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German Pages 465 [470] Year 2010
Beiträge zur Historischen Bildungsforschung Begründet von Rudolf W. Keck Herausgegeben von Klaus Peter Horn, Rudolf W. Keck, Elke Kleinau, Michael Klöcker und Karin Priem Band 40
Esther Berner
Im Zeichen von Vernunft und Christentum Die Zürcher Landschulreform im ausgehenden 18. Jahrhundert
2010
Böhlau Verlag Köln Weimar Wien
Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Aus: Zweymal zwey und funfizig auserlesene biblische Historien aus dem Alten und Neuen Testament, der Jugend zum Besten abgefasst. Zürich: Bürkli o. J.
© 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20388-7
Inhalt
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Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Problemstellung und Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.2 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.3 Methode, Vorgehen, Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
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Entwicklung und Differenzierung des Zürcher Schulwesens bis 1770. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.1 Die Reform der Stadtschulen (1765–1775) . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Teil I: Die Landschulreform der 1770er Jahre: Defizitwahrnehmungen – Reformperspektiven 3
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Schule auf dem Land um 1770: Kritik und Reformvorschläge aus dem Zürcher Oberland . . . . . . . . 3.1 Das Kyburger Kapitel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Zwei innovative Pfarrer: Kammerer Schulthess (Mönchaltorf ) und Dekan Escher (Pfäffikon) . . . . . . . . 3.1.2 Pfarrer Gessner (Dübendorf ): Relativierung am Massstab des Möglichen. . . . . . . . . . . 3.1.3 Lokale Umsetzungen bis 1776 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Das Wetzikoner Kapitel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Lokale Umsetzungen bis 1776 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Zusammenfassung und Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Der Zustand der Schulen auf der Zürcher Landschaft im Spiegel der Enquête (1771). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Der Schulmeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Einkommen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Sozialer Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 ‚Charakter‘ und Fähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Idee eines Schulmeisterseminars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Schulgesetzgebung: verbreitete Klagen – lokale Initiativen . . .
83 85 86 97 106 112 114
41 47 48
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Inhalt
4.3 Exkurs: Die Schule im dörflichen Umfeld – Strukturen, Beziehungen, Praxen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4.3.1 Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4.3.2 Konfliktkonturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4.3.3 Korruption und Klientelismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 4.4 Aspekte des Unterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4.4.1 Leselernmethodik: Dominanz des Buchstabierens – Versuche mit der Lautiermethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 4.4.1.1 Exkurs: Alphabetisierung und Literalität im Spiegel der Enquête . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 4.4.2 Unterrichtsgegenstände und Schulbücher: Priorität des religiösen Unterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . .171 4.4.3 Unterrichtsorganisation: vom (kollektiven) Einzelzum Zusammenunterricht in ‚Klassen‘ . . . . . . . . . . . . . . 185 4.5 Pädagogische Literatur in der Enquête . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 4.5.1 Basedow. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .197 4.5.2 Miller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 4.5.3 Sulzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 4.5.4 Physiognomische Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 4.5.5 Erziehungsschriften für die Landbevölkerung . . . . . . . . .211 4.6 Zusammenfassung und Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 5
Offizielle Reformumsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Die ‚Erneuerte Schul- und Lehr-Ordnung‘ von 1778 . . . . . . . . 5.2 Die ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ (1771) . . . . . . . . . . . . 5.3 Die ‚Hirten-Briefe über die Erziehung der Kinder auf dem Land‘ (1777) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Die reformierten Schulbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Zusammenfassung und Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
237 239 245 253 264 284
Teil II: Motive und Kontexte 6
Die Landschulreform in den Verhandlungen der Moralischen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 6.1 Die Moralische Gesellschaft: Ursprung und Ziele . . . . . . . . . . . 294 6.2 Die Enquête von 1771: Entstehung und Motive. . . . . . . . . . . . . .312
Inhalt
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Reform von Erziehung und Unterricht im Diskurs von Kirche und Geistlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
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Schul- und Erziehungsreform im Diskurs der Asketischen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 8.1 Die Behandlung von Schul- und Erziehungsfragen in den Arbeiten der Asketischen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 350 8.2 Das pastorale Selbstverständnis des Landgeistlichen in den Arbeiten der Asketischen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 366 8.2.1 Spaldings Vorgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 8.2.2 Vom Kanzelprediger zum Seelenkundler . . . . . . . . . . . . .371 8.2.3 Toblers ‚Idee von einem christlichen Dorfe‘: Eine Utopie stösst auf Gleichgültigkeit . . . . . . . . . . . . . . 384
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Theologische Kontroversen – pädagogische Konsequenzen . . . . . . 9.1 Glaube kontra Vernunft – autoritatives Christentum vs. natürliche Sittenlehre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Felix Hess: Vernunft im Dienst der Apologetik . . . . . . . . . . . . . 9.3 Henri Meister: christliche Offenbarung als Produkt menschlicher Einbildungskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
390 393 401 409
10 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .418
Anhang A. Zürcher Währungen und Einheiten im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . B. Fragen über den Schul-Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.1 Handschriftliche Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.2 Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
429 430 436 436 436 437 445
12 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460
VIII
Inhalt
Kirchengemeinden des Kantons Zürich im ausgehenden 18. Jahrhundert
Quelle: Pfister 1992a
1 Einleitung
Ein andres Mal wollte ich über einen Morast setzen, der mir anfänglich nicht so breit vorkam, als ich ihn fand, da ich mitten im Sprunge war. Schwebend in der Luft wendete ich daher wieder um, wo ich hergekommen war, um einen grössern Anlauf zu nehmen. Gleichwohl sprang ich auch zum zweytenmale noch zu kurz, und fiel nicht weit vom andern Ufer bis an den Hals in den Morast. Hier hätte ich ohnfehlbar umkommen müssen, wenn nicht die Stärke meines eigenen Armes mich an meinem eigenen Haarzopfe, samt dem Pferde, welches ich fest zwischen meine Kniee schloss, wieder herausgezogen hätte (Gottfried August Bürger 1786/1981, S. 54 f.). Die Zeit ist nicht primär ein Abgrund, der überbrückt werden muss, weil er trennt und fernhält, sondern sie ist in Wahrheit der tragende Grund des Geschehens, in dem das gegenwärtige Verstehen wurzelt. Der Zeitenabstand ist daher nicht etwas, was überwunden werden muss (Gadamer 1959/1986, S. 63).
Knapp 30 Jahre vor Ablösung des Ancien Régime durch die Helvetik (1798– 1803) fanden in Zürich, initiiert von der Moralischen Gesellschaft und einigen Geistlichen des Kyburger Kapitels, Bemühungen um eine Verbesserung des Landschulwesens statt. Otto Hunziker, erster Inhaber einer ausserordentlichen Professur für Geschichte der Pädagogik und schweizerische Schulgeschichte an der Universität Zürich, hat in einem Beitrag aus dem Jahr 1894 zu diesem Gegenstand eine Würdigung insbesondere der Reformvorschläge der beiden Kyburger Pfarrer Johann Georg Schulthess und Heinrich Escher unternommen. Dass die eingeleitete Reform nicht an der bestehenden politischen Verfassung und der Zuständigkeit der Kirche für das Schulwesen zu rühren vermochte, führt Hunziker auf die entsprechenden Zeitumstände zurück und bemerkt, es könne schliesslich allein einem Freiherrn von Münchhausen gelingen, sich am eigenen Zopf aus der Grube zu ziehen (S. 1). Der rettende Gestus kommt in Hunzikers Geschichtsverständnis von aussen in Gestalt der Französischen Revolution und derer Folgen für die Eidgenossenschaft. Indem Hunziker in dieser Schrift voraussetzt, dass die Zürcher Landschulreform der 1770er Jahre im Spiegel nachfolgender Umwälzungen lediglich als halbherziger Versuch abgeurteilt würde, statuiert er insgesamt diese Sichtweise erneut. Diese Defizitannahme hat auch im Folgenden die historiographische Beschäftigung mit diesem Abschnitt der Zürcher Schulgeschichte geprägt. In der älteren
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Einleitung
Forschungsliteratur ist diese Perspektive dem politischen Selbstverständnis des liberalen Fortschritts geschuldet; neuere Arbeiten von Historikerinnen und Historikern erkennen im rückständigen Landschulwesen den kritischen Ausdruck einer ambivalenten Rezeption aufklärerischer Ideen oder lassen die Geschichte des Schulwesens im Sinne der Kohärenz erst mit der Regeneration beginnen. Diese als problematisch zu bezeichnende Forschungslage bildet den Ausgangspunkt für eine erneute und ausführlichere wissenschaftliche Beschäftigung mit der Zürcher Landschulreform der 1770er Jahre.
1.1 Problemstellung und Erkenntnisinteresse In einer Analyse der Entwicklung und gegenwärtigen Situation der Schweizer Schulgeschichte kamen Criblez/Jenzer bereits 1995 zum Schluss, dass sich diese in einem desolaten Zustand befände. Einerseits verweist die Menge an Jubiläumspublikationen auf ein Bedürfnis nach schulgeschichtlicher Literatur, sei es, um sich der eigenen Leistungen, aber auch der Kontinuität zu vergewissern oder um aus dem Vergangenen Einsichten für die Gestaltung der Zukunft und eine eventuelle Neuorientierung zu gewinnen (vgl. ebd.). Die akademische Schulgeschichtsforschung hat im Zuge der Reformpädagogik mit ihrer Hinwendung zum individuellen Kind und seiner Entwicklung sowie der Orientierung der Erziehungswissenschaft an der Psychologie im vergangenen Jahrhundert im Allgemeinen an Terrain verloren. Anzeichen einer Trendwende sind erst in jüngerer Zeit auszumachen. Noch immer gilt allerdings, dass die Zeit des Ancien Régime in besonderem Mass unterbelichtet bleibt. Die schweizerische Bildungspolitik des 19. Jahrhunderts war vom politischen Liberalismus geprägt, wobei sich ihm in verschiedenen Phasen von katholisch- und protestantisch-konservativer Seite Widerstand entgegenstellte. Die Opposition wurde nach der Bundesverfassungsrevision von 1872/1874 unter anderem mit der Einführung des Referendums erfolgreich und gipfelte in der Ablehnung der so genannten Schulvogt-Vorlage von 1882 (vgl. Criblez/Huber 2008). Der Liberalismus sah sich nun von konservativer wie radikal-demokratischer Seite angegriffen, und es scheint kein Zufall zu sein, dass die Blütezeit der schulhistorischen Forschung mit der Krise des Liberalismus (vgl. Buchbinder 2002) zusammenfiel: Schulgeschichte wurde in dieser Situation fast ausschliesslich von liberalen ‚Schul-
Einleitung
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männern‘1 geschrieben. Sie sollte die Leistungen der staatlichen laizistisch orientierten Schulpolitik aufweisen, wobei der in düsteren Farben gemalte Zustand der Schulen vor der liberalen Ära und unter kirchlicher Herrschaft gleichsam die Negativfolie bot. Mit der Einführung des Proporzwahlrechts 1919 geht die Vorherrschaft der ‚freisinnigen Grossfamilie‘ (vgl. Gruner 1977) bestehend aus den Liberalen, Radikalen und Demokraten im Bundesstaat schliesslich zu Ende. Gleichzeitig endet die Konjunktur der schulhistorischen Forschung. Und vielleicht nicht zufällig findet die Schulgeschichte in den 1930er und 40er Jahren im Kontext von Faschismus und Nationalsozialismus als Rückbesinnung auf die liberale Tradition noch einmal verstärkt Beachtung (vgl. Criblez/Jenzer 1995). Schulgeschichte aus jener Epoche zeigt sich als Siegesgeschichte. Sie belegt die Entwicklung von sehr bescheidenen Anfängen zu einer hoch entwickelten und komfortablen Gegenwart. Gerade die Kritik an den Schulen des 18. Jahrhunderts war sehr beliebt, und die Schule des Ancien Régime wurde damit gewissermassen das Opfer der nachfolgenden Geschichtsschreibung (vgl. Jenzer 1991). Als Standard-Hintergrund für die Darstellung eigener Fortschritte dienten im 19. Jahrhundert gewöhnlich die Antworten von 1799 auf die vom helvetischen Minister der Künste und Wissenschaften Philipp Albert Stapfer veranlasste Schul-Enquête (vgl. Grunder 1998). Für Zürich wurden auch immer wieder einzelne Antworten auf die LandschulEnquête von 1771 beigezogen. Die im Zuge dessen entstandenen Wertungen werden erst allmählich mit kleineren und grossformatigen Untersuchungen revidiert (z. B. Weissleder 1994; Tröhler/Schwab 2006; Bloch 2007). An der Helvetik, die gegenüber der Regeneration und dem Datum der Bundesstaatsgründung lange die Rolle eines Stiefkindes der nationalen Geschichtsschreibung inne hatte, lässt sich der instrumentelle Umgang mit der eigenen Vergangenheit gut aufzeigen. Die Beschäftigung mit der Helvetischen Republik war im 19. Jahrhundert und bis zum 200-Jahre-
1 Mit Bezug auf die Schulgeschichtsschreibung in Deutschland um 1900 spricht Neugebauer (1995) ähnlich vom Typ des ‚demokratisch-nationalliberalen Lehrer-Historikers‘. Neugebauer bemerkt, dass die Wahrnehmung der geistlichen Schulaufsicht lange Zeit von der Kampfstellung der Lehrer(verbands)-Publizistik aus der Zeit vor 1918 bestimmt war. Dass im 18. Jahrhundert gerade die (niedere) Geistlichkeit Rezipient und Protagonist moderner, aufgeklärter Bildungsprogramme in Theorie und Praxis war, habe die ältere (und neuere) Lehrerhistorie aus einem gewissen Professionalisierungsinteresse heraus nicht sehen wollen.
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Einleitung
Jubiläum von der vorherrschenden politischen Ideologie determiniert (vgl. Simon 2000); sie war dann interessant, wenn Parallelen zwischen den damaligen Ereignissen und der Gegenwart vorhanden waren, die es erlaubten, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken oder warnend auf die Vergangenheit zu verweisen. In den demokratischen Grundlagen der Helvetischen Republik sahen die Liberalen zwar zuweilen die Vorbereitung der späteren Entwicklungen; gleichzeitig aber wurde die Helvetik wegen ihrer einheitsstaatlichen Ausprägung und insbesondere wegen der von aussen aufoktroyierten Revolution und der folgenden Fremdherrschaft vorwiegend als Irrweg apostrophiert. Damit übernahm dieser Abschnitt in dialektischer Weise eine zwar nötige, aber vor allem negative Funktion im nationalen Geschichtsprozess. Bequemer als die Helvetik, da Kohärenz versprechender, war und scheint bis in die jüngste Gegenwart die Orientierung am Datum 1848 bzw. bezüglich der Geschichte des Volksschulwesens an der Regeneration. Hierbei zeigen sich zwischen den Kantonen Unterschiede: Während sich in den befreiten Kantonen wie der Waadt oder dem Thurgau in den Feierlichkeiten von 1898 und 1948 leicht eine Kontinuität von den Ereignissen der Helvetik bis 1848 herstellen liess, wurde in den kämpfenden Kantonen wie Bern, Schwyz oder Nidwalden der Widerstand gegen die französischen Truppen gefeiert. Die Anerkennung einer Kontinuität zwischen Helvetischer Revolution und Bundesstaatsgründung wäre dem Geständnis gleichgekommen, die Vorfahren hätten sich 1798 für die falsche Sache eingesetzt (vgl. Eggli 2000). Erst die neuerliche wissenschaftliche Beschäftigung mit jenem Zeitabschnitt führt zu einer allmählichen Revision des überbrachten Helvetikbildes (vgl. Bütikofer 2006). Das Bemühen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts um eine Nationalgeschichte stellt dabei in der Schweiz kein Sonderfall dar; vielmehr lassen sich solche Projekte in ganz Europa feststellen. Stellvertretend für die schweizerische national-liberale Geschichtsschreibung kann die ‚Geschichte der Schweiz‘ (1884–1888) von Karl Dändliker angeführt werden. Dändliker war der erste akademisch ausgebildete Schweizer Historiker, der den Versuch einer nationalhistorischen Gesamtdarstellung der Schweizergeschichte gemäss den Regeln moderner Wissenschaftlichkeit zu verfassen unternahm. Mit den Methoden der ‚Kritischen Schule‘ war er zwar bekannt, stellte aber die Erzählform über den Inhalt und versuchte um der Popularisierung von Geschichte willen die Versöhnung von Wissenschaft
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und Tradition.2 Dändliker war parteipolitisch zwar nie aktiv, indessen kann seine frühe Publikation zum 50-jährigen Jubiläum des Ustertags als liberales, politisches Manifest gelesen werden (vgl. Buchbinder 2002). Und er gehörte denn auch zu den glühenden Verfechtern des liberalen Bundesstaats von 1848. Das Werk verfasste er als Lehrer für Geschichte und Geographie am Seminar in Küsnacht. Erkennbar ist darin eine Fortschrittsvorstellung, wonach die Nationalgeschichte einen genealogischen und finalen Charakter aufweist, wobei der vom Freisinn geschaffene Bundesstaat gleichsam den Fluchtpunkt der ‚Meistererzählung‘ bildet.3 Insofern die Staatsgründung zum ‚natürlichen‘ Ziel wird, ist die Geschichtsschreibung, obwohl von Vertretern des liberalen Bundesstaates geschrieben, ein im Kern konservatives Projekt. Während es leicht fällt, in den Maximen der Laisierung und Demokratisierung der helvetischen Schul- und Bildungspolitik, wenn auch vorerst noch nicht realisierte, so doch ideelle Vorboten des modernen öffentlichstaatlichen Schulwesens zu erkennen, ist dies bezüglich der Epoche des Ancien Régime kaum der Fall. Typisch ist deshalb eine abwertende Haltung gegenüber dem schulgeschichtlichen 18. Jahrhundert. So kommt Hedwig Strehler (1934) etwa zu dem Schluss, erst der Rückblick auf das 17. und 18. Jahrhundert zeige, „welch gewaltiger Arbeit und Überzeugungskraft es bedurfte, um die Verrottung […] aufzuhalten“ (S. 126). Zudem bezeichnet sie in ihrer Dissertation die Zeit von 1650 bis 1750 einheitlich als starr und tot, und zwar in politischer und theologischer Hinsicht sowie bezüglich des Volksunterrichts: „Diese hundert Jahre lassen sich als eine innerlich geschlossene Epoche betrachten, da sie in jeder Beziehung die erstarrteste und unlebendigste Zeit zwischen Reformation und Revolution darstellen“ (S. 8). Dieselben und ähnliche Einschätzungen findet man im Übrigen bei Hunziker, der von der „Öde“ der Zeit vor 1765 (1894, S. 3) und ebenfalls von „verrotteten“ Zuständen des Schulwesens am Ende des 18. Jahrhunderts spricht. Labhart-Hildebrandt (1883) charakterisiert die Zeit von 1719– 2 Zum (national-)pädagogischen Motiv von Geschichtsschreibung vgl. als ein weiteres Beispiel auch die ‚Geschichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft‘ (1887–1917) von Johannes Dierauer. 3 Demselben Duktus folgt Dändlikers ‚Geschichte der Stadt und des Kantons Zürich‘ (1908–1912); Dändliker war u. a. auch Verfasser einer ‚Kleinen Geschichte der Schweiz für Schule und Haus‘ (1889). Zu Dändliker und der nationalen Geschichtsschreibung um 1900 vgl. Buchbinder (2002); zur nationalen Historiographie seit Johannes von Müller vgl. Helbling (1980); zur nationalen Geschichtsschreibung in Schulbüchern vgl. Furrer (2004).
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1765 als eine „lange unfruchtbare Periode“ (S. 35; Hervorhebung i. O.); es habe damals im Examinatorenkonvent zwar nicht an fähigen Männern oder auf Seiten der Regierung am „Wollen“ gefehlt; scheinbar mangelte aber doch ein „tieferes Interesse“ für die Sache des Volksunterrichts, ebenso wie die „nötige Wärme“ zu deren Durchsetzung (ebd.). Schliesslich kommt auch Ernst (1911) in seiner Darstellung zum Schluss, das Schulwesen des 17. und 18. Jahrhunderts gebe ein „trübes“ Bild ab, „wie die Zeiten selber Perioden des politischen und religiösen Niederganges gewesen sind“ (S. 206). Entgegen dieser negativen Vergangenheitsschilderung stellt sich verschiedentlich dort Ambivalenz ein, wo das Bedürfnis besteht, sich des Erbes der Aufklärung zu vergewissern. Dies gilt besonders im Hinblick auf den damals kulturell nicht ganz bedeutungslosen Zürcher Stadtstaat, hat er doch einige bekannte Naturforscher, Dichter und natürlich vor allem mit Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger, Lavater oder Pestalozzi einige Gelehrte und Persönlichkeiten hervorgebracht, die internationales Renommee genossen. Die Schulgeschichte übernahm die in der allgemeinen Geschichte vorgenommenen Wertungen weitestgehend. Die Historiographie des ländlichen Schulwesens unterliegt ganz besonders der Gefahr, dass die Tatsache eines ständischen Bildungswesens sowie der kirchlichen Dominanz, an welcher eigentlich nicht gerührt werden sollte, mit der Würdigung grosser Namen und verdienstvoller Schul- und Kirchenmänner in Kollision gerät. Dies deshalb, weil mit jenen Merkmalen gerade die bestimmenden Charakteristika des Schulwesens des Ancien Régime benannt sind, deren erfolgreiche Abschaffung den Leistungsausweis der liberalen Schulreformpolitik ausmachte. Diese Ausgangssituation lässt Hunziker (1881, Bd. 1) bezüglich der Erziehungsbestrebungen vor der Französischen Revolution zu dem Urteil kommen, „dass eine Beiseitsetzung des Ständeunterschiedes in der Erziehung wol zu den idealen Träumen, aber noch nicht zu den praktisch durchführbaren Möglichkeiten gehörte“ (S. 138), und begegnet damit dieser Grundaporie mit der Diskrepanz zwischen ideellem Wollen und durch vorhandene Realitäten eingeschränktem Können. Dass eine Bewegung im Schulwesen notwendige Verbesserungen mehr vorbereitete als ins Leben rief, lag „nicht in dem Mangel an gutem Willen, sondern in der ganzen Enge und Beschränkung der öffentlichen Bedürfnisse“ (ebd., S. 143). Lässt sich der Fortschrittsanspruch der liberalen Geschichtsschreibung also einerseits gleichsam external im dominanten politischen Kontext begründen, ist auf der anderen Seite auf die die Moderne beherrschende ge-
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schichtswissenschaftliche Epistemologie zu verweisen (vgl. Müller 2004).4 Nachhaltig in Frage gestellt, wenn auch wenig rezipiert in der deutschsprachigen pädagogischen Historiographie, wurde das der Moderne verpflichtete Fortschrittsmodell von poststrukturalistischer Seite (z. B. Lyotard 1979/2005). Eine Kritik betrifft die Überführung historischer Einzelereignisse in übergreifende Sinnzusammenhänge (Metaerzählungen). Zu nennen sind hier Megatheorien wie die der Säkularisierung, Sozialdisziplinierung oder Professionalisierung; damit einhergehend werden verschiedene Faktoren wie die Demokratisierung, Industrialisierung, Rationalisierung oder Individualisierung mit dem Terminus der Moderne assoziiert.5 Die Moderne erscheint dabei als Telos, das von Beginn weg in der Geschichte angelegt war; die Figur des Fortschritt, in die die Geschichte eingeschrieben ist, verleiht ihr einen totalitären Erkenntnisanspruch. Die enge Verbindung von historischer Analytik und (aus der Gegenwart stammender) sozialwissenschaftlicher Begrifflichkeit präjudiziert bereits auf der Ebene der Kategorien Ergebnisse. Ebenso gewährt die traditionelle Ideengeschichte, gemäss Foucault (1969/1981, S. 213), dem Diskurs, den sie analysiert, gewöhnlich einen „Kohärenzkredit“. Trifft sie dabei auf Unvereinbarkeiten und Widersprüche, „so macht sie es sich zur Aufgabe, auf einer mehr oder weniger tiefen Ebene ein Kohäsionsprinzip zu finden, das den Diskurs organisiert und ihm eine verborgene Einheit wiedergibt“ (ebd.). Während Foucault mit seinem Programm einer Archäologie des Wissens der Ideengeschichte eine völlige Absage erteilte, wurde diese unter dem Einfluss der so genannten linguistischen Wende im angloamerikanischen Raum gleichzeitig einer Revision unterzogen. Skinner (1969/1989) verweist in einem diesbezüglich programmatischen Aufsatz unter dem Titel ‚Meaning and Understandig in the 4 Geht man davon aus, dass Wissenschaftlichkeit keineswegs voraussetzungslos ist, sondern von konkreten Legitimationsstrukturen abhängt, so kann allerdings angenommen werden, dass beide Seiten nicht vollständig trennbar sind. 5 In der gegenwärtigen historisch-wissenschaftlichen Diskussion und Praxis scheint sich ein pragmatischer Umgang mit solchen Makrobegriffen abzuzeichnen. Einerseits werden Kategorien wie z. B. Säkularisierung oder Säkularisation als der Geschichtsschreibung unentbehrlich akzeptiert, insofern sie das eigene Tun ordnen helfen, nicht ohne dabei auch Reibungsflächen bereitzustellen. Verzichte man auf solche Begriffe, löse sich die Geschichte in ein buntes Puzzle von lauter Ungleichzeitigkeiten auf, in denen nichts mehr zu erkennen sei (vgl. Iseli/Kissling 2005). Gleichzeitig distanziert sich aber die neuere Forschung von Vorstellungen bruchlos linearer, teleologischer Vorgänge (z. B. Graf 1997, 2005; Holenstein 2005).
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History of Ideas‘ auf verschiedene Mythologien, die in der klassischen Ideengeschichte vielfach zu ahistorischen Interpretationen führten. Auch er verweist dabei auf die Kohärenzproblematik: Die „mythology of coherence“ verführe den Exegeten dazu, im Werk eines Autoren im Nachhinein eine innere Kohärenz aufzuspüren – auch wenn dieser eine solche umfassende Doktrin gar nicht formuliert oder zugrunde gelegt hat. Gelingt es einem Historiker nicht, einer der genannten Mythologien zu ihrem Recht zu verhelfen, findet ein solcher Interpret zuweilen die Ursache im Akt der Selbstzensur. Sämtliche vier von Skinner identifizierten Mythologien kommen zustande, indem der Historiker sich seinem Material mit „preconceived paradigms“ (S. 48), also mit aktuellen Konzepten und ‚Ideen‘, die den historischen Akteuren noch gar nicht zur Verfügung gestanden haben, nähert und diese auf die Vergangenheit projiziert. Die Bedeutung und der Sinn (meaning) einer vergangenen Äusserung kann deshalb nur aufgrund der Rekonstruktion des Kontexts, und zwar in erster Linie des linguistischen Kontexts verstanden werden. Ausgehend von Wittgensteins sprachphilosophischer (und von John L. Austin und Richard Searle sprechakttheoretisch weiterentwickelten) Prämisse, wonach Sprache Handeln ist, muss es dem Historiker darum gehen, die Absicht des Autors und die damit bei den zeitgenössischen Rezipienten beabsichtigte Wirkung zu verstehen. Dies wiederum gelingt erst auf der Grundlage der Analyse des normativen Vokabulars einer Gesellschaft zur in Frage stehenden Zeit. Dieses bestimmt die Grenzen des Sagbaren, aber auch des von den Angesprochenen Versteh- und Nachvollziehbaren und damit die überhaupt in Frage kommenden Intentionen und Wirkungen einer Äusserung. Bezüglich der Bedeutung von Sprache gilt: „[…] the problem facing an agent who wishes to legitimate what he is doing at the same time as gaining what he wants cannot simply be the instrumental problem of tailoring his normative language in order to fit his project. It must in part be the problem of tailoring his projects in order to fit the available normative language“ (Skinner 1978, S. xiif.). Um das allgemein verfügbare ideologische Vokabular bzw. dessen Semantik zu rekonstruieren, reiche es nun nicht, lediglich auf die kanonischen Autoren zurückzugreifen, da sich jene unter anderem dadurch auszeichnen, dass sie sich auf einem nicht repräsentativen intellektuellen Abstraktionsniveau bewegen (ebd., S. xi). Stattdessen bedarf es einer wesentlichen Ausdehnung des Studiums auf weitere und alltäglichere Quellen, gerade auch für eine adäquate, das heisst kontextualisierte Interpretation herausragender Theoretiker bzw. Ideen. Dies setzt den Einbezug von ‚Autoren aus den nachfolgenden Gliedern‘ in der Hierarchie der grossen Gestalten voraus,
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also von Diskussionsteilnehmern auch zweiten und dritten Ranges (vgl. Voigt 2003). Diskursanalytisch interessant sind hierbei die Einschreibungen, das heisst Aussagen als Wiederholungen ähnlicher, vorgängiger Aussagen, die immer einen gewissen Ort und häufig einen bestimmten institutionellen Rahmen aufweisen müssen, um gehört werden und als wahr gelten zu können (vgl. Maingueneau 1991). Die aufgezeigte methodologische und ideologische Problemlage bezüglich der Schulgeschichtsschreibung sowie die Konfrontation mit überzeugenden innovativen Neuansätzen der Ideen- und Diskursgeschichte leiten zum Erkenntnisinteresse dieser Arbeit über. Mit Bezug auf den Gegenstand dieser Untersuchung, die Zürcher Landschulreform der 1770er Jahre, gilt es nochmals zu erwähnen, dass die ältere Historiographie dieser ein innovatives Potential weitgehend abgesprochen hat. So sieht die ältere Zürcher Schulgeschichtsschreibung zum 18. Jahrhundert in der neuen Schul- und Lehr-Ordnung für die Zürcher Landschulen, wie sie 1778 resultierte, keinen nennenswerten Fortschritt gegenüber den vorangehenden Schulordnungen. Insbesondere die praktischen Auswirkungen, die von den neuen Regelungen ausgingen, werden aufgrund der Zürcher Antworten knapp drei Jahrzehnte später auf die Stapfer-Enquête als äusserst gering eingeschätzt. Damit parallelisiert die Schulgeschichte das negative Bild vom Ancien Régime, wie es in der allgemeinen Schweizer Geschichte bis weit ins 20. Jahrhundert vorherrschte. Das Ancien Régime tritt hier als notwendige Antithese zwischen die positiv besetzte Alte Eidgenossenschaft und den Aufbruch zum modernen Bundesstaat im 19. Jahrhundert. Verantwortlich für die Depravation zeichnen gewöhnlich Oligarchie und Absolutismus, welche in der Schulgeschichte zusammen mit der Kirchenherrschaft den eingeschränkten Aktionsrahmen der Akteure bilden. Diese Darstellung geht im Fall Zürichs erstaunlicherweise einher mit der Hervorhebung der grossen Verdienste damaliger Staats- und Kirchenoberhäupter wie Antistes Johann Rudolf Ulrichs und Bürgermeister Johann Konrad Heideggers; beide sollen nach ihrem Amtsantritt Ende 1760er Jahre die Reform des Unterrichtswesens angestossen haben. Im Sinne der personellen Würdigung war es nicht mangelndes Interesse, sondern die Begrenztheit der Handlungsmöglichkeiten ausgerechnet der de facto mächtigsten Männer, die der folgenden Landschulreform ihren unvollkommenen Charakter verlieh. Damit erscheinen die ‚grossen Persönlichkeiten‘ in seltsamer Weise aus dem ideologischen Horizont ihrer Zeit herausgelöst und gerettet, während jenem eine subjektunabhängige Eigenlogik zugesprochen wird.
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Angesichts der genannten Defizite ist es das Ziel dieser Dissertation, die Zürcher Landschulreform der 1770er Jahre im Kontext lokaler Bedingungen und Motive, aber auch überregionaler pädagogischer und sozialreformerischer Diskurse6 darzustellen. Es soll sich dabei herausstellen, inwiefern sich zu diesem Forschungsgegenstand mit einer neuen geschichtswissenschaftlichen Zugangsweise und einem Geschichtsverständnis, das weder teleologisch ausgerichtet ist noch einer genetischen Legende anhängt, andere und über die bisherigen Erkenntnisse hinausreichende Ergebnisse und Einschätzungen aufdrängen. Dieses Unternehmen ist aus den dargelegten Gründen gerade für die Zeit vor der institutionellen Umsetzung der Idee einer laizistischen, öffentlich-staatlichen Volksschule ein Desiderat. Zürich ist als Beispiel einer Landschulreform im Ancien Régime deshalb besonders interessant, weil vor der Erarbeitung einer neuen Landschulordnung mit der Enquête von 1771 eine Erhebung des Ist-Zustandes vorgenommen worden ist. Damit ist es möglich, die Schul- und Unterrichtsrealität, wie sie von den Adressaten der Umfrage, den Pfarrern, wahrgenommen worden ist, zu erfassen. Einige Fragen verlangten explizit wertende Aussagen von den Landgeistlichen, solche wurden aber an vielen Stellen auch unaufgefordert gemacht. Daraus lässt sich auf die zeitgenössische Defizitwahrnehmung durch diese Professionsgruppe schliessen, was wiederum Voraussetzung ist, wenn Reformeffort und -wirkung eingeschätzt werden wollen. Dieses Vorgehen, bei dem vor der Intervention zuerst der tatsächliche Zustand der Schulen systematisch und flächendeckend erhoben wurde, geht auf eine damals geäusserte Skepsis gegenüber allzu positiven routinemässigen Berichten über die unterrichtlichen und erzieherischen Leistungen der Schulen zurück. Damit äussert sich in diesem Unternehmen durchaus der Wille nach einer objektiveren und verlässlicheren Evaluation von Realität und ihren Mängeln, der mit grossem Aufwand verbunden war.
6 In den letzten Jahren haben sich die Begriffe ‚Diskurs‘ und ‚Diskursanalyse‘, unter Verweis auf Michel Foucault, über die Geschichtswissenschaft hinaus in einer Weise eingebürgert, dass geradezu von einem inflationären Gebrauch die Rede sein kann (vgl. Jütte 2002). In dieser Arbeit steht der Begriff ‚Diskurs‘ für konkrete sprachliche Äusserungen, in denen sich spezifische Ideen- und Sinnkomplexe manifestieren. Sprachliche Äusserungen werden aufgefasst als intentionale Handlungen, die linguistischen Regelmässigkeiten und Konventionen einer Zeit unterliegen. Es wird aber nicht der Anspruch erhoben, Diskursanalyse im foucaultschen Sinn einer Analyse ‚diskursiver Formationen‘ (Foucault 1969/1981) zu betreiben.
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Ein besonderes Erkenntnisinteresse leitet sich schliesslich aus der These ab, dass die Abwertung der Reformbestrebungen der 1770er Jahre dazu geführt hat, dass ein wichtiger Diskurszusammenhang bisher übersehen oder vernachlässigt worden ist. Es handelt sich dabei um einen in seinem Ursprung theologischen Diskurs, der sich in die Auseinandersetzung der Zürcher Geistlichen mit der deutschen Neologie einordnen lässt. Neue Antworten auf theologische und anthropologische Fragen, die in diesem Kontext ausgesprochen wurden, wirkten sich auf die Frage der Vernunftfähigkeit und Erziehbarkeit des Menschen, des Verhältnisses von Moral und Glaubenslehre sowie deren Vermittlung und somit auch auf pädagogische Methodenfragen aus. Gerade weil diese Diskussionen theologischen und religiösen Ursprungs waren, fanden sie in der traditionellen Zürcher Schulgeschichtsschreibung, welche sich an den grob gefassten Entwicklungskategorien Laisierung und Säkularisierung orientierte, bisher kaum Beachtung.
1.2 Forschungsstand Entsprechend den föderalistischen Gegebenheiten wurde Schulgeschichte in der Schweiz bislang hauptsächlich kantonal geschrieben. Das einzige umfangreiche Werk mit nationaler Perspektive ist noch immer die dreibändige ‚Geschichte der Schweizerischen Volksschule‘ (1881–1882) von Otto Hunziker, ergänzt um die ‚Bilder zur neueren Geschichte der Schweizerischen Volkshochschule‘ (1889), aus den 1880er Jahren, welche vorwiegend aus Lebensbeschreibungen bedeutender Pädagogen und Schulreformer, allen voran Pestalozzis und seiner Schüler, besteht. Einzelne schulgeschichtliche Entwicklungslinien seit dem 19. Jahrhundert in gesamtschweizerischer Perspektive gibt der kürzlich erschienene Sammelband von Criblez (2008) wieder (vgl. etwa auch Criblez/Jenzer/Hofstetter/Magnin 1999). Von der Anzahl der Publikationen her als vergleichsweise gut aufgearbeitet kann man die Schulgeschichte des Kantons Zürich bezeichnen.7 Das 175-jährige 7 Folgende Artikel, Dissertation, Sammelbände etc. lassen sich im Sinne eines Forschungsüberblicks nennen: Tröhler/Hardegger (2008) zu einzelnen Aspekten der Geschichte der Zürcher Volksschule; Bloch (2007) zur Volksschullehrerbildung zwischen 1770 und 1914; Bütikofer (2006) zur Idee der Volksschule im Diskurs der Helvetik; Bloch (1999) zur Entwicklung von Schulpflicht, Unentgeltlichkeit und Laizität in Zürich 1770–1900; Graf (1998) zur Sekundarschule im Kanton Zürich 1830–1880; Bloch (1997) zur Zürcher Landschulreform der 1770er Jahre; Scandola (1991) zum Schulwesen in den Kantonen Zürich und Bern 1750–1830; Koller (1987) zur Zürcher
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Jubiläum hat aktuell eine neue und für das breite Publikum attraktive Volksschulgeschichte (Lengwiler/Rothenbühler/Ivedi 2007) hervorgebracht, ansonsten kommt der dreibändigen Bildungsgeschichte zum 100. Geburtstag der Zürcher Volksschule (Erziehungsrat des Kantons Zürich 1933a, 1933b, 1938) noch immer einschlägiger Charakter zu. Neben solchen umfassenden Institutionengeschichten mit breitem zeitlichem Fokus sind für die Schweiz wie einzelne Kantone gerade in neuerer Zeit schulhistorische Arbeiten mit spezifischen Fragestellungen zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung, zur Durchsetzung des Schulbesuchs, Säkularisierung etc. entstanden. Dabei kommt aber die Zeit vor der Regeneration bzw. Helvetik, also den ‚Geburtsstunden‘ des laizistischen öffentlich-staatlichen Schulwesens, äusserst selten in Betracht. Explizit der Zürcher Landschulreform der 1770er Jahre gewidmet und deshalb neben Hunzikers Beitrag aus dem Jahr 1894 hervorzuheben ist ein Aufsatz von Alexandra Bloch (1997). Zudem erschien von ihr kürzlich die Dissertation (2007) zum Professionalisierungsprozess der Zürcher Volksschullehrkräfte (1770–1914), die Teile der Enquête von 1771 sowie der Stapfer-Enquête auswertet. Unter den älteren Beiträgen zum Zürcher Landschulwesen im 18. Jahrhundert ziehen Strehler (1934), Labhart-Hildebrandt (1883)8 und begrenzt auch Mantel (Erziehungsrat des Kantons Zürich 1933a), Stauber (1920) und Bildungspolitik 1862–1872; Kost (1985) zur Zürcher Volksschule und Schuldisziplin 1830–1930; Oertel (1983) über die Entstehung der Zürcher Volksschule aus soziologischer Perspektive; Kasper (1974) zur Volksschule auf der Zürcher Landschaft 1830– 1850; Frey (1953) zur zürcherischen Volksschulgesetzgebung 1831–1951 aus juristischer Perspektive; Humm (1936) zu Volksschule und Gesellschaft im Kanton Zürich von der Regeneration bis zur Gegenwart; Strehler (1934) zu Kirche und Schule auf der Zürcher Landschaft im 17. und 18. Jahrhundert; Erziehungsrat des Kantons Zürich (1933a, 1933b, 1938) zum Zürcher Bildungswesen 1832–1933; Greiner (1933) zu Staat, Kirche und Volksschule im Kanton Zürich von der Helvetik bis Gegenwart; Stauber (1920) zu den zürcherischen Landschulen zu Beginn des 18. Jahrhunderts; Hartmann (1917) zur Volksschule im Kanton Zürich zur Zeit der Mediation; Ernst (1911) zu den Zürcher Stadtschulen im 17. und 18. Jahrhundert; Haag (1910) über die Zürcher Stadtschulordnung von 1716 bis zu Pestalozzi; Klinke (1907) zum Volksschulwesen im Kanton Zürich zur Zeit der Helvetik; Hunziker (1894) zur Zürcher Landschulreform der 1770er Jahre; Labhart-Hildebrandt (1883) zu den Zürcher Landschulen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts; Ernst (1879) zu den Zürcher Schulen Ende 16. Jahrhundert. 8 Labhart-Hildebrandt hielt die Enquête von 1771 fälschlicherweise noch für ein Unternehmen, das 1765 von Bürgermeister Heidegger initiiert und im Rahmen der halbjährlichen Visitationen von den Dekanen durchgeführt wurde.
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Klinke (1907) die Antworten der Landschul-Enquête heran und entwerfen dabei ein Bild des Ungenügens der damaligen Zustände. Hedwig Strehler etwa kommt, bevor sie die Dissertation mit dem Hinweis auf die Verdienste Pestalozzis und das „Martyrium“ seines Lebens schliesst, zu folgender Beurteilung: „So selbstverständlich uns heute die Verdrängung einer Reihe unwürdiger Einflüsse auf die Schule vorkommt, so zeigt uns doch erst der Rückblick auf das 17. und 18. Jahrhundert, welch gewaltiger Arbeit und Überzeugungskraft es bedurfter, um die Verrottung und den erstarrten Gleichlauf der Verhältnisse aufzuhalten und den Widerstand einer ganzen Welt zu brechen“ (S. 126). Damit übernimmt die Beschäftigung mit dem Zustand des Schulwesens vor einer liberalen Wende in typischer Manier die Funktion der Vergewisserung der eigenen Verdienste. Klinkes ‚Volksschulwesen des Kantons Zürich zur Zeit der Helvetik (1798–1803)‘ (1907) liegen die Antworten auf die nationale Schul-Enquête aus dem Jahre 1799 zugrunde und gibt ebenfalls Zeugnis ab von der Situation am Ausgang des Ancien Régime.9 Bereits 1864 hatte übrigens Morf als Vorspann zu seiner Pestalozzi-Biographie den Zustand des Schulwesens am Ende des 18. Jahrhunderts, das heisst vor Pestalozzis pädagogischem Wirken, anhand der Quellen aus der Stapfer-Enquête in seiner ganzen Bedenklichkeit entworfen. Der Vergleich der Gegenwart der 1860er Jahre mit den Zuständen um die Jahrhundertwende veranlasst Morf zu der Feststellung: „Das Verdienst dieser Umwandlung auf dem Gebiet der Schule und der Armenerziehung gebührt Vater Pestalozzi. Mit ihm und durch ihn beginnt diese neue Epoche in der Pädagogik“ (Morf 1868, Bd. 1, S. 66; Hervorhebung i. O.). Interessanterweise war es Morf, dem 1860 von den Liberalen aus Münchenbuchsee vertriebenen Seminardirektor, ein Anliegen nachzuweisen, dass nicht etwa jene, „sondern der ‚von finanziellen Mitteln völlig entblösste Pestalozzi‘ die ‚Erfrischung und Regeneration‘ der Schule bewirkt“ hatte (Osterwalder 1995, S. 11); nichtsdestotrotz sollten aber gerade auch die Liberalen Pestalozzi als Symbol für den Auf- und Ausbau des öffentlich-staatlichen Schulsystems bean-
9 Zu weiteren kantonalen Auswertungen der Stapfer-Enquête in der Schulgeschichtsschreibung vgl. Grunder (1998). Grunder vertritt die These, dass bereits das helvetische Direktorium die Erhebung genutzt habe, um „Schwarzmalerei“ zu betreiben. Teilauswertungen und Fallstudien wurden in neuerer Zeit vorgenommen von Bloch (2007) zur Bildung der Lehrer in Zürich, von Weissleder (1994) zum relativen Schulbesuch in der Berner Kirchgemeinde Reichenbach sowie von Eigenmann (1999) zu den Schulen in den Thurgauer Distrikten Frauenfeld und Tobel.
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spruchen, obwohl weder dessen Schul-Konzept noch die Pädagogik der so genannten Pestalozzianer in seiner Nachfolge der Idee der Volksschule entsprach, wie sie im 19. Jahrhundert realisiert wurde (vgl. Osterwalder 1995, 1996, 1997). Es ist zwar kein spezifisches Phänomen der Schulgeschichte bzw. Pädagogik, dass einzelnen Personen bzw. Männern eine überragende Bedeutung für die Entwicklung der Disziplin und ihrer Institutionen zugesprochen wird (vgl. etwa Müller 2004). Zugleich scheinen aber der moralische ‚appeal‘ pädagogischer Themen und Fragestellungen und die lange Zeit stark pädagogisierende, gesinnungsbildende, Funktion ihrer Geschichte hier besondere Voraussetzungen geschaffen zu haben. Die Funktion Pestalozzis als pädagogische Gründerfigur mit Märtyrerstatus10 kommt zudem bei Strehler (1934) zum Ausdruck, die ihre Untersuchung mit der Feststellung schliesst, Pestalozzi sei der Begründer der ‚neuen‘ Schule. Bei ihr ist allerdings, siebzig Jahre nach Morf, diese moderne, kindgerechte Schule deutlich reformpädagogisch besetzt.11 Im Gegensatz zu älteren, an den Ideen einzelner Personen orientierten Arbeiten verweisen neuere Studien auf ein kontinuierliches Anwachsen der Erwartungen breiter Bevölkerungsschichten an die Schulen und deren Bildungsangebot. Ein solches lässt sich gemäss Bloch (2007) bereits mit Beginn ihres Untersuchungszeitraumes um 1770 feststellen. Gleichzeitig zeigen die Antworten auf die Stapfer-Enquête von 1799 aber, dass sich gerade die in der Schulordnung von 1778 enthaltenen Neuerungen, zu denen eine Repetierschule, die obligatorische Sommerschule und insgesamt ein stärkerer Wille zur Durchsetzung des allgemeinen Schulbesuchs gehörten, wenig befolgt wurden (Bloch 1997). Insgesamt bleibt es schwierig, wie Bloch
10 Vgl. auch Klinke (1907), der seine Untersuchung ebenfalls mit einem Hinweis auf Pestalozzi schliesst: „Auch im letzten Glied der grossen Volksgemeinschaft soll die Idee der Humanität realisiert werden – ein Ziel, für das Zürichs grösster Sohn, den ‚des Volkes jammerte‘, mit dem ganzen Vollgewicht seiner Persönlichkeit eintrat“ (S. 172). 11 Ähnlich, wenn auch kritischer, veranschlagt Ernst (1911) anlässlich seines Blicks auf das „Schulleben“ im 17. und 18. Jahrhundert die aktuellen reformpädagogischen Errungenschaften: „Die alte Schule verstand die Natur des Kindes nicht und gab sich auch keine Mühe, sie zu verstehen; der Zögling musste sich richten nach dem Erzieher; darum war die Erziehung auch keine Erziehung, sondern, wie die Akten richtig sagen, eine Zucht. […] Heute ist es anders geworden, wir gehe aus vom Kinde […]. Wir reden heute von einem ‚Jahrhundert des Kindes‘. Mögen auch viele Reformvorschläge zu weit gehen, man wird das ehrliche Streben nach Verbesserung und Vervollkommnung anerkennen müssen“ (S. 206; Hervorhebungen i. O.).
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selber bemerkt, anhand der wenigen quantifizierbaren Äusserungen und angesichts der Widersprüche in qualitativen Aussagen die tatsächliche Wirkung der Schulreform der 1770er Jahre aufzuzeigen. Auch hinsichtlich der Frage nach den leitenden Motiven und Gründen für die Durchführung der Landschulreform wurden neue Erklärungsansätze vorgebracht, die nun nicht lediglich auf das philanthropische Engagement einzelner Akteure rekurrieren. So erkennt Bloch (1997) in der neuen Schulund Lehrordnung von 1778 die herrschaftsstabilisierende Reaktion auf „Herausforderungen der Aufklärung“ (S. 250). Dennoch sei die häufig vorgebrachte Erklärung nicht hinreichend, die städtische Regierung wünschte „trotz der zunehmenden Verbreitung aufklärerischen Gedankenguts keine vermehrte Bildung der Landbevölkerung“ (ebd., S. 251); vielmehr war es ja gerade die regierungsfähige Elite, die bei der Reform federführend wirkte. Erklärungskräftiger erscheint ihr deshalb ein Ansatz, der die Reformen als eingebettet in die einsetzende Ablösung des traditionellen Patrimonialstaats durch den modernen Leistungsstaat begreift (ebd.). Als Erklärungsgrund werden damit Systemveränderungen angeführt, deren ideologische Voraussetzungen ihrerseits unerklärt bleiben. Auch das andernorts (vgl. Bloch 1999) argumentativ angeführte Paradigma der Sozialdisziplinierung erscheint angesichts berechtigter Kritik an dessen Anwendung auf die schweizerischen lokalen Verhältnisse (vgl. Schmidt 1997) als problematisch. Mentalitätsgeschichtlich zu hinterfragen wäre die Anwendung der Sozialdisziplinierungsthese Gerhard Oestreichs (z. B. 1969) auf historische Fragen der schulischen Unterweisung, der Erziehung und Volkserziehung oder der Sittenzucht auch dort, wo der Glaube als sekundär behandelt wird, interessant höchstens als Mittel der Disziplinierung und als verschleierungstaktisches Argument, kaum aber als Horizont der Sinnstiftung und Lebensbewältigung oder Bezugspunkt ‚sittlicher Selbstregulierung‘. Bereits Tröhler (2006) hat Blochs Ansatz kritisiert. Ihre an Habermas orientierte Interpretation, die Landschulreform sei durch sich „ausbreitende aufklärerische Gedanken und die Kritik an den Missständen der Landschaftsverwaltung“ im Stadtzürcher Bürgertum auf der einen und durch die „in den entstehenden Sozietäten sich herausbildende, über eine zu verbessernde Gesellschaft räsonnierende [sic] bürgerliche Öffentlichkeit“ (Bloch 1997, S. 254) auf der anderen Seite ausgelöst worden, beurteilt er als viel zu pauschal; sie würde insbesondere dem ideologischen und sozialgeschichtlichen Kontext keine Rechnung tragen. Tröhler schlägt stattdessen vor, die Landschulreform in den Kontext der sozialen Frage der Protoindustrie und der wachsenden Armut, ausgelöst durch die Missernte und Teuerung von
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1770/1771, einzuordnen. In jenen Krisenjahren fand eine Besorgnis erregende Auswanderungsbewegung nach Preussisch-Pommern statt, welche die Machtträger angesichts des befürchteten Produktionsrückgangs und der Schwächung der militärischen Stärke zu handeln nötigte. Er kommt deshalb zum Schluss, dass die schulischen Massnahmen nebst der Seelsorge durch den Pfarrer, Anweisungen zur Sparsamkeit und besseren landwirtschaftlichen Produktion als weitere obrigkeitliche Reaktion auf Armut und Auswanderung zu deuten seien. Die damit angesprochenen sozial- und bevölkerungspolitischen Gesichtspunkte müssen berücksichtigt werden – wenngleich in der Moralischen Gesellschaft bereits 1769, also vor den Hungerjahren, ein Interesse am Zustand der Landschulen aufgekommen war; ebenso stellt sich die Frage nach einem Konnex der Schulreform mit den bereits seit den 60er Jahren intensiv laufenden landwirtschaftlichen Reformbestrebungen.
1.3 Methode, Vorgehen, Quellen Die Darstellung der Zürcher Unterrichts- und Erziehungsreformen der 1770er Jahre wird in dieser Arbeit in kritischer Abgrenzung gegenüber der traditionellen Schulgeschichte und unter Berücksichtigung neuerer historiographischer Ansätze (vgl. Kap. 1.1) unternommen. Dabei steht ein kurzer historischer Abschnitt von rund einem Jahrzehnt im Zentrum. Die Fokussierung eines solchermassen kurzen Zeitraumes hat dabei gegenüber der ‚longue durée‘ den Vorteil, dass eine dichte Analyse unter Einbezug vielfältiger Quellentexte möglich wird; die Gefahr der Projektion von ‚preconceived paradigms‘ im Sinne Skinners auf die Vergangenheit verringert sich. Die damit angestrebte Kontextualisierung bedeutet nicht einfach die Einrahmung von Ideen und Theorien mit sozialen und materialen Tatsachen – denn, mit den Worten Skinners: „When we attempt in this way to locate a text within its appropriate context, we are not merely providing historical ‚background‘ for our interpretation; we are already engaged in the act of interpretation itself “ (1978, S. ix). Zwar könne, so Skinner (1969/1989), der soziale Kontext das Verständnis eines Textes erleichtern; der Sinn einer Äusserung – und das heisst für Skinner die damit verfolgte Absicht – lässt sich jedoch nur aus dem linguistischen Kontext erschliessen; der soziale Kontext kann dann ein Teil dieses weiteren Handlungskontextes sein. Teilt man diese Sichtweise, so erübrigt sich die methodologische Entscheidung für einen ideen- und sozialgeschichtlichen Zugang. Wenngleich ‚Ideen‘
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häufig auf eine als problematisch wahrgenommene Praxis oder überkommene theoretische Konzepte rekurrieren, ist das eine nicht einfach die Ursache und das andere die Folge davon. Ideengeschichte kann in diesem Sinn auch nicht auf Sozialgeschichte zurückgeführt werden, gleichsam um einem eingeforderten Realitätsanspruch nachzukommen (vgl. Oelkers 2001). Realität beschränkt sich schliesslich nicht auf positive Tatsachen materieller oder sozialer Natur, vielmehr hängt deren Bedeutung als Ausgangspunkt für das Handeln und Denken der Menschen von der Wahrnehmung und Deutung dieser Fakten ab. So lassen sich Reformmassnahmen in den 1770er Jahren, auch solche mit pädagogischem Anspruch, durchaus auf klimatische Ereignisse, welche Missernten, Teuerung und wirtschaftliche Not mit sich brachten, zurückführen. Angesprochen sind damit etwa die Bereiche der obrigkeitlichen Armen-, Vorrats- und Landwirtschaftspolitik. Die wirtschaftliche Not gab Anlass zu (volks-)erzieherischen Überlegungen im Hinblick auf das ökonomische Verhalten, welche bekanntlich moralisch unterlegt wurden. Krisen materieller Art, häufig infolge schlechter Witterung und Seuchen, rekurrierten besonders dann auf transzendente Sinnzusammenhänge und wurden erzieherisch angegangen, wenn jene als Gottesstrafe gedeutet wurden (vgl. Berner 2008). Auf der anderen Seite kann man davon ausgehen, dass ein Landpfarrer im philanthropisch volksaufklärerischen Jahrhundert, da gleichermassen von ideellen und materiellen Motiven bewegt, unter Umständen trotzdem ambivalent gegenüber einem vermehrten Schulbesuch eingestellt sein konnte. Denn diesseitig ausgerichtete pädagogische Aufgaben lagen zwar zunehmend in seinem Interessenund Tätigkeitsfeld, was auf die Verbreitung einer neuen Idee vom pastoralen Amt zurückzuführen ist; anderseits lebte ein Pfarrer mit seiner Pfründe vorwiegend von Zehnteinnahmen12 und damit auch von Kinderarbeit, welche einem ganzjährig obligatorischen Schulbesuch entgegenstand. Entsprechend diesen Überlegungen ist es unumgänglich, beim Versuch einer Rekonstruktion der Motive für die Reform der Landschulen, die Verbesserung
12 Hauptbezüger von Zehnten und Grundzinsen waren neben Privaten der Staat, die Kirche und die Gemeinden, insbesondere öffentliche Institutionen wie Spitäler, Armenanstalten und die Schulen. Die Ablösung des Zehnten scheiterte in der Helvetik nicht zuletzt am Widerstand der Geistlichkeit, die ihr persönliches Einkommen, aber wohl auch die Finanzierung von bis anhin ihrer Zuständigkeit unterstehender Bereichen gefährdet sah.
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von Unterricht und Erziehung, verschiedenste Kontexte mit einzubeziehen. Sofern Geschichtsschreibung es mit der sinnstiftenden Auswahl, Anordnung und Versprachlichung von an sich kontingenten zeitlichen Einzelereignissen zu tun hat, ist sie den dem Erzählen eigenen Gesetzen unterworfen. Einerseits heisst dies, dass jeder Historiograph bzw. jede Historiographin bei seinem/ihrem Unternehmen auf konventionelle Formen der Narration verwiesen ist. Anderseits folgt daraus, dass historisch-wissenschaftliche Sinnkonstruktionen ihre Plausibilität nicht unabhängig von ihrer Ausdrucksform erhalten und dass die verfügbaren Erzählmodi sich in ihrer eigenen historischen Bedingtheit auf die Erkenntnisbildung auswirken. Folgt man Hayden White (1973/1991, 1987/1990), so gibt es „keine ausserideologischen Instanzen für eine objektive Entscheidung zwischen den widerstreitenden Anschauungen von der Geschichte und der historischen Erkenntnis […]. Da alle diese Anschauungen ihren Ursprung in ethischen Überlegungen haben, wäre die Vereidigung auf eine bestimmte epistemologische Position, von der aus die argumentative Kohärenz jener Ideologien zu beurteilen wäre, selbst nur eine weitere ethische Wahl“ (1973/1991, S. 43). Wenn diese Grundposition anlässlich einer Kritik der konventionellen (liberalen) Geschichtsschreibung vorausgesetzt wird, so ergibt sich daraus von selbst, dass die Motivation hinter diesem Tun nicht in der Dekonstruktion der grossen liberalen Erzählung als Ausgangspunkt für die Propagierung einer ‚realistischeren‘ Darstellung besteht. Erwarten darf man aber, dass sich mit einer anderen Erzählstrategie neue, von der konventionellen Erzählung sozusagen verdeckte Zusammenhänge und Deutungsmöglichkeiten eröffnen und sich im besten Falls Impulse für neue Fragestellungen ergeben. Die Studie gliedert sich folgendermassen: Das anschliessende Kapitel informiert überblicksmässig über Fakten der Entstehung und Entwicklung der Zürcher Schulanstalten bis um 1770. Mit einbezogen werden dabei auch die städtischen Schulen, erstens weil die Differenzierung beider Systeme gerade damals, in den Jahrzehnten vor der Helvetik, ihren Höhepunkt erreicht hatte; zweitens verdient der Umstand Beachtung, dass die Stadtschulen unmittelbar vor der Landschulreform der 1770er Jahre eine teilweise Neugestaltung erfahren habe. Die Analyse des Zürcher Landschulwesens der 70er Jahre und seiner Reform folgt im anschliessenden ersten Untersuchungsteil. Entsprechend der Chronologie der Ereignisse stehen in Kapitel 3 zuerst die im Zürcher Oberland geäusserten Stellungnahmen, Reformideen und im Anschluss daran initiierten Umsetzungen im Zentrum. An prominenter Stelle stehen dabei drei Referate, die einem Kreis schulinteres-
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sierter und reformorientierter Pfarrer zugeordnet werden können. Ziel insgesamt dieses ersten Teils der Quellenanalyse ist, ausgehend von zeitgenössischen Äusserungen zu einer Einschätzung der damaligen Defizitwahrnehmungen und Leistungsansprüche betreffend die Landschulen zu kommen. Da die zugrunde gelegten Texte und Protokolle zum Teil nur handschriftlich vorliegen und also schwer zugänglich sind, wird grosszügig aus den Quellen referiert. Als Nächstes wird im 4. Kapitel jene ‚progressive‘ Sichtweise mit der Wahrnehmung der schulischen Zustände konfrontiert, wie sie damals dem ‚durchschnittlichen‘ Pfarrer eigen gewesen sein dürfte. Der Rekonstruktion dieser Wahrnehmung liegen die sämtlichen Landgeistlichen unterbreiteten Fragen der Zürcher Enquête von 1771 zugrunde. Systematisch inhaltsanalytisch ausgewertet werden diejenigen Inhaltsbereiche des Fragenschemas, die sich aufgrund der Durchsicht der Antwortdokumente sowie der Ergebnisse aus dem vorangehenden Kapitel als prominent erweisen. Neben den Zustandsbeschreibungen interessieren auch die von vereinzelten Pfarrern unaufgefordert geäusserten Kritiken am Status quo und allenfalls angeführte Reformvorschläge, Verweise auf pädagogische Literatur und andere Hinweise, die Rückschlüsse auf die pädagogische Rezeptionslage zulassen. Die Enquête-Antworten widerspiegeln die spezifische, professionell geprägte Sichtweise der Landgeistlichen; will man zu einer Beurteilung der in den folgenden Jahren tatsächlich erlassenen Reformen kommen, darf man aber in deren Problemwahrnehmung einen geeigneten Massstab annehmen. Die veranlassten Massnahmen sind Gegenstand des anschliessenden 5. Kapitels. Neben der 1778 erneuerten Schul- und Lehrordnung werden weitere Dokumente mit offiziell- bzw. offiziös-normativem Charakter untersucht, unter anderem auch die in jener Zeit zahlreich neu geschaffenen Schulbücher. Die eruierten Anstrengungen zu einer Landschulreform und insbesondere deren Zielrichtung bedürfen der – dies die Absicht des zweiten Untersuchungsteils – doppelten Kontextualisierung: erstens im Spannungsfeld verschiedener Interessen und Prioritäten mit denen der Landpfarrer vor Ort konfrontiert war und die die Erwartungen und Ansprüche von Kirche und Geistlichkeit an die Schule mit bestimmt haben; zweitens, diskursiv innerhalb der zeitgenössischen Entwicklungen religiöser und theologischer Ideen und Debatten, mit denen sich Schul- und Erziehungsfragen als massgeblich verquickt erweisen. Bedeutsame Orte der diskursiven Auseinandersetzung waren neben der Moralischen Gesellschaft, der Urheberin der Enquête von 1771 (Kap. 6), die Kirchenversammlungen in Gestalt der halbjährlichen Synoden und Prosynoden (Kap. 7) sowie die Asketische Ge-
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sellschaft als eine Art ‚verlängerter Arm‘ der obersten Kirchenbehörde (Kap. 8). Kontroversen theologischer, religiöser und pädagogischer Art wurden allerdings weniger in jenen offiziellen und halboffiziellen Organen und Gremien ausgetragen als in der theologischen Publizistik. Kapitel 9 analysiert die zeitgenössischen Debatten ausgehend unter anderem von zwei in Zürich prominenten theologischen Magazinen. Im Verlaufe dieses zweiten Teils wird die These, wonach sich im schulischen und erzieherischen Reformanliegen ein massgeblicher theologischer Diskurs im Gefolge der Rezeption der deutschen Neologie niederschlägt (vgl. Kap. 1.1), vertieft geprüft. Rückschlüsse auf die Grenzen dieses aufklärungstheologischen Diskurses mitsamt seinen pädagogischen Konsequenzen und damit gewissermassen auf die Grenzen der Aufklärung in Zürich lassen zwei wenig bekannte, zum Zeitpunkt ihres Erscheinens aber Aufsehen erregende Schriften, ebenfalls Gegenstand von Kapitel 9, zu.
2 Entwicklung und Differenzierung des Zürcher Schulwesens bis 1770
Die ältesten Schulen auf dem Gebiet des Kantons Zürich waren die Stiftsschulen am Grossmünster und Fraumünster. Im Zuge der Reformation richtete Zwingli am Stift der Chorherren zum Grossmünster 1523/1525 die Prophezei, auch Lektorium genannt, als öffentliche Studien- und Ausbildungsstätte der Theologen ein; im 18. Jh. bürgerte sich für diese der Name Carolinum ein. Neben den Kloster- und Stiftsschulen, die vor allem auf den Unterricht der lateinischen Sprache ausgerichtet waren, entstanden mit den Deutschen Schulen13 Institutionen, in denen auch die unteren Bürgerschichten neben der Religion im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet wurden (vgl. Erziehungsrat des Kantons Zürich 1933a). Bis nach der Reformation entbehrten diese Schulen als private Gründungen jeglicher behördlicher Aufsicht und wurden allein mit dem Schulgeld der Eltern finanziert. Dies änderte sich mit dem Erlass der Schulordnung von 1549. Die Aufsicht erhielten fünf ‚Schulherren‘, drei Geistliche und zwei Mitglieder des Rates. Während die Deutsche Knabenschule sich mehr und mehr zur Vorbereitungsanstalt für die Lateinschule entwickelte, entstanden aus privater Initiative so genannte Hausschulen, welche zu Hause beim Lehrer abgehalten wurden und nun den eigentlichen Elementarunterricht in Buchstabieren, Lesen und Schreiben umfassten. Im 18. Jahrhundert gab es in Zürich sieben Hausschulen, die inzwischen ebenfalls unter Aufsicht von Pfarrern und Stillständern14 standen und auf die Deutsche Schule vorbereiteten.
13 1586 wurden die beiden Deutschen Schulen für Knaben zu einer einzigen zusammengelegt und am Neumarkt angesiedelt. 14 Der Stillstand ist aus dem Zürcher Ehegericht hervorgegangen. Der Name ist in Anlehnung an das obrigkeitliche Mandat von 1628 zu deuten, das den Ehegaumern befahl, jeden Monat einmal nach dem Gottesdienst ‚stillzustehen‘, um gemeinsam die vorgefallenen moralischen und religiösen Verstösse in der Gemeinde zu benennen und zu behandeln (vgl. Strehler 1934; Pünter 1995). Den Vorsitz des Stillstandes hatte der Pfarrer inne. Grösse und Kompetenzen des Stillstandes richteten sich nach dem Umfang der kirchlichen Organisation und variierten von Gemeinde zu Gemeinde. Ebenso scheint die Mitgliedschaft des bzw. der Schulmeister – falls nicht sowieso im Amt des Sigristen stehend – nicht in jeder Gemeinde gewährt worden zu sein (vgl.
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Daneben bestanden in den grösseren, selbstständigen Gemeinden der Landschaft, wie Winterthur, Stein am Rhein, Regensberg und Elgg, bereits vor der Reformation Schulen. Diese waren mit den Deutschen Schulen vergleichbar. Auch diese wurden anfänglich allein mit dem Schulgeld der Eltern unterhalten. Übernahm ein Schulmeister daneben ein Kirchenamt, gewöhnlich den Messnerdienst, so kam er in den Genuss einer Pfründe bzw. eines Schulgutes. Wo das Schullokal nicht durch ein Kloster oder eine fromme Stiftung offeriert wurde, war es Sache des Schulmeisters, die Räumlichkeit zur Verfügung zu stellen (vgl. Ernst 1879). Mit der Reformation wurde die Übernahme der Schulen auf dem Land durch die Pfarrer im Dienst der Vermittlung der neuen Lehre ein besonderes Anliegen. So kann auch die Tatsache gedeutet werden, dass ab 1529 die Dekanatsberichte erwähnen, ob ein Landpfarrer auch Schule halte oder nicht.15 Ernst (1879) nimmt ausgehend von Zwinglis Reformplänen mit den Klöstern in Kappel, Rüti und Stein am Rhein an, dass der Reformator beabsichtigte, bereits bestehende Klosterschulen auf der Landschaft nach Art der städtischen Lateinschulen als Vorbereitungsanstalten für das Theologiestudium einzurichten, um auf diese Weise Priester aus dem Volk für das Volk zu gewinnen. Das Vorhaben scheiterte jedoch in der Folge, und im 17. Jahrhundert ist eine eigentliche Abschliessungstendenz der Stadt festzustellen. Während im 16. Jahrhundert eine beträchtliche geographische Freizügigkeit auch im Hinblick auf den Erwerb des städtischen Bürgerrechts bestand (vgl. Pfister 1992a), nahm Zürich von 1679 bis 1797 keine neuen Bürger mehr auf. Und während es gemäss den Akten im 16. Jahrhundert gerade die ärmeren Kinder der Stadt und auch der Landschaft waren, die Unterstützung für ihre Ausbildung erhielten, heisst es 1678: „Für einmal sollen laut
Wirz 1793, Bd. 1). Weitere Glieder waren der Land- oder Obervogt, Amtmann oder Gerichtsherr, sofern diese in der Gemeinde ansässig waren; die Unterbeamten und Dorfvorgesetzten, also der Untervogt, Weibel, Seckelmeister, Kirchenpfleger, die Geschworenen, allfällige Ehegaumer und der Richter (vgl. von Wyss 1796) Abweichungen von der Norm gab es immer wieder, so z. B. in Küsnacht, wo nicht dem Pfarrer, sondern dem jeweiligen Amtmann der Vorsitz im Stillstand zukam (vgl. Schoch 1951). 15 1611 forderte der Rat die Prädikanten auf, den Schulunterricht zu übernehmen, ansonsten würde man aus ihrer Pfründe einen Schulmeister anstellen (vgl. Ernst 1895). Um 1715 hielten vereinzelt noch Diakone Schule; nur in einem Fall beschäftigte sich der Pfarrer bzw. in erster Linie seine Frau noch mit Schulehalten (vgl. Stauber 1920).
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früherem Erkanndtnuss des Rates nur die Bürgerkinder mit Stipendien und Prämien bedacht werden“ (zit. nach Ernst 1911, S. 185).16 Der Aufschwung, den das Schulwesen mit der Reformation genommen hatte, scheint auf der Landschaft, wie das Beispiel der Schule in Elgg vermuten lässt (vgl. Ernst 1879), rascher ein Ende gefunden zu haben als in den grösseren Städten. Die bisherigen und neu entstandenen Landschulen17 beschränkten den Unterricht auf den Winter und wurden vom Pfarrer oder einem Schulmeister abgehalten; vermittelt wurden neben dem religiösen Glaubensbekenntnis, Gebeten etc. das Buchstabieren, Lesen und zum Teil Schreiben. 1637 erhielten die Zürcher Landschulen mit der ‚Durchgehenden Ordnung für die Schulen vff der Landschafft‘, erlassen von Bürgermeister und Rat und handschriftlich abgefasst, erstmals eine gesetzliche Grundlage (StAZH: III EE a 1a)18. Sie schrieb vor, dass die Schulen im Winter und wo möglich auch im Sommer gehalten werden sollen. Wenn gewünscht, sollten die Kinder auch im Rechnen, und zwar gegen separate Bezahlung, Unterricht erhalten. Ansonsten fehlen Angaben zur Schulmeisterentlöhnung. Die Schulen sollen neben dem Pfarrer durch zwei oder drei von ihm und dem Obervogt bestimmten „Mitvffseheren“ regelmässig besucht werden. Nicht nur können diese Aufsichtspersonen und der Pfarrer bei Versäumnissen des Schulmeisters „an gebürenden ohrten“ Beschwerde einreichen; auch dem Schulmeister stand dieser Schritt zu, falls Erstere ihren Aufsichtspflichten nicht ordentlich nachkamen. Neben diesen von der städtischen Obrigkeit erlassenen Schulgesetzen gaben sich im 17. Jahrhundert verschiedene Gemeinden eigene Schulordnungen, so etwa Wädenswil (1648), Kilchberg (1643), Regensberg (1636), Stammheim (1633), Stäfa und Eglisau (1637) (vgl. Stauber 1920). Bereits 1658 erschienen neue Landschul-Satzungen, und zwar in erweitertem Umfang und im Druck, gezeichnet von den Obersten Schulherren und Verordneten zur Lehr19. 1684 wurden sie nochmals neu formuliert und 1719 sowie 16 In diesem Zusammenhang ist auch die Gründung eines Landknabeninstitutes zu sehen. Zu diesem Zweck schlossen sich 1791 in der Stadt wohnhafte, aber nicht eingebürgerte Väter zusammen, nachdem ihrem Nachwuchs der Zutritt zur Realschule nicht mehr gestattet wurde; vorher war diese Möglichkeit gegeben, wenn noch freie Plätze vorhanden waren. 17 Zu einzelnen Schulgründungen auf der Landschaft vgl. Stauber (1920). 18 Ein Abdruck der Schulordnung von 1637 existiert mit Ernst (1895). 19 Die Aufsicht über das Landschulwesen oblag eigentlich dem Examinatorenkonvent (vgl. Fussnote 24), während die städtischen Schulen dem Schulrat unterstanden, wiewohl fast sämtliche Examinatoren auch dem Schulrat angehörten (vgl. Wirz 1794, Bd.
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1744 wieder, gezeichnet von den Obersten Schulherren der Stadt Zürich, herausgegeben, jedoch ohne inhaltliche Änderung. 1778 schliesslich, im Anschluss an die Reformdiskussionen der 70er Jahre, ist mit der ‚Erneuerten Schul- und Lehr-Ordnung für die Schulen der Landschaft Zürich‘ nochmals ein merklicher Zuwachs an Umfang und Ausführlichkeit zu bemerken. Vor allem erscheint nun eine Lehrordnung, welche im weiteren Sinn als Curriculum mit inhaltlichen, methodischen und unterrichtsorganisatorischen Vorschriften bezeichnet werden kann, separat neben der Schulordnung und erhält damit ein besonderes Gewicht. Als Absender dieser vom Examinatorenkollegium verfassten Schul- und Lehrordnung geben sich nun in der Vorrede wieder, wie 1637, Bürgermeister und Rat20 zu erkennen. 2). Der Schulrat bestand aus den Obersten Schulherren, die den Grossen Schulrat bildeten, und den Herren Verordneten zur Lehr, welche den Kleinen Schulrat formierten. Erste Entwürfe in Schulsachen wurden gewöhnlich vom Kleinen Schulrat gemacht und dann zur Prüfung dem Grossen Schulrat vorgelegt. Der Grosse Schulrat setzte sich zusammen aus dem älteren Bürgermeister (Zürich besass jeweils zwei Bürgermeister, die sich halbjährlich ablösten), dem Obmann gemeiner Klöster, den beiden Examinatoren vom Kleinen Rat, den beiden Stiftspflegern vom Kleinen Rat und den zwölf Examinatoren geistlichen Standes (vgl. Wirz 1793, Bd. 1). Der Kleine Schulrat bestand aus den zwölf Examinatoren geistlichen Standes, dem Pfarrer an der Französischen Kirche, dem Inspector alumnorum, sämtlichen Professoren am Collegium Carolinum und Collegium Humanitatis sowie den Lehrern an der Realschule (vgl. ebd.). 20 Der Grosse Rat bestand aus 162 Personen, nämlich je 12 Abgeordneten aus den 12 Zünften (daher Zwölfer genannt) und 18 Konstafflern (Achtzehner genannt). Er wurde periodisch vom Kleinen Rat zum Gremium der ‚Rat und Burger‘ oder ‚Rat der Zweihundert‘, dem erweiterten Regiment, einberufen. Grossräte waren auf die Pfründen der Herrschaftsausübung, die Landvogt- und teilweise Obervogt-Stellen, wählbar. Grossräte wurden von den Zunftvorgesetzten (Zunftmeister und Zwölfer bzw. Konstaffelherren und Achtzehner) auf Lebzeit gewählt. Der Kleine Rat bildete zusammen mit den Standeshäuptern den täglichen Rat, das eigentliche Regiment, bestehend aus 50 Mitgliedern: 2 Zunftmeistern aus jeder der 12 Zünften und 4 Konstafflern, die von den Zünften in Wahlen erkoren wurden; 14 Ratsherren, die vom Grossen Rat (Rat und Burger) ernannt wurden. Alle Mitglieder des Kleinen Rats mussten sich jährlich zur Wiederwahl stellen, wurden aber in der Regel bestätigt. Auch die Spitze der Kanzlei, Stadtschreiber und Unterschreiber, nahmen an den Sitzungen des täglichen Rats teil, allerdings ohne Stimmrecht. Standeshäupter: Diese neun Mitglieder des Kleinen Rats bildeten die eigentliche Staatsspitze. Zu ihnen gehören die beiden Bürgermeister, die vier Statthalter (Stellvertreter der Bürgermeister), die beiden Seckelmeister und der Obmann gemeiner Klöster. Einer der beiden Bürgermeister war gewöhnlich Kommandant der Truppen.
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Vom Schwergewicht auf die Vermittlung religiöser Kenntnisse, des Buchstabierens, Lesens und des Schreiben her entsprach der Lehrplan der Landschulen etwa dem Elementarunterricht in den städtischen Hausschulen und Deutschen Schulen. Im städtischen Schulsystem kam den Haus- und der Deutschen Schule jedoch, zumindest für Knaben, die Funktion der Vorbereitung auf den jeweils anschliessenden Schultyp zu, also auf die Lateinschulen bzw. nach deren Gründung 1773 den Besuch der Realschule. Diese differente Funktion zeigt sich etwa im Sprachunterricht. In den Deutschen Schulen wurde bereits auf Deutsch und Latein dekliniert und damit im Gegensatz zu den Landschulen die Basis für ein grammatikalisches Sprachverständnis gelegt (Erneuerte Schul- und Lehr-Ordnung für die Haus- und Deutsche Schulen 1781). Es existierte übrigens in der Stadt auch eine Mädchenschule, für diese scheint sich aber die Obrigkeit wenig interessiert zu haben; erst 1774 wurde als Privatinstitut21 eine Töchterschule für Mädchen ab zwölf Jahren gegründet. Zwar erhielten auch auf dem Land die Jugendlichen im Anschluss an die Schulzeit und bis zur Zulassung zum Heiligen Abendmahl, mit ca. 18 Jahren, weiterhin Unterricht. Dieser fand im 17. und 18. Jahrhundert meist an einzelnen Abenden der Woche in den so genannten Nachtschulen statt und diente vornehmlich der Repetition des auswendig gelernten religiösen Stoffes und oftmals auch des Lesens als Voraussetzung für die Aufnahme als erwachsenes Glied in die Kirchgemeinde. Je nach Gemeinde wurden auch die Erwachsenen, manchmal bis zur Heirat, aufgefordert, die Nachtschule weiter zu besuchen. Gemäss der Zürcher Prädikantenordnung von 1758 bestand eine Kinderlehrpflicht bis ins Alter von 20 Jahren (vgl. Wernle 1923, Bd. 1). Zum Teil existierten stattdessen oder gleichzeitig Singschulen, wo sich zur Pflege des Kirchengesangs Erwachsene in den Psalmen und Kirchenliedern übten. Die unterschiedliche soziale und politische Zweckbestimmung der Bildungsangebote der Stadt- und Landschulen, aber auch die gegenseitige Durchdringung religiöser und ziviler Bereiche22 zeigen sich unter anderem in der Vorrede zu den Landschul-Satzungen samt Gebeten von 1658. Dort 21 Die Töchterschule wurde 1803 zu einer öffentlichen Schule erklärt. 22 Die Zulassung zum Heiligen Abendmahl galt als Ausweis der bürgerlichen und kirchlichen Integrität (vgl. Schmid 1954). Die Verbindung von weltlichem Staat und Kirche zeigt sich auch darin, dass kirchliche Handlungen zugleich bürgerlich gedeutet wurden, also etwa der Pfarrer dem Quartierhauptmann die Liste der Neokommunikanten des Vorjahrs zur Anlegung des Rekrutenverzeichnisses abzuliefern hatte (vgl. Wernle
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heisst es: „In etlichen / werdend ja / in den Schulen gebräuchliche Gebätte geübt / die aber doch nit in alle Schulen ohn underscheid sich reymend: dann etliche Schulgebätte / sind gerichtet / für das anligen der Statt: etliche für die nothurft der Landschafft. Die Kinder in der Statt bättend / nebet anderm / dass Sy mit der zeit in der Kirchen und im Regiment trewe Diener werden mögind: diese und andere wort gehörend nit / für die Kinder / in den land-Schulen“ (Christliche und nothwendige Gebätter […] 1658). Erziehung und Unterricht zielten auf die Wohlfahrt des christlichen und staatlichen Gemeinwesens und waren entsprechend der politischen Verfassung und der Gesellschaftsordnung Zürichs im Ancien Régime ständisch ausgerichtet. Das Wohl des Einzelnen im Diesseits und Jenseits bildete ebenfalls ein Ziel und leitete sich aus der Prämisse der gemeinschaftlichen Wohlfahrt ab. Von einer guten Unterweisung und christlichen Erziehung erhoffte man sich demgemäss „nützliche Glieder der menschlichen Gesellschaft, gute Christen, glükliche Menschen für Zeit und Ewigkeit“ (Anleitung für die Landschulmeister 1771, S. 3). Bezogen auf die Ständeordnung erhoffte man sich als Ergebnis einer guten Erziehung „vortrefliche Leute“, das sind „[t]reue Arbeiter, geschickte Künstler und Handwerker, gute Landwirthe und Ackersmänner, gute Hausväter, treue Hausmütter, gute Eheleute, treue Dienstboten, friedliche, gehorsame, gewissenhafte Unterthanen, würdige Lehrer [d. h. Pfarrer, E.B.] und Vorgesetzte, mit einem Worte, gute Christen, die sich selbst und alle, mit denen sie Umgang haben, glücklich machen, die ein Segen der menschlichen Gesellschaft sind […]“ (Hirten-Briefe 1777, S. 68 f.). Die Verquickung christlich-religiöser Zielen mit solchen der staatlichen Wohlfahrt im Schul- und Erziehungswesen widerspiegelt das Verhältnis zwischen Staat und Kirche, wie es aus der Reformation hervorgegangen ist. Mit der Reformation hatte sich die Landeskirche dem Staat als starkem Schirmherrn formal untergeordnet; gleichzeitig übernahm die Obrigkeit als eine reformiert-christliche die Ziele und Mittel der erneuerten Kirche und bewahrte sich diese zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten des öffentlichen Lebens, insbesondere in den Bereichen der Erziehung und des Sozialen. Zwar sollten sich unter Heinrich Bullinger (1504–1575; Antistes ab 1531) die Pfarrer nicht mehr wie in Zwinglis Tagen in die Politik und Staatsgeschäfte einmischen, aber Bullinger gelang es auf der anderen Seite, die freie Verkündigung des Evangeliums, entgegen Einschränkungsversuchen des Rates, zu gewahren. Die Geistlichkeit sank damit nicht zum blossen Empfänger ob1923, Bd. 1). Zudem hatten die Pfarrer in der Kirche die Ratsmandate zu verlesen und dem Vogt Vergehen gegen Sitte und Gesetz zu melden.
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rigkeitlicher Befehle herab, sondern erhielt sogar die Erlaubnis, jederzeit die Magistraten an ihre Pflichten zu erinnern sowie Verbrechen und Mängel nach Art der alttestamentlichen Propheten öffentlich anzuklagen. Damit war eine doppelte Gefahr gebannt: einerseits die Beherrschung des Staates durch die Kirche nach mittelalterlichen theokratischen Vorstellungen, anderseits die Bevormundung der Kirche durch den Staat im Sinne des Staatskirchentums (vgl. Campi 2004). Die von Bullinger unter Mithilfe von Leo Jud 1532 verfasste Predigerund Synodalordnung hatte bis ans Ende des Ancien Régime Gültigkeit.23 Der Rat erliess sowohl die bürgerlichen wie kirchlichen Gesetze, gleichzeitig übergab man der Kirche gewisse Aufgaben. Der Examinatorenkonvent,24 der damalige Kirchenrat, erhielt die Leitung des Schulwesens, wenngleich die Regierung, da das Kirchenregiment letztendlich in deren Händen lag, in Schulangelegenheiten formal die letzte Entscheidung hatte. Neben den zwölf Examinatoren geistlichen Standes hatten vier Examinatoren welt23 Prediger- und Synodalordnung vom 22. Oktober 1532, abgedruckt in Egli (1899, S. 825 ff.). Zum Verhältnis zwischen weltlichem Staat und Kirche vgl. auch die Bekenntnisse der reformierten Kirchen der Eidgenossenschaft ‚Confessio Helvetica Prior‘ (1536) sowie, ausführlicher, die ‚Confessio Helvetica Posterior‘ (1566). Dort heisst es, die Obrigkeit ist von Gott selbst zur Wahrung von Ruhe und Frieden geordnet sowie um die Wahrheit und den Glauben zu fördern. Einer christlichen Obrigkeit kommt als erste Aufgabe die Sorge für die Religion zu. Allen Untertanen ist geboten, die Obrigkeit als Gottes Dienerin zu ehren, allen ihren gerechten und billigen Befehlen zu gehorchen und selbst das eigene Blut für das allgemeine Wohl hinzugeben. Das Zweite Helvetische Bekenntnis wurde von Bullinger verfasst und war zusammen mit dem Heidelberger Katechismus die klassische Bekenntnisschrift der reformierten Kirchen; es war bis 1868 in der Zürcher Kirche verbindlich. Eine deutsche Übersetzung existiert von Hildebrandt/Zimmermann (1966). 24 Bestehend aus den Examinatoren weltlichen Standes, das sind je zwei Mitglieder des Grossen und Kleinen Rats, sowie den 12 Examinatoren geistlichen Standes, nämlich dem Antistes als Präsidenten, den drei übrigen Stadtpfarrern, beiden Archidiakonen, beiden Professoren der Theologie, den Professoren der Philosophie, griechischen Literatur und der Physik sowie dem Ludimoderator (Rektor) am Carolinum (vgl. Wirz 1794, Bd. 2). Der Name ‚Examinatoren‘ rührt von der Aufgabe der Prüfung und Ordination der Kandidaten der Theologie her. Daneben hatte der Examinatorenkonvent aber eine Menge und zum Teil weit reichende Funktionen: die Aufsicht über die Exspektanten und Pfarrer, er war Vermittlungsinstanz in Konflikten z. B. zwischen Pfarrer und Gemeinde, ihm oblagen die Vorbereitung der Pfarrwahlen, die Schulmeisterwahlen, die Redaktion der Gutachten über Reformen in der Liturgie, des Katechismus sowie des Gesangbuchs und auch die Ausarbeitung bzw. Begutachtung der Landschulordnungen.
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lichen Standes Einsitz in diesem Gremium. Der Examinatorenkonvent nahm die zentrale Mittlerposition zwischen weltlicher Gewalt und Geistlichkeit ein. Er war gewissermassen das Kommunikationsorgan der Obrigkeit nach ‚unten‘ (an die Dekane und Pfarrer) und der Geistlichkeit nach ‚oben‘ (an Antistes und Rat). Die enge Verbindung der Kirche mit der Obrigkeit lässt sich auch an der halbjährlich stattfindenden Synode erkennen, an welcher die ordinierten Pfarrer und Theologieprofessoren, aber auch der Stadtschreiber, Bürgermeister und sieben weitere Ratsherren teilnahmen und die jeweils im Sitzungssaal des Grossen Rats abgehalten wurde. Die Synode sollte nach der Vorstellung Bullingers der Ort sein, an dem die Geistlichkeit und die Magistraten ihre gemeinsame Verantwortung für die Leitung der Kirche wahrnahmen (vgl. Campi 2004). Für die Ausbildung der Pfarrer war mit der Etablierung der auf Zwingli zurückgehenden Theologenschule am Grossmünster gesorgt, jedoch wurde das Fehlen von Ausbildungsmöglichkeiten und Studiengängen für die weltlichen Berufe im sich entwickelnden Staats- und Wirtschaftswesen zunehmend als Mangel empfunden. Sollten unter den veränderten Bedingungen aus den Stadtschulen gute Christen für den Himmel, gute Menschen für die Welt und gute Bürger für den Staat, so Johann Jakob Breitinger in einer Rede von 1772, hervorgehen, so bedurfte es einer Reform der Stadtschulen (Breitinger [1772, 1773, 1774], S. 15). Dies galt auch angesichts der für das republikanische Gemeinwohl schon länger beklagten Tendenz, dass Bürger ihre Söhne vermehrt privat oder auswärts unterrichten liessen, statt in den öffentlichen Schulanstalten.25 In diesem Sinn hatte Johann Konrad Heidegger im Frühjahrskonvent der Obersten Schulherren von 1765 „eine Nationalanstalt“ gefordert, die nicht einzig der Vorbereitung künftiger Geistlicher und Gelehrter diene, sondern „in welcher von der ersten Kindheit an und für alle Stände der Mensch sich zum nützlichen Mitglied des Staates entwickelt und mit allen Eigenschaften des Kopfes und des Herzens ausgerüstet wird, die ihm dereinst in seinem Berufe dienen sollen, an der
25 Im Zuge der Schulreformversuche von 1712 bis 1716 erging die Mahnung, die Kinder in die öffentlichen Schulanstalten zu schicken. Denn je mehr „dann folgends die Offentlichen Schulen besucht werden / je mehr werden da lobliche Regenten / getreue Lehrer der Kirche / und Schulen / aufrichtige / vatterländische Burger / ehrliche Haus-Vätter / und mit einem wort Leut erzogen / und gepflantzet / die einest dem gemeinen Besten nutzlich dienen können“ (Wolmeinlicher Bericht von der Nothwendigkeit und Nutzbarkeit der offentlichen Schulen 1719, S. 23).
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Beförderung der Wohlfahrt des Vaterlandes arbeiten zu helfen“ (zit. nach Erziehungsrat des Kantons Zürich 1938, S. 86). Die auf diesen Anstoss hin eingesetzte Kommission formulierte in ihrem Gutachten, dass die Schule nicht nur, wie bisher, der Heranbildung von Geistlichen zu dienen habe, dass vielmehr „der bürgerlichen Gesellschaft in allen Ständen nützliche Glieder, das ist gute Christen und getreue Bürger“ erzogen werden sollen, wobei auch die Bedürfnisse der „Handwerker, Professionisten, Kaufleute und Künstler“ zu berücksichtigen seien (zit. nach ebd., S. 86).
2.1 Die Reform der Stadtschulen (1765–1775) Nur wenige Jahre vor Erlass der neuen Landschulordnung von 1778 wurde das städtische Schulwesen einer Reform unterzogen. Den Ausgangspunkt bildete ein ‚System‘ bestehend aus folgende Schulanstalten (vgl. Ernst 1911; Erziehungsrat des Kantons Zürich 1933a, 1938): Hausschulen: Wurden von Knaben und Mädchen von ca. sechs bis sieben oder acht Jahren besucht. Es gab sieben Hausschulen; sie wurden von Schulmeistern oder ‚Lehrgotten‘ gehalten. Gelernt wurde Buchstabieren, Lesen und der Grosse und Kleine Katechismus – und zwar als Voraussetzung für den Eintritt in die Deutsche Schule. Deutsch Schule: Für Knaben bis 8 Jahre, zeitweise wurden aber, entgegen der Schulordnung, auch Mädchen aufgenommen. Die Deutsche Schule hatte drei Abteilungen; unterrichtet wurde, abgesehen von der religiösen Unterweisung, Lesen, Schreiben, inklusive das Verfassen von Briefen, und, auf Wunsch und gegen zusätzliche Bezahlung, Rechnen. Lateinschulen: am Grossmünster und Fraumünster, für Knaben von acht bis 16 Jahren. Jede Lateinschule hatte fünf Klassen und umfasste gewöhnlich sechs bis sieben Jahreskurse. Fächer: Religionsunterricht, Lateinisch, Griechisch und die Anfänge des Hebräischen, Schreiben, Rechnen und Singen. Die Lehrer waren gewöhnlich Klassenlehrer. Collegium Humanitatis: existierte seit 1601 als Mittelschule zwischen Lateinschule und Lektorium (Collegium Carolinum), auf welches es vorbereitete. Es umfasste eine Klasse mit zwei Jahreskursen und wurde im Alter von ca. 16 bis 18 Jahren besucht. Fächer: Lateinisch, Griechisch und Hebräisch,
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Poetik, Rhetorik, Katechese, Arithmetik und Gesang. Der Lehrkörper bestand aus sechs bis sieben Professoren. Collegium Carolinum: Das ehemals von Zwingli eingerichtete Lektorium wurde 1606/1609 in drei aufeinander folgende Klassen, die philologische, die philosophische und die theologische, gegliedert. Sie wurden in durchschnittlich fünf Jahreskursen absolviert. Fächer: Theologie, die Alten Sprachen, Philosophie und Physika (Naturwissenschaft), Biblika (Bibelwissenschaft), Geschichte, Ethik und Mathematik. Der Lehrkörper bestand aus acht Professoren. Wie dieser Darstellung zu entnehmen ist, war die höhere Bildung in Zürich nach humanistischer Tradition stark altphilologisch geprägt und führte lediglich auf einen Theologenabschluss hin. Diese Einseitigkeit entsprach zunehmend weniger dem sozioökonomischen Wandel der Zeit. Die 1765 initiierte Stadtschulreform26 ist als Reaktion auf die neu aufgekommenen Bildungsbedürfnisse zu interpretieren. Nicht nur das Handelswesen hatte sich ausdifferenziert, feststellbar ist für die Zeit auch ein gesteigertes politisches Interesse an Informationen zur Verwaltung und Steuerung des Staatswesens. Absolventen der Theologie waren dagegen im Überfluss vorhanden, was zu Unzufriedenheit unter den so genannten Exspektanten, die auf eine freie Pfarrstelle warteten, führte (vgl. Graber 1993). Der finanz- und bevölkerungspolitisch interessierte Pfarrer Johann Heinrich Waser brachte das Problem in einer Abhandlung unter dem Titel ‚Versuch einige Formeln zur Politischen Schätzung des Zürichgebiets zu bestimmen‘ mit folgender Beobachtung auf den Punkt: „[I]ch kehre […] ab dem land in die Stadt zurük u. beobachte wie gar ungleich u. unproportioniert die berufs u. Nahrungsgeschäfte vertheilt sind, wie zu einer Zeit vast alle Bürger Söhne mit einander Studieren u. denn zu einer andern Zeit vast alle mit einander nichts lehrnen als mahlen u. zeichnen so muss ich mich nicht mehr wundern, dass in einer gewissen Epoche so viel
26 Während für die Hausschulen und Deutschen Schulen 1781 eine ‚Erneuerte ‚Schulund Lehr-Ordnung‘ im Druck erschien, ist dies bezüglich der höheren Schulen nicht der Fall. Abgesehen von der Darstellung in Usteris ‚Nachricht‘ (1773[/1775]) liegt der Entwurf einer solchen für die Real- und Kunstschule, wie er von der SchulreformKommission dem Rat vorgelegt und 1773 ratifiziert worden ist, lediglich handschriftlich vor (StAZH: E I 19a); vgl. auch das (Quellen-)Material in der Sammlung von Wirz (1793, Bd. 1) sowie Ernst (1900).
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Candidaten sind, die alle schon längst Väter u. zum Theil Gross-Väter seyn könnten, jetzt aber aus Mangel der Nahrung und Beschäftigung gleich den alten Mönchen grössentheils im Cölibat leben müssen“ (zit. nach Graber 1993, S. 49). Seit den 1720er Jahren war in Zürich die Zahl der ‚Candidaten‘ bzw. Exspektanten von 73 kontinuierlich auf 149 in den 1760er Jahren gestiegen, also eine Zahl, die beinahe der Gesamtzahl an Pfarrstellen gleichkam. Da Ausbildungsalternativen fehlten, um etwa Handwerkersöhne, die angesichts der zünftischen Schranken keine Versorgung fanden, unterzubringen, bot der Weg ins Pfarramt häufig auch für diese Gruppe die einzige Option der Statuswahrung bzw. -erhöhung. Die Konkurrenzsituation war begleitet von Bestechungen und Korruption bei der Pfründenbesetzung. Gemäss Graber (1993) bildete diese prekäre Situation den Hintergrund für die Radikalisierung einer politischen Jugendbewegung in den 1760er Jahren. Die Mitglieder dieser Gruppierung gehörten selber unter die Zahl jener Exspektanten bzw. Theologiestudenten, die von den genannten Missständen betroffen waren. Sie waren als Absolventen des Collegium Carolinum durch die politische Schule von Johann Jakob Bodmer gegangen und Mitglieder der von ihm angeregten politischen Gesellschaften zur Gerwi und zur Schuhmachern. Während also einerseits ein Überschuss an Theologieabsolventen bestand, vermochten anderseits die Stadtschulen den Bedarf an realistischer Bildung auch für die mit der Ausbreitung des Handels zunehmende Zahl der Kaufleute nicht zu befriedigen. Diese Problemlage sollte anlässlich der Stadtschulreform mit der Gründung der Real- und Kunstschule behoben werden. Die vierjährige Realschule trat an die Stelle der ehemaligen Lateinschule und diente nach Abschluss der Oberstufe als Vorbereitung einerseits für das Collegium Humanitatis, das Gymnasium, anderseits als Vorbereitung auf die neu errichtete Kunstschule, in die die Schüler nach Absolvierung der zweijährigen Unterstufe übertreten konnten. Den Bürgern der Stadt Zürich standen damit für ihre Söhne neu zwei Bildungsgänge offen, der klassisch humanistische und ein mehr praktischer, der auf eine spätere Tätigkeit in den handwerklichen und kaufmännischen Bereichen vorbereitete.27 Angestrebt wurde ein vertikal gegliedertes Schulsystem mit aufeinander ab27 Bezüglich der Berufswahl von 505 Schülern, die zwischen 1798 und 1825 die Kunstschule absolviert hatten, hat Ernst (1900) folgende Zahlen eruiert: 199 Handwerker und Mechaniker; 159 Kaufleute, Fabrikanten und Handlungsdiener; 21 auswärtiger Kriegsdienst; 13 Geistliche und Lehrer; 12 Beamte; 10 Künstler; 6 Gast- und Schenk-
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gestimmt aufbauenden Schultypen (vgl. Meister 1773). Latein sollte im neuen Bildungsgang lediglich in geringem Umfang auf dem Stundenplan stehen; versprochen wurde zudem eine neue, leichtere und effizientere Unterrichtsmethode. Gleichzeitig traten die Alten Sprachen im klassischen Bildungsgang über das Collegium Humanitatis zum Collegium Carolinum in ihrem für das hier angestrebte Bildungsideal unabdingbaren ästhetischen Wert hervor. Der realistische Bildungsgang zeichnete sich durch Fächer wie Geschichte und Erdkunde sowie andere Schwerpunktsetzungen, nämlich auf Rechnen (Buchhaltung), Zeichnen und Messkunst, Schreibunterricht (Stil, Textsorten, Geschäftsbriefe etc.), aus; neu war auch der Unterricht in Französisch. Zudem wurde 1775 ein Lehrgang für so genannte politici, das heisst, Studenten, die sich später dem Staatsdienst widmen wollten, eingerichtet. Diese konnten den Besuch des Carolinum auf die ihnen nützlichen Vorlesungen beschränken und bereits nach zwei Jahren abschliessen. Die Zahl entsprechender Studierender blieb aber unbedeutend (vgl. Erziehungsrat des Kantons Zürich 1938). Initiiert wurde die Stadtschuleform 1765 vom späteren Bürgermeister Johann Konrad Heidegger (1710–1778; Bürgermeister ab 1768), federführend bei der Umsetzung war Leonhard Usteri (1741–1789), Professor des Hebräischen am Collegium Humanitatis und ab 1773 Professor Artium (Logik, Rhetorik), zudem Begründer der ersten Zürcher Töchterschule (1774). Usteri trat 1773 und 1775 mit seiner in zwei Teilen verfassten ‚Nachricht von den neuen Schul-Anstalten in Zürich‘ an die Öffentlichkeit, um die erneuerten Erziehungsanstalten den Bürgern anzupreisen. Er erweist darin seinem ehemaligen Professor Johann Jakob Breitinger (1701–1776)28 die Referenz: Dieser sei der eigentliche Vater der Schulreform, wären doch sämtliche an der Umsetzung der Reform beteiligten Männer seine Schüler gewesen. Zusammen mit jener Schrift veröffentlichte Usteri damals als Zugabe drei Reden von Breitinger, die dieser in seinem Amt als Rektor am Gymnasium 1772, 1773 und 1774 gehalten hatte.29 Breitinger und besonders Bodmer wirte; 4 Ärzte; 2 Advokaten; 2 Kopisten; 16 gestorben; 61 unbekannt (meist von der Landschaft stammende Abgänger). 28 Breitinger wurde 1731 Professor für Hebräisch, 1740 für Philosophie, ab 1745 war er Chorherr am Grossmünster und bis zu seinem Tod Professor für Griechisch am Carolinum. 29 Es handelt sich um: ‚Erste Rede von der Nothwendigkeit einer allgemeinen Verbesserung der offentlichen Schul-Anstalten, für die ganze Erziehung der Bürger eines Freystaats‘; ‚Zweyte Rede von der Klugheit in Unterweisung und Bildung der ersten Jugend, aus psychologischen Grundsätzen hergeleitet‘; ‚Dritte Rede von der so
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kommt überdies einige Bedeutung zu als Verfasser neuer Unterrichtsbücher für die reformierten Schulen, nämlich für den deutschen Sprachunterricht, Bürgerkunde, Geschichte und Sittenlehre.30 Die Realschule als Kern des neuen praktischen Bildungsganges ist gemäss Leonhard Usteri (1773[/1775]) „eine Schule, in der man nicht mehr die latinische und griechische Sprache als die Hauptsache beynah allein lehret; sondern sie ist eine Schule, wo zwar eben diese Sprachen noch gelehret werden, aber auf eine Weise, dass beym lehren derselben mit Fleiss darauf gesehen wird, dass die Knaben auch die in den griechischen und latinischen Schriften enthaltenen nützlichen Sachen und Kenntnisse von allen Arten verstehen lernen“ (S. 41). Damit sind bezüglich der Vermittlung der Alten Sprachen zwei wichtige Maximen, nämlich Nützlichkeit und Verständnis, angesprochen. Der auf die Alten Sprachen gelegte Anteil des Unterrichts sollte auf den unteren Stufen verkürzt und über eine verbesserte Methode effektiver gestaltet werden. Statt lange Zeit auf das Lernen von Vokabeln und grammatikalischen Regeln zu verwenden – Erfahrungen der Mühseligkeit und des Verdrusses angesichts eines trockenen und pedantischen Lateinunterrichts werden immer wieder angeführt –, soll von Beginn weg an den Texten der klassischen Schriftsteller gelernt und geübt werden. Damit soll die Sprache nicht lediglich um der Sprache willen angeeignet werden, sondern – innerhalb des neuen praktischen Bildungsprogrammes – um der nützlichen und – im klassischen Bildungsprogramm – der ästhetisch wertvollen Stoffe willen, die mit diesen Schriftstellern nothwendigen Cultur des guten Geschmaks, zur Beförderung der Wirksamkeit aller nützlichen Erkenntnisse‘. 30 [Bodmer, Johann Jakob]: Die Grundsätze der deutschen Sprache. Oder: Von den Bestandtheilen derselben und von dem Redesatze. Zürich: Orell, Gessner und Comp. 1768; [Bodmer, Johann Jakob]: Anleitung zur Erlernung der deutschen Sprache. Zürich: David Bürgkli 1769; [Bodmer, Johann Jakob]: Die Biegungen und Ausbildungen der deutschen Wörter. Für die Real-Schulen. Zürich: David Bürgkli 1773; [Bodmer, Johann Jakob]: Historische Erzählungen, die Denkungsart und Sitten der Alten zu entdecken. Zürich: Orell, Gessner und Comp. 1769; [Bodmer, Johann Jakob]: Unterredung von den Geschichten der Stadt Zürich. Für die Real-Schulen. Zürich: David Bürgkli 1773; [Bodmer, Johann Jakob]: Geschichte der Stadt Zürich. Für die RealSchulen. Zürich: David Bürgkli 1773; [Bodmer, Johann Jakob]: Sittliche und gefühlreiche Erzählungen. Für die Real-Schulen. Zürich: David Bürgkli 1773; [Breitinger, Johann Jakob]: Catechetische Anweisung zu den Anfangsgründen des Denkens. Für die Real-Schulen. Zürich: David Bürgkli 1773; von Johann Jakob Bodmer oder Johann Jakob Breitinger verfasst: Kleiner politischer Catechismus für die erste Jugend der Schule Zürich. Zürich: David Bürgkli 1773.
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überliefert worden sind. Usteri konnte hier auf die von Bodmer und Breitinger entwickelte Exempellehre zurückgreifen; diese stellt gegenüber der prinzipiengeleiteten, räsonierenden Morallehre die untere Stufe in Bodmers Tugendbildungskonzept dar und bildet die moralisch-pädagogische Basis seiner Poetologie (vgl. Volz-Tobler 1997; Tröhler 2000, 2006; Zurbuchen 2000). Damit schliessen die Zürcher am philologischen Reformdiskurs der Zeit an. Explizit verweist Usteri auf einen Hauptrepräsentanten, Matthias Gesner (1691–1761). Gesner gründete das Philologische Seminar an der Universität Göttinger und trug disziplingeschichtlich massgeblich zur Herausbildung der Philologie als eigenständige Wissenschaft bei. Er wurde als Texteditor bekannt und entfaltete seine Wirksamkeit auf dem Gebiet der Didaktik der Alten Sprachen als Verfasser grammatischer und stilistischer Lehrbücher, aber auch als Verfasser der ‚Schul-Ordnung Vor die Churfürstlich-Braunschweig-Lüneburgische Lande‘ (1738). Unterrichtspraktisch betätigte er sich als Gymnasialrektor der Thomas-Schule in Leipzig. Der Zweck des altsprachlichen Unterrichts wird von ihm weniger auf die Schulung formaler Kräfte denn auf das inhaltliche Textverständnis ausgerichtet. Damit wendet auch er sich gegen die ‚Plackerei‘, das heisst die gängige Praxis des Auswendiglernens grammatischer Regeln, und setzt von Anfang an auf die Lektüre klassischer Texte. Die Prinzipien seiner Methodik und Didaktik sind Einfachheit und praktischer Nutzen, Ziel ist das inhaltliche Textverständnis. Die Aneignung der Sprachen geschehe am einfachsten und sinnvollsten, so die moderne Sichtweise in seiner ‚Vorrede zu der Lateinischen Grammatik‘ von 1739, „durch den Context und Gebrauch“ (Gesner 1756, S. 270). Auch er differenziert in seinen ‚Bedenken wie ein Gymnasium in einer Fürstlichen Residenzstatt einzurichten‘ bezüglich der Notwendigkeit systematischer Kenntnisse der Alten Sprachen nach zukünftigem Stand und Beruf. Lediglich „die bey dem so genannten studiren bleiben, und auf Universitäten gehen, oder auf dem Gymnasio so weit es möglich gebracht werden sollen“, haben sich mit den Regeln der Grammatik und Rhetorik zu beschäftigen (ebd., S. 356). Die Übereinstimmungen mit der Differenzierung im Zürcher Schulkonzept sind deutlich. Hier trägt das Sprachstudium auf der praktisch ausgerichteten Stufe der Realschule zur Erweiterung der Realkenntnisse bei; das philologische Sprachstudium ist an das Collegium Humanitatis verwiesen, wo ein neuhumanistisches Bildungsideal leitend ist. Als Gewährsmann für letzteres Programm fungierte ohne Zweifel Johann Jakob Breitinger. Breitinger hat in seinen Reden (Breitinger [1772,
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1773, 1774]) das humanistisch-ästhetische Bildungskonzept pädagogisch und psychologisch ausgeführt. Der erste Unterricht, so Breitinger in seiner Rede ‚Von der Klugheit in Unterweisung und Bildung der ersten Jugend, aus psychologischen Grundsätzen hergeleitet‘, ist vollkommen auf die Sinne angewiesen. Es ist vor allem der Gesichtssinn, an dem sich die Unterrichtsmethodik zu orientieren hat; mit Gedächtnis- und Verstandesübungen sei bei Kindern hingegen nichts zu erreichen (S. 68). Damit rückt Breitinger lerntheoretisch in die Nähe des Empirismus, wie er über Locke rezipiert wurde, aber auch von philanthropischen Anschauungen, wie sie besonders über die Projekte Basedows in Zürich in jener Zeit diskutiert worden sind.31 Das gilt auch für das Motiv des spielenden Lernens, welches auf der grossen Bedeutung, die Breitinger im Kindesalter den Affekten (Lust, Unlust) und damit der Motivation beilegt, beruht. Spielendes Lernen wurde wiederum durch die sinnliche Anschauung unterstützt. Dieses Prinzip durchzieht Breitingers Rede nicht nur dort, wo es um das Lesenlernen geht, sondern auch da, wo es um den weiteren Sprachunterricht, auch den Unterricht im Latein, geht: Die Sprachen müssen zuerst, und hier zeigt sich wiederum die Übereinstimmung mit Gesner, „durch den Gebrauch und viele Übung im Lesen und Übersetzen gelehret werden, ehe man die guten Schüler mit unzahlbaren [sic] Regeln und Ausnahmen, und mit der ganzen Kunst der Sprachlehre heimsucht“ (ebd., S. 60). Der genaue Vergleich der ‚Schul-Ordnung Vor die Churfürstlich-Braunschweig-Lüneburgische Lande‘ (1738) mit der neuen Ordnung für die städtischen Schulen von 1773 (StAZH: E I 19a) zeigt wortwörtliche Übereinstimmungen, etwa in den Ausführungen zum Erstleseunterricht; offensichtlich hatten die Verfasser grosszügig vom Braunschweig-lüneburgischen Vorbild abgeschrieben. Die sinnliche Methode korrespondiert mit Breitingers Theorie der Gemüts- und Geschmacksbildung: An Verstand unreife Kinder seien keiner anderen Belehrung fähig als über die sinnliche Empfindung. Deren erste Empfindungen seien Vergnügen und Verdruss, und „je nach dem ihnen etwas angenehm oder widrig vorkömmt, nachdem entscheiden sie dreiste was schön und hässlich, was gut und böse sey“ (Breitinger [1772, 1773, 1774], S. 68). Dieses Urteil sei jedoch blind und auch gefährlich. Und so komme „bey der Unterweisung der Kinder alles darauf an, dass der Geschmak, welcher nichts anders ist als die Fertigkeit von allem was schön ist, vermittelst der Empfindung richtig zu urtheilen und zu entscheiden, bey 31 Breitinger gehörte allerdings nicht zum Kreis der Propagandisten Basedows in Zürich.
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den Kindern durch eine weise Richtung und Übung des Lehrers so lange gewöhnt werde, ihre Lust und Vergnügen alleine daran zu finden, was wahrhaftig Schön und Gut ist, und sich auch vor der anfgeklärten [sic] Vernunft für wahrhaftig Schön und Gut legitimieren kan, bis sie darinn eine Vestigkeit und Fertigkeit erlangt haben“ (ebd., S. 69). Daraus wiederum folge der Schluss, „dass nur diese Kunst, welche junge Leute lehret das Schöne und Gute vermittelst des blossen Geschmaks richtig zu unterscheiden, und welche ihre sinnlichen Neigungen, noch ehe die Vernunft gereift ist, in ein richtiges Verhältniss setzt, des Namens der Unterweisung und Bildung der Jugend würdig sey“ (ebd.). Bildung des Geschmack bedeutet also zu lernen bzw. sich daran zu gewöhnen, als schön und angenehm zu empfinden, was wahrhaft schön ist, analog zur Vernunftbildung, die dazu führt, die Wahrheit zu erkennen. Das Schöne wiederum ist das sinnlich Vollkommene, Wahre und Richtige, was der Einbildungskraft schmeichelt und die Sinne belustigt. So könne auch das sittliche Gefühl oder das Gefühl des Guten unter der Benennung des Geschmacks mit eingeschlossen werden. Im Grunde seien Vernunft, das sittliche Gefühl und der Geschmack ein und dasselbe Vermögen der Seele, nur auf verschiedene Gegenstände angewendet (ebd., S. 89 f.). Geschmack, Moral und Erkenntnis stehen so in einer untrennbaren Verbindung. Wohl gewählte Bilder und Beispiele (Exempel) sind der Geschmacksbildung vorzüglich dienlich; die edelste Bestimmung der schönen Wissenschaften und Künste ist es, das Schöne und Hässliche vor unsere Sinne und Einbildungskraft zu bringen und unser Wohlgefallen bzw. Abscheu hervorzurufen (ebd., S. 96 f.). „Die Dichtkunst“, und damit wäre der Konnex zu Breitingers und Bodmers Poetologie32 hergestellt, „muss sich an unsere Empfindung wenden und unsrer Einbildungskraft das Erhabene und Schöne der physischen und moralischen Welt in einem starken und gefälligen Lichte zeigen; und die Beredsamkeit alle ihre Wunderkräfte aufbieten, um unsere Herzen zu 32 Die poetologische Position Bodmers und Breitingers bildete sich anlässlich des Literaturstreits (1732–1739) mit dem Leipziger Professor für Poesie, Logik und Metaphysik Johann Christoph Gottsched heraus. Grundlage der Poesie war für Gottsched die Nachahmung der Natur, die sich insbesondere nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit zu richten hatte. Auch bei Bodmer und Breitinger bleibt das Kriterium der Wahrscheinlichkeit zentral, erfährt aber eine entscheidende Ergänzung durch die Kriterien des Wunderbaren und des Neuen. Damit einher geht eine Aufwertung der Einbildungskraft, der eine zentrale Funktion sowohl bei der Produktion wie Rezeption von Kunstwerken zugestanden wird. Allerdings bleiben die ‚unteren Seelenvermögen‘ auch bei den Zürchern der Instanz der Vernunft untergeordnet.
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erschüttern“ (ebd., S. 97). Diese Lehrmethode, dem sind die daran anschliessenden Ausführungen des Theologen Breitinger gewidmet, habe sich auch Jesus Christus zunutze gemacht.
3 Schule auf dem Land um 1770: Kritik und Reformvorschläge aus dem Zürcher Oberland
Die zeitgenössische Sicht auf das Landschulwesen, wie es sich um 1770 und vor der anschliessenden Reform darstellt, sowie die im Zusammenhang mit diagnostizierten Mängeln vorgebrachten Verbesserungsvorschläge werden in diesem Kapitel anhand verschiedener Quellen zu rekonstruieren versucht. Dazu werden erstens drei von Pfarrern aus dem Kyburger Pfarrkapitel33 im Jahre 177034 gehaltene Vorträge untersucht, die Defizite benennen und umfassende Reformvorschläge vorbringen (Kap. 3.1). Zweitens hat sich neben dem Kyburger das südlich anschliessende Wetzikoner Kapitel35 intensiver mit der Frage der Schul- und Unterrichtsreform befasst. So haben die dortigen Pfarrer anlässlich der Prosynode36 vom 9. Oktober 1771 eine ausführliche Kollektivantwort auf die von der Moralischen Gesellschaft lancierte gesamtzürcherische Landschul-Enquête, ergänzt mit eigenen Re33 Zum Pfarrkapitel Kyburg gehörten die Kirchgemeinden Dübendorf, Fällanden, Fehraltorf, Greifensee, Hittnau, Illnau, Kyburg, Lindau, Maur, Mönchaltorf, Pfäffikon, Russikon, Schwerzenbach, Uster, Volketswil, Wangen, Weisslingen. 34 Wie bereits Hunziker (1894, S. 20) bemerkte, müssen die Vorträge zwischen Sommer 1770 und Sommer 1771 entstanden sein – eine Datierung der Abschriften fehlt. Da Schulthess in seinem Referat auf das ‚Schul- und Haus-Büchlein‘ von Felix Waser von 1769 verweist, das im vorigen Jahr herausgekommen sei, wurden die Vorträge wohl auf der Herbst-Prosynode 1770 gehalten. 35 Zum Pfarrkapitel Wetzikon gehörten Bäretswil, Bauma, Bubikon, Dürnten, Egg, Fischenthal, Gossau, Grüningen, Hinwil, Oetwil a. S., Rüti, Wald, Wetzikon. 36 Zweimal jährlich im Vorfeld der Synoden versammelten sich in den Prosynoden der Kapitel die Geistlichen unter der Leitung der vorstehenden Dekane. Neben der gegenseitigen Personalzensur diente diese Versammlung vornehmlich der Besprechung von Kapitelsangelegenheiten und der Vorbereitung auf die Synode. Wichtige Belange wurden an der Prosynode der Dekane vom Dekan vorgebracht. Diese Versammlung auf der Chorherrenstube umschloss sämtliche Dekane von der Landschaft und wurde jeweils am Tag vor der Synode abgehalten. Hier wurde der Entwurf der Rede desjenigen Dekans, der gemäss Turnus an der Synode vortrug (des Decanus proponens), nochmals gemeinsam begutachtet und beraten. Eine Art Präventivmassnahme zur Verhinderung unliebsamer Themen bildete wohl der Brauch, dass am Abend der Antistes und weitere Examinatoren zu dieser Versammlung hinzukamen und sich den Synodalvortrag des Decanus proponens ebenfalls noch vor der eigentlichen Synode unterbreiten liessen (vgl. Wirz 1793, Bd. 1).
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formvorschlägen, ausgearbeitet (Kap. 3.2). Ein drittes, umfangreiches Quellenkorpus machen die von mehr als 100 Zürcher Landgemeinden überlieferten Antworten auf diese Schulumfrage aus, die im 4. Kapitel ausgewertet werden. Leitend ist bei diesem Vorgehen die einfache, wenngleich häufig ignorierte Tatsache, dass die Untersuchung und insbesondere die Beurteilung der offiziellen Reformmassnahmen, wie sie beispielsweise mit der neuen Schul- und Lehrordnung von 1778 in die Wege geleitet worden sind, nur vor dem Hintergrund der historischen Problemwahrnehmung geschehen kann. Mindestens je ein Pfarrer aus den beiden Oberländer Kapiteln waren damals korrespondierende Mitglieder der Moralischen Gesellschaft, woraus sich denn auch ein gewisser Informationsaustausch ergab, wie es ebenfalls zu einer Zusammenarbeit zwischen den Kyburger und Wetzikoner Pfarrern kam. Der von der Moralischen Gesellschaft ausgearbeitete Fragebogen wurde an sämtliche auf der Landschaft, inklusive die in der thurgauischen gemeinen Herrschaft stationierten reformierten Pfarrer versandt; die überlieferten Antworten widerspiegeln damit Meinungen und Einstellungen des Gros der Landgeistlichen, deren Engagement für das Schulwesen recht unterschiedlich ausgeprägt war. Demgegenüber handelt es sich insbesondere bei zwei in diesem Kapitel behandelten Referaten der Kyburger Klasse, denjenigen von Dekan Escher und Kammerer Schulthess, um Texte, denen ein hohes Interesse an diesem Gegenstand, Eigeninitiative und ein ausgeprägter Reformwille zugrunde lagen; offenbar waren beide Referenten über (schul-) pädagogische Themen bestens informiert, und sie wirkten in der Folge selber als Verfasser neuer Schulbücher (vgl. Kap. 5.4). Das gesamte Spektrum, das heisst Stimmen, die den zeitgenössischen Zustand als genügend einschätzten und Reformen ablehnten, die gemässigte und an der realistischen Umsetzbarkeit orientierte Haltung gegenüber Schulreform sowie gleichermassen der ausgeprägte Reformimpetus aufgrund der besonders kritischen Einschätzung des Status quo sind von Interesse. Das Gesamt der Äusserungen bildet den Ausgangspunkt zur Bestimmung dessen, was im Kontext jener Zeit überhaupt ‚sagbar‘ bzw. ‚denkbar‘ war. ‚Sagbarkeit‘ bezieht sich dabei nicht auf den Sachverhalt einer repressiven (Selbst-)Zensur, sondern auf den „wider linguistic context as a means of decoding the actual intention of the given writer“ (Skinner 1969/1986, S. 64). Es fällt auf, dass es nicht die offizielle kirchliche Aufsichtsbehörde über das Schulwesen, der Examinatorenkonvent, war, welcher einen ausgreifenden Landschulreformdiskurs in Zürich in Gang setzte, vielmehr hatte dieser seinen Ausgangspunkt in der bereits genannten privaten Moralischen
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Gesellschaft (vgl. zu dieser Kap. 6). Hier wurden Schulfragen bereits in den Sitzungen des Jahres 1769 behandelt und arbeitete man im Jahr darauf den Fragebogen für die Landschul-Enquête aus. Das Gremium der Examinatoren überschnitt sich damals mit der Moralischen Gesellschaft lediglich in dem Mitglied Johann Rudolf Ulrich. Unter den bekannteren Angehörigen des Examinatorenkonvents weiter zu nennen sind der Promotor der Stadtschulreform Johann Konrad Heidegger, der jedoch mit der Übernahme des Bürgermeisteramts 1768 ausschied, sowie Johann Jakob Breitinger in seiner Funktion als Professor für Griechisch. Es ist kein Zufall, dass das Thema Landschulen in der Moralischen Gesellschaft kurz nach der Wahl des Gesellschaftsmitglieds Rudolf Ulrich zum Antistes aufkam; in diesem Amt rückte er zugleich als Präsident an die Spitze des für das Landschulwesen zuständigen Examinatorenkonvents. Kommunikation und Austausch zwischen offizieller Schul- und Kirchenbehörde sowie privater Gesellschaft gestalteten sich nun optimal, wie auch ein leichter Zugang zu den sich im Antistiat befindenden Synodalakten, Scholarien und anderen das Schulwesen betreffenden Akten gewährleistet war. Dass bei Ulrich noch in seiner Funktion als oberster Kirchenherr ein Interesse am Landschulunterrichtvorhanden war, kann man aus der Beobachtung schliessen, dass dieser Gegenstand während der 70er Jahre in Zusammenhang mit allgemeineren Fragen der Erziehung der Landbevölkerung zu einem wiederkehrenden Vortragsgegenstand in den halbjährlichen Synoden avancierte (vgl. Kap. 7). Etwa gleichzeitig mit der Moralischen Gesellschaft hatten Pfarrer im Kyburger Kapitel sich dem Thema der Landschulen angenommen und dort im kleineren Rahmen eine Schulumfrage veranlasst. Es handelt sich dabei um 21 Fragen, die unterteilt sind in fünf Abschnitte, und zwar A) zur Person des Schulmeisters (Lebenswandel, Ausübung des Schulmeisteramtes, Lehrmethode, Betragen gegenüber dem Pfarrer etc.); B) Schulbesuch der Schulkinder (Dauer, Regelmässigkeit, Gelerntes und dessen Auswirkung auf Moral und Sitten etc.); C) Schulaufsicht und diesbezügliches Engagement des Pfarrers und der Stillständer; D) Dauer der Schule (tägliche Schulstunden, saisonale Dauer); E) Art und Beschaffenheit der Schullokalität (StAZH: E IV, Kyburg, Mp. 2). Von fast sämtlichen Kyburger Kirchgemeinden sind Antworten erhalten, welche in der Zeit um März 1771 verfasst worden sind.
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Ebenfalls in den Kapitelsarchiv-Akten befindet sich ein Dokument, welches Beschlüsse der Prosynodal-Versammlung vom 27. August – 1770 oder 1771, die Angabe des Jahres fehlt – festhält und unter anderem auch Vorschläge zur Schulverbesserung enthält (ebd.). Eingangs wird konstatiert, dass Erziehung und Unterricht der Landjugend schlecht beschaffen seien. In der Schule werde nichts gelernt ausser Lesen sowie der Katechismus und einige Psalmen, jedoch ohne das Rezitierte zu verstehen. Entsprechend wenig wüssten die Jugendlichen nach Schulentlassung von religiösen Dingen, einem gottseligen Betragen sowie einem vernünftigen und billigen Verhalten in der menschlichen Gesellschaft. Dieses mache aber die Hauptsache dessen aus, was die Schule zu vermitteln habe. Um diese Kenntnisse in Zukunft hinwieder zu sichern, müssten bessere Schulbücher geschaffen werden. Als dringend notwendig empfand man ein Buch, welches die wichtigsten Religionswahrheiten, Sprüche und Historien aus der Heiligen Schrift und die christlichen Lebenspflichten enthält und dabei in einer der kindlichen Fassungskraft gemässen, angenehmen Erzählform abgefasst ist. Tatsächlich befasste man sich in der Folge mit dem Plan, selber ein solches Werk zu verfassen. Ein zweiter Punkt beschäftigte sich mit der Frage, wie die Kommunikation intensiviert und der Kontakt zwischen den Pfarrern kollegialer gestaltet werden könnte. Tatsächlich entsprach das gegenseitige Verhältnis zwischen den Pfarrern im Allgemeinen nicht immer dem brüderlichen Ideal und war häufig von Konkurrenz im ‚Pfründenwettlauf ‘ belastet (vgl. Heiligensetzer 2006). Man wollte zu diesem Zweck eine Pastoral-Korrespondenz ins Leben rufen, die der gegenseitigen Erbauung sowie dem Austausch von Erfahrungen bezüglich verschiedener Pastoralaufgaben wie Haus- und Krankenbesuchen oder des Umgangs mit den Jugendlichen dienlich wäre. Drittens plante man zur pastoralen Fortbildung eine gemeinschaftliche Bibliothek mit theologischen Büchern und einem theologischen Journal anzulegen. Um den Herbst 1770 sind zudem drei (bzw. vier)37 Vorträge von Kyburger Geistlichen über die Verbesserung des Schulwesens auf der Landschaft entstanden (StAZH: E IV, Kyburg, Mp. 2). Federführend treten der
37 Gemäss Hunziker (1894) gibt es im Staatsarchiv des Kantons Zürich vier Abschriften von Referaten. Das von ihm erwähnte Referat von Pfarrer Heinrich Breisacher (1727– 1793) aus Wangen – es soll sich um eine summarische Zustimmung zum Vortrag Gessners handeln – ist jedoch nicht auffindbar.
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eben erst zum Dekan ernannte Heinrich Escher (1728–1814)38 aus Pfäffikon und sein Nachfolger im Amt des Kammerers39, Johann Georg Schulthess (1724–1804)40 aus Mönchaltorf, hervor; das dritte Referat stammt von Johann Kaspar Gessner (1720–1790)41 aus Dübendorf. In der Moralischen Gesellschaft erfuhr man am 17. Januar 1771 von einem „Schulprojekt“ im Kyburger Kapitel (ZBZ: J 533) (vgl. Kap. 6.2). Es ist nicht klar, ob es sich dabei um Aufzeichnungen der oben erwähnten Diskussionen in der Prosynode handelt, den Plan zur Kyburger Enquête oder die Referate. Nahe liegend ist, dass jene kleinere Enquête den Entwurf des umfassenden Fragebogens zum Zustand des Landschulwesens der Moralischen Gesellschaft anregte. In den folgenden Zusammenkünften der Gesellschaft war die Idee zu einem eigenen Landschul-Projekt jedenfalls weiterhin Thema. Zur Sitzung vom 29. August 1771 wird protokolliert, dass Usteri nun ein von Dekan Escher, Kammerer Schulthess und Pfarrer Gessner ausgearbeitetes „Projekt“ überbracht und den Auftrag entgegengenommen habe, für die übrigen Mitglieder Kopien herzustellen.42 Am 19. September händigte er die Abschriften aus und verlas einen Brief von Dekan Escher, „worinn er ihm eine umständliche Nachricht von ihren Bemü38 Ab 1760 Pfarrer in Pfäffikon, Dekan von 1770–1809; 1773 trat er als korrespondierendes Mitglied in die Moralische Gesellschaft ein. Schriftstellerisch betätigte er sich u. a. als Übersetzer des bedeutenden Neuenburger Theologen Jean Frédéric Ostervald. 39 Der Kammerer (Kämmerer) verwaltete das Kapitelgut und war Stellvertreter des Dekans (vgl. Wirz 1794, Bd. 2). 40 Er war durch seine Mutter mit Bodmer verwandt, bei dem er studierte und der ihn in seine literarischen Unternehmungen mit einbezog. Auf Empfehlung seiner Lehrer trat er 1749 eine Reise nach Berlin an, wo er u. a. mit Johann Georg Sulzer die Montagsgesellschaft, einen gelehrt-geselligen Zirkel Berliner Aufklärer, gründete; in Deutschland machte er auch Bekanntschaft mit Wieland, Klopstock, Gleim und Gellert. Nach Zürich zurückgekehrt, übernahm er 1752 zuerst eine Pfarrstelle in Stettfurt, von wo er 1769 nach Mönchaltorf wechselte. Schulthess war renommierter Übersetzer und Editor griechischer Philosophen, namentlich Platos. Sein Sohn Johannes Schulthess (1763–1836) erlangte als Theologe einige Bekanntheit und engagierte sich ebenfalls pädagogisch und bildungspolitisch (vgl. Bütikofer 2006). 41 Ab 1751 Pfarrer in Dübendorf; verfasste die ‚Anweisung der Lieben Jugend in den Schulen, Zu einem Christlich-sittlichen auch äusserlich wohlanständigen und höflichen Betragen‘ (1774). Sein Sohn Georg wurde Antistes (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953). 42 Gemäss Tagebucheintrag vom 29.8. und 19.9. 1771 (ZBZ: J 533) sollte die aus dem Kyburger Kapitel stammende Nachricht vom dortigen Reformprojekt in den Schriften der Moralischen Gesellschaft abgelegt werden, wo sie aber nicht mehr auffindbar ist.
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hungen in Absicht auf die Verbesserung der Landschulen ertheilt. Und endlich empfihlt Usteri dieses Projekt, „wo es nöthig seyn möchte der Gesellschaft vorläuffig zur Unterstützung“ (ZBZ: J 533). Inzwischen waren die Landschulen auch im Wetzikoner Kapitel Gegenstand von Überlegungen geworden. Anlässlich der Prosynode vom 3. April 1771 kam man auch hier zum Schluss, dass es schlecht um deren Zustand stehe. Die Ursache dafür liege einerseits bei den liederlichen Eltern, die ihre Kinder von der Schule abhalten, anderseits bei den Schulmeistern; Letztere hätten weder Fähigkeiten noch Bewusstsein von der Wichtigkeit ihres Amtes, auch mangle es ihnen an der notwendigen Liebe gegenüber der Jugend (StAZH: E IV, Wetzikon, Bd. 3). Bis zur nächst folgenden Prosynode vom 9. Oktober hatten die Pfarrer den von der Moralischen Gesellschaft ausgearbeiteten Enquête-Fragebogen erhalten. Kammerer Johannes Schmidlin43 aus Wetzikon legte gemäss den Akten eine schriftliche Beantwortung der Fragen vor, welche dann gemeinsam reflektiert und diskutiert wurde (ebd.) und damit wohl die Grundlage für die Kollektivantwort aus dem Wetzikoner Kapitel bot. Man habe daraufhin über die guten und schlechten Eltern, die Armut, welche den Schulbesuch erschwerte, sowie die unterschiedlichen Voraussetzungen der Schulmeister und ihren Lohn gesprochen. Im Vordergrund stand aber auch hier das Anliegen eines verbesserten Schulbuchs. Beschlossen wurde dann fürs Erste, dass die Schulkinder entsprechend ihrer Pensen in Klassen einzuteilen seien und deren Beförderung in die nächste Klasse vom Urteil des Pfarrers abzuhängen habe. Weiter hielt man fest, dass am Ende jedes Schultags einige geistliche 43 Johannes Schmidlin (1722–1772) war einer der Begründer und Förderer ländlicher Gesangs- und Musikkultur mit Bekanntheit über Zürich hinaus und beeinflusste massgeblich die Entwicklung der schweizerischen Liedkunst im ausgehenden 18. Jahrhundert. In Wetzikon gründete er eine Singgesellschaft und ein Collegium musicum. Sein umfangreiches Œuvre umfasst geistliche und weltliche Lieder, Kantaten und Oden. Schmidlin gab u. a. auch Lieder von Gellert heraus, vertonte Lavaters ‚Schweizer-Lieder‘ sowie Dichtungen Klopstocks. Einen grossen Absatz fanden vor allem seine zu Beginn der 70er Jahre herausgegebenen ‚Geistlichen Lieder mit Choral-Melodien‘, die 1772 bereits in dritter und 1821 in elfter Auflage erschienen. In seinem Vorbericht von 1772 konnte er darauf verweisen, dass seine Lieder auch in den Schulen gesungen würden; die Kinder fänden darin Freude und Erhebung nach strenger Schularbeit (vgl. Wyss 1978). Schmidlins Konzept lief darauf hinaus, die Wahrheiten und Sittenlehren der Religion mit „froher Lust“ zu verbreiten, was der Entwicklung des sittlichen Charakters zugute käme (zit. nach Wyss 1978, S. 104). Religiös ist die Textauswahl einem wesentlich aufgeweichten, natürlichen Christentum einzuordnen.
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Lieder – man dachte dabei wohl an die schmidlinschen – gesungen werden müssten. Zuletzt fiel noch der Entscheid, dass am 10. November, das heisst unmittelbar vor Winterschulbeginn, sämtliche Pfarrer in ihren Gemeinden eine Schulpredigt halten sollten. In der Wetzikoner Prosynode vom Frühling 1772 nahm das bereits thematisierte neue Landschulbuch Gestalt an. Verschiedene Pfarrer übernahmen Aufträge zur Verfertigung einzelner Teile (ebd.). Pfarrer Dietrich Locher aus Oetwil, seit 1767 korrespondierendes Mitglied der Moralischen Gesellschaft, wollte sich einer „Erzählung der wichtigsten biblischen Geschichten“ annehmen; Pfarrer Johannes Hess aus Hinwil nahm sich eine „Schilderung des guten und schlimmen Landmanns“ vor; Diakon Heinrich Escher in Wald die „4. Jahreszeiten“; Pfarrer Johann Heinrich Hirzel aus Rüti widmete sich der Aufgabe, „Lebensregeln, welche die Kinder ausser und in der Schule zu beobachten haben“, aufzustellen; Kammerer Schmidlin versprach eine „Anleitung zur Music“, und der (nicht namentlich genannte) Verfasser des Protokolls wollte eine „anweisung zum Rechnen“ verfertigen. Man gab sich für die Abfassung und Zusammenstellung des Buches, das den Brüdern aus dem Kyburger Kapitel zur Beurteilung vorgelegt werden sollte, drei Monate Zeit. In der Prosynode vom 7. Oktober 1772 beschloss man tatsächlich, sich im Anschluss an die bevorstehende Synode in der Stadt mit einem Ausschuss von Kyburger Kollegen zu treffen, um sich bezüglich des geplanten Schulbuchs gemeinsam zu beraten (ebd.).
3.1 Das Kyburger Kapitel Die drei Vorträge von Kammerer Johann Georg Schulthess, Dekan Heinrich Escher und Pfarrer Johann Kaspar Gessner, die in diesem Abschnitt zur Darstellung kommen, befinden sich in handschriftlicher Form im Kapitelsarchiv des Staatsarchivs Zürich (E IV Kyburg, Mp. 2). Die beiden ersten sind zudem, allerdings etwas ungenau und mit angepasster Orthographie, abgedruckt in Hunziker (1894). Die Auswahl der Abdrucke ist offensichtlich motiviert durch die grössere Ausführlichkeit und Originalität sowie das höhere Reflexionsniveau der Beiträge von Schulthess und Escher, die sich auch reform- und fortschrittsfreudiger geben als Gessner. Den gegenseitigen Verweisen kann man entnehmen, dass sich der Vortrag Eschers an denjenigen von Schulthess anschloss. Eschers Vortrag versteht sich als dessen Fortsetzung, mit dem er sich aber tatsächlich stark überschneidet und ihn auch explizit bestätigt; es ist deshalb sinnvoll, diese beiden zusammen
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zu behandeln. Das Referat von Gessner bestätigt einerseits die Anliegen seiner Vorredner, nimmt aber auch Korrekturen vor, die deren Ideen an der Frage der Ausführbarkeit bemessen. Escher und Gessner haben beide von Schulthess die Einteilung des Referates übernommen, und zwar in einen I. Abschnitt, der sich mit der Frage beschäftigt, wie das bis anhin in den Landschulen getriebene verbessert werden könnte; II. Abschnitt zur Frage, was in den Landschulen zusätzlich getan werden sollte und einen III. Teil zu den Mitteln, die zur Bewerkstelligung der Verbesserungen notwendig wären.
3.1.1 Zwei innovative Pfarrer: Kammerer Schulthess (Mönchaltorf ) und Dekan Escher (Pfäffikon) In Schulthess’ und Eschers Ausführungen dominieren bezogen auf den I. Punkt methodische Überlegungen, und zwar zum Lese- und Schreibunterricht, zum Auswendiglernen religiöser Stoffe und zum Singunterricht, Fragen der Unterrichtsorganisation sowie zu Disziplin und Strafe. Die Referate insgesamt zusammenfassend, sind es folgende Themenkomplexe, die eindeutig im Vordergrund stehen und anschliessend näher ausgeführt werden sollen: – falsche Methodik des Lesenlernens; – der Stoff, an dem das Schreiben gelernt und das Lesen geübt wird, ist den Schülern inhaltlich nicht nützlich; – ungeeignete Methode des Religionsunterrichts, Kritik am Katechismus; – der Zweck des Religionsunterrichts, dessen praktischer, das heisst moralischer Nutzen, wird verfehlt; – Vernachlässigung weiterer praktisch nützlicher Fächer; – damit verbindet sich eine generelle Kritik an den vorhandenen Schulbüchern; – mangelnde Unterrichtsmethodik und -organisation; – fehlende Einrichtungen zur Schulmeisterausbildung; – die bisherige Schulordnung ist schwer handhab- und durchsetzbar.
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Buchstabieren- und Lesenlernen: eine effiziente, spielerische Methode Um das Kennenlernen der Buchstaben zu Beginn des Leseunterrichts zu erleichtern, schlagen beide Referenten die Einführung des so genannten Spiel-ABC44 vor. Damit soll, so Schulthess, vermieden werden, dass die Kinder zwar die Buchstaben im Alphabet der Reihe nach auswendig aufsagen können, jedoch diese in ihren Schriftzügen isoliert nicht wiedererkennen. Um reale Begriffe zu vermitteln, der Anschaulichkeit zuliebe und um das Lernen vergnüglich zu gestalten, sollen zudem Bilder verwendet werden, die man mit den Buchstaben an einer Tafel anbringen kann. Schulthess verweist auf das Verwirrende der Buchstabiermethode, indem sich bei den Konsonanten der Laut in der Aussprache von der Benennung der Buchstaben unterscheidet; 45 er plädiert deshalb für das Erlernen der Konsonanten von Beginn weg in Zusammensetzung mit Vokalen. Von Anfang an sei auf die richtige Betonung der Wörter und die Prosodie beim Lesen zu achten. Escher verbindet mit einer solchen verbesserten Lehrart eine Effizienzsteigerung, da bisher viel zu lange Zeit mit dem Kennenlernen der Buchstaben verbracht wurde. Dem Leseunterricht seien bekannte Begriffe, das heisst Kindern verständliche Sachwörter zugrunde zu legen; so könne ihr begriffliches Repertoire allmählich erweitert werden. Gemäss Escher ist es wichtig, die Lust der Kinder am Lernen zu erhalten, während die bisherige Methode viel Verdruss verschaffe. Dieser liesse sich abschaffen, indem man ihnen Fabeln und angenehme Erzählungen zum Buchstabieren und Lesen aufgibt. Escher rät absolut davon ab, im Leseunterricht die Bibel oder den Psalter46 zu verwenden. Nicht nur entsprächen diese Texte nicht dem kindlichen Horizont, 44 In der ‚Oekonomischen Encyclopädie‘ von Johann Georg Krünitz wird das SpielABC folgendermassen beschrieben: Ein Spiel für Kinder, um die Buchstaben leichter, d. h. spielend zu erlernen. Die Buchstaben sind kartoniert, und bei jedem Buchstaben ist ein Tier, eine Pflanze oder ein sonstiger Gegenstand aus dem Naturreich abgebildet, dessen Name mit dem entsprechenden Buchstaben beginnt. Krünitz nennt Pestalozzi als Erfinder dieser „Methode“ (1833, Bd. 158), was offenbar nicht den Tatsachen entspricht. 45 Schulthess’ Sohn Johannes erhielt seinen ersten Unterricht zu Hause vom Vater und war um 1770 gerade siebenjährig. Die hier vom Kammerer vorgebrachte Kritik und seine Verbesserungsvorschläge beruhten somit nicht zuletzt auf eigenen Unterrichtserfahrungen (vgl. Kap. 4.4.1), was sicher auch für andere Pfarrer gilt, insbesondere wenn sie während oder nach dem Studium als Hauslehrer tätig waren. 46 Gesangbuch mit bereimten Psalmtexten. Am gebräuchlichsten und damit das massgebliche Gesangbuch der deutschsprachigen reformierten Kirche war der Psalter von
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beim Lesenlernen erfahrene Strafen und Frustration würden überdies für immer Ekel gegenüber den entsprechenden Stoffen erzeugen. Escher beruft sich in seinen diesfälligen Vorschlägen auf Ausführungen des Theologen und Pädagogen Johann Peter Miller (1725–1789), wie er sie in der ‚Sitten-Lehre’ Johann Lorenz von Mosheims47 zum spielenden Lernen und dem sinnlichen Unterricht (von Mosheim 1767, Bd. 8, S. 348 f.) gemacht hat.
Schreibunterricht: vom Abschreiben zur aktiven Schriftkompetenz Die Schüler sollen die Buchstaben nicht nach ihrer Ordnung im Alphabet, sondern gemäss dem Kriterium der Ähnlichkeit ihrer Figur kennen lernen. Zum Abschreiben gebe man ihnen nützliche Texte, etwa eine Orthographie, Rechenregeln oder ein Büchlein mit Formular- oder Briefvorlagen; andere nützliche Schreibvorlagen wären Weisheits-, Lebens-, Gesundheitsund Haushaltsregeln. Nicht nur Geschriebenes, sondern auch Gedrucktes soll man ihnen zum Abschreiben geben, damit verhindert werde, dass die Kinder lediglich Schriftzüge abmalen, ohne die Buchstaben zu erkennen. Die Kinder sollen zudem lernen, aus dem Gedächtnis oder nach eigenem Konzept zu schreiben. Während der Schreibunterricht bei den Mädchen gewöhnlich vernachlässigt wurde, betont Escher den besonderen Nutzen dieser Fertigkeit gerade auch für die spätere Hausfrau.
Auswendiglernen religiöser Stoffe: vom Memorieren zum Verstehen Höchste Priorität hat die Forderung, dass die Kinder die Inhalte auch verstehen, die sie auswendig lernen. Gegebenenfalls müssten schwierige Textstellen vom Schulmeister zuerst deutlich erklärt werden. Dem Gedächtnis sollte nur eingegeben werden, was im Leben nützlich ist, also Sach- statt Ambrosius Lobwasser von 1565. Es handelt sich um eine hugenottisch beeinflusste Übersetzung des Genfer Psalters. 47 Es handelt sich um die Vorlesungen zur Ethik von Johann Lorenz von Mosheim (1694–1755), die Johann Peter Miller nach dessen Tod um die Teile 6 bis 9 erweitert und 1762 bis 1770 publiziert hat. Der 8. Band enthält Abschnitte zu den gegenseitigen Pflichten von Eltern und Kindern, zu den Beweggründen einer christlichen Erziehung, zur Erziehung bezogen auf die Seele, die Erkenntniskräfte und das Herz der Kinder sowie zu Belohnung und Strafe (S. 329 ff.). Miller preist darin u. a. die Werke von Locke, Fénelon und Sulzer an, wenngleich er im weiteren Verlauf gegen Ersteren auch Einwände vorbringt (vgl. Kap. 4.5.2).
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blosse Wortkenntnisse. Den Schulmeistern müsse man vorschreiben, was sie den Schülern zum Memorieren aufzugeben haben. Schulthess kritisiert an dieser Stelle auch den gebräuchlichen Katechismus, da es ihm an methodischem und logischem Aufbau fehle.
Unterrichtsorganisation: vom Einzel- zum Klassenunterricht Jedes Kind soll die ganze Zeit über beschäftigt sein, was angesichts des praktizierten Einzelunterrichts in den altersdurchmischten Schulen nicht einfach war. Deshalb sollten die Schüler konsequent nach Stand von Wissen und Fähigkeiten in Klassen eingeteilt werden, wobei man den Anfängern einen älteren Schüler vorsetzen könne. Beim auswendig aufsagen könnten die Schüler, die dasselbe Pensum absolvieren, zusammen unterrichtet werden, was aber bedinge, dass alle die gleichen ‚Lezgen‘ [Lektionen, E.B.] vor sich haben.
Singunterricht: mit Methode zur Erbauung Gemäss Schulthess sollen die Psalmen in den Singschulen methodisch und nach Prinzipien gelehrt werden. Im Zusammenhang mit dem sittlichen Unterricht gibt er Liedern gegenüber Psalmen den Vorzug. Er verspricht sich von diesen Melodien und Inhalten eine Erquickung von Verstand und Herz. Noch stärker betont Escher die Verbindung des Singens mit dem Herzen. Dem Singen kommt eine besondere Bedeutung im Gottesdienst zu, weil ihm die Erregung religiöser und sittlicher Empfindungen zugeschrieben wird. Entsprechend sollte es mit gebührender Andacht getrieben werden, wobei Schulthess zufolge besonders zu vermeiden sei, dass der Mund zu weit aufgesperrt und das Gesicht verzerrt werde. Beide geben den Werken Schmidlins48, der als Kammerer und Pfarrer von Wetzikon in unmittelbarer Nähe wirkte, den Vorzug.
Disziplin und Strafe: das lockesche Prinzip Escher und Schulthess warnen beide davor, vorschnell zur Rute zu greifen; statt körperlich zu strafen, soll man sich an das moralische Gefühl, in dessen Besitz bereits Kinder stünden, wenden. Der Stärkung des moralischen Ge48 Z. B. ‚Deutliche Anleitung zum gründlichen Singen der Psalmen‘ (1767).
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fühls dient gemäss Schulthess ein an der Moral orientierter Religionsunterricht, in dem Gott vorwiegend als Verkörperung einer moralischen Instanz auftritt. Abgelehnt wird auch die Praxis, ältere Schüler, die die Nachtschule versäumten, mit einer Geldbusse zu bestrafen, da das eingezogene Geld am Ende des Schuljahrs dann meist vertrunken wurde. Escher sieht die häusliche Erziehung arg vernachlässigt; und auch er beurteilt die gewöhnliche Strafpraxis in den Schulen als unvernünftige, obwohl die Schule doch die eigentliche Pflanzstätte guter Sitten sein müsste. Die Strafe ist gesinnungsethisch begründet, es soll ihr eine eigentliche Diagnose vorausgehen: Geschah das Vergehen im Affekt, aus Übereilung oder aus Bosheit? Nur im letzteren Fall ist körperliche Züchtigung angebracht. Der Schulmeister erklärt den Schülern, nicht ohne seinem Bedauern Ausdruck zu verleihen, die Notwendigkeit der Strafe, bevor er sie vollzieht. Diese folgt dem ‚natürlichen‘ Prinzip49, wonach das Böse allezeit Strafe nach sich zieht. Die im Lernen Schwachen und Nachlässigen hingegen sollen ermuntert und mittels Belohnungen motiviert werden, denn durch Schläge bekomme niemand Lust zum Lernen; und auch Demütigungen seien zu vermeiden.
Erweiterung des Fächerkanon: Primat des Nutzens Gemäss Schulthess hat die Landschule einen namhaften Zweck in der Erziehung, und zwar in der Erziehung gemäss ständischer Bestimmung zu Untertanen, Hausvätern, Hausmüttern – gemeinnützigen Gliedern der Gesellschaft; oder, in einer anderen Formulierung: zu guten Christen, guten Untertanen, guten Bauern, einem ehrlichen, friedsamen, treuen Volk. Dazu müsste wenigstens die Hälfte der Schulzeit mit Glaubens- und Sittenlehre, aber auch Arithmetik und Geometrie, Landwirtschaftsunterricht und den Inhalten der Landesgesetze angewendet werden. Diese ‚Fächer‘ legitimie49 Dieser Grundsatz entspricht dem wolffschen Naturgesetz, wonach Gut und Übel als Lohn und Strafe Beweggründe sind, die Gott freiwillig mit den Handlungen der Menschen verknüpft (vgl. Wolff 1733/1996). Analoge Funktion kommt den bürgerlichen Gesetzen zu. Diese braucht es, weil die natürliche Verbindlichkeit des Menschen zur Erfüllung des Naturgesetzes, nämlich zu tun, was seiner Vervollkommnung dient, und zu unterlassen, was seinen Zustand unvollkommener macht (ebd., § 19), nach Wolff nur dann hinlänglich wäre, wenn jedermann den zur Beurteilung der Handlungen erforderlichen Grad an Vernunfteinsicht besässe, was aber nicht vorausgesetzt werden kann (vgl. Wolff 1736/1996).
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ren sich über das Kriterium der praktischen Nützlichkeit, was übrigens in ganz bestimmter Weise ebenfalls für die genannten religiösen und moralischen Lehren Gültigkeit hat. Mit dem Religionsunterricht in der Schule soll zugleich die Basis für die vom Pfarrer erteilte Kinderlehre und den Katechumenenunterricht gelegt werden. Der Sittenlehre sollen ausgesuchte Historien zugrunde gelegt werden, die den Schülern die Wege der Vorsehung und die Folgen guter, gemeinnütziger und böser, selbstsüchtiger Handlungen aufzeigen. Escher führt die Zwecke der neu einzuführenden nützlichen Inhalte sowie die Ziele eines verbesserten Religionsunterrichts genauer aus:
Religion: radikale Kritik am bisherigen Unterricht Der Religionsunterricht sei in seiner bisherigen Art so gut wie unnütz; nur das Gedächtnis, nicht aber der Verstand und das Herz würden einbezogen. Escher will den Religionsunterricht mit biblischen Historien beginnen, erst darauf sollen theoretische und praktische Grundsätze gelehrt werden. Am besten geschähe dies mittels eines Lehrbuchs, worin die wichtigsten Glaubenssätze, mit Bibelstellen belegt, in ihrer natürlichen Verbindung stünden. Aus den Sprüchen und anderen Büchern der Heiligen Schrift könnten Stellen gezogen werden, die in bürgerlicher, häuslicher und ökonomischer Hinsicht von Nutzen sind. Die Bibel, und hierbei wird dem Neuen Testament der Vorzug gegeben, würde nur in speziellen Stunden Verwendung finden. Diese feierlichen Anlässe sind besonders der Beförderung der Frömmigkeit und der Aufmunterung zur Selbstprüfung gewidmet. Dabei soll der Schulmeister auch Exempel gottseliger Handlungen vorstellen und deren Nachahmung wecken; seien doch die zarten Herzen der Jugend für gute Eindrücke besonders empfänglich, jedoch im Hinblick auf den „Heils Unterricht“ und die „Bildung eines weisen, u. frommen Herzens“ bisher stark vernachlässigt worden.
Die neuen Fächer: von Rechnen bis Gesundheitslehre Escher erhofft sich einen grossen Einfluss des Rechnens auf die häusliche Wirtschaftsführung. Besonders von Nutzen für den Bauernberuf wären auch etwas Geometrie und Mechanik. Dazu kommen Naturhistorie und Naturlehre, denn dieses Wissen führe zu würdigen Vorstellungen von Gott, wirke dem Aberglauben entgegen und leite die Leute „aus dem Stand d.
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Tummheit, u. Gedankenlosigkeit über die sichtbaren Werke d. Schöpfung zur Verehrung, u. Anbettung d. Gottheit“. Die Bekanntschaft mit den Landesgesetzen hinwieder überzeuge die Leute „von der Vorsorge, und Weisheit, u. Güte der Landes-Regierung, u. ihrer Obrigkeit“; das Volk lerne diese schätzen und lieben, und es wird der Grund gelegt „zu einer willigen Unterwerfung, u. Gehorsamm gegen dieselben“. Landwirtschaftslehren, wie sie sich vornehmlich in den Schriften der Naturforschenden Gesellschaft finden, sollen den Leuten Wissen über verschiedene Dünger- und Grasarten, die beste Art des Pflügens etc. verschaffen. Schliesslich könnten praktische Dinge wie die Haushaltungskunst und Gesundheitsregeln nicht zuletzt dazu beitragen, dass auch die älteren Kinder und Jugendlichen die Schule gerne weiterhin besuchen; denn dass dies heute leider nicht geschehe, hänge mit dem Glauben zusammen, man müsse dort nur lesen lernen.
Die vorzüglichen Mittel für eine Verbesserung des Schulwesens: neue Lehrmittel, ein Schulmeisterseminar und handhabbare Schulgesetze Zwar bemerkt Schulthess bezüglich der Lehrmittel, dass bereits verbesserte Namenbüchlein existieren, wobei er den beiden „Zieglerschen“50 den Vorzug gibt. Hingegen hätten als Lesebücher neben das gewöhnlich verwendete Zeugnisbuch51 und das Neue Testament, wie bereits ausgeführt, Sammlungen von Sittensprüchen und Historien, auch eine Naturhistorie und -lehre zu treten. Das Wichtigste sei zwar unstreitig die christliche Religion, wie sie Katechismus und Bibel vermittelten, jedoch auch profane Beispielgeschichten beurteilt Schulthess als unentbehrlich. Besonderes Gewicht legt er auf ein neues Religionslehrmittel. Dieses soll in elementarer Weise die geoffenbarte und natürliche Religion enthalten
50 Es sind in der Druckerei Johann Kaspar Ziegler erschienene Namenbüchlein gemeint: ‚Kurz abgefasstes und verbessertes Namen-Büchlein, der lieben Jugend zu Dienst‘ (1766); beim Zweiten handelt es sich wahrscheinlich um die ‚Kurze und deutliche durch die Erfahrung bewährte und um viel verbesserte und erleichterte Anleitung, auf die beste und grundlichste Art buchstabieren und lesen, samt den gewohnlichsten Abkürzungen und Unterscheidungszeichen, insonderheit auch die Zahlen kennen etc. zu lehren und zu lernen‘ (1759). 51 Damit ist der (grosse) Katechismus gemeint, der u. a. auch ‚Zeugnisse‘, d. h. biblische Belegstellen, enthält. Daneben gab es für die Schulanfänger den ‚Kleine Lehrmeister‘, einen Auszug aus dem Katechismus, sowie das ‚Fragstücklein‘, wiederum ein vereinfachender Auszug aus dem ‚Lehrmeister‘.
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und in katechetischer Form abgefasst sein, dabei aber der Logik folgen, die der Lehre selber inhärent ist. Im Zentrum steht eine Pflichtenlehre, welche sich nach traditionellem Schema aus den Pflichten gegen Gott, den Nächsten und sich selber zusammensetzt. Gott wird hier als der „moralische Regierer“ der Welt vorgestellt, der seine Aufmerksamkeit auf die Aufführung und Gemütsart eines jeden richtet. Deutlich wendet er sich gegen die bis anhin gebräuchlichen Katechismen, die sich allzu stark mit polemisch-konfessionellen und metaphysischen Fragen beschäftigten. Der neue Katechismus soll den Verstand der Kinder beschäftigen und so das Memorieren erleichtern. Vorlagen für die Erarbeitung eines solchen Buches könnten Johann Bernhard Basedow52 und Johann Gottlieb Töllner53 bieten, also Werke von ausgewiesenen Neologen. Empfehlenswert auf dem Gebiet der Gebet- und Liederbücher sei das neulich vom Bischofszeller Pfarrer Felix Waser54 erschienene ‚Schul- und Haus-Büchlein‘ (1769) (vgl. dazu Kap. 5.4).
52 Wahrscheinlich denkt Schulthess hier an den ‚Methodischen Unterricht der Jugend in der Religion und Sittenlehre der Vernunft nach dem in der Philalethie angegebenen Plane‘ (Basedow 1764b). Darin findet sich in einem ersten Teil u. a. die Methodenkritik am Auswendiglernen abstrakter Glaubenslehren, das von so viel Mühe begleitet sei, dass die Kinder für die Zukunft eine Abneigung gegen alles Religiöse entwickelten. Die beiden folgenden Hauptteile handeln „von dem Menschen und der Welt“ und der „Natürlichen Religion“. Zuletzt finden sich einige Gebete für Kinder. Zur Kritik am gängigen Religionsunterricht, der Leselernmethodik und an den verwendeten religiösen Schulbüchern beim ersten Leseunterricht vgl. auch Basedows ‚Philalethie‘ (1764a, Bd. 1). Basedow formulierte seine Vorstellungen, ausgehend von seiner Kritik an den gängigen Erziehungs- und Unterrichtsmethoden, bereits in den frühen Schriften, so etwa in der ‚Practischen Philosophie für alle Stände‘ (1758) und selbst in seiner Magisterarbeit ‚Inusitata eandemque optima honestioris iuventutis erudiendae methodus‘ aus dem Jahr 1752 (vgl. Overhoff 2004); beide sind beeinflusst von den pädagogischen Ideen John Lockes und Hermann Samuel Reimarus’, des Verfassers der von Lessing als ‚Wolfenbütteler Fragmente‘ publizierten deistischen Religionsund Offenbarungskritik. 53 Johann Gottlieb Töllner (1724–1774) war ein Schüler Siegmund Jakob Baumgartens und Verfasser verschiedenster theologischer und pastoraltheologischer Schriften. Einige Bekanntheit erlangten seine ‚Wahren Gründe warum Gott die Offenbarung nicht mit augenscheinlichern Beweisen versehn hat‘ (1764) und ‚Beweis, dass Gott den Menschen bereits durch seine Offenbarung in der Natur zur Seligkeit führt‘ (1766). 54 Felix Waser (1722–1799) war nach seinem Theologiestudium Hauslehrer in Wimmis (Kanton Bern). Seit 1740 war er Diakon und dann Pfarrer in Bischofszell.
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Für den landwirtschaftlichen Unterricht verweist Schulthess neben den Traktaten der Zürcher Naturforschenden Gesellschaft auf die „Ackerschule“ eines Pfarrer Lüders55. Für den Unterricht in Arithmetik und Geometrie schlägt er vor, die Lehrbücher zu verwenden, die gerade für die neuen Stadtschulen vorbereitet worden sind.56 Sowohl Schulthess als Escher fordern für eine bessere Schulmeisterbildung die Errichtung eines speziellen Seminars. Schulthess sieht eine eigene Professur für das Schulmeisterseminar vor und appelliert bezüglich der Finanzierung an die landesväterliche Grosszügigkeit. Ausführlicher wird die Frage des Unterhalts von Dekan Escher behandelt. Er geht davon aus, dass die Wichtigkeit einer solchen Anstalt auch den obersten kirchlichen und weltlichen Behörden klar bewusst sei und von ihnen sicher begrüsst werde. Konkret sieht er aber vor, dass die Kirchengüter der Gemeinden die Hälfte der auf 3‘000 fl (Gulden) veranschlagten jährlichen Kosten zu bestreiten hätten, während für die andere Hälfte staatliche Quellen und private Beiträge aufkommen könnten. Bei den Absolventen denkt er an Waisen, die zu diesem Beruf heranzuziehen wären. Wäre eine solche zentrale Einrichtung erst vorhanden, könnte auch die Praxis der Stellenbesetzung geändert werden. Das heisst, man wäre nicht mehr in erster Linie auf Gemeindeansässige, oftmals Nachkommen innerhalb von ‚Schulmeisterdynastien‘, angewiesen. Da aber auswärtige Schulmeister den Unterricht wegen des unzumutbaren Schulwegs der Kinder nicht mehr in ihrer eigenen Wohnung abhalten könnten, hiesse dies gleichzeitig, dass die Gemeinden vermehrt öffentliche Schulstuben einrichten müssten. Beide Geistlichen sehen daneben eine alternative Möglichkeit der Schulmeisterbildung in der Anleitung durch den vorstehenden Pfarrer. Als problematisch und eigentlich unmöglich beurteilt Escher jedoch einen solchen Unterricht bei den älteren der bereits amtierenden Schulmeistern.
55 Lüders, Philipp Ernst: Bestgesetzter und erläuterter Ackerplan, nach welchem in der Königlichen Dänischen Acker-Academie der Anbau der Feldfrüchte gezeiget wird. Flensburg 1769. Lüders war ein Ehrenmitglied der Ökonomischen Gesellschaft in Bern. Die Schrift enthält vor allem Regeln zur Aussaat verschiedener Ackerfrüchte und in Rücksicht auf die Bodenbeschaffenheit. 56 Z. B. die für die Realschule von David Breitinger verfassten ‚Ersten Anfangsgründe der Rechenkunst und Geometrie‘ (1773). Professor David Breitinger (1737–1817) lehrte selber ab 1773 Mathematik und Naturkunde an der neu gegründeten Kunstschule; er war seit 1768 Mitglied der Moralischen Gesellschaft, auch Mitglied der Naturforschenden Gesellschaft und der Ökonomischen Kommission.
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Schliesslich votieren beide zugunsten der Einführung eines Methodenbuches für die Schulmeister. Ein solches sollte zu deren Professionalisierung, der Hebung ihrer Fähigkeiten und ihres Status, beitragen. Sollen diese Neuerungen, ein Seminar in der Stadt und neue Schulbücher, tatsächlich realisier- und durchsetzbar werden, wären, so Schulthess, die obrigkeitliche Approbation und besser handhabbare Schulgesetze unabdingbar. Der prekären Situation hinsichtlich der Durchsetzung der bisherigen Schulordnungen, besonders was den Schulbesuch anbelangt, könnte abgeholfen werden, indem die elterliche Willkür eine Einschränkung erführe. Der Zeitpunkt der Schulentlassung müsste ganz dem Urteil des Pfarrers, Schulmeisters und der Gemeindevorgesetzten57 überlassen sein, wozu ein besonderer Artikel mit obrigkeitlichen Bestimmungen und Vollzugsmitteln zu wünschen ist. Am Examen sollten als Ansporn Prämien an die Besten und Fleissigsten verteilt werden – dies sei eine sinnvollere Investition, als das Geld beim Zielschiessen aufzuwenden. Im gleichen Zug bemerkt Schulthess, dass es hart erscheine, die Armen durch obrigkeitlichen Zwang zu täglichem Schulbesuch zu zwingen. Im Gegenteil will er diesen für die am wenigsten Bemittelten einschränken, da mit Blick auf deren zukünftige Bestimmung zur Handarbeit eine mittelmässige Fertigkeit im Lesen genüge; das Schreibenlernen sei in diesen Fällen ganz entbehrlich. Es wäre also ausreichend, wenn diese Kinder die Schule halbtags besuchten. Auch Escher plädiert für eine Revision der gültigen Schulordnung und verweist auf deutsche Muster wie die Braunschweig-lüneburgische58, die Schlesische59 und Brandenburgische. Ebenfalls im Sinne einer besseren
57 Im Gegensatz zum Stillstand, der ein Organ der Kirchgemeinde war, handelt es sich bei den ‚Vorgesetzten‘ um ein Organ der Dorfgemeinde; auch als Geschworene oder Dorfmeier bezeichnet (vgl. Kunz 1948). Deren Aufgabe bestand gemäss Kunz u. a. im Einziehen des Schullohns, wofür ihnen beim jährlichen Examen ein Essen bewilligt wurde. Offenbar wurde deren Funktion bezüglich der Schulaufsicht, Schulvisiten und Anwesenheit beim Examen aber oftmals vom Stillstand wahrgenommen 58 Die ‚Schul-Ordnung Vor die Churfürstlich-Braunschweig-Lüneburgische Lande‘ (1738) hat den Philologen Matthias Gesner als Verfasser; wie ein genauer Textvergleich zeigt, diente sie als massgebliche Vorlage bei der Formulierung verschiedener Artikel in der neuen Ordnung für die städtischen Schulen von 1773 (vgl. Kap. 2.1). 59 Ausgehend vom preussischen General-Landschul-Reglement (1763), ausgearbeitet von Johann Julius Hecker, verfasste der katholische Schulreformer Johann Ignaz von Felbiger 1765 im Auftrag des Königs das Landschulreglement für die neu erworbenen Landesteile Schlesien und Glatz.
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Durchsetzung fordert er, dass in einer solchen die Zuständigkeiten der Eltern, der Vorgesetzten und der Obrigkeit, des Schulmeisters und des Pfarrers näher bestimmt werden. Dies geschah in den bisherigen Schulordnungen tatsächlich nur sehr unpräzise, zum Beispiel bezüglich des Ausschulungsalters, Mindestkompetenzen bei Schulentlassung oder der anzurufenden Instanzen im Falle der Vernachlässigung der Schulpflichten, sei dies durch den Schulmeister, Pfarrer, die Stillständer bzw. Vorgesetzten oder die Eltern. Eschers Vortrag legt mehr Wert auf Frömmigkeit als Ergebnis des schulischen Religionsunterrichts und erscheint im Vergleich zu Schulthess an gewissen Stellen stärker gefühls- und herzensreligiös unterlegt. Trotz dieser Innerlichkeitstendenz sollte nicht vorschnell auf eine im engeren Sinn pietistische Frömmigkeitshaltung geschlossen werden. Gemäss Wernle (1923, Bd. 1) waren pietistische Landpfarrer besonders in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine äusserst seltene Erscheinung. Erweckungsbewegungen, wie sie besonders im Raum Winterthur und im Oberland zeitweise auftraten, gingen von Laien aus. Versammlungen von Separatisten wurden zur Amtszeit Pfarrer Eschers gerade auch bei Pfäffikon abgehalten und von ihm – einigermassen erfolglos – zu unterdrücken versucht. Schliesslich widersetzten sich die Abtrünnigen nicht selten dem Besuch der Kirche und Schule und lehnten die Sakramente ab. In den Ausführungen Eschers zum Strafen sowie in der Bedeutung, die er Lust und Unlust beim Lernen, insbesondere beim Lesenlernen, zumisst, treten lernpsychologische Argumente zu Tage, die deutlich mit John Lockes ‚Some Thoughts Concerning Education‘ (1693) übereinstimmen. Da explizite Verweise auf Locke fehlen, kann nicht definitiv entschieden werden, ob die Referenzen direkt auf sein Erziehungstraktat zurückgehen oder auf andere pädagogische Autoren der Zeit, die Locke rezipierten, zum Beispiel auf den im hier angesprochenen Kreis bekannten Johann Georg Sulzer, Johann Peter Miller oder Johann Bernhard Basedow.60 Die zum Lernen erforderliche Motivation wird, wie bei Locke (1693/1989), am besten erreicht,
60 Basedow schätzte Sulzers Erziehungsschrift von 1748 ‚Versuch von der Erziehung und Unterweisung der Kinder‘, wie die Referenz in seiner Magisterarbeit von 1752 zeigt. Umgekehrt hielt Sulzer nicht viel von Basedow und bezeichnete ihn in einem Brief an Bodmer vom 10.12.1771 als „Charlatan“ (Körte 1804, S. 402, zit. nach Sulzer 1922, S. 40).
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wenn das Lernen spielend61 vonstatten geht. Insbesondere hat bereits Locke gemäss dieser Maxime eine Art Spiel-ABC, in Form von Würfeln, deren Seiten je mit einem Buchstaben beklebt sind, beschrieben (vgl. auch Basedow 1774/1909, Bd. 1). Als Stoff zum Lesenlernen werden von Locke wie Escher Fabeln – dies im Gegensatz etwa zu Rousseau im zweiten Buch des ‚Emile‘ (1762), der diesen Stoff explizit ablehnt – und andere unterhaltsame Erzählungen vorgeschlagen.62 Wollen Kinder nicht lernen, müsste allerdings anstelle der üblichen Strafen und Belohnungen, welche lediglich an die Gefühle der Lust und Unlust appellieren, an die Empfindung von Ehre und Scham gerührt und das Ehrgefühl gestärkt werden. Kinder sind nach Locke (1693/1989) früh empfänglich für Lob und Anerkennung, und ebenso meint Schulthess, dass diese bereits im Besitz eines moralischen Gefühls, allerdings bezogen auf eine christliche Ethik, seien, welches die Schönheit des Rechttuns und die Hässlichkeit der Sünde zeige. Auch bezüglich des Strafens lassen sich bei Escher gewisse Übereinstimmungen mit Locke feststellen: Es soll nach den Ursachen des Vergehens – also etwa zwischen dem Kindesalter entsprechenden Fehlern und Eigenarten einerseits sowie vorsätzlichen Missetaten aufgrund einer bösen Gesinnung anderseits – unterschieden und die Strafe entsprechend bemessen werden. Die Züchtigung ist nicht im Affekt, sondern mit Überlegung und unter Berücksichtigung der individuellen Charakterart des Kindes zu vollziehen, wobei ihm deren Notwendigkeit erklärt wird. Strafen, die das natürliche Schamgefühl beleidigen, sollen auch gemäss Escher ganz aus der Schule verbannt werden (vgl. ebd., § 62).
61 Z. B. § 148: „I have always had a Fancy, that Learning might be made a Play and Recreation to Children; and that they might be brought to desire to be taught, if it were propos’d to them as a thing of Honour, Credit, Delight and Recreation, or as a Reward for doing something else; and if they were never chid or corrected for the neglect of it.“ 62 Auch Miller (Mosheim 1767, Bd. 8) plädiert in seinen Ausführungen zum ersten, auf die Sinne konzentrierten Unterricht für die Verwendung von Fabeln. Er folgt hier Locke, über weite Strecken ebenso in seinen Ausführungen zu Belohnung und Strafe. Hingegen weist er Rousseaus Idee der negativen Erziehung vollständig als „seltsame Vorschläge“ zurück (S. 365).
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3.1.2 Pfarrer Gessner (Dübendorf ): Relativierung am Massstab des Möglichen Pfarrer Gessner aus Dübendorf bestätigt mit seinen Äusserungen einerseits die von Schulthess und Escher vorgebrachten Verbesserungswünsche und -vorschläge, zugleich sieht er einige Realisierungsschwierigkeiten. Grundsätzliche Probleme erkennt er etwa in der mangelnden Methodenkompetenz der Schulmeister, was die Einführung einer neuen Leselernmethodik anbelangt, im finanziellen Aufwand, in Widerständen von Seiten der Eltern sowie dem zusätzlich geforderten Engagement der Pfarrer. Das Spiel-ABC in sämtlichen Schulen einzuführen, hält er deshalb für unmöglich; auch koste die von Escher vorgeschlagene Lehrart, bei der der Schulmeister vermehrt Gespräche mit den Kindern führen sollte, anstatt sie aus den Büchern lernen zu lassen, zu viel Zeit und übersteige deren Fähigkeiten. Bezüglich neu einzuführender Lesebücher, die an die Stelle der religiösen treten sollten, ist Gessner skeptisch; nicht nur stellt er die Vorteile des Neuen in Frage, auch moniert er die damit entstehenden Unkosten. Die Einführung neuer, nützlicher Inhalte beurteilt er zwar als gut und recht, er vermutet aber, dass die von Escher genannten Fächer die Auffassungskraft der jüngeren Kinder übersteigen; und wären die Kinder dann alt genug für diese Stoffe und könnten – als Voraussetzung für die Aneignung von Realkenntnissen – endlich lesen, würden die Eltern sie wieder von der Schule nehmen. Zudem sei es undenkbar, dass ein einzelner Schulmeister pro Schule sämtliche geforderten Wissenschaften zu unterrichten im Stand sei, wie diese ja auch in den städtischen Schulen unter verschiedenen Lehrern aufgeteilt seien; das notwendige Selbststudium und die anzuschaffenden Bücher würden die Finanzen der gewöhnlich minderbemittelten und schlecht bezahlten Schulmeister alleweil überschreiten. Im Übrigen könne man nicht erwarten, dass die Eltern Geld und Lust hätten, neue und zusätzliche Schulbücher anzuschaffen. Sollten schliesslich sämtliche von Schulthess und Escher aufgeführten Neuerungen zur Umsetzung gelangen, würde dies für den Pfarrer einen merklichen Arbeitszuwachs bedeuten. Er müsste sich regelmässig mit dem Schulmeister über den Unterricht und die Anwendung der neuen Lehrmittel austauschen und sich selber in die erforderlichen Wissenschaften einarbeiten. Nun möchte Gessner zwar nicht an den Fähigkeiten und dem Einsatzwillen der Kollegen zweifeln, dennoch sei dieser Aufwand besonders in Gemeinden mit mehreren Schulen und Schulmeistern niemals zu leisten. Soweit der Religion in der Schule Priorität zukommt, fehle es somit an Raum für neue Fächer – so schön und nützlich sie auch wären.
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Von den vorgeschlagenen Mitteln für eine Schulverbesserung erscheint Gessner die Revision der Schulordnung am ehesten umsetzbar. Die Eltern würden von sich aus den Nutzen einer rechten Erziehung nicht einsehen, ihre eigenen diesfälligen Pflichten verabsäumen und die Kinder zu früh aus der Schule nehmen. Er meint deshalb, dass eine Verbesserung des Schulwesens nur dann realisierbar sei, wenn die Eltern zur Räson gebracht würden. Dazu müssten die Examinatoren das Mindestalter der Ausschulung offiziell festlegen. Doch plädiert auch Gessner für eine nachsichtige Haltung gegenüber Haushalten, die unbedingt auf den Verdienst der Kinder angewiesen sind. An der bisherigen Schulordnung, die das Schulwesen mehr hindere als fördere, kritisiert er besonders die beiden Abschnitte VI und XXI, welche sich zu den Mindestkompetenzen bei Schulentlassung und den im Unterricht erlaubten Büchern und Schriften äussern: Demzufolge mussten die Schüler, um der Schule entlassen zu werden, am Examen folgende Kenntnisse und Fähigkeiten an den Tag legen: Fragestücklein, Katechismus, schöne Gebete und Psalmen, insbesondere Haus-, Morgen-, Abend- und weitere, auf allerlei Notlagen hin ausgerichtete Gebete und Segenssprüche; lesen sollten sie zumindest die Druckschrift können. Die Satzungen schrieben vor, dass lediglich die offiziellen (religiösen) Bücher verwendet werden durften, keinesfalls aber „andere oder frömde, vilweniger gefährliche oder schädliche weder getruckte noch geschriebne Bücher und Sachen“ (Satzungen Den Land-Schulen, von den obersten Schul-Herren der Stadt Zürich fürgeschrieben 1744). Skeptisch wegen der hohen Kosten beurteilt Gessner dagegen die Möglichkeit, neue Schulbücher einzuführen und ein Schulmeisterseminar einzurichten. Insbesondere im Hinblick auf letztere Institution schätzt er die Zahlungsfreudigkeit der Obrigkeit gering ein. Die damit in Zusammenhang stehende Zulassung auswärtiger Schulmeister, die womöglich noch eingebürgert werden müssten, lasse sich kaum gegen den Protest der Gemeinden durchsetzen. Zu dem damit angeführten Einwand gilt es anzumerken, dass viele Gemeinden versuchten, über hohe Einzugsgelder die Niederlassung neuer Bürger abzuwehren, da diese Anrecht auf die Nutzung der Gemeindegüter wie der Allmend und der Waldungen hatten. Meist gab die Obrigkeit diesem Ansinnen statt, indem sie auf Bitte der Dorfgemeinden die für eine solche Abschliessung notwendigen Einzugsbriefe ausstellte. Angesichts der Vielzahl genannter Schwierigkeiten möchte Gessner die vorzunehmenden Reformassnahmen auf das Notwendigste und zugleich Machbare einschränken. Dazu gehört, dass man in den Schulen die leich-
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teste und kurzweiligste Methode des Buchstabieren-, Lesen- und Schreibenlernens anwende; der Entscheid, welches je nach Umständen die optimale Lehrart ist, soll allein dem jeweils vorstehenden Pfarrer zufallen. Gessner sieht für die Zukunft einen ausgedehnteren Unterricht in der Religion vor. Die Kinder sollten in erster Linie die natürliche Verbindung zwischen Hauptwahrheiten der christlichen Religion und den daraus folgenden Pflichten kennen lernen und dabei auch verstehen, was sie auswendig lernen. Gute Sitten liessen sich am besten anhand von Exempeln lernen, hinzu müssten auch biblische Historien kommen. Zum Schluss spricht Gessner sich dann doch noch für die Bereitstellung neuer religiöser und moralischer Schulbücher aus, als Ergänzung zum Katechismus, der eben nicht der Fassungskraft der Schüler angepasst sei.
3.1.3 Lokale Umsetzungen bis 1776 Am 5. Dezember 1775 hatte Antistes Ulrich mit einem Zirkularschreiben an die Dekane diese aufgefordert, Berichte betreffend die laufenden Bemühungen zur Verbesserung der Schulen in ihren Gemeinden zu erstellen und anlässlich der Frühlingsvisitation 1776 einzuliefern. Den Visitationsakten (StAZH: E II 168) entnimmt man, dass es insbesondere das Kyburger und Wetzikoner Kapitel waren, die dieser Aufforderung ausführlich nachkamen. So findet man von Dekan Escher abgesehen vom üblichen Visitationsbericht zu Handen des Antistes eine ‚Nachricht von den Bemühungen E. E. Kyburger Class Zur Verbesserung des Schul Wesens‘ beigelegt. Escher verweist darauf, dass man bei ihm bereits vor Jahren entsprechende Massnahmen eingeleitet habe, mit dem Hauptziel, den Unterricht „leichter, angenehmer, nutzlicher“ zu gestalten, damit die Kinder und Jugendlichen die notwendigen Kenntnisse umso rascher erlangen und den Eltern desto früher wieder zur Hand gehen können (Hervorhebungen i. O.). Die von ihm konkret aufgeführten Umsetzungen – zum Beispiel die Einteilung der Schüler in Klassen oder die genaue Festlegung dessen, was der Schulmeister in welcher Zeit zu lehren und die Schüler zu lernen haben – sind nicht nur grösstenteils deckungsgleich mit den von ihm und Schulthess in den Referaten vorgeschlagenen Reformen; glaubt man Escher, so sollen diese Massnahmen darüber hinaus so grossen Erfolg gezeitigt haben, dass ein Schulkind mit mittleren Fähigkeiten nun im Lauf von zwei bis drei Winter alles dasjenige erlerne, was vorher vier bis fünf Winter in Anspruch genommen habe.
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Weitere Erfolge gehen auf einen veränderten Katechismus-Unterricht zurück. Die Kinder mussten inzwischen nicht mehr den ganzen Katechismus auswendig lernen, sondern es reichte nun, wenn sie ihn verständlich lesen konnten. Statt mit jenem begann man im Kyburger Kapitel die religiöse Unterweisung mit den biblischen Geschichten63. Eine weitere Reduktion fand im Hinblick auf den Übertritt von der zweiten in die dritte Klasse statt; um versetzt zu werden, reichte es jetzt, wenn ein Kind das Zeugnis- oder das Psalmenbuch gelesen hatte, statt beides zu verlangen. Beherrschte ein Schüler zudem das Lesen, so sollte der Promotion nichts mehr im Weg stehen, schliesslich galt es, das Anwachsen der Klasse durch das ‚Sitzenbleiben‘ der langsamen Lerner zu verhindern, weil dies lediglich die Begabteren behindern würde. Ebenfalls eingeführt wurden verschiedene neue Lehrmittel, neben den genannten ‚Biblischen Geschichten‘ unter anderem ein „Erster ReligionsUntericht“, „Auserlesene Psalmen“, eine „Anleitung zu einem sittlichen Leben“, „Grund-Sätze der Christlichen Lehr“, „Gebete, Lieder für die Jugend“ und ein „Gespräch über den Landbau“.64 Die Auswahl folgte der Maxime, dass die Schule den Kindern nützliches Wissen zu vermittelt hat, wozu aber weitere neue Schulbücher immer noch vonnöten seien, nämlich sittliche Erzählungen, Exempelgeschichten und Fabeln, die der kindlichen Fassungskraft angemessenen sind. Als besonders nützliche Einrichtung taxiert Escher den so genannten ‚Bättag‘, eine Repetierschule für die Schulentlassenen, wo auswendig gelernte Lieder, Psalmen und Gebete wiederholt, das Lesen und eventuell das Schreiben weiter geübt und zum Teil auch Unterricht im Landbau erteilt wurde. Die Schulmeister seien deutlich auf die zu ihren Amtspflichten gehörigen Aufgaben aufmerksam gemacht worden; denn diese beschränkten sich nicht bloss auf die Vermittlung des Lesenkönnens, sondern umfassten 63 Gemeint sind die ‚Biblischen Geschichten zum Gebrauche der Landschulen‘ (1774) von Pfarrer Locher, Oetwil (Pfarrkapitel Wetzikon). 64 Die genannten Schulbücher lassen sich folgenden Titeln zuweisen (vgl. Kap. 5.4): [Locher, Dietrich]: Auserlesene Psalmen zum Gebrauche der Landschulen. Zürich 1774; [Schulthess, Johann Georg]: Grundsäze der Christlichen Religion, in auserlesenen Sprüchen der heiligen Schrift. Zürich 1774; [Gessner, Johann Kaspar]: Anweisung der lieben Jugend in den Schulen, zu einem Christlich-sittlichen auch äusserlich wohlanständigen und höflichen Betragen. Zürich 1774; Cramer, Johann Rudolf: Unterricht über den Landbau in einem Freundlichen Gespräch zwischen einem alten, erfahrnen Landmann und einem jungen Baurenknab. Zum Gebrauch unserer Landschulen. Zürich 1774.
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vornehmlich auch die Erziehung zu einer guten Gesinnung. Was im Übrigen die Strafen anbelangt, habe man die Schandbank eingeführt, und zwar aufgrund der Einsicht, dass Beschämung mehr bewirke als Schläge. Ein Hauptproblem stellte allerdings nach wie vor die Besoldung der Schulmeister dar. Escher ist der Ansicht, dass sich ein solcher zumindest in den Hauptschulen vollauf seinem Amt müsse widmen können. Dies bedinge allerdings als Mindestlohn das Einkommen eines Spinners oder Webers.65 Escher nimmt in Kauf, dass Nebenschulen mit weniger kompetenten Schulmeistern ausgestattet sind; es reiche jedoch, wenn ein Nebenschulmeister die Kinder in den Anfängen des Lesens unterrichten könne, während diese für das Weitere im Schreiben und Rechnen dann die Hauptschule besuchen könnten. Insgesamt ist der von Escher berichtete Nutzen und Erfolg der eingeleiteten Reformmassnahmen, zu denen auch eine strengere Schulaufsicht durch die Pfarrer gehört, frappant: Bei der Jugend zeige sich eine bessere Entwicklung der Geistes- und Fassungskräfte; besonders dank der Bettagsbzw. Repetierschule, einem strengeren Besuch der Sommerschule und der verbesserten Lehrart könnten die Kinder nun die Schule schon merklich früher verlassen. Weiterhin beklagt wird der Widerstand der Eltern, weshalb der Erlass einer verbesserten Schul- und Lehrordnung durch die Examinatoren ein Desiderat bleibt. Mit einer solchen sollten aber gemäss Escher nicht nur renitente Eltern in die Pflicht genommen werden, sondern auch jene Pfarrer und Schulmeister, die ohne obrigkeitlichen Befehl zu keiner Veränderung und vermehrtem Engagement zu bewegen wären.
3.2 Das Wetzikoner Kapitel Die ausführliche Kollektivantwort aus dem Wetzikoner Kapitel auf die Zürcher Landschul-Enquête kam anlässlich der Prosynode vom 9. Oktober 65 Ein Baumwollweber verdiente in den 1760er Jahren 25–50 ss (Schilling) pro Woche (vgl. Pfister 1992a). Im Vergleich dazu erhielt ein Schulmeister gewöhnlich von den Eltern pro Kind und Woche 1 ss, ev. 2 ss. In den Nebenschulen waren die weiteren Einnahmen, z. B. aus dem Gemeinde- oder Kirchengut, geringer als in den Hauptschulen. Zudem hatten Nebenschulen gewöhnlich weniger Schüler und somit wiederum auch von dieser Seite geringere Einnahmen. Insgesamt erscheint das WeberEinkommen für einen Nebenschulmeister aber durchaus realistisch (vgl. Kap. 4.1.1), wenngleich es sich beim Schulmeisterberuf lediglich um einen saisonalen Verdienst handelte.
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1771 zustande (StAZH: E I 21.1). Die darin enthaltenen Stellungnahmen werden in der Einleitung als Extrakt der Reflexionen und Rückmeldungen der einzelnen Pfarrer auf den Fragebogen, die teils schriftlich, teils mündlich vorgetragen worden seien, deklariert. Dieser Teil folgt exakt dem gedruckten Fragenschema (Fragen über den Schul-Unterricht, StAZH: E III E 6 b, vgl. Anhang B). Im Anschluss an die Antworten finden sich freie „Gedanken“ zur Schulverbesserung. Sie werden eingeleitet mit folgenden feierlichen Vorsätzen, die die zentralen Forderungen bereits vorwegnehmen: „Wir ermunterten uns unter einander, u. bestimmten uns zu diesem wichtigen Vorhaben, woran so vieler tausend Seelen Heil u. Wohlfahrth, u. zugleich unser verderbten Landvolks Verbesserung lieget, alles zuthun, was unsere Pflichten hierüber erfordern, u. erfordern werden; zu mehrerm Fleiss in öfterer Besuchung der Schulen, zur möglichsten Arbeit selbst an den Schulmeistern, zu mehrerm Ernst gegen die Eltern u. Schulkindern. Man wünschte dass den Vorgesetzten ausgedrükte Befehle gegeben würden, was sie zuthun haben damit man sie auch zum Aufbauen des Schulwesens besser gebrauchen könnte“ (Hervorhebungen E.B.). Die in den Antworten gesetzten Akzente korrespondieren weitgehend mit den daraufhin formulierten „Gedanken“; im Folgenden werden deshalb beide Teile im Sinne einer Synthese zusammengeführt dargestellt. Als zentrale Diskussionsfelder lassen sich aufführen: – Schulmeister: Fähigkeiten, Charakter und Besoldung; – Forderung nach geeigneten Schullokalen/Notwendigkeit der Errichtung von Schulhäusern; – Schulpflicht: elterliche Widerstände und der Wunsch nach durchsetzbaren Normen; – Intensivierung des Religionsunterrichts; – Ausdehnung des Schulbesuchs im Sommer und bis zur Admission; – Forderung nach einem umfassenden „Land Schulbuch“. Konfrontiert man diese Punkte mit den Vorträgen aus dem Kyburger Kapitel, so stellt man einige Übereinstimmungen fest. Diese betreffen die Frage der Schulmeisterbildung, das Problem der Durchsetzung der Schulpflicht sowie die Forderung nach einem wirkungsvolleren Religionsunterricht. Die Pfarrer begrüssten explizit das mit der Enquête initiierte Vorhaben einer Verbesserung des Landschulwesens und wünschten, dass die notwendigen Reformen bald zustande kommen möchten. Einig war man sich besonders in dem Wunsch nach einer neuen, besseren Schulordnung. Gleichzeitig lassen sich bei den Wetzikonern leicht andere, stärker moralisch-normative Nuancen feststellen: Bezogen auf die Schulmeister werden neben deren
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Fähigkeiten auch charakterliche Eigenschaften kritisch hervorgehoben; hinsichtlich der Problematik der Schulabsenz, aber auch erzieherischer Versäumnisse findet sich eine scharfe Kritik an den Eltern; schliesslich erscheinen die Vorstellungen eines verbesserten Religionsunterrichts vergleichsweise konservativ, wenn man daran denkt, dass Schulthess und Escher vorsahen, diesen vermehrt an der natürlichen Religion zu orientieren, und dabei auf vorbildliche Werke von Neologen verweisen. Auch das vorgeschlagene obligatorische Landschulbuch ist nach den Vorstellungen der Wetzikoner Pfarrer religiös bestimmt, Realien werden hingegen nirgends gefordert. Im Gegensatz zu den Kyburger Reformideen finden sich von Seiten der Wetzikoner Pfarrer keine Verbesserungsvorschläge bezogen auf die Leseund Schreiblernmethodik oder die Einführung realistischer Inhalte. Die diesbezüglichen Vorstellungen von Unterricht, wie sie anlässlich der Antworten auf die Fragen unter Abschnitt B.b. ‚Eigentliche Schul-Verrichtungen‘ in der Enquête geäussert worden sind, muten eher traditionell an: – Das Schreiben wird gegenüber dem Lesen als zweitrangig betrachtet; Rechnen wird nicht unterrichtet, da es die Schulmeister selber nicht beherrschen, und auch nicht explizit gefordert. – Dem Buchstabieren wird grosse Wichtigkeit zugemessen, womit an der herkömmlichen Leselernmethode festgehalten wird. – Hinsichtlich der Lehrmittel behält der religiöse Kanon seine unhinterfragte Gültigkeit. Die Verwendung von alltagspraktischen Schreibvorlagen wie Schuld- und Kaufbriefe wird wegen moralischer Vorbehalte abgelehnt. Einige didaktische Themen werden dennoch auch von den Wetzikoner Pfarrern angeschnitten und scheinen damit Konstanten in der damaligen Problemwahrnehmung auszumachen. Dazu gehört die Forderung nach einer Unterteilung der Schulen in Fähigkeitsklassen. Gefragt wird auch nach Mitteln, wie den Kindern das, was sie auswendig lernen, verständlich gemacht werden könnte, oder wie Motivation angesichts eines oftmals eintönigen Unterrichts zu erhalten wäre. Schliesslich wird es als notwendig erachtet, im Unterricht die individuellen Fähigkeiten und Charaktere der Kinder zu berücksichtigen. Im Schreibunterricht sollen die Schüler auswendig Gelerntes aus dem Kopf aufschreiben, statt lediglich von Vorlagen Wörter und Buchstaben abmalen zu lernen; hierbei sei auch auf die Orthographie zu achten. Keine Erwähnung findet hingegen die Verschriftlichung eigener Konzepte.
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Schulmeister: gehobene (professionelle) Erwartungen und die Frage der (materiellen) Gegenleistung Wie im Kyburger wurde auch im Wetzikoner Kapitel die Einrichtung eines öffentlichen Schulmeisterseminars in der Stadt diskutiert. Die Idee war hier ebenfalls, dass – entgegen der üblichen Bevorzugung von Ortsansässigen, die das Unterrichtslokal zur Verfügung stellen konnten – den Seminarabsolventen bei Vakanzen vom Examinatorenkonvent ihre Stellen zugewiesen würden. Diese ausgebildeten Schulmeister sollten in den Gemeinden auch zur Weiterbildung der bereits amtierenden Kollegen beitragen und anstelle der Stillständer die Schulvisitationen vornehmen sowie den Examen beiwohnen. Die Existenz geeigneter Lokalitäten zum Schulehalten und der allfällige Bau von Schulhäusern bildeten eine Voraussetzung für die gewünschte Änderung der Stellenvergabepraxis bei den Lehrmeistern, und entsprechend fand dieses Thema in der Wetzikoner Prosynode Aufmerksamkeit. Die Vermutung liegt nahe, dass im von Streusiedlungen geprägten Oberland, dessen Gemeinden selten über einen kompakten Dorfkern verfügten, spezielle Schullokale besonders rar waren. Die Wetzikoner Pfarrer berichteten denn auch, dass solche nur in den Hauptorten neben der Kirche existierten. Pragmatisch schlug man vorerst vor, dass diejenigen Gemeinden, die im Besitz eigener Gemeindegüter sind, Schulhäuser einrichten sollten; notfalls wäre zumindest für eine von der Haushaltung des Schulmeisters abgetrennte Etage zu sorgen. Schliesslich baue man da und dort geräumige Schützenhäuser, warum nicht auch Schulhäuser? – liesse sich fragen. Ein anderes – und im Vergleich zu einem Seminar kostengünstigeres – Mittel der Schulmeisterbelehrung sehen die Pfarrer in einer „Anweisung“ für die Landschulmeister. Darin könnten diese lesen, wie sie sich in ihrem Beruf gegenüber dem Pfarrer, den Eltern und Schulkindern zu verhalten haben. Eine solche Anweisung sollte überdies Übungen zur vorteilhaftesten Art des Buchstabieren- und Lesenlernens enthalten, Anleitungen zur Musik und zum Rechnen sowie zur Handhabung von Strafen. Wichtig wäre, dass das Werk vom Examinatorenkonvent als offiziell und verbindlich erklärt wird und ihm also nicht lediglich ein empfehlender Charakter zukommt. Ein Problem stellten in der Wahrnehmung der Pfarrer offenbar die „alten mürrischen“ Schulmeister dar und generell der so genannte ‚Schulmeisterstolz‘. Es lag damit für das Funktionieren der Schule viel am persönlichen Verhältnis, in dem beide zueinander standen, und man ist sich einig, dass nur mittels einer freundschaftlichen Gesinnung des Vorgesetzten gegen-
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über seinem Untergebenen etwas zu erreichen sei. Diese Situation bildet denn auch einen Hintergrund, vor dem sich die Wetzikoner Pfarrer dezidiert für eine Erhöhung der gewöhnlich mageren Schulmeisterbesoldung66 aussprechen. Weil der Lohn äusserst gering sei, ein Schulmeister mit der Bewirtschaftung seiner Güter oder allenfalls mit einem Handwerk also besser verdiene, sei das Schulehalten in dessen Augen oft von zweitrangiger Bedeutung, so dass ein Pfarrer – immer den Vorwurf der geringen Entlöhnung vor Augen – „piano“ mit ihm umgehen müsse. Die Notwendigkeit einer besseren Besoldung ergibt sich besonders angesichts der Forderung, wo immer möglich Personen für dieses Amt auswählen, die sich im vollen Umfang dem Unterricht widmen. Können diese Vorstellungen tendenziell im Sinne einer Professionalisierung gedeutet werden, sprechen sich die Pfarrer auf der anderen Seite für eine Beschneidung der Kompetenzen der Schulmeister aus; so soll die Versetzung der Schüler von einer Klasse in die nächste nicht mehr vom Schulmeister, sondern vom Pfarrer vorgenommen werden. Damit wird die pfarrherrliche Zuständigkeit für das Schulwesen gestärkt, gleichzeitig wollen sich die Pfarrer aber selber eine strengere Disziplin auferlegen und im Rahmen der halbjährlichen Visitationen dem Dekan detaillierter Rechenschaft über ihre Schulen ablegen; ob als notwendig erachtete Verbesserungsmassnahmen in der Folge auch tatsächlich umgesetzt worden sind, wäre dann jeweils zu einem späteren Visitationszeitpunkt zu überprüfen. Vom Schulmeister werden gewisse Fähigkeiten im Buchstabieren, Lesen, Singen sowie geringe Kenntnisse in der Musik und im Rechnen erwartet; er muss die Hauptwahrheiten der Religion, des wichtigsten Unterrichtsgegenstandes, nicht nur kennen, sondern sie auch deutlich und fasslich lehren können. Er soll aber auch charakterliche Eigenschaften wie Frömmigkeit, Rechtschaffenheit und Gewissenhaftigkeit besitzen; er soll die Kinder lieben und sie mit Sanftmut und Geduld behandeln, überhaupt ein Vorbild an Tugendhaftigkeit sein. Von Ausnahmen abgesehen, sei dies allerdings ein
66 Die hier gemachten Angaben zum Einkommen der Schulmeister sind etwas unklar. Es wird einerseits mit 30–50 fl (Gulden) bezeichnet, was dem gesamten Jahreseinkommen entsprechen würde; andernorts mit 16 ss (Schilling), wobei es sich von der Grössenordnung her wahrscheinlich um das Schulgeld handelt, das Eltern pro Kind und Winter bezahlen mussten. Ebenfalls laut Angabe der Pfarrer bezogen die Schulmeister in den Wetzikoner Gemeinden ihren Lohn hauptsächlich von der Obrigkeit und aus dem Kirchengut; es wird beklagt, dass sich die Gemeinden lediglich mit der Lieferung von schlechtem Holz zum Heizen der Schulstube beteiligten.
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Ideal, das weit von der Realität abstehe. Die Achtung des Schulmeisters in der Gemeinde sei denn auch gewöhnlich gering, da man die Schule als unwichtig betrachte – ja, je fleissiger und gewissenhafter ein Schulmeister sei, desto mehr Feinde mache er sich gewöhnlich im Dorf.
Schulbesuch: Heimindustrie als begünstigender Faktor für den Sommerschulbesuch In der Kollektivantwort auf die Enquête wird zu diesem Punkt festgehalten, dass im Wetzikoner Kapitel die Schule offiziell von Martini (11. November) bis Mitte März dauerte. In den Wochen bis Neujahr war der Schulbesuch jedoch geringer, was die Eltern mit dem Mangel an Winterkleidern, anfallenden Arbeiten oder mit Kränklichkeit der Kinder begründeten. Wo Sommerschulen vorhanden waren, wurden die Kinder von entlegenen Höfen wegen schlechter Witterung und entsprechenden Wegverhältnissen lediglich in dieser Jahreszeit zur Schule geschickt. Sommerschule wurde hier jedoch nur halbtags am Samstag und eventuell zusätzlich am Sonntag gehalten; in der Heu- und Erntezeit fiel sie ganz aus. Dienstkinder besuchten selten die Schule, der Meister konnte an einem Arbeitsausfall kein Interesse haben. Die Kinder gingen gewöhnlich ab sechs, manchmal aber erst mit acht oder neun Jahren zur Schule und verliessen sie meistens vor dem zwölften Altersjahr. In der Gegend des Wetzikoner Kapitels spielte die Heimindustrie, wie im gesamten Oberland, eine bedeutende Rolle. Kinder wurden zum Spinnen gebraucht, das Rastgeben war offenbar verbreitet. Der ‚Rast‘ bezeichnete ein Verhältnis, bei welchem Kinder als Kostgänger bei ihren Eltern oder in einem fremden Haushalt lebten; er ist für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, mit steigender Bedeutung der Heimindustrie, dokumentiert. Die Kinder mussten dann gewöhnlich in einer bestimmten Zeit ein gewisses Pensum erspinnen und eine gewisse Summe ihres Verdienstes für ihren Unterhalt abgeben, während sie, besonders in Zeiten guter Konjunktur, über den Rest selber verfügen konnten. Die resultierende Vernachlässigung des Schulbesuchs wird als Hauptursache für die Feststellung angeführt, dass die Leute auf dem Land nicht richtig lesen können. Von zehn Kindern könnten dies bei Schulaustritt lediglich zwei, was aber zusätzlich mit den mangelnden Fähigkeiten der Schulmeister begründet wird. Als schlimmste Feinde der Schule werden die Eltern bezeichnet. Viele würden sich dem Willen des Schulmeisters und selbst des Pfarrers auf schamlose
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Art und Weise widersetzen, was dem Letztern oftmals Kalamitäten einbrächte. Als Ursache der Verwahrlosung der Kinder und Jugendlichen wird immer wieder auf die Nachlässigkeit der Eltern gegenüber ihrer Aufsichtspflicht verwiesen. Die Jugend sei nicht von schlechter Art, „das schlimme äussert sich erst hernach, wenn sie in mehreren Umgang auf d. Gasse u. mit den Erwachsenen kommen: Bey Hause lernen sie, leider!, das meiste böse“ (StAZH: E I 21.1, Wetzikoner Kapitel, C.4.). Interessant sind die Überlegungen, die im Wetzikoner Kapitel angesichts dieser Machtlosigkeit angestellt wurden: Man müsse den renitenten Eltern ihre Gewalt entziehen oder sie zumindest einschränken. Da die Kinder schliesslich nicht allein den Eltern, sondern auch der Kirche und dem Staat gehören, heisse die Frage doch: Darf man die Kinder solch liederlicher Eltern, die brauchbare Glieder der christlichen und menschlichen Gesellschaft werden könnten, unnütz verkommen lassen und ihr ewiges Heil gefährden? Die Schulordnung sei bezüglich dieses Gegenstands ungenau, und man wünschte, dass von Seiten der Examinatoren den Pfarrern mehr Vollzugsmittel in die Hände gegeben würden. Bei Zuwiderhandlung wäre in Betracht zu ziehen, solchen Familien das Anrecht auf staatliche Armenunterstützung zu entziehen. Einwände von Seiten der Eltern gegen einen vermehrten Schulbesuch, weil die Kinder mitverdienen müssten, werden als Scheingründe ausgeräumt; man ist der Meinung, mit genügend Fleiss könnten die Kinder ihr Pensum durchaus neben der Schule spinnen. Es verwundert nicht, dass der Enquête-Frage A.b.7., „Was für Mittel braucht man, um saumselige Eltern anzuhalten, ihre Kinder zur Schule zu schicken?“, besondere Aufmerksamkeit zugewendet wurde. Die Wetzikoner Pfarrer bemerken, dass die Kinder vermögender Eltern häufiger zur Schule geschickt würden, es aber auch mittelmässig Begüterte und Arme gebe, die dies „aus Reputation“ oder Liebe zu den Kindern tun würden. Gleichzeitig gebe es viele Fälle, wo weder Zureden noch strenges Vorgehen etwas nützten. Die von der Schulordnung verordneten Massnahmen gegenüber widersetzlichen Eltern werden als „etwas unbestimmt“ kritisiert, wie die darin enthaltenen Angaben überhaupt den Pfarrern wenig wirksame Mittel an die Hand geben würden. So mache sich zuletzt der Bauer über den Pfarrer lustig und beschwere sich beim Dekan über ihn; dies bringe den Schulmeister und den Pfarrer in Verlegenheit und schade ihrem Ansehen.
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Religionsunterricht: das Problem des Vergessens Die Wetzikoner Pfarrer verzeichnen eine grosse Unwissenheit und Irreligiosität der Jugendlichen und Kinder, etwa anlässlich der Examination für die Zulassung zum Heiligen Abendmahl. Schuld daran sei nicht zuletzt das schlechte Vorbild der Eltern, die selber selten die Kirche besuchten. Dabei sei die Predigt der einzige Ort, wo der Landmann, der meistens kaum lesen könne bzw. das Gelesene nicht richtig verstehe, sich Religionskenntnisse aneignen könne. In dieser Vernachlässigung des Gottesdienstes, der Verachtung des Wortes Gottes, sehen die Pfarrer den „Ruin der Religion“. Ein gewichtiges Problem bestand offenbar darin, dass die Jugendlichen das Gelernte, vor allem den Katechismus, aber auch das Lesen und, falls überhaupt erlernt, das Schreiben, in der Zeit nach Verlassen der Schule bis zur Examination wieder vergessen bzw. verlernt hatten. Diese Problematik war wohl in industrialisierten und gebirgigen Regionen des Oberlandes besonders ausgeprägt und stand mit dem wenig konsequenten Schulbesuch in Zusammenhang. Deshalb stimmten die Pfarrer der in der Enquête (B.b.29./30.) vorgebrachten Idee der Einführung eines Unterrichts über die Alltagsschule hinaus zu. Die Admission und damit die Aufnahme in die kirchliche Gemeinde als erwachsenes Glied wurde von den Jugendlichen und ihren Eltern angestrebt. Gewöhnlich erfolgte diese im Alter von 18 Jahren, teilweise aber auch später, in Wildberg beispielsweise erst mit 20 oder 22. Ein Hinausschieben von Seiten des Pfarrers, weil die notwendigen Kenntnisse fehlten, konnte kaum durchgesetzt werden: „Weil sie am Verstand u. Willen so verderbt, so muss ein redlicher Pfarrer an ihnen mit Betrübniss arbeiten u. durchgehends vergeblich – und in Betracht der Admission kommt er oft in seinem Hertzen in eine solche Klemme, dass er sich oft weder zu rathen noch zu helfen weisst“ (StAZH: E I 21.1, Wetzikoner Kapitel, B.b.30.). Im Wetzikoner Kapitel wird übrigens dem Singen für die religiöse und sittliche Bildung eine grosse Wirksamkeit zugesprochen, schliesslich gehörte mit dem Wetzikoner Pfarrer Johannes Schmidlin, wie bereits erwähnt (vgl. Kap. 3), ein bekannter Gesangbuchreformer zur Klasse. Das Singen zum Abschluss jedes Schultages wird als vorzügliches Mittel erachtet, religiöse Empfindung zu wecken. Wo dies eingeführt sei, gingen die Kinder erfahrungsgemäss lieber zur Schule; das Singen erquicke die Seele und vermittle die Religionswahrheiten ebenso gut wie der eigentliche Unterricht.
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Ausdehnung des Sommerschulbesuchs und Einführung einer ‚Repetierschule‘ als Konsequenz Dem Übel der sittlichen Vernachlässigung, vor allem aber auch des Vergessens des Gelernten soll gemäss Antwort auf die Enquête mit einem fortgesetzten Unterricht bis zur Admission abgeholfen werden; dieser könne am Dienstag und Samstag Morgen nach dem Gottesdienst, bevor die Kleineren in die Kinderlehre gehen, stattfinden. Hier würde der Schulmeister die Älteren über das in der Predigt Gehörte abfragen, und es sollen Übungen im Lesen und Schreiben abgehalten werden. Einige Wetzikoner Pfarrer bitten um Erlaubnis, die sonntäglichen Gebete in biblische Katechisationen umzuwandeln, wobei die Kinder „sub authoritate publica“ zu fleissiger Besuchung derselben angehalten werden müssten. Auch die Kinderlehre am Sonntag Nachmittag wäre strenger zu beobachten und müsste auch von den grösseren Kindern fleissig besucht werden. Bis anhin mussten ältere Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene67 in den Wetzikoner Gemeinden die so genannte Nachtschule besuchen; diese wurde von Dezember bis Februar am Samstag und Sonntag jeweils von sechs bis ca. neun Uhr abends abgehalten. Die Pfarrer waren sich einig, dass diese Einrichtung abzuschaffen sei und an deren Stelle erbauliche Leseund Singübungen treten sollten, und zwar während des ganzen Jahres jeweils am Sonntag im Anschluss an den Nachmittagsgottesdienst. Neben den Psalmen wären dort das Alte und Neue Testament zu behandeln; zu diesem Zweck müssten für jede Schule ein bis zwei Bibeln angeschafft werden. Man versprach sich von diesem Unterricht nicht nur einen grossen Nutzen hinsichtlich der Übung im Lesen, Bibelkenntnissen sowie der Erbauung und Herzensbildung durch das Singen geistlicher Lieder; es verband sich damit auch die Absicht, die Jugendlichen am arbeitsfreien Sonntag von unsittlichem Treiben abzuhalten. Abgesehen von dieser ‚Repetierschule‘ wünschten die Pfarrer, dass im Sommer vermehrt Schule gehalten werde, und zwar in den grösseren Gemeinden, wo mehrere Schulen existierten, zumindest in der Hauptschule. Die Sommerschule sollte nicht, wie bisher üblich, lediglich am Samstag stattfinden, sondern an einem zusätzlichen Tag unter der Woche. Auch von dieser Neuerung erhoffte man sich in erster Linie grössere Fortschritte in 67 Im Wetzikoner Kapitel zählten darunter diejenigen, die in der Alltagsschule im Psalmenbuch oder Neuen Testament lernten, d. h. Kinder und Jugendliche zwischen ca. zehn und zwanzig.
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der Religion. Immerhin sollten diejenigen, die bereits Schreiben konnten, übungshalber auch Schriften vorlegen, das waren gewöhnlich Sprüche, Gebete und Lieder, die die Schüler zu Hause von so genannten ‚Vorschriften‘ oder ‚Vorzetteln‘ abschrieben.
Lehrmittel: Priorität religiöser Mindestkenntnisse Unter den frei formulierten Verbesserungsvorschlägen kommt zuletzt die Idee eines „allgemeinen Land Schulbuchs“ zur Sprache; man wünschte, dass einige Pfarrer gemeinsam ein solches verfassten. Der Inhalt des vorgesehenen Buches ist religiöser Natur und gliedert sich 1. in eine Anleitung zur christliche Religion, das heisst in einen kleineren und grösseren katechetischen Unterricht; 2. Stellen der Heiligen Schrift und kleine poetische Gedanken, wie sie in Lavaters ‚Handbüchlein‘68 zu finden seien; 3. in die merkwürdigsten biblischen Geschichten; 4. in Psalmen und Gebete und schliesslich, 5., die besten Lieder mit psalmmässiger Melodie. Diesem Lehrmittel käme eine obligatorische und offenbar standardisierende Funktion zu, indem jedes Kind das gesamte Buch bis zur Schulentlassung auswendig können und den Inhalt auch verstehen müsste.
3.2.1 Lokale Umsetzungen bis 1776 Die Wetzikoner Pfarrer beschäftigten sich in den auf die Enquête folgenden Jahren weiterhin aktiv mit dem Thema Schulverbesserung. So entwarfen sie in der Prosynode vom 16. März 1774 eine Schulordnung für die „Montags-Schule“,69 die dann mit Bewilligung des Zürcher Examinatorenkollegiums in sämtlichen Gemeinden des Kapitels eingeführt werden konnte (StAZH: E IV, Wetzikon, Bd. 3). Es handelt sich um die bereits 1771 gewünschte Repetierschule für die schulentlassene Jugend bis zur Admission, wobei die Festlegung auf den Montag nicht zufällig ist: Eine zentrale Stelle nahm die Wiederholung des zuvor in der Sonntagspredigt Gehörten ein. Der Unterricht sollte am Morgen jeweils für die 68 Gemeint ist das ‚Christliche Handbüchlein für Kinder‘ (1771) von Johann Kaspar Lavater. Zu Lavater als Verfasser von Kinder- und Jugendbüchern vgl. Ewers (1980), Michels (1980). 69 ‚Schul-Ordnung, Wie auf Gutbefinden E. E. Wetzikomer-Capitels die Montags-Schule in allen Gemeinden desselben sollte gehalten werden‘ (1774) (StAZH: E II 168).
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Knaben und am Nachmittag für die Mädchen stattfinden und dauerte je drei Stunden. Den Anfang machten Gebet und ein kurzer Gesang aus den Psalmen oder Choralliedern, wobei man hier wahrscheinlich an die eben erst erschienenen ‚Geistlichen Lieder mit Choral-Melodien‘ von Schmidlin dachte. Danach liess der Schulmeister die Schüler einige Kapitel aus dem Neuen Testament oder den biblischen Geschichten, wahrscheinlich der neuen Ausgabe von Pfarrer Locher aus Oetwil (Wetzikoner Kapitel) (vgl. Kap. 5.4), lesen. Explizite Forderung war, dass alle das Gelesene auch verstehen, bei schwierigen Wörtern half man sich mit Buchstabieren. Aus der Sonntagspredigt sollte vornehmlich dasjenige repetiert werden, was der Beförderung der Tugend und Frömmigkeit als dienlich erachtet wurde. Repetiert wurden auch der Katechismus und das übrige in der Alltagsschule Gelernte. Wer dort bereits Schreiben gelernt hatte, übte sich weiter in dieser Fertigkeit ab Diktat oder auswendig aus dem Kopf. Zum Schluss folgten wiederum Gesang und Gebet, und es wurden auch noch die Anund Abwesenden im Schulrodel verzeichnet. Andere Kapitel, so etwa das Freiämter, schlossen sich dem Wetzikoner bald an und hatten ebenfalls bereits vor Erlass der neuen Schul- und Lehrordnung von 1778 die Repetierschule eingeführt. Was den erwähnten Schulrodel betrifft, so wurde anlässlich derselben Prosynode eine vorgedruckte Schülertabelle zum Gebrauch in der Alltagsund Montagsschule im Wetzikoner Kapitel für verbindlich erklärt. Diese Tabelle enthält Rubriken zum Namen, Geburtsjahr und Schuleintritt jedes Kindes (StAZH: E II 168); die im Jahr absolvierten Pensen mussten separat für Lesen, Schreiben und Auswendiglernen eingetragen werden. Die letzte Spalte verlangte ein Attribut, das die individuelle Leistung der Schulkinder bezeichnete. Neben dem Kyburger war es das Wetzikoner Kapitel, welches die Aufforderung von Antistes Ulrich zur Berichterstattung über laufende Schulreformen auf die Frühlingssynode 1776 hin besonders ernst nahm. Die eingesandten Visitationsberichte waren begleitet von einer zusammenfassenden ‚Beschreibung der Schulen, u. derselben diesmaligen Beschaffenheit in den Gemeinden des E. Wetzikomer Cap. eingegeben auf Synodum Maji 1776‘ von Dekan Johann Ludwig Meyer70. Abgesehen von je einem Muster der Schulordnung für die Montagsschule und der Schülertabelle gehört zu die70 Johann Ludwig Meyer war nach seiner Ordination 1733 Hauslehrer und Vikar in Seengen (Kanton Bern, heute Kanton Aargau), ab 1737 Pfarrer in Hinwil, ab 1751 Pfarrer in Wald und wurde 1755 Dekan (Dejung/Wuhrmann 1953).
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ser Beschreibung eine Aufstellung über die Schulen im gesamten Kapitel. Sie enthält zu jeder Gemeinde die „Anzahl Seelen“, Anzahl Schulen und Schüler, Auskunft darüber, ob diese die Alltags- oder Montagsschule besuchen, in welchem religiösen (Lehr-)Buch jeder gerade steht und ob ein Schüler das ABC bereits kann und allenfalls Schreiben lernt. Den Hauptteil machen aber detaillierte, fein säuberlich abgefasste Darstellungen der einzelnen Kirchgemeinden und der zugehörigen Schulen durch die vorstehenden Pfarrer aus; diesen sind zum Teil eigens von Hand gezeichnete topographische Karten der Gemeinden beigelegt, welche die Lage- und Wegverhältnisse zwischen den Höfen, Siedlugen und den Haupt- und Nebenschulen veranschaulichen. Konsultiert man die Einzelberichte aus den Gemeinden des Wetzikoner Kapitels, so scheinen 1776 die projektierten Veränderungen tatsächlich durchwegs eingeleitete und die Repetier- bzw. Montagsschule überall eingeführt worden zu sein. Zugleich stösst man auf Differenzen, was den Erfolg der Umsetzungen angeht. Während einzelne Berichte kaum Schulabsenzen verzeichnen, werden andernorts weiterhin Klagen in dieser Hinsicht laut. Ersichtlich wird zudem, dass einige der inzwischen neu erschienen Schulbücher bereits grosse Verbreitung fanden.
3.3 Zusammenfassung und Diskussion Die Darstellung der frühen Landschuldiskussion um 1770/1771, wie sie vom Kyburger Kapitel ausging und ebenfalls bereits vor der gesamtzürcherischen Landschul-Enquête von 1771 im Wetzikoner Kapitel aufgenommen worden ist, zeigt, dass sich die Reformdesiderate auf sämtliche Ebenen des Schulwesens, die Mikro-, Meso-, und Makroeben, bezogen. Unter den Verbesserungsvorschlägen treten die Forderung nach einer Ausbildung der Schulmeister und zum Teil auch besseren Besoldung, nach einer neuen Schulordnung und effizienteren Vollzugsmitteln hervor; in diesem Zusammenhang werden das Verhältnis und die Kompetenzverteilung zwischen Pfarrer, Schulmeister und Eltern problematisiert und eine verbindlichere Verankerung verlangt. Der Unterricht soll in geeigneten Lokalitäten ausserhalb des Wohnbereichs des Schulmeisters stattfinden, und um eine effizientere Unterrichtsorganisation zu gewährleisten, sollten die einzelnen Schulen mit genügend und möglichst identischen Schulbüchern ausgerüstet sein. Die vorhandenen ‚Lehrmittel‘, vor allem der Katechismus, werden ihrerseits kritisiert, da sie den Stoff in keineswegs kindgerechter Manier darboten. Teilweise wird auch der Einbezug anderer als religiöser und sitt-
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licher Inhalte in den Unterricht und die Schaffung entsprechender Schulbücher gefordert. Abgesehen von einem landwirtschaftlichen Lehrmittel fand eine solche Erweiterung in der Folge zwar nicht statt, bemerkenswert bleiben aber die Aktivitäten bezüglich der Schaffung neuer und methodisch verbesserter Schulbücher im traditionellen Bereich des religiösen und moralischen Unterrichts. Denn gerade in der Methodik des Religionsunterrichts, dessen Ausrichtung auf Verstand und Gemüt, wurde ein besonderes Verbesserungspotential gesehen. Zudem fand die gängige Art, das Lesen und Schreiben zu erlernen, Kritik. Die aus dem Kyburger Kapitel vorgebrachten Vorschläge hinsichtlich Erziehung und Unterricht, besonders auch zu Fragen des Strafens und der Motivation, legen den Einfluss von John Lockes ‚Some Thoughts Concerning Education‘ nahe; da ein Verweis auf Locke fehlt, ist wohl eher an eine indirekte Wirkung über die von Escher und Schulthess erwähnten pädagogischen Autoren Johann Peter Miller oder Basedow zu denken; im Übrigen war Schulthess mit Johann Georg Sulzer befreundet, der in seiner Erziehungsschrift von 1745 (zweite, erweiterte Auflage 1748) neben anderen ebenfalls auf Locke rekurriert. Der Wunsch nach im Alltags- und Arbeitsleben nützlichen Inhalten wird zwar im Kyburger Kapitel von Kammerer Schulthess und Dekan Escher geäussert, skeptischer zeigt sich hingegen Pfarrer Gessner. Die Stellungnahme pro oder kontra ist in diesem Punkt jedoch weniger im Sinne einer Grundsatzfrage zu interpretieren denn als pragmatisches Abwägen von Prioritäten. Interessanterweise bemerkten die Pfarrer gleichzeitig auf die Frage nach dem Nutzen des Schulbesuchs in ökonomischer Hinsicht, dass ein solcher nicht zu spüren sei, weil in der Schule entsprechende Dinge eben kaum behandelt würden. In beiden Pfarrkapiteln steht die ständische Ausrichtung des Landschulwesens nicht in Frage, sondern wird diese vielmehr affirmiert: Im Sinn des staatlichen und individuellen Wohls in der geltenden Ordnung sollen die ärmsten Haushalte bezüglich des Schulbesuchs der Kinder, welcher immer auch einen Verdienstausfall bedeutete, entlastet werden; diese Kinder müssen lediglich das Notwendigste lernen, was unter Anwendung einer besseren Methode in geringerer Zeit möglich sein soll. Insgesamt wollte man aber die Schulzeit dennoch ausdehnen, einerseits mit der Etablierung der Sommerschule – in den bisherigen Satzungen für die Landschulen wurde die Haltung einer Sommerschule lediglich gewünscht –, anderseits durch die Einführung einer Repetierschule. Beide Desiderate wurden vom Wetzikoner Kapitel vorgebracht, wo die Schulen an einigen Orten bereits vorzugsweise im Sommer besucht wurden, dies jedoch lediglich an ein oder zwei halben Tagen die Woche; Schulmeister
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bewirtschafteten neben dem Schulehalten meist eigene Güter, so dass deren Kapazitäten in dieser Jahreszeit wohl eingeschränkt waren. Es wurde bereits bemerkt, dass topographische, wirtschaftliche und demographische Merkmale des Zürcher Oberlands hier in besonderem Mass für den schlechten (Winter-)Schulbesuch verantwortlich waren und das Bedürfnis nach einer Repetierschule aufkommen liessen. Obwohl beide Kapitel grob der Region des Zürcher Oberlands im Südosten des Kantons zuzurechnen sind, gilt es zu differenzieren. Wirtschaftlich gehören die Kyburger Gemeinden, insbesondere im Greifenseegebiet, zu einer Übergangszone zwischen nördlichem Kornland und viehwirtschaftlich geprägten höheren Regionen im Süden (vgl. Pfister 1992a). Zwar sind die Ackerbauanteile relativ hoch, dennoch kann aufgrund der eher ungünstigen topographischen Verhältnisse nicht von einer Feldgraswirtschaft gesprochen werden; es existierten weite Sumpf- und Moorlandschaften, und zwischen Greifensee und Pfäffikersee stellt sich eine Kette von Drumlins dem Ackerbau entgegen. Landarmut war wesentlich weiter verbreitet als in eigentlich ackerbäulichen Gebieten, was Johann Kaspar Hirzel 1788 zu der Bemerkung veranlasste, dass im fraglichen Gebiet „wenig reiche Bauern die armen Tauner71 drucken“ (S. 83, zit. nach Pfister 1992a, S. 407). Das Wetzikoner Kapitel liegt südlich im höher gelegenen Oberland und lässt sich landwirtschaftlich dem Typ einer selbstversorgerischen Feldgraswirtschaft zuordnen. Gemäss Ökonomischen Tabellen72 war hier gar nur ein guter Fünftel der bewirtschafteten Flur dem Ackerbau gewidmet, entsprechend spielte die Viehwirtschaft eine dominante Rolle. Sie war aber im Vergleich zum Hinterland des oberen linken Seeufers (insbesondere Horgen, Wädenswil und dazugehöriges Hinterland) extensiv und wenig diffe71 Kleinbauern und Taglöhner, d. h. Angehörige der ländlichen Unterschicht mit bescheidenem oder keinem Landbesitz. ‚Tauner‘ bezeichnete ursprünglich eine Personengruppe, die kein Zugvieh besass und daher an staatlichen oder kommunalen Fronarbeiten mit der Hacke mitarbeitete. 72 Es handelt sich um tabellarische Erhebungen über die personelle Zusammensetzung, die landwirtschaftlichen Besitzstrukturen und die Beschäftigung der Haushalte zu zahlreichen Gemeinden des Kantons Zürich; die meisten Erhebungen fallen in die 1770er und 80er Jahre. Der Anstoss dazu kam von der Ökonomischen Kommission der Naturforschenden Gesellschaft, die die Tabellen druckte und an die Pfarrer versandte. Gleichzeitig verschickten sie einen Fragebogen zur Struktur der Landwirtschaft in der jeweiligen Gemeinde. Die Antworten und die Tabellen wurden nicht systematisch ausgewertet, jedoch mit Abgesandten der lokalen Bevölkerung in den so genannten Bauerngesprächen diskutiert (vgl. Pfister 1992a).
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renziert. In den höchsten Bezirken des Ostens fehlten Dorfkerne und eine Gemeindeflurordnung völlig. Die bergige Topographie und die dadurch begünstigten Weiler und Streusiedlungen hatten ganz besonders im Wetzikoner Kapitel im Winter den Schulbesuch der kleineren Kinder erschwert; die handgezeichneten Gemeindetopographien, die den Visitationsberichten vom Frühling 1776 beigefügt waren, veranschaulichen diese Problematik deutlich. Wie bereits angesprochen, hatte die Wirtschaftsstruktur aufgrund der Höhenlage und der für Ackerbau wenig geeigneten Bodenqualität den Einzug der textilen Heimarbeit begünstigt. Dominant war im Oberland im 18. Jahrhundert die Baumwollspinnerei, wobei sich die Weberei zunehmend etablierte: seit den 1770er Jahren in der Gegend des Greifenseebeckens die Indienneweberei, das heisst die Herstellung gröberen Baumwolltuchs, sowie die Weberei von Mousseline, das heisst feiner Baumwolltücher, im südöstlichen Hinterland des Greifensees. Die Oberländer Gemeinden verfügten im Allgemeinen über lediglich schwache Zuzugsregelungen, was mit der geringen Ausprägung dörflicher Strukturen und entsprechender Nutzungsinteressen in diesem wenig dicht besiedelten Gebiet zusammenhing. Mittellose Leute, die sich kaum eigenen Grund und Boden erschwingen konnten und in erster Linie von Heimarbeit lebten, konnten sich in diesem für den Ackerbau sowieso wenig geeigneten Gebiet relativ leicht niederlassen. Auf diese Weise bildete sich hier allmählich eine landarme Schicht heraus, die stark von der Konjunktur abhing und in schlechten Zeiten besonders der Gefahr der Verarmung ausgesetzt war (vgl. ebd.). Die Antworten auf die Enquête von 1771 (A.a.2) legen den Zusammenhang nahe, dass die wirtschaftliche Bedeutung der Heimindustrie sich tendenzielle negativ auf den quantitativen Anteil der Mädchen in den Schulen auswirkte (vgl. auch Pfister 1992a). Im Verhältnis zu den nördlich und nordwestlich gelegenen Ackerbaugebieten dürfte sich die Landwirtschaftstruktur im viehwirtschaftlich geprägten Südosten des Kantons aber positiv auf die Möglichkeit, im Sommer die Schule zu besuchen, ausgewirkt haben, sieht man von der Hirtenarbeit der Knaben ab. Dagegen stand etwa der äusserst arbeitsintensive Rebbau im Weinland und am rechten Zürichseeufer einem Sommerschulbesuch in besonderem Mass entgegen. Der ausserordentliche Reformwille in beiden betrachteten Pfarrkapiteln kann insofern auf besonders prekäre Verhältnisse, die Massnahmen umso dringlicher machten, zurückgeführt werden. Auch wenn die Landschulordnungen offiziell das Schulwesen der gesamten Landschaft regelten, macht der hier untersuchte Fall deutlich, dass die Entwicklung der Schulen lokal
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und damit je nach Umständen und Bedürfnissen zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich vor sich ging und Reformen ‚von unten‘ allenfalls im Nachhinein mit geltenden Regelungen übergreifend verankert wurden. So gesehen war es nicht zuletzt ein erklärtes Ziel der Helvetik, die resultierenden disparaten Zustände ‚von oben‘ zu steuern und zuletzt auf ein einheitliches Mindestniveau zu bringen. Eine wichtige Funktion der Repetierschule bestand in der Festigung der Religionskenntnisse und der Verinnerlichung der damit verknüpften moralischen Konsequenzen. Diese Zielsetzung findet man in den Reformvorschlägen von Schulthess und Escher wieder, wenn sie Methodenfragen im Religionsunterricht einen zentralen Stellenwert zusprechen. Die zu vermittelnden Glaubenswahrheiten und das christlich-moralische Ethos richteten sich keineswegs allein an den um sein Seelenheil ringenden Christen, sondern sollten sich in ihrem Einfluss gerade auch auf eine vernünftige und sittliche Lebensführung im Diesseits erstrecken. Religion wird wesentlich als Begründung und movens tugendhaften Handelns aufgefasst, ein pädagogisches Reformmotiv, das es im Verlauf der Arbeit weiterhin zu berücksichtigen gilt, da sich gerade in der hier fokussierten Zeit in Abgrenzung zur protestantischen Orthodoxie eine allgemeine Moralisierung, Pädagogisierung und Profanierung der Religion abzeichnete (vgl. Kuhn 2003). Die bisherigen Ergebnisse lassen vermuten, dass die Reformvorstellungen in Zürich um 1770 nicht auf eine Verdrängung der Religion abzielten, vielmehr galt es, deren Wirksamkeit zu verstärken und auszudehnen. Dafür spricht die gesteigerte Aufmerksamkeit gegenüber den didaktischen Mitteln, welche der Religion über Verstand und Empfindungen der Adressaten gleichermassen Eingang verschaffen sollten. Auch bleibt festzuhalten, dass den von Schulthess und Escher geforderten neuen Fächern Naturlehre und Naturhistorie religiöser Stellenwert zukam. Naturerkenntnisse sollten gemäss Escher zu einer würdigen Vorstellung des Schöpfers führen und abergläubische Gottesvorstellungen entkräften. Die zugrunde liegende Schöpfungsvorstellung basiert auf der theologia naturalis, die bekanntlich im ausgehenden 17. und bis weit ins 18. Jahrhundert in der Physikotheologie wirksamen Ausdruck gefunden hatte. Ein Anliegen der natürlichen Theologie war, die Wahrheit der Offenbarung vor dem Forum der Vernunft zu erweisen. ‚Natürlich‘ steht dabei einerseits für den naturhaften Bereich der Welt als universaler Horizont, in dem Gott in Erscheinung tritt; anderseits zielt das Attribut zugleich auf die Fähigkeit menschlicher Erkenntnis und steht in Beziehung zu der These eines angeborenen rationalen Wissens von Gott. Von pädagogischer Bedeutung ist die
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Unterscheidung der natürlichen Theologie zwischen natürlicher und übernatürlicher Offenbarung, denen die Instanzen Vernunft und Glaube entsprechen, ohne dass sich beide Erkenntnisformen konkurrenzieren müssen. Die Physikotheologen waren daran interessiert, mittels intensiver naturwissenschaftlicher Detailstudien den Schluss von einer vollkommenen, sinnvollen und schönen Ordnung des Universums auf einen allmächtigen, allweisen und gütigen Gott zu erhärten; neben diesem Gottesbeweis lieferte die Zweckmässigkeit der Natur zudem den Beweisgrund für eine göttliche Lenkung der Welt im Sinne der Vorsehung (vgl. Krolzik 1988). Man kann die Physikotheologie durchaus im positiven Sinn als theologische Antwort auf ein neues physikalisches Denken deuten, wenngleich die kausalmechanische Vorgehensweise der Naturwissenschaften die klassische Physikotheologie bald an ihre Grenzen brachte, so dass es sie nach 1740 in ihrer „echten“ Form nicht mehr gab (Büttner 1964, S. 162). Zu diesem Zeitpunkt setzte sich die Einsicht durch, dass über die Naturwissenschaften keine Beweisbrücke im strengen Sinn zu Gott zu erhalten sei. Damit war aber nicht Gott in Frage gestellt, sondern wurde vielmehr die (naturwissenschaftliche) Erkenntnis des Menschen in ihre Grenzen verwiesen. Ausgehend von der Existenz Gottes konnten neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse weiterhin doxologisch genutzt werden, indem sie die Perfektion der Natur und damit die Grösse und Weisheit des Schöpfers umso stupender erscheinen liessen. Johann Georg Sulzers ‚Versuch einiger Moralischen Betrachtungen über die Werke der Natur‘ (1745) war den Zürchern und besonders auch dessen Freund Schulthess bekannt und lässt auf die Verbreitung jenes Denkens in den hiesigen intellektuellen Kreisen schliessen. Die Schrift, die sich aus sechs Abhandlungen zusammensetzt, wurde 1745 in Berlin mit einer empfehlenden Vorrede des Neologen August Friedrich Wilhelm Sack publiziert und fand weite Verbreitung. Die offensichtliche Verbindung naturwissenschaftlicher Erkenntnis bzw. der Betrachtung der Natur mit theologischen und religiösen Motiven soll hier – entgegen der verbreiteten Deutung der Physikotheologie im Sinne eines Rückschlags für die Emanzipation der Naturwissenschaften (z. B. Erhardt-Rein 1996) – nicht vorschnell im Sinne von Rückständigkeit interpretiert werden. Krolzik (1988) etwa kann erst gar keinen solchen Emanzipationskampf von der Theologie erkennen, so dass historisch vielmehr auch noch im 18. Jahrhundert von einer Wechselwirkung zwischen beiden Deutungsinstanzen auszugehen ist: Insgesamt bestand eher ein Interesse der Theologie an den Naturwissenschaften als ein Konflikt zwischen beiden.
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Insofern dürfe auch die Forderung der frühneuzeitlichen Naturwissenschaften nach der Trennung von Naturphilosophie und Theologie „nicht als ein Emanzipationskampf der Naturwissenschaften von der Theologie verstanden werden. Die Forderung bezieht sich auf die Trennung von Naturphilosophie und Offenbarungstheologie; die natürliche Theologie bleibt weiterhin mit der Naturphilosophie verbunden“ (ebd., S. 183). Weiterzuverfolgen gilt es auch die Frage nach dem professionellen Status des Schulmeisters, schliesslich lassen sich die im Reformkontext in Bezug auf ihn vorgebrachten Forderungen durchaus als ambivalent bezeichnen. Tendenziell in Richtung einer Professionalisierung weist der von den Pfarrern geäusserte Wunsch nach einer spezifischen Ausbildung der Schulmeister, aber auch die Akzentuierung der Bedeutung der von diesen zu erbringenden Leistungen. Die kritisch beurteilte Ausgangssituation machte es allerdings erforderlich, ihnen den Wert ihrer Arbeit erst selber bewusst zu machen, die Schulmeister zu einer ernsthafteren Berufsausübung und der Übernahme einer spezifischen Berufsethik anzuhalten. Die Pfarrer waren sich bewusst, dass dies die Aufwertung der bisher als Nebenberuf ausgeübten Tätigkeit zu einer Vollzeitbeschäftigung bedingte, ohne dass die Frage der Finanzierung damit bereits gelöst war. Gefordert wird schliesslich auch eine Stärkung der Schulmeisterposition, seiner Autorität gegenüber den Abnehmern, das heisst hier in erster Linie gegenüber den Eltern, nicht jedoch eine höhere Autonomie gegenüber dem Pfarrer, dessen Kontrollfunktion eher verstärkt werden sollte. Selber ein gewöhnliches Mitglied der zivilen Gemeinde und dabei dem Pfarrer unterstellt zu sein, dessen Interessen in der Beschulungsfrage oftmals mit denjenigen der Gemeindebürger kollidierten, machte seine Stellung einigermassen konfliktuös; dies umso mehr, als die Position des geistlichen Vorstehers als Vertreter der städtischen Ansprüche selber als prekär bezeichnet werden muss, folgt man den Ausführungen der Wetzikoner Pfarrer. Gewisse pfarrherrliche Vorstellungen vom idealen Schulmeister kamen damit zwar einer Professionalisierung der Schulmeistertätigkeit entgegen, zugleich waren es die pädagogischen Ansprüche der Geistlichen selbst, die entsprechenden Bestrebungen enge Grenzen setzten, indem sie sie an den eigenen Bedürfnissen orientierten. Die Pfarrer erhofften sich schliesslich von einem verbesserten Unterrichtserfolg der Schulmeister nicht zuletzt eine Erleichterung ihrer eigenen Unterweisungsarbeit an den Kindern und Jugendlichen. Offenbar durchkreuzten sich im betrachteten Zeitraum Professionalisierungswünsche und allfällige Emanzipationsbestrebungen im
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Hinblick auf einen zukünftigen Volksschullehrerstand mit den volkserzieherischen Ambitionen der (Land-)Pfarrer. Die bisher analysierten Dokumente stammen sämtliche von Landgeistlichen und geben entsprechend deren Perspektive und Interessen wieder. Diese spezifisch motivierte Wahrnehmung tritt besonders in den stellenweise harten Urteilen über die Ignoranz der Eltern gegenüber der Bedeutung von Unterricht, Erziehung und Religion sowie den Klagen über die Unwissenheit und Sittenlosigkeit der Kinder und Jugendlichen bei den Wetzikoner Pfarrern hervor. Auch die im Folgenden zu analysierenden Einzelantworten zur Landschul-Enquête von 1771 sind – abgesehen von einer einzigen Ausnahme – durchwegs von Pfarrern verfasst worden. Die Herkunft der Autoren wird wiederum dort zu berücksichtigen sein, wo die Fragen qualitativer Art sind und von den Antwortenden normative Urteile verlangten. Die Auswahl der Fragen bzw. Antworten, die im Folgenden ausgewertet werden, orientiert sich an den Ergebnissen der Analyse der Dokumente aus dem Kyburger und Wetzikoner Kapitel, das heisst an den dort prominent diskutierten Themenkomplexen. Des Weiteren in die Auswertung einbezogen werden Ideen, Verbesserungsvorschläge und Referenzen in Form von Literaturhinweisen oder Verweisen auf vorbildliche Reformen, die Pfarrer – wenn auch nur vereinzelt – unaufgefordert eingebracht haben. Dieses Vorgehen erlaubt unter anderem Rückschlüsse darauf, ob und inwiefern die engagierten Reformvorstellungen der Protagonisten aus den beiden Oberländer Kapiteln überhaupt die Defizitwahrnehmung des Gros der Landpfarrer – also die im statistischen Sinn ‚normale‘ Einstellung – widerspiegeln. Der Fokus, der sich daraus ergibt, bleibt notwendigermassen breit und umfasst sowohl die Frage nach wirksamen pädagogischen Theorien und gängigen (Unterrichts-)Praktiken, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen von Schule, aber auch leitenden Ideen für Schul- und Erziehungsreform religiösen Ursprungs.
4 Der Zustand der Schulen auf der Zürcher Landschaft im Spiegel der Enquête (1771)
Während Urheberschaft und Entstehungszusammenhänge der Enquête sowie daraus erkennbare Motive für das Projekt Landschulreform Gegenstand von Kap. 6 sein werden, geht es in diesem Kapitel um die inhaltliche Analyse der Antwortdokumente. Die Antworten der Pfarrer erlauben relativ getreue Rückschlüsse auf die ländlichen Schulverhältnisse in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Insofern einige der insgesamt 81 Fragen explizit die normative Einschätzung der Adressaten verlangten, gibt die Quelle zusätzlich einen Eindruck davon, inwiefern und in welchen Bereichen Schule und Unterricht damals subjektiv von den vor Ort zuständigen Pfarrern als reformbedürftig betrachtet worden ist. Aufgrund der Synodalakten und der Tagebücher der Moralischen Gesellschaft lässt sich rekonstruieren, dass Antistes Ulrich den Dekanen die Fragen zum Schulwesen anlässlich der Frühlingssynode von 30. April 1771, wahrscheinlich in der am Vorabend abgehaltenen Prosynode auf der Chorherrenstube, in handschriftlicher Fassung übergeben hatte; auf Wunsch der Dekane, damit diese die Fragen leichter den Pfarrern aushändigen konnten, gelangten sie darauf in den Druck (ZBZ: J 533; StAZH: E I 2 3b, 7.7.1771). Die früheste Antwort stammt von Pfarrer Schinz aus Altstetten und datiert vom 29. April 1771, die übrigen Rückmeldungen wurden in der Zeit bis gegen Mitte 1772 verfasst. Um 1770 existierten 145 Kirchgemeinden auf der Zürcher Landschaft. Diese verteilten sich auf insgesamt neun Pfarrkapitel, nämlich das Zürichsee-Kapitel, Kapitel Freiamt, Stein am Rhein, Winterthur, Elgg, Wetzikon, Kyburg, Regensberg und Eglisau. Die Stadt bildete ein eigenes Kapitel; zudem existierte ein Kapitel der Exspektanten sowie die ausserkantonalen Kapitel in der gemeinen Herrschaft (Frauenfeld, Steckborn, Oberthurgau und Rheintal Kapitel), die hier jedoch nicht mit einbezogen werden. Antwortdokumente sind von 107 Gemeinden überliefert (StAZH: E I 21.2–9, E II 164; im Folgenden zit. nach der Transkription Tröhler/Schwab 2006).73 73 Zu diesen 107 Kirchgemeinden gehört auch die Stadt Winterthur, welche ein in Mädchen- und Knabenschulen sowie Lateinschule differenzierteres Schulwesen aufwies und also von den ländlichen Verhältnissen abwich. Ähnliches gilt auch für Stein am
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Die fehlenden Rückmeldungen gehen zum grössten Teil auf Kosten des Kapitels Freiamt im Südwesten des Kantons sowie des Wetzikoner Kapitels; da verschiedene Wetzikoner Pfarrer bereits anlässlich der Frühjahrsvisitation 1771 ausführlich Bericht über ihre Schulen erstattet hatten, ist es wahrscheinlich, dass man sich dort bezüglich der Umfrage auf die bereits diskutierte Kollektivantwort (vgl. Kap. 3.2) beschränkt hatte. Mit einer Ausnahme – Schwamendingen/Oerlikon, wo der Schulmeister selber geantwortet hat – sind sämtliche Dokumente von Geistlichen verfasst. Die 81 ‚Fragen über den Schul-Unterricht‘ (StAZH: III Eb 6 b, vgl. Anhang B) beziehen sich auf sämtliche Bereiche des Schulwesens und gliedern sich in folgende Abschnitte: A. Äussere Einrichtung der Schule: a. Anzahl der Schulen und Schul-Kinder, b. Zeit, wo auf die Schule verwendet wird, c. Äusserliche Umstände des Schulmeisters in verschiedenen Absichten, d. Nacht-Schulen; B. Innere Einrichtung des Schul-Wesens: a. Charakter des Schulmeisters, b. Eigentliche Schul-Verrichtungen, c. Schul-Zucht, d. Schul-Besuche und Examina, e. Nacht-Schulen; C. Über den Nuzen des Schul-Unterrichts, und den Schaden des Versaumnisses. Auch abgesehen von explizit verlangten Wertungen liessen Pfarrer hie und da unaufgefordert solche einfliessen, wie es auch vorkam, dass die Antwortenden von sich aus spontan Verbesserungsvorschläge anbrachten. Da entsprechende Äusserungen nicht erfragt worden sind, lassen sie sich nicht systematisch auswerten. Dennoch sind etwa Hinweise auf pädagogische Autoren und Werke oder andernorts umgesetzte Reformen nicht einfach zufällig; sie informieren vielmehr darüber, was vom Kreis der hier zu Wort kommenden Landgeistlichen rezipiert und als vorbildlich wahrgenommen wurde. Da die Enquête eine hervorragende und zugleich rare Möglichkeit bietet, zu solchen bildungshistorisch interessanten Einblicken zu gelangen, sollen auch diese pädagogisch-wissenschaftlichen und schulpraktischen Referenzen Berücksichtigung finden.
Rhein, von wo aber keine Rückmeldung auf die Enquête vorhanden ist. Aus der Gemeinde Turbenthal existieren zwei Antwortdokumente, eines von Pfarrer Felix Nüscheler (1740–1796) zu den Nebenschulen (im Folgenden bezeichnet als Turbenthal (A)) und ein anderes von Diakon Jakob Christoph Nüscheler (1743–1803) zur Hauptschule (bezeichnet als Turbenthal (B)).
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Aufgrund der bisherigen Ergebnisse sowie der thematischen Schwerpunktsetzungen in den Antwortdokumenten selbst stehen folgende Fragenkomplexe im Zentrum der systematischen Quellenauswertung: – Situation der Schulmeister (Kap. 4.1) – Schulgesetzgebung (Kap. 4.2) – Unterricht (Kap. 4.4) – Rezipierte pädagogische Literatur bzw. vorbildliche Reformen (Kap. 4.5)
4.1 Der Schulmeister Die ‚Fragen über den Schul-Unterricht‘ nehmen mit zwei Abschnitten gezielt Bezug auf die Situation der Schulmeister. Der Abschnitt A.c. widmet sich den äusseren Umständen der Tätigkeit: Besoldung und ihre Zusammensetzung nach Herkunft, etwaige Nebenbeschäftigungen und deren Einfluss auf den Schulunterricht, Existenz eines speziellen Schulhaus bzw. negative Auswirkungen für den Unterricht, wenn kein solches vorhanden ist. Abschnitt B.a. fragt nach folgenden Eigenschaften und Umständen des Schulmeisters: Charakter und Fähigkeiten, Einfluss von Nebenbeschäftigungen auf seine Schularbeit, Verhalten ausserhalb der Schule und gegenüber dem Pfarrer, Ansehen in der Gemeinde und bei den Kindern. Von diesen Fragen werden in diesem Kapitel qualitativ-inhaltsanalytisch ausgewertet: – Einkommen der Schulmeister; finanzielle Beteiligung von Eltern, Staat und Gemeinden (A.c.3., A.c.1.); – Sozialer Status und Zusatzbeschäftigungen der Schulmeister (A.c.1., A.c.2., B.a.3.); – Charakter und Fähigkeiten der Schulmeister (B.a.1.); Verhalten (Führbarkeit, Unterordnung) gegenüber dem Pfarrer (B.a.4.); Achtung in der Gemeinde und bei den Kindern (B.a.5.). Bloch (2007) hat in ihrer Studie zur Professionalisierung der Zürcher Volksschullehrkräfte zwischen 1770 und 1914 die Enquête-Antworten den Schulmeister betreffend statistisch ausgewertet. Im Gegensatz zu ihrer Arbeit richtet sich hier der Fokus verstärkt auf qualitative Wertungen durch die Pfarrer, die es erlauben, deren Wahrnehmung der Situation der Schulmeister zu erfassen. In Überschneidung mit den Ideen aus dem Kyburger und Wetzikoner Kapitel haben mehrere Pfarrer in ihren Rückmeldungen die
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Errichtung eines Schulmeisterseminars propagiert. Dies geschah zum Teil ebenfalls unter Verweise auf Gründungen im Deutschen Reich.
4.1.1 Einkommen Das Problem der geringen Schulmeistereinkünfte wurde im Wetzikoner Kapitel ausführlich thematisiert. Die geringe Entlöhnung führte einerseits dazu, dass die Schulmeister den Unterricht häufig wegen (lohnenderer) Nebentätigkeiten vernachlässigten und hatte zudem zur Folge, dass sich die Pfarrer kaum in der Lage sahen, die Schulmeister zurechtzuweisen und einen grösseren Einsatz von ihnen zu verlangen, als sie gewöhnlich zeigten. Wenn im Folgenden zuerst versucht wird, das reale Gesamteinkommen und die Beiträge von Eltern, Staat und Gemeinden aus der Enquête zu berechnen, so bedarf es einiger quellenkritischer Vorbemerkungen. Die diesbezüglichen Angaben unter A.c.1. und A.c.3. sind in verschiedenen Hinsichten uneindeutig. So ist gewöhnlich nicht ausgewiesen, ob die aufgeführten Beträge nur den Verdienst für den Unterricht in der Tagesschule betreffen oder auch die Nachtschule einschliessen. Ähnlich stellt sich die Frage mit Bezug auf die Entlöhnung für den Unterricht in den Sommerschulen, wo solche vorhanden waren. Der Lohn für den Sigristen- und/ oder Vorsingerdienst, der meist vom Hauptschulmeister74 versehen wurde, findet sich zum Teil separat ausgewiesen oder fehlt bzw. scheint im Schulmeistereinkommen enthalten zu sein. Weiter stellt sich die Frage nach dem Wert von Naturalieneinheiten wie Getreide, Wein, Holz, Brot, die neben Geld als Zahlungsmittel Verwendung fanden. Als Grundeinheit zur Berechnung der Gesamteinkommen wurde im Anschluss an Hofmeisters (1789) Berechnungen zum pfarrherrlichen Pfrundeinkommen das ‚Stuck‘ (Stk.) gewählt; es entspricht wahlweise 1 Mütt Kernen (ca. 54 kg), 1 Malter Haber (ca. 150 kg), 6 Viertel Roggen (ca. 81 kg), 1 Eimer Wein (ca. 37.5 l) oder 5 Gulden (fl)75. Zu beachten bleibt, dass der Geldwert der Naturalien in Krisenzeiten stark schwanken konnte; so stieg der Preis für 1 Mütt Kernen im Hungerjahr 1771 auf über das Doppelte. Ein grosser Teil des Naturalien-
74 Als Hauptschule wird diejenige Schule einer Kirchgemeinde bezeichnet, die im Hauptort lag. Zum Teil existierten daneben weitere, meist kleinere und dezentral gelegene Nebenschulen, die in der Regel weniger gut alimentiert waren. 75 1 Gulden (fl) entspricht 40 Schilling (ss); 1 Stk. entspricht 5 fl oder 200 ss. Zum relativen Wert der gebräuchlichen Geldeinheiten vgl. im Übrigen Anhang A.
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lohns stammte von staatlicher Seite in Form von Getreide aus dem Zehnten. In einigen Fällen gehörten zum Einkommen des Schulmeisters Nutzungsrechte an den Gemeindegütern, zum Beispiel an einem Stück Land oder Reben, zum Teil auch eine Wohnung mit Schulstube, wobei der Schulmeister der Gemeinde manchmal Miete bezahlen musste. In Hombrechtikon etwa bekam der Schulmeister von der Gemeinde 8 tt (Pfund) Besoldung, von denen er aber 7 tt 15 ss als Miete für das Schulhaus wieder dem Kirchengut erstatten musste. Anderseits gab es aber auch Fälle, etwa in Albisrieden und Rorbas, wo der Schulmeister von der Gemeinde einen zusätzlichen Betrag als Gegenleistung dafür erhielt, dass er im eigenen Haus Schule hielt. Frage A.c.3. unterscheidet zwischen Einkünften von Seiten der Obrigkeit, der Gemeinde und der Eltern und erlaubt eine entsprechend differenzierte Auswertung. Gleichzeitig vermehren sich damit die Unsicherheiten. Gewisse Beiträge konnten nicht klar zugeordnet werden, etwa in den Fällen, wo der Pfarrer selbst etwas beisteuert (Laufen, Ellikon (Kirchgemeinde Marthalen)); hier ist nicht klar, ob das Geld aus seinem privaten Besitz stammte oder ob ein Teil der Pfründe offiziell für den Schulmeister bestimmt war, vielleicht nachdem ein Vorgänger den Schulunterricht einem solchen übertragen hatte. Einige wenige Gemeinden bzw. Schulmeister kamen in den Genuss von Beiträgen aus Fonds und Legaten. Diese sowie kleinere akzidentielle Gaben in Form von Naturalien zum Beispiel an Neujahr oder anlässlich von Metzgeten, auch etwa ein Schnupftuch für den Sigristendienst an Beerdigungen, wurden bei den Berechnungen ignoriert. Um die Zahl der Unsicherheiten angesichts der genannten Erschwernisse nicht weiter zu vergrössern, beschränken sich die folgenden Einkommensberechnungen auf die Winterschulzeit. Neben dem Unterricht im Sommer wurden auch die Einkünfte für die Haltung einer Sing- oder Nachtschule weggelassen, insofern diese separat aufgeführt sind. Die Entlöhnung für den Nachtschulunterricht, der während des Winters an einem oder zwei Abenden der Woche stattfand, war im Allgemeinen nicht beträchtlich, konnte aber schwanken.76 Addiert wurden aber die Einkünfte für Sigristenund Vorsingerdienst, wo sie vom antwortenden Pfarrer speziell ausgewie76 In Elsau etwa brachte der Vorsingerdienst rund 2 fl, also knapp 0.5 Stk. ein. In Hittnau betrug der Nachtschullohn 4 ss pro Schüler und Jahr, was bei 40 Kindern ein knappes Stk. ergibt; in Rafz 10 ss, ergibt bei 90 Schülern 4.5 Stk. In Wil ebenfalls 10 ss, in Wie-
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sen wurden; dies deshalb, weil man in den anderen Fällen annehmen kann, dass dieser vom (Haupt-)Schulmeister übernommen wurde und das Gehalt im Schulmeisterlohn enthalten war. So hatten bereits die Satzungen von 1684 (Abschn. XXVI) gefordert und die neue Schulordnung von 1778 (Abschn. III) erneut bestätigt, dass der Vorsinger- und Sigristendienst dem Schulmeister zu übertragen sei, um ihm so ein ausreichendes Auskommen zu sichern. Systematisch ausgeschlossen wurden in den Auswertungen Gemeinden bzw. einzelne Schulen, deren Angaben unvollständig sind oder erhebliche Unklarheiten aufweisen. Bezüglich der Fragen zum Schulmeistereinkommen und dessen Herkunft konnten damit von insgesamt 251 registrierten Schulen (Haupt- und Nebenschulen), die sich über 107 Kirchgemeinden erstreckten, 170 für die Berechnung beigezogen werden; ausgelassen wurde wegen der städtischen Verhältnisse auch Winterthur. Auf dieser Berechnungsgrundlage verteilen sich die prozentualen Anteile an den Löhnen der Zürcher Landschulmeister um 1771/1772 wie folgt: Eltern: 51 % Gemeinden: 35 % Staat: 14 % Das Schulgeld der Eltern betrug häufig einen Schilling (ss) pro Kind und Woche, variierte jedoch und konnte bis zu 2 ss betragen. Meist mussten die Kinder im Winter auch ihr wöchentliches Schulscheit zur Beheizung der Schulstube abgeben. Einige Gemeinden hatten Freischulen eingerichtet, das heisst, hier waren die Eltern vom Schulschilling befreit. Auf der anderen Seite existierten Nebenschulen, in denen das Schulmeistergehalt einzig aus den Elternbeiträgen bestand. Die Beiträge der Gemeinden stammen aus den Gemeinde- und Kirchengütern, inklusive Armengüter (auch ‚Säckligeld‘); eigene Schulgüter oder Fonds existierten nur selten. Der Anteil des Staates floss nicht eigentlich aus der Staatskasse, sondern wurde von den Verwaltungen der verschiedenen Ämter und Vogteien bestritten, die Zehnten und Grundzinse sowie andere dem Staat zugehörige Gefälle bezogen (vgl. Klinke 1907; Stauber 1920); vielfach wurden die Zulagen direkt den Abgaben der jeweiligen Gemeinden entnommen. Eine vornehmliche Quel-
sendangen 6 ss. In der Kreuzgemeinde betrug der Lohn für die Nacht- und Singschule rund 4 (Riesbach, Hirslanden) bis 14 Stk. (Hottingen).
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le boten die ehemaligen Klöster, zuvorderst das städtische Almosenamt (ehemaliges Augustinerkloster). De facto bestritten die Eltern wohl etwas weniger als die Hälfte des Schulmeistereinkommens. Jene 51 % kommen zustande, wenn man davon ausgeht, dass sämtliche Kinder im Winter während 20 Wochen zur Schule gegangen sind. Gemäss Aussagen der Pfarrer bestand aber eine Strategie vieler darin, die Kinder lediglich während vereinzelter Tage zur Schule zu schicken, um den Wochenlohn nicht oder zumindest nur einen geringen Teil davon bezahlen zu müssen. Aus diesem Grund waren in Turbenthal gewöhnlich nur etwa 48 von ca. 90 schulpflichtigen Kindern anwesend (Turbenthal (B), A.a.2.). In manchen Gemeinden war die Überzahl der Haushalte nicht in der Lage, das Schulgeld zu entrichten; in Dietlikon traf dies auf zwei Drittel zu. Mancherorts bestand die Regelung, dass lediglich die Bemittelten den Schulschilling selber aufbringen mussten, während in den übrigen Fällen das Geld vom Gemeinde- oder Kirchengut oder vom Almosenamt ausgerichtet wurde. Oftmals hatte aber der Schulmeister das Nachsehen. In Maur zum Beispiel entrichtete die Gemeinde lediglich die Hälfte des eigentlichen Betrags, so dass der Schulmeister an den ärmeren Kindern entsprechend schlechter verdiente. Als durchschnittlicher Verdienst eines Landschulmeisters für die Haltung der Winterschule, inklusive die Ausübung des Mesneramtes, wenn ein solches zur Verfügung stand, ergeben sich 11 Stk./Jahr. Es ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass es sich hierbei erstmal um einen Durchschnitt handelt, der insbesondere nicht zwischen den Einkünften von Haupt- und Nebenschulmeistern unterscheidet. Einen ersten Eindruck von der Einkommensvarianz vermitteln diejenigen Angaben, die einige Pfarrer zum Gesamtverdienst ihres Schulmeisters gemacht haben. So erfährt man aus der Enquête, dass die drei Hauptschulmeister von Hittnau für ihre Winterschule und den Sommerschulunterricht am Sonntag Morgen je kaum auf 20 fl kamen, also 4 Stk., während die beiden Nebenschulmeister noch weniger verdienten. In Weiningen verdiente der Hauptschulmeister, der auch den Vorsingerdienst versah und im Sommer vier Stunden wöchentlich Schule hielt, etwa 50 fl (10 Stk.). In der Regensdorfer Hauptschule verdiente der Schulmeister über das Jahr immerhin 80 fl (16 Stk.), wobei die Sommerschule hier jeweils an zwei Tagen stattfand; in diesem Gehalt war der Lohn für den Sigristen- und Vorsingerdienst enthalten. Der Schulmeister von Watt hingegen, ebenfalls zur Kirchgemeinde Regensdorf gehörig, nahm gerade die Hälfte ein, obwohl er fast die gleiche Zahl an Schülern unterrichtete. Wahrscheinlich handelte es sich hierbei um eine später errichtete Ne-
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benschule. Pfarrer Nägeli von Hütten beklagt den Umstand, dass solche Nebenschulmeister oft finanziell stark benachteiligt seien, und votiert für eine Abänderung dieses Missstandes: „Die vor altem errichteten Schulen in den Dörfern haben meistens (wie die alten Pfarrpfründe) bessere Einkünfte als die neuen, in #fixen und #accidentim. Wo dergleichen verschiedene in #einer Gemeinde sind, könnte nicht eine billige Theilsame gemachet, und bey Absterben eines Fetten, dem Mägerern Schulmeister etwas zugeschanzet werden? Besonders von dem, was #unsre #gnädigen #Herren beytragen?“ (Zusatz zu A.c.3. am Ende des Dokuments von Hütten). Die Bedeutung des Mesnerlohns zeigt sich in Pfungen, wo dieser immerhin 32 fl des Gesamtgehalts von 67 fl (13 Stk.) im Jahr ausmacht. In Neerach (Kirchgemeinde Steinmaur) existierte eine Freischule; die Einkünfte für die Winterschule und den Unterricht im Sommer an einem Nachmittag betrugen im Vorjahr laut Pfarrer ebenfalls 13 Stk., wobei fast der gesamte Betrag aus dem reichen Kapellengut in Neerach stammte. Der Schulmeister von Langnau schliesslich bezog den Lohn von der Obrigkeit und der Gemeinde, und zwar pro Tag, an dem er Schule hält, 8 ss, was im Winter aufgerechnet auf die dortige Anzahl Schüler ungefähr 4 Stk. ergab. Bloch (2007) hat mit 109.68 tt denselben Durchschnittslohn eines Schulmeisters errechnet, weshalb für die statistischen Differenzierungen und die Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenschulmeistereinkommen ihre Ergebnisse herangezogen werden können. Demnach verdiente ein Hauptschulmeister damals mit 152 tt (15 Stk.) gut das Doppelte des Gehalts eines Nebenschulmeisters, der auf rund 67 tt (7 Stk.) kam; die Zahl der Nebenschulmeister lag knapp über derjenigen der Hauptschulmeister. Die obigen Zahlen sowie das errechnete Durchschnittseinkommen von 11 Stk. für einen Winter sind relativ tief, wenn man die Aussage des Pfarrers aus Regensdorf berücksichtigt, wonach ein Schulmeister ohne Zusatzbeschäftigungen zum Unterhalt eines Haushalts auf 200 fl im Jahr, das sind 40 Stk., kommen müsste. Vom Pfarrer aus Meilen erfährt man, dass das dortige Schulmeistereinkommen von 22 Stk. für ihn und seine Haushaltung nicht ausreiche und er also als Glaser etwas dazuverdienen müsse. Um sich überhaupt eine Vorstellung von der Kaufkraft dieser Beträge machen zu können – eine Umrechnung der alten Münzen auf den heutigen Geldwert ist nicht möglich (vgl. Kläui 1956) –, müssen Vergleiche mit anderen Lohnund Preisangaben vorgenommen werden. Dabei muss zwar auf Darstellungen verschiedener Herkunft Bezug genommen werden, insgesamt ergeben sich auf diese Weise dennoch grobe Referenzgrössen.
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Gugerli (1988) errechnet aufgrund des Staatskalenders von 1794 und der Angaben von Hofmeister (1789) als durchschnittliches jährliches Pfrundeinkommen eines Pfarrers auf der Landschaft 108.4 Stk., wobei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beachtliche Unterschiede in der Alimentierung der Pfründen bestanden. Er kommt zum Schluss, dass der Pfarrer innerhalb des Dorfes mit Sicherheit zu den „Top-Verdienern“ gehörte, und setzt als Vergleichsgrösse das Einkommen eines Handwerkers pro Tag auf 20 ss. Dies ist mehr, als das durchschnittliche Tageseinkommen eines Schulmeisters, das, geht man davon aus, dass dieser 20 Wochen im Jahr arbeitet, um 11 Stk. zu verdienen, etwa 16 ss entspricht. Jene 20 ss entsprechen bei Meier (1986) etwa dem Taglohn eines Maurers, während er das Tageseinkommen eines Malers um 1770 auf gut 30 ss ansetzt.77 Tiefer als das Schulmeistereinkommen waren hingegen die Gesindelöhne in der Landwirtschaft.78 Ein Knecht verdiente während einer Ding-Periode von einem halben Jahr etwa 20 fl, Mägde die Hälfte, was umgerechnet 4 bzw. 2 Stk. entspricht; zum Barverdienst hinzu kam Kost. Pfister (1990) bemerkt, dass in den 1770er Jahre der Lohn für Knechte stark schwankte, nämlich zwischen 16 und 40 fl. Als weitere Vergleichsgrösse muss das Einkommen von in der Heimindustrie beschäftigten Personen herangezogen werden. Um 1700 war die Verdienstkapazität in der Spinnerei und meist auch in der Weberei tiefer als in der landwirtschaftlichen Taglöhnerei. Die Situation änderte sich allerdings mit den gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzenden Lohnsteigerungen im Baumwollgewerbe. Besonders mit der Spinnerei feiner Garnqualitäten liess sich nun eher mehr als im Taglohn verdienen (vgl. Pfister 1992a). Pfister errechnet als wöchentlichen Verdienst für die Herstellung von Baumwollgarn in der in Frage kommenden Zeit 50–80 ss, gegenüber 20–40 ss (inklusive Kost) für einen Knecht. Dabei muss es sich um feine Qualität gehandelt haben, denn die Baumwollweberei wird in den 1760er Jahren ansonsten mit 25–50 ss wöchentlich veranschlagt (ebd.). Der halb77 Diese Löhne im Unterländer Baugewerbe enthalten nicht die zum Gesamtlohn gehörigen Verpflegungen auf der Baustelle, die etwa einen Drittel ausmachten. Auf der anderen Seite wurden aber bei der Berechnung des Schulmeistereinkommens ebenfalls zusätzliche Einnahmen, etwa für privaten Rechenunterricht, den Schreibunterricht etc. oder für die Nachtschule, ausgeklammert, ebenso das Schulscheit oder Nutzungsrechte. 78 Dabei kam es natürlich wiederum auf die Grösse und finanzielle Ausstattung einer Schule an. Pfarrer Oeri aus Erlenbach z. B. schätzte, dass ein Schulmeister, um gleichviel wie ein Taglöhner zu verdienen, mindestens 50 Schüler haben müsse.
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jährliche Verdienst in der Textilindustrie liegt damit in der Grössenordnung von gut 6 Stk.79 Obwohl die Lebenshaltungskosten in der Stadt höher lagen als auf dem Land, sollen, um das Vergleichsspektrum gegen oben zu öffnen, die Gehälter herangezogen werden, die von den Professoren und Lehrern an den städtischen Bildungseinrichtungen bezogen wurden. So betrug die Besoldung der Professoren an der Kunstschule nach deren Gründung 500 fl jährlich, also 100 Stk.; die unteren Lehrer, etwa ein Rechen- oder Schreibmeister, bezogen für acht bzw. sieben Wochenstunden jährlich die Hälfte (vgl. Ernst 1900). Ernst hält fest, dass der Rat 1791 zugunsten des Professors für Mathematik, David Breitinger, eine Lohnerhöhung auf 750 fl, das sind 150 Stk., aussprach, um ihn zum Bleiben zu bewegen. Am Collegium Humanitatis und am Carolinum verdiente ein Lehrer auf einer ‚kleinen‘ Professur mit zwei wöchentlichen Lehrstunden 110 fl (22 Stk.) im Jahr; meistens konnte ein solcher Professor aber zwei kleine Lehrstühle auf sich vereinen (vgl. Erziehungsrat des Kantons Zürich 1938). Bedeutend besser waren die Inhaber der Hauptprofessuren gestellte. Diese waren mit Chorherrenstellen verbunden und brachten es auf etwa 1000 fl (200 Stk.); hinzu kamen Amtswohnung, Holz, vier Hühner, 55 Eier, 29 Semmeln aus der zur Propstei gehörigen Hofbäckerei sowie einiges Rebgelände oder Acker- und Wiesland (vgl. ebd.). Ein Spitzenverdiener war auch der Antistes; er bezog in guten Jahren, das heisst je nach Weinernte, 289 Stk. (vgl. Gugerli 1988). Pfarrer Johann Heinrich Waser (1742–1780) hatte für jene Zeit berechnet, dass die Hausmiete in der Stadt Zürich durchschnittlich 207 fl (41 Stk.) betrug; den mittleren Verbrauch einer bürgerlichen Haushaltung mit zwei Dienstboten schätzte er auf 1000 fl (200 Stk.). Deutlich geringer war demgegenüber das Budget der Handwerker in der Stadt: Ein Geselle kam jährlich auf 30 Stk., wovon er mit einer fünfköpfigen Familie über 90 % für Nahrungsmittel verbrauchte; ein Meister im Bauhandwerk konnte demgegenüber mit 40 Stk. rechnen (vgl. Peyer 1968). Um zu einer weiteren Einschätzung der Kaufkraft obiger Beträge zu kommen, kann noch auf einige Preisangaben zurückgegriffen werden. Peyer (1968), Kläui (1956) und Rásonyi (2000) präsentieren folgende Zahlen:
79 Peyer (1968) veranschlagt jährlich bis 10–12 Stk. für einen Spinner und bis 16–18 Stk. für einen Weber.
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1 Mütt Kernen
(54 kg) 6 fl
(um 1780–1790)
1 Mütt Kernen
(54 kg) 12 fl
(im Hunger- und Teuerungsjahr 1771)
500 g Rindfleisch
bis 5 ss
(um 1780–1790)
1 Eimer Staatswein (37.5 l)
4.8 fl
(um 1780–1790)
1 Kuh
90–100 fl (1771)
500 g Weissbrot
2–4 ss
(18. Jahrhundert)
50 kg Käse
7–8 fl
(1784)
Zurückkommend auf das Einkommen eines Schulmeisters während der Winterschulzeit kann man bemerken, dass dieses unter demjenigen eines Handwerkers anzusetzen ist, jedoch deutlich über demjenigen eines Knechtes und auch über demjenigen in der Heimindustrie. Der gewöhnliche Schulmeisterlohn reichte allein sicher nicht für den Unterhalt eines durchschnittlichen Haushaltes aus, wobei entscheidend war, ob das Einkommen aus einer Haupt- oder Nebenschule stammte. Das Schulmeisteramt wurde jedoch meistens als (saisonale) Neben- oder Zusatzbeschäftigung betrieben, was auch für andere Beschäftigungen zutraf. Verschiedene Kombinationen von Tätigkeiten waren die Norm: Ebenso wie Mägde (und Knechte) im Winter in der bäuerlichen Heimindustrie eingesetzt wurden, betrieben Schulmeister ein Handwerk, hatten beträchtliche oder zumindest die Selbstversorgung des Haushaltes unterstützende Güter und/oder arbeiteten daneben in der Textilindustrie. Dies ist deshalb wichtig zu betonen, weil in der Historiographie der defizitäre Status des Schulmeisters gewöhnlich damit untermauert wird, dass das Einkommen dieser Tätigkeit allein für den Lebensunterhalt nicht ausreichte. Insofern der polyfunktionale Teilerwerbsbetrieb auf dem Land der vorherrschende war, ist eine Unterscheidung in Haupt- und Neben- oder Zusatzerwerb oftmals schwierig und wenig angemessen. Man muss zwar erwähnen, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im verlagsindustriellen Familienverband durch das Rastgeben eine Lockerung der hauswirtschaftlichen Bindung zwischen Eltern und Kindern stattfand (vgl. Braun 1979). Die zentrale Wirtschaftseinheit bildete dennoch in erster Linie die Familie, wobei die Glieder je nach Beschäftigungsmöglichkeiten und Arbeitskapazität saisonal oder teilweise auch über die Lebenszeit auf verschiedene Weise zur Familienökonomie beitrugen.
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Vom Turbenthaler Schulmeister heisst es sicher nicht untypisch: „Er bearbeitet im Sommer seine Güter. Was im Winter z. E. mit Holzen etc. zuthun ist, lässt er durch Taglöhner thun. Er treibt daneben noch das Schuster-Handwerk, und seine Frau hat ein kleines Händelgen mit BaumwollenGarn“ (Turbentha (B), A.c.2.). Die Beschäftigung von Taglöhnern im Winter, wenn er sich der Schule widmet, verweist auf die kalkulierende, nutzenmaximierende Einstellung gegenüber der Unterrichtstätigkeit. In diesem Sinn meint auch der für die betreffende Gemeinde antwortende Diakon Nüscheler, „er gewinnt mit dem Schulhalten mehr, als ihm irgend eine andere Beschäfftigung an diesem Ort einbringen würde“ (A.c.1.). Das Schulmeisteramt bildete damit eine Erwerbsmöglichkeit unter anderen, bei der mit geringer Investition unter Umständen ein relativ gutes Einkommen erzielt werden konnte. Dass dieses Einkommen als Bestandteil einer differenzierten Familienökonomie betrachtet wurde, zeigt auch der Umstand, dass Familienangehörige, oftmals ein Sohn, in Zeiten zusätzlicher Arbeitsbelastung in der Schule aushalfen. Das Schulmeisteramt wurde auf diese Weise öfters innerhalb der Familie weitervererbt, und es bildeten sich eigentliche Schulmeisterdynastien; berufliche Kontinuität über Generationen hinweg war dabei ein generelles Phänomen, auch bei den Handwerkern (vgl. Meier 1986). Der Pfarrer von Langnau bezeichnet die Anlehre durch den Vater als ideale Voraussetzung zur Ausübung dieser Tätigkeit: „Mich dünkt, es seye nicht wol gethan einen ieden zum Schulmeister vor zuschlagen; Es seye dann, dass er der Sohn seines Schulmrs, der sein Ammt zum vergnügen verwaltet, u. unter dessen Anführung der Sohn von iugend auf gestanden, u. deme die guten Eigenschafften eines Schulmrs also eingeflösst worden“ (B.a.1.). In Töss bedauert der Pfarrer, dass der Schulmeister keine männlichen Nachkommen hat, die jener, wie es seit 100 Jahren geschehe, zum Schuldienst nachziehen könnte. Auch Frauen waren in der Schulstube anzutreffen, so in den Gemeinden Ellikon, Höngg, Horgen, Kloten, Rickenbach, Töss, Uster, Volketswil, Weiningen, Wipkingen und Zumikon. In Kloten unterstützt die Tochter den Vater als Gehilfin beim Unterrichten; in Rickenbach sieht der Pfarrer einen Vorteil darin, dass der Schulmeister im eigenen Haus unterrichtet, weil ihn auf diese Weise seine „alte geschikte muter“ unterstützen könne (A.c.5.); in Höngg schliesslich assistieren dem Schulmeister seine beiden Schwestern. In Glattfelden wollte der Schulmeister bei anfallenden Feldarbeiten die Schule durch „sein Weib oder Kinder […] versehen lassen“, was ihm aber nicht gestattet wurde (B.a.3.), im Gegensatz zu Zumikon, wo der Pfarrer dem nicht im Weg stand.
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Instruktiv ist der Fall Pfungen bezüglich der Vererbbarkeit der ländlichen Schulmeisterstellen, wobei es sich hier eigentlich eher um eine Verpachtung handelt: Als der Vater von Heinrich Steiner Gerichtsuntervogt wurde und also ein prestigeträchtigeres Amt übernehmen konnte, machte er seinen Sohn zum Vizeschulmeister. Im Gegenzug, das heisst im Tausch gegen das Schulmeistereinkommen, musste sich der Sohn verpflichten, das ganze Jahr auf dem elterlichen Gut mit zu arbeiten. Der Pfarrer bedauerte diesen rechtswidrigen Kontrakt, der mit der ordentlichen Wahl durch die Examinatoren – dem Examinatorenkonvent stand rechtmässig die Ernennung der Schulmeister zu – hinfällig würde. Dies auch deshalb, weil sich der Junior inzwischen als weit fähiger erwiesen hatte, als es sein Vater war; er sei überhaupt der geeignetste Mann in der Gemeinde. Dieses Zeugnis beruht auf dem Ausweis eines guten Charakters und darauf, dass er „die Kinder wohl buchstabieren, u verständlich lesen“ lehrt; er kann auch Geschriebenes lesen und „zimmlich artig schreiben; aber nicht rechnen“ (B.a.1.). In Erlenbach wurde die Schulmeisterstelle ebenfalls als eine Art Familienpfründe betrachtet. Als der dortige Schulmeister starb, bekamen die Hinterbliebenen „zu ihrem Trost“ die Erlaubnis, bis zum Zeitpunkt, zu dem der Sohn dieses Amt übernehmen konnte, selber einen Vikar anzustellen (B.a.1.). In Dinhard, Lindau, aber auch anderen Gemeinden, bewirtschafteten die Söhne die Güter, während der Vater als Schulmeister einen zusätzlichen Verdienst einbrachte. In Meilen sprang der Sohn in der Schule ein, wenn der Vater – der zugleich als Glaser arbeitete – wegen seines Handwerks von der Schule abgehalten wurde. In Erlenbach belief sich das Schulmeistereinkommen etwa auf die durchschnittlichen 11 Stk., in Pfungen auf 13 Stk.; dennoch scheint dieser Verdienst in beiden Fällen von den Amtsinhabern als lukrativ empfunden worden zu sein. Andere Aussagen lassen diese Tätigkeit als wenig attraktiv erscheinen. Dies mag insbesondere für Nebenschulmeister mit unterdurchschnittlichem Gehalt gegolten haben, wobei die Unterrichtstätigkeit an sich offenbar als recht mühselig beurteilt wurde. Dies trug dazu bei, dass die Einschränkung von Freiheiten, die sich manche Schulmeister herausnahmen, durch die Vorgesetzten nicht immer einfach war. Dass der geringe Lohn das Verhältnis zwischen Schulmeister und Pfarrer zu einem heiklen machen konnte, ist den bereits analysierten Äusserungen aus dem Wetzikoner Kapitel zu entnehmen. Aber auch aus Hittnau berichtet der dortige Pfarrer Johann Heinrich Weber, er und die Stillständer müssten „in #genere & #specie […] sehr #subtil“ mit den Schulmeistern umgehen; „[s]ie werffen so gleich jhre schlechte Besoldung vor und reden vom #resigniren“ (B.a.4.).
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Die Erledigung anderer Arbeiten neben oder sogar während der gesetzten Schulstunden wurde deshalb als selbstverständlich angesehen oder zumindest geduldet, wie das Antwortdokument von Dekan Meister aus Küsnacht vermuten lässt: „Dass man sich in der Abmüssigung von der öffters langweiligen Beschäfftigung mit denen Schulkindern, auch in der darzu bestimmten Zeit niemals keine Freyheit herausneme, wird wol keiner meiner Schulmeistern von sich rühmen. Ich könnte sonst, so wenig ich auch die Schulen, wie ich zu meinem schlechten Ruhm bekennen muss, zubesuchen pflege, wieder sie selbst zeügen jedoch kan ich nicht sagen, dass darüber förmlich geklagt worden. Und wenn man klagen wollte, so könnten sich die Schulmeistere mit eben so gutem Recht über die zahlreiche vorgesezte hiesiger Gemeind beklagen, dass selbige sich vergeblich von dem Pfarrer zu fleissigen Besuchung der Schule an mahnen lassen“ (B.a.3.). Eine mitleidig verteidigende Haltung zugunsten des Schulmeisters spricht mit Bezug auf die Zumutungen seiner Arbeit, trotz der Mängel seiner Fähigkeiten, aus der Äusserung des Pfarrers aus dem benachbarten Erlenbach: „[A]llein ich stehe fast im Begriff, alles was ich von der schwächern und blödern Seite des hiesigen Schulmeisters oben gesagt habe, zurück zunehmen; dieser Mann erreget mein völliges Mitleiden, wenn ich ihn aus seinem wahren gesichtspunct betrachte. Man steckt ihm eine Menge Kinder, von welchen er seinen dürftigen unterhalt hat, zur unterweisung, an denen die Eltern nichts haben ermangeln lassen, um sie dumm, boshaft und ungesittet zumachen. Mit solchen jungen leüthen muss sich der arme Schulmeister von dem Morgen bis in den späthen abend zer arbeiten und Menschen aus ihnen machen. Ist es zu verwundern wenn er dann und wann selbst vergisst, ein Mensch zuseyn? Sehen wir nicht, dass die artigsten leüte in den Städten und auf der Landschaft wenn sie sich einige Jahre in der Schule geplagt und herumgebalget haben, sich nicht mehr ähnlich sind? Woher anders, als weil sie sich in dieser ganzen Zeit unter verwilderten Leüthen befunden haben, die sie bändigen sollen“ (B.a.1.). Einen Eindruck von den eingeschränkten Erwartungen an einen Schulmeister gibt die Aussage des Pfarrers aus Ellikon; er könne zwar nicht dafür einstehen, dass dieser „sich im sommer nicht etwann auch, so lang die Kinder an ihren Lezgen lehrnen, dj Zeit zuvertreiben suche, […] doch ist kein grund zur Klag über nachlessigkeit, oder dass er sich von haus entfehrne, dass er die kinder nicht hören könne“ (B.a.3.). Wie sieht es nun aber generell mit der Beurteilung der Einkommensverhältnisse der Schulmeister durch die Pfarrer aus? 171 Antworten auf Frage A.c.1. enthalten diesbezüglich wertende Einschätzungen. Diese
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Äusserungen lassen sich einer Ordinalskala mit folgenden Kategorien zuordnen: 1 = Besoldung sehr schlecht 2 = Besoldung nicht ausreichend (kann nicht davon leben) 3 = Besoldung ausreichend (kann davon leben) 4 = Besoldung ist gut 5 = Besoldung ist sehr gut Die Ergebnisse aus dieser Zuteilung lauten wie folgt: Knapp die Hälfte der Angaben, nämlich 83, entfallen auf die Kategorie 2 (Besoldung nicht ausreichend für den Lebensunterhalt). 52 Mal wird angegeben, die Entlöhnung sei ausreichend für den Lebensunterhalt (Kategorie 3). Zu 30 Schulmeistern wird ausgesagt, dass die Besoldung sehr schlecht sei (Kategorie 1). Lediglich sechs Mal trifft es in den Augen der Pfarrer zu, dass das Gehalt gut oder sehr gut sei. Letztere Urteile fallen, mit einer Ausnahme, erwartungsgemäss auf Hauptschulen, während vor allem Kategorie 1 häufig auf Nebenschulen zutrifft. Tendenziell gilt dies auch für die vielen Zuordnungen zu Kategorie 2, wo insbesondere die Kirchgemeinden mit mehreren Nebenschulen stark ins Gewicht fallen. Zu zwei der sechs unter die Kategorien 4 und 5 fallenden Schulmeistern sind verlässliche Angaben zum realen Einkommen vorhanden. Interessant – und kritisch hinsichtlich der Urteile der Pfarrer in dieser Sache – ist zu bemerken, dass hierbei der eine Schulmeister von Albisrieden nur gerade die durchschnittlichen 11 Stk. verdiente und lediglich der andere von Glattfelden mit 19 Stk. ein deutlich überdurchschnittliches Gehalt bezog. Die Einschätzung der Besoldung der Schulmeister als sehr schlecht bzw. unzureichend für den Lebensunterhalt war also unter den Pfarrern eine verbreitete (66 %). Man sollte dabei berücksichtigen, dass sich diese von besseren Schulmeisterlöhnen nicht zuletzt auch bessere Bedingungen der Zusammenarbeit und eine stärkere Verhandlungsposition sowie mehr Engagement von Seiten des Schulmeisters und insgesamt eine Hebung der Qualität des Unterrichts erhofften.
4.1.2 Sozialer Status Einen Indikator für den sozialen Status gibt die Antwort auf die Frage ab, welchen weiteren Beschäftigungen Schulmeister nachgingen und wie häu-
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fig sie in Dorfämtern anzutreffen waren. Zu diesem Zweck werden die Enquête-Fragen A.c.1., A.c.2. sowie B.a.3. ausgewertet. Die Angaben der Pfarrer hierzu sind oftmals vage und lassen sich deshalb kaum sinnvoll statistisch auswerten. Erstens muss man, wie bereits erwähnt, davon ausgehen, dass die Ausübung des Mesnerdienstes durch den Schulmeister nicht immer eine spezielle Erwähnung fand; da diese Kombination im Schulgesetz empfohlen wurde, nahm man sie wohl oftmals als selbstverständlich an. Da jedoch die Übernahme des Vorsinger- und/oder Sigristendienstes das Vorrecht des Hauptschulmeisters war, muss man hier zwischen beiden Schul- und Schulmeistertypen unterscheiden; diese Notwendigkeit ergibt sich allgemein in Bezug auf die Frage nach den zusätzlichen Beschäftigungen und Amtstätigkeiten. Wird angegeben, dass ein Schulmeister eigene Güter bewirtschaftet, ist öfters unklar, ob es sich um einen vollbäuerlichen Betrieb handelt oder um einen geringfügigen Landbesitz, der in bescheidenem Mass zur Subsistenz der Familie beitrug. In einem weiteren Sinn unklar sind Äusserungen, die besagen, dass der Schulmeister während der zum Unterricht bestimmten Zeit keinen Nebengeschäften nachging. Schliesslich muss man davon ausgehen, dass sich sämtliche Schulmeister zumindest im Sommer, wenn keine, oder dann nur an wenigen Tagen, Schule stattfand, anderweitig beschäftigten. Lässt man Winterthur mit seinen acht Schulen aus, so findet man zu 51 von insgesamt 246 Schulmeistern die Angabe, dass sie zugleich das Vorsinger- und/oder Sigristenamt inne hatten; darin enthalten ist – ausgehend von einer familienökonomischen Betrachtung des Schulmeisteramtes – auch der Fall von Niederweningen, wo der Sohn Vorsinger ist und den Vater im Schulehalten unterstützt. Die häufige Verbindung des Vorsinger- mit dem Schuldienst macht auch den Wert verständlich, der beim Schulmeister auf die Fähigkeit im Singen, viel stärker offenbar als zum Beispiel auf das Rechnen, gelegt wurde. Überall scheint es sich dabei um Hauptschulmeister gehandelt zu haben; lediglich im Fall der Kirchgemeinden Neftenbach, Regensdorf, Trüllikon und Wil liess sich nicht mit Sicherheit bestimmt, zu welcher Schulmeisterkategorie Vorsinger und Sigristen gehörten. Da man davon ausgehen kann, dass so gut als jeder Schulmeister neben diesem Amt weiteren Tätigkeiten nachging, werden in den folgenden Berechnungen als Basis (n) nur diejenigen Antwortdokumente einbezogen, in denen entsprechende Angaben vorhanden sind. Es wird also angenommen, dass in den übrigen Fällen zumindest in der schulfreien Zeit zusätzlichen Arbeiten nachgegangen wurde, obwohl der antwortende Pfarrer keine Informationen dazu liefert. Zu 218 der insgesamt 246 (wiederum ohne Win-
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terthur) in der Enquête erwähnten Schulmeistern gibt es Angaben dazu, ob sie weiteren Berufen und Beschäftigungen nachgegangen sind oder Dorfämter bekleidet haben. Darunter werden 25 (11 %) als Handwerker bezeichnet. Bei drei davon fehlen genauere Professionsangaben, die übrigen 22 Nennungen verteilen sich folgendermassen auf verschiedene Handwerksberufe: 6 Schuster (2 davon ehemalige Schuster) 2 Küfer 1 Küfer und Wagner 3 Bäcker 2 Maler 2 Glaser 1 Uhrenmacher 1 Uhrenausputzer 1 Plattmacher80 1 Schneider 1 Maurer 1 Metzger Während Metzger und Bäcker gemäss Meiers (1986) Status-Rangfolge der Professionisten weit oben angesiedelt sind, rangieren die übrigen im Mittelfeld. Wie die Wirte und Müller gehörten die Metzger und Bäcker meistens zu den einflussreichsten Personen einer Gemeinde, welche die so genannte Dorfaristokratie bildeten. Vergleichsweise hoch, auch gegenüber einer durchschnittlichen Pfarrpfründe auf dem Land, war etwa das Einkommen eines Müllers; ein solcher verdiente gemäss Gugerli (1988) im Zürcher Unterland mindestens 650 fl (130 Stk.) im Jahr. Mit Ausnahme des Bäckergewerbes waren jene sämtliche an Ehaften gebunden, wenngleich bezüglich des Wirtens und Metzgens aber immer wieder Verstösse gegen diese Verordnung stattfanden (vgl. Meier 1986). Es handelte sich somit um obrigkeitlich konzessionierte Betriebe, die an bestimmte Standorte gebunden waren. Für die Ausübung dieser Berufe war auf der Landschaft keine ordentliche Lehre erforderlich (vgl. ebd.). Hinwieder setzte der Kauf und Besitz einer 80 Wahrscheinlich handelt es sich um einen Blattmacher: „Der, welcher die ‚Blätter‘ für den Webstuhl anfertigt, Rohrmacher“ (Schweizerisches Idiotikon 1901, Bd. 4, Sp. 53). Das Blatt ist „ein aus feinen Rohrschienen verfertigter langer ebener Körper, mit welchem der durch die Kette geworfene Faden an das fertige Gewebe angeschlagen wird“ (Adelung 1793, Bd. 1, Sp. 1048).
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Ehafte einiges Vermögen voraus, ebenso wie die Anschaffung notwendiger Werkzeuge und Einrichtungen. Die bedeutende wirtschaftliche und meist auch politische Stellung jener Gewerbetreibenden in den Gemeinden führte dazu, dass sie vom höchsten Amt eines Untervogts ausgeschlossen waren. Ihre Machtposition führte offenbar allzu oft dazu, dass ärmere Dorfgenossen in ihre Abhängigkeit gerieten; Pestalozzis ‚Lienhard und Gertrud‘ (erste Fassung 1781–1787), wo entsprechende Konstellationen die dramatische Ausgangssituation bilden, entbehrt insofern sicher nicht der realen Bezüge. Auch jene Regelung wurde aber in der Praxis immer wieder umgangen. 15 (7 %) Schulmeister werden als Bauern bezeichnet, einer als Halbbauer81. Dazu kommen 53 Fälle (24 %), in denen der Besitz von Gütern erwähnt wird; in zwei weiteren Fällen wird der Schulmeister als Tauner, das heisst als angehöriger der ländlichen Unterschicht mit bescheidenem oder keinem Landbesitz, bezeichnet; ebenfalls dieser Gruppe zuzuteilen ist wohl der Schulmeister von Hütten, der neben dem Baumwollspinnen als Taglöhner „auf fremden Gütern Erdäpfel“ pflanzt (A.c.2.). Insgesamt variieren die landwirtschaftlichen Besitztümer zwischen einigen Reben und einem vollbäuerlichen Betrieb. Die Zahl der zusätzlich in der Landwirtschaft tätigen, aber auch der Anteil der mit textiler Heimarbeit beschäftigen Schulmeister (s.u.) muss in der Realität wohl höher angesetzt werden; die diesbezüglichen Fragen in der Enquête könnten nämlich als Fragen lediglich nach Tätigkeiten verstanden worden sein, die während der eigentlichen Schulsaison im Winter ausgeübt wurden, besonders nach solchen, die sich störend auf die Unterrichtspflichten auswirkten. Aus der Kirchgemeinde Uster berichtet der Pfarrer von Schulmeistern kleinerer Schulen, dass er diese zu seinem Missfallen auch schon während des Unterrichts am Spinn- und Spulrad angetroffen habe. Keine Seltenheit sind im Übrigen Fälle, in denen Schulmeister mehreren Zusatzbeschäftigungen nachgingen. Wie bereits oben erwähnt, hatten Erwerbstätigkeiten innerhalb eines Haushaltsverbandes eine familienökonomische Funktion und konnten gemeinsam oder abwechselnd von verschiedenen Mitgliedern ausgeübt werden. So habe sich der Schulmeister von Ellikon durch das Schnapsbrennen „in gar gute umständ gesezt“ (A.c.1.), wobei der Pfarrer beteuert, dass sich dieser lediglich mit dem Sammeln des Tresters abgebe, den dann die Ehefrau brenne. Verschiedene Beschäftigungen wurden innerhalb eines Haushaltes nicht nur nebeneinander und abwechselnd ausgeübt, sondern konnten sich auch 81 Ein ‚Halbbauer‘ war im Besitz eines halben Nutzungsrechtes (Gerechtigkeit) an den kommunalen Gütern (Ackerland, Allmend, Wald).
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in der beruflichen Biographie einer Person ablösen (vgl. Pfister 1992a); so ist etwa vom Schulmeister in Benken bekannt, dass er zuvor als Husar im Militär diente und schliesslich Schulmeister wurde. Zu 15 Schulmeistern (7 %) wird ausgesagt, dass sie textile Handarbeit betrieben. Dass es sich in erster Linie um Weber (Woll-, Leinen-, Seidenweber) handelte und weniger um (Baumwoll-)Spinner, lässt sich damit erklären, dass es sich bei letzterer Tätigkeit in erster Linie um eine Frauenarbeit handelte. Daneben findet man auch Strumpfweber, ein relativ rentables Textilhandwerk, das gewöhnlich eine Lehre erforderte. Die Angaben verteilen sich folgendermassen auf die 218 einbezogenen Schulmeister: 6 Weber 1 Wollweber 2 Leinenweber 4 Strumpfweber 1 Seidenweber 1 Baumwollspinner Einen guten Einblick in die soziale Stellung der Schulmeister in den Gemeinden bieten Angaben zum politischen Status und allfälligen Besitz von Dorfämtern. Nach Ersterem wurde zwar nicht gefragt, es ist aber nicht zufällig, dass der eine erwähnte Hintersasse82 in einer Nebenschule (Kirchgemeinde Stäfa) amtete. Am anderen Ende des sozialen Spektrums stehen die paar Schulmeister, von denen man aus der Enquête weiss, dass sie ein oder mehrere Dorfämter inne hatten; generell standen im Besitz von Dorfämtern in erster Linie die Bauern und dabei zuvorderst die Vollbauern (vgl. Pfister 1990):
82 Hintersassen waren in der Gemeinde fest niedergelassen und verfügten, im Gegensatz zu den Beisassen, über das Heimatrecht; damit konnten sie die Armenunterstützung in der Gemeinde in Anspruch nehmen. Sie waren aber im Gegensatz zu den Gemeindebürgern nicht im Besitz einer (Teil-)Gerechtigkeit. Damit waren sie von der Allmendnutzung ausgeschlossen und hatten in der Gemeindeversammlung nur ein beschränktes, von Ort zu Ort unterschiedlich geregeltes Mitspracherecht.
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Zehntenmann (Andelfingen) (Unter-)Vogt 83 (Oerlingen, Kirchgemeinde Andelfingen) Herrschaftsrichter (Buch am Irchel) Dorfmeier, daneben Bäcker, besitzt Güter (Hettlingen) Geschworener, erteilt Privatunterricht (Hottingen, Kirchgemeinde Kreuz) Geschworener, Bauer, früher Schuhmacher (Küsnacht) Richter, Kirchenpfleger (Oberwinterthur) Gerichts(unter)vogt 84, besitzt Güter (Pfungen) Amtsrichter, Gemeindeschreiber, ehemals Schuhmacher, besitzt daneben Güter (Weiningen) Ein weitere Fall ist zu erwähnen, in dem der Sohn des betagten Schulmeisters als Richter amtierte (Marthalen). Er unterstützte den Vater in der Schule, und es ist anzunehmen, dass er ihm mit der Zeit im Schulmeisteramt nachrückte. Den Angaben zu Niederweningen hinwieder konnte nicht klar entnommen werden, ob der Schulmeister selber oder sein Sohn das Amt eines Richters und Geschworenen versah. Damit lässt sich zwar aufgrund der Enquête lediglich für neun von 218 Fällen nachweisen, dass ein Schulmeister zugleich Inhaber eines oder zweier Ämter war. Gleichzeitig kann man aber feststellen, dass es sich bei diesen Personen abgesehen von einer Ausnahme (Oerlingen) erwartungsgemäss immer um Hauptschulmeister handelte. Einerseits verdiente ein Hauptschulmeister durchschnittlich gut das Doppelte eines Kollegen in einer Nebenschule; gleichzeitig trifft man in Hauptschulen häufiger Schulmeister an, die daneben mit einem Handwerk oder als Bauer mit grösserem Güterbesitz ein solides Einkommen hatten. Immerhin differierte das Einkommen der Hauptschulmeister in einem Gemeindeamt – mit Bezug auf obige Aufstellung – beträchtlich, zwischen 83 Der Andelfinger Pfarrer gibt an, der Schulmeister aus Oerlingen würde die so genannte „Vogts Stelle“ in Rheinau bekleiden. Rheinau gehörte nicht zu Zürich, sondern stand mit seinem Benediktinerkloster seit 1455 unter der Schirmherrschaft der Eidgenossenschaft. Die hoheitlichen Rechte wurden nach der Eroberung des Thurgaus und dessen Umwandlung in gemeine Herrschaft 1460 ebenfalls durch den jeweiligen eidgenössischen Landvogt in Frauenfeld ausgeübt. Obwohl das Städtchen nach der Reformation rekatholisiert wurde, lebten dort noch vereinzelt Reformierte. Am ehesten ist anzunehmen, dass der Oerlinger Nebenschulmeister eine Untervogtsstelle bekleidete, d. h. als lokaler Vertreter des Vogts in Rheinau fungierte. 84 Es handelt sich bei diesem Amt um die lokale Vertretung des obrigkeitlichen Vogtes für einen Gerichtsbezirk.
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11.5 Stk. in Weiningen und dem Spitzengehalt von ca. 50 Stk. in Hottingen. In Buch, Hettlingen und Küsnacht bewegt sich das Gehalt um 20 Stk., also über dem durchschnittlichen Hauptschulmeisterlohn von 15 Stk. In Oberwinterthur und Pfungen hinwieder betrug das Gehalt mit 13 bzw. 13.5 Stk. eher wenig. In diesen ackerbäuerlich geprägten Gemeinden im Übergangsgebiet zwischen Unterland und nördlichem Weinland kam dem Schulmeisteramt eventuell ein gewisses Prestige zu; immerhin nahm der Hauptschulmeister gewöhnlich Einsitz im Stillstand, was angesichts der Funktion dieses Gremiums als Schulaufsicht sicher nicht immer unproblematisch war. Die Berechnungen zeugen insgesamt von einer nicht zu unterschätzenden Spannweite hinsichtlich des ökonomischen und sozialen Status, so dass in dieser Hinsicht von dem Landschulmeister tatsächlich kaum gesprochen werden kann. Es fällt auf, dass die Kombination von Dorfämtern mit dem Schulmeisteramt in sechs von neun Fällen, zählt man den Fall von Marthalen hinzu, in der ackerbäuerlichen Region oberhalb Winterthur auftritt. Weiningen ist ebenfalls ackerbäuerlich geprägt, liegt aber an der westlichen Kantonsgrenze im Limmattal. Je ein weiterer Fall betrifft die Seegemeinde Küsnacht und die stadtnahe Kreuzgemeinde, beide auf der rechten Zürichseeseite liegend. Hingegen entfällt kein Fall auf das stärker industrialisierte Oberland. Meier (1986) hat unter anderem anhand der Ökonomischen Tabellen85 für das Unterland festgestellt, dass sich die Schulmeister in jenem Gebiet fast ausschliesslich aus der bäuerlichen Oberschicht rekrutierten. Zwar fallen die hier eruierten Fälle, in denen das Schulmeisteramt von Personen mit eher hohem sozialem und wirtschaftlichem Status ausgeübt wurde, nicht auf den Kern des Unterlands, die Regionen sind aber aufgrund der ähnlichen wirtschaftlichen Struktur durchaus vergleichbar. Dies legt die Vermutung nahe, dass sich in ackerbäuerlichen und sozial wahrscheinlich traditioneller strukturierten Regionen Schulmeister tatsächlich häufiger aus der oberen dörflichen Mittelschicht rekrutierten. Daneben dürfte auch der Wohlstand eines Gemeinwesens mit ausschlaggebend gewesen sein. Wohlhabende Gemeinden fand man vor allem im Unterland, im Weinland, aber auch unter den Seegemeinden. Aus dem reichen Thalwil etwa vernimmt man, dass der dortige Schulmeister finanziell nicht auf dieses Amt angewiesen war. Meier kommt zu dem Schluss, dass das „gängige Bild vom armen Landschulmeister“ auf das Unterland nicht zutrifft. Einen Erklärungsgrund findet
85 Vgl. Fussnote 72.
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er in den verhältnismässig tiefen Alphabetisierungsraten, die von WartburgAmbühl (1981) für Ackerbauregionen festgestellt hat; wenn Übung im Lesen und Schreiben allgemein wenig vorhanden war, dann hätte man diese Fähigkeiten, die zum Unterrichten notwendig waren, am ehesten bei den Dorfbeamten angetroffen, die eben gewöhnlich der bäuerlichen Oberschicht entstammten. Wie noch zu zeigen ist (vgl. Kap. 4.4.1.1), gibt die Enquête jedoch keinen Anlass, die These von Wartburg-Ambühls, dass die Alphabetisierung industrialisierter Gebiete um 1770 diejenige in ackerbäuerlich geprägten Regionen bereits überstiegen hat, zu übernehmen. Während der Feststellung Meiers insgesamt zuzustimmen ist, ist seiner näheren Begründung des Phänomens daher mit Vorsicht zu begegnen. Die Annahme hingegen, dass die Bekleidung eines Gemeindeamtes auf eine eher überdurchschnittliche Bildung und auf eine angesehene Stellung innerhalb der Gemeinde schliessen lässt, erscheint nahe liegend. Anhand der in der Enquête eruierten Fälle bestätigt sich diese Vermutung insofern, als hier tatsächlich Personen mit besonderen Fähigkeiten anzutreffen sind. Hans Heinrich Ehrsam aus Weiningen, dessen Vater in der Stadt als Schriftsetzer arbeitete, hatte in seiner Jugend die Lateinschule besucht; ebenso Schulmeister Tuggener im stadtnahen Hottingen, der noch jetzt die Anfänge der lateinischen und französischen Sprache verstehe, „gründlich u. gar practisch mit den Kindern #Catechisirt, der wenn es nöthig wäre einen Pfarrdienst mit Nuzen versehen könnte, vielleicht der beste SchulMstr im ganzen Land“ (Kreuz, B.a.1.). Dass er sich im Stillstand zu „deffendieren“ weiss, macht Pfarrer Waser viel Vergnügen, steht er doch selber in Konflikt mit dieser Behörde (vgl. Kap. 4.3.3). Ebenfalls eine gute bis sehr gute Note erhalten Charakter und/oder Fähigkeiten der Schulmeister in Küsnacht, Buch, Hettlingen, Oberwinterthur und Oerlingen (Kirchgemeinde Andelfingen). Mittelmässig bis schlecht schneiden jedoch die Schulmeister in Niederweningen und Pfungen ab; und besonders problematisch erscheint der Charakter der beiden von Andelfingen, wobei nicht klar ist, welcher es ist, der zugleich das Amt des Zehntenmannes inne hat: „Der einte lebt die meiste Zeit in unzufridner Ehe, ist auch schon zu Bett u Tisch geschieden worden hat noch den Ruf in Kleinigkeiten lange finger zu haben. der andere ist des […] Trunks halber #renomiert, doch weisst Er Gebrendts u Ungebrendts so wohl zu vertragen, dass Ihme niemand einen taumlenden Rausch vorwerfen kann“ (B.a.4.). Während einer der beiden in der Zucht einem „Scharfrichter“ gleiche und geachtet, aber von den Kindern entsprechend wenig geliebt werde, wird der andere wegen seinem schlechten Lebenswandel und seiner „Gelindigkeit“ von der Gemeinde verachtet (B.a.1.,
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B.a.5.). Vom selben Pfarrer erhält hingegen der Nebenschulmeister von Oerlingen (ebenfalls Kirchgemeinde Andelfingen), der zugleich als Untervogt zu Rheinau amtete, das höchste Lob; gleichzeitig muss er aber bedauern, dass der wackere Mann so schlecht verdient. Tatsächlich erhielt dieser lediglich 7 Stk., während die beiden in Andelfingen immerhin auf je 11 Stk. kamen. Dass ein Andelfinger Schulmeister gleichzeitig ein Amt versieht, wird vom dortigen Pfarrer Oechslin als sehr nachteilig beurteilt: „Allerding leydet das Schul Wesen darunter. der einte von meinen schulmeistern ist noch #Zehenden-#Mann im Schloss. Um desswillen im Sommer entweder ein anderer die schul zu weilen hält oder allzu früh wieder geendigt wird“ (A.c.2.). Die Einschätzung der Schulmeistereinkommen als zu gering, um allein davon leben zu können, hatte die Haltung gegenüber den verbreiteten Zusatztätigkeiten sicher beeinflusst. Antwort auf die Frage nach der allgemeinen Akzeptanz dieser Zusatzbeschäftigungen bei den Pfarrern geben A.c.2. und zum Teil B.a.3. 104 Stellungnahmen konnten ausgewertet, das heisst, folgenden Kategorien zugeordnet werden: 1 = keine Behinderung des Schulehaltens durch Nebenbeschäftigungen 2 = wenig Behinderung 3 = Behinderung ist vorhanden 4 = Behinderung ist sehr stark Tatsächlich nahmen die Pfarrer den Umstand, dass der Schulmeister neben dem Schulehalten eigene Güter bewirtschaftete, Heimarbeit betrieb, einem Handwerk nachging und/oder ein Gemeinde- oder Kirchenamt inne hatte, nur in einem der 104 diesbezüglich spezifizierten Fällen als sehr stark hinderlich wahr. In weiteren acht Fällen wurde zwar eine Behinderung festgestellt, jedoch ohne nähere graduelle Angaben (Kategorie 3). Dazu zählt unter anderem Zimikon (Kirchgemeinde Volketswil), wo der Nebenschulmeister zugleich Metzger war und es vorkam, dass Leute in den Unterrichtsstunden bei ihm Fleisch kaufen kamen. 27 Mal wurde eine geringe Behinderung des Schulehaltens festgestellt, während mit 68 Zuordnungen die Mehrzahl der Antworten der Kategorie 1, keine Behinderung, zugeteilt werden konnte (65 %). Das Einspringen weiterer Personen, oftmals eines Sohnes, wenn andere Tätigkeiten den Schulmeister vorübergehend von der Schule abzogen, wurde vielfach als selbstverständlich geduldet. Überhaupt haben die Pfarrer den Schulmeistern für gewisse Unzulänglichkeiten angesichts ihrer schwierigen
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Erwerbssituation öfters Verständnis entgegengebracht. In Adliswil vermerkt der Pfarrer, es sei „keine Kunst“, dass der Schulmeister an heissen Tagen nach getaner Feldarbeit wohl manchmal „entrüke“ (A.c.2.). In Dägerlen gibt der Pfarrer an, dass der Schulmeister mit Gütern überhäuft sei, so dass manchmal die Schulgeschäfte darunter leiden müssten. Statt sich darüber aufzuhalten, ist er damit zufrieden, dass der Schulmeister zumindest während seiner Anwesenheit die meiste Zeit wohl anwende. Von Amtes wegen war der Pfarrer verantwortlich und rechenschaftspflichtig für die Schulen seiner Gemeinde. Diese Konstellation könnte einen Bias verursacht haben. Das heisst, es wäre durchaus möglich, dass er in seinen Stellungnahmen, die über den Dekan an die oberste Kirchenstelle und damit seine Vorgesetzten gelangten, eine gewisse Zurückhaltung in Negativaussagen übte; gewisse Missstände hätten schliesslich auch im Sinne einer Vernachlässigung seiner Aufsichtspflichten interpretiert werden können.
4.1.3 ‚Charakter‘ und Fähigkeiten Anzahl, Art und Stossrichtung der Fragen zum Schulmeister geben bereits einen Eindruck von den potentiellen Problemen, die man mit dessen Amt und Person verband. So verlangte der Fragebogen auch Auskunft über die Fähigkeiten der Schulmeister in ihrem Amt (B.a.1.), über deren Charakter und Lebensführung ausserhalb der Schule, und schliesslich interessierte ihre Bereitschaft, sich dem Pfarrer unterzuordnen (B.a.4.) sowie die Achtung, die sie in der Gemeinde und bei den Schulkindern genossen (B.a.5.). Im Zusammenhang mit der Frage nach der Führbarkeit der Schulmeister tritt mehrmals der Begriff des „Schulmeisterstolzes“ auf, ein Ausdruck, dem offenbar eine geläufige Attribuierung entsprach. So hört man etwa aus Fällanden, dass „etwas Selbstvertrauen u. Einbildung auf vermeinte Geschiklichkeit, auch etwas Eigensinn […] das fast allgemeine Fieber der LandSchulmeister“ sei (B.a.1.; vgl. auch Langnau, Dettlikon, Lindau, Neftenbach, Pfäffikon, Pfungen, Steinmaur, Uster). Die Antworten auf jene Fragen wurden folgenden Skalen zugewiesen86:
86 Charakter Schulmeister: n=142; Fähigkeiten Schulmeister: n=222; Charakter/Lebenswandel ausserhalb der Schule: n=163; Führbarkeit: n=182; Achtung in der Gemeinde: n=211; Achtung von Seiten der Schulkinder: n=192.
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B.a.1., B.a.4. (Charakter und Fähigkeiten als Schulmeister; Charakter ausserhalb der Schule und Verhalten gegenüber dem Pfarrer): 1 = sehr schlecht 2 = schlecht 3 = genügend 4 = gut 5 = sehr gut B.a.5. (Achtung in der Gemeinde und von Seiten der Kinder): 1 = verachtet 2 = kaum geachtet 3 = verschieden 4 = geachtet 5 = hoch geachtet Die Auszählung zeigt, mit einer Ausnahme, in allen erfragten Bereichen eine deutliche Spitze für Kategorie 4 (‚gut‘ bzw. ‚geachtet‘). Einzig die Bewertung der Fähigkeiten fällt etwas ab mit einem Spitzenwert (96 Nennungen; 43 %) für eine „genügende“ Leistung. 34 Pfarrer bezeichneten die Fähigkeiten des Schulmeisters als „schlecht“, immerhin 75 Pfarrer wiederum als „gut“. 72 % der Pfarrer klassifizierten den Lebenswandel des Schulmeisters im Privaten als „gut“; bezüglich des Charakters als Schulmeister traf dies in 70 % der Fälle zu. Mit 47 % gegenüber 60 % auf Kategorie 4 lag die Achtung in der Gemeinde einige Prozente unterhalb der Achtung bei den Schulkindern. Auf die Frage der Achtung in der Gemeinde wird ausserdem relativ häufig (36 %) ausgesagt, dass diese je nach Personen und Personenkreisen unterschiedlich sei. Dies gilt etwa für Ossingen, wo es heisst: „Er hat nicht die Mindeste achtung bei den vorgesezten, bei den gemeinen bürgeren dagegen zeiget sich alle zu fridenheit“ (B.a.5.). Die schlechtesten Noten erhalten die Schulmeister im Urteil der Pfarrer für ihre Fähigkeiten; diese wird am häufigsten als ‚genügend‘ bezeichnet wird. Insgesamt stehen aber die Schulmeister in der Einschätzung des Gros der Pfarrer keinesfalls dermassen miserabel da, wie sie häufig – aufgrund selektiver Zitate – zur Darstellung gelangen. Im Einzelnen variieren die qualifikatorischen Äusserungen beträchtlich. Dies lag einerseits sicher an tatsächlich vorhandenen Unterschieden; mit einbezogen werden müssen daneben wohl auch Differenzen, was die Ansprüche und Interessen der einzelnen Pfarrer gegenüber Schule und Unterricht angeht, und nicht zu-
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letzt Beziehungs- und Machtkonstellationen innerhalb der Gemeinde, auf die noch näher einzugehen sein wird (vgl. Kap. 4.3). Die Antworten auf die Frage nach der Achtung des Schulmeisters lassen sich zwischen höchsten Lobestönen, gleichgültiger Indifferenz und, so im bereits zitierten Beispiel aus Andelfingen, der Benennung verschiedenster Laster ansiedeln. Diakon Nüscheler aus Turbenthal meint, er „höre Niemand ∫mit∫ verachtung, aber auch Niemand mit vorzüglicher Achtung von ihm, als Schulmeister, sprechen. Ein Schulmeister scheint den Leüthen hier eben keine so wichtige Person seyn, von der ∫es die∫ mühe werth wäre viel zureden“ (Turbenthal (B), B.a.5.). Von ziemlich mässigen Fähigkeiten in intellektueller Hinsicht zeugt das Urteil von Pfarrer Oeri aus Erlenbach: „[…] aber wenn ich ihm auf die #Examina eine neüe Schul-#Tabell verfertige von dem vor- und zu-Name, Alter, Zeit, wann die Kinder in die Schule gekommen, #item von demjenigen, worinnen sie unterichtet werden, von der beschaffenheit ihres fleisses und ihrer Kräfte von ihrem verhalten und Sitten, und von der Zeit, wie lange sie überall in die Schule gegangen; dann irret er, nach der blödigkeit seines verstandes, in den #Columnen herum und setzt #quid #pro #quo doch, #ubi #plura #nitent, #non #ego #paucis #offendor #maculis“ (B.a.1.). Ganz anders klingt es hingegen aus Dietlikon. Wie das ausführliche Lob des dortigen Pfarrer Toblers zeigt, hat er in seinem Schulmeister einen gleich gesinnten Gefährten und fähigen Partner gefunden. „Er hat alle Talente, die zu seinem Berufe nothwendig sind, einen richtigen durch Nachdenken, Lesen und Umgang mit vielen gemeinnüzigen Kenntnissen bereicherten und angebauten Verstand, – hat die biblische Geschichte u. alle historischen Schriften von Rollin87 gut im Kopf, u. macht im Umgang treffende Anwendungen davon. Er besitzt sehr gute Einsichten in die Religion, u. ist zum Erstaunen frey von Theologischen Vorurtheilen. Ich hab ihm diesen Winter manchmal mit Lust und Verwunderung zugehört, wie er seinen Schülern historische Abschnitte aus dem neuen Testament erklärte, u. sie dafür zu interessiren wusste; er syllabirt, lieset, schreibt richtig und gut;
87 Charles Rollin (1661–1741) war Schriftsteller, Historiker und Anhänger des Jansenismus. Als Rektor der Université de Paris (1694–1720) verhalf er dem Französischen gegenüber dem Latein zur Anerkennung als Wissenschaftssprache und trug zur Wiederbelebung der griechischen Philologie bei. Sein ‚Traité des études‘ (1726) war der Reform des Unterrichts gewidmet. Ein grosser Erfolg wurde seine ‚Histoire ancienne‘ (1730–1738). 1750–1757 erschien in Zürich bei Heidegger und Compagnie als vierteilige Übersetzung der ‚Auszug der Historie alter Zeiten und Völker des Herrn Rollin‘.
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ist in Verfertigung von allerhand Aufsäzen und in verschiedenen Rechnungsarten wohl geübt, singt sehr gut, u. ist bei allen diesen vorzüglichen Gaben u. Geschicklichkeiten gar bescheiden, lehrbegierig und unterthänig. Mit den Schulkindern eher zu gut, als zu streng, er giebt ihnen oft herzliche Ermahnungen zur Frömmigkeit und allen guten Sitten, ist fromm, treü, unermüdet, u. arbeitet aus den edelsten Gründen. Seine Haushaltung hält er in guter Ordnung, lieset gerne etwas vom Feldbau, u. verbessert seine Güter beständig. Er ist der einzige in meiner Gemeine, mit dem ich einen ganz freyen und vergnügten Umgang haben, u. von allen Angelegenheiten der Gemeine eine vernünftige Unterredung anstellen kann. Gott erhalte ihn seiner Haushaltung u. der Gemeine noch lange!“ (B.a.1.). Zu den hervorragenden Zeugnissen zählt auch dasjenige von Pfarrer Jakob Däniker (1742–1805) aus Wallisellen, dem späteren Rechenlehrer und Professor für Religion an der Kunstschule. Die Tugenden und Fähigkeiten seines Schulmeisters zeigen sich in seiner „Christlich-vernünftig eingerichtete[n] Haushaltung“ und „Menschliebe“. Er besitzt eine seltene Belesenheit in theologischen Schriften und poetischen Stücken von Gellert und Gessner, wie er auch selber dichterische Anlagen aufweist. Von seinen Kenntnissen in der Landwirtschaft habe er selber öffentliche Proben abgelegt. Tatsächlich ist vom Walliseller Schulmeister Johannes Krebser (1726– 1781) bekannt, dass er mehrmals an den Preisfragen der Naturforschenden Gesellschaft teilgenommen hatte; ein Beitrag wurde in der ‚Anleitung für die Landleute‘ von 1770 abgedruckt, ebenso ein Schweizerlied in der ‚Anleitung‘ von 1771 (vgl. Ettinger 1995). Auffällig ist eine Häufung von Schulmeistern mit grossen Fähigkeiten und relativ hoher Bildung am rechten unteren Zürichsee. Dies mag mit der Nähe und Ausstrahlung der Stadt und den guten Verkehrsverbindungen dorthin in Zusammenhang stehen. Wenn bei freien Plätzen zuweilen auch Schüler vom Land an der Lateinschule aufgenommen wurden, so konnten wahrscheinlich Familien in den umliegenden Regionen am ehesten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Schulmeister Alder junior, der an der Seite seines Vaters in Küsnacht unterrichtete, beherrschte gemäss Aussage des Pfarrers nicht nur die Orthographie, sondern besass auch Kenntnisse in den Anfängen der lateinischen und französischen Sprache sowie in Geographie. Selbst Nebenschulmeister Egli in Lindenbaum, Kirchgemeinde Küsnacht, der die Stelle von seinem Bruder übernommen hatte, konnte Französischkenntnisse vorweisen. Hatte Ersterer vielleicht die städtische Lateinschule besucht, so weiss man von Letzterem, dass er in Bern als Strumpfweber zum Französischen kam und dass er in der Vergangenheit
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eine Anstellung als Hauslehrer im Stettfurt (heute Kanton Thurgau) hatte. Die Kirchgemeinde Kreuz, welche aus den Gemeinden Hottingen, Hirslanden und Riesbach bestand, schliesst in südöstlicher Richtung unmittelbar an die Stadt an. Die hervorragenden Eigenschaften von Schulmeister Tuggener aus Hottingen unter anderem in Latein und Französisch wurden bereits oben zitiert. Die beiden Kollegen von Riesbach und Hirslanden besitzen immerhin nicht selbstverständliche Fähigkeiten in Rechnen und Geometrie. Auch Erlenbach lässt sich in diesem Zusammenhang erwähnen. Über den dortigen Schulmeister erfährt man, dass er, wenn auch nur für kurze Zeit, die „Universitæt“ besucht hatte. Trotz dieser aussergewöhnlichen Vorbildung – wenn es sich nicht um eine sarkastische Übertreibung handelt – war der Pfarrer aber alles andere als zufrieden mit den tatsächlichen Fähigkeiten dieses Mannes. Nachdem er die „Humaniora“ erlernt, „aber bald wieder ausgeschwizt hat, drange er sich A°. 1752 (#ni #fallor) das Jahr kan er selbst nicht bestimmen) unter meinem herrn vorfahren, in das wichtige Schulmeister-amt, vieleicht durch ungestümes anhalten, oder durch andere krumme Wege, oder durch gevatterschaft ein; da doch der Kirche Gottes und dem gemeinen Wesen an einem rechtschaffenen Schulmeister, und wäre es auch in der kleinsten bauerschaft mehr gelegen ist, als an manchen reichen und vornehmen leüten“ (B.a.1.). Natürlich stimmte eine Gemeinde oftmals nicht unisono im Urteil über den Schulmeister überein; offenbar waren diese Einschätzungen auch von Merkmalen beeinflusst, die von Zugehörigkeiten zu verschiedenen sozialen, ökonomischen und politisch-rechtlichen Gruppierungen bestimmt waren. Zu Recht wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass die Einwohnerschaft der ländlichen Dorfgemeinde im Ancien Régime keine homogene Einheit bildete, sondern – je nach wirtschaftlicher und rechtlicher Struktur in grösserem oder minderem Mass – in verschiedene (Interessen-) Gruppen stratifiziert war. Der ‚Dorfaristokratie‘, zusammengesetzt aus den wohlhabenden und einflussreichen, oftmals im Besitz der Gemeindeämter stehenden Bürgern, standen wirtschaftlich schwächere und zum Teil auch politisch-rechtlich benachteiligte Schichten gegenüber. Die Interessen, der Status des Schulmeisters sowie die Achtung, die ihm von verschiedenen Seiten entgegengebracht wurde, standen in Abhängigkeit von jenen Zugehörigkeiten. Diese konnten auch das Verhältnis zum Pfarrer prägen, der nicht selten mit der Dorfaristokratie um Macht und Einfluss konkurrierte (vgl. Kap. 4.3); die dörflichen Machtträger strebten tendenziell nach Autonomie und rechtlicher Selbstbestimmung, dieser repräsentierte als Stadtbürger und Kirchenbeamter die Interessen der Obrigkeit. Pfarrer und Schul-
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meister mussten mit den Vorgesetzen und dem Stillstand kooperieren, was wiederum durch die oben genannten personellen Faktoren erschwert oder erleichtert wurde. Die Position von Pfarrer und Schulmeister innerhalb dieses Geflechts musste sich auch auf ihr gegenseitiges Verhältnis auswirken und dürfte zuweilen das Antwortverhalten des Pfarrers in der Enquête mit bestimmt haben. In seiner Hirtenfunktion kam dem Pfarrer in der Gemeinde auch ein moralisches Wächteramt zu. Dass Korruption und Machtmissbrauch als Folge von Ämterkumulation aber zur Realität des Dorflebens gehörten, klingt in der Enquête mit verschiedenen Äusserungen an. So beurteilt der Pfarrer von Seen die Kombination des Schulmeisteramtes mit Gemeindeämtern als „unanständig“ (B.a.4.). Dieselbe Problematik klingt auch im Vergleich des Pfarrers von Uster an, der meint, ein Schulmeister, der zugleich ein Handwerk betreibe, sei ebenso unnütz wie ein Vogt oder Weibel, der zugleich Wirt ist. Auch die Rolle des Stillstands darf nicht unterschätzt werden, wie der Ausruf von Pfarrer Irminger deutlich macht: „O Wann dj Glider von einem ehrs. Stillstand von solcher art u. beschaffenheit wärind wie der SchulMstr ach mit was freüdigkeit u. mit was für einem erwünschten nuzen könte doch nit ein lehrer in diesem Weingarten des herrn arbeiten“ (Fehraltorf, B.a.5.). In Greifensee hingegen hat sich der Pfarrer zu beklagen, dass beide, der Schulmeister und der Stillstand, ihn zu wenig unterstützen gegen „das noch immer anhaltende Gottlose unverantwortliche widerstreben verschidener Elteren“ (C.4.). Trotz gewisser prototypischer Beziehungs- und Machtkonstellationen in der ländlichen Dorfgemeinde (vgl. Kap. 4.3) gilt es mit Schnyder (1992) festzuhalten, dass die Analyse der Sozialstruktur der ländlichen Gesellschaft im Ancien Régime der Beachtung der ‚feinen Unterschiede‘ bedarf. Diese drücken sich oftmals performativ in rituellen Akten und symbolischen Ordnungen aus und können im besonderen Fall lediglich auf der Mikroebene erfasst werden. „Welchen Platz Männer und Frauen bzw. ihre Haushalte innerhalb des sozialen Gefüges des Dorfes einnahmen, hing zwar sicher und in nicht geringem Mass von ihren ökonomischen Ressourcen ab. Ihr sozialer Status, und daraus abgeleitet die Grundlage ihrer sozialen Existenz, d. h. das Recht, im Dorf jemand zu sein, hing jedoch auch mit ihrem sozialen Verhalten innerhalb der dörflichen Öffentlichkeit zusammen, so z. B. mit ihrer Ehre“ (S. 160). Symbolisches Kapital stand mitunter in keinem direkt proportionalen Verhältnis zum ökonomischen Kapital (ebd.). Die Ehre und damit das ‚moralische Kapital‘ konnte in der Beziehung des Pfarrers zum Schulmeister von übergeordneter Bedeutung sein und befand sich
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nicht immer auf der Seite der wohlhabenden und sozial bedeutenden Schicht.
4.1.4 Idee eines Schulmeisterseminars Sowohl in den Reformvorschlägen aus dem Kyburger wie dem Wetzikoner Kapitel war die Notwendigkeit, die Schulmeister für ihre Tätigkeit auszubilden, Diskussionsgegenstand, und es wurde die Idee der Errichtung eines Seminars vorgebracht. Entsprechende Wünsche werden auch in der Enquête, obwohl nicht explizit erfragt, geäussert. Bei Pfarrer Balber aus Marthalen findet man diesen Punkt am Schluss seiner Antworten im Sinne einer persönlichen Anmerkung erwähnt. Ähnlich wie bereits die Wetzikoner Pfarrer meint er: „[A]lte und wenigstens in ihrer einbildung schon ausgelehrnte junge Schulmeister sind schwehr oder nicht mehr in ihren Mänglen zu verbesseren, […] und auch nicht alle Pfarrer verstehen die Schul:kunst oder sind fähig Schulmeister der Schulmeisteren zu seyn“; deshalb sollte, so seine Schlussfolgerung, ein Schulmeisterseminar errichtet werden, „darin vor die Zukunfft wackere Schulmeister möchten gebildet werden“. Auch der bereits zitierte Pfarrer Oechslin aus Andelfingen hat im Anschluss an seine Antworten eigene „#Unmaassgeblichen #Gedanken“ angefügt und äussert darin denselben Wunsch. Wie Dekan Escher in seinem Referat sieht auch er eine Finanzierung teils durch staatliche Gelder, teils durch die Gemeinden vor: „Zur Bildung tüchtiger Schulmeisteren für die Zukunfft wäre das vortreflichste Mittel, die obrigkeitliche Errichtung eines #Seminarii in der Stadt. Wozu theils die Barmherzigk der Gnädigsten Landesvätter aus ihrem #Ærario #Publico, theils die Gemeinden auf dem Land aus ihren Gemeinds u Kirchen Gütern einen #Fond anschaffen sollten und darum so bereitwilliger weilen dise ausgaab dem Staat u der kirchen unendl. vorheilhafft wäre.“ Um von Seiten der Schulmeister den notwendigen Eifer und Berufsernst erwarten zu dürfen, sei allerdings, darin sind sich Pfarrer Oechslin und Pfarrer Balber einig, eine Aufbesserung der Gehälter notwendig. Die Gleichung, wonach eine Erhöhung des Einkommens Nebentätigkeiten überflüssig und das Schulehalten zu einem Vollzeitberuf mit vorangehender Ausbildung machen könnte, worauf schliesslich eine Verbesserung der Unterrichtsqualität eintreten müsste, findet sich im Reformdiskurs der Zeit vielfach geäussert. Mit Andelfingen und Marthalen sind zwei Gemeinden des Weinlandes zitiert worden, die in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander liegen; die
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Übereinstimmung der Pfarrer in der Idee eines Schulmeisterseminars könnte auf einen gegenseitigen Gedankenaustausch zurückgehen. Ähnliches ist mit Bezug auf die beiden Seegemeinden Küsnacht und Erlenbach festzustellen. Wie bereits Dekan Escher aus dem Kyburger Kapitel wusste offenbar auch der Erlenbacher Pfarrer Oeri Bescheid über schulpädagogische Einrichtungen im Deutschen Reich, namentlich in Berlin, Halle und Klosterberge (bei Magdeburg). Entsprechende Gründungen hatten dort im Vergleich zur Eidgenossenschaft bereits relativ früh stattgefunden, allen voran 1698 in Sachsen unter Herzog Friedrich II. von Gotha und dann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in anderen deutschen Territorien. Erwähnung finden in Oeris Ausführungen zudem das Franckesche Pädagogium in Halle sowie das von Johann Matthias Gesner gegründete Seminarium Philologicum in Göttingen. Er verweist auf die Beschreibung dieses Seminars in der von Hofrat Gesner unter Georg II., König der Königreiche von Grossbritannien und Irland, Herzog von Braunschweig-Lüneburg und Kurfürst von Hannover, verfassten ‚Schul-Ordnung Vor die ChurfürstlichBraunschweig-Lüneburgische Lande‘ (1738) sowie im ersten Band seiner ‚Opuscula minora varii argumenti‘ (1743). Des Weiteren kennt er die in Gesners ‚Kleinen Deutschen Schriften‘ (1756) gesammelten Schul- und Methodenschriften betreffend den Lateinunterricht, die Errichtung eines Gymnasiums sowie die beste Art, Lesen zu lernen. Wie Oeri war auch Dekan Meister aus der Nachbargemeinde Küsnacht informiert über die unter König Georg II. durchgeführten Erziehungsreformen. Pfarrer Oeri wünscht sich in der Stadt ein Pädagogium nach hallischem Vorbild oder zumindest ein Schulmeisterseminar (Erlenbach, B.a.1.). Er meint, dass der Zulauf bei Aussicht auf spätere gute Entlöhnung gross genug sei, um unter den Bewerbern noch die Besten auswählen zu können. Wahrscheinlich den Aufwand und insbesondere die Ungeklärtheit der finanziellen Zuständigkeit vor Augen, stellt er sich vor, dass man diese Einrichtung nur zwei Jahre unterhalten müsste, um für die kommenden 20 Jahre mit ausreichend fähigen Schulmeistern versorgt zu sein; die auf diese Weise verbesserten Schulen wären dann als Normalschulen den nachfolgenden Schulmeistergenerationen Ausbildungsstätte genug. Eher für die Lehrer an den höheren Stadtschulen schlägt Oeri Gesners Seminarium Philologicum als Muster vor. Denn der dort angebotene Lehrgang gestaltete sich noch im Rahmen des Theologiestudiums; es handelte sich um ein Zusatzstudium in Philologie, das jedoch noch keinen eigenständigen Status besass (Berner 2002), und entsprechend bildeten Lehrämter, sei es an höheren öffentlichen Schulen oder in privaten Häusern, im 18. Jahrhundert
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vor allem Durchgangsstationen für Anwärter auf eine Pfarrstelle. Dasselbe gilt aber auch für die Lehrerausbildung im Seminarium Praeceptorum (1696) und Seminarium Praeceptorum Selectum (1707) am hallischen Waisenhaus, denn zusätzlich gelehrt wurden dort die Alten Sprachen. Immerhin in der so genannten Expectanz (1703) und Präparanz (1709), die den Seminarien vorgeschaltet waren, wurden Methodik und Didaktik vermittelt, was ein Novum bildete (vgl. Oberschelp 2001). Zwischen der Lehrerbildung am Waisenhaus, wo die Studentenschaft aus angehenden Akademikern bestand, und der seminaristischen Ausbildung der Lehrer für die Volksschulen im 19. Jahrhundert kann denn auch keine Traditionslinie gezogen werden. Halle kam aber insofern eine Vorbildfunktion zu, als in der folgenden Zeit an anderen Waisen- und Armenschulen ebenfalls Seminare eingerichtet wurden; insbesondere entstanden nun beispielsweise mit Stettin (1732), Klosterberge (1735) und Berlin (1748) vereinzelt auch Ausbildungsstätten für Landschullehre (vgl. Oberschelp 2001; La Vopa 1980; Fischer 1892). Dass Oeri auch diese teilweise kannte, zeigen weitere Bezugnahmen in Zusammenhang mit Fragen der Schulzucht.
4.2 Schulgesetzgebung: verbreitete Klagen – lokale Initiativen Als ein zweiter zentraler Diskussionspunkt neben dem Themenkomplex Schulmeister liess sich die Unzufriedenheit mit der geltenden Schulordnung eruieren. Diese stammte in Zürich aus dem Jahr 1684 und wurde 1719 sowie 1744 erneut herausgegeben. Die Klagen bezogen sich in erster Linie auf den Mangel an Vollzugs- und Durchsetzungsmitteln, die diese den Pfarrern für die Einforderung eines ausreichenden und regelmässigen Schulbesuchs an die Hand gab. Tatsächlich blieb die Schulordnung recht vage in der Bestimmung von Zuständigkeiten und Weisungsbefugnissen verschiedener Instanzen. Mustergültige Vorbilder sah der Kyburger Dekan Escher in Schulordnungen, wie sie in der Markgrafschaft Brandenburg, in Schlesien, verfasst vom katholischen Schulreformer Johann Ignaz von Felbiger, und im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg, verfasst von Johann Matthias Gesner, in Kraft waren; Letztere betraf allerdings, im Gegensatz zu den beiden Ersteren, die städtischen Schulanstalten. Obwohl in der Enquête eine Stellungnahme zur Schulgesetzgebung nicht ausdrücklich erfragt wurde, haben dennoch verschiedene Pfarrer diesen Punkt angesprochen – offenbar war der Wunsch einer Revision ein verbreiteter. Explizite Forderungen nach einer Revision der bestehenden Ordnung
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findet man in den Antworten aus Andelfingen, Dietlikon, Erlenbach, Männedorf, Marthalen, Oberrieden, Oberwinterthur und, nicht überraschend, aus Mönchaltorf und Pfäffikon von Kammerer Schulthess und Dekan Escher (vgl. Kap. 3). Die Forderung steht erneut vor dem Hintergrund häufiger Schulabsenzen und von Problemen, die sich aus dem Umstand ergaben, dass Angaben zum Ein- und Ausschulungsalter in der gültigen Schulordnung fehlten. Letzteres beschäftigte auch den Pfarrer aus Töss, der den Wunsch äusserte, dass die Bestimmung über die Schulentlassung per Gesetz dem Stillstand übertragen werden solle, der dann jährlich beim Schulexamen darüber zu entscheiden habe. Er und Helfer Nüscheler aus Turbenthal sprechen beide das Problem des Einschulungsalters an, und zwar der allzu frühen wie späten: „[D]ie einten Eltern, dennen die Gegenwart ihres Kindes bey ihrer Arbeit beschwehrlich fällt, mögten es am liebsten gerade schon in der Wiege senden. Andere, die ihrem Kinde gerne den Willen lassen, warten zulange. Mehrentheils geschiht es doch im fünften oder sechsten Jahr. Villeicht wurde es nicht unnöthig seyn, auch hierüber etwas ausdrükel. zu bestimmen. Die Erlaubnis §.14. der Schulordn. wegen ganz kleiner Kinder gibet, so viel ich schon bemerket habe, nicht selten zu kleinen Unordnungen u. Verdriesslichkeiten Anlaas“ (Turbenthal (B), A. b.1.). Abschnitt XIV bestimmte tatsächlich, dass es den „kleinen Kindern“ frei stehe, lediglich an den wöchentlichen Bettagen in der Schule zu erscheinen und entsprechend nur für diese Tage Schullohn zu bezahlen. Ähnliche Klagen kommen aus Rafz, während man aus Oberrieden, Thalwil und Töss erfährt, dass die Kinder teilweise bereits mit drei Jahren zur Schule geschickt wurden, in Wülflingen sobald sie „gehen und reden“ konnten (A.b.1.). Die Schule nahm in diesen Fällen eher die Funktion einer Unterbringungsstätte, eines Kinderhorts, denn einer Lernanstalt an. Was die Kleinen denn dort auch zuerst lernten, so verschiedene Aussagen, war das Stillsitzen. Eine gewisse Ohnmacht hinsichtlich der Durchsetzung des Schulbesuchs, besonders angesichts der existentiellen Argumente auf Seiten der Eltern, spricht aus dem Wunsch von Pfarrer Körner aus Feuerthalen, „dass die Elteren von Oberkeits wegen angehalten werden, Ihre Kinder fleissig u: ununterbrochen in die Schul zuschiken, bis Sie die Ihnen so nothwendigen Sachen völlig erlehrnet haben, dann die vorstellungen u. Ermahnungen des Pfarrers auf u: neben der Canzel fruchten wenig od nichts, wenn Ihme nit von hohem ohrt die Hand gebotten wird, da heist es grad bey den Elteren, wir müssen für den Mund sorgen, dass wir u: unser Kinder zuessen haben“ (C.). Sogar Dekan Meister aus Küsnacht, der in der Enquête eine deutliche
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Skepsis gegenüber Verordnungen mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit zum Ausdruck bringt und es in Schul- und Unterrichtsfragen vorziehen würde, wenn sich jeder Pfarrer je nach den speziellen Umständen und individuellen Voraussetzungen in seiner Gemeinde einrichten könnte, kommt gleich eingangs seiner umfassenden Antwortschrift auf die Vorzüge gewisser obrigkeitlicher Direktiven zu sprechen: „Es würde nun einem jeden treüen Pfarrer zu Erleichterung seiner heiligen und wichtigen Amts-Geschäfften dienen, wenn er eine hinlängliche vorschrifft haben könnte, wie er, ohne Gewissens Zwang und ohne verletzung der natürlichen und Christlichen Freyheit, etwas mehrers als das von ihm geschehen, zu abstellung oder verhütung derley Schulbeschwerden [Gründung von Privat- und Nebenschulen ohne diesfällige Erlaubnis, E.B.] beytragen möchte; worbey unmassgeblich nicht nur die Pflicht und das Recht der Eltern in Ansehung treüer besorgung der Unter-Weisung ihrer Kinder, sondern auch die befügnis neüe Schulen zu errichten, und was dahin gehört, genauer, als mans in berührten gedrukten Schul-Satzungen findet, bestimmt werden müsste […]“ (A.a.1.). Die ausdrückliche Forderungen nach einer neuen Schulordnung findet man vor allem in Zusammenhang mit Frage B.b.30. ausgesprochen: „Könnten und sollten nicht alle Kinder, die ihren Schul-Cursum frühzeitig zu Ende gebracht haben, angehalten werden, dass sie bis zu der Zeit, wo sie vom Herrn Pfarrer zum Heil. Abendmal unterrichtet werden, die Schul in jeder Woche wenigstens noch ein oder zweymal besuchen müssten? vorzüglich an denen Tagen, wo die Schule von dem Herrn Pfarrer besucht wird, damit er sie prüfen könnte, ob sie nichts vergessen haben?“ Nicht nur die Wetzikoner Pfarrer (vgl. Kap. 3.2), sondern überhaupt ein Grossteil bejahte diese Frage und begrüsste die darin ausgesprochene Idee. Gleichzeitig verwies man aber auf die praktische Unmöglichkeit einer solchen Einrichtung, unter anderem eben weil eine entsprechende gesetzliche Verordnung, auf die sich die Schulverantwortlichen hätten berufen können, fehlte. Abgesehen von den bereits erwähnten sprach sich in diesem Zusammenhang eine Reihe weiterer Pfarrer für obrigkeitliche Regulative aus. Pfarrer Ammann aus Dägerlen verweist auf die Notwendigkeit „Obrigkeitl. #assistenz“ (B.b.30.) für eine Realisierung jenes Repetitionsunterrichts, und auch Pfarrer Hottinger aus Dättlikon meint, dass ohne „ausdrukliche[n] befehl von hohem orth“ kaum etwas zu bewerkstelligen sei (B.b.30.). Ähnlich lauten die Formulierungen aus den Gemeinden Ossingen und Otelfingen.
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In manchen Fällen weckte die prekäre legitimatorische Lage die Eigeninitiative des Pfarrers, wie das Beispiel von Johann Jakob Meyer88 aus Pfungen, einem Dorf der Ackerbauregion zwischen Weinland und Unterland, zeigt. Er hatte seine Stelle dort erst gerade ein Jahr zuvor angetreten, was sichtlich dazu beitrug, dass er offen über überkommene Missstände sprechen konnte. Ausschlaggebend war aber insbesondere seine ausgeprägte Tatkraft. Schaffte es Meyer zufolge der überlieferten Korrespondenz und Stillstandsprotokolle zuerst, die Gunst der Dorfbevölkerung und der örtlichen Vorgesetzten zu gewinnen, so wurde diese Energie den Pfungenern dann doch bald zu viel (vgl. Steiner 1954). Seine Eingriffe in Armenpflege, Sittenpolizei, Schulwesen – er wünschte unter anderem, dass auch die Erwachsenen zur Kinderlehre erscheinen sollten – tangierten das dörfliche Leben, insbesondere erforderten die initiierten Verbesserungen in der Landwirtschaft zusätzliche Frondienstleistungen. Das zunehmend belastete Verhältnis zu den Stillständern und Vorgesetzten angesichts des „Überfluss[es] seines Amtseifers“ (Frühjahrsbericht 1792, zit. nach Steiner 1954, S. 180) spiegelt sich in den Visitationsberichten der 80er Jahre bis zu seinem Tode. Pfarrer Meyer charakterisiert seine Gemeinde in der Enquête als äusserst arm; sämtliche Haushalte, bis auf die reichsten, seien mit Schulden überladen. Das Gebiet um Winterthur, zu dem Pfungen noch zu rechnen ist, kann auf der Grundlage der Ökonomischen Tabellen als „strukturschwaches Kornland“ bezeichnet werden, in welchem Landarmut stärker ausgeprägt war als im Unterland und im Weinland (vgl. Pfister 1992a). Um die Einkommenssituation zu verbessern, baute man Reben an, wobei die Region sich als weniger geeignet für den Weinbau zeigt als das nördlich gelegene Weinland. Die Kinder waren offenbar stark in die intensive Landwirtschaft eingebunden. Auch hielt sich in der Gemeinde eine Anzahl so genannter Dienstkinder auf, an deren Beschulung ihre Meister naturgemäss kein grosses Interesse hatten, so dass diese bisweilen mit 16 Jahren noch nicht
88 Johann Jakob Meyer (1731–1792) hielt sich nach seiner Ordination in Maastricht und Marseille auf, zurück in seiner Heimat amtete er von 1760 bis 1765 als Schlossprediger im thurgauischen Hauptwil; anschliessend war er Provisor und Prediger in Winterthur. 1770 kam er nach Pfungen. Er betätigte sich als Historiker und Chronist und legte das Fundament u. a. zur Handschriftensamlung der Stadtbibliothek Zürich, legte aber auch eine Sammlung der Akten, Urkunden, der kirchlichen Korrespondenz und Stillstandsprotokolle der Gemeinde Pfungen an (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953; Steiner 1954).
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lesen konnten (Pfungen, A.a.5.). Besonders grosse Schwierigkeiten bereiteten dem Pfarrer zwei Bewohner des abgelegenen Rumstals, zwei Hausväter „von Hartem Nacken, bey dennen güte u Ernst gleich gefährlich sind“ (A.a.4.). In diese problematische Lage versetzt, ordnete Pfarrer Meyer eine Reihe von Massnahmen in Form von Erleichterungs- und Sanktionsmittel an (A.b.7.), nämlich: – Einrichtung einer Freischule; – gegenüber Eltern in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen wird bezüglich des Schulbesuchs der Kinder Entgegenkommen gezeigt; auch die Taufpaten sollen in der Beschulungsfrage in die Pflicht genommen werden; – bei jedem Fernbleiben eines Kindes von der Schule werden die Eltern ohne Verzögerung aufgesucht; – die Eltern werden ins Pfarrhaus bestellt, um ihnen ihre Pflichten deutlich zu machen; – obrigkeitliche Unterstützung etwa in der Person des Gerichtsherrn wird hinzugezogen, wobei auch die Gemeindevorgesetzten mit eingreifen; – Entzug von Vorteilen wie Freischule, kostenlose Schulbücher durch eine Verordnung des Stillstandes als Sanktionsmassnahme; – Belohnungen für fleissige Schüler am Examen als Anreiz; – Ermunterungen und Ermahnungen an die Adresse der Eltern von der Kanzel und im persönlichen Gespräch; – Einschalten des zuständigen Kyburger Landvogtes. Laut Aussage von Meyer bewirkten die Strafmittel allerdings im Fall der beiden Rumstaler Familien nichts. Überhaupt scheinen seine Anstrengungen – die Einführung der Freischule, Vorladungen etc. – wenig Früchte gezeitigt zu haben, selbst als er ein paar Jahre später eine vom Gerichtsvogt gültig erklärte Absenzenordnung erliess. Den Protokollen ist zu entnehmen, dass der Stillstand bei seinen Schulbeschlüssen, etwa betreffend die Sommerschulzeit, in erster Linie die Interessen der Bauern zu berücksichtigen suchte (vgl. Steiner 1954). Bemerkenswert ist immerhin, dass sich die Gemeindeglieder gegenüber dem Schulunterricht nicht grundsätzlich abgeneigt zeigten; ausschlaggebend war offensichtlich der Nutzen, den sie sich davon versprachen. So wünschte der Stillstand 1771, dass fortan vermehrt Gewicht auf das Schreibenlernen gelegt werden solle. Dies goutierte der Pfarrer aber wenig, da ihm das Lesen aus religiösen Gründen wichtiger erschien (vgl. ebd.).
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Das Beispiel zeigt erneut, dass das Unterrichtsangebot vor Ort und überhaupt die Möglichkeiten, die Schulpflicht durchzusetzen, in einem nicht zu vernachlässigenden Mass von den personellen Beziehungen zwischen den lokal am Schulwesen Beteiligten abhingen, insbesondere auch von der Akzeptanz des Pfarrers, der in Gefahr stand, eine Aussenseiterrolle einzunehmen. Diese Tatsache erhielt besonderes Gewicht angesichts der hohen Autonomie, die den Zürcher Landgemeinden gegenüber der Stadt historisch zukam (vgl. Kunz 1948; Weinmann 2002) und von der Bewohnerschaft bei Gelegenheit mit einem gewissen Selbstbewusstsein markiert wurde. Die Stadt hatte ihre einzelnen Herrschaftsgebiete einst unter Respektierung der lokalen Rechte und Gebräuche erworben; insofern gab es auch kaum ein einheitliches Verwaltungssystem über die Landschaft. Allgemeingültigkeit war lediglich in kirchlichen Belangen und den entsprechenden Verordnungen (Kirchen-, Sittenmandaten) gegeben. Mit der Zeit hatte so jede Gemeinde ein spezifisches Verhältnis zur Regierung entwickelt, indem sie erfolgreich Sonderrechte beantragte oder alte Rechte und Pflichten in Vergessenheit geraten liess. Es war für die Oberbehörden, etwa in Bereichen der damaligen Agrarreform wie der propagierten Allmendteilung, äusserst beschwerlich und aufwändig, in die Kompetenzen der Gemeindeverwaltung einzugreifen. Dass die Landbevölkerung ziemlich eigenständig und gemäss den eigenen Bedürfnissen bezüglich der Frage entschied, wie lange die Kinder die Schule zu besuchen hatten, muss schliesslich auch vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass die Eltern und Gemeinden immerhin zu 85 % selber für die Finanzierung aufkamen (vgl. Kap. 4.1.1). Pfarrer Meyer nahm für seine Zwecke die Unterstützung der Gemeindevorgesetzten sowie des zuständigen Gerichtsherrn aus Winterthur in Anspruch. Erschwerend wirkten sich dabei die zunehmenden Konflikte mit dem Gerichtsuntervogt Heinrich Steiner senior aus (vgl. Steiner 1954); dieser war zuvor selber Schulmeister in Pfungen gewesen und hatte dieses Amt samt Entlöhnung inzwischen seinem Sohn verliehen. Wie die der Enquête beigelegten Briefkopien zeigen, erging am 7. Februar 1771 auf Bitte des Pfarrers hin vom Gerichtsherrn in Winterthur ein Befehl zum Schulbesuch an die Gemeinde. Zudem erliess Pfarrer Meyer im Dezember 1770 im Beisein des Schulmeisters und dessen Vaters in der Funktion des Gerichtsuntervogts eine Nachtschulordnung, die Ablauf und Inhalte sowie die Höhe der Geldstrafen bei Absenzen bestimmte. Ein Hauptzweck dieser Nachtschule bestand offenbar darin, das Lesen zu unterhalten bzw. zu erlernen. Letzteres betraf wohl insbesondere jene auswärtigen Jugendlichen, die in Pfungen bei einem Meister in Dienst standen und bisher kaum die Schule
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besucht hatten. Dem Pfarrer hatte die Anzahl eingeschriebener Nachtschüler, die lediglich mit einem Kreuz auf der Präsenzliste zu unterzeichnen verstanden, gezeigt, dass es um die Alphabetisierung in Pfungen tatsächlich schlecht stand. Den Eifer für die Sache der Schule beweist im Übrigen die ausführliche Schülertabelle, die Meyer ebenfalls beigelegt hat. Darin sind Name, Alter, familiäre Herkunft, Taufe, Absenzen (Anzahl, angegebene Gründe), Charaktereigenschaften sowie Stand im Lernen und absolvierte Schulbücher jedes Schulkindes angegeben; weiter findet man die individuell ausgeteilten Schulbücher und andere Belohnungen sorgfältig notiert. Die Tabelle gibt auch exakt Rechenschaft über die Schulbesuche durch Pfarrer und Vorgesetzte sowie allfällige Absenzen des Schulmeisters. Das in Eigenregie erstellte Dokument steht für den in der Enquête mehrfach spontan zum Ausdruck gebrachten Wunsch unter den Pfarrern, die Schulen einer verbindlichen Ordnung zu unterstellen und den Schulbesuch über normative Schriftstücke pflichtig zu machen. Die Bedeutung, die lokaler Initiative für die Schulreform der 70er Jahre zukam, lässt sich beispielsweise anhand der Repetierschule aufweisen, einer Innovation aus dem Wetzikoner Kapitel, die mit der neuen Schulordnung von 1778 offiziell eingeführt wurde, oder anhand der im Kyburger Kapitel entstandenen ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ (vgl. Kap. 5.2), die 1771 gedruckt wurde und innerhalb kurzer Zeit auch ausserhalb des Kapitels Verwendung fand. Bis 1778 die neue Schul- und Lehrordnung erschien, konnte die ‚Anleitung‘ die Funktion einer solchen über weite Strecken übernehmen.
4.3 Exkurs: Die Schule im dörflichen Umfeld – Strukturen, Beziehungen, Praxen Sollen die Zielsetzungen und Umsetzungen der Zürcher Landschulreform vor dem Hintergrund realisierbarer Möglichkeiten beurteilt werden, gilt es, das Ausmass der Schwierigkeiten in den Blick zu nehmen, mit denen der Pfarrer vor Ort konfrontiert war, wollte er eine neue, strengere Schulordnung einführen. Die vorhandenen Möglichkeiten und Hindernisse sind eng verflochten mit den allgemeinen politischen und rechtlichen Verhältnissen und Verwaltungsstrukturen im Zürcher Stadtstaat des Ancien Régime und sollen im Folgenden etwas genauer betrachtet werden. Einen Ausgangspunkt bilden dabei die Antworten auf die Enquête selber, in denen verschiedene Problemaspekte anklingen; daneben werden weitere Quellen
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und Literatur einbezogen, die relevante Problemzusammenhänge aufzeigen. Grundsätzlich waren in Bezug auf die Institution Landschulwesen die Zuständigkeiten klar geregelt, es stand unter der Obhut des Examinatorenkollegiums und lokal in erster Linie unter der Aufsicht der Pfarrer und Dekane. Eine sekundäre Rolle kam den weltlichen Verwaltungspersonen, vor allem den Land- und Obervögten zu, die aber wenig präsent waren. Im Bereich der Schule lagen, ähnlich wie im Armenwesen, Finanzierung, Aufsicht und Verwaltung fast vollkommen in der Hand der Kirchen- und in zweiter Linie der Dorfgemeinden. Investitionen in Schule hingen also von der Bedeutung ab, die man ihr lokal, das heisst innerhalb des kommunalen Wertehorizonts, beimass. Bis zu den politischen Umwälzungen am Ende des Jahrhunderts bewahrten sich die Zürcher Landgemeinden selbst im Gefüge des städtischen Obrigkeitsstaates „einen hohen Autonomiestatus und damit eine lebendige gemeindlich-genossenschaftliche Freiheitstradition“ (Weinmann 2002, S. 46).89 Zudem war das obrigkeitliche Verwaltungssystem selbst nur schwach ausgebildet; die Möglichkeiten, in einem gewissen Sinn wohl auch der Wille zur Einflussnahme und Einmischung von Seiten des städtischen Regiments auf Politik und lokale Selbstverwaltung der Gemeinden und damit auch die Reichweite obrigkeitlicher ‚Sozialdisziplinierung‘ waren relativ gering. Die Examinatoren als oberste Aufsichtsbehörde traten in Sachen Landschulwesen insbesondere dann in Aktion, wenn es um die Wahl eines neuen Schulmeisters ging. Anwärter, meistens drei Bewerber, die von der Gemeinde, das heisst dem Stillstand, den Vorgesetzten oder direkt von den Bürgern, gewählt wurden und ein Zeugnis des Pfarrers vorweisen mussten, hatten sich der Prüfung durch die Examinatoren zu unterziehen, die dann den Geeignetsten ernannten. Der Examinatorenkonvent war zudem die oberste Anrufungsinstanz, wenn es zu Konflikten, sei es zwischen Pfarrer und Schulmeister, Pfarrer und Vorgesetzten oder Schulmeister und Eltern, kam. Gugerli (1988) beschreibt in seiner Studie zur Pfarrersfamilie auf der Zürcher Landschaft die Position des Landpfarrers im ausgehenden Ancien Ré89 Zur Bedeutung der kommunalen Gemeinschaftsethik vgl. Gasser (1947), wenngleich seine These im Kontext der geistigen Landesverteidigung entstanden ist; zum ‚Kommunalismus‘ vgl. Blickle (1986, 2000); zur machtpolitischen Schwäche des paternalistischen Regiments und der Bedeutung der Gemeindefreiheit vgl. Suter (2004, 2006); zur ‚alten‘ und ‚neuen‘ Gemeindefreiheit als Wurzeln der schweizerischen direkten Demokratie vgl. Roca (2006).
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gime als geprägt durch eine „extreme Distanz zur Dorfbevölkerung“ einerseits und durch ein hohes Konfliktpotential in der Beziehung zu den Dorfhonoratioren aufgrund sich kreuzender Machtansprüche andererseits. Diese Distanz ergab sich bereits durch Bildung und Herkunft des Pfarrers, galt es aber unbedingt zu überwinden, wenn er in seiner Gemeinde erzieherisch wirksam werden wollte. Diskussionen, wie sie in jener Zeit vor allem in der Zürcher Asketischen Gesellschaft rund um das Thema der Stellung des Pfarrers in der Gemeinde und dessen Wirkungsmöglichkeiten geführt wurden, bestätigen die Sensitivität und Störungsanfälligkeit der Beziehungsverhältnisse, in denen der Pfarrer in der Dorfgemeinde stand (vgl. Kap. 8.2). Tendenzen der Ausdehnung der volkserzieherischen Interessensphäre auf profane Bereiche mochten von den Gemeindegliedern oftmals als zusätzliche Einmischung in Angelegenheiten, die den Pfarrer vormals kaum etwas angingen, empfunden worden sein. Formal hatte der Landpfarrer eine bedeutende Position inne. Als Vorsteher der Kirchgemeinde, die gewöhnlich mehrere Dorfgemeinden umschloss, war er Präsident des Stillstandes und Vorsteher des Schul-, Kranken- und Armenwesens. In der Wahrnehmung seiner seelsorgerischen Hirtenfunktion und als Aufseher über die Kirchen- und Sittenzucht hatte er unter Umständen intimen Einblick in das Privatleben der Gemeindeglieder, war in Kenntnis von allfälligen Konflikten und Streitigkeiten und fungierte in gewissen Fällen als Schlichter. Zuwendungen aus dem Kirchengut an Arme, aber auch die Überweisung bedürftiger Haushalte an das staatliche Almosenamt hingen vom Gutachten des Pfarrers ab. Da die Armenunterstützung von der Zugehörigkeit zur Kirchgemeinde abhing, hatte diese ein Mitspracherecht bei der Aufnahme neuer Bürger und konnte Einzugsgeld verlangen. In Gebieten mit besonders starker Zuwanderung wie dem Zürcher Oberland im 18. Jahrhundert entwickelte sich der Stillstand zu einer eigentlichen Einwohnerkontrolle, da der Zuzug von Hintersassen und Heimatlosen das Kirchengut belastete (vgl. Kunz 1948). Konkurrenz um Macht und Prestige konnte nicht nur das Verhältnis des Pfarrers zur Dorfobrigkeit stören, sondern prägte zuweilen auch die Beziehung zwischen ihm als geistlichem Landschaftsverwalter und den weltlichen Beamten in der Person des Landvogts oder des Amtmanns. In der folgenden Darstellung des dörflichen strukturellen und pesonellen Kontextes von Schule soll zweierlei aufgezeigt werden: die Vielfalt an Relationen mit den ihnen je inhärenten Konfliktpotentialen, von denen das Funktionieren der Schule abhing, sowie die Existenz typischer Interessenkonstellationen, Problemmuster und Antagonismen. Die erste Tatsache be-
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ruht auf der Feststellung, dass der Stellenwert und damit oftmals die Qualität der Schule in der Gemeinde von einer Vielzahl lokaler Variablen abhing, etwa dem persönlichen Engagement eines Pfarrers für Schule und Unterricht, von den Fähigkeiten und dem Status des Schulmeisters, vom Verhältnis beider zueinander und zu den Gemeindevorgesetzten und Stillständern. Pfarrer Meyer aus Pfungen bringt diese Problematik auf den Punkt, indem er anlässlich der Enquête meinte: „Vielleicht liegt es am meisten daran: In was für einer achtung die #Gemeind gegen den Pfr: u der Pfr gegen die Gemeind stehet; u: ebenso in absicht des SchulMeisters wie auch der vorgesetzten: u wie Pfr SchulMeister u. vorgesetzte einanderen die Hände bieten, die schulordnung vest zu halten: dass alle das Gesätz im Hertzen ehren u Lieben“ (A.b.7.). Wichtig waren natürlich auch die finanzielle Situation einer Gemeinde und die Prioritäten, die die Bürger und besonders die Dorfobrigkeit hinsichtlich des Finanzhaushaltes setzten. Zum Tragen kamen dabei unter Umständen weitere strukturelle Merkmale betreffend Demographie und soziale Stratifikation einer Gemeinde.
4.3.1 Klagen Die Antworten der Pfarrer auf die Enquête-Fragen zum Schulmeister waren von unterschiedlichsten Wertungen begleitet (vgl. Kap. 4.1). Den Äusserungen zu Fähigkeiten und Charakter des Schulmeisters waren sowohl Lob wie Tadel, auch Mitleid zu entnehmen. Die Beziehung gestaltete sich in gewissen Fällen konfliktgeladen, in anderen distanziert oder gleichgültig, doch sind ebenso viele Stimmen vorhanden, die Zufriedenheit aussprechen, vereinzelt klingt sogar ein freundschaftliches Verhältnis an. Als problematisch erwies sich zuweilen, wenn der Schulmeister von Amtes wegen Einsitz im Stillstand hatte, demselben Gremium aber zugleich die Schulaufsicht zukam. Deshalb sah der Pfarrer von Kloten speziell darauf, dass die Schulmeister nicht Stillständer werden, „weil es immer besser ist, dass die Schulmeister von dem Stillstand #dependieren und sich von demselben befehlen lassen müssen, als dass sie selbst glider und #pares seyen“ (B.a.5.). Doch auch andere Varianten der Ämterkumulation waren möglich (vgl. Kap. 4.1.2), was durchaus dazu führen konnte, dass der Schulmeister sozial stärker in der Gemeinde verankert war und im Konfliktfall stärkeren Rückhalt besass als der vorgesetzte Pfarrer. Die Herrschaftsverhältnisse und die soziale Distanz brachten es mit sich, dass es für einen Schulmeister schwieriger war, sich bei den übergeord-
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neten Instanzen über den Pfarrer zu beklagen als umgekehrt; dies, ohne dass die mit den Akten überlieferten Streit- und Klagepraxen den Schluss nahe legen würden, dass die Untertanen gegenüber der obrigkeitlichen Aufsicht rechtlos waren oder sich als ohnmächtig ausgeliefert wahrgenommen hätten. Es gab denn auch durchaus Fälle, in denen der Schulmeister vorstellig wurde, weil der Pfarrer und/oder die Vorgesetzten ihre Pflichten versäumten. Ein Beispiel für ein solches Vorgehen und das darauf folgende Schlichtungsverfahren liefert der Fall von Schulmeister Syz aus Knonau. Dieser Caspar Syz wandte sich im November 1761 selbstbewusst mit einem Schreiben an den Dekan des Freiämter Kapitels und beschwerte sich über die der Schule vorstehenden Ehegaumer; offenbar hatte der Schulmeister besonders in der Sonntagsschule mit Disziplinproblemen zu kämpfen, die Vorgesetzten verweigerten ihm jedoch ihre Unterstützung (StAZH: E IV, Freiamt, Mp. 30). Dem Schreiben ist zu entnehmen, dass er in der Angelegenheit vorangehend mehrmals Pfarrer Ziegler90 um Unterstützung gebeten hatte; dessen Ermahnungen halfen allerdings kaum, und offenbar erlahmte seine ohnehin zögerliche Tatkraft bald. Selbst die Intervention des Landvogts auf die Klagen des Schulmeisters hin brachte längerfristig keine Besserung, und die Vorgesetzten vernachlässigten weiterhin den Schulbesuch. Syz wandte sich daraufhin an den Landschreiber, der ihn schliesslich an den Untervogt und damit zurück an einen Dorfvorgesetzten verwies. Der Untervogt wiederum liess ihn wissen, dass er mit seinen Klagen die Vorgesetzten gegen ihn aufgebracht habe. Prompt zeigte sich deren Unzufriedenheit mit dem aufmüpfigen Schulmeister im Vorhaben, dessen Gehalt für die Sommerschule zu kürzen. 1776 wurde dem alten Schulmeister Syz von den Examinatoren zugebilligt, seinen Sohn als Hilfskraft im Unterrichten beizuziehen (StAZH: E II 47). Zwischen diesem und Pfarrer Ludwig Holzhalb (1731–1811), dem Nachfolger Pfarrer Zieglers, entbrannte um 1780 ein Streit, bei dem neben Dekan Hans Jakob Meyer nun auch die Examinatoren einbezogen wurden. Auslöser war gemäss Pfarrer Holzhalb die Weigerung des Sohns, die von ihm persönlich angefertigten Schulrodel zu benützen. Auf der anderen Seite nahm sich der Pfarrer offenbar heraus, den alten Schulmeister eigenmächtig vom Schuldienst zu entfernen. Die darauf folgende Direktive des Examinatorenkollegiums an den Dekan weist dann vor allem den Pfarrer in seine Schranken, wenn sie jenem aufträgt, „zwischen beyden Friden und 90 Christoph Ziegler (1690–1769), seit 1743 Pfarrer in Knonau (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953).
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Eintracht wieder herzustellen zu trachten; den Adjunct [Syz jun.] dahin zu bringen, dass er Herrn Pfarrer die gehörige Ehrerbietung erzeige und ohne seine Erlaubnis sich nicht von der Schule entferne; den Herrn Pfarrer, dass er dem Schuladjunct Liebe und Freündlichkeit erzeige und ohne Noth die Foderungen nicht zu hoch spanne: ihm auch vorzustellen, dass er zu weit gegangen, dass er den alten Vater von der Canzel des Schuldiensts entlassen; da MHHerren es gut befunden, dass beyde noch die Schule besorgen, und der Vater ohne Vorwissen MHHerren nicht kann entlassen werden“ (StAZH: E IV, Freiamt, Mp. 30, Brief Aktuar Nüscheler an Dekan Meyer vom 19.1.1780). Verschiedentlich in brieflichem Kontakt mit dem Dekan des FreiämterKapitels, diesmal mit Johann Jakob Ulrich, dem Vorgänger des erwähnten Dekan Meyers, stand auch Schulmeister Conrad Locher aus Dietikon. Auslöser war hier der Vorwurf, Locher habe im Anschluss an das Schulexamen im Jahr 1772 gegenüber Dritten ungehörige Reden über seine Vorgesetzten geführt und behauptet, der Pfarrer, Johann Kaspar Weber (1733–1787), stecke mit den Stillständern unter einer Decke, um ihn gemeinsam zu schikanieren. Ausserdem hätte Locher im vergangenen Schuljahr zweimal die Sonntagskatechisation ausfallen lassen und würde sich weigern, die Nachtschule abzuhalten (ebd., Schreiben von Dekan Ulrich an Antistes Ulrich vom 9.4.1772). Die überlieferten Briefe Lochers an den Dekan zum Zweck seiner Rechtfertigung und Entschuldigung sind sehr respektvoll und höflich gehalten, vor allem zeugen diese wie die Korrespondenz der beiden Syz von guten Sprach- und besonders Schrift- und Textkompetenzen. Er hatte sein Amt gerade erst angetreten und damit auch den Richter und bisherigen Küster Hans Heinrich Wiederkehr gegen sich aufgebracht. Dieser sollte nämlich nun sein Sigristenamt an Locher abtreten. Wiederkehr sah sich deshalb veranlasst, den Dekan um Erlaubnis zu bitten, weiterhin die Singschule abhalten und den Vorsingerdienst in der Kirche versehen zu dürfen; offenbar unterrichtete er daneben aber auch privat Kinder in seinem Haus. Er schreibt, Locher verstehe die Singkunst selber nicht, und überhaupt hätte es der Stillstand lieber gesehen, wenn er, Wiederkehr, in das Schulmeisteramt gewählt worden wäre; schliesslich hätte Locher ihn an der Prüfung vor den Examinatoren lediglich den „Verstand“ betreffend um ein weniges übertroffen (ebd., Briefe Wiederkehr an Dekan Ulrich vom 15.2. und 8.10.1772). Locher wurde daraufhin von den Examinatoren vorgeladen. Das Ergebnis des Verhörs beschränkte sich allerdings auf die Feststellung, es hätte wohl auf beiden Seiten, beim Schulmeister sowie dem Still-
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stand, „Animositäten“ gegeben (ebd., Brief Aktuar Hess an Dekan Ulrich vom 15.5.1772). Schulmeister Locher hatte offenbar einen schwierigen Stand in seiner Gemeinde, wie zwei Konflikte aus dem Jahr 1780 zeigen. Einmal musste sich der Kirchenrat damals einschalten, als es um die Frage der Besoldung Lochers ging (StAZH: E II 47, Berichte von Pfarrer Weber und Dekan Meyer an die Examinatoren vom 4.3., 6.4., 7.11., 3.12.1780): Obwohl Locher sehr wenig verdiente, weigerten sich die Hausväter von Dietikon standhaft, ihm den Lohn von 16 ss pro Kind und Winter zu garantieren. Unterstützt wurde die Lohnforderung vom Pfarrer, dem Dekan und dem Landvogt in Baden91. Die Examinatoren ordneten zuletzt, ebenfalls gegen den Widerstand der Gemeindebürger, an, der Schulmeister solle zur Aufbesserung seines Lohns zusätzlich das Amt eines Zudieners und Vorlesers in der Kirche erhalten. Der andere Vorfall lässt darauf schliessen, dass unter Umständen auch Eltern nicht davor zurückscheuten, sich in Schulangelegenheiten an die oberste Kirchenbehörde bzw. den Antistes, der diese präsidierte, zu wenden. Die Ereignisse lassen sich aus verschiedenen Schreiben rekonstruieren, die zwischen dem bereits erwähnten Pfarrer von Urdorf-Dietikon, Johann Kaspar Weber, Antistes Ulrich, dem Aktuar des Examinatorenkonvents namens Nüscheler und Dekan Meyer hin- und hergingen (StAZH: E IV, Freiamt, Mp. 30), sowie anhand der Einträge in den Kirchenakten (StAZH: E II 47). Den Ausgangspunkt des Geschehens bildete demnach das Vorhaben des Heinrich Peyer aus Kindhausen (Urdorf-Dietikon), beim Antistes gegen Schulmeister Locher Klage einzureichen, und zwar weil dieser in der Schule sein Kind beschimpft habe. Tatsächlich machte sich Peyer am folgenden Tag – soviel erfuhr Pfarrer Weber im Januar 1780 – auf in die Stadt, wo er die Angelegenheit aber zuerst noch mit einem „Gevatter“ bereden wollte. Dieser riet ihm von seinem Vorhaben ab, empfahl ihm, nach Hause zurückzukehren und stattdessen bei einem Stillständer vorzusprechen. Auf dem Nachhauseweg kam Peyer auf den Gedanken, es wäre wohl wirkungsvoller zu erzählen, er sei tatsächlich beim Antistes gewesen, und dieser hätte selber ein Verhör des Schulmeisters angeordnet. Der Stillständer schlug ihm dieses jedoch ab, so dass sich Peyer am nächsten Tag mit demselben Anliegen beim Untervogt meldete. Dieser Schritt hatte in erster Linie zur Folge, dass die erfundene
91 Dietikon gehörte damals als Gemeindebann zur Grafschaft Baden.
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Geschichte aufflog. Locher seinerseits bestellte nämlich den Untervogt in die Schule und liess ihn die Schulkinder zu den Beschuldigungen befragen; von denen wusste dann aber keines etwas von einem (verbalen) Vergehen des Schulmeisters an Peyers Kind. Am 1. Februar kam es unter Beisein des Untervogts und des Schulmeisters zu einem Verhör Peyers vor den Examinatoren. Peyer wurde für schuldig befunden und musste vor der hohen Behörde Abbitte leisten. Die Strafe verlangte dasselbe Prozedere vor versammeltem Stillstand, dem Pfarrer, Dekan, Schulmeister Locher und dessen Frau. Das Urteil der Examinatoren hätte eigentlich die leibliche Züchtigung Peyers vor dem Landvogt in Baden verlangt, die Fürsprache des Dekans liess dann aber davon absehen. Dazu, was der Schulmeister zum Kind von Heinrich Peyer hätte gesagt haben sollen, gibt es wörtlich zwei Varianten: So ist in einem Brief Pfarrer Webers an den Antistes die Rede davon, Locher hätte es als „bösen Geist“ beschimpft (StAZH: E IV, Freiamt, Mp. 30, 23.1.1780); gemäss der Aussage der Schulmeistersgattin vor den Examinatoren wurde behauptet, er habe es einen „schwarzen Engel“ genannt. Die Beziehung des Schulmeisters zum Pfarrer und den Vorgesetzten hing, wie festgestellt werden konnte, von dessen Position innerhalb der sozialen Ordnung der Gemeinde ab. Diese war in erster Linie wirtschaftlich bestimmt, womit wiederum der politische Status weitgehend korrelierte. Es spielte also etwa eine Rolle, wie stark die Gemeinde in eine wirtschaftlich schwache und von der Dorfpolitik ganz oder teilweise ausgeschlossene Gruppierung einerseits und die ‚Kaste‘ der politisch mächtigen ‚Dorfaristokratie‘ anderseits geschichtet war. Im Zuge der gerade zur Zeit der Versorgungs- und Wirtschaftskrise von 1770/1771 forcierten obrigkeitlichen Bemühungen um eine Agrarreform kristallisierten sich Konfliktkonturen zwischen Pfarrer und verschiedenen Interessengruppen innerhalb der Dorfbevölkerung besonders deutlich heraus.
4.3.2 Konfliktkonturen Eine Intensivierung der Landwirtschaft mittels Auflösung der Dreizelgenwirtschaft, Bepflanzung der Brache mit Klee und Esparsette, Sommerstallfütterung, besserer Düngung und Auflösung der Allmenden wurde in Zürich seit den 1760er Jahren ausgehend von der Ökonomischen Kommission der Naturforschenden Gesellschaft nach Kräften versucht; auch wurden anlässlich der Agrarkrise von 1770/1771 die Gemeinden direkt von der Obrig-
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keit angewiesen, Allmendland an die Armen zu vergeben (vgl. Pfister 1992a). Mehrere Pfarrer und verschiedentlich auch Schulmeister stellten sich als korrespondierende Mitglieder oder als Teilnehmer an Preisausschreiben in den Dienst der Anliegen der Ökonomischen Patrioten. Die Interessen der Pfarrer bewegten sich dabei zwischen aufklärerischem Engagement und Pfründenmanagement; das heisst, für einen Landpfarrer konnte sich der Kontakt zur in der Ökonomischen Kommission vertretenen Elite bei seinen Bestrebungen, auf eine besser alimentierte Pfründe zu wechseln, bezahlt machen (vgl. Gugerli 1988; Ettinger 1995). Insofern die von der Ökonomischen Kommission propagierten Innovationen im Zeichen der Auflösung überbrachter Rechte standen, von denen die bäuerliche Oberschicht bisher profitiert hatte, taten sich Interessengegensätze zwischen dieser und dem Pfarrer als Vertreter jener Reformanliegen auf. Die landwirtschaftlichen Modernisierungsmassnahmen kamen grundsätzlich den Taunern92 zugute (vgl. Pfister 1992a; Rásonyi 2000), gleichzeitig standen diese jedoch oftmals in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Grossbauern, in Ackerbaugemeinden vor allem wegen des Pflugdienstes. Um ihre Interessen trotz zahlenmässiger Unterlegenheit durchsetzen zu können, nutzte die
92 Historiographisch unterscheidet man bezüglich der bäuerlichen Bevölkerung gewöhnlich zwei oder drei soziale Gruppen: Bauern/Tauner oder Vollbauern/Halbbauern/Tauner. Als wichtigstes Unterscheidungskriterium gilt dabei der Umfang des Landbesitzes. Bauern bzw. Voll- und Halbbauern verfügten über einen ausreichenden Landbesitz, um durch die bäuerliche Tätigkeit die Existenz ihres Haushaltes zu sichern. Die Vermögendsten unter ihnen bildeten gewöhnlich die dörfliche Oberschicht, die die politischen Ämter besetzte. Im Gegensatz dazu besassen Tauner kein oder nur wenig Land, so dass sie auf eine zusätzliche Verdienstquelle angewiesen waren. Mit dem Bevölkerungswachstum nahm der Anteil der Tauner stetig zu und erreichte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in den meisten Dörfern eine Mehrheit von 50 % bis 90 %. Ein zweites Unterscheidungskriterium bildet das Bürgerrecht. Die Gemeindebürger oder ‚Gemeindegenossen‘ besassen das volle Bürgerrecht, entweder durch Geburt oder Einkauf, und waren im Besitz eines Wohnhauses und von Gerechtigkeiten oder Teilgerechtigkeiten. Sie verfügten über das volle Mitspracherecht in der Gemeindeversammlung, konnten in Ämter gewählt werden und hatten im Umfang ihrer Gerechtigkeit Anrecht auf die Allmendnutzung in Wald und Weide. Zu dieser Gruppe gehörten in erster Linie die Voll- und Halbbauern, Tauner insofern sie neben dem Heimatrecht eine Teilgerechtigkeit und damit ein Nutzungsrecht an der Allmend hatten (vgl. Rásonyi 2000). Die so genannten Hintersassen besassen zwar ein Heimatrecht, jedoch keine Teilgerechtigkeit; Beisassen waren im Besitz weder des einen noch des anderen.
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‚Dorfaristokratie‘ ihre klientelischen93 Machtbeziehungen (vgl. Rásonyi 2000). Die Klage über solche Praktiken spricht deutlich aus einem Brief vom 3.9.1770, den ein Korrespondent namens L. Mejer aus Weiningen der Ökonomischen Kommission im Zusammenhang mit Schwierigkeiten bei der Allemendauflösung zukommen liess: Er schreibt, es sei zu bedauern, „dass unsre Landleuthe 1000 & 100 Einwürfe gegen die allernützlichste Project zu machen im Stand sind & für wolgesinte ists verdriesslich, dass sie ungeachtet aller Müh & Sorge so man für sie hat, solten empor kommen mögen. Eigennutz, *, Neid & Hass je einer gegen den andern verderben den allgemeinen Wolstand & oft leidet einer, aus Missgunst gegen andre, lieber Schaden an sich selbst, nur damit der andre keinen grössern Vortheil bekomme. ein Bauer allein drückt oft siben ander Handwerker, Mitelmässige oder Tauner sind und so ein solcher ein Vorgesezter ist, wie gewohnlich, so wird er einer ganzen Gemeind zur Pestilenz & da hat meistens der ober keitliche Gewalt keinen Einfluss mehr, weil man ihnen als Beeydigten allen Glauben zustellen muss, da sie doch meistens nur für ihren eignen Nuzen reden. Das Theilen der Allmenden ist freilich das allernuzlichste. […] es ist unbegriffenlich, dass da der Eigennuz die heütige Welt beherscht, dennoch der intressierte Müller & Wirth, der einte die Kunden durch Betrug & der andre die Gäste durch Diebstal, der dem Strassenraub ähnlich ist abtreibt, da doch beyder Absicht auf den Eigennuz loos geht […]“ (StAZH: B IX 27, Nr. 63). Nicht selten trifft man in dieser Situation auf eine Parteinahme des Pfarrers zugunsten der landlosen Tauner und landarmen Kleinbauern und gegen die im Dorf regierende grossbäuerliche Aristokratie, wobei der Schul93 Zum Begriff und Phänomen des Klientelismus vgl. Pfister (1992b): „Mit dem Begriff des Klientelismus wird gemeinhin eine dyadische Beziehung bezeichnet, die eine instrumentelle Freundschaft zwischen einer Person mit höherem sozioökonomischen Status, dem Patron, und einer solchen mit niedrigerem Status, dem Klienten beinhaltet. Der Patron benützt seine Ressourcen und seinen Einfluss dazu, dem Klienten Schutz (vor Gericht beispielsweise), Zugang zu bestimmten staatlichen Ressourcen (Ämtern, Stipendien, etc.), günstige Pachtbedingungen oder Kredite zu gewähren. Er lässt ihn auch bis zu einem gewissen Grad an seinem sozialen Prestige Anteil haben. Schliesslich dient der Patron aufgrund seiner überlegenen sozialen Kompetenz häufig als Ratgeber. Der Klient vergilt diese Leistungen mit seiner Arbeitsverpflichtung, mit politischer und allenfalls gar militärischen Unterstützung; auch die Lieferung relevanter Informationen und die Verbreitung des Ruhms des Patrons können schon relevante Gegenleistungen darstellen“ (S. 143 f.).
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meister je nach Status und Eigeninteressen ein wichtiger Verbündeter sein konnte. Die Ökonomische Kommission und hinter ihr die Obrigkeit – unter anderem gehörte Bürgermeister Heidegger zu ihren Mitgliedern – war hinwieder für die Realisierung landwirtschaftlicher Reformen auf den Konsens der Gemeindebürger angewiesen, und dabei war es häufig der Pfarrer, der nun als ‚Agent‘ fungierte. Mit Bezug auf die Kontaktsuche der Ökonomischen Patrioten zu den agrarerzieherisch anvisierten Bauern kann vom Landpfarrer auch als von einem ‚Broker‘ gesprochen werden. Für einen ‚Patron‘ – hier also die Aktivisten der Ökonomischen Kommission – war es mitunter nicht einfach, direkte Beziehungen zu zahlreichen Klienten – den Bauern – zu unterhalten. Eine vertikale Ausdehnung klientelischer Beziehungen konnte durch die Zwischenschaltung solcher Vermittlerpersonen erleichtert werden. Deren Position ergab sich daraus, dass sie einerseits für Patrons den Zugang zu potentiellen Klienten ebnen und ihre Unterstützung mobilisieren, anderseits gegenüber Klienten den Zugang zu Patrons kontrollieren konnten (vgl. Pfister 1992b). Die Spaltung zwischen Grossbauern und dörflichen Amtsträgern einerseits und Pfarrer, Kleinbauern und Landlosen anderseits lässt sich durchaus im Sinne eines latenten Interessenkonflikts zwischen (schwacher) städtischer Herrschaft und Bestrebungen, die lokale Selbstverwaltung zu sichern, verallgemeinern (vgl. Ettinger 1995). Zugleich waren es aber etwa in der Frage der Abschaffung des gemeinen Weidgangs am ehesten die Grossbauern, die sich die Investitionen für die von den Ökonomen propagierte Umstellung auf Sommerstallfütterung grundsätzlich leisten und so überhaupt in eine nachhaltige Ertragssteigerung investieren konnten (vgl. Rásonyi 2000). Hinweise in diese Richtung gibt die Mitgliederstruktur der auf Anregung von Pfarrer David Trachsler (1723–1782) in Trüllikon, unterstützt von der Ökonomischen Kommission, ins Leben gerufenen Freiwilligen ökonomischen Gesellschaft des Äussern Amts94. Hier war es offenbar vor allem die Dorfelite, die für agrarreformerische Unternehmungen gewonnen werden konnten (vgl. Ettinger 1995). Auch zwei Schulmeister, die als Wagner bzw. Küfer dem Handwerkerstand angehörten, zählten zu den Mitgliedern. Die Aufstellung Ettingers zu den Landleuten, die in intensiverem Kontakt zur Naturforschenden Gesellschaft standen, zeigt überhaupt, dass die Grup-
94 Das Äussere Amt bezeichnet die Gegend am Rhein, die die Herrschaften Andelfingen und Eglisau umfasste.
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pe der Schulmeister gut vertreten war.95 Deutlich wird auch, dass die Konstituierung der Gesellschaft nur möglich war durch die Initiative engagierter Landgeistlicher. Diese traten bereits bei der Vermittlung des vorangehenden ‚Bauerngesprächs‘ 96 und der zu diesem Zweck erfolgten Sammlung von Informationen für die Erstellung ökonomischer Tabellen in Aktion. Die Erhebung der Daten stiess bei der Mehrheit der Landleute noch auf Ablehnung und passiven Widerstand, da sie mit einem Versuch staatlicher Herrschaftsintensivierung in Verbindung gebracht wurde. Teilnehmer für das ‚Bauerngespräch‘ konnten dann offenbar relativ problemlos aus der dörflichen Oberschicht rekrutiert werden. Während die unteren bäuerlichen Schichten kaum über die Ressourcen verfügten, um ein Experiment wie die Aufhebung der Allmenden wagen zu können, dürften bei den Mitgliedern der Gesellschaft diese Voraussetzungen gegeben gewesen sein, damit auch die Möglichkeit, sich offen gegenüber Modernisierungsprojekten zu zeigen. Verhielt sich die ländliche Unterschicht also gegenüber solchen Innovationen öfters abwehrend oder gleichgültig, dann sollte dies nicht vorschnell im Sinne einer irrationalen Haltung gedeutet werden, sondern allenfalls als Nutzen-Risiko-Optimierung (vgl. Ineichen 1996). Die Mitglieder der Gesellschaft führten überdies selber landwirtschaftliche Versuche auf ihren Böden durch, was eigenes Kapital und Grundbesitz voraussetzte. Neben der Auflösung der Allmenden bedeuteten die Bestrebungen der Ökonomen zur Aufhebung des allgemeinen Weidgangs den zweiten grossen Eingriff in die traditionelle Dreizelgenwirtschaft: Mit der Aufhebung der Viehweide sollte das Vieh im Sommer im Stall gehalten und gefüttert werden, wozu die Weiden in ertragreiche Kunstwiesen zu verwandeln waren. Gewöhnlich waren es auch hier, ähnlich wie bezüglich der Allmendauflösung, die Kleinbauern, insbesondere wenn sie zwar Nutzungsrechte, aber kein Vieh besassen, die die Aufteilung befürworteten. Bei den Grossbauern hing die Haltung davon ab, ob sie den Übergang zur Sommerstallfütterung als überlegene Agrartechnik wahrnahmen, also abgesehen vom Investitionskapital in erster Linie von der Risikobereitschaft und dem Innovationswillen. Als Beispiel hierzu sei der Fall vom an Winterthur angrenzenden Veltheim angeführt (vgl. für das Folgende Ettinger 1995). Veltheim liegt in mit95 Ettinger (1995) konnte 40 Landleute eruieren, die mehrfach mit der Naturforschenden Gesellschaft Kontakt hatten. In zehn Fällen handelte es sich um Personen, die das Schulmeisteramt inne hatten; hier fungierte meist der Pfarrer als Vermittler. 96 Vgl. Fussnote 72.
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telbarer Nachbarschaft zu Brütten; beide Pfarrer, Johann Konrad Füssli97 in Veltheim und David Kitt98 in Brütten, unterhielten Beziehungen zur Ökonomischen Kommission und versuchten in ihren Gemeinden, den landwirtschaftlichen Unterricht für Bauernsöhne zu institutionalisieren. Füssli nutzte verschiedene Gelegenheiten dazu, die Gemeindebewohner von den Bestrebungen der Naturforschenden Gesellschaft zu überzeugen. Bei diesen Anlässen diskutierte er auch die Preisfragen, die der in Veltheim ansässige Fabrikarbeiter Salomon Freyhofer regelmässig zugestellt bekam; dies ging so weit, dass die Gesellschaft den Verdacht äusserte, nicht Freyhofer, sondern Füssli hätte die eingeschickten Antworten verfasst. Aktiv, etwa über Einladungen zum Essen und Trinken, schaffte sich Füssli ein Netz von Klienten; zu den Geladenen zählten neben solchen, die er in seinem landwirtschaftlichen Betrieb beschäftigte, auch der Schulmeister und weitere Amtsinhaber. Die Wahl Freyhofers, der keine Gerechtigkeit besass und also kein Vollbürger war, zum Ehegaumer geschah dank der Protektion durch den 97 Johann Konrad Füssli (1704–1775) war nach seiner Ordination 1725 bis 1731 Hauslehrer in Eglisau. Er publizierte und edierte verschiedene Schriften zur Kirchen- und Schweizergeschichte. 1770–1772 erschien von ihm in vier Bänden die ‚Staats- und Erdbeschreibung der schweizerischen Eidgenossenschaft‘, die er in polemischer Abgrenzung gegen die ‚Staats- und Erd-Beschreibung‘ (1765–68) seines Pfarramtskollegen Johann Konrad Fäsi (1727–1790) in Uetikon verfasst hatte. Eine Anzahl seiner Aufsätze wurde im ‚Hamburger Magazin‘ publiziert. Mit einigen Publikationen, insbesondere auch mit Attacken gegen Johann Jakob Breitinger, und Agitationen, die er, ein „Koryphäus“ der Orthodoxie (Wernle 1923, Bd. 1, S. 575), gegen die neue Bibelausgabe (1772) schürte, erregte er das Missfallen der Obrigkeit. Füssli betätigte sich auch erzieherisch, indem er immer wieder Kinder in sein Haus aufnahm. Pfarrer Füssli ist überdies der Verfasser der ‚Nachricht von Preussisch-Pommern‘ (1771), die die Landleute in der Krisenzeit vom Auswandern abschrecken sollte. 98 David Kitt (1718–1802) war seit 1746 Pfarrer in Brütten, ab 1773 in Rickenbach und Korrespondent der Ökonomischen Kommission. Kitt bemühte sich in Brütten zugunsten der Kleinbauern und Tauner um die Auflösung der Allmend, scheiterte jedoch am Widerstand der grossbäuerlichen Aristokratie (vgl. Kunz 1948; Rásonyi 2000). Er ist der Verfasser des ‚Schreibens an die Landleute im Zürich-Gebiet, darinn aufgezeigt wird: Wie eine arme Haushaltung von 5. Personen sich mit einem geringen Vorrath von Lebens-Mitteln, […] auch in theuren Zeiten, 6. bis 8. Monate lang, vom Wintermonat bis und mit Brachmonat, hinlänglich ernähren könne‘ (1771); unter dem Pseudonym ‚eines aufrichtigen Freundes der Armen‘ erteilt er darin Ratschläge an notleidende Familien, wie und mit welchen Nahrungsmitteln sie sich während der Versorgungskrise durchbringen können; ebenfalls im Druck erschienen ist seine Predigt unter dem Titel ‚Das dankbare Angedenken von der mächtigen Hilf, die Gott in der grossen Theurung A. 1771 bewiesen hat‘ (1772).
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Pfarrer gegen den Willen des höchsten Amtsträgers der Gemeinde, des Dorfmeiers und Wirts Heinrich Steiner. Schliesslich erhielt Freyhofer, der sich durch seinen Bildungshunger auszeichnete,99 auch das Amt des Schulmeisters. Im Anschluss an ein Bauerngespräch vom 15.1.1770, bei dem Freyhofer als Abgesandter fungierte, wurde unter anderem der Vorschlag einer eingeschränkten Weidnutzung zum Zweck der Anpflanzung von Wiesen diskutiert. Interessengegensätze ergaben sich einerseits in typischer Weise zwischen (Voll-)Bauern und Taunern; das Beziehungsnetz des Pfarrers hatte sich so weit etabliert, dass von Seiten Letzterer loyale Zustimmung für die Intensivierungsvorschläge der Ökonomen erfolgte. Zugleich waren aber die eigentlichen Gegner unter denjenigen Landarmen zu finden, die neben der Landwirtschaft in Winterthur einem protoindustriellen Verdienst nachgingen und für die eine Intensivierung der Landwirtschaft deshalb arbeitsökonomisch nicht rentabel war.
99 In einem Brief an die Ökonomische Kommission beschreibt Füssli Freyhofers Tagesablauf folgendermassen: „[A]lle morgen um 5 uhr gehet er in die stadt, um 7 uhr abends kömmt er wieder heim. Bey seiner arbeit denkt er über seine sachen, die er vorhat, geht […] in der Mittagstund zu Meyern in seine lesebibliothek, nimmt ein Buch heraus, liset es in winterthur oder daheim … Hat aber von gott die gab empfangen wol zu reden und zu schreiben, aber allererst wol zu denken, dass wann er in einem anderen stand gebohren wär, er ein grosser mann würde geworden seyn. Er ist in hiesigem Stillstand“ (StAZH: B IX 27, Nr. 263, zit. nach Ettinger 1995, S. 95). Heinrich Bosshard aus Rümiken (Pfarre Elsau), der seine ‚Lebensgeschichte‘ hinterlassen hat, arbeitete mit Freyhofer in der Winterthurer Manufaktur. Er beschreibt Freyhofer als einen „Mann, der einige Kenntniss von dem Sonnensytem und von der Geographie hatte und daher auch ein guter Landwirth war. […] Wir arbeiteten täglich neben einander, und anstatt unnützer Gespräche, unterhielten wir uns über die Natur und Religion“ (1804, Bd. 1, S. 63 f.). Pfarrer Füssli nahm sich seiner ebenfalls an und versuchte, ihn bei einem „Herrn in Italien“ unterzubringen (ebd., S. 48). Wahrscheinlich durch seine Vermittlung beteiligte sich auch Bosshard an Preisausschreiben der Ökonomischen Kommission. Schliesslich schaffte er in der Gemeinde sogar den Aufstieg zum Dorfmeier und Seckelmeister; in der Mediation amtete er als Friedensrichter und Gemeinderat.
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4.3.3 Korruption und Klientelismus Die Antworten auf die Landschul-Enquête verweisen darauf, dass die Kinder aus vermögenden Haushalten eher länger und regelmässiger zur Schule gingen; sie lernten vermehrt Schreiben und Bauernknaben eher auch das Rechnen (vgl. Kap. 4.4.1.1). Dies lässt darauf schliessen, dass Familien aus der ländlichen Oberschicht ein grösseres Interesse an der Beschulung ihrer Kinder hatten und sich eine solche auch eher leisten konnten als ärmere Haushalte, die auf die protoindustrielle Arbeit von Kindern und Jugendlichen angewiesen waren. Insofern die Schule einen Kostenfaktor im Gemeindehaushalt bedeutete, über den die Wohlhabenden weitgehend bestimmten, löste deren Unterhalt dennoch immer wieder Interessenkonflikte aus. Primär war zwar die Kirchgemeinde zuständig für das Armenwesen und damit auch für die Unterstützung unbemittelter Eltern, die den Schulschilling ihrer Kinder nicht bezahlen konnten. Da das Kirchen-100 oder Armengut aber oftmals nicht ausreichte, musste zusätzlich das Gemeindegut beansprucht werden.101 Die Dorfvorgesetzten und insbesondere der Säckelmeister, der das Gemeindegut verwaltete, waren auch im Stillstand anwesend, der über das Armenwesen und vielfach auch das Schulwesen wachte. Konnte ein Pfarrer keine Mehrheit hinter sich bringen, war er machtlos, gegen die Interessen der wohlhabenden Gemeindebürger finanzielle Unterstützung für die Schule oder die Armen durchzusetzen. Ein illustratives Beispiel für die korrupten Machenschaften, die dabei unter Umständen ins Spiel kamen, liefert der Fall Pfarrer Johann Heinrich Wasers (1742–1780), der mit politischen, volkswirtschaftlichen und bevölkerungsstatistischen Veröffentlichungen und seinem Schicksal über Zürich und die Schweiz hinaus bekannt wurde (vgl. Kap. 6.1 und Kap. 8). 1765 ordiniert, erhielt Waser 1770 die Pfründe im stadtnahen Kreuz, welches die Gemeinden Hirslanden, Riesbach und Hottingen umfasste. Waser war Mitglied der Ökonomischen Kommission sowie der Asketischen Gesellschaft und zeichnete sich insbesondere durch seine Vorliebe für ma-
100 Die Rechnung des Kirchenguts besorgte gewöhnlich ein Kirchenpfleger, der alljährlich dem Pfarrer und Stillstand sowie dem Land- und Untervogt die Abrechnung der Einnahmen und Ausgaben vorlegen musste, wobei Letztere oftmals beträchtlich waren (vgl. Kunz 1948). 101 Die Almosenordnung von 1762 bestimmte, dass das städtische Almosenamt erst in Anspruch genommen werden durfte, wenn die Kirchen-, Säckli-, Spend- oder Gemeindegelder nicht mehr ausreichten (vgl. Graber 1980).
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thematische, politische und wirtschaftliche Studien aus. Solche Beschäftigungen sind nicht aussergewöhnlich für den damaligen Typ des aufgeklärten Landpfarrers, zugleich sticht Waser aber durch seine spezielle Gelehrsamkeit heraus.102 So stand er damals zur Diskussion als Assistent und Nachfolger der Professur für Naturwissenschaften und Mathematik, die der renommierte Johannes Gessner inne hatte, und auch in Bern kam er für den mathematischen Lehrstuhl in Frage, wobei ihm zu jenem Zeitpunkt sein schlechter Leumund bereits im Weg stand (ZBZ: J 523, Rede Salomon Hirzels auf das Jahr 1780). Veröffentlichungen in ‚Schlözers Briefwechsel historischen und politischen Inhalts‘ im Jahr 1780 brachten ihm eine Anklage wegen Landesverrats ein. Dazu gehörte ein Aufsatz über die ‚Bevölkerung des löbl. Cantons Zürich in verschiedenen Zeit-Altern‘, in welchem Waser eine Abnahme der Volkszahl feststellte und dies auf den Solddienst und Auswanderungen angesichts der Unmöglichkeit vieler Leute, in der Heimat ihre Subsistenz zu finden, zurückführte. Da die vorherrschenden populationistischen Bevölkerungstheorien bis zum Erscheinen von Malthus ‚Essay on the Principle of Population‘ (1798) davon ausgingen, dass eine prosperierende Volkszahl für die ökonomische und militärische Stärke eines Staates und somit die Güte von Verfassung und Regierung stand und umgekehrt, enthielten seine Ergebnisse implizit eine Kritik an seiner Vaterstadt. Deutlich wurde Waser, wenn er statuierte: „Wo aber Mangel an Volk ist, oder wo sich die Volksmenge vermindert, da ist es ein trauriges Zeichen, dass es eben so sehr an einer guten Staatsverfassung, als an der Gelegenheit, sich zu ernähren fehle, und da ist allemal schwer, wo nicht unmöglich zu helfen“ (zit. nach Graber 1980, S. 334). Unter zusätzlichen Beschuldigungen, dem Vorwurf des Archivdiebstahls und später auch des Giftmischens103, wurde Waser kurz darauf festgenommen, angeklagt und am 27. Mai 1780 dem Scharfrichter übergeben. Dass sich Waser bereits während seiner Zeit als Pfarrer der Zürcher Kreuzgemeinde als unbequemer Bürger erwiesen hatte, darauf verweist seine umfassende Beantwortung der Enquête-Fragen. Sein als renitent beur-
102 Waser verfügte über Kenntnisse in Astronomie, Geometrie, Philosophie, Rechtswissenschaft, Medizin, Botanik, Geschichte, Geographie und Mythologie, vor allem kannte er praktisch die ganze statistische und volkswirtschaftliche Literatur seiner Zeit von Johann Peter Süssmilch bis Adam Smith (vgl. Graber 1980). 103 Bei dieser Gelegenheit wurde die Geschichte um die angebliche Vergiftung des Nachtmahlsweins in der Grossmünsterkirche vom 12. September 1776 wieder aufgerollt und Waser auch dieser Tat bezichtigt.
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teiltes Verhalten führte 1774 zu seiner Amtsenthebung, später wurde er auch aus seiner Zunft ausgeschlossen und verlor damit das aktive Bürgerrecht. Den Ausgangspunkt des jahrelangen Konflikts bildete Wasers Entdeckung von Korruptionsvorfällen in der Gemeinde und damit in Zusammenhang die Frage der Armenunterstützung, aber auch der Schulmeisterbesoldung. Waser trat seine Stelle in der Kreuzgemeinde im Herbst 1770 an, also gerade zur Zeit der Hungerkrise (vgl. für das Folgende Graber 1980, 1993). Schon bald nach Amtsübernahme entdeckte er Unregelmässigkeiten in der Gemeinderechnung. Offenbar waren von Behördenmitgliedern Hintersassengelder104 hinterzogen worden. Waser hatte bereits anlässlich der Antrittspredigt seine Absicht verkündet, in alle Angelegenheiten der Gemeinde hineinzuleuchten und sich besonders der Unbemittelten anzunehmen; in der Folge sollte er dann immer wieder die Kanzel benützen, um gegen die betrügerischen Behörden zu agitieren. Die Angelegenheit wurde auch in mehreren Gemeinde- und Stillstandsversammlungen ausgetragen, wobei sich zwei Lager bildeten: Die Gegner des Pfarrers rekrutierten sich vorwiegend aus der dörflichen Oberschicht, während der Pfarrer die wirtschaftlich Benachteiligten hinter sich vereinen konnte. Seine Gegner versuchten, Waser im Stillstand zu isolieren, indem sie einen seiner Anhänger, Ehegaumer Unholz, abwählten. Waser konterte, indem er den Geschworenen Bleuler des Ehebruchs bezichtigte, was prompt zu dessen Absetzung führte. Daneben reichte Waser an höherer Stelle Klage ein; in der Folge wollten die zuständigen Obervögte allerdings von einer allzu harten Bestrafung der Beschuldigten absehen. Die städtische Obrigkeit tolerierte zudem stillschweigend das Vorgehen der Vorgesetzten, die nämlich die auferlegte Busse aus der Gemeindekasse berappen liessen. Hingegen gaben die Obervögte dem Antrag Wasers nicht statt, das unterschlagene Geld für die Aufbesserung des Lohns des am schlechtesten bezahlten Schulmeisters aufzuwenden (ZBZ: J 523, Rede Salomon Hirzels auf das Jahr 1780). Weitere Vorkommnisse führten Waser zu dem Schritt, dem städtischen Almosenamt schriftlich mitzuteilen, er lehne in Zukunft die Verantwortung für das Armenwesen seiner Gemeinde ab, wenn nicht von obrigkeitlicher Seite ernsthaft eingegriffen werde. Dieses Vorgehen empfanden die Obervögte offenbar als
104 Hintersassen waren verpflichtet, eine jährliche Abgabe zu entrichten. Diese Gelder bildeten neben den Einzugsgeldern von Neuzuzügern eine wichtige Einnahmequelle der zivilen Gemeinden.
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Provokation, denn diese reichten nun ihrerseits gegen Waser beim Kleinen Rat Beschwerde ein, was zu seiner Suspendierung führte. Der Konflikt in der Gemeinde und die zugrunde liegenden Interessenkonstellationen hatten deutliche Auswirkungen auf die Frage der Finanzierung der Schulen, wie Wasers Antworten auf die Enquête-Fragen zeigen. Diesen ist zu entnehmen, dass Waser dem Unterrichtswesen in seiner Gemeinde ein besonderes Interesse entgegenbrachte und die Anliegen der insgesamt drei Schulmeister unterstützte; ein besonders gutes Verhältnis bestand offenbar zum Schulmeister in Riesbach. Seine Ausführungen zeigen ihn als einen Pfarrer, der sich in kurzer Zeit in die Schulverhältnisse seiner Gemeinde eingearbeitet hatte, der beträchtliche Zeit auf deren Aufsicht verwendete und sich in pädagogischen Belangen gut auskannte; seine Rückmeldungen fallen als äusserst exakt und differenziert auf. Auch wegen ihrer erstaunlichen Offenheit und Direktheit und ihrem erhellenden Charakter bezüglich der angesprochenen Konflikte soll im Folgenden etwas ausführlicher aus dem Antwortdokument zitiert werden. Interessant ist zuerst Wasers Stellungnahme zur Frage nach der Achtung der Schulmeister in der Gemeinde; hierbei kommt er auf den Umstand zu sprechen, dass ihm das „Halssstarrige Volk, u: die *** [im Original] Vorgesezten“ „viel Verdruss machten“; er müsse „das arme Schul-löhnli auch von vermögenden Eltern erbetteln, von geringern aber erpressen“ (Kreuz, B. a.1.). Dabei nimmt er den Schulmeister gegen ihm feindlich gesinnte Gemeindegenossen in Schutz, die diesen wiederum verdächtigten, sie beim Pfarrer denunziert zu haben. Waser gehört zu den Pfarrern, die bei der Schilderung der Schulverhältnisse kein Blatt vor den Mund nahmen, wenn er schreibt: „Im Riesbach gibt es Leuthe die Gott nicht förchten u: sich auch vor den Menschen nicht schämen, ungerechte u: stolze Geitzhälse u: Wucherer u: dann eine vast unzahlbare Menge Lumpengesind, diese, u: insoderheit 2/3 von den Vorgesezten fragen dem SchulMstr eben so wenig als Gott dem Herrn oder als dem Pfarrer u: der #Religion u: dem Gewissen nach, ihretwegen dürfte eben keine Schul u: keine unterweisung der Jugend gehalten werden, denn sie selbst besuchen sie niemahls u: dass sie ihre Kinder schiken, darzu muss sie der Pfrr durch Drohung u: z. thl. durch Zwangsmittel anhalten. Doch, Gott Lob, gibt es auch ehrliche u: fromme Leüthe, bey denen der SchulMstr in guter Achtung steht, die wenigen Vorgesezten, die die Schul von Zeit zu Zeit besuchen, sind mit seinen Verrichtungen zufrieden; was die übrigen hinderruks murren, darauf glaube ich zuachten nicht schuldig zu seyn, weil schon mehrmahlen, u: auch in Stillständen gesagt habe, wer über den SchulMstr. etwas zu klagen habe, der
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solle es mir auf der Stell, u: mit den unterlaufenen Umständen pflichtmässig anzeigen, so werde dann, wann ich die Sache untersucht habe, den fehlbaren zur Gebühr weisen. Aber leere Geschwätze von längst vergangnen Sachen, da man nicht Wer, Was, Wo, Wann, Warum? angeben könne, u: wo Neid u: Hass gegen einen Menschen, den man fälschlich im Verdacht hat, dass er dem Pfrr die geheimen Diebsgriffe, mit denen das Gemeindgut bestohlen worden ist entdekt habe, der Haubtbeweggrund des Klägers ist, die werde ich nie einiger aufmerksammkeit würdigen“ (ebd., B.a.5.). Ein Anlass, bei dem Interessengegensätze, Machtverhältnisse und korruptive Tendenzen zutage traten, stellte offenbar das jährliche Examen dar. Je nach Regelung waren Mitglieder der Gemeinde- und Kirchenbehörde jeweils anwesend, und oftmals wurde den Vorgesetzten bei dieser Gelegenheit als Gegenleistung dafür, dass sie den Schullohn für den Schulmeister bei den Eltern einzogen, ein Essen spendiert. Waser beschreibt den Ablauf des Examens folgendermassen: Nachdem die Vertreter der Dorfbehörden abgezogen sind, ruft er den Schulmeister herein. „Alsdann, sollte man denken, seye die #Solennitæt des #Examens für ein Jahr vorbey, wenigstens wünschte ich es, da ich von dem vielen Reden den ganzen Tag über recht müde worden bin; aber es ist noch eine Mahlzeit welcher der Pfr #nolens #volens u: wenn er nicht – – – auch beywohnen muss. In zweyen Gemeinden, da die Vorgesezten, was sie jährlich an Besoldung zuverrechnen haben stehen lassen um dergleichen urthen zu bezahlen, möchte es für einen Pfrr der ein Freund von Mahlzeiten ist, noch so hingehen, aber im Riesbach, wo die Vorgesezten durch allerhand unterschlauf – – – kann der Pfrr gewissenshalber u: wenn er ein ehrlicher Mann seyn will, einer solchen Mahlzeit nicht bey wohnen; besser wäre es also, damit #Jalousie gehoben, u: der Pfr aus der Verlegenheit, seine Vorgesezten zu erzürnen, gesezt werde, dergleichen Mahlzeiten gar u: ganz zu verbieten, insonderheit, weil so wohl der Pfr als die Vorgesezten, ersterer zu Hottingen 4. lb. die Vorgesezten die ürthen, in den übrigen Gemeinden aber, zu Hirsslanden Hen #Catechist, u: im Riesbach der Pfrr 5. lb. u: die Vorgesezten am erstern ort 6 am leztern 10 lb. Besoldung haben“ (ebd., B.d.4.). Die Situation in der Kirchgemeinde Kreuz war kein Einzelfall; ein weiteres Beispiel eines Konflikts, in dessen Hintergrund die Veruntreuung von Gemeindegeldern stand, ist mit der Seegemeinde Erlenbach überliefert. Der vorstehende Pfarrer Oeri stach ebenfalls bereits durch seine pädagogisch informierte Beantwortung der Enquête-Fragen hervor (vgl. Kap. 4.1.4) und wird im weiteren Verlauf der Arbeit noch mehrfach zitiert werden. Bereits kurz nach Amtsantritt 1753 ergab sich ein Streit um den Umbau der
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Kirche. Die Bauabrechnung enthielt nach Meinung des Pfarrers zu viele „Diskretionen“ für Vorgesetzte (Kuprecht/Imhof 1981, S. 121). Er wurde bei der Obrigkeit vorstellig und beklagte sich über die verdächtigen Vorgänge. Daraufhin sah er sich jahrelang groben Racheakten ausgesetzt.105 Ähnlich wie Wasers scheinen auch sein Rechtsgefühl und die entsprechenden Ansprüche an die Moral seiner Gemeinde hoch gewesen zu sein. Bezüglich der Finanzierung der Schule klagt er anlässlich der Enquête, dass die Leute in seiner Gemeinde das Geld lieber für Hochzeits-, Tauf- und Leichenmähler ausgeben würden, statt etwas zum Unterhalt der Schule beizusteuern. Klagen über den widerspenstigen Charakter seiner Gemeinde entnimmt man auch der Antwort auf die letzte Frage nach den Auswirkungen der Teuerung auf das Schulwesen und die Erziehung. Er habe den Bedürftigen mehrmals empfohlen, sich beim Stillstand wegen der Bezahlung des Schulgeldes zu melden, stiess aber damit auf taube Ohren. Zudem habe er auf eigene Kosten und durch Spenden einiger christlicher Schulfreunde Kleider für arme Schulkinder beschafft, „damit sie um so viel Weniger Entschuldung haben, ihre Kinder zur Schule zuschicken; aber auch dozumahl geschahe es nur selten; dagegen wurde die lezte so genannte Neüjahreten und die Kilbi mit Springen und danzen durch #Connivenz der obern, üppiger gefejret, als in den wohlfeilen Zeiten. bey gemachter ahndung habe mir viele Feinde gemacht, besonders an denen, die dazu vorschueb gethan“ (C.11.). Einen Hinweis auf das gespannte Verhältnis des Pfarrers zu den Vorgesetzten enthält schliesslich Oeris Stellungnahme zu Frage B.d.5., die Informationen über Anwesenheit und Beteiligung der Letztern am Examen verlangte. Oeri meint dazu: „An dem #Examiniren nehmen die anwesenden Vorgesezten keinen oder sehr geringen antheil, weil sie die hiezu nöthige fähigkeit entweder nicht haben oder vergessen. Mir thut es herzlich leid zu sagen, dass die meisten unter ihnen keine Vorbilder im Wort, im Wandel, in der Liebe, im geist, im glauben, in der Keüschheit – Sie 105 Noch schlechter war das Verhältnis zwischen der Gemeinde und seinem Nachfolger, Pfarrer Reutlinger. Unter ihm kam es zu einem regelrechten Aufstand, die Leute hinderten ihn unter Anführung eines Geschworenen am Gang zur Predigt. Eine Klageschrift an den Rat führte zu einer Untersuchung durch Antistes, Examinatoren und Obervögte und schliesslich 1794 zu seiner Absetzung. Zu den aktiven Aufrührern gehörte auch der Schulmeister Heinrich Hänsler. Dieser wurde seinerseits suspendiert, nachdem man ihn 1797 des Trinkens und Spielens und der Vernachlässigung der Schule bezichtigt hatte. Sein Vorgänger Nussbaumer wiederum wurde 1780 vom Examinatorenkonvent abgesetzt, und zwar wegen grosser Unwissenheit und grober Aufführung (vgl. Kuprecht/Imhof 1981).
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halten nicht an mit lesen, mit Ermahnen, mit lehren, bis ich komme. 1. #Tim. 4: 12.“ Ähnlich wie in Erlenbach zogen es aber etwa auch die Vorgesetzten in Wipkingen vor, in das leibliche Vergnügungen statt in das Schulwesen zu investieren, wie man den Äusserungen des dortigen Pfarrers Johann Georg Wüest entnehmen kann. Der Pfarrer hatte nämlich vor, den so genannten Neugeschworenen-Trunk abzuschaffen und die damit gewonnenen Ausgaben für den Bau eines Schulhauses anzuwenden. Offenbar unterstützten ihn dabei der Antistes und der Untervogt, dennoch wurde das Unternehmen, wie man der Darstellung des Pfarrers entnehmen kann, vom Stillstand hintertrieben, wobei die Rolle der Obervögte in diesem Handel zumindest eine zweideutige gewesen zu sein scheint: „Allein dieses vor Gott und aller ehrbaren Welt ruhmliche vorhaben ward zu meiner grösten bestürzung von den stillständeren selbst auf eine listige und unverantwortliche weise durch aufwieglung eines Zügers* des schon wirklich auf hohen Befehl gekaufften Hauses schändlich hintertrieben, nur damit das Fresen und Sauffen bey dieser sonst bedenklichen Zeit der frommen und preiswirdigen ver Ordnung #Uns. #Gn. #Hhren zuwider dannoch fort gesezt werden könne, welches auch endlich von Uns. #Tit. #HochgeEhrtest. Hhrn. #Obervögten bewilliget worden. Ja die Unverschamtheit und grobe Aufführung meiner Stillständeren gienge so weit, dass, da ich mich bey Uns. Hhrn. Obervögten billich beklagt, dass mich die Stillständer schandlich hintergangen, und den Kauff so wol als den Zug dieses vermeinten schul-hauses mir verhalten, sie sich frecherweise bej den Hhrn Obervögten über mich beschwehrt, als hätte ich, da ich die beförderung dises Xstlichen werks suchte, und aus redlicher absicht alles dazu anwendte, meinen pflichten und amt zu wider gehandlet, und mich in etwas mischen wollen, das mir als Pfarrer nicht geziemte – So schön ward meine gute absicht ausgedeütet“ (A.c.5.). Ganz offensichtlich hatte der Bau eines Schulhauses auch in Pfäffikon keine Priorität. Der bereits ausführlich zu Wort gekommene Dekan Escher (vgl. Kap. 3.1.1) berichtet, dass mangels „vernüfftigere[r] Vorgesetzte[r]“ der wöchentliche Katechumenenunterricht im Wirtshaus zum Hecht stattfinden musste; „sie verlaufen, und vertrölen aber zum höchsten Misfallen der redlich gesinnten das Geld lieber über den besitz eines verödeten Gemeinwerks“, als dass sie eine geräumige Schulstube bauen liessen (B.b.29.). Grund zu ähnlichen Klagen über die Gemeindevorgesetzten hatte auch Pfarrer Felix Corrodi (1705–1775) in Benken. Er meldete, dass diese die Nachtschule weniger um der Aufrechterhaltung der Ordnung willen visitierten, „als vielmehr die bey Hochzeit u: Leich-Anlääsen bezogene #Douceurs u: ei-
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gens unter sich zusamengelegtes Geld einzuziehen u: beym Beschluss der #Nacht-Schul nach der schon lange gewohnten Übung mit ein ander zuverschmausen“ (A.d.1.). Damit sind verschiedene Fälle zitiert worden, in denen der Brauch des gemeinsamen Essens und Trinkens, wie er bei verschiedenen offiziellen Anlässen und regelmässig auch im Anschluss an die Gemeindeversammlung oder das Examen zum Zuge kam, auf das Missfallen des Pfarrers stiess. Es handelte sich bei dieser Praxis um einen symbolischen Akt, der der Befestigung von Beziehungen, insbesondere solcher klientelischer Art, diente. Explizit auf bestimmte Formen der Beziehungsknüpfung nahm innerhalb der Schulumfrage Frage B.a.2. Bezug, indem sie Auskunft verlangt, ob allfällige Beschenkungen den Schulmeister parteiisch machten. Hinweise auf entsprechende Usanzen gibt es in der Enquête denn auch zahlreiche. So erfährt man, dass sich in Kloten die Stillständer nach dem Examen im Haus des Kirchenpflegers auf einen Trunk zusammenfanden; auch das Bussgeld, welches die Nachtschüler bei Absenzen oder schlechter Aufführung zu bezahlen hatten, wurde hier Ende Schuljahr für einen Schoppen ausgegeben, ein Brauch, der übrigens auch in Mönchaltorf heimisch war. In Hirslanden (Kirchgemeinde Kreuz), wo die Schule im Gemeindehaus stattfand, wurde der Schulbetrieb unterbrochen, wenn dort Gemeindetrünke ausgegeben wurden. In Neftenbach berichtet der Pfarrer von einem bescheidenen Abendtrunk für Schulmeister und Vorgesetzte am Ende des Examens, der aus dem Steuergut bezahlt wurde. Auf die Frage, ob am Examen auch Prämien ausgeteilt würden, erfährt man aus Rafz, dass man eher einen Trunk für die Herren Examinatoren zu bezahlen gewillt war, der allerdings auf Kosten des Pfarrers spendiert wurde. Ähnliche Prioritäten scheinen in Ossingen vorgeherrscht zu haben. Man liest, dass für Examensprämien kaum etwas übrig blieb, weil das kostspielige Mahl im Anschluss an die Prüfung bereits aus der Gemeinde- und Kirchenkasse spendiert wurde. Auch die Nachtschule wurde jährlich mit einem reichhaltigen Essen beschlossen, wofür ebenfalls das Kirchengut aufkam. In dieser Gemeinde hatten die Vorgesetzten, denen offenbar wenig an der Schule lag, zum Bedauern des Pfarrers veranlasst, dass die ehemals freie Sommerschule abgeschafft wurde und die Eltern diese nun aus der eigenen Tasche finanzieren mussten. In Regensdorf meint der Pfarrer, es sei nicht notwendig, dass die Vorgesetzten dem Examen beiwohnen, „welche ohne dem nicht gewohnt sind so ein paar stunden von ihren Geschäfften abzubrechen, ohne einen Trunk zubekommen, da aber letsteres nicht möglich, nicht anständig wäre, und
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ihre Gegenwart entbehret werden kan, so sehe ich nicht ein, dass ich darinn* eine änderung machen sollte“ (B.d.5.). In Töss nahmen die Stillständer gewöhnlich nicht am Examen teil; der Pfarrer sah darin eher einen Vor- als Nachteil, weil sie sonst wohl eine Belohnung oder „Ergezung“ verlangen möchten (B.d.2.). Ähnlich argumentiert der Pfarrer in Niederwenigen: Die Vorgesetzten sind am Examen nicht anwesend, der Pfarrer vermutet, weil es nichts zu trinken gibt; da er aber ohnehin keinen besonderen Wert auf deren Präsenz legt, habe er sich um diese nicht weiter bemüht. Daneben klagt er ganz allgemein über die Gemeindevorgesetzten, die bei jeder Gelegenheit einen Umtrunk verlangten und mit ihrem wollüstigen Leben den Kindern ein schlechtes Vorbild abgaben. Ein generelles Misstrauen gegenüber den Kompetenzen sowie der Unbefangenheit der dörflichen Schulaufsicht lässt sich bereits vor der Schulreformdiskussion der 70er Jahre wahrnehmen. Offenbar bekamen die Vorgesetzten und Stillständer anlässlich der halbjährlichen Visitationen öfters ein schlechtes Zeugnis durch den Pfarrer ausgestellt, so dass unter Antistes Wirz der Befehl an die Dekane und Pfarrer erging, in Zukunft für eine gewissenhaftere Amtsführung dieser Behörden zu sorgen (StAZH: E IV, Zürichsee, Mp. 6, 20.5.63). Im Anschluss an die Frühlingssynode von 1771 wurde das Thema in einem Bericht von Dekan Balber an die Pfarrer des Kapitels Stein am Rhein erneut aufgegriffen. Er beurteilt die dörflichen Aufsichtsbehörden als ungeeignet, da deren Glieder oft unwissend, nachlässig und parteiisch seien. Im gleichen Zug äussert er aber auch Kritik an den Fähigkeiten und dem sittlichen Charakter vieler Schulmeister, was ihn darauf brachte, die Einrichtung eines Schulmeisterseminars in der Stadt in Erwägung zu ziehen. Schliesslich betrachtete er aber die Pfarrer selbst als nicht ganz unschuldig an der Situation, da diese ihre Aufsichtspflicht zu oft vernachlässigen würden (StAZH: E IV, Stein am Rhein, Mp. 6, Dekan Balber an die Pfarrer, 23.7.1771). Negative Äusserungen über die Fähigkeiten, das Engagement oder den Charakter und Lebenswandel der Vorgesetzten finden sich in den Antworten auf die Enquête, wie bereits deutlich geworden ist, mehrfach. Analysiert man die Angaben unter Frage B.d.5. systematisch, so lassen sich folgende weitere Fälle anführen: In Turbenthal ist das Interesse der Vorgesetzten am Examen gering – der Diakon vermutet, weil es dabei keinen Taglohn zu verdienen gab (Turbenthal (B), B.d.5.). In Steinmauer sind die Vorgesetzten zwar am Examen anwesend, jedoch ohne Beteiligung: „Vielleicht stuhnde es manchem übel an, der seinen Catechismum nicht so gut weisst, als ein Schul-kind“ (B.d.5.). Eine deutliche Stellungnahme zu diesem Thema ist
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aus Küsnacht überliefert; der dortige Pfarrer Meister wird mit seinem ausführlichen Antwortdokument auch im Folgenden noch verschiedentlich zu Wort kommen. Meister meint, es wäre gefährlich, die Teilnahme der Amtspersonen zu einem allgemeinen Gesetz zu machen, denn „[m]an müsste fürchten, die Kindern möchten öffters einen vorwand finden, die Ehrerbietigkeit, die man doch um des Gemeinen besten willen allen Obern und vorgesezten schuldig ist zuvergessen. Wäre aber unter denen Anwesenden Gemeinds-Vorgesezten einer oder der andre, der Verstand genug hätte, diesem oder jenem Schulkind mit guter Art eine Probe seines Fleisses, nach Anweisung der vor Augen habenden Tabelle abzufordern, so möchte es ihm unverwehrt seyn. Aber das Haupt-Geschäfft der #Assessorum* #examinis, ist auf das was sie hören wol Achtung zugeben, um hernach ein richtiges Urtheil darüber zu fällen, und >ihren* Guten Rath, nach der von dem Pfarrer geschehenen Eröffnung mitzutheilen“ (B.d.5.). Den von Meister verfassten Stillstandsprotokollen kann man mehrere Vorstösse von seiner Seite zur Einführung einer Examensprüfung entnehmen; ebenso die Aufforderung an die Geschworenen, die Schule fleissiger zu besuchen (vgl. Schoch 1951). Meister gibt an, dass die Frage der Einführung von Examensprämien für die besten Schulkinder bereits im ersten Jahr nach seinem Amtsantritt (1757) dazu geführt habe, überhaupt von solchen Prüfungsanlässen abzusehen. „[D]er wichtigste Einwurf, der damals dagegen gemacht wurde, bestuhnde darinn, es wäre eine Neüerung und eine neüe Auflage, die man ohne Einwilligung und Befehl der Hochgeachten Herren Obervögten einzuführen nicht befügt wäre. Es wurde daher dem domaligen Untervogt aufgetragen mit denen Hochgeachten Herren Obervögten desswegen sich zu besprechen“ (B.d.7.). Da jedoch in diese Richtung nichts geschah, wurde Pfarrer Meister es müde, die Angelegenheit weiter zu verfolgen. Später wurde von den Vorgesetzten moniert, dass „die von mir in Vorschlag gebrachte Austheilung der Ehren-Gaben, vornemlich bey unserm gar nicht durchgehends bereitwilligen und lenkbaren Volk, nicht geringen Schwierigkeiten unterworffen wäre, und daraus viel murren und zank entstehen könnte“. Auch Pfarrer Meister war in seiner Gemeinde mit einigen Unannehmlichkeiten konfrontiert (vgl. Schoch 1951). So verweigerten ihm der Küsnachter Amtmann Hofmeister und sein Vorgänger die notwendigen Reparaturen am Pfarrhaus. Hofmeister wurde 1770 wegen Betrügereien der Prozess gemacht. An den Hinterziehungen war eine ganze Schar von angesehenen Küsnachtern beteiligt. Als dann im Jahr 1778 eine Überschwemmung die Gemeinde über 60 Todesopfer kostete, fehlte es dem Pfarrer nicht
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an Stoff, um dieses Katastrophenereignis in seiner Predigt im Sinne einer Gottesstrafe zu deuten (vgl. Meister 1778). Wie wenig sich die Küsnachter Vorschriften machen liessen und wie sehr sie auf ihr Selbstbestimmungsrecht pochten, davon geben weitere Äusserungen Meisters anlässlich der Enquête einen Eindruck. In Küsnacht schickten einige Eltern ihre Kinder unerlaubterweise in die Schule der Nachbargemeinde Zollikon oder liessen ihnen privaten Unterricht erteilen; obwohl von der gültigen Schulordnung nachdrücklich untersagt, konnte der Pfarrer dies aber nicht gegen den Willen der Gemeindegenossen unterbinden. Da den beiden offiziellen Schulmeistern auf diese Weise Einnahmen entzogen wurden, beklagten sie sich ihrerseits an höherem Ort über Meister, weil sie sich von ihm zu wenig unterstützt sahen. Als Meister den Widersetzlichen daraufhin die Regelung in den Landschulsatzungen, die den Eltern das entsprechende Wahlrecht ausdrücklich absprach, vorlas, wurde dies „von den meisten übel aufgenommen“ (A.a.1). Der Fall von Wila belegt in diesem Zusammenhang, dass der Pfarrer gegen die Zustimmung der Gemeindegenossen oftmals machtlos war, wenn er der Schule mehr Zuwendung zukommen lassen wollte, und dass selbst die städtische Obrigkeit sich vor Einmischungen in Bereiche scheute, über die die Gemeinden traditionell weitgehend selber bestimmten. In dieser Oberländer Gemeinde wollte Pfarrer Heinrich Waser (1714–1786) die Schule im Berg neu organisieren (A.a.4). Wegen der grossen Distanzen zu den Höfen wurde sie in der ersten Winterhälfte jeweils auf dem Weiler Ottenhueb und in der zweiten Hälfte auf Manzenhueb abgehalten. Das führte dazu, dass die dort wohnhaften Kinder die Schule jeweils lediglich den halben Winter besuchten. Um dem abzuhelfen, wollte Waser die beiden Schulen zusammenlegen und in der Mitte ansiedeln. Mit diesem Anliegen wandte er sich schliesslich auch ans Examinatorenkollegium, bekam aber von dort den Bescheid, dass dies ohne die einhellige Zustimmung der Hausväter nicht zu veranlassen sei.
4.4 Aspekte des Unterrichts In der Enquête machen die Fragen zum Unterricht – „Eigentliche SchulVerichtungen“ (B.b.1.-30.) – den Hauptteil aus. Diese sind zwar, wie die Enquête als Ganzes, auf den Istzustand gerichtet, erfragen also den bis anhin praktizierten Unterricht; dennoch nahmen ein paar Landgeistliche die Fragen wiederum zum Anlass, um Verbesserungsvorschläge zu äussern. Die
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Vorschläge ergänzen die vor allem im Kyburger Kapitel zur Sprache gebrachten unterrichtsbezogenen Reformideen, insbesondere mit Bezug auf Fragen der Leselernmethodik und der Erweiterung des religiösen Unterrichtsstoffes mit praktisch nützlichen Inhalten agrarökonomischer Art. Entsprechend stehen diese beiden Themenbereich am Anfang dieses Kapitels.
4.4.1 Leselernmethodik: Dominanz des Buchstabierens – Versuche mit der Lautiermethode Man kann die Vorträge von Kammerer Schulthess und Dekan Escher (vgl. Kap. 3.1.1) im Kontext ihrer Entstehung als bemerkenswert reformfreudig bezeichnen; sie sind in mehreren Punkten innovativ und bringen angesichts wahrgenommener Probleme Neuerungen vor, die dann, Jahrzehnte später, tatsächlich umgesetzt worden sind. Dazu gehört unter anderem Schulthess‘ Kritik an der gängigen Leselernmethodik, die das Buchstabieren zum Fundament des Lesens erhob. Dabei wurde Buchstabe für Buchstabe in alphabetischer Reihenfolge durch Vorsprechen des Schulmeisters und wiederholtes Nachsprechen der Schüler auswendig gelernt und wurden darauf die Buchstaben zu Silben verknüpft: Der Schüler buchstabierte etwa: a be – der Schulmeister las: ab – der Schüler wiederholte: a be ab; darauf buchstabierte der Schüler: be a – der Schulmeister sprach: ba – und der Schüler wiederum: be a ba; etc. Dieser Buchstabiermethode setzte Schulthess nun das Lautieren entgegen; dabei sollten die Konsonanten von Beginn weg nicht benennt, sondern zusammen mit Vokalen ausgesprochen werden; so wurden die Schüler mit dem Lautwert, der den Konsonanten im Wortzusammenhang zukommt, bekannt. Dass die Buchstabiermethode jedoch um 1770 noch die gängige Art, das Lesen zu erlernen, darstellte, zeigt sowohl die Formulierung der Frage B.b.4. selbst – „Werden die Kinder angehalten, richtig zu buchstabieren? und richtig zu lesen, und auszusprechen“ – als auch die von den Pfarrern gegebenen Antworten. Eine weite Verbreitung fand offenbar die 1759 bei Ziegler in Zürich erschienene Anleitung zum Lesenlernen106. In diesem katechetischen Büchlein wird die Notwendigkeit des Buchstabierens ganz besonders hervorge106 Der vollständige Titel lautet: ‚Kurze und deutliche durch die Erfahrung bewährte und um viel verbesserte und erleichterte Anleitung, auf die beste und grundlichste Art buchstabieren und lesen, samt den gewohnlichsten Abkürzungen und Unter-
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hoben, nämlich gleich in der ersten Frage/Antwort und nochmals mit der 10. Frage: „Worinn muss man junge oder alte leute, die lernen wollen fertig und ordentlich lesen, weiter üben, wenn sie die buchstaben wol kennen? Man muss sie genugsam üben im syllabieren oder buchstabieren. Dann wenn sie das nicht gründlich gelernt, so werden sie schwerlich lernen ohne anstoss lesen, vilweniger im schreiben wol fortkommen“ (Hervorhebungen i. O.). In Frage 15 wird zwar die Frage aufgeworfen: „Könnte man aber gar nicht ohne buchstabieren lesen lernen?“, in der Antwort aber, ohne weitere Stellungnahme, lediglich ausgesagt, dass tatsächlich einige Leute sich dafür aussprächen, die Konsonanten in Verbindung mit Vokalen in ihrem Lautwert zu erlernen. Die Verbreitung der Lautiermethode wird gewöhnlich auf den bayerischen Schulrat Heinrich Stephani (1761–1850), das heisst seine ‚Handfibel zum Lesenlernen nach der Lautiermethode‘ (1802) und den ‚Kurzen Unterricht in der gründlichsten und leichtesten Methode, Kindern das Lesen zu lehren‘ (1803), zurückgeführt. Die Fibel erlebte bis 1868 bemerkenswerte 102 Auflagen. Etwa zur gleichen Zeit publizierte der Waadtländer Louis Heinrich Ferdinand Olivier (1759–1815) seine Lautiermethode; er war 1781–1791 Lehrer am Philanthropin in Dessau und gründete selber mehrere private Lehranstalten, wo er die Lautiermethode im Erstleseunterricht einsetzte. Im Kreis der Philanthropen beschäftigte man sich ausgiebig mit der Verbesserung des Erstleseunterrichts, insbesondere von Basedow kamen weitere Anregungen zugunsten des Lautierens. Verweise auf Basedow findet man in der Enquête in diesem Zusammenhang bei Schulthess und zwei weiteren Pfarrern. Historisch betrachtet bleibt zu bemerken, dass bereits Valentin Ickelsamer in ‚Die rechte weis aufs kürtzist lesen zu lernen‘ (1527) und ‚Ain Teütsche Grammatica‘ (um 1531) das Lautieren propagiert hatte (Ickelsamer 1971; vgl. auch Clemen 1927). Überdies folgt Ickelsamer gegenüber dem traditionellen synthetischen Verfahren demjenigen der akustischen Analyse. In der ‚Teütschen Grammatica‘ liegt der Schwerpunkt auf der Lautbildungslehre, und diese steht ganz im Dienst des Lesenlernens. Im Bemühen, die für den Leselernprozess wichtige phonetische Struktur des Sprechvorgangs zu klären, bildet dieses Werk mit dem anderen eine umfassende Einheit. Es stellt sich die Frage, warum das Buchstabieren, offensichtlich ein Hindernis beim Lesenlernen, dermassen lange Zeit praktiziert wurde. Gardt scheidungszeichen, insonderheit auch die Zahlen kennen etc. zu lehren und zu lernen‘.
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(1999) nimmt an, dass das Buchstabieren der Absicht Rechnung trug, den Kindern im Leseunterricht vor allem auch das korrekte Schreiben beizubringen. Orthographie verlangt zu wissen, was von der Lautgestalt her nicht immer erkennbar ist, also etwa wo Geminaten oder Dehnungszeichen vorkommen oder ob man ein Wort mit ‚f ‘ oder ‚v‘ schreibt. Für den Unterricht in den Landschulen ist diese Erklärung angesichts der Tatsache, dass weite Teile der Bevölkerung gar nie bis zum Schreiben, geschweige denn zum orthographischen Schreiben, fortschritten, nicht plausibel. Dieselbe Begründung findet man bei Kehr (1889), der bezüglich der anhaltenden Praxis des Buchstabierens meint: „Wenn die Kinder trotz alledem das Lesen schliesslich doch lernen, so liegt der Grund dieser seltsamen Erscheinung darin, dass die Kinder gescheiter sind, als ihre Lehrer, und dass sie gegen den Willen ihres Lehrers nicht buchstabieren, sondern lautieren“ (S. 41; Hervorhebungen i. O.). Buchstabiert wurde im Anschluss an Stephani und Olivier noch bis weit ins 19. Jahrhundert; in Preussen wurde die Buchstabiermethode 1871 offiziell verboten. Auch Pestalozzis Syllabiermethode, selbst in der Weiterentwicklung seines Schülers Hermann Krüsi, brachte diesbezüglich keine Wende. Dass Pestalozzi für die Entwicklung der Leselernmethodik keinen relevanten Beitrag geliefert hat, bezeugte schon Kehr (1889), der meinte, man könne dessen Anweisungen „nicht ohne Kopfschütteln“ lesen (S. 66). Dieselbe Beobachtung machte der Pädagoge F.A.W. Diesterweg (vgl. Osterwalder 1996), doch in beiden Fällen stand das abschätzige Urteil der Verehrung des pädagogischen Idols nicht im Weg.107 Für Pestalozzi bedeutet der Name, das Sprachzeichen, einen von drei Aspekten der Anschauung neben Form und Zahl. Diese Trias repräsentiert die Seinsordnung und korrespondiert zugleich mit den elementaren Grundkräften des Menschen. Wörter sind insofern nicht lediglich arbiträre Zeichen, sondern knüpfen die menschliche Sprach- bzw. Schallkraft an die göttliche Ordnung. Einen Fortschritt stellen die auf einer modernen Sprachauffassung basierenden me-
107 Kehr (1889) schliesst das betreffende Kapitel in seiner ‚Geschichte der Methodik des deutschen Volksschulunterrichts‘ mit den Worten „Wir sind am Ende! Es war ein weiter Weg, den wir durchwandert haben, ein Weg der, uns freundliche Landschaften, öde Steppen [gemeint ist hier die „menschliche Verirrung“ (S. 68) in Gestalt der Buchstabiermethode, E.B.] und fruchtbare Gefilde in buntem Wechsel vorgeführt hat und der ganz dazu angethan war, uns – um des Pestalozzischen Lebenswortes zu gedenken – mit Mut und Demut zu erfüllen“ (S. 121; Hervorhebung i. O.).
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thodischen Überlegungen Ignaz Thomas Scherrs dar, des ersten Direktors des 1832 gegründeten Lehrerseminars in Küsnacht (vgl. Berner 2001). Seine Sprachlehrmittel beeinflussten über Zürich hinaus beträchtliche Teile der Deutschschweiz. Bereits in seinen ‚Ansichten über den Zustand des Volksschulwesens im Kanton Zürich‘ aus dem Jahr 1831 plädierte er unter anderem für die Einführung der Schreiblesemethode. Scherr war ursprünglich ‚Taubstummen‘-Lehrer und damit in jenem sonderpädagogischen Gebiet tätig, aus dem sprachlernmethodisch bereits im 18. Jahrhundert bedeutsame Impulse kamen. Durchaus bekannt bei einigen Zürcher Landpfarrern waren die Schriften von Johann Matthias Gesner und Johann Bernhard Basedow (vgl. Kap. 3.1.1 und 4.1.4) – beides Autoren, die auch zum Problem des Erstleseunterrichts geschrieben und dabei für das Lautieren eingetreten sind. Gesner schlug in der ‚Vorrede zu einem Lesebüchlein‘ (1739), das 1756 innerhalb seiner ‚Kleinen Deutschen Schriften‘ erschienen ist, vor, beim Lesenlernen auf das Buchstabieren zu verzichten. Interessanterweise findet man jedoch in der von ihm verfassten ‚Schul-Ordnung Vor die Churfürstlich-Braunschweig-Lüneburgische Lande‘ in Abschnitt III zum Lesen und Schreiben noch die herkömmliche Buchstabiermethode. Dies könnte damit in Zusammenhang stehen, dass Änderungen an der traditionellen Leselernmethode in der breiten Bevölkerung gewöhnlich auf erhebliche Ablehnung stiessen und, wenn eine entsprechende Reform offiziell zur Norm erhoben worden wäre, zum Beispiel auch die Notwendigkeit der Schaffung neuer Lehrmittel bestanden hätte. Basedow, der Gesners Schriften kannte (vgl. Basedow 1758), verzichtete im ‚Elementarbuch‘ und im ‚Methodenbuch‘ von 1770 sowie bereits in der ‚Practischen Philosophie für alle Stände‘ (1758) ebenfalls auf das Buchstabieren der Konsonanten und setzte hier stattdessen auf das Lautieren und Syllabieren. Der entsprechende § 75 der ‚Practischen Philosophie‘ wird in der Enquête von Pfarrer Oeri angeführt, ebenso Basedows ‚Methodenbuch‘ (1770a) (Erlenbach, B.b.3.); dabei müssen mit der „etwas dunkel von ihm beschriebenen buchstabir Methode“ (ebd.) die erläuternden Zusätze zum ‚Elementarbuch‘ im ersten Stück des zweiten Teils des ‚Methodenbuchs‘ gemeint sein. Basedow wendete sich nicht grundsätzlich gegen das Buchstabieren und Syllabieren. Er wollte jedoch auf den Gebrauch eines ABC-Buches verzichten und das Kind zuerst mündlich mit der Relation zwischen Buchstabennamen und Lautwerten bekannt machen: „Man sage in ihrer Gegenwart, wenn sie auch vor sich spielen, nur mit deutlicher Stimme oft d, a, l, dal, d,
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e, l, del, u.s.w. wie auch dal, d, a, l, del, d, e, l, u.s.w. Man thue dies zwey Monathe, als wenn mans für sich selbst thäte, und verfahre auf gleiche Art mit ganzen Wörtern. Man lasse sie alle zwey drey Minuten gleichsam scherzend versuchen, ob sie das nachmachen können, so lernen sie ohne Buch ziemlich buchstabiren“ (Basedow 1758, S. 556). Diakon Nüscheler beruft sich auf das soeben erschienene ‚Methodenbuch‘ (2. Teil, 1. Stück 1770a), wenn er als Erleichterungsmittel Basedows Empfehlung nennt, „dem sch, sche, statt e>ss, ze, ho zsagen“ (Turbenthal (B), B.b.3.). Oeri aus Erlenbach moniert, dass, wenn ein Kind „#Licht buchstabiren soll, so muss es nach der bisherigen lehrart sagen: el – i – ce – ha – te. hat es auch wohl ein Elizehate in seinem leben gesehen?“ Er fügt an, dass Kinder das Lesen zum Teil durch das Schreiben oder Singen lernten – „dagegen das gewöhnliche buchstabirn, so sehr es auch desswegen im Ruf stehet, dazu nicht das geringste beytragt“ (B.b.3.). Auch Dekan Meister in Küsnacht bemerkt, dass es manche Kinder verwirrt, dass die Buchstaben nicht gleich lauten, wenn sie alleine stehen, wie wenn sie Silben und Wörter bilden, etwa „Schul, als wann es hiesse Esscehauel“ (B.b.3.). Interessant ist seine Ambivalenz angesichts dieser offenbar erschwerenden Tatsache einerseits und der Frage, ob die lange Tradition nicht doch auf die Überlegenheit der Buchstabiermethode gegenüber jeglicher Neuerung verweise, anderseits. Seine Schulmeister hätten bisher keine Versuche in diese Richtung unternommen; „[a]ls eine Schuldigkeit könnte und wollte ich es auch von ihnen nicht fordern: noch auch wünschen, dass es zu einem allgemeinen Gesetz gemacht würde“ (ebd.). Die Mitsprache der Eltern in Unterrichtssachen ist nicht zu unterschätzen, wie sowohl Oeris skeptische Kommentare bezüglich einer neuen Leselernmethode wie Meisters Furcht vor Protesten seitens der Eltern zeigen.108 Trotz der vielfach als defizitär wahrgenommenen Praxis war es somit schwierig, Neuerungen einzuführen, insbesondere wenn sie mit Aufwand und Kosten verbunden waren. Diese Ausgangslage scheint auch für den vierten Geistlichen, der sich in der Enquête zur Leselernmethodik äusserte, bestimmend gewesen zu sein. So hat Pfarrer Johann Heinrich Waser vom Kreuz (vgl. Kap. 4.3.3) seine Versuche mit dem Lautieren auf den Unterricht seines eigenen Sohnes beschränkt. Er meint, obwohl er damit eine bessere Methode als die gewöhnliche kenne, könne er diese doch nicht 108 So weicht denn auch die Praxis in Mönchaltorf gemäss Enquête vom Vorschlag des dortigen Pfarrers Schulthess in seinem Vortrag ab, beim Leseunterricht die Konsonanten von Beginn weg zu Lautieren und auf das Buchstabieren zu verzichten.
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„#propria #Auctoritate“ einführen (B.b.3.). Zudem führt er neben den hohen Kosten für die notwendigen Schulbücher weiter den grossen Zeitaufwand als Umsetzungshindernis an. Als Referenz dient ihm das ‚Berlinische neu eingerichtete Schulbuch‘109, 3. Teil (1758) von Johann Friedrich Hähn (1710–1789)110. Hähn schreibt in seinem Vorbericht zum ersten Teil (1760), dass vernünftige Männer zu allen Zeiten bemerkt hätten, dass es „mit dem Buchstabiren eine mühselige Plackerey“ sei. „Unterdessen ist es doch noch gewisser massen nothwendig geblieben, in Schulen das Buchstabiren beyzubehalten und zu treiben. Aus welchen Ursachen, dis kann hier nicht weitläuftig angeführte werden. Weil doch aber sehr viele gelehrte und geschickte Männer, sowol aus unumstösslichen Gründen, als auch durch unverwerfliche Proben und Exempel, genigsam gezeiget, es sey möglich und vortheilhaftig, die Kinder, ohne das Buchstabiren, zum Lesen zu bringen“ (S. 2). Im Sinn eines Kompromisses habe er deshalb das Buch so eingerichtet, dass man es sowohl zur einen wie andern Methode verwenden könne. Dieses Lehrmittel war in Zürich offenbar weiter herum bekannt und wurde als vorbildlich betrachtet. So nennt auch Pfarrer Oeri ein Berlinisches Schulbuch (Erlenbach, B.b.3.),111 und ebenso empfiehlt Johann Jakob Breitinger in seiner Rede „Von der Klugheit in Unterweisung und Bildung der ersten Jugend, aus psychologischen Grundsätzen hergeleitet“ (1773) ein solches Berlinisches Lehrbuch für den Sprachunterricht. Gewähr für seine dort entwickelte sinnliche und spielerische Methode (vgl. Kap. 2.1) bietet Breitinger übrigens Comenius und nicht der in Zürich inzwischen zunehmend in Ungnade gefallene Basedow; in dessen Elementarbüchern sieht er lediglich eine „seichte Nachahmung der Comenischen Lehr-Methode“ (S. 54).
109 Dieser Teil ist, wie der Titel besagt, für die Hand des Lehrers gedacht und ist lehrmethodischer Art. 110 Hähn hatte Theologie studiert und war ab 1738 Scholastikus im Seminar und der Armenschule Klosterberge. 1753 wurde er Inspektor an der von Johann Julius Hecker (1707–1768) gegründeten Berliner Realschule, 1762 Abt von Klosterberge. Er ist der Erfinder der so genannten ‚Literalmethode‘. Johann Ignaz von Felbiger übernahm diese Memoriermethode, die nach seinem Wirkungsort auch ‚Sagansche Methode‘ genannt wurde. 111 Allerdings hat Oeri die betreffende Passage mit der Nennung des Schulbuchs aus den kritischen, anonym erschienenen ‚Gedanken über die basedowischen Schulschriften‘ (von Schlözer 1771, S. 31 f.) abgeschrieben, die August Ludwig von Schlözer zusammen mit der Übersetzung von de La Chalotais‘ ‚Essai d‘Education nationale‘ publiziert hatte.
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Neben dem Berlinischen Schulbuch benutzte Waser für den Unterricht seines Sohnes ein ‚Frankfurter Namenbüchlein‘112. Da es sich bei der folgenden Beschreibung um einen selten authentischen Bericht über eine angewandte Leselehrpraxis handelt, soll diese in ganzer Länge wiedergegeben werden: „Ich mahlte ihm die Buchstaben so wie sie alle nach u: nach aus dem Punkt erwachsen an die Tafel, so lehrnte er sie nicht nur bald kennen, sonder fasste auch ihren χaracter u: das was sie mit andren gemein u: dann auch sonderbar unterscheidendes haben desto besser ins Auge. Er hatte dieses 2–3. Tage gut gemacht, so zeigte ihm anstatt der Belohnung zu Kurzweil die Figuren der Buchstaben aus einem mit Farben #Illuminierten Frankfurter Nammenbüchli, u: so war die Sache, ich glaube noch eher als in einer Woche bey einem 3 ½ jährigen Kinde gethan, u: nicht nur die buchstaben gelehrnet, sonder auch die #Attention z. Thl. aufgewekt, u: ihm sein kleines #Indicium geschärft. in ¼ Stunde war ich u: er fertig ich konnte an meine Geschäfte, u: er an sein Spielwerk. Ich gab ihm darauf das berlinische Nammenbüchli, zeigte ihm #a u: #b heisst zusammen #ab, so musste er nicht #a. #be. #ab 3. Wörter sonder nur, wie es auch in der That ist eine einige Silbe #ab sagen u: so fort #eb. #ib. #ob. #ub. hierbey u: im Fortgang befliess mich durch Zischen u: indem ich im auf die #Organa #Loquelæ mit welchen jeder #Consonant ausgesprochen wird, deutete, ihm, wenn ich ohne Wiederspruch so sagen darf, den stummen Laut der #Consonaten oder eigentlich das was jeder derselben ohne den ihm zugegebnen #Vocal in der Aussprache eigenes hat bekannt zu machen. Gut, er begriffe es mit Lachen, u: konnte ehe 3. Wochen vorbey waren die ganze Tafel hinder u: für sich, NB. nicht buchstabieren, aber lesen. Wie viel Wörter konnte er erspahren u. ich wie viel Zeit gewinnen! Aber wann muss er denn Buchstabieren lehrnen? Eben jez. Ich gab ihm wieder sein gemahltes Frankfurter Buch, u: liess ihn da die einsilbigen Wörter Buchstabe für Buchstabe sagen, der Summ der Buchstaben durfte er nicht lang nachdenken, denn er sage sie für sich hingemahlt. Kaum hatte er gesprochen #K, #a, #tz. #B, #e, #tt. #K, #r, #u, #g. #St, #u, #h, #l. so kannte er die Katz u, das Bett gar wohl u: wenn er den weiter Krusslen u: Sidelen #etc. sagte, gab es für mich u: ihn etwas zu lachen; u: wenn ihm sagte was bey uns Krusslen u: Sidelen heissen, dem sage man zu Frankfurt Krug u: Stuhl so fasste er es für das künftige gröstentheils gar 112 Wahrscheinlich handelt es sich um: Teutsch-Reformirtes Namenbüchlein, samt den Fünf Hauptstücken. Für die Kinder, welche anfangen zu lernen. Frankfurt a. M. [o.J.]. Elektronisch verfügbar unter URL: http://bib1lp1.rz.tu-bs.de/docportal/ servlets/MCRFileNodeServlet/DocPortal_derivate_00000231/intro.htm;jsessionid =0000ZIZH4F1cnXbqP8jgdAOyh-u?hosts=local (10.01.07).
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gut u: lehrnte gewiss leichter u: beser als wenn er ohne diese Hülfsmitel #es #te #u #ha #el mühesamm in einen Stuhl hätte zusamen Studieren müssen. So wechselte immerfort mit dem gemachten Frankfurter u: Berlinischen Nammenbüchli ab, bis mein Kleiner ordentlich u: für sich allein im LehrMeiser lesen konnte“ (Kreuz, B.b.3.). Man muss an dieser Stelle bemerken, dass die genannten vier Pfarrer (Oeri, Waser, Nüscheler und Meister) die einzigen sind, von denen man aus der Enquête erfährt, dass sie, unzufrieden mit der Buchstabiermethode, sich Gedanken machten über eine bessere Lehrweise und zum Teil sogar mit der Lautiermethode experimentierten. Im Verständnis des weitaus grössten Teils der Pfarrer bildete das Buchstabieren das Fundament des Lesens a priori; die Meinung, die gründliche Buchstabenkenntnis sei eine Voraussetzung des Lesenlernens, kam einem Glaubenssatz gleich. Gemäss Äusserungen in der Enquête mussten dafür ein bis drei Winter aufgewendet werden. Gewöhnlich lernten die Kinder die Buchstaben zuerst isoliert, worauf Wörter buchstabiert wurden; beides nahm beispielsweise in Zell je einen Winter in Anspruch. Aus Kloten wird gemeldet, „dass gar alle Kinder, auch die so fertig lesen können, buchstabierend aufsagen müssen, damit sie das buchstabieren, als das Fundament zum richtigen lesen und schreiben, nicht vergessen“ (B.b.3.). Auch in anderen Gemeinden mussten sich die Kinder weiterhin im Buchstabieren üben, selbst wenn sie eigentlich bereits im Leseunterricht waren. Ähnlich wie das Buchstabieren als Grundlage des Lesens galt, hatte auch das Gesetz quasi-absolute Gültigkeit, wonach das Lesenkönnen die Basis des Schreibenlernens bildet. Dies erscheint umso fragwürdiger, als die Kinder immer zuerst Gedrucktes lesen lernten, dann Geschriebenes und schliesslich zuletzt, wenn sie überhaupt so weit kamen, selber schreiben lernten. Wiederum sind es zwei der bereits bekannten Pfarrer, daneben auch Pfarrer Thomann aus Dielsdorf, die von dieser Anschauung abweichen und das Lesen der Schreibschrift zusammen mit dem Schreiben lernen liessen. Als ‚Erfinder‘ der damit angesprochenen ‚Schreiblesemethode‘ figuriert gemeinhin der bayerische Schulrat Johann Baptist Graser mit seiner ‚Leselehrmethode‘ von 1819, wenngleich Kehr (1889) – wenig erstaunlich – auch hier auf viel frühere Empfehlungen dieser Lehrart verweisen kann. Impulsgebend wirkte wiederum, folgt man Scherrs ‚Handbuch der Pädagogik‘, der Gehörlosenunterricht (Scherr 1839).113 113 Einen Einblick in die Entwicklung der Lese- und Schreiblernmethodik anhand von Lesebüchern im 19. Jahrhundert bietet die neuere Studie von Fuchs (2001) mit Bezug auf den Kanton Aargau.
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Die Praxis, das Lesen der Handschrift gleichzeitig mit dem Schreiben zu lernen, scheint auch in Dättlikon bereits üblich gewesen zu sein; dort heisst es, es lernen lediglich diejenigen Kinder Geschriebenes lesen, die auch schreiben lernen. Dekan Meister berichtet aus Küsnacht, die Fähigeren kämen hier bereits im vierten Winter zum Lesen von Geschriebenem, „welches jedoch am füglichsten geschiehet, in dem sie selbst schreiben lernen“ (Erlenbach, B.b.24). Pfarrer Oeri aus der Nachbargemeinde Erlenbach wiederum hat beobachtet, dass manche Kinder das Lesen der Kurrentschrift automatisch durch das Schreiben lernen. Er kommt denn auch zum Schluss, „man würde weit besser thun, wenn man die Kinder, anstatt sie hiemit zuplagen, gleich aufs Schreiben sezte; denn vermittelst Schreiben lernt man wohl auch Schriften lesen“ (B.b.6.). Bemerkenswert ist die Feststellung von Oeri, dass in den Städten niemand auf die Idee komme, das Lesen von Geschriebenem zuerst und unabhängig vom Schreiben zu lehren. Gemäss der ‚Erneuerten Schul- und LehrOrdnung‘ für die städtischen Hausschulen und Deutschen Schulen von 1781 wurde das Schreiben dort tatsächlich gleich im Anschluss an das Buchstabieren mit dem Lesen gelernt; mit Nachdruck wird zugleich darauf verwiesen, dass kein Kind in die Lese-Klasse dürfe versetzt werden, bevor es gründlich Buchstabieren (und Syllabieren) könne. Wie bereits erwähnt (vgl. Kap. 2.1), stimmen die Anweisungen zum Buchstabieren, Lesen und Schreiben fast wortwörtlich mit Gesners ‚Schul-Ordnung Vor die ChurfürstlichBraunschweig-Lüneburgische Lande‘ (1738) überein. Weiter wurde für die Deutschen Schulen explizit gefordert, dass die Kinder auch auswendig schreiben lernen sollten, und es findet sich eine Differenzierung zwischen dem anfänglichen mechanischen Lesen einzelner Wörter und dem fortgeschrittenen, auf das Textverständnis konzentrierten Lesen (vgl. Usteri 1773[/1775]). Die Bedeutung des Lesens für den Wissenserwerb wird mit Bezug auf den Unterricht der Bürgerkinder erkannt; entsprechend soll man den Kindern Sachen geben, „die sie nicht nur zu verstehen im Stand sind, sondern die sie auch begierig machen zu lesen, und zu wissen, was sie lesen“ (S. 26). Dass Leonhard Usteri, der Promotor der Zürcher Stadtschulreform und Begründer der Töchterschule, eigens eine Anleitung zum Lesenlernen114 herausgegeben hat, lässt vermuten, dass auf diesem Gebiet gewisse Neuerungen vorgesehen waren. Nach der einleitenden Darstellung des Alpha114 [Usteri, Leonhard:] Anleitung zum Lesen der deutschen Sprache für die Anfänger. Zum Bessten der Züricherischen Schulen. Zürich [o.J.].
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bets in verschiedenen Schriftarten wird sogleich das Lesen von Silben und Wörtern geübt. Die Buchstaben einer Silbe und die Silben eines Wortes werden gleich zusammen ausgesprochen. Es scheint, dass das Buchstabieren damit umgangen werden sollte. Insgesamt bleibt es aber schwierig, von den Fibeln und ihrem Aufbau auf die praktizierte Methode zu schliessen. Bemerkenswert ist immerhin, dass in diesem für die städtischen Elementarschulen konzipierten Erstlesemittel mit der Druckschrift (Fraktur- und lateinische Schrift) auch bereits Kurrent gelernt wurde. Das Kennen- und Schreibenlernen der Buchstaben erfolgt nicht nach der Ordnung des Alphabets, sondern, wie bereits von Schulthess in seinem Vortrag vorgeschlagen, gemäss der Ähnlichkeit ihrer Figuren fortschreitend von den einfachen zu den schwierigeren, zusammengesetzten Zeichen. Methodische Innovationen, so lässt sich insgesamt schliessen, fanden aus verschiedenen – mentalen, materiellen und verwaltungstechnischen – Gründen im städtischen Milieu schneller Eingang als auf dem Land.
4.4.1.1 Exkurs: Alphabetisierung und Literalität im Spiegel der Enquête Die Fragen B.b.6., B.b.14. und C.1. der Enquête verlangten Angaben zum Anteil der Schüler, die in der Schule lesen und schreiben lernten und diese Kompetenzen am Ende der Schulzeit auch tatsächlich erlangten. Dies legt es nahe, die Schulumfrage von 1771 auch mit Blick auf die Vermittlung dieser Kulturtechniken auszuwerten. Die Frage, welchen Beitrag der Schulunterricht vor der flächendeckenden Etablierung der modernen Volksschule für die Alphabetisierung geleistet hat, ist eine kontrovers diskutierte (z. B. Neugebauer 1985; Schmale 1991; Hofmeister/Prass/Winnige 1998). In diesem Zusammenhang wird forschungsseitig auch die Frage gestellt, inwiefern Schulgeschichte zur Alphabetisierungsforschung115 beitragen kann (vgl. Hofmeister 2006). Dass Schulpolitik und Alphabetisierung historisch korrespondieren, liegt nahe, zugleich verweist der Facettenreichtum von Faktoren und damit Differenzen in den lokalen Verläufen auf die Unabdingbarkeit von Regional- und mikrohistorischen Studien, um im Einzelnen stichhaltige Zusammenhänge aufzeigen zu können. Solche zeigen zudem, 115 Einen Einblick in die Forschung zur Alphabetisierung und Literalisierung im Europa der Frühen Neuzeit (1500–1800) bietet Houston (2002); vgl. zudem Graff (z. B. 1981, 1987), Arnove/Graff (1987). Zur Kulturgeschichte des Lesens und des Buches vgl. insbesondere auch die Beiträge von Roger Chartier und Robert Darnton.
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dass jenseits der Zunahme über grosse Zeiträume hinweg auch zahlreiche Phasen rückläufiger Lese- und Schreibkompetenz in der Bevölkerung vorhanden waren, die zum Teil auf kleinräumige (wirtschaftliche) Entwicklungen zurückzuführen sind (vgl. Prass 2007). Die Forschung deutet darauf hin, dass die Alphabetisierung im skandinavischen und norddeutschen Raum – mitunter konfessionell bedingt – relativ früh fortgeschritten ist. Im Einzelnen liefert der Umstand, dass sich insbesondere die quantitativen Erhebungen auf Quellen mit limitierter Aussagekraft im Hinblick auf die Qualität der Lese- und Schreibfähigkeit stützen müssen, teilweise stark differierende Ergebnisse. So veranlassen Munck (2004) die Ergebnisse seiner qualitativen Untersuchung zu Dänemark im 18. Jahrhundert, basierend in erster Linie auf kirchlichen Visitationsakten, zu optimistischen Schlussfolgerung bezüglich der Literalität der Bevölkerung. Dies, obwohl er die Signierfähigkeit als Kriterium der Literalität abweist, nachdem bereits Chartier (1986) darauf verwiesen hat, dass die entsprechenden Raten zwar leicht zu erheben, aber schwer zu interpretieren sind; ganz abgesehen davon, dass es kulturell und rechtlich bedingt verschiedene Anwendungsformen und damit Verständnisweisen der Unterschrift gab (vgl. Prass 2001, 2007). In diese Richtung deutet auch die Untersuchung Nilssons (1999) für Südschweden116 in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Auswertung von Unterschriften in Heiratsregistern verweist auf eine hohe Alphabetisierung, ebenso die Lesefähigkeit, wie sie von den Pfarrern in ihren Verzeichnissen festgehalten wurde. Ganz anders sieht es hier hingegen bezüglich der Schreibfähigkeit im eigentlichen Sinn aus, so dass die von ihm mittels verschiedener Quellen und anhand unterschiedlicher Kriterien erhobenen Daten massiv zwischen ca. 10 % und 85 % variieren! Nilsson folgert, dass sich Literalität über das Verhältnis zwischen sozialen Anforderungen und individuellen Kompetenzen definiert; insofern ist die Definition von ‚Literacy‘117 je nach soziokulturellen und -ökonomischen Rahmenbedingungen und Anforderung historisch variabel. Mag die Fähig116 Schweden ist einerseits ein Spezialfall hinsichtlich der geringen Schuldichte, aber auch bezüglich der relativ hohen Alphabetisierungsraten als Folge ausgedehnter Kampagnen zur Verbreitung der Schriftkenntnis, erstmals bereits um 1700 (vgl. Johansson 1987). 117 Während ‚Alphabetisierung‘ meist relativ unspezifisch im Sinne der Lesefähigkeit verwendet wird, bedeutet Literacy „a minimal ability to read and write in a designated language, as well as a mindset or way of thinking about the use of reading and writing in everyday life“ (Venezky 1995, S. 142). Literalität umfasst also technisch die Verfügbarkeit des Lesens und Schreibens.
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keit, Bibelstellen lesend zu zitieren als zentrale Anforderung im 18. Jahrhundert noch ausreichend gewesen sein, so traten im Übergang zum 19. Jahrhundert bereits andere Bedürfnisse hinzu. Als Indikator für funktionale Literalität118 dürften damit Werte, wie sie etwa über die Signierfähigkeit zustande kommen, nicht mehr aussagekräftig sein.119 Ebenso wie die Signierfähigkeit wenig aussagt über die Schreibkompetenz einer Person, bedürfen Aussagen von Pfarrern zur Alphabetisierung, wie sie etwa in Bevölkerungsverzeichnissen festgehalten wurden, der Interpretation, was diese unter Lesen verstanden haben mögen. Eine Auswertung von Zürcher Bevölkerungsverzeichnissen im Hinblick auf Alphabetisierungsraten und Bücherbestände existiert mit der Dissertation von Marie-Louise von Wartburg-Ambühl (1981); Hinweise auf Lesefähigkeit und Lektüre gibt zudem Anna Löffler-Herzogs (1935) Untersuchung anhand der Haushaltsrödel für die reformierten Gemeinden der gemeinen Herrschaft Thurgau. Eine qualitative Studie zum Lesen und Schreiben in der Schweiz um 1700 bis 1900 hat Alfred Messerli (2002) vorgelegt.120 Wie sehen nun die Zahlen für das 18. Jahrhundert im Einzelnen aus: Für die Bevölkerung des Zürcher Oberlands um 1750/1774 kommt von Wartburg-Ambühl auf 73 % Lesefähige. Gemäss ihren Berechnungen hat in dieser Region gegenüber 1675/1699 (ca. 22 %) eine „explosionsartige Entwicklung“ (S. 34) dieser Zahlen, insbesondere bezüglich der Frauen, stattgefunden. Ähnlich hoch, jedoch bereits für die Zeit um 1720, sind die Zahlen Löffler-
118 Funktionale Literalität „implies an interaction between social demands and individual competence. Thus, the levels of literacy required for social functioning can and have varied across cultures and across time within the same culture“ (Venezky 1995, S. 142). 119 Damit formuliert Nilsson kritische Vorbehalte, die auch deutschen Regionalstudien (vgl. Bödeker/Hinrichs 1999) entgegenzuhalten wären, die, wie vor allem in Frankreich (z. B. Furet/Ozouf 1977) bereits länger üblich, Unterschriften zum Zweck der quantifizierenden Alphabetisierungsforschung auswerten. 120 Diese Arbeit steht zwar durchaus im Zeichen des Bewusstseins von qualitativ unterschiedlichen Lese-/Schreibkompetenzen und -praxen; überraschenderweise vertraut der Autor im Kapitel zu den „Hard facts“ dennoch den Zahlen von WartburgAmbühls. Diese wurden bereits in einer Arbeit aus dem Jahr 1987 von Balz Spörri zur ‚Sozialgeschichte von Literatur und Lesen im Zürcher Oberland des 19. Jahrhunderts‘ angezweifelt. Seine Kritik, wonach die Raten von von Wartburg-Ambühl mitunter zu hoch angesetzt bzw. differenzierter zu betrachten sind, basiert auf der notwendigen Unterscheidung qualitativ unterschiedlicher Lesekompetenzen.
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Herzogs (1935) für das thurgauische Mühlheim.121 Dem stehen die Ergebnisse von Spörri (1987) zum Zürcher Oberland gegenüber, der zwischen mechanischer und verstehender Lesefertigkeit differenziert und lediglich auf Letztere den Begriff der Literalität anwenden möchte: Ausgehend von weiteren zeitgenössischen Äusserungen zur Alphabetisierung der ländlichen Schichten schätzt er für die Zeit um 1800 den Anteil der Alphabeten auf rund zwei Drittel der Bevölkerung gegenüber 20–30 % Analphabeten. Als vollständig literalisiert gelten ihm 5–20 %. Spörri schätzt, dass überhaupt nur ein kleiner Teil der schulpflichtigen Kinder zur Schule ging. Was sich in der Enquête zeigt, ist, dass viele schulbesuchende Kinder dies nur unregelmässig taten. Gerade die Versorgungskrise von 1770/1771 hatte nach Aussage der Enquête dazu geführt, dass die Schülerzahlen stark schwankten und generell auch wegen Witterung, Krankheit, Schuh- und Kleidermangel sowie anfallender Arbeiten selten sämtliche Kinder zum Unterricht erschienen. In Horgen besuchten in der Bergschule 1771/1772 nur 13 von 64 Kindern die Schule, in der Turbenthaler Hauptschule fanden sich 1770 48 von 90 Schulpflichtigen ein, in Küsnacht kamen von 94 40–80 in die Schule, aus Neftenbach wird gemeldet, dass zum Schulanfang im Winter jeweils die Hälfte erscheine, und auch in Richterswil schwankte die Schülerzahl zwischen 60–100 in der Dorfschule und 20–60 in der Bergschule. Meistens überstieg die Zahl der Knaben diejenige der Mädchen, im Fall der Richterswiler Bergschule offenbar, weil die Mädchen im Winter zur Heimarbeit gebraucht wurden. Im Allgemeinen spiegeln sich das Arbeitsverhalten der Erwachsenen sowie schichtspezifische Muster im Kinder- und Jugendalter. Mädchen wurden häufiger in der Baumwollspinnerei oder Weberei beschäftigt, wobei die geschlechtsspezifische Differenzierung der Arbeitsrollen in der heimindustriellen Unterschicht abnahm und entsprechend Tätigkeiten bei den Kindern insgesamt stärker verbreitet waren (vgl. Pfister 1992a). Mit sinkendem sozialem Status des Haushaltsvorstandes vom Bauern über den Professionisten zum Heimarbeiter stieg der Anteil der Kinder im Schulalter, der bereits eine systematische Tätigkeit ausübte (ebd.). In Bauern- und Professionistenhaushalten wurden die Knaben etwas häufiger zur Mitarbeit im Betrieb herangezogen und besuchten daher leicht seltener die Schule; in den Heimarbeiterhaus121 Im Gegensatz zu von Wartburg-Ambühl nimmt Löffler-Herzog als Berechnungsbasis die erwachsenen Bewohner: Von den 383 Erwachsenen können um 1723 Lesen, Schreiben und den Katechismus 51 %, Lesen und den Katechismus 28 %, Analphabeten sind 21 %.
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halten hingegen arbeiteten Mädchen im Kindesalter beinahe doppelt so häufig wie Knaben, und entsprechend häufiger besuchten Letztere die Schule (ebd.). Regional hing die Verbreitung von Heimarbeit natürlich stark von der Einkommensrelation zwischen Landwirtschaft und Protoindustrie ab sowie von der saisonalen Kompatibilität verschiedener Tätigkeiten: Vor der Mitte des 18. Jahrhunderts spannen unter den Erwachsenen praktisch nur Frauen; erst die massive Lohnsteigerung im Baumwollgewerbe bewirkte dann die Beschäftigung auch der Männer in der Spinnerei. Spörris (1987) Unterscheidung zwischen mechanischem und verstehendem Lesen tauchte bereits in den Diskussionen des 18. und 19. Jahrhunderts zunehmend auf. Tatsächlich finden sich in den zeitgenössischen Äusserungen mitunter recht unterschiedliche Angaben zur Lesefähigkeit bezogen auf ein und dieselbe Population. Dies mag auf angesprochene Unterschiede bezüglich des Verständnisses von Literalität zurückgehen, das sich zuweilen auf (intensives) Lesenkönnen der Druckschrift beschränkte oder dann das Lesen der Handschrift und unter Umständen Schreibfähigkeit voraussetzte. So hat von Wartburg-Ambühl aus dem Bevölkerungsverzeichnis zu Wila für 1762 88 % Leser errechnet. Dass sich diese Zahl lediglich auf das Lesenkönnen von Gedrucktem bezieht, lassen die Angaben in der Enquête, von demselben Pfarrer Waser stammend, vermuten. Dort erfährt man, dass nur gerade ein Drittel der Schüler das Lesen der Handschrift erlernte. Nicht nur Spörri argumentiert – ausgehend von einem kognitiv anspruchsvolleren Leseverständnis – für eine Heruntersetzung der Zahlen von Wartburg-Ambühls; bereits Schenda hat in einer Rezension (1983) ihrer Dissertation – nicht zuletzt im Vergleich mit seiner eigenen Untersuchung zu Mitteleuropa (1977)122 – ungewöhnlich hohe Alphabetisierungsraten moniert. Neben methodischen Vorbehalten verweist Schenda auf die Frage nach den leitenden Interessen der erhebenden Personen: Die Tatsache, dass diese, nämlich die Landpfarrer, zugleich mitverantwortlich waren für die Alphabetisierung ihrer Gemeinden, kann insofern zu einer Verfälschung der Resultate führen, als die Verzeichnisse damit zugleich Auskunft über Erfolg oder Misserfolg des unter ihrer Aufsicht stehenden Unterrichts 122 Potentielle Leser in der Bevölkerung über 6 Jahren in Mitteleuropa: 1770: 15 %, 1800: 25 %, 1830: 40 %, 1870: 75 %, 1900: 90 % (Schenda 1977, S. 444). Man muss wiederum mit Reinhart Siegert (1999) bemerken, dass diese Zahlen bewusst provokativ präsentiert wurden – gegen „‚Idylliker‘, die so täten, als habe es wirklich nur noch Reclams billiger Universal-Bibliothek […] bedurft, um die ‚Kulturnation‘ im schönsten Licht erstrahlen zu lassen“ (S. 284).
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gaben. Schließlich galt die Lesefähigkeit in den protestantischen Gebieten gemeinhin als Voraussetzung für die Aufnahme in die Abendmahlsgemeinschaft. Insbesondere im Hinblick auf ihre These zur regionalen Zunahme der Alphabetisierung, die die Protoindustrie zu einer bildungsförderlichen Modernisierungsentwicklung generalisiert, muss die geringe Dichte der Datenbasis von Wartburg-Ambühls veranschlagt werden. Sie schliesst aus ihren Berechnungen, dass die Wachstumsraten im Zürcher Oberland im 18. Jahrhundert alle übrigen Regionen überflügelten, so dass die dortige Alphabetisierung gegen Ausgang des Jahrhunderts jene in den Ackerbaugemeinden durchschnittlich übertroffen hätte. Das Oberland zeichnete sich durch Streusiedlungen und schlechte Verkehrslage aus, was den Schulbesuch, vor allem im Winter, erschwert hatte (vgl. Kap. 3.3). Demgegenüber hatte die Ackerbauregion im 17. Jahrhundert zwar eine bedeutend bessere Ausgangslage; in der Folge stagnierte jedoch in der Interpretation von Wartburg-Ambühls (1981) der Anteil der Schriftkundigen wegen der „in dieser Gegend besonders stark ausgeprägte[n] konservative[n] Lebenshaltung“ (S. 66). In derselben Zeit soll sich in den industrietreibenden Schichten, so ihre Feststellung im Anschluss an Braun (1979), ein „gestaltender Kulturwille“ und das „Offensein für geistige und kulturelle Strömungen“ positiv bemerkbar gemacht haben (von Wartburg-Ambühl 1981, S. 61). Während Lesen und Schreiben hier also zunehmend an Bedeutung gewannen, seien diese Fertigkeiten für den Bauernberuf kaum von Nutzen und Interesse gewesen. Dem ist für die Zeit um 1770 aufgrund der Enquête entgegenzuhalten, dass es immer noch in erster Linie die Wohlhabenderen, das heisst meist die Bauernsöhne waren, die Schreiben, Lesen von Geschriebenem und teilweise auch in der Schule Rechnen lernten,123 da man davon ausging, dass die Bauernökonomie diese Kompetenzen am ehesten verlangte; vor allem bei den Mädchen hatten die Bauerntöchter und Mädchen aus bemittelten Familien einen starken Vorteil. Weitet man die Perspektive über Zürich und die Schweiz international aus, so zeigt etwa auch die vergleichende Lokalstudie zu Vaucluse (Frankreich) und Baden von Mary Jo Maynes (1985) eine 123 Vgl. Fehraltorf (B.b.6., B.b.21.), Kloten (B.b.14.), Schöfflisdorf (B.b.6.), Schwamendingen/Oerlikon (A.b.1.), Weisslingen (B.b.6.), Wil (B.b.14.), Zollikon (B.b.21.). Zu denselben Resultaten kommt auch Pfister (1992a, S. 315f f.) in seiner Auswertung von Bevölkerungsverzeichnissen hinsichtlich des Schulbesuchs: Bauernkinder gingen demnach häufiger in die (Winter-)Schule als Angehörige von Heimarbeitern oder Taglöhnern (vgl. auch Rosenmund 2006).
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in diesem Punkt ähnliche Einschätzung.124 Besonders für Vaucluse konstatiert sie: „[…] it was precisely among the poorer agricultural classes that the early-nineteenth-century rise in literacy was most obvious. In fact, the bulk of the literacy rise that occured in the département in the first half of the nineteenth century is probably to be explained in terms of the rising literacy of cultivateurs and cultivatrices rather than in any great movement from agricultural to industrial employment. In the booming factory towns, and especially among the factory workers, literacy skills were stagnating“ (S. 189 f.). Rechnen lernten neben den Bauernjungen ausserdem Knaben, die zum Handwerk oder zur Kaufmannschaft bestimmt waren, oder Kinder von Dorfoberen (vgl. Horgen, Kreuz, Kloten). Der Wille und die Möglichkeit zur Investition in Bildung hingen generell von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Haushaltes ab, und um diese war es bei den grossen und mittleren Bauern am besten bestellt. In Wil lernten entsprechend nur die Bauernsöhne schreiben, während Taglöhnerkinder und Mädchen hierzu keine Lust gehabt hätten. In den Antworten auf C.2., ob es besonders fähige Schüler gebe und was mit diesen bezüglich Bildung geschehe, wird zuweilen ausgesagt, dass es am Vermögen mangle, ihnen einen längeren Schulbesuch oder eine weitere Ausbildung zu ermöglichen (vgl. Ossingen, Wil). Die Marktanbindung einer Region hat sich verschiedentlich als positiver Faktor der Alphabetisierung erwiesen (vgl. z. B. Norden 1980), genauso wie sich Streusiedlungen im Allgemeinen negativ auswirkten (vgl. z. B. Furet/ Ozouf 1977). So machen es auch die zeitgenössischen Aussagen für Zürich durchaus plausibel, dass die Industrialisierung den Seegemeinden förderlich war. Insbesondere für die hier angesiedelten ländlichen Verleger, die zwischen städtischen Textilherren und Heimarbeitern agierten, war die Beherrschung der Schrift und des Rechnens für eine betriebswirtschaftliche Kostenplanung und Organisation unabdingbar. Im Oberländer Hinterland hingegen hatte die Ausbreitung der Heimarbeit eher Armut als Basis; diese 124 Eine negative Wirkung der sich ausbreitenden (Proto-)Industrie auf die Alphabetisierung hat für Frankreich (Normandie) auch Jeorger (1977) festgestellt. Maynes ist nicht nur bezüglich der Einschätzung des positiven Einflusses ökonomischer, sondern auch politischer Modernisierungsbewegungen auf die Durchsetzung der Schulpflicht vorsichtig. Der Vergleich zwischen Baden und Vaucluse zeigt, dass die konservative, d. h. ständisch-paternalistisch und weiterhin stärker kirchlich getragene Beschulungspolitik in Baden verglichen mit der liberalen französischen in der Zeit des Übergangs vom 18. zum 19. Jahrhundert erfolgreicher war. Dieser Befund stimmt mit François (1989) und Prass (2007) überein, die für jene Periode einen generellen Vorsprung Deutschlands gegenüber Frankreich konstatieren.
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Gemeinden wiesen einen höheren Anteil an Bewohnern auf, die zu ihrem Unterhalt auf den Verdienst aus der Heimindustrie angewiesen war. Die Industrialisierung hatte insgesamt eine zumindest ambivalente Wirkung: Einerseits mochten durchaus auch in diesem Tätigkeitsbereich vermehrt Forderungen nach sprachlicher und rechnerischer Literalität aufgekommen sein; gleichzeitig behinderte aber in den unteren Schichten der Einsatz von Kindern als Arbeitskräfte selbst im Winter den Schulbesuch. Die Verwendung zeitgenössischer qualitativer Quellen, die sich explizit zur Alphabetisierungsfrage äussern oder implizite Rückschlüsse zulassen, wird gerade in der hier in Betracht kommenden Zeit zunehmend problematisch. Jene Frage wurde nämlich im volkserzieherischen 18. Jahrhundert vermehrt zu einer politischen, stand sie doch in Zusammenhang mit der Güte und Aufgeklärtheit einer Regierung und den kulturellen Leistungen eines Staates. Mit entsprechender Vorsicht sind die zeitgenössischen, häufig ideologiegeleiteten Äusserungen dazu aufzunehmen: Im Zuge der Volkserziehungsbewegung wurden die Raten der Schriftkundigen bald als misslich tief bezeichnet, um so die anvisierten Projekte zu legitimieren und propagieren; diese Diagnosen standen scheinbar der Lesesuchtdebatte nicht entgegen, die bald von einer rasanten Zunahme ausging und diese fürchtete. Äusserungen über die Beschaffenheit und damit vor allem auch den Bildungsstand der Bevölkerung eines Landes oder einer Region finden sich ab dem 18. Jahrhundert in Reiseberichten zuhauf. Und es scheint nicht verwunderlich, dass zum Beispiel der liberal gesinnte Publizist lutherischen Ursprungs Heinrich Zschokke in seiner ‚Selbstschau‘ (1842/1977) den negativen Eindrücken aus dem katholischen Peterzell (Kanton St. Gallen) von 1795 beim Eintritt in die Schweiz positiv die Begegnung mit einem jungen, belesenen Bauern aus der zürcherischen Seegemeinde Stäfa gegenüberstellt. Auch die Antworten der Zürcher Landpfarrer auf die Enquête waren wohl zuweilen von Eigeninteressen verschiedener Art mit beeinflusst. Wegen ihrer sehr unterschiedlichen Genauigkeit sind die enthaltenen Auskünfte zur Wirksamkeit des schulischen Unterrichts im Lesen und Schreiben wenig geeignet für quantitative Aussagen – sie siedeln sich im Spektrum von präzisen Zahlen bis vagen Mengenwörtern („einige“, „viele“, „die wenigern“, „nicht alle“ etc.) an. Die Quelle stellt aber eine willkommene Ergänzung dar, insofern sie Kommentare beinhaltet, die Rückschlüsse zur Bestimmung dessen zulassen, was unter den literalen Kompetenzzuschreibungen jener Zeit zu verstehen ist. Dies gerade im Gegensatz zum häufig verwendeten Kriterium der Signierfähigkeit, aber auch zu Angaben von Pfarrern in
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ihren Registern und Gemeindeverzeichnissen, die die unspezifischen Kategorien der Lesefähigen, eventuell Lese- und Schreibkundigen einerseits und der Analphabeten anderseits unterscheiden. Die Beschäftigung mit den Antworten auf die Enquête zeigt diesbezüglich deutlich: Erst der Einbezug dieser Art von Quellen wirft diejenigen Fragen auf, die zu berücksichtigen für die Interpretation von seriellem Zahlenmaterial absolut unerlässlich ist. Inwiefern diese Behauptung Gültigkeit beanspruchen kann, soll im Folgenden anhand sechs ausgewählter Gemeinden exemplifiziert werden. Ausgehend davon lässt sich die These aufstellen, dass in der hier untersuchten Zeit die Funktionalität der in Teilen vorhandenen Schriftkompetenz angesichts sich wandelnder Anforderungen zunehmend in Frage stand, dies zumindest auf Seiten der für die Anliegen der Volksaufklärung offenen Kreise (vgl. Siegert 1994). Abgesehen von der Verteilung über verschiedene Regionen fanden bei der Auswahl unter anderem gebietsspezifische Untersuchungsergebnisse von Wartburg-Ambühls (1981) sowie die Existenz von ihr errechneter Alphabetisierungsraten zu einzelnen Gemeinden Berücksichtigung. Die Wahl fiel damit auf folgende Gemeinden und Regionen: Rafz: Ackerbaugemeinde im nördlichen Unterland Wangen: Mischzone, Glattal Pfäffikon: Oberland Mönchaltorf: Oberland Kreuz: stadtnahe Gemeinde am rechten Zürichsee Altstetten: stadtnahe Ackerbaugemeinde Um 1770 spielte Heimarbeit bereits in sämtlichen ausgewählten Gemeinden neben der Landwirtschaft eine Rolle – am ausgeprägtesten in den Oberländer Gemeinden Mönchaltorf und Pfäffikon, am wenigsten in Rafz – bzw. stellten die städtischen oder stadtnahen Fabriken eine Verdienstquelle dar. Bei den Auswertungen kommt eine Definition von Literalität 125 zur Anwendung, die in pragmatischer und funktionaler Hinsicht an den ‚Gebrauch‘ gebunden ist. Literalität bestimmt sich als ein Wissen und Können im Sinne des „how to deal with words in a social setting“. Damit gilt auch, dass „[t]he only literacy that matters is the literacy that is in use“ (Galtung 1981, S. 280 und Lewis 1953, zit. nach Messerli 2002, S. 4). Im Gegensatz zu älteren 125 Die Forschungsergebnisse der letzten 30 Jahre präsentiert das ‚Handbuch Lesen‘ (Franzmann/Hasemann/Löffler/Schön 1999); vgl. auch Harris/Hodges (1998); Richards/Schmidt (2002).
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Auffassungen, die von einer Unterscheidung zwischen aktivem Schreiben und passivem Lesen ausgegangen sind, wird in diesen Definitionen Lesen selbstverständlich als aktiver kognitiver Prozess der Sinnkonstruktion aufgefasst (vgl. Messerli 2003). Der erreichte Grad an ‚Literalität‘, als historisch und kulturell relative Kategorie, kann nur in Bezug zu den je vorhandenen Alltagsanforderungen bestimmt werden. Und es stellt sich im Kontext dieser Arbeit besonders die Frage, inwiefern das dazumal in der Schule realistischerweise Erlernte jenen Anforderungen gerecht wurde. Damit drängt sich mit Bezug auf das 18. Jahrhundert technisch die Unterscheidung beim Lesen zwischen Lesen von Gedrucktem und Geschriebenem auf126 sowie beim Schreiben zwischen Abschreiben und der Fähigkeit, originale Texte aufzusetzen. Schliesslich erforderten die Satzungen für die Landschulen von 1744 gemäss den Abschnitten VI und XII lediglich das Lesenkönnen von Gedrucktem, Lesen von Geschriebenem und Schreiben waren fakultativ; der Schreibunterricht wiederum, der gegen separate Bezahlung gegeben wurde, bestand aus dem Abschreiben so genannter „Zedel“ mit von Hand geschriebenen Bibelsprüchen. Inzwischen aber, so die begründete Vermutung, wurden diese Kompetenzen in zunehmendem Mass als ungenügend wahrgenommen und von den Pfarrern deshalb auch vermehrt thematisiert und differenziert.
Rafz, eine Ackerbaugemeinde, und Wangen, eine Gemeinde der Mischzone Von Wartburg-Ambühl (1981) kommt für die zuletzt von ihr untersuchte Phase von 1750–1774 zu dem Ergebnis, dass die grösste Differenz bezüglich durchschnittlichem Alphabetisierungsgrad zwischen den Gemeinden der Mischzone mit 88 % und den Gemeinden der Ackerbauregion mit 69.3 % bestand. Da gerade für diese Zeitspanne ein starker Rückgang an Zählungen zu verzeichnen ist, ist diesen Zahlen mit Vorsicht zu begegnen. In Rafz, als Beispiel einer typischen Ackerbaugemeinde, konnten gemäss von Wartburg-Ambühl um 1762 knapp 40 % der Gesamtbevölkerung lesen, davon 3.7 % zusätzlich schreiben. In Wangen hingegen, das in der Mischzone liegt, waren um 1762 bereits 91 % alphabetisiert, wovon jedoch lediglich 126 Zum Verhältnis zwischen Lesen von Gedrucktem und Lesen von Handschriften vgl. Messerli (2000). Die katholischen Orte wichen dort von der im 18. Jahrhundert üblichen Praktik ab, wo aus Mangel an Druckschriften der Erstleseunterricht anhand von Handschriften stattfand.
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0.2 % auch schreiben konnten – eine Diskrepanz zwischen Lese- und Schreibfähigkeit, die die Frage nach der Qualität der vorherrschenden Lesekompetenz unweigerlich aufwirft. Die Enquête-Antworten aus den Gemeinden Rafz und Wangen deuten darauf hin, dass in beiden Gemeinden die „allermeisten“ (Rafz, C.1.) Schulkinder lesen lernten. Schwieriger gestaltet sich hingegen die Einschätzung hinsichtlich des Schreibens: Es stellt sich der Verdacht ein, dass Schreibenlernen offensichtlich nicht gleichzusetzen ist mit Schreibenkönnen. Zwar heisst es von Pfarrer Schaufelberger127 zu Rafz, es lerne selten ein Knabe nicht schreiben (B.b.14.), an anderer Stelle jedoch, dass es im Schreiben „wenige oder keine zur #perfection, besonders die #Orthogr. Betreffend [bringen]. Mann schreibt hier nicht, als an Nachmittagen, nie auswendig, nur in der Schul etc.“ (C.1.). Dies im Gegensatz zum Lesen, wo es die „allermeisten“ zu einer gehörigen Fertigkeit bringen. In Wangen war die Lesefähigkeit gemäss von Wartburg-Ambühl (über 90 %!) und den Antworten des Pfarrers ebenfalls verbreitet; zum Schreiben heisst es, dass „alle Knaben und Töchteren die lesen können […] auch schreiben lernen“ müssen (B.b.14.). Dennoch lag die Fähigkeit, sowohl Lesen als auch Schreiben zu können, gemäss von Wartburg-Ambühl lediglich bei 0.2 %. Entweder sind die Angaben in der Enquête und/oder in den von von Wartburg-Ambühl ausgewerteten Bevölkerungsverzeichnissen, sämtliche von den Pfarrern stammend, einfach höchst unzuverlässig, oder, wie bereits angedeutet, die beachtlichen Differenzen kommen dadurch zustande, dass die Absolvierung von Schreiblektionen längst nicht bedeutete, dass ein Jugendlicher oder Erwachsener zuletzt auch Schreiben konnte. Beschränkten sich die im Unterricht angeeigneten Fertigkeiten wahrscheinlich meist auf das Abschreiben vorgefertigter Zeilen, bedeutet die Beherrschung funktionalen, alltagspraktischen Schreibens etwas ganz anderes. Daran lässt sich die Vermutung anschliessen, dass sich die Fähigkeiten der von von Wartburg-Ambühl identifizierten Leser weitgehend auf Gedrucktes beschränkten. Die Antworten aus weiteren Gemeinden bestätigen diese Vermutungen. Der Schreibunterricht ging selten über das Abschreiben von so genannten Vorschriften, wie es in den Satzungen für die Landschulen gefordert wurde, hinaus; dass das eigenständige Verfassen originaler Texte etwas anderes bedeutet und nicht oder selten in den Schulen erlernt wurde, wussten ver127 Johann Kaspar Schaufelberger (1723–1772) war in der Zeit zwischen seiner Ordination 1746 und dem Antritt der Pfarrstelle in Rafz 1754 Hauslehrer in Baden und Rheineck (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953).
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schiedene Pfarrer (z. B. Bülach, Küsnacht). Diese Problematik hängt mit der Tatsache zusammen, dass man in den Landschulen das Lesen unabhängig vom Schreiben lernte und man mit dem Lesen der Druckschrift den Anfang machte. Die Dissoziierung beider Kompetenzen wurde im 16. Jahrhundert in der Folge des Aufkommens des Buchdrucks vollzogen und ist kennzeichnend für das Ancien Régime. Die Antworten auf die Enquête, aber bereits die Art der Fragestellung in B.b.6. verweist darauf, dass es längst nicht alle Schüler im Laufe ihrer Schulkarriere bis zum Lesen der Handschrift brachten. Dies wiederum macht plausibel, dass der Erwerb von Literalität im Sinne funktional-expressiver Schriftbeherrschung in den Landschulen nicht die Norm darstellte.
Kreuz und Altstetten, zwei stadtnahe Gemeinden, und die Oberländer Gemeinden Pfäffikon und Mönchaltorf Die Analyse der Aussagen zum Lesen und Schreiben in den vier übrigen Gemeinden bestätigt die bisherigen Feststellungen. Der Entscheid für diese Beispiele, Pfäffikon und Mönchaltorf für das Oberland, die Kreuzgemeinde und Altstetten für stadtnahe Gemeinden, erfolgt mitunter, weil die vorstehenden Pfarrer entweder selber Schulreformen anregten (Pfäffikon, Mönchaltorf ), der Pfarrer Mitglied derjenigen gemeinnützigen Gesellschaft war, die die Umfrage initiierte, und dabei selber zur Ausarbeitung des Fragebogens beitrug (Altstetten), oder, im Fall von Johann Heinrich Waser im Kreuz (vgl. Kap. 4.3.3), eindeutig als (schul-)reformerisch interessiert identifiziert werden konnten. Das heisst, es wird angenommen, dass jene Merkmale und Umstände zu einer seriös-kritischen Beantwortung der Fragen beitrugen. In sämtlichen vier Gemeinden beklagen die antwortenden Pfarrer den Einsatz der Kinder in der Textilindustrie und/oder in der Landwirtschaft als dem Schulbesuch abträglich. In Altstetten suchten die Kinder vereinzelt schon früh in der Stadt ihren Unterhalt zu verdienen. Im Kreuz wurden offenbar bereits Sechsjährige in der Weberei beschäftigt – mit gesundheitlichen Folgen. Die in der florierenden Brokatherstellung beschäftigten Kinder lernten gemäss der Aussage Wasers „nie #perfect lesen“ (A.a.5.). Auch im vorwiegend agrarischen Altstetten hielten gemäss Pfarrer Schinz die Webstuben seit kurzem Einzug. Im Lesen zeigt sich folgendes Bild: Im Kreuz gebe es Fünfjährige, die es beherrschen, andere brauchen zwei bis vier Jahre, nur um das Buchstabie-
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ren zu lernen. In Pfäffikon, wo neben der Hauptschule fünf abgelegenere Nebenschulen existierten, lernen es in zwei Schulen (gemäss Antwort C.1. in vier Schulen) die meisten, in den restlichen „die wenige[n]“ (B.b.6.). In Altstetten und Mönchaltorf machen die Pfarrer die Erfahrung, dass das Können für die Zulassung zum Heiligen Abendmahl oftmals nicht hinreicht – die Jugendlichen wurden zu früh aus der Schule genommen oder haben das Erlernte nach der Ausschulung wieder verlernt. In Altstetten müssen die Schulentlassenen deshalb in der Zeit bis zur Kommunion in der Sonntagsschule weiterhin lesen lernen bzw. üben. Derselbe Pfarrer Schinz attestiert gleichzeitig einigen Schülern ziemliche Fertigkeiten; die Vorgesetzten seien am letzten Examen erstaunt gewesen, wie „die einen geschriebenes, die andern, und ganz kleine kinder, die kaum auf den Tisch sehen konten, und es erst diesen winter gelehrnet, gedruktes lesen konnten“ (B.d.2.). Gewisse Widersprüche in den Aussagen zum Schreiben, die man verstreut über verschiedene Fragen innerhalb ein und desselben Antwortdokuments findet, sind schwierig zu deuten. Ein Punkt verweist jedoch nochmals auf das damals gewöhnliche Verständnis des Schreibenlernens: Schreibenlernen war offenbar auch hier nicht gleichzusetzen mit Schreibenkönnen und bezeichnete in den meisten Fällen lediglich die Fähigkeit, eine Vorschrift abschreiben oder eventuell auswendig hinschreiben zu können. Zudem muss der Faktor des Verlernens beim Schreiben noch stärker als beim Lesen mit einbezogen werden (vgl. Hirzel, Mönchaltorf, Rickenbach, Illnau, Dättlikon, C.1.), weil es nie richtig erlernt und also auch nicht angewendet und weiter eingeübt wurde. Zum Schreiben kann festgehalten werden: In Pfäffikon bringen es immerhin in zwei von sechs Schulen die meisten „ziemmlich weit im Schreibern“ (C.1.). Der Pfarrer zu Altstetten schreibt, dass es früher, ehe man die Kinder – wegen der Teuerung – so früh aus der Schule nahm, wohl viele „gute Schreiber“ gegeben habe. Die Fortsetzung der Antwort gibt einen Hinweis darauf, was unter einem „Schreiber“ verstanden wurde: „[I]hnen werden vorzädel von einem spruche aus der h. Schrift oder einem geistlichen Lied gegeben.“ In Betracht ziehen muss man allerdings die hierbei anvisierte Funktion des Schreibenkönnens, wie sie in einer Äusserung Kammerer Schulthess‘ aus Mönchaltorf zum Ausdruck kommt: „Unsrer E.* Classe [das Kyburger Kapitel, E.B.] hat einmüthig erkennt, dass die Vorzedel künftig von den Hhen Pfarrern angegeben, u. solche Stücke gewählt werden, die dem Kind der Werth seyen, die Schrift sein Lebtag aufzubehalten, u. davon es im religiosen u. bürgerlichen Leben Gebrauch machen könne“ (B.b.17.). Es ist bemerkenswert, dass diese auf intensive Lektüre zie-
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lende Vorstellung von Literalität auch beim fortschrittlich gesinnten Kammerer Schulthess Priorität beanspruchte. Ähnliches gilt übrigens für den pädagogisch ebenfalls sehr initiativen Pfarrer Meyer aus Pfungen, der 1771 auf die Bitte der Stillständer, die Kinder inskünftig in der Schule auch das Schreiben lernen zu lassen, meinte: „Laut Schulordnung sollen die Kinder lesen und Geschriebenes lesen, das ist das Wichtigste. Schreiben ist ein zeitlicher Vorteil, Lesen aber ist der Seelen Vorteil für die Ewigkeit. Jeder soll Gottes Wort lesen können, denn keiner wird zum Abendmahl zugelassen, der nicht das Neue Testament lesen kann“ (zit. nach Steiner 1954, S. 226). Waser vom Kreuz antwortet zwar auf die Frage, ob alle Knaben und Mädchen schreiben lernen (B.b.14.), mit Bezug auf die Knaben mit „ja“ bzw. „[d]ie meisten“, sagt aber andernorts gleichzeitig, dass nur wenige Geschriebenes lesen lernten (B.b.6.). Auch hier ist Schreiben wohl weitgehend mit Abschreiben gleichzusetzen – denn wie kann man schreiben, ohne Geschriebenes, das heisst Kurrent, lesen zu können? Ebenso lernen in Mönchaltorf zwar alle Knaben schreiben und auf Verlangen der Eltern auch einige Mädchen; Geschriebenes lesen können hingegen „nicht alle“ (B.b.6.). Kein Wunder: Der Mönchaltorfer Stundenplan, der auf das Antwortdokument übertragen wurde,128 zeigt, dass Schreiben „mit Hülfe des Schulmeisters“ betrieben wurde, oder der Schüler „schreibt allein nach vorschrift“ (B. b.1./2.). Zum Erfolg des Schreibunterrichts meint Schulthess, dass „sie es nicht weit [bringen], u. die meisten verlernen, wenn sie die Schule verlassen haben, das wenige wied. was sie gekonnt haben. die meisten haben wenig Anlass sich zu üben u. suchen ihn nicht“ (C.1.). Die fallweise beigezogenen Gemeinden bringen ans Licht, dass unter ‚Schreiben‘ vielerlei verstanden wurde. Zieht man die übrigen Enquête-Dokumente zu Rate, so bestätigt sich die Vermutung, dass der Begriff oftmals gleichbedeutend mit Abschreiben von so genannten Vorzetteln verwendet wurde. So hört man etwa aus Berg am Irchel, jedes Kind müsse täglich ein bis zwei Vorschriften „abschreiben, und abzeichnen“ (B.b.18). ‚Schreiben‘ konnte also, erstens, lediglich ein Abzeichnen der Buchstaben und Wörter bedeuten, wobei Sinn und Bedeutung der Zeichen und Ausdrücke nicht unbedingt bekannt sein mussten; zweitens, ein verstehendes Abschreiben (etwa in Bülach); drittens, das Schreiben aus dem Gedächtnis, das heisst, es wurde frei aufgeschrieben, was man auswendig gelernt hatte, um den Text 128 Es ist derselbe, der sich im Anhang zur ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ (1771) (vgl. Kap. 5.2) abgedruckt findet.
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besser behalten und allenfalls erneut einüben zu können; oder, im vierten und besten Fall, das freie Textverfassen. Die Differenzen und ihre Bedeutung waren den Pfarrern bewusst. Pfarrer Schaufelberger aus Rafz hebt entsprechend hervor, dass in seiner Schule nie auswendig geschrieben würde. Und der Wollishofer Pfarrer fragt am Schluss des Antwortdokuments, ob die Kinder auch lernen sollten auswendig zu buchstabieren und schreiben, „weil (wie bekannt) es ihnen eben daran gewohnlich fehlet, wenn sie mit der Zeit etwas auswendig schreiben sollen“. Auch Diakon Nüscheler bemerkt, dass „wenn schon etwa eines einen Vorzädel so ordentlich abschreiben kann, so ist es um desswillen noch nicht im Stande, etwas ohne Vorschrift erträglich zuschreiben dazu sollten, wenn ein Kind die gehörige zeit nach Vorzädeln geschrieben hat, dann erst noch besondere Übungen angestellt werden, welche, so viel ich weiss, in den meisten Schulen fehlen“ (Turbenthal (B), C.1.). Andere Beispiele deuten durchaus auf einen anspruchsvolleren Unterricht hin, so die Schule von Regensberg, wo die Kinder mit Abschreiben beginnen, nach einem Jahr Übung dann aber angeleitet werden, aus dem Kopf zu schreiben (vgl. auch Küsnacht, Herrliberg/Wetzwil). In Flaach wird zwar ebenfalls von Vorschriften abgeschrieben; um die Orthographie zu erlernen, wird dann allerdings auch hier aus dem Kopf geschrieben (vgl. auch Erlenbach). Dies scheint in Weiningen gleichfalls üblich gewesen zu sein: „Im Schreiben bringen es viele auch so weit, nicht nur dass sie etwas ordentlich und sauber abschreiben, sondern auch aus ihrem Kopf richtig auf das Papeir [sic] sezen können“ (C.1.). In Fällanden – und wohl auch in den meisten anderen Gemeinden – sind es die Besten, die sich im Auswendigschreiben üben und sogar „leichte Fragen“ schriftlich beantworten (C.2.). Zu Weiningen liest man auch, dass die Knaben Fragen aus dem Katechismus, Psalmen oder Sprüche aus dem Gedächtnis schreiben mussten. Interessant ist auch der Fall von Neftenbach, wo die Schüler nicht lediglich handschriftliche Vorzettel kopierten, sondern aus dem gedruckten Buch abschrieben; diese Übersetzungsleistung von Fraktur in Kurrent verweist auf eine integrale Schriftkenntnis. Dieses Vorgehen hatte übrigens Kammerer Schulthess in seinem Referat (vgl. Kap. 3.1.1) gefordert: Sobald die Kinder die Buchstaben gemäss den Vorschriften richtig nachschreiben können, solle man ihnen Gedrucktes zum Abschreiben geben. Auf der nächsten Stufe folgt das Aufschreiben aus dem Gedächtnis und zuletzt das Verfassen von Texten „aus eigenem Conzept“. Die meisten Kinder und Jugendlichen erlangten in der von ihnen absolvierten Schulzeit diese Fertigkeit nicht, und es war wohl nicht selten das
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autodidaktische Lernen, welches im einzelnen Fall zur vollständigen Literalität führte. So meint Dekan Meister aus Küsnacht: „Jedoch wird man sich auch bescheiden, dass um einen wolgesetzten Brief, oder einen andern ordentlichen Aufsatz ohne fehler in einer guten Schreib-art heraus zu bringen, etwas mehrers erfordert ∫wird∫ als nur was man in denen Land-Schulen lernt; wie wol man in der Löbl. #Physicalischen und #oeconomischen Gesellschafft Proben hat, dass junge Landleüte, nachdem sie aus der Schul weggekommen, sich nachhero für sich allein durch lesen Guter Bücher, durch reiffes Nachdenken, und umgang mit geschikten Leüten auch eine Fertigkeit erworben ihre Gedanken, ihre Einsichten, ihre Erfahrungen, ihre Empfindungen, nicht unschiklich so wol in gebundener als ungebundener Sprache auszudrücken“ (C.1.). Ein weiteres Zitat weist darauf hin, dass den Landschulen im 18. Jahrhundert zwar eine grundlegende Rolle für die Alphabetisierung der Bevölkerung zukam; die Qualität der erlangten Leseund Schreibfähigkeiten war mit entscheidend für den weiteren Gebrauch der Schrift, und ein solcher späterer Umgang war offenbar in den meisten Fällen bedeutsam für die stabile Aneignung funktionaler Literalität. In diesem Sinn meint nämlich Pfarrer Oeri aus Erlenbach: „Indessen ist es gewiss, dass ein Land-Kind im lesen besser solte gegründet werden als ein Kind in der Stadt, weil es wegen seinem berufe fast keine Zeit zur Uebung im lesen hat, und wenn es seiner Jugend nicht wohl darinn geübt ist, es also bald wieder vergisst“ (Erlenbach, C.1.). Interpretiert man die Angaben zur Alphabetisierung in der Enquête und stellt sie den Ergebnissen von Wartburg-Ambühls (1981) abschliessend gegenüber, so lässt sich mit Bezug auf die quantitativen Verhältnisse Folgendes festhalten: Zwar kommt auch von Wartburg-Ambühl zu tiefen Zahlen bei der Auswertung der Schreibfähigkeit, im Hinblick auf die Lesefähigkeit haben sich hingegen gemäss ihrer Berechnung die Raten für das Zürcher Oberland innert 50 Jahren von 33.4 % um 1700/1724 bis 1750/1774 auf 73 % mehr als verdoppelt. Angesichts der schmalen Datenbasis pro Region und Zeitphase bleibt zumindest fraglich, ob die je vorhandenen Bevölkerungsverzeichnisse repräsentativen Charakter haben. Lokale und individuelle Faktoren wie Armut oder Wohlstand einer Gemeinde, Bedeutung industrieller Kinderarbeit, Unterrichtsmethoden und -praktiken im Lesen und Schreiben oder die Erwartungen an den Schulunterricht von Seiten verschiedener dörflicher Interessengruppen dürften im konkreten Fall ausschlaggebend gewesen sein; diese Merkmale verteilen sich jedoch nicht homogen auf die von ihr definierten Regionen (Ackerbaugemeinden, Stadtgemeinden, Seegemeinden, Mischzone, Kno-
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nauer Amt, Zürcher Oberland) und erzeugen je nachdem unterschiedliche Wechselwirkungen. Damit erschwert sich auf der Basis der vorhandenen Quellen die Interpretation regionaler Entwicklungsdifferenzen jenseits der Feststellung, dass im 17. und 18. Jahrhundert insgesamt eine Zunahme der Alphabetisierung stattgefunden hat. Gerade bezüglich des Zürcher Oberlandes ist aufgrund der Enquête davon auszugehen, dass sich im 18. Jahrhundert die Verbreitung der Textilindustrie – im Gegensatz zu deren Bedeutung in den wohlhabenderen und verkehrstechnisch günstiger gelegeneren Seegemeinden – alles andere als förderlich auf den Schulbesuch und die Alphabetisierung ausgewirkt hat. Qualitativ hinwieder legt die Enquête nahe, dass sich die von ihr erhobene Lesefähigkeit immer noch auf das gedruckte Wort beschränkte, während eine kleine Minderheit zu den funktional-expressiven Schreibern und extensiven Lesern gehörte, die auch Geschriebenes lasen. Bezüglich der Frage der Entwicklung der Lesekompetenz können die Ergebnisse von Jeanne St. Chall (1983) herangezogen werden. Sie hat ausgehend von Piagets Stufen der kognitiven Entwicklung und unter Einbezug von neueren Erkenntnissen aus der Psychologie, Linguistik, den Neuro- und Erziehungswissenschaften sechs aufeinander aufbauende Phasen des Lesenlernens abgeleitet.129 Jugendliche, die um 1770 die Schule verliessen, dürften aufgrund der zurückgelegten Unterrichtszeit auf Stufe 2 angelangt sein. Dies ist insofern ein kritisches Stadium, als es hier um die Bestätigung und Festigung einer Lesefertigkeit geht, die über das initiale Entziffern des Schriftkodes hinausgeht und zum fliessenden Lesen führt. Zunehmend angestrebt und zu einer Forderung wurden aber in jener Zeit, blickt man etwa auf die von der Naturforschenden Gesellschaft in Umlauf gesetzten agrarerzieherischen Schriften sowie anderes volksaufklärerisches Schrifttum, bereits der Stufe 3 zugeordnete Kompetenzen, mit denen das Lernen um zu lesen abgelöst wird durch ein Lesen, um Neues zu lernen. Bezeichnenderweise setzen heute auf dieser Alters- und Schulstufe (der Mittelstufe) vermehrt sachkundliche Fächer ein. Hier sollten Sachbücher mit neuem Informationsgehalt vorhanden sein, was damals aber 129 Ausgehend von der zeitlichen Gliederung des US-amerikanischen Schulsystems unterscheidet Chall (1983) folgende Stufen und Merkmale: Stufe 0 (Geburt bis 6 Jahre): Prereading; Stufe 1 (6–7 J.): Initial Reading or Decoding; Stufe 2 (7–8 J.): Confirmation, Fluency, Ungluing from Print; Stufe 3 (9–14 J.): Reading for Learning the New; Stufe 4 (14–18 J.): Multiple Viewpoint; Stufe 5 (ab 18 J.): Construction and Reconstruction – A World View.
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auf der Ebene der Landschulen kaum der Fall war. Es war dieses Manko, das um 1770 vielfach beklagt wurde und dem dann mit Lesebüchern mit moralischem Erzählgut aus dem Umfeld der Philanthropen abgeholfen werden sollte. Demgegenüber ist Stufe 2 begrenzt auf die Anwendung und Einübung des Dekodierungswissens auf vertraute, einfache Texte; die Lesegeschwindigkeit nähert sich der Sprechgeschwindigkeit an, stilles Lesen beginnt neben lautem Lesen. Chall fügt an, dass ein Kind, das gelernt hat, sein Dekodierungswissen an einem vertrauten Text anzuwenden, wieder ins Raten zurückfallen kann, wenn zu viele Wörter vorkommen, die entziffert werden müssen, und zu viele Ausdrücke, deren Bedeutung unbekannt ist. Der Übergang zu Stufe 3 dürfte in den Landschulen nicht zuletzt daran gescheitert sein, dass die verwendeten religiösen ‚Lehrmittel‘ kaum kindgerecht waren und inhaltlich dem Horizont der Schüler nicht entsprachen. Die Festigung der 2. und allenfalls 3. Stufe sowie eine weitere Entwicklung der literalen Kompetenzen hätten unter den vorhandenen schulischen Bildungsmöglichkeiten wiederum eine fortgesetzte, interessengeleitete Nutzung schriftlicher Medien nach Schulaustritt als Bedingung gehabt.
4.4.2 Unterrichtsgegenstände und Schulbücher: Priorität des religiösen Unterrichts Folgt man den Erkenntnissen Challs, so bedarf es zur Festigung erworbener Schriftkompetenz des Übergangs vom anfänglichen Dekodieren, das sich dem Begriff des intensiven Lesens zuordnen lässt, auf ein funktionales Niveau, auf dem der Lektüre der Zweck der Aneignung neuer Informationen zukommt. Inwiefern eine solche Funktion zu einer gewissen Zeit bereits angestrebt wurde oder nicht, lässt sich auch anhand der im Schulunterricht zur Verfügung gestellten Lesestoffe eruieren. Immerhin hatten profane Schriften wie Zeitungen und Wochenblätter, vereinzelt auch vaterländische Historien, Chroniken und Kalender sowie obrigkeitliche Erlasse gemäss Enquête in knapp der Hälfte der Schulen bereits Eingang gefunden; als Schreibvorlagen für die Fortgeschrittenen dienten verschiedentlich abgelöste Kauf- und Schuldbriefe, Briefe und Rechnungen (vgl. auch Gehrig 2003), die aber wohl meist den Knaben vorbehalten blieben130. Offiziell 130 Vgl. etwa Andelfingen auf die Frage B.b.6.: „#Briefe aus den Kantzleyen. diesse Lernen die Knaben aber nicht alle Mägdlein lessen.“
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wurde die Verwendung solchen Schrifttums in den Schulsatzungen von 1744 allerdings ausdrücklich untersagt. Es lässt sich an der anzutreffenden Palette ablesen, dass es zu einem guten Teil vom verantwortlichen Pfarrer, dem Schulmeister und vom Zufall bezüglich dessen, was die Kinder von zu Hause mitbrachten, abhing, welche Bücher und Schriften in einer Landschule Verwendung fanden. Unter den Mitbringseln waren es besonders die älteren pietistisch beeinflussten (Erbauungs-)Bücher, die den Pfarrern ein Dorn im Auge waren. Wertet man die Antworten auf die Fragen B.b.5. (verwendete Bücher und Schriften zur Lektüre von Gedrucktem), B.b.6. (Handschriftliches zum Lesen), B.b.7. (Bücher und Schriften zum Auswendiglernen) und B.b.17. (Schriften zum Abschreiben und Schreibenlernen) aus, erweist sich die Schulbuchsituation im Ancien Régime insofern als stabil, als sich eine gewisse Vielfalt um einen einheitlichen und festen Kern gruppierte. Zum Kanon gehörten zweifellos der Katechismus und die Bibel, wobei das Neue Testament den Vorrang genoss. Vom Zürcher Katechismus existierten verschiedene Ausgaben, zum Teil integrale Drucke, die zugleich den ‚Lehrmeister‘ und das ‚Fragstückli‘ enthielten, wie der ‚Catechismus‘ von 1764: Zuerst kam der eigentliche Katechismus, der mit den Zeugnissen, das heisst Belegstellen aus der Heiligen Schrift, versehen war. Darin verteilen sich 110 Fragen auf über 400 Seiten; diese Fragen und Antworten sind wiederum in Unterfragen und -antworten gegliedert. Darauf folgt der ‚Lehrmeister‘, eine verkürzte Version des Katechismus für die Kleineren; dieser nimmt etwas über 20 Seiten ein. Nochmals um die Hälfte gekürzt und auf 93 Fragen beschränkt ist das ‚Fragstücklein‘ für die Anfänger. Ebenfalls fast von sämtlichen Pfarrern erwähnt und wohl überall anzutreffen ist ein Namen- oder ABC-Büchlein131; verwendet wurden in einigen Schulen bereits ein so ge131 Am häufigsten erwähnt wird das ‚Zieglersche Namenbüchlein‘. Es handelt sich dabei um das ‚Kurz abgefasste und verbesserte Namen-Büchlein, der lieben Jugend zu Dienst‘ (1766), das in der Druckerei Ziegler erschienen ist; bzw., ebenfalls aus dieser Druckerei stammend, die ‚Kurze und deutliche durch die Erfahrung bewährte und um viel verbesserte und erleichterte Anleitung, auf die beste und grundlichste Art buchstabieren und lesen, […] zu lehren und zu lernen‘ (1759). Ersteres wurde, wie dieser in der Enquête (Dielsdorf ) selber erwähnt, von Pfarrer Salomon Thomann (1715–1793) verfertigt. Verfasser des Zweiten ist nach Angabe von Kammerer Schulthess (Mönchaltorf ) wiederum Johann Rudolf Ziegler, Chorherr und Schulmeister in Zürich, Gesangbuchreformer und Verfasser der so genannten ‚Zieglerschen Nutzanwendung‘ (vgl. Fussnote 145). Ebenfalls Erwähnung findet ein ‚ABC-Büchlein‘; bei dem in Dietlikon verwendeten handelt es sich um das von Lavater verfasste
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nanntes Spiel-ABC (vgl. Kap. 3.1.1) und Buchstabentäfelchen. Dazu kommen in den meisten Fällen Psalmbuch und Psalter sowie Lieder132- und Gebetbücher133. Den verschiedenen Stufen des Lernens war eine gewisse Reihenfolge der Bücher zugeordnet; man begann mit dem Namenbüchlein, ging das Fragstücklein und darauf den Lehrmeister durch, von da ging es in die Zeugnisse, dann kamen öfters Psalter und Psalmbuch und schliesslich das (Neue) Testament. Dezidierte Kinderbücher, das heisst Kinderbibeln, die je nach Ausgabe mit Bildern illustriert und kostspielig waren, gehörten in den Landschulen eher zu den Raritäten. In gerade mal elf Kirchgemeinden waren Johann Hübners134 ‚Zweymahl zwey und funffzig Auserlesene Biblische Historien aus dem Alten und Neuen Testamente, Der Jugend zum Besten abgefasset‘ (1714) oder Peter Millers135 ‚Erbauliche Erzählungen der vornehmsten biblischen Geschichten, zur Erweckung eines lebendigen Glaubens und der wahren Gottseligkeit in der Jugend‘ (1753) anzutreffen. Beide wurden in Zürich bei Bürkli um 1763 bzw. 1761 nachgedruckt, sind sich sehr ähnlich und lassen sich insofern gemeinsam aufführen, als es sich bei dem Werk Millers um eine Umarbeitung der biblischen Geschichten von Hübner han-
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‚ABC oder Lesebüchlein. Zum Gebrauche der Schulen der Stadt und Landschaft Zürich‘ (1772). Verschiedenste Liederbücher werden genannt, von Johannes Schmidlin, Johann Kaspar Bachofen, Christian Fürchtegott Gellert – Teile aus dessen beliebten ‚Geistlichen Oden und Liedern‘ (1757) tauchen u. a. im ‚Waser-Büchlein‘ (1769) (vgl. Kap. 5.4) auf –, Johann Kaspar Lavater, aber etwa auch Christian Hubers ‚Geistliche Seelenmusic‘ (1682). Verwendung fanden auch Lavaters ‚Schweizerlieder‘ (1767), die sein Freund Schmidlin 1770 mit Melodien versehen hatte. Zuvor hatte Schmidlin bereits Lavaters ‚Christliches Handbüchlein, Oder: Auserlesene Stellen der H. Schrifft, mit Versen begleitet‘ (1769) in Musik gesetzt. Am häufigsten Erwähnung findet das ‚Christliche Bätt-Büchlein‘ (1661) von Felix Wyss, daneben auch Gebete von Lavater; unter den Erbauungsbüchern zudem vereinzelt solche pietistischer Art, nämlich Johann Arndts ‚Paradies-Gärtlein‘ (1635, in Zürich gedruckt 1702) und die ‚Himmels-Leiter‘ (1756) mit Auszügen aus Arndt. Johann Hübner (1668–1731) hatte in Leipzig Theologie studiert; er wurde 1694 Rektor des Gymnasiums von Merseburg und 1711 Rektor des Johanneums in Hamburg. Hübner war Verfasser katechetischer Schulbücher zur Geographie und zur politischen Geschichte, eines poetischen Handbuchs sowie Mitherausgeber von Lexika. Seine biblischen Historien, verfasst 1714, fanden – zuweilen mit abgeändertem Titel – eine ausserordentliche Verbreitung bis ins 19. Jahrhundert (vgl. Wyss 1978; Reents 1984). Der bereits erwähnte (Kap. 3.1.1, vgl. auch Kap. 4.5.2) Johann Peter Miller gab seine Umarbeitung von Hübners biblischen Historien erstmals 1759 heraus.
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delt. Ausschlaggebend für die Überarbeitung waren laut Miller Episoden, die er als anstössig und für Kinder deshalb ungeeignet empfand. Zugleich baute er Hübners methodisches Konzept, das er in der Vorrede präsentiert, aus (vgl. Bürchler 2003). Eine besondere Ausnahme bildet die Verwendung von Basedows ‚Elementarwerk‘136 bereits 1772 in der Schule von Helfer Nüscheler als Schreibvorlage (Turbenthal (B), B.b.17.). Basedow bestimmte sein Elementarwerk für die „gesitteten Stände“ – für den „grossen Haufen“ sei es zu prächtig und zu teuer (zit. nach Basedow 1909, Bd. 1, S. XVII). Dass jenes Buch hier Eingang in die Landschule fand, lässt sich auf den Umstand zurückführen, dass Nüscheler zu den Subskribenten des ‚Elementarwerks‘ gehörte (vgl. Kap. 4.5.1). Damit dürfte der Stoff umschrieben sein, mit dem ein Zürcher Schulkind zu jener Zeit in Berührung gekommen ist. Zumindest wenn man den Ausführungen von Schulthess und Escher aus dem Kyburger Kapitel folgt, so zeichnete sich um 1770 bezüglich des Wünschbaren ein Wandel ab. Dieser Wunsch nach zusätzlichen, profanen Unterrichtsinhalten und entsprechenden Lehrmitteln findet sich in der Dringlichkeit allerdings in der Enquête nicht wieder. Die Einstellung gegenüber einer allfälligen Erweiterung des Curriculums hing eng mit der Schulbuch-Problematik zusammen, denn die Notwendigkeit der Schaffung und besonders der Anschaffung neuer Schulbücher bedeutete ein nicht geringes Hindernis für eine Ausdehnung des Unterrichts auf neue Lehrgegenstände. Grundsätzlich nahmen die Kinder die Bücher von zu Hause mit, den Ärmeren wurden die religiösen Lehrmittel wie der Katechismus oder das Psalmbuch unentgeltlich vom städtischen Almosenamt abgegeben. Während ein Namen- bzw. ABC-Büchlein in der fraglichen Zeit für ca. 2 ss, also dem Schulgeld für ein Kind für zwei Wochen, zu erschwingen war, kostete die kleine Folio-Bibel um 1769 offiziell 1 fl 10 ss (StAZH: E II 101a, VI a); dieser Preis lag immerhin zwischen dem Wochenlohn eines Knechtes und eines Baumwollspinners. Angesichts dessen hatte Pfarrer Gessner gegenüber Schulthess‘ und Eschers Bücherwünschen Skepsis angemeldet (vgl. Kap. 3.1.2). Diese sahen eine Erweiterung des Kanons durch profane Büchern aus den Bereichen Ökonomie, Landwirtschaft und Rechnen vor, bessere Lehrmittel für den Leseunterricht, religiöse Lehrbücher, die den Katechismus und die anderen bisher verwendeten Schriften erset136 Das ‚Elementarwerk‘ erschien zwar erst 1774 unter diesem Titel, Basedow bezeichnete jedoch selber die vorher erschienen Bücher, das ‚Methodenbuch‘ und das ‚Elementarbuch‘ von 1770, zusammen bereits als ‚Elementarwerk‘.
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zen sollten, und schliesslich eine Ergänzung um sittlich-moralische Sprüche und beispielhafte Erzählungen. Zu fragen ist, inwiefern das Gros der Landgeistlichen um 1770 überhaupt ein grundsätzliches Interesse an einer Erweiterung des traditionellen Unterrichtsangebotes hatte und welchen Nutzen die meisten unter ihnen profanen Gegenständen überhaupt zumassen. Eine solche Erweiterung musste schliesslich unweigerlich auf Kosten des religiösen Unterrichts gehen, da eine Erhöhung der totalen Schulzeit an deutliche Grenzen stiess. Diesen Umstand gilt es umso stärker ins Auge zu fassen, als bisherige Methodik und Lehrmittel des Religionsunterrichts einen vornehmlichen Kritikpunkt bildeten und das Verlangen nach neuem, profanem Stoff hinter den vordringlichen Wunsch, jene Defizite zu beheben, zurücktreten musste. Während also Ideen hinsichtlich neuer Schulbücher eindeutig am häufigsten bezogen auf die religiöse Unterweisung vorgebracht wurden, und zwar auch in der Enquête immer wieder in Verbindung mit einer Infragestellung der Adäquatheit der herkömmlichen Katechismen, waren es nur vereinzelte Pfarrer, die für neue Inhalte Raum einforderten. Wurde eine solche Forderung vorgebracht, dann bezog sie sich in den meisten Fällen auf einen zusätzlichen landwirtschaftlichen Unterricht.
Landwirtschaftlicher Unterricht Auslöser für die Thematisierung eines Landwirtschaftsunterrichts war oftmals die zweitletzte Frage (C.10.) zum ökonomischen Nutzen des Schulbesuchs. Die Fragestellung ist an sich interessant, da in ihr das Bewusstsein der ökonomischen Funktionalität literaler Kompetenzen anklingt; sie lautet wörtlich: „Hat man Beyspiele, dass Kinder durch das, was sie in der Schule gelernt, (Lesen – Schreiben – Rechnen) etwa auch in den Stand gekommen, ihre Bauren-Oekonomie desto besser zu besorgen?“ Man erfährt vermittelst verschiedener Antworten, dass einige Pfarrer einen solchen Unterricht eigeninitiativ bereits veranstalteten. Dies geschah aber ausserhalb der eigentlichen Schulstunden und betraf lediglich ältere Jungen und männliche Erwachsene, die zum Bauernstand bestimmt waren. Man las hier Schriften der Zürcher Naturforschenden oder der Berner Ökonomischen Gesellschaft – Lesen diente hier offensichtlich der Aneignung neuen Wissens, wie es in Challs (1983) Modell ab Stufe 3 Bedeutung gewinnt; und es wurde öfters auch praktische Anleitung gegeben. Der landwirtschaftliche Unterricht hatte also vorwiegend informellen Charakter – was sich auch mit der neuen Schul- und Lehrordnung von 1778 nicht ändern sollte –, und dies,
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obwohl gerade in der Zeit die Bemühungen um eine Agrarreform in Zürich einen Höhepunkt erreichten. Das landwirtschaftsreformerische Anliegen gelangte hauptsächlich über die Pfarrer in die Dörfer und unter Umständen in die Schulen, die selber zur Ökonomischen Kommission der Naturforschenden Gesellschaft Kontakt pflegten (vgl. Kap. 4.3). Zu ihnen gehörte Pfarrer Füssli in Veltheim; er antwortet auf Frage C.10., dass er vier „Studenten der Oekonomie“ habe, mit denen er „den akerunterricht und den akercatechismus“ lese. Bei Letzterem muss es sich um den ‚Aker-Catechismus‘ (1768) des Kupferzeller Pfarrers Johann Friedrich Mayer handeln. Dieser wurde 1768 in den ‚Abhandlungen und Beobachtungen‘ der Ökonomischen Gesellschaft in Bern veröffentlicht.137 Pfarrer David Kitt (1718–1802) in Brütten, ebenfalls ein fleissiger Korrespondent der Ökonomischen Kommission, konnte bereits auf Erfolge in seinen pädagogisch-agrarreformischen Bemühungen zurückblicken. Er berichtet, „dass junge Gesellen durch das, was sie in der Schuhl gelernt lesen und schreiben in den Stand gekommen, nit allein die verschiedene Witterung und Fruchtbarkeitt der Jahrgängen; den Preiss der Früchten; die angestellten Proben zu Verbesserung des Feld- Wisen- und Räb-baus und dgl: aufzuzeichnen; sonder auch Landwirthschafftliche Schrifften zulesen: und eigne Aufsäze über Landwirthschafftliche Materien zumachen, womit sie von E. Lobl: Naturforschenden Gesellschafft in Zürich schöne Preise gewonnen; und ihren eignen Nuzen in ihrer Landwirthschafft nicht wenig beförderet haben: darvon haben wir in hiesiger Gemeinde erfreüliche beyspihle“ (C.10.). Kitt war neben Füssli ein weiterer Pfarrer in der Nähe Winterthurs, der um 1770 eine landwirtschaftliche Schule für Bauernsöhne führte und als ‚Broker‘ zahlreiche Kontakte zwischen Landleuten und der Ökonomischen Kommission herstellte, was in sämtlichen Fällen zur Teilnahme an Preisfragen führte. Es fällt auf, dass das Interesse der Landleute an den Reformbemühungen der Naturforschenden Gesellschaft, befördert durch die in den Gemeinden wirkenden Pfarrer, im Gebiet um Winterthur besonders stark war. So stand neben Füssli und Kitt auch der benachbarte Pfarrer in Pfungen, Johann Jakob Meyer, in besonders regem Kontakt zur Ökonomischen Kommission und äusserte sich 1773 ausführlich zum Thema Landwirtschaftsreform (StAZH: B IX 16, 17). Es handelt sich bei dieser Region um ein strukturschwaches Kornland in einer Übergangsregion (vgl. 137 Abhandlungen und Beobachtungen durch die ökonomische Gesellschaft zu Bern gesammelt, 9(1768), 1. Stück, S. 129–166. Mayer war Mitglied der Kaiserlich-Königlichen Landbaues-Gesellschaft im Steyer (vgl. Wyss 1978).
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Pfister 1992a); die dortige Situation, geringere Eignung für Getreidebau als etwa im Unterland und stärker ausgeprägte Landarmut, dürfte eine besondere Empfänglichkeit für die von den Ökonomischen Patrioten propagierten Intensivierungsbestrebungen mit sich gebracht haben. Zu den Pfarrern, die die Beantwortung von Frage C.10. nach dem Nutzen des Schulunterrichts für die Bauernökonomie mit Ja oder Nein von der Einführung landwirtschaftlicher Schriften abhängig machten, gehört der Regensberger Pfarrer Johann Rudolf Simmler. Er gibt an, keinen wirtschaftlichen Ertrag des Schulbesuchs erkennen zu können und schlägt vor, inskünftig Schriften der Ökonomischen Gesellschaft in den Nachtschulen zu behandeln. Ähnlich lauten erwartungsgemäss die Antworten von Kammerer Schulthess (Mönchaltorf ) und Dekan Escher (Pfäffikon) auf die entsprechende Enquête-Frage, und auch der bereits zitierte Pfarrer Oeri aus Erlenbach schliesst sich erneut dem Kreis der Innovationsfreudigen an. Oeri wünscht sich einen Unterricht mit unmittelbarem Bezug auf den „Beruf “; als Vorlage für den Schreibunterricht sieht er deshalb die Verwendung von „Maximen für den Feldbau und die Land wirtschaft“ vor (C.10., B.b.17.). Was eine solche Anweisung zum Landbau anbelangt, kann er auf mehrere Vorarbeiten verweisen, neben dem erwähnten Katechismus von Mayer unter anderem auf einen Vorschlag des Münsinger Pfarrers Albrecht Stapfer, der ebenfalls im Organ der Berner Ökonomischen Gesellschaft veröffentlicht worden war (vgl. Kap. 4.5.5). Oeri pflegte offenbar Kontakte zu Bern, schliesslich war er dort, in Gundischwil, zuvor als Hauslehrer tätig. Weitere Pfarrer, die die Lektüre landwirtschaftlicher Schriften bzw. einen Unterricht mittels praktischer landwirtschaftlicher Anleitung und Exempel befürworteten, waren: Diakon Johann Kaspar Hagenbuch von Kilchberg, Dekan Elias Balber aus Marthalen, Pfarrer Esslinger138 aus Embrach, Pfarrer Wiser139 von Affoltern (bei Zürich), Pfarrer Heinrich Näf von Hombrechtikon, Pfarrer Schaufelberger140 aus Rafz sowie Johann Heinrich Weber aus Fällanden. Zählt man die Stimmen zusammen, so kommt man auf insgesamt 13 von 107 Pfarrern, die eine positive Einstellung gegenüber der Einführung eines
138 Johannes Esslinger (1723–1798) war nach seiner Ordination als Hauslehrer tätig. Er betätigte sich als Historiker und Sammler kirchengeschichtlicher Werke (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953). 139 Johann Rudolf Wiser (1719–1803) war ebenfalls einige Zeit Hauslehrer (vgl. Dejung/ Wuhrmann 1953). 140 Zu seiner Person vgl. Fussnote 127.
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landwirtschaftlichen Unterrichts in und neben der Alltagsschule explizit äusserten.
Unterricht im Schreiben und Rechnen Auch die Bedeutung des Rechnens und Schreibens, bisher im Schulunterricht eher vernachlässigte Kompetenzen, für das wirtschaftliche Fortkommen der Landleute wird immerhin von ein paar Pfarrern in der Enquête betont, nämlich von Heinrich Fäsi (1714–1780) in Langnau und Heinrich Fäsi (1728–1777) in Lindau. Pfarrer Oeri (Erlenbach) beklagt ebenso das Fehlen eines Rechenlehrmittels für die Landschulen wie sein Nachbar Dekan Meister aus Küsnacht. Pfarrer Holzhalb141 aus dem stadtnahen Höngg bedauert, dass der Schreib- und Rechenunterricht in seiner Gemeinde nicht besser gepflegt wird, da sonst der eine oder andere Schüler später eine Anstellung in Zürich erhalten könnte; schuld waren offenbar mangelnde Fähigkeiten des Schulmeisters (vgl. auch Pfungen). Damit schliesst sich der Kreis diesbezüglicher Wünsche aber schon fast. Zu nennen sind lediglich zwei weitere Antworten, die auch deshalb interessant sind, weil sie nochmals zeigen, dass Unterricht in profanen Dingen zum Zweck der rationalen Lebensbewältigung im damaligen physikotheologischen Verständnis nicht unbedingt in Konkurrenz treten musste zur Vermittlung religiöser Erkenntnisse und Gesinnung. So antwortete nämlich Dekan Elias Balber aus Marthalen auf Frage C.10.: „[M]acht das lesen, schreiben rechnen in der Schul die land-leüthe tüchtiger ihre #oeconomie nuzlicher zubehandlen? Gewüss, oder worzu solte jenes sonst dienen? besonders wenn noch ein #oeconomischen Land-#cate:chismus in den Schulen eingeführt wurde, so lehrnten die Jungen mehr mit Verstand als gute leisten u: naturkundige arbeiten, wurde willig freüdig sich dabey erzeigen. und den grossen Urheber u: Regierer des ganzen Welt-baues besser erkennen, bewunderen anbetten u. loben.“ In eine ähnliche Richtung deutet die Antwort von Johannes Müller, Pfarrer von Seen, auf die Frage nach dem ökonomischen Nutzen des Schulunterrichts: Ein solcher habe sich schon mehrfach gezeigt, indem sich die Fertig141 Rudolf Holzhalb (1724–1790) hielt sich in den Jahren 1747/1748 in Berlin auf (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953). Das war um dieselbe Zeit, als Johann Georg Sulzer (1720–1779) und Johann Georg Schulthess (1724–1804), der spätere Kammerer in Mönchaltorf, in Berlin weilten und dort in den Gelehrtenzirkeln verkehrten. Gleich alt, hatten Holzhalb und Schulthess gemeinsam studiert und waren offenbar näher miteinander bekannt oder befreundet.
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keiten Lesen und Schreiben der Religion zuträglich erwiesen und diese – ganz im Sinne von Max Webers These – wiederum der Wirtschaftsführung. Dennoch gab es durchaus auch Pfarrer, die zu einer skeptischen Einschätzung des Nutzens von Bildung für die Landbevölkerung gelangten. In diesen Äusserungen klingt die Meinung an, dass Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen kein Garant darstellten für eine religiös-ethische Lebensführung, für Qualitäten also, die ebenso wichtig und wichtiger seien und für welche Erziehung und Unterricht in den Landschulen in erster Linie sorgen müssten. Johann Rudolf Simmler in Niederweningen kennt lediglich Fälle, in denen die Schreibkunst missbraucht wurde. Und Pfarrer Johann Heinrich Keller von Weisslingen fügt seiner ansonsten positiven Beantwortung der Frage an: „Darbey man doch nicht vergessen sol, dass noch vile leyder sind, welche haben das beste wüssen, aber das schlechteste gewüssen.“ Als weiteres Beispiel, das in diese Kategorie von Antworten fällt, kann Pfarrer Denzler142 von Kyburg zitiert werden, der zwar Lesen, Schreiben und Rechnen als nützlich ansieht, aber gleichzeitig wenige Fälle kennt, in welchen diese Fähigkeiten in der Wirtschaftsführung wohl angewendet wurden – wenn das „sichtlich gute herz“ fehlte (C.10.). Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Antworten auf die Frage C.5.: „Verspürt man am Ende einen merklichen Unterschied zwischen denen, die fleissig und lange zur Schule gegangen, und denen, die hierinn vernachlässigt worden?“ Die Frage wurde von den Pfarrern ganz unterschiedlich verstanden, teilweise als Frage nach den Auswirkungen der Schulbesuchsdauer in religiöser und sittlicher Hinsicht, teilweise als Frage nach unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der Erlangung von Fertigkeiten in den Kulturtechniken. Einige Pfarrer führten diese Differenzierung selber ein, ein paar antworteten lediglich in der einen oder anderen Rücksicht, die meisten unspezifisch mit einem Ja. In der Mehrheit war die Antwort positiv, dennoch äussert sich auch hier zuweilen ein Misstrauen vor allem gegenüber dem sittlichen Nutzen des Schulbesuchs. Pfarrer Schaufelberger von Rafz fügt an, „ob dann ∫aber∫ die geschikteren auch stets gesitteter seyen, als die ungeschikteren, das müste mit #Exceptionen beantwortet werden“. Oder aus Hombrechtikon vernimmt man: „#Ceteri #paribus spürt man den Unterscheid wol: doch giebts auch Exempel vom #Contrario.“
142 Christoph Denzler (1729–1798) war ebenfalls längere Zeit als Hauslehrer tätig (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953).
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Insgesamt und unter spezieller Berücksichtigung der Antworten auf die Fragen C.5., C.10. sowie C.8. zur Sommerschule verweist die Enquête auf eine überwiegend positive Einschätzung des Nutzens des Schulbesuchs durch die Pfarrer. Lediglich ein geringer Teil der Antwortenden macht diese Wertung abhängig von der Einführung neuer praktischer Unterrichtsgegenstände und Lehrmittel in erster Linie in den Bereichen Ökonomie und Landwirtschaft. Berücksichtigt man zusätzlich die unter B.b.6., B.b.20. und B.b.21. zahlreicher geäusserten Wünsche nach einer Verbesserung des Angebots im Schreib- und Rechenunterricht, dann zeigt sich, dass zumindest ein Teil der Pfarrer nichts gegen eine Stärkung profaner, im Alltag nützlicher Inhalte und Fertigkeiten einzuwenden hatte. Vereinzelt sind die Fälle, in denen man von einer bereits erfolgten Einführung landwirtschaftlicher Lehrgegenstände erfährt. Wo dies geschah, war die private Initiative des vorstehenden Landgeistlichen am Werk. Dass ein solches Interesse an einer Effizienzsteigerung der Landwirtschaft bestand, hing sicher nicht zuletzt auch von der Tatsache ab, dass die Pfarrer ihre Einkünfte mit aus dem Zehnten bezogen. In vielen Fällen gehörten zur Pfründe143 auch beträchtliche landwirtschaftliche Güter, die der Pfarrer und seine Familie selber bewirtschafteten oder die er durch einen Knecht bzw. Taglöhner bestellen liess.
143 Das Pfrundeinkommen bestand gewöhnlich aus Grundstücken, Nutzungsrechten, Geldzahlungen und Naturalleistungen. Heinrich Ulrich, Pfarrer in Maschwanden, unterscheidet in seinem Traktat unter dem Titel ‚Über die dem Pfarrer nothwendigen landwirtschaftlichen Kenntnisse‘ (1787) die Pfründen folgendermassen: „Es ist bekannt, dass unsere Pfründe in Absicht ihrer Einkünfte in Kasten Pfründe, Zehenden Pfründe und Güter Pfründe eingetheilt werden und ein ziemlicher Theil derselben ziehet seine Einkünfte auf diese drey verschiedenen Arten. a) die sogenannten Kasten-Pfründe, welche ihre Einkünfte an Geld, Frucht, und Wein gänzlich aus fixen Competenzen beziehen b) die zehenden Pfründ betreffend, so fodert derselben vortheilhafte Nutzniessung noch mehr landwirtschaftliche Kenntniss. c) Zehenden Pfründe, sind meistens auch zugleich Güterpfründe und fodern denn um so viel mehr landwirtschaftliche Kenntnisse“ (zit. nach Gugerli 1988, S. 105). Ein Teil des Einkommens musste also erst erwirtschaftet, Erträge verkauft bzw. eingezogen werden. Die jeweiligen Zusammensetzungen differierten stark, ebenso die Gesamthöhe der Einkünfte, die im Durchschnitt deutlich geringer waren als städtische Pfründen. Der Landpfarrer war damit neben seinem geistlichen Amt ein eigentlicher ‚Pfründenmanager‘ (vgl. Gugerli 1988), der sich als Verwalter und Verkäufer am Markt orientieren musste – eine Kombination, die zu seiner schwierigen sozialen Stellung im Dorf beitrug.
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Religionsunterricht Sind die bisher aufgezählten Stimmen, die sich bezüglich einer Stärkung profaner Inhalte und Kompetenzen im Curriculum positiv äusserten, in quantitativer Hinsicht schwierig einzuschätzen, da konkrete Fragen zu diesem Thema in der Enquête fehlten, kann man dennoch festhalten, dass es in erster Linie der Bereich des religiösen Unterrichts war, wo sich die Pfarrer Gedanken über bessere Bücher machten und solche neben dem verbindlichen Kanon auch schon einsetzten. Dabei erfreute sich das erst kürzlich erschienene ‚Schul- und Haus-Büchlein‘ (1769) von Felix Waser einer besonderen Beliebtheit (vgl. Kap. 5.4). Dekan Meister aus Küsnacht hat es auf eigene Kosten für seine Gemeinde angeschafft. Ebenso gibt Helfer Nüscheler aus Turbenthal an, das Waser-Büchlein in der Hauptschule gerade eingeführt zu haben, wobei hier nicht klar wird, wer dafür aufgekommen ist, ob das Almosenamt oder vielleicht das Kirchengut. Es sind wiederum vor allem die bereits mehrfach zitierten Pfarrer, zu denen auch Waser vom Kreuz gehört, die sich in ihren zum Teil ausführlichen Antworten auf die Enquête auch innovativ zeigten bezüglich verwendeter Schulbücher. Besonderen Anstoss wegen ihrer verniedlichenden Sprache – Ausdrücken wie „Lämmelein“, „Jesulein“ etc. – erregten beim Kilchberger Diakon Hagenbuch ältere Gebetbücher pietistischer Prägung, die die Kinder von zu Hause mitbrachten (B.b.7.). Er sähe deshalb gern Lavaters ‚Christliches Handbüchlein für Kinder‘ (1771) allgemein eingeführt, leider sei dies aber aus Kostengründen kaum möglich. Demgegenüber hatte Pfarrer Oeri aus Erlenbach bereits anlässlich des letzten Examens 30 solche Exemplare in gebundener Form unter den Schülern ausgeteilt, und es ist ebenfalls bereits in Gebrauch in Dietlikon, Dübendorf, Ellikon, Oberwinterthur und Wallisellen. Als Diakon an der Waisenhauskirche ab 1769 unterstand Lavater das dortige Unterrichtswesen. Jedoch war das ‚Handbüchlein‘ laut Verfasser ausdrücklich nicht für die Schule, sondern für den häuslichen Gebrauch gedacht und besteht im Wesentlichen aus biblischen Geschichten, dem Kern der biblischen Lehre sowie aus Gebeten und Liedern. Dies mag traditionell anmuten, neu ist hingegen die direkte Adressierung der jungen Leserschaft bereits im vorangestellten „Zueignungsschreiben an alle brafe Kinder“ sowie mit der Anrede mit „liebe Kinder“, womit es Lavater gelingt, ein pädagogisches Verhältnis der Nähe herzustellen. Auch die Verbesserung des (Kirchen-)Gesangs war verschiedentlich Thema, womit ein im Rahmen neuer religiöser und theologischer Ideen viel und auch über Zürich hinaus diskutierter Gegenstand angesprochen ist.
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Oeri (Erlenbach) verweist in diesem Zusammenhang auf das neue Berlinische Gesangbuch und einen Liederkatechismus aus Schleiz, den er einem Hofrat Bretschneider144 zuschreibt. Mit Ersterem spricht er die ‚Lieder für den öffentlichen Gottesdienst‘ (1765) an, die von den in Zürich breit rezipierten Theologen Johann Samuel Diterich (1721–1797) und Johann Joachim Spalding (1717–1804) im Rahmen der Berliner Gesangbuchreform herausgegeben worden waren; mit dem Zweiten muss der in Schleiz gedruckte ‚Kurtz-gefasste Versuch eines Lieder-Catechismus‘ (anonym, 1755) gemeint sein. Pfarrer Oeri erkennt in beiden nachahmungswürdige Beispiele, an denen sich sein Pfarrerkollege Schmidlin als bevorzugter Verfasser eines neuen Werkes für Zürich orientieren könne. Am stärksten beschäftigt hat die Pfarrer aber unter den Schulbüchern offensichtlich der Katechismus. Der gebräuchliche Zürcher Katechismus, versehen mit Zeugnissen aus der Bibel, war in der Fassung von Hans Kaspar Suter 1639 erschienen und blieb bis 1839 im Gebrauch; angesichts der inhaltlichen Fülle dieses Werkes verfasste Kaspar Ulrich, Diakon am St. Peter, schon früh das ‚Fragstücklein‘ als eine Kurzversion für die Anfänger (vgl. Angst 1947). In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde in Pfarrerkreisen zunehmend Kritik am Katechismus laut, da man ihn als sprachlich und konzeptuell unpassend für die kindliche Auffassungskraft empfand (vgl. auch Kap. 3.). Man beurteilte nun dessen Gebrauch zum Lesenlernen oder zum Memorieren und Aufsagen, oftmals ohne dass die Kinder die Fragen und Antworten überhaupt verstanden, als unpädagogisch und gar als Entweihung der enthaltenen heiligen Glaubenssätze. Man bemerkte, dass der Katechismus die religiöse Unterweisung den Schülern zur Qual machte (z. B. Diakon Nüscheler aus Turbenthal (B)) und dass Schläge und Frustrationen als Folge von Versagen bei ihnen lediglich Abneigung gegen die Religion hervorriefen. Die Klagen über die Unzulänglichkeit des Katechismus äusserten sich in der Enquête auf verschiedene Weise. So fügt etwa Dekan Elias Balber aus Marthalen seinen abschliessenden Anmerkungen den Wunsch nach einer um theoretische und praktische Ausführungen erweiterten Fassung an, welche zugleich die natürliche Theologie, Naturwissenschaftliches („Physica“) und die bäuerliche Hauswirtschaft abhandeln würde. Dekan Meister aus Küsnacht bemerkt hinwieder anlässlich der Frage B.b.9., dass er in dieser 144 Oeri meint wohl den Offizier, Verwaltungsbeamten und satirischen Schriftsteller Heinrich Gottfried von Bretschneider (1739–1810); Bretschneider stand dem aufklärerischen Kreis um Friedrich Nicolai nahe.
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Hinsicht bereits vor Jahren mit Reformvorschlägen hervorgetreten sei, worauf man ihn, über Zürich und die Schweiz hinaus, verunglimpft habe. Er meint, es wäre bereits zu viel gefordert, wenn man von den Schülern nur verlangte, die Fragen mit Verstand herzusagen oder dieselben in die eigene Sprache zu übersetzen – „[i]ch wollte es nicht einmal einem jeden der Herren Pfarrern zumuthen. Wenn man diese löbliche und heilsame Absicht erfüllt zu sehen wünschte, so müssten viele Fragen in unserm überhaupt, wenn er recht verstanden wird, gründlichen und rein Evangelischen Lehrmeister gantz anderst abgefasst und eingerichtet seyn, als wie sie da stehen“. Auch hinter dem Wunsch des Andelfinger Pfarrers Oechslin in seinen ausführlichen Schlussbemerkungen, man möge den „#Analytische[n] #Catechismus #Ziegleri“145 einführen, steht die Beobachtung, dass die Anfänger das „Fragstüklein“ lediglich unvernünftig daherplapperten. Aus Herrliberg/ Wetzwil hingegen erfährt man, dass jenes Buch, anscheinend auf Betreiben des dortigen Pfarrers Keller146, bereits in einigen Dutzend Exemplaren angeschafft worden war. Kritik am herkömmlichen Katechismus kommt auch aus Erlenbach. Pfarrer Oeri meint, durch „eine entwickelnde fragart“ würde „gewiss mehr aufklärung in dem verstand des Kindes entstehen, als durch das blosse auswendig lernen der gewöhnl. fragen und antworten aus unserm Catechismus erhalten worden“. Auch er sieht ein Problem bei den Fähigkeiten und Kenntnissen der Schulmeister, wenn er fragt: „[A]ber wo sind die Schulmeister, die den Kindern den Catechismus erklären können? Sie sind nicht da, und wir werden sie auch nie so vollkommen haben, als sie nach meinen absichten in diesem Stück seyn müssten“ (B.b.7.). Als Vorbild, an dem sich der Verfasser eines verbesserten Katechismus orientieren könnte, nennt Oeri das Werk des Engländers Isaac Watts (1674– 1748), da „er das Historische und Dogmatische, oder die Lehren der Religion mit einander verbindet“; „die Abhandl. der katechetischen lehrart, die er denselben vorgehen lässt, verdienet alle aufmerksamkeit, und könnte zu verfestigung [sic] eines Catechismi auch für die LandKinder sehr dienlich seyn“ (B.b.8.). Es ist erhellend, dieses ‚Catechismus-Buch‘ und die ebenfalls
145 Mit diesem mehrfach erwähnten Katechismus, auch als ‚Zieglersche Nutzanwendung‘ bezeichnet, ist gemeint: [Ziegler, Johann Rudolf]: Die Wirksamkeit des Glaubens, Fürgestellet in den Nuzanwendungen des ganzen Christlichen Catechismi, von des Menschen Elend, Erlösung und Dankbarkeit, wie auch der Lehre von den Heiligen Sacramenten, samt einem neuen Catechismus-Gesang. Zürich 1750. 146 Johann Konrad Keller (1723–1783) war nach seiner Ordination 1747 neun Jahre Hauslehrer in Bäretswil und Weisslingen (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953).
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von Watts stammende ‚Abhandlung von der Catechetischen Lehrart, und wie ein Catechismus am besten einzurichten sey‘ in der Zürcher Übersetzung von 1751 genauer zu betrachten. Interesse verdient insbesondere der Vorbericht der Herausgeber, der die Vorzüge dieses deutlich vom Zürcher oder Heidelberger Katechismus abweichenden Werks herausstellt. Diese sind zuvorderst pädagogischer und didaktischer Natur. So zeichne sich das Buch besonders durch die Berücksichtigung der altersabhängig gestuften Fassungskraft der Kinder aus, wobei die historischen Teile sowie die praktische Ausrichtung der ethischen Inhalte diese Qualität ebenfalls unterstützten. Das ‚Catechismus-Buch‘ setzt sich aus mehreren Teilbüchern zusammen, die sich den unterschiedenen Altersstufen zuordnen lassen. Der vollständige Titel lautet entsprechend: ‚Ein vollständiges Catechismus-Buch; In sich enthaltend Dreyerley Catechismos und Gebätter, deren die erste Ordnung für Kinder unter sieben und acht Jahren; Die Zweyte für Kinder vom siebenden bis auf ihr zwölftes Jahr; Die Dritte für solche, die ihr zwölftes, oder mehrere Jahr zurück geleget haben, dienet. Und Die Vierte oder letzte Ordnung enthaltet in sich eine Christliche Sitten-Lehre für Kinder und junge Leute, Unter dem Titul: Verwahrungs-Mittel gegen die Sünden und Thorheiten der Kindheit und der Jugend‘.147 Es handelt sich dabei jedoch nicht einfach um ein Nebeneinander von Original und inhaltlich gerafften Versionen, wie es für ‚Katechismus‘/‚Lehrmeister‘/‚Fragstücklein‘ zutrifft; vielmehr führen die beiden ersten „Ordnungen“ in die Geschichte der Heiligen Schrift ein, während die vierte und letzte „Ordnung“ des Katechismus – ebenfalls ganz im Gegensatz zum Herkömmlichen – auf die sittliche Praxis ausgerichtet sind. Diese am Alter ausgerichtete Differenzierung des Stoffes ist den Herausgebern der Zürcher Ausgabe wichtig, denn: „Die Jugend ist ein sehr weitläufiges Wort: Man begreift darunter die Kinder von ihrem ersten Alter bis auf ihr 16tes Jahr und noch weiter. Welch ein grosser Unterschied muss sich aber in diesem Zwischenraum in Ansehung ihrer Fähigkeit / ihrer Gedächtnuss / ihrer Urtheils-Kraft etc. äusseren?“ (Watts 1751b, Vorbericht). Leitend ist die einfache Maxime, die Watts in seiner 147 Sowohl das ‚Catechismus-Buch‘ als die ‚Abhandlung‘ sind 1751 in Zürich bei Gessner erschienen. Positive Erwähnung findet Watts auch in Kilchberg, Rafz und Pfäffikon. Isaac Watts war Dissenter und Pastor einer Londoner Freikirche. Er publizierte des Weiteren ‚Hymns and Spiritual Songs‘ (1707), ‚Divine and Moral Songs for Children‘ (1715), neben Gebeten und theologischen Abhandlungen aber auch Arbeiten zur Logik, Grammatik, Philosophie und Geographie.
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‚Abhandlung von der Catechetischen Lehrart‘ formuliert hat und wonach man den Kindern nur zum auswendig lernen geben darf, was man ihnen vorher auch hat verständlich machen können (vgl. Watts 1751a). Zu den Vorzügen, die die Herausgeber in Watts Katechismuswerk weiter erkennen, gehört die Vermeidung alles Überflüssigen und damit die Reduktion auf das – in Rücksicht auf Gedächtnis und Verstandeskräfte eines jeweiligen Alters – Wissensnotwendige. Zweitens, die praktische Ausrichtung des Unterrichts, indem der Verfasser die Kinder von den Lehrsätzen der Religion auf ihre Pflichten gegen Gott, den Nächsten und sich selbst führe. Drittens sei das Werk deutlich und „einfältig“ abgefasst. Die Fragen erscheinen in logischer Verknüpfung, nach dem Grundsatz: „Eine jede Frage muss gleichsam von der andern / die natürlicher Weise den folgenden Platz einnehmen soll / schwanger seyn und sie gebären“ (Watts 1751b, Vorbericht). Schliesslich werden lediglich Sachen und Begriffe eingeführt, bei denen man voraussetzen kann, dass die Rezipienten über ein entsprechendes Konzept verfügen; metaphorische Sprechweisen sollen dabei vermieden werden.
4.4.3 Unterrichtsorganisation: vom (kollektiven) Einzelzum Zusammenunterricht in ‚Klassen‘ Nicht alle Kinder verfügten über eigene Schulbücher, das zeigen die Bücherausteilungen an Arme durch das Almosenamt. Oftmals wurden sie vom Pfarrer auf Kosten des Kirchengutes angeschafft und ausgeteilt; sie wurden zudem gewöhnlich über Generationen hinweg vererbt und von zu Hause in die Schulen mitgebracht, so dass in einer Schule ganz verschiedene Gebetund Liederbücher, aber auch Ausgaben der Bibel und des Neuen Testaments nebeneinander in Umlauf waren. Dass dies zu Schwierigkeiten in der Unterrichtsorganisation führte, wurde in der Enquête mehrfach bemerkt. Von Johann Kaspar Tobler aus Dietlikon erfährt man etwa, dass die Eltern sich dagegen sträubten, neue Bücher anzuschaffen, die vom Almosenamt verteilten aber nicht für alle Bedürftigen ausreichten. Der Pfarrer entschied sich deshalb, eine Schulbibliothek einzurichten, wobei es dem Schulmeister zustand, „dieselben z>ugewissen Stunden unter den Kindern auszutheilen, u. ihnen etwas daraus aufzugeben“ (C.11.). Unterrichtsorganisatorisch bilden der Zusammenunterricht in Klassen, die Schulbuchfrage – Verfügbarkeit identischer Exemplare und eine Entwicklung hin zum eigentlichen Lehrmittel mit didaktischem Aufbau, der eine bestimmte Unterrichtsabfolge vorstrukturiert – sowie der kollektiv verbind-
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liche Stundenplan eine Einheit; hinzu kommen damit bestimmte Anforderungen an die Unterrichtskompetenzen der Lehrkraft. Vorerst war es aber insbesondere der beschriebene Mangel an einheitlichen Schulbüchern, der zusammen mit der Idee der Klasseneinteilung vorgebracht wurde. Solange die Schüler individuell oder in kleinen, wechselnden Gruppen lernten und Unterricht erhielten, war die Verschiedenheit der Medien kaum problematisch; jedes Kind hatte seine individuellen ‚Letzgen‘, die es lesen, abschreiben oder auswendig lernen und aufsagen musste. Je mehr aber ein Zusammenunterricht in Lerngruppen vorteilhaft erschien, umso virulenter wurde die Lehrmittelfrage. Ähnliches gilt übrigens auch bezüglich des unregelmässigen Schulbesuchs; häufige Absenzen warfen im Individualunterricht weniger organisatorische Probleme auf als im Klassenverband, welcher von einem gemeinsamen Fortschreiten der Schüler ausgeht. Unzufriedenheit mit der um 1770 bestehenden Situation wurde anlässlich der Enquête am deutlichsten von Pfarrer Meister aus Küsnacht und Pfarrer Keller aus dem benachbarten Herrliberg/Wetzwil geäussert. Man erfährt von beiden Pfarrern, dass sie für ihre Schulen selber Schulbücher, unter anderem das Waser-Büchlein, in mehreren Exemplaren angeschafft hatten. Die Thematik Individual-/Zusammenunterricht veranlasste Keller im Anschluss an die Beantwortung der vorgegebenen Fragen zu der Bemerkung: „Man wird mir endtlich, grossgünstig erlauben, noch etwas beyzufügen, dass seine absicht, auf die an verschidenen orthen eingeführte #classification der kindern hat, dj, so vil ich weiss, an unserm See noch wenig eingeführt. Es muss dieselbige, ohne andres, aus vilen gründen, nuzlich seyn, und es were zu wünschen, dass sie, unter hohen ansinnen u: befehl, damit man mit unartigen, allen neüerungen aus blinden vorurtheilen, widerwärtigen Eltern, desto besser zurecht kommen möchte, eingeführt werden, an allen orthen. Wenn kein grund were, der den grossen nuzen zeiget, so were diser einige stark genug, da der schulmeister, wenn er eine class nach der anderen #Examiniert, das stehend oder umhergehendt thun kan, u: er alle kinder unter seinem gesicht hat, hingegen, er bey der jezigen einrichtung bey seim tisch sizet, vilen kindern genöthiget wird, den rüken zuzukehren […].“ Er schliesst den Wunsch an, dass zu diesem Zweck „in allen schulen, dj büecher vorhanden weren. Von gleichen #Editionen, damit bey dem lesen keine irrung entstuhnde, da eine class das gleiche lesen muss“. Eine ähnliche Skepsis der Eltern gegenüber Neuerungen und die Weigerung, Bücher für den Schulunterricht zu kaufen, vernimmt man aus der Antwort von Dekan Meister aus Küsnacht.
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Dass es sich bei der Frage der Klasseneinteilung, mit der Tendenz weg vom Individual- bzw. kollektiven Einzelunterricht zu einem Klassenunterricht im Sinne des Zusammenunterrichts in Lerngruppen, um das unterrichtsorganisatorische Hauptthema der Zeit schlechthin handelte, zeigte sich bereits in den entsprechenden Forderungen aus dem Kyburger und Wetzikoner Kapitel: Den protokollarischen Aufzeichnungen ist zu entnehmen, dass die Wetzikoner Pfarrer bereits anlässlich der Prosynode vom Frühling 1771 eigenständig eine Klasseneinteilung beschlossen hatten (StAZ; E IV Wetzikon, Bd. 3); die Kyburger Referenten bemerkten ihrerseits, dass ein gemeinsamer Unterricht zugleich die Ausstattung mit identischen Schulbüchern bedingt (StAZ: E IV Kyburg, Mp. 2). Mit der Einführung von Klassen wird von den Wetzikonern auch eine Regelung des Versetzungsmodus gewünscht, so dass dieser Entscheid in Zukunft vom Pfarrer – und nicht allein vom Schulmeister oder gar den Eltern – ausginge. Mit der Klasseneinteilung sah man ganz allgemein den Vorteil verbunden, möglichst sämtliche Kinder während der ganzen Schulstunden konzentriert und beschäftigt halten zu können; dies war im Einzelunterricht in Reinkultur mit Schülern unterschiedlicher Lernstände nicht annähernd möglich, wo der Schulmeister die Kinder individuell abfragen und ihre Arbeiten einzeln überprüfen musste. Schulthess forderte vom zukünftigen Schulmeister, dass er seine Geschäfte klug einzuteilen und mit der Zeit wohl zu haushalten verstehe. Damit verband sich allerdings ein weit anspruchsvolleres Verständnis von Unterricht, weshalb jener ein eigentliches Methodenbuch für den Schulmeister vorsah, nach welchem sich dieser im Unterricht richten könne. Nicht zuletzt verlangte ein Klassenunterricht vom Schulmeister eine durchgehende Präsenz – mental wie physisch –, was bis anhin nicht in allen Schulen jederzeit der Fall war. Vor dem Hintergrund der damit vorweggenommenen professionellen und methodisch-pädagogischen Entwicklung ist die Kritik der Geschichtsschreibung – insbesondere unter dem Einfluss des Herbartianismus – am Unterricht und dessen Organisation im Ancien Régime berechtigt. Trotzdem legen es gerade die neueren Tendenzen einer Individualisierung nahe, die Geschichte des Klassenunterrichts in erweiterter Perspektive zu betrachten. Carlo Jenzer (1991) hat diese als wechselvoll zu bezeichnende Geschichte historisch-systematisch untersucht und dabei die Herabsetzung früherer Praxen innerhalb des Schemas der liberalen Fortschrittsgeschichte in ein neues Licht gesetzt. Auf der einen Seite zeigt sich dabei, dass der Übergang vom kollektiven Einzel- zum Klassenunterricht in der Realität der Volksschule nur allmählich vonstatten ging, anderseits ist die Idee des
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Klassenunterrichts natürlich nicht erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts aufgekommen. Wenngleich aber etwa bereits Comenius die ‚Idee‘ des Klassenunterrichts formuliert hatte, war diese kaum von Einfluss auf den Unterricht in den Dorfschulen, materiell unter anderem bedingt durch die beschriebene Schulbuchsituation. Die Landschul-Satzungen von 1684 (bzw. 1719 bzw. 1744) forderten zwar vom Schulmeister, seine Schüler nach Lernstand und Fähigkeiten zu unterteilen, nämlich I. in die Anfänger im Beten und Lesen, II. in die „mittelmässigen“ und III. die „Vollkommneren“ (Abschn. IX), wobei innerhalb dieser Gruppen wiederum die an Verstand und Gedächtnis Begabteren von den weniger Begabten differenziert werden. Dennoch war damit kein kollektiver Gruppenunterricht verbunden, heisst es doch weiter, dass jedes Kind „nach seiner Beschaffenheit Vor- und Nachmittag jedesmahl seine 2. Letzgen“ individuell aufsagen und dass der Schulmeister jedem Schüler seine eigene Schreibvorlage zubereiten müsse. Abgesehen vom genannten Beten und Lesen fand der Unterricht im Rechnen sowieso einzeln und zum Teil separat gegen zusätzliche Bezahlung statt; der Schreibunterricht blieb vorerst auch wegen den dazu erforderlichen Vorschriften und Utensilien besonders stark individualisiert. Eine Thematisierung erfuhr die Frage des Einzel- bzw. Kollektivunterrichts dann in der bereits zitierten ‚Kurzen und deutlichen durch die Erfahrung bewährten und um viel verbesserten und erleichterten Anleitung, auf die beste und grundlichste Art buchstabieren und lesen, […] zu lehren und zu lernen‘ von 1759. Die Schrift schlägt vor, die Kinder im Lesen gemeinsam zu unterrichten, wiederum unter Verweis auf die Notwendigkeit, sämtliche mit denselben Schriften zu versorgen. Um die Aufmerksamkeit aller Schüler zu garantieren, soll der Schulmeister einen nach dem anderen aufrufen, jedoch ohne eine vorgegebene Reihenfolge zu beachten. Damit sollte auch vermieden werden, dass die Kinder bekannte Textstellen einfach auswendig aufsagten, ohne sie lesen zu können. Es sei zudem wichtig, im Unterricht zwischen verschiedenen Büchern zu wechseln. Denn damit könne man den Kindern vor Augen führen, dass sie jedwelches Buch lesen können, wenn sie das Lesen einmal richtig erlernt hätten. Deshalb, um die Kinder im Lesen verschiedener Drucke zu üben, sind in der ‚Anleitung‘ am Schluss Bibelstellen in unterschiedlichen Frakturschrifttypen aufgeführt. Dem Lesen und vor allem dem wiederholten Lesen derselben Texte kam nicht zuletzt die Funktion zu, das Memorieren zu unterstützen. Johann Ignaz von Felbiger (1724–1788) hatte in der hier zur Diskussion stehenden Zeit mit seiner ‚Normalmethode‘ die Idee des Zusammenunterrichts in Klassen propagiert. Seine 1768 erschienenen ‚Eigenschaften, Wis-
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senschaften, und Bezeigen rechtschaffener Schulleute‘148 beschäftigten sich dezidiert mit den unterrichtsmethodischen Anforderungen an den Schulmeister und könnten Schulthess als Vorbild für das von ihm geforderte Methodenbuch gedient haben; neben der Literal- oder Buchstabenmethode werden darin auch der Zusammenunterricht und dessen Vorteile, wie sie besonders durch einen massiven Effizienzgewinn zustande kommen sollten, dargestellt. Immerhin zeigen die Bezugnahmen von Dekan Escher in seinem Vortrag (vgl. Kap. 3.1.1) und von Pfarrer Oeri in der Enquête (vgl. Kap. 4.1.4), dass man in Zürich Kenntnisse von den preussischen Reformen der 60er Jahre im Bereich von Schule und Lehrerbildung hatte. Felbiger ist nämlich zugleich der Verfasser des katholischen General-Land-Schul-Reglements für die neu erworbenen Landesteile Schlesien und Glatz (1765); er hatte dieses im Auftrag Friedrichs des Grossen nach dem Muster des General-Landschul-Reglements von 1763, des ersten für den ganzen preussischen Staat geltenden Volksschulgesetzes, ausgearbeitet. Felbiger war seit 1758 Abt des Augustiner Chorherrenstifts in Sagan (Schlesien). Sein Plan, das niedere Schulwesen im Stiftsgebiet zu reformieren, führte ihn Johann Julius Hecker, dem Leiter der Berliner Realschule und Verfasser des erwähnten preussischen Landschul-Reglements, zu. Über Johann Friedrich Hähn, Abt in Klosterberge bei Magdeburg und vormals Inspektor an der von Hecker gegründeten Königlichen Realschule, kam er in Kontakt mit der so genannten Literalmethode, einer Lerntechnik, die das Auswendiglernen im Klassenverband ermöglichen sollte (vgl. Kap. 4.4.1). Felbiger schickte später junge Leute an das mit der Realschule verknüpfte Schullehrerseminar und begann darauf in Sagan selber Lehrer auszubilden; 1765 gründete er in Breslau ein Seminar (vgl. Jenzer 1991). 1774 folgte Felbiger dem Ruf Kaiserin Maria Theresias nach Wien, die ihn mit der Reform des österreichischen Schulwesens beauftragte. Von da aus hielt die Normalmethode in der Schweiz vornehmlich in einigen katholischen deutschsprachigen Orten, insbesondere über das Kloster St. Urban in Luzern und Solothurn, Einzug, und es fanden dort um 1781 bzw. 1782 auch die ersten
148 Der vollständige Titel lautet: ‚Eigenschaften, Wissenschaften, und Bezeigen rechtschaffener Schulleute, um nach dem in Schlesien für die Römischkatholischen bekannt gemachten Königl. General-Landschulreglement in den Trivialschulen der Städte, und auf dem Lande der Jugend nützlichen Unterricht zu geben‘. 1775 erschien von ihm zudem, als unterrichtsmethodische Erläuterung zur neuen österreichischen ‚Allgemeinen Schulordnung‘ (1774) ein ‚Methodenbuch für Lehrer der deutschen Schulen in den kaiserlich-königlichen Erblanden‘.
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Gründungen von Lehrerausbildungsstätten statt. Zum Kern des Normalkonzepts des in St. Urban wirksamen Paters Nivard Crauer (1747–1799) gehörte der Zusammenunterricht in Klassen unter Verwendung identischer Lehrmittel, und zwar dezidiert als Alternative zum überbrachten Individualunterricht (vgl. ebd.). Gemäss Enquête von 1771 war man in verschiedenen Zürcher Landgemeinden (z. B. Andelfingen, Dietlikon, Mönchaltorf, Steinmaur) damals bereits zu einer Differenzierung von Lerngruppen, gewöhnlich drei, die im gleichen Stoff waren und wo möglich die gleichen Bücher zum Lernen hatten, übergegangen. Auch Dielsdorf gehörte zu diesen Gemeinden, von wo Pfarrer Salomon Thomann (1715–1793) schreibt: „Ich habe die schul zu dielstorff in gewüsse Classen abgetheilt: Es sind die a.b.c Kinder, oder die so in dem Nammen büchlj sind: Es sind diejenigen, so in dem lehrmstr sind: Es sind diejenigen, so in der zeügnuss sind“ (B.b.3.-5.). Hier war einerseits das katechetische Lehrmittel massgebend, wobei der Anfang sachgemäss mit dem einfacheren gemacht wurde, während der grosse Katechismus oder die ‚Zeugnisse‘ den Abschluss bildeten; parallel galt es, die Lesefähigkeit in der ersten Klasse zu vermitteln, als Voraussetzung der Lektüre und des Auswendiglernens jener zentraler religiöser Lehrbücher. Unter C.7. fragt Pfarrer Thomann, „Ws. ist wohl die ursach, ds der schulMstr in einer grossen schull, nicht an alle kinder kommen kann?“ – und gibt zur Antwort: „a. der Mangel der ordnung. b. die ungleichheit der bücheren. c. die ungleichheit der #lectionen. welche die kinder aufsagen müssen. d. ds die kinder von ihren ort aufstehen und zu dem schulmstr hingehen müssen: dann ds erwekt in der schul ein tumult u. unordnung u: benihmmt die zeit.“ Abzuhelfen wäre dem mit der Einführung des Zusammenunterrichts in Klassen, der Einteilung der Lektionen nach einem Stundenplan und der Verwendung einheitlicher Schulbücher. Finden sich in einer Klasse Schüler ungleicher Fähigkeiten zusammen, so gibt der Schulmeister auf den Schwächeren „nur ein wenig desto sorgfältiger achtung, u. hilfft dem selben mit liebe u: sanfftmuht, fort“ (ebd.). Auf diese Weise könne „ein fertiger schulMstr an all schulkinder kommen; er kann in einer stund biss 50. kinder in einer Class auffsagen lassen“ (ebd.). Diese Einrichtung wolle zwar dem Schulmeister nicht gefallen, da er sie als mühsam empfinde. Optimistisch glaubt Thomann jedoch: „[W]ann sie aber dieselbe ein mahl gefasst u. eingeführt haben. So finden sie diese Art zu lehrnen vor ihre persohnen ganz kommlich, u: vor die kinder nützl. Mein satz gründt sich auf die Erfahrung“ (ebd.).
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Pfarrer Thomann hatte also bereits eine Art Klassenunterricht eingeführt, der über das in der Schulordnung Vorgeschriebene hinausging. Er hat nicht nur die Vorteile dieser Unterrichtsanordnung gegenüber den Problemen des Einzelunterrichts deutlich erkannt; er benennt ebenso mögliche Schwierigkeiten von Seiten des Schulmeisters, wenn er darauf verweist, dass jener diese intensive Unterrichtsform „mühsam“ findet. Von Kammerer Schulthess aus Mönchaltorf erfährt man in der Enquête, dass man nach gemeinsamer Beratung auch im ganzen Kyburger Kapitel inzwischen – offenbar im Gleichschritt mit den Wetzikoner Kollegen – in sämtlichen Schulen eine Klasseneinteilung vorgenommen habe, nämlich I. in die Gruppe der ABCSchüler, II. die Gruppe derer, die buchstabieren und auswendig lernen, und III. in diejenige, die bereits lesen können und die Schreiben lernen. Den Klassen sind die zu absolvierenden Schulbücher zugeordnet, und jede Klasse hat bereits ihren eigenen Stundenplan. Am Ausgang des Jahrhunderts sollen im Kanton Zürich gemäss StapferEnquête 77 % der Schulmeister eine Klasseneinteilung – am häufigsten wieder in drei Klassen – vorgenommen haben (vgl. Klinke 1907); im Gegensatz zur Zürcher Umfrage von 1771 findet man in dieser nun auch die explizite Frage nach einer solchen Einteilung. Der Übergang vom individualisierten über den kollektiven Einzelunterricht in Lerngruppen zu einem konsequenten und räumlich abgetrennten Klassenunterricht war im Verlauf der kommenden Jahrzehnte allerdings ein langsamer und fliessender. Statt aber zu beklagen, dass es das „Schicksal des kollektiven Einzelunterrichts ist […], in seiner degenerierten Form des ausgehenden Ancien Régime in die Geschichtsschreibung geraten zu sein“ (Jenzer 1991, S. 73), ist vielmehr positiv festzuhalten, dass in jener Zeit mit der Herausbildung einer ‚Volksschulpädagogik‘ und dem Ansinnen einer durchgreifenden Beschulung der Bevölkerung Fragen der Unterrichtsmethodik und einer effizienten Organisation zunehmend ins Blickfeld gerieten. Kritik an der traditionellen Unterrichtsform kam nicht nur von Seiten der Verfechter des Klassenunterrichts, vorübergehend hatte auch die Idee des wechselseitigen Unterrichts Konjunktur. Fünfzig Jahre nach der Ausbreitung der Normal war von dieser in der Schweiz nämlich kaum mehr etwas zu lesen (vgl. ebd.). Sie wurde nach 1800, als Andrew Bell (1753–1832) und Josef Lancaster (1778–1838) unabhängig voneinander den wechselseitigen Unterricht im Monitorialsystem begründeten, von diesem Prinzip überlagert. In der Schweiz gehörte Pater
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Girard149 zu den Vertretern eines wechselseitigen Unterrichts. Nicht nur lernten die Schüler in Gruppen, neu war, dass hier fortgeschrittene Schüler als Helfer des Lehrers unter dessen Anweisungen Schüler unterrichteten. Bekanntlich existierten solche Praktiken, wenn auch nicht systematisch durchgeführt, in vielen, vor allem grösseren Landschulen allerdings bereits im Ancien Régime. Nach einem Höhepunkt um 1820 trat aber auch die Methode Girards wieder zurück. Im Kanton Zürich wurde dann mit dem ‚Gesetz über die Organisation des gesammten Unterrichtswesens‘ von 1832 offiziell die Einteilung in Jahresklassen eingeführt. Das Gesetz sah vor, dass die Kinder mit fünf Jahren eingeschult werden und zuerst drei Jahre die Elementarabteilung und darauf drei Jahre die Realabteilung besuchten. Solange die Zahl der Schüler beider Abteilungen 120 nicht überstieg, ging man allerdings weiterhin davon aus, dass sämtliche von einer Lehrperson in einem Raum unterrichtet werden können. Jenzer (1991) nimmt an, dass in der Schulwirklichkeit bis um 1870 eine bunte Vielfalt von Unterrichtsorganisationsformen – kollektiver Einzelunterricht, wechselseitiger Unterricht, Klassenunterricht im Sinn der Normalmethode und eine Vielzahl von Mischformen – vorherrschte. Organisation und Methode hingen dabei sicherlich mit von der Grösse der Schulgemeinde und der materiellen und infrastrukturellen Versorgungslage ab, die auch nach 1832 weiterhin stark differierten. Dass der Jahresklassenunterricht ab den 1870er Jahren seine wesentliche Prägung erhielt, dürfte mitunter dem Einfluss des Herbartianismus zuzuschreiben sein. Ihm war nicht zuletzt deshalb Erfolg beschieden, weil er im Zuge einer durchgreifenden Verschulung – die allgemeine Schulpflicht wurde auf der Bundesebene 1874 eingeführt – auf den Plan treten konnte. Die 149 Jean Baptiste Melchior Gaspard Balthasar Girard (1765–1850), genannt Pater/Père Grégoire, trat 1781 in Freiburg in den Franziskanerorden ein, absolvierte 1783–1788 philosophische und theologische Studien in Würzburg und wirkte nach der Priesterweihe (1788) ab 1790 als Philosophielehrer und Prediger in Freiburg. Er reichte auf den Aufruf Stapfers von 1798 hin ein ‚Projet d‘éducation publique‘ ein (vgl. Bütikofer 2006). Nach dem Zusammenbruch der Helvetischen Republik leitete er 1805 bis 1823 die Knabenschule von Freiburg. In seinem ‚Rapport sur l‘Institut Pestalozzi à Yverdon‘, den er im Auftrag der Tagsatzung verfasste, anerkannte er zwar die moralische und methodische Bedeutung dieses Unternehmens, bestritt aber dessen Übertragbarkeit auf die öffentliche Volksschule. Nach seinem Umzug nach Luzern war er 1823 bis 1834 als Philosophielehrer tätig, war Mitglied des Erziehungsrates und setzte sich im Rahmen der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft für die Mädchen- und Lehrerbildung ein.
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herbartianische Schule versprach einen effizienten Unterricht unter den Vorzeichen Ordnung, Disziplin und Einheitlichkeit. Zusammenunterricht, das heisst der Unterricht von Klassen mit homogenen Lernständen, in denen den Schülern das Gleiche (Lehrplan) auf gleiche Weise (Methode) mit gleichen Mitteln (Lehrmittel) zur gleichen Zeit (Stundenplan) durch eine professionelle Lehrkraft vermittelt werden konnte, bildete das essentielle Prinzip. Wenn im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in der Geschichtsschreibung die Schulzustände des Ancien Régime belächelt wurden, dann nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieses Ideals. Die Enquête von 1771 gibt mit Schülerzahlen und Angaben zu den vorhandenen Lokalitäten Auskünfte zu den räumlichen Verhältnissen: Demnach betrug die durchschnittliche Anzahl Schüler in Hauptschulen 69, in Nebenschulen mit 34 Schulkindern rund die Hälfte (Bloch 2007). In den Hauptschulen diente in 23 % der Fälle das eigene Haus als Unterrichtslokal, bezüglich der Nebenschulen war dies zu 82 % der Fall (ebd.). Dieses Verhältnis verweist einerseits auf den geringen Status der Nebenschulmeister. Gleichzeitig kommt Bloch jedoch aufgrund der Tatsache, dass gerade die besser gestellten Hauptschulmeister oftmals zu Hause Schule hielten, zu dem Schluss, dass dies unter Umständen eine positive Bedeutung hatte; die notwendigen Räumlichkeiten zur Verfügung stellen zu können, war ein Privileg der besser Gestellten. „Die Folgerung ‚armer Dorfschulmeister also Arbeitsort eigene Stube‘ kann so nicht bestätigt, im Sinne von verallgemeinert werden“ (ebd., S. 60). Ähnliches kann man auch bezüglich der teilweise überaus grossen Schülerzahlen in einer Schule feststellen. Gerade dieser Sachverhalt diente in der Historiographie immer wieder dem Zweck, die misslichen Zustände im Schulwesen des 18. Jahrhunderts hervorzuheben. Grosse Schulen waren aber zumindest aus Sicht der Schulmeister erwünscht und prestigeträchtig, da damit im Normalfall auch das Einkommen stieg. Was nun die Qualität des Unterrichts betrifft, so waren es nicht in jedem Fall die kleineren Schulen, die für bessere Lernerfolge und mehr Effektivität standen. Grundsätzlich schneidet in den Äusserungen der Pfarrer der durchschnittliche Hauptschulmeister besser ab als sein Kollege aus der kleineren Nebenschule. Ein Schulmeister, der in geringerem Mass auf Zusatzbeschäftigungen angewiesen war, konnte sich wohl stärker in der Schule engagieren. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel, etwa im Fall von Horgen, wo der Pfarrer die eigentlich illegale Nebenschule im Dorf gerne duldet, da die Kinder dort drei- und viermal mehr lernen würden als in der Hauptschule; von diesem Schulmeister ist aus dem Jahr 1772 ein ausführlicher, sauber und – auch orthographisch – wohl formulierter Bericht über
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seine Schule im Horgenerberg überliefert, der dessen Fähigkeiten bestätigt (StAZH: E I 21.4). Dennoch: Insgesamt standen die Hauptschulen personell, infrastrukturell und materiell besser. In grossen Schulen konnte sich der Schulmeister, wie die Antworten auf Frage C.7. zeigen, mit einem älteren Schüler für den Unterricht der Kleinen behelfen; häufig half – bekanntlich auch im Sinn der Einführung des potentiellen Amtsnachfolgers – der eigene Sohn. Die Stellungnahmen zu Frage C.6., ob sich grosse Schülerzahlen nachteilig auf den Unterricht auswirken, lauten denn auch durchaus verschieden. Zur Hauptschule von Marthalen gehörten 183 Schüler, wobei diese von zwei Schulmeistern unterrichtet wurden. Der dortige Pfarrer und Dekan Balber meint allgemein zur Frage der Schulgrösse: „Aber je weniger ein wackerer Schulmann Kinder zubesorgen hat, nur desto besser wird er seine lehr u: aufsicht zu ihrem Nuzen anwenden, welche bey grossen Schulen gestümmelt* und gar nicht nach Wunsch angewandt werden mögen: daher ohnstreitig in kleinen Land:Schulen mehr gelehrnt wird als in den grossen. u: in Haus:schulen [städtische Elementarschulen für die jüngsten Schüler von ca. sechs oder sieben Jahren, vgl. Kap. 2.1] lehrnen die Kinder besser als in Landschulen, denn in disen muss der Schulmeister nicht selten selber Schüler zu under-Schulmeistern gebrauchen, die aber weder #authoritæt noch das Geschicke haben ihre mittschüeler zu #informieren auf eine nüzliche Art.“ Die Situation in seiner eigenen Gemeinde schildert er entsprechend kritisch: „Hier zu Marthalen sind 2. Schulmeister also keine buben #vicarii nothwendig; aber zu zwey tischen zu: und wieder abzugehen, an 2. Orthen zu gleicher Zeit lernt zu #recitieren, macht schon vil Gereüsch und unordnung, 2mahl bis 50. u: mehr Kinder innert 2–3 stunden abhören macht schnapplen, hindert das nachdenken der lehrnern und Lehrenden, u: alles zusammen betrachtet ist es etwas anders als eine wohl hergebrachte #confusion, oder #privilegierten ungedung zu nennen?“ Balber schlägt deshalb vor, die Mädchen gesondert von den Knaben zu unterrichten, und zwar in getrennten Schulstuben. Anders lautet hingegen die Wahrnehmung des Klotener Pfarrers. Seine Hauptschule ist mit regulär 152 Kindern nach Marthalen die zweitgrösste, wird jedoch von einem einzelnen Schulmeister geführt. Man sollte meinen, teilt er mit, dass die Schüler der kleineren Nebenschule von Opfikon „weit grössern #profectus machen, wo ihre anzahl meistens 50 ist […]. Allein es ist das Gegentheil: die Schul#examen zeigen, dass die vilen Kinder der Schul zu Kloten vil besser und geschwinder lehrnen, als die wenigen der Schul zu Opfikon. Man schreibt es der allzugrossen Sanftmuth des Schulmeister zu Opfikon zu, doch Gott seye darfür dank!
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seine arbeit ist gesegnet genug“. Dass nicht nur das Temperament eines Schulmeisters entscheidend sein konnte, sondern natürlich auch seine Fähigkeiten, darauf verweist der Fall von Dübendorf und Gfenn. Während dort 120 Schüler zur Hauptschule gehören, sind es in der Nebenschule von Gfenn gerade 30. Der Pfarrer kann aber keinen Nachteil für die grössere Schule feststellen – „ja die Kinder hiesiger Schule zu Dübendorff werden wegen mehrerer Fähigkeit des SchulMeisters noch mehr geförderet als die Kinder im G‘fenn“ (C.6.). Keine Probleme wurden von den Pfarrern, die für die anderen ähnlich grossen Schulen zuständig waren, erwähnt, also mit Bezug auf Ossingen, wo 120 Kinder in einer Schule zusammenkamen, oder die Hauptschule von Stammheim mit 140–150 oder Schönenberg mit 112 Kindern; man half sich überall mit einem zweiten Schulmeister, der Unterstützung durch den Diakon oder, so in Schönenberg, „mit einem bequemen #subjecto“ (C.6./7.).
4.5 Pädagogische Literatur in der Enquête Bevor der Kritik und den Reformvorschlägen betreffend das Landschulwesen in einem nächsten Schritt die tatsächlich erfolgten Reformumsetzungen gegenübergestellt werden, bilden in diesem Kapitel nochmals die Antworten auf die Enquête den Ausgangspunkt der Analyse. Das Interesse richtet sich an dieser Stelle auf die pädagogische Literatur, auf die sich die Pfarrer in der Enquête bezogen, wenn sie ihre Ideen für Verbesserungen vorbrachten. Welche Autoren und Werke gehörten zur Lektüre der Landpfarrer? – Über welche Literatur fanden welche pädagogischen Ideen den Weg an die ‚Basis‘ und vermochten die Erziehungs- und Unterrichtsvorstellungen bezogen auf die ländlichen Bevölkerungsschichten mitunter zu bestimmen? Mit diesen Fragen verknüpft sich die Erwartung, Hinweise auf die populäre Rezeptionslage bezüglich pädagogischen Schrifttums generell zu erhalten. Den Hinweisen auf pädagogische Autoren und Schriften sowie vorbildliche Institutionen und Schulgesetze, die Landpfarrer vereinzelt haben einfliessen lassen, kann man entnehmen, dass zumindest einige unter ihnen mit Reformdiskussionen und -umsetzungen bekannt waren, wie sie insbesondere auf deutschem Gebiet, vorab in Preussen, existierten. So wurden im Vorangehenden bereits Dekan Johann Heinrich Meister aus Küsnacht, Pfarrer Johann Jakob Oeri aus Erlenbach und auch der Kyburger Dekan Escher genannt, die die Braunschweig-lüneburgische Schulordnung (1738) in ihren Antworten als Vorbild anführten (vgl. Kap. 3.1.1, 4.1.4). Bekannt war
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offenbar ebenso deren Verfasser, der Neuhumanist und Begründer des Philologischen Seminars in Göttingen Matthias Gesner. Verweise auf diesen finden sich sowohl im Zusammenhang mit der Frage der Lehrerbildung wie der Leselernmethodik (vgl. Kap. 4.1.4, 4.4.1). Gesner, das heisst hier seine Reformvorschläge für den altsprachlichen Unterricht, wurde in Zürich auch im Rahmen der Stadtschulreform von Usteri in seiner ‚Nachricht von den neuen Schul-Anstalten in Zürich‘ (1773[/1775]) erwähnt (vgl. Kap. 2.1). Ein weiteres Vorbild für die Einrichtung eines Lehrerseminars sah Oeri im Pädagogium in Halle. Oeri und Meister waren die geistlichen Vorsteher zweier unmittelbar benachbarter Seegemeinden und waren beide in jungen Jahren als Hauslehrer im Kanton Bern in Gundischwil bzw. Thun tätig (vgl. Wirz 1890; Dejung/ Wuhrmann 1953). Während Johann Jakob Oeri nach einem Vikariat in Feuerthalen 1753 die Pfarre in Erlenbach übernahm, machte Johann Heinrich Meister eine Karriere als Theologe und Gelehrter im Ausland und kam so zum Namen ‚Le Maître‘ (vgl. HBLS 1929, Bd. 5). 1721 bis 1730 war er Pfarrer der deutsch-französischen Gemeinde in Bayreuth, 1730 bis 1733, also unmittelbar nachdem Gesner 1729 die Stelle als Rektor am Gymnasium in Ansbach nach kurzer Zeit wieder aufgegeben hatte, amtete Meister als französischer Pfarrer in Schwabach (bei Ansbach). Darauf war er als Erzieher und Hofprediger beim Grafen von der Lippe zu Bückeburg tätig und schliesslich 1747 als französischer Pfarrer in Erlangen (Brandenburg), bis er 1757 nach Zürich zurückkehrte und die Pfarre in Küsnacht übernahm. Meister war mit Bodmer befreundet und gehörte gleichzeitig, wie sich in den theologischen Auseinandersetzungen zu Beginn der 70er Jahre um die Zürcher Bibelrevision und das Realregister zeigen sollte, unter den Zürcher Theologen zum orthodoxen Lager (vgl. Kap. 7). Abgesehen von seiner eigenen Erziehertätigkeit lässt sich ein pädagogisches Interesse auch dem Umstand entnehmen, dass er, informiert von Pestalozzis erstem Anstaltsexperiment, einen schwer erziehbaren Jungen aus Küsnacht nach Birrfeld schickte (vgl. Schoch 1951). Man darf annehmen, dass die Übereinstimmungen in den pädagogischen Referenzen Meisters und Oeris kein Zufall sind, sondern dass zwischen beiden Nachbarn ein Austausch bestand.
4.5.1 Basedow Zu den in der Enquête mehrfach zitierten pädagogischen Autoren der Zeit gehört Johann Bernhard Basedow. Pfarrer Oeri sowie auch Helfer Nüsche-
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ler aus Turbenthal150 nahm im Zusammenhang mit Fragen des Lesenlernens auf seine ‚Practische Philosophie für alle Stände‘ (1758) bzw. das ‚Methodenbuch‘ (1770a) Bezug. Aus Oeris Erwähnung kann man schliessen, dass er über die Kontroverse, die sein damals lanciertes Erziehungsprojekt aufwarf, informiert war. Massgeblich daran beteiligt hatte sich August Ludwig von Schlözer151. Oeri kannte die anonym verfasste und gerade erst 1771 von Schlözer herausgegebene Kritik an Basedows Unternehmen – er hat sie wörtlich zitiert (vgl. von Schlözer 1771, S. 31 f. mit Erlenbach B.b.3.). Schlözer hatte jene polemischen ‚Gedanken über die basedowischen Schulschriften‘ zusammen mit einer Übersetzung von Ludwig Renatus de Caradeuc de la Chalotais‘ ‚Essai d‘Education nationale ou Plan d‘Etudes pour la jeunesse‘ (1763) publiziert. Die Übersetzung ist gemäss den Worten Schlözers als Gegenschrift zu Basedows Erziehungsplan, der schädlicher sei „als der Rousseauische“ (de la Chalotais 1771, Vorrede, S. XI), gedacht und wird von ihm selbst noch mit einer bissigen Vorrede eingeleitet. Darin bezieht er sich zum einen auf die vermeintliche, von Basedow behauptete Originalität seiner Gedanken und dessen als dreist empfundene Werbe- und Geldsammelaktionen. Inhaltlich vermisst Schlözer im ‚Elementarbuch‘ einen (didaktischen) Plan, bemängelt das Fehlen der christlichen Offenbarungsreligion sowie der bildungsrelevanten Disziplinen Historie, Mathematik und Literatur. Als anstössig empfindet er vor allem die darin stattdessen behandelten fortpflanzungsbiologischen Inhalte. Die Rezeption Basedows in Zürich lässt sich über die Diskussionen in der Helvetischen Gesellschaft und über die Mitglieder der Moralischen Gesellschaft rekonstruieren. Insgesamt fokussierten die dort erörterten Pläne die Erziehung einer zukünftigen helvetischen Elite, also nicht die Beschulung der Landbevölkerung. Basedows philanthropisches Erziehungsprojekt war im Rahmen der Debatten um eine Nationalerziehung Gegenstand, die um 1770 im Zusammenhang mit der Verpflanzung des Seminars Haldenstein nach Marschlins und dessen Umwandlung in ein Philanthropin erneut
150 Jakob Christoph Nüscheler (1743–1803), 1775 Diakon am Grossmünster, 1795 Erster Archidiakon, trat 1775 der Moralischen Gesellschaft bei. Er gehörte zu den Subskribenten für Basedows ‚Elementarwerk‘. 151 August Ludwig von Schlözer (1735–1809) war Historiker, Philologe und Statistiker. Er hatte eine Professur für Geschichte in St. Petersburg und für Universalgeschichte und Staatswissenschaften in Göttingen inne. Bekannt wurde er mit seinen ‚Briefwechseln‘, ein Nachrichtenblatt, das er seit 1775 herausgab und das später den Titel ‚Stats-Anzeigen‘ trug.
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Aktualität gewann (vgl. Im Hof/de Capitani 1983, Bd. 1). Ein eigentlicher Konflikt hatte sich anlässlich der Frage des Nutzens von Auslandreisen für eidgenössische Jünglinge ergeben. Die Idee, diese Reisen aus ethisch-patriotischen Gründen auf die Schweiz einzuschränken, kam damals aus der Mitte der Zürcher Moralischen Gesellschaft; die kosmopolitische Gegenposition wurde vom Basler Isaak Iselin152 unter Berufung auf Basedows Konzept eingenommen. Ein Hauptproponent von Basedows ‚Elementarwerk‘ neben Iselin war Lavater. Zu den am Diskurs beteiligten Schinznachern, die zugleich der Moralischen Gesellschaft angehörten, zählten weiter Salomon Hirzel (1727–1818) und Johann Heinrich Schinz (1727–1792). Den Ausgangspunkt von Iselins Werbung für Basedows Projekt bildete dessen ‚Vorstellung an Menschenfreunde‘ (1768); Iselin verfasste darauf ein ‚Schreiben an die Helvetische Gesellschaft über Basedows Vorschläge zur Verbesserung des Unterrichts der Jugend‘ (1769), ohne damit unter den Mitgliedern auf allzu grosse Resonanz zu stossen. Mehr Anklang fand das Unternehmen vorerst in Zürich; darauf verweist die Liste der Subskribenten für das ‚Elementarwerk‘, die dem ‚Methodenbuch‘ beigegeben war. Fünf Zürcher Sozietäten unterzeichneten, darunter – auf Anraten Lavaters (vgl. Viola 1941) – auch die Moralische Gesellschaft; weitere zwei Sozietäten werden aus Winterthur genannt. Die Namen der engagiertesten Werber, darunter neben Lavater und Iselin auch der Berner Patrizier und Ideengeber für die Gründung einer Moralischen Gesellschaft Niklaus Anton Kirchberger, sind von Basedow mit lateinischen Lettern besonders hervorgehoben worden. Andere Zürcher Subskribenten, weitgehend der regie-
152 Der Basler Ratsschreiber Isaak Iselin (1728–1782) beschäftigte sich bereits in den Jahren von 1760 bis 1764 im Rahmen der Basler Schulreform mit Schulfragen und war Mitglied der Schulkommission und innerhalb dieser des Reformausschusses. In seinem ‚Bedenken über das Schulwesen in einem demokratischen Staate‘ (zwei Fassungen, 1760 bzw. 1761) lehnte er sich insbesondere an Gesners Schulordnung für Braunschweig-Lüneburg an und rezipierte neben Basedow auch die Erziehungsschriften von Locke und Sulzer (vgl. Im Hof 1947, Bd. 1). Die Reform führte lediglich zu einer neuen Schulordnung für die Stadtschulen (1766), diese enthielt aber kaum noch etwas von Iselins Gedanken. In seinem ersten ‚Bedenken‘ hatte er noch an die Neueinrichtung einer Volksrealschule gedacht sowie an die Einrichtung von Fabrikschulen und eines Lehrerseminars nach Göttinger Vorbild (ebd.). Iselin war einerseits zwiespältig eingestellt gegenüber einer Ausdehnung der Bildung der Landleute, anderseits sah er vor allem für die Bauern die Notwendigkeit, Unterricht nicht nur in Religion, sondern auch in Rechnen und Naturlehre zu erhalten (vgl. Iselin 1770/1882).
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rungsfähigen Elite entstammend, waren, abgesehen vom bereits genannten Salomon Hirzel: Johann Heinrich Füssli (1745–1832), der Nachfolger Bodmers auf dem Lehrstuhl für vaterländische Geschichte, Johann Martin Usteri (1738–1790), Hans Rudolf Rahn (1742–1786), Professor für Ethik am Carolinum, Johannes Hotz (1734–1801), Arzt in Richterswil, Vetter und Freund Pestalozzis, Jakob Christoph Nüscheler (1743–1803), Diakon in Turbenthal, Johann Kaspar Schulthess (1709–1804), Martin Usteri153 im Neuenhof, Heinrich Hess (1741–1770), Kaufmann beim Rechberg, Kaufmann Johannes Bürkli (1745–1804) im Florhof, Exspektant Konrad Wirz154, Balthasar Hess (1741–1783), Gerichtsherr von Nürensdorf, Verwalter Felix Nüscheler (1725–1799), Zunftmeister Matthias Lavater (1707–1775), Doktor Heinrich Lavater155 und weitere anonyme Geldgeber. Zu den bekannten Persönlichkeiten, die auf der Liste aufgeführt werden, zählte der inzwischen als Leibarzt König Georgs III. 156 in Hannover ansässige Berner Johann Georg Zimmermann (1728–1795). Zwar löste das Erscheinen der ersten Stücke des ‚Elementarwerks‘157 bei einigen Enttäuschung aus, so dass weitere Werbeaktionen und Sammelaufrufe zunehmend Missfallen hervorriefen; bis 1774 gehörte aber neben Iselin zumindest Lavater158 noch zu den Anhängern von Basedows pädagogischen Ideen. Beide tauschten mehrere Briefe über das ‚Elementarwerk‘ aus, die zu 153 Es handelt sich wahrscheinlich um Johann Martin Usteri (1722–1803), und von Alters wegen weniger um dessen gleichnamigen Sohn (1754–1829). 154 Wahrscheinlich Johann Konrad Wirz (1741–1785), ordiniert 1762, wurde 1783 Pfarrer in Rüti. 155 Es handelt sich wahrscheinlich um den Vater von Johann Kaspar Lavater, Johann Heinrich Lavater (1698–1774), der Arzt war. 156 Georg III., ebenfalls aus dem Haus Hannover, war der Nachfolger von Georg II., unter dem Gesner die mehrfach zitierte Schulordnung für Braunschweig-Lüneburg (1738) verfasst hatte. 157 1770 erschien das erste bis dritte Stück des ‚Elementarwerks‘; 1772 sollte das ganze Werk erscheinen, doch kam es erst 1774 mit neu bearbeitetem Anfang in vier Bänden heraus. 158 Lavater und Basedow standen ab 1768 in einem persönlichen Briefwechsel, der die theologische Uneinigkeit der beiden widerspiegelt; ausserdem kam es 1774 zu einer Begegnung in Bad Ems und einer gemeinsamen Reise in Begleitung Goethes. Die Gegensätzlichkeit der Religionsanschauungen Basedows und Lavaters tritt bereits früh in Fragen nach dem Stellenwert der natürlichen und geoffenbarten Religion, der Wirkung des Gebets oder der Möglichkeit von Wundern zutage. Lavater warf Basedow vor, das Wesen der Religion in die diesseitige Moral und Glückseligkeitslehre zu verlegen. 1775, als sich bei jenem ein zunehmender Antirationalismus und
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Werbezwecken veröffentlicht werden sollten. Lavater berichtet dazu am 7.2.1771, dass das Werk bei einigen Geistlichen auf dem Land Aufnahme gefunden habe und dort auch zur Instruktion der Schulmeister gebraucht werde (vgl. Fischer 1912).
4.5.2 Miller Mit Johann Peter Millers ‚Grundsätzen einer weisen und christlichen Erziehungskunst‘ (1769) führt Pfarrer Leonhard Oechslin aus Andelfingen in der Enquête eine klassische, wenn auch in der Forschung wenig beachtete Erziehungsschrift der Aufklärung an. Dass Miller als pädagogischer Autor aber durchaus Beachtung fand, zeigen auch die Verweise Dekan Eschers auf seine Ausführungen zur Erziehung in der mosheimischen ‚Sitten-Lehre‘ (von Mosheim 1767, Bd. 8) sowie der Zürcher Nachdruck seiner biblischen Geschichten. Miller kam in seiner Zeit denn auch eine nicht zu vernachlässigende Bedeutung innerhalb der sich von der Theologie emanzipierenden Pädagogik zu. Seine Laufbahn begann er als Sekretär und Hauslehrer beim Theologen und Enzyklopädisten Johann Lorenz von Mosheim. Darauf studierte er in Göttingen bei Gesner; 1751–1756 war er Rektor des Helmstedter Gymnasiums und darauf folgend des Gymnasiums in Halle. In diesem Amt führte er eine Unterrichtsreform (Realienunterricht) durch und verfasste Schulbücher. 1766 erhielt er schliesslich einen Ruf an die Universität Göttingen, wo Ernst Christian Trapp zu seinen Schülern gehörte. In Göttingen gab Miller entscheidende Anregungen für eine äussere und innere Schulreform, setzte sich für die Einrichtung von Realschulen (Bürgerschulen) und Industrieschulen (Armenschulen) ein sowie für die Einrichtung von Seminaren für die schulpraktische Ausbildung von Theologen für das höhere, aber auch von Lehrern für das niedere Schulamt (vgl. Keck 1969, 1983). Entstanden ist Millers Systemwerk der Pädagogik, folgt man der Vorrede, an der Universität Göttingen anlässlich seiner Vorlesungen zur theologischen Moral, welche „nothwendig die Pflichten und Fehler der Kinderzucht mit berühren“ müsse. Die Erziehungskunst bleibt damit in der Theologie angesiedelt, innerhalb dieser macht sie jedoch einen eigenständigen Bereich aus. Insgesamt bilden bei Miller philosophische Weltdeutung die Wendung seiner Christologie in einen Mystizismus abzeichnete, begann die Korrespondenz zu stocken und endet 1784 (vgl. Fischer 1912).
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und Offenbarung keine getrennten Erkenntnisquellen, sondern stimmen grundsätzlich überein. Den Zweck der Erziehung bezieht er auf die Religion; die Mittel gewinnt er einerseits deduktiv aus der Philosophie, anderseits aber empirisch aus der Erfahrung durch die genaue Beobachtung der Anlagen und Kräfte der „jungen Leute“ (Miller 1769, § 11); bei der Unterweisung und Bildung des Herzens sind zudem „psychologischmoralische Regeln“ zu beobachten (ebd., § 29). Bei der Erziehung gilt es, die Natur zu respektieren: Kein Vater oder Lehrer könne neue Kräfte im Zögling anlegen, sondern es lassen sich lediglich die vorhandenen durch Unterricht und Übung stärken und entwickeln. Das Werk beschäftigt sich im Folgenden mit Regeln der Erziehung, und zwar sowohl den allgemeinen, die für das Kindesalter generell Gültigkeit haben, wie den besonderen, die sich „nur auf gewisse Arten von Kindern nüzlich anwenden lassen“ (ebd., § 12); die Letztern differenzieren damit Erziehung nach Alter und Geschlecht, Fähigkeiten und Neigungen sowie nach gesellschaftlicher Bestimmung des Zöglings. Insgesamt folgt Millers Werk mit der Unterscheidung von körperlicher Erziehung, der Erziehung der Seele und der Erziehung des Geistes der klassischen Systematisierung der Pädagogik. Ein knapper Plan je für die häusliche und schulische Erziehung sowie eine Behandlung verschiedener Klassen öffentlicher und privater Lehrpersonen bilden den Abschluss des Werkes. Der Autor hebt hervor, dass er mit seiner Schrift keineswegs eine originelle Lehre entwerfen, sondern lediglich aus dem bereits Vorhandenen das Nützliche zusammentragen wolle; von entsprechend praktisch-normativem Charakter sind die ‚Grundsätze‘. Er rügt, ebenfalls in der Vorrede, die Werke junger, pädagogisch unerfahrener Autoren, die ihre Theorien meist Locke entnommen hätten. Dessen Sicht der Jugend und seine Schlussfolgerungen bezüglich der Erziehungsaufgaben seien jedoch allzu idealistisch. Dennoch tritt deutlich zutage, dass Millers Erziehungsgrundsätze Lockes ‚Some Thoughts Concerning Education‘ (1693) viele Einsichten schulden. Das weniger optimistische Bild vom Kind und die Betonung der Notwendigkeit, den kindlichen Eigensinn zu brechen und zu disziplinieren, sind der christlichen Fundierung des Werkes geschuldet. Angesichts der Unvollkommenheit des Menschen nach der Geburt steht die aktive Rolle des Erziehers bei der Entwicklung der positiven Kräfte und der Vermittlung von Tugenden ausser Frage. Entsprechend ablehnend steht Miller der negativen Erziehung Rousseaus gegenüber, auch weil die Nachwachsenden in seiner Sicht zweifelsohne der bestehenden Gesellschaft zuzuführen sind. Auf für die Popularphilosophie der Aufklärung typische Weise ambivalent ist Millers Position gegenüber der Erbsünde: Diese wird zwar vorausge-
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setzt, erscheint aber zugleich deutlich abgeschwächt gegenüber der orthodoxen Lehre, auch indem die positiven Anlagen des Kindes eine stärkere Betonung erfahren. Zwar macht sich im frühen Alter ein Hang zum Bösen bemerkbar, gleichzeitig zeigen sich bei den Kindern noch keine Laster, abgesehen von denjenigen, die ihnen anerzogen worden sind. Sie haben „eine vernünftige, mit den edelsten Kräften versehene und zu edeln, künstlichen und moralischen Handlungen aufgelegte Seele […] einen nie ganz schlummernden Trieb sowol zu ihrer eigenen Glückseligkeit, als auch zur Geselligkeit, und zwar zur leztern, nicht nur, um ihren Bedürfnissen abzuhelfen, sondern auch, um andere glücklich zu machen […]“ (Miller 1769, § 3). Deutlich stärker ausgeprägt erscheint die ursprüngliche Verderbtheit allerdings in der ‚Sitten-Lehre‘. Er meint hier, insbesondere gegen Lockes Vorstellung vom Wesen des Kindes gewendet: „Ich hingegen sehe unsre Kinder als verderbte Geschöpfe an, die den Keim der Laster in ihrem Herzen haben […]“ (von Mosheim 1767, Bd. 8, S. 331). Die intellektuelle Bildung über schulischen Unterricht richtet sich nach Stand und künftigem Beruf. Dabei wird von der Lateinschule die Realschule unterschieden, womit die realistischen Fächer und lebendigen Sprachen an Stellenwert gewinnen und im gleichen Zug die Alten Sprachen für die nicht gelehrten Studien an Bedeutung einbüssen. An den philologischen Fächern wird die herkömmliche Methode des Lernens grammatikalischer Regeln – auch hier unter Verweis auf Gesners ‚Kleine Deutsche Schriften‘ (1756) – kritisiert. Gesners Leselernmethodik, das Lesenlernen durch Schreiben sowie der Unterricht im Schreiben nach Grundstrichen werden erwogen. Wie später im Zürcher Stadtschulreformkonzept zielt die Einrichtung einer Realschule auf die Ausdifferenzierung und Stärkung eines praktisch ausgerichteten Unterrichtsprogramms. Damit ist Miller anschlussfähig auch gegenüber philanthropischen Reformvorstellungen, etwa eines Basedow, den er positiv würdigt. Der Verweis Oechslins auf Millers Pädagogik erfolgte vor dem Hintergrund der Frage, worin die Kinder auf dem Land überhaupt unterrichtet werden sollen. Dies ist erstaunlich, weil Miller die Dorfschulen nur ganz am Rande erwähnt. Er nennt an dieser Stelle Gesetze des bürgerlichen Lebens, Landbau, Viehzucht, Masse und Gewichte und Gesundheitslehre als wichtige neu einzuführende ‚Fächer‘ und sieht in Arbeitsschulen vorbildliche Einrichtungen (Miller 1769, § 59). Im Zentrum stehen in Millers ‚Grundsätzen‘ aber ansonsten die bürgerlich-häusliche Erziehung und die städtischen Schulen und Gymnasien.
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Millers Ausführungen zur Erziehung im zwei Jahre zuvor erschienenen 8. Teil der mosheimischen ‚Sitten-Lehre‘ sind in der historisch-pädagogischen Forschung bisher kaum rezipiert worden, zugleich aber auch deshalb von besonderem Interesse, weil hier explizit die Verhältnisse der niederen Stände mit berücksichtigt werden. Massgeblich für die Begründung der Erziehung ist dabei die Pflichtenlehre, die Pflicht der Eltern gegenüber den „hilflosen Geschöpfen“ (Mosheim 1767, Bd. 8, S. 329) und die reziproke Pflicht des Gehorsams und der Liebe der Kinder gegenüber den Eltern. Es handelt sich bei der Erziehungspflicht um ein christliches Gebot, das mit den „übrigen wichtigsten Pflichten eines Christen“ genau zusammenhängt und zur Beförderung der Glückseligkeit der Eltern beiträgt (ebd., S. 330 f.); ihm sei jedoch nicht aus einem blinden Naturtrieb, „sondern vielmehr aus deutlichen, richtigen und vernünftigen Gründen“ zu folgen (ebd., S. 330). Die natürlichen Pflichten und Beweggründe, die auch dem Familienverband zugrunde liegen, bilden die Grundlage, von der sich die bürgerliche Gesellschaft ableitet. Millers Hauptmaximen der Erziehung basieren in der ‚Sitten-Lehre‘ auf der Annahme, dass Kinder zwar den Keim des Lasters in sich tragen, insofern aber unschuldig sind, als sie nicht zwischen gut und böse unterscheiden können; daraus folgt, dass „sie gar nichts Böses hören und sehen [müssen], sondern lauter Gutes, damit sie nichts von jenem ohne ihr Verschulden aufnehmen mögen“ (ebd., S. 333). Kinder sind „kleine Menschen, von den Erwachsenen nur dadurch unterschieden, dass der Keim der Vernunft und Tugend und der übrigen Kräfte in ihnen noch eingehüllt ligt und dass daher die letztern durch eine weise Erziehung erst allmählich entwickelt und ausgebreitet werden müssen“ (ebd., S. 345). Erziehung ist also deutlich ‚positiv‘ zu verstehen, weshalb Miller auch hier in Rousseau einen erklärten Gegner findet. Ambivalent ist sein Verhältnis, wie erwähnt, zu Locke; mit seiner betont christlichen Anthropologie setzt er sich von jenem deutlich ab, lernpsychologisch folgt er ihm aber in letzter Konsequenz ebenso deutlich: Die Erziehung hat frühzeitig, solange die „Materie“ bzw. Seele „noch weich ist“ (ebd., S. 346), für die richtigen Eindrücke zu sorgen. Der allererste Unterricht muss naturgemäss sinnlich sein und soll unter anderem über beispielhaft-moralische Erzählungen159 die Affekte positiv beeinflussen. In seinen 159 Exemplarische Erzählungen hat Miller selber verfasst mit den ‚Historisch-moralischen Schilderungen zur Bildung eines edlen Herzens in der Jugend‘ (1753); das Werk ist mit zahlreichen Kupfern versehen und wurde vielfach aufgelegt und übersetzt.
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Ausführungen zum Religionsunterricht fehlen die zeitgenössische Katechismuskritik und der Wunsch nach inhaltlicher Beschränkung auf die wichtigsten, verständlichen Hauptsätze nicht; diese werden zuerst über die natürliche Religion vermittelt, worauf biblische Geschichten und dabei vor allem das Leben Jesu folgen sollen. Die damit angesprochene Kindgerechtheit bezeichnet ein Kriterium, dem auch in den ‚Grundsätzen‘ (Miller 1769) grundlegender Charakter für die religiöse Unterweisung zukommt.
4.5.3 Sulzer Millers Anthropologie ist zwar negativer bestimmt als dies der Fall ist in der ebenfalls populären Erziehungsschrift ‚Versuch von der Erziehung und Unterweisung der Kinder‘ (1748) von Johann Georg Sulzer; dennoch gehört dieser zu den von Miller geschätzten pädagogischen Autoren (vgl. Mosheim 1767, Bd. 8). Sulzers Erziehungsschrift wird in der Enquête zwar nicht erwähnt, deren Rezeption lässt sich aber anhand der ‚Hirten-Briefe über die Erziehung der Kinder auf dem Land‘ (1777) (vgl. Kap. 5.3) nachweisen, und man muss auch aufgrund personeller Verbindungen annehmen, dass dieses Werk bei den Zürchern bekannt war und die damaligen Erziehungsvorstellungen mit zu widerspiegeln vermag. Der in Winterthur gebürtige Philosoph und Ästhetiker Johann Georg Sulzer (1720–1779) gehörte zum engeren Freundeskreis Bodmers und Breitingers, deren Schüler er war. Er war aber auch mit dem Mönchaltorfer Kammerer Johann Georg Schulthess (vgl. u. a. Kap. 3.1.1, 5.3, 5.4), selber ein Schüler und Freund Bodmers mit vielfältigen Kontakte zu Gelehrten und Schriftstellern im In- und Ausland, gut bekannt; Schulthess darf übrigens auch als Verfasser der erwähnten ‚Hirten-Briefe‘ angenommen werden. Schulthess gehörte zum Zürcher Gelehrtenkreis, entfaltete besonders auf dem Gebiet der griechischen Philologie eine rege Tätigkeit und machte sich als Übersetzer antiker Philosophen einen Namen. Auf Empfehlung seiner Lehrer trat Schulthess 1749 eine Reise nach Berlin an. Dort gründete er zusammen mit Sulzer, der damals am Joachimsthalschen Gymnasium Mathematik lehrte, die Montagsgesellschaft, einen gelehrt-geselliger Zusammenschluss Berliner Aufklärer. Schulthess kannte somit Sulzers ‚Versuch einiger vernünftigen Gedancken Von der Auferziehung u. Unterweisung der Kinder‘ (1745) bzw. die besonders bezüglich der Tugendbildung erweiterte Fassung von 1748 ‚Versuch von der Erziehung und Unterweisung der Kinder‘ mit Gewissheit. Sulzer schrieb dieses Werk vor dem Hintergrund
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eigener Erfahrungen als Pädagoge, war er doch nach seiner Ordination 1739 mehrere Jahre und an verschiedenen Orten als Hauslehrer tätig. Später war er selber in die Reform preussischer Lehranstalten involviert, so unter anderem in Klosterberge bei Magdeburg und in Stettin, wo auch Schulmeister ausgebildet wurden; in Klosterberge dürfte er insbesondere auch die Bekanntschaft des unter anderem im Zusammenhang mit Felbiger und der Literalmethode bereits erwähnten Schulpädagogen und Abtes Johann Friedrich Hähn gemacht haben (vgl. Kap. 4.4.1 und 4.4.3). Sulzer gehörte zu den von Friedrich II. besonders geschätzten Wissenschaftern und erhielt 1765 die Professur für Philosophie an der neu errichteten Ritterakademie; 1776 wurde er Direktor der philosophischen Klasse der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Sulzer kombiniert in seinen Theorien – wiederum in für die (deutschsprachige) Popularphilosophie der Aufklärung typischer Manier – einen wolffschen ‚Überbau‘ mit einer empiristisch beeinflussten Erkenntnis- bzw. Lerntheorie. Sulzer hatte Lockes Erziehungsschrift sehr geschätzt, was sich ebenso in dessen ‚Versuch von der Auferziehung und Unterweisung der Kinder‘ (1748) nachweisen lässt wie eine frühe Prägung durch Wolffs Philosophie. Nach Erscheinen von ‚An Enquiry Concerning Human Understanding‘ (1748) hatte allerdings nicht nur Locke, sondern auch David Hume160 auf Sulzer gewirkte. Sulzer setzt im frühen moralischen Unterricht, wenn, so seine Annahme, die Vernunft noch nicht entwickelt ist, auf den Nachahmungstrieb. Lernen erfolgt hier mittels Übung und Gewöhnung anhand von Beispielen – einem didaktischen Mittel, das übrigens bereits Wolff sehr geschätzt hatte161 –, womit die häufig anzutreffende Kritik am traditionellen Auswendiglernen abstrakter Regeln angesprochen ist. Daraus folgt unter anderem, dass der das Kind ‚prägenden‘ Umgebung besondere Beachtung gebührt. Grundsätzlich sind die Lernanlässe der momentanen Stimmung des Zöglings anzupassen, und allgemein ist das individuelle Naturell bei der Erziehung in Anschlag zu bringen. Der Unterricht ist überhaupt so angenehm als möglich zu gestalten und geht im besten Fall spielend vor sich. In den Grundsätzen zum Bestrafen folgt Sulzer ebenso Lockes Vorstellungen
160 Sulzer gab 1755 eine mit Anmerkungen versehene Übersetzung von David Humes ‚An Enquiry Concerning Human Understanding‘ heraus. 161 Wolff (1733/1996) meint, dass Exempel häufig das wirksamste Mittel seien, um den Menschen zu richtigen Vorstellungen als Voraussetzung des richtigen Willens und zuletzt des richtigen Urteils zu bringen.
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wie dort, wo er den Appell an das Ehrgefühl als wichtiges movens moralischer Erziehung annimmt. Es ist für das Gelingen der Erziehung wichtig, dass eine frühe Verzärtelung absolut vermieden wird. Dies gilt einerseits in physischer Hinsicht, womit Sulzer wiederum Lockes Anweisungen folgt, anderseits in Bezug auf die Moralerziehung, wenn er wie jener absolute Standhaftigkeit gegenüber den ersten Äusserungen des kindlichen Eigenwillens verlangt. „Man kan, wie ich oben erinnert habe, unmündigen Kindern nicht mit Gründen beykommen; also muss der Eigensinn auf eine mechanische Weise vertrieben werden, und dazu ist kein anderer Rath, als dass man den Kindern den Ernst zeiget“ (Sulzer 1748, S. 184). Dies heisst so viel, als dass die Unterwerfung des Eigensinns allenfalls mit Zwang und Gewalt zu erreichen ist. Sulzer geht dabei genau wie Locke162 davon aus, dass Kinder vergessen, was ihnen in den ersten Jahren begegnet ist: „Diese ersten Jahre haben unter anderm auch diesen Vortheil, dass man da Gewalt und Zwang brauchen kan. Die Kinder vergessen mit den Jahren alles, was ihnen in der ersten Kindheit begegnet ist. Kan man da den Kindern den Willen benemmen, so erinnern sie sich hernach niemalen mehr, dass sie einen eignen Willen gehabt haben; und die Schärffe die man wird brauchen müssen, hat auch eben desswegen keine schlimmen Folgen“ (ebd., S. 189). Sulzers Anthropologie steht zwar in dem Gedanken, dass die dem Menschen angeborenen Eigenschaften und Neigungen gewöhnlich besser sind, als die später in der Welt erworbenen. Er fährt hinwieder fort: „Wie aber auch bissweilen die Kinder Mängel des Leibes, der sonst überhaupt sehr vollkommen gebildet ist, an die Welt bringen; so giebt es auch in der That natürliche Mängel der Seele. Diese muss man durch eine gute Erziehung zu verbessern suchen“ (ebd., S. 128). Der religiöse Unterricht darf nicht vor dem zwölften Altersjahr einsetzen, und ihm geht immer der moralische mittels Historien und Beispielerzählungen voraus. Am Anfang stehen die natürlichen Religionswahrheiten, erst an diese schliessen sich die geoffenbarten Glaubenssätze an. Sulzer hat selber 1768 während seiner Zeit am Joachimsthalschen Gymnasium ein Lesebuch unter dem Titel ‚Vorübungen zur Erweckung der Aufmerksamkeit und des Nachdenkens‘ veröffentlicht, das zu einem grossen Teil aus histo162 Vgl. mit Locke (1693/1989, § 44): „A Compliance, and Suppleness of their Wills, being by a steady Hand introduced by Parents, before Children have Memories to retain the Beginning of it, will seem natural to them, and work afterwards in them, as if it were so […].“
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rischen und moralischen Beispielgeschichten besteht. Überhaupt lag ihm an einer „Sammlung solcher Histörchen“, die an die Stelle „der alten Weiber-Märchen, Gespenster und Mord-Geschichte“ treten könnte (ebd., S. 218). In der Einleitung zu seinem Lesebuch schickt Sulzer seinen pädagogischen Überlegungen eine Kritik am traditionellen Unterricht voraus, welcher für die damalige Reformdiskussion repräsentativer Charakter zukommt. Er moniert allgemein am Unterricht in den öffentlichen Schulen „zwey sehr grosse Fehler: man lernt wenig, und dieses wenige bezahlt man mit grosser Mühe und starkem Ekel. Von den verschiedenen Fähigkeiten der Seele, wird eigentlich nur das Gedächtnis bearbeitet: die Aufmerksamkeit, die genaue Beobachtung, das Nachdenken, die Beurtheilung des Wahren und endlich die Empfindung des Schönen und Guten, werden fast ungeübt und unbearbeitet gelassen“ (Sulzer 1768, S. 3). Als vordringlichste Aufgabe der Erziehung bezeichnet Sulzer in seinem ‚Versuch‘ die Verstandesbildung. Die Verstandesbildung ist es denn auch, die dem am ausführlichsten behandelte Zweck von Erziehung und Unterricht, der Gemüts- und Willensbildung, zugrunde liegt: „Der Verstand ist die Hauptsache, weil ohne ihn die Tugend keine Tugend ist“ (Sulzer 1748, S. 78). Erste Sorge der intellektuellen Bildung ist die Aneignung deutlicher Begriffe, als Fundament des richtigen Denkens. Sulzer stützt sich in seiner Ethik auf Wolffs rationalistisch-eudämonistisches System, Ziel des freien menschlichen Handelns ist bei ihm gleichfalls die Glückseligkeit. Die Tugend ist dabei „eine Fertigkeit, seine freyen Handlungen, nach denen ihnen vorgeschriebenen Gesezen einzurichten. Aus dieser Erklärung ist nun leicht zu sehen, was zur Tugend erfordert wird. Nämlich überhaupt zwei Dinge: 1. Ein aufgeklärter und erlauchter Verstand, welcher deutliche Begriffe von den menschlichen Pflichten hat, und die Gründe weisst, wodurch der Wille zur Ausübung geneigt wird. 2. Ein guter Wille, bey welchem die Hindernisse der Tugend gehoben sind“ (ebd., S. 79). Dem wolffschen Naturgesetz gemäss folgt auf die Einsicht des Guten der Wille, sein Handeln an diesem auszurichten: „Wenn der Verstand eines Menschen auf eine solche Weise vorbereitet ist, so muss nothwendig der Wille zum Guten geneigt werden, denn es ist einmal unmöglich, dass der Mensch für etwas gleichgültig bleibe, welches er sich als ein Gut vorstellt“ (ebd., S. 85).
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4.5.4 Physiognomische Schriften Bevor im nächsten Abschnitt ausführlicher auf zwei weitere Schriften eingegangen wird, die man in der Enquête angeführt findet und welche sich dezidiert mit dem Landschulwesen beschäftigen, ist an dieser Stelle ein Hinweis auf Literatur besonderer Art zu erwähnen; er findet sich im Antwortdokument von Dekan Meister aus Küsnacht und stellt insofern ein Kuriosum dar, als die aufgeführten Schriften älteren Datums und der höfischen Tradition moralisch-psychologischer und physiognomischer Literatur zuzuordnen sind. Meister beruft sich auf diese anlässlich der Frage C.2., die sich, in heutigen Begriffen ausgedrückt, mit der Diagnose und Förderung von Begabungen beschäftigt. Die Frage lautet wörtlich: „Zeigen sich etwa bey dem eint und andern Kind auch ausserordentliche Fähigkeiten des Verstandes? Man wünscht, wann solche sind, sie mit Namen zu kennen – Was wird mit solchen fähigen Köpfen vorgenommen? In was für Umständen sind sie?“ Unter den bei diesem Anlass von Meister zur Lektüre empfohlenen Werken stösst man auf Christian Thomasius‘ Ankündigung und Vorstellung seiner Affektenlehre in der ‚Neuen Erfindung andrer Menschen Gemüther zu erkennen‘ (1692)163 sowie auf Marin Cureau de La Chambres ‚L‘ârt de connoistre les hommes‘ (1659)164; als weitere Titel Erwähnung fin-
163 Thomasius preist in dieser in Form eines Briefes an den Kurfürsten Friedrich III. von Brandenburg verfassten Schrift seine demnächst, 1696, erscheinende Affektenlehre in der ‚Ausübung der Sittenlehre‘ als ein Instrument der politischen Machterweiterung an. In seiner Affektenlehre nimmt er drei Hauptaffekte an, Ehrgeiz, Wolllust, Geldgier, und führt die damit korrespondierenden Laster auf die unvernünftige Liebe zurück, die er wiederum mit dem schlechten Willen identifiziert. Thomasius‘ Ziel ist es, die individuelle Affektenmischung bei einem Menschen quantitativ nach Graden berechnen zu können. Ein zu entwickelndes Instrumentarium soll der Aufdeckung jener Affekte und zuletzt dem Zweck der moralischen und politischen Klugheitslehre dienen. Die von Meister angeführten Autoren Huarte und Cureau de La Chambre finden sich auch bei Thomasius (1692/1994); der kritisiert diese jedoch wegen der Allgemeinheit ihrer Ausführungen, d. h. der Ausrichtung der Erkenntisse und Argumentation auf nationale statt individuelle Charaktereigenschaften. 164 Zu Cureau de La Chambres Taxonomie vgl. Stafford (1994); Casale (2003). Marin Cureau de La Chambre (1594–1669) war Leibarzt und Berater von Louis XIV., ab 1666 Mitglied der Académie royale. Zwischen 1640 und 1662 erschienen seine ‚Caractères des passions‘; darin umschreibt er den Gegenstand und das Ziel seiner Untersuchung folgendermassen: „CE que ie te donne icy, n‘est qu‘une petite partie d‘un grand dessein, où ie veux examiner les Passions, les Vertus & les Vices, les Mœurs & les Coûtumes des Peuples, les diverses Inclinations des Hommes, leurs Tempera-
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den ‚De signatura rerum‘ (1622), 165 die Signaturenlehre des Mystikers Jacob Böhme, und die psychologisch-physiologische Schrift ‚Examen de ingenios para las ciencias‘ (1575)166 des spanischen Arztes Juan Huarte de San Juan. Der Rekurs auf de La Chambre und Thomasius dürfte mit Meisters Alter (er war 1700 geboren) und damit der Zeit seiner intellektuellen Sozialisation zusammenhängen, aber auch dem Milieu seines zeitweiligen Wirkens an einem deutschen Hof (vgl. Kap. 4.5). Meister hatte einen starken Bezug zur französischen Kultur und Sprache, was auch seine Dienste in französischreformierten Gemeinden und seine beiden Ehen mit Französinnen – in erster Ehe war er mit der Tochter eines geflüchteten hugenottischen Geistlichen verheiratet – nahe legen. Meister beklagt, dass leider weder die Schulmeister noch die Pfarrer die in den genannten Schriften enthaltenen Kenntnisse besässen, die aber für das Erkennen von Talenten unabdingbar seien; selbst von den neueren psychologischen und ästhetischen Entdeckungen der heutigen Weltweisen wüssten sie nichts. Das schlimmste sei, „wenn man weder von der allgemeinen Bestimmung aller Vernünfftigen Geschöpfen, noch von denen verschiemens, les Traits de leur visage; en un mot où ie pretends mettre ce que la Medecine, la Morale & la Politique ont de plus rare & de plus excellent“ (de La Chambre 1640/1662). 165 Wegleitend für die Signaturenlehre des 17. Jahrhunderts und für die mystische Naturphilosophie Jacob Böhmes war Paracelsus (1493–1541) (vgl. Ohly 1999). Böhme glaubt – entgegen der verbreiteten Prägemetapher – an das Zutagetreten der Signaturen durch eine Ausgestaltung des Inneren im Äusseren. Die Signatur macht die Welt ‚lesbar‘ und Gott erkennbar, die Signatur bzw. Natur wird zur Offenbarung Gottes: „DJe gantze eussere sichtbare Welt mit allem jhrem wesen / ist eine bezeygung oder Figur der jnneren Geistlichen Welt / alles was im jnneren ist / vnd wie es in der Wuerckung ist / also hats auch seinen Character eusserlich: Gleich wie der Geist jeder Creatur seine jnnerliche gebuhrts gestaltnuss mit seinem Leibe darstellet vnd offenbahret: Also auch das ewige Wesen“ (Böhme 1635/1997, S. 621; Hervorhebung i. O.). 166 Die Abhandlung erreichte im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts grosse Popularität, wie die Auflagenstärke und Übersetzungen ins Italienische, Französische, Portugiesische, Deutsche, Holländische und Englische zeigen. Huarte untersucht darin die verschiedenen menschlichen Begabungen und die ihnen entsprechenden Wissenschaften. Gemäss Huarte kann ein Mensch lediglich ein Talent besitzen, das hochgradig differenziert ist, wobei sich grosse Unterschiede zwischen den Individuen und Nationen zeigen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit zur Wahl eines Berufs gemäss dem jeweiligen Talent. Ist kein Talent vorhanden, erübrigt sich eine wissenschaftliche Beschäftigung. Jedes Talent ist im Übrigen gekennzeichnet durch ein Temperament und korrespondiert mit der Physis der Person.
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denen besondern Bestimmungen, darzu die Anlage in verschiedenen Menschen von der Kindheit an lieget, sich deütliche und bestimmte Begriffe macht: mithin auch ausser stand ist von denen Kräfften und Mitteln, die zu Erfüllung dieser Bestimmungen dienen, der Wahrheit gemeess zudenken: wie man sich so viel weniger dessen befleisst, wenn man gelaubt, oder vermeynt Proben und Beyspiele zusehen, dass man leichter und gewisser ohne die gedachte Kräffte und Mittel seinen Zwek erhalten kann“ (Küsnacht, C.2.). Meister setzt damit voraus, dass jedem Menschen aufgrund seiner Anlagen eine Bestimmung zukommt, deren Identifikation beim Kind die Mittel und das Ziel der Erziehung an die Hand geben. Die von ihm angeführten Traktate machten die innere Charakterbeschaffenheit, die Affekte und Leidenschaften, über die äussere Erscheinung dekodierbar und versprachen eine wissenschaftlich fundierte Menschenkenntnis. Kannte man die Zeichen, konnten nicht nur Verstellung und Simulation durchschaut, sondern auch rechtzeitig richtige Wege der Erziehung eingeschlagen werden. So war es gemäss Vorrede der früh ins Werk gesetzten deutschen Übersetzung von de La Chambres ‚L‘ârt de connoistre les hommes‘ nicht nur erforderlich, die Wahl der Freunde und Vertrauten zeichentheoretisch abzustützen, sondern eben auch „die Unterweisung der Kinder“ (de La Chambre 1668, Vorrede, zit. nach Casale 2003, S. 97). Wie angemerkt, mag der Verweis in der Enquête auf diese ‚barocke‘ Literatur ein anachronistischer Spezialfall sein, der mit dem Alter des Autors Meister zusammenhängt; in ihrer Zeit sind Rückgriffe auf entsprechende moralisch-physiognomisch-psychologische Theorien in ähnlichen pädagogisch-diagnostischen Argumentationszusammenhängen aber häufig anzutreffen, wie beispielsweise ein Vortrag zeigt, der am 21. März 1687 im Zürcher Collegium der Vertraulichen unter dem Titel ‚Von der Pflicht des Menschen gegen sich selbst‘ gehalten wurde. Der Referent Johann Heinrich Waser (1663–1735) meinte damals anlässlich einer Kritik am gewöhnlichen schulischen Unterricht, man könne „von der Fähigkeit des Lehrenden […] oft aus der Physionimeÿ oder dem Gesicht der Kinder schliessen, darauss lassen sie vilmalen die Anfänge eintweder der Tugenden oder der Lastern hervorblicken“ (ZBZ: S 493). Die Äusserung steht wiederum in Zusammenhang mit dem Postulat, jedem gemäss seinem Talent eine Erziehung zukommen zu lassen, die ihm erlaubt, später seinen Platz als nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft einnehmen zu können.
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4.5.5 Erziehungsschriften für die Landbevölkerung Einen unmittelbaren Bezug zu Erziehung und Unterricht der Landjugend, insbesondere der bäuerlichen Schicht, weisen die beiden von Pfarrer Oeri empfohlenen Werke auf: die ‚Nachricht an das Landvolk die Erziehung der Jugend in Absicht auf den Landbau betreffend‘ (1769) und ‚Von der besten Auferziehung der Jugend auf dem Lande, in Absicht auf den Landbau‘ (1767) von Albrecht Stapfer. Da diese Gattung pädagogischer Literatur im 18. Jahrhundert eine relativ neue Erscheinung darstellte und in der Forschung bisher wenig Beachtung fand, sollen beide Schriften hier etwas ausführlicher dargestellt werden. Die ‚Nachricht an das Landvolk‘ ist anonym erschienen und enthält den Hinweis, es handle sich um eine Übersetzung aus dem Italienischen. Oeri nennt als Autor des Originals Pilati, womit wohl der bekannte italienische Schriftsteller, Jurist, Reformer und Kirchenkritiker Carlantonio Pilati (1733– 1802) gemeint sein dürfte; im anonymen Übersetzer sieht er den Zürcher Johann Konrad Vögelin. Johann Konrad Vögelin (1729–1791), Landschreiber in Bremgarten, war vormals Offizier in Holland und seit 1765 Mitglied der Helvetischen Gesellschaft. 1764 übersetzte er den ‚Phocion‘ des Abbé Mably und widmete die Übersetzung den Schinznachern. Das zeitkritische Werk ‚Entretiens de Phocion sur le rapport de la morale avec la politique‘ (1763) entsprach mit seiner ethischen Grundlegung der Politik den Anschauungen der Patrioten und erhielt 1763 bereits den Preis der kosmopolitischen Société morale in Bern (vgl. Im Hof/de Capitani 1983, Bd. 1). Hingegen konnte das Original der von ihm übersetzten Erziehungsschrift keinem Autor namens Pilati zugewiesen werden. Als Vorlage kommen lediglich die in Coira (Chur) auf Kosten der Società Tipografica gedruckten ‚Avvisi alla gente di campagna, per bene educare la gioventu rispetto all‘ agricoltura’ (1768) in Frage. Diese Schrift ist ebenfalls anonym erschienen, und wenngleich Pilati zwar tatsächlich Mitglied dieser Sozietät war, gilt als deren Autor ein Andrea C. Ralli. Der Name liess sich mit keiner Person identifiziert, so bleibt die Möglichkeit immerhin nicht ausgeschlossen, dass es sich um ein Pseudonym Pilatis handelt.167 Ralli erwähnt in der Vorrede, dass er beim Verfassen von eigenen Beobachtungen und von Schriften anderer Autoren ausgegangen sei. Zudem verweist er lobend auf die Bemühungen der Berner Ökonomischen Gesellschaft und insbesondere auf die von ihr lancierte Preisfrage zur besten Auf167 Dolf (1943) nimmt grundsätzlich an, dass die Schrift ausländischer Herkunft ist.
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erziehung des Landvolks in Absicht auf den Landbau168, die ihn zu seiner Schrift inspiriert habe. Stapfers Schrift ist anlässlich dieser Preisfrage der Berner Ökonomischen Gesellschaft auf das Jahr 1763 entstanden, wurde 1764 preisgekrönt und in den ‚Abhandlungen und Beobachtungen durch die ökonomische Gesellschaft zu Bern gesammelt‘ (1764, 3. Stück, S. 3–102) veröffentlicht. Albrecht Stapfer (1722–1798) war ein Onkel des späteren Ministers der Künste und Wissenschaften der Helvetik, Philipp Albert Stapfer, amtete als Pfarrer unter anderem in Münsingen und als Diakon in Diessbach bei Thun, war landwirtschaftlich interessiert und ein Ehrenmitglied der Ökonomischen Gesellschaft. Beide Werke gleichen sich im Aufbau, und es ist deshalb anzunehmen, dass Ralli die Schrift Stapfers massgeblich als Vorlage gedient hat, denn nur so lassen sich die vielen inhaltlichen und zum Teil auch wörtlichen Übereinstimmungen erklären. Ralli hat Stapfers spezielle Ausführungen zu den lokalen Verhältnissen in Bern weggelassen, dessen Schrift ist aber gleichwohl umfangreicher, differenzierter, und sie weist eine systematischere Untergliederung auf. Dies gilt auch für den umfangreichen ersten Teil mit Anweisungen zur physischen Erziehung und Erkenntnissen aus der Kindermedizin; Letztere konnte Ralli Tissots ‚Avis au peuple sur sa santé‘ (1761)169 entnehmen, Erstere mochten für ihn auch aus dem ersten Buch des ‚Emile‘ oder Lockes ‚Some Thoughts Concerning Education‘ greifbar gewesen sein. Weist Stapfers Schrift einen expliziteren praktischen Bezug auf die Situation der Landleute auf, äussert sich Ralli hingegen ausführlich und differenziert zur frühkindlichen Moralerziehung und Psychologie. Er konnte dabei auf ein pädagogisches Wissen rekurrieren, das in klassischen, an die gebildete Oberschicht und bürgerliche Kreise adressierten Erziehungsschriften der Zeit enthalten war. Insgesamt lassen sich beide Werke insofern als Novum bezeichnen, als sie eine vom theologischen Referenzrahmen weitgehend abgelöste Pädagogik für die unteren ländlichen Schichten bereithielten.
168 Die Preisfrage lautete: „Welche ist die beste Auferziehung, so man der Jugend auf dem Lande in absicht auf den Landbau geben kan?“ (Abhandlungen und Beobachtungen durch die ökonomische Gesellschaft zu Bern gesammelt, 1764, 3. Stück, S. 5). 169 Die Schrift erfuhr innert kurzer Zeit mehrere Auflagen und wurde von Johann Kaspar Hirzel ins Deutsche übersetzt. Der Lausanner Arzt Samuel Auguste André David Tissot (1728–1797) war Mitglied der Société morale in Lausanne (vgl. Kap. 6.1).
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Als Herausgeber der in Basel gedruckten Separatausgabe der Schrift Stapfers von 1767 gibt sich ein „Gönner der Landleuten und Freund der verbesserten Landwihrtschaft [sic]“ (Vorbericht). Sie ist an die Landleute in Basel gerichtet und sollte den Interessierten kostenlos abgegeben werden. In der Folge wird deutlich, dass die unmittelbaren Empfänger weniger die Bauern selber als die vorgesetzten Amtsträger und besonders die Landgeistlichen waren, die die Schrift dann weitervermitteln sollten. Zu der Vermittlungsleistung gehörte auch ein Stück Überzeugungsarbeit, schliesslich wäre zur heilsamen Wirkung des Werkes nötig, dass „die Landleute einmahl erkenneten, was zu ihrem wahren Besten gereichet“, auch dass „die vielfältigen Bemühungen und väterliche Sorgfalt ihrer Obrigkeit, welche Sie seit etwelchen Jahren, durch unterschiedliche nutzliche Einrichtungen vorzüglich an den Tag gelegt, nichts anders als ihre Wohlfahrt und Bestes zum Vorwurf haben“ (ebd.). Dies würde freilich bedingen, dass die Adressaten ihre „Vorurtheile“, eingeschlichenen „Misbräuche“, ihr stetes „Mistrauen“ und ihren Eigennutz aufgeben würden (ebd.). Der Autor setzt für seine nachfolgenden Ausführungen voraus, dass es zwar eine Menge dem Landmann nützliches Wissen gibt, zum Beispiel aus der Naturlehre, gleichwohl könne nicht alles gelehrt werden, da hierzu mathematische Vorkenntnisse notwendig wären; „wer wollte aber dieses alles von der Landjugend fordern“ (Stapfer 1767, S. 7). In bekannter Manier unterteilt Stapfer im Folgenden seine Erziehungsregeln in die Bereiche der physischen und moralischen Auferziehung. Jene beginnt beim Ungeborenen und dem richtigen Verhalten der Schwangeren. Sowohl bezüglich der Mutter als des Kindes beurteilt Stapfer die Umgebung und die Sitten auf dem Land als vorteilhaft – die Verurteilung des Stillens durch Ammen fehlt in diesem Abschnitt nicht. Als Maximen der Kindererziehung werden die Abhärtung des Leibes und die Vermeidung all dessen genannt, was die Kinder zu ihrer späteren Bestimmung, dem Landbau, untüchtig macht. Hierbei sei insbesondere auf drei Dinge zu achten: die Kleidung, die Nahrung und die Leibesübungen. Die Letzteren können ab dem achten oder zehnten Jahr in leichtere Arbeit übergehen, indem man die Kinder für Botengänge, das Füttern oder Hüten des Viehs heranzieht. „Wenn die kinder noch mehr an jahren zunehmen, so muss man ihnen auch nach und nach schwerere arbeiten und leibesübungen auflegen; doch allezeit so, dass sie mit ihren kräften in verhältniss stehen“ (ebd., S. 34). Ebenso wie die physische ist die moralische Erziehung eine standesgemässe. Sie Umfasst „aufklärung des verstandes“ und „bildung des gemüthes oder des herzens“ – „in so fern es den Landbau betrifft“ (ebd., S. 45). Bezüg-
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lich der Verstandesbildung unterscheidet Stapfer zwischen häuslicher Unterweisung und öffentlichem Unterricht in der Schule. Der häusliche Unterricht besteht dann in der praktischen Einführung der Jungen in die landwirtschaftlichen Arbeiten durch den Vater oder, falls dieser selber nicht über ausreichende Güter verfügt, durch einen Herrn, der den Junge als „Knechtlein“ in Dienst nimmt. Eine weitere Lerngelegenheit könne das Zuhören bei Gesprächen unter Bauern über Fragen der Landwirtschaft darstellen. Die Abhängigkeit der Landwirtschaft von den Jahreszeiten bringt es mit sich, dass saisonal Arbeitskraft brachliegt. Die Erlernung und Ausübung handwerklicher Nebenbeschäftigungen ist deshalb geboten. Jedoch: „Ich muss aber zum voraus erinnern, dass ich hier nicht solche handwerke verstehe, die den bürgern in den städten ihre Nahrung wegnehmen, denn diese müssen auch etwas haben, dadurch sie ihren unterhalt finden können“ (ebd., S. 53). Es ist also dem Autor ein Anliegen, dass das zünftische Monopol aufrecht erhalten bleibt; auch will er die Landleute nicht Tätigkeiten zuführen, die sie zuletzt vom Landbau abbringen und sie damit ihrem Stand entfremden. Eine adäquate Beschäftigung sieht er zum Beispiel in der Herstellung von Geräten aus Holz, einer Produktion also, die vom Import von Rohstoffen unabhängig ist: „Das geld würde im lande bleiben, so für diese sachen hinausgeht“ (ebd.). Dazu wäre auch der Bau von Fabriken begrüssenswert. Damit berührt Stapfer die viel diskutierte Frage, inwieweit die Vermehrung der Industrie und damit im Zusammenhang der Bevölkerung von volkswirtschaftlichem Nutzen, auch ob und inwiefern sie für Moral und Sitten der Landbevölkerung schädlich sei. Pragmatisch und jenseits physiokratischer oder agronomischer Dogmatik lautet seine Gleichung dahin gehend, dass die Zunahme der Bewohnerschaft einer Region nur insoweit anzustreben sei, als auch jeder das ganze Jahr seinen Unterhalt und sein Glück finden könne. Um dies zu gewährleisten, müsse man entweder unbebautes Land in die Nutzung einbeziehen, oder andernfalls seien (zunftfreie) Handwerke und die Fabrikindustrie zu befördern. Pfarrer Stapfer beklagt die einseitige Ausrichtung des Landschulunterrichts auf die Religion. „Von demjenigen, was ihren künftigen beruf ansieht, und was ihnen in ihrem stande nüzlich seyn und sie dazu tüchtig machen könnte, wird ihnen kein wort gesagt, und sie lernen von diesem allem gar nichts in den schulen“ (ebd., S. 58). Dem könnte man mit einer effizienteren Methode abhelfen und so Zeit gewinnen, um die Kinder neben der Glaubensunterweisung „noch etwas nüzliches, und zu ihrem berufe dienendes zu lehren“ (ebd.). Auch Stapfer bemerkt, dass die Kinder oft kein Wort von
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dem verstehen, was sie im Religionsunterricht mühsam auswendig gelernt haben. Um dem abzuhelfen, müsse man den Unterricht auf das Wesentliche, das heisst auf Moral und Sittenlehre, beschränken, anstatt sie mit unnützen scholastischen Spitzfindigkeiten zu quälen, die auf vergangene theologische Streitigkeiten zurückgehen. Hinsichtlich des Lesenlernens hat Pfarrer Oeri in der Enquête die Einsicht Stapfers übernommen, dass gerade die Kinder auf dem Land sich diese Fertigkeit noch gründlicher anzueignen hätten als die Kinder in den Stadtschulen, da jene später kaum noch Gelegenheit zur Übung und Anwendung hätten und es damit wieder verlernten (Erlenbach, C. 1.; vgl. Stapfer 1767, S. 61). Deshalb also müssen sie es gerade am Anfang vollkommen lernen, und erst wenn dies erreicht sei, dürfe man sie zum Auswendiglernen führen. Andernfalls bleibe die Aufmerksamkeit immer nur auf die Buchstaben und Silben gerichtet, was es unmöglich mache, den Sinn des Gelesenen zu verstehen. Neben dem Lesen fordert Stapfer unbedingt den Unterricht im Schreiben und Rechnen; es sei kaum notwendig, beider Nutzen für die Haushaltsführung zu beweisen. Zu Letzterem gehört neben den vier Grundrechenarten der Dreisatz, wozu aber erst noch adressatengerechte Rechenbücher verfasst werden müssten. Ausführlich äussert sich Stapfer über den Religionsunterricht. Die Regeln, die er zur Abfassung eines speziellen Katechismus für die Landschulen angibt, folgen deutlich Watts‘ ‚Abhandlung von der Catechetischen Lehrart‘ (vgl. Kap. 4.4.2). Man bemerkt wiederum, dass Oeri, der ebenfalls auf Watts verweist (vgl. Erlenbach, B.b.8.), in seiner Antwort wörtlich aus Stapfers Preisschrift abgeschrieben hat. Stapfer (1767) gibt zu: „Man könnte sich verwundern, warum ich etwas von der religion sage, da ich doch nur von der Auferziehung in absicht auf den Landbau handle.“ Allein, man müsse nicht denken, „dass die religion keine beziehung auf den Landbau habe“ (S. 64). Im Gegenteil nimmt er an, dass die christliche Religiosität einen besonderen Bezug auf Stand und Tätigkeit des Bauern aufweise. Die Einsicht in die Vorsehung und Güte Gottes verhelfe dem Bauern zu Standeszufriedenheit, und die Beobachtung habe gezeigt, dass die guten Christen „auch immer die fleissigsten und besten landmänner sind“ (ebd., S. 65). Stapfer betont an dieser Stelle nochmals den Vorrang der praktischen Sittenlehre gegenüber der Dogmatik. Inhaltlich dürfe die Sittenlehre „nicht in weitläuftigen discursen, sondern nur in kurzen regeln bestehen, die dem kinde bey allen gelegenheiten und vorfallenheiten seines lebens leicht in den sinn kommen könnten, und so viel möglich, aus sprüchen der H. Schrift bestehen. Z. ex. der einzige spruch: Alles was ihr wollet, dass euch die leute
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thun sollen, das thut ihr auch ihnen, kan einem menschen in unzähligen umständen seines lebens, eine regel an die hand geben, wie er sich verhalten solle“ (ebd., S. 67 f.; Hervorhebung i. O.). Entsprechend nützlich zum auswendig lernen erachtet Stapfer praktische Inhalte, wie man sie eben in der Bergpredigt findet oder in den Briefen des Paulus und den moralischen Psalmen. Im Weiteren widmet sich Stapfer den unmittelbar für den Beruf nützlichen Kenntnissen. Auch hier gelte es – im Gegensatz zu den städtischen Verhältnissen – wieder zu berücksichtigen, dass man mit Bezug auf die Landleute nicht davon ausgehen könne, dass sich diese ausgehend von erlangten Grundkenntnissen durch eigenständige Lektüre weiterbilden würden; die Festigung jener Grundkenntnisse in den Schulen sei deshalb besonders wichtig. Stapfer denkt in diesem Zusammenhang an einen katechetischen Unterricht im Landbau und erwägt die Vorteile der Formulierung einer solchen Schrift in Mundart170. Im zweiten Hauptteil, der sich mit der moralischen Erziehung befasst, behandelt Stapfer die Bildung des Gemütes bzw. des Herzens. Folgende Tugenden müsse man dazu den Kindern vermitteln: Arbeitsamkeit, Sparsamkeit (in materieller Hinsicht und in der Einteilung der Zeit), Genauigkeit, Ordnungsliebe, Arbeits- und Lebensmut angesichts von Beschwerlichkeiten, Zufriedenheit mit dem eigenen Stand, Dienstfertigkeit und endlich Mitleid gegenüber Tieren. Ergötzlichkeiten will Stapfer nicht ausschliessen, sofern sie nicht die Sinnlichkeit reizen und zugleich nützlich sind. Stapfer äussert sich in seiner Erziehungsschrift auch zur viel diskutierten und bereits oben angesprochenen Frage nach dem Nutzen und den Gefahren von Bildungsreisen, wie sie häufig den Abschluss der Erziehung von Patrizier- und Bürgersöhnen bildeten. In Übereinstimmung mit den patriotischen Reformvorschlägen der Schinznacher spricht er sich für Reisen innerhalb der Eidgenossenschaft aus. Und er ist der Meinung, dass es – im Sinne einer Horizonterweiterung und der Möglichkeit, mit anderen, neuen landwirtschaftlichen Methoden bekannt zu werden – sinnvoll wäre, wenn auch junge Bauernsöhne ein paar Jahre ausserhalb der engeren Heimat in Dienst gehen könnten. Passende, bei dieser Gelegenheit zustande kommende Heiraten würden nicht zuletzt der ‚Blutauffrischung‘ dienen. Ehen sollten jedoch weder zu früh noch ausserhalb der elterlichen Kontrolle ge170 Ähnliche Überlegungen zur Frage Mundart/Hochdeutsch finden sich auch bei Dekan Meister (Küsnacht). Vögelin (1769) plädiert dagegen für einen Mittelweg zwischen Mundart und Schriftsprache.
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schlossen werden. Schliesslich komme es den Eltern zu, die Jungen vor schlechter Gesellschaft und Mesalliencen zu bewahren, ihre Neigungen zu lenken, ja, die Heirat des Sohnes eigentlich zu arrangieren und ihn in die ausersehene Familie einzuführen.171 Die letzten Seiten der Preisschrift sind der Erziehung der Töchter gewidmet. Stapfer sieht hier keine Besonderheiten vor, ausser dass bei der körperlichen Erziehung ab den ersten physischen Zeichen der „Mannbarkeit“ Schonung angezeigt sei. Die moralische Erziehung geschieht natürlich über Unterricht in den Bereichen der weiblichen Haushaltssphäre; ansonsten gelten dieselben Tugenden, die bereits bei der Erziehung der Knaben angeführt worden sind. Da eine Beziehung zwischen Vögelins/Rallis und Stapfers Schrift besteht und Vögelins Übersetzung von Pfarrer Oeri in der Enquête auch explizit genannt wird, soll diese im Folgenden ebenfalls zur Darstellung kommen. Die Ausführungen beschränken sich dabei auf die moralische Erziehung, welche auch bei Vögelin/Ralli den Unterricht in den Landschulen und die berufliche Bildung einschliesst, und dabei insbesondere auf auffällige Abweichungen und Gemeinsamkeiten mit Stapfers Preisschrift. Vögelin übersetzte seine Vorlage wortgetreu, identifiziert sich aber nicht mit dem Autor und dessen Propositionen, sondern setzt sich verschiedentlich mit Kommentaren in Form von Fussnoten, in denen er ihm zuweilen dezidiert widerspricht, von dessen Meinung ab. Gemäss der Vorrede, die Vögelin ebenfalls von Ralli übernimmt, basiert die Erziehungsanleitung auf Einsichten, „die ich theils aus den Schriften anderer gelehrter Männer, theils aus eigenen Betrachtungen gezogen habe“ (Vögelin 1769, S. XXVI). Die Agrikultur wird hier als ethisches und materielles Fundament der Glückseligkeit eines jeden Gemeinwesens sowie vieler auf ihr basierender Künste gepriesen und gleichzeitig beklagt, dass diesem Erwerb im Allgemeinen keine grosse Aufmerksamkeit zukommt. Diesem Zustand wird nicht nur die Wertschätzung in den antiken Republiken gegenübergestellt, sondern man findet ebenso Verweise auf vorbildliche Reformen in Monarchien. Vögelin/Ralli nennt bezüglich der Erziehung der Kinder „in Absicht auf die Seele“ drei Punkte, die es allgemein zu beachten gelte: die frühzeitige Lenkung der kindlichen Neigungen, damit die schlechten nicht Überhand nehmen; zweitens die Bedeutung des guten Exempels und drittens den richtigen Umgang mit Bestrafungsmitteln. Die praktischen Ratschläge zur 171 Die Planung und Lenkung der Zusammenkunft und die Absprache im Voraus zwischen den Eltern erinnert an das fünfte Buch von Rousseaus ‚Emile‘ (1762).
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ersten frühkindlichen Erziehung erweisen insbesondere dem ersten Buch des ‚Emile‘ ihre Referenz. Ralli betont die Bedeutung erster (Sinnes-)Eindrücke, im Gegensatz zu seinem Übersetzer geht er aber von einem pessimistischeren Bild vom Menschen aus, dessen Mängel sich bereits in der frühen Kindheit zeigen. Diese Sichtweise artikuliert sich auch in den häufigen Pflanzenmetaphern, die von Entwicklung ausgehen, angesichts der belasteten Anlagen aber einen aktiven Gärtner/Erzieher verlangen. Aus der besonderen Bedeutung früher Eindrücke folgt diejenige der ersten Erziehung für das ganze Leben: „Dalle prime impressioni, che riceve un fanciullino, dipendono le prime inclinazioni: dalle prime inclinazioni le prime abitudini: e da queste derivano poi col tempo le qualità buone o cattive del suo animo, e quasi sempre i vizj o le virtù del suo cuore“ (Ralli 1768, § 52).172 In der deutschen Übersetzung dieses Abschnittes stösst man auf eine Anmerkung Vögelins, mit der er sich betont gegen die Auffassung Rallis absetzt, der Mensch sei von Natur mehr zum Bösen als zum Guten geneigt; die Erfahrung bestätige dies überhaupt nicht: „Hingegen sind uns ganz keine Erfahrungen bekannt, welche gehörig darthäten, dass wir zum Bösen von Natur geneigter als zum Guten seyn. Auch wird sich dieses aus der Natur der menschlichen Seele schwerlich zeigen lassen. Die Seelenkräfte entwickeln sich nach und nach, wie die auf sie wirkende, und die Entwickelung veranlasenden Gegenstände es mit geben; sind diese von guter Art, so werden sie gute Eindrücke hervorbringen. Und überhaupt wählen wir nichts, und wenden unsere Neigungen gegen nichts, als in wie ferne wir es als etwas Gutes ansehen“ (Vögelin 1769, § 52; Hervorhebung i. O.). Vögelin unterstreicht im Weiteren die Wichtigkeit, die Ralli den frühen Eindrücken und Vorstellungen beimisst, will hier aber vor allem seinem Perfektibilitätsgedanken, der Wolffs Deutscher Ethik geschuldet ist, nochmals Ausdruck verleihen: Die Bestimmung des Menschen ist es nach Vögelin, „immer nach der Vervollkommnung fortzuschreiten“ (ebd.); da das, was zur Vollkommenheit beiträgt, der menschlichen Natur eher entspreche, komme ihn dies leichter an, als die Verfolgung des Schlechten.
172 In der Übersetzung Vögelins (1769): „Von den ersten Eindrücken, die ein Kind bekömmt, hangen seine Neigungen ab: von den ersten Neigungen die ersten Fertigkeiten: und von diesen im Erfolg der Zeit die guten oder schlechten Eigenschaften der Seele, und also die Tugenden oder Laster des Herzens“ (S. 125 f.).
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Die erste Empfindung des Kindes „ist die Empfindung des Schmerzens, dieses gibt es durch Schreyn und Weinen an den Tag“ (ebd., § 52).173 Eltern müssen sich immer vergewissern, ob es sich beim Auslöser tatsächlich um einen echten Schmerz, also ein echtes Bedürfnis handelt, oder ob die Tränen lediglich ein Mittel sind, die Zuwendung der Mutter zu gewinnen. Den kindlichen Eigensinn, der sich daraus zu entwickeln droht, zu brechen bzw. zu unterwerfen, bildet – ganz gemäss zeitgenössischer Theorien und populärer Anschauung – den Dreh- und Angelpunkt der frühen moralischen Erziehung. Auch die Ausführungen zur Bestrafung sind nicht originell und stimmen über gewisse Strecken mit Lockes Maximen überein, etwa wenn gefordert wird, Züchtigungsmittel nie blind und im Affekt anzuwenden. Die Wertschätzung, die Vögelin/Ralli dem Exempel in methodischer Hinsicht für die moralische Erziehung entgegenbringt, ist ebenso eine verbreitete. Während diese eher allgemeinen moralisch-pädagogischen und -psychologischen Bemerkungen bei Stapfer fehlen, existieren starke Übereinstimmungen mit den nun folgenden „besonderern Sachen, die sie [die Eltern, E.B.] um, ihren Kindern in Ansehung des Gemüthes die gehörige Erziehung zu geben, zu beobachten nöthig haben“ (ebd., § 57). Übereinstimmungen findet man hinsichtlich der Verstandesbildung und des praktischen Unterrichts zu Hause durch den Vater, im Umgang mit Erwachsenen oder auswärts in fremdem Dienst. Angesichts seines vernichtenden Urteils in der Vorrede betreffend die gängige landwirtschaftliche Arbeitsweise sieht sich Vögelin/Ralli genötigt, einen Widerspruch zum hier gesagten auszuräumen. Er bestätigt denn auch, dass sich der häusliche Unterricht wegen des unter den Leuten vorherrschenden Traditionalismus lediglich auf die Einführung in die grundlegendsten Routinen beziehen könne. Wie Stapfer betont auch Vögelin/Ralli den Nutzen der Erlernung zusätzlicher handwerklicher Fertigkeiten, weil ein Haushalt dadurch Ausgaben sparen und die weniger arbeitsintensiven Monate ausgefüllt werden können; wiederum ausgenommen sind jedoch solche Tätigkeiten und Berufe, die die Privilegien der Stadtbürger ausmachen. Beide, Ralli und sein Übersetzer, setzen die Wünschbarkeit einer Bevölkerungsvermehrung in Relation zu den Unterhaltsmöglichkeiten. Vögelin meint dazu, man müsse nicht nur sehen, „dass eine grössere Anzahl von Einwohnern und Haushal173 Vgl. im ersten Buch des ‚Emile‘: „Comme le prémier état de l‘homme est la misére et la foiblesse, ses prémiéres voix sont la pleinte et les pleurs“ (Rousseau 1762/1969, S. 286).
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tungen sey: Man muss vielmehr alle Sorgfalt anwenden, dass alle Einwohner so viel möglich glücklich seyn, und jeder für sich seinen standesgemässen Unterhalt sich verschaffen könne“ (ebd., § 59). In der Schrift sowohl von Vögelin/Ralli wie Stapfer findet man die Idee, dass den Kindern das Lernen durch Lust und Spiel erleichtert werden solle, um ihm so das Mühsame und Beschwerliche zu nehmen.174 Stapfer nahm dabei den Vorschlag von Locke (1693/1989) auf, die Kinder zum Spielen zu zwingen, in der Hoffnung, sie dadurch das Lernen als freiwillige Erholung und Abwechslung empfinden zu lassen.175 Eine Diskussion für sich, die von Stapfer nicht aufgenommen worden ist, ist hingegen mit der Frage Vögelins/Rallis angesprochen, ob der Zugang der Landbevölkerung zu schulischer Bildung generell gefährlich und schädlich sein könne für Staat und Gemeinschaft. „Es giebt Leute, die behaupten, man müsse aus zweenen Gründen den Bauern nicht rathen, ihre Kinder zur Schule zu schicken: Einmal, weil sie es für den Staat nicht nützlich finden, dass Bauern lesen, schreiben und rechnen können; hienächst giebt man den Kindern, wenn man sie zur Schule schickt, dadurch Anlas ihren Stand zu verlassen, welches für die allgemeine Glückseligkeit höchstschädlich ist“ (Vögelin 1769, § 62). Vögelin/Ralli spricht sich grundsätzlich für einen Unterricht in Lesen, Schreiben, Rechnen und Religion aus, sieht den Nutzen bzw. das Potential des Missbrauchs jener Fertigkeiten aber zugleich in Abhängigkeit von der „guten oder schlechten Erziehung“ (ebd., § 63). Vergleicht man nun die Stellungnahme von Pfarrer Oeri aus Erlenbach zur Frage der geeigneten Methode, das Lesen von Handgeschriebenem zu erlernen (vgl. Kap. 4.4.1), zeigt sich, dass jener diese Passage, die im Sinn der späteren Schreiblesemethode argumentiert, wortwörtlich von Vögelin abgeschrieben hat. Ähnlich kritisch hatte sich Vögelin/Ralli wie Oeri zuvor zum gängigen Erstleseunterricht geäussert: „Gemeiniglich lehrt man die Kinder das A.B.C. ohne ihnen etwas von dem Unterschied zwischen Buchstabe und Buchstabe zu sagen, ohne ihnen die Selbstlauter und Mitlauter zu weisen; man sagt ihnen auch nicht, was für ein Unterschied zwischen Buchstaben, Sylben und Worten sey“ (ebd., § 67). Ralli/Vögelin bemerkt mit Stapfer, es komme häufig vor, dass Kinder, sobald man ihnen ein anderes als das gewohnte Schulbuch gibt, beim Lesen anstehen. Die Konzentration 174 Die Idee Lockes, das Lesen mittels Würfeln, worauf Buchstaben gemalt sind, zu erlernen, hält Stapfer (1767) jedoch in den Landschulen für kaum praktikabel. 175 Auch Miller nimmt diese Idee in seinen ‚Grundsätzen einer weisen und christlichen Erziehungskunst‘ (1769) auf.
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auf den Akt als solchen, so dass für sie kaum die Möglichkeit bestehe, „dem, was sie lesen, nachzudenken“, mache das Lesen zu einer mühsamen und verdriesslichen Sache, die sie mangels späterer Anwendung schnell wieder verlernt haben (ebd.). Mit ähnlichen Argumenten wie Stapfer – Hinführung zu Arbeitsamkeit und (Standes-)Zufriedenheit – rechtfertigt auch Vögelin/Ralli den hohen Stellenwert, den der Religion in einer Schrift zukommt, die sich in erster Linie mit der Erziehung zur Landwirtschaft beschäftigt. Kritik findet wiederum das Auswendiglernen und Vorsagen des Katechismus ohne jedwedes inhaltliche Verständnis. Die Hauptsätze der christlichen Lehre könnten durchaus auf wenige reduziert und deren Bedeutung den Kindern dann auch leichter erklärt werden. „Der Haupt-Endzweck aller Schulmeister, und aller derer, die Kinder unterrichten wollen, muss seyn, ihren Verstand zu erleuchten, das Gemüth und Herz nach den heiligen Vorschriften des göttlichen Gesetzes zu bilden. […] Es kömmt darauf an, dass sie das, was sie gelehrnt haben, auch verstehen, und dass man sie gewöhne, nach der gegebenen Vorschrift zu leben“ (ebd., § 68). Entsprechend der zuletzt genannten Forderung gewinnt die christliche Morallehre an zusätzlicher Bedeutung. Man findet übrigens auch bei Vögelin/Ralli den Vorschlag, mit Rücksicht auf die altersabhängige Fassungskraft der Kinder und Jugendlichen drei Katechismusversionen bereitzustellen. Die nachfolgenden Inhalte, so auch die Ausführungen betreffend einen Landwirtschaftskatechismus, stimmen in Inhalt und Aufbau ebenfalls recht genau mit Stapfers Preisschrift überein, die Ralli zweifellos eine wichtige Grundlage für sein eigenes Werk geboten hat. Pädagogische Schriften, die sich in spezifischer Weise mit der Erziehung der Kinder ‚auf dem Land‘ beschäftigen, waren, wie erwähnt, bisher kaum vorhanden, doch machte sich seit den 1760er Jahren das Bedürfnis nach solchen ganz offensichtlich bemerkbar. Um das Spektrum der Vorstellungen, die man mit derartigen ‚Pädagogiken‘ verband, etwas breiter abstecken zu können, sei an dieser Stelle auf zusätzliche Beiträge zu dieser Thematik verwiesen. Es handelt sich dabei einmal um weitere Eingaben anlässlich der Preisfrage der Berner Ökonomischen Gesellschaft von 1763, zum anderen um eine Schrift, die anlässlich eines Preisausschreibens der Helvetischen Gesellschaft aus dem Jahr 1786 entstanden ist. Übrigens hatte die Ökonomische Gesellschaft 1764 gleichrangig mit Stapfers Erziehungs-
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schrift die Einsendung des welschen Pfarrers Moschard176 prämiert. Dieser beschränkte sich inhaltlich allerdings auf die Frage des adäquaten religiösen Unterrichts für die Landbevölkerung. Auch der junge Karl Viktor von Bonstetten (1745–1832) steuerte eine kleine – wenn auch an der Fragestellung vorbei zielende – Schrift bei (BB: Oek. Ges. 38, Q 1 C (10)); diese beschäftigt sich nämlich ausschliesslich mit der bereits angesprochenen Frage nach dem erzieherischen Nutzen von Reisen, hier spezielle mit Bezug auf junge Berner Bürger und im Hinblick auf die Förderung von deren Interesse für die Agrikultur. Beim übrigen Dutzend Beiträge konnte der Autor – in einem Fall handelt es sich um eine Autorin – vielfach nicht zugewiesen werden. Eine Zusammenfassung im Sinn einer Nachlese der recht bunten Vielfalt an nicht-prämierten Beiträgen erschien 1766 in den ‚Abhandlungen und Beobachtungen‘ (2. Stück, S. 3–59), verfasst wahrscheinlich von Vinzenz Bernhard Tscharner (1728–1778)177. Die realitätsnahe und auf Praktikabilität setzende Art und Weise, mit der Pfarrer Stapfer die ausgeschriebene Frage fokussierte, zeichnet seine Schrift zweifellos gegenüber den anderen Einsendungen aus. Denn offenbar waren sich nicht sämtliche Autoren des Kerns der Fragestellung bewusst – zwei darunter beschäftigten sich ausschliesslich mit weiblicher Erziehung (BB: Oek. Ges. 38, fol. 9/D1; 38, Q 1 C (9)) – und konnten zum Teil auf Anhieb keine realistischen Vorstellungen mit ihr verbinden. In der folgenden, auf die thematischen Hauptpunkte und Hauptaussagen reduzierten Betrachtung gilt es zwar zu berücksichtigen, dass es im Ancien Régime durchaus Unterschiede zwischen den beiden Kantonen Bern und Zürich etwa bezüglich ihrer Wirtschaftsstruktur – der Handel spielte dort im Gegensatz zu Zürich eine untergeordnetere Rolle – gab, gleichzeitig bleiben die Differenzen zwischen beiden deutschsprachig-reformierten Stadtstaaten, deren Elite in der Helvetische Gesellschaft in einem diskursiven Austausch über politische und pädagogische Themen stand, überschaubar. Vergleicht man die Berner Schriften mit den ein paar Jahre später in Zürich diskutierten Problemen und Reformvorschlägen betreffend Erziehung und Unterricht der Untertanenbevölkerung, so zeigen sich zuerst grosse thematische Überschneidungen: Zentrale Mängel wurden hier ebenfalls in der traditionellen Methodik des Religionsunterrichts gesehen, und entsprechend teilt auch Pfarrer Moschard in seiner Eingabe einen Plan für ein 176 Johann Heinrich Niklaus Moschard (gest. 1774) wurde 1743 Pfarrer in Bévilard (Kanton Bern) und war ein engagiertes Ehrenmitglied der Ökonomischen Gesellschaft. 177 Diese Zuweisung legen die Initialen B.T. des Verfassers zumindest nahe.
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neues Katechismusbuch mit; wegen der intellektuell ganz anderen Voraussetzungen und Möglichkeiten der Landleute – deren eingeschränktem Wortschatz und Unzugänglichkeit für abstrakte Vorstellungen – plädiert er, wiederum in Übereinstimmung mit Stapfer, für einen spezifischen Landkatechismus. Die Erörterung theologischer Spitzfindigkeiten und konfessioneller Streitfragen erscheint in einem solchen schon deshalb überflüssig, weil der ‚einfache‘ Bauer gewöhnlich keine Anfälligkeit für Unglauben und Skeptizismus zeige; die tagtägliche Konfrontation mit Gottes Schöpfung im Kontakt mit der Natur und ein ausgeprägter Vorsehungsglaube würden ihn vor solchen Glaubenszweifeln schützen. Tadel erfahren in Bern ebenso wie in Zürich die Schulmeister; man konstatiert gleichzeitig eine prekäre Besoldungssituation und erhofft sich von einem Seminar mehr Fähigkeiten und bessere Arbeitsleistungen. Zugleich sind es wiederum die Eltern, in deren mangelnder Einsicht man die Schuld für den schlechten Schulbesuch zu erkennen glaubt. Gefordert werden als Unterrichtsinhalte in den Schulen zusätzlich zum Lesen und Religionsunterricht Schreiben und Rechnen/ Arithmetik, zuweilen Naturlehre, selbst Sprachen, Geschichte oder bürgerliche Sittenlehre; Geometrie und Mechanik hingegen werden als überflüssig erachtet. Einen Mangel für sich stellt das Fehlen kindgerechter Schulbücher dar; ausgesprochen findet sich deshalb auch hier der Wunsch nach einem einheitlichen Volkslehrbuch für den Kanton, bestehend aus einer Nacherzählung biblischer Geschichten. Neben der Kritik an der Einstellung der Eltern und den dürftigen Fähigkeiten der Schulmeister geht der Appell auch an die Adresse der Gemeinden und der Kirche, sich vermehrt für bessere Schulen einzusetzen. Ein Autor ist der Meinung, es sei Pflicht der Regierung „moralische und landwirthschaftliche Real Schulen“ einzurichten (ebd., fol. 9/D3, § 2). In den Berner Schriften erhält die Landwirtschaft als Subsistenzform und primäres staatswirtschaftliches Segment insgesamt eine ungemein positive Wertung. Dies ist nicht verwunderlich im Agrarkanton Bern, wobei auf der ideologischen Ebene bei diesem Lob zuweilen der patriotische Diskurs mit seiner Rückbesinnung auf die ethischen Fundamente der Republik sowie eine allgemeine Naturbegeisterung abfärben. Interessant ist hierbei und auch im Spannungsfeld zu den Ansprüchen der Kirche, inwieweit ein landwirtschaftlicher Unterricht als formales Schulfach gedacht wurde. Offenbar je nach Autor in ganz unterschiedlicher Weise: Entweder gar nicht, oder es tritt eine Forderung nach landwirtschaftlicher Unterweisung zwar auf, jedoch verstanden als praktische Weiterbildung ausserhalb der Schule; das religiös dominierte Curriculum wird in beiden Fällen nicht hinterfragt. Eine
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wichtige Bedeutung kommt dem Vorbild der Landvögte und Amtleute zu, während man von Bibliotheken für die Bauern als Mittel autonomer Bildung nicht überall etwas wissen will. Auf der anderen Seite trifft man verschiedentlich doch auch auf Kritik an der einseitig religiös ausgerichteten Schule und die Forderung, diese direkt für den Landwirtschaftsunterricht in Dienst zu nehmen, was weder im Sinn der Kirche noch des Grossteils des Klerus gewesen sein dürfte. Agrikultur und Theologie erscheinen dort als ebenbürtige Disziplinen, wo der Wunsch geäussert wird, jener an der Universität als eigene Fakultät einen Platz einzuräumen (ebd., fol. 9/D3). Die Monopolisierung der Universität durch die Theologie ist gemäss dem unbekannten Autor auch schuld daran, dass jeder Herr Pfarrer zwar die Alten Sprachen beherrschen würde, aber keiner eine Ahnung von der Landwirtschaft hätte, welche als weit nützlicher erachtet wird. Gut zwanzig Jahre nach der Berner Ökonomischen Gesellschaft ergriff der oben bereits genannte Karl Viktor von Bonstetten anlässlich der Versammlung der Helvetischen Gesellschaft vom Jahr 1786 selber die Initiative für ein Preisausschreiben über das Erziehungswesen. Die Preise sollten verliehen werden „[f]ür die besste und vollständigste Nachricht von dem ganzen Erziehungswesen in dem eint- oder andern unsrer schweitzerischen Freystaaten und die brauchbarsten Vorschläge der möglichen Mittel zur Verbesserung derselben“ (Verhandlungen der Helvetischen Gesellschaft 1786, S. 7, zit. nach Im Hof/de Capitani 1983, Bd. 1, S. 178). Es kam zwar in der Folge zu keiner Prämierung, dennoch müssen die in diesem Zusammenhang entstandenen ‚Vaterländischen Gedanken über die mögliche gute Auferziehung der Jugend in der helvetischen Demokratie‘ (1787) erwähnt werden. Sie sind deshalb bemerkenswert, weil Schule hier im schweizerischen Kontext des Ancien Régime erstmals im Sinn der Volksschule gedacht wird, die allen „Landeskindern“ gleichermassen offen steht. Dies gilt auch für die Mädchen, wenngleich die höheren Schulen für sie eine Ausrichtung auf ihr traditionelles Betätigungsfeld (Nähen, Sticken, Kochen etc.) erhalten. Konrad Tanner178, der anonyme Autor aus Schwyz, hält allerdings
178 Konrad Tanner (1752–1825) aus Arth trat 1772 ins Kloster Einsiedeln ein und wurde 1777 Priester. Er war Professor der Rhetorik u. a. am Stiftsgymnasium und wurde 1808 zum Abt von Einsiedeln ernannt. Zur Bedeutung von Tanners ‚Vaterländischen Gedanken‘ vgl. Osterwalder (1998), wenngleich gewisse institutionengeschichtliche Schlussfolgerungen im Zusammenhang mit seiner liberalen Interpretation der Schrift hier nicht übernommen werden; Tanner spricht im Übrigen auch nicht von einem nationalen Schulwesen, wie Osterwalder meint, sondern er sieht vor, dass die demo-
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in der Einleitung fest: „Meine Gedanken erstrecken sich nicht bis auf die aristokratischen Staaten Helvetiens, wo ich, theils die wirklichen Schulanstalten, als vortrefflich bewundere, theils einsichtsvolle Männer kenne, die auch das noch mögliche, itzt noch Unvollkommene, bald in sein volles Licht setzen werden. Nur schreibe ich für meine lieben Mitlandleute, denen ich gern nützlich seyn wollte […]“ (S. 9). Tanners Schulsystem setzt sich aus den notwendigen und nützlichen bzw. den unteren und oberen Schulen zusammen. Die unteren, obligatorischen Schulen sind bis ungefähr zum 14. Altersjahr zu absolvieren und unterteilen sich in die ‚Schule des Gehorsams‘, die ‚Schule des Fleisses‘ und die ‚Schule der Vernünftigen‘; jede dieser Schulen besteht wiederum aus zwei Kursen. Vermittelt werden hier neben den traditionellen Kulturtechniken und Religion auch Geographie, Geschichte des Vaterlandes, Naturgeschichte sowie Orthographie und das Verfassen verschiedener Gattungen von Briefen. Die nützlichen oder oberen Schulen bestehen aus vier Klassen: der eidgenössischen Schule, der ökonomischen Schule, der Schule des Wohlstandes und der lateinischen Schule. Die Lateinschule dient der Vorbereitung auf ein Studium und bietet den wohlhabenden Familien die Möglichkeit einer exklusiveren Bildung; die anderen drei Schulen sind öffentlich, das heisst alle Jugendlichen und Erwachsenen können diese Vorlesungen besuchen, unabhängig von der Vorbildung. Abgesehen vom direktdemokratischen Organ der Landsgemeinde unterschieden sich die von Tanner in Betracht gezogenen Landkantone auch durch ihre Kleinräumigkeit von Stadtstaaten wie Zürich oder Bern, die je über ausgedehnte untertänige Landschaften verfügten. Dennoch, so stellt der Autor fest, können sich auch in einem kleinen Kanton unmöglich alle Einwohner an einen Ort begeben, um die Schule zu besuchen, während man auf der anderen Seite die höheren Schulen unmöglich im ganzen Lande einführen könne. Den Mittelpunkt des Erziehungssystems bildet deshalb der Hauptort. Tanner stellt sich von diesem Zentrum einen Ausstrahlungseffekt auf die Peripherie vor, und zwar über Schüler privilegierterer Herkunft im Umkreis des Hauptortes, die dort eine höhere Schule besucht haben. Zumindest die drei unteren Schulen sollten jedoch auch in den Dörfern eingerichtete werden. Zum Unterhalt der Schulen könnten gemäss Tanner bestehende Schulstiftungen und private Zuwendungen beitragen, die Bildungsfinanzierung kratischen (!) Stände, zuvorderst also neben Schwyz und den anderen Urkantonen Glarus und Appenzell, je bei sich das von ihm entworfene System einrichten.
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betrachtet er aber anderseits ganz klar auch als staatliche Aufgabe. Die Aufsicht über die Institutionen käme einer Schulkommission zu, „die aus dem geistlichen und weltlichen Oberhaupt des Standes, samt einem andern angesehenen Ratsmitgliede, zusammengesetzt seyn sollte“ (ebd., S. 128). Diese Schulkommission steht ausserdem der „vaterländischen Gesellschaft“179 vor, die ihr Augenmerk auf die Erziehung der Jugend und die Verbesserung der Künste und Wissenschaften zu richten hätte; aber auch die Landeshistorie und -ökonomie würden in ihren Bereich fallen, ebenso wie sie für den Unterhalt der Bürgerbibliothek zuständig wäre.
4.6 Zusammenfassung und Diskussion Die Auswertung der Landschul-Enquête von 1771 im Hinblick auf verschiedene Bereiche des Unterrichts, aber auch die den Schulmeister und die Verordnungslage durch Schulgesetze betreffende Situation geschah ausgehend von den Reformvorstössen aus dem Kyburger und Wetzikoner Kapitel. Interessiert hat somit auch das Verhältnis, in dem die dort artikulierten Defizite und Verbesserungsvorschläge zur Problemwahrnehmung und Reformbereitschaft im Gros der Landgeistlichen um 1770 standen. Der Einbezug dieses Analyseschrittes ist notwendig, wenn als Nächstes die Umsetzungen im Zuge der Landschulreform der 70er Jahre bewertet werden sollen. Auch wenn die Enquête in Bezug auf die hier zur Diskussion stehenden Bereiche nicht überall explizit nach wertenden Stellungnahmen verlangt hat, trifft dennoch die Feststellung zu, dass die Einschätzung des Status quo im Allgemeinen weniger kritisch ausfiel und allfällige Optimierungsideen selten und lediglich in einzelnen Punkten ähnlich weit gingen, wie dies in den Vorträgen von Schulthess und Escher (Kyburger Kapitel) der Fall war. So findet man zwar vereinzelt den Wunsch nach einer stärkeren Ausrichtung des Unterrichts auf profane, alltagspraktische Lerninhalte; verbreiteter war hingegen das Anliegen einer wirksameren Gestaltung der überbrachten religiösen und sittlichen Unterweisung. Vermehrt thematisiert wurden in den Antworten auf die Umfrage Rahmenbedingungen, die allfälligen Reformen hindernd im Weg standen; eine daraus folgende Konzentration auf 179 Diese vaterländische Gesellschaft würde sich aus zwölf Ehrenmitgliedern zusammensetzen, die vorerst von der Schulkommission ernannt, sich danach aber selber ergänzen würden.
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das realistischerweise Mögliche hatte auch die Überlegungen von Pfarrer Gessner (Kyburger Kapitel) und den Wetzikonern bestimmt. Überschneidungen gab es mit Blick auf rezipierte deutsche Vorbilder betreffend Schulgesetzgebung und Lehrerbildung; Übereinstimmung ergab sich auch bezüglich der Verweise auf pädagogische Autoren wie Johann Peter Miller, Basedow oder Gesner, die offenbar breite Aufnahme fanden. Im Einzelnen hat die vergleichende Analyse folgende Ergebnisse hervorgebracht: Die Idee eines Schulmeisterseminars und damit der Wunsch nach einer professionellen Ausbildung zu dieser Tätigkeit wird auch in der Enquête aufgeworfen. Dennoch darf die negative Einschätzung dieses Berufsstandes aus dem Wetzikoner Kapitel wohl nicht in dem Mass verallgemeinert werden: Fähigkeiten sowie Einkommen und sozialer Status variierten beträchtlich. Eine Rolle spielten dabei regionale Wirtschafts- und Bevölkerungsstrukturen. Während nämlich die Kombination von Dorfämtern mit dem Schulmeisteramt in der Region oberhalb von Winterthur relativ häufig auftrat und die ökonomische Lage der Schulmeister im Unterland recht gut war, konnte dies für das Oberland (zu dessen Kern das Wetzikoner Kapitel gehört) nicht nachgewiesen werden. Dass die Besoldung hier gesamthaft gesehen unterdurchschnittlich war, liegt auch an der topographisch und demographisch bedingt grossen Zahl an Nebenschulen, die generell schlechter gestellt waren. Das mittlere Schulmeistereinkommen liegt mit 11 Stk. bzw. 55 fl für eine Wintersaison unter demjenigen eines Professionisten, aber über demjenigen eines Knechtes. Obwohl die Saläre in der Baumwollspinnerei im Anschluss an eine Lohnsteigerung Mitte des 18. Jahrhunderts die Gesindelöhne inzwischen zum Teil überstiegen, lag das durchschnittliche Einkommen eines Schulmeisters über demjenigen in der textilen Handarbeit, zumindest wenn es sich um die Herstellung gröberer Garne und Tücher handelte. Die Einkünfte für das Schulehalten schwankten aber beträchtlich zwischen weniger als 20 fl (4 Stk.) und dem soliden Einkommen von 250 fl (50 Stk.) etwa in Hottingen. Das bedeutendste Kriterium bildet die Unterscheidung zwischen den Schultypen: Ein Nebenschullehrer verdiente im Mittel mit 7 Stk. kaum die Hälfte der 15 Stk. eines Kollegen an einer Hauptschule. Die Finanzierung der Schulmeister war dabei weitgehend eine Angelegenheit der Eltern und der Gemeinden. Jene kamen ungefähr für die Hälfte auf, die Gemeinden für einen Drittel, während sich der Staat gerade mit rund einem Siebtel beteiligte. Von einer gewissen Lukrativität auch durchschnittlicher Einkommen zeugt das Phänomen der Schulmeisterdynastien, wobei ver-
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schiedene Strategien angewendet wurden, um das Schulmeisteramt in der Familie zu behalten. Bezüglich des sozialen Status der Schulmeister hat sich eine breite Varianz gezeigt – immerhin ist von einigen bekannt, dass sie im Besitz von Dorfämtern waren. Dabei handelt es sich fast ausschliesslich um Hauptschulmeister, die ohnehin überdurchschnittlich verdienten und häufiger zusätzlich als Handwerker arbeiteten. Die Ämterkumulation in den traditionellen, bäuerlich geprägten Dorfschaften könnte auf eine besondere Anfälligkeit für ‚Verfilzung‘ bzw. Klientelismus verweisen. Der Hauptschulmeister sass häufig selber im Stillstand, also dem Gremium, welchem gewöhnlich die Aufsicht vor Ort über die Schulen zukam. Die wirtschaftlichen und sozialen Zugehörigkeiten von Schulmeister und Schulaufsicht und die machtpolitische Konstellation zwischen Pfarrer und Dorfaristokratie dürften sich mit auf die gegenseitigen Beziehungen, Wahrnehmungen und die wechselseitige Anerkennung, damit auch auf das Antwortverhalten eines jeweiligen Pfarrers in der Enquête ausgewirkt haben. Mit Rücksicht auf ältere Darstellungen kann man festhalten, dass ein differenzierteres, das heisst auch heterogeneres Bild vom Schulmeisterstand im Ancien Régime gezeichnet werden muss. Insbesondere die Urteile der Pfarrer über Fähigkeiten, Charakter und Ansehen der Schulmeister erweisen sich anhand der Enquête als insgesamt recht positiv; lediglich die Fähigkeiten fallen mit der überwiegenden Bezeichnung als ‚genügend‘ etwas ab. Relativ häufig eingestreut findet man auch in der Enquête die Forderung aus dem Kyburger und Wetzikoner Kapitel nach besseren Schulgesetzen und Handhabungen zu deren Durchsetzung. Wie Pfarrer Gessner in seinem Referat bemerkt hat, dürfte der Erlass einer neuen Schulordnung wohl die am leichtesten zu erreichende Neuerung dargestellt haben; dies, wenn man vom anspruchsvollen und langwierigen Prozess der Implementation vorerst absieht. Auf dem Gebiet des Unterrichts wurden in der Enquête vereinzelt methodische Fragen aufgegriffen, allem voran Verbesserungsmöglichkeiten für den Erstlese- und Schreibunterricht diskutiert, wie sie auch Schulthess und Escher vorsahen. Bezüglich des Lesens wussten einige Pfarrer aus der einschlägigen Literatur um die Vorteile des Lautierens, gleichzeitig waren sie sich der Widerstände bewusst, die eine Änderung, das heisst ein Abweichen vom Buchstabieren, auf Seiten der Eltern hervorrufen konnte. Es blieb deshalb vorerst bei diesfälligen Überlegungen, etwa auch Versuchen mit dem eigenen Nachwuchs. Schliesslich setzte selbst unter den Pfarrern der überaus grösste Teil die absolute Notwendigkeit des Buchstabierens als
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Fundament des Leseunterrichts voraus. Ähnliches lässt sich vom Schreibunterricht sagen. Dass das Lesen der Handschrift leichter erlernt wird, wenn man zugleich mit dem Lesen das Schreiben vermittelt, wussten verschiedene Pfarrer. Gleichzeitig stand sowohl das Schreiben wie das Lesen von Kurrent hinsichtlich der Bedeutung, die man diesen Kompetenzen für die Landleute zumass, noch immer deutlich hinter dem Lesen von Gedrucktem, und dabei insbesondere der kanonischen religiös-normativen Texte, zurück. In den Stadtschulen hingegen war man offenbar innovativer, was die Anwendung einer Schreiblesemethode anging. Das längere Verbleiben in Praktiken, deren Überholtheit zumindest zur Diskussion stand, hat mentale, materielle und strukturelle Ursachen: Einerseits ist wohl unter der ländlichen Bevölkerung mit einem stärkeren Traditionalismus zu rechnen; wohl waren auch die Erwartungen an die Flexibilität der Schulmeister eher gering. Hält man sich die Finanzierungslage der Landschulen – diese wurden grösstenteils von den Eltern unterhalten –, die schwache Koordination schulischer Verwaltungsstrukturen und das Bestreben der Landgemeinden, überbrachte Selbstbestimmungsrechte aufrechtzuerhalten, vor Augen, so erweist sich die Ausgangslage für eine flächendeckende Einführung von Neuerungen insgesamt als schwierig. Anhand der verwendeten Methoden und der Zielsetzungen des Leseund Schreibunterrichts lassen sich Schlüsse ziehen bezüglich der Qualität einer auf dem Land verbreiteten Literalität. Literalität sollte dabei als relative Grösse betrachtet werden, die sich aus dem Verhältnis zwischen alltäglichen Anforderungen und verfügbaren Kompetenzen ableitet. Volkserzieherische Bemühungen, die auf eine Rationalisierung des hausund landwirtschaftlichen Handelns und Verhaltens zielten, waren auf schriftliche Kommunikation und Anleitung angewiesen und erforderten Kompetenzen im Bereich der grundlegenden Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen. Zugleich muss man aufgrund der Informationen aus der Enquête annehmen, dass die Alphabetisierungsraten, die von Wartburg-Ambühl (1981) für Zürich nach der Mitte des 18. Jahrhunderts festgestellt hat, sich in den allermeisten Fällen auf ein intensives Lesen von Gedrucktem bezogen. Unter Schreiben verstand man sehr Verschiedenes innerhalb eines Spektrums, das vom Abzeichnen von Buchstaben und Wörtern bis zum freien Textverfassen reichte. Äusserungen von Pfarrern lassen erkennen, dass man um die Tatsache, dass Schreiben selten im letzteren Sinn verfügbar war und dass viele nach dem Schulaustritt auch das Lesen wieder verlernten, wusste. Dies deutet auf die allmähliche Etablierung eines erweiterten, anspruchsvolleren Verständnisses von Literali-
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tät hin, dem die üblicherweise angestrebte intensive Lese- und Schreibfähigkeit mittelfristig nicht mehr genügte. Sehr offensiv wollte oder konnte man diesen Mangel jedoch nicht angehen, wie eine konservative Haltung zeigt, die selbst bei fortschrittlichen Pfarrern festgestellt werden kann. Es gab also zwar durchaus die Vorstellung, die Bauern sollten über ökonomisch nutzbare Schriftkenntnisse verfügen, zugleich scheint deren aktive Beförderung weiterhin zweitrangig geblieben zu sein. Schreiben hatte wohl immer noch in erster Linie die Funktion, (religiöse) Lebensregeln und Leitsätze aufschreiben und damit konservieren zu können, um sie bei Bedarf wieder hervorzunehmen, erneut zu lesen und zu verinnerlichen. Zieht man die Kompetenzstufen im Lesen von Chall (1983) heran, so ging das in der Schule angeeignete Können kaum über Stufe 2, die den Übergang zum fliessenden Lesen markiert, hinaus. Dass Medien häufig fehlten, die ein Lesen, um Neues zu Lernen (Stufe 3), auch nach Schulaustritt motiviert hätten, und dass das zentrale Schulbuch, der Katechismus, inhaltlich dem Horizont der Kinder kaum entsprach, dürfte den Übergang zu einem verständigen extensiven Lesen bzw. eine weitere Einübung dieser Fertigkeit beträchtlich behindert haben. Gleichzeitig bleibt zu bemerken, dass die Landschul-Satzungen von 1744 mit ihren Zielsetzungen gar nicht mehr verlangten, im Gegenteil überstieg das in manchen Schulen etwa im Schreiben Betriebene das Angeordnete. Forderungen nach einem über religiöse Zwecke hinausgehenden Unterricht und die Nutzung eines allfälligen Angebotes standen – entgegen der Interpretation von von Wartburg-Ambühl (1981) – kaum im Zusammenhang mit der fortschreitenden Protoindustrialisierung. Profitiert haben am ehesten die wohlhabenderen Schichten, also damals vor allem die grösseren und mittleren Bauern. Der bäuerliche Saisonbetrieb und die besseren materiellen Voraussetzungen standen dem Besuch der weiterhin vornehmlich im Winter abgehaltenen Schulen weniger im Weg als dies in Haushalten der Fall war, die mit der textilen Heim- oder Fabrikarbeit über das Jahr knapp ihr Auskommen fristeten. Im Gegensatz zu den Vorschlägen von Kammerer Schulthess und Dekan Escher aus dem Kyburger Kapitel fielen in der Enquête die Wünsche nach einer Ausdehnung des Landschulunterrichts auf weitere Gegenstände jenseits des bis anhin üblichen Lese- und Religionsunterrichts eher spärlich aus. Am häufigsten findet man den Vorschlag, einen landwirtschaftlichen Unterricht einzuführen. Lediglich vereinzelt trifft man daneben auf Äusserungen, die auf eine Intensivierung und Generalisierung des Rechen- oder Schreibunterrichts abzielten. Wo solches gewünscht wird, mischen sich
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moralische und religiöse mit praktisch-ökonomischen Erwartungen. Der Nutzen der Schule wird vom überaus grössten Teil der Antwortenden positiv beurteilt, und zwar in moralischer wie intellektueller Hinsicht. Zum Teil wird diese Einschätzung und werden besonders auch materielle Vorteile, die aus einem längeren regelmässigen Schulbesuch resultieren könnten, dann allerdings doch von einer Erweiterung der Unterrichtsgegenstände abhängig gemacht. Auch der Wunsch nach neuen Schulbüchern fällt in der Enquête im Vergleich zu den Referaten von Schulthess und Escher moderater aus, was in Zusammenhang steht mit den obigen Ergebnissen zu den Unterrichtsgegenständen. Zentral ist hier die Bedeutung, die einer Reformierung der religiösen Bücher zugemessen wird. Unter den zusätzlich verwendeten profanen Schriften figurieren landwirtschaftliche Anleitungen der Naturforschenden Gesellschaft bzw. ein Ackerkatechismus zuoberst. Auch hier gilt wieder, dass die Praxis den Schul-Satzungen insofern voraus war, als trotz Verbot profane Lektüre und insbesondere juristische/kaufmännische Vorschriften Eingang fanden. Was wo zirkulierte, war akzidentiell, das gilt in einem gewissen Mass auch für die kanonischen Schriften, von denen unterschiedliche Ausgaben in die Schulen gelangten. Dem Bedürfnis nach Neuem kam man offenbar besonders im Bereich des Gesangs nach. Der zeitgenössische Geschmack, vor allem geprägt durch Gellert und Klopstock, fand mit neuen Liedern Aufnahme, die zum Teil von der lokalen Musikgrösse Schmidlin vertont wurden. Auch Gesangswerke Lavaters erfreuten sich der Beliebtheit. Unter den religiösen Büchern war besonders der Katechismus der Kritik ausgesetzt. Dessen sprachliche und inhaltliche Unangemessenheit für das Kindesalter war kaum umstritten. Für geeigneter hielten manche Pfarrer historische Bücher, biblische Geschichten, mit denen der Anfang gemacht werden müsse. Diesen Vorteil hielt man auch dem Katechismusbuch (eigentlich bestehend aus drei Katechismen) des Engländers Isaac Watts zugute. Historisierung, praktische Ausrichtung der christlichen Moral und damit Kindgerechtheit zeichnen sich als pädagogische Kriterien ab, denen religiöse Lehrbücher zunehmend genügen sollten, um das Kind zu erreichen. Rasche Beliebtheit erlangte das von Kammerer Schulthess empfohlene Waser-Büchlein (1769) mit einer gewissen Tendenz zur vernünftigen Moral, bei gleichzeitiger Anlehnung an die traditionellen religiösen Bücher. Wenn Schulthess und Escher in ihren Vorträgen die Einteilung der Schülerschaft einer Schule in Lerngruppen (Klassen) verlangten, so forderten sie damit dem Prinzip nach nichts Neues; bereits die Satzungen von 1744
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schrieben eine solche in einem gewissen Sinn vor, und dennoch war diese Unterrichtsanordnung noch nicht überall Usus. Auf der anderen Seite findet man Hinweise darauf, dass der Zusammenunterricht, wo er denn praktiziert wurde, verschiedentlich der Einteilung gemäss Landschul-Satzungen an unterrichtssachlicher Differenziertheit überlegen war. Die Entwicklung hin zum eigentlichen Klassenunterricht erstreckte sich bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Einen Anstoss erhielt sie durch die Normalmethode, die um 1770 gerade aufkam, und den wechselseitigen Unterricht, wie ihn nach den Engländern Bell und Lancaster auch Pater Girard vorsah. Der Verlauf seiner Etablierung kann nicht isoliert von anderen Innovationen wie der Versorgung der Schüler mit identischen Lehrmitteln, der Einführung eines Stundenplans, der Bildung homogener Lerngruppen im Sinne der Jahrgangsklassen, geregelten Promotion, aber auch der didaktischen Ausbildung der Lehrkräfte oder den Möglichkeiten der räumlichen Anordnung der Schüler im Schullokal betrachtet werden. Die Notwendigkeit entsprechender Voraussetzungen, etwa dass die Schüler dieselben ‚Lezgen‘ lernen und also die Kinder einer Lerngruppe über die gleichen Schulbücher, möglichst derselben Edition, verfügen mussten, hatte nicht nur Dekan Escher bemerkt; diesbezügliche Mängel wurden auch in der Enquête problematisiert. Es hat mit der besseren Ausstattung der im Allgemeinen grösseren Hauptschulen gegenüber den Nebenschulen zu tun, dass Qualität und Wirksamkeit des Unterrichts im Ancien Régime nicht unbedingt mit der Grösse einer Schule sanken. Wie gesagt: Auch dort, wo fortschrittliche Pfarrer, allen voran die Kyburger Schulthess und Escher, etwa eine Ausweitung des traditionellen Curriculums auf realistische Gegenstände in Erwägung zogen oder gar forderten, stand die grundsätzliche Ausrichtung der Landschulen auf die politische und wirtschaftliche Ständeordnung nicht in Frage. Ein Votum für oder Argument in Richtung eines vergleichbar egalitären Volksschulwesens, wie es dann 1787 ausgerechnet von einem katholischen Geistlichen, allerdings bezogen auf die Verhältnisse in den demokratischen Kantonen, formuliert wurde, findet man in den Diskussionen der 70er Jahre nirgends.180 Program180 Dies gilt etwa auch für den ‚Essay sur l‘éducation publique‘ (1765) des Berners Johann Rudolf Sinner (1730–1787), der auch schon als frühes Beispiel eines liberalen Bildungskonzeptes angeführt worden ist (vgl. Rhyn 1998). Sinners Reformvorschläge beschränken sich allerdings auf die Reform der öffentlichen Stadtschulen und lassen den Bereich der Landschulen unberücksichtigt. Insofern ist die Schrift nicht in ein Kontinuum der Entstehung der öffentlich-staatlichen Volksschule zu stellen.
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matisch ausgearbeitete Kritik am Zustand des Schul- und Unterrichtswesens betraf gewöhnlich die städtischen Institutionen – ohne dass die Differenzierung zwischen diesen und den Landschulen in Frage gestanden hätte. Diese Idee war denn auch in der verfügbaren und von verschiedenen Geistlichen nachweislich rezipierten pädagogischen Literatur der Zeit, die die ständische Ordnung konzeptuell voraussetzte und perpetuierte, nicht greifbar. Pädagogische Autoritäten angeführt haben die Pfarrer aber sowieso in erster Linie im Zusammenhang mit Methodenfragen, insbesondere zum Lese- und Schreibunterricht. Rezipiert wurden dabei vor allem die Vorgaben des Philologen und Neuhumanisten Matthias Gesner, ebenso Reformvorschläge Basedows, der im Übrigen in seiner ‚Practischen Philosophie‘ (1758) auf Gesner rekurriert. Auch die Hinweise auf die Erziehungsschriften Millers, eines Schülers Gesners, sowie Stapfers und Vögelins bzw. Rallis stehen im Kontext von unterrichtsmethodischen Überlegungen und curricularen Fragen. Wirft man einen Blick auf die in den 60er und 70er Jahren aktuellen Erziehungsschriften speziell für die Landleute, so beabsichtigten die Autoren keineswegs eine originäre Pädagogik zu entwerfen, sondern stützten sich auf bereits Vorhandenes und Bewährtes und ergänzten dieses um Anweisungen, die die speziellen Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Adressaten zum Gegenstand hatten. Johann Georg Sulzer kommt dabei ebenso zum Zug wie – zum Teil wohl über diesen vermittelt – der Engländer John Locke. Auf Lockes auf einer empiristischen Erkenntnistheorie basierende Lernpsychologie trifft man in den Ausführungen zum sinnlichen und moralisch-exemplarischen Unterricht sowie insbesondere bei Stapfer (1767) und Ralli (1768) bzw. Vögelin (1769) ebenso in den Vorstellungen vom spielenden Lernen, das auch von Basedow und Miller propagiert wurde. Die anthropologische Fundierung sowie die ethischen Zielsetzungen bleiben gleichzeitig christlich geprägt. Basedow (1764b) etwa hält in seinem ‚Grundriss der Religion‘ an der Erbsündenlehre fest, wenngleich deren Formulierung in der ‚Philalethie‘ (1764a) etwas unsicher klingt.181 Dennoch: Nicht zu
181 „Die Seele ist vor ihrer Geburt bey den Eltern. Vielleicht waren alle Seelen bey den Stamm-Eltern des menschlichen Geschlechts; vielleicht wurden schon damals viele Veränderungen in ihnen verursacht, wodurch die Instincte und ihr Verhältniss sind gewirket worden. Ist dieses so, so darf man annehmen, dass unsere Instincte zu unserer eigenen und zur allgemeinen Glückseligkeit besser gewesen wären, wenn wir in den Stammeltern dieses und jenes Schicksal nicht gehabt hätten“ (Basedow 1764a, Bd. 1, S. 35 f.).
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übersehen ist eine Aufweichung der Erbsündenlehre zugunsten positiver Geisteskräfte und Anlagen. Dass damit an ein zentrales Diskussionsthema der Zeit gerührt wurde, zeigt etwa Millers Ambivalenz gegenüber dieser Grundfrage, lässt sich aber auch in der Widerrede Vögelins gegen Rallis Annahme, der Mensch sei von Natur mehr zum Bösen als zum Guten geneigt, erkennen. Vögelin konnte sich dabei auf Sulzer berufen, der bereits vor Rousseau in seinem ‚Versuch von der Erziehung und Unterweisung der Kinder‘ (1748) formuliert hatte, dass der Mensch mit weit besseren Neigungen zur Welt käme, als es diejenigen oftmals sind, die ihm im Lauf des Lebens anerzogen werden. Rousseaus Position, seine Gesellschafts- und Zivilisationskritik und die daraus abgeleitete negative Erziehung, war hingegen nicht anschlussfähig an pädagogische Ideen, die noch weitgehend auf das Menschenbild des positiven Christentums rekurrierten und meistens von Theologen bzw. Pfarrern vorgebracht wurden. Selbst bezüglich dessen Anweisungen zur frühkindlichen physischen Erziehung, die ihrerseits nicht originell waren, scheint der Genfer weder für Stapfer noch Ralli massgebend gewesen zu sein; während die medizinischen Ratschläge bei beiden von Tissot stammen dürften, hat sich Ralli in seinen systematischeren Ausführungen zu diesem Thema wohl unter anderem direkt an Locke gehalten. Stapfer wollte eine an den realen Lebensumständen der bäuerlichen Landbevölkerung orientierte Erziehungsanleitung, wie es sie eigentlich noch nirgends gab, verfassen und konnte dabei weitgehend auf prinzipielle ethische und anthropologische Erwägungen verzichten. Die Schrift nimmt den religiösen Horizont der Erziehung als ebenso gegeben hin wie sie Lösungen für aktuelle Problemstellungen bieten möchte. Diese gehorchen einem ökonomischen und nicht einem politischen Reformkalkül. Die politische und gesellschaftliche Ordnung, auf die hin Erziehung und schulischer Unterricht ausgerichtet waren, stand auch hier nicht zur Disposition. Allerdings sah auch Stapfer im Bereich des religiösen Unterrichts ein beträchtliches Verbesserungs- und Innovationspotential: Der Unterricht in der Religion sollte methodisch und didaktisch wirksamer gestaltet werden. Der damit erzielte Effizienz- und Effektivitätsgewinn bildete in den Augen wirtschafts- und bevölkerungspolitisch denkender Pfarrer, wie Stapfer einer war, eine Voraussetzung, um neben den traditionellen weitere, in ökonomischer, moralischer und beruflicher Hinsicht nützliche Gegenstände einzuführen. Tscharner (1766) votierte in seiner Nachlese der Berner Preisschriften, zu denen Stapfers Erziehungsanleitung gehörte, sogar dafür, Physikunterricht nicht nur in die Alltagsschule, sondern selbst in die sonn-
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tägliche Kinderlehre einzuführen. Insgesamt bestand unter den volkserzieherisch gesinnten Pfarrerpädagogen aber nicht die Absicht, die religiösen Erziehungsziele zu schmälern. Dass sich kirchliche Kreise angesichts der Idee, profanen Unterrichtsinhalten Eingang in die Schule zu gewähren, dennoch bedrängt sahen, ist hingegen nahe liegend. Wenn in Bern und in Zürich diskutiert wurde, ob jene neuen ‚Fächer‘ nun tatsächlich Bestandteil des formalen, traditionell kirchlich bestimmten Landschulcurriculums werden sollten, dann herrschte gerade hierüber keine Einigkeit. Tendenziell scheint man in Bern insbesondere der Vermittlung landwirtschaftlichen Wissens offener gegenübergestanden zu haben, ohne dass Gegenmeinungen hier, wie auch immer begründet, gefehlt hätten (vgl. Mémoires et observations recueillis par la Société Œconomique de Berne, 1764 [1. Teil]; Tscharner 1766). Provokativ war die Schrift Rallis bzw. Vögelins für einige dort, wo sie den Klerus angriff und ihn aufforderte, sich vermehrt dem Ackerbau – statt pastoralen, d. h. weniger nützlichen Beschäftigungen – zu widmen und den Bauern in erster Linie agrarökonomisch ein gutes Beispiel vorzugeben. Brisant war sicher auch die Idee, ein gewisses Mass an Erwerbsfreiheit zuzulassen, gepaart mit der Kritik an den eigennützigen Interessen gewisser Magistraten. Ein eigentlicher Gegensatz zwischen einem Berner und Zürcher Erziehungsreformmodell182 ist insgesamt aber nicht auszumachen. Die Wertschätzung der Landwirtschaft liess sich zwar – sowohl in Bern wie Zürich – mit dem republikanischen Staats- bzw. Tugendideal semantisch unterfüttern, häufiger findet man allerdings den Rekurs auf ‚Natur‘ und ‚Schöpfung‘ als religiöse Kategorien, ohne dass sich republikanisches und reformiert-christliches Ethos konkurrenziert hätten – im Gegenteil (vgl. Holenstein 1999). Der republikanische Tugendsinn war ja eine relativ junge Erscheinung der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und kann – wie Maissen (2006) gezeigt hat – nicht den Anspruch einer Konstante im politischen Selbstverständnis der Schweiz beanspruchen; die entsprechende Semantik wird im Diskurs um die Frage der Bildung der Untertanen zudem eher selten aktiviert. Ausmachen lässt sich auch (noch) kein ‚Kulturkampf ‘, in dem sich eine kategoriale Spaltung zwischen Befürwortern eines landwirtschaftlichen Unterrichts, gar interpretiert im Sinne eines liberal-demokratischen Verständnisses von Schule als Institution der Wissensvermittlung, und reaktionären Verfechtern christlich-moralischer Zielsetzungen auf der anderen 182 Vgl. Tröhler (2006), der in seiner Argumentation allerdings irrtümlich annimmt, es handle sich bei der Schrift Vögelins um eine fingierte Übersetzung.
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Seite ereignet hätte. Am engsten steht die Propagierung eines landwirtschaftlichen Unterrichts in Zusammenhang mit wirtschaftlichen Krisenängsten und -erfahrungen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines spürbaren demographischen Wandels, der auch negative soziale Auswirkungen befürchten liess. Diesen Konnex findet man deutlich in Vinzenz Bernhard Tscharners ‚Nachlese‘ zu den Preisschriften über die landwirtschaftliche Erziehung der Landleute. Nachdem sich bereits dort eine Problematisierung der Bevölkerungsfrage insbesondere mit Bezug auf die Situation in der Waadt findet, wurde diese nicht zufällig zum Gegenstand der Preisfrage des Jahres 1764 ausformuliert (Mémoires et observations recueillis par la Société Œconomique de Berne, 1764 [1. Teil]). Mit der Bevölkerungsfrage, der Angst vor einer Abnahme der Population sowie deren ‚qualitativer‘ Verschlechterung, implizit oder explizit verbunden werden Phänomene angesprochen wie der moralische und gesetzliche Umgang mit unehelichen Schwangerschaften und Geburten, Auswanderung, der Einfluss der Industrialisierung auf die (Land-)Wirtschaft und die physische Beschaffenheit der Bevölkerung und Auswirkungen des Zunftwesens. Aber auch unmittelbar erzieherische Fragen im Bereich der Gesundheitspflege, der physischen Erziehung der Kinder und der Erziehung zur Landwirtschaft, deren Attraktivität und Ansehen als Lebens- und Unterhaltsweise gesteigert werden sollte, kamen in diesem Diskurszusammenhang auf.
5 Offizielle Reformumsetzungen
Fragt man nach offiziellen Reformumsetzungen im Zuge der Diskussionen um eine Verbesserung des Landschulwesens, so richtet sich die Aufmerksamkeit in der Regel auf die gesetzlichen Neubestimmungen. Solche sind 1778 mit der ‚Erneuerten Schul- und Lehr-Ordnung‘, ausgearbeitet von den Examinatoren beider Stände, von Bürgermeister und Rat erlassen worden. Diese ersetzte die Satzungen von 1684, die 1719 und 1744 erneut im Druck erschienen sind. Neue Schulgesetze sind zwar typischer Ausdruck einer Neureglementierung, von deren Erlass lässt sich aber selbstverständlich nicht auf deren Umsetzung schliessen. Im Gegenteil sind Regulative auf dieser distalen Ebene des Systems wohl notwendige und dabei kostengünstige und mit relativ wenig Aufwand machbare, aber für sich allein nicht die wirksamsten Mittel, um eine Veränderung der Praxis zu veranlassen. Selbst für das ausgehende 18. Jahrhundert muss man zudem in Anschlag bringen, dass Dokumente dieser Art physisch nicht jedermann unmittelbar verfügbar waren. Auch weil die notwendige Lesefähigkeit nicht generell vorausgesetzt werden konnte, wurden die Satzungen jährlich den Schulvorgesetzten verlesen sowie im Rhythmus von sechs bzw. gemäss neuer Verordnung von 1778 vier Jahren der versammelten Gemeinde ab der Kanzel zu Gehör gebracht. Ergebnisse zu Fragen der Implementation von Schulreformen sind, von Ausnahmen abgesehen (z. B. Aubry 2007; vgl. auch Haas 2005), in der historischen Bildungsforschung rar. Doch legen etwa die Befunde von Neugebauer (1992) zur Durchsetzung des preussischen General-Landschul-Reglements (1763) den Befund nahe, dass auf diesem Weg oftmals im Grossen und Ganzen festgeschrieben worden ist, was bereits vielerorts Praxis war. Er konstatiert überdies: „Das Schicksal auch dieser umfänglichen Verfügung über Dorfschulen und die Schulen in den zahlreichen Landstädten steht für die Wirkung landesherrlicher Normsetzungen im Bildungswesen überhaupt: Erst wurden wesentliche Bestimmungen revidiert und abgeschwächt (Visitationen/‚Schulkataloge‘) bzw. ganz zurückgenommen (Schulgeld), andere blieben unausgeführt (Schulbücher), und nach wenigen Jahren konnte die blosse Kenntnis von der Existenz des Reglements nicht mehr vorausgesetzt werden“ (S. 654 f., vgl. auch Vollmer 1918). Wenn Schulgesetze für sich also bestenfalls vage Einschätzungen im Hinblick auf Veränderungen der
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Schul- und Unterrichtsrealität zulassen, so schliesst dies allerdings nicht aus, dass von ihnen auf die Programmatik und den Reformimpetus von offizieller staatlicher Seite her und in Reaktion auf diskutierte Mängel geschlossen werden kann. Neben der neuen Schulordnung sind in Zürich in den 70er Jahren weitere Dokumente im Druck erschienen, die in einem Bezug stehen zu den aufgezeigten Problemdiskussionen und Reformbestrebungen. Es handelt sich zum einen um die ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ von 1771, welche im Kyburger Kapitel entstanden ist, und die ‚Hirten-Briefe über die Erziehung der Kinder auf dem Land‘ von 1777, die wahrscheinlich den bereits vielfach erwähnten Johann Georg Schulthess als Verfasser haben. Zum anderen müssen die in jener Zeit neu verfassten Lehrmittel – ihnen kommt zumindest ein offiziöser Charakter zu – für die Landschulen in Betracht gezogen werden. Ebenfalls im Auge zu behalten ist bei diesem Vorgehen, das die Frage der Umsetzung unter einen erweiterten Blickwinkel stellt, die zu Beginn der Arbeit formulierte Kritik an der Schulgeschichtsschreibung. Diese hatte sich bekanntlich mit der Feststellung begnügte, dass keine nennenswerten, das heisst politischen und institutionellen Neuerungen aus der Landschulreform resultierten. In diesem Zusammenhang wird angeführt, dass von den damals zuständigen Behörden keine systematische Auswertung der Antworten auf die Enquête veranlasst wurde. Bloch (1997) stellt in diesem Zusammenhang zudem fest, dass das wenig ausgebaute Verwaltungswesen im Zürcher Stadtstaat des 18. Jahrhunderts offenbar nicht über die notwendigen Behörden und Techniken verfügte, um das spontane, „um nicht zu sagen unüberlegte Projekt“ der Enquête, das „Aktenberge produzierte, die niemand wollte“, zu bewältigen (S. 258). Dass die Initianten mit einer systematischen Auswertung der Rückmeldungen überfordert waren, lässt sich am weiteren Verlauf des Projekts festmachen. Jedoch: Unüberlegt kam das Umfrageunterfangen nicht zustande (vgl. Kap. 6.2), und bei genauerem Hinsehen lässt sich feststellen, dass doch verschiedene der damals thematisierten Probleme angegangen und Ideen aufgenommen worden sind, man also die Antworten der Pfarrer wenn auch nicht detailliert ausgewertet, so doch deren Kernaussagen zur Kenntnis genommen hat.
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5.1 Die ‚Erneuerte Schul- und Lehr-Ordnung‘ von 1778 Vergleicht man die Landschulordnungen, die sich ab 1637 ablösten, rein von ihrem Umfang her, so bemerkt man schnell eine zunehmende Regeldichte. Und standen bis 1744 die Artikel mit stärker organisationalem Inhalt – also nach heutigem Sprachgebrauch die Schulgesetze – und die Vorgaben curricularer und methodischer Art zum eigentlichen Unterricht – eher vergleichbar mit dem Curriculum – nebeneinander in einem Dokument, so findet sich 1778 erstmals eine Ausgliederung einer so genannten Lehr- von der Schulordnung. Man kann diese Separierung durchaus auf eine pädagogisch und methodisch differenziertere Sicht auf den elementaren Schulunterricht zurückführen. Wenn im Folgenden zuerst die ‚Schulordnung‘ untersucht wird, ist gleichzeitig zu überprüfen, ob und inwiefern mit ihr das vielfach geäusserte Problem der mangelhaften Durchsetzbarkeit der Schulgesetze angegangen worden ist. Konkret stellt sich die Frage, ob personelle und behördliche Zuständigkeiten und Handhabungen des Vollzugs eine genauere Definition und verbindliche Bestimmung erfahren haben.
Die neue Schulordnung: Versuch der verbindlichen Durchsetzung und der zeitlichen Ausdehnung des Schulbesuchs In der neuen Schulordnung fällt zunächst auf, dass der Appell zum Schulbesuch, die Erörterung der Notwendigkeit von Unterricht und Erziehung in der Präambel gegenüber früher nachdrücklicher und argumentativ eindringlicher ausfällt. Auch kann man in Abschnitt VI der neuen Schulordnung eine gewisse Differenzierung hinsichtlich des Verfahrens feststellen, das gegenüber Eltern zur Anwendung kommen sollte, die ihre Kinder nicht zur Schule schickten. Der Artikel ist nicht nur merklich ausführlicher als die bisherigen Bestimmungen, sondern neu ist nun die Möglichkeit der Meldung bei höherem Ort, dem Land- oder Obervogt, explizit vorgesehen. Auf dem Instanzenweg treten sowohl geistliche wie weltliche Amtsträger auf. Es heisst, der Schulmeister könne sich im Fall von Absenzen an den Herrn Pfarrer wenden, worauf dieser zuerst einen Ehegaumer zu den Eltern abordnen könne; nütze dies nichts, habe der Pfarrer einen Hausbesuch abzustatten. Die nächste Instanz bildete der Dekan; bei ihm mussten die Eltern unter Begleitung eines Stillständers vorstellig werden. Zuoberst in der Hierarchie stand der Land- oder Obervogt, der die nicht genauer definierte Bestrafung vorzunehmen hatte. Als kirchliches Zuchtmittel Erwähnung fin-
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det in diesem Zusammenhang der Ausschluss vom Heiligen Abendmahl. Ebenso wie lediglich die Erwachsenen zum Abendmahl zutritt hatten, bedeutete dessen Verwehrung für den betroffenen Jugendlichen auf der anderen Seite die Suspension des Erwachsenenstatus mit seinen sämtlichen sozialen und (zivil-)rechtlichen Implikationen. Verbindlicher liest sich in der erneuerten Schulordnung auch die Anordnung der Sommerschule. Zwar wünschten bereits die Schulsatzungen von 1744, ohne genauere Bestimmung, dass diese, wo möglich, jeweils am Samstag abzuhalten sei. 1778 heisst es dann, dass im Sommer alle Tage oder zumindest an zwei Tagen in der Woche Unterricht stattfinden soll, und zwar am Vormittag drei Stunden und am Nachmittag zwei Stunden. Damit diente die Sommerschule zumindest von der Idee her nicht mehr allein der Repetition des im Winter Gelernten, sondern zielte auf eine Ausdehnung des Schuljahres. Abschnitt XV der neuen Schulordnung hielt fest, an welche Vorgesetzten sich der Schulmeister bei „Undank oder Beleidigungen“ von Seiten der Eltern oder Schulkinder wenden konnte. Der aufgezeigte Instanzenweg ist gegenüber 1744 wiederum nach oben geöffnet worden, indem neben dem Pfarrer auch der Dekan angerufen und schliesslich der Land- oder Obervogt eingeschaltet werden konnte; ähnlich unscharf wie zuvor bleiben jedoch die konkreten unterstützenden Massnahmen, die ein Schulmeister von Seiten dieser Amtspersonen erwarten durfte. Während die Schulordnung von 1744 noch festsetzte, wie sich der Schulmeister im Fall von Versäumnissen der Pfarrer und Vorgesetzten zu verhalten hatte – der Dekan oder andere „gebührende Orthe“ wurden hier als Adressaten von Klagen genannt (Satzungen den Land-Schulen, von den obersten Schulherren der Statt Zürich fürgeschrieben 1744, Abschn. XXXII) –, findet sich darüber 1778 nichts mehr. Immerhin wird dem Pfarrer in der neuen Schulordnung ausführlicher und mit Emphase die Pflicht regelmässiger Aufsichtsbesuche ans Herz gelegt. Und neu wird der Dekan dazu verpflichtet, anlässlich der halbjährlichen Visitationen bei der Gemeinde Rechenschaft über die pfarrherrliche Ausübung der Schulaufsicht einzuholen, wie es ja auch die gültige Prädikantenordnung bereits vorschrieb. Neu Thematisiert findet sich 1778 die Besoldung des Schulmeisters, deren Dürftigkeit sowohl im Wetzikoner Kapitel als auch in der Enquête besonders hinsichtlich der kleinen (Neben-)Schulen beanstandet worden war. Hierüber heisst es, dass „der Herr Pfarrer nebst dem Stillstand darauf bedacht seyn [soll], wie und durch was für bey ihnen stehende Mittel dem Schulmeister […] eine hinlängliche Belohnung ausfündig gemacht, und
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verschaft werden könne“ (Erneuerte Schul- und Lehrordnung für die Schulen der Landschaft Zürich 1778, Abschn. VIII). Daraus lässt sich ablesen, dass die Obrigkeit nicht gewillt war, per Dekret und von Staates wegen zur Verbesserung der Schulmeisterbesoldung beizutragen;183 Gehaltsaufbesserungen waren weiterhin auf Legate und Stiftungen angewiesen, wobei die Äufnung des so genannten Landschulfonds allerdings in den 70er Jahren, unter anderem durch die Moralische Gesellschaft, kräftig vorangetrieben wurde. Interessant sind diesbezüglich auch die vagen Bestimmungen zur neu eingeführten Repetierschule. Hierzu liest man: „Da aber diese Repetier-Schule für die Kinder so nützlich und so nöthig ist, so werden alle brave Eltern die mehrere Mühe, die der Schulmeister desswegen mit ihren Kinderen hat, dankbar zu erkennen wissen, und ihm ein angemessenes Löhnlein dafür nicht vorenthalten […]“ (ebd., Abschn. V). Immerhin sollte es inskünftig die Angelegenheit des Seckelmeisters oder eines Stillständers sein, und nicht des Schulmeisters selbst, den Schullohn bei den Eltern einzutreiben. Die Repetierschule beschränkte sich im Winter auf den Montag oder einen anderen Wochentag, im Sommer fand sie zwischen Predigt und Kinderlehre statt. Damit antwortete man offenbar auf eine Forderung aus dem Wetzikoner Kapitel, vor allem aber auch auf die Antworten der Pfarrer auf Frage B.b.30. der Enquête. Die Frage nach dem Nutzen eines über die Alltagsschule hinausgehenden Unterrichts der Jugendlichen bis zur Zulassung zum Heiligen Abendmahl hatten jene mehrheitlich positiv beantwortet, wenn auch oftmals begleitet von Skepsis im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit. Neben dem Ausfall der in diesem Alter als Arbeitskräfte wertvollen Jugendlichen trat als Hindernis die Notwendigkeit, den Schulmeister für die zusätzlichen Schulstunden zu entlöhnen. Die neue Einrichtung ist – wie ihr Name sagt – als Reaktion auf das häufig beklagte Problem des Vergessens und Verlernens der für die Admission notwendigen Glaubensinhalte und Lesekompetenzen zu sehen. Aus der Enquête erfährt man, dass – um dem vorzubeugen – auch eigentlich ausgeschulte Kinder und Jugendliche zeitweise noch die Schule besuchten (so in Kloten) oder weiterhin am Examen teilnehmen mussten (Thalwil, Trüllikon, Turbenthal (B), Wollishofen). Bis zum Neokommunikantenunterricht mussten sie häufig auch in der Kirche „antworten“, das heisst Katechismusfragen beantworten, etwa in Regens183 Mit dem Schulgesetz von 1832 wurden dann von staatlicher Seite in erster Linie die Schulgenossenschaften in die Pflicht genommen, damit der nun einheitlich festgesetzte Mindestlohn für die Lehrpersonen garantiert werden konnte.
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dorf, oder, so in Schlatt und Rorbas, sich am Sonntag nach der Kirche prüfen lassen; in Wipkingen wurden die Ausgeschulten am Sonntag im Lesen, Schreiben und Katechismus geübt. Gleichzeitig mit der Einführung der Repetierschule konnte die Nachtschule abgeschafft werden; diese gab immer wieder zu Klagen Anlass, da die sittliche Aufsicht über die jugendlichen und erwachsenen Nachtschüler und Nachtschülerinnen, besonders auf dem Nachhauseweg nach Einbruch der Dunkelheit, eine Herausforderung darstellte.184 Um unterwünschte heimliche und öffentliche Zusammenkünfte zu verhindern, besuchten an einigen Orten lediglich Knaben und Männer die Nachtschule, oder allenfalls wurde sie getrennt nach Geschlechtern durchgeführt.
Die neue Lehrordnung: Ansätze unterrichtsmethodischer und -organisatorischer Innovationen Mit der separat gedruckten Lehrordnung erfuhren Fragen der konkreten Unterrichtsgestaltung deutlich erhöhte Aufmerksamkeit. Was die Forderung aus dem Kyburger Kapitel nach neuen, ‚nützlichen‘ Inhalten im Lesen und Schreiben angeht, wurde 1778 lediglich dasjenige festgeschrieben, was bereits in vielen Schulen praktiziert worden war: Im Schreiben sollten neben Bibelsprüchen und geistlichen Liedern jetzt auch offiziell „Conten, Quittanzen, Obligationen und kurze Briefe“ zum Abschreiben vorgelegt werden (ebd., Abschn. IX [Lehrordnung]). Dem Rechnen schenkte man hingegen keine allzu grosse Aufmerksamkeit: Den Kindern sollte dasjenige hiervon gezeigt werden, „was ihnen nach ihrem Stande nöthig seyn mag“ (ebd., Abschn. XII [Lehrordnung]). Folgt man der Enquête, so wurde Rechnen selbst dort, wo es als nützlich befunden wurde, recht selten unterrichtet. Wollten Jungen, die zum Bauern oder, wie aus Dinhard verlautet, beispielsweise zum Müller bestimmt waren, dies erlernen, so geschah es meist in Nebenstunden, die separat zu bezahlen waren. Vielerorts begnügte man sich mit der „Bauernzahl“185 (vgl. etwa Hirzel, Hombrechtikon, Regens-
184 Vgl. zu dieser Problematik auch die Antworten auf die Fragen A.d.1. und C.9. der Enquête. 185 Auch als ‚Bauernfünf ‘ bezeichnet; es handelt sich um ein Zahlensystem, bestehend aus den Zeichen V, I, O, das für einfache Rechenoperationen verwendet wurde. Häufig fanden die Bauernzahlen als so genannte Kerbzahlen Verwendung, um Schulden auf Holzstöcken oder Brettchen einzukerben.
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dorf ); überdies scheint man elementare Rechenkenntnisse oftmals zu Hause und weniger in der Schule erlernt zu haben (Russikon, Thalwil, Turbenthal (B)) oder dann eben ausserhalb des regulären Unterrichts in Privatunterweisung (Herrliberg/Wetzwil, Richterswil, Wiesendangen). Die Vernachlässigung des Rechnens fällt insbesondere im Vergleich zum Singen auf. Tatsächlich wurde dem Gesang als Mittel zur Erweckung des religiösen Gefühls einige Bedeutung zugemessen. Zum Singen sind denn in Abschnitt XIII längere Ausführungen vorhanden; man findet hier die Anforderung, „dass es den zu Schuldiensten in die Wahl kommenden an der Fähigkeit im Singen der Psalmen und Festlieder zu unterrichten nicht fehle, damit der Kirchengesang nicht ein blosses Geplärre sey, sondern mit Melodey und Annehmlichkeit zum Lob und Preis des herrlichen Gottes und Heilandes verrichtet werden möge“. Ebenso wenig wie das Rechnen fand der Wunsch nach Vermittlung landwirtschaftlicher Gegenstände und diesen zugrunde liegender Kenntnisse ausdrückliche Beachtung. Ausgiebiger behandelt werden in der Lehrordnung methodische und organisatorische Fragen des Unterrichts. Die Kinder waren in Klassen einzuteilen und gemeinsam zu unterrichten. Die Definition der Klassen unterscheidet sich von derjenigen von 1744; neu steht nicht mehr so sehr die Einteilung in gute und schwache Schüler im Vordergrund, sondern die Klassenbildung orientiert sich an der Abfolge der nacheinander zu erwerbenden Fähigkeiten im Lesen, nämlich I. Kennenlernen des Alphabets, II. Buchstabieren, III. Lesen. Beim Vorlesen aus dem Neuen Testament – wahrscheinlich dasjenige Buch, von welchem am ehesten sämtliche Kinder ein Exemplar derselben Edition zur Verfügung hatten – sollen die Schüler abwechselnd zum Weiterlesen aufgerufen werden, um so die Aufmerksamkeit der ganzen Klasse wach zu halten. Im Übrigen bleibt die Buchstabiermethode in Anwendung, wobei Gewicht darauf gelegt wird, dass die Kinder die Buchstaben auch ausserhalb des Alphabets kennen und überhaupt der „Verstand“ bei diesen Übungen beschäftigt werde (ebd., Abschn. IV [Lehrordnung]). Was das Schreiben anbelangt, so findet man auch hier erstmals methodische Anweisungen. Ein Novum – gerade im Gegensatz zur vorangehenden Schulordnung von 1744 – stellt die Forderung dar, „die Fertigsten im Schreiben nach der Vorschrift [müssten] endlich dazu gewöhnt werden, aus dem Kopf ihnen vorgesprochene Wörter und Sprüche zu schreiben, damit sie mit der Zeit das nöthige aufzeichnen können“ (ebd., Abschn. XI [Lehrordnung]; Hervorhebung E.B.). Schreiben sollte damit nicht mehr mit Abschreiben verwechselt werden und zielte auf eine Fertigkeit, die es erlaubte,
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sich im täglichen Leben eigenständig im Medium der Schrift ausdrücken und etwa auch ein Haushaltsbuch führen zu können. Wie und von wem die Promotionen von einer Klasse in die nächste inskünftig anlässlich des Examens vorzunehmen waren, findet man sowohl in der Schul- wie der Lehrordnung genauer erläutert; damit entsprach die ‚Erneuerte Schul- und Lehr-Ordnung‘ offensichtlich Wünschen, die aus dem Wetzikoner Kapitel vorgebracht worden waren. Mit diesen Bestimmungen, darunter fällt auch die Pflicht, die individuellen Fortschritte der Schüler im Schulrodel aufzuführen, wurden dem Pfarrer und dem Schulmeister Mittel in die Hände gegeben, Kriterien für die Schulentlassung festzulegen. Die Forderung, dass der Schulmeister einen Schulrodel führen und darin die von den Schülern absolvierten Lektionen verzeichnen müsse, war ansatzweise bereits in den früheren Schulordnungen enthalten. Neu findet man nun der Lehrordnung von 1778 im Sinne einer verbindlichen Vorlage die im Wetzikoner Kapitel kreierte Schülertabelle beigefügt. Die Mindestanforderungen besagen, dass kein Kind von der Schule abgehen dürfe, das nicht lesen und den Katechismus, einige Psalmen, Gebete, biblische Sprüche und geistliche Lieder auswendig aufsagen kann – und zwar „mit Verstand“ (Erneuerte Schul- und Lehr-Ordnung für die Schulen der Landschaft Zürich 1778, Abschn. XIX). Zwar werden damit die bisherigen Anforderungen nicht überschritten, der Nachdruck auf das Geforderte aber verstärkt und der Akzent anders gesetzt – neben dem Verständnis auf die „Wichtigkeit und Nutzbarkeit“ statt auf die Menge (ebd., Abschn. IX [Lehrordnung]). Damit reagierte man auf ein bereits bekanntes Übel, denn ob die Schüler „das Auswendiggelernte mit Verstand hersagen“ und ob es vermieden werden könne, dass ihnen die Katechismusfragen und Gebete nicht „ekelhaft und zum Verdruss“ werden, wurden die Pfarrer bereits in der Enquête gefragt (B.b.9., B.b.10.).Viele bestätigten die damit angesprochenen Missstände, kannten aber kein Mittel, dem entgegen zu wirken (z. B. Dorf ), oder sahen sie als unvermeidliches Problem an (z. B. Dübendorf ). Wie beträchtlich die Pensen im Allgemeinen und im besonderen Fall waren, die die Schüler auswendig lernen mussten – neben dem Katechismus und Gebeten jeweils eine grössere Auswahl an Psalmen –, mag beispielsweise die Antwort B.b.7. von Diakon Nüscheler (Turbenthal (B)) zeigen: Mit Stolz berichtet er, dass viele seiner Schüler unter anderem die ganze Bergpredigt auswendig aufsagen konnten. An der Situation der fehlenden Schulmeisterausbildung änderte sich vorläufig nichts. Man stösst in der Schulordnung lediglich auf den Hinweis, dass die Schulmeister ihr Können vermehren müssen, und zwar indem sie
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den Unterricht und Rat des Pfarrers willig annehmen sollen (Abschn. XIV). Auch in der Lehrordnung findet man zum Schluss die Ermahnung an die Adresse des Schulmeisters, sich bezüglich der besten Umsetzung des Verordneten an den Pfarrer zu wenden. Daraus kann man folgern, dass die Kirchenvertreter nicht auf ihre schulische Aufsichts- und pädagogische Expertenrolle verzichten wollten oder konnten. Solange es an einer institutionalisierten Ausbildung der Schulmeister mangelte und die Einrichtung einer solchen, sei es aus finanziellen, pragmatischen oder (kirchen-)politischen Gründen, nicht zum Reformvorhaben zählte, blieb die Entwicklung der Schulen auf die Pfarrherren angewiesen. Die neue Schul- und Lehrordnung konnte im Übrigen darauf verzichten, sich ausführlicher zu den vom Schulmeister geforderten Fähigkeiten und Pflichten zu äussern, da bereits Ende 1771 die ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ im Druck erschienen war.
5.2 Die ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ (1771) Die ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ (1771) ist im Kyburger Kapitel entstanden, und zwar, wie man einleitend liest, aufgrund „gemeinschaftliche[r] Berathschlagungen“ in den Prosynoden (S. 1). Als Urheber der definitiven Formulierung nimmt Hunziker (1894) Dekan Johann Heinrich Escher an, da dieser selber die ‚Anleitung‘ mit einem Schreiben vom 5. Oktober 1771 dem Antistes zum Druck empfohlen hat. Inhaltlich nimmt die Schrift da und dort Gedanken sowohl des Referats Eschers wie Schulthess‘ auf. Die ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ ist 1775 in zweiter Auflage nochmals in Zürich und 1779 in Basel, hier mit an die eigene Schulordnung angepasstem Stundenplan, erschienen. Offenbar stiess die recht ausführliche Anweisung zur Führung der Schulen und zum Unterricht bei den Pfarrern auf Anklang, wie auch der Umstand zeigt, dass sie bereits anlässlich der Enquête verschiedentlich und selbst ausserhalb des Kyburger Kapitels als massgeblich für vorgenommene Verbesserungen erwähnt wurde. Auffällig ist, dass viele der thematisierten Problemfelder mit den in der Enquête erfragten korrespondieren und dass auf der anderen Seite die 1778 publizierte neue Schul- und Lehrordnung in vielem der ‚Anleitung‘ folgt. Dass die Frage der Professionalisierung des Schulmeisterstandes als notwendige Voraussetzung einer Verbesserung von Schule und Unterricht viele Pfarrer beschäftigt hat, ist bereits deutlich geworden. Die ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ gibt nun in ihrer ambivalenten Semantik einigen Aufschluss über die damaligen diesbezüglichen Vorstellungen. Die Schrift ist
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offenkundig aus der Sicht der Pfarrer verfasst, und zwar mit der Absicht, erzieherisch auf ‚ihre‘ Schulmeister einzuwirken, womit der übergeordnete Status der Pfarrer als eigentliche Aufsichtsinstanz über die Schulen mitsamt den Schulmeistern gleichsam nochmals verstärkt wurde. Dies zeigt sich unter anderem in § 16 der ‚Anleitung‘, wo das Verhalten gegen den „Lehrer“186 seine Bestimmung erhält. Hier wird moniert, dass viele Schulmeister ihre Pflicht gegenüber dem Pfarrer, nämlich seiner Anweisung vollumfänglich zu folgen, nicht kannten; durch sein subordinierendes Verhalten soll der Schulmeister nicht zuletzt dazu beitragen, eine ehrerbietige Haltung, Liebe und Gehorsam gegenüber dem Pfarrer bei den Kindern zu erzeugen. Auch dem Stillstand und den Vorgesetzten hat der Schulmeister vor den Schülern immer mit Achtung zu begegnen. Das Verhältnis zur Klientel, den Eltern, hinwieder muss beim Schulmeister auf dem Bewusstsein gründen, dass diese ihm mit ihren Kindern ein kostbares Gut anvertraut. Der Schulmeister wird damit, ganz im Sinn des entsprechenden Professionsmerkmals, zum Verwalter eines zentralen gesellschaftlichen Gutes. Was die konfliktuöse Durchsetzung des Schulbesuchs bei den Eltern anbelangt, darf sich der Schulmeister auf die kollegiale Unterstützung des Pfarrers verlassen. Diese Semantik der Kollegialität findet man auch am Schluss der ‚Anleitung‘, gepaart mit der Aufforderung, die mit dem gemeinsam verfolgten Ziel einer Verbesserung der Schulen verbundene Verantwortung in ihrer ganzen Schwere zu bedenken. Hier tritt der Pfarrer sogar als Bittender auf: „Nochmal zum Beschluss bitten, betheuren wir euch, dieses wol zu beherzigen. Wir Lehrer werden das unsrige thun. Desto schwerer aber eure Verantwortung, wenn ihr uns nicht nachfolget; und wenn ihr diese Ermahnungen, Bitten und Anweisungen eurer für die Jugend besorgten Lehrer zum unwiderbringlichen Schaden derselben wurdet verachten, und unbefolget lassen“ (Anleitung für die Landschulmeister 1771, S. 49; Hervorhebung E.B.). Die Verfolgung gemeinsamer Ziele erfordert gegenseitige Verbindlichkeit, wie das von Pfarrersseite vorgebrachte Versprechen deutlich macht: „Diesen Bitten und Ermahnungen fügen wir noch die aufrichtige Versicherung hiezu, dass wir Lehrer von unserer Seite alles mögliche thun werden, euch eure Arbeit und Beruf zu erleichteren“ (ebd., S. 48; Hervorhebung E.B.). Der neuerlichen Kombination imperativer Ermahnung und appellativer Bitte liegt ‚Verantwortung‘ zugrunde. Dass diese eher aufgebürdet erscheint als dass sie auf Autonomie verweist, gibt der Schrift 186 Die Bezeichnung ‚Lehrer‘ ist bis zur Helvetik an die Glaubenslehre im Sinne der Verkündung des göttlichen Wortes gebunden und damit den Pfarrern vorbehalten.
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ihren Charakter. Die semantische Ambivalenz resultiert aus der – in ihrer Problematik erkannten – Widersprüchlichkeit der neuen Anforderungen an den Schulmeisterstand, nämlich eine höhere Leistung zu erbringen und sich als Profession zu verstehen, ohne – jenseits von rhetorischen Beteuerungen – eine Gegenleistung etwa in Form einer Statuserhöhung und materiellen Besserstellung tatsächlich zu erhalten. Denn, und dies ist ein durchaus bemerkenswertes Merkmal dieser Schrift: Die Schulmeistertätigkeit wird hier als Beruf (‚calling‘) im eigentlichen Sinn vorgestellt, dem ein wertvolles Gut, nämlich die Erziehung und der Unterricht der Heranwachsenden, anvertraut wird, ohne dass jedoch die Professionsbestimmung der Autonomie gegenüber Klientel und Staat bzw. Kirche eingelöst ist187. Und es ist diese neue Definition, welche die Schulmeister mit der Lektüre der ‚Anleitung‘ verinnerlichen sollten. Die Schrift beginnt mit der egalisierenden Anrede „Liebe Freunde!“ und kommt zunächst auf den „überhandnehmende[n] Verfall des Schulwesens“ und den „traurige[n] Zustand der lieben Jugend“ zu sprechen (ebd., S. 1 f.). § 1 ist dem „Endzwek und der Wichtigkeit“ des darzustellenden „Berufs“ gewidmet: „Wir bitten euch dann, liebe Freunde! dass ihr der Natur und der Beschaffenheit euers wichtigen Berufs oft und viel nachdenket.“ Es folgt die Bekanntmachung der für diese Tätigkeit notwendigen Charaktereigenschaften und Einstellungen, denn es handelt sich um einen exklusiven Beruf, zu dem nicht jedermann geeignet ist. Insgesamt soll der Schulmeister einen exemplarischen Lebenswandel führen und folgende Eigenschaften und Tugenden aufweisen: Frömmigkeit und Gottesfurcht, einen Eifer, sich selber in seiner Arbeit zu vervollkommnen, die Gabe, die verschiedenen Gemütsarten der Kinder zu erkennen, Liebe zu den Kindern, und zwar unabhängig von ihrer Herkunft, Unverdrossenheit und Munterkeit sowie Friedfertigkeit und Vertragsamkeit. Vom Schulmeister wird erwartet, dass er die ‚Anleitung‘ regelmässig liest, über das Gelesene nachdenkt und bei sich prüft, ob er die notwendige Gesinnung in sich trägt und den aufgeführten Anforderungen gerecht werden kann. Das Amt sei „zu wichtig, als dass ein gewissenhafter Mann nicht mit Ernst sollte darauf denken, und darnach trachten, wie er zu einer würdigen Verwaltung desselben je länger je mehr tüchtiger werden, und die erforderlichen Eigenschaften dazu erlangen möge“ (ebd., S. 11). 187 In diesem Sinn behielt der Beruf des Volksschullehrers bzw. der -lehrerin auch im Lauf der nachfolgenden Entwicklungen den Status einer Semiprofession (vgl. Bloch 2007).
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Verantwortung und Würde des Berufs verlangen, dass der Schulmeister sich täglich wohl auf den Unterricht vorbereitet, pünktlich in der Schule erscheint und überhaupt während der ganzen Schulstunden anwesend ist. Der Unterricht beginnt mit Beten, wobei die Worte nicht lediglich heruntergeleiert werden sollen; die Pfarrer beteuern, auf die notwendig Andacht in Zukunft mehr Acht zu geben als bisher geschehen. Als Nächstes überschaut der Schulmeister die Zahl der Anwesenden und notiert die fehlenden Kinder im Schülerverzeichnis. Inskünftig besser beachten wollen die Pfarrer auch, dass der Schulmeister die Kinder anschliessend auf ihre Sauberkeit hin überprüft, wie überhaupt die Pfarrer nun öfters die Schulen zu besuchen gedenken. Für den folgenden, methodischen Unterricht teilt der Schulmeister die Schüler in drei Klassen ein. Am Beginn des Leseunterrichts, den er mit Geduld und Sanftmut angehen soll, steht das Buchstabieren. Als geeignetes Lehrmittel verspricht der Autor, demnächst die „Anweisung zum lernen recht lesen“ in den Schulen zu verteilen – wohl die bereits erwähnte ‚Kurze und deutliche […] Anleitung, auf die beste und grundlichste Art buchstabieren und lesen […] zu lehren und zu lernen‘ (1759) (vgl. Kap. 4.4.1, 4.4.3). Beim Auswendiglernen hat der Schulmeister sicherzustellen, dass die Kinder auch alles verstehen, was sie vorgelegt bekommen; allenfalls muss er ihnen die Bedeutung der Inhalte erklären. Der Schreibunterricht beginnt, wie dann auch in der ‚Erneuerten Schul- und Lehr-Ordnung‘ (1778) beschrieben, mit den einfachen Buchstaben, ohne, wie bis anhin üblich, auf die Reihenfolge im Alphabet zu achten. Natürlich ist der Schulmeister verpflichtet, sich zum Zweck des Schreibunterrichts selber zuerst die Orthographie anzueignen. Der Nutzen des Rechnens wird in der Schrift, entgegen dem offenbar vorausgesetzten Vorurteil, besonders hervorgehoben und eine spezielle Anleitung188 versprochen. Da die Kinder von Natur verschiedene Gaben und Gemütsarten besässen, gelte es diese zu erforschen und beim Unterricht zu berücksichtigen; die Schrift empfiehlt, die unterschiedlichen Eigenschaften und ihre Behandlung separat im Schulrodel zu verzeichnen. Schliesslich gehört es zu den Pflichten des Schulmeisters, in der Schule Ordnung und Zucht aufrechtzuerhalten und Lärm abzuschaffen, wie
188 Gemeint ist wahrscheinlich die ‚Anweisung zu den Anfangsgründen der Rechenkunst‘ (1776). Auch für den Singunterricht wird eine neue Anleitung angekündigt, nämlich der ‚Gründliche Unterricht zum Singen der Psalmen, Choralen und Liedern‘ (1774); zu diesen und weiteren neuen Schulbüchern vgl. Kap. 5.4.
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er etwa auch durch die Methode des lauten individuellen Lernens entstanden ist. Die erzieherische Funktion der Schule und eine korrespondierende väterliche Rolle des Schulmeisters werden in der ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ mehrfach hervorgehoben. „[E]uer Beruf erfordert, dass ihr über das, dass [sic] ihr die Kinder lehret recht und fertig lesen, und einem Theil darvon schreiben; sie noch zu guten und anständigen Sitten gewöhnet, dass ihr das aufsteigende Böse bey ihnen ausrottet, und dagegen gutes in ihre zarten Herzen pflanzet, dass ihr bey ihnen den ersten Grund leget zu der allen Menschen nöthigen Erkenntnis des Heils, und zur wahren Gottesfurcht“ (Anleitung für die Landschulmeister 1771, S. 3 f.). Der Pflanzung der Gottesfurcht und guter Sitten ist der Inhalt von § 11 gewidmet. Dies ist deshalb eine wichtige Aufgabe, weil der Autor der häuslichen Erziehung und dem Vorbild der Eltern wenig Gutes zuspricht. Da es den Kindern noch an Einsicht fehlt und da diese vor allem über Nachahmung lernen, sind auf der einen Seite gute Exempel besonders wichtig, auf der andern Seite schlechte Beispiele absolut schädlich. Was „die alten, was die angesehenen, was die mehrern thun“, kann den Kindern nicht als Vorbild dienen. „Nein; sie müssen nicht blindlings nachfolgen, sondern nur anf [sic] das sehen, was wirklich gut ist“ (ebd., S. 28). Kinder, wie sie in der ‚Anleitung‘ beschrieben werden, sind für das Böse besonders anfällig, jedoch erziehbar; sie sind defizient, weil es ihnen noch an Vernunft fehlt, wobei die Erbsünde implizit anklingt. Wird die Erziehung verabsäumt, droht die Gefahr der Verwilderung, „und das Böse wachset zu ihrem unwiederbringlichen Schaden mit und in ihnen auf “ (ebd., S. 4). Unwissenheit geht einher mit Ungesittetheit; die Kyburger Pfarrer entwerfen diesbezüglich ein geradezu apokalyptisches Szenario als Ausgangspunkt ihrer Reformbemühungen: „Es schaudert uns, wenn wir nachdenken, was aus einer so unwissenden verwilderten und ungezogenen Jugend für ein Geschlecht entstehen, und welches verderben sich dadurch je länger je mehr unter uns ausbreiten werde“ (ebd., S. 1). Erziehung und Unterricht erhalten damit einen Heilsanspruch. Erziehung muss vom potentiell bösen Herzen des Kindes ausgehen; sie zielt darauf, böse Anlagen ‚auszurotten‘ und an deren Stelle gute ‚zu pflanzen‘. Der „Saamen heilsamer Erkenntnis, und Gottseligkeit“ muss bereits früh gesät werden, denn das jugendliche Herz nimmt „gleich dem Wachs alle Eindrüke“ an (ebd., S. 4). Mit dieser sensualistischen Vorstellung korrespondiert eine Pflanzenmetaphorik, die einen Gärtner im Sinne des aktiv kultivierenden Erziehers voraussetzt. Denn nicht so sehr die guten Anlagen, die es lediglich zu entwickeln hiesse, legen
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die bekannte Allegorie nahe, sondern die Notwendigkeit, das angeborene Schlechte an seinem Wachstum zu hindern. Zugleich sind die erzieherischen Anweisungen in einem frommen, innerlichkeitsbezogenen Ton gehalten. Der ideale Schulmeister erscheint als ein väterlicher, der den Kindern mit Zureden und Argumenten statt mit Strenge begegnet. So gehört es auch zu seinen Aufgaben, die Kinder zur Introspektion anzuleiten, etwa indem er sie „zu einer frühen Aufmerksamkeit auf ihr Herz, und auf ihren Wandel“ gewöhnt. „Ihr sagt etwan mit väterlicher Liebe und Zärtlichkeit zu ihnen: Liebe Kinder denket ihr auch nach, was ihr sinnet und thut. Denkt ihr etwan bey euch an einem Abend. Wie hab ich heut auch gelebt? Was Gutes hab ich gethan? Was Böses unterlassen?“ (ebd., [S. 29]). Neben der „Pflanzung von Gottesfurcht“, also der religiösen Erziehung, beschäftigt sich § 11 mit der Kultivierung guter Sitten. Die entsprechenden Regeln beziehen sich, der Naturrechtstradition189 folgend, im ersten Fall auf das Verhalten gegen Gott, in zweiter Hinsicht auf das Verhalten gegen sich selbst und schliesslich gegen den Nächsten. Aufgezählt werden dann in erster Linie anzustrebende Tugenden wie Sauberkeit, Reinlichkeit und Schamhaftigkeit sowie Ehrerbietung, Freundlichkeit, Dienstfertigkeit und Gefälligkeit gegenüber den andern. Der Schulmeister belehre die Kinder, „wie es die Würde des Menschen erfodere, dass er sich in Ansehung der Säuberlichkeit und Reinlichkeit, vor dem Schwein unterscheide“ (ebd.). Es fehlt hier der Hinweis nicht, dass es den Schulmeistern selber oft an guten und anständigen Sitten mangle. Schliesslich folgen einige Ausführungen zum Betteln, die auf die kritischen Zeitumstände von 1770/1771 hin gelesen werden können. Dieses schändliche Übel, so liest man, sei besonders in einem Land wie dem hiesigen eine Sünde, wo die Obrigkeit sich so fürsorglich um seine Armen kümmere. In § 12 erfährt man, dass Strafen unentbehrlich sind, um dem überhand nehmenden Verderben, das sich besonders bei der Jugend zeige, entgegenzuwirken. Doch auch in diesem strafpädagogischen Kontext findet eine Psychologisierung und gleichsam eine Verlagerung nach Innen, auf die Ge-
189 Massgeblich ist die Unterscheidung von Samuel von Pufendorf in ‚De officio hominis et civis juxta legem naturalem‘ (1673) in die Pflicht des Menschen gegen Gott (gemäss der natürlichen Religion), die Pflicht des Menschen gegen sich selbst und die Pflichten aller gegen alle. Pufendorfs ‚De officio‘ war in Zürich von 1724–1807 obligatorisches Lehrmittel am Collegium Carolinum (vgl. Schott 2004). In dessen Gefolge einflussreich waren auch Wolffs Deutsche Ethik von 1720 und die ‚Institutiones Juris Naturae et Gentium‘ (1750).
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sinnung statt. Erneut lassen sich Lockes Erziehungsgedanken unschwer wiedererkennen: Vergehen muss der Schulmeister nämlich danach beurteilen, ob es sich um ein natürliches Unvermögen oder eigentliche Bosheit handelt. Im zweiten Fall darf er erst dann zur physischen Strafe schreiten, wenn Argumente und mündliche Strafmittel keine Wirkung zeigen. Zweck und Notwendigkeit der Strafe müssen dem betroffenen Schüler zuerst begreiflich gemacht werden, und schliesslich darf die Strafe nie im Zorn verabfolgt werden. Die Befolgung der ‚Anleitung‘, das muss den Verfassern selber klar gewesen sein, brachte für die Schulmeister einen nicht unerheblichen Mehraufwand mit sich. Dieser betrifft neben der Präsenz, methodischem Aufwand und Know-how weitere Punkte. So erfährt zum Beispiel die sittliche Aufsichtspflicht des Schulmeisters eine Ausdehnung über Schule und Kirche hinaus. Wünschbar erachtete man, dass er die Schüler auch nach der Predigt in der Schule versammle und über das Gehörte befrage. Einen zusätzlichen Aufwand bedeutete auch die Idee, die Ausgeschulten müssten an besonderen Tagen weiterhin Unterricht erhalten, nämlich an den wöchentlichen Betttagen am Montag, Mittwoch und Samstag. Dass solche Bürden besonders den am schlechtesten bezahlten Schulmeistern kaum zu übertragen waren, darauf deutet wiederum folgende emphatische Ermahnung und Bitte: „Wir bitten, wir ermahnen euch in dem Herrn, und auf das feyerlichste, dass ihr es versuchet nach dieser Vorschrift zu handeln; und also unsre guten Absichten zu befördern. Die Geschäfte euers Berufs sollen dadurch gar nicht beschwerlicher; sondern vielmehr leichter und angenehmer werden. Nur den faulen, den trägen mag das eine oder andere beschwerlich vorkommen“ (ebd., S. 46). Der Schulmeisterberuf wird – doch eher im Gegensatz zur verbreiteten Wahrnehmungen – als „beneidenswürdig“ attribuiert (ebd.) und ein Heilsversprechen an dessen Ausübung geknüpft: Denn mit Freudigkeit dürften die Pflichtbewussten „in die zukünftige Welt hinübersehen“, während die Pflichtvergessenen, „wenn ein böses, ein verkehrtes Geschlecht aufwachset“, an ihre Schuld gemahnt werden (ebd., S. 47). Es fällt auf, dass viele in der ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ thematisierte Schul- und Erziehungsprobleme sowie angebotene Lösungen auch innerhalb der Wetzikoner Reformvorstösse einen zentralen Stellenwert einnahmen. Die mit ‚Ambivalenz‘ umschriebene Semantik in der ‚Anleitung‘ lässt sich durchwegs in Verbindung bringen mit wertenden Urteilen und den Strategien der Wetzikoner im Umgang mit den Schulmeistern (vgl. Kap. 3.2): Der Stolz dieser Leute lasse es als kontraproduktiv erscheinen, ihnen einseitig mit Befehlen zu begegnen. Stattdessen
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seien ein freundschaftlicher Umgang und kollegialer Gestus in der Zusammenarbeit angebracht. Auch die äusserst schlechte Meinung vom Einfluss der Eltern und der Erwachsenen überhaupt auf die Sitten der Jungen, der als immenses Hindernis für die rechte Erziehung und das bessere Geraten künftiger Generationen wahrgenommen wurde, deckt sich in dieser Zuspitzung mit dem Urteil der Wetzikoner Pfarrer. Mit dem Wunsch nach einer Anweisung für die Schulmeister hatten diese die Forderung verbunden, in einer solchen müsste vor allem auch das notwendige Betragen des Schulmeisters gegen den Pfarrer, die Eltern etc. festgehalten werden – wie es dann in der ‚Anleitung‘ in ausgewiesenen Paragraphen tatsächlich geschah. Rezeptionsgeschichtlich interessant sind aber vor allem gewisse inhaltliche Übereinstimmungen der untersuchten Schrift mit Johann Ignaz von Felbigers ‚Eigenschaften, Wissenschaften, und Bezeigen rechtschaffener Schulleute‘ (1780/1958), die 1768 erstmals erschienen waren (vgl. Kap. 4.4.3). Dies gilt bezüglich der für einen Schulmeister notwendigen Tugenden (§ 2: „Von den nöthigsten Eigenschaften eines Schulmeisters“), die teilweise identisch bei Felbiger im ersten Hauptstück mit dem ähnlichen Titel („Von den Eigenschaften, welche Schulleute an sich haben sollen“) zu finden sind. Verstreut über das Buch erkennt man weitere Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen, etwa wenn die Rede ist von der bedeutenden Verantwortung eines Schulmeisters in seinem Beruf, seiner Pflicht, den Unterricht genau vorzubereiten, zu reflektieren und auf dessen stete Vervollkommnung hinzuarbeiten. Noch interessanter sind auf der anderen Seite die offenbaren Unterschiede zwischen beiden Texten. In Felbigers Werk begegnet einem eine eigentliche Unterrichtspädagogik, systematisch aufgebaut differenzierte methodische und didaktische Grundsätze und Anweisungen enthaltend. Damit setzt diese Schrift, ebenfalls an Dorf- und Trivialschulmeister adressiert, sehr viel eindeutiger auf eine Professionalisierung der Unterrichtsarbeit. Diese wird verstanden, wenn nicht als Wissenschaft, so doch als Kunst, die gewissen objektivierbaren Regeln gehorcht und deren Ausübung sich auf eigenständig pädagogischer Basis rationalisieren lässt. Im Gegensatz zu der Zürcher ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ kann Felbiger auf dieser Grundlage, die dem Lehrberuf eine gewisse fachliche Autonomie zuspricht, die Stellung des Schulmeisters gegenüber dem Pfarrer und weitere Abhängigkeitsverhältnisse weitgehend ausblenden.
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5.3 Die ‚Hirten-Briefe über die Erziehung der Kinder auf dem Land‘ (1777) In den Zürcher Diskussionen um eine Reform des Landschulwesens waren Erziehungsfragen allgegenwärtig und kaum trennbar vom Schul- und Unterrichtsdiskurs. Die häusliche Erziehung sah man generell als ungenügend und den Einfluss der Eltern in manchen Fällen gar als schädlich an. Somit, so folgerten etwa die Verfasser der ‚Anleitung für die Landschulmeister‘, kam der Schule sowie dem Pfarrer und Schulmeister als deren Exponenten eine eminente pädagogische Funktion zu. Überlegungen im Wetzikoner Kapitel gingen in die Richtung, dass Eltern, die ihren erzieherischen Pflichten nicht nachkamen, Rechte über ihre Kinder an den Staat und die Kirche abzutreten hätten. Es wundert also nicht, dass im Rahmen der pädagogischen Diskussionen der 1770er Jahre eine Schrift entstanden ist, die sich dezidiert dem Thema der Erziehung, und zwar der Erziehung der Kinder auf dem Land widmete, war doch gerade diese Art adressatenspezifischer Erziehungsliteratur rar. Die ‚Hirten-Briefe über die Erziehung der Kinder auf dem Land‘ sind 1777 erschienen und stammen wiederum aus dem Kyburger Kapitel. Sie seien, so erfährt man in der Vorrede, das Ergebnis gemeinsamer Beratschlagungen in den Prosynoden. Die Vorrede ist gezeichnet mit Ort, Mönchaltorf, und Datum, 16. April 1777. Da Schulthess Pfarrer in Mönchaltorf war, kann man hinter dem Verfasser der Schrift den Kammerer annehmen. Die ‚Hirten-Briefe‘ sind gedacht als Anleitung für eine vernünftige und christliche Erziehung (S. [3]); ihr Zweck ist es, der Landbevölkerung ihre Erziehungspflichten aufzuzeigen und sie vom Nutzen und Wert damit verbundener Anstrengung zu überzeugen. Die Erziehungsziele sind in erster Linie sittlich und religiös definiert, worunter auch die Pflicht fällt, die Kinder regelmässig zur Schule zu schicken. Die Erziehung der Kinder wird dabei auf das Fundament einer christlichen Naturrechtslehre gestellt. Dies ist für die Zeit der Entstehung der Schrift nichts Neues; neu ist jedoch die Adressatenschaft, nämlich die Landbevölkerung, der die entsprechenden Erziehungsgrundsätze argumentativ vermittelt und dadurch einsichtig gemacht werden sollen. Neu ist, ebenfalls im Hinblick auf die Adressatenschaft, die Emotionalisierung, die die Naturtriebe, wie sie den gegenseitigen Pflichten und Rechten von Eltern und Kindern zugrunde liegen, erfahren. Die KindEltern-Beziehung erscheint in der Sprache der ‚Hirten-Briefe‘ insgesamt gefühlsbetonter, intimer und stärker psychologisiert als man dies aus Erziehungsschriften vorangehender Jahrzehnte und Jahrhunderte etwa in der Tradition der Hausväterliteratur kennt.
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Der erste Brief ist an die christlichen „Ehefrauen“ und potentiellen Mütter adressiert, denn die Aufgaben der erzieherischen Pflege beginnen bereits vor der Geburt. Hier erhalten die Leserinnen Anweisungen zum Verhalten während der Schwangerschaft sowie kindermedizinische Ratschläge zur Säuglingspflege, zum Stillen und Wickeln, zur Hygiene und Ernährung, wie man sie, wenn auch breiter ausgeführt, auch in der Berner Preisschrift von Stapfer vorfindet (vgl. Kap. 4.5.5).190 Moralerzieherisch fundamental im frühen Kindesalter ist die über sämtliche anthropologischen Grundannahmen und pädagogischen Anschauungen hinweg gültige Hauptregel, wonach der unvernünftige kindliche Wille gleich zu Beginn bezwungen werden muss; um die elterliche Herrschaft für die Zukunft zu erhalten, dürfen diese dem Schreien des Kindes niemals nachgeben, sofern als Ursache trotziger Eigensinn anzunehmen ist. Kinder sind, das liest man im zweiten Brief, von Natur, gemäss göttlicher Einrichtung, zur Erziehung fähig. Sie sind auf natürliche Weise durch Liebe und Vertrauen den Eltern verbunden. Diese Zuneigung mache sie willig und geneigt, den Eltern zu folgen; und es schade nicht, dass dies ein beinahe blinder Gehorsam sei. „Das unumschränkte Zutrauen, dass ihr es wohl mit ihnen meynt, und ihnen nichts verwehret oder vorenthaltet, als was für sie nicht gut wäre, wird euch eure Kinder ganz unterthänig machen“ (Hirten-Briefe 1778, S. 16). In diesem Verhältnis haben die Eltern sich mit ihrem Verhalten dieses Vertrauens würdig zu erweisen. Die damit vorausgesetzte reziproke Pflichtenordnung gründet in einem christlich-paternalistischen Naturrecht; als Grundlage der Erziehung bzw. des erzieherischen Verhältnisses hat sie im 18. Jahrhundert populären Charakter, und man findet eine solche etwa auch in Millers bereits zitierten pädagogischen Ausführungen in der mosheimischen ‚Sitten-Lehre‘ (vgl. Kap. 4.5.2). Sobald das Kind zu Verstand kommt, kann man ihm über Exempel und moralische Erzählungen erste sittliche Begriffe nahe bringen. An dieser Stelle wird dem Leser eine entsprechende Sammlung von Erzählungen versprochen, welche wirklich 1777 unter dem Titel ‚Sittenlehrende Erzählungen für die Land-Schulen‘ erschienen ist (vgl. Kap. 5.4). Durch ihr Lob regen Eltern bei den Kindern die Nachahmung an, und schliesslich werde auf der Basis solchen Lernens am Vorbild allmählich die Fertigkeit erzeugt, „die sittliche Kenntniss des Guten und Bösen, die ihm aus Exempeln mit190 Vor allem moralische, aber ebenso körperliche Verhaltensregeln für Schwangere finden sich auch bei Miller in der mosheimischen ‚Sitten-Lehre‘ (von Mosheim 1767, Bd. 8).
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getheilet worden, wohl anzuwenden, eine Fertigkeit, seinen Willen mit Verstand zu regieren, und ehe es handelt, auf Begriffe und Urtheile zurückzugehen und auf Folgen hinauszudenken“ (Hirten-Briefe 1778, S. 19). Um dies zu erreichen, bedarf es allerdings der Präsenz und Aufsicht der Eltern; Letztere könnten diese jedoch durchaus während der Arbeit am Spinnrad ausüben. Das obige Zitat legt eine Stufenfolge des moralischen Lernens nahe, wonach dieses zuerst, in einem vorvernünftigen Stadium, über Empfindungen erfolgt; später wird dem Kind die Fähigkeit zugesprochen, das eigene Handeln an Vernunftschlüssen auszurichten. Schulthess, der vermutliche Autor der ‚Hirten-Briefe‘, stand in naher Freundschaft zu Johann Jakob Bodmer, dem er in den ethischen Grundlagen der Moralerziehung folgt.191 Zugleich lassen sich Übereinstimmungen mit Sulzers gleichsam von Wolffs Ethik und Lockes Empirismus beeinflussten (moral-)pädagogischen Vorstellungen festmachen (vgl. Kap. 4.5.3); zwischen allen dreien bestanden persönliche Verbindungen, indem Sulzer ebenfalls ein Schüler Bodmers und mit Schulthess befreundet war. Mit fünf Jahren ist der Zeitpunkt gekommen, wo die Nachwachsenden tagsüber der Obhut des Schulmeisters übergeben werden können. Dabei ist es wichtig, dass die Eltern dem Kind ein positives Bild vom Schulmeister vermitteln und sein Zutrauen wecken – „[s]agt deswegen dem Kinde, dass es an dem Schulmeister einen zweyten Vater antreffen werde […]“ (ebd., S. 23). Dieses Vertrauen, so wird dem Leser mitgeteilt, habe schliesslich ein jeder Schulmeister verdient, der die ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ verinnerlicht hat. Allfällige Klagen über den Schulmeister seien niemals in Gegenwart der Kinder vorzubringen, sondern müssen dem Pfarrer hinterbracht werden. Dennoch sind die Eltern weiterhin gefordert, etwa wenn sie ihre Kinder am Abend über ihr Verhalten und Lernen in der Schule befragen und sich zudem oft beim Schulmeister über Verhalten und Lernfortschritte ihrer Sprösslinge erkundigen. 191 Bodmer hatte seine moralisch-literarische Exempellehre (vgl. Kap. 2.1) zuerst in Abweisung des wolffschen Rationalismus formuliert und damit die Leidenschaften als Antrieb menschlichen Wollens und Handelns neben der räsonierenden Vernunft nicht nur in ihr Recht gesetzt, sondern zugleich pädagogisch zu nutzen versucht. Neben dieser Vorstellung vom nachahmenden Lernen am Vorbild über Empfindungen hat er jedoch später erneut auf eine von Vernunfterkenntnis geleitete Ethik zurückgegriffen. In diesem Konzept bezeichnet die empiristisch fundierte Lerntheorie eine basale Stufe, die sich auf die Allgemeinheit bezieht, während der zweite, rationalistische Ansatz gleichsam auf einer übergeordneten Stufe angesiedelt ist und der Elitebildung diente (vgl. Tröhler 2006).
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Thema des dritten Hirtenbriefes sind die eigentlichen Erziehungsziele, nämlich ‚Rechttun‘ und ‚Frommsein‘. Diesen liegt wiederum die Pflichtentrias – Pflichten gegen Gott, den Nächsten und sich selbst – zugrunde. Das Rechttun als sittliche Tugend orientiert sich an dem, was für einen selbst und die Mitmenschen gute Folgen erzeugt, also an der allgemeinen Wohlfahrt. Das Frommsein als christlich-religiöse Tugend misst sich an dem, was das Wohlgefallen Gottes hervorruft, „womit wir uns seiner Gnade und seines Segens versichern können, wodurch wir an dem Heil, das Gott durch Jesum bereitet hat, Antheil bekommen“ (ebd., S. 25 f.). Unter Berücksichtigung der Entwicklung der kindlichen Auffassungskraft steht der Unterricht im Rechttun am Anfang und führt schliesslich über zur Erziehung zur Frömmigkeit. Ziel ist, dass die Kinder lernen, um Gottes Willen recht zu tun; das heisst, sie gelangen allmählich zur Einsicht, dass das Gute, das auf gutes Handeln (Rechttun) folgt, von Gott kommt. „Sie sollen also durch die Religion nur neue und stärkere Bewegungsgründe kennen lernen, gute Menschen zu sein“ (ebd., S. 26). Auf dieser Stufe kann also bereits mit der vernünftigen Einsicht des Zöglings gerechnet werden. Die Maxime, wonach der Zweck des Religionsunterrichts auf die christlich-moralische Praxis und nicht auf das Memorieren und Aufsagen des Katechismus gehen müsse, findet auch in den ‚Hirten-Briefen‘ Betonung. Viele Eltern forderten nun aber, dass ihre Kinder möglichst bald den Katechismus auswendig können, was ihnen als Zeichen eines erfolgreichen Unterrichts galt. Davon hätten sie aber in Zukunft abzusehen, da sich der Verstand beim Kind erst später, das heisst nach dem Gedächtnis, entwickle; dass die Kinder aber das Gelernte auch verstehen, sei das wesentliche Ziel. Ein anderes Ziel besteht darin, frühzeitig dem gefährlichen Vorurteil zu begegnen, es sei dem Menschen eigentlich unmöglich, die in der Bibel geforderte Frömmigkeit zu erlangen. Um einer daraus entspringenden fatalistischen Gleichmut entgegenzuwirken, sind die Eltern angehalten, Gott dem Kind als gnädigen Erlöser und liebreichen – statt zornig strafenden – Vater vorzustellen und in ihnen gläubige Hoffnung zu wecken. Zur frommen Praxis gehört auch die Selbstprüfung, zu der die Eltern die Kinder anleiten müssen. Die Erwachsenen sollen in der Familie bewusst ihre Religiosität vorleben, nicht bloss stillschweigend, sondern mir expliziter Erklärung der sie in den verschiedenen Fällen bewegenden Gründe. Am Sonntag setze sich die Familie zur Lektüre in den Evangelien und Oster-
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valds Betrachtungen192 zusammen. Auch ansonsten begleiten „freundliche und nützliche Gespräche“, an denen die Kinder teilhaben dürfen, die Arbeit und die Mahlzeiten (ebd., S. 32). Und nicht zuletzt lehren die Eltern die Kindern „mit Verstand und von Herzen“ beten (ebd., S. 31). Der vierte Brief befasst sich mit dem Nutzen des Schulbesuchs. An die Eltern gelangt die Aufforderung, ihre Kinder fleissig zur Schule zu schicken, wobei ihnen diese Pflicht mittels der Vorzüge der nun reformierten Schule und besseren Methoden annehmlich gemacht wird. Schliesslich würden die Bemühungen der Obrigkeit und der Pfarrer darauf zielen, dass die Kinder jetzt schneller und besser lernten; es gehe dabei nicht darum, aus den Kindern Gelehrte zu machen, sondern sie würden lediglich dasjenige zu lernen verpflichtet, was wesentlich zum Christentum gehöre, was den Verstand erleuchte und das Herz zum Guten führe. „Wir wissen es gar wohl, dass euere Kinder in künftigen Jahren ihre meiste Zeit auf Handarbeit verwenden müssen, und dass ihnen sehr wenig zum Lesen und zu Betrachtungen übrig bleiben wird. Welche Thorheit wäre es denn, wenn wir die Religionskenntniss, die wir ihnen beybringen, nicht auf die allernothwendigsten Puncten, einschränken, die auch bey dem geschäftevollesten Leben noch leicht zu behalten, zu wiederholen und immer zu machen sind […]“ (ebd., S. 37). Dem Verfasser liegt viel daran, die neuen Schuleinrichtungen (gemeint sind die Repetier- und Sommerschule) und Methoden stark zu machen, denn er weiss um die ökonomische Belastung, die die Absorption von Arbeitskraft durch Schulbesuch für viele Haushalte bedeutete. Die Eltern wünschten deshalb, die Kinder möglichst bald, wenn sie zur Arbeit tüchtig 192 Der Neuenburger Theologe und Stadtpfarrer Jean Frédéric Ostervald (1663–1747) gehört zusammen mit Turrettini und Werenfels zum ‚helvetischen Triumvirat‘, das in der Schweiz in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts der „vernünftigen Orthodoxie“ zum Einzug verholfen hat (vgl. Wernle 1923, Bd. 1). Er gilt als Kirchenreformator und hat u. a. die Liturgie und den christlichen Unterricht erneuert, eine Bibelübersetzung (1744) und einen Katechismus (1702, abgekürzte Version 1734) herausgegeben. Seine Schriften wurden in verschiedene Sprachen übersetzt. Bei den erwähnten ‚Betrachtungen‘ handelt es sich um die Übersetzung seiner Bibelerklärung ‚Arguments et Réflexions‘ (1720), die bereits 1722 in Basel unter dem Titel ‚Summarischer Innhalt Und erbauliche Betrachtungen, Uber alle und jede Bücher und Capitel der Gantzen Heiligen Schrifft‘ erschienen war. Erst 1766 hatte die Moralische Gesellschaft das Neue Testament versehen mit Ostervalds Summarien und Betrachtungen, neu übersetzt vom späteren Antistes Ulrich, kostengünstig herausgegeben und auch an bedürftige Schulkinder verschenkt. Gemäss Enquête fanden seine ,Betrachtungen‘ und die Bibelübersetzung an verschiedenen Orten (Altstetten, Thalwil, Dübendorf, Kreuz) Verwendung.
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wurden, wieder von der Schule zu nehmen. Diesem Anliegen kommen nun gemäss ‚Hirten-Briefen‘ die Schulreformen entgegen: Mit der neuen „Lehrart“, offenbar bezogen auf den Lese- und Schreibunterricht sowie die Aneignung religiöser Inhalte, könnten die Kinder, vorausgesetzt sie besuchen im Winter und im Sommer regelmässig die Schule, früher ausgeschult werden (ebd., S. 36 f.). Wieder wird angeführt, die Kinder hätten bislang bis zur Unterweisung zum Heiligen Abendmahl das in der Alltagsschule Gelernte meist wieder vergessen. Bis zur Zulassung zum Heiligen Abendmahl müssen sie deshalb die Repetier- und anschliessend die Katechisationsschule besuchen, dies jedoch nur im Winter an zwei halben Tagen die Woche. Der fünfte Brief bezieht sich auf das familiale Verhältnis zwischen Eltern und grössern Kindern bzw. Jugendlichen. Wiederum wird das Verhältnis zwischen den Generationen entlang gegenseitiger Pflichten und Rechte definiert; dabei findet eine Psychologisierung und Emotionalisierung statt, die, wie bereits vorher im Verhältnis zwischen Eltern und Kleinkind, die subjektive Seite der göttlich naturrechtlichen Bestimmungen ins Zentrum rücken. Das konkrete Problem, gegen das dieser Brief abhebt, ist der ‚Rast‘. Wie bereits beschrieben (vgl. Kap. 3.2), wurden Kinder in diesem Verhältnis zu Kostgängern, teilweise im elterlichen Haus, und mussten einen Teil des mit Heimarbeit verdienten Geldes als Tischgeld abgeben; den Rest konnten sie für sich behalten, was ihnen eine gewisse Autonomie verschaffte. Auch in der Enquête wurde dieses Phänomen mehrfach beklagt, so von Pfarrer Pfenninger aus Hirzel, wenn er es als „eine so reiche quelle so vieler unordnung u: so mannigfaltigen übels“ beschreibt (A.a.5.). In den ‚Hirten-Briefen‘ ergeht folgende Warnung an die Leser: „Ihr machet euer Kind unabhängig von euch, und hebet, so viel an euch steht, die Pflichten auf, worinn ein Kind nach Gottes Gebot gegen seine Eltern stehen soll […]. Ihr sehet ja, wie stolz und frech solche Rastkinder gegen ihrer [sic] Eltern werden, und wie blöde die Eltern werden, ihnen etwas zu befehlen, damit sie nicht die Antwort hören müssen: ich muss meine Sache bezahlen. Der gemeinsame Nutzen bleibe das Band eurer Haushaltung“ (Hirten-Briefe 1778, S. 47 f.). Um dieses Band zu erhalten, sind die Eltern angehalten, den Heranwachsenden Liebe, Achtung, Vertrauen und Dankbarkeit gegen sich einzuflössen; es sind die Eltern, die sich dieser Zuneigung wert erweisen müssen. Diese wird mit zunehmendem Alter dadurch erreicht, dass die ältere Generation den Nachwuchs allmählich an ihrem Besitz teilhaben lässt;193 nur so
193 Dies empfiehlt übrigens auch Locke in seiner Erziehungsschrift (1693/1989, § 96).
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sei zu erreichen, dass die Jungen auch die gemeinsame Last zu tragen gewillt sind und sich ein „freywillige[r] und freudige[r] Gehorsam“ ergebe (ebd., S. 50). Dieser Gehorsam wiederum übertrage sich mit der Zeit auf ihr Verhalten gegen die Obrigkeit, den Pfarrer und die Vorgesetzten überhaupt. In den Zusammenhang gehört auch die Warnung an die Eltern, und besonders an die Adresse der Väter, vor der Ausübung einer allzu strengen Zucht, um das erwünschte Verhältnis nicht zu untergraben. Auch sei unter mehreren Söhnen und Töchtern keinem ein Vorzug zu geben, sondern alle sind, unabhängig von äusseren oder inneren Qualitäten, gleich zu behandeln. Charakterlich sind in der Erziehung weder Stolz noch Ehrvergessenheit anzustreben. Schliesslich ist es, wie in Stapfers Erziehungsschrift (vgl. Kap. 4.5.5), auch in den ‚Hirten-Briefen‘ die Aufgabe der Eltern, eine passende Ehe anzubahnen, wobei weder Schönheit noch Geld die Kriterien der Wahl sein sollen, sondern innere Werte und Tugenden. Der sechste Brief beschäftigt sich im Besonderen mit der Bedeutung verschiedener Gemütsarten und Temperamente von Kindern für die Erziehung. Diese müssen frühzeitig beobachtet und die erzieherischen Massnahmen darauf eingestellt werden, womit auch in diesem Punkt den Eltern als zusätzliche Pflicht pädagogische Rücksichten und Leistungen abgefordert werden: „Werdet über das Naturell oder Temperament eurer Kinder nicht böse und unwillig. Sie haben ja keine Schuld daran; und wenn es verbessert, wenn es weislich gelenket wird, so können sie mit jedem Temperament gute Menschen und gute Christen werden. Wolltet ihr nun von dem Kinde fodern, dass es sich selbst weislich lenken solle. Wolltet ihr vergessen dass dieser zu euerm Amte gehört, dass ihr hierinn euer Nachdenken und euere Geduld nicht spahren dürfet?“ (ebd., S. 59). Strenge und Ernst sind jedoch dort geboten, wo sich „böse Neigungen, die bald zu Leidenschaften werden, und Sünden und Laster ausbrüten“, andeuten (ebd.). „Suchet sie in den ersten Anfängen zu unterdrücken und auszurotten. Wartet nicht bis das Unkraut den ganzen Acker übernommen hat“ (ebd.). Dieselben Pflanzenmetaphern wie in der ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ sind auch hier häufig anzutreffen, wenn es um die christliche Moralerziehung geht.194 194 Die damit ausgedrückte Bedeutung der Frühzeitigkeit der erzieherischen und dabei auch züchtigenden Massnahmen haben ein Vorbild in Lockes ‚Some Thoughts Concerning Education‘ (1693/1989), der zudem die gleichen Bilder verwendet: „If vicious Inclinations were watched from the Beginning, and the first Irregularities which they caused, corrected by those gentler Ways, we should seldom have to do with more than one Disorder at once […]. Thus one by one, as they appear‘d, they
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Im siebten Brief wird die Verbindlichkeit der Eltern, ihren Kindern eine christliche Erziehung angedeihen zu lassen, nochmals aus der natürlichen Einrichtung von Gefühlen und Naturtrieben hergeleitet. Kinder werden dabei zu „edle[n] Geschöpfe[n] Gottes, in seiner Bildniss und Gleichniss geschaffen“, erhöht (ebd., S. 62). „Gott hat euch eine natürliche Anmuthung zu euren Kindern, zu eurem eigenen Fleisch und Blut, eingeflösst, einen Naturtrieb, euch dieser hülf- und rathbedürftigen Kleinen anzunehmen. Durch diesen Trieb, und durch das süsse Vergnügen, welches der weise Schöpfer mit der Befolgung desselben verknüpft hat, lasset euch anreizen, sorgfältige und treue Eltern an euren Kindern zu seyn“ (ebd., S. 63). Dieser Trieb sei, im Unterschied zu den Tieren, nicht lediglich instinktiv, sondern mit Vernunft erleuchtet, damit der Mensch die weisen und gütigen Absichten Gottes auch erkennen könne. Gottes Absicht hinwieder ist es, die Kinder zur wahren Glückseligkeit zu führen, dem Ziel, zu welchem er den Menschen bestimmt hat. Zum Schluss wird den Lesern nochmals der Nutzen der Erziehung verdeutlicht, nämlich als ein dreifacher: im Hinblick auf die Glückseligkeit des Kindes selbst, auf den Segen und die Wohlfahrt der Eltern sowie des Vaterlandes. Die letzten beiden Briefe beziehen sich auf den zweiten Teil des Titels der Schrift. Der volle Titel lautet nämlich: ‚Hirten-Briefe über die Erziehung der Kinder auf dem Land, und über einige dem thätigen Christenthum schädliche Vorurtheile‘. Im 8. Brief geht der Verfasser argumentativ gegen fünf Vorurteile oder Missverständnisse des Glaubens an, die häufig anzutreffen seien. Diese betreffen zusammengefasst folgende Fragen der christlichen Theologie: – Glaube vs. gute Werke – Rechtfertigungslehre – Heiligung als Werk des Heiligen Geistes vs. menschliche Vervollkommnungsfähigkeit – Bedeutung des Taufsakraments bezüglich Erbsünde und im Hinblick auf die Pflicht zur Erziehung – Bedeutung des Abendmahlssakraments
might all be weeded out, without any Signs or Memory that ever they had been there. But we letting their Faults (by Indulging and Humouring our little Ones) grow up, […] we are fain to come to the Plough and the Harrow, the Spade and the Pickax, must go deep to come at the Roots […]“ (§ 84; vgl. auch § 40, 78).
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Die Position des Verfassers ist die eines aufgeklärten Christentums und richtet sich gegen die altreformierte Orthodoxie. Zwar sind Rechtfertigung, Heiligung, Erlösung und Gnade bedingungslose Geschenke Gottes, dennoch, das ist die zentrale Botschaft dieses Briefes, erübrigt dies nicht, dass der Christ sein Handeln an Massstäben der Sittlichkeit und Moral ausrichtet. Damit werden fundamentale Auseinandersetzungen, die zwischen den christlichen Kirchen und innerhalb der evangelischen Theologie stattgefunden haben, in ihren praktischen Auswirkungen thematisiert; diese betreffen etwa das Verhältnis zwischen Prädestination und freiem Willen, Gnade und menschlicher Freiheit oder Glauben und guten Werken. In ihrer Verknüpfung mit anthropologischen und ethischen Fragen stellten Antworten auf diese dogmatischen Problemstellungen auch die Erziehung in ein neues Licht. Verkündete die orthodoxe Lehre, dass nicht die guten Werke, sondern allein der Glaube sola fide selig mache, so wird in diesem Glaubenssatz nun ein Hindernis für die christliche Praxis erkannt. Ebenso glaubte man beobachtet zu haben, dass eine falsche Auslegung der reformierten paulinischen Rechtfertigungslehre, wonach diese nicht durch gute Werke erlangt werden kann, sondern allein durch die Gerechtsprechung Gottes aus Gnade sola gratia, zu Trägheit, Gleichgültigkeit und Fatalismus führe. Schulthess, der wahrscheinliche Autor, bewegt sich mit seinen Interpretationen im Kontext der gemässigten deutschsprachigen Aufklärungstheologie, wie sie damals in Zürich rezipiert worden ist (vgl. Kap. 9). Der Auslegung, dass Wiedergeburt und Heiligung lediglich ein Werk des Heiligen Geistes seien, wird ein aktives Christentum entgegengehalten. Der Mensch wird dargestellt als ein zur Selbstvervollkommnung fähiges Geschöpf. Dazu habe Gott den Menschen vernünftig und frei geschaffen und mit dem Vermögen ausgestattet, selber zu überlegen, zu prüfen und sich frei zum Guten zu entschliessen. Ebenso wenig wie das Sakrament des Heiligen Abendmahls einen Garant gegen den Rückfall in Sündhaftigkeit darstellt, bedeutet der Taufakt die Reinigung von der Erbsünde oder ein Gelübde des noch unmündigen Kindes. Vielmehr, und damit wird die Berichtigung der falschen Interpretation pädagogisch besonders relevant, handelt es sich um das Versprechen der Eltern vor Gott, dem Kind eine christliche Erziehung angedeihen zu lassen. Im letzten Brief werden die Anforderungen an ein wahres praktisches Christentum nochmals gegen ein zwar bequemes, aber nur scheinbares und äusserliches abgehoben. Letzteres legitimiere sich häufig mit dem
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Einwand, dass der christliche Glaube unmögliche Dinge vom Menschen fordere. Diese Auffassung wäre, so der Verfasser, berechtigt, wenn die Pfarrer bei der Bekehrung der Sünder nicht gemäss der echten evangelischen Heilsordnung – dem ordo salutis – Schritt für Schritt, man könnte sagen gemäss pädagogischer Methodik, vorgehen würden. Dabei könne vielleicht manch einer, der den Weg einer solchen Bekehrung selber durchgemacht hat, einen Mitbruder besser überzeugen als der Pfarrer. Der letzte Hirtenbrief erhält damit einen missionarischen Zug, der erklärt, warum der Schrift die ‚Gesetze einer Gesellschaft auf dem Land, die aus Leuten besteht, welchen Ernst ist, besser zu werden‘195 beigefügt sind. Dieses Statut enthält auch einen Artikel über die Erziehung, die hier in ihrer wichtigen Bedeutung als „Menschenpflicht“, von der die „Glückseligkeit und Wohlfahrt der Gesellschaft hauptsächlich“ abhängt (ebd., S. 90), dargestellt wird. Dass die Berichtigung falscher Glaubensauffassungen in die als Erziehungsanleitung konzipierten ‚Hirten-Briefe‘ Eingang fand, macht deutlich, welchen Stellenwert man diesen Fragen zumass, wenn es um die begründende Darlegung der Relevanz und überhaupt der Möglichkeit von Erziehung ging. Die Bedeutung dieses reformtheologischen196 Anlie-
195 Man erfährt, dass um 1760 unweit von Lausanne eine solche Gesellschaft tatsächlich realisiert worden ist, vermutlich initiiert von Prinz Ludwig Eugen von Württemberg. Dieser war der Anreger der Lausanner Société morale, einer Schwestergesellschaft der Zürcher Moralischen Gesellschaft; jener gehörte u. a. auch der Arzt Tissot an. Der Prinz verfasste 1766 einen Reunionsplan, der die verschiedenen moralischen Gesellschaften, auch die Zürcher (vgl. Kap. 6.1), vereinigen wollte, der aber scheiterte (vgl. Erne 1988). 196 Bezogen auf die unter dem Einfluss der Aufklärung stehenden neuen theologischen und religiösen Ideen im behandelten Raum Zürich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird hier und im Folgenden der Terminus ‚Reformtheologie‘ verwendet. Es sollen mit dieser Bezeichnung begriffliche Probleme umgangen werden, die einen Gegensatz zwischen Aufklärung bzw. intellektualistischem Rationalismus/ Neologie einerseits und pietistisch-innerlichkeitsbezogener Frömmigkeit anderseits herstellen. Mit dem relativ offenen Begriff ‚Reformtheologie‘ soll vorerst ohne nähere Differenzierung eine Abgrenzung neuer Ideen gegenüber der überbrachten orthodoxen Lehre vorgenommen werden. Damit lässt sich an diesem Punkt zugleich der Eindruck vermeiden, dass sich Theologen des 18. Jahrhunderts generell klar bestimmten Schulrichtungen zugehörig gefühlt haben – eine Kritik, die in der Vergangenheit auch gegenüber der auf Aner (1929) zurückgehenden Dreigliederung der deutschen Aufklärungstheologie in Wolffianismus, Neologie, Rationalismus bzw. Suprarationalismus vorgebracht worden ist (vgl. Beutel 2009).
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gens im Schul- und Erziehungsdiskurs zeigt sich aber zugleich auf einer anderen, nämlich der konkreten Unterrichtsebene. Die Vermittlung des richtigen, ‚aufgeklärten‘ Glaubens, insbesondere in Verbindung mit seinen sittlich-moralischen Implikationen, wie sie vor allem aus der zeitgenössischen Neologie197 stammten, erweist sich nämlich in den 70er Jahren als zentrales Motiv bei der Konzeption neuer Bücher für den Landschulunterricht. Die Feststellung, dass die neu entstandenen ‚Lehrmittel‘ mit wenigen Ausnahmen religiöser und moralischer Natur waren, sollte gerade vor dem Hintergrund dieses Reformanliegens keineswegs negativ beurteilt werden, in dem Sinn etwa, dass damit der Zürcher Landschulreform der Reformcharakter abgesprochen wird. Die Breitenwirksamkeit neologischer Einflüsse in Zürich lässt sich anhand des Eindringens entsprechender Autoren nachweisen. In den Visitationsberichten mussten nämlich die Pfarrer und Exspektanten unter anderem Angaben zu ihrer theologischen, inklusive der privaten Lektüre machen. Um 1770 tritt bei den Pfarrern und Exspektanten eine Verschiebung hin zu lutherischen Autoren wie Töllner, Jerusalem, Sack, Spalding, Reimarus, Steinbart, vor allem aber Semler und Basedow auf (vgl. Wernle 1924, Bd. 2). Mehrere dieser Autoren verstanden sich auch als Pädagogen und waren an Schulund Bildungsanstalten tätig.
197 Eine gegenüber den häufig negativen Interpretationen ausgewogene Darstellung der deutschen Neologie im Kontext der Aufklärung bietet Bianco (1983). ‚Neologie‘ heisst so viel wie neue Lehre und löste nach 1740 die protestantische Orthodoxie in Deutschland ab. Nicht ausgelöst, sondern vielmehr unterstützt wurde diese Transformation durch die Auseinandersetzung mit der englischsprachigen deistischen Literatur, denn in Deutschland waren apologetische Motive und eine antideistische Haltung deutlich vorherrschend (vgl. Voigt 2003). Positiv, wenngleich selektiv rezipierte die Neologie die Philosophie Christian Wolffs und seiner Nachfolger und wendete sich zugleich gegen Orthodoxie und schwärmerischen Mystizismus. Sie ist gekennzeichnet einerseits durch ihre Kritik an der herkömmlichen Dogmatik, andererseits durch ihr apologetisches Interesse am Christentum. Offenbarung und Vernunft/natürliche Religion standen in Harmonie. Im Gegensatz zum Deismus blieb jene damit weiterhin konstitutiv, während die Deisten in der natürlichen Religion eine ausreichende Begründung für das Heil des Menschen sahen. Die geoffenbarte christliche Religion vor den Angriffen der radikalen ‚Deisten‘, ‚Naturalisten‘ und ‚Freigeister‘ zu retten, war ein genuines Interesse der Neologen (vgl. Sparn 1985).
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5.4 Die reformierten Schulbücher Seit das Landschulwesen sich nach der Reformation zu etablieren begann, blieb die Auswahl der darin anzutreffenden Schulbücher äusserst stabil (vgl. Kap. 4.4.2). Umso auffälliger ist die rege Produktionstätigkeit auf diesem Gebiet in den 1770er Jahren, die ganz offensichtlich auf Reformbedürfnisse reagierte. Blickt man auf die Titel der neuen Bücher, so stellt man fest, dass sich diese offenbar in erster Linie auf den Bereich des religiösen und moralischen Unterrichts konzentrierten. Ausnahmen bilden ein ‚Unterricht über den Landbau‘ sowie ein Rechenlehrmittel. Auffällig häufig stösst man auf beispielhafte Erzählungen und Historien, die für sich beanspruchen, sittliche und moralische Tugenden unter Berücksichtigung des kindlichen Erfahrungshorizontes zu vermitteln; gerade mit dieser Gattung kam man einem vielfach geäusserten Wunsch nach. Novitätscharakter kommt aber auch jenen im engeren Sinn (moralisch-)religiösen Neuerscheinungen zu, die nicht zuletzt vor dem Hintergrund der mehrfach angeführten Katechismuskritik zu analysieren sind. Die Herstellung und Verbreitung kostengünstiger Schriften für den Schulgebrauch gehörte bekanntlich zu den Hauptanliegen der Wetzikoner sowie der Kyburger Pfarrer (vgl. Kap. 3). Geistliche aus beiden Klassen verfassten nach gegenseitiger Absprache verschiedene Stücke, welche dann zusammengebunden zu einem billigen Preis erschienen sind. Gemäss Wernle (1924, Bd. 2) sollen sie im Kyburger und Wetzikoner Kapitel weite Verbreitung gefunden haben, eine Behauptung, der noch nachzugehen sein wird. Die Sammlung, zu der auch die ‚Hirten-Briefe über die Erziehung der Kinder auf dem Land‘ gehörten, umfasste elf weitere kleinere und grössere Werke, nämlich: – Cramer, Johann Rudolf: Unterricht über den Landbau in einem Freundlichen Gespräch zwischen einem alten, erfahrnen Landmann und einem jungen Baurenknab. Zum Gebrauch unserer Landschulen. Zürich: Ziegler 1774 – Sittenlehrende Erzählungen für die Land-Schulen. Zürich: Orell, Gessner, Füesslin und Compagn. 1777 – Nuzliche und kurzweilige Historien für Kinder. Zürich: Ziegler 1775 – Historien und Fablen für Kinder. Zweyter Theil. Zürich: Ziegler 1775 – Anleitung zu den Anfangsgründen der Rechenkunst. Gewiedmet der Lieben Jugend. Zürich: Ziegler 1776
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– Gründlicher Unterricht zum Singen der Psalmen, Choralen und Liedern. Zum Gebrauch der Lehrenden und Lehrnenden in den Schulen. Zürich: Ziegler 1774 – [Gessner, Johann Kaspar]: Anweisung der lieben Jugend in den Schulen, Zu einem Christlich-sittlichen auch äusserlich wohlanständigen und höflichen Betragen. Zürich: Ziegler 1774 – [Locher, Dietrich]: Biblische Geschichten zum Gebrauche der Landschulen. Zürich: Ziegler 1774 – [Schulthess, Johann Georg]: Die Grundsäze der Christlichen Religion, in auserlesenen Sprüchen der heiligen Schrift. Zürich: Ziegler 1774198 – Lavater, Johann Caspar: Christliche Lieder der Vaterländischen Jugend, besonders auf der Landschaft, gewiedmet. Zürich: Ziegler 1774 – [Locher, Dietrich]: Auserlesene Psalmen zum Gebrauche der Landschulen. Zürich: Ziegler 1774199 Der ‚Unterricht über den Landbau‘ (1774) ist in frag- und antwortender Gesprächsform abgefasst und darf als Antwort auf die mehrfach gewünschte Einführung eines landwirtschaftlichen Unterrichts in Form eines Ackerkatechismus betrachtet werden. Darin findet man neue Methoden der Landwirtschaft rund um Themen der Umnutzung der Weiden und des Übergangs zur Stallfütterung, der Verwendung des Düngers, Erörterungen über den Nutzen der Kartoffel etc. behandelt. Das Werk vermittelt darüber hinaus eine Standesethik, die die Vorzüge des Bauernstandes etwa gegenüber der Heimarbeit hervorhebt. Als Verfasser der Schrift gibt sich in der Zueignung Johann Rudolf Cramer zu erkennen, gewidmet ist sie Johann Kaspar Hirzel (1725–1803), dem Präsidenten der Ökonomischen Kommission und Exponenten der Zürcher Ökonomischen Patrioten. Cramer (1743–1794) war ab 1773 Professor für Hebräisch am Carolinum und erster Aktuar der Asketischen Gesellschaft; er gehörte weiteren Sozietäten an, der Gerwi, der Naturforschenden Gesellschaft und der Ökonomischen Kommission, wo er sein Werk am 6. Mai 1774 vorstellte (StAZH: B IX 60), und trat später auch der Helvetischen Gesellschaft bei. Dem Vorwort zufolge inspirierte Cramer insbesondere die Lektüre des Landwirtschaftskalenders eines Herrn Profes-
198 Verwendet von den Repetierschülern der zweiten Klasse (StAZH: Kataloge 249). Weigelt (2001) vermutet Johann Kaspar Lavater als Verfasser der ‚Grundsäze der Christlichen Religion‘ (1774), was ein Irrtum darstellen dürfte. 199 Verwendet von den Repetierschülern der ersten Klasse (StAZH: Kataloge 249).
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sor Sprengers200 in Maulbronn zu seinem Werk. Die dem Gespräch vorangestellte ‚Erinnerung an die Schulmeister auf der Landschaft‘ verlangt, dass diese die Schrift nach der genauen Anleitung der Pfarrer im Unterricht der Bauernknaben verwenden. Ziel ist, bei dieser spezifischen Schülergruppe das Nachdenken über ihren zukünftigen Beruf zu wecken. Es knüpft sich daran die Hoffnung, bei ihnen „eine solche Fertigkeit im Nachdenken“ zu fördern, „dass sie denn auch über andre Sachen, die sie zu lehrnen haben, besonders über die wichtigste Sache für einen Mensch und Christ, ich meyne, die Religion besser nachdenken lernen, und euch [den Schulmeistern, E.B.] dadurch eure saure Arbeit“ zu erleichtern (Cramer 1774, S. 8). Der moralischen Erziehung gewidmet sind die ‚Sittenlehrenden Erzählungen für die Land-Schulen‘ (1777). Es handelt sich um diejenige Sammlung, auf deren Erscheinen Schulthess in den ‚Hirten-Briefen‘ bereits im Voraus verwiesen hatte (vgl. Kap. 5.3). Die Erzählungen kommen damit der Forderung nach einem der religiösen Unterweisung vorangestellten sittlich-moralischen Unterricht anhand von Exempeln nach. Der Vorrede entnimmt man, dass diese kurzen Erzählungen überwiegend dem ‚Kinderfreund‘ (1776) von Friedrich Eberhard von Rochow entnommen und an die Zürcher Verhältnisse angepasst worden sind. Nur zwei neue Stücke fügten die Herausgeber selber hinzu, einige andere seien, „aus Ursachen, die leicht zu errathen sind“,201 ausgelassen worden (Vorrede). Als Herausgeber der Schrift zeichnen ein „E.“ und ein „S.“; die Initialen stehen nach Wernle (1924, Bd. 2) für Dekan Johann Heinrich Escher und Johann Georg Sulzer. Wernles Gründe für diese Zuschreibung sind unbekannt – näher liegend als Herausgeber wäre neben Escher Schulthess. Immerhin bestand aber, wie bereits dargestellt, eine Beziehung zwischen Schulthess und Sulzer, und es liessen sich denn auch gewisse Rezeptionslinien von den ‚Hirten-Briefen‘ zurück auf Sulzers Pädagogik ziehen. Schliesslich hatte sich Sulzer selber um die Publikation moralischer Beispielerzählungen und Historien bemüht. Die herausragende Wertschätzung dieses Genres ist im 18. Jahrhundert stupend 200 Es handelt sich um Balthasar Sprenger (1724–1791), Professor der evangelischen Theologie, Prälat, Generalsuperintendent und Herzoglicher Rat. Er publizierte verschiedene Werke zur Landwirtschaft, u. a. ab 1770 den ‚Allgemeinen öconomischen oder Landwirthschafts-Kalender‘. 201 Von den Erzählungen wurden weggelassen: Nr. 5, 18, 19, 39, 40, 42, 44, 47, 49, 52, 53, 54, 57, 59, 61, 73, 75–78. Als Gründe für die Auslassungen dürften verschiedene gelten, so etwa agrarpolitische (Nr. 40) oder sozialpolitische (Nr. 39, 44). Die Lieder liess man unter der Begründung weg, dass eine entsprechende Sammlung bald erscheinen werde.
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und kam bereits in Breitingers Reden anlässlich der Stadtschulreform zum Ausdruck. Eine psychologische und ästhetisch-moralische Grundlage hatte die Idee, dass solche anschaulichen Erzählungen nicht nur im Kinder- und Jugendalter, sondern insbesondere auch in Bezug auf die Erziehung der unteren Volksschichten ein adäquates Mittel darstellten, in der Poetologie Bodmers und Breitingers. Rochow strebte Kindgemässheit unter anderem damit an, dass in seinen Moralgeschichten Kinder häufig zum auftretenden Personal gehören oder zumindest ausdrücklich mit einbezogen sind. Dieses Programm lässt sich in zwei weiteren Neuerscheinungen nachweisen, den ‚Nuzlichen und kurzweiligen Historien für Kinder‘ (1775) und den ‚Historien und Fablen für Kinder‘ (1775) als deren zweiter Teil. Die Historien des ersten Teils handeln fast allesamt von Kindern selbst, die im Titel entweder als unachtsam, aufrichtig, reuig, friedfertig, nett, leichtsinnig, klug, gleisnerisch oder ähnlich charakterisiert werden und somit direkt als gute oder schlechte Exempel fungieren. Der Verfasser mit dem Pseudonym „Kinderhold“ statuiert zu Beginn, dass Kinder gerne nachahmen, was sie beobachten. Weitere Erläuterungen zur didaktischen Form des Exempels sowie Aufmunterungen und ein paar allgemeine Regeln zur Erziehung können der an die Eltern gerichteten Anrede im zweiten Teil entnommen werden und stehen ganz in der Nähe von Sulzers Pädagogik und den später von Schulthess verfassten ‚Hirten-Briefen‘. Erziehung wird bezeichnet als eine schwere und zugleich die wichtigste gesellschaftliche Pflicht. Ihre Zwecksetzung liegt in der Ausbreitung der Religion, der Verbreitung allgemeiner Glückseligkeit im gegenwärtigen wie zukünftigen Leben. Dazu müssen aufkeimende Laster von früher Kindheit an bekämpft und das Gute gepflanzt werden, ohne dass trockene Ermahnungen hierbei besonders nützlich wären: „Es ist also am besten, die Lehren der Wahrheit und Tugend ihnen in die angenehmsten Farben einzukleiden, und mit Honig zu versüssen“ (Historien und Fablen 1775, Anrede an die Eltern). Von den Eltern wird, wie in den ‚Hirten-Briefen‘ (vgl. Kap. 5.3), verlangt, dass sie alle Regungen bloss instinkthafter Liebe überwinden. Schliesslich beruht Erziehung, solange die Vernunft beim Kind noch nicht entwickelt ist, in erster Linie auf Unterwerfung. „Der Vater muss ein Souverain, und die Mutter eine Regentin seyn, dern Befehle allemal schlechterdings respectiert werden müssen“ (ebd.). Wie die ‚Sittenlehrenden Erzählungen‘ könnten auch die ‚Historien‘ bzw. ‚Historien und Fablen‘ aus deutschen Originalen stammen; vielleicht war wiederum Sulzer an der Herausgabe beteiligt und hatte die Vorlagen besorgt. Stil der Anrede an die Eltern und inhaltliche Aspekte der Historien
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lassen denn auch bezweifeln, dass die Stücke ursprünglich an ländliche Schichten adressiert waren. Dies gilt beispielsweise für den „Versuch einiger Briefe von einem Knab von sieben Jahren“ in den ‚Historien und Fablen‘, der deutlich die Lebenswelt eines in bürgerlichen Verhältnissen aufwachsenden Kindes widerspiegelt. Dass man auch auf bereits vorhandene und nicht unbedingt den Verhältnissen in den Landschulen angepasste Werke zurückgriff, lässt sich anhand zweier Schulbücher anderer Art feststellen. So fällt bezüglich der ‚Anleitung zu den Anfangsgründen der Rechenkunst‘ (1776) die anspruchsvolle Sprache auf, zudem führt sie den Schüler zu Operationen auf recht hohem Niveau und war offensichtlich für die Stadtschulen gedacht. Bei vielen Landschulmeistern dürften aber die notwendigen Voraussetzungen für einen solchen Rechenunterricht vorerst noch gefehlt haben. Anspruchsvoll und nicht spezifisch auf die Bedürfnisse der Landschulen hin angefertigt ist auch der ‚Gründliche Unterricht zum Singen der Psalmen, Choralen und Liedern‘ (1774). Im Gegensatz zu den Anforderungen im Rechnen darf man aber aufgrund der Quellen davon ausgehen, dass in manchen Nacht- und Singschulen der Gesang nicht nur praktisch gepflegt, sondern sogar ein musiktheoretisches Verständnis vermittelt worden war (vgl. Kap. 8.1). Neben den aufgeführten moralischen Erzählungen und Historien, die dem profanen Lesebuch Eingang in den Schulunterricht gewährten, treten zwei weitere, noch zu behandelnde Gattungen unter den neuen Schulschriften hervor; zum einen handelt es sich dabei um biblische Geschichten für Kinder, die ebenfalls moralisch-exemplarisch gewendet erscheinen, zum anderen um Schriften für den Religionsunterricht mit systematischem Charakter. Eher als ein Unikum zu betrachten ist die ‚Anweisung […], Zu einem Christlich-sittlichen auch äusserlich wohlanständigen und höflichen Betragen‘ (1774). An diesem Beispiel lässt sich zugleich ein auffälliges Phänomen besonders deutlich verfolgen, nämlich die gegenseitige Durchdringung von Sittenlehren alltäglich-profaner Art mit Argumenten christlich-religiöser Prägung. Die Schrift stammt vom Dübendorfer Pfarrer Johann Kaspar Gessner, demselben, der in der Kyburger Prosynode von 1770 ein Referat beigesteuert hatte (vgl. Kap. 3.1.2), und folgt in den ersten drei Kapiteln der bekannten Unterteilung der Pflichten in solche gegen Gott, gegen sich selbst und gegen die Mitmenschen; das vierte Kapitel handelt von der äusserlichen Wohlanständigkeit und Höflichkeit. Insgesamt will die Anweisung das Verhalten des Kindes/Jugendlichen innerhalb seiner Lebenssphäre und alltäglichen Relationen an einem Anstandskodex orientieren, der seine besondere Legitimation aus einer christlichen Pflichtenlehre bezieht. Die
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Pflichten gegenüber Gott bestehen in der wahren Erkenntnis seiner Barmherzigkeit, der Demut angesichts seines grossen Erlösungs- und Versöhnungswerks, wobei dem Bewusstsein der eigenen Sündhaftigkeit einiges Gewicht zukommt: „Ein Kind der Sünden, ein armes fluchwürdiges Geschöpf bist du wol von Natur und Geburt an, in Sünden empfangen und geboren, hast die Sünde durch die leibliche Geburt auf dich ererbt, […] erkenne dein natürliches Verderben, waine bitterlich darüber, und über alle Sünden deiner Jugend […]“ (Gessner 1774, S. 8). Die Pflichten gegen sich selbst beziehen sich entweder auf den Umgang mit dem eigenen Körper oder auf die Seele. Die vernünftige Seele unterscheidet das Richtige vom Falschen, das Gute vom Bösen und weist damit den Weg zur Glückseligkeit. Zu den Pflichten gegen sich selbst gehört nun im Zusammenhang mit der Vernunftbildung der Schulbesuch. Denn seine Vernunftbegabung verbindet den Menschen dazu, seine Erkenntnisfähigkeit zu schulen und anzuwenden, um auf diese Weise die ihm von Gott gegebene Bestimmung zu erfüllen. So heisst es: „Du kannst auch immer vernünftiger und kluger werden, wenn du lernest lesen, schreiben und rechnen. Suche dann das frühe in der Jugend in der Schule zu lernen“ (ebd., S. 15 f.). Lesenkönnen ist nützlich nämlich nicht nur, um sich mit der Bibel zu beschäftigen, sondern auch, um „aus menschlichen Büchern viel Gutes und Nuzliches“ zu lernen (ebd., S. 16). Zudem, fügt der Autor an, könne man sich mittels der Aneignung von Wissen und Können – insbesondere dem Rechnen – sicherer gegen Betrug schützen. Die Pflichten gegen andere folgen aus der Einsicht, dass eine hohe, weise und gnädige Regierung von Gott verordnet ist. Die Notwendigkeit, fleissig die Schule zu besuchen, leitet sich nicht nur aus den Pflichten gegen sich selbst, sondern auch aus der Pflicht des Gehorsams gegenüber Vorgesetzten, allgemein der von Gott eingesetzten Obrigkeit ab: „Gott schenkt dir, mein liebes Kind! von Zeit zu Zeit Lehrer [Pfarrer, E.B.] und Schulmeister, die dein Herz zur Erkenntniss des Guten, des Nöthigen und nüzlichen, zur Gottseligkeit und Tugend, zu christlichen Sitten bilden sollen: Erkenne dieses als eine grosse Gutthat Gottes. Erkenne denn recht die, so an dir arbeiten, dir im Herrn vorstehen, und dich ermahnen, und hab sie überaus lieb um ihres Werks willen, I. Thessal. V 12, 13. Erzeige dich bey deinem Herrn Pfarrer willig, aufmerksam, lernsbegierig, ehrerbietig und dankbar, nimm den Unterricht, die Ermahnungen, auch die Bestrafungen gern an, und lass dich weisen. Sey in der Schule fleissig, dem Schulmeister gefölgig, und mache ihm sein Amt nicht sauer durch Faulheit, Unachtsamkeit und Ungehorsam; erfreue ihn vielmehr mit deinem Wohlverhalten. Bethe auch
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fleissig für deinen Lehrer und Schulmeister“ (ebd., S. 23 f.). Die Legitimation von Schule sowie der Autorität von Pfarrer und Schulmeister werden hier in eine christlich-naturrechtliche Pflichtenlehre eingebunden und damit in letzter Instanz auf Gott zurückgeführt. Interessant ist, wie dabei gerade auch profane Funktionen von Schule und Unterricht sakral unterlegt werden, und dies bei gleichzeitigem Festhalten an einer theologisch eher orthodoxen Auslegungen der reformierten Lehre. Das Betragen in der Schule ist auch Thema im Kapitel „Von der äusserlichen Wohlanständigkeit und Höflichkeit“. Das folgende längere Zitat lässt gerade aufgrund seiner normativen Diktion Rückschlüsse auf die Schulrealität zu: „Wenn du in die Schule kömmst, so wünsche deinem Schulmeister und allen Schülerkindern einen guten Tag, und seze dich still an deinen Ort. […] gaffe nicht hin und her […]; sauge nicht an deinen Fingern, lege deine Hand oder Arm nicht auf deines Nachbars Achsel […]; plampe nicht mit den Beinen und Füssen hin und her; kraze nicht im Kopf, krieche nicht unter dem Tisch und Bank herum; iss nicht in der Schule, denn du bist nicht um des Essens, sondern um des Lernens willen da; zanke nicht mit deinen Nebenschülern, stosse, raufe sie nicht; besudle sie nicht mit deinen Schuhen; gieb ihnen keine Übernamen; halte deine Bücher rein, verreisse sie nicht, verliehre sie nicht: Wenn du schreibest, so besudle dich nicht an den Händen und dem Gesicht mit der Dinte […]“ (ebd., S. 29). Entgegen der Absicht ihres Autors erscheint die ‚Anweisung‘ eher naiv denn kindgerecht. Auf ihre eigene Art seltsam muten aber auch die ‚Biblischen Geschichten zum Gebrauche der Landschulen‘ (1774) an, die in der Erinnerung von Antistes Hess den Oetwiler Pfarrer Dietrich Locher202 zum Verfasser haben (StAZH: Kataloge 249). Die biblischen Ereignisse und das auftretende Personal sind unter den gegebenen pädagogischen Prämissen recht eigentlich zu moralischen Exempeln mutiert. Gott erscheint hier, wenn er denn auftritt, wesentlich ‚freundlicher‘ denn bei Gessner. Protagonist ist aber Jesus, der auf unorthodoxe Weise vermenschlicht bzw. verkindlicht erscheint, was insgesamt zu einer Profanierung der Figur führt. Jesus wird dargestellt als der „der frömmste Mensch“ „auf der ganzen Welt“ (Locher 1774, S. 3). Er wird zum Vorbild für die angesprochenen Kinder, etwa wenn es heisst: „DEr Herr Jesus ist seinem lieben himmlischen Vater von seiner Kindheit an bis an seinen Tod in allen Sachen gehorsam gewesen. 202 Dietrich Locher (1730–1782) wurde 1752 ordiniert, war seit 1754 Katechet in Hottingen und wurde 1759 Pfarrer in Oetwil, 1780 in Mettmenstetten (vgl. Dejung/ Wuhrmann 1953).
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Niemal that Er etwas Unrechtes, niemal liess Er sich etwas Unartiges oder Böses in den Sinn kommen“ (ebd., S. 4 f.). In der Biographie Jesu hat auch das Thema Schulbesuch seinen Platz, wenn es, wohl nach der Szene im Lukasevangelium (2,41–52), heisst: „DEr Herr Jesus war schon als Knabe sehr fromm. […] Er gieng lieber zur Kirche, als andere Kinder zum Lustigmachen gehen. Er war allemal gerne dabey, wo Er etwas gutes hören oder sagen könnte, wodurch man frömmer werden könnte. Bey dem Tempel waren Schulen, in denen man die jungen Leute in der Religion unterrichtete. Das ist, man lehrete sie, wie sie dem lieben Gott gehorsam seyn sollten, und brave Leute werden könnten: Jesus gieng auch in eine solche Schule, so lange Er zu Jerusalem war, und war nicht müssig darinn, Er schwazte nicht mit den andern Kindern, sondern war aufmerksam auf alles, was die Lehrer frageten, und die Kinder antworteten. Man fragete Ihn auch, und Er antwortete sehr geschikt […]“ (ebd., S. 7). Im nächsten Abschnitt wird die besondere Liebe vorgeführt, die Jesus den Kindern entgegenbrachte. Der dritte Abschnitt lässt „Beyspiele von guten und schlimmen Kindern und jungen Leuten“ folgen; dabei kommt es zu einer Gegenüberstellung Josefs, des Lieblingssohns Jakobs, und seiner Brüder, die den Part der „schlimme[n] Buben“ übernehmen (ebd., S. 21). Den Schluss bilden einige „Ländliche Geschichten“. Für ältere Kinder und Jugendliche gedacht waren die dem Kyburger Kammerer Schulthess zugeschriebenen ‚Grundsäze der Christlichen Religion, in auserlesenen Sprüchen der heiligen Schrift‘ (1774). Es handelt sich hierbei um einen reformierten Katechismus, der, wie der Titel sagt, die wichtigsten und elementarsten Glaubenswahrheiten mit Bibelzitaten unterlegt. Als Vorlage für die ‚Grundsäze‘ diente offenbar die ‚Unterweisung zur Glückseligkeit nach der Lehre Jesu‘, die der Berliner Theologe Johann Samuel Diterich203
203 Johann Samuel Diterich (1721–1797) wird zu den Berliner Aufklärern gezählt. Er war mit August Friedrich Wilhelm Sack und Johann Joachim Spalding an der Berliner Gesangbuchreform beteiligt und fand damit auch Eingang in die Zürcher Liederreform. Er war mit Lavater befreundet und vereinigte einen aufklärerischen Rationalismus mit Supranaturalismus. Ein Katechismusentwurf Diterichs von 1763 erfuhr bei einigen jungen Zürchern denn auch Kritik, insofern man ihn als zu wenig aufgeklärt beurteilte. Man tadelte, dass er nicht mit der natürlichen Religion anfängt und dass er Wundern und Weissagungen alle moralische Gewissheit zusprach. „Ich möchte auch nicht gerne die Gedanken Diterichs von dem angeborenen Verderben des Menschen und von seiner natürlichen Unfähigkeit zum Guten verteidigen“ (zit. nach Wernle 1923, Bd. 1, S. 616), schreibt Johann Heinrich Hess an seinen Cousin Johann Jakob Hess am 3. Juni 1763.
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1772 ebenfalls anonym herausgegeben hatte. Schulthess hatte sich, wie bereits erwähnt, um 1750 selber kurze Zeit in Berlin aufgehalten und kannte die dortige Szene der (neologisch-theologischen) Aufklärung. Schulthess‘ ‚Grundsäze‘ widerspiegeln klar wahrnehmbar ein reformtheologisches Programm, das auf den wolffschen eudämonistisch-naturrechtlichen Prämissen beruht und auf die praktische Moral ausgerichtete ist; dies belegen bereits die dem Inhaltsverzeichnis zu entnehmenden Kernaussagen sowie der Aufbau des Werks, welches beides direkt von Diterich übernommen worden ist: „I. Wir können auf ewig glüklich werden; denn es ist ein Gott, […] Der uns auf ewig glüklich machen kan, weil er der vollkommenste Geist, […] und Herr über alles ist, […] Der uns auf ewig glüklich machen will, […] weil Er unsere Natur dazu fähig gemachet, […] Was wir dazu bedörfen, veranstaltet hat, […] II. Was wir thun müssen, um auf ewig glüklich zu werden, […] Gut gesinnet werden und gut wandeln, […] Was zu einem guten Sinn und Wandel erfordert werde, […] Was gegen Gott, […] Was gegen uns selbst, […] Was gegen andere Menschen, […] Wie wir zu solcher guten Gesinnungen und Wandel gelangen, […] Wie wir dabey bleiben, […] Die Zuverlässigkeit dieser Christlichen Lehre, worauf sie sich gründet, […] Wozu sie uns verpflichtet, […]“ (Schulthess 1774, Inhaltsverzeichnis). Im Gegensatz zum traditionellen Katechismus, der mit dem Sündenbekenntnis einsetzt, beginnt der erste Teil der ‚Grundsäze‘ mit dem tröstlichen Satz „Es ist ein Gott“ und fährt weiter mit Einsichten der natürlichen Religion. Der dritte Satz besagt, dass die Welt und die ganze Natur Gottes Werk ist, der siebte Satz schliesst optimistisch, dass Gott „höchst gütig“ ist (ebd., S. 7). Weiter erfährt man, dass Gott dem Menschen die Anlage geschenkt hat, „auf ewig glüklich zu werden: Denn wir haben eine vernünftige Seele, welche nicht nur ein ewiges Glük sucht, sondern auch zu einer immerwährenden Fortdauer und zu einem beständigen Wachsthum an Vollkommen-
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heit und Freude aufgelegt ist“ (ebd., S. 13). Aus „der Einrichtung unsrer Natur [ist] abzunehmen, dass der Mensch von Gott bestimmt sey, gut und dabey ewig glükselig zu seyn“ (ebd., S. 12). Der Vervollkommnungsoptimismus beruht auf jener Verstandeskraft, mit der Gott den Menschen ausgestattet hat, damit er erkenne, was gut und was schlecht ist. Es ist das von Gott eingerichtete Naturgesetz, das den Menschen lehrt, dass gute Handlungen „erfreuliche Folgen“, böse Handlungen „schlimme und traurige Folgen“ nach sich ziehen (ebd., S. 14). Neben die Vernunft tritt hier das Gewissen als Beurteilungsinstanz204, denn Glück und Zufriedenheit als „Gemüthsfassung“ sind Folgen eines guten Gewissens; demnach ist der Mensch zufrieden und glücklich, wenn er recht getan hat, und Elend, wenn er schlecht gehandelt hat (ebd., S. 13 f.). Die rationalistisch-naturrechtliche Argumentation ist in letzter Instanz christlich fundiert, gut und böse werden schliesslich mit der Befolgung bzw. dem Zuwiderhandeln gegen die göttlichen Gebote identifiziert (ebd., S. 14). Die positive Sicht des moralischen Wesens des Menschen wird an zentraler Stelle, dann, wenn die Erbsünde zur Sprache kommt, hart auf die Probe gestellt. Der Leser muss nämlich erfahren, dass wir zuletzt doch „sündige Menschen [sind]. Bey allen unsern Anlagen zum Guten, sind wir gleichwol nicht ohne alle Neigung zur Sünde: Es giebt in der Welt viel Reizungen dazu, und da bleiben allerlei Versündigungen nicht aus. […] Es geht uns hierin wie den ersten Menschen. […] Und wie durch sie Sünde und Elend zuerst in die Welt kam, so wird beydes noch immer durch sündigende Menschen fortgepflanzet und ausgebreitet“ (ebd., S. 15). Diese Formulierung, die die Determiniertheit zur Sünde immerhin abschwächt, kann als typisch gelten für die Relativierung und Naturalisierung, die die Erbsünde unter neologischem Einfluss erfährt. In den Vordergrund rückt in diesem Kontext der Gedanke der Begnadigung und Erlösung, verkörpert in der Gestalt Jesu, dessen sich der Mensch im Glauben versichern kann und womit er dennoch bereits im Diesseits Glückseligkeit erlangen kann. Die Lehren Jesu betreffen die wichtigste Angelegenheit der Menschen, „ihr wahres und ewiges Glük: Sie stimmen mit sich selbst und mit den Lehren der gesunden Vernunft überein: Sie bestetigen nicht nur, was Gott durch die Natur lehrt, sondern sezen es in ein noch helleres Licht […]“ (ebd., S. 66). Die 204 Das Verhältnis zwischen Vernunft und Gewissen wird hier nicht weiter erläutert, dies im Gegensatz zu Wolff (1733/1996), bei dem das Gewissen, welches die Urteile über Gut und Böse abgibt, selber aus der Vernunft stammt; der Mensch hat ein Gewissen, weil er Vernunft hat.
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damit postulierte Übereinstimmung von Vernunft und Offenbarung bietet die Voraussetzung für einen Zugang zur Glückseligkeit, der mitunter auf eine an Lernen und Vernunft orientierte Pädagogik setzen kann. Ebenfalls vom Kyburger und Wetzikoner Kapitel verfertigt wurden gemäss einer Notiz von Antistes Johann Jakob Hess (StAZH: Kataloge 249): – [Escher, Heinrich/Schulthess, Johann Georg]: Erster Unterricht der Religion, samt einigen Gebethern für Schul-Kinder. Zürich: Ziegler 1787 – [Escher, Heinrich]: Kurze Gebether zum Gebrauch für die Jugend. Zürich: Ziegler 1774205 – [Schulthess, Johann Georg]: Auserlesene fünf und siebenzig geistliche Lieder. Zum Gebrauch der Repetierschulen. Zürich: Ziegler 1792206 Obwohl erst später erschienen, soll der ‚Erste Unterricht der Religion‘ (1787), welcher Schulthess und Escher zugeschrieben wird, hier ebenfalls kurz zur Sprache kommen, da das Werk an die reformtheologische Diktion anschliesst und die bereits auffälligen moralischen und pädagogischen Religionstendenzen zusätzlich hervorzuheben erlaubt. Die Schrift ist in einem ersten Teil katechetisch gehalten. Daran anschliessend folgen „Aufsäze“, die der besseren „Einprägung der Grund-Wahrheiten der natürlichen Religion“, wie sie zu Beginn in Fragen und Antworten vermittelt wurden, dienen. Das Büchlein ist, wie der Titel besagt, an die jüngsten Kinder adressiert, und es versucht offensichtlich, diese ausgehend von ihrem eigenen Verstehenshorizont auf die wichtigsten Glaubenswahrheiten hinzuleiten. § 5, der vom Sündenfall durch die Frucht „eines gewissen Baums“ handelt (Escher/Schulthess 1787, S. 8 f.), ist die Anmerkung beigefügt, dass diese Lehre nicht unbedingt als Stoff für die Kleinsten tauge und deshalb im allerersten Unterricht ruhig übergangen werden dürfe. Zwar heisst es in diesem Paragraphen weiter, die Stammeltern hätten ihre sündige Natur an ihre Nachfahren weitergegeben; dies erkenne man daran, dass der Mensch lieber dem sinnlichen Trieb als dem nachdenkenden Verstand folge. Ausschlaggebend bleibt jedoch die vom gnädigen Gott angeordnete Erlösung durch den gesandten Sohn: „JEsus Christus, der Mensch-gewordene Sohn Gottes, gab uns von neuem ein vollständiges Sitten-Gesez, […] erklärte die selig und wahrhaftig frey, welche diesen von ihm geoffenbarten Willen seines Vaters thun, verhiess diesen […] Erleuchtung, Hülfe und Beystand zur
205 Verwendet von den Repetierschülern der ersten Klasse (StAZH: Kataloge 249). 206 Verwendet von den Repetierschülern der zweiten Klasse (StAZH: Kataloge 249).
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Tugend, Verzeihung der Sünden und ewiges Leben. Sein […] Wandel war durchaus das reinste Vorbild der Güte und Tugend, die er predigte“ (ebd., S. 11). Ähnlich motiviert und argumentativ ausgeführt wie bereits in der ‚Anweisung […], Zu einem Christlich-sittlichen auch äusserlich wohlanständigen und höflichen Betragen‘ (1774) findet auch im ‚Ersten Unterricht‘ das profane Thema ‚Schule‘ Eingang. Die Kinder lernen nicht nur die Pflichten gegen Gott, Eltern, Obrigkeit, den Nächsten und sich selbst kennen; ebenso wird ihnen Folgsamkeit gegenüber dem Pfarrer und, in derselben Statushierarchie, dem Schulmeister anbefohlen: „Du sollst die Lehrer und Prediger lieben und ehren, als einen Stand, den unser Herr JEsus Christus geordnet hat, seine Diener zu seyn, seine Lehre bekannt zu machen, und Sorge zu tragen, dass Gottseligkeit und Tugend unter den Christen blühe. […] Du sollst auch den Schulmeistern gefölgig seyn, weil sie dich zur Erkenntniss Gottes und deines Heils vorbereiten“ (ebd., S. 7). Das Spektrum der aufzuführenden religiösen und moralischen Schulschriften lässt sich um folgenden Titel erweitern, der von der Asketischen Gesellschaft herausgegeben wurde: – [Irminger, Ulrich]: Fragen an Kinder. Eine Einleitung zum Unterricht in der Religion. Von der Ascetischen Gesellschaft in Zürich. Zürich: Ziegler 1772 Die ‚Fragen an Kinder‘ (1772) sind dem Vorsteher der Asketischen Gesellschaft, Johann Jakob Breitinger, gewidmet. Dem Vorbericht zufolge handelt es sich bei ihnen um den Versuch, einen kindgerechten Katechismus zu schaffen, und zwar mittels einer Methode, die auch den Jüngeren die Glaubensinhalte verständlich zu machen vermag. Damit soll der viel zitierte „Ekel“ vor dem Religiösen, der das Katechisieren oftmals verursachte, vermieden werden. Kommt dem Werk also die Funktion zu, die Kinder auf den Katechismus vorzubereiten, so ist es durchaus überraschenden Inhalts. Dessen waren sich die Herausgeber offenbar bewusst, wenn sie dem Leser im Vorbericht weiter erklären, „dass die Kenntniss des Menschen und der Welt schlechterdings unentbehrlich sey, die abstrakten Begriffe von GOtt, und unserm Verhältniss gegen Ihn, dem Kind nur einiger maassen verständlich zu machen“; sie versichern, dass der Zweck ihrer Arbeit „wirklich“ den christlichen Religionsunterricht betreffe. Der erste Teil der Schrift befasst sich nämlich mit der „Betrachtung des Menschen überhaupt“ und umfasst „A. Die Sinne“, „B. Die Bedürfnisse“, „C. Die Leibes-Kräfte“, „D. Die See-
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len-Kräfte“, „E. Die Verbindung der Seele und des Leibes“, „F. Die Vorzüge des Menschen vor den Pflanzen und Thieren“. Im zweiten Teil folgt „Der Mensch betrachtet in Absicht auf andere Menschen“; dieser handelt u. a. vom Verhältnis zwischen Eltern und Kind, zwischen Nachbarn sowie unter Mitbürgern. Der letzte Teil behandelt schliesslich den gesitteten Menschen „in den wichtigern Beziehungen, Beschäftigungen und Zufällen des Lebens“. Die Auskünfte bezüglich der massgeblichen didaktischen und methodischen Überlegungen, die bei der Formulierung der Fragen Berücksichtigung fanden, legen nahe, dass es sich hierbei um eine Art katechetisches Propädeutikum handeln sollte: Es sind „Fragen für Kinder, die keinen andern ordentlichen Unterricht voraussezen; die gerade zur Fassungs-Kraft der Kinder passen; die ohne ein erschlichenes Ansehen beynahe alles, was ihnen beygebracht werden soll, aus ihrem eigenen Verstand heraus hollen; die so genau bestimmt sind, dass nicht mehr als Eine Antwort darauf wahr seyn kann“ (Irminger 1772, Vorbericht). Die Kinder könnten daher die richtigen Antworten auf die Fragen „durch eine mässige Anstrengung ihrer Seelen-Kräfte leicht finden“. Nur dann und wann folgen „einige freyere Fragen, um den Gang ihrer Ideen zu untersuchen“. Es handle sich um einen „Unterricht, wodurch die Fähigkeiten der Seele; die Aufmerksamkeit; die Einbildungskraft; das Gedächtniss; der Wiz; der Scharfsinn; das UrtheilsVermögen; die Vernunft; der Verstand und der Wille verhältnissmässig nach und nach enwikelt, geübt, gestärkt werden“. Und es ist sogar die Rede davon, das Werk repräsentiere ein „ganzes Erziehungs-System in der Anwendung“, ja, „den ganzen Umfang der Christlichen Religion“ (ebd.)! Im ersten Kapitel erfährt die mit „liebes Kind“ angesprochene Leserschaft, wie der Mensch über die Sinne empirische Kenntnisse erwirbt. Im weiteren Fortgang liest man aber zugleich, dass gewisse Kenntnisse nicht unmittelbar durch die Sinne erlangt werden können, was die Existenz der Seele beweise. Im dritten Abschnitt, der sich mit der Sittlichkeit des Menschen befasst, wird das Kind mit dem wolffschen Gesetz der Natur bekannt, wonach wir verbunden sind, „das zu wollen, was angenehm, und das zu verwerfen, was unangenehm ist […]“ (ebd., S. 144). Die Verbindlichkeit des Schulbesuchs erhält auch hier eine naturgesetzliche Bestimmung, wenn es zum Lernen heisst: „Es kommt dir manchmal sauer vor, dass du lernen sollest, indessen andere Kinder auf der Gassen umher springen; doch, warum lernest du gerne? Was, denkst du, wird es dich [sic] nüzen, wenn du gelernt hast, lesen? schreiben? französisch reden? […] Wird einem das angenehm, was nüzt?“ (ebd., S. 151 f.). Nun hat das Kind inzwischen erfahren,
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dass Lernen, wie Arznei bei Krankheit, zwar im Moment unangenehm sein kann, jedoch dennoch eine Pflicht ist, da es längerfristig von Nutzen und in Wahrheit gut ist. Umgekehrt mögen Süssigkeiten zwar verlockend sein, was aber auf einem falschen Urteil beruhe, da ein zuviel an Zucker und Honig bekanntlich Übelkeit und Bauchschmerzen verursache. Schliesslich lehrt einen das Naturgesetz weiter: „Aber wir müssen unterscheiden zwischen dem, was nur eine Zeit lang so ist, und hernach sich verändert – oder zwischen grössern und kleinern Vergnügen und Missvergnügen – Wir müssen uns üben, die Herrschaft der Vernunft über unsere Begierden zu behalten“ (ebd., S. 144). Weitere naturrechtliche Grundsätze, die das Kind kennen lernt, beziehen sich auf das sittliche Verhalten in den gesellschaftlichen Verhältnissen. Demnach vermehrt das „Vergnügen, das wir andern Menschen machen, […] unser eignes Wohlseyn“; der „Grundsaz der bürgerlichen Verfassung ist das gemeine Beste – Man darf keine Handlung begehen, die ungerecht ist; auch dann nicht, wenn sie einigen Leuten nuzen würde“ (ebd., S. 158). Dem Vorbericht zu den ‚Fragen an Kinder‘ zufolge handelt es sich um ein Gemeinschaftswerk mehrerer beteiligter Personen, offenbar Mitgliedern der Katechetischen Kommission der Asketischen Gesellschaft. Als federführend wird meist Pfarrer Irminger207, vormals Hauslehrer in Dübendorf (Kyburger Kapitel), genannt (vgl. Wernle 1924, Bd. 2; Angst 1947). Lediglich Salomon Hirzel erwähnt in seinen späten Erinnerungen David von Wyss‘ besonderen Beitrag zu deren Verfertigung (ZBZ: J 521, 50. Rede Salomon Hirzels vor der Moralischen Gesellschaft, gehalten am 27.1.1814). Irminger war Mitglied der Asketischen Gesellschaft und ebenso wie von Wyss der Moralischen Gesellschaft; unzweifelhaft ist zumindest, dass im Kreise Letzterer die Idee zu der Schrift entstanden ist. Von Wyss verwaltete übrigens 1771 bis 1777 die Landvogtei Kyburg, welche auch Teile des gleichnamigen Pfarrkapitels umfasste. Dies mochte wiederum zur Bildung von Interessengemeinschaften und der Anbahnung von Kontakten zwischen dort stationierten Landpfarrern und der Moralischen Gesellschaft beigetragen haben. Die Moralische Gesellschaft hatte selber massgeblich zur Verbreitung neuer Schulbücher beigetragen. So hat sie Wasers ‚Schul- und Haus-Büchlein‘ (1769) in grosser Zahl angekauft und an bedürftige Schulkinder und 207 Ulrich Irminger (1737–1805) war nach seiner Ordination 1757 Hauslehrer in Dübendorf, 1770 bis 1773 Dienstagsprediger am Grossmünster und ab 1773 Pfarrer in Henggart (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953).
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Landpfarrer abgegeben; dasselbe gilt für Lavaters ‚Christliches Handbüchlein für Kinder‘ (1771) und seine ‚Gebether und Lieder für Kinder‘ (1776)208. Wie die Zitationen dieser Neuerscheinungen anlässlich der Landschul-Enquête zeigen, erfreuten sie sich bald grosser Beliebtheit. Des Weiteren hatte die Gesellschaft die Herausgabe des Neuen Testaments (1766) mit Ostervalds Summarien und Betrachtungen an die Hand genommen. Von besonderem Interesse sind aber die von ihr besorgten ‚Biblischen Erzählungen‘: – [Hess, Johann Jakob]: Biblische Erzählungen für die Jugend. Altes Testament. Zürich: Orell, Gessner, Füesslin und Comp. 1772 – [Hess, Johann Jakob]: Biblische Erzählungen für die Jugend. Neues Testament. Zürich: Orell, Gessner, Füesslin und Comp. 1774 Als Hauptautor und redaktionell Verantwortlicher für die ‚Biblischen Erzählungen‘ (1772/1774) gilt Johann Jakob Hess, Mitglied der Moralischen und Asketischen Gesellschaft sowie Nachfolger Ulrichs im Amt des Antistes; zu den Beteiligten gehörte neben einer Reihe weiterer Geistlicher Johann Kaspar Lavater. Auch in diesem zweibändigen Werk, das 1774 zusammengeführt in zweiter Auflage erschienen ist, widmet sich die Vorrede ausgiebig methodischen und moralisch-pädagogischen Überlegungen. So habe man etwa die dem Kindesalter anstössigen Stellen ausgelassen; hingegen wurden den Geschichten jeweils für die Erziehung brauchbare Lehren angefügt, was beinahe eine „vollständige Kindermoral“ ergebe (Hess, 1774b, S. VIII). Altersmässige Anforderung für die Lektüre ist, dass das Kind bereits über einen in den Anfängen entwickelten Verstand verfügt. Es wird auch die Frage aufgeworfen, inwiefern eine Kinderbibel auf der einen Seite doch authentisch, auf der andern Seite aber der Fassungskraft und dem Horizont der jungen Adressatenschaft angemessen sein müsse. Kritisiert wird an den herkömmlichen Werken, dass sie mehr für das Gedächtnis als für Verstand und Herz gemacht worden seien. Zuweilen enthielten sie märchenhafte Erzählungen mit seltsamen Bildern, die dem Geschmack abträglich seien und so häufig zu einer anhaltenden Abneigung gegenüber dem biblischen Stoff führten. Demgegenüber ordnet sich dieses Werk explizit pädagogischen Kriterien wie Fasslichkeit, sprachliche Einfachheit, Geschmack und Authentizität unter und will auf diese Weise zugleich lehrreich sein und das kindliche Interesse wecken.
208 ‚Die Gebether und Lieder‘ erschienen zuerst als Teil des ‚Handbüchleins‘ (1771).
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Man kann Wernle beipflichten, wenn ihm die alttestamentlichen Erzählungen auf naive Art öfters ins „Idyllische und Gemütliche“ gewendet erscheinen (1924, Bd. 2, S. 347), muss diese pädagogisierende Stilisierung aber zugleich auf dem Hintergrund von Hess‘ hermeneutischem Ansatz betrachten (vgl. Weder 1997; Kap. 8.2.2). Als Beispiel mag hier wiederum die Schilderung des Sündenfalls dienen, die lautet: „Adam und Eva, diess erste Paar Menschen, lebten also sehr vergnügt beysammen. Sie waren vollkommen gesund, frey von allen Leiden und allen Beschwerden“ (Hess 1772, S. 4). „GOtt, ihr Schöpfer“, wollte denn auch, „dass ihnen allezeit so wohl sey“, und er hätte „gern jedes Uebel von ihnen abgewandt“. Er „warnete sie auf eine sehr liebreiche Weise vor dem Baume: Sie sollten ja wol nicht davon essen; seine Frucht sei tödtlich […]“ (ebd.). Der Baum der Erkenntnis ist in der Erzählung ein Giftbaum, und die Vertreibung aus dem Paradies wird in gut meinendem Ton folgendermassen kommentiert: „Uebrigens bediente sich GOtt, der allezeit die Menschen glückselig zu machen sucht, solcher Ausdrücke, welche die ersten Menschen hoffen liessen, das Uebel, so die Schlange angerichtet, werde durch einen ihrer Nachkommen wieder aufgehebt, und der Schaden der Sünde vergütet werden“ (ebd., S. 11; Hervorhebung i. O.).209 Die Handlungsweisen des biblischen Personals erscheinen psychologisch motiviert, damit menschlich und so auch nachvollziehbar und selbsterzieherisch wirksam. Jesus, wie er dem Leser in den Erzählungen zum Neuen Testament begegnet, gleicht demjenigen aus den bereits angeführten ‚Biblischen Geschichten zum Gebrauche der Landschulen‘ (1774) von Pfarrer Locher; er ist wesentlich ein schlichter, frommer Mensch, und zwar von Jugend an, was wichtig erscheint im Hinblick auf seine Vorbildwirkung auf die jungen Leser. Nicht eingehend behandelt werden können im Rahmen dieser Arbeit die reformierten Gesangbücher. Es bedarf aber immerhin einiger grundsätzlicher Bemerkungen zu diesem Medium, da ihm eine wichtige (volks-) erzieherische Funktion zukam (vgl. Stroeve 2005). Zwar liess Zwingli in der Zürcher Kirche nicht nur die Bilder, sondern auch die Musik abschaffen; der Gesang wurde jedoch bereits Ende des 16. Jahrhunderts im Gottesdienst wieder eingeführt. In den liturgischen Vorstellungen der Aufklä209 Leicht anders ist der Wortlaut in der zweiten Auflage; sie enthält gegenüber der Erstauflage Korrekturen, die man aufgrund einiger kritischer Rezensionen vorgenommen hatte: „Uebrigens machte GOtt, der allezeit die Menschen glückselig zu machen sucht, schon diesen ersten Menschen Hoffnung, das Uebel, so die Schlange angerichtet, werde durch einen ihrer Nachkommen wieder aufgehebt, und der Schaden vergütet werden“ (Hess 1774b, S. 6; Hervorhebung i. O.).
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rungstheologie bedachte man das Kirchenlied nun mit einer komplementären Funktion zu der in der Predigt vermittelten Lehre. Einerseits sollte es durch Tröstung und Erbauung die emotionalen Voraussetzungen für die Rezeption der Verkündigung schaffen, andererseits kam ihm aufgrund der attestierten Wirkung auf Gefühl und Willen eine Vermittlungsfunktion zwischen Erkennen und Handeln zu; damit lässt es sich den ethischen Anliegen der Aufklärung zuordnen (vgl. Betz/Browning/Janowski/Jüngel 2001, Bd. 4). Vor diesem Hintergrund gebührt dem Gesangbuch wiederum angesichts des Fleisses, mit dem man in den Jahren um 1770 an die Schaffung neuer Liederwerke ging, besondere Aufmerksamkeit. Bezogen auf die Zürcher Ausgaben handelt es sich zwar meist um die Übernahme neuer Dichtungen aus bestehenden Werken; die Auswahl lässt dabei erkennen, in welchem Mass dieser Innovationswille mit den religiös- und moralpädagogischen Motiven übereinstimmt, die bereits für die Schulbücher festzustellen waren. In die verbreiteten Werke etwa des Wetzikoner Kammerers Johannes Schmidlin fanden vor allem die ‚Geistlichen Oden und Lieder‘ (1757) Gellerts, sodann Lieder Klopstocks210 Eingang. Insbesondere bei den in Zürich so beliebten Liedern Christian Fürchtegott Gellerts stellen sich einige Motive heraus, die jenen reformtheologischen Bestrebungen dezidiert folgen. Anhand der neu eingeflossenen Gattungen der Natur- und Morallieder lässt sich dies exemplifizieren. So findet die religiöse Funktion der Naturbetrachtung im Singen von Liedern, die das Empfinden der Erhabenheit der Natur, eine Ergriffenheit angesichts der Grösse der Schöpfung anregen, ihr lyrisches Pendant. Ähnliches gilt auch für die Vermittlung diesseitsbezogener Pflicht- und Tugendgedanken, die in den Gellert entnommenen Liedern ein affektiv-eindringliches und damit besonders wirksames Medium gefunden haben. Als starker gemeinsamer Zug der vorgestellten neuen Schulschriften religiöser Art kann einerseits eine Pädagogisierung im Sinne der Anpassung von Stoff und Darstellung an das adressierte Alter festgestellt werden, anderseits der Einfluss reformtheologischer Anschauungen neologischer Provenienz. Im Zuge dessen ist als weiteres Merkmal eine deutliche Moralisierung der Religion zu erkennen; die religiösen Lehren sollten ihren Nutzen zunehmend in der sittlichen, das heisst diesseitigen praktischen Lebensführung erweisen. Der Appell an die Vernunft und der Anspruch, auf das ‚Herz‘ 210 Der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803) hielt sich 1750 in Zürich auf; legendär wurde seine Fahrt mit Freunden auf dem Zürichsee, die Johann Kaspar Hirzel initiiert hatte und aus der die gleichnamige Ode hervorging.
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der Rezipienten zu wirken, stehen gleichberechtigt nebeneinander; das reformtheologische Gedankengut vermochte es offenbar, rationalistische Einflüsse und Rekurse auf Innerlichkeit in sich zu vereinen, ohne dass die subjektiven Aspekte pietistisch zu deuten wären. Vielmehr konstituieren beide Seiten zusammen diejenige Strömung, die unter dem Überbegriff der theologischen Aufklärung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ausgehend von Deutschland in Zürich Eingang fand. Nun ist bekannt, dass die breiten ländlichen Bevölkerungsschichten, nicht nur aus materiellen Gründen, regelmässig mit Abwehr auf Versuche reagierten, Neuerungen im Bereich von Religion, Schulwesen und ihren Medien einzuführen. Auch kann man nicht davon ausgehen, dass sämtliche Landpfarrer den religiösen und theologischen Reformanliegen der neuen Lehrmittel folgten; dies gilt besonders mit Bezug auf die ältere Pfarrergeneration und diejenigen Bücher, die mehr oder weniger radikal mit dem Katechismus und der darin vertretenen orthodoxen Sündenlehre brachen. Zieht man zusätzlich die lang andauernde Stabilität des Kanons der auf dem Land gebräuchlichen ‚Schulbücher‘ in Rechnung, muss sich erst recht die Frage nach der tatsächlichen Verbreitung der in den 70er Jahren neu geschaffenen Werke anschliessen. Die Frage lässt sich anhand der Stapfer-Enquête von 1799 beantworten, die unter dem Stichwort Unterricht unter anderem Auskunft über die verwendeten Schulbücher verlangte. Eine Auswertung der Antworten für Zürich hat Klinke (1907) unternommen. Konsultiert man die Quellen, so bemerkt man allerdings, dass Klinke gerade bezüglich der religiösen Lehrmittel kaum zwischen neueren und älteren Titeln unterschieden hat, so dass der Eindruck entsteht, die auf Initiative des Kyburger und Wetzikoner Kapitels neu entstandenen Bücher hätten keinen Eingang gefunden (BAR: Zentralarchiv der Helvetischen Republik (1798–1803), Bd. 1470, 1471, 1421). Die Originaldokumente zeigen, dass diese zumindest von den Schulmeistern des Zürcher Oberlands, und dabei vor allem aus dem Distrikt Fehraltorf, teilweise aufgeführt wurden. Am meisten verbreitet waren der ‚Erste Unterricht der Religion‘ von Escher und Schulthess aus dem Jahr 1787 (10 Nennungen) sowie die ‚Grundsäze der Christlichen Religion‘ (1774) von Schulthess (10 Nennungen). Durchgesetzt haben sich wahrscheinlich die neu verfassten biblischen Geschichten, wenngleich die ungenauen Titelbezeichnungen keine exakte Zuordnung der Werke erlauben. Aufgezählt wurden schliesslich auch die ‚Sittenlehrenden Erzählungen für die LandSchulen‘ (1777) (7 Nennungen) sowie je einmal die ‚Fragen an Kinder‘ (1772), Gessners christlich-sittliche ‚Anweisung‘ (1774) und Cramers ‚Unterricht über den Landbau‘ (1774). Zieht man in Betracht, dass insgesamt 367
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Antworten vorliegen, so sind dies kleine Zahlen. Dies gilt besonders im Vergleich zum Waser-Büchlein, das inzwischen praktisch in jeder Schule anzutreffen war, oder zum Gebetbüchlein von Felix Wyss. Da die Antworten manchmal gleichlautend daherkommen – offenbar hatten Schulmeister die Fragen zum Teil gemeinschaftlich beantwortet oder voneinander abgeschrieben – und häufig lediglich Oberbegriffe wie ‚Katechismus‘, ‚Psalmen‘, ‚Historien‘ etc. ohne genauere Spezifikation angeführt werden, ist den Zahlen gegenüber Vorsicht geboten. Zwischenzeitlich Eingang gefunden hatten unter den moralisch-volksaufklärerischen (Beispiel-)Erzählungen vereinzelt Rochows ‚Kinderfreund‘, einmal wird auch Rudolf Zacharias Beckers ‚Noth- und Hülfs-Büchlein‘ genannt. Interessant ist die Antwort aus Birmensdorf (Freiamt), die als einzige pietistisches Büchergut nachweist: Johann Arndts ‚Geistliche Himmels-Leiter‘ und sein ‚Paradies-Gärtlein‘, die sich, wie die Neuauflagen zeigen, noch bis ins 19. Jahrhundert einiger Beliebtheit erfreuten, ausserdem die nicht näher zuzuordnenden Titel „Seelengespräch“ und „Geistlicher Weyrauch“. Da das ‚Schul- und Haus-Büchlein‘ (1769) von Pfarrer Felix Waser aus Bischofszell gemäss Stapfer-Enquête fast überall in Gebrauch war – es erlebte bis 1797 15 Auflagen und fand bereits in der Enquête von 1771 positive Erwähnung –, drängt sich dessen Behandlung hier auf. Man muss zwar erwähnen, dass die Verbreitung bestimmter religiöser Bücher nicht in erster Linie von den Präferenzen jener (ärmeren) Volksschichten abhing, in deren Besitz sie waren; eine Steuerung ‚von oben‘ ergab sich dadurch, dass das städtische Almosenamt gewisse Werke über die Landgeistlichen bedürftigen Haushalten zukommen liess oder, wie gezeigt, auch private Sozietäten als besonders wertvoll eingestufte Schriften verbilligt herausgaben. Im speziellen Fall des Waser-Büchleins muss man zudem anfügen, dass dessen Verfasser selber seit 1767 korrespondierendes Mitglied der auf diesem Gebiet aktiven Moralischen Gesellschaft war. Insgesamt lässt dessen starke Verbreitung in den Landschulen es dennoch zu, von seinem Ton und Inhalt auf religiöse Überzeugungen zu schliessen, wie sie im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts vom Gros der Geistlichen getragen wurden und auch in der Bevölkerung Eingang fanden. Wasers Vorrede kann man entnehmen, dass er dem ‚Schul- und HausBüchlein‘ ein seit 1680 in Bischofszell211 gebräuchliches Büchlein zugrunde gelegt und es so weit verbessert und erweitert hat, dass schliesslich zuletzt 211 Das thurgauische Bischofszell unterstand damals als reformierte gemeine Herrschaft kirchlich der Zürcher Synode, d. h. die Pfarrer wurden von Zürich aus bestellt.
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ein neues Werk entstanden ist. Ebenfalls in der Vorrede fordert der Verfasser die Kinder auf, mit Nachdenken zu lesen und sich um das Verständnis der Inhalte zu bemühen, damit sich diese umso besser einprägen. Das Gelesene soll aber nicht nur verstanden werden, es muss zugleich von „inbrünstigen Empfindungen“ begleitet sein (Waser 1769/1825, S. IV). Das Büchlein enthält Gebete, geistliche Lieder, Psalmen und lehrreiche Sprüche. Vorherrschend sind in den Gebeten die christlichen Topoi der Sünde, Gnade und Erlösung, aber auch an Gefühl und Innerlichkeit, die nach Selbstprüfung verlangt, wird appelliert. Dem sündigen Menschen steht ein vergeltender Gott gegenüber. Zugleich wird Gott, angesichts der Unvollkommenheit des Menschen, durchaus als ein barmherziger dargestellt; diese Güte und Barmherzigkeit aus dem tiefsten Innern, dem inneren Gefühl der Zerknirschung, anzurufen, dazu gibt das ‚Schul- und Haus-Büchlein‘ Anleitung. Die religiöse Zuordnung des Waser-Büchleins stellt sich trotz seiner scheinbar eindeutig traditionellen Diktion als kein einfaches Unternehmen heraus. Zumindest herrscht in der Literatur einige Uneinigkeit bezüglich seiner Nähe zu (gemässigter) Orthodoxie, Aufklärung und Pietismus. Suter (2001) etwa hebt eindeutig pietistische Tendenz hervor, wie sie den Appellen an das Gefühl und den Aufforderungen zur Selbstprüfung zugrunde lägen, und findet – ganz im Gegensatz etwa zu Angst (1947) – nichts explizit Aufklärerisches darin. In den Gebeten erkennt Wernle in erster Linie die Vorlage von 1680 wieder; als gemässigt orthodox taxiert er die ausgewählten Sprüche aus der Heiligen Schrift, die Waser „mit starker Herausstellung der natürlichen und vernünftigen Leitgedanken“ anordne (1924, Bd. 2, S. 344). Letztere Tendenz lässt sich besonders in den Abschnitten zu den Pflichten gegen Gott, den Nächsten und sich selbst feststellen, sowie in den „Lehren für die Jugend“ (Waser 1769/1825, S. 162f f.); und sie gilt auch für die Lieder, die zu einem grossen Teil von Gellert stammen. Wernle bemerkt des Weiteren eine stark vereinfachte und vermenschlichte Sprache, so dass ein genauer Vergleichung mit der älteren Vorlage doch insgesamt die Übersetzung „der orthodoxen Erbauungssprache in die neumodische Aufklärungssprache“ erkennen lasse (1924, Bd. 2, S. 344). Wyss (1978) betont sowohl gegenüber Wernles wie Angsts Urteil, dass die verschiedenen Partien des Büchleins gesondert betrachtet, da höchst unterschiedlich eingeschätzt werden müssen. Insgesamt kommt er zum Schluss, dass das Waser-Büchlein „alles andere als orthodox“ einzustufen sei, wobei das reiche Sortiment an praktischen Weisheitssprüchen „nichts anderes als kristallklaren Ausfluss
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aufklärerischen und auch diesseitigen, pragmatischen Denkens“ repräsentieren (S. 320.). Die tatsächlich schwierige Zuordnung verweist auf eine bereits angeführte Bemerkung allgemeiner Art, wonach die Annahme kategorialer Gegensätze zwischen zeitgenössischen Strömungen rationalistischer und innerlichkeitsbezogner Art öfters in die Irre führt (vgl. Kap. 5.3). Immerhin, vergleicht man das Waser-Büchlein mit den kurze Zeit später im Rahmen der Zürcher Landschulreform entstandenen Schulbüchern, bemerkt man doch einen ausgeprägteren Anschluss am Überkommenen. Dies dürfte auch der Grund der Popularität des Büchleins gewesen sein. Waser hat den Ausgangspunkt beim ‚Schul- und Haus-Büchlein‘ wohl nicht zufällig bei einer Vorlage gesucht, die den Adressaten bereits bekannt und von diesen akzeptiert war. Dennoch stand Waser dem (gemässigt) reformtheologischen Kreis ebenso nahe, wie er sich in Opposition sowohl zur Orthodoxie wie zum pietistischen oder biblizistischen Mystizismus sah. Dies lässt sich leicht seinen gut zehn Jahre später publizierten ‚Unterredungen über einige wichtige Wahrheiten der natürlichen Religion‘ (1782)212 und dem Lesebuch mit dem Titel ‚Etwas Angenehmes und Nützliches auch für den gemeinsten Mann und insonderheit für die Gemeinen und Repetier-Schulen auf dem Land‘ (1783)213 entnehmen.
5.5 Zusammenfassung und Diskussion Betrachtet man die in diesem Kapitel behandelten Texte, die für die offizielle Umsetzung der Landschulreform in den 1770er Jahren stehen, so be212 Es handelt sich dabei um ein aufgeklärtes Religionsbuch, in welchem die Existenz, Güte und Weisheit Gottes, die Vorsehung etc. diskutiert und erwiesen werden. Ziel ist, den jungen Leuten deutliche Begriffe von den Religionswahrheiten zu vermitteln, wie sie nur mit der Vernunft zu erkennen seien. Dies geschieht, indem ein Kind Fragen stellt, die seinem unmittelbaren religiösen Erleben entstammen, welche dann vom Vater unter Berücksichtigung des kindlichen Horizontes beantwortet werden. Waser meint in der Vorrede, ein solcher propädeutischer Unterricht würde schliesslich auch die darauf folgende Vermittlung der geoffenbarten Religion erleichtern. Das Kind soll allgemein lernen selbst zu denken, überkommene Sätze zu überprüfen und eventuell zu berichtigen. 213 Hier werden Exempelgeschichten aus dem Leben tugendreicher Menschen dargeboten, die der sittlichen Bildung dienlich und auch im Leben nützlich sein sollen. Unter den bekannten Personen treten etwa Christian Fürchtegott Gellert oder Friedrich Eberhard von Rochow auf.
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merkt man sogleich, dass verschiedene der in den damaligen Diskussionen vorgebrachten Desiderate (vgl. Kap. 3 und 4) Gegenstand der Reformierung wurden. Dies gilt in besonderem Mass für die vielfachen Forderungen nach einer neuen Schulordnung oder nach verbesserten Schulbüchern. Zum Abschluss des ersten Teils dieser Arbeit bleibt nun zu diskutieren, inwiefern auf diese Weise tatsächliche, das heisst über den ersten oberflächlichen Blick hinaus, Innovationen eingeleitet wurden, die im engeren Sinn auf die konstatierten Mängel reagierten. Die Beantwortung dieser Frage muss sich hier allerdings auf die programmatische Ebene beschränken, während die Frage der Wirksamkeit der Reformen nur am Rand, das heisst bezogen auf die neu eingeführten Schulbücher, beantwortet werden kann. Gerade was die neue Schul- und Lehrordnung betrifft, wurde in der Schulgeschichtsschreibung deren geringer Innovationsgehalt und mangelnde Reichweite immer wieder hervorgehoben. Diese Wahrnehmung bestätigt sich in Teilen, nämlich im Blick auf die Tatsache, dass mit ihr der Kanon der Unterrichtsinhalte keine grundsätzliche Erweiterung erfuhr. Immerhin durften neu profane Schreibvorlagen kaufmännischer Art im Unterricht offiziell verwendet werden, was in der Praxis in vielen Schulen bereits gang und gäbe war. Zweifel sind auch bezüglich der Frage angebracht, ob mit ihr das grundsätzliche Problem mangelnder Durchsetzungsmacht wirksam angegangen werden konnte. Dass der Schulordnung im Rahmen der vorhandenen Aufsichtsstrukturen Versuche in diese Richtung zugrunde lagen, wird zumindest an der Ausweitung und Differenzierung der im Fall von Schulabsenzen anzurufenden Instanzen deutlich, was der Verbindlichkeit des Schulbesuchs etwas mehr Nachdruck verliehen haben dürfte. Die Schulbesuchszeit erhielt insgesamt eine Ausdehnung, indem nun einerseits die Sommerschule an gewissen Tagen zum Obligatorium und auf der anderen Seite die Repetierschule an einem Tag der Woche eingeführt wurde. Bemerkenswert ist aber sicherlich die Ausdifferenzierung methodischer und didaktischer Anweisungen mit der separaten Lehrordnung. Ihnen kam ganz offensichtlich eine für die Unterweisung der ländlichen Bevölkerung neue Bedeutung zu, die auf dem Hintergrund des damals erstarkten wissenschaftlich-pädagogischen und -methodischen Diskurses zu betrachten ist. Bezüglich des Lesenlernens wurde in den Landschulen die Fundierung im Buchstabieren beibehalten; neu finden sich jetzt aber Hinweise zur Methodik des Schreibenlernens: Nachdem viele Pfarrer das praktische Ungenügen eines Schreibunterrichts, der sich eigentlich auf das Abschreiben vorgefertigter Bibelsprüche beschränkte, erkannt hatten, sollte jener nun zur Fertigkeit hinführen, ‚aus dem Kopf ‘ einen Text zu verschriftlichen. Damit ver-
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band sich ein deutlich anspruchsvolleres Verständnis von Literalität, das neuen funktionalen Anforderungen genügen sollte. Weitere, unterrichtsorganisatorische Regelungen betrafen die Einteilung der Schüler in Klassen, die sich über den zu lernenden Stoff definierten, sowie die ordentliche Promotion an jährlichen Examen. In diesem Zusammenhang stehen die obligatorischen Schülertabellen – ebenso wie die Regelung der Promotion eine vordringliche Forderung der Wetzikoner Geistlichen –, in denen der Schulmeister die Lernfortschritte jedes einzelnen Kindes genau zu verzeichnen hatte. Die Mindestanforderungen für die Schulentlassung verlangten nun vom Schüler, dass er das auswendig Gelernte ‚mit Verstand‘ wiedergeben konnte. Auch damit, so kann man anmerken, wurde auf häufig geäusserte Klagen von Pfarrern, die die Jugendlichen vor der Aufnahme in die Abendmahlsgemeinschaft bezüglich ihrer Religionskenntnisse examinieren mussten, reagiert. Was nun die in Teilen gewünschte Anhebung der Schulmeisterkompetenzen über eine seminaristische Ausbildung betrifft, so scheint diese Idee keine Aussicht auf Umsetzung gehabt zu haben. Die Weiterbildung des Schulmeisters wurde dem vorstehenden Pfarrer anheim gestellt und diesem besonders ans Herz gelegt. Immerhin hatten die Kyburger bereits 1771 eine entsprechende ‚Anleitung‘ zum Schulehalten zu Handen des Schulmeisters herausgegeben. Diese ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ steht von ihrem unterrichtmethodischen Professionalitätsanspruch her deutlich hinter dem den Verfassern wahrscheinlich bekannten Methodenbuch Felbigers aus dem Jahr 1768 zurück. Sie scheint in erster Linie auf die Definition des professionellen Rollenverhältnisses zwischen Schulmeister und Pfarrer hin angelegt worden zu sein. Es ist die pädagogische Expertise des Letzteren, die damals – ausgehend von dessen eigenem Selbstverständnis – grundsätzlich eine Stärkung erhalten sollte. Ambivalent ist entsprechend das dem Schulmeister in der Schrift vermittelte Rollenbild: Ihm wird die grundlegende gesellschaftliche Bedeutung seines exklusiven Berufs vor Augen geführt; dies jedoch in erster Linie, um ihm seine grosse Verantwortung bewusst zu machen. Dies scheint deshalb eine (taktische) Notwendigkeit, weil vom Schulmeister jetzt deutlich mehr an Leistung gefordert wird, ohne ihm jenseits von rhetorischen und ideellen Zusicherungen eine Gegenleistung zu gewähren. Der vorgestellte ideale Schulmeister zeichnet sich neben Fleiss und Frömmigkeit auch durch den inneren Bezug, den er zu seiner Tätigkeit hat, aus: Regelmässig prüft er bei sich, ob er der Würde und Bedeutung seines Amtes gerecht wird. Gegenüber den Kindern bezeigt er sich väter-
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lich im Umgang, auch in der Zucht, bei der er überlegt und vernünftig-humanen Prinzipien gemäss vorgeht. Wie Pfarrer Gessner aus Dübendorf es in seinem Referat ausgedrückt hatte, war wohl der obrigkeitliche Erlass neuer Gesetze das am leichtesten vorzunehmende Stück einer Schulreform; zumindest von staatlicher Seite bildete es auch das kostengünstigste – oblag die Umsetzung doch den Gemeinden, die auch die Konsequenzen an finanziellem und sonstigem Mehraufwand zu tragen hatten. Ähnliches gilt wohl auch betreffend die Frage der Schulmeisterbildung, auf die die genannte ‚Anleitung‘ ebenfalls eine billigere Antwort war, als es die Einrichtung einer seminaristischen Ausbildungsstätte bedeutet hätte. Die Untersuchung der Schul- und Unterrichtsreform hat gezeigt, dass Fragen der Erziehung einen wichtigen Bestandteil dieses Diskussionszusammenhangs bildeten. Vor diesem Hintergrund ergingen denn 1778, wiederum aus dem Kyburger Kapitel stammend, in der populären Form von Hirtenbriefen entsprechende Erziehungsratschläge an die Landbevölkerung. In ihren pädagogischen Grundsätzen lassen sich nicht zufällig Übereinstimmungen mit Sulzers ‚Versuch von der Erziehung‘ (1748) feststellen – der wahrscheinliche Autor der ‚Hirten-Briefe über die Erziehung der Kinder auf dem Land‘, Johann Georg Schulthess, war mit jenem befreundet. Ansonsten mutet die Schrift auf den ersten Blick traditionell an, beschäftigt sie sich doch über weite Strecken mit der religiös-moralischen Erziehung; auf den zweiten Blick offenbaren sich aber einige überraschende Aspekte und Akzente. Naturrechtlich fundiert, definieren die ‚Hirten-Briefe‘ die Beziehung zwischen Eltern und Kind über gegenseitige Rechte und Pflichten. Diese Prämisse bietet nun die argumentative Grundlage, um den Eltern ihre unhintergehbare Pflicht zur Erziehung, auch zur Beschulung des Nachwuchses vor Augen zu führen. Das Pflichtverhältnis wird unterfüttert durch eine deutlich emotionalisierte, von natürlicher Zuneigung bestimmte Beziehung zwischen Eltern und Kind. Die Betonung des elterlichen Pflichtteils drückt sich in den von diesen geforderten, offenbar bis anhin nicht als selbstverständlich vorausgesetzten Leistungen und Rücksichten aus. Zu den Anforderungen gehören Präsenz, Zuwendung und die Erfüllung ihrer Aufsichtsfunktion – dies sicher nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Ausbreitung der vermehrt auch die Mütter absorbierenden Heimindustrie. Die Rücksichtnahme auf das Kind beginnt bereits während der Schwangerschaft durch das richtige Verhalten der werdenden Mutter. Nach der Geburt hinzu kommt unter anderem die genaue Be-
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obachtung der Anlagen und des Temperaments des Kindes, individueller Eigenschaften, die es bei der Erziehung in Rechnung zu stellen gilt. Die Emotionalisierung des Eltern-Kind-Verhältnisses lässt sich auch für das Jugendalter feststellen, wobei das Phänomen des Rasts einen aktuellen Problembezug darstellt. Zugeständnisse werden dort an die wirtschaftliche Situation der wenig bemittelten Landleute gemacht, wo es um die Beschulung der Kinder geht. Die Kinder zur Schule zu schicken, wird den Eltern zwar als Pflicht vorgestellt. Zugleich erwartet der Autor aber – Entgegnungen der Eltern vorwegnehmend – nicht, dass der Unterricht diese Kinder, deren Bestimmung von Geburt in der manuellen Arbeit liegt, zu Gelehrten bildete. Angepriesen werden in diesem Zusammenhang die neuen Schuleinrichtungen – Repetier- und Sommerschule – sowie die neuen, besseren Unterrichtsmethoden, die das Lernen beschleunigen und damit die Schulbesuchsdauer sogar vermindern helfen sollen. Die Stelle zeigt übrigens, dass nicht nur zwischen der ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ und den ‚Hirten-Briefen‘, sondern auch zwischen jenen beiden Texten und der ‚Erneuerten Schul- und LehrOrdnung‘ manche intertextuelle Bezüge bestehen. Die beiden letzten Hirtenbriefe machen evident, welche Relevanz man dem ,richtigen‘, gegenüber der überbrachten Orthodoxie reformierten Glauben für die Einsicht in die Erziehbarkeit des Menschen und die damit verbundenen Pflichten beimass. Die an dieser Stelle richtig gestellten Glaubenssätze verweisen auf eine optimistische Anthropologie, die dem Menschen die Möglichkeit und damit die Notwendigkeit zur moralischen Selbstvervollkommnung zurückgibt. Diese Relevanz und überhaupt die Wirksamkeit reformtheologischer Ideen auf die Schul- und Erziehungsreformdiskussion hat auch Gültigkeit für die vor allem in den 70er Jahren neu entstandenen Schulbücher. Sie sind eine deutliche Antwort auf die damals vielfach kritisierte Lehrmittelsituation. Die neuen Bücher für den Schulunterricht reagierten zwar nicht auf den hier und dort geäusserten Wunsch nach Einführung realistischer Gegenstände, gegenüber der Kritik an den religiösen Lehrmitteln treten diese Forderungen im damaligen Diskurs aber sowieso zurück. Die neuen Bücher für den religiösen und sittlich-moralischen Unterricht nahmen dabei verschiedene Desiderate auf. Erstens wollte man mit ihnen Texte bereitstellen, die den Katechismus ersetzen oder ergänzen konnten, insbesondere im Unterricht der jüngeren Kinder. Zweitens sollte die Unterweisung der Jüngsten eben nicht mehr mit der systematischen Glaubenslehre, repräsentiert im Katechismus bzw. Lehrmeister oder ‚Fragstückli‘, beginnen, sondern mit Moral-
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lehre, vorzüglich anhand von Beispielgeschichten. Drittens wollte man den biblischen Geschichten vermehrt Eingang in die Schulen gewähren, weil man davon ausging, dass neben dem Exempel der historische Zugang für Kinder besonders geeignet und attraktiv sei. Viertens sollte mit verschiedenen neuen Werken die Orthodoxie mit ihren pessimistischen Annahmen, die lediglich zu (moralischer) Resignation führen würden, aus dem Kinder- und Volksunterricht verdrängt werden; an deren Stelle sollte ein gemässigt aufgeklärter Glaube neologisch-eudämonistischer Prägung treten. Als besonders aktiv im Feld der Schulbuchproduktion und -herausgabe haben sich neben den Kyburger und Wetzikoner Protagonisten die Moralische und die Asketische Gesellschaft erwiesen. Das Niveau pädagogischmethodischer Reflektiertheit der Werke kommt vielfach in einleitenden Vorberichten der Herausgeber oder Verfasser zum Ausdruck und ist mit Bezug auf populäre Unterrichtsmittel ein Novum. Analysiert man die Inhalte, so stellt man einerseits eine Moralisierung der Religion sowie eine Historisierung der biblischen Geschichte und Vermenschlichung des biblischen Personals fest; zugleich findet im Zeichen der kindgerechten Didaktisierung verschiedentlich eine Sakralisierung profaner Lebensbereiche, etwa der Schule, statt: Die Schule regelmässig zu besuchen und den Verstand zu bilden, wird gleichsam zur Christenpflicht erhoben und dem kindlichen Leser zuweilen der junge Jesus als Vorbild vorgestellt. Kann man damit insgesamt festhalten, dass diejenigen Defizite, die breit abgestützt als solche wahrgenommen und artikuliert wurden, in den 70er Jahren über weite Strecken und dabei mehrheitlich lokal initiiert angegangen worden sind, so kann die Frage der Implementation hier nur mit Rücksicht auf die Schulbuchsituation beantwortet werden. Dabei legen die Antworten anlässlich der Stapfer-Enquête eine skeptische Einschätzung nahe. Für die kleine Zahl an Nennungen, die auf eine Verwendung der neu geschaffenen Schulbücher verweisen, gibt es verschiedene Gründe, ideologische wie materielle. Anführen lässt sich die Vermutung, dass der neologisch-aufklärungstheologisch inspirierte Reformeifer wohl eher von kurzer Dauer war und keinen kontinuierlichen Impetus erzeugte; zum anderen zeigt die starke Verbreitung des Waser-Büchleins – zu der die Moralische Gesellschaft aktiv beitrug – nicht überraschend, dass Literatur, welche sich stärker am Überkommenen anlehnte, eher auf Akzeptanz stiess.
6 Die Landschulreform in den Verhandlungen der Moralischen Gesellschaft
Dass das Landschulwesen der Verbesserung bedürfe, wurde im Kreis der Zürcher Geistlichkeit bereits 1766, anlässlich der Herbstsynode, statuiert. Einen Ausgangspunkt der Erörterungen bildeten Klagen über die vernachlässigte häusliche Erziehung auf dem Land (StAZH: E II 46). Ein anwesender Geistlicher Namens Ulrich hob die von Dekan Schmutz genannten Hauptquellen des Übels zustimmend hervor: den Rast und den Mangel an Betten in vielen Haushalten,214 der dazu führe, dass selbst grössere Kinder unterschiedlichen Geschlechts das Nachtlager teilten. Pfarrer Cramer hinwieder äusserte den Wunsch nach einem „Project zu Verbesserung der Schulen“ und in diesem Zusammenhang auch nach einer Revision der Landschulordnung. Als ein Kirchenkapitel, das sich beispielhaft um die Hebung der Erziehungssituation in den Gemeinden kümmern würde, fiel der Verweis schon damals auf das Wetzikoner Kapitel. Vorerst wurde dieser Gegenstand, folgt man den überlieferten Akten, in den halbjährlichen Kirchenversammlungen nicht mehr weiter diskutiert. Inzwischen fand das Thema aber Aufnahme in den Verhandlungen der Moralischen Gesellschaft. Mangels näherer Angaben ist nicht klar, ob es sich bei dem Diskutanten in der Synode namens Ulrich um das Gesellschaftsmitglied Johann Rudolf Ulrich215 handelte; da die Moralische Gesellschaft zu einem guten Teil aus Angehörigen des geistlichen Standes bestand, kann man zumindest davon ausgehen, dass man von den beiderorts geführten Diskussionen wusste. In diesem zweiten Teil der Untersuchung stehen die Motive und Kontexte der Zürcher Schulreform der 1770er Jahre im Zentrum. Mit der im 214 Dieses Problem war offenbar wiederholt Thema sittlicher Erörterungen unter den Pfarrern (vgl. StAZH: E II 101a, II h). 215 Johann Rudolf Ulrich (1728–1795) wurde 1747 ordiniert und reiste dann zu seiner Ausbildung nach Genf, Paris, Holland und Deutschland. Nachdem er längere Zeit bei seinem Vater, der damals Pfarrer zu Seengen (Kanton Bern, heute Kanton Aargau) war, zugebracht hatte, wurde er 1759 zum Pfarrer am Ötenbach berufen; 1767 Professor der Ethik; 1769 Ernennung zum Antistes. Ulrich war Stiftungsmitglied der Moralischen Gesellschaft; ausserdem gehörte er der Société des citoyens (Bern), der Dienstags-Compagnie, der Asketischen Gesellschaft und der Helvetischen Gesellschaft an.
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obigen Abschnitt genannten Moralischen Gesellschaft und der Kirchenversammlung, der Synode, sind bereits zwei zentrale Organe genannt, in denen die Behandlung von Schule und Erziehung ihren besonderen Niederschlag fand; als dritter Versammlungsort lässt sich die Asketische Gesellschaft anführen. Die bezeichneten ‚Orte‘ des Diskurses strukturieren das weitere Vorgehen, bei dem es insbesondere die aus dem ersten Teil der Untersuchung hervorgegangene These, wonach den zeitgenössischen Ideen einige Relevanz für das Verständnis der Reformziele zukommt, im Blick zu behalten gilt. Zuerst richtet sich das Interesse auf die praktischen und ideellen Zielsetzungen der Moralischen Gesellschaft als wichtige Initiantin der Schulreformdiskussion der 1770er Jahre. Wie viele andere Sozietäten geht auch ihre Gründung auf einen als gemeinnützig-patriotisch zu bezeichnenden Diskurs der 1760er Jahre zurück. Gemeinhin werden die vielfältigen Gesellschaftstypen in der Forschung je nach Betätigungsfeld in ökonomische, politische, wissenschaftliche oder literarische Gesellschaften unterteilt, wobei auf der politisch-ideologischen Ebene und je nach zugrunde liegenden Patriotismen unterschieden wird zwischen radikal-politischen, patriotisch-politischen, politisch-patriotischen, ökonomisch-patriotischen, philanthropischen und kosmopolitischen (vgl. Erne 1988; Graber 1993; Volz-Tobler 1997; Zurbuchen 2000). An dieser Stelle lässt sich die Moralische Gesellschaft, jenseits solch differenzierter Zuordnungen, bereits als eine jener langlebigen gemeinnützigen Sozietäten charakterisieren, denen im 18. Jahrhundert eine gewisse staatstragende, die Elite mobilisierende Funktion zukam und die sich im Verhältnis zu den obrigkeitlichen Organen als ergänzende private Vereinigung verstanden, ohne den Staat und seine Politik in Frage zu stellen.
6.1 Die Moralische Gesellschaft: Ursprung und Ziele Am 10. Oktober 1764 hatte sich die Zürcher Moralische Gesellschaft erstmals versammelt, und zwar unter dem langjährigen Präsidium von Stadtschreiber Salomon Hirzel216. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten ne216 Salomon Hirzel (1727–1818); das Geschlecht stellte eine grosse Zahl an Staatsmännern und Gelehrten; Salomon war der Bruder des Stadtarztes und Ratsherrn Hans Kaspar Hirzel (1725–1803). Er studierte während einem Jahr u. a. beim Wolff-Schüler Daniel Nettelblatt in Halle die Rechte und besuchte auch staatswissenschaftliche
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ben Hirzel und dem späteren Antistes Johann Rudolf Ulrich (1728–1795) zehn weitere namhafte Personen, darunter der Theologe Johann Kaspar Lavater (1741–1801)217, Johann Heinrich Füssli (1745–1832), der Nachfolger Bodmers als Professor der vaterländischen Geschichte, die beiden früh verstorbenen ‚Hessen‘, Heinrich (1741–1770) und Felix (1742–1768), die Brüder Johann Martin (1738–1790)218 und Leonhard Usteri (1741–1789)219; 1770 trat der Nachfolger Ulrichs im Amt des Kirchenvorstehers, Johann Jakob Hess (1741–1828)220, als ordentliches Mitglied bei. Bemerkenswert ist, dass neben etablierten Männern der Generation Hirzel zu den Gründern und frühen Mitgliedern auch Personen des jüngern Schülerkreises um Bodmer gehörten. Repräsentierte jene Vätergeneration das ‚System‘, so förderten die ‚Söhne‘ in den 60er Jahren im Grebel- und anderen Händeln gemäss Graber (1993) auf subversive Weise dessen politisch-ethische Mängel zutage.
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Vorlesungen. 1762 Stadtschreiber, 1768 Kleinrat, 1769 Obervogt zu Horgen, 1773 Geheimer Rat, 1785 Seckelmeister. Gründer der Moralischen Gesellschaft; ausserdem Mitglied der Helvetisch-vaterländischen Gesellschaft zur Gerwi, der Société des citoyens (Bern), der Naturforschenden Gesellschaft, der Ökonomischen Kommission, der Helvetischen Gesellschaft und der Dienstags-Compagnie. Johann Kaspar Lavater (1741–1801) war zusammen mit Johann Heinrich Füssli am Grebel- und Brunner-Handel (1762, 1764) beteiligt; 1769 wurde er Diakon an der Waisenhauskirche, 1778 Pfarrer; 1786 Pfarrer zu St. Peter. Er war Mitglied des HessKreises, der Naturforschenden Gesellschaft, der Ökonomischen Kommission, der Asketischen Gesellschaft, der Helvetischen Gesellschaft. Johann Martin Usteri war Kaufmann im Thalegg, 1769 wurde er Direktor und Zwölfer der Zunft zur Waag; Mitglied des Kleinen Rats und Obervogt zu Birmensdorf und Urdorf 1782; Mitglied der Naturforschenden und Helvetischen Gesellschaft. Leonhard Usteri war der Sohn des Kaufmanns Paulus Usteri im Neuenhof und Bruder von Johann Martin. 1760 Ordination; Reisen in Italien. Professor des Hebräischen am Collegium Humanitatis und ab 1773 Professor Artium (Logik, Rhetorik). Er war führend an der Zürcher Stadtschulreform (vgl. Kap. 2.1) und der Gründung der Zürcher Töchterschule (1774) beteiligt; 1788 Professor der Theologie, Chorherr am Grossmünster. Mitglied des Hess-Kreises, der Naturforschenden Gesellschaft, der Ökonomischen Kommission, der Asketischen Gesellschaft und der Helvetischen Gesellschaft sowie Ehrenmitglied der Berner Ökonomischen Gesellschaft. Johann Jakob Hess wurde 1760 ordiniert, war Vikar seines Onkels in Neftenbach und zog sich dann 1767 ins Privatleben zurück, um sich dem Bibelstudium zu widmen; 1777 Diakon am Fraumünster, 1777–1795 Präsident der Asketischen Gesellschaft; 1795 wurde er Antistes. 1817 Ernennung zum Doktor der Theologie durch die Universitäten Tübingen, Jena und Kopenhagen. Er war Mitglied auch des mit nach ihm benannten Hess-Kreises und der Schuhmachern.
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Nicht nur dieses Neben- und Miteinander verschiedener Patriotismen innerhalb der Moralischen Gesellschaft ist interessant, einen illustrativen Einblick in das Zusammenspiel verschiedener ethisch-politischer und gesellschaftsreformerischer Standpunkte im patriotischen Diskurs der 1760er Jahre gibt zudem der Prozess der Konzeptualisierung und Umsetzung des Programms der Gesellschaft. Der ursprüngliche Plan geht auf den Berner Patrizier Niklaus Anton Kirchberger221 aus dem Jahr 1762 zurück; dieser sah eine gesamteidgenössische Société morale mit Zentrum in Bern vor, lokale Gesellschaften waren in anderen Kantonen vorgesehen.222 Mit einbezogen in den Austausch über das Projekt waren neben Lavater, Leonhard Usteri, Salomon Hirzel und Ulrich auch der Basler Ratsschreiber Isaak Iselin; Kirchberger erlaubte sich zudem, seine Idee dem im neuenburgischen Môtiers weilenden Rousseau zu unterbreiten. Die glühende Verehrung, die er dem Genfer entgegenbrachte, schlug sich ganz offensichtlich in seiner Rede ‚Geschichte der eydsgenössischen Tugend‘, die er 1765 vor dem Äusseren Stand223 halten sollte, nieder: Hier schreibt er den Niedergang des schweizerischen republikanischen Ethos der Semantik der rousseauschen Zivilisationskritik ein, wie sie diesem 1750 den Preis für seinen Ersten Discours eingebracht hatte.224 Kirchberger, Iselin, Ulrich und Hirzel gehörten der na-
221 Niklaus Anton Kirchberger (1739–1799) begann um 1758 eine militärische Karriere; seine philosophischen Interessen führten ihn 1761 dem Zirkel um Julie Bondeli zu und brachten ihn in Kontakt mit Jean-Jacques Rousseau, den er 1762 in Môtiers besuchte. Kirchberger wurde Mitbegründer und Mitglied verschiedener Sozietäten (Société des citoyens, Société morale, Ökonomische Gesellschaft). 1785 wurde er Landvogt zu Gottstatt. Sein Interesse an mystischen Erfahrungen und eine Neigung zum Illuminismus haben sein Denken im Alter zunehmend geprägt (vgl. Faivre 1966). 222 Der Plan von Kirchberger sah vor, dass in der ganzen Schweiz unter dem Dach einer Muttergesellschaft lokale moralische Gesellschaften, u. a. in Zürich, Bern und Basel, entstehen sollten. Weitere lokale Sozietäten, wie sie etwa in St. Gallen, Biel und Solothurn konkret geplant wurden, kamen nicht zustande oder gingen bald wieder ein; die Berner und Lausanner moralischen Gesellschaften, Letztere stand unter der Ägide von Prinz Ludwig Eugen von Württemberg (1731–1795), hatten bis 1768 bestand. Ebenfalls scheiterte ein Reunionsplan des Prinzen aus dem Jahr 1766. 223 Es handelte sich um eine Gesellschaft junger Burger der Stadt Bern. Die Ämterstruktur des Äusseren Standes ahmte das Regiment der Stadt nach; die Mitgliedschaft galt als Teil der politischen und gesellschaftlichen Sozialisation der inskünftig Regierenden. 224 In der Rede bedarf Sittlichkeit allerdings der Bildung; damit tritt bei Kirchberger ein nationalpädagogisches Motiv hinzu, das Rousseaus Wissens- bzw. Wissenschaftskri-
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tional-patriotischen Helvetischen Gesellschaft an; sie waren aber zugleich Mitglieder der kosmopolitisch ausgerichteten Berner Société des citoyens225 (1762–1766). Kirchberger trat mit seinem Plan einer Société morale bzw. Société helvétique, wie sie zuerst genannt wurde, einer Art nationalem Pendant zu jener ambitiösen Société des citoyens, im September 1762 an die Öffentlichkeit. Die Ankündigung im ‚Journal helvétique‘ sprach von einem überregionalen Zusammenschluss, in dem auch Mitglieder aus dem Ausland willkommen seien und dessen Zweck es sei, den dem Menschen eigenen Trieb, die Glückseligkeit seinesgleichen zu befördern, anzuspornen. Kirchberger hatte eine Vereinigung im Sinn, die den Bauern und Handwerker und gar die „Mère de Famille“ ebenso aufnahm wie den Philosophen und Magistraten. Damit war nicht die faktische Aufhebung politischer und gesellschaftlicher Standesunterschiede anvisiert, vielmehr die ständeübergreifende Verwirklichung eines ethischen Ideals, das prinzipiell die ganze Menschheit umschloss. Der utopische Charakter dieses Unternehmens scheint bereits dem Herausgeber des Journals aufgefallen zu sein, wenn er unmittelbar anmerkt: „Quoique nous aïons remarqué bien des inconvéniens dans l‘éxécution du Plan que se propose la nouvelle Société don‘t il s‘agit ici, nous avons cependant crû devoir le présénter au Public tel qu‘il est. Nous sommes persuadés, qu‘un but aussi louable que celui des Fondateurs, leur conciliera l‘amour tik im Ersten Discours fern liegt. Zudem belässt Kirchberger in seiner ‚Geschichte‘ die eigene Zeit in einem positiv-optimistischen Licht. 225 Gemäss Ankündigung im ‚Journal helvétique‘ von Mai 1762 handelte es sich bei der Société des citoyens um eine Vereinigung, die beabsichtigte, „de contribuer à la recherche des vérités les plus utiles aux homes, & les plus propres à avancer leur bonheur […]“ (zit. nach Erne 1988, S. 207). Dem Ziel der Hebung der Glückseligkeit sollte die Erforschung von Gesetzgebung und Moral dienen. Die Société des citoyens orientierte sich organisatorisch an europäischen Akademien. International und glänzend war die Schar der für eine Mitarbeit vorgesehenen Korrespondenten. Von den Angefragten sagten tatsächlich zu: Moses Mendelssohn, die Theologen Johann David Michaelis und Johann Joachim Spalding, der schottische Jurist und Philosoph Lord Henri Home Kames, der Berner Arzt und Gelehrte Johann Georg Zimmermann sowie der inzwischen in Berlin lehrende Winterthurer Johann Georg Sulzer. Für später vorgesehen war auch eine Anfrage an Albrecht von Haller und den berühmten Genfer Mediziner Théodore Tronchin. Eine Absage erhielt die Gesellschaft von Rousseau, keine Reaktion kam unter anderem vom italienischen Gelehrten Francesco Algarotti, von Adam Smith und David Hume; dasselbe gilt für Diderot und d‘Alembert. Neben den Enzyklopädisten erging eine Anfrage sogar an den Materialisten Helvétius (vgl. Erne 1988).
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& le respect de tous les Amis de l‘humanité, que répondant à leurs intentions, on s‘empressera, en rectifiant ce qu‘il peut y avoir d‘impracticable dans leur projet, de séconder leurs sentimens patriotiques, pour en tirer le meilleur parti possible“ (Journal helvétique, September 1762). Zu den Pflichten jedes Mitgliedes gehörte es, im Abstand von sechs Monaten einen Bericht über eine selbst ausgeführte gute Tat einzusenden. Bedingung war weiter, „que les Correspondants comuniqueront à la Société, ils feront les perquisitions les plus éxactes, pour découvrir chez les autres des procédés, qui portent un caractère de bienfaisance, d‘amour pour le travail, de modération, de justice, de fermeté & de noblesse. Ils tacheront de poursuivre la vertu jusque dans cette obscurité, où elle semble quelquefois se cacher. Ces Mémoires, avec le nom & les circonstances des persones principales, qui les ont ocasionés, seront envoïés aux adresses de la Société. On cachera les noms subordonés si la discrètion l‘éxige“ (ebd.). Die Beobachtung der moralischen Integrität bezog sich ausserdem auf die Aspiranten selber und zeugt ebenfalls von einem ausgeprägten moralischen Rigorismus: „Pendant la prémiére année que les Correspondants comerceront avec la Société, on éxaminera avec l‘attention la plus impartiale, tout ce qui peut prouver l‘exellence de leur caractère & la bonté de leurs moeurs. Si le résultat de cet éxamen se trouve satisfaisant, le Correspondant sera admis come membre, dans une Société d‘honêtes gens, qui le recevront parmi eux, avec la joie la plus vive, & l‘amitié la plus sincère: Ce n‘est qu‘après cette Epoque, qu‘il aprendra à conoitre ceux qui composent l‘Etablissement“ (ebd.). Die Gesellschaft, ein Organ der Humanität, wie sie sich selber bezeichnete, plante, jedes Jahr einen Preis auszusetzen; belohnt wurde etwa, „qui, rélativement aux informations reçües, aura le mieux élevé son enfant, tiré le plus grand parti de son champ ou montré le plus de justice & de générosité, & son nom sera écrit avec respect dans les Anales de la Société Helvétique“ (ebd.). Der Preis „sera une marque honorable & non une gratification lucrative; dans nôtre point de vüe ce seroit déshonorer la vertu, que de la récompenser avec l‘or. Si l‘action couronée est d‘une influence considérable, de sorte qu‘elle augmente le bonheur de tout un Païs, nous témoignerons nôtre reconoissance d‘une maniére éclatante & publique: La Société remerciera au nom de l‘humanité don‘t elle sera l‘organe“ (ebd.). Auf die Annonce hin trat Hirzel mit Iselin in brieflichen Kontakt und teilte ihm seine sowie Ulrichs Meinung zu diesem Plan mit. Man wollte das Unternehmen vorerst unbedingt auf eine schweizerische Gesellschaft begrenzen; neben der Muttergesellschaft sollten Filialgesellschaften in ande-
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ren Kantonen ins Leben gerufen werden, wozu man unter anderem an Professor Wegelin226 in St. Gallen gelangte. Am meisten Bedenken rief bei Hirzel die von Kirchberger vorgeschlagene Belohnungspraxis hervor, die seines Erachtens mehr die Eitelkeit, statt die selbstlose Gemeinnützigkeit im Zeichen der Menschenliebe ansporne. Kirchberger verfasste daraufhin einen ausführlicheren Plan für eine Moralische Gesellschaft (ZBZ: J 521, S. 11 ff.). Das vorangestellte Motto stammt aus der vierten Epistel von Alexander Popes ‚An Essay on Man‘ (1734) und ist bezeichnend für den von Kirchberger vertretenen Tugend-Eudämonismus: „Know then this truth, enough for man to know virtue alone is happiness below“. Kirchberger geht davon aus, dass selbst in einer demokratisch verfassten Republik eine Teilung verdienstvoller Menschen nach Ständen existiert. „Dans toutes les Republiques, meme dans les Democraties il y a plusieurs Classes de gens de Merite; separés les uns des autres par des distances accidentelles et qqufois imaginaires; soit des Differences de Liaisons, d‘âge, d‘etat et de Fortune, ou par des Prejugés personels, ou par des disparates d‘Occupation, d‘habitude d‘humeur etc. etc.“ (ZBZ: J 521, S. 26). Indem die vorgesehene Vereinigung für die Aufnahme von Mitgliedern lediglich das Kriterium der Tugendhaftigkeit gelten lässt, soll diese Trennung aufgehoben werden. Die von Kirchberger für die Gesellschaft vorgesehenen Aktivitäten zielen entweder auf das gemeinschaftliche Beste (bien public) oder das Beste des Einzelnen (bien des particuliers) und wurden von der Moralischen Gesellschaft in ihren Statuten übernommen; Ziel ist immer die Beförderung des „Glücks“. Zur ersten Klasse gehört nach Kirchberger unter anderem die Notwendigkeit, der Auswanderung entgegenzuwirken. Bern war besonders in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von einer starken Emigrationswelle betroffen, die viele Wiedertäufer nach Nordamerika zog (vgl. Zuber 1931). Die Problematik blieb jedoch auch deshalb weiterhin aktuell und gab 1764 die Thematik des Preisausschreibens der Ökonomischen Gesellschaft vor (vgl. Kap. 4.6), weil die gängigen populationistischen Bevölkerungstheorien in diesen Tendenzen eine grosse Gefahr für
226 Jakob Wegelin (1721–1791) war zuerst Hofmeister in Bern und dann bis 1747 Pfarrer in Vevey; anschliessend französischer Pfarrer in St. Gallen sowie Professor für Latein und Philosophie. 1765 erhielt er einen Ruf als Professor für Geschichte an die neu gegründete Ritterakademie in Berlin, wo auch Johann Georg Sulzer lehrte; er wurde zum Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften ernannt. Wegelin gehörte zu den wenigen, die Rousseau auch im Hinblick auf seinen religiösen und theologischen Standpunkt verteidigten.
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Wohlfahrt und Sicherheit eines Staates erkannten. Kirchberger führt an, dass der Republik auf diese Weise notwendige Arbeitskräfte entzogen würden; zumindest dürfte deren Verknappung eine Lohnsteigerung mit sich gebracht haben, was vielen Berner Patriziern, die oftmals beträchtliche Güter auf dem Land besassen, missfallen haben dürfte. Auf der anderen Seite und entgegen einem radikalen Physiokratismus war die Beförderung des Handels im volkswirtschaftlich nützlichen Rahmen durchaus vorgesehen. Auch auf strafrechtlich-humanitärem Gebiet wollte man tätig werden und gegen die Folter eintreten. Hier wirkte offenbar die Schrift ‚Dei delitti e delle pene‘ (1764) von Cesare Beccaria, die radikal die Reform des Strafwesens forderte und 1765 die Auszeichnung der Société des citoyens erhalten sollte. Unter die Beförderung des bien particulier fielen Hilfeleistungen an Privatpersonen, die sich als Handwerker oder Gewerbetreibende etablieren wollten; ebenso die Unterstützung gelehriger Bauern, welchen man die Befähigung absprach, von sich aus von agrarreformerischen Entdeckungen zu profitieren. Auch sollten junge Leute, die in wirtschaftlich beschränkten Verhältnissen lebten und ihr Talent nicht entfalten konnten, individuell gefördert werden. Während Hirzel diese gemeinnützigen und pädagogischen Bestimmungen übernahm, fand die folgende Absicht, die als Kritik an den politischen Verhältnissen hätte ausgelegt werden können, keine Aufnahme; nämlich die Hilfeleistung an „[d]es persones oprimees, qui ont besoin de ligue et de credit pour se defendre contre l‘injustice de qque homme puissant, d‘autres qui risquent d‘etre fletri des calomnies. Enfin tous ceux qui souffrent ou qui sont menacés de souffrir, et qui ne peuvent etre garantis par les loix, ni soulangés par les institutions du Souverain. Là ou les Functions des persones publiques finissent, les notres commencent, nous lacherons meme, autant que la Prudence permet, de supleer a ces fonctions lors qu‘elles sont mal faites“ (ZBZ: J 521, S. 55). Auch hinsichtlich der im letzten Satz angesprochenen Kompetenzverteilung zwischen Gesellschaft und Obrigkeit sollte Salomon Hirzel eine grundlegend andere Position einnehmen. Ob und inwiefern Kirchberger sich in diesem letzten Punkt auf politische und rechtliche Systemmängel in seiner eigenen Heimat bezog, lässt sich nicht abschliessend bestimmen. Sensibilisierender Anlass für die unverhohlen kritischen Töne könnte die Affäre Calas geboten haben, die sich gerade in der französischen Monarchie ereignet hatte; bekanntlich führte Voltaire in diesem Justizdrama 1765 die Rehabilitierung des hugenottischen Kauf-
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manns Jean Calas herbei, der 1762 zu Unrecht wegen Mordes an seinem Sohn verurteilt und hingerichtet worden war. Als Reaktion auf diesen ausführlicheren Entwurf wandte sich Hirzel am 4. April 1764 erneut an Iselin. Zwar anerkennt er die edlen, auf Vollkommenheit gerichteten Absichten des Verfassers, plädiert aber, „da alle menschliche Sachen von schwachen Anfängen sich erhoben“ (ebd., S. 87), für eine Einschränkung auf das Praktikable. Die Einladungen an potentielle Mitglieder sollten aus Gründen der Geheimhaltung mündlich ausgehen, und nochmals wendet sich Hirzel dezidiert gegen die von Kirchberger vorgeschlagenen geradezu kultischen Zeremonien zu Ehren tugendhafter Wohltäter. Während Kirchberger eine Ursache des Verschwindens der Tugend, vor allem im Vergleich mit den antiken Republiken, darin sieht, dass Praktiken der Belohnung und Ämulation aus der Gesetzgebung verschwunden sind, sollte Hirzel dann in seiner Eröffnungsrede vom Oktober 1764 nochmals hervorheben, dass Guttaten allzeit im Geheimen auszuführen seien, ohne Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen und der eigenen Eitelkeit zu schmeicheln. War es also Absicht der Gründer der Gesellschaft, „beÿ einer überhandnehmenden Verderbniss im Verborgenen Gutes zu thun, und uns auf den Seegen des Himmels zu verlassen“ (ebd., S. 97, Brief Hirzel an Iselin, 4.4.1764), so lässt sich der strenge Vorsatz der Geheimhaltung einerseits als ethisch motiviert deuten. Daneben ist anzunehmen, dass man obrigkeitlichen Verdächtigungen aus dem Weg gehen wollte. In Zürich hatte erst der Grebel-Handel für Aufsehen gesorgt; in Bern sah sich die Regierung etwas später, im Anschluss an die brisante Preisfrage von 1764 zur Bevölkerungsentwicklung, ebenfalls herausgefordert und beobachtete die Aktivitäten der Ökonomischen sowie der Helvetischen Gesellschaft mit Misstrauen. Zwar gehört es zur Pflicht eines jeden Bürgers einer Republik, zur Wohlfahrt des Gemeinwesens beizutragen, doch ist es Hirzel ein Anliegen, dass sich die Gesellschaft mit ihren Aktivitäten nicht in Bereiche einmischt, die zur Staatshoheit gehören. Umfassende Projekte, die die allgemeine Wohlfahrt (bien public) adressieren, hätten zu viel Ähnlichkeit „mit jennen grossen Absichten, welche die Führer des Staats in ihren Unternehmungen leiten soll“ (ebd., S. 119). Dies könnte der Gesellschaft leicht das Ansehen geben, „als wann wir in die geheiligten Rechte desselben eingreiffen“ wollten (ebd.). Der Tätigkeit der Gesellschaft stehe zwar der ganze moralisch-politische Bereich offen, jedoch nur solange es bei „allgemeinen Untersuchungen“ bleibe (ebd., S. 122 f.): „Hergegen hüten wir uns vor Unternehmungen die in der Stadt laut thönen; welche die
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Sorgen und Rathschläge unsrer Landes-Vätter lange Zeit beschäftigen, und in den Reden unsrer Mitbürger herumgehen sollen“ (ebd.). In seiner Eröffnungsrede spricht Hirzel aber auch von der Gefahr der Missgunst, des Misstrauens und der Verleumdung von Seiten der Mitbürger. Und nicht zuletzt trug moralischer Rigorismus, wie Reaktionen aus der Öffentlichkeit zeigen sollten, die Gefahr des Belächeltwerdens in sich (vgl. ebd., S. 130 f.; J 543, Brief Lavater vom 22.2.1766). Von Anfang an gehörte die Verbreitung moralischer Erzählungen zu den Zielsetzungen der Gesellschaft. Gemäss den von Hirzel 1770, also nach einigen Jahren praktischer Erfahrung, neu entworfenen Statuten (ZBZ: J 521, S. 159 ff.), welche nun die gesamtschweizerische Perspektive nicht mehr enthielten, lässt sich der Hauptzweck der Vereinigung in folgenden Punkten zusammenfassen: „Ausbreitung und Fortpflanzung des Guten. a) Durch gemeinnützige Vorschläge. Beförderung moralischer u. religioser Grundsätze, oder heilsamer Wahrheiten. b) Durch besondere wohlthätige Handlungen, welche den Verstand das Herz, die Gesundheit, die häusliche u. bürgerliche Wohlfahrt besonderer u. einzelner Menschen zum Gegenstand haben. c) Durch Erzählung u. Belohnung guter u. löblicher Handlungen.“ Zu b), den besonderen Wohltaten, gehören: „a) Informationen. b) Handwerks-Erlernungen c) Versorgung armer Kinder d) Geschenke. e) Hülfe zu Etablissements. f ) Charités od Allmosen.“ Die Aufgabe der korrespondierenden Mitglieder, so wurde ebenfalls in der Verfassung von 1770 festgehalten, bestand in der Übermittlung von Nachrichten betreffend den sittlichen Zustand auf der Landschaft; und im Kontext dieses Vorhabens ist auch die Idee zur Schulumfrage anzusiedeln (vgl. Kap. 6.2). Zu den Korrespondenten zählten in erster Linie Landgeistliche, wobei die Namen, wie die Liste227 zeigt, aus vorangehenden Zusammen227 Ab 1767: Johann Jakob Hess (1741–1828), Vikar in Neftenbach, wurde 1770 als ordentliches Mitglied aufgenommen; Felix Waser (Bischofszell, 1722–1799), Heinrich
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hängen bereits bekannt sind; eine Ausnahme bildete der Richterswiler Arzt und Vetter Johann Heinrich Pestalozzis Johannes Hotz (1734–1801). Sie trafen einmal im Jahr an der Hauptversammlung der Gesellschaft – sie wurde wegen des Reisewegs auf das Datum der Synodalversammlung gelegt – mit den ordentlichen Mitgliedern zusammen. Konzeptionierungs- und Realisierungsverlauf der Gesellschaft zeigen, dass der ursprüngliche Plan, der mit seinen Anforderungen an die Mitglieder deren fortschreitende moralische Vervollkommnung anstrebte und gegen aussen weit reichende humanitäre Ziele verfolgte, mit zunehmender Konkretisierung eine Redimensionierung, aber auch eine neue Ausrichtung erhielt. Greift man auf die von Zurbuchen (2000) vorgenommene Unterscheidung zwischen philanthropischem Patriotismus und radikal-politischem Patriotismus zurück, so lässt sich die Ursprungsidee durchaus im Umfeld jenes kosmopolitisch-philanthropischen Ideals eudämonistischer Prägung ansiedeln, wie es abgesehen von Kirchberger prominent von Iselin vertreten wurde. Dieses wandelte sich im Lauf der Programmumsetzung merklich in eine national-patriotische Richtung. Die Kluft zwischen beiden Anschauungen wurde besonders deutlich, als im Jahr 1767 Mitglieder der Moralischen Gesellschaft in Schinznach für die Abschaffung der Auslandsbildungsreisen eintraten. Es war Iselin, der scharf gegen diese Idee auftrat, mit der Begründung, sie würde einen falschen Nationalstolz schüren. Der Basler empfing im Anschluss daran eine anonyme Schmähschrift aus der Mitte der Moralischen Gesellschaft, worauf es dem Präsidenten der Gesellschaft und Freund Iselins, Salomon Hirzel, oblag, die Wogen wieder zu glätten. Eine Brücke zwischen ursprünglichem Plan und ins Werk gesetzten Projekten bildet das moralische ‚Exempel‘, wenngleich auch dessen Funktion einen Wandel erfuhr: Bei Kirchberger diente es nicht zuletzt der Selbstläuterung der Mitglieder, in der Moralischen Gesellschaft befand sich die Zielgruppe ausserhalb der Gesellschaft. Wie in den Statuten festgehalten, war
Näf (Hombrechtikon, 1720–1791), Johann Georg Schulthess (Stettfurt, 1724–1804), Johannes Tobler (Ermatingen, 1732–1808), VDM Hess (Kloten, 1742–1768); ab 1768: Johann Jakob Oeri (Erlenbach, 1724–1790), Johann Konrad Fäsi (Uetikon, 1727– 1790), Johann Heinrich Schinz (Altstetten, 1726–1788), Heinrich Keller (Schlieren, 1728–1802), Johann Jakob Hess (Hauptwil, 1743–1819), Keller (aus Pfyn, Näheres konnte nicht eruiert werden), Dietrich Locher (Oetwil, 1730–1782); ab 1769: Johann Kaspar Tobler (Dietlikon, 1735–1820); ab 1773: Dekan Heinrich Escher (Pfäffikon, 1728–1814).
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es ein erklärtes Ziel der Gesellschaft, Erzählungen tugendhafter Handlungen einzelner Personen zu Publikationszwecken zu sammeln. Tatsächlich gelangte man bereits nach der ersten Zusammenkunft im Oktober 1764 mit einem Schreiben an verschiedene Landgeistliche sowie andere potentielle Kontaktpersonen mit der Bitte um Beiträge. In schriftlicher Form überliefert ist allerdings einzig die Lebensbeschreibung des Hirslander Bauern Beat Häusli durch Lavater aus der Zeit um 1765 (vgl. Schmitz 2002). Nachdem ihm bereits in der Moraltheorie Bodmers und im patriotischen Tugenddiskurs ein zentraler Stellenwert eingeräumt worden war (vgl. VolzTobler 1997; Zurbuchen 2000), behielt die didaktische Form der Beispielerzählung zum Zweck der sittlich-moralischen Erziehung ihren Stellenwert, wie im Vorangehend deutlich geworden ist, auch im Rahmen des Schulreformdiskurses. Schliesslich war die Gesellschaft an der Herstellung und Verbreitung religiösen und moralischen Schrifttums massgeblich beteiligt (vgl. Kap. 5.4). Ausschlaggebend war dabei eine Anfrage des Gründungsmitglieds Johann Heinrich Schinz (1727–1792)228, Amtmann in Embrach, welche Bücher am Examen an fleissige Kinder auszuteilen man empfehle. Dies brachte die Mitglieder auf den Gedanken, dem konstatierten Mangel an „einfältigen und gemeinnützigen Andacht und Sitten-Bücher“ abzuhelfen, indem man solche verfassen und selber herausgeben wollte (ZBZ: J 531, 3.1.1765). Felix Hess beantragte am 20.3.1766, zum Zweck der Sammlung tugendhafter Handlungen die englische Missions- und Bibelgesellschaft De Propaganda Fide anzuschreiben. In der Folge etablierte sich der Kontakt, und am 7.11.1767 erhielt die Moralische Gesellschaft tatsächlich eine Sendung mit Schriften, welche die Gesellschaft zur Beförderung der Religion und Moralität austeilen wollte. Über die Jahre hinweg konstant blieb in der Moralischen Gesellschaft der Vorrang der Wohltaten zugunsten von Einzelpersonen oder -haushalten (bien des particuliers) auf dem Land wie in der Stadt. Wie bereits in Kirchbergers hoch gestecktem Programm enthalten, gehörten dazu in
228 Er war ausserdem Grossrat, 1775–1792 als Zunftmeister der Bäcker und Müller Mitglied des Kleinen Rats, 1775–1778 Obervogt zu Wettswil und Bonstetten, 1780–1784 im Neuamt; 1783–1789 Obmann gemeiner Klöster. Schinz gehörte zu den Mitbegründern der Helvetischen Gesellschaft, deren Präsident er 1767 war; Mitglied der Naturforschenden Gesellschaft und der Dienstags-Compagnie. Er war ein Förderer der Landwirtschaft, Statistiker und Übersetzer englischer Schriftsteller (vgl. HBLS 1931, Bd. 6).
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erster Linie Hilfeleistungen an in ihrer Existenz bedrohte Handwerker und ihre Familien; arme Jungendliche und Waisen wurden zum Zweck der Erlernung eines Handwerks finanziell unterstützt; weitere Spenden dienten der Beförderung des Religionsunterrichts oder gelangten an minderbemittelte Schulmeister. Neben der kostenlosen Privatunterweisung durch Geistliche – den Unterricht in der Religion und Moral in den öffentlichen Anstalten beurteilte man insgesamt als ungenügend – organisierte und finanzierte die Gesellschaft auch Unterricht für Handwerkslehrlinge im Zeichnen und Rechnen (ZBZ: J 543, 1767, „Anmerkungen über unsre Massregeln in Ansehung der Erziehung“). Für die vernachlässigte Jugend auf der Landschaft sah man eine Unterbringung bei ehrenhaften Leuten vor, wo sie zu einer ihrer Bestimmung gemässen Arbeit erzogen werden sollten. Das ausgewiesene Engagement im Handwerkssektor hatte seine Ursache in Klagen über den Verfall oder sogar das Aussterben gewisser Handwerkszweige; dabei geriet auch die Monopolstellung der Zünfte, die die Preise in die Höhe trieb und zugleich die Qualität herabminderte, in die Kritik (ZBZ: J 543, 1767). Diese Thematik findet man nicht nur in Kirchbergers Ausführungen, sondern sie war in den 60er Jahren auch Diskussionsgegenstand in der Berner Ökonomischen Gesellschaft, der Kirchberger angehörte, und zwar im Zusammenhang mit Fragen der Bevölkerungspolitik und Volkswirtschaft (vgl. Abhandlungen und Beobachtungen durch die ökonomische Gesellschaft zu Bern gesammelt sowie das französischsprachige Pendant: Mémoires et observations recueillis par la Société Œconomique de Berne). Diskutiert wurden Mängel der handwerklichen Produktion, die angesichts gestiegener Ansprüche an die Qualität und auch an den ‚Geschmack‘ befürchten liessen, mit dem Ausland nicht mehr konkurrieren zu können. Als notwendig erachtete man deshalb auch, die Handwerkerausbildung zu überprüfen und zu unterstützen. Das christlich-republikanische Selbstverständnis, das von jedem einzelnen Bürger und Christen verlangte, nach Kräften zur Beförderung des Gemeinwohls und des Nächsten beizutragen, vermochte es offenbar, Gesellschaftsangehörige verschiedener Provenienz und Couleurs – betreffend Generationenzugehörigkeit und politische Gesinnung – langfristig zusammenzuhalten. Die entsprechende patriotische Gesinnung als Motor gemeinnützigen Handelns wird denn auch von Hirzel in seiner Eröffnungsansprache aus dem Jahr 1764 prononciert (ZBZ: J 521). Zur Zeit der Gründung lassen sich grob zwei Freundeskreise eruieren: einerseits ein gemässigter Reformflügel um Iselin/Hirzel mit Johann Ru-
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dolf Ulrich, Johann Heinrich Schinz, David von Wyss und Kaspar Keller, die sich bereits in der Dienstags-Compagnie zusammenfanden; eine zweite Gruppe bildeten die ehemaligen Mitglieder des so genannten HessKreises um Lavater mit Felix Hess, Leonhard Usteri und Johann Jakob Hess, die damals dem radikaleren Flügel der Patrioten zuzurechnen waren. Neben den namengebenden moralischen Zielsetzungen, die relativ unspezifisch patriotisch, aber auch christlich-caritativ unterlegt waren, war es wohl auch die stetige Beschäftigung mit kleineren, zum Teil aber längerfristigen und immer praktisch ausgerichteten Projekten, welche die Integration ermöglichte und der Gesellschaft den überaus langen Bestand von rund einem Jahrhundert gewähren sollte. Diese Unternehmungen bedurften keiner weiteren ideologischen Erörterung, was Konfliktpotential minimierte. Hirzel war als Vorsteher offenbar darauf bedacht, eine Politisierung der Gesellschaft zu vermeiden. Als nämlich Johann Heinrich Füssli in der Versammlung vom 10.6.1765 aus seiner „Abhandlung über die Freyheit von politischen und geistlichen Materien überhaupt, und in einem Staat, wie der unsrige ist, besonders, zureden und zuschreiben“ (ZBZ: J 531) vorlas, bemerkte jener im Hinblick auf eine Publikation, „die Schreibart sey zu hitzig – ferner, dass eine unumschränkte Freyheit mit der Zeit schaden könnte, – dass eine neue Legislation nicht bey der Bürgerschaft stehe […]“.229 Ist die Frage der ethischen und politisch-patriotischen Ausrichtung der Moralischen Gesellschaft und ihrer Angehörigen aufgeworfen, drängt es sich auf, Letztere auf allfällige Mitgliedschaften in anderen Reformsozietäten hin zu charakterisieren (vgl. Schmitz 2002). Einer Gesellschaft beizutreten, bedeutet ein freiwilliger Akt. Insofern die Sozietäten der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts jeweils ganz bestimmte Werte und Ziele in ihren Statuten führten, kam einer Mitgliedschaft identitätstiftende Funktion zu; als Beziehungsnetze konnten Mitgliedschaften, utilitär gedeutet, natürlich auch der Karriereplanung dienlich sein. Die Frage erscheint deshalb interessant, welchen anderen Sozietäten die Mitglieder der Moralischen Gesellschaft angehörten. Reduziert auf den hier relevanten Zeitabschnitt von der Gründung bis 1780 zeigt sich bezüg229 Auch Ulrich und Leonhard Usteri kritisierten den Vortrag, Ersterer mit dem Einwurf, „die Eidgenossen würden sich widersetzen, wenn eine andere Regierungsform durch ein anders als ein Consentement general eingeführt wurde“; der Zweite wendete ein, „der Verfasser habe nicht bestimmt, wie eine Veränderung der Regierungsform zugehen müsste“ (ZBZ: J 531).
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lich der 27 beigetretenen Mitglieder folgendes Bild230: Der Naturforschenden Gesellschaft gehörten 17 Mitglieder an,231 davon viele ebenfalls der Ökonomischen Kommission. Der Asketischen Gesellschaft traten ebenfalls acht Personen bei, wobei es sich dem Zweck der Gesellschaft entsprechend insgesamt um Geistliche bzw. Absolventen der Theologie handelte.232 Zur Helvetischen Gesellschaft stiessen 13 Mitglieder, mit grosser Überschneidung zur Naturforschenden Gesellschaft233. Neben der Berner Ökonomischen stellten die Mitglieder der Naturforschenden Gesellschaft den Grundstock der Schinznacher Gesellschaft; bezogen auf Zürich war die dreifache Mitgliedschaft in der Helvetischen, der Naturforschenden und Moralischen Gesellschaft am häufigsten. Dies verweist einerseits auf den insgesamt eher gemässigten Charakter dieser Personen, anderseits kann man festhalten, dass sich beinahe sämtliche Mitglieder des radikalen Hess-Kreises nach dessen Auflösung in der Moralischen Gesellschaft einfanden, nämlich Felix und Johann Jakob Hess, Leonhard Usteri und Johann Kaspar Lavater. Lavater hatte damals zusammen mit Johann Heinrich Füssli (Maler, 1741–1825) mit einer anonymen Klageschrift den Skandal um den korrupten Landvogt Felix Grebel angezettelt. Nach der Verurteilung Grebels setzten sich beide zusammen mit Felix Hess und Johann Georg Sulzer nach Berlin ab, wo Letzterer sich bereits etabliert hatte. Dort erfolgte auch ein Besuch bei Johann Joachim Spalding, dessen Abhandlung ‚Betrachtung über die Bestimmung des Menschen‘ (1748) in Zürich starken Widerhall fand (vgl. Kap. 8.2.1). 230 Auswertung aufgrund: Im Hof/de Capitani 1983; ZBZ: J 521, 50. Rede Salomon Hirzels vor der Moralischen Gesellschaft, gehalten am 27.1.1814; Schmitz 2002; Abriss von dem Ursprung, der Verfassung und den Arbeiten der Ascetischen Gesellschaft in Zürich 1790; StAZH: B IX 206, Mitgliederverzeichnis der Naturforschenden Gesellschaft. 231 Salomon Hirzel, Johann Kaspar Keller, Johann Heinrich Füssli, Leonhard Usteri, Heinrich Hess, Johann Kaspar Lavater, Johann Martin Usteri, Johann Heinrich Schinz (1727–1792), David von Wyss (1737–1815), Daniel von Muralt, Konrad Rahn, David Breitinger, Johannes Tobler, Johann Rudolf Schinz (1745–1790), Ludwig von Meiss, Salomon Schinz, Johann Jakob Scheuchzer. 232 Johann Kaspar Lavater, Leonhard Usteri, Johann Jakob Hess, Ulrich Irminger, David Breitinger, Jakob Christoph Nüscheler, Johann Rudolf Schinz (1745–1790); Johann Rudolf Ulrich übernahm 1777 als Antistes die Direktion. 233 Salomon Hirzel, Johann Kaspar Keller, Johann Rudolf Ulrich, Johann Heinrich Füssli (1745–1832), Leonhard Usteri, Johann Kaspar Lavater, Johann Martin Usteri, Johann Heinrich Schinz (1727–1792), David von Wyss (1737–1815), David Breitinger, Salomon von Orelli, Johann Rudolf Schinz (1745–1790), Ludwig von Meiss.
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Schliesslich finden sich Überschneidungen mit der Helvetisch-vaterländischen Gesellschaft zur Gerwi, nämlich mit Salomon Hirzel, Heinrich Füssli und Johann Rudolf Schinz; der radikaleren Historisch-politischen Gesellschaft zu Schuhmachern gehörte allerdings lediglich Heinrich Füssli (Obmann, 1745–1832) an. Bezüglich der als Referenz herangezogenen Gesellschaften wurden in der Literatur bereits unterschiedliche Kategorisierungen vorgenommen: so von Rolf Graber (1993) im Hinblick auf die Zürcher Naturforschende Gesellschaft einerseits, die die systemstabilisierende Ideologie der ‚ökonomischen Patrioten‘ vertreten habe, sowie anderseits die Historisch-politische Gesellschaft zu Schuhmachern und die Helvetisch-vaterländische Gesellschaft zur Gerwi, deren Personal den systemsprengenden ‚politischen Patriotismus‘ verkörperte. Ausgehend von dieser Einteilung nach staatskritischem Potential stellt Graber fest, dass die einst revolutionswillige Jugend, die sich in den letztern beiden Sozietäten um ihren Lehrer Bodmer versammelte und sich um 1762 im geheimen Hess-Kreis traf, Ende 60er Jahre ihre Aktivitäten in regierungskonforme Reformgesellschaften wie die Naturforschende verlegte; zu diesem Typ gehörte auch die Moralische Gesellschaft, ebenso die Asketische Gesellschaft, die in den 70er und 80er Jahren das Thema der Landschulen aufnahm. Bettina Volz-Tobler (1997) wiederum unterscheidet ausgehend von verschiedenen Patriotismen die historischpolitische Richtung, als deren Hauptrepräsentant Bodmer mit seinen Gesellschaften (Schuhmachern, Gerwi) gilt, die gemeinnützige Richtung, vertreten durch die moralischen und ökonomischen Gesellschaften, und schliesslich den Patriotismus im Sinne der „gefühls-betonte[n] Demokratie“ (S. 48), wie er in der Helvetischen Gesellschaft zelebriert wurde. In terminologischer Anlehnung an Volz-Tobler nahm schliesslich Zurbuchen (2000) aufgrund verschiedener Tugendkonzepte und Moraltheorien die Unterscheidung zwischen ‚radikal-politischem Patriotismus‘ und ‚philanthropischem Patriotismus‘ vor. Beide Gesinnungen trafen mit Bodmer bzw. seiner Zürcher Schülerschaft einerseits und dem Kreis um Iselin anderseits in der Helvetischen Gesellschaft aufeinander; es scheint, als hätte die nach Volz-Tobler dritte Spielart es hier längerfristig geschafft, die konfligierenden Ideologien zu harmonisieren. Zurückkommend auf die Unterscheidung Grabers mit Bezug auf die Zürcher Verhältnisse der 60er und 70er Jahre lässt sich festhalten, dass sich die Moralische Gesellschaft zumindest von der politisch-ideologischen Herkunft der einzelnen Mitglieder her einer strikten Zuordnung widersetzt. Umgekehrt könnte man folgern, dass dessen Einteilung das
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Trennende in der Gesinnung der Akteure stärker macht als es gegenüber dem Vereinenden offenbar war. Mit Hirzel gehörte die Leitung zudem einer Persönlichkeit, die immer wieder das Gemeinsame gegenüber dem Trennenden hervorhob und stark konsolidierend wirkte. Dies lässt sich anhand dreier politisch bzw. theologisch heikler, auch innerhalb der Gesellschaft konfliktträchtiger Ereignisse und deren Bewältigung aufzeigen. Vor allem das erste Beispiel steht zudem für die zumindest zu Beginn noch vorhandene Breite des Gesinnungsspektrums unter den Mitgliedern. Der Beförderung des Zusammenhalts und der Herstellung von Einigkeit dienten in besonderem Mass die Reden, die Salomon Hirzel als Präsident alljährlich im Sinn eines Rückblicks auf die vergangenen Ereignisse hielt. Auf Ende 1769 widmete er diese einem „glücklichen“ und einem „bedauerlichen“ Vorfall (ZBZ: J 522): Einerseits fiel damals gerade die Wahl des neuen Antistes auf das Gesellschaftsmitglied Ulrich; im gleichen Jahr wurde ein anderes Mitglied234, Jakob Heinrich Meister, aus Zürich verbannt und dem Theologenstand enthoben. Dies geschah aufgrund der Publikation seiner auf deistischen Annahmen basierenden theologischen Schrift mit dem Titel ‚De l‘origine des principes religieux‘ (vgl. Kap. 9.3). Hirzel schlägt in seiner Ansprache zum Fall Meister einen Ton des Bedauerns und Mitleids gegenüber einem Freund an, der – mit seiner Infragestellung der Offenbarung – vom rechten Glaubensweg abgekommen ist. Das Bedauern ist umso grösser, da man an Meister grosse Gaben entdecken konnte, die er zugunsten seines Vaterlandes hätte einsetzen können. Die Verirrung wird teilweise mit jugendlichem Leichtsinn, Eitelkeit und ‚Übereilung‘235 entschuldigt. Zugleich warnt Hirzel seine Kollegen vor einer allzu scharfen Verurteilung; man dürfe Meisters Irrtum nicht blindlings als Verbrechen bestrafen. Nachsicht sei auch geboten, um Meisters betagten Vater, den gelehrten Küsnachter Pfarrer und Bodmer-Freund Heinrich Meister, der ausgehend von der Enquête bereits mehrfach zitiert
234 Von ihm existiert zwar eine Absage auf eine Anfrage hin, als korrespondierendes Mitglied der Gesellschaft beizutreten (ZBZ: J 543, Brief vom 2.8.1764), zugleich erscheint sein Name aber auf dem Mitgliederverzeichnis (ZBZ: J 521). 235 Der Begriff geht wohl auf Thomasius‘ Einteilung der Vorurteile zurück, wie er sie u. a. in der ‚Einleitung zu der Vernunfft-Lehre‘ (1691/1998), im dreizehnten Hauptstück von den Irrtümern, ausführt. Irrtum rührt demnach entweder von einem falschen (vor allem scholastischen) Autoritätsglauben oder von gedanklicher Übereilung her.
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worden ist (vgl. auch Kap. 7), zu schonen. Auf Ende des Jahre 1772 geht Hirzel dann auf die inzwischen erfolgte Begnadigung Meisters ein. Er trägt der Gesellschaft die Rede vor, die er vor dem Rat zur Verteidigung Meisters gehalten hat, wobei nochmals deutlich wird, dass ideologischer Dissens – von einem solchen kann man bezüglich Hirzels und Meisters theologischen Anschauungen ausgehen – durch ein freundschaftliches Wohlwollen auf der Ebene der persönlichen Beziehungen abgemildert oder gar sublimiert werden konnte. Wohl um diese Haltung auf die anwesenden Mitglieder zu übertragen und allenfalls mässigend auf diese einzuwirken, widmete Hirzel die weiteren Ausführungen dem Thema der Nachrede, der guten und der schlechten. Gerade daraus lässt sich schliessen, dass nicht alle Mitglieder mit Hirzel übereinstimmten – Lavater und Ulrich nachweislich nicht (vgl. Muraro-Ganz 1997) –, es handle sich bei Meisters Schrift lediglich um einen verzeihlichen, dem jugendlichen Übermut zuzuschreibenden Irrtum. Hirzels mässigende Rolle angesichts möglicher Konflikte unter den Mitgliedern sollte sich eindrücklich am Beispiel der Zunftunruhen von 1776/1777 zeigen. Damals forderte die Bürgerschaft ihr Mitspracherecht in aussenpolitischen Belangen – es ging um die Erneuerung des Bündnisvertrages mit Frankreich – von der Regierung mit Memorialen, Versammlungen und Pamphleten ein. Als Ratsherr Hirzel am Ende des Jahres 1776 auf die politischen Ereignisse zu sprechen kam, nahm er noch eine pragmatische, wenn auch nicht begeisterte Haltung gegenüber dem Bündnis ein; gleichzeitig ermahnte er aber die Adressaten, sich von öffentlichen Auseinandersetzungen fern zu halten (ZBZ: J 522). Die Rede stellt insgesamt ein Plädoyer für Versöhnung, Frieden und christliche Nächstenliebe dar. Der einzige unter den Gesellschaftsmitgliedern, der allerdings offen gegen den Vertrag Stellung bezogen hatte, war wiederum Johann Heinrich Füssli (vgl. Erne 1988). Im Jahr darauf, als die Lage dann eskalierte, nahm Hirzel deutlicher Stellung: Die Einmischung der Bürgerschaft und Zünfte in Fragen der Grundgesetze deutet er als Ausgeburt der Leidenschaften, basierend auf Egoismus und Profilierungssucht, welche Vaterlandsliebe und den Respekt vor der väterlichen Regierung untergraben. Wer Ambitionen habe, die über seinen Beruf und Stand hinausgehen, der solle diese nicht auf die unlautere Einforderung ungebührlicher Freiheiten, sondern auf sein Haus, das gemeine Beste und Nützliche anwenden. Es folgt der Appell: „Mitbürger umarmt eure Obrigkeit, ihr umarmt euren Wohlstand, die gute Ordnung und jedes Gefühl der Rechtschaffenheit eurer Brüder; sie sind Menschen“ (ebd., S. 47). Die Obrigkeit regiert in Analogie zum Hausvater, der die von Gott
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empfangenen Rechte über seine Kinder ausübt. Wenn aber „die väterliche Gewalt dahin ist“, warnt Hirzel, „dann steht es schlecht um die Gewalt der Obrigkeit, besonders in freien Staaten“ (ebd.). Ein drittes interessantes Datum stellt die Hinrichtung Pfarrer Johann Heinrich Wasers dar, der ebenfalls mit seinen Äusserungen anlässlich der Enquête bereits mehrfach zu Worte gekommen ist (vgl. auch Kap. 4.3.3 und Kap. 8). Waser gehörte zwar nicht der Moralischen Gesellschaft an, jedoch wie viele aus deren Mitte der Asketischen und Naturforschenden Gesellschaft sowie der Ökonomischen Kommission. In Wasers Todesjahr 1780 widmete Hirzel seine Rede der ausführlichen Darstellung dessen Charakters, Lebens und Schicksals (ZBZ: J 523). Hirzel kannte Waser sehr gut, war dieser doch eine Zeit lang als Hauslehrer bei ihm angestellt, Hirzel war Taufpate eines seiner Söhne, und auch später kam es immer wieder zu Begegnungen; Hirzel gehörte der obrigkeitlichen Untersuchungskommission an, die sich mit den Veruntreuungen in Wasers Gemeinde befasste (vgl. Kap. 4.3.3). Indem er Wasers Schicksal auf dessen Charakter zurückführt, gelingt es ihm auch in diesem Fall, die Ereignisse zu personalisieren und damit zu entpolitisieren. Der Protagonist wird damit zum moralischen ‚Exempel‘ im negativen Sinn. Hirzel gibt an, Wasers eigensinnige Wesensart habe sich bereits in der Kindheit gezeigt, wie er auch später einen Hang zu leidenschaftlichen Ausfällen und ein ungeschlachtes Auftreten gezeigt habe. Sein als missraten dargestellter Lebenslauf, das wird in der Rede deutlich, war nicht nur von Beginn weg angelegt, sondern durch die Vorsehung schicksalhaft bestimmt. Entgegen seiner eigenen Herkunft ging Waser eine Ehe mit einer Tochter gehobenen Standes ein, was der Redner als Mesalliance bezeichnet, die wie vieles andere Ausdruck seiner Eitelkeit, seines Wunsches nach sozialem Aufstieg sei. Er kommt nicht umhin, Wasers Fleiss und seine Gewissenhaftigkeit als Pfarrer in der Kreuzgemeinde zu loben, seine Hingabe an die Armen und Kranken sowie sein unermüdliches Engagement zugunsten des Schulwesens. Äusserst negativ beurteilt Hirzel hingegen dessen Verhalten im Anschluss an seine Amtsenthebung im Jahr 1774. Er beschreibt ihn als verbittert, starrköpfig, unbescheiden und insbesondere undankbar in seinem Auftreten gegenüber obrigkeitlichen Personen; so etwa auch gegen Bürgermeister Heidegger, der ihn nach seinem Fall mit wissenschaftlichen Aufträgen auch historischer und politischer Art betraut hatte – oder besser: beschäftigt hielt. Vor allem Eitelkeit und Ehrgeiz hätten ihn seinen wissenschaftlichen Studien zugetrieben, deren Qualität Hirzel jedoch uneingeschränkt anerkennen muss, um zugleich
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zu beklagen, dass er sein Talent nicht in den Dienst an seinem Vaterland gestellt hatte.
6.2 Die Enquête von 1771: Entstehung und Motive Einen wichtigen Anstoss zur Diskussion der Mängel des Landschulwesens gab die Moralische Gesellschaft mit ihrer Initiative zu einer Umfrage betreffend dessen realen Zustand. Die Landschul-Enquête folgte der Reformlogik, wonach die Erhebung des Ist-Zustandes allfälligen Interventionen vorangeht. Tatsächlich verwies Antistes Ulrich in seinem Schreiben vom 7. Juli 1771 an die Dekane und Pfarrer explizit auf die Notwendigkeit, dass vor der Einleitung von Massnahmen zuerst der Zustand der Schulen, ihre Mängel und deren Ursachen einer Evaluation unterzogen werde müssen (StAZH: E IV, Stein am Rhein, Mp. 7). Enqueten kamen damals gerade ‚in Mode‘, wenngleich eine statistische Auswertung der Daten nicht immer erfolgte; dies gilt etwa auch im Fall der Ökonomischen Tabellen, wie sie von der Zürcher Ökonomischen Kommission erstellt worden sind. Schliesslich handelte es sich bei der Statistik um einen jungen Wissenschaftszweig, der sich an den deutschen Universitäten innerhalb der Staatenkunde gerade erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts herausbildete (vgl. Lischke/Michel 2001). Die Ökonomische Kommission der Naturforschenden Gesellschaft führte auch die offiziellen Volkszählungen durch und wurde ähnlich einer Ratskommission mit wichtigen Staatsaufgaben betraut; damit fungierte sie – im Gegensatz zur Berner Ökonomischen Gesellschaft – in vielen Belangen als obrigkeitliches Organ (vgl. Simon 1984). Inwiefern handelt es sich bei der Schul-Enquête von 1771 um eine neuartige Erscheinung, und inwiefern gab es Vorläufer und konnte sie auf Vorbilder zurückblicken? Allgemein lässt sich vorerst festhalten, dass die Pfarrer seit der Reformation beauftragt waren, Daten und Informationen über die Untertanenbevölkerung zusammenzutragen. Die Erfassung der Gemeindeglieder war Teil ihrer Amtspflicht, und oftmals waren es Landpfarrer, die sich im Privaten im Rahmen so genannter Favoritstudien mit statistischen Berechnungen beschäftigten. Dazu standen ihnen einerseits die Tauf-, Ehe- und Sterberegister zur Verfügung; zudem führte Antistes Breitinger 1634 die Bevölkerungsverzeichnisse ein, in denen die Pfarrer zu Handen der Kirchenleitung sämtliche Haushaltungen der Gemeinden aufführen mussten. Hier nun fanden auch im Hinblick auf Fragen des Un-
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terrichts und der Alphabetisierung relevante Auskünfte von jeher Eingang, etwa mit den Angaben zur Beherrschung des Katechismus, von Gebeten und Psalmen sowie zur Lese-, selten zur Schreibfähigkeit der einzelnen Personen; zuweilen wurde auch der Bücherbestand eines Haushaltes aufgezeichnet oder Beruf bzw. Arbeitstätigkeit der einzelnen Glieder festgehalten. Bereits für die Jahre 1735 und 1742 findet man Scholarien, das heisst gesammelte Beschreibungen der Schulen auf der Landschaft. Sie wurden aus den Akten der Examinatoren sowie den die Schulen betreffenden Angaben in den Visitationsberichten der Dekane extrahiert (StAZH: E II 490, 490a). Ab Herbst 1770 stösst man auf vorgedruckte Formulare und damit den offensichtlichen Wunsch nach einer Standardisierung der halbjährlichen Visitationsberichte. Neben den Fragen über den katechetischen Unterricht hatten die Pfarrer unter der Rubrik „Schulen“ Auskunft zu geben über die Anzahl der Schulen, den Schulmeister, die Existenz einer Sommerschule, die Anzahl der Schulkinder, die Wahrnehmung der Aufsichtspflicht durch den Pfarrer und die Anzahl der von ihm jährlich abgehaltenen Examen. Das Interesse an Schule, Unterricht und Erziehung war in erster Linie kirchen- und bevölkerungspolitisch motiviert, was sich auch für Bern konstatieren lässt. 1764 wurde im ganzen Staat Bern eine Armen-Enquête durchgeführt, wobei in diesem Zusammenhang auch die Erziehungssituation auf dem Land interessierte (vgl. Wyss 1978). Ein umfangreicher Fragenkatalog fand 1780 Verwendung, als man sich im BernKapitel über den Religionszustand informieren wollte, wiederum mit Fragen unter anderem zum Schulunterricht und den verwendeten religiösen Schriften (vgl. ebd.). Neben der Überwachung der Glaubensvermittlung waren es typischerweise Wirtschaftskrisen und diese begleitenden Phänomene wie Hungersnot, Bettel und Auswanderung, welche den Wunsch nach Bevölkerungsdaten aufkommen liessen und zu Volkszählungen, Armenenqueten etc. führten. Die Entwicklung der (Bevölkerungs-)Statistik ging einher mit einem auch in Zürich bereits seit Beginn des 18. Jahrhunderts deutlich zunehmenden staatlichen Ordnungsbedürfnis, das sich ausserdem in einer Differenzierung behördlicher Aufgaben äusserte (vgl. Maissen 2006). Zudem dominierten im 18. Jahrhundert populationistische Bevölkerungstheorien, die sich in den zeitgenössischen kameral- und polizeiwissenschaftlichen Konzepten niederschlugen. Wie erwähnt (vgl. Kap. 4.3.3 und Kap. 6.1), deutete man die Zunahme der Bevölkerung gemeinhin als Zeichen des Wohlstands eines Staatswesens; die Volkszahl verkörperte einen „Gradmesser
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der öffentlichen Glückseligkeit, sie war das aussagekräftigste Barometer des Wohlstandes, sie bildete den Prüfstein für die Qualität der politischen Verfassung, der gesellschaftlichen Institutionen und des sittlichen Zustandes des jeweiligen Landes“ (Fuhrmann 2001, S. 261). Der Zweck des Staates bestand gemäss aufgeklärten Staatstheoretikern in der Gefolgschaft Wolffs in der ‚Glückseligkeit‘, woraus sich die Beschäftigung mit dem Bevölkerungswesen als obrigkeitliches Aufgabenfeld ableitete (vgl. Tribe 2001). Zwar fand in Zürich bereits 1715 eine Schulerhebung statt,236 dennoch stellt die Landschul-Enquête von 1771 in ihrer differenzierten pädagogischen Ausrichtung tatsächlich ein Novum dar. Jene wurde vom Examinatorenkonvent veranlasst und beschäftigte sich mit Fragen zur Anzahl der Schulen und Schulkinder, Unterrichtsdauer, Haltung von Sommerschule, zur Höhe und Herkunft der Schulmeisterbesoldung, zur Person des Schulmeisters und dessen Fähigkeiten, zum Unterrichtsstoff, und schliesslich durften die Pfarrer Wünsche für eine Schulverbesserung anbringen (vgl. Stauber 1920). Im Gegensatz zum Fragenschema von 1771 bezog sich der ältere Fragebogen fast ganz auf die äusseren Rahmenbedingungen, jedoch noch kaum auf den eigentlichen Unterricht und dessen Methoden. Erst wenn man den Blick auf das benachbarte Ausland ausweitet, findet man für die Zeit vor 1770 ähnlich ausgearbeitete Erhebungsraster. Dass man in Teilen Zürichs über Reformunternehmen auf deutschem Gebiet informiert war, hat die Analyse der Landschuldiskussion der 1770er Jahre bereits gezeigt. Dies galt gerade auch bezüglich des Kurfürstentums Hannover, das ein verhältnismässig fortschrittliches Niederes Schulwesen besass und bereits früh mit der Institutionalisierung der Lehrerbildung begonnen hatte. Hier waren die Pfarrer seit den 1730er Jahren verpflichtet, vierteljährlich ausgehend von einem standardisierten Fragenkatalog Kirchen- und Schulberichte an das Konsistorium zu übermitteln. Dieses Instrument entwickelte sich in den folgenden 50 Jahren von einem grob gegliederten zehnteiligen Schema, das die äusserlichen Merkmale der Kirchen- und Schulzucht in den Gemeinden abfragte, zu einem differenzierten Erhebungsbogen; in diesem waren Fragen aufgeführt auch zur geschlechtsspezi236 Gemäss Mantel (Erziehungsrat des Kantons Zürich 1933a, S. 42) gab eine Schenkung zur Verbesserung ärmlicher Schulmeistergehälter den Anlass für die Erhebung. Bemerkenswert ist, dass bereits vereinzelt auch die Schulmeister selber die Fragen beantworteten (vgl. Stauber 1920), im Gegensatz zu den überlieferten Dokumenten von 1771/1772, die die Vermutung nahe legen könnten, jene seien dazu (noch) nicht im Stand gewesen.
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fisch differenzierten Teilnahme an Unterrichtsfächern wie Schreiben und Rechnen, zu Lehrinhalten, Lehrerqualifikation sowie zu den sozialen, ökonomischen und mentalen Charakteristika der jeweiligen Gemeinde (vgl. Hofmeister 2006). Weitere Beispiele für Schulerhebungen, die über die gewöhnlichen Visitations- und Inspektionsberichte hinausgingen, liegen für die anschliessenden Jahrzehnte vor. Für das katholische Fürstbistum Münster findet man einen Fragenkatalog, durchaus vergleichbar mit dem zürcherischen, als Bestandteil der neuen Schulordnung für die Land- und Deutschen Schulen von 1788 abgedruckt; diesen mussten die Pfarrer in halbjährlichem Rhythmus zuhanden der Schulkommission beantworten (vgl. Hanschmidt 1997). Etwas später, im Jahr 1798, veranlasste Friedrich Wilhelm III. für Brandenburg-Preussen per Kabinettsorder eine Reform der Bürger- und Landschulen. Ebenfalls um im Vorfeld über Daten zur aktuellen Schulsituation zu verfügen, ordnete von Massow, Minister für das Geistliche Departement, deshalb eine Erhebung des Zustands des Schulwesens in der gesamten Monarchie an (vgl. Sollbach 1997). Das Zustandekommen der Zürcher ‚Fragen über den Schul-Unterricht‘ legt den Schluss nahe, dass jene im Umkreis der in den Statuten der Moralischen Gesellschaft festgeschriebenen Zielsetzung, von den korrespondierenden Mitgliedern Informationen über die sittliche Lage der Landbevölkerung einzuholen, zu verorten sind (vgl. Kap. 6). Das Interesse an entsprechenden Fragen trat in den Jahren 1770/1771, die von einer wirtschaftlichen Krise, hervorgerufen durch schlechte Ernten und eine anschliessende Teuerung, geprägt waren, besonders hervor. Allerdings war das Landschulwesen bereits im Jahr zuvor Gegenstand von Verhandlungen. Den Anstoss gab ein Gesuch der Gemeinde Käpfnach bei Horgen um finanzielle Unterstützung ihrer Schule, das am 28. September 1769 diskutiert wurde. In der darauf folgenden Sitzung vom 12. Oktober war dann bereits die Rede von einem „general Project wegen Verbesserung der Schulen auf dem Lande“ (ZBZ: J 532). Nachdem das Gesellschaftsmitglied Ulrich zum Antistes ernannt worden war, beschloss man, im Antistitio Nachrichten von dem gegenwärtigen Zustand der Landschulen insgesamt einzuziehen; zu diesem Zweck sollte eine Landschulkommission, bestehend aus Ratsherrn Hirzel, Direktor Usteri und Diakon Tobler237, einen Auszug aus den 237 Johannes Tobler (1732–1808); Sohn des Pfarrers an der Predigerkirche Georg Christoph Tobler. Er wurde 1751 ordiniert, 1752 Katechet zu Unterstrass, 1754 Pfarrer in Ermatingen, 1768 Diakon am Fraumünster, 1777 Zweiter Diakon am Grossmünster, 1787 Schulherr. Er war ein Freund Lavaters, Klopstocks und Wie-
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Synodalakten anfertigen und die Landschulen tabellarisch erfassen. Am 1. Februar 1770 erfolgte dann der Auftrag an die Kommission, mit Zuzug des Antistes ein Gutachten abzufassen, und zwar zu den Fragen: „1°. In wie weit die Gesellschaft etwas zur Vermehrung des Einkommens schlecht bezahlter SchulMeister beÿtragen könne. 2° ob es gut seÿ dass sie auch etwas zur Vermehrung der Sommer Schulen beÿtrage. u. 3°. Wie sie zur Stiftung ganz neüer Schulen behilflich seÿn könne“ (ebd.). Ein knappes Jahr später, am 3.1.1771, beschloss man hinsichtlich der drei Punkte, dass man das Landschulprojekt auf die bereits bestehenden Schulen einschränken und dem Antistes einen Geldbetrag zur Verwendung für schlecht bezahlte Schulmeister übergeben wolle; zur Frage der Sommerschulen gedachte man die Meinung der korrespondierenden Mitglieder auf der Landschaft einzuholen. Inzwischen war ein weiteres Grossprojekt entstanden; dieses betraf nun in direkter Weise den in den Statuten angeführten Aufgabenbereich der korrespondierenden Mitglieder, Berichte über den moralischen Zustand ihrer Gemeinden einzuliefern. Korrespondent Johann Heinrich Schinz238, Pfarrer in Altstetten, fasste den Auftrag, ein „Typum“ zu verfertigen. Man verordnete wiederum eine Kommission die den Entwurf prüfen und ihr Gutachten der Gesellschaft vorlegen sollte; diese bestand aus Diakon Johannes Tobler, Diakon Lavater, Johann Jakob Hess und David von Wyss239, der von 1771 bis 1777 das Amt des Kyburger Landvogts inne hatte. Am 14. Februar 1771 unterbreitete Pfarrer Schinz der Gesellschaft den von ihm verfertigten Plan, nach welchem die korrespondierenden Mitglieder über den, wie es nun heisst, moralischen und ökonomischen Zustand ihrer Gemeinden berichten sollten. Die für die Prüfung des Konzepts zuständige Komlands und erlangte mit seinen Dichtungen, Erbauungsschriften und Übersetzungen eine gewisse Bekanntheit. Sein ‚Nachdenken über den Gebrauch des Abendmahls‘ (1762) erreichte 47 Auflagen. Er ist zudem Verfasser der ‚Idee von einem christlichen Dorfe‘ (1766/1776, vgl. Kap. 8.2.3). Er war Mitglied der Naturforschenden Gesellschaft. 238 Johann Heinrich Schinz (1726–1788), ordiniert 1747, studierte anschliessend orientalische Sprachen in Bern; gehörte der Dienstags-Compagnie an. 239 David von Wyss (1737–1815) wurde später in der Kommission durch Amtmann Heinrich Schinz bzw. Pfarrer Ulrich Irminger ersetzt. Er war 1768 Unterschreiber, Grossrat und ab 1778 Kleinrat, Obervogt von Birmensdorf, 1783 Seckelmeister, 1794 Geheimrat, 1795 Bürgermeister. Er war Mitglied ausserdem der Helvetischen Gesellschaft und der Naturforschenden Gesellschaft, der Ökonomischen Kommission sowie der Dienstags-Compagnie.
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mission schlug einen Monat später vor, „die Sache in Fragen zu verwandeln u. in folgende 4 Haubttheile einzutheilen. I°. Fragen in Absicht auf die Jugend. II°. In Absicht auf erwachsne junge Leüthe, III°. In Absicht auf die Eltern u. IV°. In Absicht auf die alten Leüthe“ (ZBZ: J 533). Man wollte sich vorerst auf die Ausarbeitung und Erhebung der Fragen zum ersten Punkt beschränken, und es sieht so aus, als wären daraus die Schulfragen entstanden. Diese Vermutung wird dadurch bestärkt, dass mit Datum vom 29. April 1771 vom mit dem Fragenschema beauftragten Pfarrer Schinz die früheste Antwort auf die Schul-Enquête stammt; offiziell wurden die projektierten „Fragen über den gegenwärtigen Zustand der Schulen u. der Erziehung der Jugend überhaupt“ nämlich erst nach der Frühlingssynode vom 30. April in den Druck gegeben und über die Dekane den Pfarrern ausgehändigt (ebd., 9.5.1771; StAZH: E I 2 3b). Dass die beiden Unternehmen, das Landschulprojekt und der „Plan für die correspondierenden Mitglieder den Zustand der Schulen betreffend“, verschmolzen sind, darauf verweist ein Eintrag in den Tagebüchern vom 9. Mai 1771 (ZBZ: J 533). In diese Richtung weisen auch die Einträge in den Relationen der Moralischen Gesellschaft (ZBZ: J 528). Dort heisst es unter „Nachricht von den Verrichtungen der Moralischen Gesellschaft“ zum Jahr 1771, dass durch diesen „Glück-Einfall“, damit ist die Erhebung der moralischen Situation auf der Landschaft gemeint, es nun möglich sei, genauere Kenntnis von den Landschulen zu erhalten sowie Mittel zu deren Verbesserung zu finden. Im Anschluss an jene Fragen, die sich mit dem Kinder- und Jugendalter befassten, sollten weitere Altersgruppen ins Visier genommen werden. Daraus würde sich, wie es heisst, ein vollständiger Einblick in den moralischen Zustand der Landschaft ergeben. Der Eintrag von 1773 sieht die Schulfragen ebenfalls im grösseren Zusammenhang einer Erhebung des moralischen Zustandes der Landschaft. Einen weiteren Gewinn eines solchen Unternehmens sah man nun auch in einer Schulung der Beobachtung der Pfarrer. Die ins Interesse gerückte empirische Erforschung des (moralischen) Status quo brachte offenbar den Wunsch nach einer Sensibilisierung des pfarrherrlichen Blicks mit sich. Anfang 1771 hatte man in der Moralischen Gesellschaft von einem Schulprojekt aus dem Kyburger Kapitel erfahren (vgl. Kap. 3). Übermittelt wurde diese Nachricht vom Mitglied Johann Jakob Hess, der übrigens ein Neffe des Mönchaltorfer Pfarrers Schulthess war; Schulthess war seinerseits bereits seit 1767 korrespondierendes Mitglied der Gesellschaft. Das Kyburger „Projekt“ blieb in den kommenden Sitzungen aktuell, weitere Informationen brachte Leonhard Usteri im August/September ein. Ende Oktober
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konnte er zudem von der im Namen des Kyburger Kapitels verfertigten und von den Examinatoren approbierten „Instruktion für die Landschul Mstr.“, also der im selben Jahr noch im Druck erschienen ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ (vgl. Kap. 5.2), berichten. Er habe Escher zugesichert, dass sie „den Schul Mstr. in Betrachtung ihrer geringen Besoldung, zur Ermunterung ihres Eifers einige Pfenninge an Sold aus zutheilen, u. so dann auch den Kindern auf dise Art etwas an Bücheren zu kommen zu lassen. Wozu sie von wohlthätigen Freünden einen etwelchen Beÿtrag zu erhalten hoffen“ (ZBZ: J 533). Anfang Juli 1771 war der Fragebogen zum Landschulwesen gedruckt, den Ulrich nun mit einem Begleitbrief an die Dekane verschickte. Damit hatte die Enquête definitiv offiziellen Charakter angenommen und wurde zum Gegenstand der kirchlichen Schulaufsichtsbehörde, des Examinatorenkonvents. Dort bildete man mit dem Rücklauf der ersten Antworten am 15.3.1772 ebenfalls eine Landschulkommission, bestehend aus den Examinatoren Johann Jakob Breitinger, dem bekannten Bodmer-Freund und Griechisch-Professor (vgl. u. a. Kap. 2.1), Johann Rudolf Rahn, Zweiter Archidiakon, und Kaspar Pfenninger, Pfarrer am Fraumünster und Schulherr, sowie dem Aktuar Kaspar Hess, Professor Artium am Collegium Humanitatis (StAZH: E II 46, 15.3.1772). Informationen, welche die Arbeit der Kommission betreffen, sind den Akten nicht zu entnehmen, ausser dass im März 1775 anstelle von Pfenninger und Rahn Georg Oeri (Pfarrer am Fraumünster) und Archidiakon Christoph Heinrich Hess in die Kommission gewählt wurden; Breitinger wurde nach seinem Tod 1776 durch Kaspar Meyer, Professor der Theologie, ersetzt. Allerdings beschäftigte sich der Ausschuss der Moralischen Gesellschaft inzwischen weiterhin mit dem Projekt. Im Folgenden war, wie aus den Akten hervorgeht, der Nachfolger Ulrichs im Amt des Antistes, Johann Jakob Hess, federführend an dessen Entwicklung beteiligt; er war es auch, der gemäss Tagebucheintrag vom 9.1.1772 die Fortsetzung der Schulfragen übernehmen wollte. Antistes Ulrich hatte der Gesellschaft die Antworten aus dem Regensberger Kapitel übermittelt, worauf man in der Sitzung vom 6. Februar beschloss, die Antwortdokumente zur Zirkulation in die Kommission zu geben. Hess sollte deren Anmerkungen zusammentragen und der Gesellschaft vorlegen; dabei, so hiess es weiter, sollte auch die Rede des Präsidenten Hirzel auf das Jahr 1771 Berücksichtigung finden. Diese handelte von den Ursachen und Folgen der damaligen Teuerung sowie dem richtigen Verständnis von Wohltätigkeit (ZBZ: J 522). Der auf diese Weise hergestellte Zusammenhang stützt die Interpretation, wonach die Schul- und
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Erziehungsthematik als im weiteren Kontext sozialer und ökonomischer Fragen angesiedelt behandelt wurde. Hirzel kritisiert in seiner Ansprache den Anstieg von Eheschliessungen und damit einhergehend die hohen Geburtenraten; als besonders problematisch beurteilt er den Umstand, dass diese Entwicklung vor allem die Heimarbeitenden betreffe.240 Gerade in dieser Schicht erzeuge die aktuelle Wirtschaftskrise jedoch die grösste Not, da diese Beschäftigungsmöglichkeit momentan beinahe ganz wegfalle. Damit stellt sich ihm die Frage, welche Form der Armenunterstützung in diesen Fällen die adäquateste sei. Dies abzuschätzen und die Behörden darüber zu informieren, seien die Pfarrer die richtigen Personen, da diese die Leute in ihren Gemeinden am besten kennen würden. Nicht die Bevölkerungsvermehrung an sich bereitet Hirzel Sorgen, sondern ‚qualitative‘ Aspekte und die damit verbundenen sozialen und ökonomischen Folgen. Ein Problem erkennt er gleichzeitig in einer Zunahme der Auswanderungen. Um dem entgegen zu wirken, müsse den Leuten ermöglicht werden, im eigenen Land ihren Unterhalt zu finden. Es sind politische Folgen und die Angst vor wirtschaftlicher Abhängigkeit von den ausländischen Nachbarn, die Gegenmassnahmen dringend erfordern. Am 30.4.1772 berichtete Hess, „dass er bis dahin die von Ihr. Hochw. uns übergebene Beantwortung der Schulfragen, beÿ der Comission noch nicht habe circuliren lassen, weil er glaubte, dass man besser thun würde, wenn man noch mehrere zusammen komen liesse. Die Gesellschaft aber fande doch gut, dass H Hess die vorhandenen Beantwortungen möchte circuliren lassen, damit sich die Comission hernach versammlen u. sich bestimmter
240 In den zeitgenössischen Aussagen finden sich – je nach Position und Intention des Autors – sowohl Klagen über wachsende Armut wie auch Bemerkungen über zunehmenden Wohlstand dank der protoindustriellen Verdienstmöglichkeiten (z. B. Hirzel 1775). Problematisch angesichts einer als wenig rational beurteilten Wirtschaftsführung der in der Industrie tätigen Leute beurteilte man die Tatsache, dass der textile Sektor starken konjunkturellen Schwankungen unterlag. Wenige Kommentatoren, darunter Johann Heinrich Schinz (1763), beurteilten die Entwicklung sowie die damit verbundene Bevölkerungsvermehrung als volkswirtschaftlich positiv. Es scheint insbesondere die subjektive Wahrnehmung von Armut und die Frage der Abhilfe und Prophylaxe gewesen zu sein, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stärker hervorgetreten sind. Feststellbar ist immerhin, dass in Zürich die Zehnteinnahmen bei wachsender Bevölkerung seit Ende des 17. Jahrhunderts langsam und kontinuierlich abnahmen (vgl. Pfister 1984, Bd. 2). Gleichzeitig fand seit den 1740er Jahren gerade in der Protoindustrie ein eindrückliches Wirtschaftswachstum mit einer rasanten Lohnsteigerung statt (vgl. Pfister 1992a; Peyer 1968).
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unterreden könnte, worauf man beÿ Durchlesung derselben sein vornehmstes Augenmerk richten könnte, u. was etwa die Gesellschaft daran für einen Gebrauch machen könnte“ (ZBZ: J 533). Wie man dem Eintrag vom 11.6.1772 entnehmen kann, liess Hess die Dokumente dann zwar zirkulieren, wollte die Anmerkungen aber aufsparen, bis die restlichen Antworten eingetroffen seien. Bis zum Frühling 1773 scheint das Geschäft aber nicht weiter vorwärts gekommen zu sein. Unter dem 4.3.1773 ist zu lesen: „In Ansehung der Schulfragen u. dem aus der Beantwortung derselben projektirten Auszug, wünschte man dass sich die dazu verordnete Comission wieder einmal versammlen, od. der Gesellschaft Nachricht von ihren Verrichtungen geben möchten. Und da die [sic] zeithero die Gesellschaft an Geschäften zimmlich ausgekomen, so übergiebt man H Irminger die bisherigen Acta derselben, um beÿ ihrem Durchlesen darauf aufmerksam zu seÿn, was etwa für Geschäfte nachzuhollen u. aufs neue auf die Bahn zu bringen wären“ (ZBZ: J 534). In der nächsten Sitzung wurde Diakon Johannes Tobler beauftragt, sich dem Landschul-Projekt anzunehmen, das heisst die Kommission zu versammeln, um gemeinsam ein Gutachten über die Antworten zu erstellen und über die Fortsetzung der Fragen zu beraten. Tatsächlich traf ein halbes Jahr später von seinem Bruder, Pfarrer Johann Kaspar Tobler241, Korrespondent in Dietlikon, ein „Beÿtrag zur Fortsetzung der Schulfragen“ ein, den man Hess zur Prüfung übergeben wollte (ebd., 2.9.1773). Was unternahm inzwischen die kirchliche Kommission? Als der Examinatorenkonvent im März 1772 seine Kommission einsetzte, geschah dies mit der Bemerkung, das Unterfangen sei „sehr weitläufig“, und die Aufnahme ihrer Arbeit habe „noch alle Zeit“ (StAZH: E II 46, 15.3.1772). Offenbar wollte man die immense Arbeit einem dritten Organ, nämlich der Asketischen Gesellschaft242 übergeben; Vorsteher dieser Gesellschaft war mit Johann Jakob Breitinger zugleich ein Mitglied der kirchlichen Landschulkommission. In den Relationen der Moralischen Gesellschaft aus dem Jahr 1773 heisst es dann hierzu: „Was nun den begehrten Auszug betrift so häte die Comission diese Arbeit gerne der ascetischen Gesellschaft überlassen die denselben zuverfertigen auch wirklich übernohmen hate. Jetzt aber da sie bey näherer Untersuchung gefunden, dass sich von dieser Arbeit kein 241 Johann Kaspar Tobler (1735–1820) arbeitete in den 70er Jahren das populäre ‚Festbüchlein‘ um, zu dessen Verbreitung die Moralische Gesellschaft massgeblich beitrug. 242 Zur Organisation und Tätigkeit der Asketischen Gesellschaft vgl. Kap. 8.
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grosser Nutzen versprechen lasse so wird auch sie sich damit weiter nicht abgeben“ (ZBZ: J 528, 1773). Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Antworten auf die Enquête in der Folge systematisch ausgewertet worden sind; man hatte sich offenbar mit dem Augenschein begnügt. Mit 81 Fragen stellte die Umfrage ein riesiges Unterfangen dar. Zwar stösst man unter den Rückmeldungen durchaus auch auf lakonische, öfters unvollständige Antworten; diese Pfarrer empfanden die Befragung offensichtlich als lästige Einmischung in ihre Geschäfte. Auf der anderen Seite führte die offene Fragenformulierung häufig zu umständlichen und wenig ökonomischen Antworten – weder die Herstellung noch die Bearbeitung von Fragebögen dieser Art gehörte damals zum Alltagsgeschäft. Festhalten lässt sich im Anschluss an die Rekonstruktion der Entstehung der Enquête, dass die Initiative für eine Erhebung und Reform des Zustandes der Landschulen zwar massgeblich von einer privaten Gesellschaft ausging, diese jedoch insbesondere auf der kirchlichen Ebene gut mit den offiziellen Organen vernetzt war. Einige Mitglieder befanden sich inzwischen auf dem Weg zu bedeutenden Ämtern und Stellen, nicht nur innerhalb der Kirche, sondern auch innerhalb des Staatswesens oder als Professoren an den höheren städtischen Bildungsanstalten. Betrachtet man den Verlauf des Schulreformvorhabens ausgehend von der Enquête, so ist der Beginn mit einer systematischen Erhebung des als mangelhaft empfundenen Ist-Zustandes durchaus bemerkenswert; als Teil des Projektes wurden Kommissionen gebildet und Gutachten erstellt, wenn auch die Antworten nicht ausgewertet. Das Schulprojekt nahm innerhalb der Moralischen Gesellschaft seinen Ausgang bei Bemühungen zur Verbesserung der materiellen Situation der Schulmeister. Etwas später erfuhr man dort von der Diskussion einer Schulverbesserung im Kyburger Kapitel. Es war laut Statuten ein erklärtes Ziel der Moralischen Gesellschaft, über die korrespondierenden Pfarrer Nachrichten über die sittlichen und ökonomischen Umstände der Landleute einzuholen. Die Subsistenzkrise in den Jahren 1770/1771 führte zu einer merklichen und auch sichtbaren Verschlechterung von deren Situation. Massnahmen im Bereich der Erziehung rückten damals nicht zuletzt in Reaktion auf Armut und Bettel ins Blickfeld. Schliesslich verstand sich die Obrigkeit als eine väterliche; ihre Herrschaftsrechte legitimierten sich über ihre Pflicht zur Sorge für Wohlfahrt und Glückseligkeit der Bürger und Untertanen. Symptome, die die Erfüllung jener Fürsorgepflicht zweifelhaft erscheinen liessen, konnten weder dem Staatswesen noch den Gliedern, die
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dieses repräsentierten, weder gegen innen noch gegen aussen, zur Ehre gereichen. Damit wären Motive genannt, die ein Engagement zur Hebung von Missständen deutbar machen. Ein allfälliger Konnex zwischen wirtschaftlicher Prosperität und sozialem Wohlergehen einerseits und Erziehung, vor allem schulischem Unterricht, anderseits bedarf jedoch der weiteren Klärung, und zwar als Nächstes anhand der Diskursivierung dieser Themen innerhalb der offiziellen Kirche. Aus dem Vorangehenden, der personellen Zusammensetzung der Moralischen Gesellschaft und der Aufgleisung des Enquête-Projektes, ist bereits hervorgegangen, dass ein Zusammenwirken zwischen privater Sozietät und offiziellen kirchlichen Instanzen gegeben war; insofern sind die beiderorts geführten Diskussionen betreffend die Schul- und Erziehungssituation auf der Landschaft nicht zu trennen.
7 Reform von Erziehung und Unterricht im Diskurs von Kirche und Geistlichkeit
Abgesehen von Antistes Ulrich gehörten bis 1780 von der Moralischen Gesellschaft weiter Rudolf Freitag (1728–1786), Pfarrer am St. Peter, Johannes Tobler (1732–1808), Archidiakon am Grossmünster, Salomon Schinz (1734– 1784), Professor der Physik und Mathematik am Collegium Carolinum, und Johann Heinrich Füssli in seiner Funktion als Grossrat dem mit der Schulaufsicht betrauten Examinatorenkonvent an (StAZH: E II 46, 47). Ein zusätzlicher Ort des offiziellen Zusammentreffens bot die jährlich im Frühling und im Herbst abgehaltene Kirchensynode. Diese fand im Sitzungssaal des Grossen Rates, präsidiert vom einen der beiden Bürgermeister243 und dem Antistes, statt. Anwesend waren neben den Pfarrern von Stadt und Land sowie den Kandidaten der Theologie auch die Examinatoren beider Stände und Professoren der höheren Lehranstalten. Die personelle Zusammensetzung der Synode aus weltlichen Würdenträgern und Geistlichkeit ist sinnbildlich für die gegenseitige Machtdurchdringung von Kirche und Staat im Zürich des Ancien Régime (vgl. Gugerli 1988). Der Synode ging in den Kapiteln die Versammlung sämtlicher Pfarrer unter dem Vorsitz der Dekane, die Prosynode, voraus. Hier wurden die wichtigsten Belange und Vorkommnisse des vergangenen halben Jahres zusammengetragen sowie allfällige Vorstösse vorbereitet, die dann unter Umständen in die Prosynode der Dekane, die die Kapitelsvorsteher am Tag vor der eigentlichen Synode auf der Chorherrenstube zusammen abhielten, gelangten. Die Synode Begann mit dem Gebet, worauf als erste eigentliche Synodalhandlung die Ordination der Absolventen des Theologiestudiums zum VDM – Verbi Divini Minister – erfolgte. Im Anschluss an die obrigkeitlichen Aufträge an die Synode wurde, beruhend auf den Visitationsberichten, die Personalzensur der Kirchendiener auf dem Land und in der Stadt sowie der beiden Professoren der Theologie vorgenommen. Es folgte in einem zweiten Hauptteil der Vortrag der Gravamina, also von Beschwerden, alternierend von einem der Dekane, die auf diese Weise der Regierung zu Gehör gebracht wurden. Da man „dieser fast 243 Die beiden Bürgermeister wechselten sich im Halbjahresrhythmus ab; die Synode präsidierte jeweils derjenige, der gerade nicht im Amt war.
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immer gleichlautenden und nach und nach allzugemeinen und unbestimmten Klagen überdrüssig“ wurde, gingen die Proponenten mit der Zeit dazu über, „einen allgemeinen, oder besondern Abriss des religiosen und moralischen Zustands, und der bessern oder schlechtern Beschaffenheit unsers Volks der Synode vorzutragen, einige besondre Mängel anzuzeigen, und etwa das ein oder andre Mittel zur Verbesserung vorzuschlagen, welches so wohl gefiel, dass es in der neuesten Predikanten-Ordnung zum Gesez gemacht ward […]“ (Wirz 1793, Bd. 1, S. 186). Gemäss der genannten Prädikantenordnung von 1758 hatte der jeweilige Decanus Proponens in seiner Rede Stellung zu den Fragen, in welchem Zustand sich die Kirche gegenwärtig befinde, welche Mittel zu einer Verbesserung beitragen und welche Hindernisse dieser im Wege stehen könnten, zu beziehen. Im Allgemeinen verfolgten die Referate also den Zweck einer Rechenschaftslegung betreffend den Zustand der Kirche und die Verbreitung der rechten Lehre und waren gewöhnlich unterteilt in eine Zusammenfassung der positiven und negativen Ereignisse und Entwicklungen des vergangenen halben Jahres. Untersucht man die Synodalansprachen des Antistes, die Vorträge der Dekane, die offizielle Korrespondenz zwischen jenem und diesen sowie die Zirkularschreiben der Dekane an ihre Pfarrer, so bemerkt man, dass seit Beginn der 70er Jahre Erziehungsfragen zunehmend in den Vordergrund getreten sind (StAZH: E IV, E II 7a, E I 2 3b). Unter den negativen Entwicklungen dominierten nun nicht mehr die üblichen theologischen Bedenken bezüglich eines Überhandnehmens von Aberglaube, Irrlehren, Freidenker- und Sektierertum, sondern vermehrt Klagen über die Lasterhaftigkeit und sittliche Verderbtheit der Landbevölkerung, wobei man eine zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber der Religion festzustellen glaubte. Die diese Entwicklung begleitenden Symptome wollte man dabei ganz besonders unter den Jugendlichen bemerkt haben. Daraus wiederum wurde auf die Notwendigkeit einer besseren Erziehung sowie einer Reform des ländlichen Unterrichtswesens geschlossen. Bereits Dekan Brennwald von Kloten hatte anlässlich seiner Rede vom Frühjahr 1770 sein besonderes Augenmerk auf das unzüchtige Verhalten der Jugend gerichtet, ein Missstand, der von Dekan Schmutz ein Jahr später wieder aufgenommen wurde. Das an den folgenden Synoden erneut vorgetragene Anliegen einer Hebung von Tugend, Sittlichkeit und Religionskenntnissen in der Bevölkerung wurde jeweils im Anschluss vom Rat ratifiziert und in einem Schreiben des Stadtschreibers den Dekanen und Pfarrern zur Kenntnis gebracht. Entsprechend trifft man in den 70er Jahren in den Ratserkenntnissen immer wieder
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auf Themen betreffend die Verbesserung der Landschulen oder die Notwendigkeit der Ausrichtung der Predigtweise auf Verstand und Fassungskraft der Leute und vermehrter Hausbesuche durch die Pfarrer (StAZH: E IV, Stein am Rhein, Mp. 7; E IV, Freiamt, Mp. 30, 15.6.1771, 17.5.1777, 26.10.1778). Die Diskussionen in den Synodalversammlungen zu Beginn der 70er Jahre siedeln die Diagnose des Sittenzerfalls sowie mangelnder Erziehung und ungenügenden Unterrichts, überhaupt die Notwendigkeit breiter gefasster volkserzieherischer Massnahmen, im Kontext der damaligen Versorgungskrise an. Die Klagen des Antistes und der Dekane adressierten in erster Linie die nachlässigen Eltern, immer wieder wurden aber auch die Pfarrer selber aufgerufen, ihr Hirtenamt gewissenhafter zu versehen. Einmal mehr war hier der genau beobachtende und analysierende Blick des Pfarrers gefordert: In den Worten von Dekan Balber sollte in Zukunft jeder „als ein treüer und kluger Beobachter seiner anvertrauten Gemeine […] jene Anmerkung auf alle besondern Ereignussen nach der stärke seines Beobachtungskreiss […] zueignen und seine wichtigste Angelegenheit darin setzen dass die schlechte Seite seiner Gemeine bey allen Individuis verbesseret und diese zu wahren Christen immer Zahlreicher u. vollkommener entstehen möchten“ (StAZH: E IV, Stein am Rhein, Mp. 6, 12.5.1773). Dieses Pfarrerideal, wonach der ‚Pastor‘ mit psychologisch geschultem Blick die sozialen Verhältnisse in der ihm anvertrauten Gemeinde sowie die individuelle Lage der einzelnen Glieder registriert, Nöte und Missstände sogleich zu beheben sucht oder seine Beobachtungen allenfalls an übergeordnete Stellen weiterleitet, gewinnt im Umkreis der zeitgenössischen volkserzieherischen Erörterungen an Dominanz. Eine diesbezügliche Orientierung bot die Synodalpredigt Ulrichs vom Frühling 1773, die unter anderem dem praktisch-tätigen Charakter der Religion und dem entsprechenden Amtsverständnis des Pfarrers gewidmet war (StAZH: E II 7a, Synodalrede des Antistes vom 4.5.1773). Äusserliche Massnahmen von Seiten der Obrigkeit oder von Gesellschaften wie der Naturforschenden würden eben allein nicht ausreichen, um dauerhaften Wohlstand zu erzeugen, so Dekan Balbers Wiedergabe von Ulrichs Rede im Schreiben an die Pfarrer seines Kapitels; vielmehr seien Anstrengungen zur moralischen Hebung angezeigt, wobei Balber auf die ‚Betrachtungen‘ des lutherischen Theologen Jerusalem244 verweisen kann (StAZH: E IV, Stein am Rhein, Mp. 6, 12.5.1773). 244 Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem (1709–1789) wird je nach Darstellung zu den bedeutenden Vertretern der Neologie innerhalb der deutschen Aufklärungstheolo-
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Materielle Not und daraus folgende Probleme, die man heute neutraler als ‚soziale‘ attribuieren würde, erscheinen in der Krisendiskussion um 1770/1771 stark normativ konnotiert, führte man sie doch in ziemlich direkter Weise auf sittliche Ursachen zurück. Die ‚Lasterhaftigkeit‘ des Volkes gab zwar bereits in den Jahren und Jahrzehnten zuvor immer wieder Anlass zu Klagen, emphatischer und konkreter traten diese jedoch jetzt unter dem Vorzeichen von Armut und Elend hervor. Üppigkeit, Verschwendungs- und Luxussucht sowie Arbeitsscheu wollte man unter der Bevölkerung nun noch stärker wahrgenommen haben. Diese Argumentation war sicher auch strategisch von Vorteil, konnte man doch auf diese Weise Schuldzuweisungen an die Adresse der väterlichen Obrigkeit von vornherein ausweichen, etwa dem Vorwurf, sie hätte der Not zu wenig vorgebeugt oder hätte diese nicht im Griff. Am unmittelbarsten geschah die kausale Rückführung manifester Übel auf Immoral und Irreligiosität dort, wo das Argument der Gottesstrafe zur Anwendung kam. Straftheologische Interpretationen insbesondere von Naturerscheinungen und -ereignissen gehörten durchaus noch zum mentalen ‚Allgemeingut‘, und so konnte auch Ulrich in den zu jener Zeit verfassten Bettagsmandaten explizit von der damaligen Hungersnot, hervorgerufen durch schlechte Witterung, als gerechter Strafe Gottes sprechen (StAZH: E IV, Kyburg, Mp. 3). Die Theolgia naturalis bediente sich von jeher der Wetgie gezählt. Nach dem Studium hielt er sich mehrere Jahre in Holland und Grossbritannien auf. Seit 1740 als Hauslehrer in Hannover tätig, folgte er 1742 einem Ruf nach Wolfenbüttel als Erzieher des Erbprinzen Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Lüneburg. Seit 1745 versah er das Direktorenamt des von ihm initiierten Collegium Carolinum, einer Akademie, die für Studium und nichtakademische Berufe vorbereitete und zu den fortschrittlichsten Bildungsinstitutionen Deutschlands zählte (vgl. Sommer 2002). 1752 wurde er Abt von Riddagshausen, 1771 Vizepräsident des Konsistoriums von Wolfenbüttel. Jerusalems Einfluss auf die Schulpolitik im Herzogtum schlug sich ausserdem in der Erneuerung der Landschulordnung (1753) sowie der Gründung von Lehrerseminaren in Braunschweig (1751) und Wolfenbüttel (1753) nieder. Mit den erwähnten „Betrachtungen“ sind die ‚Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion‘ gemeint, die zwischen 1768 und 1779 erschienen sind. Religion erscheint in diesem Werk ethisiert und zeigt sich im sittlichen Tun. Der Sündenfall ist nurmehr Allegorie, die Erbsünde erscheint dadurch abgeschwächt, womit auch die menschliche Willensfreiheit von dieser Seite kaum mehr eingeschränkt ist. Insgesamt dominiert ein optimistisches Menschen- und Geschichtsbild, das der Erziehung, auch des Volkes, grosse Bedeutung und Macht zuschreibt. Gleichzeitig ergeben sich die Grenzen des Volksunterrichts ausgehend von der gottgegebenen Ständeordnung.
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tervorgänge, um die natürliche Providentia einsichtig, ja beweisbar zu machen, so um 1700 insbesondere auch die Physikotheologie. Entsprechende Rekurse findet man nicht allein in Predigten (vgl. Berner 2008), überhaupt im kirchlichen und theologischen Kontext, sondern etwa auch in den Jahresreden Salomon Hirzels im Kreis der Moralischen Gesellschaft (ZBZ: J 522, z. B. 1778) (vgl. Kap. 6.1). Er nahm bei diesem Anlass regelmässig Bezug auf die Witterung im verflossenen Jahr, um diese im Sinne göttlicher Vorsehung zu interpretieren. Aber etwa auch die Zunftunruhen fanden ihre Deutung in diesem Horizont, wenn die Entzweiung zwischen Regierung und Bürgerschaft explizit als Ursache der Unwetter von 1777 bezeichnet wird; die moralisch verwerflichen Leidenschaften der Aufständischen werden dabei in Analogie zu den meteorologischen Stürmen gesetzt (ebd., 1777). Anlässlich der Herbstsynode vom Jahr 1771 und damit auf dem Höhepunkt der Krise stellte Ulrich seine Predigt unter den Titel „Über die gegenwertige theüre Zeiten, wie sich in denselben die sittliche Mängel unsers Volks geäussert und welches die beste Mittel, denselben abzuhelfen“. Not und Widerwärtigkeiten, die die von Gott verhängte Strafe mit sich bringe, würden die Menschen dazu zwingen, ihre wahre Denkungsart zu offenbaren, da den vom Schicksal Geschlagenen Kraft und Fassung zur Verstellung fehlten. Zumindest jenem bereits angesprochenen Willen, der inneren moralisch-mentalen Verfassung der Bevölkerung auf die Spur zu kommen, scheinen die Krisenumstände also entgegengekommen zu sein. Zwar habe es schon immer Grund zur Klage gegeben, jedoch hätten sich die sittlichen Missstände noch nie dermassen drastisch geäussert wie gegenwärtig. Der Antistes bemerkt, dass eine wahre und dauerhafte Verbesserung nur erfolgen könne, wenn „die Gesinnungen und Sitten der Einwohner unsers Lands in vielen Stüken gleichsam völlig umgegossen werden“ (StAZH: E II 7a, 5.11.1771, S. 7). Während er in einem ersten Teil nun die sittlichen Mängel aufzeigt, soweit ihm „dieselben aus ihrem [des Volks, E.B.] offentlichen Verhalten der gegenwärtigen Theürung bekannt geworden“ (ebd.), beschäftigt er sich im zweiten Teil des Vortrags mit den notwendigen therapeutischen Massnahmen. Grundsätzlich dünke es ihn, „dass unsere Predigten das unter Uns von Zeit zu Zeit hervorkommenden Bösen [sic], und zur Pflanzung und ausbreitung des Guten sehr viel beytragen könte. Aber dann müssten diese freylich überhaubt ganz anders eingerichtet werden, als wir sie gewohnlich einzurichten pflegen“ (ebd., S. 17 f.). Ulrich plädiert im Folgenden für eine populäre Predigtweise, in der mittels volksgerechter Didaktisierung die Wortwahl der Fassungskraft der ‚einfachen‘ Leute angepasst ist. Das
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hiess nun etwa auch, dass im Rekurs auf Vorkommnisse der Heiligen Schrift die damaligen historischen Umstände aktualisiert und an die konkreten Lebensverhältnisse und Bedürfnisse der Zuhörerschaft adaptiert werden müssen. In diesem Zusammenhang hatte Ulrich die Pfarrer bereits anlässlich seiner Synodalrede vom Herbst 1770 vor einer missbräuchlichen Hervorhebung gewisser Dogmen wie der Erbsündenlehre und der Gnadenlehre in Predigten gewarnt; man erkannte die Gefahr, dass auf diese Weise das sittliche Bestreben der Zuhörer zunichte gemacht werden und einem untätigen Fatalismus anheim fallen könnte. Neben einer Moralisierung und Pädagogisierung der Predigten erhoffte sich Ulrich von vermehrten Hausbesuchen durch die Pfarrer ein Weiteres zur Hebung der Sittlichkeit in der Bevölkerung. Schliesslich sollte aber auch eine verbesserte Erziehung der Jugend zu diesem Zweck beitragen. Ulrich unterlegt seine diesbezüglichen Äusserungen mit einem disziplinarischen Seitenhieb gegen die anwesenden Pfarrer. Er erwähnt nämlich den wunderlichen Umstand, dass zwar einerseits die Qualität und Wirksamkeit der Glaubensunterweisung in den halbjährlichen Visitationsberichten gerühmt werden, so dass man eigentlich Anlass zur Hoffnung auf eine bessere Generation und damit Zukunft haben könnte. Woher möge es jedoch kommen, dass anderseits alles beim Alten bleibe bzw. von Jahr zu Jahr schlimmer werde? „Sind diese jungen Leüthe, die bey unseren Lebzeiten einen so vortrefflichen Unterricht genossen, und von denen man unseren Amts-Vorfahren beständig mit der grösten Zuversicht versprach, dass sie bessere Christen werden würden als ihre Vätter sind; sind sie alle schon wieder gestorben? oder hat man vielleicht aus Eitelkeit, und um sich selbst zu schmeichlen, von ihrem Fortgang im Guten mehr rühmens gemacht, und ihnen ein grösseres Lob beygeleget, als sie nach der Wahrheit verdienet hätten“ (ebd., S. 27). Diese rhetorischen Fragen verweisen auf das Interesse an einer objektiven Einschätzung der tatsächlichen Leistungen der religiösen Unterweisung, und zwar bezogen auf ihre Wirkung auf die moralische Gesinnung und praktisch-sittliche Lebensführung der Landbevölkerung. In diesem Sinn sei eben „nicht genug dass wir unsere Kinder den Grossen und Kleinen Catechismus auswendig lernen lassen, dass wir sie gegen die Irrlehren der Papisten der Widertäuffer und anderer unter uns ausgestorbenen Secten verwahren […]. Man kann dies alles an den Fingeren herzuzellen wissen, und doch im Grund ein überaus schlechter Christ seyn; dan in dem Christenthum kommt es bekannter maassen nicht so vast auf eine weitläufige Erkäntnis, als vielmehr auf einen lebendigen Glauben an, der durch die Liebe thätig ist.“ Statt auf Gedächtnisübungen zu setzen, müssten die Sitten
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ins Visier genommen werden. „Wir sollen sie nicht vor den Irrthümern des Verstands, sonder auch vornehmlich vor den Verderbnussen des Willens, vor dem der Jugend so sehr gewohnlichen Eigensinn, vor der Liebe zur Eitelkeit, zur Fleisches Lust, zum Müssiggang, vor den schlimmen Eintrüken böser Exempel, vor allen sündlichen Ausschweifungen mit der äussersten Sorgfalt zu vergaumen trachten“ (ebd., S. 27 ff.). Steht die Synodalrede Ulrichs ebenso wie eine Menge anderer kritischer Äusserungen betreffend sittlicher Missstände vor dem Hintergrund der damaligen Missernte und Teuerung, die im Übrigen von europaweitem Ausmass war, so ordnen sich diese zugleich einem Diskurs ein, der von der Annahme eines Einflussverlustes der Religion ausging. Das konkrete Krisenereignis scheint dabei die Funktion eines Katalysators eingenommen zu haben, das jene Wahrnehmungen aktivierte und bereits vorhandene Befürchtungen und Befindlichkeiten verstärkte. Ob bezogen auf das 18. Jahrhundert aber tatsächlich von einer eigentlichen Dechristianisierung oder zumindest Entkirchlichung in den ländlichen Bevölkerungsschichten gesprochen werden kann, ob sich eine Gleichgültigkeit gegenüber religiösen Dingen ausgebreitet hat, die sich etwa in abnehmendem Kirchenbesuch konkretisiert hat, ist zumindest bezogen auf das feststellbare Ausmass in der Säkularisierungsforschung umstritten; entsprechende Prozesse scheinen zeitlich zudem regional recht unterschiedlich verlaufen zu sein (vgl. Burkhardt 1999; von Greyerz 2000; Schmidt 2005). ‚Unkirchlichkeit‘ hat in der Geschichte der Kirche immer eine Rolle gespielt, und man kann davon ausgehen, dass es sie stets in einer latenten Form gegeben hat, die dann unter verschiedenen Zeitumständen in spezifischer Weise in Erscheinung getreten ist (vgl. Stroeve 2005). Tatsache ist hingegen, dass eine diskursive Forcierung solcher Phänomene im deutschsprachigen reformierten und lutherischen Raum in den 1770er Jahren als Ausgangspunkt volkserzieherischer Bestrebungen feststellbar ist. Gab es schon immer Gegenmassnahmen in Form von Mandaten, die sich beispielsweise gegen die Entheiligung des Sonntags richteten, so erreichte der ethische Impetus, der nun nicht mehr lediglich äusserliche Observanz forderte, sowie die pädagogisierende Strategie eine neue Qualität. Erörtert wurden jetzt Notwendigkeiten wie die Popularisierung, d. h. Didaktisierung der Predigtweise oder eine den Bedürfnissen des Volkes angemessene Seelsorge, die den Zugang zur ‚Seele‘ bzw. dem Intellekt der ‚einfachen‘ Leute zuerst überhaupt herstellen musste. Die Zielsetzung war auf das Innere gerichtet, den den Menschen innerlich bindenden Glauben, und sie war insofern totalitär im Anspruch, als Religiosität und Sittlichkeit zusammen ge-
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dacht wurden, was die diesseitige gesellschaftliche Relevanz von Religion um einiges erhöhte. Die Tendenzen der Moralisierung und gewissermassen Pädagogisierung, wie sie der Diskurs innerhalb der Zürcher Kirche aufweist, stehen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluss der Neologie. In dieser Deutung sind Sitten- und Glaubenslehre nicht mehr grundsätzlich getrennt, sondern stehen in einer „natürlichen Verbindung“ (StAZH: E IV, Freiamt, Mp. 30, Antistes Ulrich an die Dekane und Pfarrer, 30.7.1774; ebd., Ratserkenntnis vom 29.6.1774); entsprechend sollen sie auch gemeinsam vermittelt werden, „weil einmal Glaube und Ausübung nach der beständigen Lehre der H. Schrift, eben so unzertrennlich, wie Ursach und Wirkung, oder Leib und Seele zusammen gehören“ (ebd., Antistes Ulrich an die Dekane und Pfarrer, 30.7.1774). Eine Unterrichtsweise, die dieser Lehre folgt, sah Ulrich in den Schulen des Kyburger und Wetzikoner Kapitels bereits rühmlich umgesetzt (ebd.). Die starken religiösen und sittlichen und damit einhergehend gesellschaftsreformerischen Aspekte der Schulreform der 1770er Jahre stehen klar im Zeichen genannter religiöser und theologischer Tendenzen. Im Übrigen bezeichnete Ulrich in seinem Schreiben vom 28.5.1776 an die Dekane und Pfarrer die Verbesserung der Schulen als das wirksamste Mittel, um Religion und Sittlichkeit unter dem Volk zu sichern (StAZH: E IV, Stein am Rhein, Mp. 7; vgl. ebd. das Zirkularschreiben von Ulrich vom Dezember 1775). Der Schulunterricht dient der Anbindung der „Geistes-Kräfte“, hier verstanden als Vorbereitung der Glaubenslehre (ebd., Zirkularschreiben des Antistes vom 28.5.1776). Dabei kommt die pädagogische Maxime der Frühzeitigkeit zur Geltung: „Je besser die jungen Leute in den Schulen zubereitet werden, je mehr ihnen schon in den frühesten Jahren, durch eine vernünftige u. ihren besonderen Fähigkeiten und Bedürfnissen angemessenen Lehrart der Kopf geöfnet, und das Herz zu tugendhaften Empfindungen gebildet wird“, desto besser für die Zukunft (ebd.). Zu den nachdrücklichen methodischen Überlegungen gehören Rücksichten auf die Fähigkeiten und Bedürfnisse der jungen Adressaten. Explizit finden dabei erneut die Grenzen Berücksichtigung, die die materiellen Umstände der Landleute dem Schulbesuch setzten. Er wisse wohl, so Ulrich weiter, dass man im Sommer nicht viel mit Unterricht ausrichten könne, da auf dem Land selten Schule gehalten werde. Umso mehr gelte es, sich über die besten Methoden Gedanken zu machen, wie sie in Büchern zu finden seien oder bereits mit Erfolg praktiziert würden. Tatsächlich waren es insbesondere die Ausdehnung der Schulzeit auf den Sommer und die Repetierschule, die selbst bei vielen Pfarrern in der ‚Vernehmlassung‘ der neuen Schulordnung auf Ablehnung
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stiessen (z. B. StAZH: E IV, Elgg, Mp. 3, 7.5.1777). Im Weinland im Norden des Kantons wurde etwa der wirtschaftlich bedeutende Rebbau, ein äusserst arbeitsintensiver Landwirtschaftszweig, der die volle Mitarbeit der Kinder und Jugendlichen im Sommer und Herbst unentbehrlich machte, ins Feld geführt (StAZH: E IV, Stein am Rhein, Mp. 10, Zirkularschreiben des Dekans vom 19.5.1777). Spezielle Berücksichtigung verdienen die beiden von Dekan Johann Heinrich Escher gehaltenen Synodalreden anlässlich der Frühlingssynode 1774 bzw. der Herbstsynode 1778, da sie ein breites Spektrum des damaligen Diskursfeldes um Erziehung, Volkserziehung und daran anknüpfende pastoraltheologische Überlegungen aufnehmen. Neben Kammerer Johann Georg Schulthess gehörte Escher bekanntlich zu den Exponenten der Schulreform, wie sie massgeblich vom Kyburger Kapitel mit angeregt worden war (vgl. Kap. 3.1). Beide Referate sind im Druck erschienen, im ersten Fall auf Wunsch der Präsidenten der Synode, Antistes Ulrich und Bürgermeister Johann Konrad Heidegger, im zweiten Fall auf Verlangen der Kollegen Dekane. Insofern darf man davon ausgehen, dass sie einen offiziell zu nennenden Konsens widerspiegeln. Escher postuliert in seinen Reden eine Krise, die sich in Symptomen wie der Abnahme des Gottesdienstbesuches, einer zunehmenden Entheiligung des Sonntags, im Verfall häuslicher Andacht, dem sinkenden Ansehen der Geistlichen oder auch sinkenden Absolventenzahlen in der Theologie äusserten, und formuliert ausgehend davon Mittel für eine Hebung und Reformierung der religiösen Zustände in der Bevölkerung. Die Ursachen werden wiederum nicht zuletzt bei den Pfarrern selber gefunden, in der Beschaffenheit ihrer Predigten, ihrer mangelnden praktischen Vorbereitung auf das Amt oder deren nicht immer vorbildlichen Lebensführung. Der Aufbau der Rede von 1774 folgt der Behandlung von Verbesserungsmitteln in sechs relevanten Bereichen; dies sind, erstens, die Sorge für die Orthodoxie der theologischen Lehrbegriffe, zweitens die Sorge für die Vermittlung wahrer und reiner Religionskenntnisse, drittens der Unterhalt von Anstalten, die die Religion befördern, viertens die Vorbildfunktion der Regenten und Geistlichen als gläubige Christen, fünftens die Liebe und Eintracht in der Geistlichkeit und zuletzt die pastorale Berufsausbildung. Die im ersten Punkt geforderte Orthodoxie ist im Sinn der Orientierung der Theologie an der Heiligen Schrift und damit der Reinigung der Lehrbegriffe von menschlichen Zusätzen gemäss dem reformatorischen Prinzip sola scriptura zu verstehen. Mit dieser Forderung schliesst Escher an einem
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gewandelten Theologieverständnis an, das die Möglichkeit der rationalen Kritik an überkommenen Autoritäten eröffnet. Bei aller Hochachtung für die Reformatoren des 16. Jahrhunderts ist Escher der Meinung, diese seien in ihrem Unternehmen nicht weit genug gegangen. Trotz „aller ihrer Liebe zur Wahrheit haben sie aus annoch anklebenden Vorurtheilen, aus Mangel hinlänglichen Lichts, das sie damals noch nicht haben konnten, aus einer etwelchen Ehrfurcht für einige zu untersuchenden Lehren, die Wahrheit noch nicht ganz und völlig eingesehen“ (Escher 1774, S. 8). Reformation ist damit ein nicht abgeschlossener Prozess, theologische Erkenntnis historisch bedingt. Die Vervollkommnung der Vernunft und der wissenschaftlichen Methodik, verkörpert in der zeitgenössischen historisch-kritischen Bibelforschung, versprechen jedoch eine stetige Annäherung an die Wahrheit. Unter dem zweiten Punkt, betreffend die Sorge für die Vermittlung wahrer und reiner Religionskenntnisse, beschäftigt sich der Referent mit den Bereichen: 1. Landschulwesen, 2. katechetischer Religionsunterricht, 3. Predigt, 4. häusliche Bibellektüre und 5. Sorge für nützliche Erbauungsbücher. Betrüblich ist das Bild vom damaligen Zustand der Landschulen, das Escher zeichnet. Es sind dabei insbesondere methodische Mängel des Unterrichtens, die ihn beschäftigen und die er für die geringen Leistungen der Schulen verantwortlich sieht. Zumal würde die gewöhnliche Methode im Religionsunterricht bei vielen einen Abscheu gegenüber diesem Stoff erzeugen. Unter Drohungen und Schlägen kämen die Schüler „nach Verlauf von einigen Jahren so weit, dass sie etwas lesen, einige Psalmen, Gebete daher sagen können, ohne Verstand und Einsicht; in dem zehnten, eilften Jahr und nach [sic] eher verlassen sie die Schul, an Verstand und Herz noch ganz ungebildet“ (ebd., S. 13). Escher kann 1774 immerhin darauf verweisen, dass gewisse Verbesserungen der Lehrart bereits eingeführt worden sind. Die im Kyburger Kapitel praktizierte neue Methode komme dem leichteren Lesen- und Auswendiglernen sowie der Bildung von Verstand und Herzen zugute; was schliesslich eine vernünftige christliche Zucht angehe, hätten die Schulmeister inzwischen eine Anweisung in die Hände bekommen, nämlich die 1771 gedruckte ‚Anleitung für die Landschulmeister‘. In die Pflicht genommen habe man inzwischen aber auch die Pfarrer selbst, die angehalten sind, die Schulen intensiver zu beaufsichtigen und häufiger zu besuchen. Weil die Kinder gemeinhin zu früh aus der Schule genommen würden, habe man im Kyburger und Wetzikoner Kapitel veranlasst, dass die ältern Kinder auch nach der Ausschulung weiterhin an einem halben Tag der Woche Unterricht erhalten. Man sehe diesen Schultag – aus dem mit der neuen Schulordnung die Repetierschule hervorgegangen ist – „für die
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grössern um so viel wichtiger an, weil man glaubt, dadurch unter dem Beystand GOttes desto eher eine dauerhafte gute Bildung der Jugend und unsers Volks bewerkstelligen zu können“ (ebd., S. 15). Erwünscht sind des Weiteren aber auch neue, bessere Schulbücher; dabei gilt der bereits mehrfach vorgebrachte Grundsatz der Reduktion, denn die neuen Bücher sollen in Zukunft nur mehr dasjenige enthalten, „was sich für die liebe Landjugend für ihre eigentliche Bestimmung so wol hier als in der zukünftigen Welt schicket“ (ebd.). Escher gibt zu, man könne und wolle nicht behaupten, „dass man in der Verbesserung des Land-Schulwesens weit gekommen; wer einigermassen die Schwierigkeiten dabey kennt, wird dieses nicht erwarten“ (ebd., S. 15 f.). Zugleich habe aber die Ratserkenntnis vom 15.6.1771 (vgl. StAZH: B II 951) das vorhandene Reformansinnen angetrieben. Es zeige, wie sehr der Obrigkeit das Landschulwesen am Herzen liege; und obrigkeitliche Unterstützung – dies hatten Escher und Schulthess bereits vier Jahre zuvor in ihren Vorträgen vor der Kyburger Kapitelsversammlung betont (vgl. Kap. 3.1.1) – sei unabdingbar, wenn man etwas erreichen wolle. Denn: „Wir wissen, Gn.Hrn. wie sehr Ihnen die Erleuchtung Ihrer Landen angelegen, wie sehr Hochdieselben die unnatürliche Denkungsart derjenigen verabscheuen, die sich nur blinde und unwissende Unterthanen wüschen, und wie Hochdies. die Erziehung und Bildung des Volks als den wichtigsten Gegenstand der Regierung ansehen“ (Escher 1774, S. 16). Immer noch unter dem zweiten Hauptpunkt äussert sich Escher zum katechetischen Unterricht sowie der Predigt und den diesbezüglichen didaktischen Rücksichten. Überlegungen, wie das richtige Verständnis gesichert werden kann, führen ihn schliesslich zur Frage der selbstständigen Bibellektüre; er schlägt diesbezüglich vor, für das Volk einen Auszug der wichtigsten Stellen anzufertigen, wichtige Bibelstellen dabei graphisch hervorzuheben und als didaktisches Hilfsmittel ein sacherklärendes Wörterbuch herauszugeben. Was nun den Bedarf an „guter und gesunder“ Erbauungsliteratur angehe, so soll diese frei sein von mystischen Tendenzen und einer überspannten Moral, „die eine gute Seele muthlos macht“ (ebd., S. 24 f.). Anstelle solch pietistisch gefärbter Werke, auf die er wohl anspielte, solle man den Landleuten eine deutliche und fassliche Anleitung in die Hand geben, die ihnen im praktisch-moralischen Leben mit all seinen Zufällen nützlich sein kann. Man führe den ‚gemeinen‘ Mann durch solch ein Buch „zum Nachdenken und zur Beherzigung, und stelle die Sache geradezu, ungekünstelt so vor, dass es ihn dünken mag, er sey von sich selbst auf
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diese Gedanken und Betrachtungen gekommen. Das wird seinem Verstand Licht, und seinem Herzen Wärme geben“ (ebd., S. 25 f.). Mit dem dritten Hauptpunkt reagierte Escher auf die gängigen Klagen über abnehmenden Kirchenbesuch und überhaupt ein religiöses Desinteresse in der Bevölkerung. Angesichts dessen läuft seine Forderung auf eine abwechslungsreiche, unterhaltsame und lebendige Gestaltung des Predigtvortrags hinaus. Ferner berührt er ein Phänomen, das damals in pfarrherrlichen Kreisen zunehmend registriert und diskutiert wurde, da es offensichtlich vorhandenen volkserzieherischen Ambitionen im Weg stand: die Geringschätzung des Pfarrers in seiner Gemeinde. Der beklagte Autoritätsund Respektverlust ist keine grundsätzlich neue Erscheinung, der Spott gegenüber dem (Land-)Geistlichen hat vielmehr Tradition, die allerdings ihre Ursache massgeblich in der ehemals geringen Bildung vieler Landpfarrer hatte. Besonders im Spätmittelalter bildete sich ein eigentliches Gefälle zwischen dem Typus des akademisch gebildeten Geistlichen und dem wenig gelehrten Landpfarrer aus. Diese Kluft sollte in Zürich nach der Reformation, das heisst mit der Etablierung der Theologenschule am Grossmünster durch Zwingli, zwar ausgeglichen werden, dürfte aber die Wahrnehmung im Hintergrund noch immer mit bestimmt haben. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als die Pfarrer sich vermehrt als Volkslehrer sahen und damit auf pädagogische Autorität angewiesen waren, stieg wohl auch die Sensibilität gegenüber einem solchen Manko. Nicht von ungefähr schliesst im vierten Hauptpunkt die Forderung an, dass sowohl die geistlichen wie die weltlichen Amts- und Würdenträger sich inskünftig stärker als bisher eines vorbildlichen religiösen Wandels zu befleissigen hätten. Wiederum fehlen volkspädagogische Überlegungen nicht, wenn Escher auf das Prinzip des Lernens am Exempel verweist – denn „Exempel und Beyspiel sind auch für einen grossen Theil des Volks, das bey seinen Handlungen mehr auf andere, als auf Gründe siehet, nothwendig“ (ebd., S. 31). Was nun aber das Vorbild der Geistlichen betrifft, bedeute dies gerade nicht den Verzicht auf die Teilnahme am weltlichen, gesellschaftlichen Leben. Im Gegenteil sei dieses Vergnügen auch ihnen gegönnt; schliesslich, so das bereits bekannte moraldiagnostische Argument, erkenne man im menschlichen Getümmel Charakter und Beweggründe des Gegenübers am ehesten, womit das gute Beispiel an diesem Ort zugleich die beste Wirkung entfalten könne. Der Pfarrer bzw. die von ihm erwarteten Kompetenzen sind auch Gegenstand des letzten Punkes zum Pfarrberuf. Nicht so sehr die Notwendigkeit einer gelehrten theologischen Ausbildung steht hierbei im Vorder-
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grund, sondern die Vorbereitung auf die tagtäglichen Pastoralgeschäfte seelsorgerischer und volkserzieherischer Art, wie sie damals gerade auch die Asketische Gesellschaft beschäftigte (vgl. Kap. 8.2). Die Rede Eschers vor der Synode macht den Stellenwert deutlich, welcher der Unterweisung und Erziehung der Landbevölkerung im Rahmen religiöser und kirchlicher Reformen zukommen sollte. Das Vorhaben einer Verbesserung des Landschulwesens lässt sich nicht von diesem breiteren Anliegen trennen. Jene schulreformischen Bestrebungen lassen sich damit aber nicht einfach als konservativ abtun, denn das zugrunde liegende Verständnis von Religiosität ist selber ein reformiertes, das in auffallender Weise auf pädagogische Mittel vertraut und sich in seiner praktisch-moralischen Ausrichtung hohe gesellschaftliche Relevanz zumisst. Daran schliesst sich ein verändertes Bild vom Pfarrer an. Das neue Pfarrerideal fordert dessen Teilnahme am weltlichen gesellschaftlichen Leben, insofern diese Öffentlichkeit als geeigneter Ort der (Menschen-)Beobachtung und des praktischen Wirkens anerkannt wird (vgl. Kap. 8.2). Bemerkenswert ist schliesslich das aufgeklärte, das heisst an Fortschritt und Vervollkommnung, statt in dogmatischer Weise am Überlieferten orientierte Wissensverständnis. Dieses kommt deutlich in Eschers zweiter Rede von 1778 zum Ausdruck. Hier gilt seine Aufmerksamkeit nicht mehr den (erzieherischen) Mitteln zur Verbesserung des Religions- und Kirchenzustandes, sondern der Analyse des in der Zwischenzeit Erreichten, also den Fortschritten, die sich seit der ersten Synodalrede abzuzeichnen begonnen haben. Die Evaluation knüpft an die Gliederung des ersten Vortrags an und bezieht sich auf die Reinheit der Lehre, den Gottesdienst, auf die einem Pfarrer notwendigen Kenntnisse, die Religiosität und Moralität der Bevölkerung, auf Lektüregeschmack und -gewohnheiten der Leute, den Zustand und Stellenwert der Erziehung und schliesslich auf die Sorge der Regierung für das Kirchenund Religionswesen. Escher darf am Schluss der kritischen Überprüfung resümieren, dass die Zeichen einer Verbesserung allmählich die Symptome einer Verschlechterung überwiegen. Escher fügt an, dass die Ursachen dieser und zukünftiger Fortschritte nicht auf „Wunder“ oder einen „übernatürlichen Sprung in der Verbesserung der Welt“ zurückzuführen seien, sondern vielmehr auf einer allgemeinen Zunahme der Kenntnisse, hervorgerufen durch dienliche Einrichtungen und Massnahmen zur Wissensvermittlung, beruhen würden (Escher 1778, S. 38). Eschers auf Fortschritt durch Erziehung und Unterricht vertrauende Reformanliegen folgen der gemässigt aufklärungstheologischen Programmatik (vgl. Kap. 9). Zugleich bedeutete die Umsetzung von Schulreformen natür-
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lich eine nicht zu vernachlässigende Kostenfrage. Argumente, die von einem volkswirtschaftlichen Nutzen einer Ausdehnung des Schulunterrichts sprechen, finden sich keine. Ebenso liessen sich damals offensichtlich keine finanziellen Mittel für eine gehobenere Ausbildung der Schulmeister ausfindig machen, entsprechende Ausgaben wurden in erster Linie als Belastung der Staatsfinanzen betrachtet. Viele Reformvorschläge bedeuteten für die Landpfarrer einen unter Umständen beträchtlichen Mehraufwand, der nicht einfach erwartet werden konnte. Neben solchen Ressourcenfragen gab es aber auch Einwände ideologischer Art gegen das bei Escher anklingende Wissens- und Religionsverständnis, gegen die praktisch-moralische und vernünftige Ausrichtung des Glaubens und insbesondere gegen die zugrunde gelegte Anthropologie, die die Erzieh- und Bildbarkeit des Menschen hoch veranschlagte, ohne dabei unmittelbar auf göttliche Gnade angewiesen zu sein. Als Beispiel einer solchen reformkritischen Haltung kann die Argumentationsweise des bereits mehrfach angeführten Pfarrers und Dekans Johann Heinrich Meister (1700–1781) aus Küsnacht angeführt werden. Anlass seiner hier zitierten Äusserungen war ein Zirkularschreiben aus dem Jahr 1776, mit dem Dekan Schmutz die Meinung der Pfarrer aus dem Zürichseekapitel zu der im Wetzikoner Kapitel eingerichteten Repetierschule einforderte; zugleich verlangte der Dekan Stellungnahme zum Entwurf einer neuen Schulordnung für die reformierten Gemeinden der thurgauischen gemeinen Herrschaft245. Hierbei kamen auch Innovationen zur Sprache, welche mit der neuen Schul- und Lehrordnung von 1778 in den Schulen der Zürcher Landschaft eingeführt werden sollten. Dazu gehörte neben der Repetierschule die Forderung, dass die Kinder das Gelernte nicht bloss auswendig können, sondern auch verstehen sollten. Meister kritisierte den im entsprechenden Abschnitt XVIII der Schulordnung für den Landfrieden246 245 Nach dem 4. Landfrieden von 1712 stand das thurgauische Gebiet unter der Herrschaft der Stände Zürich, Bern, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und Glarus. 246 Bereits 1771 reichte das Oberthurgauer Kapitel einen Entwurf für eine neue Schulordnung für die reformierten Gemeinden der Landgrafschaft Thurgau ein. Eine solche erschien 1779 unter dem Titel ‚Erneuerte Schul-Ordnung für die Schulen der Evangelisch-Reformirten Kirchgemeinden im Landsfrieden‘. Diese enthält im Gegensatz zur erneuerten Schulordnung für die Landschaft Zürich von 1778 keine separate Lehrordnung. Sie lehnt sich ansonsten zwar an diese an, ist jedoch im Wortlaut nicht identisch, auch inhaltliche Differenzen sind vorhanden. Die Anforderungen liegen unter denjenigen in der ‚Erneuerten Schul- und Lehr-Ordnung für die Schu-
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formulierten Zusatz, dass das Lesen sowie das Aufsagen von Katechismus, Gebeten und Liedern für die Zulassung zum Heiligen Abendmahl mit Verstand 247 geleistet werden müssen. Dass dies sämtliche Kinder und Jugendliche erreichen können, beurteilt er als eine überhöhte und auch theologisch unhaltbare Forderung. Meister fragt, mit welchem Recht man „die Hausund Tischgenossen des Herrn an diese Form und Bedingnisse, so gut sie auch gemeint sind, buchstäblich binden könne: Weil doch unsere Heilige Sacramente nicht eine menschliche sondern eine Göttliche Verordnung“ sind. Deshalb komme auch nur Gott die Bestimmung dessen zu, was man verlangen dürfe und was nicht, „[w]ie er es auch klar genug nach dem Zeugnis der Evangelisten und Aposteln vorgeschriben hat, ehe unser Katechismus, unsre Gebetter u. Lieder gestellt worden sind“ (StAZH: E IV, Zürichsee, Mp. 6). Meisters skeptische Beurteilung jener Anforderungen an das Verstehen für die Aufnahme des Gläubigen als erwachsenes Glied in die christliche Gemeinde als zu radikal, utopisch und gleichmacherisch, da sie die je besonderen Umstände und Verhältnisse der einzelnen Gemeinden und ihrer Schulen nicht berücksichtigten, schlägt sich in einer weiteren Stellungnahme nieder. Die von Pfarrer Heinrich Schinz (1726–1788)248 zu Altstetten in seinem Unterricht verwendeten nothankerschen Predigten249 würden ihn len der Landschaft Zürich‘ von 1778, etwa bezüglich der Dauer der Schule über das Jahr, indem die Sommerschule etwas weniger emphatisch angedrungen wird. Ähnliches gilt für die Repetierschule, wo lediglich der Wunsch geäussert wird, nach dem Vorbild der Einrichtung solcher Schulen in den Immediatlanden zu verfahren. 247 Diese Bedingung findet man in der ‚Erneuerten Schul- und Lehr-Ordnung für die Schulen der Landschaft Zürich‘ (1778) in Abschnitt XIX (Schul-Ordnung) und IX (Lehr-Ordnung). Das Kriterium ‚mit Verstand‘ bezüglich des Lesens und Aufsagens blieb schlussendlich trotz Einwänden auch in der erneuerten Schulordnung für den Landfrieden enthalten. 248 Schinz war korrespondierendes Mitglied der Moralischen Gesellschaft; 1771 entwarf er zu Handen der Gesellschaft das Fragenschema für die Erhebung des sittlichen Zustandes auf der Landschaft (vgl. Kap. 6.2). Pfarrer Schinz gab im Zirkularschreiben an, dass die Verwirklichung einer Montagsschule (Repetierschule) in seiner Gemeinde nicht möglich sei, da die ausgeschulten Kinder unter der Woche in Webstuben oder in der Stadt in Fabriken arbeiteten. Stattdessen würde er die Jugendlichen jeweils am Sonntag unterrichten und ihnen dabei aus Nothankers Predigten vorlesen. 249 Seybolds fiktive ‚Predigten des Herrn Magister Sebaldus Nothanker aus dessen Papieren gezogen‘ fassen den Diskurs pro/kontra Volksaufklärung polemisch zusammen und sehen im Pfarrer den Vermittler volksaufklärerischer Programmatik, zu-
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auf die Lehre eines englischen Schriftstellers führen, die er in Nothankers Lebensbeschreibung gefunden habe. Es handelt sich bei der genannten Lebensbeschreibung um eine Stelle aus dem dritten Band von Friedrich Nicolais250 Roman ‚Leben und Meinungen des Herrn Magisters Sebaldus Nothanker‘ (1773–1776); dieses Werk hatte wiederum David Christoph Seybold zu seinen fiktiven ‚Predigten des Herrn Magister Sebaldus Nothanker‘ (1774/1776) angeregt, auf die sich Schinz hier bezog. Jene Stelle wird von Meister wörtlich wiedergegeben, spricht für ein massvolles, das heisst am Machbaren orientiertes Reformverständnis und lautet im Original: „‚Der du einen neuen geraden Weg bahnen willst! Du wirst auf Hügel stossen! Lass dich keine Mühe reuen, sie abzutragen, um den schönen Weg nach der Schnur zu führen! Aber, wenn dein neuer Weg auf ein Haus stösset, reiss es nicht weg, so lang Menschen drinn wohnen, achte es nicht, dass der Weg lieber etwas gekrümmt daneben weg gehe. Es kommt in der Zukunft wohl noch eine Zeit, dass das Haus, Baufälligkeitshalber, oder aus andern Ursamindest solange diese (noch) nicht Bestandteil obrigkeitlicher Politik sei. Seybold plädiert damit für eine aufgeklärte Gesellschaft und eine Aufwertung der Landbevölkerung. Seybold (1747–1808) hatte 1769 sein Theologiestudium in Tübingen abgebrochen, um sich in Halle als Philologe auszubilden. Er wirkte zunächst als Professor in Jena und später an verschiedenen Orten als Gymnasiallehrer und Pädagoge, bevor er 1796 Professor für Alte Literatur in Tübingen wurde. Neben der Theologenausbildung engagierte er sich besonders auch für die Bildung der Frauen (vgl. Kuhn 2003). 250 Friedrich Nicolai (1733–1811) war ein vielfältig literarisch und verlegerisch tätiges Mitglied des Kreises der Berliner Aufklärer; er stand in freundschaftlicher Beziehung u. a. zu Moses Mendelssohn und Lessing. Zudem gehörte er wie Sulzer und, während seines Berlinaufenthaltes, auch der spätere Mönchaltorfer Pfarrer Johann Georg Schulthess dem Berliner Montagsclub an. Sein Auftreten gegen Aberglaube, Mystizismus, Dogmatismus und Orthodoxie in der von ihm herausgegebenen ‚Allgemeinen Deutschen Bibliothek‘ prägt auch das satirische schriftstellerische Zeitdokument ‚Leben und Meinungen des Sebaldus Nothanker‘. Die von Meister zitierte Stelle aus dem dritten Band stammt aus einer Übersetzung, die, so die Geschichte im Roman, der Protagonist Nothanker aus dem Englischen vorgenommen hat. In ihr lässt der Autor seinen Helden gegen die Behauptung der Unvereinbarkeit von Vernunft und Offenbarung eintreten, u. a. auch für ein historisch-kritisches Bibelverständnis und gegen den Glauben an die Verbalinspiration. Über die ‚Allgemeine Deutsche Bibliothek‘ stand Nicolai übrigens in regem Austausch mit dem Zürcher Theologen und Bibelkritiker Heinrich Corrodi (1752–1793). Dieser rezensierte viele Schriften Lavaters für Nicolai; die beiden Letzteren trugen in dieser Publikation insbesondere in den 80er Jahren Kontroversen aus, die grosse Resonanz erzeugten (vgl. Kap. 9).
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chen, neu muss gebauet werden, alsdenn wird ein kluger Mann nicht versäumen, es auf eine andere Stelle zu setzen und den Weg ganz gerade zu machen. Sey mit dem zufrieden, was du hast thun können, und überlass das übrige der Nachkommenschaft‘“ (Nicolai 1776/1988, S. 69 f.). Innerhalb des Romans steht die Allegorie allerdings für einen ‚pragmatischen‘ Fortschrittsglauben bezüglich der Zunahme theologischer Erkenntnis. Neues Wissen muss sich demnach in verschiedenen Zeiten gegen die je herrschenden Dogmen immer wieder neu durchsetzen – ein Prozess, der sich evolutionär und gerade nicht durch übernatürliches Eingreifen vollzieht. Meister betont die Notwendigkeit der Rücksichtnahme gegenüber den überlieferten Traditionen und Glaubenssätzen gerade auch bezogen auf die damaligen Schulreformen, wo es jene „bewohnten Häuser“ ebenfalls noch gebe. Meister gibt zwar zu, dass gemeinschaftliche Reformanstrengungen, orientiert an übergeordneten Vorgaben, mehr leisten, als es die einzelnen Pfarrer im Alleingang vermögen; dann müsse sich die neue Schulordnung allerdings an den Möglichkeiten der schwächsten Schulen ausrichten, was jetzt nicht der Fall sei. Den Beginn mache man am besten damit, dass jeder Pfarrer die Schulmeister seiner Gemeinde weiterbilde; dies könne, nach dem Vorbild des Wetzikoner Kapitels, mittels Privatunterweisung geschehen und unter Verwendung hierzu nützlicher Literatur. Skepsis gegenüber allgemein verbindlichen Verordnungen treten in Meisters Äusserungen verschiedentlich zutage, etwa wenn er bezogen auf seine Gemeinde nicht überzeugt ist, „dass die Gleichförmigkeit in willkürlichen, von Christo und seinen Aposteln der menschlichen Klugheit frei gelassenen Ordnungen und Gebräuchen, so nöthig oder auch nur so nützlich sey, wie sie vielen mir verehrungswürdigen Lehrern vorkömmt“ (StAZH: E IV, Zürichsee, Mp. 6). Trotz dieses Einwandes möchte er dann aber doch wieder, dass ausgehend von zahlreichen neueren Arbeiten zu Fragen der bürgerlichen und christlichen Erziehung, wenn diese auch von verschiedenem Wert seien, eine allgemeine Ordnung für die Landschulen Gültigkeit erhielte. In dem Zirkularschreiben des Dekans waren die Pfarrer, wie erwähnt, des Weiteren angehalten, Stellung zu nehmen zum Plan einer so genannten Montags- bzw. Repetierschule, wie sie vom Wetzikoner Kapitel vorgeschlagen wurde. Neben der Repetition der in der Alltagsschule erlernten religiösen Stoffe im Hinblick auf die Examination zum Heiligen Abendmahl war hier das Üben der Lese- und, wenn bereits vorhanden, der Schreibfertigkeit vorgesehen; die Knaben sollten zudem Unterricht im Landbau erhalten. Meisters Einwände richten sich auch bei diesem Anlass gegen eine zu starke
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Gewichtung des Verstandes oder besser: des Gedächtnisses. Er bezweifelt, dass die gedächtnismässige Kenntnis der christlichen Lehre und damit eine Repetierschule, die diesem Zweck diene, von Nutzen seien. Mit der Kritik am Auswendiglernen berührt er einen wichtigen Punkt der zeitgenössischen Unterrichtskritik. Statt auf Verstand und Lernen setzt Meister jedoch auf die ‚Gesinnung‘. So gibt es für ihn keinen Grund, Jugendlichen den Genuss des christlichen Bundesmahls vorzuenthalten, solange sie sich dessen in ihrer sittlichen Aufführung als würdig erweisen. Glaube und gute Gesinnung stammen allein von Gott und sind nicht ‚lernbar‘. Daraus folgen Meisters Zweifel an den Möglichkeiten von Unterricht, wie sie deutlich auch aus den von ihm aus Küsnacht überlieferten Antworten auf die Landschul-Enquête sprechen. Hier zeigen die ausführlichen Stellungnahmen den gebildeten Theologen als einen pädagogisch überaus interessierten, informierten und auch innovativen, wenn zugleich auf unkonventionelle Art orthodoxen Zeitgenossen. Das Beispiel Meisters verdeutlicht, dass im untersuchten Zeitabschnitt einfachen Zuordnungen im Spektrum von Orthodoxie und Aufklärungstheologie insgesamt geringe Aussagekraft zukommt. Er gehörte in der Auseinandersetzung um das Realregister zur neuen Zürcher Gelehrtenbibel von 1772, das den neueren theologischen Tendenzen gerecht werden wollte, zum Kreis der Kritiker (vgl. Wernle 1923, Bd. 1). Hier lässt sich seine konservative Stellungnahme zumindest in Teilen mit seinem Jahrgang erklären, der ihn der älteren Generation der damaligen Zürcher Pfarrer zuordnen lässt; darüber hinaus handelt es sich bei ihm aber charakterlich wie auch hinsichtlich seiner Bildung um eine individuelle Erscheinung. Bereits in seinen Antworten auf die Enquête gab Meister zu verstehen, dass er wenig hält von generalisierenden Vorschriften; ohne Rücksicht auf die je individuelle Ausgangslage einer Gemeinde lasse sich deshalb keine Verbesserung des Schulwesens ins Werk setzten. Schliesslich sind es die Individualität des Kindes und die von Gott gegebene Ungleichheit der Fähigkeiten, die es immer zu berücksichtigen gelte und die dem mittels Lernen zu Erreichenden Grenzen setzen. Überhaupt ist er nicht der Meinung, dass förmlicher Unterricht ein notwendiges Mittel und der Intellekt den richtigen Zugang zum Heil bieten. Seine anthropologischen Annahmen widersprechen dem aufklärerischen Optimismus, wenn er mehrmals auf die Verdorbenheit der menschlichen Natur rekurriert, die einem gerade der Umgang mit Kindern immer wieder vor Augen führe. Was die Frage angeht, wie man Kinder zum richtigen, das heisst verständigen Beten anleiten könne, erinnert er daran, dass „ohne fanatische Grillen anzunehmen, […] die Kunst
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andächtig und auf eine Gottgefällige Weise zu bätten, nicht durch Regeln Menschlichen Wiz und Klugheit erlernt wird, sondern eine Gabe des H. Geistes“ sei (Küsnacht, B.b.10.). Überhaupt kommt dem Gebet bei Meister eine grosse Macht zu, vermag es doch mehr als sämtliche Gesetze oder Vorschriften. Mit seinen mithin bissigen Äusserungen meint Meister im Übrigen, bereits zu viel gesagt zu haben. So wolle er denn „gerne gestehen, dass sich noch mehr davon denken als sagen lässt, wie auch von andern uns vorgelegten Schulfragen, in Ansehung deren ich befürchte allbereit mehr gesagt zu haben, als viele Leüte vertragen können. Man mag es doch mit Gedult annemen, weil ich als ein 72 jähriger Mann fürohin so viel nicht mehr sagen werde“ (C.9.). Dass Meister tatsächlich ein nicht nur origineller, sondern zuweilen auch unbequemer Charakter war, lässt sich aus zahlreichen Auseinandersetzungen nicht nur mit Theologen-Kollegen, sondern auch mit Gemeindeangehörigen und -vorgesetzten folgern (vgl. Kap. 4.3.3).
8 Schul- und Erziehungsreform im Diskurs der Asketischen Gesellschaft
Die Defizite des Landschulwesens und das Bedürfnis einer Reform wurden zuerst von den Landpfarrern, die vor Ort direkt mit Mängeln konfrontiert waren, artikuliert. Gleichzeitig begann sich die Moralische Gesellschaft im Rahmen ihrer gemeinnützigen Tätigkeiten mit ähnlichen Fragen zu beschäftigen. Und schliesslich fand das Thema Eingang in die Kirchensynode, wo es zuerst vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Notlage der Jahre 1770/1771 mit ihren Begleiterscheinungen diskutiert wurde und auch in den folgenden Jahren zusammen mit dem Vorhaben einer Erneuerung der Schulordnung Aktualität behielt. Die 1771/1772 durchgeführte Schul-Enquête adressierte die Landpfarrer, widerspiegelt in ihren Antworten also wiederum die Perspektive der Geistlichen. Die pfarrherrliche Zuständigkeit bzw. Aufsichtsfunktion über Schule und Unterricht stand damals nicht in Frage, im Gegenteil kann man im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in diesem Stand ein gesteigertes Interesse für alles Pädagogische beobachten. Ein verstärktes Engagement im Feld von Unterricht und Erziehung oder zumindest dahin gehende Appelle und Absichtserklärungen stehen in Zusammenhang mit einem generelleren Phänomen, nämlich einem sich wandelnden pastoralen Berufsverständnis. Das heisst, viele ‚aufgeklärte‘ Pfarrer zeigten ein Bestreben, ihr Wirkungsfeld stärker als zuvor auch auf diesseitige gesellschaftliche Bereiche auszudehnen. Diese Profanierungstendenzen wurden gerechtfertigt durch eine theologische Lehre, deren ethische Zielsetzungen auf eine Moralisierung der Religion drangen. Erziehung und Unterricht gerieten damit verstärkt unter den Blickwinkel christlich-religiöser Zielsetzungen, die nun aber unter dem Einfluss der neologischen Aufklärungstheologie gerade wichtige Impulse lieferten, damit Unterricht und Erziehung der breiten Bevölkerung überhaupt den für die weitere Entwicklung notwendigen Stellenwert erhielten. Als massgeblich identifiziert wurde bereits die dieser Lehre inhärente optimistische Anthropologie, welche an die Möglichkeit von Erziehung und Lernen glauben liess und in beidem ein movens für den (sittlichen) Fortschritt von Individuum und Gesellschaft erkannte. Der Mensch trat dabei zunehmend in seinem irdischen Dasein ins Blickfeld, und an dieser diesseitigen sittlichen Existenz richteten sich denn auch die Ziele seiner Erziehung unmittelbar aus.
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Die Motive und Zielsetzungen der Reform des Landschulwesens überschneiden sich an dieser Stelle der Schulgeschichte mit dem breiter gefassten Programm, das gewöhnlich unter den Begriff der ‚Volksaufklärung‘ oder besser: ‚Volkserziehung‘ gefasst wird. Schliesslich war man sich durchaus bewusst, dass die sittliche Besserung von Volk und Gesellschaft frühzeitig, das heisst mittels Unterricht und Erziehung der nachwachsenden Generation ansetzen musste. Bezüglich der Kindererziehung basierten die zeitgenössischen psychologisch-pädagogischen Vorstellungen auf der Annahme angeborener ‚Kräfte‘, die es frühzeitig ‚anzubinden‘ galt; Erziehung bedeutete die Pflege vorhandener guter Anlagen und die rechtzeitige ‚Ausrottung‘ schlechter Begierden und des Eigensinns. Semantik und Metaphorik folgten dabei durchaus dem Konzept aktiv intervenierender ‚Prägung‘ und ‚Formung‘, wobei den frühen Eindrücken und Erfahrungen eminente Bedeutung für die Entwicklung von Geist und Seele zukam. Pädagogisierung und Didaktisierung bilden eine zentrale Entwicklungslinie innerhalb der ‚Volksaufklärung‘. Böning/Siegert (1990, Bd. 1) unterscheiden im Verlauf dieser Bewegung drei Phasen. Dabei stehen zu Beginn, um die Mitte des 18. Jahrhunderts, Strategien zur Vermittlung von Wissen und Kenntnissen, die auf ökonomische Gegenstände bezogen sind, im Vordergrund. Das Anliegen richtete sich an die Bauern, und zwar unter weitgehendem Verzicht auf sittlich-moralische Erziehung; die sachliche Information kam vorerst ohne den herablassend-väterlichen Gestus aus. Als dann in den ausgehenden 1760er Jahren die Euphorie der Bauernaufklärung angesichts von Widerständen auf Seiten der Landbevölkerung bereits merklich gedämpft war, machte sich das Bewusstsein breit, dass Rücksichten auf den spezifischen Adressatenkreis zu nehmen waren. In der Folge nahm die Pädagogisierung und Didaktisierung der Volksaufklärung stark zu, wobei man nicht zuletzt auch auf die Methodik traditioneller religiöser Erziehung zurückgriff. Kuhn (2003) bemerkt, dass diese Pädagogisierung vornehmlich von den Pfarrern, welche schliesslich mit Katechese und Volksunterricht vertraut waren, befördert wurde. Damit änderte sich in dieser zweiten Phase aber auch das Verhältnis zwischen den Aufklärern und ihren Adressaten, und es bildete sich nun zunehmend ein pädagogisches Gefälle aus. Die Gebildeten begannen sich als ‚Volkslehrer‘ zu verstehen und verglichen das ‚Volk‘ gerne mit Kindern. Entsprechend wurde bei der Gestaltung aufklärerischer Schriften auf Formen, etwa den Dialog oder die Katechetik, zurückgegriffen, die auch im Elementarunterricht zur Anwendung kamen (vgl. Böning/ Siegert 1990, Bd. 1). Damit lässt sich das neue Engagement der Geistlichen
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nicht nur für das seelische, sondern verstärkt auch für das zeitliche materielle Wohl ihrer Gemeinden einerseits in einen Prozess der Säkularisierung einordnen, anderseits „hat dies auf die ursprünglich ganz weltliche, von Gelehrten, Kameralisten und Naturwissenschaftlern getragene Volksaufklärung genau den gegenteiligen Effekt. Über die Geistlichen finden die Mittel, Themen und zum Teil auch Inhalte der religiösen Unterweisung Eingang in die Volksaufklärung“ (S. XLVII). An diesem Punkt offenbart die Volksaufklärung die ihr eigentümliche Dialektik zwischen Säkularisierung einerseits und Rechristianisierung251 anderseits. Vor dem Hintergrund der damals verbreiteten Religionskritik, als es darum ging, der christlichen Religion ihren Platz im sozialen, ökonomischen und kulturellen Diskurs und dabei insbesondere auch im Bereich von Unterricht und Erziehung zu sichern, stand gerade die Hinwendung zu säkularen Anliegen oftmals im Zeichen religiösreformerischer Zwecksetzungen. Allgemeiner ausgedrückt erscheint „[c]hristliches gesellschaftliches Handeln […] im historischen Kontext der Spätaufklärung einerseits als Erweis der Nützlichkeit des Religiösen sowie als aufklärerisches Bemühen um eine Rechristianisierung der Gesellschaft und andererseits als Pädagogisierung des Religiösen“ (Kuhn 2003, S. 7). In den bezeichneten Pädagogisierungszusammenhang gehören die in theologischen und pastoralen Kreisen erörterten Popularitätskonzepte, die auf methodische Überlegungen der publizistisch und wissenschaftlich erstarkenden Pädagogik zurückgreifen konnten. Inhaltlich und strategisch entwickelte sich ab den 70er Jahren, in einer Dritten Phase, die für die deutschsprachige Volksaufklärung bis weit ins 19. Jahrhundert typische Idee einer ganzheitlichen Einwirkung auf das Volk, von der aus ökonomische, religiöse, sittliche und nationalspezifische politische Motive eng miteinander verbunden sind; die Ökonomie tritt dabei zugunsten von Sittlichkeit, Moral und Religion eher in den Hintergrund. Böning/Siegert (2001, Bd. 2) konstatieren überdies, dass sich die Ziele und Inhalte der sittlich-moralischen Volksaufklärung weit weniger als oft angenommen von denen unterschieden, die dem Bürger nur wenige Jahrzehnte zuvor und den Kindern dieser Bürger zeitgleich vermittelt wurden; seit den 70er Jahren gab es eine
251 Zwar kann mit Lehmann (1996, 1997) im Untersuchungszeitraum von einer nichtlinear verlaufenden Säkularisierung im Erziehungswesen ausgegangen werden, statt von einem Widerspruch zwischen Tendenzen der Säkularisierung und Rechristianisierung zu sprechen (vgl. auch Musolff 2006), ist die Entwicklung vielmehr dialektisch, im Sinn einer Wechselwirkung zu verstehen.
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verblüffende Ähnlichkeit von aufklärerischer Kinder- und Jugendliteratur einerseits und volksaufklärerischer Literatur anderseits. Die Dominanz der Pfarrer und Theologen im pädagogischen und volkserzieherischen Diskurs und insbesondere in den hier untersuchten Diskussionen um eine Verbesserung des Landschulwesens zeigt sich in der Herkunft der Autoren einschlägiger Texte. Auch von dieser Seite betrachtet drängt es sich auf, die Asketische Gesellschaft als bedeutendes Organ des Austausches und der Fortbildung der Zürcher Exspektanten und Pfarrer in die Untersuchung einzubeziehen, schliesslich fanden Fragen des Umgangs mit und des Zugangs zu der Landbevölkerung sowie verschiedene Aspekte von Unterricht hier regelmässig Eingang. Wie bereits erwähnt, sah man im Zürcher Examinatorenkonvent vor, die Auswertung der Antworten auf die Enquête der Asketischen Gesellschaft zu übertragen; nach genauerem Hinsehen versprach man sich dort allerdings von einer solchen Analyse – im Verhältnis zum Aufwand – keinen grossen Ertrag (vgl. Kap. 6.2). Vorsteher der Gesellschaft war Johann Jakob Breitinger, der gleichzeitig der Landschulkommission des Examinatorenkonvents angehörte; nach dessen Tod 1776 übernahm der spätere Antistes Johann Jakob Hess das Präsidium, gleichzeitig wurde die Gesellschaft unter die höchste Direktion des amtierenden Antistes Ulrich gestellt. Personelle Überschneidungen gab es aber vor allem mit der Moralischen Gesellschaft; ebenfalls der Asketischen Gesellschaft beigetreten sind unter den dortigen Mitgliedern neben Johann Jakob Hess (1741–1728) und Johann Rudolf Ulrich (1728–1795) Johann Kaspar Lavater (1742–1801), Ulrich Irminger (1737–1805), Jakob Christoph Nüscheler (1743–1803), Johann Rudolf Schinz (1745–1790), David Breitinger (1737–1817) und Leonhard Usteri (1741–1789). Die Asketische Gesellschaft hatte sich bei ihrer Gründung 1768 offiziell zum Zweck gesetzt, die jungen Exspektanten252 auf ihr Amt als seelsorgerische Betreuer von Straftätern vorzubereiten. Dies betraf allerdings eine eher seltene Aufgabe,253 so dass die Zwecksetzung 1777 im Zuge einer Re-
252 Die Exspektanten waren in einem eigenen Kapitel organisiert und auch bezüglich ihrer Lebensführung der Kontrolle des Antistes unterstellt. 1768 standen 147 Exspektanten 246 amtierenden Geistlichen gegenüber; 44 davon traten 1768 der Asketischen Gesellschaft bei. Während der teilweise langen Wartezeit waren sie auf anderweitige Beschäftigungen angewiesen, etwa als Hauslehrer, verbrachten die Zeit mit Studienreisen oder engagierten sich eben in der Asketischen Gesellschaft. 253 Zwischen 1768 und 1798 ereigneten sich 30 Hinrichtungen. Mit vier Hinrichtungen bildete das Jahr 1768, das Gründungsjahr der Asketischen Gesellschaft, eine Spitze.
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vision der Statuten eine Erweiterung erfuhr: Die Gesellschaft sollte sich nun allgemeiner auf die Ausbildung des Seelsorgers über die Vermittlung von Pastoralkenntnissen konzentrieren. Die meisten Mitglieder stammten aus Zürich, mehr als die Hälfte unter ihnen hielt sich jedoch meistens auf der Landschaft auf, so dass der Austausch vor allem auf schriftlichem Weg erfolgte (vgl. Erne 1988). Vereinzelt traten auch Auswärtige bei oder besuchten zumindest einzelne Sitzungen, darunter auch Theologen aus Deutschland. Neben Spitalbesuchen und der Vorbereitung von Missetätern bildete, wie gesagt, die auf die praktische Pfarrtätigkeit ausgerichtete Pastoraltheologie schon bald den Schwerpunkt der Arbeiten. Ein besonderes Interesse bestand an den sozialen – sittlichen – und wirtschaftlichen Verhältnissen auf der Landschaft, mit denen die Pfarrer konfrontiert waren. Zu diesem Zweck legten Mitglieder unter dem Titel ‚Asketische Topographie‘ Gemeindebeschreibungen an. Ausgehend von ihren Beobachtungen versuchten sie auf diesem Weg, in die Mentalität der Landleute vorzudringen, ihre Denk- und Verhaltensweisen besser zu verstehen und davon die geeignetsten Mittel der erzieherischen Einwirkung abzuleiten. Die vorgetragenen Arbeiten und deren Erörterung wurden im Allgemeinen den Mitgliedern auf dem Land zur Zirkulation zugesandt. 1789 erstellte man ausgehend von den bisherigen Tätigkeiten ein Arbeitsprogramm, dessen Hauptrubriken die Titel Pastoralstudien, Pastoralgeschäfte, Pastoralerfahrungen, Pastoralklugheit und Pastoralberuf trugen. Das Thema Schulwesen gehörte zusammen mit Themen wie (Kasual-)Predigten, Katechismus- und Neokommunikantenunterricht, Haus-, Krankenund Malefikantenbesuche, Armenwesen, Stillstandsgeschäfte und bürgerlich-kirchliche Geschäfte in die Rubrik der Pastoralgeschäfte. Die Pastoralstudien befassten sich unter anderem mit der Kunst der Religionsunterweisung mittels Predigt und Jugendunterricht „nach seinem besondern Zweck, Eigenschaften, Hülfsmitteln und Methoden“ (Abriss von dem Ursprung, der Verfassung und den Arbeiten der Ascetischen Gesellschaft in Zürich 1790, S. 56). Interessant ist zudem die Abteilung Pastoralberuf mit den Stichwörtern Umfang, Würde, Privatleben, Studium, Privatumgang, Geselligkeit, Nebenbeschäftigung, Selbsterkenntnis; hier lässt sich der zentrale Stellenwert feststellen, welcher der Reflexion der gesellschaftlichen Dimension des Pfarramtes zukam. Diskutiert wurden dabei konkret Fragen der Stellung des Landpfarrers innerhalb der Gemeinde, sein Verhältnis zu den Gemeindegenossen, Stillständern und den Inhabern von Gemeindeämtern, die ihm angemessene Lebensführung und die Frage der ihm notwendigen und für seinen Stand überhaupt zulässigen Studien. Die Ausfüh-
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rungen der einzelnen Arbeiten gehen dabei gewöhnlich von einem als problematisch empfundenen Status des Pfarrers in der Gemeinde aus. Beklagt wurde einerseits ein Verlust von Autorität und Standesprestige, anderseits mangelndes Vertrauen und Distanz im Umgang von Seiten der Pfarrgenossen; in beiden Fällen steht die Klage in Zusammenhang mit dem Wunsch, vermehrt erzieherisch auf die Bevölkerung einzuwirken, einem Anliegen also, dem beide Ausgangssituationen auf ihre Weise hinderlich waren. Besserung versprach man sich von der Schulung der Menschenkenntnis, des Beobachtungs- und Einfühlungsvermögens. Zudem waren sich die Referenten einig, dass ihre Absichten nur dann Aussicht auf Erfolg hatten, wenn sie mit dem notwendigen Mass an Herablassung an die Adressaten herantraten und die kognitiven, sozialen und ökonomischen Verhältnisse und Möglichkeiten ihrer Gemeindeglieder in Rechnung stellten. Wie erwähnt, beschäftigte sich die Asketische Gesellschaft im Rahmen ihrer pastoraltheologischen Arbeiten auch mit Fragen des Landschulwesens und seiner Verbesserung. Erörtert wurde dabei die Frage nach dem allgemeinen Zweck des Landschulunterrichts, im Besonderen auch der Nacht- und Repetierschule sowie der Kinderlehre; weitere Themen bildeten die Schulaufsicht durch Pfarrer und Stillstand, das Verhältnis des Pfarrers zum Schulmeister und die Frage, wie jener zu dessen Ausbildung beitragen könne. Während dabei durchaus auch innovative und weiter reichende Ideen und Absichten geäussert wurden, kam es oftmals einem Rezensenten zu, diese am Massstab der als realistisch empfundenen Möglichkeiten zu prüfen und kritisieren. Die Zweckbestimmung der Asketischen Gesellschaft brachte es mit sich, dass ihre Mitglieder fast ausschliesslich dem geistlichen Stand angehörten. Zutritt hatte grundsätzlich jeder Exspektant, und auch Pfarrer wurden aufgenommen; insofern bildete die Gesellschaft auch keine Elite ab. Als Johann Jakob Breitinger im Dezember 1776 verstarb, nahm man im Examinatorenkonvent offenbar stillschweigend an, dass der Nachfolger wiederum aus dessen Mitte stammen müsse (vgl. Die Asketische Gesellschaft in Zürich [o. J.]). Archidiakon Christoph Heinrich Hess schlug dann jedoch das Amt aus, worauf es mit Johann Jakob Hess mit einem Mitglied der Asketischen Gesellschaft besetzt werden konnte. Jener Vorgang sowie die Tatsache, dass sich die Gesellschaft in der Folge zugleich dem Ehrenpräsidium des amtierenden Antistes unterstellte, erhellt, dass eine Anbindung an die offizielle Kirche selbstverständlich war. Die Asketische Gesellschaft fungierte sozusagen als Organ der Kirche zur pastoralen Fort- und Weiterbildung und diente zudem der Sozialisation angehender Pfarrer. Als solches hielt sie
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sich explizit von politischen Geschäften fern. Eine entsprechende Ermahnung an die Mitglieder erging denn auch anlässlich der Hinrichtung von Pfarrer Johann Heinrich Waser, selber vormals Angehöriger der Gesellschaft, durch Chorherr und Examinator Georg Christoph Tobler (1702– 1784) (ZBZ: Archiv B 2a, S. 341 f., Zirkular vom Juli 1780). In Analogie zur Moralischen Gesellschaft (vgl. Kap. 6.1) soll hier, ebenfalls zum Zweck der Verortung, die Reaktion der Mitglieder der Asketischen Gesellschaft auf diesen Skandal kurz dargestellt werden. Überliefert ist unter anderem eine „moralische Geschichte“ Wasers, die Johann Jakob Hess anlässlich der Eröffnung der auf die Hinrichtung folgenden Versammlung vom 1. Juni 1780 vorgetragen hat (ebd., S. 345 ff.). Hess führt Wasers Verfehlen auf dessen falsches Verständnis vom Pfarrberuf zurück, seine allzu eifrige Beschäftigung mit ‚Lieblingsstudien‘254, das heisst in seinem Fall mit staatspolitischen Gegenständen. Eine eigentliche „Gefängnis- und Todes-Geschichte“ liegt dazu vom Mitglied Johann Rudolf Cramer255 vor (ebd., S. 353 ff.), dem die seelsorgerische Betreuung des Gefangenen und dann des Verurteilten bis zur Hinrichtungsstätte oblag. Abgesehen von Cramer erhielt Waser von weiteren ‚Asketen‘ Besuch, und zwar von den Diakonen Jakob Christoph Nüscheler und Johann Jakob Hess, den Pfarrern Johann Kaspar Lavater, Johann Konrad Pfenninger und Schinz, wahrscheinlich handelte es sich hierbei um Johann Rudolf, den Pfarrer aus Uitikon. Mit Ausnahme Cramers und Pfenningers gehörten diese Männer sämtliche auch der Moralischen Gesellschaft an. Cramers Bericht ist eindrücklich und gibt seine Unterredungen mit Waser im Wellenberg, dem Gefängnisturm von Zürich, wieder. Seine Einschätzung des Falls und die verurteilende Hal-
254 Die Frage der Zulässigkeit so genannter ‚Favoritstudien‘ für einen Pfarrer machte ein eigenes Thema in der Asketischen Gesellschaft aus; Behandlungen dieser Frage liegen vor sowohl von Heinrich Corrodi wie Rudolf Maurer (ZBZ: Archiv B, Thek I, Nr. 34 und 19). 255 Johann Rudolf Cramer (1743–1794), ordiniert 1764, reiste nach Genf und Frankreich, wurde 1768 Aktuar der Asketischen Gesellschaft, 1773 Professor des Hebräischen, 1775 Leutpriester am Grossmünster, 1791 erster Archidiakon; Mitglied der Helvetischen Gesellschaft (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953). Er war Mitglied auch der Naturforschenden Gesellschaft und der Ökonomischen Kommission in Zürich. Als Gefangenenseelsorger hatte er sich in besonderer Weise mit den Charakteren von Verbrechern, auch Verbrecherinnen, auseinander gesetzt, wie seine Veröffentlichung ‚Lebensgeschichten ehmals gefangener Missethäter. […] Aus sorgfältigen und genauen Beobachtungen zusammengetragen‘ (1772) zeigt. Cramer ist auch der Verfasser des ‚Unterrichts über den Landbau‘ (1774) (vgl. Kap. 5.4).
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tung gegenüber dem Inhaftierten haben wohl den Wertungen der Kollegen entsprochen. Dies trifft belegbar für Lavater zu, der ebenfalls mehrere Berichte über seine letzten Gespräche mit Waser verfasst hat. Aber nicht nur er, sondern – abgesehen vom ehemaligen Doyen Bodmer – „[f]ast die gesamte Aufklärungsszene distanzierte sich vom verurteilten ehemaligen Pfarrer“ (Graber 1993, S. 159). Unerbittlich versuchte Cramer in seinen geistlichen Verhören sein Gegenüber zur Reue seiner Sünden zu bewegen (ZBZ: Archiv B 2a). Dies gelang ihm über weite Strecken: Waser zeigte gegenüber den von Besuch zu Besuch neu hinzukommenden Vorhaltungen Schuldbewusstsein und Zerknirschung, gestand aber zugleich unter inneren Marterqualen ein, seine Leidenschaften würden ihm noch immer verunmöglichen, sämtliche Personen, die er mit seinem Verhalten beleidigt haben solle, um Verzeihung anzugehen, wie es Cramer von ihm verlangte. Er gab an, seine Starrköpfigkeit gegenüber der Obrigkeit zu bereuen, und meinte sich zu sehr mit Politik und Staatsangelegenheiten abgegeben zu haben. Die Beschäftigung mit der Natur hätte ihm die falsche Vorstellung eingeflösst, es müsse in der moralischen und sittlichen Welt alles ebenso ordentlich zuund hergehen wie in der physischen Welt der Schöpfung. Ein demütigendes Gebet, das er Cramers Worten nachsprechen sollte, wollte Waser dann doch nicht in dieser Härte auf sich angewendet sehen, denn ein solch grosser Bösewicht wäre er nicht: Er nehme die ihm zugeteilte Strafe willig auf sich, und er bereue vor allem, dass er dem christlichen Glauben untreu geworden sei. Er wünschte deshalb, man möge ihn während der verbleibenden Zeit bis zur Hinrichtung weniger als politischen Verbrecher behandeln und ihn in dieser Hinsicht zu kurieren versuchen, denn als Sünder gegen Gott; am Todestag habe er entsprechend geäussert, so der Bericht, er sterbe nicht als Philosoph, sondern als Christ. Weiter heisst es dort nicht ohne Bewunderung, er habe seinem Tod ruhig, ja fröhlich und unter Gebeten entgegengesehen. Man möchte anfügen: vielleicht ruhiger als die das Urteil unter dem Blick eines grossen, auch internationalen Publikums vollstreckende Obrigkeit.
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8.1 Die Behandlung von Schul- und Erziehungsfragen in den Arbeiten der Asketischen Gesellschaft Verschiedene Pastoralaufgaben, mit denen sich die Asketische Gesellschaft in den 1770er und 80er Jahren beschäftigte, befassen sich mit Problemstellungen im Umfeld von Schule und Erziehung. Die Behandlung der Fragestellungen lässt den Schluss zu, dass die im Jahr 1778 eingeführte neue Schul- und Lehrordnung für die Landschulen in etwa einem Mittelweg entsprach, der zwischen den umfassenden Reformforderungen, wie sie in den Vorträgen von Schulthess und Escher formuliert worden waren, und einer innovationskritischen Haltung vermittelte. Keiner der beiden Standpunkte stellte den Primat der religiös- bzw. moralisch-erzieherischen Funktion der Landschulen in Frage. Unterscheiden lassen sich dennoch zwei Positionen: Die eine verbindet mit einem moralisierten religiösen Unterricht einen gesellschaftlichen Fortschritt und ist dabei offen für das Eindringen profaner, realistischer Kenntnisse; sittlich-religiöse Normen und Deutungen sowie rationaler Weltzugang stehen sich in dieser Sichtweise nicht konkurrierend gegenüber, sondern bieten sich bei der Erreichung der anvisierten Reformziele gegenseitige Unterstützung. Auf der anderen Seite steht die Position, welche die Rolle von Wissen und Vernunft für die Vermittlung von Religion gering schätzt, vor allem führt in diesem Verständnis – ganz im Gegensatz zum anderen Standpunkt – kein Weg vom Verstand zur Gesinnung, dem Herzen. Eine stärkere Gewichtung profaner Unterrichtsgegenstände und Fertigkeiten muss in dieser Sichtweise auf Kosten der traditionellen Glaubenslehre gehen. Wissen ist dann, wenn der richtige Glaube nicht vorausgesetzt werden kann, gefährlich; dies gilt für das Individuum wie für die Gesellschaft, und zwar ganz besonders, wenn der aufklärerische Vervollkommnungsoptimismus als Bezugspunkt von Erziehung und Unterricht fehlt. Zwischen beiden Polen befindet sich ein breites Feld für Stellungnahmen und Argumentationsweisen, die nicht zuletzt von pragmatischen Prioritätensetzungen, dem Aspekt der unmittelbaren Nützlichkeit und den vorausgesetzten Realisierungsmöglichkeiten geleitetet sind. Beide Standpunkte wogen zwischen dem Stellenwert von Verstand und Herzen/ Gefühl als Zugänge für Wissen und Glauben tendenziell unterschiedlich ab. Ein Interesse an effizienteren Unterrichtsmethoden an sich dürfte als ,technische‘ Frage jedoch unabhängig von ideologischen Vorstellungen darüber, worin das Volk mit welchen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen unterrichtet werden sollte, vorhanden gewesen sein.
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Konrad Balber: Worin sollen die Landschulen die Kinder unterrichten? Der zuletzt aufgeworfenen Frage nach den den Landleuten bzw. -kindern angemessenen Unterrichtsgegenständen widmete sich 1779 Konrad Balber256, und zwar aus Anlass folgender Fragestellung: „Was müssen die Kinder in Landschulen lernen? Wie weit es darin bringen? Was ist das Wichtigere? Was das Minderwichtige? – Wäre es nicht rathsam, die Kinder auch in der vaterländischen Geschichte, Rechte, Gesetze, in der Landwirthschaft zu unterweisen? Wie liesse sich durch Anstalten des Pfarrers das Schulwesen am besten einrichten? Man wünscht ein Muster einer guten innern und äussern Einrichtung einer Landschule zu sehen“ (ZBZ: Archiv B, Thek I, Nr. 61). Auch bezüglich der Unterrichtsmethodik äusserte sich der Referent, und zwar ganz in Übereinstimmung mit den bereits vielfach zitierten Forderungen, wonach der zu vermittelnde Stoff der Fassungskraft des Kindes angepasst sein müsse und die Schüler nichts auswendig lernen sollten, was sie nicht verstehen. Vorbildlich erscheinen ihm in dieser Hinsicht die 1772 von der Asketischen Gesellschaft selbst als Einleitung in den Religionsunterricht herausgegebenen ‚Fragen an Kinder‘ (vgl. Kap. 5.4). Weiter bevorzugt auch Balber das Lernen anhand alltäglicher Beispiele; Übung kommt dabei vor dem Lernen von Regeln; Zwang und Unlust sollen, wo immer möglich, vermieden werden. Was nun den zu vermittelnden Stoff angeht, gesteht Balber, dass die Schulen bis vor kurzem tatsächlich im Argen gelegen haben. Dennoch gehen ihm gewisse Forderungen, die gegenwärtig erhoben würden, doch zu weit. Dazu gehört etwa, dass zum Lesen auch noch das orthographische Schreiben kommen sollte, Rechnen und Messkunst, vaterländische Geschichte, Staatskunde, Landwirtschaftslehre und schliesslich Natur- und Sittenlehre, also alles dasjenige, was Schulthess und Escher 1770 in ihren Vorträgen vorsahen (vgl. Kap. 3.1.1). Was Kinder in der Landschule lernen sollen, bemisst sich in Balbers Augen ausdrücklich an dem, was sie benötigen, um vernünftige, gute, glückliche Menschen zu werden, und dazu ist offenbar weniger mehr. Balber verwahrt sich gegen die Meinung Rousseaus, wonach der Mensch Wissen verachten und – so ähnlich der spöttische Einwurf Voltaires257 – wie 256 Konrad Balber war 1785 bis zu seinem Tod 1787 Französischlehrer an der Kunstschule; weiteres ist über ihn nicht bekannt. 257 In Reaktion auf dessen ‚Discours sur l‘origine et les fondemens de l‘inégalité parmi les hommes‘ (1755) schrieb Voltaire in einem Brief an Rousseau vom 30.8.1755 die bekannt gewordenen Sätze: „J‘ai reçu, Monsieur, votre nouveau livre contre le genre
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die Affen auf Bäume klettern und Wurzeln fressen müsse. Anderseits habe der Mensch den Gebrauch seines Verstandes auf dasjenige zu beschränken, wozu er ihn vom Schöpfer erhalten hat; und dieser habe ihm schliesslich seine Erkenntnisfähigkeit in erster Linie verliehen, um das eigene Glück und dasjenige seiner Mitmenschen zu befördern. Es sei deshalb Bestimmung der Bauernkinder, so wenig als möglich zu lernen. Vielwisserei führe sie nicht nur von ihrem eigentlichen Beruf ab, wie er mit einem Zitat Kleinjoggs, des ‚Philosophischen Bauers‘258, zu belegen weiss, sondern mache sie lediglich unglücklich. Dies gelte gerade auch für begabte Individuen, wie er an folgendem Beispiel darlegt. Balber erzählt von einem Landmann, der sich mit den vorzüglichsten philosophischen und theologischen Schriften beschäftigt habe, darunter Autoren wie Moses Mendelssohn, Charles Bonnet, Johann Gottfried Herder und Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, aber auch Schriften der Zürcher Theologen Johann Rudolf Ulrich, Johannes Tobler, Johann Jakob Hess und Johann Kaspar Lavater; auch Hermann Samuel Reimarus259 wird genannt, der mit seiner deistischen Religionskritik den Offenbarungscharakter des Christentums negierte. Statt zu arbeiten, habe der Genannte sein ganzes Geld für teure Bücher ausgegeben. Balber riet ihm daraufhin zum Kauf
humain […]. Il prend envie de marcher a quatre pattes quand on lit votre ouvrage. Cependant comme il y a plus de Soixante ans que j‘en ay perdu l‘habitude, je sens malheureusement qu‘il m‘est impossible de la reprendre“ (Rousseau 1966, Bd. 3, S. 156 f.). 258 Johann Caspar Hirzels Schrift ‚Die Wirthschaft eines philosophischen Bauers‘ erschien erstmals 1761 und machte den Wermatswiler Bauern Jakob Gujer (1716–1785) über Zürich hinaus in den bauernaufklärerisch engagierten Kreisen bekannt. Der Muster- und Vorzeigebauer Gujer bzw. Kleinjogg zeichnet sich in der Charakterisierung Hirzels durch sein Standesethos und ein entsprechend ausgeprägtes Standesbewusstsein – dieses hat in der Zeit nicht zuletzt der Physiokratismus gefördert – aus. In seiner Figur kristallisieren sich damit auf prototypische Weise die volksaufklärerischen Projektionen der zeitgenössischen Bauernidyllik und Naturschwärmerei heraus. Zu Kleinjoggs einfacher und bodenständiger ‚Philosophie‘ gehört u. a. eine Abneigung gegen das Bücherlesen, das die Aufmerksamkeit auf „entfernte Gegenstände“ lenke und so zu einer Vernachlässigung der eigentlichen standesgemässen Arbeiten führe (Hirzel 1774/1998, S. 207 f.). Seine Kinder besuchen keine Schule, da er befürchtet, der Umgang mit „ungesitteten Kindern“ schade ihnen mehr, „als die Unterweisung im Lesen und Schreiben nutzen würde“ (ebd., S. 120). 259 Vom Philosophen, Theologen und Orientalisten Hermann Samuel Reimarus (1694– 1768) stammt die unveröffentlichte ‚Apologie‘, die Lessing ab 1774 als ‚Wolfenbütteler Fragmente‘ publizierte.
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eines Stücks Land und einer Kuh, was ihn in glückliche Umstände gesetzt habe. Jetzt bleibe ihm gerade noch Zeit für die Lektüre guter landwirtschaftlicher Abhandlungen oder zur Beantwortungen von Preisfragen der Naturforschenden Gesellschaft, wie er es auch schon mit Erfolg getan habe. Balber hat den Mann damit nicht allein von seiner kostspieligen intellektuellen Beschäftigung weggebracht, er hat ihn zugleich einer standesgemässen und ethisch überlegenen Bestimmung, derjenigen zum Landwirt, zugeführt; man erfährt nämlich, dass jener zuvor in der Stadt gearbeitet hat, wo er wohl auch auf den Geschmack des Bücherlesens gekommen ist. Balber ist nichtsdestotrotz der Meinung, dass in der Schule die Aufmerksamkeit und Denkfähigkeit der Kinder geübt werden müsse. Letzteres betrachtet er auch als notwendig, um die Jungen gegenüber der blinden Übernahme von Vorurteilen der Eltern und Grosseltern zu wappnen. Rechnen erachtet er hierbei als besonders nützlich, wie das zu vermittelnde Wissen überhaupt dem Anspruch des Nutzens und der Anwendbarkeit genügen soll. Deshalb dürfen die Schüler durchaus Briefe, Traktate, Verträge etc. als Lese- und Schreibvorlagen verwenden. Der wichtigste Gegenstand bleibt der Unterricht in der Religion, auch wenn dazu offenbar nicht die intellektuelle Beschäftigung mit theologischen und religiösen Fragen gehörte. Tatsächlich ist Balber der Auffassung, dass Religion keine Angelegenheit des Verstandes, sondern des Herzens sei. Als Gewährsmann dient ihm der Verfasser eines Katechismus für das Landvolk, womit Johann Georg Schlosser (1739–1799)260 gemeint sein muss. Statt trockener, vernünftiger Beweggründe für den Glauben gelte es im Unterricht die Vorzüge der Tugend und den Nutzen der Religion für alle Lebenslagen anzuführen. Das Böse und seine Folgen seien in ihrer ganzen Drastik anhand von Beispielen zu schildern; der Anschaulichkeit dienen auch Erzählungen aus der biblischen Geschichte. Ein Vorbild für einen solchen Religi260 Gemeint ist der ‚Katechismus der Christlichen Religion für das Landvolk, als der zweyte Theil des Katechismus der Sittenlehre für das Landvolk‘ (1776); das Werk wurde in Schlossers Heimatstadt Frankfurt a.M. wegen seiner theologisch undogmatischen Grundhaltung verboten. Selber kein Theologe, sondern Jurist, war er auch der Verfasser des ‚Katechismus der Sittenlehre für das Landvolk‘ (1771), der in den gelehrten Zeitschriften bereits eine kontroverse Debatte ausgelöst hatte und zugleich zu grosser Popularität gelangte. Beide ‚Katechismen‘ sind nicht für Kinder oder das Landvolk geschrieben, sondern für „Lehrer“, um ihn dann im Unterricht der „Bauernjungen“ anzuwenden. Schlosser stand in regem Austausch mit Isaak Iselin und dürfte in der Schweiz auch über seine Publikationen in dessen ‚Ephemeriden der Menschheit‘ (1776) Bekanntheit erlangt haben.
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onsunterricht geben dem Verfasser die Vorschriften für die Schulen des Hochstifts Münster. Es handelt sich dabei um die neue Schulordnung für das Gymnasium aus dem Jahr 1776, welche vom Generalvikar Franz Freiherr von Fürstenberg (1729–1810) herausgegeben wurde.261 Diese löste einige Resonanz aus, da sie die Mathematik und Naturwissenschaften gegenüber den traditionellen Fächern deutlich stärkte. Balber weiss, dass jene hohen Anforderungen an den Religionsunterricht nicht vom Schulmeister eingelöst werden können; deshalb fällt dieser wichtige Lehrbereich in das Zuständigkeitsgebiet der Pfarrer. Balbers Ansprüche an die Schulen verlangen aber auch vom Stillstand ein Mehr an Einsatz. Der Unterhalt guter Schulen wird damit insgesamt zu einer Angelegenheit von hohem Stellenwert in der Gemeinde, was sämtlichen Beteiligten, einschliesslich der Eltern, deutlich gemacht werden müsse. Balber führt zuletzt das Muster eines Stundenplans an, das sich unschwer als Kopie aus der ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ (vgl. Kap. 5.2) erkennen lässt.
Diakon Wirth: Methodische Grundsätze für den Landschulunterricht Der Schulunterricht, und zwar vom methodischen Standpunkt aus betrachtet, ist ebenfalls Gegenstand einer Arbeit von Diakon Konrad Wirth262 aus Turbenthal, die 1789 entstanden ist (ZBZ: Archiv B, Thek II, Nr. 99); eine Rezension liegt vor von Präzeptor Maurer263 (ebd., Nr. 100). Es sind für Wirth besonders vier Grundsätze, die es zu berücksichtigen gilt und die sich mit den Stichworten ‚Menschenkenntnis‘, ‚Motivation‘, ‚Nützlichkeit‘ des zu Lernenden und erzieherische ‚Umgebung‘ benennen lassen. Die hinter diesen pädagogischen Kategorien stehenden Erziehungsgedanken verraten den Einfluss philanthropischer Konzepte, wie sie 261 Zusammen mit dem Münsteraner Normalschullehrer und Pädagogen Bernhard Overberg (1754–1826) setzte sich von Fürstenberg in den 1780er Jahren übrigens ebenso für eine Reform des Landschulwesens im Niederstift ein (vgl. Hanschmidt 2000). 262 Konrad Wirth (1755–1810), ordiniert 1779, war Vikar in Niederhasli, 1781 in Niederweningen, 1782 in Bauma, 1785 in Weisslingen, 1786 Diakon in Turbenthal, 1798– 1802 Schulinspektor (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953). 263 Rudolf Maurer (1752–1805), ordiniert 1773, war zwei Jahre auf Reisen, wurde dann Hauslehrer, 1778–1792 Lehrer am Carolinum; 1792 Pfarrer in Affoltern a. A., 1798– 1799 Schulinspektor (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953). Maurer gehörte zum Kreis der Mitarbeiter an den von Heinrich Corrodi herausgegebenen ‚Beyträgen zur Beförderung des vernünftigen Denkens in der Religion‘ (vgl. Kap. 9.1).
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offenbar in den 80er Jahren in vermehrtem Ausmass rezipiert worden sind. Unter anderem dort, wo er sich mit der Kunst der Menschenkenntnis befasst, diente ihm Friedrich Gabriel Resewitz264 bzw. dessen pädagogische Vierteljahreszeitschrift ‚Gedanken, Vorschläge und Wünsche zur Verbesserung der öffentlichen Erziehung als Materialien zur Pädagogick‘ (1778–1786) als Referenz. Menschenkenntnis, als die Fähigkeit zur Bestimmung der intellektuellen Geisteskräfte, Affekte und Neigungen des Schülers, ist für jeden Schullehrer einmal mehr deshalb unabdingbar, weil der zu vermittelnde Stoff und die Unterrichtsweise den individuell vorhandenen Fassungs- und Gemütskräften anzupassen sind. Ausgehend davon gilt es, die Motivation beim Schüler wach zu halten bzw. anzuregen, und zwar mittels Aufmunterung, Lob und Belohnungen. Die einseitige Anwendung von Tadel oder gar Schlägen könne die Kinder zwar zum Lernen bringen, mache aus ihnen jedoch Sklaven und Heuchler, die zwar täten, was man von ihnen verlangt, aber nur solange die Rute droht. Dies stehe einem Unterricht entgegen, der das selbstständige Denken fördert und die Wissbegier lebendig erhält. Schüler sollen jederzeit Fragen stellen, Zweifel anmelden und Einwürfe machen dürfen. Überhaupt bezeige sich der Lehrer immer freundlich und aufmunternd, übe möglichst wenig Zwang und Strenge aus, so dass die Schüler gerne den Unterricht besuchen. Ein guter Schullehrer weiss schliesslich, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden, wobei den Schülern selbst der Nutzen des zu Lernenden einsehbar zu machen sei. Zuletzt gilt das besondere Augenmerk der Umgebung im Sinne des erzieherischen Ambientes, der Gesellschaft der Kinder. Denn einmal würden die Jungen für die Gesellschaft erzogen, zum anderen verdiene die personale Umgebung und dabei besonders das Verhalten der Eltern, Lehrer und Mitschüler deshalb besondere Beach264 Friedrich Gabriel Resewitz (1729–1806) studierte in Halle Theologie. Ab 1755 in Berlin lebend, stand er in Kontakt mit den dortigen Aufklärern und beteiligte sich an den von Mendelssohn, Lessing und Nicolai herausgegebenen ‚Briefen, die neueste Litteratur betreffend‘ sowie an der ‚Allgemeinen Deutschen Bibliothek‘; in besonderer Nähe stand er zum Neologen Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem. 1759 übersetzte er vier Abhandlungen des schottischen Philosophen David Hume ins Deutsche. 1767 wurde er zum Prediger der deutschsprachigen Sankt-Petri-Kirche in Kopenhagen ernannt, wo er 1771 eine königliche Realschule einrichtete. 1774 folgte der Ruf zum Abt des Klosters Berge und zum Leiter des dortigen Pädagogiums. Resewitz verfasste u. a. die Schul- und Erziehungsreformschrift ‚Die Erziehung des Bürgers zum Gebrauch des gesunden Verstandes, und zur gemeinnützigen Geschäfftigkeit‘ (1773).
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tung, weil die ersten Eindrücke in frühen Jahren prägend seien, gerade in moralischer Hinsicht. Rezensent Maurer spricht der Abhandlung Wirths sein Lob aus und attestiert ihm grosse Belesenheit. Zugleich moniert er den Umstand, dass der Autor bei der Abfassung wohl eher die Verhältnisse in den städtischen Schulanstalten und im Gymnasium vor Augen hatte als die Landschulen. Daran schliesst sich wiederum Skepsis gegenüber der Realisierbarkeit des Geforderten im ländlichen Milieu an. So beurteilt Maurer die Möglichkeit, das Temperament und die geistigen Anlagen jedes einzelnen Kindes in grossen Landschulen eingehend zu studieren und zu berücksichtigen, als illusorisch. Auch lasse sich die von Wirth vorausgesetzte Umgebung nicht so leicht herstellen. Der Rezensent spricht sich durchaus für eine freundliche, zuvorkommende und wo nötig überredende Haltung des Schullehrers gegenüber den Kindern aus; da aber besonders die Kleineren den Nutzen des Lernens nicht einfach von sich aus einsähen, bleiben Zwang und Strafe unentbehrlich.
VDM Ulrich und Pfarrer Oeri: Vom Hauptzweck der Nacht- bzw. Repetierschule Wiederholt bearbeitet wurde von den ‚Asketen‘ die Frage des Zwecks und der besten Einrichtung der Nacht- und später der Repetierschule. Bereits die Nachtschule diente vorwiegend der Repetition und Festigung derjeniger religiöser Wissensbestände, die für die Zulassung zum Abendmahl Voraussetzung waren. Die Ausgestaltung dieser Institution variierte jedoch beträchtlich von Gemeinde zu Gemeinde, etwa was die Berücksichtigung zusätzlicher, profaner Inhalte angeht, zum Teil auch bezüglich der Frage, wer die Nachtschule überhaupt wie lange besuchen musste. An einigen Orten stand die Pflege des Kirchengesangs im Zentrum, wobei auch Erwachsene die Nacht- bzw. Singschule besuchten. Junge Frauen und Männer besuchten sie entweder gemeinsam oder getrennt, manchmal stand sie auch nur den Männern offen. Zusätzlich wurde häufig das Lesen weiter geübt, dem Schreiben widmeten sich zuweilen diejenigen, die die notwendigen Grundfertigkeiten bereits mitbrachten. Wie bereits erwähnt, bot die Nachtschule immer wieder Anlass zu sittlicher Besorgnis, da die Jugendlichen den nächtlichen Nachhauseweg offenbar für unerlaubte Zusammenkünfte nutzten. Es wundert deshalb nicht, dass die Nachtschule und deren Nutzen und Schaden auch in der Enquête zur Diskussion stand.
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Die Forderung nach einer nützlicheren Einrichtung der Nachtschulen war 1777 Gegenstand in der Asketischen Gesellschaft und wurde von Salomon Ulrich265 unter der Fragestellung „Was lassen sich für Anstalten machen die Nachtschulen auf die nüzlichste Art zu bessern, und allen Ärgernissen vorzubiegen?“ abgehandelt (ZBZ: Archiv B, Thek I, Nr. 24). Er moniert, dass es sich bei den Nachtschulen bislang meistens lediglich um Singschulen handelte; da das Singen aber bereits in der Alltagsschule geübt werde, möchte er dort stattdessen andere, nützlichere Gegenstände eingeführt sehen. Das Lesenlernen, insbesondere auch das Lesen der Handschrift, Schreiben und Rechnen wären dem Bauern schliesslich dienlicher bei der Besorgung seiner Geschäfte und um sich vor List und Betrug zu schützen. Damit würde die Nachtschule zu einer Repetierschule, die er aber über die Zeit bis zur Admission ausdehnen möchte, und zwar bis etwa zum 30. Lebensjahr oder bis zur Heirat. Die Rezension von Johann Kaspar Eberhard266 (ebd., Nr. 25) enthält einige Kritik an Ulrichs Vorschlägen und zeigt unter anderem, auf welche reelle Hindernisse und religiös-weltanschauliche Einwände Neuerungsideen treffen konnten. Der Gesang dürfe nicht aus der Nacht- bzw. Repetierschule verbannt werden, da er viele gute Empfindungen wecke. Zudem könne man von den Landleuten nicht verlangen, dass sie bis ins Erwachsenenalter die Schule besuchen und ihre Zeit mit Leseübungen verbringen. Ulrich sah vor, dass der Schulmeister für die Religionsübungen Ostervalds Anmerkungen zum Neuen Testament zu Hilfe nimmt. Eberhard wendet nun ein, dass die Schulmeister mit der Erklärung der Bibel überfordert seien, da ihnen die notwendigen analytischen Fähigkeiten abgingen. Ulrich wollte, dass beim Schreiben insbesondere auf die Orthographie geachtet werde. Er stellte sich vor, dass der Schulmeister aus dem Neuen Testament diktiert, worauf die Schreiber dann ihre Schriften selber anhand der gedruckten Vorlage korrigieren könnten. Eberhard aber wendet ein, dass dies deshalb nicht funktioniere, weil sich die Druck- von der Schreibschrift unterscheidet. Es war also keine selbstverständliche Voraussetzung, dass die Schüler die Über-
265 Friedrich Salomon Ulrich (1752–1823), ordiniert 1774, wurde 1778 Pfarrer in Dällikon (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953). 266 Johann Kaspar Eberhard (1749–1811), ordiniert 1771, war Hauslehrer in Höngg und Wildberg. Er besorgte seit 1776 die Abendgebete an der Predigerkirche, 1784 wurde er Katechet in Fluntern, 1786 Diakon und im gleichen Jahr Pfarrer in Turbenthal, 1796 in Wila. 1798 war er ausserdem Schulinspektor sowie 1806 Kirchenrat, 1808 wurde er Dekan (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953).
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setzung von der einen in die andere Schrift vornehmen konnten. Insgesamt beurteilt der Rezensent die Vorschläge des Verfassers als utopisch. Daneben ist ihm aber besonders das Gebet, das Ulrich für die Eröffnung der Lektionen vorschlägt, ein Dorn im Auge, und er möchte dieses unter keinen Umständen als verbindliche Vorlage verstanden wissen. Es handelt sich dabei tatsächlich um ein äusserst profanes Gebet, mit dem der Betende Gott für den Unterricht und also die Möglichkeit dankt, seinen Verstand bilden zu dürfen; verbunden ist dieser Dank mit der Bitte um Gnade, damit die Anwesenden nicht dereinst das Erlernte zur Entheiligung der Religion missbrauchen. 1787, also rund zehn Jahre nachdem die Repetierschule anstelle der Nachtschule in Zürich offiziell eingeführt worden war, widmete sich eine Abhandlung diesem Gegenstand (ZBZ: Archiv B, Thek II, Nr. 76). Autor war diesmal Hans Conrad Oeri267; beiliegend finden sich die Reflexionen von Salomon von Birch, Inspektor am Alumnat (ebd., Nr. 77). Beide Autoren sind überzeugt, dass die neue Schuleinrichtung von grossem Vorteil sei. Diese Einschätzung bezieht sich allerdings vorwiegend auf den Zweck der religiösen Unterweisung, die schliesslich dem Neokommunikantenunterricht durch den Pfarrer bzw. einen Katecheten zugute kam. Oeri war selber vormals Katechet der Kreuzgemeinde, und er berichtet, dass ihm die Schülertabellen der Repetierschule nützliche Informationen darüber lieferten, welche Schüler bis anhin was gelernt hatten. Aber auch der Pfarrer hätte profitiert, indem er sich mittels Schülertabellen ein Bild vom Charakter und den Fähigkeiten der zum Unterricht ad coenam Heranwachsenden habe verschaffen können. Neben dem Auswendiglernen gehört für Oeri der Unterricht im Lesen und allenfalls im Schreiben und Singen in die Repetierschule. Auch von Birch verbindet mit der Repetierschule den Zweck der Vorbereitung der Jugendlichen auf die Zulassung zum Heiligen Abendmahl. Die Repetition des Erlernten erweise sich besonders in denjenigen Gegenden als unabdingbar, wo die Baumwollspinnerei von grosser wirtschaftlicher Bedeutung ist und die Kinder deshalb allzu früh aus der Schule genommen würden. Bedeutsam sei deshalb auch gewesen, dass diese Institution per neuer Schulordnung eingeführt worden ist. Er vermutet, dass sich die Repetierschule ohne obrigkeitliche Veranlassung kaum gegen die Widerstände in den Gemeinden hätte durchsetzen lassen.
267 Johann Konrad Oeri (1746–1802), ordiniert 1766, 1771 Katechet in Riesbach, 1780 Pfarrer in Oetwil (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953).
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Von Birch verbindet nun weitere, profane Ziele mit dem Unterricht in der Repetierschule, etwa die Vermittlung von politischen und häuslichen Tugenden und allgemein die Hebung der Sittlichkeit. Überdies müssten die Schüler hier nicht nur lernen, mit Verstand zu lesen, sondern ebenso ihre eigenen Gedanken orthographisch richtig zu verschriftlichen und selbstständig einen Brief zu konzipieren. Von Birch sieht sich mit Blick auf diese weiter gehenden volkserzieherischen Zielsetzungen in der Gefolgschaft Resewitz‘ und Campes. Sich auf Resewitz berufend beklagt er, dass man zwar die Kenntnisse des Landbaus, auch mit staatlichen Mitteln, erweitert, jedoch keine Anstalten gemacht habe, sie dem Landmann bekannt zu machen. Damit sei die Aufklärung noch nicht zum wichtigsten Stand, den Bauern, welche die Kraft und Stütze des Staates und der Wohlfahrt ausmachten, gelangt. Auch Campe268 habe erkannt, dass man, wolle man eine Nation umformen und ein verständiges, kluges und gewandtes Volk erziehen, bei der Jugend, das heisst den Schulen ansetzen müsse. Stattdessen herrschten weiterhin Schwelgerei, Üppigkeit und Unzucht, wobei der Bauer inzwischen so klug geworden sei, seine Mängel an Sittlichkeit und Ehrlichkeit zu maskieren.
Pfarrer Locher: Vom Hauptzweck der Kinderlehre Neben dem Neokommunikantenunterricht oder der religiösen Unterweisung in den Nacht- und später auch den Repetierschulen existierte in Zürich seit der Reformation für die Jüngeren die so genannte Kinderlehre. Eingeführt mit der Prädikantenordnung von 1532 als sonntägliche Kinderpredigt, wandelte sich in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten deren Gestalt. Mit der Einführung der Katechismen von Leo Jud in den 1530er Jahren wurde sie zu einer eigentlichen Katechismuspredigt; daraus entstand schliesslich eine sonntägliche Unterrichts- und Unterweisungsstunde im Katechismus mit regelmässiger Prüfung der Lernfortschritte. Dabei wurden die auf die Wochen des Jahres verteilten Katechismusfragen samt biblischen Belegstellen, den Zeugnissen, Stück für Stück durchgenommen. Als Sonntagskatechismusstunden hielt sich die Kinderlehre bis Anfang 19. Jahrhundert, als der Stellenwert des traditionellen Katechismus gegenüber anderen Lernmitteln allmählich abnahm (vgl. Schmid 1954). 268 Gemeint ist hier wohl Campes ‚Über einige verkannte wenigstens ungenützte Mittel zur Beförderung der Industrie, der Bevölkerung und des öffentlichen Wohlstandes‘ (1786).
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Doch bereits in den 70er und 80er Jahren des 18. Jahrhunderts geriet der Katechismus, wie bereits deutlich geworden erst, in die Kritik. Die ihm eingeschriebene orthodoxe Dogmatik entsprach den aufklärungstheologischen Ideen nicht mehr, ebenso wenig genügten dessen Sprache und formale Gestaltung mit dem ihr eigenen Zwang zum Auswendiglernen den neueren pädagogischen und methodischen Vorstellungen. Es ist der noch immer zentrale Stellenwert des Katechismus, der 1782 das Mitglied namens Locher269 anlässlich der Behandlung der Kinderlehre auf die Kritik an diesem religiösen Lehrmittel führte (ZBZ: Archiv B, Thek I, Nr. 50). Sein negatives Urteil ist deutlich und stimmt mit den im Vorangehenden bereits diskutierten Einwänden überein. So hält auch er die vom Katechismus transportierten theologischen Kontroversen und Polemiken nicht nur für unnütz, sondern für den Laien gar als schädlich. Der Religionsunterricht sollte sich seiner Meinung nach auf die Vermittlung weniger, aber wichtiger Glaubensinhalte beschränken, wobei der christlichen Sittenlehre ein zentraler Stellenwert zukommt. Locher meint, es liessen sich vom religiösen Hauptzweck der Kinderlehre durchaus „Nebenzwecke“ ableiten, etwa indem eine psychologisch verfahrende Katechisationsmethode ganz allgemein zur Angewöhnung richtigen und geordneten Denkens und zur Schulung der Aufmerksamkeit beitragen könne.
VDM Nüscheler u. a.: Die Schule als pastorales Betätigungsfeld Verschiedene Pastoralaufgaben der 70er und 80er Jahre beschäftigten sich mit der Frage, welche Pflichten dem Landpfarrer gegenüber dem Schulwesen zukamen und/oder wie er zur Qualifikation der Schulmeister beitragen könne. Die Abhandlungen bestätigen das Bild, wonach die Pfarrer auf dem Gebiet von Unterricht und Schule inzwischen ein Betätigungsfeld von eminenter Bedeutung erkannt hatten. Faktisch war es dieser Personenkreis, der die quantitativ im Ansteigen begriffene (schul-)pädagogische Literatur am eifrigsten rezipierte und selber an deren Produktion massgeblich beteiligt war. Was die Akteure im Feld des Volks- bzw. Landschulunterrichts anbelangt, so war also vorläufig keine Laisierung festzustellen; im Gegenteil waren es weiterhin und zunehmend die Geistlichen, die sich als Experten auf 269 Es handelt sich um Pfarrer Dietrich Locher (1730–1782), der bereits als Verfasser der ‚Biblischen Geschichten zum Gebrauche der Landschulen‘ (1774) und korrespondierendes Mitglied der Moralischen Gesellschaft erwähnt worden ist (vgl. Kap. 5.4 und Kap. 6.1).
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diesem Gebiet sahen und versuchten, die neuesten pädagogischen und methodischen Erkenntnisse für sich und allenfalls den Schulmeister nutzbar zu machen. 1778 widmete sich ein Mitglied namens Hans Conrad Nüscheler, zu der Zeit VDM,270 einer Pastoralaufgabe mit dem Titel: „Von der Verbindung des Schulwesens mit dem Beruf eines Pfarrers überhaupt. Aus was für Gründen hat er sich des Schulwesens in seiner Gemeine anzunehmen? Und wie kann er sich den Zustand des Schulwesens seiner Gemeine am besten bekannt machen?“ (ebd., Nr. 16). Da die Institution Schule gemäss Nüscheler in direkter Verbindung mit dem Beruf des Pfarrers steht, sollte dieser selber im Besitz pädagogischer Kenntnisse sein und den Schulmeister bei seiner Arbeit anleiten. Nüscheler konnte dabei auf die bereits vorhandene Abhandlung eines anderen Gesellschaftsmitglieds, „Vorschlag eines Unbekannten zur Bildung eines Schulmeisters; und Einrichtung eines besondern Kindergottesdienstes“ (ZBZ: Archiv B, Thek II, Nr. 13), verweisen. Dieser hatte beschrieben, wie er gleich bei Antritt seiner Pfarrstelle sein Augenmerk auf das Schulwesen gerichtet hatte und sich vornahm, einen tauglichen Schulmeister heranzubilden. Die Wahl fiel auf den 17-jährigen Sohn des damaligen Schulmeisters. Um ihn desto effektiver und umfassender unterrichten zu können, nahm er ihn bei sich zu Haus auf. Zum Unterricht gehörten zum einen Übungen im deutlichen Lesen anhand der Bibel und biblischer Geschichten. Der Lehrling musste das Gelesene jeweils analysieren und erklären; hierbei wurde er in die Verwendung des Realregisters zur neuen Zürcher Gelehrtenbibel von 1772 eingeführt. Hinzu kamen Übungen im orthographischen Schreiben, und zwar zuerst ab Vorlage und dann mittels Diktat. Im Rechnen lernte er neben den vier Species den Dreisatz, und auch in der Musik erhielt er Unterricht. Der unbekannte Autor gibt an, selber verschiedene Schriften als Lernmittel für den angehenden Schulmeister verfertigt zu haben: einen moralischen Unterricht, eingekleidet in Erzählungen, ein staatskundliches Buch und schliesslich eine Sammlung ökonomischer Regeln. Im Religionsunterricht habe er seinem Schüler die Weisheit und Güte des Schöpfers anhand der Natur, der Fruchtbarkeit der Erde, des Wechsels der Witterung etc., dargelegt. Auch habe er seinen Zögling bei verschiedenen Gelegenheiten darüber befragt, wie er denn zu erreichen beabsichtige, dass die Kinder die vermittelten Glaubenslehren auch wirk270 Dieser Referent konnte nicht mit Sicherheit eruiert werden; jedenfalls war das registrierte Mitglied Hans Conrad Nüscheler (1739–1811) bereits ab 1772 Pfarrer in Rüschlikon und also nicht mehr im Status eines VDM.
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lich verstehen. Erst allmählich liess er den jungen Schulmeister den Unterricht selber übernehmen. Wenn der Pfarrer zuweilen noch selber unterrichtete, musste der Schulmeister seine Beobachtungen sorgfältig in einem Buch notieren. Schliesslich hätten sie gemeinsam eine verbesserte Lehrart entworfen, die der Schulmeister nun praktiziere. Der anonyme Autor wollte eine weitere Neuerung in seiner Gemeinde einführen, was ihm jedoch sein Vorgesetzter untersagte. Die Neuerung sah vor, dass die Kinder am Sonntag, statt die Kirche zu besuchen, vom Schulmeister einen ihrer Auffassungskraft angemessenen Religionsunterricht erhalten sollten. Der Dekan argumentierte, dass dies einem Ausschluss der Kinder vom Gottesdienst gleichkäme; dies sei vor Gott nicht erlaubt, da jene durch die Taufe bereits in den göttlichen Gnadenbund aufgenommen worden seien. Ähnlich wie Nüscheler setzt auch Hans Jakob Corrodi271 in seiner Abhandlung von 1780 zur Frage, wie sich ein Pfarrer gegenüber dem Schulmeister zu verhalten habe und ihn bei der Erfüllung seiner Pflichten unterstützen könne (ebd., Nr. 3), voraus, dass die Sorge für die Schule und die Ausbildung des Schulmeisters ein wichtiger Teil des Berufs eines Pfarrers ausmache. Wie bereits bemerkt, waren viele Pfarrer darauf bedacht, sich mit der Reform des Schulunterrichts bessere Voraussetzungen für den selber abzuhaltenden Religionsunterricht zu schaffen; für diesen nachfolgenden Unterricht waren sie selber zuständig, und man muss ihn sich angesichts der generell geringen Vorbildung der Kinder und Jugendlichen wohl als mehr oder weniger mühselig vorstellen. So sieht auch Corrodi im Schulunterricht das Fundament jener nachfolgenden Glaubensunterweisung, was eine praktische und theoretische Unterstützung des Schulmeisters durch den Pfarrer umso lohnender erscheinen lässt. Als besonders nützliches Lehrmittel, das jene propädeutische Funktion aufnimmt, bezeichnet der Autor wiederum die von der Asketischen Gesellschaft besorgten ‚Fragen an Kinder‘ (vgl. Kap. 5.4), deren Fortsetzung er wünscht. Überdies müsse sich der Pfarrer, um die Progression der Schüler etwa anlässlich von Schulbesuchen genau beurteilen zu können, und überhaupt für das eigene Unterrichten selber pädagogische Kenntnisse und methodische Kompetenzen aneignen.
271 Hans Jakob Corrodi (1719–1784), 1740 ordiniert, dann Vikar seines Vaters in Schöfflisdorf, 1747–1763 Katechet in Oberstrass. Er lebte bis zu seinem Tod in Zürich von privaten Unterstützungen (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953).
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Ebenfalls zur Arbeit des Pfarrers im Dienste der Schule äusserte sich Diakon Jakob Meyer272 1778 im Rahmen seines Aufsatzes zur Frage der nützlichsten Einrichtung von Schulbesuchen durch Pfarrer und Stillständer (ZBZ: Archiv B, Thek I, Nr. 62). Der Pfarrer arbeitet an der Seite des Schulmeisters, um ihm eine vernünftige Lehrmethode und eine geschickte Einteilung der Lehrstunden beizubringen. Er selber bevorzugt die sokratische Lehrart, wobei er sich auf Carl Friedrich Bahrdt (1740–1792) beruft, der diese Methode tatsächlich in seinem ,Philanthropinischen Erziehungsplan oder vollständige Nachricht von dem ersten wirklichen Philanthropin zu Marschlins‘ (1776) vertreten hat. Notwendig seien auch häufige, unangemeldete Schulbesuche. Die Schüler lerne er aber am besten ausserhalb der Schule kennen, wo es ihr Verhalten besonders zu beobachten gelte. Deshalb soll ein Pfarrer die Schüler zuweilen auf Spaziergänge mitnehmen und sich mit ihnen im Angesicht der Natur über die unermessliche Güte Gottes und das Verhältnis, in dem die Menschen sich gegenüber der physischen und sittlichen Welt befinden, unterhalten. Meyer tritt dafür ein, dass der Pfarrer jeweils am Samstag in der Singschule zusätzliche Fächer wie Naturlehre, Landwirtschaftslehre und Rechnen unterrichtet. In der Repetierschule könnte der Schulmeister zudem sittliche und vaterländische Historien, wie sie Bodmer verfasst hat, einführen; Rochows ‚Kinderfreund‘ oder Jakob Friedrich Feddersens ‚Beyspiele der Weisheit und Tugend aus der Geschichte, mit Erinnerungen für Kinder‘ (1777) könnten Stoff für Diktate bieten. Schliesslich müssten die Jugendlichen hier auch das Schreiben von Briefen erlernen, eine Forderung, die Meyer prompt die Kritik seines Rezensenten einbrachte, er wolle die Bauern zu gelehrten Briefstellern ausbilden (ebd., Nr. 63). Als nützlich erachtet Meyer des Weiteren Lehrmittel, die in den 70er Jahren in Zürich neu herausgekommen sind, nämlich erneut die ‚Fragen an Kinder‘, Johann Jakob Hess‘ ‚Kurzer Inbegriff der Biblischen Geschichte und Lehre‘ (1773), die ‚Grundsäze der Christlichen Religion, in auserlesenen Sprüchen der heiligen Schrift‘ oder die ‚Anweisung der lieben Jugend in den Schulen, Zu einem Christlich-sittlichen auch äusserlich wohlanständigen und höflichen Betragen‘ (vgl. Kap. 5.4). Er bemerkt allerdings, dass Joachim Heinrich Campes ‚Sittenbüchlein für Kinder aus gesitteten Ständen‘ (1777) die letztern beiden Werke inzwischen entbehrlich gemacht habe und auch tatsäch272 Jakob Meyer (1748–1823), ordiniert 1769, war 1770 Vikar in Wildberg, 1772 in Stein, 1775 Diakon in Turbenthal, 1786 Pfarrer in Weisslingen (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953).
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lich verdrängt hätte. Unter den Katechismen gefällt ihm die ‚Unterweisung zur Glückseligkeit nach der Lehre Jesu‘ (1772) von Johann Samuel Diterich am besten, und er hofft, die Asketische Gesellschaft werde in Zukunft ihre Bemühungen für einen verbesserten Katechismus über die ‚Fragen an Kinder‘ hinaus fortsetzen.
Pfarrer Gutmann: Die Erziehungspflichten der Landleute Kaum zu trennen von den Diskussionen um eine Reform der Landschulen sind die Klagen unter dem Eindruck einer zunehmenden Verwahrlosung und vermehrter Bettelei unter den Kindern, wie sie zu Beginn der 70er Jahre im Zuge der Hungersnot besonders laut wurden. Aber auch das Wachstum der Protoindustrie, welche immer mehr Eltern aus den ärmsten Schichten und vor allem vermehrt die Mütter das ganze Jahr über absorbierte, die Kinder immer früher der Erwerbsarbeit zuführte und mit Auflösungserscheinungen des Familienverbandes in Zusammenhang gebracht wurde, hat das ihre zu den diesfälligen Krisenwahrnehmungen beigetragen. In diesen Kontext ordnen sich die ‚Hirten-Briefe über die Erziehung der Kinder auf dem Land‘ von 1777 ein, die bereits eingehender besprochen worden sind (vgl. Kap. 5.3). 1789 wünschte man in der Asketischen Gesellschaft dann, dass das Wesentlichste der Erziehungspflichten in Rücksicht auf die Landleute erneut in Erinnerung gebracht werde, wobei man zur Behandlung des Themas Bullingers Ermahnung an seinen Sohn273 als Muster empfahl. Eine Bearbeitung dieser Pastoralaufgabe liegt vor mit der Abhandlung eines Mitglieds namens Gutmann274 (ZBZ: Archiv B, Thek II, Nr. 107). Gewisse Überschneidungen mit den ‚Hirten-Briefen‘ legen die Vermutung nahe, dass diese, neben anderen Erziehungsschriften, als Vorlage gedient haben. Ermahnungen, sich um die Kindererziehung zu bemühen, ergingen vom Pfarrer jeweils anlässlich von Hausbesuchen an die Eltern. Entsprechend beginnt Gutmann seine Ausführungen mit zwei Beispielen, wie solche Ermahnungsreden formuliert werden könnten – eine Version ist dabei für den Fall verständiger, rechtschaffener und frommer Eltern vorgesehen, die an273 Gemeint ist wohl Heinrich Bullingers Anweisung von 1553 an seinen Sohn Heinrich bei dessen Abreise nach Strassburg, wo er sein theologisches Studium fortsetzte. Ein Abdruck dieser väterlichen Vorschriften findet sich in Pestalozzi (1858). 274 Jakob Gutmann, 1785–1813 Pfarrer in Steckborn, Dekan (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953).
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dere für solche, die diese Eigenschaften vermissen lassen. Im Anschluss an diese Musteransprachen führt der Autor die wesentlichen Erziehungspflichten aus, die der Pfarrer beiden Typen von Eltern mitgeben müsse. Wie bereits in den ‚Hirten-Briefen‘ und ebenfalls in Albrecht Stapfers preisgekrönter Berner Erziehungsschrift gefordert (vgl. Kap. 5.3 und Kap. 4.5.5), soll die Sorge um das Wohl des Kindes bereits nach der Empfängnis beginnen. Auch die Hinweise zur Säuglingspflege und -hygiene und zur frühkindlichen Körpererziehung entsprechen dem bereits in jenen Schriften enthaltenen pädagogischen Wissensbestand. Die weiteren Ausführungen sind in bekannter Manier in die Erziehung der Seele, des Verstandes und des Herzens unterteilt. Die Erziehung der Seele erscheint deshalb so wichtig, weil diese im Gegensatz zum Körper unsterblich sei; hinzu kommt die Auffassung, wonach die Seele frisch nach der Geburt einem vollkommen unbeschriebenen Blatt ähnlich ist, woraus wiederum folgt, dass das Kind von Beginn weg von allem Bösen ferngehalten werden muss. „Jung gebogen – recht erzogen“, heisse es angesichts des angeborenen Eigensinns zu Recht. Und es ist deshalb eine Hauptmaxime, dass Kinder früh Gehorsam lernen und sich darin üben müssen. Die These liegt nahe, dass beides, die Dominanz der Annahme eines angeborenen Eigensinns einerseits und die Vorstellung von der kindlichen Seele als tabula rasa anderseits, der Erziehung, und besonders der frühkindlichen Erziehung einen derart grossen Stellenwert zukommen liess. Hier boten Lockes Erziehungsgedanken eine Referenz, ebenso wie dort, wo es um konkrete Fragen des Strafens geht. Gutmann meint, mit Strafandrohungen sei sparsam zu verfahren; dies, weil man ansonsten entweder allzu häufig Strafmittel anwenden oder dann inkonsequent werden müsse. Ebenfalls in Entsprechung zu Locke empfiehlt er, dass man Kindern lediglich das Notwendigste befehlen bzw. verbieten solle, und wenn, dann immer in erkennbar gütiger Absicht. Die Eltern müssen dabei zu jeder Zeit Einigkeit demonstrieren und gemeinsam durchsetzen, was einmal postuliert worden ist. Sobald das Kind die Sprache beherrscht, sind die Eltern aufgefordert, es zu unterrichten. Die folgenden Ausführungen erinnern wiederum an die ‚Hirten-Briefe‘ und sind der Erziehung zur Frömmigkeit gewidmet. Hierbei sollen die Eltern mit dem Kind in herzlichem Ton und mit verständlichen Worten über Gott sprechen, es dabei zärtlich in die Arm nehmen und ihm darlegen, dass es ein Geschenk Gottes und von ihm erschaffen worden sei. Gott wird dem Kind vorgestellt als allmächtiger, gütiger Vater, der Dankbarkeit und Gehorsam verdient. Ziel ist, dass es bei all seinem Tun an Gott als Beweggrund zum tugendhaften Handeln und Leben denkt.
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Wie bereits die ‚Hirten-Briefe über die Erziehung der Kinder auf dem Land‘ überrascht die von Gutmann gegebene Erziehungsanleitung in ihren Ansprüchen. Sie fordert von den Eltern Wertschätzung gegenüber dem Kind und emotionale Zuwendung, wie sie bisher kaum in Erziehungsschriften für die breiten ländlichen Bevölkerungsschichten, soweit vorhanden, anzutreffen waren. Die Wichtigkeit der Erziehung, und zwar frühzeitig begonnen, wird den Eltern regelrecht ans Herz gelegt, auch im Sinne der Verantwortung für das Seelenheil des Nachwuchses. Der Rezensent VDM Kaspar Brunner275 ist denn auch skeptisch, dass in den adressierten Schichten die notwendigen Einsichten und Fähigkeiten im Hinblick auf den vorgesehenen ‚Erziehungsstil‘ und besonders im Hinblick die geforderte Moralerziehung vorausgesetzt werden können. Hingegen erachtet er die gegebenen Regeln zur physischen Erziehung als besonders wichtig für die Landleute. Schliesslich hätte er gerne etwas mehr über die wichtige Rolle der Mütter hinsichtlich der Bildung und Erziehung der Kinder gelesen. Er verweist dabei auf Isaak Iselin276, denn der habe bereits die erzieherische Bestimmung des weiblichen Geschlechts – wozu der Frau ein besonders zartes Herz verliehen worden sei – hervorgehoben. Brunner geht von einer Rolle der Gattin und Mutter aus, die komplementär zu derjenigen des Mannes und Vaters ist, dessen Bestimmung und Beruf ausserhalb des Hauses liegen. Den Frauen ihre Aufgabe als wahre Wohltäterinnen der Menschheit besser vor Augen zu führen und schätzbar zu machen, betrachtet er als gesellschaftliche Notwendigkeit.
8.2 Das pastorale Selbstverständnis des Landgeistlichen in den Arbeiten der Asketischen Gesellschaft Die Behandlung des schulischen Unterrichts, der religiösen Unterweisung von Kindern und Jugendlichen und deren Erziehung lässt sich innerhalb der Asketischen Gesellschaft einem volkserzieherischen Gegenstandsbereich
275 Hans Kaspar Brunner (1745–1815), ordiniert 1767, versah 1769 Regensdorf, 1784 Pfarrer in Albisrieden (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953). 276 Gemeint sind wohl seine Äusserungen zur Rolle der Frau in der Familie und damit auch zu ihrer Funktion in Gesellschaft und Staat in den ‚Vermischten Schriften‘ (1770, Bd. 1). Aus der dem weiblichen Geschlecht zugeschriebenen zivilisatorischen Funktion leitet sich bei Iselin die Forderung nach einer Verbesserung der weiblichen Bildung ab (vgl. Follmann 2002).
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pastoraltheologischer Fragestellungen einordnen, die insgesamt den Endzweck einer (religiös-)sittlichen Gesellschaftsreform verfolgten. Es wurde bereits darauf verwiesen, dass den Möglichkeiten des erzieherischen Einwirkens auf die Landleute spezifische Problemstellungen entgegenstanden, worunter in besonderer Weise die Beziehung des Pfarrers in seinem Amt zu den Gemeindeangehörigen fällt (vgl. Kap. 4.3). Mit der Problematisierung dieses Verhältnisses wiederum verbanden sich auf Seiten der Pfarrer deutliche Bemühungen, den Charakter, die Wesensart und die Verhaltensweisen der ihnen anvertrauten Gemeindeangehörigen zu studieren und besser zu verstehen; diese gerieten damit zunehmend in den moralisch und psychologisch beobachtenden Blick des geistlichen Seelenhirten.277 Verschiedene pastoraltheologische Aufgaben widerspiegeln die damit angesprochenen Anliegen und Voraussetzungen und machen die pädagogische Dimension dieser Fragestellungen deutlich. Auffällig viele Motive finden sich in Johann Joachim Spaldings ‚Über die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren Beförderung‘ (1772)278 wieder; offenbar kam dem Werk mit Bezug auf die zugrunde liegenden Problemwahrnehmung eine Schlüsselstellung zu.
8.2.1 Spaldings Vorgabe Spaldings homiletisches Werk ‚Über die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren Beförderung‘ löste nach seiner Publikation eine länger andauernde lebhafte Debatte aus, an der neben Herder279 als Kritiker unter anderem auch der bedeutende und in seiner Zeit geschätzte Aufklärungstheologe und Freund Spaldings Friedrich Germanus Lüdke280 mit seinen ‚Gesprächen 277 Ablesen lässt sich diese Tendenz an Titeln deutschsprachiger Veröffentlichungen wie z. B. ‚Über den Charakter des Landmanns in religiöser Hinsicht. Ein Beytrag zur Psychologie für alle, welche auf das religiöse Bildungsgeschäft desselben Einfluss haben – vorzüglich für Landprediger‘ (1800) von Friedrich Erdmann August Heydenreich. Auch Böning/Siegert (1990, Bd. 1) bemerken mit Bezug auf Verlaufslinien der Volksaufklärung den Beginn „einer regelrechten ‚Volkskunde‘, die das Denken, Handeln und die Charaktereigenschaften der neuen Adressaten der Aufklärung zu erkunden sucht, um sie verändern zu können“ (S. XLVII). 278 Weitere überarbeitete Auflagen sind 1773 und 1791 erschienen. 279 Vgl. Herder, Johann Gottfried: An Prediger. Funfzehn Provinzialblätter. Leipzig 1774. 280 Lüdke (1730–1792) war Mitredaktor und Rezensent in Friedrich Nicolais ‚Allgemeiner Deutscher Bibliothek‘. „Er verband ebenso wie Spalding mit dem geistlichen Amt neben dem primär religiösen auch soziale und politische Anliegen, ohne dabei
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über die Abschaffung des geistlichen Standes‘ (1784) beteiligt war (vgl. Kuhn 2003). Sie wurden von den Pfarrern in der Asketischen Gesellschaft mehrfach als Referenz angeführt und dürften also in Zürich einige Popularität erreicht haben. Die äusserst positive Rezeption Spaldings ist im Hinblick auf dessen ‚Betrachtung über die Bestimmung des Menschen‘ fand bereits Erwähnung (vgl. Kap. 6.1). Diese theologisch-anthropologische Schrift ist erstmals 1748 erschienen, erlebte bis 1794 13 überarbeitete Auflagen und war insbesondere auch im Zürcher Patriotenkreis um Bodmer ein viel gelesenes Werk. Spaldings ‚Bestimmung des Menschen‘ ist hier auch deshalb von Bedeutung, weil es ein repräsentatives und wirkungsmächtiges Beispiel einer christlichen und dabei dem Erziehungsoptimismus der Zeit zugänglichen aufgeklärten Anthropologie darstellt. Lavater, Johann Heinrich Füssli (1741–1825) und Felix Hess (1742–1768) besuchten den bewunderten Berliner Theologen 1763/1764 in Barth (Pommern). Von Spaldings ‚Bestimmung‘ beeinflusst dürfte denn auch ein anonymer Beitrag Lavaters im ‚Erinnerer‘ (1765, 2. Stück) unter dem Titel ‚Lerne dich selbst kennen‘ sein (vgl. VolzTobler 1997); dies, obgleich der eudämonistische Optimismus in Lavaters Denkbewegung sich antithetisch gegen pessimistischere Vorannahmen durchzusetzen hat, als es bei Spalding der Fall ist. Der Mensch erscheint bei Spalding als zweifache, sinnlich wie durch die Vernunft bestimmte Natur, jedoch fähig, Erstere mittels der ihm gegebenen reflexiven Erkenntnisfähigkeit zu überwinden (vgl. Spalding 1768; 1748/1999). Neben der natürlichen Anlage zur Erforschung des Wahren verfügt der Mensch über die Anlage zur Tugend. Und ebenso wie ihm Streben nach Erkenntnis Lust bereitet, findet er in der wohlwollenden Anteilnahme am Glück anderer Zugang zur Zufriedenheit mit sich selbst. Tugend in diesem Verstand ist gleichsam der Königsweg zum Glück, wobei sowohl der systematische Einfluss Wolffs wie, in der Annahme wohlwollender Neigungen aufgrund eines moralischen Gefühls, die Rezeption Shaftesburys – Spalding gehörte zu dessen Übersetzern – hervortritt (vgl. Schwaiger 1999). Vollends leitet sich die Bestimmung des Menschen, das Ziel seiner Vervollkommnung, jedoch erst im Jenseitsbezug, im Wissen um die Unsterblichkeit ab; erst in dieser Perspektive ist die moralische Ordnung einsichtig. einem flachen Nützlichkeitsdenken zu erliegen“ (Kuhn 2003, S. 174). Seine ‚Gespräche über die Abschaffung des geistlichen Standes, nebst Untersuchung: Ob derselbe dem Staat entbehrlich, ja sogar schädlich sey‘ (1784) beabsichtigten, den Einfluss der Religion auf das Wohl des Staates durch die Prediger zu erweisen, und präsentieren dabei das „neologische Ideal pastoraler Existenz“ (ebd., S. 179).
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Das spätere, ebenfalls äusserst populäre Werk ‚Über die Nutzbarkeit des Predigtamtes‘ ist nachdrücklich von David Humes Religionskritik angeregt und liefert eine positive Replik auf dessen kritisches Bild des Priesterstandes im Essay ‚Of National Characters‘ (1748). Wie der Titel ausdrückt, geht es Spalding nun gerade darum, die Nutzbarkeit des Pfarramtes gegen die Attacken des schottischen Philosophen zu erweisen. Im Gegensatz zu Hume vertritt er die Ansicht, dass die religiösen Überzeugungen des Einzelnen den Staat und die weltliche Obrigkeit nichts angehen, solang sie der herrschenden Ordnung und gesellschaftlichen Wohlfahrt nicht im Weg stehen; vielmehr lasse sich aufweisen, dass eine solchermassen politisch neutrale Religion ebenso wie deren Prediger einem Staatswesen sehr wohl zuträglich sind. Das setzt allerdings ein Bild vom Pfarrer voraus, das diesen in erster Linie als Priester bürgerlicher und moralischer Sittenlehre fasst, als „Depositair der öffentlichen Moralität“, wie Spalding sich ausdrückt (1772; 1773; 1791/2002, S. 70). Religionslehre ist Tugend- und damit, ausgehend von Wolffs Naturgesetz, Glückseligkeitslehre. Das erste Geschäft eines Pfarrers ist es sodann, „die Menschen gut und recht gesinnet zu machen, damit sie ruhig und glücklich werden können“ (ebd., S. 130) – und eben hierin liege der unabdingbare Nutzen des Predigtamtes. Moralität bedarf vernünftiger „Bewegungsgründe“ (ebd., S. 244), die vorzugsweise aus der Naturrechtslehre stammen, wenngleich dies zuweilen zum Tadel führe, Philosophie statt Christentum zu predigen. Hier knüpft die Frage an, wie der Nutzen des Predigtamtes zu befördern sei. Oberstes Ziel ist, über den Religionsunterricht die christliche Lehre „zu einer Führerin des wirklichen gewöhnlichen Lebens“ zu erheben, „dass wir sie gleichsam in die Häuser, in den Umgang, in das tägliche Gewerbe der Menschen herabbringen, und diese lehren, ihr Christenthum mit den Pflichten ihres Berufs und ihrer verschiedenen Verbindungen auf Erden zusammen zu knüpfen“ (ebd., S. 261). Die von Spalding anvisierten Mittel einer Rechristianisierung der Gesellschaft finden sich in manchen pastoraltheologischen Arbeiten der Asketischen Gesellschaft wieder. Insofern Religion eine Frage der Moralität ist und diese vernunftgemäss zu sein hat, ist sie der Pädagogisierung und Didaktisierung zugänglich. Insofern theologische Erkenntnis der Historizität menschlichen Wissens unterliegt, ist es für Spalding ein Irrtum zu glauben, man finde die christliche Glaubenslehre in ihrer ganzen Bestimmung und in ihrem ganzen Umfang in den kirchlichen Bekenntnisbüchern und Katechismen. Auch er bestreitet, dass sämtliche in diesen Büchern enthaltenen Religionssätze für die Unterweisung des Christen gleich wichtig oder überhaupt notwendig sind. Es ist damit Aufgabe des Pfarrers, eine sinnvolle, von
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erkenntnispsychologischen und didaktischen Regeln geleitete Auswahl zu treffen und dabei spekulative Spitzfindigkeiten, die dem Laien ohnehin unverständlich bleiben, auszulassen. Als gefährlich, da den Fatalismus und moralischen Indifferentismus befördernd, beurteilt er eine zu starke Hervorhebung des Dogmas der Erbsünde sowie die Predigt einer paulinischen Rechtfertigungslehre, die gute Werke einem allein selig machenden Glauben entgegenstellt und jene als wertlos erscheinen lässt; aber etwa auch die Evokation eines strengen, willkürlich strafenden Gottes. Jungen Zuhörern als zu schwer verständlich hält er überdies die Lehre von der Dreifaltigkeit281, wie sie ja gerade auch im Katechismus über weite Strecken abgehandelt wird. Weiter bedarf es des konsequenten Gebrauchs einer Sprache, „welche der gewöhnlichen Vorstellungsart unserer Zuhörer gemässer, folglich ihnen verständlicher, zur Erweckung ihres Beyfalls und ihrer Entschliessungen wirksamer, ist“ (ebd., S. 256). Eminente Bedeutung erhält die Unterweisung der Kinder und Jugendlichen, und hier gilt es in besonderem Mass, Rücksichten auf die Verständlichkeit der Lehre zu nehmen. Die starke Gewichtung des Jugendunterrichts bringt die Forderung mit sich, dieser solle, wo möglich, nicht dem Schulmeister überlassen werden. Der Pfarrer „sollte fast noch mehr für die Schule, als für die Kanzel arbeiten“ und dabei dem ungelehrten Schulmeister ein Muster guten Unterrichts abgegeben (ebd., S. 266). Das von Spalding entworfene Bild des Pfarrers hatte in seiner Zeit Modellcharakter für die Gestaltung literarischer Pfarrerfiguren, nicht nur für Nicolais Magister Sebaldus Nothanker (1773–1776) (vgl. zu diesem Werk Kap. 7), sondern ebenso für Goethes ‚Brief des Pastors‘ (1773), Jakob Michael Reinhold Lenz‘ ‚Landprediger‘ (1777) und andere mehr; es beeinflusste Generationen von Pfarrern in ihrem Amtsverständnis nachhaltig und wirkte auch unmittelbar auf die Predigtlehre der Zeit. Spaldings Pfarrer lebt und handelt beispielhaft nach den Worten seiner Predigten, ohne sich dabei dem gesellschaftlichen Umgang und der Geselligkeit zu entziehen; er kann nicht nur auf theologische, sondern ebenso auf weltliche Gelehrsamkeit, die im bürgerlichen Leben von Nutzen ist, zurückgreifen. Gegenüber akade281 Die Trinitätslehre gehört neben der Erbsünden- und der (lutherischen) Erlösungslehre, insbesondere der Lehre von der stellvertretenden Rechtfertigung, zu denjenigen Dogmen, die von den Neologen radikal reduziert wurden. In der neuen Lehre wird Jesus Christus Gottvater untergeordnet und zugleich dem Menschen angenähert; auf diese Weise kann er zum göttlichen Lehrer werden, dessen Leben moralischen Charakter annimmt.
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mischen „Lieblingswissenschaften“ bevorzugt Spalding jedoch nützliche Kenntnisse in der Medizin, Landwirtschaft und überhaupt der ländlichen Ökonomie (Spalding 1772; 1773; 1791/2002, S. 46). Der ideale Pfarrer besitzt psychologische Menschenkenntnisse und Empathievermögen, denn: „Soll die praktische Wahrheit [der christlichen Sittenlehre, E.B.] den Gemüthern nahe genug gebracht werden, um etwas in ihnen zu wirken, so müssen wir über die herschende Denkungsart unserer Gemeinen, ihre Versuchungen, ihre Vorurtheile und Ausflüchte, studierte Beobachtungen anstellen, uns in ihre Begriffe hineindenken, die verschiedenen Seiten ihres Herzens ausforschen, an welchen wir ihnen mit unsern Vorstellungen am wirksamsten beykommen können, sie aus ihren eigenen Grundsätzen und Empfindungen zu der Billigkeit der Wahrheit führen, nach welcher sie gesinnet seyn und handeln sollen“ (ebd., S. 205 f.). Zu diesem Zweck muss ein Prediger und Seelsorger wissen, „wie die Wahrheit in die Seele wirket“ (ebd., S. 133), wie die unteren Seelenkräfte, die Affekte, „ohne Nachtheil der oberen und zum wirklichen Dienste derselben, in Bewegung gesetzet werden können“ (ebd., S. 68).
8.2.2 Vom Kanzelprediger zum Seelenkundler Anhand ausgewählter pastoraltheologischer und -praktischer Abhandlungen der Zürcher Asketischen Gesellschaft sollen im Folgenden diejenigen Diskussionskomplexe fokussiert werden, welche erhellenden Einblick in die (volks-)erzieherischen Motive der Landgeistlichen und die dabei erörterten pädagogischen Mittel und Strategien geben. Ein vielfach thematisierter Ausgangspunkt bildete der wachsende Zweifel an der Wirksamkeit der Predigt traditionellen Stils; die Popularisierung der Predigtweise war in den 70er Jahren ein entsprechend viel diskutiertes Thema in der Asketischen Gesellschaft (vgl. auch Kap. 9.1). Im Zuge dessen zog man zunehmend auch andere, individualisierende und damit erzieherisch Erfolg versprechendere Wege und Arrangements der Einwirkung auf die Denk- und Verhaltensweisen der Landleute in Betracht. Hier knüpfte die Frage an, wie eine adäquate, das heisst dem erzieherischen Anspruch zuträgliche Beziehung zwischen dem Pfarrer und seinen Gemeindeangehörigen aussehen müsste. Um diese herzustellen, bedurften die Pfarrer, so ein dritter im Folgenden zu behandelnder Aspekt, gewisser moralisch-psychologischer Menschenkenntnisse. Gefragt war ein ‚inspektiver‘ Zugang zur Bestimmung individueller Charaktere, der ebenso kennzeichnend ist für das Interesse
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der Aufklärung an Kenntnis des Menschen und entsprechenden Erkenntnismethoden wie die zeitgenössischen Ambitionen im Bereich der Physiognomik.
VDM Simmler und Pfarrer Schinz: Der Pfarrer verlässt die Kanzel In einer Arbeit, die zwischen 1774 und 1782 entstanden ist, widmete sich Georg Simmler282, VDM, den Möglichkeiten der Einrichtung der „häusliche[n] Pfarers-Conversation“, und zwar mit Blick auf die besondere Frage, wie man „einen Trägen; einen Geizigen; einen Hochmüthigen; einen Betrunkenen; einen Ungerechten; einen Mürrischen“ dazu bringen könne, „diesem herrschenden Fehler“ zu entsagen (ZBZ: Archiv B, Thek I, Nr. 26). Simmler attestiert solchen privaten Unterhaltungen Vorteile insbesondere gegenüber der Predigt: Während der Seelsorger auf der Kanzel dem Zwang unterliege, seine Argumente auf allgemeine Vorhaltungen und Zurechtweisungen einzuschränken, erlaube ihm das häusliche Zwiegespräch, den besonderen Fall in aller Deutlichkeit zu adressieren, dem Angesprochenen die betreffenden Laster und ihre schrecklichen Folgen direkt vor Augen zu führen und auf schöne Beispiele der Sittlichkeit zu verweisen; erstes Ziel sei aber, dem Gegenüber die Glückseligkeit und Freuden bereitenden Folgen der Tugend zur Einsicht zur bringen. Für Simmler steht das Bemühen, Gutes zu Pflanzen, damit vor der Brandmarkung von Lastern, wobei die Anwendung anschaulich-pädagogischer Mittel im Vordergrund steht. Eine Schwierigkeit bestehe allerdings darin, dass man einem Pfarrer für das konkrete Vorgehen keine allgemein gültigen Regeln geben könne, stattdessen müsse man sich immer den besonderen Umständen und der individuellen Verfassung des Adressaten anpassen. Simmler beruft sich auf Spaldings ‚Über die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren Beförderung‘ und zitiert dabei dessen Empfehlung von Schlossers ‚Katechismus der Sittenlehre für das Landvolk‘ (1771) (vgl. Spalding 1772; 1773; 1791/2002, S. 264). Gefordert wurde darin unter anderem, dass zur Ausbildung der Landgeistlichen zu Sittenlehrern der Bauern an den theologischen Fakultäten Lehrstühle für praktische Gottesgelehrtheit eingerichtet werden.
282 Johann Georg Simmler (1755–1801) studierte 1770–74 in Genf, 1774 ordiniert, bis 1787 Vikar seines Vaters in Schöfflisdorf, ferner in Schlatt und Dielsdorf; 1793 Pfarrer in Stadel, 1800 Schulinspektor (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953).
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Pfarrer Johann Rudolf Schinz (1745–1790)283 stellte sich 1781 der Frage, wie ein Pfarrer durch seinen privaten Umgang zum Zweck der sittlichen Verbesserung belehrend auf seine Gemeinde wirken könne (ZBZ: Archiv B, Thek II, Nr. 6). Wie Simmler geht auch er davon aus, dass Predigten selten grosse Wirkung zeigen. Die Leute sähen im Pfarrer meist den Kanzelprediger, dessen religiöse Lehren in keinem Zusammenhang mit den eigenen Lebensfragen stehen. Schinz meint aber, der Pfarrer müsste als eigentlicher Sitten- und Tugendlehrer des zivilen Lebens auftreten und sich als Ratgeber in allen Lebenslagen nützlich erweisen. Dies setze einen ungenierten, wenn auch unaufdringlichen Umgang mit dem ‚einfachen‘ Volk voraus, nicht zuletzt weil sich auf diese Weise die Menschen am besten studieren liessen. Eine weitere Bedingung sei, dass sich ein Pfarrer in der Gemeinde das notwendige Mass an Akzeptanz und Respekt verschaffe, was wiederum Kenntnisse über die lokalen, häuslichen und individuellen Umstände der Leute voraussetze. Eine besondere Frage stellt für Schinz das Verhältnis des Pfarramts zur landwirtschaftlichen Tätigkeit dar. Landgeistliche müssten häufig selber Landwirtschaft betreiben, da sie gewöhnlich auf entsprechende Einkünfte angewiesen seien. Unter Umständen sei diese Beschäftigung aber dem Status abträglich, und es ergehe häufig der Vorwurf an den Pfarrer, er vernachlässige darüber seine eigentlichen geistlichen Pflichten. Schinz wollte deshalb zu einem späteren Zeitpunkt darlegen, dass und wie der Pfarrer gerade in diesem Feld als Beispiel vorleuchten müsse; zugleich schickt er voraus, ein solcher müsse den Landbau und die ländliche Ökonomie als eigentliche Philosophie begreifen und studieren, dabei die Naturkunde und Mathematik zu Hilfe nehmen und auch eigene Versuche anstellen.
VDM Eberhard, Vikar Häfeli, VDM Schneider und Diakon Hess: Von der besten (Bibel-)Lektüre Zentrales Anliegen der Volksaufklärung im 18. Jahrhundert bestand in der Versorgung des ,einfachen‘ Mannes mit dem Zweck der Belehrung nütz283 Pfarrer in Uitikon, Mitglied der Moralischen Gesellschaft, der Helvetischen und Zürcher Naturforschenden Gesellschaft sowie der Gerwi. Schinz verkörperte, folgt man der von Johann Konrad Nüscheler verfassten Biographie von 1791, den Prototyp des aufgeklärten Landpfarrers, der sich in seiner Gemeinde stärker um sittliche, ökonomische, pädagogische und medizinische Anliegen kümmerte als um Bibelstudien und Religion im engeren Sinn (vgl. Wernle 1924, Bd. 2).
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licher Literatur. Eine Differenzierung zwischen geeigneter und ungeeigneter Lektüre nimmt Johann Kaspar Eberhard284 bezogen auf die Vermittlung richtiger religiöser Grundsätze in seiner Abhandlung einer Frage von 1776 vor: „Welches sind die gemeinen praktischen Vorurteile unserer Landleuthe? Welches die schädlichsten? Welche diejenigen, von denen sich ein guter Gebrauch machen lässt?“ (ZBZ: Archiv B, Thek I, Nr. 42). Grundsätzlich Schuld an den verbreiteten Vorurteilen tragen gemäss Eberhard die Pfarrer selbst und dabei besonders die Verfechter der Orthodoxie. Er sieht in ihnen Vertreter einer vergangenen Zeit, in der man meinte, die Religion getrennt von der Moral vermitteln zu müssen. Dieselben irrigen Meinungen würden aber auch die religiösen Bücher vertreten, die man gewöhnlich bei den Leuten zu Hause vorfinde. Denn diese handelten lediglich vom Elend des Menschen angesichts seiner Sündhaftigkeit und also von dessen Angewiesenheit auf das Erlösungswerk Christi. Solche Lehren würden jedoch keine Beweggründe für sittliches und tugendhaftes Handeln vermitteln und liessen zudem den Gottesdienst als eine bloss äusserlich zu absolvierende Pflicht erscheinen. Der Grund zu dieser Haltung werde gemeinhin bereits in der Jugend gelegt, mit dem Katechismusunterricht. Statt den Kindern moralische Pflichten aufzuzeigen, würden ihnen auf diesem Weg einseitig das Elend des Menschen und der Opfertod Christi zur Sühnung der menschlichen Sünden vor Augen geführt.285 Eberhard plädiert stattdessen für einen Unterricht, der Gott als Urheber des einzig glücklich machenden Naturgesetzes vorstellt, das auf gute Taten Belohnung folgen lässt, aber auf 284 Zur Person Eberhards vgl. Fussnote 266. 285 Dieses Elend, wohl vielmehr als der beabsichtigte Trost, wird den Katechumenen bereits mit der 1. Frage/Antwort vermittelt: „Was ist dein einiger trost im leben und im sterben?“ – „Dass ich nach disem trübseligen leben ewige freud und seligkeit ererben, und ewiglich bey GOtt meinem Vatter wohnen, und seiner himmlischen güteren theilhafftig werden sol.“ Weiter heisst es im Wortlaut des Zürcher Katechismus in der Ausgabe von 1764, 48. Frage/Antwort: „Was bekennst, wann du sprichst: gelidten unter Pontio Pilato, ist gecreuziget worden und gestorben?“ – „Dass Christus JEsus an leib und seel unzahlbahre marter, auch den tod selbst für mich erlidten, und hiemit dem gericht GOttes für meine und der gantzen welt sünd genug gethan hat.“ Die Unzulänglichkeit des Menschen ergibt sich aus der reformierten Lehre von der Rechtfertigung allein aus Gnade Gottes und durch Christi Kreuztod; entsprechend heisst es zu den guten Werken in Frage/Antwort 73: „Verdienen aber die guten wercke das ewig leben um GOtt?“ – „Nein: Dann sie sind schuldige Pflichten unserer danckbarkeit, und sind eigentlich nicht unser thun, sonder GOttes schencke: und vonwegen der anhangenden schwachheit immerdar mit sünden befleckt und unvollkommen.“
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böse Handlungen Strafe. Zu den schädlichen Irrlehren rechnet Eberhard weiter den Glauben, dass lediglich der Heilige Geist durch wundersame Kraft die Besserung, Heiligung, des Menschen bewirken könne; denn dieses Dogma ebenso wie der Glaube an ein unbedingtes Schicksal durch Gnadenwahl würden viele Leute als Entbindung von der Verpflichtung zum Guten deuten. Im selben Jahr beschäftigte sich Johann Kaspar Häfeli286 mit der Frage: „Was dürfte man einer Haushaltung auf dem Lande für eine kleinere und was für eine grössere Bibliothek vorschlagen?“ (ebd., Nr. 43). Wie Eberhard bemängelt auch er den Umstand, dass man in den Häusern des Volkes mehrheitlich noch die der Orthodoxie verpflichteten religiösen Bücher vorfinde; nicht besser beurteilt er die Präsenz pietistisch-schwärmerischer Erbauungsschriften im Geiste Zinzendorfs und der Herrnhuter. An deren Stelle sollen nun gemäss Vorschlag des Autors Schriften der zeitgenössischen Zürcher Theologen Lavater, Johann Jakob Hess und Johannes Tobler, selber Angehörige der Asketischen Gesellschaft, treten. Weitere Vorschläge Häfelis umfassen wiederum Schlossers Katechismus für das Landvolk, die ebenfalls bereits erwähnten nothankerschen Predigten von David Christoph Seybold (vgl. Kap. 7), Predigten des Basler Theologen Samuel Werenfels (1657–1740)287, Georg Friedrich Seilers Geschichte der Offenbarung (1772)288 und Lüdkes ‚Communionbuch‘ (1772)289. Ein besonderes Anliegen der Asketischen Gesellschaft bestand offenbar darin, die Bibellektüre (wieder) stärker in der Bevölkerung zu etablieren. So wurde die Frage, wie das Landvolk die Bibel mit dem grössten Nutzen lesen
286 Johann Kaspar Häfeli (1754–1811), 1774 ordiniert, war bis 1777 Vikar in Elsau, auf Lavaters Empfehlung Hofkaplan in Wörlitz, 1793 Pfarrer in Bremen, 1799 Dr. theol., 1805 Oberkonsistorialrat in Bernburg (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953). Häfeli gehörte lange Zeit zu den Weggefährten und Verteidigern Lavaters, bis er sich um 1790 von diesem abwandte (vgl. Wernle 1925, Bd. 3) (vgl. Kap. 9.1). 287 Es existieren verschiedene Übersetzungen aus dem Französischen, z. B.: Werenfels, Samuel: Predigten über einige Haupt-Lehren der Christlichen Religion. Basel 1717. 288 Seiler, Georg Friedrich: Kurze Geschichte der geoffenbarten Religion. Vornehmlich zum gemeinen Gebrauch für solche Christen, welche keine Theologen sind. Erlangen 1772. Seiler (1733–1807) beschäftigte sich nach philosophischen und theologischen Studien als Hauslehrer, ab 1769 war er Professor für Theologie in Erlangen. 289 Lüdke, Friedrich Germanus: Communionbuch. Enthaltend 1. Eine kurze Anweisung zum würdigen […] Gebrauch des heiligen Abendmahls 2. Betrachtungen und Gebete für Communicanten […] 3. Einige Lieder für Communicanten. Berlin 1772.
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solle, gleich mehrmals behandelt, 1775 von Felix Schneider290 sowie 1781 von Johann Jakob Hess, dem späteren Antistes (ZBZ: Archiv A, Circular Juni bis Sept. 1775; Archiv B 3a, Circularband von 1781, S. 139–166). Dass sich Hess diesem Thema widmete, ist kein Zufall, konzentrierte er sich in seinen theologischen Arbeiten doch vollumfänglich auf die biblische Exegese, auf eine Art biblische Theologie, wobei sein charakteristischer hermeneutischer Zugang sowohl von einem orthodoxen als auch einem rationalistischen Ansatz unterschieden werden muss (vgl. Weder 1997). Die Pole verlaufen dabei entlang der Inspirationslehre einerseits, welche die Wahrheit der Bibel nicht durch das sicherstellt, was dieses Buch Wahres sagt, sondern durch dessen Herkunft, den Heiligen Geist oder Gott selbst. In der rationalistischen Hermeneutik steht dagegen die Wahrheit der Vernunft ganz unabhängig vom konkreten Bibeltext fest; Ziel der Forschung ist hier, die historische Zufälligkeit und Bedingtheit von Aussagen gegenüber den übergeschichtlichen Wahrheiten herauszuarbeiten (vgl. ebd.). Hess will, so entnimmt man der Einleitung zur gross angelegten ‚Geschichte der drei letzten Lebensjahre Jesu‘ (1768–1773), das Geschichtliche in konkreter Gestalt ins Zentrum stellen. Denn die Wahrheit der Vernunft ist nicht a priori bekannt, erst in der Begegnung mit der individuellen Gestalt Jesu kann Wahrheit erschlossen werden. Die Wirkung auf den Leser ist eine wichtige hermeneutische Kategorie bei Hess; jede Begebenheit sei so vorzutragen, „dass das Fruchtbare und Lehrreiche darinn ins Auge“ fällt (zit. nach Weder 1997, S. 325). Hess war es bekanntlich auch, der biblische Erzählungen für den Gebrauch im Schulunterricht verfasst hatte, die dem pädagogischen und didaktischen Anspruch einige Zugeständnisse machten (vgl. Kap. 5.4). Nicht überraschend sind sich beide, Hess und Schneider, einig, dass für die Sicherung des richtigen Bibelverständnisses, handle es sich bei den Adressaten um Erwachsene oder Jugendliche, Rücksichtnahmen auf deren Verstehenshorizont und zu diesem Zweck eine inhaltliche Selektion notwendig sind. Ein entsprechender Textauszug wäre mit Nutzanwendungen für den ‚gemeinen‘ Leser zu versehen, oder es könnte eine Lektüreanleitung beigefügt werden. Hess kann dazu auf die 23. Predigt von Felix Waser, dem Verfasser des Waser-Büchleins (vgl. Kap. 5.4), verweisen, enthalten in seiner 1781 veröffentlichten ‚Sammlung einiger Predigten‘. Waser empfiehlt hier aus dem Neuen Testament zuvorderst die Evangelien als Lektüre und 290 Felix Schneider (1739–1812), 1761 ordiniert, arbeitete darauf an verschiedenen Orten als Hauslehrer, 1776 Pfarrer in Alterswilen (heute Kanton Thurgau), 1796 in Stäfa (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953).
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aus dem Alten Testament die so genannten Lehrbücher, darunter die Psalmen Davids, weiter die Sprüche Salomons „und vieles aus dem Buche Hiobs“, worin man überall „vortreffliche Lehren, Wahrheiten und allen Menschen höchst nützliche Lebensregeln“ finde (S. 343). Angesichts der Historizität der Bibel meint Waser grosszügig, der Leser müsse sich um dasjenige nicht kümmern, das er nicht versteht; „[…] denket, es sey nicht eigentlich für euch, sondern für die damaligen Zeiten geschrieben“ (ebd., S. 341). Zur Sammlung gehören im Übrigen verschiedene Predigten, die sich dezidiert mit pädagogischen Fragen befassen, so die 12. und 13. Predigt zur Erziehung der Töchter durch die Mütter, die 22. Predigt über die Pflicht der Erziehung und Beschulung der Kinder allgemein; die 23. Predigt enthält neben der zitierten didaktischen eine methodische Anleitung zum Bibellesen. Zu den didaktischen Überlegungen Hess‘ gehört die Bemerkung, man könne die Bibel gegenüber den Lesern zum Zweck eines besseren Verständnisses mit einem Geschichtswerk oder einem Gesetzbuch vergleichen. Schneider möchte, dass ein entsprechend aufbereitetes Bibelwerk in der Schule den Leseübungen zugrunde gelegt wird. Damit wendet auch er sich dezidiert gegen den Gebrauch der biblischen Geschichten zum Auswendiglernen; dies sei dem Hauptzweck, den Kindern diesen Stoff näher zu bringen und ihr Interesse daran zu wecken, abträglich.
Pfarrer Weber, VDM Gossweiler, Vikar Simmler: Beziehungsprobleme Nicht wenige Studien gingen bisher davon aus, dass der Ortsgeistliche per se eine Autoritätsperson darstellte (z. B. Schär 1985). Inzwischen wurde diese Vorstellung allerdings angezweifelt, insbesondere von Studien, die weniger von Predigten und Traktaten als von Aktenmaterial ausgehen. Heiligensetzer (2006) kommt in einer neueren Arbeit auf der Basis von Lebensbeschreibungen von Pfarrern zum Schluss, „dass nicht nur Staat und Kirche, sondern auch die Gemeinden bestimmte Erwartungen an ihre jeweiligen Seelsorger stellten, so dass das Verhältnis von Pfarrer und Dorf nicht einseitig herrschaftlich betrachtet werden darf “ (S. 236). Die Ausführungen in Kap. 4.3 unterstützen diesen Befund; und offenbar waren sich die Landpfarrer ihrer zum Teil prekären Lage durchaus bewusst, gerade wenn es um ihre (volks-)erzieherischen Wirkungsmöglichkeiten ging. Diese waren in beträchtlichem Mass von der Akzeptanz abhängig, die der Pfarrer innerhalb der Gemeinde genoss. Es überrascht also nicht, dass
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man sich in der Asketischen Gesellschaft mehrfach darüber Gedanken machte, wie sich die notwendige Autorität und gleichzeitig eine vertrauliche Beziehung zur Bevölkerung herstellen liessen. Die Geistlichen nahmen sehr wohl wahr, dass dabei ein hohes Mass an Sensibilität und Anpassung von ihrer Seite gefragt war. Schliesslich galt es einerseits, hinderliche Distanzen zwischen Pfarrherrn und den ihm anvertrauten Gemeindeangehörigen abzubauen und dennoch Respekt zu wahren; unnötige Gravität abzulegen und sich zu den ‚einfachen‘ Leuten herabzulassen, jedoch ohne den Eindruck der Anbiederung zu erwecken. Ein Beispiel für die Art und Weise, wie die entsprechende Problematik in der Asketischen Gesellschaft behandelt wurde, bietet der Beitrag von Pfarrer Weber291 aus Bubikon, der sich 1776 der Frage widmete „Wodurch kann ein Seelsorger das Zutrauen seiner Gemeine überhaupt gewinnen“ (ZBZ: Archiv B, Thek I, Nr. 39). Weber beklagt eingangs einen Vertrauensverlust, den der Pfarrerstand in der Vergangenheit erlitten habe. Einem offenen Verhältnis stehe vielfach die Wahrnehmung des Pfarrers als zu gelehrt im Weg. Dieses Bild gilt es nun einerseits in Hausbesuchen und anlässlich der Predigt zu revidieren; daneben soll der Pfarrer aber zugleich seinen Wirkungskreis über die geistliche und seelsorgerische Sphäre hinaus erweitern. Er avanciert damit in der Vorstellung Webers zum Schlichter in alltäglichen Streitfällen, überhaupt zum Ratgeber der Gemeinde in allerlei Situationen. Keinesfalls jedoch, so warnt Weber hellsichtig, sollen Ratschläge ungebeten geäussert werden. Wirkungsvoller noch als viele Worte und Lehren sei sowieso das Vorbild des Pfarrers in der Gemeinde, gerade auch in weltlichen Angelegenheiten rechtlicher, ökonomischer oder medizinischer Art. Dabei dürfe er aber nie den Anschein der Parteilichkeit oder des Eigennutzes erwecken. Taktisch Erfolg versprechend erscheint dem Autor ein Vorgehen, bei dem der Pfarrer vorerst das Vertrauen und die Gefolgschaft der achtbarsten Haushalte zu erlangen sucht, da er damit rechnet, dass andere sich vom guten Beispiel anstecken lassen. Wichtig sei aber auch die Arbeit an der jungen Generation, etwa anlässlich der Katechisation, Kinderlehre und in der Schule. Hier soll der Pfarrer den Nachwachsenden von Beginn an freundlich begegnen, seine Anteilnahme an ihrem Leben und Schicksal zum Ausdruck bringen und ihnen in warmem Ton seinen immer währenden Beistand empfehlen. 291 Johannes Weber (1746–1800), ordiniert 1768, 1769 Hauslehrer in Hinwil, Vikar, dann 1772 Pfarrer in Bubikon, 1796 Pfarrer in Ottenbach (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953).
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Ein illustratives Beispiel für das pfarrherrliche Bemühen, an die Gemeinde ‚heranzukommen‘, ohne zudringlich zu erscheinen und damit Abwehrreaktionen zu erzeugen, stellt die Frage von 1774 dar, ob „es nicht ratsam [wäre], dass der Pfarrer seine Bauren auf dem Feld bey ihren Arbeiten besuchte. Und wie liessen sich dergleichen Besuche auf die nützlichste Art einrichten?“ (ebd., Nr. 23). Sie wurde vom Referenten namens Gosswyler292 positiv beantwortet. Schliesslich würden Gespräche in diesem Kontext der Anbahnung von Vertrautheit dienen, und es liessen sich dabei der moralische Charakter und die Umstände der Bauern vorzüglich kennen lernen. Eine andere heilsame Wirkung solcher Besuche sieht Gossweiler darin, dass die Leute auf diese Weise von Geschwätz, übler Nachrede und der Verbreitung von Gerüchten, abgehalten würden, womit sie sich bei der Arbeit auf dem Feld gerne die Zeit vertrieben haben sollen. Die Arbeiten in der freien Natur im Wechsel der Jahreszeiten und im Rhythmus von Saat und Ernte böten dem Pfarrer genügend Stoff für lehrreiche Gleichnisse. Auch liesse sich in dieser Umgebung eine Menge nützlicher Realkenntnisse vermitteln. Dabei sei es einem Pfarrer durchaus erlaubt, wiederholt dasselbe Thema aufzugreifen, nicht zuletzt deshalb, weil bei den Adressaten wohl nicht immer die gebührende Aufmerksamkeit vorausgesetzt werden könne… Die Abhängigkeit des Pfarrers von der Achtung, die er innerhalb seiner Gemeinde genoss, kam besonders dann zum Tragen, wenn er beabsichtigte, Neuerungen in seinen Zuständigkeitsbereichen, wozu auch die Schule gehörte, einzuführen; so lautet zumindest die Einschätzung von Vikar Georg Simmler293 anlässlich der Beantwortung der Fragen: „Wie weit ist es einem Pfarrer nöthig zu wissen was seine Gemeinden grösseren Theil nach von ihm und seinen Amtsverrichtungen halte, wie sie ihn verstehen und seine Reden und Handlungen beurtheilen? – Und wie kann er das auf die schiklichste, anständigste, und in jeder Absicht unschädlichste Weise erfahren? Wie kann und soll er sich das zunuze machen – er mag es für gegründet oder ungegründet ansehen?“ (ZBZ: Archiv B, Thek II, Nr. 36, um 1784). Simmler schickt voraus, dass der Ruf des Pfarrers natürlich immer auch vom Ruf seiner Gattin abhänge. Sich darüber ein Bild zu verschaffen, wurde im Allgemeinen durch die soziale Distanz zwischen der Pfarrersfamilie und den ‚gewöhnlichen‘ Leuten erschwert. Simmler meint zugleich, es sei nicht 292 Heinrich Gossweiler (1751–1794), ordiniert 1772, Hauslehrer in Weiningen und Hinwil, 1779 Pfarrer in Hinwil (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953). 293 Zu seiner Person vgl. Fussnote 282.
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angebracht, sich bei jeder Gelegenheit nach deren Urteil zu erkundigen; jedoch liessen sich diesbezügliche Meinungen durchaus über vertraute Personen, etwa den Schulmeister oder einen Stillständer, einholen – immer jedoch unter Anwendung äusserster Diskretion, das heisst möglichst indirekt und unbemerkt. Allerdings war das Verhältnis des Pfarrers zu diesen Amtsträgern selber nicht immer unproblematisch. Die Frage der Wahl und Führung der Stillständer, deren Funktion etc. war deshalb selber mehrmals Thema von Pastoralaufgaben (ZBZ: Archiv B1, Thek I, Nr. 40, 41; Archiv B, Thek I, Nr. 49, 58). Die Pflicht der Stillständer war es ja, dem Pfarrer Bericht über das sittliche Verhalten der Gemeindeangehörigen zu erstatten. Diese denunziatorische Aufgabe konnte unter Umständen zu einem Loyalitätskonflikt führen, waren die Stillständer doch ebenso wie die übrigen Kirchen- und Gemeindebeamten und im Gegensatz zum Pfarrherrn selber gewöhnliche untertänige Gemeindebürger. Simmler führt nun im Folgenden Zeichen an, von denen aus man indirekt auf das Urteil der Leute schliessen könne. Bezogen darauf unterscheidet er wiederum Massregeln, wie sich ein Pfarrer je nach Reputation zu verhalten habe, wobei er zusätzlich zwischen begründeter und unbegründeter Nachrede unterscheidet. Stillständer und Gemeindevorgesetzte besässen oftmals mehr Ansehen im Dorf als der Pfarrer, weshalb er sich immer auch den Fall vor Augen halten müsse, dass jene gegen ihn agitierten. Der Rezensent des Aufsatzes, Hess aus Rafz294, unternimmt es, ausgehend von Simmlers Verhaltensanweisungen drei allgemeine Regeln zur praktischen Pastoralklugheit abzuleiten (ZBZ: Archiv B, Thek II, Nr. 37). Auch er findet den Gegenstand im Übrigen wichtig, möchte jedoch keine allzu grosse Ängstlichkeit gegenüber dem Urteil der Gemeinde aufkommen lassen. Er setzt dabei voraus, dass es immer die schlechtesten Individuen seien, die den Pfarrer verachten oder fürchten, während die Besseren ihm gemeinhin Wohlwollen und Respekt entgegenbrächten. Insofern sei es nicht immer schlechterdings notwendig, wenngleich unter Umständen nützlich, die Meinung der Leute zu kennen. Immerhin trage dieses Wissen dazu bei, deren Denkungsart besser kennen zu lernen, was auch Rückschlüsse auf das Verständnis und die Wirksamkeit der Predigtinhalte zulasse. Schliesslich müssen einem Pfarrer Informationen betreffend seinen Ruf auch vor dem Hintergrund der Einführung von Neuerungen wichtig sein 294 Hans Heinrich Hess (1749–1797), 1769–1771 Hauslehrer in Bubikon, 1771 ordiniert, 1772–1784 Vikar in Oberglatt, dann in Rafz, 1789 dort Pfarrer (vgl. Dejung/Wuhrmann 1953).
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und um zu erfahren, ob er jemandem unnötigerweise in einer ansonsten belanglosen Angelegenheit Grund zum Ärger gegeben habe.
Präzeptor Maurer u. a.: Menschenkenntnis Die zitierten Pastoralarbeiten veranschaulichen die Konturen, die das Interesse der Pfarrer an der Kenntnis und einem tieferen Verständnis der Gemeindeangehörigen in den 1770er und 80er Jahren angenommen hatte; es ging überall darum, einen Zugang zu Mentalität und Verhaltensweisen der Landleute zu erlangen. Dieses gesteigerte Bedürfnis nach Informationen über jede einzelne der ihm anvertrauten Seelen sowie die besonderen sittlichen und ökonomischen Umstände einer Gemeinde insgesamt schlug sich nicht nur im Projekt der ‚Asketischen Topographien‘ nieder, sondern etwa auch in Entwürfen zu Kirchen- und Schultabellen, die Individuen erfassen und Informationen über diese aufnehmen sollten. Eine entsprechende Arbeit liegt etwa von Johann Jakob Steinfels295, Pfarrer in Kesswil (heute Kanton Thurgau), vor, der zudem berichtet, er habe selber ein „moralisches Handbuch“ angelegt, um den Charakter seiner Gemeindeglieder besser erfassen zu können (ZBZ: Archiv B, Thek I, Nr. 46). Die Konjunktur solcher Art Datensammlung lässt sich Bezug nehmend auf Michel Foucault (2005) ganz im Sinn moderner Macht- und Regierungstechnik deuten und dem Modell der abendländischen ‚Gouvernementalität‘ zuordnen. Gouvernementalität im foucaultschen Verständnis ist unter anderem „ausgehend von einem archaischen Vorbild, nämlich dem des christlichen Pastorats“ entstanden ( S. 173) und erreichte ihre Wirkung nur dank einer Reihe ganz besonderer Instrumente, „deren Ausbildung genau zeitgleich erfolgte mit jener der Regierungskunst und die man im alten Sinne des Ausdrucks, nämlich dem des 17. und 18. Jahrhunderts, ‚Policey‘ nennt“ (ebd.). Bedeutsam im Zusammenhang mit den hier zitierten Äusserungen ist der Befund, wonach die so bezeichnete Pastoralmacht auf charakteristische Weise Techniken der Individualisierung mit totalisierenden Verfahren verbindet. Das Pastorat betrifft das Leben des Individuums, die pastorale Macht will ständig über das Leben von allen und jedem Einzelnen wachen, mit der Absicht zu helfen und sein Los zu verbessern. „Schliesslich lässt sich diese Form von Macht nur ausüben, wenn man weiss, was in den Köpfen der Menschen vor sich geht, wenn
295 Weiteres ist zu seiner Person nicht bekannt.
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man ihre Seele erforscht, wenn man sie zwingt, ihre intimsten Geheimnisse preiszugeben. Sie setzt voraus, dass man das Bewusstsein des Einzelnen kennt und zu lenken vermag“ (ebd., S. 247 f.). Die „neue Pastoralmacht“ erfuhr im Laufe ihrer Ausbreitung und Entwicklung im 18. Jahrhundert einen Wechsel bzw. eine Erweiterung der Zielsetzungen: „Aus der Sorge um das Heil der Menschen im Jenseits wurde die Sorge um ihr Heil im Diesseits. In diesem Kontext erhält das Wort ‚Heil‘ mehrere Bedeutungen; es meint nun Gesundheit, Wohlergehen (im Sinne eines angemessenen Lebensstandards und ausreichender Ressourcen), Sicherheit, Schutz vor Unfällen aller Art. Die religiöse Zielsetzung des Hirtenamtes wurde durch eine Reihe ‚irdischer‘ Ziele ersetzt, die man allerdings auch bisher schon nebenher verfolgt hatte, so dass der Wechsel nicht sonderlich schwer fiel“ (ebd., S. 248 f.). Der Einfluss des Kameralismus und der Polizeiwissenschaft war in der Eidgenossenschaft aufgrund der traditionell kommunalistischen Rechtsund Verwaltungsstrukturen beschränkt, deren bevorzugte Instrumente und Techniken aus dem Bereich der politischen Arithmetik fanden aber in den ausgebauten Stadtstaaten Zürich, Bern und Basel nachweislich Eingang. Damit einher ging vor dem Hintergrund populationistischer Bevölkerungstheorien eine Schärfung des Blicks auf quantitative Aspekte der Bevölkerung. Qualitative, und zwar vor allem moralisch-qualitative Überlegungen spielten, das wurde auch in dieser Arbeit deutlich, dort eine Rolle, wo über den Nutzen bzw. Schaden der Ausbreitung industriellen Erwerbs diskutiert wurde. Bildung als Mittel der ‚Verbesserung‘ der Bevölkerung hingegen wurde bezogen auf die Untertanen explizit kaum oder gar nicht in diesem politischen und volkswirtschaftlichen Zusammenhang oder gar vor dem Hintergrund einer Humankapital-Theorie diskutiert; vielmehr stand die Bildungsfrage noch weitgehend unter dem Vorzeichen eines ethisch-religiösen und moralisch-sittlichen Reformanspruches. Am gesteigerten Interesse an Bevölkerungsfragen und dem Studium des Menschen knüpfte die Aufmerksamkeit an, die man in pastoralen Kreisen der Frage nach den für einen Landpfarrer prioritären, nützlichen und schicklichen Studien beimass. Gewarnt wurde dabei gerne vor der „Studiersucht“ und so genannten „Favoritstudien“. Wie verhängnisvoll solche einem Geistlichen werden konnten, hatte das Schicksal Johann Heinrich Wasers erwiesen (vgl. Kap. 6.1 und Kap. 8). Die praktische Bedeutung des moralischen und psychologischen Studiums der Menschen für einen Landpfarrer kommt unter anderem in der Abhandlung der Frage zum Ausdruck „Welches sind die nöthigen, nütz-
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lichen, zufällig nützlichen und die gleichgültigen Studien für einen Pfarrer: welches das gehörige Verhältnis dieser Studien unter sich und gegen die Geschäfte eines Pfarrers“; beantwortet wurde sie 1778 von Rudolf Maurer296, derzeit Präzeptor an der Realschule (ZBZ: Archiv B, Thek I, Nr. 19). Es liegt dem Referenten gleich zu Beginn daran zu betonen, dass sich der Beruf eines Landpfarrers grundsätzlich von demjenigen eines Stadtpfarrers unterscheidet. Die Unabdingbarkeit psychologischer und moralischer Analysekompetenzen für den auf dem Land stationierten Geistlichen zeigt sich in der nach Prioritäten geordneten Auflistung der ihm notwendigen Studien und Kenntnisse. An erster Stelle figuriert hier das Studium der Gemeinde und ihrer einzelnen Glieder, gefolgt vom Studium der diesen Leuten heilsamen Religionswahrheiten. Es gelte, den Bauern in seinen konkreten Lebensverhältnissen kennen zu lernen, da der Pfarrer seine Predigten und Lehren immer an diesen ausrichten müsse. Maurer führt das Beispiel Jesu an, der weniger mit seinen Wundertaten als wegen seines ausgesprochenen ‚Akkommodationsvermögens‘ die Zuhörer angezogen habe. Zu den Studien zweiter Ordnung rechnet er an erster Stelle das Studium der häuslichen Erziehung. Auch die im Anschluss daran genannte Naturlehre erhält eine volkserzieherische Wendung: Es geht Maurer dabei nämlich nicht um ein philosophisch-gelehrtes Studium der Natur, vielmehr habe sich ein solches mit Gegenständen zu befassen, die dem Erfahrungskreis des Bauern entstammen und für diesen von Interesse sind. Dazu gehört der Aufweis der Allgegenwart des Schöpfers, seiner Grösse, Weisheit und Güte, aber auch der Abhängigkeit des Menschen von der göttlichen Vorsehung. An dritter Stelle steht das Studium der geoffenbarten und natürlichen Religionswahrheiten, gebe das entsprechende Wissen dem Vortrag eines Pfarrers doch seine besondere Kraft und Überzeugung und komme ihm im Umgang mit Spöttern, Zweiflern und Ungläubigen zu Hilfe. Als weitere nützliche Disziplinen nennt Maurer die Rhetorik, Geschichte der Religionsstreitigkeiten, Latein, Französisch und die Beschäftigung mit der neueren theologischen Literatur. Den Abschluss bilden Kenntnisse in der Arzneikunst und der Unterricht der Jugend speziell in der Musik und Messkunst. Während nun Prioritätensetzungen bezüglich der aufgezählten Kenntnisse grösstenteils aufgrund der individuellen Bedürfnisse vor Ort vorzunehmen seien, ist hingegen das zuerst genannte moralische Studium der Gemeinde für jeden Pfarrer unablässig.
296 Zu dessen Person vgl. Fussnote 263.
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8.2.3 Toblers ‚Idee von einem christlichen Dorfe‘: Eine Utopie stösst auf Gleichgültigkeit Einen prominenten Stellenwert nahm in den 1770er und 80er Jahren in der Asketischen Gesellschaft die Frage ein, wie eine populäre Predigt einzurichten sei. Es überrascht nicht, dass auch Johann Joachim Spalding diese Thematik in ‚Über die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren Beförderung‘ (1772) aufnahm. Er verweist auf die Schriften des Zürcher Theologen Johannes Tobler und attestiert diesen wegen ihres volksnahen Stils Mustercharakter (vgl. Spalding 1772; 1773; 1791/2002). Tobler hatte sich damals insbesondere als Verfasser von Erbauungsschriften über die Schweiz hinaus einen Namen gemacht; vor allem aber hatte er bereits Mitte der 60er Jahre und damit vor dem Erscheinen von Spaldings ‚Nutzbarkeit des Predigtamtes‘ das literarische Bild des christlich-sozial engagierten Pfarrers entworfen. Die betreffende Schrift mit dem Titel ‚Idee von einem christlichen Dorfe‘ dürfte auch Spalding bekannt gewesen sein. Tobler (1732–1808) war seit 1754 Pfarrer in Ermatingen, 1768 wurde er Diakon am Fraumünster und 1777 Zweiter Diakon am Grossmünster und Chorherr; er gehörte zum engeren Kreis der Redaktion des ‚Erinnerers‘ und war mit Dichtergrössen wie Klopstock und Wieland befreundet, ausserdem betätigte er sich selber als Dichter und Übersetzer griechischer sowie neuerer englischer Klassiker. Er war zuerst korrespondierendes und dann ab 1768 ordentliches Mitglied der Moralischen Gesellschaft, wo er sich gemäss Tagebüchern insbesondere als Mitarbeiter am dort initiierten Landschulprojekt engagierte (vgl. Kap. 6.2). Den Tagebüchern der Gesellschaft entnimmt man auch, dass man dort interessiert am Zustandekommen der ‚Idee von einem christlichen Dorfe‘ Anteil nahm. Am 3.1.1765 las Tobler aus seiner Dorf-Utopie vor, erhielt den Beifall der Zuhörer und wurde zugleich aufgefordert, sie nochmals zu überarbeiten. Man wünschte insbesondere, dass er sie um weitere Hinweise betreffend die Ausgestaltung des Schulwesens erweitere (ZBZ: J 531). Die Schrift wurde 1766 erstmals im ‚Erinnerer‘ publiziert und im selben Jahr als separater Druck von der Gesellschaft an die Pfarrer verteilt; 1776 erschien sie in sprachlich modifizierter Form im ersten Band von Toblers sämtlichen Erbauungsschriften. Tobler war zwar kein Mitglied der Asketischen Gesellschaft, seine ‚Idee von einem christlichen Dorfe‘ soll hier aber dennoch herangezogen werden, weil sich darin verschiedene Motive wiederfinden, die in der Gesellschaft zentraler Diskussionsgegenstand waren. Schliesslich mag vor dem
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Hintergrund angesprochener ‚Beziehungsprobleme‘ zwischen Pfarrer und Gemeinde auch ein Hinweis auf die Rezeption der Schrift erhellend sein. Johannes Tobler galt zwar ebenso wie seine etwas jüngeren Kollegen Felix Hess (1742–1768) (vgl. Kap. 9.2) oder anfänglich auch Lavater als Anhänger einer kritischen Theologie, nahm dabei aber eine ausgleichende Position zwischen den sich in den 70er Jahren konturierenden Lagern ein. Man kann Tobler als ein Verteidiger der Gefühls- bzw. Herzensseite der Religion gegenüber einer einseitigen ‚Kopf-Religion‘ charakterisieren. Er ist der Meinung, man dürfe, indem man zu Recht Stellung gegen die Schwärmer beziehe, nicht ins Gegenteil verfallen. Eine „vernünftigherzliche“ oder „herzlich-vernünftige“ Frömmigkeit gilt ihm als die richtige (Tobler 1776, Bd. 1, S. 347). In seiner ‚Anrede an Eltern und Vormünder, über die Erziehung der Kinder zur Religion‘ (Tobler 1776, Bd. 1) bewegt er sich auf derselben Linie wie Johann Jakob Hess (vgl. u. a. Kap. 5.4, Kap. 8.2.2) oder Lavater und sein Gefährte Johann Konrad Pfenninger (vgl. Kap. 9.1), wenn er meint, es brauche eine geschichtliche Darstellung der christlichen Religion, weil die natürliche Religion allein nicht vermöge, die Herzen der Jugend anzuziehen. Konservativ zeigt sich Tobler in der Katechismus-Frage, indem er sich von der Position, die dieses Lehrbuch radikal infrage stellte und gar verwarf, distanzierte. Entsprechend unternimmt er es in seiner Schrift ‚Eine sogenannte Kinderlehre über den acht und zwanzigsten Sonntag des Zürchischen Zeugnisse- (Catechismus-) Buchs‘ (Tobler 1776, Bd. 3), seinen Brüdern vorzuzeigen, dass und wie man sehr wohl noch mit diesem Lehrbuch zurechtkommen könne. Die vom Autor vorexerzierte Kinderlehre, so gewinnt man allerdings den Eindruck, dürfte eher einer idealen Situation mit idealen, durchwegs motivierten und begabten, Kindern gerecht geworden sein als der Unterrichtsrealität in einer durchschnittlichen Landschule. In einer ‚Nachschrift zu dieser Kinderlehre‘ (ebd.) lässt Tobler dann didaktische Ratschläge zur besseren Anwendung des Katechismus folgen; denn es sei immer noch besser, diesen im Gebrauch zu lassen, als über eine Reform zu räsonieren. Diese Haltung begründet er ausserdem mit seiner Beobachtung, dass es sich bei den Katechismus-Kritikern oftmals um Personen mit einem offensichtlich unmoralischen Lebenswandel und einem Hang zu Prunk- und Prachtgehabe handle. Tobler ist ein Verteidiger der positiven christlichen Religion, die er durch Deismus und Freigeister und wohl auch von Seiten jener neologischen Richtung, die eine Trennung von natürlicher und geoffenbarter Religion selbstverständlich vornahm, angegriffen sah. Zugleich lässt sich an seinem
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Beispiel sehr gut veranschaulichen, wie religiöser Impetus zum Motor für ein volkserzieherisches Engagement wurde, das an gewissen Stellen durchaus Merkmale der Rationalisierung und Säkularisierung aufweist. Dies entsprach praktischen Bedürfnissen, die mit der Popularisierung wissenschaftlicher Entdeckungen und dabei insbesondere auch von Erkenntnissen der Naturwissenschaften auf dem Gebiet der Agrarökonomie, Hygiene, Medizin, aber auch in der Pädagogik einhergingen. Man darf annehmen, dass es jene gemässigte, fest im reformiert-christlichen Fundament verankerte Position war, die im Gros der traditioneller gesinnten (Land-)Pfarrer, vor allem auch in der mittleren und älteren Generation, breite Akzeptanz fand. Wissen und Aufklärung mögen als Waffen gegen Aberglauben und Irrlehren fungieren; der Sittlichkeit kommt aber allzeit der Vorrang vor dem Wissen zu. Denn Wissen ist nicht gleich Tugend, die Geschichte zeigt Tobler, dass die Sittlichkeit auch in Zeiten der Unwissenheit in einem Volk gross sein konnte. Damit wendet er sich in seiner ‚Anrede an Personen, die gern etwas Nützliches lesen‘ (Tobler 1776, Bd. 1) gegen Extrempositionen bezüglich der Frage des Nutzens des Lesens, wobei er explizit nicht Rousseaus Zivilisationskritik das Wort reden will. Ausschlaggebend ist das Was – am wertvollsten ist Tobler die Lektüre der Bibel, zuvorderst des Neuen Testaments –, das immer auch seinen expliziten Nutzen für die sittliche Praxis beweisen muss. Um dieser den gebührenden Ort innerhalb der christlichen Lehre zu sichern, schliesst er sich der geschärften Kritik am Irrglauben an, die Sakramente oder die Gnade an sich würden die Sünden tilgen. Nicht nur setze diese Annahme jene Notwendigkeit einer christlich-moralischen Lebensführung im Allgemeinen herab, im Speziellen mache sie manche Eltern glauben, es komme nicht auf die Erziehung ihrer Kinder an. In seiner Dorfgeschichte ‚Idee von einem christlichen Dorfe‘ (Tobler 1776, Bd. 1) und dem diese strukturierenden christlich-sozialreformerischen Volkserziehungskonzept erhalten Schule und Erziehung eine prominente Stellung. Diese Tatsache lässt sich bereits an der Kapiteleinteilung ablesen: Neben den ‚Vorgesetzten‘, ‚Reichen‘, den ‚Haushaltungen‘, dem ‚Pfarrer‘ und dem ‚Gottesdienst‘ ist hier auch die Institution ‚Schule‘ Titel gebend. Entsprechend zentral ist auch die Person des Schulmeisters, hier ein gebildeter und charakterlich integerer Mann, der in seinem Beruf gemeinsam im Verbund mit dem Pfarrer zum sittlichen Wohl des Dorfes beiträgt. Folgendes idealisiertes Bild wird entworfen: „Der Schulmeister ist ein Mann, der in einem vorzüglichen Rufe des Verstands, des guten Gedächtnisses, der Sanftmuth und Nüchternheit steht, der im Stand ist, in seine Reden etwas Einnehmendes, Kurzweiliges zu bringen, der sich über alle Zweifel, in Ab-
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sicht auf Religion und Sittenlehre, oder wegen des gehörigen Verhaltens gegen Kinder von eigener Sinnes- und Gemüthsart, fast täglich mit dem Pfarrer berathet; am allermeisten aber sucht er bey ihm Hülfe zu einem recht sinnlich-klaren Vortrage der Wahrheiten, die für Kinder sollen fasslich gesagt werden. […] Fast täglich spatziert der Schulmeister im Dorf, in Felder, auf Anhöhen, oder auch in dieses und jenes Haus, um Kinder zu begleiten, sie auf die Merkwürdigkeiten der Natur aufmerksam zu machen, ihren Eltern von ihrem guten Verhalten etwas zu hinterbringen, ihnen eine Kinderfreude zu verschaffen, und mit der grösten Liebe und Nachsicht eine Aufsicht über ihre Spiele und Gespräche zu haben“ (S. 301 ff.). In der Schule lernen die Kinder zwar neben Buchstabieren und Lesen auch Schreiben und Rechnen, dennoch scheint die Aneignung dieser Kompetenzen, die den Ansprüchen einer rationalen Lebens- und Haushaltsführung geschuldet sind, weniger im Vordergrund zu stehen. Denn man fragt „wenig darnach, ob ein Kind in einem, oder in drey Jahren lesen lerne. Genug, dass sie hier sich selbst mehr antreiben, und dass es bey den meisten entbehrlich ist, schreiben oder viel rechnen zu können“ (ebd., S. 303). Mehr Gewicht legt der Autor auf das Singen „einfältigschöne[r] Lieder“, auf das Lesen und Auswendiglernen frommer Denksprüche oder Lobpreisungen Gottes „nach den Werken der Natur und Gnade“, zur „Bezeugung der Christenliebe und Tugend“ (ebd., S. 302). Wenn es die Umstände zulassen, wird der Gottesdienst in der freien Natur, im Angesicht der Schöpfung, abgehalten. Tobler sieht vor, dass die Kinder mit 13 oder 14 Jahren provisorisch in die Kirchgemeinde aufgenommen werden. Jetzt müssen Eltern, Schulmeister und Pfarrer gemeinsam darauf hinarbeiten, dass sie den Katechismus lernen und auf diese Weise zum Verständnis der christlichen Lehre gelangen. Im Anschluss an spezielle Unterweisungen und frühestens mit 18 Jahren – das heisst erst, wenn sie ihr Alter zu einem verständigen Gespräch über Religion befähigt – werden die Jugendlichen zum Heiligen Abendmahl zugelassen. Auch in der Dorfgeschichte spricht Tobler der Historie wegen ihres narrativen, illustrativen und exemplarischen Charakters zentralen Stellenwert in der Predigt zu. Der Dorfpfarrer vereint auf sich in idealer Weise die Rolle des geistlichen Seelsorgers mit derjenigen des väterlichen Ratgebers in praktisch-weltlichen Dingen. So steht er denn auch stets in Kontakt mit dem Dorfarzt und einem städtischen Mediziner, um sich selbst auf diesem Gebiet kontinuierlich weiterzubilden. Entsprechend trifft man im Gemeindehaus, wo es eine kleine Büchersammlung gibt, auf mehrere Exemplare von Tissots medizinischem Ratgeber für Landleute, dazu auf mehrere Stücke mit Anleitungen
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für den Feldbau, Erziehungsschriften und daneben auch eine gute Auslegebibel. In der Vorrede zum ersten Band seiner Erbauungsschriften gehen die Vorschläge an Landleute für Bücheranschaffungen noch etwas weiter. Aufgezählt werden hier zwar an erster Stelle ein Gebetbuch nach der Fassungskraft des Volkes (wie es die Asketische Gesellschaft versprochen habe) und ein gutes Predigtbuch, wie zum Beispiel Johann Rudolf Ulrichs ‚Predigten zur Beförderung des thätigen Christenthums‘ (1769). An dritter Stelle folgt dann aber „eine Art Encyclopädie“, nach dem Vorbild der sulzerschen Vorübungen297. Diese soll Nützliches über die Erziehung der Kinder auf dem Land beinhalten, ein vornehmlich neutestamentarisches Realwörterbuch298 und biblische Geschichten nach dem Vorbild des von Johann Jakob Hess für Realschüler verfassten Buches299. Realistische Kenntnisse können sich die Leser aus einer kleinen Geographie mit Auszügen aus wahren Reisebeschreibungen und aus einer Naturgeschichte verschaffen. Naturgeschichte dient auch hier dem Aufweis der Grösse und Weisheit Gottes in der Schöpfung; auch soll dem Leser die Überlegenheit der christlichen und unter diesen der protestantischen Völker vor den anderen vor Augen geführt werden. Weiter enthält die vorgesehene Enzyklopädie sokratische Gespräche über die menschliche Natur, den Bauernstand, die Fabrikarbeit und die Verbesserung der Landökonomie, über die nützliche und schädliche Lesebegierde und schliesslich geistliche Lieder, Fabeln, Lehrgedichte und Naturschilderungen. Die Bibliothek des Pfarrers im ‚Christlichen Dorfe‘ ist weitgehend auf weltliche Zwecke hin ausgerichtet. Sie enthält „meistens wahrhafte Lebensbeschreibungen, die Satzungen und Ordnungen des Landes, nützliche Entdeckungen für Landleute, Beschreibungen solcher Völkerschaften, die noch nicht durch Üppigkeit, Moden, Einbildungen und Tyranney von den sanften Gesetzen der Natur und Menschlichkeit weit abgeführt worden: Nachrichten von standhaften Bekennern des Christenthums und Verfechtern des Vaterlands“ (ebd., S. 309). Des Weiteren gehören in die Sammlung aber
297 Gemeint sind die ‚Vorübungen zur Erweckung der Aufmerksamkeit und des Nachdenkens‘ (1768/1771), ein Lesebuch, das Johann Georg Sulzer für den Gebrauch im Joachimsthalschen Gymnasiums verfasst hatte. 298 Tobler hatte selber zusammen mit Lavater und Johann Jakob Hess ein solches verfasst; dessen Erscheinen 1772 führte einen Skandal herbei und mündete in einen Kirchenstreit mit Bern (vgl. Kap. 9). 299 Es handelt sich um den ‚Kurzen Inbegriff der Biblischen Geschichte und Lehre. Für die Real-Schulen‘ (1773) (vgl. Kap. 5.4).
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auch katechetische Schriften, die dem methodisch-didaktisch interessierten Pfarrer zeigen, wie „die wichtigsten Lehrsätze, und die vornehmsten Tugenden, jedermann und insbesonder der Jugend auf eine solche Art beygebracht werden, dass es ihnen ist, sie seyn selbst darauf gefallen, und man müsste allen Menschenverstand ablegen, wenn man bey dem Gegentheil Beruhigung oder Vortheil zu finden hoffte“ (ebd.). Aufschlussreich und dabei wahrscheinlich nicht exeptionell ist, was man von Tobler selber über die Rezeption seiner ‚Idee von einem christlichen Dorfe‘ auf Seiten des volkserzieherisch adressierten Publikums erfährt. Man findet die entsprechende Stelle im dritten Band der ‚Erbauungs-Schriften‘ (1776), unter ‚Einige Stellen aus der Abschieds-Predigt‘, die er in seiner Gemeinde Ermatingen gehalten hatte. Bei dieser Gelegenheit hielt der scheidende Pfarrer Rückschau auf die dort verbrachte Zeit von 1754 bis 1768. Der Predigt sind deutliche Dissonanzen zwischen ihm und der Gemeindebevölkerung sowie der herrschaftlichen Obrigkeit zu entnehmen. Sie ist im Ton der Selbstrechtfertigung und Enttäuschung abgefasst; und sie ist voller Rügen an die Adresse derjenigen schlechten Bürger und Christen, die ihm Unrecht zugefügt und ihn übel behandelt hätten. Zwar bittet Tobler Gott um Verzeihung, dass er sich nicht vermehrt um die Unterweisung der Kinder gekümmert habe, jedoch ohne sich deshalb grundsätzlich als schlechter Pfarrer zu erkennen zu geben. Immerhin sei in seiner Amtszeit eine Stiftung für Schulkinder und Arme eingeführt und ebenso seien die Schulbesuche und -examina vermehrt worden. Die Gemeinde hingegen hätte sich ihm gegenüber mehrfach unchristlich gezeigt; so habe er nämlich 20 Exemplare seiner ‚Idee von einem christlichen Dorfe‘ unter dieser verteilt, aber niemand habe die Schrift auch nur zur Kenntnis nehmen wollen. Tobler schliesst mit der Aussicht, dass man sich zu einem späteren Zeitpunkt im Himmel erneut gegenüberstehen und Rechenschaft ablegen werde – andere würden sich allerdings, so seine Prophezeiung, in der Hölle wieder begegnen.
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Der Zürcher Popularphilosoph Leonhard Meister300 berichtet in seinen Lebenserinnerungen, dass die Entstehung seiner Schriften ‚Über die Schwermerei‘ (1775) und ‚Über die Einbildungskraft‘ (1778) ihren Ausgangspunkt in einer Auseinandersetzung mit dem Lavater-Freund Johann Konrad Pfenninger (vgl. Kap. 9.1) in der Asketischen Gesellschaft hatte (vgl. Zurbuchen 1997). Dies gibt einen Hinweis darauf, dass die integrative Ausrichtung der Asketischen Gesellschaft dogmatische Auseinandersetzungen nicht immer zu unterdrücken vermochte. Schliesslich hatte die Gesellschaft unterschiedlichste theologische Standpunkte zu vereinigen. Die Positionen schieden sich an Fragen des Verhältnisses von natürlicher Religion und Offenbarung, Vernunft und Glauben und damit der richtigen Predigtweise, des Stellenwertes des Gefühls sowie des Wesens des Menschen und der Religionen. Es ist im Verlauf der Untersuchung bereits deutlich geworden, dass die Antworten auf diese Fragen grundlegende pädagogische Implikationen mit sich führten und Einstellungen gegenüber dem Unterricht und der Erziehung des ‚Volkes‘ zu prägen vermochten. Ein zentraler Stellenwert bei der Vermittlung zwischen theologischer und pädagogischer bzw. didaktischer Argumentation bildete die PredigtFrage, wie sie im Vorangehenden bereits angesprochen worden ist (vgl. Kap. 7 und Kap. 8). Es ist das Ziel dieses Kapitels, jene Diskurszusammenhänge näher zu beleuchten, und zwar mit Blick auf die zeitgenössischen theologischen Konfliktlinien und anhand exemplarischer Positionen. Das
300 Leonhard Meister (1741–1811) verkehrte eng mit der Familie des bereits mehrfach zitierten Küsnachter Pfarrers Johann Heinrich Meister, dessen Sohn Jakob Heinrich (vgl. Kap. 9.3) zugleich Leonhards Cousin war. Er kam früh mit unorthodoxen Autoren wie Spinoza, Böhme und Lamettrie in Kontakt und interessierte sich besonders für die französische Literatur. Nach seiner Ordination verdiente er sich sein Leben als Privatlehrer und begann bald intensiv zu schreiben. 1773 wurde er Professor für Geographie und Geschichte an der Kunstschule. 1777 setzte er sich anlässlich der Erneuerung des Bündnisses mit Frankreich für die demokratischen Rechte der Bürgerschaft ein und fiel damit bei der Obrigkeit in Ungnade. Während der Helvetik erhielt Meister eine Stelle als Redaktionssekretär des Direktoriums.
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Interesse richtet sich dabei auf Autoren und Texte ‚zweiter Ordnung‘, das heisst nicht mehr auf mehr oder weniger akzidentielle Äusserungen und Kommentare insbesondere von (Land-)Pfarrern, sondern auf prominentere Theologen sowie einschlägigere Publikationen, wenngleich es sich dabei meist nicht um grosse Namen und nicht um Klassikertexte ‚erster Ordnung‘ handelt. Kontroversen, wie sie über Zürich hinaus in der deutschsprachigen Zeitschriftenliteratur ausgetragen wurden, deuten darauf hin, dass sich in den 70er Jahre eine Spaltung unter jenen jungen Theologen abzeichnete, die noch gemeinsam bei Bodmer und Breitinger zur Schule gegangen waren und inzwischen ihre Laufbahn innerhalb der Zürcher Kirche oder der höheren Bildungsanstalten angetreten hatten. Während die Konfliktlinie 1772 anlässlich des Skandals um das Realregister zur neuen Gelehrtenbibel aus der Feder von Johann Kaspar Lavater, Johannes Tobler (vgl. Kap. 8.2.3) und Johann Jakob Hess (vgl. Kap. 5.4 und Kap. 8.2.2) noch zwischen der jüngeren, in den 60er Jahren ordinierten Theologengeneration und einer Gruppierung von orthodoxen Landgeistlichen der Vätergeneration verlief, änderte sich die Konstellation in den folgenden Jahren. Den internationalen Hintergrund bot die damalige Schwärmer-Debatte, in der vor allem namhafte Berliner Aufklärer gegen antirationalistische und gegenaufklärerische Tendenzen auftraten. Nach dessen theologischer Umorientierung 1768 und mit zunehmender Publizität unter anderem durch das Erscheinen der ‚Physiognomischen Fragmente‘ (1775–1778) avancierte Lavater zu einem Protagonisten in dieser Auseinandersetzung. Lavaters Schriften wurden regelmässig in Nicolais ‚Allgemeiner Deutschen Bibliothek‘ besprochen. Nicolai hatte den Zürcher bereits 1763 anlässlich seines Aufenthaltes in Berlin persönlich kennen gelernt und stand seit 1767 mit ihm in Briefkontakt. Die Korrespondenz endete 1784 nach einer länger andauernden Kontroverse, die ihren Anfang 1769 nahm, als Lavater öffentlich gegen Mendelssohn auftrat und ihn zum Christentum bekehren wollte. Einen neuen Anfang nahm die Auseinandersetzung, als Lavater auf der Höhe seiner Popularität Mitte 70er Jahre sein physiognomisches Werk publizierte. Nicolai, der diesem Unternehmen grundsätzlich positiv gegenüberstand, erkannte die zugrunde liegenden christologischen Motive und sah dadurch die Entwicklung der Physiognomik zu einer Wissenschaft behindert. Lavater zeigte sich jedoch unbeeindruckt von dessen Einwänden. Dasselbe gilt für persönliche Warnungen, die in den 80er Jahren von Seiten Johann Heinrich Campes kamen, der in der ‚Allgemeinen Deutschen Bibliothek‘ verschiedene Schriften Lavaters besprochen hatte.
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Um 1780 hatte Campe von Hamburg aus mit Lavater über das Verhältnis von irdischer Lebenspraxis und Eschatologie gestritten und dem Zürcher Theologen dabei die Vernachlässigung des Diesseits zugunsten des Jenseits vorgeworfen (vgl. Kuhn 2003). Campe befürchtete, dass Lavaters Popularität in der breiten Bevölkerung einer Rechtfertigung von Fanatismus und Schwärmerei gleichkomme. In Campes Argumentation findet sich ähnlich wie bei Nicolai die Befürchtung, Lavaters Auftreten würde zu einer Stärkung der Aufklärungsgegner führen. Nicolai liess sich denn auch regelmässig vom Zürcher Theologen Heinrich Corrodi301, der ebenfalls für die ‚Allgemeine Deutsche Bibliothek‘ schrieb, über das religiöse Klima in Zürich bzw. der Schweiz und Lavaters hiesige Resonanz informieren. Corrodi beklagte zwar mehrfach die repressiven Verhältnissen in seiner Heimatstadt und hielt ihn auf dem Laufenden über gegenaufklärerische Tendenzen (vgl. Habersaat 2001); als Nicolai wissen wollte, ob die Anhängerschaft Lavaters in Zürich auch politisch von Einfluss sei, konnte Corrodi dies 1783 in einem Brief verneinen. Einfluss besässe Lavaters „Secte“ lediglich „die Aufklärung der Religion betrefend“; es käme jedoch „nie zu Zankereyen, oder Zwisten“ (zit. nach Habersaat 2001, S. 91). In den 80er Jahren, auf dem Höhepunkt der Debatte, beteiligte sich Lavater an der Erörterung des neuen Verständnisses vom Pfarrer als Volkslehrer. Mit seiner anonymen Schrift ‚Zween Volkslehrer‘ (1789) trat er gegen Carl Friedrich Bahrdt auf, der zuvor mit ‚Über das theologische Studium auf Universitäten‘ (1785) Vorschläge zu einer Reform der Pfarrerausbildung veröffentlicht hatte. Lavaters Schrift ist in Dialogform abgefasst, wobei ein „Lehrer des auserwählten Volks Gottes“ und ein „Lehrer der Deutschen“, als Alter ego Bahrdts, aufeinander treffen (Lavater 1789, S. 11; vgl. Kuhn 2003). Dieser wird nun im Verlauf des Gesprächs zur Kritik seiner Religionskritik geführt und schliesslich bekehrt. Bahrdts Schrift hatte heftige Diskussionen ausgelöst, indem er unter anderem forderte, dass zukünftige 301 Heinrich Corrodi (1752–1793) gehört zu den namhaften Aufklärungstheologen des 18. Jahrhunderts mit umfangreicher literarischer Tätigkeit auf theologischem und philosophischem Gebiet. Nach seiner Ordination 1773 setzte er seine Studien in Leipzig und Halle, hier als bevorzugter Schüler Salomo Semlers, fort. 1786 wurde er Professor für Naturrecht und Sittenlehrer am Collegium Carolinum in Zürich. Corrodi übernahm von seinem Lehrer Semler die historisch-kritische Methode der Bibelauslegung. In der neologisch geprägten Position Corrodis stimmen Vernunft und Offenbarung überein; gleichzeitig erfährt diese dadurch eine Relativierung, dass er sie einer bestimmten Stufe der menschlichen Entwicklung zuordnet (vgl. Zurbuchen 1997).
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Landgeistliche während des Studiums eine anderthalbjährige medizinische Grundausbildung erhalten sollten. Begründet hat er den Vorschlag nämlich mit der Behauptung, Medizin und Religion seien zwei Schwestern der einen Mutter Natur; zudem würde medizinisches Fachkönnen Ansehen und Einkommen eines Pfarrers erhöhen. Die Lavater-Kontroverse teilte in gewissem Mass auch das Feld der führenden Zürcher Theologen in ein Lager von Anhängern und Gegnern, ohne dass der Konflikt jedoch überbordete. Einen Höhepunkt erreichte dieser 1779, als Lavater anlässlich der Frühlingssynode öffentlich gegen den Einfluss neologischer Lehren auftrat. Auslöser boten die Publikation der Reimarus-Fragmente durch Lessing und das Erscheinen von Steinbarts ‚System der reinen Philosophie oder Glückseligkeitslehre des Christenthums‘, wobei er selbst anerkannte Theologen wie Semler302 des Deismus beschuldigte. Antistes Ulrich reagierte darauf mit Diplomatie, indem er bemerkte, die Sache gehöre nicht hierher (vgl. Wernle 1924, Bd. 2). Einen Ort der öffentlichen Auseinandersetzung boten hingegen, wie im Folgenden ersichtlich wird, die beiden massgeblichen Zürcher Organe theologischer Publizistik, wobei das eine Magazin dem Lavater-Kreis, das andere Corrodi als dem herausragenden Schweizer Bibelkritiker der Zeit und seinen Mitstreitern zuzuordnen ist.
9.1 Glaube kontra Vernunft – autoritatives Christentum vs. natürliche Sittenlehre Lavaters christologische Wende und insbesondere der immer stärker hervortretende Wunderglaube hatten dazu geführt, dass sich verschiedene ehemalige patriotische Gefährten von ihm abwandten, einige bereits sehr
302 Obwohl sich Semler selber nicht mit den Neologen identifizierte, konstituierte die von ihm massgeblich begründete historisch-kritische Bibelwissenschaft „‚l‘arsenal de la néologie‘“ (Bianco 1983, S. 190); es war seine gewichtige ‚Abhandlung von freier Untersuchung des Kanons‘ (1771–1775), „qui donne le coup de grâce à la thèse orthodoxe de l‘équivalence entre Parole de Dieu et Écriture, en distinguant l‘élément historico-culturel de l‘élément inspiré“ (ebd., S. 193). In den 80er Jahren taten sich Gegensätze zu radikaleren Aufklärungstheologen wie Bahrdt und Basedow immer mehr auf, ebenso anlässlich des wöllnerschen Edikts (1788), als dessen Verteidiger Semler auftrat.
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früh, so Leonhard Usteri (vgl. Kap. 2.1) oder Felix Nüscheler303, andere erst später, etwa Johann Christoph Tobler (1743–1823)304 oder Johann Jakob Hess; zu Letzterem ergaben sich über den gemeinsamen Christus- und Offenbarungsglauben gewisse Affinitäten, zumindest in Abgrenzung gegenüber den Rationalisten und der historisch-kritischen Schule. Einen treuen Weggefährten hatte er allerdings in Johann Konrad Pfenninger305 und – zumindest bis Ende 80er Jahre – auch in Johann Kaspar Häfeli306 (1754–1811). Gemeinsam schrieben sie für das von Pfenninger herausgegebene ‚Christliche Magazin‘ (1779–1784). Den Status eines Gegenorgans zum ‚Christlichen Magazin‘ nahmen die von Heinrich Corrodi besorgten ‚Beyträge zur Beförderung des vernünftigen Denkens in der Religion‘ (1780–1794) ein. Sämtliche diese Theologen waren Mitglieder der Asketischen Gesellschaft, und offenbar dienten die beiden Periodika nicht zuletzt dem Zweck, dort auftretende Meinungsverschiedenheiten dogmatischer Art auszutragen. Die Frage der richtigen Predigtweise und damit das Thema, in dem sich pädagogisch-didaktische Vorstellungen in ihrer Verbindung mit theologischen und religiösen Positionen deutlich herauskristallisierten, war denn auch in den beiden Publikationsorganen zentraler Gegenstand. Eine Vorlage zu dieser Diskussion hatte Pfenninger mit seinem dreibändigen Werk ‚Von der Popularität im Predigen‘ (1777–1786) gegeben, aus dem er in der Asketischen Gesellschaft verschiedentlich vortrug. Man erkennt darin die gegen rationalistische Tendenzen gerichtete Position eines autoritativen Biblizismus. Ein besonderer Dorn im Auge sind dem Autor nämlich die so genannt moralischen Predigten, wie sie die Neologie propagierte, in denen er jedoch eine Herabwürdigung der göttlichen Lehre zu einer platten Sittenlehre wahrnahm. Positiv charakterisiert Pfenninger die populäre Predigt folgendermassen: Sie zeichnet sich aus durch ihre Klarheit für den Verstand, ist leicht im Gedächtnis zu behalten, lebhaft und rührend für die Imagination und Empfindung, womit sich die religiöse Botschaft 303 Felix Nüscheler (1733–1816) war Chorherr und Theologieprofessor am Carolinum; er schrieb eine Zwingli-Biographie (1776) und war Übersetzer Plutarchs. 304 Johann Christoph war der Bruder von Johannes Tobler (1732–1808), dem Dichter der ‚Idee von einem christlichen Dorfe‘; er war Professor der Theologie in Zürich und Chorherr, 1800 Kirchenrat, 1804 Erziehungsrat. 305 Johann Konrad Pfenninger (1747–1792), 1767 ordiniert, 1775 neben Lavater Diakon an der Waisenhauskirche, 1778 Pfarrer an der Waisenhauskirche, 1786 Diakon wieder neben Lavater an der Peterskirche. Pfenninger war publizistisch äusserst rege und veröffentlichte eine grosse Anzahl von Predigten und apologetischen Schriften. 306 Zu seiner Person vgl. Fussnote 286.
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leicht auf den Willen übertragen lasse. Sie ist „psychologisch“ und richtet sich nicht einseitig an den Verstand, sondern an das Herz, welches schliesslich gebessert werden soll. In ihrem populären Stil mustergültig ist ihm die Lehrart Jesu, insofern sie eine innige Verknüpfung mit der menschlichen Wohlfahrt und Glückseligkeit aufweise und gänzlich frei von unpraktischen Spekulationen sei. Pfenninger sieht sich einig mit Spaldings diesbezüglichen Äusserungen in der ‚Nutzbarkeit des Predigtamtes‘, wenn er den modernen kühlen Predigtton auf ein Missverständnis von Spaldings Gedanken meint zurückführen zu können. Die neumodischen „philosophischen“ Predigten sind gemäss dem Autor deshalb gefährlich, weil sie den Verstand der ‚einfachen‘ Leute überschätzen und zudem einem moralischen Relativismus Tür und Tore öffnen würden (Pfenninger 1777, Bd. 1, S. 134). Das Volk verstehe die philosophischen Sittenlehren nicht, die Autorität des göttlichen Wortes und der Weg über die Rührung des moralischen Gefühls seien da schon wirksamer. Würde man sich hingegen auf die Vernunftfähigkeit des Volkes verlassen und es dazu ermächtigen, die Gültigkeit von Moralsätzen selber zu prüfen, so würde sich bald jeder seine eigene Moral zurechtlegen; die Sittenlehre Jesu habe demgegenüber für diese – intellektuell eingeschränkten – Leute den unschätzbaren Vorzug, dass sie mit göttlicher Autorität gegeben ist, ihr also der Charakter von Gesetzen zukomme. Die Lehren Jesu sind Gesetze eines Königs und bedürfen keines Vernunftbeweises. Insofern erkennt Pfenninger eine Analogie zwischen dem autoritativen und zugleich liebenden Erziehungsverhältnis zwischen Vater und unmündigem Kind einerseits und zwischen Gottessohn und Menschen anderseits. Die Weisheit und Übereinstimmung dieser Gesetzgebung mit dem Zweck der Glückseligkeit müsse nicht eingesehen, sondern lediglich geglaubt werden. Dabei kommt ein zweiter Vorzug der Tugendlehre Jesu zu Hilfe: Die Stimme dieses Gesetzes sei ins menschliche Herz eingeschrieben und stimme mit dem moralischen Gefühl überein. Drittens lassen sich seine Gesetze auf ein einziges Prinzip zurückführen: das Gesetz der Liebe; auch dies bringt wiederum einen – didaktischen – Vorteil, nämlich dass man dem Volk somit lediglich ein einziges Gesetz, eine einzige Lehre zu verstehen geben müsse. Die Reduktion auf ein Gefühl verleiht dieser Lehre einen vierten Vorteil, und zwar insofern als sich das Volk, wie Kinder, eher über Neigungen als den Verstand leiten lasse, und genau darin liege die psychologische Überlegenheit der göttlichen Lehre. Der fünfte und letzte Vorzug liegt in der Beschränkung der menschlichen Pflichten in der Lehre Jesu auf einen begrenzten Wirkungskreis, nämlich den Nächsten im konkreten Sinn.
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Mitgefühl und Guttätigkeit gegenüber dem unmittelbaren Mitmenschen – und nicht abstrakte Prinzipien der Menschenliebe – gelte es zu wecken; diese Caritas sei denn auch nicht zu ersetzen durch institutionelle Formen der sozialen Fürsorge, Waisenhäuser, Armenfonds und ähnliche Einrichtungen. Im zweiten Heft der ‚Beyträge zur Beförderung des vernünftigen Denkens in der Religion‘ (1781) findet man eine ‚ascetische Recension‘307 von Johann Kaspar Eberhard, die sich mit dem zweiten Band von Pfenningers im Kreis der Gesellschaft vorgelesenen Werk ‚Von der Popularität im Predigen‘ beschäftigt. Interessant ist die Fussnote Eberhards gleich zu Beginn des Artikels, weil sie andeutungsweise über die Parteiverhältnisse in der Gesellschaft informiert. Man erfährt dort, dass Pfenninger Eberhard selber zu seinem Rezensenten bestimmt hatte, und weiter: „Da nun diese Abhandlung neulich als ascetische Vorlesung im Druck erschien; so begehrten einige wackere Mitglieder der Gesellschaft, dass ich auch meine Recension irgendwo öffentlich bekannt machen sollte, um uns vor dem Verdachte zu retten, als ob wir alle, oder auch nur der grössere Theil von uns, seine unstatthaften Ausfälle auf würdige Männer, oder nur seine Meynung von der Sache überhaupt, gebilliget hätten“ (S. 18 f.). Die „Ausfälle auf würdige Männer“ beziehen sich auf Attacken Pfenningers gegen Semler und Steinbart308. Pfenningers Angriffe beruhten auf der Befürchtung, das von Steinbart vertretene ‚System‘ arbeite dem Deismus zu. Die dem Lehrgebäude zugrunde liegenden Abstraktionen würden von den tatsächlichen historischen Ereignissen, wie sie die Bibel wiedergebe, wegführen und könnten nicht als wirkliche Glaubenslehre bezeichnet werden. Gerade bezüglich der didaktischen Vermittlung der biblischen Lehren ist Pfenninger überzeugt, dass diese immer nur im Konkreten und in ständiger Verbindung mit den Wundergeschichten gelehrt werden können. Eberhards Verteidigung des steinbartschen Rationalismus gegen den Vorwurf des Deismus ist äusserst polemisch verfasst. Der Verfasser rechtfertigt seinen Stil denn auch gleich
307 ‚Über Hrn. Pfr. Pfenningers Abhandlung vom Dogmatisiren auf der Kanzel. Eine ascetische Recension‘, S. 18–76. 308 Gotthelf Samuel Steinbart (1738–1809) studierte in Halle bei Siegmund Jakob Baumgarten und in Frankfurt a.d.O. bei Gottlieb Töllner. 1774 wurde er Leiter des Waisenhauses in Züllichau, zugleich Ordinarius für Philosophie und in der Nachfolge Töllners ausserordentlicher Theologieprofessor in Frankfurt a.d.O. Zudem hielt er ab 1775 Vorlesungen für Pädagogik. Steinbart gilt als ein hervorragender Vertreter der rationalistischen Theologie im Gefolge der Neologie.
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zu Beginn mit dem Postulat, er dürfe „wohl die trockene Wahrheit sagen, ohne sie erst durch süss kandirte Insinuationen und Umschweife überkleiden zu müssen“ (ebd., S. 19). Am Schluss möge doch über alle zurückbleibenden Uneinigkeiten hinweg der Grundsatz der Toleranz gelten und „dass Irren menschliche sey“ (ebd.). Bezugspunkt der Auseinandersetzung um Steinbart ist dessen ‚System der reinen Philosophie oder Glückseligkeitslehre des Christenthums‘ von 1778. Der Auftritt Lavaters in der Frühlingssynode 1779, den das Werk mit ausgelöst hatte, wurde bereits erwähnt; daraufhin hatte derselbe in Pfenningers ‚Magazin‘ seine These des Verfalls des echten Christentums unter dem Einfluss deutscher deistischer Schriften weiter publik gemacht. Die Replik von der Gegenseite liess nicht auf sich warten und erfolgte 1780 mit einer Verteidigungsschrift Corrodis zugunsten Steinbarts Glückseligkeitslehre, enthaltend eine Vorrede von Semler. Die Schrift Steinbarts, die Jesus als Prediger der natürlichen Religion, einer natürlichen Moral und als Lehrer der Glückseligkeit feiert und die Menschen von der falschen Vorstellung eines strengen, zürnenden Gottes zu befreien trachtet, fand in Zürich insgesamt einen ausserordentlichen Anklang. Breitinger dankte bei dessen Erscheinen in einem Brief an Leonhard Meister dem Schicksal, dass er das Werk noch hat erleben dürfen (vgl. Wernle 1924, Bd. 2). Ähnlich begeistert sollen sich auch Johann Kaspar Hirzel und der Basler Isaak Iselin gezeigt haben (vgl. ebd.). Man findet in den ‚Beyträgen‘ Corrodis in den Jahren um 1780 verschiedene polemische Rezensionen und Stellungnahmen zu Artikeln, die im ‚Christlichen Magazin‘ bzw. den ‚Sammlungen zu einem christlichen Magazin‘ (1781–1783) erschienen und zum Teil vorgängig in der Asketischen Gesellschaft vorgetragen worden sind. Anhand solcher Austragungen zwischen der Partei um Lavater und der „Zürcher Rationalistenschule“, so Wernles (1924, Bd. 2, S. 424) etwas abschätzige Bezeichnung, zwischen autoritativem Biblizismus und einem aufgeklärten Christentum, wird ersichtlich, dass theologische Konflikte durchaus existent waren und sich ausserhalb der Asketischen Gesellschaft und der Synode auch entladen konnten. So begegnet man im vierten Heft der ‚Beyträge‘ (1783) einer weiteren Replik309 auf eine Abhandlung, die im Rahmen der Pastoralaufgaben der Asketischen Gesellschaft entstanden ist. Jene Abhandlung beschäftigte sich erneut mit der Predigt, genauer mit den Merkmalen einer schriftgemäss 309 ‚Beurtheilung einer der Ascetischen Gesellschaft vorgelesenen Abhandlung über die Frage: Was macht eine schriftmässig christliche Predigt aus?‘, S. 164–193.
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christlichen Predigt, und wurde im ‚Christlichen Magazin‘ anonym abgedruckt. Gemäss ‚Katalog des Archivs der ascet. Gesellschaft‘ (1885) handelte es sich beim Referenten und damit auch beim Verfasser des Artikels um Johann Kaspar Häfeli. Der Rezensent stammt mit Rudolf Maurer (1752– 1805)310 aus dem Kreis der Mitarbeiter an Corrodis Zeitschrift. Die Meinung Häfelis, dass sich prinzipiell „alle vernünftigen, moralischen, erbaulichen, religiösen Predigten als solche betrachtet von der schriftmässig christlichen Art zu predigen“ unterscheiden, möchte nun Maurer nicht als Meinung der Asketischen Gesellschaft verstanden wissen, sondern lediglich als aus dem „Herzen und Schriftsystem“ des Verfassers stammend (S. 165). Häfeli geht davon aus, dass die Heilige Schrift und besonders die Geschichte Jesu einzige Erkenntnisquelle der evangelischen Wahrheit und Fundament der christlichen Lehre und Predigt sei. Er folgt ganz dem Ton Pfenningers, wenn er Jesus Christus als Gegenstand menschlicher Verehrung bezeichnet – und zwar als „unser[n] König nicht nur in geistlichem und moralischem Sinn, sondern auch physisch und buchstäblich. […] Daher seye seine Moral eigentliches Gesez; das gebe unserm Glauben, das der schriftmässig christlichen Predigt Geist und Form“ (ebd., S. 167 f.). Ohne dem grundsätzlich widersprechen zu wollen, möchte Maurer dagegen hervorheben, dass der Zweck der Sendung Jesu kein anderer sei, als den Menschen zur Glückseligkeit zu führen. Im Kern geht es ihm aber um den Aufweis der Vereinbarkeit von Vernunftgebrauch und Glaube. Wahrheiten, die den Untersuchungen „der Kenner und Freunde der Naturlehre und Naturgeschichte, der Philosophen und Gottesgelehrten“ entstammen, haben deshalb durchaus ihre Berechtigung als Bestandteil eines lehrreichen Predigtvortrages (ebd., S. 171); schliesslich trügen gerade diese Erkenntnisse täglich mehr zum Beweis der Übereinstimmung von Natur und Offenbarung, sowohl im Physischen wie Moralischen, bei. Ähnlich wie in der Auseinandersetzung Eberhards mit Pfenningers Predigttheorie möchte auch hier der eine die christliche Moral streng autoritativ vorgetragen wissen, während der andere alle sittlichen Vorschriften nach ihren Folgen und Beweggründen den Zuhörern einleuchtend zu machen wünscht; jener möchte Jesus in der Predigt als König gefeiert sehen, während dieser Jesus als Lehrer vorstellt. In diesem Sinn definiert Häfeli Schriftmässigkeit der Predigt gemäss dem Grundsatz, dass „sie die Moral des Texts als Gesez Christi, als Reichsgeseze, als Canon der Gesinnungen und des
310 Zu seiner Person vgl. Fussnote 263.
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Lebens ächter Jünger Jesu vorträgt in Beziehung auf ihn als König und auf sein Reich, seine Belohnungen und Straffen, dass sie hingegen keine Betrachtungen über den wesentlichen Unterschied und die natürlichen Folgen des im Text empfohlnen Guten oder verbotnen Bösen oder andre Beweggründe und Beweise der Vernunft zur Hauptsache mache“ (ebd., S. 183 f.). Maurer attestiert der Sittenlehre Christi mit ihrem spezifischen Gebotscharakter zwar den Vorzug, dass sie ohne Sophisterei sogleich das Herz und Gewissen der Zuhörer anspreche. Dennoch schliesse jene Sittenlehre Betrachtungen über die natürlichen Unterschiede und Folgen des moralisch Bösen und Guten nicht als unchristlich oder unschriftmässig aus. Gehorsam müsse nicht auf Nachforschung und eigene Untersuchung der Wahrheit verzichten. Denn Tugend, so Maurers Grundannahme, beruht auf dem Nachdenken über die natürlichen Folgen einzelner Handlungen und damit auf vernünftigen Beweggründen; und schliesslich habe selbst Paulus seine Sittenlehre „mit Beweggründen, hergenommen von den natürlichen Folgen unsers Betragens und der Ordnung der Dinge“, unterstützt (ebd., S. 188). Unangemessen und in Widerspruch mit der Lehre des Neuen Testaments erscheint Maurer Häfelis hyperbolische Sprache. Er fürchtet, dass der ungelehrte Gläubige unter dem Eindruck solcher Predigten, die sinnlich bildliche Vorstellungswelt und Buchstabe verwechseln würden, von einem neuerlichen Mystizismus und Aberglaube gefangen genommen „und vom herrlichen Zwek des Evangeliums und der ächten Freyheit wahrer Christen“ abgeführt werde (ebd., S. 190). Nicht als „König“ möchte er denn Gott bezeichnet sehen, sondern als Vater, Christus als dessen Sohn und Menschenbruder. „Freylich“, so Maurer, „fällt bey dieser Vorstellung das sinnlich Prächtige und Furchtbare, das mit den Vorstellungen königlicher Authorität, Reichsgesezen und Strafen &c. verbunden ist, gröstentheils weg. Kindliches, freymüthiges Zutrauen tritt an die Stelle jüdischer Furcht, Liebe, Dankbarkeit als Quellen der Folgsamkeit gegen die väterliche Winke ergiessen sich aus dem Herzen statt zitternden Gehorsams gegen königliche mit eigentlichen Strafen forcirte Geseze“ (ebd., S. 176). Auch im sechsten Heft der ‚Beyträge‘ (1784) stösst man auf Stellungnahmen zu Artikeln des ‚Christlichen Magazins‘, unter anderem auf einen Aufsatz311, der sich auf einen Beitrag Pfenningers bezieht. Dabei dreht sich das Thema um die Frage, ob sämtliche Äusserungen in der Bibel als „allgemeine Befehle“ aufzufassen seien oder ob nicht zwischen allgemeinen und be-
311 ‚Zweifel und Fragen über einige Äusserungen im christlichen Magazin‘, S. 174–186.
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sonderen, „zwischen Zeitbelehrungen und allgemeinen Wahrheiten, zwischen Localpflichten und allgemeinen Verbindlichkeiten“ unterschieden werden müsse (S. 178). Damit steht die neologische Akkommodationstheorie zur Debatte. Diese entstand aus der kritischen Bibelwissenschaft und geht davon aus, dass die Bibel unter anderem wegen des örtlich und zeitlich bedingten Charakters vieler Textstellen unmöglich für die Gesamtheit der Christen bindend sein könne. Sozusagen aus didaktischen Gründen hätten sich die biblischen Schriftsteller und selbst Jesus in seinen Reden dazu genötigt gesehen, ihre Aussagen an die historischen Umstände und den spezifischen Verstehenshorizont ihrer Adressaten anzupassen und Wahrheiten bei Bedarf auch allegorisch einzukleiden. Die Annahme einer solchen Akkommodation bot den historisch-kritischen Exegeten die Möglichkeit, an der geschichtlichen Gestalt der Bibel festzuhalten, ohne dass die darin enthaltenen Berichte unglaubwürdig hätten erscheinen müssen. Der Autor der ‚Beyträge‘ führt nun das Akkommodationsprinzip gegen Pfenninger an, indem er zwar unter anderem die Bergpredigt, die Lehren von der Vorsehung, der Unsterblichkeit und der Sündenvergebung zu den unhintergehbaren moralischen Wahrheiten zählen möchte, nicht unbedingt jedoch gewisse Argumentationsweisen der Apostel gegenüber den Juden. Er begründet dies folgendermassen: „[…] da Christus die Sprache seines Volkes redte, da er Rücksicht nahm auf dessen Vorurtheile, Denkungsart und Vorstellungen, da so gar seine Apostel in dem was sie uns von ihm erzählen, und in dem, was sie andern zur Belehrung schrieben, sich der Terminologie ihres Zeitalters und ihrer Nation bedienten, so könne der bestimmte allgemeinere Sinn ihrer Rede nicht gefasst werden, wenn man bey Erklärung derselben nicht Zeit, Ort, Personen, Umstände und Vorurtheile in Anschlag bringe“ (ebd., S. 175). Mit der Historisierung der Heiligen Schrift ging nicht selten ein antijüdischer Reflex, wie er auch in diesem Zitat anklingt, einher. Liess sich anhand der beiden theologischen Zeitschriftenorgane die Position aufgeklärter Zürcher Theologie vom autoritativen Christentum eines Lavaters und des ihm nahe stehenden Kreises abgrenzen, gilt es im Folgenden die Grenze Zürcher Aufklärungstheologie auf eine zweite Seite hin auszuloten – gegen deistische Ideen, die allerdings in Zürich lediglich ephemeren Status erreichten. Exemplarisch herangezogen wird dabei je ein Werk zweier junger Zürcher Theologen. Die Schrift von Felix Hess aus dem Jahr 1767 steht für die gemässigte neologische Reformtheologie, die sich zwar gegen die überbrachte Orthodoxie wendete, jedoch im Sinne einer Avantgarde durchaus Akzeptanz erlangte. Anders die von der zeitgenös-
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sischen französischen Philosophie beeinflusste Schrift Jakob Heinrich Meisters aus dem Jahr 1768, deren Aufnahme in Zürich den Autor ins Exil führte.
9.2 Felix Hess: Vernunft im Dienst der Apologetik Pfenninger hatte sich mit seiner Kritik an der neuen Art moralischen und philosophischen Predigens mit einem Thema beschäftigt, das auf seine Weise bereits Felix Hess zehn Jahre zuvor behandelt hatte. Felix Hess (1742–1768) war zusammen mit seinem ebenfalls früh verstorbenen Bruder Heinrich (1741–1770) ein Mitglied der ersten Stunde der Moralischen Gesellschaft, gehörte als junger Patriot dem Redaktorenkreis des ‚Erinnerers‘ an und galt als hoffnungsvolles Talent auf dem Gebiet der Theologie. Diese Hoffnung sah man mit seinem provokativen Werk von 1767, ‚Prüfung der philosophischen und moralischen Predigten‘, denn auch bestätigt. In der positiven Würdigung jener philosophischen und moralischen Predigtart, gegen die Pfenninger anschrieb, steht die ‚Prüfung‘ dessen Predigtauffassung diametral entgegen. Insgesamt erkennt man in Hess‘ Schrift jenen gemässigten Rationalismus und Vernunftoptimismus, der die Zürcher Reformtheologie kennzeichnete. Die darin zur Geltung kommende Anthropologie wiederum lieferte die Grundlage desjenigen pädagogischen Optimismus, aus dem die erziehungs- und unterrichtsreformerischen Bestrebungen der 70er Jahre hervorgingen. Sowohl die ‚Hirten-Briefe über die Erziehung der Kinder auf dem Land‘ (1777) (vgl. Kap. 5.3) wie die analysierten neuen Schriften für den Schulunterricht (vgl. Kap. 5.4) finden in der ‚Prüfung der philosophischen und moralischen Predigten‘ ihren theologischen und anthropologischen Referenzpunkt. In für die Neologie kennzeichnender Weise kommt Hess‘ Schrift durchaus ein apologetischer Charakter zu, geht es ihm doch darum, die christliche Offenbarungsreligion gegenüber deistischen und materialistischen Angriffen zu verteidigen. Im Philosophen „Voltaere“, dem Autor des ‚Poème sur le désastre de Lisbonne‘ (1756) und ‚Candide ou L‘optimisme‘ (1759), sieht Hess eine Strafe für die Welt (Hess 1767, S. 151), wogegen „Paulus […] Leibnitzens Theodicee und Butlers Analogie312 gewiss mit der innigsten 312 Joseph Butlers (1692–1752) ‚Analogy of Religion‘ (1736) steht im Kontext der englischen Debatte zwischen deistischen und orthodoxen Theologen. Man nahm in dem Werk eine erfolgreiche Verteidigung der christlichen Offenbarung wahr, so dass
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Freude aufgenommen und der Welt empfohlen“ hätte (ebd., S. 29). Zu den positiven Bezugsautoren gehören des Weiteren Theologen und Philologen wie Semler, Michaelis und Ernesti, also namhafte Vorbereiter und Vertreter einer historisch-kritischen Exegetik. Hess lobt diese dafür, dass sie vermittelt über die philologisch-kritische und logische Exegetik der Theologie den Weg zu einer sinnvollen Verknüpfung von Philosophie und Offenbarung gewiesen hätten. Hess’ Schrift lässt sich im Umkreis der gemässigten neologischen Aufklärungstheologie ansiedeln, wenngleich er gemäss Briefen aus der Zeit um 1766/1767 an seinen Freund und Cousin Johann Jakob Hess radikaler geschrieben hätte, wären dem nicht der Synodaleid und die drohende Zensur im Weg gestanden (vgl. Wernle 1923, Bd. 1). Diese Befürchtungen müssen ihn dazu bewogen haben, die ‚Prüfung‘ anonym zu veröffentlichen. Zudem ist der Schrift ein anonymes und wahrscheinlich fiktives „Schreiben an den Herausgeber“ vorangestellt, welches die rühmlichen Absichten des Verfassers lobt und offensichtlich helfen sollte, mögliche Vorwürfe der Religionsfeindlichkeit von vornherein zu parieren. Auch der „Vorbericht“ des Autors bekundet den guten Willen, mit dieser Schrift zur Aufhebung gegenwärtiger Religionsstreitigkeiten zwischen den protestantischen Konfessionen beizutragen. Entsprechende Polemiken würden lediglich der Sekte der Schwärmer, Pietisten, Herrnhuter und Zinzendorfer, in die Hände arbeiten, was es unbedingt zu vermeiden gelte. Denn: „Alle diese Arten von Lehrern vereinigen sich darinn, dass sie dem Fortgange des vernunftmässigen Vortrags der Religion, und nicht selten der Rechtschaffenheit313 selbst, Hinder-
das Werk noch Jahrzehnte nach Butlers Tod als Standardwerk der englischen Pfarrerausbildung Verwendung fand. Spalding übersetzte 1756 die ‚Analogy‘ ins Deutsche. 313 Der Begriff ‚Rechtschaffenheit‘ taucht in Hess‘ ‚Prüfung‘ auffällig häufig auf, um ein anzustrebendes christlich-sittliche Ethos zu bezeichnen, und interessanterweise ebenso in Spaldings ‚Über die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren Beförderung‘. In der dritten Auflage von 1791 findet sich bei Spalding zu diesem Ausdruck folgende Fussnotenbemerkung: „Ich brauche hier ein Wort, welches ich schon häufig in Vorträgen und Schriften gebraucht finde, welches mir alles das in seinem ganzen Umfange in sich zu fassen scheinet, was eigentlich von dem Menschen, als seine Sache, gefodert werden kann, nämlich Richtung des Willens nach erkannter moralischer Wahrheit, und welches nicht allein dem Sinne nach unzählich oft, sondern auch dem deutschen Ausdruck nach verschiedentlich, in unserer Bibel vorkömmt; allemal aber in der edelsten und würdigsten Bedeutung“ (Spalding 1772; 1773; 1791/2002, S. 126).
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nisse in den Weg legen, und das Licht des Herrn, welches in unsern Tagen die Religion so herrlich beleuchtet, herabsetzen und verdunkeln“ (Hess 1767, S. 10). Jene tolerante und in einem gewissen Sinn undogmatische Haltung Hess‘ kommt auch dort zum Ausdruck, wo er rät, zwischen den Konfessionen vielmehr das Gemeinsame in den Hauptlehren des Christentums als das Trennende hervorzuheben, dies auch gegenüber neu erscheinenden Lehrbegriffen. Der Mensch und damit auch ein Theologe könne sich schliesslich irren, und sprachkritisch stellt er fest: „Man hüte sich sehr, nicht jede neue Art sich auszudrücken für eine wirkliche Neuerung in Ansehung des Lehrbegriffs zu halten, da bey einer jeden Revolution der Sprachen, welche nicht von der Wahl eines einzelnen Menschen abhängt, sich auch die theologische Sprache zum Theil verändern muss“ (ebd., S. 153). Der erste Teil der ‚Prüfung‘ beschäftigt sich mit den so genannt philosophischen Predigten; sie zeichnen sich dadurch aus, dass ihnen die natürliche Theologie zugrunde liegt und dass sie an die Vernunfteinsicht der Adressaten appellieren. Wortwörtlich fasst Hess darunter Predigten, „worinn die Wahrheiten der natürlichen Theologie abgehandelt und mit solchen Beweisen unterstützt werden, welche nicht die eigenthümlichen Geheimnisse oder Wahrheiten des Christenthums sind, sondern mit unserer Vernunft aus der Natur der Dinge hergeleitet werden“ (ebd., S. 11). Widersprüche zwischen natürlicher Theologie und Offenbarung, Glauben und Vernunft, aber etwa auch zwischen freiem Willen und göttlicher Gnade existieren nicht. Vielmehr hat die Offenbarung „der Vernunft vorgeleuchtet, und ihr Lehren und Aussichten gezeiget, die sie nach und nach mit den ersten Anfangsgründen unsrer Erkenntniss verglichen und verbunden hat“ (ebd., S. 23). Zugleich könne sich aber etwa die „Wahrheit von einer allgemeinen Fürsehung […] eben so wenig allein auf das Zeugniss der heil. Schrifft stützen; die Vernunft und Erfahrung müssen sie auch bemercken, und wirklich sehen, wenn sie geglaubt werden soll, weil sie gröstentheils eine Thatsache ist“ (ebd., S. 21). In einem zweiten Teil nimmt sich Hess der Verteidigung der moralischen Predigten an. Er charakterisiert sie als „dergleichen Reden, worin die Sittenlehre, besonders die Pflichten gegen andere, mit solchen Bewegungsgründen angedrungen werden, die unsre Vernunft in der Natur der Dinge und in unsern Verhältnissen findet, oder worinn die Wahrheit vom Verdienst Jesu Christi allein auf ihrer praktischen Seite, insonderheit als ein Bewegungsgrund und Beyspiel eines gehörigen Verhaltens gegen andere angesehen wird“ (ebd., S. 11 f.). Anders formuliert: Im ersten Fall werden die Beweggründe vom vernünftig einsehbaren Natur- bzw. Sittengesetz und insbeson-
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dere den Pflichten gegenüber dem Nächsten hergeleitet. Diese Pflichten werden mit Bewegungsgründen aus der Natur der Dinge abgeleitet. Die „Bewegungsgründe“ entstammen, folgt man mit Hess Wolffs rationalistischer Ethik, dem Naturgesetz, indem es uns verbindet, unsere freien Handlungen so einzurichten, dass wir das Gute wollen und das Schlechte meiden. Ausschlaggebend ist die Vernunfteinsicht in das Gute, ohne sich vom Schein des Guten täuschen zu lassen. Demgegenüber dient die moralische Predigt im zweiten Fall der Darstellung des Lebens Christi, wobei dessen Verdienst um die Erlösung der Menschen als Beweggrund zur Tugend, und zwar auch im exemplarischen Sinn, herangezogen wird; das heisst, dass der Tod des Gottessohnes am Kreuz eben nicht als hinreichende Rechtfertigung verstanden werden darf, sondern vielmehr soll dieses Opfer zum Vorbild des eigenen Tugendstrebens werden. Die christliche Sittenlehre ist für Hess identisch mit dem vernünftigen, natürlichen Sittengesetz. Es handelt sich bei diesem nämlich um nichts anderes als „eine Sammlung der ewigen unwandelbaren und unwiderruflichen Gesetze des Rechts und der Ordnung, Anweisungen zur Glückseligkeit und Vollkommenheit, die schlechterdings nothwendig sind und die Gott niemal erlassen kann“ (ebd., S. 98). Das Neue Testament avanciert hierbei zu einer „vollständige[n] Sammlung von Sittenlehren […] auch von allen nur möglichen natürlichen Bewegungsgründen, die das Christenthum aus der Natur der Dinge gesammelt hat“ (ebd., S. 106; Hervorhebungen E.B.), und die Bergpredigt zu einer Rede über das Naturgesetz. Hess schreibt damit – und wohl in Auseinandersetzung mit Wolffs Pflichtenlehre – der Christenheit die Rolle der Vollstreckerin des Naturgesetzes zu. Schliesslich hatte Wolff (1733/1996) provokativ postuliert, dass die Verbindlichkeit des Naturgesetzes nicht erst von Gott autoritativ auferlegt werden musste, sondern unabhängig von Gottes Willen aus der Natur der Dinge selbst stamme;314 die Natur der Dinge determiniert die menschlichen Handlungen als gut oder böse (§ 27). Daraus ergibt sich erst die Notwendigkeit, die Übereinstimmung von Philosophie und Theologie, bei Wolff der „Welt-Weisheit“ und der „Gottes-Gelehrtheit“ (ebd., § 47), zu erweisen. Auch Wolff ist darum 314 Wenn auch die natürliche Verbindlichkeit zugleich eine göttliche, das Gesetz der Natur zugleich ein göttliches Gesetz ist (vgl. Wolff 1733/1996). Gottes Einwirken auf das Tun der Menschen erscheint bei Wolff allerdings eher akzidentiell, indem Gott den Menschen das Gute als göttliche Belohnung, das Übel als göttliche Strafe betrachten lässt. In diesem Sinn sind Gut und Übel als Lohn und Strafe „Beweggründe, die Gott freiwillig mit den Handlungen der Menschen verknüpft“ (§ 30).
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besorgt, über dem proklamierten Naturgesetz, angesichts der menschlichen Unvollkommenheit und Schwachheit, die Notwendigkeit der Gnade zu bedenken. Dennoch ergibt sich die Einsicht in das natürliche Gesetz aus der menschlichen Natur und ist unabhängig von göttlichem Willen und christlicher Offenbarung. Hess stellt gleich zu Beginn seiner Schrift richtig, dass die Lehre vom Erlösungswerk Christi ihm die höchste und schätzbarste Religionswahrheit bedeute (Hess 1767, S. 13). Damit sieht auch er sich in zeittypischer Weise mit der Aufgabe konfrontiert, Missverständnisse betreffend die moralische Auslegung der reformierten Gnadenlehre aus dem Weg zu räumen. Im Hintergrund steht hier wie in anderen bereits dargestellten Texten eine protestantische Ambivalenz gegenüber guten Werken, schien doch die Gnadenlehre die Rechtfertigung der geforderten religiös-moralischen Praxis, die Notwendigkeit guter Werke – ohne einer Werkheiligkeit das Wort zu reden – zu bedrohen. Damit bewegt sich Hess auf dem Glatteis der Orthodoxie und sieht sich deshalb an verschiedenen Stellen genötigt, sich gegen den Vorwurf des Sozinianismus315 und Pelagianismus316 zu verwahren. Wichtig für die Ableitung moralisch-pädagogischer Motive bleibt ihm aber die Feststellung, dass nur „weil wir uns die Seligkeit nicht verdienen können“, gar nicht folgt, „dass wir uns darum nicht bekümmern sollen“ (ebd., S. 128). Hess wendet sich denn auch gegen die Meinung vieler als fromm geltender Leute, „dass die moralische Erziehung ihrer Kinder einzig von Gottes Gnade abhange, und dass ihnen die moralischen Fehler derselben
315 Als Sozinianismus wird eine antitrinitarische Bewegung im Anschluss an das Auftreten von Lelio Sozzini (1525–1562) und dessen Neffen Fausto Sozzini (um 1537–1604) bezeichnet. Die Bezeichnung stammt aus dem 17. Jahrhundert, die Anhänger selber nannten sich zuvor Christianer oder Polnische Brüder. Sozinianer bestreiten die stellvertretende Genugtuung des Gottessohnes und geben damit die reformatorische Rechtfertigungslehre auf; zugleich wenden sie sich gegen die Annahme einer Erbsünde, was der Ethisierung des Christentums entgegenkam. 316 Pelagius war ein aus Britannien stammender Asket und theologischer Autor, der zu Beginn des 5. Jahrhunderts lehrte. Gemäss seiner Lehre gehört die Möglichkeit zur Sündlosigkeit und damit der moralischen Wahlfreiheit zum Wesen des Menschen, was die Kritik Augustins hervorgerufen hatte. Als Pelagianer werden v. a. seit dem 16. Jahrhundert diejenigen Theologen bezeichnet, die die Ansicht vertreten, dass ein sündenfreies Handeln in der Macht willentlicher Entscheidungsfreiheit und der natürlichen Kräfte des Menschen steht und nicht der besonderen Einwirkung des Heiligen Geistes bedarf; in der Regel lehnen sie damit die Idee der Erbsünde ab.
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nicht in die Rechnung gebracht werden können“ (ebd., S. 109). Die Gnadenlehre entbinde die Eltern gerade nicht von der Pflicht, ihre Kinder zu erziehen. Gott habe nun „einmal die Einrichtung der Dinge so gemacht, dass man die Mittel brauchen muss, um einen jeden Endzweck zu erreichen“ (ebd., S. 118). Entsprechend müsse man bei der Erziehung der Kinder „unstreitig auf die Natur unsrer Seele, auf die Art, wie sie sich am besten entwickelt, auf den Zustand des Körpers u. s. w. sehen und schlechterdings darnach handeln“ (ebd.). Ein weiteres Hindernis für eine Moralisierung der christlichen Lehre stellt in diesem Argumentationszusammenhang neben der Gnadenlehre wiederum die Erbsündenlehre dar. Hess historisiert diese und will deren Konsequenzen lediglich auf die „jüdische Nation zur Zeit unsers Herren und der Propheten“ angewendet sehen, hingegen nicht auf „wahre Christen“ (ebd., S. 135 f.). Er bemerkt, dass in vielen Predigten ein völlig falscher Begriff von diesem Defekt vermittelt werde, und möchte vor allem, dass man „von dem natürlichen Verderben nicht so viel Wesens“ mache und nicht die ganze Religion darauf aufbaue (ebd., S. 138); eine Warnung, die später auch Antistes Ulrich in seiner Synodalpredigt vom Herbst 1770 an die Pfarrer richten sollte (vgl. Kap. 7). In diesem Zusammenhang, wegen der zu starken Gewichtung einer ererbten Sündhaftigkeit, die die Sensibilität gegenüber den eigenen Vergehen herabsetze, kommt bei Hess auch der Katechismus und überhaupt der gewöhnliche Religionsunterricht in die Kritik. Ein weiterer – didaktischer – Fehler des Katechismus bestehe darin, dass dieser gleich am Anfang mit der Vermittlung der christlichen Glaubensartikel beginnt. Stattdessen sollten die jungen Kinder zuerst mit grundlegenden Begriffen der natürlichen Religion insbesondere auch moralischer Art bekannt gemacht werden; erst darauf aufbauend könne etwa der wichtige Glaubenssatz von der Erlösung durch den Tod Jesu Christi vermittelt werden. Hess lobt hier denn auch die reformerischen Bestrebungen einiger Landgeistlichen mit dem Ziel einer Verbesserung des Schulunterrichts und der überbrachten Katechismen sowie des Kirchengesangs und der Gebete. Die Notwendigkeit, die Kanzel für die Predigt moralischer Lehren zu nutzen, erscheint Hess deshalb ausser Frage, „weil es uns an öffentlichen Einrichtungen mangelt, die diesen Unterricht überflüssig machen, und die Kanzel nur dem, was im engen Verstande Religion heisst, einräumen könten“ (ebd., S. 111). Da viele nicht zu lesen verstünden und die Pfarrer mit ihrer Gemeinde gewöhnlich wenig Umgang hätten, seien die Predigten für den „grösten Haufen“ die einzigen Gelegenheiten, um über ihre bürgerlichen und häuslichen Pflichten Belehrung zu erhalten (ebd.). Hess
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meint, dass selbst die Schulen und der Katechismusunterricht „in dieser Absicht leider nicht den mindesten Dienst“ täten, „sie pflanzen höchstens unsern Kindern einige meistens unwirksame und unverdaute Religionslehren ein“ (ebd.). Zu erwartende Einwände von Seiten der Landgeistlichen, die kaum gebildeten Volksschichten würden die vernünftigen Wahrheiten und Beweise der natürlichen Theologie und damit die philosophischen Predigten nicht verstehen, nimmt Hess vorweg: „Allein es kommt bloss auf die Prediger an, dass diese Wahrheiten auch den gemeinsten Leuten fasslich und einleuchtend werden, besonders da man sich hierüber auf die Natur und ihre eigene Erfahrung berufen kan. Denn das, was man von Gott erkennen mag, sein unsichtbares Wesen, nemlich seine ewige Kraft und Gottheit, wird aus den Werken der Schöpfung gesehen, und diese Lehren lassen sich auf eine recht anschauliche und sinnliche Art erklären und beweisen“ (ebd., S. 31). Die inzwischen existierenden „Landtheologien“ für den ‚gemeinen‘ Mann beurteilt Hess insgesamt als wenig tauglich, da nicht wirklich der Sphäre und dem Verständnis der Adressaten angemessen. Die Hypothese vieler Theologen, „dass der Beystand der Gnade bey einem jeden ehrlichen Menschen, der die Biebel lieset, alsobald die gehörige Überzeugung und Erkenntniss wirke, und dass daraus der eigentliche Glaube hergeleitet werden müsse“, teilt Hess nicht (ebd., S. 32). Und genau deshalb sind pädagogische Anstrengungen mit dem Ziel, die Grundwahrheiten der christlichen Religion dem Volk wirklich zur Einsicht zu bringen, unbedingt notwendig. Eine gemäss Hess‘ ‚Prüfung‘ aufgeklärte Theologie sah vor, „dass wenigstens auch Etwas auf den Menschen ankomme“ (ebd., S. 142; Hervorhebung i. O.). Dieser Satz enthält den in seiner pädagogischen Bedeutung bereits hervorgehobenen Kerngedanken des religiös-gesellschaftsreformerischen Programms, wonach das Leben der Menschen durch und durch mit christlich-moralischen Grundsätzen im Sinn eines vernünftigen, lebens-praktisch relevanten Christentums zu durchdringen sei. Bei Hess heisst es dazu: „Die Religion muss durch unser ganzes Leben hinlaufen, und allenthalben als das allgemeine Triebrad wirken“ (ebd., S. 112). Dieses Christentum zu predigen, erweist sich gleichsam als patriotische Pflicht, wenn Hess schreibt: „Unsre Politik, Ökonomie, Bündnisse, Eide, Berufspflichten müssen mit der Religion verbunden werden“ (ebd.); es sei „Verrätherey, so wol der Religion als des Staats, Untergrabung der allgemeinen Ruhe und Sicherheit, wenn ein Prediger die Vortheile, und die Macht, welche ihm seine Religion an die Hand giebt, den Menschen eine durchgängige Redlichkeit, Vaterlandsliebe,
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Ehrfurcht für die rechtmässige Obrigkeit, Eifer für Freyheit, Neigung zur republikanischen Gleichheit“ einzuflössen, nicht gebraucht (ebd., S. 113). Die Vereinbarkeit von politischer und religiöser Tugend, das hatte sich nicht zuletzt in der Auseinandersetzung der Zürcher mit Rousseaus ‚Contrat social‘ (1762) gezeigt, stand damit ausser Frage. Die entsprechende Passage wurde in Zürich und insbesondere auch in der Historisch-politischen Gesellschaft zu Schuhmachern intensiv debattiert (vgl. Speerli 1941; Briffod Keller/Wicki 2001), wobei die negative Bestimmung der christlichen Religion aber selbst bei Rousseau-Verehrern auf Ablehnung oder zumindest Unverständnis stiess.317 Gerade das Christentum in der vernünftig moralischen Ausprägung, wie es Hess vertrat, konnte wesentlich zur Aktivierung des gemeinnützigen Handelns und damit zur Konsolidierung des sich republikanisch verstehenden Staatswesens beitragen. In diesem Christentum dürfte sich das Zentrum der gelehrten Elite gefunden haben; es markiert zugleich die äussere Grenze der damals in Zürich vertretbaren theologischen Aufklärung. Diese Grenze wurde, wie im nächsten Kapitel zu zeigen ist, nur gerade ein Jahr später von Jakob Heinrich Meister in einer kleineren Schrift mit dem Titel ‚De l‘origine des principes religieux‘ (1768) überschritten. Die Schriften von Hess und Meister unterscheiden sich in ihren Bezugstheoremen weitgehend. Während sich Hess auf die rationalistische Schulphilosophie und Neologie bezieht, reichen die Referenzen Meisters in einen erkenntnistheoretischen Empirismus und eine Psychologie des Gefühls, wie sie von den französischen philosophes und Letztere von Rousseau vertreten wurden. Damit hing ihm unweigerlich der Geruch eines gefährlichen Deisten an, der in den Dunstkreis jenes unakzeptablen Materialismus geraten war, den es unbedingt zu bekämpfen galt.
317 Daneben waren es die theologischen Äusserungen Rousseaus im Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars, die in Zürich zu regen Diskussionen und weitgehender Ablehnung führten. Fragen um die Stellung des Evangeliums gegenüber der natürlichen Religion, Rousseaus Leugnung von Wundern und seine Aberkennung des Sohn-Gottes-Status Jesu fanden ihre Erörterung in der Zürcher Presse, so in den ‚Wöchentlichen Anzeigen‘ (1764–1766) oder in den ‚Freymüthigen Nachrichten‘ (1744–1763).
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9.3 Henri Meister: christliche Offenbarung als Produkt menschlicher Einbildungskraft Jakob Heinrich (1744–1826), genannt Henri Meister wuchs zuerst in Bückeburg (Westfalen) und Erlangen auf, wo sein Vater Johann Heinrich Meister (vgl. u. a. Kap. 4.5.4 und Kap. 7) Pastor einer französischen Hugenottengemeinde war. Seine Mutter entstammte einer protestantischen Familie aus der Touraine, was seine Neigung zur französischen Sprache und Kultur unterstützt haben dürfte. Als der Vater 1757 in Küsnacht eine Pfarrstelle annahm, kam er nach Zürich, wo er später Theologie studierte. Neben Breitinger gehörte Bodmer zu seinen prägenden Lehrern am Carolinum. Bodmer stand mit dem Vater von Jugend an in naher freundschaftlicher Beziehung; daran änderten auch die über weite Strecken gegensätzlichen theologischen Positionen nichts, wie sie besonders in der Auseinandersetzung mit dem Phänomen Rousseau zutage traten. 1763 wurde Jakob Heinrich bereits mit neunzehn Jahren ordiniert. Noch zu jung für das Pfarramt reiste er im Frühling 1764 nach Genf; in Ferney wurde ihm eine Audienz bei Voltaire gewährt, der sich von seinem Talent begeistert zeigte, und auch mit Rousseau, der in Môtiers-Travers im Exil lebte, kam es zu mehreren Begegnungen (vgl. Moog-Grünewald 1989). Über diese Kontakte und gemeinsame Gespräche berichtete er seinem Vater verschiedentlich in Briefen (vgl. Rousseau 1974/1981, Bd. 20/21/38); schliesslich war dieser angesichts des Skandals, den die religiösen und theologischen Äusserungen des Genfers 1762 ausgelöst hatten, in dauernder Sorge um seinen Sohn. Die Befürchtungen des Vaters nahmen nicht ab, als Jakob Heinrich dann im Mai 1766 eine Stelle als Erzieher in Paris annahm. Hier fand er offensichtlich leichten Zugang zu den tonangebenden Salons. Er verkehrte bei Madame Necker, wo er Persönlichkeiten wie Grimm, Buffon, d‘Alembert und Diderot, zu dem sich eine besonders nahe Beziehung ergab, kennen lernte. Im Oktober kehrte der junge Theologe nach Zürich zurück. Bodmer ahnte die Gefahren, die damit verbunden waren, und schrieb warnend an dessen Vater: „[…] il serait bon qu‘il restât encore quelques temps à l‘étranger parce qu‘à Zurich il pourrait se brûler les doigts“ (zit. nach Schoch 1951, S. 465). Mit dieser Befürchtung lag er richtig, denn 1768 veröffentlichte Meister anonym und ohne Angabe des Druckorts den deistischen Essay ‚De l‘origine des principes religieux‘, der ihm prompt die Verbannung eintrug. Sein Freund, der Verlegerssohn Johann Heinrich Füssli (1745–1832), besorgte die Drucklegung und Verbreitung des Opusculum in Paris, Bern, Lausanne,
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Genf und Basel, in Deutschland und Italien: insgesamt 500 Stück (vgl. Moog-Grünewald 1989). In Zürich selbst kursierten ein paar Exemplare unter den jungen Patrioten. Als die Schrift der Obrigkeit in die Hände fiel, beschlossen der Grosse und Kleine Rat aufgrund des Gutachtens der Examinatoren deren Verbrennung vor dem Rathaus durch den Scharfrichter; der Verfasser wurde seines geistlichen Standes enthoben. Begrüsst wurde die Schrift von Bodmer und Isaak Iselin, ebenso von Voltaire, der in Meister einen Märtyrer sah (vgl. Schoch 1951). Das Verdikt der Zürcher Obrigkeit machte ihn in Paris nur umso ‚salonfähiger‘; ab 1773 übernahm er von Melchior Grimm die Redaktion der ‚Correspondance littéraire, philosophique et critique‘ und war selber schriftstellerisch tätig. 1792, nach den September-Morden, floh er, des Landesverrats verdächtigt, zuerst nach England und kehrte 1794 nach Zürich zurück. Die Verbannung war auf sein Betreiben hin bereits 1772 wieder aufgehoben worden, wobei nicht zuletzt auch Rücksichten auf seinen Vater eine Rolle gespielt hatten (vgl. Kap. 6.1); vom Pfarramt blieb er allerdings weiterhin ausgeschlossen. Sich im Alter politisch zum Anhänger des „juste milieu“ bekennend (Muraro-Ganz 1997, S. 357; Muraro-Ganz 1977), stand er in der Helvetik den föderalistisch-konservativen Kreisen nahe, wurde 1803 von Napoleon zum Präsidenten der Regierungskommission für die Einführung der Mediationsverfassung im Kanton Zürich ernannt sowie in den Grossen Rat gewählt. Seine Schrift von 1768 beurteilte Meister im Rückblick als jugendliche Verirrung (vgl. Moog-Grünewald 1989). Wie Rousseau in seinem Zweiten Discours (1755) geht es Meister in seiner Abhandlung von 1768 ebenfalls um den Aufweis eines Ursprungs – hier nicht der Ungleichheit, sondern der Religionen. Methodisch legt auch er seine Beweisführung historisch an. Im Besonderen erweist er dem verehrten Philosophen mit seiner Psychologie des sentiment seine Referenz. Erste Quelle der Erkenntnis sind Meister Gefühle und die Einbildungskraft (imagination 318) neben der Empirie, der Geschichte, ist es das Herz, das ihn zur 318 Die imagination – bei Meister zugleich rezeptive und kreative Kraft – ist nicht nur Namen gebend für seine ‚Lettres sur l‘imagination‘ (1794), sondern spielt auch in seiner ‚Logique à mon usage‘ (1772) eine bedeutende Rolle. Diese orientiert sich in der Methode an der Logik von Port-Royal und ist insoweit einem cartesischen Rationalismus geschuldet, in der Doktrin ist sie dagegen dem englischen Empirismus und der Philosophie von Leibniz verpflichtet. Interessant ist, wie er bereits in dieser Denklehre die traditionellen vier opérations d‘esprit teilweise umdeutet: aus idée, jugement, raisonnement, méthode werden sens (bzw. vue), jugement, raisonnement und invention (vgl. Moog-Grünewald 1989). Die ‚Lettres sur l‘imagination‘ hatte Henri Meister
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Wahrheit leitet – in diesem Sinn gibt er dem Leser gleich zu Beginn zu verstehen: „Je me borne aux recherches les plus aisées, & je ne dirai que ce que l‘histoire & mon propre cœur m‘ont apris de plus simple & de plus clair“ (Meister 1768, S. 4). Beschränkt erscheinen demgegenüber die Möglichkeiten rationaler Erkenntnis, so dass er es als Erfolg versprechender ansieht, „de suivre la marche du cœur & de l‘imagination, que celle de la philosophie ou du bon-sens“ (ebd., S. 9). Begriffe intellektueller Art (notions intellectuelles) sind sinnlichen Wahrnehmungen (idées sensibles) immer nachgeordnet. Es sind die Gefühle, die dem Geist seine Ideen vorgeben – „[n]ôtre esprit ne se prend jamais qu‘aux idées qui ont le plus de raport avec nôtre maniere de sentir“ (ebd., S. 10) –, und so wird er nicht müde klarzustellen: „Ce n‘est pas la raison, je le repete, ce n‘est pas elle qui forme nos opinions. Elle éclaircit, elle perfectionne les découvertes obscures & grossieres de nôtre cœur & de nôtre imagination, mais elle n‘inventa jamais rien“ (ebd., S. 34 f.). Meister übernimmt damit die erkenntnistheoretische Position des savoyischen Vikars, wie sie ihn Rousseau im vierten Buch des ‚Emile‘ aussprechen liess: „Exister pour nous, c‘est sentir; notre sensibilité est incontestablement antérieure à nôtre intelligence, et nous avons eu des sentimens avant des idées“ (Rousseau 1762/1969, S. 600). In Meisters Werk lässt sich die Rezeption sowohl eines erkenntnistheoretischen Empirismus wie Rationalismus aufweisen. Moog-Grünewald (1989) spricht diesbezüglich von einem empirischen Rationalismus bzw. der „eigentümlichen Demonstration der Leibnizschen Philosophie auf der Basis des Lockeschen Empirismus“ (S. 109). Bekanntlich wurde der Empirismus Lockes im Kreis der Enzyklopädisten, vor allem von Diderot, d‘Alembert, Condillac und Voltaire, intensiv rezipiert und verarbeitet. Es besteht kein Zweifel, dass Meister mit deren Schriften bekannt war. Ein anderer Weg führte über seine Lehrer Breitinger und Bodmer, die sich ebenfalls mit Locke auseinandergesetzt hatten; Zeugnis davon geben in den 1720er Jahren unter anderem ‚Die Discourse der Mahlern‘, wobei Joseph Addison mit seinem ‚Spectator‘ hier als Mittler fungierte. Von dieser Seite der Zürcher Schule dürfte er insbesondere auch die in seinen erkenntnistheoretischen Werken ‚Logique à mon usage‘ (1772) und ‚Lettres sur seinem Freund und Cousin Leonhard Meister gewidmet, der sich mit dem Thema der ‚Einbildungskraft‘ im Rahmen der Schwärmerdebatte bereits 1778 beschäftigt hatte (vgl. Kap. 9). Als Motto vorangestellt finden sich die programmatischen PopeVerse „Something as dim to our internal view / Is thus, perhaps, the cause of most we do“ (An Essay on Man, Ep. I, 1732).
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l‘imagination‘ (1794) nachwirkenden Elemente Leibniz-wolffscher Philosophie aufgenommen haben. Ausgehend von den in ‚De l‘origine des principes religieux‘ formulierten erkenntnistheoretischen und psychologischen Prämissen kommt Meister, angewendet auf sein Thema, zum Schluss, dass die menschliche Idee von einem Gott auf Gefühlen und vor allem Leidenschaften basiere. In seiner Schrift ‚De la morale naturelle‘ findet sich seine Begründung der Religion in einem natürlichen Gefühl noch 1787 folgendermassen formuliert: „Je ne veux parler ici de la religion que comme d‘un sentiment naturel. Je ferais mieux peut-être de l‘appeler instinct … Ce sentiment, quoi qu‘il en soit, appartient, ce me semble, à la nature de l‘homme; je le trouve chez tout les peuples de la terre. J‘en crois retrouver le germe au fond de mon cœur, indépendant de toutes les lumières et de toutes les incertitudes auxquelles mon esprit à [sic] pu se livrer sur cet abyme éternel de dispute et de méditation“ (Meister 1787, S. 32). Übernimmt Meister in seiner religionspsychologischen Schrift fast durchwegs Rousseaus Sprache des Gefühls, so ist es auch ihm ein Anliegen, ihn dort zu widerlegen, wo es um die Frage der Vereinbarkeit von Religion und republikanischem Staatswesen geht.319 Rousseau hatte im 8. Kapitel des 4. Buches die christliche Religion, nicht nur die römische, sondern ebenso die reine natürliche Religion des Evangeliums aus der Republik verwiesen. Letztere schaffe zwar nicht wie die katholische zwei konkurrierende Gewalten im Staat, spalte aber den Menschen in eine diesseitig bürgerliche und in eine diese transzendierende Existenz. Statt die Verbindlichkeit der bürgerlichen Gesetze zu stärken, entferne sie die Herzen der Bürger von allem Irdischen: „[L]a patrie du Chrétien n‘est pas de ce monde. Il fait son devoir, il est vrai, mais il le fait avec une profonde indifférence sur le bon ou mauvais succès de ses soins. […] et après tout, qu‘importe qu‘on soit libre ou serf dans cette vallée de miseres? l‘essenciel est d‘aller en paradis, et la résignation n‘est qu‘un moyen de plus pour cela“ (Rousseau 1762/1964, S. 466). Rousseau lehnte es deshalb auch ab, von einer „République Chrétienne“ zu sprechen, da diese Begriffskombination einen Widerspruch in sich enthalte (ebd., S. 467). Meister hingegen betont von Anfang an, dass die bürgerlichen Institutionen unvollkommen bleiben, solange man der Autorität des Gesetzes nicht diejenige der Religion beifügt. Wie unvollkommen 319 Besonders in ‚De la morale naturelle‘ (1787) zeigt sich zudem, dass Meister Rousseaus Zivilisationskritik nicht teilt; in der Vergesellschaftung sieht Meister durchaus Gewinn für die Vervollkommnung der dem Menschen gegebenen Fähigkeiten.
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die erste Idee von einer göttlichen Gesetzgebung auch gewesen sein möge, „il est aisé de voir combien elle pouvoit servir à augmenter l‘autorité des loix civiles & politiques“ (Meister 1768, S. 41). Dabei gehen beide, die Religionen und der Staat bzw. dessen Politik, von derselben Grundannahme aus, nämlich dass der Mensch korrumpiert und allein elend und unglücklich sei; und schliesslich beruhen die Gesetze wie die Religionen auf denselben menschlichen Gefühlen, nämlich auf Angst und Hoffnung. Meister kommt nun zum Schluss, dass von allen dominanten Religionen die christliche und dabei insbesondere die reformierte sich am besten als „Religion universelle“ eignet, da sie die am wenigsten nationale sei (ebd., S. 30). Darin und im Urteil, dass diese den staatlichen Zuständigkeitsbereichen wenig hinzufüge, sie eher verringert, geht Meister mit Rousseau einig. Meister fügt aber an, dass die reformiert-christliche Religion nie diejenigen Kräfte schwäche, die für den Erhalt des Staatswesens essentiell sind. Die Geschichte führt Meister zu dem Schluss, dass es wohl niemals ein zivilisiertes Volk gegeben hat und noch gibt, das nicht im Besitz einer Religion war bzw. ist. Vergleiche man deren verschiedene Ausprägungen, so folge, dass diese sämtliche auf das gleiche Ziel tendieren und auf denselben Grundlagen beruhen; allfällige Unterschiede sind bedingt durch die jeweiligen klimatischen Verhältnisse, vorherrschenden Sitten und Regierungsformen. Zurückführen lassen sich sämtliche Religionen auf primitive Gefühle, wie die Angst des Menschen angesichts seiner Verlassenheit und Unvollkommenheit. Diese Verfassung befördere den Glauben an die Existenz einer überlegenen Instanz: „La foudre & les tempétes, les calamités de la guerre, la peste & la famine, les fievres & la mort ont persuadé plus d‘hommes de l‘éxistence de Dieu que l‘harmonie constante des merveilles de la nature & toutes les démonstrations des Clarkes320 & des Leibniz. Voilà l‘homme“ (ebd., S. 14). Um dieses Wesen dem eigenen Vorstellungsvermögen anzunähern, tendieren die Menschen dazu, ihrem Gott bzw. ihren Göttern anthropomorphe Züge zu verleihen, „à leur attribuër ses propres sentimens, ses propres pensée, ses propres passions“ (ebd., S. 18). Mit Bezug auf
320 Der englische Theologe Samuel Clarke (1675–1729) gehörte als überzeugter Vertreter des Theismus zu den führenden Kämpfern gegen den sich im 18. Jahrhundert ausbreitenden Deismus und Pantheismus. Er wurde bekannt durch seinen Briefwechsel mit Leibniz, gegen den er seine und Newtons Philosophie verteidigte. Der Bezug auf Clarke findet sich übrigens in einem ähnlichen Zusammenhang auch in Rousseaus Bekenntnis des savoyischen Vikars, wenngleich etwas anders konnotiert (vgl. Rousseau 1762/1969).
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die Gegenwart unterscheidet Meister zwischen den volkstümlichen Vorstellungen von einem Gott und der Idee der Philosophen. Das Volk habe das Bedürfnis nach einem gegenständlichen Gott, nach einem Gott, der kultischer Verehrung zugänglich ist; der philosophische Gott als Urheber der Natur, als Stimme des unveränderlichen Naturgesetzes hingegen bleibt den meisten Menschen zu vage und fern. Das Volk braucht also einen Gott, der direkt auf das Geschehen in der Welt und das Handeln der Menschen reagiert und Einfluss nimmt, der zornig wird und der sich beschwichtigen lässt. Und tatsächlich, fragt Meister: Kann ein metaphysischer Gott gute Untertanen und Bürger machen? Eher nicht, und deshalb würde die Philosophie, wenn das Gemeinwohl auf dem Spiel steht, zuweilen jene abergläubischen Vorstellungen im Volk stützen. Alle Religionen seien entsprechend voller Fabeln und Allegorien, die an die Vorstellungskraft (imagination) rühren, denn abstrakte Wahrheiten können dem Volk nur auf diesem sinnlichbildlichen Weg nahe gebracht werden (ebd., S. 20 f.). Sämtliche Religionen gleichen sich hinsichtlich der von ihnen vermittelten Moral, ihrer grundlegenden Dogmen und selbst hinsichtlich ihrer Kulte. „Toutes les Religions nous anonçant un Dieu qui punit le mal & qui recompense le bien, la morale qu‘elles nous préchent doit être essentiellement la même“ (ebd., S. 33). Meisters Grundprinzipien aller Religionen lassen sich auf das moralische Empfinden zurückführen. Diese Prinzipien sind universell, weil die Moral ewig und unveränderlich ist, „les loix de la nature en sont le fondement. Le bonheur de l‘homme en est le but“ (ebd., S. 46). Im Gegensatz aber zum Naturgesetz rationalistischer Tradition ist dieses nicht durch die Vernunft einsehbar, sondern „le tact morale“, ein moralisches Gefühl, ist die Autorität, die zwischen gut und schlecht unterscheidet. „Notre cœur distingue par une espèce d‘instinct le bien du mal. Ce tact discerne sans effort les objèts moraux, come nos sens discernent les objèts sensibles. Il est décidé par les loix de la nature que la vertu fait nôtre bonheur & que le crime nous rend malheureux“ (ebd., S. 34). Das moralische Gefühl bei Meister trägt dabei die Züge des ‚Gewissens‘ im Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars, welches – die ursprüngliche Güte der menschlichen Natur vorausgesetzt – als „sainte voix de la nature“ den Menschen das Gute instinkthaft empfinden lässt (Rousseau 1762/1969, S. 598). Die Provokation von Meisters Abhandlung liegt darin, dass die christliche Offenbarung und überhaupt das Positive sämtlicher Religionen rein menschlichen Ursprungs sind. Dieses geht auf menschliche Bedürfnisse, Ängste und Hoffnungen zurück und ist Ausdruck seines Wesens. Den spe-
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zifischen Dogmen an sich kommt Autorität nur insofern zu, als es sich um Formulierungen des Naturgesetzes, verkörpert in der natürlichen Moral, handelt. Meister beobachtet, dass einige Dogmen sämtlichen Religionen gemeinsam sind, da sie auf ein natürliches moralisches Bedürfnis des (vergesellschafteten) Menschen zurückgehen. Dazu gehört der Glaube an die Unsterblichkeit, der der Erfahrung entstammt, jemanden geliebten durch den Tod verlieren zu müssen. Sämtliche Religionen nehmen zudem einen Gott an, der das Gute belohnt und das Böse bestraft. Der Glaube fordert deshalb vom Menschen Tugendhaftigkeit, während das Gegenteil immer Gottes Zorn erregt und Strafe folgen lässt. Um Gott zu besänftigen, existieren fast überall Opferkulte, die aber im Verlauf der Geschichte immer wieder den Ausgangspunkt von Missbrauch und Fanatismen gebildet hätten. Vor allem aber gehen alle Religionen von der Korruption des Menschengeschlechts aus, und alle haben es unternommen, die Geschichte dieser Depravation aufzuzeigen. Im Christentum werde gepredigt, „que nos premiers parens ont mangé une pomme“ (Meister 1768, S. 71). Die Geschichte vom Sündenfall Adams und Evas ist damit lediglich eine mögliche Erzählung ohne überlegenen Wahrheitsanspruch. Den Scheidepunkt zwischen Hess‘ und Meisters Religionsverständnis, zwischen dem offiziell Sagbaren und Unsagbaren, markierte der Wahrheitsund Wirklichkeitsanspruch der christlichen Offenbarung. Nicht nur befinden sich für Hess Vernunft und Offenbarung, Natur- und christliches Sittengesetz in vollkommener Übereinstimmung und Harmonie, in der Gestalt Jesu ist ihm sogar ein reales sittliches Vorbild verfügbar. In seiner frühen Religionsschrift ist die christliche Offenbarung für Meister rein menschlichen Ursprungs, Ausdruck des menschlichen Bedürfnisses nach einer übergeordneten, allwissenden Wesenheit, ein Produkt seiner imagination. Nicht dass sich Meister damit dem Materialismus verschrieben hätte, denn diese Bedürfnisse und Vorstellungen verweisen vermittelt über das Naturgesetz durchaus auf einen transzendenten Sinnzusammenhang. Der Glaube an die Unsterblichkeit ist für Meister eine tröstliche Illusion,321 wird jedoch nicht zur letzten Gewissheit, wie sie das Resultat von Spaldings innerer Erfahrung und Selbsterforschung in der ‚Bestimmung des Menschen‘ darstellt (vgl. Kap. 8.2.1). Zwar betrachtete Hess die Bibel als geschichtliches Dokument, dennoch enthält sie, historisch-kritisch ausgelegt, göttliche Wahrheiten, die sich vor der Vernunft als solche erweisen. Ist 321 Vgl. dazu Meisters späteres Werk ‚Euthanasie, ou mes derniers entretiens avec elle sur l‘immortalité de l‘âme‘ (1809).
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die Vorsehung für Hess eine Tatsache, handelt es sich für Meister um ein menschliches Konstrukt angesichts seiner misère. Der Glaube an Gott verleiht dem Menschen bei Hess den vernünftig erkennbaren Beweggrund zum moralisch guten Handeln, für Meister offenbart sich das Naturgesetz hingegen im Gefühl. Der Kontingenzaspekt, der dem ‚Gefühl‘ anhaftet, liess Ungewissheiten – moralischer, theologischer und erkenntnis- bzw. lerntheoretischer Art – zu, die für pädagogische Bestrebungen, deren Motive jenseits ästhetischer Bildung lagen und den Unterricht und die Erziehung des Volkes zum Gegenstand hatten, wenig Attraktivität besassen. ‚Gefühl‘ als innere Wahrnehmungsinstanz trat hier leicht in Konkurrenz zum Verstand. Auf ihre Art stand Meisters Gefühls-Metaphysik damit den Pädagogismen der Zeit ähnlich wenig offen wie das autoritative Christentum eines Pfenningers oder die überbrachte Orthodoxie. Das hat mit der beiden Seiten auf ihre Art anhaftenden Vernunftskepsis zu tun, die bei Meister zuweilen frühromantische Züge trägt. Basedow bringt die damit verbundenen Gefahren mit seinen Einwänden gegen die englischen bzw. schottischen moral-sense-Vertreter auf den Punkt: Als falsch und gefährlich beurteilt er nämlich die Meinung der Philosophen („itzo besonders in Engelland“), die besagt, „die menschliche Seele habe, so zu reden, einen angebohrnen geistigen Geschmack an denen Handlungen, welche die später folgende Überlegung für gemeinnützig, schicklich, oder für vollkommen erkennet; hingegen habe sie einen geistigen Ekel an dem Gegentheile derselben. Sie nennen diesen geistigen Geschmack das moralische Gefühl, und viele machen es zur Grundregel aller Pflicht und Verbindlichkeit, das ihm Schmeckende zu thun, das ihm Ekelhafte zu lassen, ohne auf die Folgen seiner Handlungen zu sehen. Ich halte dieses Lehrgebäude für irrig und deshalb für schädlich, weil sich aus dem vorgegebenen moralischen Gefühle viele beliebte Laster rechtfertigen Lassen“ (Basedow 1764a, Bd. 1, S. 41 f.). Die pädagogische Motivation beruhte im hier untersuchten Zeitraum, und wohl noch einiges länger, auf Ideen und Annahmen, die (reform-)theologisch vermittelt waren. Angesichts ihrer moralischen und anthropologischen Implikationen war es vor allem die Neuinterpretation der Dogmen der Erbsünde und Rechtfertigung, die erzieherische Hoffnungen und Eifer freisetze. Dies setzte keine radikale Ablehnung der Erbsünde voraus; vielmehr ging es um die Vergewisserung, dass Besserung über Erziehung möglich und damit notwendig war. Dies waren die Voraussetzungen, welche Erziehung und Unterricht im 18. Jahrhundert zu dem Thema machten, als das es um 1770 in Zürich diskutiert wurde. Der Pädagogik zugänglich war
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jedoch der Mensch – und zwar der Mensch an sich, jenseits ständischer Definitionen – lediglich dann, wenn man dessen Vernunftfähigkeit voraussetzte, ebenso wie die Möglichkeit moralischer Erziehung nur insofern verfügbar war, als der Zusammenhang von Vernunft und Moral (und Glückseligkeit) – in diesem volkserzieherischen Diskurskontext theologisch – abgesichert war. Dies vorausgesetzt, kam empiristischen Theorien in der Pädagogik vor allem dort eine wichtige Rolle zu, wo sie neues Licht auf Probleme des Lernens, der Kognition und des Unterrichts warfen, also vornehmlich in den Bereichen Lernpsychologie und Methodik. Die Auswirkungen solcher zwar nicht grundsätzlich neuer, so doch in ihrer popularisierten Gestalt nun innovativer Ideen auf Schule und Unterricht dürften eher mittelbarer Art gewesen sein; sie gehörten aber mit zu den Voraussetzungen für spätere pädagogische und auch politisch-institutionelle Entwicklungen. Damit sind Aspekte angesprochen, die der Schulgeschichtsforschung leicht entgehen, wenn sie ihren Ausgangspunkt an der modernen Institution Volksschule nimmt und ‚rückwärts‘ verfährt. Eine historisch-pädagogische Perspektive, die unter anderem auch religiöse und theologische Kontexte mit in den Blick nimmt, vermag hingegen Diskurse zu beleuchten, über die eine Geschichtsschreibung unter einem ideengeschichtlich undifferenzierten Säkularisierungsparadigma hinwegsieht. In Verbindung mit einfachen Modernisierungsannahmen führt eine solche Perspektive unweigerlich zu einer Abwertung entsprechender Reformdiskussionen und -bemühungen als konservativ oder rückschrittlich. Dies weniger, weil die Ergebnisse der Reform – die das ‚System‘ vorläufig tatsächlich nicht antasteten – unterschätzt werden, sondern weil diese nicht als Reaktion auf diejenigen Problemwahrnehmungen gesehen wird, die sie darstellt, nicht als Innovation innerhalb desjenigen Diskursspektrums, zu dem sie gehört, und nicht als Umsetzung derjenigen Möglichkeiten, die real vorhanden waren und in ihrer Zeit überhaupt die notwendigen Interessenten und Trägerschaften gefunden haben.
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Den Ausgangspunkt dieser Studie bildete die Kritik an der Schweizer Schulgeschichtsschreibung zum Zeitpunkt ihrer Hochblüte in den Jahrzehnten vor und noch nach 1900. Zwar lässt sich gegenwärtig ein neu erwachtes Interesse an der Geschichte der Schule bemerken, und es kommen auch neue methodische und theoretische Zugänge zur Anwendung, allerdings gerät die Zeit vor 1800 dabei äusserst selten in den Blick. Dies gilt selbstverständlich für die schulhistorischen Publikationen, die sich als Jubiläumsschriften am Gründungsjahr 1832 orientieren, so auch für die neuerlich zum 175. Geburtstag der Zürcher Volksschule erschienenen. Die einseitige und vorwiegend institutionengeschichtlich orientierte Entwicklung des Forschungsstandes verwischt aber spannende Fragen nach diskursiven Kontinuitäten jenseits grosser Umbrüche ebenso wie linearer Modernisierungserzählungen. Bewegt man sich auf der normativen Ebene, etwa der Schulgesetzgebung, sind Brüche evident, auf der anderen Seite weiss man, dass bezüglich der Umsetzungen in der Schulpraxis – dies gilt gerade für das 19. Jahrhundert – mit einer langsamen Entwicklung zu rechnen ist. Auch solche Ungleichzeitigkeiten lassen sich besser auf dem Hintergrund der Analyse von Diskursen verstehen, die sich durch grosse staats- und schulpolitische Umwälzungen vielleicht irritieren lassen, jedoch nicht davor Halt machen. Einen Beitrag zur Hebung des Forschungsstandes bezüglich eines bisher vernachlässigten, häufig nur im Sinn einer ‚Vorgeschichte‘ behandelten Zeitabschnitts zu leisten, ist denn auch ein Anspruch dieser Studie. Dabei stand zwar eine relativ kurze Phase im Fokus des Interesses; dennoch hat der gewählte Ansatz Ergebnisse hervorgebracht, die erhellend sein mögen für das Verständnis der Entwicklung des Volksschulwesens im kritischen Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert. Der Ansatz exemplifiziert zudem die Problematik eines etablierten Zuganges, der die Entwicklung im 18. Jahrhundert und in den folgenden Dezennien einseitig am Massstab der Säkularisierung misst. Dass in der hier zur Diskussion stehenden Periode andere, gegenläufige Aspekte eine ernst zu nehmende Rolle spielen, oder besser: dass sich ein differenziertes Verständnis der Säkularisierungsprozesse im Übergang zur ‚Moderne‘ aufdrängt, ist ein zentrales Ergebnis der Untersuchung. Diese Erkenntnis behält ihre Relevanz für den weiteren Ent-
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wicklungsverlauf, denn dass sich das Konzept der laizistischen Volksschule im 19. Jahrhundert gegen andere, konkurrente Ideen erst durchzusetzen hatte, zeigt sich im Zürcher ‚Straussenhandel‘ ebenso wie im Kulturkampf der zweiten Jahrhunderthälfte; und es war gerade diese Kampfsituation, vor deren Hintergrund das überlieferte einseitige Bild des Schulwesens des 18. und 19. Jahrhunderts entstanden ist. Umso notwendiger erschien also eine neue, kontextuell differenzierte Sicht auf die Frage, welche schulischen und pädagogischen Innovationen zum untersuchten Zeitpunkt überhaupt zur Diskussion standen und gegen welche materiellen und ideellen Hindernisse sie sich durchzusetzen hatten. Dies wurde im Vorangehenden in zwei Hauptteilen versucht, wobei der erste Teil auf eine empirische Bestandesaufnahme der Situation des Landschulwesens, aktueller Defizitwahrnehmungen und Reformperspektiven abzielte, während im zweiten Teil die Analyse des diskursiven Kontextes sowie die Vertiefung und Überprüfung der generierten Hauptthese im Zentrum standen. Im Sinn der Verifikation der These erwiesen sich die Motive und Zielsetzungen der Schul- und Erziehungsreform der 1770er Jahre deutlich geprägt von der zeitgleichen Rezeption neologisch-aufklärungstheologischer Ideen. Unter den apologetischen Vorzeichen der Neologie avancierten Erziehung und Unterricht zu den Mitteln, um den neuen religiösen Ideen im Volk Eingang zu verschaffen, wobei diese gerade über die vorangetriebene Moralisierung und Pädagogisierung einen starken Diesseitsbezug erhielten. Insofern lässt sich von einer Wechselwirkung zwischen Tendenzen einer Säkularisierung und Rechristianisierung sprechen. Eine solche ist bezeichnend für die damals ausformulierten Erziehungsvorstellungen, liess sich aber auch bezüglich des pädagogischen und volkserzieherischen Rollenverständnisses der Geistlichen nachweisen, welche die Erziehungs- und Schuldiskussion wiederum massgeblich bestimmt hatten. Insofern religiöse Motive und Intentionen für die Reformen bestimmend waren – wobei sich das Verständnis von Religiosität gleichzeitig gewandelt hatte – wurde diesen in der Literatur ein innovativer Charakter weitestgehend abgesprochen. Negativ fiel gewöhnlich auch das Urteil über die 1778 erneuerte Schul- und Lehrordnung aus, insbesondere wenn sie vom Standpunkt der ‚modernen‘ Volksschulidee aus bewertet wurde. Allenfalls setzte man das Regulativ in Bezug zu Reformvorstössen zweier besonders fortschrittlicher Pfarrer aus dem Kyburger Kapitel – ein Vorgehen, das auch in heutiger Zeit jedes neue Volksschulgesetz als halbherzige Reform abqualifizieren würde. Mit dem Vorgehen im ersten Teil der Arbeit wurde vorsätzlich ein anderer Zugang gesucht und den zeitgenössischen Defizitwahrneh-
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Motive und Kontexte
mung des Gros der Pfarrer für die Beurteilung der Reformen zentraler Stellenwert beigemessen. Misst man die ergriffenen Massnahmen an deren Äusserungen, so zeigt sich nicht nur, dass die neue Schulordnung allgemein anerkannte Problempunkte aufgenommen hat, sondern dass man mit der, bisher wenig beachteten, Produktivität im Schulbuchbereich auf einen als vordringlich erachteten Mangel reagierte. Nicht zur Kenntnis genommen wurden die neuen Titel wohl, weil diese auf religiöse und moralische Inhalte verweisen. Dazu kann man festhalten, dass aber gerade und im Besonderen in diesem Feld, begleitet von einer breit getragenen Katechismuskritik, Reformbedarf artikuliert wurde. Das in den neuen ‚Lehrmitteln‘ vermittelte Christentum grenzt sich dezidiert gegenüber der orthodoxen Glaubenslehre ab und mündet vielerorts in eine naturrechtlich begründete Sittenlehre. Innovativ sind sie aber nicht nur vom Inhalt, sondern auch von der didaktisierenden Ausgestaltung her. Überlegungen didaktisch-pädagogischer und methodischer Art findet man vielfach in Vorreden expliziert. Den religiösen Unterricht kindgerecht zu gestalten, war ein zentrales Ziel der neuen Schulschriften. An ihnen lässt sich sehr deutlich jene Pädagogisierung der religiösen Unterweisung und der Religionslehre an sich, begleitet von Tendenzen einer Moralisierung und Profanierung, beobachten. Die Prominenz, die pädagogische und Methodenfragen – nicht zu trennen von den zeitgleichen Überlegungen im Rahmen volkserzieherischer Bemühungen – einzunehmen begannen, kommt in verschiedenen Medien zum Ausdruck: Abgesehen von den genannten Schulbüchern lässt sich die neue Schulordnung, die nun einen separaten Teil zu Unterrichtsmethodik und -organisation enthält (Lehrordnung), anführen, oder der Versuch, Erziehungsschriften speziell für die Landleute unter das Volk zu bringen. Die Intensivierung des Vorhabens, Glauben und Religiosität jenseits von äusserlicher Observanz in der Bevölkerung zu stärken, zeigt sich auch in der Institutionalisierung einer Repetierschule, die übrigens bis nach 1832 überlebt hat. Neben der Festigung der Lesekompetenz diente sie nämlich vor allem der Repetition der Religionskenntnisse, um die es, so die Klage vieler Pfarrer, bei der Examination zum Heiligen Abendmahl öfters bedenklich stand. Es handelt sich bei dieser Einrichtung um eine von verschiedenen Neuerungen, die von Pfarrern im Zürcher Oberland initiiert und später zum Teil für die gesamte Landschaft offiziell erlassen worden sind. Dass sich die Oberländer Geistlichkeit besonders innovativ gezeigt hat, dürfte an der prekären Lage gelegen haben, in der sich das Schulwesen in dieser von Streusiedlung, Armut und Heimarbeit geprägten Region befunden hatte. Einiges deutet daraufhin, dass hier verschiedene Neuerungen auch tatsächlich zur
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Umsetzung gelangt sind. Abgesehen von der Moralischen Gesellschaft als einer privaten gemeinnützigen Sozietät war es jene lokale Initiative, die den Ausschlag zur Schulreformdiskussion gegeben hat. Zwischen den Kyburger und Wetzikoner Pfarrern und der Gesellschaft bestanden persönliche Kontakte, entsprechend kam es bald zum gegenseitigen Austausch über Schulprojekte. Kontakte waren auch zur obersten Kirchenbehörde vorhanden, wenngleich deren Aktivitäten gegenüber lokalen und privaten Vorstössen zwar normgebenden, aber nachgeordneten Charakter hatten. Symptomatisch für einen gewissen Wandel der Anforderungen an das in der Schule zu Lernende sind zwei Details der neuen Schul- und Lehrordnung. Zum einen handelt es sich um Überlegungen zum Schreibunterricht, die forderten, die Kinder müssten sich nun die Fähigkeit zum Schreiben ‚aus dem Kopf ‘ aneignen. Darin widerspiegelt sich ein in Teilen der Pfarrerschaft vorhandenes anspruchvolleres Konzept von Literalität, das sich nun nicht mehr auf Schreiben im Sinn des Abschreibens vorgefertigter Bibelsprüche beschränkte. Auf ein vielfach artikuliertes Defizit reagierte zum anderen das neue Kriterium, wonach die Kinder bei Schulentlassung das auswendig Gelernte ‚mit Verstand‘ beherrschen mussten. Diese Forderung wurde unter Anführung theologischer Gegenargumente nicht von sämtlichen Pfarrern gestützt. Sowohl in wie ausserhalb der Enquête haben die Pfarrer verschiedentlich auf die zeitgenössische pädagogische Literatur Bezug genommen, wobei unter den einschlägigen Autoren Miller, Basedow und Gesner am häufigsten auftreten. Dies geschah überall im Zusammenhang mit Methodenfragen. Auch im Zusammenhang mit der Forderung nach einer verbesserten Schulgesetzgebung oder nach einer institutionalisierten Schulmeisterausbildung konnten die Pfarrer auf Informationen über vorbildliche Reformen – hier ausschliesslich auf deutschem Gebiet – rekurrieren. Diese nahmen allerdings nicht immer auf die Verhältnisse in den Dorfschulen Bezug, eine entsprechende Volksschulpädagogik war erst im Entstehen. Dasselbe lässt sich im Blick auf die Erziehungsliteratur sagen: Erziehungsanleitungen, die sich dezidiert an die Landleute wandten und deren Lebensverhältnisse berücksichtigten, waren abgesehen von wenigen Ausnahmen, etwa der Berner Preisschrift von Pfarrer Stapfer, nicht vorhanden. Entsprechende Problemwahrnehmungen, insbesondere im Gefolge der Subsistenzkrise zu Beginn der 70er Jahre, brachten 1777, ausgehend vom Kyburger Kapitel, ein solches Werk in Form von Hirtenbriefen hervor. Man kann am Inhalt und an der Sprache der ‚Hirten-Briefe über die Erziehung der Kinder auf dem Land‘ erkennen, auf welche Weise neue pädagogische
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Motive und Kontexte
und lernpsychologische Anschauungen, wie sie in der an ein bürgerliches Publikum gerichteten Literatur bereits anzutreffen waren, weiter popularisiert wurden. Die ‚Hirten-Briefe‘ erwiesen sich insbesondere von Sulzers Erziehungsschrift beeinflusst, der seinerseits in vielen Punkten auf Locke zurückgegriffen hatte. Lockes ‚Gedanken‘ findet man nicht nur in den propagierten Lernmethoden, sondern etwa auch den Massregeln des Bestrafens wieder. Die überall präsente und zum Teil explizit ausgedrückte Vorstellung, die kindliche Seele entspreche nach der Geburt einer Wachstafel, erhob Frühzeitigkeit und eine sinnlich-anschauliche Methode zu wichtigen pädagogischen Maximen. Frühzeitigkeit war aber auch deshalb von grosser Bedeutung, weil die Annahme eines angeborenen Eigensinns weiterhin vorherrschte, wenngleich die Existenz positiver Kräfte inzwischen eine stärkere Betonung erhielt. So sollten beim Unterricht Regungen der Lust und Unlust durchaus Berücksichtigung finden – das Ideal bildet die Idee vom spielenden Lernen –, aber auch die individuellen Anlagen eines Kindes galt es in der Erziehung und im Unterricht in Rechnung zu stellen. Ausgehend von den lockeschen Prämissen wird in einem frühen Stadium überall dem exemplarischen Lernen gegenüber dem Regellernen der Vorzug gegeben. Es gibt wohl kaum eine pädagogische Lehrform, die im untersuchten Kontext dermassen Konjunktur hatte wie die exemplarische – auch davon zeugen wiederum die in den 70er Jahren neu erschienenen, zum grössten Teil deutschen Vorlagen entnommenen, sittlich-moralischen Beispielgeschichten für Kinder. Ja, selbst die kindgerechte Neugestaltung der biblischen Geschichten verschrieb sich diesem didaktischen Mittel. Grundlegender Charakter kam dem (moralischen) Exempel schliesslich auch in den lerntheoretischen und ästhetischen Konzepten Bodmers und Breitingers zu. Hinweise darauf findet man in Breitingers programmatischer Reden von 1772/1773/1774 und den vor allem von Bodmer verfassten Schulbüchern für die Stadtschulen. Den erwähnten ‚Hirten-Briefen‘ kann man durchaus repräsentativen Status zusprechen, wenn es darum geht, Grundzüge damals vorherrschender populärer Erziehungsvorstellungen herauszuarbeiten. Die Basis der in den Briefen vermittelten Pädagogik bildet das christliche Naturrecht mit seiner Pflichtenlehre. Die Pflichten und Rechte im Verhältnis zwischen Eltern und Kind sind reziprok; im Zentrum steht nun aber eindeutig das Vorhaben, den adressierten Eltern ihre Pflicht zur Erziehung des Nachwuchses mit Nachdruck vor Augen zu führen. Dabei setzte der Autor auf Seiten der Eltern gewisse Vorurteile voraus, die diesem Pflichtgedanken ausserordentlich im Weg standen und dabei theologischer Natur waren. Entsprechend sind die
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beiden letzten Briefe dem Zweck gewidmet, Irrlehren und volkstümlichen Irrglauben zu berichtigen. An erster Stelle stand dabei das falsche Verständnis von der reformiert-christlichen Gnadenlehre, die dem Menschen in der orthodoxen Auslegung nahe legte, selber nichts zu seiner Sittlichkeit beitragen zu können. An diese Meinung soll sich wiederum bei vielen Eltern die Sichtweise geknüpft haben, wonach Erziehung machtlos sei, was noch durch die Vorstellung bestärkt wurde, Erziehung sei auch deshalb nicht nötig, weil das Kind ja mit dem Taufakt bereits in den heiligen Gnadenbund aufgenommen worden sei. Ähnliche Motive, dem Fatalismus entgegenzuwirken, moralischen Indifferentismus zu korrigieren und damit dem Menschen vor Augen zu führen, dass er über moralische Freiheit und Verantwortung verfügt, stehen auch hinter den vielfach anzutreffenden Versuchen, die Bedeutung der Erbsünde zu relativieren. Was damit ausgehend vom zeitgenössischen theologischen Diskurs geschaffen wurde und auch Verbreitung fand, war eine neue, gegenüber der christlich-orthodoxen deutlich positivere Anthropologie – die Voraussetzung und Ausgangspunkt des aufklärerischen Optimismus bezüglich Lern- und Erkenntnisfähigkeit des Menschen. Die Verbindlichkeit der Eltern zur Erziehung wird in den ‚Hirten-Briefen‘ einerseits vernünftig-argumentativ, mittels Aufweis von aus dem Naturgesetz stammenden ‚Beweggründen‘ dargelegt; zugleich lässt sich eine auffällige Emotionalisierung des Eltern-Kind-Bezuges feststellen, was im Sinn der Übertragung bürgerlicher Familien- und Erziehungsvorstellungen auf die Schicht der Landleute gedeutet werden kann. Die Untersuchung des diskursiven Umfeldes der Landschulreform verweist auf die Wirtschaftskrise um 1770/1771 als gewichtigen Auslöser der Verbesserungsbemühungen. Die diese begleitende Not hatte in den Augen von Kirche und Geistlichkeit zu massiven sittlichen Missständen geführt, wobei das Jugendalter als besonders gefährdet wahrgenommen wurde. Nicht selten trifft man in diesem Zusammenhang auch auf straftheologische Argumente. Schulreform ist hier dem Bereich gesellschaftsreformerischer Bemühungen und allenfalls bevölkerungspolitischer Massnahmen zuzuordnen und weniger als Reaktion auf sich längerfristig verändernde wirtschaftliche Verhältnisse mit neuen Berufsanforderungen zu deuten, wie dies für die fast gleichzeitige Stadtschulreform gilt. Schliesslich findet sich in jenem Kontext an keinem Ort der explizite argumentative Bezug auf die Idee, durch verbesserte Schulbildung zu einer volkswirtschaftlichen Ertragssteigerung beizutragen. Die Bevölkerung und ihre quantitative und qualitative Entwicklung war bereits in den Jahren zuvor ins Blickfeld des obrigkeit-
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Motive und Kontexte
lichen Interesses gerückt. Vor allem die Pfarrer beschäftigten sich in ihrer traditionellen Funktion als geistliche Landschaftsverwalter und verstärkt unter dem Eindruck eines neuen pastoralen Selbstverständnisses privat und als Mitglieder gemeinnütziger Gesellschaften mit der Analyse der sittlichen Beschaffenheit und der materiellen Umstände ihrer Gemeinden. Auf ein solches Vorhaben, über die Pfarrer Informationen über die sittlichen Qualitäten und ökonomische Situation ihrer Gemeindeglieder, unterteilt nach Altersgruppen, zu erhalten, geht auch die Idee zur Landschul-Enquête in der Moralischen Gesellschaft zurück. Der Schul- und Erziehungsdiskurs war weitgehend von Kirche und Geistlichkeit bestimmt. Dies verwundert nicht angesichts der Tatsache, dass die Institution Schule eine Domäne der Kirche war und deren Vertreter ihre Zuständigkeit für Erziehungsfragen im Kontext von Erscheinungen, die Ängste eines Einflussverlustes der Religion hervorkommen liessen, mit Nachdruck beanspruchten. Die Suche nach frühen Symptomen einer Emanzipation des Volksschulwesens von kirchlicher Herrschaft würde für jene Zeit denn auch keine positiven Ergebnisse zutage fördern. Im Gegenteil erweist sich das damalige pädagogische Interesse in den pastoralen Kreisen als starker Faktor, der in die umgekehrte Richtung weist. Jenseits der Ressourcenfrage muss auch die Tatsache, dass die Idee eines Schulmeisterseminars, wie sie da und dort geäussert wurde, keine Aussicht auf eine Umsetzung hatte, vor diesem Hintergrund betrachtet werden. Bereits die im ersten Teil der Arbeit untersuchte ‚Anleitung für die Landschulmeister‘ hat deutlich gemacht, dass eine Professionalisierung des Standes der Schulmeister – obwohl man durchaus bessere Leistungen von diesen erwartete – das pfarrherrliche Interesse, die Expertise im Bereich von Schule und Unterricht in Händen zu behalten, durchkreuzt hätte. Die Situation der Schulmeisterausbildung stand hinter den Entwicklungen in verschiedenen deutschen Territorien zurück. Im Vergleich etwa zu Felbigers Unterrichtsanleitung, die wenige Jahre früher erschienenen ist und den Zürcher Pfarrern durchaus bekannt gewesen sein dürfte, erweist sich die Zürcher Anleitung denn als äusserst zaghafter bzw. ambivalenter Versuch, das Ansehen und die Kompetenzen des Schulmeisters zu heben. Wo jene Massstäbe für methodisches Schulmeisterkönnen definierte, setzte diese auf fromme Gesinnung und Unterordnung unter den Pfarrer. Betrachtet man die Diskussionen innerhalb der Kirche und der Asketischen Gesellschaft, so erkennt man einen Ausgangspunkt der pädagogisch-didaktischen und methodischen Überlegungen zu Fragen des Unter-
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richts und der Erziehung, insbesondere der Volkserziehung, im damaligen Predigtdiskurs. Die dem Exempel zugesprochene Wirkung kommt mit Bezug auf die populäre Predigt ebenso zur Sprache wie die Notwendigkeit, die moralische Seite der Religion – verstanden als natürliche Sittenlehre – hervorzuheben. Ob der Zugang zum Volk jedoch über das Herz und das Gefühl oder über den Verstand zu finden sei, darüber war man sich in den Zürcher Pfarrer- und Theologenkreisen nicht einig. Umso deutlicher lassen diese pastoraltheologischen Erörterungen die pädagogischen Konsequenzen unterschiedlicher theologischer Anschauungen hervortreten. Die Analyse dieser Kontroversen legt den Schluss nahe, dass es in den 70er und 80er Jahren die Verfechter der gemässigten Aufklärungstheologie waren, die in der Asketischen Gesellschaft und den massgeblichen Zürcher Theologenkreisen, aber auch im internationalen deutschsprachigen Diskurs, etwa gegenüber dem Lavater-Kreis, Oberwasser hatten. Vor allem waren es die theologisch reformorientierten Geistlichen, die sich gegenüber Erziehungs- und Unterrichtsfragen offen und interessiert zeigten. Die Pädagogismen der Zeit ebenso wie das der natürlichen Religions- und Sittenlehre zugrunde liegende Naturgesetz sprachen den Verstand an, ohne dass die Gefühlsseite, solange sie das ‚vernünftige‘ Mass nicht in Richtung Aber-, Wunderglauben und Mystizismus überschritt, vernachlässigt worden wäre. Die Diskussionen im Umfeld von Schule, Unterricht und Erziehung in der Asketischen Gesellschaft bestätigen den Eindruck, dass die Reformprogrammatik der neuen Schul- und Lehrordnung den pragmatischen Mittelweg zwischen fortschrittlichen und konservativen Positionen darstellte. Dies lässt sich tendenziell auch bezüglich der dort behandelten Frage feststellen, ob und inwieweit neue, realistische Gegenstände in den Schulunterricht einzuführen seien. Dieser Frage gegenüber war man in der Asketischen Gesellschaft zwar offen eingestellt und beantwortete sie zum Teil positiv. Zugleich lassen die Erörterungen den Schluss zu, dass man sich über das Wie nicht im Klaren war und dass man dem Möglichen enge Grenzen gesetzt sah. Das Vorhaben der Verbesserung des religiösen und moralischen Unterrichts hatte Vorrang, zusätzliche ‚Fächer‘ hätten dieses Anliegen angesichts von Zeitknappheit – die Jugendlichen sollten weiterhin möglichst bald ins Arbeitsleben integriert werden können – konkurrenziert. Der Forderung nach einer Ausdehnung des Schulbesuchs wiederum standen die Interessen vieler Eltern und Gemeinden, die im Übrigen zum weitaus grössten Teil selber für die Schulen aufkamen, entgegen. Die Möglichkeiten eines Landpfarrers, seine allfälligen Wünsche betreffend die Hebung der Schulen durchzusetzen, waren je nach den materiellen Verhältnissen vor
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Ort, aber auch den personellen Beziehungskonstellationen, der Anerkennung, die er im Dorf genoss, in sehr unterschiedlichem Mass gegeben. Die Beziehungsproblematiken zwischen den Pfarrern und ihren Gemeinden waren sozial, ökonomisch, politisch, aber auch kulturell strukturiert und Ersteren durchaus bewusst. Entsprechend sollten Menschenkenntnis, Beobachtungsgabe – psychologische und moralische Diagnosefähigkeiten – im pastoralen Selbstverständnis zunehmend zum Repertoire der Kompetenzen eines Pfarrers auf dem Land gehören. Die von den Pfarrern in der Asketischen Gesellschaft diskutierten Möglichkeiten, wie am besten an die Leute ‚heranzukommen‘ sei, um erzieherisch auf diese Einwirken zu können, überschneiden sich wiederum mit den allgemeineren methodisch-pädagogischen Überlegungen, die auch in Unterrichtsfragen eine Rolle spielten. Die Situierung des untersuchten Erziehungsdiskurses und der zugrunde liegenden anthropologischen Vorstellungen im religiösen und theologischen Reformkontext hat ergeben, dass der zeitgenössischen neologischen Aufklärungstheologie deutlich höhere Wirksamkeit auf die (volks-)pädagogischen Ideen der Zeit zukam, als sie etwa ein autoritatives Bibelchristentum oder das Nachwirken eines Pietismus, der sich selber als solcher verstand, zu entfalten vermochten. Die Leibniz-wolffsche Schulphilosophie bildete weiterhin die Grundlage bzw. den metaphysischen Überbau des philosophischen und theologischen Denkens. Dem widersprach in der Zeit nicht die Aufnahme empiristischer Ideen in den pädagogischen Bereichen Lernen und Methode, die zu einer ersten Psychologisierung dieser Domänen beitrugen. Ein radikaler Sensualismus oder gar Materialismus, der ohne die letzten Normen und Gewissheiten, die jener Überbau noch bereithielt, auskam, war im wahrsten Sinn des Wortes indiskutabel und gefährdete den die damalige Religion und Pädagogik tragenden Vernunftoptimismus. Resümierend lassen sich mit Bezug auf die pädagogischen Reformbestrebungen im Zürich der 1770er Jahre zwei gleichzeitige Tendenzen, sowohl eine der Säkularisierung bzw. Profanierung wie eine der Rechristianisierung, aufweisen. Die pädagogischen Bestrebungen folgten durchaus dem Ziel, den reformiert-christlichen Glauben im Leben der Menschen (wieder) stärker zu verankern und insbesondere auch eine falsche Auslegung der Lehre, die der moralischen Praxis eher entgegenstand als sie beförderte, zu berichtigen. Dies geschah unter dem Einfluss der Neologie, die das Moment des moralischen Diesseitsbezugs hervorhob und deren optimistisches Menschenbild zugleich der Pädagogik einen besonderen Stellenwert verlieh. Die eingeführten Begriffe, ‚Rechristianisierung‘ wie ‚Säkularisierung‘
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bzw. ‚Profanierung‘, sind, dies ist hier wichtig zu betonen, im Sinn analytischer Kategorien zu verstehen, während sich das Phänomen lediglich als Dialektik dieser Tendenzen verstehen lässt. Als Drittes hinzu kommt allerdings die sich fachlich konstituierende Pädagogik: Denn beim Vorhaben, ihre Wirksamkeit auf sämtliche Lebenssphären auszudehnen, stand diese der Neuen Lehre massgeblich zur Seite.
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A. Zürcher Währungen und Einheiten im 18. Jahrhundert Währungen 1 Gulden entspricht:
(fl)
2 16 40 60 480
(lb/tt) (bz) (ss) (xr) (hl)
Pfund (Zürcher) Batzen (Zürcher) Schillinge (Gute) Kreuzer Heller
Einheiten 1 Stück entspricht: 1 1 6 1 5
Mütt Kernen (54 kg) Malter Hafer (150 kg) Viertel Roggen (81 kg) Eimer Wein (37.5 l) fl Geld
(Stk.)
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B.
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Fragen über den Schul-Unterricht [1771]
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Anhang
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11 Quellen und Literatur
11.1 Quellen 11.1.1 Handschriftliche Quellen Staatsarchiv des Kantons Zürich (StAZH) III EE a 1a: Durchgehende Ordnung für die Schulen vff der Landschafft (1637) B II 951: Ratsmanuale (1771) B IX 16, 17: Vermischte Ökonomische Abhandlungen (1762–1785) (Archiv der Naturforschenden Gesellschaft/Ökonomischen Kommission) B IX 27: Briefe an die Ökonomische Kommission (1768–1744) (Archiv der Naturforschenden Gesellschaft/Ökonomischen Kommission) B IX 60: Protokolle der Ökonomischen Kommission (1774–1778) (Archiv der Naturforschenden Gesellschaft/Ökonomischen Kommission) B IX 206: Verzeichnus sammtlicher so wol von Anfang incorporiert gewesnen als dermahlen bey loblich-Physicalischer Societet in Zürich annoch anwesenden Ehren und Mitgliederen (1746–1826) (Archiv der Naturforschenden Gesellschaft/Ökonomischen Kommission) E I 2 3b: Synodalia (1770–1798) E I 19a: Schulreform Kunst- und Realschule (1765–1786) E I 21.1–9: Landschulwesen (1537–1798) E II 7a: Synodalia (1649–1792) E II 46–47: Acta Ecclesiastica (1764–1788) E II 101a: Promptuarium Ecclesiasticum (1521–1792) E II 112–209: Visitationsakten mit Schulberichten (1636–1798) E II 490: Scholarium oder Beschreibung aller Schulen der Statt und Landschafft Zürich und deren, deren Herren Pfarrer dem Züricher Synodo einverleibet sind (1735–1797) E II 490a: Beschreibung der Zürcher Landschulen (1705–1742) E IV: Kapitelsarchive der zürcherischen Geistlichkeit (1520–1831) Kataloge 249: Repertorium ecclesiasticum Majus oder Realregister über das Züricherische Kirchen-Archiv
Quellen und Literatur
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Zentralbibliothek Zürich (ZBZ) Archiv A, B, B1, B 3a: Arbeiten des Archivs der ascetische Gesellschaft (Archiv der Asketischen Gesellschaft) J 521: Geschichte, Gesetze und Verfassungen der Moralischen Gesellschaften in der Schweiz überhaupt und in Zürich insbesondere (1762–1814) J 522–523: Anreden des Präsidenten Salomon Hirzel (1764–1789) J 528: Relationen der Aktuare von den Verrichtungen der Moralischen Gesellschaft (1764–1819) J 531–534: Tagebuch und Protokolle der Moralischen Gesellschaft (1764–1775) J 543: Zuschriften und Korrespondenzen der Moralischen Gesellschaft (1764–1849) S 493: Acta Collegii Insulanorum (1679–1696)
Bundesarchiv Bern (BAR) Zentralarchiv der Helvetischen Republik (1798–1803), Bd. 1470, 1471, 1421: Antworten auf die stapfersche Schul-Enquête von 1799 aus dem Kanton Zürich
Burgerbibliothek Bern (BB) Oek. Ges. 38: Einsendungen zur Preisfrage der Ökonomischen Gesellschaft von 1763
11.1.2 Gedruckte Quellen Abhandlungen und Beobachtungen durch die ökonomische Gesellschaft zu Bern gesammelt, 4.–9. Jg. Bern 1763–1768 Anleitung für die Landschulmeister. Zürich 1771 Anleitung zu den Anfangsgründen der Rechenkunst. Gewiedmet der Lieben Jugend. Zürich 1776 [Bahrdt, Carl Friedrich]: Philanthropinischer Erziehungsplan oder vollständige Nachricht von dem ersten wirklichen Philanthropin zu Marschlins. Frankfurt a. M. 1776 Bahrdt, Carl Friedrich: Über das theologische Studium auf Universitäten. Berlin 1785 Basedow, Johann Bernhard: Practische Philosophie für alle Stände. Erster Theil. Copenhagen u. a. 1758 Basedow, Johann Bernhard: Philalethie. Neue Aussichten in die Wahrheiten und Religion der Vernunft bis in die Gränzen der glaubwürdigen Offenbarung dem denkenden Publico eröffnet. 2 Bde. Altona 1764a Basedow, Johann Bernhard: Methodischer Unterricht der Jugend in der Religion und Sittenlehre der Vernunft nach dem in der Philalethie angegebenen Plane. Altona 1764b
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Quellen und Literatur
Basedow, Johann Bernhard: Das Methodenbuch für Väter und Mütter der Familien und Völker. 1. Teil und 2. Teil, 1. Stück. Altona u. a. 1770a Basedow, Johann Bernhard: Des Elementarbuchs für die Jugend und für ihre Lehrer und Freunde in gesitteten Ständen. Erstes Stück. Altona u. a. 1770b Basedow, Johann Bernhard: Elementarwerk mit den Kupfertafeln Chodowieckis u. a. [1774]. Kritische Bearbeitung in 3 Bänden. Hrsg. von Theodor Fritzsch. Leipzig 1909 Beyträge zur Beförderung des vernünftigen Denkens in der Religion. Frankfurt u. a. 1780–1784 Böhme, Jacob: De signatura rerum: Das ist / Bezeichnung aller dingen / wie das Jnnere vom Eusseren bezeichnet wird. Beschrieben im Jahr nach Christi Geburt / 1622. Gedruckt im Jahr 1635. In: Werke, hrsg. von Ferdinand van Ingen. Frankfurt a.M. 1997 Bosshard, Heinrich: Eines schweizerischen Landmannes Lebensgeschichte, von ihm selbst beschrieben, Bd. 1. Hrsg. von Johann Georg Müller. Winterthur 1804 Breitinger, Johann Jakob: Drey Reden Bey Anlass der feyerlichen Ankündigung und Einführung des mit Hoch Oberkeitlichem Ansehen bevestigten Erziehungs-Plans in unsere öffentliche Schule [1772/1773/1774] [erschienen zusammen mit Usteri 1773[/1775]] [Bürger, Gottfried August]: Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande, Feldzüge und lustige Abentheuer des Freyherrn von Münchhausen, wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt. Aus dem Englischen nach der neuesten Ausgabe übersetzt, hier und da erweitert und mit noch mehr Kupfern gezieret. Faksimile-Wiedergabe des Erstdruckes von 1786. München 1981 Campe, Joachim Heinrich: Über einige verkannte wenigstens ungenützte Mittel zur Beförderung der Indüstrie, der Bevölkerung und des öffentlichen Wohlstandes. In: Quellenschriften zur Industrieschulbewegung, Bd. 2. Mit einer Einleitung von G. Koneffke. Frankfurt a.M. 1969 [Nachdruck der Ausgabe Wolfenbüttel 1786] Catechismus, Das ist: Underricht Wahrer Christlicher Religion: Samt den Zertheilungen einer jeden Antwort und Zeugnussen der heiligen Schrifft: Eingetheilt in XLVIII. Sonntäge durch das gantze Jahr. Für die Jugend der Stadt und Landschafft Zürich. Zürich 1764 Christliche und nothwendige Gebätter / für die Schulmeister und Lehrkinder / auf der Landschaft / der Stadt Zürich. Sampt / Beygethanen nutzlichen Schul-Satzungen / So wol zubeobachten. Zürich 1658 Christliches Magazin. Hrsg. von Johann Konrad Pfenninger. 1779–1780 Cramer, Johann Rudolf: Lebensgeschichten ehmals gefangener Missethäter. Als ein Anhang zu den Unterhaltungen für Missethäter. Aus sorgfältigen und genauen Beobachtungen zusammengetragen. Zürich 1772 Cramer, Johann Rudolf: Unterricht über den Landbau in einem Freundlichen Gespräch zwischen einem alten, erfahrnen Landmann und einem jungen Baurenknab. Zum Gebrauch unserer Landschulen. Zürich 1774
Quellen und Literatur
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Das Zweite Helvetische Bekenntnis. Übertragen von Walter Hildebrandt und Rudolf Zimmermann. Zürich 1966 Der Erinnerer. Eine moralische Wochenschrift, Bd. 1. Zürich 1765 [Diterich, Johann Samuel]: Unterweisung zur Glückseligkeit nach der Lehre Jesu. Berlin 1772 Erneuerte Schul- und Lehr-Ordnung für die Haus- und Deutsche Schulen der Stadt Zürich. Aus Hoch-Obrigkeitlichem Befehl zum Druck befördert. [o.O.] 1781 Erneuerte Schul- und Lehr-Ordnung für die Schulen der Landschaft Zürich. Aus Hoch-Obrigkeitlichem Befehl zum Druck befördert. [o.O.] 1778 Erneuerte Schul-Ordnung für die Schulen der Evangelisch-Reformirten Kirchgemeinden im Landsfrieden. [o.O.] 1779 Escher, Johann Heinrich: Synodal-Rede über die besten Mittel, wodurch der Fortgang eines verbesserten Zustandes der Zürcherischen Kirche kann befördert, und nach dem Willen Gottes, glücklich erzielet werden. Zürich 1774 Escher, Johann Heinrich: Synodal-Rede über einige Merkmale eines guten und blühenden Kirchen- und Religionszustands bey einem Volk. Zürich 1778 [Escher, Heinrich/Schulthess, Johann Georg]: Erster Unterricht der Religion, samt einigen Gebethern für Schul-Kinder. Zürich 1787 Felbiger, Johann Ignaz von: Eigenschaften, Wissenschaften, und Bezeigen rechtschaffener Schulleute, um nach dem in Schlesien für die Römischkatholischen bekannt gemachten Königl. General-Landschulreglement in den Trivialschulen der Städte, und auf dem Lande der Jugend nützlichen Unterricht zu geben [1768]. Besorgt von Julius Scheveling. Paderborn 1958 [nach der Ausgabe Bamberg und Wirzburg 1780] Fragen über den Schul-Unterricht [o.O., o.J.] Füsslin, Johann Conrad: Nachricht von Preussisch-Pommern. [o.O.] 1778 Gellert, Christian Fürchtegott: Geistliche Oden und Lieder. Leipzig 1757 Gesetz über die Organisation des gesammten Unterrichtswesens im Canton Zürich [1832]. In: Officielle Sammlung der seit Annahme der Verfassung vom Jahre 1831 erlassenen Gesetze, Beschlüsse und Verordnungen des Eidgenössischen Standes Zürich, Bd. 2. Zürich 1832 Gesner, Johann Matthias: Opuscula minora varii argumenti, Bd. 1. Vratislava 1743 Gesner, Johann Matthias: Kleine Deutsche Schriften. Göttingen u. a. 1756 [Gessner, Johann Kaspar]: Anweisung der lieben Jugend in den Schulen, Zu einem Christlich-sittlichen auch äusserlich wohlanständigen und höflichen Betragen. Zürich 1774 Gründlicher Unterricht zum Singen der Psalmen, Choralen und Liedern. Zum Gebrauch der Lehrenden und Lehrnenden in den Schulen. Zürich 1774 [Hähn, Johann Friedrich]: Des Berlinischen neu eingerichteten Schulbuches Dritter Theil welcher die Lehrart wornach die im ersten und zweyten Theil befindlichen Sachen der Jugend beyzubringen sind, enthält. Berlin 1758 [Hähn, Johann Friedrich]: Berlinisches neu eingerichtetes ABC Buchstabir- und LeseBüchlein. Berlin 1760 [Hess, Felix]: Prüfung der philosophischen und moralischen Predigten. Zürich 1767
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Quellen und Literatur
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Quellen und Literatur
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Kurze und deutliche durch die Erfahrung bewährte und um viel verbesserte und erleichterte Anleitung, auf die beste und grundlichste Art buchstabieren und lesen, samt den gewohnlichsten Abkürzungen und Unterscheidungszeichen, insonderheit auch die Zahlen kenne etc. zu lehren und zu lernen. Zürich 1759 La Chalotais, Ludwig Renatus de Caradeuc de: Versuch über den Kinder-Unterricht aus dem Französischen übersetzt [und hrsg. von August, Ludwig von Schlözer]. Mit Anmerkungen und einer Vorrede, die Unbrauchbarkeit und Schädlichkeit der Basedowschen Erziehungs-Projecte betreffend. Göttingen u. a. 1771 La Chambre, Marin Cureau de: L‘ârt de connoistre les hommes. Paris 1659 La Chambre, Marin Cureau de: Les characteres des passions, Bd. 1 [1640]. Paris 1662 La Chambre, Marin Cureau de: Die Kunst und Art die Menschen zu erkennen. Durch den Hrn. de la Chambre in Frantzösischer Sprach beschrieben und anjetzo den Kunstbegierigen zu lieb in die Teutsche übersetzt. Franckfurt 1668 Lavater, Johann Caspar: Christliches Handbüchlein für Kinder. Zürich 1771 [Lavater, Johann Caspar]: Zween Volkslehrer, ein Gespräch, nachgeschrieben von Jonathan Asahel … Winterthur 1789 [Locher, Dietrich]: Biblische Geschichten zum Gebrauche der Landschulen. Zürich 1774 Locke, John: Some Thoughts Concerning Education [1693]. Ed. with Introduction, Notes, and Critical Apparatus by John W. and Jean S. Yolton. Oxford 1989 [Meister, Jakob Heinrich]: De l‘origine des principes religieux. [o.O.] 1768 [Meister, Jakob Heinrich]: Logique à mon usage. Ouvrage traduit du chinois. Amsterdam 1772 [Meister, Jakob Heinrich]: De la morale naturelle. [o.O.] 1787 [Meister, Jakob Heinrich]: Lettres sur l‘imagination. Zürich 1794 Meister, Jakob Heinrich: Euthanasie, ou mes derniers entretiens avec elle sur l‘immortalité de l‘âme. Paris 1809 Meister, Johann Heinrich: Aufmunterung zu freudiger Beobachtung aller Pflichten der Christlichen Gemeinschaft, in einer Predigt über Philipp. II. v. 1,2. Zürich 1778 [Meister, Leonhard]: Einweihungsrede der neu-errichteten Kunstschule. Gehalten den 16. Herbstmonat 1773. Zürich 1773 Mémoires et observations recueillis par la Société Œconomique de Berne. 1764 [1. Teil] Miller, Johann Peter: Grundsätze einer weisen und christlichen Erziehungskunst. Göttingen 1769 Mosheim, Johann Lorenz von: Sitten-Lehre der Heiligen Schrift, Bd. 8. Verfasst von D. Johann Peter Miller. Göttingen u. a. 1767 Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Dritter und letzter Band. In: Gesammelte Werke, Bd. 3, hrsg. von Bernhard Fabian und Marie-Luise Spieckermann. Hildesheim u. a. 1988 [Nachdruck der Ausgabe Berlin und Stettin 1776] Nuzliche und kurzweilige Historien für Kinder. Zürich 1775
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Tribe, Keith: Natürliche Ordnung und Ökonomie. In: Aufklärung. Interdisziplinäres Jahrbuch zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte, Bd. 13. Hamburg 2001, S. 283–302 Tröhler, Daniel: Republikanismus als Erziehungsprogramm: Die Rolle von Geschichte und Freundschaft in den Konzepten eidgenössischer Bürgerbildung der Helvetischen Gesellschaft. In: Böhler, Michael/Hofmann, Etienne/Reill, Peter H./Zurbuchen, Simone (Hrsg.): Republikanische Tugend. Ausbildung eines Schweizer Nationalbewusstseins und Erziehung eines neuen Bürgers. Genève 2000, S. 401– 421 Tröhler, Daniel: Republikanismus und Pädagogik. Pestalozzi im historischen Kontext. Bad Heilbrunn 2006 Tröhler, Daniel/Hardegger, Urs: Zukunft bilden. Die Geschichte der modernen Zürcher Volksschule. Zürich 2008 Tröhler Daniel/Schwab, Andrea (Hrsg.): Volksschule im 18. Jahrhundert. Die Schulumfrage auf der Zürcher Landschaft in den Jahren 1771/1772. Bad Heilbrunn 2006 Venezky, Richard L.: Literacy. In: Harris, Theodore L./Hodges, Richard E. (Hrsg.): The Literacy Dictionary. The Vocabulary of Reading and Writing. Newark 1995, S. 142 Viola, Siegfried: Aus den Anfängen der schweizerischen Gemeinnützigkeitsbewegung mit besonderer Berücksichtigung des Kantons Zürich. Stäfa 1941 Voigt, Christopher: Der englische Deismus in Deutschland. Eine Studie zur Rezeption englisch-deistischer Literatur in deutschen Zeitschriften und Kompendien des 18. Jahrhunderts. Tübingen 2003 Vollmer, Ferdinand: Die preussische Volksschulpolitik unter Friedrich dem Grossen. Berlin 1918 Volz-Tobler, Bettina: Rebellion im Namen der Tugend. ‚Der Erinnerer‘ – Eine Moralische Wochenschrift, Zürich 1765–1767. Zürich 1997 Wartburg-Ambühl, Marie-Louise von: Alphabetisierung und Lektüre. Untersuchung am Beispiel einer ländlichen Region im 17. und 18. Jahrhundert. Bern 1981 Weder, Hans: Johann Jakob Hess. In: Holzhey, Helmut/Zurbuchen, Simone (Hrsg.): Alte Löcher – neue Blicke. Zürich im 18. Jahrhundert: Aussen- und Innenperspektiven. Zürich 1997, S. 319–327 Weigelt, Horst (Hrsg.): Johann Caspar Lavater. Ausgewählte Werke in historisch-kritischer Ausgabe, Ergänzungsband. Bibliographie der Werke Lavaters. Zürich 2001 Weinmann, Barbara: Eine andere Bürgergesellschaft. Klassischer Republikanismus und Kommunalismus im Kanton Zürich im späten 18. und 19. Jahrhundert. Göttingen 2002 Weissleder, Martin: Der relative Schulbesuch im Jahr 1799 in den Schulen der Kirchgemeinde Reichenbach. In: Bildungsforschung und Bildungspraxis 16(1994), S. 368–386 Wernle Paul: Der schweizerische Protestantismus im 18. Jahrhundert. 3 Bde. Tübingen 1923–1925
Quellen und Literatur
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Personenregister
A Addison, Joseph 411 Algarotti, Francesco 297 Alembert, Jean le Rond d’ 297, 409, 411 Ammann, Johannes 117 Arndt, Johann 173, 282, 444 Austin, John L. 8 B Bachofen, Johann Kaspar 173 Bahrdt, Carl Friedrich 363, 392f. Balber, Elias 112f., 142, 177f., 182, 194, 325 Balber, Konrad 351ff. Basedow, Johann Bernhard 35, 55, 58f., 146, 148ff., 174, 197ff., 202, 227, 233, 263, 393, 416, 421 Baumgarten, Siegmund Jakob 55, 396 Beccaria, Cesare 300 Becker, Rudolf Zacharias 282 Bell, Andrew 191, 232 Birch, Salomon von 358f. Bodmer, Johann Jakob 6, 31f., 33f., 36, 45, 58, 196, 199, 204, 255, 267, 295, 304, 308f., 318, 349, 363, 368, 391, 409ff., 422 Böhme, Jacob 209, 390 Bondeli, Julie 296 Bonnet, Charles 352 Bonstetten, Karl Viktor von 222, 224 Bosshard, Heinrich 133 Breisacher, Heinrich 44 Breitinger, David 56, 92, 307, 345 Breitinger, Johann Jakob (1575–1645) 312
Breitinger, Johann Jakob (1701–1776) 6, 28, 32ff., 43, 132, 150, 204, 267, 275, 318, 320, 345, 347, 391, 397, 409, 411, 422 Brennwald, Ulrich 324 Bretschneider, Heinrich Gottfried 182 Brunner, Hans Kaspar 366 Buffon, Georges Louis Leclerc, comte de 409 Bullinger, Heinrich 26ff., 364 Bürkli, Johannes 199 Butler, Joseph 401f. C Campe, Joachim Heinrich 359, 363, 391f. Clarke, Samuel 413 Comenius, Johann Amos 150, 188 Condillac, Etienne Bonnot de 411 Corrodi, Felix 140 Corrodi, Hans Jakob 362 Corrodi, Heinrich 338, 348, 354, 392ff., 397f. Cramer, Johann Rudolf 63, 264ff., 281, 348f. Crauer, Nivard 190 D Däniker, Jakob 109 Denzler, Christoph 179 Diderot, Denis 297, 409, 411 Diesterweg, Friedrich Adolph Wilhelm 147 Diterich, Johann Samuel 182, 271f., 364
Personenregister E Eberhard, Johann Kaspar 357, 373ff., 396, 398 Ernesti, Johann August 402 Escher Heinrich (1722–1793) 47 Escher, Johann Heinrich (1728–1814) 1, 42, 45, 47ff., 56ff., 62ff., 66, 76, 79, 112f., 115, 140, 145, 174, 177, 189, 195, 200, 226, 228, 230ff., 245, 266, 274, 281, 303, 318, 331ff., 350f. Esslinger, Johannes 177 F Fäsi, Heinrich (1714–1780) 178 Fäsi, Heinrich (1728–1777) 178 Fäsi, Johann Konrad 132, 303 Feddersen, Jakob Friedrich 363 Felbiger, Johann Ignaz von 57, 115, 150, 188f., 205, 252, 286, 424 Fénelon, François de Salignac de la Mothe- 50 Foucault, Michel 7, 10, 381 Freitag, Rudolf 323 Friedrich der Grosse 189, 205 Friedrich II., Herzog von SachsenGotha-Altenburg 113 Friedrich III., Kurfürst von Brandenburg 208 Friedrich Wilhelm III., König von Preussen 315 Fürstenberg, Franz Freiherr von 354 Füssli, Johann Heinrich (1741–1825) 307, 368 Füssli, Johann Heinrich (1745–1832) 199, 295, 306ff., 310, 323, 409 Füssli, Johann Konrad 132f., 176 G Gellert, Christian Fürchtegott 45f., 109, 173, 231, 280, 283f. Georg II., Kurfürst von Hannover 113, 199 Georg III., Kurfürst von Hannover 199
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Gesner, Matthias 34f., 57, 113ff., 148, 153, 196, 198ff., 202, 227, 233, 421 Gessner, Johann Kaspar 44f., 47f., 60ff., 76, 174, 227f., 265, 268ff., 281, 287 Gessner, Johannes 135 Gessner, Salomon 109 Girard, Grégoire 192, 232 Gleim, Johann Wilhelm Ludwig 45 Goethe, Johann Wolfgang von 199, 370 Gossweiler, Heinrich 377, 379 Gottsched, Johann Christoph 36 Graser, Johann Baptist 152 Grebel, Felix 295, 301, 307 Grimm, Melchior 409, 410 Gutmann, Jakob 364ff. H Habermas, Jürgen 15 Häfeli, Johann Kaspar 373, 375, 394, 398f. Hagenbuch, Johann Kaspar 177, 181 Hähn, Johann Friedrich 150, 189, 205 Haller, Albrecht von 297 Hecker, Johann Julius 57, 150, 189 Heidegger, Johann Konrad 9, 12, 28, 32, 43, 130, 311, 331 Helvétius, Claude Adrien 297 Herbart, Johann Friedrich 187, 192f. Herder, Johann Gottfried 352, 367 Hess, Balthasar 199 Hess, Christoph Heinrich 318, 347 Hess, Felix 295, 303f., 306f., 368, 385, 400ff., 415f. Hess, Hans Heinrich 380 Hess, Heinrich 199, 271, 295, 307 Hess, Johann Jakob (1741–1828) 270f., 274, 278f., 295, 302, 307, 316ff., 345, 347f., 352, 363, 373, 376f., 385, 388, 391, 394 Hess, Johann Jakob (1743–1819) 303 Hess, Johannes 47 Hess, Kaspar 126, 318 Heydenreich, Friedrich Erdmann August 367
462
Personenregister
Hirzel, Johann Heinrich 47, Hirzel, Johann Kaspar 77, 212, 265, 280, 294, 319, 352, 397 Hirzel, Salomon 135f., 198f., 277, 294ff., 298ff., 305ff., 315, 318f., 327 Holzhalb, Ludwig 124f. Holzhalb, Rudolf 178 Home, Henry 297 Hottinger, Kaspar 117 Hotz, Johannes 199, 303 Huarte, Juan 209 Huber, Christian 173 Hübner, Johann 173f. Hume, David 205, 297, 355, 369 I Ickelsamer, Valentin 146 Irminger, Kaspar 111 Irminger, Ulrich 275ff., 307, 316, 345 Iselin, Isaak 198f., 296, 298, 301, 303, 305, 308, 353, 366, 397, 410 J Jerusalem, Johann Friedrich Wilhelm 263, 325f., 352, 355 Jud, Leo 27, 359 K Karl Wilhelm Ferdinand, Herzog von Braunschweig und Lüneburg 326 Keller, Heinrich (1728–1802) 303 Keller, Johann Heinrich (1724–1793) 179 Keller, Johann Konrad 183 Keller, Kaspar 306f. Keller, Konrad 186 Kirchberger, Niklaus Anton 199, 296f., 299ff., 303ff. Kitt, David 132, 176 Klopstock, Friedrich Gottlieb 45f., 231, 280, 315, 384 Körner, Jakob 116 Krüsi, Hermann 147
L La Chalotais, Louis René de Caradeuc de 150, 197 La Chambre, Marin Cureau de 208ff. Lamettrie, Julien Offray de 390 Lancaster, Josef 191, 232 Lavater, Johann Heinrich 199 Lavater, Johann Kaspar 6, 46, 73, 172f., 181, 198ff., 231, 265, 271, 278, 295f., 302, 304, 306f., 310, 315f., 338, 345, 348f., 352, 368, 375, 385, 388, 390ff., 397, 400, 425 Lavater, Matthias 199 Leibniz, Gottfried Wilhelm 401, 410ff., 426 Lenz, Jakob Michael Reinhold 370 Lessing, Gotthold Ephraim 55, 338, 352, 355, 393 Locher, Dietrich 47, 63, 74, 265, 270, 279, 303, 359f. Locke, John 35, 50f., 55, 58f., 76, 198, 201ff., 205f., 212, 219f., 233f., 251, 255, 258f., 365, 411, 422 Lüders, Philipp Ernst 56 Lüdke, Friedrich Germanus 367, 375 Ludwig Eugen, Herzog von Württemberg 262, 296 M Mably, Gabriel Bonnot 211 Malthus, Thomas Robert 135 Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich 189 Massow, Julius Eberhard von 315 Maurer, Rudolf 348, 354, 356, 381, 383, 398f. Mayer, Johann Friedrich 176f. Meiss, Ludwig von 307 Meister, Jakob Heinrich (Henri) 309f., 390, 401, 408ff. Meister, Johann Heinrich 96, 113, 116, 143f., 149, 152f., 169, 178, 181f., 186, 195f., 208ff., 216, 309, 336ff., 390, 409f.
Personenregister Meister, Leonhard 32, 390, 397, 411 Mendelssohn, Moses 297, 338, 352, 355, 391 Meyer, Hans Jakob (1722–1799) 125f. Meyer, Jakob (1748–1823) 363 Meyer, Johann Jakob (1731–1792) 117ff., 123, 176 Meyer, Johann Ludwig 74 Meyer, Kaspar 318 Michaelis, Johann David 297, 402 Miller, Johann Peter 50, 58f., 76, 173f., 200ff., 220, 227, 233f., 254, 421 Moschard, Johann Heinrich Niklaus 222 Mosheim, Johann Lorenz von 50, 200 Müller, Johannes 178 Muralt, Daniel von 307 N Näf, Heinrich 177, 302f. Nägeli, Hans Jakob 90 Napoleon I., Kaiser von Frankreich 410 Nettelblatt, Daniel 294 Nicolai, Friedrich 182, 338f., 355, 367, 370, 391f. Nüscheler, Felix (1725–1799) 199 Nüscheler, Felix (1740–1796) 84 Nüscheler, Felix (1733–1816) 394 Nüscheler, Hans Conrad (1739–1811) 360ff. Nüscheler, Jakob Christoph 84, 94, 108, 115, 149, 152, 168, 174, 181f., 197, 199, 244, 307, 345, 348 Nüscheler, Johann Konrad (1759–1856) 373 O Oechslin, Leonhard 105, 112f., 183, 200, 202 Oeri, Georg 318 Oeri, Johann Jakob 91, 108, 113f., 138f., 148ff., 152f., 169, 177f., 181ff., 189, 195ff., 211, 215, 217, 220, 303 Oeri, Johann Konrad 356, 358 Oestreich, Gerhard 15
463
Olivier, Louis Heinrich Ferdinand 146f. Orelli, Salomon von 307 Ostervald, Jean Frédéric 45, 257, 278, 357 Overberg, Bernhard 354 P Paracelsus 209 Paulus 216, 261, 295, 370, 399, 401 Pelagius 405 Pestalozzi, Johann Heinrich 6, 11f., 49, 100, 147, 192, 196, 199, 303 Pfenninger, Johann Konrad 348, 385, 390, 394ff., 416 Pfenninger, Johann Kaspar 318 Pfenninger, Salomon 258 Piaget, Jean 170 Pilati, Carlantonio 211 Pope, Alexander 299, 411 Pufendorf, Samuel von 250 R Rahn, Hans Rudolf (1742–1786) 199 Rahn, Johann Rudolf (1712–1775) 318 Rahn, Konrad 307 Ralli, Andrea C. 211f., 217ff., 233ff. Reimarus, Hermann Samuel 55, 263, 352, 393 Resewitz, Friedrich Gabriel 355, 359 Reutlinger, Heinrich 139 Rochow, Friedrich Eberhard von 266f., 282, 284, 363 Rollin, Charles 108f. Rousseau, Jean-Jacques 59, 197, 201, 203, 217, 219, 234, 296f., 299, 351f., 386, 408ff. S Sack, August, Friedrich Wilhelm 80, 263, 271 Schaufelberger, Johann Kaspar 164, 168, 177, 179 Scherr, Ignaz Thomas 148, 152 Scheuchzer, Johann Jakob 307 Schinz, Johann Heinrich (1725–1800) 319
464
Personenregister
Schinz, Johann Heinrich (1726–1788) 83, 165f., 303, 316f., 337f. Schinz, Johann Heinrich (1727–1792) 198, 304, 306ff., 316 Schinz, Johann Rudolf 307, 345, 348, 372f. Schinz, Salomon 307, 323 Schlosser, Johann Georg 353, 372, 375 Schlözer, August Ludwig von 135, 150, 197 Schmidlin, Johannes 46f., 51, 71, 74, 173, 182, 231, 280 Schmutz, Johannes 293, 324, 336 Schneider, Felix 373, 376f. Schulthess, Johann Georg 1, 41f., 45, 47ff., 51f., 54ff., 62f., 66, 76, 79f., 115, 145f., 149, 154, 166ff., 172, 174, 177f., 187, 189, 191, 204, 226, 228, 230ff., 238, 245, 253, 255, 261, 265ff., 271f., 274, 281, 287, 303, 317, 331, 333, 338, 350f. Schulthess, Johann Kaspar 199 Schulthess, Johannes 45, 49 Searle, Richard 8 Seiler, Georg Friedrich 375 Semler, Johann Salomo 263, 392f., 396f., 402 Seybold, David Christoph 337f., 375 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, Earl of 368 Simmler, Johann Georg 372f., 377, 379f. Simmler, Johann Rudolf (1714–1787) 177 Simmler, Johann Rudolf (1722–1781) 179 Sinner, Johann Rudolf 232 Skinner, Quentin 7f., 16, 42 Smith, Adam 135, 297 Sozzini, Fausto 405 Sozzini, Lelio 405 Spalding, Johann Joachim 182, 263, 271, 297, 307, 367ff., 384, 395, 402, 415 Spinoza, Baruch de 390 Sprenger, Balthasar 266 Stapfer, Albrecht 177, 211f, 281f., 289
Stapfer, Philipp Albert 3, 9, 12ff., 191f., 212ff., 219ff., 233f., 254, 259, 365, 421 Steinbart, Gotthelf Samuel 263, 396 Steinfels, Johann Jakob 381 Stephani, Heinrich 146f. Strauss, David Friedrich 419 Sulzer, Johann Georg 45, 50, 58, 76, 80, 178, 198, 204ff., 233f., 255, 266f., 287, 297, 299, 307, 338, 388, 422 Suter, Hans Kaspar 182 T Tanner, Konrad 224f. Thomann, Salomon 152, 172, 190f. Thomasius, Christian 208f., 309 Tissot, Samuel Auguste André David 212, 234, 262, 387 Tobler, Georg Christoph 315, 348 Tobler, Johann Christoph 394 Tobler, Johann Kaspar 108, 185, 303, 320 Tobler, Johannes 303, 307, 315f., 320, 323, 352, 375, 384ff., 391, 394 Töllner, Johann Gottlieb 55, 263, 396 Trachsler, David 130 Trapp, Ernst Christian 200 Tronchin, Théodore 297 Tscharner, Vinzenz Bernhard 222, 234ff. Turrettini, François 257 U Ulrich, Friedrich Salomon 356ff. Ulrich, Heinrich 180 Ulrich, Johann Jakob 125f. Ulrich, Johann Rudolf 9, 43, 62, 74, 83, 125f., 257, 278, 293, 295f., 298, 306f., 309f., 312, 315, 318, 323, 325ff., 345, 352, 388, 393, 406 Ulrich, Kaspar 182 Usteri, Johann Martin (1738–1790) 199, 295, 307 Usteri, Leonhard 30, 32ff., 45f., 153, 196, 295f., 306f., 317, 345, 394 Usteri, Martin 199, 315
Personenregister Usteri, Paulus 295 V Voltaire 300, 351, 401, 409ff. Vögelin, Johann Konrad 211, 216ff., 233ff. W Waser, Felix 41, 55, 173, 181, 186, 231, 277, 282ff., 289, 302, 376f. Waser, Heinrich (1714–1786) 144 Waser, Johann Heinrich (1663–1735) 210 Waser, Johann Heinrich (1742–1780) 30, 92, 104, 134ff., 149, 151f., 158, 165, 167, 181, 311, 348f., 382 Watts, Isaac 183ff., 215, 231 Weber, Johann Heinrich (1703–1775) 177 Weber, Johann Heinrich (1725–1801) 95 Weber, Johann Kaspar 125ff. Weber, Johannes 377f. Weber, Max 179 Wegelin, Jakob 299 Werenfels, Samuel 257, 375 White, Hayden 18
465
Wieland, Christoph Martin 45, 315f., 384 Wirth, Konrad 354, 356 Wirz, Johann Conrad (1688–1769) 142 Wirz, Konrad (1741–1785) 199 Wiser, Johann Rudolf 177 Wittgenstein, Ludwig 8 Wolff, Christian 52, 205, 207, 218, 250, 255, 262f., 272f., 276, 294, 314, 368f., 404, 412, 426 Wüest, Johann Georg 140 Wyss, Felix 173, 282 Wyss, David von 277, 306f., 316 Z Ziegler, Christoph 124 Ziegler, Johann Rudolf 172, 183 Zimmermann, Johann Georg 199, 297 Zinzendorf, Nicolaus Ludwig Graf von 375, 402 Zschokke, Johann Heinrich Daniel 161 Zwingli, Huldrych 21, 26, 28, 30, 279, 334