auch andere ­Aspekte, die ein besonderes öffentliches Interesse begründen können sollen. Die Be­ griffsbestimmung des besonderen öffentlichen Interesses bemisst sich zu sehr am öffentlichen Interesse und versucht vergeblich, Unterscheidungskriterien festzulegen, wobei es zu unlösbaren Abgrenzungsproblemen kommt.

413  DJ

1940, 509.

216

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Darüber hinaus sind die Regelungen zueinander widersprüchlich. Während es beim öffentlichen Interesse nach § 376 StPO darauf ankommen soll, dass die Privatklage unzumutbar sein muss, soll ein besonderes öffentliches Inte­ resse schon mit der Unzumutbarkeit der Strafantragstellung begründet wer­ den. Die Durchführung eines Privatklageverfahrens ist jedoch um einiges intensiver als das bloße Stellen eines Strafantrages. In der Praxis wird der Strafantrag zum Teil dadurch gestellt, dass auf einem Formular ein Kästchen mit der Aussage „Ich stelle Strafantrag“ anzukreuzen ist. Dieser Aspekt ­vermag für sich genommen ein Stufenverhältnis nicht zu begründen. Er ver­ deutlicht jedoch, dass es zwischen dem öffentlichen und dem besonderen öffentlichen Interesse Eigenheiten gibt, die es bei der Begriffsauslegung zu beachten gilt. Unklar ist in diesem Zusammenhang noch, wie sich das Genugtuungsinte­ resse des Verletzten auswirkt. Im Rahmen des § 376 StPO kann dieses kein öffentliches Interesse begründen, da dieses bereits durch den erforderlichen Strafantrag zum Ausdruck gebracht wird. Beim besonderen öffentlichen Inte­ resse kann aus der unterlassenen Stellung des Strafantrags jedoch nicht ge­ folgert werden, dass der Verletzte kein Genugtuungsinteresse hat, da ein solch starres Verständnis die Gründe ausblendet, aus denen der Strafantrag nicht gestellt worden ist. Wer aus Furcht vor dem Täter einen Strafantrag unterlässt, dem fehlt mitnichten zwingend ein Genugtuungsbedürfnis. Nach bisherigem Meinungsstand lässt sich das Stufenverhältnis auch aus folgender Überlegung heraus nicht aufrecht erhalten. Legt man ein Verständ­ nis zugrunde, wonach der engere Begriff des besonderen öffentlichen Inte­ resses eine Steigerung des „einfachen“ öffentlichen Interesses bedeutet, müssten mindestens alle Aspekte, die das öffentliche Interesse begründen, zugleich das besondere öffentliche Interesse begründen können, sofern noch intensivere oder weitergehende Umstände vorliegen. Jedenfalls mit Blick auf § 240 StGB ist dies jedoch abzulehnen. Wenn einerseits mit Einschüchterung des Verletzten nach herrschender Meinung ein besonderes öffentliches Inte­ resse begründet wird, ist es widersprüchlich, dass durch die Ausgestaltung des § 240 StGB als Privatklagedelikt klarstellt wurde, dass allein durch die Verwirklichung dieses Tatbestands kein öffentliches Interesse im Sinne des § 376 StPO begründet wird. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass zu viele Unsicherheiten, insbeson­ dere wegen der vielen Überschneidungen, bestehen. Besser wäre es daher, das öffentliche Interesse nach § 376 StPO nicht mit dem besonderen öffent­ lichen Interesse in irgendein Verhältnis bringen zu wollen, da sie unterschied­ liche Zwecke verfolgen und die (Un-)Abhängigkeit vom Strafantrag den maßgeblichen Aspekt darstellt. Stattdessen sollte § 376 StPO darauf abzielen, Aspekte zu behandeln, die es erforderlich machen, die betreffende Tat gerade



§ 13 Überprüfung der Tauglichkeit des „öffentlichen Interesses“217

im Offizialverfahren zu verfolgen. Nr. 86 RiStBV ist sprachlich schon nicht auf das eigentliche Ziel zugeschnitten, da es im Rahmen des § 376 StPO nicht auf die Verfolgung, sondern auf die Erhebung der öffentlichen Klage ankommt. Zutreffend ist daher die Auffassung des OLG Celle, wenn es sagt, dass die beiden Normen etwas anderes regeln.414 Ein Stufenverhältnis zwischen dem öffentlichen Interesse nach § 376 StPO und dem besonderen öffentlichen Interesse ist nicht anzuerkennen. 5. Ablehnung der einen Unterschied verneinenden Auffassung

Bereits an früherer Stelle415 wurde erwähnt, dass einer Auffassung zufolge zwischen dem Begriff des öffentlichen Interesses und dem des besonderen öffentlichen Interesses kein Unterschied bestehe. Gegen diese Auffassung, ist einzuwenden, dass bereits aus der Gesetzes­ formulierung folgt, dass es unterschiedliche Bedeutungsgehalte geben muss. Der Begriff des „öffentlichen Interesses“ existiert im System der Privatklage­ delikte bereits seit Inkrafttreten der StPO.416 Zudem hat die durch die Em­ minger Verordnung 1924 geschaffene Einstellungsvorschrift des § 153 I StPO die Normierung erhalten, dass Übertretungen grundsätzlich nicht ver­ folgt werden, es sei denn, an der Herbeiführung einer gerichtlichen Entschei­ dung besteht ein öffentliches Interesse. Hätte der Gesetzgeber dieselbe Aus­ legung bezweckt, kann davon ausgegangen werden, dass er auf das Erforder­ nis eines „besonderen“ öffentlichen Interesses verzichtet hätte. Auch die Ausführungsverordnung zur VO vom 2.4.1940, die am 23.4.1940 erlassen worden ist, hebt deutlich hervor, dass zur Strafverfolgung von Amts wegen ein „besonderes“ öffentliches Interesse nötig sei, welches über die Norm des § 376 StPO hinausgehe.417 Ein einfaches öffentliches Interesse reicht daher ersichtlich nicht aus. Daher kann auch der Ansatz von Roesen418 nicht über­ zeugen. Legt man diese Auffassung zugrunde, wäre es nicht begründbar, weswegen der Gesetzgeber in verschiedenen Normen des materiellen und formellen Strafrechts zwischen „öffentlichem Interesse“ und „besonderem öffentlichen Interesse“ unterscheidet, wenn doch der Hinweis auf das öffent­ liche Interesse stets als besonderes öffentliches Interesse zu verstehen sein soll. 414  OLG

Celle, GA 1961, 214, 215. oben, S. 149. 416  In der ursprünglichen Fassung der StPO war in § 416 StPO bereits normiert, dass in Fällen der Privatklagedelikte eine öffentliche Klage erhoben wird, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt. 417  DJ 1940, 509. 418  Roesen, NJW 1954, 866. 415  Siehe

218

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Weiterhin kann gegen diese Auffassung angeführt werden, dass zur Beur­ teilung des öffentlichen Interesses im Rahmen des § 376 StPO und des be­ sonderen öffentlichen Interesses unterschiedliche Maßstäbe zur Beurteilung heranzuziehen sind. Wenn Rochlitz ausführt, dass lediglich die Gesetzesfas­ sung des § 232 StGB a. F. übernommen wurde, ohne dass eine vom „öffent­ lichen Interesse“ abweichende Auslegung gewollt gewesen ist419, kann das nicht als zutreffend angesehen werden. Es wäre dann nämlich so, dass die Begriffe gleich auszulegen wären mit der Konsequenz, dass unklar bliebe, ob ein Strafantrag nötig oder nicht nötig ist. Im Rahmen der Privatklagedelikte bringt das individuelle Strafverlangen des Einzelnen die Beachtlichkeit öf­ fentlicher Interessen erst zum Entstehen.420 Das folgt aus der strengen Ak­ zessorietät der öffentlichen Klage zum Strafantrag. Ohne diesen rechtfertigt auch das Vorliegen eines einfachen öffentlichen Interesses keine Erhebung der öffentlichen Klage. Daraus folgt, dass beim öffentlichen Interesse im Rahmen des § 376 StPO keine Abwägung der Belange des Einzelnen mit den Belangen der Allgemeinheit stattfinden kann.421

D. Ergebnis zur Überprüfung des herrschenden Verständnisses Die Begriffe des öffentlichen Interesses und des besonderen öffentlichen Interesses lassen sich, wie von Hardtung zutreffend dargelegt, grundsätzlich in zwei Regelungsebenen unterteilen:422 in das öffentliche Interesse im Sinne der §§ 153, 153a StPO, bei denen es darauf ankommt, ob eine an sich zuläs­ sige Strafverfolgung ohne staatliche Reaktion (dann § 153 StPO) oder, zwar mit staatlicher Reaktion, aber ohne gerichtliche Entscheidung, (dann § 153a StPO) beendet werden kann. Dagegen betreffen das öffentliche Interesse im Sinne des § 376 StPO und das besondere öffentliche Interesse die vorgeschaltete Frage nach der Zuläs­ sigkeit amtsseitiger Tätigkeit. Neben dieser identischen Richtung regeln die Begriffe auch zwei verschiedene Dinge. Das besondere öffentliche Interesse betrifft die Prozessvoraussetzung im Strafverfahren überhaupt, während das öffentliche Interesse im Rahmen des § 376 StPO nur die Frage betrifft, ob das Privatklagedelikt im Privatklageverfahren oder im Offizialverfahren ver­ folgt wird. Abzulehnen ist daher zunächst die Auffassung, wonach es bei den Begriffen des öffentlichen Interesses stets um den gleichen Zweck gehe.423

419  Rochlitz,

Der strafrechtliche Schutz, S. 197. Das öffentliche Interesse, S. 35. 421  So zutreffend H. Vogel, Das öffentliche Interesse, S. 35. 422  Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 22 f. 423  So aber Homann, Der Begriff, S. 6. 420  H. Vogel,



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag219

Im Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass lediglich der Wortlaut sowie der Bezugspunkt im Hinblick auf das besondere öffentliche Interesse und das öffentliche Interesse in den §§ 153, 153a StPO als Argumente für ein gradu­ elles Verständnis heranzuziehen sind. Die vertiefte Analyse hat jedoch erge­ ben, dass sich insbesondere anhand der inhaltlichen Auslegung ein solches Verständnis nicht ableiten lässt. Im Folgenden wird daher davon ausgegan­ gen, dass der Ansatz des Verständnisses im Sinne eines graduellen Unter­ schieds untauglich ist, um als Auslegungsbasis für die inhaltliche Bestim­ mung des besonderen öffentlichen Interesses zu dienen. Allerdings sei an dieser Stelle betont, dass hieraus nicht zu schließen sein soll, dass einzelne Umstände, die ein öffentliches Interesse im Sinne der §§ 153, 153a, 376 StPO begründen, nicht auch zur Auslegung des besonderen öffentlichen Inte­ resses heranzuziehen sein können.

§ 14 Eigener Lösungsvorschlag zur inhaltlichen Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung Nachdem im vorangegangenen Abschnitt dargelegt worden ist, dass der Begriff des öffentlichen Interesses kein taugliches Auslegungsfundament für das besondere öffentliche Interesse bildet, soll nun ein eigenes Konzept zur begrifflichen Auslegung erarbeitet werden. Das eigene Konzept besteht aus zwei Elementen. Zum einen geht es um die Frage, welche Umstände geeignet sind, ein besonderes öffentliches Inte­ resse an der Strafverfolgung zu begründen. Aufgezeigt wird hierbei, dass sich die inhaltliche Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses am Strafantrag zu orientieren hat. In einem zweiten Schritt ist zu erörtern, wie nun das Vorliegen eines be­ sonderen öffentlichen Interesses zu ermitteln ist. Vorweggenommen wird an dieser Stelle lediglich, dass das Vorliegen der tauglichen Umstände für sich genommen regelmäßig nicht ausreicht, sondern es eines weiteren Verfahrens bedarf, um es festzustellen.

220

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

A. Rahmenbedingungen für die Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses I. Der Wortlaut Alle Auslegung fängt beim Worte an. Daher soll zunächst versucht wer­ den, anhand des Gesetzeswortlautes Hinweise für die inhaltliche Auslegung zu gewinnen. 1. „Öffentliches Interesse“

Eine Gemeinsamkeit, die sich alle Begriffe im hier relevanten Zusammen­ hang teilen, ist das Erfordernis eines öffentlichen Interesses. Es soll daher in einem ersten Schritt untersucht werden, was sich aus dieser Formulierung für die inhaltliche Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ableiten lässt. Interesse kann auch verstanden werden als Aufmerksamkeit. Es bedarf also einer gewissen Wirkung, die vernommen werden muss. In der früheren rechtswissenschaftlichen Literatur ist herausgearbeitet worden, dass der Be­ griff des Interesses – sei er objektiv oder subjektiv zu bestimmen – einen Träger dieses Interesses und einen Bezugsgegenstand habe.424 Problematisch ist, welche Bezugsgröße mit dem Begriff „öffentlich“ um­ schrieben wird. Das Gesetz selbst sagt dazu nichts aus. Möglich sind ver­ schiedene Grenzen hinsichtlich der Interessenträger.425 Sicher ist lediglich, dass öffentlich als Gegensatz zu individuell zu verstehen ist. Daraus lässt sich aber materiell nicht viel ableiten, wenn man anerkennt, dass die Öffent­ lichkeit nichts weiter als die Gesamtheit einzelner Interessenträger darstellt. Öffentlich enthält stets das Element des Überindividuellen. Schaut man in Grimms Wörterbuch, finden sich diverse Beispiele unter dem Wort „öffent­ lich“, so: „Theagenes sprach öffentlich“; „dasz man vilbibel und andere bie­ cher (…) offentlich auf den Gassen verbrennt“.426 Das Verständnis des Überindividuellen fügt sich in die Gesetzessystematik ein, indem zwischen Strafantrag (Individualinteresse) und dem besonderen öffentlichen Interesse als überindividueller Aspekt differenziert wird. Auch im Deutschen Rechtswörterbuch bestätigt sich das an der Allgemeinheit ori­ entierte Verständnis.427 Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem öffent­ hierzu Klein, Zum Begriff, S. 14 ff. Zum Begriff, S. 30 ff. 426  Grimms Wörterbuch, Band 13, S. 1182. 427  Siehe Deutsches Rechtswörterbuch, Band 10 Sp. 269. 424  Siehe

425  Klein,



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag221

lichen Interesse hat sich gezeigt, dass nicht Individualinteressen gemeint sind; „öffentliches Interesse ist nicht privates Interesse.“428 Diesen Gedanken festzuhalten, passt systematisch ins Regelungsgefüge des relativen Antrags­ deliktes. Geht es beim Strafantrag um das individuelle Interesse des Antrags­ berechtigten, so bildet das Erfordernis eines besonderen öffentlichen Interes­ ses das Gegengewicht von staatlicher Seite, indem es auf dessen Interessen ankommt. Nun lässt sich jedoch sagen, der Einzelne repräsentiere die Allge­ meinheit429, sodass eine Verletzung des Einzelnen stets eine Verletzung der Allgemeinheit bedeute. Dem mag man dahingehend zustimmen, dass die Verletzung der Rechtsgüter des Einzelnen auch eine Verletzung der Rechts­ gemeinschaft beinhaltet. Wie oben ausgeführt wurde, gibt es Stimmen, die den Interessen des durch die Tat Verletzten einen eigenen Strafzweck wid­ men wollen. Allerdings kann dies im Kontext der relativen Antragsdelikte nicht gelten. Wäre das richtig, läge stets eine Verletzung der Rechtsgemein­ schaft vor, die einer Verfolgung bedürfte. Das Strafantragserfordernis hätte dann jedoch keinen Sinn mehr. Allerdings gibt der Strafantrag dem Berechtigten die Möglichkeit, selbst darüber zu entscheiden, ob die Rechtsgutsverletzung einer Reaktion von staatlicher Seite bedarf. Die Verletzung des Einzelnen kann als solche nicht dazu führen, dass ohne Weiteres ein öffentliches Interesse besteht. Andern­ falls wäre in Fällen des § 376 StPO, der neben dem Strafantrag das Vorliegen eines öffentlichen Interesses verlangt, stets im Offizialverfahren vorzugehen. Richtigerweise ist die Anerkennung von Privatinteressen im Bereich des ­besonderen öffentlichen Interesses abzulehnen. Hierfür spricht, neben dem eben Genannten zudem, dass lediglich eine solche Betrachtungsweise das Regel-Ausnahme-Verhältnis der relativen Antragsdelikte stützt, indem vom grundsätzlich erforderlichen Begehren der Strafverfolgung – also dem Ge­ nugtuungsinteresse des Verletzten – ausnahmsweise abgesehen werden kann. Ein solches Verständnis kann auch im Bereich derjenigen Delikte überzeu­ gen, bei denen der Strafantrag den schützenswerten Interessen des Verletzten dient. Wenn der Verletzte bestimmte Sachverhalte aus der öffentlichen Straf­ verfolgung ausgeklammert haben will, besteht sein Privatinteresse im Ge­ heimhaltungsinteresse, welches er durch das Nichtstellen des Strafantrags zum Ausdruck bringt. Dieses Geheimhaltungsinteresse kann dann aber nicht zugleich ein öffentliches Interesse dergestalt sein, dass es zu einer öffent­ lichen Strafverfolgung kommt. Fraglich bleibt jedoch vorerst, wie sich das Geheimhaltungsinteresse, das einer Verfolgung entgegengehalten wird, auf die Frage auswirkt, ob ein besonderes öffentliches Interesse vorliegt. Denn in diesen Fällen gehen die Ziele der Beteiligten auseinander. Während der ge­ 428  Bohnert,

Die Abschlußentscheidung, S. 150. Gutachten, S. 16; a. A. Volk, Prozeßvoraussetzungen, S. 233.

429  Eb. Schmidt,

222

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

stellte Strafantrag und das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses in Richtung Strafverfolgung zielen, steht beim Strafantrag in diesen Fällen eine gegenläufige Interessenlage. Maßgeblich ist vielmehr ein übergeordnetes Interesse der Rechtsgemein­ schaft. Es bedarf einer Wirkung über den Lebensbereich des Einzelnen ­hinaus.430 Diese Feststellung würde jedoch voraussetzen, dass sich Privatin­ teressen und öffentliche Interessen überhaupt trennscharf voneinander unter­ scheiden lassen. Das wird namentlich von Wolfslast bezweifelt.431 Stützen lässt sich dieser Zweifel auch, wenn man die Interessentheorie, die im Ver­ waltungsrecht (auch) herangezogen wird, um die Frage nach dem Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit im Sinne des § 40 I 1 VwGO zu be­ antworten, mit der Kritik an ihr konfrontiert. Ihr wird entgegengehalten, dass Rechtsnormen, die dem Privatrecht zuzuordnen sind, auch zugleich öffent­ lichen Interessen dienen können.432 Ist die Freiheit des Einzelnen, selbst darüber bestimmen zu können, ob er einen Strafantrag stellt, nicht auch ein öffentliches Interesse? Ein öffentliches Interesse dahingehend, dass die Rechtsgemeinschaft ein Interesse daran hat, das dem Einzelnen gesetzlich zugestandene Recht – das Strafantragsrecht – effektiv nutzen zu können? 2. „Besonderes“

Welche Bedeutung dem Merkmal „besonderes“ zukommt, ist in der Wis­ senschaft umstritten, wobei das Meinungsspektrum die gänzliche Leugnung eines unterschiedlichen Bedeutungsgehalts im Verhältnis zum „öffentlichen Interesse“ bis zur herrschenden Meinung, die ein graduelle Verständnis ver­ tritt, reicht. Der Gesetzgeber hat mit dieser Formulierung klarstellen wollen, dass es sich um eine Ausnahme gegenüber dem öffentlichen Interesse nach § 376 StPO handeln soll.433 Eine solche Ausnahmevorschrift ist notwendig, um die Anwendungsbereiche der Vorschriften voneinander abzugrenzen. Daran än­ dert sich auch nichts, wenn man – wie hier – davon ausgeht, dass zwischen den Begriffen kein Unterschied im Sinne eines graduellen Verhältnisses be­ steht. Besonderes kann aber auch in Abgrenzung zum Allgemeinen verstanden werden. Grundsätzlich besteht ein Allgemeininteresse daran, dass Straftaten 430  Siehe

Nr. 86 II 1 RiStBV. Strafanspruch, S. 47. 432  Vgl. Ehlers/Schneider, in: S/S/B-VwGO, § 40 Rdnr. 219. 433  DJ 1940, 509. 431  Wolfslast,



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag223

verfolgt werden. Nicht umsonst verpflichtet das Legalitätsprinzip zur Verfol­ gung strafbarer Handlungen. Durch das Erfordernis eines besonderen öffent­ lichen Interesses wird deutlich, dass nicht jedes Strafverfolgungsinteresse ausreicht. Insofern ist es plausibel, dass für die Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses eine einschränkende Auslegung vertreten wird. Für die materielle Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses lässt sich zunächst herleiten, dass es nicht mit Aspekten begründet werden kann, die allein das Privatinteresse an der Strafverfolgung des Verletzten zum Ge­ genstand haben. Sein Wunsch nach Strafverfolgung kann durch das Stellen eines Strafantrages realisiert werden. Wie der Begriff letztlich zu deuten ist, wird auch in Gegenwart des „öffentlichen Interesses“ in §§ 153, 153a, 376 StPO nicht zwingend deutlich, da sich gezeigt hat, dass entgegen der herr­ schenden Meinung ein graduelles Verhältnis zwischen den Begriffen nicht anzuerkennen ist. Auch wenn dies in der Literatur nicht ausdrücklich genannt wird, scheint das Merkmal „besonderes“ als Aufhänger für die Forderung nach erschwe­ renden Umständen zu dienen.434 In Veröffentlichungen findet sich eine Aus­ einandersetzung im Rahmen der Körperverletzung im Straßenverkehr.435 Das Problem hierbei besteht darin, welcher Ausgangspunkt bei der Betrachtung des Falls zu wählen ist, von dem der Fall nach oben hin abweichen muss. Dargestellt worden ist, dass für die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses gefordert wird, der jeweilige Fall müsse sich vom Normalfall der Körperverletzung abheben. Ist damit der Körperverletzungsfall gemeint, dem ein öffentliches Interesse nach § 376 StPO zugrunde liegt oder ein solcher, an dem es an einem öffentlichen Interesse fehlt? Selbst die Zusammenfügung der Begriffe „besonderes öffentliches Inte­ resse“ vermag lediglich zu erklären, dass es sich nicht um Privatinteressen handelt. Für eine inhaltlich fruchtbare Auslegung bedarf es stets der Betrach­ tung des Bezugspunktes, auf den sich das Interesse bezieht.436 3. „An der Strafverfolgung“

Regelungen, in denen ein „öffentliches Interesse“ von Bedeutung ist, gibt es im deutschen Recht an vielen Stellen. Ein besonderes Interesse tritt als ähnliche Formulierung allerdings nur an einer Stelle abseits der relativen Antragsdelikte, in § 80 III 1 VwGO, auf. Unabhängig vom jeweiligen Gesetz 434  Eckl,

JR 1975, 99, 100. DAR 1977, 289; Kellner, MDR 1977, 626. 436  Untersteller, Der Begriff, S. 9. 435  Havekost,

224

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

bezeichnet die Norm den Bezugspunkt des öffentlichen Interesses.437 So normiert § 80 III 1 VwGO das „besondere Interesse“ an der sofortigen Voll­ ziehung des Verwaltungsaktes, § 679 BGB thematisiert das öffentliche Inte­ resse an der Erfüllung einer Pflicht durch den Geschäftsherrn. Ebenso be­ nennt auch das relative Antragsdelikt genau, welchen Bezugspunkt das be­ sondere öffentliche Interesse hat, nämlich jenen der Strafverfolgung.438 Auch im Strafgesetzbuch, wo an verschiedenen Stellen bestimmte Interessen von Bedeutung sind, definiert sich für jeden Begriff der Bezugspunkt.439 So er­ fasst § 201 II 2 StGB die Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen; § 353b I StGB erfasst wichtige öffentliche Interessen. Allerdings bedarf es einer weiteren Feststellung dahingehend, dass der Begriff des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung nicht das allgemeine Interesse der Rechtsgemeinschaft daran bedeuten kann, dass von staatlicher Seite auf Normverstöße reagiert wird. Zum Teil wird doch genau das angenommen; das besondere öffentliche Interesse sei das „grund­ legende öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung überhaupt“.440 Das würde aber bedeuten, es sei dasjenige Interesse daran, dass von staatlicher Seite auf Verfehlungen reagiert werde. Wenn jedoch zugleich ein gradueller Unterschied zwischen den Begriffen angenommen wird441, wären demnach, wie an früherer Stelle bereits festgehalten wurde, an die Zulässigkeit der Strafverfolgung ohne Strafantrag höhere Anforderungen zu stellen als an die Frage, ob nach den §§ 153, 153a StPO eingestellt werden kann. Anhand des Bezugspunktes ist zunächst abzuleiten, dass sich der Begriff des besonderen öffentlichen Interesses nicht an inhaltlichen Aspekten zu orientieren hat, die in anderen Rechtsgebieten oder auch im materiellen Strafrecht von Bedeutung sind, sondern auf einer auf die Strafverfolgung zugeschnittenen Begriffsauslegung beruhen muss.442 Es bedarf somit einer normspezifischen Begriffsbestimmung. Es kann sich bei diesem Begriff je­ doch ebenfalls nicht um das allgemeine staatliche Interesse an der Ahndung strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens handeln.

hierzu auch Untersteller, Der Begriff, S. 10 ff. formuliert es § 153 I 1 StPO: „öffentliches Interesse an der Verfol­ gung“. § 153a I 1 StPO spricht vom „öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung“. § 376 StPO nimmt als Bezugspunkt des öffentlichen Interesses jenes an der Erhebung der öffentlichen Klage. 439  So bspw. in § 57 I Nr. 2 StGB: Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit; § 109k Nr. 2 StGB: Interesse der Landesverteidigung. 440  Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 24. 441  So Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 24. 442  A. A. Popp, in: LK-StGB; § 230 Rdnr. 10. 437  Siehe

438  Ähnlich



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag225

Ausgeschlossen sind somit bspw. das Interesse an einem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch bei Verkehrsunfällen oder das Interesse des Verletz­ ten an einer Schmerzensgeldleistung. 4. Ergebnis

Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung ist ein Begriff, der überindividuelle Interessen betrifft, die thematisch auf den strafrecht­ lichen Bereich der Strafverfolgung zugeschnitten sind. Viel materieller Ge­ halt ist damit nicht gewonnen, wenn man anerkennt, dass sich Privatinteres­ sen und öffentliche Interessen nicht trennscharf voneinander abgrenzen las­ sen. Die Idee, beim alleinigen Betroffensein eines Individualrechtsguts sei eine Strafverfolgung wegen des besonderen öffentlichen Interesses ausgeschlos­ sen, ist zu verwerfen.443 Denn auch die Verfolgung solcher Delikte, die ledig­ lich Individualinteressen verletzen, geschieht im öffentlichen Interesse.444 II. Der eigenständige Anwendungsbereich des besonderen öffentlichen Interesses bei relativen Antragsdelikten Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist daneben die Ausarbeitung des eigen­ ständigen Anwendungsbereichs eines jeden relativen Antragsdelikts. Anhand der Gesetzessystematik wird in Abgrenzung zu den Offizialdelikten darge­ stellt, in welchen Fällen es auf das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses ankommt. 1. § 182 StGB

Das relative Antragsdelikt des § 182 III StGB kommt nur zur Anwendung, wenn sowohl der Täter als auch das Opfer sich in einem bestimmten Alters­ bereich bewegen. Der Täter muss älter als 21 sein und das Opfer darf maxi­ mal 16 Jahre alt sein. Während sich die Tathandlungen des Abs. 3 mit denen des Abs. 1 vom Wortlaut her decken, muss in Fällen des Abs. 3 zudem die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausgenutzt werden. Beachtet werden muss hier zudem, dass der Täter nicht zu dem in § 174 I StGB benannten Personenkreis gehören darf. Zudem ist eine Abgren­ zung zu § 177 I StGB zu beachten. Handelt der Täter gegen den erkennbaren 443  So

aber für § 303 StGB Wieck-Noodt, in: MüKo-StGB, § 303c Rdnr. 7. in: GS-Kaufmann, 875, 883.

444  Zielinski,

226

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Willen des Opfers, kommt § 177 I StGB zur Anwendung, zu dem § 182 III StGB tateinheitlich steht.445 2. § 183 StGB

§ 183 StGB ist in seiner Gesamtheit als relatives Antragsdelikt ausgestal­ tet. Offizialdelikte, die eine Abgrenzung hinsichtlich des Anwendungsbe­ reichs erfordern, gibt es nicht. 3. § 184i StGB

Im Rahmen des § 184i StGB ist ebenfalls der gesamte Tatbestand relatives Antragsdelikt. Umfasst ist auch der in Abs. 2 genannte besonders schwere Fall. Also auch eine durch mehrere begangene Tat führt nicht zur Einstufung als Offizialdelikt. Beachtet werden muss auch die gesetzlich angeordnete Subsidiarität, wonach § 184i StGB nur dann zur Anwendung kommt, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften dieses Abschnitts mit schwererer Strafe bedroht ist. 4. §§ 201, 202a, 202b, 202d StGB

Die Delikte sind gemäß § 205 StGB jeweils in ihrer Gesamtheit als rela­ tive Antragsdelikte ausgestaltet. Abgrenzungen zu Offizialdelikten sind nicht erforderlich. Nicht von § 205 StGB erfasst ist § 202c StGB, der bestimmte Vorbereitungshandlungen unter Strafe stellt. Systematisch erscheint es auf den ersten Blick unsauber, dass die Vorbereitungshandlungen nach § 202c StGB stets von Amts wegen verfolgt werden, während § 201a StGB, der in § 202c StGB genannt wird, bei tatsächlicher Begehung potentiellen Verfol­ gungshindernissen gegenübertreten muss. Die Ausgestaltung des § 202c StGB als Offizialdelikt ist aber deshalb zutreffend, weil sich kein Strafan­ tragsberechtigter ausmachen lässt.446 Wer sollte bei lediglich vorbereitenden Handlungen antragsberechtigt sein? 5. § 230 StGB

§ 230 StGB erfasst nur die §§ 223, 229 StGB. Die Körperverletzung muss mithin in einer Weise begangen werden, in der die Tathandlung keines der Qualifikationsmerkmale des § 224 StGB erfüllt. Weiterhin darf keine vor­ 445  Fischer, 446  Ernst,

§ 177 Rdnr. 202. NJW 2007, 2661, 2664; Schünemann, in: LK-StGB, § 205 Rdnr. 1.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag227

sätzliche Körperverletzung mit mindestens fahrlässiger Herbeiführung einer schweren Folge im Sinne der §§ 226, 226a StGB vorliegen. Auch § 340 StGB darf hierbei nicht übersehen werden. Körperverletzungen im Amt sind Offizialdelikte. Das ergibt sich schon daraus, dass § 340 III StGB explizit nicht auf die Strafantragsnorm des § 230 StGB verweist.447 Zudem ist § 225 StGB zu beachten. Liegen dessen Modalitäten vor, bedarf es keiner Ausein­ andersetzung mit dem besonderen öffentlichen Interesse, da es sich um ein Offizialdelikt handelt. Unerheblich ist hier somit die Frage, ob § 225 StGB eine Qualifikation zu § 223 StGB oder einen eigenständigen Tatbestand dar­ stellt.448 Einschränkungen ergeben sich daher im Hinblick auf Gefährlichkeit der Verletzungshandlung, Erheblichkeit der Verletzungen sowie im Bereich der bestimmten Täter- und Opferpositionen. 6. § 235 StGB

Im Rahmen des § 235 StGB umfasst das relative Antragsdelikt nur die Absätze 1–3. Das relative Antragsdelikt reicht also nur soweit, wie die Gren­ zen der Verbrechenstatbestände nicht erreicht sind. Somit darf es durch die Tat weder zu einer konkreten Gefahr des Todes, einer schweren Gesundheits­ schädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seeli­ schen Entwicklung gekommen sein. Zudem darf die Tat nicht gegen Entgelt oder in (Dritt-)Bereicherungsabsicht begangen werden. 7. § 238 StGB

§ 238 IV StGB normiert die Fälle des § 238 I StGB als relative Antragsde­ likte. Eingefügt wurde § 238 StGB von Beginn an hinsichtlich Abs. 1 als relatives Antragsdelikt. Der eigenständige Anwendungsbereich erstreckt sich in Abgrenzung zu den Absätzen 2 und 3 darauf, dass durch die Tat zunächst keine in Absatz 2 benannte Person in die Gefahr des Todes oder einer schwe­ ren Gesundheitsschädigung gebracht werden darf und in Bezug auf dieselben Personen keine Todesherbeiführung geschehen darf.

447  Im Rahmen des Entwurfs zu einem Strafgesetzbuch 1962 wurde vorgeschla­ gen, auch die Körperverletzung im Amt durch § 232 StGB a. F. (also nun § 230 StGB) zu umfassen, siehe dazu BT-Drs. 4/650 S. 37, 288. 448  Siehe dazu Hardtung, in: MüKo-StGB, § 225 Rdnr. 3.

228

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses 8. § 248a StGB und die auf diese Norm verweisenden Delikte

a) § 248a StGB Grundsätzlich sind der Diebstahl und die Unterschlagung Offizialdelik­ te.449 Eine Ausnahme besteht jedoch dann, wenn das Diebstahlsobjekt bzw. das Objekt der Unterschlagung „geringwertig“ ist. In diesen Fällen ist § 248a StGB zu beachten. Die Norm regelt lediglich die Strafverfolgung, es handelt sich nicht um einen Privilegierungstatbestand.450 Der Anwendungsbereich des § 248a StGB beschränkt sich in seinem ei­ genständigen Feld auf die beiden Normen der §§ 242, 246 StGB451; die Qualifikationstatbestände der §§ 244, 244a StGB sind also Offizialdelikte. Ebenfalls aus dem Bereich des § 248a StGB ausgenommen sind die beson­ ders schweren Fälle nach § 243 I 1 Nr. 1–6 StGB. Nach § 243 II StGB ist in diesen Fällen ein besonders schwerer Fall ausgeschlossen, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht. Liegen also die Regelbeispiele vor, entfällt dennoch bei Geringwertigkeit des Tatobjekts der besonders schwere Fall und es bleibt bei der Anwendung der §§ 242, 248a StGB. b) §§ 248c II, 248a III StGB Zentrales Merkmal ist auch hier die Geringwertigkeit. Diese muss sich auf den Wert der entzogenen Energie beziehen. Die Tat darf zudem nicht in Schädigungsabsicht begangen werden. Andernfalls greift § 248c IV 2 StGB, wonach stets ein Strafantrag erforderlich ist. c) §§ 257 IV 2, 248a StGB Die Regelungen zur Strafverfolgung des Tatbestands der Begünstigung trifft § 257 IV StGB. Nach § 257 IV 1 StGB wird die Tat nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt, wenn der Begünstiger als Täter oder Teilnehmer der Vortrat nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt werden könnte. Nach § 257 IV 2 StGB gilt § 248a StGB sinngemäß. Fraglich ist hierbei, wie der Verweis zu verstehen ist. Hierbei wird vertreten, dass sich die Ver­ folgbarkeit der Tat im Falle der Geringwertigkeit des Vortatobjekts danach 449  Mitsch,

BT II, Kap. 1 S. 138; ders., BT II, Kap. 2 S. 201. Hamm NJW 1979, 117; Bosch in: S/S-StGB, § 248a Rdnr. 18; a. A. Naucke, NStZ 1988, 220. 451  Bosch, in: S/S-StGB, § 248a Rdnr. 4. 450  OLG



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag229

richtet, ob die Tat ein Antragsdelikt ist oder auch wegen eines besonderen öffentlichen Interesses von Amts wegen verfolgt werden kann.452 Der Verweis auf § 248a StGB bedeutet jedenfalls, dass es maßgeblich auf den Wert der Vorteile ankommt, zu deren Sicherung der Begünstiger Hilfe leistet.453 Gemeint ist in diesem Zusammenhang aber nicht, dass sich die Begünstigung auf den geringwertigen Vorteil aus einer Vortat bezieht, die in § 248a StGB oder einer Norm, die auf § 248a StGB verweist, genannt wird. Denn dann greift bereits § 257 IV 1 StGB.454 Der eigenständige Anwen­ dungsbereich des § 257 IV 2 StGB sieht daher so aus, dass er in Fällen ein­ greift, in denen sich die Begünstigung auf einen geringwertigen Teil des nicht geringwertigen Vorteils aus einer Vortat bezieht, die in § 248a StGB selbst genannt wird oder die auf § 248a StGB verweist.455 d) §§ 259 II, 248a StGB Ebenso wie § 257 IV StGB erklärt § 259 II StGB die §§ 247 und 248a StGB sinngemäß für anwendbar. Der eigenständige Anwendungsbereich des § 248a StGB in diesem Zusammenhang besteht in der Geringwertigkeit der gehehlten Sache.456 Irrelevant ist dagegen der Wert des erstrebten Vermö­ gensvorteils.457 e) §§ 263 IV, 248a StGB § 263 IV StGB ordnet die Geltung des § 248a StGB auch im Bereich des Betruges an. Das heißt, der Betrug ist dann ein relatives Antragsdelikt, wenn der Vermögensschaden lediglich geringwertig ist.458 Aus der Gesetzessyste­ matik ergibt sich, dass die besonders schweren Fälle des § 263 III StGB auch vom Anwendungsbereich des relativen Antragsdeliktes erfasst sind, da die Verweisung auf § 248a StGB hinter den besonders schweren Fällen steht. Indes ordnet § 263 IV StGB auch die Geltung des § 243 II StGB an. Beson­ ders schwere Fälle des Betruges liegen also nicht vor, wenn sich der Betrug 452  Cramer,

in: MüKo-StGB, § 257 Rdnr. 34. in: Anwalt-Kommentar-StGB, § 257 Rdnr. 23. 454  Tsambikakis, in: Anwalt-Kommentar-StGB, § 257 Rdnr. 23; Altenhain, in: NKStGB, § 257 Rdnr. 42. 455  Altenhain, in: NK-StGB, § 257 Rdnr. 42. Als Beispiel nennt er die Sicherung von 20 € aus der gestohlenen Summe, die insgesamt 200 € beträgt. 456  BGH, BeckRS 2015, 14203 Rdnr. 2; Fischer, § 259 Rdnr. 26. 457  Kindhäuser, BT II § 47 Rdnr. 34. 458  Kindhäuser, in: NK-StGB, § 263 Rdnr. 403. 453  Tsambikakis,

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

auf einen geringwertigen Vermögensschaden bezieht.459 Umstritten ist hier­ bei die Auslegung des § 243 II StGB. Nach einer Auffassung entfällt in jedem Fall der besonders schwere Fall, solange es sich um geringfügige ­ Vermögensschäden handelt.460 Nach anderer Auffassung entfallen lediglich die benannten besonders schweren Fälle, nicht jedoch unbenannte besonders schwere Fälle.461 Somit lässt sich sagen, dass jedenfalls – parallel zu § 242 StGB – bei Geringwertigkeit des Vermögenswertes kein (benannter) beson­ ders schwerer Fall vom relativen Antragsdelikt umfasst ist. f) §§ 266 II, 248a StGB Wie der Betrug nach § 263 StGB ist auch die Untreue nach § 266 StGB ein relatives Antragsdelikt, wenn sich die Tat auf einen geringwertigen Ver­ mögensnachteil bezieht. Da neben § 248a StGB auch § 243 II StGB gelten soll, kann insofern auf die Ausführungen zu § 263 StGB verwiesen werden. g) §§ 266b II, 248a StGB Der Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten ist nur dann relatives An­ tragsdelikt, wenn durch die Tat ein Schaden verursacht worden ist, der der Geringwertigkeit im Sinne des § 248a StGB zuzuordnen ist.462 h) Das Merkmal der Geringwertigkeit Das zentrale Element, welches über die Einordnung als relatives Antrags­ delikt oder Offizialdelikt entscheidet, ist somit das Merkmal der Geringwer­ tigkeit. Dieser Begriff ist durch das EGStGB eingeführt worden; er soll aber hinsichtlich seines Bedeutungsgehalts gleich dem Merkmal „unbedeutenden Werts“ in § 370 I Nr. 5 StGB a. F. verstanden werden.463 Maßgeblich für die Beurteilung der Wertigkeit ist der Verkehrswert zum Zeitpunkt der Tat.464 Der Wert der Sache ist gering, wenn er nach allgemeiner Verkehrsauffas­ sung als unerheblich sowohl für den Gewinn als auch für den Verlust ange­ 459  Mitsch, BT II, S. 348 f. auch zur Kritik an der gesetzestechnischen Verweisung auf § 243 II StGB. 460  Mitsch, BT II, S. 349; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 263 Rdnr. 403. 461  So Jesse, JuS 2011, 313, 316. 462  Fischer, § 266b Rdnr. 22. 463  Bosch, in: S/S-StGB, § 248a Rdnr. 6. 464  BGH NStZ 1981, 62.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag231

sehen und behandelt wird.465 Welcher Geldwert hierbei die Bemessungs­ grundlage bildet wird nicht einheitlich beurteilt, manche legen die Grenze bei 25–30 € an466, nach herrschender Meinung liegt die Grenze bei 50 €.467 Diese Wertgrenze gilt für alle relativen Antragsdelikte, die mit § 248a StGB in Zusammenhang stehen. Maßgeblich für den eigenständigen Anwendungs­ bereich ist hier demnach lediglich der Wert der Sache bzw. der Schaden im konkreten Fall. Keine Geringwertigkeit soll vorliegen, wenn durch eine Handlung im rechtlichen Sinne mehrere geringwertige Gegenstände Tatobjekte sind, die zusammengenommen über diese Wertgrenze kommen.468 9. § 299 StGB

§ 301 StGB regelt hierbei die Voraussetzungen für die Strafverfolgung des § 299 StGB. Fraglich ist, ob auch dann ein relatives Antragsdelikt vorliegt, wenn ein besonders schwerer Fall gemäß § 300 StGB gegeben ist. Der Richt­ liniengeber der RiStBV geht offensichtlich davon aus, andernfalls hätte er Nr. 242a II RiStBV nicht erschaffen müssen. Auch in der Literatur wird einhellig davon ausgegangen, dass die in § 300 StGB genannten besonders schweren Fälle vom relativen Antragsdelikt erfasst sind.469 Die Gesetzessystematik spricht indes eher gegen die Einbeziehung des § 300 StGB in den Anwendungsbereich des § 301 StGB. Zwar beziehen die relativen Antragsdelikte in der Regel die besonders schweren Fälle mit ein. Das folgt aus der Gesetzessystematik. So ist bei § 263 StGB der Verweis auf die §§ 247, 248a StGB in Abs. 4 normiert, während die besonders schweren Fälle in Abs. 3 geregelt sind. Jedoch bestimmen die Normen zusätzlich sehr präzise – teilweise mit Nennung von Absätzen – den Anwendungsbereich des relativen Antragsdelikts. § 301 StGB hingegen nennt lediglich § 299 StGB. Würde der besonders schwere Fall nach § 300 StGB umfasst, wäre die Nen­ nung des § 299 StGB überflüssig, da das Delikt benannt wird. Diese Geset­ zesfassung hatte § 301 StGB zudem schon bevor die §§ 299a und 299b StGB

465  OLG 466  Für

Celle NJW 1966, 1931, 1932. 25 € als Grenze KG NJOZ 2010, 1572; für 30 € OLG Oldenburg NStZ-RR

2005, 111. 467  So BVerwG NVwZ 2003, 108, 109; OLG Zweibrücken NStZ 2000, 536; Hohmann, in: MüKo-StGB, § 248a Rdnr. 6; Hellmann, in: NK-StGB, § 265a Rdnr. 52 Fn. 109. 468  OLG Düsseldorf NJW 1987, 1958. 469  Tiedemann, in: LK-StGB, § 301 Rdnr. 8; Wollschläger, in: Anwalt-Kommen­ tar-StGB, § 301 Rdnr. 6; Dannecker, in: NK-StGB, § 301 Rdnr. 13.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

erschaffen wurden, sodass nun nicht mit einer Abgrenzung zu den Offizial­ delikten der §§ 299a/299b StGB argumentiert werden kann. Bedeutung erlangt die Frage nach dem besonderen öffentlichen Interesse also nur beim Grundtatbestand des § 299 StGB; greift ein besonders schwe­ rer Fall nach § 300 StGB ein, handelt es sich um ein Offizialdelikt. Auf ein besonderes öffentliches Interesse kommt es dann nicht mehr an. Abzugrenzen ist § 299 StGB zudem von den Bestechungsdelikten der §§ 331 ff. StGB. Für § 299 StGB darf es sich daher weder auf Täterseite noch auf Seiten des „Bestochenen“ um Amtsträger handeln. 10. §§ 303, 303a, 303b StGB

Im Bereich der Sachbeschädigungsdelikte ist § 303 StGB in seiner Ge­ samtheit vom relativen Antragserfordernis erfasst. Die Sachbeschädigung darf allerdings in keiner erschwerenden Weise verwirklicht werden, die von §§ 304, 305 oder 305a StGB erfasst wird. Dadurch wird allerdings nur in Hinblick auf die Tatobjekte eine Abgrenzung zwischen dem relativen An­ tragsdelikt und den Offizialdelikten erforderlich. Das Tatmittel betreffend ist zudem § 306 StGB zu beachten, der das Inbrandsetzen oder durch Brandle­ gung (teilweise) Zerstören fremder Sachen erfasst. Diese Norm schließt es jedoch nicht aus, dass trotz des Einsatzes von Feuer nur § 303 StGB ein­ schlägig ist, denn § 306 StGB muss wegen seiner hohen Strafandrohung res­ triktiv ausgelegt werden. Nicht jede Brand-Sachbeschädigung ist Brandstif­ tung.470 In den §§ 303a und 303b StGB ist der Anwendungsbereich beschränkt. § 303c StGB klammert die Vorbereitung einer Straftat, für die § 303a II auf § 202c StGB verweist, aus dem Anwendungsbereich des relativen Antrags­ delikts aus. Im Rahmen des § 303b StGB sind die Absätze 1–3 relatives Antragsdelikt. Damit wird § 303b IV StGB, der besonders schwere Fälle normiert, aus dem Anwendungsbereich ausgenommen. Die Tat darf daher keinen besonders schweren Fall des § 303b II StGB erfüllen, worunter die Herbeiführung eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes (§ 303b IV Nr. 1 StGB), die gewerbs­ mäßige oder bandenmäßige Begehung (§ 303b IV Nr. 2 StGB) und die Ge­ fährdung wichtiger Gütern bzw. Dienstleistungen sowie der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (§ 303b IV Nr. 3 StGB) fallen.

470  Wie diese Restriktion vorzunehmen ist, ist umstritten, siehe hierzu Wolff, in: LK-StGB, § 306 Rdnr. 22.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag233 11. §§ 17, 18, 19 UWG a. F., § 23 GeschGehG

Aus dem Bereich der Straftaten gegen den unlauteren Wettbewerb ist je­ weils der gesamte Tatbestand erfasst. Aus der systematischen Stellung der Regelung des Antragserfordernisses ergibt sich, dass auch das Vorliegen der besonders schweren Fälle nach § 17 IV UWG keine Aufstufung zum Offi­ zialdelikt bedeutet. Der neu gefasste § 23 GeschGehG ist ebenfalls in seiner Gesamtheit rela­ tives Antragsdelikt. Das ergibt sich aus der Platzierung des relativen Antrags­ erfordernisses in dessen Absatz 8. Erfasst sind auch das gewerbsmäßige Handeln sowie sämtliche Qualifikationstatbestände innerhalb des § 23 Ge­ schGehG. Zum relativen Antragsdelikt zählt auch die versuchte Teilnahme nach § 30 StGB, die im Wege der Verweisung durch § 23 VII 2 GeschGehG Anwendung finden. 12. § 142 IV PatentG, § 25 IV GebrauchsMG, § 10 IV HalbleiterSchG, § 39 IV SortenSchG

All diesen Delikten ist gemein, dass lediglich die Tatbestände des Absat­ zes 1 als relative Antragsdelikte ausgestaltet sind. Gewerbsmäßiges Handeln, welches in allen Delikten in Absatz 2 normiert ist, führt stets zum Vorliegen eines Offizialdelikts. 13. §§ 51, 65 DesignG

Das Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie471 hat für eine Erweiterung des Kreises der relativen Antragsdelikte außerhalb des Strafgesetzbuches gesorgt. Durch das Gesetz zur Modernisierung des Geschmacksmustergesetzes sowie zur Änderung der Regelungen über die Bekanntmachungen zum Ausstellungs­ schutz472 ist das Geschmacksmustergesetz in DesignG umbenannt worden, wobei die Strafvorschriften ihre Positionen in §§ 51 und 65 DesignG473 so­ wie ihren Charakter als relative Antragsdelikte beibehalten haben. Allen in diesem Zusammenhang stehenden Normen ist gemein, dass vom relativen 471  Gesetz

vom 7.3.1990; In Kraft getreten am 1.7.1990; BGBl. I, S. 422. vom 10.10.2013; In Kraft getreten am 1.1.2014; BGBl. I, S. 3799. 473  Im Jahre 2004 erging das Gesetz zur Reform des Geschmacksmusterrechts. Die Strafvorschrift wurde von § 14 zu § 51 GeschmMG, behielt dabei ihren Charak­ ter als relatives Antragsdelikt. Zusätzlich wurde mit § 65 GeschmMG eine Strafvor­ schrift zum Schutz von Gemeinschaftsgeschmacksmustern geschaffen, die aufgrund ihres Verweises auf § 51 II–VI GeschmMG in § 65 II GeschmMG ebenfalls ein rela­ tives Antragsdelikt darstellt. 472  Gesetz

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Antragsdelikt nur jeweils der Absatz 1 der Norm erfasst ist. Gewerbsmäßiges Handeln ist in allen Fällen ein Merkmal, das zur Einstufung als Offizialdelikt führt. 14. §§ 143, 143a MarkenG

Das Markenrechtsreformgesetz474 ordnete in § 143 MarkenG die Strafbar­ keit der Kennzeichenverletzung an. § 143 IV MarkenG benannte Fälle des § 143 I MarkenG zu relativen Antragsdelikten. Fälle gewerbsmäßigen Han­ delns erfasst § 143 II MarkenG, welcher nicht als relatives Antragsdelikt, son­ dern als Offizialdelikt ausgestaltet wurde. Gleiches gilt für Fälle der Verlet­ zung von Unionsmarken nach § 143a MarkenG. Nach § 143a II ­MarkenG gelten die § 143 II–VI MarkenG und somit auch die Verfolgungsregelung des § 143 IV MarkenG entsprechend. 15. §§ 106, 107, 108, 108b UrhG

Die von § 109 UrhG als relative Antragsdelikte ausgestalteten Strafvor­ schriften sind jeweils in ihrer Gesamtheit relative Antragsdelikte. Ausgenom­ men ist explizit § 108a UrhG, der Fälle der §§ 106, 107 und § 108 UrhG dann zu Offizialdelikten erklärt, wenn der Täter gewerbsmäßig handelt. Un­ gereimt erscheint es dann, dass § 108b III UrhG einen Qualifikationstat­ bestand für gewerbsmäßiges Handeln darstellt und dennoch vom relativen Antragserfordernis des § 109 UrhG erfasst ist. 16. Ergebnis

Während bei den Delikten, die im Zusammenhang mit § 248a StGB ste­ hen, das Ausmaß der Rechtsverletzung in jedem Fall nach oben limitiert ist, lassen sich insb. im Bereich der Körperverletzung die §§ 226, 226a StGB anführen, sofern man die „Erheblichkeit“ lediglich in der Schadenshöhe sieht und nicht die Gefährlichkeit mit einbezieht. Dann wäre zudem die Schranke des § 224 StGB zu beachten. Das würde dazu führen, dass im Bereich der vorsätzlichen Körperverletzung zum einen solche Verletzungshandlungen vom relativen Antragsdelikt umfasst wären, die mit dem bloßen Körper des Täters begangen werden, weil als „gefährliches Werkzeug“ im Sinne des § 224 I Nr. 2 StGB potenziell jeder mögliche Gegenstand angesehen werden kann, da sich das Merkmal u. a. nach der konkreten Verwendung richtet. 474  Gesetz zur Reform des Markenrechts und zur Umsetzung der Ersten Richt­linie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvor­ schriften der Mitgliedstaaten über die Marken; BGBl. I, S. 3082.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag235

Dennoch können auch Fälle, die mit den Tatmitteln des § 224 StGB in Zu­ sammenhang stehen erfasst sein, etwa wenn es an der Verwirklichung des Merkmals „mittels“ fehlt. Eine vielfache gesetzessystematische Abgrenzung zwischen relativem An­ tragsdelikt und Offizialdelikt erfolgt anhand des subjektiven Merkmals der Gewerbsmäßigkeit als Ausdruck erhöhten Unrechts. Dies ist jedoch nicht stets der Fall, da § 23 IV Nr. 1 GeschGehG und § 108b III UrhG auch ge­ werbsmäßiges Handeln vom relativen Antragsdelikt umfassen. Unklar ist auch, welchen Stellenwert besonders schwere Fälle einnehmen sollen. Zum Teil sind sie ausdrücklich vom relativen Antragsdelikt umfasst, zum Teil sind sie explizit von diesem ausgenommen. Nr. 242a RiStBV ord­ net an, dass in diesen Fällen in der Regel ein besonderes öffentliches Inte­ resse vorliegen wird. Das führt aber dazu, dass – parallel zu den besonders schweren Fällen selbst – eine Indizwirkung hervorgerufen wird, die in be­ stimmten Fällen widerlegt werden kann. Die Einbeziehung der besonders schweren Fälle in die Begründung des besonderen öffentlichen Interesses erscheint jedoch aus systematischen Gründen fragwürdig, da deren Vorliegen ausdrücklich vom grundsätzlichen Strafantragserfordernis umfasst ist. Unklar ist auch, ob es richtig ist, die objektiven Umstände des § 243 StGB als aus­ reichend anzusehen, wenn die Anwendung des § 243 StGB auf Fälle des § 248a StGB nach § 243 II StGB ausgeschlossen ist. Festhalten lässt sich jedoch, dass den relativen Antragsdelikten gewisse Gemeinsamkeiten zugrunde liegen. Kein relatives Antragsdelikt hat in seiner Grundausgestaltung einen erhöhten Mindeststrafrahmen – Ausnahmen liegen in Gestalt der besonders schweren Fälle vor, die aber Strafzumessungsregeln darstellen, keine Tatbestandsvoraussetzungen. Einen Sonderfall stellt § 108b III UrhG dar, indem ein Qualifikationstatbestand zu einem relativen Antrags­ delikt ernannt wird. 17. Folgerungen

Bei der Beurteilung des besonderen öffentlichen Interesses kann es nicht auf Umstände ankommen, die dafür sorgen, dass das in Rede stehende Delikt zum Offizialdelikt wird. Welche Umstände das sind, unterscheidet sich in vielen Fällen von Delikt zu Delikt. Es kann sich sowohl um objektive Merk­ male wie den Wert des Tatobjekts oder das Vorliegen eines Qualifikations­ merkmals nach § 224 StGB handeln, aber insbesondere im Bereich des Nebenstrafrechts findet sich mit der Gewerbsmäßigkeit ein subjektives ­ Merkmal, das die Tat zum Offizialdelikt werden lässt.475 Im Fall des § 301 475  Kaiser,

in: Erbs/Kohlhaas, § 108a UrhG Rdnr. 2, 6.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

StGB sorgt das Vorliegen eines besonders schweren Falls nach § 300 StGB nach hier vertretener Auffassung dafür, dass die Tat zum Offizialdelikt wird. Auch spezielle Altersgrenzen (§ 182 III StGB) sind zu beachten oder ob der Täter ein bestimmtes Tätermerkmal erfüllt, wie bspw. § 183 I StGB. Generell ist es nicht unproblematisch, wenn die derzeitige Auslegung das besondere öffentliche Interesse mit Aspekten zu begründen versucht, die direkten Bezug zu Tatbestandsmerkmalen der jeweiligen Strafnorm haben. Denn auch die schärfste einfache Körperverletzung ist grundsätzlich Antragsdelikt. Ob und inwieweit es gerechtfertigt erscheint, solche Elemente zur Begründung des besonderen öffentlichen Interesses heranzuziehen, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch nicht beurteilen, sondern wird im Folgenden noch zu klären sein. III. Die Systematik des relativen Antragsdelikts Bereits in einem früheren Abschnitt wurde die Systematik des relativen Antragsdelikts erläutert. Im hiesigen Abschnitt soll hinterfragt werden, ob sich aus der Binnensystematik Rückschlüsse auf das Verständnis der inhalt­ lichen Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses ziehen lassen. 1. Der Wortlaut der Norm

Die ganz herrschende Meinung geht davon aus, dass die Strafverfolgung aufgrund eines gestellten Strafantrages die Regel sei und die Verfolgung aufgrund eines besonderen öffentlichen Interesses die Ausnahme bleiben soll.476 Die Annahme eines solchen besonderen öffentlichen Interesses soll dem Wortlaut des Gesetzes zufolge jedenfalls nicht die Regel sein.477 Von einem solchen Verständnis der Verfolgungsvarianten zueinander geht auch der Gesetzgeber aus. Als mit § 232 StGB a. F. das erste relative Antragsdelikt in der heutigen Fassung geschaffen worden ist, hat die Ausführungsverord­ nung ausdrücklich vorgesehen, dass das Erfordernis eines besonderen öffent­ lichen Interesses den Ausnahmecharakter der Vorschrift hervorheben soll.478 Lediglich vereinzelt wurde angenommen, dass zwischen dem Strafantrag und der Strafverfolgung von Amts wegen kein solches Regel-Ausnahme-Verhält­

476  Lackner/Kühl, § 230 Rdnr. 4; Sternberg-Lieben, in: S/S-StGB, § 230 Rdnr. 6; gegen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, aber für die Beschränkung auf seltene Fälle Eschelbach, in: BeckOK-StGB, § 230 Rdnr. 4; Oehler, JZ 1956, 630; M.-K. Meyer, Rechtsnatur und Funktion S. 45. 477  Hirsch, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 6. 478  DJ 1940, 509.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag237

nis bestehe.479 Freisler begründet seine ablehnende Haltung gegenüber einem solchen Verhältnis damit, dass Strafrechtspflege keine Statistik sei, sondern abwäge.480 2. Das Verständnis des besonderen öffentlichen Interesses als Ausnahme

Die ablehnende Haltung resultiert daher, dass Freisler die Ausnahme als eine statistische Ausnahme angesehen hat. Wäre dieses Verständnis zutref­ fend, wäre ihm zuzustimmen. Die Klassifizierung als Regel-Ausnahme-Ver­ hältnis würde dann zu dem Problem führen, woran man feststellt, ob ein solcher „Ausnahmefall“ vorliegt. Einigkeit besteht nämlich dahingehend, dass man das besondere öffentliche Interesse nicht für bestimmte Taten gene­ rell annehmen könne.481 Vielmehr müsse in jedem einzelnen Fall – also je­ dem Lebenssachverhalt – separat beurteilt werden, ob an der Verfolgung ein besonderes öffentliches Interesse bestehe.482 Wenn es aber einer Entschei­ dung jeweils im Einzelfall bedarf, müsste man als Konsequenz des Ausnah­ mecharakters der amtlichen Verfolgung in die jeweilige Einzelfallentschei­ dung die Überlegung einbeziehen, ob denn dem Ausnahmecharakter noch genügend Rechnung getragen wird. „Strafrechtspflege ist (aber) nicht Statis­ tik. Sie zählt nicht, sie wiegt und wägt.“483 Das Erfordernis, im Einzelfall über das besondere öffentliche Interesse zu entscheiden, würde aber jeden­ falls gegenüber dem gesetzlich ableitbaren Ausnahmecharakter überwiegen. Denn andernfalls müsste man nur deshalb auf die amtliche Verfolgung – möglicherweise sogar in schwereren Fällen – verzichten, weil durch sie das Ausnahmeverhältnis nicht mehr gewahrt und die prozentuale Verfolgung an­ hand eines Strafantrages zu gering wäre. Das ist aber überhaupt nicht mög­ lich, da beim Bestehen eines besonderen öffentlichen Interesses ein Verfol­ gungszwang besteht, der keine Entscheidung darüber, ob nun verfolgt wird oder nicht, zulässt. Maßgeblich ist daher die Frage, wie dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis zu deuten ist, wenn nicht im Sinne einer statistischen Ausnahme. 479  Freisler, DJ 1940, 525, 531; unklar Preisendanz, DRiZ 1989, 366, 367, der in § 232 StGB a.F ein Regel-Ausnahme-Verhältnis verankert sieht, dennoch eine Be­ schränkung auf Ausnahmefälle ablehnt; für ein Ausnahmeverhältnis aber ders., § 232 Anm. 2 lit. a. 480  Freisler, DJ 1940, 525, 531. 481  OLG Köln NJW 1952, 1307; Nr. 243 III 1 RiStBV stellt das für Körperverlet­ zungen im Straßenverkehr klar. 482  Das erkennen auch jene an, die ein Regel-Ausnahme-Verhältnis annehmen, siehe bspw. Sternberg-Lieben, in: S/S-StGB, § 230 Rdnr. 6; klarstellend auch Nr. 243 III 1 RiStBV. 483  So Freisler, DJ 1940, 525, 531.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Die Antwort hierauf liefert die Norm selbst. Das Regel-Ausnahme-Verhält­ nis lässt sich folgendermaßen begründen: Innerhalb des Gesetzeswortlauts findet sich das Begriffspaar „nur“ und „es sei denn“. „Nur“ bedeutet dabei, dass grundsätzlich lediglich dann verfolgt wird, wenn ein entsprechender Antrag gestellt wird. Der Gesetzgeber hält bei den relativen Antragsdelikten grundsätzlich am Erfordernis eines Strafantrages fest.484 Dahinter steht im Normalfall eine absolute Regelung, die keine Ausnahme zulässt. Eine solche ist aber durch die Worte „es sei denn“ implementiert. Durch diese Formulie­ rung macht der Gesetzgeber deutlich, dass er den absoluten Zustand, hervor­ gerufen durch die Nutzung des Wortes „nur“, nicht zur Gänze aufrecht erhal­ ten wollte. Damit ist jedoch lediglich gesagt, dass es die Möglichkeit, das Antragserfordernis zu überwinden, als solche gibt. Es lässt sich dabei kein inhaltliches Verhältnis ableiten, aus dem sich ergibt, wann diese Ausnahme zum Einsatz kommen kann. Sprachlich spricht die Gesetzesfassung recht eindeutig für ein Regel-Ausnahme-Verhältnis.485 Es besteht dergestalt, dass es sich um eine inhaltliche Ausnahme handelt. Die Gesetzessystematik verrät zwar nicht selbst, wann vom Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interes­ ses auszugehen ist, es verrät aber, dass es vorliegt, wenn auf den Strafantrag verzichtet werden kann. Aus dieser Erkenntnis heraus lässt sich der hier im Folgenden verfolgte Ansatz des begrifflichen Verständnisses des besonderen öffentlichen Interesses herleiten. 3. Vorrang übergeordneter Interessen gegenüber Individualinteressen im deutschen Recht

Die Ausgestaltung des relativen Antragsdelikts in einem Regel-AusnahmeAusnahme-Verhältnis verdeutlicht zunächst, dass durch das Strafantragser­ fordernis das Privatinteresse an der (Nicht-)Verfolgung Vorrang genießt, bei Interessen der Allgemeinheit jedoch dieses zurückzutreten habe. Der Vorrang von Allgemeininteressen gegenüber den Individualinteressen ist dem deut­ schen Recht nicht fremd, sondern die Regel. Bezogen auf das Strafrecht verdeutlicht dies die regelmäßige Ausgestaltung der Straftaten als Offizialde­ likte. Das staatliche Interesse an der Durchsetzung des materiellen Strafrechts ist gegenüber der Frage, ob der Verletzte bei Offizialdelikten ein Interesse an der Verfolgung des betreffenden Delikts hat, vorrangig. Im Zivilrecht ordnet bspw. § 679 BGB an, dass ein geäußerter Wille umgangen werden kann, wenn bestimmte öffentliche Interessen dies erfordern.

484  Das betont auch die Gesetzesbegründung zur VO vom 2.4.1940, siehe DJ 1940, 508. 485  A. A. Freisler, DJ 1940, 525, 531.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag239 4. These: Das besondere öffentliche Interesse als Überwindung des Antragserfordernisses

Daher soll die These aufgestellt werden, dass das besondere öffentliche Interesse als die Überwindung des Antragserfordernisses anzusehen sein soll486 und sich daher zur inhaltlichen Auslegung nicht am öffentlichen In­ teresse im Sinne der §§ 153, 153a, 376 StPO, sondern am Strafantrag(-ser­ fordernis) zu orientieren hat. IV. Schlussfolgerung Wenn das besondere öffentliche Interesse der Überwindung des Antrags­ erfordernisses dient, muss sich der Begriff inhaltlich am Strafantrag orientie­ ren.

B. Der Strafantrag als Verständnisgrundlage für die inhaltliche Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung Nachdem im vorangegangenen Abschnitt einige grundsätzliche Ausführun­ gen zum besonderen öffentlichen Interesse dargestellt wurden, soll im Fol­ genden der Ansatz verfolgt werden, das besondere öffentliche Interesse in­ haltlich am Strafantragserfordernis auszulegen. I. Vorzüge eines solchen Ansatzes Den Strafantrag als maßgebliches Element anzusehen lässt sich – wie zu­ vor ausgeführt – zunächst anhand der Gesetzessystematik begründen. Denn durch die Passage „es sei denn“ nimmt das relative Antragsdelikt unmittelbar Bezug auf das grundsätzliche Antragserfordernis, da es gerade um dessen Überwindung geht. Der Strafantrag steht dem besonderen öffentlichen Inte­ resse in systematische Hinsicht näher als den Begriffen des öffentlichen Inte­ resses in den §§ 153, 153a, 376 StPO und ist mithin vorrangig heranzuziehen. Daneben verfolgen der Strafantrag sowie das besondere öffentliche Inte­ resse und die darauf basierende Verfolgung seitens der Staatsanwaltschaft dasselbe Ziel: Die Herstellung einer verfolgbaren Tat im Sinne des § 152 II StPO. Während das öffentliche Interesse weder im Kontext der §§ 153, 153a StPO noch bei § 376 StPO über das Vorliegen einer verfolgbaren Tat ent­ 486  Hilger, in: LR-StPO, § 376 Rdnr. 4: „Sein Vorliegen macht den Strafantrag überflüssig.“.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

scheidet (ein Privatklagedelikt ist auch bei fehlendem öffentlichem Interesse verfolgbar, nur eben im Wege der Privatklage), entscheiden beide Rechts­ institute dasselbe bzw. das besondere öffentliche Interesse als Element der Prozessvoraussetzung mit über die Verfolgbarkeit. Ein solches Verständnis lässt sich auch aus dem gesetzgeberischen Motiv herleiten, demzufolge die Verfolgung aufgrund eines Strafantrages hinderlich sei. Er bedient sich also der Konstruktion des relativen Antragsdelikts, um dieses absolute Antragserfordernis zu umgehen. Winnen hat in seiner Unter­ suchung die g ­ esetzgeberischen Motive zur Ausgestaltung der relativen An­ tragsdelikte gerade als solcher aufgezeigt.487 Es ging dem Gesetzgeber stets darum, das Antragserfordernis zu lockern und nicht Fragen des Verhältnisses zu anderen Rechtsnormen zu klären. Zudem haben Strafantrag und besonderes öffentliches Interesse im relati­ ven Antragsdelikt stets einen identischen Anwendungsbereich. Während das öffentliche Interesse im Rahmen der §§ 153, 153a StPO für alle Vergehen anwendbar ist und das öffentliche Interesse in § 376 StPO auf Privatklage­ delikte beschränkt ist, haben die beiden Elemente des relativen Antragsde­ likts denselben tatbezogenen Anwendungsbereich. Letztlich vermeidet ein solches Verständnis auch die – unter Zugrundele­ gung der herrschenden Meinung – seit 2017 bestehende Widersprüchlichkeit im Hinblick auf das Element der Einschüchterung. Durch die Ausgestaltung der Nötigung als Privatklagedelikt488 erscheint es widersprüchlich, die wil­ lensbeugende Beeinflussung zur Begründung eines besonderen öffentlichen Interesses heranzuziehen, wenn sie sogar bei Erreichen der Tatbestandsvoraus­ setzungen des § 240 StGB kein öffentliches Interesse im Sinne des § 376 StPO begründen kann. Ein solches Verständnis würde zudem den oben genannten Widerspruch zwischen der Unzumutbarkeit der Privatklage und der Unzumutbarkeit der Strafantragstellung auflösen, indem die Begriffe unabhängig voneinander verstanden und gemäß ihres jeweiligen Bezugspunktes (Strafantrag und Durchführung der Privatklage) separat beurteilt werden. Im Folgenden wird daher davon ausgegangen, dass der Strafantrag das maßgebliche Element darstellt, um die Umstände zu ermitteln, die zur Be­ gründung eines besonderen öffentlichen Interesses heranzuziehen sind.

487  Winnen,

Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 62 ff. das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens, BGBl. I 2017 S. 3202. 488  Durch



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag241

II. Die Kritik an der Konstruktion des relativen Antragsdelikts Wie in der Einleitung angedeutet, wird die Konstruktion des relativen An­ tragsdelikts von Teilen der Literatur als verfehlt erachtet. In einem ersten Schritt muss daher untersucht werden, ob sich der vorgeschlagene Ansatz, der die Beibehaltung des relativen Antragsdelikts voraussetzt, gegenüber der erhobenen Kritik behaupten kann. 1. Der Kritikpunkt

Der maßgebliche Kritikpunkt besteht darin, dass das relative Antragsdelikt nicht zum System der Antragsdelikte passe.489 Wenn der Gesetzgeber aus Rücksicht auf die schutzwürdigen Belange des in seiner Intimsphäre verletz­ ten Opfers ein Antragserfordernis festschreibe, werde dieser Schutzzweck ausgehöhlt, wenn schwere Fälle eine Verfolgung unabhängig vom Willen des Verletzten ermöglichen, obwohl eigentlich eine erhöhte Schutzwürdigkeit hervorgerufen wird.490 2. Bemerkungen zur Kritik

Die geäußerte Kritik im Hinblick auf den Schutzgedanken des Strafantra­ ges ist berechtigt. Auf der anderen Seite ist es aber durchaus nachvollziehbar, dass sich der Staat ab einer gewissen Intensität nicht gänzlich aus der Frage der Strafverfolgung heraushalten will. 3. Die prozessuale Situation des aussagepflichtigen Verletzten de lege lata

Eine prozessuale Möglichkeit, dem Opfer insb. die Aussage als Zeuge zu ersparen, existiert nicht. Aus Rücksicht auf schützenswerte Interessen besteht die Möglichkeit, die Öffentlichkeit für die Dauer der Zeugenvernehmung von der Hauptverhandlung auszuschließen491, dennoch kommt es dazu, dass die durch die Tat betroffene Person aussagen und ggf. intime Details zur Tat preisgeben muss. Daran ändert auch § 255a II StPO nichts, der ebenfalls nur die Vermeidung der körperlichen Anwesenheit des Verletzten in der Haupt­ 489  Kohlhaas,

NJW 1954, 1792; Geerds, JZ 1984, 786, 787. Wesen und Funktion, S. 177. 491  Der Ausschluss nach § 171b I 1 GVG setzt Umstände voraus, die dem Le­ bensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder des Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung deren schutzwürdige Interesse verletzten würde. Davon macht § 171b I 2 GVG eine Ausnahme, wenn das Interesse an der öf­ fentlichen Erörterung überwiegt. 490  Brähmer,

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

verhandlung betrifft, aber dennoch eine Aussage voraussetzt, an der der ­Angeklagte und der Verteidiger mitwirken können müssen. Zudem gilt diese Norm nur für Zeugen unter 18 Jahren, hilft also vor allem bei den §§ 184i, 238 StGB nicht, wenn das Opfer älter ist. Daher stellt sich die Frage, ob es Möglichkeiten gibt, dem Geheimhaltungsinteresse des Verletzten den absolu­ ten Vorrang vor dem Strafverfolgungsbedürfnis zu gewähren.492 4. Alternativen zur Ausgestaltung als relatives Antragsdelikt?

In Betracht kommen 3 Möglichkeiten: Die Umwandlung in ein absolutes Antragsdelikt, die Einführung eines Widerspruchsrechts in Bezug auf die Strafverfolgung sowie die Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Verletzte der betreffenden Straftaten. a) Umwandlung in ein absolutes Antragsdelikt Mit dieser Frage haben sich insbesondere Hörnle/Klingbeil/Rothbart be­ fasst. In einem Gutachten legen sie überzeugend dar, dass eine Umwandlung in absolute Antragsdelikte keine gangbare Lösung wäre.493 Zum einen be­ ruhe das absolute Antragsdelikt auf dem Bagatellcharakter des betreffenden Delikts.494 Die Delikte im Bereich des Sexualstrafrechts und des persön­lichen Lebensbereiches sind aber keine mit Bagatellcharakter; vielmehr wird ledig­ lich verstärkt auf das Geheimhaltungsinteresse des Opfers Rücksicht genom­ men. Zudem bestehe in solchen Fällen die Gefahr, dass eine Einwirkung des Täters auf den durch die Tat Verletzten dazu führen kann, dass es aus Angst keinen Strafantrag stellt.495 Die Ausgestaltung als absolutes Antragsdelikt würde dazu führen, dass sich über dieses Problem nicht hinweggesetzt wer­ den könnte. Mehrfache Tatbegehung würde dem Opfer weiter zusetzen, ohne dass eine Verfolgungsmöglichkeit besteht. Zudem komme eine Umwandlung wegen europarechtlicher Vorgaben nicht in Betracht. Erwägung 26 der Richtlinie 2011/93/EU verbietet es, die Straf­ verfolgung von der Anzeige oder Anklage des Opfers abhängig zu machen. Die hiervon erfassten Artikel 3 bis 7 der Richtlinie umfassen „Kinder“, wo­ runter nach Art. 2 der Richtlinie alle Personen unter 18 Jahren zu fassen sind. für § 184i StGB Renzikowski, in: MüKo-StGB; § 184i Rdnr. 18. Gutachten, S. 75 ff. 494  Ausnahmen: §§ 244 IV, 244a StGB i. V. m. § 247 StGB. 495  Allerdings wird dieser Umstand geeignet sein, ein besonderes öffentliches Interesse zu begründen. 492  So

493  Hörnle/Klingbeil/Rothbart,



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag243

Demnach ist insbesondere auch § 182 III StGB erfasst. Diese auf europäi­ schen Rechtsakten basierende Unmöglichkeit der Umgestaltung zum absolu­ ten Antragsdelikt betrifft jedoch lediglich § 182 StGB. Bezogen auf die ande­ ren Delikte, denen der Strafantrag als Schutz des Verletzten dient, wäre eine Ausgestaltung als absolutes Antragsdelikt jedenfalls grundsätzlich nicht aus­ geschlossen. Aus den zuvor dargelegten Gründen ist jedoch die Ausgestal­ tung als absolutes Antragsdelikt abzulehnen. Notwendig erscheint es somit, einen Ausgleich zwischen den schützens­ werten Belangen des Opfers und den Strafverfolgungsinteressen herzustellen. Die bisherige Gesetzesfassung hilft da nicht weiter, solange sich in jedem Fall über den Strafantrag des Verletzten hinweggesetzt werden kann. b) Zeugnisverweigerungsrecht für Verletzte Ein weiterer in dem Gutachten angesprochener Aspekt, der zu einer größe­ ren Dispositionsbefugnis des Verletzten führen könnte, wäre die Etablierung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Verletzte betreffender Straftaten. Aber auch diesbezüglich wird überzeugend vorgetragen, weswegen ein solches nicht anzuerkennen ist.496 Es wäre ein nicht ins System der Gründe für ein Verweigerungsrecht passender Umstand, wenn man aus Gründen des Intimi­ tätsschutzes auf die Aussage des Verletzten verzichten würde. Zudem ist es wahrscheinlich, dass Täter und Verletzter die einzigen Beteiligten an Sexualund Indiskretionsdelikten sind und der Verletzte daher als einziger Zeuge zur Verfügung steht. Ein Zeugnisverweigerungsrecht würde die Gefahr begrün­ den, dass ggf. überhaupt keine Aussagen zur betreffenden Tat vorliegen. c) Einführung eines Widerspruchsrechts Da in der Beurteilung des besonderen öffentlichen Interesses auch Belange des Verletzten grundsätzlich Beachtung finden497, könnte man dem Kritik­ punkt dadurch begegnen, dass dem Verletzten ein Widerspruchsrecht zusteht, das die amtliche Verfolgung ausschließt.

496  Hörnle/Klingbeil/Rothbart,

Gutachten, S. 79 ff. in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 6, der in Fällen, in denen die Strafverfolgung gegen den Willen des Verletzten erfolgt, eine Abwägung fordert, die die Gründe des entgegenstehenden Willens einbezieht. 497  Hirsch,

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

aa) Bereits existierendes Widerspruchsrecht Ein solches Widerspruchsrecht ist dem deutschen Strafrecht nicht fremd. § 194 I 2 StGB ermöglicht bei den Beleidigungsdelikten eine strafantragsun­ abhängige Strafverfolgung, wenn der Verletzte als Angehöriger einer Gruppe unter der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherr­ schaft verfolgt wurde, diese Gruppe Teil der Bevölkerung ist und die Belei­ digung mit dieser Verfolgung zusammenhängt und die Tat bspw. öffentlich begangen wurde. § 194 I 3 StGB verbietet die amtliche Strafverfolgung in solchen Fällen jedoch, wenn der Verletzte der Verfolgung widerspricht. Er kann immer dann widersprechen, wenn er an der Strafverfolgung kein Inter­ esse hat.498 Zwar handelt es sich bei der Beleidigung nicht um ein relatives Antragsdelikt im Sinne der hiesigen Untersuchung. Dennoch ist der Gesetz­ geber bereit, trotz Umständen, die seiner Auffassung nach eine Strafverfol­ gung unabhängig vom Vorliegen eines sonst erforderlichen Strafantrags rechtfertigen, die letzte Entscheidung dem Verletzten zu überlassen. Ein solcher Widerspruch ist mehr als ein bloßes Nichtstellen eines Strafan­ trages, denn die Entstehung des Widerspruchsrechtes setzt voraus, dass die Möglichkeit amtlichen Einschreitens überhaupt entstanden ist. bb) Sachgrund für das Widerspruchsrecht Die Gesetzesbegründung nennt den erforderlichen Verletztenschutz als maßgeblichen Grund für das Widerspruchsrecht.499 Dieser Aspekt ist es auch, der als Argument dafür herangezogen wird, in gewissen Fällen die Entscheidung über das Strafverfahren in die Hände des Verletzten zu le­ gen.500 Eine vergleichbare Interessenlage ist daher im Ausgangspunkt gege­ ben. cc) Möglichkeit einer Einführung eines Widerspruchsrechts In Betracht zu ziehen ist die Einführung des Widerspruchsrechts für die Fälle, in denen der Strafantrag dem Schutz des Verletzten dient. Da in diesen Kreis auch § 182 StGB fällt, bedarf es erneut der Beachtung der europarecht­ lichen Vorgaben in Bezug auf die Verfolgung von Kindesmissbrauch. Für

10/3242, S. 11; Hilgendorf, in: LK-StGB, § 194 Rdnr. 8. 10/3242, S. 9. 500  Renzikowski, in: MüKo-StGB, § 184i Rdnr. 18; zu § 184i StGB auch BT-Drs. 18/9097, S. 30. 498  BT-Drs. 499  BT-Drs.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag245

§ 182 StGB ist ein solches Widerspruchsrecht daher nicht möglich. Es ver­ bleiben § 184i StGB, § 201a StGB und § 238 StGB.501 dd) Kritik an der Konstruktion des Widerspruchsrechts Das Widerspruchsrecht ist ein Unikat im deutschen Strafrecht und verhilft dem unmittelbar Betroffenen zur letztendlichen Beachtlichkeit seines Privat­ interesses. Diese Regelung kann jedoch nicht als Vorbild für die relativen Antragsdelikte dienen, bei denen das Strafantragserfordernis zum Schutz des Verletzten eingefügt wurde. Denn zum einen wird durch das relative An­ tragsdelikt klar zwischen Privatinteressen und überindividuellen differenziert. Ein Widerspruchsrecht sorgt dafür, dass die überwiegenden Allgemeininte­ ressen zugunsten einer Entscheidung des einzelnen Betroffenen zurücktreten müssten, womit der Zweck des relativen Antragsdelikts ausgehöhlt wäre. Die Struktur der Verfolgungsregelung des § 194 I StGB entspricht zudem nicht der des relativen Antragsdelikts. Eine Gemeinsamkeit besteht lediglich da­ hingehend, als dass bestimmte Umstände einen Strafantrag entbehrlich ma­ chen. Zudem ließe sich die Begründung des Widerspruchsrechts auch auf alle anderen Antragsdelikte übertragen. Der Verletzte soll nach dem Willen des Gesetzgebers der Verfolgung dann widersprechen können, wenn er an der Verfolgung kein Interesse hat.502 Das ist aber genau die Situation des Strafantrags. Hat der Verletzte kein Interesse, stellt er keinen Strafantrag. Dass die Begründung ein Widerspruchsrecht tragen würde, muss jedoch be­ zweifelt werden. Denn in Fällen der §§ 184i, 201a, 238 StGB wird der Wi­ derspruch nicht erhoben werden, wenn kein Interesse an der Verfolgung be­ steht, sondern um seine schützenswerten Interessen vor öffentlicher Erörte­ rung zu bewahren. Auch unter Zugrundelegung des derzeitigen Verständnis­ ses des relativen Antragsdelikts ist das Widerspruchsrecht nicht kompatibel. Für die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses kann auch eine Abwägung zwischen den Belangen des Betroffenen und denen der Strafver­ folgung vorgenommen werden.503 Wenn das Bestehen eines besonderen öf­ fentlichen Interesses das Ergebnis dieses Abwägungsvorgangs ist, überzeugt es nicht, dieses durch eine im Ermessen des Verletzten stehende Möglichkeit der Verhinderung der Strafverfolgung wieder auszuhebeln.

501  Kritisch im Hinblick auf ein fehlendes Widerspruchsrecht bei § 184i StGB Renzikowski, NJW 2016, 3553, 3557. 502  BT-Drs. 10/3242, S. 11. 503  Hirsch, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 8.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

ee) Konsequenz des Widerspruchsrechts Die Anerkennung eines Widerspruchsrechts würde die letzte Entscheidung über die Durchführung des Strafverfahrens in die Hände desjenigen legen, der über den Widerspruch entscheiden kann. In der Literatur ist anerkannt, dass die gesetzlichen Regelungen zum Strafantrag auf den Widerspruch An­ wendung finden sollen.504 Würde man ein solches Widerspruchsrecht anerkennen, ergäbe sich aber folgendes Problem: Ein Strafverfahren wäre – bspw. im Hinblick auf eine Nachstellung gemäß § 238 StGB – selbst dann nicht möglich, wenn man es mit einem Täter mit psychischen sexuellen Neigungen zu tun hat, die drin­ gend eine therapeutische Behandlung erfordern; es also aus präventiven Gründen eine Notwendigkeit der Strafverfolgung gibt. Ließe man die Straf­ verfolgung nun wegen des Widerspruchsrechts unmöglich, könnte auch keine Maßregel der Besserung und Sicherung verhängt werden, da dies ohne die nötigen Prozessvoraussetzungen nicht zulässig ist.505 Auch im Sicherungs­ verfahren nach den §§ 413 ff. StPO bedarf es zur Durchführung des Verfah­ rens aller Prozessvoraussetzungen506 und somit auch einer wirksamen Erklä­ rung über das Strafverfolgungsinteresse. Die Interessen des Verletzten sogar über solche staatlichen Verfolgungsinteressen, die der Sicherung der Allge­ meinheit vor gefährlichen Tätern dienen, zu stellen, kann allerdings nicht verantwortet werden. Zudem wäre die Anerkennung eines Widerspruchs­ rechts denselben europarechtlichen Problemen ausgesetzt, wie die Umwand­ lung in absolute Antragsdelikte; die Strafverfolgung stünde dann gänzlich im Belieben des Verletzten. Letzteres gilt jedoch lediglich in Bezug auf § 182 StGB. Zudem lassen sich hiergegen dieselben Bedenken wie gegen die Ausge­ staltung als absolutes Antragsdelikt vorbringen. Zwar besteht grundsätzlich die Möglichkeit, unabhängig vom Strafantrag zu verfahren, jedoch hätte der Widerspruch die gleiche Wirkung wie die Rücknahme eines Strafantrages sowie eines nicht gestellten Strafantrags, nämlich die Unmöglichkeit der Strafverfolgung. Allerdings besteht auch ein Unterschied. Während im Rah­ men des Strafantrags auch ein auf Nötigung basierendes Unterlassen nie ei­ nen nicht gestellten Strafantrag ersetzen kann507, könnte der auf Einschüch­ terung basierende Widerspruch als unwirksam angesehen und somit die Strafverfolgung letztlich doch ermöglicht werden. 504  Hilgendorf,

in: LK-StGB, § 194 Rdnr. 8. in: S/S/W-StGB, § 230 Rdnr. 1. 506  BGHSt 31, 132, 134; Maur, in: KK-StPO, § 413 Rdnr. 10. 507  Zu Fristverlängerungen in gewissen Fällen siehe Mitsch, in: MüKo-StGB, § 77b Rdnr. 49 ff. 505  Momsen-Pflanz/Momsen,



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag247 5. Ergebnis

Die Umwandlung der betreffenden relativen Antragsdelikte in absolute Antragsdelikte ist nicht zielführend. Eine Umwandlung in Offizialdelikte würde den Betroffenen jedes Mitspracherecht in Hinblick auf die Durchfüh­ rung des Strafverfahrens verwehren. Ein Widerspruchsrecht nach Vorbild des § 194 I 3 StGB ist ebenfalls nicht zielführend. Die vorgetragene Kritik ist dem Grunde nach zwar berechtigt, kann aber im Ergebnis nicht überzeugen. Gangbare Alternativen zur Beibehaltung existieren nicht. Gegen die Kon­ struktion des relativen Antragsdelikts bestehen daher keine durchgreifenden Bedenken.508 Beachtet werden muss hier allerdings Folgendes: Die betreffen­ den relativen Antragsdelikte stellen die Entscheidung über die Durchführung des Strafverfahrens nur für diese Delikte in das Belieben des Verletzten. Die weit überwiegende Anzahl an Straftaten mit sexuellem Bezug sind Offizial­ delikte, haben einen weit höheren Unrechtsgehalt und nehmen hinsichtlich der Zulässigkeit der Strafverfolgung keine Rücksicht auf die Entscheidung des Verletzten, da es bei ihnen nicht auf einen Strafantrag bzw. auf ein be­ sonderes öffentliches Interesse ankommt. Die Belange des Verletzten müssen bei der Handhabung der Strafverfol­ gung entsprechend berücksichtigt werden.

C. Das Strafantragserfordernis Der Gesetzgeber hält bei relativen Antragsdelikten grundsätzlich am Erfor­ dernis eines Strafantrags fest. In einem ersten Schritt soll dargelegt werden, welche Bedeutung diesem Festhalten zukommt. Eingegangen wird in diesem Zusammenhang zunächst auf die Gründe, die dem Antragserfordernis zu­ grunde liegen. Hierbei handelt es sich um eine Materie, die in der Vergan­ genheit vielfach Gegenstand (auch) monographischer Untersuchungen war509, auf deren Darstellung jedoch nicht verzichtet werden kann. Zu untersuchen ist nämlich, ob sich anhand der Sachgründe des Antragserfordernisses Rück­

508  Ob das relative Antragsdelikt im Ergebnis auch zu brauchbaren Ergebnissen führt und einer sachgerechten Anwendung zugänglich ist, sei mit dieser Feststellung noch nicht gesagt. 509  Ausführlich hierzu Brähmer, Wesen und Funktion des Strafantrages, 1994; M.-K. Meyer, Zur Rechtsnatur und Funktion des Strafantrages, 1984; zusammenfas­ send auch Krack, Rehabilitation, S. 307 ff.; Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren, S. 444 ff. Einige Stimmen im Schrifttum stehen der Institution des Strafantrages ab­ lehnend gegenüber, aus neuerer Zeit bspw. Jescheck/Weigend, AT S. 907, wonach keiner der Gründe für ein Antragserfordernis zur Rechtfertigung dazu dient, die Straf­ verfolgung vom Willen des Verletzten abhängig zu machen.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

schlüsse auf die Auslegung des besonderen öffentlichen Interesses ziehen lassen. I. Überwiegende Akzeptanz des Strafantrags Während das ältere Schrifttum, insbesondere im ausklingenden 19. Jahr­ hundert hin zum Beginn des 20. Jahrhunderts, zum Teil der Auffassung ge­ wesen ist, dass das Strafantragserfordernis keine Existenzberechtigung habe510, herrscht heute weitgehend Akzeptanz des Strafantrags, wenn auch rechtspolitische Probleme weiterhin bestünden.511 Die Lösung dieser rechts­ politischen und rechtstheoretischen Fragestellungen muss weiteren Untersu­ chungen vorbehalten bleiben und kann nicht Gegenstand dieser Untersuchung sein. Neuere Untersuchungen zu dieser Frage finden sich nicht. Lichtner hat 1981 die Berechtigung der Antragsdelikte bestätigt.512 II. Die Sachgründe für das Antragserfordernis Wortlaut und Wille des Gesetzgebers unterstreichen zwar das Verständnis als Regel und Ausnahme, führen bei der inhaltlichen Auslegung jedoch nicht weiter. Als ein für das Verhältnis entscheidender Punkt ist anzusehen, wel­ cher Zweck der Regelung des Strafantrags zugrunde liegt. Erst dessen Ver­ ständnis offenbart Inhaltliches und eröffnet somit die Möglichkeit, sich mit der Einstufung als Regel und Ausnahme zu befassen. 1. Einheitliche Zweckbestimmung

a) Versöhnung und Verzeihung Nach einer vor allem im älteren Schrifttum anzutreffenden Auffassung soll sich das Strafantragserfordernis auf einen einheitlichen Zweck zurückführen lassen.  Maiwald und Bloy nehmen den Aspekt der Verzeihung bzw. Versöh­ nung als Ausgangspunkt.513 Dies wird aus historischer Sicht mit der Rege­ lung des Preußischen Allgemeinen Landrechts begründet, da im zwanzigsten 510  Insbesondere Binding war ein erklärter Gegner des Strafantragsrechts, siehe seine Kritik in Binding, Handbuch des Strafrechts, Band 1 1885, S. 603 Fn. 5; aus neuerer Zeit bspw. Jescheck/Weigend, AT S. 907. 511  Siehe hierzu Kargl, in: NK-StGB, Vor §§ 77 ff. Rdnr. 9 m.w.N.; Greger/Weingarten, in: LK-StGB, Vor §§ 77–77e Rdnr. 2; zur teilweisen Ablehnung des Straf­ antrags heute siehe die zusätzlichen Nachweise bei Krack, Rehabilitierung, S. 306 Fn. 220. 512  Lichtner, Die historische Begründung, 1981. 513  Bloy, Die dogmatische Begründung, S. 114; Maiwald, GA 1970, 33, 38.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag249

Teil § 658 vom „Erlass“ des betreffenden Delikts die Rede sei.514 Dieser Gedanke liegt auch früheren Entwürfen zu Strafgesetzbüchern zugrunde. § 102 Abs. 1 des Entwurfs zu einem StGB von 1843 erklärte im Falle der Verzeihung ein Verhalten ausdrücklich für straflos.515 Parallel dazu wurde auch die dreimonatige Ausschlussfrist für das Stellen des Strafantrags aufge­ nommen. b) Rechtsfrieden Daneben wird dafür eingetreten, aus der unterlassenen Stellung des Straf­ antrags abzuleiten, dass es nicht zu einer hinreichenden Störung des Rechts­ friedens gekommen sei.516 Der Einzelne, der die Allgemeinheit repräsen­ tiere, mache erst dadurch, dass er den Strafantrag stellt deutlich, dass es zu einer eine Verfolgung gebietenden Störung des Rechtsfriedens gekommen sei.517 Nach von Bar geht es bei Antragsdelikten schlicht darum, dass eine straf­ rechtliche Reaktion sei nur dann erforderlich sei, wenn der Verletzte durch die Stellung des Antrages das Bedürfnis nach Verfolgung kenntlich ma­ che.518 Der Sache nach entspricht dies ebenfalls einer erst durch den Straf­ antrag zur Entstehung gelangenden relevanten Rechtsfriedensstörung. c) Kritik Dass der Strafantrag ausschließlich dem Aspekt der Versöhnung zwischen Täter und Opfer dient, kann jedoch nur dann richtig sein, wenn die unterlas­ sene Antragstellung stets Ausdruck der Verzeihung ist. Dass dies unzutref­ fend ist, ist jedoch schon damit belegt, dass ein Antragsberechtigter, der unter dem Druck des Täters keinen Antrag stellt, diesem mitnichten verziehen ha­ ben muss.519 Dieser Aspekt kann dabei gegen beide Gedanken der einheit­ lichen Grundkonzeption vorgetragen werden.520 514  Maiwald,

GA 1970, 33, 35. I StGB E 1843 lautete: „Verbrechen, deren Bestrafung von dem Antrage einer Privatperson abhängig ist, bleiben straflos, wenn der Verletzte dem Thäter ver­ ziehen, oder den Antrag auf dessen Bestrafung nicht binnen 3 Monaten gemacht hat.“ Zitiert nach Goltdammer, Materialien, Band I S. 390. 516  Roxin/Greco, Strafrecht AT I, § 23 Rdnr. 55 f. im Anschluss an Volk, Prozeß­ voraussetzungen, S.  204 ff. 517  M.-K. Meyer, Rechtsnatur und Funktion, S. 48. 518  v. Bar, GA 1871, 641, 644 f. 519  Zutreffend Greger/Weingarten, in: LK-StGB, Vor §§ 77–77e Rdnr. 2. 520  Greger/Weingarten, in: LK-StGB, Vor §§ 77–77e Rdnr. 2. 515  § 102

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Zudem wird gegen das einheitliche Konzept eingewandt, dass dieser As­ pekt im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts das Antragserfordernis nicht zu begründen vermag. Personenbezogene Tatbege­ hungen werden in diesem Rechtsgebiet ausscheiden.521 Auch Bloy gibt zu, dass die Anerkennung weiterer Gründe durchaus zutreffende Aspekte enthal­ ten kann.522 Maiwalds Auffassung ist auch mit der geltenden Gesetzeslage jedenfalls dann nicht mehr ohne Weiteres vereinbar, wenn man mit ihm fordert, dass es sich bei den betreffenden Delikten um solche handeln muss, die ein für den Verletzten disponibles Rechtsgut beeinträchtigen.523 Da dies jedenfalls bei § 299 StGB und § 107 UrhG umstritten ist524, erscheint die Besinnung auf einen einheitlichen Zweck fragwürdig. Aus dem Bereich der absoluten An­ tragsdelikte ist zudem § 355 StGB zu nennen, der nach unbestrittener Auffas­ sung eine doppelte Schutzrichtung aufweist, wobei mit dem Vertrauen in die Verschwiegenheit der Amtsträger jedenfalls ein überindividuelles Rechtsgut mit geschützt wird.525 Letztlich ist der Kreis der Antragsdelikte zu der Zeit, zu der Maiwald diese Auffassung publizierte, weit eingeschränkter gewesen und hat noch nicht den jetzigen § 248a StGB und die auf diese Norm verwei­ senden Delikte umfasst. Dass die Delikte damals in der Regel persönliche Auseinandersetzungen betroffen haben, die auch ein bestimmtes Opfer be­ treffen sollte526, mag für den damals geltenden Kreis der Antragsdelikte zugetroffen haben, lässt sich indes heute nicht mehr für den einheitlichen Zweck des Strafantrags halten. In Bezug auf die Strafvorschriften des Ne­ benstrafrechts meint Maiwald dennoch, die Delikte dieser Bereiche können dem einheitlichen Zweck unterworfen werden, da auch bei diesen Delikten die Personenbezogenheit anzunehmen sein könne.527 Gegen die alleinige Besinnung auf den Rechtsfrieden wird vorgetragen, dass ein solches Verständnis den Hintergrund des Antragserfordernisses nicht erklären könne.528 Daneben vermag ein solches Verständnis im Kontext des Schutzzwecks des Strafantrags nicht zu überzeugen. Stellt der Verletzte kei­ nen Strafantrag, weil er Geheimhaltung wünscht, bedeutet dies nicht stets, dass keine Störung des Rechtsfriedens eingetreten ist. 521  Weber,

JZ 1971, 490, 493. Die dogmatische Bedeutung, S. 113. 523  Maiwald, GA 1970, 33, 36. 524  Für §  299 StGB siehe Rönnau, in: A/R/R, 3. Teil, 2. Kap. § 299 StGB Rdnr. 11; für § 107 UrhG siehe Sternberg-Lieben, in: BeckOK-UrhR, § 107 Rdnr. 1. 525  Vormbaum, in: LK-StGB, § 355 Rdnr. 79. 526  Maiwald, GA 1970, 33, 37. 527  Maiwald, GA 1970, 33, 38. 528  Krack, Rehabilitierung, S. 309. 522  Bloy,



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag251

d) Folgerung Nach heute herrschendem und auch in dieser Arbeit zugrunde gelegtem Verständnis, unterscheiden sich die Funktionen des Strafantrags je nach be­ treffendem Delikt. Eine trennscharfe Zuordnung zu den einzelnen Zielen des Antragserfordernisses wird dabei allerdings kaum möglich, Überschneidun­ gen werden vielfach unvermeidbar sein. Allen Antragsdelikten ist gemein, dass durch das Antragserfordernis eine entlastende Wirkung für die Strafver­ folgungsbehörden eintritt.529 Ein „Zweck“ im Sinne von Sachgrund liegt darin allerdings nicht, es handelt sich lediglich um eine Konsequenz des Antragserfordernisses. 2. Die einzelnen Sachgründe

Im Folgenden wird dargestellt, welche Ziele der Strafantrag verfolgt und welcher Zweck beim jeweiligen Delikt vorherrschend ist. Wie diese Eintei­ lung terminologisch stattzufinden hat, wird nicht einheitlich beurteilt, im Wesentlichen lässt sich jedoch die folgende Kategorisierung vornehmen. a) Die Tat berührt die Allgemeinheit nicht oder nur wenig Manchen Antragsdelikten liegt der Gedanke zugrunde, dass wegen ihres Bagatellcharakters grundsätzlich kein Agieren von staatlicher Seite erforder­ lich erscheint, um auf die begangene Rechtsverletzung zu reagieren.530 Die Verwirklichung der Strafbarkeitsmerkmale berühre die Allgemeinheit bei diesen Delikten in nur geringem Maße.531 Eine Störung des Rechtsfriedens, mit der Folge, dass ein staatliches Handeln angezeigt sei, könne erst dann angenommen werden, wenn der jeweilige Strafantragsberechtigte sein Inte­ resse an einer Verfolgung kundtue.532 Hierzu werden vor allem die absoluten Antragsdelikte zu zählen sein.533 Aber auch aus dem Kreis der relativen Antragsdelikte lassen sich Delikte dieser Kategorie zuordnen. Das gilt insbesondere für § 248a StGB und die auf diese Norm verweisenden Delikte. Das ergibt sich aus dem geringen 529  Kett-Straub,

JA 2011, 694, 695. Ausschluss der Bagatellkriminalität als Rechtfertigung für das Antrags­ erfordernis lehnt Rieß, Gutachten, C 68 Rdnr. 94 m. w. N. ab. 531  Bosch, Jura 2013, 368. 532  Kargl, in: NK-StGB, Vor §§ 77 ff. Rdnr. 10; Bosch, in: S/S-StGB, § 77 Rdnr. 5. 533  Brähmer, Wesen und Funktion, S. 91 Fn. 12; Greger/Weingarten, in: LKStGB, Vor §§ 77–77 Rdnr. 4. 530  Den

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Maximalbetrag, den das Tatobjekt aufweisen darf.534 Zudem ist die seit dem EGStGB geltende Fassung des § 248a StGB Ausfluss der gesetzgeberischen Entscheidung, die Bagatellkriminalität im Eigentums- und Vermögensstraf­ recht weiterhin im StGB zu verorten. Auch die Sachbeschädigung soll zu diesem Grund zu zählen sein535; wohl auch dem Zweck des Ausschlusses von Bagatellfällen zuzuordnen ist § 230 StGB536. Aus den Motiven wird ersichtlich, dass unter anderem die einfache Körperverletzung als Privatklagedelikt ausgestaltet worden ist, weil sie ein alltägliches Vorkommnis sei und das allgemeine Wohl der bürgerlichen Ge­ sellschaft zumeist wenig berühre.537 Auch die Delikte aus dem Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes sollen diesem Aspekt unterfallen.538 Dies ist jedoch kritisch zu sehen. Patentverlet­ zungen oder der Verrat von Geschäftsgeheimnissen können zu hohen Schä­ den für das betroffene Unternehmen führen. Im Vergleich zu den klassischen bagatellarischen Tatbeständen besteht die Möglichkeit einer nach oben grundsätzlich unbegrenzten Schadenshöhe, ohne dass die Tat zum Offizial­ delikt wird. Es ist daher davon auszugehen, dass der Strafantrag nicht (aus­ schließlich) auf dem Bagatellgedanken fußt. Dem lässt sich freilich die Ausgestaltung der betreffenden Delikte als Privatklagedelikte entgegenhalten. b) Schutz der Familie sowie Rücksichtnahme auf Intimsphäre und Geheimhaltungsinteresse des Verletzten Bei einigen Delikten nimmt der Gesetzgeber bei der Anordnung des An­ tragserfordernisses Rücksicht auf die Beziehung zwischen Täter und Verletz­ tem. Am deutlichsten tritt dies bei § 247 StGB zu Tage, der Diebstähle im Familienkreis ausnahmslos (auch im Rahmen der Verbrechenstatbestände der §§ 244 IV, 244a StGB) zu absoluten Antragsdelikten erklärt.539 Dies schlägt 534  § 248a StGB ebenfalls hier verortend: Brähmer, Wesen und Funktion, S. 91 Fn. 12; Greger/Weingarten, in: LK-StGB, Vor §§ 77–77 Rdnr. 4. 535  Weber, JZ 1971, 390, 394. 536  In der Literatur gab es vermehrt Aussprachen für die Abschaffung des An­ tragserfordernisses bei der fahrlässigen Körperverletzung. siehe hierzu Rieß, Gutach­ ten, C 71 Rdnr. 100. 537  So die amtliche Begründung bei Mugdan, S. 276. Übersehen wird hier nicht, dass es sich um die Motive zur Schaffung der StPO handelt und nichts dazu gesagt wird, weswegen die einfache Körperverletzung als Antragsdelikt ausgestaltet wird. Anhand der Materialien lässt sich der gesetzgeberische Wille, wegen des Alltags­ charakters die Tat nicht stets von Amts wegen zu verfolgen, klar ableiten. Diese Mo­ tivation ist typisch für diesen Zweck des Strafantrages. 538  Brähmer, Wesen und Funktion, S. 91 Fn. 12. 539  Für eine Streichung des § 247 StGB Vogel, in: LK-StGB, § 247 Rdnr. 1.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag253

sich auch bei jenen Delikten durch, die kraft Verweisung auf § 247 StGB Bezug nehmen. Für die hier relevanten relativen Antragsdelikte hat dieser Umstand insofern Bedeutung, als beim Zusammentreffen der §§ 247 und 248a StGB keine Möglichkeit besteht, von Amts wegen zu verfahren. Der Gesichtspunkt des Opferschutzes beruht auf der Erwägung, dass bei gewissen Straftaten die Interessen des Verletzten an der Vermeidung einer strafrechtlichen Untersuchung einen höheren Stellenwert besitzen als die Strafverfolgungsinteressen des Staates.540 Wenn es der Verletzte wünscht, soll ihm die Prozedur eines Strafverfahrens erspart bleiben. Das Antragser­ fordernis findet seine Rechtfertigung darin, dass die Nachteile, die dem durch die Tat Verletzten durch das Strafverfahren entstehen, größer wären/sein können, als die Nachteile, die eine unterbleibende Strafverfolgung zur Folge hat.541 Dieser Zweck des Strafantrages betrifft zunächst die §§ 182 III542, 183543, 184i sowie § 238 StGB. Im Gegensatz zu den Bagatelldelikten be­ steht bei diesem Zweck des Strafantrags grundsätzlich ein staatliches Inte­ resse an der Verfolgung. Aus Rücksichtnahme lässt der Staat seine Verfol­ gungsinteressen hinter denen des Verletzten zurücktreten.544 Ferner lassen sich auch die §§ 223, 229, 230 StGB in solchen Fällen diesem Aspekt zuord­ nen, in denen es um das Arzt-Patienten-Verhältnis geht, da der Verletzte den Arzt von der bestehenden Schweigepflicht entbinden müsste, wenn er Straf­ verfolgung wünscht. Bezogen auf § 238 StGB führt der Gesetzgeber aus: „In der Regel kann nur der Betroffene selbst Art, Umfang und Intensität der Hand­ lungen und ihrer Auswirkungen darstellen und ein- schätzen, ob er sich den Belas­ tungen, die mit der Durchführung eines Strafverfahrens verbunden sind, stellen will.“545

Aber auch im Bereich der relativen Antragsdelikte, im Abschnitt „Verlet­ zung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs“, wird bei § 201a StGB 540  Schmid,

in: LK-StGB, Vor § 77 ff. Rdnr. 4. schon Mittermaier, ArchCrimR 1838, 609, 617. 542  Gegen die Begrenzung der Verfolgung Laufhütte, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 182 Rdnr. 7 zum gleichlautenden § 182 II StGB a. F. Laufhütte begründet dies mit der trotz des geringeren Strafrahmens gleichen Situation; gegen die unterschiedliche Behandlung der Abs. 1 und 2 einerseits und Absatz 3 andererseits Renzikowski, in: MüKo-StGB, § 182 Rdnr. 85. 543  Dehne-Niemann, HRRS 2018, 280, 284, der sich auch für eine Erweiterung des bedingten Antragserfordernisses – so seine Terminologie – auf § 183a StGB aus­ spricht. 544  Brähmer, Wesen und Funktion, S. 94; vgl. auch schon v. Liszt, Strafrecht, 16./17. Aufl. 1908, S. 194 f. 545  BT-Drs. 16/575 S. 8. 541  So

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

dieser Aspekt Berücksichtigung finden können.546 Zunächst war § 201a StGB als absolutes Antragsdelikt ausgestaltet. Ausweislich der Gesetzesbegründung wird dem Verletzten die Entscheidung über die Durchführung des Strafver­ fahrens überlassen, weil es um seinen höchstpersönlichen Lebensbereich geht.547 Generell kann es vorkommen, dass auch trotz prozessualer Mittel das Geheimhaltungsinteresse des Verletzten überwiegt und somit das An­ tragserfordernis in diesem Bereich legitim ist.548 Wohl auch zu diesem Zweck des Strafantrags zu zählen ist § 235 StGB, der sowohl das Sorgerecht, als auch dem Schutz des Minderjährigen selbst dient.549 Diese gesetzgeberische Entscheidung muss bei der Ausgestaltung des be­ sonderen öffentlichen Interesses berücksichtigt werden. Betrachtet man die Geschichte des relativen Antragsdelikts, fällt auf, dass die Regelung lange Zeit nur im Kontext des § 232 StGB a. F. bestanden hat, bei dem es nicht um schützenswerte Interessen des Verletzten gegangen ist, sondern ein Antragserfordernis als hinderlich angesehen wurde. Als der Ge­ setzgeber mit § 183 II StGB das erste relative Antragsdelikt, bei dem der Strafantrag dem Schutz der Intimsphäre dient, geschaffen hat, hat er nicht in Rechnung gestellt, dass sich der Sinn des Antragserfordernisses von dem in anderen relativen Antragsdelikten unterscheidet. In der Gesetzesbegründung zu § 182 III StGB wird lediglich darauf verwiesen, dass eine Ausgestaltung der Verfolgungsregelung wie in den §§ 183, 232550, 248a, 303c StGB erfol­ gen soll.551 c) Schutz des Geheimhaltungsinteresses im wirtschaftlichen Bereich sowie Filterfunktion Im Wirtschaftsstrafrecht findet sich eine Kombination der beiden zuvor genannten Fälle. Wenn vertreten wird, dass die wirtschaftsstrafrechtlichen Antragsdelikte den Bagatelldelikten zuzuordnen sein sollen, kann dem nur zum Teil zugestimmt werden. Plausibel ist die Einordnung, da es sich zu­ meist um Delikte handelt, die zugleich Privatklagedelikte sind. Damit signa­ lisiert der Gesetzgeber, dass grundsätzlich kein öffentliches Interesse an der Erhebung der öffentlichen Klage besteht. Der Zweck ist jedoch nicht allein 546  Weigend,

Deliktsopfer und Strafverfahren, S. 447. 15/2466, S. 5 f. 548  Schünemann, in: LK-StGB, § 205 Rdnr. 1. 549  Wieck-Noodt, in: MüKo-StGB, § 235 Rdnr. 1. 550  Jetzt § 230 StGB. 551  BT-Drs. 12/4584 S. 9. 547  BT-Drs.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag255

ausschlaggebend. Es geht den Betroffenen vielfach auch um Geheimhaltung, um ihren Ruf nicht zu gefährden.552 Maßgeblich sind hierbei Fälle, in denen der Tatverletzte aus wirtschaftlichen Gründen auf ein Strafverfahren verzich­ ten will,553 weil eine Strafverfolgung dazu führen würde, bestimmte Infor­ mationen, die nach Einschätzung des Strafantragsberechtigten einer Geheim­ haltung bedürfen, in die Hauptverhandlung und somit an die Öffentlichkeit gelangen können. Der Schwerpunkt der Begründung des Antragserfordernis­ ses dürfte daher in diesem Aspekt zu erblicken sein. Die Umwandlung vom absoluten zum relativen Antragsdelikt verfolgte den Zweck, im Interesse der Strafverfolgung der Neigung, Straftaten wegen Geheimhaltungsinteressen bzgl. geschäftlicher Vorgänge nicht anzuzeigen, entgegenzutreten.554 Im Laufe der Zeit hat sich die Auffassung des Gesetz­ gebers hinsichtlich der Notwendigkeit der Strafverfolgung – wie in anderen Bereichen auch555 – zugunsten einer Ausweitung der Verfolgungsmöglich­ keiten gewandelt. Für die Straftatbestände des gewerblichen Rechtsschutzes wird der Zweck des Strafantrages zudem darin gesehen, aus vorrangig zivilrechtlichen Strei­ tigkeiten im Einzelfall strafwürdige Verhaltensweisen herauszufiltern.556 Begründet wird dies mit dem Ultima-Ratio-Charakter des Strafrechts; die zivilrechtlichen Instrumentarien seien vorrangig einschlägig.557 Die Filter­ funktion wird auch abseits dieser Delikte angenommen. So findet sich in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages zum 2. WiKG, dass dem in § 205 I StGB angeordneten Antragserfordernis auch eine Filter­ funktion zur Vermeidung unnötiger Strafverfahren zukomme.558 d) Fazit zu den Zwecken Der Strafantrag erfüllt im Rahmen der relativen Antragsdelikte im Wesent­ lichen zwei Funktionen. Zum einen sorgt er dafür, dass bloße Bagatellen 552  RGSt

76, 335, 336. bspw. für § 299 StGB, wo das Tatopfer ein Strafverfahren vermeiden kön­ nen möchte, um negative Folgen wie Imageschäden oder die Offenlegung interner Vorgänge zu vermeiden, siehe Rönnau, in: A/R/R 3. Teil Kap. 2 Rdnr. 119. 554  Gaede, in: Leitner/Rosenau, § 301 StGB Rdnr. 1. 555  Diverse Delikte waren früher als absolute Antragsdelikte, wurden sukzessive aber zu relativen Antragsdelikten umgestaltet. Zu den Motiven des Gesetzgebers siehe insb. Winnen, Eingeschränkte Antragsdelikte, S. 62 ff. 556  Rieß, Gutachten, C 69 Rdnr. 94 mit Hinweisen auf das Schrifttum, die das Antragserfordernis bei diesen Delikten ablehnen, bspw. Nordemann, NStZ 1982, 372 ff. 557  Rieß, Gutachten, C 17 Rdnr. 16. 558  BT-Drs. 10/5058, S. 29. 553  So

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

nicht stets von Amts wegen zu verfolgen sind. Daneben gewährt er den je­ weils Antragsberechtigten ein Bestimmungsrecht über die Durchführung des Strafverfahrens, wenn schützenswerte Belange einer Strafverfolgung entge­ genstehen können. Der Aspekt der familiären Beziehung kommt durch § 247 StGB zum Ausdruck, der im Rahmen der relativen Antragsdelikte jedoch keine Rolle spielt, da dessen Vorliegen zum absoluten Antragsdelikt führt. In jedem Fall sorgt das Antragserfordernis für ein grundsätzliches Zurücktreten staatlicher Verfolgung zugunsten der Entscheidung des Strafantragsberechtig­ ten. Indes sind Überschneidungen der Funktionen des Strafantrags denkbar, sodass eine kategorische Zuordnung zwar grundsätzlich, jedoch nicht ohne Ausnahmen, möglich ist. So wird von Krack das Beispiel gebildet, dass in­ nerhalb des Familienkreises ein Diebstahl nicht zur Verfolgung gebracht wird, weil es dem Verletzten peinlich ist.559 Ein legitimes Geheimhaltungsin­ teresse kann zum anderen auch die Frau F haben, der ein Schwangerschafts­ test gestohlen wird und im Verfahren herauskommen könnte, dass das Kind nicht von ihrem Ehemann, sondern von einem Freund der Familie stammt. Der Strafantrag ist somit zugleich Angriffs- und Verteidigungsmittel. Ers­ teres dann, wenn der Berechtigte durch die Stellung des Strafantrags sein Genugtuungsinteresse und den Wunsch nach Strafverfolgung kundtut; Vertei­ digungsmittel, indem ihm die Möglichkeit gegeben wird, den Strafprozess zu verhindern.560 Die Legitimation des Strafantrags lässt sich bei den Delikten des Nebenund Wirtschaftsstrafrechts bezweifeln. Der Gesetzgeber hat das Antragserfor­ dernis als hinderlich angesehen und wollte durch die Ausweitung der Verfol­ gungsmöglichkeiten der Praxis, nur in wenigen Fällen Strafanträge zu stellen, entgegenwirken. Eine Ausgestaltung als Offizialdelikte wäre daher zielfüh­ render. Hierbei muss nämlich beachtet werden, dass die Zweckbestimmung des Geheimhaltungsinteresses von dem Geheimhaltungsinteresse im Rahmen der Sexual- und Indiskretionsdelikte zu unterscheiden sein kann. Umstände, die im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes das relative Antragsdelikt zu einem Offizialdelikt machen, sind insbesondere gewerbsmäßige Verhal­ tensweisen.561 Dabei handelt es sich um ein subjektives Merkmal, das aus­ schließlich den Unrechtsgehalt des Täterverhaltens modifiziert, auf der ande­ ren Seite nicht zu einer erhöhten Schutzwürdigkeit wegen einer intensiveren Rechtsgutsbeeinträchtigung führt. 559  Krack,

Rehabilitierung, S. 311. Teil wird die Eigenschaft als defensives Instrument, das der Verhinde­ rung des Verfahrens dient, als faktisch stärkeres Element angesehen, vgl. Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren, S. 444; Rieß, Gutachten, C 16 Rdnr. 14, C 67 Rdnr.  93 m. w. N. 561  Siehe bspw. § 108a UrhG, § 142 II PatG, § 143 II MarkenG. 560  Zum



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag257

e) Probleme Die Begründung des Antragserfordernisses mit Bagatellgedanken führt zu Abgrenzungsproblemen, die kurz anhand der Körperverletzung und Sachbe­ schädigung erläutert werden sollen. Zu unterscheiden wären dann solche Verletzungen/Beschädigungen, die bloße Bagatellen darstellen und schon nicht tatbestandsmäßig wären, von solchen, die tatbestandsmäßig, aber noch nicht erheblich wären. Eine körperliche Misshandlung liegt nämlich nur dann vor, wenn die betreffende Person mehr als nur unerheblich in ihrem körper­ lichen Wohlbefinden beeinträchtigt ist.562 Die Tatmodalitäten des § 303 I StGB erfordern jeweils das Überschreiten einer Erheblichkeitsschwelle.563 Sähe man das Überschreiten der tatbestandsinternen Bagatellgrenze als Be­ ginn der Erheblichkeit an, wäre der Strafantrag in diesen Delikten nicht sachgerecht, da gerade keine strafbaren Bagatellen mehr vorlägen und jede Tatbestandsverwirklichung den Zweck des Strafantrags bereits aushebeln würden. Notwendig ist also zunächst eine differenzierte Auslegung des Be­ griffs der Bagatelle. Dabei reicht der Bagatellgedanke im Rahmen des Straf­ antragserfordernisses weiter als der materiell-rechtliche Bagatellbegriff im Rahmen der Tatbestandserfüllung. Im Interesse der Vermeidung unnötiger Abgrenzungsfragen sollte der Zweck des Strafantrags nicht im Bagatellcharakter der Normen, sondern im grundsätzlich geringfügigen Unrecht gesehen werden. Eine trennscharfe Abgrenzung der Zwecke des Strafantrags lässt sich nicht vornehmen. Auch Elemente, die zum Versuch der Begründung eines einheit­ lichen Konzepts herangezogen werden, fließen in die Begründung einzelner Sachgründe ein. Das gilt insbesondere für die Überschneidung zwischen ge­ ringfügigem Unrecht und der damit zusammenhängenden geringen Störung des Rechtsfriedens. Daher wird es im Folgenden notwendig sein, auch die Aspekte der hier nicht geteilten einheitlichen Zweckbestimmung in die Über­ legungen und Argumentationen einfließen zu lassen. Aus der Ablehnung der einheitlichen Konzeptionen soll nicht zu folgern sein, dass die Umstände keinen Einfluss auf die Frage nach der Zulässigkeit der strafantragsunabhän­ gigen Strafverfolgung haben können.

562  BGHSt 563  Siehe

chung.

25, 277, 278. hierzu Rengier, BT I, § 24 Rdnr. 11 mit Nachweisen aus der Rechtspre­

258

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

f) Folgerungen Wortlaut und Systematik der relativen Antragsdelikte mögen zwar unter­ mauern, dass das besondere öffentliche Interesse als Ausnahme zur grundsätz­ lich auf dem Strafantragserfordernis basierenden Strafverfolgung anzusehen ist. Inhaltlich lässt sich jedoch erst die Analyse der Zwecke des Strafantrags fruchtbar machen, da es letztlich diese sind, die den „Regelfall“ charakterisie­ ren und somit die Basis dafür bilden, die „Ausnahme“ auszulegen. Legt man ein Verständnis der gesetzlichen Regelung zugrunde, wonach die Strafverfolgung grundsätzlich nur auf Antrag des Verletzten stattfindet, in bestimmten Fällen aber auch ohne diesen Antrag agiert werden kann, lässt sich das besondere öffentliche Interesse charakterisieren als das Moment, welches der Überwindung des Antragserfordernisses dient. Zu fragen ist so­ mit in jedem Fall eines relativen Antragsdeliktes, wann diese Überwindung erfolgen kann. Unter Zugrundelegung dessen müssen mithin Umstände vorliegen, die dafür sorgen, dass auch bei Delikten, denen kein hoher Unrechtsgehalt inne­ wohnt, nicht mehr von einer Bagatelle gesprochen werden kann. Auf der anderen Seite müssen Umstände vorliegen, die eine aus Verhinderungsmoti­ ven geleitete Entscheidung, den Strafantrag nicht zu stellen, zu überwinden geeignet sind. Die Auffassung, eine Strafverfolgung gegen den Willen des Verletzten könne stets erfolgen, ist in dieser Allgemeinheit nicht gewinnbrin­ gend. Sie vernachlässigt gänzlich den Aspekt der Verzeihung und dessen Auswirkung auf die Frage nach dem Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses.564 Zudem lässt sich feststellen, dass die Überwindung des Strafantragserfor­ dernisses nur dort sinnvoll erscheint, wo der Strafantrag das Genugtuungs­ interesse des Verletzten zum Ausdruck bringen soll. In den anderen Fällen stehen sich Verfolgungswille und Verfolgungsverhinderungswille gegenüber. Dies ist bei der Frage, wann in solchen Fällen von Amts wegen zu verfahren sein darf, in Rechnung zu stellen. III. Das Strafantragserfordernis als Recht des Verletzten Die Anerkennung eines Strafantragserfordernisses sorgt zunächst dafür, dass der Verletzte seinen Willen kundtun muss, damit die Strafverfolgung stattfinden kann. Er hat ein Recht zur Stellung eines Strafantrags, keine Pflicht. Mühlhaus betont, dass das Recht nicht nur die Stellung des Straf­ antrages umfasst, sondern zugleich auch das Recht, auf die Stellung eines 564  Hierzu

unten, S. 278 ff.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag259

Strafantrages zu verzichten und somit die Prozessvoraussetzung zu verhin­ dern.565 Dieses Recht auch zum Unterlassen des Strafantrags ist ein Aspekt, der bei der Auseinandersetzung mit dem relativen Antragsdelikt zu wenig Berücksichtigung findet. Die Strafverfolgung von Amts wegen setzt sich über dieses Recht zum Unterlassen des Strafantrags hinweg.

D. Die Überwindung des Strafantragserfordernisses I. Historische Stütze Das besondere öffentliche Interesse als die Überwindung des Strafantrags­ erfordernisses anzusehen, lässt sich historisch stützen. Wie in einem früheren Kapitel aufgezeigt worden ist, ist es dem Gesetzgeber bei der Schaffung des ersten relativen Antragsdelikts in der heutigen Gestalt auch darum gegangen, das als hinderlich empfundene Antragserfordernis zu lockern. Bei dieser Argumentation ist freilich Vorsicht geboten. Ein zur Notwendigkeit der ­ ­Strafverfolgung von Amts wegen führender Umstand war, dass das gesunde Volksempfinden eine Bestrafung erforderlich machte.566 Dieser nationalso­ zialistisch ausgelegte Terminus kann heute keine tragfähige Grundlage mehr sein, dennoch ist der Grundgedanke identisch: Die Überwindung des Strafan­ tragserfordernisses zugunsten staatlicher Interessen. II. Folgerungen aus der Existenz absoluter Antragsdelikte Die Darstellung der derzeitigen materiellen Auslegung des besonderen ­ ffentlichen Interesses hat gezeigt, dass viele Umstände zur Annahme eines ö besonderen öffentlichen Interesses führen können sollen. Ein häufig anzutref­ fender Aspekt war jener der (einschlägigen) Vorstrafen. Als erstes muss je­ doch die Feststellung stehen, dass es im heutigen Strafrecht keine Aspekte gibt, die in jedem Fall einen Strafantrag entbehrlich machen. Das belegt die Existenz des absoluten Antragsdelikts. So rechtfertigen auch 25 einschlägige Vorstrafen nicht die Strafverfolgung des A, der zum 26. Mal ein Haus besetzt und das Hausrecht des Hausrechtsinhabers missachtet, wenn kein Strafantrag gestellt worden ist. Selbiges gilt für Einschüchterungen oder eine gesell­ schaftsfeindliche Gesinnung. Ein Strafantrag ist immer unersetzbare567 Vo­ raussetzung zur Verfolgung absoluter Antragsdelikte.

565  Mühlhaus,

JZ 1952, 170; so auch Bär, DAR 1984, 129, 132. die amtliche Begründung, DJ 1940, 508. 567  Greger/Weingarten, in: LK-StGB, Vor §§ 77–77 Rdnr. 11. 566  So

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Daher stellt sich die Frage, weswegen es eben jene Aspekte sein sollen, die es rechtfertigen, sich über das gesetzlich angeordnete Antragserfordernis hinwegzusetzen, mit denen nach derzeitigem Verständnis das besondere öf­ fentliche Interesse begründet wird. III. Die Auswirkungen der gesetzgeberischen Entscheidung, grundsätzlich am Strafantragserfordernis festzuhalten Die erste Folgerung aus dem Festhalten am Antragserfordernis ist, dass die rechtswidrige und schuldhafte Deliktsverwirklichung zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion ist. Wie beim absoluten Antragsdelikt müssen zusätzliche Umstände hinzutreten, die eine Verfolgung legitimieren. 1. Die Beachtlichkeit des Willens des Strafantragsberechtigten

Weiterhin ist abzuleiten, dass der Wille des Verletzten stets Beachtung finden muss. Eine Strafverfolgung von Amts wegen, die unter Außeracht­ lassen der Belange des Verletzten durchgeführt wird, widerspräche der ge­ setzlichen Konstruktion des relativen Antragsdelikts. 2. Kein besonderes öffentliches Interesse anhand der §§ 77 ff. StGB

Eine in diesem Zusammenhang stehende Frage ist die, ob ein besonderes öffentliches Interesse mit dem gesetzlichen Regelungsgehalt des Strafan­ tragsrechts begründet werden kann. Insbesondere stellt sich in diesem Zu­ sammenhang die Frage, ob die Aspekte Formverstoß, Fristablauf, Rücknahme und Verzicht als solche geeignet sind, zur Annahme eines besonderen öffent­ lichen Interesses zu führen. Unter Zugrundelegung des derzeit noch bestehenden Verständnisses beste­ hen grundsätzlich keine Einwände gegen die Annahme eines besonderen öf­ fentlichen Interesses. Weil keine Begründungspflicht besteht, ist es unerheb­ lich, aus welcher Motivation heraus das besondere öffentliche Interesse bejaht wird.568 Als zutreffend ist es jedoch anzusehen, alle Aspekte, die mit dem gesetz­ lich gegebenen Regelungsgehalt in Zusammenhang stehen, als unbeachtlich anzusehen. Der Gesetzgeber ist mit der Schaffung des Strafantragsrechts ein Risiko eingegangen. Dieses besteht in der potentiellen Unverfolgbarkeit der 568  Zu Aspekten des Rechtsmissbrauchs in diesem Zusammenhang siehe Roggan, StraFo 2013, 231, 233 ff.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag261

betreffenden Tat, wenn nicht innerhalb der Frist ein Strafantrag gestellt wird und dieser im Verfahren auch noch besteht. Die Begründung eines besonde­ ren öffentlichen Interesses anhand solcher Umstände, die allein in der Risi­ kosphäre des Antragsberechtigten liegen, ist abzulehnen. Die Anerkennung einer solchen Möglichkeit würde der gesetzgeberischen Wertung zuwiderlau­ fen und eine Umgehung des Strafantragsrechts bedeuten. Dass der Strafan­ trag nicht den Schutz des Beschuldigten bezweckt,569 steht dem nicht entge­ gen. Denn der Schutzzweck, insbesondere der Strafantragsfrist, besteht darin, möglichst kurze Zeit Ungewissheit über die Möglichkeit einer Strafverfol­ gung zu haben.570 Auch der Verzicht auf die Ausübung des Strafantrags­ rechts sorgt für vollendete Tatsachen. Zwar ist gesetzlich nur die Rücknahme geregelt, die Möglichkeit des Verzichts jedoch anerkannt.571 Nach erfolgtem Verzicht kann ein Strafantrag nicht mehr gestellt werden572; ebenso bei der Rücknahme, § 77d 1 3 StGB. Ein solches Verständnis ist auch aus einem anderen Gesichtspunkt heraus als zutreffend anzusehen. Mit dem oben herausgestellten Anknüpfungspunkt ist die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses, anhand von ge­ setzlichen Vorgaben des Strafantragsrechts, nicht vereinbar. Das besondere öffentliche Interesse muss sich auf die Strafverfolgung des betreffenden rela­ tiven Antragsdelikts beziehen. Es bedarf daher des Vorliegens solcher Um­ stände, die es legitimieren, gerade unabhängig vom Strafantrag zu verfahren. Zur Begründung kann es daher nicht auf solche Umstände ankommen, die nicht in Zusammenhang mit der Tat oder dem Täter stehen. Freiverantwort­ lich getroffene Entscheidungen in Hinblick auf den Strafantrag haben aber mit der Tat und dem Täter sowie dem Verfolgungsbedürfnis nichts zu tun. IV. Der Aussagegehalt des Strafantrags und des besonderen öffentlichen Interesses Nachdem erörtert wurde, welchen Zweck der Strafantrag verfolgt, soll nun erarbeitet werden, welcher Aussagegehalt dem bestehenden besonderen öf­ fentlichen Interesse sowie einem gestellten Strafantrag entnommen werden kann bzw. was aus seiner unterlassenen Stellung folgt.

569  Greger/Weingarten,

in: LK-StGB, Vor §§ 77–77 Rdnr. 3. 71, 34, 39. 571  Mitsch, in: MüKo-StGB, § 77d Rdnr. 7. 572  Mitsch, in: MüKo-StGB, § 77d Rdnr. 7. 570  RGSt

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses 1. Der Aussagegehalt des gestellten Strafantrags

Der Aussagegehalt des gestellten Strafantrags besteht darin, dass der Ver­ letzte Genugtuung wünscht. Er bringt seinen Wunsch nach Strafverfolgung zum Ausdruck.573 Er bittet also den Staat, den aus seiner Sicht gestörten Rechtsfrieden wiederherzustellen. Ob es dem Berechtigten ausschließlich darum geht oder ob er auch seine privaten Rachegelüste befriedigen will, ist dabei unerheblich. In der Literatur wird der Versuch unternommen, miss­ bräuchlich gestellte Strafanträge als unwirksam gelten zu lassen.574 Dieser Vorstoß wird von der herrschenden Meinung nicht geteilt.575 2. Der Aussagegehalt des unterbliebenen Strafantrags

Beim unterlassenen Strafantrag muss eine differenzierte Betrachtung erfol­ gen. Es kann verschiedene Gründe geben, derentwegen ein Strafantrag nicht gestellt wird. Zunächst kann es vorkommen, dass der Berechtigte schlicht keinen Verfolgungswunsch hegt, sich daher frei entschließt, auf die Schaf­ fung der Prozessvoraussetzung zu verzichten. Daneben kann es aber auch Furcht sein, wie Nr. 242a RiStBV zeigt, die den Berechtigten von der Stel­ lung eines solchen abhält. In dieser Situation wäre es gewiss nicht richtig, aus der unterlassenen Stellung des Strafantrags auf ein mangelndes Verfol­ gungsinteresse zu schließen. Daher ist darzulegen, was „unterlassen“ in diesem Fall bedeutet. Aus der Terminologie des Gesetzes lässt sich nichts zur Beantwortung dieser Frage herleiten. a) „Unterlassen“ der Stellung eines Strafantrags Das Unterlassen bezeichnet in seinem Normalfall das Untätigbleiben des Strafantragsberechtigten. Entscheidet er sich, keinen Strafantrag zu stellen, unterlässt er es damit.576 Denkbar sind indes Konstellationen, in denen der Berechtigte nicht die Möglichkeit hat, einen Strafantrag zu stellen. Hierbei ist zunächst zu beachten, dass eine tatsächliche oder rechtliche Verhinderung die Frist nicht zum Laufen bringt und eine bereits begonnene Frist gehemmt wird.577 573  RGSt 65, 354, 357; BGHSt 13, 363; Greger/Weingarten, in: LK-StGB, § 77 Rdnr. 13. 574  Siehe hierzu Naucke, in: FS-Meyer, 565; Barnstorf, NStZ 1985, 67. 575  Siehe bspw. Wolter, in: SK-StGB, Vor § 77 Rdnr. 6; Bosch, in: S/S-StGB, § 77 Rdnr.  31/32 m. w. N. 576  Mitsch, in: MüKo-StGB, § 77b Rdnr. 43. 577  Greger/Weingarten, in: LK-StGB, § 77b Rdnr. 12.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag263

Unterschieden werden muss der freiverantwortlich unterlassene Strafantrag von einem durch Beeinflussung unterlassenen Stellen des Strafantrags. b) Der unbeeinflusst unterlassene Strafantrag Der oben erwähnte Aspekt der Verzeihung, kommt in diesem Zusammen­ hang zum Tragen. Die Entscheidung, den Strafantrag nicht zu stellen, kann darauf beruhen, dass der Frieden zwischen dem Täter und dem Opfer wieder­ hergestellt worden ist. Dann beruht die Entscheidung zum Unterlassen des Strafantrags aus einer Wiederherstellung des Rechtsfriedens zwischen den am stärksten an dem Konflikt beteiligten Personen, nämlich Täter und Ver­ letztem. c) Unterlassene Strafantragstellung infolge willensbeugender Einwirkung Beispiel: A hat dem B die Freundin ausgespannt. Dieser will das nicht auf sich sitzen lassen und fängt den A eines Tages an der Bushaltestelle ab, als dieser von der Arbeit kommt. B läuft auf A zu und schlägt ihm ohne Vorwar­ nung ins Gesicht. A erleidet einen Nasenbeinbruch. Um weiter auf den A einzuwirken, sagt er zu diesem „Wenn du wegen der Sache hier zur Polizei rennst, wirst du sehen, was du davon hast!“. Eingeschüchtert durch die kör­ perliche Überlegenheit des B, lässt A die Frist für den Strafantrag verstrei­ chen. Anhand der Darstellung des derzeitigen Meinungsstands zur materiellen Auslegung ist deutlich geworden, dass die Einschüchterung des Antragsbe­ rechtigten zur Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses führen können soll. Innerhalb der Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zum ­öffentlichen Interesse ist ferner ersichtlich geworden, dass ein solches Ver­ ständnis nur dann tragfähig sein kann, wenn man zwischen den beiden Be­ griffen kein Stufenverhältnis annimmt. Die Einschüchterung sorgt dafür, dass die Willensbildung des Antragsbe­ rechtigten nicht mehr frei und unbeeinflusst erfolgt. Im Schrifttum wird vertreten, dass eine bspw. aufgrund schwerster Drohungen, wie mit Mord, erfolgte Antragsrücknahme als unbeachtlich anzusehen sei.578 Der Strafan­ trag bleibt als Konsequenz bestehen. Das unterscheidet sich von dem Bei­ spiel insbesondere aber dahingehend, dass bereits ein Strafantrag vorliegt. Eine Fiktion eines rechtzeitig gestellten Antrags kann damit nicht begründet werden. Einzig besteht die Möglichkeit, nicht von einem „Unterlassen“ im 578  Bosch,

in: S/S-StGB, § 77d Rdnr. 8.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Sinne des § 77b I StGB auszugehen.579 Dies wird für Fälle ebenfalls schwers­ ter Drohungen angenommen und mit dem Vorliegen eines tatsächlichen Hindernisses begründet.580 Im Beispielsfall erreicht die Drohung allerdings nicht so einen erheblichen Schweregrad. 3. Der Aussagegehalt des besonderen öffentlichen Interesses

Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung sorgt für eine Entbehrlichkeit des Strafantrags und sagt daher aus, dass eine Tat verfolgt werden soll, ohne dass der Antragsberechtigte dies wünschen muss. Die Aus­ sage kann in zwei Weisen erfolgen. Zum einen kann es bedeuten, dass das grundsätzliche Erfordernis, den Verfolgungswunsch zu bekunden, entfallen kann. Zum anderen kann ausgesagt werden, dass eine Verfolgung auch dann erfolgt, wenn der Strafantragsberechtigte sich gegen eine Verfolgung aus­ spricht. Im Zweifel zählt – bildlich gesprochen – die Stimme des Staates mehr als die des durch die Tat Betroffenen. 4. Fazit

Das Vorliegen des besonderen öffentlichen Interesses und der gestellte Strafantrag haben denselben Aussagegehalt; die Tat soll verfolgt werden. Die Motivation, einen Strafantrag (nicht) zu stellen, kann verschiedene Gründe haben. Der gesetzlich erfasste Regelfall wird dabei so aussehen, dass der gestellte Strafantrag das Verfolgungsbegehren des Berechtigten signali­ siert, der unterlassene Strafantrag den Wunsch des Berechtigten repräsentiert, die Tat nicht verfolgt zu wissen. Dies gilt jedoch nicht zwingend in jedem Fall. 5. Folgerung

Eben weil die Motivlage so facettenreich sein kann, muss bezweifelt wer­ den, dass Homann mit der Aussage, ein Genugtuungsinteresse des Berechtig­ ten könne kein besonderes öffentliches Interesse begründen, in dieser Allge­ meinheit recht hat. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Berechtigte aus Angst vor negativen Konsequenzen keinen Strafantrag stellt. Allerdings ist das Element, das letztlich das besondere öffentliche Interesse begründen kann, die willensbeugende Einwirkung und nicht das Genugtuungsinteresse, sodass Homann im Ergebnis zuzustimmen ist. 579  Siehe

hierzu Mitsch, in: MüKo-StGB, § 77b Rdnr. 43 ff. in: S/S-StGB, § 77b Rdnr. 19.

580  Bosch,



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag265

V. Die Auswirkungen der Tatbestandsbezogenheit des Strafantrags Es bedarf zudem der Beachtung der Tatbestandsbezogenheit der jeweiligen Regelung.581 Die Begründung eines besonderen öffentlichen Interesses an der Verfolgung eines relativen Antragsdelikts kann daher nicht damit begrün­ det werden, dass der Täter zugleich ein anderes Delikt verwirklicht hat. Ebenso muss die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses aus­ scheiden, wenn hierzu ein Umstand herangezogen wird, der das Antragser­ fordernis eines anderen relativen Antragsdelikts begründet. VI. Die Überwindung der einzelnen Sachgründe des Strafantragserfordernisses Wenn das besondere öffentliche Interesse als Überwindung des Strafan­ tragserfordernisses zu verstehen ist, müssen die einzelnen Sachgründe des Strafantrags überwunden werden. Betrachtet wird hier die in dieser Untersu­ chung befürwortete Aufteilung in unterschiedliche Zwecke. Ausgespart wer­ den in diesem Zusammenhang zunächst die Aspekte der Verzeihung und der willensbeugenden Beeinflussung. Die Bedeutung dieser Umstände für das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses wird an anderer Stelle behandelt.582 1. Mangelndes Interesse der Allgemeinheit an der Strafverfolgung

Betrachtet werden soll zunächst das Strafantragserfordernis, das wegen des grundsätzlich mangelnden Interesses an der Strafverfolgung angeordnet wird. Sofern in diesem Zusammenhang der Bagatellgedanke angeführt wird, muss Folgendes beachtet werden. Es wird eine terminologische Verknüpfung zwi­ schen Bagatelle und dem mangelnden Interesse an der Strafverfolgung her­ gestellt. Konsequenterweise würde die Frage nach der Notwendigkeit der Verfolgung stets davon abhängen, ob die betreffende Tat eine Bagatelle dar­ stellt, was eine Einzelfallbetrachtung erforderlich machen würde. Absolute Antragsdelikte – also jene, bei denen am häufigsten mit dem Bagatellgedan­ ken argumentiert wird – können jedoch entweder nicht zur Nicht-Bagatelle werden oder auch das Überschreiten einer gewissen Grenze führt nicht zur Notwendigkeit der Strafverfolgung.

581  Kindhäuser, 582  Hierzu

in: NK-StGB, § 248a Rdnr. 15. S.  279 ff.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

a) Die Tat verliert ihren Charakter als Bagatelle Entsprechend der Feststellung, dass das besondere öffentliche Interesse den Strafantrag überwinden können muss, stellt sich die Frage, wann das jeweilige Delikt den Bagatellcharakter verliert. b) Die Bagatelldelikte Hierzu ist zunächst erforderlich darzulegen, was eine Bagatelle kennzeich­ net. Als Synonyme für Bagatelle werden auch Begriffe wie „Kleinigkeit“ oder „Geringfügigkeit“ verwendet. Dies ermöglicht ohne Schwierigkeiten die Subsumtion des§ 248a StGB unter diesen Begriff, selbiges gilt für die De­ likte, die § 248a StGB in Bezug nimmt. In der zivilrechtlichen Rechtspre­ chung werden Bagatellen charakterisiert als vorübergehende, im Alltagsleben und häufig auch aus anderen Gründen als einem besonderen Schadensfall entstehende Beeinträchtigungen des Körpers oder des seelischen Wohlbefin­ dens.583 Zentral ist demnach, dass es sich um eine Rechtsverletzung kleineren Ausmaßes handelt. Dreher differenziert zwischen zwei Kategorien. Zum einen gebe es De­ likte, die schon hinsichtlich ihrer objektiven Beschreibung nur geringfügiges Unrecht enthalten und zum anderen solche, die in einer Weise begangen werden können, dass sie sowohl schweres Unrecht als auch Bagatelle sein können.584 In Betracht kommt hierbei im hiesigen Kontext lediglich die zweitgenannte Gruppe, da zu ersteren vor allem die im Zuge des EGStGB aus dem StGB gestrichenen Übertretungen zu zählen gewesen sind.585 Anerkannt ist daher heute, dass es keine Delikte mehr gibt, die per se als Bagatellen zu kenn­ zeichnen sind. Vielmehr ist anhand von gewissen Umständen zu schauen, ob die betreffende Tat als Bagatelle anzusehen sein kann.586 c) Umstände, die eine Tat zur Bagatelle machen Eine Eingrenzung kann zunächst anhand des Strafrahmens getroffen wer­ den. Einer Einordnung als Bagatellen steht jedenfalls jedes Delikt offen, das 583  BGHZ

137, 142, 147. in: FS-Welzel, 917 f. 585  Hoven, JuS 2014, 975. 586  Ausführlich zum Problemkreis Bagatelle siehe Kunz, Das strafrechtliche Ba­ gatellprinzip, 1984. 584  Dreher,



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag267

keine erhöhte Mindeststrafe aufweist.587 Demnach wären alle relativen An­ tragsdelikte grundsätzlich geeignet, in bagatellarischer Form aufzutreten, da keine erhöhte Mindeststrafandrohung gegeben ist. In der Rechtsprechung findet sich die Auffassung, dass eine Strafrahmenobergrenze von 3 Jahren als Argument dafür dienen soll, dass der Gesetzgeber das betreffende Delikt nicht als Bagatelle ansieht.588 Dies ist jedoch nicht zutreffend. Folgte man dieser Einschätzung, wäre der Diebstahl geringwertiger Sachen wegen der Höchststrafe von 5 Jahren erst recht keine Bagatelle, obwohl dieses Delikt als Paradebeispiel für Bagatellkriminalität anzusehen ist.589 Die Einordnung des betreffenden Delikts erfolgt zumeist anhand einer Betrachtung solcher Umstände, die auch als Voraussetzungen einer Verfah­ renseinstellung nach § 153 StPO angesehen werden – geringe Schuld und fehlendes öffentliches Interesse. Allerdings bestehen auch Unterschiede hinsichtlich der Begriffe. Im Rah­ men der Körperverletzung oder Sachbeschädigung sind bloße Bagatellen bereits vom Tatbestand ausgenommen. Beim Diebstahl hingegen sind auch nahezu wertlose Tatobjekte geeignet, den Tatbestand zu erfüllen.590 Es muss daher eine das Strafantragserfordernis auslösende Intensität vorliegen. Dagegen sind die Feststellung der Bagatellgrenze und deren Überschreiten beim Diebstahl geringwertiger Sachen recht einfach. Die jeweils festgesetzte Wertobergrenze bildet den Punkt, ab dem von einer Bagatelle nicht mehr gesprochen werden soll. Jedoch führt das Überschreiten dieser Bagatell­ grenze – und darin liegt ein zentraler Unterscheid zu den §§ 223, 303 StGB – direkt zur Gestalt des Offizialdelikts. Allerdings bemisst sich die Eigenschaft als Bagatelle nicht lediglich nach dem Schaden, sondern aus einer Zusammenschau von Erfolgs- und Hand­ lungsunrecht.591 Dies ermöglicht auch die Beachtung solcher Umstände, die nicht in Zusammenhang mit dem Ausmaß der Rechtsverletzung oder den Folgen der Tat stehen, insbesondere der Beweggründe des Täters. Weiterhin soll auch die Schuld des Täters dazu führen können, dass die konkrete Tat keine Bagatelle mehr darstellt.592 Legt man dieses Verständnis zugrunde, sind all jene Umstände in der Lage, den Bagatellcharakter zu überwinden, die die Aspekte Erfolgsunwert, Hand­ lungsunwert und Schuld betreffen. 587  Hoven,

JuS 2014, 975, 976. VGH Kassel BeckRS 2013, 57224 Rdnr. 6. 589  Die Höchstgrenze daher zu Recht ablehnend Hoven, JuS 2014, 975, 976. 590  Lackner/Kühl-StGB, § 242 Rdnr. 2. 591  Hoven, JuS 2014, 975. 592  Dreher, in: FS Welzel, 917. 588  So

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

d) Überwindung des Bagatellcharakters Dient der Strafantrag dem Ausschluss von Bagatellfällen aus der grund­ sätzlichen Verfolgungspflicht, muss es sich um Umstände handeln, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, gerade diesen Fall unabhängig vom Straf­ antrag zu verfolgen. Das ist dann anzunehmen, wenn die Elemente, derent­ wegen von einer Bagatelle gesprochen wird, erhöhtes Unrecht darstellen, also die Kennzeichen, die eine Bagatelle ausmachen, nicht mehr gegeben sind. aa) Orientierung an den strafzumessungsrelevanten Umständen Will man einzelne Umstände dahingehend untersuchen, ob sie den Hand­ lungs- oder Erfolgsunwert bzw. die Schuld des Täters betreffen, stellt sich die Frage, nach welchen Maßstäben zu beurteilen ist, ob der jeweilige Um­ stand dazu geeignet ist. Es bietet sich an, sich an den Kriterien zu orientieren, die im Rahmen des § 46 II StGB für die Strafzumessung heranzuziehen sind. Handlungs- und Erfolgsunwert sind maßgebliche Umstände für die Schuld­ beurteilung. Wenn es diese Umstände sind, die auch den Bagatellcharakter entfallen lassen, erscheint eine Heranziehung geboten. Unter Beachtung des Zeitpunktes, zu dem das besondere öffentliche Interesse vorliegen muss, er­ geben sich zudem keine Konflikte, da die Staatsanwaltschaft gemäß § 160 III 1 StPO bereits im Ermittlungsverfahren auch strafzumessungsrelevante Um­ stände zu ermitteln hat. Im Folgenden ist daher der Frage nachzugehen, wann die einzelnen Um­ stände hinreichend erhöht sind, sodass von einer Bagatelle nicht mehr ge­ sprochen werden kann. bb) Erfolgsunrecht Ein wesentlicher Umstand für die Strafzumessung ist das Erfolgsunrecht. Im Rahmen des besonderen öffentlichen Interesses taucht dieser Aspekt vor allem unter dem Stichwort „Ausmaß der Rechtsverletzung“ auf. Er bezeich­ net in erster Linie die Höhe des Schadens, der dem Rechtsgut(-sinhaber) durch die Tat entstanden ist. Für eine begriffliche Präzisierung könnte zunächst eine Orientierung an den geringen Tatfolgen angezeigt sein, von denen § 153 I 2 StPO die Not­ wendigkeit gerichtlicher Zustimmung zur Einstellung abhängig macht. Für Bagatellen ist es charakteristisch, dass gerade das Erfolgsunrecht gering ist, wenn auch nicht ausschließlich. Allerdings muss dieses Merkmal zusätzlich zur geringen Schuld hinzutreten. Dennoch wird dafür eingetreten, sich an



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag269

§ 46 II StGB zu orientieren.593 Erkennt man diese Auslegung an, wird im Rahmen der Vermögensdelikte die Bagatellgrenze parallel zu § 248a StGB bestimmt, auch über den Anwendungsbereich der Norm hinaus.594 Übertra­ gen auf die relativen Antragsdelikte würde dies bedeuten, dass der Bagatell­ charakter – legt man hinsichtlich des Wertes die derzeit herrschenden Mei­ nung zugrunde – ab einem Schaden von 50 € nicht mehr gegeben ist. Will man die relativen Antragsdelikte des Nebenstrafrechts und des ge­ werblichen Rechtsschutzes, wegen ihrer Einstufung als Privatklagedelikte, ebenfalls unter dem Aspekt des Bagatellcharakters als Antragsdelikte recht­ fertigen595, wird dieser Betrag auch für diese Delikte anzusetzen sein. Insbe­ sondere im Bereich der Urheberrechtsverletzungen wird diese Grenze aller­ dings in vielen Fällen schnell erreicht sein. Jedoch wäre eine unterschiedliche Bagatellgrenze mit der Unsicherheit verbunden, wann sie erreicht und über­ schritten ist. Normative Anhaltspunkte existieren nicht. Eine präzise Grenzziehung ist dagegen bei Nichtvermögensdelikten nicht möglich, da kein bezifferbarer Schaden besteht. Das betrifft aus dem Kreis der relativen Antragsdelikte insbesondere die (fahrlässige und einfache) Kör­ perverletzung. Legt man wiederum die tatbestandliche Abgrenzungsnotwen­ digkeit zu nicht tatbestandsmäßigen vernachlässigbaren Verletzungen als Maßstab an, ist jede tatbestandliche Körperverletzung erheblich genug, um den Bagatellcharakter zu überwinden. Wann die Bagatellgrenze der Körper­ verletzung verlassen und eine Tatbestandsmäßigkeit angenommen wird, ist mehr Kasuistik als dogmatische Auseinandersetzung.596 Einigkeit besteht lediglich dahingehend, dass objektive Umstände vorliegen und es nicht auf das subjektive Empfinden ankommen dürfe.597 An dieser Stelle sei auf die oben bereits angesprochene Problematik verwiesen, dass eine mehrstufige Abgrenzung vonnöten ist. Demnach müsste theoretisch jede tatbestandliche Körperverletzung auch zur Überschreitung der Bagatellschwelle führen. Ein solches Verständnis liegt sogar nahe. Denn wenn alles Unerhebliche nicht tatbestandsmäßig ist, ist tatbestandsmäßig alles Erhebliche. Will man nicht bereits jede tatbestandsmäßige Körperverletzung als geeignet ansehen, stellt sich wiederum die Frage, wann eine „Erheblichkeit“ vorliegt, die eine an­ tragsunabhängige Strafverfolgung zu rechtfertigen vermag. Ein Anknüp­ fungspunkt für die Erheblichkeit der Verletzungen könnte dabei im Merkmal „schwere Gesundheitsschädigung“ erblickt werden, wie es bspw. in § 221 593  Beulke,

in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 51 ff. hierzu Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 51 ff. m. w. N. 595  So Brähmer, Wesen und Funktion, S. 91 Fn. 12. 596  Siehe hierzu die Nachweise bei Sternberg-Lieben, in: S/S-StGB, §  223 Rdnr. 4a. 597  Hardtung, in: MüKo-StGB, § 223 Rdnr. 22. 594  Siehe

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

StGB Verwendung findet. Hierbei dürfen freilich die vom Begriff umfassten Folgen der §§ 226, 226a StGB nicht eintreten. Abzustellen sein kann daher nur auf die weiteren erfassten Fälle, namentlich bei ernsten, langwierigen und nachhaltigen Krankheiten sowie erheblichen Störungen der Körperfunk­ tionen oder der individuellen Arbeitskraft.598 Ein solch strenger Maßstab kann allerdings nicht angelegt werden, da § 46 II StGB kein Mindesterfolgs­ unrecht voraussetzt, unterhalb dessen keine Berücksichtigung erfolgt. Mit einer Erheblichkeit der Rechtsverletzung lässt sich nicht in allen Fäl­ len die Überwindung des Strafantragszwecks begründen. Deutlich wird dies insbesondere bei § 248a StGB. Der Wert des Tatobjekts muss stets gering­ wertig, also bagatellarisch sein, damit es auf das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses überhaupt ankommt. Die Überwindung des Bagatell­ charakters kann sich daher im Rahmen dieser Norm und jenen, die auf sie verweisen, nur an solchen Aspekten orientieren, die nicht auf die Schadens­ höhe Bezug nehmen. cc) Handlungsunrecht Das Handlungsunrecht bezeichnet insbesondere die subjektive Seite des Tatgeschehens und umfasst vordergründig die Motivation des Täters für seine Tat. Strafzumessungsrechtlicher Anknüpfungspunkt in § 46 II StGB ist hierbei das Elemente der Beweggründe. An dieser Stelle muss vielfach be­ achtet werden, dass gewerbsmäßiges Handeln, welches ein Element des subjektiven Tatbestands ist, zum Vorliegen eines Offizialdelikts führt und daher ungeeignet ist, ein besonderes öffentliches Interesse zu begründen. Aus dem Kreis der relativen Antragsdelikte wird im Bereich der Körper­ verletzungsdelikte das Handlungsunrecht durch eine rassistische oder ander­ weitig menschenverachtende Tatmotivation erhöht. Der Gesetzgeber empfin­ det diese Tatmotivationen als derart wichtig, dass er sie – unabhängig vom konkreten Delikt – explizit in § 46 II StGB hat festhalten lassen599 und auch zur Auslegung des (besonderen) öffentlichen Interesses als maßgebliche As­ pekte angesehen hat, indem sie in die Nr. 233, 234 RiStBV integriert wurden. Erfolgs- und Handlungsunrecht können sich gegenseitig dergestalt beein­ flussen, dass aus geringem Handlungsunrecht ein großes Erfolgsunrecht re­ sultiert. Beispiel: In der Fabrik des E wird Linsensuppe hergestellt und in Alumi­ niumdosen abgefüllt. Diese Dosen werden in drei Bundesländern im Super­ markt B vertrieben. Aufgrund einer kleinen Unachtsamkeit des Produktions­ 598  Klesczewski, 599  Kritisch

BT, § 3 Rdnr. 123 m. w. N. zur Neugestaltung Jungbluth, StV 2015, 579.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag271

leiters gelangen Glassplitter in die Suppe. 150 Personen erleiden leichte Mundverletzungen beim Verzehr der Suppe. In diesem Fall kann vom Baga­ tellcharakter der fahrlässigen Körperverletzung keine Rede mehr sein. Das Handlungsunrecht ist nicht groß, dafür ist der Erfolgsunwert umso höher. Als weiteres Beispiel lässt sich die Unachtsamkeit eines Autofahrers C anführen, der – abgelenkt durch einen Blick auf das Mobiltelefon – eine Kurve auf der Autobahn übersieht und gegen die Leitplanke fährt. Die hinter dem C fahren­ den Autos können nicht mehr bremsen und es kommt zu einem großen Unfall mit mehreren beteiligten Fahrzeugen. Ebenso wie Handlungen aus wirtschaftlicher Not auf Ebene der Strafzu­ messung zu Milderungen führen kann, hat dies auch für das besondere öf­ fentliche Interesse zu gelten. Unter dem Gesichtspunkt des Handlungsunrechts ist in § 46 II StGB das Maß der Pflichtwidrigkeit entscheidend. Dieser Aspekt, der vornehmlich die Strafzumessung im fahrlässigen Bereich betrifft600, hat daher ebenfalls im Rahmen der fahrlässigen Körperverletzung Relevanz und innerhalb dieser hauptsächlich im Bereich der Unfälle im Straßenverkehr. Hierzu zählen auch die in Nr. 243 III RiStBV angesprochenen Umstände wie Alkoholkonsum oder der Genuss anderer berauschender Mittel, die weiter genannten Um­ stände der Tatfolgen dagegen bereits auf Ebene des Erfolgsunrechts. dd) Schuld Eine strikte Trennung der Elemente ist nicht möglich. Sowohl Erfolgsun­ recht als auch Handlungsunrecht können das Maß der Schuld beeinflussen.601 Wenn bereits anhand ersterer Umstände vorliegen, die zur Überwindung des Bagatellgedankens geeignet erscheinen, bedarf es vielleicht doch zusätzlich einer Auseinandersetzung mit solchen Schuldelementen, die weder Erfolgs-, noch Handlungsunrecht betreffen. Ebenfalls von Einfluss auf den Schuldge­ halt können die Gesinnung des Täters sowie einschlägige Vorstrafen sein, die nach vielfachem Verständnis ebenfalls ein besonderes öffentliches Interesse begründen sollen. Im Katalog des § 46 II StGB sind Vorstrafen unter dem Stichpunkt „Vorleben des Täters“ zu verorten. Hierbei muss beachtet werden, dass Vorstrafen, im Gegensatz zu Erfolgs- und Handlungsunwert keinen Be­ zug zur Tat und zum Antragserfordernis aufweisen. Zwar nennt auch die Gesetzesbegründung zur VO 1940 diesen Umstand und auch in der Moderne wird anhand dieses Umstands das besondere öffentliche Interesse zu begrün­ den versucht. Gemessen an der Herleitung des hier vorgeschlagenen Ansatzes 600  Fischer,

§ 46 Rdnr. 31. in: S/S/W-StGB, § 46 Rdnr. 96.

601  Eschelbach,

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

erscheint dieser Aspekt jedoch nicht mehr grundsätzlich, sondern nur aus­ nahmsweise beachtenswert. Voraussetzung ist nämlich der Bezug zur Schuld. Im Schrifttum wird dabei davon ausgegangen, dass Vorstrafen nicht ohne Weiteres zur Erhöhung des Schuldgehalts der Tat führen.602 Maßgeblich ist vielmehr das Bestehen eines Zusammenhangs zwischen der früheren und der zu beurteilenden Tat. Einschlägige Vorstrafen sind daran gemessen am ehes­ ten in der Lage, den Schuldvorwurf zu erhöhen und damit auch ein Umstand, der zur Beurteilung des besonderen öffentlichen Interesses in Rechnung zu stellen ist. Zu berücksichtigen ist im Rahmen des Schuldvorwurfs auch ein eventuel­ les Mitverschulden des Verletzten.603 ee) Die Verwirklichung besonders schwerer Fälle Eine Sonderfrage besteht darin, wie besonders schwere Fälle in diesem Zusammenhang zu würdigen sind. In manchen Delikten sind sie ausdrück­ lich vom Antragserfordernis umfasst, woraus zunächst zu schließen ist, dass der Gesetzgeber dessen Vorliegen nicht stets als derart gravierend erachtet, um damit die Tat zum Offizialdelikt zu erklären. Liegen besonders schwere Fälle, die dogmatisch als Strafzumessungsgesichtspunkte einzuordnen sind, vor, betrifft dies den Schuldgehalt und führt zur Anwendbarkeit eines erhöh­ ten Strafrahmens. Da sich Bagatellen durch einen geringen Schuldgehalt auszeichnen, liegt es nahe, beim Eingreifen besonders schwerer Fälle keine Bagatelle mehr anzunehmen, sodass die Überwindung des Zwecks des Straf­ antrags gegeben und diese somit taugliche Umstände für die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses sind. Problematisch ist nun, wie es sich auswirkt, dass § 243 II StGB die An­ wendbarkeit der besonders schweren Fälle ausschließt, wenn ein Fall des § 248a StGB vorliegt.604 Kann das objektive Verwirklichen der besonders schweren Fälle zur Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses heran­ gezogen werden, wie es von der herrschenden Meinung angenommen wird? Dies ist zu bejahen. Der Ausschluss betrifft lediglich Anwendbarkeit des § 243 I StGB, also die Verurteilung wegen eines Diebstahls in einem beson­ ders schweren Fall mit erhöhtem Strafrahmen. Darüber hinaus entfaltet § 243 II StGB keine Sperrwirkung dahingehend, dass dem Täter das objektive 602  Vgl. Lackner/Kühl, § 46 Rdnr. 37; siehe auch Kinzig, in: S/S-StGB; § 46 Rdnr. 31. 603  BGHSt 3, 218, 220; Theune, in: LK-StGB, § 46 Rdnr. 227. 604  Die Geringwertigkeitsbegriffe stimmen überein, siehe nur Vogel, in: LK-StGB, § 243 Rdnr. 57.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag273

Verwirklichen der Regelbeispiele im Rahmen der allgemeinen Strafzumes­ sung angelastet werden kann. Im Gegensatz zu den Regelbeispielen des § 263 III 2 StGB erscheint das Zusammenspiel mit allen Varianten grund­ sätzlich möglich, da kein besonders schwerer Fall auf den Wert des Tatob­ jekts abstellt.605 e) Fazit Verglichen mit den Umständen, die nach bisherigem Verständnis zur Be­ gründung des besonderen öffentlichen Interesses herangezogen werden, ist festzustellen, dass eine Vielzahl an Umständen tatsächlich geeignet ist, den Sachgrund des mangelnden Interesses der Allgemeinheit zu überwinden und potentiell ein besonderes öffentliches Interesse zu begründen. Vielfach wer­ den solche Umstände genannt, die den drei Aspekten (Erfolgsunwert, Hand­ lungsunwert, Schuld) zuzuordnen sind. 2. Zur Überwindung des Schutzzwecks

Eine Besonderheit stellt die Frage dar, ob auch der Schutzzweck des Straf­ antrags „überwunden“ werden kann. Wie sich an früherer Stelle gezeigt hat, ist diese Problematik Aufhänger für die Kritik an der Konstruktion des rela­ tiven Antragsdelikts. Weiterhin wurde bereits gesagt, dass die Interessen des durch die Tat Betroffenen und die der Strafverfolgungsbehörden diametral gegenüberstehen können. Dass die schützenswerten Belange des Verletzten nicht in allen Fällen vor der Last eines Strafverfahrens bewahren, zeigt sich an der Existenz der Offi­ zialdelikte insbesondere im Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbst­ bestimmung. Auch bei Kapitalverbrechen ist ein Antragserfordernis nicht tragfähig.606 Während bei dem Bagatellgedanken das staatliche Interesse grundsätzlich hinter das Genugtuungsinteresse zurücktritt, sind die Indiskretionsdelikte und die Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung keine Bagatellen.607 Ein Vergleich mit diesen Antragsdelikten lässt sich daher nicht herstellen. Die Interessen der Beteiligten (Opfer und Strafverfolgungsbehörden) sind auf beiden Seiten erhöht: Der Schutz des Opfers wegen der Betroffenheit seiner 605  Auch ein unbenannter besonders schwerer Fall kommt bei hoher Tatbeute nach zutreffender Auffassung nicht in Betracht, Vogel, in: LK-StGB, § 243 Rdnr. 68. Die Relevanz auf Strafzumessungsebene bleibt davon freilich unberührt. 606  Wolter, in: SK-StGB, Vor § 77 Rdnr. 4. 607  Brähmer, Wesen und Funktion, S. 94.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Intimsphäre und die Interessen der Strafverfolgungsbehörden, weil die Taten objektiv kein lediglich geringes Unrecht darstellen. Die Wesensverschiedenheit der Zwecke des Strafantrags führt dazu, dass eine unterschiedliche Behandlung angezeigt ist. Während beim Bagatellge­ danken erst zusätzliche Aspekte überhaupt dafür sorgen können, dass ein – untechnisch gesprochen – staatliches Verfolgungsinteresse entsteht, besteht ein solches bereits bei solchen Delikten, bei denen der Strafantrag einem Schutzzweck dient.608 Bezogen auf den Unrechtsgehalt sind diejenigen An­ tragdelikte eigentlich Offizialvergehen. Der Strafantrag dient nur als Schranke. Daraus folgt, dass weitergehende Umstände für die grundsätzliche Legitimität der Strafverfolgung von Amts wegen nicht zu fordern sind. Er­ forderlich ist jedoch eine Auseinandersetzung mit den Belangen des Strafan­ tragsberechtigten. Sieht man bei den relativen Antragsdelikten des Nebenstrafrechts und des gewerblichen Rechtsschutzes eher den Schutz der Geheimhaltungsinteressen als vorrangigen Aspekt des Strafantrags, bedarf es daher ebenfalls keiner weiteren Umstände, um die Tat verfolgbar zu machen. Legt man den Fokus eher auf den Bagatellgedanken, was angesichts der Ausgestaltung vieler Nor­ men als Privatklagedelikte durchaus naheliegt, sind die den Bagatellgedanken überwindende Umstände nötig. 3. Wegfall der ratio des Antragserfordernisses

Dient der Strafantrag den schützenswerten Belangen des Verletzten, stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit der Strafverfolgung von Amts wegen auch und insbesondere dann, wenn der Strafantragsberechtigte verstirbt. Als Beispiel sei angeführt, dass A von B heimlich Fotos anfertigt, während diese unter der Dusche steht (§ 201a I Nr. 1 StGB). Innerhalb der Strafantragsfrist verstirbt B aufgrund eines Verkehrsunfalls. In diesem Fall stehen der Strafverfolgung keine schützenswerten Interes­ sen der verletzten Person entgegen. Im Schrifttum wird dafür eingetreten, in solchen Fällen die Strafverfolgung von Amts wegen zuzulassen.609 Dem ist in gewisser Weise zuzustimmen. Der Wegfall des Sachgrundes selbst kann das Antragserfordernis nicht entfallen lassen. Notwendig ist weiterhin das Bestehen eines besonderen öffentlichen Interesses. Im vorherigen Absatz wurde jedoch herausgestellt, dass es zur Legitimität der Strafverfolgung in solchen Fällen mangels Bagatellcharakters der Norm keiner weiteren Um­ stände bedarf, sondern lediglich eine Auseinandersetzung mit den Interessen 608  Brähmer, 609  Mitsch,

Wesen und Funktion, S. 94. in: MüKo-StGB, § 77 Rdnr. 9.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag275

des Verletzten zu erfolgen habe. Fällt diese Auseinandersetzung wegen des Todes weg, ist eine Strafverfolgung von Amts wegen uneingeschränkt zuläs­ sig. Im Ergebnis kann die Tat daher in diesen Fällen verfolgt werden. 4. Fazit

Umstände, die es rechtfertigen, den Zweck des Strafantrags als überwun­ den anzusehen, können vielschichtiger Natur sein. Insbesondere in Hinblick auf den Bagatellgedanken können Aspekte, die das Ausmaß der Rechtsverlet­ zung betreffen, ohne Schwierigkeiten dafür sorgen, dass nicht lediglich eine Bagatelle vorliegt. Dann allerdings könnte in vielen Fällen ohne Strafantrag verfolgt werden. Die Lösung des Problems kann trotz des Vorliegens objek­ tiver Umstände, die zur Verfehlung des Zwecks des Strafantrags führen, nicht unter Umgehung des konkreten Willens des Verletzten gefunden wer­ den. VII. Die Begründung des besonderen öffentlichen Interesses anhand einschüchternder Einwirkung Abseits des Handlungs- und Erfolgsunwerts steht auch der Umstand der willensbeugenden Einflussnahme auf das Tatopfer. Die Eignung dieses Um­ stands bedarf keiner gesonderten Begründung, da wegen der unmittelbaren Verknüpfung zum Strafantragsrecht die Überwindung des Antragserforder­ nisses angenommen werden kann. Einschüchterungen sind in § 46 II StGB unter dem Stichwort des Nachtatverhaltens zu verorten. Unrecht und Schuld können nach Tatvollendung nicht mehr beeinflusst werden.610 Deren Be­ rücksichtigung ist möglich, wenn hieraus Rückschlüsse auf die Einstellung des Täters zur Tat oder den Unrechtsgehalt zu ziehen sind.611 Grundsätzlich muss das Prinzip der Selbstbelastungsfreiheit beachtet werden, wonach nie­ mand zur Mithilfe an seiner Überführung gezwungen werden kann. Die Be­ seitigung von Tatspuren darf dem Täter regelmäßig nicht angelastet wer­ den.612 Dagegen wird die Zulässigkeit der Berücksichtigung angenommen, wenn das Nachtatverhalten selbst strafbar ist.613 Ob solche Einschüchterun­ gen tatbestandlich der Nötigung nach § 240 StGB unterfallen, ist nicht ohne Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Allerdings dürfen dem Täter Versuche, durch Einschüchterung von Zeugen (also auch des Tatopfers) 610  Horn/Wolters,

in: SK-StGB, § 46 Rdnr. 153 m. w. N. NStZ 1985, 545; Fischer, StGB, § 46 Rdnr. 46. 612  BGH bei Altvater, NStZ 1999, 18, 23. 613  Theune, in: LK-StGB, § 46 Rdnr. 200. 611  BGH

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

auf das Prozessergebnis in unzulässiger Weise einzuwirken, angelastet wer­ den.614 VIII. Notwendigkeit der Verknüpfung der tauglichen Aspekte mit dem Willen des Verletzten Aus der Struktur des relativen Antragsdeliktes und dem Willen des Gesetz­ gebers, grundsätzlich am Strafantragserfordernis festzuhalten, ist abzuleiten, dass das Vorliegen solcher Umstände, die es rechtfertigen, sich über das Antragserfordernis hinwegzusetzen, allein nicht ausreichend sein kann. Denn es käme ansonsten zu keiner Auseinandersetzung mit dem Willen des Ver­ letzten, wodurch das Strafantragsrecht unterlaufen würde.

E. Die Ermittlung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung anhand einer Abwägung An früherer Stelle ist bereits erwähnt worden, dass das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses nach Teilen des Schrifttums das Ergebnis einer Abwägung zwischen den Belangen der Strafverfolgung und den einer Strafverfolgung entgegenstehenden Gründen des Verletzten darstellen soll.615 Diese Vorgehensweise soll hier genauer betrachtet werden und als Grundlage für die Feststellung des (Nicht-)Bestehens eines besonderen öffentlichen In­ teresses dienen. I. Vorzüge eines solchen Vorgehens Ein solches Vorgehen hat mehrere Vorzüge. Zunächst dient es der Wahrung des Ausnahmecharakters der amtlichen gegenüber der auf dem Strafantrag basierenden Verfolgung. Weiterhin sorgt das Abwägungserfordernis dafür, dass eine tatsächliche Beachtung des Willens des Strafantragsberechtigten erfolgt. Nur so werden der Charakter des Strafantragserfordernisses als Recht des Verletzten und die Entscheidung des Gesetzgebers, am Strafantragserfor­ dernis grundsätzlich festzuhalten, tatsächlich gewahrt. Die Gewichtung der einzelnen Belange sorgt mit der Einzelfallbetrachtung dafür, dass keine sche­ matische Lösung zur Frage nach dem Bestehen des besonderen öffentlichen Interesses vorliegt; vielmehr wird den vielschichtigen Lebenssachverhalten durch eine individuelle Auseinandersetzung Rechnung getragen. Dies sorgt für eine Einhaltung der unumstrittenen Auffassung, wonach es stets einer 614  Theune, 615  Hirsch,

in: LK-StGB, § 46 Rdnr. 211 m. w. N. in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 6.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag277

Einzelfallbetrachtung bedarf. Daneben wird die in der Literatur einhellige Forderung nach erschwerenden Umständen erfüllt. Nicht alle Aspekte sind zur Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses geeignet. Schließlich handelt es sich hierbei um ein systematisch schlüssiges Vorgehen durch Ori­ entieren am Strafantrag. Auch aus historischer Sicht ist die Durchführung eines Abwägungsvorgangs haltbar. Zur Zeit des Nationalsozialismus ist es nicht für vereinbar mit dem so genannten „neuen Strafrecht“ erachtet wor­ den, die Frage der Strafverfolgung vom Willen eines Einzelnen abhängig zu machen. Diese Feststellung hat in beide Richtungen gegolten. Zum einen sollte die Strafverfolgung durch das Unterlassen des Strafantrags nicht ver­ hindert werden können, zum anderen sollte der gestellte Strafantrag nicht zwingend die Verfolgung der betreffenden Tat zur Folge haben. In diversen Entwürfen zum StGB ist das Strafantragserfordernis daher gestrichen wor­ den. Nichtsdestotrotz gab es weiterhin Regelungsentwürfe, die die Verfolg­ barkeit der Tat betrafen. So wurde stattdessen formuliert, dass vor der Frage der Verfolgung der Tat der Verletzte anzuhören sei. Hat der Verletzte im Rahmen dieser Anhörung der Verfolgung widersprochen, hat das nicht die Unverfolgbarkeit der Tat bedeutet. Vielmehr ist vertreten worden, dass in solchen Fällen die Verfolgung grundsätzlich zu unterbleiben habe, sofern nicht überwiegende öffentliche Interessen die Strafverfolgung nötig gemacht haben.616 II. Ermittlung des Abwägungsmaterials Soll eine Abwägung vorgenommen werden, sind diverse Faktoren zu be­ rücksichtigen. Grundlage jeder Abwägungsentscheidung ist die Ermittlung des in Rechnung zu stellenden Abwägungsmaterials. Erst wenn feststeht, welche Einzelaspekte in die Abwägung einfließen können, kann ein Abwä­ gungsvorgang stattfinden. In der Literatur werden zwei Abwägungsgesichts­ punkte genannt: Die Belange des Strafantragsberechtigten und die Belange der Strafverfolgung617, wobei bei letzteren zum Teil zwischen Verfolgungs­ belangen und Entlastungsbelangen unterschieden wird.618 Auf Seiten des Strafantragsberechtigten kommen lediglich Belange der unterlassenen Strafantragstellung in Betracht, da nur bei fehlendem Strafan­ trag das besondere öffentliche Interesse von Bedeutung ist.

616  Siehe den Änderungsantrag Nr.  B 37 der Unterkommission XXXV vom 130.10.1935, in: Regge/Schubert, Band 2, 4. Teil, S. 653 f. 617  Hirsch, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 7. 618  Siehe zur Entlastung die Nachweise bei Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 20.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

Es bedarf bei der Ermittlung des Abwägungsmaterials einer Filterung nach solchen Aspekten, die das Strafantragserfordernis entbehrlich machen. As­ pekte, die dies nicht ermöglichen können – wie alle Umstände, die mit den gesetzlichen Regelungen des Antragsrechts zu tun haben – fallen von Vorn­ herein als Abwägungsmaterial aus. III. Die Gewichtung der einzelnen Aspekte innerhalb des Abwägungsmaterials Nachdem dargestellt wurde, welche Aspekte grundsätzlich geeignet sind, ein besonderes öffentliches Interesse zu begründen, muss untersucht werden, wie die einzelnen Umstände zu gewichten sind, damit ein Abwägungsvor­ gang sinnvoll durchgeführt werden kann. Es bedarf dabei sowohl einer Ge­ wichtung der Belange des Verletzten als auch eine solche der Umstände, die für eine Strafverfolgung sprechen. „Abwägung“ verlangt dabei nach der Rechtsprechung nicht lediglich die Aufzählung der Umstände. Erforderlich ist vielmehr, die strafzumessungsrelevanten Tatsachen „unter den Leitge­ sichtspunkten dahin zu prüfen, ob sie schärfend oder mildernd zu werten sind“.619 1. Die Gewichtung der Belange des Verletzten

a) Grundsatz Hier kommt es im Hinblick auf die Belange des Verletzten auf die Gründe an, auf denen das Unterlassen des Strafantrags fußt. Wie bereits erwähnt worden ist, kennt das Gesetz keine Begründungspflicht für die unterlassene Strafantragstellung; auch die herrschende Meinung verlangt eine solche nicht. Allerdings erscheint es durchaus angebracht, aus dem Recht zur Stel­ lung des Strafantrags die Obliegenheit abzuleiten, im Falle einer unterbliebe­ nen Antragstellung darzulegen, weswegen der Strafantrag nicht gestellt wer­ den soll und das Verhalten des Strafantragsberechtigten differenziert zu würdigen. Die Beantwortung dieser Frage ist von Einfluss auf das Gewicht der Gründe des entgegenstehenden Willens. Hier treten der Zweck des Straf­ antrags und die Gründe der unterlassenen Strafantragstellung zusammen. Dient der Strafantrag dem Schutz des Verletzten und beruft er sich auf die­ sen, ist seinem Willen ein höheres Gewicht beizumessen als in Fällen, in denen der Verletzten bspw. aus Desinteresse an einer Strafverfolgung einen Strafantrag unterlässt. Da das Stellen und Unterlassen des Strafantrags in das freie Belieben des Berechtigten gestellt ist, muss jeder Aspekt, der vorgetra­ 619  OLG

Koblenz, VRS 56, 338, 339.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag279

gen wird, Beachtung finden; kein Aspekt darf gänzlich unberücksichtigt bleiben. Im Einzelnen ergibt sich folgende grundsätzliche Abstufung: Höchste Stufe: Der Strafantrag dient den schützenswerten Belangen des Verletzten und dieser beruft sich auf solche. In dieser Situation korrespon­ diert der Wille des Verletzten mit dem Zweck des Strafantrags. Sein Verhal­ ten deckt sich mit dem Zweck des Gesetzes. Zweite Stufe: Der Strafantrag dient den schützenswerten Belangen des Verletzten, dieser beruft sich jedoch auf andere Aspekte, etwa, dass ihm die Tat nicht als verfolgungswürdig erscheint. Gleichauf: Der umgekehrte Fall: Der Strafantrag dient nicht dem Schutz des Verletzten, er macht aber ein Geheimhaltungsinteresse geltend, etwa, weil ein Schwangerschaftstest gestohlen worden ist. Dritte Stufe: Der Strafantrag dient nicht den schützenswerten Belangen des Verletzten und er unterlässt den Strafantrag auch nicht aus solchen Grün­ den Unterste Stufe: Der Strafantragsberechtigte äußert sich überhaupt nicht. b) Spezielle Parameter für die Beurteilung aa) Willensbeugende Beeinflussung Als Spezifikum muss zunächst die willensbeeinflussende Einwirkung auf den Strafantragsberechtigten gelten, weil dieser Aspekt einen direkten Bezug zum Strafantragserfordernis und dessen Ausübung aufweist. Diese Beeinflus­ sung wird in Literatur und Gesetzgebung als einer der maßgeblichen Um­ stände angesehen, der zur Strafverfolgung von Amts wegen führen können soll – zu Recht. Die Einräumung eines Strafantragsrechts beinhaltet auch die Freiheit, dieses Recht frei von Beeinflussung nach eigenem Ermessen auszu­ üben. Die unrechtserhöhende Einwirkung in Richtung Unterlassen sorgt da­ für, dass das Bedürfnis nach Strafverfolgung steigt. Zeitgleich beruht in sol­ chen Fällen das Unterlassen des Strafantrags nicht auf den Gründen, denen das Antragserfordernis zugrunde liegt. Die innere Einstellung des Verletzten ist viel mehr auf Genugtuung aus, entspricht somit der eines gestellten Straf­ antrages. Eine Strafverfolgung von Amts wegen ist in diesen Fällen daher legitim.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

bb) Verzeihung Auf die Aspekte der Verzeihung und des Rechtsfriedens ist im Zusammen­ hang mit der Überwindung des Strafantragszwecks noch nicht eingegangen worden. Wie sich diese Umstände auf das (Nicht-)Vorliegen des besonderen öffentlichen Interesses auswirken, ist Gegenstand der folgenden Ausführun­ gen. Weil die Versöhnung zwischen Täter und Opfer ein im Anschluss an die Tat vorgenommenes Geschehen darstellt, kann dieser Umstand nicht bereits im Rahmen der Ermittlung des Abwägungsmaterials zu berücksichtigen sein, sondern nur in der Auseinandersetzung mit der Abwägung. (1) Verzeihung und Rechtsfrieden An früherer Stelle ist dargestellt worden, dass der Umstand der Verzeihung des Verletzten in der Vergangenheit als maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Etablierung des Strafantragserfordernisses angesehen worden ist. Auch wenn dieses Verständnis nicht geteilt wird, ist zu erörtern, wie sich eine statt­ gefundene Verzeihung auf das besondere öffentliche Interesse auswirkt. Der Strafantrag gibt dem Berechtigten die Macht, Einfluss auf die Frage auszuüben, ob ein Strafverfahren stattfinden soll oder nicht. Hat der Verletzte dem Täter verziehen, darf sich nicht ohne Weiteres hierüber hinweggesetzt und die Strafverfolgung betrieben werden.620 Dieser Aspekt kann insbeson­ dere auch bei familiären Taten, wie bspw. einer fahrlässigen Körperverlet­ zung im Straßenverkehr, bei dem Angehörige verletzt wurden, Beachtung finden.621 Eine § 247 StGB entsprechende Regelung gibt es in diesem Be­ reich und auch im sonstigen Anwendungsbereich relativer Antragsdelikte nicht. Um des Familienfriedens willen wurde eine Möglichkeit geschaffen, den Staat aus der betreffenden Angelegenheit herauszuhalten. Zu diesem Aspekt führt Maiwald aus: „Wo sogar die Versöhnung des Opfers mit dem Täter den Rechtsfrieden nicht wiederherstellen kann, ist das Antragserforder­ nis für ein Delikt fehl am Platz.“622 Dass diese Aussage nur im Rahmen des § 247 StGB gesetzliche Geltung beansprucht, legt den Schluss nahe, dass bei anderen Delikten die familiäre Friedenssphäre nicht von Bedeutung für die Strafverfolgung sein soll. Das lässt sich aber bspw. im Hinblick auf die Sach­ beschädigung kritisch sehen. Weswegen die Möglichkeiten der Strafverfol­ gung unterschiedlich behandelt werden, je nachdem, ob A seinem Vater einen Schraubenzieher im Wert von 12 € entwendet oder diesen zerstört, erschließt zutreffend Mühlhaus, JZ 1952, 170. der Vorstellung des Gesetzgebers soll in diesen Fällen ein besonderes öffentliches Interesse nicht anzunehmen sein, DJ 1940, 508. 622  Maiwald, GA 1970, 33, 39. 620  So

621  Nach



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag281

sich nicht auf den ersten Blick. Die strengere Handhabung könnte damit zu begründen sein, dass bei Diebstahl der ursprüngliche Zustand durch Rück­ gabe wiederhergestellt werden kann; bei einer Sachbeschädigung ist das nicht möglich. Die Notwendigkeit der Beachtung einer Versöhnung bzw. Verzeihung zwi­ schen Täter und Opfer wird umso verständlicher, wenn man den Zweck des Strafverfahrens (auch) in der Wiederherstellung des Rechtsfriedens er­ blickt.623 Der Begriff des Rechtsfriedens ist an früherer Stelle der Untersu­ chung in mehreren Zusammenhängen bereits angesprochen worden. Rechts­ frieden wird hierbei verstanden als ein Zustand, bei dem zu erwarten ist, dass in Anbetracht der Möglichkeit oder Wirklichkeit einer Straftat eine Beruhi­ gung der Rechtsgemeinschaft eintrete.624 Insbesondere im Bereich der An­ tragsdelikte, bei denen der Strafantrag etabliert worden ist, weil die Tat die Allgemeinheit in der Regel wenig berührt, kommt er zum Tragen, da der Betroffene durch seinen Strafantrag erst eine Störung des Rechtsfriedens kenntlich macht. Die Störung des Rechtsfriedens allein rechtfertigt jedoch bei einigen relativen Antragsdelikten nicht ohne Weiteres ein amtsseitiges Tätigwerden. Für Privatklagedelikte soll nach Nr. 86 II RiStBV eine Störung des Rechtsfriedens über den Lebenskreis des Verletzten hinaus erforderlich sein, damit es – unter Aufrechterhaltung eines gestellten Strafantrags – zur Erhebung der öffentlichen Klage kommen kann. Berücksichtigung muss auch die gesetzgeberische Entscheidung finden, dass die Möglichkeit der Rücknahme eines Strafantrags der Verfahrensver­ einfachung in Fällen dient, in denen der Strafantragsberechtigte kein Inte­ resse mehr an einer Bestrafung des Täters hat.625 Wenn der Rechtsfrieden zwischen den unmittelbar Beteiligten durch Ver­ söhnung wiederhergestellt ist, kann dieses Ziel mit einem förmlichen Straf­ verfahren nicht mehr erreicht werden, da es bereits ohne dieses erreicht ist. Auswirkungen hat dies auf die herrschende Rechtsprechung, die eine Straf­ verfolgung auch gegen den Willen des Verletzten zulassen will.626 Die Recht­ sprechung ist in einer Zeit entstanden, als der Schutzzweck des Strafantrags im Zusammenhang mit relativen Antragsdelikten keine Bedeutung erlangt 623  Hierzu Schmidhäuser, in: FS-Eberhard Schmidt, 511 ff; siehe auch Rieß, JR 2006, 270; ders., in: LR-StPO (25. Aufl.), Einl. Abschnitt B Rdnr. 4; ders., NStZ 1981, 2: Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rdnr. 4; Lampe, GA 1968, 33, 38; Kühne, Strafprozessrecht, § 1 Rdnr. 1, 3; siehe auch Volk, Prozessvoraussetzungen, S. 183; Krack, Rehabilitierung, S. 309. 624  Lampe, GA 1968, 33, 38. 625  BT-Drs. 7/550 S. 215. 626  BGH, Urt. v. 17.1.1956 – 5 StR 535/55, MDR 1956, 270; OLG Hamm, ­JMinBlNRW 1951, 196.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

hat, da lediglich im Bereich der Körperverletzung ein relatives Antragsdelikt existiert hat. Der Standpunkt dieser Rechtsprechung ist in dieser Allgemein­ heit in Folge der Verknüpfung zwischen Strafantrag und Ziel des Strafpro­ zesses derart zu präzisieren, dass ein auf fehlender Versöhnung b ­ asierender entgegenstehender Wille eine Verfolgung von Amts wegen nicht hindert, da­ gegen bei einer auf Versöhnung beruhenden unterlassenen Stellung eines Strafantrages ein besonderes öffentliches Interesse nicht ohne Weiteres zu begründen ist. Diese Erkenntnis setzt jedoch voraus, dass im betreffenden Fall aufgrund der Versöhnung tatsächlich auch der Rechtsfrieden wiederhergestellt werden konnte. Verbleibt trotz Versöhnung eine zu sanktionierende Störung des Rechtsfriedens, erscheint eine Hinderung der Strafverfolgung nicht richtig. In diesem Zusammenhang muss zwischen dem Rechtsfrieden zwischen den unmittelbar Beteiligten und dem Rechtsfrieden als überindividuellem Zu­ stand differenziert werden. Einen Anknüpfungspunkt für eine derartige Diffe­ renzierung liefert Nr. 86 II RiStBV. Indem dort von der Störung des Rechts­ friedens über den Lebenskreis des Verletzten hinaus die Rede ist, wird deut­ lich, dass diese zwei Bereiche zu trennen sind. Die Wiederherstellung des Rechtsfriedens zwischen den Beteiligten muss daher nicht gleichbedeutend sein mit der Wiederherstellung des überindividuellen Rechtsfriedens. Dies kommt jedenfalls im Bereich der (einschlägigen) Vorstrafen des Tä­ ters in Betracht. Die Appellwirkung der Strafgesetze und der „Schuss vor den Bug“ durch Verfahrenseinstellungen erzielen offenbar keine Wirkung bei häufigerer Begehung von Straftaten. Hierdurch wird das Bedürfnis nach stär­ kerer Sanktion spürbar. Deutlich wird dies dadurch, dass nach einhelliger Auffassung bei Vorstrafen und auch nicht lange zurückliegenden Verfahrens­ einstellungen, die Möglichkeit einer weiteren Einstellung versagt wird627, es somit einer strafgerichtlichen Sanktion bedarf. Das lässt sich mit den Zwe­ cken des Strafprozesses in Einklang bringen, indem man nicht allein auf die Schaffung von Rechtsfrieden abstellt, sondern auch weitere Ziele des Straf­ prozesses anerkennt. (2) Rechtsfrieden und Körperverletzungen im Sport Der Bereich des Sports nimmt eine Sonderstellung ein. Verletzungen, die bspw. durch Fouls begangen werden, gehören zum Alltag, insbesondere im Fußball. Hier sorgt aber bereits der außerstrafrechtliche Bereich der sport­ lichen Sanktionen dafür, dass der Rechtsfrieden wiederhergestellt wird.628 627  Beulke,

435.

in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153a Rdnr. 38; Meier, ZStW 129 (2017), 433,

628  Kauffmann,

in: FS-Kleinknecht, 203, 211.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag283

Ausnahmen werden lediglich dann zu machen sein, wenn es sich um Verhal­ tensweisen handelt, denen überhaupt kein sportbezogener Zusammenhang mehr innewohnt, bspw. wenn Spieler A den Gegenspieler B ohne Zwei­ kampfverhalten schlägt oder tritt. Aber auch dann gilt das vorgeschlagene Vorgehen der Abwägung, sofern der betroffene Spieler nicht selbstständig durch den Strafantrag reagiert. Die Privilegierung des Sports findet sich vor allem im materiell-rechtlichen Bereich. Wenn Umstände vorliegen, die derart gravierend sind, dass diese Privilegierungen nicht mehr eingreifen, ist eine Gleichbehandlung mit „normalen“ Fällen der Körperverletzung geboten. 2. Die Gewichtung der Belange der Strafverfolgung

Im Bereich der Umstände, die seitens der Strafverfolgungsbehörden in die Abwägung einzubeziehen sind, können sowohl Umstände auftauchen, die für eine Strafverfolgung sprechen als auch solche, die gegen sie sprechen. Letz­ tere können hierbei Überschneidungen zu den Umständen aufweisen, die den Strafantragsberechtigten zum Unterlassen des Strafantrags bewogen haben. Als Beispiel kann die Verzeihung angeführt werden, die auf einer freiwilli­ gen vom Täter geleisteten Wiedergutmachung beruht. Auch die Verwandt­ schaft des Täters mit dem Opfer, bspw. in Fällen fahrlässiger Körperverlet­ zung bei Verkehrsunfällen, könne gegen eine Strafverfolgung sprechen.629 Innerhalb der die Strafverfolgung gebietenden Belange muss ebenfalls eine Rangordnung festgelegt werden, wonach die einzelnen Umstände zu gewichten sind. Die die Zwecke des Strafantrags überwindenden und somit tauglichen Aspekte sind ebenfalls solche, die auf Ebene der Strafzumessung von Bedeutung sind. Es erscheint daher nicht nur angebracht, sich inhaltlich an ihnen zu orientieren, wie es an früherer Stelle vorgeschlagen worden ist, sondern auch hinsichtlich der Rangfolge der einzelnen Umstände hieran aus­ zurichten. Dieses Vorgehen lässt sich auch aus historischer Sicht stützen. Im Rahmen der Darstellung der derzeitigen Auslegung des besonderen öffentlichen Inte­ resses wurde aufgezeigt, welche Umstände der Gesetzgeber für beachtlich gehalten, als 1940 das erste relative Antragsdelikt heutiger Lesart geschaffen worden ist. Alle in der amtlichen Begründung genannten Umstände sind solche, die auch im heutigen Strafzumessungsrecht beachtlich sind: –– Einschlägige Vorstrafen unter dem Aspekt des Vorlebens des Täters. –– Besonders niedrige Gesinnung unter dem Aspekt „die Gesinnung, die aus der Tat spricht. 629  Kommt es dennoch zu einem Strafverfahren, ist an § 60 StGB zu denken, der ein Absehen von Strafe erlaubt.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

–– Fahren trotz Trunkenheit unter dem Aspekt des Maßes der Pflichtwidrig­ keit. –– Ernste Folgen unter dem Aspekt der verschuldeten Auswirkungen der Tat. Das Gesetz selbst stellt in § 46 StGB keine Rangfolge auf, wonach die einzelnen strafzumessungsrelevanten Umstände zu ordnen wären.630 Dem Gericht wird bei der Strafzumessung ein Spielraum zugebilligt.631 In der Literatur hat sich jedoch ein gewisses Rangschema entwickelt, an welchem sich in der vorliegenden Erörterung orientiert wird.632 Hohes Gewicht soll den Umständen zukommen, die die Schuld des Täters kennzeichnen. Innerhalb dieser Kategorie haben die das tatbestandliche Un­ recht kennzeichnenden Merkmale den Vorrang. Hierunter fallen das Ausmaß des Erfolgs – also das, was nach bisherigem Meinungsstand als „Ausmaß der Rechtsverletzung“ anzusehen ist – sowie hierauf bezogene Handlungsun­ werte. Das wird bspw. in Fällen der Körperverletzung die Motivation des Täters für die Tatbegehung sein. Geringeres Gewicht im Vergleich dazu ha­ ben solche Aspekte, die außerhalb der konkreten Tat stehen, worunter insbe­ sondere das Nachtatverhalten und das Vorleben des Täters gehören sollen. Zum Vorleben werden insbesondere (einschlägige) Vorstrafen zu zählen sein, wobei diesen wiederum ein desto geringeres Gewicht zukommt, je länger diese zurückliegen. Eine Sonderstellung nehmen Aspekte ein, die zu den unverschuldeten Aus­ wirkungen der Tat gehören. Diese dürfen nach § 46 II 2 StGB in der Strafzu­ messung nicht berücksichtigt werden, da ausdrücklich nur verschuldete Auswirkungen erfasst sind. Die Notwendigkeit staatlichen Strafens kann auch dann entfallen, wenn die Voraussetzungen des § 60 StGB vorliegen und von Strafe abgesehen werden kann. Dies hat zur Voraussetzung, dass die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe of­ fensichtlich unangemessen wäre. In Betracht kommt dieser Umstand wiede­ rum bei Verletzungen im Straßenverkehr infolge fahrlässigen Verhaltens. Die Angehörigeneigenschaft ist im Rahmen relativer Antragsdelikte kein das Strafantragserfordernis bestimmender Umstand, sodass das Verhältnis zwi­ schen Täter und Verletztem richtigerweise nicht bei der Ermittlung des Ab­ wägungsmaterials, sondern erst bei der Auseinandersetzung mit dem Willen des Verletzten zu berücksichtigen ist.

630  Bruns/Güntge,

Strafzumessung, Kap. 16 Rdnr. 3. in: MüKo-StGB, § 46 Rdnr. 3. 632  Siehe hierzu und zum Folgenden Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 233. 631  Meier,



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag285 3. Fazit

Um ein besonderes öffentliches Interesse annehmen zu können, bedarf es daher zunächst der Ermittlung aller relevanten Umstände. Bei der durchzu­ führenden Abwägung muss im Ergebnis das Bedürfnis nach Strafverfolgung höher zu gewichten sein als die Umstände, die den Verletzten dazu bewogen haben, keinen Strafantrag zu stellen. Nur dann liegt ein besonderes öffentli­ ches Interesse vor und die Strafverfolgung ohne Strafantrag erscheint legitim. 4. Keine Kongruenz zwischen Strafzumessungsaspekten und besonderem öffentlichen Interesse

Die hier präferierte Orientierung an den strafzumessungsrelevanten Um­ ständen führt jedoch nicht dazu, dass zwischen den tauglichen Aspekten zur Bestimmung des besonderen öffentlichen Interesses und den für die Strafzu­ messung zulässigen Umständen Deckungsgleichheit besteht. Ein für das Strafmaß mildernd wirkendes Geständnis bspw. kann nur die Strafzumessung betreffen, nicht die Frage nach der Zulässigkeit der Strafverfolgung. Andererseits können Umstände, die nicht einmal auf Ebene der Strafzu­ messung zu berücksichtigen sind, kein besonderes öffentliches Interesse be­ gründen. Das gilt grundsätzlich zunächst in Bezug auf die Stellung des Täters im öffentlichen Leben. An früherer Stelle ist festgehalten worden, dass dieser Umstand nur dann Strafzumessungsrelevanz entfaltet, wenn zwischen dem Beruf und der Tat ein Zusammenhang besteht. Eine „Vorbildfunktion“ wird durch eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe nicht begründet. Begeht die Kommunalpolitikerin K oder der Chefarzt C zuhause ein Delikt aus dem Bereich der Straftaten des UrhG, stellt deren berufliche Stellung keinen strafzumessungsrelevanten Umstand dar. Zudem ist dies auch kein Aspekt, der mit dem Strafantragserfordernis in Zusammenhang steht. Die Besonderheiten der Verfolgungsregelung sind stets zu beachten. Die tateinheitliche Verwirklichung mehrerer Delikte kann das besondere öffent­ liche Interesse wegen der Tatbestandsbezogenheit nie begründen, sofern verschiedene Straftatbestände vorliegen. 5. Abwägungsbeispiele

Nachdem erörtert wurde, welche Umstände beachtlich sind und nach wel­ chem Verfahren das Bestehen eines besonderen öffentlichen Interesses zu beurteilen ist, sollen zur Probe und Veranschaulichung konkrete Beispiele dargestellt werden. Eine Theorie taugt nichts, wenn sie keine praktischen Ergebnisse hervorzubringen vermag.

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4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

a) Beispiel 1 A bricht dem B in einem Streit mit einem Faustschlag die Nase. B, der nicht ganz unschuldig an der Eskalation ist, verzichtet zunächst auf das Stel­ len eines Strafantrages. Bei einem klärenden Gespräch vertragen sich die beiden wieder. Für die Strafverfolgung spricht der erhöhte Erfolgsunwert in Gestalt der Fraktur der Nase. Gegen eine Verfolgung lassen sich die Versöhnung sowie der darauf basierende freiwillige Verzicht auf das Stellen des Strafantrags anführen. Ein besonderes öffentliches Interesse besteht nicht. b) Beispiel 2 Der 21-jährige F lädt über ein illegales Portal Filme im Wert von insge­ samt 4.000 € herunter. In der Vergangenheit wurde er bereits 3mal wegen Urheberrechtsverletzungen verurteilt. Der Inhaber des Urheberrechts verzich­ tet ohne Begründung auf das Stellen des Strafantrags. Für die Strafverfolgung sprechen im vorliegenden Fall die einschlägigen Vorstrafen sowie die Höhe des Schadens. Sieht man den Bagatellgedanken beim Antragserfordernis als tragend, ist dieser durch die genannten Umstände überwunden. Gegen eine Strafverfolgung könnte der unterlassene Strafantrag sprechen. Allerdings liefert der Verletzte keine auf dem Zweck des Strafan­ trags basierende Begründung für das Unterlassen desselben. Daher sind – sieht man den Zweck eher im Geheimhaltungsinteresse – keine weiteren Umstände für die Strafverfolgung nötig. Stellt man hingegen auf den Baga­ tellgedanken ab, liegen hinreichende Umstände vor. Die Tat kann verfolgt werden. c) Beispiel 3 Der 22-jährige B unterhält mit der 15jährigen C ein Verhältnis. C hatte noch nie einen Freund und ist im Bereich der Sexualität unerfahren. B weist sie an, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen. C stellt keinen Strafan­ trag, weil sie sich mit B gut versteht und sie die Angelegenheit nicht in die Öffentlichkeit tragen will. Für die Strafverfolgung spricht lediglich die Tatbestandsverwirklichung, keine weiteren Umstände. Gegen die Strafverfolgung spricht die Berufung der C auf den Schutzzweck des Strafantrags, der eine hohe Hürde statuiert. Die Tat kann nicht verfolgt werden.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag287

d) Beispiel 4 Der 34-jährige A ist mit seiner Ehefrau E zu einem Grillfest eingeladen. Der gesellige Anlass verleitet ihn zum Genuss alkoholischer Getränke. Als das Fest endet, hat der A eine BAK von 0,8 Promille. Auf der Heimfahrt gerät er infolge verzögerter Reaktionsfähigkeit in einen Straßengraben, wo­ bei das Auto beschädigt wird, er selbst eine Gehirnerschütterung und seine Frau eine Rippenprellung erleidet. Strafantrag stellt E bewusst nicht, um ih­ ren Mann nicht zu belasten. Für die Strafverfolgung spricht der Genuss von Alkohol als Umstand der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens. Das besondere öffentliche Interesse an der Verfolgung des § 229 StGB kann wegen der Tatbestandsbezogenheit nicht mit der Verwirklichung der §§ 315c, 316 StGB begründet werden. Rippen­ prellungen stellen keine bagatellarischen Verletzungen dar, sodass Erfolgsund Handlungsunwert grundsätzlich zur Annahme eines besonderen öffent­ lichen Interesses tauglich wären. Indes ist die Angehörigeneigenschaft im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ebenso die selbst erlittenen Ver­ letzungen. E hat das Unterlassen des Strafantrags mit der familiären Bezie­ hung begründet. Das ist legitim und erhöht die Schwelle für die Annahme des besonderen öffentlichen Interesses. Die erlittene Verletzung liegt nicht deutlich oberhalb „normaler“ Verletzungsfolgen, insbesondere sind die Er­ folge des § 226 StGB nicht annähernd berührt. Im Ergebnis ist daher ein besonderes öffentliches Interesse zu verneinen. 6. Ergebnis

Das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses ist das Ergebnis eines Abwägungsvorgangs, bei dem sowohl die Belange des Verletzten als auch die Belange der Strafverfolgung in Rechnung zu stellen sind. Die Aussage, zur Tauglichkeit der Strafverfolgung solcher Taten, bei de­ nen der Strafantrag den schützenswerten Belangen des Verletzten dient, sind keine weiteren Umstände erforderlich, erweitert grundsätzlich die Möglich­ keiten der Strafverfolgung. Um dem Geheimhaltungsinteresse des Verletzten hinreichend Rechnung zu tragen, ist die Abwägungsschwelle allerdings er­ höht, da der Umstand des Schutzzwecks zu einer höheren Hürde für die Zu­ lässigkeit der Strafverfolgung führt. Somit wird die Rücksichtnahme auf die Entscheidung des Verletzten, keinen Strafantrag zu stellen, gewahrt.

288

4. Kap.: Der Besondere Teil des besonderen öffentlichen Interesses

F. Überprüfung der Methode im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gesetz Die vorgeschlagene Methode muss sich am Gesetz messen und keine Wi­ dersprüche aufweisen. Mit dem Wortlaut des relativen Antragsdelikts beste­ hen keine Konflikte. Die Einbeziehung lediglich strafrechtsbezogener Um­ stände sorgt für eine Vereinbarkeit mit dem Bezugspunkt „an der Strafver­ folgung“. Das Bestehen eines besonderen öffentlichen Interesses stellt das Ergebnis der Abwägung dar. Strafverfolgung geschieht stets im öffentlichen Interesse.633 Das Merkmal „besonderes“ meint kein graduell erhöhtes Inte­ resse, sondern bedeutet die Vorrangigkeit der Strafverfolgung vor den Belan­ gen des Verletzten. Sinn und Zweck des relativen Antragsdelikts, in bestimmten Fällen auf das Antragserfordernis zu verzichten, werden gewahrt. Die Auseinandersetzung mit dem Willen des Verletzten sorgt zum einen dafür, dass sein Recht auf Unterlassen des Strafantrags stets Beachtung findet. Die Schwelle, die über­ wunden werden muss, um im Ergebnis ein besonderes öffentliches Interesse annehmen zu können dient auch der Wahrung des Ausnahmecharakters der Verfolgung von Amts wegen. In diesem Zusammenhang wird auch dem Er­ fordernis der Entscheidung im jeweiligen Einzelfall Rechnung getragen. Daher ist anzumerken, dass die hier vorgeschlagene Methode in keinem Konflikt mit dem Gesetz steht und zu einer sachgerechten Handhabung der Strafverfolgung von Amts wegen beiträgt.

G. Verallgemeinerungsfähigkeit des Ansatzes Die Auseinandersetzung mit dem Antragserfordernis sorgt dafür, dass eine deliktsspezifische Betrachtung zu erfolgen hat und die Eigenheiten des je­ weiligen Antragsdelikts Beachtung finden. Für die Anwendbarkeit des An­ satzes ist es auch nicht entscheidend, ob die betreffende Tat vollendet oder (sofern strafbar) lediglich versucht wurde und es ist unerheblich, ob durch Begehung oder Unterlassen verwirklicht wurde. Diese Aspekte haben keinen Einfluss auf das Erfordernis eines Strafantrages.

H. Weiterer Vorteil Der hier vorgeschlagene Weg ist zunächst aus dogmatischer Sicht schlüs­ sig. Ein weiterer Vorteil besteht zudem darin, dass in tatsächlicher Hinsicht 633  Auch der Privatkläger betreibt die Strafverfolgung zur Durchsetzung eines staatlichen Strafanspruchs.



§ 14 Eigener Lösungsvorschlag289

kein unverhältnismäßiger Aufwand zur Handhabung erforderlich ist. Die Staatsanwaltschaft hat gemäß § 160 III 1 StPO ohnehin die strafzumes­ sungsrelevanten Umstände zu erforschen, sodass kein erhöhter Ermittlungs­ aufwand besteht. Im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung erwartet das Gericht kein unbekanntes Verfahren. Abwägungen gehören, insbesondere bei der Strafzumessung, zum täglichen Geschäft des Gerichts. Im Ergebnis bringt das hier vertretene Verständnis daher auch in praktischer Hinsicht keine Nachteile.

5. Kapitel

Relatives Antragsdelikt und Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen In einem letzten inhaltlichen Abschnitt soll die praktisch relevante Frage erörtert werden, wie sich das relative Antragsdelikt zur Einstellung aus Op­ portunitätsgründen verhält.

§ 15 Relatives Antragsdelikt und Einstellung des Verfahrens aus Opportunitätsgründen A. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 16.10.1970 als Verbildlichung der Problemhaftigkeit Welche Schwierigkeiten in diesem Zusammenhang bestehen können, be­ legt eine Entscheidung des OLG Düsseldorf aus dem Jahre 1970.1 Das Gericht hatte sich mit dem Verhältnis des öffentlichen Interesses zu dem des besonderen öffentlichen Interesses zu befassen, speziell mit der Frage, ob die staatsanwaltschaftliche Anregung einer Verfahrenseinstellung nach § 153 StPO im Hauptverfahren zugleich eine Verneinung des besonderen öffentli­ chen Interesses bedeute. Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass das nicht der Fall sei, da andernfalls wegen des Wegfalls einer Prozessvoraussetzung keine Verfahrenseinstellung nach § 153 StPO erfolgen könne, was zu einem sehr eingeschränkten Anwendungsbereich des § 153 StPO führen würde. Eine solche Begrenzung könne, so das Gericht, „vom Gesetzgeber vernünfti­ gerweise nicht gewollt sein.“2 Unabhängig von der Frage, ob die Entschei­ dung des OLG Düsseldorf richtig oder falsch war, belegt sie, dass die Be­ schäftigung mit dieser Problematik durchaus praktische Relevanz für sich beanspruchen kann.

1  Siehe 2  OLG

hierzu und im Folgenden OLG Düsseldorf DAR 1970, 160. Düsseldorf DAR 1970, 160.



§ 15 Relatives Antragsdelikt und Einstellung des Verfahrens291

B. Meinungsstand zur Verfahrenseinstellung bei bestehendem besonderem öffentlichem Interesse an der Strafverfolgung Ob und inwieweit die relativen Antragsdelikte einer Einstellung nach §§ 153, 153a StPO zugänglich sind, wird im Schrifttum unterschiedlich beur­ teilt. I. Sowohl § 153 StPO als auch § 153a StPO ist anwendbar Zum Teil wird eine Einstellung nach §§ 153, 153a StPO generell für mög­ lich gehalten.3 Begründet wird das mit der unterschiedlichen Zielrichtung der Begriffe. Die Frage nach einem öffentlichen Interesse im Sinne der §§ 153, 153a StPO sei eine Frage der Notwendigkeit einer Weiterverfolgung. Die Einstellung wird daher mit dem Argument zugelassen, dass die Zulässig­ keit der Strafverfolgung vorgelagert beantwortet werden müsse, bevor zu schauen sei, ob das Verfahren vorzeitig beendet werden könne.4 II. §§ 153, 153a StPO sind unanwendbar Die extreme Gegenposition hält sowohl § 153 StPO als auch § 153a StPO für nicht anwendbar.5 Das wird aus der Formulierung geschlossen, wonach zur Verfolgung ein „besonderes“ öffentliches Interesse nötig sei.6 III. § 153 StPO ist nicht anwendbar, § 153a StPO ist anwendbar Nach herrschender differenzierender Auffassung komme eine Einstellung nach § 153 StPO nicht in Betracht, wohingegen eine Anwendung des § 153a StPO nicht von vornherein ausgeschlossen sei. Es wird davon ausgegangen, durch Auflagen und Weisungen ein bestehendes (auch besonderes) öffent­ liches Interesse kompensieren zu können.7

3  Kröpil,

NJW 1992, 654, 655; Hardtung, in MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 23. in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 23. 5  Ruß, in: LK-StGB (11.  Aufl.), § 248a Rdnr. 11 auch Havekost weist darauf hin, dass eine Einstellung nach den §§ 153 ff. StPO nicht erfolgen könne, DAR 1977, 289, 291. 6  Ruß, in: LK-StGB (11. Aufl.), § 248a Rdnr. 11. 7  Vogel, in: LK-StGB, § 248a Rdnr. 12; Bosch, in: S/S-StGB, § 248a Rdnr. 24; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 248a Rdnr. 13; Lackner/Kühl, § 230 Rdnr. 4. 4  Hardtung,

292 5. Kap.: Antragsdelikt u. Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen

C. Eigene Auffassung I. Der Wortlaut der Normen Nach § 153 I 1 StPO darf an der Verfolgung der Tat kein öffentliches In­ teresse an der Strafverfolgung bestehen. Schon aus dieser Formulierung lässt sich die Unanwendbarkeit des § 153 StPO ableiten. Hält man § 153 StPO anwendbar, ergibt sich folgende Konsequenz: An der Verfolgung der Tat be­ steht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. Es kann aber nach Maßgabe des § 153 StPO von der Verfolgung abgesehen werden, da an der Verfolgung der Tat unter anderem kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Ungeachtet der Unterschiede der Begriffe, ist ein solches Verständnis widersprüchlich. Es mag indes Konstellationen geben, in denen im Laufe des Verfahrens Umstände zutage treten, welche die Richtig­ keit der Überwindung des Strafantragserfordernisses nicht berühren, aber das Interesse an der Fortsetzung des Verfahrens beseitigen. Der begriffliche Wi­ derspruch lässt sich dadurch aber nicht auflösen8, ebenso wenig mit dem Argument der Zielrichtungen9. In Bezug auf § 153a StPO ist die Wortlautauswertung indes nicht so ein­ deutig. Terminologisch ist die Anwendung des § 153a StPO jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen. Besteht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung, besteht dem Wortlaut nach, wie von § 153a StPO gefordert, ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung, welches potenti­ ell durch Auflagen und Weisungen kompensiert werden kann. Maßgeblich ist dann der zweite Schritt, in dem zu prüfen ist, ob die Auflagen und Weisun­ gen geeignet sind, dieses (besondere) öffentliche Interesse zu kompensieren. Allein am Wortlaut gemessen scheint die differenzierende Auffassung vor­ zugswürdig. Die Unanwendbarkeit des § 153a StPO ließe sich mit dem Wort­ laut nur dann begründen, wenn man das besondere öffentliche Interesse im Verhältnis zum öffentlichen Interesse in einem solchen Stufenverhältnis an­ sähe, dass ein besonderes öffentliches Interesse erst dann anzunehmen sei, wenn eine Einstellung selbst nach § 153a StPO nicht mehr in Frage kommt. Dies ist augenscheinlich der Ansatzpunkt der strengsten Auffassung, die selbst § 153a StPO ablehnt.

8  So im Ergebnis ebenfalls Untersteller, Der Begriff, S. 13, der jedoch die Prä­ misse vertritt, dass der Begriff des besonderen öffentlichen Interesses inhaltlich gleich, lediglich enger zu verstehen sein soll. 9  So aber Hardtung, in: MüKo-StGB, § 230 Rdnr. 23.



§ 15 Relatives Antragsdelikt und Einstellung des Verfahrens293

II. Das relative Antragsdelikt im System des staatlichen Strafverfolgungsinteresses Grundsätzlich besteht das Bedürfnis, dass auf strafrechtlich relevantes Fehlverhalten sanktionierend reagiert wird. Wie stark dieses Bedürfnis aus­ geprägt ist, hängt vom jeweiligen Delikt im Zusammenspiel mit prozessualen Möglichkeiten ab. Auf Straftaten im engen Sinne begrenzt, liegen die abso­ luten Antragsdelikte auf der niedrigsten Stufe. Bei ihnen kann es ohne Straf­ antrag nie zu einer strafrechtlichen Sanktion kommen, da ein Prozesshinder­ nis besteht.10 Auf der nächsthöheren Stufe stehen die relativen Antragsde­ likte. Bei ihnen bedarf es ebenfalls einer zusätzlichen Prozessvoraussetzung, um eine strafrechtliche Sanktion herbeizuführen. Allerdings ist neben dem Strafantrag die Voraussetzung des besonderen öffentlichen Interesses vorhan­ den. Vergleichbar mit den absoluten Antragsdelikten ist die Zulässigkeit der Strafverfolgung also von weiteren Umständen als der Verwirklichung des jeweiligen Deliktes abhängig. Die Offizialdelikte ohne erhöhtes Mindestmaß stehen auf der dritten Stufe. Bei ihnen reicht die Deliktsverwirklichung zur Verhängung einer strafrecht­ lichen Sanktion aus, es bedarf keiner weitergehenden Prozessvoraussetzung, um die Strafverfolgung zu legitimieren. Allerdings muss auch innerhalb die­ ser Gruppe differenziert werden, da es Vergehen ohne erhöhte Mindeststrafe gibt, die zwar keine Antrags- aber Privatklagedelikte sind.11 Es bedarf also stets der Prüfung, ob im Offizialverfahren vorgegangen oder der Betroffene auf den Privatklageweg verwiesen wird, §§ 374, 376 StPO. Auf prozessualer Ebene ist jedoch eine Verfahrenseinstellung auch nach § 153 StPO möglich, sofern es nicht um Privatklagedelikte geht.12 Als nächstes folgen die Offizialdelikte mit erhöhtem Mindeststrafmaß. Auch bei ihnen ist eine Einstellung nach § 153 StPO grundsätzlich möglich, wie sich aus § 153 I 2 StPO ergibt; es bedarf jedoch der Zustimmung des für die Hauptverhandlung zuständigen Gerichts. Auch kann anstelle eines straf­ gerichtlichen Hauptverfahrens im Strafbefehlsverfahren vorgegangen werden, § 407 StPO. Auf der höchsten Stufe stehen die Verbrechen im technischen Sinne, § 12 I StGB. Bei ihnen ist sowohl eine Verfahrenseinstellung nach §§ 153, 153a StPO ausgeschlossen, ebenso ein Strafbefehlsverfahren. Hieraus ergibt sich, dass das relative Antragsdelikt grundsätzlich auf einer geringen Stufe hinsichtlich des staatlichen Strafverfolgungsbedürfnisses steht. 10  Mitsch,

in: MüKo-StGB, Vor § 77 Rdnr. 10 m. w. N. § 241 StGB, § 16 UWG. 12  Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 9, 11. 11  Etwa

294 5. Kap.: Antragsdelikt u. Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen

III. Kriminalpolitische Betrachtung Aus kriminalpolitischen Gesichtspunkten erscheint zunächst die zweitge­ nannte Auffassung, die eine Einstellung selbst nach § 153a StPO ablehnt, nicht überzeugend, denn das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interes­ ses verwehrt dann sogar dem Ersttäter die Einstellung selbst gegen Auflagen. Die Versagung einer Einstellung auch nach § 153a StPO würde das relative Antragsdelikt auf eine Stufe mit Verbrechen stellen, jedenfalls hinsichtlich der Unmöglichkeit der Verfahrenseinstellung. Dagegen ist im Bereich der Offizialdelikte sogar bei Vorliegen eines Ver­ gehens mit erhöhter Mindeststrafe eine für den Beschuldigten wesentlich mildere Einstellung nach § 153 I StPO möglich. Für die Anerkennung der Einstellungsmöglichkeit spricht daher auch Folgendes: Nimmt man an, ein Diebstahl nach § 248a StGB könnte bei Vorliegen eines besonderen öffentli­ chen Interesses nicht eingestellt werden, dann könnte man dem Täter raten, eine wertvollere Sache zu stehlen, da es dann auf ein besonderes öffentliches Interesse nicht mehr ankommt und sogar § 153 I 1 StPO eingreifen kann. Wenn aber die schwerere Tatbegehung eingestellt werden kann, muss das erst recht für die leichtere Begehungsweise gelten. Das lässt sich nur errei­ chen, wenn man – wie hier – zwischen dem öffentlichen Interesse im Sinne der §§ 153, 153a StPO und dem besonderen öffentlichen Interesse kein Stu­ fenverhältnis annimmt. Verstünde man das besondere öffentliche Interesse im Sinne der die Anwendung des § 153a StPO ablehnenden Auffassung, würde daraus folgen, dass im Rahmen der relativen Antragsdelikte die Frage nach der Zulässigkeit der amtlichen Strafverfolgung höhere Hürden zu überwin­ den wären, als bei der Frage, ob eine zulässige amtliche Strafverfolgung ohne Richterspruch beendet werden könne. Es können zudem Situationen entstehen, in denen der Beschuldigte dem Verletzten gegenüber freiwillige Leistungen erbringt, um seine Tat wieder gut zu machen. In solchen Fällen kann daher der Entfall des öffentlichen Interesses im Sinne des § 153 StPO eintreten, ohne dass zeitgleich die Über­ windung des Strafantragserfordernisses tangiert wird. Legt man das öffentli­ che Interesse im Sinne der herrschenden Meinung anhand der präventiven Strafzwecke aus, kann die Erbringung freiwilliger Leistungen die Notwen­ digkeit der Verhängung einer Kriminalstrafe entbehrlich machen. Die Mög­ lichkeit der Einstellung selbst ohne Auflagen zu versagen, erschiene aus kriminalpolitischer Sicht, insbesondere, wenn es sich um Ersttäter handelt, nicht richtig.



§ 15 Relatives Antragsdelikt und Einstellung des Verfahrens295

IV. Verfahrenseinstellung bei Vorliegen eines Strafantrags Wird ein relatives Antragsdelikt verfolgt, weil der Berechtigte einen Straf­ antrag gestellt hat, steht einer Verfahrenseinstellung jedenfalls nicht der sich aus dem Wortlaut der Normen ergebende Widerspruch entgegen. Beachtet werden muss jedoch erneut, dass § 153 StPO nur dann zum Zuge kommen kann, wenn es sich nicht um ein relatives Antragsdelikt handelt, das zugleich Privatklagedelikt ist.13 Vielmehr bedarf es dann lediglich der Prüfung der Voraussetzung der jeweiligen Norm, nach der eine Verfahrenseinstellung in Betracht gezogen wird. Hieraus ergibt sich bereits, dass ein Ungleichgewicht hinsichtlich der Einstellungsmöglichkeiten besteht, je nachdem, welche der Prozessvoraussetzungen die Verfolgung legitimiert. Dass eine Verfahrensein­ stellung nach § 153 StPO bei bestehendem besonderem öffentlichem Inte­ resse ausscheidet, unterstreicht auch die Forderung der herrschenden Mei­ nung, die für die Annahme des besonderen öffentlichen Interesses „erschwe­ rende Umstände verlangt. V. Entscheidung zugunsten der vermittelnden Auffassung Während die Unanwendbarkeit des § 153 StPO de lege lata nach hier ver­ tretener Auffassung bereits aus dem Wortlaut folgt, kann dies nicht auch für § 153a StPO gelten. Für diese Norm ist das Vorliegen eines öffentlichen In­ teresses gerade Voraussetzung der Anwendbarkeit. 1. Rechtfertigung

Dass eine Einstellung nach § 153a StPO ermöglicht werden kann, wurde anhand der kriminalpolitischen Betrachtung verdeutlicht. Zudem steht der Wortlaut einem solchen Verständnis nicht entgegen. Allerdings ist der engs­ ten Auffassung zuzugeben, dass der Wortlaut auch nicht zwingend dafür spricht. In Zusammenschau mit der kriminalpolitischen Notwendigkeit bzw. den Konsequenzen einer Versagung der Einstellung kann aber geschlossen werden, dass eine Einstellung grundsätzlich möglich ist. 2. Grundsätzliche Anwendbarkeit und Einzelfallentscheidung

Die Anerkennung der Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung darf jedoch nicht voreilig zu dem Urteil führen, ein besonderes öffentliches Interesse könne stets mit den Auflagen und Weisungen nach Maßgabe des § 153a 13  Dann bedarf es einer Anwendung des §  376 StPO, Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153 Rdnr. 11; Schöch, in: AK-StPO, § 153 Rdnr. 10.

296 5. Kap.: Antragsdelikt u. Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen

StPO kompensiert werden. Maßgeblich ist nämlich, ob die jeweilige Auflage bzw. die Weisung auch tatsächlich die Kraft hat, das besondere öffentliche Interesse zu kompensieren. Es geht lediglich um die grundsätzliche Anerken­ nung der Möglichkeit der Einstellung. Für die Anwendbarkeit des § 153a StPO ist es, im Gegensatz zu § 153 StPO, unerheblich, ob es sich bei dem in Rede stehenden Delikt um ein Pri­ vatklagedelikt handelt oder nicht. § 153a StPO ist im Kontext der Privatkla­ gedelikte nach herrschender Meinung anwendbar.14 Ob das zutreffend ist, ist mit Blick auf die unterschiedlichen Zielrichtungen der Begriffe zwar fraglich. Für die Frage nach der Einstellungsmöglichkeit bei bestehendem besonderem öffentlichem Interesse ist dies aber ohne Bedeutung, da die Ziel­ richtungen identisch sind. VI. Ergebnis Das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses hebt das staatliche Verfolgungsinteresse enorm an. Es sorgt dafür, dass ein höheres Sanktionsbe­ dürfnis besteht als bei den Offizialvergehen, die eine erhöhte Mindeststrafe aufweisen. Mit der herrschenden Meinung ist die Möglichkeit einer Einstel­ lung des Verfahrens nach § 153 StPO – de lege lata – abzulehnen. Eine Einstellung nach § 153a StPO ist dagegen anzuerkennen, wenn das besondere öffentliche Interesse im Einzelfall durch Auflagen und Weisungen kompen­ siert werden kann. Die differenzierende Auffassung führt in Kombination mit der Anerken­ nung eines Verfolgungszwangs bei bestehendem besonderem öffentlichem Interesse zu sachgerechten Ergebnissen. Versagt man eine Entscheidungs­ kompetenz der Staatsanwaltschaft in Bezug auf das besondere öffentliche Interesse, gewährt ihr dieses dann aber auf Ebene des § 153a StPO, ergibt sich ein rundes Bild. Das besondere öffentliche Interesse sorgt für das Vor­ liegen einer verfolgbaren Tat, die Anwendung des § 153a StPO ist dann als gesetzlich vorgesehener Fall im Sinne des § 152 II StPO anwendbar.

14  Weßlau/Deiters, in: SK-StPO, §  153a Rdnr. 19; Schnabl, in: S/S/W-StPO, § 153a Rdnr. 2; Beulke, in: LR-StPO (26. Aufl.), § 153a Rdnr. 17.

6. Kapitel

Zusammenfassung und Ausblick § 16 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse A. Zusammenfassung des Allgemeinen Teils Nachdem ausgeführt wurde, wie der Allgemeine Teil des besonderen öf­ fentlichen Interesses zu verstehen ist, lässt sich die Frage beantworten, ob und inwieweit die in der Literatur und teilweise in der Rechtsprechung ge­ übte Kritik hinsichtlich des Umgangs mit dem besonderen öffentlichen Inte­ resse berechtigt ist. Festzuhalten ist zunächst: Die Kritik ist in weitem Umfang berechtigt. Die derzeitige Handhabung des besonderen öffentlichen Interesses widerspricht dem Gesetzeswortlaut. Sofern es für die Zulässigkeit der amtlichen Strafver­ folgung bei relativen Antragsdelikten nicht auf das Bestehen eines besonde­ ren öffentlichen Interesses, sondern auf die Äußerung der Staatsanwaltschaft, es bestehe ein solches, ankommen soll, steht dies im Widerspruch zum Ge­ setz. Durch die derzeitige Handhabung lässt sich der Gesetzeswortlaut nur unvollständig ausfüllen. Entweder als „(…), es sei denn, dass die Strafverfol­ gungsbehörde ein besonderes öffentliches Interesse bejaht.“ Oder als „(…) es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.“ Gänzlich unbeachtet bleibt in jedem Fall das Wort „we­ gen“. Durch dieses Wort macht das Gesetz deutlich, dass ein Kausalzusam­ menhang zwischen dem besonderen öffentlichen Interesse an der Strafverfol­ gung und dem Fürgebotenhalten der amtlichen Verfolgung bestehen muss. Die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses und Fürgebotenhalten der amtlichen Strafverfolgung fallen in der Praxis in einem Schritt zusam­ men; das Kausalität verlangende Wort bleibt ohne Bedeutung. Weiterhin ist ein Ermessen der Staatsanwaltschaft weder auf Tatbestandsnoch auf Rechtsfolgenseite anzuerkennen. Wenn Kalsbach aus der Gesetzes­ begründung, die von „Ermächtigung“ spricht, schließt, es komme lediglich auf die Sicht der Staatsanwaltschaft an1, überzeugt das nicht. „Ermächtigung“ bedeutet zunächst nichts weiter, als dass dem Staatsanwalt die Befugnis ein­ 1  Kalsbach,

Die gerichtliche Nachprüfung, S. 31.

298

6. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

geräumt wird, die betreffende Tat zu verfolgen. Insgesamt ist die Argumenta­ tion anhand des Willens des Gesetzgebers nicht überzeugend. Der Staatsanwalt hat daher entgegen der Rechtspraxis nicht zu entschei­ den, ob er ein besonderes öffentliches Interesse annimmt, sondern zu unter­ suchen, ob ein besonderes öffentliches Interesse besteht oder nicht. Kritisch zu beurteilen ist daher auch die Auffassung, die Staatsanwaltschaft könne das besondere öffentliche Interesse noch in der Revisionsinstanz erklären. Es können sich lediglich die Umstände des Falls im Laufe des Verfahrens so ändern, dass ein zunächst nicht bestehendes besonderes öffentliches Interesse nunmehr vorliegt. Der Staatsanwalt kann daher zwar grundsätzlich auch dann feststellen, dass ein besonderes öffentliches Interesse die Strafverfolgung gebiete, aber eben nur dann, wenn dies auch wirklich der Fall ist. Als zutreffend zu bewerten ist die Auffassung, dass sich aus der Anklage wegen eines Offizialdelikts nicht die Annahme ergebe, die Staatsanwaltschaft halte ein Einschreiten in Bezug auf den als relatives Antragsdelikt ausgestal­ teten Grundtatbestand für geboten. Schon der Wortlaut der relativen Antrags­ delikte verdeutlicht, dass sich die Staatsanwaltschaft über das besondere öf­ fentliche Interesse Gedanken machen muss2, um ein Einschreiten von Amts wegen für geboten halten zu können. In der Erhebung der öffentlichen Klage wegen eines Offizialdelikts3, kann davon keine Rede sein, da sich in diesen Fällen der Staatsanwalt mangels Relevanz keine Gedanken über die Verfol­ gung relativer Antragsdelikte macht. Aus der Charakterisierung des besonderen öffentlichen Interesses als Ele­ ment der materiellen Rechtmäßigkeit der staatsanwaltschaftlichen Entschei­ dung ergibt sich zudem, dass der Staatsanwalt begründen muss, aus welchen Umständen sich das besondere öffentliche Interesse ergibt. Die Möglichkeit einer konkludenten „Bejahung“ des besonderen öffentli­ chen Interesses ist mithin nicht anzuerkennen. Die konkludente Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses ist mit einer anzuerkennenden Be­ gründungspflicht nicht vereinbar. Aus einem bestimmten Prozessverhalten wie der Anklageerhebung mag sich zwar objektiv das Verfolgungsinteresse der Staatsanwaltschaft ableiten lassen, aber nicht, ob und woraus an der Tat auch ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Als zutreffend zu bewerten ist die schon in der Literatur vielfach anzutref­ fende Auffassung, das Gericht müsse das Vorliegen eines besonderen öffent­ 2  Zutreffend

daher BGH BeckRS 2016, 10103. allen relativen Antragsdelikten führt das Vorliegen von qualifizierenden Umständen, sofern die Delikte solche besitzen, dazu, dass aus dem relativen Antrags­ delikt ein Offizialdelikt wird. Auf ein besonderes öffentliches Interesse an der Straf­ verfolgung kommt es dann nicht mehr an. 3  Bei



§ 16 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse299

lichen Interesses nachprüfen. Ein solches Verständnis vermeidet die Konse­ quenz, dass andernfalls die Staatsanwaltschaft nicht mehr nur Herrin des Vorverfahrens, sondern des ganzen Verfahrens wäre, wenn sie über das be­ sondere öffentliche Interesse jederzeit autonom disponieren könnte.4 Problematisch ist allerdings, dass sich die Ausführungen der Autoren dar­ auf beschränken, dieses Ergebnis festzuhalten, ohne auszuführen, worin das besondere öffentliche Interesse, das vom Gericht selbstständig beurteilt wer­ den soll, besteht. Sodann lässt sich die eingangs gestellte Frage eins nach der Notwendigkeit mit der inhaltlichen Befassung mit „ja“ beantworten.

B. Zusammenfassung des Besonderen Teils Die derzeitige Herangehensweise an die begriffliche Auslegung des beson­ deren öffentlichen Interesses sorgt zwar im Ergebnis für vielfach grundsätz­ lich taugliche Umstände, um eine Strafverfolgung zu legitimieren. Eine dogmatisch nachvollziehbare Auslegung des Begriffs erfolgte jedoch nicht. Die herrschende Meinung, nach der das besondere öffentliche Interesse als gesteigerte Form des öffentlichen Interesses, wie es in den §§ 153, 153a, 376 StPO vorkommt, anzusehen ist, hat sich als unzutreffend erwiesen. Stattdes­ sen ist – bereits aus gesetzessystematischer Sicht – eine Orientierung am Strafantrag nötig. Nur Umstände, die es erlauben, gerade auf den Strafantrag zu verzichten, sind geeignet, ein besonderes öffentliches Interesse zu begrün­ den. Die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers, am Erfordernis ei­ nes solchen festzuhalten sorgt dafür, dass in allen Fällen die Gründe, die den Verletzten dazu veranlassen, den Strafantrag nicht zu stellen, Beachtung fin­ den müssen. Dies kann nur durch die Einführung eines Abwägungsvorgangs realisiert werden, wobei die Gründe des entgegenstehenden Willens mit den Gründen, die für das Erfordernis einer Strafverfolgung sprechen, ins Verhält­ nis gesetzt werden müssen. Insofern lassen sich die Fragen zwei und drei folgendermaßen beantworten: Der methodische Ansatz, das besondere öffent­ liche Interesse als ein gegenüber dem öffentlichen Interesse inhaltlich gestei­ gerten Begriff anzusehen, ist nicht geeignet, um dem Begriff des besonderen öffentlichen Interesses belastbare Auslegungskonturen zu verschaffen. Die Forderung nach einem Abwägungsvorgang beantwortet die Frage drei nach dem Verfahren der Ermittlung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung. Beruht der Strafantrag auf dem Bagatellcharakter des betreffenden Delikts, kommt eine Strafverfolgung von Amts wegen stets dann in Betracht, wenn 4  Hirsch,

in: LK-StGB (11. Aufl.), § 230 Rdnr. 16.

300

6. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

die konkrete Tat keinen Bagatellcharakter aufweist. Insofern sind Umstände, die Erfolgsunrecht, Handlungsunrecht und die Schuld des Täters betreffen, grundsätzlich geeignet, ein besonderes öffentliches Interesse zu begründen, wenn im Wege der Abwägung mit den Belangen des Verletzten ein Überwie­ gen des Bedürfnisses nach Strafverfolgung vorliegt. Bei jenen relativen Antragsdelikten, bei denen der Strafantrag dem Schutz des Verletzten dient, handelt es sich um Delikte, denen grundsätzlich das Bedürfnis nach Strafverfolgung innewohnt, das jedoch zugunsten der Be­ lange des Verletzten zurücktritt. Zusätzlicher unrechtserhöhender Elemente bedarf es nicht, es muss lediglich die Abwägung vollzogen werden, um zur Frage des Bestehens eines besonderen öffentlichen Interesses Antwort zu finden. Dieses Vorgehen ist in all seinen Einzelelementen Gegenstand der gericht­ lichen Überprüfbarkeit. Das führt zu der Konsequenz, dass dieselben Um­ stände im Rahmen der Prüfung des besonderen öffentlichen Interesses um­ fassender (revisions-)gerichtlicher Kontrolle unterliegen, wohingegen auf Ebene der konkreten Strafzumessung dem Gericht ein gewisser Spielraum verbleibt, der der revisionsrechtlichen Überprüfung entzogen ist. Diese Kon­ sequenz lässt sich jedoch de lege lata nicht vermeiden. Frage vier schließlich ist im Sinne der herrschenden Meinung zu beant­ worten: Liegt ein besonderes öffentliches Interesse vor, ist eine Verfahren­ seinstellung nach § 153 StPO ausgeschlossen, wohingegen eine Einstellung nach § 153a StPO grundsätzlich möglich ist.

§ 17 Ausblick Es wurde aufgezeigt, dass die Ausgestaltung der Verfolgungsregelung nicht überzeugen kann. Eine zweistufige Regelung führt zu Problemen, die sich ohne Schwierigkeiten lösen lassen, wenn sich für eine klare einstufige Regelung im Sinne des Vorschlags Vogels festgelegt würde. Der Gesetzgeber wird sich der Frage stellen müssen, ob das relative Antragsdelikt überhaupt beizubehalten sein soll.5 Die ambivalente Möglichkeit der Strafverfolgung sorgt letztlich für Unklarheit darüber, wann konkret ein relatives Antrags­ delikt von Amts wegen zu verfolgen ist. Der Weisheit letzter Schluss ist auch durch diese Untersuchung keineswegs gegeben. Konkrete Aussagen lassen sich nur im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung treffen; auch die hier vorge­ schlagene Methode zur Ermittlung des besonderen öffentlichen Interesses vermag außer einer Methode zunächst nicht viel zu sein.

5  Für

eine Streichung bereits Brähmer, Wesen und Funktion, S. 176 f.



§ 18 Die Ausgestaltung de lege ferenda301

Gemessen an der jüngeren Gesetzgebungsgeschichte erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Konstruktion weiterhin in größerem Umfang Teil des deutschen Strafrechts sein wird. Entscheidet sich der Gesetzgeber dafür, weitere relative Antragsdelikte zu schaffen, so obliegt es ihm, anhand seiner kriminalpolitischen Einschätzungsprärogative Umstände festzusetzen, die ein Einschreiten von Amts wegen ermöglichen sollen; das Vorliegen kon­ kreter Umstände ist bei der aktuellen Gesetzesfassung zwingende Vorausset­ zung. Die Rechtspraxis, die eine inhaltliche Kontrolle des besonderen öffent­ lichen Interesses ausschließt, umgeht zwar die hier festgestellten Schwächen, widerspricht aber allgemeinen rechtsdogmatischen Grundsätzen und ist unter Beibehaltung des Wortlauts der relativen Antragsdelikte de lege lata nicht haltbar. Die sich aus der Begriffsauslegung ergebenden Schwierigkeiten dür­ fen nicht durch die Flucht in die Unüberprüfbarkeit umgangen werden. Der hier vorgeschlagene Lösungsweg ist im Vergleich zur Rechtspraxis beschwer­ licher und umständlicher, entspricht aber am ehesten dem Gesetz.

§ 18 Die Ausgestaltung de lege ferenda – Festlegung auf das tatsächliche Bestehen eines besonderen öffentlichen Interesses Die Tendenzen in der jüngeren Strafgesetzgebung lassen vermuten, dass der Gesetzgeber auch weiterhin am Konstrukt des relativen Antragsdelikts festhält. Im Rahmen der Ausführungen zum Verständnis des Allgemeinen Teils der Regelung de lege lata wurde ersichtlich, welche Probleme sich ins­ besondere aus der sprachlichen Fassung der Strafverfolgung von Amts wegen ergeben. Für die Zukunft ist es zweckmäßig, sich auf den Vorschlag Vogels festzu­ legen und das Bestehen eines besonderen öffentlichen Interesses als alleini­ gen Parameter der Verfolgungsvoraussetzung anzuerkennen. So werden viele dogmatische Fragestellungen geklärt. Es läge dann ohne Zweifel eine einstu­ fige Regelung vor. Zu formulieren wären die relativen Antragsdelikte dann wie folgt: „Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, es besteht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung.“ Für die Einräumung eines Verfolgungsermessens der Staatsanwaltschaft besteht keine Notwendigkeit und de lege lata besteht ein solches nach zutref­ fender Auslegung auch nicht. Die Strafprozessordnung kennt kein Ankla­ geermessen. Gründe, derentwegen trotz Vorliegens eines besonderen öffent­ lichen Interesses von der Verfolgung einer Tat abzusehen sein soll, sind nicht ersichtlich. Die Einschränkung der Zulässigkeit der Strafverfolgung ist nicht

302

6. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

zielführend. Vielmehr sind sachgerechte Handhabungen auf prozessualer Ebene erst dann sinnvoll, wenn eine verfolgbare Tat besteht. Und ob dies der Fall ist, hat sich anhand objektiver Umstände zu beurteilen, nicht anhand von Ermessensentscheidungen. Dass dem Strafantragsberechtigten ein Ermessen eingeräumt ist und es in seinem Belieben liegt, ein Antragsdelikt verfolgbar zu machen, spricht nicht gegen den hiesigen Vorschlag. Die Privatperson ist nicht an das Legalitätsprinzip gebunden. Ihm einen Spielraum zu belassen, wenn persönliche Interessen betroffen sind, ist eher sachgerecht als ein Spielraum derjenigen Behörden, die das Anklagemonopol innehaben. Lediglich die Festlegung auf das besondere öffentliche Interesse als allei­ nige Prozessvoraussetzung führt zu prozessrechtsdogmatisch sauberen Er­ gebnissen. Das Vorliegen dieses Interesses macht das relative Antragsdelikt zu einer verfolgbaren Tat im Sinne des § 152 II StPO. Im Anschluss daran lässt sich die Frage nach der Zulässigkeit des Absehens von der (an sich zulässigen) Strafverfolgung nach Maßgabe der in § 152 II StPO in Bezug genommenen Ausnahmen erörtern.

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Stichwortverzeichnis Abwägung  98, 105, 118, 151 f., 153 f., 218, 245, 276–278, 280, 283–289 Anklageermessen  121, 123 Berufsfahrer  40–43, 44 f. Besonderes öffentliches Interesse –– als materielles Rechtmäßigkeitsele­ ment  83, 84, 92, 144 –– an der Strafverfolgung  79, 223–225 –– Anwendungsbereich  78, 154, 157, 162, 180, 225–236, 240, 280 –– Ausnahmecharakter  236–238, 258, 276, 288 –– besonderes  156 f., 222 f. –– Bezugspunkt  88, 138, 154, 160, 219, 223–225, 240, 288 –– Bindung an Erklärung  54 f. –– Einschüchterung  168, 170, 184, 191, 216, 240, 246, 259, 263 f., 265, 275 f., 279 –– Form  51–54, 60 f., 74, 132 f. –– Frist  54, 61, 133–135, 249 –– Funktion  77–82, 157 f. –– inhaltliche Auslegung  50 f., 58 f., 62, 88, 144–154, 166–192, 219–290 –– Rechtsnatur  68, 84–91 –– Reichweite  137–140 –– Verhältnis zum gestellten Strafantrag  140–143 –– Wirksamkeit  73–87 Besonders schwerer Fall  157, 163, 168, 179, 181, 182 f., 187, 193, 226, 228, 229 f., 231 f., 233, 235 f., 272 f. Beurteilungsspielraum  65 f., 86, 101, 102–113, 115 Bindungswirkung der RiStBV, 110–112 Erfolgsunrecht  268–270, 271

Ermessen  50, 53, 56, 58, 61, 64, 70, 72, 76, 84 f., 86, 87–91, 94, 97, 98, 101, 102, 104, 113–115, 117–122, 123–126, 173, 211, 245, 279, 297 –– Ermessensfehler  64, 87, 94, 101, 117, 126 –– intendiertes Ermessen  118 f. –– Tatbestandsermessen  85, 89 f., 114 f. Geheimhaltungsinteresse  153, 221, 242, 250, 252–255, 256, 274, 279, 286 Genugtuungsinteresse  147 f., 197, 202 f., 212 f., 216, 221, 256, 258, 262, 264, 273, 279 Gerichtliche Überprüfbarkeit –– der staatsanwaltschaftlichen Entschei­ dung  117–126 –– des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung  56 f., 58, 60, 63–68, 72, 76, 91–117 –– Unüberprüfbarkeit  63, 91–100 –– Wille des Gesetzgebers  76, 96–99, 176, 245 –– Willkürkontrolle  57, 66 Gewerbsmäßigkeit  166, 183, 187, 189, 190, 209, 232–235, 256, 270 Handlungsunrecht  267, 270 f. Justizverwaltungsakt  58 f., 61, 67, 126 f. Koppelungsvorschriften  89, 101, 113–115 Legalitätsprinzip  56, 63, 104, 121, 122–125, 164, 223 Luxusfahrer  41 f.

318 Stichwortverzeichnis Obliegenheit  278 f. Öffentliches Interesse –– an der Erhebung der öffentlichen Klage  77, 121, 142, 162, 172, 213, 218, 254 –– Anwendungsbereich  163–166, 193, 195, 205, 208 f., 213, 214 –– Bezugspunkt  160–162, 192, 213 –– Funktion  193 –– Inhalt  194–204, 205–212 –– Zielrichtung  158 f., 204, 211 Offizialprinzip  122 f., 125 Opferschutz  187, 210, 212, 253 Opportunitätsprinzip  123–125, 155, 194 Privatklagedelikt  77, 78, 120, 121 f., 124, 127 f., 141 f., 143, 144, 148, 159, 164 f., 166, 205, 207, 208, 210–213, 217, 218, 240, 252, 254, 269, 274, 281, 293, 295, 296 Prozessvoraussetzung  55, 56, 58, 60, 64, 67, 69–84, 85, 92, 97, 112, 116, 117, 127, 129, 131, 135–137, 138, 139, 218, 240, 259, 262, 290, 293 –– Wegfall  135 f. Reaktionsbedürfnis der Allgemeinheit  147, 152 Rechtsfrieden  161, 175, 184 f., 191, 205, 206, 208 f., 212, 249, 250, 251, 257, 262, 263, 280–283 Rechtsmissbrauch  61 Relatives Antragsdelikt –– Binnengliederung  76, 82, 236–239 –– Kritik an der Konstruktion  241 –– Umwandlung in absolute Antragsde­ likte  242 f., 246 f. –– Vorgängerregelung  39 f., Schuld  119, 120, 147, 152, 155, 161, 163, 174, 175, 183, 193–195, 196, 199, 200, 203, 211, 212, 214, 260, 267, 268, 271 f., 275, 284 –– geringe  120, 163, 193 f., 195, 199, 214, 267

Strafanspruch  44, 56, 57, 80 f., 92, 121, 193, 210, 211 Strafantrag –– Bagatellgedanke  251 f., 253, 254, 257, 258, 265–273, 274, 275, 286, 287 –– Frist  129, 133, 140, 142, 179, 249, 260–263, 274 –– Geheimhaltungsinteresse  242, 250, 252–255, 256, 273–275, 279, 286 –– Reichweite  138 f. –– Rücknahme  128, 133 f., 202, 246, 260, 261, 263, 281 –– Sachgründe  247 f., 248–257, 265–275 –– Schutzzweck  82, 241, 250, 252–255, 273–275, 281, 286, 287 –– Überwindung der Sachgründe  258, 265–275 –– Unterlassen  122, 144, 170, 184, 216, 249, 259, 261–264, 277–279, 282, 283, 286–288 Strafzumessung  189, 194, 196, 203, 211, 268–272, 273, 278, 283, 284 f., 289 Strafzwecke  147 f., 161, 193, 195–199, 200, 202, 203 f., 212, 221, 294 –– Generalprävention  148, 179, 186, 193, 194, 197–199, 203, 210 –– Spezialprävention  148, 179, 193, 196, 203, 209, 210 –– Vergeltung  195 Stufenverhältnis  95, 119, 150, 152– 154, 156 f., 166, 213–217, 219, 222 f., 263, 292, 294 –– Wille des Verletzten  78, 97, 151, 171, 184, 226, 241, 258, 260, 276, 278 f., 281, 284, 288, unbestimmter Rechtsbegriff  65, 82, 84, 85 f., 87, 89–91, 100–115, 146, 194 Unzumutbarkeit  177 f., 184, 206, 209, 212, 216, 240 –– der Privatklage  206, 212, 216, 240 –– Stellung eines Strafantrags  177 f., 184, 209, 216, 240

Stichwortverzeichnis319 Verfahrenseinstellung  54–56, 62, 95, 120, 121, 127, 136, 145, 154 f., 156, 158, 163, 173, 193, 194, 196, 197, 199, 202, 203, 210, 213, 217, 267, 268, 282, 290–296 Verfahrensstadium  93, 116, 127–131 –– Ermittlungsverfahren  62, 65, 67, 74, 93, 95, 105, 106, 107, 115, 116, 127–129, 130, 133, 268, 289 –– Hauptverfahren  55–57, 92, 116, 129, 130, 134–137, 290 –– Rechtsmittelverfahren  130 f. –– Zwischenverfahren  57, 58, 93, 129 f.

Verfolgungspflicht  64, 97, 98, 117– 126, 132, 223, 237, 268 Verzeihung  178, 248 f., 258, 263, 265, 280–282, 286 Vorrang des Freispruchs  56, 136 f. Vorstrafen  148, 167, 169, 170, 173, 175–177, 182, 186, 188, 191, 196, 215, 258, 259, 271, 272, 282–284 wegen  76 f. Widerspruchsrecht  243–247 Zeugnisverweigerungsrecht  243 Zweistufige Regelung  75–84, 93