Die Liebe im Buddhismus und im Christentum [Reprint 2021 ed.] 9783112433881, 9783112433874

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Die Liebe im Buddhismus und im Christentum [Reprint 2021 ed.]
 9783112433881, 9783112433874

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Die Liebe im Buddhismus und im Christentum Von

Friedrich Weinrich

Berlin Verlag von A l f r e d T ö p e l m a n n J

935

Aus der Welt der Religion Forschungen und Berichte, unter Mitwirkung von H e i n r i c h F r i c k und R u d o l f O t t o herausgegeben von E r i c h F a s c h e r und G u s t a v M e n s c h i n g R e l i g i o n s w i s s e n s c h a f t l i c h e R e i h e . H e f t 23

Druck von Walter de Gruyter & Co., Berlin W 10 Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis Vorwort Einleitung.

Die Entfaltung des Problems

Pauli Hymnus auf die Agape und Buddhas Lobpreis der Maitri (i. Kor. 13 und Itivuttaka 27). Urteile der Forscher. Die Frage nach der Möglichkeit eines Vergleiches zwischen einem Begriff aus der Welt des Buddhismus und der des Christentums. Erstes Kapitel. Buddhismus »und« Christentum

Die wichtigsten formalen Gleichheiten und prinzipiellen Unterschiede zwischen Buddhismus und Christentum. Gautama Buddha und Jesus Christus als Höhe- und Wendepunkt in der religiösen Geschichte ihres Volkes und Landes. Der Tod in der buddhistischen Lehre und im Neuen Testamente. Der pessimistische Weltaspekt im Buddhismus und in der christlichen Verkündigung. Diesseitigkeit und Jenseitigkeit in dem Nirväna- und in dem Reich-Gottes-Begriff. Intellektuellensoteriologie im Buddhismus und einfältige Gläubigkeit im Christentum. Selbstbezogenheit der Erlösung im Buddhismus und Gottbezogenheit des Heils im Christentum. Das Wesen des Menschen nach buddhistischer und nach neutestamentlicher Auffassung. Nirväna und Reich Gottes. Exkurs I: Der „mittlere Pfad". Exkurs II: Buddha und die philosophische Spekulation. Exkurs I I I : Die buddhistische Lehre als „Floß". Zweites Kapitel.

Eros und Bhakti

Eros und Mysterienfrömmigkeit. Die zwei Welten: Ideenwelt und Erscheinungswelt. Eros ein Dämon. Eros als Sehnsucht nach dem Schönen und Guten. Die göttliche Welt und der Eros. Eros und Unsterblichkeit. Das Mysterium der Diotima in Piatons Symposion. Zur Struktur der Bhagavadgitä. Vi$iju-Kr$na der „Herr" (Isvara). Bhakti als „Hingabe" an den Herrn. Bhakti als Heilsweg „für alle". Bhakti und 1. Joh. 4, 21. Bhakti und Mahäyänabuddhismus. Exkurs: Zur Stellung der Maitri im Mahäyänabuddhismus.

Drittes Kapitel. Zur Phänomenologie der Agape Leitsätze: Feststellungen prinzipieller Art. Die Gottesgemeinschaft als Rechtsgemeinschaft und als Liebesgemeinschaft. Jesus und der Pharisäismus. Das Liebesgebot. Die Gleichnisse Jesu als Beispiele für Jesu Auffassung von der Agape. Exkurs: Agapemotiv und Gerechtigkeitsmotiv. Die Agape bei Paulus. Paulus und das Gesetz. Agape als „Gottes-Gerechtigkeit". Die theologia crucis. Die Prädestinationslehre. Agape und Gemeinschaft. Zu i . Kor. 13. Die Agape bei Johannes. Eigenheiten des johanneischen Gottesglaubens. Die Liebe zu Gott und zu Christus und die Nächstenliebe. Die Eigenart des Agapemotivs bei Johannes. Viertes Kapitel. Zur Phänomenologie der Maitfl Die MaitrI als magische Kraft. Diesseitiger und jenseitiger Nutzen der Maitri-Übung. Maitri-Übung und Meditation. Suttanipäta 149 f. (Das Gleichnis von Mutter und Kind). Die buddhistische Versenkung. Die drei Versenkungsmethoden, DJghanikäya X V I I 2, 2—4 (Das vierfache jhäna und die vier bhävanä). Der buddhistische Heilspfad: slla, samädhi, pannä, vimutti. Die vier bhävanä: mettä, karupä, muditä, upekkhä. Exkurs I : Buddhismus und Mystik. Exkurs I I : Textbeilagen zu den Ausführungen dieses Kapitels. Skizzierung des Ergebnisses der Ausführungen im vierten Kapitel. Fünftes Kapitel. Die sittlichen Weisungen im Buddhismus und im Christentum Die buddhistischen zehn Gebote und das neutestamentliche Liebesgebot. Slla als Vorbereitung für samädhi und die doppelte Sittüchkeit im Buddhismus. Die buddhistischen Einzelgebote und das eine neutestamentliche Liebesgebot. Der „Umfang" des Liebesgebotes im Buddhismus und im Christentum. Agape und MaitrI als „Gefühle". Agape als Hingabe an Gott und als Nächstenliebe. Die Frage nach dem Lohn der Tugend im Buddhismus und die christliche Stellungnahme zur Lohnfrage. Agape als Feindesliebe. MaitrI und Feindesliebe. Die buddhistischen Sittengebote und die Feindesüebe. Exkurs: Die propädeutische Bedeutung des slla. und sittliche Erlösungsreligion.

Mystische

V Seite

Sechstes Kapitel.

Das Leiden und die Liebe

84

Die Grundübel in der W e l t : Das Leiden (im Buddhismus) und die Sünde (im Christentum). Leiden und Erkenntnis. Sünde und Vergebung. Leiden und Gotteswille. Leiden als Strafe. Leiden und Liebe zu Gott. Leiden und Dienen. Leiden als Paideia. Der Buddhismus in seiner Stellung zum Leiden. Zusammenfassung

94

A c h t Thesen zur Charakterisierung der Hauptunterschiede zwischen Agape und MaitrI. W i e sind Buddhismus und Christentum Weltreligionen geworden ? Anmerkungen

102

Vorwort Eine Spezialuntersuchung über das Verhältnis der christlichen Agape und der buddhistischen MaitrI (Päli: Mettä) zueinander fehlt sowohl in der theologischen als auch in der religionsgeschichtlichen Forschung. Die vorliegende Unter-1 suchung will diese Lücke ausfüllen. Bislang ist nur im Aufsatzstil oder gelegentlich in Werken über Buddha und Buddhismus auf das Verhältnis von Agape und MaitrI zueinander hingewiesen worden 1 ), eine systematische Untersuchung des Verhältnisses dieser „Begriffe" zueinander aber blieb Desiderium. Die indologische Interpretationsart dieser Begriffe ermangelte dabei zumeist des christlichen Verständnisses der Agape und die theologische oder religionswissenschaftliche Exegese der Einsicht in das Wesen der MaitrI. Von beiden Schranken sucht sich diese Untersuchung freizuhalten. Die Methode bei der Stoffbetrachtung ist phänomenologisch und synthetisch zugleich, also nicht vornehmlich kritisch-historisch oder gar bloß kritisch-historisch. Ich bin mir sehr wohl bewußt, welche Mängel einem solchen Verfahren anhaften, aber ebensosehr bin ich davon überzeugt, daß die kritisch-historische Methode, als die ForschungsMethode genommen, nur an die Sache heranführt, die Sache aber niemals erschöpft. Ich bin allerdings der Meinung, daß kritisch-historische Betrachtung die unerläßlich notwendige For-Stufe aller theologischen und geisteswissenschaftlichen Untersuchung überhaupt bildet. Synthetisch ist das Verfahren, insofern ich von der (theologischen) Glaubens-Einheit des N. T. ebensosehr wie von der (phi-r losophisch-religiösen) Lehr-Einheit des (älteren) Buddhismus überzeugt bin.

VIII Diese Anschauung bitte ich nicht mißverstehen zu wollen. Die Problemstellung „Jesus contra Paulus" — auf diese kommt es mir hauptsächlich an, wenn ich hier von Glaubens-Einheit des N. T. spreche, — ist ja immer noch nicht endgültig erledigt, das heißt beseitigt. Die Ausführungen von KHoll und ASchweitzer, die, ein jeder in seiner Eigenart, das Richtige gesehen haben, sind für mich maßgebend gewesen 2). „Gewiß es ist alles (bei Paulus) theologischer ausgedrückt, aber den Sinn, der in dem Gottesgedanken Jesu beschlossen lag, hat niemand aus der Urgemeinde so völlig erfaßt wie er" {KHoll). „Die Feststellung, daß Paulus sich Jesus gegenüber selbständig verhält, ist irreführend, wenn man sich dabei nicht zugleich vergegenwärtigt, was er alles mit ihm gemeinsam hat. Mit ihm teilt er die eschatologische Weltanschauung und die eschatologische Erwartung samt allem, was damit gegeben ist. Verschieden ist nur die jedesmal in Betracht kommende Weltzeit. Beidemal ist es dasselbe Gebirge. Jesus erschaute es als vor ihm liegend, Paulus aber steht darin und hat die ersten Anhöhen schon hinter sich. Anders als vorher stellen sich jetzt die Dinge der eschatologischen Gewißheit dar" (ASchweitzer) 3 ). Daß der ältere Buddhismus 4 ) eine selbständige philosophisch-religiöse Lehr-Einheit bildet (sei es daß darunter die ipsissima verba des Buddha oder die alte Gemeinde-Praxis verstanden werden, was für uns ohne Belang ist), bedarf trotz der von ROFranke vertretenen gegenteiligen Anschauung keiner weiteren Ausführungen 5). Wenn im folgenden Texte in größerer Anzahl als sonst wohl üblich geboten werden, so führe ich zur Begründung folgendes an: Erstens, die buddhistischen Texte müssen ausführlich dargeboten werden, damit der Leser sich von dem Inhalte der Texte selbst überzeugen kann; zweitens glaube ich, daß die Texte selber besser ansprechen als bloße Worte über sie. Auf philologische Studien über Agape und Maitri ist bei

IX der hier in Angriff genommenen Gegenüberstellung verzichtet. Uns ist wesentlich zu erfahren, was für einen Inhalt Agape und MaitrI haben, dagegen nicht, wie Agape und MaitrI diesen Inhalt erhalten haben. Die vorliegende Untersuchung wurde bereits im Januar 1933 abgeschlossen. Die Drucklegung konnte, da ich seitdem andere dringende wissenschaftliche Arbeiten zu erledigen hatte, erst in diesem Jahre erfolgen. Jena, im Oktober 1934

W e i n r i c h , L i e b e im Buddhismus.

F. W.

b

Einleitung. W i r erinnern uns an den H y m n u s des Paulus auf die Liebe in dem ersten Briefe an die Kirche in Korinth. schreibt an die Kirche in Korinth i . Kor. 1 3

Paulus

:

„Wenn ich mit den Zungen der Menschen oder der Engel rede, Liebe aber nicht habe, bin ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich Weissagung habe und weiß die Geheimnisse alle und alle Erkenntnis, und wenn ich Glauben habe, sodaß ich Berge versetze, Liebe aber nicht habe, bin ich ein Nichts. Und wenn ich austeile all meine Habe und wenn ich hingebe meinen Leib, damit ich gebrannt werde, Liebe aber nicht habe, ist mir's nichts nütze. Die Liebe ist langmütig, gütig ist die Liebe. Die Liebe neidet nicht, sie prunkt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie verletzt nicht, sie sucht nicht das Ihre, sie wird nicht heftig, sie berechnet nicht das Böse. Sie freut sich nicht über das Unrecht, mitfreut sie sich aber an der Wahrheit. Alles deckt sie zu, alles glaubt sie, alles hofft sie, alles trägt sie. Die Liebe fällt nie dahin. Sind Weissagungen, sie werden abgetan werden. Sind Zungen, sie werden aufhören. Sind Erkenntnisse, sie werden abgetan werden. Wein rieh, Liebe im Buddhismus.

1

2 Denn Stückwerk erkennen wir, und Stückwerk weissagen wir. Wenn aber das Vollkommene kommt, wird das Stückwerk abgetan werden. Solange ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind, da sann ich wie ein Kind, da überlegte ich wie ein Kind. Seit ich ein Mann bin, habe ich abgetan, was des Kindes ist. Denn wir sehen jetzt durch Spiegelung') im Rätsel, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkennen wir Stückwerk, dann aber werde ich anerkennen, wie ich auch anerkannt bin. Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Aber die größte von ihnen ist die Liebe."

Wir stellen neben den Hymnus des Paulus auf die Liebe Worte des Buddha aus dem Tripitaka. Buddha lehrt den Sangha der Mönche (Itivuttaka 27)®): . . . . „Alle Handlungen in diesem Leben, um sich religiöses Verdienst zu erwerben (opadhikäni pufinakiriyavatthüni) 4 ), ihr Mönche, haben nicht den Wert eines Sechzehntels der Liebe, die den Geist befreit (mettä cetovimutti) 5 ). Die Liebe, die den Geist befreit, nimmt diese in sich auf und leuchtet und glänzt und strahlt. Und wie, ihr Mönche, aller Sternenschein nicht den Wert eines Sechzehntels des Mondscheins hat, sondern der Mondschein ihn in sich aufnimmt und leuchtet und glänzt und strahlt, so auch, ihr Mönche, haben alle Handlungen in diesem Leben, um sich religiöses Verdienst zu erwerben, nicht den Wert eines Sechzehntels der Liebe, die den Geist befreit. Die Liebe, die den Geist befreit, nimmt diese in sich auf und leuchtet und glänzt und strahlt. Und wie, ihr Mönche, im letzten Monat der Regenzeit, im Herbst die Sonne am klaren, wolkenfreien Himmel, am Himmel aufgehend, alles Dunkel im Lufträume beseitigt und leuchtet und glänzt und strahlt, so auch, ihr Mönche, haben alle Handlungen in diesem Leben, um sich religiöses Verdienst zu erwerben, nicht den Wert eines Sechzehntels der Liebe, die den Geist befreit. Die Liebe, die den Geist befreit, nimmt diese in sich auf und leuchtet und glänzt und strahlt. Und wie, ihr Mönche, in der Nacht, am frühen Morgen, der Morgenstern leuchtet und glänzt und strahlt, so auch, ihr Mönche, haben alle Handlungen in diesem Leben, um sich religiöses Verdienst zu erwerben, nicht den W e r t eines Sechzehntels der Liebe, die den Geist befreit. Die

3 Liebe, die den Geist befreit, nimmt diese in sich auf und leuchtet und glänzt und strahlt. Dies hat der Herr gesprochen, und mit Bezug hierauf heißt es auch: Wer bedachtsam unermeßliche Liebe erweckt, bei; dem werden, indem er die Vernichtung der Grundlagen (für ein neues Dasein) erschaut, die Fesseln 6 ) dünn. Wenn einer auch nur gegen ein Lebewesen arglosen Herzens Liebe zeigt, so gereicht ihm das zum Heil; der Edle aber, der für alle Lebewesen im Herzen Erbarmen h e g t ' ) , schafft sich reichliches Verdienst. Jene königUchen Weisen, die nach Besiegung der Erde mit ihren ungezählten Wesen Opfer darbringend von Land zu Land zogen, diese haben nicht einmal den Wert eines Sechzehntels eines wohlgepflegten Geistes voller Liebe 8 ). Wer nicht tötet und nicht töten läßt, nicht unterdrückt und nicht unterdrücken läßt, wer Liebe zu allen Wesen hegt •), dem droht von niemandem Feindschaft. Auch dies, so habe ich gehört, wurde von dem Herrn gesprochen."

Hier, in dem Evangelium des Westens, Agape als Grundthema christlicher Verkündigung, — dort, in dem Buddhadharma des Ostens, Maitri als Hauptstück buddhistischer Lehr- und Lebensweise. „Es ist nicht zu leugnen, daß Liebe Gottes das Kernstück der Verkündigung des Urchristentums ist. Alle Beziehungen zu Gott und zur Welt finden hier ihre Verankerung und alle Disharmonie des Lebens ihre allerdings göttlich gefaßte Harmonie" (HPreisker) 10). „Über all den vielen Tugenden und sittlichen Idealen, welche Buddha für die Mönche und Laienanhänger aufgestellt hat, steht, sie alle zusammenfassend und zur Erfüllung bringend, eine hehre sittliche Eigenschaft: mettä" (JWitte) u ). Dieser Sachverhalt, Agape als zentrales Thema christlicher Verkündigung und Maitri als die Kardinaltugend in Buddhas Lehre, ist doch anscheinend auf den ersten Blick evident. Aber noch mehr als dies. Sind nicht die Verkündigung hier und die Lehre dort irgendwie innerlich derart verwandt, daß weder die Agape die Maitri noch umgekehrt die Maitri die Agape überbietet, meint also etwa ein Grund-Gefühl hier und dort dasselbe l*

4 und ist nur je und je geschieden durch den Ausdruck, die Möglichkeit, sich mitzuteilen? Oder aber: sind hier und dort Thematiken in der Verkündigung und Lehre, die originär derart sich unterscheiden, daß nur ein ähnlicher Name, eine bloße Wort-Gemeinsamkeit innerhalb von zwei im Grunde geschiedenen Anschauungsund Lebensformen übrig bleibt und alle innersachliche Beziehung zwischen Agape und Maitri fehlt, sprechen also hier und dort Bürger zweier Welten, die durch eine unüberbrückbare Kluft getrennt sind? So stellt sich die Problematik der in Frage stehenden Sache uns am Beginn der Untersuchung in groben Zügen dar. Theologen und Religionshistoriker haben zu dieser Problematik verschieden Stellung genommen. Drei typische Urteile mögen hier notiert werden. RPischel formuliert radikal: „Wie das Christentum, so stellt auch der Buddhismus als Kardinaltugend die Liebe auf Der Grundgedanke des Buddhismus ist die Maitri, Päli Mettä. Die Mettä ist weder Mitleid noch Freundschaftsgefühl, sondern die christliche Liebe . . . . So verkehrt es ist, das Christentum zugunsten des Buddhismus herabzusetzen, so ungerecht ist es, den Buddhismus zugunsten des Christentums zu verkleinern" 12). Im Gegensatz zu RPischels Formulierung erklärt HOldenberg, vorsichtig abwägend: „Man hat, indem man bemüht war, den Buddhismus dem Christentum anzunähern, als den Kern frommer Sittlichkeit des Buddhisten erbarmende Liebe gegen alle Wesen hingestellt. Darin liegt etwas Wahres. Aber die innerliche Verschiedenheit der beiden sittlichen Potenzen läßt sich doch nicht übersehen. Die Sprache des Buddhismus hat keine Worte für die Poesie der christlichen Liebe, der jenes Loblied des Paulus gilt, der Liebe, die größer ist als Glaube und Hoffnung, ohne die auch, wer mit Menschen- und Engelzungen redete, ein tönend Erz wäre oder eine klingende Schelle; und so haben die Realitäten, in welchen jene Poesie innerhalb der christlichen Welt Fleisch und Blut annahm, in der Geschichte

5 des Buddhismus nicht ihresgleichen. Man kann sagen, daß die Liebe, wie sie sich in der buddhistischen Sittlichkeit darstellt, in ähnlicher Weise, zwischen Negativem und Positivem schwebend, sich der christlichen Liebe annähert, ohne sich doch mit ihr zu berühren, wie die Seligkeit des Nirväna, von der christlichen Idee der Seligkeit im Grunde durchaus verschieden, doch zu ihr . . . . in gewisser Weise hinüberschwankt" 13). Eine Mittelstellung zwischen den Behauptungen RPischels und HOldenbergs nimmt HHaas mit folgender Feststellung ein: „Es ist derselbe Baum, hier wie dort, nennen wir ihn nun Liebe, oder nennen wir ihn Güte, derselbe Baum, der gleichwohl unter dem Himmel Indiens und auf indischem Boden unmöglich in allem und jedem ganz als der gleiche in die Höhe wachsen und seine Äste breiten kann, wie er das unter Palästinas Sonne und im Erdreich unserer Zonen wurzelnd muß Also dasselbe Ideal hier und dort, nur hier männlich, dort weiblich, hier, ich denke, man wird das grobe Bild nicht mißverstehen: Heilsarmeesoldat, dort: barmherzige Schwester"14). Die Aporie, vor der wir stehen, aufgedeckt schon durch die Entfaltung der Problematik, wird durch diese verschiedenartigen Urteile noch deutlicher. Die Schwierigkeit, zu einer klaren Lösung der Problematik zu kommen, hat HOldenberg mit folgenden Worten gekennzeichnet: „Haben doch ähnliche Worte, hier und dort gesprochen, oft unendlich verschiedenen Gefühlswert, oder — dies sind die für unser Verstehen schwierigsten Fälle — Gleichheit mischt sich mit Verschiedenheit in Verhältnissen, deren Maß ergründen nur die Divination kann, deren Maß verfehlen alles verfehlen heißt Die Gefahr liegt nahe, Ähnlichkeiten, Gleichartigkeiten für Gleichheiten zu nehmen" 15 ). Der Aporie des richtigen Verstehens der beiden „Begriffe" Agape und MaitrI begegnen wir, indem wir zunächst nach der religiösen Grundhaltung im Christentum und im Buddhismus fragen: die formalen Gleichheiten und die prinzipiellen Differenzen zwischen beiden aufdecken. Auf

6 der religiösen Grundhaltung hier und dort sollen sich dann die „Begriffe" Agape und Maitri abheben. Neben die Frage nach dem richtigen Verstehen der „Begriffe" Agape und Maitri stellt sich aber die andere: ist eine Religion mit Gott mit einer Religion ohne Gott überhaupt vergleichbar, ja ist der Buddhismus überhaupt Religion? Denn die bekannte Tatsache, daß Buddhas Lehre konsequent atheistisch ist, da Gott radikal ausgeschaltet wird — welche Gründe dafür maßgebend sind, werden wir später sehen —, wird im Verlauf unserer Untersuchung immer wieder mit ihren entscheidenden Konsequenzen zutage treten. Wenn aber Religion, um einmal ganz roh zu definieren, „Verkehr Gottes (oder von Göttern) mit dem Menschen" ist 16 ), so wäre Buddhas Lehre keine Religion 17). Zweifelsohne enthält Buddhas Lehre „philosophische Voraussetzungen" ebenso wie einen Kampf gegen Religionsformen, Metaphysik und philosophische Theorien seiner Zeit. Aber ebenso sicher ist, daß ein „religiöses Dogma", die Lehre von der Seelenwanderung, von Buddha aus der religiösen Tradition seines Landes (wenn auch von ihm modifiziert) übernommen wurde 18), und der Weg, den er zeigt, ein HeilsWeg für den Menschen mit dem Endziel Erlösung (in dem Nirväna) ist. Sofern Buddha einen Heils-Weg und ein HeilsZiel kennt und sofern er an ein religiöses Dogma anknüpft, können wir Buddhas Lehre als „Religion" bezeichnen. Deshalb dürfte Vergleich und Unterscheidung zwischen einem „Begriff" aus der Welt des Christentums und einem „Begriff" aus der des Buddhismus auch zu Recht bestehen.

Erstes Kapitel» Wir haben in der Einleitung gesagt, es sei, ehe wir Vergleich und Unterscheidung zwischen Agape und Maitri durchführen, zuvor notwendig eine Besinnung über die Fragen, worin sich die Bewegungen des Buddhismus und des Christentums formal gleichen und wodurch sich beide prinzipiell unterscheiden. Wir behandeln deshalb zunächst die formalen Gleichheiten und die prinzipiellen Unterschiede zwischen Buddhismus und Christentum. I i) Gautama Buddha und Jesus Christus vollenden, hier und dort, in Indien und in Palästina, die religiöse Geschichte ihres Landes und Volkes in und mit ihrer Botschaft von der Erlösung. Es ist eine „späte Zeit", in der beide hier und dort auftreten; eine lange religiöse Geschichte, die sie vollenden, ist ihrer Botschaft von der Erlösung vorausgegangen. Buddha hat sich selbst nicht nur als „Vollendeten" (tathägata) 1 ), sondern auch als „Vollender" gewußt, der, den „Löwenruf erschallen lassend", etwas endgültig Entscheidendes in seiner Botschaft von der Erlösung zu sagen hat (Itiv. 1 1 2 ; MN 26; SN L V 1 ; Snp. 524ff. 5 2 9 « . 538ff.; A N I V 33, X 21). Der Buddhismus ist nicht mit Unrecht als die größte und rücksichtslos konsequenteste aller indischen Intellektuellen-Soteriologien bezeichnet worden 2 ). Zwar ist der Buddhismus zeitlich nicht die letzte indische Intellektuellen-Soteriologie, aber als die konsequenteste aller indischen „intellektbedingten" Heilslehren deren Vollendung (vgl. S. 1 1 ff.).

8 Buddha lehrt Erlösung (vimutti). „Wie das große Meer, ihr Mönche, nur von einem Geschmack durchdrungen ist, von dem Geschmack des Salzes, also ist auch, ihr Mönche, diese Lehre (dhamma) und Ordnung (vinaya) nur von einem Geschmack durchdrungen, von dem Geschmack der Erlösung" (Cullavagga I X 1 , 4 + Ud. V 5 , 6 ) 3 ) . „(Der Buddhismus) ist, wie alle indische Philosophie und Hierurgie, ,Erlösungsreligion', wenn man den Namen .Religion' auf eine Ethik ohne Gott — oder richtiger: mit absoluter Gleichgültigkeit gegen die Frage, ob es .Götter' gibt und wie sie existieren — und ohne Kultus anwenden will. Und zwar ist er, angesehen auf das ,wie?' und .wovon?' wie auf das ,wozu?' der Erlösung, die denkbar radikalste Form des Erlösungsstrebens überhaupt" 4). Jesus vollendet und erfüllt das prophetische Ethos in Israel, in ihm wird die Höhe und das Ende der prophetischen Bewegung in Israel offenbar. Jesus selbst hat sich als Vollender und Erfüller in diesem Sinne gewußt (z. B. Lk. 10, 22 ff., Mt. 12, 41 f., Mt. 1 1 , 1 1 . 27) 5 ), und neben Jesu Selbstzeugnis stellt das N. T. auch sonst diesen Sachverhalt, den das Johannesevangelium in die Worte gekleidet hat: „Das Gesetz ist durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit ist (uns) durch Jesus Christus (zuteil) geworden" ( 1 , 1 7 ) , als entscheidende Tatsache deutlich heraus (z. B. Gal. 4, 4; 2. Kor. 3, 6; Hebr. 1 , 1 ff.). Die Botschaft des N. T. ist Evangelium, Heils-Botschaft, Predigt von der Erlösung. Mit der Heils-Botschaft von dem nahenden Einbruch und Wirklichwerden der Gottes-Herrschaft (Basileia toy Theoy) hat die Verkündigung Jesu begonnen (Mk. 1 , 1 5 + Parr.), diese Botschaft ist fortgesetzt worden mit der Verkündigung der Wiederkunft des auferstandenen Herrn und der Vollendung der Gottes-Herrschaft durch ihn auf Erden (1. Kor. 15, 24 f.). 2) Der Buddhismus und das N. T. kennen die Mächtigkeit und furchtbare Gewalt des Todes und lehren Erlösung vom Tode.

9 Die Allmächtigkeit des Todes kennzeichnen Verse des Suttanipäta (576. 578) so: „ W i e den Früchten, den Vollreifen, in Morgenfrühe droht der Fall, also droht immerdar allem, was da geboren ist, der Tod. Wer jung ist und wer hoch aufwuchs, Kluge und Törichte zumal, ihrer aller der Tod Herr wird, ihr Ziel und Ende ist der T o d . " 8 )

Und daß der Tod eine Schreckensmacht im Dasein ist, diese Tatsache lehrt Buddha in der ersten edlen Wahrheit mit den Worten: „Tod ist Leiden". Buddha hat aber den Tod bezwungen, die Erlösung vom Tode gefunden. „Tut euer Ohr auf, ihr Mönche; die Erlösung vom Tode ist gefunden; ich unterweise euch, ich predige die Lehre" (Aus Mahävagga I 6,10 ff.) 7). Das ewige Sterben und Wiedergeborenwerden in dem Kreislauf der Erscheinungen ist ein für allemal beseitigt — , das heißt im Buddhismus „Erlösung vom Tode". Ebenso deutlich wie Buddha redet im N. T. Paulus von der ewigen, unbeschränkten Herrschaft des Todes (Rom. 5, 14. 17), der für ihn der Sünde Sold ist (Rom. 6, 23), aber er weiß auch, daß durch Jesus Christus der Tod überwunden ist (Rom. 6, 9; vgl. 2. Tim. I, 8 ff.) und die Gläubigen in der Auferstehung zum Leben erweckt werden und nicht im Tode bleiben (1. Kor. 15, 20 ff.). „ H a t durch den Fall des Einen der Tod als König geherrscht eben durch den Einen, so werden nun dagegen die, welche die Fülle der Gnade und der Gabe der Gerechtigkeit empfangen, selbst als Könige herrschen im Leben

durch den Einen Jesus Christus" (Rom. 3 , 1 7 ) .

„ N u n aber ist

Christus von den Toten auferstanden als der Erste der Gestorbenen.

Denn

da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, erfolgt auch die Auferstehung der Toten sterben,

so werden

durch

einen Menschen.

Wie nämlich in Adam alle

auch in Christus alle zum Leben erweckt werden"

(1. Kor. 15, 20 ff.).

Paulus kann jubelnd mit den Propheten ausrufen: „Verschlungen ist der Tod in den Sieg! Tod, wo ist dein Stachel ? Tod, wo ist dein Sieg?" (1. Kor. 15, 55) 3) Der Weltaspekt im Buddhismus und im N. T. (hier aber nur z.T.) ist pessimistisch8). Beide, der Buddhismus und das N.T., wissen von der Vergänglichkeit und Nichtigkeit

10 der Welt. (Wir fragen hier nicht nach den jeweiligen Grundlagen dieser Anschauung im N. T.) Im Tripitaka heißt es: „Die Welt, die Welt, so sagt man, o Herr; inwiefern nun, Herr, heißt es die W e l t ? " „ W a s der Auflösung unterworfen ist, Änanda, das wird in der Ordnung des Heiligen die Welt genannt" (SN X X X V 84). „Vergänglich, wahrlich, sind die Gebilde der Welt (sankhärä), die dem Entstehen und Vergehen unterworfenen" (SN X V 20; S N V I 2, 5 + D N X V I 6, 10 zum Vergleich). „Vergänglich, ihr Mönche, sind die Gebilde der Welt, unbeständig, ihr Mönche, sind die Gebilde der Welt, unverläßlich, ihr Mönche, sind die Gebilde der W e l t . . . . " (AN V I I 62) »).

Im N. T . lesen wir: „Der Nichtigkeit ist die Schöpfung unterworfen worden" (Röm. 8, 20). „Die Welt in ihrer jetzigen Gestalt geht dem Untergang entgegen" (1. Kor. 7, 31). „Die Welt vergeht mit ihrer Lust" (1. Joh. 2, 17 [vgl. 1. Kor. 2, 6; Gal. 1, 4; 2. Petr. 1, 4]). „Die ganze Welt liegt im Argen" (1. Joh. 5, 19).

Wir merken an, daß hinter dieser formalen Gleichheit zwischen Buddhismus und N. T. prinzipiell verschiedene Anschauungen, auf die wir nicht näher eingehen, hier und dort stehen. 4) Der Buddhismus und das N.T. kennen ein summum bonum, der Buddhismus das Nirväna, das N. T. die Basileia toy Theoy (die „Gotteskindschaft" (Röm. 8, 23), das „ewige Leben" (Joh. 5, 24), wie auch immer der Terminus, der die gleiche konkrete Sache meint, lauten mag), und zwar sind das Nirväna und die Basileia toy Theoy sowohl „diesseitig" als auch „jenseitig". Buddha hat ja schon in der Erleuchtung unter dem Bodhi-Baume das Nirväna „erreicht", er weiß, daß er in das Nirväna endgültig nach dem Tode eingeht. Jesus verkündet, daß das Reich Gottes schon begonnen hat, „diesseitig" (Mt. 12, 28; Lk. 1 1 , 20), und daß das Reich Gottes das Ziel der Welt ist (Mk. 4 , 3 0 ff.), er weiß, daß es hier schon Gottes Kinder gibt. Das Joh. E v . drückt diesen Sachverhalt mit den Worten a u s : . . . . „Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat ewiges

11 Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tode zum Leben hinübergegangen" (5, 24), Paulus: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Schöpfung" (2. Kor. 5, 17).

Der Buddhismus unterscheidet von dem „diesseitigen" Nirväna das „jenseitige" Parinirväna 10). Der „Vollendete" geht in das Parinirväna ein, wenn die Körperlichkeit aufgehoben ist, also nach dem Tode. Auch das N.T. weiß, daß „die Vollendung" des Menschen erst nach dem Tode sich vollzieht (Joh. 6, 54, vgl. Mk. 12, 25 + Parr., Rom. 8, 23 [vgl. auch 1. Kor. 13,12]). II Von der Skizzierung der formalen Gleichheiten zwischen Buddhismus und Christentum wenden wir uns zur Formulierung der prinzipiellen Differenzen, die zwischen beiden bestehen. 5) Was heißt Intellektuellen-Soteriologie ? Intellektuellen-Soteriologie heißt weniger Soteriologie für die Intellektuellen, d. h. für die gebildeten Schichten, als besonders intellektbedingte, durch und an ein irgendwie charakterisiertes „Wissen u m . . . " gebundene Soteriologie. Das spezifische Charisma der indischen Priester-Denker in den Upanisads ist das „Wissen": die metaphysische Einsicht der Einheit des Ätman und Brähman („Dieser Ätman ist das Brähman") u ) . Von den Opferpriestern der Brähmana-Periode heißt es schon: „Die Brahmanen, die den Veda studiert haben und ihn lehren, sind menschliche Götter" 12), und in den alten Opfertexten dieser Zeit kehrt beständig die stereotype Formel: „wer solches weiß" wieder. Wissen ist das Grundlegende in der Aufklärungsphilosophie des Sänkhya (der prüfenden Wissenschaft: änvlksikl): die kritische Unterscheidung von erkennendem Selbst (purusa) und erkannter Materie (prakjti): „Wie eine Tänzerin abläßt von ihrem Tanz, nachdem sie sich vor den Zuschauern gezeigt hat, so zieht sich die Prakrti zurück, nachdem sie sich dem Purusa offenbart hat" 1 3 ).

12 Wissen ist die Hauptforderung des Buddha, die Erkenntnis der vier edlen (oder heiligen) Wahrheiten: der Tatsache des Leidens, der Ursache des Leidens, der Aufhebung des Leidens und des Weges zur Aufhebung des Leidens. „ O b du es nun verstehst, verehrter Susima, oder ob du es nicht verstehst: Wir sind eben durch Erkenntnis erlöst" (SN X I I 70, 2 7 ) 1 4 ) . „Infolge des Nichterkennens, ihr Mönche, infolge des Nichtbegreifens der vier edlen Wahrheiten mußten wir, sowohl ich als ihr, auf diesem langen Wege also umherirren und wandern" (DN X V I 2, 2 ) 1 5 ) . „ S o wie, ihr Mönche, ein Stab, der in die L u f t geworfen wird, immer wieder zur Erde fällt, wenn er auch einmal mit dem unteren Ende, einmal mit der Mitte und einmal mit der Spitze herniederfällt, — also, ihr Mönche, gehen die Wesen,

die da, mit dem Hemmnis des Nichtwissens und der

Fessel der Gier behaftet, umherirren und wandern, einmal aus dieser Welt in jene W e l t und kehren ein andermal wieder aus jener Welt in diese Welt zurück" (SN L V I 33)

l e ).

Wissen ist in jeder indischen Soteriologie die Kardinaltugend, Wissen (vidyä) verbürgt das Heil, Nichtwissen (avidyä) ist das Kardinallaster, bedingt das Unheil. Ein Upanisadtext formuliert so: „Vergänglichkeit ist das Nichtwissen, Unsterblichkeit aber das Wissen" 1 7 ). Die certitudo salutis ist abhängig von dem richtigen Wissen. Zwar erkennen die orthodoxen Systeme der Inder die Pluralität der Heilswege an: karma-märga (Werk), yoga-märga (asketische Haltung, seelisch-körperliches Training) und jßäna-märga (Wissen, Erkenntnis). Nur die letzten beiden aber überwinden den Samsära, in dessen langer Kette der Mensch durch karma immer noch ein Glied bleibt, und unter den beiden letzten ist wiederum ausschlaggebend jnänamärga. So ist in der Lehre des Buddha yoga in der Form der Versenkung (samädhi) die letzte vorbereitende Stufe für die erlösende Erkenntnis (näna und vimutti). Alle indischen Intellektuellen, und nicht zuletzt die Buddhisten, betonen, durch Wissen ärya zu sein, und in die epische Zeit hinauf weist schon der Satz, daß man ärya nicht durch Hautfarbe, sondern durch Wissen sei 1 8 ). Und es ist bezeichnend, daß das Rückgrat der Bewegung Buddhas

13 die gebildeten Angehörige

Kreise gewesen sind, wenn

der

nicht-intellektuellen

Buddha

Schichten

auch

in

seinen

Jüngerkreis aufgenommen hat: z. B. den Fischer

Sväti,

den Kuhhirten Nanda, die Dirne Ambapäll.

„In Wirklich-

keit war der Kreis seiner nächsten Jünger vorwiegend aus den oberen Ständen zusammengesetzt

Er selbst fühlte

sich, auch nachdem er Mönch geworden war, noch als Adliger und duldete nicht, daß man in seiner Gegenwart vom Adel gering sprach"

19 ).

Das Charisma des Intellektuellen, das Wissen, hat aber noch einen weiteren bedeutsamen Zug, der bisher in der Beschreibung der buddhistischen Anschauung leicht übersehen wird: Das Wissen hat magisch heilwirkenden Charakter, der Wissende ist magiebegabt. „Eine ganze Anzahl scheinbar soteriologisch-rationaler Grundsätze pflegen (bei den Intellektuellen-Philosophien), mindestens ursprünglich, durch magische Bedeutsamkeit bedingt zu sein" 20). Die magische Qualität des Opferpriesters besteht in der Kenntnis und Anwendung der heiligen Formeln (mantra). Der Brahmane hat ja seinen Kamen von Brähman, der Wunderkraft des Zauberspruches, den er kennt und anzuwenden weiß 21 ). Das Wissen als solches oder die Mitteilung des Wissens „wirkt" als magische Kraft. Zwei Beispiele aus der buddhistischen Literatur, das erste entnehmen wir dem Gleichnis vom viererlei Acker, mögen diesen Tatbestand beleuchten: „Gleich jenem wertlosen Felde, o Schulze, mit dem unfruchtbaren, salzhaltigen, schlechten Boden sind für mich die Asketen, Brahmanen und Wandermönche anderer Sekten. Auch ihnen predige ich die Lehre, die am Anfange gut ist, die in der Mitte gut ist und die am Ende gut ist, dem Sinne nach und dem Wortlaute nach ganz und vollständig und lehre sie den reinen, heiligen Wandel. Und warum das? Weil ich denke: Selbst wenn sie auch nur ein einziges Wort auffassen sollten, so dürfte ihnen dieses auf lange Zeit zum Heil, zum Segen gereichen" (SN XLII 7, 8) 2! ). „Diejenigen, welche die [vier] edlen Wahrheiten völlig begreifen, wie sie von dem Tiefweisen gut gelehrt worden sind, werden, selbst wenn sie einmal sehr fahrlässig sein sollten, keine achte Wiedergeburt mehr erlangen. Auch dies ist der kostbare Edelstein, der in der Mönchsgemeinschaft besteht: Um dieser Wahrheit willen Heil!" (Snp. 230) iS ) Und

schließlich:

Das

verkehrte,

falsche

Ethos

des

Menschen, buddhistisch gesprochen: das Begehren (tanhä), der Wille zum Leben, die „Gier", wird nicht von einem andern Ethos

( = ethisch-sittlicher Norm) für „verkehrt" erklärt,

14 sondern das verkehrte Ethos wird mit Nichtwissen gleichgesetzt. Wie es das erste Glied der Kausalitätsformel besagt: „Durch das Nichtwissen sind die Bildekräfte bedingt usw.". „Von dieser wie ein fressendes Gift sich weiter fortpflanzenden Trübung der avidyä erfaßt, sind dann die Sinne anstatt eines bloßen unschuldigen Spiegels der Welt zu dem geworden, was als Sinnlichkeit das Bewußtsein in die niederen Regionen des Daseins verstrickt. Die Sinne lösen da eine Art von Berührung aus, in der ein verstrickendes Element liegt. Die Empfindung, die da entsteht, bleibt nicht unschuldig, sondern wird zum Begierdendurst (tanhä), in dem die im Ausgangspunkte stehende Bewußtseinstrübung nun ihrem Wesen nach als sinnliche Verstrickung deutlich wird. Daher wird in der mehr populären Fassung der .vier heiligen Wahrheiten' auf tanhä als die eigentliche Ursache des Leidens, den eigentlichen kritischen Punkt, hingewiesen"24). Der „Grund aller Abgründe", der zwischen Buddhismus und Christentum liegt, ist der, daß das Christentum etwas gänzlich Anderes ist als Intellektuellen-Soteriologie (in dem doppelten Sinne des Wortes, den wir oben dargelegt haben). Nirgends sonst wo wie gerade hier zeigt sich ein Unterschied in der Grundhaltung hier und dort. Jesus sagt (Mt. n , 25): „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß du dies vor Weisen und Klugen verborgen und es Unmündigen offenbart hast!" Die Predigt von der Basileia toy Theoy zündet nicht da, wo Weisheit und Klugheit dieser Welt ihren Triumph feiern, sondern bei denen, die ein kindlich-gläubiges Herz, den frommen Glauben an Gottes Macht und Wunderkraft, haben. Nur da, wo kindlich-einfältiger Glaube ist, kann Gottes-Herrschaft ihren Einzug halten 25). „Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, so werdet ihr nimmermehr in das Himmelreich kommen" (Mt. 18, 3). „Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht wie ein Kind annimmt, der wird sicherlich nicht hineinkommen" (Mk. 10, 15). Nur da, wo kindlich einfältiger Glaube ist, kann gerufen werden: „Abba, lieber Vater!" (Rom. 8, 15)

15 Wenn ein buddhistischer Text erklärt26), Buddhas Lehre sei schwer verständlich, schwer zu begreifen, subtil und nur für den Weisen verständlich (MN 72), so sagt ein Pauluswort (1. Kor. 1 , 1 8 f f . ) : „Das Wort vom Kreuz ist für die, welche auf dem Wege der Verlegenheit sind, eine Torheit, aber für uns, die wir in der Errettung stehen, ist es eine Gotteskraft. Denn es steht geschrieben: ,Ich will die Weisheit der Weisen zu schänden machen und den Verstand der Verständigen als Torheit abtun'. Wo sind denn die Weisen ? wo die Gelehrten ? wo die gewandten Wortstreiter dieser Welt ? Hat Gott nicht die Weisheit dieser Welt als Torheit erwiesen ? . . . . Seht doch eure Berufung an, liebe Brüder: da sind nicht viele Weise im Sinne der Welt unter euch, nicht viele einflußreiche Leute, nicht viele Hochgeborene! Nein, was der Welt für töricht gilt, das hat Gott erwählt, um die Weisen zu beschämen! "

Paulus weiß, das Evangelium, das er predigt, ist eine Torheit für die Welt, den Weisen unverständlich. Griechen verlangen Weltweisheit (1. Kor. 1, 22). Paulus will die Vernunftkünste zerstören (2. Kor. 10, 4), er weiß, daß Gnosis aufbläht (1. Kor. 8 , 1 ) , und ist überzeugt, daß nur Irregeführte „wissen" wollen, wo es allein Glauben und Gehorsam gibt (2. Kor. 10, 4 f.). Darum lehnt er den gnostischen Antilogos, der in der korinthischen Gemeinde überhand nimmt, ganz und gar ab. Es gibt aber auch für Paulus eine Sophia, die berechtigt ist. Diese Sophia ist nicht-menschlicher Art. Nicht Menschen sprechen, sondern Gott selbst, nicht Schulworte menschlicher Weisheit triumphieren, sondern Gottes Sophia enthüllt sich durch das Pneuma. „Was wir vortragen, ist dennoch Weisheit, bei den Gereiften, aber nicht die Weisheit dieser Welt oder der Machthaber dieser Welt, die dem Untergange geweiht sind. Nein! Wir tragen Gottes geheimnisvolle, verborgene Weisheit vor, die Gott vor aller Zeit zu unserer Verherrlichung vorherbestimmt hat" (i. Kor. 2, 6 f.). Vgl. auch 1. Kor. 2, 12 ff.; 3, 18 f.

6) Das Lebensschicksal ist des Menschen eigenste Tat (kamma), ebenso aber auch die Überwindung dieses Lebensschicksals (vimutti). „Durch sich selbst" ist der Weg der Erlösungslehre Buddhas. Erlösung wird durch das Selbst,

16 das „Ich", vollzogen. Weder ein Gott noch ein Mensch kann hier dem Menschen helfen 27) — der Mensch ist sein eigener Helfer, sein eigner Helfer dadurch, daß er sich den Weg zur Erkenntnis bahnt und auf dem von ihm gewählten Wege die Erlösung erreicht. Dem

Dhp.

(160 +

165)

entnehmen wir folgendes: Das Selbst ist

„Herr", „Meister". Nirgendwo sonst läßt sich ein anderer Herr und Meister finden.

D a s Selbst vollbringt „reine" und „unreine" T a t und bestimmt

sich dadurch seine ist des Selbstes

„ E x i s t e n z f o r m " .

Das Selbst allein und sonst niemand

Heiland. 2 8 )

So wie der Mensch sich durch sein Werk (kamma) in den Kreislauf des Geschehens, das Werden (bhava), einreiht, ebenso kann auch der Mensch sich diesem Werden, d. h. der Welt des Leidens, „entnehmen" durch sich selbst. Ja, das „Entnehmen" des Selbstes aus dem Zusammenhange allen Geschehens, dem „Werden", muß durch das Selbst erfolgen. „Deshalb, Ananda, seid eure eigene Leuchte, seid eure eigene Zuflucht, sucht keine andere Zuflucht! Haltet fest an der Lehre als an einer Leuchte, haltet fest an der Lehre als an einer Zuflucht, sucht keine andere Zuflucht" (DN X V I 2, 26) 29). Es gibt also einen Weg, den der Mensch sich schafft, um Erlösung zu erlangen, unter Ausschluß aller fremden Hilfe. Erlösung ist das Produkt individueller Leistung20). Der Selbst-Bezogenheit der Erlösung im Buddhismus, durch das Selbst für das Selbst, stellt sich im Christentume die Gott-Bezogenheit der Erlösung, durch Gott für den Menschen, gegenüber. Der Mensch kann sich nicht aus eigener Kraft erlösen (wie die Luthersche Formel sagt: „nicht aus eigener Vernunft noch Kraft"; „sine omnibus propriis viribus, meritis aut operibus")31). „Durch die Gnade seid ihr gerettet worden auf Grund des Glaubens, und dies nicht aus euch — Gottes Geschenk ist es! — ; nicht aus Werken, damit sich niemand rühme!" solaml"

(Eph. 2, 8 f.; vgl. Rom. 11, 6.)

„Per fidem

„ G r a t i a soläl"

Die Erlösung ist im Christentum ein Geschenk Gottes an

17 die Menschen, wo jedwedes eigenmächtige, selbstsichere menschliche Erlösungsstreben radikal verworfen wird. Aus Gottes Gnade bin ich, was ich bin, sagt Paulus (i. Kor. 15,10). Der Mensch des N. T. kann durch sein „Werk" sich nicht Erlösung „erarbeiten", er kann nur in der Pistis die Charis Gottes ergreifen, während der Buddhist in harter Anstrengung (durch slla und samädhi) sich für die eigne Erlösung vorbereitet und sich die Erlösung „verdient" 32). „Man kann den Buddhismus bezeichnen als den großartigsten Versuch der Menschheit, durch eigene Kraft sich selbst zu erlösen; das Christentum aber ist die Religion der geoffenbarten Liebe Gottes, die uns in Gnaden Erlösung und ewiges, seliges Leben schenkt" 33). 7) Die Tatsache einerseits, daß der Buddhist „durch sich selbst" und „für sich selbst" den Weg zur Erlösung beschreitet, und andererseits, daß im Christentum der Mensch per fidem solam gerettet ist, führt zu der Frage: Wie fassen Buddhismus und Christentum den Menschen auf ? Es ergab sich, daß die Erlösung im Buddhismus sub specie hominis, im Christentum sub specie Dei gesehen wird. Es muß hier aber noch eingefügt werden, daß die Erlösung im Buddhismus nicht sub specie Dei betrachtet werden kann, da für den Buddhisten die Himmelswelt unter den gleichen Bedingungen wie die Welt überhaupt steht, d. h. von dem Samsära nicht ausgeschlossen ist, während im Christentume die Welt Gottes mit Prädikaten wie „ewig", „unvergänglich", „vollkommen" usw. belegt wird. Will der Buddhist den Menschen bestimmen, so muß er ihn als in dem „Werden" (bhava) befindlich darstellen. „Ganz unbekannten Anfangs, ihr Mönche, ist die Wanderung (samsära) von Dasein zu Dasein. Man kennt nicht den Ausgangspunkt, von welchem an die Wesen, mit dem Hemmnis des Nichtwissens und der Fessel der Gier behaftet, umherirren und wandern" (SN X V 3) 34). Ist aber der Mensch in diesem Werden ? Gibt es überhaupt ein Lebewesen in dem üblichen Sinne ? 35) W e i n r i c h , Liebe im Buddhismus.

2

18 „Was verstehst du unter .Lebewesen' ? Du bist wohl, Mära, in einem Irrglauben befangen. Das hier ist ein großer Haufen von .Bildekräften' (sankhärä). Ein Lebewesen gibt es hier nicht. Denn wie da, wo gewisse Teile sich zu einem Ganzen vereinigen, das Wort .Wagen' gebraucht wird, so bedient man sich da, wo die Daseinsstämme (khandhä) 36 ) vorhanden sind, allgemein des Ausdruckes .Wesen'. Aber das Leiden allein entsteht, nur Leiden besteht und vergeht, außer dem Leiden entsteht nichts, nichts außer dem Leiden wird vernichtet" (SN V 10) « ) .

Was ist das Ewige, das Beharrende» in dem Sanasära ? Offenbar nicht die „Person" — denn diese ist nur die Summe gewisser psychophysischer Vorgänge, die dauernd wechseln—, sondern vielmehr: die Gier (tanhä), der Wille zum Leben, der Verdienst und Schuld in gleicher Weise hervorbringt (SN X X I I 22) 38). Die tanhä erzeugt das „Werk", die tanhä ist das •principium individuationis. Die tanhä hält das „Leben" in dem Samsära zusammen, schafft aus „verschiedenen Teilen" ein „Ganzes" (unum compositum), das sich „Mensch" nennt. Soll im N.T. bestimmt werden, was der Mensch ist, so wird, wie im A.T. (z. B. Jes. 6 , 5 ; 3 1 , 3 ; Hos. 1 1 , 9), der Mensch in Beziehung gesetzt zu dem Theos, und zwar wird der Mensch aufgefaßt in seiner absoluten qualitativen Geschiedenheit von Gott. Diese Geschiedenheit von Gott zeigt sich in verschiedener Weise: Ist Gott der Heilige, so ist der Mensch Sünder, ist Gottes Wille gut, so ist des Menschen Wille böse, ist Gottes Handeln souverain, so ist des Menschen Tun das eines Knechtes, ist Gott der Ewige, so ist der Mensch vergänglich. „Herr, geh weg von mir, ich bin ein sündiger Mensch!" (Lk. 5, 8). „Niemand ist gut als Gott allein" (Mk. 10, 18). „Wenn nun ihr, die ihr doch böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben versteht, wie viel eher wird euer Vater im Himmel denen, die ihn bitten, Gutes geben!" (Mt. 7, 1 1 ) . „Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sagt: Wir sind [unnütze] 38 ) Knechte. Wir haben nur unsere Pflicht getan!" (Lk. 17, 10). „Was ist euer Leben ? Ihr seid doch nur ein Rauch, der kurze Zeit sichtbar ist und dann wieder verschwindet!" (Jak. 4, 14) 40)

Fassen wir diese Aussagen über das, was das Wesen des

19 Menschen ausmacht, kurz zusammen, so können wir sagen: Das Wesen des Menschen ist das sündhafte Kreatur-Sein. Jesus ist überzeugt, daß alle Menschen Sünder sind. E r ruft alle zur Buße. „Wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr alle ebenso umkommen" (Lk. 13, 3), und Paulus sagt: „ E s gibt hier keinen Unterschied; sie haben alle gesündigt" (Rom. 3, 22 f.). (Aber steht auf der einen Seite fest, daß der Mensch durch sein sündhaftes Kreatur-Sein von Gott geschieden ist, so darf hier auf der anderen Seite nicht der Tatbestand unterdrückt werden, daß der Mensch als sündhafte Kreatur zwar dem Tode verfallen ist (wie Paulus sagt), aber auch Anteil an dem ewigen Leben hat, „gerechtfertigt" ist, simul peccator et justus ist (Luther). Vgl. auch das in Absatz 4 über Nirväna und Basileia toy Theoy Gesagte!).

8) Der oben (Absatz 4) dargestellten formalen Gleichheit zwischen Nirväna und Basileia toy Theoy setzen wir jetzt den prinzipiellen Unterschied zwischen diesen beiden Heilsgütern entgegen. „Gleichwie etwa, Gautama, der Gangesstrom nach dem Meere sich neigt, nach dem Meere sich beugt, nach dem Meere sich hinsenkt und angekommen am Meere stillesteht: ebenso auch ist hier des Herrn Gautama Gefolge, Pilger und Bürger, zum Nirväna geneigt, zum Nirväna gebeugt, zum Nirväna hingesenkt und bleibt angekommen bei ihm stillestehn." (Aus MN 73) » ) .

Die Erlösung ist des Buddhisten eigenste Tat, so haben wir oben gesagt. Die Erreichung des Heilszieles hängt nicht von göttlicher Gnade ab. Buddha kennt keinen Gott, zu dem er beten könnte, keinen Gott, der ihm helfen könnte. E r kennt nur den großen kosmischen Leidensmechanismus und weiß, daß nur er allein, aus eigener Kraft, sich aus diesem Mechanismus als darin befindliches Glied ausschalten kann und muß. Das summum bonum, Nirväna, wird durch eigene methodische Schulung erreicht, besser noch gesagt: „realisiert" 42 ). Was ist das Nirväna ? Ein numinosum ineffabile. „Den, der zur Ruhe ging, kein Maß ermißt ihn. Von ihm zu sprechen gibt es keine Worte. Verweht ist, was das Denken könnt' erfassen. So ist der Rede jeder Pfad verschlossen" (Snp. 1076) *•).

Nirväna ist ein Mysterium, das sich positiv nicht in 2*

20 W o r t e fassen läßt. es

sich

N u r auf d e m W e g e der N e g a t i o n l ä ß t

„bestimmen".

Buddha

ist

den

Weg

der

„nega-

t i v e n T h e o l o g i e " konsequent z u E n d e gegangen. „Nirväna ist das Aufhören des Werdens" (bhavanirodho nibbänam, SN X I I 68, 27. 57). „Nirväna, Nirväna, Freund Säriputta, so sagt man immer; was ist denn nun aber, Freund, das Nirväiia ?" „ D a s Erlöschen der Leidenschaft, das Erlöschen des Hasses, das Erlöschen der Verblendung ist es, mein Freund, was man Nirväna nennt" (SN X X X V I I I i ) 4 4 ) . Wie kann hier Seligkeit sein, Säriputta, da hier doch keine Empfindung i s t ? " . . . . „ E b e n das, o Freund, ist die Seligkeit, daß hier keine Empfindung ist" (AN I X 34) 46 ). „Gebrochen ist das Rad (der Wiedergeburten), da er die Wunschlosigkeit erlangt hat, der ausgetrocknete Strom (der Wiedergeburten) fließt nicht mehr, das gebrochene Rad rollt nicht mehr weiter — das ist das Ende des Leidens" (Aus Ud. V I I 2) 46 ). „ B e i dem, was von anderem abhängig ist, gibt es Bewegung, bei dem, was von nichts anderem abhängig ist, gibt es keine Bewegung, wo keine Bewegung ist, da ist Ruhe, wo Ruhe ist, da ist kein Verlangen, wo kein Verlangen ist, da gibt es kein Kommen und Gehen, wo es kein Kommen und Gehen gibt, da gibt es kein Sterben und Wiederentstehen, wo es kein Sterben und Wiederentstehen gibt, da gibt es weder ein Diesseits noch ein Jenseits noch ein Dazwischen — das eben ist das Ende des Leidens" (Aus Ud. V I I I 4) «). Ist

das

Nirväna

das

Nichts ?

Gewiß,

dies

summum

b o n u m ist ein nihil, ein nihil „ p u r u m " .

Angelus

sagt,

Upanisadpriester

G o t t sei ein „ l a u t e r N i c h t s " .

Der

Silesius

erklärt, das Höchste, L e t z t e , B e s t e sei das „ N e i n , D e r B u d d h i s t nennt das N i r v ä n a „ L e e r e " nihil

purum

ist

aber

zugleich

ein

Nein".

(sunnatä).

summum

Dies

„positivum".

F a u s t sagt zu Mephistopheles:

„ I n deinem N i c h t s hoff ich

das All

wird

Eiland

zu

finden!"

Nirväna

in der f u r c h t b a r gefährlichen

das

„unvergleichliche

Flut,

umgeben

von

A l t e r u n d T o d " , g e n a n n t (Snp. 1092 ff.). „ E s gibt, ihr Mönche, ein Nichtgeborenes, Nichtgewordenes, ein Nichtgemachtes, ein Nichtverursachtes. Wenn es, ihr Mönche, dieses Nichtgeborene, Nichtgewordene, Nichtgemachte, Nichtverursachte nicht gäbe, so ließe sich für das Geborene, das Gewordene, das Gemachte, das Verursachte kein Ausweg finden. Weil es aber, ihr Mönche, ein Nicht-

21 geborenes, ein Nichtgewordenes, ein Nichtgemachtes, ein Nichtverursachtes gibt, darum findet sich auch ein Ausweg für das Geborene, das Gewordene, das Gemachte, das Verursachte" (Aus Ud. V I I I 3) 4S ).

Oldenberg sagt deshalb mit Recht, Nirväna sei ein „Sein, das höher als alles Begreifen ist" 49). Nirväna ist nicht ein nihil „privativum", ein „oyk on"; es ist aber auch nicht ewiges „Leben", sondern ewige „Todesruhe" 50 ), nicht „Frieden, der höher ist als alle Vernunft", sondern feierliche „Grabesstille". Nirväna ist ein unpersönliches, kaltes, totes nihil purum, kein lebendig-persönliches, göttliches Heiliges 51 ). Reich Gottes ist nicht etwas, was durch Menschen (propriis viribus, meritis aut operibus) zu „realisieren" wäre. Ist die „Realisierung" des Nirväna nur durch menschliche Anstrengung (Selbstzucht und meditative Übung, vgl. Kap. 4) möglich, so ist Aufnahme ins Gottesreich Geschenk Gottes an die Menschen, nur unter Ausschaltung alles menschlichen „Anspruches" und „Verdienstes" allein durch Gottes Gnade möglich 52 ). Deshalb betet der Christ: Dein Reich komme! 53 ) Ein Gebet kennt Buddha nicht. Zu wem sollte er beten! Ist Reich Gottes ein „leeres" nihil purum? Bedeutet Bürger des Reiches Gottes sein, „gleichmütig-gleichgültig" 54), „unbarmherzig" 55 ), „tot" 56) geworden sein? „Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geiste" (Röm. 14, 17). „Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichheit, Güte, Glaube, Sanftmut, Keuschheit" (Gal. 5, 22). Bürger des Reiches Gottes sein heißt eine „neue Kreatur" sein (2. Kor. 5, 1 7 ; vgl. Gal. 6, 15), „aus Wasser und Geist wiedergeboren sein" (Joh. 3, 3 ff.), heißt das göttliche „Pneuma" haben (Act. 2, 38; Eph. 1, 13), an der „Kindschaft" teilhaben (Joh. 1, 1 2 ; Röm. 8, 1 7 ; Gal. 4, 6), das „ewige Leben" haben (Joh. 5, 24; 6, 54; Röm. 6, 2 3 ; Apk. 2, 10).

Reich Gottes ist heilige sittliche Lebensfülle, nicht feierliche, sittlich-sterile Lebensferne. Reich Gottes ist „ewiges Leben", nicht „ewiger Tod", ist persönliche Lebensgemeinschaft mit einem persönlichen Gott, nicht

22

ein „Totsein" in einem durch das Selbst realisierten unpersönlichen leeren Nichts. Bürger des Reiches Gottes sein heißt nicht an einem selbstgewählten ewigen „Tode", sondern an dem ganz anderen, göttlichen „Leben" durch Gottes Gnade teilhaben. [Über den Zusammenhang zwischen dem Reich-Gottes-Gedanken und dem Agapemotiv vgl. Preisker, 1. c. 26 f.: „ (Die) Liebe (Gottes) gibt aber erst recht die Güter, die nur Gott geben kann, weil sie Werte einer übersinnlichen Welt sind, wie Leben, vertiefte Schau. Wenn man all diese verschiedenen Güter auf einen Nenner bringen will, redet man vom Reich Gottes. Das ist das alles umfassende, höchste Gut, das allein Gottes Liebe geben kann".] EXKURS

I (zu Kap. 1, Absatz 6).

Buddha nennt den Weg zu der (durch das Selbst zu vollziehenden) Erlösung den „mittleren Pfad". Dieser mittlere Pfad ist der Weg, der zwei Extreme vermeiden will: 1) die „auf Sinnenfreuden gerichtete Hingabe an die Lüste" und 2) die „Hingabe an die Selbstquälerei". Die Hingabe an die Lüste ist „niedrig, roh, gemein, unedel und zwecklos", die Hingabe an die Selbstquälerei ist „leidvoll" und gleichfalls „unedel und zwecklos". Buddha selbst hat die beiden „Extreme", die er in seiner Lehre von dem mittleren Pfade ablehnt, in seinem Leben kennen gelernt. Das erste Extrem, während er sein Leben als Königssohn lebte, das zweite Extrem, als er vor seiner Erleuchtung den Weg der Askese beschritt, um auf diesem Wege Erlösung zu erlangen. Beide Extreme führten ihn nicht zur Erlösung. Indem Buddha die Askese (die Hingabe an die Selbstquälerei, wie er sagt) ablehnte, verwarf er damit auch die ganzen grausamen Praktiken indischer Asketik. Nicht mit Unrecht ist deshalb hinsichtlich dieser „ T a t " des Buddha gesagt worden, „sein Joch sei leicht gewesen". Wir dürfen zwar nicht vergessen, daß slla und samädhi keineswegs das Leben dem Mönche „angenehm" gestalten, — (dann wären beide ja Hingabe an die Lüste) —, daß der Mönch nur in harter Arbeit an sich selbst unter straffer Anspannung seines ganzen Selbstes die Erlösung erreicht; aber der mittlere Pfad schließt jede grausame asketische Praktik, die uns aus der Geschichte des indischen Asketentums nur allzu gut bekannt ist, aus. Was lehrt der mittlere Pfad ? „Rechte Anschauung, rechtes Wollen, rechtes Reden, rechtes Tun, rechtes Leben, rechtes Streben, rechtes Gedenken, rechtes Sichversenken". Wir verweisen hier auf Kap. 4, wo wir den mittleren Pfad (in seiner [wohl ursprünglichen] Dreiteilung, nicht in der hier angegebenen Achtteilung) behandeln.

23 EXKURS

II (zu Kap. i, Absatz 8).

Ebenso wie Buddha die Antwort auf die Frage, ob der Vollendete nach dem Tode existiere oder nicht, abgelehnt hat, ebenso hat Buddha metaphysische Fragen überhaupt niemals beantwortet. Es zeigt sich in der Ablehnung der Antwort auf metaphysische Fragestellung deutlich, daß Buddha sich nicht zu der spekulativen Philosophie seiner Zeit bekannte. Ihm lag daran, den Menschen Heilsziel und Heilsweg zu zeigen, — und weiter nichts! Die Erörterung metaphysischer Probleme, das war Buddhas Überzeugung, trägt nichts zur Erlösung bei. „ E s ist ja nicht so, Mälunkyäputta, daß heiliger Lebenswandel nur möglich wäre, wenn die Ansicht besteht, daß die Welt ewig ist; und es ist auch nicht so, Mälunkyäputta, daß heiliger Lebenswandel nur möglich wäre, wenn die Ansicht besteht, daß die Welt nicht ewig ist. Mag die Ansicht bestehen, Mälunkyäputta, daß die Welt ewig ist, oder mag die Ansicht bestehen, daß die Welt nicht ewig ist, — sicher besteht die Geburt, es besteht das Alter, es besteht der Tod, es bestehen Kummer und Plage, Schmerz, Herzeleid und Verzweiflung, deren Vernichtung schon in diesem Dasein ich lehre" (MN 63, nach Winternitz I 122; vgl. DN I X 25 ff., X X I X 30 fí., Ud. VI 4 - 6 , AN VII 51, SN X V I 12). EXKURS

III

Buddha hat seiner Lehre, die sittliche Zucht und Versenkung fordert und die Erkenntnis als die Frucht der sittlichen Zucht und der Versenkung ansieht, keinen Eigenwert zugestanden. Weder die sittliche Zucht noch die Versenkung noch die Erkenntnis als solche sind wertvoll, sondern haben nur Wert und Bedeutung hinsichtlich des Heilszieles, das sie vermitteln. Ist das Heilsziel erreicht, so kann man die Lehre „von sich stoßen". Ein bisher nur wenig beachtetes Gleichnis des Buddha, das wir ausführlich wiedergeben, sagt deshalb von der Lehre, sie sei zum Entrinnen tauglich, nicht zum Festhalten. „Als Floß, ihr Mönche, will ich euch die Lehre weisen, zum Entrinnen tauglich, nicht zum Festhalten. Das höret und achtet wohl auf meine Rede!" „Ja, o Herr!" antworteten da jene Mönche dem Herrn aufmerksam. Der Herr sprach also: „Gleichwie, ihr Mönche, wenn ein Mann, auf der Reise, an ein ungeheueres Wasser käme, das diesseitige Ufer voller Gefahren und Schrecken, das jenseitige Ufer sicher, frei von Schrecken, und es wäre kein Schiff da zur Überfuhr, keine Brücke diesseits, um das jenseitige Ufer zu erreichen. Da würde dieser Mann denken: 'Das ist ja ein ungeheueres Wasser, das diesseitige Ufer voller Gefahren und Schrecken, das jenseitige Ufer sicher, frei von Schrecken, und kein Schilf ist da zur Überfuhr, keine Brücke diesseits, um jenseits hinüberzugelangen. Wie, wenn ich nun Röhricht und Stämme, Reisig und Blätter sammelte, ein Floß zusammenfügte und mittelst dieses Floßes, mit Händen

24 und Füßen arbeitend, heil zum jenseitigen Ufer hinübersetzte!' Und der Mann, ihr Mönche, sammelte nun Röhricht und Stämme, Reisig und Blätter, fügte ein Floß zusammen und setzte mittelst dieses Floßes, mit Händen und Füßen arbeitend, heil ans jenseitige Ufer hinüber. Und, gerettet, hinübergelangt, würde er also denken: 'Hochteuer ist mir wahrlich dieses Floß, mittelst dieses Floßes bin ich, mit Händen und Füßen arbeitend, heil ans jenseitige Ufer gelangt. Wie, wenn ich nun dieses Floß auf den Kopf heben oder auf die Schultern laden würde und hinginge, wohin ich will!' Was haltet ihr davon, ihr Mönche? Würde wohl dieser Mann durch solches Tun das Floß richtig behandeln?" „Gewiß nicht, o Herr!" „ W a s hätte also, ihr Mönche, der. Mann zu tun, damit er das Floß richtig behandelte? Da würde, ihr Mönche, dieser Mann, gerettet, hinübergelangt, also erwägen: 'Hochteuer ist mir wahrlich dieses Floß, mittelst dieses Flosses bin ich, mit Händen und Füßen arbeitend, heil an d a s jenseitige Ufer hinübergelangt. Wie, wenn ich nun dieses Floß ans Ufer legte oder in die Flut senkte und hinginge, wohin ich will?' Durch solches Tun, wahrlich, ihr Mönche, würde dieser Mann das Floß richtig behandeln. Ebenso nun auch, ihr Mönche, habe ich die Lehre als Floß dargestellt, zum Entrinnen tauglich, nicht zum Festhalten!" (nach Neutnann, Mittlere Sammlung I 327 ff.)

Zweites Kapitel. Im Anschluß an die im ersten Kapitel aufgedeckten formalen Gleichheiten und prinzipiellen Unterschiede zwischen dem Evangelium und dem Buddhadharma untersuchen wir zwei der Agape und der MaitrI (anscheinend) verwandte „Begriffe" oder „Motive": Eros und Bhakti. Wir beschränken uns bei der Beschreibung dieser Motive auf zwei typische Bezeugungen derselben: Das Erosmotiv beschreiben wir nach Piatons Symposion, das Bhaktimotiv nach der Bhagavadgltä. Dabei wollen wir weder das Eros- noch das Bhaktimotiv ausschöpfen, sondern beide nur so weit zur Darstellung bringen, wie es zur Konfrontation mit Agape und MaitrI notwendig erscheint. Die Wandlungen und Erweiterungen, die das Erosmotiv im Aristotelismus und Plotinismus 1 ) und das Bhaktimotiv z. B. in dem Visistädvaita des Yämunamuni, des Rämänuja und seiner Nachfolger 2) erfahren haben, werden hier von der Untersuchung ausgeschlossen. Wir werden aber auf die Wirkung des Bhaktimotivs, sofern es konstitutives Element in dem Mahäyäna-Buddhismus geworden ist, hinweisen. I „ I c h behaupte, jedermann muß den Eros ehren, auch ich selbst ehre das Erotische und übe es sonderlich und empfehle es den andern."

Sokrates im

Symposion (212 B).

1) Das Erosmotiv ist älter als der Piatonismus, es ist in der griechischen Mysterienfrömmigkeit, in dem Orphismus, vorgebildet s ). Besteht aber ein Zusammenhang zwischen der Mysterienfrömmigkeit und Piatons Eroslehre —

26 und dieser Zusammenhang ist nicht zu leugnen —, so ist auch ohne weiteres deutlich, daß die Eroslehre einen bestimmten ordo salutis verkörpert4). Deshalb ist uns in unserem Zusammenhange die philosophische Bedeutung des Erosgedankens im Ganzen der platonischen Philosophie weniger von Interesse, unser eigentliches Interesse geht auf die religiöse Bedeutung des Erosmotivs bei Piaton. Der Zagreusmythos lehrt und erklärt uns die zwei Naturen im Menschen 5). Es ist im Menschen TitanischIrdisches, da der Mensch aus der Asche der Titanen gebildet ist, aber auch zugleich ein Göttlich-Himmlisches, da die Titanen den Zeussohn Zagreus verzehrt haben. Die göttliche Seele in dem irdischen Leibe: da ist „Menschennatur". Diese Seele will sich von den Banden des Irdischen und den Befleckungen durch das Irdische freimachen und strebt nach dem Göttlichen und der Vereinigung mit ihm. Ekstase und Ritus sind der Weg dazu. Diese Lehre von der Doppelnatur des Menschen ist aller Mysterienfrömmigkeit eigen. Der Hauptgedanke dabei ist der, daß zwischen Gott und Mensch keine unüberbrückbare Kluft (wie etwa im A.T.) besteht, sondern daß im Menschen, in der göttlichen Seele, eine Kraft lebt, die sich nach der Gottheit sehnt und die den Garanten für die Erhebung in die göttliche Sphäre bildet. Ist in den Mysterien durch Ekstase, Weihe, Reinigung die Entfesselung der Seele gewährleistet, so für Piaton durch die Philosophie (wobei aber zu beachten ist, daß auch für Piaton keineswegs die „Dialektik" allein, sondern- neben ihr die göttliche „Mania" die Emporhebung der Menschen-Seele in die göttliche Welt bewirkt). WWindelband erklärt in seinem Piatonbuch: „Die Weltanschauung, die er auf dem Weg der wissenschaftlichen Untersuchung als das Gesamtergebnis aller bis dahin aufgestellten Theorien gewann und begründete, war derartig, daß in ihrem Rahmen die Dogmen der dionysischen Seelenlehre Platz fanden und als notwendig sich daraus ergebende Folgerungen erscheinen konnten" 6).

27 2) Der Mensch steht zwischen zwei Welten, besser gesagt hat Anteil an zwei Welten, der Sinnenwelt und der Ideenwelt. An dem Menschen liegt es, sich von der einen Welt (Sinnenwelt) für die andere Welt (Ideenwelt) freizumachen. Der Weg des Menschen ist hodos ano 7 ), und es gibt nur einen Weg des Menschen, die Gottheit steigt nicht zu dem Menschen herab (wie auch die Ideen nicht teilhaben an den Dingen, sondern die Dinge teilhaben an den Ideen). „Ein Gott verkehrt nicht mit einem Menschen" (203 A). Führer auf der hodos ano ist dem Menschen der Eros. 3) Ist Eros ein Gott ? Ist Eros ein Mensch ? Keins von beiden, weder sterblich noch unsterblich, sondern ein Mittleres (metaxy) zwischen Sterblichem (thneton) und Unsterblichem (athanaton) [200 D/E]. Eros ist ein großer Dämon (megas daimon) und als Daimonion ein Mittleres zwischen Gott und Sterblichem (200 E). „Ein Gott verkehrt nicht mit einem Menschen, sondern durch dies (daimonion) vollzieht sich der Verkehr und das Gespräch zwischen Göttern und Menschen im Wachen und im Schlafe, und der in diesen Dingen Weise ist ein dämonischer Mann, der aber in anderem Weise, sei es in Fertigkeiten oder Handwerken, ist ein Banause. Diese Dämonen sind groß an Zahl und mannigfaltig, einer von ihnen ist auch der Eros" (203 A). Eros ist weder schön noch häßlich, weder gut noch schlecht ( 2 0 1 E + 202A). Seine Natur verdankt Eros seiner Entstehung, er ist Sohn der Armut (penia) und des Reichtums (poros). „Als Sohn von Reichtum und Armut ist Eros in solche Lage geraten: Erstens, er ist immer arm und viel fehlt, daß er zart und schön ist, wie die meisten glauben, sondern hart und rauh und barfuß und heimatlos, immer am Boden lagernd und ohne Decke, vor Türen und auf Straßen unter freiem Himmel schlafend, da er die Natur der Mutter hat, stets der Bedürftigkeit Genosse. Hingegen wie der Vater trachtet er dem Schönen und Guten nach, männlich, verwegen, eifrig, ein gewaltiger Jäger, immer Pläne schmiedend, nach Erkenntnis begierig, erfinderisch, sein ganzes Leben Weisheit suchend

28 (philosophon), ein gewaltiger Zauberer, Giftkundiger und Sophist" (203 C/D). Ist Eros weder häßlich noch schön und weder schlecht noch gut, so hat er aber eine bestimmte Tendenz: er trachtet dem Guten und Schönen nach. 4) „Der Eros ist erstlich Liebe zu etwas, sodann zu dem, woran er Mangel leidet" (200 E). Eros ist Sehnsucht, weil er arm ist. Eros als Sehnsucht geht auf das, was er haben will, aber noch nicht hat. Das Objekt, das Eros begehrt, muß begehrenswert, wertvoll erscheinen. Eros ist Liebe zur Schönheit, nicht zur Häßlichkeit (201 A), das Gute ist aber auch schön, also ist Eros auch Liebe zu dem Guten (201 C). Das Begehren ist motiviert durch den Gegenstand, auf den es sich bezieht. Das Begehren des Eros ist nach oben gerichtet, in die göttliche Welt 8), dadurch Begehren nach einem Wertvollen, und unterscheidet sich von dem bloß sinnlichen Begehren, das den Menschen an das zeitlich vergänglich Irdische bindet. In der Rede des Pausanias wird deutlich ein Unterschied zwischen vulgärem und himmlischem Eros gemacht (180/181). „Der griechische Eros ist ein Habenwollen, freilich auch in dem edleren Sinne, an dem Geliebten ein Gefäß für ideale Belehrung und sittlich höher bildende Kultivierung zu haben" 9). 5) Die Welt Gottes ist ohne „Liebe", die Welt Gottes ist für die sinnliche Welt Gegenstand der Liebe. Eros liegt auf seiten des Menschen. Göttliche Liebe kann sich nicht dem Menschen schenken, denn die Götter kennen keine „Liebe", weil sie „keinen Mangel haben", wie sollten sie sich eines Menschen „erbarmen"! Wie kämen sie dazu! Denn man liebt nur, was man nicht hat und was einem fehlt! Eine Liebe, deren Subjekt Gott ist, wäre im Piatonismus ein Streben nach einer höheren Existenzform, dies Streben wäre aber für einen Gott ein eitles Beginnen und sinnlos, da er selbst in die Welt des ens perfectissimum gehört. Eine Liebe, deren Subjekt Gott ist und die sich auf die Welt bezöge, wäre ein Streben nach einer niederen Existenzform, ebenso sinnlos und eitel wie das Streben nach einer höheren Existenz-

29 form. Deshalb gibt es keinen Verkehr und kein Gespräch zwischen Göttern und Menschen. 6) Welchen Nutzen bringt Eros ? Wer das Schöne liebt, liebt das Gute. Eros will dies Wertvolle für immer besitzen (206 A), denn „durch den Besitz des Guten sind die Glücklichen glücklich" (205 A). Mit dem Besitz des Wertvollen ist Eudämonie verbunden. Eros begehrt aber nicht nur das Gute, sondern mit dem Guten die Unsterblichkeit. „Zugleich mit dem Guten aber nach Unsterblichkeit zu trachten, ist notwendig auf Grund der Übereinkunft, daß Eros das Gute für immer besitzen will. Notwendig ist nach dieser Lehre, daß Eros nach Unsterblichkeit begehrt" (206 E/207 A). „Meinst du, Alkestis sei für Admetos gestorben oder Achilleus wäre dem Patroklos in den Tod gefolgt oder euer eigener Kodros habe sich für das Königtum seiner Söhne geopfert, wenn sie nicht geglaubt hätten, damit unsterblichen Ruhm zu erwerben, den wir ja auch bewahren ? Nein, weit davon entfernt ! Im Gegenteil glaube ich, daß alle alles tun wollen für unsterblichen Ruhm und solche Ehre, um so mehr, je edler die Menschen sind. Denn sie lieben das Unsterbliche!" (208 D/E). 7) Diotima kündet am Schluß ihrer Rede dem Sokrates ein Mysterium. Was ist die letzte Schau und oberste Weihe, die durch Diotima Sokrates zuteil werden? Diotima lehrt den Sokrates eine via salutis, den stufenweisen Aufstieg des Menschen kraft des Eros von den Dingen dieser Welt zu dem Eidos des Schönen, den Aufstieg in die Welt, in der allein das Leben lebenswert ist: „ D a s heißt richtig zu dem Erotischen gehen oder von einem anderen geführt werden, daß man von diesen schönen Dingen beginnend jenes Schönen wegen immer hinaufsteige, gleichsam stufenweise von einem zu zweien und von zweien zu allen schönen Leibern und von den schönen Leibern zur schönen Lebensführung und von der schönen Lebensführung zu den schönen Erkenntnissen, bis man von jenen Erkenntnissen schließlich zu jener E r kenntnis gelangt, die von nichts anderem als jenem Schönen selbst die Erkenntnis ist, und man schließlich das Schöne selbst (an sich) erkenne. Und hier, Freund Sokrates, sagte der Gast aus Mantinea, ist wenn irgendwo das Leben lebenswert für den Menschen, wenn er das Schöne selbst schaut." (211 B/D)

30 Wir bemerken, daß Eros den „Nächsten" zum eigenen Aufstieg benutzt. Die Liebe als Eros richtet sich auf den Nächsten nicht, weil er Nächster ist, sondern nur weil und insofern er teilhat an dem Eidos des Schönen. Was ist aber das Schöne selbst (an sich) 10 ) ? „Erstlich ewig seiend und weder entstehend noch vergehend, weder zunehmend noch abnehmend, sodann nicht hierin schön, hierin häßlich, auch nicht bald ja, bald nein, auch nicht so zwar schön, so aber häßlich, auch nicht dort schön, dort häßlich, wie für die einen schön, die anderen häßlich. Auch wird sich wiederum das Schöne ihm nicht offenbaren wie ein Antlitz oder Hände oder sonst etwas, was dem Körper angehört, auch nicht als ein Wort oder eine Erkenntnis, auch nicht irgendwo als in etwas anderem enthalten, in der Kreatur oder auf Erden oder im Himmel oder in etwas anderem, sondern als ein an sich für sich selbst eingestaltiges ewig Seiendes" (210 E/211 A. B). „Alles andere Schöne aber hat an jenem irgendwie derart teil, daß, wenn dies Andere entsteht und vergeht, jenes weder zunimmt noch abnimmt noch auch sonst etwas erleidet" (211 B). II „Ich

bin der Gleiche allen Wesen gegenüber,

ich habe weder Freund noch Feind.

Doch die in

Liebe mir anhangen, die sind in mir, in ihnen ich." Bhagavadgitä I X 29.

1) Die Bhagavadgitä ist das Hohelied der Bhakti. Die Theorie, daß in der Bhagavadgitä christlicher Einfluß spürbar sei, darf als antiquiert gelten, seitdem RGarbe nachgewiesen hat 1 1 ), daß das Wort bhakti in Indien schon in vorchristlicher Zeit auf das Verhältnis des Menschen zu Gott Anwendung gefunden hat. Mit RGarbe bin ich auch darin einig, daß der Grundcharakter der Bhagavadgitä rein theistisch ist 1 2 ). Inwieweit dieser Theismus der Bhagavadgitä mit pantheistischen Motiven und Philosophemen der SänkhyaYoga-Lehre durchsetzt oder gar unterbaut ist, und welche religiösen oder geistigen Schichten dementsprechend in der

31 Bhagavadgltä zu unterscheiden sind 13 ), interessiert uns nicht; wir setzen nur den theistischen Grundcharakter Gedichtes voraus und beschreiben die Stellen, in denen Aussagen über die Bhakti des Menschen zu Gott und Prasäda (die Gnade) Gottes finden.

hier des sich den

2) Die Gemeinschaft mit dem Herrn 13a) ist das Heilsziel der Bhaktireligion, das Heil wird erlangt durch Bhakti, das Heil selbst ist der Prasäda, die Gnade des Herrn. Visnu-Krsna ist der Herr, der eine Gott über allen andern Göttern, der Herr der Welt, ewig, ungeboren, anfanglos, der Ursprung des Alls und das Ende der Welt, der Träger und Bildner der Wesen; es gibt nichts Höheres als ihn (X 3. 8; VII 6 f . ; I X 5. 17 ff.) " ) . 3) Immer wieder tönt durch die Bhagavadgltä der Ruf: Nur die Liebe zu Gott, die vertrauensvolle Hingabe an den Herrn verbürgt das Heil, denn er allein rettet den Menschen aus der Todeswelt, er allein löst die Bindung des Menschen an die Welt, er allein befreit den Menschen aus dem ewigen, verhängnisvollen Samsära (XII 6 f . ; I X 20f.). Nicht Opfer, nicht Spenden, nicht Werk vermögen das zu erreichen, was die Bhakti erreicht. Opfer und Spenden läutern zwar den Menschen (XVIII 5), aber bringt man Opfer und Spenden, so soll man auf den Erfolg verzichten (XVIII 6), ebenso wie man das pflichtgemäße Werk in dem Lebensstande, in dem man sich befindet, tun soll, ohne Rücksicht auf Erfolg (XVIII 23). Der Erfolg alles Tuns soll dem Herrn anheimgestellt werden. „Durch Liebe erkennt er mich, wie groß und wer ich in Wahrheit bin. Wer mich so in Wahrheit erkannt hat, geht alsbald zu mir ein. Mag er auch alle Werke stets tun — auf mich ganz vertrauend erlangt er durch meine Gnade die ewige, unvergängliche Stätte Zu ihm nimm deine Zuflucht, mit ganzem Herzen, Bhärata; durch dessen Gnade wirst du den höchsten Frieden, die ewige Stätte erlangen Höre noch einmal mein geheimstes, erhabenes Wort. überaus teuer.

Du bist mir

Drum will ich dir verkünden, was zu deinem Heile dient.

Richte deinen Sinn auf mich, liebe mich, opfere mir, verehre mich. So wirst du zu mir eingehen.

Ich schwöre es dir. Du bist mir teuer.

32 Ja, gib alle religiösen Gebräuche auf, nimm bei mir allein deine Zuflucht.

Ich werde dich lösen von all deinem Schlimmen.

Sorge-nicht!"

( X V I I I 55 f., 62, 64 ff.)

Dieser Herr verlangt ganze Herzenshingabe, alles menschliche Tun fordert er im Hinblick auf ihn. Die Gnade des Herrn ist aber nicht an menschliches Werk gebunden. „Ich werde dich lösen von all deinem Schlimmen". Aus Gnaden offenbart der Herr sich dem Arjuna (XI 47). Die Gnade des Herrn ist Verheißung. „Sorge nicht!" Der Heilsweg der Bhakti steht allen Menschen offen. Jeder, der diese Bhakti übt —• mag er auch niederer Kaste angehören oder üblen Wandels sein — , erfährt die Gnade des Herrn. „Wenn sie an mich, Pärtha, allein sich halten, — sind sie auch von niederer Geburt,

Weiber, Vaiäyas und 6 üdras selbst, — sie wandeln doch

die höchste Bahn Wer mir allein und ganz und gar anhängt,

auch wenn er üblen

Wandels ist, der ist als Sädhu zu schützen, weil er sich recht entschieden h a t " (IX 32. 30).

Der Herr nimmt sich der „Verlorenen" an, die gläubig ihn verehren 14a ). Nur Eigenwille führt ins sichere Verderben, Bhakti hilft durch die Fährnisse des Lebens hindurch. „ D u wirst, auf mich dein Denken richtend, über alle Drangsale durch meine Gnade hinwegkommen. Wenn du dagegen aus Eigenwillen nicht hören willst, so wirst du ins Verderben geraten" (XVIII 58). Die Gnade des Herrn ist Helfer in der Not. 4) Auf einen wichtigen Unterschied zwischen Agape und Bhakti sei hier hingewiesen. Die Bhakti braucht keine Mitmenschenwelt, in der sie sich üben kann (vgl. dagegen i . Joh. 4, 21).

E s gibt in der Bhaktireligion kein Gebot, das

verlangte, die erfahrene Gottesliebe wieder den Mitmenschen gegenüber in die T a t umzusetzen, kein Gebot, das erklärt, „ D u sollst Gott lieben" ist gleich dem „ D u sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst".

B h a k t i ist

und bleibt nur Liebe des Menschen zu Gott.

5) Die Religion der Bhakti hat die Entwicklung des Buddhismus stark beeinflußt, ja man ist zu der Behauptung geneigt, daß der Buddhismus in der Form des Mahäyäna auch infolge Beeinflussung seitens der Bhaktireligion eine

33 neue Religionsform darstellt, die sich von der alten Buddhalehre wesentlich unterscheidet 15 ). In dem älteren Buddhismus selbst lag aber die Möglichkeit zur Aufnahme der Bhakti. Buddha selbst galt schon bald nach seinem Tode als ein Heiliger, und sicherlich bildete schon in der ältesten Gemeindepraxis der „Glaube an den Vollendeten" 16) die Vorstufe für die rechte Übung der sittlichen Zucht"). Buddha ist im nördlichen Buddhismus als der Buddha Amitäbha-Amitäyus, der Buddha des unermeßlichen Glanzes und des unendlichen Lebens, zu einer transzendenten, ewigen Gottheit geworden, dessen Wesen Gnade ist, durch die er die gesamte Menschheit rettet. Dieser Buddha verheißt das Paradies Sukhävati 18 ). Aber es ist bezeichnend, daß auch in dieser Mahäyänaform des Buddhismus das Paradies des Amitäbha doch nicht das letzte Heilsziel ist, sondern nur Vorletztes, Durchgangsstufe, Vorbereitung für das Nirväna, in dem alle Personalität aufhört, in dem es keine Gemeinschaft mit einem ewigen, persönlichen Gott gibt. Wie der Mensch den zum Gott gewordenen Buddha gläubig hingebungsvoll verehrt, mögen drei Beispiele zeigen. „Sei gnädig, o Herr der Götter, Herr der Welt, Sieghafter, Buddha, der du verehrungswürdig bist in der Welt, der du mir, der du den Guten verehrungswürdig bist, o Feind der Sünde, Feind der Werdelust, Feind der Sinnenlust, Feind des Dunkels

(der Unwissenheit)!

Dir fürwahr bin ich

ergeben mit Leib und Wort und Geist." „ N a h e t ihm alle mit Bhakti, dem Buddha von unermeßlicher Einsicht, der zum Licht geworden, dessen Lehre unvergleichlich ist, der das Dunkel verscheucht,

der sich auf gute Führung versteht,

dessen Taten

zur Ruhe gekommen sind." (Gebet an die Buddha's) „ I c h übergebe mich und alles samt allem den Überwindern und ihren Söhnen, nehmet mein Geschenk an, ihr ersten aller Wesen!

Zu euren Sklaven mache ich mich durch Bhakti.

Durch die von euch erwiesene Gnade bin ich furchtlos in bezug auf die Wiedergeburt. . . ." EXKURS

19 )

(zu Kap. I I 5).

Auf zweierlei sei hier noch hingewiesen: 1) Auch die Erlösungspraxis des Mahäyäna kennt die Maitri Winternitz I I 20. 36. 46 f. 56 f.). W e i n r i c h , Liebe im Buddhismus.

(vgl.

E s bedürfte einer Spezialuntersuchung, 3

34 die feststellt, (a) ob der Inhalt der altbüddhistischen Haitrl in dem Mahäyäna Modifizierungen erfahren hat oder nicht, (b) welche Stellung die Maitri im Ganzen der Erlösungspraxis des Mahäyäna im Vergleich zu der Stellung der Maitri im Ganzen der Erlösungspraxis des älteren Buddhismus einnimmt. 2) In dem Pantheon des Mahäyäna (das [wie auch schon der ältere Buddhismus in seinen späten Phasen] zahlreiche Buddhas in der Vergangenheit, Bodhisattvas usw. kennt [eine Charakteristik des buddhistischen Pantheons siehe z. B. bei Pischel, 1. c. 92 ff.]) spielt neben dem Buddha Amitäbha der Buddha Maitreya eine besondere Rolle. Dieser Buddha Maitreya, der „liebevolle Erbarmer", ist der Buddha der Zukunft, der die Welt einst von ihren Leiden erlösen wird. Die Theorie, die bei der Schöpfung dieser Gestalt christlichen Einfluß wirksam sehen will (/Dahlmann, Indische Fahrten 1908, I I 100 f.), ist abzulehnen. Diese Gestalt ist wahrscheinlich unter dem Einfluß des Maitrigedankens in Verbindung mit der allgemeinindischen Vorstellung von den Weltperioden (kalpa) und der iranischen Vorstellung von dem zukünftigen Erlöser entstanden (vgl. AGrünwedel, Buddhistische Kunst, 2 1900, 167: „Die Ähnlichkeit der Vorstellung von dem künftigen Buddha Maitreya mit dem Erlöser der Pärslreligion Saoshyant ist ganz auffallend. Wenn wir nun auch nicht wissen, wann bei den Iraniern die Legende vom Saoshyant sich so entwickelt hat, wie sie jetzt vorliegt, so ist doch die dominierende Stellung des Maitreya innerhalb der nördlichen Kirche sicher beeinflußt").

Drittes Kapitel. Wir beschreiben im dritten K a p i t e l d i e charakteristischen Züge in dem Wesen der Agape 2) nach den drei Hauptschichten innerhalb des N. T.: nach den synoptischen Evangelien, den paulinischen Briefen und der johanneischen Literatur, und vervollständigen die Beschreibung der Agape in Kapitel 5 und 6. I Wir stellen zunächst eine Reihe von Leitsätzen, die Feststellungen prinzipieller Art über Bedeutung, Wesen und Stellung der Agape in dem neutestamentlichen Evangelium enthalten und die gleichzeitig die Agape gegen Eros und Bhakti abgrenzen sollen, auf: 1) Mit dem Terminus Agape wird im N. T. dreierlei bezeichnet: (a) die Liebe Gottes zu den Menschen, (b) die Liebe des Menschen zu Gott und (c) die Nächstenliebe. Eros ist Liebe des Menschen zu dem Schönen und Guten, Bhakti ist immer nur Liebe des Menschen zu dem Herrn (und MaitrI, so werden wir sehen, ist stets „Liebe" des Menschen zu der gesamten Kreatur). 2) Agape ist das „Grundmotiv" des Christentums, das „Kernstück" der christlichen Verkündigung3). Wir haben zu untersuchen, ob MaitrI „Grundmotiv", „Kernstück" f des Buddhadharma ist oder nicht. 3) Wir haben gesehen, daß Eros nie Liebe Gottes zu den Menschen ist; „denn ein Gott verkehrt nicht mit einem Menschen". Der platonische Mensch sucht von sich aus kraft des Eros zur Gottheit emporzusteigen, Eros ist der Weg des Menschen zu Gott. Sowohl die alttestamentliche als auch die neutestamentliche Religion sind sich aber darin einig, daß der Mensch von sich aus mit Gott nicht in Verkehr treten 3*

36 kann. Im N. T. ist die „Liebe Gottes der Ausdruck der Beziehung, in die Gott zur Menschheit tritt" 4). Agape als Liebe Gottes zu den Menschen ist der Eros-Religiosität (dagegen nicht der Bhakti-Frömmigkeit, denn der prasäda Gottes schließt die „Bhakti" Gottes zu den Menschen ein) etwas durchaus Vernunftwidriges (vgl. Kap. 2, I 5). 4) Agape als Liebe Gottes zu den Menschen ist schlechthin „frei", „unbedingt" und „unmotiviert", sie wird nicht durch eine menschliche Leistung (Kultus, Sakramente, Ethos) gewährleistet und kann von dem Menschen als „gerechte" Gegenleistung Gottes von Gott nicht „gefordert" werden. Der Agape Gottes in ihrer freien Souveränität wird durch menschliches Verdienst oder Nichtverdienst keine Grenze gesetzt. Ebenso „frei", „unmotiviert" und „unbedingt", wie die Agape Gottes ist, soll auch die Agape als Nächstenliebe und Liebe zu Gott sein. 5) Agape als Liebe Gottes schafft Wert, indem sie auch das „Verlorene", den Sünder, sucht 5 ) und ihn von der Gemeinschaft mit Gott nicht ausschließt, sondern in diese Gemeinschaft aufnimmt. Die Agape Gottes gründet sich nicht auf die Qualität des Menschen. Eros ist immer nur Streben des Menschen nach dem Erstrebenswerten, Liebe zu einem bestimmten Wert, dem Schönen oder Guten, Eros ist nie etwa Liebe zu dem sündigen Menschen 6). 6) Agape, so wie sie das N. T. versteht (Sünderliebe, Feindesliebe), ist für den „natürlichen" Menschen etwas schlechthin Unbegreifliches, Paradoxes, Absurdes, ein „Ärgernis und eine Torheit". 7) Eine Liebe zu Gott, deren praktisches Korrelat in dieser Welt die Nächstenliebe ist, kennt weder die ErosReligiosität noch die Bhakti-Frömmigkeit. 8) In der Person, der Botschaft, dem Leben und dem Kreuz Jesu ist das, was das N. T. unter Agape versteht, ein für allemal sichtbar geworden. Person, Botschaft, Leben und Kreuz Jesu sind darum der Grundstein, der die christliche Verkündigung trägt.

37 II „Agape

ist

der neue

Wein,

der

Schläuche zerreißen muß" ( A N y g r e n )

die

alten

T

).

1) Die Gemeinschaft Gottes mit den Menschen, die das Evangelium Jesu kündet, ist eine Liebesgemeinschaft. Die Predigt von dieser Gemeinschaft Gottes mit den Menschen ist in der Hochprophetie Israels (Hosea, Jeremia, Deuterojesaja) vorbereitet 8 ), hat aber dort noch nicht die äußere und innere Spannweite und radikal durchschlagende Formulierung wie in der Verkündigung Jesu. Diese Liebesgemeinschaft nimmt alle auf, auch den Sünder, den Feind Gottes. Die Gemeinschaft Gottes mit den Menschen, die der Pharisäismus, als Prototyp der den Prophetismus in Israel ablösenden jüdischen Gesetzesreligion, lehrte, ist eine Rechtsgemeinschaft. In diese Rechtsgemeinschaft können nur „Gerechte", dagegen nicht „Sünder" aufgenommen werden. Jesu Kampf gegen den Pharisäismus war ein Kampf gegen eine bestimmte religiöse Wertordnung. Dieser Kampf Jesu gegen den Pharisäismus war nicht willkürlich vom Zaune gebrochen, sondern richtete sich voll heiligen Ernstes auf Grund einer neuen Offenbarung Gottes gegen die Substanz der zum System einer Soteriologie erhobenen Gesetzesfrömmigkeit. Jesus sagt Mk. 2,17: ,,Ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu berufen, sondern Sünder". Vom Gesichtswinkel der pharisäischen Frömmigkeit aus mußte Jesu Verkündigung und Handlungsweise als eine Blasphemie erscheinen 9). 2) Jesu Kampf gegen den Pharisäismus galt (abgesehen von der Heuchelei und dem Egoismus, die nicht zur Lehre, wohl aber zu den Auswüchsen der pharisäischen Gesetzesreligion gehörten), vor allem zweierlei: (a) der Stellung des Pharisäismus zu dem Sünder und (b) dem Wesen der Gesetzlichkeit. a) Der „Sünder" war dem Pharisäismus der schlechthin verlorene Mensch. Gott kennt keine Gemeinschaft mit dem Sünder. „Gib dem Frommen und nimm dich nicht des Sünders an Auch der Höchste haßt die Sünder"

38 (Sirach 12, 4. 6). „Schütte dein Brot aus auf das Grab der Gerechten und gib es nicht den Sündern" (Tobias 4,18). Dem Lehrer des jüdischen Nomos ist es selbstverständliche Tatsache, daß der Gerechte unter Jahwes Gnade steht, daß ihm, und nur ihm allein, und nicht etwa dem Sünder, Jahwes „liebevolle Gerechtigkeit" gilt. Jesus geht zu den Sündern. In Gottes Auftrag, in Seinem Namen handelt Jesus. Wie Jesus die Sünder ruft, so auch Gott. Jesu Gott erbarmt sich des Sünders, ja liebt den Sünder. Dem Pharisäismus ist daher Jesus der „Zöllner und Sünder Geselle" (Mt. 1 1 , 1 9 ; Mk. 2,15). Die von dem jüdischen „göttlichen" Gesetz gebotene Sittlichkeit schien Jesus mit Füßen zu treten 10). Jesus ist gütig zur Dirne (Lk. 7, 37 ff. „Deine Sünden sind dir vergeben"), und er „richtet" die Ehebrecherin nicht (Joh. 8,1 ff. „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie"). Das Fundament der geltenden Religion und Moral des Gesetzes wird von Jesus erschüttert und zerstört n ) . b) Die Gesetzlichkeit kennt nur einzelne Gebote und Verbote, die alle gleich-wichtig, gleich-wertvoll sind. Die Ethik der Gesetzlichkeit erhält in der Praxis kasuistischen Charakter. Unter allen möglichen Einzelvorschriften der pharisäischen Frömmigkeit spielt das Sabbathgebot eine besondere Rolle. Eine Heilung z. B. war am Sabbath verboten (Mk. 3, 2). Was sagt Jesus dazu? „Darf man am Sabbath Gutes tun, oder soll man Böses tun ? Darf man ein Leben retten, oder soll man töten ?" (Mk. 3, 4). Was steht, so meint Jesus, höher: die strikte Innehaltung einer bestimmten Gesetzesvorschrift oder das „Gebot" der Nächstenliebe? „Vor der Not des Menschen und dem Gebot der Liebe hat der Sabbath mit seiner Heiligkeit einfach zurückzutreten" (HWeinel) 12). Jesus will nicht dies oder jenes einzelne Gebot korrekt eingehalten wissen, sondern was in konkreter Lage Gott von dem Herzen des Menschen verlangt, macht er zur Richtschnur. Was aber Gott von dem Herzen des Menschen verlangt, ist Liebe und Güte und nicht korrekte Innehaltung

39 einer bestimmten Gesetzesvorschrift. Darum ist ihm das Liebesgebot (ohne jedwede kasuistische Auslegung patentierter Gesetzesanwälte) auch Haupt-Gebot. Nicht der Buchstabe des Gesetzes, sondern der Geist der Liebe entscheidet! Deshalb hilft es nicht, über das Gesetz Tag und Nacht nachzudenken, um von Fall zu Fall die richtige Entscheidung im Leben treffen zu können und durch jeweils korrektes Handeln vor Gott als „Gerechter" dazustehen, aber dabei das Wesentliche, die Liebe, zu vergessen! Der Angriff Jesu auf die Wertordnung des jüdischen Nomos war nicht nur ein Kampf gegen den jüdischen Nomos, sondern wurde, als das Evangelium durch Paulus in der Form des Wortes vom Kreuz i . Kor. i , 23, d. h. der Liebe Gottes [vgl. dies Kap. Abs. IV], in die antike Welt getragen wurde, ein Kampf gegen die antike Wertordnung überhaupt 1 3 ). Jesus hat eine neue religiöse Wertordnung geschaffen. Nietzsche hat die durch das Christentum vollzogene Umwertung aller antiken Werte in folgende Worte gefaßt: „Die modernen Menschen mit ihrer Abstumpfung gegen alle christliche Nomenklatur fühlen das Schauerlich-Superlativische nicht mehr nach, das für einen antiken Geschmack in der Paradoxie der Formel ,Gott am Kreuz' lag. E s hat bisher noch niemals und nirgendwo eine gleiche Kühnheit im Umkehren, etwas gleich Furchtbares, Fragendes und Fragwürdiges gegeben wie die Formel: sie verhieß eine Umwertung aller antiken Werte" (Jenseits von Gut und Böse 3. Hauptstück 46).

3) Der erste Johannesbrief (2, 7 f.; vgl. Joh. Ev. 1 5 , 1 2 ) nennt das Liebesgebot das neue Gebot Jesu, und Paulus sagt Rom. 13, io, die Liebe sei die Erfüllung des Gesetzes. Johannes und Paulus treffen damit in der Tat das Wesentliche in der Botschaft Jesu (Mk. 12, 28 ff.). Zu dem Liebesgebot, das wir in Kap. 5 behandeln, bemerken wir hier folgendes 1 4 ): (a) Wer Gott lieben will, muß mit zwei irdisch-dämonischen Mächten brechen, dem Mammon und der Prestigesucht (Mt. 6, 24; Lk. 1 1 , 43). „Niemand kann zwei Herren dienen; denn er wird entweder den einen hassen und den andern lieben, oder er wird dem einen anhangen und den andern mißachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon." „Wehe euch Pharisäern! Ihr liebt den Ehrenplatz in den Synagogen und wollt auf den Märkten gegrüßt sein."

40 (b) Wer den Nächsten lieben will, muß dem andern dienen können, zum letzten Opfer bereit sein, alles, was sein ist, drangeben können, und die Nächstenliebe hat nicht Halt zu machen vor dem Sünder und dem Feind. Jesus fordert Feindesliebe („Liebet eure Feinde" Mt. 5,44) und Segnen, Wohltun und Beten für den Feind. [Vgl. auch Jesu Stellung zu dem Volksfeind Lk. 9, 51 ff. und Jesu Fürbitte für die feindliche Welt Lk. 23, 34.]

4) Jesus fordert den unbedingten Anschluß an seine Person und besondere Liebe zu seiner Person. „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert; und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert" (Mt. 10, 37 f.).

III „Wäre Gerechtigkeit das Beste in der Welt, dann hätte Jesus umsonst gelebt und Irriges gelehrt" (HWeinel) 15). E s ist eine bekannte Tatsache, daß das Wort agape bei den Synoptikern nur an zwei Stellen (Mt. 24, 1 2 ; Lk. 1 1 , 42) vorkommt. Das Verbum agapan ist gleichfalls innerhalb der Synoptiker nicht allzu häufig zu finden. Wollten wir aber aus diesem Tatbestand den Schluß ziehen, Liebe sei nicht das Grundmotiv der Verkündigung Jesu, so wären wir im Irrtum. Auch innerhalb der Gleichnisse Jesu ist das Agapemotiv als Hauptmotiv vorhanden. Wir interpretieren hier eine Reihe von Gleichnissen, um zu zeigen, daß das, was das Wort agape, bzw. agapan meint, auch in Gleichnissen Jesu deutlich sichtbar ist, wenn auch der Terminus agape, bzw. agapan nicht gebraucht wird.

1) Die Arbeiter im Weinberg (Mt. 2 0 , 1 ff.). Der Hausherr zahlt gleichen Lohn für ungleiche Arbeitsleistung. Die Arbeiter mit der größeren Arbeitsleistung können die Handlungsweise des Hausherrn nicht verstehen, ihre Klage und ihr Unwille über das Verhalten des Hausherrn scheint voll berechtigt. Denn das Rechtsprinzip verlangt Leistung und Lohn wohlproportioniert. Die Arbeiter mit der größeren Arbeitsleistung verlangen gegenüber ihren Mitarbeitern mit

41 der geringeren Arbeitsleistung Gerechtigkeit, d. h. sie wollen ihre Arbeit mit einem größeren Lohn belohnt wissen. Aber wenn die Arbeiter mit der größeren Arbeitsleistung einen größeren Lohn verlangen, so ist dies ein Unrecht. Ihnen geschieht recht. „Mein Freund, ich tue dir nicht Unrecht; bist du nicht um einen Denar mit mir eins geworden? Nimm dein Geld und geh!" (13 f.) Der Hausherr beruft sich gegenüber den Arbeitern mit der größeren Arbeitsleistung auf den mit diesen abgeschlossenen Arbeitsvertrag. Die Arbeiter mit der größeren Arbeitsleistung haben kein Anrecht auf größeren Lohn. Der Hausherr hält sich an seinen Vertrag. Wenn der Hausherr den Arbeitern mit geringerer Arbeitsleistung denselben Betrag wie denen mit der größeren Arbeitsleistung zahlt, so ist das Ausdruck seiner Güte, seiner Liebe. „Siehst du darum so scheel, weil ich so gütig bin?" (15) Die Arbeiter mit der größeren Arbeitsleistung können und dürfen nicht die Güte ihres Hausherrn benutzen, um auf Grund dieser Güte eine andere Rechtsforderung stellen zu können. Wer innerhalb der Rechtsordnung lebt, kann und darf sich nur auf diese Rechtsordnung berufen. Wo Liebe herrscht, ist das Recht antiquiert. Die Liebe kann nicht zur Grundlage einer bestimmten Rechtsforderung gemacht werden. Die Güte des Hausherrn ist durchaus unmotiviert. Ein bestimmtes Verhalten der Arbeiter mit der geringeren Arbeitsleistung gibt nicht irgendwie Anlaß zu der Güte des Hausherrn. Die Güte des Hausherrn ist und bleibt souverän, unbedingt, ist nicht an einen bestimmten Arbeitswert gebunden. 2) Der verlorene Sohn (Lk. 1 5 , 1 1 ff.). Der ältere Sohn ist Vertreter der Rechtsordnung. Er verlangt mit Recht in seinem Sinne statt Liebe, Güte, Gnade das, was sein jüngerer Bruder verdient hat: gerechte Strafe. „Sieh, — sagt der ältere Sohn zu seinem Vater —, schon so viele Jahre diene ich dir und habe noch nie ein Gebot von dir übertreten; doch mir hast du noch nie ein Böcklein gegeben, damit ich mit meinen Freunden ein fröh-

42 liches Mahl hielte.

Nun aber dieser dein Sohn heimgekehrt ist, der dein

Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du ihm das gemästete Kalb schlachten lassen" (29 f.).

„Der Vater ist nicht gerecht, er straft nicht, er predigt nicht: er liebt" 1 6 ). Der Vater, der seinen Sohn wieder aufnimmt, kennt keine Wenn und Aber, knüpft die Aufnahme des Sohnes nicht an gewisse Bedingungen. „Der Vater befahl seinen Knechten: Holt schnell das beste Gewand und legt es ihm an; gebt ihm einen King an die Hand und Schuhe an die Füße, und bringt das gemästete K a l b her, schlachtet es und laßt uns essen und fröhlich sein!

Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig

geworden; er war verloren und ist wiedergefunden worden" (22 ff.).

Das Verhalten des Vaters ist dem älteren Sohn als dem Vertreter der Rechtsordnung gegen die Vernunft, dem jüngeren Sohn, der doch nur wieder einfacher Arbeiter bei seinem Vater werden wollte, gleichfalls unbegreiflich. Beide Söhne können das Verhalten ihres Vaters nicht fassen. Der ältere Sohn empfindet, daß das Verhalten des Vaters dem jüngeren Sohne gegenüber „unverdient" ist, und der jüngere Sohn sieht, daß das väterliche Verhalten ihm gegenüber „ohne allen Grund" besteht, jeglichen Motivs entbehrt. Wiederum begegnet uns hier Agape als unbedingt, unmotiviert und freisouverän. [Wir müssen auch heute noch feststellen, daß die philiströse Gerechtigkeitsmoral immer für den älteren Sohn Partei ergreift (z. B. M. Ludendorff in dem Buche Erlösung von Jesu Christo).

Allen gerecht denkenden Men-

schen ist die Stellungnahme des älteren Sohnes durchaus plausibel und die einzig mögliche.]

3) Der Schalksknecht (Mt. 18, 21 ff.). Was will dies Gleichnis sagen? Die Agape Gottes erläßt Schuld, und ebenso wie Gottes Agape Schuld erläßt, soll auch der Mensch dem Mitmenschen gegenüber die Schuld erlassen. Der Mensch darf nicht auf der einen Seite Gottes Liebe gnadenweise entgegennehmen und auf der anderen Seite den Mitmenschen, der die Schuld nicht zahlen kann, ins Gefängnis werfen lassen.

43 „ D u böser Knecht!

Jene ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du

mich darum batest; hättest du da nicht auch Mitleid mit deinem Mitknecht haben müssen, wie ich Mitleid mit dir gehabt h a b e ? " (32 f.)

Der Mensch kann nicht einerseits Gott gegenüber in einer Liebesgemeinschaft leben und andererseits im Leben auf Grund einer Rechtsordnung dem Mitmenschen gegenüber auf sein Recht pochen. Wie oft soll der Mensch dem Mitmenschen, der sich vergeht, vergeben? Immer, ohne Bedingung, ohne irgendwelche heilige Hinterabsicht. „Nicht bis siebenmal, sondern bis siebenzigmal siebenmal" (22). 4) Der barmherzige Samariter (Lk. 10, 25 ff.). Wie handelt der Samariter? Er fragt nicht, was ist das für ein Mensch, der meiner Hilfe bedarf. Sondern weil dieser Mensch der Hilfe bedarf, darum hilft ihm der Samariter. Rechnet aber der Samariter etwa auf eine Belohnung seiner Hilfe? Auch dies nicht. Der Samariter will nicht einmal seine Auslagen zurückbezahlt haben. „Und wenn du etwas mehr brauchst, so will ichs bezahlen, wenn ich wiederkomme". Die helfende Liebe des Samariters ist vollkommen. Sie ist „unbedingt", ohne Berechnung. Ohne Rücksicht auf das Ansehen der Person, ohne Hoffnung auf Lohn und Dankbarkeit hilft der Samariter. Priester und Levit hätten helfen müssen, haben es aber nicht getan, und ein den Juden verhaßter Volksfeind, ein Samariter, hat die helfende Liebe gezeigt, die Gott, der die Liebe ist, von den Menschen verlangt. 5) Das verlorene Schaf (Lk. 1 5 , 1 ff. [ + Par. Mt. 18,12 ff.]). Das Gleichnis vom verlorenen Schaf ist uns in doppelter Fassung überliefert. Bei Lk. soll dies Gleichnis die Gemeinschaft Jesu mit den Zöllnern und Sündern rechtfertigen, Mt. zeigt auf Grund dieses Gleichnisses die Liebe Gottes auch zu den Kleinen. Aber in beiden Fassungen enthält dies Gleichnis das Agape-Motiv, wenn auch in verschiedener Ausprägung. Beidemal ist für die Agape charakteristisch, daß sie auch das, was in der Welt keinen Wert hat oder noch

44 keinen Wert hat, nicht ausnimmt, sondern sich gerade auf dies richtet und diesem Wert verleiht. 6) Pharisäer und Zöllner (Lk. 18, ioff.). Weder eine moralische Leistung noch ein kultisch-sakrales Verhalten haben ein Anrecht auf Gottes Liebe, auf die „Rechtfertigung". Nur wer sich in seinem Schuldgefühl Gott gegenüber dem Gott der Liebe anbefiehlt, darf auf die Liebe Gottes, die Sünden vergibt, hoffen und diese Liebe entgegennehmen. Darum geht der Zöllner „ganz anders gerechtfertigt" als der Pharisäer in sein Haus hinab. E r hatte die Liebe Gottes empfangen, ohne vorher Gott seine Leistung vorgerechnet zu haben, er wußte Gott gegenüber nur das Eine zu sagen: „Gott sei mir Sünder gnädig". Vor Gott, der die Liebe ist, gilt nicht die Überzeugung von der eigenen Gerechtigkeit (vgl. Lk. 18,9). Darum kann es an anderer Stelle heißen, daß Zöllner und Dirnen eher in das Reich Gottes kommen als die „patentierten Gerechten" (Mt. 21, 31). EXKURS. „Jesus ist für sich und seine Jünger über das Recht hinaus" (HWeinel). Man könnte einwenden, das Agapemotiv sei gar nicht das eigentlich allein Zentrale in der Verkündigung Jesu, und zwar deshalb nicht, weil das Motiv der vergeltenden Gerechtigkeit gleichfalls neben dem Agapemotiv eine doch scheinbar große Rolle in der Verkündigung Jesu (und des Paulus, so können wir hinzufügen) spiele. [Beispiele: „Ich sage euch aber: Von jedem nichtsnutzigen Worte, das die Menschen reden, davon werden sie Rechenschaft am Tage des Gerichts zu geben haben; denn nach deinen Worten wirst du gerecht gesprochen werden, und nach deinen Worten wirst du verurteilt werden" (Mt. 12, 3öf.). „Wenn du Almosen gibst, so laß deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut, damit deine Mildtätigkeit im Verborgenen bleibe; dein Vater, der auch ins Verborgene sieht, wird es dir alsdann vergelten" (Mt. 6. 3 f.). „Mit deinem Starrsinn und unbußfertigen Herzen häufst du dir selbst Zorn auf für den Tag des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der einem jeden den Lohn nach seinen Werken erteilen wird" (Rom. 2, 5 f.).

45 „ W i r müssen alle vor dem Richterstuhl des Christus offenbar werden, damit ein jeder den Lohn für sein leibliches Leben empfange, jenachdem er gehandelt hat, es sei gut oder böse" (2. Kor. 5, 10).] Darauf ist zu erwidern: Gewiß, dieser Tatbestand ist vorhanden. Aber, so ist hinzuzufügen, wo auch immer wir in der Religionsgeschichte eine neue Stufe der Religion ins Dasein treten sehen, müssen wir feststellen, daß diese neue Stufe niemals „rein" in Erscheinung tritt, sondern immer mit Inhalten der vergangenen Stufe behaftet ist. Keine Religion ist von diesem „Gesetz der Religionsgeschichte" ausgenommen, auch nicht die christliche. Deshalb dürfen wir uns nicht verwundern, auch in Sprüchen und Gleichnissen Jesu (und in Briefen des Paulus und auch sonst im N. T.) neben dem Agapemotiv das Gerechtigkeitsmotiv zu finden, obwohl das Agapemotiv das gerade Gegenteil von dem Gerechtigkeitsmotiv ist.

IV Das Agapemotiv ist wie in dem Evangelium Jesu so auch in der Verkündigung des Paulus das Grundmotiv. Die Religion des Paulus ist „Gnadenreligion, die Religion der vollendeten, übergerechten Liebe Gottes" (HWeinel) "). Gott ist ein „Vater des Erbarmens" (2. Kor. 1, 3), kata charin, chariti, dia charitos handelt er. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, bekennt Paulus 1. Kor. 15, 10. Die Gnade Gottes — mit diesen Worten beginnt und schließt er seine Briefe. Gnade ist „göttliche Liebesgesinnung" (Rom. 3, 24; 4, 4; 5, 15). Statt Gnade Gottes kann Paulus auch Liebe Gottes sagen (vgl. Rom. 5, 8; 2. Kor. 13,13). Die Worte Gnade und Liebe meinen dasselbe. Deshalb kann Paulus den Gott der Gnade auch „ G o t t der Liebe" nennen (2. Kor. 13, 11). Die Auffassung von der Gottesgemeinschaft als einer Liebesgemeinschaft haben Jesus und Paulus gemein, und diese Auffassung von der Gottesgemeinschaft ist in dem Evangelium des Paulus auch das allein Wesentliche. Aber die Verkündigung des Paulus hat auch ihre Besonderheiten. Vor allen andern die, daß Jesus Christus selbst Inhalt des Evangeliums ist. D a ß ferner die Gesetzesreligion und Gedanken der Eschatologie und Apokalyptik, die Mystik und die Sakramentsreligion die paulinische Verkündigung stark beeinflußt haben, auf diesen Tatbestand weisen wir hin, ohne hier näher darauf eingehen zu können. Wir heben aus der Verkündigung des Paulus folgende Gedanken, die uns in unserem Zusammenhange wichtig erscheinen, hervor:

1) Paulus kämpft ebenso wie Jesus gegen die Gesetzesreligion und zerbricht sie. Der Weg des Gesetzes ist für Paulus ein Irrweg, da kein Mensch das Gesetz wirklich erfüllen kann. Aufgrund des Gesetzes wird niemand bei Gott

46 für gerecht erklärt (Rom. 3, 20; Gal. 3 , 1 1 ) 1 8 ) . Denn alle Menschen sind Sünder und haben keinen Anspruch auf das Heil, die Gerechtsprechung im gerechten Gericht Gottes (Rom. 3, 23). Das Gesetz bringt nur Erkenntnis der Sünde, ja die Sünde selbst (Rom. 3, 20; 7, 7). Der Weg des Gesetzes ist Weg zum Tode (Rom. 7,10). Wie aber wird der Mensch gerettet? Durch „Gottes-Gerechtigkeit"19). Die Menschen werden geschenkweise (dorean) durch die Gnade Gottes gerechtfertigt vermöge der Erlösung in Christus Jesus (Rom. 3, 24) ao ). Gottes Geschenk an die (sündigen) Menschen ist das Geschenk der „Gottes-Gerechtigkeit". Diese GottesGerechtigkeit ist nicht an eine menschliche ethische oder kultische Leistung gebunden. Dieser Gott aber, der den Sünder für gerecht erklärt (Rom. 5, 9; vgl. 4, 5), ist der Gott der unbedingten, vollkommenen Liebe. Gottes Wesen ist Gnade, Gottes Wesen ist Liebe — das ist der Grundgedanke der Rechtfertigungslehre 21). 2) Paulus gibt in dem 1. Korintherbrief 2, 2 als Thema seiner Verkündigung an: „Ich hatte mir vorgenommen, kein anderes Wissen unter euch zu zeigen als das von Jesus Christus, und zwar dem Gekreuzigten". Evangelium ist für Paulus zutiefst das Wort vom Kreuz: „Wir predigen Christus als den Gekreuzigten" (1. Kor. 1, 23). Das Kreuz ist für Paulus das Wahrzeichen der Gottesgemeinschaft, die eine Liebesgemeinschaft ist. In dem Kreuz des Christus hat diese Gottesgemeinschaft sichtbaren Ausdruck gefunden: Die Liebe Gottes offenbart sich in dem Kreuz des Christus Darum sind für Paulus die Liebe Gottes und die Liebe des Christus im Grunde eins. Wir greifen aus der Menge der Stellen, die bei Paulus die theologia crucis enthalten, folgende heraus: „Christus ist ja, als wir nach Lage der Dinge noch schwach waren, für Gottlose gestorben.

Denn kaum wird sonst wohl jemand für einen

Gerechten in den Tod gehen — für den Guten entschließt sich vielleicht noch jemand dazu, sein Leben zu lassen.

Gott aber beweist seine Liebe zu

uns dadurch, daß Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren" (Rom. 5, 6 — 8 ) .

47 (a) Wenn wir wissen wollen, was Agape zutiefst ist, müssen wir auf das Kreuz des Christus sehen. Das Kreuz des Christus zeigt die Liebe, die das Leben hingibt, sich opfert. (b) „Gott beweist seine Liebe zu uns dadurch, daß Christus für uns gestorben ist" . . . . Wenn wir von Gottes Agape reden, so müssen wir das Kreuz des Christus nennen, das Kreuz des Christus können wir aber nicht erwähnen, ohne daß wir zugleich von der Agape Gottes sprechen. (c) Nirgends zeigt sich die Unmotiviertheit und die Unbedingtheit der Agape deutlicher als in der Agape des Kreuzes. „Für

den Guten entschließt sich vielleicht noch jemand dazu, sein

Leben zu lassen."

Christus ist aber für „Schwache", für „Sünder", ja für „Gottlose" gestorben. „Mit dieser Beschreibung der Agape des Kreuzes hat Paulus den höchsten Ausdruck für die Agape Gottes, der je gegeben worden ist und überhaupt gegeben werden kann, erreicht" (ANygren). Sachlich dasselbe wie Rom. 5, 8 meint auch 2. Kor. 5, 18 ff. (die Lehre von der Versöhnung, vgl. auch Röm. 5, 10). (2. Kor. 5, 18).

Gott versöhnt die Welt mit sich.

T a t des Christus.

„Alles kommt von

Gott"

Gott ist das Subjekt der

Nicht Christus versöhnt die Menschen mit Gott, sondern

Gott hat in Christus die Welt mit sich versöhnt.

Gott sendet seinen Sohn,

er läßt seinen Sohn für die „Feinde Gottes" sterben (Röm. 5, 10), um die Welt mit sich zu versöhnen.

Gott hat den „Dienst der Versöhnung" ge-

stiftet, und die Apostel verkünden das Wort von der Versöhnung (2. Kor. 5. 2 0 ) " ) .

3) Auch in der Lehre von der Prädestination (wir sehen hier ab von den Widersprüchen, in die sich Paulus Röm. 9 — 1 1 beim Vortrag dieser Lehre verwickelt) 23) ist das Agapemotiv das Grundmotiv. Diese Lehre ist gewißlich als „rationalisiertes Dogma eine Unmöglichkeit". Sie ist aber nichts anderes als der Ausdruck der freien Souveränität, Unbedingtheit und Grenzenlosigkeit der Liebe Gottes: „Gott hat die ganze Menschheit in Ungehorsam fallen lassen, um Erbarmen an allen zu üben" (Röm. 11, 32). Paulus will

48 mit diesem Satz sagen, daß alles Heil für alle nur aus der Gnade, aus der Liebe Gottes kommt. „ S o ist der Prädestinationsglaube der menschlich-begrenzte Ausdruck für das Bewußtsein, mit seinem Schicksal ganz in Gott gegründet zu sein" M ). 4) Die Agape Gottes und die Agape des Christus sind Grundlage der Agape der Gemeinschaft. Von Gott und Christus nimmt alles den Ausgangspunkt, was sich Agape nennen darf. „Die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen durch den heiligen Geist, der uns verliehen ist" (Rom. 5, 5). „ S o seid nun Gottes Nachfolger als die lieben Kinder und wandelt in der Liebe, wie auch Christus euch geliebt hat und sich selbst dargebracht für uns als Gabe und Opfer" (Eph. 5, 1 f.). „Vergebet einer dem andern, gleichwie Gott euch vergeben hat in Christo" (Eph. 4, 32). „ I n Liebe dienet einander" (Gal. 5, 13). „Niemand sei auf seinen eigenen Vorteil bedacht, sondern auf die Förderung des andern" (1. Kor. 10, 24; vgl. Phil. 2, 4). „ I n der Bruderliebe seid gegeneinander voll Herzlichkeit" (Rom. 12, jo) 25 ). „Wer Barmherzigkeit übt, tue es mit Freudigkeit" (Rom. 12, 8). „Freuet euch mit den Fröhlichen und weinet mit den Weinenden" (Rom. 12, 15).

Die Nächstenliebe 26) ist bei Paulus an Umfang unbegrenzt und unbedingt. So wie Gottes Liebe alle Menschen ohne Ausnahme umfaßt, so beschränkt sich die Nächstenliebe nicht nur auf die Brüder (1. Thess. 4, 9), sondern richtet sich auf alle (1. Thess. 3 , 1 2 ; 5 , 1 5 ) . Auch der Feind ist von dieser Liebe nicht ausgeschlossen (Rom. 1 2 , 1 4 ; vgl. aber auch Gal. 6 , 1 0 und Rom. 1 2 , 1 8 ) . Paulus sagt Rom. 15, 2: „Jeder von uns lebe seinem Nächsten zu Gefallen, zu seinem Besten, zu seiner Erbauung". Wie weit der Mensch dem Nächsten „gefallen" soll, zeigt Paulus (neben 1. Kor. 7, 27; vgl. auch 1 . Kor. 8, 1 3 ; Rom. 14, 2 1 ; 14, 15) deutlich Rom. 9, 3: „Gern wollte ich selbst aus der Gemeinschaft mit Christus ausgestoßen sein, wenn ich dadurch meine Brüder, meine Stammesverwandten nach dem Fleisch, retten könnte". Paulus wird „allen alles, um allerwegen einige zu gewinnen" (1. Kor. 9, 20ff.). Zu 1 . Kor. 1 3 1) Reden mit Menschen- und mit Engelzungen, Prophetie und Gnosis, Hingabe des Vermögens, Glaube, der Berge versetzt, — sie alle sind nichts wert ohne die Liebe. Agape ist der „einzige Wert, den das Christentum kennt" 2 ').

49 2) Meint Paulus in i. Kor. 1 3 die Gottesliebe oder die Nächstenliebe? 2e ). Mit Nygren bin ich der Ansicht, daß es sich in 1 . Kor. 1 3 um die Agape handelt, die „ein Ausfluß aus Gottes eigenem Leben i s t " (vgl. Rom. 5, 5) 2 0 ). Nur von solcher „göttlichen" Agape kann es heißen, daß sie nicht das Ihre sucht, daß sie alles zudeckt, glaubt, hofft, trägt, daß sie nie dahinfällt, daß sie bleibt, wenn die Gnosis abgetan ist. 3) „Stückwerk erkennen wir." Gnosis ist vergänglich — und nicht die Hauptsache. „ D a s ist unhellenistisch und doch echt christlich und echt paulinisch. Nirgends tritt uns der Apostel so nahe wie in diesem Kampf gegen den Hellenismus" (RReitzenstein) 30 ). Vgl. auch unsere Ausführungen S. 1 4 f.

V Nirgendwo im N. T. ist so oft von Agape die Rede wie in der johanneischen Literatur 31 ). Johannes ist mit Recht der „Apostel der Liebe" genannt worden. Wir sind bei Paulus schon der Wortverbindung „der Gott der Agape" begegnet, Paulus hat aber noch nicht (ebensowenig wie die synoptischen Evangelien) die Identifikation zwischen Gott und Agape ausgesprochen. Der 1. Johannesbrief proklamiert an zwei Stellen (4, 8. 16) die Identität zwischen Gott und Agape: Gott ist Liebe32). Die Formulierung des Agapemotivs erreicht im N. T. formal in der johanneischen Literatur ihren Höhepunkt. Fragen wir nach dem Wesen der Agape in der johanneischen Literatur, so müssen wir einerseits feststellen, daß die der Agape eigentümlichen Charakterzüge, wie wir sie in den synoptischen Evangelien und den paulinischen Briefen kennen gelernt haben, fast sämtlich auch in den Johannesschriften wiederkehren, anderseits aber bemerken wir, daß gewisse Abschwächungen und Verengungen des Agapemotivs bei Johannes vorhanden sind. 1 a) Der johanneische Gottesglaube hat einen mystisch-pantheistischen Einschlag 3 8 ). Das Agapemotiv erhält bei Johannes einen starken mystischen Zug. „ . . . . Wenn wir einander lieben, so bleibt Gott in uns. und seine Liebe ist vollendet in uns. Daran erkennen wir, daß wir in ihm bleiben und er in uns, daß er uns von seinem Geiste gegeben hat" (1. Joh. 4, 1 2 f.). W e i n r i c h , Liebe im Buddhismus.

4

50 „ G o t t ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott in ihm"

(i. Job. 4, 16).

Die Liebe zu den Brüdern kommt aus dem „Sein

aus G o t t " , aus dem „aus Gott Gezeugtsein", aus dem Einswerden mit Gott und Christus (i. Joh. 3, 10; 4, 7; Joh. 15, 1 ff.; 17, 21 ff.)

M).

b) Wir können folgendes Schema in der johanneischen

Literatur

feststellen: Die Agape Gottes ist Liebe des Vaters zu dem Sohn ( „ D u hast mich schon vor Grundlegung der Welt geliebt" 10, 1 7 ; 15, 9). Sohn lieb"

Joh. 17, 24; vgl. 5, 20;

Ebenso wie Gott den Christus liebt („Der Vater hat den

Joh. 3, 35), so liebt Christus seine Jünger

(„Wie mich der

Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt: Bleibt in meiner L i e b e ! " Joh. 15, 9), und wie Christus seine Jünger liebt, sollen die Jünger des Christus sich untereinander Heben (Joh. 13, 34 f.). c) Die Erkenntnis Gottes ist zutiefst Erkenntnis der Liebe Gottes. „ W i r haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat" (1. Joh. 4, 16; vgl. 3, 16).

Vgl. auch 1. Joh. 1, 3: „ W a s wir gesehen und gehört

haben, verkündigen wir euch, damit auch ihr Gemeinschaft hättet mit uns. Und unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohne Jesus Christus".

Die Gottesgemeinschaft eine Liebesgemeinschaft — dieser Gedanke ist auch Grundgedanke in der johanneischen Literatur. Die Liebe Gottes bringt „Leben", „Licht", „Wahrheit", „Herrlichkeit", „Gotteskindschaft" (1. Joh. 3,14; Joh. 1 , 4 ; 8,12; 12, 35 f.; 1 7 , 5 . 2 2 ; 8,32;' 1. Joh. 3,1). Die Liebe Gottes und des Christus zieht die Menschen in die Welt Gottes hinein (Joh. 6, 44 f.; 12,32). Alles nimmt von der welterlösenden Liebe Gottes und des Christus seinen Ausgangspunkt. Der erste Johannesbrief erklärt: „Nicht darin besteht die Liebe, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat" (4,10), „Seht, welch* eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, daß wir Gottes Kinder heißen sollen" (3,1), und „Daran haben wir die wahre Liebe kennen gelernt, daß er sein Leben für uns hingegeben hat" (3,16). Die Folge der erfahrenen Liebe Gottes und des Christus ist die Liebe zu Gott und Christus. „Laßt uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt" (1. Joh. 4,19). Die Liebe Jesu soll das Vorbild für die Liebe der Jünger untereinander sein. „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt: Bleibt in meiner Liebe!" (Joh. 15, 9; vgl.

51 1. Joh, 4, n ) . „Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander liebt, daß, wie ich euch geliebt habe, so auch ihr untereinander liebt. Daran sollen alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt" (Joh. 13, 34 f.). Die Liebe zu Gott und die Nächstenhebe bilden eine unzertrennliche Einheit, die Liebe zu Gott besteht nicht ohne die Nächstenliebe: „Wenn jemand sagt: ,Ich liebe Gott' und doch seinen Bruder haßt, so ist er ein Lügner; denn wer seinen Bruder nicht liebt, der sichtbar bei ihm ist, kann gewiß Gott nicht lieben, den er nicht gesehen hat" (1. Joh. 4, 20; vgl. 3 , 1 4 f . ; 4 , 8 ; 5 , 1 ) . Das Liebesgebot hat in der johanneischen Literatur eine zentrale Stellung. E s ist ein altes Gebot (1. Joh. 2, 7 f.), aber es ist zugleich ein neues Gebot. Einen neuen Inhalt hat dies alte Gebot durch die Tat des Christus, durch seine Agape erhalten (1. Joh. 2, 8; Joh. 13, 34) 35 ). Wir haben oben gesehen, daß für Paulus sich die Liebe Gottes am tiefsten in dem Kreuz des Christus offenbart. Auch für Johannes ist das Kreuz des Christus der große Liebesbeweis Gottes. „Nicht darin besteht die Liebe, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat und seinen Sohn zur Sühnung für unsere Sünden gesandt hat" (1. Joh. 4 , 1 0 ) . „So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn hingegeben hat, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben haben" (Joh. 3 , 1 6 ) . Und die Liebe des Christus, der sich für die Brüder opfert, verpflichtet auch die Brüder, ihr Leben für die Brüder hinzugeben (1. Joh. 3 , 1 6 ; vgl. Joh. 1 5 , 1 3 ) . 2 1) Wir haben in unseren Thesen (Kap. 3, Anfang) gesagt, Agape sei „unmotiviert", „unbedingt". Auch in der johanneischen Literatur ist Gottes Agape „unmotiviert" und „unbedingt". Nicht irgendwie von außen her wird Gott bewogen, Liebe zu zeigen, sondern weil sein Wesen Liebe ist, darum liebt er. Aber wir begegnen in den Johannes4*

52 Schriften auch „motivierter", „bedingter" Gottesliebe: „Der Vater hat euch lieb, weil ihr mich liebt" (Joh. 16, 27). „Wer mich liebt, der wird geliebt werden von meinem Vater, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren" (Joh. 14, 21). Hier liegt eine Abschwächung des Agapemotivs vor. 2) Die Gemeinschaft der Brüder erhält durch Agape bei Johannes eine besondere Innerlichkeit, Herzlichkeit, Wärme. Aber gleichzeitig wird die Liebe eingeschränkt, denn die Liebe richtet sich nur auf die „Brüder, die in Gott vereint sind", die aus Gott geboren sind. Die Nächstenliebe ist vor allem Liebe zu den Brüdern. Die Feindesliebe kennt die johanneische Literatur nicht. Der johanneische Jesus betet auch nur für den engeren Kreis der Jünger und derer, die „zum Glauben an ihn kommen werden", nicht für die ganze Welt oder die „Feinde Gottes". „Ich bitte für sie; nicht für die Welt bitte ich, sondern für die, welche du mir gegeben hast" (Joh. 17, 9). Der synoptische Jesus ist der „Zöllner und Sünder Geselle", der johanneische Jesus repräsentiert die „unnahbare Reinheit und überweltliche Erhabenheit" Gottes 36) und rettet nur die, die nach der ewigen Bestimmung des Vaters ihm angehören (Joh. 10, 29; 1 7 , 1 2 ; 18, 9) 87). 3) Paulus macht keine Unterscheidung zwischen „rechter" und „falscher" Liebe. E r kann ganz allgemein, ohne ein Objekt zu benennen, sagen: „Strebet nach der Liebe" (1. Kor. 1 4 , 1 ) . In dem ersten Johannesbrief 4, 7 f. (vgl. 3 , 1 8 ; 4 , 1 9 ) heißt es: „Die Liebe stammt aus Gott her, und jeder, der Liebe besitzt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott. Wer nicht liebt, kennt Gott nicht." Auch in diesem Satz des ersten Johannesbriefes ist kein Objekt der Liebe angegeben. Agape ist hier „Teilhaftigkeit an Gottes Leben — ohne Rücksicht auf ihre spezielle Richtung" s8 ). Johannes kennt aber eine Art von Agape, die nicht geübt werden darf: „Die Liebe zur Welt." „Habt nicht lieb die Welt und was in der Welt ist! Wenn jemand die Welt lieb hat, so wohnt die Liebe zum Vater nicht in ihm" (1. Joh.

53 Windisch bemerkt dazu richtig: „Die Welt ist nicht die erlösungsbedürftige Welt, die Gott nach Joh. 3,16 Hebt, sondern die für ewig der Sünde und Vergänglichkeit preisgegebene, für ewig von Gott getrennte Welt" 39). Ist hier aber Agape jene sich hingebende, opfernde, helfende Liebe, jene Liebe, die „Teilhaftigkeit an Gottes Leben" ist ? Offenbar nicht. Es scheint, daß hier der Terminus Agape die sinnlich-begehrende Liebe meint 40 ). 2,15).

Viertes Kapitel« „Wie

ein mächtiger Wind blies der Gesegnete

über die Welt mit dem Winde seiner Liebe, so kühl und

süß, ruhig und zart." Milindapafiha I V i, 12.

Wir beschreiben nunmehr im vierten Kapitel das Wesen der buddhistischen MaitrI *) nach dem Tripitaka. Die Texte, in denen von der MaitrI die Rede ist — die Zahl dieser Texte ist trotz des ungeheueren Umfangs des Tripitaka sehr beschränkt — werden wir nahezu sämtlich im folgenden behandeln. I 1) Der MaitrI wohnt eine „magische" Kraft inne. Mittels dieser MaitrI-Kraft werden Menschen und Tiere in wunderbarer Weise besänftigt, überwunden, bezwungen2). Wer die MaitrI übt, ist immun, geschützt gegen Schäden jedweder Art. Buddha erzählt: „Auf der Bergeshalde weilend zog ich Löwen und Tiger durch die Kraft der MaitrI zu mir. Von Löwen und Tigern, von Panthern, Bären und Büffeln, von Antilopen, Hirschen und Ebern umgeben weilte ich im Walde. Kein Wesen erschrickt vor mir, und auch ich fürchte mich vor keinem Wesen. Die Kraft der MaitrI ist mein Halt; so weile ich auf der Bergeshalde"3). Wenn Buddha, so wird berichtet, jemanden zu seiner Lehre „bekehren" wollte, so richtete er zuvor auf den Betreffenden die Kraft der MaitrI. „ ,Das ist nicht schwer für den Vollendeten, Änanda, zu machen, daß der Malla Roja für diesen Glauben und diese Ordnung gewonnen werde.' Da durchdrang der Herr den Malla Roja mit dem Geiste der MaitrI, stand von seinem Sitze auf und ging in das Haus.

55 Und der Malla Roja, von dem Herrn mit dem Geiste der MaitrI durchdrungen, ging, wie eine Kuh ihr junges Kalb sucht, von einem Hause zum andern, von einer Zelle zur andern, und fragte die Mönche: ,Wo, ihr Ehrwürdigen, weilt jetzt der Herr, der heilige, höchste Buddha? Ich begehre ihn zu sehen, den Herren, den heiligen, höchsten Buddha' " 4). Buddhas Vetter Devadatta (der „Judas Ischariot des Buddhismus"), der dem Buddha auf die verschiedenste Art nach dem Leben trachtete, veranlaßte eines Tages die Wächter eines als wild bekannten Elefanten, diesen Elefanten in einer engen Gasse auf Buddha loszulassen. Als die Jünger Buddhas den Elefanten auf Buddha losstürmen sahen, rieten sie dem Buddha, sich in Sicherheit zu bringen. „Der Herr aber durchdrang den Elefanten Nälägiri mit dem Geiste der MaitrI. Da senkte der Elefant Nälägiri, von dem Herrn mit dem Geiste der MaitrI durchdrungen, seinen Rüssel, ging hin zum Herrn und trat vor ihn hin" 5 ). In Sävatthi war ein gewisser Mönch von einer Schlange gebissen worden und infolge des Bisses gestorben. Buddha erklärt: „Sicherlich, ihr Mönche, hat dieser Mönch die vier königlichen Geschlechter der Schlangen nicht mit einem von MaitrI erfüllten Geiste durchdrungen. Hätte nämlich, ihr Mönche, dieser Mönch die vier königlichen Geschlechter der Schlangen mit einem von MaitrI erfüllten Geiste durchdrungen, so wäre, ihr Mönche, dieser Mönch nicht von einer Schlange gebissen und getötet worden" (Buddha gibt dann eine Anweisung, wie die vier königlichen Geschlechter der Schlangen mit einem von MaitrI erfüllten Geiste zu durchdringen sind) 6 ). All diese Erzählungen, die wir dem Tripitaka entnommen haben, zeigen uns die wunderbare, nach buddhistischer Vorstellung Mensch und Tier bezwingende Kraft der MaitrI. 2) Die Wirkung der MaitrI wird uns anschaulich auch im A N gezeigt, wo von dem sowohl diesseitigen als auch jenseitigen Nutzen (bzw. Vorteil) der MaitrI-Ubung gesprochen wird.

56 „Wird, ihr Mönche, die Liebe, die den Geist befreit, gepflegt, erweckt, entfaltet, wie ein Fahrzeug gebraucht, zur Grundlage gemacht, vollendet, angehäuft und gut angewandt, so sind dadurch elf Vorteile zu erwarten. Welche elf? Man schläft glücklich, man erwacht glücklich, man sieht keinen schlechten Traum, man ist den Menschen angenehm, man ist den nichtmenschlichen Wesen angenehm, die Gottheiten beschützen einen, weder Feuer noch Gift noch Waffe tut einem etwas an, das Gemüt wird schnell beruhigt, das Antütz erscheint ruhig, man scheidet unverwirrt aus dem Leben, und sollte man nicht noch zu Höherem durchdringen, so wird man in der Brahmawelt wiedergeboren. Wird, ihr Mönche, die Liebe, die den Geist befreit, gepflegt, erweckt, «ntfaltet, wie ein Fahrzeug gebraucht, zur Grundlage gemacht, vollendet, angehäuft und gut angewandt, so sind dadurch diese elf Vorteile zu erwarten" (AN X I 16) ').

Aus diesem Text des A N geht deutlich hervor, daß die Übung der Maitrl neben diesseitigen Vorteilen („Man schläft glücklich, man erwacht glücklich" usw.) auch einen jenseitigen Erfolg (,,Man wird in der Brahmawelt wiedergeboren") verspricht. Die Brahmawelt ist aber nicht das Heilsziel, das die Erlösungspraxis des Buddha letztlich anstrebt, denn auch die Brahmawelt ist nach Buddha's Auffassung eine vergängliche Welt. Die Übung der Maitrl verspricht also neben einem glücklichen Leben in dieser Welt ein glückliches Leben in der andern Welt, eine bessere Existenzform in dem Kreislauf der Geburten, aber nicht mit Sicherheit endgültige Erlösung. Daß die Übung der Maitrl nicht endgültige Erlösung (das Nirväna) gewährleistet, bestätigt ein anderes Wort des Buddha: „Ich gestehe, ihr Mönche, daß mir für das Gute, das ich während einer langen Zeit ausgeübt habe, lange Zeiten hindurch erwünschte, erfreuliche, angenehme Früchte zuteil wurden. Sieben Jahre lang übte ich liebevolle Gesinnung, und nachdem ich sieben Jahre lang liebevolle Gesinnung geübt hatte, kehrte ich für die Zeit von sieben Weltuntergängen und Weltentstehungen nicht mehr zu dieser Welt z u r ü c k . . . . . " (aus A N V I I 58) 8). Wer sich durch die MaitrI-Übung die Wiedergeburt in der Brahmawelt (also eine bessere Existenzform) „verdient"

57 hat, muß, wenn das durch die Maitrl-Übung erworbene Verdienst in der Brahmawelt „aufgebraucht" ist, wieder zur Erde zurück. 3) Wir haben oben (S. 1 ff.) neben 1. Kor. 13 ein Kapitel aus dem Itivuttaka gestellt. Itiv. 27 enthält in der Tat das Hohe Lied der Maitri und verdient deshalb neben 1. Kor. 13 gestellt zu werden. Freilich wird sich zeigen, daß der Inhalt des Hohen Liedes der Agape ein wesentlich anderer ist als der Inhalt des Hohen Liedes der Maitri. Gewiß hat HBeckh recht, wenn er von Itiv. 27 sagt: „Für den Zeitraum, in dem diese Worte gesprochen wurden, bedeuteten sie etwas Ungeheueres. In den weiten Erdgebieten, an die sie sich wendeten, war bis dahin noch niemals so über die Liebe gesprochen worden" 9 ). Hier, in Itiv. 27, tritt uns eine Anschauung entgegen, die in ganz besonderem Maße der Maitri eine Vorzugsstellung gibt: Die Maitri wird hoch über alle religiöses Verdienst wirkenden Handlungen gestellt. Aber wenn wir einmal näher ins Auge fassen, welcher Erfolg hier der Maitrl-Übung beschieden ist, so erkennen wir, daß der Erlösungsgrad, den die MaitrlÜbung verspricht, nur ein relativ hoher ist. Itiv. 27 sagt nichts anderes von dem Erfolg der Maitrl-Übung aus als das oben erwähnte Buddhawort. Die Maitrl-Übung ist zwar über den bloßen religiösen „Werkdienst" gestellt, aber der Erfolg der Maitrl-Übung ist kein anderer als der, welcher auch durch religiösen „Werkdienst" erreichbar ist. Wir dürfen aber auch nicht die Tatsache unterdrücken, daß allerdings ein Vers in Itiv. 27 noch in einem anderen Tone von dem Erfolg der Maitrl-Übung spricht. „Wer bedachtsam unermeßliche Liebe erweckt, bei dem werden, indem er die Vernichtung der Grundlagen (für ein neues Dasein) erschaut, die Fesseln dünn." (Mit diesem Vers aus Itiv. 27 ist zu vergleichen der Dhp.-Vers 368: „Der Mönch, der Liebe übt und sich Buddhas Lehre ergibt, der wendet sich dem Land des Friedens zu, wo die Vergänglichkeit Ruhe findet, zur Seligkeit.")

58 Hier ist offenbar die Vorstellung vorhanden, daß die Übung der MaitrI auch die endgültige Erlösung, das Nirväna, gewährleistet. Aber die Hauptanschauung in Itiv. 27 ist doch folgende: Die Übung der MaitrI übertrifft zwar alle Handlungen, durch die man sich religiöses Verdienst zu erwerben pflegt, indem die MaitrI „diese in sich aufnimmt", aber sie verbürgt nur einen relativ hohen Erlösungsgrad. „Wenn einer auch nur gegen ein Lebewesen arglosen Herzens Liebe zeigt, so gereicht ihm das zum Heil; der Edle aber, der für alle Lebewesen im Herzen Erbarmen hegt, schafft sich reichliches Verdienst." Von der MaitrI heißt es in Itiv. 27 (vgl. auch oben A N X I 16), sie befreie

den Geist

(cetovimutti).

Auch „dieser Ausdruck

(cetovimutti)

besagt nicht, daß die Maitr! jene Erlösung vom Weltleben in sich schließt, die das höchste Ziel des Buddhisten ist.

E s handelt, sich um eine Erlösung

in einem minder erhabenen, spezielleren Sinn"

10 ).

II Wir haben bislang nur von dem Erfolg und Nutzen der Maitrl-Übung gesprochen, haben aber noch nicht gefragt, was denn MaitrI eigentlich sei. Wir greifen den später folgenden Ausführungen vor, wenn wir schon jetzt bemerken, daß die Maitrl-Übung dem Gebiete der Meditation angehört. Die magische Wirkung der MaitrI glauben wir am besten erklären zu können, wenn wir sagen, die magische Wirkung sei eine „Beigabe" der Maitrl-Übung.

Ebenso wie durch das vierte jhäna sich wunderbare Geistes-

kräfte und Fähigkeiten (abhinfiä, iddhi) im Menschen entfalten 1 1 ) (deren Erzeugung aber nicht der eigentliche Zweck des vierten jhäna ist), so auch durch die Maitrl-Übung.

MaitrI gehört nicht dem Gebiete des sila an, es wäre falsch, mit JWitte annehmen zu wollen, die MaitrI sei eine „hehre sittliche Eigenschaft" 12 ). Die Maitrl-Übung ist eine bestimmte meditative Übung, die den Prozeß der Loslösung des Menschen von allem Irdischen innerhalb eines bestimmten Meditationsschemas fördern soll. Wenn die Maitrl-Übung im Tripitaka beschrieben wird, so kehren an mehreren Stellen folgende Verse wieder:

59 „ W i e eine Mutter ihr eigen Kind, ihren einzigen Sohn, selbst mit ihrem Leben

beschützt:

also hege er grenzenloses Wohlwollen für alle

Wesen! Einen grenzenlosen Geist der Liebe für alle W e l t pflege er: nach oben, nach unten, nach allen Seiten, unbehindert, ohne H a ß , ohne Feindschaft" (Snp. 149 f. =

Khp. I X 9 f . ) 1 S ) .

Die erste Hälfte des Verses Snp. 149 könnte auch so wiedergegeben werden: „Wie eine Mutter ihr eigen Kind, ihren einzigen Sohn, während ihres Lebens

(äyusä)

beschützt:

"

14 ).

Wir glauben aber

dieser

letzteren Übersetzung nicht den Vorzug geben zu können.

Was wollen die Verse Snp. 149 f. sagen ? Mit derselben Intensität, mit der die Mutter ihr Kind liebt, so daß sie ihr Kind mit ihrem Leben beschützt, mit derselben Intensität soll der Buddhajünger nach allen Richtungen, zu allen Lebewesen hin seine MaitrI ausstrahlen lassen. Das Gefühl des maitrlübenden Jüngers muß hierbei wohltemperiert im buddhistischen Sinne bleiben: Der Jünger darf nicht das Herz dieser Mutter haben, die liebt, und auch nicht so handeln, wie diese Mutter handelt. „ E s ist bezeichnend, daß der Vergleich von Mutter und Kind nicht in die Mahnung ausläuft zu tun wie die Mutter, sondern in das Gebot, für alle Wesen »unbegrenztes Fühlen' zu hegen. Solches Fühlen aber zielt vor allem auf den Segen hin, den diese seelische Gymnastik dem Fühlenden selbst zu bringen verspricht. Nie wird dabei vergessen, daß alles Haften des eigenen Herzens an anderen Wesen ein Sichverstricken in die Freude und darum in das Leiden der Vergänglichkeit ist" 15 ). Es ist also gänzlich ausgeschlossen, daß der Buddhajünger mit der inneren Haltung dieser Mutter und der dieser Haltung entsprechenden Handlung Liebe üben darf und soll. Wie oft heißt es doch im Tripitaka, man solle nichts Liebes in der Welt haben, denn „keine Fesseln gibt es für diejenigen, welche nichts Liebes und nichts Unliebes (piyäppiyam) haben" (Dhp. 2 1 1 b ) 1 6 ) . „Was es auch an Kümmernissen, Wehklagen und Leiden in mannigfachen Formen in der Welt gibt: sie bestehen, weil man etwas Liebes (piyam) hat; ist Liebes nicht vorhanden, so sind jene nicht.

60 Darum sind glücklich und frei von Kummer, denen nicht irgend etwas in der Welt lieb ist *' (Ud. VIII 8) 17 ). Piya bezeichnet das, was einem lieb, teuer, wert ist. Käma ist die „sinnlich begehrende" Liebe, räga die „leidenschaftliche" Liebe (Gegensatz dosa: leidenschaftlicher Haß), rati die „vergnügensuchende" Liebe. Aus piya, käma, räga, rati entstehen den Menschen nur Leid, Kummer, Furcht (Dhp. 212 ff.). Mettä ist erst möglich, wenn piya, käma, räga, rati überwunden sind. Mettä ist „aflektlose", „wohlmeinende" Liebe zu allen Geschöpfen, zur ganzen Welt (vgl. S. 63) 1 8 ).

Die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind gehört nach buddhistischer Auffassung letztlich auch zu dem, was überwunden werden muß. Die „Liebe zu dem Nächsten" überhaupt, wie sie das Christentum fordert, ist etwas, wovon sich der buddhistische Weise freizumachen hat. Denn diese Nächstenliebe in christlichem Sinne bindet nach buddhistischer Auffassung den Menschen an die Welt des Leidens, der der Buddhist unbedingt entfliehen will. „Was braucht denn einer Menschen sehn, was braucht er Menschen, Menschenbrut? Den Menschen lasse, lasse Leid und stoß die Menge mächtig a b ! " (Thg. I 150) 1 9 ) „Auf nichts gestützt, aus Lieb' und Haß erhoben, allein nur wie das Nashorn mag man wandern!" (Snp. 66) 20)

Welche Stellung hat nun die Maitrl im Ganzen der buddhistischen Erlösungspraxis, speziell aber innerhalb der buddhistischen Meditationspraxis ? III Buddha sagt zu Änanda: „Übt Versenkung (jhäyata), Änanda, auf daß ihr nicht lässig werdet, später nicht Reue empfindet: das haltet als unser Gebot I" (MN 152) l I ) Von den Jüngern des Buddha heißt es an anderer Stelle: „Allezeit wachsam sind des Buddha Jünger, deren Gemüt sich Tag und Nacht an der Versenkung erfreut" (Dhp. 301); „Versenkung üben sie, Versenkung lieben sie" (jhäyl jhänaratä, DN X X I 1, 4). In der Sammlung der Mönchsüeder finden wir folgende Verse: „Wenn die Donnerwolke die Trommel rührt, auf der Vögel Pfaden der Regen rauscht und in stiller Bergesgrotte der Mönch der Versenkung pflegt: kein Glück wie dies!

61 Wenn am Ufer von Strömen blumenumblüht, die der Wälder bunte Krone kränzt, er in seliger Ruh' der Versenkung pflegt, kein Glück mag ihm werden, das diesem gleicht!" (Thg. I 522 f., vgl. 537 f.) In dem Suttanipäta lesen wir folgenden Vers: „Gleichwie der Pfau, das blaugehalste Flügeltier, es nicht des Schwanes mächt'gem Fluge gleichtun mag, so kommt ein Weltkind nicht dem Mönch, dem Bettler gleich, dem Weisen, der in Waldesstille Versenkung ü b t " (Snp. 221) 22 ).

Die Versenkung (samädhi, jhäna) 2S) nimmt innerhalb der buddhistischen Erlösungspraxis eine hervorragende Stellung ein. Die Versenkung ist die Hauptetappe auf dem buddhistischen Heilspfade, die Versenkung führt den heilsuchenden Jünger an die Schwelle des Nirväna. Es ist mit Recht gesagt worden, die Versenkung habe in der buddhistischen Religion die gleiche Bedeutung und Stellung wie in anderen Religionen das Gebet: „ W a s für andere Religionen das Gebet, ist für den Buddhismus die Andacht der Versenkung" (HOldenberg) 24 ). „Gemütssammlung ist für die Buddhisten das, was anderen Stärkung durch das Gebet ist, und sie vermeinen in der Gemütsruhe, in der Seligkeit und Machtfülle, die sie empfinden, dasselbe seelische Produkt zu besitzen, das andere Erhörung des Gebetes nennen" (ELehmann) 25 ). Die Versenkung ist, wie HBeckh feinsinnig bemerkt, „der Nerv des religiösen Lebens für den Buddhisten" 2 6 ). KSeidenstücker nennt die Versenkung „eine der Grundsäulen, auf welcher der Buddhismus r u h t " 2 ' ) . RSpence Hardy erklärt: „Samädhi is the principal root of all the other virtues; all others are inferior to it, come after it and bend towards i t . . . . Samädhi is the chief of the attainments possessed by him who seeks nirväna" 28). Samädhi (Versenkung) ist „ i m Buddhismus die allgemeine Bezeichnung für das Gesamtgebiet der geistigen Konzentration und Meditation i m weitesten Sinne" 2 9 ), jhäna bezeichnet eine bestimmte Versenkungsweise. Der Buddhismus kennt drei verschiedene Versenkungsmethoden: (1) das vierfache jhäna, (2) die vier bhävanä (Erweckungen), (3) das arüpajjhäna (die vier, bzw. fünf Stufen der „formlosen" oder „abstrakten" Versenkung). Die dritte Versenkungsmethode 30), die wahrscheinlich erst die spätere Ordensdogmatik vom Y o g a übernommen hat, interessiert uns in unserem Zusammenhange nicht. Wir werden auch im folgenden das vierfache jhäna nicht im einzelnen beschreiben. [Es ist vortrefflich dargestellt von FHeiler, Die buddhistische Versenkung 2 i 4 ff.]. Wir fragen hier vielmehr nach der Stellung der Versenkung im Ganzen der buddhistischen Erlösungspraxis: nach den Voraussetzungen und dem Zweck und Ziel der Versenkung. Wir richten ferner unser besonderes Augenmerk auf die

62 zweite Versenkungsmethode: die vier bhävanä 3 1 ). Wir geben zunächst einen Text, der uns mit dem vierfachen jhäna und den vier bhävanä bekannt machen soll (DN X V I I 2, 2—4) 3 2 ): „ D a ist dann, Änanda, jener König, Der große Herrliche, zur Großen Empfangshalle hingeschritten, dort am Eingange stehen geblieben und hat, tiefaufatmend, dies verlauten lassen: ,Weg, du Lustgedanke I Weg, du Haßgedanke I Weg, du Wutgedanke I Nicht weiter mehr, Lustgedanke! Nicht weiter mehr, Haßgedanke! Nicht weiter mehr, Wutgedanke!' Da ist Änanda, jener König, Der große Herrliche, in die Große Empfangshalle eingetreten, hat auf der goldenen Ruhestatt Platz genommen und (a) sich absondernd von den Lüsten, sich absondernd von allen unreinen Zuständen, das mit Überlegung und Erwägung verbundene, aus der Abgeschiedenheit geborene, freudenreiche, lustvolle erste jhäna erlangend verweilt. (b) Nach dem Zurruhekommen von Überlegung und Erwägung, den tiefen inneren Frieden, das Einswerden des Geistes, das von Überlegung und Erwägung freie, aus der Sammlung geborene, freudevolle, lustvolle zweite jhäna erlangend hat er (dann) verweilt. (c) Nach dem Verblassen der Freude verharrte er im Gleichmut, einsichtig und vollbewußt, und empfand die Lust im Körper — jener Zustand, von dem die Weisen sagen: 'Der Gleichmütige, der Besonnene weilt im Glück' so das dritte jhäna erlangend hat er (dann) verweilt. (d) Nach dem Verlassen des Glücks, nach dem Verlassen des Leids, nach des früheren Lustund Unlustgefühles Untergang, das leidlose, freudlose, in Gleichmut und Besonnenheit geläuterte vierte jhäna erlangend hat er (dann) verweilt. **)

63 Dann ist, Änanda, jener König, Der große Herrliche, aus der Großen Empfangshalle hervorgeschritten, hat den goldenen Söller betreten, auf der silbernen Ruhestatt Platz genommen und da verweilt, mit einem von Liebe erfüllten Geiste (mettäsahagatena cetasä) eine Weltgegend durchdringend, ebenso die zweite, ebenso die dritte und ebenso die vierte. Dann hat er da verweilt, mit einem von Liebe erfüllten, weiten, tiefen, unermeßlichen, von Feindschaft und Haß freien Geiste die allumfassende Welt hinauf, hinunter, in die Quere, nach allen Seiten durchdringend. Dann hat er da verweilt, mit einem von Mitleid erfüllten Geiste (karunäsahagatena cetasä) mit einem von Mitfreude erfüllten Geiste (muditäsahagatena cetasä) mit einem von Gleichmut erfüllten Geiste (upekkhäsahagatena cetasä) . . . . eine Weltgegend durchdringend, ebenso die zweite, ebenso die dritte und ebenso die vierte. Dann hat er da verweilt, mit einem von Mitleid Mitfreude Gleichmut erfüllten, weiten, tiefen, unermeßlichen, von Feindschaft und Haß freien Geiste die allumfassende Welt hinauf, hinunter, in die Quere, nach allen Seiten durchdringend" M ). (Das vierfache jhäna (a) ebenso wie die vier bhävanä (b) werden im Tripitaka immer wieder mit denselben stereotypen Formeln noch an folgenden Stellen (ich gebe hier nur eine Auswahl) beschrieben: a) DN I 3, 21 ff. II 75 ff. (Hauptstelle, ausführliche Beschreibung mit Gleichnissen) III 2, 2 IV 23 V 27 VI 16 ff. VII 2 ff. VIII 19 ff. I X 10 ff. X 2 , 13 f. XI 44 f. X I I 54 ff. XIII 43 ff. X X V I 28 X X X I I I 1, 11 (IV) X X X I I I 3, 2 (V); MN 4; 108; AN III 63 b) DN XIII 76 ff. X I X 46; 59 X X V 16 f. X X V I 28; MN 7; SN X LVI 54; AN III 63, 6). IV „Schritt um Schritt, Stück für Stück, Stunde für Stunde soll, wer weise ist, sein Selbst von allem Unreinen läutern, wie ein Silberschmied das Silber läutert". , (Dhp. 239)3S). Nirväria, das „ohne

Stütze",

„ohne Anfang",

„ohne

Grundlage" ist 3 6 ), in dem „die Leidenschaften, der Haß, die Verblendung erlöschen"

37 ),

ist das Heilsziel, das summum

bonum (paramattha, seyya) des Buddhisten.

Ebenso wie

Diotima den Sokrates den stufenweisen Aufstieg des Menschen „von den schönen Dingen hier zu dem Eidos des Schönen" lehrt, ebenso lehrt Buddha seine Jünger einen stufenweisen Aufstieg zu dem Heilsziel Nirväna.

64 Der buddhistische Heilspfad ist uns gewöhnlich nur in seiner achtfachen Gliederung bekannt („Rechte Anschauung, rechtes Wollen, rechtes Reden, rechtes Tun, rechtes Leben, rechtes Streben, rechtes Gedenken, rechtes Sichversenken", Mahävagga I 6, 17). Diese achtfache Gliederung des Heilspfades können wir die populäre Fassung desselben nennen. Das uns sonst begegnende, ursprüngliche(?) Schema des Heilspfades hat drei (bzw. vier) Glieder: 1) sila (sittliche Zucht), 2) samädhi (Versenkung), 3) pannä oder näna (Erkenntnis, Weisheit), [4) vimutti (Erlösung)] (AN I I I 82. 88 f.) 38 ). Daß das achtgliedrige Schema des Heilspfades sich auf ein dreigliedriges Schema reduzieren läßt, zeigt uns folgender T e x t (MN 44) 3 9 ): „Schließt nun, du Edle, — fragt der Laien jünger Yisäkha die Nonne Dhammadinnä — , der edle achtteilige Pfad die drei Teile (der „Moral") ein, oder schließen die drei Teile (der Moral) den edlen achtteiligen Pfad ein ? " „ D e r edle achtteilige Pfad, Freund Visäkha, schließt nicht die drei Teile (der Moral) ein, sondern die drei Teile (der Moral) schließen den edlen achtteiligen Pfad ein. Und zwar sind, Freund Visäkha, die (drei) Dinge: das rechte Reden, das rechte Tun und das rechte Leben in dem Teil von der sittlichen Zucht (sila) eingeschlossen; die (drei) Dinge: das rechte Streben, das rechte Gedenken und das rechte Sichversenken in dem Teil von der Versenkung (samädhi); und die (zwei) Dinge: die rechte Anschauung und das rechte Wollen sind in dem Teile von der Weisheit (pannä) eingeschlossen" 40 ). Sila, samädhi und pannä werden auch die drei,.Fahrzeuge"genannt 4 1 ). 1 ) Sila, die sittliche Z u c h t ( „ T u g e n d " ) , ist die erste S t u f e auf d e m buddhistischen Heilspfade, „ d i e Vorschule der Loslösung"42).

W o r i n b e s t e h t sittliche Z u c h t ? D e r B u d d h i s m u s

k e n n t zehn G e b o t e

(bzw. Verbote), die in W e r k , W o r t

und

G e d a n k e n z u halten sind (käya-, v a c i - , mano-caritäni). Die ersten fünf dieser zehn Gebote gelten mutatis mutandis auch für den Laienjünger, die zweiten fünf speziell für den Mönch, die drei ersten von den zweiten fünf auch für den Laienjünger zu gewissen Zeiten. Wir behandeln die buddhistische Ethik in Kap. 5 ausführlicher und verzichten deshalb hier auf die Wiedergabe der einzelnen Vorschriften. [Der Inhalt der Gebote ist ausführlich beschrieben in dem „Elementarkapitel der sittlichen Zucht" D N I 1, 8 ff.] « ) . A l l e zehn G e b o t e b z w . V e r b o t e h a b e n den Z w e c k , d e m das H e i l suchenden

Jünger die f ü r das Erlösungsziel

not-

wendige n e g a t i v e (passive) H a l t u n g gegenüber „ d e n D i n g e n

65 dieser W e l t " , gegenüber dem Dasein, das identisch ist mit Leiden, zu geben.

Z u diesen Vorschriften, die die negative

Haltung gegenüber der W e l t vorbereiten sollen, tritt indriyasamvara, die Sinnenzügelung.

Der Mönch muß Herr über

seine Triebe und A f f e k t e werden (es heißt v o n ihm, er bewacht die Tore der Sinnesorgane: indriyesu guttadväro, vgl.

DN

I I 64), damit er durch keinen Trieb oder A f f e k t gehemmt, der W e l t absterbend, die zweite Stufe des Heilspfades betreten kann. Von der gleichen Bedeutung wie indriyasamvara ist die Beseitigung der sogenannten „fünf Hindernisse" (panca nivarane): „ E r unterdrückt die Liebe zur Welt und hält sein Herz dauernd frei von ihr, er läutert sein Inneres, daß es ihr nicht anheimfällt. Er tut von sich ab Böswilligkeit und Lust zu schaden und verschließt ihnen fortan sein Herz; nur bewegt von der Sorge um aller Kreaturen Wohlsein läutert er sein Inneres, daß Bosheit und Schadenfreude ihm fernerhin fremd bleiben. Trägheit und Schlaffheit legt er ab und hält sie hinfort von sich fern, lichten Geistes, besonnen und vollbewußt läutert er sein Inneres von Trägheit und Schlaffheit. Übertriebene Ängstlichkeit und Unruhe überwindet er, ist innerlich ruhig und abgeklärt und läutert sein Inneres, daß übertriebene Ängstlichkeit und Unruhe keine Gewalt wieder über ihn gewinnen. Von Zweifeln hat er sich freigemacht und ist fortan über sie hinaus, er kennt kein Schwanken des Urteils gegenüber dem Guten, er läutert sein Inneres so weit, daß es der Skepsis nicht wieder anheimfällt" (DN II 68) 44). 2) SUa hat sondern

bereitet

keinen

Eigenwert,

lediglich

die

ist nicht

Selbstzweck,

Stufe der Versenkung

vor.

Ohne rechtes sila ist kein rechter samädhi möglich. „Was ist rechte Selbstvertiefung ? Es ist ein durch vier Stufen laufendes methodisches Sichlosreißen von allem Irdischen. Diese Art des Vorgehens führt schließlich zu einem Zustand, in dem es kein Nachdenken oder eigentliches Bewußtsein gibt und kein Gefühl weder von Freude noch von Schmerz" 45). B u d d h a erklärt dem Cunda (DN X X I X 24), die Versenkung führe zur „vollkommenen A b w e h r , zum Freiwerden v o n Leidenschaft, zum E n d e , z u m Zurruhekommen, zur E r k e n n t nis, zur Erleuchtung, z u m N i r v ä n a "

46 ).

B u d d h a übte v o r

seinem Tode zum letztenmal die Versenkung und ging durch die Versenkung ins Parinirväna ein (DN X V I 6, 9). W e i n r i c h , Liebe im Buddhismus.

5

66 Bereitet slla die negative Haltung gegenüber der Welt vor, bändigt slla die Affekte und Triebe, so soll, um einmal Termini der deutschen Mystik zu gebrauchen, samädhi zum „Entwerden", zum „Entmenschen" führen 47). Samädhi ist „Abstraktion, Rückzug aus der Welt der Erscheinung, Reinigung des Herzens vom Verlangen, Lossagung von jeder Bestimmtheit des Willens, der Vorstellung und des Denkens, die zuletzt zur vollkommenen Leerheit und Apathie, zum Nichtwollen, Nichtempfinden, Nichtdenken hinaufträgt" 48). 3) Ebenso wie slla nicht Selbstzweck ist, sondern nur die Versenkung vorbereiten hilft, ebenso ist auch samädhi nicht Selbstzweck, auch nicht das Heilsziel, sondern nur die wichtigste Station auf dem Heilspfade. Ist der Mensch durch samädhi von allem irdischen Inhalt entleert und weilt auf der letzten Stufe der Versenkung, so ist die Vorbedingung für pannä erfüllt: Der Versunkene (samähito), „gesammelt, geläutert, hell, vom Dunstkreis des Irdischen frei, fleckenlos, empfänglich, geschickt, stetig, unerschütterlich" 49), erlangt das dreifache Wissen (tevijjä): Er erinnert sich an seine früheren Geburten 80 ), ihm enthüllt sich das KarmanGesetz 51 ), und er schaut die vier edlen Wahrheiten 52 ). Damit ist für ihn die endgültige Erlösung erreicht: „Und dem Erlösten kommt die Erkenntnis: Die Erlösung ist vollzogen, und er erkennt: Entwurzelt ist die Geburt, vollendet der heilige Wandel, gelöst die Aufgabe, eine (weitere) Wiedergeburt gibt es nicht" (DN II 98) 53 ). Wir fassen die Stufen des Heilspfades mit einem Worte des Buddha zusammen, das zugleich die Verbindung dieser Stufen untereinander zeigt: „Fruchtbar und erfolgreich ist