Die Bedeutung des Leidens im Buddhismus und Christentum 9783111664903, 9783111280226


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German Pages 19 [20] Year 1924

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Vorwort
Die Bedeutung des Leidens im Buddhismus und Christentum
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Die Bedeutung des Leidens im Buddhismus und Christentum
 9783111664903, 9783111280226

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Forschungen und Berichte unter Mitwirkung

von Rudolf Otto und

Friedrich Niebergall, herauegegeben von Gustav Mensching

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Die Bedeutung des Leidens im Buddhismus und Christentum von

Gustav Mensching Lic. theol.

1 924 Verlag von Alfred Töpelmann in Gießen

Vorwort Das vorliegende Heft bietet die Zusammen­ fassung eines Vortrages, der gehalten wurde in der Absicht, einzuführen in die Auseinandersetzung des Christentums mit außerchristlichen Geistesmächten, in Sonderheit mit den großen Religionen des Ostens. Es besteht der Plan, diesem Hefte weitere folgen zu lassen, in denen in wissenschaftlich ernster Form große Gegenwartsprobleme behandelt werden sollen, die für eine rechte Erkenntnis der Werte und Wahr­ heiten des Eigenen und des Fremden wichtig sind. Zugleich möchten diese Abhandlungen dem kirch­ lichen Amte dienen, indem sie der kirchlichen Ver­ kündigung zu Predigt und Vortrag Anregung und Material bieten. Hannover, Ostern 1924. Gustav Mensching.

Die Bedeutung des Leidens im Buddhismus und Christentum Die gegenwärtige geistige Lage fordert eine entschiedene Auseinandersetzung mit den großen Religionen des Ostens, eine Auseinandersetzung, die gegründet ist auf wahrheitsnaher Wesenserkenntnis der östlichen Religionen. Solche Erkenntnis aber kann nur gewonnen werden, wenn man versucht, in vorurteilsfreier Liebe sich dem fremden religiö­ sen Schrifttum zu öffnen. Es gilt darum, sich los zu machen von jener dem christlichen Geiste so wenig Ehre machenden Einstellung, die in stolzer Besitzer­ freude auf das geistig-religiöse Leben außerhalb des Christentums herabsieht, als auf dunkles, wahrheitsfernes und gottfremdes „Heidentum“. Ge­ rade wenn man darauf bedacht ist, den Wert der eigenen Religion recht zu würdigen und in ihrem überlegenen Reichtum zu erfassen, gerade dann wird man nicht umhinkönnen, den fremden Re­ ligionen sein Interesse zu schenken1). Wir machen mit den folgenden kurzen Ausfüh­ rungen den bescheidenen Versuch, einzuführen in die großen weltweiten Fragen, die hier und dort Menschenseelen bewegt haben, die aber die ver­ schiedensten und — wie wir gleich ausdrücklich be­ tonen — die verschiedenwertigsten Lö­ sungen gefunden haben. Aber gleichwohl ist in all *) Vergleiche dazu: Max Müller, Chips from a German Workshop 1,1867, 182 f.

dem Gegeneinander von Menschenmeinung und Men­ schenvorstellung die ewige Gottheit selbst bald deutlicher, bald in nebelhafter Ferne vernehmbar. Unsere Darstellung, die des beschränkten Raumes wegen nicht bis ins einzelne ausgeführte Unter­ suchungen bieten kann, vielmehr die konzentrierte Zusammenfassung von Forschungsergebnissen ist, will für diejenigen, denen die hier verhandelten Probleme am Herzen liegen, Wegweiser sein auf dem vielverschlungenen Pfade durch die Problema­ tik, mit der das Christentum und vornehmlich unser evangelisches Christentum zu ringen hat. Unter diesen Gesichtspunkten suchen wir in eine Auseinandersetzung mit der großen Geistes­ macht des Ostens, dem Buddhismus, einzutreten, in­ dem wir die Bedeutung des Leidens im Buddhismus und Christentum untersuchen. Das nun soll gesche­ hen an der Hand von drei großen Fragen, die mitten in die Unterschiedlichkeit beider Religionen hinein­ führen: 1. Die Erfahrung des Leidens — es kommt darauf an, zu erkennen, was als Leiden er­ fahren und wie es erfahren wird. 2. Die Entstehung des Leidens — wir un­ tersuchen, wie diese Frage im Buddhismus und Christentum gestellt und wie sie beant­ wortet sind. 3. Die Erlösung und die Beziehung des Lei­ dens zu ihr. I. Wir fragen zunächst nach der Art der Lei­ denserfahrung im Buddhismus. Indien ist bekanntlich die Heimat des Pessimismus. Aber das war nicht immer so. Wir haben Zeugnisse aus einer früheren Zeit der indischen Kultur, in de­ nen sich im Gegensatz zu jenem später auftretenden

Pessimismus heitere Lebensfreude und frohe Welt­ offenheit spiegelt. Man genoß die Güter des Lebens ohne argwöhnisch hinter allem Glück doppeltes Leid zu wittern. Und wie man die Welt in heitersten Farben sah, so dachte man sich auch den Himmel als die Vollendung irdischen Glücks: „Wo Freude weilt und Fröhlichkeit und Wonne und Genießen, wo des Wunsches Wünsche sind, erfüllt.“ Das war der Klang völliger Lebenssicherheit im alten Indien. Aber der wolkenlose Himmel trübte sich, der Jubelklang verhallte und die Schönheit der Welt verlor ihren Glanz. Eine düstere Melancholie umfing nach und nach diese frohen Menschen In­ diens. 2) Um 800 v. Chr. schon ist das Weltbild und das Weltgefühl völlig verwandelt, das Leiden hat seinen Einzug gehalten. Und wie es immer zu sein pflegt, äußerte sich dieses Lebensgefühl in bestimm­ ten Lehren und Anschauungen, die seither in Indien alles Denken und Tun beherrschen. Zunächst blühte eine seltsame religiös-philo­ sophische Spekulation empor, die zum Gegenstand das Grundwesen der Welt und der eigenen Persön­ lichkeit, den ätman, hatte. Und je mehr man in solcher Spekulation das Grundwesen der Welt ver­ herrlichte, um so entschiedener mußte man die sicht­ bare Welt verurteilen, die an Glanz und Schönheit so weit hinter dem ätman zurückstand. Denn die Weltseele ist erhaben über „Hunger und Durst, über Kummer und Wirrsal, über Alter und Tod“ — so heißt es in den heiligen Büchern8*).* Und an einer anderen Stelle heißt es: „Der ätman ist der Gebieter des Alls, der Herrscher des Alls, der oberste Herr 2) Oldenberg, Buddha, sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde. Stuttgart und Berlin 1921 S. 45 ff. 8) Oldenberg, Buddha. S. 46.

des Alls . . . Der ätman ist der Fürst des Alls, der König der Geschöpfe, der Schirmherr der Wesen4).5“6 Und darum muß das Urteil über die Welt negativ sein: „Was außer dem ätman ist, ist leidvoll’).“ „Wie die Sonne, des Weltalls Auge, fern und unbe­ rührt bleibt von aller Krankheit, die das menschliche Auge trifft, also bleibt der Eine, der ätman, der in allen Wesen wohnt, fern und unberührt von dem Leiden der Welt").“ Wir sehen, wie hier der Lebenswille bereits ge­ brochen ist und und lähmende Müdigkeit die Men­ schen überkommen hat. Aus diesen Stimmungen und Gedanken wächst nun das andere Symptom des verwandelten Lebensgefühls heraus: die grausame Lehre vom ewigen „Kreislauf der Geburten“ (samsära). Alle Menschen müssen nach indischem Glau­ ben — und dieser Glaube lebt heute wie damals ehe Buddha kam — auf diese Erde zurückkehren in immer neuen Geburten. Es möchte scheinen, als sei das eine freundliche Lehre. Aber Indien hing nicht mehr am Leben, und so wurde diese Lehre die Geißel Indiens, die Qual schlechthin. Ueber die Existenz form, in der man wieder auf Erden er­ scheint, entscheidet der Wert der Taten des ver­ gangenen Lebens (Karma). „Auf dem Begehren beruht des Menschen Na­ tur, wie sein Begehren ist, so ist sein Streben, wie sein Streben ist, solche Taten tut er. Welche Tat er tut, zu solchem Dasein wird er gelangen7)“ — heißt es im Schatapatabrahmana. Aber Taten können nicht aus dem Geburtenkreislauf erlösen, sie binden 4) Brihad äranyaka-Upanishad IV, 4, 22 — J. Hertel, die Weisheit der Upanishaden. München 1921. S. 135. 5) Oldenberg, Buddha S. 46. 6) Oldenbergs, Buddha 8. 46. 7) Brahmana der 100 Pfade bei Oldenbergs, Buddha, 8.52.

den Menschen immer wieder an die Erde. Hieraus erwächst die eigengeartete indische Erlösungssehn­ sucht bereits vor Buddha. Und dann kam Buddha, der angebliche Königs­ sohn. Nach der Legende riß ihn frühe der Anblick eines Greises, eines Kranken und eines Toten aus einem sorgenlosen Leben frohen Genusses und ließ ihn jene düstere Macht ahnen, die hinter Alter,Krank­ heit und Tod lauert: Das Leiden* 8).9 Und so zog er, wie der Ausdruck in den heiligen Texten lautet, „aus der Heimat in die Heimatlosigkeit“. Eine alte Aeußerung besagt: „Der Asket Gotama hat einen großen Verwandtenkreis aufgegeben und der Welt entsagt. Der Asket Gotama hat viel güldenes Gold verlassen, vergrabenes und offenbares, und hat der Welt entsagt. Der Asket Gotama hat zart und jung, mit schwarzem Haar, voll schöner Jugendlichkeit, im frühen Alter der Welt entsagt, um in die Heimat­ losigkeit zu gehen8).“ Er zog aus, daß er die Erlösung vom Leiden gewönne. Nach langem Irren wurde sie ihm in der Stille der Nacht in heiliger Versenkung zuteil. Er schaute die heiligen vier Erlösungswahrheiten des Buddhismus, von denen seither durch bald zweiein­ halb Jahrtausende Menschenseelen gelebt haben. Unsere Frage galt der Art und dem Inhalt der Leidenserfahrung im Buddhismus. Die erste dieser heiligen Wahrheiten spricht von dem Leiden : „Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Tod ist Leiden, mit Unlieben vereint sein, ist Leiden, von Lieben getrennt sein ist Leiden, nicht er­ langen, was man begehrt ist Leiden10).“ Und in einem ’) Anguftara-Nikäya vol. I, S. 145 f. bei Oldenberg, Reden des Buddha, S. 8 ff. 9) Dighanikäya IV, 6 — bei Oldenberg, Reden des Buddha. S. 7. 10) Mahävagga 1, 6 — bei Oldenberg, Reden. 8. 45.

späteren Gedicht wird derselbe Inhalt der buddhisti­ schen Leidenserfahrung umschrieben: „Wie den Früchten, den vollreifen, in Morgenfrühe droht der Fall, also droht immerdar allem, was da geboren ist, der Tod11).“ In immer neuen Wendungen wird der Gedanke des Leidens variiert: „Die Sinnengenüsse sind flüch­ tig, leidenvoll und mit dem Fluche der Veränderlich­ keit beladen, aus dem durch ihre Veränderlichkeit bedingten Wechsel entspringt Klage, Leid, Trauer und Verzweiflung12).“ Das also ist die buddhistische Leidenserfahrung. Wir vermögen nun zusammenfassend festzustellen: 1. Die Inhalte der buddhistischen Leidenserfah­ rung sind die natürlichen leidvollen Schicksale der Menschen. 2. Damit ist gesagt, daß zu diesen Erfahrungen kein spezifisches Vermögen nötig ist auf der Seite des Wahrnehmenden. Allein das jedem Menschen angeborene menschlich-na­ türliche Empfinden genügt, um diese Erfah­ rungen zu machen. Ganz anders liegen nun die Verhältnisse im Christentum. Da wir hier auf zumeist Bekann­ tes verweisen können, so kann unsere Ausführung hier kürzer gefaßt werden. Auch im Christentum kennt man das natürliche Leid. Wir erinnern an die schwermütigen Worte im Prediger Salomo (I, 2): „Es ist alles ganz eitel,“ oder an Hiobs Klage über die Vergänglichkeit der Welt (XIV, 1—5): „Der Mensch vom Weibe geboren lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und u) Sutta Nipäta 776 — bei Oldenberg, Reden. S. 197. 12) Digha-Nikäya I, S. 21 — bei Franke, Dtghanikäya. (Uebers.) S. 59.

fällt ab, fleucht wie ein Schatten und bleibt nicht.. Und dieselben Erfahrungen kennen die Männer des Neuen Testaments. Paulus gibt im 2. Korinther­ briefe geradezu einen Katalog von leidvollen Erfah­ rungen, die er gemacht hat: 2. Kor. 11, 23—27. Natürliches Leid kennt man also auch im Christentum, und es wird sich hernach zeigen, daß wesentliches Gewicht auch auf die Art der Stellung­ nahme zu diesem natürlichen Leiden gelegt wird. Aber dennoch ist dies nicht das Entscheidende im Christentum, das, worauf es vor allem ankommt. Im Christentum kommt vielmehr eine völlig an­ dere Art von Leid vor und bildet geradezu den Zentralbegriff: wir nennen sie das religiöse Leid. Damit wäre dann ein Gegensatz konstatiert zwischen natürlichem und religiösem Leid. Das Unterscheidende liegt darin, daß das natürliche Leid in natürlichen Realitäten seine Wurzel hat und von dem allgemeinen und natürlichen Empfindungsvermögen erfahren wird. Dagegen handelt es sich im religiösen Leid um Realitäten, die keineswegs offen zutage liegen und zu ihrer Bewußtwerdung nur das allgemein-mensch­ liche Empfinden voraussetzen. Was vielmehr in der Erfahrung des religiösen Leides vorausgesetzt ist, ist religiöses Empfinden selbst, ein eigener „S i n n“ für Wirklichkeiten, die aus den Beziehungen der Menschenseele zu Gott (denn das ist Religion) erwachsen. Das religiöse Leiden nun, das im Christentum entscheidend ist, ist das Leiden des ^unver­ söhnten“ Menschen. Ein Leiden, das sich zu­ sammensetzt aus dem leidvollen Empfinden der Gott­ ferne, der Gottwidrigkeit des eigenen Wesens und endlich aus dem Bewußtsein, Gottes Majestät in ihrer heiligen Reinheit durch das eigene „sünd­ hafte“ Wesen beleidigt zu haben. Es handelt sich

um das „Slinden 1 ei d“ — und Sünde ist jene Re­ alität, die nut für religiöse Menschen existiert. Paulus gibt diesem Leid ergreifenden Ausdruck in dem Oebetsruf: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes!“ (Röm. 7, 24). Und Martin Luthers qualvolles Ringen um die Frage: „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ — deutet auf die gleiche Art religiösen Leides hin. Und nun vergleichen wir mit dem Buddhismus und stellen fest: 1. Im Buddhismus handelt es sich vorwiegend13) um n a t ü r 1 i c h es Leiden, im Christentum dagegen um religiöses Leid aus Sünde und Sündenbewußtsein. 2. Damit zusammen hängt ein zweiter Unter­ schied: im Buddhismus führt die Leidens­ erfahrung, die selbst noch ohne religiöse Bedeutung ist, erst hernach zu eigentlichem religiösen Leben. Im Christentum dagegen setzt bereits die Erfahrung des Sünden­ leides religiösen Sinn und und religiöses Leben voraus; denn ohne das käme sie gar nicht zustande. II. Wir kommen zu unserer zweiten Frage: die Entstehung des Leidens. Die zweite heilige Wahrheit im Buddhismus spricht von der Ursache des Leidens: „Dies, ihr Mönche, ist die heilige Wahrheit von der Entstehung des Leidens: es ist der Durst (tanha), der von Wiedergeburt zu 18) Wir betonen ausdrücklich, daß es natürlich auch im Buddhismus das Bewußtsein von Schuld und Sünde gibt. Die Buddhagemeinde des alten Buddhismus vereinigt sich z. B. allmonatlich zu einer regelrechten Beichtfeier. Aber diese Momente sind in keiner Weise das Entscheidende, während im Christentum alles darauf abgestellt ist.

Wiedergeburt führt... Der Lüstedurst, der Werde­ durst, der Vergänglichkeitsdurst14).“ Die tiefe Wur­ zel also des Leidens, so wie es im Buddhismus er­ fahren wird, ist das Verlangen nach Leben und Werden. Der Wunsch setzt das Tun in Bewegung, die Taten aber binden den Menschen immer wieder an die vergängliche leiderfüllte Erde. Solange Taten angehäuft werden, so lange kehrt der Mensch ins Dasein wieder zurück. So ist das Lebensverlan­ gen schuld an dem Leiden schlechthin. Wir beobachten an dieser einfachen buddhisti­ schen Erkenntnis ein Doppeltes: 1. Die Art der Fragestellung: man unter­ sucht die gesetzmäßige Verknüpfung des Leidens mit den Lebensfunktionen des Menschen. Die Lösung der Frage nach der Entstehung des Leidens wird erblickt in einer gewissermaßen naturwissenschaftlich­ psychologisch-physiologischen Gesetzmäßig­ keit der Verbindung des Lebensverlangens mit dem Leid auf dem Umweg über die Tat. 2. Die Wurzel des Leides wird in dem natür1 i c hwe n Lebensverlangen gesehen. Der Gedanke an Sünde und Schuld taucht gar nicht auf: natürliches Leid hat im na­ türlichen Wesen seine Begründung. Demzufolge ist auch der buddhistische Teufel, der Herr des Leidens, keineswegs ein mora­ lisch oder religiös verworfenes Wesen, son­ dern lediglich die personifizierte Lebens­ gier. Das Christentum dagegen stellt sich ganz an­ ders zu dieser Frage nach der Entstehung des Lei­ dens. Auch hier stellt man die Frage nach der Ent­ stehung auch des natürlichen Leidens. Aber ") Oldenberg, Reden. S. 45 f. — Mahävagga I, 6.

auf eine bloß jg e s e t z mäßige Erklärung verfällt man nicht. Man fragt nämlich ganz anders: Wie kommt das Leiden in die Welt? In den Zusam­ menhang dieser Fragen gehört der alte Sünden­ fallmythos (1. Mose 3). Denn er ist nichts an­ deres als der naive Versuch das Entstehen des Lei­ dens in der Menschenwelt begreiflich zu machen. Das Paradies ist ja der Zustand l eid losen Glückes, und nun gilt es zu erklären, warum heute derAcker Dornen und Disteln trägt, warum heute der Mensch unstet und flüchtig ist. Und die Ur­ sache des Ueberganges des einen leidfreien Zustandes in den anderen wird erkannt nicht im bloßen Be­ gehren (wie im Buddhismus) sondern im sünd­ haften Begehren nach Verbotenem. Also hier be­ reits taucht der Gedanke der Sünde auf, wo es gilt, die Entstehung des Leidens zu ergründen. Und Paulus spricht denselben Gedanken aus: „Der Tod ist der Sünde Sold.“ (Röm. 6, 23). Das Entschei­ dende ist die Verknüpfung von Schuld und Schicksal ganz im Gegensatz zu der Verbindung von natürlichem Lebensverlangen und Schicksal im Buddhismus. — Wichtiger als diese Frage nach der Entstehung ist die nach dem Sinn des Leidens, die im Buddhis­ mus garnicht vorkommt. Man bemüht sich, das Lei­ densschicksal in Einklang zu bringen, einerseits mit dem eigenen Tun, andererseits mit dem Wesen Got­ tes. Wir können nicht im Einzelnen den Versuchen nachgehen, die vornehmlich in Altisrael angestellt wurden, um diese Rätsel zu lösen. Das Buch Hiob ist das klassische Dokument dieses Ringens um den „Sinn“ des Leidens. Vielfach war die Anschauung verbreitet, das Leid sei Strafe für begangene Schuld, (wie wir's ja oben im Sündenfallmythos auch sehen). Wenn das aber der Fall ist, dann ergeben sich un­ lösbare Rätsel: Das Leiden der Frommen verträgt

sich ebensowenig mit der Liebe Gottes, wie das Glück der Gottlosen mit Gottes Gerechtigkeit. Diese Rätsel sind auch von Jesus nicht gelöst. Er lehnt vielmehr diese ganze theoretische Fragestellung ab. (Luk. 13, 1—5). Alle Versuche, diese Geheimnisse zu ergründen, scheitern. Es bleibt in dieser Beziehung bei Hiobs schönem Wort: „Wer will den Donner seiner Majestät verstehen?“ (Hiob 26, 14). Aber die Sinnfrage ist praktisch durchaus gelöst: „.Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen.“ (Röm. 8, 28). Es ist demnach den Menschen, die Gott kennen, die Fähigkeit verliehen, ihren äußeren Schicksalen einen heiligen Sinn zu geben, indem sie sie als einen sinnvollen Baustein dem Gefüge ihres Lebens einzuordnen suchen. In diesem Sinn hat auch Jesus sein rätsel­ volles Leiden, das sein Lebenswerk zu zerstören drohte, dennoch zur Grundlage des Gottesreiches auf Erden gemacht. Im Vergleich also zum Buddhismus ergibt sich Folgendes: 1. Die Verschiedenheit der Fragestellung: im Buddhismus die Frage nach der psychologi­ schen Gesetzmäßigkeit, — im Christentum dagegen das Bemühen, das Leiden in der Welt zu erklären aus einer Verknüpfung von Schuld und Schicksal. 2. Und daneben im Christentum noch die große, freilich logisch unlösbare Frage, nach dem „Sinn“ des Leidens. Die praktische Sinnge­ bung, in der man im Christentum die Lösung des Rätsels erblickt, bedeutet zugleich im Gegensatz zum Buddhismus eine Ueber­ windung des Leidens.

III. Das letzte Fragegebiet, in dem das Leiden vor­ kommt, ist das der Erlösung. Worin im Buddhismus die Erlösung besteht, ist nach den bisherigen Ausführungen deutlich: nämlich in der Freiheit vom Leiden. Dieses Sehnsuchtsziel nun nimmt Gestalt an in den Vorstellungen vom Nirwana. Es könnte die Anschauung sich ge­ bildet haben, der Buddhismus sei gar keine rechte Religion. Es bedürfte langer Ausführungen, um nachzuweisen, daß gerade hier in dem sehnsuchts­ vollen Ausschauen nach dem seligen Nirwana, in der heiligen Scheu, in der man von diesem heilig­ sten Gute redet, das religiöse Wesen des Budd­ hismus zu Tage tritt15). Ein heilshungriger Schüler fleht dringend zum Erleuchteten: „Für diejenigen, welche sich mitten im gefährlichen Strome befin­ den, in der furchtbar gefährlichen Welt, von Alter und Tod umgeben, nenne mir, Verehrter, ein Eiland, zeige mir die Insel, damit dieses Dasein sich hier nicht wiederhole." — Und Buddha zeigt ihm die Insel: „Es ist jenes unvergleichliche Eiland, wo nichts ist, wo es kein Begehren gibt, Nirwana nenne ich es, das Ende von Alter und Tod!“le) Zu diesem Ziele nun, das also keineswegs, wie vielfach angenommen wird, das reine Nichts ist, sondern eine im höchsten Grade positive Größe, führt ein langer, mühevoller Heilspfad, den wir hier nicht beschreiben können. Die dritte und vierte heilige Wahrheit sprechen davon: Die dritte Wahr­ heit zeigt, daß die Freiheit vom Leid eben nur in der Aufhebung der Leidensursache bestehen kann, d. h. 15) Man lese darüber: Fr. Heiler. Die buddhistische Ver­ senkung. München 1922. S. 36 ff. 18) Sutta-nipatal092ff.beißertholet, Religionsgeschichtliches Lesebuch S. 275

daß der Lebensdurst selbst ertötet werden müsse. Den Weg, der zur Aufhebung der Leidensursache führt, zeigt die vierte Wahrheit: „Dies, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit vom Wege zur Aufhe­ bung des Leidens: es ist dieser edle achtteilige Pfad, der da heißt: rechtes Glauben, rechtes Ent­ schließen, rechtes Wort, rechte Tat, rechtes Leben, rechtes Streben, rechtes Gedenken, rechtes Sichversenken.“17) Wer diesen Pfad bis zu Ende gegangen ist, spricht wie Buddha mit seliger Zuversicht: „Ich habe es erkannt und geschaut; unverlierbar ist mei­ nes Geistes Erlösung, dies ist meine letzte Ge­ burt, nicht gibt es hinfort für mich neue Ge­ burten 18).“ Wie aber steht es mit der Bedeutung des Lei­ dens für die Erlösung im Christentum? Zunächst dem natürlichen Leid gegenüber verlangt man nicht wie im Buddhismus davon erlöst zu sein, vielmehr sucht man — wie oben schon angedeutet wurde — es zu „überwinden“, indem man positive Werte aus dem Leiden zu gewinnen sucht. Paulus ist unerschöpflich an positiven Gedanken über das Leid: Geduld (Röm. 2, 7 und 5, 3; 2. Kor, 12, 12), Kraft, trösten zu können (2. Kor. 1, 4), Freude über die Gotteskraft, die in den Schwachen mächtig ist (2. Kor. 4, 10; und 12, 9) und endlich der Ausblick auf die kommende Herrlichkeit (2. Kor. 4, 17; Röm. 8, 18), das alles sind positive Werte, die der Christ aus dem Leiden gewinnt. Aber erlöst zu werden begehrt er in erster Linie jedenfalls nicht davon "). Sein Erlösungsverlangen geht vielmehr darauf hinaus, frei zu kommen von seinem religiösen u) Mahävagga I, 6 — Oldenberg, Reden Buddhas S. 46. ”) Majjhima-Nikäya I, p 167 — Oldenberg, Reden S. 50. *•) Man vergleiche zu diesen Fragen: Meister Eckehart, das Buch vom Troste, in der Ausgabe von BUttner, Jena 19193.51 ff.

Sündenleid, versöhnt zu werden mit Gott. Und hier begibt sich das Wunderbare: Im Buddhismus erringt man die Erlösung vom Leid — im Chri­ stentum empfängt man die Erlösung durch Leid. Denn dem Christen liegt im Todesleiden Christi erlösende Kraft. Man hat mit dem Kreuzes­ tode Christi mannigfache Gedanken verbunden, es ist angesehen worden als Sühnopfer und Lösegeld für viele. Wir sehen in einem Doppelten die erlö­ sende und sühnende Bedeutung des Kreuzes: im Kreuze Christi offenbart sich für den Glaubenden, und nur für ihn, die opferbereite, heilige Liebe Gottes — wer das aber erlebte, der schlägt an seine Brust und spricht: „Gott sei mir Sünder gnädig!“ — Das aber ist bereits die Erlösung. Sie ist voll­ zogen, wo eine Menschenseele aus der Erfahrung der eigenen Sünde vertrauensvoll aufschaut zur Gnade des Vaters. Und wenn wir nun vergleichen, dann ergibt sich Folgendes: 1. Im Buddhismus das Erlösungsverlangen ge­ richtet auf das leidfreie Niwäna, im Christen­ tum auf die Freiheit von Sündenqual und Got­ tesferne durch heiliges Leiden. 2. Im Buddhismus ein langer mühevoller Pfad bis zu den Pforten des ewigen Zieles — dann erst im letzten Augenblicke springen die Tore der Ewigkeit gnadenmäßig von selber auf, aber bis dahin gilt es, den Weg aus eige­ ner Kraft zu gehen. — Im Christentum dagegen die Erlösung aus freiwaltender Gnade ohne eigenes Verdienst. Buddha und Christus — zwei gewaltige Genien der Religion. Einig in Vielem: — einig darin, daß beide wußten um eine Welt jenseits der Grenzen irdischer Not. Einig darin, daß beide den

Menschenseelen das Verlangen nach der Heimat einpflanzen und ihnen den Weg dahin zeigen woll­ ten. Verschieden jedoch in Wichtigstem: Ihre Verschiedenheit, die wir andeutend darstellten, offenbart sich noch einmal in ihrem Sterben. Buddha, der Erhabene, starb, gebettet von Freundeshand unter Salabäumen, die ihre Blüten­ fülle über den Vollendeten streuten, obwohl die Zeit der Blüte nicht war. Er starb in seliger Ruhe, fried­ voll hinüberschreitend ins Land des Nirväna unter himmlischer Musik. — Jesus aber, der Gottessohn aus Nazareth, starb anders. Ihn schlug die Frevel­ hand der Menschensünde an das Kreuz auf Golgathas kahler Bergeshöhe. Ihm erklang keine himmlische Musik und keine Blütenbäume grüßten ihn in seinem Sterben. Er war Kämpfer bis zuletzt. In großem Schmerz starb er mit dem Verzweiflungsschrei auf den Lippen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“ Und dennoch durfte er sprechen von seinem Lebenswerk: „Es ist vollbracht!“