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German Pages [140]
Joanne Schmahl
Die christlich-jüdischen Beziehungen nach 1945 sind nicht ohne ihre Vorgeschichte zu verstehen. Joanne Schmahl nimmt diese Beziehungen in den Blick. Sie tut dies vor dem Hintergrund der jahrhundertelangen kirchlichen Judenfeindschaft. Sie untersucht ausgewählte Texte aus dem Neuen Testament, um zu prüfen, ob deren Wurzeln des Antijudaismus bereits im Neuen Testament selbst liegen. Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass der nicht in den neutestamentlichen. Texten selbst, sondern vielmehr in deren Wirkungsgeschichte zu verorten sei. Dann skizziert die Verfasserin die weitere Entwicklung der kirchlichen Judenfeindschaft bis zum 20. Jahrhundert und geht auf die theologischen Neuanfänge nach 1945 ein, indem sie christliche Ansätze einer „Theologie nach Auschwitz“ thematisiert. Mit Blick auf die derzeitigen Entwicklungen stellt die Verfasserin die Frage, ob „überhaupt schon von einem Dialog“ gesprochen werden kann, und benennt bleibende Herausforderungen und Desiderata im christlich-jüdischen Dialog. Abschließend arbeitet die Verfasserin die friedensstiftende Dimension des christlich-jüdischen Dialogs heraus. In diesem Zusammenhang beschränkt sie sich nicht auf den christlich-jüdischen Dialog, sondern bezieht den (sonstigen) interreligiösen Dialog mit ein. Dieses Buch ist ein beeindruckendes Plädoyer für die Überwindung des Antijudaismus und die Vertiefung des christlich-jüdischen Dialogs.
Joanne Schmahl - Von der „Vergegnung“ zur Begegnung
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Von der „Vergegnung“ zur Begegnung Die besondere Beziehung zwischen Christentum und Judentum und die Bedeutung des christlich-jüdischen Dialogs für den Frieden
ISBN 978-3-95948-366-7
Verlag Traugott Bautz GmbH
Von der „Vergegnung“ zur Begegnung
Jerusalemer Texte
Schriften aus der Arbeit der Jerusalem-Akademie
herausgegeben von Hans-Christoph Goßmann
Band 19
Verlag Traugott Bautz
Joanne Schmahl
Von der „Vergegnung“ zur Begegnung Die besondere Beziehung zwischen Christentum und Judentum und die Bedeutung des christlichjüdischen Dialogs für den Frieden
Verlag Traugott Bautz
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© Verlag Traugott Bautz GmbH 98734 Nordhausen 2018 ISBN 978-3-95948-366-7
Geleitwort Die christlich-jüdischen Beziehungen nach 1945 sind nicht ohne ihre Vorgeschichte zu verstehen. Joanne Schmahl nimmt in ihrer 2017 von der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Hamburg, Fachbereich Evangelische Theologie, angenommenen Masterarbeit, die hier als Buch vorgelegt wird, diese Beziehungen in den Blick. Sie tut dies vor dem Hintergrund der jahrhundertelangen kirchlichen Judenfeindschaft. Um zu prüfen, ob deren Wurzeln bereits im Neuen Testament selbst liegen, untersucht sie anhand ausgewählter Texte das Matthäusevangelium, das Johannesevangelium sowie das Corpus Paulinum. Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass der Antijudaismus nicht in den neutestamentlichen. Texten selbst, sondern vielmehr in deren Wirkungsgeschichte zu verorten sei. Dann skizziert die Verfasserin die weitere Entwicklung der kirchlichen Judenfeindschaft bis zum 20. Jahrhundert und geht auf die theologischen Neuanfänge nach 1945 ein, indem sie christliche Ansätze einer „Theologie nach Auschwitz“ thematisiert. In einem ersten Schritt wendet sie sich der römisch-katholischen Seite zu und stellt das Zweite Vatikanische Konzil dar. Sie geht detailliert auf dessen Vorgeschichte ein und stellt die Konzilserklärung ‚Nostra aetate‘ vor. Dabei legt sie den Schwerpunkt auf den vierten Artikel, in dem es um das Judentum geht. Auf evangelischer Seite werden zunächst die Stuttgarter Schulderklärung von 1945 sowie die Aussagen der Synode von Berlin-Weißensee von 1950 kurz in den Blick genommen. Dann wird die Arbeit der ‚Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen‘ beim DEKT ausführlich dargestellt – einschließlich der Konflikte, die mit dieser Arbeit immer wieder verbunden waren. Anschließend geht sie auf die erste der drei EKDStudien „Christen und Juden“ von 1975 und den Synodalbeschluss der Rheinischen Landessynode „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“ von 1980 ein. Mit Blick auf die derzeitigen Entwicklungen stellt die Verfasserin die Frage, ob „überhaupt schon von einem Dialog“ gesprochen werden kann, und geht auf die Frage der inhaltlichen Füllung des Begriffes
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„Dialog“ ein. Sie benennt bleibende Herausforderungen und Desiderata im christlich-jüdischen Dialog und betont, „dass wir noch lange nicht von einem ‚normalen‘ Verhältnis zwischen Juden und Christen sprechen können und alt geglaubte Vorurteile viel tiefer sitzen als einem vielleicht bewusst sein mag und den Dialog noch immer belasten“ (S. 109). Auf theologischer Ebene benennt sie das „Christusbekenntnis als entscheidende Differenz zwischen Juden und Christen“ (S. 111) und entfaltet dies hinsichtlich der Aufgabe, eine Christologie ohne antijudaistische Grundlage zu formulieren. Abschließend arbeitet die Verfasserin die friedensstiftende Dimension des christlich-jüdischen Dialogs heraus. In diesem Zusammenhang beschränkt sie sich nicht auf den christlich-jüdischen Dialog, sondern bezieht den (sonstigen) interreligiösen Dialog mit ein. Dieses Buch ist ein beeindruckendes Plädoyer für die Überwindung des Antijudaismus und die Vertiefung des christlich-jüdischen Dialogs. Ihm sind viele Leserinnen und Leser zu wünschen. Dr. Hans-Christoph Goßmann Direktor der Jerusalem-Akademie
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Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 2. Der Entstehungsprozess des Christentums vor dem zeit- und religionsgeschichtlichen Hintergrund der Lebenszeit Jesu 2.1. Neutestamentlicher Befund zur Verhältnisbestimmung von Christen und Juden anhand ausgewählter Beispiele 2.1.1. Die Wurzeln des christlichen Antijudaismus im Matthäusevangelium? 2.1.1.1. Mt über die Zukunft Israels 2.1.1.2 Der Blutruf in Mt 27,25 2.1.2. Die Juden als „Kinder des Teufels“ im Johannesevangelium? 2.1.3. Die bleibende Erwählung Israels bei Paulus 2.2. Zwischenfazit: Die Verhältnisbestimmung von Juden und Christen im NT vor ihrem zeit- und religionsgeschichtlichen Hintergrund 3. Die Entwicklung der christlichen Judenfeindschaft bis zum Antisemitismus des 20. Jahrhunderts 4. Der Weg der Umkehr und Neuorientierung der christlichen Kirche nach 1945 4.1. Die Neugestaltung der christlich-jüdischen Beziehung von Seiten der katholischen Kirche 4.1.1. Die Intention des Zweiten Vatikanums 4.1.2. Die Erklärung Nostra aetate 4.1.2.1. Zum Inhalt der Erklärung Nostra aetate 4.1.3. Die Bedeutung und persönliche Bewertung von Nostra aetate für den christlich-jüdischen Dialog
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4.2. Die Neugestaltung der christlich-jüdischen Beziehung von Seiten der evangelischen Kirche 4.2.1. Die „AG Juden und Christen“ als Wegbereiter für einen christlich-jüdischen Dialog auf evangelischer Seite 4.2.2. Die Breitenwirkung der „AG Juden und Christen“ 4.2.3. Die Bedeutung und persönliche Bewertung der Neuansätze innerhalb der evangelischen Kirche nach 1945 4.3. Die Maßnahmen zur Neugestaltung der christlich-jüdischen Beziehung und ihr Potenzial im Vergleich
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5. Gegenwärtige Entwicklung des christlich-jüdischen Dialogs 95 5.1. Basis und Voraussetzung für einen interreligiösen Dialog 96 5.2. Bleibende Herausforderungen und Desiderata im christlichjüdischen Dialog 104 6. Fazit und Ausblick: Über die friedensstiftende Dimension des christlich-jüdischen Dialogs in der Perspektive hin zu einem interreligiösen Dialog
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Abkürzungsverzeichnis
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7. Literaturverzeichnis 7.1. Primärquellen 7.1.1. Antike lateinische und griechische Texte 7.1.2. Bibelausgaben 7.1.3. Kirchliche Dokumente und Verlautbarungen 7.1.4. Zum Thema Schule 7.2. Hilfsmittel 7.3. Lexikonartikel 7.4. Sekundärliteratur 7.5. Internetquellen
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1. Einleitung Im Laufe meines Bachelor- sowie meines Masterstudienganges hat mich die Frage nach der christlichen Judenfeindschaft bzw. den Vorurteilen gegenüber den Juden generell schon immer interessiert, in der Auffassung, dass diese Thematik vielmehr der Vergangenheit angehört als dass sie in unserer heutigen Gesellschaft noch salonfähig wäre, da ich in einer Zeit aufgewachsen bin, in der man einen deutlichen Prozess der zumeist positiven Veränderung in der Beziehung zwischen Christen und Juden in Erinnerung an die Judenverfolgung und systematischen –ermordung zur NS-Zeit wahrnehmen kann. Als aber nach einer Unterrichtsstunde einmal ein Schüler zu mir kam und mich fragte, ob der Gott im AT immer so strafend und rachsüchtig sei, weil die Juden ja auch Jesus getötet hätten, wurde mir schlagartig klar, dass das Thema des christlichen Antijudaismus und der sich mit diesem entwickelnden Vorurteile und Stereotypen gegenüber dem Judentum aktueller zu sein scheint, als mir bewusst war. Kurz darauf, zu Beginn diesen Jahres, häuften sich in den Medien zudem Berichte, nach denen jüdische Schüler in Deutschland Opfer von antisemitischen Beleidigungen und körperlichen Angriffen geworden seien.1 Aus den USA wurde außerdem über Schändungen von jüdischen Friedhöfen berichtet.2 Obgleich also zum einen eine deutliche „Wende-Zeit“3 und veränderte Haltung der Christen gegenüber den Juden festzustellen ist, lässt sich anhand der oben dargestellten Vorfälle schlussfolgern, dass zum anderen der Antisemitismus sowie eine negative Haltung gegenüber Juden wieder aufzukeimen bzw. noch lange nicht überwunden zu sein scheinen. Aber woher stammen diese negative, gar 1
Vgl. Soltau, „Zeige niemals, dass du Jude bist“, URL: http://www.tagesspiegel.de/berlin/antisemitismus-in-berlin-zeige-niemals-dass-dujude-bist/19614474.html, Stand: 05.04.2017. 2 Innerhalb einer Woche wurden in Missouri und Philadelphia im Februar diesen Jahres zwei jüdische Friedhöfe geschändet. Vgl. Zeit online (Hg.), Trump verurteilt Vandalismus, URL: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-02/philadelphia-mount-carmelfriedhof-juden-schaendung-grabsteine, Stand: 27.02.2017. 3 Kortzfleisch/ Grünberg/ Schramm, Wende-Zeit, 11.
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feindliche Haltung gegenüber den Juden und die noch heute bekannten antijüdischen Vorurteile über die Juden beispielsweise als Christusmörder eigentlich? Wie konnte der Völkermord im Dritten Reich überhaupt möglich sein und welche Folgen hat die Schoa für die christliche Theologie? Wie reagierten die beiden großen christlichen Kirchen auf die Schoa? Kann der christlich-jüdische Dialog dazu beitragen, diese Vorurteile gegenüber dem Judentum zu bekämpfen, sodass wir in unserer modernen Gesellschaft, in der religiöser Pluralismus selbstverständlich und alltäglich erfahrbar ist, friedlich miteinander leben können, indem wir Unwissenheit und Berührungsängste gegenüber unseren „älteren Brüdern“4 gemeinsam und dialogisch miteinander abbauen? Diesen Leitfragen folgend soll in dieser Untersuchung zum einen den Ursachen für die Judenfeindschaft nachgegangen und vor dem historischen Hintergrund der systematischen Judenverfolgung im Dritten Reich und der beinahe 2000 Jahre von „Vergegnung“ geprägten Beziehung zwischen Juden und Christen der Prozess der Neugestaltung der christlich-jüdischen Beziehung und dessen historische Bedeutsamkeit aufgezeigt werden, um die bisherigen Erfolge und Verdienste hervorzuheben und diese neue Beziehung der Christen zum Judentum, wie wir sie heute energisch verfolgen und leben, nachhaltig zu stärken. Exemplarisch für diese Neugestaltung möchte ich jene Maßnahmen von Seiten der christlichen Kirche nach 1945 vorstellen, die maßgeblich zum Umdenken und zur Neuorientierung gegenüber den Juden beigetragen und den Weg für eine neue Etappe der christlich-jüdischen Beziehung geebnet haben. Mit Bezug auf die oben skizzierten Vorfälle soll diese Untersuchung aber auch dafür sensibilisieren, dass der Prozess der Aufarbeitung der von Feindschaft und Gewalt geprägten Geschichte von Juden und Christen noch lange nicht abgeschlossen ist. Auf Grundlage meiner Erkenntnisse werde ich den christlich-jüdischen Dialog abschließend auf etwaige For4
Die Rede von den Juden als „unsere älteren Brüder“ hat Papst Johannes Paul II. in seiner Ansprache beim Besuch der Großen Synagoge in Rom geprägt. Vgl. zum Text Rendtorff/ Henrix, Die Kirchen und das Judentum Bd. I, 109.
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schungslücken und noch wünschenswerten oder gar notwendigen Handlungsbedarf untersuchen und angesichts der oben angeführten Beispiele für den wieder aufkeimenden Antisemitismus in Deutschland und auf der Welt daraufhin überprüfen, inwieweit ihm eine friedensstiftende Bedeutung zugemessen werden kann.
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2. Der Entstehungsprozess des Christentums vor dem zeit- und religionsgeschichtlichen Hintergrund der Lebenszeit Jesu Die unheilvolle Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Europa und auf der ganzen Welt ist heutzutage, vor allem nach der Schoa, jedem ein Begriff. Doch wie konnte es überhaupt zu diesem Völkermord kommen? Wo genau liegen die Ursachen für diese auch religiös motivierte Judenfeindschaft, dem christlichen Antijudaismus? Um diesen Fragen nachzugehen und besonders nach den Ursachen für die beinahe 2000 Jahre tradierte Judenfeindschaft zu forschen, soll zu Beginn dieser Arbeit der Blick zunächst auf die ältesten uns überlieferten Schriften gelegt werden, die das Verhältnis zwischen Juden und Christen beschreiben, das NT. Dazu soll zunächst der zeit- und religionsgeschichtliche Hintergrund der Entstehungszeit der ntl Schriften und der in den einzelnen Schriften erzählten Zeit, also das Leben und Wirken Jesu, im Fokus stehen. Da die Entstehungszeit und die erzählte Zeit z. B. der Evangelien nicht übereinstimmen und die ntl Schriften nie frei von subjektiven Färbungen des jeweiligen Autors sind und daher sehr stark situativ und innerhalb der Situation ihres historischen Entstehungskontextes zu bewerten sind, soll der Blick auf den religiösen und politischen Kontext zur realhistorischen Lebenszeit Jesu bis hin zur Verschriftlichung jener Schriften, die von seinem Leben erzählen, den Evangelien, gelegt werden. Daher werde ich weit in die Vergangenheit, nämlich in die Entstehungszeit des Christentums zurückgreifen.5 Da sich die Entstehung des Christentums mit Blick auf die Literatur jedoch sehr komplex gestaltete, kann es an dieser Stelle nicht mein Anliegen sein, den gesamten historischen Entstehungsprozess des Christentums mit all seinen Ursachen aufzuzei-
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Dass literarische Texte keine objektiven Aussagen der Autoren widerspiegeln, hat Frankemölle hervorgehoben. Er betont, dass die Autoren des NT eine ganz bestimmte Intention bzw. ein Ziel verfolgen, dass sie an ganz bestimmte Adressaten richten, mit dem Zweck, diese von ihrer „Sicht der Dinge [zu] überzeugen“, Frankemölle, Frühjudentum, 38. Die Texte müssen folglich als „Texte-in-der-Situation“ zu verstehen sein, Ebd.
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gen.6 Vielmehr können im Folgenden nur einige zentrale Aspekte des Trennungsprozesses aufgeführt werden. Dass es sich bei der Entstehung des Christentums um einen langwierigen und konfliktreichen Prozess handelt, der nicht an einem einzigen Ereignis festgemacht werden kann, darin stimmen alle modernen Exegeten überein. Wann genau das Christentum als die uns heute bekannte, eigenständige Religion entstanden ist, lässt sich nicht genau datieren. Sicher bezeugt ist aber, dass es zur Entstehungszeit der ntl Schriften, der christlichen Glaubensgrundlage, noch nicht das Christentum oder die Christen gab, was vor allem dadurch gestützt wird, dass in den ntl Schriften selbst der uns so geläufige Terminus Christen an nur drei Stellen im ganzen NT überliefert ist. In zwei Erwähnungen der Apg, die die älteste Überlieferung des Begriffs Christen darstellen, wird das Adjektiv Χριστιανός als nähere Bestimmung für die μαθηταί Jesu erwähnt und ein letztes Mal im 1. Petrusbrief.7 Jedoch dient dieses Adjektiv immerzu als Fremdbezeichnung, sie wird den Schülern und Anhängern Jesu von außen auferlegt.8 Auch in außerchristlichen Quellen des ersten nachchristlichen Jahrhunderts lässt sich erkennen, dass dieser Terminus keine Erwähnung findet, woraus ich schließe, dass die Unterscheidung bzw. Trennung von Juden und Christen noch nicht vollzogen wurde.9 Die älteste Überlieferung für den Begriff Christen als eigenständige Bezeichnung einer 6
Eine sehr ausführliche und wissenschaftlich fundierte Beschreibung, wie und warum das Christentum entstanden ist und in welchem Verhältnis es seit seinem Entstehungsprozess zum Judentum steht, bietet Frankemölle, Frühjudentum. 7 Vgl. Apg 11,26; 26,28. 1 Petr 4,16. Vgl. Hengel/ Schwemer, Jesus, 27. 8 Vgl. ebd.; Ähnlich auch Wengst, Wann begann das Christentum, 11. 9 Dass Juden und Christen im 1. Jh. n.Chr. noch nicht voneinander unterschieden wurden, wird am deutlichsten in der Claudius-Vita des römischen Geschichtsschreibers Sueton (um 70 n.Chr.- zw. 130-150 n.) als früheste Erwähnung einer christlichen Präsenz, in der er die Vertreibung der Iudaei aus Rom erwähnt, weil sie von einem Chrestus aufgehetzt worden seien und für Unruhe sorgten. Dabei muss betont werden, dass die Kaiserviten Suetons erst in der Wende zum 2. Jh.n.Chr. entstanden sind, aber er hier im Gegensatz zu der später folgenden Nero-Vita ausdrücklich Iudaei schreibt. Vgl. SUET. Claud. 25,4; Ähnlich auch Wengst, Wann begann das Christentum, 14. Frankemölle übersetzt Iudaeos an dieser Stelle jedoch schon mit Judenchristen. Vgl. Frankemölle, Frühjudentum, 265.
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Gruppe sowie die zeitgleiche Einführung des Gegensatzpaares von Juden und Christen erscheint um ca. 114 n. Chr. bei Ignatius von Antiochia.10 Auch in anderen römischen Quellen, denen die Charakterisierung der Christusgläubigen als superstitio11 gemeinsam ist, taucht der Begriff Christiani ungefähr zur gleichen Zeit auf, wobei jedoch darauf hingewiesen werden muss, dass durch die historiographischen Zeugnisse von Sueton und Tacitus bekannt ist, dass die Christiani bereits unter Kaiser Nero als eigenständige religiöse Gruppe wahrgenommen wurden, aber auch diese Bezeichnung als Fremd- und nicht als Eigenbezeichnung zu bewerten ist.12 Daher wird die endgültige Trennung von Juden und Christen zumeist zu Beginn des 2. Jh. n. Chr. angesetzt, was es im Folgenden noch genauer zu untersuchen gilt. Unsere heutige Assoziation, wenn es um Juden und/ oder Christen geht, ist also eine gänzlich andere und kann auf das erste nachchristliche Jahrhundert und die ntl Schriften in unserem heutigen Verständnis nicht angewandt werden. Um es in dem zeit- und religionsgeschichtlichen Rahmen der erzählten Zeit der Evangelien korrekter auszudrücken, werde ich im weiteren Verlauf, dem Konsens der modernen Exegeten folgend, von christusgläubigen Juden
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Vgl. Hengel/ Schwemer, Jesus, 27. Wenn man anhand dieses Zeugnisses jedoch den Beginn des Christentums festmacht, dann hätte das Christentum nach Wengst einen „Geburtsfehler – nämlich den, antijüdisch zu sein“. Vgl. Wengst, Wann begann das Christentum, 14f. 11 Superstitio meint Aberglaube, Wahnglaube und auch die religiöse Schwärmerei, vgl. Georges 4612 s. v. superstitio. Ähnlich auch Hengel/ Schwemer, Jesus, 27f. 12 Vgl. ebd.; Sowohl bei Plinius minor als auch bei Tacitus taucht der Terminus Christiani auf . Vgl. PLIN. epist. 10,96; TAC. ann 15,44. Anders als oben bereits herausgestellt verwendet Sueton nun in seiner Nero-Vita auch den Terminus Christiani, Vgl. SUET. Nero 16,2. Während die beiden Historiographen Sueton und Tacitus diesen Begriff im Zusammenhang mit der Christenverfolgung durch Kaiser Nero verwenden, die in das Jahr 64 n.Ch. datiert wird, als der Kaiser den Christiani die Schuld für den großen Brand in Rom zuschieben wollte, so steht dieser Begriff bei Plinius in den berühmten Briefen an Kaiser Trajan in dem Zusammenhang, wie mit den Christani in Bithynien umzugehen sei. Ähnlich auch a.a.O., 206-209.
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und Nichtjuden einerseits und nicht-christusgläubigen Juden andererseits sprechen.13 Historisch sehr gut bezeugt ist zudem, dass es im 1. Jh. n. Chr. auch kein einheitliches Judentum gegeben hat, sondern vielmehr eine Vielfalt von jüdischen Gruppierungen bzw. Parteien.14 Jesu Lebenszeit fällt dabei genau in eine Epoche, die durch innerjüdische Konflikte und Erneuerungsbewegungen sowie durch Widerstände gegen die römische Besatzungsmacht geprägt wurde.15 In der Zeit vor der Tempelzerstörung (70 n. Chr.) wurde das Bild des palästinensischen Judentums vor allem von drei Gruppierungen, die sich innerhalb des ersten Neuformierungsprozesses im 2. Jh. v. Chr. als „Repräsentanten der Priesterklasse“16 herausgebildet hatten, maßgeblich bestimmt: die Sadduzäer, die Essener und die Pharisäer.17 Abgesehen von ein paar religiösen Grundüberzeugun13
Vgl. Frankemölle, Frühjudentum, 79; Gerber, Tragödie, 87f.; Wengst, Wann begann das Christentum, 14f.; Koch, Geschichte des Urchristentums, 237. 14 Vgl. Dexinger, Art. Judentum, TRE 17, 341f. 15 Nach der Eroberung Jerusalems durch Pompeius 63 v. Chr. unterstand auch Palästina dem Imperium Romanum. Das Hohepriestertum, das zuvor die religiöse und politische Führung inne hatte, verlor unter römischer Vorherrschaft immer mehr an Einfluss, politischer Eigenständigkeit und Unabhängigkeit, da das Amt des Hohepriesters nun nach dem Willen des römischen Kaisers besetzt wurde, um die Anhängerschaft der Juden in der Diaspora langfristig sichern zu können. Nach dem repräsentativen Klientelprinzip wurden Statthalter durch die Kaiser eingesetzt, die ganz im Sinne Roms handelten und die Provinz verwalteten. Zur Zeit Jesu war der aus den Evangelien bekannte Pontius Pilatus der fünfte römische Statthalter der Provinz Judäa und Samaria. Vgl. Stegemann, Jesus, 380ff. Die Herrschaft der Römer bedeutete für die Provinz große Armut aufgrund von hohen Steuerabgaben an Rom und den Tempel, Versklavung, Gewalt, Epidemien und vieles mehr. Vgl. Herweg, Jesus, 19-22. Für eine sehr gute Darstellung der Verhältnisse in Jerusalem unter der römischen Oberherrschaft vgl. Koch, Geschichte des Urchristentums, v.a. 89-108. Koch arbeitet sehr ausführlich die Geschichte dieser für das Christentum so grundlegenden Epoche heraus. 16 Luz, Exegetische Studien, 292. Abgesehen von diesen drei „traditionellen“ Religionsparteien gab es auch noch die Zeloten, die Samaritaner und womöglich noch andere kleinere jüdische Gruppierungen. Vgl. ebd. 17 Zu den gemeinsamen Grundüberzeugungen zählen vor allem der Monotheismus und Israels Bund mit Gott. Theißen/ Merz heben auch die heiligen Schriften und Traditionen hervor, zu denen der Tempel in Jerusalem wie die Synagogen und die Gottesdienste gehörten. Als markante Unterschiede sind festzustellen, dass die Sadduzäer zumeist das Amt des Hohepriesters innehatten und die Mehrheit der
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gen bildeten diese Gruppierungen je eigene religiöse und rituelle Nuancen aus und behaupteten je von sich selbst, das wahre Israel zu sein. Die Jesusbewegung, die in ihrer Lebensweise und rituellen Tradition eine besondere Nähe zu den Pharisäern aufwies, stellte dabei nur eine Gruppierung innerhalb der Vielfalt des Frühjudentums dar.18 So wie Jesus selbst Zeit seines Lebens Jude gewesen ist, verstanden auch seine Anhänger sich zunächst als Juden. Auch in seiner Lebensweise und Lehre ist Jesus ganz Jude, denn er geht in die Synagoge, lebt und lehrt nach den Gesetzen der Tora.19 Dennoch kam es des Öfteren zu Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen jüdischen Gruppierungen, da jede von sich behauptete, das wahre Israel zu repräsentieren und die legitime und einzig wahre Gesetzesauslegung zu vertreten. In Bezug auf die SchriftMitglieder im Synhedrium, die höchste Instanz des damaligen Judentums, stellten, die als höchste Führer und Repräsentanten insbesondere der traditionellen Riten, aber auch auf politischer Ebene für das jüdische Volk anzusehen sind. Sie sind von hohepriesterlichem, levitischem Geschlecht. Vgl. Theißen/ Merz, Der historische Jesus, 126ff.; Bauer/ Aland, 225f.; 1480. Die Essener, die in den Evangelien an keiner Stelle erwähnt werden, leben in strenger Askese und in einem sich deutlich nach außen abgrenzenden Gruppenverband. Rituelle Reinheit ist ihnen besonders wichtig. Vgl. Hengel/ Schwemer, Jesus, 123; 125. Die Pharisäer zeichnet ihre Treue, exakte Einhaltung des Gesetzes und ihre Berufung auf die Überlieferung der Väter aus. Außerdem glauben sie an die Auferstehung der Toten. Vgl. Theißen/ Merz a.a.O., 132136. 18 Die Nähe von Jesus zu den Pharisäern lässt sich vor allem an dem gemeinsamen Glauben an die Auferstehung der Toten sowie an dem Anspruch einer genauen und exakten Auslegung der Tora erkennen. Es ist keine grundlegende theologische Differenz zwischen ihnen zu erkennen, auch wenn es im NT an einigen Stellen suggeriert wird. Vgl. ebd. 19 Vgl. hierzu z. B. die Bergpredigt in Mt 5,1-48. Anders als häufig zu lesen, geht es Jesus nicht darum, die im AT überlieferten Gebote aufzuheben, obgleich besonders der antithetische Charakter in Mt 5,21-48 eine solche Interpretation nahelegt. Diese stilistische Besonderheit dient m. E. vielmehr der Hervorhebung der jesuanischen Auslegung der Gebote, welche Jesus spezifiziert und vertieft. Die Gültigkeit, die doch gerade darin unterstrichen wird, dass Gebote des AT überhaupt von Jesus zitiert werden, wird an keiner Stelle im NT angezweifelt, was Jesus selbst hervorhebt (vgl. Mt 5,17), sondern es geht um eine Vertiefung und Radikalisierung dieser Gebote durch Jesus als vollmächtigen Ausleger. Vgl. auch die Perikope vom reichen Jüngling in Mt 19,16-26; Mk 10,17-27; Lk 18,18-27. Vgl. zur jüdischen Lehre Jesu und zur ganzen jüdisch geprägten Christologie Flusser, Das Schisma, 216; 239.
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auslegung und die Bedeutung Jesu als Messias eckten die christusgläubigen Juden und Nichtjuden an.20 Auch die zunehmende universale Öffnung der Christusgläubigen, die nach dem so genannten Apostelkonzil um 49 n. Chr. beschlossen worden war, dürfte den anderen jüdischen Gruppierungen ein Dorn im Auge gewesen sein, da die Heiden in die sich noch innerjüdisch verstehende Gruppierung der Christusgläubigen mit aufgenommen wurden, ohne dass sie jedoch gleichzeitig auch ins Judentum eintreten und nach jüdischer Lebensweise und Tradition leben mussten.21 Gerber hebt jedoch hervor, dass diese Streitgespräche, die von unserer heutigen Sicht auf die Dinge als Anfang der Trennung wahrgenommen werden, nicht zwangsläufig zur Abgrenzung und Trennung führen mussten, da es in den einzelnen jüdischen Gruppierungen öfters Messiasansprüche gab und auch die Auslegung des Gesetzes immer schon Konfliktpotenzial barg.22 Denn es muss betont werden, dass zu dieser Zeit innerjüdische Konflikte keine Ausnahme darstellten oder sich lediglich auf jene zwischen Jesus und den jüdischen Autoritäten begrenzen ließen, da auch die Pharisäer und Sadduzäer seit jeher Konflikte ausgetragen haben, die sogar in blutigen Bürgerkriegen endeten.23 Als entscheidende Instanz für die beginnende Entfremdung der Christusgläubigen von den jüdischen Gruppierungen sowie der Verbreitung des Christusglaubens im griechisch-sprachigen Kleinasien und im Mittelmeerraum gilt Paulus, der in seinen Briefen die Christologie und Theologie maßgeblich geprägt und entfaltet hat und entscheidend für die
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Vgl. Theißen/ Merz, Der historische Jesus, 132-136. Vgl. auch Hengel/ Schwemer, Jesus, 124-130. 21 Vgl. Koch, Geschichte des Urchristentums, 236-245. Das Apostelkonzil ist uns im NT an zwei Stellen überliefert: Apg 15,1-35 und Gal 2,1-10. Gegenstand dieses Konzils war die Taufe und somit die Aufnahme von unbeschnittenen Heiden in die christusgläubige Gemeinschaft. Der antiochenische Zwischenfall, der uns in Gal 2,1121 überliefert ist, bezeugt die Spannungen im Zusammenleben von christusgläubigen Juden und Nichtjuden, die das Apostelkonzil nicht geklärt hatte. 22 Vgl. Gerber, Tragödie, 92ff. 23 Vgl. Frankemölle, Frühjudentum, 107f.
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universale Öffnung bis nach Rom eingetreten ist.24 Die Tempelzerstörung im ersten jüdischen Krieg 70 n. Chr. stellte jedoch eine entscheidende Zäsur im Entstehungsprozess des Christentums dar. Mit der Tempelzerstörung ging die kultische Destruktion einher, denn keine der traditionellen Religionsparteien bestand mehr in ihrem ursprünglichen Sinne weiter fort und die einzelnen jüdischen Gruppierungen sahen sich erneut mit einem grundlegenden Erneuerungs- und Neuformierungsprozess konfrontiert.25 In diesem Prozess der Neuorientierung etablierten sich die Pharisäer als führende und einflussreichste Gruppe des Judentums, als „the only legitimate heirs to pre-70 Judaism, to be, in fact „the Jews“.26 Sie wollten die jüdische Tradition und Lebensgestaltung vereinheitlichen und nach außen sowie innen klar abgrenzen. Diese Abgrenzung gilt als erster Versuch, andere jüdische Gruppierungen, unter ihnen wohl auch die christusgläubigen Juden, aus der Synagogengemeinschaft auszuschließen, um die eigene Identität nachhaltig zu stärken und zu sichern, was jedoch nach Gerber als längerer Prozess verstanden
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Vgl. Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, 86. Zur Missionsreise und zum Wirken Paulus´ vgl. Koch, Geschichte des Urchristentums, 247-320. Frankemölle hebt dabei den für die Verbreitung der Christusgläubigen sowie für den Trennungsprozess wichtigsten Faktor der Sprache hervor. Dem aramäisch geprägten und antihellenistisch ausgerichteten Judentum steht das griechisch-hellenistische Christentum, das sich vor allem im Imperium Romanum verbreitete, entgegen. Vgl. Frankemölle, Frühjudentum, 128ff. 25 Der Jerusalemer Tempel war das kultische Zentrum des Judentums und wurde im Zuge der römisch-jüdischen Kriege im Jahr 70 n.Chr. unter dem späteren römischen Kaiser Titus als militärischem Oberbefehlshaber völlig zerstört. Die Sadduzäer, die seit jeher eng an den Tempel gebunden waren, verloren ihre „materielle und geistige Grundlage“, Theißen/ Merz, Der historische Jesus, 137. Die Essener sind wohl mit der Tempelzerstörung untergegangen und die Pharisäer entwickelten sich dann zu den führenden Autoritäten des Judentums, da sie ihre Identität auch unabhängig vom Tempel neu definieren konnten. Vgl. Frankemölle, Frühjudentum, 107f. 26 Dunn, The Question of Anti-semitism in the New Testament, 200. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass trotz dieses Versuches der Vereinheitlichung des Judentums auch heute wieder eine innerjüdische Vielfalt herrscht, gleichwie es auch im Christentum der Fall ist.
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werden muss.27 Die Wege trennten sich langsam und auch die Anhänger Jesu rangen um eine neue Identität, die sich allmählich in Abgrenzung zu den nicht-christusgläubigen Juden definierte. Der Glaube an Jesus und seine Lehre sowie deren Verbreitung wurden zum exklusiven und trennenden Merkmal der Neukonstituierung und legten den Grundstein für die endgültige Abgrenzung und Entfremdung vom Judentum, das sich immer stärker an der exakten Einhaltung der Halacha orientierte. Die einzigartige Bedeutung Jesu sowie die mit ihm verbundenen Titel wie „Sohn Gottes“ in der Entfaltung der Christologie schienen sich endgültig gegen den monotheistischen, jüdischen Glauben zu richten.28 Dass die Gemeinschaft von Christusgläubigen ihre Identität in klarer Differenz und „Antithese zum Judentum“29 entwickelte, führte dazu, dass die Perspektive sich änderte und die Juden immer mehr als Fremde wahrgenommen wurden.30 Innerhalb dieser Epoche der Reform und Entfrem27
Vgl. Rendtorff, Arbeitsbuch, 165. Ein Hinweis für diese Abstoßung ist die Einfügung des „Ketzersegens“ in das jüdische Achtzehn-Bitten-Gebet, nach dem die Nozrim und Minim verwünscht wurden. Ob sich dieser Ketzersegen unmittelbar an Judenchristen richtete, ist historisch nicht klar bezeugt. Nach rabbinischer Überlieferung wurde diese Einfügung in den 90er Jahren des 1. Jh.n.Chr. vorgenommen. Vgl. EKD, Christen und Juden I-III, 88. Es muss jedoch betont werden, dass christusgläubige Juden noch bis zum Ende des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts an Gottesdiensten in der Synagoge teilnahmen. Dass die neue pharisäische Bewegung nicht binnen weniger Tage eine deutliche Abgrenzung und somit den Ausschluss bsp. der christusgläubigen Juden vollbringen konnte, darauf weist Gerber ausdrücklich hin. Vgl. Gerber, Tragödie, 108. Schreckenberg hebt zudem hervor, dass diese Verwünschung keinesfalls die Intention einer Trennung von rabbinischem Judentum und Christusgläubigen hatte, da es sich immer noch um einen innerjüdischen Vorgang handelte und sich auch gegen andere jüdische Gruppierungen richtete. Vgl. Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, 157f. 28 Vgl. EKD, Christen und Juden I-III, 32. 29 Wengst, Wann begann das Christentum, 14. 30 Vgl. Rendtorff, Arbeitsbuch, 171f. Dass die christlichen Riten sich in Antithese zu den jüdischen entwickelt haben, wird aus der ältesten erhaltenen Kirchenordnung, der Didache, deutlich, die ins erste Drittel des 2. Jh.n.Chr. datiert wird. Hier sei z.B. auf die Fasten- und Gebetspraxis oder den Sonntag als Feiertag hingewiesen. Vgl. Did 8,1ff; 14ff. Vgl. auch Bull, Bibelkunde, 134f. Die Verwendung von Kontrastbegriffen zur Beschreibung der eigenen Identität, die immer als schillerndes und positives Gegenbeispiel zum Objekt beschrieben wird, ist keinesfalls selten, sondern wird in der
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dung entstanden die Evangelien, in denen das Leben und die Lehre Jesu in literarischer Form erzählt werden.31 Da es jedoch, wie oben anhand der Begriffserklärung bereits herausgestellt, das Christentum als eigenständige Religion auch zu dieser Zeit noch nicht gegeben hat, wird in der modernen Forschung auch mehrheitlich die These vertreten, dass es sich vor diesem zeitgeschichtlichen Hintergrund bei den teils heftig geführten Streitgesprächen, von denen die Evangelien erzählen, um innerjüdische Auseinandersetzungen handelt und nicht um Konflikte zwischen Juden und Christen, dem ich mit Bezug auf meine obige Darstellung zustimmen möchte.32 Dass die Evangelien diese Streitgespräche im Verhältnis von christusgläubigen Juden und Nichtjuden und nicht-christusgläubigen Juden zum Teil in sehr zugespitzter Form erzählen, liegt wohl daran, dass sie stark von ihrer eigenen historischen Situation im Kontext der Neuformierungsprozesse des Judentums nach 70 n. Chr. abhängig sind, diese in ihren Schriften verarbeiten und die Katastrophe reflektieren.33 Sie müssen als „Texte-in Funktion“ und als „Texte-in-Situation“ verstanden werden.34 Die Entfremdung, die sich schon zu Beginn der Jesusbewegung durch die divergierende Schriftauslegung und die Öffnung für Nichtjuden angedeutet hat, aber dennoch nicht zur Trennung führen musste, verstärkte sich in der Zeit nach 70 n. Chr. entscheidend. Aus diesem Unterscheidungsprozess wurde so nach und nach ein Trennungsprozess, der, dem Konsens der Forschung folgend, wohl Mitte des 2. Jh. n. Chr. abgeantiken Geschichtsschreibung sehr häufig verwendet. Das bekannteste Beispiel dafür ist das Kontrastpaar von Römer-Barbaren, mit denen je ganz bestimmte Eigenschaften und Vorurteile verbunden werden. Vgl. Frankemölle, Jüdische Wurzeln, 325f. 31 Der Entstehungszeitraum der Evangelien reicht von 70 bis 110 n.Chr. 32 Vgl. Frankemölle, Frühjudentum, 35f.; Gerber, Tragödie, 60; 101; Hengel/ Schwemer, Jesus, 28; Henze, Zur Bedeutung und Aktualität des christlichen Antijudaismus, 15. 33 Vgl. Frankemölle, Frühjudentum, 38f. Hierbei muss jedoch auf die frühen PaulusBriefe hingewiesen werden, die schon vor 70 n.Chr. entstanden sind, aber nach Frankemölle sehr stark „adressatenorientiert und situationsbedingt“ zu lesen sind, s. a.a.O., 280. 34 Ebd.
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schlossen war.35 Dexinger glaubt, mit Bezug auf den Bar-KochbaAufstand gegen den römischen Kaiser Hadrian im Jahr 135 n. Chr., an dem sich die christusgläubigen Juden und Nichtjuden nicht beteiligt hatten und ihnen daher Kollaboration mit den Römern vorgeworfen wurde, das „eindeutige Zeichen für eine bereits erfolgte Trennung“36 erkennen zu können, was auch von anderen Exegeten so vertreten wird.37 Der Trennungsprozess, an dessen Ende dann Christentum und Judentum als je eigenständige Religionen standen, wird daher in die Zeitspanne von der Tempelzerstörung bis hin zu dem Bar-Kochba-Aufstand und einige Jahre später datiert.38 Um das Missverständnis zu vermeiden, dass mit der Entstehung des Christentums das Judentum als Religion unterging und die Christusgläubigen anstelle der Juden das neue Gottesvolk waren, möchte ich mit Nachdruck auf die in der englischsprachigen Literatur verbreitete Metapher „parting of the ways“ zurückgreifen, welche m. E. impliziert, dass es mindestens zwei Wege gab, die sich getrennt haben und ihren je eigenen Weg weitergingen, wodurch der Blick auch auf das lebendige Judentum ausgeweitet wird.39 Abschließend soll noch einmal plakativ zusammengefasst werden, dass es sich bei der Entstehung des Christentums um einen langwierigen und komplexen Prozess handelte und seine Anfänge nicht genau datierbar sind. Die Anfänge des Christentums lassen sich in der Vielfalt von jüdischen Gruppierungen konstatieren. Es wurde betont, dass weder zur Ent35
Vgl. Frankemölle, Frühjudentum, 31f.; Gerber, Tragödie, 97; 105; Henze, Zur Bedeutung und Aktualität des christlichen Antijudaismus, 15; Schottroff, Zur historischen Einordnung, 22ff.; Wengst, Wann begann das Christentum, 14f. 36 Dexinger, Art. Judentum, TRE 17, 344. 37 Zum Hintergrund des Bar-Kochba-Aufstandes, der sich gegen die Restitutionen im hellenistisch-römischen Stil durch Kaiser Hadrian richtete, vgl. Koch, Geschichte des Urchristentums, 111ff. Nach dem Sieg der Römer wurde Jerusalem römische Kolonie mit dem Namen Colonia Aelia Capitolina, die Juden nun nicht mehr betreten durften. Vgl. a.a.O. 113; 379. 38 Vgl. ebd. Vgl. auch Frankemölle, Frühjudentum, 31f.; Gerber, Tragödie, 105; Schottroff, Zur historischen Einordnung, 22f. 39 Vgl. den Sammelband Dunn (Hg.), Jews and Christians. The Parting of the ways A.D. 70 to 135 (WUNT 66), Tübingen 1992.
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stehungszeit der ntl Schriften noch zu ihrer erzählten Zeit, z. B. das Leben und Wirken Jesu in den Evangelien, das Christentum, wie es für uns heute ein selbstverständlicher Begriff ist, existierte, sondern bis ins 2. Jh. n. Chr. als eine von vielen Gruppierungen innerhalb des Judentums wahrgenommen wurde und die Begriffe Christentum und Judentum für diese Zeit als anachronistisch zu bewerten sind.40 Die endgültige Trennung der Christusgläubigen vom Judentum erfolgte erst im Laufe des 2. Jh. n. Chr., in dem die eigene Identität in deutlicher Abgrenzung zum Judentum definiert wurde und umgekehrt. Diese Erkenntnisse sollen im folgenden Kapitel besondere Berücksichtigung finden, in dem die ntl Schriften, die von einer Verhältnisbestimmung von Juden und Christen erzählen, exegetisch analysiert werden sollen. Für den weiteren Verlauf dieser Arbeit soll zudem darauf hingewiesen werden, dass angesichts der Vielfalt innerhalb der einzelnen Religionen, die auch heute noch herrscht, auch gegenwärtig nicht von dem Christentum und dem Judentum gesprochen werden kann. Um der Vereinfachung für die Leser wegen wird im Weiteren die Sprache von den einzelnen Religionen nicht explizit differenziert, sondern in der Rede von dem Christentum und dem Judentum soll implizit die Auffassung mitschwingen, dass es sich nicht um einheitliche Religionen handelt, sondern diese nach wie vor durch innerreligiöse Vielfalt gekennzeichnet sind. 2.1. Neutestamentlicher Befund zur Verhältnisbestimmung von Christen und Juden anhand ausgewählter Beispiele Da unser christliches Selbstverständnis über Jahrhunderte maßgeblich durch die Auslegung der ntl Schriften durch die Kirchenväter beeinflusst worden ist, werde ich im folgenden Abschnitt jene Bibelstellen, die antijudaistisch, also gegen Angehörige des Judentums aus religiösen Beweggründen in ihrer Gesamtheit ausgelegt worden und über die Jahrhunderte diese Ablehnung sowie Vorurteile gegenüber den Juden tief im 40
Ähnlich auch Gerber, Tragödie, 87.
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Geist der Christen verankerten, selbst mithilfe der Methoden der historisch-kritischen Exegese untersuchen, um jegliche subjektive Färbung von sekundären Kommentatoren oder Übersetzern zu umgehen und sich nicht blindlings auf die Sekundärliteratur verlassen zu müssen.41 Dabei soll der Fokus vor allem auf der Frage danach liegen, ob und in welchem Maß das NT, vor allem vor dem oben dargestellten historischen Hintergrund der Entstehungszeit, als antijudaistisch einzustufen ist und ob die Ursachen für die christliche Judenfeindschaft bereits im NT gefunden werden können.42 Es muss jedoch betont werden, dass keinesfalls alle Stellen, die in nachneutestamentlicher Zeit eine antijudaistische Auslegung erfahren haben, aufgeführt werden können und die Bibelstellen, die zu einer genaueren Analyse hinzugezogen werden, lediglich eine Auswahl aus dem großen Textcorpus darstellen.43 Ich werde mich im Folgenden auf jene Beispiele konzentrieren, die mir mit Blick auf die Literatur am aussagkräftigsten erscheinen, und versuchen, positiv wie negativ ausgelegte Bibelstellen in die exegetische Untersuchung einfließen zu lassen. Dabei soll Mt exemplarisch für die synoptischen Evangelien behandelt werden, da er an zwei markanten Stellen, die ich untersuchen werde, jeweils deutliche Zusätze sowie eine generelle Verschärfungstendenz gegenüber Mk und Lk aufweist.
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Vgl. Lenzen, Zum gegenwärtigen Stand, 235. In der Forschung nach 1945 kam immer wieder die Frage auf, ob die ntl Schriften schon durch klare Judenfeindschaft geprägt sind. Während einige in ihrer Exegese den Schwerpunkt auf historisch-kritische Analysen legen, so kommen andere zu dem Schluss, dass die Wurzeln des Antijudaismus schon in der Schrift selbst zu finden seien. Vgl. Stegemann, Von der Schwierigkeit sich von sich zu unterscheiden, 53-60. Vgl. auch den Sammelband Kampling (Hg.), „Nun steht aber diese Sache im Evangelium…“, in dem die Autoren den Anfängen des christlichen Antijudaismus im NT nachgehen. 43 Vgl. Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte. Lediglich durch einen kurzen Blick auf das Inhaltsverzeichnis dieses Werkes wird deutlich, dass es keine ntl Schrift gab, die nicht eine solche antijüdische Auslegung erfahren hat. 42
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2.1.1. Die Wurzeln des christlichen Antijudaismus im Matthäusevangelium? Die Frage danach, ob das Mt antijüdische Tendenzen aufweist, beschäftigt die moderne Forschung seit 1950. Dabei kam es zu allerhand fast schon konträren Auslegungen, die jedoch in jüngster Zeit im Zuge der Neuorientierung im Verhältnis von Christen gegenüber Juden eher dazu tendieren, die vielen Stellen im Mt, denen eine antijüdische Absicht zugesprochen wurde, zu entlasten. Im Folgenden werde ich dem weit verbreiteten Vorwurf, dass das Mt antijüdische Tendenzen aufweise, selbst exemplarisch an zwei ausgewählten Stellen nachgehen, die bis heute in der Forschung für große Kontroversen gesorgt haben, ohne dass sie jedoch völlig losgelöst vom Kontext der Gesamtkomposition des Mt betrachtet werden können und dürfen: Mt 21,43 und Mt 27,25.44 2.1.1.1. Mt über die Zukunft Israels Das Verständnis des Gleichnisses „Von den bösen Weingärtnern“ wurde und wird bis heute maßgeblich von der These geprägt, dass hier aufgrund der Ablehnung Jesu eine klare heilsgeschichtliche Ablösung und endgültige Verwerfung des Gottesvolks Israel zu erkennen sei, an dessen
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Trilling vertritt die These, dass in Mt 21,43 eine klare Verwerfung und Enterbung des Volkes Israel zugunsten der christlichen Kirche zum Vorschein kommt. Vgl. Trilling, Das wahre Israel. Diese These vertritt in jüngster Zeit auch Luz und meint, dass die Wurzeln des Antijudaismus in der Schrift selbst, nämlich in Mt 21,43f., zu finden seien. Vgl. Luz, Das Evangelium nach Mt, 228. Daher kommt er zu dem Schluss, dass der „Antijudaismus Teil der christlichen Identität“ sei, Luz, Exegetische Aufsätze, 293. Diesen Antijudaismus, wie er überhaupt für das ganze NT zentral sei, versucht er mithilfe von human- und sozialwissenschaftlichen Ansätzen zu erklären. Vgl. a.a.O. 288-299. Frankemölle steht dem entgegen und betont, dass Mt an keiner Stelle eine kollektive Verwerfung des ganzen Volkes Israel impliziert und dass sowieso niemals in der Bibel ein Bund von Gott überhaupt ewig verworfen wird, sondern Mt 21,43f. vielmehr paränetisch als Mahnung zur Umkehr gelesen werden muss. Vgl. Frankemölle, Matthäus, 329; 336.; Konradt geht in seiner Argumentation allen möglichen Ursachen für eine Substitutions- und Enterbungstheologie nach und hebt mit überzeugender Argumentation hervor, dass alle diese Belege auch anders, nämlich nicht antijüdisch, gedacht werden können. Vgl. Konradt, Israel, 187-209.
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Stelle dann die christliche Kirche tritt.45 Da der Vers, an dem die Enterbungs- und Substitutionstheologie festgemacht wird, sich nur bei Mt finden lässt, soll im Folgenden der Fokus der exegetischen Analyse auf dem Mt und insbesondere auf dem Vers 43 liegen.46 Das Gleichnis „Von den bösen Weingärtnern“ steht bei Mt in der Mitte einer Gleichnistrilogie im Kontext von Auseinandersetzungen Jesu mit den jüdischen Autoritäten, deren zentrales Thema das Reich Gottes und die Rolle und Bedeutung Jesu ist.47 Jesus, der als Erzähler des Gleichnisses auftritt, erzählt von den Weingärtnern, die dem Herrn des Weinberges seine Früchte verwehren und dessen Knechte, die er geschickt hatte, um seine Früchte zu holen, misshandelten und töteten. Auch den Sohn, der letztlich geschickt worden war, töteten sie, um das Erbe zu erhalten.48 Anschließend fragt Jesus die ἀρχιερεῖς und Φαρισαῖοι, die am Ende dieser Perikope als Adressaten genannt werden, nach der Deutung des Gleichnisses. An diese Situation schließt der kritische V. 43 an, den es im Folgenden näher zu betrachten gilt. Die Adressaten des Gleichnisses, die ἀρχιερεῖς und Φαρισαῖοι, erkennen, dass Jesu Gleichnis auf sie bezogen war. Wird also die βασιλεία τοῦ θεοῦ auf der reinen Erzählebene von euch, nämlich den angeredeten Personen, genommen werden oder können diese als Repräsentanten für das Volk und somit als pars pro toto gelten, was die viel vertretene kollektive Verwerfung des Gottesvolkes Israel implizieren würde?49 Bei dieser Annahme darf jedoch zum einen nicht außer Acht gelassen werden, dass Mt auch einfach das ganze Volk als Adressat des Gleichnisses hätte nennen können und zum anderen können die angesprochenen jüdischen Autoritäten meiner Meinung nach nicht als Repräsentanten für das ganze Volk angesehen werden, da 45
Vgl. z.B. Luz, Exegetische Aufsätze, 283-287; 296-299. Vgl. auch Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, 119ff. und vgl. die Übersicht zu ihrer antijudaistischen Auslegung a.a.O., 666. 46 Vgl. Mk 12,1-12: Lk 20,9-19, bei denen der Vers 43 von Mt jedoch fehlt. 47 Vgl. Mt 21,15.23.45; Mt 22,15.34.41. 48 Vgl. Mt 21,33-39. 49 Ähnlich auch Konradt, Israel, 198.
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in der Perikope selbst noch ihre Furcht vor dem Volk zum Ausdruck gebracht wird.50 Grund für diese Furcht ist die positive Stellung des Volkes zu Jesus, der für einen Propheten gehalten wird. Auch in der Gesamtkomposition des Mt kann man klar erkennen, dass das Volk immerzu in Differenz zu den führenden Autoritäten angeführt wird, es Jesus positiv gegenüber steht und mit ihm sympathisiert, wohingegen die jüdischen Führer als die erbitterten Gegner Jesu figuriert werden. 51 Dass die Führer nicht als Repräsentanten für das ganze Volk angenommen werden dürfen, wird schon zu Beginn des Evangeliums angedeutet, indem Jesus das Volk Israel metaphorisch als „verlorene Schafe“ bezeichnet, die keinen Hirten, also Führer, haben und zudem übt er immer wieder offen Kritik an deren Führung.52 Vor dem Hintergrund der immer wieder klar von Mt hervorgehobenen Differenz zwischen Volk und Führern kann also im engeren Sinne dieser Perikope nur den Angeredeten, den Pharisäern und Hohepriestern, das Reich Gottes abgesprochen werden.53 Mit Blick auf die Syntax fällt zudem auf, dass abgesehen von der Redeeinleitung die Verben in V. 43 alle im Futur gebraucht werden. 54 Also selbst wenn hier jemandem etwas weggenommen wird, dann kann das sprachlich gesehen nicht als endgültig verstanden werden. Schwieriger gestaltet sich der Umgang mit dem ἔθνος, dem das Reich Gottes stattdessen gegeben wird, was zumeist als weiteres Argument für eine kollektive Verwerfung Israels angeführt wird, da den einzelnen Führern nicht andere Führer entgegengestellt werden, wie man es als Leser vielleicht erwarten würde, sondern ein Volk.55 Wer ist also mit ἔθνος gemeint? Im Text selbst wird es durch die angehängte Partizipialwendung ποιοῦν τοὺς καρποὺς αὐτῆς näher bestimmt. Es geht also um ein Volk, das seine Früchte, die wohl als Metapher für die Voraussetzung des Rei50
Vgl. Mt 21,45. Ähnlich auch Konradt, Israel, 198. 52 Vgl Mt 9,36. 53 Ähnlich Konradt, Israel, 198. 54 Vgl. Mt 21,43 ἀρθήσεται und δοθήσεται. 55 Vgl. Konradt, Israel, 193. 51
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ches Gottes stehen, bringt.56 Dieses Volk wird zumeist mit der christlichen Kirche gleichgesetzt, was philologisch jedoch der Sprachgebrauch des Wortes ἔθνος nicht hergibt.57 Ich möchte dabei gern der These Konradts folgen, der in dem ἔθνος „einen Verbund von Menschen“58 sieht, der durch die Partizipialkonstruktion näher beschrieben wird. Um welche Art von Volk es sich hier tatsächlich handelt, lässt der Text offen. Dass diese Wegnahme des Reiches Gottes aufgrund der Ablehnung Jesu geschehen wird, wird durch den vorangegangenen V. 42, der syntaktisch durch διὰ τοῦτο einen starken Zusammenhang zu V. 43 aufweist, deutlich, denn das angeführte Psalmzitat sei als Metapher für den Tod und die Auferweckung Jesu zu verstehen.59 Es kann also zusammengefasst werden, dass ich die These, dass hier das Volk Israel als Kollektiv verworfen wird, nur ablehnen kann, da es zum einen an keiner Stelle genannt wird und zum anderen Jesus immerzu positiv gegenüber stand und sich klar von den führenden Autoritäten abgrenzen ließ, die hier explizit als Adressaten genannt werden. Auch dass an die Stelle Israels, welches endgültig von Gott verworfen wurde, nun die christliche Kirche trete, kann ich nicht unterstützen, da mit Blick auf die Tempora der Verben nicht von einer endgültigen Verwerfung gesprochen werden kann und auch das ἔθνος seinem Sprachgebrauch nach nicht mit „Kirche“ übersetzt werden darf. Vor dem zeitgeschichtli-
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Vgl. Frankemölle, Matthäus, 336. Vgl. Konradt, Israel, 193-199. Da ἔθνος hier im Sg. steht, kann es nicht mit der Heidenkirche übersetzt werden, da dafür gewöhnlich der Pl. steht. Das Volk Israel wird hingegen mit λαός bezeichnet. Wenn man dennoch annähme, dass Mt hier von dem Volk Israel als Kollektiv spricht, so hätte er dem ἔθνος ein ἂλλο anfügen können, so wie er es ja auch bei den Weingärtnern schon als Erweiterung zu Mk und Lk getan hat. Vgl. Mt 21,41. Ähnlich auch a.a.O., 193f. 58 A.a.O. 198. 59 Vgl. Frankemölle, Matthäus, 335. Der Stein, der hier zum Bildspender für Jesus wird und zunächst von den Bauleuten verworfen wird, wird zum Eckstein, also zum zentralen Stein, auf den alles andere aufbaut. Daher ist die Deutung Frankemölles sehr plausibel. 57
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chen Hintergrund der Entstehungszeit des Mt60 handelt es sich wohl vielmehr um eine innerjüdische Abgrenzung der mt Gemeinde gegenüber der Lehre und dem Führungsanspruch vor allem der Pharisäer, die als „Lieblingsgegner“61 von Mt angeführt werden, um der eigenen Identitätsstiftung wegen bestimmte Verhaltensnormen in der mt Gemeinde fest zu etablieren.62 2.1.1.2. Der Blutruf in Mt 27,25 Und das ganze Volk antwortete und sprach: „Sein Blut über uns und unsere Kinder“!63 Dieser Vers des Mt hat in der Rezeptionsgeschichte nach der Entstehungszeit der ntl Schriften die wohl fatalste Auslegung erfahren, die die christlich-jüdische Beziehung unwiderruflich ins Negative belastete, da diese „Selbstverfluchung“ des Volkes Israel gewissermaßen als Legitimation für die Gewalttaten und Verfolgungen der Juden in den folgenden Jahrhunderten deklariert wurde.64 In diesem Vers wird u. a. der Kern des Antijudaismus gesehen und auch in modernen Definitionen des Begriffes „Antisemitismus“ wird er des Öfteren als Vorläufer für den rassischen Antisemitismus angeführt.65 Die antijüdische Auslegung dieses Verses hielt sich hartnäckig. Aber ist der Vorwurf, dass die Juden am Tode Jesu Schuld seien, historisch über60
In der Datierung des Mt schließe ich mich dem Konsens der Forschung an, nach dem das Evangelium zwischen 80 und 90 n.Chr. entstanden ist. Vgl. Bull, Bibelkunde, 17; Gerber, Tragödie, 97; Theißen/ Merz, Der historische Jesus, 46. 61 Mt führt die Pharisäer im Gegensatz zu den anderen Synoptikern besonders oft als Gegner Jesu an. Vgl. Mt 3,7; 5,20; 7,29; 9,11.14.34; 12,2.14.24.38; 15,1.12; 16, 1.6.11.12; 19,3; 21,45; 22,15.34.41; 23, 2.13.14.15.23.25.26.27.29; 27, 41.62. 62 Ähnlich auch Konradt, Die vollkommene Erfüllung der Tora, 150; Bull, Bibelkunde, 16. Mit Blick auf die Darstellung der Pharisäer soll jedoch deutlich hervorgehoben werden, dass auch diese als erbitterte Gegner Jesu auftretende jüdische Gruppierung innerhalb des Judentums keineswegs als so negativ wahrgenommen wurden, wie es uns das NT erzählt. Ehrlich hebt hervor, dass die ntl Darstellung der Pharisäer „mehr eine Karikatur als die Wirklichkeit“ darstellt, Ehrlich, Der christlich-jüdische Dialog, 204. 63 Vgl. Mt 27,25. 64 Für eine gute Zusammenstellung der Auslegung von Mt 27,25 durch christliche Autoren vom 2. Jh. n. Chr. bis zum 5. Jh. n. Chr. vgl. Kampling, Das Blut Christi. 65 Vgl. z. B. Laqueur, Gesichter des Antisemitismus, 60-63.
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haupt haltbar, da er immerhin nach typisch römischer Hinrichtungsart gekreuzigt worden ist? Und lässt sich hier tatsächlich eine ewig andauernde „Selbstverfluchung“ des ganzen Volkes Israel erkennen, wo es doch, wie oben herausgearbeitet, Jesus stets positiv gegenüber stand? Da des Umfangs wegen leider nicht alle Aspekte im Folgenden untersucht werden können, werde ich mich auf die mir am wichtigsten erscheinenden beschränken. Diese angebliche „Selbstverfluchung“ stellt den Höhepunkt der dramatisch zugespitzten Erzählung von der Verurteilung Jesu dar, den die Hohepriester und Ältesten dem Statthalter Pilatus übergeben haben, um ihn zu töten. Pilatus aber, der von der Unschuld Jesu überzeugt war, befragt das Volk, welchen Mann er frei lassen sollte: Barabbas oder Jesus. Daraufhin brach das Volk in Geschrei aus und forderte nach Überredung der Hohepriester und Ältesten die Kreuzigung Jesu. Zunächst einmal dürfte jedem Leser, heute wie damals, wohl deutlich ins Auge stechen, dass die geschilderte Situation der ganzen Verurteilung Jesu, seiner Übergabe an Pilatus und dessen Dialog mit dem Volk historisch höchst fragwürdig ist.66 Denn zum einen oblag die alleinige Rechtsprechung eines Kapitalverbrechens dem römischen Prokurator Pontius Pilatus und zum anderen erfahren wir von Josephus, dass Pilatus vom Charakter her grausam und skrupellos war, also konträr zu dem von Mt gezeichneten Bild des Pilatus.67 Er verachtete die jüdische Bevölkerung und ging mit harter Hand und Amtsführung gegen diese vor. Somit ist es historisch meiner Meinung nach nicht haltbar, dass erstens Pilatus dem Volk über66
Diese These wird auch von einem überwiegenden Konsens in der Forschung vertreten. Vgl. Ben-Chorin, Antijüdische Elemente im NT, 208; Fiedler, Matthäusevangelium, 410; Frankemölle, Matthäus, 476ff.; Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, 130f. 67 Vgl. Stegemann, Jesus, 380ff. Frankemölle hebt hervor, dass das Gerichtsverfahren, das hier faktisch nicht stattfindet, historisch nicht haltbar ist. Da Jesus jedoch kein römischer Staatsbürger war und nicht der jüdischen Oberheit angehörte, hatte er nach römischem Recht auch keinen Anspruch auf ein Gerichtsverfahren, was natürlich die Historizität der Szenerie insgesamt nicht in Frage stellen soll. Vgl. Frankemölle, Matthäus, 476.
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haupt die Möglichkeit zur Wahl gegeben hätte und zweitens er einen solchen Tumult vor dem Richterstuhl nicht toleriert hätte, was Josephus bezeugt.68 Schreckenberg hat zudem darauf hingewiesen, dass die „akustische Kommunikation zwischen Pilatus und der Volksmenge“69 nur denkbar wäre, wenn es sich um eine begrenzte Menge gehandelt hat, was auch durch die Perspektive des vorhandenen Platzes vor dem Richterstuhl des Pilatus gestützt wird.70 Denn hier dürfte sich wohl kaum das ganze Volk Israel eingefunden haben. Weiterhin auffällig ist, dass das Volk sich erstmals im Evangelium gegen Jesus zu stellen scheint, obgleich es doch, wie oben herausgestellt, stets mit ihm sympathisierte und in deutlicher Differenz zu den jüdischen Führern aufgetreten ist. Kann diese Tatsache also auf einmal als irrelevant betrachtet werden? Wohl kaum. Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass es die Hohepriester und Ältesten sind, die die Volksmenge überreden und so für ihre Ziele gewissermaßen instrumentalisieren.71 Handelt die Volksmenge also tatsächlich nach freiem Willen?72 Denn immerhin wird direkt zu Beginn der Perikope deutlich, dass die tatsächliche Verantwortung des Todes Jesu bei den Hohepriestern und Ältesten lag, denn sie hatten seinen Tod ja von Anfang an geplant.73 Der Grund für diesen Entschluss wird durch die Anmerkung Pilatus´ zum Ausdruck gebracht, dass sie, nämlich die jüdische Führung, ihn aus Neid töten lassen wollten.74 Die68
Vgl. Jos. Bell. 2,175-177. Vgl. auch Fiedler, Matthäusevangelium, 410. Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, 130. 70 Vgl. ebd. 71 Bei Mk wird die Rolle der Hohepriester und Ältesten noch deutlicher dargestellt, indem er das Verb ἀνα´σείω (jmd. aufwiegeln) verwendet, Mt jedoch πείθω (jdn. überreden, überzeugen) gebraucht. Die tragende Rolle der Hohepriester und Ältesten wird daher bei Mk deutlicher. Vgl. Mk 15,11. Bei Lk ist in dieser Szene jedoch von einer Aufwiegelung der Volksmenge durch die Hohepriester und Ältesten gar keine Rede. Vgl. Lk 23,1-25. 72 Hier sei auch die Vermutung meinerseits eingeworfen, dass es sich bei den anwesenden Menschen vielleicht um Sympathisanten oder Anhänger der Hohepriester und Ältesten gehandelt hat, da ja die Bevölkerung Jerusalems Jesus zuvor bei seinem Einzug in Jerusalem noch wohlwollend und jubelnd begrüßte. Vgl. Mt 21,8-11. 73 Vgl. Mt 26,3-4.59.66; 27,1f. 74 Vgl. Mt 27,18. 69
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sen „Stimmungswechsel“75, der durch die Hohepriester und Ältesten herbeigeführt worden war, bewertet Frankemölle als deutliche Leserlenkung, die sich passend in die mt Gesamtkomposition einfügen lässt, da der Fokus von Anfang an auf den jüdischen Führern als Opposition zu Jesus lag. Von zentraler Bedeutung in der modernen Exegese ist abgesehen von der Frage nach der Historizität der Szene der auffällige Wechsel von ὄχλος zu λαός in V. 25.76 Denn aufgrund der allseits bekannten theologischen Konnotation von λαός, nämlich als Bezeichnung für das Gottesvolk Israel, vertreten einige Exegeten die These, dass hier auf dem Höhepunkt des Geschehens gezielt das ganze Volk Israel hervorgehoben wird. Ebendiese Deutung dominierte die Auslegungen der letzten Jahrhunderte.77 Andere sind dagegen der Auffassung, dass λαός hier bloß als Wechselbegriff zu ὄχλος aufgeführt wird und daher ohne die theologische Aufladung verstanden werden muss, da es auf der gleichen Sinnund Erzählebene gebraucht wird.78 Wenn man nun den Sprachgebrauch von λαός näher betrachtet, so fällt auf, dass das Bedeutungsspektrum im NT mehrdeutig ist. Denn zunächst einmal bezeichnet es schlichtweg „Volk, Volksmenge oder auch Volkshaufen“, also ohne jegliche theologische Aufladung.79 Zum anderen ist λαός jedoch durch den Sprachgebrauch der LXX vorgeprägt, sodass es oft als gängige Bezeichnung für das Gottesvolk Israel verwendet wird.80 Allerdings steht λαός mit der theologischen Konnotation im NT meist mit „direkten kontextualen Erläuterungen“81, durch die dem Rezipienten deutlich wird, welcher 75
Frankemölle, Matthäus, 479. Bei Lk lässt sich stattdessen eine sehr allgemein gehaltene Bezeichnung finden: das Adverb παμπληθεί (allesamt). Mk hingegen gebraucht gar kein direktes Subjekt, sondern inkludiert dieses im Verb λέγω. Vgl. Lk, 23,18; Mk 15,14. 77 Vgl. Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, 130ff. 78 Vgl. Fiedler, Matthäusevangelium, 411. Frankemölle, Matthäus, 482. 79 Vgl. Frankemölle. Art. λαός, EWNT 2, 839. 80 Vgl. ebd. 81 A.a.O., 841. Solche „kontextualen Erläuterungen“ lassen sich z.B. im Zusammenhang mit Israel typischen Begriffen erkennen, wie Tempel oder Gesetz, oder auch wenn es im Zusammenhang von atl Zitaten oder in Opposition zu den „Heiden“ gebraucht wird. Vgl. ebd. 76
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Sprachgebrauch angemessen ist. Ohne diese kontextuale Einbindung kann λαός auch isoliert stehen.82 Auch wenn man mit Blick auf die Belegstellen für λαός bei Mt erkennen kann, dass er in der Verwendung dieses Wortes dem von der LXX geprägten Sprachgebrauch sehr nahe steht, so lassen sich dennoch einige Belege für den paganen Sprachgebrauch finden.83 Wie wird λαός also an dieser höchst relevanten Stelle gebraucht? Konradt verweist darauf, dass dieses Wort bei Lk sehr unterschiedlich und mit und ohne theologischer Konnotation gebraucht wird, aber immer zur Bezeichnung für Menschen oder Menschenmengen jüdischer Herkunft, also aus Israel stammend.84 In diesem Sinne interpretiert er λαός auch in Mt 27,25, nämlich als Volksmenge jüdischer Menschen, die durch die vorangegangene Leserlenkung eindeutig auf Jerusalem beschränkt bleibt, das wiederum im Mt an keiner Stelle das ganze Volk Israel repräsentiert.85 Konradt bietet hier meiner Meinung nach einen guten und schlüssigen Mittelweg zu der kontroversen Debatte um den auffälligen Wechsel zu λαός. Denn in dieser Interpretation wird der Wechsel von ὄχλος zu λαός nicht bloß als Variation des Mt bewertet und es steht zudem auch nicht symbolisch für das ganze Gottesvolk Israel, wie es den zu Beginn vorgestellten Forschungsmeinungen entsprechen würde. Im Kontext von Mt 27,25 bezeichnet λαός also die Volksmenge jüdischer Menschen aus Jerusalem, die sich vor dem Richterstuhl des Pilatus versammelt hat. Das beigefügte πᾶς wird dabei meiner Meinung nach einfach aus dem vorangegangenen Vers aufgenommen, in dem es auch schon die Einheit der vor Pilatus anwesenden Volksmenge betont hat. Dass Mt auch in dieser Szene seinem Erzählstil folgend atl Motive verarbeitet, dürfte den real-historischen Lesern, nämlich der mt Gemein82
Vgl. ebd. Vgl. Mt 4,23; 26,5; 27,64. An diesen Stellen bezeichnet λαός auch schlichtweg eine Volksmenge. 84 Vgl. Konradt, Israel, 170f. 85 Vgl. a.a.O., 170-174; 396. Zur Leserlenkung, dass es sich um ein Geschehen in Jerusalem handelt, vgl. Mt 2,3; 21,10; 23,37. Dass Jerusalem nicht das ganze Volk Israel repräsentiert, dürfte aus Mt 21,9-11 deutlich geworden sein. Ähnlich auch a.a.O., 218. 83
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de, deutlich aufgefallen sein. Pilatus, der seine Hände in Unschuld wäscht, und die Volksmenge, die die Schuld für das vergossene Blut Jesu auf sich und ihre Kinder nimmt. Jedoch sind die von Mt geschilderten Situationen anders als es aus den atl Motiven bekannt ist.86 Denn im AT fungiert die Formulierung „sein Blut über“ vielmehr als Schutzformel.87 Die vor Pilatus anwesende Volksmenge jedoch übernimmt hier die Verantwortung für fremdes und, wie mehrmals betont, unschuldig vergossenes Blut.88 Daher kommt auch die in der Forschung weit verbreitete Bezeichnung von der „Selbstverfluchung“. In der Zerstörung Jerusalems und des Tempels erfüllt sich nach Mt innergeschichtlich die Bestrafung Gottes für diesen Blutruf an der Jerusalemer Bevölkerung, was auch den Zusatz „und über unsere Kinder“ erklärt, da sich die Zerstörung in der nächsten Generation, also in der der Kinder, vollzogen hat und somit abgegolten ist.89 Dass diese Schuld sich jedoch über alle folgenden Generationen hinweg aufrecht erhält, wie es in der Rezeptionsgeschichte mehrfach ausgelegt wurde und wodurch christlicher Juden86
Die Wendung „seine Hände in Unschuld waschen“ ist atl vorgeprägt, wird hier jedoch in einem anderen Zusammenhang gebraucht. Denn im AT, in Dtn 21,1-9, geht es um einen bereits geschehenen Mord, der durch einen Ritus entsühnt werden soll. Es geht in dem Kontext von Dtn tatsächlich um Unschuldige, was man aber von Pilatus nicht behaupten kann, da er immerhin die Macht hat, die Hinrichtung zu vollziehen oder nicht. Da Pilatus Heide ist, dürfte den damaligen Adressaten diese Verbindung von Pilatus und dem biblischen Ritus sehr abwegig erscheinen. Ähnlich auch Luz, Das Evangelium nach Mt, 276f. Dass die Volksmenge sich fremdes Blut selbst zuspricht, entspricht zudem nicht dem atl Gebrauch. Vgl. Lev 20,9-16; 2. Sam 1,16; 1. Kön 2,37; Jer 26,15; Ez 18,13. Vgl. auch Konradt, Israel, 177. Die von Mt geschilderte Situation bleibt dagegen einzigartig. 87 Vgl. Luz, Das Evangelium nach Mt, 280. 88 Vgl. Mt 27,4 durch Judas, Mt 27,19 durch die Frau des Pilatus und Mt 27,18.23.24 durch Pilatus selbst. Die Unschuld Jesu wird auch bei Mk und Lk mehrmals betont. Vgl. Mk 15,10.14; Lk 23,4.14.15.22. 89 Dass die Zerstörung des Tempels und Jerusalems nach Mt als Bestrafung Gottes für diese „Selbstverfluchung“ an der anwesenden Volksmenge in Jerusalem gedeutet wird, ist in der heutigen Forschung jedoch nicht unproblematisch. Vgl. Mt 23,35-38; 24,2. Vgl. auch Fiedler, Matthäusevangelium, 411; Frankemölle, Matthäus, 482f.; 485; Gerber, Tragödie, 99; Konradt, Israel, 177f.; Luz, Das Evangelium nach Mt, 281; Auch Josephus deutet die Katastrophe der Tempelzerstörung als Gericht Gottes. Vgl. Jos. Bell. 5,376ff.
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hass und Verfolgungen legitimiert wurden, das steht dem biblischen Gebrauch und der atl Prägung entgegen, nach der einer generationsübergreifenden Schuld deutlich widersprochen wird.90 Aufgrund dieser offenkundigen, salopp gesagt fast schon ins Lächerliche gezogenen Widersprüche zur biblischen Tradition sowie zur Historizität handelt es sich bei dieser Schuldzuschreibung wohl vielmehr um eine polemische Zuspitzung von Mt, denn im eigentlichen Sinn haben ja die Römer Jesus ans Kreuz gebracht. Obgleich Pilatus also seine Hände in Unschuld wäscht, so kann er als Befehlshaber, der die Machtbefugnisse besitzt, seine Schuld dennoch nicht abwaschen. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse kann ich also zu dem Schluss kommen, dass in Mt 27,25 nicht das Gottesvolk Israel in seiner Gesamtheit, also auch einschließlich der Diasporajuden z. B., gemeint sein kann. Denn allein historisch betrachtet wäre das nicht möglich. Und auch im Kontext der Gesamtkomposition des Mt lässt sich deutlich erkennen, dass Jerusalem nicht das ganze Volk Israel repräsentiert. Des Weiteren kann ich dem Vorwurf, dass die Juden die Schuld des Todes Jesu auf sich geladen und somit sich und alle nachfolgenden Generationen verflucht und der Zuwendung Gottes endgültig entsagt hätten, nicht zustimmen, da Mt Judenchrist war sowie der Großteil seiner Gemeinde, weshalb ihm und einem jeden bibelkundigen Leser bekannt sein dürfte, dass in der biblischen Tradition zwar von dem Gericht Gottes berichtet wird, aber nie von einer endgültigen Verwerfung oder Heilsabsage des Gottesvolkes Israel. Gott hat sein Volk immer geliebt und tut es noch, was „auch unter den Zeitgenossen selbstverständlich ist.“91 90
Vgl. zum biblischen Gebrauch von „den Kindern“ Jer 31,29f.; Ez 18,2f. Aus Ez weiß der bibelkundige Rezipient, dass die generationsübergreifende Schuld, die zuvor auch durch den Tun-Ergehen-Zusammenhang gestützt wurde, nach dem Fall Jerusalems nicht mehr gilt. Es besteht also kein Zusammenhang zwischen früherer Schuld und aktueller Strafe. 91 Fiedler, Matthäusevangelium, 34. Dass Mt als Judenchrist für eine mehrheitlich jüdisch geprägte Gemeinde schreibt, wird in der modernen Forschung einheitlich vertreten. Vgl. Bull, Bibelkunde, 15ff.; Gerber, Tragödie, 97; Theißen/ Merz, Der historische Jesus, 46.
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Abschließend soll hervorgehoben werden, dass die vielfach vertretene These von einer generationsübergreifenden Kollektivschuld des Volkes Israel weder den biblisch geprägten Anspielungen noch der Leserlenkung der mt Gesamtkomposition entspricht und daher diese ganz klare antijudaistische Tendenz vielmehr der Rezeptionsgeschichte und Auslegung als der Wirkung des Textes zuzuschreiben ist.92 Mt ging es seinem Erzählstil folgend wohl eher um eine Warnung vor den jüdischen Autoritäten, die eine ganze Volksmenge zu ihrem Zweck beeinflussen können. Wie bereits in der ersten Analyse zum Mt herausgestellt, ist die endgültige Trennung von Christentum und Judentum zur Zeit des Mt noch nicht vollzogen, das Evangelium ist als intra muros, also innerhalb des Judentum stehend, zu bewerten.93 2.1.2. Die Juden als „Kinder des Teufels“ im Johannesevangelium? Während im bisherigen Verlauf dieser Arbeit klar herausgestellt wurde, dass in den synoptischen Evangelien durchweg die jüdischen Autoritäten als Gegner Jesu und vom Volk differenziert figuriert wurden, so sticht die verallgemeinernde Rede von den Ἰουδαῖοι im Joh dagegen sofort ins Auge. Als antijudaistischste Äußerung im ganzen NT wird dabei oft Joh 8,44 bewertet, wonach die Ἰουδαῖοι als Kinder des Teufels charakterisiert werden. Neben Mt 27,25 erfuhr ebendieser Vers die wohl furchtbarste Auslegungsgeschichte und wurde als Legitimation für die christliche Judenfeindschaft und Verteufelung der Juden herangezogen. 94 Daher lohnt sich ein genauerer Blick auf Joh 8,44. Wer ist hier mit der verallgemeinernden Aussage Ἰουδαῖοι gemeint?95 Die Bezeichnung οἱ Ἰουδαῖοι taucht im NT bei Joh am häufigsten auf. Insgesamt 67 Mal wird dieser Begriff allein im Joh im Plural gebraucht. 92
Ähnlich auch Frankemölle, Matthäus, 484f.; Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, 129. 93 Vgl. auch Dunn, The Question of Anti-semitism in the New Testament, 209. 94 Vgl. Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, 94; 136. 95 Für eine sehr gute Zusammenstellung von unterschiedlichen Interpretationsansätzen von den Ἰουδαῖοι bei Joh vgl. Scholtissek, Antijudaismus im Joh?, 159-164.
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Auf den ersten Blick lässt diese pauschalisierende Rede von den Juden eine gewisse Distanz und Fremdheit des Evangelisten gegenüber dem Judentum erkennen. Mit Blick auf den Sprachgebrauch fällt jedoch auf, dass dieser sich bei Joh sehr komplex und ambivalent gestaltet. Denn die Ἰουδαῖοι werden sowohl mit positiver als auch mit neutraler und negativer Konnotation gebraucht, wobei die negative Tendenz vor allem in der Passionsgeschichte dominiert.96 Wie lässt sich hinsichtlich dieses ambivalenten Sprachgebrauchs von den Ἰουδαῖοι das Subjekt ὑμεῖς in Joh 8,44 deuten? Dieser Vers steht innerhalb der sich immer schärfer zuspitzenden Auseinandersetzung Jesu mit den Juden, die in Joh 8,31 genannt und durch das Partizip Perfekt πεπιστευκώς als an Jesus Glaubende charakterisiert werden. Gegenstand der Auseinandersetzung ist die Rolle und Bedeutung Jesu als Sohn Gottes, der Wahrheit, Freiheit und Leben für die bei ihm Bleibenden, seine Jünger, bringt.97 In der Perikope Joh 8,37-45 dominiert dabei die Tötungsabsicht ebendieser Juden, die zuvor als Glaubende und somit als Jünger Jesu dargestellt worden sind. Diese Tötungsabsicht und der damit verbundene Unglaube und die Ablehnung Jesu werden jetzt zur Voraussetzung der „Verteufelung“ in V. 44, die sich als Konsequenz aus dem Dialog Jesu mit den Juden ergibt und in diesem vorbereitet wird.98 Denn in den vorangegangenen Versen spricht Jesus ihnen ihre Abrahamskindschaft nicht direkt ab, aber impliziert dies schon durch den antithetisch gestalteten Zusatz mit der nochmals betonten Tötungsabsicht. Nachdem die Adressaten Jesu noch einmal auf ihre Abstammung von Abraham hingewiesen haben und sogar Gott ihren 96
Zum Gebrauch der Ἰουδαῖοι mit positiver Konnotation vgl. z.B. Joh 4,22; 7,40.43; 8,31; 11,45; 12,11.17, für eine neutrale Tendenz vgl. z.B. Joh 2,6.13; 3,1; 5,1; 11,55. Für die negativ konnotierten Aussagen über οἱ Ἰουδαῖοι vgl. z.B. Joh 2,18; 7,11.41.49; 7,12; 18,12.14.29; 19,7.15. Vgl. auch Porsch, Ihr habt den Teufel zum Vater, 51. Im Gegensatz zu Joh taucht diese Bezeichnung bei den Synoptikern eher spärlich auf. Bei Mt und Lk fünf Mal und bei Mk sechs Mal. Zum ambivalenten Gebrauch von Ἰουδαῖοι bei Joh vgl. Schnelle, Das Evangelium nach Joh, 163-166. Vgl. auch Dunn, The Question of Anti-semitism in the New Testament, 182f. 97 Vgl. Joh 8,32-36. 98 Ähnlich auch Wengst, Johannesevangelium, 345-348.
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Vater nennen, antwortet Jesus ihnen auf diese angebliche Vaterschaft Gottes in einem Irrealis, durch den er typisch für den joh Erzählstil die Einheit von Sohn und Vater betont.99 Wer Jesus als Sohn Gottes ablehnt und töten will, lehnt daher auch Gott selbst ab und kann als Konsequenz kein Kind Gottes sein.100 Weil die Juden seine Sprache nicht verstehen und sein Wort nicht hören, was vor allem an dem Festhalten ihrer Tötungsabsicht gegenüber Jesus deutlich wird, so wird in V. 44 nun „auf den anderen Vater, den Teufel“101 geschlossen, womit ein bestimmtes Tun verbunden und erklärt wird, von dem her Jesus auch argumentiert. Die Ursache für ein solches Verhalten, nämlich Jesus zu töten, wird „auf die übermenschliche Macht des Bösen, auf den Teufel“ zurückgeführt.102 Der Begriff διαβόλος findet sich an zwei weiteren Stellen im Joh, an denen er mit dem Verräter Judas in Verbindung gebracht wird. 103 Seinem Wesen nach wird der Teufel mit Mord und Lüge in Verbindung gebracht, dem nach dem dualistischen Denkmodell des Joh Gott bzw. Jesus mit Leben und Wahrheit gegenüberstehen.104 Da sich also mit jedem Vers dieser Perikope mehr herauskristallisiert, dass es sich bei den Dialogpartnern Jesu aufgrund des Festhaltens an der Tötungsabsicht nicht um immer noch Glaubende handeln kann, werden in diesem höchst umstrittenen Vers die Juden oft als Apostaten bezeichnet.105 Auch die in V. 43 gebrauchten Verben γινώσκειν und ἀκούειν unterstützen eine solche Interpretation, da sie nicht bloß ein intellektuelles Phänomen meinen, sondern vielmehr auf ein tiefgehendes, geistiges Verständnis abzie99
Vgl. den Irrealis in Joh 8,42. Ähnlich auch a.a.O., 347. Vgl. vor allem Joh 8,41. Durch die Hinzufügung des Personalpronomens ὑμῶν erhält die Aussage Jesu über den Vater seiner Adressaten schon eine gewisse Distanz, wodurch schon vorbereitet wird, dass sie nicht vom selben Vater abstammen können. 101 A.a.O., 349. 102 Schnelle, Das Evangelium nach Joh, 160. 103 Vgl. Joh 6,70; 13,2. 104 Mit der Aussage „von Anfang an“ (ἀπ´ἀρχης) in V. 44 wird dabei wohl auf den Sündenfall in Gen 3 angespielt, der jedoch nicht weiter zum Gegenstand dieser Analyse werden soll. Vgl. auch Wengst, Johannesevangelium, 351. 105 Vgl. a.a.O., 338f., der hier auf die Analyse Thyens Bezug nimmt. 100
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len, zu dem sie nicht (mehr) im Stande sind.106 Daher und aufgrund der Tatsache, dass es sich hier um keinen wirklichen Dialog handelt, kommt Wengst zu dem Schluss, dass die geschilderte Situation auf jene, in der die joh Gemeinde gelebt hat, übertragen werden muss und es folglich vor dem Hintergrund der Entstehungszeit des Evangeliums schlichtweg „keine wirkliche Kommunikation“107 zwischen der joh Gemeinde und dem pharisäisch bestimmten Judentum mehr gegeben hat.108 Wenn man nun noch einmal einen Blick auf die Ambivalenz des Sprachgebrauchs von Ἰουδαῖοι wirft, so lässt sich z. B. in Joh 7,11ff. eine offensichtliche Spaltung bei den Juden über die Bedeutung Jesu erkennen. Denn hier wird von Juden berichtet, die an Jesus glaubten, aber auch von denen, die ihn ablehnten. Ein besonderes Augenmerk muss dabei auf V. 13 gelegt werden, in dem erzählt wird, dass jene Juden, die in den vorangegangenen Versen erwähnt wurden, nun scheinbar anderen Juden gegenübergestellt werden, vor denen sich die ersteren fürchten. Wie kann das zu verstehen sein? Während in 7,11f. von den Ἰουδαῖοι generalisierend gesprochen wird, so lässt sich in V. 13 ein Gebrauch dieses Begriffs in einem scheinbar engeren Sinn erkennen, der sich von den zuvor genannten Juden deutlich abzugrenzen scheint. In einem ähnlichen Kontext lässt sich Joh 12,42 ansiedeln, wo erneut hervorgehoben wird, dass jene, die Jesus anerkannten, sich nicht trauten, es offen zu zeigen, aus Angst vor den Pharisäern und einem möglichen Synagogenausstoß, der bei Joh drei Mal explizit betont wird.109 Deutet der befürchtete Ausschluss aus der Synagoge, der weitreichende soziale und wirtschaftliche Folgen mit 106
Vgl. a.a.O., 348. Vgl. die Hinzufügung des Verbs δύναμαι, durch welches das „nicht können, nicht im Stande sein“ zum Ausdruck gebracht wird. 107 A.a.O., 349. 108 Wengst setzt die Entstehungszeit des Joh am Ende des 1. Jh.n.Chr. an. Vgl. Wengst, a.a.O., 25-31. 109 Zum Ausstoß aus der Synagoge vgl. Joh 9,22; 12,24; 16,2. Das Adjektiv ἀποσυνάγωγοσ lässt sich nur bei Joh finden. Einige Exegeten sehen darin Anspielungen auf den sogenannten Ketzersegen, der in das Achtzehn-Bitten-Gebet eingefügt worden ist, jedoch ist dies zeitlich nicht genau datierbar. Vgl. Gerber, Tragödie, 95f.; Porsch, Ihr habt den Teufel zum Vater, 53.
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sich brachte, einen Konflikt zwischen der joh Gemeinde und den Juden an?110 Wenn man das Joh nun vor dem historischen Kontext seiner Entstehungszeit liest, so wird deutlich, dass Joh selbst sowie auch seine Gemeinde in der modernen Forschung als christusgläubige Juden eingeschätzt werden, also innerhalb des neuformierten Judentums nach 70 n. Chr. angesiedelt werden müssen, in dem die joh Gemeinde sich im Gegensatz zu der Mehrheit des pharisäisch bestimmten Judentums in der Minderheit befand.111 Ebendiese Situation spiegelt wohl auch das ganze Joh wider und insbesondere Joh 8,44. Es handelt sich bei den Ἰουδαῖοι, die hier die Opposition zu Jesus bilden, um die Juden, die vorher an ihn glaubten und in der joh Gemeinde waren, aber sich dann aus Furcht vor einem Synagogenausstoß von Jesus abwandten und zurück in die Synagogengemeinschaft gingen. Dadurch wurde die joh Gemeinde quasi zur Auseinandersetzung gezwungen, sowohl theologisch als auch sozialgeschichtlich.112 „Die als schlimm empfundene Erfahrung, ausgeschlossen worden zu sein, führt zur Verteufelung derer, von denen man sich verleumdet und bedroht fühlt.“113 Man sucht nach einer Erklärung, warum die nicht-christusgläubigen Juden nicht an Jesus glaubten bzw. wa110
Vgl. Wengst, Johannesevangelium, 29f. Aufgrund von „sozialer Isolierung und ökonomischer Gefährdung“ haben viele der Juden sich doch erneut der Mehrheit angeschlossen, dem rabbinisch-pharisäischen Judentum, und sich somit gegen Jesus gestellt. A.a.O., 30. 111 Zur Datierung der Entstehungszeit des Joh lassen sich deutliche Kontroversen in der Forschung erkennen. Sie reicht von 70-120 n.Chr. Die Mehrheit der modernen Exegeten siedelt das Evangelium jedoch am Ende des 1.Jh.n.Chr. an. Vgl. Dunn, The Question of Anti-semitism in the New Testament, 199-203; Gerber, Tragödie, 95; Porsch, Ihr habt den Teufel zum Vater, 52; Schreckenberg, Die christlichen AdversusIudaeos-Texte, 137; Wengst, Johannesevangelium, 25-31. Berger hingegen datiert die Entstehung des Evangeliums unmittelbar nach der Tempelzerstörung 70 n.Chr., da es den aktuellen Trennungsschmerz widerspiegele. Vgl. Berger, Antijudaismus, 238. Schnelle und Bull setzen später an und datieren das Evangelium in den Anfang des 2. Jh.n.Chr., da es bereits einen großen Abstand vom Judentum habe. Vgl. Bull, Bibelkunde, 42f.; Schnelle, Das Evangelium nach Joh, 6ff. Ich folge dabei der Mehrheit, dass das Joh am Ende des 1. Jh.n.Chr. entstanden ist, was nicht unerheblich für die Auslegung der Texte ist, da sie den historischen Kontext mit einschließen muss. 112 Vgl. Scholtissek, Antijudaismus im Joh?, 160. 113 Wengst, Johannesevangelium, 349.
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rum bereits Glaubende sich wieder abwandten, was vielleicht nur als Werk des Teufels verstanden werden kann. Dabei verstehe ich diese Auseinandersetzung trotz aller Schärfe und Polemik dennoch noch innerhalb des Judentums, was auch die positive Stellung Israels im Joh bezeugt, denn von Israel kommt das Heil und auch Jesu Zugehörigkeit zum Judentum wird wie in den anderen Evangelien klar hervorgehoben.114 Auch wenn man so einen Erklärungsversuch für Joh 8,44 aus seiner Entstehungssituation heraus erhält, kann man Joh 8,44 dennoch nicht in einem positiven Sinne lesen, was aber nicht heißt, dass dieser Vers zugleich als antijudaistisch eingestuft werden muss.115 Denn solche harten Worte und Polemik gegen die Juden dürften wohl kaum vom historischen Jesus stammen und sind zudem auch in anderen zeitgenössischen Quellen durchaus zu finden und der Antike nicht fremd.116 Joh ging es wohl darum, die Identität seiner Gemeinde nach innen zu festigen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Aussage, dass die Juden den Teufel zum Vater hätten, aus einer polemisch zugespitzten Auseinandersetzung zwischen Jesus und jenen Juden, die an ihn geglaubt hatten, entstanden ist, deren Grund die Tötungsabsicht gegenüber Jesus war. Dass in Joh 8,44 jedoch nicht die Juden in ihrer Gesamtheit „verteufelt“ werden, wurde bereits an dem ambivalenten Sprachgebrauch des 114
Vgl. v.a. Joh 4,22. Israel erhält bei Joh immerzu eine positive Konnotation, vgl. Joh 1,31.47.49; 3,10; 12,13. Dass Jesus selbst Jude ist, wird von Joh ausdrücklich hervorgehoben, vgl. Joh 1,49; 4,9. Auch die Rede von der unauflösbaren Schrift sowie die Schriftauslegung Jesu bleiben „im Rahmen zeitgenössischer jüdischer Schriftauslegungen.“, Scholtissek, Antijudaismus im Joh?, 178. Vgl. auch a.a.O., 164168. 115 Was im NT als antijudaistisch einzustufen ist, ist meiner Meinung nach erst einmal eine Frage der Definition dieses Begriffs, denn Scholtissek hat bereits darauf hingewiesen, dass die Exegeten in ihren Kommentaren kein einheitliches Verständnis von Antijudaismus aufweisen, wodurch die vielen unterschiedlichen Meinungen zustande kommen. Vgl. a.a.O., 156ff. 116 Vgl. Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, 96. Schreckenberg verweist hier z. B. auf die Qumrantexte, aus denen scharfe innerjüdische Polemik bekannt und gar als üblich einzuschätzen war. Daher warnt er vor vorschnellen Bewertungen.
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Wortes Ἰουδαῖοι sichtbar. Außerdem wurde hervorgehoben, dass es sich in diesem Streitgespräch um eine ganz bestimmte Gruppe von Juden handelte, die nicht repräsentativ für alle Juden steht. In dem Kontext dieser Perikope geht es darum, was als Werk des Teufels bezeichnet wird, das für alle Zeiten gültig ist, nämlich der Menschenmord und die Lüge.117 Wenn wir also heute oder damals als Nichtjuden einen solchen Text lesen und lediglich nachsprechen, ohne ihn in seiner zeitgeschichtlichen und theologischen Entstehungssituation kritisch zu rezipieren, so sind es letzten Endes wir, die diesen Text antijudaistisch machen, nicht der christusgläubige Jude Johannes.118 Denn so werden nach Wengst „aus einer Minderheitenposition heraus formulierte Sätze […] zu skrupellos gebrauchten Hilfsmitteln einer mächtigen Mehrheit gegen die jüdische Minderheit.“119 2.1.3. Die bleibende Erwählung Israels bei Paulus Nachdem nun zum größten Teil jene ntl Stellen näher betrachtet worden sind, die in ihrer Rezeptionsgeschichte eine negative und antijudaistische Auslegung erfahren haben, möchte ich mich nun einem paulinischen Text widmen, der gerade in jüngster Zeit eine Neuentdeckung erfahren hat: Röm 9-11. Während ebendiese Kapitel des theologisch so bedeutsamen Paulusbriefes in der christlichen Tradition eher übergangen wurden, so hat die Beschäftigung und exegetische Auslegung dieser Kapitel in jüngster Zeit einen wesentlichen Beitrag zur Neuorientierung im Verhältnis der Christen zum Judentum geleistet.120 Im Folgenden muss des 117
Ähnlich auch Berger, Antijudaismus, 239. Vgl. Wengst, Johannesevangelium, 31. 119 Ebd. 120 Vgl. EKD, Christen und Juden I-III, 83f; 209f. Dabei sei jedoch auch darauf hingewiesen, dass Paulus nicht anhand dieser Kapitel in seinen Aussagen zum Volk Israel erfasst werden kann, da es auch im paulinischen Schrifttum Stellen gibt, die sich in die negative und antijudaistische Auslegung der oben aufgeführten Bibelstellen einreihen lassen. Hier sei z. B. 1 Thess 2,14ff. genannt, wo auf die generelle Misanthropie der Juden eingegangen wird, also dass sie allen Menschen feindlich seien, was auch in außerchristlichen Quellen so vertreten wird. Vgl. z. B. TAC. ann. 15,44. 118
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Umfangs wegen auf eine genaue Analyse aller drei Kapitel verzichtet werden, weshalb ich den Schwerpunkt besonders auf Röm 11 lege, ohne jedoch den Zusammenhang dieser Kapitel außer Acht zu lassen. Der Röm ist an eine heidenchristliche und dem Paulus bis dato unbekannte Gemeinde gerichtet.121 Besonders im Hinblick auf Röm 9-11 kann man von christusgläubigen Adressaten nichtjüdischer Herkunft ausgehen, „denen das judenchristliche Element ihrer Gemeinde fremd zu werden beginnt.“122 Diese drei Kapitel bilden dabei eine literarische Einheit, der die Leitfrage zugrunde liegt, was mit den jüdischen Menschen geschieht, die nicht an Jesus glauben. Röm 9-11 bilden dabei gewissermaßen den Höhepunkt der Auseinandersetzung des Paulus mit der für ihn so zentralen Frage nach dem Verhältnis der christusgläubigen Gemeinde und Israel, die schon von Beginn des Briefes an vorbereitet wird.123 Paulus behandelt dabei sowohl die Anfänge des Volkes vor dem Hintergrund der Verheißungen an die Väter als auch die Gegenwart und die Zukunft Israels, wobei die für Paulus so zentralen Fragen nach den Zusagen Gottes an sein Volk Israel sowie der Treue und Gerechtigkeit Gottes im Vordergrund stehen angesichts der Ablehnung Jesu durch die Juden.124 Die Dringlichkeit dieser Fragen wird durch sehr leidenschaftli-
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Vgl. Bull, Bibelkunde, 58f. Der Röm wird in die Zeit 55/ 56 n.Chr. datiert und stellt mehrerlei Besonderheiten gegenüber den anderen paulinischen Briefen dar. Er ist als einziger Brief nicht an eine Gemeinde gerichtet ist, die Paulus selbst gegründet hat, was auch der Grund für das ausgedehnte Präskript ist, in dem Paulus sich der Gemeinde selbst vorstellt. 122 Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Iudaeos-Texte, 89. 123 Vgl. z.B. Röm 1,16, wo Paulus explizit den Juden einen Vorrang einräumt. Vgl. auch Röm 2,9f.; 3,4f. 124 Theobald teilt die drei Kapitel ganz klar in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Gottesvolkes Israel ein. Da aber mit dem Begriff „Vergangenheit“ etwas bereits Abgeschlossenes impliziert wird, möchte ich diesen Begriff nicht verwenden, da in Kapitel 9 zwar von den Anfängen des Volkes bei den Vätern gesprochen wird, aber alle Verben präsentisch gebraucht werden. Diese präsentische Formulierung muss besonders betont und ernst genommen werden, da sie jegliche Auslegungen, dass das Volk Israel der Vergangenheit angehört, widerlegen, was Paulus dann ja selbst auch in Röm 11 hervorhebt. Vgl. Theobald, Der Römerbrief, 264.
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che und emotionale Aussagen des Paulus stilistisch hervorgehoben.125 Die Enterbungstheorie, für die Paulus das früheste Zeugnis schon im Gal bietet,126 bildet in diesen Kapiteln immer wieder den Ausgangspunkt der Argumentation vor dem Hintergrund der Ablehnung des Evangeliums durch die Juden, jedoch wird schon früh erkennbar, dass Paulus ihr eine klare und unmissverständliche Absage erteilt, die er im Folgenden selbst begründet.127 Zum einen nennt er sich selbst, der Israelit ist, als Beispiel und hebt so seine Zugehörigkeit zu diesem Volk hervor.128 Zum anderen betont er deutlich, dass Gott sein Volk nicht verstoßen hat, was zu Beginn dieser Einheit in Röm 9 schon durch den bewussten präsentischen Gebrauch der Verben hervorgehoben ist.129 Dieser Aussage schließt er den „Restgedanken“ im Zusammenhang der Eliageschichte an.130 Obgleich dieser Restgedanke in seinem Verständnis durchaus problematisch ist, so lässt sich mit Blick auf die atl Anspielungen hervorheben, dass Gott niemals einen Bund mit seinem Volk endgültig verworfen hat, auch wenn es sich in Verfehlungen übte. Die theologische Begründung, dass Gott sein Volk nicht verstoßen hat, formuliert Paulus am Ende der Perikope in Röm 11,29 sehr deutlich: „Denn unwiderruflich (sind) die Gnadengaben und die Berufung Gottes.“131 In dem Zusammenhang der Frage nach der Gültigkeit des Bundes Gottes mit Israel und wie genau das Verhältnis von Juden und Christusgläubigen zu denken ist, führt Paulus das Ölbaumgleichnis an, dessen Adressaten er explizit nennt: die Heiden.132 Das Bild vom Ölbaum ist dabei metaphorisch aus dem AT vorgeprägt und steht für Israel als Volk Got125
Vgl. Röm 9,1ff.; 10,1f.; 11,1.11. Im Gal formuliert Paulus das Thema der Kind- und Erbschaft jedoch zu Ungunsten der Juden, indem er mithilfe von antithetischen Begriffspaaren die Juden den christusgläubigen Juden und Nichtjuden negativ gegenüberstellt. Vgl. Gal 4,21-31. 127 Vgl. Röm 9,4f.; 11,1.16-24.29. Paulus beantwortet seine Frage nach der Verstoßung Israels durch Gott selbst: μὴ γένοιτο (keineswegs)! 128 Vgl. Röm 9,3; 11,1. 129 Vgl. Röm 11,1; 9,4f. 130 Vgl. Röm 9,27ff.; 11,2-5. Vgl. auch Wilckens, Der Brief an die Römer, 236f. 131 Vgl. Röm 11,29. 132 Vgl. Röm 11,13 λέγω τοῖς ἔθνεσιν. 126
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tes.133 Die Wurzel des Ölbaums steht dabei als Metapher für die Verheißungen an die Erzväter, also die in Abraham beginnende Heilsgeschichte, die im Anschluss an das Gleichnis in Röm 11,28 selbst noch genannt werden. Durch diese Wurzel sind die Zweige, die Israeliten, heilig.134 Die Heiden erhielten als wilde Zweige, die nachträglich eingepfropft worden sind, als συγκοινωνός Anteil an der Wurzel und an ihrem Saft durch die Gnade Gottes.135 Diesem Bild fügt Paulus zugleich eine Warnung vor Hochmut seitens der Heidenchristen an, die er durch das verallgemeinernde du erneut anspricht,136 da sie ohne die Wurzel verwelken würden und Gott sie ebenso auch wieder heraushauen kann.137 Diese theozentrische Perspektive, die ganz von Gottes Gnade her argumentiert und die χάρις zum Schlüsselwort dieser Kapitel werden lässt, bettet sich dabei geschickt in die von Paulus im Röm entfaltete Theologie der Rechtfertigung allein aus der Gnade Gottes ein. Durch die theozentrische Perspektive wird die Verantwortung für Verstockung von Israel weg auf Gott verlagert, der am Ende ganz Israel retten wird.138 Dass die Beschäftigung mit Röm 9-11 besonders heute so wichtig geworden ist, liegt wohl nicht nur daran, dass die Einheit von Juden und Christen in Bezug auf die Verheißungen an die Väter und die bleibende Erwählung des Gottesvolkes Israel, die als Beweis für die Treue und Gerechtigkeit Gottes dient, so deutlich herausgestellt werden. Denn Paulus verweist auch auf die Unterschiede, nämlich das Evangelium und die 133
Vgl. Wilckens, Der Brief an die Römer, 246. Vgl. Jer 11,16, wo das Motiv des Ölbaumes jedoch anders ausgestaltet wird. Denn hier werden die Äste im Feuersturm verbrannt, wovon Paulus schweigt, und zudem stehen bei Paulus die Zweige im Vordergrund. 134 Ebd. 135 Vgl. Röm 11,17.21. 136 Vgl. Röm 11,18. 137 Vgl. Frankemölle, Jüdische Wurzeln, 39, der hier ein Bild des paulinischen Ölbaumgleichnisses von Mußner aufnimmt. 138 Vgl. Röm 9,11; 11,25. Vgl. auch Theobald, Der Römerbrief, 264. Die Verstockung ist nach Paulus jedoch keinesfalls als Faktor für einen Ausschluss vom Heil Gottes zu bewerten. Das Geheimnis, das Paulus in 11,25 anspricht, besteht also darin, dass nur ein Teil Israels von der Verstockung betroffen und dass diese temporär aufzufassen ist.
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Bedeutung Jesu.139 Das Evangelium als „Stein des Anstoßes“ und als Grund der Feindschaft wird nicht als entscheidender Punkt für die Erwählung durch Gott betrachtet.140 In Röm 11,28 liegt die Betonung eben gerade auf dem durch κατὰ δέ angefügten zweiten Hauptsatz, sie sind Geliebte wegen der Väter.141 Es lässt sich also festhalten, dass Paulus in Röm 9-11 die enge Verwurzelung von Juden und Christen trotz der gravierenden Unterschiede zueinander hervorhebt und somit nachhaltig stärkt. Gottes Treue und Gerechtigkeit, die er im Röm theologisch entfaltet, verbietet eine Enterbung und Verwerfung Israels, seines erwählten Volkes. Vor dem Hintergrund dieses entfalteten Gottesbildes sowie der Verhältnisbestimmung von Juden und Christen kann und wird Röm 9-11 in der modernen Forschung m. E. zu Recht zum hermeneutischen Schlüssel des NT genutzt. Der Bund Gottes mit Israel ist unwiderruflich und ungekündigt! 2.2. Zwischenfazit: Die Verhältnisbestimmung von Juden und Christen im NT vor ihrem zeit- und religionsgeschichtlichen Hintergrund In den vorangegangenen Kapiteln zum ntl Befund der Verhältnisbestimmung von Juden und Christen habe ich versucht, deutlich zu machen, dass diese Texte stark situativ und in ihrem historischen Entstehungskontext betrachtet werden müssen, da die ntl Autoren von den Umständen ihrer Zeit maßgeblich beeinflusst worden sind und diese zum Teil in ihren Schriften reflektieren. Handelte es sich bei den teils heftig geführten Auseinandersetzungen und Streitgesprächen beispielsweise in den Evangelien vor dem Hintergrund des Neuformierungsprozesses nach der Tempelzerstörung 70 n. Chr. um innerjüdische Konflikte und Polemik, die aufgrund der großen Nähe der einzelnen Gruppierungen wohl besonders scharf ausfiel, aber in der Antike keineswegs selten war, so 139
Vgl. EKD, Christen und Juden I-III, 95. Vgl. Röm 9,32; 11,28. 141 Vgl. Röm 11,28. 140
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wurden diese ntl Aussagen im Munde von Christusgläubigen nichtjüdischer Herkunft in der Zeit danach schnell zu negativen, antijudaistischen Aussagen, von denen auch wir heute nicht verschont bleiben, wenn wir uns historischen Texten mit diesem antijudaistisch geprägten Vorverständnis widmen. Bei der exegetischen Untersuchung jener Bibelstellen, die in besonderem Maße den christlichen Antijudaismus gestützt haben, ist aufgefallen, dass eine solche Auslegung vielmehr der Rezeptionsund Auslegungsgeschichte ebendieser Bibelstellen zuzuschreiben ist als der eigentlichen Wirkung des Textes.142 Die zum Teil heftige innerjüdische Polemik will situationsgebunden und kontextual verstanden und interpretiert werden und darf nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden. Denn willkürlich aus dem Erzählrahmen gerissene Zitate, die als Argument für antijudaistische Aussagen herangezogen worden sind, müsste man ohne ihre notwendige historische und kompositionelle Einbindung der einzelnen Schriften zweifelsfrei antijudaistisch verstehen. Dass Mt 21,43f. nicht eine kollektive und endgültige Verwerfung des Gottesvolkes Israel zum Ausdruck bringt, konnte mithilfe der Analyse dieser Perikope innerhalb der mt Gesamtkomposition gestützt werden. Die Substitutions- und Enterbungstheologie erhält zudem bereits bei Paulus als frühestes Zeugnis eine klare und entschiedene Absage. Auch einer Generalisierung und generationsübergreifenden Kollektivschuld der Juden am Tode Jesu, wie sie mit Berufung auf Mt 27,25 und Joh 8,44 jahrhundertelang gestützt und als Legitimation aus der Heiligen Schrift für Judenverfolgungen missverstanden worden sind und so fatale Folgen für die Juden hatten, kann ich mit Bezug auf die obigen Analysen deutlich widersprechen, da es sich an keiner Stelle um die Juden in ihrer 142
Als „Antijudaismus“ verstehe ich dabei eine pauschalisierende und totale Ablehnung von Angehörigen des Judentums aus religiösen Beweggründen. Wenn man sich von der Rezeptionsgeschichte der ntl Schriften, vor allem der der Kirchenväter, in seiner Bibelauslegung leiten lässt, so muss ich mich zweifelsohne Frankemölle anschließen, der provokativ betont, dass man kein Christ sein kann, ohne gleichzeitig antijudaistisch zu sein, was m. E. ein fataler Fehler in der Auslegungsgeschichte aufgrund eines Mangels „an religionsgeschichtlichem Bewusstsein“ ist. Frankemölle, Antijudaismus im Mt?, 86.
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Gesamtheit handelte und im Höchstfalle die jüdischen Autoritäten bzw. die römische Besatzungsmacht die Machtbefugnisse für einen potentiellen Todesbeschluss besaßen. Obgleich auch vielen der oben aufgeführten und auch weiteren ntl Stellen kein positiver Sinn abgewonnen werden kann, in dem Sinne, dass polemische Aussagen nicht auf Kosten anderer gemacht werden, so habe ich dennoch versucht, deutlich zu machen, dass das, was für uns vielleicht antijudaistisch klingen mag und in dieser Perspektive über die Jahrhunderte hinweg ausgelegt wurde, historisch betrachtet vielmehr als innerjüdische Kritik und Polemik zu bewerten ist, sind doch bis auf Lk alle ntl Autoren selbst christusgläubige Juden gewesen und auch gab und gibt es heute noch nicht das Judentum, weshalb der Begriff Antijudaismus meiner Meinung nach nicht für Aussagen des NT angewandt werden darf, da er sich somit ja auch gegen die Autoren und letztlich auch gegen Jesus selbst richten würde.143 Die Intention der Autoren war es, den inneren Zusammenhalt ihrer eigenen Gemeinde zu stärken, nachhaltig zu sichern und gegenüber dem pharisäisch bestimmten Judentum das eigene Selbstverständnis durch klare Abgrenzung zu steigern. M. E. ist es auch bezeichnend, dass Texte wie Röm 9-11, in dem ganz klar eine positive Verhältnisbestimmung von Juden und Christen trotz der herausgestellten Unterschiede zum Vorschein kommt, in nachneutestamentlicher Zeit praktisch nicht rezipiert wurden, was die These stützt, dass der Begriff „Antijudaismus“ innerhalb der Rezeptionsgeschichte zu verorten ist, der dann auf die ntl Schriften angewandt wurde.144 Meine oben dargestellten exegetischen Untersuchungen sollten aber nicht nur dafür sensibilisieren, dass jeder Text, vor allem die des NT, in seiner zeit- und religionsgeschichtlichen 143
Wenn ich Antijudaismus als totale Ablehnung von Angehörigen des Judentums verstehe, sich also gegen die Juden insgesamt richtet, so kann er die christusgläubigen Juden nicht ausschließen und würde sich gegen die ntl Autoren und ihre sich lange Zeit innerjüdisch verstehende Gemeinde und auch den Juden Jesus selbst stellen. Vgl. auch Ben-Chorin, Antijüdische Elemente im NT, 203. 144 Aus dieser ganzen literarischen Einheit von Röm 9-11 wurden lediglich die Verse bezüglich der Verstockung Israels (Röm 11,7.25) aus ihrem Kontext gerissen und so isoliert negativ ausgelegt. Vgl. Henrix, Judentum und Christentum, 32.
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Entstehungssituation und narrativ-kontextual betrachtet und interpretiert werden muss, sondern ich möchte so auch energisch betonen, wie wichtig eine theologische und exegetische Aufarbeitung dieser Texte ist, nicht nur angesichts der fatalen Geschichte von Juden und Christen, sondern auch für unser eigenes christliches Selbstverständnis, das „nicht auf Kosten der jüdischen Identität und Existenz formuliert“145 werden darf. Mit den Worten Martin Bubers möchte ich dazu anregen, auf die Texte zu hören146, die Einheit der Bibel und die Verbundenheit der Christusgläubigen zur Heiligen Schrift Israels sowie das Judesein Jesu wieder wahr- und ernstzunehmen, was ja in den ntl Schriften durch zahlreiche Anspielungen und Zitate aus dem AT nur allzu deutlich wird. Denn nur durch eine reflektierte Positionierung kann es gelingen, den antijudaistisch ausgelegten Bibelstellen im NT eine klare Absage zu erteilen.
145 146
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Frankemölle, Jüdische Wurzeln, 38. Zit. nach Ben-Chorin, Antijüdische Elemente im NT, 212.
3. Die Entwicklung der christlichen Judenfeindschaft bis zum Antisemitismus des 20. Jahrhunderts Wie gravierend sich die christliche Haltung gegenüber den Juden in jüngster Zeit verändert hat und welche bisherigen Erfolge in der Neugestaltung der Beziehung zwischen Christen und Juden bereits erzielt wurden, erhält nur vor dem historischen Hintergrund der Entfremdung und der daraus entstehenden Feindschaft eine angemessene Würdigung. Daher sollen im folgenden Abschnitt in aller Kürze die wichtigsten Stationen dieser zunehmenden Feindschaft nachgezeichnet werden, um so die bereits vorzuweisenden Verdienste und die Bemühung um eine neue Beziehung der christlichen Kirche gegenüber dem Judentum zu betonen und den christlich-jüdischen Dialog als fortwährenden Prozess nachhaltig zu stärken und zu fördern. Nach dem Bar-Kochba-Aufstand verloren die Juden ihre nationale Freiheit, Autonomie und ihre Heimat Jerusalem und lebten fortan in der Diaspora, obgleich das Judentum religio licita blieb.147 Während das Judentum schon der römischen Oberherrschaft machtpolitisch weit unterlegen war, so waren auch die urchristlichen Gemeinden lange Zeit in der Minderheit. Nachdem die Christusgläubigen bereits 64 n. Chr. von Kaiser Nero als Sündenböcke für den großen Brand in Rom verantwortlich gemacht und so nach und nach aus dem Judentum gewissermaßen herausgedrängt worden waren und fortan nicht mehr im Schutz der religio licita, dem Judentum, standen und dem Kaiserkult verpflichtet waren, befanden die Christen sich in einer bedrohlichen und unsicheren Lage. Seitdem waren sie zunehmend Verfolgungen durch die römischen Kaiser ausgesetzt.148 Diese Verfolgungen kulminierten in der letzten 147
Vgl. Henrix, Judentum und Christentum, 28. Als religio licita wurde das Judentum von der römischen Oberherrschaft toleriert und anerkannt. Natürlich lebten seit dem Babylonischen Exil schon Juden in der Diaspora, aber mit Jerusalem hatten sie ihre Freiheit und Heimat verloren. 148 Vgl. a.a.O., 29. Vgl. auch TAC. ann. 15,44. Da die Christen fortan nicht mehr im Schutz der religio licita standen, waren sie dem Kaiserkult unterworfen, was zu Loyalitätsproblemen führte, da im Sinne des Kaiserkultes der römische Kaiser als Gott
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großen Christenverfolgung unter Kaiser Diokletian (303-311 n. Chr.).149 Dann wendete sich das Blatt entscheidend zugunsten der Christen, als Konstatin 306 Kaiser wird. Denn er förderte die junge Religion und gestattete den Christen durch das Mailänder Edikt 313 die freie Ausübung ihres Glaubens.150 Das Christentum entwickelte sich schlagartig aus einer Minderheitenposition zur machtpolitisch überlegenen Religion, die 391 zur Staatsreligion im Römischen Reich erklärt wurde.151 Besonders tragisch ist, dass sich die Judenfeindschaft, die sich „im Konkurrenzkampf um den wahren Glauben, um Anhängerschaft und um Anerkennung“152 in Anknüpfung an die zunächst innerjüdisch geführten Auseinandersetzungen im NT manifestierte und auf literarischer und rhetorischer Ebene ausgefochten wurde, nach der Voranstellung des Christentums weiter zuspitzte und nun auch gewaltsam gegen die Juden vorgegangen wurde.153 In der Verbindung der Judenfeindschaft mit der Entfaltung der christlichen Theologie im 2. und 3. Jh. n. Chr. entstand der christliche Antijudaismus, der sich in der Auslegung der ntl Schriften durch die Kirchenväter, wie oben bereits herausgestellt, als integraler Bestandteil der christlichen Theologie entwickelt hatte.154 Das von den verehrt wurde, was die Christen jedoch mit ihren Glaubensüberzeugungen nicht vereinbaren konnten. Vgl. ebd. 149 Während die Verfolgungen der Christen anfangs nur punktuell waren, begann unter Kaiser Septimius Severus (195-211) die öffentliche und organisierte Verfolgung der Christen. Aber erst die Verfolgungen ab Ende des 3. Jh. waren gegen das Christentum als Religion gerichtet. Vgl. Jung, Kirchengeschichte, 27-32. 150 Vgl. a.a.O., 32. 151 Vgl. Henrix, Judentum und Christentum, 35f. 152 König, Judenfeindschaft, URL: http://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/37951/von-der-antike-bis-zurneuzeit, Stand: 23.11.2006. 153 Vgl. Jung, Kirchengeschichte, 33-39; 94. Die Judenfeindschaft hatte ihre Wurzeln bereits in der Antike und war keine „Erfindung“ der Christen. Denn auch römische Schriftsteller haben das Judentum immer als Aberglauben, als superstitio, bezeichnet, sich verächtlich über diese geäußert und ihre traditionellen Riten wie die Beschneidung verspottet, was aber gegenüber den Christen genauso geschah. Vgl. Laqueur, Gesichter des Antisemitismus, 56-59. 154 Vgl. ebd.; Henrix, Judentum und Christentum, 33; Laqueur, Gesichter des Antisemitismus, 62-65. Hier ist besonders Johannes Chrysostomos mit seinen aggressiven
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Kirchenvätern erschaffene Zerrbild der Juden als Gottesmörder und von Gott Verworfene, das durch antijüdische Stereotype und Vorurteile meist religiöser Natur aufgeladen wurde und das Verhältnis von Christen und Juden vergiftete155, wurde durch Volksfrömmigkeit und Aberglaube über das Mittelalter bis in die Neuzeit stetig weiter tradiert. 156 Während die Christen also in ihrer Rechtsstellung seit Kaiser Konstantin kontinuierlich gefördert und gestärkt worden sind, wurden die Juden zunehmend in ihren Rechten eingeschränkt. Nachdem das Christentum Staatsreligion geworden war, wurden religiöse Motive der Judenfeindschaft auch auf den politischen Bereich ausgeweitet, was Judenverfolgungen, Gewalt, Kreuzzüge, Pogrome und Ghettoisierung für die Juden in ganz Europa zur Folge hatte.157 Durch Konzile, Beschlüsse und Gesetze wurden die Juden immer mehr an den Rand der Gesellschaft getrieben.158 Diese zunehmende soziale Separierung der Juden erreichte 1215 einen Höhepunkt auf dem IV. Laterankonzil, das jedoch durch die gewaltsame Vertreibung aus Spanien 1492 noch übertroffen worden ist.159 Ab dem 13. Jh. wurden zudem Zwangspredigten und –taufen vorgenommen, zuReden gegen die Juden zu nennen, auf die auch die Nationalsozialisten später zurückgriffen. Vgl. Laqueur, Gesichter des Antisemitismus, 63. Vgl. auch Schoeps, Die missglückte Emanzipation, 151f. 155 Zu den typischen antijüdischen Vorurteilen, die sich hartnäckig bis ins 20. Jh. hielten und zumeist religiösen Ursprung hatten, gehören: die Verstockung Israels, die Verwerfung und Enterbung Israels durch Gott, die Juden als Christus- und Gottesmörder. Auch wurden die Schriften des AT zunehmend antijüdisch ausgelegt, indem dort das Werk eines rachsüchtigen und hasserfüllten Gottes gesehen wurde ganz im Gegensatz zu dem vergebenden und liebevollen Gott des NT. Im Mittelalter kamen noch die Legenden der Hostienschändung, des Ritualmordes und der Brunnenvergiftung als Ursache für die Pest dazu. Vgl. Henrix, Judentum und Christentum, 32f.; 38; 55f. Vgl. auch Jung, Kirchengeschichte, 94ff. 156 Neben den oben schon erwähnten Vorurteilen und Legenden gegenüber den Juden wurden im Mittelalter auch ganz bestimmte bildliche Darstellungen von Juden und Synagogen propagiert, durch die antijüdische Vorurteile aller Art gebündelt im einfachen Volk verbreitet wurden. Vgl. Jung, Kirchengeschichte, 95f. 157 Vgl. Henrix, Judentum und Christentum, 36f. 158 Vgl. a.a.O., 35-46. 159 Nach dem IV. Laterankonzil mussten die Juden sich nun sogar durch ihre Kleidung kennzeichnen. Vgl. a.a.O., 49-55.
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nächst in Spanien und ab dem 15. Jh. nach der Bestätigung dieser Praxis gegen die Juden auf dem Konzil in Basel 1434 auch in ganz Europa.160 Auch die reformierten Kirchen hielten an dem religiös motivierten Antijudaismus und den Vorurteilen fest.161 Dennoch soll an dieser Stelle auch betont werden, dass es in diesen Jahrhunderten des Hasses und der Feindschaft auch friedliches Zusammenleben von Juden und Christen gab, das von gegenseitigem Austausch und Dialog miteinander geprägt war, der vor allem im 19. und beginnenden 20. Jh. im Zuge der Emanzipation blühte.162 Diese Mischung aus religiösen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Motiven für den Judenhass bereitete den Nährboden für den rassistisch motivierten Judenhass, dem Antisemitismus, der eine ganze neue, unbekannte Form des Judenhasses darstellte.163 Die Vorstellung 160
Vgl. Ruppert, „Disputatio judaei cum christiano“, 34. Für eine sehr gute und fokussierte Zusammenfassung zur Judenmission im Mittelalter vgl. a.a.O., 27-37. 161 Vgl. Henrix, Judentum und Christentum, 57. 162 Vgl. a.a.O., 39f. Laqueur sieht diese Perioden des friedlichen Zusammenlebens als Grund dafür, dass die Judenfeindschaft nicht „rein doktrinär-religiöser Art“ gewesen ist. Laqueur, Gesichter des Antisemitismus, 14. Im Zuge der Emanzipation im 19. Jh. erhielten die Juden die Rechtsgleichheit, die Ghettos wurden aufgelöst und zudem durften sie nun am wirtschaftlich-sozialen Leben partizipieren. Vgl. Jung, Kirchengeschichte, 194-197; Marienfeld, Die Juden zwischen Emanzipation und Antisemitismus, 61-77. 163 Auch heute gibt es keine einheitliche Definition von „Antisemitismus“. Obgleich der Begriff „Antijudaismus“ primär eine religiös-theologisch begründete Judenfeindschaft impliziert und der Antisemitismus vielmehr nationalistisch-rassistisch begründet ist, so ist beiden Begriffen dennoch eine negative, feindliche Haltung gegenüber den Juden gemeinsam, die alle denkbar schlechten Charaktereigenschaften vereint. Da beide Begriffe eine Interdependenz aufweisen, ist in der modernen Antisemitismusforschung umstritten, wie die beiden Begriffe sprachlich verwendet werden sollten. Während einige die Begriffe „Antijudaismus“, „Antisemitismus“ und „Judenfeindschaft“ als Synonyme betrachten, möchte ich diese Begriffe der Mehrheit folgend differenziert verwenden. „Antijudaismus“ verwende ich für historische und religiös begründete Formen des Judenhasses, „Antisemitismus“ dagegen für neuzeitliche Phänomene des Judenhasses. Vgl. Stegemann, Von der Schwierigkeit sich von sich zu unterscheiden, 47-50. Vgl. auch Dunn, The Question of Anti-semitism in the New Testament, 180; Luckner, Christen und Juden, 185; Marienfeld, Die Juden zwischen Emanzipation und Antisemitismus, 74.
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der Juden als minderwertige Rasse wurde so zur „Voraussetzung für die schlimmste Judenverfolgung der Menschheitsgeschichte.“164 Mit der Machtergreifung Hitlers 1933 begann in Deutschland und Europa die finsterste Zeit der Judenverfolgung. Die Ideologie des NS-Regimes war von Anfang an durch antijüdische Züge geprägt.165 So begann ab den 1930er Jahren erneut die zunehmende wirtschaftliche und gesellschaftliche Ausgrenzung der Juden in Deutschland, die in der „Endlösung der Judenfrage“, der systematischen Ermordung der Juden in Europa ihren schrecklichen Höhepunkt erreichte, wodurch fast 6 Millionen Juden im Holocaust auf grausame Art ihr Leben verloren haben.166 Die Haltung der christlichen Kirche gegenüber der antisemitischen Ideologie der Nationalsozialisten war ambivalent. Während die katholische Kirche den Nationalsozialismus von Anfang an geschlossen und kompromisslos abgelehnt hat167, so lässt sich von evangelischer Seite keine einheitliche Haltung bezüglich des NS-Regimes und seiner Ideologie erkennen, was wohl nicht zuletzt an ihrer Zersplitterung in 28 Landeskirchen und der 164
Henrix, Judentum und Christentum, 59. Die theologisch begründete Antithese von Judentum und Christentum entwickelte sich durch den aufkommenden Nationalismus seit Beginn des 19. Jh. zur „Antithese Judentum-Deutschtum.“ S. Schoeps, Die missglückte Emanzipation, 157. 165 Vgl. Luckner, Christen und Juden, 193f. Diese Züge deuteten sich bereits in dem Wahlprogramm der NSDAP von 1924 an: „Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.“ Ebd. 166 Schoeps hat darauf hingewiesen, dass die meisten Gesetze, die gegen die Juden beschlossen worden waren, im Wortlaut sehr nahe an Gesetzen wie z. B. jenen aus dem IV. Laterankonzil waren. Es war keine „Erfindung der Nazis, sondern hatte eine uralte kirchliche Tradition.“ Schoeps, Die missglückte Emanzipation, 153f. So z. B. die Gesetze zur Eheschließung, zur räumlichen Separierung und zur Kennzeichnung der Juden durch Kleidung. 167 Durch das 1933 unterzeichnete Reichkonkordat konnte die katholische Kirche sich wichtige kirchliche Rechte, die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und dessen Verbreitung verschaffen. Konflikte mit dem NS-Regime entstanden dennoch aufgrund von Protesten einzelner Bischöfe gegen die nationalsozialistische Ideologie und Verfolgung von Juden und Euthanasie. Selbst Papst Pius XII. nahm in der Enzyklika Mit brennender Sorge 1937 Stellung zu der Unterdrückung der Kirche und den Verbrechen der Nazis. Vgl. Jung, Kirchengeschichte, 205f. Vgl. Mehlhausen, Art. Nationalsozialismus und Kirchen, TRE 24, 49; 58.
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Spaltung der evangelischen Kirche lag, die aus der Einführung des „Arierparagraphen“ 1933 in der Kirche resultierte.168 Obgleich es einzelne Widerstandskämpfer und Proteste sowohl auf katholischer als auch auf evangelischer Seite gegeben hat, so haben die Kirchen als Institutionen versagt, da sie nicht aktiv gegen die Nürnberger Gesetze, die Reichspogromnacht und gegen die systematische Judenvernichtung protestiert haben, sondern mit Schweigen übergingen.169 Die christliche Kirche war „stumm, wo sie hätte schreien müssen, weil das Blut der Unschuldigen zum Himmel schrie. […] Die Kirche bekennt die willkürliche Anwendung brutaler Gewalt […], ohne ihre Stimme für sie zu erheben.“170 Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass das über Jahrhunderte tradierte Bild der Juden, das von allerhand antijüdischen Vorurteilen und Stereotypen gespeist worden ist, die meist auf dem ausgrenzenden und diffamierenden Verhalten der christlichen Mehrheitsbevölkerung beruhten, mit der Verbindung des Rassegedankens des 19. Jh. die Voraussetzung für die Verbrechen der Schoa gebildet hat, in der von Seiten der christlichen Kirche kein aktiver, geschlossener Widerstand gegen die rassistische und antichristliche Kirchenpolitik im Dritten Reich und insbesondere gegen die Judenverfolgung und –vernichtung geleistet wurde.
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Die einzelnen Landeskirchen wurden 1933 als „Deutsche Evangelische Kirche“ zusammengeschlossen, was auf Unterstützung und Widerstand zugleich stieß. Besonders die 1932 neu gegründete Glaubensgemeinschaft „Deutsche Christen“ unterstützte Hitler. Nach der Einführung des „Arierparagraphen“ in der Kirche kam es zum Kirchenkampf und zur anschließenden Spaltung der evangelischen Kirche. Hierbei sei vor allem auf den Pfarrernotbund unter Martin Niemöller und die daraus entstehende Bekennende Kirche hingewiesen, die den Arierparagraphen als Verfälschung der christlichen Lehre ansahen. Vgl. Jung, Kirchengeschichte, 203ff. Mehlhausen, Art. Nationalsozialismus und Kirchen, TRE 24, 50; 54ff. 169 Vgl. Mehlhausen, Art. Nationalsozialismus und Kirchen, TRE 24, 66-69; Pawlikowski, Art. Judentum und Christentum, TRE 17, 390. 170 Gremmels/ Grosse, Dietrich Bonhoeffer, 21.
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4. Der Weg der Umkehr und Neuorientierung der christlichen Kirche nach 1945 Die Schoa hat die Welt und auch die christliche Kirche in ihrem Selbstverständnis zutiefst erschüttert. Wie konnte Auschwitz möglich sein? Wie konnte Gott Auschwitz zulassen? Wie kann Theologie nach Auschwitz überhaupt noch möglich sein? Auschwitz war „Impuls zum Umdenken“171, aber trotz vieler Erklärungsversuche und Entwürfe einer Theologie nach Auschwitz sowohl auf jüdischer wie auch auf christlicher Seite ist und bleibt Auschwitz im wörtlichen Sinne unfassbar und rational nicht erklärbar.172 Diese Fragen beschäftigen die christliche Kirche bis heute und beeinflussen jede Begegnung zwischen Juden und Christen maßgeblich. Klar war, die christliche Kirche konnte die nationalsozialistischen Verbrechen nicht einfach weiter mit Schweigen übergehen. Doch nach Kriegsende erkannten nur wenige Theologen und Christen das wahre Ausmaß der Judenverfolgung und die damit einhergehende, tief verankerte christliche Judenfeindschaft, die mit der Vorgeschichte der Schoa unheilvoll verflochten ist. Die Frage nach einer Mitschuld der christlichen Kirche an den Verbrechen des Dritten Reiches war nach Kriegsende unabdinglich als Anstoß dafür, die eigene Haltung gegenüber dem NS-Regime und zum Judentum grundlegend zu hinterfragen und zu korrigieren. Denn nur mit dieser Erkenntnis kann der Wille für Veränderung und Umkehr aufkommen sowohl für einen innerchristlichen Erneuerungsprozess als auch für die christliche Haltung gegenüber dem Judentum. Es ist immer leicht, Irrtümer und Schuld bei anderen zu finden und zu verurteilen, aber die Begegnung mit dem Ju171
Frankemölle, Zum jüdisch-christlichen Dialog in Deutschland, 23. Als herausragendes Beispiel soll für die deutschsprachige Literatur Friedrich W. Marquardt hervorgehoben werden, der mit seiner siebenbändigen Dogmatik, die keine Diffamierung und Herabsetzung des jüdischen Glaubens intendiert, entscheidend zu einer Neuinterpretation des christlichen Glaubens im Angesicht des lebendigen Judentums beigetragen hat. Zu weiteren Ansätzen einer Theologie nach Auschwitz vgl. Petersen, Theologie nach Auschwitz?, 42-60; 62ff.; 93-105; 112-123. Petersen stellt einzelne Ansätze und Grundüberlegungen zu einer Theologie nach Auschwitz zusammen und vergleicht diese miteinander. 172
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dentum angesichts der verheerenden Leidensgeschichte der beinahe letzten 2000 Jahre setzt voraus, diese auch bei sich selbst zu suchen. In diesem Sinne stellt das Schuldbekenntnis in der religiösen Neuorientierung nach 1945 einen wichtigen und nicht zu übergehenden Punkt dar.173 Im Schatten von Auschwitz bleibt es dabei die „vordringliche Aufgabe jeder christlichen Theologie […], das traditionelle Antiverhältnis zum Judentum zu überwinden.“174 Wenn wir auch die Vergangenheit nicht ändern können, so gilt es jetzt, eine kritische Revision der christlichen Theologie vorzunehmen, in der die unlösbare Verbundenheit zwischen Christen und Juden zum integralen Bestandteil der christlichen Identität wird, die nicht mehr auf Kosten der jüdischen Existenz gewonnen werden darf, da so schon viel zu lange die christliche Judenfeindschaft genährt wurde. Es geht also nicht um eine Schuldzuschreibung, sondern vielmehr darum, die Ursachen für eine solche antijüdische Entwicklung, die zu einem großen Teil durch die christliche Auslegungstradition gestützt wurde, zu erkennen und zu beseitigen. Sowohl auf katholischer als auch auf evangelischer Seite wurde nach Kriegsende zunächst sehr zaghaft Stellung zu den Ereignissen und der eigenen Haltung bezüglich der Verbrechen im Dritten Reich bezogen, von denen ich im Folgenden auf jeder Seite jene Ereignisse vorstellen möchte, die zum Durchbruch führten, die Kluft und den über Jahrhunderte angestauten Hass zwischen christlicher Kirche und Judentum zu überwinden, und somit einen entscheidenden Wendepunkt in der Begegnung zwischen Judentum und Christentum darstellten. 4.1. Die Neugestaltung der christlich-jüdischen Beziehung von Seiten der katholischen Kirche Von Seiten der katholischen Kirche stellt das Zweite Vatikanische Konzil von 1962-1965 den Wendepunkt dar, das bis heute entscheidende Impulse zur Weiterarbeit nicht nur im christlich-jüdischen Dialog, son173 174
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Vgl. auch EKD, Christen und Juden I-III, 63. A.a.O., 204f.
dern auch im interreligiösen Dialog geleistet und bleibende Bedeutung hat. Nachdem ich im Folgenden kurz auf die Intention des Konzils eingegangen sein werde, möchte ich einen besonderen Schwerpunkt auf die im Konzil erarbeitete Erklärung Nostra aetate legen, da die katholische Kirche in dieser Erklärung ihre positive Haltung gegenüber nichtchristlichen Religionen formuliert, was in der Geschichte der Kirche bis dato einmalig war. 4.1.1. Die Intention des Zweiten Vatikanums Nur wenige Monate nach seiner Wahl zum Papst kündigte Papst Johannes XXIII. 1959 völlig überraschend ein Konzil an.175 Seine Ziele für das Zweite Vatikanum definierte er sehr deutlich, die sich an den Veränderungen und Entwicklungen in der Zeit nach 1945 orientieren und insbesondere auf den Dialog zwischen der katholischen Kirche und der Welt eingehen sollten. Unter dem Leitwort aggiornamento176 lassen sich im Wesentlichen drei Hauptziele konstatieren: Die katholische Kirche sollte aufgrund der stark veränderten und sich stetig verändernden Welt auch ihre eigene Sichtweise und ihr Verhältnis zu dieser Welt notwendigerweise neu festlegen und ordnen. Nachdem die katholische Kirche sich als societas perfecta von der modernen, sich weiterentwickelnden Welt abgeschirmt hat und dieser meist auch ablehnend gegenüber getreten ist, war zunächst eine innerkirchliche Reform notwendig, um den 175
Vgl. Henrix, Nostra aetate, 228. Überraschend war die Ankündigung eines Konzils deshalb, weil ein Konzil in der Vergangenheit eigentlich einberufen wurde, um Konflikte in Glaubensfragen, Irrtümer oder Häresien zu klären oder aber um der Einheit oder Wiederherstellung der Kirche wegen. Vgl. Renz, Die katholische Kirche, 94. 176 Aggiornamento kommt aus dem Italienischen und kann ins Deutsche sinngemäß nicht genau wiedergegeben werden, da Papst Johannes XXIII. diesen Begriff aus der Umgangssprache entlehnte und ihm eine theologische Dimension verlieh. Am nächsten kommt eine Übersetzung im Sinne von „Heutigwerden“, jedoch impliziert diese Übersetzung keinesfalls eine Anpassung an den Zeitgeist, sondern vielmehr eine „Verknüpfung von Glaubensvertiefung und Zeitbezug.“ Bredeck, Das Zweite Vatikanum, 26f. Für einen umfassenden Überblick auf die Semantik und Hermeneutik von Aggiornamento vgl. ebd.
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Entwicklungen der modernen Welt gerecht zu werden.177 In diesem Sinne sollte auch Liturgie und christliche Glaubenslehre eine Neuorientierung erfahren. Außerdem sollte das Konzil die Einheit der Christen und aller Menschen fördern und den Beginn für einen Dialog in der modernen, pluralistischen Welt mit anderen Religionen und Kulturen darstellen.178 Papst Johannes XXIII. selbst gab diesen Anstoß vor allem im Hinblick auf die Beziehung zwischen Judentum und Christentum und ebnete den Weg aus der langen christlichen Judenfeindschaft hin zu einem freundlichen, respektvollen Dialog mit dem Judentum, indem er den Vers Oremus pro perfidis Judaeis aus der Jahrhunderte alten Karfreitagsfürbitte sowie weitere judenfeindliche Aussagen aus der Liturgie streichen ließ.179 Im Sinne des aggiornamento ist die Erklärung Nostra aetate von entscheidender und bleibender Bedeutung, da in dieser erstmals auch offizielle, positive Grundgedanken zu nichtchristlichen Religionen aufgenommen und so wichtige und zukunftsweisende Impulse für eine positive Erneuerung der christlichen Theologie und Lehre im Gegenüber anderer Religionen und insbesondere hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von christlicher Kirche zum Judentum gegeben worden sind.180 Daher soll im Folgenden die Erklärung Nostra aetate inhaltlich näher betrachtet und im Hinblick auf die Neuorientierung von Christentum und Judentum untersucht werden. 4.1.2. Die Erklärung Nostra aetate Die Erklärung Nostra aetate stellt ein absolutes Novum in der christlichen Kirche dar und besitzt Einzigartigkeitscharakter in mehrerlei Hin177
Vgl. Renz, Die katholische Kirche, 95f. Vgl. a.a.O., 97. 179 Vgl. Henrix, Nostra aetate, 230ff. 180 Diese Erklärung entsprang dem persönlichen Verlangen Johannes´ XXIII., der während der NS-Zeit die Judenverfolgungen hautnah mitbekommen und sich aktiv für die Juden in dieser Zeit engagiert hat. Er erhielt auch von außen und von jüdischer Seite Unterstützung für die Erarbeitung einer solchen Erklärung über die Beziehung zwischen Kirche und jüdischem Volk. Vgl. Henrix, Nostra aetate, 230-235; Renz, Die katholische Kirche, 229ff.; 241f. 178
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sicht. Da der Text sowie einige Formulierungen der Erklärungen, die uns heute 50 Jahre nach der Entstehung teils unverständlich oder schwammig vorkommen mögen, maßgeblich durch religiöse wie politische Faktoren ihrer Entstehungszeit beeinflusst worden sind, werde ich in diesem Abschnitt zunächst einen kurzen Blick auf den Entstehungsprozess von Nostra aetate legen, um dann anschließend den Inhalt dieser Erklärung erläuternd vorzustellen.181 Der Entstehungsprozess von Nostra aetate ist äußerst komplex und mit vielen Schwierigkeiten und Hindernissen verbunden, die hier jedoch nicht alle nachgezeichnet werden können.182 Nach der feierlichen Eröffnung des Konzils im Oktober 1962 folgten drei weitere Sitzungsperioden, in denen man sich jeweils neu aufgetretenen Problemen in Bezug auf die anfangs geplante Judenerklärung stellen musste.183 Denn sowohl die Wardi-Affäre als auch der Pontifikatswechsel 1963 belasteten den Verlauf des Konzils und die Entstehung einer Judenerklärung schon zu Beginn.184 Allerdings kündigte der neu gewählte Papst Paul VI. kurz nach seiner Ernennung die Weiterführung des Konzils an. Dass er die geplante Judenerklärung nun dem Ökumenismusdekret als viertes Kapitel anhängen wollte, stieß auf großen Widerstand und Debatten, in denen erstmals auch die Forderung nach einer Erklärung über andere Religio181
Dass bei der Auslegung der Konzilstexte ihr Entstehungsprozess notwendigerweise eine besondere Berücksichtigung finden muss, hebt Pesch nachdrücklich hervor. Vgl. Pesch, Das Zweite Vatikanische Konzil, 148-156. 182 Da ich im Folgenden nur die allerwichtigsten Punkte der Entstehungsgeschichte ansprechen kann, verweise ich auf Renz, der den Prozess sehr ausführlich beschreibt und zudem die unterschiedlichen Textfassungen von Nostra aetate aufführt. Vgl. Renz, Die katholische Kirche, 98-128. 183 Die erste Sitzungsperiode war vom 11. Oktober – 8. Dezember 1962, die zweite vom 29. September – 4. Dezember 1963, die dritte vom 14. September – 21. November 1964 und die vierte und letzte vom 14. September – 8. Dezember 1965. Vgl. ebd. 184 Im Zuge der sogenannten Wardi-Affäre wurde von Seiten der arabischen Welt befürchtet, dass das Konzil sich politisch und pro Israel aussprechen würde, was auf große Debatten stieß, weshalb die geplante Judenerklärung zunächst vertagt wurde. Zudem wurde das Konzil aufgrund des Todes von Johannes XXIII. vorerst unterbrochen. Vgl. Roddey, Das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, 35.
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nen laut wurde.185 Während von Johannes XXIII. zunächst nur eine Erklärung zum Verhältnis von christlicher Kirche und Judentum geplant war, wurde sie unter Paul VI. auf alle nichtchristlichen Religionen erweitert.186 Jedoch verblieb auch die zweite Sitzungsperiode ohne Erfolg in Bezug auf die Judenerklärung, die aufgrund der Zuspitzung des arabisch-israelischen Konflikts und der Vermutung einer politischen Einmischung seitens der katholischen Kirche weiter vertagt wurde. Obgleich auch die nächste Sitzungsperiode Konfliktpotenzial bezüglich der Judenerklärung barg, war dennoch eine mehrheitlich positive Resonanz bei den Konzilsvätern zu erkennen und die zuvor aufgrund des Nahostkonflikts abgeschwächte Textversion wurde erneut geändert, stieß jedoch abermals auf Konflikte und Polemik seitens der arabischen Länder, da den Konzilsvätern, die sich für die Judenerklärung aussprachen, finanzielle Bestechung von jüdischer Seite unterstellt wurde.187 Dennoch kam es schließlich zu einer Neubearbeitung und endgültigen vierten Textfassung von Nostra aetate, die im Oktober 1965 mit klarer Mehrheit in der Schlussabstimmung feierlich verabschiedet worden ist.188 Es kann also festgehalten werden, dass die Erklärung Nostra aetate einen langwierigen Entstehungsprozess durchlaufen ist und schließlich die „echte Frucht der Konzilsdebatten“189 darstellt. Denn die Textgenese der Erklärung wurde sowohl durch innerkirchliche Debatten zwischen den Konzilsvätern in Bezug auf die Bewältigung der christlichen Vergangenheit und der damit verbundenen theologischen Neupositionierung in der modernen Welt als auch durch Debatten außerhalb des Vatikans wie z. B. durch den Nahostkonflikt und den damit verbundenen politischen 185
Vgl. a.a.O., 35f. Diese Ausdehnung der Erklärung auch auf andere nichtchristliche Religionen befürwortete Papst Paul VI. selbst in seiner Enzyklika Ecclesiam suam von 1964 und statuierte ein Exempel durch seine Reisen nach Israel und Indien im selben Jahr. Vgl. ebd. 187 Vgl. a.a.O., 36f. 188 Vgl. ebd. 189 A.a.O., 33. 186
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und gesellschaftlichen Interessen und Konflikten maßgeblich beeinflusst. 4.1.2.1. Zum Inhalt der Erklärung Nostra aetate Mit ihren fünf Artikeln ist die Erklärung Nostra aetate das kürzeste Dokument, das während des Zweiten Vatikanums unter dem Titel Declaratio de ecclesiae habitudine ad religiones non-christianas von den Konzilsvätern erarbeitetet wurde. Im Folgenden werde ich kurz auf den Inhalt der Erklärung in ihrem lateinischen Originallaut bzw. in eigener deutscher Übersetzung eingehen, wobei der Schwerpunkt auf dem „Herzstück“190 der Erklärung, dem 4. Artikel, liegen soll, in dem die Verhältnisbestimmung von Christentum und Judentum zur Sprache kommt.191 Die anderen Artikel können des Umfangs wegen an dieser Stelle nicht einzeln näher betrachtet, sondern lediglich am Rande erwähnt werden. Die Erklärung beginnt mit den Worten Nostra aetate, durch die die aktuelle Wahrnehmung der Zeit betont wird. Der erste Artikel, der aus drei Abschnitten besteht, stellt gewissermaßen das Vorwort dar, auf dessen Grundlage sich die folgenden Artikel manifestieren. Im ersten Abschnitt werden die aktuellen Umstände der modernen Welt herausgestellt, nämlich die Pluralität von Völkern und nichtchristlichen Religionen (Pl.!), mit der die Kirche sich auseinandersetzen und ihre Haltung zu dieser Pluralität definieren muss. Im Zeichen dieser Zeit sieht die katholische Kirche ihren Sendungsauftrag in der „Einheit und Liebe unter den Menschen und den Völkern“192, die sich vor allem im Verbindenden der Menschen manifestiert. Während bisher vor allem die Unterschiede der 190
Pesch, Das Zweite Vatikanische Konzil, 305. Den lt. Text entnehme ich folgender Internetseite: Concilii Secretarius Generalis, Nostra Aetate, URL: http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vatii_decl_19651028_nostra-aetate_lt.html, Stand 09.09.2017. Jene deutschen Zitate aus der Erklärung stellen dabei meine eigene Übersetzung des lt. Originaltextes dar. 192 Vgl. unitas und caritas, NA 1,1. 191
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Abgrenzung wegen hervorgehoben worden sind, so ist dieser konsenshermeneutische Ansatz, der im zweiten Abschnitt schöpfungstheologisch und eschatologisch begründet und zur Grundlage der theologischen Perspektive der ganzen Erklärung wird, Zeugnis für die deutlich veränderte Haltung der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen.193 Denn durch den Versuch einer sehr offenen Definition des Begriffs religio in NA 1,2 wird deutlich, dass alle Menschen die gleichen existenziellen Fragen des Lebens beschäftigen, deren Antwort sie in unterschiedlichen Religionen suchen.194 Die theologisch-heilsgeschichtliche Basis ist der universale Heilswille Gottes, der sowohl der gemeinsame Ursprung als auch das gemeinsame Ziel aller Menschen darstellt.195 Nachdem im zweiten Artikel der Hinduismus und der Buddhismus namentlich erwähnt und deren Charakteristika knapp aufgezählt worden sind196, so wird der Blick anschließend auf alle weiteren Religionen, ohne sie explizit beim Namen zu nennen, ausgeweitet, die durch ihre „Lehren und freilich Regeln und gewiss auch heilige Riten“197 den Menschen ihren Weg weisen. Durch die Verwendung der Begriffe 193
Ähnlich auch Renz, Die katholische Kirche, 130f. Das lt. Wort religio ist von seiner Bedeutung her sehr variabel. Vgl. Georges 4115ff. s. v. religio. Die Schwierigkeit einer semantisch genau zutreffenden Übersetzung dieses Wortes wird wohl auch daran deutlich, dass es bis heute keine allgemein anerkannte Definition von „Religion“ gibt. Der Einfachheit halber werde ich im Folgenden unserem Sprachgebrauch folgend religio mit Religion übersetzen. 195 Vgl. Renz, Die katholische Kirche, 130f. 196 Hierbei wird der Schwerpunkt vor allem auf das soteriologische Ziel und dessen Erreichung durch unterschiedliche Wege gelegt. Im Hinduismus werden drei Wege aufgezeigt, um das Ziel „Befreiung von den Bedrängnissen unserer Lage“ (libertationem ab angustiis nostrae condicionis) zu erreichen. Im Buddhismus wird die Lehre Buddhas von der radikalen Unzulänglichkeit dieser veränderlichen Welt (radicalis insufficientia mundi huius mutabilis) als Basis für den Weg zur Erreichung der unterschiedlichen Ziele, die die buddhistischen Wege repräsentieren, erwähnt. Renz stellt die unterschiedlichen Wege des Buddhismus heraus, die er an der „Zielformulierung“ festmacht. Der Theravada-Buddhismus mit dem Ziel des Zustandes „vollkommener Befreiung“ und der Mahayana-Buddhismus, der hier in seine zwei Hauptformen, den Zen-Buddhismus und den Amida-Buddhismus, eingeteilt wird, mit dem Ziel der „höchsten Erleuchtung“. Vgl. ebd. 197 Vgl. doctrinas scilicet ac praecepta vitae necnon ritus sacros, NA 2,2. 194
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„Wahrnehmung“ und „Anerkenntnis“ lässt sich erkennen, dass die katholische Kirche auch in anderen Religionen, die hier nicht näher beschrieben werden, authentische Gotteserfahrungen anerkennt.198 Die katholische Kirche bekennt, dass sie „nichts […], was in diesen Religionen wahr und heilig ist“199 ablehne. Diese positive und respektvolle Haltung gegenüber anderen Religionen wird durch den Zusatz „mit aufrichtigem Ernst“200 noch verstärkt. Während in den ersten beiden Artikeln vor allem die ostasiatischen Religionen thematisiert worden sind, so widmen sich die nächsten beiden den abrahamitischen Religionen, dem Islam und dem Judentum, was durch die Erwähnung Abrahams als gemeinsamer Vater des Glaubens in NA 3 explizit betont wird.201 Der fides islamica202 begegnet die Kirche mit „Hochachtung“.203 Das monotheistische Bekenntnis der Muslime, durch welches der islamische Glauben im Gegensatz zu den bisher genannten Religionen eine besondere Nähe zum Christentum aufweist, wird direkt zu Beginn betont und so die theozentrische Perspektive in den Mittelpunkt gerückt. In der Beschreibung des Verhältnisses zum Islam stützt die Kirche sich auf ihren zu Anfang der Erklärung herausgestellten konsenshermeneutischen Ansatz und beruft sich vor allem auf das Verbindende zwischen Muslimen und Christen.204 Die katholische Kirche ruft dazu auf, vor allem angesichts der islamisch-christlichen Vergangenheit, die von Feindschaft und Konflikten geprägt war, diese feindliche Vergangenheit zu überwinden und 198
Vgl. Renz, Die katholische Kirche, 130f. Ecclesia catholica nihil eorum, quae in his religionibus vera et sancta sunt, reicit. Vgl. NA 2,3. 200 Vgl. sincera cum observantia, NA 2,3. 201 Vgl. Sure 2,131. 202 Auffällig ist, dass im Vergleich zu den Artikeln davor, der Islam nicht als religio bezeichnet wird, sondern lediglich als fides islamica. 203 Vgl. cum aestimatione, NA 3,1. 204 Vgl. z.B. die Attribute Gottes, die aufgezählt und auch im Koran besonders häufig gebraucht werden: Barmherzigkeit, Allmacht und Schöpfermacht. Auch die Verehrung der Jungfrau Maria (vgl. Sure 3,42-48; 19) sowie die eschatologischen Erwartungen (Auferstehung und Jüngstes Gericht) sind als beiden gemeinsam zu bewerten. Ähnlich auch Renz, Die katholische Kirche, 142ff. 199
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sich in Liebe zueinander dem gegenseitigen Verstehen zu widmen und in einen wechselseitigen Dialog zu treten.205 Der vierte Artikel von Nostra aetate ist mit seinen sieben Abschnitten deutlich der längste der ganzen Erklärung und bildet zugleich das „Herzstück“.206 Denn dieser Artikel ist dem Judentum gewidmet und steht anstelle der ursprünglich geplanten Judenerklärung, die das theologische Verhältnis zwischen Christen und Juden in positiver Weise klären und angesichts der langen Jahrhunderte des Hasses und vor allem der Schoa jede Art von Antisemitismus ablehnen und verwerfen sollte. Direkt im ersten Abschnitt wird die Einzigartigkeit der Beziehung und Nähe der christlichen Kirche zum Volk Israel betont, indem auf die geistliche Verbundenheit zwischen dem „Volk des Neuen Bundes mit dem Stamme Abrahams“207 hingewiesen wird. So wird direkt zu Beginn deutlich, dass die Beziehung gegenüber dem Judentum eine ganz andere, intensivere ist als gegenüber den zuvor angesprochenen Religionen, was auch durch die Vokabel vinculum deutlich wird, die nach Zenger in der katholischen Kirche für „das Band der sakramentalen Ehe verwendet“208 wird. Diese Verbundenheit wird noch weiter ausgeführt, indem die Kirche anerkennt, dass der Glaube, die Erwählung und die Berufung der Kirche Christi ihre Anfänge bei Israels Patriarchen Mose und den Propheten haben und dass das Christentum mit dem Judentum durch das gemeinsame Offenbarungserbe eng verbunden ist.209 Die Kirche bekennt sich zu ihren Wurzeln im Judentum und bezeugt, dass in dem Exoduserlebnis des Volkes Israel „das Heil der Kirche geheimnisvoll vorgebildet ist.“210 Um die besondere Beziehung zwischen Judentum und Christentum zu 205
Vgl. a.a.O., 145f. Pesch, Das Zweite Vatikanische Konzil, 305. 207 Vgl. vinculi, quo populud Novi Testamenti cum stirpe Abrahae spiritualiter coniunctus est, NA 4,1. 208 Zenger, Nostra aetate, 51, Zit. nach: Renz, Die katholische Kirche, 148. 209 Vgl. NA 4,1. Ähnlich auch Renz, Die katholische Kirche, 148f. 210 Vgl. mystice praesignari, NA 4,1. 206
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beschreiben, greifen die Konzilsväter auf (deutero)paulinische Formulierungen zurück: Die Christen als „Söhne Abrahams“, die in und durch Jesus Anteil an der Verheißung an Abraham erhalten haben (Gal 3,7ff.; Eph 3,4ff.), die Metapher des Ölbaums für Israel, in welchen die Heiden als wilde Zweige211 eingepfropft worden sind und von der Wurzel genährt werden (Präsens!212; Röm 11,17-24), und abschließend das Bild vom Zaun der Feindschaft zwischen Juden und Christen, der durch Jesu Tod am Kreuz eingerissen worden ist und Einheit geschaffen hat (Eph 2,14ff.).213 Das Konzil bekennt somit die Kontinuität des Volkes Israel und hebt dessen bleibende Erwählung hervor.214 Die Kirche versteht sich dabei als Kirche aus Juden und Heiden, wobei die Verbundenheit zwischen beiden Religionen christologisch begründet wird.215 Im zweiten Abschnitt wird die jüdische Abstammung sowohl Jesu als auch der Apostel in Erinnerung gerufen. Durch die erneute Bezugnahme auf Paulus wird die bleibende Erwählung des Volkes Israel erneut betont, indem die Verben ganz bewusst im Präsens gebraucht werden. Diese bleibende Erwählung des Volkes Israel wird dann im dritten Abschnitt nach paulinischem Vorbild auch explizit betont. Obgleich die Formulierungen von der Nichtannahme und Widersetzung des Evangeliums durch einen Großteil der Juden problematisch sind, da der „traditionelle Verstockungsvorwurf durchklingt“216, so liegt der Schwerpunkt ganz im Sinne des Paulus auf dem nachfolgenden Satz, dass die Juden sehr geliebt bleiben (Präsens!) und die „Gaben und Berufung Gottes unwiderruflich sind.“217 Die traditionell vertretene Substitutionstheolo211
Vgl. rami oleastri Genti, NA 4,1. Vgl. nutriri radice bonae olivae, NA 4,1. Nutriri ist grammatikalisch gesehen Infinitiv Präsens! Passiv von nutrire. 213 Ähnlich auch Roddey, Das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, 45. 214 Sowohl für Israel als auch für die Kirche wird die Vokabel electio (Erwählung) bzw. electus (erwählt) gebraucht. 215 Vgl. Renz, Die katholische Kirche, 150. 216 A.a.O., 151. 217 Vgl. Röm 11,28f. Vgl. Nihilominus, secundum Apostolum, Iudaei Deo, cuius dona et vocatio sine paenitentia sunt, adhuc carissimi manent propter Patres, NA 4,3. 212
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gie erhält hier also eine klare Absage, die Juden sind weiterhin erwählt und von Gott geliebt, woran der vierte Abschnitt direkt anknüpft. Es geht um das „gemeinsame, geistliche Erbe“218 der Juden und Christen, wodurch eine Enterbungstheologie, nach der die christliche Kirche das alleinige Erbe empfängt, nun ausdrücklich ausgeschlossen wird. Daran anschließend wird zu „gegenseitiger Kenntnis und Achtung aufgefordert, vor allem durch biblische und theologische Studien sowie das brüderliche Gespräch.“219 Dadurch gibt das Konzil einen entscheidenden Impuls für den christlich-jüdischen Dialog auf Grundlage der zuvor theologisch entfalteten Verbundenheit von Christentum und Judentum zueinander.220 Der fünfte Abschnitt kann wohl als Höhepunkt dieses Artikels angesehen werden, da in diesem alle Juden, ob damals oder heute, von dem jahrhundertelang tradierten Vorwurf, die Juden seien Christus- und Gottesmörder, frei gesprochen werden, obgleich den jüdischen Autoritäten dennoch eine Mitschuld auferlegt wird.221 Aber die so lange Zeit vertretene Auffassung, die sich auf Mt 27,25 stützte, dass die Juden kollektiv sich und alle nachfolgenden Generationen schuldig am Tode Jesu gesprochen hätten, wird hier deutlich widerlegt. Die Juden dürfen nicht „als von Gott verworfen oder verflucht“222 dargestellt werden, da diese Anschuldigungen weder mit dem Geiste Christi noch mit der Heiligen Schrift in Einklang stehen. Den Katholiken wird zukünftig untersagt, sei Interessant ist hier auch die Verwendung des Superlativs carissimi, der sich auf die Juden bezieht. In der Übersetzung sollte es dem Verständnis nach wohl eher mit dem Elativ „sehr geliebt“ übersetzt werden, da ansonsten die Juden die „Geliebtesten“ Gottes sind, was vom Konzil wohl nicht beabsichtigt ist. 218 Vgl. patrimonium spirituale […] commune, NA 4,4. 219 Vgl. Sacra haec Synodus mutuam utriusque cognitionem et aestimationem, quae praesertim studiis biblicis et theologicis atque fraternis colloquiis obtinetur, fovere vult et commendare. NA 4,4. 220 Durch das cum igitur, das am Anfang des 4. Abschnittes gebraucht wird und eine kausale Konnotation mitschwingen lässt, wird deutlich, dass die Aufforderung zum wechselseitigen Dialog auf der Tatsache beruht, dass Juden und Christen ein gemeinsames, geistliches Erbe haben. 221 Vgl. Etsi auctoritates Iudaeorum cum suis asseclis mortem Christi urserunt, NA 4,5. 222 Vgl. Iudaei tamen neque ut a Deo reprobati neque ut maledicti exhibeantur, NA 4,5.
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es in der Katechese oder in der Predigt, die Juden auf diese Weise darzustellen und so die traditionellen antijüdischen Stereotype weiter zu tradieren. Mit diesem Freispruch von der Kollektivschuld der Juden am Kreuzestod Jesu ist ein wichtiger Schritt zum Ende von dem über Jahrhunderte vorherrschenden Antijudaismus und Antisemitismus gemacht worden, diente der Vorwurf der Juden als Christus- und Gottesmörder doch, wie oben herausgestellt, als Vorwand für unzählige Verfolgungen und Gewalttaten am jüdischen Volk.223 Wohingegen in den vorangegangenen Abschnitten immer deutlich die bleibende Erwählung des Volkes Israel hervorgehoben worden ist, so erscheint mir die Formulierung der „Kirche als neues Volk Gottes“224 als Rückschritt, da doch ebendiese Auffassung immer die Substitutionstheorie gestützt hatte.225 Auch wenn der nähere Kontext eine solche Interpretation nicht nahe legt, so kann diese Aussage isoliert betrachtet durchaus problematisch sein.226 Renz verweist an dieser Stelle auf Winkler, der das Wort novus nicht als tatsächlich „neu“ versteht, sondern vielmehr im Sinne von „hinzugekommen“, was durchaus plausibel erscheint, aber vom Sprachgebrauch des Adjektivs novus nicht unbedingt zulässig ist.227 Im sechsten Abschnitt beweint und verwirft die Kirche „alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus“228 vor dem Hintergrund der nochmaligen Betonung des gemeinsamen Erbes von Christen und Juden. Diese entschiedene Verurteilung und Ablehnung des Antisemitismus wird im letzten Abschnitt der Erklärung noch einmal wiederholt.229 Dabei wird der religiöse Charakter der Erklärung 223
Vgl. die Kapitel 2.1.1.2. und 3. Vgl. Licet autem Ecclesia sit novus populus Dei, NA 4,5. 225 Vgl. die Kapitel 2.1.1.1. und 3. 226 Ähnlich auch Renz, Die katholische Kirche, 153. 227 Novus steht für neu, unerfahren, unbekannt. Eine Bedeutung im weiteren Sinne, die Winklers Übersetzung nahekommt, wäre „jung“. Vgl. Georges 3294f. s. v. novus. 228 Vgl. odia, persecutiones, antisemitismi manifestationes, quovis tempore et a quibusvis in Iudaeos habita, deplorat, NA 4,6. 229 Vgl. NA 5,1. Hier wird die Verurteilung des Antisemitismus jedoch anders begründet, nämlich aufgrund der Menschenwürde, die wegen der Gottebenbildlichkeit aller Menschen unantastbar ist. 224
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in diesem Abschnitt extra betont,230 wohl um weiteren Konflikten seitens der arabischen Welt aus dem Weg zu gehen und eine mögliche politische Einmischung in den Nahostkonflikt zu vermeiden. Jedoch wird es, bewusst oder unbewusst, offen gelassen, ob man hinter dieser Formulierung auch ein Schuldbekenntnis oder zumindest eine Kritik von Seiten der katholischen Kirche in Bezug auf ihr Schweigen und ihre Untätigkeit im Dritten Reich herauslesen könnte. Der letzte Abschnitt endet mit einem Verweis auf die Freiheit des Leidens und des Kreuzestodes Christi „um der Sünden aller Menschen willen“231, wodurch die Schuld nicht mehr die Juden allein, sondern alle Menschen betrifft. Der Artikel schließt mit der Aufforderung, dass das Kreuz Christi nicht mehr negativ im Sinne einer Schuldzuschreibung gepredigt werden soll, sondern im Zeichen des universalen Heilswillen Gottes, der sich bisher wie ein roter Faden durch alle Artikel zu ziehen scheint. Zusammenfassend kann man also herausstellen, dass das Verhältnis der katholischen Kirche gegenüber anderen Religionen eine Neuorientierung erfahren hat, die von Respekt und Wertschätzung geprägt ist. Die Christen werden mehrmals zum Dialog mit anderen Religionen und allen Menschen aufgefordert, denen sie in brüderlicher Haltung und im Sinne der Nächstenliebe gegenübertreten sollen. Die bleibende Erwählung des Volkes Israel sowie die Verwurzelung der Kirche in Israel und somit die essentielle Bedeutung des Judentums für die christliche Identität wurden nachhaltig hervorgehoben. Auch den durch den christlichen Antijudaismus tradierten Vorwürfen des Christus- und Gottesmordes wurde eine klare Absage erteilt. Durch die Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen, die alle nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, und mit Bezugnahme auf die Würde des Menschen muss jegliche Art von Diskriminierung „leidenschaftlich“232 von der katholischen Kirche abgelehnt 230
Vgl. nec rationibus politicis sed religiosa caritate evangelica impulsa, NA 4,6. Vgl. propter peccata omnium hominum voluntarie passionem suam et mortem immensa caritate obiit, NA 4,6. 232 Vgl. ardenter, NA 5,2. 231
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werden, da der christliche Glaube an Gott es nicht zulässt, „die brüderliche Haltung [zu] verweigern.“233 4.1.3. Die Bedeutung und persönliche Bewertung von Nostra aetate für den christlich-jüdischen Dialog Mit der Erklärung Nostra aetate wurde unter Papst Paul VI. das Werk weitergeführt, das sein Vorgänger Papst Johannes XXIII. begonnen hatte. Die von Johannes XXIII. geplante Judenerklärung musste viele Stationen und Debatten mit anschließenden Textänderungen durchlaufen. Wenn man also die langwierige und komplexe Textgenese betrachtet, ist wohl die eigentliche und wichtigste Bedeutung dieser Erklärung, dass sie am Ende des Konzils überhaupt zustande gekommen ist und von der Mehrheit der Konzilsväter verabschiedet wurde.234 Nostra aetate stellt also einen gemeinsamen innerkirchlichen Lern- und Dialogprozess dar, der für die zukunftsweisende Aufforderung zum interreligiösen Dialog entscheidend ist und dort seine Früchte hervorbringen soll. Denn nur durch den Prozess der innerkirchlichen Reform konnte die Haltung gegenüber anderen Religionen, insbesondere gegenüber dem Judentum, grundlegend erneuert werden, die nun durch Wertschätzung und Respekt geprägt ist, was angesichts der von Feindschaft und Konflikten geprägten Vergangenheit der katholischen Kirche gegenüber den nichtchristlichen Religionen ein wahrer Meilenstein ist. Auch wenn die anderen Religionen in manchen Dingen von dem eigenen Wahrheitsanspruch abweichen mögen, so wird durch die Rede vom radium Veritatis235 deutlich, dass in allen Religionen und für alle Menschen durchaus eine Wahrheit vorhanden ist, die ihre Fülle und Ganzheit in Jesus Christus besitzt, der „der Weg, die Wahrheit und das Leben“236 ist und von dessen Person und Heilswerk die Religionen interpretiert und beurteilt werden sollen. Dadurch ist dieser Ansatz christozentrisch zu verstehen, die 233
Vgl. fraterne, NA 5,1. Ähnlich auch Renz, Die katholische Kirche, 155. 235 Vgl. NA 2,3. 236 Vgl. qui est „via et veritas et vita“ (Joh 14,6), NA 2,4. 234
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Position der katholischen Kirche inklusivistisch.237 Jesus Christus wirkt erstmals als verbindende Größe, nicht als trennende.238 Unter dem von Johannes XXIII. geprägten Leitwort aggiornamento sieht die katholische Kirche sich nun zum ersten Mal als Teil der modernen, sich stetig weiterentwickelnden Welt. Karl Rahner würdigte das Zweite Vatikanum daher auch, indem er darauf hinwies, dass die katholische Kirche sich erstmalig als Weltkirche verstanden habe und tätig geworden sei.239 Dennoch fällt bei der näheren Betrachtung der einzelnen Artikel von Nostra aetate auf, dass viele Aspekte, die zu anschließenden Kontroversen führen könnten, auch unberücksichtigt blieben oder zu vage formuliert waren. Am auffälligsten ist dies in den Artikeln 3 und 4 über den Islam und das Judentum zu beobachten. Denn so wird z. B. der Prophetenanspruch Mohammeds im Islam-Artikel verschwiegen sowie auch sein Name überhaupt, was auch in dem 2. Artikel bezüglich des Buddhismus zu beobachten ist, da auch Buddha als Religionsstifter nicht genannt wird. Auch der Koran wird nicht erwähnt und die knappen Beschreibungen der namentlich angeführten Religionen weisen Defizite auf.240 In NA 3 wird der wohl entscheidende theologische Unterschied von Islam und Christentum lediglich in einem Nebensatz erwähnt, nämlich dass Jesus im Islam nicht als Gottheit anerkannt, sondern als Prophet verehrt wird.241 Auch die im Koran überlieferte Bestreitung der Kreuzigung Jesu bleibt unerwähnt.242 In Bezug auf das Judentum sind besonders zwei Formulierungen problematisch zu bewerten, die sich als 237
Vgl. Renz, Die katholische Kirche, 137. Vgl. auch NA 4,1. Vgl. auch Eph 2,14ff. 239 Vgl. Pesch, Das Zweite Vatikanische Konzil. 351. 240 In NA 2 werden in Bezug auf den Hinduismus nur drei der vier alternativen Wege zur Erreichung des soteriologischen Ziels genannt, der viryamarga fehlt in der Aufzählung. Vgl. Renz, Die katholische Kirche, 135. In NA 3 werden am Ende des Abschnittes die fünf Säulen des Islams implizit angesprochen, von denen aber zwei fehlen: Der Prophetenanspruch des Mohammed und die Pilgerreise nach Mekka. 241 Vgl. a.a.O., 144. Vgl. auch Sure 61,6. 242 Vgl. ebd. Vgl. auch Sure 4,157f. 238
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Argument für das Substitutionsmodell anführen ließen: Zum einen die Aussage über die geheimnisvolle Vorausbildung der Kirche im Exodusgeschehen und zum anderen die Sprache von der Kirche als „neues Volk Gottes.“ Da man ja, wie oben herausgestellt, darum bemüht war, die enge Verbundenheit zwischen Christentum und Judentum auf jede Art hervorzuheben und dieses neue Selbstverständnis nachhaltig zu stärken, so hätten solche Formulierungen m. E. dringend überarbeitet werden müssen, da sie isoliert betrachtet unmissverständlich in das traditionelle Auslegungsmuster der Kirche zurückfallen würden. Auch wenn der Antisemitismus wörtlich aufgenommen und verurteilt wurde, so hat sich das Konzil bedauernswerterweise nicht ausdrücklich zur Schoa oder zur viel umstrittenen Frage nach der Mitschuld der Kirche an den Verbrechen, die an dem jüdischen Volk im NS-Regime begangen wurden, geäußert oder sich gar bei den Juden für das, was ihnen bereits im Zuge des christlichen Antijudaismus angetan wurde, entschuldigt, was auch den vielen kritischen Reaktionen auf Nostra aetate vor allem auf jüdischer Seite zu entnehmen ist.243 Nichtsdestotrotz muss natürlich auch hervorgehoben werden, dass es sowohl innerkirchlich als auch international und auch auf jüdischer Seite durchaus positive Resonanzen gegeben hat, die die neue Haltung der katholischen Kirche bis heute gut und willkommen heißen.244 Mit Blick auf die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte von Nostra aetate kann man gar von einer „epochalen Wende“245, ja revolutionärem Ereignis in der katholischen Kirche sprechen. Sowohl Papst Paul VI. als auch besonders sein Nachfolger Johannes Paul II. wurden zu Vorreitern der neuen respektvollen und wertschätzenden Haltung, indem sie sich energisch im christlich-jüdischen Gespräch engagierten und die Umsetzung und Vertiefung der in Nostra aetate festgesetzten Leitgedanken in Kate-
243
Vgl. a.a.O., 154f.; 161ff. Vgl. a.a.O., 161-165. 245 Zehner, Der notwendige Dialog, 64. 244
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chese und Predigt forderten.246 Zudem löste Nostra aetate eine Welle von internationalen, theologischen Erklärungen, Konferenzen usw. in nachkonziliarer Zeit aus, die Bezug auf die Leitgedanken nahmen und diese hinsichtlich der Israeltheologie weiter vertieften.247 Daran wird auch erkennbar, dass Nostra aetate nicht ausgearbeitet wurde, um umfassende Kenntnisse über andere Religionen der Welt zu geben, und ja aufgrund des direkt zu Beginn der Erklärung herausgestellten konsenshermeneutischen Ansatzes auch gar keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, obgleich es nicht ausgeschlossen ist, dass es Gegensätze gibt. Nostra aetate stellt vielmehr die Grundlage für einen tiefer gehenden Dialogprozess dar, was in NA 4,4 auch explizit erwähnt wird, indem die gegenseitige Kenntnis und Achtung durch Bibelarbeit und im brüderlichen Gespräch gefördert werden soll. Um meiner Eingangsfrage noch einmal nachzugehen, welche Bedeutung das Zweite Vatikanische Konzil für den christlich-jüdischen Dialog hat, so ist zu konstatieren, dass mit Nostra aetate bereits ein viel versprechender Anfang gemacht und der Grundstein für den interreligiösen Dialogs gelegt worden ist. Vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte erhält die Erklärung ihre bleibende Bedeutung als Anstoß und Türöffner und letztlich Durchbruch für den Dialog unter den Religionen. Dennoch bleibt zukünftig die Aufgabe, wie man diese in Nostra aetate gelegten 246
Besonders Johannes Paul II. engagierte sich wie kein anderer im christlich-jüdischen Dialog und hat die Israeltheologie durch seine Lehre vom „ungekündigten Bund“ geprägt. 1980 sprach er in seiner Ansprache vor dem Zentralrat der Juden in Deutschland „von der Begegnung zwischen dem Gottesvolk des von Gott ungekündigten Alten Bundes und dem des Neuen Bundes.“ S. zum Text Rendtorff/ Henrix, Die Kirchen und das Judentum Bd. I, 109. Für ihn sind die Juden „unsere bevorzugten, […] älteren Brüder“, wodurch die enge, familiäre Verbundenheit von Judentum und Christentum deutlich herausgestellt wird. Ebd. 247 Vgl. Renz, Die katholisch Kirche, 161-184. Zu der großen Fülle der theologischen Verlautbarungen vgl. Rendtorff/ Henrix, Die Kirchen und das Judentum Bd. I, ab 54. Hier sei vor allem auf die Französische Bischofskonferenz 1973 hingewiesen, die mit ihrer „pastoralen Handreichung“ die ganze Fülle des Verhältnisses von Juden und Christen umfasst, von den atl Geschichten bis hin zu den aktuellen Problemen bezüglich des Staates Israel. Vgl. zum Text a.a.O., 149-155.
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Grundsteine durch theologische Grundlagenarbeit weiter vertiefen und konkretisieren kann, um die Voraussetzungen für einen echten interreligiösen Dialog zu entwickeln, da durch den christozentrischen Ansatz, von dem aus alle nichtchristlichen Religionen betrachtet werden, die „Wahrheit, die bei Juden und Muslimen, Hindus und Buddhisten gefunden wird, […] strenggenommen gar nicht gesucht zu werden [braucht], denn sie ist die eigene!“248 Diese theologischen Unsicherheiten gilt es in Zukunft zu klären. 4.2. Die Neugestaltung der christlich-jüdischen Beziehung von Seiten der evangelischen Kirche Auch auf Seiten der evangelischen Kirche nahm man nach Kriegsende langsam Stellung zu den entsetzlichen Verbrechen der Schoa, von denen im folgenden Abschnitt jedoch nicht alle angeführt werden können. Vielmehr möchte ich mich auch hier auf das stützen, was maßgeblich zum Durchbruch des christlich-jüdischen Dialogs beigetragen hat. Die erste Stellungnahme auf evangelischer Seite nach Kriegsende war das „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ von 1945, in dem der Rat der EKD den Willen für einen Neuanfang bekundete und bekannte, dass „durch uns unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden“249 ist. Obgleich mit dieser Aussage eine gewisse Selbstverurteilung erkennbar ist, so sorgte dieses Bekenntnis auch für viel Kritik, da weder von den Juden noch von dem Antisemitismus oder gar dem systematischen Völkermord explizit die Rede war.250 Obgleich der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer bereits zu Kriegsanfang ein Schuldbekenntnis stellvertretend für seine Kirche verfasst hat, in dem er ganz direkt und deutlich eine Mitschuld der Kirche an der Schoa zur Sprache gebracht hat, wurde die Schuldfrage in den Erklärungen der unmittelbaren Nachkriegszeit verschwiegen und auch in den folgenden Jahren nicht 248
Zehner, Der notwendige Dialog, 63. Vgl. „Stuttgarter Schuldbekenntnis“, zum Text vgl. Rendtorff/ Henrix, Die Kirchen und das Judentum Bd. I, 528f. 250 Vgl. Rendtorff, Hat denn Gott sein Volk verstoßen, 15. 249
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aufgegriffen.251 Deutlichere Worte lassen sich in den Aussagen der Synode Berlin-Weißensee von 1950 erkennen, in der eine Mitschuld der christlichen Kirche aufgrund des Schweigens zum Ausdruck gebracht, der Antisemitismus klar verurteilt und die Verheißung Gottes an Israel als immer noch in Kraft geblieben anerkannt wird.252 Obgleich in dieser Synode ein vorsichtiges Herantasten an die theologischen Fragen und Probleme bezüglich des Verhältnisses von Christen und Juden erkennbar wird, so lässt sich in der Fülle der Verlautbarungen beobachten, dass die theologische Dimension und Bedeutsamkeit der Beziehung von Christen und Juden bis 1975 völlig übergangen wird. Entscheidende Impulse zur Aufarbeitung der Ereignisse im Dritten Reich und zur Annäherung einer christlich-jüdischen Begegnung kamen in der evangelischen Kirche erst ab 1960 zum Vorschein. Dabei möchte ich im Folgenden besonders auf die „Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen“ beim DEKT eingehen, da ihre Gründung auf evangelischer Seite den entscheidenden Wendepunkt für den christlich-jüdischen Dialog nach Ende des 2. Weltkrieges darstellt. 4.2.1. Die „AG Juden und Christen“ als Wegbereiter für einen christlich-jüdischen Dialog auf evangelischer Seite Da die „AG Juden und Christen“ unweigerlich zur Annäherung und Begegnung zwischen Juden und Christen nach der Schoa beigetragen hat und ihre Mitglieder sich zudem in vielen anderen bedeutenden Verlautbarungen der evangelischen Kirche engagiert haben, soll in diesem Kapitel zunächst kurz auf die Geschichte der AG eingegangen werden, um 251
Vgl. Gremmels/ Grosse, Dietrich Bonhoeffer, 21. Vgl. z. B. das „Darmstädter Wort“ 1948, in dem die Juden explizit erwähnt werden, die rechte Begegnung mit den Juden und sogar Jesus als „Glied des jüdischen Volkes“ betont wird. Jedoch werden in der Entfaltung dieser „Begegnung“ mit den Juden die jahrhundertlang tradierten Topoi des christlichen Antijudaismus herangezogen und Israel diesen Topoi folgend nur im Blick auf eine Verwerfung oder das Gericht Gottes erwähnt. Vgl. zum Text Rendtorff/ Henrix, Die Kirchen und das Judentum Bd. I, 540-544. Für weitere Stimmen aus der evangelischen Kirche nach 1945 vgl. a.a.O., 527-620. 252 Vgl. Rendtorff, Hat denn Gott sein Volk verstoßen, 21ff.
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vor diesem Hintergrund ihre enorme Breiten- und Tiefenwirkung herausstellen zu können. Die Geschichte der AG beim DEKT ist nicht nur von Aussöhnung, sondern auch von vielen Debatten und Konflikten geprägt. Während beim ersten Kirchentag nach Kriegsende 1949 eine Begegnung zwischen Juden und Christen noch undenkbar war, so führten in den folgenden Jahren viele Debatten und heftige Briefwechsel zwischen angesehenen Theologen und führenden Personen des Kirchentages dazu, dass das Thema „Israel“ in das Programm des Kirchentages schließlich mit aufgenommen wurde.253 So geschah es, dass auf dem Kirchentag 1961 in Berlin erstmals eine Arbeitsgruppe von Juden und Christen in der Agenda des Kirchentages aufgeführt worden war, in der von beiden Seiten sowohl über die eigene Religion als auch, und das ist neu, über das Verhältnis beider Religionen zueinander referiert worden war.254 Die Themen, die auf dem Kirchentag von den Referenten angesprochen worden waren, nahmen vor allem Bezug auf die durch den christlichen Antijudaismus verbreiteten antijüdischen Stereotype. So wurde bereits zu Beginn der Veranstaltung die bleibende Erwählung des Volkes Israel sowie die unlösbare Verbundenheit zwischen Juden und Christen klar herausgestellt und in der abschließend herausgegebenen Resolution aufgenommen.255 Aufgrund des großen Interesses seitens der Kirchentagsbesucher und der seitdem angeregten intensiven Auseinandersetzung der christlichen Presse mit dem Judentum, durch die die AG zum einen bereits in ihrer Anfangsphase vor innerkirchliche Widerstände gestellt worden ist und zum anderen aber auch weitere Impulse für die theologisch-biblische Grundlagenarbeit und Aufarbeitung der christlichen Geschichte gegeben worden sind, entschied man sich dazu, die AG weiter zu führen und fest als Institution im DEKT zu etablieren.256 Obgleich beide Gesprächspartner sich ihrer Asymmetrie bezüglich der Gesprächsbedingungen durchaus 253
Vgl. Kammerer, In die Haare, 18. Vgl. a.a.O., 18-27. 255 Vgl. a.a.O., 25. 256 Vgl. a.a.O., 28; 33-37. 254
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bewusst waren, entfachten die Veranstaltungen der AG auf den Kirchentagen vor allem in den Anfangsjahren große theologische Debatten, die in dem „Purimstreit“ ihren ersten Höhepunkt erreichten. Denn mit den Debatten wurde immer deutlicher, dass die christlichen Mitglieder der AG innerhalb der evangelischen Kirche eine Minderheitenposition zu vertreten schienen, da die Frage um die Judenmission und die Rolle und Bedeutung Jesu immer mehr Zündstoff in der evangelischen Kirche hervorbrachte, obwohl man sich in der AG von Anfang einig war, dass jede Art von Judenmission strikt abgelehnt werden sollte und musste.257 Nachdem es auch unter den führenden Personen der AG zu heftigen Streitereien kam, schien die AG vor einem plötzlichen Ende zu stehen. Im Zuge dieses Streites wurden eine innerevangelische Auseinandersetzung mit dem Thema Judentum und eine einheitliche Positionierung in Bezug auf die Judenmission, die Christologie und die ntl Aussagen über das Volk Israel immer notwendiger, da ja der Bezug zum Judentum einen grundlegenden Teil der christlichen Identität ausmacht und ins Zentrum der christlichen Identität führt. Angesichts der langen Feindschaft gegenüber den Juden war es notwendig, das Verhältnis zwischen Christentum und Judentum neu zu definieren und damit einhergehend auch die christliche Theologie neu zu formulieren, sodass sie nicht länger auf Kosten der jüdischen Gesprächspartner gewonnen wird. Vor dem christlich-jüdischen Dialog war also erst einmal eine innerevangelische Reform und Neuorientierung nötig, um jegliche tradierten Vorurteile gegenüber den Juden zu beseitigen.258 Nachdem im Zuge des Nahostkonfliktes die Topoi der AG auf den Kirchentagen zunehmend politischer Natur waren und der religiöse Horizont und jene theologischen Fragen, die der „Purimstreit“ aufgeworfen hatte, in den Kirchentagen von 1965-1969 unterzugehen drohten, war für den DEKT 1973 „ein neues AG-Profil und -programm“259 erarbeitet 257
Vgl. a.a.O., 43-57. Vgl. a.a.O., 23f. 259 A.a.O., 77. 258
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worden.260 Obgleich die Theologie immer auch von politischen Ereignissen beeinflusst wird, so sollte der Schwerpunkt wieder mehr auf theologischen Veranstaltungen liegen. So wurde 1973 erstmalig eine dialogische Bibelarbeit zwischen Juden und Christen angeboten, die sich dann als „Highlight“ auf allen folgenden Kirchentagen fest etablierte.261 Biblisch-theologische Grundlagenarbeit und historische Aufklärung, auf deren Basis Antworten auf die Fragen und Probleme der Gegenwart gegeben werden sollten, bildeten den Kern des neuen Selbstverständnisses der AG.262 Auch theologische Grundzüge und Traditionen des Judentums ließ man ab 1980 in das Kirchentagsprogramm mit einfließen, um den Besuchern die Möglichkeit zu geben, sich grundlegende Kenntnisse über das Judentum anzueignen und so die eigene Unwissenheit auch in Bezug auf den christlich-jüdischen Dialog zu verringern, wozu 1987 erstmals ein „Lehrhaus“ Teil des Programms war, in dem neugierige Christen alles über das Judentum lernen konnten, von jüdischen Traditionen und Feiertagen über historische Ereignisse hin zu dem Staat Israel.263 Durch die Arbeit und das Engagement der AG auf den Kirchentagen wurde allmählich eine Breitenwirkung erzielt und ein Lernprozess in der evangelischen Kirche angeregt. Zaghaft kamen in der evangelischen Kirche Ansätze, Erklärungen und Beschlüsse bezüglich einer Neuorientierung im Verhältnis zwischen Juden und Christen auf, von denen die wichtigsten im nächsten Kapitel eigens vorgestellt werden sollen. Am 260
Vgl. a.a.O., 62-71. Das politische Engagement der AG war schon früh erkennbar, denn Geis, einer der Gründer der AG von jüdischer Seite hob hervor, dass Theologie und Politik miteinander verbunden seien und Glauben nicht ohne Politik zu haben sei. Vgl. a.a.O., 63; 71. Im Zuge der politischen Debatten kamen jedoch z.B. biblischtheologische Fragen nach dem Verhältnis vom Volk Israel zu seinem Land oder die im „Purimstreit“ aufgeworfenen Fragen nach der Judenmission und dem heilsgeschichtlichen Horizont Israels zu kurz und wurden sogar von anderen Gruppen übernommen. Es bedurfte also einer Klärung innerhalb der AG, in welchem Verhältnis Theologie und Politik zueinander stehen. Vgl. a.a.O., 69-73. 261 Vgl. ebd. Vgl. auch a.a.O., 89f. 262 Vgl. ebd. 263 Vgl. a.a.O., 129-136.
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Beispiel der vielen Konflikte und Debatten innerhalb und außerhalb der AG wird jedoch deutlich, dass diese Neuorientierung im christlichen Selbstverständnis, in der die immer wieder aufkeimende Frage nach der Judenmission und Christologie regelmäßig Konfliktpotenzial bot, noch keine Tiefenwirkung in den Köpfen erzielt hat, trotz der bereits vorzuweisenden Erfolge der AG und der Bemühungen der EKD allgemein.264 Eine innerevangelische Einheit fehlt nach wie vor, wodurch immer wieder neue – oder besser altbekannte – Streitpunkte bezüglich des Verhältnisses von Christentum und Judentum aufkamen und noch -kommen. Abschließend kann also zusammenfasst werden, dass die „AG Juden und Christen“ beim DEKT entscheidende Impulse zur Annäherung und Begegnung zwischen Juden und Christen gegeben und mithilfe von theologischer Grundlagenarbeit und dialogischer Bibelarbeit einen wesentlichen Beitrag geleistet hat, Spannungen und Berührungsängste vor allem auf christlicher Seite zu bekämpfen. Die Herausforderungen und Konflikte, aber auch die Kritik zeigen, dass der christlich-jüdische Dialog – mal abgesehen davon, ob man bereits von einem echten Dialog sprechen kann – bis in die Gegenwart auf wackligen Beinen steht. Dennoch wurde mit der Gründung der AG 1961 das Tor für einen respektvollen Umgang und Dialog geöffnet, in dem das eigene christliche Selbstverständnis grundlegend hinterfragt und im Sinne einer „Theologie nach Auschwitz“ neu definiert worden ist. Durch das neu geschaffene christliche Selbstverständnis, das sich seiner jüdischen Wurzeln wieder bewusst geworden ist und jegliche Form von Antijudaismus und Antisemitismus zukünftig verurteilen sollte, wurde das Fundament für einen Dialog zwischen gleichberechtigten Partnern gelegt, den es zukünftig weiter auszubauen und zu fördern gilt. 264
Als letzter großer Konflikt und tiefer Einschnitt innerhalb der AG ist die Golfkrise 1991 zu nennen. Die jüdischen Mitglieder der AG fühlten sich in ihrer Position im Golfkrieg von ihren christlichen Dialogpartnern verraten und im Stich gelassen. Nachdem man sich zur Weiterführung der AG 1992 entschlossen hatte, war die AG jedoch nicht mehr die gleiche und das Verhältnis der Mitglieder zueinander war stark abgekühlt. Vgl. a.a.O., 138-151.
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4.2.2. Die Breitenwirkung der „AG Juden und Christen“ Im Zuge der Neuorientierung der evangelischen Kirche gegenüber dem Judentum und der damit aufkommenden theologischen Fragestellungen, die maßgeblich durch die „AG Juden und Christen“ initiiert worden waren, wurde 1975 die erste ausführliche Studie der EKD herausgegeben: Die EKD-Studie Juden und Christen I, die noch zwei Erweiterungen erfahren hat.265 Da alle folgenden Erklärungen und Studien aus der evangelischen Kirche an die in dieser Studie entfalteten Gedankengänge bezüglich der theologischen Bedeutsamkeit des Verhältnisses zwischen Christen und Juden angeknüpft haben, soll im folgenden Abschnitt zunächst in aller Kürze auf den Inhalt der Studie eingegangen und im Anschluss der Rheinische Synodalbeschluss als Weiterentwicklung der in der Studie und der „AG Juden und Christen“ erarbeiteten Themen vorgestellt werden.266 Die EKD-Studie, an der unter anderem viele Mitglieder der „AG Juden und Christen“ beteiligt waren,267 ist in drei Hauptabschnitte aufgeteilt, deren Titel zugleich das Vorgehen und den Ansatz der EKD angeben: I. Gemeinsame Wurzeln, II. Das Auseinandergehen der Wege und III. Juden und Christen heute. Es wird deutlich, dass beide, Juden und Christen, gleichermaßen in die Gedankengänge mit einbezogen und die Juden nicht nur aus der Perspektive der Christen wahrgenommen werden.268 Im ersten Hauptteil widmet man sich zunächst den theologischen Gemeinsamkeiten von Juden und Christen, die sich aus der Verwurzelung der christlichen Gemeinde im Judentum ergeben. Diese Gemeinsamkeiten werden durch sechs Unterpunkte näher beschrieben. Als erstes wird auf den einen Gott eingegangen, zu dem sich Juden wie Christen bekennen. Diese heute selbstverständliche monotheistische Auffassung sollte 265
Vgl. EKD, Christen und Juden I-III. Juden und Christen II wurde 1991 publiziert, Juden und Christen III im Jahr 2000. 266 Vgl. EKD, Christen und Juden I-III, 57. 267 Nahezu die Hälfte der Mitglieder der Kommission kam aus der AG. So z.B. Rendtorff. Vgl. Kammerer, In die Haare, 101f. 268 Vgl. Rendtorff, Hat denn Gott sein Volk verstoßen, 56f.
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wohl aufgrund des durch Markion verbreiteten Vorwurfs, dass der Gott des AT ein anderer sei als der des NT, deutlich in den Vordergrund gestellt werden.269 Auf syntaktischer Ebene sei vor allem auf die Verwendung der Tempora hingewiesen, nämlich die ausschließliche Verwendung des Präsens. Es geht nicht nur um die gemeinsamen Wurzeln in der Vergangenheit vor dem Trennungsprozess, sondern um die Juden und Christen, die gegenwärtig immer noch ein und denselben Gott anbeten.270 Der zweite Abschnitt befasst sich mit der Heiligen Schrift, welche uns als AT bekannt ist. Wieder werden die Gemeinsamkeiten zwischen den Schriften des AT und des NT deutlich in den Vordergrund gestellt und betont, dass die ntl Schriften ohne die jüdische Bibel gar nicht zu verstehen wären, da sie die Grundlage aller im NT entfalteten Theologien bilden, sowohl bei Jesus als auch bei Paulus, die sich durch direkte Zitate immer wieder auf das AT berufen. Das höchste Gebot der Christen selbst, das Doppelgebot der Liebe, hat seinen Ursprung in den atl Schriften.271 Der dritte Abschnitt stellt Juden und Christen gleichermaßen als Volk Gottes heraus, was der christlichen Tradition, dass die Kirche das neue Volk Gottes sei, das die Juden verdrängt hat, widerspricht.272 Dadurch dass die Thematik vom „Volk Gottes“ jedoch auch im zweiten Hauptteil, in dem es vor allem um die Unterschiede geht, noch einmal aufgegriffen wird, wird deutlich, dass diese Fragestellung theologisch noch nicht eindeutig geklärt worden ist. Daran anschließend wird im vierten Abschnitt über den „Gottesdienst“ daran erinnert, dass der christliche Gottesdienst eine Entwicklung des jüdischen Synagogengottes269
Vgl. a.a.O., 57. Markion hat die These der zwei Götter geprägt, der Gott des AT und der Vergeltung und Rache im Gegenüber zu dem Gott des NT und der Liebe. Wie in meiner Einleitung oben aufgegriffen lässt sich erkennen, dass dieses Muster bis in die Gegenwart vertreten wird. 270 Vgl. EKD, Christen und Juden I-III, 18ff. Ähnlich auch Rendtorff, Hat denn Gott sein Volk verstoßen, 58. 271 Vgl. das Schema Israel in Dtn 6,5 und die Aufforderung zur Nächstenliebe in Lev 19,18. 272 Vgl. EKD, Christen und Juden I-III, 21f.
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dienstes sei und diese daher große Gemeinsamkeiten in Struktur und Form zueinander aufweisen.273 Die beiden letzten Punkte, die angesprochen werden, die „Gerechtigkeit und Liebe“ und die „Geschichte und Vollendung“, sind unter dem Haupttitel „Gemeinsame Wurzeln“ ein wenig überraschend, dienten sie doch in der christlichen Tradition eher als typische Gegensatzpaare, um sich vom Judentum abzugrenzen. Dennoch folgt die EKD ihrem konsenshermeneutischen Ansatz und stellt die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund. Gerechtigkeit und Liebe stehen sowohl für Juden als auch für Christen „in einer unlösbaren Wechselbeziehung zueinander.“274 Mit der betonten Zusammengehörigkeit von Geschichte und Vollendung in beiden Religionen wird zudem deutlich, dass auch das Judentum nicht nur auf das diesseitige Leben bezogen ist.275 Während in diesem ersten Hauptteil also die Gemeinsamkeiten in Erinnerung gerufen wurden, die zukünftig als Grundlage für die Begegnung von Juden und Christen dienen sollen, so befasst sich der zweite Teil „Das Auseinandergehen der Wege“ mit den Unterschieden und dem, was letztlich zur Trennung führte. Mit einem historischen Ansatz wird weit in die Anfangszeit des Christentums zurückgegriffen, in der die Christusgläubigen noch eine Gruppierung des damaligen Judentums und noch keine eigenständige Religion waren. Jene Konfliktpunkte, die wesentlich zur Trennung beigetragen haben und es noch heute tuen, werden dann in einzelnen Abschnitten näher beleuchtet: Die Frage nach der Messianität Jesu, die Auslegung der Heiligen Schrift und das christliche sowie jüdische Selbstverständnis vom „Volk Gottes.“276 Dabei ist allen Abschnitten gemeinsam, dass die Trennung der Christusgläubigen vom Judentum nicht an einem Ereignis festgemacht werden kann, sondern sich schrittweise über einen längeren Zeitraum vollzogen hat. Sehr 273
Vgl. a.a.O., 23f. Die gemeinsame Struktur lässt sich auch heute noch erkennen z.B. anhand von bestimmten Festen oder auch in liturgischen Formulierungen. Vgl. Rendtorff, Hat denn Gott sein Volk verstoßen, 58f. 274 A.a.O., 59. 275 Vgl. ebd. 276 Vgl. EKD, Christen und Juden I-III, 27.
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gelungen ist m. E., dass die Entwicklung von Juden und Christen gleichermaßen aufgeführt wird und nicht nur auf die christliche Perspektive beschränkt bleibt. Ein Beispiel findet sich im zweiten Abschnitt über die Schriftauslegung, die je eigene Spezifika entwickelt hat.277 Im dritten Abschnitt wird nochmals die Thematik um das „Volk Gottes“ aufgenommen. Sowohl das christliche als auch das jüdische Selbstverständnis vom „Volk Gottes“ wird gewürdigt, jedoch wird leider, wie auch im ersten Hauptteil, der Enterbungstheorie keine klare Absage erteilt, sondern als „Frage“ offen gelassen, wodurch schon erkennbar wird, dass es auch nach der Studie einer theologischen Weiterarbeit bedarf.278 In den beiden letzten Abschnitten des zweiten Hauptteils „Die Entfaltung der Eigenart von Judentum und Christentum“ und „Die Abgrenzung von Judentum und Christentum“ werden dann die Entwicklungen herausgestellt, die zur endgültigen Trennung geführt haben, sowohl in theologischer als auch in politischer und gesellschaftlicher Hinsicht. 279 Ähnlich wie in der Schriftauslegung entwickelten die Christen ihre Identität anhand der einzigartigen Bedeutung Jesu als Sohn Gottes, was jedoch dem jüdischen Glauben, der sich immer stärker an der Umsetzung der Halacha orientierte, mehr und mehr zu widersprechen schien, da die Juden ihr monotheistisches Bekenntnis dadurch bedroht sahen. 280 Bezeichnend und zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Studie einzigartig ist die kritische Sichtweise der evangelischen Kirche in Bezug auf das Verhalten gegenüber den Juden in der Vergangenheit, die selbstgerechte Sicherheit der Kirche.281 Auch der Vorwurf, die Juden seien Gottesmörder sowie die jahrelange christliche Feindschaft gegenüber den Juden werden im letzten Abschnitt deutlich zur Sprache gebracht.282 Man kann 277
Während die Christen ihre Schriftauslegung sehr stark christologisch vornahmen, so orientierten die Juden sich an der Tora. Vgl. a.a.O., 29f. 278 Vgl. a.a.O., 31. Vgl. auch Kammerer, In die Haare, 102. 279 Vgl. EKD, Christen und Juden I-III, 31-34. 280 Vgl. a.a.O., 32. 281 Vgl. a.a.O., 34. 282 Vgl. ebd.
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wohl festhalten, dass der zweite Hauptteil, der sich mit dem historischen Entstehungs- und Abgrenzungsprozess der Christusgläubigen vom Judentum befasst, dafür sensibilisieren soll, die Gegensätze von Judentum und Christentum in ihrem geschichtlichen Entstehungskontext wahrzunehmen und aus dieser Perspektive heraus zu betrachten. Der dritte Hauptteil befasst sich mit Juden und Christen in der Gegenwart und ist in sechs Abschnitte eingeteilt. Zunächst zielt dieser Teil darauf ab, den christlichen Lesern grundlegende Informationen über das Judentum und seine unterschiedlichen Richtungen bis in die Neuzeit näher zu bringen, was mit der nicht vorhandenen Einheit in der christlichen Kirche verglichen wird.283 Bevor im dritten Abschnitt auf die Frage nach der Bedeutung der Gründung des Staates Israel zunächst aus jüdischer, dann aus christlicher Sicht eingegangen wird, werden den Lesern „die beiden Formen jüdischer Existenz“, nämlich im Land Israel und in der Diaspora näher gebracht.284 Im vierten Abschnitt wird die christliche und generell deutsche Judenfeindschaft behandelt, wie sie im 19. und 20. Jh. zum Vorschein kam. Der Schwerpunkt dieser geschichtlichen Darstellung von Juden und Christen in Deutschland liegt dabei auf den in der NS-Zeit durchgeführten Judenverfolgungen und der systematischen Ermordung. Begriffe wie „Endlösung“, „Holocaust“, „Völkermord“ und „Auschwitz“ werden erstmals in einer öffentlichen Erklärung seitens der evangelischen Kirche gebraucht. Obgleich die Aussage „Die christlichen Kirchen haben weithin geschwiegen“285 ein Schuldbekenntnis nur sehr schwach und verhalten erkennen lässt, so werden der Holocaust und Auschwitz zum „Wendepunkt geschichtlichen und theologischen Denkens.“286 Die „schuldhaften Versäumnisse der Vergangenheit“287 werden zum Ausgangspunkt, das christliche Selbstverständnis grundlegend zu hinterfragen und die Beziehungen zum Judentum neu zu entdecken und 283
Vgl. a.a.O., 35ff. Vgl. a.a.O., 37-40. 285 A.a.O., 41. 286 Ebd. 287 Ebd. 284
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jegliche aufkommende Judenfeindschaft zu bekämpfen. In den letzten Abschnitten wird der Blick in die Zukunft gerichtet. Die Gemeinsamkeiten sollen wieder mehr hervorgehoben werden und als Ebenbild Gottes soll der Mensch, egal ob Jude oder Christ, Verantwortung für die Welt übernehmen. Die Entfaltung der Menschenwürde und –rechte, in die auch die Moslems aufgrund ihres monotheistischen Glaubens mit eigeschlossen sind, gehört zu den aktuellen Aufgaben, die es gemeinsam zu meistern gilt. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der zugespitzten Situation im Nahen Osten. Um Frieden und Gerechtigkeit zu schaffen, sollen Christen, Juden und Moslems gemeinsam wirken.288 Schließlich wird noch auf die Probleme der Judenmission und des christlichjüdischen Dialogs eingegangen, die schon innerhalb der „AG Juden und Christen“ immer wieder Konfliktpotenzial bargen. Allerdings bleiben die theologischen Ansätze der Studie sehr allgemein und lassen keine eindeutige Positionierung erkennen. Dennoch wird die besondere Notwendigkeit und Bedeutung einer Begegnung zwischen Juden und Christen deutlich hervorgehoben und die Voraussetzungen für einen fruchtbaren Dialog geschildert, die sich vor allem auf die „notwendige Bezeugung des eigenen Glaubens“289 stützen. Zusammenfassend lässt sich also hervorheben, dass die EKD-Studie die erste und bis heute auch letzte ausführliche Behandlung bezüglich des Verhältnisses von Juden und Christen darstellt. Da man in dieser Thematik nicht auf bereits Vorhandenes oder gar einen theologischen Konsens zurückgreifen konnte, stellt sie einen absoluten Neuansatz im christlichen Denken von evangelischer Seite dar. Die Schwierigkeit, dass man zunächst konsensfähige Aussagen erarbeiten musste, lässt sich wohl nicht zuletzt an der langen Entstehungszeit von acht Jahren erkennen.290 Obgleich auch in dieser sehr ausführlich erscheinenden Studie noch 288
Vgl. a.a.O., 42f. A.a.O., 45. 290 Begonnen wurde die Arbeit an der Studie bereits 1967, aber erst 1975 wurde ein konsensfähiger Entwurf genehmigt und publiziert. Vgl. Rendtorff, Hat denn Gott sein Volk verstoßen, 55f. 289
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Themenkomplexe ungeklärt oder zumindest unverständlich geblieben sind, wie z. B. die Judenmission und die Frage nach dem exklusiven christlichen Wahrheitsanspruch, so hat sich dennoch seit ihrer Publikation 1975 die Art und Weise, wie man sich den Fragen in Bezug auf das Verhältnis von Juden und Christen nähern soll, grundlegend geändert. Gegenseitige Achtung und Respekt prägen die Formulierungen, was in der Studie schon daran deutlich wird, dass immer auch die jüdische Sichtweise ohne Wertung neben die christliche gestellt wurde, was wohl nicht zuletzt auf die an der Studie beteiligten Mitglieder der AG zurückzuführen ist, die sich schon viele Jahre zuvor mit ebendiesen Themen befasst haben. Wie oben bereits herausgestellt hat die Studie sich in Bezug auf ein Schuldbekenntnis und einer Mitschuld am Holocaust noch recht verhalten geäußert, was in den auf diese Studie folgenden Verlautbarungen sehr viel deutlicher zur Sprache gebracht worden ist. Ein Beispiel dafür ist der Rheinische Synodalbeschluss „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Juden und Christen“ 1980. Auch in diesem Text lassen sich wesentliche Einflüsse der AG erkennen, erscheint die Zusammenstellung der einzelnen Thesen doch geradezu als Zusammenfassung der Erkenntnisse aus der Bibelarbeit und dem christlich-jüdischen Dialog der AG auf den Kirchentagen der 1970er Jahre. Da der Text mehrmals Bezug auf die EKD-Studie nimmt und vor allem hinsichtlich der Gemeinsamkeiten eine große, fast wörtliche Nähe zur Studie aufweist, sollen auch des Umfangs wegen im Folgenden nur jene Thesen zur Sprache kommen, die eine deutliche theologische Weiterentwicklung seit der EKD-Studie erkennen lassen.291 Der Anlass für den Synodalbeschluss wird direkt im ersten Abschnitt genannt: die geschichtliche Notwendigkeit für ein neues christliches Verhältnis gegenüber den Juden.292 Als einer der Gründe wird dabei endlich und das erste Mal in der Kir291
Die Synode nimmt mehrmals klar Bezug auf die EKD-Studie, deren Aussagen z.B. bezüglich der Heiligen Schrift und gemeinsamen Glaubensgrundlage sie in geraffter Version aufnimmt. Vgl. 4(2; 5; 8). Zum Text vgl. Rendtorff/ Henrix, Die Kirchen und das Judentum Bd. I, 594f. 292 Vgl. a.a.O., 594.
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chengeschichte seit 1945 ein deutliches Schuldbekenntnis, die „Erkenntnis christlicher Mitverantwortung und Schuld am Holocaust“293, auf evangelischer Seite formuliert, das sogar im vierten Abschnitt des Beschlusses wiederholt wird.294 Der Holocaust wird zum Wendepunkt in der Verhältnisbestimmung von Christen und Juden. Abgesehen von dem deutlichen Schuldbekenntnis lässt sich grob festhalten, dass ebendiese Punkte, die ich in der EKD-Studie als missverständlich oder in ihrer Formulierung zu offen kritisiert habe, in diesem Beschluss aufgegriffen, aber mit einer klaren theologischen Positionierung versehen worden sind. Hierbei sei vor allem auf die allseits präsente Problematik der Judenmission hingewiesen, der in 4 (6) eine klare Absage erteilt wird.295 Denn Juden und Christen sind „je in ihrer Berufung Zeugen Gottes vor der Welt und voreinander“296, wonach „Mission an die Völkerwelt“297 vom Zeugnis der Kirche gegenüber den Juden strikt zu unterscheiden ist. Auch die These vom „Volk Gottes“ unterscheidet sich deutlich von der der EKD-Studie. Denn während in der Studie zwar dem jüdischen Volk seine Eigenschaft als Volk Gottes nicht abgesprochen wird, aber dennoch die christliche Kirche den „gleichen Anspruch“298 auf dieses Prädikat habe, so wird die Bezeichnung „Volk Gottes“ im Synodalbeschluss unmissverständlich und ausschließlich für das jüdische Volk gebraucht. Zur klaren Differenzierung wird die Kirche als „durch Jesus Christus in den Bund Gottes mit seinem Volk hineingenommen“299 bezeichnet, wodurch gleichzeitig die einzigartige Verbindung von Juden und Christen betont wird. Diese Verbundenheit zum Judentum wird christologisch begründet, indem Jesus als Jude und als aus Israel stammender Messias 293
Ebd. Vgl. 2(1). Vgl. a.a.O., 595. 295 Vgl. ebd. 296 Ebd. 297 Ebd. 298 Vgl. EKD, Christen und Juden I-III, 22. 299 Vgl. zum Text Rendtorff/ Henrix, Die Kirchen und das Judentum Bd. I, 594. Vgl. 4(4) 294
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betitelt wird.300 Auch auf die Frage nach einer Verwerfung Israels und seiner Enterbung durch die Kirche, welche in der EKD-Studie offen gelassen wurde oder zumindest keine klare Positionierung erkennen ließ, findet der Beschluss eine deutliche Antwort: Ein entschiedenes Nein zu dieser in der christlichen Tradition verbreiteten Theorie.301 In ihrer Argumentation stützt sich der Beschluss vor allem auf die für das jüdische Volk so unheilvoll besetzten Adjektive „neu“ und „alt“, durch welche in der christlichen Tradition und antijüdischen Auslegung das jüdische Volk als das des alten Bundes immer hinter die Kirche als das neue Gottesvolk zurückgestellt wurde.302 Nachdem bereits das Versagen und die Schuld der Kirche am Holocaust zur Sprache gebracht worden ist, wird sogar noch ein Zusammenhang von christlichem Antijudaismus und den daraus resultierenden, jahrhundertelang vertretenen Vorurteilen gegenüber Juden zur „physischen Auslöschung des jüdischen Volkes“303, der Schoa, hergestellt. Um die Absage an die Verwerfungs- und Enterbungstheologie zu untermauern, wird „neu“ nicht im Sinne einer „Ersetzung des Alten“304 verstanden. Der Schwerpunkt der ganzen Synode liegt also auf der Erkenntnis oder vielmehr dem Bekenntnis des nie gekündigten Bundes Gottes mit Israel und der bleibenden Erwählung Israels. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Rheinische Synodalbeschluss noch wesentliche Erweiterungen und theologisch vertiefte Thesen aufweist, die in der EKD-Studie ungeklärt geblieben sind. Hierbei müssen vor allem die Fragen bezüglich der Judenmission, dem Verständnis vom „Volk Gottes“ und der Verwerfungs- und Enterbungstheo300
Im Text der Synode steht wörtlich „Messias Israels“, was in der Formulierung m. E. zweideutig ist. Da es sich aber in dieser These um die jüdische Herkunft Jesu handelt, habe ich oben von dem aus Israel stammenden Messias gesprochen, um Missverständnissen vorzubeugen. Vgl. 4(3). Vgl. auch Rendtorff, Hat denn Gott sein Volk verstoßen, 81. 301 Vgl. 4(7) „Darum verneinen wir, das das Volk Israel von Gott verworfen oder von der Kirche überholt sei.“ S. zum Text Rendtorff/ Henrix, Die Kirchen und das Judentum Bd. I , 595. 302 Vgl. ebd. 303 Ebd. S. 4(7). 304 Ebd.
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logie hervorgehoben werden, da die Autoren der Synode im Gegensatz zu der EKD-Studie hier eine ganz deutliche Antwort finden, nämlich ein Nein. Aber von der theologischen Weiterentwicklung mal ganz abgesehen müssen vor dem Hintergrund der fast 2000 Jahre christlicher Judenfeindschaft und der Schoa die durch die oben aufgeführten Erklärungen erfolgten Neuansätze in der christlichen Theologie überhaupt gewürdigt werden. 4.2.3. Die Bedeutung und persönliche Bewertung der Neuansätze innerhalb der evangelischen Kirche nach 1945 Die „AG Juden und Christen“ hat seit ihrer Gründung 1961 wesentliche Impulse für eine christliche Neuorientierung in Bezug auf das Judentum gegeben, die erstmals in der EKD-Studie ihren Niederschlag fanden. Die AG hat aufgrund ihres öffentlichen Auftretens und ihrer Arbeit auf den evangelischen Kirchentagen maßgeblich dazu beigetragen, die Sprachlosigkeit nach Auschwitz zu überwinden, weshalb man wohl zu Recht behaupten kann, dass sie die Annäherung und den anschließenden christlich-jüdischen Dialog entscheidend mitgeprägt hat. Ihre Gründung im Jahr 1961 markiert den Durchbruch für den Dialog zwischen Judentum und Christentum auf der Seite der evangelischen Kirche. Auch wenn ihre Entstehungsgeschichte damals wie heute viele theologische Debatten aufwarf, hat sie dennoch ausschlaggebend dazu beigetragen, dass der christlichen Kirche die Notwendigkeit für eine Neubesinnung ihrer eigenen Haltung gegenüber anderen Religionen sowie die dringend notwendige Veränderung oder Neubestimmung ihres christlichen Selbstverständnisses deutlich vor Augen geführt wurde. Dass es sich sowohl bei der Arbeit der AG auf den Kirchtagen als auch bei der EKD-Studie bloß um den Beginn einer tieferen theologischen Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Christentum und Judentum handelt und es der kontinuierlichen Weiterentwicklung und Aufarbeitung, sowohl theologisch als auch historisch, bis in die Gegenwart und auch in der Zukunft bedarf, wird schon durch die vielen Widerstände, denen sich die AG zu stellen
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hatte, und den kritischen Stimmen auf die EKD-Studie und z. B. den Rheinischen Synodalbeschluss deutlich. Denn gerade die sehr klaren Thesen bezüglich der Neuorientierung im Verhältnis der evangelischen Kirche zum Judentum in der Rheinischen Synode haben große innerkirchliche Diskussionen entfacht, wodurch jedoch eine öffentliche Breitenwirkung erzielt wurde, die zu einer tieferen Auseinandersetzung mit der Thematik führte. Während die Wirkung der EKD-Studie eher auf den Kreis der akademischen Theologen und den an der Studie Beteiligten beschränkt geblieben ist, so führte die Rheinische Synode und die Arbeit mit dieser durch die AG auf den Kirchentagen dazu, dass viele Landeskirchen dem Beispiel des Rheinischen Synodalbeschlusses folgten und sich immer intensiver mit dem Verhältnis zum Judentum und dem christlich-jüdischen Dialog befassten.305 Wenn auch die Erneuerungen bis heute nicht alle Christen der evangelischen Kirche in Deutschland erreicht haben, so muss m. E. die Leistung der AG sowie auch die in den Erklärungen der evangelischen Kirche zu beobachtende theologische Weiterentwicklung von 1945 an gewürdigt werden. 4.3. Die Maßnahmen zur Neugestaltung der christlich-jüdischen Beziehung und ihr Potenzial im Vergleich Als zweite Zwischenbilanz möchte ich in diesem Abschnitt die theologischen Grundsatzentscheidungen beider großer christlicher Konfessionen, die das christliche Bewusstsein für die besondere Beziehung zwischen Juden und Christen nach 1945 grundlegend verändert haben, miteinander vergleichen anhand der drei zentralen Konfliktthemen: Die Christologie, das Thema der Mission und der Bezug bzw. das Verhältnis der Christen zum atl Volk Israel. Im Großen und Ganzen kann man konstatieren, dass sich die theologischen Grundaussagen der katholischen und der evangelischen Kirche zum größten Teil decken und lediglich die Schwerpunkte anders gesetzt 305
Vgl. EKD, Christen und Juden I-III, 60.
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wurden. Durch die Erkenntnis, selbst mitverantwortlich für die Judenfeindschaft zu sein, die zu einem großen Teil durch antijüdische Vorurteile, wie sie der christliche Antijudaismus hervorgebracht hatte, gespeist wurde, war es sowohl für die katholische als auch die evangelische Kirche zunächst notwendig, die eigene Haltung und das eigene religiöse Selbstverständnis grundlegend zu hinterfragen und neu zu bestimmen, bevor sie anderen Religionen begegnen. Somit waren beide zunächst mit einer innerkirchlichen Reform konfrontiert, die in der katholischen Kirche durch die Verabschiedung von Nostra aetate wesentlich geschlossener und einheitlicher erscheint als es in der evangelischen Kirche überhaupt möglich gewesen wäre, da die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils für alle Katholiken geltend waren, wohingegen der evangelischen Kirche ein gemeinsamer Konsens in Bezug auf das Judentum bis heute fehlt.306 Die Frage nach der Christologie macht dabei in der theologischen Neuorientierung der christlichen Kirche einen entscheidenden Punkt aus. Während in den Debatten der „AG Juden und Christen“ anfangs die Bedeutung und Rolle Jesu als Messias immer wieder im Zentrum stand und er allein der „Grund aller Erlösung und das Ziel allen Heils“307 sei, den es zu bezeugen gelte, so entwickelte sich im Laufe der Jahre ein Versuch hin zu einer vor dem Judentum zu verantwortenden und einer „Israel bejahenden Christologie“308, die den Bezug zu Israel und den Juden nicht aus dem Blick verliert. In der katholischen Kirche lässt sich ein anderer Ansatz erkennen, was wohl nicht zuletzt auch daran lag, dass auf evangelischer Seite immer schon Juden an den Gesprächen und Erklärungen beteiligt waren und somit die christologische Perspektive entscheidend mitgeprägt haben. In den Dokumenten des Zwei306
Die EKD stellt die Dachorganisation dar, unter der 20 einzelne Landeskirchen in Deutschland zusammengefasst werden. Da aber alle Landeskirchen selbstständig agieren, erscheint die evangelische Kirche auch heute im Gegensatz zur katholischen Kirche nicht so einheitlich und geschlossen. Diese Struktur der evangelischen Kirche macht es wohl auch schwieriger, sich auf einen grundlegenden theologischen Konsens zu einigen. 307 Kammerer, In die Haare, 48f. 308 A.a.O., 124.
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ten Vatikanums fällt schnell auf, dass hier eine starke Christozentrik vertreten wird. Jesus ist Zentrum des religiösen Selbstverständnisses, er ist das Lumen gentium.309 Auch in Nostra aetate wurde dieser christozentrische Ansatz, wie oben herausgestellt, beibehalten und Jesus wird zum Heil aller Menschen, von dessen Person und Heilswerk auch die nichtchristlichen Religionen beurteilt werden. Die Wahrheit, welche die katholische Kirche in den anderen Religionen anerkennt und akzeptiert, ließ sich dabei durch eine weit gefasste Christologie auf die eigene Wahrheit zurückführen, nämlich Jesus.310 Durch diesen christozentrischen Ansatz gelingt es der katholischen Kirche, sich auch den nichtchristlichen Religionen zu öffnen und gleichzeitig die eigene Identität zu bewahren. Problematisch an diesem Ansatz ist jedoch, dass er es genau genommen nicht zulässt, die nichtchristlichen Religionen in ihrem eigenen Selbstverständnis wahr- und ernstzunehmen, da sie immerzu von der eigenen Glaubensgrundlage her betrachtet werden. Somit wäre die Schlussfolgerung, dass, wenn Jesus als ausschließlicher Heilsweg und als Wahrheit für alle gilt, die anderen Religionen ja bloß ein Irrweg oder eine Lüge wären. Dieser Ansatz ist also für einen fruchtbaren interreligiösen Dialog nicht vertretbar, da er von jüdischer Seite schnell im Sinne einer christlichen Missionsabsicht missverstanden werden kann. Um also einen fruchtbaren Dialog zu gewährleisten oder von christlicher Seite überhaupt zu ermöglichen, ist wohl eher eine angemessene Mischung aus christozentrischer und dialogfähiger Theologie notwendig. 311 Im Hinblick auf das Thema der Mission und speziell der Judenmission wurde besonders in den Gesprächen der AG deutlich, dass sie immer wieder Nährboden für Streitereien geboten hat und sich auch bis heute hartnäckig hält, obwohl viele Verlautbarungen seitens der evangelischen Kirche, wie z. B. die Rheinische Synode, der christlichen Mission an Israel eine klare Absage erteilten. Obgleich die Mission zwar zum Wesen der 309
So lautet der Titel eines anderen Dokuments des Zweiten Vatikanischen Konzils. Vgl. Zehner, Der notwendige Dialog, 31. 310 Vgl. a.a.O., 61. Vgl. auch Kapitel 4.1.3. 311 Vgl. a.a.O., 64.
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christlichen Kirche gehört, so darf sie in einem Dialog mit anderen Religionen und speziell mit dem Judentum keineswegs als Mittel zum Zweck gebraucht werden, sodass der Dialog lediglich zum Mittel der christlichen Missionsabsicht wird. In Nostra aetate wird zwar der Missionsauftrag der Kirche in NA 2,4 kurz erwähnt, aber aus der Perspektive des christozentrischen Ansatzes, nach dem alle nichtchristlichen Religionen bereits einen großen Anteil der eigenen Wahrheit aufweisen, stellt die Mission keine so bedeutende Problematik dar wie in der evangelischen Kirche.312 Daher kommt es, dass innerhalb der evangelischen Kirche die Notwendigkeit der Mission stärker ausgeprägt zu sein scheint, obgleich das Thema natürlich auch in der katholischen Kirche zentral ist, nur der Ansatz ist ein anderer. In meinem letzten Vergleichspunkt möchte ich noch einmal auf das Verhältnis der christlichen Kirche zum atl Volk Israel eingehen. Beiden Neuansätzen in der christlichen Kirche ist das Bekenntnis zur bleibenden Erwählung und Kontinuität Israels und der engen Verbundenheit zwischen Juden und Christen aufgrund ihres gemeinsamen Erbes gemeinsam. Dennoch war der Weg zu einer solchen Auffassung langwierig und steinig. Während in Nostra aetate direkt zu Beginn die Einzigartigkeit der Beziehung und der Verbundenheit zum „Stamme Abrahams“313 hervorgehoben und in der Erklärung weiter ausgebaut wurde, so stellte die traditionell vertretene Verwerfungs- und Enterbungstheologie auf evangelischer Seite aufgrund von Kritikern an den Verlautbarungen lange ein Problem dar. Denn obgleich die enge Verbundenheit und Verwurzelung des Christentums im Judentum sowie die bleibende Erwählung Israels schon seit der Gründung der AG 1961 absolut zentral war, so fordert 312
Hierbei sei auch darauf hingewiesen, dass mit dem sogenannten Missionsdekret Ad gentes der klare missionarische Charakter auch in der katholischen Kirche zum Vorschein kommt. Vgl. a.a.O., 48-52. 313 NA 4,1. Auch wenn die Verbundenheit zwischen Juden und Christen wieder christologisch gedeutet wird, so wurde oben bereits herausgestellt, dass der 4. Artikel von Nostra aetate über das Judentum eine ganze andere Qualität der Beziehung aufweist als zu den im Voraus genannten Religionen. Vgl. Kapitel 4.1.3.
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dieses neue Bewusstsein immer auch bis heute Kritiker. Dennoch ist dieses neue Bewusstsein der Verbundenheit und des gemeinsamen Erbes von Christen und Juden eine gute Grundlage, dem Machtgefälle von Christen gegenüber den Juden ein Ende und dem gegenseitigen Dialog einen Anfang zu setzen. Indem evangelische und katholische Christen ihren Wurzeln näherkommen und sich intensiv mit der theologischen Bedeutung Israels befassen, ist der Stellungnahme der AG auf Nostra aetate folgend die Basis dafür gelegt, „sich auch gegenseitig näherzukommen.“314 Abschließend lässt sich konstatieren, dass sowohl auf evangelischer als auch auf katholischer Seite entscheidende und zukunftsweisende Impulse für eine Neubestimmung des Verhältnisses der Christen gegenüber den Juden gegeben worden sind. Die Bemühungen um eine Neuorientierung gegenüber dem Judentum werden nicht zuletzt an dem Umfang des zweibändigen Sammelbandes deutlich, der auf beinahe 2000 Seiten alle Dokumente von 1945 bis 2000 umfasst, die sich mit dieser neuen Verhältnisbestimmung zu den Juden beschäftigen.315 Ich persönlich finde es jedoch entscheidend, dass auf evangelischer Seite durch die „AG Juden und Christen“ bereits zu Beginn mit den Juden gemeinsam gesprochen und gearbeitet wurde und nicht über sie. Theologische und politische Konflikte, durch die der Lernprozess maßgeblich beeinflusst wurde, wurden durch intensive und konstruktive Zusammenarbeit gemeinsam bewältigt und forderten kirchliche Diskussionen. Auch wenn eine deutliche Veränderung des Bewusstseins für die besondere Beziehung zwischen Juden und Christen seit 1945 zu beobachten ist und die bisher erlangten Erfolge in der christlich-jüdischen Zusammenarbeit gewürdigt werden müssen, so wird anhand der immerzu neu aufkeimenden Konfliktpunkte deutlich, dass es sich um einen kontinuierlichen Prozess des 314
Kammerer, In die Haare, 61. Vgl. Rendtorff, R./ Henrix, H. H. (Hg.), Die Kirchen und das Judentum. Bd. I: Dokumente von 1945-1985, Paderborn/ München 1989; Henrix, H.H./ Kraus, W. (Hg.), Die Kirchen und das Judentum. Bd. II: Dokumente von 1986-2000, Paderborn/ Gütersloh 2001. 315
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Umdenkens handelt, der immer fortgeführt und weiter entwickelt werden muss. Um auch in Zukunft jegliche Form von christlichem Antijudaismus sowie Antisemitismus zu verhindern, wie es sich die christliche Kirche zur Aufgabe gemacht hat, müssen die Christen lernen, auf die Juden zu hören und mit ihnen in einen Dialog treten. Wie genau ein solcher Dialog vor allem im Hinblick auf die immer noch präsenten Streitpunkte aussehen kann oder muss, soll Gegenstand des folgenden Kapitels sein.
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5. Gegenwärtige Entwicklung des christlich-jüdischen Dialogs Seit dem Durchbruch und Anstoß zum christlich-jüdischen Dialog in den 1960er Jahren hat sich einiges getan. Wenn man eine erste Zwischenbilanz in Bezug auf die Auseinandersetzung der christlichen Kirche mit der Schoa und dem Judentum ziehen möchte, so ist diese durchaus als positiv einzuschätzen. Denn trotz dieser verheerenden Ereignisse im Dritten Reich und ihrer gesamten größtenteils gewalttätigen Vorgeschichte gelang es Juden und Christen, wieder zueinander zu finden, Vertrauen aufzubauen und gemeinsam zu arbeiten, was vor allem von jüdischer Seite bemerkenswert ist. Seit dem Zweiten Vatikanum und dem Rheinischen Synodalbeschluss konnte ein deutlicher Aufschwung in der christlich-jüdischen Zusammenarbeit beobachtet werden. Vielerorts wurden Gremien und Arbeitsgemeinschaften ins Leben gerufen, die sich mit der Thematik um das Verhältnis zwischen Juden und Christen und dem christlich-jüdischen Dialog beschäftigen sollten.316 Ein besonderer Verdienst muss m. E. auch Papst Johannes Paul II. zugesprochen werden, da er wie kein anderer als Vorreiter dieser neuen Beziehung gegenüber dem Judentum gilt. Er hat die Rede vom „ungekündigten Bund“ und den Juden als „unsere älteren Brüder“ maßgeblich geprägt.317 Nach diesem euphorischen Aufschwung in der christlich-jüdischen Zusammenarbeit lässt sich jedoch bisweilen eine Stagnation erkennen und die von Johannes Paul II. so stark vertretene Israeltheologie erfuhr durch die Wiederaufnahme der Karfreitagsfürbitte für die Juden durch Papst Benedikt XVI. im Jahr 2008 einen enormen Rückschlag. 318 Aber wie sieht die Gestaltung des christlich-jüdischen Dialogs gegenwärtig aus? Was einen Dialog religiöser Natur ausmacht und welche Voraussetzun316
Aufgrund der immensen Fülle von Erklärungen und Gremien können diese hier nicht namentlich erwähnt werden. Ich verweise aber noch einmal mit besonderem Nachdruck auf den Sammelband von Rendtorff/ Henrix (Hg.) bzw. Henrix/ Kraus (Hg.), in dem alle Texte und auch Gesprächskreise von 1945-2000 gesammelt und ediert worden sind. 317 Vgl. Renz, Die katholische Kirche, 184f. 318 Vgl. a.a.O., 186f.
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gen und Schwierigkeiten dieser mit sich bringt, soll in den folgenden Abschnitten näher beleuchtet werden. 5.1. Basis und Voraussetzung für einen interreligiösen Dialog Immerzu wurde bisher die Notwendigkeit eines christlich-jüdischen Dialogs zur Sprache gebracht, aber kann man mit Bezug auf die oben herausgestellten Maßnahmen zur Erneuerung des Verhältnisses zum Judentum überhaupt schon von einem Dialog sprechen? Geben beispielsweise die Debatten und Gespräche innerhalb der „AG Juden und Christen“ den Sachverhalt eines Dialogs wieder? Welche Voraussetzungen sind für einen fruchtbaren interreligiösen Dialog notwendig? Auch in meinen obigen Analysen habe ich des Öfteren, meist leichtfertig, vom christlichjüdischen Dialog gesprochen, aber ist dieser Begriff überhaupt angemessen? Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden und somit ein mögliches Entwicklungspotenzial in der christlichen Kirche in Bezug auf ihre Beziehung zu den Juden erkennen zu können, werde ich in diesem Abschnitt zunächst der Frage nachgehen, was überhaupt einen Dialog ausmacht, um darauf basierend dann beurteilen zu können, inwiefern man in der christlichen Kirche tatsächlich von dem allseits beliebten Terminus „christlich-jüdischer Dialog“ sprechen kann. „Dialog“ meint dem Duden folgend im bildungssprachlichen Sinn zunächst einmal ein Gespräch oder eine Rede zwischen zwei oder mehr Personen, die zum Zweck des Kennenlernens der Standpunkte des Gegenübers dienen können. Präziser beschrieben setzt der Dialog also mindestens zwei Partner voraus, die qualitativ und quantitativ ebenbürtig sind. Dabei darf der Dialog nicht bloß auf einem Sprechen miteinander stehen bleiben, da es ansonsten eine Unterhaltung wäre. Es geht vielmehr um eine abwechselnd geführte Rede, also eine Wechsel- und Gegenrede.319 Da besonders im christlich-jüdischen Dialog eine fundamentale Asymmetrie der Dialogpartner in vielerlei Hinsicht unübersehbar ist,
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Vgl. Duden Bd.1, 345.
bleibt es die dringende Voraussetzung, sich dieser Asymmetrie bewusst zu sein und diese zu akzeptieren.320 Das primäre Ziel eines interreligiösen Dialogs ist nach Swidler, der als einer der Pioniere des interreligiösen Dialogs einen Dekalog an Regeln verfasst hat, die eigene Haltung zu verändern und um der eigenen Entwicklung wegen von dem anderen zu lernen.321 Es gibt also zwei Positionen, die vertreten werden: Die des Lernens und die des Lehrens.322 Dabei ist es dringende Voraussetzung, dass beide Dialogpartner gleichgestellt und gleichberechtigt sind und sich auf Augenhöhe begegnen.323 Keiner darf sich dem anderen aus welchem Grund auch immer überlegen fühlen, da es so schnell dazu kommen kann, dass man den Dialog dazu missbraucht, dem anderen die eigene Sichtweise und Wahrheit aufzuzwängen, wie es besonders im Mittelalter von christlicher Seite in den Zwangsdisputationen der Fall war.324 Da man vor dem Hintergrund der fast 2000 Jahre der „Vergegnung“ zwischen Juden und Christen auf beiden Seiten lediglich ein Zerrbild des Gegenübers wahrnimmt, nicht aber sieht, wie er sich tatsächlich in seinem eigenen Selbstverständnis wahrnimmt, so ist es dringende Voraussetzung, dass jeder Teilnehmer zunächst von innen heraus seine eigene theologische Position definieren muss, wurde doch das Bild des jeweiligen Dialogpartners bis dahin lediglich durch eine Fremdwahrnehmung bestimmt.325 Denn vor allem im 320
Die Asymmetrie zeigt sich vor allem darin, dass die Christen ohne das Judentum ihre religiöse Identität gar nicht bestimmen könnten, da ja ihre Glaubensgrundlage, das NT, durch die hebräische Bibel entscheidend mitgeprägt worden ist. Die Juden andererseits können auch ohne das Wissen um das Christentum oder die ntl Schriften existieren. Dabei soll aber nicht das Missverständnis entstehen, dass das Christentum sich nur vom Judentum her beschreiben ließe, da sie in ihrer Geschichtserfahrung sich unterschiedlich entwickelt haben. Die Asymmetrie zeigt sich weiterhin in theologischer, historischer und auch politischer Hinsicht. Vgl. Weinrich, Jüdischchristlicher Dialog, 66. 321 Vgl. Swidler, Die Zukunft der Theologie, 11; 27. 322 Vgl. a.a.O., 54f. 323 So lautet die 7. Grundregel für einen interreligiösen Dialog nach Swidler. Vgl. a.a.O., 29f. 324 Vgl. a.a.O., 11; 28. 325 So lautet die 5. Grundregel. Vgl. a.a.O., 28f.
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Bereich von Vorurteilen gestaltet es sich schwer, von den alten Denkmustern abzulassen und sich von dem Dialogpartner belehren zu lassen, wodurch wir zu der nächsten Voraussetzung kommen: Während es noch relativ einfach erscheint, die eigene theologische Position und das eigene religiöse Selbstverständnis dem Partner offen zu legen, was sich natürlich aber aufgrund von innerreligiöser Vielfalt keinesfalls einfach gestaltet, so muss der Dialogpartner auch die Fähigkeit besitzen, sein Gegenüber als selbstständiges Subjekt mit einer eigenen religiösen Auffassung zu respektieren und zu akzeptieren und diesem unvoreingenommen zuzuhören. Beide müssen sich in ihrem jeweiligen Selbstverständnis wahrund ernstnehmen, woraus man zu der Einsicht kommen kann, dass der Dialog ein hohes Maß an Unvoreingenommenheit und Offenheit, aber auch Wertschätzung und Respekt erfordert. Das Kennenlernen und die Aneignung von Wissen des jeweiligen Gegenübers bilden in dem Verständnis des Terminus „Dialog“ eine wichtige Komponente, da mit dem Wissenserwerb die Überwindung von eventuellen Vorurteilen eng verknüpft ist. Denn die meisten Vorurteile entstehen meiner eigenen Erfahrung nach zumeist aus Unwissen. Im Besonderen muss dabei auf die Gegenseitigkeit der Beziehung im Dialog hingewiesen werden, damit es tatsächlich zu einem Dialog kommen kann und der Dialog nicht droht, ein Monolog zu werden.326 Denn einseitige Verengung und exklusiver Absolutheitsanspruch, wie man es von christlicher Seite so lange gewohnt war, hat im Dialog keinen Platz, ja verhindert ihn sogar. Wenn dieser Dialog seinem Sachverhalt nach richtig angegangen wird, so kann er tiefgreifende Lernprozesse in Gang setzen, in denen die eigene Identität und Wahrheit hinterfragt und neu bedacht werden kann, wodurch es zwangsläufig auch zu intrareligiösen Lernprozessen kommt, wie man in der „AG Juden und Christen“ des Öfteren beobachten konnte.327 Denn 326
So lautet die 2. Grundregel. Vgl. a.a.O., 28. Obgleich auf christlicher Seite die Bemühungen für ein einheitliches Verständnis über das Judentum groß waren und noch sind, so ist trotz der vielen Beschlüsse und Erklärungen über das christliche Verhältnis zum Judentum besonders auf evangelischer Seite, wie oben herausgestellt, nach wie vor kein solides Fundament erkennbar, auf 327
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besonders auf christlicher Seite setzt der christlich-jüdische Dialog im Schatten von Auschwitz die Bereitschaft und Fähigkeit zur Umkehr und Neuorientierung des Verhältnisses zum Judentum voraus, um überhaupt einen christlich-jüdischen Dialog beginnen zu können. Wenn man sich also seinem Dialogpartner in völliger Aufrichtigkeit öffnet, so hat das immer auch Auswirkungen auf das eigene Selbstverständnis, das im besten Falle im Dialog gemeinsam erweitert und präzisiert werden kann.328 Während Swidler hervorhebt, dass es im Dialog in erster Linie vor allem um die Gemeinsamkeiten gehen sollte, um eine stabile Vertrauensbasis schaffen zu können, dem ich auch vollkommen zustimme, so hat Martin Buber, ein Pionier des christlich-jüdischen Dialogs, in seinem Dialogkonzept betont, dass es nicht nur um die Gemeinsamkeiten gehen könne, sondern der Dialog erst fruchtbar und authentisch werde, wenn man auch die trennenden Aspekte mit in den Blick nimmt und die gegenseitige „Anderheit“ anerkennt.329 Die Anerkenntnis dieser Anderheit erfordert auch, Differenzen oder Konfrontationen auszuhalten.330 Es geht im Dialog also nicht darum, so etwas wie einen Kompromiss oder gemeinsamen Mittelweg anzustreben, denn wie authentisch wäre der Dialog, wenn z. B. ein Christ sich nicht zu Christus bekennen würde? Es geht vielmehr darum, den Partner, mag er auch von dem eigenen Glaubenszeugnis abweichen, in seiner Anderheit anzuerkennen und zwar ohne jegliche Form der Abwertung, Verurteilung oder Belehrung. In diesem Sinne lässt sich auch das „Lernen“, wie Swidler es als Primärziel sieht, konkreter fassen. Es geht nämlich um ein Lernen, das ein von innen her-
dem der Dialog aufbauen könnte. Demgegenüber darf aber auch der innerjüdische Pluralismus nicht vergessen werden, durch den auch im Judentum Spannungen bezüglich der eigenen Identität und der Position zum christlich-jüdischen Dialog erkennbar sind. Vgl. auch Ehrlich, Christen und Juden heute, 22f. 328 Vgl. Dehn, Annäherungen an Religion, 75. 329 Vgl. Swidler, Die Zukunft der Theologie, 29f. Weinrich, Jüdisch-christlicher Dialog, 58. 330 Vgl. Dehn, Annäherungen an Religion, 75.
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aus Verstehen meint.331 Es geht um eine wahre und tiefe spirituelle und existenzielle Begegnung, die entstehen kann, wenn man seinen Dialogpartner in seinem eigenen religiösen Selbstverständnis ernstnimmt und versucht, dieses von dem eigenen religiösen Selbstverständnis abweichende selbst von innen heraus zu verstehen auch auf das Risiko hin, dass es die eigene Identität verändert.332 Dieser Prozess kann z. B. initiiert werden, wenn man sich als Christ nicht auf die ntl Aussagen über das Judentum beschränkt, sondern vielmehr versucht, das Judentum aus seinen eigenen Quellen heraus zu verstehen, was andersherum aufgrund des Prinzips der Gegenseitigkeit natürlich ebenso gilt.333 Man lernt miteinander und findet nach Buber die eigene Wahrheit und Identität dialogisch heraus, indem man mit dem „Du“ in Beziehung tritt und den Anderen in persönlicher und lebendiger Begegnung wahrnimmt.334 Bleibt also zu prüfen, ob man vor dem Hintergrund der oben aufgeführten Eigenschaften und Voraussetzungen eines interreligiösen Dialogs im Hinblick auf den christlich-jüdischen Dialog seit den 1960er Jahren bis in die Gegenwart tatsächlich von einem „Dialog“ sprechen kann. Wenn man die „AG Juden und Christen“ als Beispiel heranzieht, so wird deutlich, dass vor allem in der Aneignung von Wissen über das Judentum große Fortschritte gemacht worden sind. Durch die regelmäßige dialogi331
So lautet die 10. und letzte Grundregel nach Swidler. Vgl. Swidler, Die Zukunft der Theologie, 31. 332 Ähnlich auch Dehn, Annäherungen an Religion, 74f. 333 Hier sei vor allem auf das AT hingewiesen, ohne das viele ntl Aussagen und Zitate nicht zu verstehen sind. Aber darüber hinaus sollte auch die Beschäftigung mit anderen jüdischen Quellen, wie z.B. mit der Mischna oder dem Talmud, einen wichtigen Punkt ausmachen. 334 Martin Buber hat in seinem dialogischen Prinzip herausgestellt, dass es zwei Beziehungsebenen gibt: Das „Ich-Es“ und das „Ich-Du“. Erst wenn das Ich bereit ist, den Anderen wahrzunehmen und zwar nicht mehr bloß als „Es“, erst dann entwickelt sich auch das „Ich“ und wird sich seiner selbst bewusst. Entscheidend für den Dialog ist also die Ich-Du-Beziehung, da der Dialog ansonsten oberflächlich bleiben und nicht auf gegenseitigem Interesse beruhen würde. Daher unterscheidet Buber auch drei Dialogebenen: „das echte Gespräch, das technische Gespräch und den dialogisch getarnten Monolog.“ Vgl. Wolf, Martin Buber, 151-157; vgl. auch Höbsch, Miteinander und auf Augenhöhe, 33.
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sche Bibelarbeit werden biblische Aussagen gemeinsam erschlossen und besonders im Hinblick auf das NT erschließt sich dadurch eine ganz neue theologische Betrachtungsweise. In der Suche nach Gemeinsamkeiten, von denen es, wie man feststellte, mehr gibt als Trennendes, lässt sich ebenfalls eine positive Bilanz ziehen, was im nächsten Kapitel noch einmal explizit aufgenommen werden soll. Auch bezüglich der Positionierung zum Antisemitismus und zum christlichen Antijudaismus herrscht ein Konsens, nämlich die klare Absage. Es lässt sich auf christlicher Seite also in der dialogischen Begegnung mit dem Judentum ein deutlicher Lern- und Entwicklungsprozess erkennen, der zu einer veränderten Haltung gegenüber dem Judentum und auch zu einem neuen religiösen Selbstverständnis geführt hat, das es jedoch noch nachhaltig zu festigen und weiter zu entwickeln gilt. Wenn man nun jedoch den Punkt der Gegenseitigkeit noch einmal näher betrachtet, so fällt auf, dass auf christlicher Seite zwar viel getan wurde, um dem Judentum auf eine grundlegend veränderte Weise entgegenzutreten und sich vor allem ein fundiertes Wissen über das Judentum anzueignen, dies aber für die jüdische Seite nicht unbedingt behauptet werden kann, was wohl nicht zuletzt in der substantiellen und existenziellen Asymmetrie beider Religionen zueinander liegt.335 Um aber die Voraussetzung der Gegenseitigkeit einhalten zu können, ist es zukünftig notwendig, dass auch die Juden sich „intensiver und objektiver als bisher mit dem Christentum“336 beschäftigen. Auch wenn mithilfe der kritischen Reflexion und Auseinandersetzung mit dem Judentum und durch den Einfluss von jüdischen Gesprächspartnern das christliche Selbstverständnis sich schon grundlegend geändert hat und die Juden von christlicher Seite heute nicht mehr 335
Vgl. Brandt, Ist der Dialog wirklich schon ein Dialog, 77. Diese substantielle und existentielle Asymmetrie besteht vor allem darin, dass das Christentum aufgrund seiner jüdisch geprägten Glaubensgrundlage und seiner Entstehung in der innerreligiösen Vielfalt des Judentums im 1.Jh.n.Chr. sich immer auf das Judentum beziehen muss, was für das Judentum nicht unbedingt gesagt werden kann. Dennoch muss hervorgehoben werden, dass andersherum das Christentum natürlich auch jüdisches Leben mitgeprägt und beeinflusst hat. Vgl. Weinrich, Jüdisch-christlicher Dialog, 66. 336 Brandt, Ist der Dialog wirklich schon ein Dialog, 78.
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bloß als Objekt der Mission, sondern als Subjekt mit je eigenen Erfahrungen, Vorstellungen und Interessen, in Bezug auf den christlichjüdischen Dialog gar als „Bruder“337 wahrgenommen werden, so gibt es dennoch Herausforderungen, denen sich der Dialog gerade in der heutigen Zeit noch stellen muss. Denn es muss natürlich vor allem auf die quantitative wie qualitative Gleichberechtigung im Dialog hingewiesen werden, die sich besonders von jüdischer Seite zahlenmäßig schwierig gestaltet.338 Während in den ersten Anfängen der Dialogbewegung zu beobachten ist, dass man sich zunächst auf das Gemeinsame und Verbindende beider Religionen besann und sich vor allem von christlicher Seite auf die Aneignung von Wissen über das Judentum stützte, um Vertrauen zu schaffen, was nach Swidler ja den Anfang eines interreligiösen Dialoges maßgeblich entscheidet, so wird seit Anfang des 21. Jh. die Forderung laut, dass es nicht mehr nur um die Gemeinsamkeiten beider Religionen und um die Erinnerung an die gemeinsamen Wurzeln im Schatten von Auschwitz gehen könne, nur um der Vermeidung eventueller Konfrontationen und Rückschläge in der Beziehung wegen. Es müssten nun vielmehr gerade auch die theologischen Unterschiede betont und zum Gegenstand des Dialogs gemacht werden. So wird z. B. von jüdi337
Papst Johannes Paul II. bezeichnete bei seinem ersten Synagogenbesuch 1986 in Rom bzw. dem ersten Besuch einer Synagoge überhaupt in der römisch-katholischen Geschichte die Juden als „unsere bevorzugten, […] älteren Brüder.“ Zum Text s. Rendtorff/ Henrix, Die Kirchen und das Judentum Bd. I, 109. 338 Zwar ist in der Zahl der in Deutschland lebenden Juden und der Rabbiner bis 2016 ein deutlicher Aufschwung zu erkennen, aber dennoch machen die Juden im Vergleich zur dt. Gesamtbevölkerung (ca. 82 Mio.) nur einen verschwindend geringen Teil aus. Nach der Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland sind 2016 98.594 Mitglieder jüdischer Gemeinden in Deutschland registriert, von denen 81% älter als 31 Jahre sind und es lediglich72 Rabbiner gibt. Da mit dieser Statistik jedoch nicht alle in Deutschland lebenden Juden registriert wurden, da viele kein Gemeindemitglied sind, kommt noch eine Dunkelziffer dazu, die nicht genau bekannt ist. Dennoch lässt sich bereits an dieser Zahl erkennen, dass die Juden in Deutschland sowohl quantitativ als auch qualitativ weit unterlegen sind. Vgl. Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland, Mitglieder jüdischer Gemeinden in Deutschland 1955-2016, URL: https://fowid.de/meldung/mitglieder-juedischer-gemeinden-deutschland-1955-2016, Stand: 26.04.2017.
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scher Seite der Vorwurf laut, dass es bisher noch gar nicht zu einem echten Dialog zwischen Juden und Christen gekommen sei.339 Dieser These würde ich persönlich insofern nicht zustimmen, da m. E. schon eine wichtige Grundlage und ein Anfang des Dialogs zwischen Juden und Christen zu konstatieren ist, was im Angesicht der verschiedenen Verlautbarungen auf christlicher und jüdischer Seite nicht einfach unter den Tisch fallen darf. Andererseits kann ich die Kritik von jüdischer Seite nachvollziehen, da die Beweggründe von christlicher Seite, mit den Juden in einen Dialog zu treten, in erster Linie noch im Schatten von Auschwitz stehen, also der Schuldverarbeitung und Wiedergutmachung wegen. So wichtig auch eine Erinnerungskultur im Angesicht von Auschwitz ist, so kann und darf die Notwendigkeit und Bedeutung des christlich-jüdischen Dialogs nicht allein auf Auschwitz beschränkt bleiben, vor allem im Angesicht des langen christlichen Antijudaismus. Auch im Bereich der theologischen Grundlagenarbeit möchte ich anmerken, dass es noch einer intensiveren Auseinandersetzung und Bibelarbeit bedarf, um das Verhältnis zum Judentum auch theologisch zu stützen und zu stärken und hin zu einer Begegnung und einem Dialog mit den Juden zu kommen, die rein theologischen Motiven und persönlicher Neugier entspringen. Denn m. E. ist ebendieses persönliche Interesse und die eigene Motivation die wichtigste Voraussetzung für einen Dialog, da beispielsweise ohne diese persönliche Motivation von Papst Johannes XXIII. auch das Zweite Vatikanische Konzil wohl nie zustande gekommen wäre. Abgesehen von theologischen Unklarheiten christlicherseits treten in unserer heutigen pluralistisch geprägten Gesellschaft jedoch noch ganz neue Herausforderungen hinzu, die den christlich-jüdischen Dialog mit339
Vgl. Brandt, Ist der Dialog wirklich schon ein Dialog, 75ff. Eine sehr negative Haltung in Bezug auf den Dialog mit Christen nimmt Joel Berger ein, der seine Stellungnahme mit vielen wohl bedachten Grundthesen stützt, von denen auch heute noch einige als Reibungsunkte im christlich-jüdischen Dialog zum Vorschein kommen. Vgl. Berger, Zum Stand des christlich-jüdischen Gesprächs heute, 80-88. Vgl. auch Frankemölle, Zum jüdisch-christlichen Dialog in Deutschland, 16.
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prägen. Diese Herausforderungen sollen Gegenstand des nächsten Abschnittes sein, um darauf basierend auch ein Entwicklungspotenzial erkennen zu können, wie man im christlich-jüdischen Dialog zu einer angemessenen Tiefe gelangen kann. 5.2. Bleibende Herausforderungen und Desiderata im christlichjüdischen Dialog Obgleich schon herausragende Erfolge in der christlich-jüdischen Zusammenarbeit ab 1960 erlangt worden sind, so lässt sich im neuen Jahrtausend zunehmend eine Stagnation feststellen. Es scheint die Zeit zu sein, sich der Wichtigkeit und Bedeutung des christlich-jüdischen Dialogs wieder neu bewusst zu werden und aktiv weiter an der Beziehung zwischen Juden und Christen zu arbeiten. Auf die vielfältigen Herausforderungen, die den christlich-jüdischen Dialog beeinflussen, soll in diesem Abschnitt näher eingegangen werden. Die Anordnung der einzelnen Aspekte, die ich anführen möchte, entspringt dabei meiner intensiven Auseinandersetzung mit der Beziehung von Juden und Christen, weshalb ich im Folgenden ohne Anspruch auf Vollständigkeit ausgewählte Beispiele zur Entwicklung der Verhältnisbestimmung von Juden und Christen vor dem Hintergrund der vorangegangenen Analysen anführen und auf Entwicklungspotenzial und Desiderata im christlichjüdischen Dialog untersuchen möchte. Auf tiefgreifende theologische Überlegungen muss des Umfangs wegen verzichtet werden, es sollen vielmehr Anstöße für die Weiterarbeit gegeben werden. Wenn man die neuere christliche Literatur ab 1980 bis in die Gegenwart betrachtet, die sich mit dem Judentum und den Juden generell in jeder Disziplin beschäftigt, so fällt schon an vielen Titeln ein deutliches Umdenken in Bezug auf die christlich-jüdische Beziehung auf. Besondere Erfolge können dabei in der exegetischen Literatur sowohl zum NT als auch zum AT beobachtet werden. Denn im Allgemeinen lässt sich eine deutlich positive Entwicklung in der Exegese erkennen, die eine grundlegende Erneuerung erfahren hat und heute zu einer Auslegung tendiert
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und anleitet, die keinen Platz mehr für Antijudaismus oder antijüdische Vorurteile hat. Das AT wurde als gemeinsame Schriftgrundlage und vor allem als Schrift, ohne welche wir Christen die Schriften des NT aufgrund zahlloser Rückverweise auf die hebräische Bibel überhaupt nicht verstehen könnten, neu entdeckt. Die Einzigartigkeit der Beziehung zwischen Juden und Christen gründet in der gemeinsamen Schrift. Im Zuge der Relektüre vor allem des AT konnten die bis dahin vorherrschenden Gegensätze von „alt“ und „neu“, „Gesetz“ und „Evangelium“ und „Gott der Rache“ und „Gott der Liebe“, durch welche die hebräische Bibel in der christlichen Tradition stets eine Abwertung erfahren hat, aufgehoben und anerkannt werden, dass der Gott des AT und der des NT ein und derselbe Gott ist.340 Das Kontrastmodell, nach dem das Judentum und das AT immerzu als Negativfolie für das Christentum herhalten mussten, ist in der modernen Forschung weitgehend verworfen. Wichtig erscheint jedoch nach wie vor die Klärung zentraler theologischer Grundbegriffe, wie das Schema „Verheißung-Erfüllung“, der Bundesbegriff, die Frage nach dem Volk Gottes sowie die Verhältnisbestimmung von Bund und Volk Gottes.341 Denn wie kann die Stellung der Kirche im Angesicht der Kontinuität und bleibenden Erwählung Israels als Volk des Bundes gedacht werden? Grundlegend für alle Begriffe scheint aber das Verständnis von „neu“ und „alt“ zu sein.342 Denn nach christlicher Tradition wurde das NT als die historisch später entstandene Schrift als wertvoller und als Überholung der Schriften des AT betrachtet und die oben aufgeführten Begriffe wurden in dieses Schema von alt-neu zu Ungunsten der Ju-
340
Vgl. Zenger, Die Bibel Israels, 26-32. In Bezug auf den Bundesbegriff seien vor allem die unterschiedlichen Theologien hervorgehoben: Die Ein-Bund-Theologie und die Zwei-Bund-Theologie. M. E. ist die Ein-Bund-Theologie vorzuziehen, da sie eine Israel bejahende Christologie zulässt. Vgl. Pawlikowski, Art. Judentum und Christentum, TRE 17, 393-399. Zu der von mir bevorzugten Ein-Bund-Theologie vgl. a.a.O., 395. 342 Vgl. Zenger, Die Bibel Israels, 27. 341
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den eingebettet.343 Um dieser Abwertung des AT bloß aufgrund seines Namens entgegenzuwirken, hat Zenger die Rede vom Ersten und Zweiten Testament vorgeschlagen, die ich persönlich sehr gut heiße.344 Damit einher geht auch der Begriff des Spätjudentums, der in der modernen Forschung durch Frühjudentum ersetzt wurde, um nicht den Verdacht zu erwecken, dass es heute kein Judentum mehr gibt. Es bleibt also festzuhalten, dass schon durch eine bewusste Verwendung jener Begrifflichkeiten, die nach christlicher Tradition eine potentielle Abwertung des Judentums intendieren, wesentliche Beiträge für ein neues Verständnis geleistet werden können. Das Erste Testament muss integraler Bestandteil der christlichen Bibel bleiben und als Verstehenshilfe und Interpretationsschlüssel des Zweiten Testaments verstanden und genutzt werden. Die Auffassung, dass es zwei Wege zu Gott gibt, nämlich bei den Juden durch die Tora, was auch im NT festgehalten wird, und bei den Christen durch Jesus, trifft trotz der Anerkenntnis des einen Gottes allerdings noch nicht auf allgemeine Akzeptanz. Denn obgleich die bleibende Erwählung des Gottesvolkes Israel in der christlichen Kirche weithin anerkannt und der Substitutionstheologie ein Ende gesetzt worden ist, so scheint das Nein der Juden gegenüber Jesus immer wieder neuen Zündstoff für Auseinandersetzungen zu liefern. Dass aber seitens der offiziellen Verlautbarungen der Kirche das Thema Judenmission entschieden abgelehnt wird, zeigte zuletzt die Synode der EKD von 2016: „Christen sind – ungeachtet ihrer Sendung in die Welt – nicht berufen, Israel den Weg zu Gott und seinem Heil zu weisen. Alle Bemühungen, Juden zum Religionswechsel zu bewegen, widersprechen dem Bekenntnis zur Treue
343
Vgl. Schöttler, „Eine bereichernde Komplementarität“, 171. So z.B. die Gegenüberstellung von den Christen als neues Volk Gottes im Vergleich zu den Juden als altes und abgelöstes Volk Gottes. 344 Vgl. Zenger, Die Bibel Israels, 29.
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Gottes und der Erwählung Israels.“345 Wie dieses Thema in der Realität aussieht, bleibt fraglich. Dennoch zeigen diese klaren Worte eine deutliche Entwicklung zu den bisher von mir vorgestellten Ansätzen aus Nostra aetate und den Debatten über die Judenmission in der „AG Juden und Christen“. Dass dieses Thema theologisch noch nicht hinreichend bearbeitet worden ist, wird hin und wieder in der Auslegung des Missionsbefehls in Mt 28 deutlich.346 Denn bei einigen Exegeten kann man beobachten, dass sie diesen Auftrag Israel mit einschließend verstehen.347 Die Auffassung von der Inklusivität Israels kann dabei eine neue Grundlage für die Judenmission bieten, obgleich dies nicht bei allen Ansätzen intendiert ist.348 Aber mal ganz abgesehen von der Frage, ob Israel in den Missionsbefehl mit eingeschlossen ist oder nicht, so ist in der Perspektive hin zu einem interreligiösen Dialog die Mission auch an Menschen anderen Glaubens allgemein abzulehnen. Denn gerade dieser exklusive Wahrheitsanspruch auf christlicher Seite macht einen Dialog mit Juden und anderen Religionen unmöglich.349 Solange auf christlicher Seite an der Mission festgehalten wird, kann nach den oben herausgestellten Prinzipien eines Dialoges kein Dialog zustande kommen, da die 345
EKD, Kundgebung der 12. Synode der EKD auf ihrer 3. Tagung, Abschnitt 2, URL: https://www.christenjuden.de/fileadmin/user_upload/baukaesten/Baukasten_Christlich _J_discher_Dialog/Dokumente/2016-EKD-Judenmission-Beschluss.pdf, Stand: 09.11.2016. 346 Ähnlich auch EKD, Christen und Juden I-III, 99f. Auch wenn Röm 9-11 immer wieder als biblischer Beleg zur Beschreibung des positiven Verhältnisses und der Kontinuität herangezogen wird, so darf man auch die paulinischen Stellen wie 1 Thess 2,14ff. nicht vergessen. 347 Vgl. z. B. Frankemölle, Matthäus, 339. 348 Frankemölle geht von dem in Mt 1 grundgelegten Universalismus aus und lehnt die Judenmission entschieden ab aufgrund der im Mt hervorgehobenen besonderen Erwählung Israels (vgl. Mt 10,5f.), vgl. Frankemölle, Die Sendung der Jünger Jesu, 4550. Schöttler geht in seinem Ansatz von dem in Mt 1,22f. genannten Doppelnamen Jesu aus, Jesus-Immanuel. In dem Namen Immanuel erkennt er ein zentrales Theologumenon, in welchem eine theozentrische Konzeption der Christologie deutlich wird. Dieses Mit-Sein des Gottes Israel im Namen Immanuel wird auch im abschließenden Missionsbefehl deutlich, denn das Ich als Subjekt deutet er als Ich des Gottes Israels. Vgl. Schöttler, „Eine bereichernde Komplementarität“, 164-167. 349 Vgl. Zenger, Die Bibel Israels, 33f.
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jeweiligen Dialogpartner zum einen als Minorität unterdrückt und zum anderen nicht in ihrem eigenen Selbstverständnis wahrgenommen würden. Wie ich in meiner eigenen Ausarbeitung zur ntl Verhältnisbestimmung von Juden und Christen bereits herausgestellt habe, dominiert in der modernen sowohl englisch- als auch deutschsprachigen Forschung in der ntl Exegese die Frage danach, ob das NT von Grund auf antijudaistisch und durch klare Judenfeindschaft geprägt ist.350 Mithilfe des historischkritischen Ansatzes der Exegese konnte dabei vor allem das Judesein Jesu sowie der gänzlich jüdisch geprägte Erzählrahmen des NT deutlich herausgestellt werden, was mit Blick auf die von mir betrachteten Verlautbarungen der Kirche nach 1945 heute sowohl auf jüdischer als auch auf christlicher Seite weithin anerkannt ist.351 Auch die Entstehung des Christentums innerhalb der Vielfalt des Judentums im 1. Jh. n. Chr. ist als historische Tatsache bekannt. Im Hinblick auf die Frage nach den Anfängen der christlichen Judenfeindschaft habe ich mich von der These einiger moderner Exegeten, die die Wurzeln des christlichen Antijudaismus in den ntl Schriften und der in diesen entfalteten Christologie selbst verankert sehen, dazu verleiten lassen, selbst nach den Ursachen für den christlichen Antijudaismus zu forschen.352 Daher habe ich die älteste uns überlieferte Quelle für eine Verhältnisbestimmung von Juden und Christen, das NT, in den Blick genommen und mithilfe exegetischer 350
Vgl. zu diesem Forschungsinteresse z.B. die Sammelbände Dunn (Hg.), Jews and Christians. The Parting oft he ways A.D. 70 to 135 (WUNT 66), Tübingen 1992 und Kampling (Hg.), „Nun steht aber diese Sache im Evangelium…“ Zur Frage nach den Anfängen des christlichen Antijudaismus, Paderborn 1999. 351 Vgl. EKD, Christen und Juden, 27ff.; 77f.; Für eine gute Sammlung über jüdische Stellungnahmen und Aufsätze zum Judesein Jesu vgl. Ehrlich, Art. Jesus Christus X, TRE 17, 68-71. 352 Vgl. Stegemann, Von der Schwierigkeit sich von sich zu unterscheiden, 53-60. Hierbei sei auch vor allem auf den Neutestamentler Luz hingewiesen, der der Auffassung ist, dass die Wurzeln des Antijudaismus in der Schrift selbst zu finden seien. Als Beispiel nennt er unter anderem die Bibelstelle Mt 21,43f., die auch ich eingangs untersucht habe, aber zu einem entgegengesetzten Ergebnis gekommen bin. Vgl. Luz, Das Evangelium nach Mt, 228.
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Methoden versucht, herauszufinden, wo genau die Anfänge dieser Feindschaft liegen. Die These, dass die tradierten antijüdischen Stereotype schon im NT selbst zu finden seien, konnte ich jedoch nicht teilen. Denn die aufkommende Judenfeindschaft ist vielmehr innerhalb der Rezeptionsgeschichte und der darin zumeist vorgenommenen Herauslösung einzelner Stellen aus ihrem jüdischen Kontext und der veränderten machtpolitischen Situation des Christentums als Mehrheits- und Staatsreligion zu verorten. Jedoch wurde mir durch diese Stimmen und auch den in der Einleitung angeführten Vorfällen klar vor Augen geführt, dass wir noch lange nicht von einem „normalen“ Verhältnis zwischen Juden und Christen sprechen können und alt geglaubte Vorurteile viel tiefer sitzen als einem vielleicht bewusst sein mag und den Dialog noch immer belasten. Besonders provokant sind in dieser Hinsicht die Erkenntnisse von Wilckens und Ruether, deren Aufsätze zwar schon älter sind, aber trotzdem noch bleibende Aktualität haben. Sie kommen unabhängig voneinander zu dem Schluss, dass christliche Identität ohne Antijudaismus nicht zu denken, ja dass der Antijudaismus gar die linke Hand der Christologie sei.353 Während Wilckens Antijudaismus als essentiell für den christlichen Glauben einschätzt, weshalb er um der Wahrung der eigenen Identität wegen auch gegenwärtig essentiell bleiben müsse, obgleich er hervorhebt, dass die antijudaistischen Motive im NT „sich aber natürlich nicht pauschal gegen die Juden der jeweiligen Gegenwart richten“354 dürfen, so kommt die Amerikanerin Ruether zu einem entgegengesetzten Ergebnis. Denn sie fordert ganz entschieden die Revision der Christologie, sodass der christliche Absolutheits- und Totalitätsanspruch grundlegend hinterfragt und revidiert werden muss.355 Wenn ich persönlich mich in der Auslegung der ntl Schriften allein von der Rezeptionsgeschichte dieser und vor allem der der Kirchenväter leiten ließe und den historischen Hintergrund ihrer Entstehungszeit nicht mit in den 353
Vgl. Ruether, Nächstenliebe, 229-233; 245; Wilckens, Das NT und die Juden, 610f. Wilckens, Das NT und die Juden, 610. 355 Vgl. Ruether, Nächstenliebe, 239-243. 354
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Blick nehmen würde, so muss ich zweifelsohne auch zu dem Schluss kommen, dass man kein Christ sein könne, ohne gleichzeitig antijudaistisch zu sein, zu welchem Resultat auch Ruether kommt.356 Denn aufgrund des Mangels an „religionsgeschichtlichem Bewusstsein“357 kommt es schnell zu theologischer Israelvergessenheit, was für die Juden viel zu lange in Gewalt und Leid endete. Mit dem Blick auf ebensolche Stimmen frage ich mich auch, ob die allseits anerkannte These vom Judesein Jesu und seiner jüdisch geprägten Lehre tatsächlich in ihrer Tiefe verinnerlicht worden ist. Welche Konsequenzen ergeben sich bzw. müssen sich für unser christliches Selbstverständnis ergeben, wenn wir von Jesus als Jude sprechen? Wenn christologisch die Verbundenheit Jesu zu seinem Volk, dem Volk Israel, festgehalten wird, so wird m. E. gleichzeitig die „bleibende Verwurzelung in der jüdischen Theologie“ unweigerlich hervorgehoben und bejaht.358 Denn sowohl die Lehre und Theologie von Paulus als auch Jesu Lehre und Toraauslegung erfolgte auf der Grundlage der Schriften des AT und können ohne den jüdischen Glauben nicht verstanden werden. Durch die zahlreichen Rückbezüge auf die hebräische Bibel kann die Person Jesu „nur im Kontext der alttestamentlichen und jüdischen Traditionsgeschichte“359 erfahren werden. Überall da, wo diese Kontinuität zwischen NT und AT verloren geht, entstehen aufgrund des fehlenden Rückverweises schnell falsche, gar antijüdische Auslegungen. Ein allseits bekanntes Beispiel ist das in der Bergpredigt angeführte Zitat „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.360 Diese Beispiele zeigen, dass die einzigartige Beziehung zwischen Juden und Christen und die Anfänge des Christentums in der Vielfalt von innerjüdischen Gruppierungen sowie die damit einhergehenden jüdischen 356
Vgl. Frankemölle, Antijudaismus im Mt?, 86. Frankemölle stellt diese These provokativ heraus. 357 Ebd. 358 Ruether, Nächstenliebe, 277; Vgl. auch Hengel/ Schwemer, Jesus, 25. 359 Frankemölle, Jüdische Wurzeln, 55. 360 Vgl. Mt 5,38. Ohne dass der kontextuale und historische Rahmen dieses atl Zitates im NT erläutert wird, führte es oft zu einer negativen, von Rache geleiteten Aussage, die im AT anzusiedeln ist.
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Glaubensgrundlagen, die sich in der ganzen Christologie manifestieren, in der christlichen Identität noch wirksamer und tiefgreifender gefestigt werden müssen.361 Das Christusbekenntnis als entscheidende Differenz zwischen Juden und Christen führt dabei tief in den Kern der christlichen Identität, weshalb die kritische und reflexive Auseinandersetzung mit dieser Problematik nach wie vor äußerst schwierig erscheint und die Christologie noch allzu oft als „identity against“, also als Abwertung anderer Religionen verstanden wird.362 Dass Identität soziologisch und psychologisch durch Abgrenzung entwickelt wird, indem man die eigene, (noch) schwache Identität stärken und festigen möchte, ist ein allseits bekanntes Muster.363 Kann aber christlicher Glaube nicht auch ohne polemische und herabsetzende Abgrenzung formuliert werden? Kann man den christlichen Glauben beschreiben, ohne dass er stets als Lichtbild und positive Abhebung zum Judentum und auch zu anderen Religionen fungiert? Wenn man in theologischer Tiefenwirkung tatsächlich versteht, was es bedeutet, wenn man von dem Juden Jesus spricht, so muss auch jede Christologie von daher verstanden werden. Der Bezug zum Gottesvolk Israel, aus dem Jesus stammt, muss immer integraler Bestandteil der christlichen Identität und Theologie und folglich auch der Christologie sein, denn nur so versteht man auch, dass der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ein und derselbe Gott ist wie der, den Jesus seinen Vater nennt. Die Christologie ist so nicht nur trennende Instanz, sondern kann auch Nähe zwischen Juden und Christen bewirken.364 „Neutestamentliche Christologie umschließt darum immer alttestamentliche Theologie.“365 Mit Bezug auf Wilckens kann ich also zu dem Schluss kommen, dass Antijudaismus keinesfalls essentieller Bestandteil der christlichen Identität sein kann, da christlicher Glaube, der im jüdischen Gottesverständnis 361
Vgl. Frankemölle, Frühjudentum, 35. Vgl. Schöttler, „Eine bereichernde Komplementarität“, 156. 363 Vgl. Frankemölle, Jüdische Wurzeln, 323. 364 Vgl. EKD, Christen und Juden I-III, 80. 365 Frankemölle, Jüdische Wurzeln, 54. 362
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wurzelt, und Antijudaismus sich widersprechen. Ruether möchte ich insofern zustimmen, als dass die christliche Identität überall da, wo sie in Negation und Antithese zum Judentum definiert wird, eine klare Revision erfahren muss, aber nicht auf Kosten der Christologie. Die Christologie muss vielmehr die bleibende Erwählung Israels und das lebendige Judentum mit einbeziehen und bejahen.366 Auch wenn die christliche Haltung gegenüber der Rolle und Bedeutung Jesu von den Juden nicht geteilt wird, müssen und können Christen das aushalten.367 Zwar ist herausgearbeitet geworden, dass das Judentum für uns Christen keine fremde Religion, sondern vielmehr etwas „Inneres“368 ist, aber es ist dennoch eine andere und eigenständige Religion, deren Andersartigkeit wahrgenommen und respektiert werden muss. Die Unterschiede dürfen nicht aufgehoben oder gar auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert werden, damit der Dialog reibungsvoll ablaufen kann, da das Spezifische und Besondere einer jeden Religion so zur Nebensächlichkeit gemacht würde und der Dialog in diesem Sinne kein authentischer Dialog mehr wäre. Die Differenzen sollten als Basis eines wahrhaften Dialogs in respektvoller Haltung anerkannt werden. Das heißt, dass die Christen nicht darauf beharren dürfen, dass auch die Juden Jesus als Messias anerkennen müssen, da das Christusbekenntnis spezifisch christlich und dem jüdischen Glauben fremd ist. Dabei geht es nicht um eine Nivellierung von religiösen Unterschieden, sondern vielmehr um eine Relativierung von exklusiven Wahrheits- und Alleingültigkeitsansprüchen, da diese einen wahren Dialog der Religionen verhindern würden. Um die jahrhundertealten Vorurteile gegenüber den Juden abzubauen, auf deren Basis die christliche Identität entwickelt worden ist, genügt es nach Frankemölle, dem ich vollends zustimme, nicht, diese lediglich zu widerlegen und Gegeninformationen zu geben.369 Die Bereitschaft für dieses Umdenken setzt ein gewisses Maß an Selbstkritik voraus. In dem 366
Vgl. Pawlikowski, Art. Judentum und Christentum, TRE 17, 395. Vgl. EKD, Christen und Juden I-III, 106. 368 Rendtorff/ Henrix, Die Kirchen und das Judentum Bd. I, 109 369 Vgl. Frankemölle, Jüdische Wurzeln, 321. 367
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Abbau von christlichen Vorurteilen, die nicht nur auf das Judentum zu beschränken sind, sondern auch gegenüber anderen Religionen eine Entfremdung bewirken sollte, sehe ich eine wichtige und zentrale Aufgabe für die Zukunft. Da, wie oben herausgestellt, der christliche Antijudaismus vor allem auf das NT gestützt und von daher gerechtfertigt worden ist, bleibt es die vorrangige Aufgabe der ntl Exegese, sich mit den Ursachen der traditionell judenfeindlich ausgelegten Stellen des NT zu beschäftigen, um theologische Fremd- und Feindbilder aufzudecken, einer weiteren Verbreitung dieser entgegenzuwirken und zu einer vor Israel als das Volk des ungekündigten Bundes verantwortbaren Auslegung zu gelangen. Der Traditionskritik sollte dabei also ein besonderer Stellenwert zukommen. Durch den omnipräsenten Rückbezug auf das Volk Israel, wie es ja auch die ntl Schriften intendieren, wäre bereits ein wichtiger Schritt getan, um nicht wieder in alte, von Exklusivismus und Absolutismus geprägte Muster zurückzufallen. Auch wenn die vielen Verlautbarungen und Bemühungen um einen christlich-jüdischen Dialog Grund zur Hoffnung geben, so wird immer deutlicher, dass es vor allem an der praktischen und öffentlichkeitswirksamen Umsetzung dieser in Katechese, Predigt und Schule hapert.370 Mit der Herausforderung der praktischen Umsetzung von kirchlichen Verlautbarungen eng verbunden ist m. E. die zukünftige Gestaltung und Tiefenwirkung des christlich-jüdischen Dialogs und seine Bedeutung innerhalb unserer modernen Gesellschaft, also die Frage danach, wie man diese Thematik auch der breiten Öffentlichkeit zugängig und schmackhaft machen kann. Denn es ist zu beobachten, dass der christlich-jüdische Dialog bisher größtenteils in den theologisch gebildeten Expertenkreisen geführt wurde und das Engagement im christlichjüdischen Dialog oder der Judaistik allgemein oft auf einige wenige Interessierte beschränkt bleibt.371 Wie kann man also mehr Menschen und vor allem die junge Generation für den Dialog und die Beschäftigung 370 371
Vgl. Schöttler, „Eine bereichernde Komplementarität“, 157f. Vgl. Frankemölle, Zum jüdisch-christlichen Dialog in Deutschland, 13ff.
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mit dem Judentum begeistern, um so auch in Zukunft für jegliche christlich oder generell religiös motivierte Judenfeindschaft und Antisemitismus zu sensibilisieren? Denn vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Generationenwechsels, durch den die Zeitzeugen der Schoa und auch die Wegbereiter des christlich-jüdischen Dialogs langsam abtreten, ist es umso wichtiger, der nachfolgenden Generation die Bedeutung der christlich-jüdischen Zusammenarbeit vor Augen zu führen. Es bleibt also die dringliche Aufgabe, den Fokus in Zukunft vielmehr auch auf die praktische und handlungsorientierte Ebene des Dialogs zu legen, also den fachtheologischen Dialog zu „erden“.372 Diese Ebene von Dialog „erfolgt im Dialog des Lebens.“373 Er beginnt „in der alltäglichen Begegnung von Menschen unterschiedlicher religiöser Beheimatung in Stadtvierteln und auf Spielplätzen, in Kindergärten, Schulen und Jugendhäusern.“374 Obgleich es heute schon „ein imposantes Netz von Dialogorganisationen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene“375 sowie Akademien und Zusammenarbeiten im christlich-jüdischen Dialog gibt und sogar ein Studium in Israel seit 1978/ 79 möglich ist, so möchte ich dennoch gerne die Forderung stellen, dass die Aneignung von grundlegenden Kenntnissen über das Judentum sowie die dialogische Begegnung und Erfahrung mit anderen Religionen dringend auf alle Bereiche der Gesellschaft ausgedehnt werden sollten, allen voran auf die Schulen und die Universitäten. Denn aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass ich weder in der Schule noch in der Universität, hätte ich nicht aus eigener Motivation diesen Weg eingeschlagen, auch nur grundlegende Informationen über das Judentum gelernt habe. Um aber die junge Generation zu erreichen, sollte bereits in frühen Jahren und vor allem in der Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte, Pfarrer und Priester angesetzt wer372
Vgl. Höbsch, Miteinander und auf Augenhöhe, 31. Auch Swidler unterscheidet drei Ebenen des Dialoges: Den praktizierten und den spirituellen Dialog und die kognitive Dimension des Dialogs. Vgl. Swidler, Die Zukunft der Theologie, 36-44. 373 Höbsch, Miteinander und auf Augenhöhe, 31. 374 Ebd. 375 Lenzen, Zum gegenwärtigen Stand, 245.
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den. Da ich der Beschäftigung mit dem Judentum und dem christlichjüdischen und interreligiösen Dialog überhaupt eine zentrale Bedeutung im Kontext der Ausbildungsstätten zumesse und ich selbst als angehende Lehrkraft eine Verantwortung dafür trage, wie andere Religionen und vor allem der Umgang mit diesen wahrgenommen wird, möchte ich an dieser Stelle auch nachdrücklich auf die Relevanz und fachdidaktische Umsetzung dieses Themas in der Schule hinweisen. Wir leben heute zwar in einer Generation, die keine Schuld mehr an den Verbrechen des Dritten Reiches trägt, jedoch ist es wichtig, sich mit dieser komplexen und vielschichtigen Thematik auch heute noch zu beschäftigen. Themen wie Menschenwürde, -rechte und Freiheit sind für uns heute selbstverständlich. Dass es aber nicht immer so war und noch lange nicht in allen Ländern der Welt so ist, sollte bzw. muss im Schulunterricht thematisiert werden, um die Bedeutung und den steinigen Weg zu unserer aktuellen Wahrnehmung der Dinge herauszustellen. Da gerade in Hamburgs Klassenzimmern eine große Heterogenität herrscht und das besondere Modell des „Hamburger Religionsunterrichtes für alle“ es mehr als anbietet, das Thema vom Dialog der Religionen für die SuS376 hautnah an der eigenen Person erfahrbar zu machen, sollte der Schwerpunkt noch mehr auf der Frage danach liegen, wie man bereits in der Schule oder gar im Kindergarten Impulse geben kann, um zu einem Dialog miteinander zu motivieren und Vorurteile jeglicher Art zu bekämpfen. Denn immerhin gehört die Dialogkompetenz auch zu einer der Schlüsselkompetenzen des 21. Jh., die als solche auch als eine der Fachkompetenzen des Faches Religion im Bildungsplan für die Sek. I in Hamburg fest etabliert ist, welche die SuS dazu befähigen soll, „am (inter-)religiösen Dialog verstehend, sachkundig, argumentativ, vorurteilsfrei, aufgeschlossen und in wechselseitigem Respekt teilzunehmen.“377 Lehrkräfte sollten mit gutem Beispiel vorangehen und die Bereitschaft und Motivation etablieren, sich 376
SuS steht hier sowie im weiteren Verlauf der Arbeit als Abkürzung für Schülerinnen und Schüler. 377 Bildungsplan Gymnasium Sek. I Religion, 14.
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selbst mit der eigenen Identität und der der Mitschüler und ihren Überzeugungen argumentativ und sachkundig auseinanderzusetzen. Mit großer Freude stelle ich zudem fest, dass in den neueren Schulbüchern ab 2007 immer auch ein Kapitel zum Judentum und sogar zum christlichjüdischen Dialog enthalten ist.378 Nun liegt es nur in der Verantwortung der Lehrkräfte, die Themen des Judentums allgemein, aber auch des Antijudaismus und der Feindschaftsgeschichte und Ursachen dafür auch zu behandeln und den SuS die Bedeutung des Dialogs, in dem man sich selbst sowie seinen Gegenüber besser kennen und verstehen lernt, untereinander deutlich zu machen, um Berührungsängste und Vorurteile, wie sie gerade gegenwärtig oft gegenüber muslimischen SuS herrschen, abzubauen. Denn anhand der bisher konstatierten positiven Ergebnisse eines Dialogprozesses kann man erkennen, dass das „Miteinander Reden“ fruchtbarere Ergebnisse erzielt als das „Übereinander Reden“. Im Bereich der Schule sollte diese Einstellung bestenfalls als Motivation für andere Lehrkräfte dienen, ihre SuS als gleichberechtigte Subjekte mit je eigenen Auffassungen wahr- und ernstzunehmen und sie in ihrer eigenen Identität, sei es nun religiös gesehen oder nicht, zu stärken und zu einem fachunabhängigen Dialog auf sachlich-fundierter Grundlage zu befähigen. Abschließend sei also noch einmal herausgestellt, dass die bleibende und zentrale Herausforderung, mit der alle oben angesprochenen Desiderata im christlich-jüdischen Dialog einhergehen, in der Entwicklung des Bewusstseins bestehen, dass der christlich-jüdische Dialog gewissermaßen als Wachstumsprozess verstanden werden muss. Das „christlich-jüdische 378
Hierbei sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Lehrkräfte sich im Voraus die Materialien und Schulbücher immer noch einmal gründlich anschauen sollten, um sicher zu gehen, dass jegliche Vorurteile, vor allem auf Grundlage von ntl Schriften, gegenüber den Juden nicht weiter tradiert werden. Vgl. zu den Schulbüchern z. B. Hülsmann, M.: Moment mal! Grundbegriffe und biblische Basistexte (1. Aufl.), Stuttgart 2013, 74-77; Schmidt, H. (Hg.): Das Kursbuch Religion 2. Ein Arbeitsbuch für den Religionsunterricht im 7./ 8. Schuljahr, Stuttgart 2007, 114-120; Kraft, G. u.a. (Hg.): Das Kursbuch Religion 3. Ein Arbeitsbuch für den Religionsunterricht im 9./ 10. Schuljahr, Stuttgart 2007, 184-190.
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Gespräch ist ein ewiges Gespräch; denn es ist ein Gespräch um das Ewige.“379 Die Beziehung zwischen Christen und Juden ist als lebendige Beziehung zu verstehen, die sich im Sinne des von Papst Johannes XXIII. geprägten aggiornamento immer wieder neu den Herausforderungen der modernen Welt stellen und darauf reagieren muss, um eine nicht-antijudaistische Theologie im Angesicht des lebendigen Judentums zu entwickeln, zu verbreiten und nachhaltig zu stärken.
379
Ben-Chorin, Das ewige Gespräch, zit. nach: Schmidt, Das Kursbuch Religion 2, 120.
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6. Fazit und Ausblick: Über die friedensstiftende Dimension des christlich-jüdischen Dialogs in der Perspektive hin zu einem interreligiösen Dialog „In den vergangenen Jahren hat sich ein dramatischer und unvorhersehbarer Wandel in den christlich-jüdischen Beziehungen vollzogen.“380 Dieses Zitat aus der jüdischen Stellungnahme „Dabru emet“ aus dem Jahr 2000, die sich mit dem Verhältnis der Christen gegenüber den Juden und vor allem mit der Entwicklung dieser Beziehung und der Bemühung der christlichen Kirche um eine positive Beziehungsgestaltung nach der so unheilvollen Geschichte von Christen und Juden befasst, fasst m. E. sehr gut zusammen, was ich in dieser Untersuchung versucht habe, herauszustellen. Denn nach Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Erwachen aus der Schockstarre über die unbegreiflichen Verbrechen in der NS-Zeit widmete die christliche Kirche sich, wie oben herausgestellt, verstärkt der Neuorientierung gegenüber dem Judentum. Die Unfassbarkeit und Irrationalität von Auschwitz gab notwendige Impulse für diese grundlegende Neuorientierung in der Beziehung zwischen Juden und Christen, um die alten Vorurteile und die Feindschaft abzubauen. Wie stark sich die Beziehung zwischen Christen und Juden verändert hat, wurde schon durch die exegetischen Analysen der ntl Schriften und ihrer Rezeptionsgeschichte deutlich. Dabei wurde herausgestellt, dass das, was in unseren Ohren heute vielleicht antijudaistisch klingen mag, vor dem historischen Hintergrund der Entstehungszeit der Evangelien, also im Zuge des Neuformierungsprozesses und der innerjüdischen Konflikte nach der Tempelzerstörung 70 n. Chr., vielmehr als innerjüdische Polemik und Kritik aufgefasst werden muss, verstanden sich die christusgläubigen Juden und Nichtjuden doch bis ins 2. Jh. n. Chr. hinein als eine unter vielen jüdischen Gruppierungen. Anhand der in dieser Arbeit skizzierten Geschichte und Entwicklung der Entfremdung und von Feindschaft geprägten Beziehung zwischen Juden und Christen bis hin zu einem wertschätzenden Dialog miteinander lässt sich schlussfolgern, 380
Henrix/ Kraus, Die Kirchen und das Judentum Bd. II, 974.
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dass man mit der gegenseitigen Annäherung und dem Dialog bzw. der Dialogfähigkeit in erster Linie das Ziel verfolgte, sich gegenseitig besser kennenzulernen und zu verstehen, um so vor dem Hintergrund der Schoa Feindschaften, Gewalt sowie Vorurteile in Zukunft zu bekämpfen und zu vermeiden und im Gedächtnis der Erinnerung an Auschwitz entsprechend zu handeln. Es kann also geschlussfolgert werden, dass dem Dialog zwischen Juden und Christen eine friedensstiftende Dimension zugeschrieben werden muss. Auf Basis meiner bisher erarbeiteten Erkenntnisse soll der Fokus zum Abschluss dieser Untersuchung auf der Frage danach liegen, ob angesichts der schon in der Einleitung angeführten antisemitischen Vorfälle, des Konfliktpotenzials sowie der negativen Schlagzeilen überhaupt, die allzu oft mit Religion in Verbindung gebracht werden, der christlich-jüdische Dialog und der Dialog unter den Religionen generell friedensstiftend wirken oder zumindest erste entscheidende Impulse für ein respektvolles und friedliches Miteinander geben kann. Seit Ende des 19. Jh. ist vor dem Hintergrund der zumeist von Feindschaft und Gewalt geprägten Beziehung zwischen den Religionen verstärkt ihre friedensstiftende Wirkung ins Blickfeld geraten. 381 Das wohl bekannteste Projekt in dieser Hinsicht ist das „Projekt Weltethos“ von Hans Küng, in welchem die Grundthese vertreten wird, dass es „kein[en] Frieden unter den Religionen ohne Dialog unter den Religionen“382 geben könne. Küng geht von der praktischen und handlungsorientierten Ebene des interreligiösen Dialogs aus. Es wird hervorgehoben, dass es trotz vieler Differenzen in den einzelnen Religionen fundamentale Gemeinsamkeiten gibt, die in der Ethik begründet liegen.383 Die Religionen sollen diese Gemeinsamkeiten nutzen und sich füreinander in der Welt einsetzen, um eine gerechtere Welt und Frieden zu schaffen. Küng sieht also einen elementaren Zusammenhang zwischen interreligiösem Dialog 381
Vgl. Dehn, Annäherungen an Religion, 83. Küng, Projekt Weltethos, 171. 383 Vgl. Ernst, Umgang mit moralischer Differenz, 134f. 382
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und Weltfrieden, der in der Verantwortung der Religionen für die Welt und in der Friedensstiftung begründet liegt.384 Aber was kann man überhaupt unter „Frieden“ oder gar „Weltfrieden“ verstehen bzw. was macht Frieden aus? Wie lässt sich Frieden herstellen und vor allem nachhaltig sichern? Besteht, wie Küng es versteht, ein Zusammenhang zwischen Weltfrieden und interreligiösem Dialog? Eine allgemein anerkannte Definition von Frieden gibt es nicht, obgleich die Friedensstiftung zu den ältesten Ideen der Menschheit gehört.385 Denn es kommt vor allem darauf an, in welchem Zusammenhang bzw. in welcher Disziplin dieser Begriff verwendet und verstanden wird.386 Ich werde daher an dieser Stelle darauf verzichten, den Begriff „Friede“ in seinem komplexen Gefüge und all seinen Dimensionen zu definieren und vielmehr versuchen, auf Grundlage unterschiedlicher Definitionsversuche mein eigenes Verständnis von Frieden zu formulieren. Dass Frieden zuallererst und im alltäglichen Sprachgebrauch die Abwesenheit von Krieg sowie Konflikt- und Gewaltfreiheit meint und durchweg positiv konnotiert ist, dürfte jedem einleuchtend sein. Da der Friedensbegriff sich jedoch in mehreren Dimensionen und Ebenen bewegt, würde dieses Verständnis von Frieden allein zu kurz greifen. 387 Daher dominiert in der Friedensforschung die von dem norwegischen Friedensforscher Johann Galtung eingeführte Unterscheidung von negativem und positivem Frieden, wonach der negative Frieden ebenjenes alltägliche Verständnis der Abwesenheit von Krieg meint, der positive Frieden jedoch Sicherheit, Wohlergehen, Harmonie und soziale Gerechtigkeit.388 384
Vgl. Höbsch, Miteinander und auf Augenhöhe, 31f. Vgl. Gen 1, 26ff. Vgl. Werkner, Zum Friedensbegriff, 20. 386 Eine sehr komplexe und weit gefächerte Darstellung des Friedensbegriffs und der Friedensforschung von der Antike bis heute und durch alle Weltreligionen bietet der jüngst erschienene Sammelband Werkner, I.-J./ Ebeling, K. (Hg.): Handbuch Friedensethik, Wiesbaden 2017, der über 900 Seiten zählt. 387 Die unterschiedlichen Dimensionen von Frieden sind: Der individuelle Friede, der Friede in der unmittelbaren Interaktion mit Menschen und der Friede mit Gott. Vgl. Huber, Art. Frieden V. Kirchengeschichtlich und ethisch, TRE 11, 635. 388 Vgl. Schmidt-Leukel, Art. Frieden I. Religionswissenschaftlich, RGG 3, 359; Werkner, Zum Friedensbegriff, 20f. Auch wenn diese Unterscheidung Galtungs in der 385
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Anhand der großen Fülle von Friedensdefinitionen wird schon deutlich, dass Frieden für jeden auch individuell eine andere Bedeutung hat. Für mich persönlich bedeutet Frieden ein Leben in Sicherheit und Harmonie für alle Menschen in Würde und Solidarität zueinander. Frieden ist m. E. das höchste Gut, nach dem wir alle streben sollten, um in unserer sozialen Umwelt miteinander in Respekt und Anerkennung leben zu können. Das Streben nach einem friedlichen sozialen Zusammenleben muss also Aufgabe aller Menschen sein. In der Friedensbildung wird Religion lebendig und konkret. Am Beispiel des christlich-jüdischen Dialogs wurde deutlich, dass er vor allem deshalb initiiert wurde, um christlichen Antijudaismus und antijüdische Vorurteile, die auch mitentscheidend waren für den rassistisch motivierten Antisemitismus, zu bekämpfen und zu verurteilen. Daher ist m. E. jede Form von Antijudaismus, Antisemitismus sowie generell jegliche Form von Fremdenhass oder überhaupt Hass gegenüber anderen Personen mit dem Begriff „Frieden“ unvereinbar. Die Friedensarbeit wird biblisch-theologisch im Schöpfungsauftrag, also in der Verantwortung der Menschen für die Welt als Schöpfung Gottes begründet.389 Sowohl im AT als auch im NT wird Frieden als Bezeichnung für ein (lebens)förderliches Miteinander betrachtet, mit dem bestimmte Handlungsanweisungen einhergehen.390 Da im interreligiösen Dialog Werte wie Respekt und gegenseitige Anerkennung entwickelt und gefördert werden sollen, die nach dem Friedensforscher Reinhard Wolf ein friedenspolitisches Potential aufweisen, kann der Dialog m. E. als gutes Instrument dienen, sich gemeinsam auf den Weg zu einem friedlichen Miteinander zu machen. Denn „Anerkennung Friedensforschung allgemeinhin anerkannt ist, gibt es dennoch große Kontroversen bezüglich dieser Definition von Frieden, da weder der positive noch der negative Frieden allein diesen Begriff hinreichend definieren kann. Vgl. zur Debatte a.a.O., 2126. 389 Vgl. Gen 1,26f. 390 Vgl. Otto, Art. Frieden II. Altes Testament, RGG 3, 359f.; Wengst, Art. Frieden III. Neues Testament, RGG 3, 360.
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und Respekt bezeichnen affirmative Verhaltensweisen bzw. Haltungen, die Akteure gegenüber fremden Identitäten zum Ausdruck bringen.“391 Als Voraussetzung für die Anerkennung der anderen in ihrer Anderheit ist die Einhaltung der Menschenrechte unabdingbar.392 Indem die Religionen, denen alle Werte wie Friede, Gerechtigkeit und Menschenwürde als ethische Idealvorstellungen zugrunde liegen, sich gemeinsam auf ebendiese grundlegenden Werte stützen, können die Religionen auf der Welt einen entscheidenden Beitrag zur Solidarität und Humanität und somit zum Frieden auf der Welt und im sozialen Miteinander leisten. Jeder Mensch sollte ganz selbstverständlich in Frieden leben und ohne Angst oder Einschränkung seine eigene Identität ausleben können. Ebendiese Aspekte habe ich oben bereits als Voraussetzungen für einen interreligiösen Dialog herausgestellt, in dem jeder Teilnehmer sein eigenes religiöses Selbstverständnis frei entfalten darf und muss. Da Frieden nicht als ein Ziel oder Zustand zu verstehen ist, sondern vielmehr als Prozess, den es kontinuierlich weiter anzukurbeln gilt, gehört zu Frieden also immer auch Interaktion, Zusammenarbeit und Kommunikation untereinander.393 Denn „Friede heißt Zusammenarbeit, lebendiger und konkreter Austausch mit dem anderen, der ein Geschenk und kein Problem ist, ein Bruder, mit dem man eine bessere Welt aufzubauen versucht.“394 Der christlich-jüdische Dialog kann insofern als gutes Beispiel für die Friedensstiftung herangezogen werden, da Juden und Christen gezeigt haben, dass sie trotz der Jahrhunderte der Entfremdung, Abgrenzung und Feindschaft sich gemeinsam auf den Weg der gegenseitigen Anerkennung, Achtung und des Respekts gemacht haben, auf dem jede Form von 391
Wolf, Respekt und Anerkennung, 905. Vgl. Bechmann, Vom interreligiösen Dialog, 83. 393 In der Friedensforschung wird der Friede als Prozess verstanden, den es immer wieder neu zu stiften gilt. Vgl. Reuter, Art. Frieden VIII. Politisch, politologisch, sozialethisch, RGG 3, 365. 394 Papst Franziskus, Ansprache zum Weltgebetstag für den Frieden in Assisi, URL: https://w2.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2016/september/documents/papafrancesco_20160920_assisi-preghiera-pace.html, Stand: 20.09.2016. 392
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Antijudaismus und Antisemitismus entschieden verurteilt wird. Indem die Christen sich z. B. wieder mehr an ihrem höchsten Gebot, dem Doppelgebot der Liebe, orientieren, das sie so lange Zeit gerade gegenüber ihren älteren Geschwistern, den Juden, vergessen haben, können schon wesentliche Impulse für ein friedlicheres Miteinander gegeben werden. Für die zukünftige Gestaltung des christlich-jüdischen, aber auch des interreligiösen Dialogs überhaupt ist es m. E. gerade in Bezug auf den Aspekt der Weltverantwortung wichtig und notwendig, die christlichjüdische Zusammenarbeit gegen Vorurteile aller Art und Antisemitismus, besonders vor dem Hintergrund des Nahostkonfliktes und auch der demographischen Lage in Deutschland sowie der Flüchtlingskrise, auszuweiten. Daher sollte zukünftig auch die Zusammenarbeit und ein Dialog mit dem Islam mehr gefördert werden. Zum einen, um Fremdheitsgefühle gegenüber den Muslimen abzubauen, und zum anderen, um auch auf muslimischer Seite entschieden gegen Antisemitismus einzutreten. Denn so kann der Dialog auch in der Integrationsarbeit von ausschlaggebender Bedeutung sein. Obgleich ich dem interreligiösen Dialog eine entscheidende Rolle in unserer modernen pluralistisch geprägten Gesellschaft einräume, um gegenseitiges Misstrauen, Vorurteile und Fremdheitsgefühle abzubauen, indem man in der Begegnung und Erfahrung mit anderen Religionen und Kulturen einen respektvollen Umgang in gegenseitiger Anerkennung und ein friedliches Zusammenleben anstrebt, so muss dennoch hervorgehoben werden, dass die Rolle und Wirkung des interreligiösen Dialogs für den Frieden auf der Welt nicht überbewertet werden darf. 395 Denn ein Frieden zwischen den Religionen ist nicht unbedingt allein entscheidend für einen Weltfrieden, wie Küng es in seinem Projekt hervorhebt, da viele andere Dimensionen diesen mit entscheiden, die vor allem politischer und wirtschaftlicher Natur sind.396 Zudem sei auch noch einmal 395
Vgl. Dehn, Annäherungen an Religion, 83f.; Hayward, Frieden durch inter- und innerreligiösen Dialog, 302. 396 Vgl. Küng, Projekt Weltethos, 102.
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darauf hingewiesen, dass z. B. der christlich-jüdische Dialog noch keine öffentlichkeitswirksame Tiefenwirkung erreicht hat und auf ebenjene Engagierte beschränkt bleibt, die noch dazu ihre eigene religiöse Auffassung vertreten, die wiederum nicht immer stellvertretend für eine ganze Religion angesehen werden kann, was ja besonders in den Debatten der „AG Juden und Christen“ zum Vorschein kam, da deutlich wurde, dass die christlichen Mitglieder der AG in ihrer Auffassung zum Judentum nicht als Stellvertreter für die ganze christliche Kirche gelten konnten.397 „Der interreligiöse Dialog ist kein Allheilmittel, aber er kann zu notwenigen Lernprozessen und Perspektivenveränderungen befähigen.“398 In diesem Sinne sollte der Dialog unter den Religionen als Wegbereiter zum Frieden verstanden werden, als „ein Mittel, um Brücken zu bauen für gegenseitige Achtung und wechselseitiges Verständnis. Er ist eine freudige Bekräftigung des Lebens für alle.“399
397
Vgl. Bechmann, Vom interreligiösen Dialog, 79; Dehn, Annäherungen an Religion, 83f. 398 Renz, Die katholische Kirche, 220. 399 ÖRK, Ökumenische Erwägungen zum Dialog, Abschnitt 20. URL: https://www.oikoumene.org/de/resources/documents/programmes/interreligiousdialogue-and-cooperation/interreligious-trust-and-respect/ecumenical-considerationsfor-dialogue-and-relations-with-people-of-other-religions?set_language=de, Stand: 01.01. 2004.
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Abkürzungsverzeichnis Die Abkürzungen im folgenden Text, in den Fußnoten sowie in den Literaturangaben entsprechen S. Schwertner, Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis (2. überarbeitete und erweiterte Aufl.), Berlin / New York 1994. Darüber hinaus finden folgende Abkürzungen Verwendung: DEKT SuS PLIN. SUET. TAC. ann. epist. Claud. Nero
als Abkürzung für Deutscher Evangelischer Kirchentag. als Abkürzung für Schülerinnen und Schüler. zur Bezeichnung des antiken Schriftstellers Plinius. zur Bezeichnung des antiken Historiographen Sueton. zur Bezeichnung des antiken Historiographen Tacitus. zur Bezeichnung der Annalen als Werk des Tacitus. zur Bezeichnung der Epistulae als Werk des Plinius. zur Bezeichnung der Claudius-Vita des Sueton. zur Bezeichnung der Nero-Vita des Sueton.
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Jerusalemer Texte
Schriften aus der Arbeit der Jerusalem-Akademie herausgegeben von Hans-Christoph Goßmann Band 1:
Peter Maser, Facetten des Judentums. Aufsätze zur Begegnung von Christen und Juden sowie zur jüdischen Geschichte und Kunst, 2009, 667 S.
Band 2:
Hans-Christoph Goßmann; Reinhold Liebers (Hrsg.), Hebräische Sprache und Altes Testament. Festschrift für Georg Warmuth zum 65. Geburtstag, 2010, 233 S.
Band 3:
Hans-Christoph Goßmann (Hrsg.), Reformatio viva. Festschrift für Bischof em. Dr. Hans Christian Knuth zum 70. Geburtstag, 2010, 300 S.
Band 4:
Ephraim Meir, Identity Dialogically Constructed, 2011, 157 S.
Band 5:
Wilhelm Kaltenstadler, Antijudaismus, Antisemitismus, Antizionismus, Philosemitismus – wie steht es um die Toleranz der Religionen und Kulturen?, 2011, 109 S.
Band 6:
Hans-Christoph Goßmann; Joachim Liß-Walther (Hrsg.), Gestalten und Geschichten der Hebräischen Bibel in der Literatur des 20. Jahrhunderts, 2011, 294 S.
Band 7:
Hans-Christoph Goßmann (Hrsg.), Geschichte des Christentums, 2011, 123 S.
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Band 8:
Jonathan Magonet, Schabbat Schalom. Jüdische Theologie – in Predigten entfaltet, 2011, 185 S.
Band 9:
Clemens Groth; Sophie Höffer; Laura Sophie Plath (Hrsg.), „... das habe ich nie vergessen, bis heute ...“. Jugendliche befragen Menschen, die die Zeit des Nationalsozialismus erlebt haben, 2011, 200 S.
Band 10:
Hans-Christoph Goßmann, Altes Testament und christliche Gemeinde. Christliche Zugänge zum ersten Testament der Bibel, 2012, 198 S.
Band 11:
Bernd Gaertner; Hans-Christoph Goßmann (Hrsg.), Der Glaube an den Gott Israels. Festschrift für Joachim LißWalther, 2012, 254 S.
Band 12:
Wilhelm Kaltenstadler, Maqāla fī al-rabw. Die Abhandlung des Maimonides über das Asthma, 2013, 171 S.
Band 13:
Hans-Christoph Goßmann; Joachim Liß-Walther (Hrsg.), Gestalten und Geschichten der Hebräischen Bibel im Spiegel der Literatur des 20. Jahrhunderts, 2015, 434 S.
Band 14:
Wilhelm Kaltenstadler, Ernährung im medizinischen Werk des Moses Maimonides, 2015, 132 S.
Band 15:
Yee Wan SO, „And Jesus Replied...” – But what issues did Jesus address in his replies?! The Reception of the Conflict Narratives in the Gospel of Matthew, 2015, 377 S.
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Band 16:
Salomon Almekias-Siegl; Sabine Münch, Gehen wohl zwei miteinander. Jüdisch – christliche Lernwege durch die Bibel, 2016, 288 S.
Band 17:
Michaela Will, Rabbinat bei Franz Rosenzweig, 2017, 102 S.
Band 18:
Hans-Christoph Goßmann; Michaela Will (Hrsg.), „Siehe, wie gut und schön es ist, wenn Geschwister beieinander wohnen“. Festschrift für Wolfgang Seibert, 2017, 202 S.
Band 19:
Joanne Schmahl, Von der „Vergegnung“ zur Begegnung. Die besondere Beziehung zwischen Christentum und Judentum und die Bedeutung des christlich-jüdischen Dialogs für den Frieden, 2018, 139 S.
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