Christologie zwischen Judentum und Christentum: Jesus, der Jude aus Galiläa, und der christliche Erlöser 9783161590962, 9783161590979, 3161590961

Siebzig Jahre jüdisch-christlicher Dialog hat erstaunlich wenig Widerhall in der systematischen Theologie hinterlassen.

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Christian Danz / Kathy Ehrensperger / Walter Homolka — Jesus, der Jude aus Galiläa, und der christliche Erlöser: Eine Einleitung
Verena Lenzen — Jüdische Jesusforschung und israelische Kunst als Inspiration des jüdisch-christlichen Dialogs
Walter Homolka — Jewish Jesus Research: Catalyst for a Contemporary Christology?
Markus Öhler — Die Jesusforschung und die Wundererzählungen – eine dreidimensionale Perspektive
Martin Stowasser — Der Jude Jesus und sein Gott. Überlegungen zur theologischen und interreligiösen Bedeutung einer historischen Perspektive auf Jesus von Nazareth
Paula Fredriksen — Christus und das Reich Gottes. Oder Paulus, der Diasporajude, und der christliche Erlöser
Kathy Ehrensperger — “If Anyone is in Christ, there is a New Creation” (2 Cor 5:17: A Contribution to the “in Christ” Debate
Christian Danz — Christologie als Bestätigung der jüdischen Religion? Überlegungen zur Lehre von Jesus Christus im Zeitalter des religiösen Pluralismus
Kayko Driedger Hesslein — A Christology of Jesus the Jew
Folkart Wittekind — Allgemeine Transzendenz – bestimmte Offenbarung? Zur Struktur von Wahrheit und Offenbarung im interreligiösen Diskurs und im Kontext einer Theologie religiöser Rede
Jan-Heiner Tück — Der Jude Jesus – ‚die Tora in Person‘? Zu einem neueren christologischen Topos im jüdisch-christlichen Gespräch
Erwin Dirscherl — Die Herausforderungen für eine Christologie im Angesicht von Jesu Judentum. Das theozentrische Beten und Fragen Jesu als bleibende Herausforderung des christlichen Glaubens an den einen Gott
Helmut Hoping — Gottes Wort in jüdischem Fleisch. Jesus von Nazareth und der Gedanke der Inkarnation
Christoph Markschies — Die Erforschung antiker christologischer Reflexion und der jüdischchristliche Dialog – ein Prospekt
Christoph Schwöbel — Jüdische Jesusforschung und die Aufgaben der Christologie – ein Gesprächsbeitrag
Klaus von Stosch — Die Einzigkeit Jesu Christi als Implikat der Einzigkeit Israels. Plädoyer für eine mutual inklusive Lesart der Christologie in der Israeltheologie
Magnus Striet — Vom Judesein Jesu und einem notwendigen dogmatischen Umdenken
Josef Wohlmuth — Der jüdische Jesus und die Christologie des Konzils von Chalkedon
Daniel Krochmalnik — Ein Gott – drei Wege. Ein jüdischer Beitrag zur Theologie der Religionen
Reinhold Bernhardt — Zur theologischen Bedeutung des Judeseins Jesu
Heinz- Günther Schöttler — Mose und Jesus – zwei unterschiedliche soteriologische ‚Karrieren‘
Gesamtbibliographie
Autorenverzeichnis
Namensregister
Sachregister
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Christologie zwischen Judentum und Christentum: Jesus, der Jude aus Galiläa, und der christliche Erlöser
 9783161590962, 9783161590979, 3161590961

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Dogmatik in der Moderne herausgegeben von

Christian Danz, Jörg Dierken, Hans-Peter Großhans und Friederike Nüssel

30

Christologie zwischen Judentum und Christentum Jesus, der Jude aus Galiläa, und der christliche Erlöser

Herausgegeben von

Christian Danz, Kathy Ehrensperger und Walter Homolka

Mohr Siebeck

Christian Danz, geboren 1962; Professor für Systematische Theologie an der Ev.-Theologischen Fakultät der Universität Wien. orcid.org/0000-0003-4096-603X Kathy Ehrensperger, geboren 1956; Forschungsprofessur Neues Testament in jüdischer Per­spektive am Abraham Geiger Kolleg. orcid.org/0000-0001-5958-0116 Walter Homolka, geboren 1964; deutscher Rabbiner, Rektor des Abraham Geiger Kollegs an der Universität Potsdam und Professor für Jüdische Religionsphilosophie der Neuzeit an der School of Jewish Theology der Universität Potsdam. orcid.org/0000-0003-1021-2341

Gedruckt mit Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung, Köln. ISBN 978-3-16-159096-2 / eISBN 978-3-16-159097-9 DOI 10.1628/978-3-16-159097-9 ISSN 1869-3962 / eISSN 2569-3913 (Dogmatik in der Moderne) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen aus der Minion gesetzt, von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Wie können die christlichen Kirchen adäquat und authentisch von Jesus Christus reden, ohne das Judentum herabzuwürdigen? Das ist eine Frage, der sich der jüdisch-christliche Dialog in Europa seit fünfundsiebzig Jahren zu stellen versucht. Innerhalb der Theologie waren die exegetischen Fächer in den letzten Jahrzehnten Vorreiter, um sich solchen Fragen von der akademischen Seite anzunähern und so dem Judentum auf Augenhöhe zu begegnen. In der systematischen Theologie jedoch kam dieser Diskurs bisher wenig zum Tragen. Deshalb haben die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Wien, die School of Jewish Theology der Universität Potsdam, das Abraham Geiger Kolleg Potsdam und die Herausgeber der „Encyclopedia of Jewish-Christian Relations“ vom 29. bis 31. Januar 2019 die Tagung „Jesus, the Jew from Galilee, and the Christian Redeemer: Christology between Judaism and Christianity“ in Wien organisiert, auf der systematische Fachkolleginnen und ‑kollegen aus verschiedenen Ländern das Thema Christologie in einem jüdischen Kontext diskutierten. Damit sollte auf eine Reihe von Publikationen1 der vergangenen Jahre geantwortet werden, in denen die jüdische Jesusforschung Anfragen an das Verstehen Jesu als Christus der christlichen Theologien gestellt hatte. Dieser Schritt wurde möglich durch die Verankerung jüdischer Theologie als deutsches Universitätsfach 2013 an der Universität Potsdam. Die Fragestellung, ob und inwiefern die Einsicht in das Judesein Jesu für das Verständnis christlicher Identität und für die Christologie relevant ist, wurde auf der Tagung in unterschiedlichen historischen und theologischen Ansätzen aufgenommen und kritisch erörtert. In der Vorgehensweise wurde der Schwerpunkt darauf gelegt, vorab eingereichte Papers ausgiebig zu diskutieren und diese Erträge in die jetzt vorliegenden Buchbeiträge einfließen zu lassen. Diese werden für Leser deshalb hoffentlich spannend zu lesen sein und dazu anregen, das Thema konstruktiv weiterzuverfolgen. Ohne die Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung wären Tagung und Buch nicht möglich gewesen. Dafür den herzlichen Dank aller Organisatoren. Die Eugen-Biser-Stiftung in München hat uns dabei geholfen, eine große öffentliche Paneldiskussion zum Thema mit ORF III ins 1 Für eine Gesamtschau siehe W. Homolka, Jewish Jesus Research and the Challenge of Christology Today, Leiden 2016.

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Vorwort

Fernsehen zu bringen. Die organisatorische Durchführung des Symposiums lag in den bewährten Händen von Frau Dr. Juni Hoppe, wissenschaftliche Mitarbeiterin der „Encyclopedia of Jewish-Christian Relations“, und Frau Jasmin Andriani, studentische Mitarbeiterin am Projekt ECJR. Redaktion und Satz des Bandes haben Frau Dr. Hoppe (Berlin) und Herr Dr. Christopher Arnold, Alexander Hrncir, Bernhard Lasser, Mag. Patrick Leistner, Emil Lusser, Patrick Pertl sowie Alexander Schubach, BA MA (alle Wien) hervorragend besorgt. Die Herausgeber danken an dieser Stelle ganz herzlich. Wien und Potsdam, Oktober 2019

Christian Danz Kathy Ehrensperger Walter Homolka

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Christian Danz / Kathy Ehrensperger / Walter Homolka Jesus, der Jude aus Galiläa, und der christliche Erlöser: Eine Einleitung . . . 1 Verena Lenzen Jüdische Jesusforschung und israelische Kunst als Inspiration des jüdisch-christlichen Dialogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Walter Homolka Jewish Jesus Research: Catalyst for a Contemporary Christology? . . . . . . . . 17 Markus Öhler Die Jesusforschung und die Wundererzählungen – eine dreidimensionale Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Martin Stowasser Der Jude Jesus und sein Gott. Überlegungen zur theologischen und interreligiösen Bedeutung einer historischen Perspektive auf Jesus von Nazareth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Paula Fredriksen Christus und das Reich Gottes. Oder Paulus, der Diasporajude, und der christliche Erlöser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Kathy Ehrensperger “If Anyone is in Christ, there is a New Creation”(2 Cor 5:17): A Contribution to the “in Christ” Debate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Christian Danz Christologie als Bestätigung der jüdischen Religion? Überlegungen zur Lehre von Jesus Christus im Zeitalter des religiösen Pluralismus . . . . . . 123 Kayko Driedger Hesslein A Christology of Jesus the Jew . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

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Inhaltsverzeichnis

Folkart Wittekind Allgemeine Transzendenz – bestimmte Offenbarung? Zur Struktur von Wahrheit und Offenbarung im interreligiösen Diskurs und im Kontext einer Theologie religiöser Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Jan-Heiner Tück Der Jude Jesus – ‚die Tora in Person‘? Zu einem neueren christologischen Topos im jüdisch-christlichen Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Erwin Dirscherl Die Herausforderungen für eine Christologie im Angesicht von Jesu Judentum. Das theozentrische Beten und Fragen Jesu als bleibende Herausforderung des christlichen Glaubens an den einen Gott . . . . . . . . . . . 209 Helmut Hoping Gottes Wort in jüdischem Fleisch. Jesus von Nazareth und der Gedanke der Inkarnation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Christoph Markschies Die Erforschung antiker christologischer Reflexionund der jüdischchristliche Dialog – ein Prospekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Christoph Schwöbel Jüdische Jesusforschung und die Aufgaben der Christologie – ein Gesprächsbeitrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Klaus von Stosch Die Einzigkeit Jesu Christi als Implikat der Einzigkeit Israels. Plädoyer für eine mutual inklusive Lesart der Christologie in der Israeltheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Magnus Striet Vom Judesein Jesu und einem notwendigen dogmatischen Umdenken . . . . 311 Josef Wohlmuth Der jüdische Jesus und die Christologie des Konzils von Chalkedon . . . . . . 319 Daniel Krochmalnik Ein Gott – drei Wege. Ein jüdischer Beitrag zur Theologie der Religionen . . 333 Reinhold Bernhardt Zur theologischen Bedeutung des Judeseins Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

Inhaltsverzeichnis

IX

Heinz-​Günther Schöttler Mose und Jesus – zwei unterschiedliche soteriologische ‚Karrieren‘ . . . . . . . 377 Gesamtbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Jesus, der Jude aus Galiläa, und der christliche Erlöser: Eine Einleitung Christian Danz / Kathy Ehrensperger / Walter Homolka In der dogmatischen Lehre von Jesus Christus scheinen sich der Gegensatz sowie die Unterschiede zwischen der jüdischen und der christlichen Religionsfamilie exemplarisch zu verdichten.1 Der Mann aus Nazareth verbindet beide Religionen, aber zugleich trennt er sie. Viele Juden sehen inzwischen in ihm eine bedeutende religiöse Persönlichkeit, gar ihren „Bruder Jesus“2, aber eben weder den Messias noch den Sohn Gottes.3 Solch jüdische Einsichten wurden bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert formuliert, es dauerte aber bis in die 1980er Jahre bis die historische Jesusforschung, im Unterschied zu den Untersuchungen nach dem Zweiten Weltkrieg, diesen Befund weitgehend bestätigt hat. Es besteht ein breiter Konsens in der heutigen neutestamentlichen Wissenschaft, dass der Nazarener, ja die neutestamentlichen Schriften insgesamt vollständig ins antike Judentum gehören.4 Jesus ging es um ein Verstehen der jüdischen Tradition angesichts der unmittelbaren Erwartung des Anbrechens des Reiches Gottes, und zwar im Horizont der vielfältigen Strömungen des zeitgenössischen Judentums. Soweit es sich überhaupt noch mit den Mitteln der historischen Forschung erkennen lässt, gehen das Wirken und die Verkündigung Jesu an keiner Stelle über die Vorstellungswelten seiner Tradition hinaus, auch da nicht, wo die ältere Forschung noch Konflikte und Brüche meinte konstatieren zu müssen, wie im Bezug auf die Rolle der Tora, Toraobservanz oder jüdische Riten.5 1  Vgl. W. Homolka/M. Striet, Christologie auf dem Prüfstand. Jesus der Jude – Christus der Erlöser, Freiburg i. Br./Basel/Wien 2019. 2 Vgl. S. Ben-Chorin, Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht, München 1977. 3 Zur jüdischen Jesusforschung, die von der akademischen Theologie bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts weitgehend marginalisiert wurde vgl. W. Homolka, Jesus von Nazareth im Spiegel jüdischer Forschung, Berlin/Teetz 2009, S. 74; ders., Jewish Jesus Research and its Challenge to Christology Today, Leiden/Boston 2019. 4 Zu den diversen Phasen der historischen Jesusforschung vgl. C. Danz, Grundprobleme der Christologie, Tübingen 2013, S. 13–41; A. J. M.  Weddernburn, Jesus and the Historians, Tübingen 2010. 5 Vgl. hierzu die Darstellungen von G. Theiẞen, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh 2000, S. 47–70; J. Schröter, Jesus von Nazareth. Jude aus Galiläa – Retter der Welt, Leipzig 22009; W. Stegemann, Jesus und seine Zeit, Stuttgart 2010.

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Christian Danz / Kathy Ehrensperger / Walter Homolka

Welche Konsequenzen ergeben sich aus der historischen Sicht des Mannes aus Nazareth für die dogmatische Christologie und das Verhältnis der beiden Religionsfamilien, die religionsgeschichtlich auseinander hervorgegangen sind? Sollte die dogmatische Christologie die jüdische Identität Jesu, wie sie von der historischen Forschung herausgearbeitet wurde, aufnehmen und berücksichtigen? Und welche Relevanz hätte das? Wenn Jesus selbst in der jüdischen Religion kontextualisiert werden muss, sich das Christentum aber spezifisch auf ihn beruft, unterstreicht das die Forderungen nach einer bleibenden Geltung der jüdischen Religion, einer bleibenden Erwählung des Volkes Israel und nach seinem ungekündigten Bund mit Gott? Hat das auch Konsequenzen für die Beziehung der beiden verschiedenen Religionen? Angesichts der Tatsache, dass das christliche Selbstverständnis bisher weitgehend in negativer Abgrenzung, ja Herabwürdigung des Judentums formuliert wurde, – mit den entsprechenden Konsequenzen für jüdische Menschen in christlich dominierten Gesellschaften –, ist das 75 Jahre nach der Shoah und im Kontext steigender antisemitischer Vorfälle keine abstrakte, sondern eine äußerst konkrete Frage. Wenn der Jude Jesus als Christus bekannt wird, ist es dann noch möglich, Christologie in herabwürdigender Abgrenzung zum Judentum zu formulieren? Was ist überhaupt der Gegenstand der Christologie? Ist sie, erstens, eine dogmatische Lehre von der Person Jesu von Nazareth, oder, zweitens, eine Reflexionsebene in der christlichen Theologie, um den christlichen Glauben zu beschreiben? Je nachdem, wie man die Funktion bzw. den Gegenstand der dogmatischen Christologie auffasst, kommt man zu unterschiedlichen Konzeptionen mit jeweils spezifischen Problemen im Hinblick auf das Verhältnis des Christentums zum Judentum und zu anderen Religionen. Um die aufgeworfenen Fragen beantworten zu können, wird man gut daran tun, zwei Dimensionen zu unterscheiden. Es handelt sich einmal um das Problem von Glaube und Geschichte bzw. von historischer und dogmatischer Theologie und sodann um die religionstheologische Frage des Verhältnisses von Judentum und Christentum. Beide Dimensionen, die religionsgeschichtliche und die dogmatische, überlagern sich auf vielfältige Weisen und sind miteinander verschlungen. Dennoch müssen sie unabhängig voneinander betrachtet werden. In den mannigfaltigen Debatten über das Verhältnis von Judentum und Christentum, über die notwendige und längst überfällige Revision von alten christlich-dogmatischen Einschätzungen des Judentums wird das meist – nicht nur zum Schaden der methodischen Klarheit – unterlassen. Die dogmatische Christologie bezieht sich auf die christliche Religion, nicht aber auf andere Religionen. Christologie ist eine Reflexionsebene der christlichen Theologie und kein inhaltlicher Bestandteil der christlichen Religion. Das ist die Konsequenz der theologiegeschichtlichen Entwicklung (zumindest) der protestantischen Theologie im 19. und 20. Jahrhundert, die aufzunehmen ist. Jeder

Jesus, der Jude aus Galiläa, und der christliche Erlöser: Eine Einleitung

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Versuch, die Lehre von Jesus Christus mit einer Begründung der Geltung der jüdischen Religion zu überfrachten, führt in das Dilemma, entweder die Besonderheit der christlichen Religion aufzulösen oder die der jüdischen. Als Leitfragen der Diskussion, denen in den Beiträgen dieses Bandes nachgegangen wird, ergeben sich damit: 1. Welche Konsequenzen ergeben sich aus der historischen Forschung für die dogmatische Christologie? Wenn Jesus ganz ins antike Judentum gehört, was bedeutet das für die Konstruktion einer Christologie? 2. Überzeugen die Versuche, eine bleibende Bedeutung der jüdischen Religion im Rahmen der Christologie auszuarbeiten bzw. zu begründen? 3. Kann der Gottes‑ oder Religionsbegriff als Grundlage einer Begründung der Geltung des Judentums in christlich-theologischer Perspektive fungieren? Verschiedene Vorschläge zur Beantwortung dieser Fragen sind schon unternommen worden und sie bewegen sich z. T. zwischen den Extremen einer Depotenzierung der Christologie6 und ihrer Reformulierung als Begründung der Geltung der jüdischen Religion in der christlichen Theologie.7 Während die ersteren meinen, die christologische Deutung der christlichen Religion am Leitfaden der Menschwerdung Gottes verhindere geradezu eine theologische Anerkennung des Judentums sowie anderer Religionen durch das Christentum, sind die anderen der Auffassung, gerade durch die Lehre von Jesus Christus müssten die bleibende Erwählung, der ungekündigte Bund Gottes mit Israel oder die Geltung der Tora fundiert werden. Beide Vorschläge, sowohl eine Herabsetzung der Christologie als auch ihre Umformulierung zur Fundierung der jüdischen Religion, werfen grundlegende Fragen auf. Trotz der Intention einer Neubestimmung des Verhältnisses zwischen beiden Religionen ist beiden theologischen Umgangsstrategien, so unterschiedlich sie im Einzelnen auch durchgeführt werden, die Gefahr inhärent, die Differenzen zwischen der jüdischen und der christlichen Religionsfamilie einzuebnen und zu einer Reintegration religiöser Alterität in die eigene christlich-theologische Binnenperspektive beizutragen.8 Evident wurden die mit diesen Konzeptionen verbundenen Probleme in der Kontroverse über den Beitrag von Joseph Ratzinger mit dem Titel Gnade und 6 Vgl. hierzu den Überblick bei K. v. Stosch, Christologie im Kontext der Religionstheologie, in: MThZ 60 (2009), S. 42–50; R. Bernhardt, Deabsolutierung der Christologie?, in: M. v. Brück/J. Werbick (Hg.), Der einzige Weg zum Heil? Die Herausforderung des christlichen Absolutheitsanspruchs durch pluralistische Religionstheologien, Freiburg i. Br./Basel/ Wien 1993, S. 144–200. 7 Vgl. F.-W. Marquardt, Das christliche Bekenntnis zu Jesus, dem Juden. Eine Christologie, 2 Bde., München 1990/91; B. Klappert, Miterben der Verheißung. Beiträge zum jüdisch-christlichen Dialog, Neukirchen-Vluyn 2000. 8 Vgl. K. Driedger Hesslein, Dual Citizenship. Two-Natures Christologies and the Jewish Jesus, London/New Delhi/New York 2015.

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Christian Danz / Kathy Ehrensperger / Walter Homolka

Berufung ohne Reue vom Sommer 2018, der die Formel vom ungekündigten Bund problematisierte.9 Mit dieser Aporie sind jedoch alle Versuche konfrontiert, die eine bleibende Geltung der jüdischen Religion in der dogmatischen Christologie begründen wollen. Wenn Gott sich in Christus endgültig offenbart hat, dann ist Christus auch die Norm im Eschaton. Die inklusivistische Konsequenz, den Bund Gottes mit Israel im Eschaton aufzuheben, ist, darüber sollte man sich nicht täuschen, in der christologischen Begründung der Geltung der jüdischen Religion bereits angelegt. Über eine Anerkennung der jüdischen Religion, die nur für diese Welt gilt, gelangt man in einem inklusivistischen Rahmen nicht hinaus. Es bleibt der christlichen Theologie deshalb die Aufgabe, Wege zu suchen, die zu einer wirklichen Anerkennung der jüdischen Religion führen. Wege, bei denen das Judentum auch nicht mehr als Projektionsfläche einer christlichen Identitätskonstruktion fungiert.10 In der Theologie ist darauf zu verzichten, eine Gleich-Gültigkeit von Judentum und Christentum dadurch zu begründen, dass beide in einen sie übergreifenden Rahmen eingefügt und als dessen geschichtliche Ausprägungen verstanden werden. Die Struktur des Bandes ergibt sich aus diesem Problemhorizont. Den Ausgangspunkt bildet der geschichtliche Horizont der neueren Forschung sowie die in diesem stehenden neueren Untersuchungen zum historischen Jesus sowie zu Paulus. Wie auch die anderen Fragestellungen werden sie in jüdischer, römisch-katholischer und evangelischer Perspektive thematisiert. Die historische Forschung bildet die „conditio sine qua non“ der systematisch-theologischen Herangehensweise. Dem Umgang mit den Resultaten der historischen Forschung in der christologischen Theoriebildung widmen sich in jüdischer, römisch-­ katholischer und evangelischer Perspektive die weiteren Beiträge. Forschungsziel des Bandes ist, neue Perspektiven für das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum zu eröffnen – unter diskursiver Einbeziehung der religiösen Sichtweisen des jeweils Anderen.

 9 Vgl. J. Ratzinger, Gnade und Berufung ohne Reue. Anmerkungen zum Traktat „De Iudaeis“, in: Communio 47 (2018), S. 316–335 sowie W. Homolka, Wir sind kein unerlöstes Volk!, in: DIE ZEIT, Nr. 30, 19. Juli 2018, S. 50. 10 Vgl. W. Homolka, Der historische Jesus aus jüdischer Sicht, in: ders./Striet, Christologie auf dem Prüfstand, S. 11–70, hier: S. 34: „Ich meine, es ist nun Aufgabe der christlichen Theologen, eine Christologie zu schaffen, die ohne ein zur Karikatur entstelltes Judentum auskommt, das der christlichen Identitätsfindung und Lehre bisher als Projektionsfläche diente.“

Jüdische Jesusforschung und israelische Kunst als Inspiration des jüdisch-christlichen Dialogs Verena Lenzen Dieser Beitrag skizziert die jüdische Jesusforschung und fragt nach ihrem Stellenwert für das christliche Selbstverständnis und den jüdisch-christlichen Dialog. Er konfrontiert Deutungen von Jesus in der katholischen Kirche mit Wahrnehmungen der jüdischen, vor allem modernen israelischen Kunst.1

1. „Der verhöhnte Heiland“: Von Max Liebermann zu Moritz Finkelstein. Antijudaismus als christlicher Selbsthass 1879 zeigte die Internationale Kunstausstellung in München ein frühes religiöses Gemälde des jüdischen Künstlers Max Liebermann (1847–1935): Der zwölf‌jährige Jesus im Tempel. Das Bild löste einen Skandal aus: Der Maler habe sich „von der traditionellen Darstellungsweise des Christus als göttlichem Knaben und dessen geistiger Überlegenheit gegenüber den jüdischen Schriftgelehrten entfernt“; er habe Gottes Sohn „als Judenbengel diffamiert“ und den „Heiland verhöhnt“. Die aggressive Reaktion traf Liebermann so sehr, dass er die Figur des Jesus in den nachfolgenden Jahren übermalte. Aus dem dunkelhaarigen, Schläfenlocken tragenden, kräftigen Jungen, der barfüssig und selbstbewusst die alten Schriftgelehrten unterweist, wurde ein blondes, mädchenhaft zartes Geschöpf mit Sandalen, demütiger Gestik und verinnerlichtem Blick. Der rebellische Nazarener mutierte zum nazarenischen Frömmler, der dem christlichen Kunstgeschmack und Zeitgeist entsprach. Ursprünglich hatte Liebermann eine realistische Darstellung des jüdischen Jünglings in seinem zeitgenössischen Umfeld in Jerusalem gewagt. Dabei griff er eine Diskussion jüdischer Historiker auf, die Jesus als fortschrittlichen Vertreter

1 Die Frage nach der Bedeutung und Wirkung der jüdischen Jesus-Literatur hinsichtlich der Lehre der zwei Naturen in Jesus Christus als wahrem Gott und wahrem Menschen, weder gemischt noch getrennt (Dogma von Chalcedon, 451 n. Chr.), überlässt die Verfasserin vertrauens‑ und erwartungsvoll den Dogmatikern.

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Verena Lenzen

der Pharisäer verstanden: „Die Kampagne gegen Liebermann richtete sich also auch gegen das liberale Judentum, das die Person Jesu einer neuen Bewertung unterzog. Es kam gleichsam zu einem Stellvertreterkrieg um das Gemälde, der in offenen Antisemitismus ausartete.“2 Liebermanns Bild des jüdischen Jesus erschließt sich im Zusammenhang mit der „Wissenschaft des Judentums“, der historisch-kritischen Entdeckung der Gestalt Jesu innerhalb der jüdischen Religionsgeschichte der Spätantike und dem Aufkommen des Reformjudentums. Der Maler kannte die Kontroverse von christlichen und jüdischen Theologen über die Identität Jesu, und er bezog in seinem ursprünglichen Gemälde Stellung. Das Original des Zwölf‌jährigen Jesus im Tempel ist gleichermaßen Zeugnis jüdischer Akkulturation und jüdischer Selbstbesinnung. Max Liebermann setzte sich mit einem Thema der christlichen Ikonographie auseinander und wagte zugleich die Rückholung Jesu in seine jüdische Lebenswelt. Dieser Versuch sollte jeden jüdischen Künstler der antisemitischen Hetze aussetzen, ob es Marc Chagall, Schalom Asch, der junge Dichter Fritz Rosenthal alias Schalom Ben-Chorin oder der große Pionier der Jesusforschung, Joseph Klausner, waren. Mochte sich Liebermann primär als deutscher Künstler betrachten, so war ihm doch bewusst, dass er ein Deutscher mosaischen Glaubens war und somit „ein Mitglied der Schicksalsgemeinschaft der deutschen Juden“: Die antisemitischen Reaktionen führten es ihm krass vor Augen, und er fürchtete, durch sein Gemälde von 1879 und die dadurch ausgelöste Kontroverse die deutschen Juden todunglücklich gemacht zu haben.3 Vor allem Abraham Geiger (1810–1874), Wegbereiter des Reformjudentums, hatte den Berliner Maler beeinflusst. Er gab den entscheidenden Anstoß zu einer jüdischen Interpretation des Neuen Testaments, indem er Jesus im pharisäischen Judentum ansiedelte: „Er war ein Jude, ein pharisäischer Jude mit galiläischer Färbung, ein Mann, der die Hoffnungen der Zeit theilte und diese Hoffnungen in sich erfüllt glaubte.“4

2 Der Jesus-Skandal. Ein Liebermann-Bild im Kreuzfeuer der Kritik, in: Vernissage Ausstellungen 2/10, S. 42–47, S. 44. Im Christlichen Kunstblatt hieß es: „Ein schielender Judenknabe im schmutzigen Kittel mit rothem Haar und Sommersprossen, verhandelt, ja handelt mit übelriechenden gemeinen Schacherjuden in schmutzigen Säcken und Gebetsmänteln“ (a. a. O., S. 43). Vgl. I. Dohmen-Baumgart, Der zwölf‌jährige Jesus im Tempel. Max Liebermann, in: WUB, 77 (2015), S. 76–79; V. Lenzen, Jesus im Spiegel jüdischer Deutungen, in: He is not far from any of us. Festschrift für Hans-Jürgen Findeis, hrsg. v. A. V. K.  Findeis/B. O.  Ukwuegbu, Bonn 2015, S. 569–583, S. 569 f. 3 Vgl. E. Mendelsohn, Max Liebermanns Zwölf‌ jähriger Jesus im Tempel. Einige Anmerkungen zum historischen und kulturellen Kontext, in: Der Jesus-Skandal. Ein Liebermann-Bild im Kreuzfeuer der Kritik, hrsg. v. M. Faass, Berlin 2009 (Ausstellungskatalog), S. 103–124; S. 121 f. 4 A. Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte bis zur Zerstörung des Zweiten Tempels, Breslau 21865, S. 117. – Eine ausführliche Darstellung und wissenschaftliche Würdigung von Geigers Beitrag bietet S. Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers

Jüdische Jesusforschung und israelische Kunst

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Am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts löste die Entdeckung des jüdischen Jesus massive antisemitische Reaktionen aus.5 In der Verdrängung von Jesu Judentum erweist sich Antijudaismus als Selbsthass des Christentums. Die fatalen Folgen dieser christlichen Blindheit und Vergessenheit gegenüber der jüdischen Herkunft treten in den dunklen Jahren des Nationalsozialismus zu Tage. Hellsichtig erkannte dies Joseph Roth 1933 in der Vorrede zur neuen Auflage (1937) seines Essays Juden auf Wanderschaft (1927): „Es ist nur sehr wenigen, sehr auserlesenen gläubigen Christen klar, dass hier – zum ersten Mal innerhalb der langen und beschämenden Geschichte der Judenverfolgungen – das Unglück der Juden mit dem der Christen identisch ist. Man prügelt den Moritz Finkelstein aus Breslau, und man meint in Wirklichkeit jenen Juden aus Nazareth. Man entzieht dem jüdischen Viehhändler aus Fürth oder Nürnberg die Konzession, aber man meint jenen Hirten in Rom, der die fromme Herde weidet.“6

2. „Ein Jude unter Juden“ (L. Baeck): Jüdische Jesus-Literatur von Moses Mendelssohn bis Amos Oz. Vom Anderen zum Bruder Im Judentum war der Name Jesu lange Zeit ein Tabu oder Reizwort gewesen. Die fragmentarischen und apologetischen Aussagen des Talmuds oder die volkstümlichen Legenden Toledot Jeschu (9./10. Jahrhundert) über Jesus als Zauberer und Volksverführer waren durch interreligiöse Polemik und den Abwehrkampf gegen christliche Mission bestimmt. Die Erzählung anerkennt, dass sich Jesu Wunder tatsächlich ereignet haben, schreibt sie aber unrechtmäßig erworbenen ägyptischen Zaubertechniken oder seinem Eindringen in das Allerheiligste des Tempels zu. Jesus verfügte demnach über echte Wunderkräfte, missbrauchte sie aber, um sein Volk zu betrügen und die religiösen Normen des Judentums zu verletzen. Bis ins 19. Jahrhundert hinein bildete diese satirisch-parodierende Legendensammlung weithin die einzige Version über Jesus und das Christentum für die jüdische Volksfrömmigkeit, vor allem in Osteuropa.7 Herausforderung an die christliche Theologie. Aus dem Amerikanischen von C. Wiese, Berlin 2001. 5 Man denke nur an August Bebels Verteidigung des ‚Juden Jesus‘ gegenüber Adolph Stoecker, dem Vertreter der Antisemiten-Partei, 1904 im Deutschen Reichstag. Vgl. C. Thoma, Der Jude Jesus im Deutschen Reichstag 1904. Konfrontation und deutsch-jüdischer Dialog, in: FrRu, 5 (1998), S. 241: http://www.freiburger-rundbrief.de/de/?item=620 (30. 12. 2018). 6 J. Roth, Juden auf Wanderschaft, München 22006, S. 120 f. 7 Vgl. M. Krupp (Hg.), Vom Leben und Sterben des Juden Jeschu und wie die Rabbanim wieder Frieden zwischen Christen und Juden stifteten. Eine jüdische Erzählung: Sefer Toldos Jeschu, Jerusalem 2001 (Faksimile-Ausgabe des Erstdrucks Altdorf 1681).  – Die so genannten „Jesuszeugnisse“ in der jüdisch-christlichen Antike werden ausführlich untersucht in J. Maier, Jesus von Nazareth in der talmudischen Überlieferung. Darmstadt 21992; vgl. ebenso

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Erst die jüdische Aufklärung, die Haskala, und der Prozess der Emanzipation ermöglichten eine wissenschaftliche Beschäftigung jüdischer Denker mit Jesus. Durch Moses Mendelssohn (1729–1786) erfolgte jene bewusste Hinwendung des Judentums zum nichtjüdischen Kultur‑ und Geschichtsbereich, welche die Aufmerksamkeit der Judenheit für das Christentum steigerte. Erste Versuche einer vorurteilslosen Wahrnehmung Jesu aus jüdischer Sicht unternahmen der italienische Rabbiner Leon Modena (1571–1648), der Altonaer Rabbiner Jakob Emden (1697–1776), der französische Rabbi Joseph Salvador (1796–1873) und der italienische Rabbiner Elia Benamozegh (1823–1900).8 Auch für deutsch-jüdische Gelehrte des 19. Jahrhunderts wie Samuel Hirsch (1815–1889), Salomon Formstecher (1808–1889) und Salomon Steinheim (1789–1866) wurden Jesus und das Christentum nun Gegenstand des Nachdenkens. Ein Schwerpunkt der gelehrten Suche nach dem historischen Jesus lag in Deutschland und Frankreich. Was die jüdische Annäherung an die Gestalt Jesu betrifft, so ist sie meist im liberalen Judentum zu verorten, und zutreffend erscheint die Feststellung von Ezra Mendelsohn: „Zweifellos bringt die Mehrheit der orthodoxen und traditionellen Juden diesem Mann noch heute – ganz zu schweigen von früheren Zeiten – im besten Fall Desinteresse entgegen; wenn sie überhaupt einen Gedanken an ihn verschwendet, sieht sie ihn eher in negativem oder sogar feindseligem Licht. Ausnahmen hat es immer gegeben, aber sie waren und blieben eine verschwindende Minderheit.“9

Erleichtert wurde der jüdische Zugang zu Jesus, als christliche Theologen zwischen dem historischen Jesus und dem kerygmatischen Christus der Gemeinde zu unterscheiden begannen. Dem Juden Jesus von Nazareth und seinem historischen Umfeld konnten sich jüdische Wissenschaftler zuwenden. Doch endet die Geschichte des historischen Jesus aus jüdischer Sicht mit der Kreuzigung des Menschen Jesus. So beschließt David Flusser seine Lebensgeschichte Jesu 1968 mit dem nüchternen Satz: „Und Jesus verschied.“10 Der Glaube an den Messias und auferstandenen Gottessohn Jesus Christus zieht die grundsätzliche theologische Demarkationslinie zwischen Judentum

M. Krupp, Der Talmud. Eine Einführung in die Grundschrift des Judentums mit ausgewählten Texten, Gütersloh 1995, S. 176–205.  8 Vgl. M. Vahrenhorst, „Nichts Neues zu lehren, ist mein Beruf …“. Jesus im Licht der Wissenschaft des Judentums, in: Die Entdeckung des Christentums in der Wissenschaft des Judentums, hrsg. v. G. K.  Hasselhoff, Berlin/New York 2010, S. 101–136. – V. Lenzen, Jüdische Jesusbilder, in: Laetare Jerusalem. Festschrift zum 100jährigen Ankommen der Benediktinermönche auf dem Jerusalemer Zionsberg, hrsg. v. N. Schnabel, Aschaffendorff 2006, S. 465–476, S. 465 f.  9 E. Mendelsohn, Max Liebermanns Zwölf‌jähriger Jesus im Tempel, S. 110. 10 D. Flusser, Jesus. Rowohlt Monographie mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 201997 (Erstdruck: 1968), S. 133.

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und Christentum. Pointiert hat Schalom Ben-Chorin diese Erkenntnis festgehalten: „Der Glaube Jesu einigt uns, […] aber der Glaube an Jesus trennt uns.“11 Moderne jüdische Autoren nehmen Jesu Judentum wahr und würdigen seine Ethik, seine Botschaft vom Reich Gottes, seine liturgische Praxis und vor allem seine Gleichnisreden. Auf die „ausgebildete Liturgie“ des Judentums und die jüdische Gebetspraxis wies Edith Stein bereits 1937 in ihrem Aufsatz Das Gebet der Kirche hin und leitete daraus die christliche Liturgie ab: „Aus den evangelischen Berichten wissen wir, daß Christus gebetet hat, wie ein gläubiger und gesetzestreuer Jude betete.“12 Die jüdischen Stimmen zu Jesus leisten einen wichtigen Beitrag zu seinem Verständnis, indem sie ihn aus dem Judentum seiner Zeit interpretieren, wie David Flusser (1917–2000) hervorhob: „Um Jesus zu verstehen, ist die Kenntnis des zeitgenössischen Judentums unentbehrlich. Der jüdische Stoff ist nicht nur darum wichtig, weil er ermöglicht, Jesus in seiner Zeit zu sehen, sondern auch, um seine Aussprüche richtig zu interpretieren.“13

Auch die christlichen Pioniere einer Deutung Jesu in seinem zeitgenössischen jüdischen Kontext wären hier wieder zu entdecken. Bezugnehmend auf Christian August Bugges Einleitung über die Methode der Parabelauslegung (1903) betonte Paul Fiebig, Inspektor am Kgl. Predigerseminar zu Wittenberg, bereits im Jahr 1904 in seinem Buch Altjüdische Gleichnisse und die Gleichnisse Jesu, dass man die Gleichnisse Jesu „in Verbindung mit der Redekunst des jüdischen Volkes jener Zeit und auf dem Hintergrunde derselben betrachten“ müsse: „Unter den vielen Fortschritten der Theologie unserer Zeit ist wohl dieser der wichtigste, daß man in vollem Ernste die Person und Wirksamkeit Jesu auf dem Hintergrunde des Gemeinde‑ und Gedankenlebens seiner eigenen Zeit zu erfassen und zu verstehen sucht.“14

Die Erforschung der jesuanischen Gleichnisrede im Kontext der rabbinischen Gleichnisse wurde in den letzten Jahrzehnten vor allem durch die Forschungs11 S. Ben-Chorin, Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht, hrsg. und eingel. v. V. Lenzen, unter Mitw. v. A. Ben-Chorin, Gütersloh 2005, S. 5. Martin Bubers Unterscheidung der beiden Glaubensweisen „emuna“ und „pistis“ kommt hier zum Vorschein. 12 E. Stein, Das Gebet der Kirche, in: dies., Geistliche Texte I. Eingeführt und bearbeitet von U. Dobhan, Edith Stein Gesamtausgabe, Bd. 19, Freiburg i. Br. 22014, S. 44–58; S. 45; vgl. W. Herbstrith (Hg.), Wege zur inneren Stille. Gesammelte Schriften von Edith Stein, Aschaffenburg 21987, S. 71; vgl. W. Herbstrith, Edith Stein und das christlich-jüdische Gespräch, in: Erinnere Dich  – vergiß es nicht. Edith Stein  – christlich-jüdische Perspektiven, hrsg. v. ders., Annweiler/Essen 1990, S. 107–113. 13 D. Flusser, Jesus, S. 11, Anm. 8. 14 P. Fiebig, Altjüdische Gleichnisse und die Gleichnisse Jesu, Tübingen/Leipzig 1904, S. 12; vgl. C. A.  Bugge, Die Haupt-Parabeln Jesu. Mit einer Einleitung über die Methode der Parabel-Auslegung, Gießen 1903; A. Jülicher, Die Gleichnisreden Jesu. Bd. 1, Freiburg i. Br. 1888; ders., Auslegung der ersten drei Evangelien (Die Gleichnisreden Jesu. Bd. 2), Freiburg i. Br./ Leipzig/Tübingen 1899.

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leistungen von David Flusser, Michael Wyschograd, Clemens Thoma, Simon Lauer u. a. vorangetrieben, die den Gleichnisredner Jesus im Umfeld der rabbinischen ‚meschalim‘ (Gleichnisse) verorten.15 Im Jahr 1938 erschien im Berliner Schocken Verlag Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte von Leo Baeck (1873–1956). Rabbiner Baeck sucht hier nach dem ursprünglichen Text der Evangelien und will den eigentlichen Sinn der Verkündigung aus Raum und Zeit des Geschehens verstehen. Jesus nimmt er wahr „als einen Mann, der […] nur aus dem Boden des Judentums hervorwachsen konnte, der hier allein […] durch sein Leben und seinen Tod gehen konnte – ein Jude unter Juden.“16 Im 20. Jahrhundert entfaltete sich die jüdische Auseinandersetzung mit Jesus in Wissenschaft und Literatur zu einem einzigartigen Phänomen, und in wenigen Jahrzehnten entstanden mehr jüdische Studien über den Nazarener und die Evangelien als in den vorangegangenen Jahrhunderten.17 15 Vgl. D. Flusser, Die rabbinischen Gleichnisse und der Gleichniserzähler Jesus, Bern 1981; C. Thoma/M. Wyschograd (Hg.), Parable and Story in Judaism and Christianity, New York 1989; C. Thoma/S. Lauer/H. Ernst, Die Gleichnisse der Rabbinen, Bern 1986. 16 L. Baeck, Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte, Berlin 1938, S. 69 f. 17  Hier ein knapper Überblick von Veröffentlichungen über Jesus und das Christentum von jüdischen Autoren und Autorinnen aus dem 20. Jahrhundert, in alphabetischer Folge: S. Asch, The Nazarene, übers. v. M. Samuel (translated from the Yiddish), London 41949 (Erstdruck: 1939); S. Ben-Chorin, Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht, hrsg. u. eingel. v. V. Lenzen, unter Mitw. v. A. Ben-Chorin, Gütersloh 2005; B. Bruteau (Hg.), Jesus through Jewish Eyes. Rabbis and Scholars Engage an Ancient Brother in a New Conversation, New York 22001; M. Buber, Zwei Glaubensweisen, mit einem Nachw. v. D. Flusser, Gerlingen 21994 (Erstdruck: 1950); C. Cohn, Der Prozeß und Tod Jesu aus jüdischer Sicht, übers. v. C. Wiese u. H. Liron, Frankfurt a. M. 1997; E. L. Ehrlich, Jesus im Judentum heute, in: ders., Reden über das Judentum, Stuttgart 2001, S. 85–93; D. Flusser, Jesus. Rowohlt Monographie mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek b. Hamburg 201997; S. Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum: Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie, übers. v. C. Wiese, Berlin 2001; W. Homolka, Jesus von Nazareth. Im Spiegel jüdischer Forschung, Berlin 2009; ders., Jesus Reclaimed. Jewish Perspectives on the Nazarene, übers. v. I. Shafer, New York/Oxford 2015; ders., Jewish Jesus Research and its Challenge to Christology Today, Leiden/Boston 2016; J. Klausner, Jesus von Nazareth. Seine Zeit, sein Leben und seine Lehre. Aus dem Hebr. v. W. Fischel, Berlin 1930; ders., Von Jesus zu Paulus, übers. v. F. Thieberger, Königstein i. T. 1980 (Nachdruck der ersten Auflage: Jerusalem 1950); H. Küng, Jesus im Widerstreit. Ein jüdisch-christlicher Dialog, Stuttgart/München 1976; S. Landmann, Jesus und die Juden oder Die Folgen einer Verstrickung, München 1987; dies., Jesus starb nicht in Kaschmir. Ohne Kreuzestod kein Christentum, München 1996; P. Lapide, Der Rabbi von Nazareth. Wandlungen des jüdischen Jesusbildes, Trier 1974; ders., Ist das nicht Josephs Sohn? Jesus im heutigen Judentum, Stuttgart/München 1976; ders., Er predigte in ihren Synagogen. Jüdische Evangelienauslegung, Gütersloh 51980; P. Lapide/U. Luz Der Jude Jesus. Thesen eines Juden. Antworten eines Christen, Einsiedeln 1979; P. Lapide, Wer war schuld an Jesu Tod? Gütersloh 1987; ders., Jesus – ein gekreuzigter Pharisäer? Gütersloh 1990; P. Navè Levinson, Einblicke in das Judentum, Paderborn 1991, S. 240–253; J. Magonet, Abraham – Jesus – Mohammed. Interreligiöser Dialog aus jüdischer Perspektive, Gütersloh 2000; J. Neusner, Ein Rabbi spricht mit Jesus. Ein jüdisch-christlicher

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Von den literarischen Bearbeitungen durch jüdische Schriftsteller sei Max Brods (1884–1968) Werk The Master genannt, das 1951 in New York erschien. Ein besonderes Kuriosum ist der Roman Der man vun Notseres, den Sholem Asch (1880–1957) in jiddischer Sprache 1939 in New York veröffentlichte. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch Else Lasker-Schülers Verehrung des jüdischen Jesus: Er ist für sie – wie für Baeck – ein Jude unter Juden und steht in einer Reihe mit den anderen Männern seines Volkes. In einem Brief an Martin Buber nennt sie Jesus einen „Dichter“, Paulus hingegen, den sie für den eigentlichen Begründer des Christentums hält, bezeichnet sie als einen „römischen Teppichweber“, der die unkomplizierte Lehre Jesu verändert habe.18 Verschiedene Momente eröffneten Schalom Ben-Chorin (1913–1999) einen Zugang zur Gestalt Jesu. Neben einem jüdisch-assimilierten Elternhaus im katholischen Bayern waren es vor allem die Vorlesungen des Dogmatikers Joseph Schnitzer und schließlich die Stadt Jerusalem sowie die Landschaft Israels, die dem Theologen und Dichter eine intuitive und exegetische Annäherung an Jesus, Paulus und Maria19 ermöglichten: „Hier erst wurde mir all das sichtbar, was vorher nur Ahnung, Traum, Vision und vielleicht auch – der Schatten fehlt nicht – literarisches, wissenschaftliches, ikonographisches Klischee blieb. Jetzt ging ich durch die Straßen Jerusalems, durch die Jesus, aber auch Paulus und Maria gegangen sind. Jetzt besuchte ich Bethlehem, Nazareth und den See Genezareth, Kapernaum (Kfar Nachum), wo die Wiege des Evangeliums stand. […] Wurde mir Jesus sichtbar als der Ur‑ und Nur-Jude, ganz eingebettet in Volkstum und Kultur des Judentums seiner Zeit […].“20

Es zeichnet sich ein Wandel der jüdischen Jesus-Bilder ab  – vom Feind zum Fremden, vom Anderen zum Bruder  –, den auch Neta Stahl in ihrer Studie Other and Brother in der jüdischen Literatur des 20. Jahrhunderts beobachtet.21 Von diesem neuen brüderlichen Geist legen berühmte jüdische Bekenntnisse Dialog, München 1997; E. G. Reichmann, Grösse und Verhängnis deutsch-jüdischer Existenz. Zeugnisse einer tragischen Begegnung, Heidelberg 1974, S. 240–242; G. Vermes, Jesus der Jude. Ein Historiker liest die Evangelien, Neukirchen-Vluyn 1991. 18 Vgl. R. Kampling, Else Lasker-Schülers jüdischer Jesus, in: Grenzgänge. Menschen und Schicksale zwischen jüdischer, christlicher und deutscher Identität. Festschrift für Diethard Aschoff, hrsg. v. F. Sieger, Münster 2002, S. 245–254; 250 f. – Vgl. M. Brod, The Master, New York 1951; S. Asch, Der man vun Notseres, New York 1939. 19 Vgl. S. Ben-Chorin, Paulus. Der Völkerapostel in jüdischer Sicht, hrsg. u. eingel. v. V. Lenzen, unter Mitw. v. A. Ben-Chorin, Gütersloh 2006; ders., Mutter Mirjam. Maria in jüdischer Sicht, hrsg. u. eingel. v. V. Lenzen, unter Mitw. v. A. Ben-Chorin, Gütersloh 2006. 20 ders., Ich lebe in Jerusalem. Ein Bekenntnis zu Geschichte und Gegenwart, hrsg. u. eingel. v. V. Lenzen, unter Mitw. v. A. Ben-Chorin, Gütersloh 2003, S. 126 f.; vgl. ders., Der Rabbi von Nazarareth, in: ders., Aus Tiefen rufe ich. Biblische Gedichte, Hamburg-Berg­stedt 1966, S. 58 f.: Das Gedicht, verfasst in München 1934, war ursprünglich dem Freund Max Brod gewidmet. 21 Vgl. N. Stahl, Other and Brother. Jesus in the 20th-Century Jewish Literary Landscape, New York 2013.

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Zeugnis ab: Martin Buber nannte Jesus seinen „großen Bruder“, und Schalom Ben-Chorin bot in seiner Monografie Bruder Jesus 1967 eine Steigerung: Hier erscheint Jesus als „der ewige Bruder, nicht nur der Menschenbruder, sondern mein jüdischer Bruder“22. Wie ein Echo klingt die Rede von Johannes Paul II. 1986 in der Synagoge von Rom, wo er die Juden als „unsere bevorzugten Brüder, und so könnte man gewissermaßen sagen, unsere älteren Brüder“ bezeichnet.23 Der Klassiker jüdischer Jesusforschung ist die Monografie Jesus von Nazareth von Joseph Klausner (1874–1958), die 1922 als erste wissenschaftliche, historisch-objektive Jesus-Studie eines jüdischen Forschers in hebräischer Sprache erschien. 1930 ins Deutsche übertragen, wurde das Buch ein Bestseller im deutsch-liberalen Judentum und eine Inspirationsquelle für zionistische Schriftsteller in Palästina von 1920 bis 1940 und darüber hinaus. Der Jude Jesus, ein Mann der Gegensätze, wird als Gleichnisredner ersten Ranges und Lehrer hoher Sittlichkeit gewürdigt. Seine Ethik sei erhabener und originaler als jedes andere hebräische, moralische System, ein Schatz der jüdischen Literatur, doch in ihrer mystischen Verklärung leider kein Ethos für diese irdische Welt.24 Der Gelehrte Klausner und sein idealistischer Jesus kehren im Spätwerk des israelischen Schriftstellers Amos Oz wieder, der am 28. Dezember 2018 verstarb. In seinem Roman Eine Geschichte von Liebe und Finsternis erzählt Oz 2002 die eigene Familiengeschichte und verrät zum ersten Mal seinen Geburtsnamen Klausner. Er berichtet, wie neu und couragiert Klausners Jesus-Buch in jener Zeit war. Sowohl auf jüdischer als auch auf christlicher Seite wurde es als Provokation aufgenommen: „Viele Jahre schrieb Onkel Joseph an seinem Buch über Jesus von Nazareth, ein Buch, in dem er – zum Erstaunen von Christen und Juden gleichermaßen – behauptete, Jesus sei als Jude geboren und als Jude gestorben und habe gar keine neue Religion begründen wollen. Mehr noch: Jesus erschien ihm als der jüdische Moralist par excellence. Achad Haʾam bat ihn eindringlich, dies wie auch anderes zu streichen, um einen ungeheuren Skandal in der jüdischen Welt zu vermeiden, den das Buch dann auch prompt auslöste – unter Juden wie unter Christen –, als es 1921 in Jerusalem erschien: Ultraorthodoxe Juden 22 S.

Ben-Chorin, Bruder Jesus, S. 4. – Vgl. M. Buber, Zwei Glaubensweisen, Gerlingen (Erstdruck: 1950), S. 15: „Jesus habe ich von Jugend auf als meinen großen Bruder empfunden.“ 23 Vgl. Johannes Paul II., Ansprache anlässlich des Treffens mit der jüdischen Gemeinde in der Synagoge in Rom am 13. April 1986: http://w2.vatican.va/content/john-paul-ii/de/s​p​e​ e​c​h​e​s​/1986/april/documents/hf_jp-ii_spe_19860413_sinagoga-roma.html (30.  12.  2018): „Die jüdische Religion ist für uns nicht etwas ‚Äußerliches‘, sondern gehört in gewisser Weise zum ‚Inneren‘ unserer Religion. Zu ihr haben wir somit Beziehungen wie zu keiner anderen Religion. Ihr seid unsere bevorzugten Brüder und, so könnte man gewissermaßen sagen, unsere älteren Brüder.“ 24 Vgl. J. Klausner, Jesus von Nazareth, S. 574: „Und wenn einst der Tag kommen wird, wo diese Ethik die Hülle ihrer mystischen und mirakelhaften Umkleidung abstreift, dann wird Jesu Buch der Ethik einer der erlesensten Schätze der jüdischen Literatur aller Zeiten sein.“ – 1939 folgte auf Hebräisch das Anschlusswerk: Von Jesus zu Paulus. 211994

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beschuldigten Klausner, die Missionare hätten ihn mit Geld bestochen, damit er ‚jenen Mann‘ lobe und preise. Und die anglikanischen Missionare in Jerusalem forderten, der Erzbischof solle den Missionar Dr. Danby, der Jesus von Nazareth ins Englische übersetzt hatte, seines Amtes entheben, da das Buch das Gift der Ketzerei in sich trage, denn ‚es präsentiert unseren Heiland als eine Art Reformrabbiner, als einen gewöhnlichen Sterblichen und vollgültigen Juden, der rein gar nichts mit der Kirche zu tun hat‘. Seinen Weltruhm verdankte Onkel Joseph in erster Linie diesem Buch und dem Fortsetzungsband Von Jesus zu Paulus, den er einige Jahre später veröffentlichte.“25

Sein Großonkel Joseph ermutigte den jungen Amos zur Lektüre des Neuen Testaments: „Wenn du einmal groß bist, mein Lieber, lies bitte das Neue Testament, und du wirst entdecken, daß er von unserem Fleisch und Blut gewesen ist, durch und durch eine Art Zaddik oder Wundertäter. Zwar war er ein Träumer ohne jeglichen Sinn für Politisches, aber es gebührt ihm ein Platz im Pantheon der Großen Israels, […]. Du mußt wissen, daß diejenigen, die mich anklagen, nur die Juden von gestern sind, von engem Horizont und geringer Auffassungsgabe, wie Würmer im Meerrettich. Und damit du, mein Lieber, Gott behüte, nicht einer von denen wirst, lies bitte die guten Bücher: lies, lies und lies noch einmal!“26

Klausners Einfluss verdichtete sich in Oz’ letzten Reden, so in seiner Ansprache anlässlich der Verleihung des Mount Zion Award am Nostra-Aetate-Tag 2017 in Jerusalem: „Während also die anderen Jungs, meine Klassenkameraden, Basketball spielten oder den Mädchen nachjagten, ging ich, der ich in beidem hoffnungslos war, in die Bibliothek und fand Trost bei Jesus. Ich las die Evangelien. Ich liebte Jesus auf den ersten Blick: seine Sanftmut, sein Sinn für Humor, seine wunderbare Einfachheit, seine Wärme, die ich durch die Seiten hindurch spürte. Ich liebte ihn. Ich war nicht seiner Meinung, aber das ist nur normal. Zwei Israelis sind in diesem Land niemals einer Meinung – damals nicht und heute auch nicht. Ich war anderer Meinung, was seine Vision allumfassender Liebe anbelangte.“27

Sein letzter Roman Judas (2014/15) berichtet von einem Jerusalemer Studenten namens Schmuel Asch, der eine Masterarbeit über Jesus in den Augen der Juden schreiben möchte. Verschiedene Kapitel (9, 15, 20, 32, 38, 47) widmen sich jüdischen Jesus-Deutungen von Flavius Josephus bis Modena. Am Ende einer vielschichtigen Geschichte verwirft der resignierte Protagonist seine Jesus-Studie als sinnloses Unterfangen: 25 A. Oz, Eine Geschichte von Liebe und Finsternis. Aus dem Hebräischen von R. ­Achlama, Frankfurt a. M. 2004, S. 104 f. Originalausgabe: Ssipur al ahava we-choschech, Jerusalem 2002. 26 A. a. O., S. 105. 27 A. Oz, „Und ich glaube an Kompromisse“. Dankrede des Preisträgers anlässlich der Verleihung des Mount Zion Award in Jerusalem am 29. 10. 2017. Aus dem Englischen von J. Eckstein, in: 45. Rundbrief der Abtei Dormitio B. M. V. Jerusalem, Jerusalem 02. 02. 2018, S. 40– 47, S. 45. – Vgl. auch A. Oz, Jesus und Judas. Ein Zwischenruf, übers. v. S. Naumann, Vorwort v. W. Homolka, Düsseldorf 2018.

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„Wie haben Generationen von Juden Jesus von Nazareth gesehen? Wie hatte Judas ihn gesehen? Welchen Nutzen brachte dieses Thema auch nur einer einzigen lebenden Seele?“28

Schließen wir die Frage an: Welchen Nutzen oder Ertrag brachte nun die jüdische Forschung in der christlichen und kirchlichen Rezeption?

3. „Jesus Christus, Jude, dem Fleische nach“29 (J. Isaac): Von den Seelisberger Thesen zu „Nostra Aetate“. Wendepunkte im jüdisch-christlichen Dialog von 1947 bis 2018 Während der nationalsozialistischen Judenverfolgung verfasste der jüdisch-französische Historiker Jules Isaac (1877–1963) sein Buch Jésus et Israël, das 1948 in Paris veröffentlicht wurde. Den Antijudaismus führte Isaac nicht auf die Evangelien zurück, sondern auf die zeitgenössische Exegese und Dogmatik. Er betonte das Judesein Jesu und die Notwendigkeit dieses Wissens für jeden Christgläubigen: „Jesus, der Jesus der Evangelien, einziger Sohn und Fleischwerdung Gottes für die Christenheit, war in seinem menschlichen Leben Jude, ein einfacher jüdischer Handwerker. Das ist eine Tatsache, die jeder Christ wissen muß.“30

Mit seinen 21 Lehrsätzen legte Isaac den Grundstein der Zehn Thesen der Internationalen Konferenz von Seelisberg 1947. Sein zweiter Lehrsatz kehrte in überarbeiteter Form als zweite These wieder: „Es ist hervorzuheben, dass Jesus von einer jüdischen Mutter aus dem Geschlechte Davids und dem Volke Israel geboren wurde […].“31

Durch die Begegnung von Isaac mit Johannes XXIII. und Augustin Kardinal Bea im Jahr 1962 fanden die Seelisberger Leitideen Eingang in den vierten Abschnitt der Konzilserklärung Nostra Aetate (1965), der das Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum grundlegend erneuerte und betonte, „daß aus ihnen [= den Stammverwandten des Paulus; V. L.] Christus dem Fleische nach stammt (Röm 9,4–5), der Sohn der Jungfrau Maria.“32 Der Blick zurück zeigt, dass das Wissen um das Judesein Jesu und die jüdischen Wurzeln Gemeingut geworden ist, dokumentiert in zahlreichen kirchlichen und theologischen Schriften, und er führt uns ebenso vor Augen, dass 28 A. Oz, Judas. Roman, übers. v. M. Pressler, Berlin 2015, S. 325. Originalausgabe: Habesorah al pi Yehuda, Jerusalem 2014. 29 J. Isaac, Jesus und Israel, übers. v. G. Stockhammer, Wien 1968, S. 24: Titel des ersten Teils. 30 A. a. O., S. 25, 466. 31 Seelisberger Thesen: vgl. http://cja.ch/wer-sind-wir/seelisberger-thesen.html (30. 12. 2018). 32  Nostra Aetate, Nr.  4: vgl. http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_c​o​u​n​c​i​ l​/​d​o​c​u​m​e​nts/vat-ii_decl_19651028_nostra-aetate_ge.html (30.  12.  2018).

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diese Erkenntnis vor allem durch jüdische Forscher von aufklärerischer Gesinnung und liberaler Haltung entfaltet wurde. Der Blick auf die aktuellen Dialog-Dokumente aus dem Vatikan legt jedoch eine deutliche Akzentverschiebung offen. Die Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum verweist in ihrer Schrift Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt (Röm 11,29) zwar auf das Judentum zurzeit Jesu, betont jedoch die Differenz, die im Anspruch von Jesu göttlicher Autorität und vom angebrochenen Reich Gottes gründet. So konstatiert Kurt Koch: „Die Gestalt Jesu ist und bleibt also für Juden der ‚Stein des Anstoßes‘, der zentrale und neuralgische Punkt im jüdisch-katholischen Dialog.“33 In der sog. Richtigstellung, die Joseph Ratzinger im Dezember 2018 seinem Artikel Gnade und Berufung ohne Reue folgen ließ, verschwindet das Judesein Jesu hinter dem christologischen Wissens‑ und Wahrheitsanspruch für Israel und die ganze Menschheit, was sich (trotz aller semantischen Ungereimtheiten) als Dialog-Auftrag gebärdet: „Für Israel galt und gilt daher nicht Mission, sondern der Dialog darüber, ob Jesus von Nazareth ‚der Sohn Gottes, der Logos‘ ist, auf den gemäß den an sein Volk ergangenen Verheißungen Israel und, ohne es zu wissen, die Menschheit warten. Diesen Dialog neu aufzunehmen, ist der Auftrag, den uns diese Stunde stellt.“34

4. Universaler Jesus versus exklusiver Jesus: Kunst contra Kirche Um nicht am Ende so enttäuscht wie der traurige Held aus Amos Oz’ Judas-Roman dazustehen, öffnen wir die Augen für die zeitgenössische israelische Kunst. Vor einigen Jahren zeigte das Israel-Museum in Jerusalem eine außerordentliche Ausstellung: Jesus in Israeli Art.35 In seinen Kreuzigungsbildern hat Marc Chagall Jesus immer wieder als jüdischen Märtyrer dargestellt, vor der historischen Kulisse seiner Zeit, dem brennenden Schtetl und den russischen Pogromen, Jesus als Stellvertreter seines verfolgten Volks. Andere Künstler reihen Jesus in die 33 Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum (Vatikan): „Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ (Röm 11,29). Reflexionen zu theologischen Fragestellungen in den katholisch-jüdischen Beziehungen aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums von „Nostra aetate“ (Nr. 4), Rom 2015, S. 6, Nr. 14: https://www.dbk.de/f​i​l​e​a​ d​m​i​n​/redaktion/diverse_downloads/presse_2015/Vatikandokument-50-Jahre-Nostra-aetate. pdf (30. 12. 2018). 34 J. Ratzinger, Richtigstellung: Nicht Mission, sondern Dialog, HerKorr 12/2018, S. 13 f., S. 13; vgl. ders., Gnade und Berufung ohne Reue. Anmerkungen zum Traktat ‚De Iudaeis‘, in: Com(D), 4/2018, S. 316–335. 35 Vgl. A. Mendelsohn (Kurator), Behold the Man. Jesus in Israeli Art. Israel Museum, Ausstellung: 22. 12. 2016–16. 4. 2017. – Katalog: ders., Behold the Man. Jesus in Israeli Art. The Israel Museum, Jerusalem 2017.

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zionistische Gemeinschaft oder in das nationale Kollektiv des Staates Israel ein, so Reuven Rubin oder Adi Nes, die moderne Interpretationen von Leonardo da Vincis Szenario des Abendmahls wagen. In Yigal Tumarkins Bedouin Crucifixion wird die Kreuzigung zur Anklage von Verbrechen an der Menschheit. In den Bildern des wohl bedeutendsten israelischen Malers und Bildhauers, Menashe Kadishman, sehen wir in der Nachfolge von Genesis 22 das Sohnesopfer: Jesus, das Lamm Gottes, das immer wieder in den Kriegen Israels und dieser Welt geopfert wird. Jesus wird zum Bildnis der Leidenden und Opfer dieser Welt. Es ist der multiperspektivische Blick auf die universale Bedeutung Jesu, der uns zu einem Dialog führt, und nicht der exklusive Silberblick.

Abb. 1 u. 2: Max Liebermann, Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1879: 1. Fassung, Kreide über Bleistift auf Papier, zeitgenössische Fotografie, unbekannt. Bild verschollen; 2. Fassung, Gemälde / Öl auf Leinwand (1879), Bildmaß 149,6 × 130,8 cm, Hamburger Kunsthalle, Inventar-Nr.: 5424, (c) bpk / Hamburger Kunsthalle / Elke Walford.

Jewish Jesus Research: Catalyst for a Contemporary Christology? Walter Homolka Rabbi Leo Baeck was one of the Jewish intellectuals who enthusiastically supported the “reclaiming of Jesus” into Judaism. In The Gospel as a Document of the History of the Jewish Faith (1938), Baeck aimed to show that Jesus led his entire life as an exemplary Jew who would never have considered founding a new religion, not to speak of being worshipped as God. Leo Baeck was not alone in his attempt to repatriate Jesus into Judaism; many Jewish thinkers have concerned themselves with Jesus.1 Despite the many differences among these scholars’ opinions and fields of expertise, in their assessment of Jesus they are unanimous in their claim that Jesus was a Jew.2 Within Protestant thought it was probably the historical-critical biblical scholarship of Julius Wellhausen (1844–1918) that had the greatest impact and opened the eyes of Christians and Jews alike: Jesus was not a Christian, he was a Jew.3 It has taken the best part of eighteen hundred years for this statement to be taken as an undeniable truth. In fact, we are still only a few generations away from a time when many Christian scholars did their best to ignore, obfuscate, deny, or omit what is actually the only indisputable truth that the entire field of Historical Jesus research has ever discovered. On the other hand, it has required the passing of many centuries for Jews to again take up an active interest in Jesus – in whose name they have long suffered persecution, oppression, forced migration, exclusion, and worse. Aversion to the study of Jesus began to dwindle in the eighteenth century. Moses Mendelssohn (1729–1786), in his 1783 treatise on the philosophical grounds for a separation of church and state, wrote: 1 To name a few of the most important: Abraham Geiger, Joseph Klausner, Claude G. Montefiore, Robert Eisler, Joel Carmichael, Martin Buber, Schalom Ben-Chorin, Hans-Joachim Schoeps, Pinchas Lapide, David Flusser, Ben Zion Bokser, Robert Raphael Geis, Samuel Sandmel, Hyam Maccoby, Ernst Ludwig Ehrlich, Geza Vermes, Susannah Heschel, Zev Garber, Michael Wyschogrod, Rivka Ulmer, Jacob Neusner, Amy-Jill Levine. 2 For a more detailed review of Jewish Jesus research consult W. Homolka, Jesus Reclaimed. Jewish Perspectives on the Nazarene, New York/Oxford 2015. This contribution is based on my book: W. Homolka, Jewish Jesus Research and Its Challenge to Christology Today, Leiden 2016 (Jewish and Christian Perspective Series 30). 3 J. Wellhausen, Einleitung in die drei Evangelien, Berlin 1905, p. 113.

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“Jesus of Nazareth was never heard to say that he had come to release the House of Jacob from the law […] Jesus of Nazareth himself observed not only the law of Moses but also the ordinances of the rabbis; and whatever seems to contradict this in his speeches and acts ascribed to him appears to do so only at the first glance […] the rabbinic principle evidently shines forth from his entire content as well as the conduct of his disciples in the early period.”4

Some thirty years before Mendelssohn’s treatise appeared, the famous rabbi Jacob Emden (1697–1776), of Altona, also stressed the Jewishness of Jesus when he wrote, “Christians and Muslims belong to a community that exists for the sake of heaven and which will remain at the end. They have evolved out of Judaism and accept the foundations of our divine religion in order to make God known among the nations.”5 The first significant contribution to Jewish historical research on Jesus was published not in Prussia, but in France, in 1838, by Joseph Salvador (1779–1873) (German translation 1841). That Salvador could publish such a study gives an indication of the higher degree of tolerance French society had for its Jews, in contrast to the attitudes of their Prussian neighbours. Salvador laid the template from which all subsequent Jewish images of Jesus followed. In the nineteenth century, Isaak Markus Jost (1793–1860, a close friend of Leopold Zunz [1794–1886]), Abraham Geiger (1810–1874), Samuel Hirsch (1815– 1889), and Heinrich Graetz (1817–1891) all held differing views on the historical Jesus; however, they all maintained Salvador’s basic arguments: (1) Jesus was not just ethnically Jewish but was firmly rooted in the broader Jewish environment of his time; (2) Christianity came from Judaism, developed in a pluralistic cultural milieu, and gradually became a different religion, albeit maintaining a strongly Jewish character; (3) Jesus of Nazareth was not the messiah promised in Hebrew scripture. Samuel Hirsch was the first Jewish scholar from the German-speaking states to publish an academic work on the historical Jesus, albeit as a chapter in a general work on Jewish philosophy of religion – Das System der religiösen Anschauung der Juden und sein Verhältnis zum Heidenthum, Christenthum und zur absoluten Philosophie (The System of Jewish Religious Intuition and Its Relation to Paganism, Christianity and to Absolute Philosophy). In this chapter Hirsch agreed with Salvador that everything Jesus taught, “as he himself claimed, could already be

4 M. Mendelssohn, Jerusalem: Or on Religious Power and Judaism, trans. Allan Arkush, Lebanon 1983, p. 134 (first German editions, Berlin 1783). 5 J. Emden, Ez Awot, Amsterdam 1751, on Avot 4:11; For a detailed discussion of Emden’s concerns about contemporary Jewish messianism and its effect on Jewish-Christian relations see J. J.  Schacter, Rabbi Jacob Emden, Sabbatianism, and Frankism: Attitudes toward Christianity in the Eighteenth Century, in: New Perspectives on Jewish-Christian Relations, ed. E. Carlebach/J. J. Schacter, Leiden 2012, pp. 359–396.

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found in Moses and the prophets.”6 Hirsch not only placed Jesus firmly in his Jewish context, but, moreover, denied that Jesus had claimed to be the messiah, at least not in the traditional Christian understanding of that term. He was, instead, a Jew, a “true Israelite” who embodied the very essence of Judaism and wanted to “live, suffer, and die” in order to spread his mission to Israel, namely, that he was to be “a son of God and son of man to whom all men are brothers.”7 For Hirsch, God had chosen Israel to be the “tool for the salvation of all humanity”;8 therefore, Jesus is the son of God only in the sense that all of Israel are children of God because Israel was “raised by God.”9 Hirsch’s Jesus is a Jewish messianic prophet firmly embedded in the religious thinking of nineteenth-century Reform Judaism. In Germany, the emergence of Jewish research on Jesus is clearly connected with Rabbi Abraham Geiger (1810–1874). In his 1863 book, Das Judenthum und seine Geschichte (Judaism and its History), Geiger draws a portrait of Jesus as one of the most influential Pharisees of his time.10 According to Geiger, the recorded words and deeds of Jesus are neither unique nor original.11 Rather, Jesus’s teachings can all be found in Pharisaic literature. The early Christians, he argued, departed from then mainstream Judaism due to Sadducean as well as pagan influences, absorbing elements from the Greco-Roman world. Geiger’s depiction of Jesus as a Pharisee and of Christianity as a betrayal of Jesus’s Jewish faith became a popular explanatory model for the Jewish origin of Christianity, which also provided a defensive position against the Christian assumption that Judaism constituted merely a fossil, a step toward Christianity. According to this model, Judaism and Christianity entail one another: there is no Christianity without Judaism, and the historical importance of Judaism for Western civilization ultimately depends on the success of its “daughter religions,” Christianity and Islam. Alas, Geiger’s view was not commonly shared by the general society of the Second German Empire. Abraham Geiger’s engagement with the Jewish Jesus and with Christianity provided the basis for a counter-history. In a polemical tone Geiger expounded the reasons why nineteenth-century Jews should remain devout, and underscored  6 S. Hirsch, Das System der religiösen Anschauung der Juden und sein Verhältnis zum Heidenthum, Christenthum und zur absoluten Philosophie, vol. 2, Leipzig 1842, p. 688.  7 Hirsch, System der religiösen Anschauung, p. 648.  8 S. Hirsch, Die Messiaslehre der Juden in Kanzelvorträgen: Zur Erbauung denkender Leser, Leipzig 1843, p. 84 (sermon from April 18, 1840).  9 Hirsch, System der religiösen Anschauung, p. 648; as cited in M. Vahrenhorst, “Nicht Neues zu Lehren, ist mein Beruf ”: Jesus im Licht der Wissenschaft des Judentums, in: Die Entdeckung des Christentums in der Wissenschaft des Judentums, ed. G. K.  Hasselhoff, Berlin 2010, p. 120. 10 A. Geiger, Das Judentum und seine Geschichte (1864–1871; repr., Breslau 1910), pp. 109– 110. Cf. S. Heschel, Abraham Geiger and the Jewish Jesus, Chicago 1998. 11 Geiger, Das Judentum, p. 119.

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the necessity that the Christian view be discarded that Christianity is a higher form of religious development, one which Judaism had never reached. Geiger thus rang in the dawn of an era of Jewish research into the life of Jesus which demanded the appropriate respect for Jewish sources in the context of religious studies. Particularly in relation to the most prominent and oldest area of Christian theology, namely, the interpretation of the figure of Jesus, Jewish scholars hoped to be regarded as equal partners in research on early Judaism and Jesus’s relation to his Jewish context. However, it was not until the later decades of the twentieth century that Jesus, not as a theologically interpreted figure but as an actual Jew in first-century Galilee, became the starting point for most studies.12 Mainstream Western Christian academics have finally accepted and wholeheartedly adopted this two-fold aspect to the study of Jesus, which many Jewish scholars, thinkers, theologians and writers have been working with for centuries. This turn of the tide in Christian study has occurred through a bifurcation of the Nazarene into an Historical Jesus and a kerygmatic Christ, a split which has enabled the Christian search for the Historical Jesus. Hermann Samuel Reimarus (1694–1768) and later David Friedrich Strauss (1808–1874) were the first to embark on the Christian quest for the historical Jesus. Reimarus, who was appointed professor of Hebrew and Oriental languages at the Hamburg Gymnasium, never made his controversial views on Christianity public, although fragments of his work were posthumously published by Gotthold Ephraim Lessing in 1774 and 1778, and included Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger (On the Intentions of Jesus and His Disciples).13 Reimarus speculated that there was a profound difference between what Jesus really taught “in accordance with the Jewish way of speaking” and what his disciples preached about him: “I find great cause to separate completely what the apostles say in their own writings from that which Jesus himself actually said and taught.”14 According to Reimarus, Jesus considered himself the Jewish Messiah; he was a politically motivated candidate for kingship who had announced the deliverance of the Jews from the Romans as the beginning of the Kingdom of God. 12 Sean Freyne (1935–2013), Trinity College Dublin, who drew from sociological, theological, historical, and archaeological sources in his studies, is widely acknowledged to have confirmed that Jesus’s ministry and background followed the norms of 1st century Jewish life in Galilee. See, e. g., S. Freyne, Jesus, A Jewish Galilean: A New Reading of the Jesus Story, London 2005. 13 . H. S.  Reimarus, Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger: Noch ein Fragment des Wolfenbüttelschen Ungenannten [On the intentions of Jesus and his disciples], ed. G. E.  Lessing, Braunschweig 1778; introduced and translated by G. W.  Buchanan, The Goal of Jesus and His Disciples, Leiden 1970; H. S.  Reimarus, Fragments from Reimarus: Brief Critical Remarks on the Object of Jesus and His Disciples as Seen in the New Testament, trans. from the German of G. E.  Lessing, ed. C. Vorsey, London 1879; repr., Philadelphia 1985, pp. 9–28. 14 . H. S.  Reimarus, On the Intentions of Jesus and His Disciples, in: Reimarus: Fragments, ed. C. H.  Talbert, Philadelphia 1971, p. 64, § 3.

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However, in opposition to the political messianism of Judaism, Jesus’s disciples subsequently made him into a saviour who delivers the people, not from tyrants, but from sin, and thus made him the founder of a new religion – of Christianity. Reimarus suggests that the apostles were able to make this transformation of Jesus believable through the story of the resurrection: that the apostles stole the body (cf. Mt 28:11–15) in order to deceive themselves and the public and to thereby overcome Jesus’s failure. After fifty days they proclaimed his resurrection and imminent return. Like Lessing, Adolf von Harnack, some one hundred fifty years later, was convinced that temporally/historically related challenges to Jesus would eventually fade, but that his timeless message would remain. Nineteenth-century Protestant theologians such as von Harnack replaced the doctrinal view of Jesus with the historical perspective. From this view, Jesus’s relevance for contemporary Christianity neither lies in his divinity nor in his death on the cross and resurrection. What matters is an emphasis on believing like Jesus, and not in Jesus.15 A complete overview of the various “quests” for the Historical Jesus within Christian theology is not possible in a short essay, but it is fair to say that in the first two waves of scholarship (in the eighteenth and then in the nineteenth century) Jesus’s Jewish background was only occasionally taken seriously by non-Jewish scholars, who went so far as to even avoid explicit reference to it, with Reimarus being an exception in his consistent arguments in favour of a Jewish Jesus.16 It also became much more appealing for Jews, during the emancipatory nineteenth-century, to identify with an exemplary Jew rather than to be required to believe in Christ as a personal Saviour and part of a Trinitarian deity. Toward the end of the eighteenth century, the lives of European Jews had been radically changed through a struggle for equal rights and social acceptance.17 This gradual extension of rights to Jews forced many Jews to re-evaluate their identity in light of the new, less restrictive environment.

15 A. Harnack, What is Christianity?, trans. T. B.  Saunders, New York/London 1901, pp. 135–136, 158. 16 H. Reimarus, The Goal of Jesus and his Disciples [Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger (1778)], trans. G. W.  Buchanan, Leiden 1970. 17 F. Battenberg, Die Juden in Deutschland vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (Enzyklopädie deutscher Geschichte 60), München 2001; S. Feiner, The Origins of Jewish Secularization in Eighteenth-Century Europe, Philadelphia 2010; S. M. Lowenstein, The Pace of Modernisation of German Jewry in the Nineteenth Century, in: Yearbook of the Leo Baeck Institute 21 (1976), pp. 41–56; M. A.  Meyer, The Origins of the Modern Jew, Detroit 1967; D. Sorkin, The Impact of Emancipation on German Jewry: A Reconsideration, in: Assimilation and Community: The Jews in Nineteenth-Century Europe, ed. E. Frankel/S. J. Zipperstein, Cambridge 1992, pp. 177–198; S. Volkov, Die Juden in Deutschland: 1780–1918, Munich 1994.

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One can identify four general influences on changing Jewish identity at the beginning of the nineteenth century: emancipation, which brought increased rights and citizenship; acculturation, which affected speech/language, clothing, diet, and leisure; secularization, which often led to the rejection of traditional beliefs and aspects of religious law; and integration, the desire for acceptance in nonJewish circles. Together, these four elements created, for the first time in modern Jewish history, radical fragmentation among Jews and Jewish communities. The move beyond the ghettoes – whether of bricks and mortar or of an abstract kind – brought with it a new existential threat: Jewish identity could no longer be taken for granted because the “integration of Jews into states increasingly built around individual rights rather than collective privileges made the survival of this undifferentiated sense of self-identification difficult if not impossible.”18 Martin Emanuel Philippson (1846–1916), the eldest son of Ludwig Philippson, was an influential voice within German Jewry at the turn of the nineteenth century, when he warned, in 1903, that the new more liberal Protestantism would probably prove itself to be a real threat to “[…] the future existence of a Jewish community which, without giving up its Jewishness in the process, is attempting to integrate itself fully into German society […] because they [liberal Protestants], following in the footsteps of Prof. Theodor Mommsen, are demanding that we give up both our spiritual as well as social Jewish characteristics […] apart from that, equality in their eyes does not mean that all people have the same value and, because of that, the right to differentiate themselves from others […] [rather,] equality for liberal Protestants and liberal nationalists is about making everything the same […] and is certainly [to be understood] as levelling things within the framework of Christian society. These framing conditions, however, threaten us like a new Leviathan.”19

These remarks clearly demonstrate that the conflict between German Jewish and German Christian scholars as a result of Historical Jesus studies were not, and are not, simply theological. Historical Jesus research, Jewish or Christian, is also deeply tied to, and at the root of, tremendous changes in politics and society. 18 T. Endelman, Broadening Jewish History: Towards a Social History of Ordinary Jews, Oxford 2011, p. 21. 19 M. Philippson, Konservative und liberale Protestanten: ein Wort über die Ritschlsche Schule!, Berlin 1903, p. 4; “äußerst gefährlich für das Weiterbestehen einer jüdischen Gemeinschaft erweisen würde, die bestrebt ist, sich ganz in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, ohne dabei aufzuhören, jüdisch zu sein […] denn, sie (die liberalen Protestanten) verlangen von uns, indem sie getreulich den Fußstapfen Prof. Theodor Mommsens folgen, dass wir unsere jüdische Eigenart sowohl im geistlichen als auch im Bereich der sozialen Kontakte aufgeben. […] Außerdem bedeutet Gleichheit in ihren Augen nicht, dass alle Menschen denselben Wert haben und infolgedessen auch das Recht, sich voneinander zu unterscheiden […] für die liberalen Protestanten und die liberalen Nationalisten ist Gleichheit (vielmehr) gleichbedeutend mit Gleichmacherei […] und zwar eine Gleichschaltung innerhalb der Rahmenbedingung der christlichen Gesellschaft. Diese Rahmenbedingungen aber bedrohen uns als ein neuer Leviathan.”

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For Jewish scholars, study of the historical Jesus was a means to gain self-empowerment. The Jewish quest was fundamentally different from its Christian counterpart in that it was never focused on finding the “real” Jesus, much less the Christ, but on revaluating and reclaiming a Jewish figure who, for centuries, had been viewed only pejoratively by Jewish communities. At the beginning of the Jewish quest, the reclamation of Jesus had a strong apologetic nature in that Jewish theologians and historians, as they undermined Christianity’s messianic claims and thus its claims to an absolutist position, created a space – at least in their own minds – for an emancipated Jewish minority to live within majority Christian societies. The Jewish quest, in the context of seismic shifts in academic methodologies and hermeneutical approaches to history, provided an intellectual framework that, in the case of nineteenth‑ and early twentieth-century Germany, challenged a Christian nation state to re-examine its own spiritual teachings and traditions and accommodate other voices and traditions – a challenge that was tragically ignored. The search for Jewish identity during the German period of emancipation was an attempt to find an acceptable societal niche for life and development within the “Christian state” while retaining “Jewishness.” As the nineteenth century progressed, Jewish thinkers began to emphasize how their Judaism was not, as Schleiermacher had put it, “long since a dead religion,” [over which Jews] “are actually sitting and mourning […] its demise and its sad legacy.”20 Instead, Jewish scholars presented a Judaism of lasting religious and ethical value. It was from the ferment and change of this period that the various contemporary Jewish religious denominations were formed as they still exist today. These largely liberalizing influences perhaps also explain how non-religious expressions of Jewish confidence in a better world, e. g., socialism, became strongly linked to secular Jewish culture. The Wissenschaft des Judentums and the intellectual institutions that grew from it, also accelerated the legitimization, acculturation, and integration of Jews into mainstream German civil and social life. Leopold Zunz (1794–1886) can be considered as the central driving force of the Wissenschaft des Judentums; his influence, dedication, and industriousness spread to all aspects of Jewish scholarship. Zunz made reference to a possible new historical-critical model for academic Jewish studies in his 1818 Etwas über die Rabbinische Litteratur (On Rabbinic Literature).21 In it, he proposed that this new paradigm should replace the “Talmud Jewry” which, he argued, lacked a rational basis. He urged Jews to study their traditions using historiography and philology – to study in a rational, scientific manner, expanding on the work of Christian Hebraists who, up until then, had largely ignored Jewish scholars. 20 F. Schleiermacher, On Religion: Speeches to Its Cultured Despisers, ed. and trans. R. Crouter, Cambridge 1996, pp. 113–114. 21 L. Zunz, Etwas über die Rabbinische Litteratur: Nebst Nachrichten über ein altes bis jetzt ungedrucktes hebräisches Werk, in: Gesammelte Schriften, vol. 1, ed. L. Zunz, Hildesheim/ New York, 1976.

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Looking at the term Wissenschaft des Judentums (hereafter WdJ), first coined by Eduard Gans (1797–1839),22 one can see that des Judentums can be understood as a “genitivus subjectivus,” in which case Jews themselves are the active scholars who do research in their own discipline. It can therefore be defined as the discipline that critically examines all aspects of Jewish life, religion, and culture, and how Jewish life and thought are represented at different times and places throughout history, in scores of languages, and in diverse and distinct circumstances.23 With such high-minded aspirations, young Jewish scholars hoped to achieve several goals at once: besides obtaining critical understanding of their Jewishness – with the intention of securely grounding Judaism as a religion and partially in the hope of preventing Jewish conversions to Christianity – there was also a need to convince Christians that Judaism still had an important contribution to make. At long last, Jews would receive religious recognition and be able to take their place in society. The first practical task was to create institutions where the WdJ could be practiced. Despite the new civil rights ceded to the Jewish population across Central Europe, German universities were still reluctant to create a space for Jewish scholarship within the academy. Zunz made correcting this exclusion one of his primary goals, and spent his life trying to establish the WdJ as part of the general university system. Sadly, however, it was not until after the Shoah that a German university recognized Jewish Studies as a discipline within the humanities. Jacob Taubes became the first Professor of Jewish Studies in a Humanities Faculty at a German university when he was appointed Professor of Hermeneutics and Jewish Studies at the Freie Universität in Berlin in 1965. And, it was not until the twenty-first century that the first institute of Jewish theology found a home in German academia, the School of Jewish Theology founded by the University of Potsdam in 2013.24 The first institution where the study of the WdJ was possible was the Breslau Theological Seminary, established in 1854.25 Twenty-two years after the seminary 22 C. Schulte, Die Wissenschaft des Judentums, in: Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa, ed. E.-V. Kotowski/J. H. Schoeps, H. Wallenborn, Darmstadt 2001, p. 268. 23 I. Wolf, Über den Begriff der Wissenschaft des Judenthums, in: Zeitschrift für die Wissenschaft des Judenthums (1822), p. 1. 24 W. Homolka, When a Utopia Became Reality: Jewish Studies and Jewish Theology Well Established in Germany, in: Toronto Journal of Theology 31.2 (2015): pp. 197–202; W. Homolka, Der lange Weg zur Errichtung des Fachs jüdische Theologie an einer deutschen Universität, in: Theologie(n) an der Universität: Akademische Herausforderung im säkularen Umfeld, ed. W. Homolka/H.-G. Pöttering, Berlin 2013, pp. 53–78. 25 See E. Seidel, The Jewish Theological Seminary of Breslau (1854–1938), in: European Judaism 38.1 (2005), pp. 133–144; E. Seidel, Zacharias Frankel and the Jewish Theological Seminary, Berlin 2013; E. Seidel, Jüdische Traditionspflege und strenge Wissenschaftlichkeit. Zur nachhaltigen Wirkung des Breslauer Rabbinerseminars, in: Das Judentum kann nicht definiert werden: Beiträge zur jüdischen Geschichte und Kultur, ed. R.Boschki/R. Buchholz,

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was established, and four years after the establishment of the private Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, Zunz, exasperated, wrote, in 1876, to his friend David Kaufmann: “The belittlement of Jewish authors, even converted ones, will continue in Germany until the time comes when Jewish history and literature at all universities is taught by Jewish professors.”26 In nineteenthcentury Germany, Jewish Studies was largely regarded as a mere subdivision of theology and history, not as a discipline in its own right. In theology departments Jewish Studies was treated as a kind of introduction to Christianity – by which it was taught to have been superseded – and thus retained its purely historical role and its minor importance in Christian eyes. Perhaps there was a fear that the new WdJ could threaten Christian belief or have an impact on how the origins of Christianity were perceived and understood – a concern that, in the light of Jewish Jesus research in the nineteenth century, proved to be quite justified. Whereas the programmatic Jewish studies movement of the Wissenschaft des Judentums attempted to show the relevance of Jewish heritage from an historical point of view, Jewish theologians took their inspiration from the religious tradition. But regardless of focus, whether historical or religious, Jewish scholarship expressed an anti-assimilationist conviction that concentrated on the betterment of economic circumstances and on political emancipation, and was not, as some would charge, rooted in religious apostasy. Who was the actual hero and role model of the majority of Jews in nineteenthcentury Germany? Certainly not the poet and writer Heinrich Heine who, despite his early involvement with the Wissenschaft des Judentums, eventually converted. Rather, the majority of Jews looked to figures such as the lawyer and politician Gabriel Riesser (1806–1863), who successfully combined his identity as a liberal Jew with his political career – he was member and vice-president of the Frankfurt Assembly until 1849 and became vice-president of the parliament of the Free Hanseatic City of Hamburg in 1859. In 1860 he was appointed to the High Court of Hamburg, and thereby became the first German-Jewish judge.27 Riesser always opposed discarding Jewish particularity for the sake of emancipation. Rather, he believed, the ruling Christian majority should recognise and respect Jews’ minority rights. Unfortunately, the reality could not have been more different. At Riesser’s time, Jews could not hold public office in most German Berlin 2014, pp. 99–118; C. Schulte, Über den Begriff einer Wissenschaft des Judentums: Die ursprüngliche Konzeption der Wissenschaft des Judentums und ihre Aktualität nach 175 Jahren, in: Aschkenas 7. 2 (1997), p. 293. 26 L. Zunz, “Letter to David Kaufmann 21st August 1876” cited in G. Veltri, At Gesenius’ School? Hebrew Philology, the Rabbis and the Wissenschaft des Judentums, in: Biblische Exegese und hebräische Lexikographie, ed. S. Schorch/E.-J. Waschke, Berlin 2013, p. 575. 27 M. A.  Meyer, Entwicklung und Modifikationen der jüdischen Identität in Deutschland, in: Das Kulturerbe deutschsprachiger Juden: Eine Spurensuche in den Ursprungs-, Transit‑ und Emigrationsländern, ed. E.-V. Kotowski, Berlin 2014, pp. 21–31, p. 27.

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territories, could not be appointed to the civil service, and could not hold a university chair or serve as an officer in the armed forces. Jesus’s Jewishness, well over a century after the Wissenschaft des Judentums came into being, has become presupposed within both Christian and Jewish self-understanding. However, the figure of Jesus, despite his agreed-upon Jewishness, remains more a cause of division between Judaism and Christianity than the bridge Jewish scholars in the nineteenth century had hoped for. This new divisiveness was met by a generation of both Jewish and Christian scholars who began to reflect upon their social and political situation, as well as upon their very identity, in the hope to critically examine the past that had led them to yet another bifurcation. Scholarly Jewish research into Jesus emphasized aspects which had received insufficient attention in Christian research, namely the Jewish character of the life and teaching of Jesus – a process which became part of “bringing Jesus home to Judaism.” At first glance, it would appear that Jews and Christians today are closer than ever before. Indeed, the horrors of the Shoah may have served to accelerate, but they certainly did not initiate our current convivial interfaith and intercultural dialogue  – this had already begun in the early twentieth century.28 That said, however, the Holocaust has had a profound effect on mainstream Christian churches; as the Protestant systematic theologian Christoph Schwöbel of the University of St. Andrews sums it up, “For what must never be forgotten is that the Holocaust was also the deepest crisis of Christian theology and of the Christian Churches for two reasons. They are confronted with the fact that their teaching contributed to the rise of anti-Semitic ideology as an important cause for the Holocaust, and [with] their failure in preventing the Nazi genocide.”29

This interfaith perspective has led scholars of all creeds to place a nominally Jewish Jesus at the centre of historical Jewish studies. The influential Protestant Church of the Rhineland already agreed in January 1980 to reject supersessionism (the belief that Christianity is the fulfillment of Judaism), which heralded the beginning of the formal end of the Protestant mission to the Jews in Germany:30 “The process of reflection at present underway in the Synods of the German Protestant Churches is intended to break free of the framework of the substitution theory and to 28 See E. H.  Füllenbach, Katholische Initiativen gegen den Antisemitismus und die Anfänge des christlich-jüdischen Dialogs in Deutschland, in: Freiburger Rundbrief: Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung, Neue Folge 22.1 (2015), pp. 2–19. 29 C. Schwöbel, Self-Criticism in Retrospect? Reflections in the Christian Churches on Church Attitudes During the Holocaust, in: The British Journal of Holocaust Education 2.1 (1993), p. 50. 30 See Umkehr und Erneuerung: Erl. zum Synodalbeschluß d. Rhein. Landessynode 1980 “Zur Erneuerung d. Verhältnisses von Christen u. Juden” [Concerning the Renewal of the Relationship of Christians and Jews], ed. B. Klappert/H. Starck, Neukirchen-Vluyn 1980.

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assert, as unambiguously as possible, that the affirmation of Jewish identity is a necessary prerequisite of affirming Christian identity.”31

Yet, despite explicit rejections of supersessionism, there are a number of problems and challenges which still need to be addressed. First, despite many proclamations and good intentions, not to mention the rapidly expanding library of Christian-Jewish joint publications, it is uncertain if Christians are ready to accept the wider implications that the intrinsic presence of Judaism within Christianity has for Christian theology. Christian Wiese, in his study on hegemonic Protestant structures within Wilhelmine Germany, was hopeful that, “Christian theology’s self-critical encounter with the history of its relationship to the scholarly study of Judaism should help it overcome the theological narrowing of its understanding of Jewish tradition, and to accept the whole scope of relevant topics into the horizon of its thinking, including the Rabbinic tradition, Jewish history, thought and culture of all epochs, and modern Jewish literature. Only then would it be possible to talk of a productive interdisciplinary cooperation between two academic disciplines.”32

Dialogue is essential if one is to learn from the mistakes of the past; however, if dialogue does not lead to concrete actions – to perceptible changes in the structures which determine how Christianity views other religions – then the discussion is doomed to insignificance. Furthermore, the fact that Jesus, and now increasingly Paul, are being placed within dynamic Jewish intellectual contexts substantiates the claim that the historical basis for Christianity, particularly as it is interpreted by mainstream churches, and has been understood for over a millennium, has all but crumbled.33 Christian approaches to Christian-Jewish dialogue now need to move beyond simple tolerance of Jewish beliefs and culture and towards a fundamental change in how Christians view their own place in history, and bring this to bear on their relations with other religious groups. In other words, Christianity’s newly found, tenuous acceptance of Judaism has implications for Christians and their relationships to all other religions. Christoph Schwöbel has posed what I feel is an urgent question for Christian theologians: “Are there possibilities for a Christian theology of religions which can avoid the alternative between an exclusivism that implicitly denies the universality of God and a pluralism that jeopardizes the particularity of the Christian understanding of God and the distinctiveness of religious traditions, including that of Christianity?”34 31 Schwöbel,

Self-Criticism in Retrospect?, p. 64. Challenging Colonial Discourse: Jewish Studies and Protestant Theology in Wilhelmine Germany, Leiden 2004, p. 444. 33  E. g., D. Boyarin, A Radical Jew: Paul and the Politics of Identity, Berkeley 1994; see also the collection of essays in Reading Paul in Context: Explorations in Identity Formation ed. K. Ehrensperger/J. B. Tucker, London/New York 2010. 34 C. Schwöbel, Particularity, Universality, and the Religions: Towards a Christian Theol32 C. Wiese,

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Walter Homolka

Given that there have been no fundamental changes in Christian theology that reflect the progress in Historical Jesus studies and Christian-Jewish dialogue which has taken place over the past 30 years, Schwöbel’s question still stands: how can theologians of all Christian faiths find and implement a Christology which satisfies this reality? How can Christianity bridge the divide between the Historical Jesus and the Christ of the Faith in light of the new relationship Christianity shares with Judaism. As Christian Danz puts it, “For this reason the Christian-Jewish dialogue can only be constructive if Judaism is not extenuated [eingeebnet] within Christianity and Christianity is not extenuated within Judaism. Both are independent religions with their own very different and religiously internal, highly pluralist perspectives, not only with regard to their own religious identity, but also with regard to the relationship to the other religion.”35

Christoph Schwöbel concedes that Christology is in a “state of crisis.” For him, it seems to be haunted by the “challenge of Enlightenment” which resulted in the “disjunction of central elements defining the unity of Christ before the age of reason.”36 “The ills which plague present-day Christology have been with it for the last 250 years and their effects are today no less painful than they were when they were first felt in the days of Reimarus and Lessing. […] to a large extent Christological reflection has, more or less openly, assumed the character of crisis-management where the deeper causes of the crisis are ignored in order to contain its most threatening immediate effects. […] What seems no longer possible in modern Christology is to present an integrated picture of Jesus Christ’s past and his presence for the church and the cosmos.”37

The Roman Catholic theologian Helmut Hoping (*1956) also suggested criteria for a contemporary Christology in the light of a positive relationship with Israel: Christian theology should recognize the fact that Jesus was a Jew and derive the necessary theological conclusions from this insight, Christology should take into consideration the messianic hopes of the people of Israel, and finally, Christians need to accept the insight that the chosenness and mission of the Jewish people ogy of Religions, in: Christian Uniqueness Reconsidered: the Myth of a Pluralistic Theology of Religions, ed. G. D’Costa, Maryknoll 1990, pp. 30–46, p. 34. 35 C. Danz, Grundprobleme der Christologie, Stuttgart 2013, p. 237. “Deshalb kann der christlich-jüdische Dialog nur dann konstruktiv sein, wenn weder das Judentum in das Christentum noch umgekehrt das Christentum in das Judentum eingeebnet wird. Beide sind eigenständige Religionen mit sehr unterschiedlichen und auch religionsintern höchst pluralen Sichten nicht nur der eigenen religiösen Identität, sondern auch des Verhältnisses zur jeweils anderen Religion.” 36 C. Schwöbel, What are Philosophical Problems in Christology? Charting the Borderland between Christology and Philosophy, in: Philosophical Studies in Religion, Metaphysics, and Ethics: Essays in Honour of Heikki Kirjavainen, ed. T. Koistinen/T. Lehtonen, Helsinki 1997, pp. 104–128, p. 109. 37 C. Schwöbel, Christology and Trinitarian Thought, in: Trinitarian Theology Today: Essays on Divine Being and Act, ed. C. Schwöbel, Edinburgh 1995, pp. 113–146; p. 113, 117.

Jewish Jesus Research: Catalyst for a Contemporary Christology?

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are everlasting.38 Hoping’s plea clearly demands that Christian theology relativize its superiority claims as an absolutist faith.39 Hoping sees the difference between Judaism and Christianity in their diverging messianic hopes, in which both may, however, find common eschatological ground.40 Recently, Jan-Heiner Tück has highlighted that the Jews are “the apple of God’s eye” (Zech 2:12).41 This image does not allow space for any substitution, supersessionism, or disheritance, since it is a term from the scriptures of Israel. But references to a “new people of God” or a “new covenant” even after the Second Vatican Council carry the threat of supersessionism in Jewish perspective. If the church is called novus Israel, this means robbing Judaism of its very own title of honor.42 The recent acceptance of Judaism requires a new Christian theology of the other religions also as Tück maintains. He thus writes that “whoever attacks Israel questions God Himself.”43 Here we have examples of Christian theological concepts that attempt to provide answers to questions deriving from the quest of the historical Jesus in general and the Jewish quest in particular. The onus is now on other contemporary Christian theologians to bridge the divide between the historical Jesus and the Christ of the Faith in light of the new relationship Christianity shares with Judaism. What I have tried to show in this essay is that Jewish engagement with Jesus from the nineteenth century on rose out of German Jewry’s repositioning of themselves in the face of the dominance of Christianity and its universal truth claims. For the first time in Jewish history, critical Jewish interest in Jesus led to a historical-critical investigation of the origins of Christianity, the goal of which was to relativize Christianity to an historical phenomenon.44 This could create space for Judaism to make itself heard as an independent voice, moving from a subordinate position into the role of an equal partner within a dominantly Christian culture. The challenge that remains for Christians today is to formulate a new Christology between an exclusivism that denies the universality of God, and a pluralism that endangers the specificity of Christian theology and obscures the uniqueness of religious traditions, including, and especially problematically, their own. 38 H. Hoping,

Einführung in die Christologie, Darmstadt 2004, p. 147. also C.-F. Geyer, Wahrheit und Absolutheit des Christentums, Göttingen 2010. 40 Hoping, Einführung in die Christologie, pp. 148–51. 41 J.-H. Tück, Gottes Augapfel: Bruchstücke zu einer Theologie nach Auschwitz, Freiburg i. Br. 2016, p. 17. 42 Ibid., p. 328; cf. also H.-G. Schöttler, Re-Visionen christlicher Theologie aus der Begegnung mit dem Judentum, Würzburg 2016, pp. 20–22. 43 Tück, Gottes Augapfel, p. 17. 44 For a more comprehensive discussion of Jewish attempts to relativise Christianity see W. Jacob, Christianity Through Jewish Eyes, Cincinnati 1974. 39 See

Die Jesusforschung und die Wundererzählungen – eine dreidimensionale Perspektive Markus Öhler Der folgende Beitrag versteht sich als Hinführung zu zwei auch für die Gestaltung einer Christologie wesentlichen Fragestellungen, die durch die Thematik des Wunders miteinander verbunden sind. Zum einen geht es um die Historizität der Wundererzählungen über Jesus von Nazareth sowie um den antiken Kontext solcher Berichte und die hinter ihnen stehenden Erfahrungen. Zum anderen wird aber auch die Frage angesprochen, welche Bedeutung diesen Erzählungen für die Christologie zukommt, wobei v. a. deutlich wird, dass hier unterschiedliche Wirklichkeitsverständnisse – antike wie moderne – eine zentrale Rolle spielen. Nach einer Einführung in die Jesuanischen Wundererzählungen folgt eine Erörterung der drei in der Forschung bestimmenden Faktoren Historizität, Rationalität und Literarität. Anhand dieser werden in einem nächsten Schritt unterschiedliche Forschungspositionen innerhalb der Third Quest breiter dargestellt. Abschließend werden Folgerungen im Blick auf Wirklichkeitskonstruktion und Christologie bedacht.

1. Einführung Ein auch nur oberflächlicher Überblick über die gegenwärtige Forschungslage zum Historischen Jesus zeigt, dass sich im Zuge der Third Quest und ihrer Nachwirkungen eine gewaltige Anzahl von Titeln mit den Wundererzählungen der Evangelien beschäftigt.1 Das ist durchaus bemerkenswert, hält man sich vor 1 Systematische Überblicke zur Forschungslage gibt es dementsprechend zahlreiche. Zur Einführung in die englisch‑ und deutschsprachige Forschung vgl. B. Kollmann, Von der Rehabilitierung mythischen Denkens und der Wiederentdeckung Jesu als Wundertäter. Meilensteine der Wunderdebatte von der Aufklärung bis zur Gegenwart, in: Hermeneutik der frühchristlichen Wundererzählungen. Geschichtliche, literarische und rezeptionsorientierte Perspektiven, hrsg. v. dems./R. Zimmermann, Tübingen 2014, S. 4–25; R. Zimmermann, Frühchristliche Wundererzählungen  – eine Hinführung, in: Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen, Bd. 1: Die Wunder Jesu, hrsg. v. dems., Gütersloh 2013, S. 5–49; G. H.  Twelftree, The Miraculous in the New Testament. Current Research and Issues, in:

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Augen, was zwei Hauptprotagonisten der neutestamentlichen Forschung des 20. Jahrhunderts festhielten. In Rudolf Bultmanns Aufsatz Zur Frage des Wunders, der 1933 in Glauben und Verstehen veröffentlicht wurde, heißt es unmissverständlich: „Der Gedanke des Mirakels ist also unvollziehbar geworden und muß preisgegeben werden. […] Deshalb sind in der Diskussion die ‚Wunder Jesu‘, sofern sie Ereignisse der Vergangenheit sind, restlos der Kritik preiszugeben, und es ist mit aller Schärfe zu betonen, daß schlechterdings kein Interesse für den christlichen Glauben besteht, die Möglichkeit oder Wirklichkeit der Wunder Jesu als Ereignisse der Vergangenheit nachzuweisen, daß im Gegenteil dies nur eine Verirrung wäre.“2

Und Ernst Käsemann meint 1953 hinsichtlich der Diskussion um Wundererzählungen: „Man darf wohl sagen, dass der Kampf heute zwar nicht im Raum der Gemeinde, wohl aber auf dem Felde der theologischen Wissenschaft zu seinem Ende gekommen ist. Der traditionelle kirchliche Wunderbegriff wurde dabei zerschlagen.“3 Der Tenor der Arbeiten zu Wundern wie auch jener zum Historischen Jesus seit den 80er Jahren, die unter dem Titel „Third Quest“4 laufen, ist – bis auf einige signifikante Ausnahmen (s. u.) – folgender: Die Wunderberichte insgesamt oder wenigstens einige von ihnen gehören zu jenen Überlieferungen, deren Historizität kaum zu bestreiten ist, will man ernsthafte Aussagen über die historische Gestalt Jesus von Nazareth treffen. Hatten Abschnitte über Jesu Wunderwirken in den Arbeiten der „New Quest“ noch keine oder eine zu vernachlässigende Rolle gespielt, so finden sich in den gegenwärtigen Jesusbüchern längere Abschnitte, in denen das Wunderhandeln Jesu als Bestandteil des Wirkens Jesu besonders gewürdigt wird. So findet sich in dem einflussreichen Jesus-Buch von Ed Parish Sanders ein 38 Seiten umfassender Abschnitt zu Wundern, in dem Sanders u. a. formuliert, dass gegenüber der früheren Forschung, in der Jesus vor allem als Lehrer wahrgenommen wurde, eine Korrektur wichtig sei: „He was also, and for some people primarily, a miracle-worker.“5 2006 hält der evangelische Neutestamentler Jens Schröter innerhalb eines 10 Seiten umfassenden Abschnittes „Gott oder Satan?“ fest: „Es ist […] sehr wahrscheinlich, dass sie [sc. Heilungen und Dämonenaustreibungen] auch einen wichtigen Bestandteil des Wirkens Jesu

Currents in Biblical Research 12 (2014), S. 321–352; J.-O. Henriksen, Jesus as Healer. A Gospel for the Body, Grand Rapids 2016. 2 R. Bultmann, Glauben und Verstehen, Tübingen 1933, S. 216. S. 227. 3 E. Käsemann, Zum Thema der Nichtobjektivierbarkeit, in: Exegetische Versuche und Besinnungen, hrsg. v. ders., Göttingen 1970, S. 224–236, hier: S. 224. 4 Vgl. zu dieser Bezeichnung S. E.  Porter, Criteria for Authenticity in Historical-Jesus Research, Sheffield 2000, S. 28. 5 E. P.  Sanders, The Historical Figure of Jesus, London 1993, S. 154.

Die Jesusforschung und die Wundererzählungen

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bildeten.“6 Aus katholischer Perspektive formuliert Angelika Strotmann 2012 ähnlich: „Dass Jesus Wunder gewirkt hat, ist in der Jesusforschung unbestritten.“7 Was sind eigentlich „Wunder“?8 Ich definiere, so wie etliche andere, Wunder als Ereignis, das die Gesetze der Natur bricht und durch eine nicht-menschliche Kraft verursacht wird.9 Die vielfach und beinahe unisono geteilte These, zu Jesu Handeln hätten als Wunder gedeutete Handlungen gehört, beruht auf folgenden mehr oder weniger artikulierten Argumenten10: 1)  Es lassen sich in den Evangelien sechs Exorzismen Jesu, 17 Heilungen (inkl. Totenerweckungen) und acht Naturwunder zählen. Nicht immer sind die Grenzen zwischen diesen drei „Gattungen“ klar, dennoch ist von etwa 30 „Wundern“ Jesu auszugehen. Dabei ist selbstverständlich mit Verdoppelungen der Überlieferung zu rechnen – etwa bei Speisewundern – sodass die Zahl u.U. geringer ausfällt, sie bleibt aber dennoch durchaus hoch.11 Würde man diesen sehr breiten Strang der Jesusüberlieferung als völlig unhistorisch qualifizieren, müssten die meisten anderen Elemente der Jesustradition – die Beziehung zum Täufer, die biographischen Angaben, die Wortüberlieferung – noch entschiedener in ihrer historischen Bedeutung bestritten werden. Nur sehr Weniges – etwa die jüdische Herkunft, die Verkündigung der Gottesherrschaft oder die Verwendung von Gleichnissen – ist so gut belegt wie die Wunderhandlungen. 2)  Wunder begegnen in mehreren Traditionsschichten (Mk, Q, Sondergut des Mt und Lk, Joh), möglicherweise sogar bei Josephus (ant. 18,63). Wundererzählungen sind also sehr wahrscheinlich nicht von einer einzigen Quelle abhängig,  6 J. Schröter, Jesus von Nazaret. Jude aus Galiläa – Retter der Welt, Leipzig 2006, S. 154. In dem Jesusbuch von Martin Ebner werden lediglich Dämonenaustreibungen angesprochen, Heilungen und andere Wundererzählungen aber übergangen: M. Ebner, Jesus von Nazareth. Was wir von ihm wissen können, Stuttgart 52016.  7 A. Strotmann, Der historische Jesus. Eine Einführung, Stuttgart 2012, S. 121.  8 Vgl. dazu Twelftree, The Miraculous, S. 322 f. Heiko Schulz definiert das Wunder durch drei Bestimmungen: Ein Ereignis hat keine Ursache, die Ursache ist nicht zu bestimmen und die Ursache ist radikal abweichend von jeder natürlichen oder immanenten Erklärung (H. Schulz, The Concept of Miracle and the Concepts of Reality. Some Provisional Remarks, in: Miracles Revisited. New Testament Miracle Stories and Their Concepts of Reality, hrsg. v. S. Alkier/A. Weissenrieder, Berlin/New York 2013, S. 351–375, hier: S. 354); vgl. auch K. L.  Woodward, The Book of Miracles. The Meaning of the Miracle Stories in Christianity, Judaism, Buddhism, Hinduism, Islam, New York 22001, S. 28.  9 S. Alkier, Das Kreuz mit den Wundern oder Wunder ohne Kreuz? Semiotische, exegetische und theologische Argumente wider die formgeschichtliche Verkürzung der Wunderforschung, in: Hermeneutik der frühchristlichen Wundererzählungen, S. 515–544, hier: S. 527: „Wunder sind von Handlungsträgern gewirkte Ereignisse, die mit göttlicher oder dämonischer Kraft geschehen, die menschliche Möglichkeiten übersteigt.“ 10 Vgl. dazu ausführlich die Darstellung in J. P.  Meier, A Marginal Jew. Rethinking the Historical Jesus, New York u. a. 1994, S. 617–645. 11 Dazu könnte man auch noch die sogenannten Wundersummarien (Mk 1,32–34.39; 3,10–12 usw.) zählen, in denen pauschal auf eine noch viel größere Zahl von Wunderhandlungen Jesu verwiesen wird. Sie sind allerdings mit einiger Gewissheit Bildungen der Evangelisten.

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sondern wurden in unterschiedlichen Gruppierungen des frühen Christentums überliefert. 3)  Die Wundererzählungen sind kohärent mit der Wortüberlieferung, die vielfach auf Wunder Bezug nimmt. Jesus vollbringt nicht nur Wunder, er spricht auch darüber (Q 7,18 f.22 f.; 10,9; 11,20; Mk 8,10–13; Mt 11,20–24 u. a.). 4)  Die Wunderhandlungen Jesu sind einerseits innerhalb seiner jüdischen und paganen Lebenswelt nicht völlig außergewöhnlich, haben aber andererseits ein so spezifisches Profil, dass sie sich von denen anderer Wundertäter abgrenzen lassen (Handauflegung, hohe Zahl, Verbindung mit der Gottesherrschaftsverkündigung etc.). 5)  Die Wundererzählungen – vor allem die Heilungen, aber auch die Exorzismen – haben keine primär theologische oder christologische Stoßrichtung, die sie allesamt als Erzeugnisse der frühen Gemeinden verständlich machen würden. Gewiss ist mit späteren Bildungen zu rechnen, etwa dort, wo dies mit christologischen Aussagen verbunden wird wie bei der Sturmstillungsgeschichte (Mk 4,25–41 par), doch lässt sich dies für die meisten der Wundererzählungen nicht zeigen. 6)  Die Handlungen Jesu haben bei seinen Gegnern heftigen Widerspruch erzeugt, allerdings nicht im Blick auf das Wunder selbst, sondern auf die dahinter stehende Macht (Mk 3,20–30 par). Jesus wurde nicht als Wundertäter in Frage gestellt, vielmehr wurde bestritten, dass diese Ereignisse auf Gottes Wirken zurückgingen.12 Diese Faktoren lassen insgesamt zu Recht den Schluss zu, dass Wundererzählungen nicht nur zum ältesten Bestand der Jesustradition gehören, sondern machen überdies sehr wahrscheinlich, dass Handlungen, die von Beobachtern und Beobachterinnen als Wunder gedeutet wurden, essentiell zum Wirken Jesu von Nazareth gehörten.13 Jesus war nach dieser Rekonstruktion nicht nur Jude, sondern ein wundertätiger Jude.

2. Historizität, Rationalität und Literarität Ausgehend von diesen Beobachtungen möchte ich im Folgenden die unterschiedlichen Positionen von Autoren durchgehen, die sich intensiver mit der Frage nach den „Wundern“ Jesu beschäftigt haben. Die Auswahl ist bei weitem 12 Ähnlich polemisierte auch Kelsos gegen die Behauptung, die Wunder Jesu würden diesen als Sohn Gottes ausweisen. Da er nichts anderes getan hätte als das, was ägyptische Magier vollbringen, gelte für ihn dasselbe wie für diese: Sie seien betrügerische und von einem bösen Geist besessene Menschen (Origenes, C. Celsum 1,68). 13 Das hat freilich schon Renan festgehalten: „Wir wollen also nicht anstehen, daß Handlungen, die man jetzt als Züge von Täuschung oder Thorheit betrachten würde, in dem Leben Jesu eine große Stelle eingenommen haben“ (E. Renan, Das Leben Jesu, Berlin 1864, S. 273).

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nicht vollständig, zum Teil ist sie zufällig, zum Teil ist sie auch daran orientiert, möglichst unterschiedliche Perspektiven einzubringen. Die Einordnung ist dreidimensional ausgerichtet. Man kann sich das als einen Würfel vorstellen, in dessen Raum anhand dreier Koordinaten Punkte eingezeichnet werden. Diese richten sich nach den Faktoren Historizität, Rationalität und Literarität.14 1)  Unter Historizität verstehe ich im Folgenden die Frage, ob die in Wundererzählungen berichteten Ereignisse tatsächliche Ereignisse waren  – also historische Fakten. Selbstverständlich kann und sollte man aus geschichtsphilosophischer Perspektive über die Frage diskutieren, ob es (historische) Fakten überhaupt gibt, doch will ich diesen Faden hier nicht aufnehmen. Lässt man sich aber auf die Aufgabe historischer Re-Konstruktion ein, ist es m. E. unbestreitbar, dass dazu auch die Frage gehört, ob Jesus von Nazareth tatsächlich als Wunder gedeutete Taten getan hat.15 2)  Unter Rationalität verstehe ich im Folgenden die Frage, ob die Ereignisse in den Wundererzählungen mit dem gegenwärtigen in weiten Teilen der Welt geteilten, rationalen und naturwissenschaftlich geprägten Wirklichkeitsverständnis als vereinbar eingeschätzt werden oder nicht. 3)  Unter Literarität verstehe ich im Folgenden die Frage, ob den Wundererzählungen als Erzählungen hohe Bedeutung zugemessen wird, jenseits der Frage nach der Historizität des Berichteten. Dazu gehören auch Positionen, wonach ausschließlich die Erzählungen und die darin zum Ausdruck gebrachte Botschaft theologisch relevant sind. Aus diesen drei Faktoren lässt sich, so man sie drei Achsen zuordnet, ein Würfel zeichnen. Ich gebe diesem Würfel die Seitenmaße 100x100x100, wobei Historizität, Rationalität und Literarität jeweils eine Dimension des Raumes beschreiben. Um das zunächst theoretisch verständlich zu machen, werde ich im Folgenden die jeweiligen Extrempositionen durchspielen, sodass deutlich wird, welche Möglichkeiten es gibt. Erst dann werden die Positionen einzelner Exegeten, die sich zu den Wundererzählungen in jüngerer Zeit einschlägig geäußert haben, in diesen Würfel eingezeichnet.

14 Eine ähnliche Systematisierung sieht S. Alkier, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostels Paulus. Ein Beitrag zu einem Wunderverständnis jenseits von Entmythologisierung und Rehistorisierung, Tübingen 2001, S. 53, nämlich Rehistorisierung, Rationalisierung und Metaphorisierung. 15 Lässt man sich auf die historische Frage nicht ein, verflüchtigen sich auch andere zentrale Elemente des Lebens Jesu, die für die Christologie von essentieller Bedeutung sind, wie etwa die Kreuzigung oder seine jüdische Herkunft. Auch der gegenwärtig u. a. von Jens Schröter verfolgte Ansatz, einen „erinnerten Jesus“ zu rekonstruieren, führt zu keinen anderen Ergebnissen als klassische Arbeiten zum historischen Jesus.

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0/0/0 Wir befinden uns zu Beginn am absoluten Nullpunkt, der folgende Positionen einschließt: –  Keine der Wundererzählungen berichtet über ein historisches Ereignis, alle sind fiktionale Erzählungen. Weder heilte Jesus Menschen oder weckte Tote auf, noch trieb er Dämonen aus oder beherrschte die Naturgewalten. –  Die in den Wundererzählungen berichteten Taten sind naturwissenschaftlich und auch auf andere Weise nicht rational erklärbar, sondern erzählen Handlungen, die auf das Eingreifen einer außerweltlichen Macht bzw. Gottes zurückgeführt werden, was freilich nichts daran ändert, dass sie nicht geschehen sind. –  Die Wundererzählungen haben keine theologische oder allgemein kulturgeschichtliche Bedeutung. Sie transportieren keine Botschaft, sondern sind schlichte Phantasiegeschichten, deren Lektüre maximal Vergnügen, Erstaunen oder Kopfschütteln bei einem Leser/einer Leserin des 21. Jahrhunderts bewirken sollte. In der gegenwärtigen Diskussionslage findet sich diese Argumentation, der ich nicht weiter nachgehen werde, dort, wo die aufklärerische Kritik 1:1 übernommen wird. Schon Spinoza, Reimarus, Hume, Feuerbach und andere hatten jegliche Historizität und theologische oder religiöse Bedeutung der Wunderberichte Jesu mehr oder weniger scharf bestritten.16 100/100/100 Diametral gegenüber dem Null-Punkt liegt der Endpunkt aller drei Faktoren: –  Alle Wunderzählungen – Heilungen, Totenerweckungen, Exorzismen und Naturwunder – berichten über historische Ereignisse. Gegebenenfalls sind Mehrfachüberlieferungen möglich, aber der Grundbestand der Wundererzählungen, ihr Kern, berichtet zutreffend über tatsächliche Handlungen Jesu von Nazareth. –  Alle diese Taten lassen sich mit modernen naturwissenschaftlichen Methoden erklären, seien sie aus dem Bereich der Medizin, der Psychologie oder der Physik. Umgekehrt bedeutet das: Keines der Wunder beruht auf dem Eingreifen einer transzendenten Macht, es sind also eigentlich keine Wunder. –  Die Wundererzählungen haben abgesehen von ihrem Charakter als Tatsachenberichte darüber hinaus auch eine theologische Funktion, wie u. a. durch die verschiedenen Überlieferungsformen erkennbar wird, die die Bedeutung der Erzählung für die jeweilige Gegenwart bis heute erschließen. 16 Vgl. dazu E. Keller/M.-L. Keller, Der Streit um die Wunder. Kritik und Auslegung des Übernatürlichen in der Neuzeit, Gütersloh 1968.

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100/0/0 Ausschließlich auf der Maximalseite der Historizität liegt diese Position: –  Alle Wundererzählungen berichten historisch zutreffend über Wunderhandlungen Jesu bzw. der Kern der unterschiedlichen Versionen gleicher Wunderberichte referiert auf historische Ereignisse. –  Keine der Wunderhandlungen lässt sich rational erklären, es kann sich daher nur um göttliches Eingreifen handeln. –  Die Bedeutung der Erzählungen erschöpft sich in der Darstellung des Faktischen, darüber hinaus gibt es nichts, was literarisch von Bedeutung wäre. Sie dienen dazu, Jesus als den von Gott bevollmächtigten Wundertäter darzustellen, auf den sich der christliche Glaube richten soll. 0/100/0 Für eine Position, die ausschließlich die Rationalität betont, ergibt sich Folgendes: –  Die Wundererzählungen berichten sämtlich nicht über historische Ereignisse, sie sind alle fiktional. –  Es handelt sich allerdings auch nicht um phantastische Erzählungen, da die berichteten Ereignisse sämtlich rational erklärbar sind. –  Eine besondere theologische Bedeutung haben diese Erzählungen nicht. 0/0/100 Betont man nur die Erzählungen, nicht aber die dahinter liegenden Ereignisse, ergibt sich Folgendes: –  Im Blick auf die Historizität können hier drei unterschiedliche Aussagen eingeordnet werden: 1) Die Wundererzählungen berichten nicht über historische Ereignisse; Jesus hat keine Wunder vollbracht, welcher Art auch immer. 2) Die Historizität der Ereignisse zu beurteilen ist innerhalb historischer Forschung im Blick auf Wunderhandlungen nicht möglich, da diese die Welt der Geschichtsforschung übersteigen. 3) Ereignisse der Geschichte können per se nicht als tatsächliche Ereignisse erwiesen werden, sodass auch eine Aussage über die Historizität von Jesu Wunderhandlungen nicht möglich ist. –  Rationale Erklärungen der Wunderhandlungen sind nicht möglich bzw. auch nicht nötig. –  Die Bedeutung der Wundererzählungen liegt ausschließlich in ihrer Wirkmächtigkeit als Erzählungen – in ihrer theologischen Botschaft, in ihrer ästhetischen Qualität usw. Sie sind als (theologische) Erzähltexte von Relevanz.

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0/100/100 Auch zwei Faktoren können sehr stark ausgeprägt sein, etwa Rationalität und Literarität: –  Die Wunderzählungen berichten nicht über historische Ereignisse. Jesus hat keine Wunder getan bzw. lässt sich das mit historiographischen Methoden nicht nachweisen. –  Die Ereignisse, über die in Wunderberichten erzählt wird, werden dort zwar als Wirkungen göttlichen Eingreifens geschildert, wären aber, wenn Jesus denn solche getan hätte, alle rational erklärbar. –  Die wahre Bedeutung der Wunderberichte liegt in den Erzählungen, nicht in den berichteten Handlungen Jesu. 100/0/100 Werden Historizität und Literarität als besonders wichtig eingeschätzt, ergibt sich: –  Die Wundererzählungen bzw. die Kernstücke der unterschiedlichen Überlieferungen berichten über historische Ereignisse im Leben Jesu. –  Die Handlungen und Geschehnisse sind nicht rational erklärbar, sondern verweisen auf das Eingreifen einer göttlichen Macht. –  Darüber hinaus haben die Erzählungen selbst eine über das Ereignis hinaus weisende theologische Bedeutung, durch die die Geschichten für die Gegenwart von hoher Relevanz sind. 100/100/0 Sowohl die historische als auch die rationalistische Dimension besonders hoch zu werten, ergibt Folgendes: –  Die Wundererzählungen – bzw. die Kernstücke der unterschiedlichen Überlieferungen – berichten über historische Ereignisse im Leben Jesu. –  Alle diese Ereignisse lassen sich rational unter Berücksichtigung moderner naturwissenschaftlicher, medizinischer und psychologischer Erkenntnisse erklären. –  Die Erzählungen selbst haben keine darüber hinausgehende Bedeutung. In diesem Überblick habe ich über alle Wundererzählungen pauschal gesprochen. Selbstverständlich wäre es darüber hinaus nötig, auch die unterschiedlichen Wunderhandlungen  – Heilungen und Totenerweckungen, Exorzismen, Speise‑ und Naturwunder – noch einmal differenziert zu betrachten. Das wird, wie wir gleich sehen werden, auch immer wieder vorgenommen. Die Auswahl

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der im Folgenden referierten Autoren ist völlig subjektiv, erhebt weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch darauf, den gegenwärtigen Forschungsstand zu repräsentieren. Noch eine weitere Ergänzung ist notwendig: Autoren und Autorinnen, die sich einem der drei Faktoren (oder mehreren) prinzipiell nicht anschließen wollen, also diese Frage grundsätzlich verweigern oder gar für sinnlos halten, werden mit einem X versehen. Das ist zwar graphisch einer 0 gleich, soll aber die Verweigerungshaltung deutlich machen.

3. Positionen der Third Quest zur Frage der Wunderhandlungen Jesu Geza Vermes (80-0-0) Bei Geza Vermes (1924–2013) handelt es sich um einen der bestimmenden Erforscher des Historischen Jesus am Beginn der Third Quest, dessen Arbeiten bis heute von größtem Einfluss sind.17 Die religiöse Biographie von Vermes war von Brüchen geprägt: Als ungarischer Jude wurde er mit sechs Jahren getauft, um als junger Erwachsener u. a. in Leuven Katholische Theologie zu studieren und in Frankreich Priester zu werden. 1958 verließ er das Priesteramt, heiratete und gab den christlichen Glauben auf. 1970 wurde er Mitglied in einer liberalen Synagoge. 1973 publizierte Vermes Jesus the Jew. A Historian’s Reading of the Gospels, das 1993 auf Deutsch erschien.18 Darüber hinaus sind neben zahlreichen Aufsätzen die Bücher The Changing Faces of Jesus19 und Jesus in the Jewish World20 zu nennen. Inhaltlich geht es Vermes dabei jeweils darum zu zeigen, dass Jesus von Nazareth ganz innerhalb des zeitgenössischen Judentums Galiläas zu verstehen sei. Im Blick auf die Wundererzählungen wird das besonders ausführlich dargestellt. Hauptreferenz für Vermes sind sogenannte „men of God“ bzw. Hasidim, „charismatics“ oder auch „holy men“. Diese betätigten sich als Heiler und Exorzisten und waren durchaus verbreitet.21 Die biblischen Propheten Elia und Elischa, aber auch Abraham (1QapGen), Mose (Artapanus), David (11Q 5) gaben ihnen die entsprechende Orientierung für ihr Wirken. Mit Jesus etwa zeitgleiche Gestalten waren Honi, der Kreiszieher, und Hanina ben Dosa. Auch wenn Vermes völlig bewusst ist, dass viele der Quellen für diese beiden Charismatiker aus deutlich 17 Zu nennen wäre v. a. auch der geborene Wiener David Flusser, der schon vor Vermes Jesus im Zusammenhang jüdischer Wundertäter deutete: D. Flusser, Jesus in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1968, S. 99–102. 18 G. Vermes, Jesus der Jude. Ein Historiker liest die Evangelien, Neukirchen-Vluyn 1993. 19 ders., The Changing Faces of Jesus, London 2001. 20 ders., Jesus in the Jewish World, London 2010. 21 ders., Faces, S. 237: „regular features of the religious landscape“.

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späterer Zeit stammen, ließe sich seiner Meinung nach doch so etwas wie ein historischer Kern rekonstruieren, eine Typologie, die sich durch alle Zeiten hindurchzieht22 (238)23. Als Kennzeichen dieser Hasidim hält Vermes insgesamt fest, dass sie 1) in Armut lebten, 2) auf das Gebet vertrauten, 3) es regnen ließen, 4) Heilungen bewirkten und 5) Geister beherrschten. Jesus von Nazareth sei als Heiler und Exorzist „perfectly at home in Hasidic company“ (251), auch wenn er einen anderen modus operandi hatte: So findet sich eigentlich nie das Gebet als Mittel zur Heilung (vgl. aber Q 11,9), Jesus heilte vielmehr durch Berührung. Doch auch für Jesus war Elia ein Vorbild als „miracle-working charismatic“ (251). Einzelheiten wie die Unempfindlichkeit gegen Schlangenbisse (Lk 10,19; vgl. tBer 3,20) oder die Erlaubnis an Dämonen, bestimmte Handlungen durchzuführen (Mk 5,12 f.; bPes 112b), hält Vermes ebenfalls für auffällig. Zugleich betont er auch die Unterschiede, die Vermes u. a. darin sieht, dass Jesus sehr viel aktiver war: Jesus war der Star unter den Hasidim, die anderen vergleichsweise marginale Akteure. Vermes betont auch die Botschaft Jesu, u. a. die Verknüpfung mit der Basileia-Verkündigung.24 Weitergehende, christologische Bedeutung gewinnt die Wundertätigkeit Jesu für Vermes selbstverständlich nicht. Als Hasid bleibt Jesus einer unter den Hasidim. Hinsichtlich der Historizität der Wundererzählungen hat Vermes kaum kritische Einwände. Lediglich bei einigen Naturwundern wie dem Seewandel rechnet er mit sekundären Zuwächsen.25 So wird man nicht fehlgehen, ihm etwa 80 Punkte in dieser Hinsicht zu geben. Die Wunderhandlungen anderer Hasidim werden von Vermes ja auch für historisch gehalten. Hinsichtlich der Frage einer rationalen Erklärung ist Vermes sehr zurückhaltend. In einer kleinen Bemerkung zu Exorzismen referiert er eine Ansicht eines Psychiaters, aber dabei bleibt es 22 Kritisch dazu M. Becker, Wunder und Wundertäter im frührabbinischen Judentum. Studien zum Phänomen und seiner Überlieferung im Horizont von Magie und Dämonismus, Tübingen 2002, S. 404. S. 435, der eine Zugehörigkeit von Honi und Hanina zur Bewegung der Hasidim für eine spätere Konstruktion hält. Den Vergleich Jesu mit diesen beiden Wundertätern hält er aber dennoch für sinnvoll (a. a. O., S. 417–442). Einen Überblick über jüdische Wunderüberlieferungen bietet E. Eve, The Jewish Context of Jesus’ Miracles, London/New York 2002. Zu Honi und Hanina hält Eve fest, dass sich nicht mehr zeige als dass die Verbindung von Wundertätigkeit und Prophetie im Judentum verbreitet war (a. a. O., S. 295). Jesus sei eher mit den Zeichenpropheten zu vergleichen, die in den Jahrzehnten vor dem Judäischen Aufstand auftraten (a. a. O., S. 385). Er sei als „bearer of numinous power“ (Träger numinoser Macht) aufgetreten (a. a. O., S. 386). Mit diesem Modell arbeitete u. a. schon W. Kahl, New Testament Miracle Stories in Their Religious-Historical Setting. A Religionsgeschichtliche Comparison from a Structural Perspective, Göttingen 1994, S. 236; ders., New Testament Healing Narratives and the Category of Numinous Power, in: Miracles Revisited. New Testament Miracle Stories and Their Concepts of Reality, hrsg. v. S. Alkier/A. Weissenrieder, Berlin/New York 2013, S. 337–349. 23 Zahlen in Klammern bezeichnen hier und im Folgenden die Seitenzahlen des zuvor genannten Werks. 24 Vgl. dazu Vermes, Jesus der Jude, S. 232–251. 25 A. a. O., S. 12.

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dann auch.26 Äußerungen dazu, was Wunder eigentlich sein sollen, fehlen ebenso, da das Thema, wie denn diese Handlungen zu erklären seien, für ihn offenbar ohne besondere Relevanz ist. Eine 0 halte ich daher für angemessen. Und ebenso unbedeutend ist die theologische Bedeutung der Wundererzählungen – es liest eben ein Historiker die Evangelien, kein Theologe. Hier also ein 0-Wert. John Dominic Crossan (10-100-100) Mit John Dominic Crossan (geb. 1934) haben wir einen katholischen Neutestamentler vor uns, der bis 1968 auch Priester war. Er war Professor an der DePaul University in Chicago und Co-Chair des Jesus Seminars, dessen Arbeit im Folgenden auch im Blick ist. Crossans Buch The Historical Jesus. The Life of a Mediterranean Jewish Peasant27 war eines der einflussreichsten und zugleich umstrittensten Bücher innerhalb der Third Quest. Kennzeichen seines Ansatzes sind die Verwendung kulturanthropologischer Modelle für die Deutung Jesu, die entschiedene Verortung Jesu innerhalb des zeitgenössischen Judentums Palästinas, eine spezifische Rekonstruktion der Evangelienüberlieferung mit einem hohen Stellenwert apokrypher Texte sowie eine Berücksichtigung des hellenistischen Kontextes. Während im Blick auf die Wundererzählungen letzteres keine Rolle spielt, sind die ersten drei Grundsätze für Crossans Deutung der Wunderüberlieferung von größerer Bedeutung. „In the beginning was the performance“, so setzt Crossan in der Einleitung („Overture. The Gospel of Jesus“) ein (xi) und zeigt damit an, dass Worte und Handlungen Jesu für ihn untrennbar miteinander verbunden sind. Jesus, der Exorzist und Magier, verkündigt den allen Menschen nahen Gott. Daraus soll eine Bewegung entstehen, in der die Prinzipien eines religiösen und ökonomischen Egalitarismus vorherrschen, „with free healing“ (xii). Das Wunderwirken Jesu ordnet Crossan in den Kontext thaumaturgischer Bewegungen ein, in denen sich Protest gegen religiöse und soziale Missstände als konstitutives Element findet (137 f.). Genauerhin sei Jesus als Magier zu verstehen, dessen Handeln sich außerhalb religiöser Institutionen und Rituale auf die eigenen individuellen Fähigkeiten gründet.28 Solche Gestalten findet Crossan 26 A. a. O., S. 9: „In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass ein Psychiater die Frage, ob die meisten Krankheiten, die im Neuen Testament exorziert oder geheilt wurden, als hysterische ausgemacht werden können, bedingt bejahte. Gerne würde er jedoch, so fuhr er fort, die Erfolgsrate der Behandlung und den Gesundheitszustand der Patienten danach erfahren […]“. 27 J. D.  Crossan, The Historical Jesus. The Life of a Mediterranean Jewish Peasant, New York 1991; Deutsch: Der historische Jesus, München 21995. Die folgenden Angaben richten sich nach der englischen Version. 28 Crossan lehnt die Bezeichnungen „holy man“ und „charismatic“, die Vermes verwendet, nicht ausdrücklich ab, hält „magician“ aber für neutraler; Crossan, Historical Jesus, S. 138.

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vor allem im Judentum, auf pagane Heiler geht er nicht ausführlich ein. Er setzt bei Elia und Elischa ein: Sie repräsentieren eine Kombination aus Prophetie und Magie, die für Jesus zum Vorbild wurde (138–141). Noch ausführlicher werden Honi der Kreiszieher (und seine Enkel) sowie Hanina ben Dosa diskutiert, wobei Crossan davon ausgeht, dass auch sie ländliche Magier waren, die erst im Zuge späterer Überlieferungen zu Rabbinen bzw. Hasidim umgestaltet wurden. Sie seien „lower-class protagonists in first-century Palestine“ gewesen (156), Wundertäter außerhalb der Normalität von Religion, verankert in Galiläa. Diese zwei (bzw. vier) Gestalten seien allerdings nur ein kleiner Teil jener Personen, denn „Jewish magic and miracle working were widespread on the popular and oral levels among the lower class“ (157). Jesus gehöre mitten unter diese Schar von zumeist unbekannten Magiern. Selbst wenn Wunder nur in zwei der von ihm rekonstruierten Überlieferungsschichten belegt sind (allerdings den ältesten), zweifelt Crossan doch nicht daran, dass Jesus solche vollbracht habe. Zwar seien viele Wundererzählungen auch im Laufe der Zeit erst nachträglich entstanden, einige historische Begebenheiten wären aber Auslöser für diese Neubildungen gewesen. Folgende Wundererzählungen schätzt Crossan als sicherlich historisch ein: Die Beelzebul-Kontroverse (Q 11,14 f.; Mk 3,22–26), die Heilung eines Aussätzigen (Mk 1,40–45 par)29, die Heilung eines Blinden (Joh 9,1–7; Mk 8,22–26) und die Heilung eines Gelähmten (Joh 5,1–9a.14; Mk 2,1–12 par). Deutlich wird an dieser kurzen Liste, wie hoch Crossan den historischen Wert voneinander unabhängiger Überlieferungen, auch aus nicht-kanonischen Texten, einschätzt, die ihn zu durchaus ungewöhnlichen Schlüssen führen. Das „event“, von dem er ausgeht, ist dann jeweils ein Kern der vorliegenden Texte. Unter der Überschrift „Process to Event“ qualifiziert Crossan hingegen jene Texte als nachjesuanisch, in denen ein größeres sozioreligiöses Phänomen durch eine Geschichte symbolisiert wurde. Das gelte etwa bei der Fernheilung in Kapharnaum (Q 7,1–10; Joh 4,46–54) oder der Totenerweckung im „Geheimen Markusevangelium“ bzw. Joh 11.30 Die Ergebnisse des Jesus Seminars, das Crossan zum Teil leitete, in dem über die Jahre hinweg etwa 200 Exegeten und Exegetinnen mithilfe von demokra29 Crossan hält die Version in P. Egerton 2 für ein unabhängiges Zeugnis dieser Heilungsgeschichte (a. a. O., S. 321). Zu Diskussion und Text vgl. S. E.  Porter, Der Papyrus Egerton 2 (P.Egerton 2/P. Lond. Christ 1), in: Antike Christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung 1/1, hrsg. v. C. Markschies/J. Schröter, Tübingen 2012, S. 361–365. 30 Crossan, Historical Jesus, S. 326–332. Wie umstritten die Authentizität des Geheimen Markusevangeliums ist, zeigt H. Merkel, Das geheime Markusevangelium, in: Antike Christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung 1/1, hrsg. v. C. Markschies/J. Schröter, Tübingen 2012, S. 390–399. Bei der Frage nach der Authentizität dieses Textes scheint es sich tatsächlich um eine Art „Glaubenskrieg“ zu handeln, der eng mit persönlichen Anliegen verbunden ist. Informativ ist hier ausnahmsweise auch der entsprechende Eintrag in Wikipedia, https://en.wikipedia.org/wiki/Secret_Gospel_of_Mark (21. 9. 2018), der die Debatte gut widerspiegelt.

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tischen Prozessen über die Historizität von Jesusüberlieferungen entschieden, sind etwas weitergehender: Vier Exorzismen bzw. entsprechende Wortüberlieferungen31 sowie sechs Heilungsgeschichten werden als historisch eingeschätzt.32 Crossan ist also deutlich skeptischer als das Jesus Seminar, wobei allerdings hinzukommt, dass er die eigentlichen Ereignisse nicht rekonstruiert. Seine Erläuterungen zu den „historischen“ Wundererzählungen richten sich auf die verschiedenen Überlieferungsformen, nicht auf das, was tatsächlich geschehen sein mag. So gibt es für Crossans Ansatz nur 10 Punkte auf der Historizitätsskala. Zu rational-naturwissenschaftlichen Erklärungen findet sich im Historical Jesus relativ wenig, deutlicher wird Crossan aber in einer kürzeren Fassung des Buches33: Darin unterscheidet er zwischen Krankheit („disease“) und Leiden („illness“).34 Ersteres meint die Störung biologischer oder psychologischer Prozesse, letzteres die psychosoziale Erfahrung und Bedeutung der Krankheit. Jesus, so Crossan, heilte keine Krankheiten und konnte das auch nicht, aber er heilte die sozialen Folgen der Krankheiten, weil er deren Auswirkungen – Ausgrenzung und Verurteilung – aufhob.35 So zwang Jesus seine Zuhörer und Zuhörerinnen, entweder ihn als Verkündiger der Gottesnähe abzulehnen oder den Erkrankten wieder in ihre Mitte zu nehmen. Nur diese Art von Heilung konnte Jesus bewirken. Physische Leiden zu kurieren bleibt nach Crossan selbstverständlich Medizinern vorbehalten. Im Blick auf Exorzismen geht Crossan auf die Situation der Besatzung durch die römische Staatsmacht ein, die als Besessenheit interpretiert wurde.36 Wenn er also Jesus als Heiler und Exorzisten bzw. Magier bezeichnet, dann bewirkte dieser „soziale“ Wunder, keine medizinischen. Auf der Rationalisierungsskala macht das 100 Punkte. Man darf annehmen, dass auch die angeführten Handlungen anderer jüdischer Wundertäter von ihm nicht anders verstanden werden. Die Deutung der Wunderhandlungen Jesu im Rahmen antiker Thaumaturgie bzw. Magie nimmt diesen damit selbstverständlich jede 31 Eine Dämonenaustreibung (Mk 1,23–27 par), die Beelzebul-Kontroverse (Q 11,14 f.; Mk 3,22–26), einige Worte über Dämonen (Joh 10,20; Q 11,20; Mk 3,27 par; Lk 10,18; 12,49) und der Exorzismus bei der Tochter einer Syro-Phönizierin (Mk 7,24–30 par). 32  Die Schwiegermutter des Petrus (Mk 1,29–31 par), die Heilung eines Aussätzigen (Mk 1,40–42 par), die Heilung des Gelähmten von Kapharnaum (Mk 2,1–5a.11 f. par), die Heilung der blutflüssigen Frau (Mk 5,24 f.27.29 par), die Heilung des Blinden am Teich Bethesda (Mk 8,22–25; Joh 9,1.5–7) und des blinden Bartimäus (Mk 10,46–52 par). 33 J. D.  Crossan, Jesus. A Revolutionary Biography, New York 1994; Deutsch (wird im Folgenden verwendet): Jesus. Ein revolutionäres Leben, München 1996. Vgl. zu dem Folgenden auch P. F.  Craffert, Crossan’s Historical Jesus as Healer, Exorcist and Miracle Worker, in: Religion and Theology 10 (2003), S. 243–266. 34 Crossan nimmt damit kulturanthropologische Untersuchungen auf; vgl. Crossan, Ein revolutionäres Leben, S. 111 f. 35 A. a. O., S. 113: „Ich nehme an, daß Jesus, der wieder diese noch sonst eine Krankheit heilen konnte, das Leiden des armen Aussätzigen heilte, indem er sich weigerte, die rituelle Unreinheit und soziale Ächtung der Krankheit hinzunehmen.“ 36 Die Geschichte vom Gerasener (Mk 5) ist hier die Leitlinie (a. a. O., S. 121–124), obwohl Crossan sie nicht für historisch hält (Crossan, Historical Jesus, S. 314).

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christologische Relevanz. Der historische Jesus, von Crossan als bäuerlicher, jüdischer Kyniker gedeutet, gab sich ja selbst – im Gegensatz zu seiner Botschaft vom nahe gekommenen Gott  – grundsätzlich keine Relevanz. Er verkündete geradezu programmatisch, dass das Reich Gottes keinen Mittler benötigt. Im Blick auf die literarische Gestalt der Wundererzählungen sind für Crossans Ansatz 100 Punkte zu vergeben. Für keine der nur sehr wenigen Wundererzählungen, deren Kern nach Crossan historisch war, wird dieser Kern auch tatsächlich beschrieben. Er bleibt stets auf der Ebene der Erzählungen in den Evangelien bzw. außerkanonischen Texten. Zudem seien die meisten dieser Erzählungen ohnehin geschrieben, um symbolisch die Bedeutung Jesu im Christentum festzuhalten. In dieser Hinsicht seien sie tatsächlich hoch bedeutsam, historisch zutreffend seien die einzelnen Erzählungen aber nicht. John Paul Meier (65-X-100) John Paul Meier, katholischer Neutestamentler an der University of Notre Dame (geb. 1942), beginnt in seinem sechsbändigen Werk A Marginal Jew. Rethinking the Historical Jesus mit einem interessanten Gedankenexperiment. Er imaginiert eine Gruppe von Forschern, bestehend aus einem Protestanten, einem Katholiken, einem Juden und einem Agnostiker, die dazu verdammt werden, zu allen Fragen zum historischen Jesus einen Konsens herzustellen, unabhängig von ihrer religiösen Überzeugung. Diese Gruppe stellt er sich auch als Diskutanten zur Frage nach den Wundern Jesu vor.37 Meier definiert ein Wunder mittels dreier Kennzeichen: 1) Es handelt sich um ein außergewöhnliches Ereignis, das prinzipiell beobachtbar ist; 2) Das Ereignis lässt sich nicht durch menschliches Handeln oder die Wirkung einer innerweltlichen Kraft erklären; 3) Es ist eine Tat Gottes.38 Meier sieht das dritte Element als „nub of the whole problem“ (II 513) an, denn ein Historiker/eine Historikerin kann zwar möglicherweise nachweisen, dass für ein Wunder doch eine innerweltliche Ursache vorliegt, keinesfalls aber positiv aussagen, dass hier ein Wirken Gottes vorliegt. Das würde seine oder ihre Fähigkeit („capacity“) überschreiten, denn solche Aussagen gehören in den Bereich der Theologie (II 514). Historisch ließe sich zwar festmachen, dass Menschen ein Geschehen als Wunder verstanden, nicht aber, ob es ein Wunder war. Dies gilt, so Meier, allerdings auch für Historiker und Historikerinnen, die nicht an Christus glauben, und urteilen, dass es kein Wunder sein kann: 37 Vgl.

Meier, Marginal Jew 2, S. 509–511. S. 512: „A miracle is (1) an unusual, startling, or extraordinary event that is in principle perceivable by any interested and fair-minded observer, (2) an event that finds no reasonable explanation in human abilities or in other known forces that operate in our world of time and space, and (3) an event that is the result of a special act of God, doing what no human power can do.“ 38 A. a. O.,

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„The atheist’s judgement may be as firm and sincere as the believer’s; it is also just as much a philosophical or theological judgement, determined by a particular worldview, and not a judgement that arises simply, solely, and necessarily out of an examination of the evidence of this particular case“ (II 514).

Meiers eigene Wirklichkeitskonstruktion orientiert sich u. a. daran, dass auch das mechanische Weltbild der Aufklärung und Neuzeit durch die Heisenbergsche Unschärferelation und die Quantenmechanik überholt wurde, was zeige, dass auch rationalistische Weltbilder wandelbar wären. Zugleich verweist Meier darauf, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen daran glaubt, dass Wunder geschehen.39 Der Glaube an Wunder und moderner Lebensstil seien also, anders als nach der Ansicht Bultmanns, vereinbar.40 Zur Frage der Wunderüberlieferung hält Meier zusammenfassend fest: „[T]he tradition of Jesus’ miracles is more firmly supported by the criteria of historicity than are a number of well-known and often readily accepted traditions about his life and ministry. […] [I]f the miracle tradition from Jesus’ public ministry were to be rejected in toto as unhistorical, so should every other Gospel tradition about him“ (II 630).

Wer das nicht akzeptiere, könne die Frage nach dem Historischen Jesus gleich aufgeben oder mache aus dem „strange and complex Jew“ einen „domesticated Jesus“ (II 970). Nach meinem Schema erhält Meier allerdings nicht 100 Punkte für Historizität, da er bei weitem nicht alle Wundererzählungen für Berichte über historische Ereignisse hält.41 Der Frage nach einer rationalen Erklärung der Wunder entzieht er sich, weil er sie für eine theologische, nicht für eine historische Frage hält. Das würde also für den Historiker Meier ein X bedeuten.42 Auch wenn Meier selbstverständlich der Ansicht ist, dass Jesus eine einzigartige Gestalt war, freilich nicht allein durch seine Wundertätigkeit, sondern durch sein gesamtes Wirken, verweigert er sich konsequent einer christologischen Applikation.

39 A. a. O., S. 520 verweist auf eine Gallup-Umfrage aus dem Jahr 1989 in den USA, wonach 82 % der Befragten glauben, dass Gott auch heute noch Wunder vollbringt. 40 Meier reagiert damit auf Bultmanns berühmte Formulierung: „Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister‑ und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu können, muß sich klar machen, daß er, wenn er das für die Haltung christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht“; R. Bultmann, Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung, München 21985 (1941), S. 16. 41 Einen Überblick dazu bietet er nach der ausführlichen Erörterung jeder einzelnen Wundererzählung: Meier, Marginal Jew 2, S. 969 f. 42 Als Theologe vertritt Meier sehr wahrscheinlich die Position, dass Jesus tatsächlich Wunder getan hat; vgl. www.franciscanmedia.org/finding-the-historical-jesus-an-interview-withjohn-p-meier/ (6. 2. 2019).

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Im Blick auf die Bedeutung der Erzählungen selbst (Literarität) geht Meier nicht grundsätzlich darauf ein, er tut dies jeweils zu den einzelnen Geschichten. So hält er etwa für die seiner Ansicht nach nicht historische Geschichte von der Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12–14.20 f.) fest: Diese sei durch Markus zu einer dogmatischen Geschichte gestaltet worden, „[i]t is a theologoumenon, a theological idea of affirmation put into the form of an apparently historical narrative“ (II 895). Das gilt aber auch für als historisch eingeschätzte Erzählungen, wie jene über die Heilung des blinden Bartimäus (Mk 10,46–52), deren theologische Einbettung in das Markusevangelium breit diskutiert wird (II 686 f.). Insofern ist auch für die Literarität ein hoher Wert zu veranschlagen. Im Ergebnis gibt das 65 Punkte für Historizität (nicht alle Geschichten sind historisch), ein X für Rationalität (wegen der Verweigerung) und 100 für Literarität (alle Geschichten haben eine über das Ereignis hinausgehende Bedeutung). Ruben Zimmermann (X-X-100) Der Mainzer evangelische Theologe Ruben Zimmermann (geb. 1968) hat sich u. a. durch die Herausgabe des Kompendiums frühchristlicher Wundererzählungen hervorgetan, zu dem er einen einleitenden Beitrag verfasste.43 Zimmermann summiert rückblickend die Strategien im Umgang mit Wundererzählungen in dreifacher Weise: (1) die Strategie der „historischen Anpassung“ (7 f.), also die Einordnung der Wundererzählungen in das antike Umfeld; (2) die Strategie der „rationalistischen Erklärung“ (8 f.), also innerhalb des neuzeitlichen Weltbildes; und (3) die Deutung durch „Übertragung des Bildhaften“ (9–12), also die Suche nach theologischen Aussagen hinter den Erzählungen. Zimmermanns „Neuansatz“ (12) verweigert sich der historischen Frage vollständig. Seiner Ansicht nach wollen die Wundererzählungen zwar historische Erzählungen sein, die zum Ausdruck bringen wollen, „dass die Ereignisse, von denen sie erzählen, auch stattgefunden haben“ (32), doch sei der Versuch, diese „Faktenreferenz“ (33) herzustellen, zum Scheitern verurteilt. Geschichts‑ bzw. erkenntnistheoretisch seien historische Ereignisse nicht präzise zu bestimmen, sodass die Frage, ob Jesus Wunder getan hat, nicht zu beantworten sei. Die 43 Zimmermann, Frühchristliche Wundererzählungen, S. 5–49; vgl. auch ders., Von der Wut des Wunderverstehens. Grenzen und Chancen einer Hermeneutik der Wundererzählungen, in: Hermeneutik der frühchristlichen Wundererzählungen. Geschichtliche, literarische und rezeptionsorientierte Perspektiven, hrsg. v. B. Kollmann/R. Zimmermann, Tübingen 2014, S. 27–52; ders., Gattung „Wundererzählung“. Eine literaturwissenschaftliche Fiktion, in: Hermeneutik der frühchristlichen Wundererzählungen. Geschichtliche, literarische und rezeptionsorientierte Perspektiven, hrsg. v. B. Kollmann/R. Zimmermann, Tübingen 2014, S. 311–343; ders., Phantastische Tatsachenberichte?! Wundererzählungen im Spannungsfeld zwischen Historiographie und Phantastik, in: Hermeneutik der frühchristlichen Wundererzählungen. Geschichtliche, literarische und rezeptionsorientierte Perspektiven, hrsg. v. B. Kollmann/R. Zimmermann, Tübingen 2014, S. 469–494.

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„positivistisch gestellte Historizitätsfrage“ (40) sei darüber hinaus auch theologisch verwerflich, weil sie an die Stelle der Schrift die rekonstruierte Geschichte stelle. Relevant seien ausschließlich die Erzählungen, die Zimmermann als „faktuale Erzählungen“ definiert (39). „Sie sollen irritieren und provozieren und damit zu Erkenntnissen und zum Handeln anstiften“ (45). Damit verfolgen sie das Ziel, „den Rezipienten zu einer ‚Erkenntnis über Gottes Wirklichkeit‘ zu bringen“ (48). Wer sie verstehen wolle, nehme den Wundererzählungen das Wunderhafte, was sich deutlich gegen jedwede Rationalisierung richtet.44 Vor dem Hintergrund unseres Schemas ist also für die Frage der Historizität bei Zimmermann ein X zu veranschlagen, da sie für ihn nicht relevant ist. Auch auf der Achse der Rationalität ist er bei X anzusiedeln, da er diesen Versuch ebenfalls nicht für sinnvoll hält, auf jener der Literarität hingegen auf 100. Christologische Überlegungen basieren bei Zimmermann daher auch nicht auf historischen Rekonstruktionen, vielmehr propagiert er eine metaphorische Christologie als notwendige Ergänzung und Korrektur historischer oder traditionsgeschichtlicher Ansätze.45 Craig S. Keener (100-0-0) Eine Publikation ganz anderer Sorte, in der die Frage nach den Wundererzählungen Jesu mehr im Hintergrund steht, ist Craig S. Keeners zweibändiges Werk Miracles. The Credibility of The New Testament Accounts aus dem Jahr 2011.46 Keener war u. a. Pastor an der Enon Tabernacle Baptist Church und ist derzeit – wie auch Ben Witherington III – am Asbury Theological Seminary tätig, einer evangelikalen Ausbildungsstätte in Kentucky. Man kann ihn als einen der aktivsten evangelikalen Neutestamentler in den USA bezeichnen. Keener, der immer wieder anführt, vom Atheisten zum Christen bekehrt worden zu sein, geht es um zwei Dinge: Zum einen will er nachweisen, dass die Berichte über Wunder aus den Evangelien und der Apostelgeschichte als Berichte von Augenzeugen verständlich sind. Zum anderen will er die aufgeklärte Perspektive, wonach es keine 44 Kritisch zu der Unterscheidung von faktual und fiktional äußerst sich u. a. M. Ebner, Die Exorzismen Jesu als Testfall für die historische Rückfrage. Die Herausforderung des linguistic turn als Chance für die exegetische Wissenschaft, in: Jesus – Gestalt und Gestaltungen, hrsg. v. D. G. Horrell/M. Küchler/P. v. Gemünden, Göttingen 2013, S. 477–498, hier: S. 489–495. 45 Vgl. R. Zimmermann, Paradigmen einer metaphorischen Christologie. Eine Leseanleitung, in: Metaphorik und Christologie, hrsg. v. J. Frey/J. Rohls/R. Zimmermann, Berlin/New York 2003, S. 1–34. 46 C. S.  Keener, Miracles. The Credibility of the New Testament Accounts, Grand Rapids 2011. Für eine Übersicht zu nicht-christlichen Wundererzählungen vgl. Woodward, Book of Miracles. Keener, Miracles 1, S. 242–249 geht nur knapp auf außerchristliche Wundererzählungen ein, qualifiziert diese aber auch nicht als gänzlich unhistorisch ab.

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Wunder gebe, als westliche Ideologie einer Minderheit entlarven, die nicht länger die intellektuelle Oberhand über andere Weltsichten behalten dürfe. Beides will Keener nicht nur durch Argumentation zeigen, die sich im Wesentlichen anhand der üblichen Leitlinien bewegt, sondern vor allem durch eine Sammlung von zahlreichen Wundererzählungen aus allen Teilen der Welt. Im Gegensatz zu Bultmanns Aussage, wonach die Benützung von elektrischem Licht und medizinischer Hilfe nicht mit einem Wunderglauben vereinbar sei, betont Keener genau das Gegenteil: Für die überwiegende Mehrzahl der Menschen sei dies sehr wohl vereinbar. Eine ausführliche Beschreibung von Wundern aus allen Teilen der Welt, die laut Keener auf Augenzeugenberichten basiert, soll erweisen, dass die Wundererzählungen der Evangelien und der Apostelgeschichte höchstwahrscheinlich ebenfalls auf Augenzeugen zurückgehen. Wunder können als Wunder beobachtet, festgehalten und erzählt werden, sodass Keener immer wieder betont: Jesus tat Wunder, es handelt sich um historische Ereignisse, die Berichte gehen auf Augenzeugen zurück. Keener bestreitet nicht, dass sowohl in der Antike wie auch durch die Geschichte und in der Gegenwart Menschen Wunder vollbringen, auch Menschen, die nicht an Jesus glauben. Heilungen an einem Asklepeion wie Wunder durch Honi den Kreiszieher oder Chanina ben Dosa werden von ihm nicht bestritten, wenngleich er auch die Besonderheit der Jesuanischen Wunder und jener der Jesusbewegung festhält: Sie geschehen durch eine reale Gestalt (nicht durch eine unsichtbare Gottheit), sie geschehen nicht durch Gebet (wie bei Honi und Hanina), sie werden auf Jesus Christus selbst zurückgeführt.47 Angesichts der vielfältigen, seiner Meinung nach uneingeschränkt vertrauenswürdigen Wunderberichte, deren Erzähler und Erzählerinnen Keener zum Teil selbst kennt, betont er, dass die Annahme, es habe sich um Wirkungen einer übermenschlichen Macht gehandelt, kaum bestritten werden kann. Zwar handle es sich dabei nicht um eine historische Rekonstruktion, sondern um eine philosophische Position, sie sei aber völlig legitim, ja sie sei auch der Sache deutlich angemessener als der Skeptizismus von Aufklärung und Rationalismus. Da das Analogieprinzip es angesichts der zahlreichen Wunder der jüngeren Vergangenheit wahrscheinlicher mache, dass es solche Wunder auch in der Antike und auch im Wirken Jesu gegeben habe, lasse sich die Bestreitung von Heilungen und selbst von Naturwundern nicht mehr halten. Wer die Menschen der Antike ebenso wie jene der Gegenwart, die aus verschiedensten Kulturen kommen, weiterhin als naiv oder leichtgläubig aburteile, mache sich eines „ethnocentric elitism“ (II 762) schuldig. Die intellektuelle Redlichkeit verlange, zumindest die Möglichkeit offen zu halten, dass andere als natürliche Erklärungen für Heilungen etc. 47 Keener, Miracles 1, S. 64 verweist auf Apg 9,34, wo Petrus im Zusammenhang einer Heilungsgeschichte formuliert: „Jesus Christus heilt dich!“ Der Vf. der Apostelgeschichte bringt damit einen Grundzug fast aller Wundererzählungen auf den Punkt: Jesus ruft nicht Gott um Hilfe an, sondern heilt aus eigener Vollmacht, u.U. sogar ohne es zu merken.

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möglich sind, nach Keeners Ansicht sogar wahrscheinlicher (II 762 f.). Dementsprechend sei es auch nicht mehr haltbar, Forscher und Forscherinnen zum frühen Christentum, für die die Wunder Jesu und der Apostel auf göttliches Wirken zurückgehen, im akademischen Diskurs zu diskreditieren. Auf meiner Skala ist Keeners Position, was die Historizität der Wunder angeht, also auf 100 anzusetzen.48 Die Augenzeugenberichte sind nach seiner Deutung zuverlässig, die Erfindung von Wundergeschichten erst ein Phänomen späterer Jahrhunderte. Gerade die zeitliche Nähe des Markusevangeliums (nach Keener um 65 CE), dessen Verfasser noch Augenzeugen kannte, mache es sehr unwahrscheinlich, dass die zahlreichen Wundererzählungen nachträglich erdacht wurden. Solche Berichte seien ja auch nicht grundsätzlich immer erfunden, sondern vielmehr – das zeige das Vergleichsmaterial – zuverlässig. Die Wechselwirkung mit der Entwicklung der Christologie sei überdies nicht so, wie Bultmann u. a. meinten, dass der Christusglaube Wunderberichte erzeugt habe, sondern gerade umgekehrt: Die Christologie sei – neben anderem – eine Folge der Wunderberichte (I 26 f.). Hingegen ist in punkto Rationalität der Wert selbstverständlich 0, wobei Keener vielleicht ergänzen würde: Das gilt nur, wenn man von westlicher Aufklärungsrationalität ausginge, nicht von einer anderen Form von Rationalität, die mit außermenschlichem (göttlichem) Handeln rechnet. Die Literarität schließlich ist für Keener von sekundärer Bedeutung (0). Zwar meint auch er, dass die Evangelisten jeweils individuell mit den Wundererzählungen theologische Motive verbunden haben, ihre besondere Bedeutung haben diese Erzählungen allerdings nicht darin. Sie sind vielmehr Erweise der Identität Jesu als eschatologischer Prophet49, die in weiterer Folge und bis heute als Vorbilder für Wunderhandlungen gelten. Gerd Theißen (60-100-100) Seit seiner Habilitationsschrift zu urchristlichen Wundergeschichten (1972), die noch von der Bultmannschen Formgeschichte geprägt war, aber auch schon Weiterentwicklungen vornahm50, hat sich der Heidelberger Neutestamentler Gerd Theißen (geb. 1943) immer wieder mit dem historischen Jesus befasst. Sein 48 Ich habe keinen Ansatz bei Keener gefunden, wonach einzelne Wunder möglicherweise nicht historisch zuverlässig von Augenzeugen und ‑zeuginnen überliefert worden seien, auch nicht in seinem Jesusbuch: The Historical Jesus of the Gospels, Grand Rapids 2009. Allerdings gilt das nicht für alle Wundererzählungen gleichermaßen, sondern für den jeweiligen historischen Kern. 49 A. a. O., S. 238–255. 50 G. Theiẞen, Urchristliche Wundergeschichten. Ein Beitrag zur formgeschichtlichen Erforschung der synoptischen Evangelien, Gütersloh 61990.

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Lehrbuch Der historische Jesus51, in dem auch Annette Merz einige Teile verfasste, gehört derzeit zu den Standardwerken an deutschsprachigen Universitäten. Bereits die Überschrift des einschlägigen Kapitels (256–284) gibt zu erkennen, wie Theißen, auf den dieser Abschnitt maßgeblich zurückgeht, die Wunder versteht: „Jesus als Heiler. Die Wunder Jesu“. Theißen hält in der Frage der Historizität weder einen übertriebenen Skeptizismus noch eine naive Gläubigkeit für zielführend, sondern setzt auf einen differenzierten Ansatz. Formgeschichtliche Analyse und religionsgeschichtlicher Vergleich seien dabei besonders wichtig. Theißen unterscheidet  – wie schon in seiner Habilitationsschrift  – zwischen Exorzismen, Therapien, Normenwundern, Geschenkwundern, Rettungswundern und Epiphanien. Die ersten drei Kategorien ordnet er dem historischen Jesus zu, da sie als Nachwirkungen seines Handelns erhalten blieben, die letzten drei würden hingegen den Osterglauben voraussetzen. Naturwunder etc. würden „Jesus über alles Menschliche hinausgehende Fähigkeiten“ zuschreiben. Sie könnten auf banale Geschichten über Jesus zurückgehen, wären aber in „Geschichten von der Offenbarung eines übermenschlichen Wesens […] eingeschmolzen“ worden (269). Die Historizität der anderen Wundergeschichten – Heilungen und Exorzismen – wird dreifach begründet: Die Vielfalt der Zeugnisse, auch von ablehnenden Stimmen, die Aufnahmen in mehreren Traditionsschichten (von Q bis Joh) und die unterschiedlichen Formen und Gattungen (Summarien, Apophthegmen, Logien). Im Kontext antiker Wundertäter habe Jesus, den Theißen als jüdischen Charismatiker versteht, das Proprium gehabt, Heilungen und Exorzismen eine eschatologische Bedeutung zugesprochen zu haben. „In ihnen beginnt eine neue Welt“ (279). Die Wunder werden von Jesus selbst bewirkt, nicht von Gott, sodass man in ihm  – unter antiken Bedingungen  – „übermenschliche Wesen ahnen“ musste (280). Theißen geht – wie Keener – auf das Analogieprinzip ein und unterscheidet hier zwischen Naturwundern und Heilungswundern sowie Exorzismen. Während erstere analogielos sind („wir können sie uns nicht vorstellen“), gibt es für letztere „eine Fülle gut dokumentierter Analogien“ (280). Umstritten kann dann, sollte die Historizität wahrscheinlich sein, nur noch bleiben, ob sie religiös oder „naturalistisch“ zu deuten sind (280). Auf der Skala der Historizität würde Theißen etwa 60 Punkte bekommen, da er Heilungswunder und Exorzismen grundsätzlich für historisch hält, Naturwunder und ähnliches nicht.52

51 G. Theiẞen/A. Merz,

Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 42011. Miracles Revisited: A Short Theological and Historical Survey, in: Miracles Revisited: New Testament Miracle Stories and Their Concepts of Reality, hrsg. v. S. Alkier/A. Weissenrieder, Berlin/New York 2013, S. 315–335, hier: S. 324: „It is almost a distinguishing feature of rationalistic and crypto-rationalistic explanations of miracles that they only consider Jesus’ exorcisms and healing miracles to be historically ‚indisputable‘.“ 52 S. Alkier/D. M. Moffitt,

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Im Blick auf die Rationalität geht Theißen auf kulturspezifische Deutungen ein. So sei Krankheit nicht eine klar definierte Sache, sondern ein soziales Konstrukt. Hier bringt Theißen psychologische und psychosomatische Ansätze ins Spiel. Sie sollen erklären, dass die genannten Krankheiten nicht zu eng definiert werden dürfen (im Sinne somatisch eindeutiger Befunde), sondern offener verstanden werden müssen. Besessenheit von Dämonen ist Erklärung für „abweichende Verhaltensweisen“ (281), die gegenwärtig anders etikettiert werden (Psychosen etc.). Im Blick auf Jesus als Wundertäter ist aber für Theißen noch bedeutender, dass Jesus selbst nicht mit Gottes Eingreifen rechnete, sondern er selbst dies durch Gottes Kraft bewirkte. Es sei nicht supranaturalistisch, aber auch nicht naturalistisch zu denken, sondern schöpfungstheologisch: Wundercharisma ist ein in der Schöpfung angelegtes Phänomen, eine „spontan auftretende Macht“ (282). Sie ist ein Spielraum der Natur, der nicht naturgesetzlich determiniert ist (282). „Jesus besaß solche ‚paranormalen‘ Begabungen in außergewöhnlichem Maße“ (282). Welchen Wert sollte auf meiner Skala der Rationalität eine solche „paranormale“ Erklärung der Wunder bekommen? Ich vergebe 100 Punkte, denn im Eigentlichen rechnet Theißen mit einer Erklärung innerhalb der Naturgesetze, mit psychologischen Effekten, die Jesus auslösen konnte.53 Die Frage der Literarität ist schneller geklärt: Die Geschichten wurden durch ihre Gestaltung in den Evangelien symbolisch aufgeladen, wenngleich dies ihnen („oft unzulässig“) etwas von ihrer ursprünglichen sozialen, umstürzenden Kraft genommen hat (282). 80 Punkte sind aber auch hier angebracht. Pieter F. Craffert (100-100-0) Im Jahr 2008 verfasste der aus der Reformierten Tradition kommende Südafrikaner und Professor an der University of South Africa (Pretoria) Pieter Craffert ein Buch, in dem er versucht, dem historischen Jesus aus kulturanthropologischer Perspektive näher zu kommen.54 Craffert arbeitet dabei mit einer Perspektive, die in der sogenannten Context-Group entwickelt wurde, in der u. a. Bruce J. Malina und John H. Elliot prägend waren. Die Grundthese von Crafferts Buch wird durch den Titel schon verraten: Jesu Wirken sei durch das Modell eines Schamanen besser zu erklären als durch bisherige historisch-kritische Untersuchungen. Deren selbst gestellte Aufgabe, hinter den Erzählungen, die so nicht geschehen sein könnten, weil es diese Handlungen nicht gebe, einen 53 Ähnlich schon in seiner Arbeit zu den Wundergeschichte; vgl. dazu auch a. a. O., S. 323 f. Bereits E. Renan schrieb die Heilungen Jesu Sanftmut und Berührungen zu, die Exorzismen seinem milden Wort (Renan, Leben Jesu, S. 268. S. 271). 54 P. F.  Craffert, The Life of a Galilean Shaman. Jesus of Nazareth in AnthropologicalHistorical Perspective, Eugene 2008. Zur Forschungslage über Schamanismus in der Religionswissenschaft vgl. T. A.  DuBois, Trends in Contemporary Research on Shamanism, in: Numen 58 (2011), S. 100–128.

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authentischen Kern zu rekonstruieren, sei ein Irrweg. Zielführender sei es vielmehr, mittels eines anthropologischen Modells, das sich zeit‑ und kulturübergreifend rekonstruieren lässt, die Geschichten als Berichte ernst zu nehmen, die in ihrer Gesamtheit von dem Handeln eines Galiläischen Schamanen erzählen. Damit werde ein Paradigmenwechsel in der Jesusforschung eingeläutet.55 Was macht nun den Schamanen aus? Es sind vor allem veränderte Bewusstseinszustände (ASC-Altered State of Consciousness), die die Welt der Schamanen auszeichnen. Diese sind zwar kulturell unterschiedlich ausgeprägt, lassen sich doch aber zu einem Modell vereinheitlichen. Der Schamane erfüllt durch die kontrollierte Möglichkeit, veränderte Bewusstseinszustände zu erreichen, eine religiöse Funktion innerhalb der jeweiligen Gesellschaft. Essentielle Aufgaben des Schamanen in dieser Kultur seien Heilung und Kontrolle der Geister sowie Divination und Belehrung (159–163). Dabei ist es nicht allein die Person des Schamanen, sondern die gesamte Kultur des Schamanismus, die für das Verständnis entscheidend ist (156 f.). Schamanen gestalten innerhalb dieses Umfeldes das Weltverständnis entscheidend mit. Dabei geht Craffert auch ausführlicher auf das Judentum des 1. Jahrhunderts ein (185–196), allerdings ohne andere mögliche Schamanen des Judentums wie Honi oder Hanina oder solche der paganen Welt anzusprechen.56 Nach Craffert lassen sich nun zahlreiche Berichte über Jesu Wirken in den Kontext des Schamanismus einordnen und besser verstehen. Im Blick auf die Wundererzählungen hält er daher fest (307 f.): Jesus agierte als Heiler, Exorzist und Herrscher über die Geister. All dies tat er als Schamane („shamanic figure“). Damit schrieb er sich in ein System kultureller Ansichten und Dynamiken ein. Selbst wenn Jesus keine schamanische Gestalt war, waren die Evangelisten auf jeden Fall dieser Überzeugung. 55  Craffert, Galilean Shaman, S. 420; vgl. auch ders., Performing ‚The Duty of Discontent‘ in Dialogue with Christian Strecker. A Plea for Cross-Cultural Historical Jesus Research, in: Journal for the Study of the Historical Jesus 11 (2013), S. 281–299, hier: S. 289–292. Vor Craffert hat u. a. Eugen Drewermann Jesu Wunder vor dem Hintergrund des Schamanismus interpretiert; vgl. E. Drewermann, Tiefenpsychologie und Exegese, Bd. 2: Die Wahrheit der Werke und der Worte. Wunder, Vision, Weissagung, Apokalypse, Geschichte, Gleichnis, Olten 61990, S. 43–309. Drewermann sieht v. a. drei Punkte, die „durch einen Vergleich der biblischen Wundererzählungen mit den schamanistischen Heilverfahren“ erkannt werden können: 1) „die Faktizität des Heilungswunders“, 2) „die Notwendigkeit der ‚Körperlichkeit‘ des Glaubens“ und 3) den „Zusammenhang von Wunder und Sakrament“ (a. a. O., S. 123). Die Besonderheit Jesu liege darin, dass er nicht das Ritual, sondern seine Person in den Vordergrund gerückt habe (a. a. O., S. 137 f.). Zur Verbindung von Schamanismus, Magie und Jesu Wundertätigkeit vgl. B. Kollmann, Die Wunder Jesu im Licht von Magie und Schamanismus, in: Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen 1: Die Wunder Jesu, hrsg. v. R. Zimmermann, Gütersloh 2013, S. 124–139; C. Strecker, Jesus als Schamane? Anmerkungen zur kulturanthropologischen Jesusforschung, in: Jesus – Gestalt und Gestaltungen, hrsg. v. D. G.  Horrell/M. Küchler/P. v. Gemünden, Göttingen 2013, S. 537–568. 56 Vgl. auch C. Strecker, ‚The Duty of Discontent‘. Some Remarks on Pieter F. Craffert’s The Life of a Galilean Shaman. Jesus of Nazareth in Anthropological-Historical Perspective, in: Journal for the Study of the Historical Jesus 11 (2013), S. 251–280, hier: S. 273.

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Zur Erklärung des heilenden Wirkens Jesu orientiert sich Craffert freilich auch an einer rationalistischen Perspektive, da er meint, dass schamanistisches Wirken in dieser Hinsicht auf dem Placebo-Effekt beruht.57 Der Placebo-Effekt beruht vor allem auf dem Setting des Heilungshandelns, z. B. dem Aussehen von Tabletten, dem Ort, der Person und auch ritualisierten Handlungen. Sie alle provozieren eine Heilungserwartung bei den Patienten und Patientinnen, auf die diese positiv reagieren. Der Placebo-Effekt wirkt durch die Aktivierung von Selbstheilungskräften, die in jedem Menschen angelegt sind. So wird jemand auch nicht durch einen anderen geheilt, vielmehr ist der Heiler nur Teil des Heilungsprozesses. Allerdings wirkt der Placebo-Effekt nur bei solchen Erkrankungen, die sich als Beschwerden ohne physiologische Beweise zeigen, er funktioniert nicht bei Krebs oder Knochenbrüchen.58 Jesus habe als Schamane die Selbstheilungskräfte in den Menschen durch seine Handlungen und Worte aktiviert.59 Damit ließen sich, so Craffert, die Heilungserzählungen am besten verstehen. Die sogenannten Naturwunder hingegen beruhen auf Gruppenerfahrungen veränderter Bewusstseinszustände60, als solche über das Auffinden von Nahrung analog zu Jagdschamanen oder Erfahrungen der Beherrschung von Geistern.61 Auf meiner Skala erhält Craffert auf der Historizitätsachse 100 Punkte. Ebenfalls 100 bekommt er für Rationalität, für Literarität hingegen 0, denn theologische Bedeutung gewinnen die Erzählungen bei ihm keine.62 Eine weitere Bedeutung für die Christologie hat das Wirken des Schamanen Jesus konsequenterweise nicht. Rückblick Der kurze Überblick ergibt ein uneinheitliches Bild der gegenwärtigen Forschungslage. Da gibt es den Ansatz, die historische Rückfrage und damit auch die Frage, ob Jesus tatsächlich entsprechende Handlungen vollbrachte, völlig zu verweigern. Zugleich wird entgegengesetzt argumentiert, dass Jesus selbstverständlich jene Wunder tat, über die die Evangelien berichten. Es gibt einerseits Rationalisierungsversuche, die v. a. auf psychologische Phänomene verweisen, und andererseits die Behauptung, Jesus habe mit göttlicher Kraft die 57 Craffert, Galilean Shaman, S. 278–299; vgl. auch ders., The Placebo Phenomenon and Well-Being. Notes on the Healing Process as an Evolutionary Adaptive Trait, in: Religion and Theology 19 (2012), S. 181–203. 58 Tatsächlich beziehen sich die Heilungsberichte der Evangelien nie auf Verletzungen, sondern auf Lähmungen, Hauterkrankungen, Blindheit usw. 59 Craffert, The Placebo Phenomenon, S. 201. 60 Craffert, Galilean Shaman, S. 227. 61 A. a. O., S. 303. 62 Vgl. Strecker, ‚The Duty of Discontent‘, S. 262 f.

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Wunder vollbracht. Für die einen besteht die Botschaft der Wundererzählungen darin, dass Jesus tatsächlich von Gott beauftragt war, für andere darin, dass sie Befreiungsgeschichten sind, die Lesern und Leserinnen Hoffnung geben wollen. Wo die historische Rückfrage als wichtig erscheint, ist stets von Bedeutung, dass Jesus von Nazareth im Kontext antiker und vor allem jüdischer Wundertätigkeit verstanden werden muss. Wo die Frage nach der Historizität wegfällt, spielt der Kontext keine Rolle. Können diese unterschiedlichen Positionen in ein Gespräch gebracht werden oder sind sie so ausschließlich formuliert, dass eine Verständigung ausgeschlossen ist? Ließe sich ein solches Gespräch, an dem evangelikale Baptisten, Kulturprotestanten, liberale Juden und Agnostiker beteiligt sind, auf eine der Achsen beschränken, dann wäre es wohl jene der Literarität: Welche Bedeutung können die Wundererzählungen in unterschiedlichen Rezeptionsfeldern heute noch gewinnen? Arbeiten zur Bibelrezeption in Afrika und Südamerika zeigen deutlich, wie sehr diese Geschichten dort ein Potential entfalten, das im westlich-aufgeklärten Christentum evangelischer und katholischer Provenienz undenkbar erscheint.63 Einblicke in die orthodoxe Rezeption von Wundererzählungen64 zeigen ein ebenso unbefangenes Hinzutreten zu diesen Geschichten wie es in fundamentalistischen Kirchen der USA möglich ist. Während deutsche und österreichische Pfarrer und Pfarrerinnen sich vor Predigten über Wundergeschichten oft scheuen, weil sie selbst nicht glauben können, was da als historisch erzählt wird, und in metaphorischen Deutungen Zuflucht nehmen, wecken dieselben Geschichten in anderen Kontexten Hoffnungen auf tatsächliche Heilung und Bewahrung, die nicht selten enttäuscht werden. Im Kontext der Frage nach der Christologie im Gespräch von Judentum und Christentum gehört die „Wunderfrage“ in den Anfängen zu den großen Streitfragen. Das ist mit der Third Quest, so weit ich sehe, völlig in den Hintergrund getreten. Werden die Wunder Jesu als tatsächliche Wunder angesehen, dann kann zugleich nicht ernsthaft historisch bestritten werden, dass auch Honi der Kreiszieher und Hanina ben Dosa solche Wundertäter waren, so sehr sie sich auch im konkreten Handeln unterschieden.65 Auch im Neuen Testament wird ja gesehen, dass Wunderhandlungen auch außerhalb der christlichen Bewegung möglich sind (vgl. Lk 11,19). Damit wird freilich das christologisch oft bedeutsame Alleinstellungsmerkmal Jesu hinterfragbar. Der eigentliche Knackpunkt beim Themenkomplex Wunder ist nämlich nicht jener, ob Jesus entsprechende 63 W. Kahl, Jesus als Lebensretter. Westafrikanische Bibelinterpretation und ihre Relevanz für die neutestamentliche Wissenschaft, Frankfurt a. M. u. a. 2007, S. 153–194. 64 Vgl. C. Pricop, Der Weg des Wunderverständnisses in der orthodoxen biblischen Theologie am Beispiel der Verklärungsgeschichte, in: Wunder in evangelischer und orthodoxer Perspektive, hrsg. v. S. Alkier/D. Popoiu, Leipzig 2015, S. 141–160, hier: S. 141–143. 65 Hat Jesus allerdings keine Wunder getan bzw. werden diese Handlungen alle rationalistisch erklärt, gilt das selbstverständlich für alle Wundertäter der Antike, für jüdische wie pagane.

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Taten, die als Wunder gedeutet wurden, getan hat; er findet sich schon in Mk 11,28 als Worte im Munde der jüdischen Gegner Jesu: „In welcher Vollmacht tust du diese Dinge? Oder wer hat dir diese Vollmacht gegeben, dass du diese Dinge tust?“66

4. Reflexionen zur christologischen Funktion der Wunder Versteht man „Wunder“ als ein supra-/supernaturales Ereignis, das nicht auf innerweltlicher Kausalität, sondern auf transzendentaler Wirkung beruht, dann ergibt sich selbstverständlich, dass der Forscher/die Forscherin für die historische Re-Konstruktion der Handlungen Jesu durch seine oder ihre Weltanschauung geprägt ist. Ist der einzig relevante Verstehenshorizont das naturwissenschaftliche Weltbild oder wird auch mit darüber hinausgehenden Realitäten gerechnet? Dass sich das Wissen über die Naturgesetze ändern kann, wird von Exegeten wie John Paul Meier und Craig S. Keener unter Hinweis auf die Quantenmechanik betont. Entscheidender ist aber, dass weder in der Antike noch in der Gegenwart – unter einer globalen Perspektive – Einigkeit darüber bestand, was die Gesetze der Natur eigentlich sind bzw. ob es solche gab.67 Da die Antike von unterschiedlichen Weltbildern geprägt war und dies für unsere Gegenwart ebenso gilt, lässt sich m. E. objektiv weder verneinen noch bejahen, ob Jesus tatsächlich Wunder getan hat.68 Was wir unter historischer Perspektive sagen können, ist lediglich, dass vom Christusglauben ergriffene Menschen über Jesus von Nazareth Erzählungen verfasst haben, in denen zahlreiche Ereignisse als tatsächliche Wunder berichtet werden. Mag es auch sehr wahrscheinlich sein, dass diesen Erzählungen tatsächliche Ereignisse zugrunde liegen, hängt es von dem heutigen Leser bzw. der heutigen Leserin und dem jeweiligen Wirklichkeitsverständnis ab, ob es als Wunder verstanden wird. Für die Kommunikation über Wunder, wie sie in der Forschung, in Kirche und Gesellschaft stattfindet, ist wichtig, ob die Beteiligten an diesem Diskurs ihre jeweilige Wirklichkeitswahrnehmung absolut setzen. Die Wunderkritik seit 66 In seiner Antwort verweist Jesus darauf, dass auch Johannes der Täufer von den Jerusalemer Autoritäten nicht anerkannt wurde. Die Auseinandersetzung endet damit, dass Jesus eine Erklärung seiner Vollmacht verweigert (Mk 11,33). 67 Ob ein Handeln Gottes, das als Wunder verstanden wird, gegen oder mit den Regeln der Schöpfung erfolgte, kann daher offen bleiben. So oder so ist vorausgesetzt, dass das Ereignis einer transzendentalen Macht zu verdanken ist. In der alttestamentlichen Überlieferung gelten Ereignisse, die den Erwartungen zuwiderlaufen und Erstaunen auslösen, selbstverständlich als „Wunder“. Die Frage nach dem Verhältnis von Wunder‑ und Naturgesetz setzt erst in hellenistischer Zeit ein (vgl. SapSal 16,17–29). 68 S. Alkier, Kreuz, S. 522 f. wendet sich zu Recht gegen die Tendenz, Wunder „zu abständigen Mirakeln zu degradieren“, indem man sie aus ihrem Kontext herauslöst. Die Differenzierung von Wunder und Mirakel ist m. E. grundsätzlich nicht zielführend.

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der Aufklärung setzt dies voraus, und zwar in der Annahme, dass das von vielen anderen Mitgliedern ihrer Kultur geteilte Wirklichkeitsverständnis das einzig sinnvolle und richtige sei. Die Hierarchie bzw. der Fortschritt der Wirklichkeitskonstruktionen wird also zum Maßstab dafür gemacht, ob es Wunder im Sinne einer Überschreitung der Naturgesetze gab bzw. weiterhin gibt oder nicht.69 Meiner Meinung nach handelt es sich innerhalb des Diskurses über Jesu Wunder um unterschiedliche Deutungen von Ereignissen, über deren Sinnpotential im jeweiligen Kontext gestritten werden kann, ohne dass die Ereignisse selbst zur Disposition im Sinne einer Faktizität stehen müssen. Unter den Bedingungen historischer Forschung ist ja kaum zu bestreiten, dass Jesus Handlungen setzte, die von anderen als Wunder berichtet wurden.70 Ob es sich aber tatsächlich um Wunder handelte, kann nur im Rahmen der jeweiligen Wirklichkeitsvorstellungen  – die in der Antike wie in der Gegenwart ausgesprochen vielfältig sind – diskutiert werden. Die Wundererzählungen der Evangelien selbst geben aus ihrem literarischen wie religiösen Kontext eindeutige Ansichten dazu wieder, wie Gott und sein Christus zu denken sind. Die synoptischen Evangelien erzählen die Wunder im Kontext der Verkündigung der nahen Gottesherrschaft und ihres Charakters als Zuwendung Gottes zu den Menschen. Sie werden gerade nicht als Legitimation des Messias verstanden, sondern als Wirkungen der βασιλεία τοῦ θεοῦ, die durch Jesus von Nazareth, der zugleich Messias und Gottessohn ist, verkündigt und erlebbar gemacht wird. Die Aussage Jesu an Geheilte „Deine Pistis hat dich gerettet“ (Mk 5,34; 10,52 u.ä.) sollte daher nicht so gedeutet werden, als ob der Glaube selbst heilen würde im Sinne einer Autosuggestion. Die Pistis bezeichnet ja eine Vertrauenshaltung, die auf den Gott gerichtet ist, dessen nahe gekommene Herrschaft Jesus verkündigte.71 Sie entledigt Jesus nicht der Wundertätigkeit und verlegt sie in den Glauben des Einzelnen, zumal die Mehrzahl der Wundererzählungen ohne Hinweis auf die Pistis auskommt. Denn es wird durchwegs erkenntlich, dass die Wunderhandlungen Jesu nicht verzichtbar sind. Laut der Logienquelle sandte Johannes der Täufer Boten zu Jesus, um ihn zu fragen, ob er der Kommende sei (Q 7,1 f.22 f.): „Und als Johannes von all dem hörte, schickte er und ließ ihm durch seine Jünger sagen: Bist du der Kommende oder sollen wir auf einen anderen warten? Und er antwortete und 69 Vgl. a. a. O., S. 519: Man wird „in aller Deutlichkeit formulieren müssen, dass die seit David Hume bis auf den heutigen Tag in der exegetischen Wunderforschung im Zeichen der Aufklärung permanent wiederholte Behauptung, das Erleben von Wundern sei Ausdruck einer naiven, kindlichen und wissenschaftlich uninformierten Menschheit, einer empirischen Grundlage entbehrt.“ 70 Die Frage, ob Augenzeugen oder spätere Erzähler diese Handlungen zu Wundern „gemacht“ haben, stellt sich hier nicht. Augenzeugenschaft hat, das ist m. E. der entscheidende Fehler in Keeners Ansatz, keine zweifelsfreie Qualität. 71 Fehlt die Haltung des Vertrauens auf seine Botschaft, wie z. B. in Jesu engstem Umfeld in Nazareth, ist freilich auch Jesus kein Wunder möglich (Mk 6,5).

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sagte ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder, und Lahme gehen umher, Aussätzige werden rein, und Taube hören, und Tote werden erweckt, und Arme bekommen eine gute Botschaft. Und selig ist, wer an mir nicht zu Fall kommt.“

Nach dieser Überlieferung, die von Lukas und Matthäus aufgenommen wurde, werden die Rolle Jesu und damit seine Verkündigung der Gottesherrschaft nicht primär daran festgemacht, dass er schöne Reden hielt und gute Gleichnisse formulieren konnte, vielmehr wird – angelehnt an das Jesajabuch72 – auf Wunderhandlungen Bezug genommen, auf Heilungen und Totenerweckungen. Für die Tradenten und ihre Nachfolger war klar, dass die Wunder mit dem Wirken Jesu untrennbar verbunden sind. Denn an ihnen wird deutlich, dass die Gottesherrschaft angebrochen ist (vgl. Lk 11,20). Tatsächlich sind geschehene Wunder daher ein integraler Bestandteil neutestamentlicher Christologie.73 Ohne die Unterstellung der Faktizität von Wundern, Auferstehung etc. sind die ntl. Erzählungen in sich nicht verstehbar. Zugleich ist aber auch deutlich, dass nicht an die Wunder geglaubt wird, sondern an den Gott, der durch Christus und an Christus Wunder vollbringt.74 Die Wundererzählungen in den Evangelien stellen ihre Leserinnen und Leser und damit auch die gegenwärtige Theologie vor die Frage, wie sie mit der Gottesherrschaft als der entscheidenden Machtwirkung Gottes umgeht, die sich in letztgültiger Weise in der Auferstehung Jesu vollzogen hat.75 Auch wir werden also hineingezogen in den Beelzebul-Streit über Jesu Wundermacht (Mk 3,22– 27). Ging es damals darum, das Woher der Macht, aus der Jesus Wunder tat – Gott oder Satan –, zu bestimmen, und damit Pistis oder A-Pistis festzumachen, geht es heute darum, das Worin der Macht zu bestimmen: Ist Jesu Handeln im Rahmen naturwissenschaftlicher Wirklichkeitskonstruktion zu verstehen und daher als menschliches Können – als Placebo, psychologische bzw. medizinische Behandlung oder gar Trick? Oder soll es im Rahmen der durch den Christusglauben geprägten Wirklichkeitskonstruktion auf göttliche Macht zurückgeführt werden – als Wirksamkeit des in der Auferweckung Jesu erfahrbaren Gottes?76 Oder ist diese Dichotomie durch eine semiotisch ausgerichtete Kreuzestheologie zu überwinden, als Ausdruck des „friktionale[n] Wirklichkeitsverständnis[ses] 72 Vgl.

Jes 26,19; 29,18 f.; 35,5 f.; 42,7.18; 61,1. Schulz, Concept, S. 369. Zu denken wäre auch an die Wunder als Zeugen für Jesu Gottessohnschaft im Johannesevangelium, aber auch an Wunder als Aufweis von Apostolizität (2 Kor 12,12). 74  Vgl. u. a. Alkier, Kreuz, S. 542, der allerdings m. E. zu sehr auf die Schöpfung Bezug nimmt. Dieses Thema wird in den Wundererzählungen selbst nicht abgerufen. Zu Recht betont er aber, dass die Auferstehung Jesu aus dem Wunderdiskurs nicht ausgeklammert werden kann (a. a. O., S. 523–525). 75 Vgl. a. a. O., S. 532. 76 Vgl. Schulz, Concept, S. 361: „[E]ither what we are talking about is to be conceived of as humanly possible – or we are talking about miracles. Tertium non datur.“ 73 Vgl.

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christlichen Glaubens“?77 Oder ist etwa die Bestreitung jedweder Wunderhandlungen der Weg, das Ärgernis dieser Erzählungen aus der Welt zu schaffen?78 Lässt sich das Wunderhandeln Jesu seiner Besonderheit entkleiden, weil Wunder auf aller Welt geschehen, in allen Religionen, gerade auch im zeitgenössischen jüdischen Umfeld Jesu? Und führt nicht auch dieser Weg dazu, die christologische Bedeutung der Wunder zu negieren? Am zielführendsten scheint mir derzeit der Weg, den Wundererzählungen in ihren jeweiligen zeitlichen und lokalen Rezeptionskontexten, die sich im Übrigen auch individuell wandeln können, ihre Freiheit zu geben, sodass sie ihr Potential entfalten.79 Sie tun dies in den jeweiligen neutestamentlichen Texten in unterschiedlicher Weise und haben das im Laufe der Auslegungs‑ und Wirkungsgeschichte manchmal mehr, manchmal weniger getan. Sie können auch heute noch als Befreiungs‑ und Hoffnungsgeschichten wirken, als Vorbilder für kirchliches Handeln dienen, als Zeugnisse mit theologisch-christologischem Potential aufgenommen werden, oder im jüdisch-christlichen Dialog die Verbundenheit Jesu mit dem Gott, der „allein große Wunder tut“ (Ps 136,4), unterstreichen.

77 Alkier,

Kreuz, S. 544. C. Danz, Grundprobleme der Christologie, Tübingen 2013, S. 195 (im Anschluss an Troeltsch): „Nimmt man die drei Methoden-Bestandteile der modernen historischen Forschung zusammen, dann scheint sie in der Tat zu einer Auflösung zumindest der geschichtlichen Elemente des christlichen Glaubens zu führen. Denn zentrale Etappen der Geschichte Jesu, angefangen bei seiner Geburt über seine Wundertaten bis hin zu seiner Auferstehung, können unter den Bedingungen des modernen historischen Denkens und seiner methodologischen Voraussetzungen nicht als geschichtlich wahrscheinlich gelten, sondern bestenfalls als Mythen und fromme Phantasie.“ 79 Auf den kontextuellen Zusammenhang von Wunder und Überlieferungsgemeinschaft verweist auch Woodward, Book of Miracles, S. 383: „The modern miracles (and miracle workers) […] all share at least one characteristic: in each case the miracles are recognizable as such because the stories are interpreted within the ongoing narratives sustained by communities of memory and understanding […].“ 78 Vgl.

Der Jude Jesus und sein Gott Überlegungen zur theologischen und interreligiösen Bedeutung einer historischen Perspektive auf Jesus von Nazareth Martin Stowasser Die historische Erforschung der Person des Juden Jesus von Nazareth zählt zu den Kernaufgaben des bibelwissenschaftlichen Arbeitens seit den Anfängen dieser Fragestellung bei Hermann Samuel Reimarus im 18. Jahrhundert.1 Als inzwischen selbst historisches Phänomen lässt sie sich in Epochen gliedern, die sich auch durch ein steigendes Maß an Reflexion über die eigenen hermeneutischen Voraussetzungen und zugrunde gelegten Kriterien auszeichnen. Zunehmend kam damit auch der Jude Jesus in den Blick, etablierte sich eine von Juden getragene Jesusforschung2 und wurde einem Jesus als „erstem Christen“ der Abschied gegeben. Die Heimholung Jesu ins Judentum, wie die historische Frage überhaupt, verschob grundsätzliche Perspektiven. Der universale Horizont, den die nachösterliche Christologie in ihrem Nachdenken über das Ostergeschehen auszudrücken und eine historische Rückfrage nach Jesus in einer impliziten Christologie – trotz aller nachösterlich-kerygmatischen Entwicklung – auch als im Exklusivitätsanspruch Jesu historisch angelegt auszuweisen suchte, trat damit ein Stück weit in den Hintergrund. Ob die Brücke der impliziten Christologie sich als tragfähig erweist oder sich dem Ideologieverdacht aussetzt, soll hier nicht näher diskutiert werden,3 vielmehr stellt sich die Frage, ob ein prophetisches ‚Nur-zu-Israel‘ und das christologische Bekenntnis christlicher Kirchen als jeweiliges Gegenüber überhaupt überwunden 1 Vgl. rezente Überblicke aus deutschsprachiger Feder in: J. Schröter/C. Jacobi (Hg.), Jesus Handbuch, Tübingen 2017, S. 30–124, sowie aus dem anglophonen Raum von A.-J. Levine, Introduction, in: The Historical Jesus in Context, hrsg. v. ders./D. C.  Allison/D. Crossan, Princeton 2006, S. 1–39. 2 Vgl. W. Homolka, Jewish Jesus Research and its Challenge to Christology Today (Jewish and Christian Perspective Series 30), Leiden 2016. 3 M. Ebner, Jesus von Nazareth. Was wir von ihm wissen können, Stuttgart 2016 (Sonderausgabe), S. 27: „Im Rahmen des ‚Third Quest‘ nach dem historischen Jesus zu fragen, hat nichts mit Glaubensbegründung zu tun und will auch keine Grundlagensammlung für eine christliche Theologie liefern.“

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werden können. Von prominent jüdischer Seite wurde ja resümiert: „Die christliche Leben-Jesu-Forschung trug wenig dazu bei, Kirche und Judentum einander näher zu bringen. Wo der kerygmatische Christus im Zentrum steht, kann auch die historische Person Jesu wenig zur Verständigung beitragen.“4 So mag es eine Überlegung wert sein, ob nicht der historische Blick auf Jesus von Nazareth aus einer grundsätzlicheren Perspektive jenes Verbindende bereitstellt, das Religionsgrenzen hinter sich lässt und Universales ermöglicht – Universales, in dem sich Jude wie Christ (und jeder Mensch) wiederfindet. Ein neuerliches Ausblenden des Jüdischen am Juden Jesus ist damit dezidiert nicht intendiert, sondern die Suche nach Verbindendem jenseits vom (konfessionell) Verbindlichen auf beiden Seiten des Dialoges. Das Verhältnis Jesu zu seinem Gott, das dynamische Gottesbild Jesu, scheint dazu eine Möglichkeit zu eröffnen. Damit wird das Proprium christlichen Glaubens nicht eingeebnet, in Jesus von Nazareth mehr als nur einen von der römischen Provinzialverwaltung als aufständischen Juden Hingerichteten zu erblicken, zugleich erinnert es aber auch die christliche Tradition einmal mehr daran, beide Seiten des eigenen Bekenntnisses ernst zu nehmen: ‚Gott und Mensch zugleich‘. Mit der historischen Frage steht der Aspekt ‚Mensch‘ im Fokus. Das Verbindende über die Christologie aber auch ein ausschließliches ‚Judesein‘ hinaus liefert das zutiefst menschliche Suchen Jesu nach seinem Gott und dessen Willen. Zur Besonderheit bereits der altbiblischen Überlieferung zählt eine verblüffende Weite des Gottesbildes.5 Es findet darin sowohl der Gedanke seinen Platz, dass auf diesen sich offenbarenden Gott Verlass ist aufgrund seiner bisherigen Taten, als auch ein Ringen mit den ungewollten wie unerwarteten Seiten Gottes. Mit diesem Gott Israels kann man wie Jakob physisch (vgl. Gen 32,23–30) oder wie Ijob innerlich kämpfen: „Gäbe es doch einen, der mich hört! […] Der Allmächtige antworte mir!“ (Ijob 31,35). Zur Besonderheit dieser beeindruckenden Weite des Gottesbildes zählt jedenfalls, dass es ein Gott ist, der sich häufig als anders erweist, als vom Menschen angenommen, erhofft oder zunächst erfahren. Das Jesajabuch hat diese Grundeinsicht in den bekannten Worten festgehalten: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege – Spruch des HERRN. 9 So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken.“ (Jes 55,8 f.). Diesem facettenreichen Gott der biblischen Überlieferung ist der aus Nazareth stammende Jude Jesus in seinem Leben ebenfalls begegnet. Denn in den Quellen stoßen wir zwar auf einen galiläischen Juden des 1. Jahrhunderts n. Chr., der sich sehr selbstbewusst als Bote Gottes verstand und es als seinen Auftrag ansah, 4 W. Homolka, Jesus von Nazareth im Spiegel jüdischer Forschung (Jüdische Miniaturen 85), Berlin 32011, S. 110. 5 Vgl. R. Feldmeier/H. Spieckermann, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (Topoi biblischer Theologie 1), Tübingen 2011.

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den Anbruch der Herrschaft des Gottes Israels zu verkünden; von diesem Gott nahm Jesus aber gleichzeitig unterschiedliche Botschaften wahr. Sieht man nämlich etwas genauer hin, ist Jesu Lebensweg von einer intensiven und ganz und gar nicht spannungsfreien Gottsuche begleitet. Jesus von Nazareth besitzt eine religiöse Biographie. Der Gott seiner Väter war das Objekt seiner lebenslangen Gottsuche und Jesu Gottesbild unterlag einem mehrfachen Wandel. Mit der Fragestellung nach Jesus als einem Gott-Suchenden, der eine religiöse Biographie besitzt, ist keinem platten Psychologisieren das Wort geredet, das versucht, im Geiste der liberalen Leben-Jesu-Forschung eine innere religiöse Entwicklung inhaltlich stringent nachzuzeichnen oder einen Selbstfindungsprozess Jesu zu rekonstruieren.6 Es soll ebenso wenig das Feld historischer Psychologie betreten werden, die Klaus Berger rezenteren psychologischen Zugangsweisen an antike Texte entgegensetzt.7 Die Quellen lassen jedoch Wendepunkte erkennen, die es in Jesu religiöser Biographie offenkundig gegeben hat. Weder der Erzählrahmen des Markusevangeliums noch der Evangelien allgemein ist dabei als belastbarer historischer Aufriss der öffentlichen Wirksamkeit Jesu verstanden, wie schon die Differenzen innerhalb der Synoptiker und noch gravierender zwischen ihnen und dem Vierten Evangelium eindrücklich erkennen lassen; wohl aber erscheint es plausibel, die im Folgenden vorausgesetzten Wendepunkte als ein historisches Nacheinander behaupten zu können. Denn, dass sich Jesu religiöse Erstsozialisierung in seiner Familie ereignete, aus der heraustretend er sich erst später in die Täuferbewegung integrierte, ist ebenso wenig zweifelhaft wie das Ergreifen eigener, veränderter theologischer Positionen nach dieser Zeit bei Johannes dem Täufer. Zuletzt steht der gewaltsame und grausame Tod als von außen erzwungenes Schicksal unstrittig zeitlich am Ende des Weges Jesu, aber auch in Spannung zu seiner unter der frühjüdischen Chiffre der Gottesherrschaft entfalteten Botschaft und dem Selbstanspruch, Bote und Repräsentant von deren Anbruch zu sein. Diesen Wendepunkten ist nachzugehen, um Jesu Suchen nach – dem Juden wie Christen gemeinsamen  – Gott als phänomenologisch vergleichbar anzubieten mit Erfahrungen, die nicht nur der Jude Jesus, sondern ebenso seine jüdischen Geschwister im Glauben wie die ihn als Christus verehrenden Christen und Christinnen der Gegenwart in gleicher Weise machen. Daraus erschließt sich Verbindendes jenseits von Verbindlichem, ein universaler Horizont, der die theologisch-innerchristliche wie interreligiöse Dimension eines historischen Fragens nach dem Juden Jesus vor Augen stellt. 6 Vgl. I. Broer, Die Bedeutung der historischen Frage nach Jesus und die Frage nach deren Methodik, in: Jesus von Nazaret – Spuren und Konturen, hrsg. v. L. Schenke u. a., Stuttgart 2004, S. 19–41, hier: S. 23; G. Theiẞen/A. Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 1996, S. 24. 7 Vgl. K. Berger, Historische Psychologie des Neuen Testaments (SBS 146/147), Stuttgart 1991, der besonders auf den tiefenpsychologischen Zugang von Eugen Drewermann reagierte.

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1. Jesu frühes Gottesbild Über den Großteil des Lebens Jesu, nämlich jene Jahrzehnte, ehe er öffentlich aufzutreten begann, besitzen wir kaum historisch verwertbare Nachrichten.8 Wieweit seine Bildung reichte, welche Formen und Standards von jüdischer Schule es zeitgenössisch in Galiläa gab und was davon in einem 400 Einwohner zählenden Dorf wie Nazareth praktisch zur Anwendung kam, ist äußerst unklar.9 Eine Synagoge, von der Mk 6,2 und Lk 4,16 sprechen und die als religiöse Bildungsstätte infrage käme, ist bis heute in Nazareth archäologisch nicht nachgewiesen worden.10 Zumindest aber kann man annehmen, dass Jesu religiöse Formung in seiner Familie direkt durch Unterweisung wie indirekt durch Anpassung erfolgte, denn Glaube und Gottesbild werden in allen Zeiten zunächst vom Elternhaus geprägt.11 Der konkrete familiäre Rahmen, in dem er aufwuchs, lässt daher – bei aller Vorsicht der Einschätzung – zumindest einen Mosaikstein seines frühen Gottesbildes sichtbar werden. Von der Familie Jesu ist uns nur wenig überliefert. Dazu zählt im gesicherten Bereich in erster Linie der Wohnort Nazareth,12 eine „jüdische Hangsiedlung im südgaliläischen Bergland von so geringer politischer und wirtschaftlicher Bedeutung, daß sie in antiken Quellen […] nirgends erwähnt wird“13. Dazu wird man weiters den väterlichen Beruf eines Bauhandwerkers (Mt 13,55) „auf Montage“14 zählen dürfen sowie eventuell eine landwirtschaftlicher Basis zur Selbstversorgung.15 Alles deutet jedenfalls auf sozial bescheidene Verhältnisse hin. Als durchaus aufschlussreich für Jesu Gottesbild erweisen sich allerdings die Namen in der Familie, die wir aus den ältesten Quellen kennen. Vater wie Mutter  8 Die

Erzählkreise um die Geburt Jesu im Evangelium nach Matthäus (Mt 1–2) und Lukas (Lk 1–2) liefern keine historisch belastbaren Nachrichten, was auch für die weiterführende Darstellung des Lukas in die Kindheit Jesu (Lk 2,41–52) gilt. Vgl. Ebner, Jesus, S. 99; W. Radl, Der Ursprung Jesu. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu Lk 1–2 (HBS 7), Freiburg 1996.  9 Zum antiken jüdischen Schulwesen vgl. V. Tropper, Jesus Didáskalos. Studien zu Jesus als Lehrer bei den Synoptikern und im Rahmen der antiken Kultur‑ und Sozialgeschichte (ÖBS 42), Frankfurt a. M. 2012, S. 57–120. 10 Vgl. J. D.  Crossan/J. L.  Reed, Jesus ausgraben. Zwischen den Texten – hinter den Steinen, Düsseldorf 2003, S. 40 f., 114–116. 11 „Im Judentum fand die Ausbildung der Kinder traditionell im Elternhaus statt.“ So S. Hultgren, Die Bildung und Sprache Jesu, in: Jesus. Handbuch, hrsg. v. J. Schröter/C. Jacobi, Tübingen 2017, S. 219–227, hier: S. 220. 12 A. Strotmann, Der historische Jesus: eine Einführung (Grundwissen Theologie), Paderborn 2012, S. 53, spricht von einem „Kaff “. 13 Theiẞen/Merz, Jesus, S. 159. 14 H. Schürmann, Gottes Reich – Jesu Geschick. Jesu ureigener Tod im Lichte seiner Basileia-Verkündigung, Freiburg i. Br. 1983, S. 25. 15 Vgl. Strotmann, Jesus, S. 55: „Landwirtschaft im kleinen Rahmen“, doch bleibt das für J. Schröter, Jesus von Nazaret. Jude aus Galiläa – Retter der Welt (Biblische Gestalten 15), Leipzig 2006, S. 87 f. Anm. 102, ungewiss.

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tragen bekannte Namen der jüdischen Geschichte, die zeitgenössisch verbreitet waren. Maria / Mirjam ist mit der Exodustradition verknüpft, Josef mit der Geschichte des Zwölf-Stämme-Volkes. Es sind „beides beliebte jüdische Namen, die auf große Gestalten aus den Anfängen Israels verweisen“16. Mk 6,3 ruft mit den Namen der Brüder Jesu – die der Schwestern erfährt man nicht – ebenfalls die Welt der Stammväter und Patriarchen auf: Jakob, Joses (Mt 13,55: Josef), Judas, Simon. Zu dieser sehr gängigen Auswahl fügt es sich nahtlos, einen Sohn Jesus / Jeschua zu nennen, was ebenfalls ein äußerst gängiger jüdischer Name seiner Zeit war.17 „So viel wird man diesen Namen entnehmen können: Jesus wächst in einer ganz traditionell jüdisch geprägten Familie auf“18, ja alles deutet auf eine „fromme Familie“19. Auch wenn wir Einschätzungen wie „traditionell jüdisch geprägt“ oder „fromm“ für das 1. Jahrhundert n. Chr. nur schwer mit einzelnen konkreten Inhalten füllen können, so dürfte der junge Jesus aufgrund seines familiären Hintergrundes doch ein galiläischer Mainstream-Jude gewesen sein.20 Die grund­ sätzlich jüdische Profilierung Galiläas21 gilt  – entgegen älteren Hypothesen  – nach heutigem Wissensstand als gesichert, da es als Folge der Eroberung durch die Hasmonäer am Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. nachweislich zu einer Rejudaisierung dieses Gebietes kam. Jesus wird also eine jüdische Sozialisation ohne auffällige Besonderheiten und Abweichungen erfahren haben. Sein Glaube wie sein Gottesbild dürfen daher im landläufigen Sinn als fromm und der Allgemeinheit in Galiläa angepasst vorgestellt werden. Dass seine berufliche Tätigkeit als Bauhandwerker (Mk 6,3), die er vermutlich spätestens als Vierzehnjähriger mit seiner Kopfsteuerpflicht aufnahm,22 auch Veränderungen in Jesu Glaubenswelt nach sich zog, darf ebenfalls angenommen werden, da er dazu sein Dorf verlassen musste, das kaum ausreichend Arbeitsmöglichkeiten bot. Welcher Natur solche Veränderungen waren und wie tiefgreifend, hängt davon ab, auf welche Welt Jesus dabei stieß. Häufig denkt man an das nur 6 km entfernte Sepphoris, das ab 4 v. Chr. eine Großbaustelle war, sowie Tiberias, wo die Bauarbeiten 18 n. Chr. begannen, als Herodes Antipas seine neue Residenzstadt errichtete und 16 Strotmann,

Jesus, S. 53. Jesus, S. 53, verweist auf allein vier Träger dieses Namens in einer Großfamilie, die durch das Babatha-Archiv bezeugt sind, das auf die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert n. Chr. datiert. 18 Ebner, Jesus, S. 99; ähnlich J. Gnilka, Jesus von Nazaret Botschaft und Geschichte (HThKNT.S 3), Freiburg 1990, S. 76. 19 Theiẞen/Merz, Jesus, S. 182. 20 Schröter, Jesus, S. 105: „Jesus teilte selbstverständlich die grundlegenden Überzeugungen des Judentums.“ 21 Ebner, Jesus, S. 41: „Die politische Insellage Galiläas hat also insgesamt zu einer stärkeren Betonung der jüdischen Identität geführt […], auch wenn das von den Gelehrten im Süden Israels nicht immer so gesehen worden ist.“ Ganz ähnlich Theiẞen/Merz, Jesus, S. 169: „ein jüdisch geprägtes Land“. 22 Vgl. Ebner, Jesus, S. 100. 17 Strotmann,

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zu Ehren des Kaisers Tiberias nannte.23 Stieß Jesus dort auf die Welt der hellenisierten jüdischen Eliten, die nicht mehr von Patriarchenerzählungen und einem unberührten Glauben an JHWHs geschichtsmächtige Hand geprägt war? Der Quellenbefund rät dazu, diese Frage in der Schwebe zu lassen. Ob nun Sepphoris „durch und durch hellenistisch geprägt“24 war oder die zahlreichen „Hinweise auf die jüdische Identität selbst ihrer wohlhabenderen Bewohner“25 in die entgegengesetzte Richtung weisen – all das liefert keine gesicherte Grundlage, um bei Jesus einen Anstoß zur Veränderung seiner religiösen Vorstellungswelt zu vermuten. Ob er Sepphoris und Tiberias überhaupt betreten hat, wissen wir nicht. Beide Städte haben jedenfalls keine Spuren in der Jesusüberlieferung hinterlassen.26 Neueren archäologischen Untersuchungen zufolge haben überdies wirtschaftlicher Aufschwung und hellenistische Kultur auch die dörfliche Welt Galiläas erreicht, daher ist dem gängigen Gegensatz von hellenistischer Stadt und traditionell jüdischer Landbevölkerung ein Stück weit der Abschied zu geben. „Selbst wenn Jesus Tiberias und Sepphoris wegen deren Nähe zum Hof des Antipas fern geblieben sein sollte, hat er sich dank seines Stützpunktes Kafarnaum der jüdisch-hellenistischen Welt am See nicht entziehen können.“27

2. Jesu neues Gottesbild – ein erster Wendepunkt mit Vorgeschichte Die Gründe liegen im Dunkel, aber als Jugendlicher, spätestens junger Mann, begann dieser galiläische Mainstream-Jude aus Nazareth, intensiv (oder intensiver als bisher) nach Gott zu suchen. Zwar bietet die Jesusüberlieferung, wie dargelegt, keine präzisen Anhaltspunkte, die sich als Rahmen, Ursache oder Zeitpunkt dafür exakt festmachen lassen, aber das Nächste, was wir von ihm historisch gesichert wissen, zeigt einen Mann, der sich (im wahrsten Sinn des Wortes) meilenweit von der traditionellen jüdischen Welt eines galiläischen Buben aus Nazareth entfernt hat. Diese früheste historisch verlässliche Nachricht betrifft zugleich eines der einschneidendsten Ereignisse in seinem Leben: Jesus zieht an den Jordan und unterzieht sich der von Johannes dem Täufer 23 Vgl.

ebda. R. Hoppe, Galiläa – Geschichte, Kultur, Religion, in: Jesus von Nazaret – Spuren und Konturen, hrsg. v. L. Schenke u. a., Stuttgart 2004, S. 42–58, hier: S. 52; ähnlich Gnilka, Jesus, S. 76. 25 So Strotmann, Jesus, S. 74. Der archäologische Befund spricht eher für ein traditionell jüdisch geprägtes Sepphoris (zahlreiche Miquen, jüdische Begräbnispraktiken, Fehlen von Schweineknochen). 26 Zu den Erklärungsmodellen dafür vgl. Schröter, Jesus, S. 94 f. Lediglich Tiberias taucht im JohEv in der Bezeichnung „See von Tiberias“ auf (vgl. Joh 6,1.23; 21,1). 27 J. Zangenberg, Galiläa und Umgebung als Wirkungsraum, in: Jesus, hrsg. v. J. Schröter/C. Jacobi, S. 230–237, hier: S. 235. 24 So

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angebotenen Taufe zur Vergebung der Sünden. „Offensichtlich hat er die Botschaft des Johannes vom unmittelbar bevorstehenden Gericht geteilt und war der Überzeugung, dass er der Umkehr und der Taufe zur Sündenvergebung bedürfe, um dem Zorn Gottes zu entfliehen.“28 Die Josephusnotiz in Ant 18,11629, die die Hinrichtung des Täufers durch Herodes Antipas, den Landesherrn Galiläas, festhält, sowie das Jesuswort vom im Wind schwankenden Schilfrohr (Lk 7,24–26), in dem manche eine Anspielung auf denselben vermuten,30 lassen darauf schließen, dass man in Galiläa vom Täufer Kenntnis besaß.31 Wie Jesus mit der Botschaft des Jordantäufers in Berührung kam und ob dies eine spontane Reaktion bei ihm auslöste oder nur den letzten Anstoß in einer davon zunächst unabhängigen Nachdenkphase darstellte, lässt sich aus den vorhandenen Quellen nicht ergründen. Aber der Taufwunsch setzt voraus, dass der Boden zur Veränderung bereitet war. Beide Möglichkeiten, diesen Schritt zu setzen, lassen sich nur durch ein intensives Suchen nach Gott und seinem Willen erklären, welches der Entscheidung voranging, sich taufen zu lassen. Ein indirektes Indiz für eine doch früher einsetzende Gottsuche, die bereits vor der Täuferphase Jesu anzusiedeln ist, liefert seine auffällige, jüdisch unzeitgemäße Ehelosigkeit. „Das ist für damalige Verhältnisse ungewöhnlich und weist nicht auf ein ‚bürgerliches‘ Vorleben hin. Ein eheloses Leben lag zwar nicht gänzlich außerhalb der gesellschaftlichen Norm, aber es kennzeichnete doch eine ‚Sonderexistenz‘.“32 Jesu Entschluss, keine Ehe einzugehen (und damit auch den Generationenvertrag des Dekaloggebotes aufzukündigen), kann nicht als Konsequenz der Annäherung an den Täufer erklärt werden, da Eheschließung und Familiengründung für einen jüdischen Mann nicht erst mit dreißig Jahren33 zur 28 B. Kollmann,

Neues Testament kompakt, Stuttgart 2014, S. 83. 18,116: „Manche Juden waren übrigens der Ansicht, der Untergang der Streitmacht des Herodes sei nur dem Zorne Gottes zuzuschreiben, der für die Tötung Johannes’ des Täufers die gerechte Strafe gefordert habe.“ (Zitiert nach: Flavius Josephus, Jüdische Altertümer, übs. v. H. Clementz, Halle an der Saale 1899 = Wiesbaden 2004, S. 886.) 30 Vgl. zu dieser Deutung U. B.  Müller, Johannes der Täufer. Jüdischer Prophet und Wegbereiter Jesu (Biblische Gestalten 6), Leipzig 2002, S. 46 f.: „Das Stichwort ‚Schilfrohr‘ dürfte deshalb auf ihn [= Herodes Antipas] hindeuten, weil er Münzen mit dem persönlichen Emblem eines Schilfrohrs hat prägen lassen. […] Er wäre letztlich das ‚schwankende Rohr‘, eine Bezeichnung, welche auf seine anpassungsbereite, schwankende politische Haltung zielen würde.“ Zur höfischen Welt vgl. V. 25. Skeptisch hingegen M. Wolter, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen 2008, S. 282. 31 Oder ist Jesus im Rahmen einer Jerusalemwallfahrt am Jordan auf den Täufer gestoßen (bei ihm „hängen geblieben“), wie Ebner, Jesus, S. 83, vermutet? 32 L. Schenke, Jesus und Johannes der Täufer, in: Jesus von Nazaret – Spuren und Konturen, hrsg. v. ders. u. a., Stuttgart 2004, S. 84–105, hier: S. 85. 33 Die Angabe „dreißig Jahre“ in Lk 3,23 ist als mögliche messianische Davidstypologie historisch nicht ganz unverdächtig, da David im gleichen Alter seine Wirksamkeit begann (vgl. 2 Sam 5,4). Vgl. Gnilka, Jesus, S. 78. – Die gesamte Evangelientradition stimmt jedoch zumindest darin überein, dass sie Johannes den Täufer und Jesus in Lebensalter und öffentlicher 29 Ant

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Entscheidung anstanden.34 Kam Jesus eventuell bereits früher (durch die Essener bzw. Qumran)35 mit naheschatologischen Strömungen in Kontakt? Vom traditionellen Gottesbild, das die Patriarchentradition prägt, ist Jesus jedenfalls hier deutlich abgerückt. Vielleicht darf man auch den Konflikt Jesu mit seiner Familie, den Mk 3,21 aufbewahrt hat,36 als weiteres Indiz für eine bereits früher einsetzende und sein Umfeld entsprechend verunsichernde Gottsuche werten: „Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen.“ Der markinische situative Rahmen für diese Notiz, nämlich massenhafter Zustrom zu Jesus (Mk 3,20), ist recht unspezifisch und als historischer Anlassfall für die Reaktion von Jesu Angehörigen wenig plausibel. Die Nachricht von Mk 3,21 gibt daher wohl kein punktuelles Ereignis wieder, sondern den Höhepunkt einer längeren Konfliktgeschichte. Die Reaktion der Angehörigen zeigt jedenfalls die Kehrseite der tiefen religiösen Veränderung, die sich im Leben Jesu abspielte, sei es, als er sich dem Täufer zuwandte,37 sei es noch früher, als er sich entschloss, Eheschließung und Familiengründung zu verweigern, und ein „Sonderling“38 wurde. Jesu radikale Gottsuche, die ihn aus Nazareth und familiärer Tradition weg an den Jordan führte, um beim Täufer eine neue theologische Heimat zu finden, veränderte nicht nur sein Gottesbild, sondern verschiebt auch die Vorstellung, die man sich aufgrund seines familiären und sozialen Hintergrundes von Jesus selbst als Heranwachsendem machen kann. Jesus war nicht einfach traditionell fromm, sondern ein tief religiös bewegter junger Mann, was seine konfliktträchtige Entscheidung, sich der eschatologischen Bewegung des Johannes anzuschließen, unzweideutig beweist. Es muss daher nicht überraschen, dass Jesu religiöse Biographie bewegt blieb und er seine Suche nach Gott fortsetzte.

Wirksamkeit zeitlich nahe aneinanderrückt. Eine historisch andere Konstellation, die ein viele Jahre früheres Auftreten des Johannes nahelegen würde, das Jesus dann beeinflusst haben könnte, hängt an einem anderen, aber umstrittenen Verständnis der lukanischen Angaben im sogenannten „Kindheitsevangelium“ des Lukas (Lk 1–2). Vgl. M. Wolter, Wann wurde Maria schwanger? Eine vernachlässigte Frage und ihre Bedeutung für das Verständnis der lukanischen Vorgeschichte (Lk 1–2), in: Von Jesus zum Christus. Christologische Studien, Festschrift für P. Hoffmann (BZNW 93), Berlin 1998, S. 405–422. 34 A. Oepke, Art. Ehe. I (Institution), in: RAC IV (1959), S. 650–666, hier: S. 656 f. 35 W. Kirchschläger, Art. Ehelosigkeit, in: NBL I (1991), S. 481 f., hier: S. 482, vermutet bei Jesus wie bei Johannes dem Täufer einen Einfluss qumranisch naheschatologischer Vorstellungen, die eine Eheschließung sinnlos erscheinen ließen. 36 Vgl. auch Joh 7,5: „Auch seine Brüder glaubten nämlich nicht an ihn.“ 37 „Kann es sein, daß das bei Markus bezeugte Zerwürfnis Jesu mit seiner Familie (Mk 3,20–21) in diesem Aufbruch und dem Eintritt in den Kreis der Täuferjünger begründet ist?“ So J. Ernst, Johannes der Täufer – der Lehrer Jesu? (Biblische Bücher 2), Freiburg 1994, S. 109. 38 Schenke, Jesus und Johannes, S. 85.

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3. Jesus und das Gottesbild des Täufers Die Botschaft des Täufers, die Jesus mit seiner Taufe ratifizierte, transportiert ein Gottesbild, welches das Jesu geprägt und modifiziert haben muss. Der Aspekt, den zumindest die überlieferte Tradition darin klar in den Vordergrund rückt, ist „der kommende Zorn“ Gottes (vgl. Lk 3,7 par Mt 3,7). Lk 3,7–9: „Da sagte er zu den Volksscharen, die hinauszogen, um sich von ihm taufen zu lassen: Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Zorngericht entrinnen könnt? 8 Bringt Früchte hervor, die eure Umkehr zeigen, und fangt nicht an, bei euch zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater! Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken. 9 Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.“ Wie eine Überschrift steht das „kommende Zorngericht“ (wörtlich: der Zorn) über der Predigt des Täufers und ordnet sie so in die Tradition vom „Tag JHWHs“ und der alttestamentlichen Gerichtsprophetie ein, die auch vom „Tag des Zornes JHWHs“ spricht. So heißt es etwa in Ez 7,19: „Ihr Silber und Gold kann sie nicht retten am Tag des Zornes des HERRN.“ (vgl. Zef 1,15.18; 2,2 f.). „Beachtlich ist der absolute Gebrauch des Begriffs ‚Zorn‘“39, wie ihn die Täuferpredigt zur Bezeichnung des Strafgerichts verwendet. Gott kommt zum Gericht und ist davon auch nicht mehr abzubringen, vielmehr ist die Axt bereits an die Wurzel der Bäume gelegt (Lk 3,9 par Mt 3,10). Dennoch ist Johannes nicht als apodiktischer Gerichtsprophet einzustufen,40 sondern er spitzt seine Predigt auf eine letzte Umkehrmöglichkeit zu Gott hin zu. Anders als in Am 5,18–20; 7,8; Jes 6,11 f.; 22,14 oder bei Jesus Ben Ananias, dessen apodiktische Gerichtsansage Josephus in seinem Werk über den Jüdischen Krieg (B. J. 6,300–309) zitiert,41 blitzt bei Johannes die erbarmende Seite Gottes zumindest auch auf. „Der Umkehrruf impliziert ja sinnnotwendig, dass eine allerdings letzte Heilsmöglichkeit besteht.“42 Und so wird zwar nach Lk 3,17 die Spreu zum Verbrennen vom Weizen getrennt, letzterer aber doch in die Scheune gebracht, womit im Gerichtsbild auch die Heilsperspektive aufleuchtet. Da jedoch die Drohung mit dem Verbrennen der Spreu in nie erlöschendem Feuer die Täuferrede als Achtergewicht abschließt, ist so die Akzentsetzung im Gottesbild des Täufers – und damit auch von Jesus – deutlich unterstrichen: „Schon hält er die Schaufel in der Hand, um die Spreu 39 Müller,

Johannes, S. 28. Schenke, Jesus und Johannes, S. 91. 41 B. J. 6,307: „In der Zeit bis zum Krieg aber näherte er sich keinem der Bürger, noch sah man ihn mit jemandem sprechen, sondern Tag für Tag rief er, als ob er ein Gebet eingelernt hätte, seine Klage: ‚Wehe, wehe dir Jerusalem!‘“ (Zitiert nach: Flavius Josephus, De Bello Iudaico. Der jüdische Krieg, hrsg. v. O. Michel/O. Bauernfeind, Bd. II,2, Darmstadt 1969, S. 53.) 42 Müller, Johannes, S. 27. 40 Vgl.

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vom Weizen zu trennen und den Weizen in seine Scheune zu bringen; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen“ (Lk 3,17). Schwieriger zu entscheiden ist, ob im Verweigern der Abrahamskindschaft als Heilsgarantie dennoch eine positive Perspektive anklingt, indem auf die Steine verwiesen wird, aus denen Gott sich neue Kinder Abrahams schaffen kann (Lk 3,8 par Mt 3,9), oder ob das Gottesbild des Johannes doch nur zornig und düster gezeichnet ist. Steht Gott zu seinem Bundesversprechen für diejenigen, die sich seiner Taufe unterziehen, und sieht Johannes dadurch die Chance „für die Wiederaufnahme in den Abrahamsbund“43, oder hat das dauernde Anhäufen von Schuld und Sünde „Israels Heilszusage verbraucht und Gottes Geduld erschöpft“44? „Johannes bietet den Menschen, die zu ihm kommen, in der Taufe die letzte Möglichkeit, dem Zorngericht zu entgehen und durch das Vernichtungsgericht hindurch gerettet zu werden.“45 Von dieser Botschaft fühlte Jesus sich offenbar nicht nur betroffen, sondern auch getroffen und sein Bild Gottes als Begleiter und Garant Israels in der Exodustradition und den Patriarchenerzählungen, das sich in der traditionellen jüdischen Namensgebung seiner Familie spiegelt, verschob sich zum Gottesbild der Gerichtsprophetie. Zwar sind hier Akzentveränderungen anzunehmen, kein exklusives Entweder-Oder, dennoch darf das Neue im Gottesbild Jesu an diesem Punkt nicht unterschätzt werden, da es zu einer einschneidenden Wende in seinem Leben führte. Die Begegnung Jesu mit Johannes dem Täufer warf ihn für den Rest seines Lebens aus der Bahn. Eine erste Weichenstellung mag bereits früher erfolgt sein, zieht man seine schon davor getroffene Entscheidung zur Ehelosigkeit in Betracht. Sein Leben als Bauhandwerker aus Nazareth tauschte er jedenfalls (nach und nach?) gegen das eines Prophetenschülers, tief erschüttert vom nahenden Zorn Gottes. „Wie viele andere in Israel wollte er tätige Umkehr praktizieren, um dem drohenden Gericht zu entfliehen. In der Tat gibt es keinen ernsthaften Grund zu leugnen, dass Jesus aus derselben Absicht heraus zu Johannes kam wie die anderen Taufwilligen auch.“46 Die Existenz eines Anhängerkreises von Johannes dem Täufer ist unstrittig. Ob man von einem Schülerkreis47 im formalen Sinn sprechen darf, ist wegen der „extremen Naherwartung“48 des Täufers und aufgrund der Implikationen des Begriffs „Schule“49 in Zweifel gezogen worden, der Sache nach gab es aber jedenfalls 43 So

Ernst, Johannes, S. 70; ähnlich Schenke, Jesus und Johannes, S. 92 f. Müller, Johannes, S. 30. 45 Ernst, Johannes, S. 89. 46 Müller, Johannes, S. 54. 47 Gezielt von „Schülerkreis“ sprechen z. B. J. Becker, Johannes der Täufer und Jesus von Nazaret (BSt 63), Neukirchen-Vluyn 1972, S. 62; Ebner, Jesus, S. 83 f. 48 Schenke, Jesus und Johannes, S. 93. 49 K. Backhaus, Die ‚Jüngerkreise‘ des Täufers Johannes. Eine Studie zu den religionsgeschichtlichen Ursprüngen des Christentums (PaThSt 19), Paderborn 1991, S. 318–325, bleibt gegenüber einer mit der Bezeichnung „Schülerkreis“ verbundenen intentionalen Gruppenbildung durch den Täufer skeptisch, kann sich aber mit dem Begriff der Prophetenschule an44 So

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einen Jüngerkreis, von dem auch die neutestamentlichen Quellen sprechen (vgl. Mk 2,18; Mt 11,2 par Lk 7,18; Joh 1,35). Zieht man in Betracht, dass einerseits die Taufe am Jordan einen großen Zulauf besaß (vgl. Ant 18,5,2: „Da man nun von überallher zu ihm strömte […]“), andererseits eine spezielle Fastenpraxis (Mk 2,18), Gebetsunterweisung (Lk 11,1), Botendienste (Mt 11,2) bis hin zur Bestattung durch Anhänger (Mk 6,29) berichtet werden, erscheint eine Unterscheidung in einen weiteren Sympathisantenkreis und einen engeren Jüngerkreis angebracht. „Die Gruppenzusammengehörigkeit scheint so prägend gewesen zu sein, dass es auch noch nach dem Tod des Täufers Täufergruppen gibt (vgl. Apg 19,1–7).“50 Zweifelsfrei existierten neben der soziologischen Kontinuität, die Joh 1,35 f.51 zwischen Täufergruppe und Jesusgruppe andeutet, auch tiefgehende inhaltliche Gemeinsamkeiten zwischen der späteren Botschaft Jesu und des Täufers, sodass man auf eine länger währende und theologisch prägende Zugehörigkeit Jesu zum Täuferkreis schließen darf: „Man kann vom täuferischen Erbe bei Jesus reden.“52 Das aber erklärt sich am besten, wenn Jesus nicht nur zu einem weiteren Sympathisantenkreis,53 sondern zur engeren Gefolgschaft des Täufers zählte, in der er „seine theologische und spirituelle Formation“54 erhielt.55 Dazu zählt das vom „Zorn Gottes“ dominierte Gottesbild ganz zentral. Die Intensität dieses neuen Gottesbildes für Jesus und die prägende Wirkung seiner Orientierung am theologischen Konzept Johannes’ des Täufers müssen ernst genommen werden. freunden und vermutet einen „personal ausgerichteten Anhängerkreis mit gewisser sozialer Kohärenz“ (S. 325). Ernst, Johannes, S. 140, spricht lieber von einem „offenen Helferkreis“. 50 Ebner, Jesus, S. 84. Auf die Weiterexistenz einer Täufergruppe in nachapostolischer Zeit, die dann kaum ohne frühere soziologisch fassbare Gruppen vorgestellt werden kann, verweisen die Pseudoclementinen. Vgl. M. Stowasser, Johannes der Täufer im Vierten Evangelium. Eine Untersuchung zu seiner Bedeutung für die johanneische Gemeinde (ÖBS 12), Klosterneuburg 1992, S. 81–83. 51 Joh 1,35–39: „Am Tag darauf stand Johannes wieder dort und zwei seiner Jünger standen bei ihm. 36 Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes! 37 Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus. 38 Jesus aber wandte sich um, und als er sah, dass sie ihm folgten, sagte er zu ihnen: Was sucht ihr? Sie sagten zu ihm: Rabbi – das heißt übersetzt: Meister –, wo wohnst du? 39 Er sagte zu ihnen: Kommt und seht! Da kamen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war um die zehnte Stunde.“ 52 Müller, Johannes, S. 57. So auch Ernst, Johannes, S. 109: „Die bekannten Übereinstimmungen in der Verkündigung sind auf jeden Fall Hinweise auf eine geistige Verwandtschaft, wenn nicht gar auf eine Abhängigkeit.“ 53  So z. B. Gnilka, Jesus, S. 85, bei dem sich exemplarisch zeigt, dass bei dieser Einstufung unausgesprochen ein christologischer Vorbehalt im Hintergrund steht. Worin die Bedeutung einer bloß punktuellen Begegnung mit Johannes anlässlich der Taufe für Jesus bestanden hat, bleibt dann biographisch wie theologisch in der Schwebe. 54 Ebner, Jesus, S. 84. 55 Die Notiz in Joh 3,26, die von einer parallelen Tauftätigkeit Jesu und des Täufers spricht – selbständig oder in Abhängigkeit, als „Assistent“ des Täufers (so Ebner, Jesus, S. 84)  – ist schwer zu erhellen, kann aber als Hinweis auf eine längere und intensive Zugehörigkeit Jesu zum Täuferkreis aufgefasst werden. Vgl. Stowasser, Johannes, S. 211–217.

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4. Jesus am Wendepunkt zum Gott der Gottesherrschaft Jesu Gang an den Jordan, um in der Taufe des Johannes dem Zorn Gottes zu entrinnen, bildet bereits eine einschneidende Entscheidung und dokumentiert einen tiefgreifenden Wandel im Gottesbild. Jesu Gottsuche war damit aber nicht zu Ende, sondern offenkundig bewahrte er sich eine hohe Sensibilität für die Gottesfrage. Denn erneut erfuhr sein Gottesbild einen markanten Wandel, der sich mindestens so folgenreich in seinem Leben auswirkte wie zuvor der Anschluss an den Täufer.56 Historisch steht fest, dass Jesus den Täufer verließ oder aufgrund von dessen Hinrichtung selbständig mit einer Botschaft auftrat, die aus einem stark veränderten Gottesbild resultierte. Bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber vereinfachenden Kategorisierungen lässt sich die Predigt des Täufers primär unter den Leitbegriff vom „Zorn Gottes“ stellen, während Jesu Botschaft von der anbrechenden Herrschaft Gottes untrennbar mit dem Begriff des ‚Evangeliums‘ verknüpft bleibt,57 somit vom freudig positiven Zuspruch eines Heils getragen ist, welches das Volk Israel nun finden würde. „Der Täufer warnte radikal vor dem Zorngericht Gottes. Jesus rückte dagegen bald das Heilsangebot der im Anbruch begriffenen Herrschaft Gottes in den Mittelpunkt seiner Verkündigung.“58 Auch in diesem Fall gestattet es die Quellenlage nicht, den genauen Vorgang oder den exakten Zeitpunkt der Trennung vom Jordantäufer mit letzter Sicherheit zu rekonstruieren, doch finden sich immerhin Spuren eines Ereignisses, das Jesus erneut aus der Bahn warf und den Weg verlassen ließ, den er als Täuferjünger eingeschlagen hatte. Die neutestamentliche Tradition verbindet den Beginn von Jesu eigenständiger Verkündigungstätigkeit mit seiner Taufe durch Johannes und manche deuten sie als ein initiales Berufungserlebnis. „Wenn Jesus bei der Taufe seine ‚Berufung‘ erlebt hätte bzw. sich seiner über den extremen Gerichtsgedanken des Täufers hinausgehenden Reich-Gottes-Vorstellung bewußt geworden wäre, könnte man von einer schnellen Trennung und einem eigenständigen Unternehmen, das zur Jesusgemeinde führte, ausgehen.“59 Da die Tauftradition jedoch bereits deutlich christologisch geprägt ist und der nachösterlichen Unterordnung des Täufers unter Jesus dient, bleibt sie als Haftpunkt 56 E. Haenchen, Der Weg Jesu (STö.H 6), Berlin 1966, S. 60–63, bewertet die Unterschiede im Gottesbild als so tiefgreifend, dass er sogar das sonst allseits akzeptierte Faktum der Taufe Jesu durch Johannes in Zweifel zieht: „[…] dann würde zwischen dem Gottesbild Jesu, das ihn zum Täufer gehen ließ, und dem, das seinem eigenen Wirken zugrundelag, ein Wandel von außerordentlicher Tiefe liegen.“ 57 Zur Diskussion, ob Jesus selbst bereits den Begriff ‚Evangelium‘ als Leitkategorie verwendet hat, vgl. die tendenziell optimistische Position von R. Kühschelm, Art. Evangelium, in: NBL I (1991), S. 622 f., gegenüber der stärker zurückhaltenden von H. Frankemölle, Art. Evangelium, Evangelien, in: LThK III (1995)3, S. 1058–1063, hier: S. 1059. 58 Kollmann, Neues Testament, S. 84. 59 Ernst, Johannes, S. 110.

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für ein Ausscheiden Jesu aus der Täuferjüngergruppe fraglich.60 Auch ließen sich strukturelle wie inhaltliche Kontinuitäten61 zwischen Täufer und Jesus kaum nachvollziehen, wenn Jesu Taufe zugleich sein einziger Berührungspunkt bzw. sogar der historische Moment für seine beginnende eigenständige Tätigkeit gewesen wäre. Vielmehr spricht alles dafür, dass Jesus mit seiner Taufe in die Gruppe eintrat und längere Zeit durch sie geprägt wurde, sie also am Anfang und nicht am Ende seiner Zeit mit Johannes stand. Daher legen sich andere Traditionen nahe, die christologisch weniger entwickelt bzw. noch primär theozentrisch geprägt sind, um Jesu Wende hin zur neuen Perspektive des ‚Evangeliums‘ zu begründen. Für eine Reihe von Exegeten62 bietet sich jenes visionäre Ereignis an, das in Lk 10,18 überliefert ist: „Ich sah den Satan wie einen Blitz aus dem Himmel fallen.“ In apokalyptischer Diktion ist hier die Entmachtung Satans angesprochen. Mit diesem endgültigen Sieg Gottes im Himmel hob für Jesus Gottes sichtbares Aufrichten seiner Herrschaft in Israel an, die er als Heilsherrschaft (und nicht wie der Täufer als Gerichtsakt) verstand. Denn wenn der Satan als Urheber allen Übels gestürzt war, konnte in einem solchen apokalyptischen Szenario nun die Heilszeit beginnen. Aber „erst die Erfahrung seines Wundercharismas hat Jesus die letzte Gewissheit gegeben, dass der Satan überwunden, die Heilszeit schon angebrochen ist und er selbst durch sein exorzistisches und heilendes Wirken die sich allmählich und unaufhaltsam durchsetzende Gottesherrschaft auf der Erde erfahrbar macht.“63 Therapeutische wie exorzistische Erfolge Jesu werden rückgebunden an Gottes Herrschaftsantritt und kommen im Logion von der Plünderung des Hauses des Starken,64 das in die Beelzebulkontroverse (Mk 3,23– 27) eingebettet wurde, ebenso zum Ausdruck, wie die im Kern theozentrisch65 60 Die biographische Auswertung der Tauftradition, wie sie prominent J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie. I. Die Verkündigung Jesu, Göttingen 1971, vorgeschlagen hat, hat sich zu Recht nicht durchgesetzt. „Da keine Berufungsvision vorliegt, ist der Text über die Erwähnung der Taufe hinaus keine Quelle der Vita Jesu […]“. So R. Pesch, Das Markusevangelium. I (HThKNT 2,1), Freiburg 31980, S. 94. 61  Hinzuweisen wäre diesbezüglich auf frühere Täuferjünger im Gefolge Jesu (Joh 1,35 ff.), die nachösterliche Übernahme des Taufvorganges als Initiationsritus, eine selbstbestimmt distanzierte Haltung zum Monopol kultischer Sündenvergebung am Tempel von Jerusalem, die Erwartung einer eschatologischen Mittlergestalt, wenn man erkennt, dass der vom Täufer für das Gericht erwartete „Stärkere“ frühjüdisch am ehesten die Erwartung des Menschensohnes aufruft, was die Prominenz dieser Gestalt in der (synoptischen) Jesustradition erklären würde. 62 Vgl. Kollmann, Neues Testament, S. 84; Theiẞen/Merz, Jesus, S. 196–198; Ebner, Jesus, S. 86 f.; Schenke, Jesus und Johannes, S. 105. 63 Strotmann, Jesus, S. 96. 64 Mk 3,27: „Es kann aber auch keiner in das Haus des Starken eindringen und ihm den Hausrat rauben, wenn er nicht zuerst den Starken fesselt; erst dann kann er sein Haus plündern.“ – Das authentische Jesuswort überträgt die Herrschaft, die Satan durch ihm dienstbare Dämonen in Besessenen ausübt und Jesus durch seine Exorzismen beendet, in die Bildwelt des Hauses, das geplündert werden kann, weil der mächtige Hausherr überwunden wurde. 65 „Finger Gottes“ bildet eine Anspielung auf Ex 8,15 und steht pars pro toto für Gott selbst.

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begründete Einsicht in Gottes Heilshandeln von Lk 11,20: „Wenn ich aber die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen.“ Trotz der historischen Unsicherheiten, die das genaue Wie und Wann des Umschwunges im Gottesbild Jesu betreffen, ist das Faktum selbst nicht zu bestreiten.66 Ein weiterer Wendepunkt war erreicht: „Jesus hat sich vom Täufer und seiner Botschaft gelöst, als er die für ihn grundlegende Erfahrung eines ganz neuen Heilshandelns Gottes machte, die Johannes nicht kannte.“67 Die radikale Entwicklung seines Gottesbildes manifestiert sich in einem bislang weder innerhalb noch außerhalb des Judentums geäußerten Gedanken, der Exorzismen und den Anbruch der Herrschaft Gottes verknüpft. Jesu innerste Überzeugung war es, dass Dämonenaustreibungen und Heilungen von Kranken den Anbruch der eschatologischen Heilswende markieren. „Als apokalyptischer Wundercharismatiker steht Jesus singulär in der Religionsgeschichte. Er verbindet zwei geistige Welten, die vorher nie in dieser Weise verbunden worden sind: die apokalyptische Erwartung universaler Heilszukunft und die episodale Verwirklichung gegenwärtigen Wunderheils.“68 Zumeist wird Lk 11,20 christologisch ausgeleuchtet, weil das Logion das jesuanische Selbstbewusstsein widerspiegelt, an Gottes statt eschatologisch zu handeln und darin den Anbruch der Herrschaft Gottes wahrzunehmen. Zugleich gestattet diese Spruchtradition jedoch einen Blick auf Jesu gegenüber der Täuferphase neues und verändertes Gottesbild. Es wäre zwar weit überzogen, bei Jesus Gericht durch Heil platt als ausgewechselt zu sehen, denn auch er spricht öfter deutlich vom Gericht, die Positionen im jeweiligen Gesamtkonzept und damit deren Gewichtung haben sich jedoch verschoben.69 Seine Herrschaft aufzurichten, bedeutet für Gott aus der Sicht Jesu, Israel einen neuen Heilsraum zu schaffen. Das Weichen von Dämonen aus Besessenen wie auch die Gesundung Kranker gelten ihm als Konkretisierungen dieser entstehenden Heilswirklichkeit. Israel ist nun aufgefordert, in diesen Heilsraum einzutreten; wer sich dem verschließt, den trifft auch nach Jesu Überzeugung das Gericht (vgl. Lk 6,24 f.;

66 Es muss offen bleiben, ob die frühchristliche Tradition darüber nichts (mehr) wusste oder das Schweigen auf die christologische Entwicklung zurückzuführen ist. 67 Müller, Johannes, S. 61 f. Demgegenüber betont Schenke, Jesus und Johannes, S. 105, stärker eine Kontinuität zwischen Johannes und Jesus auch im Aspekt der Heilsverkündigung. Jesus habe „die in der Täuferbotschaft bereits enthaltene Heilszusage für die Umkehrenden in unerhörter Weise akzentuiert und ausgeweitet“. 68 G. Theiẞen, Urchristliche Wundergeschichten (StNT 8), Gütersloh 1974, S. 274. 69 Theiẞen/Merz, Jesus, S. 196: „Auch wenn man es vermeiden sollte, den Täufer und Jesus als Kontraste zu sehen, so ist doch eine Akzentverschiebung festzustellen. Das jüdische Gottesverständnis umfasst beides: den strengen und den barmherzigen, den gerechten und den liebenden Gott. Der Täufer betont mehr den Aspekt von Strenge und Gerechtigkeit, Jesus mehr den von Liebe und Barmherzigkeit.“

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10,13–15; 11,37–52).70 Aber was ihn zur eigenen Verkündigung an Israel treibt, ist eben nicht mehr das drohende Gericht, sondern die neue Sicht, dass Gott trotz der Sündenverstrickung des Volkes als rettender und heilender Gott eingreift. An der Diagnose des Täufers über Israel hält Jesus fest, wie seine zeichenhafte Zuwendung zu religiösen und sozialen Randgruppen dokumentiert. Der Wandel in Jesu Gottesbild ist also unübersehbar.

5. Gott in der Passion – ein letzter Wendepunkt in Jesu Suche nach dem Gott Israels Wie lange Jesu Verkündigung und sein Realsetzen der Gottesherrschaft gewährt haben, lässt sich aufgrund der divergierenden Darstellung bei Synoptikern und Viertem Evangelisten nicht verlässlich sagen, doch besitzt die mehrjährige Variante des jüngsten Evangeliums die größere Plausibilität.71 Diese Zeitspanne öffentlicher Wirksamkeit hat insofern für das Gottesbild Jesu wichtige Spuren in der Evangelienüberlieferung hinterlassen, als Jesu Misserfolge nicht verschwiegen werden und diverse Traditionen, die z. B. seinem Jünger‑ und Jüngerinnenkreis Mut zu machen suchen, ein Nachdenken über aufkeimende Zweifel auch bei ihm voraussetzen müssen. Das diesbezügliche Bild ist bunt und vielfältig, lässt aber auf Krisen schließen, die Skepsis verraten, ob Gottes Herrschaft tatsächlich im Anbruch ist und Israels Sammlung voranschreitet: Kontrastgleichnisse versichern im Bild des vielfach Frucht tragenden Samens ein gutes Ende, mag es auch gegenwärtig nicht danach ausschauen (Mk 4,3–9); Gerichtsworte gegen ganze Städte lassen auf umfassende Ablehnung der Jesusbewegung schließen (Lk 10,13–15); der Zerfall der Anhängerschaft, wie ihn Joh 6,66 bewahrt hat, und schließlich ein bewusst inszeniertes Abschiedsmahl für einen inneren Kreis (Mk 14,17–25) sind nicht bloß als vereinzelte Krisensymptome zu werten, sondern lassen auf einen weitgehenden Misserfolg Jesu schließen. In dieser Situation muss Jesu Gottesbild, das er nach der Täuferphase neu gewonnen hatte, eine massive Verunsicherung erfahren haben. Die Erkenntnis, dass Misserfolge seinen Weg begleiteten, musste Jesus in eine geradezu fundamentale Frage nach Gott führen, wie auch die immer größer 70 Trotz eines Täufererbes bei Jesus sollte man den neuen Ansatz seines theologischen Konzeptes nicht einebnen wie Schenke, Jesus und Johannes, S. 104: „Die Gerichtsaussagen Jesu sind nicht nur Folge der Ablehnung seiner Heilsverkündigung, sondern sein Ausgangspunkt.“ 71 Der markinische Aufriss fokussiert erkennbar darauf, Jesu Weg als einmaligen Weg nach Jerusalem, den Ort seines Leidens, zu stilisieren, währenddessen die mehrmaligen Besuche Jesu zu religiösen Festen in Jerusalem keine johanneische Intention hinter der Darstellung erkennen lassen. Vgl. auch Schröter, Jesus, S. 269: „Als galiläischer Jude wird Jesus regelmäßig zu den Festen nach Jerusalem gekommen, also nicht nur einmal in einem programmatischen Akt dorthin gezogen sein.“

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werdende Gewissheit, dass sein Leben gefährdet war. Eine solche (sehr begründet anzunehmende) Erschütterung ist allerdings nicht nur auf der persönlichen emotionalen Ebene anzusiedeln, wie sie z. B. die spätere Getsemanitradition (Mk 14,32–42) entfaltet,72 sondern muss zu einer fundamentaleren Verunsicherung geführt haben. Das von Jesus aufgegriffene traditionelle Konzept der Gottesherrschaft ließ die Frage nach Gott zwangsläufig erneut aufbrechen. Jesus knüpfte mit diesem Zentralbegriff seiner Verkündigung grundsätzlich an alttestamentlich-frühjüdische Erwartungsmuster an und drückte der apokalyptischen und dämonologischen Ausprägung dieser Tradition seinen eigenen Stempel auf, wenn er Gottes Herrschaft im eigenen Wirken für bereits gegenwärtig erklärte. Nirgends taucht jedoch im Frühjudentum der Gedanke auf, dass der Anbruch von Gottes endzeitlich erwarteter Herrschaft mit dem Tod des Propheten dieser Heilswende verknüpft sei. Sein sich abzeichnendes Sterben musste Jesus also erneut und ein letztes Mal in seinem Leben vor die Aufgabe stellen, sein Gottesbild zu verändern und nach jenem Gott Israels zu suchen, der scheinbar alles Bisherige infrage stellt. Zwischen der jubelnden Gewissheit „Wenn ich aber die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen.“ (Lk 11,20) und der Zusage an die Gruppe beim Abschiedsmahl „Amen, ich sage euch: Ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich von Neuem davon trinke im Reich Gottes.“ (Mk 14,25) stellte sich für Jesus die Frage: Welcher Zusammenhang besteht zwischen seinem Tod und dem Kommen Gottes, der dabei ist, seine Herrschaft anzutreten? Die Bandbreite der Antworten, ob und gegebenenfalls wie Jesus seinen Tod bestanden hat, ist denkbar weit. Sie reicht von der Möglichkeit des Zusammenbruchs bis zu Vertrauen und Siegesgewissheit. So hat Rudolf Bultmann in historischer Nüchternheit gegenüber den Quellen festgestellt: „Ob oder wie Jesus in ihm [= seinem Tod] einen Sinn gefunden hat, können wir nicht wissen. Die Möglichkeit, daß er zusammengebrochen ist, darf man sich nicht verschleiern.“73 Demgegenüber hält Jens Schröter wesentlich optimistischer fest: „Offenbar hat Jesus […] auch angesichts seines bevorstehenden Todes an der Überzeugung festgehalten, dass die Herrschaft Gottes angebrochen ist und sich weiter durchsetzen wird. Seinen sich abzeichnenden Tod hat er demnach nicht als Irrtum über seine Sendung oder als deren Scheitern betrachtet.“74 Für dieses Problem hängt viel vom Verständnis des sogenannten ‚eschatologischen Ausblicks‘ 72 Theiẞen/Merz, Jesus, S. 379 Anm. 26: Die Getsemaniperikope könnte „sachlich zutreffend die Grundhaltung Jesu in seinen letzten Tagen – verdichtet zu einer idealen Szene – festhalten: Er rechnet mit seinem Tod (dem Kelch), hofft aber noch immer auf das wunderbare und rettende Eingreifen Gottes, auf den Beginn der Gottesherrschaft.“ 73 R. Bultmann, Das Verhältnis der urchristlichen Christusbotschaft zum historischen Jesus (SHAW.PH 3), Heidelberg 41965, S. 12. 74 Schröter, Jesus, S. 291.

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bzw. ‚Verzichtwortes‘ Mk 14,25 ab. Die komplexe und schwierige Frage nach Jesu Todesverständnis besitzt zentrale biographische wie theologische Relevanz, interessiert aber vor unserer Fragestellung primär als erneuter Wendepunkt in seiner lebenslangen Suche nach Gott. Die hohe Bedeutung des Logions Mk 14,25 erhellt aus der Tatsache, dass es die einzige explizite Verbindung zwischen dem für Jesus zentralen Begriff der Gottesherrschaft und seinem Tod herstellt, die in der Jesustradition aufbewahrt ist. Für die Authentizität spricht der gänzlich unchristologische Charakter, der Jesus keinerlei Sonderstellung in der erwarteten Herrschaft Gottes zuspricht.75 Der inhaltliche Bezug des Logions zu einer Art von Todeserwartung bzw. Todesgewissheit Jesu ist allerdings nicht über jeden Zweifel erhaben.76 Er resultiert erst aus dem markinischen Kontext von Jesu Abschiedsmahl. Zwar ist eine Tradierung von Jesuslogien ohne situativen Kontext keine Seltenheit, wie die Logienquelle und das Thomasevangelium eindrucksvoll vor Augen führen, doch erweist sich die Mahlsituation als Haftpunkt aufgrund der Metaphorik des Logions77 als sehr plausibel. Eine andere Begebenheit als Jesu Abschiedsmahl kann zwar nicht kategorisch ausgeschlossen werden, wodurch der Tod als Horizont wegfiele, doch erscheinen die damit eröffneten Verstehensmöglichkeiten von Mk 14,25 als unerfüllt gebliebene Hoffnung Jesu auf Gottes Eingreifen oder gar als Verzichtgelübde, um Gott doch noch zum Handeln zu bewegen, als weitaus weniger überzeugend. Sie passen erstens kaum zu den sonst erkennbaren Denk‑ und Handlungsmustern Jesu und müssen andere Mahlkontexte annehmen, aus denen das Logion dann herausgelöst wurde, um Jesu offenkundige Fehleinschätzung zu kaschieren. Gegen eine nachösterliche Neukontextuierung  – und damit erneut zugunsten eines authentischen Jesuswortes – spricht zuletzt auch das Fehlen der Auferstehungsterminologie.78 Wäre das Logion Mk 14,25 erst nachösterlich in einen ‚eschatologischen Ausblick‘ bzw. eine siegesgewisse Todesprophetie ‚verwandelt‘ worden, wäre dies kaum ohne die entsprechende kerygmatische Terminologie von ‚auferwecken‘ bzw. ‚auferstehen‘ erfolgt. So wird man die Abendmahlsüberlieferung als plausibelsten und primären Haftpunkt des Logions ansehen dürfen, das eine Todeserwartung Jesu enthält.

75 Vgl.

Theiẞen/Merz, Jesus, S. 233. die ausführliche Diskussion des Logions sowie die nachvollziehbare Argumentation für eine darin ausgedrückte Todeserwartung bei C. Niemand, Jesus und sein Weg zum Kreuz. Ein historisch-rekonstruktives und theologisches Modellbild, Stuttgart 2007, S. 339–343. 77 ‚Von der Frucht des Weinstocks trinken‘ ist eine semitisierende Ausdrucksweise für ‚Wein trinken‘ und hat das eschatologische Freudenmahl mit Gott im Blick. Vgl. J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus. II (EKK 2,2), Solothurn 41994, S. 246. 78 Die Verlagerung des Begriffs der Gottesherrschaft in einen jenseitigen, postmortalen Bereich scheint aus der Verbindung mit Jesu Todeserwartung nicht gedeckt. So z. B. aber Schröter, Jesus, S. 291: „Vielmehr kommt in Mk 14,25 die Überzeugung zum Ausdruck, dass sich sein persönliches Schicksal durch seinen Eingang in das Gottesreich vollenden wird.“ 76 Vgl.

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Sowohl das einleitende ‚Amen‘ als auch die im Altgriechischen doppelte und damit verstärkte Negation79 des ‚eschatologischen Ausblicks‘ selbst unterstreichen die Gewissheit, mit der Jesus hier formulierte. Die Entwicklungen, die ihm klar vor Augen führten, dass sein Weg nicht nur von Misserfolg begleitet, sondern seine von ihm empfundene Sendung durch den Gott Israels am Ende auch lebensbedrohend war, haben sein Vertrauen in diesen Gott nicht zerstört, wenn man Mk 14,25 ernst nimmt. Wohl aber stellten die letzten Wendungen, die seine Sache nahm, Jesus nochmals vor die Herausforderung, intensiv nach Gott zu suchen. Mk 14,25 formuliert keinen soteriologischen Horizont, Jesus stellt sein heraufdämmerndes Ende lediglich in den Horizont der Herrschaft Gottes, die für ihn weiter im Anbruch ist und gewiss kommen wird. Er verbindet also – wofür kein Ansatz in der frühjüdischen Tradition bereitlag – den Anbruch der Herrschaft Gottes und den Tod des von Gott erwählten Boten, der das eschatologische Geschehen verkünden und realsetzen sollte. Selbst wenn Jesus sich selbst und sein Schicksal als Antwort auf das ‚Warum‘ bzw. ‚Wozu‘ dieses neuen, gänzlich unerwarteten Handelns Gottes erachtet haben sollte, wie es die Abendmahlstradition will,80 müssen die Tage oder Wochen vor Prozess und Hinrichtung eine intensive Zeit der Gottsuche gewesen sein. Denn mit seiner Antwort betritt Jesus Neuland in der frühjüdischen Tradition vom eschatologischen Anbruch der Herrschaft Gottes. Dieser Gott entsprach jedenfalls nicht den Erwartungen, mit denen sich Jesus von Nazareth vom Täufer gelöst hatte, wohl aber machte er nochmals die gleiche Erfahrung wie schon an jenem anderen Wendepunkt seiner Biographie: Dieser Gott handelt anders als persönlich erwartet bzw. in der Tradition der Väter beschrieben oder selbst von gegenwärtigen Propheten verkündet. Die intensive und lebenslange Suche des Juden Jesus nach dem Gott Israels endete also erst mit seinem Tod. Das Markusevangelium lässt Jesus mit einer Frage an Gott auf den Lippen sterben: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34). Für Markus beendet Jesus sein Leben in tiefer Gottverlassenheit.81 Der Evangelist bringt so eine wesentliche Linie seiner Darstellung zum Abschluss und 79 Sie wäre in der deutschen Übersetzung am ehesten mit ‚gewiss nicht‘ wiederzugeben (so auch die frühere Einheitsübersetzung). 80 Es ist jedoch „äußerst schwierig zu entscheiden und auch sehr umstritten, ob und inwieweit gerade diese Worte, die im Laufe der Überlieferung immer stärker parallelisiert und einander angeglichen werden, für den historischen Jesus reklamiert werden können“. So Ebner, Jesus, S. 152. Für manche, wie Niemand, Weg, S. 332, ist das einfache Brotwort (‚Das bin ich‘) und der damit verbundene Gestus des Darreichens „zeichenhaft-aktueller Vollzug von Jesu proexistenter Lebenshaltung und gleichzeitig jener Punkt, an dem er diese Lebenshaltung explizit und ihn selbst testamentarisch bindend ausdehnt auf eine Haltung, in der er seinen Sterbeweg gehen wollte.“ 81 Vgl. M. Stowasser, ‚Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?‘ (Mk 15,34). Beobachtungen zum Kontextbezug von Ps 22,2 als Sterbewort Jesu im Markusevangelium, in: BZ NF 58 (2014), S. 161–185, hier: S. 177–182.

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Höhepunkt: Jesus als der leidende Sohn Gottes, der jedoch gerade als solcher einer Gemeinde Vorbild sein kann, die Verfolgung erfährt (vgl. Mk 13,9–13), sodass mancher – wie einst die Jünger – der Situation entflieht. Bereits Lukas (vgl. Lk 23,46) hat dieses Bild abgemildert und für Jesu Sterbewort Ps 31,6 gewählt: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ Der johanneische Jesus scheidet in voller Souveränität aus dem Leben: „Es ist vollbracht!“ (Joh 19,30). Die Evangelien schildern und interpretieren Jesu Sterben theologisch je anders, sie gewähren uns keinen Einblick in den Moment, als er starb. Wie Jesus das extrem grausame Ende, das man ihm am Kreuz bereitet hat, durchgestanden hat und wie er seinem Gott begegnet ist, gehört wie jedes Sterben in den Bereich persönlicher Intimität. So bleibt Mk 14,25 das letzte historisch auswertbare Wort, das wir über Jesu Gottsuche und letzten Wendepunkt dieses Weges erfahren.

6. Jesu Suche nach seinem Gott Jesus war ein Gott Suchender, dessen Suche ein Leben lang währte und mehrere Wendepunkte in seinem Gottesbild erkennen lässt. Die nachösterlichen Quellen erlauben es, solche biographische Schlüsselstellen noch historisch zu verifizieren, auch wenn Details und nähere Umstände größtenteils nicht mehr zu erhellen sind. Für Jesu religiöse Sozialisation als Kind und Jugendlicher erweisen sich sein Wohnort und seine Familie als prägend. Das unbedeutende galiläische Dorf Nazareth signalisiert den einfachen und religiös überschaubaren Horizont einer kleinbäuerlichen Welt. Die ausgesprochen traditionellen jüdischen Namen in seiner Familie, die sich zeitgenössisch großer Beliebtheit erfreuten, stellen den jungen Mann unter religiösem Gesichtspunkt als einen galiläischen Mainstream-Juden vor Augen. In diesen unauffälligen Anfängen taucht jedoch früh die Spur einer intensiven Suche nach dem Willen Gottes auf, wenn Jesus Eheschließung und Familiengründung verweigert. Seine offenkundig praktizierte Sexualaskese zeigt ihn vom traditionellen jüdischen Gottesbild seiner Jugend bereits einigermaßen distanziert. Eine Intensivierung seiner Suche nach Gott und dessen Willen sowie einen (weiteren) noch radikaleren Wandel in seinem Gottesbild bringt die Hinwendung zu Johannes dem Täufer. Um dem Zorn Gottes gegen die Sünder im bevorstehenden Endgericht zu entgehen, lässt sich Jesus nicht nur taufen, sondern schließt sich dem Jüngerkreis des Gerichtspropheten an. Mit diesem Schritt tritt für Jesus der Gott der Gerichtsprophetie in den Vordergrund, dessen andere Seite, nämlich den Heilswillen für Israel, der Täufer – und damit wohl auch Jesus – freilich nicht ausblendet. Mit Jesu Loslösung vom Jordantäufer und dem Beginn einer eigenen Verkündigung erfolgt ein erneuter Wandel oder zumindest eine massive Akzentverschiebung in seinem Gottesbild. Angesichts der Sünde in Israel sieht Jesus nämlich nicht mehr Axt

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und Worfschaufel in der Hand Gottes, der sich zum Feuergericht bereit gemacht hat, vielmehr sieht er den Verführer zur Sünde bereits besiegt aus dem Himmel stürzen und erfährt im Weichen der Dämonen, dass Gott sich anschickt, für Israel einen neuen Heilsraum zu schaffen. Diesen Heilsraum zu vergrößern und in ihn einzuladen wie zu einem Festmahl versteht Jesus als seine vordringlichste Aufgabe. Umso radikaler wird er nochmals zur Gottsuche gezwungen angesichts der Verzögerung der als angebrochen verkündeten Herrschaft des Gottes Israels sowie von äußeren Anfeindungen und Krisen im eigenen Kreis von Jüngern und Jüngerinnen. Im Kontext sich lebensbedrohlich zuspitzender Konflikte hält die Tradition Israels keine Antwort auf die Frage bereit, warum Gott im Aufrichten seiner eschatologischen Herrschaft seinen dafür erwählten Boten dem Tod ausliefern sollte. Als Suchender nach seinem Gott ist der Jude Jesus von Nazareth – vermutlich mit einem Vertrauen, wie es Mk 14,25 bewahrt hat – in den Tod gegangen.

7. Der historische Jesus – eine Brücke zwischen Verbindlichem und Verbindendem Der Glaube an Jesus als den Christus bemüht sich bereits sehr früh, das Bekenntnis zu seiner Göttlichkeit wie zu seinem Menschsein zu verbinden. Die Auferstehungsformeln (1 Thess 1,10; Röm 4,24; 10,9; vgl. 1 Kor 12,3; Apg 2,14; 3,15)82 halten daran fest, dass Jesus von Nazareth der von Gott Erweckte ist, die Erscheinungserzählungen der Evangelientradition (Mt 28,9–20; Lk 24,13–53; Joh 20,11–29; 2,11–23) formulieren diese Identität narrativ. Unverkennbar ist dabei freilich jene Entwicklung, die das Göttliche mehr und mehr in den Vordergrund rückt: Als Schöpfungsmittler verdankt sich ihm der Kosmos, als Pantokrator thront er über diesem, als Weltenrichter wird sich ihm alles unterwerfen, um sein Urteil zu erwarten. Die Frage nach Jesus ist in der Alten Kirche und bis ins Mittelalter hinein wesentlich als christologische Frage nach seiner Göttlichkeit und seinem Verhältnis als Sohn zum Vater gestellt worden und hat auf den Konzilien und im theologischen Diskurs intellektuell brillante Antworten gefunden, die in höchst zeitgemäße metaphysische Kategorien gegossen wurden. Der Blick auf Jesus als Menschen und historische Gestalt wurde erst mit der exegetischen Forschung des 18. Jahrhunderts wiederbelebt und wirkt für manche, die dem traditionsgebundenen Akzent im Doppelbild verhaftet sind, bis heute störend und irritierend. Der historischen Perspektive, die das Menschsein Jesu betrachtet, wohnt dennoch sowohl eine theologische Qualität wie auch befruchtende Kraft für 82 Vgl. T. P.  Föẞel, Offenbare Auferstehung. Eine Studie zur Auferstehung Jesu Christi in offenbarungstheologischer Perspektive, Paderborn 2018, S. 494 f.

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interreligiösen Dialog, für Verkündigung sowie Spiritualität inne. Im historisch orientierten Blick auf die Suche Jesu nach dem Gott Israels tritt zunächst die Kategorie der Veränderung als Leitprinzip klar zutage. Sie gestattet es theologisch, die eher statischen Kategorien ontologischer Christologie mit stärker relational-personalen im zeitgenössischen Verständnis zu ergänzen. Veränderung, Wandel und (auch radikale) Neuakzentuierung sind dann nicht als Anbiederung an Zeitgeistiges zu diffamieren, sondern stellen ein hermeneutisches Prinzip theologischen Denkens dar. Ebenso wird eine „Christologie von unten“ künftig das Menschsein Jesu wie seine jüdische Identität noch stärker in den Blick zu nehmen haben. Die Suche des Jesus von Nazareth nach seinem Gott war jedoch nicht ein Tasten nach irgendeinem Gott unter den vielen, sondern von der Sehnsucht getragen, dem Gott Israels zu begegnen. Die historisch markierbaren Wendepunkte seiner Gottsuche zeigen, dass der Mann aus Nazareth die in Israel gereifte prophetische Erkenntnis biographisch durchbuchstabiert hat: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege“. Es ist der Jude Jesus, der in seiner Gottsuche der christlichen Theologie nicht nur das theologische Prinzip der Offenheit für Veränderung und radikalen Neuanfang ‚ge-offenbart‘ hat, sondern ebenso die Brücke zwischen Verbindlichem und Verbindendem aufzuzeigen vermag. Mag der kerygmatische Christus mit all seinen Implikationen ein zwischen Juden und Christen (und Muslimen) zu diskutierendes zentrales Element des Bekenntnisses sein, das zentrifugale Kräfte besitzt, so wohnt dem Bekenntnis zum Gott Israels eine Schwerkraft inne, die zum gemeinsamen Mittelpunkt zieht. Für das christlich-jüdische Gespräch im Besonderen, aber auch für den interreligiösen Dialog im Allgemeinen, bietet somit die historische Frage nach dem Juden Jesus (und seiner Gottsuche) einen fruchtbaren Boden und universalen Horizont. Christliche Theologie hat vom Gott des Jesus von Nazareth zu sprechen, um den befreienden Glauben an diesen Gott allen Menschen zu erschließen. Mag der mächtig thronende Pantokrator in prunkvoll gestalteten Apsiden Menschen anderer Epochen geholfen haben, dem Gott der Bibel zu vertrauen, und mögen ontologische Kategorien das Christentum als auf der Höhe der Zeit stehend einst diskursfähig gemacht haben, so scheint das in der Gegenwart nicht nur für Theologen in ihrer Reflexion zweifelhaft geworden zu sein, wenn sie das Evangelium philosophisch wie gesellschaftlich kommunikabel halten wollen, sondern auch für viele Christen bei ihrer spirituellen Suche nach Gott. Die Gottesbegegnung unserer Tage findet daher häufig in der Person des Jesus von Nazareth ihren Anstoß und Motor. Betrachtet man seine religiöse Biographie, bietet sich für Verkündigung und spirituelles Suchen ein Gott-Suchender als mögliches Vorbild an. Denn eine wesentliche Konstante in der Suche des Juden Jesus nach seinem Gott besteht darin, dass dieser ihm ein Leben lang jener ganz Andere geblieben ist, von dem schon das Jesajabuch spricht. Dieser Herausforderung hat sich die

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historische Gestalt des Jesus von Nazareth gestellt und ist dabei als Gott-Suchender nicht müde geworden. Ein Ruhepol in seinem Leben war Gott für ihn jedenfalls nicht. Seine religiöse Biographie deutet vielmehr auf eine stete Bereitschaft zur Neuorientierung und mehrfachen Veränderung seines Gottesbildes. Gottsuche und Weiterentwicklung des eigenen Bildes von Gott hängen – wie auch bei Jesus von Nazareth – mit Krisen zusammen, die von den Betroffenen als positive Chancen genutzt werden können. Solche Menschen entpuppen sich häufig als religiös vielschichtig und im Glauben kreativ, sind aber zugleich für jene eine unbequeme Herausforderung, die Veränderung primär als Gefahr und nicht als Chance sehen oder sich als Verwalter des Zuganges zu Gott verstehen und ihr monopolisiertes Gottesbild nicht hinterfragt wissen möchten. (Diese Erfahrung hat der historische Jesus im Übrigen ebenfalls gemacht.) Zur Imitatio Christi zählt jedenfalls auch die Offenheit einer persönlichen Gottsuche, die ohne Angst vor Veränderungen auskommt und in dieser Art von Nachfolge Jesu dem Mysterium Gottes zu begegnen sucht. Insofern ist die historische Frage nach dem Menschen Jesus von Nazareth nicht nur in dogmatischer Hinsicht schon immer theologisch sachgerecht und bietet für den jüdisch-christlichen Dialog den adäquaten Ausgangspunkt, sondern ist gegenwärtig auch spiritualitätsgeschichtlich aktuell und angebracht, ja fromm im besten Sinn des Wortes. Die historische Rückfrage nach Jesus besitzt das Potential, spirituelle Dimensionen zu eröffnen. Sie bleibt zunächst an den Diskurs der historischen Wissenschaft rückgebunden, will sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen, ideologisch motivierte Ergebnisse zu präsentieren. Dennoch ist die historische Frage für christliche Exegese primär im Glaubensvollzug als Ausgangspunkt der neutestamentlichen Jesusüberlieferung verankert. Will sie die historische Perspektive nicht nur theologisch, sondern eben auch spirituell fruchtbar halten, bleibt es ihre Aufgabe, dabei nicht ins Psychologisieren oder vereinfachende Aktualisieren abzugleiten. Vielmehr wird sie zunächst streng historisch das durchaus Fremde der apokalyptisch bzw. dämonologisch bedrohten Welt vor Augen stellen, das den galiläischen Juden Jesus zur Zeitenwende prägte, und gerade darin seine persönlich radikale Gottsuche profilieren. Jesus nachzufolgen ist dann kein spirituell naives Unterfangen, in jene versunkene Welt der Antike geistig einzutauchen, wohl aber der aussichtsreiche Versuch, sich als neuzeitlich kontextuierter Mensch der Gottsuche Jesu phänomenologisch – also bereit für Veränderung – anzunähern.

Christus und das Reich Gottes1 Oder Paulus, der Diasporajude, und der christliche Erlöser Paula Fredriksen Von seinem ersten Brief (das heißt seinem frühesten, dem 1. Thessalonicherbrief) bis zu seinem letzten (dem Römerbrief) war Paulus überzeugt, dass die Rückkehr Christi unmittelbar bevorstand, dass er zurückkommen, die Welt erlösen, die Toten auferwecken und das Reich seines Vaters heraufführen würde.2 Wir, die wir leben, werden verwandelt werden, unsere Rettung ist näher denn je. Paulus rechnet damit, die siegreiche Wiederkunft Christi und das Kommen des Gottesreiches persönlich zu erleben. Die Auferstehung Christi – der Apostel hat den Auferstandenen mit eigenen Augen in einer Vision gesehen – gab ihm die Gewissheit, dass das Ende nahe ist (1 Kor 15,8.12). Dass Christus auferstanden war, konnte nur bedeuten, dass die allgemeine Auferstehung, die Auferstehung aller Menschen unmittelbar bevorstand (vgl. Röm 1,4): Christus war der „Erstling“ der von den Toten Auferstandenen (1 Kor 15,20). Die diesem einzigartigen Ereignis innewohnende Bedeutung lag darin, dass es die letzte, allgemeine Auferweckung unmittelbar implizierte (V. 12–15). Genau genommen ist die Auferstehung Christi in den Augen des Apostels gerade kein „einzigartiges“ Ereignis, sondern das erste in einer ganzen Reihe eschatologischer Ereignisse, die in das Heraufführen des Gottesreichs münden. Jesus ist der Messias; er wurde auferweckt und deshalb wird er bald wiederkommen; bei seiner Wiederkunft werden auch die Toten auferweckt und das Gottesreich wird Gestalt annehmen. Zu dem Zeitpunkt, als Paulus die Briefe, die uns im Neuen Testament vorliegen, diktiert, hat er ebendiese Botschaft bereits seit über zwanzig Jahren (hauptsächlich) den Heiden verkündet. Die Botschaft von der Kreuzigung Jesu, von seinem Tod, seiner Auferweckung und seiner unmittelbar bevorstehenden Rückkehr ging einher mit einer weiteren wichtigen Bestätigung: der Bestätigung nämlich, dass Jesus ὁ χριστóς sei, der Messias. Diese 1 Der vorliegende Beitrag bezieht sich weitgehend auf meine Untersuchung Paul: The Pagans’ Apostle, New Haven 2017, S. 131–166. 2 Darauf hat bereits Albert Schweitzer 1931 hingewiesen. S. A.  Schweitzer, Die Mystik des Apostels Paulus, Tübingen 1981, S. 54–70 und passim; vgl. z. B. 1 Thess 4,15–18; Phil 4,5; 1 Kor 7,29; 10,11; 15,51 f.; 2 Kor 6,2; Röm 13,11 f.

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Identifikation war für Paulus von zentraler Bedeutung: In den sieben einhellig ihm zugeschriebenen Briefen verwendet er den Terminus zweihundertneunundsechzig Mal.

1. Christus, der Sohn Davids, Teil 1: Das Eschaton Wie es kam, dass ein wandernder charismatischer Exorzist und Prophet für den Messias gehalten wurde, ist eine der verwirrenden Fragen, die die neutestamentliche Forschung seit ewigen Zeiten beschäftigt. Gegen Ende der Zeit des Zweiten Tempels kannte man eine Vielzahl solcher messianischer Paradigmata – allein die Qumran-Schriften sprechen von einem davidischen Krieger, einem vollkommenen Priester, einem endzeitlichen Propheten und einem inthronisierten himmlischen Erlöser – doch keiner dieser Paradigmata passt auf Jesus. Da Jesus als „König der Juden“ gekreuzigt wurde, nehmen die Historiker an, dass er bereits vor seinem Tod als Messias identifiziert worden sein muss, allerdings wohl nicht lange davor. Nach den Evangelisten wurde Jesus nur ein einziges Mal öffentlich als Messias bezeichnet bzw. öffentlich mit dem messianischen Themenkomplex in Verbindung gebracht: in der Woche vor seiner Kreuzigung, als er zusammen mit den anderen Pilgern zum Passafest nach Jerusalem kam. Hosianna dem Sohn Davids! Gesegnet sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! (Mt 21,9). Gesegnet sei das kommende Reich unseres Vaters David! (Mk 11,10). Gesegnet sei der König, der kommt, im Namen des Herrn! (Lk 19,38). Gesegnet sei, der kommt im Namen des Herrn, der König Israels! (Joh 12,13).

Klingt in diesen Versen ein historisches Ereignis an? Wie auch immer, jedenfalls hätte sich ganz bestimmt kein Einheimischer mit solch öffentlichem Beifall in Rom beliebt gemacht.3 Die Vielfalt der messianischen Paradigmata darf nicht die entscheidende Bedeutung des königlichen Messias, des Sohnes Davids verschleiern, der auf jeden Fall die am besten bezeugte Gestalt bleibt. „Siehe, Herr, und erhebe für sie ihren König, den Sohn Davids“, betete der Verfasser der pseudonymen Psalmen Salomos im ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, „zu der Zeit, von der du Kenntnis hast [d. h. die Endzeit] […] und gürte ihn mit Kraft, dass er zerschmettere, die ohne Gerechtigkeit herrschen […] Ihr König wird der Gesalbte Herr sein“ (christos kyrios, 17,21–32). Dieser eschatologische Prinz wird 3 J. J.  Collins, The Scepter and Star. Doubleday, New York 1995. Collins merkt an, dass „die Vorstellung von einem davidischen Messias oder Krieger-König, der die Feinde Israels vernichtet und eine Ära nie endenden Friedens initiiert, das Herz der jüdischen Messiasvorstellungen um die Jahrhundertwende bildet“, S. 68; vgl. S. 136–153 zur unklaren Gestalt eines himmlischen Erlösers.

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den Mut und die Tugenden seines Ahnherrn, König Davids, besitzen. Wo auch immer er in den apokalyptischen Texten erscheint, besiegt er die Feinde Gottes und schlägt feindliche Armeen; er spricht Recht, herrscht über ein wiederhergestelltes Israel und baut Jerusalem wieder auf; er regiert über heidnische Völker, die ebenfalls im Tempel Gottes anbeten, und er begründet einen ewig währenden Frieden. Paulus schrieb seine Briefe an Gemeinden, die das Evangelium bereits kannten. „Sowohl der Apostel als auch seine Gemeinden sind bereits von der Messianität Jesu überzeugt; in den Briefen geht es um andere Dinge.“4 In diesen Briefen identifiziert Paulus Jesus mit unterschiedlichen Begriffen als „Christus“. Dabei wird „Christus“ eher selten als Titel verwendet (ho Christos, „der Christus“, z. B. Röm 9,5), sondern meist ohne Artikel oder in Kombination mit „Jesus“. Letztere Bezeichnung findet sich so häufig und wird so selbstverständlich verwendet, dass Forscher lange Zeit die These vertraten, das Wort „Christos“ sei in den Paulusbriefen lediglich ein Eigenname, ohne jeden „messianischen“ Gehalt. Diese Ansicht wurde in neueren Arbeiten jedoch revidiert; inzwischen gilt „Christus“ in den Paulusbriefen als Ehrentitel. „Ein Ehrentitel wurde seinem Träger genommen oder verliehen, gewöhnlich in Zusammenhang mit militärischen Heldentaten oder besonderen Machtbefugnissen.“ Christos passt in diese onomastische Kategorie.5 Paulus bezieht den Ehrentitel Christos, wie andere vor ihm, auf Jesus. In Texten, die ungefähr zur selben Zeit wie seine Briefe entstanden, steht Christos meist für einen endzeitlichen, davidischen Krieger und Herrscher. Überlieferungen, wie sie sowohl in den Paulusbriefen als auch in den späteren Evangelien zu finden sind, stellen Jesus ebenfalls als eine solche endzeitliche Erlösergestalt dar: Er kehrt zurück mit Engeln; er kommt in den Wolken der Herrlichkeit, um die Auserwählten zu sammeln; er führt mit Macht das Gottesreich herauf.6 Über die Abfolge der Ereignisse, die diese Identifizierung Jesu mit dem letzten, davidischen Messias begründeten, können wir (nur) spekulieren. Bei seiner 4 M. V.  Novenson,

Christ among the Messiahs, New York 2012, S. 103. luzider Studie verdanken wir die Widerlegung dieses Arguments. Das Zitat über die Ehrentitel findet sich a. a. O., S. 95. 6 Vgl. das Herabsteigen vom Himmel bei der Wiederkunft Christi, 1 Thess 4,13–18; Paulus’ Warnungen vor dem Tag des Herrn, der wie ein „Dieb in der Nacht“ kommt (5,1–4); und seine Beschreibung der Abfolge der Endzeitereignisse in 1 Kor 15,22–25 mit Passagen über den apokalyptischen Menschensohn in Mk 8,31 und Mk 13; vgl. auch P. Fredriksen, Jesus of Nazareth, King of the Jews, New York 2000, S. 78–89: Dort findet sich eine Analyse apokalyptischer Überlieferungen sowohl in den Evangelien als auch bei Paulus, die sich zum Teil eventuell tatsächlich bis auf Jesus von Nazareth zurückverfolgen lassen. Mehr zu den rückwirkenden Konstruktionen der davidischen Messianität Jesu s. auch bei P. Fredriksen, „Are You a Virgin?“ Biblical Exegesis and the Invention of Tradition, in: Jesus and Brian: Exploring the Historical Jesus and his Times via Monty Python’s Life of Brian, hrsg. v. J. E.  Taylor, London 2015), S. 151–165. 5 Novensons

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Mission unter den Juden in Galiläa und Judäa hatte Jesus vom Kommen des Gottesreichs gesprochen und sich selbst als autorisierten Propheten dieses Reiches dargestellt. Vor seinem letzten Passafest in Jerusalem huldigte die Menge (sowohl die, die ihm bereits nachfolgten, als auch Pilger, die auf seine Botschaft aufmerksam geworden waren) dem „Königreich unseres Vaters David, das kommt“, und identifizierten Jesus als seinen Boten. Bald darauf wurde Jesus durch Pilatus verhaftet und starb am Kreuz als „König der Juden“ – ein Titel, dessen davidischer Anklang unüberhörbar ist. Kurz darauf wurde er von einer ständig wachsenden Zahl von Aposteln und Anhängern „gesehen“, auferweckt von den Toten (1 Kor 15,3–7). Die Auferstehungserlebnisse an sich wären noch kein Grund, in Jesus den Messias zu sehen. Es existierte keine Überlieferung von einem sterbenden, auferstehenden und wiederkehrenden christos; diese wurde erst von der neuen Bewegung geschaffen. Allerdings haben die Erscheinungen des Auferstandenen die Botschaft Jesu in den Augen seiner Anhänger ganz offenbar bestätigt: Das Gottesreich musste kurz bevorstehen. Dieser unerwartete Bruch mit dem traditionelleren jüdischen Szenarium – zuerst das Kommen des siegreichen Messias, dann die anderen Endzeitereignisse wie die allgemeine Auferstehung – führte zu der ursprünglichen Neuinterpretation der Jünger Jesu. Das Kommen des Gottesreichs stand unmittelbar bevor, so glaubten sie; doch es würde von dem auferstandenen Jesus an der Spitze heraufgeführt, der dann bei seinem zweiten Kommen als der letzte Messias auftreten würde.7 Mit anderen Worten, die ursprüngliche Attribuierung des messianischen Status muss vor dem Tod Jesu erfolgt sein, denn nur so kann man seine Kreuzigung als „König der Juden“ erklären. Für diejenigen seiner Anhänger, die ihn danach mit eigenen Augen als Auferweckten sahen, erforderte die messianische Attribuierung zwangsläufig eine Bestätigung in zwei Phasen oder Stufen. Die erste Stufe bestand in der Erscheinung des auferweckten Jesus vor einigen Auserwählten oder Eingeweihten (zu denen, wie Paulus hervorhebt, auch er, der Apostel selbst, gehörte, 1 Kor 15,5–8). Die zweite Stufe würde dann die öffentliche Manifestation seiner Macht sein, seine Parusie und mit ihr das Kommen des Gottesreiches. Mitte des 1. Jahrhunderts ist diese Attribuierung durch die „Eingeweihten“ fest etabliert. Paulus spricht von Jesus nur noch als von „dem Christus“. Doch er bezeichnet ihn nur zwei Mal ausdrücklich als den davidischen Messias; und zwar beide Male im Römerbrief, 1,3 und 15,12. Diese beiden Stellen, am Anfang des Briefs und an seinem Ende, bilden eine Art messianischer Inclusio. Paulus bindet 7 Dahl schloss in seinem klassischen Essay „The Crucified Messiah“ die Lücke zwischen der nicht-messianischen Mission Jesu und der ihm nach seiner Kreuzigung durch seine Anhänger zugeschriebenen Messianität mit der Kreuzigung selbst (The Crucified Messiah, and Other Essays, Minneapolis 1974, S. 38). Zu einer genauen Rekonstruktion des Prozesses, in dessen Verlauf aus Jesus „der Christus“ wurde, vgl. P. Fredriksen, When Christians Were Jews, New Haven 2018, S. 74–107.

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diese Identifizierung Jesu als Davididen an beiden Stellen sogleich an seine eigene Mission unter den Völkern. Paulus […] berufen ein Apostel zu sein […] für das Evangelium betreffend [Gottes] Sohn, Nachkomme Davids nach dem Fleisch […] um den Gehorsam der Treue/Loyalität […] herbeizubringen […] unter allen Heiden/Völkern/Nationen, einschließlich eurer selbst.

So Paulus’ Selbstvorstellung am Anfang des Römerbriefs (Röm 1,1–6). Und am Ende des Briefs schließt er mit einem Zitat aus Jesaja (11,10): „Die Wurzel von Jesse wird kommen, er der aufstehen wird um die Völker zu regieren, in/durch ihn werden die Völker hoffen.“ (Röm 15,12; vgl. 16,26: Das Geheimnis, offenbart durch die Schriften der Propheten, das jetzt „unter allen Völkern“ verkündet ist).8 Paulus verstand sich selbst zuallererst als „Apostel für die Völker“: Deshalb schrieb er im Galaterbrief, dass Gott ihn von seiner Mutter Leib an ausgesondert habe (Gal 1,15–16, was als ausdrückliche Anspielung auf Jeremia 1,4–5 zu verstehen ist; vgl. Jes 49,1–6; Röm 1,1.6). Zum Glück besitzen wir im Römerbrief einen Brief von ihm, adressiert an eine Gemeinde, die er nicht selbst gegründet hatte: Um sich vorzustellen, musste er, sein Evangelium und seinen Auftrag betreffend, stärker ins Detail gehen als in den übrigen erhaltenen Briefen. Wie die messianische Klammer des Römerbriefs zeigt, verknüpfte Paulus seinen himmlischen Auftrag in den letzten Tagen, sein Werk, das die heidnischen Völker zur Anbetung des wahren Gottes führen sollte, sofort und aufs Engste mit seiner Verkündigung von Jesus als Spross aus dem Haus Davids. Folglich müssen wir, um den Apostel zu verstehen, seine Christologie verstehen. Ich gebrauche das Wort „Christologie“ hier mit Bedacht. Es ist ein offizieller theologischer Terminus, wohingegen Paulus’ Definitionen von Christus und seine Sicht der Rolle Christi in der bevorstehenden Erlösung des Kosmos auf messianischer charismatischer biblischer Exegese beruhen,9 nicht auf einem systematischen Dogma oder einer Lehre. Paulus gibt sich keine Mühe, die Lehre vom Heiligen Geist, von der Inkarnation, die Soteriologie, Theologie usw. aufeinander abzustimmen, und er denkt auch nicht an eine etwaige Verpflichtung gegenüber späteren Kirchenkonzilen, insbesondere Nicäa (mit seiner Lehre von Christus als „wahrem Gott“) und Chalcedon (mit der Betonung der „zwei Naturen“ Christi, der menschlichen und der göttlichen). Paulus ist ein Jude aus der 8 Zu dieser davidischen Einrahmung des Römerbriefs und ihrer Auswirkung auf das Verständnis des Apostels im Hinblick auf seine Mission unter den Heiden vgl. Fredriksen, Jesus of Nazareth, S. 125–37; s. auch M. V.  Novenson, The Jewish Messiahs, the Pauline Christ, and the Gentile Question, in: JBL 128 (2009), S. 373–89; und davor C. C.  Whitsett, Son of God, Seed of David: Paul’s Messianic Exegesis in Rom 2 [sic]:3–4, in: JBL 119 (2000), S. 661–81. 9 S. die klassische Untersuchung von D. H.  Juel, Messianic Exegesis: Christological Interpretations of the Old Testament in Early Christianity, Philadelphia 1988; vgl. auch Novenson, Christ Among the Messiahs, S. 136–73.

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Mitte des 1. Jahrhunderts und ein charismatischer, apokalyptischer Visionär. In diesem Kontext stehen auch seine Definitionen des Messias/christos. Zwei Stellen in den Paulusbriefen scheinen die spätere Christologie des 4. und 5. Jahrhunderts jedoch zu unterstützen. Die Erste, Phil 2,6–11, das sogenannte Christuslied,10 handelt von dem „göttlichen Wesen“ Christi. Die Zweite ist Röm 1,3–4, sie handelt von den „zwei Naturen“ Christi. Beide Passagen sollen im Folgenden näher untersucht werden. Zuerst der Philipperbrief. „[…] Christus Jesus 6 der obschon er in Gottes Gestalt war, Gleichheit mit Gott nicht als etwas zu ergreifendes erachtete, 7 sondern er leerte sich selbst, nahm Sklavengestalt an, geboren einem Menschen gleich 8 und der Gestalt eines Menschen befindlich  erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tode, sogar bis zum Tod an einem Kreuz. 9 Auf Grund dessen hat ihn Gott erhöht und ihm den Namen über allen Namen gegeben, 10 damit im Namen Jesu sich beugen sollen alle Knie, ob im Himmel oder auf der Erde oder unter der Erde, 11 und alle Zungen sollen anerkennen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.“

Nach dieser Übersetzung, die großen Wert darauf legt, dass „Gott“ der angemessene Name der höchsten biblischen Gottheit ist, mag der Leser sich zu Recht wundern, warum es bis 325 u.Z. dauerte, bis die Kirche sich auf die Lehre des Konzils von Nicäa einigte. Hier ist Christus „in“ derselben „Gestalt“ wie Gott (was immer das bedeuten mag);11 er weigert sich „Gleichheit mit Gott“ zu ergreifen, was nahelegt, dass das eine Option war; und er wird durch den Titel/ Namen der biblischen Hauptgottheit erhöht, nämlich mit „Herr“. Diese Verse scheinen ganz eindeutig von zwei fast gleichen bzw. grundsätzlich identischen Göttern auszugehen.12 Paulus scheint in diesem Fall als „di-theistischer“ Christ, nicht als „mono-theistischer“ Jude zu sprechen. 10 Nach wissenschaftlichem Konsens wird dieser Hymnus als vorpaulinisch eingestuft. Ich bin da nicht so sicher. Auf jeden Fall muss er in seinen neuen Kontext passen, wenn Paulus ihn auswählt. Das Gleiche gilt für Röm 1,3–4: Auch diese Passage gilt meist als vorpaulinische Überlieferung. Vgl. dagegen Novenson: „Vorpaulinische Überlieferungen werden, sobald Paulus sie verwendet, rein funktional paulinisch und müssen als bedeutungstragende Teile des Textes, in dem sie stehen, betrachtet werden“ (Jewish Messiahs, S. 370, Anm. 56). 11 Die immer noch klarste Erläuterung der Bedeutung von morphē in dieser schwierigen Passage findet sich bei M. Bockmuehl, The Epistle to the Philippians, London 1997, S. 126– 129; zu seiner Deutung des Gesamthymnus s. S. 114–48; zu dieser Passage vgl. auch den Kommentar von P. A.  Holloway, Philippians, Minneapolis 2017, S. 114–124. 12  Nach Ansicht Richard Bauckhams wird in dieser Passage eine radikale Gleichsetzung vorgenommen, eine der „tiefsten Erkenntnisse der neutestamentlichen Christologie“, die erst durch Martin Luther theologisch adäquat gewürdigt wurde. Jesus and the God of Israel, Grand Rapids 2009, S. 59; vgl. S. 1–17 (frühjüdischer Monotheismus), S. 18–31 („christologischer Monotheismus“) und S. 37–45 (speziell zu Phil 2,6–11). Zu einer neueren Problematisierung dieses Anspruchs auf die Gleichsetzung Christi mit Gott vgl. M. W.  Martin, ἁρπαγμόs Revisited. A Philological Reexamination of the New Testament’s Most Difficult Word, in: JBL 135 (2016), S. 175–94. Vgl. auch den klassischen Artikel von C. H.  Talbert, The Problem of Pre-Existence in Philippians 2,6–11, in: JBL 86 (1967), S. 141–153, wo die These vertreten wird, dass diese Verse tatsächlich den menschlichen Christus meinen.

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Der griechische Urtext unterstützt diese Auffassung nicht unbedingt. Hier heißt es in Phil 2,6 nicht, dass Jesus „die Gestalt des [hohen]Gottes“ hat, sondern die Gestalt [eines] Gottes“. Es geht also nicht um die Gleichheit mit Gott dem Vater, sondern um „göttlichen Status“ oder, näher an Paulus’ Formulierung, um Gleichheit mit „[einem] Gott“. Im Gegensatz dazu ist der Gott, der Jesus in V. 9 erhöht, der hohe Gott (ho theos, der Gott), nämlich „Gott der Vater“ von V. 11. Die Gepflogenheit der modernen Schreibweise in Großbuchstaben lässt Paulus’ Griechisch hier unklar erscheinen. Paulus unterscheidet an dieser Stelle zwischen Abstufungen der Göttlichkeit. Jesus ist nicht „Gott“.13 Ich würde deshalb das, was Paulus hier sagt, folgendermaßen übersetzen: „Christus Jesus erhob, obgleich er göttliche Gestalt hatte, keinen Anspruch auf göttlichen Status (oder darauf, „dasselbe wie ein Gott zu sein“); sondern er entäußerte sich, nahm Sklavengestalt an, wurde in Menschengestalt geboren. Und in dieser menschlichen Gestalt erniedrigte er sich, wurde gehorsam bis in den Tod, ja den Tod an einem Kreuz. Deshalb hat Gott ihn hoch erhöht und ihm den Namen über allen Namen gegeben, damit beim Namen Jesu jedes Knie sich beuge – ob himmlische Wesen oder irdische Wesen oder unterirdische Wesen – und jede Zunge anerkenne, dass Jesus Christus Herr ist/Herr Jesus Christus ist, zu Ehren Gottes des Vaters.“

Jesus besaß himmlischen Status – auf den er keinen Anspruch erhob. Nach seinem Tod hat Gott der Vater ihn erhöht. Paulus verwechselt die Abstufungen der Göttlichkeit hier nicht und er mischt sie auch nicht. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch die Zurückhaltung des Apostels: Er sagt nicht, dass Jesus (auch) ein Gott war, sondern dass er die „Gestalt“ eines Gottes hatte. Paulus bezeichnet Jesus nirgendwo als theos („Gott“), ja nicht einmal als angelos („Bote“ oder, insbesondere in diesem Zusammenhang, „Engel“).14 An anderer Stelle 13  Hier der volle Text von Phil 2,5–11: τοῦτο φρονεῖτε ἐν ὑμῖν ὃ καὶ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ, (6) ὃς ἐν μορφῇ θεοῦ ὑπάρχων οὐχ ἁρπαγμὸν ἡγήσατο τὸ εἶναι ἴσα θεῷ, (7) aλλὰ ἑαυτὸν ἐκένωσεν μορφὴν δούλου λαβών, ἐν ὁμοιώματι  ἀνθρώπων γενόμενος· καὶ σχήματι εὑρεθεὶς ὡς ἄνθρωπος (8) ἐταπείνωσεν ἑαυτὸν γενόμενος ὑπήκοος μέχρι θανάτου, θανάτου δὲ σταυροῦ· (9) διὸ καὶ ὁ θεὸς αὐτὸν ὑπερύψωσεν, καὶ ἐχαρίσατο αὐτῷ τὸ ὄνομα τὸ ὑπὲρ πᾶν ὄνομα, (10) ἵνα ἐν τῷ ὀνόματι Ἰησοῦ πᾶν γόνυ κάμψῃ ἐπουρανίων καὶ ἐπιγείων καὶ καταχθονίων, (11) καὶ πᾶσα γλῶσσα ἐξομολογήσηται ὅτι κύριος Ἰησοῦς Χριστὸς εἰς δόξαν θεοῦ πατρός. Auch Röm 9,5 könnte (meiner Ansicht nach unplausiblerweise) als Entsprechung von ho Christos (V. 9a) und ho theos (V. 9b) gelesen werden. Ich verstehe die beiden Teilsätze als zwei verschiedene Sätze mit einem Bruch zwischen sarka und ho (Anm. des Übers.: wie es auch in der deutschen Übersetzung nach Luther steht) als Zeichen dafür, dass hier das Ende von Paulus’ Beschreibung des Messias als „aus israelitischem genos“ erreicht ist. Der Schlusssatz bildet dann eine Doxologie des biblischen hohen Gottes (vgl. Röm 11,36; 16,27: Gott wird unterschieden von und ist in 16,27 höher als Christus). Mehr über Christus, wie in dieser Passage als von „Gestalt eines Gottes“, bei C. Focant, La portée de la formule τὸ εἶναι ἴσα θεῷ en Ph 2.6, in: NTS 62 (2016), S. 278–288, bes. S. 285. 14 Zur Rolle des „Messias“ und anderer derartiger wirkmächtiger Gestalten im Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels (göttliche Attribute, bedeutende Engel usw.), insbesondere, wenn es um ihr Verhältnis zu YHWHs eschatologischem Handeln in Gericht und Rettung geht, s. L. W.  Hurtado, One God, One Lord, Bloomsbury 2003, S. 41–92: vgl. auch dieselbe Autorin,

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besteht er sogar darauf, dass Jesus anthrōpos ist, ein Mensch, wenn auch ein Mensch ex ouranou, „vom Himmel“ (1 Kor 15,48). Doch wie steht es um die Verwendung des Titels „Herr“/kyrios – der in der LXX häufig Gott bezeichnet – für Jesus?15 Lässt das vielleicht Nicäa ein Hintertürchen offen? In der Septuaginta bezieht sich kyrios in der Regel auf Gott. Im Alltagsgriechisch hingegen bezeichnete es eine gesellschaftlich höherstehende Person, sie sei Mensch oder Gott. Deshalb habe ich die letzte Zeile auch so übersetzt, wie oben zu lesen, in zwei Wiederholungen, die beide durch Paulus’ Formulierung gestützt sind: Universell anerkannt ist (oder wird sein) der erhöhte Status der Gestalt Jesu als des eschatologischen, königlichen Messias (Christos, oder vielleicht „Gesalbter des Herrn“).16 Wie stellte sich Paulus diese allgemeine Anerkennung also vor? Wenn der Philipperbrief unser einziger erhaltener Paulusbrief wäre, könnten wir aus dieser Passage die Antwort „bei der Himmelfahrt Christi“ herauslesen, also zu dem Zeitpunkt nach seiner Auferstehung, an dem Jesus in den Himmel aufgenommen/erhöht wurde (Phil 2,9; vgl. Apg 1,9–11). Und wirklich lesen viele Kommentatoren die Verse denn auch in dieser Weise; ihrer Ansicht nach beschreibt der Philipperbrief einen aus zwei Phasen bestehenden Zyklus des Herabsteigens und Aufsteigens. Monotheism, Principal Angels, and the Background of Christology, in Oxford Handbook of the Gead Sea Scrolls, hrsg. v. T. H.  Lim/J. J.  Collins, Oxford 2010, S. 546–64. Ein Jahrhundert nach Paulus wird Justinus Martyr alle drei Termini – christos, (heteros) theos, angelos – ohne Bedenken nebeneinander als Bezeichnung für Jesus gebrauchen; 1. Apologie 63; Tryphon 52. 15 In Jes 45,23 LXX „sollen sich alle Knie beugen“ vor Gott. Immer, wenn Paulus sich auf diesen Vers bezieht oder ihn zitiert (Phil 2,10; Röm 14,11), denkt er an Knie, die sich infolge der Erscheinung des siegreichen Christus der Parusie vor Gott beugen. Doch Jesus als „Herrn“ zu bezeichnen ist kein Verweis auf einzigartige Göttlichkeit: Wie Paulus selbst zu den Korinthern sagt, gibt es „viele Götter und viele Herren“, womit er andere übermenschliche Mächte meint. Die Titulierung Jesu als „Herr“ dient nach meiner Auffassung in erster Linie als eschatologisch-messianische Einordnung, nicht als theistische. 16 Harrill warnt davor, die Bedeutung des Terminus kyrios überzuinterpretieren: „Ist es nicht so, dass die Tatsache, dass Paulus Jesus Herr nennt, den absoluten Herrschaftanspruch des römischen Kaisers in Frage stellt oder gar angreift? Als Antwort möchte ich auf den alten Kontext des Terminus verweisen. ‚Herr‘ war der Beiname aller Gottheiten in der mediterranen Welt der Antike, er war nicht der Verehrung des römischen Kaisers vorbehalten […] Darüber hinaus wurde kyrios in der zutiefst hierarchischen römischen Gesellschaft im alltäglichen Leben als Anrede der Herren durch ihre Sklaven, der Aristokraten durch die gewöhnlichen Bürger, der Kommandeure durch das soldatische Fußvolk verwendet, worauf sogar das Neue Testament selbst hinweist (Lk 7,6–8); praktisch alle Menschen der Antike wandten sich mit dieser Bezeichnung an sozial Höhergestellte […] Der Terminus bezeichnete nicht nur den Kaiser, sondern war eine übliche, respektvolle Bezeichnung sowohl für den Adel als auch für Gottheiten […] Statt die Logik des römischen imperialistischen Denkens zu unterlaufen, enthalten die Paulusbriefe Beispiele für dieses Denken“. J. A.  Harrill, Paul the Apostle: His Life and Legacy in Their Roman Context, Cambridge 2012, S. 88. Seine Beobachtung unterstützt die mittlerweile fünfundsechzig Jahre alte These von Dahl: Auf Christus angewendet, steht kyrios nicht für einen göttlichen Status, sondern lediglich für einen königlichen, davidischen; s. unten, Anm. 27.

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Doch wir dürfen auch den besonderen Status all dieser „Knie“ nicht übersehen. Sie gehören sowohl himmlischen als auch unterirdischen Wesenheiten sowie auch auf der Erdoberfläche lebenden Menschen und Dämonen. Paulus lebt im geozentrischen ptolemäischen Universum; er spricht hier von einer kosmischen Anerkennung des messianischen Status von Jesus, ganz ähnlich wie an anderer Stelle, etwa 1 Thess 4, 1 Kor 15 und Röm 8. Zusammengesehen zeigen diese Briefe, wie Paulus sich das große Finale von Phil 2,9 vorstellte. Die kosmische Anerkennung des Status Christi als eschatologischem – das heißt endzeitlichem – Messias findet erst bei seiner Parusie, seinem zweiten Kommen, statt. Jesus mag bei seiner Auferweckung oder durch seine Auferweckung erhöht worden sein, weil er gehorsam war bis in den Tod am Kreuz, doch seine kosmische Bestätigung zu Ehren Gottes des Vaters, so sagt Paulus hier, hängt zusammen mit seiner siegreichen Rückkehr als Gesalbter des Herrn, als siegreicher eschatologischer Christus. Besonders deutlich wird das in 1 Kor 15.17 Gerade noch hat der Apostel seiner Versammlung eindringlich begreiflich zu machen versucht, dass die Auferstehung Christi notwendig ist und sogleich die allgemeine Auferweckung nach sich zieht, da fährt er fort: „20 Nun aber ist Christus auferweckt worden von den Toten, Erstling unter denen, die entschlafen sind. 21 Denn wie durch einen Menschen Tod gekommen ist, so kam auch durch einen Menschen Auferweckung der Toten.  22  Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden. 23 Jeder aber in der für ihn bestimmten Ordnung: als Erstlingsfrüchte Christus; danach bei seiner Parusie, die die Christus angehören, 24 danach kommt das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergibt, nachdem er vernichtet hat jede Herrschaft (archē) und jede Autorität (exousia) und jede Macht (dynamis). 25 Denn er muss herrschen, bis er „jeden Feind unter seine Füße gelegt hat“ (Psalm 110,1).  26  Der letzte Feind, der abgeschafft wird, ist der Tod. 27 Denn ‚er hat alles unter seine Füße unterworfen‘ (Ps 8,7).“ (1 Kor 15,20–27)

„Herrschaft“, „Autorität“ und „Macht“ – das klingt alles sehr nach irdischen Regierungen. Doch in der Antike zeichneten diese Begriffe auch kosmische „Regierungen“, das Reich feindlicher übernatürlicher Mächte aus (vgl. „die vielen Götter und vielen Herren“ von 1 Kor 8,5–6 und „die Götter dieser Welt in 2 Kor 4,4).18 Dazu gehören auch die archontes tou aiones toutou (1 Kor 2,8): Die „Herrscher dieser Welt“ (wenn Paulus mit dieser Wendung astrale Mächte und nicht die Römer meint) haben den Sohn von Paulus’ Gott gekreuzigt. Es sind übermenschliche Wesenheiten, die der zurückkehrende Christus unterwerfen wird (wie in 17 Das Wort „Messias“ taucht zwar in diesem Vers selbst nicht auf, doch es steht gleich vier Mal in den unmittelbar vorangehenden Versen. Novenson schließt daraus: „In 1 Kor 15,20–28 geht es nicht um die davidische Messianität Jesu, doch diese Messianität ist axiomatisch für die dort vorgetragene Argumentation“ (Novenson, Christ Among the Messiahs, S. 146). 18 Zu den Definitionen ungeordneter göttlicher Wesenheiten s. BAGD, New Testament Lexicon.

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Röm 8,38 Engel, Mächte und Gewalten; vgl. Eph 6,12).19 Diese Wesenheiten sind die Himmelsmächte, die über die heidnischen Völker herrschten und die dafür von diesen Völkern angebetet wurden.20 Und sie sind auch die Wesen, denen die übermenschlichen Knie im Philipperbrief gehören, die sich „beugen werden“, wenn sie Jesus als den eschatologischen Herrn, den Messias anerkennen. Bis Christus wiederkommt kämpfen Paulus selbst und seine Gemeinden auch gegen diese Mächte. Doch wenn Christus sich in seiner ganzen Macht zeigt und die Auferweckung der Toten einleitet, am Ende, werden sie sich unterwerfen. In Phil 2 ist folglich ein vierstufiger Zyklus impliziert oder sogar vorausgesetzt: Abstieg (in „menschliche Gestalt“); Aufstieg/Erhöhung (nach Jesu Auferweckung); erneuter Abstieg (vermutlich bei der Parusie, um die zu unterwerfen, die über der Erde und auf der Erde und unter der Erde sind); absolutes Anerkennen (alle verneigen sich vor dem Namen Jesu und erkennen ihn als Christos an, zur Ehre Gottes des Vaters). Wenn er wiederkehrt, um die Völker zu sammeln, wird Jesus kommen, wie ein Krieger-Messias, der Sohn Davids, kommen sollte: als siegreicher Eroberer, der das Gottesreich heraufführt, mit Macht. Theologen wie Bultmann mögen das als rein mythologische Sprache verstehen – aber Paulus war kein moderner christlicher Theologe. Er war ein Mitte des 1. Jahrhunderts lebender Fürsprecher einer apokalyptischen jüdischen Bewegung und er denkt in den großen jüdischen Narrativen der Erlösung.

2. Christus, der Sohn Davids, Teil 2: Der Römerbrief Die Standardlesarten (und Übersetzungen) von Röm 1,3–4 unterstützen die obige Auslegung nicht. Die Eingangspassage wurde lange als Beleg für die „zwei Naturen“-Christologie gesehen, der zufolge Paulus Jesus sowohl mit menschlichen als auch mit göttlichen Attribuierungen begreift. Am Anfang des wohl berühmtesten seiner Briefe bringt Paulus den „Sohn Davids“ ganz deutlich mit Schwäche und Sterblichkeit („Fleisch“) in Verbindung und stellt diese davidische Sohnschaft der göttlichen Sohnschaft, der Sohnschaft in Kraft, gegenüber.21 Werfen wir zunächst einen Blick auf den Text der RSV: 19 Zu den Anklängen dieser eschatologisch-messianischen Passage bei Daniel 2,7 s. Novenson, Christ Among the Messiahs, S. 143–146. 20 S. J. R.  Wagner, Heralds of the Good News: Isaiah and Paul „In Concert“ in the Letter to the Romans, Leiden 2002, S. 225, Anm. 25, über Deuteronomium 32,8–9: Gott behält Israel für sich, verteilt aber die übrigen Völker unter seinen Hofstaat; eine Legende, die auch in Jesus Sirach 17,17 und in Buch der Jubiläen 15,30–32 anklingt (diese Geister machen die Völker „abspenstig“). 21 Ganz klar und mit reichlich bibliographischen Verweisen skizziert Nathan Carl Johnson die Deutungsgeschichte dieser Verse und ihrer Vorgänger in anderen jüdischen Schriften aus der Zeit des Zweiten Tempels in seinem Artikel „Romans 1,3–4: Beyond Antithetical Parallelism“, in: JBL 136.2 (2017), S. 467–90. Johnson kommt auf anderem Weg zu derselben

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„1  Paulus, ein Diener Jesu Christi, berufen ein Apostel zu sein, ausgesondert für das Evangelium Gottes, 2 das er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in den Heiligen Schriften, 3 das Evangelium von seinem Sohn, der von David abstammt nach dem Fleisch, 4 und zum Sohn Gottes ernannt in Kraft nach dem Geist der Heiligkeit durch seine Auferstehung von den Toten – Jesus Christus, unserm Herrn.“

Es geht offenbar nicht nur um den Gegensatz von Fleisch und Geist, sondern auch um den Gegensatz zwischen dem Sohn Davids (dem menschlichen Jesus?) und dem Sohn Gottes (dem göttlichen Sohn). Die obige Übersetzung betont vor allem die eigene, persönliche Auferweckung Jesu: denn durch sie wurde er zum Sohn Gottes „eingesetzt“ oder „bestätigt“ oder „erwiesen“. Ich werde etwas später noch auf die spezifische Bedeutung der Tatsache zurückkommen, dass Jesus als „Sohn Gottes“ „eingesetzt“ wurde. Zunächst möchte ich jedoch herausarbeiten, inwiefern diese Übersetzung der Passage in die Irre geht, denn sie missdeutet den Punkt, ab dem Jesu Identität als „Sohn Gottes“ manifest ist. Nach Paulus geschah das nicht bei der Auferweckung Jesu oder durch sie. Dieses göttliche Handeln wurde nur einigen wenigen Auserwählten offenbart, einer kleinen Gruppe von „Brüdern“ und Aposteln – darunter, so betont Paulus, auch ihm, dem Apostel, selbst – und zwar zu irgendeinem Zeitpunkt nach der Kreuzigung (1 Kor 15,5–9). Dagegen ist, wenn man sich den griechischen Paulustext – an dieser und auch an anderen Stellen in seinen Briefen – genauer ansieht, die Manifestation Christi in Kraft – d. h. in der Öffentlichkeit, vor dem gesamten Kosmos – an die allgemeine Auferweckung geknüpft, will heißen, an das Kommen des Gottesreichs am Ende. „Paulus, d  er Sklave von Christus Jesus berufen [zum] Apostel abgesondert für die gute Nachricht Gottes [die gute Nachricht], die zuvor durch seine Propheten in den heiligen Schriften über seinen Sohn verheißen wurde der geboren wurde aus dem Samen Davids nach dem Fleisch der ernannte Sohn Gottes in Kraft gemäß dem Geist durch der Auferweckung der Toten Jesus Christus, unserem Herrn.22

Noch einmal, um die parallele Struktur noch deutlicher zu machen:

Schlussfolgerung, die auch ich vertrete: dass der „Same Davids“ und der „Sohn Gottes“ identisch sind. 22 Hier der entsprechende griechische Text: περὶ τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ, τοῦ γενομένου ἐκ σπέρματος Δαυὶδ κατὰ σάρκα τοῦ ὁρισθέντος υἱοῦ θεοῦ ἐν δυνάμει κατὰ πνεῦμα ἁγιωσύνης ἐξ   αναστάσεως νεκρῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ τοῦ κυρίου ἡμῶν

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Die gute Nachricht über seinen Sohn, der geboren ist nach dem Fleisch aus dem Samen Davids, der ernannt wurde als sohn gottes in Kraft nach dem Geist durch die Auferweckung der Toten.“

Mit anderen Worten, der Begriff Fleisch bezeichnet die davidische Abstammung (vgl. Röm 9,5), der Begriff Geist bezeichnet die Einsetzung zum eschatologischen Messias durch die endzeitliche Auferweckung der Toten beim Jüngsten Gericht – ein absolut öffentliches Ereignis, das Paulus und die anderen erst in der Zukunft erwarten. Besondere Eingeweihte (wie die in 1 Kor 15,5–8 Aufgeführten) wussten, dass das Gottesreich, also die allgemeine Auferweckung, nahe war, weil sie den auferstandenen Christus selbst gesehen hatten. Doch bei den Erscheinungen des auferweckten Jesus ging es, so nach Paulus in anderem Kontext, nicht darum, seinen göttlichen Status zu bestätigen, sondern darum, die auserwählte Gemeinschaft („israelitischer“?) Eingeweihter – den Rest, der erwählt ist aus Gnade (Röm 11,5) – wissen zu lassen, welche Zeit nach Gottes Zeitrechnung angebrochen war. Die Auffassung, Röm 1,4 beziehe sich auf „Jesu eigene Auferstehung“, wurde zum hermeneutischen Standard.23 Doch im griechischen Paulustext steht es anders. Das Griechische gebraucht Präpositionen, um das Verhältnis zwischen Wörtern zu spezifizieren. Paulus verwendet in Röm 1,4 nach seinem Terminus für „Auferstehung,“ anastasis, ein Substantiv im Genitiv Plural: der Toten. Wenn er hätte sagen wollen „Auferstehung von den Toten“ (wie er an anderer Stelle schreibt), hätte er die Präposition „von“, ek, gebrauchen müssen (was er an anderer Stelle auch tut). In einer anderen Passage (1 Kor 15,12–21) sehen wir beide Wendungen Seite an Seite gebraucht: „12 Wenn aber Christus gepredigt wird, als von den Toten (ἐκ νεκρῶν) auferweckt, wie können einige unter euch sagen dass es keine Auferstehung der Toten gibt (aνάστασις νεκρῶν)? 13 Wenn es keine Auferstehung der Toten (aνάστασις νεκρῶν) gibt, dann ist auch Christus nicht auferweckt worden […] 20 Nun aber ist Christus auferweckt worden von den Toten (ἐκ νεκρῶν) als Erstling unter denen, die entschlafen sind. 21 Denn da durch einen Menschen der Tod [gekommen ist]], so kommt [kam? wird kommen?] auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten (aνάστασις νεκρῶν).“

Meine Auslegung dieser Verse im Römerbrief hat bereits Augustinus von Hippo vor siebzehnhundert Jahren vertreten. In seiner lateinischen Bibel sind in Röm 1,4 tatsächlich die griechischen Details berücksichtigt: Für ἐξ aναστάσεως νεκρῶν steht in Augustinus’ Text ex resurrectione mortuorum, „durch die Auferstehung der Toten“. Augustinus wendet sich in seinem unvollendeten Kommentar zum Paulusbrief, epistulae ad Romanos inchoata expositio (394/95 z.Z.) denn auch explizit gegen die Vorstellung, die schließlich Eingang in die modernen Übersetzungen gefunden hat. „Außerdem sagt Paulus nicht, dass Christus durch seine Auferweckung von den Toten [ex resurrectione a mortuis] prädestiniert wurde, 23 S.

auch S. H.  Hooke, The Translation of Romans 1,4, in: NTS 9 (1963), S. 370–71.

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sondern durch die Auferweckung der Toten [ex resurrectione mortuorum]. Denn [Christi] eigene Auferstehung zeigt nicht, inwiefern er der Sohn Gottes ist […] weil nämlich auch andere von den Toten auferweckt werden […] Vielmehr wurde er als solcher erwiesen durch die Auferstehung aller Toten [omnium mortuorum]“ (inch. expos 5.11) – das heißt, bei der allgemeinen Auferweckung am Ende der Zeit.24 Mit anderen Worten, die Anfangsverse des Römerbriefs sollten im Licht der „heroischen“ messianischen Verse von 1 Thess 4, Phil 2, 1 Kor 15 und auch Röm 8 gelesen werden, wo von der Wiederkunft des siegreichen Messias, des Eroberers, die Rede ist. Es ist die Auferweckung aller Toten – und damit das königliche, militärische, herrliche zweite Kommen Christi, seine Parusie – die die respektvolle Unterwerfung des gesamten Kosmos (all der Knie im Philipperbrief) einleitet und das Gottesreich heraufführt, dank der Siege seines Sohns, des Messias und damit gleichzeitig des eschatologischen Sprosses aus dem Haus Davids. Angesichts dieses Tatbestandes lohnt es sich, noch einmal zu betrachten, wie Paulus die Begriffe Sohn Gottes, Sohn Davids und Herr verwendet. Die Verpflichtung auf eine frühe hohe Christologie – will heißen auf Jesu einzigartige Göttlichkeit, seine „Präexistenz“ – hat manche Gelehrte bewogen, einen extremen Gegensatz zwischen dem „inkarnierten“ Christus (dem „irdischen“ Jesus, Davids Sohn kata sarka, vgl. Röm 9,5) und dem ewigen Christus (Gottes präexistentem Sohn, dessen eigene Auferweckung seinen besonderen Status anzeigte bzw. offenbarte) zu postulieren. „Sohn Davids“ und „Sohn Gottes“ stehen in der Perspektive dieser Formulierungen für zwei unterschiedliche und unvereinbare Vaterschaften. Paulus’ Verwendung des Begriffs „Herr“ wird entsprechend als Bestätigung dieser Sichtweise gelesen. Da „Herr“ im Alten Testament häufig auf Gott verweist, lässt das „Herr“, das Paulus in seinen Briefen für Jesus gebraucht, einen radikalen „Binitarismus“ erkennen – den besonderen Status Jesu als Gottes in einzigartiger Weise göttlicher Sohn. Paulus vertrat tatsächlich eine hohe Christologie. Sein Jesus existierte in himmlischer Gestalt, bevor er in menschlicher Gestalt erschien (Phil 2,5); er ist der kosmische Mittler, „durch den alle Dinge sind und wir durch ihn“ (1 Kor 8,6). Doch auch wenn sein Jesus „aus dem Himmel“ ist, identifiziert Paulus diesen himmlischen Jesus dennoch und eindeutig als anthrôpos, „Mensch“ (1 Kor 15,48). 24  Vgl. folgende Beispiele: 1 Kor 15,42: So auch die Auferstehung der Toten [ἡ aνάστασις τῶν νεκρῶν]. Phil. 3,8–11: […] Ich erachte es alles als Abfall um Christus zu gewinnen […] ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung […] damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten (ἐξ ανάστασιν τὴν ἐκ νεκρῶν). Mk 6,14: Und die Leute sprachen: Johannes der Täufer ist von den Toten auferweckt [ἐκ νεκρῶν]. Apg 17,31–32: Und hat jedermann den Glauben angeboten, indem er [God] ihn [Christ] von den Toten auferweckt hat (aναστήσας αὐτὸν ἐκ νεκρῶν). Als sie von der Auferstehung der Toten (aνάστασιν νεκρῶν) hörten, begannen einige zu spotten […] Apg 23,6: Brüder, ich bin ein Pharisäer und der Sohn von Pharisäern; ich werde angeklagt um der Hoffnung und um der Auferstehung der Toten willen (περὶ ἐλπίδος καὶ aναστάσεως νεκρῶν).

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Angesichts der unverwechselbaren Unterscheidungen der Neuzeit zwischen den Kategorien des „Menschlichen“ und des „Göttlichen“ kann Paulus’ mangelnde Trennschärfe in diesem Punkt als verwirrend, widersprüchlich, ja geradezu chalcedonisch erscheinen. Doch Paulus lebte in einer Kultur, die es gewöhnt war, Göttlichkeit an einem Gradienten zu messen, der Himmel und Erde umspannte; einer Kultur, in der der paterfamilias  – sei es der individuellen gens oder des ganzen Reichs – für seinen genius, seine numinose Dimension, verehrt wurde; einer Kultur, in der die Sterne und Planeten als gestaltgewordene, göttliche Wesenheiten galten; einer Kultur, in der, bis lange über die Zeit Konstantins hinaus, der Gottkaiser kultisch verehrt wurde. Vor diesem Hintergrund war die Vorstellung eines göttlichen Menschen im 1. Jahrhundert und auch danach, dem Denken der Heiden und auch der Juden und später auch der Christen durchaus nicht fremd.25 Paulus aber dachte diesen Gedanken ohne das philosophische und damit theologische Gerüst des 4. und 5. Jahrhunderts (homoousia, personae usw.). Er denkt durch und durch biblisch, apokalyptisch, messianisch. Ich plädiere deshalb dafür, sowohl Paulus als auch seine Christologie völlig unbefrachtet von den späteren Glaubensformeln der imperialen Kirche zu betrachten. Aus dieser Perspektive wird deutlich, wie die drei Bezeichnungen des Apostels für Jesus damals, zu seiner Zeit, funktioniert haben: Sie sind Synonyme. 25 Vgl. Philo, de vita Mosis 1.158; seiner Ansicht nach wurde Mose wegen seiner moralischen und spirituellen Vortrefflichkeit als „Gott (theos)“ und „König des ganzen Volkes“ (bezogen auf Ex 20,21) bezeichnet. Auch Origenes nennt in seinem Kommentar zum Römerbrief sowohl David „den Propheten“ als auch den Apostel Paulus „Götter“ (sine dubio non erant homines sed dii; Comm. ad Rom II.10, 18 [SC 532, S. 438]). Zur Gottheit des Kaisers im frühen römischen Kaiserreich vgl. M. Peppard, The Son of God in the Roman World, Oxford 2012, S. 31–49; zur Heiligkeit und zum numen sowohl des Kaisers (gleich, ob heidnisch oder christlich) als auch seines Bildes s. J. Elsner, Imperial Rome and Christian Triumph, Oxford 1998, S. 53–87; außerdem K. Hopkins, Divine Emperors, or the Symbolic Unity of the Roman Empire, in: Conquerors and Slaves, Cambridge 1978, S. 197–226. Der Kaiserkult wurde unter Konstantin und seinen Nachfolgern fortgeführt, s. A. H. M.  Jones: The Later Roman Empire, 284–602: A Social, Economic, and Administrative Survey, Norman 1964, Band 1, S. 93 (mit Anmerkungen zu mit Konstantins persönlicher Billigung unter Aufsicht eines kaiserlichen Priesters abgehaltenen, verschiedenen dem Kaiser gewidmeten kulturellen Wettkämpfen und Gladiatorenspielen); G. Bowersock, Polytheism and Monotheism in Arabia and the Three Palestines, in: Dumbarton Oaks Papers 51 (1997), S. 1–10; R. MacMullen, Christianity and Paganism in the Fourth through Eighth Centuries, New Haven 1997, S. 34–39, zum Kult des christlichen römischen Kaisers; D. Boin, Late Antique Divi and Imperial Priests in the Late Fourth and Early Fifth Centuries, in: Pagans and Christians in Late Antique Rome: Conflict, Competition and Coexistence in the Fourth Century, hrsg. v. M. Salzman/R. L.  Testa/M. Sághy, New York 2015, S. 139–161. Das Entscheidende am (äußerst langlebigen) nach-konstantinischen Kaiserkult ist, dass sogar der Mann, der das Konzil von Nicäa einberief und leitete, völlig im Reinen damit war  – wie im Übrigen auch seine Bischöfe – sich selbst als mit numen ausgestattet, also in gewisser Weise für göttlich zu betrachten und auch von den anderen so gesehen zu werden. Kurz gesagt: Göttlichkeit ist im antiken Mittelmeerraum eine sehr flexible Kategorie und Vorstellung und wird sowohl auf Menschen (Juden wie Christen!) als auch auf übermenschliche Wesen angewendet.

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Alle drei Termini – „Sohn Gottes“, „Sohn Davids“ und „Herr“ – bezeichnen in einem eschatologisch-messianischen Kontext dieselbe Person – deshalb beruft sich Paulus in seiner Schlusskatene von Schriftzitaten in Röm 15,12 auf Jesaja 11,10. Der endzeitliche Messias ist der Sohn Davids, d. h. er ist ein Nachkomme aus dem Hause Davids (vgl. 9,5); und als solcher ist er auch der Sohn Gottes. Insofern und deshalb greifen die frühen Überlieferungen über Jesus so problemlos auf die Königspsalmen in der Septuaginta zurück.26 Dasselbe gilt für Kyrios, „Herr“ – auch dieser Begriff verweist meiner Ansicht nach auf den endzeitlichen, königlichen Messias. „Kyrios ist bis zu einem gewissen Grad eine passende Übersetzung von Christos, denn der Begriff hat eine königliche Konnotation, die „Christos“ im Griechischen nicht gehabt hätte“.27 Mit anderen Worten, Kyrios ist ein Code für die gleiche Gestalt, den endzeitlichen Messias, den Spross aus dem Hause Davids. Hier begegnen wir auch wieder der eschatologischen Bedeutung der Visionen der Anhänger Jesu. Ihre Überzeugung, dass Jesus auferweckt worden war, war keineswegs per se bedeutsam. Der auferstandene Christus war vielmehr deshalb wichtig, weil er das ursprüngliche evangelion Jesu bestätigte, dass das Gottesreich, das zeitgleich mit seiner siegreichen – und klassischerweise martialischen und damit davidischen – Wiederkunft heraufgeführt werden würde, unmittelbar bevorstand (wie Paulus in 1 Kor 15,3–20 ausführt). Damit sind auch Röm 10,9 und 13 keine Aussagen über die Herrschaft des auferstandenen Christus an sich und seine soteriologische Wirkmacht, sondern eine Deklarationeschatologischer Messianität. „Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und vertraust in deinem Herzen darauf, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, wirst du gerettet […] denn ‚wer den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden‘ (Joel 3,5).“ „Herr“ bedeutet hier „endzeitlicher davidischer, königlicher Messias“. Die Auferweckung Jesu ist unmittelbar mit der allgemeinen Auferweckung verbunden und damit zwangsläufig mit der triumphalen Wiederkunft Jesu, die mit dieser Auferweckung einhergeht. Die seinen Namen anrufen – „Komm, Herr!“ – werden „gerettet“, das heißt, sie werden in das (rasch näherkommende) Gottesreich eingehen. Entscheidend ist, dass kyrios hier nicht in erster Linie als besonderer Titel für eine metaphysische göttliche Wesenheit fungiert („Jesus als Herr“, die „Herrschaft“ Jesu), sondern als Hinweis auf Jesu königliche, davidische, messianische Rolle, will heißen seinen Status als Gottes eschatologischer Champion.

26 Zu Christus-Wendungen und Christuspassagen bei Paulus vgl. Novenson, Christ Among the Messiahs, S. 98–173; s. auch Wagner, Heralds, wo viele andere jüdische Texte aus der Zeit des Zweiten Tempels aufgeführt werden, die mit Hilfe von „Isaiah 11 […] to stoke the fires of messianic and eschatological hopess,“ S. 320–40. 27 N. A.  Dahl, The Messiahship of Jesus in Paul, in: Jesus the Christ: The Historical Origins of Christological Doctrine, hrsg. v. D. H.  Juel, Minneapolis 1991, S. 15–25, hier: S. 20.

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Und was ist in der Zwischenzeit? Die kosmische Zäsur zwischen der Auferweckung Christi und seinem Zweiten Kommen bestand fort und fort, einen Tag um den anderen, zog sich in unerklärlicher Weise dahin. Die ersten Anhänger Jesu, denen eine Vision von ihm als dem Auferstandene vergönnt war, hatten sich umgruppiert, waren dauerhaft nach Jerusalem gezogen, und warteten dort auf seine triumphale Wiederkunft.28 Schließlich verfielen sie in eine intensive innerjüdische Missionstätigkeit, ausgehend von Jerusalem hin zu den Synagogengemeinden in der Diaspora. Aus den Paulusbriefen und aus dem späteren Material in den Evangelien und in der Apostelgeschichte können wir erschließen, wie diese frühen Apostel wohl ihr evangelion verbreitet und autorisiert haben: Sie verkündeten, dass das Gottesreich nahe sei (ausgehend von ihrem Zeugnis der Auferstehung Christi), vollbrachten charismatische Taten (Exorzismus, geistinspirierte Gebete und Prophezeiungen, Heilungen, „machtvolle Taten“) und disputierten mit Ihresgleichen über bestimmte Schriftpassagen. Dabei begannen sie – anfangs zu ihrer eigenen Überraschung – auch interessierte Nicht-Juden aus dem Kreis gottesfürchtiger Heiden „gemischter“ Synagogen zu gewinnen, aber natürlich auch lokale Juden (wie schließlich, wenn auch nicht sofort, Paulus selbst).29 Erst nach seinen Zusammenstößen mit diesen Aposteln in Damaskus erlebte Paulus seine eigene Christophanie (Gal 1,13–14.17; vgl. 1 Kor 15,8). Diese Vision bestätigte für ihn den Kerngehalt des Evangeliums, den er in 1 Kor 15 wiederholt: Der auferstandene Christus würde in Kürze zurückkehren, das Gottesreich war nahe. Nach dieser Erfahrung richtete er sein Leben völlig neu aus; von jetzt an konzentrierte er sich auf eben die Angelegenheit, die ursprünglich seinen leidenschaftlichen Widerstand herausgefordert hatte, von nun an jedoch sein Leben und seine Mission beherrschen sollte: Er, Paulus, würde den Sohn Gottes „unter den Völkern“ verkündigen (Gal 1,16; vgl. Röm 1,5 „unter den Völkern“; 16,26 „allen Völkern“). Etwa zwei Jahrzehnte später, das wissen wir aus den Paulusbriefen, gab es in diesen verstreuten messianischen Gruppen noch keine einheitliche Praxis für die Assimilation von Heiden in ihre kleinen Versammlungen.30 All diese 28 “Das in der überlieferten Eschatologie nicht vorgesehene Zuvorerscheinen, Sterben und Auferstehen des künftigen Messias macht den Charakter der Zeit zwischen der Auferstehung Jesu und seiner Wiederkunft problematisch“ (Schweitzer, Die Mystik des Apostels Paulus, S. 99). Vgl. Fredriksen, When Christians Were Jews, zu einer Analyse und Rekonstruktion der Abfolge der verschiedenen Stadien zwischen Pilatus (30 u.Z.) and Titus (70 u.Z.) in der Erfahrung der Gemeinde in Jerusalem. 29 Zu der (völlig normalen) Anwesenheit von Heiden in den Diasporasynagogen, eine gesellschaftliche Gegebenheit, die nach der Thronbesteigung Konstantins jahrhundertelang zu beobachten war, s. Fredriksen, Paul, S. 49–60. 30 Daher Paulus’ Zorn und seine Verdammung einiger seiner Apostelkollegen als „falsche Brüder“ (Gal 2,4), Heuchler (Gal 2,12–13; bezogen auf Petrus und Barnabas); als „Hunde“, „bösen Arbeiter“ und „Zerschneidung“ (Phil 3,2); „Überapostel, Prahler, falsche Apostel, betrügerische Arbeiter, Diener Satans“ (2 Kor 11,5–14).

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exheidnischen Heiden, auch die von Paulus Bekehrten, „judaisierten“ bis zu einem gewissen Grad: Das heißt, sie als Nicht-Juden übernahmen einige überlieferte Praktiken der Juden. Wie weit sie dabei in ihrer Übernahme gingen, war allerdings unterschiedlich. Auf jeden Fall aber mussten sich offenbar alle auf die zwei spezifischsten jüdische Gepflogenheiten – das Meiden des öffentlichen Kults und die Anbetung allein des Gottes Israels  – verpflichten. Manche Christusanhänger aus den Völkern beteiligten sich an der Kollekte für die Jerusalemer Gemeinde, andere wurden übergewissenhaft, was Wein oder Speisevorschriften betraf. Noch andere strebten nach voller Identifizierung mit dem Volk Israel und wollten durch Beschneidung Proselyten werden. Und all diese Versammlungen in dieser fragmentierten Bewegung erwarteten die unmittelbar bevorstehende Wiederkunft ihres Messias und Retters, des davidischen Gottessohnes. Doch wo blieb das Gottesreich? Warum ließ es auf sich warten? Was musste noch geschehen, bevor Christus zurückkehrte, um die Toten zu erwecken, die kosmischen Götter zu besiegen, die Menschheit zu erlösen und seinem Vater das Reich zu übergeben? Diese Fragen dominieren den letzten Argumentationsstrang von Paulus’ Brief an die Römer, Kapitel 9 bis 11 und noch einmal Kapitel 15. Charakteristisch für diesen Brief ist auch, dass ein Großteil des Schriftmaterials, aus dem Paulus seine Antworten gewinnt, vom Propheten Jesaja stammt.31 Paulus’ Hochachtung vor den jesajanischen Überlieferungen zur eschatologischen Pilgerreise nach Jerusalem im Verein mit der Ausrichtung seiner eigenen Mission auf die Völker brachte es mit sich, dass er sich über die Wichtigkeit seines Evangeliums tois ethnesin, „für die Völker“, wie auch für seine Stammesverwandten, Israel kata sarka, im Klaren war.32 Damit schlug Paulus eine Brücke zwischen den neuen Christus-Versammlungen aus den Völkern und Gottes althergebrachten Verheißungen an die Juden. Somit redet Paulus im Römerbrief von Kapitel 9 bis 11 weiterhin die römischen Gläubigen aus den Völkern an („Jetzt spreche ich zu Euch ethnê“, 11,13), doch sein Fokus verändert sich deutlich. Nach seiner begeisterten Beschwörung der bevorstehenden Erlösung in Christus spricht Paulus davon, welch „große Traurigkeit und Schmerzen“ er wegen seiner Stammesverwandten, dem Volk Israel, empfindet (9,2–3). Doch woher rührt dieser Kummer? Die Völker wenden sich in großer Zahl dem Evangelium zu, doch bis jetzt hat nur „ein Rest“ Israels die gute Nachricht angenommen (9,27–31; 11,7). Hat Gott sich vom Bund abgewandt? Würde Gott am Ende der Geschichte seine Verheißungen an Israel nicht einhalten (9,4; vgl. 15,8)? Me genoito!, antwortet Paulus. „Hat denn Gott sein Volk 31 Wagner merkt an, dass „Jesaja-Zitate fast die Hälfte von Paulus’ expliziten Schriftverweisen im Römerbrief bilden“ (Wagner, Heralds, S. 2). Siehe auch die wichtigen Tabellen auf S. 342 f. 32 Zu diesem Punkt – Paulus’ Blick auf die endgültige Erlösung seines eigenen Volkes – vgl. auch J. M.  Scott, And then all Israel will be Saved (Röm 11,26), in: Restoration: Old Testament, Jewish and Christian Conceptions, hrsg. v. dems., Leiden 2001, S. 490–527.

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verlassen? Das sei ferne!“ (11,1). Wie also können Paulus und seine Adressaten die gegenwärtige Situation verstehen? Sinnreich und recht gewunden verflicht Paulus die biblische Prophezeiung und sein Bekenntnis als Jude zu Gottes Beständigkeit und Güte mit genau diesem entmutigenden Tatbestand. Und indem er das tut, erklärt er nicht nur, warum das Gottesreich auf sich warten lässt, sondern auch, warum er selbst seine eigene Heidenmission „preist“ (doxazô, Röm 11,13) und warum er noch immer überzeugt ist, dass das „Heil“ – das heißt, das Gottesreich – nahe, ja näher denn je ist (13,11). Die Entstehungsgeschichte Israels (Genesis und Exodus) und die Worte der Propheten, insbesondere Jesajas, geben die Richtung für Paulus und seine Adressaten vor.33 „Aber ich sage damit nicht, dass Gottes Wort hinfällig geworden sei“, mahnt Paulus (Röm 9,6): Gott hatte zu jeder Zeit die vollkommene Kontrolle über die Geschichte; er hat Israel nicht nach dem Fleisch geformt, sondern nach der Verheißung (V. 6–9, bezogen auf Isaak und Ismael) und Erwartungen in ihr Gegenteil verkehrt, indem er den Jüngeren (Jakob) „erwählt“ oder „berufen“ hat, damit der Ältere (Esau, V. 10–13) ihm diene. Gott hat Erbarmen, mit wem er will, und verstockt, wen er will, nach seinem Plan (V. 14–24), „dass mein Name verkündigt werde auf der ganzen Erde“ (V. 17). Das derzeitige missionarische Missverhältnis zwischen Nicht-Juden und Juden war schon vor langer Zeit vorausgesehen worden (9,25–26, Hosea zur Berufung der Heiden; 9,27–29 über den Rest Israels, vgl. 10,20–21; 11,5). Dieses Missverhältnis ist eine der überraschenden Umkehrungen Gottes, denn die Christus-Nachfolgenden aus den Völkern, die früher als Heiden nicht dem Weg der „Rechtschaffenheit“ oder „Gerechtigkeit“ (dikaiosunê) folgten, haben das jetzt erlangt, wohingegen Israel, das „einem Gesetz der Gerechtigkeit nachjagte“, „das Gesetz nicht erreicht“ hat (vgl. RSV „dieses Gesetz nicht erfüllt hat“, V. 30–31, da das Ziel oder Ende (telos) des Gesetzes zur Gerechtigkeit Christus ist (10,4).34 Paulus besteht darauf, dass Israels Unglaube eine Anomalie ist. Sie haben die Botschaft gehört (Röm 10,14–18) – sie wurde sogar in ihren eigenen Schriften bezeugt (3,2.20–21) – und blieben doch das Volk, „das sich nichts sagen lässt und widerspricht“, wohingegen die Heiden den Gott gefunden haben, den sie nicht suchten (10,18.20–21). Die einzige Erklärung dafür ist, dass Gott auch hier die 33 Zu Jesaja im Römerbrief merkt Wagner an: „Selbst wo er nicht eigens genannt wird, sind die alten Worte des Propheten von spürbarer und bedeutsamer Präsenz“ (Wagner, Heralds, S. 2). 34 An dieser Stelle ist das, was Paulus nicht sagt, ebenso wichtig wie das, was er sagt. Er sagt nicht, dass Nicht-Juden durch pistis Gerechtigkeit erlangt haben, und dass demgegegenüber Israel, das der Gerechtigkeit durch das Gesetz nachjagte, die Gerechtigkeit nicht erlangt hat. Durch das Gesetz Gerechtigkeit zu erlangen, ist eine genuine Möglichkeit, eine, von der Paulus überzeugt ist, sie erreicht zu haben (Phil 3,6), ebenso wie vermutlich auch der Rest Israels. Doch Israel hat das Gesetz „nicht erreicht“, denn „Christus ist des Gesetzes Ziel zur Gerechtigkeit.“ (Röm 10,4). S. auch Wagner, Heralds, S. 157–165.

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Fäden in der Hand hat. Derzeitig hat er einen Rest Israels erwählt, die Übrigen ließ er unempfänglich werden (verstockt 11,7). Auch im Verweis auf den Rest beruft Paulus sich auf Jesaja: dieser auserwählte Teil Israels weist voraus auf die künftige Wiederherstellung des ganzen Volkes.35 Wenn der Römerbrief gleichsam Paulus’ Neunte Symphonie ist, so beginnt Römer 11,11 mit dem 4. Satz, der Ode des Apostels an die Freude. Alle Menschen werden Brüder und der Apostel, der Gottes Plan prophezeit, weiß auch, wie. Zu viele Heiden? Nein. Im Gegenteil, es werden noch mehr kommen, denn Gott wird ihre „volle Zahl“ (plêrôma, Röm 11,25) retten. Zu wenig Juden? Nein. Denn Gott hat sie nur vorübergehend unempfänglich werden lassen; das ist seine Strategie, um der Heidenmission mehr Zeit zu gewähren (vgl. 11,30–21). Einstweilen wurden die ursprünglichen Zweige des Olivenbaums Israel gebrochen, um Platz für „wilde Olivenzweige“ zu schaffen, die, sozusagen para physin, „wider die Natur“, eingepfropft werden (11,24). Doch die ursprünglichen Zweige werden wieder eingepfropft werden (11,24). Wie viele? Ihre „volle Zahl“ (plêrôma); „ganz Israel“ (pas Israēl, 11.12,26). „25 Ich will euch, Brüder und Schwestern, nicht unwissend sein lassen über dieses Geheimnis […] Unempfänglichkeit ist einem Teil Israels widerfahren, bis die volle Zahl der Völker hinzukommt. 26 Und dann wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht: ‚Ein Erlöser wird aus Zion kommen; er wird allen Unglauben von Jakob abwenden.‘ Und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehme.“ (Jesaja 59,20–21; 27.9)

Die „volle Zahl der Völker“ und „ganz Israel“ sind keine vagen Abstraktionen. Diese Wendungen enthalten eine Art eschatologischer Arithmetik  – 70+12  –, in dem große Themen der Schrift anklingen. Die erste Wendung erinnert an die Völkertafel in Gen 10, wo Noahs drei Söhne, Jafet, Sem und Ham, die Erde nach der Sintflut wieder bevölkert haben. Die siebzig Völker, die daraus hervorgingen, wurden je nach ihren Sprachen, ihren Ländern, ihren Stammesgruppen und ihren Göttern verteilt (Gen 10 LXX; Dtn 32,8). Diese ethnê definierten später die Spannweite der Erlösung am Ende der Zeit: Jesajas große Vision nahm die Völkertafel wieder auf. „Ich […] komme“, spricht Gott, „um alle Völker und Zungen zu versammeln“ (panta ta ethnê kai pas glôssas, Jes 66,18). Wenn Paulus seinerseits von der Erlösung am Ende der Zeit spricht, erinnert auch er an diese altehrwürdige Abstammungslinie, die bis auf Noah zurückgeht: Das Pleroma der Heiden bedeutet „alle siebzig Völker“. Das Gleiche gilt für Paulus’ Beschwörung des Pleromas Israels, pas Israel: Seine Formulierung erinnert an die Erzählungen der Väter, an die Abstammungslinie Abrahams, die sich über 35 „Paulus reduziert Israel nicht endgültig auf den Rest und bezeichnet auch nicht ‚die Erwählten‘ als „Israel“. Vielmehr wird in der Fortsetzung des Kapitels (11) deutlich, dass ‚Israel‘ für Paulus eine eschatologische Kategorie ist […] die Existenz eines erwählten Rests in der Gegenwart ist somit für Paulus ein Zeichen für Gottes fortdauernde Erwählung Israels, denn letztlich umfasst Gottes Erlösung ‚ganz Israel‘ (11,26)“ (Wagner, Heralds, S. 237); zu dieser Vorstellung im nachexilischen Judentum vgl. auch S. 108–116.

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Isaak auf Jakob und Jakobs zwölf Söhne, die „Väter“ der Stämme Israels, erstreckt. „Ganz Israel“ beschwört die volle Wiederherstellung dieser zwölf Stämme – auch dies ein traditionell eschatologisches Ereignis. Wie in Dtn 32,43, jenem Vers, den Paulus am Ende seines Briefs zitiert, so ist auch hier, in Röm 11, die Sammlung Israels unmittelbar mit der Einbeziehung der Völker verbunden.36 Doch was ist mit den Objekten des Zorns Gottes, den menschlichen wie den göttlichen, gegen die der Apostel ebenfalls gewettert hatte: Ungläubige, Sünder, die Götter der Völker? Als Paulus zu seinem Lobgesang in Röm 11 gelangt, sind menschliche Sünder, ob Heiden oder Juden, offenbar entschuldigt: In 11,25–26 ist die Rede von der Rettung der ganzen Menschheit (70 heidnische Völker und die 12 Stämme Israel), wenn „aus Zion der Erlöser“ kommt. Und die niedrigen kosmischen Gottheiten? In Kor 15,24 hatte Paulus ihre Vernichtung geweissagt, doch in Röm 8,19–22 stimmen sie ein in das Seufzen der Kreatur und harren auf ihre Erlösung. Hier, wie in Phil 2,10, sind diese übermenschlichen Wesen offenbar eschatologisch rehabilitiert um in das Lob Gottes einzustimmen (vgl. Dtn 32.43; Ps 97,7). Paulus „preist“ bewusst seine Mission unter den Heiden, letztlich um, wie er der römischen Versammlung der ethnê erläutert, seine jüdischen Brüder eifersüchtig zu machen „und einige von ihnen retten“ zu können (11,14; vgl. 10,19, eine erstaunliche Bearbeitung von Dtn 32,23). Doch Israel steht letztlich in Gottes Hand und Gott, so versichert Paulus, wird am Ende durchdringen. „Nach dem Evangelium sind sie zwar Feinde,37 gemäß der Erwählung aber, sind sie geliebte um der Väter willen, denn die Gaben und die Berufung Gottes sind unwiderruflich.“ Nicht-Juden haben von Israels derzeitigem Ungehorsam (will heißen Israels Ungehorsam gegenüber dem Evangelium) profitiert: In dieser Hinsicht hat Gott ihnen Erbarmen erwiesen (V. 30). Doch auch Israel wird bald Erbarmen erlangen, denn „so hat Gott alle ohne Ausnahme zu Gefangenen ihres Ungehorsams werden lassen, weil er allen sein Erbarmen erweisen will“ (tous pantas; 11,32). Erschüttert von dieser Vision der bevorstehenden universalen Erlösung bricht Paulus erneut in eine Doxologie aus: „Oh Tiefe des Reichtum und der Weisheit, und der Erkenntnis Gottes! Wie unausforschlich sind seine Entscheidungen, wie unausspürbar seine Wege! Wer Hat jemals die Gedanken des Herrn erkannt? Wer ist je sein Berater gewesen? Wer hat ihm jemals eine Gabe gegeben, sodass er es ihm zurückerstatten müsste? Von ihm und durch ihn und zu ihm hin sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen.“ (Röm 11,33–36) 36 Scott, Paul and the Nations, S. 5–6, Anm. 2, und seine Tabelle auf S. 7; auch S. 73.133.135, Anm. 3; vgl. Donaldson, Judaism and Gentiles, „Die Einbeziehung der Heiden in die Sammlung am Ende war ein essenzieller Teil der Erwartungen und des Selbstverständnisses Israels“ (S. 505; siehe auch S. 509). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Buch Genesis mit Kapitel 1, nicht Kapitel 12, beginnt. 37 Wichtige Anmerkung: In Paulus’ Text steht nicht „Gottes“, trotz der üblichen (und eigentlich völlig unzulässigen englischen Übersetzung der RSV und der NRSV von 11, 28: „Ihre Einstellung zum Evangelium macht sie zu Feinden Gottes“.

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Wie lange dauert es also noch, bis die Geschichte diesen glücklichen Höhepunkt erreicht? Ihr habt „die Zeit erkannt“ schreibt Paulus an die Gemeinde in Rom, es ist Zeit „aufzustehen vom Schlaf, denn die Rettung ist uns jetzt näher als zu der Zeit, als wir zum ersten Mal zur Überzeugung gelangt waren. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe herbeigekommen.“ (Röm 13,11–12) In Israels alten Schriften scheinen die Ereignisse der Gegenwart durch, ja genau genommen war die gegenwärtige Zeit sogar der Grund, warum sie niedergeschrieben wurden: „Damit wir […] Hoffnung haben“ (15,4). Danach fasst Paulus die Vision der eschatologischen Erfüllung, die er in Kap. 9 bis 11 entworfen hat, in einem einzigen Satz zusammen: „Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Beschneidung [Israel] geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben wurden; und damit die Völker Gott die Ehre geben für seine Barmherzigkeit.“ (Röm 15,8–9) Mit einer Catena von biblischen Versen, die die Hinwendung der Völker zum Gott Israels, ihre Anbetung gemeinsam mit Israel und ihre Unterordnung unter den davidischen Messias, den „Spross aus der Wurzel Isais“ feiert, schließt Paulus die messianische Inclusio, die mit den Eingangszeilen seines Briefs begann (1,3), und holt aus zu seiner Coda der „Hoffnung“: „Darum will ich dich loben unter den ethnê und deinem Namen singen (Ps 18,49). Freut euch, ihr ethnê, mit seinem Volk (Dtn 32,43). Lobet den Herrn, ihr ethnê, und preisen sollen ihn alle Völker (Ps 117,1). Und wiederum spricht Jesaja: ‚Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais, und der wird aufstehen, zu herrschen über die Völker; auf ihn werden die ethnê hoffen.‘ (Jes 11,10; Röm 15,9–12).“

Diese Sequenz des Römerbriefs beginnt mit dem Tempel und Jerusalem (der Stätte von Gottes „Herrlichkeit“ und seiner kultischen Verehrung, Röm 9,4) und schließt mit dem Tempel und Jerusalem. Als Diener Christi für die Völker „opfert“ Paulus wie ein Priester das Evangelium, „auf dass die Gabe der Völker Gott wohlgefällig ist, geheiligt durch den Heiligen Geist“ (Röm 15,16). Diese „geheiligte Opfergabe“ kann sowohl als die Kollekte Versammlungen der Völker für die Unterstützung der Armen in Jerusalem verstanden werden (V. 25–27) als auch als die geheiligten Heiden selbst. Paulus umreißt, welche Gebiete er auf seinem weiteren Weg als Apostel zu bereisen hofft: zunächst zurück nach Jerusalem, dann wieder nach Westen, nach Rom und weiter nach Spanien (V. 24–25.28). Der Bogen seiner Reisen, von Jerusalem über Rom bis nach Iberien entspricht in der jüdischen Geographie denjenigen Gebieten, die Gott Noahs Sohn Jafet gegeben hat, dem ursprünglichen Ahnherrn der griechischen Völker und damit Paulus’ vorrangigem Missionsbereich.38 Wenn dieser Kreis geschlossen ist, wird Paulus seinen Auftrag, Gottes Namen und den Namen seines Messias von Jerusalem bis an die Enden der Erde zu verkünden (vgl. 9,17), erfüllt haben. Lässt 38 So

Scott, Paul and the Nations, S. 179; vgl. S. 13.

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sich daraus erschließen, welchen Zeitrahmen er sich steckt? Ich bin mir klar, dass das auf Spekulation hinausläuft. Immerhin schließt Röm 16 mit einer abermaligen Beschwörung, dass das Ende nahe ist (en taxei, „in Kürze“, 16,20; nun – das Geheimnis ist „jetzt“ offenbart“ und allen Völkern „kundgemacht“ (V. 26).) Was immer Paulus mit der Formulierung „in Kürze“ meint, er ist auf jeden Fall überzeugt, dass er in den letzten Stunden der Geschichte lebt und wirkt, in der charismatischen Zäsur zwischen der Auferweckung Christi und seiner Parusie. Er spricht bereits als von einem in der Vergangenheit geschehenen Ereignis: Zu seiner Versammlung aus den Völkern ist das Ende der Zeit gekommen (katêntêken, 1 Kor 10,11). Sein Schriftverständnis hat ihn nicht nur in dieser Auffassung bestätigt, es war ihm zugleich Weisung für sein weiteres Vorgehen. Der Himmel hatte Paulus den besonderen Auftrag gegeben, zu den Heiden zu gehen und sie zu Israels Gott zu führen. Wie die biblischen Propheten, auf deren Worte er sich bezog, ging Paulus davon aus, dass das Gottesreich zwei menschliche Populationen enthalten wird: Israel und die Völker. Das bedeutete, dass Nicht-Juden Nicht-Juden bleiben mussten.39 Diese Notwendigkeit wiederum erklärt Paulus’ prinzipiellen Widerstand gegen die Proselyten-Beschneidung. Hatte er einst die mit dem Judentum sympathisierenden Heiden darin bestärkt, sich durch „Bekehrung“ Israel vollständig anzuschließen (Gal 5,11),40 so ist dies nach seinem Erlebnis mit dem auferstandenen Christus hinfällig. Die spezifische Argumentation der Verfechter der Beschneidung in Galatien hatte Paulus zu einer höchst kreativen (und leidenschaftlichen) vorgetragenen Deutung der Gestalt Abrahams und seiner ursprünglichen Aussagen über die huiothesia, die „Einsetzung“ von Heiden „als Söhne“, geführt: spirituelle Sohnschaft, so Paulus, kann nicht durch fleischliche Beschneidung erlangt werden. Doch hinter diesem Argument, das in der Tat das gesamte Unternehmen des Apostels auf den Punkt bringt (wie insbesondere sein Brief an die Römer uns zeigt), stand die eschatologische Vision der Propheten, vor allem von Jesaja: Am Ende der Zeiten würden auch die Völker ausschließlich den Gott Israels anbeten. Dies sah Paulus vor seinen eigenen Augen Gestalt annehmen, durch sein eigenes Wirken und, so war er überzeugt, durch das Wirken des göttlichen Geistes. Die Lehre des Herrn war von Zion ausgegangen und das Wort des Herrn von Jerusalem (Jes 2,4): Die ersten Jünger, die von der Gemeinde in Jerusalem 39 S.

auch Schweitzer, Die Mystik des Apostels Paulus, S. 193.

40 Angesichts des Fehlens von Belegen für eine jüdische Mission unter Nicht-Juden mit dem

Ziel, sie zu Juden zu machen, vor der Jesusbewegung Mitte des 1. Jahrhunderts u.Z. kann Paulus, falls er tatsächlich früher einmal die „Beschneidung“ gepredigt hat (Gal 5,11), dies damals allenfalls getan haben, um heidnische Gottesfürchtige, die seiner eigenen Synagogengemeinde in Damaskus bereits nahestanden, zu ermutigen, sich der Proselytenbeschneidung zu unterziehen. Das ist jedoch lediglich eine Vermutung, kein fundiertes Argument.

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ausgingen, hatten der ganzen Welt das Kommen des Gottesreichs verkündet, den Juden zuerst und auch den Griechen (Röm 2,9–10). Heiden schworen ihren angestammten Gottheiten, den niedrigeren daimonia des Kosmos, ab, deren schrittweise Niederlage ein Hinweis auf den heraufziehenden endgültigen Sieg des Sohnes Davids, des eschatologischen Messias, war. Nicht-Juden, die auf den sterbenden, auferstehenden und wiederkehrenden Christus getauft wurden, empfingen und verkörperten danach charismata und pneumata, so wie Paulus selbst. Paulus führt diese beiden Aspekte immer wieder an: Geist und prophetische Rede (1 Thess 5,19); Kraft und Heiliger Geist (1 Thess 1,5); Geist und das Wirken machtvoller Taten (Gal 3,5); Zeichen, Wunder, machtvolle Taten (2 Kor 12,12); Worte der Weisheit, Erkenntnis, Zungenrede, die Gabe, gesund zu machen, die Kraft, Wunder zu tun, prophetische Rede, die Gabe, Geister zu unterscheiden, die Gabe, Zungenrede auszulegen (1 Kor 12,8–11); Zeichen und Wunder und die Kraft des Geistes (Röm 15,19); Prophezeiung, Lehre, Ermahnung (Röm 12,6–7). In den von allen möglichen Gottheiten wimmelnden Städten der römischen Antike waren die Versammlungen von Christus-Nachfolgenden so etwas wie Brückenköpfe des Reiches Gottes.41 Mit anderen Worten, diese ex-heidnischen Heiden gaben Paulus eine ständige existenzielle Bestätigung seiner Überzeugungen und eine umfassende Validierung seines Wirkens. Obwohl er ganz eindeutig vor Juden und Heiden Zeugnis ablegte – die disziplinarischen Prügel, die er erhielt, setzten auf jeden Fall ein Synagogenumfeld voraus (2 Kor 11,24) – sprach er die beiden Gruppen doch unterschiedlich an. „Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich Juden gewinne“ (1 Kor 9,20). Paulus, der Pharisäer, der Experte im Hinblick auf die väterlichen Überlieferungen, argumentierte mit seinen syngeneis auf der Grundlage der jüdischen Schriften. In seinen Predigten vor gottesfürchtigen Nicht-Juden stützte er sich dagegen nicht nur auf biblische Texte, sondern auch auf den „Erweis des Geistes und der Kraft“ (1 Kor 2,4; vgl. 9,21). Unter Nicht-Juden brachte Paulus denn auch seine charismatische Vollmacht am stärksten zur Geltung; waren sie doch der stärkste empirische Beleg, dass tatsächlich das Ende der Zeit angebrochen war; folgerichtig verwandte der Apostel auf die Heidenmission am meisten Kraft und Mühe.42 Die Verwirklichung seiner auf die prophetischen Texte gestützten Vision setzte jedoch nicht nur voraus, dass die eschatologischen Nicht-Juden Nicht-Juden blieben, auch Israel musste Israel bleiben, Gottes Familie, Gottes „Söhne“ 41 Paulus’ apokalyptische Eschatologie ist auf die nahe Zukunft ausgerichtet; dieses gegenwärtige Einbrechen des Geistes dient ihm lediglich dazu, die Nähe der bevorstehenden kosmischen Erfüllung (die, so glaubte er, noch zu seinen Lebzeiten eintreten würde) zu unterstreichen. 42 Vielleicht waren es ursprünglich solche mit dem Judentum sympathisierenden ex-heidnischen Gottesfürchtigen in der Synagoge von Damaskus, die Paulus’ Aufmerksamkeit auf die Christus-Bewegung in der Diaspora lenkten.

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und Paulus’ Blutsverwandte, vereint durch die Bundesschlüsse, das Gesetz, den Tempelkult, die Verheißungen, die Patriarchen und  – wiederum Familie, die „fleischliche“ Verbindung – durch den Christus, den Sohn Davids (Röm 9,4–5; vgl. 1,3; 15,9). Warum also sollten Paulus oder irgendein anderer Apostel, der Mitglied dieser Bundesgemeinschaft war, aufgehört haben, nach dem Gesetz zu leben? Das Gesetz war ein Fluch für die Nicht-Juden. Das Gesetz offenbarte nur den Nicht-Juden die Sünde. Das Gesetz war „zum Tode“ für die Nicht-Juden. Für Israel aber war das Gesetz von Gott gegeben, ein identitätsstiftendes Privileg.43 Allerdings missverstand die große Mehrheit seines jüdischen Umfelds das Gesetz, davon war Paulus überzeugt. Sein telos war die Wiederkunft Christi (Röm 10,4), doch das begriff der größte Teil Israels nicht: „Denn bis auf den heutigen Tag, wenn sie den alten Bund lesen, wird dieser Schleier nicht weggenommen; weil er nur durch Christus weggenommen wird. Aber bis auf den heutigen Tag, wenn Mose gelesen wird, liegt ein Schleier auf ihrem Verstand, aber die Umkehr zum Herrn nimmt den Schleier weg.“ (2 Kor 3,14–15)

Israel wird also erst umkehren  – das heißt, Jesus als den Sohn Davids, den eschatologischen Herrn und Messias anerkennen –, wenn Gott es ihm ermöglicht.44 Und das würde Gott in Kürze tun, sobald „die volle Zahl der Völker“ 43  Diese Ansicht  – dass der Apostel Paulus während seiner Mission unter den Heiden weiterhin das Gesetz befolgte  – wird seit Jahrhunderten von traditionellen Auslegern der Paulusbriefe (allerdings nicht vom Lukasevangelium/der Apostelgeschichte), von den sogenannten Vertretern der New Perspective und der Sonderweg-Theorie (wie etwa Gaston, Gager und Stowers), abgelehnt. Diejenigen hingegen, die „Paulus aus dem Judentum heraus“ (Paul within Judaism) verstehen, vertreten die Ansicht, dass Paulus sich an die jüdische Überlieferung hielt. Vgl. die verschiedenen Artikel, die in folgenden Büchern erschienen sind: Paul within Judaism, hrsg. v. M. Nanos/M. Zetterholm, Minneapolis 2015; Paul the Jew, hrsg. v. G. Biccaccini/C. A.  Segovia, Minneapolis 2016; The So-Called Jew in Paul’s Letter to the Romans, hrsg. v. R. Rodriguez/M. Thiessen, Minneapolis 2016. Schweitzer hat jedoch bereits 1931 dieselbe Ansicht vertreten: „Er (Paulus) selber – darüber dürfen alle Sätze, dass er den Griechen ein Grieche geworden sei, nicht hinwegtäuschen! – hat weiterhin als Jude gelebt“ (Die Mystik des Apostels Paulus, S. 193). Dasselbe gilt, trotz ihrer eigenen Beiträge zur christlichen Theologie contra Iudaeos, für zwei altehrwürdige und zeitnahe Ausleger der Schriften des Apostels Paulus, Origenes von Alexandria (187–254) und Augustinus von Hippo (354–430), die ihre Argumente hauptsächlich auf den Galater‑ und den Römerbrief stützten. 44 Jesus als den eschatologischen Messias anzuerkennen, ist für einen Juden nicht dasselbe wie „sich bekehren“. Im Gegensatz zu christusgläubigen Ex-Heiden beten Juden weiterhin zu ihrem Gott, achten seine Bücher und leben gemäß den Bräuchen ihrer Väter. Von ihnen wurde eher ein Perspektivwechsel verlangt als die Übernahme einer völlig anderen Weltsicht und ein neues Set ritueller/kultischer Verhaltensweisen, wie es von christusgläubigen Heiden verlangt wurde. Brent Nongbri bringt es auf den Punkt: „Stellen Sie sich einmal folgendes Szenarium vor: Paulus behauptet, Jesus sei der Messias. Er behauptet weiterhin, andere Ioudaioi sollen anerkennen, dass Jesus tatsächlich der Messias ist, dass sie in den letzten Tagen leben und dass Nicht-Ioudaioi, die durch das neuerdings zur Verfügung stehende pneuma des Messias rein wurden, nun gemeinsam mit Ioudaioi, deren Gott ihrer Väter verehren sollen, der im Buch Jesaja seinem Wunsch nach diesem gemeinsamen Gottesdienst Ausdruck verliehen hat. Ioudaioi würden weiterhin den Bräuchen ihrer Vorfahren folgen; sie bräuchten ihr Verhalten nur insofern zu ändern, als sie mit den kürzlich rein

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eingebracht ist (Röm 11,25). An diesem Punkt sehen wir, wie Paulus seine eigene Heidenmission mit Israels von Gott gegebener Bestimmung verknüpfte. Indem er dafür arbeitete, die Heiden von ihren Göttern zu seinem Gott zu bekehren, hat er, unter dem Dach der biblischen Verheißungen, auch für die Erlösung seines eigenen Volks gearbeitet.45 In diesem Symposium ging es um die Frage nach dem Verhältnis des jüdischen Jesus – des Jesus der galiläischen und judäischen Geschichte Anfang des 1. Jahrhunderts – zum Christus der christlichen Kirchen. Was ist im 21. Jahrhundert „Christologie zwischen Judentum und Christentum“? An einer Stelle unseres kollegialen Austausches konstatierte einer der systematischen Theologen ganz offen, dass der Jesus der Geschichte im Grunde wenig aktuelle Relevanz für die christliche Theologie hat. Chalcedon ist wichtiger als Nazareth und Jerusalem. Für diese Denkweise sind auch die Evangelien weitgehend irrelevant für das christologische Projekt. Der neutestamentliche Kanon, so der Kollege, könne sich ganz bequem auf die Paulusbriefe beschränken. Tatsächlich ist Paulus unser erster christologischer Denker. In seinen Briefen spielt Jesus von Nazareth eine sehr untergeordnete Rolle (wenn er auch nicht völlig verschwindet).46 Ich hoffe jedoch, dass meine Untersuchung deutlich gemacht hat, dass die „Christologie“ des Paulus, sein Bemühen, seine Überzeugungen über Jesus als den gekreuzigten, auferstandenen und wiederkehrenden Messias zu integrieren, in höchstem Maße in den jüdischen apokalyptischen Hoffnungen des 1. Jahrhunderts gründen. Er hat die allgemeine Auferweckung der Toten und die endgültige Niederlage des Bösen noch zu seinen Lebzeiten erwartet. Die Kategorien eines Nicäa, Chaldecon oder auch eines Anselm – ja sämtliche christologischen Ansätze späterer Jahrhunderte – liegen quer zu Paulus’ ganz unmittelbarem eschatologischen Christus. gemachten Nicht-Ioudaioi verkehrten. Diese Verhaltensweisen als „Bekehrung zu Christus“ zu bezeichnen, wäre irreführend.“ Brent Nongbri, The Concept of Religion and the Study of the Apostle Paul, in: Journal of the Jesus Movement in its Jewish Setting 2 (2015), S. 1–23; hier S. 14. Anm. 43. 45 „Um Israel zu retten, übt Paulus also seinen Beruf als Apostel der Heiden aus!“ (Schweitzer, Die Mystik des Apostels Paulus, S. 182). „Für Gott ist die Rettung der Heiden mit der Rettung Israels verbunden, so wie Israels Rettung von Bedeutung für alle Heiden ist“ (J. Munck, Paul and Salvation of Mankind, Richmond 1959, S. 259). „Paulus konnte der Heidenapostel werden, weil der gekreuzigte und auferstandene Jesus der Messias Israels war; sein Wirken als Heidenapostel wiederum zielte auf die Rettung Israels ab.“ „The Messiahship of Jesus in Paul“ (Dahl, Jesus the Christ, S. 22). „Im Römerbrief legt Paulus dar, inwiefern seine Sendung zu den Völkern Teil der umfassenden Sendung Gottes hin zur Welt ist, Teil des Tikkun, der Heilung der Schöpfung (vgl. Röm 8,18–25) und damit besonders auch Teil der Erlösung Israels“ (K. Stendahl, Das Vermächtnis des Paulus. Eine neue Sicht auf den Römerbrief, Zürich 2001, S. 11). 46 Zu Entsprechungen zwischen dem paulinischen Kerygma und den Evangelienüberlieferungen über Jesus s. Fredriksen, Jesus von Nazareth, S. 74–154.

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Für Paulus bezieht sich Jesu „Sohnschaft“ auf den eschatologischen davidischen Status Jesu, nicht auf eine Lehre der Zwei-Naturen-Inkarnation. Für Paulus ist Jesu Tod wichtig, nicht weil sich daraus eine Lehre von Versöhnung entwickeln wird, sondern weil er der Auferweckung vorausgeht. Für Paulus ist Jesu Auferweckung wichtig, nicht weil sich damit die Lehre seiner Inthronisation zur Rechten Gottes ankündigt, sondern weil sie die kommende allgemeine Auferweckung nach sich zieht. Für Paulus sind Jesu Tod und Auferweckung wichtig, weil sie seiner Parusie vorausgehen. Mit anderen Worten, die Bedeutung von Jesu Tod, Auferweckung und implizierter Wiederkunft liegt für Paulus darin, dass sich darin zeigt, wie spät es auf Gottes Uhr ist. Das Gottesreich, so der Apostel, steht unmittelbar bevor. Diese prophetische Ankündigung verbindet Paulus’ Botschaft tatsächlich mit der Botschaft des historischen Jesus von Nazareth.47 Kurz: Wenn der historische Jesus eine Herausforderung für die traditionelle Theologie ist, dann ist es Jesu zeitgenössischer Glaubensbruder Paulus nicht minder. Um die Widerständigkeit zu überwinden, die die jüdische Eschatologie des 1. Jahrhunderts für die Systematiker darstellt, müsste, fürchte ich, mehr als nur die Evangelien über Bord geworfen werden. Dafür wäre es nötig, auch die Paulusbriefe aus dem Kanon auszuschließen. Und wenn wir schon einmal dabei sind, kann oder sollte auch gleich das gesamte Alte Testament weichen. Vermitteln wir die christliche Offenbarung doch am besten allein auf dem Boden der systematischen Theologie. Doch ist das wirklich möglich? Sich der Schrift zu entledigen, um die Kategorien der Lehre zu bedienen, erscheint radikal, auch wenn bestimmte christliche Theologen – Marcion und Mani, um zwei prominente Beispiele zu nennen – tatsächlich so vorgegangen sind. Doch das grundsätzliche Problem, das diese „Lösung“ verdeutlicht, geht letztlich über die Schwierigkeit der Vereinbarkeit von Schrift und Lehre hinaus. Es geht vielmehr um das Problem, Narrativ und Philosophie oder – eine weitere Abwandlung derselben Gegensätze – Zeit und Ewigkeit miteinander in Beziehung zu setzen. Das Verhältnis zwischen Narrativ (oder Mythos) und den Kategorien der Philosophie war in der westlichen Welt lange Zeit ein labiles und problembeladenes  – und das schon Jahrhunderte vor dem Aufkommen des Christentums.48 47 In Final Account, seinem letzten Buch über den Römerbrief (ursprünglich veröffentlicht 1993) schreibt Krister Stendahl: „Wenn es im Text, im Jahr 56 unserer Zeitrechnung ‚jetzt‘ heißt, wo befinden wir uns dann? Diese Formulierung positioniert uns ca. 2000 Jahre später. Diese einfache Tatsache lässt sich mit keinem kerygmatischen Trick überwinden“ (S. 50). Theologen, so fordert er, müssen sich mit diesem „Faktum“ abfinden. Man kann es nicht ignorieren oder so tun, als existiere es nicht. 48 Schon Plato hat sich in seiner Republik darüber Gedanken gemacht. Eine besonnenere Auseinandersetzung mit diesem Thema findet sich bei P. Fredriksen, What does Jesus have to do with Christ? What does Knowledge have to do with Faith? What does History have to do with Theology?, in: Christology: Memory, Inquiry, Practice, hrsg. v. A. M.  Clifford/A. J.  Godzeiba, Maryknoll 2002, S. 3–17.

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Insbesondere das antike Alexandria war ein Versuchslabor für das Bestreben, diese beiden Modalitäten religiöser Betrachtung in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Die Antwort lief hinaus auf die Allegorie, und zwar sowohl für die (heidnischen) Schüler Homers als auch für die (jüdischen) Schüler der Genesis. Allerdings hat Philo in seiner Auseinandersetzung mit anderen jüdischen Gelehrten, die der Methode des Allegorisierens huldigten, diese Lösung verkompliziert, indem er neben dem Denken auf die Historie, die Tat abhob (de migr. Abr. 89–93). Geschichte, in diesem Symposium konkretisiert im biblischen Narrativ, ist chaotisch, kontingent und partikulär. Philosophie, in diesem Symposium konkretisiert in den Kategorien der systematischen Theologie, strebt nach zeitloser Klarheit. Die Leitfrage unseres Symposiums – nach dem Verhältnis des jüdischen Jesus zum christlichen Christus  – bezeugt und artikuliert diese fundamentale und vielleicht beunruhigende Instabilität. Und eine vorläufige Antwort – dass nämlich der jüdische Jesus wenig oder nichts mit dem christlichen Christus zu tun hat – stellt einen Weg zur Stabilisierung dar. Paulus’ Christus aber unterscheidet sich nur sehr wenig von einem jüdischen Jesus. Dieses Problem der Bedeutungen und der Bedeutsamkeit eines Mythos kennt der Westen seit den Tagen der Platonischen Akademie und der Stoa und ich habe hier auch keine Lösung dafür. Doch wenn es mir als Historikerin des antiken Christentums gestattet sei mit einer theologischen Anmerkung zu schließen, so wäre das Überbordwerfen der Bibel, des Alten und des Neuen Testaments, meiner Ansicht nach ein zu hoher Preis für dogmatische Klarheit und Eleganz. Die Lehre von der Inkarnation führt die Theologie zurück auf die Geschichte, ja zurück in die Geschichte. Ohne den jüdischen Jesus – und, innerhalb des Kanons, ohne seinen messianischen jüdischen Boten Paulus  – kann man sich meiner Meinung nach auch keinen christlichen Christus vorstellen.

“If Anyone is in Christ, there is a New Creation”(2 Cor 5:17) A Contribution to the “in Christ” Debate Kathy Ehrensperger

1. Introduction In Paul’s understanding the Christ-event was the initiation of the dawning of the world to come, that is, the kingdom of God. This initiation event drove his activities in relation to the non-Jewish nations. Their recognition of the God of Israel as their God was seen as the concrete effect of the Christ-event as well as evidence for the actuality of the dawning of the kingdom of God. As such they were considered to be anticipatory satellite groups of the people Israel. They had turned away from idols and by worshipping exclusively the one God through Christ were now under the power of the one God. Paul frequently refers to this state in which these Christ-followers from the nations are as being “in Christ”. The question what he really means by that has been considered and debated from numerous perspectives. It seems evident that it has something to do with the effect and impact of the Christ-event, and thus is decisive for the emerging identity of those “in Christ.” Traditionally this has been seen as being in opposition to Jewish identity – being in Christ and being Jewish considered to be mutually exclusive, “in Christ” displacing all other loyalties. Albert Schweitzer’s insights on the importance of “participation in Christ” in Paul’s letters,1 rather than settling a debate, have triggered a stream of new questions. Thus, E. P. Sanders recognized that Schweitzer did not come to clear conclusions about what it “really means” whereas Käsemanns saw a link between “participation in Christ” and “apocalyptic” with the notion that “in Christ” denotes the sphere of power of Christ’s lordship.2 Stanley Stowers’ commented “that apocalyptic did not explain (that is, provide a context for) the central idea

1 A. Schweitzer,

Die Mystik des Apostels Paulus, Tübingen 1930. The Righteousness of God in Paul, in: New Testament Questions for Today, ed. Idem., London 1969, pp. 168–82, here: p. 180. 2 E. Käsemann,

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of participation.”3 Hence the question of what participation in Christ “really means”, has not been settled by any of these particular approaches. One presupposition, which seems to dominate many approaches, is that “ἐν Χριστῷ” refers to a “reality”, which implies the same for all Christ-followers. It is considered to be “the overarching concept”4, or the identity, which replaces, or renders irrelevant, all other identities, virtually a “third race”.5 But the question is whether there is one such central or uniform concept of “participation in Christ” in the Pauline letters at all. This is not to deny that what is expressed with “ἐν Χριστῷ” is central for Paul, but only to question whether a uniform meaning is implied. Apart from the often commented fact that “ἐν Χριστῷ” has a multitude of semantic meanings, not all referring to the “participation in Christ” notion,6 the multifaceted aspects of the latter seem to resist any uniformity of perception.7 In light of recent research which sees Paul as part of Jewish tradition, including the messianic message he proclaims, I will explore possible implications this has for understanding the notion “in Christ”. I will proceed in three steps: firstly, I will explore the purpose of Paul’s use of the metaphor ἐν Χριστῷ in the sense of “participation in Christ” language, that is, What does he try to achieve? This leads me next to consider the spatial, temporal or modal aspects of ἐν Χριστῷ as discussed frequently and controversially, followed by a brief analysis of 2 Cor 5:17 and Gal 6:15 in light of Gal 3:28, where ἐν Χριστῷ and new creation language resonate with each other.

3 S. Stowers,

What is Pauline Participation in Christ?, in: Redefining First Century Jewish and Christian Identities, ed. F. Udoh et al., Notre Dame 2008, pp. 352–71, here: p. 353. 4 P. Esler, Conflict and Identity in Romans: The Social Setting of Paul’s Letter, Minneapolis 2003, pp. 24–33. 5 Thus most recently Wolter has argued that “Es gibt darum auch schon bei Paulus ein ganz deutliches Bewusstsein dafür, dass die Identität derer, die an Jesus Christus glauben und auf ihn getauft sind, jenseits der Unterscheidung zwischen Juden und Heiden angesiedelt ist und dass es sich darum bei ihnen um so etwas wie ein tertium genus hominum handelt auch wenn die Bezeichnung erst bei Autoren des 2. Jahrhunderts begegnet.” M. Wolter, Paulus: Ein Grundriss seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011, p. 445, and similar p. 308. With a different emphasis Barclay asserts that “[Paul] sees with utterly different eyes, from a perspective that radically relativises, if it does not wholly obliterate, all social and historical categories.” J. M. G.  Barclay, Paul’s Story: Theology as Testimony, in: Narrative Dynamics in Paul: A Critical Assessment, ed. B. W.  Longenecker, Louisville 2002, pp. 139–140. For a critical discussion of such assumptions see W. S.  Campbell, The Nations in the Divine Economy: Paul’s Covenantal Hermeneutics and Participation in Christ, Lanham 2018, esp. chapter 9 “Participation in Christ and the Transformation of Identity”, pp. 255–97; also K. Ehrensperger, Paul, His People, and Racial Terminology, in: JECH (2013), pp. 17–32. 6 Wolter, Paulus, pp. 236–237. 7 Cf. C. Campbell, Paul and Union with Christ: An Exegetical and Theological Study, Grand Rapids 2012, p. 437.

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2. Ἐν Χριστῷ – Insider Language Although I am not convinced by earlier or recent attempts to define a basic meaning or formula for ἐν Χριστῷ8, I am nevertheless of the view that there is a commonality in Paul’s varied use of the phrase in the sense of “participation in Christ” in terms of its function in the Pauline discourse. Paul uses ἐν Χριστῷ predominantly, if not exclusively, when he addresses “insiders” in matters which concern their lives as Christ-followers. Since Paul’s addressees are Christ-followers from the (non-Jewish) nations,9 this inclusive language serves the purpose of guiding these particular Christ-followers in their understanding and embodying of a way of life appropriate as members of an ἐκκλησία τοῦ θεοῦ, that is, as those who are now also called to serve the God of Israel (Rom 3:29–30). Thus, it is not primarily a phrase of exclusion or negative differentiation but of inclusion and commonality in an internal discourse of community building and identity shaping (such as e. g. Rom 6:11;1 Cor 1:30–3, 4:17, 15:22, 31; 2 Cor 5:17; Gal 3:14, 3:26–28, 5:6). As such, ἐν Χριστῷ language is part of the Pauline endeavour of providing guidance to, and teaching Christ-followers from the nations the way of life in relation to the God of Israel.10 Paul’s greeting in 1 Cor 1:2 indicates that sanctification is one aspect of this way of life ἐν Χριστῷ.11 Although the embodiment of holiness in terms of ethical behaviour is important, its relevance is not merely ethical, but needs to be seen in relation to the status change of those from the nations, that is, in relation to their turning away from idols to loyalty to the “true and living God”.12 Through Christ, “holiness” was imparted to those who had previously been “sinners from the nations”, that is, people who had been loyal to deities other than the God of  8 Cf. A. Deissmann, Die neutestamentliche Formel “in Christo Jesu”, Marburg 1892; U. Schnelle, Paulus: Leben und Denken, Berlin 2003, p. 584; G. Strecker, Theologie des Neuen Testaments, Berlin 1996, p. 191; cf. also discussion in Wolter, Paulus, pp. 235–36.  9 See most recently P. Fredriksen, Paul, the Pagans’ Apostle, New Haven 2017, p. 2. 10 K. Ehrensperger, Paul and the Dynamics of Power: Communication and Interaction in the Early Christ-Movement, London 2007, pp. 117–36; W. S.  Campbell, Gentile Identity and Transformation in Christ; S. Fowl, Learning to Be a Gentile, in: Christology and Scripture: Interdisciplinary Perspectives, ed. A. Lincoln/A. Pattison, London 2007, pp. 22–40; M. Zetterholm, The Formation of Christianity in Antioch: A Social Science Approach to the Separation between Judaism and Christianity, London 2003), pp. 147–49. 11 The debate about which ἐν Χριστῷ formulations are “participationist”, and which are instrumental, causal etc. is ongoing, and of course this passage may be placed on the instrumental or causal side, but irrespective of its grammatical identification it refers to a characteristic of those who are ἐν Χριστῷ – and as such is relevant for our understanding of “participation in Christ” language. 12 P. Fredriksen, Judaizing the Nations: The Ritual Demands of Paul’s Gospel, in: NTS 56 (2010), pp. 232–52; K. Ehrensperger, Called to be Saints – the Identity-shaping Dimension of Paul’s Priestly Discourse in Romans, in: Reading Paul in Context: Explorations in Identity Formation. Festschrift in Honour of William S. Campbell, ed. Eadem/J. B.  Tucker, London/ New York 2010, pp. 90–109.

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Israel. They had responded to God’s call through Christ and turned away from worshipping idols. Prior to Christ, turning away from idols and thus transferring to a status of holiness in relation to the God of Israel could only be achieved by becoming a member of the people of Israel, as the people called to be holy (Lev 19:2).13 The boundary between holy and profane people was identical with the boundary between those of the circumcision and those of the uncircumcision. For Paul and the early Christ-followers, the boundary between holy and profane in relation to the God of Israel had shifted “in Christ”, in that it was not demarcated by the distinction between those of the “circumcision” and those of the “uncircumcision”. However, this does not mean that this distinction had been rendered irrelevant “in Christ”, or that ethnic identities have become a matter of indifference. This boundary shift had relational implications both, in terms of the human-divine relationship, and of the relationship between people, whether insiders or outsiders. But in the Pauline letters the focus of the phrase ἐν Χριστῷ is, in my view, not on the relationship to outsiders but between insiders. It is indicative that the passages immediately following the opening address in 1 Corinthians (1 Cor 1:2–9) do not address insider-outsider issues, but deal with issues of internal group behaviour. The groups per se are not depicted as problematic but how they relate to each other certainly is. Their relationship is characterised by ἔρις (1 Cor 1:11), possibly best described as competitive rivalry, the “virtue” held in high esteem for elite free men of Roman society.14 The term ἔρις indicates that the groups were involved in competitive boasting in respective leaders in an attempt to establish a hierarchy of superiority amongst themselves. Such competitive in-group behaviour is condemned by Paul in no uncertain terms, Ὥστε μηδεὶς καυχάσθω ἐν ἀνθρώποις πάντα γὰρ ὑμῶν ἐστιν (“so no one should boast in humans, for all is yours” [1 Cor 3:21]). Paul’s elaboration on the wisdom of the cross and the different roles of leaders, such as himself and Apollos, that is, the entire section from 1 Cor 1:9 to the end of 1 Corinthians 4 deals with this issue of competitive boasting. It could be read as a long and passionate teaching discourse providing guidance of “life in Christ” to Christ-followers who replicate group behaviour familiar to them from patronage relationships.15 Paul at several points in this long anti-boasting discourse refers to the commonality of all the groups through their being ἐν Χριστῷ (1 Cor 1:10, 30; 3:11, 23; 4:17). 13 Although not all Jewish groups considered this an option for gentiles as C. E.  Hayes, Gentile Impurities and Jewish Identities: Intermarriage and Conversion from the Bible to the Talmud, Oxford 2002, and, following her, M. Thiessen, Contesting Conversion: Genealogy, Circumcision, and Identity in Ancient Judaism and Christianity, Oxford 2011, pp. 67–110, have recently demonstrated. 14 Cf. K. Ehrensperger, Paul the Man: Enigmatic Images, in: Gender and Second Temple Judaism, ed. S. Sheinfeld/K. Ehrensperger, Lanham, forthcoming. 15 A. Clarke, Secular and Christian Leadership in Corinth: A Socio-Historical and Exegetical Study of 1 Corinthians 1–6, Leiden 1993; id., Serve the Community of the Church: Christians as Leaders and Ministers, Grand Rapids 2000.

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He thereby does not condemn the existence of diverse groups in the ἐκκλησία τοῦ θεοῦ in Corinth. It is their behaviour towards each other, which constitutes the problem. The relationship between these groups should be characterised by their commonality and equality “in Christ” explicated at length by Paul in 1 Corinthians 2–4. “In Christ” language here is not used as a delineating phrase over against outsiders, but as a reference affirming the commonality shared by those who are part of this movement. As such it explicates the way of life for Christ-followers in the here and now. Michael Wolter has argued that this is actually the “core” of “in Christ” language in that it designates life as “determined” by Christ, a way of existence in a modal sense.16 To be sanctified in Christ means to live a life according to an ethos of commonality and equality rather than competitive boasting. This ethos is identity shaping but it does not imply a uniform identity of all those in Christ.17 There is also no notion that all those who assemble in Christ are distinctively separate groups over against other social groups. Such perceptions presuppose that the Pauline letters address non-Jews as well as Jews, that is, all humanity. All those who are part of the Christ movement, Jews and non-Jews, then are seen as a separate group, with one so-called new Christian identity, that is, without regard for the differentiation Paul indicates at numerous points in his letters, that his addressees are, and hence his theologizing relates to, those from the nations in Christ. Non-Jews are addressed as sanctified in Christ Jesus not all of humanity; non-Jews in Christ are differentiated from other non-Jews, that is, the differentiation of Christ-followers from the nations is not set in opposition to Jews, whether in Christ or not. The only clear differentiating opposition Paul implies is that from “the cosmos”, the world as dominated by powers that did not acknowledge the God of Israel as the God of all creation.

3. Spatial and Temporal Dimensions of ἐν Χριστῷ Thus, being in Christ was not considered an abstraction  – something to “believe in” but a reality that should be embodied by those “in Christ” in all aspects of their lives (e. g., Romans 12). Such embodiment is not a matter of individual members, but can only be enacted relationally, that is, in community. Thus, although the way of life in Christ has to be embraced and embodied by each and 16 Cf.

Wolter, Paulus, p. 241 uses the term “christliche Identität” for “in Christ” but clearly notes that the term is actually anachronistic; he nevertheless sees a need to use it for pragmatic reasons (Wolter, Paulus, pp. 6–7 and p. 253. Moreover, he asserts that “even for Paul there was a consciousness that belonging to Jesus Christ created an identity that is to be populated beyond the division of humanity into Jews and non-Jews” (p. 6). In this generalising form this gives the impression that, irrespective of the terms used for these groups, at the heart of their identity was the overcoming of difference. 17 Wolter

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every member, and thus has an individual dimension, this is only relevant in so far as he/she is part of the community of Christ-followers. Although Christfollowers did not form communities in the sense of communes,18 being in Christ was not just relevant when they came together as an ἐκκλησία.19 This is indicated in Paul’s admonitions concerning relationships between Christ-followers as well as with outsiders. The embodiment of ἐν Χριστῷ, both in its individual and communal dimension leads me to consider the validity of Schweitzer’s proposal (following Deissmann) that ἐν Χριστῷ certainly has a spatial and temporal dimension even when the modal aspect of the phrase is actually acknowledged. The spatial dimension of ἐν Χριστῷ emphasized in Paul’s repeated admonition to Christ-followers to “embody” their being ἐν Χριστῷ in all aspects of their lives resonates with Schweitzer’s notion of a spatial dimension of participation in Christ in his considerations about the “Herrschaftsbereich Christi” (the realm/ domain of Christ). A domain/realm (or Herrschaftsbereich) is a spatial designation rather than an abstraction in Paul’s theologizing since he differentiates it from “this cosmos”. The Christ-followers who are seen as living their lives in this realm are real people who live real lives in the real world. That is, they live embodied lives, and as such, life encompassing the spatial dimension. Communities are bodies coming together and coming together as an ἐκκλησία is inherently spatial. Real, not imagined, space is required for people to be able to come together.20 Whether those ἐν Χριστῷ assemble in a house, tenement building, rented space, in the compounds of a synagogue, outdoors or elsewhere, they come together at a specific location as embodied beings.21 Paul’s emphasis on embodiment of life ἐν Χριστῷ points to this space as also located in the here and now. However, this space is not under the power of the “rulers of this world”, but already under the power of God’s messiah/Christ, hence under the power of God. Admittedly there is a certain risk in this emphasis on the spatial embodiment of ἐν Χριστῷ in the here and now, in that, it might be misunderstood or confused with the consummation of the world to come, i. e. the kingdom of God. This could lead to a concept of realised eschatology. Those who embody ἐν Χριστῷ can be tempted to see themselves and their community as the completion and pinnacle of God’s purpose in the world. This amounts to an over-inflated 18 I consider the narrative of Acts 2:44–45 and 4:32–35 as idealizing utopias which serve a specific narrative purpose in the Book of Acts. 19 The purpose of coming together as an ekklesia cannot be reduced to worshipping as it is unclear what all actually happened during these meetings. Cf. P. Wick, Der urschristliche Gottesdienst. Entstehung und Entwicklung im Rahmen der frühjüdischen Tempel-, Synagogen-, und Hausfrömmigkeit, Stuttgart 2003. R. Korner, Ekklesia as a Jewish Synagogue Term: Some Implications for Paul’s Socio-Religious Location, in: JJMJS 2 (2015), pp. 53–78. 20 Note that at times of real or feared turmoil a prohibition of collegia was instigated in Rome; see Cicero Cornel 67 and also ad.Quint.Fratr. 2.3.2; 2.3.4–5. 21 Cf. E. Adams, The Earliest Christian Meeting Place: Almost Exclusively Houses?, London 2013.

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self-perception and potentially realised eschatology  – both aspects Paul has strongly argued against in the Corinthian correspondence. The “not yet” of the consummation is as much Paul’s message as is his urge to embody Christ. He thus mocks some of the Corinthian Christ-followers “Already you have all you want! Already you have become rich! Quite apart from us you have become kings!” (1 Cor 4:8) and “We are fools for the sake of Christ, but you are wise in Christ. We are weak but you are strong. You are held in honour, but we in disrepute.” (1 Cor 4:10). The spatial aspect of embodiment in the here and now inherent to “in Christ” is not equated by Paul with realised eschatology. Schweitzer had highlighted this differentiation by pointing to the temporal aspect of “in Christ”. The Christ-event inaugurated the messianic time and realm (Schweitzer called it “Zwischenreich”), but this inauguration is far from being equated with its consummation. This differentiation serves as a caution over against realised eschatology and as such is commendable even if we do not wish to follow Schweitzer’s idea of a “messianisches Zwischenreich”. The emphasis on the temporal dimension of ἐν Χριστῷ could function as a cautionary safeguard against Christian triumphalism and absolutist claims, although this was not Schweitzer’s purpose.22 The temporal dimension is highlighted by Paul in his reminder to the Corinthians that “For now we see in a mirror dimly, but then we will see face to face. Now I know only in part; then I will know fully, just as I will be fully known.” (1 Cor 13:12). The preliminary aspect, or notion of initiation rather than completion of the “world to come” serves as a cautionary safeguard against the triumphalism of realised eschatology (including its premature division of the saved and the judged)23, but also against the risk of the exclusivism of a closed social space. “In Christ” is a space in anticipation of the world to come, it is not identified by Paul as the space of the kingdom of God, and even less as the space of the ἐκκλησία. The “already” of which those of the nations “in Christ” get a glimpse is paired with the “not yet” of the world to come. The temporal dimension renders this space an open space, open to that, or to one who is still to come. The temporal, that is, provisional dimension of ἐν Χριστῷ indicates that this cannot be an 22 Although Schweitzer did not join in the blatant anti-Judaism of Christian theology and exegesis of his day, and even clearly and provocatively argued against mainstream exegesis that Paul was Jewish, and argued entirely from within first century Judaism, he did advocate a supersessionist stance in his view that in Christianity the essence of Judaism was “aufgehoben”. Hence Schweitzer could assert that “For him there was only one religion: that of Judaism. It was concerned with God, faith, promise, hope and law. In consequence of the coming, the death, and the resurrection of Jesus Christ, it became its duty to adjust its teachings and demands to the new era thus introduced […] “Christianity“ is for Paul no new religion, but simply Judaism with the centre of gravity shifted in consequence of the new era.” A. Schweitzer, Paul and His Interpreters, London 1912, p. 227. Cf. also J. Paget Carleton, Albert Schweitzer and the Jews, in: HTR 107:3 (2014), pp. 363–98. 23  Cf. W. S.  Campbell, Paul and the Creation of Christian Identity, London 2006, p. 134, pp. 171–73.

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exclusive, closed or final space. The embodiment of being “in Christ” if true must lead to an inherently inviting and welcoming practice, open to the unknown – the creation of a hospitable space welcoming the stranger, the other. Thus, ἐν Χριστῷ is neither merely temporal, nor merely spatial nor merely modal, but all of these aspects together circumscribe characteristics of being ἐν Χριστῷ. They are distinctive but interwoven dimensions of being ἐν Χριστῷ. As Constantine Campbell has noted, it is like a web of interconnected ideas in which many aspects cohere though not necessarily via a central focus for any one of these.24 This preliminary open space, constituted through “bodies”, which both as assemblies and as individuals embody Christ in their lives, is referred to by Paul twice as “new creation” (καινή κτίσις). Having emphasized that the spatial dimension of ἐν Χριστῷ indicates its location in the here and now, this seems a rather strange way of characterising ἐν Χριστῷ. Καινή κτίσις has been interpreted as referring to a complete obliteration of the here and now through divine intervention.25 The connection between “καινὴ κτίσις” and ἐν Χριστῷ thus leads us back to the initial question of what ἐν Χριστῷ is supposed to mean.

4. Ἐν Χριστῷ – the Realm of “New Creation” Given the spatial dimension of ἐν Χριστῷ noted above, it does not come as a surprise that issues which pertain to the communal life and activities of the Christfollowers are addressed widely in the Pauline letters. And at crucial points Paul uses ἐν Χριστῷ language in contexts where difference and diversity are an issue. I mentioned already the different groups in 1 Corinthians; in Galatians it is men and women, slave and free, Jew and Greek (Gal 3:28), and circumcision and uncircumcision (Gal 6:15); in Rom 14–15:13 we find the weak and the strong, or those who eat vegetables and those who eat anything. Numerous interpretations are of the view that the problem to be overcome according to these passages is difference and diversity among Christ-followers. Thus, it has been asserted that the differences mentioned in Gal 3:28, 5:6, and 6:14–15 are part of the realm designated by Paul with the terms σάρξ or κόσμος.26 According to such interpre24 Campbell,

Union, pp. 443–44. Gaventa asserts that “The new creation results in the nullification of previous identifications […]” (p. 103), and “The gospel’s invasion necessarily obliterates worlds, incuding particularly the world of the law […] It also oblitarates those other ‘places’ with which people identify themselves, even the most fundamental places of ethnicity, economic and social standing and gender.” B. R. Gaventa, Our Mother Saint Paul, Louisville 2007, pp. 68–69. 26 Wolter asserts “Demgegenüber gelten die in Gal 3:28; 5:6; 6:15 genannten Unterschiede als Produkte der Sinnwelt, die Paulus in 6.12 als ‘im Fleisch’ und in 6:14 als ‘Welt’ bezeichnet”. Wolter, Paulus, p. 241 and also pp. 444–445. 25 E. g.

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tations one of the key characteristics of being “in Christ” is the overcoming of difference, for which “new creation” is taken to be the most accurate expression. I will focus on the passages related to the notion of “new creation” which are considered to provide the clearest evidence that Paul advocated the overcoming of difference in Christ, that is, Gal 6:15 read in light of 3:28, and 2 Cor 5:17. It is frequently presupposed that the differences mentioned in these particular passages constitute the actual problem addressed by Paul. This is surprising since according Gal 6:12–15 the problem clearly is enforced circumcision of those from the nations (gentiles) who have already joined the Christ-movement. It is not circumcision as such that constitutes a problem, and certainly not the Jewish practice of the circumcision of eight day old infant boys! Paul nowhere in his letters discusses this practice in relation to his own people!27 Differentiation and thus diversity is not the problem in Gal 6:12–15, rather the opposite, as throughout Galatians Paul passionately argues that those from the nations who are ἐν Χριστῷ should retain their non-Jewish identity. Differentiation and diversity is also not associated with the “flesh” or the “kosmos”. The reference to flesh in Gal 6:12 is related to boasting rather than to circumcision; and in Gal 6:13 “flesh” refers to the physical, bodily change through circumcision rather than a state in opposition to being “in Christ”. Attempts at persuading Christ-followers from the nations to accommodate to a sameness discourse and become Jews in Christ constitute the problem addressed here, rather than diverse identities in Christ.28 The notion that participation in Christ requires that all become the same is refuted by Paul from wherever the necessity for sameness is advocated. In Galatians the concern is the retention of the identity of Christ-followers from the nations as those from the nations; in Romans the retention of the identity of Jews, whether in Christ or without is the issue.29 Also in Gal 3:28 there is no indication that difference is what needs to be overcome in Christ. It is again a specific contextual discussion, here concerning the function of the law for those from the nations prior to the Christ-event, which aims at convincing the Galatians that circumcision is not for them.30 Paul here is not arguing that oneness in Christ requires 27 Cf. M. Nanos, The Question of Conceptualization: Qualifying Paul’s Position on Circumcision in Dialogue with Josephus’s Advisors to King Izates, in: Paul Within Judaism: Restoring the First-Century Context to the Apostle, ed. M. Nanos/M. Zetterholm, Minneapolis 2015, pp. 105–52: M. Thiessen, Paul and the Gentile Problem, Oxford 2016, esp. pp. 73–101. 28 Cf. also Campbell, Gentile Identity and Transformation in Christ, p. 26. 29 Cf. Campbell, Paul and the Creation of Christian Identity, pp. 104–20, M. Nanos, The Mystery of Romans: The Jewish Context of Paul’s Letter to the Romans, Minneapolis 1996. 30 Thiessen, Paul, pp. 95–96, follows Hayes in the argument that Paul most likely considered it impossible for non-Jews to transcend the genealogical boundary between Jews and non-Jews through conversion. Thus non-Jews who try to fulfil the law through circumcision actually break the law by their attempt at fulfilling it. Since only circumcision on the eighth day would be considered to constitute the fulfilment of the law of circumcision, it was impossible for an adult non-Jew to fulfil this commandment. It is questionable whether this actually

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the overcoming of diversity, but rather that diversity is presupposed with participation ἐν Χριστῷ. The latter should determine the relationships of Christfollowers, rather than their respective “status in this kosmos”, where superiority claims combined with contempt and domination characterise the discourse of diversity.31 In the context of 2 Cor 5:17 with its explicit connection between ἐν Χριστῷ and “καινή κτίσις” there is no indication that difference and diversity are the problem in view. The problem addressed here again has to do with boasting, that is, with a relational issue, most likely in relation to perceptions of leadership.32 I have noted already, that in the opening chapters of 1 Corinthians, the problem addressed is not diversity but how those who are different, i. e. the different groups, related to each other “in Christ”. The Corinthian correspondence actually is permeated with this issue of competitive boasting, an issue which obviously was not solved between the writing of 1 and 2 Corinthians but remerges in 2 Corinthians in more personalised form in that Paul’s embodiment of his leadership role as an apostle is obviously questioned.33 Paul does affirm that “the old has passed away […] everything has become new” (2 Cor 5:17). But he remains annoyingly silent as to what he considers to be “the old” here. Given that immediately afterwards he writes of reconciliation, the question is why is there a need to speak of reconciliation here? Reconciliation presupposes that relationships are harmed or broken. The wider context of 2 Cor 5:17 implies that Paul is addressing boasting behaviour among the Christ-followers in Corinth. The letter is permeated with Paul’s attempt at mending a fractured or at least strained relationship with this ἐκκλησία. It involves the perception of leadership, and Paul is adamant to assert his role without being seen as replicating leadership patterns which are based on the patterns of “this world”. Thus the section introducing the topic of the letter (if it is taken as a unity), namely 2 Cor 1:12–14, opens with references to “boasting”. The theme is also present in 2 Corinthians 5 when Paul rejects a possible perception that he might boast in himself “We are not commending ourselves to you again, but giving you an opportunity to boast about us […]” (2 Cor 5:12). As noted, boasting is the competitive attitude and behaviour the Roman (and Greek) male elite considered an exemplary virtue constitutes a genealogical argument. Since it argues with the fulfilment of a commandment, this to me is an argument based on ritual practice rather than genealogy, but this is a discussion for a future article. 31 The Roman way of dealing with diversity in the provinces was dominated by superiority claims, and dominating contempt, cf. D. J. Mattingly, Imperialism, Power and Identity: Experiencing the Roman Empire. Princeton, Princeton 2011, pp. 90–95, and discussion in K. Ehrensperger, Paul at the Crossroads of Cultures – Theologizing in the Space Between, London/New York 2013, pp. 76–90; N. Elliott, The Arrogance of Nations: Reading Romans in the Shadow of Empire, Minneapolis 2008. 32 Cf. Ehrensperger, Paul and the Dynamics of Power: first mentioned note 10, pp. 101–14. 33 Ehrensperger, Paul and the Dynamics of Power, pp. 102–116.

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in pursuit of power and prestige, exercised with contempt over against others, that is, those who are different. It was the attitude and way of life of those who could dominate, or lord it over those who were different and did not, could not or would not cohere to the sameness discourse of male elites. If deemed necessary, such boasting could also be supported by violence. In the context of a conflict over boasting rather than diversity Paul thus refers to new creation (καινή κτίσις), to the passing away of the “old” (ἀρχαῖα) and to reconciliation (καταλλαγή). I think this is highly significant. There is no word about diversity and difference here. Nor is there any indication that the problem of the “old” has anything to with the diversity of those ἐν Χριστῷ. Hence the “old” may well be interpreted as “the old ways” of male elitist boasting at the expense of those who are different, and thus in the weaker position over against those in power. Maybe this is why in 2 Cor 12:5–10 Paul actually “boasts” in his weakness. That the passing away of the “old” should refer to the passing away of difference and diversity must be introduced here from outside. I cannot see a basis in the immediate or wider context of this passage for such an interpretation. Only if the problem – imported from outside the text – is difference and diversity, is there a need for a solution by which these are overcome or eradicated! But if the problem here does not consist in diversity and difference, then I cannot see an argument for “καινή κτίσις” as meaning the overcoming of these! Interestingly, also the other text in which the phrase “new creation” is used, Gal 6:15, occurs in a context where Paul addresses boasting among those ἐν Χριστῷ, as noted above. Boasting is what is part of the “kosmos” to which Paul has died (6:14). When this verse is read with the aspect of boasting in mind, attention should also be paid to “τί ἐστιν” in verse 15. It comes close to a saying of Swiss aristocracy – when there still was such – “are you somebody, or are you getting paid?” (sid Dir öpper oder nämed dir Lohn?). To be something or somebody with the emphasis on “to be” implies that there is a higher value intrinsic to this – and thus “being someone” is rendered the basis of superiority claims over against others– or in the context here, the basis of boasting. Paul has already ruled this out in Gal 6:3 where he warns that εἰ γὰρ δοκεῖ τις εἶναι τι μηδὲν ὤν, φρεναπατᾷ ἑαυτόν (“If someone thinks to be something, although being nothing, he deceives himself”). The same formulation is used in both, 6:3 and in 6:15. Used in such close rhetorical context, it can be inferred that there is an analogy in the respective emphasis. Whilst in 6:3 it is the perception that a Christ-follower cannot claim superiority over others through the mere fact of who they are, in 6:15 Paul makes a similar statement in relation to the relationship between Jews and Christ-followers from the nations. In Christ the difference between them, as those of the circumcision or of the uncircumcision cannot serve as the basis for their relationship. It is nothing to boast in, and nothing on which superiority claims could be based. Significantly, this is not an ontological but a relational statement. Hence the affirmation of “καινή κτίσις” cannot be an ontological

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statement either, it has to be located in the context of the relational discourse of boasting and superiority claims. The emphasis on the relational character of καινή κτίσις over against an ontological understanding does not mean that I consider this to be less real. It is real “in Christ”, that is, in the perception that the Christ-event was the indication that the world to come had been inaugurated. In this perception, the relationship, between those who are different, has changed in the here and now ἐν Χριστῷ, rather than their different ethnic and other aspects of their identities. Superiority claims are attempts at denigrating and dominating others, they violate the integrity of others, spread contempt, and are thus at the heart of violence and destruction. The problem is not difference and diversity within the movement, but that which destroys peaceful cooperation between those who are and remain different, to the benefit of all. Significantly, Paul explicates characteristics of relating to each other in Gal 6:2, “Bear one another’s burdens.” This is what is “new” in the καινή κτίσις. Paul is convinced that ἐν Χριστῷ reconciliation has been initiated for the benefit of the whole of creation. It is an event of cosmic dimensions indeed. As noted above, ἐν Χριστῷ needs to be embodied by his addressees from the nations to become real, it cannot be a mere issue of seeing the world differently, to be ἐν Χριστῷ requires action. This relates well to the notion of creation as an interconnected network of embodied life. I wish to emphasize here that the focus in “καινή κτίσις – new creation” is on “creation” that is, God’s creation, as much as it is on new. If it is still God’s creation that is envisaged by Paul here, then there surely must be an analogy with the narratives of Genesis 1 and 2. They certainly do not envisage a creation of sameness but one of colourful diversity where it is asserted again and again that “God saw and it was good”. How could Paul think of “new creation” as being anything less than this? The topos of creation inherently refers to an overflow of diversity, a celebration of diversity!

5. Conclusions With the ἐν Χριστῷ discourse, Paul provides internal guidance for Christ-followers from the nations and as such he provides guidance for life in this realm. There is a modal aspect to the ἐν Χριστῷ discourse in that it implies a different perception of life, in light of the Christ-event. However, with the necessity to embody this perception of life as a way of life, we have noted that there is a spatial and temporal dimension to being ἐν Χριστῷ with highly significant theological implications. The temporal dimension serves as a safe-guard against realised eschatology, including claims of a closed community of the saved. The aspect of embodiment indicates that the notion of a uniform understanding of being ἐν Χριστῷ is problematic, in that, implicit to any kind of human embodiment is diversity per se. The analyses of Gal 3:28 and 6:15 and of 2 Cor 5:17 have demonstrated that the

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problems addressed actually resonate closely with the issue of competitive group behaviour also in view in 1 Corinthians 1–4. To be sanctified through Christ, and now also being called to worship the one God of Israel, such behaviour was not in keeping with what was expected of someone who “walked in the ways of the Lord”. Those from the nations were in a process of learning “the ways of the Lord” – as those from the nations in Christ, as satellite groups in anticipation of the world to come. The key problem addressed by Paul via reference to commonality in Christ is not diversity, certainly not Jewish identity, whether in Christ or not, but competitive superiority claims based on diversity. To “be in Christ” is thus not set up in contrast to being Jewish, it is not a discourse of opposition to Jewish traditions or Jewish ways of life. Rather, Paul’s emphasis is on patterns of behaviour, which ἐν Χριστῷ should change. It thus appears that we confirm Schweitzer’s emphasis on the ethical dimension of participation in Christ, although from a different angle. My emphasis on the relational aspect of Paul’s ἐν Χριστῷ discourse certainly points in that direction. But I consider the permeation of the modal, spatial and temporal aspect of ἐν Χριστῷ as inseparable, in the vein of a rhizomatic web. Diversity of meaning as much as diversity of embodying seem to be at the heart of ἐν Χριστῷ as envisaged by Paul. In the realm/messianic space of ἐν Χριστῷ, at the beginning of the age to come, people from the nations were called to embody Christ in their diversity in terms of gender, colour, ethnicity, customs and traditions etc; as such they are “καινὴ κτίσις”, that is, they were supposed to begin to live as God had meant them to live from the beginning – in peace and respect for each other, celebrating the Creator of this colourful, good creation. The connection between ἐν Χριστῷ and creation highlights the theological significance of diversity in Christ. If, in and through Christ, God’s commitment to his people Israel and the whole of creation are confirmed, as Paul asserts, this cannot be at the expense of the diversity of God’s good creation. Significantly, these arguments are directed to those from the nations (ἔθνη) in Christ. When Paul argues against non-Jews becoming Jews upon joining the Christ-movement, he does not present any arguments against Jewish ways of relating to their God, that is, Jewish ways of life. This relationship between God and his people is presupposed as a given, irrespective whether Jews saw in the Christ-event the signal of the dawning of the world to come, as Paul and his colleagues did, or not. The core differentiation according to Paul was between those who perceived themselves as belonging to the God of Israel and those who did not. “In Christ” those from the nations are now also called to “rejoice […] with his people” and “praise the Lord” (Rom 15:10–11). In Paul’s understanding Christ confirms the promises to the patriarchs and “so that the nations might glorify God for his mercy” (Rom 15:8–9).34 Far from differentiating those from 34 S. Stowers,

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the nations “in Christ” in opposition to Jews, Paul differentiates the former from, but at the same time links them inseparably to, the people of Israel. “In Christ” for Paul is the realm where God is praised by Jews and non-Jews alike. Although Paul is troubled by the fact that not all Jews see things the way he sees them, he considers this a mystery to be left with God.

Christologie als Bestätigung der jüdischen Religion? Überlegungen zur Lehre von Jesus Christus im Zeitalter des religiösen Pluralismus Christian Danz In den Kontroversen über das Verhältnis der christlichen Religion zur jüdischen ist die dogmatische Lehre von Jesus Christus nicht zufällig ins „Kreuzverhör“ geraten und zum „Streitfall“ geworden.1 Mit der Christologie, wie sie sich in der theologischen Lehrentwicklung herausgebildet hat, scheint die Konsequenz verbunden zu sein, das Judentum, aus dem das Christentum hervorgegangen ist, zu einer überwundenen Vorstufe zu degradieren. Wenn die Gottesoffenbarung in Jesus Christus sowohl die endgültige Offenbarung als auch zugleich die Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen sein soll, dann impliziert das unweigerlich einen defizitären Status der jüdischen Religion gegenüber der christlichen. Ihre Erfüllung findet jene allein in dieser, aber nicht in sich selbst. Damit tritt in den heilsgeschichtlichen Konstruktionen der christlichen Dogmatiken die christliche Religion das Erbe des Judentums an, indem es, das Christentum, als Antitypos der jüdischen Religion fungiert und an dessen heilsgeschichtliche Stelle tritt. In der abschließenden Offenbarung Gottes in dem Mann aus Nazareth verdichtet sich folglich geradezu das Verhältnis zwischen beiden Religionen. Vor dem Hintergrund der Katastrophe des jüdischen Volkes im 20. Jahrhundert sind solche Konstruktionen der Christologie ins Kreuzverhör gerückt, da ihnen ab ovo eine Depotenzierung und Vereinnahmung der jüdischen Religion eingeschrieben ist, die antisemitische Vorurteile befördere.2 Auf unter1 Vgl. U. Winkler, Christologie im Kreuzverhör. Wider die Diastase von Israeltheologie und Religionstheologie, in: Salzburger Theologische Zeitschrift 8 (2004), S. 30–61; Streitfall Christologie. Vergewisserungen nach der Shoah, hrsg. v. H. Hoping/J.-H. Tück, Freiburg i. Br./Basel/Wien 2005; W. Homolka/M. Striet, Christologie auf dem Prüfstand. Jesus der Jude  – Christus der Erlöser, Freiburg i. Br./Basel/Wien 2019. Vgl. auch den Überblick bei B. U.  Meyer, Christologie im Schatten der Schoah – im Lichte Israels. Studien zu Paul van Buren und Friedrich Wilhelm Marquardt, Zürich 2004, S. 79–84. 2 So kann die dogmatische Christologie der Lehrtradition im Anschluss an Rosemary Radford Ruether als Wurzel des christlichen Antisemitismus eingestuft werden. Vgl. R. Radford Ruether, Faith and Fratricide. The Theological Roots of Anti-Semitism, New York 1974. Vgl. hierzu Meyer, Christologie im Schatten der Schoah, S. 81. Auch Perry Schmidt-Leukel sieht

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schiedliche Weise wurde nun für eine christologische ‚Abrüstung‘ plädiert,3 um in den christologischen Konzeptionen eine Diskriminierung und theologische Enteignung der jüdischen Religion auszuschließen. Protestantische und römisch-katholische Theologen schlugen seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Reihe von Umformungen der Christologie vor, die nun nicht mehr darauf zielen, Jesus Christus als Ablösung der jüdischen Religion zu konstruieren, sondern umgekehrt als deren Bestätigung.4 Damit rückte auch das Judesein des Mannes aus Nazareth deutlicher in den Fokus der christologischen Debatte und erhielt theologische Bedeutung.5 Wenn Jesus selbst Jude war, dann könne die christliche Religion sich nicht selbst als Herabstufung oder Ablösung vom Judentum verstehen. Andernfalls würde das Christentum in Widerspruch zu Jesus selbst treten.6 Von der historischen Jesusforschung der letzten Jahrzehnte, der sogenannten Third Quest, wurde diese Sichtweise zusätzlich gestützt. Im Unterschied zur älteren Forschung, insbesondere der nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland diskutierten ‚neuen Frage‘ nach dem historischen Jesus, wird nun in der überlieferten dogmatischen Lehrgestalt der Christologie die theologischen Wurzeln des Antisemitismus. Vgl. P. Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen. Eine christliche und pluralistische Theologie der Religionen, Gütersloh 2005, S. 319: „Die theologischen Wurzeln des Antijudaismus hängen daher eng mit der Frage der Christologie und dem Selbstverständnis der Kirche zusammen.“ 3  Vgl. R. Bernhardt, Deabsolutierung der Christologie?, in: Der einzige Weg zum Heil? Die Herausforderung des christlichen Absolutheitsanspruchs durch pluralistische Religionstheologien, hrsg. v. M. v. Brück/J. Werbick, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1993, S. 144–200. Zum theologiegeschichtlichen Hintergrund der christologischen Debatte seit den 1970er Jahren vgl. F. Wittekind, Christologie im 20. Jahrhundert, in: C. Danz/M. Murrmann-Kahl (Hg.), Zwischen historischem Jesus und dogmatischem Christus. Zum Stand der Christologie im 21. Jahrhundert, Tübingen 22011, S. 13–45, bes. S. 36–38. 4 Vgl. hierzu die theologiegeschichtlichen Überblicke über die Neugestaltungen der Christologie im christlich-jüdischen Dialog der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei M. Bock, Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei? (Mk 8,29). Christologische Fragestellungen im christlich-jüdischen Gespräch nach 1945, Frankfurt a. M. 1998; S. Vasel, Philosophisch verantwortete Christologie und christlich-jüdischer Dialog. Schritte zu einer doppelt apologetischen Christologie in Auseinandersetzung mit den Entwürfen von H.-J. Kraus, F.-W. Marquardt, P. M. van Buren, P. Tillich, W. Pannenberg und W. Härle, Gütersloh 2001. 5 Vgl. H. Hoping, Einführung in die Christologie, Darmstadt 2004, S. 147: „Ein erstes Kriterium für eine solche [sc. Israel bejahende] Christologie ist die volle Anerkennung des Judeseins Jesu und dessen theologische Bedeutsamkeit.“ Vgl. auch ders., Das Mysterium Israels und die Messianität Jesu. Israeltheologie als Aufgabe der Christologie, in: Streitfall Christologie, hrsg. v. dems./J.-H. Tück, Freiburg i. Br./Basel/Wien 2005, S. 159–181, bes. S. 161–165; B. Nitsche, Christologie, Paderborn 2012, S. 61–75. 6 Vgl. K. v. Stosch, Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der Religionen, Paderborn/München/Wien u. a. 2012, S. 270: „Andererseits gründet die bleibende Wertschätzung des Christentums für das Judentum in der Tatsache, dass sich Jesus von Nazareth – nach allem, was wir historisch von ihm wissen – zeit seines Lebens als Jude verstanden hat. Es ist nun aber nicht vorstellbar, den Glauben desjenigen, den man als den eigenen Heilsbringer bekennt, in irgendeiner Weise als defizitär zu kennzeichnen, so dass die Würdigung des Judentums dem Christentum zuinnerst eingeschrieben ist.“

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der Mann aus Nazareth in die antike jüdische Religion eingeordnet und Deutungen, mit seinem Wirken verbinde sich eine Durchbrechung des Judentums,7 zurückgewiesen.8 Bestätigt wurde damit auch die Sicht von jüdischen Forschern, die darauf hinwiesen, der „Glaube Jesu“ verbinde Judentum und Christentum, aber der „Glaube an Jesus“ trenne beide Religionen.9 Welche Konsequenzen ergeben sich für die dogmatische Christologie, wenn der Glaube Jesu beide Religionen verbindet, der Glaube an ihn sie jedoch trennt? Muss die Lehre von Jesus Christus als Bestätigung der jüdischen Religion reformuliert werden, weil Jesus selbst Jude war? Und lässt sich auf eine solche Weise eine christliche Würdigung und Wertschätzung des Judentums durch die Theologie begründen? In diesem Sinne wurde von vielen Theologen seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die sich um eine Neubestimmung des Verhältnisses von beiden Religionen bemühten und die alte Vorurteile abbauen wollten, die Aufgabe verstanden, die von einer Christologie im christlich-jüdischen Dialog einzulösen sei. Aufgrund des Judeseins Jesu müsse die christliche Theologie in ihr selbst eine bleibende theologische Bedeutung der jüdischen Religion (Erwählung, Bund etc.) berücksichtigen und ausarbeiten.10 Aber genau das ist nicht ohne Aporien möglich, wie zuletzt der Beitrag von Joseph Ratzinger über Gnade und Berufung ohne Reue sowie die sich daran entzündende Kontroverse deutlich machte.11 Indem die Christologie als Begründung oder als Bestätigung der jüdischen Religion in der christlichen Theologie konstruiert wird, lässt sich ein Inklusivismus nicht mehr vermeiden, der das Judentum christlich-theologisch vereinnahmt und depotenziert. In Ratzingers umstrittenem Beitrag rücken diejenigen Probleme in den Fokus, die mit allen Versuchen verbunden sind, im Horizont einer Christologie die jüdische  7 So bei E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen, Bd. 1, Göttingen 61976, S. 187–214.  8 Vgl. hierzu C. Danz, Grundprobleme der Christologie, Tübingen 2013, S. 25–54; J. K. Beilby/​P.  R.  Eddy (Hg.), The Historical Jesus: Five Views, Downers Grove 2009.  9 So die bekannte Formulierung von Schalom Ben-Chorin. Vgl. S. Ben-Chorin, Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht, München 111988, S. 11: „Der Glaube Jesu einigt uns, […] aber der Glaube an Jesus trennt uns.“ 10 Vgl. Hoping, Einführung in die Christologie, S. 147: „Das Judesein Jesu, die besondere göttliche Erwählung des Volkes, dem er entstammt, und die Verwurzelung des Christentums im Judentum verpflichten die christliche Theologie zu einer Israel bejahenden Christologie.“ Nitsche, Christologie, S. 64: Christliche Theologie hat „die Aufgabe, die bleibende Berufung Israels nicht nur anzuerkennen, sondern auch positiv durchzubuchstabieren und zur Geltung zu bringen“. Vgl. auch F.-W. Marquardt, Das christliche Bekenntnis zu Jesus, dem Juden. Eine Christologie, Bd. 1, München 1990, S. 138 f. 11 Vgl. J. Ratzinger, Gnade und Berufung ohne Reue. Anmerkungen zum Traktat „De Iudaeis“, in: Communio 47 (2018), S. 316–335, bes. S. 335: „Die Formel vom ‚nie gekündigten Bund‘ mag in einer ersten Phase des neuen Dialogs zwischen Juden und Christen eine Hilfe gewesen sein, taugt aber nicht auf Dauer, um die Größe der Wirklichkeit einigermaßen angemessen auszudrücken.“

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Heilsgeschichte zu fundieren oder zu bestätigen, dort aber mit Stillschweigen übergangen werden.12 Um zu einer Anerkennung der jüdischen Religion zu gelangen, muss die christliche Theologie andere Wege einschlagen, als sie bisher beschritten worden sind.13 Das betrifft vor allem die Christologie, ihre Funktion im Gespräch zwischen Christentum und Judentum sowie ihr Verhältnis zur Geschichtsforschung. Durch die historische Forschung wurden in der Tat alte dogmatische Christusbilder abgebaut und dadurch eine von der Lehrtradition abweichende Sicht des Mannes aus Nazareth eröffnet, die sich mit dessen jüdischer Deutung berühren und seit den 1980er Jahren auch weitgehend decken.14 Aber die dogmatische Beschreibung des christlichen Glaubens ist nicht identisch mit der religionsgeschichtlichen Rekonstruktion des Verhältnisses beider Religionen. Beide Dimensionen überlagern sich, sie fallen jedoch nicht zusammen.15 Das wirft die Frage nach der systematischen Funktion der Christologie für die Beschreibung des christlichen Glaubens auf. Ist es ihre Aufgabe, die christliche Religion oder das Kerygma durch den historischen Jesus zu begründen? Einer solchen Sicht der Funktion der Christologie wird im Folgenden widersprochen. Jesus Christus, so die zu erläuternde These, ist keine Voraussetzung der christlichen Religion, sondern ein Bestandteil von ihr. Das bedeutet, in der Christologie geht es auch nicht darum, die jüdische Religion und ihr Verhältnis zur christlichen zu thematisieren. Unternimmt man aber das, arbeitet also die dogmatische Lehre von Christus als Bestätigung der Erwählung Israels, des ungekündigten Bundes etc. aus, dann ist eine christliche Vereinnahmung des Judentums nicht zu vermeiden. Denn Jesus Christus ist ein Element der christlichen Religion, das als konstitutiv für die jüdische postuliert wird. Eine theologische Differenz zwischen beiden Religionen ist damit gerade bestritten, so dass das Judentum auch nicht mehr

12 Bezeichnend ist, dass die Kritik an Ratzingers Ausführungen von denselben inklusivistischen Voraussetzungen ausgeht wie dieser selbst. Vgl. M. Böhnke, Der gekündigte Konsens, in: HerKorr 72:9 (2018), S. 50 f. Vgl. auch den Überblick über die Aporien von inklusivistischen Deutungen der jüdischen Religion bei Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen, S. 317–328. 13 Vgl. W. Homolka, Der historische Jesus aus jüdischer Sicht, in: Ders./Striet, Christologie auf dem Prüfstand, S. 11–70, hier: S. 34: „Ich meine, es ist nun Aufgabe der christlichen Theologen, eine Christologie zu schaffen, die ohne ein zur Karikatur entstelltes Judentum auskommt, das der christlichen Identitätsfindung und Lehre bisher als Projektionsfläche diente.“ 14 Vgl. W. Homolka, Jesus von Nazareth im Spiegel jüdischer Forschung, Berlin/Teetz 2009; ders., Jewish Jesus Research and its Challenge to Christology Today, Leiden/Boston 2016. 15 Anders Hoping, Einführung in die Christologie, S. 151, der die Geltung der religionsgeschichtlichen Einsicht, Judentum und Christentum seien zwei eigenständige Religionen, für die Theologie zurückweist, und beide in eine Heilsgeschichte einordnet, was zur Folge hat, dass die christliche Religion als eschatologische Erfüllung der jüdischen konstruiert wird. „Das Christentum darf [!] sich gegenüber dem Judentum nicht als eine neue Religion verstehen [!], deren Anfänge nur zufällig im Judentum liegen.“

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als eine eigenständige Religion anerkannt werden kann. Zu einer vorbehaltlosen Anerkennung der jüdischen Religion gelangt die christliche Theologie vielmehr erst dann, wenn sie darauf verzichtet, ‚Israel‘ in ihr zu fundieren oder in seiner göttlichen Erwähltheit zu bestätigen, und stattdessen die Differenz beider Religionen herausarbeitet, die religionsgeschichtlich in einem engen Zusammenhang stehen. Damit ist das Thema benannt, um das es in den nachfolgenden Überlegungen gehen soll. Eine Anerkennung der in sich selbst höchst komplexen jüdischen Religion als einem eigenen religiösen Zeichensystem mit eigenen Gottesbildern ist der Theologie erst dann möglich, wenn sie den Anspruch aufgibt, in der Christologie das Judentum begründen zu wollen. Genau das ist nicht möglich, wenn – wie in der bisherigen Debatte – die Differenzen zwischen beiden Religionen offengelassen und marginalisiert werden. Einzusetzen ist deshalb mit theologischen Konzeptionen, die dafür votieren, die Christologie als theologische Bestätigung der jüdischen Religion auszuarbeiten. Das soll exemplarisch anhand der Entwürfe von Friedrich-Wilhelm Marquardt, Berthold Klappert und Jürgen Moltmann geschehen. Vor dem Hintergrund der mit diesen Konzeptionen verbundenen Probleme muss im zweiten Abschnitt die systematische Funktion der Christologie sowie ihr Verhältnis zur historischen Jesusforschung in den Blick genommen werden, da im Fokus der Kontroversen das Judesein Jesu und dessen theologische Bedeutung steht. Die dogmatische Lehre von Christus hat, so die auszuführende These, eine Funktion für die Selbstbeschreibung der christlichen Religion. Deren materiale Durchführung ist der Gegenstand des abschließenden dritten Abschnitts, in dem das Verhältnis beider Religionen auf der Grundlage der vorgeschlagenen Neubestimmung der Christologie darzustellen ist.

1. Christologie als Bestätigung der jüdischen Religion Geradezu exemplarisch für die Debatten über eine längst überfällige Neubestimmung des Verhältnisses der christlichen Religion zur jüdischen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind die Christologien von Friedrich-Wilhelm Marquardt, Berthold Klappert und Jürgen Moltmann. Alle drei arbeiten Konzeptionen aus, die in der Lehre von Christus eine theologische Enteignung des Judentums vermeiden wollen. Gemeinsam ist ihnen der Rückgriff auf die Theologie Karl Barths, dessen Offenbarungsverständnis auf die jüdische Religion übertragen und gleichsam religionsgeschichtlich gelesen wird. An den Christologien von Marquardt, Klappert und Moltmann lassen sich beispielhaft die Aporien veranschaulichen, mit denen der Versuch konfrontiert ist, in der christlichen Theologie eine Bestätigung der jüdischen Religion auszuarbeiten.

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1. Der Berliner systematische Theologe Friedrich-Wilhelm Marquardt gehört zu den Vorreitern, die sich um eine Neujustierung der christlich-theologischen Sicht des Judentums bemüht haben. Ihren abschließenden Niederschlag haben seine Überlegungen zu einer Theologie, die das jüdische Nein zu Jesus Christus in einem positiven Sinn zu würdigen weiß,16 in seiner siebenbändigen Dogmatik gefunden, die deren überlieferte Lehrgestalt einer grundlegenden Revision unterzieht.17 Marquardt nimmt Barths Offenbarungsverständnis auf, überträgt es jedoch auf die jüdische Religion, so dass der Bund Gottes mit Israel die maßgebliche Offenbarung Gottes darstellt.18 Entsprechend ist die Christologie im Horizont dieses Bundes zu reformulieren. Dieses Programm signalisiert bereits der Titel der zweibändigen Christologie: Das christliche Bekenntnis zu Jesus, dem Juden. „Darum verstehen wir unsere Aufgabe dahin, Christologie als Lehre von der Gemeinschaft Gottes mit der um Israel versammelten Menschheit zu entwickeln. Nur in dieser ontologischen Ordnung läßt sich auslegen, was in Anwendung auf Jesus ‚vere Deus‘ und ‚vere homo‘: ‚wahr Mensch und wahrer Gott‘ heißen kann.“19 In der dogmatischen Christologie erhält das Judesein Jesu systematisches Gewicht, indem er in die Geschichte Israels eingeordnet und von ihr her verstanden wird. Offenbarung Gottes ist der Mann aus Nazareth nämlich darin, dass er den Heiden den Zugang zu dem Bund Gottes mit Israel eröffnet.20 Ein angemessenes Verständnis Jesu ist damit allein im Rückgriff auf die Geschichte Gottes mit dem israelitischen Volk möglich. Es ist selbst schon 16 Vgl. F.-W. Marquardt, „Feinde um unsretwillen“. Das jüdische Nein und die christliche Theologie, in: Treue zur Thora. Beiträge zur Mitte des christlich-jüdischen Gesprächs. Festschrift für Günther Harder zum 75. Geburtstag, hrsg. v. P. v. der Osten-Sacken, Berlin 1977. 21979, S. 174–193, hier: S. 174: „Wir werden den christlichen Antijudaismus erst hinter uns haben, wenn es uns theologisch gelingt, mit dem jüdischen Nein zu Jesus Christus etwas Positives anzufangen.“ 17 F.-W. Marquardt, Von Elend und Heimsuchung der Theologie. Prolegomena zur Dogmatik, München 1988. 21992; ders., Das christliche Bekenntnis zu Jesus, dem Juden. Eine Christologie, 2 Bde., München 1990/91; ders., Was dürfen wir hoffen, wenn wir hoffen? Eine Eschatologie, 3 Bde., Gütersloh 1993–1996; ders., Eia, wärn wir da – eine theologische Utopie, Gütersloh 1997. Zur Theologie Marquards vgl. B. U.  Meyer, Christologie im Schatten der Shoa – im Lichte Israels. 18 Für Barth hingegen sind das Alte Testament und der Bund Gottes mit Israel Bestandteile der Offenbarung Gottes in Jesus Christus, die es wiederum allein im Vollzug des christlichen Glaubens als seine Vorstufe gibt. Vgl. K. Barth, Einführung in die evangelische Theologie, Zürich 1962, S. 30: „Dass der Gott Israels dem mit seinem Volk geschlossenen Bund damit seine Vollgestalt gibt, das sagt am Ziel [!] der Geschichte Israels die Geschichte Jesu ­Christi [!].“ Vgl. auch ders., Die Kirchliche Dogmatik, Bd. IV/1, Zürich 1953, S. 181–192. Um Barths Theologie auf die jüdische Religion zu übertragen, muss sie umgeformt und gegen den Strich gelesen werden. Vgl. Marquardt, Das christliche Bekenntnis, Bd. 2, S. 235. 19 A. a. O., S. 33. 20 Vgl. a. a. O., S. 237. „Exklusiv wirkt Jesus an uns: darin, daß er unsere Beziehung zu Gott notwendig zu einer Beziehung auch zum jüdischen Volk in seiner Geschichte macht. Inklusiv erfahren wir die ewige Bedeutung Jesu aus der ewigen Bedeutung seines Volkes.“

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formale Christologie, d. h. das Alte Testament stellt diejenigen Kategorien bereit, die es erst erlauben, die Geschichte Jesu angemessen zu verstehen.21 Dieser ist folglich nicht mehr die Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen, wie in den älteren Modellen, sondern er wiederholt die Geschichte Gottes mit Israel in seiner eigenen Geschichte.22 Die Christologie wird damit von Marquardt als Wiederholung der Geschichte Israels gedeutet, die den Heiden den Zugang zu dem einen Bund Gottes eröffnet. Aus ihrer Reformulierung im Horizont des einen Bundes resultiert zugleich eine kritische Funktion gegenüber der dogmatischen Lehrfassung. Wenn sich allein von der Bundesgeschichte Gottes mit Israel her die eigentliche Bedeutung Jesu erschließt, dann muss das Konsequenzen für deren dogmatische Ausführung haben. Genau darin besteht die positive Bedeutung des jüdischen Nein zu der christlichen Deutung Jesu. Es begründet nicht die Ersetzung des Bundes Gottes mit Israel durch einen neuen Bund. Vielmehr ist das jüdische Nein Hinweis auf die eigentliche Funktion der Christologie, nämlich die unableitbare Ereignisstruktur der Gottesbegegnung,23 die in der christlichen Theologie verloren gegangen ist. Jesus hat die Funktion, die Völker in die Bundesgeschichte Gottes, also das Ereignis seiner Offenbarung, einzubeziehen, aber genau das wird verkehrt, wenn Jesus als Substanz und Voraussetzung des Heils gefasst wird.24 Dadurch wird in der als Personlehre ausgearbeiteten Christologie der Ereignis­charakter der Offenbarung Gottes aufgehoben und der Gottesgedanke

21  Vgl. a. a. O., S. 52–237 (§ 7. Israel als „formale Christologie“ [christologische Kategorienbildung]). Mit der Formel ‚Israel als formale Christologie‘ greift Marquardt auf eine Formulierung von Hans Urs von Balthasar zurück, jedoch so, dass die von diesem beibehaltene inklusivistische Substitutionslogik gleichsam umgekehrt wird. Vgl. a. a. O., S. 56–60. Vgl. hierzu H. H.  Henrix, „Israel ist seinem Wesen nach formale Christologie“. Die Bedeutung H. U. von Balthasars für F.-W. Marquardts Christologie, in: BThZ 10 (1993), S. 135–153. 22 Vgl. Marquardt, Das christliche Bekenntnis, Bd. 1, S. 171: „Eben in diesem Sinne lebt Jesus das jüdische Leben vor ihm, wiederholt er es in seinem Leben […]. Der Stellvertretungsgedanke, das Gerüst aller Christologie, ruht auf der biblisch-jüdischen Struktur der Wiederholung alles Lebens in einem Leben.“ 23 Vgl. Marquardt, „Feinde um unsretwillen“, S. 187: „Es mag paradox erscheinen, hat aber tiefen theologischen Sinn, wenn die ‚Gesetzesjuden‘ einem solchen vergesetzlichten Jesus Christus widerstehen und damit als Anwälte der reinen Gnade fungieren“. 24  Vgl. ebd.: „Aus dem Kampf und offenem Prozeß wird Sieg, aus widersprüchlicher Bewegung wird Ontologie und imperiales regnum, aus Funktion wird Person, Sein und Macht. Damit geht aber, wo es geschieht, immer wieder das Entscheidende verloren, auf das die Hoheitsbezeichnungen hinweisen wollen: das überraschende Ereignis und die unerwerbbare Gnade, kurz: die Begegnung mit ihm, oder: die humilitas, die Niedrigkeit, in der er sich offenbart und die der innere Zusammenhang seines Wirkens auf Erden und vom Himmel ist (denn was wir ‚Offenbarung‘ nennen, ist nicht eine Formalbestimmung über seine Vergegenwärtigung, sondern die inhaltliche Erzählung von der Demut des Herrn, der zu uns Sündern kommt, um mit uns zu kommunizieren).“ Vgl. auch ders., Das christliche Bekenntnis, Bd. 2, S. 7–32.

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verfehlt.25 Gott und Christus sind nämlich keine Objekte, sondern Subjekte der Begegnung.26 Marquardt formuliert die Christologie um zu einer theologischen Bestätigung des Bundes Gottes mit Israel, der sich in der Geschichte Jesu wiederholt. Das soll den Unterschied zwischen Juden und Heiden nicht zum Verschwinden bringen, aber den eigentlichen Sinn der Christologie herausarbeiten. Allerdings kann der theologische Gehalt der christlichen Religion nicht von dem der jüdischen Religion unterschieden sein. Da, wo das Christentum über das Judentum hinausgeht, wie in den Christologien der Lehrtradition, sitzt die christliche Religion einem Selbstmissverständnis auf, das durch das jüdische Nein korrigiert werden muss.27 Aber die theologische Anerkennung des Judentums durch das Bekenntnis zu Jesus dem Juden, resultiert selbst schon aus einer christlich-theologischen Konstruktion der jüdischen Religion, in die die Christologie eingeordnet wird. Marquardts Deutung des Bundes Gottes mit Israel verdankt sich einer Anwendung von Barths Offenbarungsverständnis. Die jüdische Religion wird also nicht nur theologisch reformuliert, auch die Eigenständigkeit der christlichen wird nivelliert, da die Christentumsgeschichte nur noch als Verfallsgeschichte in den Blick treten kann. 2. Ähnlich wie Marquardt hat der Wuppertaler Theologe Bertold Klappert eine nicht antijüdische Christologie ausgearbeitet, in der Jesus Christus als Eröffnung des Bundes Gottes mit Israel für die Völker konstruiert wird.28 Klappert setzt jedoch andere Akzente. Er geht wie der Berliner Theologe von dem einen Bund Gottes mit Israel als Grundlage der Christologie aus. Durch Jesus Christus werden die Völker in die jüdische Erwählungs‑ und Verheißungsgeschichte 25 Marquardt

wendet damit die Religionskritik Karl Barths auf die dogmatische Christologie an, indem er den Bund Gottes mit Israel als eigentliche Offenbarung postuliert. Vgl. Marquardt, „Feinde um unsretwillen“, S. 187: „Diese Vergesetzlichung Jesu Christi und des Glaubens an ihn raubt ihm seine göttliche Identität und Selbstwirksamkeit, um sie in unser gesetzliches Bewußtsein zu verpflanzen.“ 26 Vgl. Marquardt, Das christliche Bekenntnis, Bd. 2, S. 30 f.: „In der Christologie […] kann Jesus nicht einfach Objekt einer Erkenntnis sein [sc. wie in der dogmatischen Lehre von seiner Person] und darum auch nicht dem Gesetz der Objektivität menschlichen Erkennens unterworfen sein. Christologische Erkenntnis wird darum immer etwas haben von der Teilnahme an Jesus, der nach sich selbst fragt. […] Das macht ihn selbst zum Subjekt der Christologie.“ 27 Marquardt betont zwar die Transzendenz Gottes, die sich der Bestimmung entzieht, aber woher weiß er, wenn Gott selbst entzogen ist, dass beide Religionen in Gott wurzeln? Vgl. Marquardt, „Feinde um unsretwillen“, S. 192. Vgl. hierzu auch Meyer, Christologie im Schatten der Schoah, S. 67–74. 28 Vgl. B. Klappert, Miterben der Verheißung. Beiträge zum jüdisch-christlichen Dialog, Neukirchen-Vluyn 2000. Ebenso wie Marquardt versteht Klappert seine Christologie als konstruktive Weiterführung der Theologie Barths. Vgl. ders., „Daß Jesus ein geborener Jude ist“. Das Judesein Jesu und die Israelwerdung Gottes nach Karl Barth, in: a. a. O., S. 148–182. Zur Würdigung von Klapperts Christologie im christlich-jüdischen Dialog vgl. Bock, Ihr aber, wer sagt ihr, daß ich sei?, S. 110–117.

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einbezogen, so dass sie – ohne selbst an die Stelle des Judentums zu treten oder dieses zu ersetzen – Teilnehmer und Miterben derjenigen Verheißungen werden, die Israel gelten.29 Der Bund Gottes mit Israel ist somit konstitutiv für die christliche Religion. Ermöglicht wird den Völkern der „Anschluß“30 an Israel durch Jesus Christus. Das ist seine Funktion. Klappert deutet Jesus Christus als den messianischen Menschensohn, der Israel und die Völker verbindet.31 Damit wird Jesus Christus – ein Bestandteil der christlichen Religion – nicht nur mit dem Messias Israels identifiziert, er ist auch konstitutiv für die Vollendung der israelitischen Heilsgeschichte. Wenn diese sich nämlich „erst in der Teilnahme der Völker an der Erwählungsgeschichte Israels vollendet“,32 jenes eschatologische Heil der Völkerwallfahrt zum Zion aber mit und durch Jesus Christus beginnt,33 dann erfüllt sich auch die jüdische Religion allein in ihm. Zwar haben die Völker nur Anteil an dem einen Bund Gottes, der sich im Judentum und vermittelt durch Christus in den christlichen Kirchen verwirklicht, aber für die Realisierung des eschatologischen Heils ist der messianische Menschensohn Jesus Christus konstitutiv.34 In Klapperts Konstruktion einer christologischen Bestätigung des ungekündigten Bundes Gottes mit Israel, zu dessen Miterben die Völker durch den messianischen Menschensohn werden, wird die christliche Religion zu einer Art Judentum ‚light‘.35 Aber nicht nur eine Eigenständigkeit der christlichen Religion gegenüber der jüdischen ist in dieser Konzeption bestritten, auch das Judentum, welches als Begründungsrahmen der Christologie fungiert, ist eine christlich-theologische Konstruktion, die sich ähnlich wie bei Marquardt einer 29 Vgl. B. Klappert, Eine Christologie der Völkerwallfahrt zum Zion. Standortbestimmung und Perspektiven des christlich-jüdischen Dialogs, in: ders., Miterben der Verheißung. S. 296–321, hier: S. 313: „Demgegenüber müßte im Rahmen einer Christologie der Völkerwallfahrt zum Zion die volkhafte Gottesgemeinde Israel und das ökumenische Gottesvolk aus allen Völkern sorgfältig unterschieden werden, und es müßte deutlich gemacht werden, daß das ökumenische Gottesvolk aus allen Völkern nur solange Gottes Volk bleibt, als es konstitutiv auf die volkhafte Gottesgemeinschaft Israel bezogen ist.“ 30  A. a. O., S. 309. 31  Vgl. a. a. O., S. 307: „Jesus Christus, den messianischen Menschensohn, als den Diener des erwählten Israel verstehen, der die Völker in seine messianische Herrschaft einbezieht und sie so unkündbar mit dem Volk Israel verbindet. Die Menschensohn-Verheißung ist die messianisch-personale Verdichtung der Verheißung von der Völkerwallfahrt zum Zion.“ Mit seiner Deutung Jesu als Menschensohn folgt Klappert David Flusser. Vgl. D. Flusser, Bemerkungen eines Juden zur christlichen Theologie, München 1984. 32  A. a. O., S. 309. 33 Vgl. a. a. O., S. 320: „Eine Christologie der Völkerwallfahrt zum Zion setzt die durch den Messias Jesus beginnende [!] Völkerwallfahrt zum Zion“ voraus. 34 In diesem Sinne wäre Klapperts Bestimmung des Verhältnisses beider Religionen  – „Unterscheidung in der Beziehung und Beziehung in dieser Unterscheidung“ (a. a. O., S. 314) – als ein symmetrisches Wechselverhältnis zu lesen, was aber von ihm selbst vermutlich nicht intendiert ist. 35 Dem entspricht die Bindung der christlichen Religion an die ‚Mitte der Tora‘. Vgl. a. a. O., S. 299–305.

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Übertragung von Barths christologischem Offenbarungsbegriff auf die jüdische Religion verdankt.36 3. Ebenso wie Marquardt und Klappert hat Jürgen Moltmann in seinem Buch Der Weg Jesu Christi eine ‚projudaistische Christologie‘ ausgearbeitet.37 Deren Grundlage ist die alttestamtliche Messiashoffnung, die beide durch die Lehre von Jesus Christus getrennten Religionen verbindet.38 Die Erwartung einer eschatologischen neuen Schöpfung ist folglich der Horizont, in den beide Religionen eingeordnet werden.39 Vor dem eschatologischen Hintergrund der erwarteten neuen Schöpfung, auf die sowohl die jüdische als auch die christliche Religion bezogen sind, versteht Moltmann das jüdische Nein zu Jesus Christus als Ausdruck der unerlösten Weltwirklichkeit in der Geschichte, die selbst bereits eine Vorwegnahme der neuen Schöpfung voraussetzt.40 Darin entspricht das jüdische Nein dem Willen Gottes41 und hat eine heilsgeschichtliche Funktion, da erst durch das jüdische Nein das Evangelium zu den Heiden kommt. Beide Dimensionen, das jüdische Nein zu Christus und das christliche Ja zu ihm, führt der Tübinger Theologe in der Christologie zusammen, indem der Weg Jesu zum Kreuz das jüdische Nein aufnimmt, die Auferstehung Christi die eschatologische Verheißung einer neuen Schöpfung vorwegnimmt und die an ihn Glaubenden in die Ausrichtung auf deren eschatologisches Kommen hineingenommen werden. Jesus Christus hebt somit die messianischen Hoffnungen des Judentums nicht auf, er bestätigt sie vielmehr und weitet sie auf die Völker aus.42 36 Am Leitfaden von Tora, Menschensohn-Vorstellung und Zions-Wallfahrt der Völker konstruiert Klappert ein normatives Bild der jüdischen Religion, in das die christliche Religion eingetragen wird. 37 J. Moltmann, Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen Dimensionen, München 1989. Vgl. hierzu Bock, Ihr aber, wer sagt ihr, daß ich sei?, S. 210–227. 38 Vgl. Moltmann, Der Weg Jesu Christi, S. 18: „Die christliche Christologie hat Christen und Juden entzweit. […] Sie muss aber nicht zu einer antijüdischen Ideologie der Christen verderben, denn die Messiashoffnung ist es auch, die Christen mit Juden verbindet, und diese Verbindung ist stärker als die Trennung.“ 39 Vgl. ebd.: „Die christliche Christologie ist eine bestimmte Gestalt der israelitischen Messiashoffnung und bleibt bezogen und angewiesen auf die jüdischen Gestalten der Messiashoffnung vor ihr und neben ihr.“ Aufgenommen ist diese Konzeption von H. Hoping, Einführung in die Christologie, Darmstadt 2004, S. 149–151, in dem von ihm sogenannten christologisch-eschatologischen Zugehörigkeitsmodell von Israel und Kirche. 40 Vgl. Moltmann, Der Weg Jesu Christi, S. 21–45. S. 47: „Denn gäbe es keinen Vorschein und auch keine Vorwegnahme der Erlösung in dieser Welt, warum sollte man sie eigentlich für ‚unerlöst‘ halten?“ 41 Anders als Marquardt identifiziert Moltmann das jüdische Nein mit dem Willen Gottes, während jener es als Ausdruck der Treue des jüdischen Volkes zur Tora deutet. Die unterschiedlichen Fassungen des jüdischen Nein bei Marquardt und Moltmann resultieren aus ihren Konzeptionen des Gottesbegriffs. Vgl. Marquardt, „Feinde um unsretwillen“, S. 184; Moltmann, Der Weg Jesu Christi, S. 51 f. 42  Vgl. a. a. O., S. 54: „Jesus ist demnach der Messias Israels, der Israels Verheißungen endgültig bestätigt und in Kraft setzt, und zugleich der Erbarmer und der Heiland der Völker, der sie zum Lobpreis Gottes bringt.“

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Moltmann baut die Christologie zum reflexiven Wissen um die Differenz von schon geschehener Erlösung und deren noch ausstehender Vollendung um, so dass jede geschichtliche Realisierung der Erlösung mit einer Negation verbunden und dadurch auf die eschatologische neue Schöpfung ausgerichtet wird, die transzendent ist. Auf diese Weise wird nicht nur das jüdische Nein in die Christologie aufgenommen, sondern auch die christliche Religion als gleichsam anonyme geschichtliche Durchsetzung des jüdischen Messianismus gedeutet.43 Judentum und Christentum sind zwei Gestalten der einen messianischen Hoffnung. In der neuen Schöpfung werden sie, die in der Geschichte getrennt sind, durch den Parusie-Christus wieder zusammengeführt. Israel wird damit in der Geschichte nicht bekehrt, was auch nicht nötig ist, da es im Eschaton erkennt, dass der von ihm erwartete Messias kein anderer als der kommende Jesus Christus ist.44 Nur für die Geschichte gilt somit die Bestätigung der eschatologischen Hoffnung Israels und damit der jüdischen Religion. Die christlich-theologische Konstruktion der jüdischen Religion unter dem Leitbegriff des Messianischen hat ebenso wie in den Konzeptionen von Marquardt und Klappert eine Funktion für die Christologie, die in der Konsequenz eine Eigenständigkeit des Judentums aufhebt.

2. Zur Funktion der Christologie Die Diskussion der drei Konzeptionen, in denen eine christologische Bestätigung der bleibenden Erwählung Israels ausgearbeitet wurde, hat deutlich gemacht, dass sie nicht ausreichend sind. Entweder nivellieren sie die Eigenständigkeit der christlichen Religion, wobei das als Grundlage der Christologie fungierende Israel selbst schon eine christlich-dogmatische Konstruktion darstellt, oder die christologische Bestätigung der Erwählung Israels macht diese abhängig von Jesus Christus, so dass die Eigenständigkeit der jüdischen Religion revoziert ist.45 Seinen Grund hat dieses Dilemma darin, dass eine theologische Differenz beider Religionen von vornherein ausgeschaltet wird. Dadurch kann aber das Judentum nicht mehr als eine eigenständige Religion anerkannt werden. Deshalb transformiert gerade die theologische Würdigung des Judeseins Jesu sein 43 Vgl. a. a. O., S. 19: „Die Mission des Christentums versteht sich als die Weise, durch die Israel die Völkerwelt mit messianischer Hoffnung auf den kommenden Gott durchdringt.“ 44  Vgl. a. a. O., S. 53: „Dieser ‚Erlöser‘ Israels ist für Paulus der Parusiechristus, der in der Herrlichkeit Gottes kommende Messias, dessen Name Jesus ist.“ So auch Hoping, Einführung in die Christologie, S. 161: „Doch wird auch Israel am Ende durch keinen anderen gerettet als durch Jesus Christus.“ 45 Vgl. hierzu auch die Analysen der Aporien von Israel-bejahenden Christologien bei K. Driedger Hesslein, Dual Citizenship. Two-Natures Christologies and the Jewish Jesus, London/New Delhi/New York u. a. 2015.

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Judensein in ein unbewusstes Christentum.46 Denn als Christus ist Jesus ein Bestandteil der christlichen Religion, aber eben nicht der jüdischen. So führt die christologische Bestätigung der jüdischen Religion mit geradezu logischer Notwendigkeit zu ihrer eschatologischen Aufhebung, da die christliche Religion allein in dem Bezug auf Jesus Christus besteht und dieser auch nur die alleinige Norm im Eschaton sein kann. Seinen Grund hat das Dilemma in dem universalen inklusivistischen Rahmen, in dem die Christologie in einer gegenstandsbezogenen Weise von diesen Theologen ausgearbeitet wurde. Er ist signifikant für die protestantische und die römisch-katholische Theologie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Insofern sind die vorgestellten christologischen Entwürfe einer Israel-bejahenden Theologie ein Spiegel ihrer Zeit. Sie dokumentieren ebenso den Umgang mit der Theologie Karl Barths in der deutschen Nachkriegstheologie, die gleichsam auf die Religionsgeschichte übertragen wird, um die Theologie als deren eigentliche Auslegungsinstanz zu behaupten.47 Solche theologischen Universalkonzeptionen leuchten vor dem Hintergrund des religiösen und kulturellen Pluralismus im 21. Jahrhundert nicht mehr ein. Vor allem sind sie sowohl für die christologische Debatte als auch für das infrage stehende Verhältnis der christlichen Religion zur jüdischen unbefriedigend. Um zu einer Anerkennung der jüdischen Religion als einer eigenständigen religiösen Zeichenwelt zu gelangen, muss die christliche Theologie ganz andere Wege einschlagen, als sie es bislang getan hat. Was das für die dogmatische Christologie bedeutet, ist zunächst zu skizzieren, um im abschließenden Abschnitt eine christologische Konzeption anzudeuten, in der eine Vereinnahmung und Herabsetzung der jüdischen Religion vermieden wird. Weiterführend gegenüber der bisherigen Debatte ist es, die realistisch-gegenständliche Fassung der Christologie in eine reflexive zu überführen und auf eine christologische Begründung des Judentums zu verzichten. Beides, der Inklusivismus und die gegenstandsbezogenen Konstruktionen der Lehre von Christus, treibt in Aporien, die sich nicht lösen lassen. Die Aufgabe der Christologie ist anders zu bestimmen. Diese dient weder der Fundierung der christlichen noch der jüdischen Religion. Vielmehr ist die Christologie eine Darstellungsform der 46 Vgl. Hoping, Einführung in die Christologie, S. 151: Christus ist „Gottes endgültige Offenbarung, seine Selbstmitteilung in Person und damit jenes ‚geschichtlich Unbedingte‘“. Deshalb gibt es „nur eine einzige Heilsordnung“, so dass es an ihm vorbei zu keinem „endgültigen Heil“ kommen kann. 47 Vgl. hierzu F. Wittekind, Theologie der religiösen Rede. Ein systematischer Grundriss, Tübingen 2018, S. 150: „Die Theologie hat im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts die neue Wendung zu einer unhistorischen, geltungsbezogenen Christologie und die Besinnung auf die Eigenart der Theologie zusammengeführt in umfassenden systematischen Gesamtentwürfen der Welt, der Wirklichkeit und der Geschichte. In ihnen gewinnt Jesus Christus als Offenbarung Gottes in einem gegenständlichen Sinn die Funktion, die Welt im Innersten zusammenzuhalten, ihre wahre Wirklichkeit bereits zum Ausdruck gebracht zu haben und so ihren Sinn und ihr Ziel ein für alle Mal festgelegt zu haben.“

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christlichen Religion, die sich ausschließlich auf diese bezieht. Es geht in der christologischen Beschreibung der christlichen Religion nicht um Aussagen über die geschichtliche Person Jesu von Nazareth und ihre Besonderheit, sondern um eine reflexive Erfassung der Struktur des christlichen Glaubens. Das ist das Resultat der Entwicklungsgeschichte der Christologie in der Moderne, die dazu führte, dass das Christusbild des Glaubens von dem historischen Jesus abgelöst wurde.48 Sowohl Karl Barth als auch Rudolf Bultmann, Friedrich Gogarten, Paul Tillich und andere haben die dogmatische Christologie von dem geschichtlichen Jesus gelöst und diese zu einer Reflexionsebene umgeformt, um den christlichen Glauben als einen um sich wissenden Vollzug darzustellen. Schon hier ist, der gegenständlichen Darstellung ungeachtet, die Christologie keine Beschreibung des Mannes aus Nazareth mehr. Das ist aufzunehmen, aber auf die von diesen Theologen noch mit der Christologie verknüpfte Begründung der wahren Religion im Vollzug des Glaubens ist zu verzichten. Wie oben dargestellt, wurde das bereits in den christologischen Konzeptionen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgegeben, denen es um eine Neubestimmung der christlichen Sicht der jüdischen Religion ging. Aber nicht nur eine Begründung der wahren Religion ist aus der dogmatischen Christologie auszuscheiden, auch die des wahren Menschseins, die sich aus der Explikation des christlichen Heils im Durchgang durch die Sündenlehre ergibt.49 Erst mit der Eliminierung der beiden Aspekte und einer Beschränkung der Christologie auf die christliche Religion ergibt sich eine Anerkennung der jüdischen Religion als eines eigenen komplexen religiösen Zeichensystems, welches von dem christlichen unterschieden ist. Es muss nicht durch eine christlich-theologische Konstruktion des Judentums, die stets eine Selektion darstellt, begründet werden, damit es als Grundlage der Christologie fungieren kann. Sowohl die vorbehaltlose Anerkennung der jüdischen Religion als auch die der anderen Religionen sowie von nichtreligiösen Selbstverständnissen ergibt sich aus einer reflexiven Fassung der Christologie, in der darauf verzichtet wird, ein wahres oder eigentliches Menschsein zu fundieren. Mit einer Neuformulierung der Christologie als reflexiver Selbstdarstellung der christlichen Religion fällt der Bezug auf die jüdische nicht vollständig weg, der in der Debatte immer wieder beschworen wird.50 Er kann in der Lehre von 48 Zur Entwicklung der dogmatischen Christologie im 20. Jahrhundert vgl. Danz, Grundprobleme der Christologie, S. 143–192; Wittekind, Christologie im 20. Jahrhundert. 49 So vor allem in den Konzeptionen von Wilfried Härle und Eilert Herms, die den Glauben mit der Konstitution wahren Personseins verbinden. Vgl. W. Härle/E. Herms, Rechtfertigung. Das Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens, Göttingen 1980; W. Härle, Dogmatik, Berlin/New York 22000. 50  Im Unterschied zur älteren Debatte, die im Hintergrund der vielfältigen Neubestimmungen des Verhältnisses von christlicher und jüdischer Religion steht, ist davon auszugehen, dass in komplexen religionsgeschichtlichen Überlagerungs‑ und Abgrenzungsprozessen Judentum und Christentum zugleich entstehen. Vgl. P. Schäfer, Die Geburt des

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Christus nur nicht als Fundierung des Judentums aufgenommen werden, da dies mit geradezu innerer Notwendigkeit in eine Depotenzierung der jüdischen Religion mündet. Deshalb muss die Beziehung der christlichen Religion auf die jüdische anders rekonstruiert werden. Die alttestamentliche Religion steht dafür, dass es bereits Religion als eine ausdifferenzierte Form in der Kultur gibt, welche die christliche Religion zu ihrer Entstehung als einer eigenen voraussetzt.51 Das ist die Bedeutung der jüdischen Religion für die christliche. Ohne ihr Vorhandensein, die Ausdifferenzierung des Gottesgedankens in komplexen religiösen Erinnerungsprozessen sowie den mit ihnen verbundenen Transformationen ihrer religiösen Vorstellungswelten, hätte die christliche Religion gar nicht entstehen können.52 Jesus und ebenso seine frühen Anhänger gehören vollständig ins antike Judentum, welches sie an keiner Stelle überschritten haben.53 Aber zugleich bezieht sich auch die entstehende christliche Religion auf den Mann aus Nazareth und rückt ihn im Horizont des jüdischen Gottesglaubens in das Zentrum ihrer religiösen Kommunikation.54 In historischer Perspektive ist zu konstatieren: Jesus von Nazareth gehört in zwei Religionen, die jüdische und die christliche.55 Er ist Teil der jüdischen und der christlichen Religionsgeschichte. Als Christus und Sohn Gottes gibt es jedoch Jesus allein in der christlichen Religion, die sich selbst auf ihn als ihre geschichtliche Voraussetzung zurückführt. Von der historischen und religionsgeschichtlichen Sicht des Mannes aus Nazareth als Bestandteil sowohl der jüdischen als auch der christlichen Religion unterscheidet sich das Bild des Glaubens von sich selbst und seiner eigenen Geschichte. Auch der Glaube bezieht sich auf Jesus von Nazareth, aber eben als Judentums aus dem Geist des Christentums. Fünf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums, Tübingen 2010; D. Boyarin, Die jüdischen Evangelien. Die Geschichte des jüdischen Christus, Würzburg 2015. 51 Vgl. Wittekind, Theologie der religiösen Rede, S. 137 f. 52 Vgl. G. Theiẞen, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh 2000; R. Feldmeier/H. Spieckermann, Menschwerdung, Tübingen 2018. Auch das in der neueren Forschung vorgeschlagene Ethnizitätsmodell, demzufolge das antike Judentum eher als Ethnie statt als Religion zu deuten sei, bestätigt die für die Entstehung der christlichen Religion bzw. des Wirkens Jesu bereits vorauszusetzende Ausdifferenzierung von Religion. Zu dieser Debatte vgl. W. Stegemann, Jesus und seine Zeit, Stuttgart 2010, S. 207–236. 53 Vgl. Theiẞen, Die Religion der ersten Christen, S. 62 f.; Stegemann, Jesus und seine Zeit, S. 153–180. 54 Historisch lässt es sich nicht entscheiden, wann das Christentum als eine eigene Religion beginnt. Zur historischen Debatte vgl. den Überblick bei M. Öhler, Geschichte des frühen Christentums, Göttingen 2018, S. 137–163. Statt von fixen kategorialen Zuschreibungen ist, wie die neuere Forschung betont hat, von längeren Überlagerungsprozessen auszugehen, in denen und durch die sich sowohl Judentum und Christentum als eigenständige Religionen herausgebildet haben. Vgl. Boyarin, Die jüdischen Evangelien, S. 27–41. 55 Vgl. Theiẞen, Die Religion der ersten Christen, S. 49: „Es ist eines der wichtigsten Ergebnisse von 200 Jahren moderner Jesusforschung, dass er zwei Religionen angehörte: dem Judentum, dem er von ganzen Herzen anhing, und dem Christentum, dessen zentrale Bezugsgestalt er nach seinem Tode wurde – und zwar aufgrund von Deutungen seiner Person, die ihm seine jüdischen Anhänger gaben.“

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Ingredienz des christlichen Glaubens als einer in die Geschichte eingebundenen Wirklichkeit.56 Beide Dimensionen, die historische und die des Glaubens, die sich vielfältig überlagern, fallen nicht zusammen.57 Im einen Fall handelt es sich um eine empirisch-geschichtswissenschaftliche Darstellung, im anderen um die des Glaubens. Als Konstruktion eines Bildes des christlichen Glaubens von seiner eigenen Geschichte lässt sich die nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland einsetzende historische Jesusforschung sowie deren Aufnahme in die dogmatische Christologie verstehen. Diesen Theologen ging es nicht um eine Rückführung des Glaubens auf den geschichtlichen Nazarener, sondern genau umgekehrt um den Glauben als ein in die Geschichte eingebundenes Geschehen und seine Sicht auf Jesus.58 Aber die Sicht des Glaubens, die man mit Bezug auf den geschichtlichen Jesus in ihrer Besonderheit ausarbeitete, wurde nicht deutlich von der geschichtswissenschaftlichen Perspektive unterschieden. Beides ist jedoch strikt auseinanderzuhalten. Von der weiteren historischen Forschung, der sogenannten Third Quest, ist der Unterschied beider Dimensionen wieder betont worden und genau darin besteht ihre theologische Bedeutung. Im Resultat führte die in den 1980er Jahren einsetzende Jesusforschung zu einer methodischen Umstellung von dem ‚historischen Jesus‘ hinter den Quellen zu dem ‚erinnerten Jesus‘ in und vor den Texten.59 Damit tritt aufgrund des methodisch kaum kontrollierbaren Rückgangs hinter die Texte auch in der Geschichtswissenschaft das Ideal eines gleichsam objektiven Jesus zurück. 56  Das war bereits die Pointe von Paul Tillichs Christologie, der vor dem Hintergrund der historischen Kritik zwischen Faktum und Aufnahme des christlichen Ereignisses unterscheidet. Vgl. P. Tillich, Systematische Theologie, Bd. I/II, hrsg. v. C. Danz, Berlin/Boston 2017, S. 395 f. Als Christus gibt es Jesus allein in der religiösen Aneignung durch seine Anhänger. Erst in der Aufnahme Jesu als Christus ist er Faktum und Voraussetzung des Ereignisses der Offenbarung Gottes. Strukturell vergleichbar konstruieren auch Rudolf Bultmann und Karl Barth die Christologie. Vgl. R. Bultmann, Der Begriff der Offenbarung im Neuen Testament, in: ders., Glauben und Verstehen, Bd. 3, Tübingen 1960, S. 1–34, bes. S. 31; ders., Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung, in: Kerygma und Mythos. Ein theologisches Gespräch, hrsg. v. H.-W. Bartsch, Hamburg-Volksdorf 31954, S. 15–48; K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik, Bd. I/1, Zürich 81964, S. 419–470. 57 Auf diese Differenz im Gebrauch des Begriffs ‚historischer Jesus‘ hat bereits Paul Tillich hingewiesen. Vgl. Tillich, Systematische Theologie, Bd. I/II, S. 403 f. 58 Allein Wolfhart Pannenberg knüpfte in den 1960er Jahren in einem begründungstheoretischen Interesse an die historische Forschung an. Vgl. W. Pannenberg, Grundzüge der Christologie, Gütersloh 1964. 59 Vgl. J. Schröter, Der erinnerte Jesus als Begründer des Christentums? Bemerkungen zu James D. G. Dunns Ansatz in der Jesusforschung, in: Zeitschrift für Neues Testament 10 (2007), S. 47–53; ders., Jesus und die Anfänge der Christologie. Methodologische und exegetische Studien zu den Ursprüngen des christlichen Glaubens, Neukirchen-Vluyn 2001; Stegemann, Jesus und seine Zeit, S. 99–113; J. D. G.  Dunn, Remembering Jesus. How the Quest of the Historical Jesus Lost its Way, in: The Historical Jesus: Five Views, hrsg. v. J. K. Beilby/P. R.  Eddy, Westmont 2009, S. 199–225; ders., Jesus Remembered, Bd. 1, Grand Rapids/Cambridge 2003.

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Aufgabe der Christologie ist es nicht, den erinnerten Jesus zu beschreiben, wie er von der Geschichtswissenschaft konstruiert wird. Ihr geht es um die Struktur des christlichen Glaubens, nämlich die religiöse Weitergabe der Erinnerung an Jesus Christus.60 Gegenstand der dogmatischen Christologie ist ein Bild des Glaubens von sich selbst. Im Ausgang von der Memoria an Jesus Christus ist es möglich, die moderne Grundlegungsalternative der Christologie zwischen Jesus und der Gemeinde hinter sich zu lassen.61 Anzuschließen ist die dogmatische Christologie weder an den ‚historischen Jesus‘, wie er von der historischen Wissenschaft rekonstruiert wird, noch an das Kerygma der Gemeinde. Beide Versuche, die Lehre von Jesus Christus grundzulegen, bleiben aporetisch. Auf der einen Seite lässt sich das Christusbild des Glaubens nicht im Ausgang von dem historischen Jesus fundieren. Merkmale seines Gottesverhältnisses oder göttliche Eigenschaften etc. können nicht Gegenstand der Geschichtswissenschaft sein. Damit scheidet eine Fundierung der Christologie durch die historische Forschung aus. Und auf der anderen Seite kann das Christusbild der Gemeinde, das Kerygma, dem Jesus der Geschichte stets nur zugeschrieben werden. Der Projektionseinwand lässt sich in der Grundlegung der Christologie im Ausgang vom Kerygma der Gemeinde gerade nicht zurückweisen.62 Eine implizite Christologie im Wirken des Nazareners kann nur aus der Perspektive der expliziten Christologie der Gemeinde behauptet werden. Demgegenüber ist der Ausgangspunkt der Christologie die religiöse Kommunikation, in der die Erinnerung an Jesus Christus weitergegeben wird.63 Als Religion entsteht die religiöse Memoria erst in dem Geschehen der religiösen Kommunikation, so dass Jesus als der Christus einen Bestandteil der christlichen Religion darstellt, den es allein in ihr als christlichen Erlöser gibt. Aufgabe der Theologie ist es also nicht, das Christusbild des Glaubens durch den historischen Jesus oder die Offenbarung Gottes zu begründen. Vielmehr konstruiert die Theologie die christliche Religion als ein selbstbezügliches Geschehen, das sich selbst als Religion versteht, bezeichnet und seine Begründung in sich selbst hat. Thema 60 Erinnerung wird hier im Anschluss an Theorien eines kulturellen Gedächtnisses als eine gegenwartsbezogene Konstruktion verstanden, die stetes sozial eingebunden ist. Vgl. C. Danz, Gottes Geist. Eine Pneumatologie, Tübingen 2019, S. 171–194. 61 Eingeführt in die christologische Debatte wurde das Konzept des erinnerten Christus bereits in den 1950er Jahren, um das Problem von Glaube und Geschichte zu bearbeiten. Vgl. R. Hermann, Der erinnerte Christus, in: Der historische Jesus und der kerygmatische Christus. Beiträge zum Christusverständnis in Forschung und Verkündigung, hrsg. v. H. Ristow/K. Matthiae, Berlin 1960, S. 509–517. Schon Käsemann macht, freilich im Horizont der Formgeschichte, von einem erzähltheoretischen Geschichtsmodell, damit auch von Interpretation und Variation etc., Gebrauch. Vgl. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus, S. 192. 62 Das war bereits die Kritik von Ernst Käsemann an Bultmanns Fundierung der Christologie im Kerygma. Vgl. a. a. O., S. 187–214. 63 Vgl. hierzu C. Danz, Systematische Theologie, Tübingen 2016; ders., Gottes Geist.

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der Christologie, die von vornherein mit der Gotteslehre und der Pneumatologie verknüpft ist, ist die Besonderheit des christlichen Religionsverständnisses. Die theologischen Gehalte Gott, Christus und der Heilige Geist strukturieren das Kommunikationsgeschehen, in dem sich die Erinnerung an Christus als Religion herstellt: Von Gott durch Gott als Gott.64 Alle Voraussetzungen der christlichen Religion sind als deren Bestandteile zu verstehen, in und mit denen sie sich in sich selbst als ein durchsichtiges Kommunikationsgeschehen darstellt. Während der Gottesgedanke in der christlichen Religion ihr Wissen um ihre eigene Unableitbarkeit aus der religiösen Kommunikation repräsentiert und der Heilige Geist die Abhängigkeit der christlichen Religion von der Erinnerung an Jesus Christus als einer inhaltlich bestimmten, obliegt es der Christologie, den personalen Vollzug der christlichen Religion und deren notwendige Darstellung in einem Bild ihrer selbst zu symbolisieren. Weder die dogmatische Christologie noch der Gottesgedanke oder der Heilige Geist sind Voraussetzungen der christlichen Religion, sondern in der Theologie konstruierte Beschreibungselemente der Struktur des Glaubens. Die Lehre von Jesus Christus hat damit weder eine gegenständliche Funktion im Sinne einer Beschreibung von Merkmalen der geschichtlichen Gestalt Jesu von Nazareth, noch bezieht sie sich auf andere Religionen als die christliche. In ihr stellt Jesus Christus vielmehr den personalen Vollzug der Religion dar, der sich in einem Bild seiner selbst artikuliert. Auch die Universalität der christlichen Religion ist nicht in einem gegenständlichen Sinne zu verstehen. Es geht nicht darum, von der Gestalt Jesu universale Aussagen zu machen, die dann notwendig zu einer christlichen Reformulierung der jüdischen Religion als eines sich selbst unbewussten Christentums führen. Vielmehr meint die Universalität der christlichen Religion, dass es keine kulturellen und anthropologischen Grenzen ihrer Kommunikation gibt. Die Erinnerung an Jesus Christus kann an alle kulturellen Formen anknüpfen und diese zur religiösen Kommunikation verwenden. Jesus Christus ist ein Bild des Glaubens von sich selbst als Glauben, der in der religiösen Kommunikation weitergegeben wird. Genau das ist von der dogmatischen Christologie zu explizieren. Wie sich das inhaltlich gestaltet und welche Konsequenzen das für das Verhältnis der christlichen zur jüdischen Religionsfamilie hat, ist abschließend noch auszuführen.

64 Im Unterschied zu Eberhard Jüngel, dem sie entliehen ist, bezeichnet die Formel keine Voraussetzung des Glaubens in dem trinitarischen Gottesgedanken, sondern sie strukturiert das selbstbezügliche Geschehen der christlichen Religion als Kommunikation, in und durch die sie sich herstellt. Die Strukturformel wird also im Unterschied zu Jüngel, aber auch zu Ingolf U. Dalferth, auf die christliche Religion übertragen. Vgl. E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 61992; I. U.  Dalferth, Radikale Theologie, Leipzig 32013.

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3. Jesus Christus als Bild des Glaubens von sich selbst Die dogmatische Christologie bezeichnet keinen inhaltlichen Bestandteil der christlichen Religion, sondern eine Reflexionsebene in ihr. Jesus Christus ist Bild des Glaubens von sich selbst als einem in die Geschichte eingebundenen Akt, aber kein Gegenstand des Glaubens. Erst in der christlichen Religion gibt es Jesus als den Christus. Weder der historische Jesus noch der geglaubte Christus sind also Voraussetzungen, aus denen das Christentum abgeleitet werden könnte. Jesus Christus ist ein Bestandteil der christlichen Religion, den es als ihren Ursprung allein in ihr selbst gibt. Das Christentum beginnt mit der religiösen Aneignung Jesu als dem Christus, aber eben nicht mit der historischen Gestalt Jesu von Nazareth.65 Somit besteht die christliche Religion allein in der religiösen Weitergabe der religiösen Erinnerung an Jesus Christus, in der er als ihr Ursprung fungiert. Was bedeutet das für die systematische Ausgestaltung der dogmatischen Christologie sowie für das Verhältnis von Christentum und Judentum? Das Christusbild repräsentiert in der christlichen Religion den Glauben als personales und in die Geschichte eingebundenes Geschehen der Kommunikation. Er, der christliche Glaube, entsteht durch die religiöse Aneignung und artikulierende Weitergabe der Erinnerung an Jesus Christus. Der Glaube als Wirklichkeit der christlichen Religion ist stets religiöse Aneignung der Memoria an Jesus und dessen Artikulation. Für ihn ist die triadische Struktur der Abhängigkeit von religiöser Kommunikation, deren verstehende Aneignung und ihre symbolische Repräsentation konstitutiv, aus dessen Wechselverhältnis er entspringt. Das allein ist der Gehalt der dogmatischen Christologie, der von ihr zu explizieren ist. Denn genau darin ist die Christologie Darstellung der reflexiven Durchsichtigkeit der religiösen Kommunikation, in der die christliche Religion in der Geschichte existent ist. Das Christusbild des Glaubens beschreibt also im und für den Glauben die christliche Religion als ein durchsichtiges Selbstverhältnis, welches sich auf sich selbst als Religion bezieht. Die Lehre von Jesus Christus ist eine Selbstbeschreibung der reflexiven und selbstbezüglichen Struktur des christlichen Glaubens. Um den systematischen Gehalt der Christologie angemessen zur Darstellung zu bringen, reicht die Personchristologie nicht aus. Sie ist durch die Ämterlehre zu ersetzen.66 65 Vgl. Tillich, Systematische Theologie, Bd. I/II, S. 394: „Das Christentum wurde geboren nicht in dem Augenblick, in dem der Mensch ‚Jesus‘ geboren wurde, sondern als einer seiner Jünger zu ihm sagte: ‚Du bist der Christus.‘ Und das Christentum wird so lange leben, als es Menschen gibt, die diese Aussage wiederholen. Denn das Ereignis, auf dem das Christentum ruht, hat zwei Seiten: das Faktum Jesus von Nazareth und die Aufnahme dieses Faktums durch die, die ihn als den Christus anerkannten.“ 66 Schon Albrecht Ritschl ersetzte in seinem dogmatischen Hauptwerk die altkirchliche Personchristologie durch die Ämterlehre. Vgl. A. Ritschl, Die christliche Lehre von der

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Wie die Christologie insgesamt, so hat auch die sie entfaltende Ämterlehre eine reflexive Funktion. Es geht nicht um eine gegenständliche Darstellung der Person Jesu Christi. Vielmehr erörtert die Ämterlehre die sich im Christusbild darstellende Durchsichtigkeit der Weitergabe der religiösen Kommunikation der Erinnerung an Jesus Christus. Die metaphysischen Grundlagen der überlieferten Lehrgestalt vom dreifachen Amt des Erlösers sind ebenso zu reformulieren wie der für diese leitende Gedanke, Christus sei die Erfüllung der drei alttestamentlichen Funktionen des Propheten, des Priesters und des Königs.67 Thema der Ämterlehre ist eine Selbstbeschreibung der christlichen Religion und nicht ihr Verhältnis zur alttestamentlichen. Allein in und durch die religiöse Aneignung Jesu als Christus und die Weitergabe der religiösen Erinnerung an ihn entsteht die christliche Religion. Das ist der Gehalt des Christusbildes des Glaubens. Seine Aufbauelemente, durch die und in denen die christliche Religion sich herstellt, entfaltet die Lehre von den drei Ämtern des Erlösers. Sie strukturieren die Erinnerung an Christus als ein in sich durchsichtiges Wechselverhältnis.68 Prophetisches, priesterliches und königliches Amt beschreiben, wie die religiöse Weitergabe der religiösen Kommunikation funktioniert und sind darin Bild der christlichen Religion von sich selbst als einem personalen und in die Geschichte eingebundenen Kommunikationsgeschehen. Das prophetische Amt Christi repräsentiert die Abhängigkeit der christlichen Religion von ihr bereits vorgegebener religiöser Kommunikation: die Erinnerung an Jesus Christus, die es als solche allein in und für die christliche Religion gibt. Religion setzt, um überhaupt entstehen zu können, bereits Religion voraus. Dafür steht die prophetische Verkündigung Jesu von dem kommenden Reich Gottes sowie die neutestamentlichen Evangelien als Ursprungserzählungen der christlichen Religion, in denen diese sich selbst als Jesuserinnerung her‑ und darstellt,69 die in der transformierenden Übermittlung der Erinnerung besteht. Mit dem prophetischen Amt artikuliert die christliche Religion sich als religiöse Kommunikation, die von ihr bereits vorausgehender religiöser Rede abhängig ist. Der Bezug auf die alttestamentlichen Texte in der christlichen Religion ist weder im Sinne einer Bestätigung noch einer Wiederholung der Geschichte Israels zu verstehen, sondern als ein eigener Gebrauch, der von den jüdischen Deutungen unterschieden ist. Dabei geht es gerade nicht um die wahre Deutung des Alten Rechtfertigung und Versöhnung, Bd. 3: Die positive Entwickelung der Lehre, Bonn 41895, S. 394–410. 67 So bereits Friedrich-Wilhelm Marquardt in seiner am Leitfaden der Ämterlehre konstruierten Christologie. Vgl. Marquardt, Das christliche Bekenntnis, Bd. 2, S. 135–216. 68 Die Bestimmung der Lehrtradition, dass die drei Ämter zusammen den Christustitel entfalten, also nicht im Sinne einer zeitlichen Abfolge zu verstehen sind, wird damit aufgenommen. 69 Zum Markusevangelium als narrativer Konstruktion frühchristlicher Identität vgl. S. Huebenthal, Das Markusevangelium als kollektives Gedächtnis, Göttingen 22018.

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Testaments, wohl aber um eine andere. Religion ist durchweg abhängig von religiöser Kommunikation, die transformierend angeeignet wird. Genau das repräsentiert das officium propheticum, die Abhängigkeit der christlichen Religion von sich selbst. Die Abhängigkeit der christlichen Religion von vorgegebener religiöser Kommunikation markiert aber nur ein Element der Religion. Ohne die individuelle Aneignung der religiösen Erinnerung an Jesus Christus gibt es keine christliche Religion. Das ist der Gehalt des priesterlichen Amtes Christi. Von der Lehrtradition wurde es auf den stellvertretenden Versöhnungstod Jesu bezogen und in Form von Versöhnungslehren ausgearbeitet, mit denen sich die Konstitution wahren Menschseins verband. Die Aporien der Lehrfassungen führten in der Moderne zu zahlreichen Reformulierungen der Lehre.70 Grundlegend für eine religionstheoretische Fassung des priesterlichen Amtes ist der mit dem Tod Jesu verbundene Abbruch der Kommunikation, das Moment der Diskontinuität. Damit die christliche Religion entstehen kann, setzt sie sich bereits voraus. Aber die religiöse Aneignung sowie der eigene religiöse Gebrauch der Erinnerung an Jesus Christus ist aus der notwendig vorauszusetzenden religiösen Kommunikation nicht ableitbar. Religion besteht jedoch allein in dem religiösen Gebrauch, der von den Einzelnen von der Jesuserinnerung gemacht wird. Dieses Diskontinuitätsmoment, also die Unableitbarkeit der religiösen Aneignung und Verwendung der Jesusgeschichte, repräsentiert das officium sacerdotale. Es ist auf das prophetische Amt bezogen, bildet aber ein diesem gegenüber eigenes Element in dem Strukturzusammenhang, in und durch den der Glaube als Wirklichkeit der christlichen Religion sich konstituiert. Ohne Diskontinuität gibt es keine Kontinuität der religiösen Memoria an Jesus Christus in der Geschichte.71 Erst nach dem Weggang Jesu von dieser Welt, kann der Geist kommen. Eben das repräsentiert in der christlichen Religion das priesterliche Amt Christi und nicht die Konstitution wahren Menschseins. Als Religion entspringt die Erinnerung an Jesus Christus erst im Gelingen der religiösen Kommunikation, also im eigenen schöpferischen Gebrauch, der von ihr gemacht wird. Das symbolisiert das königliche Amt Jesu Christi in der religiösen Kommunikation. Von der Lehrtradition wurde es mit der Auferstehung und der Himmelfahrt des Gottessohnes verbunden. Schon hier geht es, wenn auch in gegenständlicher Weise, um das Gelingen der religiösen Kommunikation, die Herrschaft Christi in der Welt, der Kirche und im Himmel. Das officium regnum stellt gegenüber dem prophetischen und priesterlichen Amt ein eigenes Element in der Struktur der religiösen Kommunikation dar. Nicht zu Unrecht verknüpfte die Lehrtradition mit dem königlichen Amt die eschatologische 70 Vgl. hierzu C. Danz, Versöhnung und Christusbild im interreligiösen Dialog. Überlegungen zur Christologie als Reflexionsort religiöser Pluralität, in: Streitfall Erlösung, hrsg. v. K. v. Stosch/A. Langenfeld, Paderborn 2015, S. 123–136. 71 Vgl. Danz, Gottes Geist, S. 171–203.

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Dimension. Sie symbolisiert die notwendige Transformation der religiösen Erinnerung, die von ihrer schöpferischen Aneignung und Weitergabe in der Geschichte gemacht wird. Die Identität und Kontinuität der christlichen Religion besteht allein in ihrer fortgehenden Neubeschreibung, die an die Überlieferung anknüpft. Die drei Ämter strukturieren die Weitergabe der Erinnerung an Jesus Christus als Religion. Im Christusbild des Glaubens stellt sich der Glaube als Wirklichkeit der christlichen Religion selbst dar, der in und aus dem Wechselverhältnis von Abhängigkeit von religiöser Kommunikation, verstehender Aneignung und symbolischer Selbstdarstellung erst entsteht. Die Ämterlehre hat eine Funktion für die christliche Religion, indem sie diese in ihr selbst als ein sich durchsichtiges Kommunikationsgeschehen darstellt. Als reflexive Selbstbeschreibung des christlichen Glaubens bezieht sich die Lehre von Jesus Christus nicht auf die jüdische Religion. Die Christologie kann folglich auch weder als Begründung noch als Bestätigung oder Wiederholung der jüdischen Religion ausgearbeitet werden. Gleichsam ist auch das Judesein Jesu in der Christologie nicht als Fundierung der jüdischen Religion auszuarbeiten, da dies, wie dargelegt, zu einer inklusivistischen Reformulierung des Judentums führt. Es repräsentiert die geschichtliche Konkretheit der christlichen Religion, ihre Universalität, die an keine anthropologischen oder kulturellen Grenzen gebunden ist.72 Eine Selbstbeschränkung der christlichen Religion auf sich selbst sowie der Verzicht auf jeglichen Inklusivismus ist der einzige Weg, um in der Theologie zu einer prinzipiellen Würdigung des religiösen Pluralismus zu gelangen.73 Auch die jüdische Religion kann nur dann als eine eigene und von der christlichen unabhängige Religion in den Blick kommen, wenn auf dogmatische Konstruktionen eines normativen Judentums verzichtet wird. Aber nicht nur die Christologie, auch die Gotteslehre und die Pneumatologie können nicht für eine Begründung oder Bestätigung der jüdischen Religionsfamilie in der christlichen Theologie herangezogen werden. Weder der 72 In diesem Sinne ist Karl Barths Betonung des Judeseins Jesu zu lesen. Vgl. Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd. IV/1, S. 183: „Dies ist nämlich der Sinn der vom Neuen Testament selbst unübersehbar vollzogenen Verklammerung seines Zeugnisses mit dem des Alten Testaments: sie stört die Abrundung des Bildes Jesu in irgend ein Idealbild menschlicher Existenz, der ein freihändig, d. h. unter Absehen von der israelitischen Komponente des Neuen Testaments entworfenes Bild des Menschen, der Gottes Sohn war und ist, notwendig verfallen mußte.“ 73 Das betrifft nicht nur inklusivistische Religionstheologien im engeren Sinne, sondern auch den Inklusivismus der pluralistischen Religionstheologie, die allen geschichtlichen Religionen ein und dasselbe transzendente Absolute zugrunde legen. Im Rahmen einer solchen Konstruktion kann der Pluralismus der Religionen nur dadurch begründet werden, dass er aufgehoben und monistisch reduziert wird, indem in allen Religionen dasselbe geschieht. Vgl. hierzu die Deutung der jüdischen Religion im pluralistischen Modell von Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen, S. 307–348. Vgl. auch J. Hick, An Interpretation of Religion. Human Responses to the Transcendent, New Haven 1989. Zur Kritik an der bisherigen Religionstheorie vgl. den Beitrag von Folkart Wittekind in diesem Band.

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Gottesgedanke noch der Heilige Geist lassen sich von der Christologie lösen und als gleichsam übergeordnete allgemeine Gehalte hinter den geschichtlichen Religionen postulieren. Gott, Christus und der Heilige Geist sind Bestandteile der christlichen Religion, mit denen sich diese in sich selbst über sich selbst als ein selbstbezügliches Kommunikationsgeschehen darstellt. Für eine Religionstheologie, die über das inklusivistische Dilemma einer Reformulierung anderer Religionen als sich selbst unbewusster Formen der christlichen Religion hinausführen möchte, bleibt damit nur ein differenzorientierter Ansatz übrig, der die Eigenständigkeit der in sich selbst komplexen und pluralen jüdischen Religion als solche anerkennt und auf deren theologische Begründung verzichtet. Kann aber vor dem Hintergrund einer solchen differenzorientierten Konzeption der Religionstheologie die Auseinandersetzung mit dem Judentum überhaupt noch Bedeutung haben? Ein Verzicht auf eine theologische Begründung oder Bestätigung der jüdischen sowie anderer Religionen bedeutet nicht den Verzicht auf eine Auseinandersetzung. Eine solche ist jedoch nicht möglich, wenn die jüdische Religion nicht als eine gegenüber der christlichen eigenständige Religion anerkannt werden kann. Genau deshalb kann die Differenz zwischen beiden Religionen weder offengelassen noch minimiert werden. Insofern es die Aufgabe einer dogmatischen Christologie ist, die Besonderheit des christlichen Religionsverständnisses zu beschreiben, das von dem jüdischen unterschieden ist und sich auch nicht auf es bezieht, leistet die Lehre von Jesus Christus einen Beitrag zu einer pluralismusoffenen Theologie und damit auch zu einer Anerkennung des Judentums als einer eigenen Religion.

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1. Introduction1 Christologies that seek to understand how the human and divine natures of Jesus can coexist or relate in one body deal, at some point, with the Chalcedonian definition of faith. Its classical formulation of “truly God and truly human, […] acknowledged in two natures, inconfusedly, unchangeably, indivisibly, inseparably,” proposes a Christology in which both natures are indispensable constituents of the person of Jesus Christ.2 The Chalcedonian parameters establish two: both God and human, both natures together and separate, both indivisible and unconfused. This both/and emphasis of Chalcedon, foundational for many Christologies past and present, highlights that difference is foundational for the Incarnation. While Christologies emerging from Chalcedon preserve the ambiguity and tension of difference, they do not offer any explanation of how these differences relate. How do the human and the divine interact with one another? What is the process by which they relate? How are issues of agency, decision-making, and full participation resolved when the two natures bring conflicting perspectives? Expanding the question more broadly, how can radical differences, specifically universality (as divine nature) and particularity (as human nature), constitute a unity without a Hegelian synthesis that requires the negation of the component parts? The question of the manner of this relationship in unity, and of how the both/ and premise of the Incarnation functions, is not simply theoretical. At stake is the complete presence and participation of the divine and the human natures of Christ, and in particular the presence and participation of Jesus’ human nature insofar as it is determined by his “Jewishness.”3 An insufficient grasp of the 1 An earlier version of some of this material was published in K. Driedger Hesslein, “Overlapping Memberships”: Interactive Multicultural Theory Meets Chalcedonian Christology, in: Dialog 53.3 (2014), pp. 195–202. 2 The Acts of the Council of Chalcedon, vol. 1, ed. R. Price/M. Gaddis, Liverpool 2005, p. 204, fn. 53. 3 I use the term heuristically, understanding that Jewishness as a religious, cultural, and/or ethnic category was imposed by Christians well after the Second Temple period.

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relationship between these differences frequently renders the human nature of Jesus, formed by his Jewishness, inconsequential to the unity, which is problematic both for Christologies explicitly rooted in doctrinal tradition and for those that emerge from contextual, relationally-based understandings of Christ. If the human nature of Jesus does not take into account the particular particularity of his humanity, his Jewishness becomes a token, and thus superfluous, leading to a supersessionist Christology. Without acknowledging that full human participation in the Incarnation relies on the context and relationality that informs his humanity, his human nature becomes irrelevant and dismissible for Christologies. Without attention to the details of Jesus’ history – that he was born and raised as a Second-Temple Jew, that his faith was shaped by Torah and Temple, and that he worshipped the one God of Abraham, Isaac, and Jacob (Exod 3:15; Matt 22:32) – Christians too often create an ahistorical and non-Jewish Jesus whose transcendence of his own history leads to its effacement and who offers no objection to Christian maltreatment of Jews.4

2. Multicultural Theory Political theory and its study of multiculturalism offer a framework for understanding how the fundamental difference between human and divine, or particular and universal, relate in the one Incarnation. This framework then allows for the construction of a Christology centered on the (Jewish) human nature of Christ that does not exclude possibilities for contextual Christologies. Multicultural theory investigates the processes by which difference functions – or is allowed to function – in larger unities. For example, political theorists rely on multicultural theory to frame arguments about how and whether immigrants should integrate into their host country, and what minority rights such as language usage, religious customs, and access to citizenship should be protected by government policies.5 In social theory and sociology, multicultural theory identifies the means of minority and majority group identity formation.6 Most importantly for this interdisciplinary application, multicultural theory foregrounds definitions of “unity” and questions whether difference is valued as contributing 4 For an extended history of Christian anti-Judaism see R. Radford Ruether, Faith and Fratricide: The Theological Roots of Anti-Semitism, Eugene 1997. Her treatment is somewhat dated, however, in that she wrote prior to contemporary understandings proposed by D. Boyarin, The Jewish Gospels: The Story of the Jewish Christ, New York 2012, that much of Christian theology, including the Messiah and the Trinity, likely emerges from Jewish, and not Hellenistic, thought. 5 S. May/T. Modood/J. Squires, Ethnicity, nationalism, and minority rights: Charing the disciplinary debate, in: Ethnicity, Nationalism, and Minority Rights, ed. S. May/​ T. Modood/J. Squires, Cambridge 2004, pp. 1–23. 6 Ibid.

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to unity or devalued as hindering it. These questions offer a framework for exploring the participation of Jesus’ human difference in the unity of the Incarnation. Specifically, multicultural theory presupposes the existence of difference, and categorizes the processes for accommodating this difference into four types: assimilationism, fragmented pluralism, cosmopolitanism, and interactive pluralism.7 In assimilationism, multicultural differences are gradually absorbed into a homogeneous whole while individual characteristics that betray one’s difference are rejected: immigrants should leave behind their “old ways” and adopt the values, language, customs, and even religious practices of their new country. Assimilationism has been the model behind much of the United States’ and Canada’s immigration policies from their inception until today.8 For example, in October 2018, the incoming Premier, Francois Legault, stated that he would prevent public servants from wearing anything religiously affiliated while working, such as headscarves, kippot or turbans.9 The justification offered was that Quebec was a secular province, in which religious symbols visually differentiated Quebecois(e) public servants from the secular homogeneous image that Quebec wished to produce. Much of Christology follows this model of assimilationism, insofar as the particular characteristics that mark Jesus as a historically-embedded and contextually-formed human, i. e. marks of his Jewishness, are absorbed into the divine person of the Incarnation and become inconsequential.10 In fragmented pluralism, differences are permitted, but only insofar as they remain isolated and do not influence the larger unity that holds these differences together. The boundaries between groups are clearly demarcated and enforced (by the dominant group), resulting in ghettoization or segregation in which  7 D. Hartmann/J. Gerteis, Dealing with Diversity: Mapping Multiculturalism in Sociological Terms, in: Sociological Theory 23.2 (2005), pp. 218–240.  8 For the history of American attitudes towards immigration, see C. Hartzig/D. Hoer­ der, Transnationalism and the Age of Mass Migration, 1880s to 1920s, in: Transnational Identities and Practices in Canada, ed. V. Satzewich/L. Wong, Vancouver 2006, pp. 36–37. For recommendations of Canadian assimilation, see J. Porter, The Vertical Mosaic: An Analysis of Social Class and Power in Canada, Toronto 1965.  9 “Incoming Que. premier ready to force ban on hijabs for teachers, police.” https:// www.ctvnews.ca/canada/incoming-que-premier-ready-to-force-ban-on-hijabs-for-teacherspolice-1.4119342 (accessed December 6, 2018). This ban echoes a ban in 2013 that was struck down by the Quebec Superior Court in June 2018 as violating the Canadian Charter of Rights and Freedoms. 10 For works that identify the erasure of Jesus’ Jewishness as he is incorporated into divine unity, see (among others), C. Boesel, Risking Proclamation, Respecting Difference: Christian Faith, Imperialistic Discourse, and Abraham, Eugene 2008; B. Meyers, The Dogmatic Significance of Christ being Jewish, in: Christ Jesus and the Jewish People Today: New Explorations of Theological Interrelationships, ed. P. A. Cunningham/J. Sievers/M. C.  Boys/H. H.  Henrix/​ S. Jesper, Grand Rapids 2011; and A. S. Jacobs, Christ Circumcised: A Study in Early Christian History and Difference, Philadelphia 2012.

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intergroup mobility or cross-cultural influence is prohibited.11 A Christology that relies on a process of fragmented pluralism argues for the existence of two natures, but rules out any mutual influence of one on the other. Typically, the human nature is segregated from the divine nature and does not contribute to the formation of the divine person beyond being a token physical body. The relationships that form the physical body are rejected. Cosmopolitanism, a more sophisticated approach to difference, involves a negotiation of difference whereby certain characteristics of the different culture or group are incorporated into the larger unity, but only selectively, and in ways that strengthen homogeneity. Jung Ha Kim argues that cosmopolitanism operates through a process of “borrowing,” in which the practice of meditation is borrowed from Buddhism without any of the accompanying practices. This “borrowing […] can be seen as a new and subtle form of controlling and possessing” the group being borrowed from.12 Contextual liberation Christologies are driven by this process of selective borrowing when they identify with particular characteristics of Jesus’ historical existence, i. e. an oppressed minority in Romanoccupied territory, but ignore other characteristics that are equally formative of Jesus, i. e. his relationship to God as a Jew.13 The last form of multiculturalism, interactive pluralism, strives to accomplish what Chalcedon suggests: the preservation of difference without separation, in which all difference contributes formatively to the larger whole. As applied to nation-building, proponents of this process argue that national identity and unity not only consists of interactive and yet differentiated groups, but is strengthened by the ongoing participation of new differences.14 A Christology that adopts this multicultural approach to difference will be described in the following sections. When explored by political theorists such as Toni Erskine and Rita Dhamoon, the study of multiculturalism exposes that the negotiation of difference in unity typically devolves to a denial of the ongoing presence of difference as multiply 11 The strict demarcation of group boundaries requires rigid definitions of what constitutes any given group, leading to homogeneous groups. For this reason, Hartmann and Gerteis argue that fragmented pluralism does not actually tolerate difference, but seeks to assimilate individual difference into highly controlled “group difference.” Hartmann/Gerteis, Dealing with Diversity, p. 231. 12  J. H.  Kim, Spiritual Buffet: The Changing Diet of America, in: Off the Menu: Asian and Asian North American Women’s Religion and Theology, ed. R. N. Brock/J. H.  Kim/P. Kwok et al., Louisville 2007, p. 80. 13 For a summary critique of Latin-American liberation theology’s erasure of Jesus’ Jewishness, see J. H.  Kim, Jews, Christians and Liberation Theology: A Symposium, in: ChristianJewish Relations 21.1, pp. 1–60. For a critique of feminist liberation theology’s borrowing of Jesus from Judaism, see A. J. Levine/P. Kwok/M. Kanyoro et al., Roundtable: Anti-Judaism and Postcolonial Biblical Interpretation, in: Feminist Studies in Religion 20.1, pp. 91–132. 14 See C. Taylor, Sources of the Self: The Makings of Modern Identity, Cambridge 2002.

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constitutive or as mutually formative of the larger whole.15 Dhamoon, who examines multiculturalism through the lens of power and agency, exposes that these negotiations and relationships of differences are built on an unwillingness to allow equitable distributions of power. In practice, multiculturalism (and Christology) overrides the full participation of each difference in the larger whole: the one who is different is obstructed from being an agent who co-contributes in an ongoing way to the formation of the larger unity. I suggest that this rejection of multiple, formative participation stems from a reluctance, and even refusal, to allow for something to be both one thing and another, or, in the context of nation-building, to hold multiple loyalties. Participation in one’s community of difference and participation in a common unity are treated as mutually exclusive memberships (for instance, Jesus’ human particularity as a Jew and his divine universal transcendence of all specifics), and so difference is ignored or rejected.

3. Multiculturalism for Deconstructing Christian Christology Interpreting traditional and contemporary Christologies through multicultural theory, while attending to the distribution of power and agency, exposes their tendencies to reject the mutual formativity of both natures in the one Jesus Christ. Just as multicultural policies built on cosmopolitanism or fragmented pluralism devolve into assimilationism, Christologies that posit two natures of Christ devolve to an emphasis on one person. Here, the fissures in the Chalcedonian definition become apparent. Although the Definition insists on the full presence of the two natures, the distribution of power is entirely one-sided. The words produced by the Council of Chalcedon attempt to strike a balance between emphasizing that Jesus Christ is universal as the preexistent Logos (the Alexandrian school’s concern) and that he was also truly particular as a human (the Antiochenes’ concern). The Chalcedonian Definition establishes and distinguishes between two natures, skirting explicit assimilationism and going so far as to argue for two consubstantialities. Chalcedon describes in clear terms that the natures are united but distinct “without confusion, change, division, or separation.”16 To avoid both Nestorianism and Eutychianism, it emphasizes a single hypostasis as the point of unity for the two natures. However, this enhypostasis is predicated on Jesus’ human nature not having its own hypostasis – the divine nature provides the hypostasis.17 This formulation presupposes that a prosopon can only be sin15 T. Erskine, Embedded Cosmopolitanism: Duties to Strangers and Enemies in a World of ‘Dislocated Communities’, Oxford 2008; R. Dhamoon, Identity/Difference Politics: How Difference is Produced and Why It Matters, Vancouver 2009. 16 Price, The Acts of the Council, p. 204. 17 V. C. Samuels, The Council of Chalcedon Re-examined: A Historical and Theological Survey, Madras 1977, p. 171.

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gularly formed, and that the singular prosopon forms the single unity in the Incarnation. The prosopon is constituted of, but not relationally influenced by, two natures but the possibility of two hypostases is excluded; singular membership in a singular context is the only possibility. The concept of dual hypostases, or multiple formativities via interactive pluralism, is inconceivable. The two natures exist in the one person, and that person, the location of the hypostatic union, is divine. The human nature does not contribute in a formative way to the person. Although the physical characteristics secure the humanity of the Incarnation in a tokenized manner, the divinely driven hypostatic union does not permit human agency or allow the human nature to formatively participate in the one person. The christologies that emerge out of the Chalcedonian definition then follow the model of multiculturalism as it devolves into assimilationism. The human nature is retained only for the body, while agency and power and the relational contexts that inform the body’s instantiation in the world are ignored and eventually disappear. The one person and the unity of the two natures rests in the singular divine, which is markedly not Jewish.18

4. Multiculturalism for Constructing a Christology of a Jew Amongst the different forms of multiculturalism, there is one that posits a multiply-constituted and interactive formation of a larger unity that is grounded in and constituted of interacting differences. Interactive pluralism proposes that unity functions in a both/and relationship based on what Toni Erskine, a political theorist working in global ethics from Cambridge, has described as “overlapping memberships.”19 Erskine examines geopolitical communities experiencing intense internal conflict amongst inhabitants who are loyal to multiple groups – for instance in the Balkan Peninsula – and argues that individuals can relate to one another in contexts that seem oppositional. This shared membership comes from participation in a community in conflict, while simultaneously holding other memberships in different religious and ethnic groups.20 When these memberships overlap in a single individual, they constitute the uniqueness of this person and provide contexts for the person to react to and participate in the contexts of others.

18 This process of assimilating Jesus’ humanity into the divine person by segregating his body as the human differentiator can be identified in the Christologies of Athanasius, Anselm, Calvin, and Hegel, among others. 19 Erskine, Embedded Cosmopolitanism, p. 229. 20 These communities are “territorially indeterminate” and “dislocated,” thereby avoiding the pitfalls of community identification based on essentialisms. Erskine, Embedded Cosmopolitanism, p. 215.

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In this model of overlapping memberships, a pluralistically composed and responsive unity is possible under two conditions. The first condition is the presence of irreducible difference. The constituents in the unity must be different. A simple heuristic for conceptualizing this is color. In theatre, a green spotlight on the stage is the result of a blue transparent sheet and a yellow transparent sheet overlapping in front of a spotlight. Both blue and yellow are necessary to produce green – the colors’ differences are integral, and yet indistinguishable. Identifying “blue” or “yellow” in green would be impossible. Furthermore, overlapping them does not change either one, which would result in the assimilation of one of the colors. Blue remains blue and yellow remains yellow, and they can still be used separately to create blue or yellow spotlights, and as the shades of blue or yellow changes, the final shade does likewise. In an overlapping membership model of interactive pluralism, unity requires the presence of difference. The second condition for the formation of a single unity constituted of overlapping memberships is equal participation in the decision-making process by the different parties. Decision-making must emerge from the contexts and relationalities of each involved party, or else we return to a colonial or self-referential model of relationality in which only a single voice determines the form of the unity. Interactive pluralism without mutual formation devolves into a gracious assimilationism.

5. Both/And Christology – the Divine Nature A both/and Incarnation of overlapping memberships, that brings together the languages of Chalcedon and interactive pluralism, proposes a Christology that relies on the participation of the divine and the participation of the human in order to constitute a union in one person. It requires two natures that are radically and irreducibly different from one another, but which nevertheless engage in a mutually formative relationship with one another, one person with loyalties to and membership in multiple communities. Preserving difference in this interactive both/and relationship requires that the divine nature be radically and irreducibly Other to the human. Bikhu Parekh, studying multiculturalism as a political theorist in England, highlights the necessity for understanding the Other as unassimilable and, I would add, unassimilating.21 Since assimilation depends on the existence (or manufacture) of at least one similarity, the difference inherent in the otherness of the Other prevents it 21  B. C. Parekh, Rethinking Multiculturalism: Cultural Diversity and Political Theory, Cambridge 2000, p. 18. See S. Ahmed, Strange Encounters: Embodied Others in Post-Coloniality, London 2000, p. 98, for a critique of the concept of the unassimilable Other. Ahmed’s concern is that, in the practical context of immigration in Australia, the categorization of groups into ‘unassimilable’ becomes a means for making them invisible. I would argue that

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from being colonized or defined by the not-Other. In this way, the Otherness of the divine protects human difference from being assimilated by excluding, through the very definition of its difference, any homogenizing similarity that would facilitate assimilation. In the Incarnation, the unassimilable difference of this radically divine Other protects the human nature from being assimilated into a singularly-constituted divine person. The divine nature retains its difference from the human nature through transcendence. Keeping in mind that this is a both/and Christology, where membership in each nature overlaps, it is important to note that an assertion of transcendence is not a denial of immanence. Transcendence as a divine characteristic functions similarly to Otherness, in that it protects difference and heterogeneity, including the immanence that is characteristic of human existence. Because the divine nature transcends particularity, it cannot be assimilated by, nor can it assimilate others to, any of the single immanent particularities with which it engages. Transcendence frees the divine nature from narrowing itself to a single relationship with a particular particularity, a process that would restrict the divine nature from being present to the world in different times and different spaces. Instead, in the freedom of transcendence, the divine nature, and consequently the Incarnation, participates in an infinite number of relationalities. This infinite relationality, achieved through transcendence, complements and engages with the particularity and immanence of the human nature of Christ.

6. Both/And Christology – the Human Nature The divine nature acting cannot create a relational and interactive unity of difference on its own; the human nature must participate, in its particularly contextual and irreducible difference. Human nature is defined by its immanence, which means that the human nature of the Incarnation, as human, is formed by his context. The fact of history means that the human nature of Jesus participated in and was formed by his membership in the Judaism of the Second Temple period. The Incarnation is therefore constituted, (in part but irreducibly), by his membership as a Second Temple Jew, with its focus on one God, on Temple, and on Torah.22 Contextualized by this particular membership, in the very irreducibility of his own particular historical instantiation, the human nature of Christ is an indispensable agent in the unity of the Incarnation. Memberships and relationalities form this human nature of Jesus. As a human, every person he comes into contact with participates with him in a relationality the theological context of God as Other prevents God or the divine nature from becoming invisible in Christological discussions. 22 S. Schwartz, Imperialism and Jewish Society, 200 BCE to 640 CE, Princeton 2001, p. 49.

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that results in mutual transformation. This relationality includes, but is not limited to, the moments of interaction individuals share with one another as they participate in one another’s contexts: spatial, temporal, religious, gendered, cultural, etc. An individual’s very presence in another’s context creates a new context that affects those who share that moment. That individual is reciprocally affected by the newly formed context, reacting to it and thereby changing the context and those in it once again. The relationality of individuals in shared contexts is dynamic and never static, changing and being changed by each participant. As a relational and contextually shaped human, Jesus participates as an agent with others in his own and others’ development, bringing this to the ongoing Incarnation. The irreducibility of human nature protects Jesus’ humanity from complete assimilation within the Incarnation. The particular contextuality and the unique constellations of relationalities of every human constitute an individuality that resists co-optation. People cannot be reduced to one context (i. e., American) nor to one relationality (i. e., mother) without marginalizing other contexts and other relationalities (i. e., Cuban American mother and police officer).23 Humans hold memberships in multiple groups, each of which define them. When the human nature of the Incarnation is considered from only one of its contextual or relational memberships, it is no longer wholly human. The particular shade of green in the stage light will not exist if a different shade of blue is used. The human relationships and contexts in which Jesus participates are brought in their fullness into the unity of the Incarnation, shaping it. Jesus’ Jewish contextuality is thus indispensable for his existence as a human and for the Incarnation.

7. Both/And Christology – the Unity of the Incarnation In this proposal of the Incarnation, the two natures overlap and interact, but do not assimilate one another. The human nature’s relationship with the divine is participatory and mutually formative. Were the divine nature to solely determine the relationship and reject the formative participation of the human nature, as interpretations of the Chalcedonian definition of the divine person have proposed, then that human nature would be prevented from being participatory and relational, and its ‘nature’ would cease to exist. Instead, the person of Jesus, participating in divinity, brings this divine transcendence and Otherness to the Incarnation that shapes his response to the people and conditions around him. Shaped by divinity, the Jewish Jesus moves across time and space and transcends the limitation of his human contexts. In his divine Otherness, Jesus resists totalizing attempts of singular particularity 23 For more on theological anthropology and the holistic embeddedness of human irreducibility, see L. C. Schneider, Beyond Monotheism: A Theology of Multiplicity, London 2008.

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and engages in relationships with those who share none of his human contexts, even as he remains shaped by his own particular historical context and relationships. The transcendence and Otherness of the divine nature does not prevent the historical particularity of Jesus from being in relationship with contemporary Christians of today. His contextually and relationally based formation as a Second Temple Jewish male does not stand in opposition to his mutually formative relationship with a twenty-first century Christian Filipina. Likewise, his divine Otherness and transcendence protects her from having to conform to the particularities necessitated by Jesus’ historical existence in order to be in relationship with Jesus. Because of the human nature, and its characteristics of particularity and relationality, Christ-in-relationship-with-us understands the uniqueness of each context, and how that context shapes us, and is therefore formed by relationship with us and our contexts. Jesus maintains memberships in multiple relationships, overlapping them within his one self. This relationship is grounded in Jesus’ own historical contexts and relationships, in addition to the contemporary ones he makes his own through relationships with contemporary people. Christ-in-relationship-with-us is contextualized by his relationships both with other Second Temple Jews and with the multitude of today’s Christians, even when these relational communities stand in opposition to one another. The resurrected Christ, constituted of his human and divine natures, is both us and Other, immanent and transcendent, particular and universal, Jewish and divine. Jesus’ membership in each community and relationality overlaps with the other memberships, producing a relational and multiply-constituted Incarnation. This multiple relationality in fact expands the layers of overlapping memberships for Jesus, expanding the Christology and model of interactive pluralism beyond the initial dual membership proposed by Chalcedon to a much deeper, more multi-faceted participation of the Incarnation in the world.

8. Reflections on Christology and Soteriology While the conversation thus far has assessed whether Jesus’ Jewishness is a Christological necessity or simply coincidental, along with the attendant issue that his Jewishness as such can never properly understood, a critical question for Christians is what Jesus’ Jewishness means for soteriology. Important for such an inquiry are the following questions: Is Jesus’ Jewishness necessary for the salvation of the Jews? (Most twenty-first century theologians would argue that it is not.) Is Jesus’ Jewishness necessary for the salvation of Gentile Christians? Do the classical soteriologies (Christus Victor/Ransom, Substitution/Satisfaction, Moral Exemplar, etc.) require or dispense with Jesus’ Jewishness? If Jesus’ Jewishness is determined to be indispensable for Christology, is a new soteriological model

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required? These questions have yet to be thoroughly examined, although some beginnings have been made. Van Buren and Soulen argue that Jesus’ Jewishness is indispensable for a salvation-history model of soteriology, in that the One who dies is the Jewish One. Such soteriologies employ a promise-fulfillment narrative that sees the promises made to the chosen people of Israel by God fulfilled first to the people of Israel through the Exodus, kings, building of the Temple, etc, and then again to the Gentiles through the Jewish Christ. Problematically, Van Buren and Soulen do not acknowledge that salvation history can lead to a soft supersessionism, as it expands the promise to the Jewish people to the Gentiles.24 Insofar as Christians see themselves as distinct from the Jewish people, the events that were pivotal for Jesus’ own understanding of salvation by God are merely prologue to the Gentile story. Jesus’ Jewishness, while a historical reality and a Christological necessity, remains contingent to Gentile salvation. Furthermore, recent work by postcolonial theologians expose the ways in which salvation history functions to exclude those outside of that particular historical narrative. Miguel A. De La Torre argues that salvation history relies on and supports empire-building, and thus proposes a theology disconnected from salvation history. He offers a theology of despair, rather than hope, that looks to Christ as the one who liberates by walking with the suffering people. His model rests on an understanding of history as a series of random events with no guiding narrative or arc, in which meaning comes from the daily presence of Christ to the one in need. While his argument that history is never the history of all, but only some, is a necessary corrective to Eurocentric theodicies, his eschatologyas-such renders Christ’s historical existence as entirely contingent. Although his proposal does not appear to be, nor advocate for, a supersessionist soteriology, his argument lends itself to supporting a soft supersessionism.25 The question thus becomes: is the Jewish Jesus necessary for soteriologies that stand outside of the salvation-history-dependent framework? Again, deeper reflection would generate the next wave of intentionally non-supersessionist theo­ logy.

24 Chris Boesel has developed the category of “soft” supersessionism, in which the Abrahamic covenant is expanded to include Gentile Christians and the church, who then displaces the Jews. This is to be differentiated from a “hard” supersessionism, in which the church replaces Jews. Kendall Soulen describes the church’s displacement of the Jewish people through the category of “economic” supersessionism, in which the economy of the Israelite narrative that demonstrates God’s faithfulness exceeds its usefulness with the arrival of Christ. Boesel, Risking Proclamation, p. 7; K. Soulen, Art. Post-Supersessionism, in: A Dictionary of JewishChristian Relations, ed. E. Kessler/N. Wenborn, Cambridge 2005, pp. 350–1. 25  M. A.  De La Torre, Embracing Hopelessness, Minneapolis 2017. See particularly Chapter 2, “Believing Is Seeing,” for a critique of salvation history, particularly as employed by Jürgen Moltmann.

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9. The Otherness of Christ An important implication of centering Christology on the Jewish Jesus is that Christians must recognize that the Christian faith and relationship is always in and with one who is Other. The One Christians confess is perpetually other to us, even as he represents us in the human condition. While it may appear that this returns us to a Barthian understanding of God, it can also be understood as embracing a postcolonial hermeneutic that resists assimilation of any other. As human, Jesus is vulnerable to assimilation, as seen in contextual Christologies that displace his Jewishness. As human Other, we are moved to incorporate an anthropology constructed on otherness as a key foundation of the human condition, of human relationships, and of human-divine relationships. This then informs a Christology that lifts up Jesus’ Otherness as indicative of his human nature while simultaneously honouring our own otherness from Jesus as he was incarnated at a specific point in history. Such a realization refuses an over-simplified Hegelian synthesis of christology and christopraxy. Christians, while recognizing the Jewish Christ and the Jewish roots of much of Christian theology, liturgy, and history, are nevertheless not Jews. Our religious practices are Christian, not Jewish, and such differentiation is vital for the health of Christian-Jewish relations. Christians, then, must discern which of Jesus’ practices are to be authentically followed by Christians (giving to the poor, caring for the sick, loving the neighbour), and which are incidental to the Christian life (refraining from non-kosher foods). An understanding of Christ as multiply-constituted, participating in both human and divine memberships, with a human existence that is uniquely his own, allows Christians to separate Christology from Christopraxy, and indeed accommodates (if not welcomes) a diversity of praxis and Otherness. The uniqueness of each human, which constitutes the universal human condition, leads to the conclusion that while Jesus is unique, there is no single core of his practice that is determinative for every Christian. Universals common to specific, unique contexts cannot be made to serve as universal universals without destroying their very uniqueness. However, through the divine nature, the contexts of the historical Jesus and the contexts of each individual Christian are brought together in the person of Christ and commonalities are uncovered. These commonalities become contextual universals, determining the individual life of each Christian. For some Christians, the commonality of gender in the priesthood of Christ is a universal. For other Christians, the commonality of preferential actions towards the poor is a universal. For other Christians, a liturgical theology that recognizes only two sacraments is a universal. Contextual universalism allows for each Christian to find the shared commonality between his or her own context and Jesus’ context, which then becomes the foundation of christopraxy for that believer. A framework of contextual

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universalism and overlapping memberships encourages the coexistence, if not interaction, of multiple praxes, both contextual and historical.26 For example, Christologies that posit traditional ‘opposites’, as in the issue of the ordination of women, can coexist as the interpretative realities of multiple communities of believers. Each community  – with its own contextual beliefs determining the universal characteristics for that particular community – remains within its own contextual borders yet shares the universality of each following Christ. A Roman Catholic community may legitimately present its argument that women are not called to the priesthood as rightly derived from its contextually constituted understandings (either revelation, reason, or both) and thus universally applicable to that community, while a North American Lutheran community may present its argument that women are as called to ordination as men, on the same basis and with the same applicability. Although the two communities hold contradictory “universal” beliefs, that they are universal within their own contextual communities is itself the commonality. Their processes of universalization and their universal application become a shared universal between them, along with the commonality of both seeking an appropriate relationship with Jesus. This understanding of christopraxy (and its implied ecclesiology) is predicated in overlap: Jesus Christ is not and is normative for Christians. When Christians are mindful that the Christ who exists within the church today was formed by his historical contexts, and continues to be formed by those contexts, freedom is granted to listen with the ears of faith to what Jesus says to individual Christian communities today. Christians in relationship with the humanly-constituted person of Christ through the transcendence (transtemporality) of his divine nature engage with him such that at least some of the contexts that form and formed him are shared. Christians allow themselves to be formed by Christ who, in turn, is formed by Christians today, yet not every Christian or Christian community is formed in exactly the same manner. This mutual formativity does not, however, free Christians to adopt approaches to understanding Jesus in his human context that negate his Jewishness, including his religious Jewishness, as this damages the contextual wholeness of Jesus as truly human. Jesus did not exclude himself from the Abrahamic or Mosaic covenants. One may argue that Jesus, as a Jew, may disagree with particular 26  Co-formativity and interactive pluralism are foundational for the ecumenical decisionmaking process of the Canadian Council of Churches (CCC). The CCC relies exclusively on a consensus model of agreement, called “Forum”, where member churches do not vote on resolutions, but discuss them until a unanimous position is reached. While this sometimes leads to decisions of non-action, due to a lack of unanimity, even the decision of non-action must be reached unanimously. Issues that are resolved via the Forum model are communicated as CCC “Statements” and represent the universal resolution of the member churches that emerges from their individual denominational contexts. ‘Statement on Forum’, Canadian Council of Churches, November 9, 2008, (accessed July 16, 2013).

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interpretations of Torah held by a Jewish majority, but communities have always included outliers, whose dissent does not invalidate their membership or negate the existence of the community. Furthermore, soteriology is pushed in a new direction if the premise is accepted that the Jewish Jesus’ saves Gentile Christians, not insofar as his Jewishness is emblematic of salvation history, but in that his Jewishness represents both Otherness and Sameness to Gentiles. Within a systematic theology, this then has implications for ecclesiology and sacramental theology, as we then must reconcile that the church as the body of Christ is a Jewish body in origin and substance, occupied by Gentiles. We are then perpetually Other to ourselves. Heterogeneity, rather than homogeneity, thus becomes a marker of the unity of the Body, embracing Christ’s religious Otherness to us as central. Only by starting with the premise that Jesus is Other to us in his humanity, just as we are Other to one another, and thus cannot be completely known, can we even begin to construct a Christology of Jesus the Jew.

Allgemeine Transzendenz – bestimmte Offenbarung? Zur Struktur von Wahrheit und Offenbarung im interreligiösen Diskurs und im Kontext einer Theologie religiöser Rede Folkart Wittekind Die folgenden Überlegungen richten sich reflektierend auf Probleme der gegenwärtigen Religionstheologie, die mit dem Anspruch, die Wahrheit anderer Religionen in der Theologie anzuerkennen, zusammenhängen. In einem ersten Punkt wird ein zusammenfassender Überblick formuliert, der auf die Grundlegung der hier vorgetragenen Lösungsmöglichkeit in einer Theologie religiöser Rede1 hinweist und es ermöglichen soll, die Alterität der monotheistischen Religionen trotz ihres Bezogenseins auf denselben Gott zu verstehen. Der zweite Punkt geht auf Fragen aus der Debatte ein und versucht, das Geschehen und die Intentionen im religiösen Dialog, hier zwischen Judentum und Christentum, zu sortieren. Ab dem dritten Punkt werden dann einzelne Probleme der Religionstheologie und ihrer Grundlegung aufgenommen, wie sie sich aus dem gegenwärtigen Forschungsdiskurs und seinen verschiedenen Positionen ergeben. Die eigene Grundlegung einer entsprechenden Christologie kann am Ende nur angedeutet werden.2

1. Der Unterschied von religiöser und theologischer Wahrheit Das Problem einer dialogisch ausgerichteten Religionstheologie ist: Wie können von einem theologischen Standpunkt aus, der von der Wahrheit der eigenen Religion überzeugt ist, andere Religionen in gleicher Weise als ‚wahr‘ gelten? Diese Frage ist in dieser Form neu, trotz der langen Geschichte des Sichbeziehens auf 1 Vgl. F. Wittekind, Theologie religiöser Rede. Ein systematischer Grundriss, Tübingen 2018. 2 Vgl. F. Wittekind, Jesu Wort und Jesus als Wort Gottes. Systematische Überlegungen zur Möglichkeit der Rückfrage nach dem historischen Jesus, in: Transformation der Christologie. Herausforderungen, Krisen und Umformungen, hrsg. v. C. Danz/M. Hackl, Göttingen 2019, S. 123–145.

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andere Religionen in der Philosophie und Theologie. Denn sie unterscheidet die Theologie von der Religion und setzt doch voraus, dass Wahrheit nicht nur ein Konstrukt der Theologie ist, sondern auch auf der Ebene der Religion gesucht wird, und dort so gesucht wird, dass es zugleich ein Anliegen dieser religiösen Wahrheit sein kann, andere Religionen in gleicher Weise wie die eigene als wahr anzuerkennen und ernst zu nehmen. Diese Konstruktion ist jedoch hoch voraussetzungsreich und hängt davon ab, nicht nur, was das ‚Ernstnehmen‘ einer anderen Religion in der eigenen überhaupt bedeuten kann, sondern auch, was als ‚Wahrheit‘ von Religion überhaupt verstanden wird und wie sich die theologische Konstruktion dieser Wahrheit zu dem direkten religiösen Erleben von Wahrheit (bzw. Beanspruchen von Evidenz) verhält. Jede dieser Fragen kann nicht nur zwischen den Religionen (und ihren Theologien, sofern sie eine solche als Wissenschaft für sich selbst pflegen), sondern auch innerhalb der religions‑ und konfessionsspezifischen Theologien unterschiedlich beantwortet werden. Im Folgenden wird die Fragestellung problematisiert von einer protestantischen Auffassung aus, die die Aufklärung sowohl als notwendiges Element einer modernisierenden Veränderung (und Ausdifferenzierung) des Religionsverständnisses als auch als kritisches Element einer modernen Theologie anerkennt. Damit wird zwischen einer Theologie, die dem Glauben direkt dient und seine Aussagen systematisiert und intern begründet, und einer anderen, die die Aussagen des Glaubens in ihrer Funktion für die Religion des Menschen sieht und analysiert, unterschieden. Im Folgenden wird immer von der Fragestellung dieser zweiten Theologie aus argumentiert. Damit werden die gegenständlichen und ‚sachbezogenen‘ Aussagen des Glaubens zum Gegenstand der Theologie, nicht aber diese Gegenstände und ‚Sachen‘ gleichsam an sich selbst und unabhängig von ihrer Funktion für den Glauben. Schaut man in die Wahrheitsauffassungen der evangelischen Theologie nach der Aufklärung, so werden dort Religionen konzipiert als verschiedene Weisen von vorstellungshafter, bildlicher und symbolgeleiteter ‚Darstellung‘. Denn sie stellen jeweils historisch kontingent und in bildhafter Weise ein eigentlich Gemeintes dar, nämlich allgemeine Sachverhalte des menschlichen Geistes. Wahr sind Religionen in der Theologie des 19. Jahrhundert also nicht direkt, sondern auf einem Umweg, indem die Theologie die Ebene der ‚gemeinten‘ Wahrheit konstruiert unter Anlehnung an allgemeine philosophische Einsichten. Die Theologie macht also deutlich, dass die Ebene der Religion und der Aussagen der Frömmigkeit nicht die eigentlich gemeinte in der Religion ist, sondern dass diese Inhalte gelesen werden können als Darstellungen allgemeinerer Wahrheiten. Trotzdem kann man auch hier die verschiedenen Religionen gegenüberstellen und nach ihrem je speziellen Beitrag zur Wahrheit fragen. Dies geschieht auf der Ebene der Frage nach dem Wesen z. B. des Christentums. Obwohl alle Religionen grundsätzlich als Darstellungen der allgemeinen zugrundeliegenden menschlichen Religion verstanden werden können, gibt es doch hinsichtlich

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ihrer Fähigkeit, diese Wahrheit adäquat auszudrücken, Unterschiede. Das Christentum kann dann z. B. als höchste Form der Religion aufgefasst werden, weil es unter den historischen Religionen den eigentlich gemeinten Sachverhalt ‚der Religion‘ am besten ausdrückt, so in Schleiermachers Erlösungsbegriff oder in Troeltschs Religion personaler Individualität. Eine so verfahrende Theologie ist im Grunde gegenüber der eigenen Religion genauso gerecht wie gegenüber fremden Religionen, weil sie sie alle  – nur in unterschiedlichen Graden  – als nicht ganz vollkommene bildliche Ausdrucksgestalten dessen sieht, was eigentlich nur in der religionsphilosophischen Konstruktion sachgemäß und wahr erkannt wird. (Dieses Konzept wird in der Religionstheologie seit Hick prinzipiell weitergeführt, indem hier ‚die Religionen‘ Ausdruck und Darstellung eines allen gemeinsam vorausgesetzten metaphysischen Gegenstands ‚Gott‘ sind, welcher wiederum als dieses Gemeinsame anscheinend nur in der Religionstheologie selbst erkannt werden kann.) Die protestantische Theologie des 20. Jahrhunderts hat sich von dieser Konstruktion zu lösen versucht. Insbesondere die dialektische Theologie hat den Religionsbegriff als übergeordnete Deutungsebene abgelehnt und die Wahrheit auf der Ebene religiöser Frömmigkeit selbst zu analysieren versucht. Der Offenbarungs‑ wie der Gottesbegriff bieten sich als Träger der unmittelbaren Konstruktion von Wahrheit in der Theologie an. Man kann – und das wird über weite Strecken bis heute so gemacht  – diese Theologie des 20. Jahrhunderts so lesen, als sei der ihr eigene Wahrheitsbegriff der des Glaubens, als sei die Theologie nur eine Verlängerung der Wahrheitsansprüche des Glaubens. Doch diese Behauptung ist nicht haltbar. Denn einerseits: Das Wahrheitsverständnis der Theologie als Wissenschaft wird so auf die Religion projiziert. Damit wird zwar – wider Willen – der Hauptstrang der modernen neuprotestantischen Entwicklung weitergeführt. Aber es muss doch einmal gefragt werden, ob das richtig ist. Religion hat ihre eigene Wahrheit, die nicht durch lehrhafte Sätze angemessen dargestellt werden kann. Wahrheit in der Religion (bzw. religiöse Evidenz) entsteht auch durch rituelle Teilhabe, durch existenzielle Bejahung, durch gottgefälliges Handeln. Der zweite Grund: Die Theologie verdeckt sich ihre eigene Konstruktivität, indem sie sich an die Stelle der Religion setzt. Die Theologie redet dann unmittelbar als Agent des Glaubens. Aber in Wahrheit bezieht sie die Aussagen der Religion weiterhin auf ein theologisches Konstrukt, das von ihr selbst – also der Theologie – entworfen wurde, wie die Gottes‑ oder Offenbarungslehre. Die gegenwärtigen Fragestellungen und Probleme der Religionstheologie entstehen nur auf dem Hintergrund einer solchen Theologie. Seit Hick und seiner neometaphysischen Behauptung einer allgemeinen ‚Realität‘ der Transzendenz ‚hinter‘ den einzelnen Religionen sowie in der schnellen Aufnahme seiner (nicht-religionsphilosophischen) Problemstellung durch offenbarungstheologisch vorgehende Theologen wird Wahrheit als direkter inhaltlicher

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Anspruch in die Religion hineinprojiziert. Geht man von einer solchen Wahrheit – zunächst in der eigenen – Religion aus, dann kann fremde Religion nur in einem Schwanken zwischen striktem Exklusivismus oder umfassendstem Inklusivismus wahrgenommen werden. Karl Barth – oder besser: seine ‚Normalrezeption‘ – bietet dafür das Beispiel.3 Allerdings kann von einem solchen Ausgangspunkt aus Pluralismus im eigentlichen Sinn des Wortes gar nicht erreicht werden. Jedes ‚Ernstnehmen‘ des Anderen muss ihn seiner Fremdheit berauben, um ihm Wahrheit im Sinne der eigenen Religion zuschreiben zu können. Die religionstheologische Fragestellung sollte deshalb von einer Konstruktion der Wahrheit auf der Ebene der Religion (also der Wahrheit des Glaubens) entlastet werden. Oder besser: Es ist zu unterscheiden zwischen der ‚Wahrheit‘, die die Theologie zu einer kontrollierbaren Wissenschaft macht, und der anderen Wahrheit, die von den Anhängern einer Religion im Ausleben dieser Religion beansprucht wird. Der gegenwärtige Arbeitsstand der Religionstheologie lässt vermuten, dass beteiligte Theologen (der monotheistischen Religionen) dazu neigen, diese Differenz weniger zu berücksichtigen. Damit wird der Stand des eigenen theologischen Wissenschaftsverständnisses auf die eigene Religion übertragen und zugleich als für die anderen Religionen verbindlich gesetzt. Das (jeweilige) Verhältnis von Theologie und Religion ist deshalb vor dem Eingang in den Dialog zu präzisieren, damit klar ist, dass und ob überhaupt über dasselbe geredet wird (bzw. werden kann). Dabei geht es nicht darum, im Stil des 19. Jahrhunderts zu einer allgemeinen anthropologischen Konstruktion der Religion als Grundlage für die konkrete Religion und die theologische Deutung ihrer Gehalte zurückzukehren. Es ist vielmehr methodisch-reflexiv daran anzuknüpfen und die behauptete ‚allgemeine Religion‘ nicht als gegebene Sache, sondern als ureigenes Konstrukt der Theologie zu verstehen. Es zeigt sich dann prinzipiell, dass die Theologie sich auf ein ihr eigenes Verständnis von Religion bezieht, welches zugleich ihre ihr eigene Wissenschaftlichkeit ausmacht. Will die Theologie keine inhaltlichen Setzungen der Religion übernehmen, sondern in eigener Weise alle möglichen Voraussetzungen kritisch befragen und methodisch auflösen, muss sie von der wahrnehmbaren Religion ausgehen, die in der religiösen Kommunikation (der sich darin als Glaubende Artikulierenden) besteht. Dieses Verständnis geht davon aus, dass Religion nicht deshalb wahr ist, weil sie sich auf Wahrheit in einer vorausgesetzten Form – Gott, Offenbarung – bezieht. Dabei würde es sich vielmehr nur um eine wissenschaftsinterne Setzung von Voraussetzung handeln. Genau diese aber ist kritisch aufzuweisen und aufzulösen. Theologie versteht 3 Vgl. die Beiträge in S. Hennecke (Hg.), Karl Barth und die Religion(en). Erkundungen in den Weltreligionen und der Ökumene, Göttingen 2018 sowie M. Weinrich, Theologische Religionskritik als Brücke zu einer Theologie der Religionen, in: Theologische Religionskritik. Provokationen für Kirche und Gesellschaft, hrsg. v. M. Hofheinz/R. J. Meyer zu Hörste-Bührer, Neukirchen-Vluyn 2014, S. 16–33.

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Religion als ein in sich selbst auf Sinn gebautes Kommunikations‑ und Sprachspiel, dessen interne Wahrheit nicht anders als in der Teilhabe an religiöser Sprache gegeben ist. Theologie rechtfertigt Religion nicht, indem sie sie auf Gott und sein Wort bezieht, sondern sie geht von der internen Sinnhaftigkeit der Religion – ihrer religiösen Wahrheit, die allein in ihrem Funktionieren liegt – aus. Religionen sind also viele, nicht weil sie verschiedene Darstellungen der einen Wahrheit sind. Sondern weil es, im Bild gesprochen, viele religiöse Wahrheiten gibt, die in verschiedenen Religionen bereitgehalten werden. Die Theologie kann deshalb davon ausgehen, dass es eine Pluralität von Göttern in den Religionen gibt. Der einende Begriff ‚Religion‘ selbst dient dabei nur als Platzhalter für eine Gruppe von Kommunikationsweisen, die klassisch als religiös angesehen werden, ohne dass eine substantielle Selbigkeit von ‚Religion‘ behauptet wird. Vielmehr differenziert sich das, was (und als was) Religion betrachtet (wird), unter allgemeinen kulturellen Bedingungen der Sprache, der Lebensbewältigung, der jeweiligen Umwelt und Zivilisation in verschiedener Weise aus. Auch Religion ist grundsätzlich verschieden, jede Religion ist eine Religion ‚sui generis‘. Die innere Bindung von Religion an wahre inhaltliche Aussagen ist ein kontingentes und spätes Produkt der Religionsgeschichte. Theologie als Wissenschaft (ein noch späteres Produkt) hat dann ihre Aufgabe darin, die Konstruktion der Wahrheit in ihrer jeweiligen Glaubensform zu untersuchen. Was passiert, wenn innerhalb der jeweiligen Religion religiös kommuniziert, Religion weitergegeben und religiöser Sinn gestiftet wird? Dieses Geschehen ist an die Inhalte der jeweiligen Religion gekoppelt. Jede Religion stellt den ihr eigenen Sinn in ihrer eigenen Weise her und die auf sie bezogene Theologie macht dies (für sie) durchsichtig. Die Theologie kann so prinzipiell eine Pluralität von Religionen anerkennen, ohne sie auf dahinterliegende Einheitskonstrukte – Gott, Offenbarung, Glaube – zu beziehen. Und jede Religion kann eine eigene Theologie ausbilden, die von den Inhalten, Schriften und Auslegungen, Riten, Gebräuchen und Gebeten der jeweiligen Religion ausgeht. Die Identität des Christentums als einer eigenen Art von Religion hängt an der Christologie, zunächst einmal noch abgesehen von der Art, wie diese Christologie gedanklich ausformuliert und bestimmt wird. Die Christologie macht  – eingebunden in die trinitarische Gottesvorstellung des Christentums  – den wesentlichen Kern dessen aus, was am Christentum eigene Religion ist.4 Dabei 4 Darin stimme ich mit Reinhold Bernhardt überein, ebenso wie mit dem Ausgang von der bleibenden christologischen Identität des Christentums und der christlichen Theologie (vgl. ders., Theologie zwischen Bekenntnisbindung und universalem Horizont. Überlegungen zum Format einer ‚interreligiösen Theologie‘, in: Interreligiöse Theologie. Chancen und Probleme, hrsg. v. dems./P. Schmidt-Leukel, Zürich 2013, S. 43–66). Selbst wenn die christologischen Aussagen der ersten Christen inhaltlich auf jüdische Vorstellungsweisen zurückgeführt werden können (wie die Debatte um die paulinischen Christologieaussagen spätestens seit der sogenannten ‚new perspective on Paul‘ zeigt), heißt dies nicht, dass sie nicht (bereits) eine differente Identität(sentwicklung) des Christentums in der Rückbeziehung auf die

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kann und soll dieser Kern so konstruiert werden, dass der Zusammenhang mit dem Gottesglauben Israels gewahrt bleibt. Jesus hat keine neue Religion gestiftet (bzw. nur implizit), sondern im Kontext der Religion Israels gewirkt. Zudem kann für die Begründung der besonderen Bedeutung Christi keine Begründung vor oder außerhalb des Glaubens an ihn gegeben werden, weder eine metaphysische (also kein Ausgang von der Zwei-Naturenlehre!) noch biographische (also auch kein messianisches Selbstbewusstsein oder messianische Vollmacht etc.) noch ereignisbezogene (also Auferstehung). Vielmehr beruht die Göttlichkeit Christi darauf, dass nach seinem Tod die Erinnerung an ihn direkt in den Sinn der Religion – und damit den Gottesglauben – hineingegeben wird. Wie es Gott nicht außerhalb der religiösen Kommunikation über ihn gibt, sondern der Gottesgedanke dafür steht, dass diese religiöse Kommunikation Sinn – religiösen Sinn – bereithält, so wird die Erinnerung an Jesu religiösen Umgang mit den Glaubenden direkt in die weitere, weitergehende Sinnhaftigkeit der religiösen Kommunikation eingebaut. In dieser Form gewinnt die Erinnerung an sein Leben unmittelbar Anteil an Gott. Damit ist der historische Grund gelegt für die Ausformung der trinitarischen Eigenart der christlichen Religion. Es scheint nun möglich, in einer solchen Konstruktion die Probleme der Trennung von Judentum und Christentum einigermaßen geordnet zu bearbeiten. Denn auf religiöser Ebene ist die Differenz deutlich, wenn die Erinnerung an Jesus im Christentum den Rang gewinnt, den bisher die Funktion Gottes in der Religion hatte, nämlich den hermeneutischen Eigensinn der Religion zu benennen. Auf der historischen Ebene werden dafür Beschreibungen verwendet, die aus der jüdischen Tradition in allen ihren  – auch hellenistischen  – Facetten stammen. Das heißt, in der religionsgeschichtlichen Sicht und bei einer vertieften Betrachtung der Vielfalt des Judentums zu der Zeit Jesu und in den nächsten Jahrhunderten kann das Christentum anhand seiner Aussagen jederzeit weiter als mögliche Ausformung dieser Vielfalt erscheinen. Dem inneren hermeneutischen Sinn nach aber ist die Differenz mit der Sendung des Christusgeistes in die Gemeinde bereits besiegelt. Das Christentum ist damit aber nicht die eine wahre Religion, sondern – wie jede andere Religion auch – eine in sich wahre Religion. Die damit vorgelegte Rahmentheorie geht davon aus, dass Differenzen zwischen Religionen bestehen, die sich ihrer jeweiligen Identität in sich bewusst sind. Der Fortschritt besteht darin, dass erklärt werden kann, wie Wahrheit in Erinnerung an die Verkündigung Jesu anzeigen können. Es unterscheiden sich (bzw. können sich unterscheiden) religionsgeschichtlich-historisch analysierbarer Ausdruck und gemeinte religiöse Identität. Dieses Ausgehen von der religiösen Identität des Christentums als einer eigenen Religion ist nicht mit der Kritik an der Religionstheologie zu vergleichen, wie sie von klassisch-theologischer (katholischer) Seite aus am Konzept von Hick geübt worden ist, vgl. G. Gäde, Viele Religionen – Ein Wort Gottes. Einspruch gegen John Hicks pluralistische Religionstheologie, Gütersloh 1998.

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Religionen in pluraler Fassung vorliegen kann. Damit ist die Möglichkeit einer theologischen differenzsensiblen Wahrnehmung der fremden Religion5 gegeben: Das heißt, dass die Theologie sowohl den Wahrheitsanspruch der eigenen Religion ernstnehmen und begründen, als auch zugleich (vernünftig begründet und nicht nur pragmatisch) zugestehen kann, dass derselbe Wahrheitsanspruch auch in anderen Religionen möglich ist und entsprechend begründet werden kann. Religionen sind in sich, als eigenes Sprach‑ und Symbolgeschehen, je in ihrer eigenen Weise wahr. Die Theologien dienen dazu, den jeweiligen Zusammenhang von Symbol, Tradition, Vollzug und Wahrheit darzustellen.

2. Der Dialog der Religionen in der Diskussion Deutlich ist, dass diese differenzsensible theologische Religionshermeneutik auf der Identität je verschiedener Religionen aufbaut. Gibt es nun, wie die Dialogtheologie und die Theologie der Religionen, gerade auch im jüdisch-christlichen Dialog, annimmt, darüber hinaus die Notwendigkeit, die Identitäten der Religionen so ins Gespräch zu bringen, dass die Differenz bearbeitet wird im Sinn einer angestrebten größeren Vereinigung oder eines neuen, stärkeren Zusammenhangs der getrennten Religionen? Viele solche Behauptungen im Kontext der Pluralitätsdiagnostik für moderne westliche Gesellschaften funktionalisieren die Religionen zum Modell des angestrebten gesellschaftlichen Zusammenlebens. Das ist immer dann der Fall, wenn das Gespräch selbst als pädagogisches, politisches oder soziologisches Ziel angesehen wird. Dies ist, so formuliert, erkennbar kein theologisches und auch kein Ziel der Religion selbst. Die Identitäten der Religionen werden zum Ausgangspunkt einer neuen, anderen Kommunikation, die sozialen Zwecken (Vorurteilsabbau, Friedensfähigkeit, Gesprächsbereitschaft) dient. In pädagogischen Entwürfen ist dies deutlich zu erkennen.6 Soll diese Kommunikation selbst als 5 Vgl. den zusammenfassenden Schluss von Christof Gellner zum religionskulturellen Pluralismus: „Doch bei aller Einfühlung, bei aller perspektivischen Rollenübernahme ‚auf Zeit‘, bei aller Horizontverschmelzung tun sich immer wieder unüberschreitbare Grenzen des Verstehens auf. Das entspricht einem wichtigen Grundsatz einer differenzsensiblen Didaktik interreligiösen Lernens, bleibende Fremd‑ und Andersheit auszuhalten und zu respektieren.“ (Ders., Art. Glaube, in: Handbuch Literatur und Religion, hrsg. v. D. Weidner, Stuttgart 2016, S. 372–376) 6 Vgl. Wolfram Weisse und die Hamburger Akademie der Weltreligionen. Eine jüdische Studie in diesem Kontext: E. Meir, Interreligiöse Theologie. Eine Sichtweise aus der jüdischen Dialogtheologie, hrsg. v. E. Morlok. Berlin/Boston 2016. Dabei stehen hier Ausgangspunkt in der gegebenen Pluralität der Religionen und Überformung bzw. Aufhebung dieser Pluralität zu einer neuen ‚Dialogreligion‘ systematisch unausgeglichen nebeneinander. Vgl. z. B. auch das Schlusskapitel in: M. Repp, Der eine Gott und die anderen Götter. Eine historische und systematische Einführung in Religionstheologien der Ökumene, Leipzig 2018: „Friede als Ziel der Religionstheologien und der interreligiösen Kommunikation.“ (S. 421) Für mich ist ein

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Ziel der Religion ausgegeben werden, so wäre hier wohl sinnvoll von der Gründung einer neuen interreligiösen Gesprächsreligion zu sprechen. Klassische theologische Diskurse werden dem neuen Ziel unterstellt und eine neue Theologie installiert, die ihren Anspruch aus der gesellschaftlichen Situation und anscheinend notwendigen Maßnahmen zur politischen Befriedung herleitet. Das Gespräch geschieht (vorerst) in eigenen, sich selbst stabilisierenden Zirkeln, die neben den internen theologischen Diskursen innerhalb der verschiedenen Religionen existieren.7 Von einer solchen externen Funktionalisierung der Differenz der Religionen zum und im Dialog sind interne, ausdrücklich als religiöse kenntlich gemachte Gründe für die Wahrnehmung der fremden innerhalb der eigenen Religion zu unterscheiden.8 Zu fragen ist, was die das Religionsgespräch begründende Behauptung, es sei notwendig für die eigene Identität, auf die fremde Bezug zu nehmen, bedeuten soll. Hier sind zwei Möglichkeiten zu unterscheiden. Entweder bleibt der Bezug auf die fremde Religion im Kontext des internen Diskurses, der zur weiteren Bestimmung der eigenen Identität geführt wird. Dann ist der Bezug auf die fremde Religion nur ein solcher auf Inhalte, Traditionen und Gebräuche, die die fremde Religion von der eigenen unterscheiden und deren Wissen zur Varietät und reicheren Bestimmung eigener Möglichkeiten dienen kann. Ein eigentlicher Bezug auf die interne Religiosität der anderen Religion – also das eigene Religionsein, das ‚Religion-sui-generis-Sein‘ der anderen Religion – ist pluralisierendes Ergebnis des säkularisierenden Ausdifferenzierungsprozesses der modernen Kultur, dass die Religion diese Aufgabe gerade nicht mehr erfüllen muss, sondern dass für die Eindämmung von Gewalt andere Instanzen geschaffen worden sind. Deshalb ist es auch nicht hilfreich, sich in diesem Zusammenhang auf die Ursprungsschriften der Weltreligionen zu beziehen, davon einmal abgesehen, dass sich dort bekanntlich nicht nur Friedensaufrufe, sondern auch entsprechende Gewaltverordnungen finden lassen. Man kann natürlich heute gleichwohl Religionen theologisch so interpretieren, aber dann muss man sich klar machen, dass hier eben sozialpolitische oder ‑pädagogische Interessen das Religionsverständnis dominieren. 7 Vgl. die Abwertung des wissenschaftlichen Diskurses zugunsten des Umgangs mit verschiedenen religiösen Gruppen in der Gesellschaft und dem Lernen von und mit Menschen, die unterschiedlich leben und denken bei Meir, Interreligiöse Theologie, S. 200. 8 Vgl. K. von Stosch, Komparative Theologie, in: Handbuch Theologie der Religionen. Texte zur religiösen Vielfalt und zum interreligiösen Dialog, hrsg. v. U. Dehn/U. Caspar-​ Seeger/F. Bernstorff, Freiburg i. Br. 22018, S. 317–337, hier: S. 320: „Erst in ihr [der neueren Komparativen Theologie] kommt es programmatisch zu dem Versuch, die religiöse Andersheit von Nichtchristen konstruktiv und systematisch in das eigene theologische Denken einzubeziehen.“ Allerdings fragt sich, ob die Kriterien, die von Stosch anschließend nennt, diesem Anspruch genügen. Diese sind metaphysisch die Wahrheitssuche nach der einen Wirklichkeit (was ein Einheitskonzept oberhalb der Andersheit der Religionen anzielt), wirklichkeitsbezogen das Aushalten von Differenz und pluralen Ansichten (was das Anliegen der Differenzhermeneutik aufnimmt), ethisch (als Hauptziel) freundschaftliche Solidarität mit Glaubenden verschiedener religiöser Traditionen (hier wird nicht religiös argumentiert) und theologisch das Neuverstehen des eigenen Glaubens (was gerade nicht auf die fremde Religion gerichtet ist).

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dann nicht vorhanden. Ein solches Dialogparadigma kann zur internen Kritik benutzt werden, dazu, die eigene Tradition reicher zu bestimmen und auch (intern) andere, ausgeschiedene, häretische und verschüttete Möglichkeiten, die eigene Religion zu leben, wieder aufleben zu lassen und so zu einer vielfältigeren Ausübung der Religion in der Gegenwart anleiten. Ein christologisches Beispiel dafür ist die Bezugnahme auf vornizänische (und vorchalcedonensische) Traditionen, die die Bedeutung Jesu für den christlichen Gottesglauben außerhalb der trinitarischen Wesenseinheits‑ und christologischen Naturenlehre bestimmen. Solche Traditionen sind aber im neuzeitlichen Christentum seit der Aufklärung immer wieder aufgenommen worden, so dass dieser Rückgriff nur innerhalb einer bestehenden traditionellen (sei es metaphysischen, sei es Wort-Gottesgebundenen) Theologie erstaunen kann. Eine weitere Möglichkeit besteht hier darin, die gemeinsame (Ursprungs‑)Tradition verschiedener Religionen zu betonen und damit die Differenzen zwischen den Religionen in Frage zu stellen. Dies ist im Kontext der sogenannten third quest nach dem historischen Jesus und auch der neueren Paulusforschung für die Ausdifferenzierungsgeschichte von Judentum und Christentum zu beobachten. Es fragt sich, was diese Erinnerung für den Dialog bedeutet. Entweder soll, wie gesagt, die Möglichkeit der eigenen Religion erweitert werden durch Bezug auf nicht mehr präsente Traditionen. Hier kann im Kontext der Christologie auf neutestamentliche Formen der Jesusverehrung, ihre alttestamentlich-jüdischen Wurzeln und bleibenden Bedeutungshorizonte verwiesen werden. Das kann durchaus dazu benutzt werden, die nizänisch-chalcedonensische (und anselmische) Tradition der Christologie in Frage zu stellen. Allerdings ist damit meines Erachtens trotz der großen Erwartungen an diese Forschung noch in keiner Weise ein Dialog zwischen den Religionen initiiert. Denn es ist nicht abzusehen, dass die Infragestellung der klassischen Christologie die Identität des Christentums überschreitet noch überhaupt die zentrale Erinnerung an Jesus und ihre Einbeziehung in die Gottesbeziehung in Frage stellen kann. Im Kontext der aufklärerischen Kritik an der Theologie und ihrer Weiterführung im 19. Jahrhunderts sind diese ‚klassischen‘ Merkmale der Christologie schon alle bereits kritisiert worden, ohne dass dies an der ‚jesuanischen‘ Identität des Christentums etwas geändert hätte. Ganz im Gegenteil ist die Jesuserinnerung für viele liberale Christen, auch angesichts der monistischen oder atheistischen Gegenentwürfe, das Eingangstor für eine christliche Gottesverehrung gewesen. Insofern muss der Forderung einer ‚Depotenzierung‘ oder ‚Deabsolutierung‘ der Christologie zum Zwecke der interreligiösen Dialogförderung9 auch eine gewisse Geschichtsvergessenheit vorgeworfen werden, auch wenn die Forderung vor dem Hintergrund der (theologisch antiliberalen) Theologie der 1950er und 1960er Jahre verständlich ist. 9 Vgl. die Zusammenfassung solcher Strömungen bei C. Danz, Grundprobleme der Christo­ logie, Tübingen 2013, S. 223–231.

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Muss der Dialog zwischen den Religionen ein religiöses Anliegen innerhalb der Religionen selbst sein? Dies dürfte die stärkste Variante für die Begründung des Dialogs sein. Doch wie wäre eine solche Behauptung zu begründen? Historisch-empirisch gesehen haben wir es in den pluralistischen, offenen Gesellschaften des Westens mit einer Zunahme der Zahl von religiösen Gruppen und Religionen zu tun, mit Grenz‑ und Mischfällen, Synkretismen und Neureligionen. Insgesamt handelt es sich um einen Prozess sich verstärkender Ausdifferenzierung, in welchem (und indem) jede der ‚Religionen‘ auf eigenen Grundsätzen und ‚Wahrheiten‘ beharrt. Der oben vorgeschlagene Religionsbegriff lässt verstehen, dass eine solche Entwicklung möglich ist, insofern er selbst nicht auf der Wahrheit der Religion aufbaut, sondern ihre Beanspruchung innerhalb der jeweiligen religiösen Sprache zu erklären versucht. Versucht man nun zu argumentieren, dass die Religionen verpflichtet seien, miteinander zu sprechen, weil nur so die eine Wahrheit, von der sie in vielfältiger Form sprechen, realisiert oder ans Licht kommen kann, dann geht dies nicht anders als in der Besetzung einer gedachten Position oberhalb des religiösen Wahrheitsanspruchs der einzelnen Religionen. Man kann möglicherweise noch schöpfungstheologisch argumentieren (und so ein theologisches Argument finden) für das Gegebensein der Vielfalt von Religionen, indem man Gottes Erhaltung und Vorsehung als seinen Willen zur Freiheit und Vielfalt menschlicher Religion interpretiert. Wie daraus aber das umgekehrte Argument einer geforderten Verständigung in dieser Vielfalt – im religiösen Sinn, also nicht sozial, politisch, global etc. – abzuleiten sein soll, erschließt sich nicht und dürfte den beanspruchten Willen Gottes über Gebühr strapazieren. Das gilt auch dann, wenn man diesen Willen Gottes aus einer Bibelinterpretation gewinnt, die die Begründung von Vielfalt, Streit und Verständigung über die monotheistischen Religionen hinaus in die Schriften des Alten Testaments als ‚Urschrift‘ des entsprechenden Gotteswillens verlegt.10 Hier sind Wunsch und Interesse der Vater des Gedankens. Und auch dies führt dazu, dass die Theologie einen Standpunkt oberhalb der Religionen beanspruchen muss, um die Verständigung als Willen Gottes auszusagen. Die Person, die eine solche Theologie betreibt, behauptet ein Wissen, das über den jeweiligen inneren Zusammenhang der beteiligten Religionen hinausgeht. Damit aber wird sie zur Kraft der Promulgation einer neuen Religion der Religionen, bzw. im monotheistischen Zusammenhang, einer Religion der Schriftreligionen.

10 Vgl. den Beitrag von D. Krochmalnik in diesem Band. Es sei noch darauf verwiesen, dass diese Begründung nur für das Gespräch von Judentum, Christentum und Islam funktioniert und bereits an dem weitergehenden Verständnis eines globalen Religionsgesprächs scheitern muss.

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3. Theologische Wahrheits‑ und Einheitskonstrukte Welche Funktion hat die Theologie im Hinblick auf die religiöse Gewissheit der Glaubenden? Wie spiegelt sich der Wahrheitsanspruch des Glaubens in theologisch-wissenschaftlichen Aussagen, die sich reflexiv auf den Glauben beziehen? Kann die Wahrheit (der religiösen Lehre) direkt in die Theologie überführt werden? Hier wird der Vorschlag gemacht, dass die Wahrheit der Lehre, die systematisch geordnet und von Widersprüchen befreit wird, eine erste Stufe der reflexiven Beschäftigung mit dem Glauben repräsentiert, während die Theologie als Wissenschaft auf einem eigenen Wahrheitsverständnis beruht, für das der religiöse Wahrheitsanspruch (und der der systematisierenden Form von Theologie) nur als Ausgangsgegenstand fungieren. Die wissenschaftliche Theologie geht von der Wahrheit religiöser Überzeugungen nicht in einem direkten inhaltlichen Sinn aus, sondern in der reflexiven Weise, dass in der Theologie konstruiert wird, welche Funktion die religiösen Aussagen für das Funktionieren der religiösen Gewissheit hat. Objektive Wahrheit ist nicht das inhaltlich entscheidende Moment an religiösen Aussagen (das in der Theologie aufgenommen würde), sondern die Wahrheit innerhalb des Funktionierens religiöser Überzeugungen. Das heißt, religiöse Aussagen sind in dem Sinn wahr, dass sie für den Glaubenden beschreiben, woran er glaubt. In der theologischen Konstruktion dieser gemeinten Wahrheit der Aussagen gilt es verstehend darzustellen, welche Funktion die Aussagen für das interne Funktionieren religiöser Sprachspiele besitzen. Ist Gott ein möglicher Einheitspunkt verschiedener Religionen und Theologien? Historisch gesehen gilt, dass der jüdische Gott selbstverständlich der Gott Jesu ist, so wie er danach auch der Gott der Christen ist. Wie ist es dann möglich, dass sich Judentum und Christentum trennen? Handelt es sich nur um einen kontingenten historischen Betriebsunfall, den man den politischen Umständen und Notwendigkeiten des römischen Reichs anlasten und in einen langen Prozess über drei Jahrhunderte auflösen kann? Als Schwierigkeit ergibt sich dann, dass eine letzte Differenz zwischen Judentum und Christentum (in religiöser und theologischer Hinsicht) nicht aufrechterhalten werden kann. Aber ist nicht das Offenlassen der Differenzfrage (oder ihre untergründige Verabschiedung) selbst schon ein übergriffiges theologisches Manöver? Wird die anzuerkennende Eigenständigkeit des Judentums nicht gerade dadurch aufgelöst, dass die Grenzen historisch und systematisch minimiert werden? Deshalb ist darüber hinaus systematisch zu argumentieren: Dies geschieht in Religionstheologie der letzten 50 Jahre insbesondere in Form der – von Hick gerade als Fundament einer möglichen Theologie der Religionen behaupteten – Ansicht, dass eine transzendente letzte Wirklichkeit der gemeinsame Bezugspunkt aller Religionen ist. (Hicks Position erklärt sich aus der Suche nach einer Überwindung des vermeintlich exklusivistischen Religionsverständnisses der Wort-Gottes-Theologie.) Über diese Wirklichkeit kann inhaltlich nichts ausgesagt werden, außer dass sie eben

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hinter den inhaltlichen Differenzen der verschiedenen Religionen existiert.11 Der Religionstheologe verschafft sich die denkende Anerkennung des ‚Religionshaltigen‘ an allen Religionen über diese Voraussetzung. Sonst wären Religionen nur Gebilde der produktiven Einbildungskraft des Menschen. Diese Auffassung ist zu kritisieren: Indem sich der Religionstheologe der Wahrheit der Religionen über ein Konstrukt nähert, dass jenseits aller Inhalte der Religionen liegt (es handelt sich ja gerade nicht um ‚Gott‘!), kann er nicht zeigen, dass die Wahrheit der Religionen mit dem von ihm konstruierten Einheitspunkt identisch ist. Das Problem zeigt sich theologisch daran, dass die Religionen gerade an der Wahrheit des jeweiligen Offenbarungsträgers, mithilfe dessen in ihnen von der ‚letzten Wirklichkeit‘ gesprochen werden kann, festhalten bzw. von ihr überzeugt sind, während Hick (bzw. der Religionstheologe der ‚letzten Wirklichkeit‘) an dieser Stelle die Wahrheitsfrage sistiert bzw. auf die Ebene des theologischen Hintergrundkonstrukts ‚letzte Wirklichkeit‘ schiebt. Die Wahrheit des Religionstheologen ist deshalb eine andere als die der Religionen selbst, sie liegt nicht in der Selbstverständigung der jeweiligen Religion mittels ihrer Inhalte, sondern einzig in dem religionstheologischen Konstrukt selbst. Die Einheit des Religionsbegriffs liegt deshalb nicht in der vermeintlichen (und von Hick als ‚Fortschritt‘ beanspruchten) ‚theologischen‘ Anerkennung der Existenz von Transzendenz, sondern nur in der begrifflichen Konstruktion selbst. Die Religionstheologie kann deshalb noch nicht einmal die religiöse Bedeutung von Wahrheit klären, sondern ersetzt die gegenständliche Wahrheitsbeanspruchung der Religionen durch einen selbstkonstruierten Metagegenstand. Kann man hingegen die Einheit der Religionen über einen anthropologisch allgemeinen Religionsbegriff begründen? Die anthropologische Grundlegung der Religion hat seit der Aufklärung mit einem strikt allgemeinen Konzept gearbeitet: Alles menschliches Selbstbewusstsein ist in seinem Grund notwendig auf die Idee Gottes bezogen. Damit kann alles menschliche Bewusstsein als religiös in Anspruch genommen werden. Die Religionen werden zu kontingenten historischen Ausdrucksformen, in welchen sich das Bewusstsein von der allgemeinen religiösen Fundierung seiner selbst Rechenschaft ablegt. Wieweit solche religiöse Erfahrung auf einen ‚gegenständlichen‘ Erfahrungsgrund bezogen bleiben muss, ist dann gleichsam nur eine Spielart zwischen konsequenter Transzendentalphilosophie und ihrer ontologischen Abbiegung.12 Die 11 Perry Schmidt-Leukel hat das Einheitskonzept Hicks aufgenommen und verändert, indem er Theologie als (notwendig eine) Wissenschaft von der einen universalen Wirklichkeit versteht. Damit werden theologisch mittelalterliche Deutungsansprüche über das Ganze der Welt perpetuiert. Vgl. ders., Interreligiöse Theologie und die Theologie der Zukunft, in: Interreligiöse Theologie. Chancen und Probleme, hrsg. v. R. Bernhardt/P. Schmidt-Leukel, Zürich 2013, S. 23–42. 12 Vgl. (mit Bezug auf Troeltschs „realistische Option in der Religionsphilosophie“) J.  Lauster, Die Selbständigkeit der Religion, in: Aufgeklärte Religion und ihre Probleme:

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Berufung einer solchen ‚liberalen‘ Theologie auf Schleiermacher bleibt ebenso unbestimmt und inkonsequent wie das Changieren zwischen Erfahrung, Erlebnis, Erfahrungsgegenstand bzw. Erlebnisgrund und auch zugleich immer zugestandener ‚Deutung‘. Der anthropologische Ausgangspunkt einer solchen Theologie kann sich seiner behaupteten Allgemeinheit nicht ohne metaphysische Anleihen versichern, umgekehrt wird jede Kritik an Ontologie und Metaphysik immer durch den Verweis auf Kantrezeption abgewiesen. Schleiermacher verbindet das Konzept mit einer pluralistischen Identitätsermöglichung: Alle historischen Religionen sind fundiert in einem Ursprungs‑ und Stiftungsgeschehen, welches sie in der weiteren Entwicklung trotz aller möglichen Veränderungen prägt. Die ideale Religion reflektiert dabei in ihrem inhaltlich bestimmten Identitätskern die Struktur des anthropologischen Grundlegungsgedankens. Die Geschichte der Religionen ist als reflexive kritische Entwicklung dorthin angelegt. Das Konzept funktioniert, wie man an der umfassenden menschheitsgeschichtlichen Religionsentwicklung sehen kann, nur aufgrund der Voraussetzung, dass Religion allgemein ist, jeden betrifft und in jeder denkbaren menschlichen Kultur und Gesellschaft ihren entsprechenden Ausdruck findet. Doch ist genau diese Voraussetzung im 20. Jahrhundert brüchig geworden. Religiöse Freiheit muss nicht nur die Wahl der Religion, sondern auch die Möglichkeit einer ernsthaften Wahl von Nichtreligion oder Säkularität umfassen. Geht man theologisch von einer notwendigen religiösen Grunderfahrung des Menschen aus, muss man dem Problem atheistischer Selbstauffassung von einem überwiegenden Teil der Bevölkerung europäisch-westlich-industrialisierter Länder ausweichen oder im Modus der Behauptung daran festhalten, dass solche Menschen wider besseres Wissen oder nur aufgrund mangelnder Selbstauffassung sich als nicht-religiös bezeichnen. Ein Religionskonzept – auch das Religionskonzept der Religionstheologie – muss von sich her so angelegt sein, dass es theoretisch ermöglicht, dass Menschen vollwertige Menschen sind, wenn sie ohne Religion ihr Leben deuten, und dass Gesellschaften vollwertige und in sich selbst begründete Gesellschaften sind, wenn sie Religion nur als kontingenten Teil der in ihr lebbaren kulturellen Möglichkeiten begreifen. Damit entfällt die Möglichkeit, Menschsein oder Gesellschaft im Rahmen einer allgemeinen christologischen Wahrheit zu verstehen bzw. umgekehrt, die christologische Wahrheit als Ausdrucksgestalt einer allgemeinen, allgemeinmenschlich notwendigen Erfahrung oder grundlegenden Struktur des Bewusstseins zu interpretieren. Denn dies unterläuft die Kontingenz historischer Erscheinungen und deutet damit religiöse Gewissheit als Bestätigung gedanklicher Konstruktion bzw. bemächtigt sich umgekehrt der historischen Größe Jesus von Nazareth mittels einer starken Realisierungsbehauptung für Ideen. Die Schleiermacher, Troeltsch, Tillich, hrsg. v. U. Barth/C. Danz/F. W. Graf/W. Gräb, Berlin 2013, S. 431–448, hier: S. 443.

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Bestimmtheit der Religion wird durch einen verschärften Reflexionsdruck mit der religiösen Grunderfahrung verbunden: Die Theologie selbst ist der Ort, an dem die Struktur der religiösen Erfahrung mit dem Symbolbestand der christlichen Religion (Trinität, Christologie, Pneumatologie, Eschatologie) verbunden wird. Die Theologie funktionalisiert damit religiöse Aussagen, ohne ihren hermeneutischen Eigenwert, also ihre inhaltliche Funktion als Konstituenten religiösen Sinns, zu berücksichtigen. Religionstheologie auf Erfahrungsbasis wird dann zum Streit darüber, welche bestimmten religiösen Traditionen diese innere Basis am besten zum Ausdruck bringen. Hier sind der interpretatorischen Willkür keine Grenzen gesetzt, wie ja auch Theologen anderer Religionen jederzeit entsprechende Deutungen ihrer Religionen verfassen können, wie z. B. die jüdische Religionsphilosophie aus kantisch-idealistischer Philosophie zeigt oder die spinozistischen Anklänge universalistischer islamischer Religionsphilosophien.

4. Einheit in dem Geschehen differenter Offenbarung? Die Debatten in der Theologie der Religion seit John Hicks Kritik an der theologischen Absolutsetzung der Christologie dreht sich um das Erkanntwerdenkönnen der (behaupteten) Transzendenz mit Hilfe der (klassisch gesprochen) ‚Zentralsymbole‘ der einzelnen Religionen. John Hick hatte im Sinne des ‚Gottes über Gott‘ (Tillich) die generelle Differenz zwischen religiösem Symbol (also auch der monotheistische Gott selbst) und der (in allen Religionen selbst nicht direkt repräsentierten) Wirklichkeit der Transzendenz behauptet. Gegen Hick ist zu Recht eingewendet worden, dass die Differenz nicht der Sicht der Religionen selbst entspricht, die ja nicht auf die eine Wirklichkeit hinter den Symbolen bezogen sind, sondern zentral die Identität von Transzendenz und (symbolischem) Offenbarungsträger behaupten. Gerade daran hängt der Wahrheitsanspruch der Religionen.13 Es fragt sich aber, wie die Anerkennung dieses (an der jeweiligen inhaltlichen Offenbarung hängenden) Wahrheitsanspruchs mit der ‚Theologizität‘ der Theologie zu verbinden ist. Denn die zweite Intuition der Religionstheologie (neben der einen Wirklichkeit, die alle Religionen umfasst) war ja die von der Differenz von Theologie und Religionswissenschaft im Umgang mit den pluralen Religionen. Theologie der Religionen beschreibt im Gegensatz zur Religionswissenschaft nicht nur den Anspruch jeder Religion, mit ihren Symbolen Transzendenz erfasst zu haben, sondern geht von der Berechtigung dieses Anspruchs aus, ja versucht ihn gedanklich selbst erst herzustellen. Reinhold Bernhardt hat immer wieder sein Projekt einer wechselseitigen Aufnahme des Wahrheitsmoments anderer Religionen in die eigene 13 So könnte man die inhaltlichen Absolutheitsbehauptungen für Christus (wie in der Kritik von Gäde) religionstheologisch-allgemeingültig reformulieren.

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Symboltradition beschrieben.14 Allerdings lässt sich, so mein Einwand, auch hier nicht zeigen, dass die Anerkennung der anderen Religionen auf der Ebene der Religionen selbst zum Zuge kommen könnte und nicht nur ein Produkt der Betrachtung auf höherer Ebene (in der religionstheologischen Theorie) bleibt. Versucht man, das Problem von Transzendenz und Offenbarung im Diskurs der Religionstheologie auf den Begriff zu bringen, so bieten sich als Durchgang jene theologischen Denkversuche an, die gedanklich die Struktur der Offenbarung als Identität von Offenbarer und Offenbarsein zu beschreiben versuchen.15 Hier wird ein Sein Gottes vor und außerhalb seines Sichselbstoffenbarens abgelehnt. Das Ereignis dieser Selbstoffenbarung wird damit zum Ersatz der klassischen Transzendenzidee, denn (so der anzuerkennende Einwand unter nachkantischen Bedingungen) diese kann nicht an sich selbst erkannt werden, jede Rede von ihr wird zum unbegründeten Postulat. Glaube als das Sichereignen der Transzendenz in der Welt (oder im Menschen) ersetzt in dieser theologischen Theoriebildung den modernen allgemeinen Religionsbegriffs. Denn die Erschließung wird nicht in einem gegebenen (religiösen) Vermögen des Bewusstseins als begründet gesehen, sondern sie wird als vollzugsgebundenes, in sich kontingentes, aber empirisch unbestreitbares Geschehen gesetzt. Der Gottesgedanke selbst wird zum Ort der Deutung dieses Geschehens, indem das Erschließungsgeschehen als Struktur der Transzendenz selbst gedacht wird. Nicht der Offenbarungsträger als festes Symbol, sondern seine Funktion, an ihm das Ereignen der Transzendenz im menschlichen Bewusstsein strukturiert bewusst machen zu können, ist der Gegenstand der Theologie. Damit wird die Christologie aber aufgewertet: Sie kann nicht als beliebiger Inhalt von dem Offenbarungssymbol unter vielen Religionen gesehen werden, sondern sie wird hermeneutisch zum Ort der Beschreibung dessen, wie Religion funktioniert. Transzendenz und Offenbarung werden in einem Symbol (Jesus Christus) zusammengedacht, welches zugleich das kontingente Ereignis von Glauben wie die Struktur dieses Glaubens zum Ausdruck bringt. Aus dem beschriebenen Weg der Religionstheologie ergibt sich, dass das Problem von allgemeinem Religionsbegriff und je spezifisch symbolischer Wahrheitsbeanspruchung iteriert. Denn verbindet man den Gottesbegriff mit der Offenbarung im bestimmten religiösen Symbol  – hier Christus  –, um damit dem Wesen der religiösen Transzendenz in ihrer Bedeutung für den Glaubenden näher zu kommen, dann wird das spezifische Symbol zum Träger einer allgemeinen Struktur. So wie ein Gott über Gott müsste dann das Christusprinzip (aller Religionen) von dem bestimmten Christus (der christlichen Religion) unterschieden werden können. Man könnte also sagen, dass alle Religionen christologisch verfasst sind, aber alle ihren ‚Christus‘ je anders nennen. Geht man 14 Vgl. R. Bernhardts Beitrag in diesem Band sowie zusammenfassend ders., Inter-Religio. Das Christentum in Beziehung zu anderen Religionen, Zürich 2019. 15 Vgl. E. Jüngel, Thesen zur Grundlegung der Christologie (1969/70), in: ders., Unterwegs zur Sache. Theologische Erörterungen I, Tübingen 32000, S. 274–295.

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dann den Schritt der Gegenseitigkeit weiter, dann würde das Christusprinzip (also die Verbindung von Transzendenz mit Offenbarungssymbol) in jeder der Religionen wieder einen anderen Träger haben können, die Religionen würden also das Sichoffenbaren von Transzendenz unter den Bedingungen des menschlichen Bewusstseins je in ihrer eigenen Fassung absolut setzen und die anderen Religionen als Zeichen desselben Prozesses deuten. In einem nächsten Schritt müsste dann, um dem Wahrheitsanspruch der Religionen entgegenzukommen, das Offenbarsein der Transzendenz (also das Christusprinzip) von sich selbst her an den Offenbarungsträger gebunden werden, wie es z. B. in den trinitarischen Begründungen der Wort-Gottes-Theologien in weiteren Stufen (ökonomisch/ immanent) versucht wird. Die Wahrheitsbeanspruchung der einzelnen Religion hängt nach der theologischen Grundbehauptung der Religionstheologie (der vorausgesetzten Realität oder ‚Objektivität‘ von Transzendenz) eben an der Meinung, in den bestimmten Symbolen der eigenen Religion diese Transzendenz wahrhaftig zu haben: Ausdrucks-, Pluralitäts‑ oder Anerkennungskonstrukte sind reflexive Einsichten in das Funktionieren von Religion, aber nicht Bestandteil dieser selbst bzw. ihres religiösen Selbstbewusstseins. Die Religionstheologie müsste, wenn sie sich konsequent als Religionstheologie und nicht als Religionswissenschaft verstehen will, alle Religionen darauf festlegen, in sich die Allgemeinheit des Gottesgedankens (oder überhaupt eine religiöse Einheit) auch jenseits ihrer bestimmten Traditionen und Symbole (als in ihnen gemeint) anzuerkennen. Die religionstheologisch für das Christentum diagnostizierte und geforderte Fähigkeit, nicht exklusivistisch auf dem eigenen Offenbarungsträger zu beharren, wird auf die anderen Religionen übertragen. Es fragt sich, wie die behauptete Anerkennung der anderen Religionen als gleichwertige ‚Religion‘ mit der Möglichkeit zusammengedacht werden kann, dass andere Religionen exklusivistisch bleiben wollen, d. h. den Überschritt von der bestimmten eigenen Tradition auf das Allgemeine nicht mitmachen wollen. Die Theologie der Religionen erkauft sich die Allgemeinheit der spezifisch theologischen (also nicht z. B. religionswissenschaftlichen) Zuständigkeit für die plurale Religionswelt also nur vordergründig durch den Ausgang von dem universalen Gedanken Gottes. Damit an der Universalität festgehalten werden kann, muss sie jederzeit mit einer funktionalen Selbstdurchsichtigkeit der einzelnen Religionen verbunden werden. Allerdings weigert sich die Religionstheologie, diese funktionale Zumutung an die Religionen auch als solche auf den Begriff zu bringen. Das Allgemeinheitskonstrukt eines theologischen Religionsbegriffs ist deshalb aufzugeben und eine theologische Hermeneutik des Selbstverständnisses der Religionen zu formulieren, die es erlaubt, auch exklusivistische Ansprüche auf Wahrheit eben als religiöse Wahrheit gelten zu lassen (und sie nicht zu hintergehen oder einzufangen).16 16 Eine

hermeneutische Kritik einer Konstruktion, nach welcher Theologien die Wahrheit

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Zugleich bedeutet dies, dass das Beharren der einzelnen Religion auf ihrem jeweiligen Offenbarungsträger als absolute Wahrheit nicht einfach theologisch in die allgemeine Struktur ‚Gottes Offenbarmachen‘ eingeschrieben werden kann. Denn damit wird (theologisch) eine Allgemeinheit beansprucht, die die Selbstdeutung der einzelnen Religion außer Kraft setzt. Im Christentum kann als letzte Funktion der Christologie beschrieben werden, dass sie die Anerkennung der Kontingenz der (selbstbezüglichen und so in sich absolut funktionierenden) Glaubenskommunikation zum Ausdruck bringt. Indem sich der Glaube auf den Namen Jesus Christus bezieht (Karl Barth) (und damit gerade jede religionsphilosophische Allgemeinheitsableitung ablehnt), beschreibt er die Kommunikation, in der er selbst existiert, als unableitbar. Das Funktionieren religiöser Hermeneutik an den durch Tradition gesetzten Gehalten ist nicht begründet und nicht begründbar, es entsteht aus sich selbst heraus. Wieder verdeutlicht die christliche Fassung der Christologie, also die Bindung des Offenbarungsträgers an Sein und Wesen Gottes, dass sich die Kontingenz nicht auf die historische Form der bestimmten Religion bezieht (womit die allgemeine religiöse Wahrheit immer noch theologisch vorausgesetzt bliebe), sondern auf die Kontingenz der je eigenen religiösen, also in diesem Fall christlichen, Rede im Ganzen. Indem in der religiösen Vorstellung sich Gott an Christus bindet und dem Menschen in der Gestalt des gekreuzigten Gottessohnes begegnet, unterwirft er sich selbst dem Weg von Kreuz zu Auferstehung, nimmt also die historische Kontingenz direkt in die religiöse Deutung mit hinein. So kann sich die Absolutheit der Religion in ihrer Selbstauffassung für den Glaubenden unmittelbar mit dem Eingeständnis ihrer Kontingenz als Religion, als bestimmte und von anderen unterscheidbare Sprachform menschlicher wirklichkeits‑ und sinnkonstituierender Rede, verbinden. Die Theologie bezieht sich nur auf die bestimmte Religion und deren Funktionieren in ihrer Kontingenz, die christliche Theologie also auf die Verbindung des Gottesgedankens mit der religiösen Erinnerung an die Verkündigung Jesu und den von ihm ausgehenden Geist der Gemeinde. Die christliche Theologie konzipiert das Gelingen dieser spezifischen religiösen (nämlich christlichen) Rede, weil sie nur dies beschreiben kann, ohne untheologische, nämlich philosophisch oder anthropologisch allgemeine Konstruktionen mit der Beschreibung des Funktionierens der Glaubensrede zu vermischen.

des Glaubens außerhalb des Glaubens (aus einer Metaperspektive) konstruieren und dann um die Wahrheit konkurrieren, hat zugunsten einer Anbindung der Theologie an die Erlebnissituation als unhintergehbares Erschließungsgeschehen Johannes Fischer formuliert. Vgl. ders., Christlicher Wahrheitsanspruch und die Religionen, in: Theologie der Religionen. Positionen und Perspektiven der evangelischen Theologie, hrsg. v. C. Danz/U. H. J.  Körtner, Neukirchen-Vluyn 2005, S. 187–203.

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5. Zur christologischen Denkbarkeit radikaler Pluralität von Religion Mit einer in dieser Weise verstandenen Theologie wird eine tatsächliche Anerkennung der Pluralität von Religionen möglich. Denn ‚Religion‘ selbst wird nicht auf einen einheitlichen Begriff festgelegt, sondern von dem jeweiligen Selbstverständnis der einzelnen ‚Religion‘ abhängig. Wenn gesagt werden kann, dass das Judentum eine ‚Religion sui generis‘ darstellt (Edna Brocke), gilt dies für jede Religion. Die Funktion des inneren Sinns des kommunikativen Symbolsystems der jeweiligen Religion ergibt sich aus dessen Selbstdeutung und aus der Tradition, mit der in der Geschichte das jeweilige heutige Selbstverständnis geworden ist. Abgrenzung gegen andere Weisen der (sprachlichen) Herstellung von Wirklichkeit geschieht durch kulturelle Prozesse der Ausdifferenzierung (oder deren Verweigerung). So erkennt jede Theologie an, dass sie sich nur innerhalb ihrer jeweiligen Tradition auf ‚ihre‘ Religion beziehen und für sie Aussagen reflexiver deutender Art treffen kann. Eine Theologie religiöser Rede, wie sie hier für das (evangelische) Christentum formuliert wird, ergibt sich aus der Tradition der wahrheitsbezogenen, die innerreligiöse Religionskritik weitertreibenden kritischen Theologie seit der Aufklärungszeit. Sie hält damit christliches Selbstverständnis und wissenschaftliche Reflexion zusammen. Sie bezieht sich auf den evangelischen Glauben unter gegenwärtigen Bedingungen, behauptet aber nicht, darüber hinaus etwas inhaltlich über Wahrheit oder Geltung anderer oder gar aller Religionen sagen zu können. Dabei kann sie in einer abstrakten Weise die Wahrheit anderer Religionen, weil sie offensichtlich in sich irgendwie funktionieren, zugestehen, ohne aber erklären zu können, wie dies inhaltlich geschieht. Ein allgemeiner Religionsbegriff kann nur durch Abstraktion von der tatsächlichen Sinnhaftigkeit des in der jeweiligen Religion Gemeinten entstehen. Differenzen zwischen den Religionen ergeben sich durch ihren Ort in der Geschichte und durch ihre Tradition, sie sind nicht durch übergeordnete Konstrukte auflösbar, sondern nur durch langsame Verschiebungen innerhalb der jeweiligen Traditionen. Damit wird theologisch zu einer stärkeren Berücksichtigung differenter Selbstdeutungen aufgerufen, ohne die Möglichkeit einer Annäherung oder sogar ‚Wiedervereinigung‘ ausschließen zu wollen. Insbesondere wird die Möglichkeit theologisch bedacht, dass andere Religionen in sich anders funktionieren als die eigene und deshalb Anerkennungsprozesse nicht gegen den eigenen Willen der anderen verallgemeinert werde dürfen. Identitätsorientierte Selbstdeutungen und entsprechende Abgrenzungstendenzen sind ebenso anzuerkennen (und zwar: als religiöse Sinnlieferanten) und nicht nur als durch eine interreligiöse Theologie einzuhegendes oder gar zu überwindendes ‚Ungleichzeitiges‘ zu betrachten. Religionstheologie sollte nicht nur von einer Pluralität der Religionen als gegeben ausgehen, um dann ihre Einheitsvisionen darauf aufzubauen, sondern

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sie sollte positiv erklären können, wie die Existenz verschiedener Religionen möglich ist. Hick hat dazu (in Form einer ‚religionserkenntniskritischen‘ Kantrezeption) den Vorschlag gemacht, die kulturellen Prägungen der Völker als jeweilige ‚Kategorien‘ der Wahrnehmung der Transzendenz zu verstehen.17 Damit ist nichts geholfen, denn die kulturellen Prägungen sind nicht mit der Allgemeingültigkeit von Kategorien vergleichbar und stellen auch nicht die Objektivität und Einheit der Transzendenz sicher. Die einheitsgestützte Religionstheologie scheint es im Folgenden aufgegeben zu haben, überhaupt darüber nachzudenken, wie die Identität von Religionen im Wandel verstanden werden kann. Schleiermacher hatte an dieser Stelle ein religionsgeschichtliches Modell vorgelegt, das auf den verschiedenen Ursprungserfahrungen der einzelnen Religionen aufbaut und von hier aus historisch ihre Identität in der Geschichte bestimmt. Da er der Meinung war, dass alle Menschen religiös sind, sah er sich dabei nicht genötigt, in der jeweiligen historischen Ursprungserfahrung Religion überhaupt erst zu begründen. Die historische Ableitung des Christentums aus Jesus Christus und seiner anthropologischen Besonderheit konnte deshalb sowohl als kontingent als auch als reflexiv begründet (insofern im Auftreten Jesu der Erlösungsgedanke vollständig erfasst wird) angesehen werden. Die christologische Besetzung des (wahren) Religionsverständnis in der dialektischen und hermeneutischen Offenbarungstheologie des 20. Jahrhunderts (auch in ihrer theologisch-universalhistorischen Variante bei Pannenberg) hat diese Begründungsleistung der Christologie deutlich verschärft, indem in der Differenz von beginnender Christusreligion und allen anderen Religionen (auch dem Judentum) die Wahrheit von Religion überhaupt als Weise der (einzigen) Selbstoffenbarung des (wahren) Gottes grundgelegt (und eschatologisch über die ganze Wirklichkeit ausgebreitet) werden musste. Die christologische Fassung des eigenen Religionsverständnisses im Christentum kann aber weder darüber hinwegsehen, dass die Jesusreligion im Kontext des Judentums und als jüdische Religion entsteht. Noch darüber, dass Identitätsgrenzen der Religionen nicht substanziell aufzufassen sind, sondern der historischen Bearbeitung und Abarbeitung fähig sind. Differente Konfessionen wie Religionen könn(t)en im Laufe der Geschichte wieder zueinander finden. Das ist auch gegenüber dem Judentum nicht kategorisch auszuschließen, wie umgekehrt auch (und gerade hier) im Verhältnis die Sicht auf die Differenz von der anderen Seite ernstzunehmen ist und gerade auch nicht zugunsten ‚höherer‘ Ziele (Frieden, Gerechtigkeit, Sozialfähigkeit etc.) einfach überspielt werden darf. Die 17 Vgl. J. Hick, Gott und seine vielen Namen, Frankfurt a. M. 2001, S. 116: „Fragt man sich, was hierbei eine analoge Rolle spielt wie die Zeit im Schematismus der Kategorien Kants, dann handelt es sich meiner Meinung nach um das Kontinuum jener historischer Faktoren, die unsere unterschiedlichen religiösen Kulturen hervorgebracht haben. Es sind die Veränderungen in den kulturellen Gegebenheiten der Menschen, die den Begriff der Gottheit als spezifische Gottesbilder konkretisieren.“

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Christologie in ihrer christlichen Fassung muss deshalb davon ausgehen, dass sie auf dem Hintergrund bereits gegebener (und natürlich wahrer) religiöser Kommunikation (nämlich in der Religion des seinerzeitigen Judentums, wie es sich in dem Bezug auf die gesammelten Schriften versteht) steht und dass sie diese in einer bestimmten Weise hinsichtlich ihres Selbstverständnisses weiterentwickelt. Auf der anderen Seite bedeutet dies, dass nach der Trennung der beiden Religionen ihre Differenz nicht mehr durch übergeordnete (theologische) Einheitskonstrukte aufgelöst werden kann, sondern nur durch jeweils interne Transformation. Eine Theologie, die sich als reflexive hermeneutische Theologie der jeweils bestimmten religiösen Kommunikation im Ganzen versteht und sowohl differente Funktionen der Religionen im Ganzen als auch die mögliche historische Veränderung des kommunikationsbedingten funktionalen Selbstverständnisses der Religion mitbedenkt, scheint mir an dieser Stelle leistungsfähiger zu sein als gegenständliche, realitätsbezogene, identifizierende Religionsverständnisse.18 Mit der Christologie des Christentums, die auf die Dauer zur historischen Ausprägung einer eigenen Religion führt, verändert sich selbstverständlich auch das Verständnis dessen, was überhaupt Religion ist – gerade im Bezug zu parallelen Entwicklungen im Judentum, die ebenfalls eine eigene Auffassung von ‚Religion‘ religionsintern durchsetzen. Damit kann die Funktion der Christologie für den Vergleich der Religionen dargestellt werden, wie sie sich vom Standpunkt einer Theologie religiöser Rede darstellt. Einerseits soll der historische  – nicht dogmatische, wie in der bisherigen Religionstheologie – Zusammenhang mit dem Gottesglauben im Alten Testament bestehen bleiben. Andererseits soll die Christologie eingebaut werden in die zentrale Auskunft darüber, was das Christentum als eine besondere Form von Religion (eine Religion sui generis) ausmacht. Dabei ist davon auszugehen, dass die theologische Begründung für die christliche Religion nicht deren unmittelbarer Selbstauffassung folgen kann, nach der der allgemeine Gott sich selbst in seiner Selbstoffenbarung ausschließlich an Christus bindet. Damit würde der Religionscharakter des Judentums (wie auch aller anderen Religionen) in Frage gestellt. Auf religiöser Stufe ist die Selbstzuschreibung der eigenen Wahrheit unproblematisch, weil das religiöse Subjekt (als religiös deutendes) damit nicht zugleich die Behauptung aufstellt, andere Religionen seien unwahr. Vielmehr schwebt die naive Absolutheit jeder Religion unmittelbar in sich selbst, wie sie überhaupt das, was für sie Religion ist, nur von sich aus versteht. Erst die Einmischung von theologisch-reflektierter ‚Wahrheit‘ bzw. Verallgemeinerung des unmittelbaren religiösen Evidenzgeschehens führt zu einer 18 Damit ist zugleich ein inhaltlicher Streit über je religionsinterne Einheitskonstrukte ausgeschlossen, wie z. B. über die inhaltliche Fassung der (christozentrischen oder theozentrischen) Eschatologie. Davon einmal abgesehen, dass solche inhaltlichen Probleme die hermeneutischen (eigenen theologischen!) Entwicklungen innerhalb der christlichen Eschatologie außer Acht lassen.

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ausgesprochenen und beurteilenden Abwertung anderer Religionen. Zusätzlich ist die mögliche Funktion von messianischen Christologien innerhalb der apokalyptischen Strömungen offenzuhalten, die um die Zeitenwende weite Teile des jüdischen Glaubens prägen. Die Christologie innerhalb des Christentums wird, wenn sie diese Bedingungen erfüllen soll, theologisch verstanden als eine bestimmte Erweiterung des alttestamentlichen Gottesglaubens, die den Charakter von ‚Religion‘ (nämlich innerhalb des Christentums) neu bestimmt, ohne damit einen allgemeinen Religionsbegriff festsetzen zu wollen. So kann theologisch problemlos zugestanden werden, dass daneben andere Religionen und verschiedene Richtungen der Religionen denselben Gottesglauben auf ihre Weise fortsetzen und damit sich grundsätzlich anders weiterentwickeln. Die Einfügung des Christusbekenntnisses in die religiöse Rede stellt eine eigene Weise religiöser Rede her, die nicht Religion im Ganzen definiert (oder durch einen allgemeinen Religionsbegriff definiert ist), sondern nur sich selbst als eine eigene Weise der Weiterentwicklung und Selbstbestimmung religiöser Rede begreift. Damit wird die radikale Pluralität von in sich selbst wahrheitsbezogenen Religionen ermöglicht, indem zugleich an dem Wahrheitsanspruch der Christologie innerhalb der christlich-religiösen Rede festgehalten wird. Die theologische Rekonstruktion des Sinns des Christusbekenntnisses fasst dieses als notwendiges Moment der Selbstdurchsichtigkeit der spezifisch christlich-religiösen Rede auf. Damit definiert das Christusbekenntnis im Christentum das, was (in ihm) als Religion verstanden wird. Es versteht sich selbst also nicht bloß als eine historische Varietät der allgemeinen menschlichen Religion. Die Entstehung der christusgebundenen Weise der religiösen Rede ist nicht begründbar, sondern als kontingent zu betrachten. Dadurch wird jeder Versuch verhindert, Christus in allgemein-religiöser Weise als (einzig wahre) Offenbarung Gottes zu behaupten. Diese religionstheologische These dient dazu, die Göttlichkeit Christi in der christlich-religiösen Rede zu ermöglichen, ohne damit eine über das Christentum hinausgehende Behauptung über das Sein Gottes aufzustellen. Die Entstehung des Christentums wird nicht in einer übergeordneten Wahrheit des Christusbekenntnisses begründet, sondern als Ergebnis einer Ausdifferenzierung und Entwicklung der Religion gesehen. Das Christentum ist historisch gesehen eine Weiterentwicklung innerhalb der jüdischen Religion. Die grundlegende Idee dieser Funktion der Christologie, wenn sie innerhalb einer theologischen Theorie religiöser Kommunikation formuliert wird, die als Ausgangspunkt für das theologische Denken gelten soll, besteht darin, dass in Bezug auf die Person Jesu Christi  – seine Verkündigung Gottes, des hereinbrechenden Gottesreichs und seinen Aufruf zur Umkehr – der Gottesgedanke erweitert wird. Nicht nur der Bezug auf Gott und die Tradition, innerhalb derer von Gott religiös geredet wird, bestimmt den religiösen Charakter der Glaubensrede. Sondern durch den erinnernden Bezug auf die Verkündigung Jesu (innerhalb der Religion als des religiösen Verstehens der Rede von Gott) wird der

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Charakter der Verkündigung, sich in personaler Weise dem Angesprochenen zuzuwenden und ihn zu einer personalen Aneignung anzuregen, in den sinnhaft die Religion bestimmenden Gottesbezug mit aufgenommen. Dass Jesus mit Vollmacht Gottes Wort verkündet und damit das Gottesreich auf Erden bereits verwirklicht, ist nicht als bloß verschiedene Realisierungsweise des gleichen Gottesgedankens zu lesen, sondern als Veränderung der Weise, wie innerhalb der religiösen Rede mit Bezug auf den Gottesgedanken religiöser Sinn hergestellt wird. Man könnte kurz sagen, dass sich Gott verändert, wenn man im Blick behält, dass es sich dabei nur um eine uneigentliche Redeweise handelt, die meint, dass auf theologischer Ebene reflektiert wird, dass sich das Verständnis dessen, was Religion überhaupt ist, verändern kann und tatsächlich verändert. Indem der kommunikative Aspekt religiöser Rede in den Symbolbestand der Religion mit aufgenommen wird, verändert sich die reflexive Sicht der Religion auf das, was sie konstituiert und zur Religion macht. Das Christentum nimmt dabei die messianischen und apokalyptischen Elemente einer Mittlergestalt zwischen Gott und Gottesvolk auf, versteht aber dies nicht als gelingende Vermittlung des gleichen Gedankens, sondern umgekehrt als Veränderung des Seins Gottes in der Einbeziehung des Vermittlungsprozesses. Durch Jesus wird die Vermittlung, also die religiöse Anrede (und zwar in der Gestalt, dass sie nicht bloß religiöse ‚Lehre‘ enthält, sondern die religiöse Intention als innerliche Deutung zwischen Personen zu übertragen versucht) zum Ort des Offenbarseins Gottes. Als Durchgangspunkt einer neuen religionshermeneutischen Reformulierung der Bedeutung der Christologie für das Christentum ist die Kritik aufzunehmen, die seit den 1960er Jahren innerhalb der Theologie geäußert wird.19 Mit Rückbezug auf Tillichs Kreuzestheologie könnte man formulieren, dass die Kritik der klassischen Christologie dem innerreligiösen Wissen verpflichtet ist, dass die Symbolverwendung nicht das gegenständlich ‚Eigentliche‘ der Religion meint, sondern in der Konsequenz der innerreligiösen Religionskritik dahin geführt werden muss, als notwendiges Vehikel des Gottesbezugs sowohl affirmiert wie zugleich radikal negiert werden zu sollen.20 In den verschiedenen Kritikformen der Christologie wird die Existenz des christlichen Gottesglaubens von den verschiedenen traditionell bestimmten Inhalten der Christologie gelöst und die soteriologische Funktion der Christologie als davon ablösbare, eigentlich gemeinte Funktion aller Christusbekenntnisse dargestellt. Die kritische Christologie ist damit zu verstehen als Hinweis auf die innerreligiöse (also spezifisch christliche) Bewusstheit der Funktionalität religiöser Inhalte für das Gelingen von Religion. Sie arbeitet genau diejenige Struktur als Element des Glaubens 19 Vgl.

Danz, Grundprobleme der Christologie. C. Danz, Theologie der Religionen als Differenzhermeneutik. Ihre religionstheoretischen und systematischen Voraussetzungen, in: Theologie der Religionen. Positionen und Perspektiven evangelischer Theologie, hrsg. v. dems./U. H. J.  Körtner, Neukirchen-Vluyn 2005, S. 77–103. 20 Vgl.

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selbst heraus, die in der Religionstheologie nur auf der Ebene der theologischen Deutung behauptet wird, um an der Allgemeinheit der Zuständigkeit der Theologie für die plurale Religionswelt festhalten zu können. Die Suche nach neuen Christusbildern, die die christologiekritische Theologie begleitet, und die Überführung des Christusprinzips in pneumatologische Denkmuster21 verrät, dass auch hier zunächst die Gegenständlichkeit zugunsten der Funktionalität aufgegeben wird, um dann die Funktionalität an die notwendige Bestimmtheit religiöser Überzeugungen zurückzubinden. Im Vergleich von Judentum und Christentum ist davon auszugehen, dass die jeweilige Identität der beiden Religionen nicht durch den theologischen Aufruf eines beiden gemeinsamen Gottes‑ oder Transzendenzbezugs alteriert werden kann (das würde für das Verhältnis zum Islam entsprechend gelten). Der Bezug auf Gott ist in beiden Religionen, ausgehend von ihrem ursprünglichen Zusammenhang, als Marker des religiösen Sinnfelds aufzufassen.22 Der in den monotheistischen Religionen intern beanspruchte ‚Bezug auf Transzendenz‘ beschreibt in direkter Bestimmung die Differenz von religiös kommuniziertem Sinn zu anderen Formen von Sinn‑ und Wirklichkeitsstiftung. Die religiöse Binnensicht erfasst Gott als gegebene Wirklichkeit, weil das Bestehen des religiösen Sinns vorausgesetzt werden muss. Dieses Bestehen kann nicht konstruiert werden, sondern ist in seinem Bezug auf gelingende religiöse Kommunikation kontingent. Religion kann, so ist theologisch zuzugeben, verschwinden. Die Welt und Wirklichkeit des (modernen) Menschen besteht auch unabhängig von der Religion. Alle Ideen einer faktischen und erkennbaren religiösen Fundierung – sei es des Menschseins, sei es der Wirklichkeit – mit universalem Anspruch sind theologisch abzulehnen. Das widerspricht nicht der Selbstauffassung innerhalb der religiösen Kommunikation, in der davon ausgegangen wird, dass Gott Himmel und Erde gemacht und das Leben zum Heil des Menschen bestimmt hat. Es macht vielmehr deutlich, dass diese Aussagen innerhalb der Religion funktionieren, weil der Sinn religiöser Rede davon abhängt, dass solche Aussagen als religiös sinnvoll angesehen werden. Verzichtet die Theologie auf eine ‚realistische‘ Fassung des Gottesbezugs, dann wird es möglich, sich historisch unterschiedlich entwickelnde ‚Religionsauffassungen‘ anzuerkennen, die eine tatsächliche Verschiedenheit dessen meinen, was als ‚Religion‘ jeweils verstanden wird. Die Verschiedenheit dessen, 21 Beispielhaft bei F. Senn, Der Geist, die Hoffnung und die Kirche. Pneumatologie, Eschatologie, Ekklesiologie, Zürich 2009. Vgl. zur Funktion des Geistes für eine nichtchristologische Religionstheologie C. Danz, Gottes Geist, Tübingen 2019, S. 31–39. 22 Es sei darauf hingewiesen, dass das hermeneutische, auf den religiösen Sinn der Kommunikation bezogene Vorgehen der Theologie auch im Hinblick auf solche Religionen funktioniert, die religiösen Sinn über gemeinschaftliches Teilen von Ritualen herstellen. Schleiermachers Ausdrucksverallgemeinerung des gegebenen religiösen Gefühls (in den möglichen Stufen Gestik, Mimik, Tanz, Ritual, Wort, Gesang, Rede, Wissenschaft etc.) ist als innerkommunikative Sinnhaftigkeit des spezifischen Sprachfelds ‚Religion‘ weiterzuführen.

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wie Transzendenz jeweils in der religiösen Kommunikation symbolisiert und gemeint wird, ist nicht bloß kontingenter ‚Ausdruck‘ für dahinterliegende sub­ stantielle Gemeinsamkeit. Das kann damit als ein theologisch unnötiges Kon­ strukt verabschiedet werden. Vielmehr ist es möglich, dass sich das, was mit Gott und Transzendenz gemeint ist, innerhalb der jeweiligen Religion anpasst und verändert. Religion(en) lebt (leben) in ihrem Selbstverständnis (auch) von den Gegensätzen und Ausdifferenzierungen, die durch allgemeine kulturelle Entwicklungen, Fortschritte und gewollte partielle (Re)Entdifferenzierungen hervorgerufen werden. So kann dann die Trennung von Judentum und Christentum  – trotz Anerkennung einer ehemals identischen gemeinsamen religiösen Grundlage – auch in religiöser Hinsicht aus der Entwicklung des jeweiligen Umfelds und der Selbstauffassung als Entstehung differenter Religionen anerkannt werden. Wenn also der Gott der Juden und der Christen einmal ein‑ und derselbe gewesen ist, so heißt dies doch nicht, dass nicht unterschiedliche Entwicklungen zu einem verschiedenen Verständnis dessen geführt haben, was als ‚Gott‘ oder Transzendenz jeweils religiös gemeint ist.

Der Jude Jesus – ‚die Tora in Person‘? Zu einem neueren christologischen Topos im jüdisch-christlichen Gespräch Jan-Heiner Tück „Man darf doch wohl die Frage stellen, ob Christen seit den Tagen Pauli je, in den zweitausend Jahren räumlich-zeitlicher Koexistenz mit dem Volk der Juden, sich von diesem her angeredet und in ihrem Christsein betroffen gefühlt haben. Ob irgendwo auch nur von fern so etwas wie eine dialogische Situation zwischen beiden ‚Völkern‘ bestand, die von den Christen her mehr voraussetzte als einen Willen, den blinden und verstockten Bruder aufzuklären und ihn auf den rechten Weg zu helfen: nämlich die Erwartung, vom lebendigen Juden etwas Lebendiges, nicht nur durch den Buchstaben der Schrift Vermitteltes, etwas von der lebendigen Stimme nicht zu Trennendes, etwas Heilsames, vielleicht höchst Notwendiges zu vernehmen.“1

Schon vor dem Konzil hat der Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar in seiner Schrift Einsame Zwiesprache (1958) das Versäumnis der christlichen Theologie angesprochen, jahrhundertelang nichts, aber auch gar nichts vom lebendigen Judentum erwartet zu haben, und daher keine theologische Sensibilität, geschweige denn Lernbereitschaft ausgebildet zu haben. Kann eine solche Lernbereitschaft ausgebildet werden? Und wenn ja, wie sollte sie im Bereich der Christologie aussehen? Die Lage hat sich inzwischen grundlegend geändert. Das II. Vatikanische Konzil (1962–65) hat den dunklen Schatten der Shoah als Anstoß zu einer gründlichen Gewissenserforschung angenommen und ein neues Kapitel im Verhältnis zum Judentum aufgeschlagen. Die weiterführenden Impulse der Erklärung Nostra Aetate (Kapitel 4) sind durch die Nachkonzilspäpste, besonders durch die Ansprachen und symbolischen Gesten von Johannes Paul II., aber auch durch die akademische Theologie inzwischen breit rezipiert und fortgeschrieben worden. Diese veränderte Haltung der katholischen Kirche ist erfreulicherweise auch von jüdischer Seite registriert und positiv gewürdigt worden. Die von einer Reihe namhafter jüdischer Gelehrter publizierte Stellungnahme Dabru emet2 von 2002 ist hier eben1 H. U. v. Balthasar, Einsame Zwiesprache. Martin Buber und das Christentum, Einsiedeln (11958) 1993, S. 15. 2 Vgl. R. Kampling/M. Weinrich (Hg.), Dabru emet  – redet Wahrheit. Eine jüdische Herausforderung zum Dialog mit den Christen, Gütersloh 2003; E. Discherl/W. Trutwin

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so zu erwähnen wie das Dokument der orthodoxen Rabbiner Zwischen Rom und Jerusalem, das 2015 anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums der Konzilserklärung Nostra Aetate veröffentlicht wurde. Das lebendige Gespräch zwischen Katholischer ­Kirche und Judentum, das seit der Einrichtung der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum durch Papst Paul VI. institutionalisierte Formen gefunden hat, ist von wechselseitiger Wertschätzung und – allen Belastungsproben zum Trotz3 – von einer gewissen Stabilität getragen. Sowohl in Dabru emet als auch in Zwischen Rom und Jerusalem werden der Inkarnationsglaube der Christen und die im Hintergrund stehende Trinitätstheologie als bleibende Differenzen markiert. Das Dokument der orthodoxen Rabbiner hält es im Anschluss an eine Positionsbestimmung von Joseph B. Soloveitchik4 für wenig sinnvoll, über diese theologischen Unterschiede Debatten zu führen, und votiert dafür, auf der praktischen Ebene Beziehungen zu pflegen und Allianzen für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung in einer zunehmend säkularen Welt auszubilden. Wenn hier dennoch über die Christologie im christlich-jüdischen Gespräch nachgedacht werden soll, dann geschieht dies zunächst aus der Überzeugung, dass die pragmatische Einklammerung theologischer Sachfragen der Verständigung zwischen Juden und Christen auf Dauer kaum guttun dürfte. In Respekt vor der Alterität des anderen kann nach dem Verbindenden, aber auch nach dem Trennenden gefragt werden. Im gemeinsamen Gespräch lässt sich möglicherweise zeigen, dass die klassischen Differenzmarkierungen in Sachen Inkarnation, Trinität und Vollendungshoffnung partiell durchlässig sind. Sodann ist einer christlichen Theologie nach der Shoah die kritische Aufarbeitung antijudaistischer Spuren in (Hg.), Redet Wahrheit – Dabru Emet. Jüdisch-christliches Gespräch über Gott, Messias und Dekalog (Forum Christen und Juden 4), Münster 2004. 3 Die Irritationen, welche die Neufassung der Karfreitagsfürbitte durch Benedikt XVI. im Februar 2008 provoziert hat, sind hier ebenso zu nennen wie die Aufhebung der Exkommunikation der vier traditionalistischen Bischöfe  – unter ihnen der notorische Holocaustleugner Richard Williamson – im Jahr 2009. Die Frage, ob man die schismatische Piusbruderschaft wieder in die volle Gemeinschaft der katholischen Kirche zurückführen kann, ohne ihr die Anerkennung der Weichenstellungen des II. Vatikanischen Konzils, darunter die erneuerte Haltung zum Judentum (Nostra Aetate 4), abzuverlangen, wurde kontrovers diskutiert. Vgl. W. Homolka, Gemischte Bilanz. Benedikt XVI. aus jüdischer Perspektive, in: Der Theologen-Papst. Eine kritische Bilanz, hrsg. v. J.-H. Tück, Freiburg i. Br. 22013, S. 356– 269. Die anfängliche Strategie von Papst Franziskus, das eingefrorene Traditionsverständnis der Piusbruderschaft im Wärmestrom der Barmherzigkeit kommunikativ zu verflüssigen und die theologischen Sachdifferenzen auf die Ebene der Pastoral zu verlagern, ist ebenfalls problematisch. Vgl. meinen Einspruch: Trojanisches Pferd in der Kirche. Will Papst Franziskus die traditionalistische Piusbruderschaft ohne Vorbedingung anerkennen?, in: Neue Zürcher Zeitung vom 24. Mai 2016 (Nr. 118), S. 17. 4 J. B.  Soloveitchik, Confrontation, in: Tradition. A Journal of Orthodox Thought 6:2 (1964), S. 5–28, hier: S. 24: „The confrontation should occur not at a theological, but a mundane human level. […] our common interests lie not in the realm of faith, but in that of the secular orders.“ Vgl. zum Hintergrund C. Rutishauser, ‚Doppelte Konfrontation‘ – Rav Joseph Dov Soloveitchiks umstrittenes Modell für den jüdisch-christlichen Dialog, in: ders., Christlichen Glauben denken. Im Gespräch mit der jüdischen Tradition, Münster 2016, S. 48–59.

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der eigenen Tradition aufgegeben, aus der dann auch das positive Interesse erwächst, eine nicht-antijudaistische Christologie auszubilden. Beim Studium der offiziellen Dokumente des kirchlichen Lehramtes lässt sich die erstaunliche Entdeckung machen, dass das Sensorium für die jüdischen Wurzeln der Christologie hier früher ausgeprägt war als in der akademischen Theologie. Neben der Mahnung, das Judesein Jesu theologisch gründlicher zu bedenken, begegnet hier die christologische Rede von Jesus als der inkarnierten Tora. Diese lässt aufhorchen, vermag sie doch die bleibende Verwiesenheit der Christologie auf das Erbe Israels anzuzeigen und spekulative Christologien, die an einer Reformulierung der klassischen Zwei-Naturen-Lehre im Horizont der Moderne interessiert sind, an die Geschichte des erwählten Gottesvolkes rückzubinden. Konkret möchte ich daher in einem ersten Schritt die Vernachlässigung des Judeseins Jesu in zwei prominenten christologischen Entwürfen der katholischen Theologie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachzeichnen: zunächst bei Karl Rahner, dann bei Walter Kasper. Als Kontrapunkt werde ich in einem zweiten Schritt ausgewählte Dokumente des kirchlichen Lehramts einspielen, die sich den Strategien einer ‚Desinkarnation‘ Jesu aus dem Judentum der Zeitenwende schon früh widersetzt haben. Der Mahnung folgend, das Judesein Jesu auch theologisch tiefer zu bedenken, soll in einem dritten Schritt die Rede von Jesus als der lebendigen Tora Gottes aufgenommen werden, die sich im jüngsten Dokument der Kommission für die religiösen Beziehungen von 2015 findet. Diese hat auf den ersten Blick den Vorzug, die Christologie rückzubinden an die Weisungen der Tora, die Israel gegeben wurden. Sie ist allerdings auch mit Schwierigkeiten behaftet, wie ein Seitenblick auf den Disput zwischen Joseph Ratzinger und Jacob Neusner zeigen soll. Ob das Anliegen, die bleibende Verwiesenheit der Christologie auf das Erbe Israels zum Ausdruck zu bringen, besser im Blick auf die rabbinische Schekhina-Vorstellung in ihrer Analogie zur christlichen Inkarnationstheologie erläutert werden kann, soll abschließend gefragt werden. Im Hintergrund steht die Frage, wie die bleibende theologische Dignität des Judentums als „Gottes Augapfel“5 mit dem Bekenntnis zur Einzigkeit und Universalität Jesu Christi verbunden werden kann.

1. Das Judesein Jesu – ein lange vernachlässigtes Thema in der katholischen Theologie In der katholischen Theologie des 20. Jahrhunderts ist das Judesein Jesu lange kein Thema gewesen. Der Konzilstheologe Karl Rahner (1904–1984) hat zum Thema eine ambivalente Haltung eingenommen. Einerseits betont er die Ver5 Vgl. J.-H. Tück, Gottes Augapfel. Bruchstücke zu einer Theologie nach Auschwitz. Mit einem Geleitwort von Walter Homolka, Freiburg i. Br. 22016.

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bindung zwischen Judentum und Christentum auf der Basis des Alten Testaments, andererseits kann er das Judentum im Rahmen seiner christozentrischen Offenbarungstheologie doch nur als stehen gebliebene Vorstufe zum Christentum würdigen. Rahners Theologie ist um den Begriff der Selbstoffenbarung Gottes zentriert, dieser ist weit genug, die Heilsgeschichte auch des Alten Bundes zu umfassen; allerdings betont er immer wieder die definitive und irreversible Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus, was ihm erschwert, die bleibende Dignität auch des nachbiblischen Judentums zu würdigen. Rahner steht für einen Neuaufbruch in der katholischen Theologie, weil er  – die neuscholastischen Engführungen aufbrechend – eine anthropologische Wende eingeleitet hat.6 Bei der viel beachteten Neuinterpretation des Satzes „Gottes Wort ist Mensch geworden“ setzt er beim Verständnis des Menschen an. Er bestimmt ihn als das Wesen der Selbsttranszendenz, die arme Verwiesenheit in das göttliche Geheimnis der Fülle. Gerade die Offenheit und Selbsttranszendenz des Menschen sei die Grammatik einer möglichen Selbstaussage Gottes. Die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus kann er vor diesem Hintergrund als den „einmalig höchsten Fall des Wesensvollzugs der menschlichen Wirklichkeit“ beschreiben, „der darin besteht, dass der Mensch – ist, indem er sich weggibt.“7 Die Selbstweggabe des Menschen, seine Ek-sistenz über sich selbst hinaus in das Geheimnis Gottes hinein ist die transzendentale Voraussetzung für die geschichtliche In-sistenz des göttlichen Wortes im Menschen Jesus Christus. Die endgültige und irreversible Selbstzusage Gottes an den Menschen und die freie Annahme dieser Selbstzusage gehen in Jesus Christus eine einmalige Verbindung ein. Rahner geht der Frage des Werdens und der Kenose nach und trifft in diesem Zusammenhang die viel beachtete Aussage, dass der an sich selbst unveränderliche Gott „selber am anderen veränderlich sein“8 kann. Der ewige, unveränderliche Gott geht im Akt der Menschwerdung seines Sohnes ein Verhältnis zur Zeit ein – ein Ereignis, das zu Modifikationen der klassischen Attribute der Ewigkeit und Unveränderlichkeit Gottes zwingt. Die Formel, dass der unveränderliche Gott am anderen seiner selbst veränderlich sein könne, mag an Hegels Philosophie des Geistes erinnern, sie vermeidet aber, eine Entwicklungsbedürftigkeit in den Gottesbegriff einzutragen. Rahner hat später Reserven gegenüber einer Kenosischristologie vorgetragen und seine Inkarnationstheologie nicht biblisch rückgebunden an eine Exegese des Johannesprologs oder des Christus-Hymnus im Philipperbrief, geschweige denn in Beziehung gesetzt zu rabbinischen Aussagen zur S­ chekhina Gottes. Zwar hat er die Bibel als „die unerschöpfliche Quelle der Wahrheit über

6 Vgl.

B. J.  Hilberath, Karl Rahner: Gottgeheimnis Mensch, Mainz 1994.

7 K. Rahner, Zur Theologie der Menschwerdung Gottes, in: ders., Schriften zur Theologie,

Bd. 4, Einsiedeln 1960, S. 137–155, hier: S. 142. 8 A. a. O., S. 147.

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Christus“9 bezeichnet und eine Steinbruch-Exegese in der Schultheologie bemängelt, welche biblische Referenzstellen zur Rechtfertigung dogmatischer Aussagen zitiert, ohne deren Zusammenhang zu beachten. Aber er selbst hat über Skizzen hinaus keine neutestamentlich fundierte Christologie entworfen. Auch seine Betrachtungen zur Theologie der Mysterien des Lebens Jesu, die das Nahekommen des göttlichen Geheimnisses im menschgewordenen Sohn in den einzelnen Lebensstationen befragen, sparen Aussagen zur jüdischen Herkunft Jesu aus.10 Dasselbe gilt für die späteren Appelle einer suchenden Christologie, die von den Grunderfahrungen der Nächstenliebe, der Todesbereitschaft und der Zukunftshoffnung ausgehen und diese auf die Idee des ‚Gottmenschen‘ oder des ‚absoluten Heilsbringers‘ extrapolieren.11 Schon die Rede vom ‚absoluten Heilsbringer‘, die auch im Grundkurs des Glaubens (1976) wiederkehrt, ist insofern symptomatisch, als sie jede geschichtliche Situierung von Leben, Tod und Auferstehung Jesu in den Hintergrund treten lässt. Es kann hier nicht darum gehen, Rahners Ansatz einer transzendentalen Christologie und seine Appelle einer suchenden Christologie weiter zu kommentieren. Entscheidend für unseren Zusammenhang ist der Hinweis auf ein Defizit, welches die konkret-geschichtliche, ja jüdische Dimension der Christologie betrifft  – eine Leerstelle, die in einem 1983 veröffentlichten Gespräch Rahners mit Pinchas Lapide deutlich zutage tritt. Hier hat Rahner offen eingeräumt, die heutige katholische Theologie sei mehr an Reflexionen über die Inkarnation und hypostatische Union interessiert als an der geschichtlichen Konkretheit Jesu. Dass sein Ordensvater Ignatius von Loyola in Palästina leben wollte und sich danach sehnte, vom Fleisch und Blut Jesu abzustammen, ist ihm sichtlich fremd.12 Als Lapide ihn auf eine gegenläufige Aussage Karl Barths verweist, nach der Jesus Christus keineswegs beiläufig Jude war,13 wehrt Rahner ab und stuft das Judesein Jesu als eine kontingente Bestimmung herunter.  9 K. Rahner, Probleme der Christologie heute, in: ders., Schriften zur Theologie, Bd. 1, Einsiedeln 1958, S. 169–222, hier: S. 175. 10 Vgl. A. Batlogg, Mysterien des Lebens Jesu bei Karl Rahner. Zugang zum Christusglauben, Innsbruck 22003. 11 Vgl. K. Rahner, Schriften zur Theologie, Bd. 10, Einsiedeln 1974, S. 227–338; ders., Was heißt heute an Jesus Christus glauben, in: ders., Schriften zur Theologie, Bd. 13, Einsiedeln 1978, S. 172–187. 12 P. Lapide/K. Rahner, Heil von den Juden? Ein Gespräch, Mainz 1983, S. 56 f. 13 Vgl. K. Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd. IV/1, Zollikon-Zürich 1953, S. 181 f: „Das Wort wurde  – nicht ‚Fleisch‘, erniedrigter und leidender Mensch in irgendeiner Allgemeinheit, sondern jüdisches Fleisch. Die ganze kirchliche Inkarnations‑ und Versöhnungslehre wurde abstrakt, billig, bedeutungslos in dem Maß, als man das für eine beiläufige und zufällige Bestimmung zu halten begann. Das neutestamentliche Zeugnis von Jesus dem Christus, dem Gottessohn, steht auf dem Boden des Alten Testamentes und ist von diesem nicht zu lösen.“ Diese Passage wäre angesichts neomarkionitischer Tendenzen in der evangelischen Theologie der Gegenwart im Gefolge Schleiermachers, Harnacks und Bultmanns neu in Erinnerung zu rufen.

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Die Aussage: „Sie müssen mir natürlich zugeben, dass ich das Recht habe zu sagen, ob Jesus schwarze oder blonde Haare hatte, einen Bart trug oder nicht, ist für mich letztlich unerheblich“, erscheint aus heutiger Sicht als polemische Entgleisung. Sie verlagert die Frage nach dem Judesein Jesu auf äußerliche Aspekte und blendet die heilsgeschichtliche Tiefendimension ab. Lapide erwidert: „Wenn Sie das Judesein der Person Jesu als belanglos oder als theologisch irrelevant erachten, so begehen Sie im Grunde Desinkarnation – die Reduktion einer lebendigen Menschengestalt zu einer abstrakten, leiblosen Idee.“14 Wir werden darauf zurückkommen müssen. Anders geht Walter Kasper (geb. 1933) in seinem in vielen Auflagen erschienenen Lehrbuch Jesus der Christus (1975) vor. Er beschreitet methodisch zunächst den Weg einer Christologie von unten und rezipiert die Forschungen der historisch-kritischen Exegese, namentlich die Arbeiten von E. Käsemann, G. Bornkamm, J. Jeremias, H. Schürmann, M. Hengel und anderen.15 Kasper versucht in der Verkündigung und Praxis Jesu Momente einer impliziten Christologie aufzuweisen, die dann im Bekenntnis der Kirche und den Aussagen der altkirchlichen Konzilien begrifflich expliziert werden (vgl. 157). „Hätte das christologische Bekenntnis keinen Anhalt am historischen Jesus, dann wäre der Christusglaube eine pure Ideologie, eine allgemeine Weltanschauung ohne geschichtliche Grundlage.“ (44) Das dogmatische Kontinuitätsinteresse, mithin die Frage, wie und mit welchem Recht aus dem verkündigenden Jesus der verkündigte und geglaubte Christus geworden ist, leitet das Vorverständnis, mit dem die biblischen Zeugnisse gelesen und interpretiert werden. Hinzu kommt, dass Kasper in der Rekonstruktion der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu und seiner Praxis weithin abhängig ist vom damals in der Exegese vorherrschenden Differenzkriterium.16 Demnach gilt als genuin jesuanisch, was sich einerseits vom Kontext des damaligen Judentums, andererseits von der urchristlichen Verkündigung abhebt. Zwar schreibt Kasper über Jesus: „Er ist Jude, der in der Welt des Alten Testaments lebt und dort seine geistigen Wurzeln hat“, ergänzt aber sogleich: „Letztlich passt Jesus in kein vorgegebenes Schema, er ist der Mann, der alle Schemen sprengt.“ (113, vgl. 115) Obwohl Walter Kasper zwischen Sadduzäern, Pharisäern, Zeloten und anderen Gruppen im damaligen Judentum unterscheidet, bildet letztlich doch der verengte Legalismus der Pharisäer, ihre „moralische Kasuistik“ oder „das jüdische Vergeltungsdogma“ 14 A. a. O., S. 62  – Auch Walter Kasper fragt, ob „mit einer solchen anthropologisch gewendeten Theologie und Christologie das geschichtliche Christentum nicht einseitig metaphysiziert und das Ärgernis seiner Partikularität durch eine philosophische Spekulation beseitigt wird.“ W. Kasper, Jesus der Christus (Gesammelte Schriften, Bd. 3), Freiburg i. Br. 2007, S. 90. 15 Kasper, Jesus der Christus, bes.: S. 107–247. Im Folgenden werden Zitate im Haupttext in Klammern angegeben. 16 Vgl. E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus, in: ders., Evangelische Versuche und Besinnungen I, Göttingen 1964, S. 187–214.

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(136) die Kontrastfolie für die Befreiungs‑ und Liebesbotschaft des Nazareners. Um den Bruch mit dem pharisäischen Gesetzesdenken zu unterstreichen, wird wiederholt die Semantik des Revolutionären bemüht: „Die Revolution, die Jesus bringt, ist die Revolution einer grenzenlosen Liebe, in einer Welt des Egoismus und der Macht.“ (112, vgl. 133) Auch Jesu Gottesanrede als abba-Vater wird als „revolutionär“ gekennzeichnet (132). Die Freiheit Jesu geht über das mosaische Gesetz hinaus, wenn sie das Sabbat‑ und Fastengebot, aber auch die Speise‑ und Reinheitsvorschriften durchbricht. Die Antithesen der Bergpredigt werden im Sinne einer Überbietung gedeutet (159). Um den Vollmachtsanspruch Jesu zu kennzeichnen, greift Kasper auf die Kategorie des Messias zurück, „von dem das Judentum erwartete, dass er die alte Tora nicht auflöst, wohl aber dass er sie in neuer Weise auslegt. Diese Erwartung erfüllt Jesus freilich in so unerhörter und alle bisherigen Schemata überbietender Weise, dass das Judentum in seiner Gesamtheit [sic!] den Anspruch Jesu ablehnt“. (160) Es nimmt nicht wunder, dass bei dieser Betonung der Innovation und Überbietung Arbeiten der jüdischen Jesusforschung (Joseph Klausner, David Flusser) sowie breiter rezipierte Bücher zum Thema (Schalom Ben-Chorin, Pinchas Lapide) nicht weiter berücksichtigt werden.17 In seinem Vorwort zur Neuauflage von 2007 spricht Walter Kasper, inzwischen Präsident des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen und zugleich Vorsitzender der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, die Grenzen einer solchen Darstellung an und bemerkt über den veränderten Horizont der Christologie: „Jesus als Jude und der jüdische Kontext seines Auftretens und seiner Botschaft sind neu in den Blick getreten. Es ist unmöglich geworden, Jesus nur im Gegensatz zum Judentum seiner Zeit zu sehen wie es nicht nur viele Vertreter der liberalen Theologie, sondern auch manche Exegeten taten, welche in den 1950er und 1960er Jahren die neue Frage nach dem historischen Jesus stellten.“18

17 Auch in der Befreiungstheologie (vgl. L. Boff, Jesus Christus, der Befreier, Freiburg i. Br. 1986) ist die Negativzeichnung des pharisäischen Judentums zur Profilierung der Befreiungssemantik stark ausgeprägt. Wie nuanciert das Judesein Jesu in den Christologien H. Kesslers (Christologie, in: Handbuch Dogmatik, Bd. 1, hrsg. v. T. Schneider, Düsseldorf 1992, S. 241–444), G. L.  Müllers (Katholische Dogmatik. Für Studium und Praxis der Theologie, Freiburg 31998, S. 254–389) und P. Hünermanns (Gottes Wort in der Zeit: Eine systematische Christologie, Münster 21995) aufgenommen wird, wäre eine eigene Untersuchung wert. In jedem Fall lässt sich für die Arbeiten E. Bisers (zuletzt: Jesus. Sein Lebensweg in neuem Licht, Regensburg 2006) eine problematische Tendenz der Abwertung des Alten Testaments und des Judentums nachweisen. 18 Kasper, Jesus der Christus, S. 13. Er selbst hat eine modifizierte Position vorgetragen in seinem Beitrag: Juden und Christen – Schulter an Schulter, in: Freiburger Rundbrief 9:4 (2002), S. 252–256.

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2. Das Judesein Jesu als paränetischer Anstoß des kirchlichen Lehramts und die Rede von der inkarnierten Tora Anders sehen die lehramtlichen Dokumente aus, die, was die Sensibilität für das Judesein Jesu anlangt, der akademischen Theologie schon früh einen paränetischen Anstoß geben. Bereits das Konzil erinnert mit Paulus daran, dass Christus ‚dem Fleisch nach‘ dem Volk entstammt, dem der Bund und die Verheißungen gegeben worden sind (vgl. LG 16; NA 4). Die Dokumente der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum aus dem Jahr 1974 und dem Jahr 1985 unterstreichen die Tatsache, dass Jesus Jude ist, und schreiben ihr theologische Bedeutung zu. Ausdrücklich wird bereits 1974 betont: „Jesus stammt wie seine Apostel und ein Großteil seiner ersten Jünger aus dem jüdischen Volk.“19 Zuvor wird klargestellt: „Das Judentum war in der Zeit Christi und der Apostel eine sehr komplexe Wirklichkeit, es umfasste eine ganze Welt von Tendenzen, von spirituellen, religiösen, sozialen und kulturellen Werten.“ Diesen Hinweis auf die Pluralität von Richtungen im damaligen Judentum wird man als deutliches Korrektiv gegen verbreitete Stereotype über ‚das‘ Judentum, ‚die‘ Pharisäer oder ‚den jüdischen Legalismus‘ lesen dürfen. Im Blick auf die gängige Kontrastierung zwischen Altem und Neuem Testament wird ebenfalls Differenzierungsbedarf angemeldet: „Man darf das Alte Testament und die sich darauf gründende jüdische Tradition nicht in einen solchen Gegensatz zum Neuen Testament stellen, dass sie nur eine Religion der Gerechtigkeit, der Furcht und Gesetzlichkeit zu enthalten scheint, ohne den Anruf der Liebe zu Gott und zum Nächsten (vgl. Dtn 6,5; Lev 19,18; Mt 22,34–40).“20 Noch ausführlicher wird das Dokument von 1985, welches an die jüdischen Wurzeln des Christentums erinnert und dabei auch die Christologie berührt: „Jesus war Jude und ist es immer geblieben. […] Es gibt keinen Zweifel daran, dass er sich dem Gesetz unterwerfen will (vgl. Gal 4,4), dass er beschnitten und im Tempel gezeigt worden ist wie jeder andere Jude seiner Zeit auch (vgl. Lk 2,21.22–24) und dass er zu Beobachtung des Gesetzes erzogen worden war. Er predigte den Respekt vor dem Gesetz (vgl. Mt 5,17–20) und forderte dazu auf, demselben zu gehorchen.“21 Bemerkenswert sind überdies die Hinweise über die Pharisäer, die offensichtlich eine Instrumentalisierung dieser Reformgruppe im damaligen Judentum zur dunklen Kontrastfolie der Freiheits‑ und 19 Vgl. die Dokumentation der Richtlinien und Hinweise für die Durchführung der Konzilserklärung ‚Nostra Aetate‘, Artikel 4 vom 1. Dezember 1974, in: Die Kirchen und das Judentum. Dokumente von 1945–1985, hrsg. v. H. H. Henrix/R. Rendtorff, Paderborn/München 1988, S. 48–53, hier: S. 51. 20 Beide Zitate, ebd. 21 Vgl. die Dokumentation der Hinweise für eine richtige Darstellung von Juden und Judentum in der Predigt und in der Katechese der katholischen Kirche vom 24. Juni 1985, in: Die Kirchen und das Judentum, hrsg. v. Henrix/Rendtorff, S. 92–103, hier: S. 98.

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Liebesbotschaft Jesu abwehren wollen: „Jesus teilt mit der Mehrheit der damaligen Juden pharisäische Glaubenslehren. Die leibliche Auferstehung, die Frömmigkeitsformen wie Wohltätigkeit, Gebet, Fasten (vgl. Mt 6,1–18) und die liturgische Gewohnheit, sich an Gott als Vater zu wenden; den Vorrang des Gebots der Gottes‑ und Nächstenliebe (vgl. Mt 12,28–34).“22 Die Nachkonzilspäpste knüpfen daran an. Johannes Paul II. (1978–2005), der für das Verhältnis zum Judentum mehr getan haben dürfte als alle seine Vorgänger, hat das Thema wiederholt angesprochen: „Wer Jesus Christus begegnet, begegnet dem Judentum.“23 In einer Ansprache an die Mitglieder der päpstlichen Bibelkommission von 1997 hat er diesen Gedanken vertieft, dass die Menschwerdung als Judewerdung nicht nur als ethnisches Faktum, sondern theologisch als Einwurzelung in die Bundesgeschichte Israels zu verstehen ist.24 Auch Benedikt XVI. betont die jüdische Dimension der Christologie. Dabei scheint er – wie in der Debatte um die angemessene Auslegung der Texte des II. Vatikanums – eine Hermeneutik der Reform zu verfolgen, die von einem Zusammenspiel von Kontinuitäts‑ und Diskontinuitätsmomenten ausgeht. In einer wenig beachteten Passage aus dem nachsynodalen Schreiben Ecclesia in Medio Oriente hebt er hervor: „Jesus ist ein Sohn des auserwählten Volkes, als Jude geboren, hat als Jude gelebt und ist als Jude gestorben (vgl. Röm 9,4–5).“ Neben dieser Betonung der Kontinuität wird zugleich die Differenz zum Judentum markiert, wenn es heißt, dass „die Person und die eigentliche Identität ebendieses Jesus Anlass zur Trennung“ seien, denn die „Christen erkennen in ihm den Messias, den Sohn Gottes“ (Art. 20). Über den paränetischen Anstoß hinaus, das Judesein Jesu theologisch ernst zu nehmen, hat die Päpstliche Bibelkommission in ihrem umfangreichen Dokument von 2001 „Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel“ weitere Klärungen vorgenommen. Es hat nicht nur den Tanak als gemeinsame Grundlage von Judentum und Christentum differenziert in den Blick gerückt, sondern auch an jüdische Auslegungsmethoden erinnert, die im Neuen Testament aufgegriffen werden. Auch findet sich dort eine Darstellung 22 Ebd.

23 Henrix/Rendtorff (Hg.), Die Kirchen und das Judentum, S. 74, vgl. auch S. 110. Es handelt sich um ein Zitat, das der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zum Judentum der deutschen Bischöfe von 1980 entstammt (a. a. O., 261). In diesem Dokument werden Stimmen der jüdischen Jesusforschung (Martin Buber, Schalom Ben-Chorin) zitiert. 24 Vgl. H. H. Henrix/W. Kraus (Hg.), Die Kirchen und das Judentum, Bd. 2, Paderborn 2001, S. 103 f.: „Die menschliche Identität Jesu wird von seiner Bindung an das Volk Israel her bestimmt, war er doch aus dem Geschlecht Davids und ein Nachkomme Abrahams, und es handelt sich dabei nicht nur um eine physische Zugehörigkeit. Jesus nahm an den synagogalen Zeremonien teil, bei denen die Texte des Alten Testaments gelesen und kommentiert wurden, und so nahm er auf menschliche Weise Kenntnis von jenen Texten […] Spricht man Christus seine Verbindung mit dem Alten Testament ab, dann bedeutet das, ihn von seinen Wurzeln zu trennen und sein Mysterium allen Sinnes zu entleeren.“ Vgl. auch die Ausführungen a. a. O., S. 108 f.

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der pluralen Ausrichtungen im nachexilischen Judentum, die für die historische Einbettung der Gestalt und Botschaft Jesu hilfreich ist. Das jüngste Dokument der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum von 2015 schließt daran an, wenn es näher umreißt, wie eine solche Kontextualisierung aussehen könnte. „Man kann die Lehre Jesu und die seiner Jünger nicht verstehen, wenn man sie nicht im jüdischen Horizont und im Kontext der lebendigen Tradition situiert.“ (Art. 14) Das wird man als klare Absage an das Differenzkriterium in der Jesusforschung bewerten können, das seit Ernst Käsemanns Rückfrage nach dem historischen Jesus die neutestamentliche Bibelwissenschaft bis in die frühen 1990er Jahre dominierte. Daraus nun umgekehrt im Sinne des Kohärenz‑ oder Plausibilitätskriteriums zu folgern, Jesus solle vollständig in die Kultur und Glaubenswelt des damaligen Judentums eingebettet und der Christusglaube der Kirche eingeebnet werden, wäre allerdings verfehlt. Eine Depotenzierung der Christologie durch christliche Theologen, welche das Judesein Jesu herausstellen und zugleich das kirchliche Christusbekenntnis als nachösterliche Konstruktion, ja Speerspitze des Antijudaismus verabschieden, würde das Gespräch auf den ersten Blick gewiss erleichtern. Der Stein des Anstoßes würde beseitigt. Eine solche Depotenzierung käme dem neuen Interesse, ja der ‚Heimholung Jesu ins Judentum‘ durch jüdische Gelehrte durchaus entgegen, welche Jesus als „Rabbi von Nazareth“ und „Leuchte Israels“ (Pinchas Lapide25), als „jüdischen Wundertäter und Prediger“ (David Flusser26), als „galileischen Chassid“ (Geza Vermes27) oder als „Bruder“ (Schalom Ben-Chorin28) anerkennen, eine christologische Deutung seines Wirkens und seiner Person aber strikt ablehnen. Einem solchen Konsens auf Basis einer halbierten Christologie haftete allerdings das Manko an, dass er am Selbstverständnis gläubiger Christinnen und Christen vorbeigeht, die sich zu Jesus als dem Christus und Sohn Gottes bekennen – in Gebet, Liturgie und Dogma. Das stellt auch das Dokument der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum von 2015 heraus: „In der Frage, wie die Gestalt Jesu zu beurteilen ist, besteht der Fundamentalunterschied zwischen Judentum und Christentum“ (Art. 14). Ein zweiter Topos, der im Dokument der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum begegnet, ist die Rede von Jesus als der ‚lebendigen Tora Gottes‘ (Art. 26). Dieser christologische Topos, der seit den 1990er Jahren auch in 25 Vgl. P. Lapide, Der Rabbi von Nazaret. Wandlungen des jüdischen Jesusbildes, Trier 1974; Lapide/Rahner, Heil von den Juden?, S. 93. 26 D. Flusser, Jesus  – in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1968, S. 8. 27 G. Vermes, Jesus, der Jude. Ein Historiker liest die Evangelien, Neukirchen-Vluyn 1993, S. V. Durch seine Studie will Vermes zeigen, dass Jesus, „dessen Bild durch christliche und jüdische Mythen gleichermaßen verzerrt ist, in Wirklichkeit [sic!] weder der Christus des Glaubens noch der abtrünnige Buhmann der populären jüdischen Tradition war“ (a. a. O., S. 2). 28 Vgl. S. Ben-Chorin, Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht (1967), Neuauflage, Gütersloh 2005.

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der akademischen Theologie begegnet,29 bringt die bleibende Rückbindung der Christologie an das Erbe Israels deutlich zum Ausdruck. Das heißt für unseren Zusammenhang: Der Vorwurf der ‚Desinkarnation‘, den Lapide gegenüber Rahners Christologie erhoben hat, weil dieser die jüdische Dimension der Menschwerdung für beiläufig erklärt hatte, könnte durch die Bestimmung Jesu als inkarnierter Tora entkräftet werden. Gleichzeitig wird aber auch das Anliegen der jüdischen Jesusforschung, den Nazarener genauer in die Gesellschaft und Kultur des galiläischen Judentums einzubetten, aufgenommen, nämlich dann, wenn man Verkündigung und Praxis Jesu nicht als radikale Absetzung und revolutionären Bruch, sondern als vertiefende Aktualisierung und Näherbestimmung der Tora deutet. Man würde so jedenfalls die einseitige Fokussierung auf das Differenzkriterium, das Walter Kaspers Versuch einer Christologie von unten leitete, überwinden, ohne deshalb das Pendel ins Gegenteil umschlagen zu lassen und einer Depotenzierung der Christologie das Wort zu reden. Mit Hans Hermann Henrix lässt sich sagen: „Die Kennzeichnung Jesu als Tora in Person hat den Vorzug, die bleibende Verwiesenheit auf die Tora anzuzeigen. Die Kennzeichnung sollte in der theologischen Diskussion weiterverfolgt werden. Sie ist offen für die Akzentuierung der radikal neuen Interpretation der Tora durch Jesus, ohne dass diese Akzentuierung eine Außerkraftsetzung der Tora Israels für Israel bedeuten muss.“30 Diesem Motiv ist nun weiter nachzugehen.

3. Jesus, die Tora in Person – eine zukunftsträchtige Kategorie für die Christologie?31 a) Tora – ein vieldeutiger Begriff: Zur terminologischen Klärung Nun stößt die Rede von Jesus als der inkarnierten Tora zunächst auf eine grundlegende terminologische Schwierigkeit. Der Begriff der Tora ist vieldeutig und daher explikationsbedürftig.32 Zunächst kann er in einem engen Sinn die fünf 29 Vgl. J. Schoneveld, Die Thora als Person. Eine Lektüre des Prologs des Johannesevangeliums als Beitrag zu einer Christologie ohne Antijudaismus, in: Kirche und Israel 5 (1990), S. 40–52. 30 Vgl. den instruktiven Aufsatz von H. H.  Henrix, Menschwerdung des Sohnes Gottes als Judewerdung. Zur christologischen Ernstnahme des Judeseins Jesu (Manuskript), Bonn 2015, S. 14. 31 Wertvolle Anregungen für die Ausarbeitung dieses Teiles verdanke ich dem Gespräch mit Georg Braulik OSB. 32 Der Begriff ‚Tora‘ wird im Judentum und im Christentum nicht immer deckungsgleich verwendet. Während der hebräische Begriff nicht auf die Bedeutung ‚Gesetz‘ enggeführt werden kann, sondern auch die Aspekte von ‚Lehre‘, ‚Weisung‘ und ‚Offenbarung‘ umschließt, wird der Begriff ‚Tora‘ im Christentum auf der Linie der LXX-Übersetzung ‚nomos‘ zumeist mit Gesetz im engeren Sinne gleichgesetzt. Überdies ist der genaue Textumfang der Tora bis zur Kanonisierung des Tanach durchaus fluide gewesen, erst das rabbinische Judentum

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Bücher Mose, also Chumasch/Pentateuch bedeuten. Darüber hinaus wird Tora in einem weiteren Sinne auch als das dreigestufte Textkorpus des Tanak gefasst, das neben der Tora des Mose auch die Propheten und übrigen Schriften umfasst. Nach der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahre 70 n. Chr. hat der Begriff in der Theologie der Rabbinen dann eine semantische Ausdehnung erfahren. Diese gehen davon aus, dass auf dem Sinai neben der schriftlichen auch die mündliche Tora gegeben wurde, die im Midrasch und den Talmudim schriftliche Gestalt angenommen hat. Nach Gershom Scholem kann Tora sogar als ‚der Wahrheitsbegriff des Judentums‘ überhaupt verstanden werden  – er weitet den Begriff so weit aus, dass dieser alle Formen der Auslegung in der jüdischen Tradition, neben der rabbinischen Theologie auch die der Kabbala, umschließt.33 Welcher Begriff von Tora aus diesem vielschichtigen Spektrum von Bedeutungen also soll gemeint sein, wenn von ‚Jesus als der lebendigen Tora Gottes‘ gesprochen wird? Würde man das Verständnis der Rabbinen oder gar Gershom Scholems aufnehmen und die Kategorie der Tora christologisch aufladen, führte dies leicht zu einer christlichen Umcodierung des ‚Wahrheitsbegriffs des Judentums‘, die mehr Irritationen auslösen dürfte, als die Verständigung zu fördern. Es ist also terminologische Vorsicht geboten. Fragen wir daher, wie die Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum in ihrem jüngsten Dokument den Begriff versteht, wenn sie von „Jesus Christus als der lebendigen Tora Gottes“ (Art. 26) spricht. Das Dokument umfasst sechs Kapitel. Nach einem Rückblick auf die Wirkungsgeschichte von Nostra Aetate (Nr. 4) und Bemerkungen zur Sonderstellung des jüdisch-christlichen Dialogs in den beiden ersten Kapiteln wendet sich das Dokument im dritten der „Offenbarung in der Geschichte als Wort Gottes in Judentum und Christentum“ zu. Bei genauerer Lektüre fällt auf, dass erst hier und überhaupt nur hier von ‚Tora‘ die Rede ist (vgl. Art. 24–26).34 In den anderen beginnt, über die fünf Bücher Mose hinaus die gesamte heilige Schrift als Tora zu bezeichnen und das schriftliche Textkorpus durch eine mündliche Tora zu ergänzen. Gleichzeitig beginnt man von der Präexistenz der Tora zu sprechen, und diese mit der Weisheit und dem Willen Gottes gleichzusetzen. Vgl. A. Lehnardt/H. Liss/P. Ochs, Art. Tora. Judentum, in: RGG4 8 (2015), Sp. 477–482. 33 Scholem hat seinen Traditionsbegriff in Analogie zum katholischen Traditionsverständnis entwickelt. Ausdrücklich verweist er auf die „starken Parallelen zum katholischen Begriff der Tradition, der ja ebenfalls mündliche Tradition aus Gottes Mund kennt – verba divina non scripta – in ihren helleren und dunkleren Aspekten. Auch hier herrscht die Meinung vor, dass Gegenwart und Vergangenheit vor Gott in der Tradition lebendig verbunden werden“ (Judaica, Bd. 4, Frankfurt a. M. 1984, S. 199). Vgl. R. Buchholz, „Der abscheuliche Geruch der Innerlichkeit“. Zu Gershom Scholems Verständnis des Christentums, in: Erinnerungskultur in der pluralen Gesellschaft. Neue Perspektiven für den christlich-jüdischen Dialog, hrsg. v. R. Boschki/A. Gerhards, Paderborn 2010, S. 333–346, hier: S. 334 f. 34 Vgl. G. Braulik, Die Erneuerung der Liturgie und das Alte Testament an den Beispielen Pascha-Mysterium und Tora. Zur Konzilskonstitution ‚Sacrosanctum Concilium‘, in: Protokolle zur Liturgie 7 (2017), S. 13–48, hier: S. 27.

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Passagen wird vom „Alten Testament“ (Art. 5; 20; 21; 25), der „Heiligen Schrift des jüdischen Volkes“ (Art. 7), „den Texten der hebräischen Bibel“ (Art. 13), den „Schriften des alten Israel“ (Art. 15) oder „dem Gesetz“ (Art. 22) gesprochen, was darauf hindeuten könnte, dass das Dokument ein Mischtext ist, an dem unterschiedliche Akteure mitgeschrieben haben, ohne dass es – zumindest in dieser Frage – eine autoritativ-einheitliche Endredaktion gegeben hätte. In dem einschlägigen Passus zur Frage der Tora wird nun gesagt, dass Gott sich in seinem Wort offenbart habe, um sich in konkreten geschichtlichen Situationen vernehmbar zu machen. Dieses Wort lade alle zur Antwort ein, ja in der angemessenen Antwort auf das Wort Gottes liege der Schlüssel „zu einem gelungenen Leben im rechten Gottesverhältnis“. Dann heißt es weiter: „Für Juden kann dieses Wort in der Tora und in den auf sie gründenden Traditionen erlernt werden.“ (Art. 24) Die Unterscheidung zwischen der Tora im Singular und den auf sie gründenden Traditionen im Plural schließt offensichtlich einen weiteren Tora-Begriff im Sinne der Rabbinen oder Scholems aus.35 Bleibt die Frage, ob ‚Tora‘ auf die fünf Bücher Mose enggeführt wird oder das gesamte Alte Testament – oder genauer: den Tanak – meint. Ein Passus am Ende des Kapitels gibt Aufschluss. Dort heißt es: „Tora und Christus sind der Ort der Gegenwart Gottes in der Welt, zumal diese Gegenwart in den jeweiligen Gottesdienstgemeinschaften erfahren wird.“ In der Synagoge wird bekanntlich nicht der ganze Tanak gelesen, nur die Tora, gefolgt von den ‚früheren‘ oder ‚späteren‘ Propheten, nicht jedoch die Schriften.36 Darf man daraus schließen, dass das Kommissionsdokument letztlich die Tora mit dem Pentateuch gleichsetzt? Wenn ja, warum aber dann die Engführung des Kanonbegriffs und die Ausklammerung der Propheten und übrigen Schriften, die ebenfalls zur hebräischen Bibel gehören? Und: Müsste man die fünf Bücher Mose, denen im Tanak eine hervorgehobene Stellung zukommt, nicht eher mit den vier Evangelien in Korrelation bringen, die im Textkorpus des Neuen Testaments eine Vorrangstellung innehaben? Schließlich bleibt durch die Gegenüberstellung von Tora und Christus undeutlich, dass die Tora selbstverständlich auch für Christinnen und Christen orientierende Kraft hat.37 Wie aber wird nun die Wendung von ‚Jesus als der lebendigen Tora‘ theologisch interpretiert?

35 Allerdings heißt es wenig später dann doch im Sinne der Rabbinen: „Wer sich an die Tora hält, hat Leben in seiner Fülle“ (vgl. Pirqe Awot II,7) (Art. 24). 36 Vgl. J. P.  Petuchowski, Die traditionelle jüdische Liturgie: Bemerkungen zu Aufbau und Struktur des synagogalen Gottesdienstes, in: Jüdische Liturgie. Geschichte – Struktur – Wesen (QD 86), hrsg. v. H. H.  Henrix, Freiburg 1979, S. 103–110, hier: S. 107–109. 37 So auch die Kritik von G. Braulik, Die Erneuerung der Liturgie, S. 28: „Die Tora erscheint niemals als Teil des Alten Testaments bzw. der zwei-teilig-einen christlichen Heiligen Schrift. Als Christen und Christinnen können und dürfen wir aber nicht auf die Tora als Teil unserer eigenen Bibel verzichten.“

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b) Jesus – ‚die lebendige Tora‘: Zur theologischen Interpretation Die These, dass Jesus Christus als ‚die lebendige Tora Gottes‘ zu betrachten sei, wird folgendermaßen erläutert: „Tora und Christus sind Wort Gottes, seine Offenbarung für uns Menschen als Zeugnis seiner grenzenlosen Liebe. Für Christen ist die Präexistenz Christi als Wort und Sohn des Vaters eine grundlegende Lehraussage und nach rabbinischer Tradition existiert die Tora und der Name des Messias schon vor der Schöpfung.“ (Art. 26) Es wird demnach eine strukturelle Analogie zwischen der Präexistenz Christi und der Präexistenz der Tora festgehalten, von der allerdings, wenn ich recht sehe, erst in der Theologie der Rabbinen die Rede ist. Diese Analogie wird auch für die Eschatologie geltend gemacht, wenn notiert wird, dass nach jüdischer Vorstellung im Eschaton Gott selbst die Tora auslege, während nach christlichem Verständnis in Christus am Ende alles zusammengefasst werde (vgl. Eph 1,10; Kol 1,20). Nicht ganz klar ist, was die Anakephalaiosis-Lehre mit der eschatologischen Auslegung der Tora durch Gott zu tun haben soll. Konkreter und besser nachvollziehbar ist der folgende Hinweis, dass nach dem Matthäus-Evangelium „Christus gleichsam als der neue Mose“38 präsentiert werde. Hier tut sich eine gewisse Spannung auf, insofern die Rede von einem Interpreten ein Textkorpus voraussetzt, zu dem dieser sich auslegend verhalten kann. Wie aber kann der Interpret selbst mit dem Textkorpus, das er doch auslegen soll, identisch sein? Offensichtlich nur dadurch, dass sein Leben dem Text der Tora eine authentische Gestalt gibt, die dann als ‚lebendige Tora‘ identifiziert werden kann. Der Buchstabe wird Geist und Leben, der Text findet einen Kommentar im Fleisch, den endgültigen und unüberbietbaren – aus christlicher Sicht. Das Dokument selbst führt mit der Gestalt des Mose ein Verbindungsglied zwischen Tora und Christus ein, wenn es heißt: „In der rabbinischen Literatur aber findet sich die Identifizierung der Tora mit Mose. Auf diesem Hintergrund kann Christus als der neue Mose mit der Tora verbunden werden.“ (Art. 26) c) Jesus als der ‚neue Mose‘ und die ‚Tora in Person‘: Zu Joseph Ratzingers Jesus-Buch als Hintergrund des Kommissionsdokuments von 2015 Die Rede von Jesus als dem ‚neuen Mose‘ und die Bestimmung von Christus als der ‚Tora in Person‘ dürften auf den ersten Band der Jesus-Trilogie Joseph Ratzingers – Benedikts XVI. von 2007 zurückgehen. Obwohl Ratzinger bereits 2001

38 Diese Rede begegnet bereits in Art. 14 des Dokuments: „In Jesus haben zu seiner Zeit nicht wenige Juden die Ankunft eines ‚neuen Mose‘, des verheißenen Christus (Messias) gesehen. Allerdings hat seine Ankunft eine Dramatik provoziert, deren Konsequenzen wir heute noch spüren.“

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einen „neuen Respekt für die jüdische Auslegung des Alten Testaments“39 angemahnt hatte, setzt er sich im Jesus-Buch – von einer prominenten Ausnahme abgesehen (dazu gleich mehr)  – nicht näher mit den Arbeiten der jüdischen Jesusforschung auseinander. Auch geht er nicht auf die neuere exegetische Debatte um die third quest ein, betont aber deutlicher als die Christologien der 1970er und ‑80er Jahre die Kontinuität Jesu zum damaligen Judentum. Überdies bezieht er durchgehend das Alte Testament als Grundlage der Evangelien ein und legt dabei eine christologische Hermeneutik zugrunde. Jesus ist Sohn einer jüdischen Mutter, er ist am achten Tag nach der Geburt beschnitten worden. Durch diesen Ritus schreibt er sich ein in die Bundesgeschichte Israels. Er ist mit den Weisungen der Tora aufgewachsen, hat sich mit dem Shema Jisrael den Monotheismus Israels zu eigen gemacht und die Propheten gelesen. Nicht nur die Verheißung der Aufrichtung eines Reiches des Friedens und der Gerechtigkeit hat er dort kennengelernt, sondern auch die Sensibilität für die Armen und Entrechteten. Mit den Psalmen Israels ist er in das Gebet Israels eingetaucht und hat in den Synagogen gelehrt. Bei aller Kontinuität gibt es dann aber auch Punkte der Diskontinuität, die Joseph Ratzinger vor allem im Disput mit Rabbi Jacob Neusner über die Bergpredigt herausarbeitet.40 Hier verschiebt sich die Bruchlinie. Statt mit der liberalen Jesusforschung zu sagen, Jesus habe einen engstirnigen Legalismus im damaligen pharisäischen Judentum aufgebrochen und eine neue großzügigere, freiere Praxis gelehrt,41 macht Ratzinger deutlich, dass es letztlich die Person Jesu selber ist, die durch ihren Autoritätsanspruch in die Entscheidung ruft. In diesem Zusammenhang fällt das Wort von Jesus als der ‚Tora in Person‘. Schon die Seligpreisungen liest Ratzinger als ‚verborgene Christologie‘, in die das Porträt Jesu selbst eingelassen ist. Konkret geht es im Streitgespräch mit Neusner42 um die Antithesen der Bergpredigt, die Auslegung des Sabbats 39 J. Ratzinger, Vorwort, in: Päpstliche Bibelkommission, Das jüdische Volk und seine heilige Schrift in der christlichen Bibel, Bonn 2001, S. 6 f. 40 J. Ratzinger-Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Erster Teil: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung, Freiburg i. Br. 2007, S. 94–160. Vgl. dazu den Kommentarband A. Buckenmaier/R. Pesch/L. Weimer, Der Jude Jesus von Nazareth. Zum Gespräch zwischen Jacob Neusner und Papst Benedikt XVI., Paderborn 2008. 41 Diese Akzentverschiebung zeigt bereits das Buch: Die Vielfalt der Religionen und der Eine Bund, Urfeld 1998, S. 26–39. 42  J. Neusner, Ein Rabbi spricht mit Jesus, Freiburg i. Br. 2007. Das Buch sucht über den Graben der Zeiten hinweg ein fiktives Gespräch mit Jesus zu führen, ohne die Forschungen der historisch-kritischen Exegese zu beachten. Es beschränkt sich auf das Evangelium nach Matthäus, das daher das Gespräch mit J. Ratzinger dominiert. Der Jesus des Mt.-Ev. ist allerdings nicht der Jesus, sondern nur eine Stimme im Quartett der vier Evangelien. Neusner, der ansonsten virtuos mit dem Instrumentarium der historischen Kritik umzugehen versteht, wenn es um die Erschließung rabbinischer Quellen geht, übergeht überdies die Unterscheidung zwischen historischem Jesus und Christus des Glaubens und erspart sich die Frage, wie eine Kontinuität zwischen beiden hergestellt werden könne. Seine Thesen, dass Jesus in seiner Verkündigung Fragen des Alltags ausspare, dass er die Erde zugunsten des Himmels verrate und

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und das Gebot der Elternliebe. Die sog. Antithesen werden als Interpretationskonflikt, nicht aber als Überbietung oder gar Abrogation des mosaischen Gesetzes gelesen. Der Berg als Ort der Jüngerbelehrung und der Gestus des Sitzens, den Jesus dabei einnimmt, werden als Anzeichen der Lehrautorität des ‚neuen Mose‘ gedeutet. Man könnte ergänzen, dass Jesus im Mt-Evangelium als Lehrer der Tora gezeichnet wird, der fünf große Reden hält (Mt 5–7; 9,35–11,1; 13,1–53; 18,1–35; 24,1–25,46), die als Fortbestimmung der fünf Bücher Mose gelesen werden können. Beim Streitthema Sabbat macht Neusner nun geltend, Jesus habe mit dem Verstoß gegen das Sabbatgebot die Sozialordnung Israels angetastet. Die Nachahmung der Ruhe Gottes am siebten Tag werde durch das Ährenraufen der Jünger und die Heilungspraxis Jesu am Sabbat subversiv unterlaufen. Die Rechtfertigung Jesu, auch David habe von den Schaubroten im Tempel gegessen, überzeugt Neusner nicht. Er schreibt: „Wenn Jesus uns bedeutet, dass es etwas Größeres als den Tempel gebe, dann kann er damit nur auf eines hinauswollen: Jesus und seine Jünger können das am Sabbat tun, weil wir, weil sie an die Stelle der Priester im Tempel getreten sind. Der heilige Ort hat sich verlagert, er besteht jetzt aus dem Kreis des Meisters und seiner Jünger.“43 Um das zu akzeptieren, müsse man die göttliche Autorität Jesu anerkennen. Die Kontroverse über das Gebot der Elternliebe läuft auf dasselbe Ergebnis hinaus. Jesu schroffe Zurückweisung seiner Mutter und seiner Brüder steht nach Neusner im Widerspruch zum vierten Dekalog-Gebot, die Eltern zu ehren. Natürlich habe es auch Rabbiner gegeben, die ihre Eltern um des Tora-Studiums willen verlassen hätten. Aber der Bruch mit den Banden der Familie in der Lehre Jesu sei problematisch. „Die Tora des Jesus ist nicht unsere Tora.“44 Jesus konstituiere, so repliziert Ratzinger, eine neue Familie, die Familie der Jüngergemeinschaft, die über die Abstammungsgemeinschaft hinaus eine universale Ausrichtung habe.45 Es handle sich nicht um Übertretungen, sondern um Überschreitungen. Das Resultat des Disputs, der hier nur flüchtig angerissen werden konnte, lautet, Jesus habe nichts von der Tora hinweggenommen, allerdings etwas hinzugefügt, nämlich sich selbst. Während Neusner deshalb in Treue zur Tora Jesu dass er seine Botschaft primär an den Einzelnen statt an die Gemeinschaft richte, sind modifizierungsbedürftig, wie Achim Buckenmaier zu Recht herausgestellt hat: ders., Jesus, die Tora in Person, in: Annäherungen an Jesus von Nazareth. Das Buch des Papstes in der Diskussion, hrsg. v. J.-H. Tück, Mainz 2007, S. 80–93. 43 Neusner, Ein Rabbi spricht mit Jesus, S. 86 f. 44  A. a. O., S. 162. 45 Die universale Ausrichtung dürfte hier eine Eintragung sein, da sich der Jesus des Mt.-Evangeliums „zu den verlorenen Schafen des Hauses Israels“ gesandt weiß. Die beiden Ausnahmen, der Hauptmann von Kafarnaum (Mt 8,5–13) und die Syrophönizierin (Mt 15,21– 28), gehören durch ihr Bekenntnis implizit auch zu Israel. Erst in der Gerichtsrede über die Völker (Mt 25,21–46) und im sog. Missionsauftrag des Auferstandenen (Mt 28,19–20) wird die Überschreitung des Horizonts über Israel hinaus greifbar.

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Aufruf zur Nachfolge zurückweist, betont Ratzinger, dass sich Jesus selbst „als Tora  – als das Wort Gottes in Person“46 versteht. In einer Diktion der Überschreitung und der Innovation wird Jesus als der ‚neue‘ oder ‚wahre‘ Mose qualifiziert,47 der eine ‚erneuerte Tora‘ bringt, um die sich wiederum ‚ein erneuertes Israel‘ sammelt, das „das alte nicht ausschließt oder aufhebt, aber überschreitet ins Universale hinein“48. d) Das „Gesetz des Christus“ (Gal 6,2) als ‚Tora des Messias Mose‘: ein folgenreicher Denkanstoß von Heinrich Schlier Das Motiv ‚Jesus als lebendige Tora Gottes‘ geht auf eine wenig beachtete Quelle zurück. Bereits 1994 hat Joseph Ratzinger in seinem Aufsatz Der Neue Bund den Kommentar zum Galater-Brief des Bonner Neutestamentlers Heinrich Schlier zitiert.49 Dieser Rudolf Bultmann gewidmete Kommentar, der 1949 in erster Auflage erschienen ist und dann überarbeitet wiederholt neu aufgelegt wurde, muss hier aus mehreren Gründen kurz eingespielt werden: zum einen begegnet bereits hier das Wort von der „Tora des Messias Jesus“50 als Kommentar zur paulinischen Rede vom „Gesetz des Christus“ (Gal 6,2); zum anderen wird diese Tora des Messias durch das Sprachspiel der Innovation wiederholt als ‚neu‘ qualifiziert. Schlier schreibt, bei der Bergpredigt handele es sich „nicht nur um eine neue Auslegung der Tora, sondern um ein im Prinzip durch Christus erneuertes Gesetz“51; entsprechend taucht drittens bei Schlier bereits die signifikante Figur der Verschiebung auf, nach der die Observanz gegenüber der Tora des Mose übergeht in die persönliche Nachfolge des Messias Jesus und seines im Geist erneuerten Gesetzes. Das Gesetz des Glaubens schaffe Geist und Leben, das Gesetz der Werke aber erzeuge den Tod. Schlier schreibt: „Die Tora des Messias ist in der Tat eine ‚Interpretation‘ des mosaischen Gesetzes. Freilich ist diese Interpretation eine solche mit Vollmacht und nicht wie die der Schriftgelehrten. Man kann auch sagen: eine Interpretation durch des Messias Jesus Kreuz [sic!], das im Evangelium den Glauben erweckt und so den Anspruch und die Erfüllung des Gesetzes freilegt.“52 Ratzinger zitiert diese Stelle und kommentiert: „Die Tora des Messias ist der Messias, Jesus selbst […] In dieser Tora, die Jesus selbst ist, erscheint das bleibend Wesentliche der steinernen Tafeln vom Sinai nun in lebendiges Fleisch 46 Ratzinger,

Jesus von Nazareth. Erster Teil, S. 143, 312. a. a. O., S. 28, 30 f., 95 f., 110 u.ö. 48 A. a. O., S. 95. 49 ders., Die Vielfalt der Religionen und der Eine Bund, S. 71 f. 50 H. Schlier, Der Brief an die Galater, Göttingen 41965, S. 272 f. Schlier verweist auf Midr. Qoh. 11,8, wo sich die einmalige Aussage findet, die Tora, die ein Mensch in der Welt lernt, sei Nichtigkeit gegenüber der Tora des Messias. Vgl. H. L. Strack/P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, Bd. 3, München 91979, S. 577. 51 Schlier, Der Brief an die Galater, S. 272. 52 A. a. O., S. 273. 47 Vgl.

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eingeschrieben.“53 Jesus ist demnach nicht nur Ausleger, sondern, wie es in einer Sprache der Identifikation heißt, Inkarnation der Tora. Der Skopus verschiebt sich damit von der Tora des Mose auf die Erfüllung der Tora durch den Messias Jesus. Ab jetzt geht es darum, das Doppelgebot der Gottes‑ und Nächstenliebe (vgl. Dtn 6,5; Lev 19,18. 34), das Jesus für seine Nachfolgegemeinde als Hauptgebot festlegt, zu befolgen und in der Gesinnung Christi nachzuahmen. Das ist ab nun die den Christinnen und Christen abverlangte „Einhaltung der Tora, die in ihm [sc. Jesus Christus] selbst unwiderruflich erfüllt ist“.54 e) Jesus, die lebendige Tora Gottes? Problemüberhänge Halten wir im Sinne einer Zwischenbilanz fest: Joseph Ratzinger, auf den die Rede von Jesus als der lebendigen Tora im Kommissionsdokument von 2015 zurückgehen dürfte, führt das Gespräch mit einem Vertreter des zeitgenössischen Judentums auf gleicher Augenhöhe. Der Disput mit Rabbi Neusner über die Bergpredigt kommt ohne apologetische oder polemische Töne aus, er ist frei von jeder Tendenz der Proselytenmacherei. Das Nein des Juden aus Treue zur Tora wird respektiert und als Anfrage an den christlichen Glauben ernstgenommen. Ratzinger hat die Absicht, „ehrfürchtig auf diesen Gehorsam Israels hinzuschauen und so die großen Imperative des Dekalogs besser wahrzunehmen“55. Zugleich wirbt er für das Ja der Christen zu Jesus als der ‚lebendigen Tora Gottes‘, indem er Neusners Einsprüche aus christlicher Sicht kommentiert. Gleichzeitig wird der Differenzpunkt vom Moralischen ins Theologische verschoben. Nicht der Gegensatz: Legalismus versus Befreiung ist leitend, sondern der im Akt der Tora-Interpretation sich kundtuende autoritative Anspruch des Interpreten Jesus. Dieser Anspruch wird von Neusner ebenso klar erkannt wie deutlich zurückgewiesen. Ratzinger sieht umgekehrt gerade im Vollmachtsanspruch das Anzeichen dafür, dass Jesus der ‚neue‘ Mose ist, der die ‚erneuerte Tora‘ bringt, ja diese ‚Tora in Person‘ ist. Doch problematisch ist diese Logik der Identifikation, die einen Begriff rabbinischer Theologie – Tora – christologisch auflädt. „Nein, Jesus ist nicht die Tora, auch nicht die neue Tora. Die Tora ist kein Mensch, und sie kann nicht ersetzt werden“, opponiert Klaus Berger – und ergänzt: „Die Neigung Ratzingers, von Jesus in ‚ist‘-Formeln zu sprechen, ist im ganzen sehr angreifbar.“56 Angreifbar 53 J. Ratzinger – Benedikt XVI, Die Vielfalt der Religionen und der Eine Bund, Hagen 1998, S. 72. 54 Ebd. 55 ders., Jesus von Nazareth. Erster Teil, S. 155. 56 K. Berger, Kant sowie ältere protestantische Systematik. Anfragen des Exegeten an Benedikt XVI., in: ‚Jesus von Nazareth‘ kontrovers. Rückfragen an Joseph Ratzinger, hrsg. v. K. Lehmann, Berlin 2007, S. 27–40, hier: S. 33 f.

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ist die Identifikation Jesu mit der Tora auch deshalb, weil sie im Sinne der „Beerbung“57 oder gar Substitution aufgefasst werden kann.58 Problematisch ist weiter die forcierte Rhetorik der Innovation: Jesus, der ‚neue‘ Mose, bietet die ‚neue‘ Tora, die eine ‚neue‘ Jüngergemeinschaft, die ‚neue‘ Familie Gottes konstituiert.59 Hier wird man in Erinnerung rufen müssen, dass es viele Stellen in den Evangelien gibt, an denen Jesus sich affirmativ auf die Autorität des Mose bezieht, um diese gegen Alternativdeutungen durch Pharisäer oder Sadduzäer zur Geltung zu bringen.60 Ja, er selbst sagt in der Parabel vom reichen Prasser und armen Lazarus, dass Mose und die Propheten genügen (Lk 16,19– 31).61 Durch die Forcierung des Neuen, dem leicht ein Überbietungsgefälle eingeschrieben ist, droht der Vorzug der Bestimmung Jesu als Tora in Person wieder verdunkelt zu werden. Die bleibende Verwiesenheit der Christologie auf das Erbe Israels wird zugedeckt, wenn der Glanz des Neuen das Alte so überstrahlt, dass es in den Hintergrund gerät. Problematisch ist schließlich das Verhältnis zwischen ‚Jesus dem Interpreten der Tora‘ und ‚Jesus der Tora in Person‘. Soll die neue Interpretation der Tora durch Jesus so verstanden werden, dass der Interpret mit dem Interpretierten schlichtweg zusammenfällt? Einerseits ist von der Tora die Rede, die der Messias bringt, andererseits soll er selbst die Tora in Person sein. Gibt es nicht Stellen in der Schrift, die deutlich machen, dass sich Jesus der Tora unterwirft (vgl. Joh 15,10), dass er sie bis ins kleinste Jota hinein erfüllt (Mt 5,17–19)? Statt in einer Logik der Identifikation Jesus und die Tora gleichzusetzen wäre eine Logik der Partizipation angemessener, die deutlich macht, dass über die Nachfolge Jesu Anteil an der Tora Israels gewährt wird. Treffend formuliert Jürgen Werbick: „Von der Erfüllung der Tora in Jesus Christus wird neutestamentlich in dem Sinne gesprochen, dass die Tora in der Gabe mitgegeben ist, die dem Volk 57 So E. Jüngel, Der hypothetische Jesus. Anmerkungen zum Jesus-Buch des Papstes, in: Annäherungen an Jesus von Nazareth, hrsg. v. Tück, S. 94–103, hier: S. 101 f. 58 Paul Petzel hat Ratzingers Rede von Jesus als der Tora in Person sogar mit Hegels Denkfigur der Aufhebung in Verbindung gebracht, nach der die Momente der Negation, der Erhebung und Aufbewahrung zusammenfallen. Vgl. ders., „Ich sage nur ein höfliches Nein und gehe meiner Wege“. Zu Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. Lektüre von Jacob Neusners Jesusbuch, in: Orientierung 72 (2008), S. 167–174, hier: S. 170. 59 Die Semantik der Innovation  – gekoppelt an Markierungen der Eigentlichkeit und Authentizität  – begegnet auch bei J. Werbick, Gott-Menschlich. Elementare Christologie, Freiburg i. Br. 2016, S. 142–149, hier: S. 144: „Die etwa in der Bergpredigt und insbesondere in den Antithesen geltend gemachte Autorität, den eigentlichen Willen Gottes hinter Menschensatzungen authentisch zur Sprache zu bringen, verweist auf eine eschatologische Erneuerung der Tora, die das Gesetz dadurch erfüllt, dass es vom neuen Mose als die Rechtsordnung der jetzt anbrechenden Gottesherrschaft geltend gemacht wird.“ 60 Vgl. die Stellenangaben bei Buckenmaier/Pesch/Weimer, Der Jude Jesus von Nazareth, S. 26 f. 61 Die Selbstbindung Jesu an die Tora wird eindringlich unterstrichen von R. Pesch, Hat Jesus die Tora außer Kraft gesetzt?, in: Buckenmaier/ders./Weimer, Der Jude Jesus von Nazareth, S. 44–83, bes.: S. 49–51.

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Israel, schließlich allen Völkern, von Gott in seinem Sohn und Messias gegeben ist, damit sie sich für die eschatologische Gottesgemeinschaft gewinnen und in Gottes Herrschaft sammeln lassen.“62 Um Ratzingers Rede von Jesus als der lebendigen Tora angemessen zu verstehen, wird man sie wohl auf den ‚Konstruktionspunkt‘ seines Jesus-Buches rückbeziehen müssen, der in der Willens‑ und Gebetsgemeinschaft zwischen Vater und Sohn liegt. Der Sohn will nichts für sich und aus sich sein. Er ist ganz und durchgängig auf den Willen Gottes, des Vaters, bezogen. Dieser Wille aber hat sich zunächst in der Tora des Mose Ausdruck verschafft. Indem Jesus die Tora in Wort und Tat interpretiert und aktualisiert, gibt er ihr einen Kommentar, den Christinnen und Christen als verbindliche Auslegung und eschatologische Verwirklichung deuten. Statt nun mit Ratzinger Jesus selbst als ‚lebendige Tora Gottes‘ zu bezeichnen, was unter der Hand einer Abwertung der (toten?) Tora des Mose gleichkommt, möchte ich vorschlagen, von Jesus als der endgültigen und nicht mehr überbietbaren, potentiell für alle Menschen bedeutsamen Verwirklichungsgestalt der Tora Israels zu sprechen. Das hat den Vorzug, dass die Tora als Bestimmungsgröße erhalten bleibt und nicht christologisch absorbiert oder substituiert wird. Ratzinger hingegen ergänzt den christologischen Topos der ‚lebendigen Tora Gottes‘ durch die Rede von Jesus als dem ‚Wort Gottes in Person‘. Diese Kennzeichnung, die den Logos-Begriff des Johannes-Prologs einspielt, hat die theologische Funktion, in der Pluralität von Tora-Deutungen im damaligen Judentum Jesu Interpretation als singulär auszuweisen und rückzubinden an die trinitätstheologische Voraussetzung jeder Christologie. Es ist der göttliche Logos selbst, der sich in den Worten und Taten Jesu ein für alle Mal ausspricht. Damit steht aber auch die Frage nach dem Fundierungsverhältnis von Logos und Tora im Raum, die man aus christlicher Sicht wohl kaum anders als so beantworten kann, dass der Logos als zweite Person der göttlichen Trinität der Tora des Mose vorausliegt, und nicht umgekehrt. Die Tora ist Ausdrucksmedium und ‚Sakrament‘63 des Wortes Gottes, das in Jesus von Nazareth Mensch wird. Im Leben und Sterben Jesu realisiert sich daher nicht nur die authentische Explikation und Interpretation der Tora, es spricht sich darin auch und vor allem der Logos Gottes selbst aus. Ohne diese zentrale Frage hier weiter zu verfolgen, möchte ich abschließend den Vorschlag machen, das jüdisch-christliche Gespräch über Jesus nicht an der Grenzlinie des göttlichen Vollmachtsanspruchs zu führen, wie es Joseph 62 Werbick, Gott-Menschlich, S. 148. Die Rede von der Mitgabe der Tora in der Gabe des Messias, die das Sprachspiel der Partizipation stark macht, wird im folgenden Satz dann allerdings unterlaufen, wenn es heißt: „Jesus, der Christus, ist die Tora in Person.“ 63 Klar formuliert K.-H. Menke, Jesus ist Gott der Sohn. Denkformen und Brennpunkte der Christologie, Regensburg 32012, S. 33: „Die Tora ist Interpretation des ewigen Logos und nicht umgekehrt der Fleisch gewordene Logos die bloße Veranschaulichung der Tora.“ Im Rahmen seiner christologischen Interpretation kann Menke zugleich die Tora als Sakrament des göttlichen Logos in der Geschichte Israels würdigen.

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Ratzinger und Jacob Neusner getan haben, sondern die rabbinische Vorstellung der Inhabitation in Analogie zum christlichen Inkarnationsglauben zu erörtern. Die Analogie hat gegenüber der Logik der Identifikation den Vorzug, dass sie Nähe und Differenz, Ähnlichkeit und Unähnlichkeit gleichermaßen notiert. Das Interesse besteht also nicht darin, Jesus als die ‚neue‘ oder ‚wahre‘ Schekhina Gottes auszuweisen, sondern Nähe und Differenz zwischen einem Leitbegriff des rabbinischen Judentums und der christlichen Inkarnationstheologie auszuloten.

4. Inhabitation – Inkarnation: Ein Alternativvorschlag zur Bestimmung von Nähe und Differenz Martin Buber hat von der ‚Inkarnationslosigkeit des Judentums‘ gesprochen und damit eine scharfe Grenzziehung zum Christentum vorgenommen.64 Allerdings ist die Differenz nicht so fundamental, wie es dieses viel zitierte Wort nahelegt, zumindest dann, wenn man neueren Studien zum rabbinischen Judentum Gehör schenkt. Danach ist zunächst die mit dem Inkarnationsmotiv verbundene Vorstellung der Präexistenz des Logos dem Judentum nicht prinzipiell fremd. Entgegen der verbreiteten Vorstellung, dass sich der strikte Monotheismus Israels vom christlichen Glauben an Christus, den Sohn Gottes, fundamental unterscheide, ist mit Peter Schäfer allerdings darauf hinzuweisen, dass es im Judentum der Zeitenwende binitarische Vorstellungen von zwei Mächten im Himmel gab. Zunächst gibt es im Buch Daniel die Vision vom Menschensohn, der mit den Wolken des Himmels kommt und dem Hochbetagten auf seinem Thron vorgestellt wird. Ihm werden, so heißt es, „Herrschaft, Würde und Königtum gegeben“, alle Völker, Nationen und Sprachen müssen ihm dienen, seine Herrschaft ist von ewiger Dauer (vgl. Dan 7,13f). Das ist die biblische Vorlage für rabbinische Deutungen, die den Menschensohn entweder mit einem zweiten Gott oder mit einem höchsten Engelwesen in Verbindung bringen.65 Weiter findet sich in der jüdischen Weisheitsspekulation die Vorstellung einer personifizierten Weisheit, die bereits vor der Erschaffung der Welt geboren wurde. Sie ist Geschöpf, aber vor aller Schöpfung. Die Sprüche Salomos lassen die Weisheit in immer neuen poetischen Anläufen verkünden, dass sie beim Schöpfungswerk bereits anwesend war und „allezeit“ als „geliebtes Kind“ (hebr. amon) vor dem Antlitz 64 Programmatisch hält er in seiner Rede Die Brennpunkte der jüdischen Seele, die er im März 1930 auf einer Tagung der vier Judenmissionsgesellschaften gehalten hat, fest: „Die Inkarnationslosigkeit des dem ‚Fleisch‘ sich offenbarenden und ihm in der gegenseitigen Beziehung gegenwärtigen Gottes und die Zäsurlosigkeit der auf Erfüllung ausgerichteten und immerdar Entscheidung erfahrenden Menschengeschichte sind das letztlich Sondernde zwischen Judentum und Christentum.“ M. Buber, Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden, Gerlingen 21993, S. 205. 65 Vgl. P. Schäfer, Zwei Götter im Himmel. Gottesvorstellungen in der jüdischen Antike, München 2017, S. 25–30.

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Gottes spielte (vgl. Spr 8,22–30). Gleichzeitig ist es die Freude der Weisheit, bei den Menschen zu sein (Spr 8,31). In Jesus Sirach (24,3–6) wird diese Vorstellung konkretisiert. Hier geht die präexistente Weisheit „aus dem Mund des Höchsten“ hervor, auf einem Wolkenthron hat sie einen Sitz im Himmel, im Buch der Weisheit wird sie als Urbild der göttlichen Vollkommenheit und zugleich als emanatorische Kraft gesehen, die bei den Menschen Wohnung nehmen will (vgl. Weish 7, 25f). Der Drang der Weisheit ‚zur Immanenz in der irdischen Welt der Menschen‘ wird fortgeschrieben, wenn es heißt: „Er sprach: In Jakob sollst du wohnen, in Israel sollst du deinen Erbbesitz haben“ (Sir 24,8). Schäfer kommentiert: „Die inkarnierte Weisheit wird von Gott auf die Erde zu den Menschen geschickt, um bei ihnen zu wohnen.“66 Bei Philo von Alexandrien wird zwischen Logos und Weisheit dann näher unterschieden: Der Logos ist der Urheber der intelligiblen Welt (des kosmos noetos), die Weisheit hingegen fungiert als Prinzip der sinnlich wahrnehmbaren Welt (des kosmos aisthetos). Der Logos rückt sehr nahe an Gott heran, er wird als ‚Erstgeborener‘ und ‚zweiter Gott‘ bezeichnet, der die menschlichen Seelen nicht nur schafft, sondern auch ihre Verbindung zu Gott vermittelt.67 Die Nähe zum Prolog des Johannesevangeliums ist hier mit Händen zu greifen, der allerdings einen entscheidenden Schritt über Philo hinausgeht und eine Differenz markiert, wenn er von der Fleischwerdung des göttlichen Logos spricht. Diese Spitzenaussage des Prologs, auf den sich die inkarnationstheologische Reflexion seit jeher bezieht, wird aber sofort durch das Motiv der Einwohnung ergänzt: „und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14). Diese Aussage ist im Resonanzraum des Alten Testaments zu lesen. Denn „das Wohnen des Wortes unter uns, wörtlich sein Zelt-Aufschlagen unter uns, spielt an auf das Offenbarungszelt am Sinai, wo sich die Herrlichkeit Gottes zeigt (Ex 19 f.; 33,7–34,35; 40,34–38).“68 Dieses Motiv wird durch die rabbinische Theologie der Schekhina weitergeführt – eine Lehre, die nach der Zerstörung des zweiten Tempels 70 n. Chr. sukzessive entwickelt und ausgebaut wurde. Sowohl der Gedanke der Menschwerdung als auch die Vorstellung der Schekhina sprengen die Kategorien der philosophischen Gotteslehre insofern, als sie den Begriff Gottes in Verbindung bringen mit der Geschichte der Menschen. Sie beschreiben den Akt der personalen Zuwendung Gottes zu seinem erwählten Volk in Kategorien der Relation und des Werdens. Die Vorstellung der Schekhina geht von einer geschichtsbegleitenden Kondes­ zendenz und besonderen Präsenz Gottes bei seinem erwählten Volk aus: im 66 Beide Zitate bei Schäfer, Zwei Götter im Himmel, S. 35, der dann den weiteren Weg im rabbinischen Judentum von der personifizierten Weisheit zum Buch der Tora nachzeichnet. 67 Vgl. a. a. O., S. 69–71. Im Blick auf die Logoslehre des Philo wird festgehalten: „Näher konnte das Judentum dem, was in der Christologie entfaltet werden sollte, nicht kommen.“ (A. a. O., S. 71) Ausführlicher dazu: D. Boyarin, Border Lines. The Partition of Judaeo-Christianity, Philadelphia 2004, S. 112–147. 68 C. Rutishauser, Christlicher Inkarnationsglaube und interreligiöser Dialog, in: ders., Christlichen Glauben denken, S. 132–151, hier: S. 142.

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brennenden Dornbusch, auf dem Berg Sinai, im Bundeszelt, im Tempel, aber auch in der bedrängten und leidenden Gemeinde.69 Gott bleibt demnach nicht in sich und für sich, er wendet sich seinem Volk zu, indem er sich herablässt und sich ihm zuneigt. Der in Jes 7,14 erwähnte Name „Immanu-El“ – Gott mit uns – wurde von den Rabbinen mit Blick auf die Einwohnung Gottes umgeschrieben: „Immanu-Schekhina“ (bHag 14b). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Schekhina-Gegenwart auch mit der Tora und ihrem Studium verbunden wird. „Nach mAv 3,2 ist die Schekhina ‚zwischen‘ bzw. ‚mitten unter‘ jenen, die sich um die Tora bemühen, sie ist sogar anwesend, wenn sich einer allein mit der Tora beschäftigt.“70 Da die Tora über das Memorieren, Studieren und Kommentieren hinaus den Lebensstil der Frommen Israels prägen und sich ins Fleisch einschreiben soll, liegt der Gedanke nicht fern, dass dort, wo die Weisungen der Tora einen authentischen Kommentar im Leben erhalten, die Schekhina anwesend ist. So heißt es bei den Rabbinen, dass jeder, der demütig ist, die Schekhina bei den Menschen im Lande wohnen lässt.71 Hochmut hingegen vertreibt die Schekhina. Entsprechend ist jeder Jude aufgefordert, die Tora in seinem Leben zu inkarnieren. „Die Tora hat keinen Glanz, wenn der Mensch abseits steht. Das Ziel für den Menschen ist, eine Inkarnation der Tora zu sein.“72 Ein Jude, der den Weisungen der Tora rückhaltlos entsprechen und die Haltung der Demut vollkommen verwirklichen würde, wäre damit ein ausgezeichneter Ort der Gegenwart Gottes in dieser Welt! Die Schekhina selbst wird schließlich immer wieder in anthropomorphen Wendungen beschrieben. Als irdische Gegenwartsweise des himmlischen Gottes können ihr ein menschliches Antlitz, aber auch körperliche Attribute wie sogar ‚Füße‘ oder ‚Schwingen‘ attestiert werden – Zuschreibungen, welche sich trotz des Bilderverbots bereits im Alten Testament finden.73 Ohne die genuin jüdische Vorstellung der Schekhina christlich zu vereinnahmen, lässt sich in ihr doch eine gewisse Nähe zur Vorstellung der Inkarnation erkennen, insofern als sie die Transzendenz Gottes über das Motiv der Einwohnung mit der Immanenz in der Geschichte in Verbindung bringt. Allerdings besteht eine bleibende Differenz darin, dass nach dem Johannes­ prolog der göttliche Logos selbst Fleisch wird – ein Motiv, das in der patristischen Theologie dann weiter bedacht und entfaltet wird. Die Theologie der Rabbinen 69 Vgl. die Dokumentation der entsprechenden Texte bei P. Kuhn, Gottes Selbsterniedrigung in der Theologie der Rabbinen, München 1967, bes.: S. 34–46. 70 C. Thoma, Art. Schekhina, in: J. J. Petuchowski/C. Thoma, Lexikon der jüdisch-christlichen Begegnung, Freiburg i. Br. 1990, S. 352–356, hier: S. 353. 71 Vgl. Kuhn, Gottes Selbsterniedrigung, S. 41. 72 A. Heschel, Gott sucht den Menschen. Eine Philosophie des Judentums, Neukirchen 1980, S. 240. Vgl. zum Hintergrund B. Dolna, An die Gegenwart Gottes preisgegeben. Abraham Joshua Heschel – Leben und Werk, Mainz 2001. 73 Vgl. C. Markschies, Gottes Körper. Jüdische, christliche und pagane Gottesvorstellungen in der Antike, München 2016.

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aber markiert an diesem Punkt deutliche Zurückhaltung. Sie betont, dass Gott nicht ganz auf die Erde hinabgestiegen und selbst Mose nicht ganz zu ihm hinaufgestiegen ist. Inhabitation ist nicht Inkarnation. Die rabbinische Schekhina-Theologie kann daher nicht mit dem Glauben an die Menschwerdung Gottes in Jesus identifiziert werden. Aber sie bietet im Horizont des Judentums doch ein Modell, die Transzendenz Gottes mit seiner geschichtlichen Einwohnung bei seinem Volk zusammenzudenken  – ein Modell, das im Kolosserbrief aufgegriffen und fortgeschrieben wird, wenn es heißt, dass in Christus „die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt“ (Kol 2,9). Das Wort Hans Urs von Balthasars von Israel als „formaler Christologie“74 dürfte daher auch auf die Schekhina-Vorstellung zutreffen, wenn gilt, dass die Schekhina weder ein Geschöpf noch eine bloße göttliche Eigenschaft, sondern Gott selbst in seiner geschichtlichen Kopräsenz mit seinem Volk ist,75 und dennoch unterschieden von Gott, dem Ewigen. Diese sich hier andeutende Selbstunterscheidung zwischen Gott in seiner himmlischen Erhabenheit und Gott in seiner geschichtlichen Menschenzuwendung steht auch im Hintergrund der Kenosis-Vorstellung, die Paulus in theopoetischer Verdichtung in seinem Christus-Lied im Brief an die Philipper entwickelt (vgl. Phil 2,6–11).76 Diese Nähe zwischen rabbinischer Schekhina-Vorstellung und christlichem Inkarnationsglauben ist auch von jüdischer Seite registriert worden, ohne die bleibende Differenz allerdings zu verschleiern oder einzuebnen.77 Insbesondere Michael Wyschogrod hat wiederholt die These vertreten, dass die christliche Inkarnationstheologie als Steigerung der Lehre von der Einwohnung Gottes in 74 Balthasar,

Einsame Zwiesprache, S. 76. Von der mystischen Gestalt der Gottheit, Frankfurt a. M. 1973, S. 148. 76  Vgl. H.-U. Weidemann, „Der in Gottesgestalt war“. Zur Theologie des Christuspsalms (Phil 2,6–11), in: IKaZ Communio 44 (2015), S. 224–234. 77 Die folgende Aussage von Pinchas Lapide könnte allerdings im Sinne einer Differenznivellierung gelesen werden: „Wenn ich an die Inkarnation denke, so ist sie im Grund weder Götzendienst noch Kreaturvergötterung und schon gar nicht ein Versuch, Gottes habhaft zu werden, wie etliche Juden behaupten, sondern letzten Endes nur die Weiterentwicklung oder das Bis-zu-Ende-Denken jener hebräischen Heilslehre, die die liebende Zuwendung Gottes an seine Menschheit als Grunddynamik aller Weltgeschichte versteht.“ Lapide/Rahner, Heil von den Juden?, S. 36.  – Das mag nicht ungeteilte Zustimmung auf jüdischer Seite finden, weil hier die Reserve gegenüber jeder Form von Identifikation von Gottes Wort mit einem Menschen unterschlagen wird. Denn die rabbinische Schekhina-Vorstellung hält ja zugleich den Anstoß bereit, das chalzedonische ‚unvermischt‘ als jüdischen Stachel der Christologie präsent zu halten und Inkarnation nicht nach dem Modell einer Vermengung von göttlicher und menschlicher Wirklichkeit zu begreifen. Das hat Karl Rahner denn auch betont (a. a. O., S. 94).  – In der Theologie der Gegenwart sind die chalzedonischen Bestimmungen ‚unvermischt‘ und ‚unverändert‘ von Josef Wohlmuth und Helmut Hoping im Blick auf Emmanuel Levinas’ Anfragen an die christliche Inkarnationstheologie erneut in Erinnerung gerufen worden. Vgl. J. Wohlmuth, Im Geheimnis einander nahe. Theologische Aufsätze zum Verhältnis von Judentum und Christentum, Paderborn 1995, S. 55–62; H. Hoping, Einführung in die Christologie, Darmstadt 2004, S. 153–155. 75 G. Scholem,

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Israel betrachtet werden könne.78 Er hat sich für diese Auffassung auf den Prolog des Johannes-Evangeliums berufen, in dem die Einwohnung Gottes im Tempel in Jerusalem und bei seinem Volk Israel verschoben und konzentriert werde auf den einen Juden namens Jesus von Nazareth. Diese Verschiebung und Konzentration lehnt Wyschogrod ab. Aber auf der Linie eines jüdischen Inkarnationsverständnisses, für das ihm, wie er einräumt, erst im Gespräch mit christlicher Theologie die Augen geöffnet wurden, hat er die denkwürdigen Sätze formulieren können: „Wenn wir bereit sind, die Einpflanzung Jesu in sein Volk ernst zu nehmen, wenn das Israel, das ihn hervorbrachte und dessen (spirituelle, geographische, sprachliche, intellektuelle usw.) Grenzen er nie verließ, mehr ist als bloß die Kulisse des Dramas, der Hintergrund, von dem man Jesus eher abheben müsste als ihn darin zu integrieren, wenn das alles sich änderte, dann muss das, was für Jesus wahr ist, im wesentlichen auch für das jüdische Volk wahr sein. Und das schließt die Inkarnation ein.“79

78 M. Wyschogrod, Incarnation and God’s In-Dwelling in Israel, in: Archivio di Filosofia 67 (1999), S. 147–157, hier: S. 157. Vgl. zum Hintergrund: J.-B. Madragule Badi, Inkarnation in der Perspektive des jüdisch-christlichen Denkens. Mit einem Vorwort von Michael Wischogrod, Paderborn 2006, bes.: S. 69–85. 79 M. Wyschogrod, Inkarnation aus jüdischer Sicht, in: Evangelische Theologie 55 (1995), S. 13–28, hier: S. 26.

Die Herausforderungen für eine Christologie im Angesicht von Jesu Judentum Das theozentrische Beten und Fragen Jesu als bleibende Herausforderung des christlichen Glaubens an den einen Gott Erwin Dirscherl

Vorbemerkung Bevor ich mich dem mir gestellten Thema zuwende, will ich in Erinnerung rufen, dass es natürlich nicht nur eine Christologie gibt, sondern verschiedene Christologien, die schon im neutestamentlichen Kontext aufeinandertreffen, und dass es nicht einfach ‚das‘ Christentum und ‚das‘ Judentum gibt. In dem spannenden Dialogband Ein Jude und ein Jesuit findet sich eine Sequenz, in der Christian Rutishauser sagt: „Wenn wir heute jedoch theologisch darüber nachdenken, wie Jesus Christus für uns Christen mit dem Judentum zusammenhängt, so wird oft gesagt, er verkörpere das Judentum schlechthin. Die hohe Theologie sieht in ihm eine lebendige Tora, so wie es im Johannesprolog heißt, das Wort sei Fleisch geworden. Papst Benedikt fasst das in seinen drei Jesus-Büchern in diesem Sinne zusammen, so dass Jesus zum Inbegriff des Jüdischen wird.“1 Darauf erwidert Michel Bollag: „Mit dieser Fixierung habe ich Mühe. Was ist schon typisch jüdisch? Es gibt so viele verschiedene Formen des Jüdischen. Ich fürchte, hier wird ein Judentum konstruiert, zu dem Jesus gehört haben soll, das es so nicht gibt. Gerade die Konzentration der Sohnschaft Gottes auf eine Person ist das, was mit dem zweiten Wort des Dekalogs ‚Du sollst dir kein Bildnis machen‘, welches das Judentum so tief prägt, nicht kompatibel ist.“2

Rutishauser erwidert, dass er nicht sagen wolle, dass nur Jesus das Jüdische verkörpere. Es gehe ihm um eine Aussage über die einmalige Beziehung Jesu, der den Willen Gottes genau erfüllt und die Tora authentisch gelebt habe, zu Gott,

1 M. Bollag/C. Rutishauser, Ein Jude und ein Jesuit im Gespräch über Religion in turbulenter Zeit, Ostfildern 2015, S. 167. 2 Ebd.

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eine Beziehung, die einmalig ist wie die eines jeden Menschen.3 Diese Dialogsequenz zeigt, dass Christentum und Judentum höchst plurale und komplexe Phänomene sind und der Dialog jeweils aus einer bestimmten Perspektive jener Personen geführt wird, die konkret miteinander sprechen und füreinander ihren je eigenen Glauben bezeugen. Das gilt auch für meine Person und meine Begrenztheit. Was uns als Gottsucher verbindet, ist das Menschliche, das wiederum eine höchst plurale und nicht einfach definierbare Größe darstellt, und unsere Frage nach dem einen Gott, dem Geheimnis unseres Lebens.

1. Die theologische Bedeutung des Fragens für unsere Beziehung zu Gott Amoz Oz und seine Tochter verweisen in ihrem gemeinsamen Buch über Juden und Worte auf das Fragenstellen als den „beliebtesten Zeitvertreib“ bei den Juden“.4 Das Hebräische kenne kein Fragezeichen, aber das Buch der Bücher stecke voller Fragen. Die Bibel könne von allen heiligen Schriften diejenige mit den meisten Fragen sein.5 „Gewiß sind einige Fragen rhetorischer Natur, um Gottes Ruhm zu verkünden. Gott selbst ist ein großer Frager. Die Antworten auf manche seiner Fragen muten auf den ersten Blick selbstverständlich an, aber sie sind es nicht. Der heutige Leser kann über ihnen wie über tiefsinnigen, beunruhigenden Rätseln brüten.“6 Die ersten Fragen nach der Erschaffung der Welt werden als Beispiele angeführt, wenn Gott Adam fragt: Wo bist du? Oder: Wer hat euch gesagt, dass ihr nackt seid? Der Herr fragt Eva und Kain: Was hast du getan? Oder: Wo ist dein Bruder Abel?7 Auch die Kinder lesen diese Texte, die keine Kinderliteratur sind, und befragten die Fragen. Schmu’el Josef Agnon schreibt in seiner Erzählung Tehila, manchmal sei er zwischen den Betenden und denen, die Fragen stellen, gestanden.8 Er hätte wissen müssen, dass manche Beter auch Fragensteller sind. „Aber Agnon hatte eine andere Art von Fragen im Sinn, die des jüngst zum Zweifler gewordenen Menschen, der seinen Glauben verliert.“9 Am sehnsüchtigsten hoffe man auf die Frage zwischen den Generationen, dass die Kinder ihre Eltern befragen, so wie es in der Pessach-Liturgie ritualisiert geschieht. Die einfachen Fragen des Kindes würden als kuschiot bezeichnet, als vertrackte Fragen, genau wie die herausfordernd-rätselhaften Fragen des Talmud,

3 Vgl.

ebd.

5 Vgl.

ebd.

7 Vgl.

ebd. a. a. O., S. 51.

4 A. Oz/F. Oz-Salzberger, 6 Ebd. 8 Vgl.

9 Ebd.

Juden und Worte, Berlin ²2013, S. 47.

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die manchmal hart an der Grenze zur Blasphemie liegen könnten und bei denen man sein Leben oder seinen Verstand riskieren könne.10 Pater Ermes Ronchi hat in seinen Fastenexerzitien im Jahr 2016 für den Papst und die Kurie gesagt: „In einem geflügelten jüdischen Wort heißt es, dass Gott am Anfang das Fragezeichen schuf und es ins Menschenherz hinein legte.“11 Er vergleicht die Frage mit einem von Frauenhänden umfassten Gefäß mit Duftöl, ein Motiv, das die Einladung zu den Exerzitien zierte, denn eine Frage sei wie ein versiegeltes Gefäß, das zu hüten und mit größter Sorgfalt zu öffnen sei. „Fragen bergen Schätze und können uns Neues offenbaren.“12 Daher fordert Pater Ronchi den Papst und die Kurie auf, auf einen Gott der Fragen zu hören und den nackten Fragen des Evangeliums erst einmal nachzuspüren, sie stehen zu lassen, bevor man gleich nach Antworten suchen wolle.13 „Die Fragen lieben! Uns mit den Fragen anfreunden! Warum? Weil sie bereits Offenbarungen sind!“14 Fragen berühren unsere Beziehung zu Gott unmittelbar. Die Fragen machen uns zum Hauptakteur, wir sind gefragt „als freie Partner in einem Dialog mit offenem Ausgang“.15 Ronchi sagt: „Wir machen uns Gedanken, wie wir Gott begegnen können. Überlassen wir es doch ihm, mit uns in Beziehung zu treten – mit seinen Fragen, die Mut machen, denen man aber auch schwerlich ausweichen kann.“16 Denn Fragen seien wie ein Angelhaken und das Evangelium werfe wie ein Angler seine Fragen aus, um uns an sich zu ziehen als „Fischfang des Herrn“, wie Tertullian schreibt, um uns an die Luft empor zu ziehen, genau das sei die Bedeutung der Umkehr.17 Das Fragezeichen sei auch wie eine Adlerkralle, die uns nicht mehr loslässt und sich mit uns emporschwingt, so wie uns wichtige Fragen nicht mehr loslassen und uns mit der Wahrheit konfrontieren, ob wir wollen oder nicht. Aber wir können die Wahrheit nicht besitzen, sie besitzt uns.18 Ronchi eröffnet dann den Blick auf Jesus mit Joh 1,28–39 und einer ersten Frage: „Was sucht ihr?“19 „Nicht unsere Antwort, sondern diese nackte Frage ist Wort Gottes. Es ist eine Frage, die ins Herz trifft, die in uns arbeitet, die Wege bahnt, die hilft, Luft zu holen. Da ist ein Geburtshelfer am Werk, der sein Geschäft versteht.“20 Jesus erscheint als Fragender, als Mäeutiker, der auch als Auferweckter Maria von Magdala im Garten fragen wird: „Wen suchst Du?“21 10 Vgl.

a. a. O., S. 52 f. Die nackten Fragen des Evangeliums, München 2017, S. 11.

11 E. Ronchi, 12

 Ebd.

13 Vgl.

14 Ebd.

a. a. O., S. 12.

15 Ebd.

16 Ebd. 17 Ebd.

18 Ebd.

19 A. a. O., 20 Ebd. 21 Vgl.

S. 13.

ebd. mit Bezug auf Joh 20,15.

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Mit dieser Frage gebe Jesus eine Definition des Menschen, der als Geschöpf ein Fragender und Suchender ist, voller Sehnsucht. Das hätte Karl Rahner nicht schöner formulieren können. Schon die Fragen der Kinder seien Ausdruck unserer Wünsche und Bedürfnisse, von all dem, was wir zum Leben brauchen.22 Das Leben ist voller Veränderungen, Leben bedeutet niemals Stillstand und in diesem Leben öffnen uns Fragen immer für das Neue, sind die Nahrung auf dem Weg zum gelobten Land.23 Ronchi erinnert an die Bedeutung des Wortes Manna in Ex 16,13–15: „Was ist das?“24 Der Name für die Nahrung ist eine Frage! „Der Mensch trägt das Manna der Fragen in sich als ein Geschenk, das Gott in ihn hineingelegt hat. Unsere Nahrung ist die je neue tägliche Ration an Fragen. Sie sind wie Brot für Herz und Geist, Manna für die lange Reise.“25 Rainer Maria Rilke habe dazu geraten, die Fragen zu lieben und sie gut zu leben. Ronchi will dieser Empfehlung folgen und die Fragen Jesu gut leben, denn sie sind Wort Gottes auf dem Weg, sie öffnen Türen und bahnen Wege im Herzen.26 Antworten setzen als Definitionen Schlusspunkte, Fragen geben Fingerzeige und laden ein, weiterzugehen, sie sind wie junge Leute, die das Leben vor sich haben, „Fragen sind wie der frühe Morgen: wer das Fragen wachhält, hat stets den Tag vor sich.“27 In den Evangelien finden sich, so Ronchi, 37 Gleichnisse und über 220 Fragen Jesu an die Jünger, an die Menschen, die ihm begegnen, an Freunde und Gegner. Jesus führe mehr durch Fragen zum Glauben als durch belehrende Reden, denn die offenen Frage ist eine Form gewaltfreier Kommunikation, sie bringt den anderen nicht zum Schweigen, sie sucht das Gespräch und lässt dem Gesprächspartner seine Freiheit und Jesus ist nicht nur einer, der Fragen stellt, er ist selbst eine Frage.28 Dies halte ich für eine spannende und bedenkenswerte christologische These: Die Christologie im Modus des Fragens zu entfalten und eine bleibende Fraglichkeit bzw. Fragilität der Christologie zuzugestehen, die auch die christologischen Dogmen widerspiegeln. Denn diese kreisen um eine einzigartige unmittelbare Gottesbeziehung, die von einer bleibenden Alterität und Diachronie durchzogen bleibt und nicht so einfach zur Sprache zu bringen ist. Pater Ronchi sieht in Jesu Leben und Tod eine Anfrage an uns, worin wir den letzten Sinn und das Glück des Lebens sehen.29 Damit wird die soteriologische Dimension der Christologie eingeholt, die Frage nach dem Heil des Menschen, nach seiner Beziehung zu Gott, in dem allein das Heil liegen kann. Jesus ist, so 22 Vgl.

a. a. O., S. 14. ebd. 24 A. a. O., S. 15. 25 Ebd. 26 Vgl. a. a. O., S. 15 f. 27 A. a. O., S. 16. 28 Ebd. 29 Vgl. ebd. 23 Vgl.

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Ronchi, als Fragender zugleich die Antwort auf diese Frage nach dem Heil.30 Das hebt die bleibende Fraglichkeit aber nicht auf. Die christologische Frage treibt bis heute das theologische Denken an: Wer ist dieser?

2. Die Fragen Jesu und die Fragilität der Christologien Friedrich-Wilhelm Marquardt schenkt der Fraglichkeit ebenfalls seine Aufmerksamkeit und rekurriert gegen Ende seiner zweibändigen Christologie auf Joh 14,8–10. Dort beantwortet Jesus die an ihn gerichtete Aufforderung des Philippus: „Herr, zeig uns den Vater“ (Joh 14,8) mit mehreren Fragen, deren letzte lautet: „Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist?“ (Joh 14,10) Marquardt übersetzt: „Kannst du kein Vertrauen haben in die zwischen Gott und mir gelebte engste Beziehung?“ und spricht von einer Vertrauensfrage, mit der Jesus auf die Frage seines Freundes reagiert.31 Das sei bemerkens‑ und bedenkenswert, denn Jesus gebe seine Antwort in fragender Gestalt, „nur in der Weise von Fraglichkeit“.32 „So verschärft er die Fraglichkeit, indem er die Frage zwar beantwortet, aber die Antwort sofort als Frage dem Freund zurückgibt. Feiner als in diesem Wortwechsel kann einem theologischen und dogmatischen Positivismus nicht begegnet werden, der nirgendwo so falsch wäre wie in einer platten Ja-Nein-Rede über die mysteria divinitatis und Jesu (Ph. Melanchthon).“33 Die Vertrauensfrage bedeutet, dass sich über eine gegenseitige Nähe von Jesus und Gott keine teilnahmslosen Behauptungen in die Welt setzen lassen. „Wer dazu redet, muss seine eigene Hand ins Feuer legen. Er soll erklären können, wie sehr ihm alles, was er hier sagen wollte, von Jesus selbst noch einmal fraglich gemacht worden ist, nachdem der Ursprung der eigenen Frage schon darin lag, dass man Jesu Worte mit Jesu Werken und Handlungen nicht glatt, widerspruchslos zusammenbringen konnte: Er will zum Vater gehen, nachdem er gerade erklärt hatte, mit ihm eins zu sein?“34 Die Frage nach Jesus und nach Gott ist eine Vertrauensfrage, von daher eine Frage des Glaubens. Damit tritt die Soteriologie an die Seite der Christologie und die Frage nach dem Vertrauen in Jesus führt zur Frage nach der unverbrüchlichen Bundestreue Gottes, ohne die eine Christologie nicht zu fassen ist. Die Fraglichkeit Jesu bestehe darin, dass es neben seinem Kommen und Gehen sein geheimnisvolles Bleiben zu bewahren gelte.35 Wenn die innere Kraft der 30 Vgl.

ebd.

31 F.-W. Marquardt,

Das christliche Bekenntnis zu Jesus, dem Juden. Eine Christologie, Bd. 2, München 1991, S. 421. 32 Ebd. 33 Ebd. 34 Ebd. 35 Vgl. a. a. O., S. 428.

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Beständigkeit Jesu aus seiner Entscheidung zu bleiben komme, dann ist er zu dieser Entscheidung nur fähig in der Kraft seiner einzigartigen Gottesbeziehung, denn nur Gott bleibe, indem er komme und gehe.36 Das Bleiben Gottes, das sich auch in Jesus vollziehe, sei in der Bibel eine „Zeithandlung“, die mit der Majestät Gottes zusammenhänge, mit seiner Königsherrschaft, seinen Ratschlüssen und Plänen.37 Ohne diese Theozentrik ist eine Christologie nicht zu haben, Gottes Entscheidungen stehen im Zentrum, auch die Entscheidung, dass Jesus bleibt. Marquardt verweist auf Martin Bubers Übersetzung von Ewigkeit als Weltzeit, die ausdrücke, dass „Zeit in ihrer Ganzheit Gott in seiner Ganzheit unbedingt angeht und dass Gott nicht anders ‚lebendiger‘ Gott ist als darin, dass alles, was er auch im Verhältnis zu sich selbst tut, Zeitigungen sind.“38 Dieses zeitliche Verhältnis zur Ewigkeit Gottes werde im Judentum und Christentum auf je verschiedene Weise gedacht. Gott bleibe nicht unberührt vom Geschehen in der Welt. Dies wolle, so Marquardt, eine trinitarische Gottrede letztlich aussagen: dass die Bündnisse seiner Erwählung und Liebe in ihm selbst ihren Grund haben.39 Die Kraft und Bundestreue Gottes ist die Kraft des Bleibens Jesu, nach der gefragt wird, und Jesus bittet um die Seinskraft und Beständigkeit des Immanuel, „des sich mit Israel und über dies Volk mit allen Völkern verbindenden und verbündenden Gottes, die Kraft des Gott-mit-uns.“40 Heinz-Günther Schöttler hat in seinem beeindruckenden Werk Re-Visionen christlicher Theologie aus der Begegnung mit dem Judentum die Logostheologie im Prolog des Johannesevangeliums auf überzeugende Weise als „Beziehungsaussage“ gedeutet.41 Er verweist nicht nur auf den Unterschied zwischen „ho theos“ und „theos“, den auch Karl Rahner um der Patrozentrik willen herausgestellt hat, sondern ordnet die johanneische Theologie in eine Sendungschristologie ein, die in „der ihr entsprechenden Sprache“ sagen wolle, „dass im Logos Jesus kein anderer spricht und handelt als Gott selbst. Um diese unvergleichliche Gottesbeziehung auszusagen, wird der Logos rhetorisch so nahe wie möglich an Gott herangerückt.“42 „Der Sohn kann nichts von sich aus tun“ (Joh 5,19) – das wäre die Pointe des Johannesprologs, denn: „Der Vater ist größer als ich“ (Joh 14,28). Der Logos werde Gott nicht untergeordnet, sondern in eine unvergleichliche Nähe zu ihm gerückt.43 Das „pros ton theon“ sei eine Beziehungsaussage, eine Zuordnung, „nicht mehr und nicht weniger“.44 Das konvergiere mit der 36 Vgl.

a. a. O., S. 429. a. a. O., S. 430. 38 A. a. O., S. 433. 39 Vgl. ebd. 40 A. a. O., S. 434. 41 H.-G. Schöttler, Re-Visionen christlicher Theologie aus der Begegnung mit dem Judentum, Würzburg 2016, S. 163. 42 Ebd. 43 A. a. O., S. 164. 44 Ebd. 37 Vgl.

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weisheitlichen Logostheologie. Joh 1,1 nehme Spr 8,22 f. und Sir 24,9 auf, Bezüge zu Weish 8,3 und 9,9 liegen nahe und schließlich sei an die Unterscheidung von ho theos und theos bei Philo von Alexandrien zu erinnern, der mit seinem Logoskonzept bei Joh auch im Hintergrund stehe.45 Die Zuordnung von Gott und Logos kann nicht als Identität verstanden werden. Sie bedeutet eine Beziehung, die innerhalb jüdischer Debattenlagen zur Sprache gebracht wird, um die soteriologische Bedeutung Jesu zu heben. Schöttler springt dann zu einem Exkurs über Gregor von Nazianz, um zu zeigen, dass die später sich entfaltende trinitarische Gottrede auch den Begriff Vater als Bezeichnung einer Beziehung versteht.46 Hier kann er auf dogmatische Untersuchungen zurückgreifen, die den Begriff der Relation in der Trinitätstheologie zu Recht stark machen. In der heilsökonomischen Beziehung von Vater und Sohn gilt es, einen Unterschied und eine Ordnung zu beachten, die den Vater als Ursprung des Heilsgeschehens und auch als Ursprung des Logos (Zeugung) so würdigt, dass die Patrozentrik, die die Botschaft Jesu auszeichnet, auch in den christologischen und trinitarischen Reflexionen gewahrt bleibt. Dass dies nicht ohne Spannungen zur Sprache zu bringen ist, liegt auch an der ontologischen Reflexion, die sich schwer damit tut, die heilsökonomische Nachordnung und zugleich die einzigartige Nähe des Sohnes im Gegenüber zum Vater adäquat zu fassen.47 Schöttler hat Recht: Die Beziehung zwischen Vater und Sohn beinhaltet immer eine bleibende Differenz; eine Einheit zwischen Gott und Mensch ohne Differenz ist auch in der Christologie nicht denkbar. Diese Differenz ist Zeichen der bleibenden Transzendenz Gottes gegenüber dem Menschen, auch wenn von einer Inkarnation des Logos die Rede ist. Es ist in diesem Kontext erstaunlich, dass die Christologien des Neuen Testaments sich allesamt vor dem Alten Testament und d. h. der Bibel Israels legitimieren müssen. Das, was wir im Christentum bis heute unter der ambivalenten Hermeneutik von Verheißung und Erfüllung lesen und zu einer Überbietungschristologie geführt hat, stellt sich zunächst komplett anders dar. Die Evangelien versuchen über die Schriftbezüge gerade zu zeigen, dass das, was im Leben und Sterben Jesu geschehen ist und in der Auferweckung weiterhin geschieht, sich vom Alten Testament her deuten und mit Bedeutung versehen lassen kann. Wenn es keine Grundlage im Alten Testament gäbe, wäre eine Christologie sinnlos. Sie hätte keinen Ort mehr. Ohne den Kontext der alttestamenlichen Bundestheologie wäre eine Rede vom erneuerten Bund in Christus nicht zu fassen. Die Christustitel Sohn und Wort Gottes, Messias, Menschensohn, Prophet etc. werden in Auseinandersetzung mit den Schriften Israels und in den Diskursen, 45 Vgl.

a. a. O., S. 162 f., 164 f. a. a. O., S. 165 f. 47 Vgl. a. a. O., S. 166. 46 Vgl.

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denen sich Jesus und die Jünger aussetzen, entfaltet. Und das, was Jesus lehrt und tut, wird von den Schriften Israels her auf seinen Sinn und theo-logischen Ursprung hin befragt, weil Menschen Heilserfahrungen mit seinen Zeichen, Heilungen und Worten in Verbindung bringen. Schöttler hat diesen Befund klar erkannt und zwischen einer von der Bibel Israels als sprach-logischer und theo-logischer Erkenntnisquelle ausgehenden prospektiven Auslegung des AT und einer retrospektiven Deutung des AT unterschieden.48 Die Bibel Israels ist der bleibende vorgegebene Sinnhorizont der Christologie für eine prospektive Deutung. Davon ist die retrospektive Deutung des Alten Testaments deutlich zu unterscheiden, die im Alten Testament einen verborgenen christologischen Sinn vermutet und diesen konsequent sucht und findet.49 Diese Deutung weiß „alles besser als die Bibel Israels“, sie benutzt das Alte Testament zur apologetischen Begründung des Christusbekenntnisses und weiß schon vorher, was sie finden will.50 Diese Leseweise führt dazu, die neutestamentliche und somit christologische Deutung der Bibel Israels als deren ursprünglichen und eigentlichen Sinn auszugeben, was auch bei Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. geschieht.51 Dies enteignet das Judentum seiner Heiligen Schriften, weil die Kirche sich anmaßt, die eigentliche Auslegung des Alten Testament zu bieten. Schöttler plädiert auf diesem Hintergrund dafür, die Richtung wieder umzudrehen: Das Christusereignis ist im Licht der Bibel Israels zur Sprache zu bringen, weil Gott seine Verheißung und Treue in Jesus Christus bekräftigt. Das Verstehensmodell von ‚Verheißung und Erfüllung‘ ist zu revidieren, denn Jesus Christus ist noch nicht die Erfüllung, sondern Bestätigung und Bekräftigung der an Israel ergangenen Verheißungen.52 Schöttler verweist mit dem Matthäusevangelium auf die eschatologische Spannung in der neutestamentlichen Christologie, denn Jesus Christus sei der „Mandatar“ Gottes (Mt 28,18), der kraft der Vollmacht Gottes handelt und alle zu dem Ziel hin führen wolle, das allein der Gott Israels ist.53 Damit werde die bleibende Differenz zwischen Gott und dem Auferweckten markiert. Auch die Christen sind noch nicht am Ziel, denn wie Joh 20,11–18 bezeugt, entzieht sich der Gesandte dem Zugriff der Jünger, die ihn nicht festhalten können. Die Glaubenden werden in die Spannung zwischen Vertrauen und Zweifel entlassen und genau das mache die Lebendigkeit des Glaubens aus. So wie in Ex 17,7 die Frage gestellt werde, ob der Herr in der Mitte seines Volkes sei oder nicht, so sei auch die Zeit der Kirche bleibend von Vertrauen und Zweifel geprägt.54 48 Vgl.

a. a. O., S. 122. ebd. 50 Vgl. ebd. 51 Vgl. a. a. O., S. 123 f. 52 Vgl. a. a. O., S. 125. 53  A. a. O., S. 306 f. 54 Vgl. a. a. O., S. 308, dort auch Anm. 389 mit dem Verweis auf Ex 17. 49 Vgl.

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Aus der Sicht der Kommission für die religiösen Beziehungen mit den Juden des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen wird Folgendes festgehalten: „Das Dokument der Päpstlichen Bibelkommission Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel vom Jahre 2001 hat daher behauptet, dass die Christen zugeben können und müssen, ‚dass die jüdische Lesung der Bibel eine mögliche Leseweise darstellt, die sich organisch aus der jüdischen Heiligen Schrift der Zeit des Zweiten Tempels ergibt‘, und zwar in ‚Analogie zur christlichen Leseweise, die sich parallel entwickelte‘, um daraus den Schluss zu ziehen: ‚Jede dieser beiden Leseweisen bleibt der jeweiligen Glaubenssicht treu, deren Frucht und Ausdruck sie ist. So ist die eine nicht auf die andere rückführbar‘ (Nr. 22).“55 Und wenig später heißt es: „Dass die Juden Anteil an Gottes Heil haben, steht theologisch außer Frage, doch wie dies ohne explizites Christusbekenntnis möglich sein kann, ist und bleibt ein abgrundtiefes Geheimnis Gottes.“56 Auch die lehramtlichen Texte können die Spannung nur benennen, aber nicht lösen. Jeder Vermittlungsversuch kann nur in klassische Aporien führen. Die fragile Gratwanderung zwischen Identität und Nichtidentität, Kontinuität und Diskontinuität von Altem und Neuem Testament muss als Einheit in Unterschiedenheit ernst genommen und in der Zeit gegangen werden. Dies erfordert, eine „Kunst der Unterscheidung ohne Abwertung“57 zu erlernen. Nur eine Christologie, die beide Weisen der Präsenz des Bundes und des Gotteswortes im Judentum und im Christentum respektiert, wird dem singulären Phänomen der Bezogenheit von Kirche und Israel gerecht, das von wahrhaft ökumenischer Tragweite ist, weil das Wort des einen Gottes so der ganzen Welt bezeugt wird.

3. Die unmittelbare Nähe Gottes in der Zeit: Zur Fragilität und Theozentrik der christologischen Dogmen Die Christologie befasst sich in ihrem soteriologischen Kern mit der Gottesbeziehung des Menschen. Denn die einzigartige Beziehung Jesu zum Vater soll für alle Menschen eine Heilsbedeutung haben. Das führt schon im Neuen Testament zu verschiedenen Ausprägungen christologischer Konzepte. Die Frage 55 Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen/Kommission für die religiösen Beziehungen mit den Juden, „Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“. (Röm 11,29) Reflexionen zu theologischen Fragestellungen in den Katholisch-Jüdischen Beziehungen aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums von Nostra Aetate Nr.  4, Rom 2015, http://www.vatican.va/roman_curia/pontifical_councils/c​h​r​s​t​u​n​i​/​r​e​l​a​t​i​o​n​s​-​j​ e​w​s​-​docs/rc_pc_chrstuni_doc_20151210_ebraismo-nostra-aetate_ge.html (12.  12.  2017), S.  31. 56 A. a. O., S. 36. 57 T. Söding, „[…] die Wurzel trägt dich“ (Röm 11,18). Methodische und hermeneutische Konsequenzen des jüdisch-christlichen Dialoges in der neutestamentlichen Exegese, in: Methodische Erneuerung der Theologie. Konsequenzen der wiederentdeckten jüdisch-christlichen Gemeinsamkeiten, hrsg. v. dems./P. Hünermann, Freiburg i. Br. 2003, S. 35–70, S. 51.

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„Wer ist denn dieser?“ (Mk 4,41) durchzieht die Christologien bis hin zu Walter Kasper, Michael Welker oder Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. und wird von René Dausner als christologische Grundfrage bezeichnet.58 Bis heute gibt es verschiedenste christologische Entwürfe und Traditionen, die mehr die Gottheit oder mehr die Menschheit Jesu Christi betonen oder versuchen, die fragile Balance zwischen Gottheit und Menschheit zu halten. Das Dogma von Chalkedon (451 n. Chr.) mit der spannungsgeladenen Formulierung über die zwei Naturen in Jesus Christus, der als wahrer Gott und wahrer Mensch erkannt wird, wobei die beiden Naturen weder vermischt noch getrennt werden dürfen, beschreibt eine Differenz und Einheit zugleich, eine Einheit in bleibender Unterschiedenheit, eine geheimnisvolle Beziehung zwischen Jesus und Gott.59 Es kann für die Konzilsväter niemals eine Identität zwischen Gott und Mensch oder zwischen Vater und Sohn geben, weil beide zu unterscheiden sind. Dies nenne ich eine unmittelbare Beziehung, die durch eine bleibende Differenz gezeichnet ist. Unmittelbarkeit ist ein Beziehungsbegriff, der eine Alterität voraussetzt. So respektiert man das Gegenüber von Gott und Jesus in den Evangelien, denn Jesus betet zu Gott und er stellt ihm Fragen. In der Passion hören wir von seinem Ringen mit dem Vater. Kann dieser Kelch nicht an mir vorüber gehen? Mein Gott, wozu hast du mich verlassen? Jesus will den Willen Gottes tun, er will seinen Geboten und der Tora entsprechen, er will gehorchen. Das geht nur, wenn die beiden bleibend unterschieden sind. Die einzigartige Beziehung zwischen Vater und Sohn bleibt selbst da erhalten, wo die Beziehungsaussage in Gott selbst hineinverlagert wird. Sie verschwindet nicht in einer Unterschiedslosigkeit Gottes. Und sie wird als asymmetrische und unumkehrbare Beziehung zur Sprache gebracht, insofern diese Beziehung im Vater ihren rätselhaften Ursprung hat (Monarchia Gottes). Man beginnt mehr und mehr von unumkehrbaren Relationen in Gott zu sprechen und versteht von dorther die Begriffe Persona und Hypostase, die ins Unnennbare hineinragen. „Person ist die reine Relation der Bezogenheit, nichts sonst.“60 Das letzte, auf das die Geschichte Jesu bezogen, reduziert wird, ist die Relatio in Gott selbst. Gott offenbart sich in einem Beziehungsgeschehen, nicht absolut. Weiter als bis zu den Relationen kann eine Reduktion des Christusgeschehens nicht reichen. Das bedeutet, dass die Relationen Endpunkt der Reductio in mysterium sind. Ratzinger fasst sogar den Namen 58 Vgl. R. Dausner, Christologie in messianischer Perspektive. Zur Bedeutung Jesu im Diskurs mit Emmanuel Levinas und Giorgio Agamben, Paderborn 2016, S. 37–41. 59 Vgl. H. Denzinger/P. Hünermann (Hg.), Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum/Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, Freiburg i. Br. 442014, 302: „[…] ein und derselbe ist Christus, der einziggeborene Sohn und Herr, der in zwei Naturen, unvermischt, unveränderlich, ungetrennt und unteilbar erkannt wird, wobei nirgends wegen der Einigung der Unterschied der Naturen aufgehoben ist, vielmehr die Eigentümlichkeit jeder der beiden Naturen gewahrt bleibt und sich in einer Person und einer Hypostase vereinigt […].“ (S. 131) 60 J. Ratzinger, Einführung in das Christentum, München 1968, S. 126.

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des Vaters als „reinen Beziehungsbegriff “,61 wohl wissend, dass die Tradition im Vater gerne den Ursprung in Gott erblickt, um damit die Einzigkeit Gottes zu wahren. Die Uneindeutigkeit jenes Beziehungsgeschehens, auf das sich die Gottrede bezieht, verpflichtet die Kirche und den Glauben zum Dialog auf der Suche nach der Wahrheit, die, wie Walter Kasper betont, nicht ist, sondern geschieht.62 Wahrheit hat sich in der Zeit zu bewähren. In ihr geschieht Wahrheit, die immer in die je größere, unverfügbare Wahrheit Gottes hineinverweist. Joseph Ratzinger sagt, dass die Rede von der Trinität einen Verweis in die Unbegreiflichkeit Gottes hinein bedeutet. „Wenn die mühsame Geschichte des menschlichen und des christlichen Ringens um Gott etwas beweist, dann doch dies, dass jeder Versuch, Gott in den Be-griff unseres Be-greifens zu nehmen, ins Absurde hineinführt. Recht können wir von ihm nur reden, wenn wir aufs Begreifenwollen verzichten und ihn als den Unbegriffenen stehen lassen. Trinitätslehre kann also nicht ein Begriffenhaben Gottes sein wollen. Sie ist eine Grenzaussage, eine verweisende Geste, die ins Unnennbare hinüberzeigt.“63 Zu Recht betont er, dass die Geschichte der Trinitätstheologie, in der jeder später rechtgläubige Begriff früher einmal verurteilt wurde, davon Zeugnis ablegt. Wieder zeigt sich, dass Gott zur Sprache kommt als der Unbegreifliche, der nicht durch die Sprache zu fassen ist, sondern der Unsagbare bleibt. Unsagbar bedeutet aber nicht: nicht ansprechbar. Daher kommt der unmittelbaren Gottrede des Gebetes eine zentrale Bedeutung für die Theologie insgesamt zu. Sie geschieht in Resonanz zu der unmittelbaren Gottesbeziehung, denn das Sprechen zu Gott ist etwas anderes, als das Sprechen über ihn. Josef Wohlmuth verweist auf Jesus als Betenden, der aus der Gebetstradition seines Volkes Israel heraus gesprochen hat.64 Christoph Dohmen hat den Zusam61 Ebd.

62 Vgl. W. Kasper, Theologie und Kirche, Bd. 2, Mainz 1999, S. 49: „Die ewige Wahrheit Gottes vermittelt also in sich Einheit und Vielheit; sie ist in sich selbst Geschehen und Dialog“. Kasper betont immer wieder die Geschichtlichkeit theologischer Wahrheit, die nicht nur eine theoretische, sondern auch praktische Dimension hat. Die Theologie kann sich beim Bedenken der Wahrheit nicht auf den Standpunkt Gottes stellen (vgl. a. a. O., S. 48), sondern ist auf „pluriforme Aussagen für die eine Wahrheit des Glaubens angewiesen“. (ebd.) Kasper betont, dass nach biblischem Verständnis die Wahrheit nicht ist, sondern geschieht (vgl. a. a. O., S. 34). „Wahr ist, was einen Anspruch, ein gesetztes Vertrauen rechtfertigt, was hält, was es verspricht.“ (ebd.) Dies biblische Erbe kann in der heutigen Debatte auch jüdisches und christliches Denken zusammenführen. Fast könnte man meinen, dass Kasper Rosenzweigs Wahrheitsbegriff rezipiert. Vgl. F. Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, Frankfurt a. M. 1988, S. 437: „Be-währt also muß die Wahrheit werden, und grade in der Weise, in der man sie gemeinhin verleugnet: nämlich indem man die ‚ganze‘ Wahrheit auf sich beruhen lässt und dennoch den Anteil, an den man sich hält, für die ewige Wahrheit erkennt.“ Zuvor wird deutlich, dass Wahrheit mit Vertrauen unmittelbar zu tun hat. Zu Rosenzweigs Wahrheitsverständnis vgl. S. Mosès, System und Offenbarung, München 1985, S. 212–215. 63 Ratzinger, Einführung, S. 117. 64 Vgl. J. Wohlmuth, An der Schwelle zum Heiligtum. Christliche Theologie im Gespräch mit jüdischem Denken, Paderborn 2007, S. 256.

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menhang zwischen dem Vaterunser und Ps 103 untersucht und von einer „Vergewisserung“ des einen und einzigen Gottes Israels für die Christen gesprochen, die in diesem Gebet Jesu gegeben sei.65 Es zeige sich, dass die Rede von Gott und die Rede zu Gott im Gebet zusammengehören. Stelle man die Bitten aus Ps 103 und das Vater unser nebeneinander, dann werde ein präsentischer Zug in der Verkündigung Jesu deutlich, denn das, was im Ps 103 gesagt ist, solle hier und jetzt Bedeutung erhalten, Gottes Erbarmen, seine Liebe und Barmherzigkeit, die Vergebung der Sünden und seine Herrschaft.66 Jesus selbst will das Bundesvolk Israel und die Menschen zu Gott führen, indem er ihnen zeigt, dass Gott schon in ihrem Leben präsent ist. Er vertritt eine radikale Theozentrik. Er fragt die Menschen: Was willst du von mir? Was soll ich dir tun? Wen / Was suchst Du? Neben die Theozentrik tritt die Anthropozentrik: Es geht Jesus um das Leben der Menschen, sie sollen das Leben gewinnen, nicht verlieren. Es geht ihm um das Gesetz und dessen Auslegung um des Heiles des Menschen willen. Mit seinen Positionen tritt er in den Streit der Meinungen ein und wird zu einer Autorität, die man scheinbar nicht mehr übergehen kann. Die Menschen diskutieren mit ihm, er setzt sich mit denen auseinander, die anderer Meinung sind. Reiht er sich ein in die großen Propheten seines Volkes? Jesus heilt nicht nur durch Worte und Zeichen, er vergibt den Menschen auch ihre Sünden im Namen Gottes. Und jene, die an ihn glauben, werden anfangen, ihn anzubeten. Die Christologie und die Trinitätstheologie haben ihren Grund in der Gebetspraxis der frühen Gemeinden. Noch ehe im 4. Jahrhundert das homoousios definiert wird, noch ehe im ersten Konzil von Konstantinopel die Trinitätstheologie zur Sprache gebracht wird, ist schon Entscheidendes passiert. Christinnen und Christen haben nicht nur zum Vater, sondern auch zum Sohn und zum Heiligen Geist gebetet. Es ist aber unbestritten, dass man nur zu Gott beten darf. Alles andere ist Götzendienst. Wenn Jesus und der Heilige Geist nur Geschöpfe sind, dann zielt das Gebet ins Leere und geht in die Irre. Wenn Menschen anfangen zu Jesus zu beten, stellen sie ihn schon auf die Seite Gottes. Die Gebetspraxis wird zu einem gewichtigen Argument für die Gottheit des Sohnes und des Heiligen Geistes. Dies kann man am Nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis ablesen, wo es heißt: wir glauben an den Heiligen Geist, „[…] der mit dem Vater und dem Sohne zugleich angebetet und mitverherrlicht wird“.67 Hier wird die Gebetspraxis explizit als Argument benannt. Die Gemeinden beten nicht nur mit Jesus zum Vater, sie beten auch zu ihm. Letzteres führt mehr und mehr zum Konflikt in den innerjüdischen Debatten. Das Beten zu Jesus ist der Unterschied zum jüdischen Glauben, der eine theologische 65 Vgl.

C. Dohmen, Von Gott zu Gott sprechen, in: GuL 74 (2001), S. 326–335, S. 335. ebd. sowie S. 332 f. 67 Denzinger/Hünermann (Hg.), Enchiridion, 150 (S. 77). 66 Vgl.

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Klärung unumgänglich werden lässt. Edward Schillebeeckx schreibt in seiner Christologie, dass für die Entscheidung von Nizäa nicht die Schriftargumente und die philosophischen Paradigmen entscheidend waren – denn diese ließen mehrere christologische Varianten zu –, auch nicht die offizielle liturgische Praxis, die vor Nizäa die Gebete an den Vater richtete, wenn auch durch Jesus Christus, sondern die „praktizierte Christusfrömmigkeit vieler Gläubigen, welche die Gewohnheit angenommen hatten, ‚zu Jesus zu beten‘, und nicht nur ‚in und durch Jesus‘ zum Vater, wie es die offizielle Liturgie tat.“68 Daher seien die Bischöfe in Nizäa bereit gewesen, die „vermeintliche Logik ihres Mittelplatonismus preiszugeben“.69 Die Frömmigkeit einer Christusmystik als lebendiger Gebetswirklichkeit dürfe als entscheidender Faktor für die Konzilsentscheidung nicht unterschätzt werden.70 Man kann also zu dem Schluss kommen, dass die Lehre des Konzils etwas einzuholen versucht, was zuvor schon in der Glaubenspraxis geschehen ist und nachträglich sanktioniert wird. Hinzu tritt die Hoffnung, dass das Gebetsleben der Gemeinden vom Heiligen Geist inspiriert ist und daher nicht in die Irre geht. So wird auch deutlich, warum die Pneumatologie immer wichtiger wird. Die christologischen Dogmen behandeln Fragen und geben nicht nur einfache Antworten auf die Frage: Wer ist dieser für uns? Denn die konziliaren Texte bleiben mehrdeutig und können das Geheimnis, das sie zu umschreiben versuchen, nicht endgültig fassen. Das homoousios des Konzils von Nizäa ist mehrdeutig, es löst verschiedene Deutungen und Reaktionen aus, es wird keine eindeutige Lösung gefunden. Es richtet sich gegen Arius, ohne eine eigene Christologie zu entwerfen. Zwischen den Übersetzungsmöglichkeiten ‚eines Wesens‘, ‚wesensähnlich‘ oder ‚gleichen Wesens‘ liegen Welten. Dieses Wort ‚homoousios‘ ist nicht eindeutig. Daher muss weiter diskutiert und gesucht werden. Florian Bruckmann hat mit Daniel Boyarin darauf hingewiesen, dass im ersten und zweiten Jahrhundert n. Chr. jüdische Nichtchristen an theologischen Lehren von einem zweiten Gott festhielten, der als Logos oder Sophia, Memra oder Jahoel bezeichnet werden konnte. Die Auseinandersetzung mit dem Mittel‑ bzw. Neuplatonismus erfolgte innerhalb des Judentums, so dass die Christen nicht mit fremdem Denken konfrontiert wurden, sondern daran anknüpfen konnten.71 Wenn die 68 E. Schillebeeckx, Jesus. Die Geschichte von einem Lebenden, Freiburg i. Br. 1975, S. 500. 69 Ebd. 70  Vgl. a. a. O., S. 501. Schillebeeckx stützt sich auf Untersuchungen von M. Wiles, The making of christian doctrine, Cambridge 1967 und J. Lebreton, Le désaccord de la foi populaire et de la théologie savante dans l’église chrétienne du IIIe siècle, in: RHE 19 (1923), S. 481–506; 20 (1924), S. 5–37 und fügt in Anm. 21 auf S. 637 hinzu: „Die Tatsache, daß die Lehre der Kirche und der Glaube ihrer Mitglieder voneinander abweichen, ist so alt wie die Kirche selbst.“ 71 Vgl. F. Bruckmann, in IHM erkannt: Gott und Mensch. Grundzüge einer anthropologischen Christologie im Angesichte Israels, Paderborn 2014, S. 249, dort auch bes. das Zitat von Boyarin in Anm. 498: „Kurzum, die Vertikale – Jesusgläubige gegenüber denen, die nicht

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Logostheologie kein „wesentliches und ursprüngliches Unterscheidungsmerkmal des Christentums gegenüber dem Judentum ist, sondern eher ein gemeinsames theologisches Erbe“72, dann ist die Annahme einer in sich strukturierten Gottheit und die Möglichkeit der Inkarnation erst im Laufe der folgenden Jahrhunderte zu einem trennenden Topos zwischen Juden und Christen geworden, „indem sich die beiden Gruppierungen in der Annahme oder Ablehnung dieser Ideen selbst gefunden und geformt haben“.73 Damit wäre das ‚homoousios‘ von Nizäa kein Verrat des biblischen Erbes und keine verfälschende Hellenisierung durch das Christentum, sondern läge auf der Linie innerjüdischer Debatten um den Hellenismus, die spätestens mit der Eroberung Palästinas durch Alexander den Großen begonnen hätten.74 Die Logostheologie fragt nach einer zweiten göttlichen Entität zwischen Gott und Welt, die zwischen diesen beiden vermittelt. So wollte man über die Probleme der göttlichen Transzendenz und die Möglichkeit von Schöpfung, Offenbarung und Erlösung nachdenken, wobei das orthodoxe nizänische Christentum und das orthodoxe rabbinische Judentum zwei Punkte „auf einem Graphen von oszillierenden Möglichkeiten“ darstellten, die diesbezüglich in der vornizänischen Zeit in Umlauf waren. „Um das vierte Jahrhundert wurden Juden, die so eine Lehre hatten, und Christen, die sie ablehnten, als ‚weder Juden noch Christen‘, sondern als Häretiker definiert.“75 Auf dem Hintergrund der eben mit Schillebeeckx betonten Bedeutung der Gebetspraxis wird deutlich, dass die Fragen nicht nur rein philosophisch geklärt werden konnten. Walter Kasper stellt fest: „So zeigt bereits das Dogma des ersten allgemeinen Konzils, daß dogmatische Formulierungen nie nur der klärende Abschluß einer Auseinandersetzung, sondern zugleich immer der Anfang neuer Fragen und Probleme sind. Gerade weil Dogmen wahr sind, bedürfen sie immer wieder neu der Interpretation.“76 Die Formulierungen der Konzilien bleiben vieldeutig, sie müssen immer neu gedeutet werden und das verstehe ich unter der Fragilität der Dogmen. Sie sind in neuen Kontexten auf neue Weise auszusagen. Ein Dogma von Chalkedon versteht sich auch heute nicht von selbst, seine Bedeutung muss für unsere Zeit anders zur Sprache gebracht werden als in der Vergangenheit, damit wir uns auch heute verständlich machen können. Für den christlich-jüdischen Dialog ist vor allem das Wort ‚unvermischt‘ von zentraler Bedeutung: Auch in der Christologie dürfen Gott und Mensch nicht vermischt werden. Die unmittelbare Beziehung meint keine Identität. Von daher kann Josef an Jesus glauben – bildete nicht die Grenze zwischen denen, die an die Logostheologie glaubten und denen, die sie bestritten.“ 72 Das Zitat von D. Boyarin a. a. O., S. 250. 73 Ebd. 74 Vgl. a. a. O., S. 249. 75 Das Zitat von Boyarin a. a. O., S. 250 Anm. 504. 76 W. Kasper, Der Gott Jesu Christi, Mainz 1982, S. 229.

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Wohlmuth sagen, dass die Differenz des „unvermischt“ als „der jüdische Stachel in der Christologie“ verstanden werden könne.77 Er betont, dass nicht davon die Rede sein könne, dass Gott unterschiedslos Mensch wird und sich verendliche, dass Adonai, der Gott Israels inkarniere und sich dabei alles in eine Eindeutigkeit auflöse.78 Es ist Gottes Wort, die zweite göttliche Person von der dies gesagt wird. Gott bleibt auch angesichts der Inkarnation der unbegreifliche, in der Nähe der ferne, in der Immanenz der transzendente, in der Anwesenheit der abwesende Gott. Die Nähe Gottes ist nicht herstellbar oder verfügbar, sie wird gewährt. Aus dieser Haltung heraus können wir auch im Dialog mit dem Judentum Fragen an uns heranlassen, die das Zentrum der Christologie betreffen.

4. Fragen, die bleiben – Schlussbemerkung mit Blick auf die lehramtliche Position der römisch-katholischen Kirche Die Christologie hat bei der Rede von der Einzigkeit und stellvertretenden Bedeutung Jesu ernst zu nehmen, dass diese mit der Einzigkeit und stellvertretenden Bedeutung Israels unmittelbar verbunden sind und sie nicht ausschließen. Außerdem muss die Christologie die Spannung zwischen Gott und Mensch in Jesus Christus wahren, um nicht zu einer einseitigen Christologie zu kommen, die mit der Vernachlässigung der Menschheit Jesu auch dessen jüdische Herkunft vernachlässigt,79 oder mit der Vernachlässigung der Gottheit Jesu auch die Gottunmittelbarkeit Israels zu gering achtet.80 Die Gottunmittelbarkeit kann dem Judentum nicht genommen werden. Und auch für das Sprachgefühl ist Unmittelbarkeit kein steigerbarer Begriff, er kann nur auf je andere Weise von Juden und Christen im Sinne der jeweiligen Gottesbeziehung gedeutet werden. „Aus dem christlichen Bekenntnis, dass es nur einen Heilsweg geben kann, folgt aber in keiner Weise, dass die Juden von Gottes Heil ausgeschlossen wären, weil sie nicht an Jesus Christus als den Messias Israels und den Sohn Gottes glauben. Eine solche Behauptung hätte keinen Anhalt an der heilsgeschichtlichen 77 Vgl. J. Wohlmuth, Die Tora spricht die Sprache der Menschen, Paderborn/München/ Wien u. a. 2002, S. 182. 78 Vgl. a. a. O., S.  62–64. 79 Dazu H. Frankemölle, Der Jude Jesus und der christliche Glaube, in: Der Glaube der Christen, Bd. 1, hrsg. v. E. Biser/F. Hahn/M. Langer, München/Stuttgart 1999, S. 602–623, S. 619. Hier wird zu Recht auf die monophysitische Problematik hingewiesen, die Gottheit Jesu Christi stärker zu betonen als seine Menschheit, denn das entwertet auch seine Bindung an die konkrete Geschichte. 80 G. L.  Müller, Katholische Dogmatik. Für Studium und Praxis der Theologie, Freiburg i. Br. 1995, S. 243. Müller überschreibt diesen Abschnitt mit „Die Unmittelbarkeit Jahwes zu seinem Volk und die Selbstvermittlung in Wort und Geist (Weisheit)“. Daraus zieht er die Konsequenz, dass Jesus Christus seine Funktion nur wahrnehmen kann, „wenn er Glied des Bundesvolkes ist und damit auch der Adressat der Selbstmitteilung Gottes werden kann“ (S. 246).

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Schau des Paulus, der im Römerbrief nicht nur seine Überzeugung zum Ausdruck bringt, dass es in der Heilsgeschichte keinen Bruch geben kann, sondern dass das Heil von den Juden kommt (vgl. auch Joh 4,22). Israel bekam von Gott eine einzigartige Sendung anvertraut, Er bringt seinen geheimnisvollen Heilsplan, alle Menschen zu retten (vgl. 1 Tim 2,4), nicht zur Erfüllung, ohne in ihn seinen ‚erstgeborenen Sohn‘ (Ex 4,22) einzubeziehen. Von daher versteht es sich von selbst, dass Paulus im Römerbrief die sich selbst gestellte Frage, ob Gott denn sein eigenes Volk verstoßen habe, entschieden verneint. Ebenso dezidiert hält er fest: ‚Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt‘ (Röm 11,29). Dass die Juden Anteil an Gottes Heil haben, steht theologisch außer Frage, doch wie dies ohne explizites Christusbekenntnis möglich sein kann, ist und bleibt ein abgrundtiefes Geheimnis Gottes.“81 Dieses Zitat aus dem Dokument des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen / Kommission für die religiösen Beziehungen mit den Juden mit dem Titel Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt bringt das Problem auf den Punkt. Doch das Mysterium, so möchte man hinzufügen, meint nicht nur eine Unbegreiflichkeit, sondern den Willen Gottes, ganz Israel zu retten. Das Mysterium hat eine sakramentale Bedeutung, weil sich in der unwiderruflichen Treuezusage und der Erwählung Israels der Wille Gottes manifestiert. Die Erwählung des Gottesvolkes durch Gott ist bedingungslos und soll zum Heil führen. Wie steht es um das Verhältnis Kirche – Israel? „Die Kirche als erneuertes Gottesvolk ist von Gott ohne Bedingungen erwählt. Die Kirche ist der endgültige und unüberbietbare Ort des Heilshandelns Gottes. Das jedoch bedeutet nicht, dass Israel als Volk Gottes verworfen worden ist oder seine Sendung verloren hat (vgl. Nostra Aetate Nr. 4). Der Neue Bund ist für Christen nicht die Aufhebung oder die Substitution, sondern die Erfüllung der Verheißungen des Alten Bundes.“82 Zunächst ist festzustellen, dass auch Israel ohne Bedingungen erwählt wurde. Wenn nun aus christlicher Sicht von einer Erfüllung des Alten Bundes im neuen Bund die Rede ist, wie soll das eine Abwertung des Alten Bundes verhindern? Denn wenn es im AT keine Erfüllung, sondern nur eine Verheißung des Heiles gibt, wird es dann nicht im Sinne einer soteriologischen Vorläufigkeit gedeutet? Sollte es aus christlicher Sicht nicht möglich sein, dem Wert des AT besser gerecht zu werden? Und was ist mit der Präexistenz des Logos, die doch aus christlicher Sicht verdeutlichen soll, dass das ewige Wort Gottes schon vor der Inkarnation heilschaffend in der Welt und in der Geschichte Israels wirkt? Dieses Unbehagen scheint auch das römische Dokument zu bemerken, wenn es schließlich sagt:

81 Päpstlicher 82  A. a. O.,

S. 32.

Rat, „Denn unwiderruflich“, S. 36.

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„Das Dokument der Päpstlichen Bibelkommission Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel vom Jahre 2001 hat daher behauptet, dass die Christen zugeben können und müssen, ‚dass die jüdische Lesung der Bibel eine mögliche Leseweise darstellt, die sich organisch aus der jüdischen Heiligen Schrift der Zeit des Zweiten Tempels ergibt‘, und zwar in ‚Analogie zur christlichen Leseweise, die sich parallel entwickelte‘, um daraus den Schluss zu ziehen: ‚Jede dieser beiden Leseweisen bleibt der jeweiligen Glaubenssicht treu, deren Frucht und Ausdruck sie ist. So ist die eine nicht auf die andere rückführbar‘ (Nr. 22).“83 Die beiden Leseweisen sollen „dem Ziel dienen, Gottes Willen und Wort recht zu verstehen“.84 Diese Passage steht in Spannung zur vorhergehenden. Wird in der ersten gesagt, dass der Neue Bund die Erfüllung der Verheißungen des Alten Bundes ist und damit eine Überbietungstheologie geboten, so wird in der zweiten Passage im Sinne des Dokumentes der Päpstlichen Bibelkommission gesagt, dass die jüdische und christliche Leseweise des Alten Testaments nicht aufeinander zurückführbar, also beide legitim sind. Somit bleibt die Bibel Israels aus christlicher Sicht nicht einfach unerfüllt und defizitär. Auch im Alten Testament geschieht das Heil, d. h. die Gegenwart Gottes in der Zeit, auf andere Weise als im Christentum. Und auch im Neuen Testament gibt es noch Verheißungen, nicht nur die Erfüllung, und die Spannung der schon geschehenden, aber noch nicht endgültig erfüllten Gottesherrschaft deutet auf noch Ausstehendes hin. Das Christentum lebt in der Erwartung der Parusie, der Vollendung und ist noch nicht am Ziel. Das ahnt auch Paulus, der in Röm 9–11 immer deutlicher von der Christozentrik zur Patrozentrik vordringt und den Willen des Vaters als letzten Grund für die Rettung ganz Israels benennt. Der Wille Gottes ist die letzte Instanz, die Paulus anruft. Paulus folgt Jesus darin nach, dem Willen Gottes Geltung zu verschaffen. Und weil die Bundeszusage schon vor dem Erscheinen des Sohnes in der Zeit erfolgte und durch den Sohn nicht widerrufen wurde, ist diese Zusage bleibend gültig. Das Wort Gottes ist glaubhaft, auch wenn für Paulus in Christus ein anderer Weg zum Vater eröffnet wird als jener, den die Mehrheit seines Volkes weiterhin geht. Aber Paulus kann nicht über die Bundestreue Gottes verfügen, er kann sich nur auf den Willen des Vaters als Grund für seine Aussage über die bleibende Erwählung Israels beziehen. Dies wird in Nr. 32 des Dokumentes nur kurz erwähnt, wenn die Betonung der beiden legitimen Leseweisen des Alten Testaments damit begründet wird, dass sie dem Ziel dienen sollen, Gottes Willen und Wort gerecht zu werden. Joseph Ratzinger formulierte als Kardinal sehr prägnant, wenn er betonte, dass es die Verantwortung von Juden und Christen ist, „die Wahrheit des einen Gotteswillens vor der Welt zu vertreten und so den Menschen vor seine innere 83  A. a. O.,

84  A. a. O.,

S. 31. S. 32.

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Wahrheit zu stellen, die zugleich sein Weg ist“.85 Auch hier spielt der Wille Gottes die zentrale Rolle. Die Juden leben in der Wahrheit und können bei aller Unterschiedenheit wie die Christen davon Zeugnis ablegen, dass der Kern der biblischen Botschaft im Bekenntnis des einzigen Gottes sowie in der Einheit der Gebote von Gottes‑ und Nächstenliebe liegt. Israel ist nicht nur im Bezug auf die Vergangenheit, sondern auch im Bezug auf die Gegenwart, wie der damalige Kardinal mit Verweis auf Paulus betont, im Besitz der Sohnschaft, der Herrlichkeit, der Bundesordnungen, des Gesetzes, des Gottesdienstes, der Verheißungen und der Väter.86 Joseph Ratzinger ringt wie Paulus mit der Verhältnisbestimmung zwischen dem Glauben an Jesus Christus als einzigem Erlöser der Menschen und der Anerkennung des anderen Glaubensweges des Judentums: „Auch wenn die Christen wünschen, dass Israel eines Tages Christus als den Sohn Gottes erkennen möge und dass damit der Spalt sich schließe, der beide noch trennt, so sollten sie doch Gottes Verfügung anerkennen, der Israel offenbar in der ‚Zeit der Heiden‘ eine eigene Sendung aufgetragen hat, die die Väter so umschreiben: Sie müssen als die ersten Eigentümer der Heiligen Schrift uns gegenüber bleiben, um gerade so ein Zeugnis vor der Welt aufzurichten.“87 Passt dies noch in 85 J. Ratzinger,

Die Vielfalt der Religionen und der Eine Bund, Hagen 1998, S. 32.  Vgl. J. Ratzinger, Das Erbe Abrahams, in: ders., Weggemeinschaft des Glaubens, Augsburg 2002, S. 235–238, S. 237. Die letzten Äußerungen des Papa em. Benedikt XVI. bleiben hinter seinen Aussagen als Kardinal zurück und ringen verstärkt mit der universalen soteriologischen Bedeutung Jesu Christi und der Heilsnotwendigkeit der Kirche in der ‚Zeit der Heiden‘ angesichts der auch für ihn unstrittigen und bleibenden Erwählung des Judentums sowie der soteriologischen Relevanz seiner Gottesbeziehung im nie gekündigten Bund. Es wäre u. a. sensibler gewesen, wenn Benedikt erwähnt hätte, dass die Rede von dem ‚gekündigten Bund‘ nicht zuletzt von Martin Buber herrührt, der auf dem jüdischen Friedhof in Worms stehend auf den Dom blickte und die Worte sprach: „Ich habe da gestanden und habe alles selber erfahren, mir ist all der Tod widerfahren: all die Asche, all die Zerspelltheit, all der lautlose Jammer ist mein; aber der Bund ist mir nicht aufgekündigt worden. Ich liege am Boden, hingestürzt wie diese Steine. Aber aufgekündigt ist mir nicht. Der Dom ist, wie er ist. Der Friedhof ist, wie er ist. Aber aufgekündigt ist uns nicht worden.“ http://www.imdialog.org/bp2016/06/ buberblick.pdf (26.11.18). Nicht nur deshalb macht die Rede vom ungekündigten Bund durchaus Sinn. Vgl. dazu auch M. Theobald, Die Schriften des Neuen Testaments, in: Die Bibel. Einheitsübersetzung. Kommentierte Studienausgabe. Stuttgarter Neues Testament, Bd. 3, hrsg. v. dems., Stuttgart 2018, S. IX–XIV, der daran erinnert, dass Papst Johannes Paul II. bei seiner Begegnung 1980 in Mainz mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland und der deutschen Rabbinerkonferenz eben an jene Worte Bubers anknüpfte, um dann seine Position vom ungekündigten Bund zu entfalten (vgl. S. XIV). Theobald betont das Gewicht der Vision von Röm 11 für die Neubesinnung von Theologie und Kirche und verweist auf die Spannung zwischen johanneischer und paulinischer Hermeneutik bezogen auf die Schriften Israels. Während Johannes sie christologisch eng führe, gehe Paulus nicht davon aus, dass sie in Christus „schlechthin erfüllt“ seien, sondern spreche von einem Verheißungsüberschuss, der erst mit der Rettung ganz Israels am Ende der Zeiten eingelöst werde (vgl. S. XIV). 87 Ratzinger, Die Vielfalt, 110 f. Diese weitgehenden Ausführungen finden sich leider nicht in dem Beitrag von K.-H. Menke, „Die älteren Brüder und Schwestern.“ – Zur Theologie des Judentums bei Joseph Ratzinger, in: IKaZ 38 (2009), S. 191–205, der ansonsten umfassend informiert. 86

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ein Schema von Verheißung und Erfüllung in der Verhältnisbestimmung von Altem und Neuem Testament, Judentum und Christentum? Spannend ist hier der Zeit-Bezug: Israel hat in der ‚Zeit der Heiden‘ eine eigene Berufung erhalten, die es nicht aufgeben darf. In der Zeit also müssen die Juden einen eigenen Weg zum Heil gehen. Es ist kein Bund gebrochen oder revoziert worden. Joseph Ratzinger weiß, dass der Glaube an Jesus als den Christus, der Juden und Christen doch einen sollte, beide trennt. Diese Trennung zu überwinden stehe aber nicht in der Macht der Kirche.88 Und man könnte die Frage an den Papa em. Benedikt XVI. richten, ob er und die Päpste vor und nach ihm gemeinsam mit Paulus nicht auch deshalb die Aussage von der Rettung ganz Israels im Eschaton betonen, weil ansonsten Christus Juden und Heiden faktisch für immer getrennt und gerade nicht geeint hätte. Es gibt also zwei unterschiedene Weisen, die Ursprungs-Beziehung zu Gott in seinem Wort zu bezeugen. Jüdisch wie christlich wird die Spannung ernst genommen, dass Gottes Wort im menschlichen Wort ergeht. Der Raum der Deutung dieses Wortes steht in der Spannung zweier Erwählungen bzw. Berufungen, die in einem asymmetrischen Verhältnis stehen. Die Erwählung Israels geht der Kirche voraus. Der Stachel der je anderen Berufung könnte ein Zeichen für die unverfügbare Stimme Gottes sein. Keiner darf sie als sicheren Besitz betrachten. Kann die Christologie sich auf diese Spannung einlassen? Dies kann sie tun, weil es in der Christologie um eine unmittelbare und einzigartige Ursprungs-Beziehung zwischen Gott und Mensch geht, die nicht unterschiedslose Identität bedeutet, sondern eine diachrone Beziehung in der Inkarnation des Gotteswortes zur Sprache bringt, die immer wieder neu zu deuten ist. Die Sprache wird dabei an ihre Grenze und darüber hinaus geführt, sie wird fragil, bestreitbar, befragbar, weil sie an das Geheimnis Gottes rührt. Die Patro-/Theozentrik bleibt der Kern der Christologie, die eine rettende Beziehung zwischen Gott und den Menschen zur Sprache zu bringen versucht, in der sowohl der ungekündigte Bund mit Israel als auch das Heil der Welt in universaler Dynamik konsequent im Blick zu halten sind. Die Fülle des Heils ist noch nicht vollkommen in der Zeit verwirklicht, wir erwarten den Tag des Herrn und die endgültige Vollendung, die noch aussteht und unser Fragen auch im Glauben bis dahin wachhalten wird.

88 Vgl.

Ratzinger, Die Vielfalt, S. 113.

Gottes Wort in jüdischem Fleisch Jesus von Nazareth und der Gedanke der Inkarnation Helmut Hoping

1. Hinführung Im christlich-jüdischen Gespräch geht es meiner Überzeugung nach darum, einander im geschwisterlich verwandten, zugleich aber divergierenden Glauben besser zu verstehen und Vorurteile abzubauen. Die Bedingungen für das Gespräch haben sich seit den Anfängen insofern verändert, als die christlichen Stimmen lauter werden, die eine Judenmission nicht nur aus historischen, sondern aus theologischen Gründen ablehnen. Zuletzt hat sich auch Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. in einer „Richtigstellung“ zur Debatte, die ein Text von ihm zur Theologie des Judentums auslöste, von der Judenmission distanziert.1 Lange Zeit stand im Zentrum des christlich-jüdischen Gesprächs die Frage der Messianität Jesu. Kann man nach der Shoa, so fragte Paul van Buren (1924–1998) vor nunmehr vierzig Jahren, noch am Bekenntnis zu Jesus als dem Messias Israels festhalten? Wird den Juden damit nicht eine ihrer zentralen Hoffnungen geraubt?2 Schon ein Jahrzehnt zuvor hatte Rosemary Radford-Ruether die Christologie als „Kehrseite des Antijudaismus“3 gebrandmarkt und den Abschied von einem „erfüllten Messianismus“4 gefordert. In der Einleitung zum Buch Radford-Ruethers nennt Gregory Baum (1923–2017) den Antijudaismus „die linke 1 Vgl. J. Ratzinger/Benedikt XVI., Richtigstellung. Nicht Mission, sondern Dialog, in: Herder Korrespondenz 72 (2018), S. 13–14, hier: S. 14. Vorangegangen war eine zum Teil heftige Debatte um einen vom emeritierten Papst in der Zeitschrift Communio veröffentlichten Beitrag zum Traktat De Judaeis: J. Ratzinger/Benedikt XVI., Gnade und Berufung ohne Reue. Anmerkungen zum Traktat „De Judaeis“, in: Internationale Katholische Zeitschrift „Communio“ 47 (2018), S. 387–406. Gegen Benedikt XVI. wurde u. a. der Vorwurf einer Fortschreibung des Antijudaismus auf den Spuren der Substitutionstheorie erhoben. Zur Diskussion vgl. H. Hoping, Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. über das Judentum. Anmerkungen aus aktuellem Anlass, in: International Katholische Zeitschrift „Communio“ 47 (2018), S. 618–631. 2 P. van Buren, A Theology of the Jewish-Christian Reality, Bd. 3: Christ in Context, New York 1988, S. 10. 3 R. Radford-Ruether, Nächstenliebe und Brudermord. Die theologischen Wurzeln des Antisemitismus, München 1978, S. 229 (engl.: Faith and Fratricide: The Theological Roots of Anti-Semitism, New York 1974). 4 A. a. O., S. 237.

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Helmut Hoping

Hand der Christologie“5. Will man an der Christologie des Messias Jesus festhalten und nicht wie Peter von der Osten-Sacken „theologischen Besitzverzicht“6 üben, bedarf es gegenüber einer Christologie, die als „Speerspitze des Antijudaismus“ dient, einer Christologie, die nicht nur die jüdische Identiät Jesu theologisch ernst nimmt, sondern ebenso die bleibende Erwählung und Sendung Israels post Christum natum anerkennt.7 Pionierarbeit für eine nicht-antijudaistische Christologie hat der evangelische Theologe Friedrich-Wilhelm Marquardt (1928–2002) mit seinem zweibändigen Werk Das christliche Bekenntnis zu Jesus dem Juden (1990–1991)8 geleistet. Strittig ist unter den christlichen Theologen, ob Jesus von Nazareth Messias nur für die Völker (gojim) ist9, oder an ihm als Messias auch für Israel festzuhalten ist, zumindest in eschatologischer Perspektive10. Zwischen dem jüdischen und dem christlichen Messiasverständnis besteht ein signifikanter Unterschied. In der rabbinischen Literatur ist zwar gelegentlich davon die Rede, dass der Messias mit oder auch vor der Schöpfung geschaffen wurde.11 Doch nirgendwo wird ihm Göttlichkeit zugeschrieben, während der Messias nach christlichem Verständnis der menschgewordene Sohn Gottes ist. Eugen B. Borowitz (1924–2016)12 und Michael Wyschogrod (1928–2015)13 haben sich intensiv mit dem Inkarnationsgedanken beschäftigt. Für Jon D. Levenson zeigt der Inkarnationsgedanke, dass es im Gespräch zwischen Juden und Christen letztlich um die Frage der Identität Gottes und seiner Offenbarung geht.14 Auf

 5 G. Baum,

Einleitung, in: a. a. O., S. 19. von der Osten-Sacken, Nachwort, in: a. a. O., S. 246.  7 Zum Anforderungsprofil vgl. W. Breuning, Elemente einer nicht-antijudaistischen Christologie, in: Christen und Juden gemeinsam ins dritte Jahrtausend, hrsg. v. H. Frankemölle, Paderborn 2001, S. 183–215.  8 Vgl. F.-W. Marquardt, Das christliche Bekenntnis zu Jesus dem Juden. Eine Christologie, 2 Bde., Gütersloh 1990 f.  9  Vgl. K. Wengst, Jesus zwischen Juden und Christen, Stuttgart/Berlin/Köln 1999, S. 68–82. 10  Vgl. F. Mussner, Traktat über die Juden, Freiburg i. Br./Basel/Wien 21988; ders., Dieses Geschlecht wird nicht vergehen: Judentum und Kirche, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1991. – Zur Diskussion vgl. B. Klappert, Miterben der Verheißung. Beiträge zum jüdisch-christlichen Dialog, Neukirchen-Vluyn 2000 (Neukirchener Beiträge zur Systematischen Theologie 25), S. 203–240, 259–277. 11 Vgl. Pesikta Rabbati 36,161. 12 Vgl. E. B. Borowitz, Contemporary Christologies: A Jewish Response, New York 1980, S. 31 f. u.ö. 13 Vgl. M. Wyschogrod, Inkarnation aus jüdischer Sicht, in: Evangelische Theologie 55 (1995), S. 13–28; ders., A Jewish Perspective on Incarnation, in: Modern Theology 12 (1996), 195–209; ders., Incarnation and God’s Dwelling in Israel, in: Archivio di Filosofia 67 (1999), S. 147–157. 14 Vgl. J. D. Levenson, Wie man den jüdisch-christlichen Dialog nicht führen soll, in: Kirche und Israel 17 (2002), S. 163–174, hier: S. 172 f.  6 P.

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christlicher Seite war es vor allem Hans Hermann Henrix, der den Inkarnationsgedanken ins Zentrum des christlich-jüdischen Gesprächs rückte.15

2. Das Judesein Jesu Jesus von Nazareth wurde von einer jüdischen Frau geboren (Gal 4,4), womit er nach hallachischer Bestimmung Jude war. Am achten Tag wurde Jesus, so wie es das Gesetz vorsieht (Gen 17,9–14), beschnitten. Der Apostel Paulus sieht in der Beschneidung Jesu die Verheißungen an die Väter erfüllt: „Christus ist um der Wahrhaftigkeit Gottes willen Diener der Beschnittenen geworden, um die Verheißungen an die Väter zu bestätigten“ (Röm 15,8).16 Für das Volk der Juden ist die Beschneidung ein Zeichen des Bundes: „So soll mein Bund, dessen Zeichen ihr an eurem Fleisch tragt, ein ewiger Bund sein“ (Gen 17,13). Die Juden in Deutschland mussten es als Angriff auf ihre Identität empfinden, als vor einigen Jahren die Forderung nach einem Verbot der Beschneidung erhoben wurde.17 Seit dem frühen Mittelalter wurde die Beschneidung Christi liturgisch am 1. Januar, dem Oktavtag von Weihnachten, gefeiert. In den römischen Missalien des 13./14. Jahrhunderts sowie im Missale Romanum (1570) trägt das Fest den Namen „In circumcisione Domini et octava Nativitatis“. 1960 wurde daraus der „Oktavtag vom Hochfest der Geburt des Herrn“. Im Zuge der vatikanischen Liturgiereform veränderte sich der Inhalt des Festes. Durch Erweiterung des Tagesevangeliums (Lk 2,16–21) stand nicht mehr das jüdische Kind im Mittelpunkt, sondern seine Mutter Maria.18 Der 1. Januar trägt heute im liturgischen Kalender den Namen „In octava Nativitatis Domini – Sollemnitas sanctae Dei genetricis Mariae“. Ob die altrömische Liturgie, wie angenommen wird, am 1. Januar ursprünglich ein Fest „Natale sanctae Mariae“ kannte, ist unsicher.19 Neben dem Fest der Beschneidung des Herrn hatte sich seit dem 15. Jahrhundert auch das Fest des Heiligsten Namens Jesu („Festum Sanctissimi Nominis Jesu“) entwickelt. Dieses wurde allerdings erst von Papst Innozenz XIII. (1721–1724) gesamtkirchlich eingeführt.20 Der zeitliche Ansatz des Festes war anfänglich schwankend. Zunächst wurde es Mitte Januar gefeiert, ab 1721 am 2. Sonntag im Januar, seit 1913 zwischen dem 1. und 6. Januar oder, sofern kein 15 Vgl. H. H. Henrix, Jüdisch-christlicher Dialog. Aus katholischer Sicht, in: Neues Handbuch Theologische Grundbegriffe, hrsg. v. P. Eicher, Bd. 3, München 1991, S. 70–81, hier: S. 75. 16 Zitiert wird nach der neuen katholischen Einheitsübersetzung (2016). 17 Vgl. A. Bodenheimer, Haut ab! Die Juden und die Beschneidungsdebatte, Göttingen 2012. 18 Vgl. A. Stock, Poetische Dogmatik: Christologie, Bd. 1, Paderborn/München/Wien u. a. 1995, S. 34. 19 Vgl. S. Wahle, Das Fest der Menschwerdung. Weihnachten in Glaube, Kultur und Gesellschaft, Freiburg i. Br./Basel/Wien 2015, S. 129 f. 20 Vgl. Stock, Poetische Dogmatik: Christologie I, S. 17–41.

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Sonntag dazwischenfällt, am 2. Januar. Mit der vatikanischen Liturgiereform ging auch das Fest der Namensgebung zunächst verloren. Seit der Neuausgabe des Messbuchs von 2002 kann es wieder gefeiert werden (3. Januar, Evangelium: Lk 2,21–24). Das Fest der Beschneidung Jesu existiert dagegen nur noch in der außerordentlichen Form des römischen Messritus. Warum man das Fest der „Circumcisio Domini“ nach der Shoa abgeschafft hat, ist nur schwer verständlich.21 Zur nationalsozialistischen Ideologie gehörte bekanntlich die Bestreitung des Judeseins Jesu.22 Alfred Rosenberg (1893–1946), Chef-Ideologe der Nazis, hatte den Mythos vom arischen Jesus verbreitet.23 Dieser beeinflusste nicht nur die „deutschen Christen“, sondern auch katholische Theologen wie den Tübinger Dogmatiker Karl Adam (1876–1966).24 Für den Anhänger des Nationalsozialismus war Jesus kein voller Jude, da Josef nicht sein leiblicher Vater war.25 In Jesus sah Karl Adam die Verkörperung des „Herrenmenschen“, ein Ideal ritterlicher Männlichkeit, gepaart mit der Bereitschaft, sich zu opfern, „ein einziges großes Heldentum, eine einzige heroische Hingabe für die vielen“26. Auch Michael Schmaus (1897–1993) sympathisierte mit dem Nationalsozialismus und nivellierte das Judesein Jesu.27 Kurz nach dem Ende der Schreckensherrschaft der Nazis erklärte Karl Barth (1886–1968), Jesus Christus und Israel seien „zwei nicht zu trennende Wirklichkeiten, nicht nur damals, sondern für die ganze Geschichte, ja für alle Ewigkeit“28. Die Meinung könne nicht die sein, „dass wir an Jesus Christus glauben, der nun eben zufällig ein Israelit war, der aber ebenso gut auch einem anderen Volk hätte entstammen können. Nein, hier muss man ganz streng denken. Denn Jesus Christus […] war notwendig Jude. An dieser Tatsache ist nicht vorbeizusehen, sondern sie gehört zu der konkreten Wirklichkeit Gottes und seiner Offenbarung.“29 „Das Wort wurde – nicht ‚Fleisch‘, Mensch, erniedrigter und leidender Mensch in irgendeiner Allgemeinheit, sondern jüdisches Fleisch.“30 21 Vgl.

a. a. O., S. 34. W. Fenske, Wie Jesus zum „Arier“ wurde. Auswirkungen der Entjudaisierung Christi im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Darmstadt 2018. 23 Vgl. E. Piper, Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe, München 2005. 24 Vgl. K. Adam, Deutsches Volkstum und katholisches Christentum, in: Theologische Quartalschrift 114 (1933), S. 40–63; ders., Jesus, der Christus, und wir Deutsche, in: Wissenschaft und Weisheit 10 (1943), S. 73–100; 11 (1944), S. 10–23. – Zur Beeinflussung Adams durch den Nationalsozialismus vgl. L. Scherzberg, Karl Adam und der Nationalsozialismus, hrsg. v. d. Universität des Saarlandes, Saarbrücken 2011. 25 Vgl. Adam, Jesus, der Christus, und wir Deutsche, S. 91. 26 A. a. O., S. 78. 27 Vgl. M. Schmaus, Begegnung zwischen katholischem Christentum und nationalsozialistischer Weltanschauung, München 1933. 28 K. Barth, Dogmatik im Grundriß im Anschluß an das apostolische Glaubensbekenntnis, München 1947, S. 84. 29 A. a. O., S. 87. 30 K. Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd. IV/1: Die Lehre von der Versöhnung, Zürich 1953, 22 Vgl.

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Barth war darum bemüht, die Theorie der Substitution zu überwinden, wonach die Kirche im Plan Gottes an die Stelle Israels getreten sei, stand aber zunächst noch im Bann dieser Theorie. So sprach er davon, dass Israel im zweigestaltigen Volk Gottes das Gericht repräsentiere, während die Kirche für das göttliche Erbarmen stehe.31 Später löste sich Barth von dieser Vorstellung und sprach von Israel als Volk der Hoffnung mit bleibender Sendung.32 Es waren jüdische Forscher, die im 20. Jahrhundert das Judesein Jesu neu entdeckten. Obschon sie die Göttlichkeit Jesu ablehnten, sprachen sie auf ganz neue, anerkennende Weise vom Juden aus Galiläa.33 Zu nennen sind hier insbesondere Joseph Klausner (1874–1958), Martin Buber (1878–1965), Schalom Ben-Chorin (1913–1999), David Flusser (1917–2000) und Geza Vermes (1924–2013).34 In seiner berühmten Ansprache in der Großen Synagoge in Rom (1986) erklärte Johannes Paul II. (1978–2005), dass das Judesein Jesu kein kultureller Zufall war, keine kontingente, nebensächliche Realität, sondern vielmehr zur „Wahrheit der Menschwerdung selbst“35 gehört. In dem vatikanischen Dokument ‚Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt‘ (Röm 11,29) zu 50 Jahren Nostra aetate heißt es von Jesus von Nazareth: „Voll und ganz Mensch, Jude seiner Zeit, Nachkomme Abrahams, Sohn Davids, geprägt von der gesamten Tradition Israels, Erbe der Propheten, steht Jesus in Kontinuität mit seinem Volk und dessen Geschichte“36. Jesus von Nazareth wurde als Jude geboren, lebte als Jude und starb als Jude. Jesus war ein „echter Sohn Israels“, seine Bindung an das von Gott zu seinem besonderen Eigentum erwählte Volk bestimmte seine Identität S. 181, Herv. H. H. – Vgl. J. Denker, Das Wort wurde messianischer Mensch. Die Theologie Karl Barths und die Theologie des Johannesprologs, Neukirchen-Vluyn 2002. 31 Vgl. K. Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd. II/1: Die Lehre von Gott, Zürich 1944, S. 215. – Zur Israeltheologie Barths siehe G. Plasger (Hg.), Das Heil ist aus den Juden. Israel und Kirche bei Karl Barth (Zeitschrift für dialektische Theologie 33:65 [2017]). Zur Substitutionstheorie vgl. M. J. Vlach, The Church as a Replacement of Israel: An Analysis of Supersessionism, Frankfurt a. M. 2009 (Edition Israelogie 2). 32 K. Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd. IV/1: Die Lehre von der Versöhnung, Zürich 1953, S. 28. 33 Vgl. W. Homolka, Jewish Jesus Research and its Challenge to Christology Today, Leiden/ Boston 2017 (Jewish and Christian Perspectives Series 30). 34 Vgl. J. Klausner, Jesus von Nazareth. Seine Zeit, sein Leben und seine Lehre (1922), Berlin 1930; M. Buber, Zwei Glaubensweisen (1950). Mit einem Nachwort v. D. Flusser, Gerlingen 21994, S. 42 f.; S. Ben-Chorin, Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht (1967), in: ders., Ausgewählte Werke, Bd. 4, hrsg. u. eingeleitet v. V. Lenzen, Darmstadt 2019; D. Flusser, Jesus (1968), Hamburg 222000; G. Vermes, Jesus der Jude. Ein Historiker liest die Evangelien, Neukirchen-Vluyn 1993. 35 Johannes Paul II., Ansprache in der Großen Synagoge in Rom am 13. April 1986, in: Die Kirchen und das Judentum. Dokumente von 1945–1985, hrsg. v. R. Rendtorff/H. H.  Henrix, Paderborn/München 1988, S. 106–111, hier: S. 109. 36 Kommission für die religiösen Beziehung mit dem Judentum, „Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ (Röm 11,29). Reflexionen zu theologischen Fragestellungen in den katholisch-jüdischen Beziehungen aus Anlass des 50jährigen Jubiläums von „Nostra aetate“ (Nr. 4) (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 203), Bonn 2015, Nr. 14.

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über die ethnische Zugehörigkeit hinaus.37 Für das Selbstverständnis der Kirche kann dies nicht folgenlos bleiben: „Als Volk des neuen Bundes, ist sich die Kirche bewusst, nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu Jesus Christus, dem Messias Israels, und dank ihrer Bande mit den Aposteln, die alle Israeliten waren, zu existieren. Fern davon, sich an die Stelle Israels zu setzen, bleibt sie mit ihm solidarisch.“38

In der Christologie des 20. Jahrhunderts spielte die jüdische Identität Jesu vielfach keine Rolle.39 Bedeutende Ausnahmen sind etwa Friedrich-Wilhelm Marquardt oder Hans Hermann Henrix, während Karl Rahner (1904–1984) in einem Gespräch mit Pinchas Lapide (1922–1997) die Bedeutung des Judeseins Jesu für die Christologie stark relativierte.40 Eine ähnliche Tendenz zeigt sich bei Ingolf U. Dalferth: „Nicht, dass Jesus ein Mann, ein Jude, ein Sohn Mariens war, ist theologisch relevant und entscheidend, sondern dass gerade hier und in ihm Gott für uns und unser Heil agiert.“41

3. Inkarnation und Bilderverbot Eine Reihe von jüdischen Autoren betrachtet den Inkarnationsgedanken als zutiefst unjüdisch und sieht in ihm einen Verstoß gegen das biblische Bilderverbot.42 Für Jean-François Lyotard (1924–1998) besteht zwischen Judentum und Christentum ein fundamentaler, im Offenbarungsverständnis begründeter Gegensatz.43 Für die jüdische Gotteserfahrung sei die im Buchstaben der Tora erhandelte und jeweils neu der Entzifferung bedürftige Stimme Gottes das Entscheidende, in der 37 Vgl. H. H. Henrix/W. Kraus (Hg.), Die Kirchen und das Judentum, Bd. 2: Dokumente von 1986–2000, Paderborn/Gütersloh 2001, S. 92–103, 102–105, 107–109. 38 Kongregation für die Glaubenslehre, Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel (2011), Nr. 65. 39 Eine Ausnahme im Bereich der katholischen Theologie bilden L. Volken (Jesus der Jude und das Jüdische im Christentum. Mit einem Geleitwort v. E. Zenger, Düsseldorf 1983) und F. Mussner (Jesus von Nazareth im Umfeld Israels und der Urkirche. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1999 [Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 111]). Vgl. jetzt auch H. Hoping, Jesus aus Galiläa. Messias und Gottes Sohn, Freiburg i. Br./Basel/Wien 2019. 40 So in: P. Lapide/K. Rahner, Heil von den Juden? Ein Gespräch, Mainz 1983, S. 58. 41 I. U. Dalferth, Gott für uns. Die Bedeutung des christologischen Dogmas für die christliche Theologie, in: Denkwürdiges Geheimnis. Beiträge zur Gotteslehre, hrsg. v. Dems./J. Fischer/H.-P. Grosshans, FS f. Eberhard Jüngel, Tübingen 2004, S. 51–75, hier: S. 73. 42 Zu Stellungnahmen zum Inkarnationsgedanke aus dem heutigen Judentum vgl. J.-B. Madragule Badi, Inkarnation in der Perspektive des jüdisch-christlichen Dialogs. Mit einem Vorwort v. M. Wyschogrod, Paderborn/München/Wien u. a. 2006 (Studien zu Judentum und Christentum), S. 57–137. 43 Vgl. J.-F. Lyotard, Von einem Bindestrich, in: ders./Eberhard Gruber, Ein Bindestrich – zwischen „Jüdischem“ und „Christlichem“. Erweiterte Ausgabe, übers. v. E. Gruber, Düsseldorf/Bonn 1995, S. 27–51.

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christlichen Gotteserfahrung dagegen Gottes fleischgewordene, in menschlicher Gestalt ergangene Stimme, worin Lyotard eine fragwürdige Verobjektivierung des Hörens erkennt.44 „Paulus predigt, dass das Leiden des Sohnes die wahre Stimme des Vaters hören läßt.“45 In der Fleischwerdung, die eine „Geste der Liebe“ ist, die als Antwort nur die Liebe kennt, hört die Stimme für Lyotard auf, der „Entzifferung durch Zeichen“46 zu bedürfen: Die fleischgewordene Stimme sei an die Stelle der Tora getreten, die nicht selbst die Stimme ist, sondern „vielmehr ihr in Verwahrung gegebener (déposée) Buchstabe“47. Nach christlicher Überzeugung sei Israel zwar erwählt worden, in der Tora den Buchstaben der Stimme zu empfangen, habe die Stimme selbst aber nicht zu hören vermocht, weshalb die Kirche als „Israel Gottes“ (Gal 6,16; vgl. auch 3, 29) das irdische, unter dem Gesetz der Werke stehende Israel (1 Kor 10,18) aufhebe. Diese Lesart des Apostels Paulus führt bei Lyotard dazu, die zusammenfassende Rede von der jüdisch-christlichen Tradition, den „Bindestrich“, der Jüdisches und Christliches zusammenhält, für illegitim zu erklären. Lyotards These vom Widerstreit zwischen dem „Jüdischen“ und „Christlichen“ wirft die Frage nach dem Verhältnis von Inkarnationschristologie und Bilderverbot auf.48 Das biblische Bilderverbot (Ex 20,4; Dtn. 5,8) ist weder das Verbot metaphorischer Rede von Gott noch ein Kunstverbot, sondern das Verbot eines Gott repräsentierenden Kultbildes. Gleichwohl wird das Bilderverbot von einer Reihe jüdischer Autoren zum Teil radikal idolkritisch interpretiert. Hier wären etwa Max Horkheimer (1895–1973) und Theodor W. Adorno (1903–1969) zu nennen. Sie waren der Meinung, dass der Gedanke der Inkarnation Gottes gegen das biblische Bilderverbot verstoße.49 Martin Buber (1878–1965) sprach von der Inkarnationslosigkeit des Judentums. Der Gedanke der Inkarnation sei es vor allem, der Judentum und Christentum voneinander trenne.50 Ähnlich urteilte Stéphane Mosès (1931–2007): Das Judentum könne nur den verleiblichten Geist im gottebenbildlichen Menschen als Inkarnation anerkennen.51 Dagegen sprach Jacob Neusner (1932–2016) vom 44 Vgl.

a. a. O., S. 39, 48. S. 33. 46 A. a. O., S. 45. 47 A. a. O., S. 48. 48 Vgl. J. Wohlmuth, Die Tora spricht die Sprache der Menschen. Theologische Aufsätze und Meditationen zur Beziehung von Judentum und Christentum, Paderborn/München/Wien u. a. 2002, S. 47–64, hier: S. 61. 49 Vgl. M. Horkheimer/T. W.  Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1969, S. 155–188. 50 Vgl. M. Buber, Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden, Darmstadt 1993, S. 205. Zur Frage der Inkarnationslogkeit im Judentum siehe H. H.  Henrix, Judentum und Christentum. Gemeinschaft wider Willen, Regensburg 22008, S. 156–174. 51 Vgl. S. Mosès, L’incarnation du souffle dans le récit de la Genèse, in: Incarnazione, Archivo di Filosofia LXVII, N. 1–3 (1999), S. 135–145. 45 A. a. O.,

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Gott Israels als „God Incarnate“52. Damit meinte er seine personalen Züge, sein Bild im Menschen, seine Gegenwart bei und in seinem Volk, seine Ansprechbarkeit im Gebet sowie seine Geschichtsmächtigkeit. Der jüdische Gelehre Elliot R. Wolfson machte darauf aufmerksam, dass die Bibel trotz des Bilderverbots Gott als körperlich vorstellt, und im rabbinischen Judentum nicht wenige Gelehrte eine nicht nur metaphorisch zu verstehende Körperlichkeit Gottes anerkennen.53 In seinem Buch Gottes Körper hat Christoph Markschies gezeigt, dass in der Antike neben jüdischen auch christliche und pagane Autoren eine spezifische Körperlichkeit Gottes lehrten.54 Der jüdische Gelehrte Moses ben Maimon (1135/1138–1204) ging dagegen von einer absoluten Transzendenz Gottes aus und schloss jede Form einer Körperlichkeit Gottes aus.55 Gegen die These von der Inkarnationslosigkeit des Judentums wandte sich neben Wolfson auch Michael Wyschogrod: Der christliche Inkarnationsgedanke habe in der Erfahrung Israels zwar keine Entsprechung, Juden würden aber eine Einwohnung Gottes in und bei seinem Volk kennen: sei es am Berg Sinai, im Land, im Tempel, im Exil56 oder im Lesen der Tora57. Wyschogrod nennt das Judentum „inkarnatorisch“, sofern der Gott Israels ein Gott ist, „der in die Welt des Menschen eintritt und der […] die Parameter der menschlichen Existenz, einschließlich der Räumlichkeit, nicht scheut.“ „Es stimmt, das Judentum vergisst nie das Dialektische, den transzendenten Gott […]. Doch diese Transzendenz bleibt in dialektischer Spannung mit dem Gott, der bei Israel in seiner Unreinheit wohnt (Lev 16,16), der der vertraute Gefährte des Juden ist, ob im Salomonischen Tempel oder in den Tausenden von kleinen Gebetsräumen […]. Das Judentum ist daher inkarnatorisch, wenn wir unter diesem Begriff die Vorstellung verstehen, dass Gott in die Welt des Menschen eintritt, daß er an bestimmten Orten erscheint und dort wohnt, so sie dadurch heilig werden.“58

Um eine Inkarnation im christlichen Sinne handelt es sich hierbei nicht. Pinchas Lapide meinte, dass man eine solche Inkarnation nicht a limine ausschließen kön52 Vgl. J. Neusner, The Incarnation of God. The Character of Divinity in Formative Judaism, Philadelphia 1988. 53 Vgl. E. R.  Wolfson, Judaism and Incarnation: The Imaginal Body of God, in: Christianity in Jewish Terms, hrsg. v. T. Frymer-Kensky/D. Novak/P. Ochs, Boulder/Co. 2000, S. 239–254. Zur Frage der Körperlichkeit Gottes im rabbinischen Judentum vgl. auch J. Costa, The Body of God in Ancient Rabbinic Judaism: Problems and Interpretation, in: Revue de l’histoire des religions 227 (2010), S. 283–316. 54 Vgl. C. Markschies, Gottes Körper. Jüdische, christliche und pagane Gottesvorstellungen in der Antike, München 2016. 55 Vgl. Mose ben Maimon, Führer der Unschlüssigen, übers. u. kommentiert v. A. Weiẞ, mit einer Einleitung v. J. Maier, 2 Bde., Hamburg 1972, Buch 1, Kap. 76, S. 385–394. 56 Vgl. bMeg 20a: „Wurden sie [Israel] nach Ägypten verbannt, war die Shekinah bei ihnen […]. Wurden sie nach Babylon verbannt, war die Shekinah bei ihnen.“ 57 Vgl. Mischna, tr. Avoth 3,6: „Wo zehn (Männer) zusammen sitzen und sich mit den Worten der Tora befassen, dort ist die Shekinah mitten unter ihnen.“ 58 Wyschogrod, Inkarnation aus jüdischer Sicht, S. 23–27.

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ne, da man der Souveränität Gottes sonst eine Grenze setzen würde. Das jüdische „Nein“ zur Inkarnation des Sohnes in Jesus von Nazareth rührt für Lapide daher, dass sie nicht glaubhaft bezeugt sei.59 Der amerikanische Religions­philosoph Daniel Boyarin erkennt im sogenannten Frühjudentum keimhafte Ansätze für die Ideen der Inkarnation und Trinität Gottes: „The ideas of Trinity and incarnation, or certainly the germs of those ideas, were already present among Jewish believers well before Jesus came on the scene to incarnate in himself, as it were, those theological notions and take up his messianic calling.“60 Peter Schäfer hat Boyarins These als Fehlinterpretation der Quellen zurückgewiesen.61 Man könne darüber diskutieren, ob die Figur des leidenden Gerechten (Jes 52,13–53,12) schon zur Zeit Jesu mit derjenigen des Messias und des Menschensohnes verschmolzen war. Doch die Vorstellung eines göttlichen Messias existierte im antiken Judentum ebenso wenig wie diejenige göttlicher Hypostasen. Für Schalom Ben-Chorin ist der Gedanke einer Inkarnation Gottes in einem Individuum, das wahrer Gott und wahrer Mensch ist, unvereinbar mit dem Judentum, wie immer man das Verhältnis von Transzendenz und Immanenz Gottes auch näher bestimmt: „Für das Christentum ist die wahre und bleibende Offenbarung Gottes in der Person Jesu gegeben […]. In ihm ist die Fülle der Gottheit Person geworden. Nichts von alledem im Judentum.“ Das Judentum beharrt bei allem konkretem Reden von Gott auf der Bildlosigkeit Gottes. „Es ist derselbe Gott, der sich in Feuer und Sturm, aber auch wiederum nicht im Feuer und Sturm, nicht im Erdbeben, sondern in der Stimme des feinen Schweigens dem Elia offenbart (1 Kön 19,12). Zu Jeremia spricht er aus einem blühenden Mandelbaum und zu Hiob aus dem Gewitter.“62 Auch für Emmanuel Levinas (1906–1995) ist der christliche Inkarnationsgedanke zutiefst unjüdisch.63 Nach Levinas kann Gott in seiner Offenbarung 59 Vgl. P. Lapide, Eine jüdische Theologie des Christentums. Bausteine zum Brückenschlag, in: Was Juden und Christen voneinander denken, hrsg. v. P. Lapide/F. Mussner/ U. Wilckens, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1978, S. 11–39, hier: S. 36 f. 60 D. Boyarin, The Jewish Gospels. The Story of the Jewish Christ, New York 2013, S. 102. Vgl. ders., Als Christen noch Juden waren. Überlegungen zu den jüdisch-christlichen Ursprüngen, in: Kirche und Israel 16 (2001), S. 112–129; ders., Abgrenzungen. Die Aufspaltung des Judäo-Christentums, übers. v. G. Galmer, Berlin/Dortmund 2009 (Arbeiten zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte 10). – Gestützt auf die Danial Boyarin hat Florian Bruckmann die These vertreten, dass die Vorstellung einer in sich differenzierten Gottheit innerjüdisch angelegt ist und die Entscheidung des Konzils von Nizäa nicht zur Trennung von Christentum und Judentum hätte führen müssen. Vgl. ders., in IHM erkannt: Gott und Mensch. Grundzüge einer anthropologischen Christologie im Angesichte Israels, Paderborn/ Zürich/Wien 2014 (Studien zu Judentum und Christentum 28), S. 249–251, hier: S. 309 f. 61 Vgl. P. Schäfer, Rezension zum Buch von Daniel Boyarin, The Jewish Gospels: The Story of the Jewish Christ, in: Kirche und Israel 27 (2012), S. 100–109. 62 S. Ben-Chorin, Jüdischer Glaube. Strukturen einer Theologie des Judentums anhand des Maimonidischen Credo, Tübingen 21979, S. 66. 63 Zur Bedeutung Levinas’ für die Christologie vgl. J. Wohlmuth, Herausgeforderte Christologie, in: Emmanuel Levinas  – eine Herausforderung für die christliche Theologie,

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nicht „gegenwärtig“ werden, ohne dass er in die Ordnung des Seins eintritt, was seiner Transzenz widersprechen würde. Der wahre Gott, so Levinas in seinem Vortrag Un Dieu Homme? (1968), könne nicht „sein Inkognito lüften“64. Zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen bestehe eine radikale Trennung, die in einer Kontraktion (Zimzum) des Unendlichen gründe, die Raum schaffte für das Kreatürliche.65 Diese „Trennung“ zwischen Unendlichem und Endlichem nimmt in der Philosophie von Levinas eine zentrale Stellung ein. Levinas verbindet damit sein idolkritisches Verständnis des Bilderverbots, das den Gedanken einer Inkarnation Gottes nicht zulässt. Mögen wir im Antlitz des Anderen auch die Spur einer göttlichen Kondeszendenz finden66, ein Gott angemessenes Bild kann es für Levinas nicht geben. Gott ist derjenige, „der nur seinen Namen ausspricht und seine Gebote ausrichtet“67. Im Anschluss an Maurice Merlau-Ponty (1908–1961) spricht Levinas vom Menschen als inkarniertem Subjekt (sujet incarné).68 Der Mensch ist kein rein geistiges Wesen, sondern inkarniertes Subjekt, das den Leib als das Andere erscheinen lässt, ohne ihn zu entfremden.69 Für die Wurzel des Leibverständnisses bei Levinas wurde auf die jesajanischen Gottesknechtslieder hingewiesen.70 Im Anderen ergeht ein „göttliches Wort, das mir gebietet und mich dem Anderen weiht“71. „Die Dimension des Göttlichen öffnet sich vom menschlichen Antlitz aus.“72 „Der Gott, der vorbeigegangen ist, ist nicht das Urbild, von dem das Antlitz das Abbild wäre. Nach dem Bilde Gottes sein heißt nicht, Ikone Gottes sein, sondern sich in seiner Spur befinden.“73 „Der Andere ist nicht die Inkarnation Gottes“, durch sein Antlitz ist er „die Manifestation der Höhe, in der hrsg. v. dems., Paderborn/München/Wien 1998, S. 215–229; ders., Jüdischer Messianismus und Christologie, in: Emmanuel Levinas und die christliche Jesusinterpretation. Ein Streit um die Denkformen in der Christologie, hrsg. v. C. Böttigheimer/H. Filser Regensburg 2006, S. 281–305. 64 E. Levinas, Menschwerdung Gottes?, in: ders., Zwischen uns. Versuche über das Denken an den Anderen, München 1995, S. 73–82, hier: S. 77. 65 Vgl. E. Levinas, Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität. Übers. v. W. N. Krewani, Freiburg i. Br./München 1987, S. 148. 66 E. Levinas, Menschwerdung Gottes?, S. 78. 67 E. Levinas, L’au-delà du verset. Lectures et discours talmudiques, Paris 1972, S. 152. 68 Vgl. M. Merlau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung. Übers. u. mit einem Vorwort versehen v. R. Böhm, Berlin 1966, S. 229. 69 Vgl. E. Levinas, Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, übers. v. T. Wiemer, Freiburg i. Br./München 21998, S. 179, 242 f. 70 Vgl. B. Casper, Die Zeitigung des Leibes in der Diachronie des „pour l’autre“, in: Incarnation. Textes réunis par Marco M. Olivetti (Biblioteca dell’„Archivio di Filosofia“ 19), Padua 1999, S. 159–170, hier: S. 170. 71 E. Levinas, Jenseits des Buchstabens, Bd. 1: Talmud-Lesungen, übers. v. F. Miething, Frankfurt a. M. 1996, S. 10. 72 Levinas, Totalität und Unendlichkeit, S. 106 f. 73 E. Levinas, Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur Phänomenologie der Sozialphilosophie. Übers., hrsg. u. eingeleitet v. W. N.  Krewani, Freiburg i. Br./München 1983, S. 235.

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sich Gott offenbart“74. Auch wenn Levinas’ idolkritischer Gottebenbildlichkeitsbegriff den Gedanken einer Inkarnation Gottes ausschließt, kann sein Begriff des inkarnierten Subjekts doch helfen, die Geschöpflichkeit des Subjekts besser zu verstehen. Levinas ist sich bewusst, dass es letztlich unbegreifbar ist, wie Gott ein Subjekt außerhalb von sich hervorbringen kann, ohne es zu absorbieren. Levinas spricht hier vom „Mysterium der Schöpfung“75. In der allem Bewusstsein vorausliegenden Passivität des ‚Sich‘ (Rekurrenz) ist das Subjekt ein von Gott gesetztes, das fähig ist, eine Offenbarung zu empfangen. Hier besteht eine Vor-Ursprünglichkeit des Subjekts, die sich mit Hilfe der Idee der creatio ex nihilo beschreiben lässt.76 Nach Levinas ist die Freiheit eine „eingesetzte Freiheit“, in der sich die Güte der Transzendenz jenseits des Seins ereignet.77 Die göttliche Transzendenz hinterlässt nur Spuren ihrer Herrlichkeit: im Antlitz, im Zeugnis und in der Prophetie, sie wird aber nicht Gegenwart.78

4. Vere Deus – vere homo: Interpretatio iudaica Das nizänische Bekenntnis „et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine, et homo factus est“79 fußt auf der Schlüsselaussage des Johannesprologs: „Und das Wort ist Fleisch geworden (ὁ λόγος σὰρξ ἐγένετο) und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14). Fleisch meint hier nicht einen Bestandteil des Menschen, sondern den ganzen Menschen in seiner Endlichkeit, Passibilität und Sterblichkeit. Gott wurde ein endlicher, leidensfähiger und sterblicher Mensch. Schon Ignatius von Antiochien (gest. 110–117) sprach im Anschluss an Joh 1,14 vom „fleischgewordenen Gott“ (ἐν σαρκὶ γενόμενος θεός).80 Den Begriff der Fleischwerdung (σάρκωσις, „incarnatio“) verdanken wir Irenäus von Lyon (ca. 135–200).81 Tertullian (ca. 150–220) nennt das sterbliche Fleisch den Angelpunkt unseres Heils: „caro salutis est cardo“82. Die Bedeutung, die der afrikanische Theologe dem Fleisch für die Geburt des Gottessohnes zuschreibt, macht folgende, gegen Markion formulierte Sentenz deutlich: „nec nativitas sine carne nec caro sine nativitate“ (keine Geburt ohne Fleisch und kein 74 Levinas,

Totalität und Unendlichkeit, S. 108. Vom Sein zum Seienden, übers. v. A. M.  Krewani/W. N.  Krewani, München 1997, S. 94. 76 Vgl. Levinas, Totalität und Unendlichkeit, S. 123, 424; ders., Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, S. 251 f. 77 Vgl. Levinas, Totalität und Unendlichkeit, S. 438–442, hier: S. 442 f. 78 Vgl. Levinas, Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, S. 316–353. 79 Denzinger-Hünermann Nr. 125. 80 Ignatius von Antiochien, Ad Ephesios 7,2. 81 Vgl. Irenäus von Lyon, Adversus haereses III,18,3. 82 Tertullian, De resurrectione carnis 8,2. 75 E. Levinas,

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Fleisch ohne Geburt).83 Tertullian gehörte zur Reihe frühchristlicher Theologen, die eine spezifische Körperlichkeit Gottes annahmen.84 Phil 2,6, wonach Christus „in der Gestalt Gottes existierte“ („in effigie Dei constitutus“), vestand Tertullian als Hinweis auf eine körperliche „Gestalt Gottes“, des Vaters: „Denn wer wollte leugnen, dass Gott, obwohl Geist, doch auch Körper ist. Denn der Geist ist Körper in eigener Weise, in seinem Bilde“ („spiritus enim corpus sui generis in sua effigie“).85 Für Tertullian wäre ein körperloses Sein gleichbedeutend mit der Nichtexistenz eines Dinges: „Alles, was existiert, ist körperlich in seiner besonderen Art. Nichts ist unkörperlich, außer was gar nicht existiert.“86 Gott besitzt eine spezifische Körperlichkeit von nichtirdischer Materialität. Die Mehrheit der frühen christlichen Theologen war freilich der Meinung, dass Gott als reiner Geist körperlos sei. Gott hat sich in seiner Menschwerdung nicht nur mit dem Körper eines Menschen umkleidet, er wurde ein sterblicher Mensch. In einer Weihnachtspredigt von Martin Luther (1483–1546) heißt es, wir könnten Gottes Sohn gar nicht tief genug in das menschliche Fleisch hineinziehen, auch wenn dieses Wort nur Sinn macht, wenn Christus mehr ist als ein Mensch.87 Wie aber konnte Gott ins menschliche Fleisch kommen?88 Für Karl Rahner war dies die transzendentale Frage der Christologie.89 Ihre vordringliche Aufgabe sah er darin, „das Dogma der Kirche – ‚Gott ist Mensch (geworden), und dieser menschgewordene Gott ist der konkrete Jesus Christus‘ – so zu formulieren, daß das in diesen Sätzen Gemeinte wirklich verständlich wird und jeder Schein einer heute nicht mehr nachvollziehbaren Mythologie ausgeschlossen wird“90. Inkarnation lässt sich aber nicht ohne die jüdische Idenität Jesu denken. Nach Hans Hermann Henrix ist die konkrete Menschwerdung des Sohnes Gottes als „Judewerdung“91 zu verstehen: Jesus von Nazareth ist der jüdische Mensch, in dem die Berufung des 83 Tertullian,

De carne Christi 1. Markschies, Gottes Körper, S. 106–108. 85 Tertullian, Adversus Praxean 7,8. 86  Tertullian, De carne Christi 11,4. 87  Zitiert bei I. A.  Dorner, Entwicklungsgeschichte der Lehre von der Person Christi. Zweiter Teil: Die Lehre von der Person Christi vom Ende des vierten Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Berlin 1953, S. 544. 88 Vgl. H. Hoping, „Und das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1,14). Das inkarnierte Subjekt und die Menschwerdung Gottes, in: Zukunft aus der Geschichte Gottes. Theologie im Dienst einer Kirche für morgen, hrsg. v. G. Bausenhart/M. Eckholt/L. Hauser, FS f. P. Hünermann, Freiburg i. Br./Basel/Wien 2014, S. 314–340. 89 Vgl. K. Rahner, Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1976, S. 180–222. 90 K. Rahner, Jesus Christus II: Fundamentaltheologische Überlegungen, in: Sacramentum Mundi 2 (1968), Sp. 920–957, hier: Sp. 927. 91 Vgl. H. H.  Henrix, Menschwerdung Gottes konkret: Judewerdung, in: Wendung nach Jerusalem. Friedrich-Wilhelm Marquards Theologie im Gespräch, hrsg. v. H. Lehming, Gütersloh 1999, S. 256–269. 84 Vgl.

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Volkes Israel, Sohn Gottes zu sein, in einzigartiger Weise verwirklicht ist. Schon Karl Barth hatte das Judesein Jesu als Spiegel der Israelwerdung Gottes verstanden.92 In dem Juden aus Galiläa verkörpert sich die Berufung des von Gott erwählten Volkes, das er zum „Zeichen unter den Völkern“ (vgl. Jes 11,12) bestimmt hat. Israel besitzt mit Blick auf die Völker eine Zeichenhaftigkeit. In diesem Sinne könnte man von Israel als „Sakrament Gottes unter den Völkern“ und von Christus als „Sakrament Israels“93 sprechen. Der in seiner Jugend vom Judentum zum Katholizismus konvertierte spätere Erzbischof von Paris, Kardinal Jean-Marie Lustiger (1926–2007), nennt Jesus Christus „die Verwirklichung der Berufung Israels“94. Mit Röm 10,4 betont Lustiger auch, dass Jesus nicht das Ende, sondern das Ziel (τέλος) der Tora ist. Die Treue zur Tora Israels gehört zur Identität Jesu. Im seinem Gespräch mit Jacob Neusner95 bezeichnet Joseph Ratzinger Jesus als „Tora in Person“96, ergänzt um die Rede von Jesus als „Wort Gottes in Person“97. Denn es ist der göttliche Logos selbst, der sich in den Worten und Taten Jesu ausspricht. Jesus ist nicht nur eine authentische Auslegung der Tora des Mose. Dazu schreibt Karl-Heinz Menke: „Die Tora ist Interpretation des ewigen Logos und nicht umgekehrt der Fleisch gewordene Logos die bloße Veranschaulichung der Tora.“98 Man kann die Tora Wort Gottes im Menschenwort nennen und darin Gottes ewiges Wort erkennen, sofern man von einer Präexistenz der Tora ausgeht.99 Die Päpstliche „Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum“ bezeichnet Jesus als „die lebendige Tora Gottes“100. Damit wird nicht die  92 Vgl.

Klappert, Miterben der Verheißung, S. 153–182.

 93 D. Ansorge, Gottes Treue zu Israel und die universale Heilsbedeutung Jesu Christi. Ver-

hältnisbestimmungen von Judentum und Christentum, in: Der dreifaltige Gott. Christlicher Glaube im säkularen Zeitalter, hrsg. v. G. Augustin/Chr. Schaller/S. Śledziewski, FS f. Gerhard Kardinal Müller. Mit einem Grußwort v. Benedikt XVI., Freiburg i. Br./Basel/Wien 2017, S. 115–152, hier: S. 146.  94 J.-M. Lustiger, Die Verheißung vom Alten zum Neuen Bund. Übers. v. S. Schubert, Augsburg 2003, S. 78.  95 Vgl. J. Neusner, Ein Rabbi spricht mit Jesus. Ein jüdisch-christlicher Dialog, übers. v. K. Miedler/E. Heinemann, Freiburg i. Br./Basel/Wien 2007.  96  J. Ratzinger, Jesus von Nazareth I, in: ders.: Gesammelete Schriften, Bd. 6/1, Freiburg i. Br./Basel/Wien 2013, S. 223 [Erstausgabe: S. 143].  97 A. a. O., S. 223 [Erstausgabe: S. 143].  98 K.-H. Menke, Jesus ist Gott der Sohn. Denkformen und Brennpunkte der Christologie, Regensburg 2008, S. 33.  99 Vgl. Dabru Emet (2000), 6. These: „Christen kennen und dienen Gott durch Jesus Christus und die christliche Tradition. Juden kennen und dienen Gott durch die Tora und die jüdische Tradition.“ (W. Kraus/H. H. Henrix (Hg.), Die Kirchen und das Judentum. Dokumente von 1986–2000, Paderborn 2001, S. 974–976, hier: S. 975) 100 Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, „Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ (Röm 11,29). Reflexionen zu theologischen Fragestellungen in den katholisch-jüdischen Beziehungen aus Anlass des 50jährigen Jubiläums von „Nostra aetate“ (Nr. 4) (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 203), Bonn 2015, Nr. 26.

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Differenz zwischen christlichem und jüdischem Gottes‑ und Offenbarungsverständnis aufgehoben. Gemäß christlichem Glauben hat „sich das Wort Gottes […] in Jesus von Nazareth“ inkarniert, wurde menschliches, jüdisches Fleisch; nach jüdischer Überzeugung dagegen ist Gottes Wort „in der Tora“101, die auf himmlischen Tafeln geschrieben wurde (Jub 6,17; 16,29) und von einigen jüdischen Autoren als Gottes erste Hervorbringung betrachtet wird (Spr 8,22–31; Sir 24)102, gegenwärtig. Von Jesus als Tora in Person oder lebendige Tora zu sprechen, darf nicht im Sinne einer neuen Substitution verstanden werden.103 Jesus tritt nicht an die Stelle der Tora, der Weisung Gottes für Israel, er hebt diese nicht auf, sondern erfüllt sie. Jesus ist nicht das Ende, sondern das Ziel (Röm 10,4: τέλος) der Tora.104 In der Studie Kirche und Israel. Ein Beitrag der reformatorischen Kirchen Europas zum Verhältnis von Christen und Juden (2001) heißt es zur jüdischen Identität Jesu: „Jesus ist ‚wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch‘ (vere Deus  – vere homo). Dieses Bekenntnis hält den Gehalt des Inkarnationsgeschehens nur dann fest, wenn das ‚wahrhaft Mensch geworden‘ das ‚wahrhaft Jude‘ unmittelbar und unverlierbar einschließt. Nicht ein beliebiger, sondern eben dieser Mensch – von Geburt Jude, Angehöriger des Volkes Israel, stammend aus dem Geschlecht Davids – ist zu Ostern als der Christus, als der Sohn Gottes, offenbar geworden.“105

Für Franz Mußner (1916–2016) folgt aus dem Judesein Jesu für die Christologie, dass das „vere Deus – vere homo“ des Konzils von Chalzedon (451) ergänzunsbedürftig ist. Es muss als „vere Deus – vere homo judaeus“ gelesen und erschlossen werden.106 Wolfhart Pannenberg (1928–2014) sprach von der Notwendigkeit einer „interpretatio iudaica“107 des christologischen Dogmas. Josef Wohlmuth nennt das „unvermischt“ (ἀσυγχύτως) des Chalzedonense den „jüdisch[n] Stachel in der Christologie“108. Selbst in seiner äußersten Kondeszendenz (= Mitherabsteigen, Herablassung) im Juden Jesus bleibt der Heilige Israels (Jes 57,15) 101 Ansorge,

Gottes Treue zu Israel, S. 147. H. H.  Henrix/E. Kessler, Gottes Gegenwart in Israel und die Inkarnation. Ein jüdisch-christlicher Dialog, in: Freiburger Rundbrief NF 15 (2008), S. 6–25. 103  Vgl. den Beitrag „Der Jude Jesus – „die Tora in Person“? von J.-H. Tück in diesem Band. 104  Die Rede von Jesus als „Tora in Person“ begegnet in der Theologie seit den 90er Jahren des 20. Jahrhnunderts. Vgl. H. Schoneveld, Die Thora als Person. Eine Lektüre des Prologs des Johannesevangeliums als Beitrag zu einer Christologie ohne Antijudaismus, in: Kirche und Israel 5 (1990), S. 40–52. 105 H. Schwier (Hg.), Kirche und Israel. Ein Beitrag der reformatorischen Kirchen Europas zum Verhältnis von Christen und Juden, Frankfurt a. M. 2001, S. 52. 106 Vgl. Mussner, Jesus von Nazareth, S. 97, 207–304. 107 W. Pannenberg, Das christliche Gottesverständnis im Spannungsfeld seiner jüdischen und griechischen Wurzeln, in: ders., Philosophie, Religion, Offenbarung, Göttingen 1999 (Beiträge zur Systematischen Theologie 1), S. 265–277, hier: S. 273. 108 J. Wohlmuth, Die Tora spricht die Sprache der Menschen, S. 182. – Vgl. ders., Chalkedonische Christologie und Metaphysik, in: Religion – Metaphysik(kritik) – Theologie im Kontext der Moderne/Postmoderne, hrsg. v. M. Knapp/T. Kobusch, Berlin/New York 2001 (Theologische Bibliothek Töpelmann 112), S. 332–354. 102 Vgl.

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der erhabene und ewige Gott. Die Inkarnation des Wortes Gottes bedeutet nicht eine Absorbierung des Göttlichen. Die Zwei-Naturen-Lehre muss als Versuch einer negativen Theologie gelesen werden, das letztlich Unsagbare zu sagen: Gottes bleibende Unendlichkeit und Transzendenz in seiner Entäußerung bis ins menschliche Fleisch.109 Um den christlichen Inkarnationsgedanken zu erschließen, hat Josef Wohlmuth Levinas’ Anthropologie des inkarnierten Subjekts christologisch aufgegriffen.110 Doch kann man den christlichen Inkarnationsgedanken in einer transontologischen Hermeneutik ausgehend von einem radikalen Differenzdenken erschließen, das in Absetzung vom Gedanken der Präsenz (Vergenwärtigung) nur eine Nähe und Spur Gottes kennt? Für Georg Essen ist es ohne den Gedanken einer Präsenz nicht möglich, von einer Offenbarung Gottes im Fleisch zu sprechen.111 Wie kein anderer hat sich der französisch Philosoph Michel Henry (1922– 2002) in seiner radikalen Lebensphänomenologie mit dem Gedanken der Inkarnation befasst, besonders in seinem Hauptwerk Incarnation. Une philosophie de la chair (2000).112 Anders als Levinas setzt Henry nicht bei der Exteriorität und Alterität im Antlitz des Anderen an, sondern beim Phänomen des Fleisches. Darunter versteht er das sich selbst spürende Leben im Sinne einer vorreflexiven, transzendentalen Selbstgegebenheit. Für den Begriff des Fleisches greift Henry auf die in der französischen Phänomenologie seit Maurice Merleau-Ponty übliche Unterscheidung zwischen Leib bzw. chair (Fleisch) und corps 109  Vgl. G.-M. Hoff, Chalkedon im Paradigma negativer Theologie. Zur aporetischen Wahrnehmung der chalkedonischen Christologie, in: Theologie und Philosophie 70 (1995), S. 355–372. – Zur Hermeneutik der Entscheidung des Konzils von Chalzedon vgl. B. Welte, Homousios hemin. Gedanken zum Verständnis und zur theologischen Problematik der Kategorien von Chalkedon, in: Das Konzil von Chalkedon. Geschichte und Gegenwart, Bd. 3, Freiburg i. Br./Basel/Wien 31979, S. 51–80; P. Hünermann, Gottes Sohn in der Zeit. Entwurf eines Begriffs, in: Jesus. Ort der Erfahrung Gottes, hrsg. v. B. Casper, Freiburg i. Br. 21977, S. 210– 236; G. Essen, Die Freiheit Jesu. Der neuchalkedonische Enhypostasiebegriff im Horizont neuzeitlicher Subjekt und Personphilosophie, Regensburg 2001 (ratio fidei 5); ders., Die Personidentität Jesu Christi mit dem ewigen Sohn Gottes. Dogmenhermeneutische Überlegungen zur bleibenden Bedeutung der altkirchlichen Konzilienchristologie, in: Internationale Katholische Zeitschrift „Communio“ 41 (2012), S. 80–103. 110 Vgl. J. Wohlmuth, Im Geheimnis aneinander nahe. Theologische Aufsätze zum Verhältnis von Judentum und Christentum, Paderborn/München/Wien u. a. 1996, S. 48, 60; ders., An der Schwelle zum Heiligtum. Christliche Theologie im Gespräch mit jüdischem Denken, Paderborn/München/Wien u. a. 2007, S. 119–137. 111 Vgl. G. Essen, „Und das Wort ist Fleisch geworden“. Transzendenz Gottes im Horizont des Inkarnationsglaubens, in: Einander zugewandt. Die Rezeption des christlich-jüdischen Dialogs in der Dogmatik, hrsg. v. E. Dirscherl/S. Sandherr/M. Thomé, Paderborn/München/Zürich u. a. 2005, S. 97–120, hier: S. 111. – Vgl. auch die Replik von M.  Hundeck, Ist eine trans-ontologische Lesart der Christologie möglich? Transzendenz Gottes im Horizont des Inkarnationsglaubens, in: Einander zugewandt, S. 121–133. 112 M. Henry, Inkarnation. Eine Philosophie des Fleisches, Übers. v. R. Kühn, Freiburg i. Br./München 2002 (frz.: Incarnation. Une philosophie de la chair, Paris 2000).

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(Körper) zurück.113 Während Jacques Derrida (1930–2004) den Begriff des Fleisches für sein Differenzdenken als zu „christlich“ ablehnte114, gewann er in Henrys transzendentaler Phänomenologie zunehmend an Bedeutung. Im sich selbst spürenden Leben des inkarnierten Subjekts kann man die anthropologische Grammatik der Menschwerdung des einen Gottes sehen, der im Erstgezeugten des Sohnes selbst Leben ist. Michel Henry wusste darum, dass der christliche Inkarnationsgedanke nicht weniger anstößig ist als ein gekreuzigter Gott. Dass der ewige und unsichtbare Gott Israels, „der stets sein Antlitz in den Wolken oder hinter einem Gebüsch verbirgt, dessen Stimme man höchstens vernimmt […|, in der Welt einen irdischen Körper oder Leib auf sich nehmen soll, um darin die Qual eines schändlichen Todes zu erleiden, wie er den Verbrechern und Sklaven vorbehalten war – dies ist letztlich für einen gelehrten Rabbi ebenso absurd wie für einen Weisen der heidnischen Antike.“115 Jesus Christus ist Gottes ewiges Wort im menschlichen, jüdischen Fleisch. Wenn das Konzil von Ephesus (431) Maria Gottesgebärerin nennt, geht es um die Radikalität der Menschwerdung des Logos Gottes im Juden Jesus von Nazareth. Vere homo – vere Deus meint, dass Jesus Christus wahrhaft menschlich und wahrhaft göttlich ist. Die Christologie hat es mit dem Geheimnis der menschlichen Subjektivität Christi und der Unvordenklichkeit des göttlichen Logos in ihr zu tun. Die Anfänge der Christologie und die frühe Lehrentwicklung sind nicht ohne das jüdische Erbe der Weisheits‑ und Logosspekulation zu verstehen.116 Dies gilt auch für den Gedanken der Einwohnung Gottes bei seinem Volk, wie er sich im Johannesprolog findet: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14), wörtlich: „hat unter uns gezeltet“ – eine Anpielung auf das Offenbarungszelt (Ex 29,43–46), in dem der Gott Israels wohnt. Wird der Gedanke des Wohnens Gottes bei seinem Volk christologisch gewendet, ist für Jesus Christus von einer Einzigartigkeit gegenüber den bisherigen Weisen des Wohnens Gottes bei seinem Volk auszugehen.117 Die Erniedrigung des Heiligen Israels (1 Kön 8,27–30), so die Kernaussage der altkirchlichen Cristologie, geht bis zur Entäußerung des Sohnes in die Armut des Fleisches und des Todes. Sie übersteigt alle „Selbsterniedrigungen“ Gottes118 in der Schöpfung, in der Ge113 Vgl. M. Merleau-Ponty, Das Sichtbare und das Unsichtbare, hrsg. u. mit einem Vor‑ u. Nachwort versehen v. C. Lefort, übers. v. R. Giuliani/B. Waldenfels, München 1986. 114 Vgl. J. Derrida, Berühren. Jean-Luc Nancy, übers. v. H.-D. Gondek, Berlin 2007, S. 265. 115 Henry, Inkarnation, S. 20. 116 Vgl. O. Skarsaune, Altkirchliche Christologie – jüdisch/unjüdisch?, in: Evangelische Theologie 59 (1999), S. 267–285, 281–283. 117 Vgl. D. Ansorge, Transzendenz Gottes und Inkarnation. Positionen und Perspektiven christlicher Theologie im Gespräch mit jüdischem und islamischem Denken, in: Theologie und Philosophie 84 (2009), S. 394–421, hier: S. 406. 118 Vgl. P. Kuhn, Gottes Selbsterniedrigung in der Theologie der Rabbinen, München 1968 (Studien zum Alten und Neuen Testament 17).

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schichte Israels und in seiner Gegenwart im Offenbarungszelt und im Heiligtum des Tempels. In dem Juden Jesus von Nazareth hat die Kondeszendenz des Heiligen Israels menschliche Gestalt angenommen (Phil 2,8f). Doch Inkarnation bedeutet nicht Verendlichung des Unendlichen im Endlichen.119 Gott bleibt der geheimnisvolle, transzendente und freie Gott.

5. „Shema Israel“ und „Deus Trinitas“ Die Christologie kann das Bekenntnis zur Menschwerdung Gottes in seinem Sohn nicht offenhalten, sie sieht sich aber mit dem jüdischen Nein zur Göttlichkeit Jesu konfrontiert. Der Gedanke der Inkarnation muss so entfaltet werden, dass von jüdischer Seite dagegen möglichst nicht der Vorwurf des shittuf erhoben wird.120 Dieser besagt, dass die christliche Gottesrede den biblischen Monotheismus durch eine „Vergesellschaftung“ des einen Gottes in Frage stellt bzw. verdunkelt. Noch Geza Vermes war der Meinung, dass das Glaubensbekenntnis von Nizäa aus dem Juden aus Galiläa eine Art zweiten Gott gemacht habe.121 Eine interpretatio iudaica der Christologie von Nizäa bis Chalzedon könnte die Möglichkeit eröffnen, mit jüdischen Autoren in ein vertieftes Gespräch über den christlichen Inkarnationsgedanken in Verbindung mit dem biblischen Monotheismus zu kommen.122 Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, wie Christen ihr Beten zu Jesus Christus verstehen und wie es von jüdischer Seite wahrgenomnen wird. Das an Christus gerichtete Gebet darf nicht die Theozentrik des christlichen Gottesdienstes gefährden oder aufheben. Wie der jüdische Gottesdienst so ist auch der christliche Gottesdienst dem Shema Israel verpflichtet.123 Das christliche Beten muss so erfolgen und theologisch erschlossen

119  Vgl. R. Dausner, Christologie in messianischer Perspektive. Zur Bedeutung Jesu im Diskurs mit Emmanuel Levinas und Giorgio Agamben, Paderborn 2016 (Studien zu Judentum und Christentum 31), S. 373. 120 Vgl. Babylonischer Talmud Sanhedrin 63b. 121 G. Vermes, Vom Jesus der Geschichte zum Christus des Dogmas, übers. v. C.-J. Thornton, Berlin 2016 (Verlag der Weltreligionen), S. 307–333. 122 Vgl. H.-J. Kraus, Rückkehr zur Israel. Beiträge zum jüdisch-christlichen Dialog, Neukirchen-Vluyn 1991, S. 156, 175 f. – Zu den heutigen Herausforderungen der Rede vom Deus Trinitas vgl. H. Hoping, Göttliche und menschliche Personen. Die Diskussion um den Menschen als Herausforderung für die Dogmatik, in: Theologie der Gegenwart 41 (1998), S. 162– 174; ders., Deus Trinitas. Zur Hermeneutik trinitarischer Gottesrede, in: Monotheismus Israels und christlicher Trinitätsglaube, hrsg. v. M. Striet, Freiburg i. Br./Basel/Wien 2004 (Quaestiones Disputatae 210), S. 128–154. 123 Vgl. B. Kranemann, Liturgisches Beten zu Christus. Zur Theozentrik und Christozentrik liturgischen Betens, in: Kirche und Israel 7 (1992), S. 45–60, bes. S. 45f, 56 f.

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werden, dass es möglichst nicht den Vorwurf des Götzendienstes (avoda sara, fremder Dienst)124 auf sich zieht.125 Im Gebet, vor allem im gottesdienstlichen Beten, so hat es einmal der evangelische Theologe Gerhard Ebeling (1912–2001) gesagt, konzentriert sich das „Ganze des Gottesverhältnisses“126. In seiner Vorschule des Betens (1943) schreibt Romano Guardini (1885–1968) zur Frage des Adressaten des christlichen Gebets: „Er, der Eine, spricht sein eigenes und einziges ‚Ich‘. In Gott sind Drei, die es sprechen. Dreifach ist das Angesicht, das sich in seinem Leben abzeichnet. Dreifach die Weise, wie dieses Leben sich selbst besitzt“. Gott, der Eine, „hat uns sein Geheimnis enthüllt und uns gesagt, ‚wer‘ er ist. Er hat uns sein ‚Ich‘ zugesprochen und seinen Namen genannt. Unser Gebet muss also an Ihn gehen, so wie Er sich kundgetan hat, an den Dreieinigen. Das Gebet des Christen ist der Umgang mit ihm.“127 Vier Jahre zuvor hatte Guardini in Welt und Person. Versuche zur christlichen Lehre vom Menschen (1939) geschrieben: „Christ zu werden, bedeutet, in die Existentialität Christi einzutreten. Der Wiedergeborene spricht ‚Du‘ zum Vater, indem er am Du-Sagen Christi Anteil empfängt. In einem letzten und endgültigen Sinne sagt er zu Christus nicht ‚Du‘. Er tritt ihm nicht gegenüber, sondern geht mit ihm, ‚folgt ihm nach‘. Er geht in Ihn ein und vollzieht mit Ihm die Begegnung. Mit Ihm zusammen sagt er zum Vater ‚Du‘ und von sich selbst ‚Ich‘ […] Der Geist aber ist es, der den Menschen in die Innigkeit der personalen Relation bringt. Er fügt ihn in Christus ein und ruft ihn so zu seinem eigentlichen Ich-Sein. Er stellt ihn dem Vater gegenüber und befähigt ihn so, das eigentliche ‚Du‘ zu sprechen“128.

Beim christlichen Gebet, dessen Grundstruktur die Gebetsrichtung zum Vater durch den Sohn im Geist ist, beziehen wir uns auf das dreifache Antlitz Gottes. Christen dürfen ihren Herrn Jesus Christus nicht wie einen zweiten Gott verehren oder über ihn nicht so sprechen, dass der Eindruck entsteht, als sei er ein vom Vater unterschiedener Gott. Der Adressat des christlichen Gebets kann wie beim jüdischen Gebet nur der eine und einzige Gott sein.

124 Zum gleichnamigen Mischnatraktat vgl. M. Krupp (Hg.), Die Mischna Avoda Sara (Götzendienst), Jersualem 2002. 125 Vgl. Levenson, Wie man den jüdisch-christlichen Dialog nicht führen soll, S. 173. 126 G. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. 1, Tübingen 1979, S. 208. 127 R. Guardini, Vorschule des Betens (1943), Mainz 41999, S. 126, 129. 128 R. Guardini, Welt und Person. Versuche zur christlichen Lehre vom Menschen (1939), Mainz 61988, S. 185.

Die Erforschung antiker christologischer Reflexion und der jüdisch-christliche Dialog – ein Prospekt Christoph Markschies1 Prospekte liefern nur einen ersten Eindruck. Hält man einen Prospekt in den Händen, fehlt meist das noch, wovon der Prospekt einen möglichst attraktiven Eindruck liefern will. Die Tagung hat noch gar nicht stattgefunden, das Buch ist noch im Druck. In diesem Sinne ist auch der vorliegende Beitrag als ein Prospekt zu verstehen: Es fehlt bislang eine neuere Gesamtdarstellung der antiken christologischen Reflexion, die ebenso grundsätzlich wie bei den Details die Perspektive des christlich-jüdischen Verhältnisses in der Antike im Blick hat. Eine solche Darstellung ist nicht eben leicht zu beginnen, weil die letzte Gesamtdarstellung, die 1979 von Alois Kardinal Grillmeier unternommen wurde und von den Anfängen bis ins Frühmittelalter führen sollte, mit fünf (Teil‑)Bänden noch erheblich von der Vollendung entfernt ist2 und doch schon wieder erheblicher Revisionsbedarf besteht, keineswegs allein im Blick auf unser Thema.3 Weil aber das unvollendete Werk von Grillmeier im akademischen Unterricht und sonst als Referenzwerk gern verwendet wird und seine Gesamtarchitektur als durchaus repräsentativ gelten darf, wird hier ein Prospekt für ein neues Gesamtbild vor allem in der Auseinandersetzung mit diesem opus magnum entwickelt. Am Ende schließen einige Thesen zum Umgang mit dem historischen Material im heutigen Dialog den Beitrag ab. 1 Text wie Fußnoten dieses Beitrags, der für das Symposium „Jesus, the Jew from Galilee, and the Christian Redeemer: Christology between Judaism and Christianity“ (Wien, 29.–31. Januar 2019) geschrieben wurde, sind im beschriebenen Sinne vorläufig; ich möchte in den nächsten Jahren das Thema an verschiedenen Stellen, die in diesem Prospekt benannt sind, vertiefen. 2 A. Kardinal Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche, Bd. 1: Von der Apostolischen Zeit bis zum Konzil von Chalkedon (451), Freiburg u.a 21982: Ausführliche Nachweise zur (Publikations‑)Geschichte auf einer von Theresia Hainthaler betreuten Homepage seiner langjährigen akademischen Wirkungsstätte, der Jesuiten-Hochschule St. Georgen: https://www. sankt-georgen.de/forschung/jesus-der-christus-im-glauben-der-kirche/ (16. 07. ​2019). 3 Einige Hinweise zu solchen notwendigen Korrekturen am Gesamtbild von Grillmeier finden sich in einem jüngst veröffentlichten Beitrag: C. Markschies, Entwicklungslinien vom Neuen Testament zur altkirchlichen Christologie, in: Jesus der Christus im Glauben der einen Kirche. Christologie – Kirchen des Ostens – ökumenische Dialoge, hrsg. v. T. Hain­­ thaler/D. Ansorge/A. Wucherpfennig, Freiburg u. a. 2019, S. 119–145. Dieser Beitrag überschneidet sich in einem Abschnitt mit Passagen des hier vorgelegten.

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Unser Prospekt beginnt mit einem scheinbar relativ isolierten Text eines einzelnen Autors aus der christlichen Antike, der zudem gar nichts mit christologischer Reflexion zu tun hat (die sich bei diesem Autor ansonsten reichlich findet). Aber dieser Text des ersten christlichen Universalgelehrten Origenes soll ein erstes Mal in diesem Beitrag deutlich machen, dass die inzwischen unter dem etwas ironischen Stichwort „the ways that never have parted“4 modellierten jüdisch-christlichen Verhältnisse der Antike auch zu einer neuen Sicht auf die Entwicklung antiker christologischer Reflexion führen müssen und diese neue Sicht Folgen für den jüdisch-christlichen Dialog haben wird. Um die These, für die hier argumentiert werden soll, zu Beginn kurz vorweg zu nehmen: Das inzwischen klassische Modell für die Entwicklungsgeschichte christologischer Reflexion – von der Vielfalt neutestamentlicher Sichtweisen zur Dominanz der Logostheologie der Apologeten schließlich hin zur Zwei-Naturen-Christologie des Reichskonzils von Chalkedon – ist historisch nicht zu halten, weil es eine bestimmte Form von Reflexion, nämlich die der sogenannten „Apologeten“, im Sinne einer sehr schlichten teleologischen Geschichtsschreibung privilegiert und dafür andere, mindestens ebenso einflussreiche Richtungen marginalisiert. Damit können aber die wechselseitigen Einflüsse zwischen kaiserzeitlichen Reflexionsgestalten, die wir als „jüdisch“, und solchen, die wir als „christlich“ rubrizieren, schlechterdings nicht angemessen beschrieben werden. Natürlich ist mit dem Hinweis auf eine neue Sicht der antiken Entwicklungen noch nichts über das zeitgenössische christlich-jüdische Verhältnis und seine Reflexion gesagt – ein entsprechender Sprung aus der historischen in die dogmatische Methode, um auf einen berühmten, aber nicht unproblematischen Grundlagentext anzuspielen5, wäre mindestens waghalsig, vielleicht sogar halsbrecherisch6. Aber eine aus historiographischer Perspektive angemessenere Sicht auf die Vergangenheit entlastet die gern mit der Normativität eben dieser Vergangenheit 4 J. D. G.  Dunn, The Parting of the Ways between Christianity and Judaism and their Significance for the Character of Christianity, London 1991; J. Lieu‚ ‚The Parting of the Ways‘: Theological Construct or Historical Reality?, in: Journal for the Study of the New Testament 17 (1995), S. 101–119 sowie A. Y.  Reed/A. H.  Becker, Traditional Models and New Directions, in: The Ways that Never Parted: Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (Texts and Studies in Ancient Judaism 95), hrsg. v. A. H.  Becker/A. Y.  Reed, Tübingen 2003, S. 1–34. 5 E. Troeltsch, Über historische und dogmatische Methode in der Theologie. Bemerkungen zu dem Aufsatz „Ueber die Absolutheit des Christenthums“ von Niebergall, in: Theologische Arbeiten aus dem Rheinischen Wissenschaftlichen Predigerverein 4 (1900), S. 87–108 = ders., Zur religiösen Lage, Religionsphilosophie und Ethik. Gesammelte Schriften Bd. II, Tübingen 1913, S. 729–753. – Vgl. auch T. Rendtorff, Hat der Sauerteig der historischen Methode alles verwandelt? Ein Rückblick auf Ernst Troeltsch: Über historische und dogmatische Methode, in: Mitteilungen der Ernst-Troeltsch-Gesellschaft 20/21 (2008), S. 2–18. 6 Meine einschlägigen Ansichten habe ich auch – soweit das einem historisch arbeitenden Theologen möglich ist – bereits einmal dargestellt: C. Markschies, Reformationsjubiläum 2017 und der jüdisch-christliche Dialog, Studien zu Kirche und Israel. Kleine Reihe 1, Leipzig 2017. Aus diesen Ausführungen möchte ich nichts wiederholen.

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argumentierende christliche Theologie vielleicht von scheinbar unaufgebbaren Notwendigkeiten. Der einst von Peter von der Osten-Sacken unter ganz anderen Vorzeichen geforderte und schon terminologisch nicht gänzlich unproblematische christologische „Besitzverzicht“ setzt ja bereits rein logisch voraus, dass zunächst einmal Inventur gehalten wird und der tatsächliche „Besitz“ (um den missverständlichen Terminus doch noch einmal zu verwenden7) bilanziert und gründlich analysiert wird. Wir beginnen nun, wie angekündigt, um zu Beginn einen hermeneutischen Rahmen zu setzen, mit einem antiken christlichen Autor. Von ihm, der jüdische Auslegungen und das Gespräch mit „seinem Rabbiner“ für eine essentielle Voraussetzung christlichen Bibelverständnisses und damit christlicher Theologie hielt – von Origenes –, stammt ein bezauberndes Gleichnis. Es ist weniger bekannt, da es zu dem umfangreichen, aber schwer zugänglichen Material byzantinischer Exzerpt-Sammlungen gehört, in denen der verlorene Psalmenkommentar des Origenes in umfangreichen Resten bewahrt ist. Da dieses Gleichnis seinen Weg nicht in die mittelalterlichen Psalmenkommentierungen gefunden hat, in den leicht zugänglichen Barock-Ausgaben fehlt und auch in der berühmten „Philokalie“ (einer spätantiken Exzerptsammlung, die für Origenes werben sollte) eher untergeht, lohnt ein erneuter Blick darauf zu Beginn unserer Ausführungen. Das Gleichnis ist im vergangenen Jahr erstmals kritisch im Gesamtzusammenhang der Psalter-Prologe ediert worden und kann nun seiner Bedeutung gemäß rezipiert und interpretiert werden. Die uns interessierende Passage lautet in deutscher Übersetzung: „Da wir im Begriff sind, mit der Auslegung der Psalmen zu beginnen, wollen wir eine äußerst schöne Überlieferung, die vom Hebräer allgemein auf die Heilige Schrift bezogen überliefert wurde, an den Anfang stellen. Jener sagte nämlich, die ganze gottinspirierte Schrift gleiche durch die in ihr enthaltene Unklarheit vielen verschlossenen Zimmern in einem einzigen Haus. Vor jedem Zimmer aber liege ein Schlüssel, der nicht zu ihm passe. Und so seien die Schlüssel über die Zimmer zerstreut, wobei sie jeweils nicht zu jenen passen, vor denen sie liegen. Es sei aber eine äußerst große Arbeit, die Schlüssel zu finden und sie passend mit den Zimmern zu verbinden, die sie öffnen können. Man müsse daher verstehen, dass auch die Schriften, die unklar sind, nicht anderswoher die 7 P. von der Osten-Sacken, Nachwort, in: Nächstenliebe und Brudermord, hrsg. v. R. Rad­ford Ruether, München 1978, S. 246. Zur Diskussion vgl. beispielsweise F. Mussner, Traktat über die Juden, überarb. Neuaufl., Göttingen 2009, S. 356–363; W. Kraus, Christo­logie ohne Antijudaismus? Ein Überblick über die Diskussion, in: Christen und Juden. Perspektiven einer Annäherung, hrsg. v. W. Kraus, Gütersloh 1997, S. 21–48, hier: S. 36. Während vor allem Kraus die Formulierung vor Missverständnissen zu bewahren sucht, hat Martin Honecker vermutlich auf der Basis eines solchen Missverständnisses kritische Einwände vorgetragen: M. Honecker, Ein gemeinsames Glaubensbekenntnis für Christen und Juden?, in: Kerygma und Dogma 27 (1981), S. 198–216, hier: S. 207. Vgl. aber P. von der Osten-Sacken, Katechismus und Siddur. Aufbrüche mit Martin Luther und den Lehrern Israels, Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum 15, 2., überarbeitete u. erweiterte Aufl., Berlin 1994, S. 222–224.

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Anhaltspunkte für das Verstehen nehmen als voneinander, da sie das Auslegungsprinzip unter sich verstreut haben.“8

Uns interessiert hier nicht die Frage, von welchem, hier wie üblich nur als „Hebräer“ (gelegentlich auch: „mein Hebräer“) bezeichneten jüdischen Gelehrten (mutmaßlich in Caesarea und frühestens 240 n. Chr.) Origenes das Gleichnis bezog. Uns muss auch nicht näher beschäftigen, dass es als Gleichnis keine ganz exakte Parallele in der jüdischen (oder christlichen) Literatur der Zeit hat9, sich aber natürlich für die Technik, „Homer durch Homer“ auszulegen10, also unklare Bibelstellen durch klare zu interpretieren (auf der Basis von ‫גזירה שוה‬, Gezerah Shavah), viele Belege in der jüdisch-hellenistischen und rabbinischen Literatur finden.11 Uns sollte in unserem Zusammenhang vielmehr beschäftigen, dass hier zum einen lange vor der europäischen Neuzeit Pluralität wahrgenommen wird (viele Passagen haben je eigene Probleme und Lösungen) und eine Theorie zum Umgang mit dieser Pluralität entwickelt wird (die Elemente der Pluralität müssen nebeneinander stehen bleiben, aber im angemessenen Verhältnis miteinander verbunden; gefordert ist nicht wirre Pluralität, sondern geordneter bzw. strukturierter Pluralismus12). Zum anderen ist die einleitende Passage aus dem in seiner Gänze verlorenen Psalmenkommentar des Origenes einschlägig, weil sie zeigt, dass schon in der Antike für das Verständnis des Alten Testaments nicht nur aus philologischen, sondern aus theologischen Gründen jüdische Auslegung, aber auch jüdische Auslegungsregeln für einschlägig, ja für grundlegend gehalten worden sind. Die „schöne Überlieferung“ („schön“ formuliert  8 Origenes, Prooemia in Psalmum Frgm. 1 = Philocalia 2,3 (TU 183, 106,1–10 Risch = SC 302, 244,1–13 Harl): Μέλλοντες δὲ ἄρχεσθαι τῆς ἑρμηνείας τῶν ψαλμῶν, χαριεστάτην παράδοσιν ὑπὸ τοῦ Ἑβραίου ἡμῖν καθολικῶς περὶ πάσης θείας γραφῆς παραδεδομένην προτάξωμεν. ἔφασκε γὰρ ἐκεῖνος ἐοικέναι τὴν ὅλην θεόπνευστον γραφὴν, διὰ τὴν ἐν αὐτῇ ἀσάφειαν, πολλοῖς οἴκοις ἐν οἰκίᾳ μιᾷ κεκλεισμένοις· ἑκάστῳ δὲ οἴκῳ παρακεῖσθαι κλεῖν οὐ τὴν κατάλληλον αὐτῷ· καὶ οὕτω διεσκεδάσθαι τὰς κλεῖς περὶ τοὺς οἴκους, οὐχ ἁρμοζούσας καθ’ ἑκάστην ἐκείνοις οἷς παράκεινται· ἔργον δὲ εἶναι μέγιστον εὑρίσκειν τε τὰς κλεῖς καὶ ἐφαρμόζειν αὐτὰς τοῖς οἴκοις, οὓς ἀνοῖξαι δύνανται· νοεῖσθαι τοίνυν καὶ τὰς γραφὰς οὔσας ἀσαφεῖς, οὐκ ἄλλοθεν τὰς ἀφορμὰς τοῦ νοεῖσθαι λαμβανούσας ἢ παρ’ ἀλλήλων ἐχουσῶν ἐν αὐταῖς διεσπαρμένον τὸ ἐξηγητικόν.  9 Die nächste Parallele bei E. E.  Urbach, The Homiletical Interpretations of the Sages and the Expositions of Origen on Canticles, and the Jewish-Christian Disputation, in: Scripta Hierosolymitana 22 (1971), S. 247–275, hier: S. 247 Anm. 2: Urbach weist auf den Midrash zum Hohelied hin, der RaSaG (Rabbi Saadya Gaon) zugeschrieben wird (hrsg. v. Y. Ratsaby). Diese Spur wäre zu vertiefen, kann aber hier nicht ausführlich behandelt werden. 10 Für das gern auf Aristarch zurückgeführte, in Wahrheit bei Porphyrius formulierte Prinzip Ὅμηρον ἐξ Ὁμήρου σαφηνίζειν ausführlich: R. Pfeiffer, Geschichte der klassischen Philologie von den Anfängen bis zum Ende des Hellenismus, München 1978, S. 276–279. 11 N. de Lange, Origen and the Jews. Studies in Jewish-Christian Relations in Third-Century Palestine (UCOP 25), Cambridge 1976, S. 111. 12 Der Bezug auf terminologische und inhaltliche Differenzierungen bei C. Schwöbel, Christlicher Glaube im Pluralismus. Studien zu einer Theologie der Kultur, Tübingen 2003, ist natürlich nicht zufällig, vgl. insbesondere ebd. S. 18–24 und S. 217–244.

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hier natürlich auf der Basis platonisierender Orientierung und also nicht bloß als ästhetisches Urteil), die Origenes aus einem Gespräch mit einem jüdischen Kollegen gewonnen hat und die sich auf die Heilige Schrift in ihrer Gesamtheit bezieht, wird zu Beginn der eigenen Kommentierung des Psalters gleichsam als hermeneutischer Schlüssel vor die ganze Auslegung gestellt. Anders formuliert: Die oft etwas „sophisticated“ wirkenden Einzelauslegungen des Origenes mit ihrer Fülle an philologischer Präzision wie kulturgeschichtlicher Gelehrsamkeit werden als Gesamtheit zu Beginn mit einer ausdrücklich als jüdisch markierten „schönen Überlieferung“ autorisiert. Christliche Hermeneutik basiert in einem sehr elementaren Sinne auf jüdischer Hermeneutik – oder noch einmal anders formuliert: Ein Gemeinplatz zeitgenössischer jüdischer Bibelhermeneutik, nach rabbinischer Gewohnheit in eine „schöne“ Geschichte gefasst, autorisiert die christliche Hermeneutik der Bibel, deren jüdischer Ursprung keine historische Erzählung über Anfänge, sondern ein bleibender wie bestimmender Charakterzug eines für die religiöse Theorie und Praxis zentralen Auslegungsvorgangs ist. Wenn also (in einem zunächst sehr allgemeinen Sinne) schon nach antiker Ansicht „das Jüdische“ ein bleibender wie bestimmender Charakterzug christlicher religiöser Theorie und Praxis – und damit auch christologischer Theoriebildung – ist, dann lohnt ein revisionistischer Blick auf die großen Erzählungen der Geschichte der christologischen Lehrbildung, wie sie in meiner akademischen Subdisziplin inzwischen weitestgehend konfessionsübergreifend üblich sind. Dass ich dabei bis zur Grenze der Karikatur vereinfache, versteht sich angesichts des Rahmens von selbst; es sind ausführlicher entfaltete Argumentationen der These aus meiner Feder im Druck, auf die ich hier getrost verweise13. Ich konzentriere mich für die Darstellung des bisherigen Paradigmas pars pro toto – wie bereits angekündigt – auf das verbreitete und grundlegende Werk von Alois Kardinal Grillmeier (1910–1998), das die christologische Lehrbildung von den Anfängen bis zur karolingischen Epoche darzustellen unternimmt14. Da es gern in anderen akademischen Disziplinen und im Unterricht verwendet wird, um sich über christologische Reflexion in der Antike zu orientieren, lohnt in unseren Zusammenhängen dieser etwas ausführlichere Blick. Man tut dem beeindruckenden Übersichtswerk von Kardinal Grillmeier nicht unrecht, wenn man es als eine nach dem Paradigma einer Aufstiegs‑ oder Fortschrittsgeschichte modellierte Darstellung der Entwicklung christologischer Reflexion bezeichnet, deren Beginn gleichsam etwas zufällig daherkommt. Denn das erste Kapitel „Von der Bibel zu den Vätern“ beginnt mit einem für einen 13 Neben dem in Anm. 3 erwähnten Beitrag „Entwicklungslinien vom Neuen Testament zur altkirchlichen Christologie“ vgl. auch ders., Vornizänische Christologie: ein paar notwendige Revisionen verbreiteter Paradigmen und Modelle (erscheint 2020 in einem Sammelband des Symposiums „Der Zweite – Christus denken“ anlässlich des 50. Geburtstags von Philipp Stoell­ ger im Verlag Mohr Siebeck, Tübingen). 14 Wie oben in Anm. 2.

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römisch-katholischen Autor (und späteren Kardinal) bemerkenswert evangelischen Zugriff auf die notorisch problematischen Anfänge, der allerdings etwas isoliert vor der eigentlichen Entwicklungs‑ und Aufstiegsgeschichte christologischer Reflexion steht. Der erste Unterabschnitt des ersten Kapitels ist „Biblische Ansatzpunkte der patristischen Christologie“ überschrieben15 und besteht praktisch ausschließlich aus einem langen Passus über die sogenannten Hoheitstitel Jesu: „Sohn Davids“, „Gottesknecht“, „Jesus, der Prophet“, „‚Menschensohn‘ – ‚(Gottes‑)Sohn‘“ und „Jesus der Christus“. Einmal abgesehen davon, dass schon das Inhaltsverzeichnis deutlich macht, dass sich die Titulaturen nach Ansicht des Autors offenbar von den mehr jüdisch klingenden zu scheinbar mehr christlich klingenden „fortentwickelt“ haben, beruht der ganze Zugriff auf die Materie auf Arbeiten evangelischer Neutestamentler nach 1945, denen man nur teilweise eine Sensibilität für die jüdischen Kontexte des Juden Jesus nachsagen kann: Repräsentativ für diesen Zugang ist die Heidelberger Dissertation des später in München wirkenden Neutestamentlers Ferdinand Hahn (1926–2015) aus dem Jahre 1961, der die Anfänge der christologischen Tradition durch eine Analyse der Geschichte der christologischen Hoheitstitel darzustellen versucht hatte, dort allerdings in charakteristisch anderer Auswahl und Reihenfolge. Die Hoheitstitel, die Grillmeier behandelt („Sohn Davids“, „Gottesknecht“, „Jesus der Prophet“, „Menschensohn“ und „Gottessohn“ sowie „Jesus der Christus“) unterscheiden sich erheblich von den Hoheitstiteln, die Hahn bespricht („Menschensohn“, „Kyrios“, „Christus“, „Davidssohn“ und „Gottessohn“)16,  – und die Art und Weise, in der Grillmeier sie diskutiert, natürlich ebenfalls von der bei Hahn. Man kann den Unterschied vielleicht so charakterisieren: Die Hoheitstitel, die Grillmeier diskutiert, umfassen auch jene biblischen, also jüdischen Titulierungen, die – wie die Rede vom „Gottesknecht“ – bei Bultmann und in seiner Schule eher vernachlässigt wurden und stärker im Zentrum der Aufmerksamkeit von Joachim Jeremias, Otto Michel oder Martin Hengel standen, scharfen Kritikern der Bultmann-Schule17. Grillmeier dachte offenbar einerseits stark in den Bahnen der seinerzeitigen heftigen Debatte über den historischen Jesus in der Schule Rudolf Bultmanns – der Einsatz mit den Hoheitstiteln in „Jesus der Christus“ 15 Grillmeier,

Jesus der Christus im Glauben der Kirche I, S. 14–77.

16 F. Hahn, Christologische Hoheitstitel. Ihre Geschichte im frühen Christentum (FRLANT

83), Göttingen 21964. 17  M. Hengel, Christological Titles in Early Christianity. The Crucified Son of God, in: The Messiah. Developments in Earliest Judaism and Christianity, hrsg. v. J. H.  Charlesworth, Minneapolis 1992, S. 425–448 = ders., Theologische, historische und biographische Skizzen. Kleine Schriften VII, hrsg. v. C.-J. Thornton, mit einer Würdigung und einem vollständigen Schriftenverzeichnis v. Jörg Frey, Tübingen 2010, S. 64–89; J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie. Bd. 1 Die Verkündigung Jesu, Gütersloh 31979, S. 245–263; sowie R. Rieger, Otto Michel und das Institutum Judaicum in Tübingen, in: Das Tübinger Institutum Judaicum. Beiträge zu seiner Geschichte und Vorgeschichte seit Adolf Schlatter, Contubernium (Tübinger Beiträge zur Universitäts‑ und Wissenschaftsgeschichte 83), hrsg. v. ders./M. Morgenstern, Stuttgart 2015, S. 149–211.

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(noch nicht 1951 in seinem grundlegenden Beitrag zum Sammelwerk „Das Konzil von Chalkedon“18) greift eine Forschungsrichtung auf, die Ferdinand Hahn in Heidelberg bei Günther Bornkamm (1905–1990)19 entwickelt hat, also bei einem der Schüler Rudolf Bultmanns, die gegen die theologische Marginalisierung des Lebens Jesu bei ihrem Lehrer mehr oder weniger lautstark protestierten. Allerdings interessierte sich Bornkamm wie die allermeisten Schüler Bultmanns (und dieser Marburger Neutestamentler selbst) kaum für das Judentum und noch weniger für hebräische oder aramäische Quellen des Judentums; entsprechend flächig bleiben die Bilder der zeitgenössischen Formen von Judentum, von dessen „Gesetzlichkeit“ sich Jesus von Nazareth angeblich deutlich abhebt20. Auf eine heute sehr irritierende Weise wirkt Jesus von Nazareth in Untersuchungen dieser Schule nicht nur unjüdisch, sondern überhaupt historisch ortlos. Andererseits übernahm Grillmeier zugleich auch Ergebnisse von eher erwecklich geprägten Neutestamentlern, die zu den schärfsten Kritikern Bultmanns und seiner Schule gehörten, aber ein deutlich stärker von Quellen geformtes Bild der antiken Judentümer verwendeten und damit Jesus von Nazareth auch deutlich energischer im zeitgenössischen Judentum kontextualisierten21. Als entscheidenden Ansatzpunkt christologischer Reflexion beschreibt Grillmeier mit einem Vertreter dieser Richtung, dem Tübinger Neutestamentler Martin Hengel (1926–2009), einen „einzigartigen dynamisch-schöpferischen Impuls“22, den Wort, Werk und Person 18 A. Grillmeier,

Die theologische und sprachliche Vorbereitung der christologischen Formel von Chalkedon, in: Das Konzil von Chalkedon. Geschichte und Gegenwart, Bd. 1 Der Glaube von Chalkedon, hrsg. v. ders./H. Bacht, Würzburg 1951, S. 5–202. 19 F. Hahn, Günther Bornkamm (1905–1990), in: Neutestamentliche Wissenschaft nach 1945. Hauptvertreter der deutschsprachigen Exegese in der Darstellung ihrer Schüler, hrsg. v. C. Breytenbach/R. Hoppe, Neukirchen-Vluyn 2008, S. 137–145. 20 G. Bornkamm, Jesus von Nazareth, Urban-Taschenbücher 19, Stuttgart 151995, S. 85–126 („Der Wille Gottes“). – Seit der zehnten Auflage von 1975 ist dem erstmals 1956 publizierten Buch ein Nachwort beigegeben (a. a. O., S. 205–211), in dem Bornkamm sein flächiges und quellenarmes Bild des Judentums und insbesondere sein Zerrbild jüdischer „Gesetzlichkeit“ gegen kritische Einwände zu verteidigen suchte. Zu Änderungen am Text des Buches führten diese Einwände freilich nicht. Rabbinisches Judentum nahm Bornkamm wie viele Neutestamentler seiner Zeit über das Sammelwerk von (Hermann Leberecht Strack und) Paul Billerbeck wahr (dazu: B. Schaller, Paul Billerbecks „Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch“. Wege und Abwege, Leistung und Fehlleistung christlicher Judaistik, in: Judaistik und neutestamentliche Wissenschaft: Standorte – Grenzen – Beziehungen, hrsg. v. L. Doering/H. G. Waubke/F. Wilk, Göttingen 2008, S. 61–84). 21 Natürlich wäre diese Zugangsweise christlich geprägter Forscher noch einmal mit jüdischen Zugangsweisen zu vergleichen: W. Homolka, Jewish Jesus Research and its Challenge to Christology Today (Jewish and Christian Perspectives Series 30), Leiden/Boston 2017. 22 Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche I, S. 14; zitiert aus M. Hengel, Christologie und neutestamentliche Chronologie. Zu einer Aporie in der Geschichte des Urchristentums, in: Neues Testament und Geschichte. Historisches Geschehen und Deutung im Neuen Testament. Oscar Cullmann zum 70. Geburtstag, hrsg. v. H. Baltensweiler/B. Reicke, Zürich 1972, S. 43–67, hier: S. 64 = ders., Studien zur Christologie. Kleine Schriften IV, hrsg. v. C.-J. Thornton, Tübingen 2006, S. 27–51, hier: S. 48.

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Jesu von Nazareth zu Lebzeiten und besonders unmittelbar nach Kreuzigung und Auferstehungserscheinungen auslösten. Dieser einzigartige Impuls (kurz gesagt eine Art für Zwecke säkularer Historiographie säkularisierte Wirkung des Heiligen Geistes, die quasi als „Urknall“ modelliert wird) beruht aber bei Hengel auf einem relativ klassischen Konzept eines schlechterdings besonderen Selbstbewusstseins Jesu von Nazareth, das Grillmeier nur in äußerst verknappter Form übernimmt23: Für den Tübinger Neutestamentler ist die „messianische Sendung Jesu letztlich der Grund des christlichen Glaubens“24. Jene „messianische Sendung“ Jesu besteht darin, dass „Jesus wirklich bei der Taufe durch Johannes ein visionäres Berufungserlebnis hatte, das seinem Leben eine völlig neue Richtung gab“, und sich seither als „der messianische Vollender“ gesehen habe25. Hengel sieht in dem messianischen Selbstbewusstsein Jesu zugleich auch den ursprünglichen Kern des späteren christlichen Bekenntnisses zur Gottheit Jesu Christi und damit letztlich zur trinitarischen Struktur Gottes: Jesus habe aufgrund seines Selbstverständnisses in Worten wie Taten an Gottes Stelle gehandelt26. Jesus rede und handle „in der Vollmacht der ihm eigenen ‚Gottesunmittelbarkeit‘, die man ‚messianisch‘ nennen“ müsse27. Titulaturen aus dem Munde von Anhängern und Hinweise auf ein schlechterdings besonderes Selbstbewusstsein Jesu: Betrachtet man diese beiden Zugriffswege der (christlichen, näher evangelischen) neutestamentlichen Forschung zum Phänomen Jesu von Nazareth aus den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, die Grillmeier mehr oder weniger kommentarlos zusammenstellt, ohne über ihre Beziehung zu reflektieren, dann wird ihr Kontext im deutschen akademischen Betrieb der letzten zwei Jahrhunderte schnell sehr deutlich: Eine Person über ihre Titel zu begreifen, entspricht der mitteleuropäischen akademischen Konvention und ist beispielsweise im angelsächsischen Raum längst nicht mehr üblich28. Kein Althistoriker würde heutigentags Stand und Stellung beispielsweise des römischen Kaisers vor allem oder gar ausschließlich über eine traditions­ 23 Grillmeier,

Jesus der Christus im Glauben der Kirche I, S. 14 f.  M. Hengel mit A. M.  Schwemer, Geschichte des frühen Christentums, Bd. 1 Jesus und das Judentum, Tübingen 2007, S. 173. 25 A. a. O., S. 322 und S. 338. 26 A. a. O., S. 331. Hengel begründete diese Ansicht gern mit einem Hinweis auf Lukas 11,20: εἰ δὲ ἐν δακτύλῳ θεοῦ [ἐγὼ] ἐκβάλλω τὰ δαιμόνια, ἄρα ἔφθασεν ἐφ’ ὑμᾶς ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ, „wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, ist ja die Herrschaft Gottes zu euch vorgestoßen“: M. Hengel, Der Finger und die Herrschaft Gottes in Lk 11,20, in: La main de Dieu. Die Hand Gottes (WUNT 94), hrsg. v. R. Kiefer/J. Bergmann, Tübingen 1997, S. 87–106, hier: S. 102 f. 27 Hengel mit Schwemer, Geschichte des frühen Christentums, Bd. 1, S. 504. 28 Wie eine autobiographische Erinnerung an meine ersten Besuche auf der Oxforder „International Conference on Patristic Studies“ dokumentieren kann: Dort wurde man noch auf der zwölften Konferenz 1995 als „The Right Reverend Professor“ tituliert (falls man gleichzeitig auch ordinierter Geistlicher einer Denomination war), aber bereits 2003 nur noch mit Vor‑ und Nachnamen. 24

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geschichtliche Analyse seiner Hoftitulaturen zu erläutern versuchen. Gleiches gilt für den Zugang über das Selbstbewusstsein, der sich schon rein terminologisch der europäischen Neuzeit und der philosophischen Reflexion über Subjekt wie Subjektivität verdankt29. Ob man tatsächlich ein „Selbstbewusstsein“ oder ein Bewusstsein einer bestimmten Autorität einer historischen Person als Schlüssel ihrer Wirkung behaupten sollte, ist in der zeitgenössischen Historiographie und historiographischen Theoriebildung heftig umstritten. Nach dem beschriebenen Einsatz bei einem etwas unverbundenen Nebeneinander von einem mehr auf Bultmann und seine Schüler zurückgehenden Ansatzpunkt bei den Hoheitstiteln Jesu und von einem mehr auf Kritiker Bultmanns wie Hengel zurückgehenden Ansatzpunkt bei einem schlechterdings besonderen Selbstbewusstsein Jesu führt Grillmeier über zwei Kapitel seine Fortschrittsgeschichte der christologischen Reflexion bis hin zur hellenisierten Christologie (er nennt sie: „reflexe Theologie“) in Gestalt der „Logoslehre der Apologeten“30. Diese Architektur hat zwei Implikationen, deren erste hier nur angedeutet werden kann, weil sie, sollte sie ausführlicher expliziert werden, im Grunde die Vorlage einer ähnlich umfangreichen Monographie wie die von Grillmeier geschriebene verlangen würde: Wenn man fragt, warum im vierten Jahrhundert vor allem im Osten des Imperium Romanum ein „christologischer Streit“ von extremer Heftigkeit aufbricht, so müsste für eine Antwort der von Grillmeier eher marginal behandelte Origenes eine schlechterdings zentrale Rolle einnehmen, wie die bei Grillmeier ebenfalls vernachlässigte Gestalt des Eustathius von Antiochien deutlich macht31. Warum haben aber beide eine so große Bedeutung? Um das zu verstehen, muss man erneut bei Origenes einsetzen. In der christologischen Lehrbildung des Alexandriners wird – abgekürzt geredet – mit einer Reflexion über die besonderen Züge der Seele Christi für Zeitgenossen expliziert, warum der eine Jesus Christus nicht ein gottmenschliches Monster aus zwei (modern gesprochen) personalen Zentren bzw. personalen Identitäten ist. Grillmeier aber profiliert Origenes vor allem als Logostheologen, weil die Logostheologie für ihn gleichsam die Krone der christologischen Reflexion der vornizänischen Epoche der christlichen Theologiegeschichte ist32. Die gut platonisch bei Origenes als „innigste Teilhabe“ und „Vereinigung“ beschriebene Einheit von menschlicher Seele und

29 W. Jaeschke, Art. Selbstbewusstsein, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 9, Darmstadt 1995, S. 350–371. 30 Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche I, S. 133–221 („Zwischen neuen Formen und festen Normen. Zur Christologie des zweiten Jahrhunderts“) sowie S. 222–282 („Von Hippolyt bis Origenes. Christologie als reflexe Theologie und das Problem ihrer Hellenisierung“). 31 A. a. O., S. 266–280 („Origenes“) bzw. 440–446 „Eustathius von Antiochien († vor 337)“. 32  A. a. O., S. 268 f.

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erhabenem Sohn Gottes (bzw. Logos)33 ist in Wahrheit aber ein sehr besonderer Strang dessen, was wir als „Logostheologie der Apologeten“ beispielsweise bei dem stadtrömischen Lehrer Justin Mitte des zweiten Jahrhunderts beobachten, weil dort die Frage der Vereinigung und Einheit noch kaum gestellt oder gar beantwortet wird (um sehr abgekürzt zu reden). Origenes argumentiert in seiner Schrift gegen den mittelplatonischen Philosophen Celsus dafür, dass eine solche Reflexion über die Einheit zwischen Gott, Logos und Jesus Christus aber auch für einen platonischen Philosophen akzeptabel sein sollte: „Es ist auch nicht erstaunlich, wenn wir erklären, dass bei dem erhabenen Sohn Gottes die Seele Jesu in höchster Teilhabe mit ihm [sc. dem Sohn Gottes] vereinigt ist, so dass wir sie nicht mehr von ihm trennen. Die heiligen Worte der göttlichen Schriften kennen nämlich auch andere Dinge, die ihrer Natur nach zwei sind, die aber in Bezug aufeinander als Einheit angesehen werden und es auch sind. Wie zum Beispiel die Aussage über Mann und Frau: „Es sind nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch“ (Gen 2,24; Mt 19,6); und über den vollkommenen Menschen, der mit dem wahren Herrn, Logos, Weisheit und Wahrheit, verbunden ist: „Der mit dem Herren verbunden ist, ist ein Geist mit ihm“ (1 Kor 6,17). Wenn aber derjenige, der mit dem Herrn verbunden ist, ein Geist mit ihm ist, wer ist dann mehr als die Seele Jesu oder in gleicher Weise mit dem Herrn verbunden, dem Logos, der Weisheit, Wahrheit und Gerechtigkeit in Person? Wenn dies der Fall ist, so sind auch die Seele Jesu und der „Erstgeborene der ganzen Schöpfung“ (Kol 1,15), Gott der Logos, nicht zwei.“

Diese, wie Origenes an einer anderen Stelle sagt, „höchstmögliche Form der Anteilnahme“34, in deren Rahmen eine menschliche Seele in Gott gleichsam übergegangen ist, macht die Anteilnahme anderer an dieser Vereinigung nicht etwa unmöglich, sondern überhaupt erst möglich. Sie ist so eng, dass man die 33 Origenes,

Contra Celsum VI 47 (GCS Origenes Werke II, 119,4–15 Koetschau): Εἰ δὲ τῷ τηλικούτῳ υἱῷ τοῦ θεοῦ ἡνῶσθαι φάσκοντες τῇ ἄκρᾳ μετοχῇ ἐκείνου τὴν τοῦ Ἰησοῦ ψυχὴν οὐκέτι χωρίζομεν ἀπ’ ἐκείνου αὐτήν, οὐδὲν θαυμαστόν. Οἴδασι γὰρ οἱ ἱεροὶ τῶν θείων γραμμάτων λόγοι καὶ ἄλλα, δύο τῇ ἑαυτῶν φύσει τυγχάνοντα, εἰς ἓν ἀλλήλοις εἶναι λελογισμένα καὶ ὄντα. Οἷον περὶ μὲν ἀνδρὸς καὶ γυναικὸς λέλεκται· ‚Οὐκέτι εἰσὶ δύο ἀλλὰ σὰρξ μία‘, περὶ δὲ τοῦ τελείου καὶ κολλωμένου τῷ ἀληθινῷ κυρίῳ, λόγῳ καὶ σοφίᾳ καὶ ἀληθείᾳ, ὅτι ‚Ὁ κολλώμενος τῷ κυρίῳ ἓν πνεῦμά ἐστιν‘. Εἰ δ’ ‚ὁ κολλώμενος τῷ κυρίῳ ἓν πνεῦμά ἐστι‘, τίς μᾶλλον τῆς Ἰησοῦ ψυχῆς ἢ κἂν παραπλησίως κεκόλληται τῷ κυρίῳ, τῷ αὐτολόγῳ καὶ αὐτοσοφίᾳ καὶ αὐτοαληθείᾳ καὶ αὐτοδικαιοσύνῃ; Ὅπερ εἰ οὕτως ἔχει, οὐκ εἰσὶ δύο ἡ ψυχὴ τοῦ Ἰησοῦ πρὸς τὸν ‚πάσης κτίσεως‘ πρωτότοκον θεὸν λόγον.  – Zur Sache vgl. H. J.  Vogt, Ein-Geist-Sein (1 Kor 6,17b) in der Christologie des Origenes, in: Trierer Theologische Zeitschrift 93 (1984), S. 251–265 = ders., Origenes als Exeget, hrsg. v. W. Geerlings, Paderborn 1999, S. 207–223. Vogt stellt die einschlägigen Parallelen zur Stelle aus dem übrigen Oeuvre des Origenes zusammen; vgl. aber auch Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche I, S. 276–280. 34 Origenes, Contra Celsum V 39 (GCS Origenes Werke II, 43,22–44,2 Koetschau): Κἂν δεύτερον οὖν λέγωμεν θεόν, ἴστωσαν ὅτι τὸν δεύτερον θεὸν (cf. Plato, Timaeus 36 B-C) οὐκ ἄλλο τι λέγομεν ἢ τὴν περιεκτικὴν πασῶν ἀρετῶν ἀρετὴν καὶ τὸν περιεκτικὸν παντὸς οὑτινοσοῦν λόγου τῶν κατὰ φύσιν καὶ προηγουμένως γεγενημένων καὶ εἰς χρήσιμον τοῦ παντὸς λόγον· ὅντινα τῇ Ἰησοῦ μάλιστα παρὰ πᾶσαν ψυχὴν ψυχῇ ᾠκειῶσθαι καὶ ἡνῶσθαί φαμεν, μόνου τελείως χωρῆσαι δεδυνημένου τὴν ἄκραν μετοχὴν τοῦ αὐτολόγου καὶ τῆς αὐτοσοφίας καὶ τῆς αὐτοδικαιοσύνης.

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ursprünglich polytheistische platonische Rede von einem „zweiten Gott“ für Christus in einem monotheistischen Rahmen aufgreifen kann35, aber damit nicht zwei separierte Entitäten beschreibt, sondern eine in sich differenzierte Einheit (diese Form der Einheit wird im vierten Jahrhundert unter Benutzung stoischer Terminologie als „unvermischte Einheit“, als ἀσύγχυτος ἕνωσις, interpretiert36). Origenes expliziert die Einheit nicht nur ontologisch als Aussagen über die Seele und ihre Natur, sondern auch praxeologisch, als Aussagen über das intellektuelle, emotionale und rituelle Agieren Jesu Christi und seine Folgen für die Gemeinschaft37. Weil sich das Maß der Anteilhabe nach der Stärke der Liebe richtet, mit der einer einem anderen anhängt38, liegt bei Jesus Christus die höchstmögliche, die Spitzenform der Anteilnahme eines Menschen an Gott vor, „vollkommene Liebe und echte, reine Zuneigung“39. Man deutet diese Reflexion also besser nicht wie Grillmeier als eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Logostheologie der Apologeten (obwohl sich Origenes natürlich auf sie bezieht), sondern als einen sehr eigenständigen Ansatz in der christologischen Reflexion, der sich einer sehr spezifischen Diskussionslage mit platonischer Philosophie in Alexandria verdankt40. Im Unterschied zur Logostheologie der Apologeten handelt es sich hierbei auch nicht einfach um eine schlichte Weiterbildung jüdisch-hellenistischer Theologie, sondern um eine zeitgenössische Neubildung.

35 Das

tut übrigens auch schon Philo von Alexandrien, was uns nicht zufällig bei einem christlichen Autor zu apologetischen Zwecken überliefert wird: Vgl. vor allem das griechische Fragment aus Quaest. Gen. II 62 τὸν δεύτερον θεόν (LCL 380, S. 180 bzw. 401, 203 Marcus) = Eusebius, Praeparatio Evangelica VII 13,1 (GCS Eusebius VIII/1, 389,5–12 Mras/Des Places); L. W.  Hurtado, One God, One Lord. Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism, Edinburgh 21998, S. 20 f. und D. T.  Runia, God and Man in Philo of Alexandria, The Journal of Theological Studies 39 (1988): S. 48–75. 36 L. Abramowski, συνάφεια und ἀσύγχυτος ἕνωσις als Bezeichnungen für trinitarische und christologische Einheit, in: dies., Drei christologische Untersuchungen (BZNW 45), Berlin/New York 1981, S. 62–109; C. Markschies, „… et tamen non tres Dii, sed unus Deus …“. Zum Stand der Erforschung der altkirchlichen Trinitätstheologie, in: Marburger Jahrbuch Theologie 10 (1998), S. 155–179 = ders., Alta Trinità Beata. Gesammelte Studien zur altkirchlichen Trinitätstheologie, Tübingen 2000, S. 286–309. 37 Viele Belege bei Vogt, Ein-Geist-Sein (1 Kor 6,17b) in der Christologie des Origenes, in: ders., Origenes als Exeget, Paderborn 1999, S. 207–224, hier S. 219 f. 38 Origenes/Rufinus, De principiis II 6,3 (TzF 24, 360 Görgemanns/Karpp): ut tantum ex eo unusquisque participii sumeret, quanto erga eum dilectionis inhaeisset adfectu. 39 Origenes/Rufinus, De principiis II 6,4 (TzF 24, 364 Görgemanns/Karpp): Quod autem dilectionis perfectio et meri affectus sinceritas hanc ei inseparabilem cum deo fecerit unitatem, … audi ad eam prophetam dicentem … (folgt ein Zitat aus Psalm 44/45,8, um das Gesagte zu autorisieren). 40 M. Edwards hat allerdings in seinem kleinen, aber gehaltvollen Büchlein „Origen against Plato“ (Ashgate Studies in Philosophy & Theology in Late Antiquity, Aldershot 2002, S. 73 f.; S. 87–99) darauf hingewiesen, dass der Versuch, für Verständnis unter platonischen Philosophen zu argumentieren, zu einigermaßen „unplatonischen“ Lösungen im Einzelnen und so auch hier vor dem Hintergrund der platonischen Seelenlehre führt.

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Grillmeier notiert im Modus der Zensur, dass Christus durch diese Neubildung des Origenes „schließlich doch nur ein ‚gradmäßig‘ verschiedener Sonderfall des allgemeinen Verhältnisses des vollkommenen Christen zum Logos […]“ werde41. Aber man kann jene Beschreibung dieser Christologie des dritten Jahrhunderts durchaus noch radikalisieren: Bei Origenes ist Christus nur ein „gradmäßig“ verschiedener Sonderfall des allgemeinen Verhältnisses aller mehr oder weniger vollkommenen Menschen (und nicht nur der Christenmenschen) zur göttlichen Vernunft und damit zu Gott (wenn man die schlechthinnige Vollkommenheit und die mehr oder weniger realisierte Vollkommenheit tatsächlich auf einer gradierten Skala notieren kann). Eine solche Lehrbildung ist nicht auf Origenes beschränkt gewesen; ob sie heute die Gesprächsfähigkeit christlicher Theologie im jüdisch-christlichen Dialog steigert oder nicht, wäre an anderer Stelle zu diskutieren. Aber man kann sie jedenfalls in gewisser Weise als Vorläufer von Christologien interpretieren, die Jesus als maßgeblichen, weil vollkommenen Menschen bestimmen und gerade darin seine besondere Bedeutung im Christentum zu erkennen glauben. Von Origenes nun zu Eustathius: Die einer neuen gründlichen Untersuchung bedürftige christologische Reflexion des Bischofs Eustathius von Antiochien (zuvor im syrischen Beroea)42 macht deutlich, wie hier nur ganz abgekürzt expliziert werden kann, dass der Einspruch gegen diese christologische Lehrbildung des Origenes eine wesentliche, aber bislang noch nicht genügend präzise beschriebene Rolle bei der Entstehung einer der beiden wirkmächtigen christologischen Lehrtraditionen der Spätantike spielt, bei der sogenannten antiochenischen Christologie. Eustathius protestiert, wie Grillmeier zeigt, auf der einen Seite (in einer Schrift zur Auslegung der Erzählung über die Hexe von Endor, 1 Sam 28) gegen Bibelexegesen des Origenes, die seiner Ansicht nach die an anderer Stelle vom Alexandriner behauptete besonders vollkommene Einheit in der Seele auflösen43. Diese Einheit betont er energisch (mit Origenes: συνδιαιτωμένη κυρίως ἡ ψυχὴ τοῦ Χριστοῦ τῷ Λόγῳ καὶ θεῷ)44. Auf der anderen Seite bemüht 41 Grillmeier,

Jesus der Christus im Glauben der Kirche I, S. 278. sein bewegtes Leben und Wirken vgl. jetzt S. Cartwright, The Theological Anthropology of Eustathius of Antioch, Oxford Early Christian Studies, Oxford 2015, S. 11–32; zur Schrift De Engastrimytho contra Origenem a. a. O. S. 54–60 und J. W.  Trigg, Eustathius of Antioch’s Attack on Origen: What is at Issue in an Ancient Controversy?, in: The Journal of Religion 75 (1995), S. 219–238. 43 Eustathius von Antiochien, De Engastrimytho contra Origenem 17,9 f. (KlT 45,4–11 Klostermann = CChr.SG 51, 194 Simonetti): εἰ δὲ καὶ τὰ μάλιστα τὸν ἔκκριτον ἑαυτοῦ ναὸν ἐπέτρεψε λυθῆναι, τριήμερον μὲν αὐτίκα πάλιν ἀνήγειρε καινοπρεπῶς, ἡ δὲ ψυχὴ τοῦδε τοῦ ἀνθρωπείου σκηνώματος εἰς τὰ κατώτατα κατελθοῦσα μέρη τῆς γῆς, ἀνεπέτασε τὰς ἐκεῖσε πύλας ἀθρόᾳ ῥοπῇ καὶ τὰς αὐτόθι καθειργμένας ἀνῆκε ψυχάς· οὕτω δὲ θεσπεσίᾳ κεκραταίωται δυνάμει διὰ τὴν τοῦ θεοῦ καὶ λόγου συνουσίαν, ὥστε καὶ παντέφορον ἔχειν ἐξουσίαν. 44 Eustathius von Antiochien, De anima contra Arianos fragmentum 17 (100,20–30 Spanneut = CChr.SL 60 112,1775–1785 van Deun aus Eustratius von Constantinopel, De statu animarum post mortem): Εἰ δὲ διὰ τῆς τοῦ Χριστοῦ θεοφανείας εἰς τὸν παράδεισον τὸ τῶν ἀνθρώπων 42 Über

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er sich um eine möglichst präzise Unterscheidung von Gott und Mensch in Christus, um die biblischen Aussagen über Leiden und Tod ohne Abschwächung wiederholen zu können45  – ein zentraler Ansatzpunkt derjenigen Gestalt der christologischen Reflexion, die wir bei den späteren Antiochenern, also Diodor von Tarsus, Theodor von Mopsuestia und Nestorius, finden. Hier zensiert Grillmeier ganz in der Tradition theologischer Kritik an antiochenischer Christologie des vierten und fünften Jahrhunderts, die Einheit in Christus erscheine „lose […] gefügt“46. Im Zusammenhang des jüdisch-christlichen Dialogs ist natürlich weniger interessant, ob das in der antiochenischen christologischen Reflexion verbreitete Insistieren auf der Einheit bei gleichzeitiger Unterscheidung (nicht: Trennung) der beiden Naturen theologisch oder auch nur logisch überzeugt, sondern die Frage, ob und inwiefern das Insistieren auf der Unversehrtheit der menschlichen Natur den antiken Theologen dieser Tradition die Augen für das jüdische Leben Jesu von Nazareth und dessen Details öffnete. Die verstreuten, wenigen Fragmente des Eustathius erlauben im Grunde keine Antwort auf diese Frage, es geht vielmehr sehr allgemein um das Todesleiden, den Appetit auf Essen und das Verlangen nach Trinken, das Bedürfnis nach Schlaf, das Traurig‑ und Ermüdetsein sowie das Weinen47. Man müsste sich größeren erhaltenen exegetischen Zusammenhängen bei Diodor von Tarsus, Theodor von Mopsuestia oder Johannes Chrysostomus zuwenden, um solche Fragen zu klären, das kann hier selbstverständlich nicht geschehen. Es sei aber angedeutet, dass die verstärkte Aufmerksamkeit für menschliche Natur bei den Antiochenern keineswegs eine größere Aufgeschlossenheit gegenüber dem Judentum implizierte: In seiner Kommentierung der Passion Jesu nach Johannes markiert Theodor εἰσάγει γένος, ὁπηνίκα δὲ ἐσταυρώθη τὸν ληστὴν αὐθήμερον εἰσάξειν αὐτόθι προηγόρευσεν, τοῦ σώματος ἔτι βεβλημένου τῷ μνήματι, συνέστηκεν ὅτι συνδιαιτωμένη κυρίως ἡ ψυχὴ τοῦ Χριστοῦ τῷ Λόγῳ καὶ θεῷ, τῷ πᾶσαν ὁμοῦ τὴν τῶν γενητῶν περιέχοντι κτίσιν, τὴν ὁμογενῆ τοῦ ἀνθρώπου ψυχὴν εἰς τὸν παράδεισον εἰσήγαγεν· οὐδὲ γάρ ἐστι γεγραμμένον ὅτι πρὸ τῆς ἀναστάσεως τοῦ ἁγίου σώματος τὸ τοῦ ληστοῦ προηγέρθη σῶμα τὴν ἐπαγγελίαν ἀπολαβόν. Ἀκόλουθον ἄρά ἐστιν ὑπολαμβάνειν ἐμφρόνως ὅτι ἡ ψυχὴ τὴν συγγενῆ ψυχὴν ὁδηγοῦσα φιλοφρόνως, ἅτε δὴ καὶ μείζονος ἐξουσίας ἐχομένη, τὴν μὲν ὑπόσχεσιν αὐθήμερον ἐπὶ πέρας ἦγεν, εἰς δὲ τὴν ἐξαίρετον εἰσῆγεν κληρονομίαν ἀνοίγουσα τὸν παράδεισον. 45 Eustathius von Antiochien, Contra Arianos fragmentum 41 (108 16–25 Spanneut, zitiert aus den Testimonien zu Papst Gelasius, De duabus naturis nach E. Schwartz, Publizistische Sammlungen zum Acacianischen Schisma, ABAW. Philosophisch-historische Abteilung. Neue Folge 10, München 1934, S. 96,13–20): Si enim in Christo, inquit, plenitudo diuintatis inhabitat (vgl. Kol 2,9), aliud uero quod inhabitatur. Si uero naturaliter differunt ab alterutris, neque mortis passionem neque cibi adpetitum neque desiderium poculorum, non somnum, non tristitiam, non fatigationem, non lacrimarum effusiones, non aliam quamlibet mutationem plenitudini diuinitatis coexistere fas est‚ cum sit inconuertibilitas per naturam. Homini uero haec adplicanda sunt proprie, qui ex anima constat et corpore; congruit enim ex ipsis humanis et innoxiis motibus demonstrare quia non phantastice et putatiue, sed ipsa ueritate totum hominem indutus est deus perfectus adsumens. 46 Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche I, S. 445. 47 Vgl. den in der vorvorgehenden Anmerkung zitierten Text: Eustathius von Antiochien, Contra Arianos fragmentum 41.

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von Mopsuestia nicht nur den strikten Gegensatz zwischen Christentum und Heidentum, sondern quasi im selben Atemzug auch die Defizienzen des Judentums, das zwar ein gewisses Verständnis der göttlichen Natur hat, aber nur ein einfaches und unvollkommenes48. Damit ist expliziert, was die erste Implikation der auf die „Logoslehre der Apologeten“ ausgerichteten Architektur bei Grillmeier49 ausmacht: Die Konzentration auf diese seit dem zweiten Jahrhundert belegte christologische Lehrbildung und die dabei erkennbare „Hellenisierung des Christentums“50 führt dazu, dass die Originalität der christologischen Lehrbildung des Origenes und die erheblichen Folgen der intensiven Debatte um diese Lehrbildung unterschätzt werden. Die christologischen Debatten der Spätantike werden allerdings so bei Grillmeier zugleich auch als Appendix oder strikte Konsequenz der trinitätstheologischen Debatte stilisiert, was sie in Wahrheit, wie wir sahen, nur partiell, wenn überhaupt, waren. Haben diese Beobachtungen nun aber Folgen für den Umgang mit christologischer Reflexion im christlich-jüdischen Dialog? Vermutlich kann man sowohl auf der Basis der von Origenes entfalteten Idee einer schlechterdings vollkommenen Einheit der Seele mit Gott als auch in den Spuren der bei Eustathius und späteren Antiochenern entfalteten Idee einer vollkommenen Menschheit Jesu Christi eine im Blick auf das Judentum achtsame Christologie entfalten – besonders explizit gemacht war diese Dimension in der Antike allerdings weder bei Origenes, obwohl er sich im intensiven Gespräch mit jüdischen Schriftgelehrten befand, noch bei einem Antiochener wie Theodor von Mopsuestia, dessen Passagen über „die Juden“ in seinem Kommentar zum Johannesevangelium51 wie bereits angedeutet weder besondere Achtsamkeit noch Kenntnisse verraten. Hier ist dann doch schon eher ein „parting of the ways“ zu konstatieren. Menschsein implizierte höchstens noch Judesein, expliziert wurde das kaum mehr. Allenfalls gab es in der Spätantike eher isolierte Restbestände wie das „Fest der 48 Theodor von Mopsuestia, Commentarius in Euangelium Ioannis Apostoli ad 17,3 (CSCO 115. Syr. 62, S. 308 f. Vosté). 49 Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche I, S. 222–282 („Von Hippolyt bis Origenes. Christologie als reflexe Theologie und das Problem ihrer Hellenisierung“). 50 Zu den Problemen des Begriffs „Hellenisierung“ und seiner Geschichte vgl. C. Markschies, Hellenisierung des Christentums. Sinn und Unsinn einer historischen Deutungskategorie, in: ThLZ.F 25 (2012) (zu dem Konzept von Grillmeier vgl. insbesondere a. a. O., S. 84–87). 51 Einen schnellen Überblick ermöglicht die inzwischen publizierte englische Übersetzung des nur in syrischer Übersetzung erhaltenen Kommentars: Theodor of Mopsuestia, Commentary on the Gospel of John, translated with an introduction and notes by M. Conti, hrsg. v. J. C.  Elowsky, Downers Grove 2010. Eine nicht unproblematische deutsche Übersetzung von Bultmann liegt unediert in seinem Nachlass, der in der Universitätsbibliothek Tübingen aufbewahrt wird: Rudolf Bultmann (1884–1976), Nachlaßverzeichnis, bearb. v. H. Wassmann/J. M. Osthof/A.-E. Bruckhaus, Nachlaßverzeichnisse der Universitätsbibliothek Tübingen Bd. 2, Wiesbaden 2001, S. 285 (Nr. 3110).

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Beschneidung des Herrn“ (Circumcisio Domini), das acht Tage nach seiner Geburt am 1. Januar in bestimmten Regionen gefeiert wurde; einschlägige Reliquien wurden allerdings erst seit dem Frühmittelalter präsentiert52. Jüngst ist eine Erneuerung dieser erst im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils in Abgang geratenen liturgischen Tradition vor dem Hintergrund der Ergebnisse des christlich-jüdischen Dialogs für die römisch-katholische Kirche vorgeschlagenen worden (in einigen Kirchen der Reformation war das Fest nie abgeschafft worden)53. Die zweite Implikation der weiter oben analysierten Architektur Grillmeiers ist – wie ich an anderer Stelle schon einmal gezeigt habe54 – die Marginalisierung, ja Verzeichnung von Ansätzen, die gewöhnlich als „judenchristlich“ charakterisiert werden und von Grillmeier, wie spätestens seit Ferdinand Christian Baur üblich und von Adolf Harnack noch einmal verstärkt, in strikter Opposition zu einer „hellenisierten“ christologischen Reflexion präsentiert werden55. Es reicht hier, nur kurz darauf hinzuweisen, dass Grillmeier damit eine wichtige Einsicht des von ihm eingangs so stark rezipierten Tübinger Neutestamentlers Hengel übersieht, nämlich die, dass man gar nicht, wie es im neunzehnten Jahrhundert jüdische wie christliche Denker wollten, streng zwischen einem hellenisierten (alexandrinischen) und einem nicht hellenisierten (palästinischen) Judentum unterscheiden kann. Was Hengel für die beiden Jahrhunderte vor und nach der Zeitenwende umfänglich nachgewiesen hat56, haben beispielsweise 52 Vgl.

z. B. Missale Gothicum (Vat. Reg. lat. 317), hrsg. v. L. C.  Mohlberg, Rerum Ecclesiasticarum Documenta. Series Maior. Fontes 5, Rom 1961, S. 16–23 und T. Klauser, Der Festkalender der Alten Kirche im Spannungsfeld jüdischer Traditionen, christlicher Glaubensvorstellungen und missionarischen Anpassungswillens, in: Kirchengeschichte als Missionsgeschichte, Bd. 1: Die alte Kirche, hrsg. v. H. Frohnes/U. W. Knorr, München 1974, S. 377– 388, hier: S. 384; A. S.  Jacobs, Christ Circumcised. A Study in Early Christian History and Difference, Philadelphia 2012, S. 146–177 sowie O. Clemen, Eine seltsame Christusreliquie, in: Archiv für Kulturgeschichte 7 (1909), S. 137–144 = ders., Kleine Schriften zur Reformationsgeschichte (1897–1944), Bd. 3 1907–1911, hrsg. v. E. Koch (Leipzig, 1983), S. 193–200. 53 So J.-H. Tück in einem Artikel der Neuen Züricher Zeitung vom 29. 12. 2018 unter dem Titel „Jesus war Jude. Und es wäre ein starkes Zeichen gegen den Antisemitismus, wenn die katholische Kirche wieder daran erinnern würde“ (https://www.nzz.ch/feuilleton/jesus-war​-​j​ude-​ u​n​d​-​e​s​-​w​a​e​r​e​-​e​i​n​-​s​t​a​r​k​e​s​-​z​e​i​c​h​e​n​-​g​e​g​e​n​-​d​e​n​-​a​n​t​i​s​e​m​i​t​i​s​m​u​s​-​w​e​n​n​-​d​i​e​-​k​a​t​h​o​l​i​s​c​h​e​-​k​i​rche-​ wie​der-daran-erinnern-wuerde-ld.1447388), vgl. aber auch zustimmend C. Rutishauser: https://www.jesuiten.org/news/wiedereinfuehrung-des-fests-beschneidung-des-herrn/ ­(letzter Zugriff auf beide Artikel am 16. 07. 2019). 54 Nämlich in meinem erwähnten Beitrag „Entwicklungslinien vom Neuen Testament zur altkirchlichen Christologie“. 55 Zu den von Harnack selbst explizit eingeräumten Bezügen auf Baur und deren Hintergründen bei Hegel: Markschies, Hellenisierung des Christentums. Sinn und Unsinn einer historischen Deutungskategorie, S. 49–58. 56 M. Hengel, Judentum und Hellenismus: Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2.Jh.s v. Chr. (WUNT 10), Tübingen 31988 sowie ders. (in Zusammenarbeit mit C. Markschies), Zum Problem der „Hellenisierung“ Judäas im 1. Jahrhundert nach Christus,“ in: Judaica et Hellenistica, Kleine Schriften 1 (WUNT 90), hrsg. v. ders., Tübingen 1996, S. 1–90.

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Daniel Boyarin und Peter Schäfer in durchaus recht unterschiedlicher Weise auch für Texte des rabbinischen und nichtrabbinischen Judentums aus späteren Jahrhunderten gezeigt – Boyarin hat eine Adaption der im alexandrinischen griechischsprachigen Judentum breit rezipierten philosophischen Logos-Konzeption57 in Targumim und Midrash nachgewiesen58. Weiter hat er gezeigt, dass die Vorstellung von einem schöpferischen Gotteswort weit über die explizit an hellenistischer Kultur und Philosophie interessierten jüdischen Denker hinaus im ganzen Judentum der römischen Kaiserzeit verbreitet war59. Wenn in der zeitgenössischen jüdischen Literatur von dem Wort Gottes, der ‫„( ממרה יהוה‬memrah Adonaj“), gesprochen werde, sei nicht nur ein „inhaltsloser, rein formelhafter Ersatz für das Tetragramm“ gemeint60, sondern eine personifizierte göttliche Figur neben dem einen und einzigen Gott. Boyarin bezieht sich bei seiner Argumentation vor allem auf Stellen in der palästinischen Version der aramäischen Übersetzung der Hebräischen Bibel, des Targum Neofiti I, bei denen anstelle des schlichten „Gott“ in der hebräischen Vorlage „Wort Gottes“ übersetzt ist: „Und die memrah Adonaj sagte: ‚Es werde Licht […]‘“ (Gen 1,3)61. Auch wenn die Datierung dieser Übersetzung schwankt – Uwe Gleßmer hat sie für einstweilen unmöglich erklärt62 – und die Menge der Belege noch zu vermehren wäre63, ist 57  Ein sehr knapper Überblick bei C. Markschies, Jüdische Mittlergestalten und die christliche Trinitätstheologie, in: Der lebendige Gott als Trinität. Jürgen Moltmann zum 80. Geburtstag, hrsg. v. M. Welker/M. Volf, Gütersloh 2006, S. 199–214. 58 D. Boyarin, Abgrenzungen. Die Aufspaltung des Judäo-Christentums, Arbeiten zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte 10, Berlin/Dortmund 2009, (= ders., Border Lines. The Partition of Judaeo-Christianity, Philadelphia 2004, übers. v. G. Palmer), S. 130–218. 59 D. Boyarin, The Gospel of the Memra: Jewish Binitarism and the Prologue to John, in: HThR 94 (2001), S. 243–284; vgl. auch ders., Sparks of the Logos. Essays in Rabbinic Hermeneutics (The Brill Reference Library of Ancient Judaism 11), Leiden 2003; deutsch: ders., Den Logos zersplittern. Zur Genealogie der Nichtbestimmbarkeit des Textsinns im Midrasch. Aus dem Englischen v. D. Westerkamp (Ha’Atelier Collegium Berlin 3), Berlin/Wien 2002 und ders., Two Powers in Heaven, or, The Making of a Heresy, in: The Idea of Biblical Interpretation: Essays in Honor of James L. Kugel, hrsg. v. H. Najman u. a. (JSJ.S 83), Leiden 2003, S. 331–370. – Teils zustimmend, teils kritisch dazu P. Schäfer, The Jewish Jesus. How Judaism and Christianity Shaped Each Other, Princeton 2012, S. 76–79 und S. 285. 60 So noch (H. L. Strack)/P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, Bd. 2 Evangelium nach Markus, Lukas und Johannes, München 81989, S. 333. – Eine kritische Blütenlese entsprechender Urteile in der exegetischen Literatur bei Boyarin, The Gospel of the Memra, S. 267 f. 61 Weitere Belege bei Boyarin, The Gospel of the Memra, S. 256 f. 62 U. Gleẞmer, Einleitung in die Targume zum Pentateuch (TSAJ 48), Tübingen 1995, S. 110–115, insbesondere S. 114 f. 63 An dieser Stelle wäre am Ansatz Boyarins also weiterzuarbeiten. Ich nenne nur die Fragmente des palästinischen Pentateuchtargums aus der Kairoer Geniza und dort besonders einen Zusatz zu Ex 12,42, in dem dreimal die Formel ‫„( דב אתגלי מימריה די י על עלמא‬als sich der memra des Ewigen über der Welt offenbarte“) verwendet wird und gesagt wird, dass ‫מימריה‬ am Ende aller Tage gemeinsam mit Mose und dem König Messias das Volk führen wird (M. L.  Klein, Genizah Manuscripts of the Palestinian Targum to the Pentateuch I, Cincinnati

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doch deutlich, dass neben der schon in den sogenannten Spätschriften des Alten Testamentes prominenten Figur der göttlichen „Weisheit“ offenbar auch das „Wort Gottes“ als personalisierte göttliche Gestalt neben Gott verbreiteter war, als man bisher angenommen hat, und jedenfalls nicht auf das gebildete städtische Judentum beschränkt war. Dass also die Logostheologie in der hohen Kaiserzeit auch ein lebendiger Diskussionsgegenstand von jüdischen Theologen blieb und sich nicht ausschließlich zum Spezifikum eines christlichen Mainstreams christologischer Reflexion stilisieren lässt, ist aber nur eine Beobachtung zu dem monumentalen Werk „Jesus der Christus im Glauben der Kirche“. Denn für die jüdischen Reflexionen über Diversifikationen des Göttlichen in der Welt und ihre christliche Rezeption bzw. Transformation bleibt bei Kardinal Grillmeier für das zweite und dritte Jahrhundert nur mehr ein kleiner Randplatz übrig. Bei ihm wird nämlich aus der lebendigen Fülle von christologischer Lehrbildung im Zuge seiner strikten, auf die „hellenisierte“ Logostheologie der Apologeten als der ersten vor dem Maßstab der Reflexivität satisfaktionsfähigen Reflexionsgestalt führenden Fortschrittsgeschichte ein „altes Erbe“, in dem sich „Motive archaischer Christologie“ finden, dazu das „volkstümliche Christusbild“ und die „christologischen Häresien des zweiten Jahrhunderts“, die sogenannten Ebioniten, Doketen, Anhänger einer „adoptianischen Christologie“ und natürlich „Gnostiker“64. Ein wenig polemisch zugespitzt gesagt hat man den Eindruck, sich in der Rumpelkammer der christologischen Entwürfe zu befinden, in der die Resultate des Denkens ungebildeter Laien, zurückgebliebener „Judenchristen“ und frech selbst­bewusster Häretiker archiviert werden, um gelegentlich als abschreckende Beispiele dogmatischer Abwege von jenem Pfad der Mehrheitskirche, der auf die Lehrbildungen der großen Reichskonzilien der Spätantike führte, vorgezeigt zu werden. Wird gelegentlich die klassische Häresiologie bei solchen historiographischen oder ideengeschichtlichen Marginalisierungsunternehmungen als objektive Konsistenzprüfung vor dem Maßstab der gebildeten neuzeitlichen Vernunft stilisiert, macht diese Stilisierung die häresiologischen Traditionen natürlich nicht vergessen; Kardinal Grillmeier allerdings möchte den theologischen Rahmen, in dem er Ideengeschichte schreibt, auch gar nicht vergessen machen. Kaum notwendig, im Gegenzug gegen diese klassische häresiologische Meistererzählung auf neuere Arbeiten zur Problematik des Begriffs „Volksfrömmigkeit“65, zur großen Diversität der unter dem Label „Judenchristentum“ 1986, S. 221; B.-D. Chilton, The Glory of Israel: The Theology and Provenience of the Isaiah Targum (JSOT.S 23), Sheffield 1983, S. 56–64). 64 Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche I, S. 222–282 („Von Hippolyt bis Origenes. Christologie als reflexe Theologie und das Problem ihrer Hellenisierung“). 65 C. Markschies, Hohe Theologie und schlichte Frömmigkeit? Einige Beobachtungen zum Verhältnis von Theologie und Frömmigkeit in der Antike, in: Volksglaube im antiken Christentum, hrsg. v. H. Grieser/A. Merkt, Darmstadt 2009, S. 456–471.

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versammelten Gruppen und Positionen66 und die neuere Gnosis-Forschung hinzuweisen, in der beispielsweise die scheinbar wirren mythologischen Erzählungen vor dem Hintergrund der platonischen philosophischen Kunstmythen gedeutet werden67. Denn es reicht die Analyse der Passagen im Kontext des Gesamtwerks. So entstehen Widersprüche innerhalb der Darstellung, weil sich das textliche Material gegen die häresiologische Meistererzählung sperrt. Beispielsweise wird von Grillmeier eine „Namenschristologie“ mit einer Betonung der Namen Jesu Christi einerseits als archaisches Erbe des Judentums in apokryph gewordenen Schriften und im Pastor Hermae vorgestellt68. Andererseits wird aber auch im weiteren Verlauf der Darstellung deutlich, dass philosophisch gebildete Denker wie Philo und Origenes derartige Konzepte in Form einer platonisch oder jedenfalls platonisierend aufgeladenen Vorstellung von der wirklichkeitserschließenden Kraft von Namen bzw. Begriffen verwenden69. Man würde heute also sagen, dass es sich um ein genre-, milieu‑ und schichtentranszendentes theologisches Konzept handelt, das jederzeit in einem mehr jüdischen oder mehr christlichen Kontext verwendet werden konnte. Wenn man die Geschichte der christologischen Reflexion nicht so, wie lange und noch bei Grillmeier üblich, als Fortschrittsgeschichte hin auf die „hellenisierte“ Logostheologie der Apologeten und die konziliare christologische Lehrbildung der Spätantike schreibt, dann reduzieren sich auch hier die scheinbar eindeutigen Unterschiede zwischen einem essentialisierten Judentum und einem essentialisierten Christentum und zugleich die Unterschiede beider zur sogenannten paganen Umwelt. Mindestens ist klar, dass in der Antike die Grenzen zwischen Mensch und Gott fließend waren, offenkundig auch bei jüdischen Denkern: Philo bezeichnet Mose einmal als μεσίτης καὶ διαλλακτής, als Mittler und Versöhner, sowie als κηδεμὼν καὶ παραιτητής, als Protektor und Interzessor70. Auch in einem griechischen Fragment der Assumptio Mosis wird Mose 66 G. Stemberger, Art. Judenchristen, in: Reallexikon für Antike und Christentum 19, hrsg. v. H. Kruse, Stuttgart 1999, S. 228–245; A. Y.  Reed, „Jewish Christianity“ after the „Parting of the Ways“: Approaches to Historiography and Self-Definition in the Pseudo-Clementines, in: The Ways that Never Parted. Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages, hrsg. v. A. H. Becker/A. Y.  Reed, Tübingen 2003, S. 189–231 sowie S. C. Mimouni, Early Judeo-Christianity. Historical Essays (Translation Robyn Fréchet), Interdisciplinary Studies in Ancient Culture and Religion 13, Leuven 2012. 67 Ich verweise der Einfachheit halber erneut auf eine eigene Veröffentlichung (und die dort bibliographierte Literatur): C. Markschies, Welche Funktion hat der Mythos in gnostischen Systemen? Oder: ein gescheiterter Denkversuch zum Thema „Heil und Geschichte“, in: Heil und Geschichte. Die Geschichtsbezogenheit des Heils und das Problem der Heilsgeschichte in der biblischen Tradition und in der theologischen Deutung (WUNT 248), hrsg. v. J. Frey/S. Krauter/H. Lichtenberger, Tübingen 2009, S. 513–534. 68 Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche I, S. 144–150. 69  A. a. O., S.145 f. und S. 271. 70 Philo, Vita Mosis II 166 (Opera IV, 238,21 Cohn): εἶτ’ ἐξευμενισάμενος ὁ κηδεμὼν καὶ παραιτητὴς τὸν ἡγεμόνα ἐπανῄει χαίρων ἅμα καὶ κατηφῶν·; vgl. I. W.  Scott, Is Philo’s Moses a Divine Man?, in: Studia Philonica Annual 14 (2002), S. 87–111 und ausführlich W. A.  Meeks,

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als „Mittler jenes Bundes“ bezeichnet (1,1471), wie überhaupt die rabbinische Literatur Mose gern mit dem Terminus ‫ סרסור‬bezeichnet. Man muss also gar nicht mit Daniel Boyarin oder Peter Schäfer auf die gelegentlich mit provokativer Absicht binitarisch genannten Konzepte zweier göttlicher Kräfte im Himmel hinweisen – ich nenne nur die berühmten byzantinischen Hekhalot-Texte der jüdischen Mystik mit der überaus anstößigen Spitzenformulierung von einem „kleinen Adonaj“ (‫„ וקראני יוי הקטן‬und er [sc. Gott] nannte mich den ‚kleinen Adonaj‘“)72. Diese inzwischen häufiger zitierte Begrifflichkeit stammt allerdings nach allem, was wir wissen, vermutlich aus dem achten nachchristlichen Jahrhundert und ist also eher Reflex auf christologische Lehrbildung denn eine Voraussetzung für sie, wie Peter Schäfer mehrfach ausführlich begründet hat.73 Die hier als „kleiner Adonaj“ bezeichnete Figur wird sonst als ‫מיטטרון‬/μετάθρονος bezeichnet und entspricht vermutlich damit dem griechischen σύνθρονος, mit dem in der christlichen Theologie auf der Basis der vorhin genannten Passage aus dem Psalm109/110,1 die Throngemeinschaft des Vaters und des Sohnes ausgesagt wird74. Analysiert man die Gestalt des μετάθρονος in den überwiegend späten jüdischen Texten verschiedener Provenienz näher, so ergibt sich einerseits in bestimmten Texten aus Talmud und Midrash eine deutliche Tendenz, jeder Verwechslung zwischen dem obersten Gott und diesem göttlichen Engelwesen vorzubeugen (so steht der Thron dieses Engels beispielsweise nur im siebenten Himmel), andererseits finden sich (beispielsweise in der Hekhalot-Literatur) nach wie vor Reste einer sehr engen Beziehung zwischen beiden Instanzen. Moses as God and King, in: Religions in Antiquity. Essays in Memory of Erwin Ramsdell Goodenough (SHR 14), hrsg. v. J. Neusner, Leiden 1968, S. 354–371 sowie zuletzt M. D.  Litwa, The Deification of Moses in Philo of Alexandria, in: Studia Philonica Annual 26 (2014), S. 1–27. 71 Assumptio Mosis 1, 14: Fragmentum apud Ps.-Gelasius Cyzicenus, Historia ecclesiastica II 17,17 (GCS Anonyme Kirchengeschichte 58,24 f. Hansen): καὶ προεθεάσατό με ὁ θεὸς πρὸ καταβολῆς κόσμου εἶναί με τῆς διαθήκης αὐτοῦ μεσίτην; vgl. E. Brandenburger, Himmelfahrt Moses (JSHRZ V/2), Gütersloh 1976, S. 69. 72 P. Schäfer, Synopse zur Hekhalot-Literatur (TSAJ 2), Tübingen 1981, § 15, Z. 8; vgl. S. Lieberman, Appendix 1. Metatron. The Meaning of his Name and his Functions, in: Apocalyptic and Merkavah Mysticism (AGJU 14), hrsg. v. I. Gruenwald, Leiden/Köln 1980, S. 235– 241 und vorher schon G. Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, Zürich 1957, S. 75 f. und weitere Belege in den Anmerkungen a. a. O. S. 399 f. 73 Zuletzt P. Schäfer, Zwei Götter im Himmel. Gottesvorstellungen in der jüdischen Antike, München 2017, S. 19–133. – Schäfer weist darauf hin, dass ‫ יוי חקטן‬auch als „junger Gott“ übersetzt werden kann (a. a. O., S. 125), und bemerkt: „Kein Zweifel, dieser Henoch-Metatron des 3. Henochbuchs kommt so nahe an eine zweite göttliche Gestalt neben Gott heran wie kein anderer jüdischer Text der Antike/Spätantike“ (ebd.). Vgl. aber auch M. Kister, Metatron, God and the „Two Powers“, in: Tarbiz 81 (2013/2014), S. 43–88 (hebräisch). 74 S. Lieberman, Appendix 1 in: Gruenwald, Apocalyptic and Merkavah Mysticism, S. 234–241 und G. Stroumsa, Form(s) of God. Some Notes on Metatron and Christ, in: HThR 76 (1983), S. 269–288; vgl. aber auch L. T.  Stuckenbruck, Angel Veneration and Christology. A Study in Early Judaism and in the Christology of the Apocalypse of John (WUNT II/70), Tübingen 1995, S. 71 f. Anm. 69.

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Natürlich gibt es ungeachtet solcher Nähe auch deutliche Unterschiede zwischen jüdischer und christlicher Lehrbildung (oder dem, was wir heute entsprechend rubrizieren): In keinem der eben behandelten jüdischen Texte verschiedenster Provenienz scheint es so etwas wie eine Inkarnation, eine „Fleischwerdung“ solcher privilegierter göttlicher Vermittlungsfiguren in einer konkreten irdischen Person (wie eben in der des den Sklaventod am Kreuz gestorbenen Nazareners Jesus) zu geben75. Körperliche Erscheinungen bleiben auf Engel beschränkt. Die Vorstellung einer Inkarnation des ewigen Gottes in der Person Jesu von Nazareth scheint das Christentum eher mit den paganen als mit den jüdischen Glaubensweisen zu verbinden, wobei man natürlich streng zwischen einer Inkarnation im engeren Sinne (Fleischwerdung in einer konkreten Person von deren Geburt bis zu deren Tod) und weiteren Sinne (temporäre Verkörperung von Göttern) unterscheiden muss: Regelrechte, wenn auch temporäre Erscheinungen göttlicher Figuren in menschlicher Gestalt waren mindestens nach der Mythologie der paganen Antike durchaus möglich und sprengten insofern auch nicht vollkommen den Rahmen der damaligen Wirklichkeitsdeutungen76. Wenn man die Geschichte der christologischen Lehrbildung so als lebendige Interaktion zwischen verschiedenen Theologen entwirft, die mehr oder weniger in jüdischen Synagogen und christlichen Hausgemeinden beheimatet waren, aber sich in intensivem Gespräch befanden und dabei einander zustimmten wie mehr oder weniger scharf widersprachen, ist zunächst einmal für das heutige jüdisch-christliche Gespräch wenig gewonnen. Kaum eine jüdische Gemeinde in Mitteleuropa welcher Prägung auch immer wird ihre theologische Reflexion auf die genannten Spitzenformulierungen aus den Targumim, einzelnen Midrashim und der fließenden Überlieferung der Hekhalot-Literatur stützen. Von der in solchen Texten bewahrten Nähe zwischen dem, was sich als Judentum und Christentum weiter verfestigte und auseinanderentwickelte, trennt uns im heutigen Verhältnis zwischen beiden monotheistischen Religionen eine furchtbare Geschichte von Antisemitismus, Antijudaismus und daraus hervorgegangenen Verfolgungen. Es wäre mehr als merkwürdig, wollte man auf der Basis solcher antiken und frühbyzantinischen Texte in den christlich-jüdischen Dialog unserer Tage eintreten. Aber solche Beobachtungen über Literatur, die mindestens für das Judentum oft nur noch archäologische Bedeutung hat, können mindestens die christlichen Gesprächspartner vor Fehleinschätzungen ihrer eigenen 75 J. Neusner, Is the God of Judaism Incarnate?, in: Religious Studies 24 (1988), S. 213–238 und jetzt auch Schäfer, Zwei Götter im Himmel. Gottesvorstellungen in der jüdischen Antike, S. 151–156. – Ich stütze mich an dieser Stelle auf Passagen meiner Monographie Gottes Körper. Jüdische, christliche und pagane Gottesvorstellungen in der Antike, München 2016, insbes. S. 374–376. 76 Dazu (mit vielen Belegen): D. Zeller, Die Menschwerdung des Sohnes Gottes im Neuen Testament und die antike Religionsgeschichte, in: Menschwerdung Gottes – Vergöttlichung von Menschen (Novum Testamentum et Orbis Antiquus 7), hrsg. v. ders., Fribourg/Göttingen 1988, S. 141–176.

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Theologie‑ und Christentumsgeschichte bewahren: Es war nicht die „Hellenisierung“, die das Christentum vom Judentum entfernt hat, auch nicht die Behauptung, dass irdische Figuren so eng mit Gott verbunden seien, dass man sogar von einer Throngemeinschaft dieser Figuren mit dem Vater Abrahams, Isaaks und Jakobs sprechen konnte. Die Vorstellung, das Einlassen christlicher Reflexion auf philosophische Paradigmen (und oft genug ja eigentlich die Absetzung von diesen Paradigmen mit Hilfe der philosophischen Terminologie) oder die Trinitätstheologie seien ideengeschichtliche Spätlinge einer „frühkatholischen“ oder „reichskatholischen“ Stufe (gar einer Entartungsstufe) des Christentums, verzeichnen den historischen Befund in äußerst problematischer Weise. Wer aus systematisch-theologischen Gründen an der „Deabsolutierung“ entsprechender Aussagen der Christologie interessiert ist oder an der Revision des Autoritätsgehaltes bestimmter Theologumena wie der Inkarnation, kann sich nicht darauf berufen, dass es sich bei alldem um religionsgeschichtliche Spätlinge in der geistes‑ und ideengeschichtlichen Entwicklung christlicher Reflexion über Jesus Christus handelt. Da wäre es besser, nicht die Geschichtswissenschaften und die Geistes‑ und Ideengeschichte zur Rechtfertigung zu bemühen, sondern sich entschlossen zur „Fortentwicklung der christlichen Religion“ oder zu einem anderen für die Differenz von historischer und dogmatischer Methode sensiblen systematisch-theologischen Konzept zu bekennen. Von Anfang an trennt die Identifikation einer einzelnen konkreten Person, Jesus von Nazareth, es unterscheidet dagegen zunächst weniger, als was sie identifiziert und dann bekannt wird. Eine solche präzise Bestimmung dessen, was in der Antike trennte, hilft aber auch dazu, Gemeinsamkeiten zu identifizieren und darauf aufmerksam zu machen, was jedenfalls nicht automatisch zum normativen Kernbestand der jeweiligen Religion bzw. Religionsform gehört. Zum guten Schluss möchte ich noch einmal auf den eingangs mit Hilfe eines Gleichnisses entfalteten hermeneutischen Rahmen zurückkommen, den Origenes von einem jüdischen Schriftgelehrten übernommen und uns überliefert hat77: Wenn schon antike jüdische wie christliche Autoren die Schrift mit einem Haus mit „vielen verschlossenen Zimmern“ verglichen haben, vor denen jeweils ein Schlüssel liegt, der nicht passt (und auf diese Weise faktisch vorhandene Pluralität als Abwesenheit eines einheitlichen, allen gemeinsamen Sinnes thematisierten), um wie viel mehr ist dieses schöne Gleichnis unter Bedingungen des neuzeitlichen Pluralismus einschlägig. Schon Origenes suchte – um im Bild zu bleiben – die Schlüssel mit jüdischen Glaubensgenossen gemeinsam; diese Aufgabe stellt sich selbstverständlich heute erst recht. Sie stellt sich aber inzwischen nicht mehr nur im Blick auf biblische Texte und das Verständnis des

77 Origenes, Prooemia in Psalmum Frgm. 1 = Philocalia 2,3 (TU 183, 106,1–10 Risch = SC 302, 244,1–13 Harl).

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sogenannten historischen Jesus78, sondern auch im Blick auf die christlichen Reflexionsgestalten über den eigenen Glauben, zuvörderst natürlich im Blick auf die christologischen Reflexionen. So gibt es nicht nur die Herausforderung heutiger Christologie durch die jüdische Forschung über Jesus von Nazareth (die Walter Homolka deutlich herausgestellt hat79), sondern auch die Herausforderung der christlichen Theologiegeschichte durch jüdische Forschung und christlich-jüdischen Dialog. Man kann angesichts der neuen Einsichten über das antike Judentum, über das jüdisch-christliche Verhältnis und die „ungetrennten Wege“ zwischen beiden heute getrennten Schwesterreligionen in der Antike die Geschichte antiker christologischer Reflexion und überhaupt die Theologiegeschichte des Christentums nicht mehr so schreiben, wie sie bisher geschrieben wurde. Diese Einsicht ist allerdings solange ein Gemeinplatz, wie nicht mit der Arbeit begonnen wird und die alten Sichtweisen in Lehrbüchern und Lehrveranstaltungen munter weiter tradiert werden. An welchen Stellen mit der Arbeit begonnen werden muss, wollte dieser Prospekt deutlich machen. Wie es Prospekte an sich haben, konzentrierten wir uns auf einige vorteilhafte, ausgewählte Bilder und haben erst gar nicht versucht, das ganze Material zu präsentieren. Nur ein abschließendes Beispiel aus aktuellem Anlass: Es müssten bisherige Darstellungen der Satisfaktionslehre (gerade aus jüngerer Zeit80) einmal ergänzt werden durch die Akzentuierung ihrer genuin jüdischen Elemente, die aus dem Tempelkult, dem großen Versöhnungstag und den darauf bezogenen theologischen Reflexionen stammen und sich mindestens als eingekapselte (und also unverstandene oder bewusst marginalisierte) Erinnerungen daran ja auch über Jahrhunderte erhalten haben. Jede einigermaßen sorgfältige historische Arbeit bringt zumindest auch die marginalisierten Stimmen derer zu Gehör, die nicht so laut mitbrüllen konnten oder gar immer übertönt wurden und werden. Insofern irritiert sie, und das aus Prinzip. Prospekte werden aber weitergereicht, um Menschen zu gewinnen  – und so reicht die historische Theologie den Prospekt der systematischen Theologie weiter, damit diese je nach ihrer unterschiedlichen Prägung mehr oder weniger „großflächige Umbauarbeiten an einer historisch aufgebauten Dogmatik“ (so Magnus Striet81) vornimmt oder aber Konsonanzen zwischen jüdischem Den78 Dafür habe ich auch selbst schon argumentiert: C. Markschies, Reformationsjubiläum 2017 und der jüdisch-christliche Dialog (Studien zu Kirche und Israel. Kleine Reihe 1), Leipzig 2017, S. 61–70. 79 ders., Jewish Jesus Research and its Challenge to Christology Today, S. 107–127. 80 Ich nenne nur die (auch begriffsgeschichtlich äußerst gründlich gearbeitete) Studie von S. Schaede, Stellvertretung. Begriffsgeschichtliche Studien zur Soteriologie (Beiträge zur historischen Theologie 126), Tübingen 2004 und G. Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit. 2 Bde. (Münchener Monographien zur historischen und systematischen Theologie 9/11), München 1984/1986. 81 M. Striet, Christliche Theologie im Angesicht des Judeseins Jesu, in: Christologie auf dem Prüfstand. Jesus der Jude – Christus der Erlöser, hrsg. v. ders./W. Homolka, Freiburg 2019, S. 72–140, bes. S. 87–91 und S. 123–125.

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ken und zentralen christologischen Dogmen der christlichen Tradition nachzuweisen versucht (so Josef Wohlmuth)82, um eine bunte Szenerie zeitgenössischer systematischer Debatten nach der klassischen Tradition der Schwarz-Weiß-Fotografie nur mit zwei Farben zu portraitieren. Aber gelegentlich muss man, um überhaupt zum Schluss zu kommen, auch vom Differenzierungspathos der Historiker zum Stilmittel der didaktisch oder sonstwie motivierten Vereinfachung wechseln können.

82 J. Wohlmuth, Chalkedonische Christologie und Metaphysik, in: Religion  – Metaphysik(kritik) – Theologie im Kontext der Moderne/Postmoderne (Theologische Bibliothek Töpelmann 112), hrsg. v. M. Knapp/T. Kobusch, Berlin/New York 2001, S. 333–354; ders., Zäsur: Chalzedon (451), in: Arbeitsbuch Theologiegeschichte. Diskurse. Akteure. Wissensformen, Bd. 1 2.-15. Jahrhundert, hrsg. v. G. M.  Hoff/U. H. J.  Körtner, Stuttgart 2012, S. 166– 181; sowie ders., Daniel Boyarins jüdische Jesusinterpretation und die Christologie des Konzils von Chalkedon (bislang unveröffentlicht).

Jüdische Jesusforschung und die Aufgaben der Christologie – ein Gesprächsbeitrag Christoph Schwöbel

1. „Jesus war Jude, einer von uns!“ Der große israelische Schriftsteller Amoz Oz (1939–2018) erzählt, dass er als Junge eine konservative Schule in Jerusalem besucht habe. Dort wurden die Schüler dazu angehalten, jedes Mal, wenn sie an einem Kreuz oder einer Kirche vorbeikamen, die Augen abzuwenden. Die Begründung dafür lautete, dass Juden „wegen dieses Menschen“ seit Jahrtausenden gelitten hätten. Sein Großonkel Joseph Klausner, Autor der beiden ebenso eindrucksvollen wie umstrittenen Werke Jesus von Nazareth1 und Von Jesus zu Paulus2, lehnte diese Haltung ab. Stattdessen empfahl er seinem Großneffen: „Wann immer du eine Kirche oder ein Kreuz siehst, sieh genau hin, denn Jesus war einer von uns, einer unserer großen Lehrer, einer unserer bedeutendsten Moralisten, einer unsrer größten Visionäre.“3 Amoz Oz beschreibt weiter, wie er als Jugendlicher die Evangelien las, um die christlich geprägte Kultur zu verstehen, und sich in Jesus verliebte. Nicht dass er mit Jesus einer Meinung gewesen wäre – wie können schon zwei Juden einer Meinung sein?, fragt Oz – aber die Anziehung bestand weiter. Sie bestand für Amos Oz’ ganzes Leben, wie sein letzter großer Roman Judas eindrücklich und verstörend belegt.4 „Sieh genau hin, denn Jesus war einer von uns“  – diese Aufforderung Joseph Klausners lässt sich geradezu als Motto der jüdischen Jesusforschung verstehen, die seit ihren Anfängen bei Moses Mendelssohn, Joseph Salvador, Samuel Hirsch und Abraham Geiger eine beeindruckende beachtliche Bibliothek 1 Vgl. J. Klausner, Jesus von Nazareth: Seine Zeit, sein Leben und seine Lehre (Autorisierte Übersetzung aus dem Hebräischen von W. Fischel), Berlin 1930. 2 Neudruck: Berlin 1980. 3 A. Oz, Jesus war Jude, einer von uns! Wie ich mich als jüdischer Junge in Jesus verliebte und die hässliche, unglaubhafte Geschichte von Judas fürchten lernte, DIE ZEIT Nr. 9 (2018), 22. Februar 2018. 4 A. Oz, Judas, Boston 2016. Vgl. auch seine Rede zum Abraham Geiger Preis 2017 in A. Oz, Jesus und Judas. Ein Zwischenruf, Ostfildern 42019.

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gelehrter Auseinandersetzung mit dem Juden Jesus vorgelegt hat.5 Man kann als christlicher Theologe dem so akkumulierten wissenschaftlichen Werk nur mit höchstem Respekt begegnen, bedeutete doch die Wiedergewinnung des Verständnisses des jüdischen Jesus auch die kritische Auseinandersetzung mit einem überlieferten Jesusbild, das Jesus mit dem „Lehren der Verachtung“ (Jules Issac), des christlichen Antijudaismus und seiner Verstrickung in einen rassetheoretisch begründeten Antisemitismus untrennbar verbunden sah. Die Gestalt des jüdischen Jesus von der Geschichte christlicher Polemik, Anfeindung und Verfolgung von Juden zu lösen und sich mit ihm als Gestalt jüdischer Tradition auseinanderzusetzen, erscheint als eine ungeheure Leistung der Revision von überkommenen Sichtweisen. Viele der jüdischen Jesusforscher sind mit diesem Bemühen nicht nur der Kritik christlicher Historiker und Theologen ausgesetzt gewesen, sondern auch der Kritik innerhalb der jüdischen Gemeinschaften. Jesus bleibt eine Gestalt, an der sich die Geister scheiden. Die Herausforderung der jüdischen Jesusforschung besteht darin, dass jüdische Identität nicht mehr im Gegensatz zu Jesus, den die Christen als den Christus bekennen, definiert werden kann. Kann Jesus nur im Kontext des Judentums seiner Zeit verstanden werden, dann eignet er sich nicht als Kontrastfolie zur Bestimmung jüdischer Identität. Die komplexe Geschichte des Verhältnisses von Judentum und Christentum, die durch die Schrecken von Judenverfolgung und Judenvernichtung gekennzeichnet ist, belegt, dass die Identitätsbestimmung von Judentum und Christentum sehr häufig die eigene Identität im Unterschied, ja aus dem Gegensatz zur Identität des anderen definierte. Dies ist auch nachvollziehbar, wenn man Christentum und Judentum von den je unterschiedlichen Interpretationsgeschichten des Tanach, der Hebräischen Bibel, des Alten Testaments, her versteht. Die Bestreitung einer bleibenden heilsgeschichtlichen Bedeutung des Judentums im christlichen Supersessionismus, demzufolge die Kirche Israel in Gottes Heilsplan ablöst, machte die Distanzierung von der Interpretation Jesu als des Christus geradezu zu einem notwendigen Element jüdischer Identitätsbestimmung. Versteht nun die jüdische Jesusforschung Jesus ganz im Kontext des Judentums, entfällt diese Kontrastierungsmöglichkeit. Es ist eines der eindrücklichsten Charakteristika der jüdischen Jesusforschung, dass sie es vermocht hat, die Gestalt Jesu aus der Geschichte christlicher Judenfeindschaft herauszulösen und ihn nicht mehr als Exponenten des Anderen, sondern als Repräsentanten des Eigenen zu verstehen. „Understanding Jesus means understanding Judaism“, so lautete der Titel eines Vortrags der jüdischen Neutestamentlerin Amy-​Jill Levine, der dieser Provokation markantesten Ausdruck verleiht.6 5 Vgl. W. Homolka, Der Jude Jesus – eine Heimholung, Freiburg i. Br. 2020, und ders., Jewish Jesus Research and its Challenge to Christology Today (Jewish and Christian Perspectives 30), Leiden 2017. 6 Vortrag an der School of Divinity der University of St Andrews, 5. Juni 2019.

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Wird Jesus in dieser Weise im Kontext des Judentums seiner Zeit interpretiert, dann ist es aber auch für die christliche Theologie unmöglich geworden, Jesus als Kontrastfigur zum Judentum zu profilieren.7 Jesus repräsentiert nicht den Abschied vom Judentum, sondern die bleibende Bindung des Christentums an das Judentum, wenn die christliche Kirche Jesus, diesen Jesus, den Juden Jesus, als den Christus bekennt. Das hat tiefgreifende Folgen für das Verständnis des Christusbekenntnisses und für die Entfaltung der Christologie als der Lehre von Jesus Christus. Hier liegt die Aufgabe, der sich die christliche Theologie neu stellen muss, wenn sie in ihrem christologischen Grundbestand die Verbindung zu Jesus bewahren will. Die in vielen Varianten übliche Kontrastierung von Jesus und dem Judentum entfällt als Begründungsfigur christologischer Reflexion. Die Differenzen und Kontraste, die schon im Neuen Testament zwischen Jesus und zeitgenössischen religiösen Repräsentanten pointiert dargestellt werden und die dann ein Element in der Ausbildung der christlichen Gemeinschaften im Kontext des Judentums werden, sind als Unterschiede innerhalb eines jüdischen Diskursraumes zu verstehen und nicht als Gegensätze zwischen dem Judentum und dem sich konsolidierenden Christentum. Der Prozess, der als „the Parting of the Ways“ beschrieben wird, führt nicht an eine Kreuzung, von der aus das Christentum gegenüber dem Judentum seinen eigenen Weg gehen kann.8 Nicht nur sind die Grenzziehungen innerhalb des Judentums und zwischen den unterschiedlichen jüdischen Gemeinschaften und den sich bildenden christlichen Gemeinschaften bis ins 4. Jahrhundert fließend, wie uns die Historiker belehren, sondern auch ganz grundsätzlich ist an der Bezogenheit der unterschiedlichen Wege aufeinander festzuhalten. Das ist eine bleibende Herausforderung und wahrscheinlich für die unterschiedlichen Ausprägungen des gegenwärtigen Judentums und des zeitgenössischen Christentums eine ebenso große Provokation. Für die christliche Theologie stellt sich mit den Bildern, die die jüdische Jesusforschung von Jesus von Nazareth präsentiert, die Herausforderung der selbstkritischen Revision ihrer Kategorien  – im Blick auf die Lehre von Jesus Christus, aber auch hinsichtlich der Wahrnehmung Jesu des Nazareners im gesamten theologischen Reflexionszusammenhang. Zwischen den dogmatischen Bestimmungen der Christologie und den historischen Perspektiven der Interpretation Jesu und des Verständnisses der miteinander verwobenen Geschichten von Judentum und Christentum besteht dabei ein Wechselverhältnis. Die sich hier ergebenden Konstellationen erfordern eine enge kritische und selbstkritische Zusammenarbeit auch innerhalb der christlichen Theologien. Das gilt nicht nur für die Anklage des „Gottesmordes“, die bis ins 20. Jahrhundert das Verhältnis zwischen Christentum und Judentum vergiftet hat. Es gilt ebenso in 7 A.-J. Levine, The Misunderstood Jew. The Church and the Scandal of the Jewish Jesus, New York 2006. 8 Zur Komplexität der Metapher des „parting“ vgl. D. Boyarin, Border Lines: The Partition of Judaeo-​Christianity, Philadelphia 2004.

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vielen Varianten durch die Geschichte des Christentums hindurch für die Abgrenzung vom „jüdischen Gesetz“, das als ausschließliches Charakteristikum des Judentums im Verhältnis zum Christentum als Gnadenreligion missdeutet wurde. Damit stellt sich die Frage nach dem Verhältnis Jesu zu den Gesetzestraditionen der Hebräischen Bibel für die Interpretation des christlichen Alten Testamentes neu. Immer wieder wird man dabei auf innerjüdische Gesprächskonstellationen stoßen, damals wie heute, die sich mit den christlichen Traditionen überschneiden. Die Sichtweisen der Anderen, die von den Anderen selbst in ihrer eigenen Stimme in das Gespräch eingebracht werden, sind immer wieder neu die Herausforderung zum Verstehen des Eigenen. Allerdings kann die christliche Theologie diese Herausforderungen nur dann kritisch und selbstkritisch aufnehmen, wenn sie sich der Provokation der geschichtlichen jüdischen Jesusforschung stellt. Das bedeutet auch, dass die christliche Theologie die weit verbreitete Disjunktion zwischen dem historischen Jesus und dem Christus des christlichen Glaubens neu in Frage stellen muss. An unterschiedlichen Stationen der Entwicklung der christlichen Theologie und Philosophie erschien diese Disjunktion als Möglichkeit der Aufrechterhaltung christologischer Wahrheitsansprüche angesichts ihrer Infragestellung durch die Befunde der historischen Forschung. Schon bei den Klassikern der historischen Jesusforschung in der Aufklärung und im 19. Jahrhundert ist die Infragestellung des Christusglaubens durch die historische Beschäftigung mit Jesus so beantwortet worden, dass die entscheidenden Aspekte des Christusglaubens der historischen Rückfrage entzogen wurden. Die Varianten dieser Disjunktion sind vielfältig. Sie reichen von dem Postulat einer Christusidee zum Christuskerygma und zur Deutung christologischer Aussagen als Aussagen über die Selbstbeziehung des christlichen Glaubens. Eine besonders markante Station dieser Tendenz, die christologischen Glaubensvorstellungen und Lehrgehalte der historischen Rückfrage zu entziehen, sind die theologischen Reaktionen auf Arthur Drews’ Buch „Die Christusmythe“ (1910). In Reaktion auf die hier pointiert präsentierte Möglichkeit der Nichtexistenz Jesu bemerkt man bei vielen theologischen Entwürfen der Folgezeit das Bemühen, die Gefahr der Bestreitung christologischer Aussagen durch historische Befunde zu bannen. Damit steht aber auch die Geschichtsbezogenheit des christlichen Glaubens auf dem Spiel, die ein entscheidendes Verbindungsstück zum Judentum darstellt. Auch für das Judentum ist die Wahrung der geschichtlichen Grundlagen des Gottes-​Verhältnisses und des Verhältnisses zur Welt und zum Nächsten ein konstitutiver Bestandteil. Das zeigt in klassischer Form die Zurückweisung des Versuchs der Umformung des Judentums in eine philosophische Religion im Kuzari des Jehuda ha-​Levi besonders deutlich.9 9 Y. ha-​L evi,  Kuzari. Übersetzt von N. D.  Korobkin als  The Kuzari: In Defense of the ­Despised Faith, Northvale 1998; Jerusalem 22009.

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Die bleibende Verwiesenheit des Christusbekenntnisses auf die Geschichte lässt sich schnell klarmachen. Für die Aussage „Jesus starb am Kreuz für unsere Sünden“ ist die Wahrheit des ersten Teils des Satzes „Jesus starb am Kreuz“ eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Wahrheit des ganzen Satzes. Das „für unsere Sünden“ bedarf einer über das Historische hinausgehenden theologischen Begründung. Ist der erste Teil des Satzes verifiziert, ist damit der ganze Satz noch lange nicht als wahr erwiesen. Ist allerdings der erste Teil des Satzes falsifiziert, ist die Aussage als ganze falsifiziert. Die Beziehung wichtiger christologischer Aussagen auf die Geschichte impliziert insofern immer ein hohes Risiko historischer Falsifikation. Der Versuch, dieses Risiko zu reduzieren oder möglicherweise sogar ganz zu vermeiden, bringt das Christentum, so könnte man zugespitzt sagen, in die Nähe einer gnostischen Weltanschauung. Nun bedeutet dieser konstitutive Bezug auf die Geschichte nicht ohne weiteres, dass wir damit den Bereich theologischer Reflexion verlassen haben und uns in die Abhängigkeit einer nichttheologischen Geschichtsschreibung begeben müssen. Genauer betrachtet enthalten die meisten Geschichtsvorstellungen durch ihre narrative Struktur und die damit gegebene Notwendigkeit einer teleologischen Deutung des Verlaufs der Geschichte ein theologisches Element.10 Nur allzu leicht lassen sie sich als Heils‑ oder Unheilsgeschichten mit einem bestimmten Richtungssinn verstehen. Sogar der Narrativ von der Säkularisierung des Geschichtsverständnisses hat eine Ausrichtung auf ein solches Sinnziel. Das gilt im übrigen auch für F. Lyotards These vom Ende der Meistererzählungen.11 Das bedeutet, dass Theologien, ob christliche oder jüdische, sich mit der Beziehung auf die Geschichte, so wie sie von den Geschichtswissenschaften präsentiert wird, mit diesen teleologischen Zielannahmen geschichtlicher Erzählung auseinandersetzen müssen und ihre theologischen und atheologischen Grundannahmen diskutieren müssen. Die Bezugnahme auf den Juden Jesus, wie er durch die jüdische Jesusforschung in unterschiedlichen Ausprägungen präsentiert wird, impliziert insofern die Aufgabe, christologische Immunisierungsstrategien hinter sich zu lassen und sich mit der Strittigkeit geschichtsbezogener christologischer Aussagen zu stellen. Wenn auf diese Weise die jüdische Jesusforschung das Judentum wie das Christentum mit der Mahnung konfrontiert, Jesus nicht als Element der eigenen religiösen Identitätssicherung zu instrumentalisieren, wird damit noch eine weitere Schicht der Identitätsfrage aufgedeckt. Nach ihrem gemeinsamen 10 Vgl. C. Schwöbel, „Heilsgeschichte“. Zur Anatomie eines umstrittenen Konzepts, in: Heil und Geschichte. Die Geschichtsbezogenheit des Heils und das Problem der Heilsgeschichte in der biblischen Tradition und in der theologischen Deutung, hrsg. v. J.  Frey/S. Krauter/H. Lichtenberger, Tübingen 2009, S. 745–757. 11 Vgl. F. Lyotard, Das postmoderne Wissen, hrsg. v. P. Engelmann, Wien 72012 (frz. Originalausgabe von 1979: La condition postmoderne).

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Verständnis ist für das Christentum wie für das Judentum Identität nicht gleichsam antithetisch aus der Abgrenzung gegenüber der anderen Religion zu gewinnen, sondern, gemeinschaftlich wie persönlich, in der Beziehung zu Gott konstituiert. Der Abschied von der Identitätsdefinition durch die Abgrenzung von der anderen Religion fordert insofern auch die religiöse Vertiefung der Identitätsfrage durch die Herausarbeitung ihrer Verankerung in der Gottesbeziehung. Ist dies auf der einen Seite eine befreiende Einsicht, so enthält sie auf der anderen Seite auch eine Radikalisierung der Frage nach dem Verhältnis von jüdischer Jesusforschung und Christologie. Für das Judentum ist die Konstitution der Identität, individuell und sozial, in der Einzigkeit Gottes begründet, wie sie im Schema Jisrael (Dtn 6,4 f.) zum Ausdruck kommt. Die Identität des Judentums ist in religiöser Hinsicht im strengen Sinne exzentrisch: gebunden an die Transzendenz Gottes und verbunden mit der Gottesfurcht, die die Ausschließlichkeit Gottes radikal respektiert (vgl. Dtn 6,14f). Daran erinnern die Tefillin und die Mezuzot, die äußere Zeichen der transzendenten Konstitution der Gottesbeziehung sind. In vergleichbarer Weise verhält es sich auch für die Christen, die ihre Identität durch den Verweis auf Jesus Christus bestimmen. Damit wird nicht ein anderer Gott gegenüber dem einen Gott in Anspruch genommen, sondern darauf verwiesen, dass die Beziehung zu diesem einen Gott für den christlichen Glauben in Jesus Christus erschlossen und vermittelt ist. Sie ist für den Glauben unverfügbar geschenkt, daran erinnert die Rede von der Gabe des Heiligen Geistes; aber sie versteht sich als die den Christinnen und Christen im Geist durch Jesus Christus erschlossene Beziehung zu dem einen Gott. In analoger Weise wird damit die Definition der Identität durch die Unterscheidung von anderen Religionen radikal relativiert. Das zeigt aber zugleich die Tiefe der Strittigkeit der im christlichen Glauben in Anspruch genommenen Gottesbeziehung an. Wie wird es aus jüdischer Sicht gesehen, wenn im Herzen der Beziehung zu dem einen Gott die Beziehung zu dem einen Herrn Jesus Christus angesiedelt wird (1 Kor 8,5 f.) und diese Gottesbeziehung ganz analog zum Schema Jisrael, das von Paulus zitiert wird, in Kontrast gesetzt wird zum Götzendienst (vgl. Dtn 6,14 f. und 1 Kor 8,4 f.)?12 Ist damit ein unüberwindbarer Gegensatz oder eine Möglichkeit der Verständigung zwischen Christentum und Judentum benannt? Auf alle Fälle befreit die Erinnerung an die transzendente Konstitution der Identität von der Notwendigkeit, Identität durch die Ausgrenzung des Anderen zu stabilisieren. Das Gespräch zwischen jüdischer Jesusforschung und Christologie kann darum als Gespräch über Jesus und Gott und nicht primär als Auseinandersetzung über Christentum und Judentum geführt werden. Die Einsicht in die Relativität der eigenen Religion ist ein Implikat des absoluten Vertrauens auf Gott. 12 Vgl. R. Bauckham, Jesus and the God of Israel: God Crucified and Other Studies on the New Testament’s Christology of Divine Identity, Grand Rapids 2008.

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2. Die Aufgaben der Christologie Nach den Zeugnissen des Neuen Testaments verstanden die ersten christlichen Gemeinschaften ihr Leben als Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus, ihrem auferstandenen gekreuzigten Herrn. Diese Lebensgemeinschaft hatte auch dort, wo sie den Kontakt zum Tempel und zur Synagoge beibehielt, die Gestalt der Mahlgemeinschaft und des Gebetes, der Vertiefung der den Aposteln anvertrauten und von ihnen weitergegebenen Lehre und der Gütergemeinschaft (Apg 2,42 f.). Das Prinzip der ersten christlichen Gemeinschaft war, in der Beschreibung der Apostelgeschichte, die Lebensgemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten, das dieser Gemeinschaft ihre konstitutiven Merkmale im Gottesdienst und in der sozialen Praxis aufprägte. Diese Lebensgemeinschaft wird als eine beschrieben, die durch Offenbarung geschaffen wird, durch die Gewissheit der Gegenwart des auferweckten Gekreuzigten. Das Zeugnis von Jesus Christus und die Anrede Jesu Christi im Gebet ruhen auf dieser durch eine bestimmte Erschließungserfahrung gewährten Gemeinschaft. War es früher üblich, die Entwicklung christologischer Lehre in einem langsamen Evolutionsprozess von einer niedrigen zu einer hohen Christologie zu sehen, so wird heute die früheste Christologie als hohe Christologie betrachtet und ihr Ort nicht primär in der lehrmäßigen Entfaltung, sondern im Gottesdienst gesehen.13 Die Christologie der Reflexion ist verankert in den christologischen Gebeten und Akklamationen, in der christologischen geformten Praxis des Brotbrechens, in der Christologie des Gottesdienstes und des Zeugnisses. Überall wird auf Jesus Christus als lebendige Person Bezug genommen, die gegenüber dem Tod Präsenz und Handlungsfreiheit in der Teilhabe am Leben Gottes gewonnen hat. Die Identität dieses gegenwärtig lebendigen Herrn mit dem Jesus, von dessen irdischem Leben vor seinem Tod die Apostel berichteten, zu betonen, war offensichtlich von Anfang an ein Anliegen 13 Die Repräsentanten dieser Bewegung, in der christliche und jüdische Forscher und Forscherinnen zusammenarbeiten, und die von einem ihrer Begründer Larry W. Hurtado selbst augenzwinkernd „Early High Christology Club“ tituliert, sind David Capes, Wendy Cotter, Jarl Fossum, Donald Juel, John R. Levison, Carey Newman, Pheme Perkins, Alan Segal, Marianne Meye Thompson. Später stießen Clinton Arnold, Loren Stuckenbruck, James Davila, Charles Gieschen, Richard Bauckham, Martin Hengel, April DeConick, Karl-​Wilhelm Niebuhr und Jörg Frey zur Gruppe dazu. Vgl. J. Frey, Eine neue religionsgeschichtliche Perspektive: Larry W. Hurtados Lord Jesus Christ und die Herausbildung der frühen Christologie, in: Reflections on the Early Christian History of Religion – Erwägungen zur frühen Religionsgeschichte, hrsg. v. C. Breytenbach/J. Frey (AJEC 81), Leiden 2013, S. 117–169. Die Betonung der frühen hohen Christologie verdankt sich der Verschiebung der Untersuchung von hellenistischen und orientalischen Quellen zu jüdischen Quellen der frühen Christologie. Vereinfacht gesagt, verdankt sich die These von den frühen hohen Christologie der Untersuchung der Adaption jüdischer Vorstellungen für die Formulierung der ersten Christologien. Die hohe Christologie ist keine Abstandnahme vom zeitgenössischen Judentum, sondern wird durch modifizierende Adaptierung jüdischer Vorstellung ermöglicht. Vgl. zu den Hintergründen der Neuorientierung besonders L. W.  Hurtado, Lord Jesus Christ: Devotion to Jesus in Earliest Christianity, Grand Rapids 2003, S. 11–18.

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der christlichen Gemeinschaften. Der jüdische Lehrer und Meister, der jetzt der lebendige Herr ist, der der Gotteslästerung bezichtigte Prediger, der am Kreuz Gestorbene und der sich jetzt in der Mahlgemeinschaft vergegenwärtigende Herr sind derselbe – und dies wird in Kategorien ausgesagt, die weitestgehend dem Judentum des Zweiten Tempels entlehnt sind. In dieser Gottesdienstpraxis lag zugleich erhebliches religiöses und politisches Konfliktpotential. Ist Jesus der Herr, wie es die frühe christliche Gebetspraxis und der früheste Zeugnisruf betont, so ist seine Identität nur in Bezug auf den einen Gott, den Gott Israels, adonaj, auszusagen. Ist Jesus der Herr, so kann der Caesar in Rom der Kyrios nicht sein. Diese Einsicht wird als eine verstanden, die von Gott im Geist gegeben ist, weswegen Jesus auch nur im Geist als der Herr angeredet und bekannt werden kann. Schon diese frühesten Anfänge christologischer Rede und christologisch geformter Praxis können im Anschluss an Dietrich Bonhoeffer als Antwort auf die Frage verstanden werden: Wer ist Jesus Christus für uns heute?14 Christologie in ihren unterschiedlichen Formen, als Gottesdienst, als Zeugnis, als Reflexion über den Charakter der Wirklichkeit, versucht auf diese Frage eine Antwort zu geben. Die jüdische Jesusforschung ist für die Art, wie die Frage verstanden wird, und für die Weise, in der nach Antworten gesucht wird, von höchstem Belang. Wer ist Jesus Christus? Dietrich Bonhoeffer hat zu Recht hervorgehoben, dass die Grundfrage der Christologie eine Wer-​Frage und nicht eine Was-​Frage ist: die Frage nach einer personalen Identität und nicht nach Eigenschaften oder Klassenzugehörigkeiten, die als Antwort auf die Frage was? von einem Subjekt prädiziert werden können. Die Konzentration auf die Wer-​Frage begründet auch, warum neben Gebetsrufen, Bekenntnisaussagen und christologischen Hymnen die Evangelien als neue literarische Form, möglicherweise beeinflusst durch römische Kaiserbiographien, geschaffen wurden. Die Frage wer? kann nur durch eine Zeige-​Handlung, durch einen Eigennamen oder eine identifizierende Beschreibung beantwortet werden. Die Zeigehandlung rückt im Laufe der Zeit das Kruzifix in das Zentrum der christlichen Gottesdienst‑ und Frömmigkeitspraxis. Der Eigenname wird schon im Neuen Testament als der Name betrachtet, der über allen Namen ist (Phil 2,9–11), auch darin eine Anspielung auf die Mitteilung und Heiligung des Namens Gottes. Die Erzählung findet sich bereits in narrativen Kurzgeschichten und wird in den Evangelien in einer Lebensgeschichte ausgeführt – von der Geburt bis zum Tod bis zum neuen Leben. Jede personale Identität wird durch persönliche Beziehungen definiert. Nur sie ermöglichen die Identifikation einer einzigartigen Person. Was für jeden von uns durch den Hinweis auf Eltern, Großeltern, Geschwister usw. geschieht, wird von Jesus auf zwei Ebenen ausgesagt: auf der Ebene der Beziehung zu anderen 14 Vgl. D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, in: Dietrich Bonhoeffer Werke (DBW), Gütersloh 1998, S. 402 (Brief vom 30. 4. ​1944).

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Menschen und auf der Ebene der Beziehung zu Gott, den er mit einer breiten jüdischen Tradition des Zweiten Tempels als Vater anredet. Provokant ist für die jüdische Tradition wie für uns heute, dass die Beziehung zu dem Gott, den er Vater nennt, die Beziehung zu den leiblichen Verwandten relativiert und eine neue Beziehung eröffnet zu denen, deren Beziehung zu Gott Anteilnahme an Jesu Gottesbeziehung ist. In den narrativen Traditionen des Neuen Testaments sind diese beiden Beziehungsebenen dauernd miteinander verflochten. Auffällig ist, dass in der Aufnahme der Rede des Alten Testaments von der ruach die Beziehung zu Gott als eine gesehen wird, die durch den Geist vermittelt ist. Das gilt für Jesu Geburt, seine Taufe, jede wichtige Station seines Lebens, seinen Tod und seine Auferstehung.15 Es gibt keine geistlose Christologie! Dabei ist immer klar, dass die Identität Jesu, die Antwort auf die Wer-​Frage, von Gott erschlossen werden muss. Schon die Geschichte vom Petrus-​Bekenntnis bei Cäsarea Philippi (Mt 16,16 f.), die Antwort des Petrus auf die Frage: „Wer sagt ihr, dass ich sei?“, hält fest, dass diese Antwort nicht durch Fleisch und Blut, nicht aus der einfachen Beobachtung des Menschen Jesus, gegeben werden kann, sondern vom Vater im Himmel erschlossen werden muss. Abgesehen von dieser Erschließungserfahrung ist Jesu Identität verwechselbar, z. B. mit der eines Fressers und Weinsäufers (Mt 11,19). Oder sie wird auf die Familienidentität beschränkt: „Ist das nicht Josephs Sohn?“ (Lk 4,22). Im sogenannten Petrus-​Bekenntnis wird die Identität Jesu in den beiden Beziehungen ausgesagt, die seine Identität durchgängig bestimmen: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ (Mt 16,16). Das Bekenntnis zu Jesus als dem Messias ist es, was Juden und Christen vorrangig unterscheidet. Wie kann es sein, dass der Messias kommt und das messianische Zeitalter noch auf sich warten lässt? Seit den Zeiten des Neuen Testamentes ist es diese Frage, mit der die Identität Jesu in Frage gestellt wird: „Bist du es der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ (Lk 7,18). Für die christliche Gemeinschaft ist es offenbar geworden, dass diese Frage durch die Auferweckung Jesu beantwortet worden ist. Bezieht man sich für die Wer-​Frage auf die narrativen Traditionen des Neuen Testaments, so wird schnell deutlich, dass man in beiden Hinsichten nur von Jesus im Zusammenhang der jüdischen Gemeinschaften seiner Zeit sprechen kann. Er ehrt den Sabbat und bewahrt ihn als heilig und hält damit daran fest, dass Israel nie wieder versklavt werden soll. Er lehrt in Gleichnissen wie Propheten vor ihm und die Rabbinen nach ihm. Und er redet von Gott als Vater in der Weise, in der es sich im Judentum des Zweiten Tempels ausprägt: „Haben wir nicht alle einen Vater?“ (Mal 2,10). Für die christlichen Gemeinden war deutlich, dass Jesus in einzigartiger Weise eine Gottesbeziehung realisierte, die für 15 Ausführlich zu diesen Zusammenhängen: The Holy Spirit, Inspiration, and the Cultures of Antiquity: Multidisciplinary Perspectives, hrsg. v. J. Frey/J. R.  Levison (Ekstasis 5), Berlin 2017. Vgl darin v. a. Freys Aufsatz: How Did the Holy Spirit Become a Person?, a. a. O., S. 343–371.

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alle Menschen gelten sollte, und dadurch die Praxis der Freiheit eröffnet wurde, die man vom messianischen Zeitalter erhoffte. Wer ist Jesus Christus? Wenn auf diese Art und Weise die personale Identität Jesu in den Vordergrund gestellt wird, wie sie in seiner durch den Geist vermittelten Beziehung zu dem Gott, den er Vater nennt, und zu den Menschen konstituiert wird, ist es sinnvoll zu fragen, ob diese Identität weiter besteht, heute eine lebendige Realität ist. Die Frage der Christologie unterscheidet sich darin von der historischen Frage: Wer war Jesus von Nazareth zu seiner Zeit? Dabei ist das Auffällige, dass die Frage, wer ist Jesus, nicht abgesehen von der Frage, wer war Jesus, beantwortet werden kann. Schon die frühe christliche Gemeinde beantwortet diese Frage nach dem Tod und in der für sie erschlossenen Gegenwart Jesu mit dem Verweis auf das Leben des irdischen Jesus. An der Art, wie er das Brot nimmt, Dank sagt, es bricht und es ihnen gibt, wird der Fremde nach der Kreuzigung und der Geschichte der Frauen von seiner Auferweckung von den Jüngern in Emmaus als Jesus erkannt (vgl. Lk 24,30–32). Und wie sich seine Identität in die Geschichte Gottes mit seinem Volk einfügt, wird daran verstanden, wie er ihnen die Schrift auslegt. Am deutlichsten ist die Beziehung zwischen der Art, wie Jesus heute ist, und der Weise, wie er in seinem irdischen Leben war, in den unterschiedlichen Erzählungen von der Einsetzung des Abendmahls reflektiert. Indem Jesus mit seinen Jüngern Brot und Wein teilt, gibt er sich ihnen in seinem Leib und seinem Blut in einer solchen Weise, dass seine Gegenwart die Gegenwart der Feiernden umfasst. Nur deswegen kann Paulus fragen: „Der gesegnete Kelch, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?“ (1. Kor 10,16). In der Einsetzung des Abendmahles hinterlässt der irdische Christus sich gleichsam selbst, indem er die Mahlfeier als Mittel seiner Selbstvergegenwärtigung einsetzt. Dass wir es hier mit der Frage des Seins Gottes zu tun haben, das die Glaubenden dazu verpflichtet, sich zu ihm angemessen in Beziehung zu setzen, wird sowohl an der Ausschließlichkeit der Mahlfeier gegenüber den Kultmahlzeiten anderer Götter sichtbar als auch an der Verpflichtung zu einer Teilnahme am Mahl, die der Christusgemeinschaft entspricht. Wer am Tisch des Herrn Gemeinschaft mit ihm hat, kann nicht mit anderen Gottheiten in gleicher Weise Gemeinschaft haben (vgl. 1 Kor 10,21). Wer in der Gemeinschaft des Leibes und des Blutes Christi miteinander verbunden ist, ist zu einem Verhalten verpflichtet, das Andere als gleichberechtigte und gleichwürdige Teilnehmende an dieser Gemeinschaft anerkennt (vgl. 1 Kor 11,21 f.). An dieser Stelle eine funktionale Christologie von einer ontologischen Christologie unterscheiden zu wollen, verfehlt die Pointe: Die Teilnahme an der Mahlgemeinschaft beinhaltet „ontological commitments“: Die Christuswirklichkeit, die Selbstvergegenwärtigung Christi und die Einbeziehung der Glaubenden in seine Gegenwart fordert angemessene Verhaltensformen. Das Handeln der Gemeinde muss dem Sein Christi entsprechen: operari sequitur esse.

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Die Ist-​Frage, die ontologische Frage nach dem Sein Jesu Christi, stellt sich in besonderer Weise im Blick auf die ontologischen Implikationen der Auferweckung Jesu Christi. Wenn die Auferweckung als Gottes letztgültiges Handeln, als Durchsetzung der endgültigen Gerechtigkeit Gottes, das Ziel der Wege Gottes mit der Welt, die Bestätigung der Botschaft des irdischen Jesus vom Kommen des Gottesreiches und von der Nähe Gottes des Vaters in seiner Person beinhaltet, dann ist es unausweichlich, diese Letztgültigkeit im ursprünglichen Handeln und Sein Gottes begründet zu sehen. Insofern Jesus der ist, in dessen Geschick sich Gottes Heil ewig verwirklicht in einer solchen Weise, dass er als der erste von vielen in die ewige Gemeinschaft mit Gott aufgenommen wird, dann muss dies der Absicht und dem Ziel Gottes von Anfang an entsprechen. Dann muss der, der in dieser Weise als der Letztgültige verstanden wird, auch der erste in Gottes Verhältnis zu seiner Schöpfung sein. Selbst diese weit in den Bereich ontologischer Spekulation hineinführenden Voraussetzungen der liturgischen Sprache des Neuen Testaments findet sich schon in jüdischen Traditionen. Wenn die Weisheit zu Füßen Gottes spielt (vgl. Prov 8,22–36) und sie am Anfang seiner Wege, bevor er etwas schuf, bei ihm war und alles in ihrer Gegenwart geschaffen wird, gibt es hier analoge Anschauungen wie die, die im Kolosserbrief angesprochen wird, wenn Christus als das „Ebenbild des unsichtbaren Gottes, in dem alles geschaffen ist“ (Kol 1,15), besungen wird. Hier wird der Zusammenschluss von Ende und Anfang ausdrücklich formuliert: „Der ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, damit er in allem der Erste sei“ (Kol 1,18b). Die Endgültigkeit der Durchsetzung der Gerechtigkeit Gottes in der Auferweckung Jesu Christi wird als die ein für alle Mal vollzogene Versöhnung verstanden, die Anfang und Ende miteinander verbindet. Es ist wohl nicht so, dass die christologische Rede sich von der Darstellung des Menschen Jesus langsam in metaphysische Höhen hinaufschraubt, sondern umgekehrt, dass das Sein Jesu Christi schon ganz früh in Einheit mit dem Sein und Handeln Gottes gesehen wird und so hymnisch besungen und gottesdienstlich gefeiert wird. Die ausdrückliche ontologische Reflexion erlaubt der christlichen Gemeinde zu formulieren, dass das, was sie von Anfang an in ihren Gottesdiensten praktiziert hat, sich auch im Rahmen eines begrifflich artikulierten Wirklichkeitsverständnisses formulieren lässt. Ist es aber so, dass in Christus die ganze Fülle der Gottheit wohnt (vgl. Kol 1,19) oder er die Anrede Gottes ist, die im Anfang bei Gott war und dann Fleisch wird (vgl. Joh 1,14), dann lässt sich diese Glaubenseinsicht nicht mehr in einem überkommenen metaphysischen Schema formulieren, sondern revolutioniert dieses von innen her. Wie die Überlieferungen der Schrift die metaphysischen Einsichten zu Revisionen drängen und in diesem Zusammenhang die allegorische Exegese als Hermeneutik der ontologischen Gehalte der Schriftüberlieferungen entwickelt wird, hatte schon Philo von Alexandria (gest. 40 n. Chr.) gezeigt. Die vielfältigen Synthesen zwischen Judentum und griechischer Philosophie verbieten es, das

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in ontologischer Sprache formulierte Dogma als „Werk des griechischen Geistes auf dem Boden des Evangeliums“ (Adolf von Harnack) zu betrachten.16 Es sind nicht die Verallgemeinerungen, die „griechisches“ von „hebräischem“ Denken unterscheiden, sondern die spezifischen Synthesen aus griechischen und hebräischen Ausdrucksmitteln im hellenistischen Judentum und im zeitgenössischen Christentum, die Einblick in die Revisionen überkommener Denkweisen in der Christologie ermöglichen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, dass die besonderen Formen des christologischen Denkens immer von der Art und Weise der Selbstvergegenwärtigung Jesu Christi im Spannungsfeld von Textauslegung und Gottesdienst abhängig sind. Wer ist Jesus Christus? Es gibt in der Geschichte der Christologie viele Beispiele dafür, dass die Besonderheit des jüdischen Menschen Jesus durch allgemeine Wesenspostulate der Gottheit und der Menschheit verdeckt worden sind. Ebenso kann eine Christologie, die sich auf Jesus Christus als Urbild des Menschseins im Einklang mit Gott bezieht, die Einbettung Jesu in den jüdischen Kontext seiner Zeit vergessen lassen. Die jüdische Jesusforschung hat mit Leidenschaft und Gelehrsamkeit daran erinnert, dass ein angemessenes Verständnis Jesu abgesehen von seinem Judesein und seiner Einbettung in den jüdischen Kontext seiner Zeit nicht denkbar ist. Schließlich ist auch das Christentum in seinen ersten Anfängen aus dem Verständnis jüdischer Menschen des Juden Jesus entstanden. Schließlich war der ganze Trägerkreis der ersten Jesusüberlieferung jüdisch, so dass auch der Übergang zur Heidenmission und der Überschritt in den paganen Raum vom jüdischen Denken her begründet werden muss. Dabei kam dem frühen Christentum die Attraktion, die das Judentum in der pluralistischen religiösen Welt des Meerraums besaß, zugute. Was hängt am Judesein Jesu? Erstens ist die Zugehörigkeit zu dem Volk zu nennen, das im Tanach als Volk des Bundes und der Verheißung beschrieben wird. Zweitens ist es gerade in diesem Kontext, dass die Hoffnung auf die Überschreitung der ethnischen, kulturellen und religiösen Grenzen des Judentums erwachte, die im Bild der Völkerwanderung zum Zion (Vgl. Jes 2,1–5) Ausdruck fand. Drittens wird das Attraktive und gelegentlich Provozierende der Lebenspraxis Jesu nur dann deutlich, wenn man sein Leben als inkarnierte Halacha versteht. In dieser Hingabe an das Tun des Willens Gottes ist seine besondere Beziehung zu dem Gott Israels, den er Vater nennt, verwurzelt. Viertens konfrontiert die Wahrnehmung des Judeseins Jesu auch mit der bestürzenden Einsicht, dass die christliche Judenfeindschaft und die rassisch bedingte Ausgrenzung jüdischer Menschen bis hin zur Massenvernichtung den Brüdern und Schwestern Jesu galt – und darin auch ihm selbst. Fünftens kommt in dieser Betonung zum Ausdruck, dass die geschöpfliche Partikularität des Menschen Jesus, in dem der Logos Fleisch wurde, 16 Vgl. C. Markschies, Hellenisierung des Christentums. Sinn und Unsinn einer historischen Deutungskategorie (Forum Theologische Literaturzeitung Bd. 25), Leipzig 2012.

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den Weg aufzeigt, den dieser Gott, der Gott der Befreiung aus dem Sklavenhause Ägyptens, der Gott, der mit der Schöpfung eine Zukunft schafft, die jedem seiner Geschöpfe die Verwirklichung seiner Bestimmung im Reich Gottes verspricht, mit jedem seiner Geschöpfe geht. Dieser Gott zielt auf Universalität, indem er in die Besonderheit eingeht. Dieser Gott wird die Besonderheiten seiner Geschöpfe, die er wertschaffend setzt, wertschätzend erhalten. Die Gemeinschaft mit diesem Gott fordert darum den unbedingten Respekt vor der Besonderheit der Einzelnen und der Gemeinschaften. Das gilt auch für die Zukunft von jüdischen und christlichen Menschen. Für die Christologie besteht die Herausforderung darin, dass Jesus nicht für irgendetwas anderes steht, das Prinzip Liebe oder eine Revolution im Gottesgedanken, sondern für – Jesus. Wer ist Jesus Christus? Nun kann in der Christologie Jesus nicht thematisiert werden, ohne dass bedacht wird, dass er nach dem Bekenntnis des christlichen Glaubens der Christus ist, der Gesalbte, der Messias. Ist Jesus als Referenzsubjekt christologischer Aussagen festgehalten, so wird er durch die unterschiedlichen Christustitel, die von ihm prädiziert werden, als der Heilsbringer, als die Verwirklichung des Heils Gottes für die Welt verstanden. Mit jedem dieser Titel ist der Anspruch verbunden, dass er nur das zum Ausdruck bringt, was in Jesus Christus in seiner besonderen Gottesbeziehung und seiner Bezogenheit auf je besondere Menschen zur Heilwerdung des Verhältnisses von Gott, Welt und Mensch realisiert ist. Die große Pluralität dieser Titelbegriffe, schon im Neuen Testament, und ihr nebeneinander Weiterbestehen in der Geschichte des Christentums belegen, dass in Jesus Christus das Ganze des Heils verwirklicht geglaubt wird, aber dieses Ganze wieder in den spezifischen Pointierungen, die die Christustitel zum Ausdruck bringen. Jeder dieser Titel entdeckt in Jesus Christus einen Aspekt der endgültigen Verwirklichung des Heils, die für die Menschen, die diesen Titel gebrauchen, die Wende vom Unheil zum Heil anzeigt. Auch die Verwendung der ursprünglichen Prädikation „Jesus (ist der) Christus“ als Eigenname hält diesen Pluralismus der Heilserfahrungen fest. An dieser Stelle ist es vielleicht geboten, kurz auf eine strukturelle Eigenart christologischer Rede aufmerksam zu machen, die schon im Neuen Testament begegnet und die in der weiteren Entwicklung christologischer Lehre nachwirkt.17 Ganz vereinfacht kann christologische Rede als in drei Schichten strukturiert verstanden werden. Die erste Schicht enthält die identifikationsbeschreibenden narrativen Bestandteile, die die Identifikation Jesu ermöglichen. Sie alle antworten auf die Wer-​Frage und sollen etablieren, von wem christologisch geredet wird. Auf derselben Basisebene, in der die narrativen Wege zur 17 Vgl. zu diesem Schema auch: C. Schwöbel, Christ for Us – Yesterday and Today: A Response to „The Person of Christ“, in: The Person of Christ, hrsg. v. S. R.  Holmes/M. A.  Rae, London/New York 2005, S. 182–201, bes. S. 189–191.

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Identifikation Jesu angesiedelt sind, sind auch die grundlegenden Metaphern wie die Christustitel zur Prädikation Jesu zu verorten. Sie sagen, was Jesus ist, als wer er angesprochen und prädiziert wird. Diese erste Ebene, die durch große Vielfalt der narrativen Identifikationsstrategien und der prädikativen Bezeichnungsformen charakterisiert ist, ist die Basis für die zweite Ebene, auf der die einzelnen Identifikationen in einer identifizierenden Geschichte, einer Masterstory zusammen gefasst werden. Dem entspricht die Integration der Vielfalt der christologischen Prädikatsmetaphern in einem Modell. Das Neue Testament bietet eine solche Masterstory zum Beispiel im Johannesprolog, durch die in der Identifikation Jesu als des Schöpferlogos, als des eingeborenen Sohnes vom Vater die unterschiedlichen vielfältigen narrativen Einzelidentifikationen als Aspekte eines Leitnarrativs interpretiert werden. Ebenso werden die unterschiedlichen christologischen Prädikatsmetaphern in einem Modell zusammen gefasst. Der „Logos“ oder der „Sohn“ bietet ein solches Modell, das die Vielfalt der christologischen Metaphern integriert, ohne sie aufzuheben, ihre Aussagepointen aber nun miteinander vereinbar macht. Ursprünglich sehr unterschiedlichen Zusammenhängen angehörende Metaphern wie der Messias, der Menschensohn, der Davidsohn, das Lamm Gottes werden so miteinander kompatibel. Die zweite Ebene ordnet die christologischen Aussagen der ersten Ebene durch Integration in ein Leitnarrativ und ein Leitmodell, ohne sie aufzuheben. Das Charakteristikum dieser zweiten Ebene ist, dass die Masterstory sowohl als Geschichte über Gott als auch als Geschichte über Jesu gelesen werden kann. Und ebenso ist das Mastermodell als Modell der Rede von Gott und als Modell der Rede von Christus zu verstehen. Auf dieser Ebene wird darum klar, was das wichtigste Charakteristikum, aber auch das Grundproblem christologischer Rede ist: Gott wird zum Kontext des Redens von Jesus. Jesus wird zum Kontext des Redens von Gott. Auf der dritten Ebene nun sind die technischen Begriffe der Christologie anzusiedeln, Begriffe wie „homoousios“, „Natur“, „Hypostase“, „unio personalis“, „communicatio idiomatum“. Diese technischen Begriffe haben einen Aussagegehalt nur durch einen Bezug auf die erste und die zweite Ebene christologischer Rede. Nur so handeln sie nicht von einem abstrakten Begriff der Gott-​Mensch-​Einheit oder der göttlichen bzw. menschlichen Natur, sondern von dem konkreten Menschen Jesus, der in Einheit mit Gott dem Vater lebt. Die christologische Rede von der Gottheit Jesu ist deswegen streng im Kontext der Beziehung Jesu zu Gott, zu dem Gott, den er Vater nennt, zu explizieren, und die Rede von der Menschheit Jesu in der Beziehung, die er in Kraft dieser Gottesbeziehung zu den Menschen hat, die ihm begegnen. Die Rede von der Gottheit Jesu formuliert nicht den Besitz einer göttlichen Natur, die abgesehen von diesem Verhältnis in den Blick genommen werden könnte, sondern die ontologischen Implikationen des Verhältnisses, das er als der Sohn zu Gott dem Vater hat. Die Rede von der Menschheit Jesu behauptet nicht die Instanziierung eines abstrakten Begriffs des Menschseins in seiner

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Person, sondern bringt sein Menschsein in der Beziehung zu den Menschen, die ihm folgen und die ihm begegnen, als das Menschsein zum Ausdruck, das aus der Gottesbeziehung die Kraft der Erfüllung gewinnt – wahres Menschsein im wirklichen Menschsein. Dabei ist stets zu beachten, dass diese Beziehung Gottes zu Jesus und Jesu zu Gott nicht ohne den Geist verstanden werden kann, in dem Jesus in aller Unterschiedenheit von Gott mit dem Gott, den er Vater nennt, als der Sohn verbunden ist. Ebenso ist die Beziehung Jesu zu den Menschen, sein Menschsein an die Gabe des Geistes gebunden, der im Geist Jesu den Lebensgeist geschöpflichen Lebens zum Geist der Wahrheit werden lässt. An dieser Stelle zeigt sich die enge Verknüpfung von Christologie und trinitarischer Theologie.18 Wer ist Jesus Christus für uns? Im „für uns“ der Frage nach der Identität Jesu kommt die das ganze Dasein Jesu kennzeichnende Proexistenz seines Lebens zum Ausdruck. Er lebt in der Hingabe an den Willen und das Wesen Gottes des Vaters und existiert so für die Menschen, die ihm begegnen. Sein Leben selbst ist Gabe, Hingabe an den Willen Gottes und die Gabe erfüllten Lebens in der Gemeinschaft mit ihm durch die die Glaubenden an seiner Gemeinschaft mit Gott teilhaben. „Für uns“ bringt die soteriologische Ausrichtung des gesamten Daseins Jesu zum Ausdruck, nicht nur sein Werk, sondern die Existenzorientierung seiner ganzen Person in allen seinen Worten und Werken, in seinem Leiden und gegenwärtig Tätigsein. „Für uns“ fasst in der christologischen Frage die ganze Vielfalt der Heilsbedeutung Jesu Christi zusammen. Hier begegnen wir einem geradezu unausschöpflichen Reichtum von Bildern und Modellen der Heilsverwirklichung, die in der Geschichte der Kirche, anders als die Lehre von der Person Jesu, niemals dogmatisch kodifiziert worden ist. Die jüdische Jesusforschung erinnert daran, dass die Für-​Struktur des Daseins Jesu zunächst einmal den Menschen gilt, die ihm während seines irdischen Lebens begegnen. Die Proexistenz Jesu muss insofern anhand der neutestamentlichen Texte konkret ausgesagt werden in Bezug auf die jüdischen Menschen, Männer, Frauen und Kinder, für die er sein Dasein in Beziehung lebt. Dieser Hinweis ist deswegen von so großer Bedeutung, weil die jüdische Jesusforschung nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht hat, dass sich hier Negativbilder des Judentums zur Zeit Jesu und Stereotypen des Verständnisses der jüdischen Religion und Kultur einschleichen. Sind die Mühseligen und Beladenen, die Entrechteten und Marginalisierten die, die im Judentum zur Zeit Jesu als religiös entrechtet und marginalisiert wahrgenommen werden, die, denen ihre Religion als Mühsal und Last erscheint? Oder nimmt Jesus in seinem Dasein einen Grundzug der jüdischen Religion auf, der in vielfältiger Form im Tanach dokumentiert ist? Die „Option für die Armen“ ist nicht gegen das Judentum zur 18 Vgl. C. Schwöbel, Christology and Trinitarian Thought, in: Trinitarian Theology Today, hrsg. v. dems., Edinburgh 1995, S. 113–146. Auch: Christologie und trinitarische Theologie, in: Gott in Beziehung. Studien zur Dogmatik, Tübingen 2003, S. 257–291.

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Zeit Jesu zu profilieren, sondern mit dem Judentum seiner Zeit als die religiöse Verpflichtung des Einsatzes für Witwen, Waisen, Arme und Fremde zu interpretieren. In Jesu Dasein für andere offenbart sich ein Grundzug der schöpferischen Gerechtigkeit des Gottes Israels, die in der Interpretation des Neuen und Alten Testamentes nicht gegen das Judentum gewendet werden darf. Das Judentum seiner Zeit ist für Jesus der Traditionsträger dieses Gottesverständnisses, das er in radikaler Zuspitzung, auf jüdische Weise, vertritt in Anlehnung an die Botschaft der Propheten und die leidenschaftliche Klage der Psalmen, in der Aufnahme der jede geschichtliche Erfüllung und Infragestellung übertreffenden Gerechtigkeit Gottes. Jesu Proexistenz ist die Praxis dieses Gottesverständnisses Israels. Für die Christologie hat in der Interpretation des „für uns“ das Motiv der Stellvertretung besondere Bedeutung gewonnen. Dieses Modell ist der Ankerpunkt der unterschiedlichsten christologisch begründeten Theorien der Heilsverwirklichung, die sich besonders auf den Tod Jesu beziehen.19 Sollte vom Tod Jesu als Opfer die Rede sein, ist sein Leiden als stellvertretendes Strafleiden zu interpretieren und sein Tod als Satisfaktionsleistung, die der vor Gott verschuldete Mensch zur Wiederherstellung der Ehre Gottes gerade nicht erbringen kann? Hier ist bei aller Berechtigung der Kritik an theologisch problematischen und anthropologisch konfliktträchtigen Vorstellungen darauf zu achten, dass mit der Kritik solcher christologisch begründeter Modelle der Zurechtbringung des Verhältnisses von Gott und Mensch nicht auch verabschiedet wird, wie sich das Neue Testament im Zusammenhang des Judentums der Zeit Jesu auf die Schrift bezieht. Die Kritik problematischer Stellvertretungsvorstellungen ist oftmals der Gefahr erlegen, einen Gott des Alten Testaments, der straft und Rache übt, mit dem Gott des Neuen Testamentes und der Verkündigung Jesu zu kontrastieren. Die Verwurzelung Jesu im Judentum seiner Zeit und die jüdische Herkunft und Lebenspraxis derer, die ihm nachfolgten, sollte davor bewahren, den Tanach als christlich interpretiertes Altes Testament zur Negativfolie der Christologie werden zu lassen. Hier ist das Gespräch mit dem Judentum von richtungweisender Bedeutung, weil das Judentum selbst nach der Zerstörung des Tempels einen Transformationsprozess initiiert hat, der die Kultpraxis im Tempel zum Interpretationsgegenstand der Auseinandersetzung mit Texttraditionen gemacht hat: Der kultische Tempelgottesdienst wird zum synagogalen Wortgottesdienst. Die konstruktive Anknüpfung an Kulttraditionen Israels im Neuen Testament kann so in einem Kontext gesehen werden, in dem das Judentum selbst die rabbinische Neuinterpretation der Grundvollzüge religiöser Praxis unternimmt. Der Um19 Vgl. J. C. Janowski/B. Janowski/H. P. Lichtenberger (Hg.), Stellvertretung. Theologische, philosophische und kulturelle Aspekte, Bd. 1: Interdisziplinäres Symposion Tübingen 2014, Neukirchen-​Vluyn 2006.

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gang mit Kultpraxis als Texttradition und damit das Verständnis der Textauslegung als primäre Form des Gottesdienstes im rabbinischen Judentum stellt auch die soteriologische Metaphorik der Christologie in einen neuen Kontext. An den Tempel gebundene kultische Vollzüge sind nicht mehr Teil einer rituellen Praxis, sondern Gegenstände einer Auslegungstradition, die sich auf das Gottesverhältnis, das im Text und durch den Text vollzogen wird, bezieht.20 Die Hauptschwierigkeit in der Interpretation des „für uns“ besteht für die Christologie darin, dass die mit Wort, Werk und Person Jesu Christi verbundene universale Heilszusage nicht zum Heilsausschluss für Jesu Volk wird: das Evangelium der einen die Verwerfung der anderen. Bewährt sich für die Christologie der Grundsatz des Apostels Paulus: „Gott hat sein Volk nicht verstoßen, das er zuvor erwählt hat“ (Röm 11,2)? Und was kann christliche Theologie an dieser Stelle von einer jüdischen Theologie des offenen Bundes lernen?21 Wer ist Jesus Christus für uns heute? Diese Frage ist unumgänglich, wenn der Gegenstand der Christologie in der Tat der Christus praesens, der gegenwärtig lebendige Herr, der gekreuzigte Auferstandene ist, der niemand anders als der Jude Jesus, der eingebettet ist in das Judentum seiner Zeit, und dessen Bedeutung für den christlichen Glauben in diesem Kontext verstanden werden will. Dass die christlichen Kirchen den Juden Jesus heute als den lebendigen Herrn anbeten und Gemeinschaft mit ihm feiern, gibt, wenn an der Identität des Christus praesens mit dem Juden Jesus festgehalten wird, dem Gespräch mit der jüdischen Jesusforschung sein eigentliches Gewicht. Dabei ist stets vor Augen zu behalten, dass die jüdische Jesusforschung ihren Sitz im Leben im gegenwärtigen Judentum hat, das sich im Versuch, Klarheit über den Juden Jesus damals zu gewinnen, zum Christentum heute in Beziehung setzt. Christologisches Nachdenken kann darauf nur angemessen antworten, wenn es im Eingehen auf die Herausforderung der jüdischen Jesusforschung auch versucht, sein Verhältnis zum gegenwärtigen Judentum in seiner ganzen Pluralität neu zu bestimmen. Dabei ist in den Überlegungen der Christologie der theologische Sinn der jüdischen Jesusforschung vor Augen zu behalten. Indem sich christliche Theologie und jüdische Jesusforschung auf Jesus beziehen, beziehen sie sich immer auch auf den Gott, auf den sich Jesus in seinem Leben und Sterben bezog. Liegt in diesem Verweis, dass es bei der Beschäftigung mit Jesus in der jüdischen Jesusforschung wie in der Christologie immer indirekt und direkt um Gott geht, die Befreiung von den Identitätsbemühungen und Zukunftsaussichten der je eigenen Religion? Kann der Bezug zu Gott die Ausgrenzungsstrategien und Vereinnahmungsbestrebungen, die das Verhältnis des Christentums zum Judentum bestimmten kritisch relativieren und theologisch in Frage stellen? Es ist der 20 Vgl. G. G.  Stroumsa, The End of Sacrifice. Religious Transformations in Late Antiquity, Chicago 2009. 21  Vgl. M. S.  Kogan, Opening the Covenant. A Jewish Theology of Christianity, Oxford 2008.

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theologische Sinn der historischen Rückfrage, die zum Kernbestand christologischer Reflexion gehört. Das ist die Chance und die Aufgabe, die in der Frage „Wer ist Jesus Christus für uns heute?“ enthalten ist. Die jüdische Jesusforschung konfrontiert die Reflexion auf die Aufgaben der Christologie heute mit der Herausforderung zur Konkretion. Kann das, was heutiges christologisches Nachdenken über Jesus Christus sagen kann, in eine kritische und konstruktive Beziehung zu dem gesetzt werden, was die jüdische Jesusforschung über Jesus im Kontext des Judentums seiner Zeit festhält? Hat der Jude Jesus in der Bestimmung des Gegenstands der Christologie einen Platz, der die Richtung des christologischen Denkens prägend mitbestimmt? Wenn dem Juden Jesus dieser Platz gewährt wird, weil er von Anfang an zum Versuch christologischen Denkens gehört, steht die Christologie vor einer großen Aufgabe, den Bezug auf den Juden Jesus in der Prüfung überkommener Denkweisen der Christologie als kritischen und konstruktiven Maßstab einzubringen. Beansprucht die Christologie heute, dass der Jude Jesus der Christus des christlichen Glaubens ist, dann muss auch dieses „ist“ im christologischen Sinn neu durchdacht werden. Umfasst das Sein Jesu Christi das Sein des Juden Jesus, oder hat sich Christologie von diesem konkreten Bezugspunkt christologischer Rede, der ihr durch die jüdische Jesusforschung vor Augen gestellt wird, häufig allzu leicht verabschiedet? Kann sich die Christologie die Aufgabe zumuten, die Rede von der Gottheit und Menschheit Jesu Christi, von Anhypostasie und Enhy­ postasie, an der konkreten Existenz des Juden Jesus, der im christlichen Glauben als Christus bekannt wird, zu überprüfen und gegebenenfalls zu modifizieren und zu präzisieren? Kann die Heilsbedeutung Jesu Christi als Zusage des Heils Gottes für die ganze Schöpfung so formuliert werden, dass die geschichtliche Partikularität des Juden Jesus in ihr als bedeutsam verstanden ist? Wie kann eine solche Aufgabe angegangen werden?

3. Von Angesicht zu Angesicht und Seite an Seite Die Begegnung christologischen Nachdenkens der christlichen Theologie mit der jüdischen Jesusforschung macht schnell deutlich, dass die Herausforderungen und Inspirationen der jüdischen Jesusforschung nicht in die Selbstbezüglichkeit christologischer Reflexion transformiert werden können. Es braucht die konkreten Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner, die durch ihre Expertise dazu beitragen, dass die stets neue Aufgabe der Formulierung einer angemessenen christlich-​theologischen Christologie sich jenseits von Ausgrenzung und Vereinnahmung des Judentums bewegt. Dabei ist klar, dass die Aufgabe einer angemessenen Christologie keine gemeinsame Aufgabe werden kann. Die Bereitschaft, die Versuche zur konstruktiven Neuorientierung und zur kritischen Aufarbeitung ihrer Geschichte im Gespräch zu begleiten, wie sie gegenwärtig

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von Vertreterinnen und Vertretern der jüdischen Jesusforschung praktiziert wird, ist ein donum superadditum, das dankbar angenommen werden sollte, wo es gewährt wird. Sich von Angesicht zu Angesicht über den Juden Jesus, seine Sicht im gegenwärtigen Judentum in der Vielfalt seiner Ausprägungen und seine Bedeutung für die Christologie zu verständigen, ist eine in Anbetracht des durch christlichen Antijudaismus in der Geschichte belasteten Verhältnisses von Christentum und Judentum erstaunliche Chance. Dass dieses Gespräch gerade in dem Kernbereich christlicher Lehre und Frömmigkeitspraxis möglich wird, in dem antijudaistische Einstellungen häufig ihre Begründung gesucht haben, eröffnet eine Hoffnung, die aus der Erinnerung an die Geschichte schwer zu begründen ist. Sie ist nur dadurch möglich, dass es auch für die jüdische Theologie ein Interesse gibt, Jesus als Teil der Geschichte des Judentums in Anspruch zu nehmen oder gegebenenfalls wiederzugewinnen.22 Der Versuch einer „cautious repatriation“23 Jesu in der jüdischen Theologie macht deutlich, dass das Christentum und die christliche Theologie keine Besitzansprüche oder gar Alleinvertretungsansprüche in Bezug auf Jesus erheben können. Er tritt ihnen nach Jahrhunderten christologischer Lehre neu fremd gegenüber, als Frage, die nach einer Antwort verlangt. Die Frage der Christologie „Wer ist Jesus Christus für uns heute?“ wird dadurch auch für die christliche Theologie – wie damals in Cäsarea Philippi – eine Frage, die von Jesus selbst gestellt wird. Erscheint angesichts der Repatriierung Jesu im Judentum auch das Christentum mit seiner christologischen Tradition des Nachdenkens über Jesus als – stets kritisch zu befragender – Gesprächspartner in der jüdischen Beschäftigung mit Jesus? Das Gespräch von Angesicht zu Angesicht über den Juden Jesus und seine Bedeutung für die Christologie macht deutlich, dass sich hier unterschiedlichste Ausprägungen des Christentums und unterschiedlichste Formen des Judentums mit ihren Theologien und ihrer historischen Gelehrsamkeit begegnen. Die Entdeckung der Vielfalt und Besonderheit der Positionen und Perspektiven des jeweils Anderen ist eine der bereichernden Erfahrungen dieses Gesprächs. Im Spiegel der Beschäftigung mit dem Juden Jesus interpretieren sich das gegenwärtige Christentum und das gegenwärtige Judentum füreinander und voreinander. Dieses Gespräch darf nicht als ein in sich abgeschlossenes Gespräch betrachtet werden. Gerade das Thema Jesus und die Christologie macht die Einbeziehung islamischer Theologen und Theologinnen zu einer Notwendigkeit.24 Ob aus diesen Gesprächen auch ein Miteinander werden kann, wird sich darin zeigen, ob aus dem Gespräch von Angesicht zu Angesicht ein Engagement Seite an Seite werden kann, im Einsatz für die Würde des Menschen und die Freiheit der Auseinandersetzung, die die Beschäftigung mit Jesus  – aus jüdischer wie 22 Vgl.

W. Homolka, Jesus Reclaimed. S. 111. 24 Vgl. Christen und Muslime im Gespräch. Eine Verständigung über Kernthemen der Theologie, hrsg. v. S. Heine/Ö. Öszoy/C. Schwöbel u. a., Gütersloh 2015. 23 A. a. O.,

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aus christlicher und muslimischer Perspektive – zu einer praktischen Aufgabe macht. Die Ausrichtung auf das Reich Gottes, das Jesus verkündete und praktizierte, macht das tikkun olam, die Arbeit an der Reparatur der Welt, zu einem unabweisbaren Auftrag.

Die Einzigkeit Jesu Christi als Implikat der Einzigkeit Israels Plädoyer für eine mutual inklusive Lesart der Christologie in der Israeltheologie Klaus von Stosch Im folgenden Beitrag will ich zunächst in einem ersten Schritt würdigen, in welcher Weise die römisch-katholische Kirche in den letzten Jahren ihre wertschätzende Haltung dem Judentum gegenüber zu artikulieren versucht (1.). Im zweiten Schritt will ich dann überlegen, ob die dabei verwendete inklusive Denkstruktur zu einer latenten Herabwürdigung des Judentums führt. Dabei werde ich die entsprechende im katholischen Christentum weitgehend unumstrittene Denkstruktur gegen die Kritik von Christian Danz verteidigen (2.). Der eigentliche Streit innerhalb der katholischen Theologie scheint mir nicht auf der Ebene der Christologie zu liegen, sondern bei der Frage nach deren Implikationen für die Soteriologie. Hier hat sich insbesondere Magnus Striet zu Wort gemeldet und das entscheidende Problem für den jüdisch-christlichen Dialog in der Soteriologie verortet. Diese Position gilt es in einem dritten Schritt nachzuvollziehen und auf ihre Triftigkeit zu untersuchen (3.). So wie ich gegen Christian Danz die singuläre Höchstgeltung Jesu Christi als geschichtliche Vorgegebenheit verteidige, werde ich gegen Magnus Striet auf den soteriologischen Implikationen des Christusereignisses beharren. Zugleich will ich wenigstens andeuten, unter welchen Umständen eine solche Position ohne jede Abwertung des Judentums auskommen kann (4.).

1. Römische Neuaufbrüche in Vertiefung von Nostra Aetate 4 Im Jahr 2015 legte eine römische Kommission für die religiösen Beziehungen mit den Juden anlässlich des 50-jährigen Jubiläums von Nostra Aetate eine lehramtlich nicht verbindliche Bilanzierung der Rezeptionsgeschichte von Nostra Aetate vor, die einige bemerkenswerte, für das jüdisch-christliche Verhältnis durchaus hilfreiche Feststellungen enthält. Vier Aspekte dieser Ausführungen scheinen mir besonders wichtig und wegweisend für die jüdisch-katholischen

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Beziehungen zu sein, so dass ich sie hier eigens vorstellen will. Ich will dabei auch die jüngsten Einlassungen des emeritierten Papstes mit in die Darstellung einbeziehen, um deutlich zu machen, dass sich hier in Rom ein neuer Konsens gefunden hat.1 Zunächst einmal ist es auffällig, wie deutlich sich das Dokument von 2015 um eine Würdigung des Judentums von heute bemüht. Entsprechend hebt das Dokument aus der ersten lehramtlichen Rezeption von Nostra Aetate im Jahr 1974 gerade diesen Punkt hervor, wenn es heißt: „Das entscheidende und neue Anliegen dieses Dokuments besteht darin, so mit dem Judentum vertraut zu werden, wie es sich selbst versteht, die christliche Hochschätzung desselben zum Ausdruck zu bringen und die große Bedeutung des Dialogs mit den Juden für die Katholische Kirche hervorzuheben.“2 Damit wird nicht nur – wie sonst so oft – die Bedeutung des alten Israels für die Kirche betont und die Entstehung der Kirche aus Israel. Vielmehr geht es um Wertschätzung des Judentums heute. Dazu gehört erst einmal eine Bereitschaft zum Dialog und zum genauen Hinhören. Und dann eben die Bereitschaft vom Judentum heute zu lernen. Zu diesem Anliegen passt die ausdrückliche Würdigung der konkret entstandenen Dialogbemühungen zwischen dem Judentum und der Kirche seit 1970. Hilfreich scheint mir in diesem Zusammenhang insbesondere die Betonung der Bedeutung von Freundschaft über Religionsgrenzen hinweg zu sein. So heißt es wörtlich: „Die in der Zwischenzeit geknüpften Bande der Freundschaft haben sich als gefestigt erwiesen, so dass es möglich geworden ist, auch kontroverse Themen miteinander anzugehen, ohne Gefahr zu laufen, dass der Dialog bleibenden Schaden erleidet.“3 Damit wird deutlich, wie wichtig Freundschaft ist, um auch Differenzen auszuhalten und zu diskutieren. Erst Freundschaft macht es möglich, auch sachliche Kontroversen offen auszutragen, ohne dass dabei eine Abwertung des anderen impliziert ist. Freundschaft erscheint deshalb auch mir als die Grundlage dafür, um die Würdigung von Andersheit im interreligiösen Miteinander glaubwürdig zu artikulieren.4

1 Zur ausführlichen Bewertung der Position von Benedikt XVI./ Joseph Ratzinger in diesem Kontext vgl. K. von Stosch, Wechselseitig aufgehoben? Zum jüdisch-katholischen Verhältnis nach den jüngsten Debatten um Joseph Ratzinger / Benedikt XVI, in: Internationale Katholische Zeitschrift 47 (2019), S. 187–200. 2 Kommission für die religiösen Beziehungen mit den Juden, „Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt.“ (Röm 11,29) Reflexionen zu theologischen Fragestellungen in den katholisch-jüdischen Beziehungen aus Anlass des 50jährigen Jubiläums von „Nostra  Aetate“ Nr. 4, in: http://www.vatican.va/roman_curia/pontifical_council/chrstuni/ relations-jewsdocs/rc_pc_chrstuni_doc_20151210_ebraismo-nostra-aetate_ge.html (31.12.18), zitiert wird die jeweilige Nummer, hier 4. 3 A. a. O., Nummer 10. 4 Vgl. J. L.  Fredericks, Faith among faiths. Christian theology and non-Christian religions, New York/Mahwah 1999, S. 174.

Die Einzigkeit Jesu Christi als Implikat der Einzigkeit Israels

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Joseph Ratzinger/ Benedikt XVI. wurde in den letzten Monaten wiederholt vorgeworfen, dass er in seinem Text kein Interesse an dem Judentum heute erkennen lässt und auch keinen Raum für die bleibende Bedeutung Israels bereitet.5 Vielleicht kann man an dieser Stelle auch beklagen, dass der emeritierte Papst nicht so deutlich von der Freundschaft mit Juden geprägt ist wie der gegenwärtige Papst. Allerdings will Joseph Ratzinger/ Benedikt XVI. mit seinen Ausführungen auch keine umfassende Würdigung Israels leisten, sondern nur ausgewählte Aspekte für das innerchristliche Gespräch diskutieren. Hieraus Ableitungen im Blick auf die vielen Dinge zu machen, die er dabei nicht erwähnt, scheint mir ausgesprochen unfair zu sein. Da er außerdem ausdrücklich betont, dass er das römische Dokument vom Dezember 2015 als „eine geglückte Synthese“ dessen ansieht, „was die theologische Besinnung seit dem Zweiten Vatikanum erbracht hat“6, scheint es mir nahe zu liegen, dass auch dem emeritierten Papst die Würdigung Israels ein bleibendes Anliegen ist. Offenkundig sieht er allerdings völlig zu Recht in der Artikulation dieser Würdigung nicht seine eigene theologische Expertise, sodass er sie nicht eigens zu seinem Thema macht. Das kann man schade finden, muss es aber nicht tun, wenn man ernst nimmt, dass der emeritierte Papst keinerlei lehramtliche Funktion mehr hat, sondern er sich nur als Theologe in den Diskurs einbringt – mit einer realistischen Selbsteinschätzung der eigenen Stärken und Schwächen. Ein zweiter Aspekt der Ausführungen der römischen Kommission für die religiösen Beziehungen mit den Juden scheint mir wegweisend zu sein. Sie macht deutlich, dass es aus christlicher Sicht möglich und angezeigt ist, die Tora als 5 Vgl. C. Rutishauser, Benedikt XVI. ruft den Juden zu: An Christus führt kein Weg vorbei, in: https://www.nzz.ch/feuilleton/benedikt-xvi-ruft-den-juden-zu-an-christus-fuehrtkein-weg-vorbei-ld.1401426 (30.10.18), der beklagt, dass Ratzinger/ Benedikt nirgends versucht, „das Judentum als Glaubensgemeinschaft nach Christus zu verstehen, zu wertschätzen oder aus der jüdischen Tradition zu lernen.“ Noch dramatischer erscheint mir die entsprechende Kritik seitens der orthodoxen Rabbinerkonferenz: „Deshalb geht es uns weniger um die einzelnen Punkte, die Benedikt XVI. behandelt (Tempelkult, Recht, Messias) – obwohl dazu aus jüdischer Sicht manches anzumerken wäre –, als vielmehr um die sehr grundsätzliche Frage, ob die katholische Kirche das gegenwärtige Judentum wertschätzen kann und worin sich diese Wertschätzung theologisch ausdrückt. … Wir fragen uns auch, wie die Überlegungen des emeritierten Papstes in Einklang mit den Aussagen von Papst Franziskus stehen, wie sie z. B. im Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ (2013) formuliert sind: „Gott wirkt weiterhin im Volk des Alten Bundes und lässt einen Weisheitsschatz entstehen, der aus der Begegnung mit dem göttlichen Wort entspringt. Darum ist es auch für die Kirche eine Bereicherung, wenn sie die Werte des Judentums aufnimmt.“ (Nr. 249)“ (Offener Brief der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland an den Vatikan, Kardinal Kurt Koch, zu der jüngsten Veröffentlichung „Gnade und Berufung ohne Reue. Anmerkungen zum Traktat ‚De Iudaeis‘“, in: https://honestlyconcerned.info/2018/08/05/offener-brief-der-orthodoxen-rabbinerkonferenzdeutschland-an-den-vatikan-kardinal-kurt-koch-zu-der-juengsten-veroeffentlichung-gnadeund-berufung-ohne-reue-anmerkungen-zum-traktat/ [30.10.18]). 6 Benedikt XVI./J. Ratzinger, Nicht Mission, sondern Dialog, in: Herder Korrespondenz 72 (2018) S. 13 f., hier: S. 13.

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Wort Gottes zu verstehen. So heißt es: „Tora und Christus sind Wort Gottes, seine Offenbarung für uns Menschen als Zeugnis seiner grenzenlosen Liebe. […] Tora und Christus sind der Ort der Gegenwart Gottes in der Welt, zumal diese Gegenwart in den jeweiligen Gottesdienstgemeinschaften erfahren wird.“7 Einerseits könnte man diese Aussage für selbstverständlich halten, insofern Katholiken in jedem Gottesdienst nach der Lesung bestätigen, dass das Alte Testament das Wort Gottes ist. Aber dadurch, dass hier die Rede von der Tora ist und der Gegenwart des Wortes Gottes in der jüdischen Gottesdienstgemeinschaft, wird implizit gesagt, dass die Tora auch in ihrem jüdischen Verständnis als Wort Gottes anzuerkennen ist. Damit erfährt die jüdische Auslegung der einen Bibel eine eigene Würdigung und wird in ihrer theologischen Dignität anerkannt. Das Dokument zieht aus dieser Würdigung mit Papst Franziskus ausdrücklich die Konsequenz, dass es unsere Aufgabe als Juden und Christen heute ist, „uns gegenseitig zu helfen, die Reichtümer des Wortes Gottes zu ergründen.“8 Joseph Ratzinger/ Benedikt XVI. lässt dieses wichtige Zeugnis ohne jede Abstriche stehen und bestätigt es durch sein oben zitiertes Lob der römischen Ausführungen sogar. Allerdings begrenzt er die Deutungsoffenheit der römischen Ausführungen, indem er die Rückbindung der ganzen Bibel an Jesus Christus in Erinnerung ruft. Wort Gottes ist das Alte Testament für ihn also, weil es sakramental auf den kommenden Christus hin deutet.9 Diese Dynamisierung auf Christus hin bedeutet aber nicht, dass Ratzinger/ Benedikt behaupten würde, dass die Tora als Wort Gottes erst mit christlicher Hilfe verständlich wird. Offenbar impliziert seine Bestätigung des ewig mit Israel bestehenden Bundes auch die Bestätigung der Tatsache, dass Gottes Wort für Juden erfahrbare und verständliche Wirklichkeit wird  – auch ohne trinitarische oder christologische Übersetzungsleistung.10 Damit erkennt er aber die entscheidende Aussage der römischen Kommission an, dass Christen von Juden etwas bei der Auslegung des einen Wortes Gottes lernen können. Damit bin ich schon bei meinem dritten Punkt. Joseph Ratzinger/ Benedikt XVI. affirmiert ohne jede Einschränkung die Aussage vom nie gekündigten Bund Gottes mit Israel, die Johannes Paul II. in Mainz am 17. 11. 1980 entwickelt hat. Ihm ist lediglich wichtig, dass die Rede von der Unkündbarkeit des Bundes  7 Kommission für die religiösen Beziehungen mit den Juden, „Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt.“, S. 26.  8 Evangelii Gaudium, in: Die Beziehungen zum Judentum (30.10.18), Nummer 249. http:// w​2.​vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesc​o​_​es​o​r​t​a​z​i​ o​n​e​-​a​p​_20131124_evangelii-gaudium.html  9 J. Ratzinger/Benedikt XVI., Gnade und Berufung ohne Reue, in: Internationale katholische Zeitschrift 47 (2018), S. 387–406, hier: S. 391. 10 Entsprechend abwegig scheinen mir die Einlassungen von Peter Knauer zur Theologie der Religionen zu sein. Vgl. P. Knauer, Ein anderer Absolutheitsanspruch ohne exklusive oder inklusive Intoleranz, in: Hermeneutics of Encounter. FS G. Oberhammer, hrsg. v. F. X. D’Sa/R. Mesquita, Wien 1994, S. 153–173.

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nur aus Gottes Perspektive gilt. So sehr Gottes Wahl unzerstörbar ist und bleibt, so sehr ist die menschliche Antwort – Israels wie auch der Kirche11– „zugleich durch das ganze Drama menschlichen Versagens mitbestimmt“12. Aus biblischer Sicht übergeht Gott aber nicht einfach die menschliche Antwort. Gott will seine Treue und Liebe mit uns zusammen verwirklichen und kann sie nicht ohne uns heilsame Wirklichkeit werden lassen. „Die Liebe Gottes kann nicht einfach das Nein des Menschen ignorieren. Es verletzt ihn selbst und so notwendig auch den Menschen.“13 Es ist offensichtlich, dass Joseph Ratzinger/ Benedikt XVI. hier nicht nur Israel, sondern jeden gläubigen Menschen vor Augen hat. Wenn ein Mensch sich Gottes Zuwendung verweigert und sie auf diese Weise anderen Menschen wegnimmt, kann Gott die so verweigerte Zuwendung nicht einfach herbeizaubern. Denn er will nicht anders als mit dem freien Ja der Menschen zusammen für sein Reich eintreten. Entsprechend tut Gott Israels Untreue weh – wie ihm auch die Untreue der Kirche immer wieder weh tut. Und doch wird Gott immer neu mit seiner Liebe den Bund erneuern – wie man etwa an der wunderbaren Stelle in Hos 11,7–9 sehen kann. Letztlich ist es also das Vertrauen in Gottes Kraft und Treue, das uns dazu bringt, anzunehmen, dass der Bund Gottes mit Israel nie zu Ende geht. Der hier im Hintergrund stehende Glaubenssatz hat seine Entsprechung in der Lehre von der Indefektibilität der Kirche. So wie katholischerseits für das Zutrauen geworben wird, dass Gott immer wieder Menschen in seine Kirche beruft (und auch phantasievoll genug ist, diese Berufung glücken zu lassen) und sie dadurch vor ihrem Untergang bewahrt, genauso dürfen wir hoffen, dass Gott immer wieder Juden dafür gewinnen wird, dem von Gott her unkündbaren Bund die Treue zu halten, sodass Israel bleibender Bezugspunkt der Kirche ist und die Kirche immer neu herausfordert, weil Gott es so will. Mit diesem letzten Punkt gehe ich schon über das hinaus, was Joseph Ratzinger/ Benedikt XVI. ausdrücklich festhält. Aber auch bei ihm findet sich zumindest die Rede von Israel als unabhängiger Bezeugungsinstanz der heiligen Schrift14, sodass man auch hier einen heilsgeschichtlichen Sinn in der bleibenden Existenz Israels erahnen kann. Vor allem aber beharrt der emeritierte Papst auf der paulinischen Einsicht, dass ganz Israel gerettet wird. Denn „‚Reuelos (unwiderruflich) sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt.‘ (Röm 11,29 […] 11 Die Kirche wird von Ratzinger/ Benedikt an dieser Stelle nicht eigens erwähnt. Dennoch erscheint es mir unfair zu sein, wenn man behauptet, dass er die Bundestheologie so fasse, „dass der Bundesbruch der Juden gegenüber Gott Strafen zur Folge hat, jener der Christen aber nicht.“ (gegen Christian Rutishauser, Benedikt XVI. ruft den Juden zu: An Christus führt kein Weg vorbei, in: https://www.nzz.ch/feuilleton/benedikt-xvi-ruft-den-juden-zu-an-christusfuehrt-kein-weg-vorbei-ld.1401426 (30.10.18). 12 Ratzinger/ Benedikt XVI., Gnade und Berufung ohne Reue, S. 404. 13 A. a. O., S. 405. 14 Vgl. a. a. O., S. 393.

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‚Wenn wir untreu sind, bleibt er doch treu, denn er kann sich nicht selbst verleugnen‘ (2 Tim 2,12 f.)“.15 Damit ist eigentlich auch schon der vierte Punkt impliziert, auf den ich hinweisen möchte und der mir für das jüdisch-katholische Verhältnis besonders wichtig zu sein scheint. Da Israel insgesamt gerettet wird, auch wenn es sich nicht zu Jesus Christus bekennt, entfällt für Christen die Grundlage für eine systematische Missionierung von Juden. Die römische Kommission für die religiösen Beziehungen mit den Juden erklärt deshalb ausdrücklich den Verzicht auf jede institutionelle Form von Judenmission, ohne freilich zu leugnen, dass „Christen dennoch aufgerufen [sind], auch Juden gegenüber Zeugnis von ihrem Glauben an Jesus Christus abzulegen.“ Im selben Atemzug erinnert die Kommission allerdings daran, dass die Juden bereits „Träger des Wortes Gottes sind“16, sodass die hier nicht in der gleichen Weise von Mission gesprochen werden kann wie sonst. Es ist ermutigend und bemerkenswert, dass Joseph Ratzinger/ Benedikt XVI. hier sogar noch deutlicher wird als das römische Dokument. Denn von interessierten Kreisen wird dem emeritierten Papst ja unterstellt, dass er seinerzeit mit der Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte letztlich wieder der Judenmission den Weg bereiten wollte. Gegen derartige Unterstellungen macht Ratzinger/ Benedikt mit erfrischender Deutlichkeit klar, dass sich der Missionsbefehl aus Mt 28,19 nicht auf die Juden bezieht. Denn dieser Befehl habe das Ziel „den Menschen den ‚unbekannten Gott‘ (Apg 17,23) bekanntzumachen. […] Eine Mission der Juden war einfach deshalb nicht vorgesehen und nicht nötig, weil sie allein unter allen Völkern den ‚unbekannten Gott‘ kannten.“17 Natürlich gilt das auch für das Judentum heute und so kann es nicht Ziel der Kirche sein, Juden zum Übertritt in die katholische Kirche zu bewegen. Wir müssen also unterscheiden zwischen dem Zeugnis für die Mensch gewordene Liebe, die in Jesus Christus Gestalt findet und durch die Kirche als Leib Christi bezeugt werden soll auf der einen Seite, und konkreten, institutionell verankerten Missionsbemühungen auf der anderen Seite. Den Juden gegenüber ist aus katholischer Sicht nur ersteres legitim, eben weil Juden schon von dem einen Gott Zeugnis geben, der sich in der Geschichte Israels und der Kirche immer neu in seiner Vergebungsbereitschaft und Liebe zeigt.

2. Katholische Inklusionen als Problem? Wir haben bisher gesehen, dass katholischerseits aus dem eigenen Glauben heraus begründet wird, warum Juden bleibende Wertschätzung verdienen, die 15 A. a. O.,

S. 406. für die religiösen Beziehungen mit den Juden, „Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“, S. 40. 17 Benedikt XVI./Ratzinger, Nicht Mission, sondern Dialog, S. 14. 16 Kommission

Die Einzigkeit Jesu Christi als Implikat der Einzigkeit Israels

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jüdische Tora als Wort Gottes anerkannt wird, Juden bleibend von Gott erwählt sind und deshalb auch nicht missioniert werden sollen. All diese Zusagen gründen geltungslogisch im christlichen Glauben selbst und werden aus ihm entfaltet. Ich will versuchen, diesen Zusammenhang noch einmal in eigenen Worten zu beschreiben, um verständlich zu machen, warum man ihn problematisieren kann. In der gängigen katholischen Theologie der Gegenwart besteht der Kern des christlichen Glaubens darin, dass Gott in Jesus Christus allen Menschen seine unbedingte Liebe zeigt und sie so mit sich versöhnen will. Gott kommt dem um sich selbst kreisenden Menschen entgegen und lädt ihn in die heilsame Wirklichkeit seiner Nähe ein. Zugleich ist es aber auch katholischer Glaube, dass Gott die Menschen nicht erst seit seiner Menschwerdung in Jesus von Nazareth liebt. Gottes unbedingte Liebe wird nicht etwa nur in Jesus Christus erfahrbar und kann also auch ohne Bezug auf ihn erlebt und gewusst werden. An dieser Stelle werden christlicherseits die Juden als Gottes erste Liebe verstanden. Gott hat sich bleibend an sein Volk gebunden und ihm die Unbedingtheit seiner Zuwendung geschenkt. Hierfür braucht es keine christologische Vermittlung, sondern es genügt, dass Gott sich Israel in seinem Wort sagt. Dieses Wort ist dann zwar aus christlicher Sicht in Jesus Christus Fleisch geworden, sodass es dasselbe Wort ist, in dem Gott sich in Jesus Christus inkarniert und in dem Gott Israel erwählt und liebt. Aber die erste Liebe Gottes braucht keinen Bezug auf Jesus Christus. Israel kennt schon den einen Gott und seine Liebe zum Menschen. An dieser Stelle scheinen mir gegenwärtige Ansätze zumindest in der katholischen Theologie zu konvergieren. Damit ist für jüdische Ohren allerdings bereits eine erste Zumutung verbunden. Sie besteht darin, dass nur der Mensch Jesus aus Nazareth die Mensch gewordene vollgültige Gestalt der Zuwendung Gottes ist. Zwar können Katholiken gut hören, dass dieselbe Zusage auch schon in der Tora gegeben ist. Es spricht auch nichts dagegen andere jüdische Menschen als lebendige Tora zu sehen und Israel insgesamt als das Gottesvolk anzuerkennen, das sich von dieser Tora prägen lässt. Aber zum katholischen Glauben scheint es mir unausweichlich zu gehören, dass Jesus Christus die singuläre Höchstform der menschlichen Zuwendung Gottes ist. Andere Gegebenheitsweisen dieser Zuwendung bleiben zwar denkbar, aber in einem Menschen ist die volle Gestalt dieser Zuwendung nur in Jesus da. Das scheint mir die Tradition aussagen zu wollen, wenn sie von ihm als dem einzigen Sohn Gottes spricht. Wenn ich es richtig sehe, ist diese erste Zumutung zumindest für das jüdisch-katholische Gespräch unvermeidbar. Ich hätte sogar eigentlich gedacht, dass diese Zumutung insgesamt für das jüdisch-christliche Gespräch unausweichlich ist. Doch durch die Christologie von Christian Danz habe ich gelernt, dass es im liberalen Protestantismus die Möglichkeit gibt, die Christologie so zu interpretieren, dass das genannte Problem verschwindet.

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Entsprechend fordert Danz in seinem Beitrag im vorliegenden Buch, dass die christliche Theologie ganz darauf verzichten muss, die Aussagen über Israel im eigenen Glauben zu fundieren.18 Danz schreibt hier wörtlich: „Weiterführend gegenüber der bisherigen Debatte ist es, die realistisch-gegenständliche Fassung der Christologie in eine reflexive zu überführen und auf eine christologische Begründung des Judentums zu verzichten. […] Es geht in der christologischen Beschreibung der christlichen Religion nicht um Aussagen über die geschichtliche Person Jesu von Nazareth und ihre Besonderheit, sondern um eine reflexive Erfassung der Struktur des christlichen Glaubens.“19

Danz ist offenbar der Ansicht, dass es in der Christologie nicht um eine objektive Vorgegebenheit in der Geschichte geht, also nicht um eine mir vorgegebene Tatsache des Handelns Gottes in der Welt, sondern um die Explikation eines innerlichen Vorgangs des Menschen. Entsprechend schreibt er dann auch in seinem Lehrbuch zur Christologie, dass die dogmatische Christologie nichts anderes zu tun hat, als „Vollzüge der Selbstdarstellung des Sich-Verstehens des Menschen in seinem Selbstverhältnis“ zu beschreiben.20 Und an anderer Stelle heißt es sogar noch deutlicher: „Das Christusbild beschreibt keine äußere historische Wirklichkeit mehr, sondern ist selbst der Ausdruck der reflexiven Struktur des Glaubensaktes.“21 Ich muss zugeben, dass mich solche Aussagen einigermaßen ratlos zurücklassen. Offenkundig spielt für Danz Jesus Christus als objektives Gegenüber und als mich im Glauben begründende Vorgegebenheit keine Rolle mehr. An dieser Stelle gebe ich ihm gerne zu, dass wir zur Vorgegebenheit Jesu nur im Glauben eine Beziehung aufnehmen können. Entsprechend kann Christologie und jede Glaubenslehre nur so entwickelt werden, dass auch ihre existenzielle Bedeutsamkeit entfaltet wird. Die reflexive Struktur des Glaubensaktes gehört also immer in die theologische Reflexion hinein. Ich gebe ebenfalls zu, dass wir keinen objektiven Zugang zur Wirklichkeit haben und dieser immer durch meine Kategorien und Anschauungsformen vermittelt ist. Insofern kann ich auch nicht ohne meinen Glauben auf Jesus Christus wie einen objektiven Gegenstand zugreifen. Aber all diese richtigen und bedenkenswerten Einsichten ändern doch nichts daran, dass in Jesus Christus eine Wirklichkeit von außen auf mich zukommt, die ich nicht zuerst aus mir selbst hervorgebracht habe. Entsprechend muss meine Christologie sich dann auch an den historisch kritisch eruierbaren Fakten über diesen Jesus von Nazareth bewähren. Historische Fakten können sicher nicht den Glauben hervorbringen und ihn auch nicht legitimieren. Aber sie können ihn falsifizieren. Wenn Jesus etwa nicht gelebt hätte oder nicht am Kreuz gestorben 18 Vgl. in diesem Band C. Danz, Christologie als Bestätigung der jüdischen Religion? Überlegungen zur Lehre von Jesus Christus im Zeitalter des religiösen Pluralismus, S. 135. 19 A. a. O., S. 134 f. 20 Vgl. C. Danz, Grundprobleme der Christologie, Tübingen 2013, S. 240. 21 A. a. O., S. 193.

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wäre, würde der christliche Glaube in meinen Augen hinfällig. Wenn also historisch gewichtige Argumente gegen die Existenz Jesu und seinen Tod am Kreuz sprächen, hätten wir in der Christologie ein Problem. Dagegen geht Danz von der Diagnose aus, dass unsere Zugänge zum historischen Jesus unhintergehbar heterogen sind und eben deshalb für die dogmatische Christologie keine Rolle spielen. Ich gebe zu, dass mir dieses Denken den geschichtlichen Kern der christlichen Hoffnungsbotschaft zu verfehlen scheint. In diesem Kontext habe ich seine Christologie aber nicht zu bewerten, sondern konzentriere mich nur auf ihre Folgen für das jüdisch-christliche Gespräch. Hier liegt ein Vorzug auf der Hand. Danz vermeidet jede Form der Vereinnahmung des Judentums. Er geht auf das Judentum zu wie auf jede andere Religion. Aus meiner eigenen Arbeit in der Komparativen Theologie weiß ich, wie fruchtbar ein solcher Zugang sein kann, und ich selbst plädiere immer wieder für ihn. An dieser Stelle sehe ich auch einen wichtigen Berührungspunkt unserer Anliegen – gerade auch wegen seines differenzhermeneutischen Interesses, das mir vom Grundansatz sehr hilfreich erscheint. Auch ich versuche in meinem eigenen Denken immer wieder Wege zur Anerkennung der Differenz anderer Religionen zu bahnen und misstraue einem inklusivistischen Vorgehen wegen der hier drohenden superioristischen Konsequenzen.22 Von daher hat Danz’ Vorgehen auch für mich selbst einen wichtigen Punkt, den es als Kritik ernst zu nehmen gilt. Andererseits bezahlt Danz für seine Eliminierung jeder Form von inklusiv verfasster Israeltheologie einen hohen Preis. Es gibt aus dem christlichen Glauben heraus dann keine Sicherheit mehr, warum man das Judentum wertschätzen sollte. Man könnte dann in der christlichen Theologie auch zum Ergebnis kommen, dass es sich beim Judentum um eine abwegige Religion handelt, die zwar aus ihrer Genese heraus eng mit dem Christentum verbunden ist, auf der Geltungsebene aber nichts von bleibender Gültigkeit sagt. Man könnte Zeichen wie die Beschneidung als zu verfolgende und staatlich zu verbietende Körperverletzung ansehen und den Zionismus für eine gefährliche politische Ideologie ohne jede berechtigte Grundlage im Glauben. Ich will nicht behaupten, dass Danz eine solche Delegitimierung Israels betreibt. Ich mache nur darauf aufmerksam, dass er sie theologisch nicht ausschließen kann. Hinzu kommt, dass die Art seiner Glaubensverantwortung nur begrenzt kompatibel mit einer orthodoxen jüdischen Theologie ist, sodass eine Delegitimierung eines literalistischen Zugangs zur Tora vielleicht auch nicht gänzlich jenseits der Intentionen seiner Theologie liegt. Aber hier betrete ich das Feld von Mutmaßungen, sodass ich mich auf das Kernproblem konzentriere.

22 Vgl. zu meiner Kritik am religionstheologischen und hermeneutischen Inklusivismus K. von Stosch, Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der Religionen (Beiträge zur Komparativen Theologie 6), Paderborn u. a. 2012, S. 87–131.

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Durch die faktische Preisgabe der Israeltheologie hat Danz kein theologisches Mittel mehr in der Hand, um die bleibende Wertschätzung Israels christlich zu begründen. Nun könnte man sicher einwenden, dass das im Blick auf andere Religionen ja nicht anders ist und man keine Sicherheiten verlangen darf, wo es keine gibt. Doch eine solche Entschuldigung greift erkennbar zu kurz. Das Christentum hat im Umgang mit dem Judentum einfach zu viel Schuld auf sich geladen, als dass wir uns in der christlichen Theologie noch überraschen lassen dürften, zu welchen Konsequenzen unsere Theologie denn nun im Blick auf Israel führt. Nach der Schoa können und dürfen wir christliche Theologie nicht mehr anders betreiben als in ausdrücklicher Anerkennung des bleibenden Wertes Israels. Und dieser bleibende Wert ist dann eben auch mit den spezifischen Mitteln der Theologie zu verteidigen. Wenn das zu einer inklusiven Denkstruktur führt, scheint mir diese dann eben unausweichlich zu sein. Die berechtigten Einwände von Christian Danz gegen einen solchen Inklusivismus sind damit natürlich noch nicht ausgeräumt. Sie scheinen mir eine Erweiterung des Inklusivismus zum mutualen Inklusivismus in der Israeltheologie zu erfordern.23 Wie ein solcher aussehen und sich bewähren könnte, will ich im vierten Abschnitt dieses Beitrags vorführen. Zuvor will ich aber noch auf einen innerkatholischen Disput zu sprechen kommen, der mir erst auf der diesem Buch zugrunde liegenden Tagung in seiner Tragweite einigermaßen bewusst geworden ist.

3. Jesus Christus als Erlöser auch der Juden? In dem soeben geschilderten Disput mit Christian Danz vertritt Magnus Striet genau wie der emeritierte Papst und ich selbst die typisch katholische Position, „dass Gott selbst sein Wesen als unbedingte Liebe in seiner Menschwerdung endgültig hat offenbar werden lassen.“24 Auch Striet sieht hier also eine konkrete Vorgegebenheit durch ein exklusives Handeln Gottes, auch wenn diese Vorgegebenheit für ihn im Modus der Hoffnung vermittelt ist. In Sachen Christologie bleibt also auch Striet ausdrücklich bei einer „über die theologische Denkfigur einer Selbstoffenbarung Gottes behauptete[n] exklusive[n] Sohnschaft Jesu“25. Die eigentliche Innovation Striets besteht also – anders als bei Danz – nicht auf der Ebene der Christologie, sondern auf der Ebene der Soteriologie. Völlig zu Recht beharrt Striet darauf, dass die soteriologische Bedeutungsentfaltung der 23 Zum u. a. von Michael Bongardt, Michael von Brück, Hans Waldenfels und Reinhold Bernhardt vertretenen mutualen Inklusivismus vgl. meine Zusammenfassung a. a. O., S. 107– 117. Ich möchte das Modell allerdings nicht allgemein auf die Theologie der Religionen beziehen, sondern exklusiv auf das Verhältnis von Kirche und Israel. 24 M. Striet, Christliche Theologie im Angesicht des Judeseins Jesu, in: Christologie auf dem Prüfstand. Jesus der Jude – Christus der Erlöser, hrsg. v. M. Striet/W. Homolka, Freiburg/Basel/Wien 2019, S. 71–140, hier: S. 126. 25 A. a. O., S. 80.

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Christologie nicht mehr in den Antijudaismus führen darf und benennt somit wichtige Anschlussfragen der christologischen Diskussion. Etwas überraschend ist für mich dann die Klarheit mit der er den theologischen Antijudaismus als „die historische Kehrseite einer bestimmten, satisfaktionstheoretisch konzipierten Soteriologie“26 beschreibt. Immer wieder äußert er den Verdacht, dass es die auf das Kreuzesopfer fokussierte Soteriologie war, „die den theologischen Antijudaismus ausgelöst hat“27. Dieser Verdacht ist in kontroverstheologischer Sicht natürlich ausgesprochen folgenreich, insofern es ja gerade die lutherische Tradition ist, die die theologia crucis in den Mittelpunkt der Soteriologie rückt. In ausdrücklicher Abgrenzung von Luther führt Striet denn auch aus, dass es überhaupt nicht überraschen kann, dass „Luther, je schärfer er seine Botschaft von der allein rechtfertigen könnenden Gnade Gottes, die in keiner Abhängigkeit zum Menschen stehen durfte, fasste, zu einem immer radikaleren Antijudaisten wurde.“28 Ich will an dieser Stelle nicht bewerten, ob man Luther zu Recht als radikalen Antijudaisten bezeichnen kann. Sicher ist seine letzte Lebensphase von einem unverhohlenen Hass auf Juden geprägt29 und sicher nimmt er in seiner antijüdischen Polemik Elemente eines frühneuzeitspezifischen Antisemitismus auf.30 Ja, er spricht sich sogar unmissverständlich für eine Vertreibung der Juden aus protestantischen Herrschaftsgebieten aus.31 Mir geht es hier nicht um eine Apologetik Luthers, sondern nur um die Frage, ob Striet Recht hat, der Denktradition von Augustinus, Anselm und Luther eine ethische, freiheitsbejahende Tradition entgegenzusetzen, die viel besser geeignet ist, ein positives Verhältnis zum Judentum zu entwickeln.32 An dieser Stelle merkt man schnell, dass Striet einer historisch gesehen fragwürdigen Fährte folgt. Denn schon Luthers großer Gegenspieler aus den Reihen der Humanisten Erasmus von Rotterdam, stand Luther in Sachen Antijudaismus in nichts nach. Während Erasmus aber so wirkt, als hätte er das Alte Testament am liebsten wieder aus dem Kanon gestrichen, hielt Luther vehement am Alten Testament fest. Natürlich liest er das Alte Testament dann konsequent auf Christus hin.33 Und natürlich meint er auch, exegetisch den Juden beweisen zu können, dass er Recht hat mit seiner Schriftauslegung. Aber bei all diesen berechtigten Vorwürfen gegen Luther scheint es mir doch sehr fragwürdig zu sein, ob man Luthers Gnadentheologie als Ursache seines Antijudaismus ausmachen darf. Gerade der maßlos gegen die Juden hetzende alte Luther verzweifelt doch 26 A. a. O.,

S. 74. S. 99. 28 A. a. O., S. 90. 29 Vgl. T. Kaufmann, Luthers „Judenschriften“. Ein Beitrag zu ihrer historischen Kontextualisierung, Tübingen 2011, S. 129. 30 Vgl. a. a. O., S.  132. 31 Vgl. a. a. O., S. 125. 32 Vgl. Striet, Christliche Theologie im Angesicht des Judeseins Jesu, S. 98 f. 33 Vgl. Kaufmann, Luthers „Judenschriften“, S. 115. 27 A. a. O.,

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über den Tod seiner geliebten Tochter Magdalena, genannt Lenchen, an seiner eigenen Gnadentheologie, weil es Christus durch seinen Tod gerade nicht gelingt, seinen Schmerz wegzunehmen, obwohl er es doch eigentlich sollte.34 Auch gesundheitlich stark angeschlagen35 fehlt Luther am Ende also persönlich genau die Erfahrung des barmherzigen Gottes, den er als junger Mann gefunden zu haben meinte und die er in seiner Rechtfertigungstheologie bezeugte. Durch Krankheit und den Schmerz über den Tod seiner Tochter verzweifelt droht er unter seiner eigenen Schuld zu zerbrechen, die er kurioserweise in seiner freundlicheren Haltung Juden gegenüber erblickt und fühlt sich geschlagen vom Teufel.36 „War ihm die Tochter genommen worden auch wegen dieser seiner Sünde? Hatte er wegen seines Barmherzigkeitsappells zugunsten der Juden Höllenstrafen zu fürchten?“37 Das Ventil des Hasses gegenüber den Türken und Juden wird beim späten Luther also gerade nötig, weil er der eigenen Gnadentheologie existenziell nicht mehr so recht traut. D. h. im Blick auf Luthers Rechtfertigungstheologie dürfte genau das Gegenteil von Striets These richtig sein. Nicht die härter werdende Gnadentheologie führt zu seinem maßlosen Judenhass, sondern die sich verdunkelnde Verankerung der Gnadentheologie in seinem Leben. Doch Striet hat natürlich bei seiner These nicht nur Luther im Blick, sondern kritisiert die gesamte von Augustinus herkommende Tradition. Und er konzentriert sich nicht so sehr auf die Gnadentheologie als solche, sondern vielmehr auf die Rolle der Erbsündenlehre in ihr. Seine These lautet: „Erst als Augustinus Erbsündenkonstrukt zum Organisationsprinzip christlicher Theologie wurde, entfaltete das Substitutionsmodell dann seine ganze Wirksamkeit.“38 Striet behauptet also, dass die augustinische Erbsündenlehre dem christlichen Antijudaismus zum Durchbruch verholfen hat.. Bisher hat er diese These leider nicht durch Literatur belegt, sondern äußert nur einen Verdacht, der für eine so weitreichende historische Behauptung eine ungewöhnliche Form von Beleg ist. Dass bereits Meliton von Sardes lange vor Augustinus die Juden als Gottesmörder bezeichnet und dass von diesem Vorwurf ausgehend der Antijudaismus ins Christentum eingedrungen ist, sieht Striet ja selbst.39 Wie maßlos der Antijudaismus auch in der von Augustinus und der lateinischen Soteriologie nicht beeinflussten östlichen Theologie ist, wird er sicher auch wissen. Von daher sprechen wichtige Eingangsindizien erst einmal gegen seine These, wenn man sie rein historisch betrachtet. Aber primär geht es Striet wahrscheinlich um eine 34 Vgl. T. Kaufmann, Luthers Juden, Stuttgart 22015, S. 106 f. Kaufmann bezieht sich hier als Quellentext auf eine sehr eindrückliche Textstelle aus einem Brief von Luther an den Kaufmann Justus Jonas. Ich verdanke den Hinweis auf diese Stelle meiner Kollegin Nicole Priesching. 35 Vgl. a. a. O., S. 108. 36 Vgl. a. a. O., S. 139. 37  A. a. O., S. 139 f. 38 Striet, Christliche Theologie im Angesicht des Judeseins Jesu, S. 84. 39 Vgl. a. a. O., S. 88.

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systematische Entfaltung seiner These, sodass ich im Folgenden versuchen will, die systematische Begründung seiner Überlegungen zu rekonstruieren. Offenbar ist Striet der Meinung, dass die klassische Soteriologie auf die Erbsündenlehre angewiesen ist und Jesus Christus als einzigen Ausweg aus diesem allumfassenden Unheil ansieht. Striet wörtlich: „Ausnahmslos alle sind in die unfassbare Sünde Adams verstrickt, und Rettung kann es nur geben, wenn man sich zum Sühneopfer Christi bekennt.“40 Hat man sich einmal auf diese alleinige Rettungsmöglichkeit in Christus festgelegt, entsteht tatsächlich ein Problem für das jüdisch-christliche Gespräch. Denn wenn alle Menschen, also auch die Juden, ein Problem haben, das nur durch Jesus Christus geheilt werden kann, sind auch Juden für ihr Heil auf Christus angewiesen. Jenseits der historisch etwas ungenauen Rekonstruktion Striets und jenseits seiner unnötigen41 Polemik gegen Erbsündenlehre und Satisfaktionstheorie hat er also durchaus einen wichtigen Punkt im Blick. Wird die Singularität der Menschwerdung Gottes so auf die Soteriologie angewendet, dass wir nur in Jesus Christus gerettet sind, brauchen auch Juden Jesus Christus als ihren Messias. Und sollte die ausdrückliche Erkenntnis Jesu als des Christus notwendig sein, um das Heil zu erlangen, wäre sogar die Konversion der Juden notwendig, um ihnen eine Heilsmöglichkeit zu eröffnen. Da Striet ja selbst auch an der Einzigkeit Jesu Christi in der Christologie festhält, wollen wir zunächst einmal schauen, wie er eigentlich selbst diese heilsexklusivistischen Konsequenzen der Christologie vermeidet. Striet setzt zunächst einmal ähnlich wie der emeritierte Papst in seiner oben wiedergegebenen Erläuterung des Verzichts auf die Judenmission an und betont die Identität des Gottes Jesu Christi und des Gottes Israels. So wie Israel bei Ratzinger/ Benedikt den den Heiden unbekannten Gott bereits kennt und damit seiner Barmherzigkeit vertrauen kann, so gilt auch bei Striet in beiden Religionen, dass Gottes „Wesen Liebe ist und er Welt deshalb wollte, weil er sich nach dem anderen seiner selbst sehnte“42. Israel kennt also bereits Gottes Liebesbereitschaft und Gottes Hingabe für den Menschen. Deshalb – so Striet ganz im Einklang mit der römischen Linie  – „braucht das Judentum Christus nicht, um diesen Gott zu haben: Es hatte ihn längst vor Jesus geglaubt.“43 Neu sei bei diesem Zugriff lediglich, „dass nun behauptet wird, er habe dies leibhaftig, als menschliche Person erfahrbar gemacht.“44 Neu ist also, dass Gott sich jetzt „von Person zu Person erfahrbar“ macht.45 Striet bemüht sich hier zwar um eine große Behutsamkeit, 40 A. a. O.,

S. 92. nenne ich diese Polemik deshalb, weil ich keinen namhaften Theologen der Gegenwart kenne, der diese beiden Theorien so vertritt, dass die Kritik Striets auf sie anwendbar ist. 42 A. a. O., S. 125. 43 A. a. O., S. 125. 44  A. a. O., S. 136. 45  A. a. O., S. 134 f. 41 Unnötig

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wenn er etwa gleich hinzusetzt, dass diese Selbstzusage Gottes „in einer radikal kontingenten, unscheinbaren und auch verwechselbaren, keineswegs aber eindeutigen Gestalt“46 geschieht. Dieser Zusatz scheint mir wichtig zu sein, und ich werde ihn auch noch in meinen eigenen Überlegungen im nächsten Abschnitt aufgreifen. An dieser Stelle ist mir nur wichtig, dass Striet sich hier noch ganz im Mainstream katholischer Theologie bewegt – mit allen prekären Folgen, die sich daraus für das jüdisch-christliche Verhältnis ergeben. Die entscheidende Absetzbewegung von der Tradition geschieht dann erst im Blick auf die Frage des Sühnetodes Jesu Christi. Striet bestreitet, dass der Kreuzestod Jesu einen eigenen soteriologischen Wert hat. Ja, er bestreitet sogar, dass Leiden und Sterben Jesu irgendeinen Zweck haben dürfen. Selbst Gott darf Striet zufolge „keinen Zweck mit dem Leiden auch nur eines Menschen verbinden und damit auch nicht mit dem Leiden Jesu. … Gott wollte den Tod Jesu nicht, schärfer: er darf ihn nicht gewollt haben, und auch Jesus wird ihn nur bedingt in Kauf genommen haben.“47 Man kann versuchen, diesen Gedanken mit Kants Kategorischen Imperativ zu begründen, der uns ja aus ethischen Gründen verbietet, einen anderen Menschen nur als Mittel zum Zweck zu betrachten. Jeder Mensch ist immer auch Zweck an sich selbst, und so darf sein Leiden nicht gegen seinen Willen verwendet werden, um einen außer ihm liegenden Zweck zu heiligen. So wäre es zum Beispiel unmoralisch anzunehmen, dass Gott ein Kind leiden und sterben lassen darf, weil die Eltern des Kindes Schuld auf sich geladen haben. Der Fall liegt aber anders, wenn der Leidende selbst seinem Leiden Sinn zuspricht. So bin ich beispielsweise dankbar, dass ich nach dem Tod meines Vaters einen schweren Unfall hatte, der es mir ermöglicht hat, körperlichen Schmerz zu empfinden und in meinem Leben eine Auszeit zu nehmen, in der ich Abschied von meinem Vater nehmen konnte. Ich weiß selber, dass es von mir klüger gewesen wäre, wenn ich ohne den Unfall den Schmerz des Todes meines Vaters gespürt hätte. Aber ich habe das nicht geschafft, weil es zu viel in meinem Leben gab, dass zwischen mir und dem für mich heilsamen Schmerz lag. Nun lege ich gar keinen Wert auf die Feststellung, dass der Unfall deswegen von Gott verursacht wurde. Ich stelle einfach nur fest, dass mein Schmerz einen Zweck hatte, und ich fände es töricht anzunehmen, dass Gott nicht auch diesen Zweck sehen und wollen darf. Bei Jesus verhält es sich nun so, dass er nach allem, was wir wissen, seinem Leiden und Sterben ebenfalls einen Zweck gegeben hat. Zumindest gibt es ernst zu nehmende exegetische Argumente dafür, dass er seinen Tod im Licht des vierten Gottesknechtsliedes verstanden hat.48 Vielen Menschen hat diese Idee eines 46  A. a. O.,

S. 134 f. S. 129. 48 Vgl. H. Merklein, Studien zu Jesus und Paulus (WUNT 43), Tübingen 1987, S. 181–191. 47 A. a. O.,

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stellvertretenden Sühneleidens Jesu Trost gegeben. Ich werde gleich auch noch erklären, warum mir das gar keine dumme Idee zu sein scheint. An dieser Stelle will ich nur darauf hinaus, dass einiges dafür spricht, dass Jesus seinem Leiden Sinn zugesprochen hat und deswegen auch nicht davor davongelaufen ist. Deshalb halte ich es auch nicht für unmoralisch, wenn Gott diese Selbsthingabe Jesu sieht und mitträgt. Übrigens frage ich mich, wie Striet seine Aussagen über die Zwecklosigkeit des Leidens und Sterbens Jesu mit dem übereinstimmenden Zeugnis der Heiligen Schrift zusammenbringen kann. Es ist sicher so, dass die neutestamentlichen Autoren sehr unterschiedliche Deutungen von Leiden und Sterben Jesu entwickeln. Nicht alle würden hier von einem stellvertretenden Sühneleiden sprechen. Aber ich wüsste keine einzige neutestamentliche Theologie, die Leid und Tod Jesu einfach als zwecklos und absurd einstuft. Theologie ohne Fundament in der Schrift, ja sogar gegen die erklärte Intention der Schrift scheint mir aber auch dann nicht legitim zu sein, wenn man dadurch so ein wichtiges Problem lösen kann wie das des christlichen Antijudaismus.49 Denn ich bekenne freimütig, dass ich mit meiner eigenen Theologie des stellvertretenden Sühneleidens Jesu Christi Folgeprobleme auf mich nehmen muss, denen Striet entgeht. Hier ist nicht der Ort, um in extenso meine eigene Soteriologie zu entfalten. Ich habe das andernorts getan und will mich nicht wiederholen.50 Ich will nur kurz andeuten, wieso auch meine Soteriologie, die auf der Heilsexklusivität Jesu Christi besteht, auch für das jüdisch-christliche Gespräch erträglich sein könnte. Wie man anhand von meinen bisherigen Ausführungen bereits ahnen kann, würde ich – genau wie beispielsweise Karl Rahner – daran festhalten, dass Jesus Christus der absolute Heilsmittler für alle Menschen aller Zeiten ist und damit auch die Juden erlöst hat. Dabei bestreite ich gar nicht, dass Gott auch unabhängig von Jesus den Juden sein Heil schenken will. Ich bestreite auch nicht, dass Juden dieses Heil auch ohne Mithilfe von Jesus Christus annehmen können. Ich beharre nur im Anschluss an die Theologie des Karsamstags von Hans Urs von Balthasar51 darauf, dass das Leiden und Sterben Jesu Christi einen Weg aufweisen kann, wie Gott auch dem noch einmal nachzugehen vermag, der sich von ihm abwendet. Für diese Abwendung gibt es – wie auch Striet 49 Damit will ich nicht sagen, dass Striets Position das Problem des Antijudaismus löst. Denn ich sehe dieses viel mehr in der Christologie als in der Soteriologie begründet. Und aus meiner Sicht ist gerade seine freiheitstheoretisch konfigurierte Christologie besonders anfällig für eine antijudaistische Interpretation. Aber mir geht es hier jetzt nicht um eine Bewertung von Striets Christologie, sondern um die Prüfung seines Verdachts gegen die traditionelle Soteriologie. 50 Vgl. beispielsweise in kompakter Form K. von Stosch, Über Erlösung reden, in: Religionsunterricht an höheren Schulen Zeitschrift des Bundesverbandes der Katholischen Religionslehrer und Religionslehrerinnen an Gymnasien 52 (2009), S. 80–87. 51 Vgl. als kurze Zusammenfassung der mir hier vor Augen stehenden Deutung von Balthasars K. von Stosch, Einführung in die Systematische Theologie, Paderborn 42019, S. 229 f.

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betont –, gute ethische Gründe.52 Von daher bin ich unsicher, wie ich der Heilszusage Gottes zustimmen könnte und dürfte, wenn Gott mir nicht in Leiden und Tod hinein nachgehen würde. Will man sich die Idee des stellvertretenden Sühneleidens unter den Bedingungen neuzeitlichen Denkens aneignen, geht es also nicht darum, dass Gott in mythologischer Weise Schuld übertragen bekommt, sondern einfach nur darum, dass er den Menschen Möglichkeiten eröffnet, sich Gott gegenüber aufschließen zu lassen – auch da wo sie sich in ihrer eigenen Verweigerung verhärtet haben und aus eigener Kraft nicht mehr zu ihm finden. Also nochmals: Gott schenkt sich auch unabhängig von Jesus Christus heilseröffnend an Israel. Aber Jesus Christus vermag da noch einmal das menschliche Nein in ein Ja zu verwandeln, wo wir aus eigener Kraft Nein sagen würden. Und diese Möglichkeit gilt auch für Juden. Diese Möglichkeit, auch in der Verweigerung dadurch Gottes Nähe zu erleben, dass Gott selbst die Verweigerung auf sich nimmt und sie mitträgt, ist durchaus bereits im Leiden Israels angelegt. Auch Israel nimmt so teil am stellvertretenden Sühneleiden Jesu, auch hier begegnet mir der leidende Gottesknecht. Aber Israels Reaktion auf das Leiden ist so vielstimmig, seine messianischen Hoffnungen sind so verwirrend, dass sie mir nicht die Klarheit zu geben vermögen, die mir aus der Lebenshingabe Jesu Christi entgegenkommt. Deshalb ist es auch nicht grundsätzlich illegitim, Juden gegenüber von Jesus Christus Zeugnis abzulegen  – so wie auch Christen aufmerksam auf das Zeugnis von Juden zu hören und von ihm zu lernen haben. Denn Israel ist und bleibt Gottes erste Liebe und seine Liebeszusage gilt auch unabhängig von Jesus Christus. Von daher können Christen von Juden etwas lernen, das nicht schon durch ihr Verstehen Jesu Christi abgegolten ist.53

4. Eschatologische Zuspitzung An anderer Stelle habe ich immer wieder den Gedanken ins Spiel gebracht, dass Christen in der eschatologischen Begegnung mit Jesus Christus keinen epistemischen Vorteil gegenüber Juden haben, weil sie nicht mehr über Jesus Christus wissen als Juden.54 Mein Argument lautete an dieser Stelle immer, dass unser Wissen von Jesus Christus nur bruchstückhaft ist. Wenn auch Juden aus ihren 52 Striet geht deswegen so weit, Gott auf die Anklagebank zu setzen (Striet, Christliche Theologie im Angesicht des Judeseins Jesu, S. 138). Damit macht er sich eine typisch neuzeitliche Denkbewegung zu eigen, die ich immer gut verstanden habe, auch wenn mir nicht einleuchten will, warum es theologisch weiterhelfen sollte, wenn Theologen jetzt selbst das Geschäft des Protestatheismus vollziehen. 53 Ich habe bereits an anderer Stelle zu explizieren versucht, was Christen konkret von Juden lernen können und will mich hier nicht wiederholen, sodass ich es bei dieser allgemeinen Andeutung lasse. Vgl. K. von Stosch, Offenbarung, Paderborn 2010, S. 96–107, 119–122. 54 Vgl. zuletzt Stosch, Wechselseitig aufgehoben?, S. 194–197.

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eigenen Traditionen auf den Messias hoffen, aber aus guten Gründen  – eben wegen der bleibenden Erlösungsbedürftigkeit der Welt – darauf beharren, dass ihre Hoffnungen unabgegolten sind, geschieht ihre Verweigerung aufgrund von Seiten des Messias, die die Kirche in Jesus Christus noch nicht erkannt hat und die sie als Leib Christi nicht überzeugend lebt. Ja, es dürfte nicht zuletzt das entstellte Bild des Leibes Christi durch die Kirche sein, dass es so schwierig macht, in ihm den Erlöser zu erkennen. Aber auch bei einem noch so überzeugenden Christuszeugnis der Kirche bleiben wichtige Aspekte der messianischen Hoffnung im Judentum unabgegolten. Von daher bewahrt das Judentum Traditionen, die ebenfalls auf Christus hin abzielen und denen wir den gleichen Wert zusprechen können, wie unseren eigenen Traditionen. Von daher habe ich bisher immer vorgeschlagen, dass wir uns die eschatologische Situation so vorzustellen haben, dass Juden und Christen gleichermaßen überrascht sein werden. Juden werden deswegen überrascht sein, weil es tatsächlich der Jude Jesus ist, der ihnen eschatologisch begegnet und sie zu sich einlädt – ein Element des christlichen Glaubens, das sicher für das jüdisch-christliche Gespräch herausfordernd ist. Aber für Christen wird die Begegnung mit dem Messias kein bisschen weniger herausfordernd sein. Sicher gibt es im Vergleich zu unseren Vorstellungen von Jesus und von der Kirche als Leib Christi keine vollständige Diskontinuität im Vergleich zur eschatologischen Hoffnung. Aber diese Vorstellungen sind eben doch in hohem Maße korrekturbedürftig, wahrscheinlich sogar in einem viel höheren Maße als die viel sparsameren jüdischen Hoffnungen. Es kann in meinem Modell also keine Rede davon sein, dass am Ende die Juden durch Gott selbst zum Christentum bekehrt werden, sondern Juden und Christen werden in ihrer Besonderheit bewahrt und doch so transformiert, dass ihre Unterschiede nur noch als Bereicherung wahrgenommen werden. Es geht mir hier also um eine mutual inklusive Transformationsbewegung, in der beide Seiten bereit sind, die jeweils andere Sichtweise als gültig anzuerkennen und mit in die eigene Hoffnungsfigur einzubinden. Der hier nur angedeutete Versöhnungsvorschlag wird allerdings dadurch verkompliziert, dass messianische Hoffnungen im zeitgenössischen Judentum durchaus mit Argwohn betrachtet werden. Es scheint sogar eine Mehrheit von Juden zu geben, die bilanzieren, dass ihnen die ganzen Messiasprätendenten der Geschichte nichts als Ärger gebracht haben.55 Von daher erscheint es ihnen vernünftiger, nicht mehr auf den Messias zu warten und messianische Bewegungen, die es ja auch im Judentum weiterhin gibt, werden mit Skepsis betrachtet. Mitunter scheint diese Sichtweise so weit zu gehen, jegliche Hoffnung für ein Leben nach dem Tod aufzugeben und sich allein der Reparatur dieser Welt im Hier und Jetzt hinzugeben. 55 Diesen

Hinweis verdanke ich meiner jüdischen Kollegin Rabbinerin Elisa Klapheck.

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Die Herausforderung an ein Christentum, das das Judentum von heute in all seiner verwirrenden und bereichernden Vielfalt anerkennen will, bestünde also nicht nur darin, in der eigenen Hoffnung zu bedenken, dass die Hoffnung auf einen anderen Messias genauso berechtigt ist wie die Hoffnung auf ein zweites Kommen Jesu. Vielmehr wäre es ebenfalls als berechtigt mitzudenken, dass man die Hoffnung auf eine messianische Figur ganz aufgibt, um die entsprechende Energie für die Verbesserung unserer jetzigen Lebensbedingungen einzusetzen. Ich gebe zu, dass mir die Anerkennung einer solchen agnostischen Sicht, die nicht mehr auf eine Rettung im Tod zu hoffen wagt, schwer fällt. Denn ganz im Gefolge des praktischen Kant meine ich eigentlich, dass es eine ethische Verpflichtung dazu gibt, noch einmal für diejenigen zu hoffen, die in dieser Geschichte unter die Räder kommen.56 Und gerade das Alte Testament und auch der Talmud enthalten so viele Geschichten, die mich ermutigen, diese Hoffnung nicht fahren zu lassen, dass es mir schwer fällt zu akzeptieren, wenn mir ein jüdisches Zeugnis entgegentritt, das diese Hoffnungen gänzlich aufgegeben hat und für unwichtig hält. Immerhin kann ich existenziell die hier zum Ausdruck kommende Enttäuschung gut verstehen und es steht mir angesichts des unzähligen Leidens, das Christen über Juden gebracht haben, auch nicht zu, hier ethische Bewertungen vorzunehmen. Ich will also versuchen, diese Form der jüdischen Beschränkung in meine mutual inklusive Versöhnungsfigur aufzunehmen. Ich will also zu denken versuchen, dass auch die Enttäuschung all unserer Vollendungshoffnungen Teil des Vollendungsgeschehens ist. Ich will denken lernen, dass Gott eben wirklich die coincidentia oppositorum ist und die Vollendung in ihn hinein alles sprengt, das ich mir über ihn zurecht gelegt habe. Und doch werde und darf ich nicht von der verwegenen Hoffnung lassen, dass diese Vollendung am Ende eine ist, in der uns der liebende Gott auch in unsere Verweigerung noch einmal nachgeht und für sich zu gewinnen weiß. Da spekulative Betrachtungen eschatologischer Hoffnungsfiguren nur schwer zu legitimieren sind, will ich meine Perspektive durch eine kleine Geschichte verdeutlichen. Sie soll nicht mehr und nicht weniger beispielhaft veranschaulichen, als dass die christliche Hoffnung, dass wir am Ende alle Jesus Christus begegnen und von ihm gerichtet werden, nicht bedeutet, dass Christen in einer epistemischen Überlegenheit gegenüber Juden sind. Ich werde darauf verzichten, die Geschichte noch einmal zu deuten, weil meine Position auch so deutlich werden sollte. Drei Schwestern, nennen wir sie Junia, Hannah und Judith, glauben einen Bruder zu haben, der versprochen hat, sie zu besuchen. Sie wissen aber nicht, ob es ihn wirklich gibt. Junia ist immer wieder Menschen begegnet, die ihren Bruder 56 Vgl. als Kurzfassung des mir hier vor Augen stehenden Arguments K. von Stosch, Neuer Atheismus im Gefolge des Darwinismus, in: Was ist der Mensch? Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube, hrsg. v. K. Schmidt, Paderborn 2010, S. 236–256, hier: S. 249–252.

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gesehen und von ihm erzählt haben. Sie weiß dadurch, dass ihr Bruder Immanuel heißt und er kommt ihr sehr vertraut vor. Hannah ist denselben Menschen begegnet, hat aber viele gute Gründe, die deutlich machen, warum Immanuel nicht ihr Bruder sein kann. Immanuel in der Schilderung Junias ist zum Beispiel rothaarig, hat Sommersprossen, isst leidenschaftlich gerne Lasagne und ist Fan des FC Bayern – all das hält sie im Blick auf ihren Bruder für ausgeschlossen. Sie ist sich absolut sicher, dass ihr Bruder Fan von Borussia Dortmund ist, blonde Haare und keine Sommersprossen hat. Lasagne wird er verabscheuen und stattdessen Pizza bevorzugen. Judith schließlich ist sauer auf ihren Bruder. Sie hört dieselben Geschichten wie ihre Schwestern, glaubt aber nicht, dass es ihn gibt – jedenfalls nicht so, wie er von ihren Schwestern geschildert wird. Sie geht lieber zu ihrem lesbischen Fanclub des 1. FC Köln als sich Geschichten über ihren Bruder anzuhören. Und sie mag am liebsten Risotto. Schließlich klingelt es. Eine Frau tritt ein, die sich als ihr Bruder Immanuel zu erkennen gibt. Sie ist rothaarig, hat keine Sommersprossen, trägt einen Schal des 1. FC Köln und hat Lust auf ein leckeres Risotto. Als sie Judith um das Risotto bittet, fängt diese an zu lachen, weil sie merkt, dass sie alle drei ziemlich im Dunkeln getappt haben. Meine geschätzten Leserinnen und Leser frage ich nur, ob sie wirklich meinen, dass Junia Hannah und Judith gegenüber in einer epistemisch überlegenen Situation ist, nur weil sie den Namen ihres Bruders kennt und die Geschichten über ihn nicht in vollständiger Diskontinuität zu seiner Wirklichkeit stehen. Wenn sie mir zugeben, dass eine solche Annahme in der erzählten Geschichte absurd ist, brauchen sie auch keine Sorgen zu haben, dass eine mutual inklusivistische Denkfigur, die auf der Hoffnung besteht, dass am Ende Jesus Christus der Retter aller Menschen sein wird, uns eine Anerkennung des Judentums unmöglich macht. Übrigens ist gerade die verwirrende Vielgestalt jüdischer Vollendungshoffnungen ein Schlüssel, um aus katholischer Sicht auch Vollendungsvorstellungen anderer Religionen ernst zu nehmen.

Vom Judesein Jesu und einem notwendigen dogmatischen Umdenken Magnus Striet Nur noch wissenschaftsabstinenten Stimmen auf dem christlichen Religionsfeld kann entgangen sein, dass Jesus seinem Selbstverständnis nach Jude war – und: dass es ihm niemals auch nur in den Sinn gekommen wäre, den Glauben an den Exodus-Gott und damit den Glauben an den Gott Israels aufzugeben.1 Nimmt man das Menschsein Jesu dogmatisch ernst, so gehört dessen Judesein grundlegend in die Entfaltung des Selbstoffenbarungsglaubens und damit der Christologie. Zwar gab und gibt es in der Christologie eine sich bereits in den ersten Jahrhunderten nach seinem Tod aufbauende, starke Akzentuierung der Göttlichkeit Jesu. Jedoch hat man immer schon aus soteriologischen Gründen am Menschsein Jesu festgehalten. Dass man im historischen Prozess sein Leben immer stärker zugunsten einer satisfaktionstheoretischen Ausdeutung seines Kreuzesleidens und ‑todes marginalisierte (oder gar vergaß?)2, hat Gründe, auf die ich noch zu sprechen komme. Wenn deshalb Jan-Heiner Tück kürzlich vorgeschlagen hat, das Fest der Beschneidung Jesu wieder in den kirchlich-liturgischen Festtagskalender aufzunehmen3, so ist dies eine Konsequenz 1 Zur Wiederentdeckung des historischen Jesus im Judentum vgl. den Beitrag von Walter Homolka, Der historische Jesus aus jüdischer Sicht, in ders./M. Striet, Christologie auf dem Prüfstand. Jesus der Jude  – Christus der Erlöser, Freiburg 2019, S. 11–70, bes. S. 11–19. Die hier von mir vorgelegten Überlegungen folgen der Grundanlage meines Textes in diesem Buch. 2 Vgl. dazu T. Pröpper, Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte. Eine Skizze zur Soteriologie, Freiburg 31991, S. 74–87. Dass man historisch differenzieren könnte, was den Zusammenhang von Soteriologie und theologischem Antijudaismus angeht, sei gerne zugestanden. Das immer wiederkehrende Motiv von der verworfenen, weil blinden Synagoge bildet aber nur einen einschlägigen Hinweis darauf, dass eine erbsündentheoretisch basierte Soteriologie diese Wirkungsgeschichte hatte. 3 J.-H. Tück, Jesus war Jude, in: NZZ vom 29. 12. 2018. Wie stark die noch zu erörternde Fixierung christlicher Theologie auf die Sünde des Menschen war, zeigt sich signifikant im Gedicht „Von der Beschneidung Christi“ von Paul Gerhardt: „Wer machet solche Schmerzen, Warum machet solche Pein, / ​Der von unbeschittnem Herzen, / ​Dir, o liebes Jesulein, / ​Mit Beschneidung? da du doch / ​Frei von des Gesetzes Joch, / ​Weil du einem Menschenkinde / ​Zwar gleich, doch ganz ohne Sünde.“ Die Logik des Gedichtes ist theologisch konventionell. Es sind „unsre großen Schulden“, die er abträgt, „uns zu retten“, indem er so „Gottes Zorn stillt“. Ob diese Lieder im liturgischen Gebrauch noch auf der Textebene rezipiert werden, ist eine Frage, der einmal empirisch nachzugehen wäre. Ihre Wirksamkeit haben sie ohne Zweifel entfaltet.

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einer neuen christlich-theologischen Sensibilität für das Judesein Jesu. Jesus war Jude, und er hat sich für keinen anderen Gott als für den Gott Israels erklärt und eingesetzt. Umso mehr muss eigentlich erstaunen, dass es bis heute immer wieder zu aufgeregten Auseinandersetzungen in jüdisch-christlichen Diskurskonstellationen kommt. Die deutlichen Irritationen, die der ehemalige Papst Benedikt XVI. in jüngster Zeit durch seinen Text Gnade und Berufung ohne Reue (2018) ausgelöst hat, muss ich nicht ausführlich referieren. Erfreulich ist, dass auch der ehemalige Papst eingesehen zu haben scheint, dass die Frage, ob denn nun Jesus der erwartete Messias gewesen sei oder nicht, nicht zu entscheiden und deshalb eschatologisch auszuhalten ist. Ausdrücklich spricht er davon, dass „die messianische Verheißung immer (!, M. S.) kontrovers bleiben“4 werde. Interessanter sind die Gründe, warum dem so sein soll. Nicht, dass Gott existieren könnte, steht bei ihm zur Disposition. Unübersehbar gibt es ja beim einstigen Papst seit jeher eine starke Tendenz in seinem Denken festzuhalten: Der vernünftige, d. h. der Gott, der schöpferische Vernunft ist, muss deshalb existieren, weil andernfalls – so die immer wieder von ihm ins Feld geführte Logik – es auch nicht den Menschen als ein Vernunftwesen geben könnte. Ob man so leichtfüßig die ihre eigene Abgründigkeit beobachtende menschliche Vernunft überspringen sollte, wenn sie sich der Existenz des im Begriff gedachten Gottes vergewissern will, kann hier als Frage außen vor bleiben.5 Umso nachdenklicher macht indessen, warum nun genau in der Logik Benedikts die messianische Frage offenbleiben wird, und mehr noch: ob er auch eine am Kreuz Jesu orientierte Soteriologie aufzugeben bereit ist, die zwingend mitbestimmt ist durch das Theorem der Erbsündenlehre. Mein zu erhärtender Verdacht lautet, dass Benedikt – aber nicht nur er – im jüdisch-christlichen Dialog gerne verschweigt, was aber innerchristlich-theologisch energisch betont wird: Dass Jesus für die Sünde des Menschen gestorben sei.

1. Benedikt lehnt eine Mission bezogen auf die Juden ausdrücklich ab. Der „Dialog“ mit Israel sei ausschließlich darüber zu führen, „ob Jesus von Nazareth ‚der Sohn Gottes, der Logos‘“ sei, „auf den gemäß den an sein Volk ergangenen Verheißungen Israel und, ohne es zu wissen, die Menschheit“ warte.6 Sein Argument lautet, dass die Juden deshalb nicht missioniert werden müssten, „weil sie 4 Benedikt XVI./A. Folger, Briefwechsel, August-September 2018, in: IKaZ 47 (2018) S. 611–617, hier: S. 612. 5 Vgl. dazu M. Striet, Nachwort zur Neuausgabe, in: Das Absolute in der Geschichte (WKG 2), hrsg. v. W. Kasper, Freiburg 2010, S. 607–622. 6 Benedikt XVI., Nicht Mission, sondern Dialog, in: HK 12 (2018), S. 13 f., hier: S. 14.

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allein unter allen Völkern den ‚unbekannten Gott‘ kannten.“7 Benedikt greift mit dem Begriff vom „unbekannten Gott“ auf Apg 17,23 zurück. Wenn Benedikt in der Wahl seiner Zeitformen so tut, als habe diese Logik doch eigentlich immer schon gegriffen, so irritiert dies ein wenig. Der christliche Antijudaismus, den Benedikt keineswegs leugnet, hatte seine Wurzeln eben nicht im Gottesbegriff. So jedoch droht man mit dem Problem auch die Akteure des christlichen Antijudaismus aus dem Blick zu verlieren. Auch wird die versuchte „Zerstörung des Judentums“ im 20. Jahrhundert deutlich adressiert, aber: Es war das „nationalsozialistische Regime“8, das sich für diesen Versuch verantwortlich zeichnet. Und wenn die Rede ist von der „politischen Macht der Christenheit“, die den Dialog zwischen Judentum und Christenheit „überschattete“, will wohl sagen: Christen übergriffig wurden gegenüber dem Judentum, dann lässt er die für ihn übliche Unterscheidung zwischen dem wahren Christentum und dem realen Christentum greifen, platonisch formuliert: zwischen seiner Idee, die aber für ihn dann doch wieder keine rein philosophisch zu erkennende Wahrheit ist. Die Wahrheit des Christentums ist für Benedikt vielmehr der inkarnierte, der konkret als Mensch in die Geschichte eingegangene Logos selbst, aber: weil dieser selbst in der Christenheit nicht als diese Wahrheit erkannt wird, wird diese immer wieder, um mich an seine Rhetorik anzulehnen, vom Schmutz der Welt überschattet. Und dennoch: Wenn Benedikt ausdrücklich betont, dass es im Dialog zwischen Christentum und Judentum ausschließlich darum ginge, ob denn nun Jesus die alttestamentlich aufgebrochene Messiaserwartung erfülle oder nicht, dann scheint sich hier eine theologische Revolution anzudeuten. Oder aber er verschweigt Prämissen seines Denkens. Ob nicht personale Messiasvorstellungen im historischen Prozess zumindest in Teilen des Judentums längst abgebaut wurden, weil diese Vorstellung eines personalen Messias philosophisch unter Druck geriet9, sodass zu fragen ist, ob die von Benedikt beschriebene Dialogbasis nicht eine reine Projektion darstellt, ist nur eine Frage. Interessanter finde ich eine andere: ob sich bei Benedikt ein Abschied von der Sühneopfertheologie und damit von der Erbsündenlogik andeutet. Ob Jesus der erwartete Messias war oder nicht, ist ja – ich will nicht zynisch werden – zunächst einmal eine Frage, die getrost sistiert werden kann, wenn sie ohnehin nicht zu entscheiden ist – außer: Jesus und dann vor allem sein Kreuzestod wird soteriologisch weiter so ausgedeutet, wie dies zumindest in der westlich-theologischen Tradition der Fall war. Rekonstruiert man historisch, so ist die Vorstellung einer Substitution der Synagoge durch die Kirche nicht allein durch das allmählich sich begründende Bekenntnis zu Jesus als dem Christus, die Christologie, begründet worden. 7 A. a. O., 8 Ebd.

S. 14.

9 Vgl. H. Cohen, Die Messiasidee, in: ders., Jüdische Schriften Bd. 1, hrsg. v. B. Strauss, Berlin 1924, S. 125–139, hier S. 116: „Die Messiasidee ist die Hoffnung auf die Zukunft der Menschheit.“

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Maßgeblich war die Vorstellung, dass der Kreuzestod Jesu die notwendige soteriologische Qualität habe, um die Sünde des Menschen zu tilgen und Gott versöhnungsfähig zu machen. Ich komme darauf zurück, möchte aber bereits jetzt einen Verdacht äußern: Solange christlich-theologisch an der Vorstellung eines notwendigen Sühneopfers festgehalten wird, geht es im jüdisch-christlichen Gespräch nie nur um Dialog. Oder aber, und das wäre dann wirklich eine Überraschung: Das Erbsündenkonstrukt, das dem Judentum fremd ist und das auf die Freiheit des Menschen und seine Verantwortlichkeit abhebt10, wird verabschiedet. Ich komme darauf zurück.

2. Diskurspolitisch wird das Gespräch zwischen Judentum und Christentum nicht allein im Medium der Wiederentdeckung des Judeseins Jesu erfolgen können. Ohnehin wäre zunächst einmal präziser zu beschreiben, um welches Judentum und um welches Christentum es geht, die miteinander das Gespräch suchen. Beiläufig angemerkt sei, dass essentialistische Religionsbestimmungen nur wenig taugen, auch wenn der Mensch nicht umhin kann, sich in verallgemeinernden Begriffen zu verständigen. Religiöse Überzeugungen und ihre Systematisierungen gehen aus historischen Prozessen hervor. Sie sind damit aber auch genealogisch rekonstruierbar, wodurch sie, weil sie als geworden beschreibbar sind, ihre selbstverständliche Gültigkeit verlieren. Sie müssen deshalb auch immer wieder neu normativ verhandelt werden. Wenn heute christlich-theologisch nachdrücklich auf dem Judesein Jesu bestanden wird und hieraus theologische Folgerungen gezogen werden, so auch deshalb, weil zumindest geahnt wird, dass die dogmatische Lehrentwicklung zu deutlichen Problemen geführt hat. Wobei das historisch über den Juden Jesus Erreichbare nicht bereits aus sich selbst heraus korrigierende Geltung beanspruchen kann und dies faktisch auch gar nicht tut. Es sind (sozial prägende) normative Einstellungen, die hier wirksam sind. Was heißt dies konkret bezogen auf die hier zu bearbeitenden Fragen? Selbstverständlich geht es, wenn das Judesein Jesu in der Christologie konsequent mitzudenken ist, nicht nur um dessen formale Zugehörigkeit zum Judentum. Interessant wird es, wenn man Jesu Religionspraxis inhaltlich umschreibt und damit auf seine Thoragläubigkeit zu sprechen kommt. Kaum überraschen kann, dass Jesus, sozialisiert und eingebettet in die Glaubenswelt Israels, an der Geltung der Thora nicht gerüttelt hat. Gleichzeitig scheint er eine hohe Sensibilität für die Ambiguität dessen gezeigt zu haben, was Menschen in ihrem Leben begegnet. Jedenfalls hat er einen Gesetzesrigorismus im Namen Gottes immer wieder scharf kritisiert, indem er die Intention religiöser Gebote konkretisierte 10 Vgl.

beispielsweise L. Baeck, Das Wesen des Judentums, Wiesbaden 71983, S. 179.

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(„Der Sabbat ist nicht um des Sabbats willen da“), und darauf verwies, dass kein Mensch ohne Sünde sei. Mit einer auf reziproke Anerkennung setzenden, im Freiheitsprinzip gründenden Moral‑ und Ethikkonzeption lässt sich diese Thoraethik problemlos synthetisieren. Auch wenn Jesus es nicht in einer reflexiven Weise gewusst hat, hat er das praktiziert, was bis heute in jüdischen und christlichen Gruppierungen einen Zankapfel darstellt, d. h.: Autonomie. Praktisch wirksam, willensbestimmend ist ein Begriff im Bewusstsein nur dann, wenn er bestimmt ist, und dies gilt auch für den Gottesbegriff. Deshalb muss dieser Begriff aber auch je individuell bestimmt werden, was bedeutet: Der soziokulturell wirksame Gottesbegriff muss verstehend und normativ kontrolliert angeeignet werden. Sich frei bestimmen zu wollen und zugleich ein in historische Kontingenzen eingebundenes, soziales und damit subjektiviertes Subjekt zu sein, verlangt von diesem danach, sich selbst Gesetz zu sein. Andernfalls ist die Rede von Freiheit und Verantwortung eine reine Chimäre. Warum weise ich darauf hin? Was Jesus praktiziert hat, war das Konzept eines „ethischen Monotheismus“ (Leo Baeck),11 auf das er selbst aber auch bereits schon zurückgreifen konnte, weil es, historisch betrachtet, lange vor ihm ausgeprägt wurde. Im Übrigen sei auch hinzugefügt, dass er dann, wenn er ein solches Gotteskonzept nicht vertreten hätte, aus einer gegenwärtigen moralisch-ethischen Perspektive in seiner Lehre nicht akzeptabel wäre und auch nicht akzeptiert werden dürfte; die Frage, ob er der Messias oder der Sohn Gottes ist oder nicht, spielte dann keine Rolle mehr. Soweit überhaupt historisch etwas über Jesus zu wissen ist, hat er aber Autonomie praktiziert. Das heißt: Er hat innerhalb des religiösen Konfliktfeldes, auf dem er sich bewegte, einen Gott gelebt, der sich klar ethisch positioniert, dem aber zugleich ein reiner Gesetzeslegalismus zuwider ist. Der Gott Jesu ist ein Gott, der sich auf Uneindeutigkeiten, das Grau des Lebens einlässt, und er ist einer, der auf Freiheit setzt. Sich selbst bestimmen zu dürfen, möglichst große Gerechtigkeit zu leben, macht dann den Kern der Ethik aus, die Jesus im Namen des von ihm praktizierten Gottes will. Ist dies Konsens? Ist eine andere Ethik überhaupt akzeptabel? Es sei nur deshalb darauf hingewiesen, weil Benedikt einen (im Übrigen wieder einmal gegen ein Zerrbild des Protestantismus gesetzt) Konsens in ethischen Fragen zwischen Judentum und Christentum feststellt. Man möchte nur fragen, wer welchen Konsens unter welchen Bedingungen wie vertritt. Wird im Konzept des ethischen Monotheismus die unbedingte Personwürde eines

11 Vgl. L. Baeck, Das Wesen des Judentums, S. 100: Die „Bedeutung des Sittlichen kennzeichnet erst den Monotheismus,“ oder S. 264: „An der Einheit des Sittlichen, der Einheit der Gerechtigkeit wurde die Einheit der Geschichte erfasst. Es ist ganz eigentlich der Monotheismus, die Erkenntnis von dem einen, gerechten Gott, wodurch die Idee der Weltgeschichte erzeugt worden ist. Und sie folgt hieraus mit Notwendigkeit; es gibt keinen Monotheismus ohne die Weltgeschichte. Sie ist damit zum Problem der Religion geworden.“

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jeden Menschen und sein Selbstbestimmungsrecht mitgedacht, wäre dies in der Tat eine Basis für ein mögliches jüdisch-christliches Gespräch. Und es wäre gut biblisch. In den kanonisierten Schriften findet sich schließlich nichts anderes als Theologie, und wenn Theologie gut ist – dann ist sie nichts anderes als Aufklärungspraxis, auf Dauer gestellt. Kant war ein guter biblischer Philosoph, auch wenn er es nicht wusste.

3. Sich zunächst einmal auf das Konzept eines ethischen Monotheismus zu verständigen und dies als in normativer Hinsicht nicht verzichtbare Basis eines interreligiösen und damit auch jüdisch-christlichen Gesprächs zu verzeichnen, hat aber für eine christliche Theologie Konsequenzen, will sie nicht inkonsistent werden. Sich selbst moralisch-ethisch bestimmen zu können, setzt Freiheit voraus. Und soll das Gottesverhältnis nicht aus diesem menschlichen Selbstbestimmungsuniversum herausfallen, muss Freiheit auch hier gelten. Das aber verlangt danach, das aus noch ganz anderen Gründen nicht zu haltende Erbsündendenken, jedenfalls in seiner klassischen, auf Augustinus zurückgehenden Variante, fallen zu lassen. Der Jude Jesus wäre aus seinem kulturellen Kontext heraus sicherlich sehr irritiert gewesen angesichts einer Denkfigur, die von einer allen Menschen anrechenbaren Ursünde Adams und ihrer Vererbung durch den Sexualakt ausgeht. Ob Reformulierungsversuche dieses Theorems eine allzu große theoretische Stringenz entwickelt haben, sei dahingestellt. Überhaupt müsste man zunächst klären, ob es vorstellbar ist, dass Jesus auch nur verstanden hätte, warum sich das Christentum so auf eine unfassliche Sünde des Menschen würde konzentrieren können, bevor man, wie Benedikt, die jüdisch-christliche Differenz darauf engführt, ob Jesus nun der Sohn Gottes sei oder nicht. Eine Erbsünde im augustinischen Sinn kannte man theologisch zur Zeit Jesu nicht, und das Konzept einer solchen Sünde wäre auch nicht synthetisierbar gewesen mit dem Konzept des ethischen Monotheismus, den Jesus praktiziert hat. Von diesem Monotheismus geht eine Linie über Pelagius zu Kant, nicht aber zu Augustinus und auch nicht zu Luther.12 Dass aber bedeutet, dass nicht nur das Konzept der Erbsündenlehre zu verabschieden ist, wenn es mehr beansprucht aussagen zu können, als dass faktisch (!) ein jeder Mensch vom „Schwindel der Freiheit“ (Sören Kierkegaard)13 12 Vgl. A. Fürst, Von Origenes bis Kant. Das Freiheitsdenken des Origenes in der Neuzeit, in: Religion und Aufklärung. Akten des Ersten Internationalen Kongresses zur Erforschung der Aufklärungstheologie (Colloquia historica et theologica 2), hrsg. v. A. Beutel/M. Nooke, Tübingen 2016, S. 61–79. 13 S. Kierkegaard, Der Begriff Angst. Übersetzt und mit Glossar, Bibliographie und einem Essay „Zum Verständnis des Werkes“, hrsg. v. L. Richter, Frankfurt 1984, S. 64.

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ergriffen wird, wenn er sich angesichts des sich eröffnenden Möglichkeitshorizonts eine bestimmte, verbindliche und moralisch integre Identität geben soll und sich zugleich in sozialen und gesellschaftlichen Verhältnissen vorfindet, die ihn immer bereits in einer vorschuldhaften Weise unheilvoll verstrickt haben. Sondern – und das ist für meinen Gedankengang entscheidend: Das Konzept des ethischen Monotheismus verbietet es, das unsägliche Kreuzesleiden Jesu sühne‑ beziehungsweise satisfaktionstheoretisch auszudeuten. Denn der in Jesus nahegebrachte Gott fordert zwar offenbar Entschiedenheit ein, aber er erscheint vor allem als ein Gott, der den Menschen sucht, diesen niemals aufgeben will, und so zum Inbegriff von Barmherzigkeit wird. Dieser Gott wird aber bereits lange vor Jesu Auftreten als ein Gott reflektiert, dessen Barmherzigkeit unendlich ist in dem Angebot, dem faktisch (!) schuldhaft verstrickten Menschen zu vergeben. Von daher unterbietet der Gott des Augustinus und Anselms, um nur zwei prominente Namen zu nennen, die supererogatorische Qualität, die Gott zugeschrieben wird.

4. Entzieht man aber der Christologie die Funktion, soteriologisch auf das Erbsündendenken reagieren zu müssen, lässt sich das jüdisch-christliche Gespräch neu formatieren. Dass der geglaubte Gott ein Gott ist, der die Abkehr von ihm nicht in einem zornigen Nein zum Menschen enden lässt, wusste nicht erst der Jude Jesus. Theologisch ringt man sich lange vor Jesu Zeit zu diesem Gottesbild durch. Beim Propheten Hosea finden sich solche, radikal die Göttlichkeit Gottes – und d. h. seine Entschiedenheit zum Bundesschluss – betonende Reflexionen. „Denn ich bin Gott, nicht ein Mensch, der Heilige in deiner Mitte. Darum komme ich nicht in der Hitze des Zorns“ (Hos 11,8). Wenn ich auch nicht verschweigen will, dass dem Projektionsverdacht, d. h. der Selbstprojektion menschlicher Möglichkeit in den vorgestellten Gott, hier alle Türen geöffnet sind, fasziniert mich diese Formulierung dann doch: Dass da ein Gott ist, den das menschlich Böse nicht Abstand davon gewinnen lässt, sich auf den Menschen beziehen zu wollen. Aber wenn Israel bereits lange Zeit vor Jesus zum Glauben daran gefunden hatte, dass Gottes Bundeswilligkeit unbedingt ist, darf meines Erachtens sehr berechtigt die Frage gestellt werden, warum es aus soteriologischen Gründen auf das Christusbekenntnis angewiesen sein soll. Israel beziehungsweise das Judentum ist es nicht. Es kennt diesen Gott. Und deshalb muss es auch nicht missioniert werden. Und wenn das Christentum mit der Satisfaktionslehre brechen würde, dann entzöge es sich auch der Notwendigkeit, im jüdisch-christlichen Dialog dann doch wieder etwas verschweigen zu müssen, weil man diesen nicht stören will. Und wenn man christlich-theologisch daran festhält, dass Jesus die singuläre Inkarnation Gottes ist – und er nicht nur

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das wie auch immer möglich gewordene geschichtliche Erscheinungsbild des Gottmenschideals war –, dann kann die Frage, warum Gott so und nicht anders Menschen begegnen wollte, neu einsetzen. Wollte er möglicherweise in menschlicher Gestalt erfahrbar machen, wer und wie er für den Menschen sein will? Das sich auf dem Inkarnationsglauben aufbauende Selbstoffenbarungsdenken und damit die Christologie bilden dann nicht mehr den Störenfried im jüdisch-christlichen Gespräch. Sich christlich-theologisch davon bestimmen zu lassen, dass Jesus Jude war, erfordert großflächige Umbauarbeiten an einer historisch aufgebauten Dogmatik. Jedenfalls dann, wenn man so einsetzt, wie ich einsetze – mit dem Konzept des ethischen Monotheismus.

Der jüdische Jesus und die Christologie des Konzils von Chalkedon Josef Wohlmuth Immer wieder wird gegen die christliche Jesusinterpretation eingewendet, sie verdanke sich hellenistischen Einflüssen, die schon im ersten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung, also schon zur Zeit der Entstehung der Evangelien prägend waren, aber nicht schon im Horizont Jesu von Nazareth selbst standen. Was geschieht aber mit der jüdischen Jesusforschung, wenn Jesus von Nazareth nicht „hellenistisch“ interpretiert wird, sondern „jüdisch“, d. h. von nachweislich jüdischen Texten her gedeutet wird, wie es Daniel Boyarin versucht? Fällt dann die Hellenisierungsthese in sich zusammen, sodass sich die jüdische Jesusforschung in Zukunft damit auseinandersetzen muss, mit dem historisch verstandenen Jesus von Nazareth auch schon eine Deutung zu verbinden, die ausschließlich von jüdischen Texten abgeleitet werden kann. Um mich kurz zu halten, will ich mich in meinem Beitrag einem neueren, zugegebenermaßen eher allgemeinverständlichen Werk Boyarins mit dem Titel The Jewish Gospels zuwenden. Mit dem Untertitel The History of the Jewish Christ1 wird provokativ angezeigt, dass Boyarin nicht nur von Jesus, dem Juden, schreiben will, sondern die Geschichte des jüdischen Christus, d. h. die Messianität Jesu behandeln will. Freilich verbindet Boyarin mit der Provokation, die sich auf die jüdische Jesusforschung bezieht, auch eine zweite Provokation, welche die spätere Christologie der Reichskonzilien des 4. Jahrhunderts betrifft. Boyarin zufolge sind nämlich die Grenzen zwischen Juden und Christen bezüglich ihres Glaubens an Jesus von Nazareth bis in das 4. Jahrhundert hinein fließend, während die Reichskonzilien von Nizäa (325) und Konstantinopel (381) eine Christologie lehren, in denen keine jüdischen Spuren mehr zu finden sind. Während Boyarins Forschungsrichtung von der gängigen jüdischen Jesusforschung in die Kritik gerät, bestreite ich eher die Tragfähigkeit seiner zweiten These, wonach die genannten Konzilien den jüdischen Boden der Jesusinterpretation verlassen haben. Dass nicht nur die synoptischen Evangelien, sondern auch Paulus jüdisch gelesen werden können, wird 1 Vgl. D. Boyarin, The Jewish Gospels. The Story of the Jewish Christ, New York 2012. Vgl. D. Boyarin (übersetzt von A. Wolf), Die jüdischen Evangelien. Die Geschichte des jüdischen Christus, Würzburg 2015. Wenn nicht anders vermerkt, beziehen sich die Seitenzahlen in meiner Darstellung auf die deutsche Version.

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heute, wenn ich recht sehe, kaum noch bestritten, mögen auch viele Einzelfragen kontrovers diskutiert werden. Im Nachwort bestreitet Daniel Boyarin vor allem Rudolf Bultmanns hermeneutischen Ansatz, der besagt, „dass die beeindruckendsten Teile der Jesus-Geschichte […] allesamt ex eventu (aufgrund der Ereignisse im Nachhinein) von den frühesten Nachfolgern Jesu stammen, die diese Vorstellungen im Gefolge seines Todes und ihrer Erfahrungen der Erscheinungen seiner Auferstehung entwickelten“ (147). Bei der renommierten Bibelwissenschaftlerin Adela Y. Collins sei zu lesen, „dass die ‚Neuprägung‘ der Vorstellung eines leidenden, sterbenden und auferstandenen Messias oder Menschsohnes […] ‚nicht von Jesus selbst, sondern von der Gemeinde ex eventu vorgenommen‘ wurde […]“ (147 f.). Gegen solche Stimmen wendet sich Daniel Boyarin mit Entschiedenheit: „Der Historiker in mir rebelliert gegen eine solche Darstellung“ (148). Selbst wenn man davon ausgeht, dass Jesus eine bemerkenswerte historische Persönlichkeit war, reicht es nicht einmal, historisch von Jesus zu sagen, er habe einen „weltverändernden Umsturz von Glaubensvorstellungen und ‑praktiken“ heraufgeführt. Der Streit um die hier zugespitzten Fragen hermeneutischer Grundrichtungen sollten den jüdisch-christlichen Dialog auf jeden Fall ernsthaft befassen. In meinem kurzen Beitrag will ich den hermeneutischen Richtungsentscheidungen mein Hauptinteresse zuwenden, zumal ich als systematischer Theologe in exegetischen Einzelfragen nicht kompetent bin.

1. Der „jüdische“ Jesus von Nazareth bei Daniel Boyarin Daniel Boyarin zufolge sind die synoptischen Evangelien bezüglich der Jesusinterpretation viel jüdischer bestimmt, als in der historisch-kritischen Forschung bisher wahrgenommen wurde. Aber Boyarin hält in seiner Einleitung auch schon fest, dass die verschiedenen Checklisten, die bis in die Mitte des 4. Jahrhunderts entstanden sind, eine Trennungslinie favorisierten, die in den ersten beiden Reichskonzilien von Nizäa (325) und Konstantinopel I (381) einen gewissen Abschluss gefunden haben. Das Konzil von Chalkedon (451) nennt Boyarin in diesem Zusammenhang nicht mehr. Um Daniel Boyarins hermeneutische Grundlinien überzeugend darzulegen, müsste ich mich der Auslegung der einzelnen Texte detailliert zuwenden und auch Boyarins Gesamtwerk einbeziehen. Dies würde den Rahmen meines Beitrags aber sprengen. Für Boyarin lautet die entscheidende Frage, ob und wie das Christentum zu der Überzeugung kommen konnte, dem jüdischen Menschen aus dem Galiläa des ersten Jahrhunderts, Jesus von Nazareth, die Gottessohnschaft des einen und einzigen Gottes Israels sowie die Messianität und zumal den Titel des leidenden Menschensohnes zuzusprechen. Die Antwort darauf ist unter jüdischen Gelehrten ebenso strittig wie unter christlichen Bibelwissenschaftlern. Boyarin selbst umschreibt die

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bisherige (jüdische) Jesusforschung so: „Mittlerweile erkennt fast jeder an, dass der historische Jesus ein Jude war, der den alten jüdischen (Glaubens‑)Wegen folgte. Auch wächst die Einsicht, dass die Evangelien selbst und sogar die Briefe des Paulus wesentliche Bestandteile der Religion des Volkes Israel im 1. Jahrhundert n. Chr. sind“ (39). Doch Boyarin weiß gleichwohl, wie umstritten im Palästina des ersten Jahrhunderts die jüdischen Beurteilungen Jesu sein konnten. Es war möglich, einen Messias zu erwarten, aber ihm keine Göttlichkeit zuzuschreiben. In dieser Zeit war es möglich von einem Judentum zu sprechen, „das auch das frühe Christentum einschließt“ (39). Längerfristig hängt davon auch ab, ob die messianische Jesusinterpretation, die zur Christologie geführt hat, ebenfalls auf jüdisches Urgestein zurückgeht. Wäre man sich diesbezüglich einig, müsste Boyarin zufolge immer noch weiter gefragt werden, ob damit dem Nazarener von jüdischer Seite auch noch die Göttlichkeit zugesprochen werden darf, wenn doch unstrittig ist, dass Jesus Jude war. Müsste etwa weiterhin davon ausgegangen werden, dass die Rede von einem Gott-Menschen allein vom Einfluss hellenistisch-heidnischen Denkens abhängt, von dem Jesus selbst noch nichts gewusst hätte, wohl aber die Verfasser der neutestamentlichen Schriften, zumal der Evangelien? Diese Frage betrifft m. E. die entstehende Christologie in ihrem Kern und fordert zugleich eine neue jüdische Antwort heraus. Es bedarf etwa der Prüfung, ob monotheistische Juden zur Zeitenwende überhaupt in der Lage waren, einem bestimmten Menschen Göttlichkeit zuzusprechen. Deshalb trägt Boyarins erstes Kapitel zunächst nur die Überschrift: „Vom Gottessohn zum Menschensohn“ (dt. 43–80; vgl. engl. „From Son of God to Son of Man“, 25–70). Die entscheidende Frage, mit der Boyarin einsetzt, lautet: „Wer ist der Menschensohn?“ Die Antwort darauf entnimmt Boyarin aus der klassischen Stelle in Dan 7,9–14. An ihr zeigt er, dass Gott als der Hochbetagte und der Menschensohn als der jüngere, mit dem Hochbetagten auf dem Thron sitzende Menschensohn in zwei göttlichen Figuren erscheinen, die religionsgeschichtlich möglicherweise auf die Zweiheit der kanaanäischen Gottheiten El und Baal zurückgehen (vgl. 48–62). Die späte Auslegung der Danielstelle im Talmud hat Boyarin zufolge bereits die Christologie und Trinitätstheologie der Christen vor Augen und polemisiert deshalb gegen das Christentum, es würde den jüdischen Monotheismus zerstören. Boyarin selbst aber hält Dan 7 für eines der vielleicht ältesten religiösen Visionsfragmente Israels, das ermöglichte, diesen alten Mythos den Juden bereits vor der Ankunft Jesu immer wieder vor Augen zu stellen. Dazu gehören nun auch die Evangelien als jüdische Zeugnisse des ersten nachchristlichen Jahrhunderts. Diese erfanden keinen neuen Mythos, sondern kannten und benutzten die frühesten Ideen Israels, die Gott und sein Verhältnis zu Welt und Politik betrafen. Dies wurde mit der Figur des Menschensohnes versucht.2 2 An dieser Stelle folgt bei Boyarin ein religionsgeschichtlicher, sicherlich auch bestreitbarer Exkurs (S. 46–52), den ich hier nicht weiter verfolge.

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Auf diesem Hintergrund interpretiert Boyarin wichtige Stellen aus dem Markusevangelium. Ich greife nur zwei heraus, in denen die Interpretation des Lexems „Menschensohn“ besonders strittig behandelt wird. Die erste Stelle gehört zur galiläischen Phase, die letzte zum Prozess in Jerusalem. Dabei geht es auch um die Frage, ob die Unterscheidung zwischen „Hoher Christologie“ (High Christology) und „Christologie von unten“ (Low Christology) hilfreich ist.3 Diese Frage bewegt Boyarin zufolge „anhaltend und lebhaft einen Großteil der Forschung zum Thema der Vorgeschichte des Christentums oder zur Geschichte des Vor-Christentums, wie im Neuen Testament bezeugt […]“ (63). Nach traditioneller (vor allem liberal-protestantischer) Sicht verdankt sich die Hohe Christologie heidnischem Einfluss und kann nicht aus dem Judentum selbst abgeleitet werden. Doch Boyarin zufolge neigen heute mehr und mehr Forscher zu der These, dass „die älteste Version der Hohen Christologie sich innerhalb eines jüdischen Kontextes“ (64) herausgebildet hat. Im Blick auf die Auslegung von Mk 2,5–10 schreibt Boyarin einleitend: „Die Gründe dafür, dass viele Juden zu glauben begannen, dass Jesus göttlich wäre, lagen darin, dass sie bereits erwarteten, dass der Messias/Christus ein Gott-Mensch sein würde. Diese Erwartung war ein wesentlicher Bestandteil der jüdischen Tradition“ (65). Jesus von Nazareth, so Daniel Boyarin, verstand sich selbst als „der göttliche Menschensohn“, dem als der jungen göttlichen Gestalt auf dem Thron Ehre und Hoheitsgewalt und die Herrschaft über die ganze irdische Welt gegeben ist. Eine spätere Interpretation, die „Menschensohn“ auf das ganze Volk anwendete, kann die vorausgehende frühe Interpretation nicht erschüttern; denn in Mk 2,5 wird auf die Frage, ob Jesus dem Gelähmten, der Heilung erbittet, die Antwort gegeben: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Mit dem Stichwort „Sündenvergebung“ eskaliert der innerjüdische Streit mit den Schriftgelehrten, den Jesus mit den Worten beendet: „[…] Was ist leichter, dem Gelähmten zu sagen; ‚Deine Sünden sind dir vergeben‘ oder zu sagen ‚Steh auf, nimm dein Bett und geh umher?‘ Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden, sprach er zu dem Gelähmten: ‚Steh auf, nimm dein Bett und geh nach Hause‘.“ (65 f.)

Boyarin kommentiert, dass die Vollmacht (exousia) des Menschensohnes, auf Erden Sünden zu vergeben, mit der Zusage göttlicher Macht in Dan 7,14 gegeben sei. Demnach stützt Jesus seine Vollmacht auf diesen biblischen Text. Wenn nach dem Einwand der Schriftgelehrten nur Gott Sünden vergeben kann, dann beansprucht Jesus eben durch seine Tat Göttlichkeit. Der Menschensohn „ist bevollmächtigt, als [Gott] und anstelle Gottes zu handeln“ (66). Es geht hier und in anderen Texten, in denen vom Menschensohn die Rede ist, immer um die Ausübung der Vollmacht, die Jesus für seine Handlung beansprucht. Boyarin 3 Hohe Christologie hat sich der folgenden Frage zu stellen: „War Jesus göttlich von Geburt an oder ein gewöhnlicher Mensch, der später von Gott adoptiert und vergöttlicht wurde?“ (S. 63).

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bemerkt dazu, es sei damit auch klar, warum die späteren Rabbinen, die Dan 7 als häretischen Text ansahen, gerade bestätigten, dass dort von „zwei Mächten im Himmel“ gesprochen wird (66 f.).4 Die zweite Textreihe betrifft den Prozess Jesu. Boyarin behandelt sie im vierten Kapitel mit der Überschrift: „Der leidende Christus als ein Midrasch zu Daniel“ (125–145; „The Suffering Christ as a Midrash on Daniel“, 129–156). Hier behandelt Boyarin Mk 8,27–38 und Mk 14,62, die ich exemplarisch herausgreife. Abgesehen davon, dass Boyarin das stellvertretende Leiden des Messias zum Grundbestand der „Jüdischkeit“ zählt, zeigt er an Mk 8,38, dass Jesus „ein sehr deutliches Gespür für seine messianische Rolle und sein Geschick sowie dafür (hatte), dass seine Bestimmung und sein Schicksal das waren, was für den Menschensohn in Dan 7 vorausgesagt worden war“ (130). In Mk 14,62 sieht Boyarin eine noch deutlichere Selbst-Identifikation Jesu als Messias. In der Verhandlungsszene mit dem Hohen Rat fragt der Hohepriester Jesus, ob er „der Christus, der Sohn des Hochgelobten“ sei. Jesus antwortet: „Ich bin es.“ Und er fährt fort: „Ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Kraft sitzen und kommen sehen mit den Wolken des Himmels“ (130). Der Hohepriester hört dies und bezichtigt ihn der Gotteslästerung. Boyarin zeigt, was man aus dieser S­ telle lernen kann: 1. „Messias“ ist für Jesus gleichbedeutend mit „Menschensohn“. 2. Der Anspruch Jesu, „Menschensohn“ zu sein, deutet der Hohepriester als Gotteslästerung. Jesus beansprucht also nicht nur die Messianität, sondern sogar die Göttlichkeit. Die Antwort Jesu mit egó eimi (ich bin es) verweist Boyarin zufolge auf das Tetragramm (vgl. Ex 3,14). „Ich behaupte deshalb, dass es höchst plausibel ist, das ‚Ich bin‘ Jesu als Namen Gottes zu verstehen“ (131; vgl. Anm.). Damit steht für Boyarin fest, dass Jesus sich sowohl als leidenden Messias und Menschensohn sowie als leidend-stellvertretenden Gottesknecht verstanden hat (vgl. 133–145). Die Historizität des markinischen Dialogs bestreitet Boyarin in keiner Weise. Die Überzeugung, dass der Evangelist hier nicht Worte Jesu erfindet, sondern ihn wörtlich zitiert, hängt damit zusammen, dass Jesu Antwort auf Dan 7 zurückgreift. Erneut schlägt Boyarins Grundüberzeugung zu Buche: 4 Es ist nun interessant, in einem kleinen Seitenblick auf die Auslegung der Stelle bei einem katholischen Bibelwissenschaftler zu achten. Joachim Gnilka versteht den Ausdruck „Menschensohn“ in der Bedeutung von „Mensch“ und folgert daraus, dass Jesus gerade als Mensch göttliche Vollmacht beansprucht. Das Wunder wird gleichsam zum Beweis dieser Vollmacht. Zu Vers 10 schreibt Gnilka: „Der Sinn wäre dann: ‚Nicht nur Gott darf vergeben, sondern mit mir, Jesus, auch ein Mensch‘ [Colpe].“ Immer wieder, so Gnilka kurz zuvor, habe man versucht, dieses Wort als authentisches Wort Jesu zu verstehen. Dies wäre freilich nur dann möglich, wenn man „Menschensohn“ noch nicht als christologischen Titel, sondern als gewöhnliche Aussage im Sinn von „Mensch“ nehmen würde (101). Gnilka zufolge findet sich nirgendwo in der rabbinischen Literatur ein Zusammenhang von Menschensohn und Sündenvergebung. Indem Gnilka nur im Modus von „Übertragung apokalyptischer Vorstellungen auf Jesus“ denkt, scheint Boyarins Auslegung diametral dagegen zu sprechen. Dass Jesus selbst sich von Dan 7 her versteht, bleibt bei Gnilka an dieser Stelle ausgeschlossen. J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus (EKK II/1), Neukirchen-Vluyn 1978, S. 95–102, hier: S. 101.

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Jesus ist der primäre Rezipient des prophetischen Wortes in Dan 7 und nicht der Evangelist (und seine Quellen). Den historisch-kritischen Bibelgelehrten wird dies vielleicht nicht in jeder Hinsicht überzeugen. Boyarin bekräftigt seine Hermeneutik ein weiteres Mal in seinem Nachwort (147–149) bezüglich der Auferstehung Jesu, wonach „der Idee, dass er auferstehen würde“, nicht die Erfahrungen der Jünger vorausgegangen seien. Es sei möglich, dass die Jünger Auferstehungserscheinungen hatten; aber diese erwarteten sie Boyarin zufolge, weil sie zuvor schon ein Narrativ hatten, das sie dahin lenkte (148). Dies geht aus den dargelegten Analysen hervor, die Boyarin noch zusätzlich bekräftigt, wenn er schreibt: „Ein Volk hatte jahrhundertelang von einem neuen König, einem Davidssohn, erzählt, über ihn nachgedacht und gelesen, der kommen würde, um sie von der seleukidischen und später römischen Unterdrückung zu erlösen und sie hielten schließlich diesen König für eine zweite, jüngere, göttliche Gestalt auf der Grundlage der Reflexion des Danielbuches über diese sehr alte Überlieferung“ (148 f.). Die durchaus mögliche Kreativität Jesu und seiner Jünger entfaltet sich deshalb, wie Boyarin zusammenfasst, „höchst ergiebig und überzeugend inmitten der jüdischen textuellen und intertextuellen Welt“, d. h. „im Resonanzraum einer jüdischen Klanglandschaft des ersten Jahrhunderts“ (149).

2. Einblick in die weitere Geschichte der Christologie bis zum Konzil von Chalkedon (451) Auf dem Hintergrund der wenigen Einblicke ist es m. E. erforderlich, die sich im kirchlichen Klangraum weiter entfaltende Christologie daraufhin zu befragen, ob sie sich aus der jüdischen Tradition um die Zeit der Konstantinischen Wende so weit entfernt hat, dass das Große Glaubensbekenntnis von Nizäa/Konstantinopel (325/381) schließlich den Trennungsstrich gegenüber dem Judentum herbeigeführt hat, wie Boyarin meint. Wurde aber in diesem Bekenntnis tatsächlich alles hinter sich gelassen, ja verdrängt, was für das erste Jahrhundert den jüdischen Jesus ausmachte, wie ihn Boyarin vor Augen stellt? Oder könnte das Judentum in seiner weiteren Entfernung von der biblischen Zeit und der Zeit des Zweiten Tempels selbst auf die Prärogativen einer messianischen Erlöserfigur verzichtet haben, um dem Monotheismus Eindeutigkeit zu verleihen? Konkreter stellt sich die Frage, ob die genannten Konzilien, denen ich das Konzil von Chalkedon noch hinzufüge, die behandelten Stellen aus dem Markus­ evangelium schon nicht mehr jüdisch verstehen konnten. Wenn nicht mehr, so ließe sich fragen, ob dafür der Einbruch des hellenistischen Denkens die Ursache war, die alles Jüdische verdrängte. Es ist ja nicht zu bestreiten, dass die Konzilien jener Zeit (das von Ephesus nicht ausgeschlossen) von der griechischen Sprache und von griechischem Denken mitgeprägt waren. Führte dies aber so weit, dass der jüdische Hintergrund der christlichen Tradition vollends vergessen wurde?

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Ist die Theologie tatsächlich an die Stelle gekommen, an der Boyarin zufolge die endgültige Trennung von Judentum und Christentum besiegelt wurde? Sollte man folglich die These aufstellen, dass in der Zeit, in der die rabbinischen Traditionen um den reinen Monotheismus kämpften, indem sie die Hohe Christologie bestritten, die Christenheit umso entschiedener auf einer Hohen Christologie bestand? Dann hätte es gar nicht anders kommen können, als dass Judentum und Kirche als unversöhnliche Gegensätze auseinandertraten und zu konkurrierenden Feinden wurden. Welche Antworten gibt es auf solche und ähnliche Fragen aus der Sicht des Konzils von Chalkedon, das sich dadurch auszeichnet, das Große Glaubensbekenntnis argumentativ zu vertiefen? In den ersten beiden ökumenischen Synoden von Nizäa und Konstantinopel wurde ein verbindliches, politisch abgesichertes Glaubensbekenntnis beschlossen, das seinerseits die Taufbekenntnisse aus verschiedenen führenden Gemeinden wie Antiochien, Alexandrien oder Jerusalem voraussetzte. Dennoch kam die Kirche in der damaligen „Ökumene“ nicht zur Ruhe. Von 325 bis 451 wollte die Frage, wer Jesus Christus sei, nicht verstummen. Dabei hatte das Glaubensbekenntnis von Nizäa und Konstantinopel mit großer Kühnheit vom einen Gott als dem Vater und Schöpfer und vom einen Herrn Jesus Christus als dem einziggeborenen Sohn dieses Vaters gesprochen, und damit urjüdische Glaubenstradition übernommen und christologisch vertieft. Dieser „vor allen Weltzeiten“ aus Gott geborene Sohn hat Fleisch angenommen und ist als Mensch geboren worden. Er hat zu unserem Heil gelitten und ist gestorben und auferstanden. Abgewehrt wird die Ansicht, „Geburt“ des Sohnes vor aller Weltzeit bedeute, er sei erschaffen worden, so dass der aus Gott Geborene nur Geschöpf sei, wenn auch das vorzüglichste, wie Arius lehrte. Die Formel „geboren, nicht geschaffen“ (natum non factum)5 bedeutet eine erste große Zumutung an die Glaubenden von einst und heute, weil in Gott eine Differenzierung vorgenommen wurde. War dies nicht gerade aus jüdischem Erbe möglich, wenn Dan 7 Geltung behielt und weitere Stellen aus der jüdischen Weisheitstradition hinzugezogen werden konnten? Das Lexem „wesensgleich“ ist das einzige Wort des Glaubensbekenntnisses, das nicht aus der biblischen Sprache abgeleitet werden konnte. Kein Wunder, dass in der Zeit nach dem Konzil von Nizäa dadurch weitere Fragen aufgeworfen wurden. Zuerst in Ephesus, dann in Chalkedon. Dort geht es um die zentrale Frage: Wer ist also dieser Jesus, in dessen Tod und Auferstehung die Täuflinge ihr Heil sahen? Wer ist dieser „Menschensohn“, was sollen, was dürfen die Menschen von ihm halten, was von ihm für ihr Heil erhoffen, wie sollen sie über ihn denken? Das Konzil von Chalkedon hat kein neues oder auch nur korrigiertes Glaubenssymbol vorgelegt, sondern einen „Horos“, d. h. eine klarstellende, theologische Auslegung und Begründung des Glaubensbekenntnisses 5 So

eine lateinische Übersetzung des griechischen Urtextes.

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von Nizäa/Konstantinopel.6 Man könnte auch von einem theologischen Kommentar des Glaubenssymbols sprechen, das im Konzil von Chalkedon feierlich verlesen, dort zu den Konzilsakten gelegt und auf diese Weise zugleich quellenmäßig gesichert überliefert wurde. Der Horos von Chalkedon besteht aus einem einzigen Satz, der nur mit Mühe übersetzt werden kann. Er lautet in deutscher Übersetzung: „Wir folgen also den heiligen Vätern und lehren alle übereinstimmend: Unser Herr Jesus Christus ist als ein und derselbe Sohn zu bekennen, vollkommen derselbe in der Gottheit, vollkommen derselbe in der Menschheit, wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch derselbe, aus Vernunftseele und Leib, wesensgleich dem Vater der Gottheit nach, wesensgleich uns derselbe der Menschheit nach, in allem uns gleich außer der Sünde, vor Weltzeiten aus dem Vater geboren der Gottheit nach, in den letzten Tagen derselbe für uns und um unseres Heiles willen aus Maria, der jungfräulichen Gottesgebärerin, der Menschheit nach, ein und derselbe Christus, Sohn, Herr, Einziggeborener, in zwei Naturen unvermischt, unverändert, ungeteilt und ungetrennt kund getan, in keiner Weise unter Aufhebung des Unterschieds der Naturen aufgrund der Einigung, sondern vielmehr unter Wahrung der Eigentümlichkeit jeder der beiden Naturen und im Zusammenkommen zu einer Person und einer Hypostase, nicht durch Teilung oder Trennung in zwei Personen, sondern ein und derselbe einziggeborene Sohn, Gott, Logos, Herr, Jesus Christus, wie die Propheten von Anfang an über ihn lehrten und er selbst, Jesus Christus, uns gelehrt hat, und wie es uns im Symbol der Väter überliefert ist.“7

Trotz verschiedener Quellen im Hintergrund, die den vorausgehenden theologischen Streit betreffen, wirkt der Text stilistisch überraschend einheitlich. Einseitigkeiten in der Interpretation der Glaubensbekenntnisse durch die beiden rivalisierenden Schulen von Alexandrien und Antiochien konnten vermieden werden. Mit dem im Konzil verlesenen Brief Papst Leos wird auch der Beitrag der lateinischen Kirche wirksam. Somit treten die kontroversen Positionen in den Hintergrund, verschwinden aber nicht völlig. Folgende Punkte verdienen im Horos hervorgehoben zu werden: 1. Die Betonung des vollständigen Menschseins Jesu richtet sich gegen jeden Versuch, das Menschsein Jesu zugunsten des ewigen Wortes (Logos) zu verkürzen. Auch die menschliche Seele Jesu kann nicht teilweise oder ganz durch den göttlichen Logos ersetzt werden. Chalkedon bekräftigt deshalb auch, vom Judesein Jesu zu sprechen, insofern dieses zu seinem vollen Menschsein gehört. 2. Die Wiederaufnahme des nizänischen „wesensgleich“ (homoousios) betrifft jetzt jedoch nicht mehr nur die Göttlichkeit Jesu, sondern auch seine Menschlichkeit, wobei das einzige Schriftzitat aus Hebr 4,15 „in allem uns gleich außer der Sünde“ das Menschsein Jesu durch die Sündelosigkeit präzisiert. Mit dem Glaubensbekenntnis von Nizäa/Konstantinopel wird erneut von der Geburt des 6 Vgl. R. Staats, Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel. Historische und theologische Grundlegung, Darmstadt 1996, bes. S. 34–120. 7 Zitiert nach J. Wohlmuth, Dekrete der Ökumenischen Konzilien, Bd. 1, Paderborn 31998, hier: S. 86 (Übers. leicht verändert).

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Sohnes aus dem Vater vor Weltzeiten der Gottheit nach gesprochen und die zweite Geburt als Mensch hinzugefügt. 3. Durch die Fleisch‑ und Menschwerdung geschieht die Kundgabe (gnorizómenon) im menschlichen Angesicht Jesu; Gottes Offenbarung ereignet sich – wie schon im vorchristlichen Israel – in Zeit und Geschichte. Das unsichtbare Antlitz Gottes (hebr. panim) erhält im Menschsein Jesu ein Angesicht (griech. prósōpon). Es spricht viel dafür, dass das im griechischen Text verwendete Wort prósopon, das mit „Person“ übersetzt wird, für das hebräische „panim“ (=Angesicht [Gottes]) steht, während das beigeordnete hypostasis ein Zugeständnis an alexandrinisches Denken darstellt; Hypostase und Natur sind klar voneinander zu unterscheiden. Im einen Angesicht Jesu erscheint der Gott-Mensch. 4. Die mehrmalige Wiederholung des Ausdrucks „ein und derselbe“ (hena kai ton auton) wendet sich gegen die nestorianische Trennung der beiden Naturen (physeis) und betont unmissverständlich, dass es um die Frage geht: „Wer ist Jesus Christus?“ Die Wer-Frage8 betrifft die eine und einzigartige Person, das Angesicht Jesu. 5. Der chalkedonische Horos bleibt nicht bei einem griechischen Vorverständnis der beiden Naturen stehen, sondern legt Wert auf deren Beziehung zueinander, die diffizil umschrieben wird. Weil man eine monophysitische Überbetonung der Einheit kraft des göttlichen Logos ebenso vermeiden wollte wie eine nestorianische Trennungschristologie, die beide Naturen nebeneinander belassen würde, kommt es zu einer Umschreibung der Einheit durch bedeutende negativ-theologische Abgrenzungen. Die beiden Kennzeichnungen „unvermischt“ (asynchýtōs/inconfuse) und „unverändert“ (atréptōs immutabiliter) schließen eine Vermischung oder Veränderung der beiden Naturen durch die Vereinigung aus; die beiden Kennzeichnungen „ungeteilt“ (adiairétōs/indivise) und „ungetrennt“ (achorístōs/inseperabiliter) lehnen ein Nebeneinander von Gottheit und Menschheit ab, das schließlich „zwei Angesichte“ erfordern würde.9 Statt Vermischung geschieht die Bewahrung einer jeden Natur je als solche in ihrer Eigenart. Aber sie „laufen“ zu einem „Angesicht“ oder zu einer Hypostase zusammen. Mit negativer Terminologie wird 8 Emmanuel Levinas hat die Unterscheidung zwischen Wer‑ und Was-Frage herausgearbeitet. Dieser Unterscheidung gehe die noch grundlegendere Frage voraus, ob alle unsere Fragen auf das Verstehen hinauslaufen, in dem wir letztlich Kohärenzen des Ontologischen entdecken. Dann wären unsere Fragen Was-Fragen, die der Reihe nach beantwortet werden könnten, wobei die einzige Instanz des Fragens das fragende Subjekt wäre. Der Wer aber erweist sich als ein Knotenpunkt, in dem Fäden zusammenlaufen, die nicht das Ergebnis von Frage und Antwort darstellen, sondern diesen noch voraus liegen. Ein so verstandenes Subjekt geht dem Sein und dem Erkennen voraus; denn „Subjektivität, das meint der-Andere-im-Selben.“ Vgl. E. Levinas, Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, Freiburg/München 1992, S. 67.  – M. E. legt der Ausdruck „ein und derselbe“ im Horos nahe, die beiden „Naturen“ in Jesus nicht mit der Was-Frage zu analysieren, weil sie bereits vor aller Logik in die Personalität des „einen und selben“ einbezogen sind. Dies bedeutet, dass weder Göttlichkeit noch Menschlichkeit in Jesus verdinglicht werden dürfen. 9 Vgl. G. M.  Hoff, Chalkedon im Paradigma Negativer Theologie. Zur aporetischen Wahrnehmung der chalkedonensischen Christologie, in: ThPh 70 (1995), S. 355–372, hier S. 368.

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gesagt, wie die Einheit nicht verstanden werden darf, während mit einer positiven Metapher10 angedeutet wird, worin das „eine Angesicht“ seine Begründung findet. Dabei bleibt das Verständnis von prósopon aus der griechischen Theatersprache nur eine schwache Metapher im Hintergrund. 6. Indem die beiden alten Richtungen der Christologie, die Einheits‑ und die Trennungschristologie, das Logos-Sarx-Schema wie das Gott-Mensch-Schema, Alexandrien wie Antiochien, in diese Formulierung eingeflossen sind, wirkt die Formel wie ein Kompromiss. Von allen Richtungen wurde sie allerdings nicht angenommen, weil in den östlichen Provinzen die Rede von „zwei Naturen“ keine Akzeptanz finden sollte. Tatsächlich kam es zur Kirchenspaltung zwischen chalkedonensischen und vorchalkedonensischen Kirchen. Dies allerdings war auch stark durch die politischen Umstände bzw. das von Polemik geprägte Klima verursacht. 7. Eine deutliche Rückbindung an den jüdischen Hintergrund der Christologie – fast möchte man sagen im Sinne Boyarins – bilden die zusammenfassenden Namen, die der Gott-Mensch am Ende des Horos zugesprochen erhält: „Einziggeborener Sohn, Gott, Logos, Herr, Jesus Christus“. Sie sind alle hebräisch rückübersetzbar und verweisen somit auf ihren Ursprung in der hebräischen Bibel und ihrer griechischen Übersetzung (Septuaginta). Dass Kyrios/Herr auf Adonai zurückgeht und für „Gott“ mehrere hebräische Namen stehen können, macht darauf aufmerksam, dass vor allem „Gott“ in Anwendung auf Jesus nicht im absoluten Sinn verwendet werden darf. Nicht umsonst steht das Wort in der Mitte der Namen, die ein Beziehungsgefüge aufweisen, das sowohl das Glaubensbekenntnis selbst als auch der Horos von Chalkedon bekräftigen. Nicht zu übersehen ist deshalb der Hinweis, dass man sich auf die „Propheten von Anfang an“ beruft und auf Jesu Autorität, die in den neutestamentlichen Schriften und im Glaubensbekenntnis ihren Niederschlag gefunden hatten. Die Kontinuität mit der jüdischen Herkunft des Christentums könnte kaum stärker betont werden. Einer der bedeutendsten katholischen Interpreten des chalkedonischen Horos im 20. Jahrhundert ist Karl Rahner.11 Da ihm zur Zeit der Abfassung seines Aufsatzes die bleibende Bedeutung des Judentums noch kaum bewusst gewesen sein dürfte, wird man an Rahners Interpretation mit gewisser Skepsis herangehen. Er schreibt: „Wir werden zu dieser Formel immer wieder zurückkehren, weil, wenn kurz gesagt werden soll, was uns begegnet in der unsagbaren Erkenntnis, die 10 Das griechische Wort trechein (=laufen) kommt aus der Sportsprache. Entsprechend bedeutet syntrechein zusammenlaufen, zusammenkommen, dann aber auch sich vereinigen. 11 Das Konzil von Chalkedon (451) geriet 1951 aus verständlichen Jubiläumsgründen historisch und systematisch neu in den Blick. Vgl. das dreibändige Werk: A. Grillmeier/H. Bacht (Hg.), Das Konzil von Chalkedon, Würzburg 51979. Dort findet sich die Erstveröffentlichung des Beitrags: K. Rahner, Chalkedon – Ende oder Anfang?, S. 3–49. Ich zitiere im Folgenden nach der Ausgabe: K. Rahner, Probleme der Christologie von heute, in: K. Rahner, Schriften zur Theologie, Bd. 1, Einsiedeln/Zürich/Köln 1954, S. 169–222. Die Zahlen in Klammern im Text beziehen sich darauf.

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unser Heil ist, wir immer wieder bei der bescheidenen nüchternen Klarheit der Formel von Chalkedon ankommen werden“ (170). Bei näherem Zusehen wird aber wohl zu beachten sein, dass Rahner zwar nicht an den Juden Jesus denkt, aber umso intensiver über das Verhältnis von Gott und Geschöpf nachdenkt. Er führt aus: Würde man zwei geschöpfliche Größen in ein intensivstes Verhältnis der Nähe zueinander versetzen, müssten sie sich notwendigerweise gegenseitig verdrängen. Im Gegensatz dazu ist aber das Verhältnis von Gott und Geschöpf folgendermaßen so zu umschreiben, „daß nur eine göttliche Person eine von ihr real verschiedene Freiheit so als ihre eigene besitzen kann, daß diese nicht aufhört, wahrhaft frei zu sein auch gegenüber der sie besitzenden göttlichen Person, und doch diese Freiheit diese Person selbst als ihr ontologisches Subjekt qualifiziert“ (182). Mit dieser Äußerung entscheidet Rahner, dass die menschliche Seite Jesu, seine menschliche Natur, die aus Vernunftseele und Leib besteht, mit Freiheit begabt ist, somit also ein „vollkommenes Menschsein“ bedeutet. Rahner plädiert dafür, dass es insgesamt nicht nur bei einer Wiederholung des chalkedonischen Textes bleiben darf, vielmehr müsse das dort Gelehrte in folgende Richtung weitergedacht werden: „Diese menschliche Geschichte [Jesu] ist gerade dadurch, daß sie reine und radikalste Offenbarung Gottes selbst ist, die lebendigste, freieste vor Gott, von der Welt auf Gott hin und so mittlerisch, weil sie Gottes selbst und weil sie kreatürlichste und freieste ist“ (184). Doch es wird auch gesagt, dass die menschliche Freiheit nicht in sich und aus sich selbst betrachtet werden darf, sondern vom „vollkommenen Göttlichsein“ getragen wird. Dies ist nur möglich, wenn die göttliche Logos-Person das Menschsein in Jesus nicht erdrückt, sondern freisetzt. Rahner schreibt: „Das Verhältnis von Logos-Person zu ihrer menschlichen Natur ist gerade so zu denken, daß hier Eigenstand und radikale Nähe in gleicher Weise auf ihren einmaligen, qualitativ mit anderen Fällen inkommensurablen Höhepunkt kommen, der aber doch eben der einmalige Höhepunkt eines Schöpfer-Geschöpf-Verhältnisses ist“ (183). Vollkommene Göttlichkeit und Menschlichkeit in Jesus bedingen sich gegenseitig.12

12 Der Münchner Amerikanist Friedrich Georg Friedmann, der als Jude nach der Schoa nach Deutschland zurückgekehrt ist, hat mir in mehreren Gesprächen mitgeteilt, dass er gegen Ende des Zweiten Vatikanums Kontakt mit seinem damaligen Kollegen Karl Rahner in München aufgenommen hat. In seinen Gesprächen hat ihm Rahner u. a. gesagt: „[…] Aber als deutscher Christ weiß ich, wenn ich einem Juden begegne: hier ist einer, aus dessen Volk mein Erlöser kam.“ Das ist ein weiteres Zeugnis dafür, dass Rahner erst relativ spät seine Judenvergessenheit korrigierte und es offensichtlich zu tun vermochte, weil seine Interpretation des Horos von Chalkedon dazu Raum ließ.

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3. Chalkedon – Aufkündigung aller jüdischen Bezüge in der Christologie? Für das jüdisch-christliche Gespräch möchte ich zunächst festhalten, dass die beachtenswerte Rede vom einen Gott im Großen Glaubensbekenntnis in der Rezeption durch das Konzil von Chalkedon schlechterdings unabdingbar ist. Weiter ist darauf hinzuweisen, dass die Christologie den Glauben an den einen Gott nicht auflöst oder ersetzt, sondern eindeutig voraussetzt. Das Tetragramm das im Lexem „Kyrios“ nachklingt, behält seine Bedeutung und verweist auf die Unvordenklichkeit Gottes, die durch den einziggeborenen Sohn schließlich auf menschliche Weise erkennbar wird. Jesus von Nazareth ersetzt in keiner Weise den einen Gott Israels, auch wenn der Horos Jesu Göttlichkeit nicht weniger betont als seine Menschlichkeit. Auch in Chalkedon wird eine Christologie der Erniedrigung gelehrt. Jeder christliche Triumphalismus verbietet sich deshalb von selbst. In Chalkedon erhält das eine Angesicht Jesu, freilich ein großes Gewicht und stellt den „GottMenschen“ Jesus als letztlich dem Tod ausgesetztes Angesicht hinein in das Mysterium der Offenbarung des einen Gottes, der sich genau in dieser konkreten menschlichen Gestalt offenbart, ohne sich im Menschsein Jesu aufzulösen oder die göttliche Freiheit mit der menschlichen Freiheit Jesu in Konkurrenz zu setzen. Die „An-archie“ oder Anfangslosigkeit des einen Gottes bleibt bestehen, so dass die Christologie mit Recht bei der vorzeitlichen Geburt des Logos ansetzt, was freilich erst im Nachhinein von der Inkarnation her gedacht und in die Sprache des Glaubens übersetzt werden kann. Hier erhebt sich die Frage: Ist diese innige Zusammengehörigkeit von Gottes‑ und Menschensohn, die in Chalkedon ausbalanciert wird, noch mit dem vereinbar, was Boyarin aus den Evangelien als jüdische Quellen abgelesen hat? Ich vertrete die These, dass ohne den jüdischen Hintergrund die beiden Geburten des Gottes‑ und Menschensohnes in Chalkedon in der vorliegenden Form nicht hätten begründet werden können. Nach meiner Sicht trägt Boyarins Hermeneutik des frühen Judentums und deren Rezeption im Neuen Testament also sehr wohl dazu bei, auch noch im Konzil von Chalkedon die jüdischen Elemente der Jesusinterpretation klar zu entdecken. Daniel Boyarin kann deshalb von der christlichen Theologie durchaus erwarten, den Nachweis zu liefern, dass das Glaubensbekenntnis von Nizäa/Konstantinopel und seine Auslegung in Chalkedon trotz sprachlicher Transformationen den jüdischen Ursprung einer Hohen Christologie nicht verlassen hat und auch nicht verlassen darf. Hier stellen sich auch für den jüdisch-christlichen Dialog neue Herausforderungen, wenn es um die Frage geht, ob der Trennungsstrich von 325/381 dadurch gemildert werden kann, dass die nachbiblischen Judentümer das Judesein Jesu nicht nur historisch-kritisch bearbeiten, sondern auch in den genuin jüdischen Traditionen,

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die in die Christologie eingeflossen sind, wahrnehmen. Ich glaube, dass dabei insbesondere die Unvermischbarkeit des Göttlichen und Menschlichen in Jesus von Nazareth, die im asynchýtōs festgehalten wird, als eine Grunddifferenz zu verstehen ist, die sich in der chalkedonischen Christologie dem Judentum verdankt. Der jüdische Jeus ist dann nicht einfach ein „historischer Jesus“ ohne theologische Implikationen, sondern der aus den jüdischen Quellen verstandene Jesus von Nazareth in seinem spezifischen Gottesverhältnis. Insofern erscheint mir Daniel Boyarins These als höchst diskussionswürdig. Sollte sich dabei erhärten, dass sich für Juden das von ihm vorgelegte jüdische Jesusverständnis als unannehmbar erweist, ist dies von Seiten der Christen zu akzeptieren, weil nach heutigem Verständnis nicht mehr die Verwerfung Israels daraus folgt. Dann geht es um den Trennungsstrich, den Joseph Ratzinger als Theorem der zwei Wege vorschlägt, die angesichts dieser Differenz mit Paulus sagen kann: „Denn unwiderruflich sind Gnadengaben und Berufung Gottes“ (Röm 11,29), die den Juden gewährt werden, obgleich sie nicht an Jesus glauben. Wenn also die frühkirchliche Christologie versucht, die Göttlichkeit und Menschlichkeit Jesu in Balance zu halten und beide auf keinen Fall miteinander zu vermischen, dann schafft dies auch im jüdisch-christlichen Gespräch eine tragfähigere Basis, die neuere jüdische Jesusforschung in die christliche Theologie zu integrieren, zumal Walter Homolka zufolge die jüdische Jesusforschung eine zuverlässige Basis für das jüdisch-christliche Gespräch darstellt.13 Die Grundthese Boyarins, dass die Menschensohn-Frage zu den urjüdischen Traditionen gehört, sollte ein willkommenes Gesprächsangebot sein, das hohe Aufmerksamkeit erheischt. Die Frage der Messianität Jesu wird dabei wohl strittig bleiben, zumal wenn Walter Homolka die Bestreitung der Messianität Jesu mit Hermann Cohens These aus dem Jahre 1910 begründet, dass sich nämlich „[a]lle Anknüpfung der Religion […] an eine Person“ die Religion „der Gefahr des Mythos aus[setzt]. Denn der Grundsinn des Mythos ist die Personifikation alles Unpersönlichen“. Es gibt also keine personale Vermittlungsinstanz zwischen Gott und Mensch. Es ist Sache Gottes allein, „die Vereinigung“ der Kinder Gottes „in Eintracht und Treue“ herbeizuführen.14 Daraus folgert Homolka, dass Jesus als der Christus, d. h. Messias, nicht als Brücke zwischen Judentum und Christentum dienen kann. Wie man aber an Hermann Cohen sieht, beruht dessen These auf einem philosophischen Grundverständnis, in dem sich Mythos und Personalität unvereinbar gegenüberstehen. Würde sich Cohen mit Boyarin befassen, würde er wohl sagen, bereits der Prophet Daniel betreibe eine Personalisierung des Menschensohns als eines jüngeren Gottes, die zu einer innerjüdischen Mythologisierung des reinen Gottesgedankens geführt hat. Der 13 Vgl. W. Homolka, Jewish Jesus Research and its Challenge to Christology Today, Leiden 2017. 14 H. Cohen, Jüdische Schriften, Bd. 1: Ethische und religiöse Grundfragen, Berlin 1924, S. 31.

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Dialog wäre beendet, wenn Walter Homolka nicht auch eine grundlegende Gemeinsamkeit betonen würde. Es ist die gemeinsame Hoffnung, die Judenheit und Christenheit verbindet – trotz aller Differenzen bezüglich einer messianischen Jesusinterpretation. Judentum und Christentum sind jene zwei Offenbarungspfade, die unvermischt und ungetrennt zusammengehören. Je „jüdischer“ sich die Christologie ihrer Herkunft und ihren Prinzipien nach versteht, umso mehr kann sie sich den Judentümern der Gegenwart und Zukunft zum Gespräch anbieten. Weder Substitutionstheorien noch gegenseitige Bekehrungsversuche sind im jüdisch-christlichen Dialog hilfreich. Bei allen Versuchen, Chalkedon von neuen Fragestellungen her zu interpretieren, ist auch zu beachten, dass Karl Rahner in den 1950er Jahren diagnostizierte, die Frömmigkeit der Gegenwart sei eher auf Jesus in seiner vollkommenen Göttlichkeit gerichtet. Inzwischen wird man eher sagen müssen, die Göttlichkeit Jesu sei immer mehr in den Hintergrund getreten und seine Menschlichkeit geradezu überbetont worden. Chalkedon jedoch spricht für die Balance einer Frömmigkeit, die das Göttliche und Menschliche in Jesus ernst nimmt. Deshalb entnehme ich dem Horos von Chalkedon, dass – auf dem Hintergrund der These Boyarins – die Gleichwesentlichkeit Jesu mit der Gottheit und seine Gleichwesentlichkeit mit uns Menschen die Rede von Jesus dem Juden nicht nur zulässt, sondern sogar verlangt. Wenn man jedoch kritisieren wollte, dass Karl Rahner die Christologie zu sehr universalisiert, dann halte ich dagegen, dass z. B. Emmanuel Levinas in seinem Aufsatz „Ein Gott Mensch?“ den urjüdischen Gedanken der Messianität auf alle Menschen überträgt, ohne dadurch dem Judentum seine Proprietät streitig zu machen oder es in Mythologie aufzulösen.15

15 Vgl. E. Levinas, Un Dieu Homme?, in: Entre nous. Essais sur le penser-à-l’autre, hrsg. v. dems., Paris 1991, S. 69–76.

Ein Gott – drei Wege Ein jüdischer Beitrag zur Theologie der Religionen Daniel Krochmalnik

1. Deabsolutierung … Kaum ein christlicher Theologe vertritt in Deutschland heute noch die ‚Absolutheit des Christentums‘  – weder im idealistischen Sinn Hegels noch im dialektischen Sinn Karl Barths noch im religionsgeschichtlichen Sinn Ernst Troeltschs.1 Der katholische Dogmatiker Bernd Jochen Hilberath konstatiert in seinem kürzlich veröffentlichten Vortrag Vom Absolutheitsanspruch der Kirche zum Dialog der Religionen einen „Shift“, einen „Paradigmenwechsel“ vom Heils­ exklusivismus oder ‑inklusivismus zum Pluralismus.2 „Wenn Gott will“, so eine seiner typischen Aussagen, „dass alle Menschen gerettet werden, und es längst illusorisch geworden ist, dass er das allein durch das ‚Heilmittel Kirche‘ erreichen will, dann darf angenommen werden, dass der universale Heilswille Gottes jeden Menschen – auf welchem Weg auch immer – erreicht!“3 ‚Alle Wege führen nach Rom!‘ – scheint passé, auch in der katholischen Theologie scheint eine Viele-Wege-Lehre angesagt. Dabei sind Religionen stets mit Absolutheitsansprü1 Zu den einschlägigen Texten von Troeltsch (Die Stellung des Christentums unter den Welt­religionen [1923]) und Barth (Religion als Unglaube; Die wahre Religion [1937]) vgl. den Sammelband U. Dehn/U. Caspar-Seeger/F. Bernstorff (Hg.), Handbuch Theologie der Religionen. Texte zur religiösen Vielfalt und zum interreligiösen Dialog, Freiburg i. Br. 2017, bes. S. 28–42 respektive S. 43–59. Zu Hegel als Ursprung des ‚AdC‘ vgl. dort den Beitrag von R. Adhar Mall, Der Absolutheitsanspruch oder wider den Geist der Ökumene, in: Handbuch Theologie der Religionen, hrsg. v. U. Dehn/U. Caspar-Seeger/F. Bernstorff, Freiburg i. Br. 2017, S. 384–399, bes. S.  385 f. Ferner R. Bernhardt, Der Absolutheitsanspruch des Christentums. Von der Aufklärung bis zur pluralistischen Religionstheologie, Gütersloh 1990; L. Scheffczyk, G. W. Fr. Hegels Konzeption der „Absolutheit des Christentums“ unter gegenwärtigem Problemaspekt, München 2000. 2 B. J.  Hilberath, Vom Absolutheitsanspruch der Kirche zum Dialog der Religionen, in: Theologische Quartalschrift 198.4 (2018), S. 211–222. Zu dieser Trichotomie, zu der auch noch die Kategorie Universalismus hinzukommt, vgl. A. Race, Christians and Religious Pluralism. Patterns in the Christian Theology of Religions, New York 1883. 3 Hilberath, Vom Absolutheitsanspruch der Kirche, S. 217. Vgl. dazu meinen Beitrag: D. Krochmalnik, In unserer Zeit  – Nostra aetate jüdisch gelesen, in: Das Zweite Vatikanische Konzil. Impulse und Perspektiven, hrsg. v. D. Ansorge, Münster 2013, S. 246–260.

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chen verbunden. Man könnte Religion geradezu als Artikulation, Organisation und Zelebration solcher Absoluta – unbezweifelbarer Offenbarungen, letztgültiger Wahrheiten, unerschütterlicher Glaubensgewissheiten, unverbrüchlicher Bünde, unbedingten Gehorsams usw. – definieren. Eine Religion, die nichts zu verabsolutieren hätte und alles deabsolutieren wollte, das wäre eine gottlose Religion, ein hölzernes Eisen, ein Unding. Zum Christentum gehört Absolutheit so gut wie zu jeder anderen Religion dazu. Was aber passiert, wenn zwei solcher Absolutheiten aus ihrer Autarkie treten und aufeinander treffen? Führen sich dann ihre kontradiktorischen Ansprüche nicht gegenseitig ad absurdum? Beweisen sie nicht wider Willen ihre Relativität? Machen sich ihre Hochwürden nicht lächerlich? Wie in jener, von Alexandre Deleyre im Artikel Fanatisme der Encyclopédie Diderots und d’Alemberts vorgestellten Versammlung sämtlicher kurioser und bizarrer Riten der Welt, unter ein und derselben Kuppel: Imaginez une immense rotonde, un panthéon à mille autels; & placé au milieu du dôme, figurez vous un dévot de chaque secte éteinte ou subsistante, aux piés de la divinité qu’il honore à sa facon, sous toutes les formes bizarres que l’imagination a pû créer. A droite, c’est un contemplatif étendue sur une natte, qui attend, le nombril en l’air, que la lumiere céleste vienne investir son ame; à gauche, c’est un énergumene prosterné qui frappe du front contre la terre, pour en faire sortir l’abondance: là, c’est un saltimbanque qui danse sur la tombe de celui qu’il invoque; ici c’est un pénitent immobile & muet, comme la statue devant laquelle il s’humilie: l’un étale ce que la pudeur cache, par-ce que Dieu ne rougit pas de sa ressemblance; l’autre voile jusqu’à son visage, comme si l’ouvrier avoit horreur de son ouvrage: un autre tourne le dos au midi, parce que c’est-là le vent du démon; un autre tend le bras vers l’orient, où Dieu montre sa face rayonnante: de jeunes filles en pleurs meurtrissent leur chair encore innocente, pour appaiser le démon de la concupisence par des moyens capables de l’irriter; d’autres dans une posture toute opposée, sollicitent les approches de la divinité: un jeune homme, pour amortir l’instrument de la virilité, y attache des anneaux de fer d’un poids proportionné à ses forces; un autre arrête la tentation dès sa source, par une amputation tout-à-fait inhumaine, & suspend à l’autel les dépouilles de son sacrifice.4

Deabsolutieren sich die absoluten Religionen nicht ebenso gegenseitig, wie sich die sakralen Handlungen in dieser Phantasie gegenseitig profanieren und ridikülisieren? Ist der interreligiöse Dialog vielleicht das Mittel der Wahl, um Absolutheitsansprüche zu kurieren, eine Absolution vom unerträglich gewordenen Absolutismus? In diesem Fall wäre der Argwohn orthodoxer Theologen sämtlicher Religionen bezüglich des interreligiösen Dialogs berechtigt. Denn was bliebe von einer Religion, wenn alle Setzungen und Satzungen die gleiche Gültigkeit besäßen und austauschbar wären? Wäre dann nicht alles gleich-gültig? Aber auch Philosophen wie Karl Jaspers fragen sich, ob es möglich sei, „den Absolutheitsanspruch des wegen des darin liegenden Abbruchs der Kommunikation aufzugeben ohne 4 D. Diderot/J. B. le Rond d’Alembert (Hg.), Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, 35 Bde., Paris 1751–1772, hier: Bd. 6 (1756), 393a. (Die alte Orthographie bleibt unverändert).

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die Unbedingtheit des eigenen Glaubens zu verlieren.“5 Religionswissenschaftler haben dazu eine hilfreiche Unterscheidung eingeführt. Gustav Mensching differenziert „intensive“ und „extensive“ Absolutheitsansprüche.6 Zu dieser Distinktion gibt es zahlreiche Varianten, die im Großen und Ganzen auf das Gleiche hinauslaufen: der indische Religionswissenschaftler Ram Adhar Mall spricht mit direkter Bezugnahme auf Mensching von einer „Absolutheit nach innen“ oder „milde[r] Absolutheit“ und einer „Absolutheit nach außen“,7 der evangelische Theologe Hans Jochen Margull von „subjektiven“ und „objektiven“ Absolutheitsansprüchen,8 der iranische Geistliche Mohammad Mojtahed Shabestari im Anschluss daran von der „vertikalen“ und der „horizontalen“ Dimension der Religion,9 der Bibel-Exeget Thomas Römer nach vielen Vorgängern vom „exklusiven“ und „inklusiven“ Monotheismus.10 Analoge Unterscheidungen werden im komplementären Toleranz-Begriff vorgenommen.11 Man errät leicht, was diese Unterscheidungen bezwecken: ‚intensive‘, ‚nach innen gerichtete‘, ‚milde‘, ‚subjektive‘, ‚vertikale‘, ‚inklusive‘ religiöse Absolutheitsansprüche werden für unverzichtbar und unbedenklich erklärt und ‚extensive‘, ‚nach außen gerichtete‘, ‚harte‘, ‚objektive‘, ‚horizontale‘, ‚exklusive‘ religiöse Absolutheitsansprüche für unzumutbar und gefährlich – die Vorsilbe ‚in‘ ist in, die Vorsilbe ‚ex‘ out. Absolutheitsansprüche der ersten Art müssen konträre – nicht kontradiktorische – Absolutheitsansprüche der gleichen Art nicht verdammen und verteufeln und die von ihnen in Anspruch Genommenen nicht bekehren oder vernichten. Im gleichen Maß, wie Absolutheitsansprüche der ersten Art andere Absolutheitsansprüche tolerieren, verdienen sie auch toleriert zu werden.

2. … im Islam Die Frohe Botschaft der Toleranz muss durch ‚Framing‘ (Katajun Amirpur), ‚Vernacularization‘ (Sally Engle Merry), ‚Iteration‘ (Seyla Benhabib), und wie diese zeitgenössischen Begriffe für Inkulturation noch alle heißen mögen, in die  5 K. Jaspers, Der philosophische Glaube (1948), München 71981, S. 134, zit. n. Mall, Der Absolutheitsanspruch, S. 393.  6 G. Mensching, Der Absolutheitsanspruch der Religionen, in: ders., Gott und Mensch. Vorträge und Aufsätze zur vergleichenden Religionswissenschaft, Wiesbaden 11948, S. 194–199, hier: S. 195.  7 Mall, Der Absolutheitsanspruch, S. 388, Anm. 5.  8 Vgl. K. Amirpur, Die Anerkennung des Anderen – Islamische Texte neu gelesen (2015), in: Handbuch Theologie der Religionen, hrsg. v. U.  Dehn/U. Caspar-Seeger/F.  Berns­ torff, Freiburg i. Br. 2017, S. 454–472, hier: S. 458.  9 Amirpur, Die Anerkennung des Anderen, S. 459. 10 T. Römer, L’invention de Dieu, Paris 2017, S. 277. 11 Vgl. G. Mensching, Toleranz und Wahrheit in der Religion (1955), Hamburg 1966, S. 182; H. R.  Yousefi, Der Toleranzbegriff im Denken Gustav Menschings. Eine interkulturelle philosophische Orientierung, Nordhausen 2004, S. 221.

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absoluten Religionen kommuniziert und implementiert werden,12 so dass der Defacto-Pluralismus de jure eingeholt und mit traditioneller Legitimität ausgestattet wird. In den Beiträgen von Katajun Amirpur und dem Mensching-Schüler Abdoljavad Falaturi im Handbuch der Religionen kann man beobachten, wie so eine Eingemeindung der Toleranz etwa im Islam aussähe. Die Autoren zitieren eine Auswahl von Versen aus dem Quran, die den Absolutheitsanspruch der zweiten Art relativieren: erstens Verse, die, gegen den Heilsexklusivismus, verkünden, dass es außerhalb der Moschee sehr wohl Heil gibt (2:62.112; 5:44–48; 20:112), zweitens Verse, die, gegen den Offenbarungsmonopolismus, verkünden, dass Offenbarung die bestverteilte Sache der Welt sei (10:47; 14:4; 25,24) und drittens Verse, die, gegen einen religiösen Besitzindividualismus, verkünden, dass der eine Gott Gemeingut ist, auch wenn er ganz anders ist, als die Gottbesitzer sich ihn vorstellen (29:46 und 17:43; 37:180).13 Das sind, wohlgemerkt, nicht nur Konzessionen an Buchbesitzer wie Juden und Christen (22:17); sie beziehen sich auch auf die ‚edlen Heiden‘. Wir zitieren aber Verse über die Buchbesitzer aus der letzten offenbarten Sure, die durch ihren Lessing’schen Inklusivismus immer wieder erstaunen: Siehe, hinabgesandt haben Wir die Tora, in der sich eine Leitung und ein Licht befinden, mit der die Propheten, die Ergebene waren, die Juden richteten, so auch die Rabbiner und Gelehrten […]. Wir ließen ihnen folgen Jesus, den Sohn der Maria, um zu bestätigen, was vor ihm war in der Tora. Wir gaben ihm das Evangelium, darinnen eine Leitung und ein Licht, bestätigend die Tora, die vor ihm war […]. Und damit das Volk des Evangeliums nach dem richte, was Gott darin herabgesandt hat. […] Und Wir sandten hinab zu dir das Buch in Wahrheit, bestätigend, was ihm an Schriften vorausging und Amen darüber sprechend. […] Und so Gott es wollte, wahrlich er machte euch zu einer einzigen Gemeinschaft; doch will Er euch prüfen […]. Wetteifert darum in guten Dingen! Zu Gott ist eure Heimkehr allesamt, und Er wird euch aufklären, worüber ihr uneins seid. (5:44. 46–48)14

Alle drei Wege führen demnach zu Gott: der Weg, von dem der Psalmist sagt: „Deinen Weg will ich wandeln in Wahrheit“ (Ps 86,1), der Weg, von dem Jesus sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,16) und der Weg, den die öffnende Sure als rechten Pfad beschreibt (Joh 1,6). Die Auflösung der theoretischen Divergenzen wird auf das Jenseits verschoben, im Diesseits kommt es auf die Konkurrenz im Guten an. Das ist eine Drei-Wege-Lehre im Quran! Davon wird freilich nur überrascht, wer das multireligiöse Geschehen auf der arabischen Halbinsel zur Zeit Mohammeds übersieht, wie es jüngst Glen W. Bowersock in 12 Zu allen diesen Kategorien vgl. den zit. Beitrag: Amirpur, Die Anerkennung des Anderen, S. 468. 13 Vgl. a. a. O., S. 456 und den Beitrag von A. Falaturi, Hermeneutik des Dialogs aus islamischer Sicht, in: Handbuch Theologie der Religionen, hrsg. v. U. Dehn/U. Caspar-​Seeger/​ F. Bernstorff, Freiburg i. Br. 2017, S. 473–491, bes. S. 482–484. 14 Wir zitieren hier und im Folgenden leicht verändert die Übersetzung von Max Henning: Der Koran, übers. v. dems., Stuttgart 21991, S. 120 f.

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seinem Buch über Die Wiege des Islams meisterhaft beschreibt.15 Die Offenbarungsschrift der Muslime muss Ausgangspunkt des Trialogs der Monotheisten sein – aus dem einfachen Grund, weil nur in ihr dieser Trialog wirklich stattfindet. Gewiss, das Verhältnis der Monotheisten ist im Quran, nicht anders als im Neuen Testament (Röm 9–11) sowie bei ihren mittelalterlichen Auslegern, inklusivistisch und substitutionistisch. Jeder Trialog-Partner will das letzte Wort haben: Telos tou nomou (Röm 10,4), Sof Newua (bSot 48b) und Sof Hora’a (bBM 86a), Chatim Al-Anbiyaa (Q 33,40)!16 Der Schritt vom Inklusivismus zum Pluralismus würde eine Desabsolutierung a limine erfordern, etwa aus dem Wissen um die absolute Transzendenz Gottes (Jes 46,5; Joh 1,18; 1 Joh 4,12; Q 17:111). Das demütige Scio nescio steht einer religiösen Persönlichkeit sowieso besser als eine Beati-possidentes-Arroganz. Aber auch der Philosoph, der sich ebenfalls als Sachverwalter des Absoluten betrachtet, wenn auch nicht willkürlicher Geltungsansprüche, sondern vernünftiger Letztbegründungen, bezieht sich letztendlich auf den transzendenten Fluchtpunkt des „ens absolute infinitium“.17 Demgegenüber erweisen sich alle positiven Religionen als mehr oder weniger unzulängliche Verkörperungen des Absoluten.

3. … im Christentum Das Christentum scheint in dieser Hinsicht unter allen Religionen privilegiert zu sein, weil das Dogma der Inkarnation die Verkörperung des Absoluten ausdrücklich thematisiert und zur Mitte des Glaubens macht. „Er“, so heißt es im alten Christus-Lied des Philipperbriefs, „der im Stand Gottes war […] entäußerte sich [heauton ekenosen] in dem Knechtsstand [morphen doulou] (Phil 2, 6a.7a).“ Das war für Hegel der Grund, die Absolutheit des Christentums zu reklamieren: „Diese Menschwerdung des göttlichen Wesens“, heißt es in der Phänomenologie des Geistes (1807), „ist der einfache Inhalt der absoluten Religion.“18 Das 15 Vgl. G. W.  Bowersock, Die Wiege des Islam. Mohammed, der Koran und die antiken Kulturen, München 2019. 16 Vgl. dazu meine Beiträge: D. Krochmalnik, Trialog ‚in unserer Zeit‘ (Nostra Aetate). Ein Beitrag zum Weiterdenken der Konzilserklärung, in: Nostra Aetate 4. Wendepunkt im Verhältnis von Kirche und Judentum – bleibende Herausforderung für die Theologie, hrsg. v. R. Boschki/J. Wohlmuth, München 2015, S. 207–214; ders., „Partner in der Welterlösung“. Zur Erklärung orthodoxer Rabbiner zum Christentum, in: Interreligiöse Annäherung. Beiträge zur Theologie und Didaktik des interreligiösen Dialogs, hrsg. v. H.  Riedl/​A.-H.  Ourghi, Berlin 2018, S. 147–156; ders., Partner nella redenzione del mondo. Sulla dichiarazione dei rabbini ortodossi sul cristianesimo, in: Figli di Abramo. Il dialogo fra religioni cinquat’anni dopo Nostra Aetate, hrsg. v. G. Caponigro, Pisa 2017, S. 71–82. 17 Aus Spinozas Definition von Gott: B. Spinoza, Ethica Ordine Geometrico demonstrata, Pars Prima, Definitiones VI, Opera, hrsg. v. C. Gebhardt, Bd. 2, Heidelberg 1925, S. 45, 22.1. 18 G.W. F.  Hegel, Phänomenologie des Geistes, hrsg. v. J. Hoffmeister, Hamburg 61952, S. 528.

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Christentum ist unüberbietbar, weil es die Desabsolutierung als Bewegung Gottes aus sich selbst heraus einschließt und ‚aufhebt‘ – im bekannten dreifachen Wortsinn. Auch Jaspers konnte nicht umhin, der „Christusreligion“ diese Wahrheit zuzusprechen, „daß Gott zum Menschen durch Menschen spricht“.19 Mit der charakteristischen Einschränkung allerdings, dass Gott viele Medien besitze und Transzendenz in viele Zeichen chiffriere.20 Der Pluralismus beruht im Gegensatz zur Substitutionsphilosophie Hegels, auf einer pluralen Inkarnation, wie sie z. B. der britische Presbyterianier John Hick vertreten hat: A theology of religions which stresses the infinite nature of the Godhead, exceeding the scope of all our concepts, and the salvific efficacy of the variety of ways formed around the different incarnations that have occurred throughout human history.21

Wer meint, sich für diese inkarnatorische Theologie der Religionen auf die hoffnungsvollen lehramtlichen Erklärungen der katholischen Kirche wie Lumen Gentium (1964) oder Nostra Aetate (1965) berufen zu können, der sieht sich zur Ordnung gerufen. Unter der Federführung des damaligen Präfekten der römischen Glaubenskongregation, Joseph Kardinal Ratzinger, wurde im Jahr 2000 die Erklärung Dominus Iesus veröffentlicht – begleitet von einem lauten Protest der deutschen Theologen. Der lange syllabus errorum am Kopf des Dokuments, der mehr nach ‚Antimodernismus‘ als nach ‚Aggiornamento‘ riecht, hat justament die Desabsolutierung des Christentums im Visier. Die Liste der Irrtümer des ‚Mitarbeiters der Wahrheit‘ – so der Wahlspruch des Kardinals – beginnt mit der soeben geforderten „Überzeugung, dass die göttliche Wahrheit nicht fassbar und nicht aussprechbar ist, nicht einmal durch die christliche Offenbarung; die relativistische Haltung gegenüber der Wahrheit, weswegen das, was für die einen wahr ist, es nicht für andere wäre […]“22. Daraus folge „im Gegensatz zum Glauben der Kirche“ die Meinung, „die Offenbarung Jesu Christi sei begrenzt, unvollständig, unvollkommen und komplementär zu jener in den anderen Religionen.“23 Ausdrücklich bekennt sich die katholische Kirche zu den inkriminierten Vokabeln ‚Einzigkeit‘, ‚Universalität‘, ‚Absolutheit‘, die man sonst meidet, damit der Eindruck nicht entstehe, „die Bedeutung und der Wert des Heilsereignisses Jesu Christi würde gegenüber den anderen Religionen in übertriebener Weise betont“,24 oder „dass es dem katholischen Glauben widerspräche, die Kirche als 19 Jaspers, Der philosophische Glaube, S. 80, zit. n. Mall, Der Absolutheitsanspruch, S. 395, Anm. 16. 20 Vgl. ebd. 21 J. Hick, The metaphor of God incarnate, London 1993, S. 98. 22 Erklärung „Dominus Iesus“ über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche, Nr. 4. Das ganze Dokument ist online abrufbar unter: http://www.vatican. va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20000806_dominus-​ iesus_​g​e​.html; 2.  6.  2019, 11:25. 23 A. a. O., Nr. 6. 24 A. a. O., Nr. 15.

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einen Heilsweg neben jenen in den anderen Religionen zu betrachten, die komplementär zur Kirche, ja im Grunde ihr gleichwertig wären, insofern sie mit dieser zum eschatologischen Reich Gottes konvergierten.“25 Die Kirche ruft zum Kreuzzug gegen die „Mentalität des Indifferentismus […], die ‚durchdrungen ist von einem religiösen Relativismus, der zur Annahme führt, dass ‚eine Religion gleich viel gilt wie die andere‘“26 (Johannes Paul II., Enzyclica Redemptoris missio). Trotz der diplomatischen Höflichkeitsknickse vor den anderen Religionen räumt die Kirche dem Dialog der Religionen nur eine der Mission untergeordnete Stellung ein. Auf keinen Fall dürften dabei die Lehrinhalte zur Disposition gestellt werden, am allerwenigsten die Person „Jesus Christus, den menschgewordenen Sohn Gottes, im Vergleich zu den Gründern der anderen Religionen.“27 Kurz und gut, die katholische Kirche bekennt an der Schwelle zum 3. Jahrtausend die Absolutheit des Christentums im extensivsten, exklusivsten, objektivsten Sinn.

4. … im Judentum Da kann man sich als Jude nur freuen, solche absolutistischen Bauchschmerzen nicht haben zu müssen, denn, wie R. Alon Goshen-Gottstein, Direktor des Elijah Interfaith Institute in Jerusalem, in seinem für das Handbuch Theologie der Religionen übersetzten Beitrag Annäherungen an eine jüdische Theologie der Weltreligionen schreibt, ist das Judentum eine Religion nur für eine Nation. Es gilt auch umgekehrt in den Worten R. Saadia Gaons (10. Jahrhundert), „Israel [ist] eine Nation nur durch seine Tora“ (Emunot WeDeot III, 7: Jisrael Ejna Uma Ela BeToroteha). „Da“, so schreibt der Rabbiner, „das Judentum die Lebensweise einer Nation ist, ist es dem Judentum möglich, Abstand von aktiven Versuchen zu nehmen, andere zu seinem eigenen Glauben zu bekehren.“28 Aus seinem Beitrag spricht gelegentlich die neckische Freude des lachenden Dritten, so wie

25 A. a. O., Nr. 21. Der Text ist auch abgedruckt in: U. Dehn/U. Caspar-Seeger/F. Berns­ torff (Hg.), Handbuch Theologie der Religionen, Freiburg i. Br. 2017, S. 500–503, hier: S. 501. Kursiv im Original. 26  A. a. O., Nr.  22 bzw. Dehn/Caspar-Seeger/Bernstorff (Hg.), Handbuch Theologie der Religionen, S. 502. 27 Ebd. bzw. Dehn/Caspar-Seeger/Bernstorff (Hg.), Handbuch Theologie der Religionen, S. 503. 28 Vgl. A. Goshen-Gottstein, Annäherungen an eine jüdische Theologie der Weltreligionen, in: Dehn/Caspar-Seeger/​Bernstorff (Hg.), Handbuch Theologie der Religionen, S. 402–452, hier: S. 407. Die deutsche Übersetzung seines Beitrags Towards a Jewish Theology of World Religions. Framing the Issues, der seinen mit Eugene Korn veröffentlichten Band Jewish Theology and World Religions (Oxford/Portland [OR] 2012, S. 1–37) eröffnet, ist allerdings so schlecht und fehlerhaft, dass man sich an das Original halten muss.

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der dinierende Goethe zwischen den zankenden Theologen dichtete: „Prophete rechts, Prophete links, das Weltkind in der Mitten.“29 Das heißt wohl nicht, dass sich die prophetische Weltreligion a. D. ins Private zurückzieht, aber in der Bibel geht der Universalismus nun einmal durch das Nadelöhr des Partikularismus. Will die Bibel z. B. sagen, was „der Mensch“ (HaAdam, Gen 1,27; 2,7) im Allgemeinen sei, so erzählt sie, wie ein Einzelner namens Adam war – mit Angabe des Geschlechts (Gen 2,21), des Alters (Gen 5,5), des Familienstandes (Gen 2,24), des Berufes (Gen 3,23), des Einkommens (Gen 2,16) und des Wohnorts (Gen 2,15 supralapsarisch). Es ist dann auch biblisch, wenn am Ende die Erlösung durch „diesen Menschen da“ – ecce homo – geschieht (Joh 19,5). In Anlehnung an Hegels Konkret-Allgemeines könnte man vom Singulär-Allgemeinen sprechen. Aus dieser biblischen Eröffnung der Weltgeschichte mit der Erzählung von einem Allerweltsmenschen kann man die nützliche Lehre ziehen, dass der Einzelne zählt, dass Adam immer singulär ist, so viele Exemplare der Gattung es auch geben mag. In gleicher Weise kann man eine Lanze für den jüdischen Partikularismus brechen, und zwar aus universalistischen, pluralistischen Gründen. So schreibt der jüdische Aufklärer Moses Mendelssohn dem begeisterten Josephiner Herz Homberg voller Argwohn: Von der Toleranz, die in allen Zeitungsblättern so sehr herrscht, habe ich bey weitem noch die günstige Meinung nicht, die Sie davon zu erkennen geben. So lange noch das Vereinigungssystem im Hinterhalte lauert, scheint mir diese Toleranzgleißnerey noch gefährlicher als offene Verfolgung.30

Man müsse dem Assimilationsdruck standhalten und die jüdische Differenz behaupten, weil, so Mendelssohn hellsichtig, sonst „in Zeit von 50 Jahren alles wieder Barbarey“ sei.31 Jude sein und bleiben ist nach Mendelssohn also ein Dienst an der Allgemeinheit, als Statthalter des Pluralismus sorgt der hartnäckige Stockjude dafür, dass der aufgeklärte Absolutismus nicht in Totalitarismus umschlägt! Im Gegensatz zu Mendelssohn ist das Judentum für R. Goshen-Gottstein nicht bloß „geoffenbarte Gesetzgebung“ für ein Volk,32 sondern durchaus „Menschenreligion“. Er attestiert der „feinen Balance zwischen den national/ethnischen und den religiösen Dimensionen des Judentums“ einen „großen Wert für die Entwicklung einer zeitgenössischen Theologie der anderen Religionen“33. Diese Balance illustriert er mit einer Stelle aus den Propheten, die Mendelssohn, wie 29 J. W.

von Goethe, Gedichte, Diner zu Koblenz, Sommer 1774. an N. Herz Homberg vom 1. März 1784, in: M. Mendelssohn, Gesammelte Schriften, Bd. 13: Briefwechsel, hrsg. v. A. Altmann, Stuttgart 1977, S. 179. 31 M. Mendelssohn an N. Herz Homberg vom 22. September 1783, in: M. Mendelssohn, Gesammelte Schriften, Bd. 13: Briefwechsel, hrsg. v. A. Altmann, Stuttgart 1977, S. 134. 32 M. Mendelssohn, Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum, Berlin 1783, S. 164. 33 A. a. O., S. 407. 30 M. Mendelssohn

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bereits Johann Georg Hamann monierte,34 in seiner Darstellung des Judentums vergessen hätte. Es handelt sich um die bekannte ‚Schwerter-zu-Pflugscharen‘Vision, aber nicht in der üblicherweise zitierten Version aus dem Buch Jesaja (Jes 2,2–5), sondern in der etwas abweichenden Version aus dem Buch Micha (Mi 4,1–5). Zunächst einmal wird in beiden Versionen die eschatologische Völkerwallfahrt ausgemalt: […] in späten Zeiten, da wird der Berg des Hauses JHWHs aufgerichtet sein über den Bergen, und er überragt die Hügel, und es strömen zu ihm Nationen. Und viele Völker werden ziehen und sprechen: Wohlan, lasset uns hinaufgehen zum Berge JHWHs, und zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre von seinen Wegen und wir wandeln auf seinen Pfaden, denn von Zion wird ausgehen die Lehre und das Wort JHWHs von Jerusalem. (Mi 4,1–2)

So weit hat die Vision eine ausgesprochen ‚zionistische‘ Tendenz, der Menschenmagnet Jerusalem zieht die Menschheit zentripetal an. Bei Micha folgt darauf aber ein verstörender zentrifugaler Missklang: „Denn alle Völker mögen gehen, jegliches im Namen seines Gottes; wir aber wollen gehen im Namen JHWHs unseres Gottes für immer und ewig“ (Mi 4,5). R. Goshen-Gottstein fragt, wie man die zentralistische Ein-Weg-Lehre mit der pluralistischen Viele-Wege-Lehre in dieser Vision vereinbaren kann. Die Bibelkritik versucht den Widerspruch wie üblich durch die Hypothese späterer Ergänzungen, Berichtigungen und Überarbeitungen zu beseitigen, wobei sie schwankt, ob eine universalistische Perspektive partikularistisch enggeführt oder umgekehrt, eine partikularistische universalistisch ausgeweitet wurde.35 Das mag so oder so sein, was aber bleibt, ist die unvermittelte Zusammenstellung unvereinbarer heilsmonopolistischer und heilspluralistischer Stimmen im Endtext, der somit zweifellos pluralistisch ist. Der Fall ist bei weitem nicht einzigartig in der Bibel, wie man gerade am berühmten ‚Schwerter-zu-Pflugscharen‘-Spruch dartun kann: „Sie werden stumpf machen ihre Schwerter zu Sicheln und ihre Lanzen zu Winzermessern. Kein Volk wird gegen ein anderes Volk das Schwert erheben und sie werden nicht mehr Krieg lernen“ (Jes 2,4; Mi 4,3). Eine wörtliche Umkehrung dieses Spruchs finden wir in der Weltgerichtsschau Joels: „Schmiedet eure Sicheln zu Schwertern und eure Winzermesser zu Lanzen; der Schwächling spreche: Ein Held bin ich“ (Jo 4,10). Der für seine Diskussionsfreude berühmte Talmud agiert häufig nur die internen Widersprüche der Bibel aus. Der Berner Alttestamentler Ernst Axel Knauf sieht daher die Tora als einen Talmud ohne Inquit-Formeln: 34  Vgl. J. G.  Hamann, Golgatha und Scheblimini (1784), in: ders., Sämtliche Werke, Bd. 3: Schriften über Sprache, Mysterien, Vernunft 1772–1788, hrsg. v. J. Nadler, Wien 1951, S. 308 f. 35 Vgl. stellvertretend: J.-D. Macchi, Micha, in: Einleitung in das Alte Testament. Die Bücher der Hebräischen Bibel und die alttestamentlichen Schriften der katholischen, protestantischen und orthodoxen Kirchen, hrsg. v. T. Römer/ders./C. Nihan, Zürich 2013, S. 481–486, bes. S. 485.

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Der Pentateuch scheint viel eher dem Talmud vergleichbar zu sein, der systematisch die Diskussion der Auslegung der Tora und ihre Differenzen verzeichnet, nur dass die talmudischen Einleitenden ‚Rabbi Ismael hat gesagt […] aber Rabbi Eliezer hat gesagt […]‘ im Pentateuch fehlen.36

Weil aber ex contradictione sequitur quodlibet, so versuchen die Rabbinen, die biblische Pluralität auf Linie zu bringen. Dafür haben sie in solchen Fällen eine Regel: „Wenn zwei Verse einander widersprechen“, so lautet die dreizehnte hermeneutische Regel des Rabbi Jischmael, „dann kommt ein dritter und entscheidet zwischen ihnen.“ Demnach endet das Spiel zwischen den Pazifisten Jesaja und Micha und dem Bellizisten Joel 2:1. R. Goshen-Gottstein will die Debatte zwischen Zentralisten und Pluralisten aber nicht durch Mehrheitsentscheid beenden: Anstatt dieses Paradox aufzulösen, möchte ich es als eine hermeneutische und theologische Herausforderung präsentieren, welche die komplexe Situation erfasst, der sich eine jüdische Theologie der Weltreligionen jetzt gegenübersieht. Die Herausforderung der Textpassage ist noch viel größer, wenn wir die von ihr gebotene eschatologische Perspektive betrachten und die Frage stellen, ob beide Perspektiven in diesem Text von der heutigen Zeit bis zu der idealen zukünftigen Zeit aufrechterhalten werden können.37

Sogar in der Endzeit bliebe so noch Raum für viele Wege. Die Einsicht im Pluralismus der Propheten ist aber nicht nur für Juden relevant. R. Goshen-Gottstein führt die kirchliche Reaktion im Dokument Dominus Iesus auf ein problematisches Wahrheitsverständnis zurück.38 Unter Wahrheit versteht der ‚Mitarbeiter der Wahrheit‘ nach der klassischen philosophischen Wahrheitstheorie vor allem die propositionale Wahrheit, d. h. die objektive Richtigkeit einer Aussage, die alle anderslautenden Aussagen automatisch ins Unrecht setzt. Die subjektive Wahrheit, d.i. die Aufrichtigkeit oder Wahrhaftigkeit der Aussage, und die relationale Wahrheit, d.i. die intersubjektive Verbindlichkeit oder Vertragstreue der Aussage, wurden dem nachgeordnet. Nun steht aber der biblische Wahrheitsbegriff ‚Emet‘, der mit den Wörtern ‚Emuna‘ (Glaube) und ‚Amen‘ (wahrlich, gewiss) verwandt ist, nicht für Wahrheit im propositionalen, sondern im relationalen Sinn, er bedeutet ‚Beständigkeit‘, ‚Zuverlässigkeit‘, ‚Treue‘. ‚Wahr‘ qualifiziert nicht in erster Linie eine Aussage, sondern eine Person, die treu zu ihrem Wort steht, zuverlässig ihre Zusagen erfüllt und die in sie gesetzten Erwartungen nicht enttäuscht; ‚wahr‘ ist, wer oder auch was sich in der Tat bewährt. In diesem Sinn wird die Wahrheit auch von Gott ausgesagt (Ex 34,6; Jer 10,10; Ps 31,6), ja, sie ist nach den Rabbinen sogar seine hervorstechendste Eigenschaft,

36 Vgl. E. A.  Knauf, Audiatur et altera pars. Zur Logik der Pentateuch-Redaktion, in: Bibel und Kirche 53 (1998), S. 118–126, hier: S. 121. 37 Goshen-Gottstein, Annäherungen, S. 441. 38 Vgl. a. a. O., S. 433 f.

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sein ‚Siegel‘ (Chotamo Schel Qadosch Baruch Hu Emet, bSchab 55a).39 Wenn die Bibel sagt, dass Gott wahr ist, dann will sie keine metaphysische Aussage über das Sein Gottes und das Nichtsein der Götter machen, sondern Vertrauen in die göttlichen Zusagen wecken. Es gibt ein jüdisches Gebet, das mit dem Wort ‚Emet‘ beginnt und auch so heißt; es schließt an das Einheitsbekenntnis an und bekräftigt es in der Morgenliturgie mit 16 Adjektiven. Wir führen nur die ersten sechs Terme an: „Wahr und feststehend, gegründet und bleibend, gerade und bewährt […]“ (Siddur Sfat Emet, Band 1986, S. 38). Diese Reihe erhellt zu Genüge, dass es in diesem Gebet nicht um die Verifikation der monotheistischen Doktrin geht, sondern um das Bekenntnis, dass auf diesen Gott und sein Wort unbedingt Verlass ist. Das Wort ‚Emet‘ kehrt in diesem Gebet sechs Mal wieder und bezieht sich jedes Mal auf das, was Mendelssohn im Gegensatz zu den ‚Ewigen Wahrheiten‘ der natürlichen Religion ‚Geschichtswahrheiten‘ der positiven Religion nennt, auf die er das Judentum beschränken will.40 R. Goshen-Gottstein greift lieber auf den Bundes-Begriff als auf den Wahrheits-Begriff zurück, weil ihm die Gefahr zu groß scheint, dass Wahrheit im Sinne der philosophischen Korrespondenz-, Kohärenz‑ und Konsens-Theorien der Aussage-Wahrheit missverstanden wird, die eine universelle Zustimmung verlangt und Abweichungen als Falschheiten brandmarkt. „Der Bund ist der religiöse Rahmen, der Israels religiöse Identität strukturiert. Anstatt eine Kategorie einer abstrakten Wahrheit zu sein, ist der Bund eine historische und relationale Kategorie […].“41 Das hat Auswirkungen auf das Verhältnis zu anderen Religionen: Ein relationales Verständnis geht nicht von der gleichen Ausschließlichkeit aus, wie dies eine philosophische Vorstellung von Wahrheit und Unwahrheit tut. […] Folglich bringt eine Konzeptionalisierung von Religion in relationalen Begriffen ein weniger exklusivistisches Verständnis von Religion hervor, das den Anderen dadurch besser […] einbeziehen kann.42

Wohlgemerkt, hier handelt es sich nicht um eine postmoderne Relativierung, sondern um ihre genesiobiblische Auffassung von Religion, wie die prophetischen Vergleiche mit dem Ehebund (Jes 1,21; Jer 2,2; Ez 16,4–63 u. 23,3–49; Jes 50,1; 54,6–7, 62,4–5) und die zum gleichen Sprachspiel gehörende Rede von der Eifersucht Gottes (Ex 20,5; 34,14) lehren. Beziehung statt Wahrheit als den Fokus des religiösen Lebens zu betonen, führt uns dazu, Treue als den höchsten Wert einzuordnen. Unsere religiöse Pflicht ist es nicht, den 39 Vgl. D. Krochmalnik, Das Siegel Gottes. Der Wahrheitsbegriff in Bibel, Talmud, Kabbala, Chassidismus und jüdischer Religionsphilosophie, in: Jahrbuch für Religionsphilosophie 4 (2005), S. 71–81. 40 Vgl. M. Mendelssohn, Jerusalem II, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 8: Schriften zum Judentum, hrsg. v. A. Altmann, Stuttgart 1982, S. 156–167. 41 Goshen-Gottstein, Annäherungen, S. 437. 42 A. a. O., S. 437. 439 f.

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Wert und die Gültigkeit anderer Religionen zu bestreiten. Vielmehr besteht sie darin, der Beziehung des Bundes, dem wir angehören, treu zu sein, so wie es die Verantwortung eines Ehepartners ist, seinem oder ihrem Partner treu zu sein, anstatt die grundlegende Legitimität aller anderen Paare zu bestreiten.43

5. … in der Religionskritik Nun meinen Monotheismus-Kritiker freilich, dass die Unduldsamkeit schon in der Vorsilbe Mono‑ stecke und das postmoderne Heil aus der Vorsilbe Poly‑ winke. Die bundesdeutschen Erzengel Joseph Ratzinger und Jan Assmann stimmen dazu seit Jahren ihren brüderlichen Wettgesang an. Die Plausibilität der Monotheismus-Kritik ist in der Tat bestechend: Wenn Absolutisten aufeinandertreffen, dann stünden die Zeichen automatisch auf Krieg, denn über Absoluta kann nicht verhandelt werden, Kompromisse sind per definitionem ausgeschlossen. Sobald sich Gott in den Krieg einmischt, werde er selber absolut und Frieden aussichtslos. Schließlich stünden die letzten Dinge, die höchsten Güter, die heiligsten Werte auf dem Spiel. Die Verteidigung der religiös überhöhten Identität lohne eben alle Opfer – eigene wie fremde. Die Maginot-Linie der Parochie müsse bis zum letzten Mann verteidigt werden, Kapitulation wäre Apostasie. Deshalb würden auch friedensbewegte Religionen immer wieder in Gewalt umschlagen, der religiöse Anstrich wirke als Brandbeschleuniger. Die Heiligen Schriften der Religionen gehörten zur Kampfausrüstung in den Tornister. Wer, wenn er die süße Psalmodie im Chor eines Frauenklosters hört, käme auf die Idee, dass der Psalter das Brevier eines Kämpfers ist? Und doch kann man ihn vom Anfang bis Ende so lesen. Othmar Keel hat in seiner berühmten Studie Feinde und Gottesleugner. Studien zum Image des Widersachers in den Individualpsalmen (1969) nicht weniger als 94 Feindbezeichnungen im Psalter gelistet – eine veritable Kriegsterminologie. Psalm 1, die Pforte des Psalters, führt sogleich an die Front zwischen den Guten und Bösen (Reschaim), in Psalm 2 dröhnt der Lärm der Entscheidungsschlacht, in Psalm 3 sind die Bösen auf dem Vormarsch, das Psalm-Ich steht in einer Welt von Feinden und erbittet die Intervention der göttlichen Streitmacht, sie möge den Gegnern doch bitte mit Kinnhaken die Zähne einschlagen (Vers 8), Psalm 4 gönnt dem Kämpfer eine Erholungspause vor den Verfolgern, im Schutz Gottes kann er ruhig schlafen (Vers 8) usw. Das obstinate Leitmotiv dieser Psalmen lautet ‚Chassah, confugere‘, Zuflucht suchen in Gott, mein Fels und Fort (2,12; 7,2; 11,1; 14,6; 18,3 u.ö.). Das erinnert an den Psalmen-Gebrauch des Scharfschützen Private Jackson in Steven Spielbergs Film Der Soldat James Ryan, der 1944 nach der Invasion vom Kirchturm des Dorfes Ramelle mit den passenden Worten von Psalm 144 auf die 43  A. a. O.,

S. 440 f.

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deutschen Angreifer feuert: „Gesegnet sei der Herr, mein Fels, der zur Schlacht meine Hände belehrt, meine Finger zum Kampf! Meine gnädige Hilfe und meine Burg, meine Festung und mein Erretter, mein Schild und bei dem ich geborgen bin, der Völker unter mich streckt.“ (Ps 144,1 f.) Die ‚Davidisierung‘ des Psalters ist auch von daher plausibel, denn kein anderer biblischer Held stand so sehr wie David vom Jugend‑ bis ins Greisenalter im Sturm. Die Bibel führt ihn als „Isch Milchama“, d. h. Kriegsmann, an (1 Sam 16,18), er wird als „Isch Damim“, d. h. Blutmann, gescholten (2 Sam 16,18) und sein allerletzter Wunsch ist eine blutige Vendetta (1 Kön 2,9). Das geht sogar der davidfreundlichen Chronik zu weit, sie lässt Gott sprechen: „Blut in Fülle hast Du vergossen und große Kriege geführt; du sollst kein Haus bauen in meinem Namen, denn viel Blut hast du vergossen zur Erde vor mir.“ (1 Chr 22,8) Angesichts solcher bellizistischer Potentiale von Religion und ihrer Heiligen Schriften wurden nach dreißig Jahren Religionskrieg in Europa die Forderungen nach religiöser Abrüstung laut, nach Neutralisierung und Säkularisierung des Staates, nach Pazifizierung und Desabsolutierung der Religionen. Allerdings verlief die Desabsolutierung bei Monotheismus-Kritikern wie David Hume44 und den Deisten häufig so, dass man das Übel der Intoleranz und der religiösen Gewalt auf das Alte Testament und das Judentum schob, Desabsolutierung wurde als Dekanonisierung betrieben, konfessionelle Entfeindung als antijüdische Anfeindung.45 Man spricht in der Forschung geradezu von einem gnostischen Rezidiv.46 Die gleiche Tendenz findet sich bei den Monotheismus-Kritikern bis heute. Kürzlich hat Jan Assmann, der vorjährige Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, wieder einmal den vermeintlichen monotheistischen ‚Absolutismus der Differenz‘ ins Visier genommen: „Die monotheistischen Religionen“, sagt er in einem Interview, „basieren auf einer Theologie der Differenz. Ihr Gott ist anders als alle anderen Götter, ihre Religion ist anders als alle anderen Religionen. Sie gründen sich auf die ein für alle Mal ergangene, in heiligen Schriften kodifizierte Offenbarung einer absoluten Wahrheit, deren Besitz und Befolgung sie von den anderen, den ‚Heiden‘ und ‚Ungläubigen‘, unterscheidet und polemisch abgrenzt. So etwas kennen die alten polytheistischen Religionen nicht. In ihnen herrschte

44 Vgl. D. Hume, Die Naturgeschichte der Religion, Hamburg 1984, S. 36–40. Das englische Original The Natural History of Religion stammt von 1757. 45 Vgl. J. Katz, Vom Vorurteil bis zur Vernichtung. Der Antisemitismus 1700–1933, München 1989, S. 35 ff. 46 Der antijüdische, gnostische, marcionitische, paulicianische Charakter der deistischen Kritik des Alten Testaments ist bereits von Gotthard Victor Lechler konstatiert worden. Vgl. G. V.  Lechler, Geschichte des englischen Deismus (1841), hrsg. v. G. Gawlick, Hildesheim 1965, bes. S. 373.385–387. Vgl. auch H. Reventlow, Bibelautorität und Geist der Moderne. Die Bedeutung des Bibelverständnisses für die geistesgeschichtliche und politische Entwicklung in England von der Reformation bis zur Aufklärung, Göttingen 1980, bes. S. 661.

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nicht das Prinzip der Abgrenzung gegenüber den anderen, sondern eben das der Übersetzbarkeit.“47

Die Schuldigen nennt Assmann auch: „Erst die Juden und dann in ihrem Gefolge die Christen und in beider Gefolge der Islam haben sich aus diesem System interkultureller Übersetzbarkeit ausgeklinkt, indem sie einen Gott verehrten, der sich jeder Korrelation mit anderen Göttern verweigerte.“48 Von dort zieht er die Linie zu Oswald Spenglers Kulturkreisen, zur Antihumanität des Nationalismus und völkischem Antisemitismus, zu Huntingtons Clash of Civilizations und zum Islamischen Staat – frei nach dem Buchtitel von Georg Lukács: Von Moses zu Hitler.49 Die neueste Statistik der Deutschen Bibelgesellschaft, wonach biblische Schriften inzwischen in 3362 Sprachen vorliegen – die am häufigsten übersetzte Schrift überhaupt – sollte ausreichen, um Assmanns Behauptung zu widerlegen. Richtig ist, der Gottesname JHWH wird nicht in die Namen der anderen Götter des Altertums übersetzt,50 das ist aber auch nicht weiter überraschend, denn so viele vorderorientalische Götter JHWH sich in seinem langen Leben auch einverleibt hat,51 er wollte mehr und anderes sein als ein Marduk, ein Zeus oder Jupiter. Was denn? Das sagt eben sein Name, der durchaus übersetzt werden kann und von ihm persönlich im zweiten, justament ‚Namen‘ (Schemot) genannten Buch Moses übersetzt wird. JHWH heiße schlicht: ‚Ich-bin-da‘ (Ehje, Ex 3,14b), in der 3. Person also: ‚Er-ist-da‘. Auf die naheliegende Rückfrage, wie er denn da sei, antwortet er im Voraus, als ‚der-ich-da-bin‘ (Ascher Ehjeh). Zugegeben, die Tautologie ‚Ich bin der ich bin‘ ist nicht sehr informativ, obgleich man daraus 47 Vgl. J. Assmann, Die übersetzten Götter. Ein Gespräch mit Elisabetta Colagrossi, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 12.4 (2018), S. 75–90, hier: S. 84 f. 48 A. a. O., S. 86. 49 In seinem Text J. Assmann, Mose gegen Hitler. Die Zehn Gebote als antifaschistisches Manifest, in: Thomas Mann Jahrbuch 28 (2015), S. 47–61 kritisiert Assmann Thomas Manns Moses-Novelle Das Gesetz, die dieser 1943 zum antifaschistischen Sammelband von Armin L. Robinson mit dem Titel Die zehn Gebote. Hitlers Krieg gegen die Moral beigesteuert hatte. Einerseits sei die Ableitung der Menschenrechte aus den Zehn Geboten unhaltbar (a. a. O., S. 57), andererseits sei die Schilderung der zehnten Plage als „Pogromnacht“ billiger Aufkläricht (a. a. O., S. 52 f.). Was er Mann hier vorwirft – nämlich die Untertöne „von Terror, Gewalt und totalitärem Anspruch“ in seiner „Moses-Phantasie“, dessen macht er sich gewöhnlich selber schuldig, wenn er z. B. in seinem Buch, J. Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 62007, auf S. 83 die Notwehr gegen den Völkermord im Buch Esther 9,5 als „Antisemitenpogrom“ bezeichnet. 50 Vgl. Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, S. 85 f. 51 Othmar Keel und Christoph Uehlinger schließen: „Die Unverwechselbarkeit bzw. Einzigartigkeit Jahwes scheint paradoxerweise in seiner großen Adaptions‑ und Integrationsfähigkeit begründet zu sein.“ Vgl. O. Keel/C. Uehlinger, Jahwe und die Sonnengottheit von Jerusalem, in: Ein Gott allein? JHWH-Verehrung und biblischer Monotheismus im Kontext der israelitischen und altorientalischen Religionsgeschichte, hrsg. v. W. Dietrich/M. A. Klopfenstein, Freiburg (Schweiz)/Göttingen 1994, S. 269–306, hier: S. 302. Alle neueren Publikationen von Othmar Keel sind hier einschlägig, vgl. z. B. O. Keel, Gott weiblich. Eine verborgene Seite des biblischen Gottes, Freiburg (Schweiz) 32010, bes. S. 8–20.

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schon, wie jüngst wieder Eckhard Nordhofen schrieb, große Schlüsse ziehen kann,52 aber es ist ja nur der Anfang der Namensoffenbarung, die sich durch das ganze ‚Buch der Namen‘ zieht. In der Selbstvorstellung am Anfang des Dekalogs lautet der Relativsatz schon etwas bestimmter: „der (Ascher) dich aus dem Land Ägypten geführt, aus dem Sklavenhaus“ (Ex 20,2). Dieser Name ist wie jeder Name in der Bibel Botschaft (1 Sam 25,25). In diesem Fall ist es die frohe Botschaft der Befreiung und nicht etwa, wie Nietzsche und Assmann meinen, die Botschaft der Unterwerfung unter dem „Orientalen im Himmel“,53 auch wenn man den Protest von Ägyptologen und Ägyptomanen gegen die Überschrift des Dekalogs gut nachvollziehen kann. JHWH kann man auch futurisch übersetzen: ‚Er-wird-da-sein‘, nämlich für die Sklaven und Unterdrückten. Der jüdische Bibelwissenschaftler Benno Jacob brachte es auf den Punkt: „J-h-w-h […] das Futurum der Geknechteten und Leidenden“54. JHWH steht für einen Abolitionismus, der immer noch Zukunftsmusik ist, aber das Programm hat immerhin einen Namen, der Menschen auf allen fünf Kontinenten inspiriert. Das ist aber noch nicht alles. Nach der „Szene mit dem Goldenen Kalb“, die Assmann mit den Augen von Amnesty International liest und immer wieder als „Massaker“ denunziert,55 erweist sich der Sklavenbefreier JHWH auch als Sündenvergeber. Nun wird die Namenserklärung ‚Ich bin der ich bin‘ mit Gnade gefüllt: „Ich begnadige, wen ich begnadige und ich erbarme mich, wessen ich mich erbarme“ (Chanoti Et-Ascher Achon, Richamti Et-Ascher Arachem, Ex 33, 19), JHWH, Er-ist-da, Er-wird-da-sein, trotz der Sünde. In der Folge entfaltet Gott seinen Namen in – nach traditioneller Zählung – 13 Attributen des Erbarmens: „JHWH: JHWH, Gott, barmend, gönnend, zögernd im Zorn, mit übergebührlicher Güte und Treue, Güte bewahrend für immer, vergebend Verkehrtheit, Verrat, Verschuldung usw.“ (Ex 34, 6 f.).56 Diese Erklärung des Namens wird im Alten Testament 15 Mal zitiert (Dtn 4,31; Joel 2,13; Jona 4,2; Ps 78,38; 85,15; 103,8; 111,4; 112,4; 116,5; 145,8; Neh 9,17. 31; 2 Chr 30,9 u. Mi 7,18–20), und der so erklärte Name wird 6828 Mal wiederholt. Ex 34, 6 f. ist die Quintessenz des Neuen Testaments und eröffnet im Quran mit einer einzigen Ausnahme jede Sure. Das ist die gute Nachricht, die in 3362 Sprachen übersetzt wurde und die noch aus der Empörung über 52 Vgl. E. Nordhofen, Corpora. Die anarchische Kraft des Monotheismus, Freiburg i. Br./ Basel/Wien 2018, bes. S. 117–126. 53 F. Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, hrsg. v. M. Holzinger, Berlin 2013, Buch III, Nr. 135, S. 113. 54 B. Jacob, Das Buch Exodus, hrsg. v. S. Mayer, Stuttgart 1997, S. 70. 55 J. Assmann, Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, Wien 2003, S. 36. 56 Vgl. D. Krochmalnik, Der liebe Gott im AT. Die Gnadenformel (GF) in der jüdischen Tradition, in: Ahava. Die Liebe Gottes im Alten Testament, hrsg. v. M. Oeming, Heidelberg 2018, S. 107–131. Die folgenden Eigenschaften der richtenden Gewalt, „aber nicht folgenlos lassend (√NKH Pi + Neg), heimsuchend die Verkehrtheit der Väter an den Söhnen und an Enkeln an der dritten und vierten Generation“ (Ex 34,7), werden sowohl in den Zitaten im Alten Testament wie in der Tradition ausgelassen.

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die religiös motivierte Gewalt spricht. Es ist müßig, hier wieder psychologisch zu fragen, warum Assmann das Alte Testament beharrlich gegen den Strich bürstet. In meiner Besprechung seines Pamphlets Totale Religion (2016) habe ich die Vermutung geäußert, dass es womöglich mit der Vergangenheitsbewältigung zusammenhängt.57 Diese Annahme bestätigt Assmann indirekt in einem Interview, das in der Dezember-Nummer 2018 des Ruperto-Carola-Forschungsmagazins erschienen ist. Er lobt die Bundesrepublik für ihre unvergleichliche Vergangenheitsbewältigung und bezichtigt – im gleichen Satz – die AfD und Israel, in tiefgefrorenen Geschichtsmythen zu verharren und zu erstarren!58 Die Täter-OpferIdentifikation lässt bei ihm nie lange auf sich warten.59 Die Monotheismus-Kritik à la Assmann ist wissenschaftlich unhaltbar. Fragen wir doch nur einmal, was der neuzeitliche Begriff ‚Monotheismus‘ im Alten Testament überhaupt bedeutet. Das biblische Einheitsbekenntnis, „JHWH Elohenu JHWH Echad“ (‫יהוה אלהינו יהוח אחד‬, Dtn 6,4), ist notorisch vieldeutig. Grammatikalisch handelt es sich um einen Nominalsatz mit einer sogenannten Null-Kopula, also einem Satz ohne Verb. Die fehlende Kopula (∈) muss in äquivalenten Übersetzungen eingesetzt werden, wenn nicht ein Nonsens à la Buber-Rosenzweig herauskommen soll: „Hör Jisrael:/Er unser Gott, Er Einer!“60 Viel hängt auch davon ab, wie man das Zahlwort ‫ אחד‬im Prädikat des Satzes auffasst und übersetzt: eins, einzig oder einig! Je nachdem, welche übersetzerischen Entscheidungen getroffen werden, ergibt sich ein völlig anderes Bild des Monotheismus. Wir beschränken uns auf vier Übersetzungsalternativen.61 1. JE ∈ ein J: Die Aussage, ‚JHWH, unser Gott, (ist) ein einheitlicher JHWH‘, wäre Monojahwismus, sie besagt, dass die an verschiedenen Orten archäologisch bezeugten JHWHs, der JHWH von Samaria, der JHWH von Teman usw., ein und derselbe JHWH seien. 2. J ∈ E, J ∈ einzig ( J): Die Aussage, ‚JHWH (ist) unser Gott, JHWH (ist) es allein‘, wäre Monolatrie, sie besagt, auch wenn es viele Götter gibt (Elohim 57 Vgl. D. Krochmalnik, Totales Amalgam. Jan Assmann und sein neues Buch „Totale Religion“, in: Herder Korrespondenz. Monatsheft für Gesellschaft und Religion 8 (2017), S. 41–44. 58 J. Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. „Kalte“ und „heiße“ Gesellschaften, in: Ruperto Carola. Forschungsmagazin der Universität Heidelberg 13 (2018), S. 119–122, bes. S. 122. 59 Siehe den Auschwitz-Vergleich in J. Assmann, Monotheismus und die Sprache der Gewalt, Wien 32007, S. 28 und den „Vernichtungskrieg“-Vergleich in ders., Mnemoklasmus. Über Destruktivität und Identität in den monotheistischen Religionen, in: Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendung 63.9 (2009), S. 852–876, bes. S. 874. Ein Höhepunkt dieser Identifikation findet sich im erwähnten Pamphlet: J. Assmann, Totale Religion. Ursprünge und Formen puritanischer Verschärfung, Wien 2016. 60 M. Buber/F. Rosenzweig, Die fünf Bücher der Weisung, 10. verb. Aufl. 1954, Gerlingen 1976, S. 494. 61 Zu weiteren Möglichkeiten vgl. D. Krochmalnik, Echad. Monopolytheismus im Judentum, in: Gott  – Jenseits von Monismus und Theismus?, hrsg. v. B. Nitsche/K. von Stosch/M. Tatari, Paderborn 2017, S. 95–110. Hier sind zehn Übersetzungsvarianten angeführt, vgl. a. a. O., S. 95–97.

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Acherim), wir verehren nur ‚unseren Gott‘ (Elohenu), nämlich: JHWH (Ex 20,3; Jer 2,1; Gerhard von Rad, Gute Nachricht, Gerechte Sprache). 3. J,E,J ∈ einzig (E): Die Aussage, ‚JHWH, unser Gott, JHWH (ist) einzig‘ ,wäre exklusiver Monotheismus, sie besagt, dass es überhaupt keinen anderen Gott außer JHWH gibt (Dtn 4,35; 1 Kön 18,39; Jes 45,5; S. R. Hirsch, Selig Bamberger, Einheitsübersetzung). 4. J,E,J ∈ einig (E): Die Aussage, ‚JHWH, unser Gott, JHWH (ist) einig (Elohim)‘, wäre inklusiver Monotheismus oder Monopolytheismus, sie besagt, dass JHWH die Einheit aller Götter ist (Luther, Mendelssohn, L. Philippson, Wohlgemuth/Bleichrode). Die Polysemie des Monotheismus hängt aber nicht an der Übersetzung, sie steckt in der Bekenntnisformel selber, die für sich genommen in der Schwebe lässt, ob sie synkretistisch, partikularistisch, exklusiv oder inklusiv-universalistisch verstanden werden will, und sie hat in der Tat alle diese Spielarten des Monotheismus im Laufe der Zeit ausgedrückt. Assmann beschränkt seine Gewalt-Kritik auf die Spielart Nr. 3,62 aber der biblische Monotheismus beschränkt sich nicht darauf. Noch weniger entspricht Assmanns Vorstellung der „Heiligen Schrift“ als „kodifizierte Offenbarung einer absoluten Wahrheit“ dem Stand der Bibelwissenschaft.63 Monotheismus klingt monoton – Nietzsche machte daraus den „Monotono-theismus“64  – monochrom, monologisch, monolithisch. Entsprechend ist für Jan und Aleida Assmann der Kanon der Bruder der Zensur, eine Kanone gleichsam des „absolutistischen Wahrheitsstils“, die alles abschießt, was nicht konform geht.65 Wäre die Bibel ein Kanon dieser Art, dann fänden die Bibel-Kritiker keine Unebenheiten im Text, der Zensor hätte mit seiner großen Schere alles Abstehende begradigt. Seit ungefähr dreihundert Jahren ist es Konsens der Pentateuch-Forschung, dass die Fünf Bücher Mose nicht von Mose stammen und nicht aus einem Stück sind, in der klassischen Vier-Quellen-Theorie ging man von vier ‚Evangelisten‘ aus: J(ahwist), (E)lohist, (D)euteronomist, (P)riester, die die Geschichte Israels von der Schöpfung bis zum Tod des Mose, jeder auf seine Art, erzählten und die dann zu einem Quartett, einer Art ‚Evangelien‘-Harmonie, 62 Vgl.

Assmann, Monotheismus und die Sprache der Gewalt, S. 24. sowohl den Überblick von T. Römer, Die Entstehung des Pentateuch: Forschungsgeschichte, in: Einleitung in das Alte Testament, hrsg. v. dems./Macchi/Nihan, S. 120–137, als auch T. Römer/C. Nihan, Die Entstehung des Pentateuch: Die aktuelle Debatte, in: Einleitung in das Alte Testament, hrsg. v. dens./Macchi, S. 138–164. 64 F. Nietzsche, Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophiert. Die „Vernunft“ in der Philosophie, Nr. 1, KSA Bd. 6, hrsg. v. G. Colli/M. Montinari, München 21999, S. 75. Vgl. auch die einschlägigere Verwendung aus dem Nachlass Mai-Juni 1888: F. Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1887–1889, Gruppe 17(4) 4, KSA Bd. 13, S. 525. 65 J. Assmann/A. Assmann (Hg.), Kanon und Zensur. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation II, München 1987, S. 21. 63 Vgl.

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verbunden wurden. Man braucht die Bibel nur aufzuschlagen, um der Mehrstimmigkeit gewahr zu werden. Sie beginnt mit zwei dissonanten Schöpfungsberichten. Die Bibel erwartet also gerade nicht einen Glauben an den Buchstaben des Sechstagewerks, sie bietet vielmehr gleich eine zweite Meinung, und der Hörer kann selber entscheiden, ob ihm mehr der absolutistische Hofstil des 1. Schöpfungsberichts liegt, wo die Geschöpfe dem Schöpfer aufs Wort gehorchen und alles selon son bon plaisir geregelt ist oder ob er nicht, wie übrigens teilweise der Quran (2:30), das partizipatorische Modell bevorzugt, in dem der Schöpfer dem Menschen sein Namensregal abtritt und gelehrig zuhört, wie der Onomast seinen Zoo ordnet oder ob er sich, wie die Rabbinen und die mittelalterlichen Kommentatoren, Kombinationen aus beiden Berichten zurechtzimmert. Und was soll man erst über die weiträumigeren Kontraste in der Bibel sagen? Das ‚Alles sehr gut!‘, mit dem der erste Schöpfungs-Bericht endet (HaKol Tow Meod, Gen 1,31) und das ‚Alles eitel!‘, mit dem der biblische Prediger beginnt (HaKol, Koh 1,2); das ‚Paradise lost‘ in Gen 3 und das ‚Paradise found‘ im Hohelied, wo das Wort ‚Paradies‘ erst fällt (Hld 4,13)? Nicht Monodie, ‚Polyphonie‘ ist das Schlagwort nach dem ‚canonical turn‘ in der Bibelwissenschaft. Erich Zenger schreibt in seiner Einleitung in das Alte Testament: Die Polyphonie des Ersten Testaments ist von seinen ‚Arrangeuren‘ erkannt und als solche akzeptiert worden. Die Vielschichtigkeit und Mehrstimmigkeit ist nicht einfach die (leider) unvermeidbare Folge der Tatsache, daß dieses Opus eine so komplexe und lange Entstehungsgeschichte hat […]. Nein: die komplexe und kontrastive Gestalt des Tanach/ Ersten Testaments ist zum größten Teil ausdrücklich gewollt. Dass und wie die Töne, Motive und Melodien, ja sogar die einzelnen Sätze dieser polyphonen Sinfonie (=Zusammenklang!) miteinander streiten und sich gegenseitig ins Wort fallen, sich ergänzen und bestätigen, sich widersprechen, sich wiederholen und variieren – das ist kein Makel und keine Unvollkommenheit dieses Opus, sondern seine intendierte Klanggestalt, die man hören und von der man sich geradezu berauschen lassen muß, wenn man sie als Kunstwerk, aber auch als Gotteszeugnis erleben will.66

Zengers Mitstreiter Frank-Lothar Hossfeld spricht ebenfalls von einer „symphonischen Ganzheit“.67 Eine Symphonie freilich, die nicht nach den Regeln eines deutschen Schulaufsatzes komponiert ist, die da sind: Keine Wiederholungen! Keine Widersprüche! Keine Gedankensprünge! Keine Stilbrüche! Manch ein Alttestamentler findet die Metapher „Symphonie“ zu harmoniesüchtig.68 Der amerikanische Bibelwissenschaftler Bernhard Malcolm Levinson kommt zu einer radikal anderen Einschätzung des Kanons als die Assmanns: 66 E. Zenger,

Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 42001, S. 19. F.-L. Hossfeld, Die Tora oder der Pentateuch – Anfang und Basis des Alten und Ersten Testaments, in: Bibel und Kirche 53.3 (1998), S. 106–112, hier: S. 110. 68 Vgl. J. Barthel, Die kanonhermeneutische Debatte seit Gerhard von Rad. Anmerkungen zu neueren Entwürfen, in: Kanonhermeneutik. Vom Lesen und Verstehen der christlichen Bibel, hrsg. v. B. Janowski, Neukirchen-Vluyn 2007, S. 1–26, hier: S. 24. 67 Vgl.

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Richtig verstanden, ist der Kanon durch eine radikale Offenheit charakterisiert. Er fordert zur Neugestaltung auf, er verlangt nach Auslegung, er stellt Frömmigkeit auf die Probe, er duldet keine Vorrangigkeit, er sanktioniert Gegensätzlichkeit, er rechtfertigt Meinungsvielfalt und er verleiht dem kritischen Geist einen festen Platz.69

Wobei sich die Polyphonie auf verschiedene Aspekte der Bibel beziehen kann: auf die Pluriformität der theologischen Redegenera: Geschichten, Gesetze, Gesichter, Gebete, Gedichte (P. Ricoeur),70 auf die Polyphanie Gottes in der Vielfalt seiner Erscheinungsweisen71 und auf die Polystratie und Polysemie der Textschichten (B. Janowski).72 Um der historischen Tiefe gerecht zu werden, verwendet Erhard Blum für den Kanon lieber ein anderes Bild als den Konzertsaal: „eine Landschaft, die in ihrem Relief zugleich ihre Geschichte darstellt“73. Als Betonfundament für den religiösen Absolutismus eignet sich die irreduzibel pluralistische Bibel kaum. Zenger verallgemeinert seine Sicht des alttestamentlichen Kanons als Polyphonie auf die zweigeteilte Bibel, in der der innerjüdische, der innerchristliche und der jüdisch-christliche Streit um die Gotteswahrheit ausgetragen wird. Auch die beiden Testamente sollen als „polyphones, polyloges, aber dennoch zusammenklingendes Ganzes“ gehört werden und mit einer „Hermeneutik der kanonischen Dialogizität“74 erschlossen werden. Warum aus dem Duett Altes Testament und Neues Testament nicht ein Terzett machen und auch den Quran hinzufügen? Es wäre doch eigentlich wünschenswert, eine Dünndruck-Ausgabe aller drei Heiligen Schriften zu haben, mit einer gemeinsamen Randkonkordanz und einem Quellenverzeichnis, damit die drei ‚Rivalinnen im Streit um die Gotteswahrheit‘ zwischen zwei Buchdeckeln und tausend hin und her laufenden Fäden ihren Trialog austragen können. Die Metapher der Polyphonie hat jedenfalls auch in der modernen Quran-Forschung Einzug gehalten. Georges Tamer hat in einem Vortrag an der Katholischen Akademie Bayern den Quran sehr einleuchtend als „ein vielstimmiges Buch“75 vorgestellt. Damit trägt er der einfachen 69 Vgl. B. M.  Levinson, „Du sollst nichts hinzufügen und nichts wegnehmen“ (Dtn 13,1). Rechtsform und Hermeneutik in der Hebräischen Bibel, in: ZThK 103.2 (2006), S. 157–183, hier: S. 183. 70 Vgl. P. Ricœur, Gott nennen (1977), in: Gott nennen. Phänomenologische Zugänge, hrsg. v. E. Lévinas/B. Casper, München 1981, S. 61–65. Ausführlicher vgl. ders., An den Grenzen der Hermeneutik. Philosophische Reflexionen über die Religion, hrsg. v. V. Hoffmann, München 2008, S. 41–61. 71 Vgl. B. Janowski, Die kontrastive Einheit der Schrift. Zur Hermeneutik des biblischen Kanons, in: Kanonhermeneutik, hrsg. v. dems., S. 27–46, bes. S. 39. 72 Vgl. B. Janowski, Theologie des Alten Testaments. Zwischenbilanz und Zukunftsperspektiven, in: Theologie und Exegese des Alten Testaments, der Hebräischen Bibel. Zwischenbilanz und Zukunftsperspektiven, hrsg. v. dems., Stuttgart 2005, S. 87–124, bes. S. 121. 73 E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, Berlin/New York 1990, S. 382. 74 Zenger, Einleitung, S. 21; a. a. O., Anm. 64. 75 Vgl. G. Tamer, Der Koran. Ein vielstimmiges Buch, in: Zur Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 1 (2019), S. 9–14, hier: S. 9.

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Beobachtung Rechnung, dass die Stimme, die im Quran spricht und die vom Propheten wiedergegeben wird, unzählige andere Stimmen von Himmlischen, Irdischen und Höllischen, von Vergangenen, Gegenwärtigen und Zukünftigen zitiert, referiert, revidiert, inszeniert, diskutiert und kritisiert. Der koranische Sprecher, d. h. die Stimme Gottes nach dem Glauben des Islam, integriert andere Stimmen, selbst die satanische, in seiner Rede. Seine Rede gestaltet sich damit zu einem polyphonen Ensemble von unterschiedlichen Tönen und Inhalten. […] Dem Korantext wohnt die Diversität inne. […] Nimmt man die Vielstimmigkeit des Korans zum Ansatzpunkt der Betrachtung, erscheint er als dichtes Kommunikationsnetzwerk.76

Die göttliche Stimme ist Hallraum für das Stimmenwirrwarr, mit dem auf der arabischen Halbinsel im 7. Jahrhundert der Preis des Monotheismus ausgehandelt wurde. Tamer hebt die interreligiöse Anschlussfähigkeit des polyphonen Qurans hervor. Denn Teil des vielfältigen Korangefüges sind nicht nur die Stimmen von Juden und Christen, sondern auch von Polytheisten, Ungläubigen oder sogar Verdammten. Sie kommen alle gleichermaßen zur Sprache und dürfen sich äußern, auch wenn ihre Ansichten nicht im Sinne Gottes sind und als falsch zurückgewiesen oder verurteilt werden. Ihre Stimmen werden trotzdem nicht unterdrückt oder zum Schweigen gebracht.77

Nicht einmal der Islam und der Quran stehen für Assmanns Popanz, monotheistischer Dunkelmann mit „semantischem Dynamit“78 im Turban, zur Verfügung.

6. … und in der Bibel Bleibt die Frage nach den historischen und theologischen Wurzeln der Vielstimmigkeit in den Heiligen Schriften, die wir hier freilich nur in Bezug auf die Bibel stellen und beantworten können. Wieso haben die Absolutisten nicht alle abweichenden Stimmen einfach unterdrückt, sondern ihnen im Kanon auch noch ein Forum bereitet und in einen höchst komplizierten Redaktions‑ und Kanonisationsprozess einbezogen? Gewiss, da ist zunächst einmal die oft wiederholte ‚Kanon-Formel‘: ‚Nichts streichen‘! Das Wort Gottes soll stehen bleiben (Bal Tigra, Dtn 4,2; 13,1; Koh 3,14; Offb 22,18–19). Frank Crüsemann vermutet im Abschnitt über die ‚Theologie der Komposition‘ in seinem Buch Die Tora hinter dem „höchst auffallende(n)“ Nebeneinander divergierender Rechtskodizes

76 A. a. O.,

S. 13. S. 14. 78 Assmann, Monotheismus und die Sprache der Gewalt, S. 57. 77 A. a. O.,

Ein Gott – drei Wege

353

ein persisches Rechtsprinzip: die „Unveränderbarkeit schriftlichen Rechts“79. Dafür bringt er einen interessanten biblischen Beleg. Der persische König kann den in Est 8,8 formulierten, auf den 13.12. terminierten und promulgierten Beschluss zur Vernichtung des Jüdischen Volkes (Est 3,13) nicht mehr rückgängig machen, obwohl er inzwischen seine Meinung geändert hat (Est 8,5), „denn eine Schrift, die geschrieben worden im Namen des Königs und besiegelt worden mit dem Siegel des Königs, ist nicht zu widerrufen“ (Est 8,8). Das einzige, was er für die Juden noch tun kann, ist eine andere schriftliche Order zu erlassen, die sie ermächtigt, sich gegen ihre Hasser mit Waffengewalt zu wehren (Est 8,11) – Assmanns ‚Antisemitenpogrom‘. Beide kontradiktorischen Befehle bleiben unausgeglichen nebeneinander stehen und führen  – wenn das Ganze nicht nur ein Tausend-und-eine-Nacht-Märchen ist – auch in der Wirklichkeit zu einem Konflikt (Est 9). Der achämenidische Großkönig steht demnach nicht über dem von ihm erlassenen schriftlichen Gesetz. Was für den persischen Herrscher gilt, das wird man auch dem himmlischen Herrscher unterstellen: Was Gott einmal befohlen hat, kann Gott nicht wieder aufheben. Die persischen Oberherren werden also nicht überrascht gewesen sein, als die Juden ein Gesetz zur ‚Reichautorisation‘ eingereicht haben,80 in dem divergierende Gesetzeskorpora standen. Crüsemann schließt: Das Neben‑ und Miteinander von Texten, die einander an nicht unwichtigen Punkten direkt widersprechen, als Teile der einen kanonischen Urkunde führt auf so etwas wie ‚Toleranz‘. Gottes Wille ist nicht ein mehr oder weniger geschlossenes System, nicht ein Prinzip der Integration vieler Wahrheiten in eine Einheit.81

Die Politische Theologie des Achämeniden-Reiches, das „127 Staaten (Medina) von Indien bis Äthiopien“ umfasste (Est 1,1), habe auch die Tora beeinflusst. Aber ist das alles? Muss es nicht auch intrinsische, theologische Gründe für den Pluralismus geben? Mir scheint, dass sich hinter der Plurivozität und Äquivozität der Schrift ein Gott verbirgt, bei dem das klagende Psalm-Ich appellieren kann: ‚Höre, o Gott, mein lautes Klagen‘ (Schma-Elohim Qoli BeSichi, Ps 64,1). Es gibt in der Bibel nicht nur ein ‚Schma Jisrael!‘, sondern hundert ‚Schma Elohims!‘. Der himmlische Richter verfährt nach dem Prinzip „audiatur et altera pars, (Apg 25,16)“82. Die jüdische Tradition, wie sie sich in der Standardglosse von Raschi spiegelt, hat die biblische Polyphonie, die uns natürlich aus jedem Parallelismus 79 F. Crüsemann, Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentlichen Gesetzes, Gütersloh 32005, S. 405. 80 Vgl. P. Frei/K. Koch, Zentralgewalt und Lokalautonomie im Achämenidenreich, in: dies., Reichsidee und Reichsorganisation im Perserreich, Freiburg (Schweiz) 1984, S. 7–43. 81 Crüsemann, Die Tora, S. 407. 82 Ernst Axel Knauf unterstellt in seinem Aufsatz gleichen Titels, dass der Kanon nach diesem Prinzip zwischen D und P ausgehandelt worden sei. Vgl. Knauf, Audiatur et altera pars, S. 124.

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entgegenschallt, an einen anderen Psalm-Vers angehängt (vgl. seinen Kommentar zu Ps 62,12 nach MekhJ BaChodesch 7): „Eines hat Gott gesagt, zweierlei habe ich gehört“ (Achat Diber Elohim Schtajim Su-Schamati). Gott sendet mono, wir hören stereo! In der einen Version des Dekalogs lautet das Schabbat-Gebot: ‚Erinnere dich an den Schabbat‘ (Sachor Et-Jom HaSchabbat, Ex 20,8), in der anderen: ‚Hüte den Schabbat‘ (Schamor Et-Jom HaSchabbat, Dtn 5,12). Gott, so Raschi zu Dtn 5,12 und die erste Strophe des berühmten Schabbat-Lieds ‚Lecha Dodi‘ (Hld 7,12), sagt die Imperative ‚Hüte!‘ – also die Schabbat-Verbote – und ‚Erinnere!‘ – also die Schabbat-Gebote – in einem Wort (BeDibbur Echad). Wir, die wir nicht Ja und Nein in einem Atemzug sagen können, müssen aber das Wort Gottes in zwei Aussagen zerlegen. Noch heute nehmen Alttestamentler den Psalm-Vers 62,12 gerne für die ‚Polysemie biblischer Texte‘ in Anspruch.83 Allerdings liegt nach diesem Text das Doppelthören im Ohr des Hörers, der Pluralismus ist ein Rezeptionsphänomen. Die rabbinische Literatur kennt noch weiter gehende Pluralisierungen des Wortes im Anschluss an den Psalmvers: „Der Herr ließ ergehen ein Wort, der Heilbotinnen war eine große Schar“ (JJ Jiten Omer, HaMewasserot Zawa Raw, Ps  68,12). Dazu heißt es im Talmud: „Jedes Wort, das aus dem Munde des Herrn hervorging, wurde in siebzig Sprachen zerteilt“ (bSchab 88b) – d. h. alle überhaupt existierenden Sprachen. Eine andere Tradition lehnt diese Aussage an ein Prophetenwort an: „Ist nicht mein Wort wie Feuer […] und wie ein Hammer, der Felsen sprengt“ (Jer 23,29). Die Deabsolutierung ist das genaue Gegenteil der Dekanonisierung der terribles simplificateurs, der man immer wieder entgegentreten muss.

83 Vgl. L. Schwienhorst-Schönberger, „Eines hat Gott gesagt, zweierlei habe ich gehört“ (Ps 62, 12). Sinnoffenheit als Kriterium einer biblischen Theologie, in: Jahrbuch für Biblische Theologie 25 (2010), S. 45–61.

Zur theologischen Bedeutung des Judeseins Jesu Reinhold Bernhardt In diesem Beitrag sollen sich die Überlegungen auf die Zukunftsperspektiven der Christologie im Kontext des jüdisch-christlichen Dialogs ausrichten. Es soll um religiöse Pluralität und um die Rolle von Absolutheitsansprüchen darin gehen. Ich spitze diese thematische Perspektive auf die Frage zu, wie sich das im Rahmen der Israeltheologie entwickelte Verständnis Jesu Christi zu einer Christologie im Kontext der Theologie der Religionen verhält, und frage in diesem Zusammenhang danach, inwiefern das Judesein Jesu christologisch von Bedeutung ist. Im ersten Abschnitt stelle ich Überlegungen zur Verhältnisbestimmung von Israeltheologie und Religionstheologie an. Danach konzentriere mich auf die israel‑ und religionstheologisch relevante Frage nach der theologischen Bedeutung des Judeseins Jesu. Sie stellt sich im interreligiösen Kontext neu und zugespitzt. Im dritten Schritt beziehe ich diese Überlegungen dann vor allem auf die theologische Beschäftigung mit dem Islam. Am Schluss steht eine Mahnung zur Vorsicht vor theologischen Vereinnahmungen des Judentums im Rahmen heilsgeschichtlicher Konstruktionen. Dabei kommt der Blick nach vorne nicht ohne einen Rückblick auf die frühere Diskussion um die theologische Bedeutung des Judeseins Jesu aus.

1. Israeltheologie und Religionstheologie Dass das Judentum in einer anderen Weise als andere Religionen für den christlichen Glauben und damit für das theologische Selbstverständnis des Christentums bedeutsam ist, weil es diesem Glauben zufolge in einer unmittelbaren Beziehung zum Erwählungs-, Leitungs‑ und Offenbarungshandeln Gottes steht, stellt eine unhintergehbare Einsicht dar, die aus der Rückbesinnung auf die nicht nur historische, sondern auch theologische Verwurzelung des christlichen Glaubens im Judentum gewonnen wurde. Der christliche Glaube steht in einer theologisch innerlichen (weil für sein Selbstverständnis grundlegenden) Beziehung zum Judentum, während seine Beziehung zu den anderen Religionen eine äußerliche (für sein Selbstverständnis periphere) bleibt. Der Hauptstrom der christlichen Israeltheologie der letzten fünf Jahrzehnte ist diesem Paradigma gefolgt.

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Das hat allerdings (vor allem in der evangelischen Theologie) nicht selten dazu geführt, die Verbundenheit des christlichen Glaubens mit dem Judentum dadurch hervorzuheben, dass man um Abgrenzungen gegenüber anderen Religionen – in erster Linie gegenüber dem Islam – bemüht war. Schon bei Karl Barth ist dieser Kontrast augenfällig. Er sah den Islam als eine „Potenzierung alles sonstigen Heidentums“1 an. In der islamischen Auffassung der Einheit, Einzigkeit und Einfachheit Gottes lag für ihn nicht das Verbindende, sondern gerade das Trennende. In KD § 31 (1940) grenzte er das christliche Verständnis der Einheit Gottes scharf vom philosophischen Postulat des absolut Einen ab. In diesem Zusammenhang warf er einen Seitenblick auf den Monotheismus des Islam: „Was es mit der Verabsolutierung der Einzigkeit auf sich hat, zeigt in exemplarischer Weise das fanatische Geschrei des Islam von dem einen Gott, neben dem dann humorvollerweise ausgerechnet nur die barocke Gestalt seines Propheten auch noch einen Ehrenplatz einnehmen soll.“2 „Es bedeutet darum eine Gedankenlosigkeit, den Islam und das Christentum in der Weise zusammenzustellen, als ob sie wenigstens im ‚Monotheismus‘ ein Gemeinsames hätten. Nichts trennt sie vielmehr so gründlich als die Verschiedenheit, in der sie scheinbar dasselbe sagen: es ist nur ein Gott!“3

Man muss bei diesen – die Grenzen zur Polemik überschreitenden – Aussagen allerdings bedenken, dass der Islam im Nationalsozialismus als Religion der Selbstdurchsetzung verherrlicht wurde, während das Christentum als Religion der Schwäche galt. Nach Auskunft von Albert Speer war Hitler der Meinung, dass die „mohammedanische Religion […] für uns viel geeigneter [wäre] als ausgerechnet das Christentum mit seiner schlappen Duldsamkeit“4. Den Islam sah Hitler demgegenüber als Vorbild einer männlichen und kriegerischen Religion an. Dem Judentum bzw. Israel brachte Barth demgegenüber eine hohe Wertschätzung entgegen, auch wenn er in seiner Israellehre im Anschluss an Paulus eine dialektische Sicht vertrat, der zufolge die Juden in Christus erwählt sind, diese Erwählung aber nicht angenommen und sich damit selbst verworfen haben, was aber nicht Gottes Verwerfung, sondern sein Rettungshandeln nach sich zieht.5

1 K. Barth,

Die Kirchliche Dogmatik, II/1, Zollikon-Zürich 1940, S. 505. S. 504. 3 A. a. O., S. 505. Vgl. dazu R. Bernhardt, Religion als Götzendienst? Barth und die Religionstheologie, in: Karl Barth und die Religion(en). Erkundungen in den Weltreligionen und in der Ökumene, hrsg. v. S. Hennecke, Göttingen 2018, S. 89–106. 4 A. Speer, Erinnerungen, Frankfurt a. M. 1989, S. 110. 5 Vgl. B. Klappert, Israel und die Kirche. Erwägungen zur Israellehre Karl Barths, München 1980; M. R.  Lindsay, Barth, Israel, and Jesus. Karl Barth’s Theology of Israel, London/ New York 2016. 2 A. a. O.,

Zur theologischen Bedeutung des Judeseins Jesu

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In der Israeltheologie der Theologen, die von Barths Theologie geprägt waren, wurde im Anschluss an Röm 9–11 dann vor allem der erste und der dritte Aspekt von Barths Dreischritt betont: die bleibende Erwählung des Judentums. Gott hält an seinem Erwählungsratschluss fest; die Christen sind hinzuerwählt. Als in den jüdischen Ölbaum eingepfropfter Zweig sind sie bleibend an das Judentum gebunden und auf die jüdische Schriftauslegung angewiesen. Andere Religionen kamen in dieser Sicht bestenfalls schemenhaft in den Blick. Neben dem Gottesvolk aus Juden und Christen gab es die ‚Völker‘; Religionen und interreligiöse Beziehungen waren hingegen kaum ein Thema. In der Christologie Friedrich Wilhelm Marquardts beispielsweise findet sich zu Beginn zwar ein Abschnitt „Jesus unter den Moslems“, in dem Marquardt auf Jesusbilder im zeitgenössischen Islam eingeht6; eine intensivere Auseinandersetzung damit und eine Auslegung der Christologie im Blick auf die islamischen Deutungen der Person und der Prophetie Jesu unternimmt er allerdings nicht. Der Blick auf den ‚Jesus außer Landes‘ dient lediglich der Hinführung auf den Jesus, wie er in der biblischen Überlieferung der beiden Testamente begegnet. Er hat den Charakter des Exotischen. Marquardt geht in diesem Buch der Frage nach, ob die historische Zugehörigkeit Jesu zum Judentum eine Bedeutung für das christliche Christusbekenntnis hat und bejaht diese Frage nachdrücklich. Denn die Beziehung Gottes zu Jesus Christus ist nicht ohne die Beziehung Gottes zu Israel zu denken und Israel im theologischen Sinn als das erwählte Gottesvolk ist nicht zu unterscheiden vom historischen Judentum. Es gilt die Aussage des johanneischen Jesus: „Das Heil kommt von den Juden“ (Joh 4,44).7 Demnach ist es von unaufgebbarer theologischer Bedeutung, dass Jesus ein Jude war. Nachdem Israel bisher zumeist im Schatten Jesu gesehen wurde, will Marquardt Jesus im Lichte Israels betrachten. Das Christusereignis empfängt seinen Sinn von Israel her und dieser Sinn ist für die Völker bestimmt. Andere von Barth geprägte Theologen – wie Bertold Klappert – sahen sich demgegenüber genötigt, die Israeltheologie zu einer Theologie der Abrahamischen Segensgemeinschaft zu erweitern, in die Juden, Christen und Muslime eingeschlossen sind. Dieser Einbezug der Muslime und des Islam in die Verheißungs‑ und Bundesgeschichte sollte nicht als Zurücknahme, sondern als Ausdehnung der Israeltheologie verstanden werden. Klappert beruft sich dazu u. a. auf Marquardts 1988 erschienenes Buch Von Elend und Heimsuchung der

6 Vgl. F.-W. Marquardt, Das christliche Bekenntnis zu Jesus, dem Juden. Eine Christologie, Bd. 1, München 1990, S. 14–23. 7 Dieses und die weiteren Zitate aus dem Neuen Testament sind entnommen aus: Die Bibel. Nach Martin Luthers Übersetzung. Lutherbibel revidiert 2017. Jubiläumsausgabe. Stuttgart 2017. Das griechische Neue Testament wird zitiert aus: Novum Testamentum Graece, hrsg. v. B. Aland, Stuttgart 282014.

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Theologie, das einen langen Abschnitt zum Thema „Abraham, unser Vater“ enthält. Darin wird beschrieben, wie im Neuen Testament auf die Abrahamüberlieferung Bezug genommen wird, um die in Christus vollzogene Aufnahme der nichtjüdischen Christusnachfolger in die Bundesgemeinschaft Gottes im Blick auf die Schriften der Hebräischen Bibel zu begründen. Klappert stimmt Marquardts israeltheologischen Überlegungen vollkommen zu, beklagt aber, dass dieser die Abrahamüberlieferung um eine wichtige Dimension verkürzt habe, indem er die Segensverheißung an Ismael und damit die Beziehung auf die Abraham-Gemeinschaft der Muslime unerwähnt ließ. Im kritischen Anschluss an Marquardt formuliert Klappert dann seine These: „Unsere in Jesus Christus vollzogene Mitberufung zu Abrahamkindern stellt die ökumenische Kirche in eine Beziehung zum Israel-Volk, dem Judentum, zur Abraham-Gemeinschaft, dem Islam, und zu der einen, unteilbaren Menschheit, der der ungeteilte Segen Abrahams letztendlich gilt. Indem die Theologie diesen vier Dimensionen der Abraham-Verheißung heute biblisch nachdenkt, nämlich der Israel-Dimension, der Ismael-Dimension, der Christus-Dimension und der Völker-Dimension, kommt sie ökumenisch auf verbindliche Wege.“8

Es soll hier weder der israeltheologische Ansatz Friedrich-Wilhelm Marquardts noch dessen Ausdehnung auf eine Abrahamische Religionstheologie diskutiert werden. Es kam mir lediglich darauf an zu zeigen, wie die Israeltheologie über die Beziehungsbestimmung des Christentums zum Judentum hinausdrängte bzw. durch biografische Erfahrungen (Klappert ist auf Sumatra geboren worden und blieb dem dortigen multireligiösen Kontext zeitlebens verbunden) und veränderte historische Situationen (wie etwa die stärkere Präsenz des Islams in den westlichen Gesellschaften) zu einer solchen Erweiterung gedrängt wurde. Es waren aber nicht nur theologieexterne, sondern auch eminent theologische Motive, die diese Dynamik beförderten. Dazu gehörte vor allem die christliche Glaubensüberzeugung von der Unbedingtheit und Universalität des Heilswillens Gottes. Eine ähnliche – wenn auch anders motivierte – Dynamik war bereits bei der Ausarbeitung von Nostra Aetate im Zweiten Vatikanischen Konzil zu Tage getreten. Bekanntlich sollte die Erklärung ursprünglich nur auf das Judentum bezogen sein. Doch nach heftigen Auseinandersetzungen um den Entwurf der Erklärung über die Juden wurde eine Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen (so der Untertitel) daraus. Wie konfliktreich dieser Prozess war, geht aus einer Aussage von Kardinal Walter Kasper hervor. 8 B. Klappert, Abraham eint und unterscheidet – Begründungen und Perspektiven eines nötigen ‚Trialogs‘ zwischen Juden, Christen und Muslimen, in: Bekenntnis zu dem einen Gott. Christen und Muslime zwischen Mission und Dialog, hrsg. v. R. Weth, Neukirchen-Vluyn 2000, S. 98–112, hier: S. 111 f., online unter: http://www.reformiert-info.de/side.php?news_ id=1851&part_id=0&navi=3 (30. 12. 2018), III.4.

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In seinem Vortrag bei der ersten Begegnung der katholischen Bischöfe mit den Rabbinerkonferenzen am 9. März 2006 in Berlin sagte er dazu: „Um wenigstens die Möbel aus dem brennenden Haus zu retten, wurde schließlich entschieden, das Dokument als ein Kapitel in eine neu zu schaffende ‚Erklärung über die nicht-christlichen Religionen‘ einzufügen, die dann als Nostra Aetate bekannt wurde.“9 Diese Erweiterung führt(e) allerdings noch einmal neu vor die Notwendigkeit, die Besonderheit des jüdisch-christlichen Verhältnisses gegenüber dem Verhältnis des Christentums zu anderen Religionen theologisch darzulegen. Die Gründe dafür werden im unlösbaren Rückbezug des christlichen Glaubens auf die Traditionen des Judentums gesehen. Walter Kasper nennt vier Aspekte dieser Verwurzelung: „Jesus, seine Mutter Maria, die Apostel waren Juden. Die allermeisten Schriften des Alten Testaments bzw. des Tanach sind uns gemeinsam. Gemeinsam ist uns der Glaube an den einen Gott, das Verständnis der Welt als Gottes Schöpfung, die Heiligkeit des Lebens und die Würde der menschlichen Person, die Zehn Gebote, die messianische Hoffnung und vieles andere.“10

Für das Thema der in diesem Band dokumentierten Tagung ist besonders der erste Aspekt – das Judesein Jesu – von Bedeutung, wie es in zahlreichen kirchlichen Dokumenten11 als Begründung für die theologische Verankerung des christlichen Glaubens im Judentum angeführt wird. Doch worin besteht die Bedeutung dieses Persönlichkeitsmerkmals Jesu für die Christologie? Im folgenden Abschnitt frage ich nach der Bedeutung des Judeseins Jesu im Spannungsfeld zwischen der Bestreitung seiner theologischen Relevanz, wie sie evangelischerseits bei Bultmann sowie in der Bultmannschule und katholischerseits etwa bei Karl Rahner begegnet, und seiner Überhöhung, wie sie etwa bei Marquardt erscheint. Der Entfaltung meiner eigenen Position zu dieser Frage geht eine Erhebung des exegetischen Befundes im Blick auf die Schriften des Paulus voraus.

 9 W. Kasper, Nostra Aetate und die Zukunft des jüdisch-christlichen Dialogs, online unter: https://www.deutscher-koordinierungsrat.de/bischoefe-rabbiner-erste-begegnungkardinal-walter-kasper-2006 (30. 12. 2018), 2. Abschnitt. 10 A. a. O., 5. Abschnitt. 11 Vgl. dazu R. Rendtorff/H. H. Henrix (Hg.), Die Kirchen und das Judentum, Bd. 1, Dokumente von 1945 bis 1985, Paderborn/Gütersloh 32001; H. H.  Henrix/W. Kraus (Hg): Die Kirchen und das Judentum, Bd. 2, Dokumente von 1986 bis 2000, Paderborn/Gütersloh 2001. Beispielhaft sei Abschnitt 2.1.4 des von der Leuenberger Kirchengemeinschaft (GEKE) veröffentlichen Dokuments Kirche und Israel genannt. Vgl. H. Schwier (Hg.), Kirche und Israel. Ein Beitrag der reformatorischen Kirchen Europas zum Verhältnis von Juden und Christen. Church and Israel. A Contribution from the Reformation Churches in Europe to the Relationship between Christians and Jews, Frankfurt a. M. 2001, S. 48 f.

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2. Das Judesein Jesu und die Christologie 2.1. Problemanzeigen Die Hervorhebung des Judeseins Jesu in christologischen Entwürfen, die um eine theologische Anerkennung des Judentums bemüht sind, stellt vor Fragen und auch vor nicht unerhebliche Probleme, die zunächst benannt werden sollen. Daher beginne ich mit einer kritischen Reflexion auf die damit verbundene Problematik. (a) Fraglich ist zunächst, ob und in welchem Sinne man überhaupt vom ‚Judesein‘ Jesu sprechen kann. Im Tanach, den heiligen Schriften, auf die sich Jesus bezog, begegnen die Bezeichnungen ‚Jude(n)‘ oder ‚jüdisch‘ nur selten. Wo dies der Fall ist, sind sie vorwiegend bezogen auf die Bewohner des Reiches Juda (etwa in 2 Kön 16,6; Jer 32,12) oder der Provinz Judäa (etwa in Est 8,16 f.). Nach dem Babylonischen Exil wurde der Begriff ‚Jude‘ zwar auf alle Angehörigen Israels bezogen, blieb aber eine Fremdbezeichnung, die nicht selten einen despektierlichen Klang hatte.12 Als Selbstbezeichnung wurde ‚Volk Israel‘ verwendet. In den synoptischen Evangelien erscheint der Begriff ’Ιουδαἰος „als eigentliche Bezeichnung des Volkes, mit dem Jesus es zu tun hat, gar nicht“13. Jesus selbst hat den Begriff nicht auf sich angewendet. Lediglich seine Gegner bezeichnen ihn als ‚Juden‘ bzw. als vermeintlichen ‚König der Juden‘, wie es in der verhöhnenden Kreuzesinschrift der Fall ist. Im Johannesevangelium wird Jesus den Juden als denen gegenübergestellt, die seinen Herrschaftsanspruch ablehnen. Paulus gebraucht den Begriff ‚Jude(n)‘ in einem eher abstrakten und ambivalenten Sinn, einerseits zur Bezeichnung derer, die sich von Christus abwenden, andererseits zur Bezeichnung derer, die sich an die Thora binden. Er unterscheidet zwischen einer fleischlichen und einer geistlichen Abrahamkindschaft (Röm 9,6–13) und in diesem Sinne zwischen wahrem und verstocktem Judentum (Röm 11,7). Hinzu kommt der religionsgeschichtliche Befund, dass das rabbinische Judentum und damit das Judentum, wie wir es heute kennen, erst im dritten Jahrhundert n. Chr. aus dem Geist des Christentums geboren ist.14 Wie kann man angesichts dieser begriffs‑ und religionsgeschichtlichen Beobachtungen unbefangen vom ‚Judesein‘ Jesu in einem identitätsstiftenden Sinn sprechen? (b) Die Frage nach dem Judesein hat ihren systematischen Ort im weiteren Rahmen der Frage nach der theologischen Bedeutsamkeit des historischen Jesus 12 Vgl. W. Gutbrod, Art: ’Ιουδαἰος, ’Ισραήλ, Ἐβραῖος im Neuen Testament, in: ThWNT, Bd. 3, S. 376–394. 13  A. a. O., S.  376. „’Ιουδαῖοι ist die Bezeichnung des jüdischen Volkes im Munde von Nichtjuden oder von Juden im Verkehr mit Nichtjuden, während ’Ισραήλ die eigentliche, von Nichtjuden normalerweise nicht benützte Benennung ist“ (a. a. O., S. 378). 14 Vgl. P. Schäfer, Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums. Fünf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums, Tübingen 2010.

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für den christlichen Glauben, ist darin aber von eigener Bedeutung. Das Judesein ist ein Persönlichkeitsmerkmal dieser Person. Wenn dem historischen Jesus eine theologische Bedeutung zugesprochen wird, ist damit noch nicht zugleich das Judesein Jesu für theologisch bedeutsam erklärt. Es ist gesondert auszuweisen, worin die theologische bzw. christologische bzw. soteriologische Bedeutsamkeit dieses Identitätsmerkmals besteht. Mit ‚historischem‘ Jesus ist dabei nicht die Person ‚an sich‘ hinter den biblischen Überlieferungen gemeint, wie sie von der Leben-Jesu-Forschung des 19. Jahrhunderts gesucht wurde, sondern die Person, wie sie in den neutestamentlichen Überlieferungen erkennbar wird. Diese sind in nachösterlicher Perspektive verfasst und tradiert. Sie dokumentieren Jesus im Licht des Christusglaubens der Urchristenheit. (c) Es ist zu unterscheiden zwischen der historischen und der theologischen Frage nach dem historischen Jesus. Bei der historischen Frage geht es um die möglichst authentische Erfassung dieser Person, ihrer Verkündigung, ihrer Praxis und ihres Leidensweges im Kontext des zeitgenössischen Judentums vor der Zerstörung des zweiten Tempels. Bei der theologischen Frage geht es um die Bedeutsamkeit dieser historischen Person für den christlichen Glauben, d. h. für die in Christus erschlossene Beziehung zu Gott. Auf dieser Ebene sind die Theologumena von Inkarnation, göttlicher Vollmacht Jesu, Heilsbedeutung des Kreuzestodes und Auferstehung Jesu angesiedelt. Diese Glaubensinhalte beziehen sich zwar auch auf historische Begebenheiten, prädizieren ihnen aber eine metahistorische Bedeutsamkeit: die Vergegenwärtigung des Heilswillens Gottes. Die Frage ist, welche Valenz die historischen Bezugspunkte für die Glaubensüberzeugungen haben und wie konkret diese Züge zu bestimmen sind. Dass Jesus unter ärmlichen Bedingungen in einem entlegenen Winkel des Römischen Reiches zur Welt kam, ist für das Verständnis der ‚Inkarnation‘ des Gotteswortes durchaus von Bedeutung, zeigt sich doch daran schon die Kenosis des Gotteswortes, die dann kreuzestheologisch zum Ausdruck kommt. Ist es aber ebenso von Bedeutung, dass er als Mann, als Jude, als Sohn eines Zimmermanns aus Galiläa geboren wurde? M. E. sind die Gründe dafür von geringerem Gewicht. In Jesu Menschsein fließen alle diese und weitere Persönlichkeitsmerkmale zusammen, ohne dass einzelne davon im Blick auf ihre theologische Bedeutsamkeit herausragen würden. Zum wirklichen Menschsein Jesu gehört selbstverständlich seine Einbettung in den jüdischen Kontext seiner Zeit. Eine darüberhinausgehende theologische Aufladung seines Judeseins erübrigt sich aber. Wenn der Hinweis auf das Judesein Jesu nicht zu einer abstrakten Leerformel werden soll, dann sind zwei Konkretionen notwendig: In historischer Hinsicht ist die genaue Stellung Jesu im Judentum seiner Zeit anzugeben. Er war nicht einfach ‚Jude‘ in einem überzeitlichen und kontextlosen Sinn, der das Judentum schlechthin repräsentiert, sondern ein bestimmter Jude, der sich mit bestimmten Ausprägungen der israelitischen Tempelreligion und mit bestimmten

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Auffassungen der schriftgelehrten Thoraauslegung auseinandersetze. Er war kein Jude im Sinn des rabbinischen und talmudischen Judentums, das sich von ihm in z. T. scharfer Polemik distanziert hat. In systematischer Hinsicht ist anzugeben, welche Propria seines Judeseins christologisch von Bedeutung sind: seine Thoraauslegung, seine Kritik an Erscheinungsformen des Tempelkultes oder sein apokalyptisch eingefärbter Erwartungshorizont etwa. Dabei zeigt sich dann allerdings, dass es gerade diese Propria sind, die sich über den „garstigen Graben der Geschichte“15 hinweg für heutige Vergewisserungen der Inhalte des christlichen Glaubens als sperrig erweisen. (d) Die Betonung der theologischen Bedeutung des Judeseins Jesu steht in der Regel im Zusammenhang der von Seiten der christlichen Theologie unternommenen Bemühungen, das Judentum theologisch anzuerkennen. Dabei vermischen sich ethische Motive (in Bezug auf die Beziehungsbestimmung des Christentums zum Judentum) mit theologischen Fragen (nach der Bedeutung des historischen Jesus) und historischen Fragen (etwa nach den religionsgeschichtlichen Formationen des Judentums). Diese Motivkomplexe sind aber zu unterscheiden. Wenn das Judesein Jesu vor allem deshalb aufgewertet wird, weil man damit die Anerkennung des Judentums zum Ausdruck bringen will, dann handelt es sich dabei um religiöse Symbolpolitik. Auch diese kritische Rückfrage führt vor die Forderung, genau anzugeben, worin die theologische, christologische und soteriologische Bedeutsamkeit des Judeseins Jesu besteht. 2.2. Über‑ und Unterbetonungen des Judeseins Jesu Nachdem die Grundlagenprobleme der Leben-Jesu-Forschung offenkundig geworden waren und nachdem sich Martin Kähler, Albert Schweizer u. a. für die Verabschiedung der Suche nach dem historischen Jesus hinter den biblischen Zeugnissen ausgesprochen hatten, wurde in der Bultmannschule der von Kähler sogenannte biblische Christus16 zum exegetischen Ausgangs‑ und systematischen Zielpunkt der Christologie. Das für den christlichen Glauben Entscheidende sei nicht das Historische an Jesus, sondern der im Glauben erfasste lebendige Christus praesens: der kerygmatische Christus. Kreuz und Auferstehung seien nicht als Abschluss des Lebens Jesu, sondern als Anfang des geschichtlichen (‚wirklichen‘) Christus für den Glauben relevant. Bultmann selbst hatte zwischen dem ‚historischen‘ und dem ‚irdischen‘ Jesus unterschieden. Am historischen Jesus  – und hier besonders an den psycho15  G. E.  Lessing, Über den Beweis des Geistes und der Kraft, in: Die Erziehung des Menschengeschlechts und andere Schriften, Stuttgart 1965, S. 31–38, hier: S. 36. 16 Vgl. M. Kähler, Der sog. historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus, 1892, ND München 41969; vgl. dazu H. G.  Link, Geschichte Jesu und Bild Christi, Neukirchen-​ Vluyn 1975.

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logisierenden Versuchen, sein Selbstbewusstsein zu rekonstruieren – zeigte er kein Interesse. Am irdischen Jesus war ihm nur das Faktum (das ‚dass‘) seines Gekommenseins und seines Kreuzestodes von Bedeutung; und auch das nur insofern, als damit dem Kerygma ein historischer Anker gegeben ist. Inhalt des Kerygmas ist allein der nachösterliche Christus, also nicht der Verkündiger, sondern der Verkündigte. In seiner Theologie des Neuen Testaments ordnete Bultmann Jesu Verkündigung in die jüdischen Voraussetzungen des christlichen Kerygmas ein17. Jesus erscheint als jüdischer Prophet. Sein Jesusbuch leitete er ein mit den Worten: „Denn freilich bin ich der Meinung, daß wir vom Leben und von der Persönlichkeit Jesu so gut wie nichts mehr wissen können, da die christlichen Quellen sich dafür nicht interessiert haben, außerdem sehr fragmentarisch und von der Legende überwuchert sind, und da andere Quellen über Jesus nicht existieren. […] Ich habe aber in der folgenden Darstellung diese Frage überhaupt nicht berücksichtigt, und zwar im letzten Grunde nicht deshalb, weil sich darüber nichts Sicheres sagen läßt, sondern weil ich die Frage für nebensächlich halte.“18

So sehr man diese Positionsbestimmung im Kontext der damaligen Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen der Rekonstruktion des historischen Jesus sehen und verstehen muss, so sehr betreffen sie doch auch die Frage nach der theologischen Bedeutsamkeit der Person und der Persönlichkeitsmerkmale Jesu und damit auch dessen Judesein. Es ging Bultmann primär um die ‚Erkennbarkeit‘ der Person Jesu hinter den neutestamentlichen Überlieferungen. Doch damit eng verbunden ist die Frage nach der theologischen Relevanz des vorösterlichen Jesus, seiner Verkündigung und Wirksamkeit. Die Person Jesu und ihre sozialen, kulturellen und religiösen Bezüge zum Judentum lassen sich nach Bultmann nur im Lichte des kerygmatischen Christus erkennen und auch nur von dorther erhalten sie ihre theologische Bedeutsamkeit. Die Geschichte Jesu und damit seine jüdisch geprägte Prophetie gehörte für Bultmann zur Vorgeschichte des Christentums. Das Christentum hat erst mit Ostern begonnen. Sowohl die akademische Leben-Jesu-Forschung als auch ihre Kritiker waren von der neukantianischen Gegenüberstellung von Glaube und Geschichte beeinflusst. Bei den einen führte diese Gegenüberstellung zum Versuch, den christlichen Glauben auf ein geschichtswissenschaftlich gesichertes Fundament zu stellen, bei den anderen (wie bei Bultmann) zur theologischen Verabschiedung des historischen Jesus. Das ließ dann – vor allem unter den von Barth19 geprägten 17 Vgl.

R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 1948–1953, S. 1–33. Jesus, Berlin 1926, Neuausgabe Tübingen 1951, 41988, S. 11. Vgl. dazu U. H. J.  Körtner, Jesus im 21. Jahrhundert. Bultmanns Jesusbuch und die heutige Jesusforschung, Neukirchen-Vluyn 2006. 19 Karl Barth hatte die Konkretheit der Menschwerdung des Gottessohnes betont: Gottes Sohn wurde „nicht ‚Fleisch‘, Mensch […] in irgendeiner Allgemeinheit, sondern jüdisches Fleisch. Die ganze kirchliche Inkarnations‑ und Versöhnungslehre wurde abstrakt, billig, 18 R. Bultmann,

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Theologen  – das Pendel wieder in die andere Richtung ausschlagen: Von der Unter‑ zur Überbetonung des historischen Jesus und in diesem Zusammenhang auch seines Judeseins. Friedrich-Wilhelm Marquardt erhob das Bekenntnis zum Juden Jesus geradezu in den status confessionis: In Anlehnung an die Verwerfungen der Barmer Theologischen Erklärung, der man vorgeworfen hatte, die Verfolgung der Juden nicht thematisiert zu haben, formulierte er in seinen Prolegomena zur Dogmatik: „Die Kirche verwirft die falsche Lehre, als wäre das Heil nur einst von den Juden gekommen, und erkennt und bekennt, dass Gott auch heute in Israel zur Welt kommt. Sie weigert sich, das Judesein Jesu nur für einen historischen und damit überholbaren Zufall zu halten […].“20

Die Christologie soll sich ganz auf Jesus, den Juden, konzentrieren und die Lehrinhalte der Dogmatik aus seiner jüdischen Identität und in Bezug zu seinem jüdischen Kontext entfalten. Mit der Forderung nach Repatriierung Jesu in seiner jüdischen Lebenswelt stellte sich Marquardt der Abwendung vom historischen Jesus entgegen. Eine solche Überhöhung begegnete auch in der katholischen Theologie im Rahmen des heilsgeschichtlichen Denkens, wie es im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils vorherrschend war. So erhob etwa Hans Hermann Henrix das Judesein Jesu zum Teil einer auf den Juden Jesus zulaufenden heilsgeschichtlichen Konstruktion und verstand die Menschwerdung des Gotteswortes als „Judewerdung“.21 Nach Henrix steht Jesus „in der Tradition der durch Moses gegebenen Gesetze“22 und ist „als Veranschaulichung der Tora und als Lebensgestalt gewordene Tora“23 aufzufassen. Zumindest von Paulus her sind solche Deutungen jedoch nicht leicht zu rechtfertigen. Paulus greift gewissenmaßen hinter die Thora auf die an Abraham ergangene Verheißung zurück und sieht sie als in Christus erfüllt an. In Röm 3,21 heißt es „Nun aber ist ohne Zutun (χωρὶς, abseits, getrennt von) des Gesetzes die bedeutungslos in dem Maß, als man das für eine beiläufige und zufällige Bestimmung zu halten begann“ (K. Barth, Kirchliche Dogmatik IV/1, Zollikon-Zürich 1953, S. 181 f.). 20 F.-W. Marquardt, Von Elend und Heimsuchung der Theologie. Prolegomena zur Dogmatik, München 1988, S. 426. 21 H. H.  Henrix, Menschwerdung des Sohnes Gottes als Judewerdung. Zur christologischen Ernstnahme des Judeseins Jesu, online unter: https://www.nostra-aetate.uni-bonn.de/ theologie-des-dialogs/menschwerdung-des-sohnes-gottes-als-judewerdung/prof.-dr.-h​a​n​s​-​ he​r​m​ann-henrix-menschwerdung-des-sohnes-gottes-als-judewerd (30.  12.  2018), S.  1–19. Vgl. auch ders., Gottes Ja zu Israel. Ökumenische Studien christlicher Theologie, Berlin/Aachen 2005, S. 103–120. 22 Wie es Henrix – ohne Bezug auf Paulus – behauptet (ders., Menschwerdung, S. 1). 23 Ebd. – unter Anspielung auf das Wort von Josef Ratzinger/Benedikt XVI., „Jesus ist im Glauben der Christen die Tora in Person“ (J. Ratzinger/Benedikt XVI, Jesus von Nazareth, Bd. 2, Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung, Freiburg i. Br. 2011, S. 108; vgl. auch 143 f., 206, 364.

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Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart.“24 Dafür ruft er gerade das Gesetz und die Propheten in den Zeugenstand.25 Die Thora bezeugt die Gerechtigkeit, die der Thora schon vorausgeht. Henrix und Marquardt interpretieren das historische Faktum des Judeseins Jesu als theologische Notwendigkeit und überhöhen es damit. Sie stellen es in den Kontrast zu einer Position, die es als historisch ‚zufällig‘ ansieht.26 Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Anwendung dieser Alternative der beiden Modalitäten – notwendig/zufällig – hier sinnvoll ist. Sie ist ein Implikat der heilsgeschichtlichen Deutung des Judeseins Jesu, das nichts begründet, sondern nur die zuvor postulierte Notwendigkeit noch einmal bekräftigt. Es handelt sich um ein analytisches Urteil in einer zirkulären Argumentation. Zumindest müsste geklärt werden, in welchem Sinn von ‚Notwendigkeit‘ die Rede ist. Dabei könnte die scholastische Unterscheidung zwischen absoluter Notwendigkeit (necessitas absoluta bzw. simplex bzw. consequentis) und bedingter Notwendigkeit (necessitas hypothetica bzw. conditionalis, bzw. consequentiae eventus bzw. necessitas secundum quid) von Bedeutung sein: Jesu Judesein ist nicht in einem absoluten Sinne (aufgrund göttlicher Setzung) notwendig, sondern eine faktische Eigenschaft seines von Gott angenommenen Menschseins und damit bedingt notwendig. Die von Henrix vertretene Deutung des Judeseins Jesu als Zielpunkt der Inkarnation des Logos Gottes ist auch insofern problematisch, als sie von der soteriologischen Spitze des Theologumenons von der Menschwerdung des Logos ablenkt. Diese besteht darin, dass das Gotteswort die menschliche Natur, d. h. das Menschsein angenommen hat, um es aus der Verderbensmacht der Sünde zu befreien. Die Zuspitzung auf die ‚Judewerdung‘ lenkt den Blick von der soteriologischen Bestimmung auf den historischen Ort der Menschwerdung und interpretiert diesen Ort heilsgeschichtlich. Das eine schließt das andere zwar nicht aus, verschiebt aber den Fokus. Zu Recht urteilt Barbara Meyer, dass die Rede von der „Judewerdung“ „zwar eine paränetische oder zumindest anamnetische Aufgabe erfüllen“ kann, aber noch nicht den Gewinn einer „kritische[n] Reflexion der Inkarnationschristologie“ darstellt.27

24 Für

das johanneische Schrifttum vgl. u. a. Joh 1,17. bezeugt durch das Gesetz und die Propheten“ (Röm 3,21). 26 Für Marquardt kommt das u. a. in dem mit Anm. 20 belegten Zitat zum Ausdruck. Henrix beruft sich dafür auf lehramtliche Aussagen des Vatikans und Ansprachen der Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. (vgl. dazu Henrix, Menschwerdung, S. 2–6). 27 B. Meyer, Christologie im Schatten der Shoah  – im Lichte Israels. Studien zu Paul van Buren und Friedrich-Wilhelm Marquardt, Zürich 2004, S. 100. – In seiner Antwort auf diesen Einwand bezeichnet Henrix die Rede von der Judewerdung als ein „Interpretament der Inkarnationschristologie“, das zwar das Inkarnationsdogma nicht ausschöpfe, aber doch einen Aspekt hervorhebe, der in der Theologiegeschichte zu wenig beachtet wurde (Henrix, Menschwerdung, S. 6). 25 „[…]

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Zwischen den beiden Polen der Über‑ und der Unterbetonung des Historischen wird sich die Urteilsbildung zur theologischen Bedeutung des Judeseins Jesu bewegen müssen, um darin nach Möglichkeit einen Mittelweg zu suchen. 2.3. Exegetische und systematische Überlegungen zu 2. Kor 5,16 In diesem Zusammenhang spielt(e) die in 2 Kor 5,16 überlieferte Aussage des Paulus eine entscheidende Rolle, in der es heißt: „Darum kennen wir von nun an niemanden mehr nach dem Fleisch; und auch wenn wir Christus gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir ihn doch jetzt so nicht mehr.“ Bultmann folgert daraus: „Der Χριστὸς κατὰ σάρκα geht uns nichts an.“28 Wie ist die Aussage des Paulus zu verstehen? Ist mit dem ‚Christus nach dem Fleisch‘ die historische Person des Juden Jesus von Nazareth gemeint, die damit für theologisch irrelevant erklärt würde? Diese Auslegung legt sich nahe, denn Paulus hat Jesus nicht persönlich gekannt. Bevor ihm die Christuserscheinung vor Damaskus zuteil wurde, kannte er Jesus nur vom Hörensagen. Danach stand er ganz unter dem Eindruck dieser Erscheinungserfahrung. Gegenüber jenen Aposteln, die Jesus persönlich begegnet waren, musste er damit ein Legitimationsdefizit ausgleichen. Er berief sich dazu auf die Unmittelbarkeit der Begegnung mit dem erhöhten Christus. In seinen Briefen beschreibt er keine Begebenheit aus dem Leben und Wirken Jesu und zitiert keines seiner Worte. Einzig die Bezugnahme auf die Abendmahlsüberlieferung (1 Kor 11,23–26) scheint eine Ausnahme zu bilden. Doch auch hier bezieht sich Paulus auf eine Mitteilung des ‚Herrn‘, die er empfangen habe (1 Kor 11,23). Damit ist der auferstandene Christus gemeint. Dieser ist natürlich kein anderer als der historische Jesus; der Auferstandene ist der Gekreuzigte. So verwundert es nicht, dass die vereinzelt erwähnten Worte, die Paulus vom ‚Herrn‘ empfangen hat, an Worte aus der Verkündigung Jesu anklingen.29 Doch an keiner Stelle beruft sich Paulus ausdrücklich auf Worte des historischen Jesus. Die Mitteilungsquelle, aus der er schöpft, ist die Selbstvergegenwärtigung des auferstandenen Gekreuzigten. Otto Betz konstatiert: „Es gibt wohl kaum ein Urteil des Apostels Paulus, das härter umkämpft und theologisch folgenreicher gewesen wäre als die Stelle 2 Kor

28 R. Bultmann, Zur Frage der Christologie (1927), in: ders., Glauben und Verstehen, Bd. 1, Tübingen 51964, S. 101; vgl. auch ders., Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 71977, S. 238 f., 294, etc. 29 Vgl. 1 Kor 7,10.12; vgl. auch 1 Kor 9,14. Peter Stuhlmacher listet einige weitere Anspielungen auf Jesuworte in den paulinischen Briefen auf (P. Stuhlmacher, Biblische Theologie des Neuen Testaments, Bd. 1, Von Jesus zu Paulus, Göttingen 32005, S. 300), die allerdings zuweilen eher assoziativen Charakter haben.

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5,16.“30 Bei der Auslegung dieser Stelle im Blick auf die Frage nach der theologischen Bedeutsamkeit des Judeseins Jesu ist zunächst zu erörtern, ob κατὰ σάρκα auf das (historische) Menschsein Jesu verweist. Schon bei Wilhelm Bousset in der religionsgeschichtlichen Schule findet sich die Deutung von ‚sarkisch‘ im Sinne von ‚historisch‘.31 Bultmann ist ihm darin gefolgt.32 Auch die erneute Frage (‚second quest‘) nach dem historischen Jesus, wie sie in der Bultmannschule vor allem bei Ernst Käsemann aufbrach, bewegte sich im Wesentlichen noch auf dieser Linie. Käsemann stellte die Aussage des Paulus in den Kontext einer Auseinandersetzung in Korinth. Paulus sei damit judenchristlichen Pseudopropheten aus Jerusalem entgegengetreten, die sich zu ihrer Legitimation auf ihre persönliche Kenntnis des historischen Jesus berufen hätten.33 Bei Neutestamentlern, die der ‚third quest‘ zuzurechnen sind, findet dann allerdings eine Abwendung von dieser Deutung statt. Sie geht einher mit einer veränderten syntaktischen Zuordnung des κατὰ σάρκα. So spricht sich etwa James D. G. Dunn dafür aus, ‚dem Fleische nach‘ nicht auf das Substantiv (‚Christus‘), sondern auf das Verb (‚kennen‘) zu beziehen. Κατὰ σάρκα bezeichnet demnach den Modus des (Er‑) Kennens und nicht die Person Jesu. Paulus spreche hier von einem Kennen Jesu „from the human point of view“34, von dem er sich abgewendet habe.35 Ähnlich legt Otto Betz 2. Kor 5,16 im Sinne eines Erkenntniswandels – vom fleischlichen zum geistlichen Erkennen – aus. Er paraphrasiert diesen Wandel mit folgenden Worten: „Ich, Paulus, habe Christus früher falsch eingeschätzt, wie das meine Landsleute heute noch tun. Von nun an, seit meiner Berufung zum Apostel, sehe ich ihn ganz anders, weil

30 O. Betz, Fleischliche und „geistliche“ Christuserkenntnis nach 2. Korinther 5,16, in: Jesus. Der Herr der Kirche. Aufsätze zur biblischen Theologie II (WUNT 52), hrsg. v. dems., Tübingen 1990, S. 114–128, hier: S. 114. Udo Schnelle stellt drei Interpretationsmodelle dieser Aussage des Paulus gegenüber (vgl. U. Schnelle, Paulus. Leben und Denken, Berlin/New York 2003, S. 275, Anm. 69). 31  Vgl. W. Bousset, Kyrios Christos. Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen des Christentums bis Irenäus (FRLANT 21), Göttingen 51967, S. 118: „Als Pneumatiker sprengt der Apostel kühn alle ihm lästigen historischen Zusammenhänge, lehnt die Autoritäten in Jerusalem ab und will den Jesus kata sarka nicht mehr kennen.“ 32 Vgl. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, S. 294; ders., Der zweite Brief an die Korinther (KEK Sonderband), hrsg. v. E. Dinkler, Göttingen 1976, S. 156. 33 Vgl. E. Käsemann, Die Legitimität des Apostels, in: Das Paulusbild der neueren deutschen Forschung, hrsg. v. K. H.  Rengstorf, Darmstadt 31982, S. 475–521. Ähnlich deutet Christian Wolff 2 Kor 5,16. Paulus habe bei dieser Aussage seine Gegner im Blick gehabt, die mit ihrer Berufung auf den irdischen Jesus die Heilsbedeutung von Kreuz und Auferstehung relativierten (vgl. C. Wolff, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther, ThHK  8, Berlin 1989, S. 127). 34 J. D. G.  Dunn, The Theology of Paul the Apostle, Grand Rapids/Cambridge 1998, S. 184; vgl. auch Stuhlmacher, Biblische Theologie des Neuen Testaments, Bd. 1, S. 301. 35 Vgl. auch H.-J. Klauck, 2. Korintherbrief, NEB, Würzburg 31994, S. 54.

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er selbst mir die heilschaffende Bedeutung seines Todes offenbart hat, genauso wie den anderen Aposteln.“36

Diesem Erkenntniswandel entspricht dann auch ein Seinswandel  – vom Sein unter der Herrschaft der Verderbensmächte Sünde, Gesetz und Tod zum Sein ‚in Christus‘. Thomas Schmeller konstatiert, dass die große Mehrzahl der Exegeten heute κατὰ σάρκα adverbial, also bezogen auf ἐγνώκαμεν verstehe. Es gehe um eine fleischliche, weltliche, also rein menschliche Weise des Erkennens, nicht um die fleischliche Existenz Jesu.37 Es handelt sich um eine „Veränderung am erkennenden Subjekt, nicht am erkannten Objekt“38. Schon Bultmann hatte allerdings zugestanden, dass κατὰ σάρκα eher dem Verb zuzuordnen sein dürfte, also das Kennen und nicht dessen Gegenstand qualifiziert. Er sah den inhaltlichen Unterschied zwischen den beiden Lesarten aber als nicht sehr groß an: ein κατὰ σάρκα gekannter Christus sei eben ein Χριστὸς κατὰ σάρκα.39 Dieses Argument hat Gewicht. Es hängt allerdings von der erkenntnistheoretischen Voraussetzung ab, dass sich der Erkenntnisgegenstand in der Erkenntnis konstituiert und dass er sich nicht ‚an sich‘ erkennen lässt. In der pneumatischen Perspektive (man könnte auch sagen: in der Gottperspektive) betrachtet, ist Christus nicht mehr der Χριστὸς κατὰ σάρκα. Das bedeutet nicht, dass die Person Jesu in der Weise vergeistigt wird, dass die Konturen der historischen Person Jesu aus dem Blick geraten. Paulus ist sich ihrer bewusst und versucht nicht, sie zu verdrängen. Zu Recht konstatierte schon Gerhard Ebeling: „[…] es wäre absurd, Paulus Gleichgültigkeit oder geradezu Ablehnung gegenüber der Historizität Jesu zu unterstellen.“40 Nach Gal 4,4, ist Jesus „geboren von einer Frau“. In 2 Tim 2,8 wird auf die Abstammung Jesu „aus dem Geschlecht Davids“ verwiesen. Am ehesten finden sich im Römerbrief solche Anspielungen auf die Herkunft Jesu. Röm 9,5 zufolge kommt Christus „nach dem Fleisch“ von den Israeliten her. Paulus zitiert die Verheißung aus Jes 11,10, der zufolge „der Spross aus der Wurzel Isais“ kommen wird (Röm 15,12). Auch die Wiederkunft Christi wird in Röm 11,26 „vom Zion“ her erwartet. In 1 Thess 1,9 f. hatte Paulus noch davon gesprochen, dass der Sohn „vom Himmel“ kommen werde. Die Abstammung Jesu und damit auch sein Bezug zum zeitgenössischen Kontext des Judentums bleiben im Blick, verlieren in dieser geistlichen, d. h. auf die Heilsbedeutung von Kreuz und Auferstehung fokussierten Betrachtung aber an theologischer Relevanz. Zumindest kann man auf der Basis dieser Aussagen nicht 36 Betz,

Fleischliche und „geistliche“ Christuserkenntnis, S. 122. T. Schmeller, Der zweite Brief an die Korinther (2. Kor 1,1–7,4), EKK VIII/1, Neukirchen-Vluyn 2010, S. 324 f. 38 A. a. O., S. 325. 39 Vgl. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, S. 239. 40 G. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. 2, Tübingen 1979, S. 370. 37 Vgl.

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behaupten, Paulus spreche dem Judesein Jesu ausdrücklich eine theologische Bedeutung zu. Es ist dies ein Kennzeichen des ‚sarkisch‘ erkannten Jesus. Und der sarkisch erkannte ist der sarkische. Nach Röm 8,3 kam der Gottessohn „in Gestalt des sündigen Fleisches“ (ἐν ὁμοιώματι σαρκὸς ἁμαρτίας) in die Welt, um die Sünde zu überwinden. Nicht die Gestalt des sündigen Fleisches, sondern die Überwindung der Sünde ist das theologisch und soteriologisch Entscheidende. Paulus sieht im Christus Jesus nicht mehr nur den jüdischen Messias, sondern den von Gott gesandten „Sohn“ (Gal 4,4), der durch seine Selbsterniedrigung hindurch von Gott zum kosmischen „Herrn“ erhoben wurde, in dessen Namen „sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind“ (Phil 2, 10). Er stellt Christus in die Polarität von fleischlicher (d. h. weltlicher, der Sünde ausgesetzter) Existenz und geistlicher Einheit mit Gott. In Röm 1,3 kommt diese Polarität deutlich zum Ausdruck. Paulus bekennt sich dort zum Christus Jesus, „der geboren ist aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch und eingesetzt ist als Sohn Gottes in Kraft nach dem Geist.“ In der neueren Paulusforschung ist herausgearbeitet worden, dass Paulus seine „hohe Präexistenzchristologie“41, die den Christus Jesus als Schöpfungsmittler bzw. Mitschöpfer sieht, in einem weisheitlichen bzw. pneumatologischen Bezugsrahmen entfaltet: Christus wird durch die Auferstehung zu einem lebendig machenden Geist und als solcher zum Antitypos des fleischlichen, „adamitischen“ Menschen (1. Kor 15,45). Alles Gewicht liegt auf der geistlichen Einheit des ‚Sohnes‘ mit Gott. Die Glaubenden sind in diese Einheit aufgenommen; sie partizipieren an Christus, d. h. an seinem geistlichen Leib. Sie sind ‚in Christus‘. Nach dem gleichen Schema unterscheidet Paulus in Röm 9,6–13 zwischen einer fleischlichen und einer geistlichen Abrahamnachkommenschaft. Nach Röm 9,7 ist nicht die leibliche Zugehörigkeit zur abrahamischen Abstammungsgemeinschaft entscheidend, sondern die geistliche Erwählung, die sich im Glauben an Christus manifestiert. Sie verbürgt die Teilhabe an der Verheißung und die Zugehörigkeit zum wahren Volk Israel. Zusammenfassend kann man sagen: In der geistlichen Betrachtung spielt das Judesein Jesu für Paulus bestenfalls eine marginale Rolle.

41 H.-U. Weidemann, Der Völkerapostel aus dem Samen Abrahams. Schlaglichter aus den neueren Paulusdiskussionen, in: Paulus von Tarsus. Architekt des Christentums? Islamische Deutungen und christliche Reaktionen, hrsg. v. T. Güzelmansur/T. Specker SJ, Regensburg 2016, S. 153–191, hier: S. 170. Vgl. auch Dunn, The Theology of Paul the Apostle, S. 266–293; M. Theobald, Der Römerbrief (EdF 294), Darmstadt 2000, S. 169 f.

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2.4. Das Judesein Jesu als Verankerung im ‚semantischen Universum‘ Israels Franz Mußner hat den Begriff des ‚semantischen Universums‘ vom Französisch-Amerikanischen Bibelwissenschaftler Daniel Patte aufgenommen42 und auf Israel bezogen. Jesu Verkündigung und Praxis sind nicht zu verstehen, wenn man von seiner Einbettung in dieses semantische Universum absieht. Seine Gottesbeziehung, sein Sendungsbewusstsein und sein Erwartungshorizont sind durch und durch von seinem zeitgenössischen jüdischen Kontext imprägniert. Ohne den Bezug zu den heiligen Schriften seines Volkes wäre seine Botschaft vom Anbruch des Gottesreiches ihrer Verwurzelung entrissen. Das gilt ebenso vom Christusglauben der ersten Christinnen und Christen: Auch der Glaube an Jesus als den Christus speist sich aus diesem Wurzelgrund. Das Judesein Jesu verweist also auf den religiösen, kulturellen, sozialen und politischen Kontext der Person Jesu und seiner Nachfolgegemeinschaft. Es darf nicht zu einer heilsgeschichtlichen Notwendigkeit überhöht werden, ist aber für die Entfaltung der Christologie insofern relevant als es von (unverzichtbarer) Bedeutung für das Verständnis der Person und Mission Jesu als dem historischen Bezugspunkt des christlichen Glaubens ist. Paulus kennt diesen Bezugspunkt, gibt ihm aber deutlich weniger christologisches Gewicht als die später entstandenen Evangelien. Er lässt diesen Aspekt in die Entfaltung seiner Christologie und Soteriologie einfließen, erkennt ihr aber keine diese Entfaltung begründende und tragende Kraft zu. Der christliche Glaube ist nicht auf das Judentum in einem allgemeinen, abstrakten Sinn angewiesen, sondern auf den Juden Jesus, der im semantischen Universum Israels lebte, glaubte und wirkte. Darin besteht der intrinsische Bezug des Christentums auf das Judentum. Das Judesein Jesu kommt damit weniger als ein Theologumenon, d. h. als theologische Größe von eigener Valenz, und mehr als Näherbestimmung der historischen Person Jesu in den Blick. Als solches ist es dann aber auch theologisch relevant. Der exegetische Befund im Blick auf die Schriften des Paulus lässt es nicht zu, das Judesein Jesu christologisch zu überhöhen, wie es bei Marquardt geschehen ist, wenn er postuliert: „Der ‚wahre Mensch‘ ist wahrer Jude.“43 Paulus hätte dieser Aussage nur zustimmen können, wenn ihr Akzent auf ‚wahrer Jude‘ läge und wenn dieses Prädikat im Sinne der von ihm beschriebenen wahren Abrahamnachkommenschaft als geistliche Nachkommenschaft im Glauben an Christus zu verstehen wäre. 42 Vgl. F. Mussner, Kommende Schwerpunkte Biblischer Theologie, in: Eine Bibel – zwei Testamente. Positionen Biblischer Theologie, hrsg. v. C. Dohmen/T. Söding, Paderborn/ München/Wien u. a. 1975, S. 227–251, hier: S. 239f; ders., Methodologie der Frage nach dem historischen Jesus, in: ders., Jesus von Nazareth im Umfeld Israels und der Urkirche. Gesammelte Aufsätze, hrsg. v. M. Theobald, Tübingen 1999, S. 13–42, hier: S. 42. 43 Marquardt, Das christliche Bekenntnis zu Jesus, dem Juden, S. 138.

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Die Christologie steht in der Spannung zwischen Authentizität bzw. Ursprungstreue und Relevanz bzw. Gegenwartsbedeutung, zwischen der historischen Rückfrage nach dem damaligen Jesus von Nazareth und der Frage nach seiner Bedeutung für den heutigen christlichen Glauben. Um diesen Glauben vor einem doketischen Gnostizismus zu bewahren, der den historischen Jesus aus dem Blick verliert und die Christusgestalt zur Projektionsfläche eigener religiöser Vorstellungen macht, ist mit Ernst Käsemann und Gerhard Ebeling zu fordern, dass die Christologie ‚Anhalt‘ am historischen Jesus haben muss, wie er biblisch überliefert ist.44 Ließe sich das Kerygma nicht an die Person Jesu in ihrer konkreten Historizität zurückbinden, dann wäre es ein bloßer Mythos. Die konkrete Historizität dieser Person besteht aber in ihrem Judesein. Die Rückfrage nach der (historischen) Person Jesu fungiert somit auch als kritisches Prinzip gegenüber christologischen Ansätzen, die Jesus in ihre je eigene religiöse oder auch politische Ideologie einbinden. In der Geschichte der Christologie gibt es zahlreiche Beispiele dafür. Sie dokumentieren, wie notwendig ein solches kritisches Prinzip in der Christologie ist. Welche Rolle spielt nun aber die Historizität Jesu im Allgemeinen und das Judesein Jesu im Besonderen in der Beziehungsbestimmung zu anderen Religionen, besonders zum Islam?

3. Das Judesein Jesu im Blick auf die Beziehung zum Islam Zunächst ist zu konstatieren, dass mit dem Rückbezug auf die biblisch bezeugte Person Jesu, also mit den Ansätzen einer ‚Christologie von unten‘ eine ‚Deabsolutierung‘ der ‚hohen‘ Christologie einhergeht. Je mehr die wesenhafte Göttlichkeit des Christus (das ‚vere Deus‘) betont wird, je mehr dieser dem Bedingungsgefüge der geschichtlichen Lebenswelt des Jesus von Nazareth enthoben und als überzeitliche Inkarnation des göttlichen Logos gesehen wird, umso steilere Ansprüche auf Exklusivität, Universalität und Finalität konnten und können sich mit der Darstellung seiner Person und soteriologischen Funktion verbinden. Solche Ansprüche konnten und können zu theologischen Konfrontationen führen, wie es beispielsweise im Blick auf den Finalitätsanspruch zwischen Christentum und Islam in weiten Teilen ihrer Beziehungsgeschichte der Fall war: Der Anspruch auf Letztgültigkeit und Unüberbietbarkeit wurde und wird christlicherseits für die Gottesoffenbarung in Christus und muslimischerseits für die Prophetie Mohammeds erhoben. 44 Vgl. E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus. Exegetische Versuche und Besinnungen, Bd. 1, Göttingen 21960, S. 187–214, hier: S. 195 f., 202 f.; G. Ebeling, Wort und Glaube, Tübingen 1960, S. 208; ders., Theologie und Verkündigung. Ein Gespräch mit Rudolf Bultmann, Tübingen 1962, S. 63.

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Jesus hat demgegenüber – soweit es sich aus den neutestamentlichen Quellen erkennen lässt – eine klare Selbstunterscheidung von Gott vollzogen (Mk 10,18 par u.ö.), worauf vor allem Wolfhart Pannenberg mit Nachdruck hingewiesen hat.45 Auch der johanneische Jesus, der sich ganz eins mit dem Vater weiß, nimmt doch diese Einheit nicht als Würdetitel für sich in Anspruch, sondern weist von sich weg auf den Vater hin, dem allein alle Ehre gebührt (Joh 8,50). „Im Unterschied zu Adam, dem Typos des sündigen Menschen, erliegt Jesus nicht der Versuchung, wie Gott sein zu wollen. In allem noch so tiefen Einssein mit dem Vater verwischt Jesus nie den Unterschied zwischen sich, dem Vater und dem von ihm geschenkten Geist: Der Sohn bleibt – im selben Heiligen Geist – zugleich immer auch der Knecht Gottes; als solcher kann er nur das tun und verkünden, was ihm der Vater aufgetragen hat (vgl. Joh 7,16–18 u. a.).“46

Die Selbstunterscheidung von Gott ist unmittelbar mit Jesu Judesein verbunden. Eine Selbstidentifikation mit Gott wäre ein Verstoß gegen das Erste Gebot und damit die Sünde schlechthin. Hier wird das Judesein Jesus unmittelbar relevant für die Christologie. Eine Christologie, die bei der Person Jesus ansetzt, wie sie vor allem in den synoptischen Evangelien bezeugt ist, steht dem koranisch-islamischen Jesusbild näher als eine solche, die bei Paulus ihren Ausgangspunkt nimmt. In mehrfacher Hinsicht steht das koranische Verständnis Jesu der Christologie des Paulus diametral gegenüber: –  Während Paulus Christus und Adam in ein Kontrastverhältnis zueinander stellt, betont der Koran die geschöpfliche Gleichheit beider. Wie Adam, so ist nach Q 3:59 auch Jesus von Gott aus Erde geschaffen. Gott sprach zu ihm „sei“ und er war. –  Mit der Bezeichnung Jesu als ‚Sohn Marias‘ wird die von Paulus gebrauchte Bezeichnung als ‚Sohn Gottes‘ bestritten. –  Die koranische Titulatur Jesu als ‚Gesandter Gottes‘ klingt zwar an die paulinischen Aussagen an, denen zufolge der Sohn Gottes ‚gesandt‘ ist; sie bezieht sich aber auf die durch den Menschen Jesus zu überbringende Botschaft: „Er hat mir die Schrift gegeben und mich zu einem Propheten gemacht.“ (Q 19,30)47 –  Die Selbstvorstellung Jesu als „Diener Gottes“ in Q 19:30 steht dem von Paulus gebrauchten Würdetitel ‚Herr‘ gegenüber. Dem Koran zufolge ist allein Gott der Herr, dem gedient wird.

45 Vgl. W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, Göttingen 1988, S. 335–338. Pannenberg fasst die theozentrische Ausrichtung Jesu darin zusammen, dass „die ganze Sendung Jesu der Ehre des Vaters und seiner Herrschaft diente“ (a. a. O., S. 336). 46 M. Kehl, Und Gott sah, dass es gut war. Eine Theologie der Schöpfung, Freiburg i. Br. 2006, S. 242. 47 Der Koran, Übersetzung von Rudi Paret, Stuttgart 122014.

Zur theologischen Bedeutung des Judeseins Jesu

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Der Koran betont zwar das Menschsein Jesu, enthistorisiert und dekontextualisiert es aber. Von Jesus wird nur seine Abstammung von Maria erwähnt. Alle weiteren Anspielungen auf seinen historischen Lebenskontext sind abgeblendet. Die von ihm überlieferten Wunder sind lediglich erwähnt, aber nicht ausführlicher erzählt und nicht historisch situiert. Während also einerseits Jesu Menschsein betont wird, erscheint er andererseits entweltlicht. Im Koran wird Jesus nicht nur als Prophet, Gottesknecht und Gesandter Gottes bezeichnet, sondern auch als Messias und Heiler, ja als Wort und Geist Gottes. Er ist das „Wort der Wahrheit“ (Q 19:34) und „Zeichen Gottes“ (Q 19:21 u.ö.).48 All diese Prädikationen bringen die Bedeutsamkeit Jesu coram Deo zur Sprache, ohne sich auf seine Herkunft aus dem Judentum und auf seine Einbindung in das Judentum zu beziehen. Mit dieser Entweltlichung ist aber nicht nur seine Göttlichkeit, sondern auch sein wahrhaftes Menschsein nicht ernstgenommen. Gerade darin liegt das unaufgebbare Proprium des christlichen Christusverständnisses: dass die Göttlichkeit Gottes in einem wirklichen Menschen, der dadurch zum wahren Menschen wird, zur Erscheinung kommt. Zur Wirklichkeit dieses Menschen gehört aber sein Judesein, wie auch alle anderen identitätsstiftenden Merkmale seiner Person dazugehören. Der Hinweis auf das Judesein Jesu kann im christlich-muslimischen Dialog die Funktion haben, das Anliegen des koranischen Jesusverständnisses – die Betonung des Menschseins Jesu – aufzunehmen und durch die historische Konkretion und Spezifikation dieses Menschseins zu vertiefen: Jesus war in der Tat wirklicher und das heißt jüdischer Mensch, der in einem jüdisch geprägten Kontext lebte und wirkte. Ohne diese Identität und ohne diesen Kontext ist sein Wirken nicht zu verstehen. In diesem Menschen war Gott (vgl. Apg 10,38; 2. Kor 5,19). Darin besteht seine Göttlichkeit. Die Erinnerung an das Judesein Jesu schiebt einer monophysitischen Deutung der Göttlichkeit Jesu einen bleibenden Riegel vor. Gegen eine solche Deutung wendet sich auch der Koran. Das chalcedonensische ‚unvermischt‘ hält die Spannungseinheit zwischen den beiden ‚Naturen‘ aufrecht. Das ist religionstheologisch, aber auch ökumenisch von erheblicher Relevanz. Es betrifft die Auseinandersetzung mit Christusverständnissen innerhalb und außerhalb des

48 Vgl. M. Bauschke, Jesus im Koran, Köln 2001; ders., Der Sohn Marias. Jesus im Koran, Darmstadt 2013; O. Leirvik, Images of Jesus Christ in Islam, London/New York 22010; E.M. Gerigk, Der andere Jesus. Hermeneutische Studie zum Koran als Dokument religiöser Identität am Beispiel der Gestalt Jesu, Berlin/Münster/Wien u. a. 2014; K. v. Stosch/M. Khorchide (Hg.), Streit um Jesus. Muslimische und christliche Annäherungen, Paderborn 2016; dies., Der andere Prophet. Jesus im Koran, Freiburg i. Br./Basel/Wien 2018; G. S.  Reynolds, The Islamic Christ, in: The Oxford Handbook of Christology, hrsg. v. F. Aran Murphy, Oxford 2015, S. 183–198.

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Christentums, die auf Jesu Göttlichkeit fokussiert sind.49 Asiatische, auch viele afrikanische und nicht zuletzt auch ostkirchliche Christologien stellen die kosmische Dimension des universalen Logos in den Vordergrund und haben an der Historizität Jesu – einschließlich seines Judeseins – kein Interesse.50 Gegenüber der darin liegenden Tendenz zum Doketismus gibt die Vergegenwärtigung des Judeseins Jesu der Christologie Bodenhaftung. Die Notion des Judeseins Jesu ist daher nicht bloß ein Spezifikum von Christologien, die im Bezugsrahmen des jüdisch-christlichen Dialogs entfaltet wurden und werden. Sie ist essentiell und damit notwendigerweise mit dem Christusglauben verbunden, kann also in christologischen Entwürfen nicht ausgeblendet werden. Das Judesein Jesu darf aber auf der anderen Seite auch nicht zu einer heilsgeschichtlichen Notwendigkeit überhöht werden, an der sich die Christologie insgesamt entscheidet.51 Es handelt sich dabei vielmehr um eine theologisch bedeutsame, weil für das Verständnis der Person und des Werkes Jesu wichtige Konkretisierung seines Menschseins.

4. Mahnung zur Vorsicht Es ist Vorsicht gegenüber dem Versuch geboten, über die Hervorhebung des Judeseins Jesu das Judentum insgesamt zum Teil christlicher heilgeschichtlicher Konstruktionen zu machen. Es kann dies von Juden als Vereinnahmung empfunden werden. Solche Umarmungsstrategien von christlicher Seite lösten und lösen Distanzierungsbedürfnisse auf Seiten des Judentums aus. So wird etwa in Dabru emet, der jüdische[n] Erklärung über Christen und Christentum, die Eigenständigkeit der jüdischen Religion gegenüber der christlichen hervorgehoben. Das Christentum sei wohl historisch aus dem Judentum entstanden und theologisch mit ihm verbunden, es dürfe aber nicht als dessen Erweiterung angesehen werden. Die Erklärung fordert, die „Würde der Differenz“52 zu wahren, die immer auch die Würde der Auseinandersetzung einschließt: „Nur wenn wir unsere eigenen Traditionen pflegen, können wir in Aufrichtigkeit dieses Verhältnis weiterführen.“53 49 Vgl. W. Zager (Hg), Jesus in den Weltreligionen: Judentum – Christentum – Islam – Buddhismus – Hinduismus, Neukirchen-Vluyn 2004; V. Küster, Die vielen Gesichter Jesu Christi. Christologie interkulturell, Neukirchen 1999; ders., Von fremden Christologien lernen: Das Antlitz Jesu Christi in Afrika, Asien und Lateinamerika entdecken, in: Glaube und Lernen 19:1 (2004) S. 54–69; H. H.  Henrix, Christus im Spiegel anderer Religionen, Berlin 2014. 50 Vgl. M. Amaladoss, Jesus neu sehen. Indische Denkanstöße, Freiburg i. Br. 2010. 51 Wie es bei Henrix der Fall ist, wenn er fordert: „Jede Christologie muss sich an der Ernstnahme der Inkarnation des Gottessohnes als Jude messen.“ (Henrix, Menschwerdung, S. 1). 52 J. Sacks, The Dignity of Difference. How to Avoid the Clash of Civilizations, London 2002. 53 National Jewish Scholars Project, Dabru Emet (2000), online unter: http://www. j​c​r​e​l​a​t​i​o​n​s​.net/Dabru_Emet__-_Redet_Wahrheit.2​4​1​9​.​0​.​h​t​m​l​?​i​d​=​7​2​0​&​L​=​2​&​s​e​a​r​c​h​T​e​x​t​=​D​a​b​

Zur theologischen Bedeutung des Judeseins Jesu

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Auch in dem Papier, das orthodoxe Rabbiner, Leiter von Gemeinden, Institutionen und Seminaren in Israel, den U. S. A. und Europa am 3. Dezember 2015 unter dem Titel Den Willen unseres Vaters im Himmel tun: Hin zu einer Partnerschaft zwischen Juden und Christen veröffentlicht haben, heißt es: „Indem Er Judentum und Christenheit getrennt hat, wollte G-t eine Trennung zwischen Partnern mit erheblichen theologischen Differenzen, nicht jedoch eine Trennung zwischen Feinden.“54 Und in der Erklärung der europäischen Rabbinerkonferenz und dem Rabbinischen Rat von Amerika Zwischen Jerusalem und Rom vom 1. Februar 2017 ist von „eine[r] nicht zu überbrückende[n] Trennung (der grundlegenden Überzeugungen des Christentums, R. B.) vom Judentum“ die Rede.55 Auch für die Beziehung zum Judentum gilt, was sich als erste und wichtigste Voraussetzung eines echten interreligiösen Dialogs erwiesen hat: Das Selbstverständnis des Partners ist uneingeschränkt ernst zu nehmen. Die Respektierung des Andersseins des Anderen ist die Voraussetzung für die gegenseitige Beziehungsbestimmung und ‑gestaltung. Die jüdischen Stellungnahmen zu den jüdisch-christlichen Beziehungen betonen, dass konstruktive Beziehungen nur auf der Grundlage der Wahrung der Differenz möglich sind. Auch die in der katholischen Theologie der Gegenwart oft gebrauchte Formel von Jesus als „Personifizierung der Thora“56 steht in der Gefahr, die Thora christologisch zu vereinnahmen und dabei zu überbieten. Christen müssen die Spannung aushalten, dass für sie die Beziehung des Christentums zum Judentum aufgrund der Herkunftsverwandtschaft, der Beziehungsgeschichte und der theologischen Resonanzen im Rückgriff auf das biblische Israel zum Selbstverständnis ihres Glaubens gehört, dass für die Mehrheit der jüdischen Intellektuellen das Christentum aber eine andere Religion ist.

r​u​+​e​m​e​t​&​s​e​a​r​c​h​F​i​l​t​e​r​=​c​a​t​_​1​1​ ​(01.  06.  2019), Abschnitt  7.  – Vgl. dazu aber kritische jüdische Stimmen, wie J. D. Levenson, Wie man den jüdisch-christlichen Dialog nicht führen soll, in: Kirche und Israel 17:2 (2002), S. 163–174. 54 Jewish-Christian Relations, Den Willen unseres Vaters im Himmel tun: Hin zu einer Partnerschaft von Juden und Christen, online unter: http://www.jcrelations.net/D​e​n​_​ W​i​l​l​e​n​_unseres_Vaters_im_Himmel_tun__Hin_zu_einer_Partnerschaft_zwischen_J​u​d​.​5​2​2​7​ .​0​.​h​t​ml?L=2 (30.  12.  2018), Art.  3. 55 Jewish-Christian Relations, Zwischen Jerusalem und Rom: Die gemeinsame Welt und die respektierten Besonderheiten. Reflexionen über 50 Jahre von Nostra Aetate, online unter: http://www.jcrelations.net/Zwischen_Jerusalem_und_Rom__Die_gemeinsame_Welt_ und_die_respektierten_Besonderhe.5647.0.html?L=2 (30. 12. 2018). 56 Etwa in Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, „Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ (Röm 11,29). Reflexionen zu theologischen Fragestellungen in den katholisch-jüdischen Beziehungen aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums von Nostra aetate (Nr. 4) (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 203) vom 10. Dezember 2015, Bonn 2016, Art. 26.

Mose und Jesus – zwei unterschiedliche soteriologische ‚Karrieren‘ Heinz-​Günther Schöttler Es gehört zum Standardwissen christlicher Theologie, dass das Neue Testament die Rhetorik des vierten Knecht-​Gottes-​Liedes aus Deuterojesaja aufnimmt (Jes 52,13–53,12), um die Passion Jesu theologisch zu deuten. Was bedeutet diese Rezeption? Ist christlicher Theologie damit die christologische Deutung des Jesaja-​ Textes vorgegeben?

1. Von der christologischen ‚Brille‘ Die kirchlich-liturgische Inszenierung des Jesajatextes und seine kirchen­jährliche heilsgeschichtliche Vergegenwärtigung, etwa in der Passionszeit, hat die christologische Deutung des vierten Knecht-Gottes-Liedes tief eingeprägt und tut es bis heute. So geht z. B. seit der Reform der Leseordnung im Jahr 1969 in der Karfreitagsliturgie der römisch-katholischen Kirche das vierte Knecht-GottesLied der Lesung der Johannespassion voraus.1 Am neunundzwanzigsten Sonntag des Lesejahres B ist Jes 53,10–11 als alttestamentliche Lesung vom Evangelium Mk 10,35–45 her ausgewählt. Dabei ist das Menschensohnwort Mk 10,45a der Bezugspunkt: ‚Der Menschensohn [ist gekommen], sein Leben zu geben / hinzugeben [δίδωμι / dídōmi] als Lösegeld / Lösepreis [λύτρον / lýtron] anstelle vieler.‘ Mit offenkundiger Allusion auf Jes 53 wird in Mk 10,45 Jesu Lebenshingabe als ‫א ָשׁם‬ / ָ āšām – ‚Schuldopfer, Schuldableistung, ‑tilgung‘ (Jes 53,10aβ) ‚für die Vielen‘ (Jes 53,11aβ: ‫ל ַר ּׅבים‬ / ָ lā rabbîm) gedeutet, als stellvertretendes (Er‑) Tragen und Tilgen der Schuld anderer.2 1 So in der seit der Liturgiereform 1969 gültigen Leseordnung der römisch-​katholischen Kirche (vgl. Ordo Lectionum Missae, Editio Typica, Rom/Vatikan 1969; Editio Typica Altera, Rom/Vatikan 1981). In der seit dem Advent 2018 eingeführten revidierten Leseordnung in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist Jes 52,13–53,12 an Karfreitag der Predigttext der dritten Reihe mit Joh 19,16–3 als Evangelium. Am Sonntag Judica (5. Fastensonntag) ist Mk 10,35–45 Predigttext in der vierten Reihe. 2 Zur in diesem Sinne theologisch hoch aufgeladenen Bedeutung der Rhetorik von Jes 52,13– 53,12 vgl. B. Janowski, Er trug unsere Sünden. Jes 53 und die Dramatik der Stellvertretung, in: Der leidende Gottesknecht. Jesaja 53 und seine Wirkungsgeschichte. Mit einer Bibliographie zu Jesaja 53, hrsg. v. B. Janowski/P. Stuhlmacher (Hgg.), Tübingen 2010, S. 27–48;

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1 Tim 2,5 f. bietet eine in die griechische Welt inkulturierte Variante des markinischen Menschensohnwortes3 mit gleichbedeutendem, den Aspekt der Stellvertretung unterstreichendem Kompositum ἁντί-λυτρον / ‘antí-lytron.4 Auch wenn λύτρον / lýtron bzw. ἁντίλυτρον / ‘antílytron in der Septuaginta nie Äquivalente von ‫א ָשׁם‬ / ָ āšām sind und auch sonst in Jes 53LXX nicht vorkommen: Die Begriffe sind offenkundig freie Wiedergaben, interpretierende Übersetzungen von ‫א ָשׁם‬ / ָ āšām.5 Allerdings ist die Frage, ob ‫א ָשׁם‬ / ָ āšām in λύτρον / lýtron bzw. ἁντίλυτρον / ‘antílytron ein Äquivalent haben kann, bis heute umstritten. Dazu eine hermeneutische Anmerkung, die den Streit entschärfen kann: Die neutestamentlichen Verfasser lesen ihre Heilige(n) Schrift(en) in der griechischen Übersetzung der Septuaginta bzw. erinnern entsprechende Textstellen und zitieren bzw. alludieren diese, teilweise aus dem Gedächtnis, oft recht frei, immer geleitet von der jeweiligen Aussageabsicht, die sprachlogisch und theologisch formuliert werden soll.6 Dazu kommt, dass schon die Septuaginta selbst eine teils sehr interpretierende Übersetzung ist. Das vierte Knecht-Gottes-Lied ist dafür ein anschauliches Beispiel ist. Schon in der hebräischen Bibel hat ‫א ָשׁם‬ / ָ āšām unterschiedliche Bedeutungen, die jeweils kontextbezogen zu eruieren sind. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Septuaginta ‫א ָשׁם‬ / ָ āšām mit sechszehn (!) verschiedenen Begriffen wiedergibt, also mit einer Vielzahl von Bedeutungen zu

U. Berges, Jesaja 49–54 (HThKAT), Freiburg/Basel/Wien 2015, z. St.; H.-J. Hermisson, Deuterojesaja (BK.AT XI/3), Göttingen 2017, z. St. 3 Vgl. dazu J. Roloff, Der erste Brief an Timotheus (EKK XV), Zürich/Neukirchen-​Vluyn 1988, S. 111. 4 λύτρον / lýtron kommt im Neuen Testament nur an diesen beiden Stellen und in der synoptischen Parallele Mt 20,28 vor. Für das Verb λυτρόομαι / lytróomai – „aufgrund eines Lösegeldes freikaufen“ (Medium) bzw. „durch Lösegeld losgekauft werden“ (Passiv) kann auf Tit 2,14; 1 Petr 1,18 f. verwiesen werden. 5 Vgl. J. Jeremias, Das Lösegeld für Viele (Mk 10,45), in: Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, hrsg. v. ders., Göttingen 1966, S. 216–229, hier: S. 227; Hermisson, Deuterojesaja, S. 444. – Dreierlei ist für die Bedeutung von ‫א ָשׁם‬ / ָ āšām in Jes 53,10aβ zu betonen: (1) Es geht nicht um eigene Schuld des Knechtes. (2) Insofern Gott es ist, der das Lebens des Knechtes „als Schuldtilgung einsetzt“ (Jes 53,10aβ; Gott ist Subjekt der Protasis, nicht der Knecht!, anders: Berges, Jesaja 49–54, z. St., geht es hier nicht um eine Beschwichtigung des Zornes Gottes, sondern um einen von Gott verfügten Akt stellvertretender Sühne mit dem Knecht als (Heils‑)Mittler (vgl. E. Haag, Das Opfer des Gottesknechts [Jes 53,10], in: Trierer Theologische Zeitschrift 86 (1977), S. 81–89). (3) Auch wenn Mk 10,45 die Initiative Jesu, d. h. seine Selbsthingabe betont, so „ist und bleibt [sie] in sachlicher Entsprechung zu Jes 53 in der Aktivität des Heilswillens Gottes aufgehoben“ (K. Kertelge, Art. λύτρον / lýtron Lösegeld, in: Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament [EWNT], Bd. 2, hrsg. v. H. Balz/G. Schneider, Stuttgart/Berlin/Köln 21981, S. 901–904, hier: S. 903). 6 Zur Bibel Israels als sprach‑logische und theo‑logische Quelle, das Christusereignis auszusagen und zu deuten vgl. H.-G. Schöttler, Christliche Predigt und Altes Testament. Versuch einer homiletischen Kriteriologie, Ostfildern 2001, S. 459–462; ders., Re-​Visionen christlicher Theologie aus der Begegnung mit dem Judentum, Würzburg 2016, S. 122–125.

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rechnen ist.7 Warum sollte sich diese Interpretationsoffenheit nicht darin fortsetzen, dass ‫א ָשׁם‬ / ָ āšām in der Markusgemeinde (10,45) mit λύτρον / lýtron und etwa dreißig Jahre später, also Ende des 1. Jahrhunderts, von der Paulusrezeption mit ἁντίλυτρον / ‘antílytron (1 Tim 2,6) wiedergegeben wird? In Jes 53,12 gibt die Septuaginta die hebräischen Verben ‫ערה‬ / ʿrh – ‚[sein Leben zum Tod] ausgießen‘ und ‫פגע‬ / pgʿ – ‚[für die Abtrünnigen] eintreten‘ jeweils mit dem gleichen griechischen Verb wieder, nämlich mit παραδίδωμι / paradídōmi: ‚dafür, dass er sein Leben dahingegeben hat‘ bzw. ‚und um ihrer Sünden willen wurde er dahingegeben‘. In dieser begrifflichen Fokussierung liegt eine Leserlenkung: Das Handeln Gottes an seinem Knecht soll unterstrichen (passivum divinum) und der Stellvertretungsgedanke noch deutlicher zum Ausdruck gebracht werden. Gerade von dieser sprachlogischen und theologischen Fokussierung her kommt ein wichtiger Impuls für die Sprache des Neuen Testament, das das Leiden und Sterben Jesu soteriologisch mit παραδίδωμι deutet. Das Verb παραδίδωμι / paradídōmi wird geradezu zum terminus technicus für die stellvertretende Lebenshingabe Jesu.8 Auf viele weitere neutestamentliche Stellen, die mit Zitat oder Allusion des vierten Knecht-​Gottes-​Liedes dezidiert Jesu Lebenshingabe deuten, wäre zu verweisen.9 Summarisch seien noch weitere Allusionen genannt: Wenn der Jesus der Evangelien zunächst einmal vor Pilatus und dem Hohenpriester zu den ungerechten Beschuldigungen schweigt, dann ist auf das entsprechende Motiv in Jes 53,7 angespielt. Und wenn der Jesus der Evangelien in der Inszenierung der Evangelisten zwischen zwei Verbrechern gekreuzigt wird (vgl. Mt 27,38.44; Mk 15,27; Lk 22,37; 23,32; Joh 19,18), dann ist auf Jes 53,9.12b angespielt. Und wenn die Evangelien das Bild des misshandelten und gegeißelten Jesus erzählen, dann stehen Jes 52,14 und 53,2f im Hintergrund. Und auch christologische Erhöhungsaussagen wie Apg 2,33 oder Phil 2,9 schöpfen dezidiert aus Jes 52,13. Das gesamte10 vierte Knecht-​Gottes-​Lied ist dem Neuen Testament und der christlichen Theologie zur zentralen theologischen und sprachlogischen Erkenntnisquelle geworden, das Christusereignis soteriologisch zu deuten: als Gottes erlösendes   7 Am häufigsten ist πλημμέλεια/plēmméleia das griech. Äquivalent von ‫שׁם‬ ָ ‫א‬ /āšām, ָ gefolgt von ἁμαρτία/‘amartía, so in Jes 53,10aβ; Lev 5,7 u. ö.  8 Vgl. etwa Mt 17,22; 20,18 f.  28; 26,2.24.45; Mk 9,31; 10,45; 14,21.41; Lk 9,44; 18,33; 24,7; Röm 4,25. Vgl. bes. W. Popkes, Art. παραδίδωμι/paradídōmi – ‚übergeben‘, in: 2EWNT, Bd. 3, S. 42–48.  9 Neben den bereits genannten Stellen sei etwa verweisen auf Mt  20,18 f.  28; 26,28; Joh 1,29.36; Apg 8,32f; Röm 3,25; 4,25; 1 Kor 15,3b–5; Hebr 9,28 und 1 Petr 2,21–25; 3,18. Vgl. dazu ausführlich Hermisson, Deuterojesaja, S. 442–447; Berges, Jesaja 49–54, S. 335–377, sowie die Beiträge von P. Stuhlmacher und O. Hofius in: Der leidende Gottesknecht, S. 93–105 bzw. S. 107–127. 10 Auch wenn die neutestamentlichen Zitate und Allusionen atomistisch vorkommen mögen, so ist mit dem zitierten alludierten Fragment entsprechend der antiken Hermeneutik und ihrer Zitierpraxis immer der größere Kontext gemeint. Das zitierte Fragment markiert den Fokus und dient dem Nachweis der größeren ‚Bezugsstelle‘.

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Handeln in und durch Jesus, der damit im Neuen Testament traditionsgeschichtlich-​rhetorisch zum Retter avanciert.11 Also nochmals die Frage: Ist christlicher Theologie die christologische Deutung des Jesaja-​Textes unausweichlich vorgegeben? Die kirchliche Deutung ist sich da jedenfalls sicher, wenn sie das Christusereignis in der als Altes Testament rezipierten Bibel Israels ‚prophetisch angekündigt‘ [‚prophetice nuntiare‘]12 sieht. In entsprechend retrospektiv-​christozentrischer Hermeneutik13 formuliert das Zweite Vatikanische Konzil in seiner dogmatischen Konstitution Dei verbum über die göttliche Offenbarung: ‚Die Bücher des Alten Testamentes gewinnen und zeigen erst im Neuen Testament ihre vollständige Bedeutung14 und erhellen und erklären wiederum jenes [= das Alte Testament].‘15 Der nachkonziliaren liturgischen Leseordnung liegt diese Hermeneutik für die Auswahl der auf das Evangelium bezogenen alttestamentlichen Lesungen an den Sonntagen zugrunde.16 Dass diese Hermeneutik höchst insuffizient und eine danach konzipierte Leseordnung deshalb theologisch und homiletisch problematisch ist, habe ich an einem anderen Ort ausführlich begründet.17

2. Von einer geheimen Angst und einer notwendigen Relativierung der Christologie Das Neue Testament formuliert ein zentrales Theologumenon, nämlich die Lebenshingabe Jesu, sprach-​logisch und theo-​logisch mithilfe des vierten Knecht-​ 11 Die Auslegungs‑ und Wirkungsgeschichte von Jes 52,13–53,12 im Neuen Testament, im Judentum und Christentum behandeln die entsprechenden Beiträge in: Janowski/Stuhlmacher (Hgg.), Der leidende Gottesknecht. Die jüdische und christliche Auslegungsgeschichte und Wirkungsgeschichte hat Berges, Jesaja 49–54, S. 335–377 (Lit.!), umfassend und instruktiv dargestellt, entsprechende Texte aus der jüdischen Tradition finden sich mit englischer Übersetzung in: The fifty-​third-​Chapter of Isaiah According to the Jewish Interpretors, hrsg. v. A. Neubauer/S. Driver, Bd. 1: Texts, Oxford/London/Leipzig 1876; Bd. 2: Translations (with introduction to the translations by E. B. Pusey), Oxford/London/Leipzig 1877; Nachdruck: New York 1969. 12 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Dei verbum über die göttliche Offenbarung, Nr. 15. 13 Zur Zielrichtung ‚retro‑spektiv‘ bzw. ‚pro‑spektivisch‘ in der Auslegung der Bibel Israels siehe Schöttler, Re-​Visionen, S. 122–125. 14 An dieser Stelle verweist Dei verbum auf vgl. Mt 5,17; Lk 24,27; Röm 16,25 f; 2 Kor 3,14–16. 15 Dei verbum, Nr. 16. Ganz ‚klassisch-​ traditionell‘ ist eine solche Hermeneutik zu besichtigen etwa bei Edmund Kalt (1879–1943). In seinem Jesaja-​Kommentar aus dem Jahr 1938 legt er Jes 52,13–53,12 von Phil 2,6–11 her aus, bis hin zu sprachlich ganz engen Anlehnungen an den Philipperhymnus: E. Kalt, Das Buch Jesaja (HBK 8), Freiburg i. Br. 1938, S. 367–373. 16 Vgl. die Praenotanda des Ordo lectionum Missae (Editio Typica, Rom/Vatikan 1969; Editio Typica Altera, Rom/Vatikan 1981), bes. Nr. 67 (dt. Übers. in: VApS 43; abgedruckt in jedem Messlektionar). 17 Vgl. H.-G. Schöttler, „Den Tisch des Wortes reicher decken“ (SC51)  – aber bitte „ordentlich“, in: Heiliger Dienst 70 (2016), S. 118–127; ders., Re-​Visionen, S. 50–57.

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Gottes-​Liedes aus Deuterojesaja. Solange diese Erkenntnis in einer christozentrisch konzeptionierten Hermeneutik wahrgenommen wird und im Horizont einer traditionellen Erfüllungs‑ und Überbietungschristologie erfolgt, bleibt diese Erkenntnis theologisch folgenlos. Und doch blitzt bei aufmerksamen Lesen der entsprechenden Literatur ab und an auf, dass diese Erkenntnis auch eine ‚Gefahr‘ für das Christusereignis in seiner vermeintlichen Einzigartigkeit und eschatologischen Letztgültigkeit sein könnte, was eine „geheime Angst“18 auslöst. Dazu zwei Beispiele: Peter Stuhlmacher etwa resümiert, dass das „Urchristentum“ zwar „an die messianische Auslegung der Gottesknechtstradition im Frühjudentum angeknüpft“, diese aber im Blick auf Jesus „eigenständig fortgeführt“ habe. Mit ­seiner Auslegung habe das „Urchristentum“ „Israel […] geschichtlich unwiderruflich vor die Frage gestellt, ob und wie die (deutero)jesajanischen Aussagen vom Gottes­knecht angemessener ausgelegt werden können, als es im Neuen Testament geschehen ist“19. Eine geheime Angst, die christliche Auslegung des vierten Knecht-​Gottes-​Liedes könne durch andere, nicht christlich-​christologische Auslegungen relativiert werden, ist unüberhörbar. Hier stellt einer die Frage nach der Wahrheit und reklamiert diese für die eigene Auslegung. Die Aufforderung zum exegetischen Wettstreit zwischen Christentum und Judentum bleibt rhetorisch, weil für den Autor die Frage, wer die angemessenste Auslegung des vierten Knecht-​Gottes-​ Liedes „habe“  – das Christentum oder das Judentum  –, entschieden ist. Aber wenn die mithilfe des vierten Knecht-​Gottes-​Liedes beschriebene, gedeutete christologische ‚Karriere‘ Jesu doch nicht so einzigartig wäre, wie es Christen seit jeher und bis heute scheinen mag? Was bedeutete es für Christen zu sehen, dass beide – Mose und Jesus – innerbiblisch ähnliche soteriologische ‚Karrieren‘ gemacht haben, aber nur die des Zweitgenannten nachbiblisch aufgegriffen und sich schon bald in biblisch ungeahnte und theologisch schwindeln machende Höhen entwickelte?20 Dabei wäre doch nichts relativiert im Sinne von ‚entwertet‘ 18 Vgl. dazu meine ausführlichen Überlegungen in: Schöttler, Re-​Visionen, S. 424–426 („Von christlicher Überheblichkeit, ‚geheimer Angst‘ und einem notwendigen theologischen Besitzverzicht“) und S. 426–434 („Relecture des christlichen Wahrheitsanspruchs“). 19 P. Stuhlmacher, Jes  53 in den Evangelien und in der Apostelgeschichte, in: Janowski/Stuhlmacher (Hgg.), Der leidende Gottesknecht, S. 93–105, hier: S. 105 (kursiv: HGS). Stuhlmacher vertritt die These, dass bereits der historische Jesus „Jes 43 und 53 auf sich und seinen Opfergang“ (a. a. O., S. 104) bezogen habe, was aber eher zu verneinen ist. Wie auch immer: Meine Überlegungen fragen schlicht danach, was es christologisch bedeutet, dass das Neue Testament das Christusereignis offenkundig im Licht des vierten Knecht-​Gottes-​Liedes deutet. 20 Christoph Markschies hat den Gebrauch von Jes 52,13–53,12 für die patristische Zeit ausführlich und mit reichen Quellenbelegen dargestellt. Er arbeitet zwei Modelle der Rezeption heraus: (1)  Ein „exemplarisches Modell“, das den Gottesknecht als exemplum des wahren Christen, also als ethische Handlungsanweisung versteht, und (2) ein „christologisches Modell“, das das vierte Knecht-​Gottes-​Lied als Aussage über das singuläre Heilsgeschehen Christi

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oder ‚in seiner Bedeutung eingeschränkt‘, sondern etwas nur in die Relation gesetzt, in der es biblisch steht, und das Judentum aus christlicher Perspektive ‚on eye level‘ gestellt! Das täte christlicher Theologie selbst gut! Wir werden sehen. In seinem Deuterojesaja-​Kommentar schreibt Hans-​Jürgen Hermisson: „Wesentlich ist, dass Jesu Geschick mit Jes 53 verstanden wurde – genauer: dass es auch damit verstanden wurde, denn für das Bekenntnis des Glaubens ist er mehr als der ‚leidende‘ Gottesknecht. […] Als Heilige Schrift war [das Alte Testament] für Christen und Juden der Horizont, von dem her Gottes Handeln zu verstehen war, so für die Christen auch das Christusgeschehen. Das sprengte freilich die alten Horizonte […]. Jetzt ging es um ein letztgültiges, eschatologisches Geschehen, in dem Gott selbst in die Geschichte eintrat.“21

Was bedeutet hier ‚mehr als‘? Und: Gibt es auf der Ebene des Bekenntnisses wirklich eine Wahrheit, die solch explosive Metaphorik rechtfertigen würde? Und was heißt hier ‚Gott selbst‘? Das zu sagen, ist doch erst retrospektiv mit der Brille des christologischen Dogmas von Chalcedon möglich, von dem das sogen. Neue Testament nichts „weiß“, geschweige denn etwas sagt!22 Wir werden auch hier sehen. Drückt sich hier jenes überholt geglaubte christliche Überlegenheitsgefühl aus und jener eschatologisch gespeiste Triumphalismus, der das Judentum nach der ‚klassischen‘ klimaktischen Formel Umbra in lege, imago in evangelio, veritas in caelestibus ‚in den Schatten stellt‘? Aber warum soll das ‚Neuere‘ im Sinne von ‚historisch später‘ mehr wert sein als das Ältere? Im Horizont der Offenbarung als Selbstmitteilung Gottes teilt Gott sich stets selbst mit, gibt sich stets selbst, und das ist weder minderbar noch steigerbar. In der Berufung und Erwählung durch Gott gibt es kein nachteiliges Vorher und vorteiliges Nachher!23 Insofern das vierte Knecht-​Gottes-​Lied Teil der deuterojesajanischen Überlieferung ist, sprengt der ihm eigene Stellvertretungsgedanke diese eben nicht versteht, „was nicht nachgeahmt, sondern nur geglaubt werden kann, wodurch die Früchte dieses Handelns erworben sind“ (C. Markschies, Der Mensch Jesus Christus im Angesicht Gottes. Zwei Modelle des Verständnisses von Jesaja 52,13–53,12 in der patristischen Literatur und deren Entwicklung, in: Janowski/Stuhlmacher (Hgg.), Der leidende Gottesknecht, S. 197– 249, hier: S. 201). Markschies’ Fazit ist, dass die Entwicklung und Entfaltung des christologischen Modells innerhalb der Alten Kirche problematisch sei, in wesentlichen Punkten sich sehr weit vom ursprünglichen alttestamentlichen Sinn entferne und dem Judentum gegenüber einen usurpierenden Gebrauch vom vierten Knecht-​Gottes-​Lied mache (vgl. a. a. O., S. 248). 21 Hermisson, Deuterojesaja, S. 443. 447 (kursiv: HGS). 22 Vgl. dazu ausführlich Schöttler, Re-​Visionen, S. 157–221 („Die ‚Gottheit‘ Jesu Christi – eine biblische Erinnerung“). 23 Die obige Formel steht bei Ambrosius von Mailand, Explanatio XII Psalmorum 38,25. In diese hermeneutische Formel fasst der in Trier geborene Kirchenschriftsteller (339–397) die Hermeneutik der Auslegung der Bibel Israels zusammen. Seine Formel wird leitend für die kirchliche Auslegung – und ist es bis heute geblieben! Zur theologisch problematischen Hermeneutik dieser typologischen Theologie, die auf Kosten des jüdischen Glaubens geht, vgl. ausführlich Schöttler, Re-​Visionen, S. 53–57.

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und geht auch nicht „über Deuterojesaja hinaus“, wie Hans-​Jürgen Hermisson an anderer Stelle insinuiert24. Die von ihm konstatierten „Horizonterweiterungen und Traditionsbrüche“25 vollziehen sich innerhalb der alttestamentlichen Traditionsgeschichte und eben nicht im ‚Übergang‘ vom Alten zum Neuen Testament!

3. Moses soteriologische ‚Karriere‘ In Apg 8,34 stellt der äthiopische Kämmerer die Frage, wer sich hinter dem Knecht verberge: der Prophet selbst (Deuterojesaja) oder ein anderer (vgl. Apg 8,34). Bis heute sind die Vorschläge, die gemacht worden sind und werden, sehr viele.26 Meine These, die im Folgenden zu begründen ist, lautet: Es ist Mose, der mit dem Knecht im vierten Knecht-​Gottes-​Lied gemeint ist. Dass der Name ‚Mose‘ bei Deuterojesaja konsequent verschwiegen wird, erklärt sich aus einer spezifischen Auslegung von Ex 32,30–35; darauf spielt Jes 48,17–19 an. In Ex 32,32 sagt Mose nach der Katastrophe mit dem Goldenen Stierbild zu YHWH: „Nun aber, wenn du doch ihre Sünde vergeben wolltest, wenn nicht, so tilge mich doch aus deinem Buch, das du geschrieben hast.“ Das heißt, theologisch weitergedacht: Wäre Israel nicht weiter in der Sünde geblieben, nämlich Götzenbilder herzustellen, und hätte Israel die Gebote befolgt, wäre der Mose-​Name nicht getilgt worden, wie es in Jes 48,19 heißt: „Sein [= Moses27] Name wäre vor mir [= YHWH] nicht ausgetilgt und nicht vernichtet.“ Deshalb wird sein Name nicht genannt; die / der aufmerksame Leser*in aber weiß: Es ist Mose.28 Im Rückgriff auf die ‚Tora des Mose‘ wird den Adressaten ein neu interpretiertes und aktualisiertes 24 „Dass solche stellvertretende Sühne des Einen für die Vielen integrierender Bestandteil der Heilswende ist, ist bei Deuterojesaja sonst nicht gesagt: da beseitigt [JHWH] die Sünde selbst, aus eigenen Stücken, ‚um seinetwillen‘. In der Deutung des Geschicks [des Knechtes] geht dieser Text über Deuterojesaja hinaus“ (H.-J. Hermisson, Das vierte Gottesknechtlied im deuterojesajanischen Kontext, in: Janowski/Stuhlmacher (Hgg.), Der leidende Gottesknecht, S. 1–25, hier: S. 21. Das Zitat ist in Bezug darauf modifiziert, dass Hermissons spezifische Identifikation des „Knechtes“ mit „der Gestalt des Propheten Deuterojesaja“ [Hermisson, Deuterojesaja, S. 466] wie in der eckigen Klammer angegeben entsprechend verallgemeinert ist). So theologisch-​soteriologisch isoliert, wie Hermission das vierte Knecht-​ Gottes-​Lied im Alten Testament dastehen sieht (ebd.; vgl. auch ders., Deuterojesaja, S. 440 f.), ist es jedoch nicht; das wird die weitere Untersuchung aufzeigen. 25 Hermisson, Deuterojesaja, S. 447. 26 Vgl. die Übersicht a.a.O, S. 460–469. 27 Dazu, dass hier der Name des Mose gemeint ist, vgl. K. Baltzer, Deutero-​Jesaja (KAT X/2), Gütersloh 1999, S. 380–382. 28 Die Anfang des 20. Jahrhunderts von Ernst Sellin u. a. (wieder) in die Diskussion gebrachte These, dass hinter dem ‚Knecht‘ in den vier Knecht-​Gottes-​Liedern die Gestalt des Mose stehe, hat Klaus Baltzer (1928–2017) Ende des vergangenen Jahrhunderts in seinem großen Deuterojesaja-​Kommentar wieder aufgegriffen, weiter begründet und als tragendes Moment der Auslegung breit entfaltet hat (Baltzer, Deutero-​Jesaja). Thematisch sind, so Klaus Baltzer, in Jes 40–55 die wesentlichen Traditionen der Tora aufgenommen. Insbesondere die vier Gottes-​Knecht-​Texte nehmen das Bild, das die Tora von Mose zeichnet, auf. Für Details

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Bild des Mose vor Augen gestellt. Denn es gibt keinen Exodus ohne ‚Mose‘, auch nicht den Exodus, zu dem in Jes 52,11f, den dem vierten Knecht-​Gottes-​Lied unmittelbar vorausgehenden Versen, kräftig aufgerufen wird: „Flieht! Flieht! Zieht weg von dort …“ Vor dem Hintergrund der als neuer, als zweiter Exodus verstandenen Rückkehr aus dem Exil in Babel29 werden Mose als dem Protagonisten des Exodus soteriologische Qualitäten für das Volk zugeschrieben. Das vierte Knecht-​Gottes-​Lied fasst Leben, Tod und Erhöhung des leidenden Gottesknechtes zusammen und kann regelrecht als Auslegung von Dtn 34 gelesen werden. Es ist eine Neuinterpretation und Aktualisierung des Mose-​Bildes für die Exilsgemeinde (gleich, ob sie in Babel oder in Land Israel lebt)30, also mehr als sprachlogische und theologische Erkenntnisquelle für die Deutung des Christusereignisses.31 Moyses divinus Ich beginne mit dem ‚Ende‘, nämlich mit dem ‚Schluss‘ der Tora32, der den Tod des Mose erzählt und deutet: Dtn 34,1–12, und schaue ‚von hinten‘ auf die Gestalt des Mose, des Protagonisten des Exodus. Zunächst: In Vers 5 erhält Mose den Titel ‚Knecht YHWHs‘ (vgl. auch Ex 14,31; Jos 1,1.2.733). sei nachdrücklich auf Baltzers überzeugende Auslegung verwiesen (sowie auf meine weiterführenden Überlegungen in: Schöttler, Re-​Visionen, S. 224–309). 29 Zur Rückkehr aus dem Exil als Exodus und zur narrativ-​ theologischen Antizipation der Heimkehr aus dem babylonischen Exil im Exodus-Narrativ der Tora vgl. J. Först/​H.  G. Schöttler, Erzählen: erinnern und entwerfen. Ein nachmetaphysischer Diskurs über Gott und die Menschen, in: Heiligkeit und Menschenwürde. Hans Joas’ neue Genealogie der Menschenrechte im theologischen Gespräch, hrsg. v. B. Laux, Freiburg/Basel/Wien 2013, S. 181–207, hier: S. 193–199. 30 Ich lese die Texte historisch-​ informiert kanonisch; die historisch-​kritische Frage, wie genau die Bezugnahmen traditionsgeschichtlich zu verstehen sind, ist interessant, berührt die Fragestellung dieses Beitrags aber weniger. 31 Das Folgende ist eine fokussiert und christologisch zugespitzte Fassung meiner Ausführungen in: H.-G. Schöttler, „… uns zum Heil“ (Jes  53,5). Die Frage nach ‚Mose‘  – eine soteriologische Frage“, in: Exodus. Interpretation durch Rezeption, hrsg. v. M. Ederer/B. Schmitz, Stuttgart 2017, S. 77–105. Es sei eigens auf diesen Beitrag mit seinem umfangreichen Anmerkungsapparat verwiesen. Dort sind auch viele Quellentexte, die hier nur erwähnt sind, ausführlich in deutscher Übersetzung zitiert; ebenfalls dort ausführliche Literaturangaben. 32 Die Tora ist als offenes Kunstwerk konzipiert und mit bzw. in Dtn 34,1–12 nicht zu Ende erzählt; vgl. dazu H.-G. Schöttler, „Der Leser begreife!“ Vom Umgang mit der Fiktionalität biblischer Texte, Münster 2006, S. 34–64; ders., Re-​Visionen, S. 304–309. 33 Die Bezeichnung ‚Knecht YHWHs‘ wird zu einem Ehrentitel, mit dem Mose im Buch Josua häufig belegt wird. Mose wird im Alten Testament am häufigsten als ‚Knecht Gottes‘ bezeichnet, vierzigmal in der hebräischen Bibel, davon in der Tora – abgesehen von Höflichkeits‑ bzw. Unterwürfigkeitsformeln – explizit im Sinne eines Ehrentitels nur viermal (Ex 14,31; Num 12,7 f.; Dtn 34,5). Zur differenzierten Übersetzung dieses Ehrentitels in der Septuaginta vgl. Schöttler, Re-​Visionen, S. 288–290 (Exkurs: Mose als „Knecht Gottes“ in der Septuaginta).

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Seine Lebenszeit hat zwar das von Gott ‚seit‘ der großen Flut gesetzte Maß erreicht, nämlich einhundertzwanzig Jahre (vgl. Gen 6,3), ist also an die menschenmögliche Grenze gekommen und insofern ‚voll-endet‘, und doch hat sein Tod keinen natürlichen Grund.34 Dtn 31,2, wo ein altersschwacher Mose erzählt wird (vgl. auch Gen 27,1), wird korrigiert: Moses Lebens‑ und Zeugungskraft sind weder gemindert, noch geschwunden (Vers 7). Erzählen schon Ex 33,11 und Num 12,8 von einer großen Nähe, in die YHWH Mose gerückt hat, so begegnen sie hier gleichsam ‚auf Augenhöhe‘ (Vers 10b35) und Mose hat eine unüberbietbare und dauernde intime Nähe zu YHWH. Deshalb ist Vers 5 wohl auch so zu verstehen, wie es die jüdische Tradition tut36; wörtlich übersetzt lautet er: ‚Und Mose, der Knecht YHWHs, starb dort in Moab, bei/an dem Mund YHWHs‘ (‫ַעל־‬ ‫ּפי יְ הוָ ה‬ / ִ ‘al-pî YHWH). YHWH nimmt Mose mit einem Kuss auf zu sich.37 Die Septuaginta unterstreicht diese Nähe, indem sie ‫( ֶע ֶבד־יְ הוָ ה‬æbæd YHWH) in Vers 5 nicht wie häufig mit δοῦλος / doũlos – ‚Diener‘, ‚Knecht‘ übersetzt, sondern mit οἰκέτης / oἰkétēs – ‚Hausknecht‘, ‚Hausgenosse‘, was Nähe und Würde zugleich herausstellt. Mose wird zum handelnden Subjekt der ‚Zeichen, Wunder und furchtgebietenden Taten‘ des Exodus, die sonst immer YHWHs Privileg sind (YHWH allein!), indem in Dtn 34,11–12 die YHWH-​Prädikation aus Dtn 29,1–2 auf ihn übertragen wird. So wird Mose Israel entrückt und auf die Seite YHWHs gestellt.38 Und um die Unvergleichlichkeit des Mose weiter herauszustellen, wird in Vers 10a die Sukzession im Prophetenamt, die eine andere Konzeption in Dtn 18,15.18 anvisiert hatte, gekappt.39 Mose avanciert zum einzigartigen Super-​Pro-

34 Vgl. bes. E. Otto, Deuteronomium 23,16–34,12 (HThKAT), Freiburg/Basel/Wien 2017, S. 2278 f. 35 Die Syntax des Masoretischen Textes lässt in Vers 5b beide Übersetzungen zu: ‚den YHWH gekannt hätte‘ und ‚der YHWH gekannt hätte‘; die Septuaginta macht eindeutig im Sinne der letztgenannten Übersetzungsmöglichkeit. 36 Siehe hierzu Schöttler, Re-​Visionen, S. 261. 37 Übersetzungen der Wendung mit ‚wie es der Herr bestimmt hatte‘ (revidierte römisch-​ katholische Einheitsübersetzung 2016), ‚nach dem Wort des Herrn‘ (revidierte Luther-​Übersetzung 2016) oder ‚nach dem Befehl des HERRN‘ (neue Zürcher Bibel 2007) sind mehr oder weniger ‚Buchhaltersprache‘. 38 Die Sendungsaussage in Dtn 34,11a sichert ‚gerade noch‘ die Differenz zwischen Gott und Mose. 39 Vgl. E. Otto, Deuteronomium 12,1–23,15, Freiburg/Basel/Wien 2016, S. 1497–1500; S. 2284 f. – Bereits früh wurden die widerstreitenden Konzepte in Dtn 18 und 34 dahingehend ‚harmonisiert‘, dass Mose in Dtn 18,15.18 einen endzeitlichen Propheten ankündige, so etwa in 1QS 9,11 und 4Qtest 5–8. Die Kirchenschriftsteller der Antike teilen diese Deutung, erkennen in dem angekündigten endzeitlichen Propheten aber – wie auch anders? – Jesus Christus und können für diese christologische Deutung auf Apg 3,22 f.; 7,37 verweisen (vgl. auch Lk 1,69; 7,16; Joh 1,21; 6,14). Die entsprechenden Texte der Kirchenschriftsteller sind zusammengestellt bei: T. Heither, Mose, Münster 2010, S. 288–290.

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pheten40, der alle überstrahlt. Der Tora-​Schluss inszeniert eine „Apotheose“41 des Mose: die Rechtfertigung eines leidenden Gerechten und seine Aufnahme in den Himmel als „nahezu gottgleiche[s] Wesen“42, und die Leser*innen der Tora schauen in Staunen, Bewunderung und Ehrfurcht auf den Exodus und seinen Protagonisten (zurück). „Auferstanden“ in die Tora Eckard Otto formuliert es im Blick auf Dtn 34 treffend: „Mose muss sterben, um in seiner Funktion als Offenbarungsmittler in die von ihm verschriftete Tora ‚aufzuerstehen‘, die seine Aufgabe der Vermittlung des Gotteswillens übernimmt, so dass die Zeit der unmittelbaren Offenbarung JHWHs ‚von Angesicht zu Angesicht‘ beendet ist. Mose muss sterben, damit die Tora leben kann. Sein Tod ist ein notwendiger um der Tora willen.“43

Wenige Verse später in der kanonischen Abfolge der Bibel Israels, jetzt aber außerhalb der Tora, ist Mose zum Buch geworden (Jos 1,1–9).44 Mit dem Tod des Offenbarungsmittlers beginnt die Zeit des Studiums der ‚Tora des Mose‘ und ihrer permanenten Auslegung. Zu Josua, „dem Knecht des Mose“ (Jos 1,1) spricht YHWH (Jos 1,7.8): „(7) Nur: Sei mutig und sehr stark, und halte die ganze Tora, die Mose, mein Knecht, dir gegeben hat, und handle danach. Du sollst nicht davon abweichen, weder nach rechts noch nach links, damit du Erfolg hast überall, wo du unterwegs bist. (8) Nicht soll dieses Buch der Tora [‫ס ֶפר ַהּתו ָֺרה ַהּזֶ ה‬ / ֵ sepær ha-tôrāh hazæ] von deinen Lippen weichen, und du sollst über es (nach-) sinnen / es verkosten [‫הגה ב‬ / hgh be; vgl. Ps 1,245] Tag und Nacht, damit du alles hältst, was darin geschrieben steht, und danach handelst, denn dann wirst du auf deinem Weg zum Ziel gelangen und Erfolg haben.“

Für die Neukonstituierung des Gottesvolkes im bzw. nach dem Exil gilt es als Vermächtnis des Mose, die Tora zu befolgen, wenn es etwa in Mal 3,22 an kanonisch wichtiger Stelle heißt: „Gedenkt der Tora des Mose, meines Knechtes!“ Aber mehr noch: Es sind auch die Völker, die darauf warten, dass der Knecht

40 F.-L. Hossfeld/ E. Reuter, Das Buch Deuteronomium, in: Stuttgarter Altes Testament, hrsg. v. C. Dohmen, Bd. 1, Stuttgart 2017, S. 351–431, hier: S. 431. 41 Hossfeld/Reuter, Deuteronomium, S. 431. 42 C. Frevel, Ein vielsagender Abschied. Exegetische Blicke auf den Tod des Mose in Dtn 34,1–12, in: Biblische Zeitschrift 45 (2001), S. 209–234, hier: S. 225. 43 Otto, Deuteronomium 23,16–34,12, S. 2286. 44 Vgl. den Buchtitel „Mose. Der Mann, der zum Buch wurde“, den Christoph Dohmen seinem instruktiven Einblick in die biblischen und nachbiblischen Mose-​Traditionen gegeben hat (Leipzig 2011 [Biblische Gestalten 24]). 45 Zur Metaphorik des Verbs ‫הגה‬ / hgh vgl. Jes 38,14; 59,11 (Gurren der Tauben) und Jes 31,4 (Knurren der Löwen).

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Gottes die Tora in die Völkerwelt trägt (vgl. bes. Jes 42,4b).46 Das ist sein Auftrag von YHWH, und die Völker werden schließlich in das neue weltweite Lied zur Ehre YHWHs einstimmen (vgl. Jes 42,10–12). Und wenn das Wirklichkeit geworden ist, hat der Gottesknecht seinen Auftrag „gewisslich / wirklich“ (vgl. ‫ל ֱא ֶמת‬ / ֶ læ-’æmæt in Jes 42,3b) erfüllt47, so dass Jörg Jeremias den Gottesknecht als „Mose für die Völker“48 qualifiziert (vgl. Dtn 4,8 mit Jes 42,1–4!). Die Völker warten auf die Tora (vgl. Jes 42,4b).49 Der Heilsmittler Für die Heilsmittlerschaft des Mose ist auf gewichtige Stellen zu verweisen: In Ex 33,11; 34,10 und Num 12,6–8 scheint die einzigartige Gottunmittelbarkeit des Mose auf. Ex 32,30–35 und Ps 90 stellen ihn als den großen Fürbitter für Israel bei YHWH heraus. Gegen Ende des 2. Jahrhunderts v. d. Z. modelliert Ben Sira die Gestalt des Mose in dieser Hinsicht und erhöht sie: Sir 44,23–45,5. In diesem ‚Lob der Väter‘, das an die Heldenverherrlichung der hellenistischen Zeit mit ihrer biographischen Gattung ‚De viris illustribus‘ erinnert, wird Mose divinisiert. In Ex 34,29–35 scheint die bleibende Heilsmittlerschaft des Mose auf. Christoph Dohmen hat in seinem Exodus-​Kommentar als bewundernswert genauer Leser der Texte auf den Wechsel der Verbformen in diesem Abschnitt aufmerksam gemacht: „Diese Nähe Gottes bleibt auch über den Tod des Mose bestehen, insofern nämlich gerade von der vorliegenden Stelle an […] ‚Mose‘ zum Inbegriff der von ihm vermittelten Offenbarung, der ‚Tora‘, wird.“50 Rainer Albertz geht noch einen Schritt weiter, wenn er zu Ex 34,29–35 schreibt: „Als lebendiges Zeichen der schonenden Nähe Gottes wird Mose zum Garanten des in der Treue Gottes begründeten, erneuerten Bundes, durch den die Geschichte JHWHs mit seinem Volk trotz dessen Treulosigkeit nach der großen Katastrophe weitergehen kann. […] Über seine Gesetzesmittlerschaft hinaus“ wird Mose „die Rolle eines personalen Heilsmittlers für Israel“ zugeschrieben. „Solange sich Israel der Geschichte und der Botschaft des Mose erinnert, wie es in der Exoduskomposition geschieht, kann es der Nähe Gottes gewiss sein.“51 46 Vgl. Baltzer, Deutero-​Jesaja, S.  178; I. Fischer, Die Bedeutung der Tora Israels nach dem Jesajabuch, in: Die Tora als Kanon für Juden und Christen (HBS 10), hrsg. v. E. Zenger, Freiburg 1996, S. 139–167. 47 So U. Berges, Jesaja 40–48 (HThKAT), Freiburg/Basel/Wien 2008, S. 232 f. 48 J. Jeremias, ‫ש ָּפט‬ ְ ‫[ ִמ‬mišpāṭ] im ersten Gottesknechtslied, in: Vetus Testamentum 22 (1972), S. 31–42, hier: S. 38. 49 Vgl. I. Fischer, Tora für Israel  – Tora für die Völker. Das Konzept des Jesajabuches (SBS 264), Stuttgart 1995, S. 79–89; 121–134. 50 C. Dohmen, Exodus (HThKAT, 2 Bände), Freiburg/Basel/Wien 2004 und 2015, hier: Bd. 2, S. 375. 51 R. Albertz, Die vergessene Heilsmittlerschaft des Mose. Erste Überlegungen zu einem spätexilischen Exodusbuch (Ex 1–34), in: Evangelische Theologie 69 (2009), S. 443–459, hier: S. 459.

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Der Glaube an Mose, den Knecht YHWHs Liest man die Tora kanonisch, dann ist im Buch Exodus eine theologische Klimax im narrativen Fortschritt zu erkennen, was die Nähe des Mose zu YHWH betrifft; Mose tritt immer näher an die Seite YHWHs: Ex 4,31 → Ex 14,31 → Ex 19,9. An diesen Stellen wird die Beziehung des Volkes zu Mose mit dem Verb ‫אמן‬ / ’mn (Hifil) – ‚glauben‘ qualifiziert52 und damit die Einmaligkeit des Protagonisten des Exodus gegenüber allen anderen Israeliten, auch den Priestern, herausgestellt. In Ex 4,31 glaubt [‫אמן‬ / ’mn (Hifil)] das Volk den Worten, die Mose von YHWH überbracht hat, insbesondere, dass sich YHWH ihrer ‚angenommen‘ hat, die Verneigung des Volkes gilt aber YHWH, dem Herrn der Botschaft. ‚Noch‘ also gilt der Glaube den Worten, die YHWH zu Mose gesprochen hat, und ist noch nicht auf Mose selbst bezogen. Im Kontext des Rettungshandelns YHWHs am Schilfmeer wird das Verhältnis des Mose zu YHWH sowie das Verhältnis des Volkes zu beiden theologisch weiter profiliert, wenn es im abschließenden Satz Ex 14,31 heißt: „Als Israel die große Hand sah, mit der YHWH an Ägypten gehandelt hatte, da fürchtete das Volk YHWH und sie glaubten [‫אמן‬ / ’mn (Hifil)] an YHWH und an Mose, seinen Knecht.“

Heißt es zu Beginn des Verses noch, dass Israel die große Hand YHWHs sah, ist also YHWH allein Subjekt der machtvollen Taten und Wunder des Exodus (vgl. auch Dtn 29,1 f.), so wird am Schluss des Verses Mose ganz eng auf YHWH hin geordnet, d. h.: Mose ist YHWH an die Seite gestellt, und das Volk steht beiden in der Haltung des Vertrauens, des Glaubens gegenüber.53 Am Schluss der Tora wird rückblickend Mose zum handelnden Subjekt der ‚furchtgebietenden Taten‘ (Dtn 34,12b) erklärt (s. o.). Durch die Offenbarungsmittlerschaft des Mose am Sinai wird der Glaube ‚an YHWH und an Mose‘ schließlich ‚für immer‘ befestigt. Davon spricht die dritte Stelle Ex 19,8–9: „(8) Da antwortete das ganze Volk einmütig, und sie sprachen: Alles, was YHWH gesagt hat, wollen wir tun. Dann überbrachte Mose die Antwort des Volks zu YHWH. (9) Und YHWH sagte zu Mose: Siehe, ich komme im Wolkendunkel zu dir, damit das Volk es hört, wenn ich mit dir spreche, und damit sie auch an dich [‫ם־בָך‬ ְ ַ‫וְ ג‬ / wegam bekā] glauben [‫אמן‬ / ’mn (Hifil)] für immer [‫עולם‬ ָ ‫ל‬ / ְ leʿôlām]. Und Mose überbrachte YHWH die Worte des Volkes.“

52 Eine kleine aufschlussreiche ‚Geschichte‘ des Begriffs findet sich bei R. Albertz, Exodus (ZBK 2/1+2), Zürich 2012, hier: Bd. 1, S. 99. Das hebräische Verb ‫אמן‬ / ’mn meint wörtlich ‚sich festmachen in‘, dann auch ‚trauen, vertrauen‘ und ‚glauben‘. 53 Vgl. H. Utzschneider/W. Oswald, Exodus 1–15 (IEKAT), Stuttgart 2013, S. 327.

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Geht es in Vers 8 um den Glauben des Volkes an YHWH und um Mose als Bote zwischen dem Volk und YHWH, so in Vers 9 darum, dass das Volk auch an Mose glaubt, und dieser Glaube an Mose wird jetzt auf Dauer gestellt (‫עולם‬ ָ ‫ל‬/ ְ leʿôlām – ‚für immer‘). Mose ist als Offenbarungsmittler jetzt über alle Israeliten gestellt.54 Der Glaube an YHWH und der Glaube an Mose stehen nicht in einem Gegensatz zueinander; der Glaube an Mose ist immer auf den Glauben an YHWH bezogen und diesem nachgeordnet, anders ausgedrückt: Der Glaube an Mose ist nur als Glaube an YHWH denkbar. Der stellvertretend leidende Knecht Gottes Die Tora zeichnet von Mose das Bild eines Knechtes Gottes, der für sein Volk leidet und vor Gott stellvertretend für sein Volk eintritt. Hier ist besonders auf Ex 32,11–14. 31–32 und Dtn 9,18 f. 25–29 zu verweisen. Ps 106,23 erinnert daran mit der im Alten Testament seltenen, aber starken Metapher, dass Mose vor YHWH für Israel „in die Bresche tritt“. Der Psalm zeichnet an bzw. auf der Schwelle zum zweiten Exodus aus dem Exil stehend (d. i. die Gegenwart des Psalmisten), die Geschichte Israels als Sünden‑ und Strafgeschichte nach, um schließlich die Zuwendung YHWHs zu seinem Volk und seine Rettung zu erinnern. Mit der Metapher ‚in die Bresche treten‘ ist Mose als fürsprechender Prophet gekennzeichnet (vgl. Ez 13,5; 22,30). In den vier Knecht-Gottes-​Texten in Jes 40–55 nimmt der Gottesknecht zunehmend diese Rolle des Mose an und wird zum Typos dessen, der ‚in die Bresche tritt‘. Ex 32 erzählt einen Mose, der bis zur äußersten Konsequenz solidarisch mit dem Volk bleibt – bis zum eigenen Tod, den er YHWH anstelle der Vernichtung des Volkes (vgl. Ex 32,10) anbietet. Das hat die jüdische Auslegung in bSota 14a [finis] mit Recht schon früh deutlich herausgearbeitet.55 So gesehen sind die vier Knecht-​Gottes-​Lieder in Jes 40–55 ein ‚Gedächtnis‘‚ des in der Tora erzählten Mose. Der gerechtfertigte und erhöhte Knecht Gottes Mose, der stellvertretend leidende Knecht Gottes, ist im einleitenden Vers Jes 52,13 als Gerechter, als Gerechtfertigter in eine himmlische Gerichtsszene hineingestellt ist (vgl. Ijob 1; Sach 3), in der er ‚rehabilitiert‘ und von YHWH erhöht wird. Dieses ‚Prozessergebnis‘ ist dem vierten Knecht-Gottes-Lied vorangestellt und soll von Anfang an die Lektüre und Deutung bestimmen. Von der Erhöhung, der Apotheose des Knechtes ist die Rede. Der stellvertretend leidende Gerechte 54 Vgl.

Dohmen, Exodus, Bd. 1, S. 64 f. wichtige Text ist in deutscher Übersetzung abgedruckt und besprochen in Schöttler, Re-​ Visionen, S. 269; weitere Beispiele der jüdischen Tradition a. a. O., S. 282–285; Schöttler, „… uns zum Heil“, S. 84 f. 55 Der

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wird durch göttliche Proklamation in drei Stadien in diesen neuen Status erhoben: er wird aufsteigen, emporgetragen und sehr hoch sein. Insofern mit der Septuaginta und den Qumran-Texten in Jes 53,11aα wohl zu lesen ist, dass der Knecht Gottes ‚nach (oder: wegen) der Mühsal seines Lebens Licht [ֹ ‫אור‬ / ’ôr] sehen wird / soll‘, wird ihm das Leben wiedergeschenkt. Der ‚Mose für die Völker‘ (s. o.) wird nach seinem stellvertretenden Leiden für die ‚Sünden der Vielen‘ (Jes 53,12) in die Gott-Unmittelbarkeit, unter die Himmlischen aufgenommen. Die Rahmenverse des vierten Gottes-Knecht-Textes fassen dies so in Worte: (52,13)  Siehe, mein Knecht wird glückselig sein: Er wird aufsteigen [‫יָ רּום‬ / jārûm] und er wird empor getragen werden [‫וְ נִ ָשא‬ / weniśśā’] und er wird sehr hoch sein [‫וְ גָ ַבּה ְמאֹד‬ / wegābah me’od]. [52,14–53,11] (53,12)  Darum werde ich ihm Anteil geben mit den Vielen und mit den Zahlreichen wird er Beute teilen. Dafür, dass er sein Leben dem Tod preisgegeben hat [‫ערה‬ / ʿrh (Hifil)] und sich zu Sündern hat zählen lassen. Er hat die Verfehlungen Vieler getragen [‫נׂשא‬ / nś’], und für ihre Sünde wird er eintreten [‫פגע‬ / pgʿ (Hifil)].56

Ulrich Berges macht auf einen aufschlussreichen intertextuellen Bezug aufmerksam: „Der Beginn in 52,13 […] schlägt […] die Brücke bis an den Anfang des gesamten Jesajabuches. So verweist das „er wird hoch kommen, erhaben und sehr hoch sein“ (‫ )יָ רּום וְ נִ ָּׂשא וְ גָ ַבּה ְמאֹד‬auf den JHWH-Tag in 2,11–17 gegen alles Hohe und Stolze, auf dass Gott selbst als der einzig Erhabene dastehe; zudem blickt Jes 52,13b auf die Vision von 6,1 ff. zurück, wo JHWH auf einem hohen und erhabenen Thron sitzt. Die angekündigte Erhöhung des Knechtes ist demnach nicht nur eine besondere Auszeichnung, sondern ein Akt, der ihn in die Nähe JHWHs, in die Nähe seines Thrones bringt. In Jes 57,15 ist die Erhabenheit YHWHs mit seiner Hinwendung zum Zerschlagenen gekoppelt, was auf eine Relecture von Jes 53,5.10 hindeutet.“57 Das Leiden des Knechtes „… uns zum Heil“ (Jes 53,5) Nicht mehr von einer königlichen, mächtigen Gestalt, etwa von einem neuen „David“ mit Rekurs auf den David-Bund, wird Heil erwartet (vgl. Jes 53,5b: ‫למנּו‬ ֵ ‫ׁש‬ / ְ šelômenû – ‚zu unserem Heil‘). Das davidische Königtum spielt nach der von ihm mitverschuldeten Katastrophe von 587/86 für Deuterojesaja keine 56 Übersetzung

nach Baltzer, Deutero-​Jesaja, z. St. Das Buch Jesaja. Komposition und Endgestalt (HBS 16), Freiburg i. Br./Basel/ Wien u. a. 1998, S. 404 f. (mit Anm. S. 410; kursiv: HGS). 57 U. Berges,

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Rolle mehr. Auf das Königtum Davids kommt Deuterojesaja explizit nur einmal zu sprechen: In Jes 55,3 f. wird zwar, wie z. B. in Psalm 89, auf die Natanverheißung in 2 Sam 7,8–16 (dtr) Bezug genommen, anders aber als in dem Psalm wird keine nachexilische Wiederherstellung des ‚Hauses David‘ mehr erwartet. Für Deuterojesaja ist das ‚Haus David‘ an sein Ende gekommen; der Davidsbund als Symbolisierung der Bundesgnade YHWHs bleibt Episode. Wer wie Deuterojesaja den persischen König Kyros als YHWHs Gesalbten [‫יח‬ ַ ‫מ ִׁש‬ / ָ māšîaḥ – „Gesalbter, ‚Messias‘“] bezeichnet (Jes 45,1), erwartet keinen davidisch-königlichen Retter mehr. Durch die Erfahrung der Katastrophe des Exils sind traditionelle Paradigmen wie die an ‚David‘ gebundene Hoffnung regelrecht gestürzt. Die levitische Tempelsängergruppe, die hinter dem Label ‚Deuterojesaja‘ stehen dürfte58, führt Natanverheißung und Davidsbund dann auch auf deren theologischen Kern zurück: den unverbrüchlichen Bund YHWHs, der allein seinem Volk Bestand gibt. Jetzt schließt YHWH einen ewigen Bund unmittelbar mit seinem Volk; die David-Tradition ist gleichsam ‚demokratisiert‘. YHWH ist König seines Volkes.59 Hoffnungsbild ist jetzt der Gottesknecht, wie er in der Gestalt des ‚Mose‘ im Exodus-Paradigma erzählt ist. Die Retter-​Gestalt des ‚Mose‘ wird im Rückgriff auf die ‚Tora des Mose‘ und den Exodusnarrativ neu interpretiert und aktualisiert vor Augen gestellt. In diesem Sinn fasst das vierte Knecht-​Gottes-​Lied Leben, Tod und Erhöhung des leidenden Gottesknechtes zusammen. Das reiht sich ein in das auch sonst in Deuterojesaja aufgerufene und aktualisierte Paradigma des Exodus. So wird das Exodus-​Motiv in Jes 40–55 zu einer theologisch leitenden narrativen Metapher, und die Rückkehr aus dem Exil erscheint geradezu als ‚zweiter Exodus‘. Man lese nur Jes 40,31, den Schlussvers der ‚Ouvertüre‘, und Jes 55,12 f., den Schluss der Komposition Jes 40–55.60 So wird, aus der Erfahrung der Katastrophe und des Exils heraus, die in der Tora erzählte Retter-​Gestalt des ‚Mose‘ als eine Gestalt gezeichnet, in der sich die Hoffnung ausdrückt, dass in bedrängender Wirklichkeit stellvertretendes Leiden, das Leiden für andere in dieser Welt, Leben, Frieden und Zukunft eröffnen kann und dass darin Gott ‚zu unserem Heil‘ (Jes 53,5 bβ) handelt. Die Mühsal des Knechtes, sein Leben und Leiden unter dem Auftrag YHWHs und sein Sterben werden als Stellvertretung gedeutet: Er, der ‚Gerechte‘ (Jes 53,11), ‚wird sein Leben zur Schuldtilgung / zum Schuldopfer einsetzen‘ (Jes 53,10; vgl. 53,12) wie 58 Ulrich Berges sieht als Verfasser von Jes 40–54 (er rechnet Kap. 55 schon zur tritojesajanischen Komposition) deportierte levitische Tempelsänger, die im Exil das „Oratorium“ Jes 40–54 entworfen und nach ihrer Heimkehr um 520 als „Vorhut“ der Rückkehrer „aufgeführt“ hätten, um der Bevölkerung Judas und Jerusalems Trost und Freude zu verkünden. Vgl. Berges, Jesaja 40–48, S. 38–43. 64–73. 59 Vgl. H.-G. Schöttler, „Gib deinem Knecht ein hörendes Herz  …“ Biblische Überlegungen zur Leitungs‑ und Machtfrage und zur Wahrnehmung des „sensus fidelium“, in: Bibel und Liturgie 86 (2013), S. 104–117, hier: S. 107. 60 Vgl. dazu Klgl 1,2.9.16 f.21.

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Mose (vgl. etwa Ex 32,32), und er wird ‚die Vielen gerecht machen und ihre Verschuldung tragen‘ (Jes 53,11). Ulrich Berges verweist für die Schlussaussage des vierten Knecht-Gottes-Textes, wonach der Knecht Gottes für die Sünden, die Verfehlungen des Volkes ‚sich treffen lassen wird‘ (Jes 53,12: ‫פגע‬ / pgʿ [Hifil] – ‚sich treffen lassen; sich bittend angehen lassen‘), auf Jes 59,16 und als Kontrast auf die Gestalt des Propheten Jeremia: „In Jes 59,16 wundert sich JHWH, dass es trotz des kollektiven Sündenbekenntnisses keinen ‫[ ַמ ְפגִ ַיע‬Erg. HGS: mapegîa‘ – ‚einen, der jemanden bittend angeht‘] gibt, der ‚bittend eintritt‘. Genau das ist die Aufgabe des Knechtes gewesen, die ihn einmal mehr von Jeremia abhebt. Denn diesem hatte Gott ausdrücklich untersagt, für das sündige Volk einzutreten (Jer 7,16).“61 Mit ‚fürbittend eintreten‘ ist die Bedeutung des Verbs ‫פגע‬ / pgʿ [Hifil] in der Schlussaussage des vierten Gottes-Knecht-Textes aber theologisch zu schwach wiedergegeben: Die Schlussaussage des vierten Gottes-Knecht-Textes steht in Zusammenhang mit Jes 53,6b, wo mit Hilfe desselben Verbs ‫פגע‬ / pgʿ [Hifil] vom Knecht ausgesagt wird, dass ‚YHWH (auf) ihn die Schuld von uns allen hat treffen lassen‘. Wieso soll das Hifil von ‫פגע‬ / pgʿ in Vers 12b einen anderen, zum Qal hin abgeschwächten Sinn haben (‚jmd. mit Nachdruck bitten‘) als in Vers 6b (‚etwas jmd. treffen lassen‘)?!62 Insofern das vierte Knecht-Gottes-Lied mit ‫פגע‬ / pgʿ [Hifil] schließt, schließt es also auch mit dezidiert soteriologischer Semantik und beschreibt mit diesem Verb nochmals die Pro-Existenz des Knechtes: Es ist der Mose der Tora aufgerufen, der in Ex 32,32 stellvertretend für die Sünde des Volkes vor Gott einsteht!

4. Moyses redivivus Gott befreit sein Volk aus dem Exil, dem neuen ‚Ägypten‘, er erlöst sein Volk von der Schuld, die ‚Mose‘, sein Knecht, stellvertretend auf sich nimmt. Mose tritt vor Gott für das Volk ein. Insofern die Rückkehr aus dem Exil, die Deuterojesaja verkündet, als Exodus gedeutet wird63, ist damit auch die Mose-​Rolle des Exodus, 61 Berges,

Jesaja 49–54, S. 277. Schöttler, Re-​Visionen, S. 280 f. 63 Die vielfach vertretene These, dass die Wüsten‑ und Wegmetaphorik in Deuterojesaja keinen ‚zweiten Exodus‘ in Szene setze, sondern wie die Metaphorik der Verwandlung von Wüste und Natur die Heilswende für Zion und Jerusalem beschreibe, deutet den Befund zu eindeutig und wird der Mehrsinnigkeit der Metaphorik nicht gerecht. Zwar ist erst ab 48,20–21 und dann in 49,7–12; 51,9–11; 52,11–12; 55,12–13 explizit vom Auszug die Rede, für die anderen entsprechenden Texte mit Wegmotivik (40,1–11; 41,17–20; 42,13–17; 43,1–3.16–21; 44,1–5) ist aber auf Jes 35 zu verweisen, wo das Exodus-Weg-Motiv und das Motiv der Wüsten‑ und Naturverwandlung eng miteinander verschränkt sind. In traditions‑ und redaktionsgeschichtlicher, also diachroner Perspektive ist Jes 35 Deuterojesaja zwar nachgeordnet, in synchron-kanonischer Perspektive aber gleichsam als ‚Vorzeichen‘ vorangestellt und die Lektüre damit entsprechend gelenkt. So kommen auch und gerade in der Schlussinszenierung Jes 55,12 f. die beiden großen 62 Vgl.

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wie die Tora ihn erzählt, aufgerufen, denn: Kein Exodus ohne (einen) ‚Mose‘! Die insbesondere in der Tora, aber nicht nur in ihr tradierte Mose-​Rolle wird aktualisierend fortgeschrieben, und es werden insbesondere jene Aspekte und Motive reformuliert, die die fürbittende und heilsmittlerische Rolle des Protagonisten des Exodus beschreiben; es wird die besondere Nähe, in die YHWH ihn holt, akzentuiert. So bildet sich bei Deuterojesaja die proexistente Rolle des leidenden Knechtes Gottes heraus, der – solidarisch bis zuletzt – mit seinem Volk ist und seine Schuld trägt und den Gott rechtfertigt, indem er ihn erhöht. Dieser Moyses redivivus schenkt den aus dem Exil bereits Heimgekehrten Trost (z. B. Jes 40,1) und Freude (z. B. Jes 40,9; 41,27; 52,7–10), ruft die noch nicht Heimgekehrten zur Rückkehr auf (vgl. etwa Jes 52,11 f.) und stellt ihnen ein freudiges Bild des neuen Befreiungsgeschehens vor Augen (vgl. etwa Jes 55,12 f.64). Im Zuge dieser Neuinterpretation wächst der Mose-​Rolle im vierten Knecht-​Gottes-​Lied eine unerwartete tiefe soteriologische Bedeutung zu. Wenn also im Neuen Testament  – wie gezeigt  – die Erlösung durch Jesus, den Christus, mithilfe des vierten Knecht-​Gottes-​Liedes beschrieben und theologisch gedeutet65 und so dem Geschehen der Passion Jesu soteriologischer Sinn abgerungen wird, dann ist dies nicht die erste Rezeption und also auch keineswegs eine einzigartige Rezeption des alttestamentlichen ‚Stoffes‘. Die Gestalt des Mose macht in Jes 40–55 bereits eine ähnliche soteriologische ‚Karriere‘ wie einige Jahrhunderte später die des Jesus von Nazareth im Neuen Testament, das gleichsam der Ort einer ‚Zweitverwertung‘ ist, durch das vierte Knecht-​Gottes-​ Lied fokussiert sprachlogisch und theologisch vermittelt. Die christologisch-​ soteriologische ‚Karriere‘ des Jesus von Nazareth wäre also von christlicher Seite entsprechend zurückhaltender und ‚bescheidener‘ zu sehen, was deren Motivkreise nochmals zu Wort und zwar in literarisch genialer Verschränkung, insofern jetzt sogar die Verwandlung der Natur mit Exodusterminologie beschrieben wird. Die den Heimkehrenden Spalier stehenden und Beifall klatschenden Zypressen und Myrten ‚wachsen‘ oder ‚sprießen‘ nicht einfach in der Wüste, wie ‫עלה‬ / ‚lh an dieser Stelle gemeinhin übersetzt wird, nein: Sie ziehen als Zeichen der Heilswende mit Israel nach Jerusalem hinauf, eine ‚kühne Metapher‘, die in der Übersetzung kaum wiederzugeben ist. Vgl. dazu dazu Först/Schöttler, Erzählen: erinnern und entwerfen, S. 196 f. 64 Vgl. dazu bes. Först/Schöttler, Erzählen: erinnern und entwerfen, S. 194 f. 65 Das vierte Knecht-​Gottes-​Lied gibt nicht das einzige Modell des Gotteshandelns vor, ist aber eines der wichtigsten Modelle, um das Handeln Gottes im Christusereignis zu verstehen und ihm theologisch Sinn abzugewinnen. Die Mose-​Tradition in ihrer spezifischen Relecture im vierten Knecht-​Gottes-​Lied verbindet sich in neutestamentlichen Rezeptionen mit anderen Traditionen, etwa mit der messianisch-​königlichen Davidstradition, zum Bild des ‚leidenden Messias‘. Und nicht nur das ‚Ende‘ Jesu wird im Mose-​Paradigma deutend erzählt, auch sein ‚Anfang‘, insofern etwa der in Mt 1–2 erzählte Geburtsmidrasch nicht unwesentlich aus denselben haggadischen Fäden gewoben ist, mit denen die jüdische Tradition die Geburt des Mose narrativ-​theologisch deutet (vgl. dazu etwa: U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus [EKK I/1] Neukirchen-​Vluyn 2002, S. 144–146 mit der tabellarischen Auflistung der Parallelen auf dem Leporello zwischen S. 126 und S. 127).

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Einzigartigkeit und Unvergleichlichkeit betrifft.66 Im Christusereignis kommt das Wirken des einen Gottes ebenso zum Ausdruck wie im Geschick des ungenannten ‚Mose‘ des vierten Gottes-​Knecht-​Textes. Konkurrenzierendes Vergleichen oder gar von geheimer Angst geleitete Überbietungschristologie, wie sie oben aufgespürt wurde, ist theologisch und im eigenen Interesse des christlichen Glaubens fehl am Platz. Es geht um einen notwendigen theologischen (christologischen) ‚Besitzverzicht‘ und um nicht mehr und nicht weniger als die Brechung des christlichen absoluten Wahrheitsanspruches.67 Dass dies alles auch bzw. schon innerbiblisch angesagt ist, will dieses kleine Beispiel anhand des vierten Knecht-​Gottes-​Liedes aufzeigen.

5. Gott allein! Das biblische und nachbiblische Judentum hat den im vierten Knecht-​Gottes-​ Lied aufgewiesenen Weg nicht weitergeführt, im Gegenteil: die ‚Karriere‘ des Moyses redivivus gekappt, so ganz anders als bei der ‚Zweitverwertung‘, in deren nachbiblischen Rezeption die christologische ‚Karriere‘ zu unerwartet kühnen Gedankengebäuden hochstilisiert wird, was schon vier Jahrhunderte ‚post Christum‘ in der bis heute im Credo der christlichen Kirchen bekannten christologisch-​definitorischen Formel ‚wahrer Mensch und wahrer Gott‘ (DH 301; sogenannte Zwei-​Naturen-​Lehre) des Konzils von Chalcedon (451) gipfelt. Dabei wird Jesus Christus im Neuen Testament an keiner (!) Stelle als ὁ θεός / ‘o theós, also als ‚Gott‘ bezeichnet, und metaphysische Sinnfiguren, die dem Christusdogma der frühen Kirche zugrunde liegen, sind dem biblischen Befund fremd.68 Warum also geht das biblische und das nachbiblische Judentum den im vierten 66 Nicht nur die alte Kirche hatte einen dem Judentum gegenüber usurpierenden Gebrauch des Alten Testament durch die christliche Theologie (vgl. Markschies, Der Mensch Jesus Christus im Angesicht Gottes, S. 248); es ist in der Pragmatik kirchlicher Verkündigung leider bis heute so. 67 Es geht um eine vierfache Brechung des christlichen Wahrheitsanspruches: (1) seine Relationalisierung auf das (christliche) Subjekt hin, das eine Aussage mit Wahrheitsanspruch macht, sei es ein(e) Einzelne(r), sei es das kirchliche Lehramt (vgl. 1 Kor 13,9–12); (2) im Blick auf die Wahrheit des jüdischen Glaubens, der zur Identität des christlichen Glaubens gehört; (3) im Blick auf die Wahrheit als das, was sich als lebensdienlich bewährt; und (4) auf Gott hin, in dessen ‚Haus es viele Wohnungen gibt‘ (Joh 14,2), bei dem also das, was Menschen unvereinbar erscheint, zusammenkommt. Im Bewusstsein dieser vierfachen Brechung ist das latente Gewaltpotential, das auch im christlichen Wahrheitsanspruch ‚lauert‘, zu regulieren; vgl. Schöttler, Re-​Visionen, S. 424–434. 68 Siehe dazu: Schöttler, Re-​Visionen, S. 157–221 (= Kap. 2: ‚Die ‚Gottheit‘ Jesu Christi  – eine biblische Erinnerung‘). Übersetzungen, die solche ontologischen Kategorien insinuieren, etwa ‚Ich und der Vater sind eins‘ (vgl. Joh 10,30) sind interessengeleitete Fehlübersetzungen und weder vom griechischen Text noch vom biblischen Kontext her gerechtfertigt (vgl. Schöttler, Re-​Visionen, S. 178–181).

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Knecht-​Gottes-​Lied vorgezeichneten Weg nicht weiter? Die Antwort ist so einfach wie theologisch klar: YHWH allein! Überblickt man den alttestamentlichen Befund, dann stellt man eine merkwürdige Ambivalenz fest: Einerseits nimmt die Gestalt des Mose  – wie beschrieben – eine einzigartige Stellung ein: Er ist der Offenbarungsmittler und wird in der Tora geradezu zu einem Kristallisationspunkt der Identität Israels. Andererseits ist Mose in der biblischen Überlieferung außerhalb der Tora nicht zu der Bedeutung gekommen, die man erwarten würde.69 „Mose bleibt ein Rätsel!“70 Günter Stemberger fasst die Intention der Mose-​Traditionen der rabbinischen Literatur (ca. 70–1000 n. d. Z.) so zusammen, dass sie einerseits Mose klar Gott unterordne, zugleich aber die besondere Verbindung zwischen Gott und Mose hervorhebe, sodass Mose als ‚Hirte Israels‘ auf Erden gleichsam an Gottes Stelle stehen könne, untrennbar mit ihm in Annahme und Ablehnung durch das Volk verbunden, zugleich aber auch voll auf Seiten Israels. Immer aber sei die rabbinische Tradition darum bemüht, dass klar bleibe, dass die Israeliten ihre Rettung allein Gott verdanken.71 Auch die Rolle, die Mose im jüdischen Gottesdienst spielt, ist erstaunlich gering; hier tritt er hinter den Exodus und die Gabe der Tora fast ganz zurück. Und wenn etwa in dem liturgischen Hymnus ‚Jigdal‘ Dtn 34,10–12 frei rezipiert wird („Niemals wieder ist wie Mose in Israel erstanden / Ein Prophet und hätte Seine Erscheinung geschaut“), dann geht es, von der historischen Entstehungssituation dieses Hymnus her gesehen, nicht um eine besondere ‚Verehrung‘ des Mose, sondern um die Auseinandersetzung mit dem Islam, der Muhammad als letzten und größten Propheten für sich reklamiert(e). Der Hymnus hat also apologetischen Charakter.72 Wie skeptisch und theologisch-​wohltutend zurückhaltend die jüdische Auslegung ist, weil der Protagonisten des Exodus in der nachbiblischen Rezeption in eine so herausragende Stellung gehoben werden könnte, zeigt anschaulich Martin Buber (1878–1965) in seinem Mose-​Buch aus dem Jahr 1945. Auf der einen Seite schreibt er, dass Mose, weil ihn „die Stimme [JHWHs] angesprochen hat, von Person zu Person, […] zum Träger des Geistes [geworden ist], der eben nichts anderes ist als das Aufgenommensein in das dialogische Verhältnis zur 69 Vgl. dazu bes. M. Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948; Nachdruck: Darmstadt 1960, S. 172. 70 G. Fischer, Das Mosebild der Hebräischen Bibel, in: Mose. Ägypten und das Alte Testament (SBS 189), hrsg. v. E. Otto, Stuttgart 2000, S. 84–120, hier: S. 118. 71 Vgl. G. Stemberger, Mose in der rabbinischen Tradition, Freiburg/Basel/Wien 2016. 72 Der Hymnus, der in der aschkenasischen Tradition seinen Ort im Eingangsteil des täglichen Morgengottesdienstes hat, fasst die dreizehn Glaubenssätze des Maimonides (geb. um 1135 im maurischen Cordoba, gest. 1204 in Kairo) in poetischer Form zusammen und wird Daniel ben Juda (um 1300, Rom) zugeschrieben. Vgl. dazu bes. L. A. Hoffman, Yigdal, in: My People’s Prayer Book, Bd. 5: Birkhot Hashachar (Morning Blessing), hrsg. v. L. A. Hoffman, Woodstock 2001, S. 101.106.

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Gottheit“. Und wenige Seiten später schreibt er, dass man in gewisser Weise „von einem Primat“ des Mose sprechen könne, und „dennoch dürfen wir die Gottesrede nicht als frei zu Moses Verherrlichung gedichtet verstehen“.73 Lapidar-​ prägnant bringt der jüdische amerikanische Autor Leon Wieseltier (geb. 1952) in seiner autobiographischen Schrift „Kaddisch“ die Ambivalenz im Mose-​Bild auf den Punkt: „Moses starb nicht wie alle anderen, aber wie alle anderen starb er. [..] Am Ende war der außergewöhnlichste aller Menschen keine Ausnahme.74 Die Pessach-Haggada erwähnt den Namen ‚Mose‘ erst gar nicht. Im ‫ּיֹוצ ֵאנּו‬ ִ ַ‫ו‬ („ER hat uns herausgeführt …“) der Sederfeier heißt es: „Und YHWH hat uns herausgeführt [‫ּיֹוצ ֵאנּו‬ ִ ַ‫ ]ו‬aus Ägypten: nicht durch einen Boten / Engel [‫ ]לֹא ַעל יְ ֵדי ַמ ְל ָאך‬und nicht durch einen Seraph [‫ ]וְ לֹא ַעל יְ ֵדי ָשׂ ָרף‬und nicht durch [sonst irgend] einen [Ab ] Gesandten [‫]וְ לֹא ַעל יְ ֵדי ָשׁ ִל ַיח‬, sondern der Heilige selbst, gelobt sei er, in seiner Herrlichkeit, ER selbst [‫ּוב ַע ְצמֹו‬ ְ ‫]ּב ְכבֹודֹו‬.“ ִ

Das dreimalige „nicht durch …“ [‫… לֹא ַעל יְ ֵדי‬ – wörtlich: „nicht mit der Hand …“] ist das unmissverständliche Bekenntnis, dass YHWH – ER selbst! – Israel herausgeführt hat, kein anderer, kein Mittler. Diese Aussage wird mit zwei ‚umrahmenden‘ Tora-Zitaten begründet: Dtn 26,8 („Und YHWH führte uns heraus aus Ägypten mit starker Hand und ausgestrecktem Arm, mit großen und furchterregenden Taten, mit Zeichen und Wundern.“) und Ex 12,12 mit einem betonten abschließenden ‚Ich, YHWH!‘ Und dann folgt im Text der Sederfeier nochmals als Bekräftigung: „Ich und nicht ein Bote / Engel!“ [‫]אנִ י וְ לֹא ַמ ְל ָאך‬. ֲ Lawrence Hoffman schreibt in seinem historischen Kommentar zur Pessach-Haggada zu diesem pointierten ‚nicht durch …‘ […‫] לֹא ַעל יְ ֵדי‬: „This is almost certainly a polemic against Christianity. Origen of Alexandria (185 – c. 254), the Church’s first truly philosophic theologian, engaged in controversy with Rabbi Yochanan, the most significant Rabbi in the Palestinian Talmud, on precisely this point. Origen claimed that the Christian “second” covenant through Jesus surpassed the Jewish “original” one through Moses, because Jesus was the Christ, a part of God, whereas Moses was merely a human agent or messenger. Deliverance from Egypt was therefore secondary to salvation through Christ.“75

Wenn also die rabbinische Tradition in der Pessach-​Haggada Moses Namen meidet, obwohl der Protagonist im Pessach-​Narrativ gleichsam ‚allgegenwärtig‘ 73 M. Buber, Mose (1945), in: Werkausgabe, Bd. 13/1, hrsg. und kommentiert von C. Wiese/H. Breitenbach, Gütersloh 2019, S. 351–538, hier: S. 493–497. 74 L. Wieseltier, Kaddisch. Aus dem Amerikanischen von Friedrich Griese, München  2000; amerikanische Originalausgabe: Kaddish, New York 1998, S. 117; amerikan. Originalausgabe: Kaddish, S. 110: „Moses did not die like all other people, but like all other people, Moses died. […] Finally the most exceptional man of all was not an exception.“ 75  L. A.  Hoffman, The role of God (History), in: History of the Haggadah, My People’s Passover Haggada. Traditional Texts, Modern Commentaries, 2 Bde., hrsg. v. dems./D. Arnow, Woodstock 2008, Bd. 2, S. 36 f. 65–68, hier: S. 37 und S. 65. Vgl. auch Stemberger, Mose in der rabbinischen Tradition, S. 104 f. 110–113.

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ist, und wenn der Bezug auf ihn im jüdischen Gottesdienst auffallend niedrig gehalten ist, dann ist dies nicht zuletzt eine Reaktion auf die Herausbildung des Christusdogmas, in dem der biblische Jesus nachbiblisch zum gottgleichen Heilsmittler avancierte.

6. Konsequenzen für die nachmetaphysische Moderne Die Theozentrik des Glaubens Israels, mit dem Christen den größten Teil ihrer zwei-​einen Bibel teilen, könnte bzw. sollte eine kritische Rückfrage an das Christusdogma sein und eine heilsame Herausforderung, ist doch gerade die Kommunikation der seit den ersten Konzilien metaphysisch konzeptionierten Christologie unter den Bedingungen einer nachmetaphysischen Moderne76 heute gerade deshalb so erschwert, weil die Differenz, um die die neutestamentliche Überlieferung noch weiß, in der privaten Frömmigkeit und in der katechetischen Praxis der Kirchen durch eine univoke Anbetung Gottes und Jesu Christi verdunkelt. Der theologisch metaphysisch steile hermeneutische Horizont, in dem die antike Christologie konzipiert wurde und damals nachvollziehbar und plausibel erschien, ist heute zerbrochen, und zwar endgültig.77 Angesichts dessen kann es nicht darum gehen, jene Inkulturation des Christentums in das ontologische Denken der Spätantike, genauer: mithilfe des Mittelplatonismus, weiter auf Dauer zu stellen und für normativ zu halten. Was wir allerdings lernen können, ist, diese geglückte Inkulturation in den ersten christlichen Jahrhunderten als eine permanente theologische Herausforderung, ja: als theologische Nötigung zu verstehen, den christlichen Glauben je neu zu inkulturieren, um ihn weitergeben zu können. Vermutlich ist es so, dass das Christentum der westlichen Welt heute vor einer ähnlichen inkulturativen Herausforderung steht wie in der Spätantike. Gerade in solch grundstürzenden Situationen ist eine biblische Rückbesinnung um der eigenen christlichen Identität willen nicht nur hilfreich, sondern notwendig. Ziel einer Neukonzeption ist es, die Christologie aus ihrem antiken ontologischen Denk‑ und Sprachgefängnis zu befreien. Eine befreiende biblische Rückbesinnung könnte etwa die in der Postmoderne anschlussfähigere funktionale Sendungs-​Christologie des Johannesevangeliums mehr in den Vordergrund rücken und gleichzeitig (neu) wahrnehmen, dass diese funktionale Konzeption

76 Vgl. Först/Schöttler, Erzählen: erinnern und entwerfen, S. 182–186 („Umbruch eines theologischen Paradigmas“); S. 187–190 („Nachmetaphysischer Relevanzverlust der Inhalte“). In der alten Kirche ‚wusste‘ man noch partiell um diese Differenz, etwa der bereits erwähnte Ambrosius von Mailand (4. Jahrhundert), der mit dem öffentlichen Gebet ‚ad Christum‘ theologische Probleme hatte; vgl. Schöttler, Re-​Visionen, S. 202 f. 77 Vgl. dazu Schöttler, Re-​Visionen, S. 219–221.

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Heinz-Günther Schöttler

nicht zuletzt in der YHWH-​Mose-​Relation, wie sie das Buch Exodus erzählt, ein Vorbild hat (vgl. etwa Joh 4,34 mit Num 16,28).78

78 Vgl. dazu Schöttler, Re-​ Visionen, S. 174–181.265–268; ders., „… uns zum Heil“ (Jes 53,5), S. 100–103.

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Autorenverzeichnis Dr. Reinhold Bernhardt Professor für Systematische Theologie / Dogmatik an der Theologischen Fakultät der Universität Basel Dr. Christian Danz Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien Dr. Erwin Dirscherl Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Regensburg Dr. Kayko Driedger Hesslein Affiliate Faculty Member am Lutheran Theological Seminary, Saskatoon in Kanada Dr. Kathy Ehrensperger Professorin für Neues Testament in jüdischer Perspektive des Abraham Geiger Kollegs an der School of Jewish Theology der Universität Potsdam Dr. Paula Fredriksen Professor of Scripture em. am Boston University College of Arts & Sciences, Department of Religion Dr. Dr. Walter Homolka Professor für Jüdische Religionsphilosophie der Neuzeit, Schwerpunkt Denominationen und interreligiöser Dialog, an der School of Jewish Theology der Universität Potsdam Dr. Helmut Hoping Professor für Dogmatik und Liturgiewissenschaft an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg Dr. Daniel Krochmalnik Professor für Jüdische Religion und Philosophie an der School of Jewish Theology der Universität Potsdam Dr. Verena Lenzen Professorin für Judaistik und Theologie / Christlich-Jüdisches Gespräch an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern

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Autorenverzeichnis

Dr. Christoph Markschies Professor für Antikes Christentum an der Theologischen Fakultät der Humboldt-​ Universität zu Berlin Dr. Markus Öhler Professor für Neutestamentliche Wissenschaft an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien Dr. Heinz-Günther Schöttler Professor em. für Pastoraltheologie an der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Regensburg Dr. Christoph Schwöbel Professor für Systematische Theologie an der Theologischen Fakultät der University of St Andrews Dr. Martin Stowasser Professor für Neutestamentliche Bibelwissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien Dr. Magnus Striet Professor für Fundamentaltheologie und Philosophische Anthropologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Freiburg Dr. Jan-Heiner Tück Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien Dr. Klaus von Stosch Professor für Systematische Theologie am Institut für Katholische Theologie an der Universität Paderborn Dr. Folkart Wittekind Professor für Systematische Theologie am Institut für Evangelische Theologie der Universität Duisburg-Essen Dr. Josef Wohlmuth Professor em. für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn

Namensregister Abramowski, L. ​257 Adam, K. ​232 Adams, E. ​114 Adorno, T.  W. ​235 Ahmed, S. ​151 Albertz, R. ​387–88 Alkier, S. ​33, 35, 50, 55, 57–58 Amaladoss, M. ​374 Amirpur, K. ​335–36 Ansorge, D. ​242, 244, 333 Arnold, C. ​277 Asch, S. ​6, 11, 13 Assmann, A. ​349 Assmann, J. ​344–49, 352–53 Bacht, H. ​328 Backhaus, K. ​68 Baeck, L. ​7, 10, 17, 314–15 Balthasar, H. U. von ​183, 206, 305 Baltzer, K. ​383, 387, 390 Barclay, J. M. G. ​110 Barth, K. ​127–28, 130, 134–35, 137, 143, 162, 175, 187, 232–33, 241, 333, 356–57, 363–64 Barthel, J. ​350 Bartsch, H.-W. ​137 Batlogg, A. ​187 Battenberg, F. ​21 Bauckham, R. ​86, 276–77 Baum, G. ​229–30 Baur, F.  C. ​261 Bauschke, M. ​373 Bea, Augustin ​14 Bebel, A. ​7 Becker, A.  H. ​248 Becker, J. ​68 Becker, M. ​40 Beilby, J.  K. ​125 Ben-​Chorin, S. ​1, 6, 9–12, 17, 125, 189, 192, 233, 237

Benamozegh, E. ​8 Benedikt XVI. ​184, 191, 200, 216, 218, 227, 229, 292–96, 303, 312–13, 364 Benhabib, S. ​335 Berger, K. ​61, 200 Berges, U. ​378–79, 387, 390–92 Bernhardt, R. ​3, 124, 163, 172–73, 300, 355–75 Bernstorff, F. ​333, 339 Betz, O. ​366–68 Biccaccini, G. ​104 Billerbeck, P. ​199, 262 Biser, E. ​189 Blum, E. ​351 Bock, M. ​124 Bockmuehl, M. ​86 Bodenheimer, A. ​231 Boesel, C. ​147, 155 Boff, L. ​189 Böhnke, M. ​126 Boin, D. ​94 Bokser, B. Z. 17 Bollag, M. ​209 Bongardt, M. ​300 Bonhoeffer, D. ​278 Bornkamm, G. ​188, 253 Borowitz, E.  B. ​230 Bousset, W. ​367 Bowersock, G. ​94, 336–37 Boyarin, D. ​27, 136, 204, 221–22, 237, 262, 265, 269, 273, 319–25, 330–31 Brandenburger, E. ​265 Braulik, G. ​193–95 Brod, M. ​11 Broer, I. ​61 Brück, M. von ​300 Bruckmann, F. ​221 Bruteau, B. ​10 Buber, M. ​9–12, 17, 203, 214, 233, 235, 348, 396

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Namensregister

Buchholz, R. ​194 Buckenmaier, A. ​197–98, 201 Bugge, C.  A. ​9 Bultmann, R. ​32, 45, 74, 135, 137–38, 199, 253, 260, 320, 359, 363, 366, 368 Buren, P. M. van ​124, 155, 229

Dohmen, C. ​220, 387, 389 Dohmen-​Baumgart, I. ​6 Donaldson, T.  L. ​100 Dorner, I.  A. ​240 Drewermann, E. ​52 Drews, A. ​274 Driedger Hesslein, K. ​3, 133, 145–58 Driver, S. ​380 DuBois, T.  A. ​51 Dunn, J. D. G. ​137, 248, 367, 369

Calvin, J. ​150 Campbell, C. ​116 Campbell, W. S. ​110, 115, 117 Capes, D. ​277 Carmichael, J. ​17 Cartwright, S. ​258 Caspar-​Seeger, U. ​333, 339 Casper, B. ​238 Chagall, M. ​6, 15 Chilton, B.-D. ​263 Clarke, A. ​112 Clemen, O. ​261 Cohen, H. ​313, 331 Cohn, C. ​10 Collins, J.  J. ​82 Conti, M. ​260 Costa, J. ​236 Cotter, W. ​277 Craffert, P. F. ​43, 51–53 Crossan, J. D. ​41–44, 62 Crüsemann, F. ​353

Ebeling, G. ​246, 368, 371 Ebner, M. ​33, 47, 59, 62–63, 68–69, 71 Eddy, P.  R. ​125 Edwards, M. ​257 Ehrensperger, E. ​1–4, 109–22 Ehrlich, E. L. ​10, 17 Eisler, R. ​17 Elliot, J.  H. ​51 Elliott, N. ​118 Emden, J. ​8, 18 Endelman, T. ​22 Ernst, H. ​10 Ernst, J. ​66, 68–70 Erskine, T. ​148–50 Esler, P. ​110 Essen, G. ​243 Eve, E. ​40

D’Alembert, J. le R. ​334 Dahl, N. A. ​88, 95, 105 Dalferth, I. U. ​139, 234 Danby, H. ​13 Danz, C. ​1–4, 28, 58, 123–44, 167, 180–81, 291, 298–300 Dausner, R. ​218, 245 Davila, J. ​277 De Lange, N. ​250 DeConick, A. ​277 Dehn, U. ​333, 339 Deissmann, A. ​111 Deleyre, A. ​334 Denker, J. ​232 Denzinger, H. ​218, 220, 239 Derrida, J. ​244 Dhamoon, R. ​148–49 Diderot, D. ​334 Dirscherl, E. ​183, 209–227

Falaturi, A. ​336 Feiner, S. ​21 Feldmeier, R. ​60, 136 Fenske, W. ​232 Fiebig, P. ​9 Finkelstein, M. ​5, 7 Fischer, G. ​395 Fischer, I. ​387 Fischer, J. ​175 Flusser, D. ​8–10, 17, 39, 131, 189, 192, 233 Focant, C. ​87 Folger, A. ​312 Formstecher, S. ​8 Först, J. ​384, 393, 397 Fößel, T.  P. ​78 Fossum, J. ​277 Frankemölle, H. ​70, 223 Fredericks, J.  L. ​292 Fredriksen, P. ​81–107, 111

Namensregister

Frei, P. ​353 Frevel, C. ​386 Frey, J. ​277, 279 Freyne, S. ​20 Friedmann, F.  G. ​329 Fürst, A. ​316 Gaddis, M. ​145 Gäde, G. ​164, 172 Gans, E. ​24 Garber, Z. 17 Gaventa, B.  R. ​116 Geiger, A. ​6, 17–19, 271 Geis, R.  R. ​17 Gellner, C. ​165 Gerhardt, P. ​311 Gerigk, E.-M. ​373 Gerteis, J. ​147–48 Geyer, C.-F. ​29 Gieschen, C. ​277 Gleßmer, U. ​262 Gnilka, J. ​63, 65, 69, 75, 323 Goethe, J.  W. ​340 Gogarten, F. ​135 Goshen-​Gottstein, R.  A. ​339–40, 342–43 Graetz, H. ​18 Grillmeier, A. ​247, 251–56, 258–61, 263–64, 328 Guardini, R. ​246 Gutbrod, W. ​360 Haag, E. ​378 Haenchen, E. ​70 Hahn, F. ​252–53 Hamann, J.  G. ​341 Härle, W. ​124, 135 Harnack, A. von ​21, 261, 282 Harrill, J.  A. ​88 Hartmann, D. ​147–48 Hartzig, C. ​147 Hayes, C.  E. ​112 Hegel, G. W. F. ​150, 333, 337–38, 340 Heine, H. ​25 Heine, S. ​289 Heither, T. ​385 Hengel, M. ​188, 252–54, 261, 277 Hennecke, S. ​162 Henning, M. ​336

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Henriksen, J.-O. ​32 Henrix, H. H. ​129, 190–91, 193, 231, 234, 240, 242, 359, 364–65, 374 Henry, M. ​243–44 Herbstrith, W. ​9 Hermann, R. ​138 Hermisson, H.-J. ​378–79, 382–83 Herms, E. ​135 Heschel, A. ​205 Heschel, S. ​6, 10, 17 Hick, J. ​143, 161, 169–70, 172, 177, 338 Hilberath, B. J. ​186, 333 Hirsch, S. ​8, 18–19, 271 Hoerder, D. ​147 Hoff, G.-M. ​243, 327 Hoffman, L.  A. ​395–96 Hofius, O. ​379 Holloway, P.  A. ​86 Homberg, N.  H. ​340 Homolka, W. ​1–4, 10, 17–29, 59–60, 123, 126, 184, 233, 253, 268, 272, 289, 311, 331–32 Honecker, M. ​249 Hooke, S.  H. ​92 Hoping, H. ​28–29, 124, 126, 132–34, 206, 229–46 Hopkins, K. ​94 Hoppe, R. ​64 Horkheimer, M. ​235 Hossfeld, F.-L. ​350, 386 Huebenthal, S. ​141 Hultgren, S. ​62 Hume, D. ​345 Hundeck, M. ​243 Hünermann, P. ​189, 218, 220, 239, 243 Huntington, S.  P. ​346 Hurtado, L. W. ​87, 257, 277 Isaac, J. ​14 Jacob, B. ​347 Jacob, W. ​29 Jacobi, C. ​59, 64 Jacobs, A. S. ​147, 261 Jaeschke, W. ​255 Janowski, B. ​286, 350–51, 377, 380–83 Janowski, J.  C. ​286 Jaspers, K. ​334–35, 338

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Namensregister

Jeremias, J. ​71, 188, 252, 378, 387 Johannes Paul II. ​12, 182, 191, 226, 233, 339 Johannes XXIII. ​14 Johnson, N.  C. ​90 Jost, I.  M. ​18 Juel, D. H. ​85, 95, 277 Jülicher, A. ​9 Jüngel, E. ​139, 173, 201 Kadishman, M. ​16 Kahl, W. ​40, 54 Kähler, M. ​362 Kalt, E. ​380 Kampling, R. ​11, 183 Kant, I. ​177 Kanyoro, M. ​148 Käsemann, E. ​32, 109, 125, 138, 188, 192, 367, 371 Kasper, W. ​185, 188–89, 193, 218–19, 222, 359 Katz, J. ​345 Kaufmann, D. ​25 Kaufmann, T. ​301–02 Keel, O. ​344, 346 Keener, C. S. ​47–49, 55 Kehl, M. ​372 Keller, E. ​36 Keller, M.-L. ​36 Kertelge, K. ​378 Kessler, E. ​242 Kessler, H. ​189 Khorchide, M. ​373 Kierkegaard, S. ​316 Kim, J.  H. ​148 Kirchschläger, W. ​66 Kister, M. ​265 Klapheck, E. ​307 Klappert, B. ​3, 127, 130–32, 230, 356–58 Klauck, H.-J. ​367 Klauser, T. ​261 Klausner, J. ​6, 10, 12–13, 17, 189, 233, 271 Klein, M.  L. ​262 Knauer, P. ​294 Knauf, E. A. ​341–42, 353 Koch, K. ​15, 353

Kogan, M.  S. ​287 Kollmann, B. ​31, 52, 65, 70–71 Korn, E. ​339 Korner, R. ​114 Korobkin, N.  D. ​274 Körtner, U. H. J. ​363 Kranemann, B. ​245 Kraus, H.-J. ​124, 245 Kraus, W. ​191, 249, 359 Krochmalnik, D. ​168, 333–54 Krupp, M. ​7–8, 246 Kuhn, P. ​205, 244 Kühschelm, R. ​70 Küng, H. ​10 Küster, V. ​374 Kwok, P. ​148 Landmann, S. ​10 Lapide, P. ​10, 17, 187–89, 192–93, 206, 234, 237 Lasker-​Schüler, E. ​11 Lauer, S. ​10 Lauster, J. ​170 Lechler, G.  V. ​345 Legault, F. ​147 Lehnardt, A. ​194 Leirvik, O. ​373 Lenzen, V. ​5–16 Lessing, G. E. ​20, 362 Levenson, J. D. ​230, 246, 375 Levinas, E. ​237–39, 243, 327, 332 Levine, A.-J. ​17, 59, 148, 272–73 Levinson, B.  M. ​350–51 Levison, J. R. ​277, 279 Lichtenberger, H.  P. ​286 Lieberman, S. ​265 Liebermann, M. ​5–6, 16 Lieu, J. ​248 Lindsay, M.  R. ​356 Liss, H. ​194 Litwa, M.  D. ​265 Lowenstein, S. M. ​21 Loyola, I. v. 187 Lukács, G. ​346 Lustiger, J.-M. ​241 Luther, M. ​86, 240 Luz, U. ​10, 393 Lyotard, J.-F. ​234–35, 275

Namensregister

Macchi, J.-D. ​341 Maccoby, H. ​17 MacMullen, R. ​94 Madragule Badi, J.-B. ​207, 234 Magonet, J. ​10 Maier, J. ​7 Malina, B.  J. ​51 Mall, R.  A. ​335 Mann, T. ​346 Margull, H.  J. ​335 Markschies, C. ​205, 236, 240, 247–69, 282, 381–82, 394 Marquardt, F.-W. ​3, 124–25, 127–33, 141, 213–14, 230, 234, 357, 364–65, 370 Martin, M.  W. ​86 Mattingly, D.  J. ​118 May, S. ​146 Meeks, W.  A. ​264 Meier, J. P. ​33, 44–45, 55 Meir, E. ​165–66 Melanchton, P. ​213 Mendelsohn, A. ​15 Mendelsohn, E. ​6, 8 Mendelssohn, M. ​7–8, 17–18, 271, 340, 343 Menke, K.-H. ​202, 226, 241 Mensching, G. ​335 Merkel, H. ​42 Merklein, H. ​304 Merleau-​Ponty, M. ​238, 243–44 Merry, S.  E. ​335 Merz, A. ​50, 61–63, 71–72, 74–75 Meyer, B. U. ​123, 128, 130, 147, 365 Meyer, M. A. ​21, 25 Mimouni, S. C. ​264 Modena, L. ​8 Modood, T. ​146 Moffitt, D.  M. ​50 Mohlberg, L.  C. ​261 Moltmann, J. ​127, 132–33, 155 Mommsen, T. ​22 Montefiore, C.  G. ​17 Mosès, S. ​219, 235 Müller, G. L. ​189, 223 Müller, U. B. ​65, 68–69, 72 Munck, J. ​105 Mussner, F. ​230, 234, 242, 249, 370

439

Nanos, M. ​104, 117 Navè Levinson, P. ​10 Nes, A. ​16 Neubauer, A. ​380 Neusner, J. ​10, 17, 197–98, 200, 203, 235, 241, 266 Newman, C. ​277 Niebuhr, K.-W. ​277 Niemand, C. ​75–76 Nietzsche, F. ​347, 349 Nihan, C. ​349 Nitsche, B. ​124–25 Nongbri, B. ​105 Nordhofen, E. ​347 Noth, M. ​395 Novenson, M. V. ​83, 85–86, 89–90, 95 Ochs, P. ​194 Oepke, A. ​66 Öhler, M. ​31–58, 136 Osten-​Sacken, P. von der 230, 249 Oswald, W. ​388 Öszoy, Ö. ​289 Otto, E. ​385–86 Oz-​Salzberger, F. ​210 Oz, A. ​7, 12–15, 210, 271 Paget Carleton, J. ​115 Pannenberg, W. ​124, 137, 177, 242, 372 Parekh, B.  C. ​151 Paret, R. ​372 Paul VI. ​184 Peppard, M. ​94 Perkins, P. ​277 Pesch, R. ​71, 197, 201 Petuchowski. J.  P. ​195 Petzel, P. ​201 Pfeiffer, R. ​250 Philippson, L. ​22 Philippson, M.  E. ​22 Piper, E. ​232 Plasger, G. ​233 Popkes, W. ​379 Porter, J. ​147 Porter, S. E. ​32, 42 Price, R. ​145, 149 Pricop, C. ​54 Pröpper, T. ​311

440

Namensregister

Race, A. ​333 Radford Ruether, R. ​123, 146, 229 Radl, W. ​62 Rahner, K. ​185–87, 192, 206, 212, 214, 234, 240, 305, 328–29, 332, 359 Ratzinger, J. ​3–4, 15, 125, 196–97, 199– 203, 216, 218–19, 226–27, 229, 241, 292– 96, 303, 331, 338, 344, 364 Reed, A. Y. ​248, 264 Reed, J.  L. ​62 Reichmann, E.  G. ​11 Reimarus, H. S. ​20–21, 59 Renan, E. ​34 Rendtorff, R. ​190–91, 248, 359 Repp, M. ​165 Reuter, E. ​386 Reventlow, H. ​345 Reynolds, G.  S. ​373 Ricoeur, P. ​351 Rieger, R. ​252 Riesser, G. ​25 Rilke, R.  M. ​212 Ritschl, A. ​140 Robinson, A.  L. ​346 Rodriguez, R. ​104 Roloff, J. ​378 Römer, T. ​335, 349 Ronchi, E. ​211–13 Rosenberg, A. ​232 Rosenzweig, F. ​219, 348 Roth, J. ​7 Rubin, R. ​16 Rutishauser, C. ​184, 204, 209, 261, 293 Sacks, J. ​374 Salvador, J. ​8, 18, 271 Samuel, M. ​10 Samuels, V. C. ​149 Sanders, E. P. ​32, 109 Sandmel, S. ​17 Schacter, J.  J. ​18 Schaede, S. ​268 Schäfer, P. ​135, 203–04, 236, 262, 265–66, 360 Schaller, B. ​253 Scheffczyk, L. ​333 Schenke, L. ​64–68, 71–72 Scherzberg, L. ​232

Schillebeeckx, E. ​221 Schleiermacher, F. ​23, 161 Schlier, H. ​198–99 Schmaus, M. ​232 Schmeller, T. ​368 Schmidt-​Leukel, P. ​123–24, 143, 170 Schneider, L.  C. ​153 Schnelle, U. ​111, 367 Schnitzer, J. ​11 Schoeps, H.-J. ​17 Scholem, G. ​194, 206 Schoneveld, J. ​193, 242 Schöttler, H.-G. ​29, 214–16, 377–98 Schröter, J. ​1, 32–33, 35, 59, 62–64, 73–75, 137 Schulte, C. ​24–25 Schulz, H. ​33, 57 Schürmann, H. ​62, 188 Schwartz, E. ​259 Schwartz, S. ​152 Schweitzer, A. ​81, 96, 102, 105, 109, 115, 362 Schwemer, A.  M. ​254 Schwienhorst-​Schönberger, L. ​354 Schwier, H. ​242, 359 Schwöbel, C. ​26–28, 250, 271–90 Scott, I.  W. ​264 Scott, J. M. ​97, 100–01 Segal, A. ​277 Segovia, C.  A. ​104 Seidel, E. ​24 Sellin, E. ​383 Senn, F. ​181 Shabestari, M.  M. ​335 Skarsaune, O. ​244 Söding, T. ​217 Soloveitchik, J.  B. ​184 Sorkin, D. ​21 Soulen, K. ​155 Speer, A. ​356 Spieckermann, H. ​60, 136 Spielberg, S. ​344 Spinoza, B. ​337 Sprengler, O. ​346 Squires, J. ​146 Staats, R. ​326 Stahl, N. ​11 Stegemann, W. ​1, 136–37

Namensregister

Stein, E. ​9 Steinheim, S. ​8 Stemberger, G. ​264, 395–96 Stendahl, K. ​105–06 Stock, A. ​231 Stoecker, A. ​7 Stoellger, P. ​251 Stosch, K. von ​3, 124, 166, 291–309, 373 Stowasser, M. ​59–80 Stowers, S. ​110 Strack, H. L. ​199, 262 Strauss, D.  F. ​20 Strecker, C. ​52–53 Strecker, G. ​111 Striet, M. ​1, 4, 123, 126, 268, 311–18, 291, 300–06 Strotmann, A. ​33, 62–64, 71 Stroumsa, G. ​265, 287 Stuckenbruck, L. T. ​265, 277 Stuhlmacher, P. ​366–67, 377, 379–83 Talbert, C.  H. ​86 Tamer, G. ​351 Taube, J. ​24 Taylor, C. ​148 Theißen, G. ​1, 49–51, 61–63, 71–72, 74–75, 136 Theobald, M. ​226, 369 Thiessen, M. ​104, 112, 117 Thoma, C. ​7, 10, 205 Thompson, M.  M. ​277 Tillich, P. ​124, 135, 137, 140, 172, 180 Torre, M. A. de la ​155 Trigg, J.  W. ​258 Troeltsch, E. ​161, 248, 333 Tropper, V. ​62 Trutwin, W. ​183 Tück, J.-H. ​29, 183–207, 242, 261, 311 Tumarkin, Y. ​16 Twelftree, G. H. ​31, 33 Uehlinger, C. ​346 Ulmer, R. ​17 Urbach, E.  E. ​250 Utzschneider, H. ​388

441

Vahrenhorst, M. ​8, 19 Vermes, G. ​11, 17, 39–40, 192, 233, 245 Vogt, H.  J. ​256–57 Volkov, S. ​21 Wagner, S. J. R. ​90, 95, 97–99 Wahle, S. ​231 Waldenfels, H. ​300 Wedderburn, A. J. M. ​1 Weidemann, H.-U. ​206, 369 Weimer, L. ​197, 201 Weinrich, M. ​162, 183 Weisse, W. ​165 Weiß, A. ​236 Welker, M. ​218 Wellhausen, J. ​17 Welte, B. ​243 Wengst, K. ​230 Wenz, G. ​268 Werbick, J. ​201–02 Whitsett, C.  C. ​85 Wick, P. ​114 Wiese, C. ​7, 27 Wieseltier, L. ​396 Winkler, U. ​123 Wittekind, F. ​124, 134–36, 143, 159–82 Wohlmuth, J. ​206, 219, 222, 235, 237–38, 242–43, 269, 319–32 Wolf, I. ​24 Wolff, C. ​367 Wolfson, E.  R. ​236 Wolter, M. ​65–66, 110–11, 113, 116 Woodward, K. L. ​33, 47, 58 Wyschogrod, M. ​10, 17, 206–07, 230, 236 Yousefi, H.  R. ​335 Zager, W. ​374 Zangenberg, J. ​6 Zeller, D. ​266 Zenger, E. ​350–51 Zetterholm, M. ​104 Zimmermann, R. ​31, 46–47 Zunz, L. ​18, 23, 25

Sachregister Abraham ​358 Abrahamnachkommenschaft ​68, 370 Absolutheitsanspruch siehe auch Universalismus – Bibel ​352 – Christentum ​337 – im jüdisch-​christlichen Dialog ​355 – intensiv, extensiv ​335 – Islam ​335, 336 – Judentum ​339 – Kirche ​333 – Religion ​334, 345 Altes Testament – Gewalt ​345, 348 – Kanon ​351 Ämterlehre ​141–144 Antijudaismus ​7, 14, 266, 301 – als Folge von Erbsündentheologie ​301, 302 Apokalyptik ​90, 180 Assimilation ​147 Auferstehung – Auferstehungsformeln ​78 – bei Paulus ​106 – das leere Grab ​21 – der Toten ​92, 95 – Erscheinungen ​324 – Naherwartung ​81 Bergpredigt ​189, 197, 199, 200 Berufung – Christusglaube ​369 – der Heiden (siehe auch: Heidenmission) ​98 – Heiden ​103, 105 – Islam ​358 – Israel siehe auch Israel, Erwählung – Israel ​331 – Jesu ​70, 254 – Kirche ​295

– Mitberufung zu Abrahamkindern ​358 – Paulus ​102 Beten, siehe Gebet Bilderverbot ​234–239 Binitarismus ​93, 203, 265 Bruder Jesus, siehe Jesus, Bruder Bund ​2, 4, 97, 104, 123–144, 215, 217, 225, 294, 295 Chalcedon, Konzil ​105, 145–158, 222, 319–332, 373 Christologie – dogmatische ​139 – Entwicklungsgeschichte, Fortschritt ​ 248 – hellenistische Einflüsse ​319 – historische Grundlage ​298, 320 – im Modus des Fragens ​212 – implizite ​59, 138 – in-​Christus-​Sein ​119–122 – kontextuelle ​146, 154–156 – Monotheismus ​325 – Person ​129, 140, 149, 218, 325, 327, 329 – von unten ​79, 322 – zwei Naturen ​90, 145–158, 185, 243, 259, 327, 328 Christopraxis ​156, 157 Christus ​95 Christus-​Nachfolge ​111 Christus-​Titel ​83, 252 Christusbeziehung ​154, 157 Dabru emet ​183, 184, 374 Desinkarnation ​185, 188, 193 Dialog, interkulturell ​26 Dialog, interreligiös ​78, 79, 165, 167, 292, 333 Dreifaltigkeit, siehe Trinität

444

Sachregister

Einheit – Definition ​146 – Gottes ​257, 258, 348 – Person ​151 – Religionen ​170 Einwohnung, siehe Inhabitation Erbsündenlehre ​301, 302, 303, 312, 316 Erkenntnis Christi ​367 Erlösung – siehe auch Heilswille Gottes – jüdische Sicht ​21 – Kreuzestod ​287, 304, 305 – Soteriologie, Modelle ​155, 307 – universale ​100 Erscheinungen, Jesu ​78, 84, 92 Erwählung, Volk Israel ​2, 155 Eschatologie, – Jesu Deutung der Passion ​76 – königliches Amt Christi ​142 – neue Schöpfung ​109–122, 132, 133 Eschaton – Christus ​4, 307 – Israel ​4 – Messias-​Vorstellungen ​82, 307 – Tora ​196 Eutychianismus ​149 Evangelium ​95, 96 – als historische Quelle ​61, 320 – und jüdischer Glaube ​10 Exegese, historisch-​kritische, siehe Jesus, historisch(‑kritisch) Exegese, Polysemie biblischer Texte ​354 Exklusivismus ​29, 343 Exorzismus ​33, 34, 39, 43, 71, 96 Familie Jesu, Konflikt ​66 Gebet – frühe Gemeinden ​220 – gottesdienstliches ​246 – Jesu ​9, 209–228 – jüdisches ​9, 246 – zu Jesus Christus ​220, 245 Gericht, Jüngstes ​67, 72, 92 Gesetz – Erfüllung, Ziel ​104 – Gesetzesobservanz ​18, 104, 190, 199 Gesprächsreligion, interreligiöse ​166

Glaube – siehe auch Christusbeziehung – an Jesus, wie Jesus ​21, 212 – Vertrauen ​56 – Weitergabe der Erinnerung an Jesus Christus ​140 Gleichnis ​9, 12 Gottesbegegnung ​79 Gottesknecht (DtJes) ​377, 380 Gottessohnschaft ​19, 320 Gottunmittelbarkeit – Israels ​223 – Mose ​387, 390 Haskala ​8 Heidenmission ​98, 102, 103 Heilsnotwendigkeit – Jesus Christus ​297, 303, 306 – Judesein Jesu ​154, 155, 370 Heilswille Gottes ​72, 132, 155, 224, 287, 333, 358 Hellenisierung ​222, 260, 267, 319, 324 Himmelfahrt, Christi ​88, 142 Hypostase ​327 Inhabitation ​203–206, 236, 244 Inkarnation ​145–158, 183–208, 215, 229– 246, 266 Inklusivismus ​125, 134, 144 Inkulturation ​397 Islam ​335, 336, 356, 395 Israel – Bedeutung für Christentum ​300 – Erwählung ​15, 99, 100, 123–144, 224, 226, 227, 230, 240, 241 – Gottesbeziehung ​357 – semantisches Universum ​370 – theologische Vereinnahmung ​299 Jesus – Abstammung ​368 – als Mitglied der Täuferbewegung ​66 – als pharisäischer Jude ​6 – berufliche Tätigkeit als Bauhandwerker ​ 63 – Berufung ​70, 254 – Beschneidung ​231, 232, 260 – Bruder ​1, 11, 12, 192

Sachregister

– Christus, Einzigartigkeit ​394 – Christus-​Titel ​84 – Ehelosigkeit ​65, 77 – Elternhaus ​62 – Existenz ​274 – Familie ​66, 77 – Gebet Jesu ​209–228 – Gottes Sohn ​297, 320, 321 – Gottesbeziehung ​80, 217, 279 – Gottesbild ​59–80 – Gottesverhältnis ​331, 357 – Gottheit ​87, 322 – historisch(‑kritisch) ​6, 23, 59–80, 105, 137, 298, 299, 320, 361, 363 – historisch, bei Paulus ​368 – Koran ​372, 373 – König der Juden ​82, 84 – Lehrer ​12 – Mann(sein) ​156, 157 – Mensch(sein) ​88, 135, 326 – Messianität, siehe Messianität Jesu – Mitglied der Täuferbewegung ​61, 66 – Pharisäer ​19 – Religionsstifter ​17, 21, 164 – Schamane ​52 – Selbstbewusstsein ​254, 255 – Taufe ​65, 68 – Tod und Versöhnung ​142 – Tora in Person ​183–208 – ureigentliche Verkündigung ​20 – Zuwendung zu Randgruppen ​73 Jesusforschung, jüdische ​5–16 Jesusforschung, historische ​22, 28, 29, 37, 41, 43, 44, 148, 154 Johannes der Täufer ​61, 67 Judas ​13–15, 271 Judenmission ​229, 296, 303, 312, 313 Judentum, Identität ​22, 276 Jüdisch-​christliches Verhältnis ​19, 26 Karfreitagsfürbitte Neuformulierung ​296 Kenosis ​186, 206, 361 Kerygma ​8, 20, 59, 60, 75, 79, 126, 138, 274, 362, 363, 371 Kirche, Ekklesia ​114, 216, 224, 234 Kommunikation, religiöse ​136–143 Konzil – Chalcedon ​105, 145–158, 319–332, 373

445

– Nicäa ​88, 221 – Zweites Vaticanum ​183 Kosmopolitanismus ​148 Krankenheilung ​43 Kreuzestheologie ​57, 304 Kunst, Jesusdarstellung ​5–16 Kyrios ​88, 95 Literatur, rabbinische ​23 Liturgie, christliche, jüdische ​9 Logienquelle ​75 Logos – Christus ​241 – Inkarnation ​215, 313 – Johannes-​Prolog ​202 – Logos-​Sarx-​Schema ​328 – Logos-​Theologie ​222, 255, 263 – Nähe Gottes ​214, 215 – Philo von Alexandrien ​204, 215 – Tora ​241 – Weisheit ​214, 215, 281 Maria ​63 Menschensohn ​321, 322, 323 Messianismus, politischer ​21 Messianität Jesu ​18, 19, 83, 229, 254, 279, 283, 331 Messias ​82, 83, 88, 89, 131, 133, 315, 319 – christliches Messiasverständnis ​230 – jüdisches Messiasverständnis ​28, 230, 237, 307 – Koran ​373 Mission ​339 Monopolytheismus ​349 Monotheismus ​324 – biblischer ​245 – Christologie ​325 – ethischer ​316, 317 – in der Postmoderne ​344 – Islam ​356 – Kritik ​348 Mose ​377–398 Multikulturalismus ​146–151 Mythos, mythologische Sprache ​90, 106, 331 Naherwartung – Jesu ​1, 75

446

Sachregister

– Johannes’ des Täufers ​68 – Paulus ​96, 98, 102, 106 – zur Zeit Jesu ​72 Name Gottes ​347 Nestorianismus ​149 Neues Testament, jüdische Interpretation ​ 6 Nicäa, Konzil ​88, 221 Novus Israel, neues Volk Israel ​29 Offenbarung – in Jesus Christus  123 – Karl Barth ​127–135 – Transzendez-​Erfahrung ​172–175 – Offenbarungsbegriff ​159–182 Opfer, siehe Satisfaktion, Kreuzestod, Sühne Pantokrator ​79 Parusie ​89, 90, 93, 95, 97 Passion ​73, 74, 76 Paulus ​27, 81–108 – Berufung ​102 – Mission ​96, 98, 100, 102, 103, 105 – Naherwartung ​81, 98, 102, 106 Philosophie, absolute ​18 Pluralismus ​29, 144, 147, 338 Pneumatologie ​139, 143, 221 Priester – Amt Christi ​141, 142 – endzeitlich (Qumran) ​82 – Tempel ​198 – Priestertum, Frauen ​157 Proexistenz ​285 Prophetie ​42, 49 Prophetie, prophetische Verkündigung Jesu ​141 Präexistenz – bei Paulus ​369 – Christi ​93, 196 – Logos ​203, 224 – Tora ​241 – Weisheit ​204 Ratzinger – Gnade und Berufung ohne Reue ​3, 15, 293, 312, 315 – Jesus-​Buch ​196–199

Reformjudentum ​6 Reich-​Gottes-​Verkündigung ​40, 57, 70, 84, 95, 96, 114 Relation ​218 Relativismus ​338 Religionen – Dialog ​165 – Identität, Abgrenzung ​276 – Religionspluralismus (siehe auch Religionstheologie) ​123–144, 176–182 Rettung, siehe Erlösung Sabbat ​354 Satan ​71 Satisfaktion, Kreuzestod, Sühne ​154, 268, 286, 301, 303, 311, 313, 314, 317 Schamanismus ​52 Sohn Davids ​82, 90, 95, 106, 252 Sohn Gottes ​15, 91, 95, 136, 252, 297, 315 Soteriologie, siehe Erlösung Stellvertretung ​142, 306 Substitution ​29, 154, 201, 233, 302 Sündenvergebung ​322, 392 Theologie der Religionen, siehe Religionstheologie Third Quest ​31, 41, 124, 137, 167 Thomasevangelium ​75 Tora – siehe auch Gesetz; Jesus, Tora in Person – literalistischer Zugang ​299 – Wort Gottes ​294 – Toraobservanz ​1, 314 Tradition, jüdische ​1 Trinität ​151, 246, 279 Universalismus – christlicher ​29, 139, 371 – islamisch ​371 – kontextueller ​156 – Wahrheitsanspruch ​29, 159 Verheißung, Erfüllung ​155 Versöhnung ​118, 142 Völkerwallfahrt ​97, 131, 341

Sachregister

Wahrheit – Anspruch, absoluter ​29 – Dimensionen ​342, 343 – religiöse vs. theologische ​159–165 – wissenschaftlich ​162 Weltenrichter ​78 Wille Gottes, 77, 132, 168, 224, 225, 285 siehe auch Heilswille Gottes Wissenschaft des Judentums ​23, 24, 25, 26 Wort Gottes – als Frage ​211 – Altes Testament ​294 – in Judentum und Christentum ​194 – Inkarnation ​361 – Jesus Christus ​199

– jüdische Literatur ​262 – siehe auch Logos ​224 – Tora ​195, 196, 199, 293 Wunder – christologische Funktion ​55–58 – Definition ​33 – Historizität ​7, 31–58 – Koran ​373 – Paulus ​103 – Sündenvergebung ​220 – theologische Bedeutung ​32 Zimzum ​238 Zorn Gottes ​67, 69, 77, 100, 317 Zwei Naturen, siehe Christologie

447